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German Pages 1568 Year 2014
Wassermeyer/Baumhoff (Hrsg.)
Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen
Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen herausgegeben von
Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer Vorsitzender Richter am BFH a.D., Rechtsanwalt, Steuerberater, Bonn Honorarprofessor an der Universität Bonn
Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Dipl.-Kaufmann, Bonn Honorarprofessor an der Universität Siegen
2014
Bearbeiter Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Dipl.-Kaufmann, Bonn Honorarprofessor an der Universität Siegen Dr. Martin Cordes Steuerberater, Dipl.-Finanzwirt, Dipl.-Kaufmann, Bonn Lehrbeauftragter an der Universität Siegen Dr. Xaver Ditz Steuerberater, Dipl.-Kaufmann, Bonn Lehrbeauftragter an der Universität Trier Dr. Markus Greinert Steuerberater, Dipl.-Kaufmann, München Prof. Dr. Michael Hendricks Rechtsanwalt, Steuerberater, Dipl.-Finanzwirt, Bonn Honorarprofessor an der Universität Passau
Dr. Christian Hick Steuerberater, Dipl.-Kaufmann, Bonn Dr. Daniel Liebchen Steuerberater, Dipl.-Kaufmann, Bonn/Hamburg Dr. Michael Puls Rechtsanwalt, Steuerberater, Düsseldorf Dr. Jens Schönfeld Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Dipl.-Kaufmann, Bonn Lehrbeauftragter an den Universitäten Osnabrück und Freiburg Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer Vorsitzender Richter am BFH a.D., Rechtsanwalt, Steuerberater, Bonn Honorarprofessor an der Universität Bonn
Vorwort Fragen zur Festlegung und Prüfung angemessener Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen nehmen in der internationalen Besteuerungspraxis stetig zu und haben sich zum wichtigsten Bestandteil des Internationalen Steuerrechts entwickelt. Während die Thematik früher nur im Fokus einiger wichtiger westlicher Industrieländer stand (u.a. USA, Kanada, Deutschland, Japan), verfügen heute immer mehr Länder über detaillierte Verrechnungspreisvorschriften, die eine umfassende Dokumentation konzerninterner Transaktionen vorschreiben, um den nationalen Steuerbehörden eine effiziente Prüfung dieser Materie zu ermöglichen. Die Bedeutung dieser Thematik spiegelt sich zudem in der derzeit intensiv ausgetragenen Diskussion zu BEPS-Strukturen („Base Erosion and Profit Shifting“) wider, die mittlerweile weltpolitische Bedeutung erlangt hat. So hat die OECD im Auftrag der G20 im Juli 2013 einen Aktionsplan gegen BEPS-Strukturen vorgelegt, der von den G20-Staats- und Regierungschefs anschließend verabschiedet wurde. Insbesondere die Verrechnungspreise spielen bei diesen unerwünschten Steuergestaltungen eine zentrale Rolle. Heute findet so gut wie keine steuerliche Betriebsprüfung in Deutschland bei Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen zu verbundenen Unternehmen im Ausland mehr statt, bei der die Verrechnungspreise nicht auf dem steuerlichen Prüfstand bzw. zumindest Diskussionsgegenstand sind. Insbesondere bei verrechnungspreisbedingten Gewinnkorrekturen drohen hohe Steuernachforderungen für die Unternehmen. Für die Beratungspraxis entsteht ein neuer Beratungsbereich „Audit Defense“, bei dem vor allem die Verrechnungspreise im Fokus stehen. Seit kurzem wird in Deutschland durch die Neufassung des § 1 Abs. 5 AStG die Verrechnungspreisdiskussion auch auf die grenzüberschreitende Gewinnabgrenzung von Personengesellschaften und Betriebsstätten ausgedehnt, was durch die AOA-Diskussion auf OECD-Ebene ausgelöst wurde. Ausführungen zu diesem Themenbereich sind nicht Bestandteil des vorliegenden Werks und bleiben der 2. Auflage des Betriebsstätten-Handbuchs von Wassermeyer/Andresen/Ditz vorbehalten, da bei Redaktionsschluss lediglich ein erster Entwurf des entsprechenden BMF-Schreibens vorlag. Das vorliegende Werk folgt dem im Jahre 2001 erschienenen Buch Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, nach, welches gleichzeitig die komplette Kommentierung des § 1 AStG Flick/Wassermeyer/Baumhoff darstellte. Inzwischen ist es aufgrund der Entwicklungen auf internationaler Ebene (insbesondere der OECD), auf Ebene der Gesetzgebung wie auch der Rechtsprechung an der VII
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Vorwort
Zeit, eine Neubearbeitung vorzulegen. Hierfür war eine völlige Neukonzeption des ursprünglichen Werkes erforderlich. Die gesamte Verrechnungspreisthematik ist nunmehr in 13 Kapiteln abgebildet, wobei es sich bei jedem Kapitel um eine geschlossene Abhandlung eines Autors bzw. Autorenteams handelt. Das führt dazu, dass thematische Überschneidungen mit anderen Kapiteln nicht ausgeschlossen werden können. Im Interesse einer jeweils in sich abgeschlossenen Abhandlung eines Kapitels wird dies in Kauf genommen. Diesem Umstand wird durch viele Querverweise Rechnung getragen. Während das 2001 erschienene Buch von Wassermeyer/Baumhoff noch durch die Zusammenarbeit von zwei Autoren, nämlich einem Juristen und einem Betriebswirt entstanden ist, hat sich für das vorliegende Werk ein ganzes Autorenteam zusammengefunden. Bei diesem Autorenteam handelt es sich allesamt um erfahrene Praktiker bzw. Hochschullehrer sowohl aus dem juristischen als auch aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Bereich, die mit der Thematik bestens vertraut sind. Dies ist insofern angezeigt, als sich die Materie der internationalen Verrechnungspreise seit jeher an der Schnittstelle zwischen Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft befindet und die praktische Ausfüllung des Fremdvergleichsgrundsatzes eher ein betriebswirtschaftliches als ein juristisches Problem darstellt. Dies ist auch ein Grund dafür, dass sich die Internationale betriebswirtschaftliche Steuerlehre so stark für dieses Thema interessiert. Der Dank der Herausgeber gilt allen Autoren, die sich neben ihrer vielfältigen praktischen Arbeit der Mühsal unterzogen haben, die einzelnen Kapitel kompetent und erschöpfend zu bearbeiten. Bei den Autoren handelt es sich allesamt um derzeitige oder ehemalige Mitglieder der Partnerschaft Flick Gocke Schaumburg. Dank gilt auch Herrn Steuerberater Dr. Andreas Pasedag für die Durchführung der Endredaktion, Herrn Diplom-Wirtschaftsjurist und Steuerberater Alexander Geißler sowie den Vertretern des Otto Schmidt Verlages, namentlich Herrn Thomas Fischer, Herrn Wolfram Starke und Herrn Michael Kunze für ihre besondere Geduld mit den Autoren, wenn die eine oder andere Terminzusage aufgrund der vielen sonstigen Verpflichtungen der Autoren zeitlich nicht immer ganz eingehalten werden konnte. Das Buch befindet sich auf dem Rechtstand vom 1.1.2014. Bonn, im Mai 2014
Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer Prof. Dr. Hubertus Baumhoff
VIII
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Inhaltsübersicht Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIII
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XLI
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XLV
Kapitel 1 Einführung A. B. C. D.
Rz.
Seite
. . . .
1.1 1.8
1 4
. .
1.17
8
. .
1.31
18
. . . . . . . .
2.1 2.4 2.6 2.28 2.48 2.60 2.64 2.165
30 32 36 54 68 79 82 147
Merkmale des Fremdvergleichs . . . . . . . . . . . . . Unabhängigkeit der Geschäftspartner . . . . . . . . . Vergleichbarkeit der Verhältnisse . . . . . . . . . . . .
3.1 3.2 3.8
158 158 162
Überblick (Baumhoff) . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebswirtschaftlicher Hintergrund (Baumhoff) International-steuerrechtlicher Hintergrund (Wassermeyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktuelle Rechtsentwicklung in Deutschland (Wassermeyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht (Wassermeyer) A. B. C. D. E. F. G. H.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweistufige Gewinnermittlung . . . . . Korrekturnormen . . . . . . . . . . . . . . Verdeckte Gewinnausschüttung . . . . . Entnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einlage und verdeckte Einlage . . . . . . § 1 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlagen im Abkommensrecht
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung (Baumhoff/Liebchen) A. B. C.
IX
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Inhaltsübersicht
D. E. F. G.
Arten des Fremdvergleichs . . . Tatsächlicher Fremdvergleich . Hypothetischer Fremdvergleich Vorteilsausgleich . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
Rz.
Seite
3.123 3.126 3.132 3.161
246 246 250 267
Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse als Ausgangspunkt der Verrechnungspreisbestimmung (Puls) A. B. C. D. E.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfluss des Funktions- und Risikoprofils auf die Unternehmenscharakterisierung . . . . . . . . . . Wertschöpfungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
4.1 4.4 4.37
279 280 295
. . . .
4.60 4.68
306 310
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.1 5.5 5.82
315 317 351
. . . . . .
5.138
389
. . . . . .
5.165
414
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises A. B. C. D. E.
Überblick (Baumhoff) . . . . . . . . . . . . . Klassische Methoden (Baumhoff) . . . . . . Gewinnorientierte Methoden (Greinert) . . Rangfolge der Verrechnungspreismethoden (Baumhoff/Liebchen) . . . . . . . . . . . . . Preisbandbreiten und Einigungsbereich (Baumhoff/Liebchen) . . . . . . . . . . . . .
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für einzelne Bereiche des Liefer- und Leistungsaustausches A. B. C. D. E. F. G.
Lieferung von Gütern und Waren (Ditz) . . . . . . . . Dienstleistungen (Baumhoff) . . . . . . . . . . . . . . Arbeitnehmerentsendungen (Hick) . . . . . . . . . . . Konzern- und Kostenumlagen (Baumhoff) . . . . . . . Finanzierungsleistungen (Ditz) . . . . . . . . . . . . . Immaterielle Wirtschaftsgüter (Greinert) . . . . . . . Verrechnungspreise im Bereich des e-Business (Ditz)
6.1 6.87 6.175 6.326 6.417 6.547 6.606
503 558 625 679 735 809 858
X
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Inhaltsübersicht
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen (Ditz/Greinert) A. B. C. D. E. F. G.
Gründe für Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung . . . Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Preisanpassungsregelungen des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typische Fälle von Funktionsverlagerungen . . . .
Rz.
Seite
. .
7.1 7.3
898 900
. .
7.13 7.61
910 939
.
7.80
950
. .
7.129 996 7.135 1004
.
8.1 1032
. . .
8.6 1036 8.47 1056 8.114 1092
.
8.169 1145
.
8.192 1171
Kapitel 8 Dokumentationspflichten (Cordes) A. B. C. D. E. F.
Allgemeine nationale Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu internationalen Verrechnungspreisen . . . . . . . . . Sachverhaltsdokumentation . . . . . . . . . . . . . . Angemessenheitsdokumentation . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . . Internationale Ansätze zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften für die Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung A. B. C. D.
Amtsermittlungsgrundsatz und Mitwirkungspflichten (Wassermeyer) . . . . . . . . . . . . . . Erweiterte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten (Wassermeyer) . . . . . . . . . . . Beweismaß, Beweislast und Schätzung (Wassermeyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelne Beweismittel (Hendricks) . . . . . . . .
. . .
9.1 1184
. . .
9.6 1187
. . . . . .
9.15 1192 9.23 1197 XI
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Inhaltsübersicht
Kapitel 10 Instrumente zur Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten (Hendricks) Rz.
Seite
A.
Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten . . . . . . . . . . . . . .
10.1 1209
B.
Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten . . . . . . . . . . . . . .
10.72 1257
Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht (Puls) A.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.1 1307
B.
Praxisrelevante Fragen der Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen mit verbundenen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.7 1310
Zollrecht und Verrechnungspreise . . . . . . . . . . .
11.52 1327
C.
Kapitel 12 Verrechnungspreise und Steuerstrafrecht (Puls) A.
Aufgaben und Befugnisse der Steuerfahndung im Bereich grenzüberschreitender Sachverhalte . . . . .
12.1 1364
B.
Steuerstrafrechtliche Relevanz von Verrechnungspreissachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.17 1371
C.
Praxisrelevante Einzelsachverhalte . . . . . . . . . . .
12.32 1376
D.
Proaktive Möglichkeiten der Verhinderung einer Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.54 1385
Kapitel 13 Verrechnungspreise und EU-Recht (Schönfeld) A.
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.1 1389
B.
Verrechnungspreiskorrekturvorschriften und EU-Recht
13.13 1398
C.
Verrechnungspreisdokumentation und EU-Recht . .
13.26 1414
Anhang: Glossar Verrechnungspreise des BMF . . . . . . . . . . .
1419
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1443
XII
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Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XLI
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XLV
Kapitel 1 Einführung A. Überblick (Baumhoff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seite
1.1
1
B. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund (Baumhoff) . I. Funktionen von Verrechnungspreisen . . . . . . . . II. Funktionsabhängige Verrechnungspreisfestlegung III. Ermittlung von Steuerbemessungsgrundlagen . . .
. . . .
. . . .
1.8 1.8 1.14 1.16
4 4 7 8
C. International-steuerrechtlicher Hintergrund (Wassermeyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Trennungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begriffsdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Steuerlich zu akzeptierende Rahmenbedingungen V. Drohende Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
1.17 1.17 1.18 1.19 1.25 1.30
8 8 10 11 15 18
D. Aktuelle Rechtsentwicklung in Deutschland (Wassermeyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.31
18
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1
30
B. Zweistufige Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . . .
2.4
32
C. Korrekturnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis des § 1 AStG zur verdeckten Gewinnausschüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis des § 1 AStG zu einer verdeckten Gewinnausschüttung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG . . .
2.6 2.6
36 36
2.9
39
2.16
45
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht (Wassermeyer)
XIII
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Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
IV. Verhältnis des § 1 AStG zur (verdeckten) Einlage . . . V. Verhältnis des § 1 AStG zur Entnahme . . . . . . . . . VI. Verhältnis der verdeckten Gewinnausschüttung zur Entnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.17 2.23
45 50
2.25
51
D. Verdeckte Gewinnausschüttung . . . . . . . . . . . I. Fehlende gesetzliche Definition . . . . . . . . . . . . II. Unterschiedsbetragsminderungen . . . . . . . . . . III. Veranlassung der Unterschiedsbetragsminderung durch das Gesellschaftsverhältnis . . . . . . . . . . IV. Vorteilsgeneigtheit der Unterschiedsbetragsminderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolge der verdeckten Gewinnausschüttung .
. . . . . .
2.28 2.28 2.34
54 54 60
. .
2.37
62
. . . .
2.43 2.45
65 67
E. Entnahme . . . . . . . . . . I. Begriff . . . . . . . . . . . . II. Bewertung . . . . . . . . . . III. Rechtsfolge der Entnahme
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
2.48 2.48 2.57 2.59
68 68 77 79
F. Einlage und verdeckte Einlage . I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . II. Bewertung . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolge der Einlage . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
2.60 2.60 2.61 2.63
79 79 81 82
G. § 1 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wesentlicher Inhalt des § 1 AStG . . . . . . . . . . II. Verhältnis des § 1 AStG zu anderen Vorschriften . III. Zweck des § 1 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG 1. Steuerpflichtiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einkünfteminderung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Geschäftsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nahestehende Person . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Geschäftsbeziehung zu einer nahestehenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Geschäftsbeziehung zum Ausland . . . . . . . . 8. Rechtsfolge: Einkünftekorrektur . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
2.64 2.64 2.66 2.77 2.78 2.78 2.83 2.89 2.91 2.107
82 82 84 91 92 92 95 98 100 111
. . . . . .
2.133 2.134 2.147
126 126 133
H. Rechtsgrundlagen im Abkommensrecht I. Art. 9 OECD-MA . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 7 OECD-MA . . . . . . . . . . . . . . III. OECD-Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . IV. EU-Schiedskonvention . . . . . . . . . . .
. . . . .
2.165 2.165 2.172 2.174 2.177
147 147 152 153 155
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
XIV
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung (Baumhoff/Liebchen) Rz.
Seite
A. Merkmale des Fremdvergleichs . . . . . . . . . . . . . .
3.1
158
B. Unabhängigkeit der Geschäftspartner . . . . . . . . . . I. Tatsächliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . II. Fiktive Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 3.2 3.4
158 158 159
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse . . . . . . . . . . . . I. Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grad der Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. OECD-Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Uneingeschränkte versus eingeschränkte Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Direkte versus indirekte Vergleichbarkeit . . . . . .
3.8 3.8 3.12 3.13
162 162 164 164
3.15 3.20
166 169
III. Vergleichbarkeitsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Good-practise“-Verfahren nach den OECD-Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Analyseverfahren nach dem UN-Manual . . . . .
. .
3.23 3.23
170 170
. .
3.25 3.36
171 180
IV. Bestimmungsfaktoren der Vergleichbarkeit . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Produkteigenschaften von Waren und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eingesetzte Produktionsmittel . . . . . . . . . . . e) Unternehmenscharakterisierung . . . . . . . . . 4. Vergleichbarkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse 5. Besondere Geschäftsstrategien . . . . . . . . . . . . . 6. Standortvorteile und andere lokale Marktbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Qualifizierte und eingearbeitete Belegschaft . . . . 8. Synergieeffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.38 3.38
181 181
3.41 3.45 3.45 3.48 3.55 3.64 3.66 3.69 3.78
183 184 184 185 189 194 195 197 204
3.83 3.88 3.92
209 213 215
. . . . .
3.99 3.99 3.102 3.106 3.110
222 222 226 230 233
VI. Vergleichbarkeitsanpassungen . . . . . . . . . . . . . .
3.112
236
V. Zeitliche Aspekte der Vergleichbarkeitsprüfung . 1. Price-setting- und Outcome-testing-Ansatz . . 2. Unsicherheiten und Preisanpassungen . . . . . 3. Mehrjahresanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Jahresendanpassungen/Year-End-Adjustments
. . . . .
. . . . .
XV
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Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
D. Arten des Fremdvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.123
246
E. Tatsächlicher Fremdvergleich . . . . . . . . . . . . . . .
3.126
246
.
3.132
250
. .
3.132 3.143
250 255
.
3.153
261
. .
3.154 3.158
261 264
. . . . .
3.161 3.161 3.165 3.172 3.173
267 267 270 276 277
F. Hypothetischer Fremdvergleich . . . . . . . . . . . . . I. Ordentlicher Geschäftsleiter als Kriterium des hypothetischen Fremdvergleichs . . . . . . . . . . . . II. „Doppelter“ ordentlicher Geschäftsleiter . . . . . . . III. Der hypothetische Fremdvergleich gem. § 1 Abs. 3 Sätze 5 ff. AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Innerstaatliche „Konkretisierungen“ des Fremdvergleichsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungen zur Einigungsbereichsbetrachtung . . G. Vorteilsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgrundlage und Begriff . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswirkungen des Vorteilsausgleichs . . . . IV. Vorteilsausgleich und Palettenbetrachtung .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse als Ausgangspunkt der Verrechnungspreisbestimmung (Puls) A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1
279
B. Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff und Bestimmungsfaktoren des Funktionsprofils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Differenzierung zwischen quantitativer und qualitativer Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . 1. Identifikation von betrieblichen Funktionen . 2. Abgrenzung von Haupt- und Hilfsfunktionen/ Gewichtung von Funktionen . . . . . . . . . .
. . .
4.4
280
. . .
4.4
280
. . . . . .
4.12 4.12
283 283
. . .
4.16
285
III. Grundformen betrieblicher Funktionen . . . . . . . . . 1. Produktionsbezogene Funktionen . . . . . . . . . . 2. Absatz- und vertriebsbezogene Funktionen . . . . .
4.21 4.21 4.23
287 287 288
4.26 4.30 4.32
291 293 293
4.35
294
IV. Funktionen im Zusammenhang mit Dienstleistungserbringungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Funktionen im Bereich E-Commerce . . . . . . . . . . VI. Verlagerung von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Funktionsanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI
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Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
C. Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einfluss des Risikoprofils auf die Verrechnungspreisbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Identifikation von betrieblichen Risiken . . . . . . . . III. Grundformen betrieblicher Risiken . . . . . . . . . . . IV. Risiken bei E-Commerce-Tätigkeiten . . . . . . . . . . V. Verlagerung von Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Risikoanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation
4.37
295
4.37 4.43 4.51 4.54 4.56 4.58
295 298 303 304 304 305
D. Einfluss des Funktions- und Risikoprofils auf die Unternehmenscharakterisierung . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigenschaft als Strategieführer (Entrepreneur) . . III. Unternehmen mit sog. „Routine“-Funktionen . . IV. Eigenschaft als Mittelunternehmen . . . . . . . .
. . . . .
4.60 4.60 4.62 4.63 4.65
306 306 307 308 309
E. Wertschöpfungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Identifizierung von Werttreibern und Wertbegrenzern II. Wertschöpfungsanalyse bei Profit-Split-Modellen . . . III. Darstellung der Wertschöpfungsanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . . . . . .
4.68 4.68 4.71
310 310 312
4.73
313
5.1
315
. . . . . .
5.5 5.5 5.5 5.8 5.11 5.13
317 317 317 319 320 321
II. Wiederverkaufspreismethode . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorgehensweise der Wiederverkaufspreismethode . 2. Ermittlung der marktüblichen Handelsspanne . . . 3. Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.15 5.15 5.17 5.31
322 322 323 329
5.39 5.39 5.40 5.42 5.42 5.45
333 333 334 334 334 336
. . . . .
. . . . .
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises A. Überblick (Baumhoff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Klassische Methoden (Baumhoff) . . . . . . . . . I. Preisvergleichsmethode . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorgehensweise der Preisvergleichsmethode 2. Innerer Preisvergleich . . . . . . . . . . . . . . 3. Äußerer Preisvergleich . . . . . . . . . . . . . 4. Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
III. Kostenaufschlagsmethode . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorgehensweise der Kostenaufschlagsmethode 2. Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ermittlung der Kostenbasis . . . . . . . . . . . . . a) Anzuwendender Kostenbegriff . . . . . . . . . b) Relevante Kostenarten . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
XVII
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WVP1 - D/1422
Inhaltsverzeichnis
c) Zeitbezug der Kosten . . . . . . . . . . . d) Sachumfang der Kosten . . . . . . . . . 4. Gewinnaufschlag . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nachteile der Kostenaufschlagsmethode 6. Kombination der klassischen Methoden .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
5.51 5.64 5.69 5.79 5.80
338 342 345 350 350
C. Gewinnorientierte Methoden (Greinert) . . . . . I. Grundlagen und Rechtsentwicklung . . . . . . . . II. Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßgebende Nettomarge . . . . . . . . . . . . . 3. Anpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Quantitative Ermittlung . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
5.82 5.82 5.92 5.92 5.101 5.109 5.113
351 351 357 357 363 368 371
III. Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßgebende Gewinngröße . . . . . . . . . . . . . . . 3. Methoden der Gewinnaufteilung . . . . . . . . . . .
5.123 5.123 5.127 5.129
380 380 383 384
IV. Gewinnvergleichsmethode . . . . . . . . . . . . . . . .
5.136
387
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden (Baumhoff/Liebchen) . . . . . . . . . . . . . . I. Auffassung der OECD . . . . . . . . . . . . . . 1. OECD-Leitlinien 1995/1996 . . . . . . . . 2. OECD-Leitlinien 2010 . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
5.138 5.138 5.138 5.141
389 389 389 391
II. Regelungen des § 1 AStG . . . . . . III. Rechtsprechung des BFH . . . . . . IV. Auffassung der Finanzverwaltung 1. VWG 1983 . . . . . . . . . . . . . 2. VWG-Verfahren . . . . . . . . . 3. VWG-Funktionsverlagerung . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
5.149 5.154 5.155 5.155 5.158 5.162
398 405 406 406 408 412
5.165 5.165 5.168 5.168
414 415 419 419
5.168 5.170 5.171 5.171 5.175 5.178 5.178
419 420 421 421 425 426 426
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . .
Seite
. . . . .
. . . . . .
. . . . .
Rz.
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich (Baumhoff/ Liebchen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Preis- und Wertbandbreiten . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ursachen für die Entstehung . . . . . . . . . . . . . . a) Volkswirtschaftliche Erklärung: Unvollkommenheit von Märkten . . . . . . . . . b) Voraussetzungen nach § 1 Abs. 3 Sätze 1–3 AStG 2. Einengung von Bandbreiten . . . . . . . . . . . . . . a) OECD-Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung des BFH . . . . . . . . . . . . . . c) Auffassung der deutschen Finanzverwaltung . . aa) VWG 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII
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Inhaltsverzeichnis
bb) VWG-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Uneingeschränkte und eingeschränkte Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einengung der Bandbreite nur bei eingeschränkter Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . 3. Verrechnungspreisbestimmung . . . . . . . . . . . . 4. Einkünftekorrekturen und Fremdvergleichsbandbreiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schätzung bei Verletzung der Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einigungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung der Preisgrenzen . . . . . . . . . . . . . a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Preisgrenze des Leistungserbringers . . . . . . . . c) Preisgrenze des Leistungsempfängers . . . . . . . 2. Bestimmungsfaktoren des Einigungsbereichs . . . . a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Standortvorteile, Synergieeffekte und alternative Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . c) Berücksichtigung von Steuereffekten . . . . . . . aa) Periodische Besteuerungseffekte . . . . . . . bb) Aperiodische Besteuerungseffekte . . . . . . 3. Aufteilung des Einigungsbereichs . . . . . . . . . . . a) Betriebswirtschaftliche Lösungsansätze . . . . . b) Vorgaben der OECD-Leitlinien . . . . . . . . . . c) Auffassung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . d) Gesetzliche Regelung und Verwaltungsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nachträgliche Verrechnungspreiskorrekturen . . . a) Unzutreffender Einigungsbereich/Verrechnungspreisansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Preisanpassungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sonderproblem: Negativer Einigungsbereich . . . . a) Begriffsbildung und -abgrenzung . . . . . . . . . . b) Verrechnungspreisbestimmung bei negativen Einigungsbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seite
5.179 5.186
427 436
5.186
436
5.191 5.197
440 445
5.199
446
5.199
446
5.202
448
5.204
450
5.208 5.208 5.208 5.210 5.213 5.215 5.215
456 456 456 458 461 462 462
5.216 5.219 5.219 5.221 5.226 5.226 5.229 5.233
462 468 468 470 474 474 475 483
5.235 5.239
486 489
5.239 5.242 5.249 5.249
489 490 495 495
5.253
498
XIX
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für einzelne Bereiche des Liefer- und Leistungsaustausches Rz.
Seite
A. Lieferung von Gütern und Waren (Ditz) . . . . . . . . . I. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lieferungen von Produktionsgesellschaften . . . . . . 1. Funktionsanalyse im Rahmen der Produktion . . . a) Eigenproduzent vs. Lohnfertiger . . . . . . . . . . b) Funktionen des Lohnfertigers . . . . . . . . . . . c) Risiken des Lohnfertigers . . . . . . . . . . . . . . d) Eingesetzte Wirtschaftsgüter des Lohnfertigers . e) Zwingende Merkmale eines Lohnfertigers . . . . 2. Verrechnungspreisermittlung bei einem Lohnfertiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendung der Preisvergleichsmethode . . . . . b) Anwendung der Kostenaufschlagsmethode . . . 3. Anlaufverluste des Lohnfertigers . . . . . . . . . . . 4. Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenproduzenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1 6.1 6.7 6.7 6.7 6.11 6.17 6.21 6.25
503 503 507 507 507 510 512 514 515
6.30 6.30 6.31 6.45
518 518 519 528
6.47
529
III. Lieferungen an Vertriebsgesellschaften . . . . . . . . . 1. Funktionsanalyse im Rahmen des Vertriebs . . . . 2. Ermittlung von Verrechnungspreisen . . . . . . . . a) Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenhändler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenhändler (Low-Risk-Distributor) . . . . . . . . . . c) Verrechnungspreisermittlung bei einem Kommissionär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verrechnungspreisermittlung bei einem Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufteilung von Markterschließungs-, Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten . . . . a) Begriffsabgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufteilung von Markterschließungskosten . . . c) Verlustsituationen bei Markterschließungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufteilung von Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Aufteilung von Werbekosten . . . . . . . . . . . . 4. Zuordnung von Währungsrisiken . . . . . . . . . . .
6.49 6.49 6.55
530 530 533
6.55
533
6.60
539
6.63
542
6.65
543
6.66 6.66 6.71
544 544 547
6.76
551
6.79 6.80 6.83
554 554 556
B. Dienstleistungen (Baumhoff) . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erscheinungsformen von Dienstleistungen . . . . . . .
6.87 6.87 6.88
558 559 560
XX
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Inhaltsverzeichnis
III. Dienstleistungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung zu anderen Leistungsbereichen . . . . 2. Assistenz-, Management-, Kontroll- und Regieleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klassifizierung nach den OECD-Leitlinien . . . . . 4. Bezeichnungen und Klassifizierungen in den VWG IV. Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzungskriterium der betrieblichen Veranlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergänzende Hilfskriterien . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verrechenbare und nicht verrechenbare Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesellschafteraufwand/Stewardship-Expenses . b) Beispiele für nicht verrechenbare Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beispiele für verrechenbare Dienstleistungen . . d) Mischleistungen und Aufteilung . . . . . . . . . e) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Problembereiche der Dienstleistungsverrechnung . a) Schwierigkeit der eindeutigen Beurteilung . . . b) Leistungsbereitschaft auf Abruf . . . . . . . . . . c) Rückhalt im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . d) Koordinierung und Kontrolle . . . . . . . . . . . . e) Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Dienstleistungsverrechnung der Höhe nach . . . . . . 1. Formen der Dienstleistungsverrechnung . . . . . . 2. Einzelverrechnung mittels der Verrechnungspreismethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klassische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Preisvergleichsmethode . . . . . . . . . . . . bb) Wiederverkaufspreismethode . . . . . . . . . cc) Kostenaufschlagsmethode . . . . . . . . . . . c) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnmethoden . . aa) Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM) . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split) . . . . . . . VI. Spezielle Konzerndienstleistungen . . . . 1. Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auftragsforschung und -entwicklung . a) Begriffsabgrenzungen . . . . . . . . aa) Forschung und Entwicklung . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
Rz.
Seite
6.93 6.93
563 563
6.96 6.103 6.104
565 569 570
6.108 6.108
573 573
6.109 6.111
574 576
6.117 6.117
582 582
6.119 6.120 6.121 6.124 6.125 6.125 6.126 6.131 6.136 6.139
583 584 585 587 590 590 591 594 601 602
6.141 6.141
602 602
6.146 6.146 6.147 6.147 6.151 6.154 6.157
606 606 606 606 609 610 612
6.157
612
6.159
613
6.160 6.160 6.161 6.161 6.161
614 614 614 614 614 XXI
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WVP1 - D/1422
Inhaltsverzeichnis Rz.
Seite
6.164
618
6.166
619
6.171
621
.
6.175
625
.
6.175
627
.
6.175
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6.180 6.180
630 630
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6.191
635
6.197
637
6.199
637
6.203
639
bb) Grundlagen- und angewandte Forschung . . b) Organisation der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verrechnungspreisermittlung bei Auftragsforschern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Arbeitnehmerentsendungen (Hick) . . . . . . . . . . I. Grenzüberschreitender Einsatz von Arbeitnehmern in internationalen Konzernen . . . . . . . . . . . . . . 1. Zielsetzung und Ausgestaltung von Arbeitnehmerentsendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgestaltung konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwaltungsgrundsätze Arbeitnehmerentsendungen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung des Anwendungsbereich der VWGArbeitnehmerentsendung . . . . . . . . . . . . . . a) Persönlicher Anwendungsbereichs der VWGArbeitnehmerentsendung . . . . . . . . . . . . . b) Überblick über den sachlichen Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung . .
III. Arbeitnehmerentsendungen i.S.d. VWG-Arbeitnehmerentsendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . a) Aufnehmende Konzerneinheit als arbeitsrechtlicher bzw. wirtschaftlicher Arbeitgeber . . . . . b) Einzelheiten des wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufteilung des originären Aufwands der Entsendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nicht von den Verwaltungsgrundsätzen erfasste Entsendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ermittlung des Gesamtaufwands einer Arbeitnehmerentsendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Beurteilungskriterien im Rahmen der Einkunftsabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betriebliche Veranlassung entsendungsbedingter Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermittlung der Interessenlage einer Entsendung . . a) Vermutungen hinsichtlich der Interessenlage . . b) Kriterien für die Beurteilung der Interessenlage .
6.206
640
6.206 6.212 6.212 6.216
640 641 641 642
VI. Auswirkungen der Aufwandszuordnung für die Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.221
644
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6.224
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6.230 6.232
647 648
6.232
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6.235
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6.238 6.238
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6.241
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6.261
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6.261
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6.265 6.266
659 659
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6.269
660
. . .
6.269
660
. . . . . .
6.272 6.275
661 662
X. Korrektur einer nicht dem Fremdvergleich entsprechenden Zuordnung der Aufwendungen der Entsendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.277 6.277
663 663
VII. Einkunftsabgrenzung dem Grunde nach verlangt Ermittlung der Interessenlage der Entsendung . . . . . 1. Entsendungen im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Im Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft stehende Entsendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Im Interesse der aufnehmenden und der entsendenden Konzerngesellschaft stehende Entsendungen . 4. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entsendungen zu Aus- und Fortbildungszwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Einkunftsabgrenzung der Höhe nach . . . . . . . . . . . 1. Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung . . . 2. Zielsetzung der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ermittlung des angemessenen Entsendungsaufwands durch betriebsinternen Fremdvergleich . . . 4. Ermittlung des angemessenen Entsendungsaufwands durch betriebsexternen Fremdvergleich . . . 5. Ermittlung der angemessenen Höhe des Entsendungsaufwands durch einen hypothetischen Fremdvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Entsendungsaufwand übersteigt das bei Beschäftigung eines Arbeitnehmers des lokalen Arbeitsmarktes anfallende Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . a) Entsendung erfolgt dem Grunde nach im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entsendung erfolgt dem Grunde nach imInteresse der entsendenden Konzerngesellschaft c) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Rechtsgrundlagen einer Gewinnkorrektur und Korrekturmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufwand der Entsendung als Gegenstand der Einkünftekorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermittlung eines einheitlichen Aufteilungsmaßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inanspruchnahme eines Vorteilsausgleichs . .
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Inhaltsverzeichnis
2. Fallgruppe I: Nicht fremdübliche Übernahme von Entsendungsaufwand durch eine in- bzw. ausländische Tochtergesellschaft . . . . . . . . . . . 3. Fallgruppe II: Keine angemessene Weiterbelastung von Entsendungsaufwand an die ausländische Tochtergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Know-how-Transfer und Funktionsverlagerung im Zusammenhang mit Entsendungen . . . . . . . . . . . 1. Know-how-Transfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erscheinungsformen des Know-how im Zusammenhang mit Entsendungen . . . . . . . . b) An den Arbeitnehmer gebundenes Know-how . c) Sonderfall der Überlassung bzw. Übertragung körperlicher Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . d) Voraussetzungen für einen Know-how-Transfer von der aufnehmenden an die entsendende Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitnehmerentsendung und Funktionsverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitnehmerentsendungen in rein zeitlichem Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Arbeitnehmerentsendungen als wirtschaftlicher Teil einer Funktionsverlagerung . . . . . . . . . . d) Funktionsverlagerung als Folge einer Arbeitnehmerentsendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Nachweis-, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei Arbeitnehmerentsendungen . . . . . . . . 1. Nachweis- und Mitwirkungspflichten . . . . . . . . 2. Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO im Rahmen von Arbeitnehmerentsendungen . . . . . . a) Keine Geschäftsbeziehung bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenstand der Aufzeichnungsverpflichtungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art und Gegenstand der Arbeitnehmerentsendung (Sachverhaltsdokumentation) . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vertragliche Grundlagen der Entsendung und Schriftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Höhe und Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung sowie Art und Umfang der Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
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6.279
663
6.282
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6.287 6.287
666 666
6.287 6.291
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6.296 6.296
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6.305 6.305
673 673
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6.309
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6.315 6.315
676 676
6.317
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d) Angemessenheitsdokumentation . . . . . . . . .
6.323
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D. Konzern- und Kostenumlagen (Baumhoff) . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konzernumlagen nach dem Leistungsaustauschkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konzernumlagen nach dem Poolkonzept (Poolumlage) 1. Poolmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leistungen an den Umlagepool durch selbständige Dienstleistungsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 3. Innengesellschaft der Poolmitglieder . . . . . . . . . 4. Standort des Pools . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ermittlung der Kostenbasis . . . . . . . . . . . . . . . 6. Berücksichtigung eines Gewinnaufschlags . . . . . 7. Umlageschlüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Abrechnungsmodalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Veränderungen im Bestand der Poolmitglieder . . . 10. Umlagevertrag und Dokumentation . . . . . . . . . 11. Vertragsanpassungen an veränderte Verhältnisse . 12. Laufzeit und Kündigung von Umlageverträgen . . . 13. Steuerliche Besonderheiten bei Kostenumlagen . . 14. Vorteilsausgleich bei Kostenumlagen . . . . . . . . 15. Konzernspezifische Umlagesysteme . . . . . . . . .
6.326 6.326
679 680
6.336 6.342 6.342
688 692 692
6.347 6.348 6.351 6.353 6.363 6.368 6.385 6.388 6.394 6.401 6.405 6.408 6.413 6.414
695 696 698 698 705 708 717 718 721 726 727 728 732 733
E. Finanzierungsleistungen (Ditz) . . . . . . . . . . . . . . I. Erscheinungsformen von Finanzierungsleistungen . . II. Verrechnung von Finanzierungsleistungen dem Grunde nach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendigkeit einer schuldrechtlichen Leistungsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzung einer „ernstgemeinten“ Darlehensgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.417 6.417
735 736
6.420
737
6.420
737
6.429
745
III. Ermittlung fremdüblicher Zinssätze . . . . . . . . . . . 1. Maßgebende Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bandbreitenbetrachtung zur Ermittlung fremdüblicher Zinssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fremdwährungsdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zinslosigkeit bzw. niedrige Verzinsung aus betrieblichen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verzinsung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.434 6.434
747 747
6.439 6.444
750 754
6.449
757
6.454
759
IV. Einschaltung von Finanzierungsgesellschaften . . . . V. Teilwertabschreibungen und Forderungsverzichte auf Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.457
760
6.465 6.465
764 764 XXV
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6.468 6.468 6.471
765 765 766
6.478
770
6.481 6.481 6.494 6.499 6.502
772 772 779 782 785
. . . .
6.507 6.507 6.513 6.521
788 788 792 797
VII. Sonstige Finanzdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . 1. Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Cash- und Devisenmanagement . . . . . . . . . . . .
6.529 6.529 6.536
801 801 803
F. Immaterielle Wirtschaftsgüter (Greinert) . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hintergrund der Bedeutung von immateriellen Wirtschaftsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriffsbestimmungen für immaterielle Wirtschaftsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung der Übertragung von der Nutzungsüberlassung eines immateriellen Wirtschaftsguts a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßgebender Eigentumsbegriff . . . . . . . . . c) Gegenüberstellung der unterschiedlichen Besteuerungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . .
. .
6.547 6.547
809 811
.
6.547
811
.
6.548
812
. . .
6.552 6.552 6.553
815 815 815
.
6.558
818
II. Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arten von Lizenzgebühren . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderfälle der Lizenzierung . . . . . . . . . . . . . . a) Lizenzierung des Firmennamens und Markenüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Lizenzierung bei gleichzeitigem Leistungsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lizenzierung von Vorrats- oder Sperrpatenten . d) Lizenzierung von Leistungsbündeln . . . . . . . e) Lizenzierung bei gleichzeitiger Erbringung von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.560 6.560 6.561 6.563
820 820 820 822
6.563
822
6.567 6.568 6.569
825 825 826
6.570
827
2. Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG bei Kapital gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtslage bis zum Veranlagungszeitraum 2007 b) Rechtslage ab dem Veranlagungszeitraum 2008 3. Anwendung des § 3c EStG bei natürlichen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Behandlung von Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auffassung der Finanzverwaltung . . . . . . . . . b) Keine Anwendung des § 1 AStG . . . . . . . . . . c) Europarechtswidrigkeit des § 1 AStG . . . . . . . 5. Behandlung von Forderungsverzichten . . . . . . . . VI. Garantien, Bürgschaften und Patronatserklärungen . 1. Zivilrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . 2. Verrechnung dem Grunde nach . . . . . . . . . . . 3. Verrechnung der Höhe nach . . . . . . . . . . . . .
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Seite
6.571 6.571 6.572 6.572 6.580 6.581 6.583 6.583
828 828 828 828 838 839 840 840
6.584 6.584 6.585 6.585 6.587 6.588
841 841 842 842 844 845
6.591
847
6.595 6.602
850 855
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business (Ditz) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriffsabgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.606 6.606
858 858
6.606 6.609
858 859
II. Bedeutung des Fremdvergleichsgrundsatzes . . . . . . III. Vertrieb im Wege des E-Commerce . . . . . . . . . . . . 1. Verrechnungspreisermittlung beim Offline-Handel 2. Verrechnungspreisermittlung beim Online-Handel a) Modelle des Online-Handels . . . . . . . . . . . . b) E-Commerce Vertriebsgesellschaft als Eigenhändler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) E-Commerce Gesellschaft als Vertriebsdienstleister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.611 6.613 6.613 6.617 6.617
860 860 860 862 862
6.620
863
6.630
866
IV. Konzernweite Intranet-Systeme . . . . . . . . 1. Begriff des Intranets . . . . . . . . . . . . . 2. Leistungsverrechnung dem Grunde nach a) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . b) Bereitstellung des Intranet-Systems . . c) Verrechnung des Wissenstransfers . . 3. Leistungsverrechnung der Höhe nach . .
. . . . . . .
6.639 6.639 6.641 6.641 6.645 6.650 6.660
870 870 870 870 872 874 878
V. IT-Dienstleistungen im Wege des Cloud-Computing .
6.670
881
III. Methoden zur Berechnung einer angemessenen Lizenzgebühr für die Nutzungsüberlassung . . . . . . . 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Standardmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Preisvergleichsmethode . . . . . . . . . . . . . . . b) Wiederverkaufspreismethode . . . . . . . . . . . c) Kostenaufschlagsmethode . . . . . . . . . . . . . 3. Gewinnorientierte Methoden . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Methoden der Gewinnaufteilung . . . . . . . (1) Pauschale Gewinnaufteilungsmaßstäbe (2) Mehrgewinnmethode . . . . . . . . . . . . (3) Residualwertmethode . . . . . . . . . . . IV. Bewertung eines immateriellen Wirtschaftsguts im Rahmen der Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Notwendigkeit von Preisanpassungen gemäß § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Auftragsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
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. . . . . . .
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1. Begriff und Arten des Cloud-Computing . . . . . . . 2. Verrechnungspreisermittlungen beim CloudComputing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.670
881
6.675
882
VI. Global-Trading . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Strukturen des Global-Trading . . . . . 2. Funktions- und Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . 3. Verrechnungspreisermittlung beim Global-Trading
6.683 6.683 6.685 6.688
886 886 887 890
A. Gründe für Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . .
7.1
898
B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung I. Unternehmerische Dispositionsfreiheit . . . . . . . . II. Besteuerung von Funktionsverlagerungen ab 2008 – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Besteuerung von Funktionsverlagerungen bis 2007 – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. .
7.3 7.3
900 900
.
7.5
901
.
7.9
905
C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betriebswirtschaftliche Definition . . . . . . . . . . 2. Steuerliche Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.13 7.13 7.18 7.18 7.22
910 910 913 913 916
. . . .
7.35
925
. . . . . . . . . . . .
7.48 7.54 7.58
933 935 938
D. Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktionsverlagerung auf ein Routineunternehmen . III. Übertragung oder Überlassung von Wirtschaftsgütern IV. Personalentsendung im Konzern . . . . . . . . . . . . . V. Keine Funktionsverlagerung unter Dritten . . . . . . .
7.61 7.61 7.62 7.71 7.73 7.75
939 939 940 945 946 947
7.80 7.80
950 950
7.85
955
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen (Ditz/Greinert)
III. Verlagerung der Funktion . . . . . . . . . . . . . IV. Übergang von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Abgrenzung zur Funktionsverdoppelung . . . . VI. Funktionsverlagerung im Zeitablauf . . . . . . .
E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesamtbewertung eines Transferpakets als gesetzlicher Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVIII
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7.126
992
F. Preisanpassungsregelungen des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.129
996
G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen I. Verlagerung der Einkaufsfunktion . . . . . . 1. Organisationsformen des Einkaufs . . . . 2. Besteuerung einer Funktionsverlagerung
7.135 7.135 7.135 7.142
1004 1004 1004 1007
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs zur Transferpaketbewertung . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung eines Transferpakets auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs . . . . . . . . a) Hypothetischer Fremdvergleich als Regelfall . . b) Ermittlung eines Einigungsbereichs . . . . . . . aa) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestimmung der Gewinnpotentiale für das Transferpaket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ermittlung eines sachgerechten Kapitalisierungszeitraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ableitung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswahl eines Verrechnungspreises . . . . . . . aa) Bestimmung der Grenzen des Einigungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten . . . . . . . . . . . . . . cc) Ermittlung des zutreffenden Werts im Einigungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Korrektur von Verrechnungspreisen . . . . . . . III. Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter als Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Verlagerung wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter oder Vorteile . . . . . . . . . . . . . 3. Summe der Einzelverrechnungspreise entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . . 4. Verlagerung von zumindest einem wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgut . . . . . . . . . . . . . 5. Zivilrechtliche Schadenersatz-, Entschädigungsund Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Verlagerung der Produktionsfunktion . . . . . . . . . . 1. Verlagerung auf einen Lohnfertiger . . . . . . . . . . 2. Verlagerung auf einen Eigenproduzenten . . . . . .
7.147 1009 7.147 1009 7.153 1012
III. Verlagerung der Vertriebsfunktion . . . . . . . . . . . .
7.170 1020 XXIX
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1. Gründung einer Vertriebsgesellschaft . . . . . . . . 2. Funktionsabschmelzung zum Kommissionär . . . . a) Betriebswirtschaftliche Gründe einer Funktionsabschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verdeckte Gewinnausschüttung . . . . . . . . . . c) Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verlagerung der Dienstleistungsfunktion . . . . . . . .
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7.170 1020 7.173 1022 7.173 1022 7.175 1023 7.180 1025 7.183 1026
Kapitel 8 Dokumentationspflichten (Cordes) A. Allgemeine nationale Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Regelungen (§ 90 Abs. 1 und §§ 140 ff. AO) III. Erweiterte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu internationalen Verrechnungspreisen . . . . . . . . . . . . . I. Einführung von § 90 Abs. 3 AO und weiterer Begleitregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Regelungen und Verwaltungsanweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abstrakte inhaltliche Anforderungen und Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sachlicher Anwendungsbereich und mögliche Unvereinbarkeit mit den europäischen Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Formale Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahren zur Anforderung der Aufzeichnungen durch die Finanzverwaltung und zeitliche Bestimmungen zur Vorlage . . . . . . . . . . . . . . 4. Zeitpunkt für die Erstellung der Aufzeichnungen 5. Aufzeichnungserleichterungen für kleinere Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anwendung der Aufzeichnungspflichten bei Betriebsstätten und Personengesellschaften . . . .
8.1 1032 8.1 1032 8.2 1032 8.4 1034 8.6 1036 8.6 1036 8.6 1036 8.11 1038
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8.16 8.18 8.18 8.19
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8.33 1050
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7. Transaktionsbezogene Betrachtung und Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen . . . . . . . . . a) Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei der materiellen Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen („Palettenbetrachtung“) . . b) Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO gem. § 2 Abs. 3 GAufzV . . . . . . . . . . . . c) Konkrete Anwendung der Regelungen in § 2 Abs. 3 GAufzV . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abgrenzung der Anwendungsbereiche der „Palettenbetrachtung“ und der Zusammenfassungsregelungen für die Aufzeichnungspflichten C. Sachverhaltsdokumentation . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick über die allgemein erforderlichen Aufzeichnungen zur Sachverhaltsdokumentation . . . II. Beteiligungsverhältnisse, Organisationsaufbau und Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe (§ 4 Nr. 1 GAufzV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungsinhalt von § 4 Nr. 1 GAufzV . . . . . 2. Beteiligungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . 3. Angaben zu nahe stehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Organisationsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beschreibung der Tätigkeitsbereiche des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8.34 1050 8.34 1050 8.36 1051 8.40 1054 8.46 1056
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8.47 1056
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III. Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen im Ausland (§ 4 Nr. 2 GAufzV) . . . . . . . . . . . . . 1. Übersicht über Art und Umfang der Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen . . . . . 2. Übersicht über die den Geschäftsbeziehungen zugrunde liegenden Verträge . . . . . . . . . . . . . 3. Angabepflichten zu immateriellen Wirtschaftsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff der immateriellen Wirtschaftsgüter . . b) „Wesentliche“ immaterielle Wirtschaftsgüter c) Rechtsfolgen einer fehlenden Angabe wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter . . . . .
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8.56 1061
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8.56 1061
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8.64 1066
IV. Funktions- und Risikoanalyse (§ 4 Nr. 3 GAufzV) . . . 1. Regelungsinhalt von § 4 Nr. 3 GAufzV . . . . . . . 2. Angaben zu den ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.65 1067 8.65 1067 8.66 1068 8.66 1068 XXXI
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3. 4. 5. 6. 7.
b) Angaben zu den eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Star-Chart-Darstellungs-Technik für die Funktionsanalyse und die eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis zur Funktions- und Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereinbarte Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . Gewählte Geschäftsstrategien . . . . . . . . . . . . . Bedeutsame Markt- und Wettbewerbsverhältnisse Wertschöpfungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Darstellungen der konkreten Verrechnungspreisermittlung (§ 4 Nr. 4 GAufzV) . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungsinhalt von § 4 Nr. 4 GAufzV . . . . . . . 2. Erforderliche Sachverhaltsinformationen bei Anwendung einzelner Verrechnungspreismethoden . a) Preisvergleichsmethode . . . . . . . . . . . . . . . b) Wiederverkaufspreismethode . . . . . . . . . . . c) Kostenaufschlagsmethode . . . . . . . . . . . . . d) Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode 3. Erforderliche Sachverhaltsinformationen in Abhängigkeit von der Funktion des Unternehmens . . VI. Sachverhaltsdokumentation in speziellen Fällen (§ 5 GAufzV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungsinhalt von § 5 GAufzV . . . . . . . . . . 2. Umlagevereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verrechnungspreiszusagen oder -vereinbarungen mit ausländischen Steuerbehörden . . . . . . . . . 4. Aufzeichnungen über Preisanpassungen . . . . . . 5. Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8.75 1070 8.77 1071 8.78 8.79 8.80 8.83 8.86 8.90
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VII. Ergebnisse und Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . .
8.110 1090
D. Angemessenheitsdokumentation . . . . . . . . . . . . . I. Überblick über Regelungen zur Angemessenheitsdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Über den Ermächtigungsrahmen von § 90 Abs. 3 AO hinausgehende Anforderungen der GAufzV und der VWG-Verfahren an eine Angemessenheitsdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begründung für die Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Methoden für die Angemessenheitsdokumentation nach den VWG-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.114 1092 8.114 1092
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1. Abgrenzung der Anwendungsbereiche . . . . . . . . 2. Angemessenheitsdokumentation auf Basis von Fremdvergleichsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Angemessenheitsdokumentation auf Basis von Plandaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick über Systematik der Planrechnungen und Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . b) Formale Anforderungen an die Verwendung von Plandaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Darlegung der Angemessenheit des prognostizierten Gewinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ableitung des Plangewinns aus Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen . . . . . . . a) Abgrenzung zur Angemessenheitsdokumentation mit Fremdvergleichsdaten in Form von Renditekennziffern . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ermittlung von Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen aus Finanzdatenbanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ableitung des Plangewinns aus einer risikoadäquaten Verzinsung des eingesetzten Kapitals am freien Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgehensweise nach den VWG-Verfahren . . . b) Ermittlung des eingesetzten Kapitals . . . . . . . c) Berechnung des Zinses . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis und Würdigung . . . . . . . . 6. Ableitung des Plangewinns durch Aufteilung des Konzerngewinns nach der Wertschöpfung der einzelnen Konzernunternehmen . . . . . . . . . . . a) Vorgehensweise nach den VWG-Verfahren . . . b) Gewinnprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufteilung nach Wertschöpfungsbeiträgen . . . d) Aufteilung nach Kosten . . . . . . . . . . . . . . . e) Aufteilung nach Umsätzen . . . . . . . . . . . . . f) Aufteilung durch wertende Gegenüberstellung der übernommenen Funktionen und Risiken im Verhältnis zu denen des Gesamtkonzerns . . g) Aufteilung nach eingesetzten Wirtschaftsgütern h) Zwischenergebnis und Würdigung . . . . . . . . 7. Stellungnahme zur Verwendung von Planrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vergleichbarkeitsanforderungen und Bandbreitenbetrachtung bei Verwendung von Fremddaten . . . . . 1. Relevante Vergleichskriterien . . . . . . . . . . . . .
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8.121 1097 8.122 1098 8.125 1100 8.125 1100 8.128 1103 8.129 1104 8.130 1105 8.130 1105 8.132 1107 8.137 8.137 8.138 8.142 8.143
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2. Abstufungen bei der Vergleichbarkeit von Fremdvergleichsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Uneingeschränkte Vergleichbarkeit . . . . . . . b) Eingeschränkte Vergleichbarkeit . . . . . . . . 3. Auswirkungen uneingeschränkter bzw. eingeschränkter Vergleichbarkeit im Hinblick auf die Auswahl von Vergleichswerten innerhalb von Bandbreiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorgehensweisen zur Einengung von Bandbreiten a) Ansatz in den VWG-Verfahren . . . . . . . . . . b) Auswirkungen der gesetzlichen Regelung in § 1 Abs. 3 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zusätzliche Angaben zur Angemessenheitsdokumentation in besonderen Fällen . . . . . . . 1. Relevante Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachträgliche Preisanpassungen . . . . . . . . 3. Dauerhafte Verlustsituation . . . . . . . . . . . 4. Geschäftsstrategien (§ 5 Satz 2 Nr. 1 GAufzV) 5. Andere „Sonderumstände“ (§ 5 Satz 2 Nr. 1 GAufzV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorteilsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . b) Standortvorteile . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.168 1144
E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . . I. Überblick über die Sanktionsregelungen zur Durchsetzung der Aufzeichnungspflichten . . . . . . . . . . II. Schätzung auf Grundlage von § 162 Abs. 3 AO . . . 1. Anwendungsvoraussetzungen der Schätzung . . . a) Nichtvorlage von Aufzeichnungen . . . . . . . b) Im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verspätet erstellte Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Widerlegbare Vermutung als Rechtsfolge . . . . . 3. Durchführung der Schätzung . . . . . . . . . . . . a) Keine eigene Schätzungsregelung in § 162 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätze für Schätzungen nach § 162 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wertauswahl bei einer Schätzung im Falle bestehender Preisbandbreiten . . . . . . . . . .
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8.169 1145
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8.169 8.171 8.171 8.171
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Inhaltsverzeichnis Rz.
d) Verwendung sog. „Secret Comparables“ für eine Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick über Regelungsinhalt und Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Charakter des Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO . . 3. Bezugsgrößen für die Festsetzung des Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ertragsteuerliche Behandlung des Zuschlags . . . . IV. Kritische Bewertung der Sanktionsvorschriften in § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . . . F. Internationale Ansätze zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften für die Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Initiativen verschiedener multinationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. OECD-Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Empfehlung an die Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung der nationalen Dokumentationsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalte einer Verrechnungspreisdokumentation nach der Auffassung der OECD . . . . . . . . . . . 3. Vergleich mit den nationalen deutschen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. EU-Ansatz zur Harmonisierung der Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übersicht über das Konzept . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltliche Anforderungen der EU TPD . . . . . . 3. Vergleich mit den nationalen deutschen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Praktische Überlegungen zu einer möglichst weitgehenden Vereinheitlichung bei Anwendung der EU TPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entscheidungskriterien für das Unternehmen zur Anwendung der EU TPD . . . . . . . . . . . . . . .
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8.184 1163 8.185 1164 8.185 1164 8.187 1166 8.188 1167 8.190 1169 8.191 1170
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung Rz.
Seite
A. Amtsermittlungsgrundsatz und Mitwirkungspflichten (Wassermeyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1 1184
B. Erweiterte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten (Wassermeyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.6 1187
C. Beweismaß, Beweislast und Schätzung (Wassermeyer)
9.15 1192
D. Einzelne Beweismittel (Hendricks) . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auskünfte ausländischer Behörden im Rahmen zwischenstaatlicher Informationshilfe . . . . . . III. Simultanbetriebsprüfungen . . . . . . . . . . . . IV. Teilnahme deutscher Finanzbeamter an ausländischen Ermittlunghandlungen . . . . . .
. . . . . . . .
9.23 1197 9.23 1197
. . . . . . . .
9.24 1198 9.38 1205
. . . .
9.41 1207
Kapitel 10 Instrumente zur Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten (Hendricks) A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verständigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ablauf eines Verständigungsverfahrens . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einleitungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entscheidung über den Antrag . . . . . . . . . . . d) Zwischenstaatliches Verständigungsverfahren . e) Einbindung des Antragstellers . . . . . . . . . . . 3. Innerstaatliche Umsetzung der Verständigungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kosten und Gebühren des Verständigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Scheitern einer zwischenstaatlichen Verständigung III. Verfahren nach der EU-Schiedskonvention . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensabschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beantragung eines Verständigungsverfahrens
. . . . . .
. . . . . .
10.1 10.1 10.6 10.6 10.7 10.7 10.8 10.17 10.20 10.24
1209 1211 1214 1214 1215 1215 1215 1221 1223 1226
10.26 1227 10.28 1228 10.29 1228 10.30 10.30 10.33 10.33 10.35 10.36
1229 1229 1231 1231 1234 1235
XXXVI
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Inhaltsverzeichnis Rz.
d) Prüfung unilateraler Abhilfe . . . . . . . . . e) Einleitung eines Verständigungsverfahrens f) Durchführung der zwischenstaatlichen Verständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Einleitung und Durchführung des Schiedsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Einigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . i) Innerstaatliche Umsetzung . . . . . . . . . . j) Kosten und Gebühren . . . . . . . . . . . . . 3. Durchführung multilateraler Verfahren . . . . 4. Bewertung der EU-Schiedskonvention . . . . .
. . . . . .
10.41 1239 10.42 1239
. . .
10.47 1242
. . . . . .
10.50 10.59 10.61 10.63 10.65 10.67
. . . . . .
. . . . . .
IV. Abwägung zwischen verschiedenen reaktiven Instrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten . . . . . . . . . . . . . . I. Notwendigkeit präventiver Instrumente . . . . . . . II. Advance Pricing Agreements (APAs) . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ablauf eines APA-Verfahrens . . . . . . . . . . . . a) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorgespräch („Prefiling-Meeting“) . . . . . . . c) Förmliche Antragstellung . . . . . . . . . . . . . d) Entscheidung über den Antrag . . . . . . . . . . e) Zwischenstaatliches Verständigungsverfahren f) Einbindung des Steuerpflichtigen . . . . . . . . g) Umsetzung des APA . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bindungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rückbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verlängerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Multilaterale APA-Verfahren . . . . . . . . . . . . 8. Zweckmäßigkeit eines APA-Verfahrens . . . . . . III. Verbindliche Auskunft und verbindliche Zusage 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundlagen der verbindlichen Auskunft . . . . 3. Grundlagen der verbindlichen Zusage . . . . . 4. Rechtsfragenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Behördliche Skepsis gegenüber unilateralen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Seite
. . . . .
. . . . .
1243 1249 1250 1251 1252 1254
10.68 1254
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.72 10.72 10.75 10.75 10.80 10.80 10.83 10.85 10.93 10.95 10.98 10.101 10.103 10.105 10.107 10.108 10.115 10.118
1257 1258 1260 1260 1264 1264 1267 1268 1273 1274 1277 1279 1280 1281 1282 1283 1286 1288
. . . . .
10.119 10.119 10.120 10.124 10.129
1289 1289 1290 1292 1295
. . . 10.132 1297
IV. Tatsächliche Verständigung . . . . . . . . . . . . . . 1. Hintergrund und Zulässigkeit . . . . . . . . . . . 2. Abschluss einer tatsächlichen Verständigung . 3. Rechtsfolgen einer tatsächlichen Verständigung
. . . .
. . . .
10.134 10.134 10.140 10.144
1299 1299 1303 1306
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht (Puls) Rz.
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Praxisrelevante Fragen der Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen mit verbundenen Unternehmen . . . . . . . . . . . . I. Lohnveredelung an Gegenständen der Ausfuhr II. Kommissionsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . III. Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter . . IV. Finanzierungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . V. Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . VI. Kostenumlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Verrechnungspreise und Mindestbemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Markterschließungs- und Marktverteidigungskostenzuschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zollrecht und Verrechnungspreise . I. Grundlagen der Zollerhebung . . . . II. Zollwertermittlung . . . . . . . . . . 1. Grundlagen und Methodenkanon 2. Transaktionswertmethode . . . .
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. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
Seite
11.1 1307
11.7 11.7 11.14 11.22 11.25 11.34 11.39
1310 1310 1312 1315 1316 1319 1321
. . . .
11.48 1324
. . . .
11.51 1326
. . . . .
11.52 11.52 11.60 11.60 11.62
. . . . .
. . . . .
. . . . .
1327 1327 1331 1331 1331
III. Weitere Zollwertermittlungsmethoden . . . . . . . . . 1. Subsidiarität der weiteren Methoden . . . . . . . . . 2. Transaktionswert gleicher Waren (Art. 30 Abs. 2 Buchst. a ZK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Transaktionswert gleichartiger Waren (Art. 30 Abs. 2 Buchst. b ZK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Deduktive Methode (Art. 30 Abs. 2 Buchst. c ZK) . 5. Additive Methode (Art. 30 Abs. 2 Buchst. d ZK) . . 6. Schlussmethode (Art. 31 ZK) . . . . . . . . . . . . .
11.79 1341 11.79 1341
11.84 11.87 11.89 11.93
1342 1343 1343 1344
IV. Hinzurechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Sonderfragen der Zollwertermittlung . . . . . . . . . . 1. Beistellungen des Käufers . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einsatz von Kommissionären/Provisionszahlungen 3. Finanzierungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auftrags- und Lohnfertigung/Veredelung . . . . . . 6. Anpassungen vorläufiger (Verrechnungs-)Preise . . 7. Beförderungs- und Versicherungskosten . . . . . . .
11.95 11.99 11.104 11.104 11.107 11.110 11.115 11.123 11.130 11.134
1345 1347 1349 1349 1351 1352 1353 1355 1359 1360
11.81 1341
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 12 Verrechnungspreise und Steuerstrafrecht (Puls) Rz.
A. Aufgaben und Befugnisse der Steuerfahndung im Bereich grenzüberschreitender Sachverhalte . . . I. Grundlegendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rolle der Steuerfahndung bei internationalen Sachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Steuerstrafrechtlicher Anfangsverdacht . . . . . .
Seite
. . . . . .
12.1 1364 12.1 1364
. . . . . .
12.4 1365 12.8 1366
B. Steuerstrafrechtliche Relevanz von Verrechnungspreissachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Übersicht: Tatbestand der Steuerhinterziehung . . . 1. Handlungstatbestand (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) . . 2. Unterlassungstatbestand (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO)
. . . .
12.17 12.17 12.17 12.20
1371 1371 1371 1372
. . . .
12.22 12.23 12.24 12.29
1373 1373 1374 1375
.
12.31 1376
. . . . . .
12.32 1376 12.32 1376 12.36 1378
. . . .
12.38 1379 12.43 1380
. .
12.44 1381
. .
12.48 1383
. . . .
12.50 1383 12.51 1384
II. Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO . III. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abgrenzung zur leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Praxisrelevante Einzelsachverhalte . . . . . . . . . . I. Verrechnungspreismethodik . . . . . . . . . . . . . . II. Verletzung von Dokumentationspflichten . . . . . III. Rückdatierung von Inter-Company-Verträgen/ Mündliche Vertragsvereinbarungen . . . . . . . . . IV. Benchmark-Analysen/Bandbreitenbetrachtung . . V. (Unterbliebene) Dienstleistungsverrechnung/ Nutzungsüberlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Darlehensvergaben im Konzern/konzerninterne Sicherheitengestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Vorläufige Verrechnungspreise bei Modellen mit geschäftsvorfallbezogener Nettomargenmethode/ Ergebnisanpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . .
D. Proaktive Möglichkeiten der Verhinderung einer Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . . . . . . II. Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einreichen einer Schutzschrift . . . . . . . . . . . . . . IV. Beantragung einer verbindlichen Auskunft/Advanced Pricing Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.54 12.54 12.55 12.59
1385 1385 1385 1387
12.62 1388 XXXIX
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 13 Verrechnungspreise und EU-Recht (Schönfeld) Rz.
Seite
. . . .
13.1 13.1 13.4 13.8
1389 1389 1391 1395
B. Verrechnungspreiskorrekturvorschriften und EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verdeckte Gewinnausschüttung und EU-Recht . . 2. § 1 AStG und EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verdeckte Einlage und EU-Recht . . . . . . . . . . . 4. Fremdvergleichspreisfiktionen und EU-Recht . . . 5. Funktionsverlagerungsbesteuerung und EU-Recht
13.13 13.13 13.16 13.16 13.17 13.21 13.22 13.23
1398 1398 1400 1400 1401 1409 1410 1411
C. Verrechnungspreisdokumentation und EU-Recht . . .
13.26 1414
A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einwirkung des EU-Rechts auf das nationale Recht . II. Doppelbesteuerung und EU-Recht . . . . . . . . . . . III. Missbrauchsbekämpfung und EU-Recht . . . . . . .
Anhang: Glossar Verrechnungspreise des BMF . . . . . . . . . . .
1419
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1443
XL
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XLIV
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Abkürzungsverzeichnis
a.A. a.a.O. ABl. EG
AWV Az.
andere(r) Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (bis Januar 2003) Amtsblatt der Europäischen Union (ab Februar 2003) Absatz Abschnitt am Ende Anwendungserlass zur Abgabenordnung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Absetzung für Abnutzung Absetzung für außergewöhnliche Abnutzung Absetzung für Substanzverringerung Aktiengesellschaft; auch „Die Aktiengesellschaft“ (Zeitschrift) Aktiengesetz Alternative anderer Meinung amtlich Anhang Anmerkung Abgabenordnung Authorised OECD Approach Advanced Pricing Agreement Artikel Außensteuergesetz Auslandstätigkeitserlass Auflage Auslandsinvestmentgesetz Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (Zeitschrift) Außenwirtschaftsverordnung Aktenzeichen
BaFin BB Bd. BdF BDI
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Bundesminister der Finanzen Bundesverband der Deutschen Industrie
ABl. EU Abs. Abschn. a.E. AEAO AEUV a.F. AfA AfaA AfS AG AktG Alt. a.M. amtl. Anh. Anm. AO AOA APA Art. AStG ATE Aufl. AuslInvG AWD
XLV
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Abkürzungsverzeichnis
Begr. Beschl. betr. BewG BFH BFHE BFH/NV BGBl. BGH BIFD B/K/L/M/R BMF B.O.D.G.I. Bp BR BR-Drucks. BsGaV BStBl. BT BT-Drucks. Buchst. BVerfG bzgl. BZSt bzw.
Begründung Beschluss betreffend Bewertungsgesetz Bundesfinanzhof Entscheidungssammlung des BFH BFH/NV (Zeitschrift) Bundesgesetzblatt Teil I oder II Bundesgerichtshof Bulletin for International Fiscal Documentation Brezing/Krabbe/Lempenau/Mössner/Runge Bundesministerium der Finanzen Bulletin Officiel de la Générale des Impôts Betriebsprüfung Bundesrat Drucksachen des Bundesrates Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung Bundessteuerblatt Teil I, II oder III Bundestag Drucksachen des Bundestages Buchstabe Bundesverfassungsgericht bezüglich Bundeszentralamt für Steuern beziehungsweise
CAPM CCCTB CDFI CPM CoGS
Capital Asset Pricing Model Common Consolidated Corporate Tax Base Cahiers de Droit Fiscal International Comparable-Profit-Method Cost of Goods Sold
DB DBA ders. d.h. dies. DIHK DIHT DK D/P/M
Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen derselbe das heißt dieselbe(n) Deutscher Industrie- und Handelskammertag Deutscher Industrie- und Handelstag Der Konzern (Zeitschrift) Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer Dötsch/Patt/Pung/Möhlenbrock, Umwandlungsteuerrecht Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. (Tagungsbände) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)
D/P/P/M DStJG DStR XLVI
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Abkürzungsverzeichnis
DStRE DStZ E -E EAS EBIT EC Tax Review EFG EG EGAO EGBGB EK Erl. EStB EStDV EStG EStR ET et al. EU EuGH EuGHE EU JTPF EU TDP EuZW EWR EWS f. F&E FA ff. FG FGO Finbeh. FinMin FinVerw.
Deutsches Steuerrecht – Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Steuerzeitung (Zeitschrift) Euro (Gesetzes-) Entwurf Express-Antwort-Service des BMF (Österreich) Earnings before Interest and Taxes (operativer Gewinn) European Communities Tax Review (Zeitschrift) Entscheidungssammlung der Finanzgerichte (Zeitschrift) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Amsterdam Einführungsgesetz zur Abgabenordnung Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Eigenkapital Erlass Ertragsteuerberater (Zeitschrift) Einkommensteuer-Durchführungsverordnung Einkommensteuergesetz Einkommensteuerrichtlinien European Taxation (Zeitschrift) et alii Europäische Union Europäischer Gerichtshof Entscheidungssammlung des EuGH EU Joint Transfer Pricing Forum Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) folgende (eine Seite) Forschung und Entwicklung Finanzamt fortfolgende (mehrere Seiten) Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Finanzbehörde Finanzministerium Finanzverwaltung XLVII
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Abkürzungsverzeichnis
Fn. FN-IDW FR FRL FS FuE FVerlV FVG F/W/B/S F/W/K GAAT GAufzV GbR gem. GewStDV GewStG GewStR ggf. G/K/G GKKB Gl. A. GmbH GmbHR GmbH-StB GrS GRUR Int. GS GStB GuV Halbs. HB HDASt HFR HGB H/H/R H/H/Sp h.M. Hrsg.
Fußnote IDW Fachnachrichten Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Fusions-Richtlinie Festschrift Forschung und Entwicklung Funktionsverlagerungsverordnung Finanzverwaltungsgesetz Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland-Schweiz General Agreement of Tarifs and Trade Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes gemäß Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinien gegebenenfalls Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA Gemeinsame konsolidierte KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage gleicher Ansicht Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) GmbH-Steuerberater (Zeitschrift) Großer Senat Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, international (Zeitschrift) Gedächtnisschrift Gestaltende Steuerberatung (Zeitschrift) Gewinn- und Verlustrechnung Halbsatz Handelsbilanz Handbuch des Außensteuerrechts Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Handelsgesetzbuch Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuerund Körperschaftsteuergesetz Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung herrschende Meinung Herausgeber
XLVIII
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Abkürzungsverzeichnis
HZB IAS IBFD ICC i.d.F. i.d.R. i.d.S. IDW i.e.S. IFA IFRS i.H.v. Inc. INF Intertax IntGA IPO IRS i.S. ISR IStR ITPJ i.V.m. IWB IZA
Hinzurechnungsbetrag International Accounting Standard International Bureau of Fiscal Documentation International Chamber of Commerce in der Fassung in der Regel in dem Sinne Institut der Wirtschaftsprüfer im engeren Sinne International Fiscal Association International Financial Reporting Standard in Höhe von Incorporated Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (Zeitschrift) International Tax Review (Zeitschrift) Internationale Gewinnabgrenzung Initial Public Offering Internal Revenue Service im Sinne Internationale Steuer-Rundschau (Zeitschrift) Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) International Transfer Pricing Journal (Zeitschrift) in Verbindung mit Internationale Wirtschafts-Briefe (Zeitschrift) Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen
JbFStR JStG jurisPR JV
Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Jahressteuergesetz Juris Praxisreport (Zeitschrift) Joint Venture
Kap. KapGes. KG KGaA KN KÖSDI K/S/M KStDV KStG KStR KVV
Kapitel Kapitalgesellschaft Kommanditgesellschaft Kommanditgeselschaft auf Aktien Kombinierte Nomenklatur Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Richtlinien Kostenverteilungsverträge
LBO
Leveraged Buy-Out XLIX
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Abkürzungsverzeichnis
L/B/P Lfg. lit. LLC LSt Ltd.
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht Lieferung Litera Limited Liability Company Lohnsteuer Private Company Limited by Shares, Limited
MA m. Anm. MarkenG m.a.W. Mio. MTR m.w.N. MwStSystRL
Musterabkommen mit Anmerkung(en) Markengesetz mit anderen Worten Million(en) Mutter-Tochter-Richtlinie mit weiteren Nachweisen Mehrwertsteuersystemrichtlinie
n.F. NJW Nr. nrkr. NWB NWC
neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer nicht rechtskräftig Neue Wirtschaftsbriefe (Zeitschrift) Net-Working-Capital
OECD
Organization for Economic Cooperation and Development OECD-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen OECD-Musterkommentar Oberfinanzdirektion offene Handelsgesellschaft Schweizerisches Obligationsrecht ohne Verfasser
OECD-MA OECD-MK OFD OHG OR o.V.
p.a. per annum PartGG Partnerschaftsgesellschaftsgesetz PATA TPD Package Pacific Association of Tax Administrators Transfer Pricing Documentation Package PIStB Praxis Internationale Steuerberatung (Zeitschrift) plc Public Limited Company PLI Profit-Level-Indicator PSM Profit-Split-Method reg. REIT Rev. RFH
US-Regulations Real Estate Investment Trust Revision Reichsfinanzhof
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Abkürzungsverzeichnis
R/H/vL Richtl. RIW rkr. RL Rs. Rspr. RStBl. Rz. S. Schr. SE Sec. S/K/K Slg. s.o. sog. StB Stbg StbJb StBp StEK StGB StJ StPO StR St. Rspr. StuB StuW SWI T/K
Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, Umwandlungssteuergesetz Richtlinie Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) rechtskräftig Richtlinie Rechtssache Rechtsprechung Reichssteuerblatt Randzahl Seite Schreiben Societas Europea Section, Abschnitt Strunk/Kaminski/Köhler, AStG und OECD-MA Amtliche Sammlung der EuGH Entscheidungen siehe oben so genannt Der Steuerberater (Zeitschrift) Die Steuerberatung (Zeitschrift) Steuerberater-Jahrbuch Die steuerliche Betriebsprüfung (Zeitschrift) Felix, Carlé, Steuererlasse in Karteiform, Loseblatt und CD-ROM Strafgesetzbuch Steuerjournal (Zeitschrift) Strafprozessordnung Steuer-Revue (Zeitschrift) ständige Rechtsprechung Steuern und Bilanzen (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Steuer & Wirtschaft International (Zeitschrift)
TPIR Tz.
Tipke/Kruse, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung Tax Management Transfer Pricing (Zeitschrift) Tax Notes International (Zeitschrift) Transactional Net Margin Method (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode) Tax Planning International Review (Zeitschrift) Textziffer
u.a. Ubg UmwG UmwStG
unter anderem Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuergesetz
TMTP TNI TNMM
LI
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Abkürzungsverzeichnis
UN Manual UR Urt. UStB US. Reg. UStG v. VAT V/B/E vE VEK Vfg. VG vGA vgl. v.H. V/L Vorbem. VU vUA VWG vwt VZ vZTA W/A/D WEG Wj WKV W/M Wpg W/R/S WÜD WÜK WÜRV z.B. ZfbF ZfhF
Practical Manual on Transfer Pricing for developing Countries (United Nations) Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift) Urteil Umsatzsteuerberater Unidet States Regulations Umsatzsteuergesetz vom, von Value added Tax Vögele/Borstell/Engler, Handbuch der Verrechnungspreise verdeckte Einlage verwendbares Eigenkapital Verfügung Verwaltungsgericht verdeckte Gewinnausschüttung vergleiche vom Hundert Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen Vorbemerkung Vertriebsunternehmen verbindliche Ursprungsauskunft Verwaltungsgrundsätze Der Wirtschaftstreuhänder (Zeitschrift) Veranlagungszeitraum verbindliche Zolltarifauskunft Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstättenhandbuch Wohnungseigentumsgesetz Wirtschaftsjahr Wiener Vertragsrechtskonvention Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zum Beispiel Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung
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ZfZ ZHR ZiLiRL ZIV ZK ZK-DVO ZPO
Zeitschrift für Zölle und Verbauchsteuern Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zins- und Lizenz-Richtlinie Zinsinformationsverordnung Zollkodex Zollkodex-Durchführungsverordnung Zivilprozessordnung
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Kapitel 1 Einführung A. Überblick Weltwirtschaftliche Bedeutung von international verbundenen Unternehmen. Nach Auffassung der OECD hat die Bedeutung multinationaler Unternehmen im Welthandel in den letzten 20 Jahren dramatisch zugenommen.1 Schätzungen zur Folge werden heute ca. 70 % des Welthandels zwischen international verbundenen Unternehmen abgewickelt.2 Tendenziell wird dieser Anteil aufgrund der zunehmenden Globalisierung und Internationalisierung der Weltwirtschaft sowie fortschreitender internationaler Unternehmenszusammenschlüsse, nicht zuletzt als Folge marktlicher Konsolidierung und Konzentration, weiter steigen.
1.1
Ökonomische Einheiten. International verbundene Unternehmen stellen ökonomische Einheiten dar, deren Aktivitäten sich auf das Hoheitsgebiet mehrerer Volkswirtschaften erstrecken. In diesen Staaten treten diese Unternehmensverbunde i.d.R. als einzelne, rechtlich selbständige Unternehmen auf. Aufgrund des sog. Trennungsprinzips (s. hierzu Kap. 2) ist jedoch nicht die wirtschaftliche Einheit selbst, sondern jede Verbundteileinheit (Gliedunternehmen) ein eigenständiges Steuersubjekt, das in seinem jeweiligen Domizilstaat der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. Insofern unterscheiden sich international verbundene Unternehmen von (rechtlich unselbständigen) Organisationseinheiten (Stammhaus und Betriebsstätten) der gleichsam wirtschaftlichen, aber eben auch rechtlichen Einheit eines sog. Einheitsunternehmens.
1.2
Regionale Abgrenzung der Steuerbemessungsgrundlagen. Jedes international verbundene Unternehmen hat als eigenständiges Steuersubjekt seines Ansässigkeitsstaates seine steuerliche Bemessungsgrundlage nach den dortigen Gewinnermittlungsvorschriften zu ermitteln. Neben den mit nicht verbundszugehörigen Wirtschaftseinheiten realisierten Ertrags- und Aufwandskategorien wird diese maßgeblich durch die Abrechnung der mit verbundenen Unternehmen ausgetauschten Lieferungen und Leistungen (über verbundinterne Verrechnungspreise) determiniert. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass die beteiligten nationalen Fisci von den international tätigen Unternehmen eine Verrechnungspreisgestaltung fordern, die eine sachgerechte zwischenstaatliche Abgrenzung
1.3
1 Vgl. Anm. 1 des Einführungsteils der OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen vom 20.7.2010 (OECD Guidelines 2010 – OECD-Leitlinien 2010); die offizielle deutsche Übersetzung ist abgedruckt bei Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise und Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise, Textausgabe, 5. Aufl. 2013. 2 Vgl. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.1.
Baumhoff
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1
Kapitel 1 Einführung
der Steuerbemessungsgrundlagen und damit eine zutreffende Gewinnermittlung gewährleistet.
1.4
Alternativen der Ergebnisabgrenzung. Theoretisch existieren zwei Möglichkeiten, das Gesamtergebnis eines internationalen Unternehmensverbundes (bzw. Konzerns) auf die einzelnen nationalen Gliedunternehmen aufzuteilen und somit eine sachgerechte regionale Abgrenzung der Steuerbemessungsgrundlagen sicher zu stellen. Die Einkünfte dieser nationalen Gliedunternehmen können entweder direkt mittels transaktionsbezogener Verrechnungspreise auf Basis von Fremdvergleichspreisen („Dealing-at-arm’s-length-Prinzip“; s. Kap. 3) oder indirekt auf globaler Basis mittels einer formelhaften Aufteilung des konsolidierten Gesamtergebnisses bestimmt werden.1
1.5
Fremdvergleichsgrundsatz als internationaler Konsens. Die internationale Besteuerungspraxis hat sich für die erste Variante entschieden, die nach wie vor auf einem stabilen internationalen Konsens beruht. Insbesondere die OECD ist der festen Überzeugung, dass die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu „angemessenen Gewinnverhältnissen“ zwischen den nationalen Teileinheiten eines internationalen Konzerns führt und die wirtschaftliche Realität, in der internationale Konzerne agieren, vernünftig widerspiegelt.2 Eine Abkehr von diesem Grundsatz kann daher weder kurzfristig noch durch ein einzelnes Land allein vorgenommen werden, würde dies doch in der Besteuerungspraxis unweigerlich zu massiven Doppelbesteuerungen führen. Dieser Befund kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass transaktionsbezogen ermittelte Verrechnungspreise nicht zu einer „richtigen“ internationalen Einkünfteabgrenzung führen. Dies ist ein Nachteil, der im Zuge einer stark zunehmenden Globalisierung verbunden mit einer wachsenden Bedeutung immaterieller Vermögenswerte bei internationalen Konzerntransaktionen immer deutlicher zu Tage tritt.
1.6
Formelhafte Gewinnzerlegung als Alternative. Als Alternative zum Fremdvergleichsgrundsatz kommt das Konzept einer Aufteilung eines konsolidierten Konzernerfolgs anhand von Schlüsselgrößen in Betracht, das theoretisch als das einzig Richtige gilt. Denkbar wäre die Umsetzung eines solchen Konzepts aber allenfalls in mehr oder weniger homogenen supranationalen Wirtschaftsräumen, wie z.B. der EU. Die OECD lehnt die globale formelhafte Gewinnaufteilung als theoretische Alternative zum Fremdvergleichsgrundsatz klar ab.3 In der EU wird dieses Konzept unter der Bezeichnung GKKB diskutiert. So hat die EU-Kommission am 16.3.2011 einen Richtlinienvorschlag über eine „Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ (GKKB) veröffentlicht; international ist als Kurzbezeichnung 1 Vgl. Spengel/Oestreicher, DStR 2009, 780. 2 Vgl. Tz. 1.14 OECD-Leitlinien 2010. 3 Zur Begründung vgl. Tz. 1.22–Tz. 1.32 OECD-Leitlinien 2010.
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A. Überblick
CCCTB – Common Consolidated Corporate Tax Base – gebräuchlich.1 Die Diskussion über die Vor- und Nachteile hierüber hat sich derzeit wieder etwas beruhigt, da einige EU-Staaten – u.a. Deutschland2 – diesem Ansatz eher kritisch gegenüber stehen, weil sie größere Steuerausfälle hierdurch befürchten. Dabei gründet sich die Kritik an der formelhaften Gewinnzerlegung von Konzerngewinnen weniger an konzeptionellen Schwächen, sondern pragmatisch eher darauf, „dass die Gewinnzuweisung relativ pauschal anhand von Schlüsselgrößen erfolgt und deswegen ebenfalls nur Näherungslösungen für die tatsächliche Erfolgslage der Gliedgesellschaften erzielt werden“.3 Bedeutung internationaler Verrechnungspreise in der internationalen Besteuerungspraxis. Die Festlegung und Prüfung angemessener Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen ist mittlerweile zum wichtigsten Thema in der internationalen Besteuerungspraxis avanciert. Insbesondere die sachgerechte Dokumentation (s. Kap. 8) der Verrechnungspreise ist wesentlicher Bestandteil des steuerlichen Risikomanagements4 international verbundener Unternehmen. Die steuerlichen Risiken schließen steuerstrafrechtliche Risiken mit ein (s. Kap. 12). Während diese Thematik früher nur im Fokus einiger wichtiger westlicher Industrieländer stand (u.a. USA, Kanada, Deutschland, Japan), verfügen immer mehr Länder über detaillierte Verrechnungspreisvorschriften, die eine umfassende Dokumentation konzerninterner Transaktionen vorschreiben, um den nationalen Steuerbehörden eine effiziente Prüfung zu ermöglichen. Auch aus fiskalischer Sicht haben viele Staaten Verrechnungspreiskorrekturen bei international verbundenen Unternehmen als eine effiziente und willkommene Quelle zusätzlicher Steuereinnahmen identifiziert, die zunehmend genutzt wird. Zu den korrekturbedingten Steuermehreinnahmen kommen dann in vielen Fällen noch zusätzliche Zinsen und Strafzuschläge hinzu, so dass sich international verbundene Unternehmen zunehmend wirtschaftlichen Doppelbesteuerungen ausgesetzt sehen, die – wenn überhaupt – nur über aufwändige DBA-/EU-Schieds- oder Verständigungsverfahren (vgl. hierzu im Einzelnen Kap. 10) zu beseitigen sind. 1 Vgl. hierzu u.a. Kahle/Schulz, FR 2013, 49 ff.; Scheffler/Köstler, DStR 2013, 2190 ff. (Teil I.); Scheffler/Köstler, DStR 2013, 2235 ff. (Teil II.); Herzig, DB 2012, 1 ff.; Glaser, DStR 2011, 2317 ff.; Kahle/Schulz, StuB 2011, 296 ff.; Förster/Krauß, IStR 2011, 607 ff.; Lenz/Rautenstrauch, DB 2011, 726 ff.; Marx, DStZ 2011, 547 ff.; Rautenstrauch, EWS, 2011, 161 ff.; Spengel/Oestreicher, DStR 2009, 773 ff.; Pomp/Gerten, IStR 2008, 377 ff.; von Brocke, IWB 2008, 1009 ff.; Spengel/ Wendt, StuW, 2007, 297 ff. 2 Vgl. BT-Drucks. 17/5748 vom 5.5.2011, S. 2, wonach die deutsche Bundesregierung „dem vorgelegten Richtlinienvorschlag, was die Konsolidierung und dementsprechend den administrativen Teil betrifft […], kritisch gegenüber“ steht. Eine GKKB berge für Deutschland das Risiko erheblicher, dauerhafter steuerlicher Mindereinnahmen in sich. 3 Spengel/Oestreicher, DStR 2009, 780. 4 Vgl. Schneider, Steuerliches Verrechnungspreis-Risikomanagement im internationalen Konzern, Dissertation, Universität Siegen 2014.
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3
1.7
Kapitel 1 Einführung
Auch im Umsatzsteuer- und Zollrecht erhalten die Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen einen immer größeren Stellenwert (s. Kap. 11).
B. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund I. Funktionen von Verrechnungspreisen 1.8
Zweckorientierte Bewertung von Lieferungen und Leistungen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht versteht man unter Verrechnungspreisen Wertansätze für Güter und Dienstleistungen, die innerhalb einer Unternehmung oder eines Unternehmensverbundes ausgetauscht werden. Im Gegensatz zu Marktpreisen entstehen Verrechnungspreise nicht durch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage zwischen unabhängigen Vertragsparteien, die ihren jeweiligen Nutzen maximieren, sondern sind Ergebnis einer zweckorientierten Bewertung von Lieferungen und Leistungen zwischen verbundenen Unternehmenseinheiten.
1.9
Funktionen. Verrechnungspreise werden zur Erfüllung voneinander unterschiedlicher Funktionen hinsichtlich von Teilbereichen eines Organisationsverbunds herangezogen, und können deshalb der jeweiligen Funktion entsprechend unterschiedlich ausfallen. Die folgende Funktionen werden Verrechnungspreisen zugeordnet:1 – die Vereinfachung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung (Vereinfachungsfunktion), – die Wirtschaftlichkeitskontrolle von Kostenstellen (Kontrollfunktion), – die organisatorische Lenkung zur Koordination dezentraler Entscheidungen in Teilbereichen der Unternehmung (organisatorische Lenkungsfunktion), – die teilbereichsbezogene Erfolgsermittlung zur internen Leistungsbeurteilung oder für die handels- bzw. steuerrechtliche Gewinnermittlung (Erfolgsermittlungsfunktion). Die vier genannten Funktionen lassen sich nicht trennscharf voneinander abgrenzen sondern überschneiden sich teilweise. Insbesondere besteht ein Zusammenhang zwischen der organisatorischen Lenkungs- oder Koordinationsfunktion und der Erfolgsermittlungsfunktion, da z.B. Entscheidungen in Untereinheiten nicht zuletzt von den antizipierten Auswirkungen auf die Vergütung der entsprechenden Entscheidungsträger abhängt, die häufig an realisierte Erfolgsgrößen anknüpft.
1 Vgl. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.2; Schmalenbach, ZfhF 1908/1909, 169 f.; Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 135 ff. m.w.N.
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B. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund
Vereinfachungsfunktion. Mit der Verwendung von Verrechnungspreisen, die einheitlich über eine gewisse Periode angesetzt werden, können Schwankungen ausgeglichen werden, die sowohl beim Ansatz von Marktpreisen als auch – aus zeitlichen, markt-, mengen-, losgrößen- oder beschäftigungsabhängigen Gründen – beim Ansatz von Herstellungskosten auftreten können. Der Ansatz von Standardsätzen führt dann zu mehr Transparenz sowie zu einer Beschleunigung und Vereinfachung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung.1
1.10
Kontrollfunktion. Durch den Ansatz im Vorhinein festgelegter Verrechnungspreise bei der Plankostenrechnung und der späteren Kostenkontrolle können Preisunterschiede auf der Beschaffungsseite neutralisiert werden. Spätere Soll-Ist-Abweichungen können dann ausschließlich auf Mengenabweichungen zurückgeführt werden.2
1.11
Lenkungs- oder Koordinationsfunktion. In Unternehmen bzw. Unternehmensverbünden, in denen die Wertschöpfungskette dadurch geprägt ist, dass durch unterschiedliche autonome Teilbereiche (Profit-Center, Investment-Center) bzw. Gesellschaften Leistungsbeiträge erbracht werden, kommt der Lenkungsfunktion von Verrechnungspreisen eine hohe Bedeutung zu. Da im Gegensatz zu einer kleinen, wirtschaftlich unabhängigen Unternehmung die Aufgabenerfüllung arbeitsteilig organisiert ist und einzelne Entscheidungsträger häufig nur über Teilbereiche der Organisation hinreichende Informationen haben, entsteht ein Abstimmungs- und Koordinationsbedarf. Grundsätzlich kann die Koordination zentral oder dezentral erfolgen. Allerdings erfordert eine vollständig zentrale Koordination, dass alle für die zu treffenden Entscheidungen notwendigen Informationen beim verantwortlichen Entscheidungsträger zentral verfügbar sind. Demgegenüber hat eine dezentrale Koordination und Entscheidungsfindung den Vorteil, dass eine solche Informationsbündelung bei der Konzernzentrale nicht notwendig ist. Ab einer gewissen Konzerngröße wird deshalb die Delegation von Entscheidungsbefugnissen unumgänglich, weil die zentrale Informationsbereitstellung und die anschließende zentrale Verarbeitung in Entscheidungen nur durch Inkaufnahme unangemessen hoher Kosten zu erreichen ist.3 Im Rahmen einer dezentralen Koordination und Steuerung können Verrechnungspreise als Koordinationsinstrument eingesetzt werden, um eine zentrale Konzernsteuerung zu ersetzen. Verrechnungspreise führen dann zu einer Bereichskoordinierung, indem durch die Fiktion eines internen Markts für die einzelnen Leistungen der verschiedenen Teilbereiche die entscheidungsrelevanten Informationen abstrakt zu Preisen verdichtet
1.12
1 Vgl. Baumhoff, Verrechnungpreise für Dienstleistungen, 14 f. 2 Vgl. Schmalenbach, ZfhF 1908/1909, 169 f.; Coenenberg/Fischer/Günther, Kostenrechnung, 709; Arbeitskreis Diercks der Schmalenbach Gesellschaft, ZfB 1964, 613. 3 Vgl. Adam, ZfB 1969, 618 f.; Jaensch, DB 1972, 1301.
Baumhoff
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5
Kapitel 1 Einführung
zur Verfügung gestellt werden.1 Als Folge nehmen Konzerngesellschaften am Leistungsaustausch nur noch solange teil, wie sie sich dadurch besser stellen. Zur optimalen Ressourcenallokation sind keine vollständigen Informationen über die Auswirkungen beim jeweils anderen „Geschäftspartner“ (bzw. der verbleibenden Wertschöpfungskette) mehr erforderlich, sondern dies ergibt sich durch die jeweilige Optimierung in den einzelnen Teilbereichen. Durch die sachgerechte Festlegung von Verrechnungspreisen können damit Entscheidungen im Unternehmensverbund sowohl horizontal als auch vertikal koordiniert und auf die Unternehmensoberziele abgestimmt werden. Diese dezentrale Lenkung über Verrechnungspreise wird von Schmalenbach als „pretiale Betriebslenkung“ bezeichnet.2 Sie dient dazu, die Entscheidungen der einzelnen Bereiche auf das Oberziel der Unternehmenswertmaximierung der Gesamteinheit – etwa eines Konzerns – auszurichten. Voraussetzung ist jedoch, dass die Verrechnungspreisfestsetzung nicht dazu führt, dass die Zielerreichung einzelne Einheiten derartig zu Lasten der Zielerreichung anderer Einheiten begünstigt wird, und es dadurch in der Summe zu Einbußen bei der Steigerung des Unternehmenswerts kommt.3
1.13
Erfolgsermittlungsfunktion. Im Rahmen der steuerlichen Verrechnungspreisthematik steht insbesondere die Erfolgsermittlungsfunktion im Vordergrund, da rechtlich selbständigen Verbundunternehmen ein angemessener Teil des Gewinns der gesamten Gruppe zugeordnet werden muss. Auch wenn die Erfolgsermittlungsfunktion zunächst nur auf die Zuordnung eines einwertigen Ergebnisses i.S. eines Teilbereichsgewinns zielt, knüpfen grundsätzlich weitere Funktionen an die Erfolgsermittlungsfunktion von Verrechnungspreisen an. Diese sind:4 – Planungs- und Entscheidungsunterstützung im Rahmen der vertikalen Integration des Konzerns (Informationsbasis für Make-or-buy-Entscheidungen zur Optimierung des Einkaufsprogramms, Informationsbasis zur Optimierung des Absatzprogramms, Ermittlung von Preisober- und Preisuntergrenzen für den Einkauf und den Vertrieb), – Planungs- und Entscheidungsunterstützung hinsichtlich der Ressourcenverteilung, – Motivations- und Anreizfunktion und – Schaffung höherer Transparenz (Vereinfachung von Abrechnungen; Wirtschaftlichkeitskontrolle und Leistungsbeurteilung). Die Ergebnisse der Erfolgsermittlungsfunktion sind damit sowohl für Entscheidungsträger übergeordneter Konzerneinheiten von Belang – was ins1 Vgl. Kluge, Verrechnungspreise in Ertragsteuern und Controlling, 232 f. 2 Vgl. Schmalenbach, Die optimale Geltungszahl, 1690. 3 Vgl. Hirshleifer, JoB 1056, 172; Schneider, ZfbF 1966, 268 f.; Albach, ZfB 1966, 792; Drumm, ZfbF 1972, 255. 4 Vgl. Kluge, Verrechnungspreise in Ertragsteuern und Controlling, 235; Kreuter, Verrechnungspreise, 26.
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B. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund
besondere die Planungs- und Entscheidungsunterstützung betrifft – als auch für die Entscheidungsträger der jeweiligen Einheit selbst, deren Motivation u.a. von der Sichtbarkeit der Teilbereichserfolge abhängt. Dies ist häufig auch vergütungsmäßig für Führungskräfte der Unternehmen relevant, z.B. wenn Managervergütungssysteme den Einbezug von bereichsbezogenen Erfolgsgrößen vorsehen und Tantiemen, Bonuszahlungen o. ä. an den jeweiligen Teilbereichserfolg anknüpfen.1 Hinsichtlich der vorstehend genannten betriebswirtschaftlich relevanten Funktion einer bereichsbezogenen Erfolgsermittlung besteht gegenüber der rein steuerlich relevanten Erfolgszuordnung keine Einschränkung auf rechtlich selbständige Unternehmensteile. Vielmehr kommt eine bereichsbezogene Erfolgsermittlung aus Gründen der betriebswirtschaftlichen Planungs- und Entscheidungsunterstützung, Anreizbildung usw. für alle Unternehmenseinheiten in Betracht, die einheitliche Entscheidungsobjekte darstellen oder dem Kompetenzbereich eines Entscheidungsträgers entsprechen.
II. Funktionsabhängige Verrechnungspreisfestlegung Funktionsbezogene Angemessenheitsbeurteilung. Angesichts der unterschiedlichen Funktionen kann die Angemessenheit eines Verrechnungspreises nicht im Allgemeinen, sondern stets nur in Bezug auf die jeweilige Funktion beurteilt werden. Dies gilt umso mehr, als die Anforderungen, die die unterschiedlichen Funktionen an die Festlegung und Ermittlung eines Verrechnungspreises stellen, sich teilweise gegenüber stehen. So ist etwa durch Verrechnungspreise nur dann eine Vereinfachung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung zu erreichen, wenn der jeweilige Verrechnungspreis an leicht zu ermittelnde Merkmalsausprägungen anknüpft. Die Koordinationsfunktion dagegen setzt eine verursachungsgerechte und damit möglichst detailgenaue Preisfestlegung voraus, um ein hinreichendes Maß an Informationen über bereichsbezogene Leistungszu- und -abflüsse in den Preisen abbilden und damit unvorteilhafte Allokationsentscheidungen vermeiden zu können.
1.14
Funktionsbezogene Einheitenbildung. Auch können die Organisationeinheiten, die Anknüpfungspunkt für die jeweilige Abgrenzung sind, je nach Funktion voneinander abweichen, da etwa die steuerrechtliche Erfolgsermittlungsfunktion eine Einheitenbildung nach zivil- oder steuerrechtlichen Kriterien (Gesellschaften, Betriebsstätten) vornimmt, während es im Bereich der organisatorischen Lenkungsfunktion etwa auf den Kompetenzbereich der jeweiligen Leistungsträger ankommt.
1.15
1 Vgl. Gschwend, Zielproblematik, 78; Coenenberg/Fischer/Günther, Kostenrechnung, 707; Kreuter, Verrechnungspreise, 26 f.; Trost, Koordination, 50; Lohschmidt, Verrechnungspreise, 47; Hummel, Gestaltungsparameter, 41; Dürr, Transferpreissystem, 23.
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Kapitel 1 Einführung
III. Ermittlung von Steuerbemessungsgrundlagen 1.16
Zuordnung von Steuersubstrat. Vorliegend tritt die teilbereichsbezogene Erfolgsermittlung bei rechtlich selbständigen Verbundunternehmen in den Vordergrund, weil sie nicht nur auf die interne Leistungsbeurteilung, Planungs- und Entscheidungsunterstützung o. ä. gerichtet ist, sondern auch der handels- und steuerrechtliche Gewinnermittlung zugrunde liegt. Im fiskalischen Interesse steht das Ergebnis des einzelnen Gliedunternehmens, nämlich dass mittels der Festlegung von Verrechnungspreisen das erfolgsrechnerische Entstehen von Gewinnen bzw. die Verteilung eines erfolgsrechnerischen Konzerngewinns auf die einzelnen Konzerngesellschaften gesteuert werden kann. Da die nationalen Steuerhoheiten ein berechtigtes Interesse an der Teilhabe am grenzüberschreitend erwirtschafteten Steuersubstrat haben, stehen Verrechnungspreise stets – insbesondere in Hochsteuerländern – unter dem Verdacht, vorrangig und einseitig der verbundweiten Steuerbarwertminimierung (Minimierung der Konzernsteuerquote) zu dienen. Deshalb ist die Überprüfung ihrer Angemessenheit zunehmend ein Schwerpunktthema in den Betriebsprüfungen der Verbundunternehmen. Als vorrangig ist daher das Ziel einer rechtssicheren und im Verhältnis zu den beteiligten Fisci einheitlichen Anwendung der Gewinnabgrenzungsregeln anzusehen, um das Risiko der Doppelbesteuerung weitestgehend zu reduzieren.
C. International-steuerrechtlicher Hintergrund I. Allgemeines 1.17
Grundsatz. Steuerrechtlich sind Lieferungs- und Leistungsbeziehungen zwischen verschiedenen Unternehmen grundsätzlich mit ihrem tatsächlich verwirklichten Inhalt anzuerkennen und der Gewinnermittlung der beteiligten Unternehmen zugrunde zu legen. Unter einem Unternehmen in dem so angesprochenen Sinne ist eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen, die das Steuerrecht als Einkünfteerzielungssubjekt1 behandelt und für deren Rechnung eine Betätigung i.S. des § 15 Abs. 2 oder 3 EStG ausgeübt wird. Die Betätigung muss einem oder mehreren Rechtsträgern zuzurechnen sein, die nach dem jeweils maßgebenden Steuerrecht die Eignung haben, selbständige Steuersubjekte zu sein. Das Einkünfteerzielungssubjekt muss nicht selbst Steuersubjekt sein2. Im Einzelnen kann es sich um natürliche Personen, um Personengesellschaften, um Körperschaften, um Personenvereinigungen oder um Vermögensmassen handeln. Die unter dieser Vorgabe an Lieferungs- und Leistungsbeziehungen 1 Zum Begriff „Einkunftserzielungssubjekt“ vgl. BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751 = BFHE 141, 405, unter C.III.3.a. 2 Vgl. z.B. OHG oder KG.
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C. International-steuerrechtlicher Hintergrund
beteiligten Unternehmen können ihren Sitz und/oder ihre Geschäftsleitung im In- oder Ausland haben. Sie können auch über in- oder ausländische Betriebsstätten verfügen, die ihrerseits in die Lieferungs- und Leistungsbeziehungen einbezogen sind. Sind die an einem Lieferungs- oder Leistungsverkehr beteiligten Unternehmen voneinander unabhängig, so nimmt jedes Unternehmen seine wirtschaftlichen Interessen wahr, was eine unangemessene Gewinnverlagerung ausschließt. Stehen sich allerdings die an den Lieferungs- und Leistungsbeziehungen beteiligten Unternehmen bzw. die hinter ihnen stehenden Personen untereinander nahe, so besteht Anlass, die vereinbarten bzw. die tatsächlich gezahlten Entgelte auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Hintergrund der Prüfung ist die Befürchtung, dass die Höhe des Entgelts durch die Nahestehensbeziehung zum Nachteil eines der beteiligten Fisci beeinflusst sein könnte. Es kann sich insbesondere um eine Gewinnverlagerung in ein Niedrigsteuerland handeln. Im Einzelnen kann die Nahestehensbeziehung tatsächlicher (gleichgerichtete Interessen), familienrechtlicher oder gesellschaftsrechtlicher Natur sein. Das Nahestehen der Unternehmen untereinander kann auch durch eine dritte Person (Gesellschafter) vermittelt werden. Rechtsgrundlage (s. Kap. 2A) für die Überprüfung und gegebenenfalls für die steuerrechtliche Korrektur der vereinbarten Preise sind – die Entnahme (einschließlich § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG und § 12 KStG), – die Einlage (einschließlich § 4 Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG), – die verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) – und/oder § 1 AStG. In Sonderfällen kann es auch an der erforderlichen betrieblichen Veranlassung von Aufwendungen fehlen (§ 4 Abs. 4 EStG). Abkommensrechtlich bildet Art. 9 OECD-MA die maßgebliche Rechtsgrundlage (s. Kap. 2H). Zusätzlich sind Art. 11 Abs. 6 und Art. 12 Abs. 4 OECD-MA zu beachten. Während das innerstaatliche deutsche Steuerrecht auf dem Veranlassungsprinzip aufbaut und zur Bestimmung der maßgebenden Veranlassung den Fremdvergleich i.S. einer widerlegbaren Vermutung heranzieht, wendet das Abkommensrecht unmittelbar den Fremdvergleichsgrundsatz an. Für beide Rechtskreise ist i.d.R. ein nach Fremdvergleichsgrundsätzen unangemessen niedriges oder hohes Entgelt bei allen beteiligten Unternehmen zu korrigieren. Sind die an den Lieferungs- und Leistungsbeziehungen beteiligten und untereinander nahestehenden Unternehmen in verschiedenen Staaten ansässig, so kommen neben dem Interesse, den Gewinn bei dem „richtigen“ Unternehmen zu erfassen, die untereinander regelmäßig konkurrierenden Besteuerungsinteressen der beteiligten Staaten hinzu. Insbesondere untereinander verbundene Unternehmen haben ein „natürliches“ Interesse, den Gewinn nach Möglichkeit in einen niedrig besteuernden Staat zu verlagern. Der in dieser Weise benachteiligte Staat hat dagegen das Interesse, die Gewinnverlagerung nach Möglichkeit Wassermeyer
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Kapitel 1 Einführung
zu „korrigieren“. Dazu werden auch gesetzgeberische Vorsorgemaßnahmen getroffen.
II. Trennungsprinzip 1.18
Trennungsprinzip und seine Folgen. Es entspricht internationaler Praxis, Konzerne nicht als Unternehmensgruppe, sondern – als Folge des Trennungsprinzips – jede einzelne Konzerngesellschaft für sich zu besteuern. Daraus ergibt sich inner- und zwischenstaatlich betrachtet die Gefahr, dass Gewinne zwischen einander nahestehenden Unternehmen zu Lasten der beteiligten Fisci verlagert werden. Dies eröffnet inner- und zwischenstaatlich wiederum die Notwendigkeit, Gewinnkorrekturvorschriften (s. Kap. 2) zu erlassen, denen die Aufgabe zukommt, die Gewinne von einander nahestehenden Unternehmen abzugrenzen. Zweckmäßigerweise sollten diese Gewinnkorrekturvorschriften auf einem einheitlichen Maßstab aufbauen. Außerdem bedarf es internationaler Klauseln, die die Besteuerungsrechte der beteiligten Staaten voneinander abgrenzen. Auch insoweit ist ein international anerkannter Maßstab wünschenswert. International belegen Art. 9 OECD-MA und die ihm nachgebildeten Vorschriften der DBA, der OECD-Bericht „Verrechnungspreise und multinationale Unternehmen“ aus dem Jahre 1979, seine Ergänzung aus dem Jahr 1984, die sog. OECD-Guidelines aus dem Jahr 1995 und schließlich die OECD-Leitlinien aus dem Jahr 2010 die Heranziehung des Fremdvergleichsgrundsatzes („dealing at arm‘s length“) für Zwecke der internationalen Gewinnabgrenzung und seine internationale Anerkennung. Auf diesem Grundsatz bauen auch die EU-Schiedskonvention1, der EU-Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation2 und der EU-Verhaltenskodex zum Schiedsverfahren3 auf (s. Kap. 10). Art. 9 OECD-MA hat dabei auch die Funktion, eine abkommensrechtliche Schranke gegenüber weitergehenden Besteuerungsansprüchen der beteiligten Vertragsstaaten aufzubauen. Innerstaatlich betrachtet hat der Gesetzgeber § 1 AStG geschaffen, um den „Dealing-at-arm‘s-length-Grundsatz“ auch innerstaatlich abzusichern.4 Die deutsche Finanzverwaltung hat den OECD-Bericht 1979 im BMF-Schreiben vom 23.2.19835 umgesetzt. In dem Schreiben vertritt sie die Rechtsauffassung, dass die Fremdvergleichsmaßstäbe von Art. 9 OECD-MA und § 1 AStG deckungsgleich sind6. Das Schreiben sollte nach 5 Jahren überarbeitet und angepasst werden7. Tatsächlich wurde eine 1. Überarbeitung erst mit dem BMF-Schrei1 EU-Schiedskonvention v. 23.7.1990 90/436/EWG, BStBl. I 1993, 819. 2 EU-Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation v. 27.6.2006, Abl EU v. 28.7.2006 C 176/01. 3 EU-Verhaltenskodex zum Schiedsverfahren v. 27.6.2006, Abl EU v. 28.7.2006 C 176/02. 4 Regierungsbegründung zum AStRefG, BT-Drucks. VI/2883 Tz. 15 ff. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Rz. 1.2. 7 Vgl. hierzu Baumhoff, ISR 2013, 249 ff.
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C. International-steuerrechtlicher Hintergrund
ben vom 12.4.20051 abgeschlossen. Zu erwähnen sind die Änderungen in § 90 und § 162 AO durch das StVergAbG vom 16.5.20032 sowie der Erlass der GAufzV vom 13.11.20033 (s. Kap. 8) und der FVerlV vom 12.8.20084. Gegenwärtig wird im BMF eine sog. Fremdvergleichsverordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S. des § 1 Abs. 3 Sätze 1–8 AStG erarbeitet.
III. Begriffsdefinitionen Definition verwendeter Begriffe. Im Zusammenhang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz wird üblicherweise eine Reihe von Begriffen verwendet, deren inhaltliche Bestimmung vorangestellt werden soll. Dies gilt insbesondere für die Begriffe „Verrechnungspreis“, „Fremdvergleichspreis“ und „gemeiner Wert“.
1.19
Begriff „Verrechnungspreis“. Der Begriff „Verrechnungspreis“ ist in der Praxis des innerkonzernlichen Liefer- und Leistungsaustausches als ein Oberbegriff anzusehen. Der innerkonzernliche Liefer- und Leistungsaustausch lässt sich wiederum in unterschiedliche Transaktionsarten unterteilen, wie z.B. – Lieferung von Gütern und Waren (s. Kap 6A), – Dienstleistungen (s. Kap. 6B), – Arbeitnehmerentsendungen (s. Kap. 6C), – Konzern- und Kostenumlagen (s. Kap. 6D), – Finanzierungsleistungen (s. Kap. 6E), – Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter (s. Kap. 6F) und – Erbringung von IT-Leistungen (s. Kap. 6G). Je nach Art des innerkonzernlichen Liefer- und Leistungsaustausches könnte man statt dessen z.B. auch von „Warenpreis“, „Lieferpreis“, „Dienstleistungsgebühr“, „Entsendegebühr“, „Kostenumlage“, „Zins“, „Avalprovision“, „Lizenzgebühr“, „Know-how-Gebühr“, „Pachtentgelt“, „Mietzins“, „Leasinggebühr“, „Nutzungsgebühr“ oder ähnlichen Entgelten sprechen. Insofern bezieht sich der Begriff „Verrechnungspreis“ auf alle Arten von innerkonzernlichen Transaktionen. Unter dem Begriff „Verrechnungspreis“ ist steuerrechtlich der zwischen den nahestehenden Unternehmen tatsächlich vereinbarte Preis (= Entgelt) zu verstehen. Zum Preis gehört alles, was Entgeltcharakter hat. In diesem Sinne ist der Verrechnungspreis eine „Ist-Größe“. Zwar sieht § 90 Abs. 3
1.20
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 569. 2 Steuervergünstigungsabbaugesetz v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 3 Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung v. 13.11.2003, BGBl. I 2003, 2296. 4 Funktionsverlagerungsverordnung v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680 = BStBl. I 2009, 34.
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Kapitel 1 Einführung
AO vor, dass der Steuerpflichtige dokumentiert, wie der Verrechnungspreis zustande gekommen ist. Diese Dokumentation (s. Kap. 8) ist jedoch keine begriffliche Voraussetzung für die Existenz eines Verrechnungspreises. Das Vorliegen eines Verrechnungspreises hängt nicht davon ab, ob er anhand einer der bekannten fremdvergleichskonformen klassischen Verrechnungspreismethoden (s. Kap. 5) zutreffend oder unzutreffend abgeleitet wurde oder werden kann. Für den Verrechnungspreis gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Von einem Verrechnungspreis ist allerdings auch dann zu sprechen, wenn er entweder von einem Vertragspartner „diktiert“ oder nach langwierigen Preisverhandlungen im Wege einer Einigung gefunden wurde. Der Verrechnungspreis kann zwar innerhalb von Bandbreiten oder Einigungsbereichen liegen. Er hat jedoch im Übrigen mit diesen Begriffen nichts zu tun. Der Verrechnungspreis ist auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung anzusetzen. Er liegt deshalb der Ermittlung des Unterschiedsbetrages i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG unabhängig davon zu Grunde, ob er i.S. eines Fremdvergleichs angemessen ist oder nicht. Der Verrechnungspreis kann auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung „steuerrechtlichen Korrekturen“ ausgesetzt sein, deren Rechtsgrundlage in der verdeckten Gewinnausschüttung, der Entnahme, der Einlage oder in § 1 AStG liegen kann (s. Kap. 2A).
1.21
Definition des Verrechnungspreises in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG. Mit Wirkung seit dem 1.1.2008 wird der Begriff „Verrechnungspreis“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG als „andere Bedingungen, insbesondere Preise“ definiert, „die der Steuerpflichtige seiner Einkünfteermittlung zu Grunde legt“. Diese Definition ist verfehlt1. Der Verrechnungspreis besteht grundsätzlich nur aus dem vereinbarten Entgelt. Dies gilt unabhängig davon, ob das vereinbarte Entgelt der steuerrechtlichen Einkünfteermittlung zugrunde gelegt wird oder nicht. Legt der Steuerpflichtige seiner Einkünfteermittlung ein anderes als das vereinbarte Entgelt zu Grunde, dann ist die Einkünfteermittlung zu berichtigen. Es ist auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung der vereinbarte Verrechnungspreis anzusetzen, soweit die Vertragsschließenden in tatsächlicher Hinsicht nichts anderes praktizieren. Dies hat mit der Rechtsfolge des § 1 AStG nichts zu tun. Sie setzt erst auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung an. Richtigerweise ist deshalb der Begriff „Verrechnungspreis“ losgelöst von jeder Einkünfteermittlung zu bestimmen. Der Verrechnungspreis erfasst nicht nur den Preis im zivilrechtlichen Sinne, sondern das gesamte durch eine bestimmte Lieferung oder Leistung im steuerrechtlichen Sinne veranlasste Entgelt. Er erfasst dagegen nicht die „anderen Bedingungen“, die die zu erbringende Leistung umschreiben und keinen Entgeltcharakter haben. Der BFH hat diese Grundsätze im Urteil vom 14.1.20092 bestätigt. Das BMF hat im Schreiben vom 29.3.20113 zu den Auswirkungen der Entscheidung auf § 1 1 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 535. 2 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818. 3 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277; hierzu FG Berlin-Brandenburg v. 30.1.2013 – 12 K 12056/12, EFG 2013, 1560, Rev. I R 23/13, s. hierzu Wick, StuB 2014, 73 f., sowie Ditz/Liebchen, IStR
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C. International-steuerrechtlicher Hintergrund
AStG einschränkend Stellung genommen, was darauf hindeutet, dass jedenfalls nach der Auffassung der Finanzverwaltung § 1 AStG weit auszulegen ist. Begriff „Fremdvergleichspreis“. Unter dem Fremdvergleichspreis ist das Entgelt zu verstehen, das voneinander unabhängige Dritte für die gleiche Lieferung oder Leistung unter vergleichbaren Bedingungen vereinbart hätten. Der Fremdvergleichspreis ist nur dann von steuerrechtlicher Relevanz, wenn Leistungs- oder Lieferungsbeziehungen zwischen einander nahestehenden Personen bestehen. Der Fremdvergleichspreis hat nur einen hypothetischen Bezug zu der konkreten Geschäftsbeziehung, zu der der tatsächlich vereinbarte Verrechnungspreis gehört. Er ist für jede einzelne Leistung aufgrund der Geschäftsbeziehung zwischen den nahestehenden Personen zu ermitteln. Insoweit hat er einen individuellen Bezug, der mit dem „gewöhnlichen Geschäftsverkehr“ i.S. des § 9 Abs. 2 BewG nicht übereinstimmen muss. Dies gilt grundsätzlich auch für ungewöhnliche Verhältnisse i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG. Alle Umstände des konkreten Einzelfalles können auf die Höhe des Fremdvergleichspreises einwirken. Der „Fremdvergleichspreis“ ist eine „Soll-Größe“. Er ist der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit der Verrechnungspreis vom Fremdvergleichspreis abweicht und die Einkünfte dadurch gemindert werden. Der Fremdvergleichspreis ist zu ermitteln; er wird nicht vereinbart. Der Fremdvergleichspreis ist durch Vergleich mit dem zu ermitteln, was fremde und voneinander unabhängige Dritte unter vergleichbaren Bedingungen bei Übernahme entsprechender Funktionen und Risiken (s. Kap. 4) entweder tatsächlich vereinbart haben oder hypothetisch vereinbart hätten. Entsprechend unterscheidet man zwischen dem tatsächlichen und dem hypothetischen Fremdvergleich (s. Kap. 3). Bei dem tatsächlichen Fremdvergleich wird der Verrechnungspreis mit dem Preis verglichen, den fremde Dritte unter vergleichbaren Umständen tatsächlich vereinbart haben. Beim hypothetischen Fremdvergleich wird der Verrechnungspreis mit dem Preis verglichen, den fremde Dritte unter vergleichbaren Umständen mutmaßlich vereinbart hätten. In diesem Sinne wird der hypothetische Fremdvergleich im Wege einer Simulation ermittelt. Es gibt auch gemischte Fremdvergleiche, die zu einem Teil an tatsächliche Verhältnisse und zu einem anderen Teil an eine Simulation anknüpfen. Der tatsächliche Fremdvergleich kann zu einer Bandbreite angemessener Fremdvergleichspreise führen, wenn fremde Dritte trotz vergleichbarer Verhältnisse tatsächlich unterschiedlich hohe Preise vereinbart haben. In diesem Sinne knüpft der Begriff „Bandbreite“ an tatsächlich vereinbarte Fremdvergleichspreise an. Im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs gibt es dagegen nur Einigungsbereiche. Der Einigungsbereich ist 2012, 97 ff.; Teschke/Langkau/Sundheimer, DStR 2011, 2021 ff.; Looks/Birmans/ Persch, DB 2011, 2110 ff.; Kaminski/Strunk, Stbg 2011, 246 ff.; Nientimp/Langkau, IWB 2011, 351 ff.; Korn, KÖSDI, 17598 ff.; Andresen, IStR 2014, 207 ff.; Ditz/ Quilitzsch, ISR 2014, 109 ff.
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1.22
Kapitel 1 Einführung
durch das gekennzeichnet, was der eine Vertragspartner mindestens gefordert hätte (Preisuntergrenze) und der andere höchstens zu zahlen bereit gewesen wäre (Preisobergrenze). Wäre der andere Vertragspartner nicht bereit gewesen, das zu zahlen, was der eine Vertragspartner mindestens gefordert hätte, so gibt es keinen Einigungsbereich. Der Fremdvergleichspreis ist steuerrechtlich von Bedeutung, wenn die Voraussetzungen einer vGA, einer Entnahme, einer Einlage oder des § 1 AStG vorliegen und die Bewertung der Gewinnverlagerung zum Fremdvergleichspreis geboten ist. In diesem Fall wird regelmäßig auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung die Differenz zwischen Fremdvergleichs- und Verrechnungspreis dem Unterschiedsbetrag hinzugerechnet. Der Fremdvergleichspreis findet also regelmäßig erst auf der sog. Korrekturebene Berücksichtigung.
1.23
Definition des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG. Mit Wirkung ab dem 1.1.2008 wird zwar nicht der Begriff „Fremdvergleichspreis“, jedoch der des „Fremdvergleichsgrundsatzes“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG definiert, wobei § 1 Abs. 3 AStG und die in § 1 Abs. 6 AStG vorgesehene Rechtsverordnung Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes regeln sollen (s. Kap. 3). Da die gesetzliche Regelung nur für den Bereich des § 1 Abs. 1 AStG gilt, verabschiedet sich der Gesetzgeber mit seinem Vorgehen von einem einheitlichen Fremdvergleichsgrundsatz für das gesamte innerstaatliche deutsche Steuerrecht. § 1 Abs. 1 AStG findet nur auf Geschäftsbeziehungen des Steuerpflichtigen zum Ausland mit einer ihm nahestehenden Person Anwendung. Für Geschäftsbeziehungen des Steuerpflichtigen zum Inland mit einer ihm nahestehenden Person gilt ein anderer Fremdvergleichsgrundsatz. Die gesetzliche Definition in § 1 Abs. 1 AStG ist zumindest angreifbar, weil sie nicht zwischen dem Entgelt und den übrigen Vertragsbedingungen unterscheidet. Im Fremdvergleich unterliegt es grundsätzlich der Dispositionsfreiheit der sich nahestehenden Unternehmen, ob und in welchem Umfang sie einen Leistungsaustausch wollen und tatsächlich durchführen. Der tatsächlich durchgeführte Leistungsaustausch muss als solcher hingenommen werden. Unter Fremdvergleichsgesichtspunkten kann nur das Entgelt für eine tatsächlich erbrachte Leistung für Besteuerungszwecke an das Angemessene angepasst werden. Anders ausgedrückt, wird nicht danach gefragt, ob voneinander unabhängige Dritte einen gleichartigen Leistungsaustausch dem Grunde nach, dem Umfang nach oder in seinen einzelnen Leistungsteilen nach ebenfalls so vereinbart hätten.
1.24
Verhältnis „gemeiner Wert“ zum „Fremdvergleichspreis“. Der Begriff „gemeiner Wert“ wird in § 9 BewG gesetzlich als der Wert definiert, der durch den Preis bestimmt wird, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Der gemeine Wert ist ein objektivierter Wert. Bei seiner Ermittlung gelten keine Teilwertvermutungen oder Teilwertgrenzen. Der gemeine Wert dient gleichermaßen der Bewertung einzelner Wirtschaftsgüter als auch der Bewertung von Unternehmen. Die für die Unterneh14
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C. International-steuerrechtlicher Hintergrund
mensbewertung geltenden „objektivierten“ Grundsätze sind im Standard S 1 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. festgelegt. Mit Hilfe des gemeinen Wertes können keine Nutzungen oder Dienstleistungen bewertet werden. Diese sind keine Wirtschaftsgüter und werden auch nicht veräußert. Insoweit sind die Bezugspunkte des gemeinen Wertes enger als die des Fremdvergleichspreises. Ferner löst sich der gemeine Wert begrifflich von dem einzelnen Geschäftsvorfall. Er stellt stattdessen auf ein Entgelt ab, das „im gewöhnlichen Geschäftsverkehr“ zu erzielen wäre. Auch in diesem Punkt bestehen gewichtige Unterschiede zwischen dem Fremdvergleichspreis und dem gemeinen Wert. Beispiel: Erstellt z.B. ein Automobilhersteller einen Pkw, den er im Inland für 40 000 Euro zu verkaufen pflegt, so schließt dies nicht aus, dass er bei einem grenzüberschreitenden Verkauf nur 30 000 Euro erzielen kann. Zählt der grenzüberschreitende Verkauf nicht zum gewöhnlichen Geschäftsverkehr, so beträgt der gemeine Wert des Pkw 40 000 Euro, während der Fremdvergleichspreis jedenfalls dann nur 30 000 Euro beträgt, wenn er für die konkrete grenzüberschreitende Lieferung zu ermitteln ist.
Das Beispiel soll deutlich machen, dass die Probleme des gemeinen Wertes zum einen bei der Frage liegen, was noch und was nicht mehr zum gewöhnlichen Geschäftsverkehr zählt. Im Übrigen können auch in einem gewöhnlichen Geschäftsverkehr unterschiedliche Preise erzielt werden, wenn z.B. Handel auf verschiedenen ausländischen Märkten betrieben wird. Dann stellt sich die Frage, ob § 9 BewG zum Ansatz eines Durchschnittspreises zwingt oder ob die Vorschrift jeden Markt für sich betrachtet und in diesem Sinne verschiedene gemeine Werte kennt. Die Beachtung des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs zwingt dazu, auf die maßgebende Handelsstufe abzustellen. In der Geschäftsbeziehung zwischen Produzent und Vertreiber kommt es nicht auf den Preis an, den der Endverbraucher zahlt. Die begrifflichen Unterschiede können Verwerfungen auslösen, wenn die auf den gemeinen Wert abstellenden Regelungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG abkommensrechtlich nicht durchsetzbar sind. Umgekehrt kann in den Fällen des § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG der Ansatz des gemeinen Wertes anstelle des Fremdvergleichspreises für den Steuerpflichtigen günstiger sein. Von Bedeutung ist auch, dass durch das SEStEG1 dem § 11 Abs. 2 BewG ein Satz 3 angefügt wurde, wonach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG nicht für ertragsteuerrechtliche Zwecke gilt. Dies zeigt, dass im Ertragsteuerrecht ein Bedürfnis besteht, den Begriff „gemeiner Wert“ losgelöst von § 9 BewG auszulegen.
IV. Steuerlich zu akzeptierende Rahmenbedingungen Unternehmerische Dispositionsfreiheit und steuerrechtliche Folgen. Steuerrechtlich gesehen können (auch einander nahestehende) Unternehmen 1 SEStEG v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782 (2805).
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1.25
Kapitel 1 Einführung
untereinander jede Art von Liefer- und Leistungsaustausch vereinbaren. Sie können frei entscheiden, ob und in welchem Umfang Funktionen hier oder dort ausgeübt oder ob Risiken und Gewinnchancen übernommen bzw. verlagert werden. Es fällt in die unternehmerische Dispositionsfreiheit, ob Funktionen selbst wahrgenommen, bei einem anderen (Konzern-)Unternehmen konzentriert oder auf mehrere Unternehmen aufgeteilt werden oder ob ein Subunternehmer beauftragt wird. Die Unternehmen können auch frei entscheiden, ob anlässlich einer veränderten Funktionsverteilung Wirtschaftsgüter zu Eigentum übertragen oder lediglich zur Nutzung überlassen werden. Man muss zwischen der Leistung und der Gegenleistung unterscheiden. Die Finanzverwaltung hat alle „anderen Bedingungen“, soweit sie nur die Leistung betreffen, als Ausfluss der Dispositionsfreiheit der beteiligten Unternehmen zu akzeptieren, vor allem darf sie sich nicht als der „bessere Unternehmer“ gerieren. Im steuerrechtlichen Sinne „korrekturfähig“ ist an sich nur die Gegenleistung, d.h. der vereinbarte Verrechnungspreis als solcher, der im Rahmen des Fremdvergleichs natürlich an den tatsächlich erbrachten Leistungen zu messen ist. Das BMF-Schreiben vom 29.3.20111 belegt allerdings, dass die Finanzverwaltung § 1 AStG auch auf Teilwertabschreibungen angewendet wissen will. 2 Es soll nicht der Grundsatz der Maßgeblichkeit des abgeschlossenen Geschäftes gelten. Richtigerweise können die von der Finanzverwaltung zu akzeptierenden „tatsächlichen Bedingungen“ als solche nicht korrigiert werden; sie können jedoch die Höhe des angemessenen Fremdvergleichspreises nach oben oder unten beeinflussen. In diesem Sinne ist lediglich der angemessene Fremdvergleichspreis zu ermitteln. Soweit er vom vereinbarten Verrechnungspreis abweicht, wird die Differenz dem Unterschiedsbetrag i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung hinzugerechnet. Beispiel: Eine GmbH schließt mit ihrem Gesellschafter einen Geschäftsführungsvertrag ab, in dem sich der Gesellschafter-Geschäftsführer verpflichtet, regelmäßig 60 Stunden pro Arbeitswoche für die GmbH zu arbeiten. In diesem Fall kann das FA prüfen, ob der Vertrag tatsächlich durchgeführt wurde. Stellt das FA fest, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer tatsächlich nur 40 Stunden pro Arbeitswoche arbeitete, so kann es den abgeschlossenen Vertrag als nicht durchgeführt behandeln. Stellt das FA dagegen fest, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer tatsächlich 60 Stunden pro Arbeitswoche gearbeitet hat, dann kann es sich nicht auf den Standpunkt stellen, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nur eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden vereinbart haben würde.
1.26
Tatsächliche Durchführung. Die Finanzverwaltung kann allerdings im Rahmen der behördlichen Sachverhaltsaufklärung (s. Kap. 9) zusätzlich prüfen, ob das Vereinbarte auch tatsächlich durchgeführt wurde. Fehlt es an einer tatsächlichen Durchführung, so ist der Vertrag wirtschaftlich 1 BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277. 2 Hierzu FG Berlin-Brandenburg v. 30.1.2013 – 12 K 12056/12, EFG 2013, 1560, Rev. I R 23/13; Andresen, IStR 2014, 207 ff.; Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 ff.
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C. International-steuerrechtlicher Hintergrund
nicht erfüllt und deshalb der Besteuerung nicht zugrunde zu legen. Ggf. kommt dann eine Schätzung gem. § 162 AO in Betracht (s. Kap. 9). Der tatsächlich nicht durchgeführte Vertrag löst eine Vermutung dafür aus, dass das Vereinbarte nicht gewollt war bzw. dass es etwas anderes verdeckt. Die Besteuerung wird dann nach dem tatsächlich Durchgeführten vorgenommen, wobei auch das Entgelt für das tatsächlich Durchgeführte einem Fremdvergleich unterworfen werden kann. Es kann aber auch so sein, dass die tatsächliche Durchführung die Annahme einer Leistungsbeziehung ausschließt und zur Annahme einer Ausschüttung insgesamt zwingt. Unübliche sonstige Bedingungen. Die Ausführungen in Rz. 1.25 bedürfen einer Einschränkung für den Fall, dass die sonstigen Vertragsbedingungen in besonderer Weise ungewöhnlich sind. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass das vertragliche Vereinbarte durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist (formeller Fremdvergleich). Der BFH hat dies im Verhältnis zu einem beherrschenden Gesellschafter entschieden, wenn dessen Vertrag mit seiner Gesellschaft in wichtigen Punkten unklar oder unvollständig und nicht von vornherein abgeschlossen war1. Entsprechendes kann gelten, wenn nahestehende Personen bewusst zivilrechtlich unwirksame Verträge abschließen.2 Man sollte beachten, dass die Unüblichkeit der vereinbarten anderen Bedingungen nicht automatisch zur Anwendung steuerrechtlicher Korrekturnormen führt. Die Annahme der Veranlassung von Leistungen durch das Gesellschaftsverhältnis beruht vielmehr auf einer Beurteilung des Gesamtbildes des Vertrages. Man sollte allerdings auch nicht übersehen, dass die internationale Durchsetzbarkeit dieser Rechtsprechung umstritten ist3.
1.27
Missbrauch. Die Finanzverwaltung kann auch prüfen, ob das tatsächlich Vereinbarte missbräuchlich i.S. des § 42 AO war. Ist der Missbrauchsvorwurf begründet, so wird der Besteuerung der Sachverhalt zugrunde gelegt, der bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung tatsächlich hätte verwirklicht werden müssen. Der Missbrauchsvorwurf muss sich allerdings auf die individuelle Vertragsgestaltung als solche beziehen. Ihr kann nicht lediglich der vereinbarte Verrechnungspreis zugrunde gelegt werden. Dessen Korrektur unterliegt den Vorschriften der
1.28
1 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545 = BFHE 185, 224 = FR 1998, 625; v. 23.10.1996 – I R 71/95, BStBl. II 1999, 35 = BFHE 181, 328 = FR 1997, 20 m. Anm. Pezzer 2 Vgl. BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, BStBl. II 1999, 35 = BFHE 181, 328 = FR 1997, 20 m. Anm. Pezzer; v. 16.12.1998 – I R 96/95, BFH/NV 1999, 1125; v. 24.7.1996 – I R 115/95, BStBl. II 1997, 138 = BFHE 182, 281 = FR 1997, 109; v. 15.10.1997 – I R 19/97, BFH/NV 1998, 746. 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324; FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161; BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, FR 2011, 127 m. Anm. Prinz = BFH/NV 2011, 154, FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 190a; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Böhmer, IStR 2013, 270.
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Kapitel 1 Einführung
vGA, der Entnahme, der Einlage und des § 1 AStG als lex specialis gegenüber § 42 AO.
1.29
Gesamtplan. Unter einem Gesamtplan versteht man die einheitliche steuerrechtliche Beurteilung mehrerer Rechtsakte, die in der Regel zeitlich gestreckt vereinbart und/oder realisiert werden. Der Gesamtplan drückt die wirtschaftliche Verbundenheit der einzelnen Rechtsakte aus. Sowohl die BFH-Rechtsprechung1 als auch die Finanzverwaltung stellen ggf. auf einen bestehenden Gesamtplan ab. Der Gesamtplan wird durch eine von vornherein bestehende Absicht geprägt, auf der mehrere Rechtsakte zur Erreichung eines einheitlichen Zieles aufbauen.
V. Drohende Doppelbesteuerung 1.30
Drohende Doppelbesteuerung. Geht man davon aus, dass ein wesentlicher Teil der Lieferungs- und Leistungsbeziehungen in der Weltwirtschaft zwischen verbundenen Unternehmen abgewickelt wird, dann löst jede einseitige steuerrechtliche Entgeltskorrektur durch einen der beteiligten Fisci dem Grunde nach eine Doppelbesteuerung aus. Es tritt nicht nur eine steuerliche Mehrbelastung bei den beteiligten Unternehmen durch die Anwendung anderer Ermittlungsvorschriften und den Ansatz anderer Steuersätze ein. Häufig liegt es in der Folge der angenommenen Gewinnverlagerung, dass der andere Fiskus auf Steuersubstrat verzichten soll, das er bisher als eigenes behandelt hat. Insoweit ist der andere Fiskus aufgerufen, eine sog. Gegenberichtigung durchzuführen. Die drohenden Doppelbesteuerungen können zwar durch Verständigungsverfahren (vgl. hierzu s. Kap. 10A), durch die Anrufung des Beratenden Ausschusses nach der EU-Schiedskonvention, durch die Anrufung eines Schiedsgerichts auf der Grundlage eines DBA oder durch verbindliche Auskünfte (APA; s. Kap. 10B) vermieden werden. Die Verfahren müssen jedoch im Einzelfall durchführbar sein. Sie sind häufig sehr langwierig und aufwändig.
D. Aktuelle Rechtsentwicklung in Deutschland 1.31
Entstrickungsbesteuerung. Mit dem SEStEG vom 7.12.20062 hat der deutsche Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 EStG und § 12 Abs. 1 KStG eine sog. Entstrickungsbesteuerung eingeführt. Sie soll die Besteuerung stiller Reserven sicherstellen, die unter der deutschen Besteuerungshoheit angewachsen sind, wenn ihre Besteuerung in Deutschland im Falle der künftigen Realisierung ausgeschlossen oder beschränkt wird. Die Entstrickungsbesteuerung steht in einer gewissen Konkurrenz zu der später eingeführ1 Vgl. BFH v. 24.11.1982 – II R 38/78, BStBl. II 1983, 429 = BFHE 138, 97; v. 6.9. 2000 – IV R 18/99, BStBl. II 2001, 229 = BFHE 193, 116 = FR 2001, 75; v. 25.11. 2009 – I R 72/08 Rz. 23, BStBl. II 2010, 471 = BFHE 227, 445 = FR 2010, 381 m. Anm. Wendt. 2 SEStEG v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782.
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D. Aktuelle Rechtsentwicklung in Deutschland
ten Besteuerung von Funktionsverlagerungen (s. Kap. 7). Letztere betrifft Gewinne, die nach einer Funktionsverlagerung im Ausland erzielt werden und der deutschen Besteuerungshoheit allenfalls eingeschränkt unterliegen. Entstrickungsbesteuerung und Funktionsverlagerungsbesteuerung überschneiden sich jedoch tatbestandsmäßig, weil die Funktionsverlagerungsbesteuerung auch Gewinne erfasst, die nach der Verlagerung stiller Reserven im Ausland realisiert werden. Unter rechtssystematischen Gesichtspunkten ist es deshalb problematisch, dass der Gesetzgeber unterschiedliche Besteuerungskonzepte für die Entstrickungsbesteuerung einerseits und die Funktionsverlagerung andererseits vorgesehen hat. Die unterschiedlichen systematischen Ansätze sind auch deshalb problematisch, weil es Nutzungsentstrickungen gibt, die steuerrechtlich nur als Dauertatbestand während der Zeit der Nutzungsüberlassung erfasst werden können. Damit folgt die Nutzungsentstrickung rechtssystematisch den für die Funktionsverlagerungsbesteuerung geltenden Grundsätzen. Es kommt hinzu, dass in tatsächlicher Hinsicht keine klaren Kriterien bestehen, die die Nutzungsentstrickung von der Sachentstrickung abgrenzen. Sowohl die Entstrickung als auch die Funktionsverlagerung stellen sich als Ersatzrealisationstatbestände eines Korrekturmechanismus dar, der sich auf den sog. „Unterschiedsbetrag“ (s. Kap. 7) bezieht. Der Entstrickung steht allerdings spiegelbildlich die Verstrickung gegenüber, für die sich die Frage nach den Wertansätzen innerhalb der Steuerbilanz stellt, was die rechtssystematische Problematik noch mehr verschärft. Dies gilt auch für den Fall, dass der ausländische Zuzugstaat keine Konsequenzen aus der Entstrickungsbesteuerung in Deutschland zieht und deshalb später im Zeitpunkt der Realisierung stiller Reserven eine Doppelbesteuerung droht. Änderung von § 1 AStG und die Folgen. Durch Art. 7 UntStRefG 2008 wurde § 1 Abs. 1 AStG weitgehend neu formuliert und ein neuer Abs. 3 eingefügt. Hinter diesen Gesetzesänderungen steht eine Rechtsentwicklung von grundlegender Bedeutung. § 1 Abs. 1 AStG definiert nunmehr den Fremdvergleichsgrundsatz nur für Zwecke dieser Vorschrift, was die Frage aufwirft, wie der Fremdvergleichsgrundsatz künftig außerhalb des § 1 AStG zu handhaben ist. Es liegt auf der Hand, dass künftig unter dem Fremdvergleich i.S. des § 1 AStG und unter dem i.S. des übrigen Steuerrechts Verschiedenes zu verstehen ist. Es ist nicht sichergestellt, dass unter dem Fremdvergleich i.S. des § 1 AStG und i.S. des Art. 9 OECD-MA Identisches zu verstehen ist. Speziell für § 1 Abs. 1 AStG stellt sich die Frage, ob der Fremdvergleichsgrundsatz sich wie bisher nur auf Preise oder auch auf andere Vertragsbedingungen bezieht.1 Inhaltlich wird der Fremdvergleichsgrundsatz dadurch konkretisiert, dass das „Prinzip des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ festgeschrieben wird, was zu begrüßen ist. 1 So Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007 F. 3 Deutschland Gr. 1, 2201 (2203).
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1.32
Kapitel 1 Einführung
Bedenklicher ist, dass aufgrund der sog. „Transparenzklausel“ des Abs. 1 Satz 2 dem hypothetischen fremden Dritten alle wesentlichen Umstände der Transaktion bekannt sein sollen. Die Preisvergleichs-, die Wiederverkaufs- und die Kostenaufschlagsmethode sind als die klassischen Verrechnungspreismethoden (s. Kap 5B) nach § 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AStG vorrangig anzuwenden. Ersatzweise darf auf andere nicht näher benannte Methoden zurückgegriffen werden. Nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG soll eine Bandbreite mehrerer eingeschränkt vergleichbarer Werte eingeengt werden. Liegt der tatsächlich angesetzte Wert außerhalb der (ggf. eingeschränkten) Bandbreite, so soll der anzusetzende Fremdvergleichspreis nach § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG dem Median entsprechen. Stehen keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte zur Verfügung, so soll nach § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG ein hypothetischer Fremdvergleich zur Anwendung kommen. Dabei ist unter Anwendung einer Simulation des Verhandelns zweier ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter ein sog. Einigungsbereich aufgrund einer sog. Funktions- und Risikoanalyse und Planrechnungen zu ermitteln. Als Einigungsbereich gilt die Spanne zwischen dem Mindestpreis des Leistenden (Preisuntergrenze) und dem Höchstpreis des Leistungsempfängers (Preisobergrenze). Innerhalb des Einigungsbereiches soll grundsätzlich der Preis angesetzt werden, für den die höchste Wahrscheinlichkeit spricht. Kann kein Wert als der wahrscheinlichste glaubhaft gemacht werden, ist der Mittelwert des Einigungsbereiches anzusetzen. Auf eine Einkünfteberichtigung kann verzichtet werden, wenn der vom Steuerpflichtigen angesetzte Preis innerhalb des Einigungsbereiches liegt.
1.33
Funktionsverlagerungsbesteuerung. Die Regelungen in § 1 Abs. 3 Sätze 9 ff. AStG zielen auf eine stärkere steuerrechtliche Erfassung von sog. Funktionsverlagerungen (s. Kap. 7) ab. Darunter ist eigentlich nur die Verlagerung einer Aufgabe zu verstehen. In tatsächlicher Hinsicht vollzieht sich die Aufgabenverlagerung allerdings häufig im Zusammenhang mit der Übertragung entweder eines ganzen Betriebes oder eines organisatorisch geschlossenen, selbständig lebensfähigen Teils eines Unternehmens oder auch nur eines unselbständigen Unternehmensbereiches (= Aufgabenbereich). Jedenfalls steht die Übertragung von Wirtschaftsgütern neben der Aufgabenverlagerung. Neu ist, dass die Verlagerung eines unselbständigen Unternehmensbereiches wie die Übertragung eines Betriebes oder Teilbetriebes besteuert werden soll. Der angemessene Fremdvergleichspreis soll sich nicht nur an dem gemeinen Wert der übertragenen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, sondern zusätzlich an den mit dem unselbständigen Unternehmensteil verbundenen Chancen, sonstigen Vorteilen und Risiken (Transferpaket) orientieren. Als Verrechnungspreis soll der Wert angesetzt werden, der im Fremdvergleich für das Transferpaket insgesamt üblicherweise gezahlt wird. Der Gesetzgeber geht offenbar davon aus, dass auf der Basis eines Fremdvergleichs jegliche Funktionsverlagerung eine Entgeltpflicht auslöst.
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D. Aktuelle Rechtsentwicklung in Deutschland
Die damit verbundene uferlose Ausdehnung der Verrechnungspreisproblematik wird dann deutlich, wenn man bedenkt, dass der Gesetzgeber von den jeweils an der Funktionsverlagerung beteiligten Staaten erwartet, dass sie ihre Besteuerungsansprüche entsprechend zurücknehmen. Damit ist jedoch nicht zu rechnen, weshalb die über das eigentliche Ziel deutlich hinausschießende gesetzliche Neuregelung einerseits mit den einschlägigen DBA kollidiert und andererseits zusätzliche Verständigungsverfahren auslösen wird. Gewinnpotenzial. Nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG soll bei Anwendung eines hypothetischen Fremdvergleichs der Einigungsbereich im Fall von Funktionsverlagerungen durch die jeweiligen Gewinnerwartungen des Leistenden einerseits und des Leistungsempfängers andererseits bestimmt werden. Der Gesetzgeber möchte eine Art von ertragsbezogener Gesamtbewertung einführen, wie sie auch bei Unternehmens- bzw. Teilbetriebsveräußerungen üblich ist. Die Problematik dieser Vorgehensweise wird deutlich, wenn man Vergleichsfälle betrachtet, in denen ebenfalls Einkünftepotenziale ins Ausland verlagert werden, ohne dass die Einschränkung inländischer Besteuerungsrechte Berücksichtigung finden kann. Dies gilt zum einen dann, wenn beispielsweise ein bisher unbeschränkt steuerpflichtiger Fußballspieler künftig für einen ausländischen Verein im Ausland spielt. In diesem Fall wird ein sowohl sportlich als auch wirtschaftlich im Inland aufgebautes Einkünftepotenzial ins Ausland verlagert, ohne dass das innerstaatliche deutsche Steuerrecht oder das Abkommensrecht eine Besteuerung des Verlagerungsvorganges erlauben würde. Entsprechendes gilt, wenn ein unbeschränkt steuerpflichtiger Künstler eine Konzertreise im Ausland durchführt oder wenn ein unbeschränkt steuerpflichtiger und selbständig tätiger Berufssportler zu einem sportlichen Wettbewerb im Ausland antritt. In diesen Fällen wird Gewinnpotenzial ins Ausland verlagert. Dennoch gestehen sowohl § 34c EStG als auch die DBA dem Ausland das Recht zu, die ausländischen Tätigkeitseinkünfte uneingeschränkt zu besteuern. Die ausländischen Steuern müssen in der Regel im Inland angerechnet werden, was zu einem Ausschluss des Besteuerungsrechts des Wohnsitzstaates führen kann, wenn die im Quellenstaat erhobene Steuer die höhere ist. Die Frage geht dahin, worin die Rechtfertigung für die unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung liegen soll. Auch im Fremdvergleich wird ein Entgelt nur für eine hinreichend konkretisierte Marktchance i.S. eines immateriellen Wirtschaftsgutes bezahlt. Ist die Geschäftschance nicht hinreichend konkretisiert, wird für die bloße Möglichkeit, ein Geschäft zu machen und dabei Gewinn zu erzielen, kein Entgelt bezahlt. Die Tatsache, dass das übernehmende Unternehmen in der Zeit nach der Übernahme einen Gewinn erzielt, schließt es nicht aus, dass keine hinreichend konkretisierte Marktchance i.S. eines immateriellen Wirtschaftsgutes übergegangen ist. Die Finanzverwaltung will nicht mehr den Nachweis des Übergangs einer hinreichend konkretisierten Marktchance Wassermeyer
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1.34
Kapitel 1 Einführung
i.S. eines immateriellen Wirtschaftsgutes führen müssen. Dies berührt auch die Dispositionsfreiheit des Unternehmers. Wem 1 Mio. Euro zur freien Disposition zur Verfügung stehen, der kann frei entscheiden, ob er das Geld auf einem Festgeldkonto oder in Aktien anlegen möchte. Legt der Betreffende das Geld auf einem Festgeldkonto an, so ist die Anlage relativ sicher, jedoch der Ertrag relativ gering. Legt der Betreffende das Geld dagegen in Aktien an, so mag die Gewinnchance sehr viel höher sein; gleichzeitig steigt aber auch das Risiko, dass die Anlage eine Wertminderung erfährt. Will der Betroffene seine Geldanlage aus einem Unternehmen abziehen, dann wird er zum Kündigungszeitpunkt hieraus noch einen möglichst hohen Ertrag realisieren wollen. Dies kann aber nicht bedeuten, dass er Anspruch auf die abgezinsten künftigen Gewinne des Unternehmens hätte. Diese Gewinne beansprucht derjenige, der die Anlage von dem veräußernden Anleger übernimmt. Es kann also nur darum gehen, den zum Übertragungszeitpunkt tatsächlich vorhandenen Wert zu ermitteln. Dieser Wert mag durch die in der Vergangenheit erzielten und mutmaßlich in der Zukunft erzielbaren Gewinne beeinflusst werden. Dennoch wird der Erwerber sich nicht damit begnügen, nur eine Verzinsung des von ihm eingesetzten Kapitals zu erhalten. Dann könnte er sein Geld (sicherer) auf einem Festgeldkonto anlegen.
1.35
OECD Approach (AOA). Am 22.7.2010 verabschiedete die OECD zeitgleich eine Änderung des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA, des OECD-MK zu Art. 7 und den OECD-Betriebsstättenbericht 2010, der im Entwurf bereits 2008 bekannt und seitdem diskutiert wurde.1 Auch in der neuen deutschen Verhandlungsgrundlage für DBA ist der AOA in Art. 7 enthalten.2 Inhaltlich baut der AOA auf der Fiktion der uneingeschränkten Selbständigkeit und Unabhängigkeit von mehreren Betriebsstätten ein und desselben Unternehmens im Rahmen der Gewinnabgrenzung auf. Zunächst sollen auf der Basis einer detaillierten Funktionsanalyse und der angesprochenen Selbständigkeitsfiktion Wirtschaftsgüter und Leistungen den verschiedenen Betriebsstätten zugeordnet werden. Anschließend müssen die erbrachten Innentransaktionen auf der Grundlage des Fremdvergleichs bewertet werden. Daraus ergeben sich letztlich Gewinnkorrekturen, die den Gewinn der einen Betriebsstätte erhöhen und den der anderen Betriebsstätte mindern. Das streng genommen gar nicht lösbare Problem besteht darin, dass rechtlich selbständige Unternehmen die Entscheidungsfreiheit darüber besitzen, ob sie ein Wirtschaftsgut auf das andere Unternehmen zu Eigentum übertragen oder nur zur Nutzung überlassen. Diese Entscheidungsfreiheit besteht bei der neuen Betriebsstättengewinnabgrenzung indes nicht. Mehrere Betriebsstätten desselben Unterneh1 Vgl. Kahle/Mödinger, IStR 2010, 757 ff.; Kußmaul/Ruiner/Delarber, Ubg 2011, 837 ff. 2 Vgl. Ditz/Bärsch/Quilitzsch, ISR 2013, 156 ff.; Rotter/Wälz, IWB 2013, 628 ff.
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D. Aktuelle Rechtsentwicklung in Deutschland
mens können eine solche Vereinbarung jedenfalls nicht zivilrechtlich wirksam treffen, da sie rechtlich unselbständig sind. Selbst wenn man eine dennoch getroffene „Vereinbarung“ steuerrechtlich anerkennt, bleibt immer noch das Problem, wie verfahren werden soll, wenn es an jedweder Vereinbarung fehlt bzw. wenn die Vereinbarung erst nachträglich abgeschlossen wurde. Letztlich baut die Regelung in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA auf einer Sachverhaltsunterstellung auf. Dies ist jedoch verfassungsrechtlich bedenklich. Abgrenzung zwischen Verrechnungspreisen für Lieferungen und Leistungen zwischen rechtlich selbständigen Unternehmen und die Betriebsstättengewinnermittlung. Verrechnungspreise werden vereinbart. Sie sind Bestandteile von Verträgen, die zwei untereinander selbständige Rechtsträger miteinander abschließen. Stehen sich die Rechtsträger jedoch einander nahe, dann sind sie nicht voneinander unabhängig. Dennoch besitzen sie die Fähigkeit, Verträge miteinander abschließen zu können. Diese Fähigkeit haben unselbständige Teile eines Unternehmens (Stammhaus, Betriebsstätte) nicht, obwohl auch in derartigen Fällen ein Interesse daran bestehen kann, den inländischen Stammhausgewinn in einen ausländischen Betriebsstättengewinn zu „verlagern“. Dieser Unterschied rechtfertigt es, strikt zwischen der Gewinnermittlung verbundener, aber rechtlich selbständiger Unternehmen einerseits und der Betriebsstättengewinnermittlung andererseits zu differenzieren. In diesem Werk wird vorrangig die Gewinnermittlung verbundener, aber rechtlich selbständiger Unternehmen mit speziellem Blick auf die Verrechnungspreisproblematik abgehandelt. Dabei wird zwischen rein inländischen und grenzüberschreitenden Lieferungs- und Leistungsbeziehungen unterschieden. Die grenzüberschreitenden Lieferungs- und Leistungsbeziehungen können sich vom Inland ins Ausland oder vom Ausland ins Inland vollziehen. In Grenzfällen können auch Lieferungs- und Leistungsbeziehungen im Ausland oder grenzüberschreitend zwischen zwei ausländischen Staaten von Interesse sein, wenn sie sich auf die Besteuerung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen im Inland auswirken.
1.36
Einfügung des AOA in § 1 AStG. Der deutsche Steuergesetzgeber hat als Bestandteil des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes1 Anpassungen und Ergänzungen des § 1 AStG zur Umsetzung des AOA in nationales Recht übernommen. Damit wurde nun der AOA zur fremdvergleichskonformen, grenzüberschreitenden Einkunftsabgrenzung von Betriebsstätten in innerdeutsches Recht umgesetzt, und zwar in § 1 Abs. 5 AStG.2 Am 12.8.2013 veröffentlichte das BMF hierzu den Entwurf einer Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV. Die Verordnung soll die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes für Betriebsstätten konkretisieren. Laut Begründung der Verordnung soll sie rückwirkend zum 1.1.
1.37
1 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 2 Vgl. hierzu Wassermeyer, IStR 2012, 277 ff.; Schnitger, IStR 2012, 633 ff.; Kußmaul/Ruiner, BB 2012, 2025; Wilke, IWB 2012, 271.
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Kapitel 1 Einführung
2013 in Kraft treten. Zudem wird hierin angeführt, dass der neue Abs. 5 in § 1 AStG den Zweck hat, „die Besteuerung grenzüberschreitender Vorgänge im Hinblick auf die Einkünfteabgrenzung bzw. Einkünfteaufteilung klar und für alle Investitionsalternativen (Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften, Betriebsstätten) einheitlich zu regeln“. Damit folge Deutschland den internationalen Bemühungen, die bisher weitgehend uneinheitliche Praxis der internationalen Betriebsstättenbesteuerung auf der Grundlage eines international anerkannten Standards (Fremdvergleichsgrundsatz) zu vereinheitlichen. § 1 Abs. 6 AStG enthält die Ermächtigung des BMF, eine Rechtsverordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu erlassen, die sich über die bisherige Ermächtigung in § 1 Abs. 3 Satz 13 AStG hinaus auch auf die Einkünfteaufteilung bzw. Einkünfteermittlung in grenzüberschreitenden Betriebsstättenfällen erstreckt. § 1 Abs. 3 Satz 13 AStG wurde deshalb aufgehoben.1
1 Vgl. hierzu IDW-Stellungnahme zum Entwurf einer Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, Wpg 2014, 4 f.; Nientimp/Ludwig, IWB 2013, 638 ff.; Geberth/Crueger/Schwinger, DB 2013, M 8/9; Andresen, BB 2013, 291 ff.; Strothenke/Holtrichter, StuB 2013, 730 ff.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht Literatur Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen, 2. Aufl., Herne/Berlin 2000; Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung im Steuerrecht, Berlin 2004; Bauer, Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei der Verrechnungspreisplanung und -dokumentation, DB 2008, 152; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln 1986; Baumhoff, Neue Kriterien zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise im internationalen Konzern, DStR 1987, 497; Baumhoff, Steuerliche Aspekte der Verrechnungspreispolitik gegenüber ausländischen Vertriebsunternehmen, IStR 1993, 520; Baumhoff, Die Behandlung der Kostenaufschlagsmethode im neuen OECD-Bericht zu den Verrechnungspreisen, IStR 1996, 53; Baumhoff, Plädoyer für einen einheitlichen Fremdvergleichsmaßstab im deutschen Außensteuerrecht zur Beurteilung internationaler Verrechnungspreise, in: Klein/Stihl (Hrsg.), Unternehmen Steuern, Festschrift für Hans Flick, Köln 1997, 640; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik gegenüber ausländischen Lohnfertigern, in: Kleineidam (Hrsg.), Unternehmenspolitik und internationale Besteuerung, Festschrift für Lutz Fischer, Berlin 1999, 487; Baumhoff, Die Verrechnung von Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen mit Hilfe von Konzernumlagen, IStR 2000, 696; Baumhoff, Eigenproduzent versus Lohnfertiger – Qualifikation ausländischer Produktionsstätten für Zwecke der steuerlichen Verrechnungspreisplanung, in: Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Köln 2000, 53; Baumhoff, Beweislastverteilung, Mitwirkungspflicht und Schätzung im Zusammenhang mit internationalen Verrechnungspreisen, IStR 2001, 751; Baumhoff, Aktuelle Entwicklungen bei den internationalen Verrechnungspreisen, IStR 2003, 4; Baumhoff, Die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise bei der Existenz von Preisbandbreiten, in: Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer, München 2005, 347; Baumhoff, Die steuerliche Bewertung von Transferpaketen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, in: Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, 541; Baumhoff, Der Einfluss der Finanzmarktkrise auf die Festlegung und Prüfung von internationalen Verrechnungspreisen, in: Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Festschrift für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 21; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik bei Verlustgesellschaften, in: Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 133; Baumhoff/Bodenmüller, Die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, in: Grotherr (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 541; Baumhoff/Ditz/Greinert, Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung, DStR 2004, 157; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 1549; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, DStR 2007, 1649; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.2008, IStR 2008, 1945; Baumhoff/Ditz/Greinert, Klärung des Begriffs „Geschäftsbeziehung“ i.S. des § 1 AStG durch das BMF-Schreiben vom 12.1.2010,
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht DStR 2010, 476; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach den Änderungen des § 1 Abs. 3 AStG durch das EU-Umsetzungsgesetz, DStR 2010, 1309; Baumhoff/Ditz/Greinert, Verrechnungspreis-Dokumentationspflichten in Deutschland, Österreich und in ausgewählten osteuropäischen Staaten, IStR 2010, Beihefter Heft 20; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerung nach den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, Ubg 2011, 161; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreis-Ermittlung gegenüber Lohnfertigern – Anmerkungen zum Urteil des FG Münster vom 16.3.2006, IStR 2006, 789; Baumhoff/ Greinert, Steuerliche Anerkennung internationaler Verrechnungspreise bei Nichteinhaltung formaler Anforderungen – Anmerkungen zum Urteil des FG Köln vom 22.8.2007, IStR 2008, 353; Baumhoff/Greinert, Angemessene Lizenzsätze bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, Ubg 2009, 544; Baumhoff/Puls, Der OECD-Diskussionsentwurf zu Verrechnungspreisaspekten von „Business Restructurings“ – Analyse und erster Vergleich mit den deutschen Funktionsverlagerungsregeln nach § 1 Abs. 3 AStG, IStR 2009, 73; Baumhoff/Sieker, Ausgewählte Verrechnungspreisprobleme im Lichte des neuen OECD-Berichts, IStR 1995, 521; Becker, Der ordentliche Geschäftsleiter im deutschen und ausländischen Steuerrecht, in Knobbe/Keuk (Hrsg.), Handelsrecht und Steuerrecht. Festschrift für Georg Döllerer, Düsseldorf 1988, 17; Bernhardt/van der Ham/Kluge, Die Expansion deutscher Unternehmen ins Ausland: Steuerliche Implikationen der Gründung von Vertriebsgesellschaften – Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen im Fall von „Vertriebsabspaltungen“, IStR 2008, 1; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, Düsseldorf 2004; Bogenschütz, Gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit der unterschiedlichen Behandlung von verbundenen Unternehmen nach DBA bei der Vereinbarung von Verrechnungspreisen, DB 2006, 759; Bohr, Die Transferpaket(be)rechnung – die Quadratur des Kreises, IWB 2008, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2285; Borstell, ABC der Verrechnungspreise, in: Vögele/Borstell/Engler (Hrsg.), Verrechnungspreise, 3. Aufl., München 2011, 1; Borstell, Verrechnungspreispolitik bei konzerninternen Lieferungsbeziehungen, in: Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 519; Borstell/Schäperclaus, Was ist eigentlich eine Funktion?, IStR 2008, 275; Brändel, Verrechnungspreise bei grenzüberschreitender Lizenzierung von Marken im Konzern, Berlin 2010; Brandenberg, Aktuelle Entwicklungen im internationalen Steuerrecht, BB 2008, 864; Brüninghaus/Bodenmüller, Tatbestandsvoraussetzungen der Funktionsverlagerung, DStR 2009, 1285; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Crüger/Wintzer, Funktionsverlagerungen ins Ausland. Aktuelle Neuerungen durch die Unternehmenssteuerreform 2008 und Gestaltungshinweise, GmbHR 2008, 306; Dempfle, Charakterisierung, Analyse und Beeinflussung der Konzernsteuerquote, Wiesbaden 2006; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten: Ableitung einer Rechtsformneutralen Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes im internationalen Steuerrecht, Berlin 2004; Ditz, Fremdvergleichskonforme Ermittlung eines Umlageschlüssels bei Konzernumlagen, DB 2004, 1952; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten und nationale Gewinnermittlungsvorschriften im Lichte aktueller Entwicklungen bei der OECD, IStR 2005, 43; Ditz, Übertragung von Geschäftschancen bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DStR 2006, 1625; Ditz, Praxisfall einer Verrechnungspreisprüfung und Funktionsverlagerung, IStR 2009, 421; Ditz, Praxisfall einer Funktionsverlagerung unter besonderer Berücksichtigung der VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, IStR 2011, 125; Ditz, § 1 AStG bei Teilwertabschreibungen auf Darlehen an ausländische Tochtergesellschaften?, in: Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 65; Ditz/Just, Besteuerung einer Produktionsverlagerung nach der Funktionsverlagerungsverordnung – Praxisfall, DB 2009, 141; Ditz/Schneider, Internationale Rechtsprechung zu Verrech-
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht nungspreisen, DB 2011, 779; Ditz/Tcherveniachki, Abzugsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen – Eine Analyse des BFH-Urteils vom 14.1.2009 unter besonderer Berücksichtigung des § 1 AStG, IStR 2009, 709; Eigelshoven/Nientimp, Funktionsverlagerungen und kein Ende – Die Änderungen bei der Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach dem EU-Umsetzungsgesetz, Ubg 2010, 233; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, Herne/Berlin 2003; Endres, Reiches Ausland – Armes Inland: Steuerliche Effekte bei einer Funktionsverlagerung ins Ausland, RIW 2003, 729; Fischer/Kleineidam/ Warnecke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 5. Aufl., Berlin 2005; Fischer/Looks/im Schlaa, Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise – Aktuelle Erfahrungen mit der Betriebsprüfung und zukünftige Entwicklungen, BB 2010, 157; Förster, Die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 3 AStG – Vergleich mit den aktualisierten Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, IStR 2011, 20; Freudenberg/Ludwig, Chancen für Gestaltungen aufgrund der geänderten Vorschriften zur Funktionsverlagerung, BB 2010, 1268; Freudenberg/Peters, Steuerliche Allokation von Restrukturierungsaufwendungen im Kontext von Funktionsverlagerungen, BB 2008, 1424; Frischmuth, UntStRefG 2008 und Verrechnungspreise nach § 1 AStG n.F., IStR 2007, 485; Frischmuth, Funktionsverdoppelungen im Visier des deutschen Fiskus – Quo vadis?, IWB 2007, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2253; Frischmuth, Die Konzeption der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach dem UntStRefG 2008, StuB 2007, 386; Frischmuth, Schuldrechtliche und bilanzielle Aspekte sowie Preisanpassungen bei Funktionsverlagerungen nach dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008, StuB 2007, 459; Frischmuth, Wann genau liegt eine Funktionsverlagerung nach der FVerlV vor?, StuB 2008, 864; Frischmuth, Austausch von Funktionen im Konzern und Bewertung von Transferpaketen, in: Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 73; Frotscher, Verfassungsrechtliche Fragen zu den Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen und den Rechtsfolgen ihrer Verletzung, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer, München 2005; Frotscher, Grundfragen der Funktionsverlagerung, FR 2008, 49; Fuhrmann, Die Funktionsverlagerungsverordnung, KÖSDI 2008, 16188; Glahe, Vereinbarkait von § 1 AStG mit europäischen Grundfreiheiten, IStR 2010, 870; Gosch, Über Streu- und Schachtelbesitz, in: Kessler (Hrsg.), Unternehmensbesteuerung, Festschrift für Norbert Herzig, München 2010, 63; Greinert, Besonderheiten bei der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise im Fall der Übertragung und Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter, RIW 2006, 449; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, in: Schaumburg/Rödder (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008, Köln 2007, 541; Greinert, Maßgebende Überschussgröße zur Bewertung eines Transferpakets bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, DB 2009, 755; Greinert, Steuerliche Besonderheiten bei der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter im Rahmen von grenzüberschreitenden Transaktionen im Konzern, Ubg 2010, 101; Greinert/Reichl, Einfluss von Besteuerungseffekten auf die Verrechnungspreisermittlung bei Funktionsverlagerungen, DB 2011, 1182; Greinert/Thiele, Steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen vor 2008, DStR 2011, 1197; Gundel, Verrechnungspreise bei grenzüberschreitenden Lieferbeziehungen mit konzerngebundenen Vertriebsgesellschaften, in Klein/Stihl (Hrsg.), Unternehmen Steuern, Festschrift für Hans Flick, Köln 1997, 781; Haas, Funktionsverlagerungen nach dem Erlass der Funktionsverlagerungsverordnung, Ubg 2008, 517; Haas, Funktionsverlagerung: Verhältnis zu DBAs, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung: Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, 715; Hornig, Die Funktionsverlagerung ab 2008 aus internationaler Sicht, PIStB 2008, 45; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl., München 2011; Jahndorf, Besteuerung der Funktionsverlagerungen, FR 2008, 101; Jenzen, Internationale Funktionsverlagerungen. Die Besteue-
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht rung von Gewinnpotentialen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen im Konzern, NWB 2007, Fach 2, 9419; Kahle, Die Ertragbesteuerungen von Funktionsverlagerungen nach der Unternehmensteuerreform 2008, Der Konzern 2007, 647; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied/Kriftel 2001; Kaminski, Änderungen im Bereich der internationalen Einkunftsabgrenzung durch die Unternehmensteuerreform 2008, RIW 2007, 594; Kaminski, Funktionsverlagerungen in das Inland, in: Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 23; Kaminski, Umlagen bei konzerninternen Dienstleistungen, in: Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 693; Kaminski/ Strunk, Funktionsverlagerungen in und von ausländischen Betriebsstätten und Personengesellschaften: Überlegungen zur (Nicht-)Anwendbarkeit der Grundsätze zum sog. Transferpaket, DB 2008, 2501; Kaminski/Strunk, Stellungnahme zum Entwurf der „Verwaltungsgrundsätze – Funktionsverlagerungen“ des BMF vom 17.7.2009, RIW 2009, 711; Kasperzak/Nestler, Zur Berücksichtigung des TAX Amortisation Benefit bei der Fair Value-Ermittlung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS 3, DB 2007, 473; Klapdor, Grundsätze der Verrechnungspreisermittlung nach dem UStRefG, StuW 2008, 83; Kleineidam, Verrechnungspreise für immaterielle Wirtschaftsgüter, in: Schaumburg/Baumhoff (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Köln 1994, 103; Knoll, Der Risikozuschlag in der Unternehmensbewertung: Was erscheint plausibel?, DStR 2007, 1053; Kroppen/Nientimp, Absonderlichkeiten bei der Funktionsverlagerung, IWB 2008, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2355; Kroppen/Rasch, Die Funktionsverlagerungsverordnung, IWB 2008, Fach 3 Deutschland, Gruppe 1, 2339; Kroppen/Rasch, Funktionsverlagerung – der nächste Akt, IWB 2010, 316; Kroppen/Rasch, Anmerkungen zu den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, IWB 2010, 824; Kroppen/Rasch/Eigelshoven, Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 und der zu erwartenden Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, IWB 2007, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2201; Kuebart, Verrechnungspreise im internationalen Lizenzgeschäft, Bielefeld 1995; Kumpf, Steuerliche Verrechnungspreise in internationalen Konzernen, Frankfurt a.M., 1976; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Kurzewitz, Aufgabe des strikten Anwendungsvorrangs der Standardmethoden zur Verrechnungspreisbestimmung?, IWB 2010, 95; Kurzewitz, Die Bestimmung von Verrechnungspreisbandbreiten als Problem der internationalen Doppelbesteuerung, in: Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 635; Lahodny-Karner, Konzernverrechnungspreise im nationalen und internationalen Steuerrecht unter besonderer Berücksichtigung der Kostenaufschlagsmethode, Wien 1988; Liebchen, Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften: Steuerliche Gewinnermittlung und Einkunftsabgrenzung, Berlin 2008; Looks/Freudenberg, Zukünftige Konfliktfelder zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen als Ergebnis des Entwurfs der Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, BB 2009, 2514; Looks/Scholz, Funktionsverlagerungen nach der Neufassung des § 1 Abs. 3 AStG, BB 2007, 2541; Looks/Steinert/Müller, Der Fremdvergleichsgrundsatz – Zur Frage der Maßgeblichkeit des § 1 Abs. 3 AStG für andere Berichtigungsvorschriften, BB 2009, 2348; Luckhaupt, Bestimmung von Verrechnungspreisen gemäß den OECD-TPG 2010 und § 1 Abs. 3 AStG, Ubg 2010, 646; Menninger/Wellens, Valuation Standards and the German Restructuring Regulation, TMTR v. 30.6.2011; Morgenthaler, Die „isolierende Betrachtungsweise“ im internationalen Einkommensteuerrecht, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Festschrift für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 275; Naumann, Im Gespräch: Besteuerung von Funktionsverlagerungen, Status: Recht 2007, 203; Naumann, Funktionsverlagerungsverordnung, in: Lüdicke (Hrsg.), Besteuerung von Unternehmen im Wandel,
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht Köln 2007, 167; Nestler, Ermittlung von Lizenzentgelten, BB 2008, 2002; Neumann, vGA und verdeckte Einlagen, 2. Aufl., Köln 2006; Nientimp, Steuerliche Gewinnabgrenzung im internationalen Konzern, Lohmar 2003; Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, München 2000; Oestreicher, Die (reformbedürftigen) Regelungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in Fällen der Funktionsverlagerung, Ubg 2009, 80; Oestreicher/Hundeshagen, Bewertung von Transferpaketen bei Funktionsverlagerungen, DB 2008, 1637 (Teil I) und 1693 (Teil II); Oestreicher/ Hundeshagen, Weder Wirtschaftsgut noch Unternehmen – die Bewertung von Transferpaketen anlässlich der grenzüberschreitenden Verlagerung von Unternehmensfunktionen, IStR 2009, 146; Oestreicher/Wilke, Die Einzelbewertung des Firmenwerts – Verrechnungspreise in Fällen einer Funktionsverlagerung nach dem Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften, Ubg 2010, 225; Pohl, Ergänzung der Funktionsverlagerungsregelung durch das Gesetz zur Umsetzung steuerrechtlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften, IStR 2010, 357; Puls, Funktionsverlagerungsbesteuerung: Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche als „Transferpaket“-Ersatz nach § 8 FVerlV, IStR 2010, 89; Raupach/Pohl/Ditz (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, Herne/Berlin 2010; Rasch/Schmidtke, Routinefunktionen, Gewinnverlagerungen und das Versagen des hypothetischen Fremdvergleichs, IStR 2009, 92; Roeder, Ökonomische Aspekte des hypothetischen Fremdvergleichs, Ubg 2008, 202; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Köln 2011; Schaumburg, Normative Defizite und internationale Verrechnungspreise, Der Konzern 2006, 495; Schaumburg, Anpassungsklausel, IStR 2009, 877; Scheipers/Linn, Einkünfteberichtigung nach § 1 Abs. 1 AStG bei Nutzungsüberlassungen im Konzern – Auswirkungen des EuGH-Urteils SGI, IStR 2010, 469; Schönfeld, Neues zum DBA-Schachtelprivileg oder: was bleibt von § 8 Nr. 5 GewStG und § 8b Abs. 5 KStG bei grenzüberschreitenden Dividenden?, IStR 2010, 658; Schönfeld, Aktuelle Entwicklungen im Verhältnis von § 1 AStG und EURecht anhand von Fallbeispielen, IStR 2011, 219; Schneider, Wider Marktpreise als Verrechnungspreise in der Besteuerung internationaler Konzerne, DB 2003, 53; Schreiber, Funktionsverlagerungen im Konzern – Neue Rechtsgrundlagen durch die Unternehmensteuerreform 2008, Ubg 2008, 433; Schwenke, Funktionsverlagerung: neue Gesetzeslage, in: Lüdicke (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, Köln 2008, 115; Schwenke, Funktionsverlagerung über die Grenze – Verrechnungspreise und Funktionsausgliederung, in: Piltz/Günkel, Steuerberater-Jahrbuch 2007/2008, Köln 2008, 137; Stangl/Hageböke, Neues zur Anwendung des DBA-Schachtelprivilegs – Anmerkungen zum BFH-Urteil vom 23.6. 2010 – I R 71/09, in Ubg 2010, 651; Staudacher/Groß, OECD veröffentlicht überarbeitete Verrechnungspreisgrundsätze 2010, SIW 2010, 461; Strahl, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerung nach der Unternehmensteuerreform 2008, KÖSDI 2008, 15861; Vögele/Raab, Steuerliche Systematik der Prüfung und Dokumentation – Methoden, in: Vögele/Borstell/Engler (Hrsg.), Verrechnungspreise, 3. Aufl., München 2011, 235; Vögele, Bewertung von Transferpaketen bei der Funktionsverlagerung, DStR 2010, 418; Wassermeyer, Sind Verrechnugnspreise justitiabel?, in: Schaumburg (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Köln 1994, 123; Wassermeyer, Streitfragen bei der Bilanzierung verdeckter Gewinnausschüttungen, in: Schön (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Brigitte Knobbe-Keuk, Köln 1997, 541; Wassermeyer, Veranlassung und Fremdvergleich, in: Kirchhof/Jakob/Beermann (Hrsg.), Steuerrechtsprechung, Steuergesetz, Steuerreform, Festschrift für Klaus Offerhaus, Köln 1999, 405; Wassermeyer, Das System der zweistufigen Gewinnermittlung in der Rechtsprechung des BFH, in: Kirchhof (Hrsg.), Steuer- und Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl, Festschrift für Arndt Raupach, Köln 2006, 565; Wassermeyer, Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, 535; Wassermeyer, Funktionsverlagerung – Statement, FR 2008, 67; Wassermeyer, Der An-
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht satz verdeckter Gewinnausschüttungen innerhalb und außerhalb der Steuerbilanz, DB 2010, 1959; Wassermeyer, Der abkommensrechtliche Einkünftebegriff, IStR 2010, 324; Weber-Grellet, Entwicklungen im Bereich der verdeckten Gewinnausschüttung, DStZ 1998, 357; Wellens, Fremdvergleichsgrundsatz nach OECD und nach deutschem Recht – Gleichzeitig Vorstellung des Diskussionsentwurfs der OECD hinsichtlich der Überarbeitung der Kapitel I und III der OECD-Verrechnungspreisrichtlinie, IStR 2010, 153; Werra, Verrechnungspreise bei der Restrukturierung internationaler Unternehmensgruppen, IStR 2009, 81; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen 2009: Die steuerliche Behandlung von Verrechnungspreisen, insbesondere bei Funktionsverlagerungen, nach der Unternehmensteuerreform 2008, Baden-Baden 2009; Zech, Funktionsverlagerung auf einen Eigenproduzenten und auf ein Routineunternehmen, IStR 2011, 131.
A. Allgemeines 2.1
Deutsches Steuerrecht. Die Problematik einer sachgerechten Einkünfteabgrenzung durch Festlegung angemessener Verrechnungspreise ist primär auf der Grundlage des deutschen Steuerrechts zu beurteilen. Dies folgt aus der Überlegung, dass hier nur die Steuerfolgen analysiert werden können und sollen, die sich auf der Grundlage des deutschen Steuerrechts in Deutschland ergeben. Das deutsche Steuerrecht regelt jedoch Fragen der Gewinnermittlung fast nur im eigenen innerstaatlichen Steuerrecht, wozu vor allem die §§ 4–7k EStG, §§ 8, 11 und 12 KStG sowie § 1 AStG gehören. Die von Deutschland abgeschlossenen DBA regeln die Gewinnermittlung als solche grundsätzlich nicht. Sie enthalten regelmäßig den Art. 7 Abs. 1, 9 Abs. 1, 10 Abs. 6 und 12 Abs. 4 OECD-MA nachgebildete Vorschriften, die unter bestimmten Voraussetzungen die nach innerstaatlichem Steuerrecht bestehenden Gewinnkorrekturmöglichkeiten umfangmäßig beschränken. Sie sollen nur insoweit durchgeführt werden können, als sie dem Fremdvergleich entsprechen.1 Allerdings können sich Korrekturmöglichkeiten auch aus dem Völkerrecht und insbesondere aus dem EU-Recht ergeben. Darauf wird gesondert einzugehen sein (vgl. Kap.10 und 13). Die Frage der Einkünfteabgrenzung stellt sich immer, wenn im Inland steuerbare Einkünfte erzielt werden. Die Frage ist deshalb losgelöst von allen Formen der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht zu beurteilen (vgl. Rz. 2.78 und Rz. 2.81). Auch gelten bei einer Einkommenoder Körperschaftsteuerpflicht die gleichen Grundsätze. Um die im innerstaatlichen deutschen Steuerrecht geltenden Gewinnkorrekturgrundsätze zu vereinheitlichen, hat die deutsche Finanzverwaltung sog. Verwaltungsgrundsätze herausgegeben, die laufend fortgeschrieben werden. Im Einzelnen handelt es sich – um die Grundsätze für die Prüfung der Einkünfteabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen,2 1 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 4, 76, 77. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218.
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A. Allgemeines
– um die Grundsätze für die Prüfung der Aufteilung der Einkünfte bei Betriebsstätten international tätiger Unternehmen,1 – um die Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen,2 – um die Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen in Fällen der Arbeitnehmerentsendung,3 und – um die Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren)4 und die Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung5. Ergänzend kann auf das Anwendungsschreiben zum AStG,6 auf die Verwaltungsgrundsätze Dotationskapital,7 auf das BMF-Schreiben zu § 1 Abs. 1 und 4 AStG,8 auf das Merkblatt zur Amtshilfe,9 auf das Merkblatt zum Verständigungs- und Schiedsverfahren,10 auf das Merkblatt APA,11 auf die Grundsätze bei der Anwendung der DBA auf Personengesellschaften12 und auf den Umwandlungssteuererlass13 hingewiesen werden. Allgemeine Gewinnkorrekturgrundsätze. Das Steuerrecht knüpft in den Grenzen einer nicht missbräuchlichen Vertragsgestaltung (§ 42 AO, vgl. Rz. 1.28 und 2.30) an das zivilrechtlich Vereinbarte an, soweit es nur tatsächlich durchgeführt wird (vgl. Rz. 1.26). Dabei anerkennt das Steuerrecht den Grundsatz der unternehmerischen Dispositionsfreiheit (vgl. Rz. 1.25). Entsprechend unterliegt es der Freiheit der beteiligten Unternehmen zu vereinbaren, welche Funktionen von welchem Unternehmen (Unternehmensteil) wahrgenommen werden. Es ist die freie Entscheidung der Unternehmen, ob Funktionen übertragen, konzentriert, ausgegliedert oder aufgeteilt werden, wo eine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird, ob Subunternehmer eingeschaltet werden und ob anlässlich einer
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 - 14/99, BStBl. I 1999, 1122. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01, BStBl. I 2001, 796. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1. BMF v. 29.9.2004 – IV B 4 - S 1300 - 296/04, BStBl. I 2004, 917. BMF v. 22.7.2005– IV B 4 - S 1341 - 4/05, BStBl. I 2005, 818. BMF v. 25.1.2006 – IV B 1 - S 1320 - 11/06, BStBl. I 2006, 26. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594. BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2010/0716905, BStBl. I 2010, 354 (neue Fassung für 2014 vorgesehen). BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314.
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2.2
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Funktionsverlagerung Wirtschaftsgüter übertragen, überführt oder nur zur Nutzung überlassen werden. Allerdings müssen die Unternehmen die unter dem Gesichtspunkt des Fremdvergleichs angemessenen Entgeltkonsequenzen aus der tatsächlich praktizierten Funktionsverteilung ziehen. Für jede Vermögensübertragung, jede Nutzungsüberlassung, jede Überführung eines Wirtschaftsgutes und jede Dienstleistung, die ein Unternehmen zugunsten eines anderen verbundenen Unternehmens (Unternehmensteils) erbringt, muss steuerrechtlich gesehen ein angemessenes Entgelt angesetzt werden. Insoweit haben die Finanzbehörden ein Prüfungsrecht. Sie können i.d.R. ein vereinbartes Entgelt nur für Besteuerungszwecke „korrigieren“, falls es unter dem Gesichtspunkt des Fremdvergleichs unangemessen ist. Dies gilt gleichermaßen für ein unangemessen hohes als auch für ein unangemessen niedriges Entgelt. Jede Entgeltkorrektur bedarf allerdings einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage.
2.3
Verlagerung von Tätigkeiten oder Wirtschaftsgütern. Gewinne können dadurch verlagert werden, dass bestimmte Leistungen zwischen nahestehenden Unternehmen unentgeltlich erbracht werden oder im Rahmen entsprechender konkreter Leistungsbeziehungen die Entgelte unangemessen hoch oder unangemessen niedrig vereinbart werden. Eine andere Form der Gewinnverlagerung ist die, dass Funktionen, die bisher von einem Unternehmen im Inland wahrgenommen wurden, auf ein nahestehendes anderes Unternehmen im Ausland mit der Folge übertragen werden, dass die Gewinne künftig dort anfallen. Allerdings löst die Verlagerung von Aufgaben, die nur aus Tätigkeiten bestehen, auf ein anderes verbundenes Unternehmen für sich genommen noch keine „Entgeltspflicht“ aus. Erst dann, wenn die anderweitige Wahrnehmung von Aufgaben auch zur Übertragung, Überführung oder Nutzungsüberlassung von (immateriellen) Wirtschaftsgütern führt, stellt sich für diese Vorgänge die Frage nach der Verrechnung eines angemessenen Entgelts. Insoweit ist danach zu differenzieren, ob Wirtschaftsgüter zu Eigentum übertragen werden, ob sie zur bloßen Nutzung überlassen werden, ob sie lediglich in einen anderen Unternehmensteil überführt werden oder ob Dienstleistungen für ein anderes verbundenes Unternehmen (Unternehmensteil) erbracht werden. Das steuerrechtlich anzusetzende angemessene Entgelt muss stets der Form der tatsächlichen Funktionsverlagerung entsprechen.
B. Zweistufige Gewinnermittlung 2.4
Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG. Das deutsche innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht baut auf einem Trennungsprinzip auf (vgl. Rz. 1.18), d.h. der Gewinn ist für jedes Unternehmen (Betrieb) getrennt zu ermitteln. Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben werden dem Unternehmen zugeordnet, durch dessen Tätigkeit die Einnahmen und/oder Aufwendungen veranlasst wurden. Lieferungs- und Leistungsbeziehun32
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B. Zweistufige Gewinnermittlung
gen werden zwischen verschiedenen Unternehmen steuerrechtlich anerkannt, soweit sie vertraglich existent sind und tatsächlich erbracht werden. Das Trennungsprinzip gilt auch im Abkommensrecht, weil sich die Gewinnermittlung fast ausschließlich nach dem innerstaatlichen Recht der beteiligten Staaten richtet. Im deutschen Steuerrecht ist § 4 Abs. 1 EStG die Grundnorm der Gewinnermittlung. Nach der Rechtsprechung des I. Senats des BFH1 ist § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, auf den § 8 Abs. 1 KStG verweist, im Sinne einer zweistufigen Gewinnermittlung zu interpretieren. Der Grundsatz der zweistufigen Gewinnermittlung findet in den einschlägigen Kommentierungen fast uneingeschränkte Zustimmung2. Lediglich Bareis3 geht davon aus, dass alle Korrekturen innerhalb der Steuerbilanz vorzunehmen seien. Richtigerweise gehören jedoch Korrekturen außerhalb der Steuerbilanz zum selbstverständlichen Alltag der steuerrechtlichen Gewinnermittlung.4 Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG „ist der Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen“. Unter dem Betriebsvermögen wird dabei das Eigenkapital verstanden.5 Auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung ist deshalb der sog. Unterschiedsbetrag auf bilanzieller Basis zu ermitteln. Er entspricht dem Steuerbilanzgewinn,6 wenn man auf der 1. Stufe den Gewinn durch Bilanzierung ermittelt und bei der Gewinnermittlung – wie es der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG gebietet – alle Einlagen und alle Entnahmen erfolgswirksam ansetzt. Soweit man auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung Einlagen und Entnahmen erfolgsneutral behandelt, ergeben sich betragsmäßige Unterschiede, die sich jedoch auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung wieder ausgleichen, weil die Hinzurechnungen und Kürzungen dort eine erfolgswirksame Behandlung auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung voraussetzen. Auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung erfährt der Unterschiedsbetrag Hinzurechnungen und Kürzungen, wie sie rechtssystematisch aus §§ 8 und 9 GewStG bekannt sind, auch wenn sich letztere auf einer anderen Ebene („nach“ der Gewinnebene) vollziehen. Die 2. Stufe der Gewinner1 Vgl. BFH v. 5.6.2002 – I R 69/01, BStBl. II 2003, 329 = BFHE 199, 315; v. 10.7.2002 – I R 37/01, BStBl. II 2003, 418 = BFHE 199, 536. = FR 2003, 185. 2 Vgl. Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 20; Wied in Blümich, § 4 EStG Rz. 38, 40; Heinicke in Schmidt32, § 4 EStG Rz. 42, 43; Frotscher in Frotscher, § 4 EStG Rz. 6; Frotscher in Frotscher/Maas, § 8 KStG Rz. 45, Anhang zu § 8 KStG Rz. 35a; Nöcker in Bordewin/Brandt, § 4 EStG Rz. 141, 142; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 21; Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG Teil C Rz. 9. 3 Vgl. Bareis in FS Krawitz, 2010, 3; Bareis, GmbHR 2009, 813; Bareis, DStR 2009, 600; Bareis, FR 2008, 537; Bareis, BB 2005, 354. 4 Vgl. Wassermeyer, DB 2010, 1959; Wassermeyer in FS Frotscher, 685. 5 Vgl. BFH v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632 = BFHE 192, 339 = FR 2000, 1126 m. Anm. Kempermann unter II.1. 6 Vgl. aber Reiß, StuW 2003, 21 (24); Der Unterschied wird vom BMF nicht beachtet, vgl. BMF v. 28.5.2002 – IV A 2 - S 2742 - 32/02, BStBl. I 2002, 659.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
mittlung vollzieht sich außerhalb von Handels- und Steuerbilanz. Sie ist auch bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG bzw. nach Durchschnittssätzen (§ 5a EStG) zu beachten. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG erwähnt insoweit nur die hinzuzurechnenden Entnahmen und die den Unterschiedsbetrag mindernden Einlagen. Die Gesetzesformulierung ist jedoch unvollständig. Hinzuzurechnen sind u.a. außerdem alle nicht abziehbaren Betriebsausgaben, vGA, Korrekturbeträge nach § 1 und/oder § 10 Abs. 2 AStG sowie das Einkommen einer Organgesellschaft. Der Unterschiedsbetrag ist andererseits vor allem um steuerfreie Einkünfte (Einnahmen) sowie um Forderungen auf Gewinnabführungen eines Organträgers zu mindern. Einlagen und Entnahmen lösen nur dann Korrekturen außerhalb der Steuerbilanz aus, wenn sie innerhalb der Steuerbilanz erfolgswirksam angesetzt wurden. Auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung fasst das Steuerrecht das Eigenkapital unter dem einheitlichen Betriebsvermögensbegriff zusammen. Für die steuerrechtliche Gewinnermittlung ist die Unterscheidung zwischen Nennkapital und verwendbarem Eigenkapital ohne Bedeutung. Deshalb vollzieht sich die Umwandlung von Nennkapital in verwendbares Eigenkapital und umgekehrt stets erfolgsneutral. Eine solche Umwandlung kann für sich genommen keine Korrektur außerhalb der Steuerbilanz auslösen.
2.5
Einzelheiten einer zweistufigen Gewinnermittlung. Auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung wird der Unterschiedsbetrag i.d.R. durch Bilanzierung ermittelt. Hier gilt der in § 5 Abs. 1 EStG verankerte Maßgeblichkeitsgrundsatz und vor allem das Veranlassungsprinzip. Ausnahmsweise kann der Unterschiedsbetrag auch nach § 4 Abs. 3 EStG oder nach Durchschnittssätzen (§ 5a EStG) zu ermitteln sein. Bei der Gewinnermittlung auf der 1. Stufe kann es auch auf die Wirtschaftsgutqualität von Vermögensvorteilen ankommen. Fragen der Gewinnrealisierung entscheiden sich auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung, Fragen der Verwirklichung von Ersatzrealisationsstatbeständen dagegen auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung. Die 2. Stufe der Gewinnermittlung wird häufig als Korrekturebene bezeichnet. Es wird zwar nicht der Unterschiedsbetrag als solcher korrigiert. Er erfährt jedoch Hinzurechnungen und Kürzungen, um als Endergebnis den Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (= § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) betragsmäßig zu berechnen. Auf der 2. Stufe wird kein Bilanzrecht mehr angewendet. Es ist deshalb auch verfehlt, auf der 2. Stufe mit dem Wirtschaftsgutbegriff zu argumentieren, was § 1 und § 10 Abs. 2 AStG deutlich belegen. Im Regelfall besteht ein Bedürfnis für eine Korrektur auf der 2. Stufe nur dann, wenn zuvor der Unterschiedsbetrag auf der 1. Stufe gemindert bzw. seine (an sich gebotene) Mehrung verhindert wurde. Dies ist insoweit von Bedeutung, als gewisse Vermögenszu- und -abgänge (Einlagen, Entnahmen) technisch gesehen schon auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung erfolgsneutral angesetzt werden können. Dann besteht für eine zusätzliche Korrektur auf der 2. Stufe kein Bedürfnis mehr.
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B. Zweistufige Gewinnermittlung
§ 1 AStG zählt allerdings insoweit nicht zum Regelfall, weil die Vorschrift eine verhinderte Vermögensmehrung regelt, die ihrerseits keine Minderung des Unterschiedsbetrages auf der 1. Stufe um einen betrieblich veranlassten Aufwand voraussetzt. Unscharf ist es, wenn sowohl der BFH als auch die KStR eine Einkommensminderung als Voraussetzung der vGA fordern. Es gibt auch steuerfreie vGA, die wegen ihrer Steuerfreiheit nicht das Einkommen mindern. Richtigerweise sollte deshalb nur von einer Minderung des Unterschiedsbetrages i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG gesprochen werden. Das Endergebnis der Hinzurechnungen und Kürzungen ist nicht der Steuerbilanzgewinn und auch kein Jahresüberschuss im steuerrechtlichen Sinne, sondern der Gewinn i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG, wie er in den Einkommensteuer- bzw. Körperschaftsteuerbescheid eingeht und gem. § 7 GewStG Bemessungsgrundlage für den Gewerbeertrag ist. Das nachfolgend abgebildete Berechnungsschema der zweistufigen Gewinnermittlung1 illustriert, in welcher Reihenfolge die verschiedenen Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen, nach denen der Gewinn ermittelt wird. Das Berechnungsschema ist mit den Schemata in R 2 Abs. 1 EStR und in R 29 Abs. 1 KStR vergleichbar und stellt sich wie folgt dar: Schema der zweistufigen Gewinnermittlung 1. Stufe Betriebsvermögen (= Eigenkapital) am Schluss des Wirtschaftsjahres – Betriebsvermögen (= Eigenkapital) am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres = Unterschiedsbetrag (Gewinn/Verlust 1. Stufe) 2. Stufe Unterschiedsbetrag (= Gewinn/Verlust 1. Stufe) + Entnahmen – Einlagen + verdeckte Gewinnausschüttungen – verdeckte Einlagen + Korrekturbetrag nach § 1 AStG + nicht abziehbare Betriebsausgaben
1 Vgl. zu dessen Entwicklung BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366 = BFHE 175, 347 = FR 1994, 833; Wassermeyer, GmbHR 1998, 157 (159); Wassermeyer, IStR 2001, 633 (634); insoweit zustimmend Reiß, StuW 2003, 21 (26).
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht + nicht berücksichtigungsfähige negative Einkünfte mit Auslandsbezug (§ 2a EStG) –/+ Gegenberichtigungen1 – steuerfreie Einkünfte/Einnahmen = Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (Gewinn/Verlust 2. Stufe)
C. Korrekturnormen I. Allgemeine Grundsätze 2.6
Rechtsgrundlagen des innerstaatlichen Rechts. Als Rechtsgrundlagen des innerstaatlichen Rechts für die steuerrechtliche Korrektur von Verrechnungspreisen im engeren Sinne sind die vGA (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, vgl. Rz. 2.28 ff.), die Entnahme (§ 4 Abs. 1 Sätze 2–4 EStG, vgl. Rz. 2.48 ff.), die Einlage (§ 4 Abs. 1 Satz 6 EStG, vgl. Rz. 2.60 ff.) und § 1 AStG (vgl. Rz. 2.64 ff.) zu nennen. Die Korrekturnormen entfalten ihre Wirkung i.d.R. außerhalb der Steuerbilanz. Entnahmen und Einlagen können allerdings auch innerhalb der Steuerbilanz erfolgsneutral dargestellt werden, was ihre Korrektur außerhalb der Steuerbilanz gegebenenfalls obsolet macht. Die Korrekturnormen führen häufig zu unterschiedlichen Wertansätzen. Die vGA, die sowohl in der Form der Übertragung von Wirtschaftsgütern als auch in der Form der Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern als auch in der Form von Dienstleistungen als auch in der Form der Nichteinforderung eines angemessenen Entgeltes für eine dem Gesellschafter erbrachte Leistung auftreten kann, ist mit dem Fremdvergleichspreis der Vorteilszuwendung zu bewerten. Sie schlägt im Falle des Abflusses bei der Kapitalgesellschaft auf den oder die Gesellschafter in der Form des Bezuges von Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG durch, die ihrerseits nach § 8 Abs. 2 EStG zu bewerten sind. Entnahmen treten ebenfalls in der Form der Übertragung von Wirtschaftsgütern, in der Form der Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern und in der Form von Dienstleistungen auf. Sie werden grundsätzlich mit dem Teilwert bewertet (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Dienstleistungen und Nutzungsüberlassungen werden allerdings auf der Grundlage einer Entnahme nur mit den durch sie veranlassten Istkosten bewertet. 1 Die Verquickung von Gegenberichtigungen mit dem Einbuchen einer Verbindlichkeit wie geschehen in dem Erlass des FinMin. Bad.-Württ. v. 31.7.1995 – S 1300/20, IStR 1995, 539 Tz. III. = IWB F. 3 Deutschland Gr. 2, 303 m. Anm. Baranowski) ist deshalb irreführend, weil eine Gegenberichtigung eine außerbilanzielle Korrektur auslöst. Lediglich die sog. Sekundärberichtigungen lösen bilanzielle Korrekturen aus.
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C. Korrekturnormen
In den Fällen des § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG besteht die Entnahme tatbestandsmäßig in dem Ausschluss oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland; sie wird dann mit dem gemeinen Wert des Wirtschaftsgutes bewertet, dessen stillen Reserven in Deutschland nicht oder nur eingeschränkt besteuert werden könnten (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG und Rz. 2.24). Gegenstand einer Einlage können nur Wirtschaftsgüter sein. Die Einlage erfasst deshalb keine Nutzungsüberlassungen oder Dienstleistungen. Sie ist grundsätzlich mit dem Teilwert des Wirtschaftsgutes zu bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG). In den Fällen des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG ist die Einlage mit dem gemeinen Wert des Wirtschaftsgutes zu bewerten (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG und Rz. 2.60). Die Entnahme löst an sich nur eine Einmalbelastung aus. Die Einlage in das Vermögen einer Kapitalgesellschaft kann sich auch auf die Anschaffungskosten des einlegenden Gesellschafters für die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft auswirken. § 1 AStG erfasst einerseits alle Vorteilszuwendungen (Übertragung von Wirtschaftsgütern, Nutzungsüberlassungen und Dienstleistungen), andererseits jedoch nur solche vom Inland ins Ausland. Außerdem müssen die Vorteilszuwendungen auf Geschäftsbeziehungen zwischen i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG nahestehenden Personen beruhen. Die unter § 1 AStG fallenden Vorteilszuwendungen werden mit ihrem Fremdvergleichspreis bewertet, was einer Bewertung zum gemeinen Wert entsprechen sollte (vgl. Rz. 1.22 und 1.24). Während vGA nur von nach §§ 1 oder 2 KStG steuerpflichtigen Personen vorgenommen werden können, sind Einlagen und Entnahmen vorrangig bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften anzusiedeln. Sie setzen das Erzielen von Einkünften i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG voraus. Die Einlage kann allerdings mit einer Entnahme durch eine Person korrespondieren, die nach §§ 1 oder 2 KStG steuerpflichtig ist.1 Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Muttergesellschaft ein Wirtschaftsgut in das Vermögen einer ihr nachgeschalteten Kapitalgesellschaft einlegt. Alle steuerpflichtigen Personen können § 1 AStG realisieren, wenn sie Einkünfte i.S.d. §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG erzielen (vgl. § 1 Abs. 4 AStG). Konkurrenzverhältnis. Versteht man die Entnahme, die Einlage, die vGA und § 1 AStG einerseits als Einkünfteermittlungsvorschriften und andererseits als Korrekturnormen, die darauf abzielen, die Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG zutreffend zu ermitteln, dann ist ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Normen grundsätzlich denkbar, auch wenn sie sich teilweise tatbestandsmäßig ausschließen. Abgesehen von § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 4 AStG enthalten die Steuergesetze keine gesetzliche Regelung des Konkurrenzverhältnisses. Dieses bestimmt sich aus der Natur der Korrekturvorschriften. Danach lässt sich als Grundsatz festhalten, dass sich die Rechtsfolgen der Vorschriften in dem Sinne überlagern, dass keine Kor1 Vgl. BFH v. 18.12.1990 – VIII R 17/85, BStBl. II 1991, 512 = BFHE 163, 352 = FR 1991, 243; v. 20.7.2005 – X R 22/02, BStBl. II 2006, 457 = BFHE 210, 345; Wassermeyer, BB 1994, 1 (3 f.).
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2.7
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
rektur – wenn auch auf der Grundlage verschiedener Vorschriften – doppelt angesetzt werden darf.1 Es findet stets die aus der Sicht des Fiskus weitergehende Rechtsfolge Anwendung (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG, „Wertauffüllerklausel“). Manche bezeichnen das Überlagern der Rechtsfolgen als Idealkonkurrenz. Die vGA ist dagegen lex specialis im Verhältnis zur Entnahme, soweit die Voraussetzungen einer vGA erfüllt sind.2 Man sollte jedoch bezüglich des Konkurrenzverhältnisses zwischen Zuwendungen einer Körperschaft an ihren Gesellschafter einerseits und solchen an einen ihr nachgeschalteten Rechtsträger andererseits unterscheiden. Erstere sind i.d.R. Ausschüttungen. Auf letztere finden jedoch i.d.R. Entnahmegrundsätze Anwendung,3 d.h. die bei der zuwendenden Körperschaft eintretende Gewinnrealisierung beruht auf einer Entnahme. Darüber hinaus sind Entnahmen zugunsten einer Körperschaft z.B. bei deren Beteiligung an einer gewerblichen Personengesellschaft denkbar. Im Übrigen schließen sich vGA, Entnahme und Einlage tatbestandsmäßig weitgehend aus. Ein Konkurrenzverhältnis ist vor allem zwischen der vGA, der Entnahme und der Einlage einerseits und § 1 AStG andererseits denkbar. Es kommen jedoch Konkurrenzen auch zu den Vorschriften der DBA, zu § 4 Abs. 1 EStG und zu §§ 7 ff. AStG in Betracht. Dabei sollte zusätzlich beachtet werden, dass vGA die Eignung haben können, eine Kapitalertragsteuerpflicht auszulösen. Dem § 1 AStG, der Einlage und der Entnahme kommt einer derartige Eignung nicht zu. § 8b KStG und § 4h EStG machen deutlich, dass auch die Abgrenzung zu nicht abziehbaren Betriebsausgaben zu beachten ist.
2.8
Unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen. Nach Rz. 17 der Gesetzesbegründung zu § 1 AStG4 fehlte es an einem umfassenden Rechtsmaßstab für eine Regulierung des Gesamtbereichs der internationalen Gewinnverschiebungen. § 1 AStG sollte eine solche Regelung für die Gewinnberichtigung bei international verbundenen Unternehmen beinhalten (Anwendung des Maßstabes des Fremdvergleichs = Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz). In diesem Sinne ist § 1 AStG Ausdruck der Vorstellung des deutschen Gesetzgebers, dass sich die Besteuerung an einem allgemein geltenden (einheitlichen) Fremdvergleichsgrundsatz ausrichten sollte, der zumindest der vGA und dem § 1 AStG zugrunde liegt. In diesem Sinne sollte der Fremdvergleichsgrundsatz zumindest bei der vGA und im § 1 AStG einheitlich praktiziert werden. Unterschiede konnten in den Rechtsfolgen eintreten, weil § 1 AStG auch „Zuwendungen“ des Gesellschafters an seine Gesellschaft erfasst. Die Annahme eines ein1 Vgl. Wassermeyer, IStR 2001, 633. 2 Vgl. BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = BFHE 151, 523 = FR 1988, 160 unter C.I.3.a. 3 Vgl. BFH v. 18.12.1990 – VIII R 17/85, BStBl. II 1991, 512 = BFHE 163, 352 = FR 1991, 243; v. 20.7.2005 – X R 22/02, BStBl. II 2006, 457 = BFHE 210, 345; Wassermeyer, BB 1994, 1 (3). 4 BT-Drucks. VI/2883; vgl. Gesetzesmaterialien S. 17.
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C. Korrekturnormen
heitlichen Fremdvergleichsgrundsatzes hatte den Vorteil, dass zumindest insoweit inländische, ausländische und grenzüberschreitende Sachverhalte einheitlich behandelt wurden. Diese Einheitlichkeit hat der deutsche Gesetzgeber durch das UntStRefG 20081 mit Wirkung ab dem 1.1.2008 aufgegeben. Er hat in § 1 AStG Regeln normiert, die über das deutlich hinausgehen, was bisher unter dem Fremdvergleichsgrundsatz verstanden wurde. Die Tatsache, dass die gesetzliche Regelung nur im § 1 AStG angelegt ist, spricht dafür, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers der in dieser Weise erweiterte Fremdvergleichsgrundsatz nur auf Geschäftsbeziehungen zum Ausland, jedoch vor allem nicht auf rein inländische Sachverhalte Anwendung finden soll. Damit bestehen im deutschen Steuerrecht zwei inhaltlich verschiedene Fremdvergleichsgrundsätze. § 1 AStG ist daher immer neben der vGA zu prüfen. Es kann Korrekturen nach § 1 AStG geben, die jedoch keine Kapitalertragsteuerpflicht auslösen, weil nicht gleichzeitig die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erfüllt sind.
II. Verhältnis des § 1 AStG zur verdeckten Gewinnausschüttung (Rz. 1.3.1 VWG 1983) Unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen. Das Verhältnis von § 1 AStG zur vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist ein überaus vielschichtiges. Es wurde in Rz. 1.1.3 VWG 19832 unzureichend abgehandelt. Rz. 5.3.3 VWG-Verfahren3 enthält eine Korrektur der früheren Verwaltungsauffassung. Zum einen bestehen zwischen § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und § l AStG unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen. Während die Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG einen Steuerpflichtigen voraussetzt, der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. § 1 KStG ist, kann § 1 AStG auf jede Person anzuwenden sein, die im Inland steuerpflichtige Einkünfte erzielt. Insoweit ist § 1 AStG die weitere Vorschrift, die allenfalls dann hinter § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zurücktritt, wenn auch dessen Voraussetzungen gegeben sind. Sowohl § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG4 als auch § 1 AStG setzen eine Minderung der Einkünfte voraus (vgl. Rz. 2.34 und 2.78). § 1 AStG fordert allerdings die Minderung von Einkünften aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG enthält dagegen keine vergleichbare Einschränkung. Insoweit ist der Tatbestand des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG der weitere. Wegen § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG verdrängt der speziellere § 1 AStG dennoch nicht den weiteren § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG.5 Hinzuweisen ist darauf, dass 1 UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912 = BStBl. I 2007, 630. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570. 4 Vgl. die Definition der vGA in BFH v. 18.12.1996 – I R 139/94, BStBl. II 1997, 301 = BFHE 182, 184 = FR 1997, 350. 5 A.A. Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 760.
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2.9
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
die in Rz. 1.3.1.1 VWG 19831 enthaltene Definition der vGA durch die Rechtsprechung überholt ist.2 Zusätzlich ist die „Wertauffüllerklausel“ des § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG zu beachten.
2.10
Veranlassung der Minderung des Unterschiedsbetrages durch das Gesellschaftsverhältnis. Nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG muss die Minderung des Unterschiedsbetrages i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG durch das Verhältnis zu einem Gesellschafter bzw. durch ein beteiligungsähnliches Rechtsverhältnis veranlasst sein. § 1 AStG verlangt dagegen nicht notwendigerweise ein Gesellschafts- bzw. ein beteiligungsähnliches Rechtsverhältnis. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AStG reicht die Möglichkeit einer beherrschenden Einflussnahme3 bzw. das eigene Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen4 aus. Mögen beide Tatbestände eher auf natürliche Personen oder Personengesellschaften zugeschnitten sein, so zeigen die Regelungen doch, dass § 1 AStG in diesem Bereich weiter als § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG gefasst ist. Umgekehrt kann nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG jedes unmittelbare oder mittelbare Gesellschafts- oder beteiligungsähnliche Rechtsverhältnis eine Veranlassung i.S.d. Vorschrift begründen. Dies gilt auch für Minderheits- bzw. Minibeteiligungen. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG setzt demgegenüber eine wesentliche Beteiligung von mindestens einem Viertel voraus. Insoweit enthält § 1 AStG die engere Tatbestandsvoraussetzung. Schließlich geht die Frage dahin, ob die die jeweilige Einkunftskorrektur auslösenden Maßstäbe des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und des § 1 AStG die gleichen sind. Insoweit ist festzuhalten, dass § 1 AStG den anzuwendenden Maßstab ausdrücklich regelt. Danach kommt es darauf an, ob der Steuerpflichtige und die ihm nahestehende Person innerhalb der Geschäftsbeziehungen zum Ausland Bedingungen vereinbaren, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten. Dies entspricht dem sog. „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz“. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nennt dagegen den ihn beherrschenden Maßstab nicht. Die Vorschrift enthält einen unbestimmten Rechtsbegriff, den auszulegen die Aufgabe von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft ist. Der BFH hat seit seinem Urteil vom 16.3.19675 auf den Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters abgestellt. Diese Sichtweise berücksichtigt gewissermaßen nur die Interessen der (potentiell ausschüttenden) Gesellschaft und nicht auch die ihres Geschäftspartners (Gesellschafter, nahestehende Person). Insoweit sind der Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters und der „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz“ nicht deckungs1 Vgl. BMF vom 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 2 Vgl. BFH v. 15.10.1997 – I R 42/97, BStBl. II 1999, 316 = BFHE 184, 444 = FR 1998, 438; IdW v. 21.12.1998, Beilage zu den FN-IdW Nr. 1–2/1999 zu Tz. 1.3.1.1. 3 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 848. 4 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 855. 5 BFH v. 16.3.1967 – I 261/63, BStBl. III 1967, 626 = BFHE 89, 208.
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gleich.1 Dennoch ist der BFH um die Annahme einer Deckungsgleichheit bemüht, indem er den „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz“ als auch für die vGA verbindlich behandelt und den Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters als einen Unterfall des „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatzes“ zu erklären versucht.2 Im Ergebnis bedeutet dies, dass sowohl die vGA als auch § 1 AStG vom „Dealingat-arm’s-length-Grundsatz“ geprägt sind. Beide Rechtsinstitute dienen gleichermaßen der Einkunftsabgrenzung wie auch ggf. der Realisierung stiller Reserven (Beispiel: Verkauf eines Wirtschaftsgutes zu einem unangemessen niedrigen Preis an den Gesellschafter). Durch beide Rechtsinstitute werden unangemessene Bedingungen einer Geschäftsbeziehung nur für steuerrechtliche Zwecke durch angemessene ersetzt. Als Bemessungsgrundlage wird ein Betrag angesetzt, der sich aufgrund von angemessenen Bedingungen fiktiv ergibt. Insoweit handelt es sich um einen partiellen „Sollertrag“.3 Je nachdem, wie man die o.g. Maßstabsfrage innerhalb der vGA letztlich beantwortet,4 könnten sich tatbestandsmäßige Unterschiede zwischen § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und § 1 AStG ergeben, die ggf. § 1 AStG als die Vorschrift mit den weitergehenden Korrekturmöglichkeiten erscheinen lassen. Betriebsexterner Fremdvergleich. Ein möglicher Unterschied zwischen den Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 AStG und des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG besteht darin, dass § 1 AStG einen betriebsexternen Fremdvergleich zulässt, während es für die vGA durchaus üblich ist, mit einem betriebsinternen Fremdvergleich zu arbeiten. Die in § 1 AStG genannten „unabhängigen Dritten“ sprechen dafür, auch auf das Verhalten eines unabhängigen Vertragspartners des Steuerpflichtigen abzustellen.5 Des Weiteren stellt sich die Frage, ob § 1 AStG es ausschließt, mit dem Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu arbeiten.
2.11
Unterschiedliche Rechtsfolgen. Schließlich muss das Konkurrenzverhältnis auch aus der Sicht der Rechtsfolgen beider Vorschriften gesehen werden. Insoweit hat sich in der Praxis die Auffassung des BFH durchgesetzt,
2.12
1 Vgl. Baumhoff in FS Flick, 1997, 637 ff. 2 Vgl. BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = BFHE 178, 203 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann; v. 6.12.1995 – I R 88/94, BStBl. II 1996, 383 = BFHE 179, 322 = FR 1996, 393; Wassermeyer, Stbg 1996, 481 (483); Wassermeyer in Schaumburg, Kölner Konzernrechtstage, Rz. 655 ff. 3 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 83.1 und 106.2; BFH v. 2.2.1994 – I R 78/92, BStBl. II 1994, 479 = BFHE 173, 412 = FR 1994, 364. 4 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 99, 111, und Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 144 ff. 5 Vgl. Vgl. BFH v.17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann; Baumhoff in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.143 ff.; Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 109 und Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 280, 281 ff.; Wassermeyer, DB 1994, 1105 (1107).
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
dass die Rechtsfolgen außerhalb der Steuerbilanz anzusetzen sind.1 Speziell § 1 AStG fingiert keine Einnahmen, sondern die Erhöhung von Einkünften.2 Schon diese Tatsache belegt, dass die Vorschrift keine Forderung begründet. Im Übrigen fehlt dem Korrekturbetrag einerseits die Eignung, Wirtschaftsgut sein zu können. Auch setzt die Anwendung des § 1 AStG keine Steuerbilanz voraus. Die Vorschrift ist z.B. ebenso auf das Ergebnis einer Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 oder nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG anwendbar. Gerade deshalb muss ihre Rechtsfolge losgelöst von steuerbilanzrechtlichen Überlegungen eingreifen. Dies geschieht in den einschlägigen Fällen durch Korrektur des Bilanzgewinnes außerhalb der Steuerbilanz bzw. durch Korrektur des Ergebnisses einer Überschussrechnung außerhalb derselben. Es kommt hinzu, dass in den Fällen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG eine Korrektur innerhalb der Steuerbilanz jedenfalls dann unmöglich ist, wenn das Nahestehen nicht durch eine Beteiligung vermittelt wird. Es fehlt dann an der Möglichkeit, den Korrekturbetrag auf dem Beteiligungskonto gegenzubuchen. Sollte die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG innerhalb der Steuerbilanz eingreifen, so würde sie begrifflich den Eintritt einer Einkünfteminderung verhindern. Sie wäre dann der Rechtsfolge des § 1 AStG logisch vorrangig. Der BFH versteht indes auch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als eine Einkünftekorrekturvorschrift, die außerhalb der Steuerbilanz ansetzt.3 Von diesem Standpunkt ausgehend, setzen die Rechtsfolgen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG einerseits und des § 1 AStG andererseits auf derselben Ebene an. Es ergeben sich insoweit keine weiteren Konkurrenzprobleme. Die z.B. von Reiß4 vertretene gegenteilige Auffassung muss dagegen das Konkurrenzverhältnis zwangsläufig anders sehen. Problematisch ist die Aussage, § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG sei nicht auf „reine“ Auslandssachverhalte anwendbar.5 Denkt man an eine ausländische Kapitalgesellschaft, die einer anderen ausländischen Schwestergesellschaft einen Vermögensvorteil zuwendet, so ist das Gegenteil richtig, wenn die gemeinsame Muttergesellschaft eine inländische ist. Richtig ist allerdings, dass § 1 AStG auf „reine“ Auslandssachverhalte unanwendbar ist. Die Vorschrift setzt Geschäftsbeziehungen „zum Ausland“ voraus. Geschäftsbeziehungen „im Ausland“ reichen nicht aus (vgl. Rz. 2.135).
2.13
Voneinander abweichende Rechtsfolgen. Die Ausführungen unter Rz. 2.12 schließen Unterschiede in den Rechtsfolgen der vGA und des § 1 AStG nicht aus. Insoweit ergibt sich aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AStG, dass diese Vorschrift in der Nähe der Fiktionstheorie steht, ohne 1 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 8.1.1 Buchst. c; Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 811; Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 770; Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 49. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 4. 3 Vgl. BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366 = BFHE 175, 347 = FR 1994, 833; Wassermeyer in Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, 1997, 541. 4 Reiß, StuW 1996, 337. 5 Vgl. Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. A 277.
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mit ihr konzeptionell übereinzustimmen.1 Anders ausgedrückt wird mit Hilfe der Vorschrift ein unangemessenes Entgelt innerhalb der Geschäftsbeziehung durch ein angemessenes ersetzt. Das Entgelt wird nur für steuerrechtliche Zwecke auf ein angemessenes korrigiert. Dies geschieht durch den Ansatz eines Korrekturbetrages außerhalb der Handels- und der Steuerbilanz.2 Der Ansatz außerhalb der Steuerbilanz ist jedoch nur eine Frage der technischen Durchführung einer Hinzurechnung zum Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG. Für § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG geht die Frage dahin, ob die Vorschrift in gleicher Weise den Ansatz eines angemessenen Entgeltes für einen bestimmten Geschäftsvorfall vorschreibt oder ob sich die Unterschiedsbetragskorrektur aus einem anderen Rechtsgrund erklärt.3 Rättig/Protzen4 erörtern in ähnlicher Weise mit Blick auf den BFH-Beschl. v. 6.7.20005 die Frage, ob die dort angesprochene vGA als Veräußerungsgewinn oder als anderweitige Gewinnerhöhung anzusetzen sei. Sie bejahen Ersteres.6 Ähnlich sieht der BFH in den Fällen einer verhinderten Vermögensmehrung die vGA nicht in der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an einem Wirtschaftsgut des Gesellschaftsvermögens, sondern in dem Verzicht auf die Forderung eines angemessenen Entgelts.7 Der Realisationsgrund für die anzunehmende Gewinnerhöhung liegt in der Annahme einer Einkommensverwendung. Wochinger bezeichnet dieselbe als Entnahme.8 Während also § 1 AStG eine Korrektur des Entgeltes gebietet und sich damit auf die Einkünfteerzielung bezieht, geht § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG von einer Form der Einkommensverwendung aus. Da i.d.R. erzielte Gewinne ausgeschüttet werden, lässt sich daraus ein logischer Vorrang des § 1 AStG vor dem § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ableiten, der allerdings durch den in § 1 Abs. 1 AStG enthaltenen Vorbehalt anderer Vorschriften auf den Kopf gestellt wird. Materiell-rechtliche Unterschiede zwischen § 1 AStG und § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Ein wesentlicher materiell-rechtlicher Unterschied zwischen § 1 AStG und § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG besteht darin, dass § 1 AStG zwingend eine Geschäftsbeziehung erfordert, ohne die eine Korrektur nicht möglich ist,9 während § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auch dann Anwen1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 5. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 811; BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366 = BFHE 175, 347 = FR 1994, 833; Wassermeyer, GmbHR 2002, l (4). 3 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 82. 4 Rättig/Protzen, GmbHR 2001, 495 ff. Fn. 30. 5 BFH v. 6.7.2000 – I B 34/00, BStBl. II 2002, 490 = BFHE 102, 307. = FR 2000, 1135 m. Anm. Kempermann. 6 Vgl. auch Wassermeyer, GmbHR 2002, l. 7 Vgl. BFH v. 20.1.1993 – I R 55/92, BStBl. II 1993, 376 = BFHE 170, 241 = FR 1993, 373; Wassermeyer, GmbHR 1998, 157 (160 unter 4.); Wassermeyer in FS Welf Müller, 2001, 397 (400). 8 So Wochinger, FR 2001, 1253 (1257 f.). 9 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 894.
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2.14
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dung findet, wenn eine bestimmte Vorteilszuwendung nicht als Geschäftsbeziehung (sondern z.B. als Schenkung) qualifiziert werden kann.1 Ferner schreibt § 1 AStG für jedes Abweichen der Geschäftsbeziehungen zum Ausland zwischen nahestehenden Personen vom Fremdvergleich die Einkünftekorrektur zwingend vor. Innerhalb der vGA führt dagegen das Abweichen des tatsächlich Vereinbarten vom Fremdvergleich nur zu einer widerlegbaren Vermutung ihrer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis.2 Entsprechendes gilt seit 2003 bei Anwendung des § 162 Abs. 3 Satz 1 AO im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten i.S.d. § 90 Abs. 3 AO. Als einschlägiger Fall kann auf das BFH-Urt. v. 7.8.20023 verwiesen werden. Den Steuerpflichtigen trifft im Bereich des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und des § 162 Abs. 3 Satz 1 AO eine Darlegungslast, deren Verletzung eine Beweismaßreduzierung zugunsten der Finanzverwaltung auslösen kann. Der Steuerpflichtige kann insbesondere darlegen, dass das tatsächlich Vereinbarte eine Fehlmaßnahme war, die keine Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis hatte. Innerhalb des § 1 AStG ist ein solcher Nachweis nicht möglich, was allerdings innerhalb der EU zu Diskriminierungen gegenüber vergleichbaren Inlandssachverhalten führt.4 § 1 AStG ist in vieler Hinsicht höchst unvollkommen ausformuliert.5
2.15
Bewertung. Nach dem BFH-Urt. v. 27.11.19746 soll eine aus der Hingabe von Wirtschaftsgütern bestehende vGA mit dem gemeinen Wert nach § 9 BewG zu bewerten sein.7 Demgegenüber soll bei Nutzungsüberlassungen die erzielbare Vergütung anzusetzen sein.8 Dies steht in einem Widerspruch zu Rz. 1.0.3 Satz 1 EinfSchr.9 und Rz. 1.1.1 des AnwSchr.10 § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG enthält den „Maßstab des Fremdvergleichs“ für die Einkünfteberichtigung. Die hier angesprochene potentielle Abweichung bestünde allerdings dann nicht, wenn der in Rz. 1.1.1 AnwSchr. genannte Grundsatz auch für die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG gelten würde. VGA wären dann nicht mit ihrem gemeinen Wert, sondern mit dem Betrag zu bewerten, um den das tatsächlich vereinbarte Entgelt von dem abweicht, das voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten.11 Die Überlegung macht deutlich, 1 Vgl. BFH v. 30.1.2013 – II R 6/12, FR 2013, 557 m. Anm. Keß = DStR 2013, 649. 2 Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 810; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = BFHE 197, 68; Wassermeyer, StbJb. 1998/99, 157 (164); Wassermeyer, DB 2001, 2465 (2466). 3 BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, FR 2003, 132 = BFH/NV 2003, 124; BMF v. 20.5.2003 – IV A 2 - S 2742 - 26/03, DStR 2003, 939. 4 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 816.1. 5 Vgl. Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 280 und 362. 6 Vgl. BFH v. 27.11.1974 – I R 250/72, BStBl. II 1975, 306 = BFHE 114, 236. 7 Vgl. Abschn. 31 Abs. 10 KStR 1995. 8 Vgl. BFH v. 6.4.1977 – I R 86/75, BStBl. II 1977, 569 = BFHE 122, 98; v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649 = BFHE 160, 192. 9 BMF v. 11.7.1974 – IV C 1 - S 1340 - 32/74, BStBl. I 1974, 442. 10 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1. 11 So wohl Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 760.
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dass sich die Beantwortung der oben gestellten Frage1 nach dem anzusetzenden Fremdvergleichsmaßstab nicht nur auf die Tatbestandsvoraussetzungen der vGA, sondern ebenso auf deren Rechtsfolge auswirkt. Der BFH hat seine Rechtsauffassung der in dem AnwSchr. vertretenen angenähert. Im Urteil vom 17.10.20012 setzt er erstmalig den Fremdvergleichspreis als den Bewertungsmaßstab der vGA an.
III. Verhältnis des § 1 AStG zu einer verdeckten Gewinnausschüttung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG Bedeutung für die Kapitalertragsteuer. Das Verhältnis des § 1 AStG zu einer vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ist letztlich ähnlich unproblematisch. § 1 AStG setzt eine Minderung von Einkünften voraus, die zu korrigieren die Rechtsfolge der Vorschrift ist. Außerdem müssen die geminderten Einkünfte solche aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland sein. Einem Gesellschaftsverhältnis fehlt jedoch die Eignung, eine solche Geschäftsbeziehung zu sein.3 Die vGA fließt im Übrigen dem Gesellschafter nicht als eine Folge der Minderung von Einkünften, sondern als die Zuwendung eines tatsächlich bei der Körperschaft abgeflossenen Vermögensvorteils zu. Dies gilt auch für den Fall einer Vorteilsgewährung zwischen zwei Schwestergesellschaften4 bzw. einer solchen durch eine Enkelgesellschaft unmittelbar an ihre Muttergesellschaft. Daraus folgt, dass dem § 1 AStG die Eignung fehlt, „fiktive“ Beteiligungserträge zu begründen oder zu erhöhen. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG bildet einen eigenständigen Besteuerungstatbestand, innerhalb dessen § 1 AStG keine Anwendung finden kann.
2.16
IV. Verhältnis des § 1 AStG zur (verdeckten) Einlage (Rz. 1.3.1 VWG) Offene Einlage. Bei der Beurteilung des Verhältnisses zwischen § 1 AStG und einer Einlage sollte zwischen offenen und verdeckten Einlagen unterschieden werden. Die offene Einlage beruht immer auf dem Gesellschaftsverhältnis. Ihr Kennzeichen ist, dass sie in keinem Zusammenhang mit einer neben dem Gesellschaftsverhältnis bestehenden Geschäftsbeziehung steht.5 Dies gilt gleichermaßen für Einlagen gegen und ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten. Es macht auch keinen Unterschied, ob die Einlage aus der Sicht des einlegenden Gesellschafters oder der empfangen1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 82. 2 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = BFHE 197, 68 = FR 2002, 154. 3 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 224; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.2. 4 Vgl. Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 763 ff. 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.3.1.2.
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2.17
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
den Gesellschaft zu beurteilen ist. So gesehen scheidet die Anwendung des § 1 AStG tatbestandsmäßig immer aus, wenn eine offene Einlage gegeben ist.1 Dies gilt auch deshalb, weil die offene Einlage nach den allgemeinen Einkunftsermittlungsvorschriften zu beurteilen ist, was keinen Raum für die Anwendung einer Einkünftekorrekturvorschrift lässt.
2.18
Verdeckte Einlage. Für die verdeckte Einlage gilt nichts anderes, wenn man sie aus der Sicht der Gesellschaft sieht, in deren Vermögen etwas eingelegt wird.2 Das Wesen der verdeckten Einlage besteht in einer Vermögensmehrung der Gesellschaft, für die die Gefahr besteht, dass sie den Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG erhöht, obwohl die Vermögensmehrung eben nicht von der Gesellschaft erwirtschaftet, sondern vom Gesellschafter zugewendet wurde.3 Selbst wenn man jedoch die Einlage auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung „gewinnerhöhend“ behandelt, um die Rechtsfolge des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG erst auf der zweiten Stufe eingreifen zu lassen, so kann die Einlage niemals eine Minderung der Einkünfte bewirken.4 Dies gilt selbst dann, wenn Gegenstand der Einlage kein Wirtschaftsgut, sondern eine (teilweise) unentgeltliche Nutzungsüberlassung oder Dienstleistung ist. Aus der Sicht der die Einlage empfangenden Gesellschaft sind stets nur die Rechtsfolgen der Einlage anzusetzen. Für die Anwendung des § 1 AStG ist schon tatbestandsmäßig kein Raum.
2.19
Steuerrechtliche Beurteilung aus Sicht des einlegenden Gesellschafters. Das eigentliche Konkurrenzproblem zwischen § 1 AStG und einer Einlage stellt sich, wenn eine sog. verdeckte Einlage aus der Sicht des einlegenden Gesellschafters steuerrechtlich zu beurteilen ist. In diesem Fall begründet das Rechtsgeschäft, das die Einlage verdecken soll, die für die Anwendung des § 1 AStG an sich erforderliche Geschäftsbeziehung. Auch liegt es in der Natur der verdeckten Einlage, dass der einlegende Gesellschafter nicht das Entgelt erhält, was ein fremder Dritter erhalten hätte, der die die Einlage bildende Lieferung oder Leistung auf der Grundlage einer Geschäftsbeziehung erbracht hätte. Es fehlt also nicht an einer Minderung von Einkünften. Dennoch gehen die Zielsetzungen der verdeckten Einlage und des § 1 AStG diametral auseinander. § 5 Abs. 6 EStG gebietet es, verdeckte Einlagen auch beim Gesellschafter als Leistungen zu behandeln, die auf der Basis des bestehenden Gesellschaftsverhältnisses erbracht werden. § 1 AStG will dagegen die Einlage wie eine Leistung auf der Grundlage einer Geschäftsbeziehung behandeln. § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG stellt klar, dass die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG Vorrang hat. Wenn deshalb § 5 Abs. 6 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG gebietet, die verdeckte Einlage beim einlegenden Gesellschafter als 1 Vgl. Cortez in W/S/G, Vorbemerkungen zu § 1 AStG Rz. 31 ff. 2 Offen lassend: Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. A 369–371. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.3.1.2. 4 Vgl. Woerner, BB 1983, 845; Wassermeyer, BB 1984, 1501.
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nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung zu behandeln, so schließt dies die Annahme einer Geschäftsbeziehung und damit einer Minderung der Einkünfte aus einer Geschäftsbeziehung nicht aus. Es stellt sich allerdings EU-rechtlich die Frage, ob eine (unterstellte) Gewinnverlagerung ins Ausland anders als eine solche ins Inland besteuert werden darf.1 System der 2-stufigen Gewinnermittlung. Der Meinungsstreit berührt letztlich auch das System der 2-stufigen Gewinnermittlung und das Verhältnis der beiden Stufen der Gewinnermittlung zueinander.2 Das folgende Beispiel mag dies deutlich machen.3
2.20
Beispiel: Die inländische Muttergesellschaft M ist zu 100 % an einer ausländischen Tochtergesellschaft T beteiligt. Die M übernimmt gegenüber einem Gläubiger G Kosten i.H.v. 100, für die die T der Schuldner war und die wirtschaftlich zu tragen die Sache der T gewesen wäre. Subsumiert man diesen Sachverhalt unter die einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften, so ist von einer Einlage der M in das Vermögen der T i.H.v. 100 auszugehen.4 Die Einlage ist bei M auf dem Beteiligungskonto für T zu aktivieren. Die Annahme einer Einlage schließt die Anwendung des § 1 AStG aus, weil es an einer Minderung der Einkünfte fehlt, wie sie § 1 Abs. 1 AStG voraussetzt. Das Besondere des Sachverhaltes ist, dass sich die Aktivierung auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung vollzieht. Eine Korrektur auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung setzt aber immer eine Minderung des Unterschiedsbetrages i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG voraus, an der es fehlt, wenn die übernommenen Kosten auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung zu aktivieren sind. Dies gilt unbeschadet der Überlegung, ob in der Kostenübernahme eine schuldrechtliche Beziehung zwischen M und T zu sehen ist. Letztlich schließt also die Aktivierung auf dem Beteiligungskonto die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG aus, ohne dass das Steuerrecht auf den schuldrechtlichen Charakter der Kostenübernahme abstellen würde. Umgekehrt schließt die schuldrechtliche Beziehung die Annahme einer Einlage nicht aus.
Keine verdeckte Nutzungseinlage. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Gesellschafter (teilweise) unentgeltliche Nutzungen oder Dienstleistungen gegenüber seiner Gesellschaft erbringt. Diese sind nicht einlagefähig.5 Damit fallen sie nicht unter § 5 Abs. 6 EStG. § 1 AStG bleibt anwendbar, auch wenn es auf den ersten Blick widersinnig erscheinen mag, die verdeckte Einlage von Wirtschaftsgütern anders als die von Nutzungsvorteilen zu versteuern. Dies gilt zumal dann, wenn der Nutzungsvorteil innerhalb der Gesellschaft noch einmal als Teil des Gewinns besteuert wird, wie es nach deutschem innerstaatlichen Steuerrecht vorgesehen ist. Die 1 2 3 4 5
Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 96. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 807 ff. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 254, 913. Vgl. BFH v. 5.6.2003 – I B 168/02, IStR 2003, 738. RFH v. 6.2.1929 – VI A 520/28, RStBl. 1929, 271; BFH v. 4.8.1959 – I 4/59 S, BStBl. III 1959, 374 = BFHE 69, 299; v. 8.1.1969 – I R 26/67, BStBl. II 1969, 268 = BFHE 95, l; v. 26.9.1969 – VI R 64/67, BStBl. II 1970, 177 = BFHE 97, 347; v. 3.2. 1971 – I R 22/68, BStBl. II 1971, 408 = BFHE 101, 364; v. 14.3.1989 – I R 8/85, BStBl. II 1989, 633 = BFHE 156, 452 = FR 1989, 464; v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = BFHE 151, 523, = FR 1988, 160.
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2.21
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Kritiker dieser Rechtsprechung weisen vor allem darauf hin, dass der ursprüngliche und der nachträgliche Verzicht auf ein Entgelt wirtschaftlich dasselbe seien.1 Außerdem will man speziell die Nutzungsüberlassung wie ein immaterielles Wirtschaftsgut behandeln.2 Dem ist jedoch der Große Senat des BFH nicht gefolgt.
2.22
§ 1 AStG oder Einlage. Für Leistungen, die eine inländische Muttergesellschaft an ihre ausländische Tochtergesellschaft unentgeltlich oder teilunentgeltlich erbringt, stellt sich stets die Frage, ob eine Gewinnkorrektur nach § 1 AStG oder nach Einlagegrundsätzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG) vorrangig vorzunehmen ist. Insoweit sind die Einlagegrundsätze vorrangig anzuwenden, wenn die Vorteilszuwendung in einem einlagefähigen Wirtschaftsgut besteht. Ob § 1 AStG anzuwenden ist, wenn die Vorteilszuwendung aus Dienstleistungen oder Nutzungsüberlassungen besteht, ist streitig. Es kann auch bei der Muttergesellschaft eine Entnahme anzunehmen sein, die die Anwendung des § 1 ausschließt. Dazu folgende Beispiele: Beispiel 1: Die M-AG mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland hält alle Anteile an der T, einer Tochterkapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Frankreich. Die M-AG ist ein Bauunternehmen. Die T erweitert zurzeit ihr Geschäftsgebäude. Die M-AG stellt der T unentgeltlich (teilunentgeltlich) Zement und Ziegelsteine zur Verfügung. Lösung: Zement und Ziegelsteine sind einlagefähige Wirtschaftsgüter. Deshalb liegen eine Entnahme und eine Einlage vor. Die Anwendung des § 1 AStG ist ausgeschlossen, weil die Rechtsfolge des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG eine Einkünfteminderung ausschließt. Die Entnahme ist gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG mit dem gemeinen Wert anzusetzen.
Beispiel 2: Sachverhalt wie Beispiel 1, jedoch überlässt die M-AG der T einen Bautrupp zur Durchführung von Umbauarbeiten. Lösung: Die M-AG erbringt eine Dienstleistung. Die Dienstleistung ist an sich nicht einlagefähig. Dies schließt nicht aus, dass aus der Sicht der M-AG eine Leistungsentnahme anzusetzen ist, die mit dem Teilwert zu bewerten ist. Nach der Rechtsprechung des BFH ist der Teilwert mit den Selbstkosten (= Lohnkosten ohne Gewinnaufschlag) der M-AG zu bewerten.3 Es greift jedoch zusätzlich § 1 Abs. 1 AStG. Die Vorschrift löst den Ansatz eines Fremdvergleichspreises aus (einschließlich Gewinnaufschlag). Die Vorschrift geht der Annahme einer Leistungsentnahme vor.
Beispiel 3: Sachverhalt wie Beispiel 2, jedoch beauftragt die M-AG ein fremdes Unternehmen, bei der T die Umbauarbeiten vorzunehmen. Die M-AG handelt im eigenen Namen und für eigene Rechnung. Eine Weiterberechnung an T erfolgt nicht. Lösung: Auch in diesem Fall besteht die Vorteilszuwendung der M-AG in einer Leistung, weshalb die Ausführungen zu Beispiel 2 entsprechend gelten (Anwendung von § 1 Abs. 1 AStG; Bewertung mit dem Fremdvergleichspreis). 1 Vgl. Gocke, FR 1984. 606 (607); Döllerer, DStR 1984, 383 (387). 2 Vgl. Gocke, FR 1984, 606 (607); Bordewin, DStZ/A 1985, 11 (13). 3 Vgl. BFH v. 9.7.1987 – IV R 87/85, FR 1987, 528 = BStBl. II 1988, 342 = BFHE 150, 345.
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Beispiel 4: Sachverhalt wie Beispiel 3, jedoch erteilt die T den Auftrag zu den Umbauarbeiten dem fremden Unternehmen. Die M-AG begleicht die Schuld der T ohne Weiterberechnung. Lösung: Die Befreiung von einer Schuld ist wie eine Geldeinlage zu behandeln.1
Beispiel 5: Die inländische M-AG überlässt ihrer ausländischen Tochtergesellschaft T den Angestellten A, der bei der T die Leitung eines bestimmten Produktbereiches übernimmt. A bleibt Arbeitnehmer der M-AG. T erstattet die Gehalts- und Gehaltsnebenkosten nicht an M-AG. Lösung: wie Beispiel Nr. 2.
Beispiel 6: Sachverhalt wie Beispiel 5, jedoch wird A Arbeitnehmer der T. Sein Arbeitsverhältnis zur M-AG ruht. T zahlt das Gehalt. Die M-AG zahlt jedoch weiterhin die Sozialversicherungsbeiträge auf das Gehalt des A, ohne von T Erstattung zu verlangen. Lösung: Es ist aus der Sicht von T festzustellen, ob das von ihr an A gezahlte Gehalt angemessen ist und ob die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge durch die M-AG ausschließlich in deren Interesse liegt. Ggf. liegt weder eine Entnahme noch ein Tatbestand des § 1 AStG vor. Verneinendenfalls muss die Lösung dem Beispiel Nr. 2 entsprechen.2
Beispiel 7: Die inländische M-AG gewährt ihrer ausländischen Tochtergesellschaft T ein zinsloses Darlehen. Die Zinslosigkeit ist im Darlehensvertrag festgeschrieben. Lösung: Es liegt eine Nutzungsüberlassung vor, deren Teilwert 0 Euro beträgt. Die Finanzverwaltung wird außerdem § 1 AStG anwenden und ein Entgelt in Höhe angemessener Zinsen ansetzen. Sollte die T innerhalb der EU/EWR ansässig sein, so steht eine Verletzung von Grundfreiheiten zur Diskussion, weil Vorteilsgewährungen an in- und ausländische Tochtergesellschaften unterschiedlich besteuert werden.
Beispiel 8: Die inländische M-AG gewährt ihrer ausländischen Tochtergesellschaft ein verzinsliches Darlehen. Sie verzichtet jedoch jeweils zum Jahresende rückwirkend auf die angefallenen und noch nicht gezahlten Zinsen. Lösung: In Höhe der vereinbarten Jahreszinsen ist ein Zufluss und eine sich anschließende Einlage anzunehmen, die die Anwendung des § 1 AStG ausschließt, sofern man angemessene Zinsen unterstellt.
Beispiel 9: Die inländische M-AG gewährt ihrer ausländischen Tochtergesellschaft ein Darlehen in ausländischer Währung. Die ausländische Währung wird gegenüber dem Euro abgewertet. Deshalb nimmt die M-AG auf die Darlehensforderung eine Teilwertabschreibung vor. Lösung: Die Teilwertabschreibung löst eine nach § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG nicht abziehbare Betriebsausgabe aus. Die Regelung geht dem § 1 AStG vor, schließt allerdings nicht die Prüfung der Angemessenheit der vereinbarten Zinsen aus. Ggf. kommt insoweit eine Gewinnkorrektur nach § 1 AStG in Betracht.
1 Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = BFHE 183, 187 = FR 1997, 723. 2 Vgl. OFD Koblenz v. 21.8.1995 – S 1341 A - St 34 1, Wpg 1995, 675.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Beispiel 10: Die inländische X-GmbH erhält von ihrem im Ausland ansässigen Gesellschafter X eine Maschine. X stellt dafür nur den eigenen Buchwert in Rechnung. Der Fremdvergleichspreis liegt deutlich über dem Buchwert. Lösung: Es liegt eine partielle Sacheinlage vor, die mit dem Teilwert zu bewerten ist. Die Anwendung von § 1 AStG ist schon deshalb ausgeschlossen, weil bei der X-GmbH keine Minderung der Einkünfte eingetreten ist.
Beispiel 11: Sachverhalt wie Beispiel 10, jedoch wendet X der X-GmbH ein zinsloses Darlehen zu. Es liegt keine Einlage vor.1 Die Anwendung von § 1 AStG ist in Ermangelung einer Minderung der Einkünfte bei der X-GmbH ausgeschlossen.
V. Verhältnis des § 1 AStG zur Entnahme 2.23
Regelungen in § 1 AStG. Das Verhältnis des § 1 AStG zur Entnahme hat verschiedene Aspekte, die darauf aufbauen, dass jedenfalls im Regelfall § 1 AStG eine Gewinnkorrektur zum Fremdvergleichspreis und die Entnahme eine solche zum Teilwert vorsieht. Insoweit ist verwirrend, dass nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG die Rechtsfolge nur „unbeschadet anderer Vorschriften“ eintreten soll, während § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG ausdrücklich die vorrangige Gewinnkorrektur nach Fremdvergleichsgrundsätzen vorschreibt, wenn diese zu einer weitergehenden Berichtigung führt („Wertauffüllerfunktion“). Beide Regelungen widersprechen einander, wenn man § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG dahin versteht, dass die anderen Vorschriften vorrangige Anwendung finden sollen.2 Umgekehrt ist eine der beiden Regelungen überflüssig, wenn sie beide in dem Sinne zu verstehen sein sollten, dass die Rechtsfolge des § 1 AStG auch dann anzuwenden ist, wenn sich eine zusätzliche Berichtigungsmöglichkeit nach einer anderen Vorschrift ergibt. Der Gesetzgeber hätte gut daran getan, die Worte „unbeschadet anderer Vorschriften“ in Satz 1 ersatzlos zu streichen. Entscheidend sollte jedoch sein, dass § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG erst durch UntStRefG 20083 eingefügt worden ist. Nach der Gesetzesbegründung4 soll die Vorschrift der Klarstellung dienen, dass andere Vorschriften Berichtigungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nicht verdrängen. Damit hat der Gesetzgeber das Konkurrenzverhältnis, das der BFH in seinem Beschluss vom 17.12.19975 als „offen“ angesehen hat, gesetzlich geregelt. Die o.g.
1 Vgl. BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = BFHE 151 523 = FR 1988, 160. 2 Vgl. Döllerer, Verdeckte Gewinnausschüttung und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften2, 242; Fischer/Kleineidam/Warnecke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 97; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht9, 690; Westerfelhaus, DB 1983, 907. 3 UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912, BStBl. I 2007, 630. 4 BT-Drucks. 16/4841 zu Art. 7 Nr. 1 Buchst. a Satz 3. 5 BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321 = BFHE 185, 24 = FR 1998, 487 mit Anm. Wassermeyer, IStR 1998, 243 und Kaminski, SteuerStud. 1998, 505.
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Gegenmeinung stammt aus der Zeit vor Verabschiedung des UntStRefG 2008. Sie ist deshalb durch das Tätigwerden des Gesetzgebers überholt. § 4 Abs. 1 Sätze 3 ff. EStG. Ein anderes Problem ist dadurch entstanden, dass das SEStEG1 in § 4 Abs. 1 Sätze 3 ff. EStG das Rechtsinstitut einer „fiktiven Entnahme“ eingeführt hat, die gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 letzter Halbs. EStG mit dem sog. gemeinen Wert zu bewerten ist. Insoweit stellt sich die Frage, ob der gemeine Wert mit dem Fremdvergleichspreis identisch ist und ob auf diesem Weg § 1 AStG auch innerhalb fiktiver Entnahmen zur Anwendung kommt.2. Nach der hier vertretenen Auffassung verbietet sich eine solche Gedankenkombination. Unbeschadet der Bewertung mit dem gemeinen Wert (Fremdvergleichspreis) regeln § 4 Abs. 1 Sätze 3 ff. EStG und § 1 AStG verschiedene Sachverhalte. Die Regelungsgegenstände können nicht ausgetauscht werden. Deshalb wirkt § 1 AStG nicht auf irgendeinen Entnahmetatbestand zurück. Dies belegt nicht zuletzt der fehlende zeitliche Zusammenhang zwischen SEStEG einerseits und UntStRefG 2008 andererseits. Im Ergebnis findet deshalb § 1 AStG nur dann vorrangig vor den Regeln der Entnahme Anwendung, wenn der zu besteuernde Sachverhalt alle Tatbestandsvoraussetzungen sowohl des § 1 AStG als auch einer Entnahme erfüllt.
2.24
VI. Verhältnis der verdeckten Gewinnausschüttung zur Entnahme Vorliegen eines Konkurrenzverhältnisses. Es fällt auf, dass die VWG 1983 die Entnahme als Korrekturvorschrift gar nicht erwähnen. Dennoch besteht auch insoweit ein Konkurrenzverhältnis zu § 1 AStG. Allerdings verlangt § 1 AStG (im Gegensatz zu § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG3) eine Geschäftsbeziehung.4 Daran fehlt es, wenn ein Unternehmer ein Wirtschaftsgut „offen“ entnimmt, um es künftig innerhalb eines anderen Unternehmens zu verwenden. Es können umgekehrt Geschäftsbeziehungen zwischen zwei Unternehmen (z.B. Personengesellschaften), an denen jeweils dieselben Gesellschafter beteiligt sind, bestehen, aufgrund deren verdeckte Entnahmen getätigt werden.5 So kann z.B. das eine Unternehmen dem anderen Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlassen oder Dienstleistungen erbringen, ohne dass diese Leistungen angemessen entgolten werden. Stets entsteht das Problem, ob die steuerrechtliche Beurteilung als „Entnahme“ die gleichzeitige Annahme einer Geschäftsbeziehung ausschließt bzw. ob auf die nach außen hin vereinbarte Geschäftsbeziehung oder aber auf die durch sie verdeckte Entnahme abzustellen ist. Auch diese Frage ist auf der Grundlage der Formulierung „unbeschadet 1 2 3 4 5
SEStEG v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782, BStBl. I 2007, 4. Vgl. Kaminski, StuW 2008, 337 (339). Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 83.2. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 83.2, 894; Goksch, IStR 2002, 181. Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.
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2.25
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
andererer Vorschriften“ zu beantworten. Sie stellt klar, dass § 1 AStG in die aus anderen steuerrechtlichen Vorschriften sich ergebende Beurteilung einer „Entnahme“ nicht eingreift. Auch insoweit fehlt dem § 1 AStG die Eignung, eine „Entnahme“ in eine Geschäftsbeziehung umzudeuten1. § 1 AStG ist deshalb stets dann unanwendbar, wenn nach § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG eine Entnahme vorliegt.2 Dies gilt auch für sog. gemischte Beziehungen, die steuerrechtlich gesehen teils als Geschäftsbeziehung und teils als Entnahme zu beurteilen sind. Die Unterscheidung ist deshalb von Bedeutung, weil auch Nutzungen und Dienstleistungen „entnommen“ werden können.3 Anders als bei der Nutzungseinlage4 ergibt sich für Nutzungs- und Dienstleistungsentnahmen deshalb kein eigenständiger Anwendungsbereich des § 1 AStG. Höppner5 will dagegen darauf abstellen, ob der vereinbarte Preis unter oder über dem Teilwert liegt. Liegt er unter dem Teilwert, so sollen die Entnahmeregelungen Anwendung finden. Liegt er über dem Teilwert, so soll § 1 AStG Anwendung finden. Im Gesetzeswortlaut findet diese Auffassung keinen Rückhalt. Die hier vertretene Auffassung hat folgende Auswirkungen: Beispiel 1: Der im Inland ansässige Einzelunternehmer E liefert an seinen im Ausland ansässigen Bruder unentgeltlich Waren aus seinem Einzelunternehmen. Die Lieferung stellt sich als Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG dar, die mit dem Teilwert zu bewerten ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Damit scheidet die Anwendung des § 1 AStG noch nicht aus. Die Finanzverwaltung wird von einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG ausgehen und den Fremdvergleichspreis ansetzen, soweit derselbe über dem Teilwert der Waren liegen sollte.6 Entsprechendes gilt, wenn die Waren zu einem unangemessen niedrigen Kaufpreis geliefert werden. Auch dann schließt die Annahme einer „Entnahme“ die Anwendung von § 1 AStG nicht aus.7 Problematisch ist die ggf. unterschiedliche Besteuerung von Geschäftsbeziehungen zum Ausland gegenüber vergleichbaren inländischen Geschäftsbeziehungen.
Beispiel 2: Der im Inland ansässige Bauunternehmer überlässt seinem im Ausland ansässigen Bruder eine Baukolonne zu einem unangemessen niedrigen Preis, damit dieser im Ausland sein Haus errichten kann. Es liegt in Höhe des unentgeltlichen Teils eine Dienstleistungsentnahme vor, die nach der Rechtsprechung8 mit den Selbstkosten des inländischen Bauunternehmers zu bewerten ist. Dies schließt die Anwendung des § 1 AStG nicht aus. Auf der Grundlage des § 1 AStG ist deshalb der Fremdvergleichspreis anzusetzen. 1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 4, 91. 2 Vgl. Cortez in W/S/G, Vorbemerkungen zu § 1 AStG Rz. 33 ff.; Wassermeyer, IStR 1997, 657; Rundshagen, IStR 1998, 241; FW, IStR 1998, 243. 3 Vgl. BFH v. 24.5.1989 – I R 213/85, BStBl. II 1990, 8 = BFHE 157, 521 = FR 1989, 682. 4 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 92. 5 Höppner, JbFStR 2000/2001, 643 ff. 6 Wie hier Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 754. 7 A.A. Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 754. 8 BFH v. 24.5.1989 – I R 213/85, BStBl. II 1990, 8 = BFHE 157, 521 = FR 1989, 682.
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Unterschiedliche Korrekturmaßstäbe. Während § 1 AStG rechtsfolgemäßig eine Einkünftekorrektur in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlich vereinbarten Preis und dem Fremdvergleichspreis vorschreibt, sehen die Rechtsfolgen der Entnahme (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) und der Einlage (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG) eine Bewertung mit dem Teilwert bzw. dem gemeinen Wert und die der Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG, § 12 KStG) eine solche mit dem gemeinen Wert vor. Dies wirft die Frage auf, ob der Fremdvergleichspreis, der Teilwert und der gemeine Wert stets einander entsprechen oder ob es für den Steuerpflichtigen auch rechtsfolgemäßig einen Unterschied macht, welche Gewinnkorrekturvorschrift Anwendung findet. Man kann auch die Frage aufwerfen, ob der Fremdvergleich immer auf einem einheitlichen Maßstab aufbaut oder ob verschiedene Maßstäbe denkbar sind.1
2.26
Konkurrenz: Fremdvergleichspreis vs. Teilwert. Der BFH-Beschl. v. 17.12. 19972 verdeutlicht die unter Umständen gewichtigen unterschiedlichen Rechtsfolgen, die sich aus der Anwendung des § 1 AStG einerseits oder aus dem Ansatz des Teilwertes andererseits ergeben können.3 Dort bestand eine inländische AG & Co. KG, an der ein Steuerausländer beherrschend beteiligt war. Der Steuerausländer war außerdem an einer schweizerischen Kapitalgesellschaft (CH-AG) zu 100 % beteiligt. Die AG & Co. KG errichtete schlüsselfertige Hühnerfarmen. Die CH-AG akquirierte entsprechende Aufträge, die sie von der AG & Co. KG durchführen ließ. Es ging um die Frage, zu welcher Gewinnkorrektur eine von einem inländischen Unternehmen (AG & Co. KG) hergestellte und an eine ausländische nahestehende Person gelieferte Hühnerfarm führt. Zieht man als Rechtsgrundlage die Entnahme heran, so ist die Hühnerfarm mit ihrem Teilwert zu bewerten, was bei einem produzierenden Unternehmen zu einer Bewertung mit den eigenen Herstellungskosten (= Wiederbeschaffungswert) führt. Die so ermittelten Herstellungskosten enthalten keinen Gewinnaufschlag. Die Rechtsfolge des § 1 AStG würde dagegen zu einer Gewinnkorrektur in Höhe des Fremdvergleichspreises, d.h. inklusive eines Gewinnaufschlages führen. Der Steuerpflichtige steht sich deshalb bei der Annahme einer Entnahme günstiger. Die steuerrechtliche Ungleichbehandlung von Entnahmen und den Tatbeständen des § 1 AStG bzw. von Inlands- und Auslandssachverhalten lässt eine Verletzung des AEUV befürchten.4 Damit kommt der Frage große Bedeutung zu, ob die Rechtsfolge der Entnahme die des § 1 AStG verdrängt. Diese Frage ist auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG zu verneinen. Deshalb steht die Folgefrage im Raum, ob es mit dem AEUV vereinbar ist, eine „grenzüberschreitende“ Entnahme höher als eine solche zu bewerten, die sich ausschließlich im Inland vollzieht. Dies setzt allerdings die Ansässigkeit der CH-AG in ei-
2.27
1 2 3 4
Vgl. Baumhoff in FS Flick, 633 ff. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321 = BFHE 185, 24 = FR 1998, 487. Vgl. FW, IStR 1998, 43. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 816. l.
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nem EU-Mitgliedstaat voraus. Der BFH hat die Rechtsfrage in seinem Urteil vom 29.11.20001 angesprochen, jedoch im Ergebnis unbeantwortet gelassen. In einem Verfahren der Aussetzung der Vollziehung hat er sie als ernstlich zweifelhaft behandelt,2 nachdem das FG Münster3 zuvor die EURechtswidrigkeit verneint hatte. Es liegt nahe, dass der EuGH eine Diskriminierung bejahen wird.4 Nach Rupp5 hat die Finanzverwaltung die BFH-Beschlüsse mit einem Nichtanwendungsschreiben belegt. Einerseits soll die Kohärenz (Funktionsfähigkeit) des nationalen Besteuerungssystems eine Regelung wie die des § 1 AStG gebieten. Wegen der fehlenden Harmonisierung im Bereich der direkten Steuern könne nicht angenommen werden, dass die EU steuermindernde Gewinnverlagerungen mit Hilfe der Grundfreiheiten rechtfertigen wollte. Zum anderen sollen § 1 AStG, die vGA und die Entnahme sich auf nicht vergleichbare Sachverhalte beziehen. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, dass eine Regelung wie die des § 1 AStG EU-rechtlich nicht beanstandet werden könnte, wenn sie sich gleichermaßen auf Inlands- und Auslandssachverhalte erstrecken würde. Die Kritik bezieht sich deshalb nicht auf die Existenz des § 1 AStG als solche oder auf die Anwendung des „Dealing-at-arm’s-length“-Grundsatzes, sondern nur auf die einseitige Ausrichtung der Vorschrift auf grenzüberschreitende Sachverhalte. Die Kohärenz gebietet eine solche einseitige Ausrichtung nicht. Im Übrigen geht es nicht darum, ob § 1 AStG, die vGA und die Entnahme sich stets auf vergleichbare Sachverhalte beziehen. Entscheidend ist vielmehr allein, dass § 1 AStG nach der Auffassung von Rupp auch grenzüberschreitende Entnahmesachverhalte abweichend von entsprechenden Inlandssachverhalten erfasst und regelt. Offenbar fehlt es innerhalb der Finanzverwaltung an dem Verständnis dafür, dass Sachverhalte, die sich grenzüberschreitend zwischen Deutschland und Frankreich vollziehen, nicht anders als solche besteuert werden dürfen, die „grenzüberschreitend“ zwischen Baden-Württemberg und Bayern verwirklicht werden.
D. Verdeckte Gewinnausschüttung I. Fehlende gesetzliche Definition 2.28
EStG/KStG. Der Begriff „vGA“ wird sowohl in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als auch in § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG verwendet. Er wird jedoch in beiden Vorschriften nicht definiert. Die Verwendung desselben Begriffes in den 1 BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = BFHE 194, 53 = FR 2001, 604. 2 Vgl. BFH v. 21.6.2001 – I B 141/00, BFH/NV 2001, 1169. 3 Vgl. FG Münster v. 31.8.2000 – 8 V 4639/00 E, EFG 2000, 1389 m. Anm. Herlinghaus, FR 2001, 240. 4 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 816.1. 5 Rupp in D/P/M, IntGA Rz. 20.
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D. Verdeckte Gewinnausschüttung
beiden Vorschriften ist deshalb kritisch zu beurteilen, weil § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG eine Form der Einkommensverwendung durch eine Körperschaft regelt, während der Regelungsgegenstand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG eine Einnahme des Gesellschafters ist, die an den Tatbestandsmerkmalen des § 8 Abs. 1 EStG gemessen werden muss. Auch wenn beides eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis voraussetzt und insoweit ein Sachzusammenhang besteht, handelt es sich doch um zwei grundverschiedene Tatbestände, die richtigerweise mit unterschiedlichen Begriffen hätte umschrieben werden sollen. Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ein sonstiger Bezug ist, was man von der vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht behaupten kann. Die verfehlte Vorgehensweise des Gesetzgebers birgt die Gefahr in sich, dass man versucht ist, die Begriffe einheitlich auszulegen, was zwangsläufig zu Fehleinschätzungen führen muss. Die gilt insbesondere für fiktive vGA i.S.d. § 8a KStG aF. In § 27 Abs. 3 Satz 2, § 28 Abs. 2 Satz 2 KStG a.F., § 36 Abs. 2 Satz 1 KStG n.F. war bzw. ist offenbar bewusst von einer „anderen Ausschüttung“ die Rede, was die Frage aufwarf, welche begrifflichen Unterschiede zwischen einer vGA und einer anderen Ausschüttung bestehen. Diese Frage hat der BFH im Urteil vom 9.12.19871 dahin beantwortet, dass unter einer anderen Ausschüttung der Abfluss der vGA bei der Körperschaft zu verstehen ist. Entsprechend ist zwischen den Tatbeständen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG einerseits und der §§ 27 Abs. 3 Satz 2, 28 Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. sowie des § 36 Abs. 2 Satz 1 KStG n.F. genau zu unterscheiden. Der Begriff „andere Ausschüttung“ steht neben dem der „sonstigen Leistungen“ einer Körperschaft.2 Unbestimmter Rechtsbegriff. Fehlt es an einer gesetzlichen Definition der vGA, so ist von einem unbestimmten Rechtsbegriff auszugehen. Es ist die Aufgabe vor allem der Rechtsprechung, unbestimmte Rechtsbegriffe orientiert am Gesetzeszweck fallgruppenbildend und fallvergleichend zu konkretisieren. Seit seinem Urteil vom 1.2.19893 versteht der BFH unter einer vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG bei einer Kapitalgesellschaft die Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist und sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG auswirkt. Die Unterschiedsbetragsminderung muss die Eignung haben, beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen.4 1 BFH v. 9.12.1987 – I R 260/83, BStBl. II 1988, 460 = BFHE 151, 560 = FR 1988, 198. 2 Vgl. § 41 KStG a.F.; § 36 Abs. 2 Satz 1 und § 38 KStG nF. 3 BFH v. 1.2.1989 – I R 73/85, BStBl. II 1989, 522 = BFHE 156, 155 (156) = FR 1989, 340; zuletzt: BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, FR 2013, 961 = ISR 2013, 347 m. Anm. Andresen = IStR 2013, 710. 4 BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131 = BFHE 200, 197 = FR 2003, 132; v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190 = BFHE 209, 199; v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961 = BFHE 218, 523 = FR 2007, 1160 m. Anm. Orth; v. 15.2.2012 – I R 19/11, BFHE 236, 452 = FR 2012, 690 m. Anm. Pezzer.
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2.29
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Anders ausgedrückt versteht § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG die vGA primär als eine Form der Einkommensverwendung, die zwar gleichzeitig alle Voraussetzungen einer Betriebsausgabe bzw. einer verhinderten Betriebseinnahme erfüllt, jedoch wegen ihres daneben bestehenden Einkommensverwendungscharakters den Gewinn einer Körperschaft nicht mindern soll.
2.30
Nichtanerkennung zivilrechtlicher Verträge. Will man die vGA in ihrer Zielsetzung zutreffend einordnen, so muss man sie von den Möglichkeiten abgrenzen, abgeschlossene Verträge steuerrechtlich nicht anzuerkennen (vgl. Rz. 1.25 ff.). Insoweit gilt als Grundsatz, dass Verträge zwischen untereinander fremden Dritten steuerrechtlich anerkannt werden müssen, wenn sie nur tatsächlich durchgeführt wurden (vgl. Rz. 1.26). Grundsätzlich ist also auf das tatsächlich Durchgeführte und nicht auf das zivilrechtlich (formal) Vereinbarte abzustellen (vgl. Rz. 2.2). Allenfalls kann widerleglich vermutet werden, dass das Vereinbarte auch tatsächlich durchgeführt wurde. Hintergrund ist insoweit die im Steuerrecht geltende wirtschaftliche Betrachtungsweise, die weniger auf das zivilrechtlich Vereinbarte als vielmehr auf Wertungen abstellt, die sich an den spezifischen Zwecken des Steuerrechts orientieren. Deshalb sind steuerrechtliche Begriffe wie Einkommen, Gewinn, Umsatz, Vermögen, Wirtschaftsgut, Eigentum u.a. m. in einem speziellen wirtschaftlichen Sinne auszulegen. Von dieser Fallgruppe abgesehen kann von der steuerrechtlichen Anerkennung eines abgeschlossenen Vertrages nur unter den Voraussetzungen des § 42 AO abgesehen werden (vgl. Rz. 2.2), auf die hier im Detail nicht eingegangen werden soll. Neben diesen Möglichkeiten stehen die vGA und § 1 AStG, die jedoch einerseits eine Nahestehensbeziehung zwischen mindestens zwei selbständigen Rechtsträgern voraussetzen und die andererseits eine nur steuerrechtlich wirkende Entgeltkorrektur innerhalb einer Geschäftsbeziehung erlauben. Die Rechtsprechung verlangt allerdings bei Verträgen zwischen einem beherrschenden Gesellschafter und der von ihm beherrschten Gesellschaft, dass dieselben von vornherein, klar, zivilrechtlich wirksam vereinbart und tatsächlich durchgeführt werden (formale Angemessenheit).1 Hier handelt es sich jedoch genau genommen um ein Mixtum zwischen wirtschaftlicher Betrachtungsweise und Beweislastverteilung. Gerade weil der beherrschende Gesellschafter die freie Wahl hat, seiner Gesellschaft entweder auf gesellschaftsrechtlicher oder auf schuldrechtliche Ebene gegenüber zu treten, soll er sich rechtzeitig entscheiden und dies aus Gründen der Beweislast nach außen hin kundtun. Man muss diese Frage auf der Grundlage der Tz. 1.37 der OECD-Verrechnungspreisgrundsätze aus dem Jahre 1995 sehen. Die OECD-Verrechnungspreisgrundsätze erlauben ebenfalls, die von einem Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung von Geschäftsbeziehungen mit einem verbundenen Unternehmen außer Acht zu lassen. Das insoweit gewählte Finanzierungsbeispiel ist jedoch in sich fragwürdig, weil es mit dem BFH-Urt. v. 5.2.1992 kollidiert.2 Hinzuweisen 1 Vgl. BFH v. 28.10.1987 – VIII R 78/89, BStBl. II 1993, 301 = BFHE 169, 442. 2 BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = BFHE 166, 356 = FR 1992, 525.
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D. Verdeckte Gewinnausschüttung
ist auf die Urteile des FG Köln1 und des FG Hamburg2 zur Sperrwirkung von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildeten DBA-Regelungen bei rein formaler Unangemessenheit. Letztere Entscheidung hat der BFH im Revisionsverfahren bestätigt.3 Zu der Entscheidung ist kritisch anzumerken, dass es an sich der Abgrenzung zwischen steuerrechtlich anzuerkennenden unklaren Vereinbarungen und nachträglichen Vertragsänderungen bzw. -ergänzungen bedarf. Korrespondenzprinzip. Zwischen einer vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und einer solchen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG besteht ein formelles Korrespondenzprinzip, wie es in § 8b Abs. 1 Satz 2 und § 32a KStG gesetzlich verankert wurde. Beide Formen der vGA setzen im Kern bei demselben Sachverhalt an; sie müssen deshalb jedoch tatbestandsmäßig nicht deckungsgleich sein. Die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG hat nur die Rechtsfolgen bei der ausschüttenden Gesellschaft und die vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG nur die bei dem durch die Ausschüttung begünstigten Gesellschafter im Auge. Die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG setzt eine sog. Unterschiedsbetragsminderung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei der ausschüttenden Kapitalgesellschaft und die vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG im Regelfall den Zufluss (§ 11 Abs. 1 EStG) eines Beteiligungsertrages (= Einnahme i.S.d. § 8 Abs. 1 EStG) beim Gesellschafter voraus. Ist der Gesellschafter ein bilanzierender Kaufmann und hält er seine Beteiligung in einem Betriebsvermögen, so kann etwas anderes gelten. In vielen Sachverhalten treten die Rechtsfolgen der beiden Vorschriften mehr oder weniger zeitgleich ein. Dies gilt immer dann, wenn der Zeitpunkt des Abflusses der vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG mit dem Zeitpunkt der Unterschiedsbetragsminderung zusammen fällt. Beide Zeitpunkte können allerdings wesentlich auseinander fallen. Dies gilt z.B., wenn die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG aus der Zusage einer unangemessen hohen Pension gegenüber einem Gesellschafter besteht. Die Pensionszusage führt dann in der Steuerbilanz nur zu einer Rückstellung, die den Unterschiedsbetrag mindert; die Minderung löst jedoch noch keinen Abfluss bei der Gesellschaft und entsprechend keinen Zufluss bei dem Gesellschafter aus. Der Abfluss tritt erst nach dem Pensionsfall, d.h. unter Umständen Jahre später ein. Entsprechend später liegt auch der Zuflusszeitpunkt beim Gesellschafter. Die Tatbestände des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG werden dann in unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen verwirklicht. Verstirbt der Empfänger der Pensionszusage vorzeitig, so kann dies einen Zufluss bei ihm sogar ausschließen. Kapitalertragsteuer entsteht erst im Zeitpunkt des Zuflusses beim Gläubiger (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG).
1 FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161. Vgl. dazu auch Baumhoff/ Greinert, IStR 2008, 353. 2 FG Hamburg v. 31.10.11 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190. 3 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BFH/NV 2013, 324; Anm. Ditz in ISR 2013, 54; Anm. Pezzer in FR 2013, 415; Anm. Böhmer in IStR 2013, 270.
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2.31
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Deshalb ist es im Grundsatz richtig, die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und eine solche i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG getrennt voneinander zu prüfen. Unbeschadet dessen setzt die vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 KStG eine entweder vorher oder zumindest zeitgleich realisierte vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG voraus. Der vGA i.S.d. 8 Abs. 3 Satz 2 KStG muss jedoch keine vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG nachfolgen. Man spricht dann von einer nicht abgeflossenen vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Bei diesen Aussagen muss man allerdings berücksichtigen, dass ein in Deutschland ansässiger Gesellschafter eine vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auch von einer ausländischen Kapitalgesellschaft erzielen kann, die ihrerseits in Deutschland gar nicht steuerpflichtig ist, weshalb auf ihre Einkommensermittlung auch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG keine Anwendung findet. Wenn die entsprechenden Sachverhalte dennoch in das hier besprochene formelle Korrespondenzprinzip einbezogen werden, dann wird insoweit eine fiktive Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auf einen an sich in Deutschland nicht steuerbaren Sachverhalt unterstellt. Ebenso kann eine Kapitalgesellschaft bei ihr steuerfreie Einkommensteile verdeckt ausschütten. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten kann das eingeschränkte Korrespondenzprinzip eine Hilfe sein, um bei Verträgen zwischen einander nahestehenden Unternehmen zu ermitteln, welchem Unternehmen die Ausschüttung als Einkommensverwendung und welcher Person sie als Einkünfteerzielung steuerrechtlich zuzurechnen ist. Der Beteiligungsertrag kann immer nur einem Gesellschafter zugerechnet werden.
2.32
Einkommens-, Gewinn- oder Unterschiedsbetragskorrektur. Nimmt man die Gesetzesformulierung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG wörtlich, so beinhaltet die Vorschrift das Verbot einer Einkommensminderung. Man muss die Formulierung vor dem Hintergrund verstehen, dass auch Vermögensmassen, die keinen Gewinn erzielen, Ausschüttungen tätigen können, die jedoch die Einkünfte nicht mindern dürfen. Das Verbot einer Einkommensminderung besagt nichts darüber, auf welcher Stufe der Einkommensermittlung es ansetzt. Die Frage hat große Bedeutung für die GewSt. Diese bemisst sich nach dem Gewerbeertrag, der sich wiederum aus dem nach den Vorschriften des EStG und des KStG zu ermittelnden Gewinn aus dem Gewerbebetrieb und den Hinzurechnungen und Kürzungen i.S.d. §§ 8 und 9 GewStG zusammensetzt. Sollte deshalb die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht bereits innerhalb der Gewinnermittlung ansetzen, so könnte sie auf den Gewerbeertrag nicht durchschlagen. Tatsache ist jedoch, dass die Rechtsprechung schon immer die Rechtsfolge der vGA auf den Gewerbeertrag hat durchschlagen lassen. Sie hat § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als eine Gewinn- und nicht als eine Einkommensermittlungsvorschrift im engeren Sinne behandelt.
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D. Verdeckte Gewinnausschüttung
Der BFH spricht gelegentlich auch von einer „Gewinnkorrektur“.1 Dieser Ausdruck ist allerdings schief, weil unter dem „Gewinn“ i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG erst der Betrag nach Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu verstehen ist (vgl. Rz. 2.4). § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG korrigiert also nicht den Gewinn, sondern die Vorschrift ist innerhalb der Gewinnermittlung anzuwenden. Man kann auch nicht von einer Unterschiedsbetragskorrektur sprechen, weil der Unterschiedsbetrag nicht korrigiert wird. Ihm wird lediglich etwas hinzugerechnet. Das Gesetz bezeichnet das Ergebnis der Hinzurechnung als den Gewinn. Letztlich ist deshalb festzuhalten, dass das Gesetz sprachlich ungenau gefasst ist, wenn man die Rechtsprechung als zutreffend anerkennt. Dem Gesetzgeber sind ähnliche sprachliche Ungenauigkeiten ebenso in § 8b Abs. 1 und 2 KStG unterlaufen. Auch dort stellt sich die Frage, ob die Vorschriften auf den Gewerbeertrag durchschlagen. Betriebsausgabe – vGA. Nach der BFH-Rechtsprechung hat eine Kapitalgesellschaft keine außerbetriebliche Sphäre.2 Daraus folgt zwingend, dass alle Aufwendungen einer Kapitalgesellschaft durch deren Existenz veranlasst und in diesem Sinne deren Betriebsausgaben sind. An sich gilt dies auch für sog. „offene Ausschüttungen“. Für diese hat sich jedoch insbesondere handelsbilanziell die Auffassung durchgesetzt, dass der Ausschüttungs- den potentiellen Betriebsausgabencharakter verdrängt. Dies ist insoweit zutreffend, als offene Ausschüttungen i.d.R. erst nach dem Bilanzstichtag beschlossen werden. Am Bilanzstichtag ist noch keine Ausschüttung gegeben. „Offene Ausschüttungen“ sind deshalb keine Betriebsausgaben. VGA sind dagegen vor allem handelsrechtlich Betriebsausgaben bzw. verhinderte Betriebseinnahmen, die jedoch kraft ausdrücklichen steuerrechtlichen Gesetzesbefehls den Gewinn nicht mindern dürfen. Entsprechend mindern vGA auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung den Unterschiedsbetrag und sind deshalb auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung außerhalb der Steuerbilanz dem Unterschiedsbetrag wieder zuzurechnen.3 Die Aufgabe der 2. Stufe der Gewinnermittlung ist es, den Unterschiedsbetragsminderungseffekt auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung zu neutralisieren. Entsprechend setzt die Gewinnkorrektur nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG stets voraus, dass eine Unterschiedsbetragsminderung 1 BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBl. II 1993, 801 = BFHE 172, 51; v. 2.2.1994 – I R 78/92, BStBl. II 1994, 479 = BFHE 173, 412 = FR 1994, 364; v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366 = BFHE 175, 347 = FR 1994, 833; v. 14.9.1994 – I R 6/94, BFHE 175, 412 = FR 1995, 112; v. 13.11.1996 – I R 126/95, BFHE 182, 358 = FR 1997, 537 = DB 1997, 1312. 2 BFH v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123 = FR 1997, 311 = DB 1997, 707; v. 8.7.1998 – I R 123/97, BFHE 186, 540 = FR 1998, 1091 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 1999, 269; v. 8.8.2001 – I R 106/99, BFHE 196, 173 = BStBl. II 2003, 487; v. 22.8. 2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961 = BFHE 218, 523 = FR 2007, 1160 m. Anm. Orth; zur Kritik an dieser Rechtsprechung: Weber-Grellet in Schmidt32, § 20 EStG Rz. 41; Bareis in FS Krawitz, 2010; Bareis, DB 2010, 2637; Briese, GmbHR 2006, 1136; Hüttemann in FS Raupach, 495 ff.; zur Kritik an der Auffassung von Hüttemann: Wassermeyer, DB 2011, 1828; Wassermeyer in FS Frotscher, 685 ff. 3 Vgl. Wassermeyer, DB 2010, 1959.
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2.33
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
eintritt. Fehlt es an einer solchen, so kann die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht zum Tragen kommen. Gerade deshalb kommt der zutreffenden Ermittlung des Unterschiedsbetrages große Bedeutung zu.
II. Unterschiedsbetragsminderungen 2.34
Allgemeines. Entspricht die vGA stets einer bestimmten Unterschiedsbetragsminderung, so kann ihr Vorliegen nur dann richtig beurteilt werden, wenn man den Unterschiedsbetrag exakt ermittelt. Anders ausgedrückt können Fehler bei der Unterschiedsbetragsermittlung leicht auf die Bejahung oder Verneinung einer vGA durchschlagen. Insoweit können hier nur typische Fehler besprochen werden. Dabei soll danach unterschieden werden, ob die vGA in einem unangemessen hohen Entgelt besteht, das die Kapitalgesellschaft an ihren Gesellschafter oder an eine ihm nahestehende Person zahlt, oder ob es sich um einen Fall der verhinderten Unterschiedsbetragsmehrung handelt. Der Unterschied zeigt sich bei der Unterschiedsbetragsermittlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG. Ein unangemessen hohes Entgelt wird innerhalb der Unterschiedsbetragsermittlung erfolgswirksam angesetzt. Anschließend wird außerhalb der Unterschiedsbetragsermittlung der erfolgswirksame Ansatz rückgängig gemacht. Die verhinderte Vermögensmehrung geht dagegen nicht in die Unterschiedsbetragsermittlung ein. Es handelt sich um eine Gewinnnkorrektur außerhalb derselben.
2.35
Einkauf zu einem unangemessen hohen Preis. Neumann1 erörtert den Fall, dass eine GmbH von ihrem Gesellschafter ein Wirtschaftsgut zu einem unangemessen hohen Preis erwirbt. Er vertritt dazu die zutreffende Auffassung, dass das Wirtschaftsgut bei der GmbH nur mit seinen angemessenen Anschaffungskosten zu aktivieren ist. Der darüber hinausgehende Kaufpreis wird unmittelbar im Interesse des Gesellschafters verausgabt. Nach Neumann soll es deshalb zu einem Abfluss einer vGA ohne vorherige „Einkommenskorrektur“ kommen. Dies ist unzutreffend. Neumann übersieht, dass die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG erst auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung ansetzt. Richtigerweise ist zunächst auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung zu entscheiden, wie sich dort der unangemessen hohe Teil des Kaufpreises auswirkt. Er muss dort als Betriebsausgabe abgesetzt werden, die den Unterschiedsbetrag mindert. Der Ansatz als Betriebsausgabe folgt aus der Überlegung, dass die GmbH keine Privatsphäre hat und deshalb alle Aufwendungen, für die keine Aktivierungspflicht besteht, Betriebsausgaben sein müssen. Die dadurch eintretende Gewinnminderung wird durch den Ansatz eines gleich hohen Betrages als vGA wieder neutralisiert. Im Grundsatz gilt, dass der Abfluss einer vGA ohne vorherige bzw. gleichzeitige Unterschiedsbetragskorrektur nicht denkbar ist. Dies folgt aus dem Wechselspiel zwischen der 1. und der 2. Stufe der Gewinnermittlung. 1 Neumann, vGA und verdeckte Einlagen, 2006, 5.
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D. Verdeckte Gewinnausschüttung
Bei dieser Aussage ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Unterschiedsbetragskorrektur gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG sich auch im Bereich steuerfreier Einkünfte vollziehen kann, die bekanntlich nicht in das zu versteuernde Einkommen eingehen. Außerdem können auch ausländische Kapitalgesellschaften, die in Deutschland gar nicht steuerpflichtig sind, an einen inländischen Gesellschafter verdeckt ausschütten. Der Begriff „Unterschiedsbetragskorrektur“ ist deshalb hypothetisch zu verstehen. Es wird fiktiv unterstellt, dass die ausschüttende Gesellschaft ihren Gewinn nach deutschem Steuerrecht ermittelt. Beispiel: Eine inländische GmbH unterhält im Ausland eine Betriebsstätte. Für Zwecke der ausländischen Betriebsstätte erwirbt die GmbH von ihrem inländischen Gesellschafter einen Pkw zu einem unangemessen hohen Preis. Der Pkw wird als Wirtschaftsgut der ausländischen Betriebsstätte zugeordnet. Die Betriebsstätteneinkünfte sind aufgrund eines DBA im Inland steuerfrei. Die Steuerfreiheit umfasst auch den Mehrgewinn, der sich aus der Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ergibt.
Das Beispiel belegt, dass die vGA auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung logisch vor der Ausklammerung steuerfreier Einkünfte (Einnahmen) ansetzt. Beteiligungserwerbe im Konzern. Im Schrifttum1 ist die steuerrechtliche Behandlung von Beteiligungserwerben innerhalb desselben Konzerns zu einem unangemessen hohen oder niedrigen Kaufpreis umstritten. Deshalb wird die Problematik hier noch einmal an einer Reihe von Beispielen dargestellt. 1. Beispiel: Eine Muttergesellschaft (M) verkauft ihre an der Tochtergesellschaft (T1) gehaltene Beteiligung zu einem unangemessen hohen Kaufpreis an ihre andere Tochtergesellschaft (T). Der tatsächlich gezahlte Kaufpreis beträgt 300; angemessen sind lediglich 100. Lösung: In diesem Fall hat die T einen Aufwand von 300, der auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung i.H.v. 100 als Anschaffungskosten auf die Beteiligung an T1 und i.H.v. 200 als sofort abziehbare Betriebsausgabe zu behandeln ist. Der Mehrbetrag von 200 ist nicht mehr durch den Erwerb der Beteiligung, sondern durch die Absicht einer vGA veranlasst. Die entsprechende Unterschiedsbetragsminderung i.H.v. 200 ist bei T auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung durch den Ansatz einer vGA i.H.v. 200 zu neutralisieren, weshalb der Vorgang letztlich erfolgsneutral zu behandeln ist. Die M erzielt einen Beteiligungsveräußerungsgewinn oder -verlust i.H.v. 100 abzgl. dem bisherigen Buchwert der Beteiligung. Insoweit findet § 8b Abs. 2 KStG Anwendung. M erzielt außerdem einen Beteiligungsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, auf den § 8b Abs. 1 und 3 KStG Anwendung findet.
1 Vgl. Wassermeyer, GmbHR 2002, 1 ff.; Wassermeyer, DB 2002, 2668; Frotscher, FR 2002, 859.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
2. Beispiel: Eine Tochtergesellschaft (T) hält eine Beteiligung an der Enkelgesellschaft (E), die sie zu einem unangemessen niedrigen Kaufpreis an die Muttergesellschaft (M) verkauft. Der tatsächlich vereinbarte Kaufpreis soll 100 und der angemessene Kaufpreis 300 betragen. Lösung: Aus der Sicht der T handelt es sich um eine vGA in der Form einer verhinderten Vermögensmehrung. Auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung wird der Beteiligungsveräußerungsgewinn der T auf der Basis des tatsächlich gezahlten Kaufpreises (100) ermittelt. Dadurch wird der Unterschiedsbetrag um 200 zu niedrig ausgewiesen. Diese Unterschiedsbetragsminderung wird durch die Hinzurechnung einer vGA auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung wieder neutralisiert. Im Endergebnis wird T steuerrechtlich so behandelt, als habe sie von M einen Kaufpreis von 300 erhalten und davon 200 an M wieder ausgeschüttet. M erzielt ihrerseits einen Beteiligungsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, auf den § 8b Abs. 1 und 3 KStG Anwendung findet. M wird nach Maßgabe des Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 26.10.19871 steuerrechtlich so behandelt, als habe sie diesen Beteiligungsertrag dazu verwendet, um an die T einen angemessenen Kaufpreis von 300 zu zahlen. Der Betrag von 200 stellt deshalb einerseits eine Einnahme bei T dar, die als verwendet gilt und insoweit Anschaffungskosten auf die Beteiligung an E auslöst. Die Beteiligung an E ist deshalb von M mit 300 zu aktivieren. Wichtig ist, dass sowohl die Einnahme als auch die zusätzlichen Anschaffungskosten von jeweils 200 auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung zu erfassen sind.
III. Veranlassung der Unterschiedsbetragsminderung durch das Gesellschaftsverhältnis 2.37
Allgemeines. Die Unterschiedsbetragsminderung muss durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sein. Die entsprechende Prüfung ist regelmäßig das Kernproblem der vGA. Unter Veranlassung ist insoweit der auslösende Moment für eine bestimmte Vorteilszuwendung zu verstehen, das nur im Rahmen einer wertenden Betrachtungsweise unter Berücksichtigung alle Umstände des Einzelfalles bestimmt werden kann. Die Rechtsprechung bedient sich häufig des Fremdvergleichs als eines Hilfskriteriums der Veranlassung. Dabei geht sie von dem widerlegbaren Vermutungssatz aus, dass ein Verhalten, das dem Fremdvergleich entspricht, nicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Weicht das Verhalten allerdings von dem ab, was ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter getan hätte, so wird eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis widerlegbar vermutet. Man kann auch sagen, dass je mehr ein Verhalten vom Fremdvergleich abweicht, desto eher eine Vermutung für die Annahme einer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis spricht.
2.38
Gesellschaftsverhältnis. Bevor auf Einzelheiten der Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis eingegangen wird, soll der Begriff „Gesellschaftsverhältnis“ geklärt werden. Der Begriff muss für die Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG nicht 1 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = BFHE 151, 523 = FR 1988, 160.
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D. Verdeckte Gewinnausschüttung
einheitlich verstanden werden. Dennoch ist unter einem Gesellschaftsverhältnis i.S. beider Vorschriften ein solches an einer Kapitalgesellschaft, an einer Genossenschaft sowie an Bergbau treibenden Vereinigungen zu verstehen, die die Rechte einer juristischen Person haben. Letztere werden hier nur der Vollständigkeit halber deshalb erwähnt, weil der Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG sie noch umfasst. Tatsächlich gibt es sie nicht mehr. Der am deutschen Zivilrecht sich orientierende Begriff „Gesellschaftsverhältnis“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Gesellschaftsverhältnis auch an einem ausländischen Rechtsträger bestehen kann. Der ausländische Rechtsträger muss allerdings im Bereich des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG vom Typus her einer deutschen Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft entsprechen. Speziell für den Bereich des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG geht zumindest die Rechtsprechung davon aus, dass der Gesellschaftsbegriff weit zu fassen ist und z.B. auch Vereine umfasst. Der BFH fordert allerdings als Voraussetzung eines Gesellschaftsverhältnisses ein mitgliederähnliches Verhältnis. Früheres und künftiges Gesellschaftsverhältnis. Nach der BFH-Rechtsprechung1 soll es genügen, dass die vGA durch ein früheres oder künftiges Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, d.h. dass die konkrete vGA in der Zuwendung eines Vermögensvorteils gegenüber einem ehemaligen oder künftigen Gesellschafter der Kapitalgesellschaft besteht. Wassermeyer2 hat diese Frage auf der Jahrestagung 2006 der DStJG aufgegriffen und auf den möglichen Widerspruch hingewiesen, dass eine vGA nicht gleichermaßen durch ein mittelbares Gesellschaftsverhältnis mit der Folge veranlasst sein soll, dass der Beteiligungsertrag gegebenenfalls unmittelbar dem mittelbar beteiligten Gesellschafter zuzurechnen ist. Einvernehmen besteht offenbar darüber, dass eine Veranlassung durch einen Nichtgesellschafter die vGA ausschließt.
2.39
VGA bei sonstigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen. Die Regelungen in § 20 Abs. 1 Nr. 9 und 10 EStG machen deutlich, dass sich die Frage nach einer vGA auch bei körperschaftsteuerpflichtigen Personen stellen kann, die weder Kapitalgesellschaft noch Genossenschaft sind. Seit seinen Urteilen vom 9.8.19893 und vom 13.11.19914 ist der BFH davon ausgegangen, dass die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auch auf körperschaftsteuerpflichtige Personen anzuwenden sein kann, denen die Eignung fehlt, Kapitalerträge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG auszuschütten. Der BFH hat in dieser Hinsicht kein Korrespondenzprinzip gefordert. Der Gesetzgeber hat daraufhin den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeweitet. Ob dadurch eine vollständig Korrespondenz zwischen § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 EStG hergestellt wurde, hängt von der Auslegung vor allem der Nr. 9 ab.
2.40
1 BFH v. 24.1.1989 – VIII R 74/84, BStBl. II 1989, 419 = BFHE 156, 126 = FR 1989, 283; v. 30.11.2005 – I R 3/04, BStBl. II 2008, 809 = BFHE 211, 339 = FR 2006, 373. 2 Wassermeyer, DStJG 30 (2007), 257. 3 BFH v. 9.8.1989 – I R 4/84, BStBl. II 1990, 237 = BFHE 158, 510 = FR 1990, 254. 4 BFH v. 13.11.1991 – I R 45/90, BStBl. II 1992, 429 = BFHE 166, 335.
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2.41
Nahestehende Person. Eine vGA kann auch vorliegen, wenn die Unterschiedsbetragsminderung die Eignung hat, den Vermögensvorteil einer dem Gesellschafter nahestehenden Person zuzuwenden. Dies setzt allerdings die Feststellung voraus, dass die beabsichtigte Vermögenszuwendung ihre Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis hat, d.h. nicht im eigenen Interesse der Gesellschaft liegt.1 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Leistung im Interesse des Gesellschafters liegen muss. I.d.R. muss er mit der Leistung einverstanden sein. Zwischen dem Gesellschafter und der nahestehenden Person muss eine Beziehung bestehen, die den Schluss zulässt, sie habe die Vorteilszuwendung der Kapitalgesellschaft an den Dritten beeinflusst. Die Beziehung kann familienrechtlicher, persönlicher (Lebensgemeinschaft), gesellschaftsrechtlicher (unmittelbare oder mittelbare Beteiligung), rechtlicher (insbesondere schuldrechtlicher) oder auch nur tatsächlicher Natur (z.B. Freundschaft) sein.2 Ideelle Interessen reichen aus. Dem Dritten muss der Vermögensvorteil durch die Körperschaft im Interesse des Anteilseigners zugewendet werden.3 Die Zuwendung löst bei der ausschüttenden Gesellschaft die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG aus, d.h. der Gewinn der ausschüttenden Gesellschaft darf nicht um die Zuwendung gemindert werden. Andererseits wird die Zuwendung an die nahestehende Person dem Gesellschafter als eigene Einnahme i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG zugerechnet. Deshalb muss jedoch die Zuwendung als solche keinen Vermögensvorteil des Gesellschafters darstellen.4 Es genügt ein immaterielles Interesse des Gesellschafters. Wichtig ist die Erkenntnis, dass der Begriff der nahestehenden Person im Bereich der vGA nicht mit dem des § 1 Abs. 2 AStG identisch ist. Die Begriffe weichen wesentlich voneinander ab.5 Wichtig ist ferner, dass bei einer vGA innerhalb einer Beteiligungskette (z.B. von einer Enkel- an ihre Muttergesellschaft) der Gedanke des Nahestehens nur in dem Sinne durchschlägt, dass der Beteiligungsertrag zunächst der Tochtergesellschaft zugerechnet und anschließend von ihr als an die Muttergesellschaft ausgeschüttet behandelt wird. Anders ausgedrückt werden mehrfache vGA angenommen, was jedenfalls dann bedenklich ist, wenn das Vermögen der zwischengeschalteten Tochtergesellschaft nicht berührt wird.6 Bei vGA zwischen Schwestergesellschaften
1 Vgl. BFH v. 22.2.1989 – I R 9/85, BStBl. II 1989, 631 = BFHE 156, 428 = FR 1989, 562; v. 18.12.1996 – I R 139/94, BStBl. II 1997, 301 = BFHE 182, 184 = FR 1997, 350 2 Vgl. BFH v. 18.12.1996 – I R 139/94, BStBl. II 19971, 301 = BFHE 182, 184 = FR 1997, 350; v. 8.10.2008 – I R 61/07, BStBl. II 2011, 62 = BFHE 223, 131 = FR 2009, 583 m. Anm. Pezzer. 3 Vgl. Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG Teil C Rz. 158; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 170. 4 Vgl. BFH v. 25.5.2004 – VIII R 4/01, BFHE 207, 103 = FR 2005, 199 = BFH/NV 2005, 105. 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.3.2; Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 82. 6 Vgl. Wassermeyer, DStJG 30 (2007), 257 ff. (268).
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D. Verdeckte Gewinnausschüttung
wird der Beteiligungsertrag der gemeinsamen Muttergesellschaft zugerechnet.1 Bedeutung des Fremdvergleichs für die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis. Die Rechtsprechung beurteilt die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis seit dem BFH-Urt. v. 16.3.1967 an Hand eines Vergleichs zwischen dem tatsächlichen Geschehensablauf und dem hypothetischen Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Weicht der tatsächliche Geschehensablauf von dem ab, was ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter mutmaßlich unter vergleichbaren Voraussetzungen getan hätte, so wird die Veranlassung der Unterschiedsbetragsminderung durch das Gesellschaftsverhältnis widerlegbar vermutet. Dem Steuerpflichtigen wird anheim gestellt darzulegen, dass sein Verhalten entgegen dem Vermuteten auf „good business-reasons“ beruhte. Gelingt der entsprechende Nachweis, so wird von dem Ansatz einer vGA abgesehen. Bekanntlich baut das Abkommensrecht in Art. 9 OECD-MA die Verrechnungspreisproblematik unmittelbar auf der Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf.2 Auch § 1 AStG ist sehr viel unmittelbarer auf die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes gerichtet. Insoweit ist der Ausgangspunkt der Rechtsprechung zur vGA moderater, auch wenn im Endergebnis kaum Abweichungen festzustellen sind. Jedoch zeigen die Überlegungen, welche Bedeutung dem Fremdvergleich zukommt, weshalb er in dem folgenden Abschnitt gesondert angesprochen werden soll.
2.42
IV. Vorteilsgeneigtheit der Unterschiedsbetragsminderung Begriff „Vorteilsgeneigtheit“. In seinem Urteil vom 7.8.2002 hat der BFH3 erstmalig als weitere Tatbestandsvoraussetzung einer vGA gefordert, dass die Unterschiedsbetragsminderung die Eignung haben müsse, bei dem betroffenen Gesellschafter den Zufluss eines Vermögensvorteils i.S.d. § 8 Abs. 1 EStG auszulösen. Die Entscheidung betraf Beiträge für eine Rückdeckungsversicherung, die eine GmbH abgeschlossen hatte, um die Pensionsverbindlichkeit gegenüber ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer abzudecken. Der BFH behandelte die Differenz zwischen den Beiträgen und der zu aktivierenden Forderung auf die Lebensversicherung als betrieblichen Aufwand, der keine vGA auslöste. Die Rechtsprechung dient der Abgrenzung zwischen einer vGA und sonstigen Schäden, die der Gesellschafter-Geschäftsführer seiner GmbH z.B. aufgrund falscher Entscheidungen oder sonstiger Schädigungshandlungen zufügen kann. Sie bedeutet auch, dass nicht jeder Schaden, den ein Gesell1 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = BFHE 151, 523 = FR 1988, 160. 2 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BFH/NV 2013, 324; Anm. Ditz in ISR 2013, 54; Anm. Pezzer in FR 2013, 415; Anm. Böhmer in IStR 2013, 270. 3 BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131 = BFHE 200, 197 = FR 2003, 132.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
schafter-Geschäftsführer seiner GmbH zufügt, zwangsläufig eine vGA ist. Die Vorteilsgeneigtheit der Unterschiedsbetragsminderung heißt nicht, dass ein Zufluss des Vorteils i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG beim Gesellschafter Voraussetzung ist, um die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG anwenden zu können. Es reicht aus, dass die Unterschiedsbetragsminderung dem betroffenen Gesellschafter künftig zufließen könnte. Der Zufluss kann sich in mehreren Teilbeträgen vollziehen, was das Beispiel einer unangemessen hohen Pensionszusage belegt. Unschädlich für die Annahme einer vGA ist auch, wenn es zu dem Zufluss nicht mehr kommt, weil der Gesellschafter vor Eintritt des Pensionsfalles verstirbt (vgl. Rz 2.31). Dies schließt die Vorteilsgeneigtheit der Unterschiedsbetragsminderung nicht aus.
2.44
Weitere Entscheidungen. Der BFH hat an dem Erfordernis der Vorteilsgeneigtheit in weiteren Entscheidungen1 festgehalten. Er hat die Vorteilsgeneigtheit allerdings überwiegend bejaht. Dies gilt für die Zusage einer sog. Nur-Pension,2 für die Tätigkeit eines Betriebes gewerblicher Art für den Hoheitsbetrieb der Trägerkörperschaft ohne Deckung der Vollkosten,3 für die Übernahme der Kosten anlässlich des Geburtstages des Geschäftsführers, der zugleich mittelbarer Gesellschafter ist, durch eine GmbH.4 Dies kann auch im Falle einer bloßen Wertberichtigung einer Forderung gegenüber dem Gesellschafter zu bejahen sein.5 An der Vorteilsgeneigtheit fehlt es dagegen, wenn eine irische Kapitalgesellschaft freiwillig in Irland eine höhere Körperschaftsteuer zahlt, um eine Hinzurechnungsbesteuerung bei ihrem im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter zu vermeiden.6 In seinem Urteil vom 17.11.20047 hat der BFH die Auffassung vertreten, dass die Frage, ob eine Kapitalgesellschaft ein Verlustgeschäft im eigenen Gewinninteresse oder im Interesse der Gesellschafter durchgeführt hat, nach den Kriterien zu prüfen sei, die zur Abgrenzung zwischen Einkunfts1 BFH v. 28.1.2004 – I R 87/02, BFHE 205, 181 = BFH/NV 2004, 736; v. 14.7.2004 – I R 16/03, BStBl. II 2004, 1010 = BFHE 207, 147 = FR 2004, 1281; v. 14.7.2004 – I R 57/03, BFHE 206, 431 = FR 2004, 1277 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2004, 1603; v. 17.11.2004 – I R 56/03, BFHE 208, 519 = FR 2005, 589 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2005, 793; v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190 = BFHE 209, 199; v. 9.11. 2005 – I R 89/04, BStBl. II 2008, 523 = BFHE 211, 287 = FR 2006, 173 m. Anm. Pezzer; v. 3.5.2006 – I R 124/04, BFHE 214, 80 = BFH/NV 2006, 1729.= FR 2006, 889 m. Anm. Hans. 2 BFH v. 9.11.2005 – I R 89/04, BStBl. II 2008, 523 0 BFHE 211, 287 = FR 2006, 173 m. Anm. Pezzer. 3 BFH v. 28.1.2004 – I R 87/02, BFHE 205, 181 = BFH/NV 2004, 736. 4 BFH v. 14.7.2004 – I R 57/03, BFHE 206, 431 = FR 2004, 1277 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2004, 1603. 5 BFH v. 14.7.2004 – I R 16/03, BStBl. II 2004, 1010 = BFHE 207, 147 = FR 2004, 1281. 6 BFH v. 3.5.2006 – I R 124/04, BFHE 214, 80 = BFH/NV 2006, 1729 = FR 2006, 889 m. Anm. Hans. 7 BFH v. 17.11.2004 – I R 56/03, BFHE 208, 519 = BFH/NV 2005, 793 = FR 2005, 589 m. Anm. Pezzer.
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D. Verdeckte Gewinnausschüttung
erzielung und „Liebhaberei“ entwickelt worden seien. Erwerbe und unterhalte eine GmbH ein Einfamilienhaus, das an den Gesellschafter-Geschäftsführer zu dessen privater Nutzung vermietet werde, so müsse die angemessene Miete nach den Grundsätzen der Kostenmiete zzgl. eines angemessenen Gewinnzuschlags bemessen werden. Vorteile der GmbH aus der Inanspruchnahme begünstigter Aufwendungen nach § 82i EStDV 1990 seien nicht einzubeziehen. Ähnlich hat der BFH durch Urteil vom 21.6.20131 bezogen auf die unentgeltliche Überlassung eines Ferienhauses in Spanien durch eine ausländische Kapitalgesellschaft zugunsten ihres inländischen Gesellschafters entschieden. Nach der Auffassung des BFH löst das Unterhalten eines strukturell dauerdefizitären Betriebs gewerblicher Art durch eine Gebietskörperschaft ohne Verlustausgleich und angemessenen Gewinnaufschlag durch die Trägerkörperschaft eine vGA aus.2
V. Rechtsfolge der verdeckten Gewinnausschüttung Gewinnkorrektur. Die vGA kann eine doppelte Rechtsfolge auslösen. Zum einen ergibt sich auf der Ebene der ausschüttenden Gesellschaft eine Hinzurechnung gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, d.h. eine Gewinnerhöhung, die i.d.R. die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer erhöht. Die Hinzurechnung kann allerdings auch in den Bereich steuerfreier Einkünfte fallen. Dies gilt z.B. dann, wenn die vGA sich im Bereich steuerfreier ausländischer Betriebsstätteneinkünfte vollzieht, weil ein Wirtschaftsgut des Betriebsstättenvermögens zu einem unangemessen niedrigen Preis an einen Gesellschafter veräußert wird. Ist auf die ausschüttende Gesellschaft entweder § 8 Abs. 2 KStG anzuwenden oder erzielt sie gewerbliche Einkünfte i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG, dann hat die Hinzurechnung gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG grundsätzlich die Eignung, auf die Gewerbesteuer durchzuschlagen. Dies setzt allerdings voraus, dass sie sich auf die Höhe inländischer Betriebsstätteneinkünfte auswirkt.
2.45
Beteiligungsertrag. Die vGA kann sich gleichzeitig als Beteiligungsertrag eines Gesellschafters i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auswirken. Der Beteiligungsertrag kann seinerseits der Einkommen-, Körperschaft- und/ oder Gewerbesteuer unterliegen. § 8b Abs. 1 KStG und § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG finden grundsätzlich Anwendung. Grenzüberschreitend kann der Beteiligungsertrag deutsche Kapitalertragsteuer auslösen. § 43 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 4 EStG sind zu beachten. Ein Beteiligungsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG setzt den Abfluss bei der ausschüttenden Kapitalgesellschaft voraus. Abfluss und Zufluss können unmittelbar einander nachfolgen. Der Zufluss i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG beim Gesellschafter kann sich entweder zeitgleich mit der Unterschiedsbetragsmin-
2.46
1 BFH v. 21.6.2013 – I R 109-111/10, IStR 2013, 834. 2 BFH v. 14.7.2004 – I R 9/03, BFHE 207, 142 = FR 2005, 146 und v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961 = FR 2007, 1160 m. Anm. Orth.
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derung bei der ausschüttenden Gesellschaft oder aber nach der Unterschiedsbetragsminderung vollziehen. Er kann nicht zeitlich vor der Unterschiedsbetragsminderung liegen. Das Problem stellte sich im Rahmen des § 8a KStG a.F. zu der Frage, ob die Umqualifizierung von gezahlten Zinsen in vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu einem Zufluss i.S.d. §§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und 11 EStG führte. Der BFH hat dies bejaht.1 Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Frage zu verneinen.2 Zu beachten ist allerdings, ob der Gesellschafter seine Beteiligungserträge im Rahmen eines Betriebsvermögens erzielt. Soweit er seinen Gewinn durch Bilanzierung ermittelt, kann der entsprechende Zufluss vor dem Abfluss bei der Kapitalgesellschaft liegen. Im Einzelfall sind die Sonderregelungen des § 44 Abs. 2 EStG zu beachten. Wichtig ist auch der Unterschied zwischen § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG einerseits und § 1 AStG andererseits. § 1 AStG will nur eine Einkünfteminderung ausgleichen. Die Vorschrift schafft jedoch keine „fiktiven“ Beteiligungserträge eines Gesellschafters, die ihrerseits der Kapitalertragsteuer unterliegen.
2.47
Gegenberichtigung. Die vGA kann eine Gegenberichtigung i.S.d. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA bei einem anderen nahestehenden Unternehmen auslösen. Zahlt z.B. eine inländische Tochterkapitalgesellschaft einen unangemessen hohen Preis für Produktlieferungen ihrer ausländischen Mutterkapitalgesellschaft, die der deutsche Fiskus korrigiert, so kann die Korrektur eine Gegenberichtigung bei der Muttergesellschaft auslösen. Bei ihr sind die erzielten Einnahmen in der unangemessenen Höhe als Beteiligungserträge zu erfassen, die möglicherweise steuerfrei sind. Lehnt der Staat der Mutterkapitalgesellschaft eine Gegenberichtigung ab, so kann ein Verständigungsverfahren nach dem maßgeblichen DBA oder ein Verfahren nach der EU-Schiedskonvention oder aber ein Schiedsverfahren nach einem DBA eingeleitet werden (vgl. Rz. 10.6 ff. und 10.30 ff.).
E. Entnahme I. Begriff 2.48
Definition der Entnahme im EStG. Die Entnahme wird in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG definiert. Danach sollen Entnahmen alle Wirtschaftsgüter (Barentnahmen, Waren, Erzeugnisse, Nutzungen und Leistungen) sein, die der Steuerpflichtige dem Betrieb für sich, für seinen Haushalt oder für andere betriebsfremde Zwecke im Laufe des Wirtschaftsjahres entnommen hat. 1 Vgl. BFH v. 20.8.2008 – I R 29/07, BStBl. II 2010, 142 = BFHE 222, 500 = FR 2009, 239 m. Anm. Hahne. 2 Vgl. Wassermeyer, DStR 2004, 749; Wassermeyer in Gedächtnisschrift Trzaskalik, 331.
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E. Entnahme
Diese Definition ist gründlich misslungen. Zum einen wird die Entnahme durch die Worte „entnommen hat“ und damit durch sich selbst definiert. Zum anderen sind gerade nicht „alle Wirtschaftsgüter“ = Entnahmen. Vielmehr ist die Entnahme i.d.R. eine tatsächliche Handlung, durch die ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens entweder auf Dauer oder zeitlich vorübergehend einem betriebsfremden Zweck zugeführt wird. In diesem Sinne können nur Wirtschaftsgüter Objekt einer Entnahme sein. Deshalb sind aber nicht alle Wirtschaftsgüter Entnahmen. Auch der Klammerzusatz in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG ist verunglückt, weil Barentnahmen, Nutzungen und Leistungen gerade keine Wirtschaftsgüter sind. Wirtschaftsgüter sind allerdings das entnommene Bargeld sowie der Vermögensgegenstand, der zur Nutzung überlassen wird. Deshalb sind jedoch Waren und Erzeugnisse noch keine Entnahmen. Sie können lediglich Gegenstand einer Entnahme sein. Ob Leistungen Gegenstand einer Entnahme sein können, ist äußerst zweifelhaft. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG bedarf deshalb einer Auslegung, die letztlich den verfehlten Wortlaut korrigiert. Die Auslegung muss sich an dem Spiegelbild der Einlagedefinition in § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG orientieren. Wesensmerkmale der Entnahme. Entnahmen sind Wertabgaben eines Betriebsvermögens zu außerbetrieblichen Zwecken, was mit privaten Zwecken nicht verwechselt werden darf. Die Entnahme setzt die Existenz eines Betriebes voraus. Die Wertabgabe soll i.S. eines Korrekturtatbestandes gewinnrealisierend erfasst werden. Der Entnahmetatbestand hat nur insoweit eine Abgrenzungsfunktion der betrieblichen von der außerbetrieblichen Sphäre.1 Man kann die Entnahme auch als Entwidmung von Betriebsvermögen charakterisieren, wobei aus dem Betriebsvermögen kein Privatvermögen werden muss; ein Wirtschaftsgut kann auch in der Form einer Entnahme einem anderen Betrieb zugeführt werden. Veräußerung und Entnahme schließen sich begrifflich wechselseitig aus, weil die Veräußerung einen entgeltlichen und die Entnahme einen unentgeltlichen Vorgang voraussetzt.2 Der Entnahme ist jede Gegenleistung fremd. Gegenstand der Entnahme müssen entnahmefähige Wirtschaftsgüter sein. Diese können alternativ der Sache nach, d.h. auf Dauer, oder aber nur zur vorübergehenden außerbetrieblichen Nutzung entnommen werden. In diesem Sinne ist zwischen Sach- und Nutzungsentnahmen zu differenzieren. Die Entnahme setzt ein entnahmefähiges Wirtschaftsgut voraus, d.h. dasselbe muss außerhalb des Betriebes genutzt werden können. Die Entnahme erfordert i.d.R. eine Entnahmehandlung, die in der Zuführung eines Wirtschaftsgutes zu außerbetrieblichen Zwecken besteht. Nach § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG gilt für die Beurteilung von Entnahmen der sog. enge Begriffsbegriff, d.h. als Betrieb ist jede Wirtschaftseinheit zu verstehen, für die ein Gewinn gem. § 4 EStG ermittelt wird. In diesem Sinne 1 A.A. Bode in Kirchhof12, § 4 EStG Rz. 26; Weber-Grellet in Schmidt32, § 20 EStG Rz. 41. 2 BFH v. 23.4.1965 – VI 34/62 U, BStBl. III 1965, 477 = BFHE 82, 637.
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sind Entnahmen auch durch Überführung von einem Betrieb in einen anderen Betrieb desselben Steuerpflichtigen denkbar. Daneben ist die Zuführung eines Wirtschaftsgutes zu privaten Zwecken des Steuerpflichtigen der klassische Fall einer Entnahme. Die Entnahme kann auch in der unentgeltlichen Übertragung eines Wirtschaftsgutes des Betriebsvermögens aus dem Gesamthandvermögen einer Personengesellschaft in das Alleineigentum eines Mitunternehmers bestehen, selbst wenn es künftig dem Sonderbetriebsvermögen des Mitunternehmers zuzuordnen sein sollte. Dem steht § 6 Abs. 5 EStG nicht entgegen. Die Vorschrift regelt nur die Rechtsfolge einer entsprechenden Entnahme. Die Entnahme ist kein Gewinnrealisationstatbestand, sondern ein Ersatzrealisationstatbestand. Beisse spricht insoweit von R1- und R2-Tatbeständen und ordnet die Entnahme den sog. R2-Tatbeständen (= Realisierung im weiteren Sinne) zu.1 Die Entnahme hat auch eine Komplementärfunktion zur Einlage (vgl. Rz. 2.63). Seit der Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG durch das SEStEG2 im Jahr 2006 gibt es fiktive Entnahmen. Dienstleistungen werden entgegen dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG nicht entnommen, sondern lösen Aufwendungen aus, die als Einkommensverteilung zu beurteilen sind.
2.50
Nutzungen. Nach dem Klammerzusatz in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG können auch Nutzungen Gegenstand einer Entnahme sein, obwohl Nutzungen keine Wirtschaftsgüter sind und der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG insoweit verfehlt ist. Man spricht in der Praxis dennoch von Nutzungsentnahmen. Gedanklich ist dies die zeitlich vorübergehende Nutzung eines Wirtschaftsgutes des Betriebsvermögens zu außerbetrieblichen Zwecken. Die Rechtsprechung3 misst insoweit dem Klammerzusatz des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG begriffsbestimmende Bedeutung zu. Dennoch hat die Rechtsprechung den Gedanken einer Nutzungsentnahme nicht folgerichtig umgesetzt. Dies gilt zum einen für die Bewertung der Nutzungsentnahme. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist auf Nutzungsentnahmen nicht anwendbar. Der Eingangssatz von § 6 Abs. 1 EStG belegt, dass die Vorschrift nur die Bewertung von Wirtschaftsgütern und nicht auch die von Nutzungen und Leistungen im Auge hat. Die Rechtsprechung hat die bestehende Gesetzeslücke dadurch geschlossen, dass sie Nutzungsentnahmen mit den durch sie veranlassten anteiligen Aufwendungen bewertet.4 Die Rechtsprechung deklariert damit die anteiligen Aufwendungen als nicht durch den Betrieb veranlasst, was an sich etwas anderes als eine Entnahme ist. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der steuerrechtliche Wert einer Nutzungsentnahme keinen Gewinnaufschlag ausdrückt, was zu Problemen führt, wenn das genutzte Wirtschaftsgut privat 1 Wie hier: Beisse, DStJG 4 (1981), 13 ff. 2 SEStEG v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. 3 Vgl. BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = BFHE 151, 523 = FR 1988, 160. 4 Vgl. BFH v. 24.5.1989 – I R 213/85, BStBl. II 1990, 8 = BFHE 157, 521 = FR 1989, 682.
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E. Entnahme
veranlasst untergeht.1 Die Rechtsprechung ist auch insoweit inkonsequent, als bei der Nutzungsüberlassung einer Mutterkapitalgesellschaft an ihre Tochterkapitalgesellschaft § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG keine Anwendung findet. Es werden Betriebsausgaben der Muttergesellschaft auf ihre Beteiligung an der Tochtergesellschaft angenommen. Leistungen. Nach dem Klammerzusatz in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG können auch Leistungen Entnahmen sein. Dies ist für Leistungen, die zugleich Lieferungen sind, unproblematisch, weil ihnen ein Wirtschaftsgut als Liefergegenstand zugrunde liegt.2 Die sonstigen Leistungen bestehen dagegen vor allem aus nicht betrieblich veranlassten Dienstleistungen. Hier stellen sich ähnliche Probleme wie bei den Nutzungsentnahmen. Zum einen passt die Bewertungsvorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG nicht, weil sie sich nur auf Wirtschaftsgüter bezieht. Privat veranlasste Dienstleistungen sind jedoch keine Wirtschaftsgüter. Die Rechtsprechung behilft sich wiederum damit, dass sie die durch als Entnahmen zu behandelnden Dienstleistungen veranlassten Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben, sondern als privat veranlasst behandelt. Dies ist eigentlich ein Gedankenansatz, der nur entfernt mit der Entnahme im Zusammenhang steht. Auch hier taucht das Phänomen auf, dass Dienstleistungen, die eine Mutterkapitalgesellschaft ihrer Tochterkapitalgesellschaft erbringt, außerhalb des § 1 AStG Betriebsausgaben der Mutterkapitalgesellschaft auf ihre Beteiligung an der Tochterkapitalgesellschaft auslösen. In diesen Fällen wird also wegen der fehlenden außerbetrieblichen Veranlassung eine Leistungsentnahme verneint.
2.51
Finale Entnahmelehre. Der BFH3 hat den Entnahmetatbestand über viele Jahre hinweg teleologisch i.S. eines Entstrickungsgedankens ausgelegt. Dadurch gelangte er teils zu Einschränkungen und teils zu Erweiterungen des Entnahmetatbestandes. Die Einschränkungen betrafen die Sachverhalte, in denen das Wirtschaftsgut zwar von einem Betrieb in einen anderen überführt wurde, jedoch innerhalb der betrieblichen Gesamtsphäre desselben Steuersubjekts verblieb. In diesen Fällen verneinte der BFH eine Entnahme. Entsprechende gesetzliche Regelungen finden sich heute – teilweise modifiziert – in § 6 Abs. 3 und 5 EStG. Im Sinne einer Erweiterung des Entnahmetatbestandes wurden dessen Voraussetzungen auch bejaht, wenn Wirtschaftsgüter in einen Bereich anderer Gewinnermittlungsart oder anderer Einkunftsart mit der Folge verbracht wurden, dass die künftige steuerrechtliche Erfassung der stillen Reserven nicht mehr gewährleistet war. Zu diesen Erweiterungstatbeständen sollte auch der Fall gehören, dass ein Wirtschaftsgut von einer inländischen Betriebsstätte in eine ausländische mit der Folge verbracht wird, dass die Besteuerung der stillen Reserven
2.52
1 Vgl. Wassermeyer, DB 2003, 2616; Gschwendtner, DStR 2004, 1638. 2 Vgl. § 3 Abs. 1 UStG. 3 Vgl. BFH v. 21.12.1977 – I R 247/74, BStBl. II 1978, 305 = BFHE 124, 199.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
künftig dem ausländischen Staat obliegt.1 Der Gesetzgeber wollte diesen Grundsatz in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und in § 12 Abs. 1 KStG gesetzlich verankern. Die Rechtsprechung beruhte auf der falschen Vorstellung, ein später in der Betriebsstätte realisierter Erlös (Außenumsatz) könne nur dem Betriebsstättenstaat und nicht anteilig auch dem Stammhausstaat zugeordnet werden. Die herrschende Meinung2 ging davon aus, dass der Außenumsatz insoweit anteilig dem inländischen Stammhaus zugeordnet werden kann, als er auf einen Wertschöpfungsbeitrag des Stammhauses zu einem Außenumsatz entfällt.3 In der früher vom BFH vertretenen Auffassung drückte sich ein verfehltes Verständnis von Art. 7 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA aus. Richtigerweise scheidet kein Wirtschaftsgut aus dem Besteuerungsrecht eines Staates aus, sondern es sind Erlöse und Aufwendungen nach dem „Dealing-atarm’s-length-Grundsatz“ abzugrenzen. Zum anderen glaubte der BFH, mit seiner überholten Rechtsprechung die Besteuerung jedes Leistungsbeitrags zum Fremdvergleichspreis sicherstellen zu können und zu müssen. Tatsächlich war aber die Entnahme früher gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG mit dem Teilwert zu bewerten. Insbesondere im Bereich des Umlaufvermögens entspricht der Teilwert regelmäßig den Wiederbeschaffungskosten. Die Wiederbeschaffungskosten erfassen jedoch keinen Gewinnaufschlag, weshalb es die Folge der Rechtsprechung war, dass Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens praktisch zu den Herstellungskosten aus dem Stammhausvermögen ausschieden und in die Betriebsstätte zu überführen waren. Der tatsächlich erzielte Gewinn wäre ausschließlich auf die Betriebsstätte entfallen. Dafür fehlte jedoch jeder Rechtfertigungsgrund.4 Die Differenzierung zwischen Betriebsstätten in DBA-Staaten und in Nicht-DBA-Staaten war zudem in sich fragwürdig, weil es an der dafür erforderlichen Rechtsgrundlage fehlte. Dies wurde besonders in den Fällen deutlich, in denen ein DBA nach dem Zeitpunkt der Innentransaktion 1 Vgl. BFH v. 16.7.1969 – I 26/65, BStBl. II 1970, 175 = BFHE 97, 342; v. 28.4.1971 – I R 55/66, BStBl. II 1971, 630 = BFHE 102, 374; v. 30.5.1972 – VIII R 111/69, BStBl. II 1972, 760 = BFHE 106, 198; v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246 = BFHE 117, 563; v. 24.11.1982 – I R 123/78, BStBl. II 1983, 113 = BFHE 137, 59 = FR 1983, 198; v. 14.6.1988 – VIII R 387/83, BStBl. II 1989, 187 = BFHE 154, 309 = FR 1988, 671; v. 13.11.1990 – VIII R 152/86, BStBl. II 1991, 94 = BFHE 162, 345 = FR 1991, 117; v. 15.6.2004 – VIII R 7/02, BStBl. II 2004. 914 = BFHE 206, 388; v. 7.10.1974 – GrS 1/73, BStBl. II 1975, 168 = BFHE 114, 189. 2 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 246; Buciek in F/W/K, Art. 7 DBA-Schweiz Rz. 461; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.337 ff.; Schaumburg, DStJG 4 (1981), 247 ff.; Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 296 ff.; Baranowski, DB 1962, 881; Schieber, Besteuerung von Auslandsbeziehungen, 35 ff.; Bellstedt, Besteuerung international verflochtener Unternehmen, 217 ff.; Kramer, StuW 1991, 151 (156); Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 171; Kumpf, StbJb. 1988/89, 399 (412): Pach-Hanssenheimb, DB 1989, 1581 (1583); Pach-Hanssenheimb, BB 1992, 2115 (2121). 3 A.A. sind allerdings Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 76, die einen von der Betriebsstätte getätigten Außenumsatz stets dieser zuordnen wollen. 4 Vgl. BFH v. 21.1.1972 – III R 57/71, BStBl. II 1972, 374 = BFHE 104, 471.
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E. Entnahme
erstmalig anzuwenden war. Schließlich war die Rechtsprechung auch nicht mit dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG in Einklang zu bringen. Danach setzt die Entnahme eine Zuführung des Wirtschaftsgutes zu außerbetrieblichen Zwecken voraus. Die ausländische Betriebsstätte ist aber Teil des Gesamtunternehmens. Bei Überführungen zwischen verschiedenen Unternehmensteilen fehlte es deshalb an der Zuführung zu außerbetrieblichen Zwecken (vgl. Rz. 2.3).1 Die Rechtsprechung des BFH war auch mit seiner in anderen Entscheidungen2 aufgestellten These unvereinbar, dass eine Kapitalgesellschaft keine Privatsphäre haben könne. Gerade deshalb war die Beurteilung einer Innentransaktion als Entnahme ausgeschlossen. Es kam hinzu, dass die Rechtsprechung den nach § 5 Abs. 1 EStG anzuwendenden Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung widersprach. Danach ist das sog. Realisationsprinzip zu beachten. Dies bedeutet, dass ein Gewinn grundsätzlich erst dann ausgewiesen werden darf, wenn er durch einen Außenumsatz verwirklicht ist.3 Letztendlich war die Rechtsprechung aber auch vor dem Hintergrund des EURechts nicht zu halten. Führen Innentransaktionen zwischen einem inländischen Stammhaus und einer inländischen Betriebsstätte zu keiner Gewinnrealisierung, so muss innerhalb der EU Entsprechendes für solche zwischen einem inländischen Stammhaus und einer ausländischen EUBetriebsstätte und umgekehrt gelten. Insoweit kann es auch nicht darauf ankommen, ob die spätere Erfassung realisierter stiller Reserven im Inland sicher ist. Dies gilt auch für die vom BFH4 fast schon gebetsmühlenartig wiederholte Formel, eine Entnahme sei nur dann gegeben, wenn ein Wirtschaftsgut aus dem betrieblichen Bereich in den privaten Bereich übergehe oder wenn es innerhalb des betrieblichen Bereichs von einem Betrieb oder Betriebsteil in einen anderen übergehe und dabei eine spätere steuerrechtliche Erfassung der stillen Reserven nicht gewährleistet sei. Diese Rechtsprechung ist mit dem EuGH-Urt. v. 11.3.20045 unvereinbar. Danach kann es auf die Sicherstellung der künftigen Besteuerung von stillen Reserven nicht ankommen. Aus der Definition der Entnahme in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG lässt sich ebenfalls kein Hinweis auf das Sicherstellungserfordernis entnehmen. Der Übergang eines Wirtschaftsgutes von einem Betriebsteil in einen anderen ist auch dann keine Entnahme, wenn die künftige Besteuerung stiller Reserven nicht sichergestellt ist. Es kann deshalb 1 Vgl. Kramer, StuW 1991, 151 (156); Meilicke/Hohlfeld, BB 1972, 505 (508); Kohlenbach, DB 1972, 360; Becker, StbJb. 1964/65, 479 (504); Flick, StbJb. 1964/65, 433 (456); Hellwig, DStR 1969, 161 (162). 2 Vgl. BFH v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123 = FR 1997, 311; v. 22.1.1997 – I R 64/96, BStBl. II 1997, 548 = BFHE 182, 530 = FR 1997, 578. 3 Vgl. BFH v. 16.12.1975 – VIII R 3/74, BStBl. II 1976, 246 = BFHE 17, 563. 4 Vgl. BFH v. 7.10.1974 – GrS 1/73, BStBl. II 1975, 168, 170 = BFHE 114, 189 m.w.N.; v. 16.2.1996 – I R 183/94, BStBl. II 1996, 342 = BFHE 180, 97 = FR 1996, 500 m. Anm. Kempermann; v. 25.7.2000 – VIII R 46/99 BFHE 192, 516; v. 15.6. 2004 – VIII R 7/02, BStBl. II 2004, 914 = BFHE 206, 388. 5 Vgl. EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – Hughes de Lasteyrie du Saillant, FR 2004, 659 = GmbHR 2004, 504.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
nicht verwundern, dass der BFH seine Rechtsprechung durch Urteil vom 17.7.20081 aufgegeben hat. Er hat sich nunmehr der hier vertretenen Auffassung angeschlossen. Dies geschah allerdings zu einem Zeitpunkt, als der Gesetzgeber durch die Einführung von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und von § 12 KStG eine gewisse Kehrtwendung vorgenommen hatte. Die Auswirkungen der geänderten Rechtsprechung auf die neue Rechtslage sind noch nicht abzusehen, zumal der BFH2 für eine Zuordnung von Veräußerungsgewinnen zu einer nicht mehr existenten Betriebsstätte eintritt und dies dem Grundgedanken widerspricht, auf dem § 4 Abs. 1 Satz 3 und § 12 Abs. 1 KStG aufbauen.
2.53
Fiktive Entnahmen. Durch § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des SEStEG3 wurde eine fiktive Entnahme eingeführt, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG mit dem gemeinen Wert zu bewerten ist. Die fiktive Entnahme besteht tatbestandsmäßig in dem Ausschluss oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsgutes. Auch diese Formulierung ist verunglückt. Zum einen ist eine entsprechende fiktive Entnahme erst dann gegeben, wenn das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland bereits ausgeschlossen oder beschränkt ist. Der Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts bezieht sich auf die Anwendung eines von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen DBA, das die Besteuerung eines Veräußerungsgewinnes ausschließlich dem anderen Vertragsstaat zuweist. Die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland bezieht sich auf die Anrechnung ausländischer Steuern, die Deutschland auf der Basis entweder eines DBA oder des § 34c EStG gewähren muss. Beides setzt jedoch streng genommen eine Veräußerung voraus. Erst im Falle der Veräußerung kann mit Sicherheit gesagt werden, ob ein DBA das deutsche Besteuerungsrecht ausschließt bzw. ob das Besteuerungsrecht beschränkt ist. Der Gesetzgeber will jedoch den im Falle einer Veräußerung drohenden Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts zum Anlass nehmen, die stillen Reserven bereits zu einem Zeitpunkt zu versteuern, in dem das Besteuerungsrecht noch nicht ausgeschlossen ist. Wann im Einzelfall das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen oder beschränkt wird, ist sehr umstritten. Während insbesondere die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass jede Überführung eines Wirtschaftsgutes von einer inländischen in eine ausländische Betriebsstätte die Eignung besitzt, das deutsche Besteuerungsrecht für Veräußerungsgewinne entweder auf den ausländischen Staat übergehen zu lassen oder zu beschränken, vertritt vor allem Wassermeyer4 die Auffas1 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = BFHE 222, 402 = FR 2008, 1149. 2 Vgl. BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432. 3 SEStEG v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. 4 Wassermeyer, DB 2006, 1176; Wassermeyer, DB 2006, 2420.
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E. Entnahme
sung, dass die in einer inländischen Betriebsstätte angewachsenen stillen Reserven uneingeschränkt dem Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland unterliegen. Dies ist auch die Auffassung des BFH in seinem Urteil vom 17.7.2008.1 Es bestehen insoweit große Rechtsunsicherheiten, zumal unklar ist, wie sich die Vertragsstaaten in konkreten Einzelfällen verhalten. Die ausländischen Vertragsstaaten müssen sich nicht einheitlich verhalten. Die Konstruktion einer fiktiven Entnahme ist auch insoweit in sich widersprüchlich, weil das Wirtschaftsgut im Regelfall nicht aus dem Betriebsvermögen ausscheidet, sondern in demselben verbleibt und deshalb weiterhin bilanziert werden muss. Insoweit interessiert der Wert, mit dem das Wirtschaftsgut in der Steuerbilanz anzusetzen ist (vgl. dazu Rz. 2.57 f.). Schließlich ist die Formulierung der fiktiven Nutzungsentnahme misslungen. Nach dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, der an den Klammerzusatz in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG anknüpft, genügt es für die Annahme einer fiktiven (Sach-)Entnahme, dass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Nutzung beschränkt wird. Eine solche Beschränkung ist jedoch undenkbar. Vermietet ein inländisches Unternehmen ein Wirtschaftsgut an ein ausländisches Unternehmen, so bleibt das Besteuerungsrecht Deutschlands immer uneingeschränkt bestehen. Sollte das Wirtschaftsgut schon vor seiner Vermietung einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sein, so wird das deutsche Besteuerungsrecht jedenfalls durch die Vermietung nicht eingeschränkt. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bezieht sich im Übrigen nicht auf vertragliche Nutzungsüberlassungen zwischen selbständigen Rechtsträgern, sondern auf die Nutzungsüberlassung zwischen verschiedenen Teilen desselben Unternehmens. Solche Nutzungsüberlassungen gibt es indes nicht. Der Gesetzgeber hätte sie fingieren müssen, was er jedoch ausweislich des Gesetzeswortlauts nicht getan hat. Nimmt man den Gesetzeswortlaut wörtlich, so löst die „fiktive Nutzungsentnahme“ unter der Voraussetzung der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts eine Sachentnahmebesteuerung aus. Dies ist jedoch vermutlich nicht gewollt. Entnahmen bei Körperschaften. Wochinger2 vertritt die Auffassung, dass Entnahmen lediglich zu einem Zugehörigkeitswechsel von einem Sektor zu einem anderen desselben Steuerpflichtigen führe. Dadurch unterscheide sich die Entnahme wesentlich von einer Ausschüttung. Wochinger leitet daraus ab, dass Entnahmen bei Kapitalgesellschaften grundsätzlich nicht in Betracht kommen könnten, weil sie keine Privatsphäre hätten und deshalb keine Wirtschaftsgüter in eine Privatsphäre überführen könnten. Letzteres ist zwar zutreffend. Dennoch wird die Auffassung Wochingers weder dem (allerdings verfehlten) Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 2 1 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = BFHE 222, 402 = FR 2008, 1149. 2 Wochinger in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG Rz. 39 und 40; ähnlich Meyer/Sievers, DStR 1990, 543.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
EStG noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift gerecht. Die Vorschrift erfasst jedwede Zuführung eines Wirtschaftsgutes zu einem außerbetrieblichen Zweck. Der außerbetriebliche Zweck kann auch in einem Zugehörigkeitswechsel bestehen. Ein solcher liegt z.B. vor, wenn ein Einzelunternehmer einen Pkw des Betriebsvermögens seiner Ehefrau schenkt und die Ehefrau den Pkw weiterhin zur betrieblichen Nutzung im Einzelunternehmen des Ehemannes verwendet. Richtig ist lediglich, dass die vGA lex specialis im Verhältnis zur Entnahme ist.1 Soweit tatbestandsmäßig eine vGA anzunehmen ist, schließt dies eine Entnahme aus. Entnahmen kommen jedoch auch bei Kapitalgesellschaften in Betracht, wenn z.B. eine Muttergesellschaft ein Wirtschaftsgut unentgeltlich auf ihre Tochtergesellschaft überträgt.2 In diesem Fall wird das Wirtschaftsgut in das Vermögen der Tochtergesellschaft eingelegt. Die Einlage bei der Tochtergesellschaft ist aber keine Rechtsgrundlage für die Realisierung der stillen Reserven innerhalb des Wirtschaftsgutes bei der Muttergesellschaft. Aus der Sicht der Muttergesellschaft wird das Wirtschaftsgut aus deren Vermögen entnommen. § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist die Rechtsgrundlage für die Annahme einer Realisierung der stillen Reserven bei der Muttergesellschaft.3
2.55
Verhältnis der Entnahme zu § 12 Abs. 1 KStG. Der Gesetzgeber hat durch das SEStEG4 auch § 12 Abs. 1 KStG vollständig neu formuliert. Danach wird eine fiktive Veräußerung oder eine fiktive Überlassung des Wirtschaftsgutes zum gemeinen Wert angenommen, wenn bei einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsgutes ausgeschlossen oder beschränkt wird. An sich müssen alle Sachverhalte, die unter § 12 Abs. 1 KStG fallen, gleichzeitig unter § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG fallen. Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen den Vorschriften. § 12 Abs. 1 KStG fingiert eine Veräußerung bzw. Nutzungsüberlassung, die an sich auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung zu erfassen ist. Die in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG fingierte Entnahme ist dagegen nach dem 1 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = BFHE 151, 523 = FR 1988, 160. 2 Vgl. BFH v. 18.12.1990 – VIII R 17/85, BStBl. II 1991, 512 = BFHE 163, 352 = FR 1991, 243; v. 20.7.2005 – X R 22/02, BStBl. II 2006, 457 = BFHE 210, 345; Wassermeyer, BB 1994, 1. 3 Vgl. BFH v. 18.12.1990 – VIII R 17/85, BStBl. II 1991, 512 = BFHE 163, 352 = FR 1991, 243; v. 20.7.2005 – X R 22/02, BStBl. II 2006, 457 = BFHE 210, 345; Wassermeyer, DB 1987, 113 ff. (115); Wassermeyer, BB 1994, 1 ff. (3); Kulosa in Schmidt32, § 6 EStG Rz. 551; Weber-Grellet, DB 1998, 1532; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 116; Frotscher in Frotscher/Maas, § 8 KStG Rz. 105, 106; Füger/ Rieger, DStR 2003, 628; a.A. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht9, 217. 4 SEStEG v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782.
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E. Entnahme
Wortlaut von § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG außerhalb der Steuerbilanz auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung zu erfassen. Konsequenterweise hätten beide Vorschriften auch etwas darüber aussagen müssen, mit welchen Anschaffungskosten das Wirtschaftsgut nach Anwendung von § 12 Abs. 1 KStG bzw. von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG zu bilanzieren ist. Weitergehende Unterschiede. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der vGA einerseits und der Entnahme andererseits besteht darin, dass die vGA sehr viel stärker unter Leistungsentgeltgesichtspunkten gesehen wird, während sich die Entnahme sehr viel stärker von einem Neutralisierungsgedanken leiten lässt. Dies wird bei Nutzungsüberlassungen sehr deutlich. Ist die Nutzungsüberlassung als vGA zu beurteilen, so wird sie mit ihrem gemeinen Wert, d.h. einschließlich eines Gewinnaufschlages bewertet. Ist die Nutzungsüberlassung dagegen bloße Entnahme, so wird diese mit den anteiligen Selbstkosten des Unternehmens (Werteinbuße für das Betriebsvermögen) ohne jeden Gewinnaufschlag bewertet.1
2.56
II. Bewertung Teilwert/gemeiner Wert. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 1 EStG ist die Entnahme grundsätzlich mit dem Teilwert zu bewerten. Der Teilwert ist ein steuerrechtlicher Begriff, den das Handelsrecht nicht verwendet. Er entspricht dem niedrigeren Wert und dem Tageswert, wie sie das Handelsrecht kennt. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG und § 10 Satz 2 BewG definieren den Teilwert als den Betrag, den der Erwerber des ganzen Betriebes im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde. Dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführen würde. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG ist dagegen die fiktive Entnahme mit dem gemeinen Wert des entnommenen Wirtschaftsgutes zu bewerten. Der RFH hat in seinem Urteil vom 13.12.19282 ursprünglich einmal den Teilwert i.S. einer Gesetzeslückenfüllung als Unterform des gemeinen Wertes verstanden. Maßgebend sei der Wert, der dem entnommenen Gegenstand in der Zeit seiner betrieblichen Nutzung (Verbrauch) beizumessen sei. Es müsse außer Acht bleiben, was die weitere betriebliche Verwertung des Gegenstandes einerseits an Kosten und andererseits an Gewinnen (Nutzen) ausgelöst haben würde. 1934 wurde der Teilwertbegriff in das EStG eingeführt.3 Der Teilwert will den wertbestimmenden Einfluss der Zugehörigkeit eines Wirtschaftsgutes zu einem bestimmten Unternehmen berücksichtigen. Im Gegensatz zum gemeinen Wert stellt er nicht auf den gewöhnlichen Geschäftsverkehr, sondern auf die Umstände des konkreten Einzelfalls ab. Der Unterschied zwischen dem Teilwert und dem gemeinen Wert wird deutlich, 1 Vgl. Wassermeyer, DB 2003, 2616. 2 RFH v. 13.12.1928 – VI A 1527/28, RFHE 24, 257 (258). 3 Vgl. Begründung zum EStG 1934 in RStBl. 1935, 33 (38), Euler, DStJG 7 (1984), 160; Doralt, DStJG 7 (1984), 143.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
wenn man an selbst hergestellte Produkte denkt, die zum Verkauf bestimmt sind. Der Teilwert dieser Produkte ist der Höhe nach auf die Wiederherstellungskosten beschränkt. Der gemeine Wert erfasst dagegen immer einen gewissen Gewinnaufschlag. Diesen Unterschied hatte auch der Gesetzgeber im Blick, als er in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG die Bewertung fiktiver Entnahmen mit dem gemeinen Wert vorschrieb.
2.58
Bewertungsprinzipien des Teilwerts. Der Teilwert bezieht sich begrifflich auf jedes einzelne Wirtschaftsgut. Insoweit gilt der Einzelbewertungsgrundsatz.1 Dieser schließt es aus, den Teilwert eines Wirtschaftsgutes durch Aufteilung eines nach dem Ertragswertverfahren ermittelten Unternehmenswertes auf die vorhandenen Wirtschaftsgüter zu ermitteln. Der Teilwert baut auf einem Substanzwert auf.2 Dabei wird vermutet, dass dieser Wert den um die (betriebswirtschaftlich richtige) AfA verminderten Anschaffungs- oder Herstellungskosten entspricht.3 Der Teilwert deckt sich i.d.R. mit den Wiederbeschaffungskosten oder Wiederherstellungskosten für ein Wirtschaftsgut gleicher Art und Güte am Bewertungsstichtag.4 Auch wenn § 10 BewG an den Gesamtkaufpreis des ganzen Unternehmens anknüpft, ist dessen Kenntnis für die Ermittlung des Teilwerts eines Wirtschaftsguts nicht unerlässliche Voraussetzung;5 denn die Legaldefinition des Teilwerts basiert auf der Vermutung, dass der gedachte Erwerber, der das Unternehmen fortführen will, für das einzelne Wirtschaftsgut höchstens soviel zahlen würde, als er an Kosten aufwenden müsste, um dieses Wirtschaftsgut, falls es fehlte, wiederzubeschaffen. Sind solche Wirtschaftsgüter dergestalt auf den individuellen Produktionsprozess ausgerichtet, dass sie in ihrer Art einmalig sind und keinen Marktpreis haben, dann wird vermutet, dass deren Anschaffungsoder Herstellungskosten vom Bewertungsstichtag abzgl. etwaiger Abschreibungen dem Teilwert entsprechen. Macht der Steuerpflichtige einen unter diesen Kosten liegenden Teilwert geltend, so hat er diese aus den Erfahrungen des Wirtschaftslebens gewonnene Vermutung zu widerlegen und darzutun, welche Umstände die Annahme eines unter den (fortgeführten) Anschaffungs- oder Herstellungskosten liegenden Teilwerts rechtfertigen.6 Die Funktionalität des Teilwertbegriffes kann im Einzelfall eine Differenzierung zwischen Wirtschaftsgütern des Anlage- und des Umlaufvermögens erforderlich machen. Der Teilwert von Wirtschaftsgütern des An1 Vgl. Kulosa in Schmidt32, § 6 EStG Rz. 231. 2 Vgl. BFH v. 19.7.1995 – I R 56/94, BStBl. II 1996, 28 = BFHE 179, 19 = FR 1996, 106. 3 BFH v. 20.5.1988 – III R 151/86, BStBl. II 1989, 269 = BFHE 153, 566 = FR 1988, 528; v. 30.11.1988 – II R 237/83, BStBl. II 1989, 183 = BFHE 155, 140. 4 Vgl. BFH v. 8.5.1981 – III R 26/79, BStBl. II 1981, 702 = BFHE 133, 567. 5 Vgl. BFH v. 2.3.1973 – III R 88/69, BStBl. II 1973, 475 = BFHE 109, 63. 6 Vgl. BFH v. 8.5.1981 – III R 109/76, BStBl. II 1981, 700 = BFHE 133, 572; v. 8.5. 1981 – III R 26/79, BStBl. II 1981, 702 = BFHE 133, 567; v. 20.5.1988 – III R 151/86, BStBl. II 1989, 269 = BFHE 153, 566 = FR 1988, 528; v. 30.11.1988 – II R 237/83, BStBl. II 1989, 183 = BFHE 155, 140.
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F. Einlage und verdeckte Einlage
lagevermögens orientiert sich stärker an den Wiederbeschaffungskosten. Der Teilwert von Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens kann zu einer Verlustantizipation zwingen.1
III. Rechtsfolge der Entnahme § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ist der Unterschiedsbetrag um die mit dem Teilwert bzw. gemeinen Wert zu bewertende Entnahme zu erhöhen. Die entsprechende Erhöhung setzt auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung an (vgl. Rz. 2.4 f.).
2.59
F. Einlage und verdeckte Einlage I. Begriff Wertzuführungen zu einem Betriebsvermögen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG, der über § 8 Abs. 1 KStG auf Personen i.S.d. § 1 KStG entsprechende Anwendung findet, sind Einlagen alle Wirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige dem Betrieb zuführt. Diese Definition ist insoweit widersinnig, als unter einer Einlage nur die sich in einer bestimmten Form vollziehende Zuführung eines Wirtschaftsgutes in ein Betriebsvermögen zu verstehen ist. Wirtschaftsgüter sind Gegenstand der Einlage. Deshalb ist die Einlage als solche jedoch kein Wirtschaftsgut. Auch ist es unerheblich, welche Person das Wirtschaftsgut dem Betrieb zuführt. Man kann Einlagen schlicht als die Vermögenszuführung in einen Betrieb durch den Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person unter einer bestimmten Veranlassungsvoraussetzung definieren. Entsprechend ist von einer offenen Einlage in das Vermögen einer Kapitalgesellschaft auszugehen, wenn dieser Vermögen von einem Gesellschafter in Erfüllung einer gesellschaftsrechtlichen Verpflichtung zugeführt wird. Die Vermögenszuführung kann sich gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten vollziehen. Es kann sich aber auch um eine solche in die Kapitalrücklage ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten handeln. Von einer verdeckten Einlage spricht man, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der Kapitalgesellschaft einen einlagefähigen Vermögensvorteil außerhalb einer gesellschaftsrechtlichen Verpflichtung, jedoch durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst zuführt.2 1 Mellwig in FS Moxter, 1071; BFH v. 19.5.1998 – I R 54/97, BStBl. II 1999, 277 = BFHE 186, 230 = FR 1998, 881; v. 10.7.2002 – I R 79/01, BStBl. II 2002, 784 = BFHE 199, 434. 2 Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1198, 308 = BFHE 183, 187 = FR 1997, 723; v. 7.7.1992 – VIII R 24/90, BStBl. II 1993, 333 = BFHE 168, 551 = FR 1992, 751.
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2.60
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Gegenstand der Einlage müssen Wirtschaftsgüter sein, die i.d.R. im wirtschaftlichen Eigentum des Einlegenden stehen und die Eignung besitzen, zu dem Betriebsvermögen gehören zu können, in das sie eingelegt werden sollen. Der Einlegende muss also dem Einlageempfänger das wirtschaftliche Eigentum an dem Wirtschaftsgut vermitteln. Begrifflich unterscheidet man zwischen Sach- und Nutzungseinlagen. Beide Einlageformen beziehen sich auf Wirtschaftsgüter, die bei einer Sacheinlage der Sache nach und bei einer Nutzungseinlage nur zur zeitlich vorübergehenden Nutzung dem Betriebsvermögen zugeführt werden. Das Steuerrecht anerkennt in § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG nur die Sacheinlage als eine solche, die die Rechtsfolge des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG auszulösen geeignet ist. Die Nutzungseinlage wird als ein Vermögensvorteil der sie empfangenden Kapitalgesellschaft behandelt, der innerhalb des Unterschiedsbetrages erfolgswirksam zu erfassen ist. Man kann die Einlage einerseits aus der Sicht des Einlegenden und andererseits aus der Sicht des Einlageempfängers beurteilen. Für den Einlegenden kann die Einlage gleichzeitig Veräußerung des eingelegten Wirtschaftsgutes sein. Dies setzt allerdings voraus, dass zwischen dem Einlegenden und dem Einlageempfänger keine Personenidentität besteht und der Einlageempfänger eine Gegenleistung in der Form der Gewährung von Gesellschaftsrechten erbringt. Eine Gegenleistung in anderer Form schließt zwar nicht die Veräußerung, jedoch die Einlage jedenfalls dann aus, wenn nicht von einer teilweise unentgeltlichen Vermögenszuführung auszugehen ist. Bei der Einlage in ein Einzelunternehmen besteht Personenidentität zwischen dem Einlegenden und dem Einlageempfänger, weshalb sie keine Veräußerung sein kann. Die Einlage kann mit einer Entnahme aus einem Betriebsvermögen des Einlegenden zusammenfallen. Dies gilt auch dann, wenn eine Muttergesellschaft ein Wirtschaftsgut in das Vermögen einer ihr nachgeschalteten Kapitalgesellschaft einlegt.1 Aus der Sicht des Einlageempfängers ist die Einlage keine Anschaffung im engeren Sinne, weil es an einem Entgelt fehlt. Anschaffung und Veräußerung setzen einen Beschaffungs- oder Absatzmarkt voraus; daran fehlt es bei der Einlage. Sie ist i.d.R. ein Organisationsakt. Man kann Anschaffungs- und Veräußerungsvorgänge als Übertragungsakte und Einlage und Entnahme als Überführungsakte kennzeichnen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Einlagen in Personen- und Kapitalgesellschaften sich kaum von einer Anschaffung unterscheiden und deshalb zumindest als anschaffungsähnlicher Vorgang bezeichnet werden können. Die Einlage setzt regelmäßig eine Handlung des Einlegenden voraus. Die Einlagehandlung kann sich auch konkludent z.B. durch die tatsächliche Nutzung eines Wirtschaftsgutes im Betriebsvermögen vollziehen. Der Einlagebegriff steht in einem engen Sachzusammenhang mit dem Betriebsbegriff. Die Überführung von Wirtschaftsgütern aus einem Betriebs1 Vgl. BFH v. 18.12.1990 – VIII R 17/85, BStBl. II 1991, 512 = BFHE 163, 352 = FR 1991, 243; v. 20.7.2005 – X R 22/02, BStBl. II 2006, 457 = BFHE 210, 345; Wassermeyer, BB 1994, 1 (3).
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F. Einlage und verdeckte Einlage
vermögen des Steuerpflichtigen in ein anderes kann eine Einlage sein. Dagegen vollziehen sich die Überführungen eines Wirtschaftsgutes aus dem Sonderbetriebsvermögen in das Gesamthandsvermögen derselben Mitunternehmerschaft und umgekehrt sowie zwischen verschiedenen Sonderbetriebsvermögen derselben Mitunternehmerschaft innerhalb desselben Betriebes, was eine Einlage begrifflich ausschließt. § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG spricht insoweit von „Überführungen“. Die Einlage kann dem Ziel dienen, im Privatvermögen entstandene Vermögensmehrungen von der Besteuerung als Teil des Gewinns abzuschirmen. In diesem Sinne kommt der Einlage eine Abgrenzungs- und Neutralisierungsfunktion zu. Insoweit besteht auch eine Komplementärfunktion im Verhältnis zur Entnahme (vgl. Rz. 2.63). Beide Rechtsinstitute verhalten sich spiegelbildlich.
II. Bewertung Bedeutung des § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG. § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG regelt die Bewertung von Einlagen. Die Vorschrift ist auf körperschaftsteuerpflichtige Rechtsträger wegen § 8 Abs. 1 KStG entsprechend anzuwenden. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Halbs. 1 EStG sind Wirtschaftsgüter, die dem Betriebsvermögen zugeführt werden, grundsätzlich mit dem Teilwert zu bewerten. Liegen die in § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Halbs. 2 Buchst. a und b EStG alternativ genannten Voraussetzungen vor, so sind die eingelegten Wirtschaftsgüter mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bewerten. Für diesen Fall präzisieren § 6 Abs. 1 Nr. 5 Sätze 2 und 3 EStG, wie der nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Halbs. 2 EStG maßgebende Wert zu ermitteln ist. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG ist in den Fällen des § 4 Abs. 1 Satz 7 Halbs. 2 EStG statt des Teilwertes der gemeine Wert anzusetzen. Einlagen können auch bei der Eröffnung eines Betriebes getätigt werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 6 EStG). Die Frage, ob Sachverhaltsgestaltungen denkbar sind, in denen eine Einlage mit dem Fremdvergleichspreis i.S.d. § 1 AStG zu bewerten sein könnte, ist zu verneinen. § 1 AStG setzt eine Minderung der Einkünfte des Steuerpflichtigen voraus, während die Einlage nur eine Vermögensmehrung auslöst. Vor allem aber vollzieht sich die Einlage stets erfolgsneutral, was die Annahme einer Einkünfteminderung ausschließt. Die Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 5a EStG wird durch die in § 6 Abs. 5 EStG ergänzt.
2.61
„Einlage“ von Verbindlichkeiten. Wirtschaftlich betrachtet ist es zumindest denkbar, Verbindlichkeiten in ein Betriebsvermögen zu überführen. Allerdings ist die betriebliche Veranlassung der Verbindlichkeit nach Maßgabe des Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 4.7.19901 genau zu prüfen. Ist die Überführung steuerrechtlich anzuerkennen, dann löst sie eine Minderung des Eigenkapitals aus. So gesehen handelt es sich
2.62
1 BFH v. 4.7.1990 – GrS 2-3/88, BStBl. II 1990, 817 = BFHE 161, 290 = FR 1990, 708.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
eher um eine Entnahme von Eigenkapital. Werden Verbindlichkeiten in das Vermögen eines körperschaftsteuerpflichtigen Rechtsträgers „eingelegt“, so kann dies als vGA zu beurteilen sein. Der Anwendung von Entnahmegrundsätzen entspricht es, dass das Handelsrecht den Begriff des Vermögensgegenstandes nur auf Wirtschaftsgüter des Aktivvermögens bezieht. Handelsrechtlich gibt es keine „negativen Wirtschaftsgüter“.
III. Rechtsfolge der Einlage 2.63
Erfolgsneutralität. Die Einlage vollzieht sich als solche stets erfolgsneutral. Insoweit besteht zwischen einer Anschaffung und einer Einlage kein Unterschied. Anschaffung ist der entgeltliche und Einlage der unentgeltliche Erwerb von Wirtschaftsgütern in einem Betriebsvermögen. Unbeschadet der in Betracht kommenden unterschiedlichen Wertansätze ist es die Funktion des § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG, Bewertungsregeln für den Fall aufzustellen, in dem ein Wirtschaftsgut von der außerbetrieblichen Sphäre in die betriebliche Sphäre überführt wird, ohne deshalb angeschafft zu werden. Die Überführung tangiert einerseits die Höhe des Eigenkapitals und andererseits sowohl eine denkbare AfA-Bemessungsgrundlage als auch die Ermittlung künftiger Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinne bezogen auf das zugeführte Wirtschaftsgut. Die Überführung vollzieht sich als solche stets erfolgsneutral. Dies gilt auch bei Einlagen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten. Zwar wird die Einlage gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten als tauschähnlicher Vorgang angesehen. Auf ihn findet jedoch § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG als lex specialis Anwendung. Die Rechtsfolgen der Einlage einerseits und der Entnahme andererseits stehen in einer Komplementärfunktion zueinander. So, wie es bei der Einlage darum geht, die Vermögenszuführung nicht als Gewinn des Betriebes zu behandeln, in dessen Vermögen eingelegt wird, geht es bei der Entnahme im Grundsatz darum, die Überführung von Vermögen in einen anderen Betrieb steuerrechtlich wie eine Veräußerung zu behandeln.
G. § 1 AStG I. Wesentlicher Inhalt des § 1 AStG 2.64
Gegenstand und Rechtsfolge der Vorschrift. § 1 AStG bildet den ersten Teil des AStG. Die Vorschrift steht selbständig neben dem zweiten bis siebten Teil des AStG. Sie hat zu diesen Teilen keinen unmittelbaren Bezug, wenn man davon absieht, dass sich die Frage nach ihrer Anwendung auch innerhalb der erweiterten beschränkten Steuerpflicht1 und innerhalb der Hinzurechnungsbesteuerung stellen kann.2 Gegenstand des § 1 AStG 1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 194. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 186 und § 10 Rz. 130 ff.
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G. § 1 AStG
sind (nur)1 Einkünfte, die aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland erzielt werden. Tatbestandsvoraussetzung des § 1 AStG ist, dass in den Geschäftsbeziehungen zum Ausland Bedingungen vereinbart sind, die von denen abweichen, die untereinander fremde Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten, und dadurch die im Inland für Besteuerungszwecke maßgeblichen Einkünfte gemindert werden. Rechtsfolge des § 1 AStG ist eine nur steuerrechtlich wirkende Korrektur des aus der einzelnen Geschäftsbeziehung zum Ausland erzielten Entgelts, d.h. die Korrektur greift nicht in die zivilrechtlich bestehenden Beziehungen ein, sondern sie erhöht lediglich die steuerrechtliche Bemessungsgrundlage.2 Die ggf. vorzunehmende Korrektur orientiert sich am Fremdvergleichspreis. Damit gehört das sich aus dem Fremdvergleich ergebende angemessene Entgelt sowohl zu den Tatbestandsvoraussetzungen als auch zur Rechtsfolge der Vorschrift. Einkünftekorrekturvorschrift. § 1 AStG kann als Einkünftekorrekturvorschrift bezeichnet werden.3 Dabei sollte allerdings aus terminologischen Gründen beachtet werden, dass nach § 2 Abs. 2 EStG unter „Einkünfte“ der durch die Korrektur sich ergebende Endbetrag i.S. eines für einen bestimmten Zeitraum ermittelten Nettobetrages zu verstehen ist. Richtigerweise werden deshalb nicht die Einkünfte (Gewinn) korrigiert, sondern es wird einem vorläufig ermittelten Einkünftebetrag ein Korrekturbetrag hinzugerechnet.4 Die Rechtsfolge des § 1 AStG setzt eine Minderung des vorläufig ermittelten Einkünftebetrages voraus. Dabei erfasst der vorläufig ermittelte Einkünftebetrag auch steuerfreie Einkünfte. § 1 AStG zielt nicht speziell auf die Korrektur von Gewinnen ab, sondern ist auf Einkünfte aller Art anwendbar. Die Einkünfte können durch Bilanzierung, durch Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 bzw. gem. §§ 8 und 9 EStG oder nach Durchschnittssätzen zu ermitteln sein. Die zu korrigierenden Einkünfte werden unter Anwendung des § 1 AStG fiktiv erhöht. § 1 AStG lehnt sich gedanklich an die Fiktionstheorie an, ohne sie jedoch zu übernehmen. Die Einkünfteerhöhung tritt dadurch ein, dass ein bestimmtes Entgelt nur für Zwecke der steuerrechtlichen Bemessungsgrundlage in angemessener Höhe und damit höher als tatsächlich vereinbart angesetzt wird. Die entsprechende Hinzurechnung vollzieht sich nicht innerhalb, sondern außerhalb der Steuerbilanz (vgl. Rz. 2.6).5 Es werden also weder zivilrechtliche Forderungen oder Verbindlichkeiten jeweils in angemessener Höhe noch eine Ausschüttung oder Einlage fingiert. § 1 AStG muss zusätzlich unter dem Gesichtspunkt einer Entstrickungsbesteuerung ver1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 83.2 und 894. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.1.1. 3 Vgl. Überschrift zu § 1 AStG. 4 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 6, 77.1; Wassermeyer, IStR 2001, 633. 5 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 811.
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2.65
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
standen werden. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass keine stillen Reserven unversteuert ins Ausland verlagert und der inländischen Besteuerung entzogen werden. Insoweit ist allerdings die Forderung nach einer Entstrickungsbesteuerung problematisch, weil § 8b Abs. 2 KStG zulässt, dass Beteiligungen von unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Personen steuerfrei ins Ausland veräußert und damit stille Reserven der inländischen Besteuerung entzogen werden. § 1 AStG steht neben § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (vGA) und § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (Einlage bzw. Entnahme), weshalb das Konkurrenzverhältnis von Bedeutung ist.1 § 1 AStG ist eine einseitig fiskalisch wirkende Vorschrift, weil ihre Rechtsfolge nur eine Erhöhung, jedoch keine Minderung der vereinbarten Einkünfte gestattet.2 An sich ist heute die Ausgestaltung des § 1 AStG zu einer zweiseitigen Gewinnkorrekturvorschrift zumindest für den Fall des Art. 9 Abs. 2 OECD-MA geboten, dass im Ausland eine Gewinnerhöhung wegen Dienstleistungen, Nutzungsüberlassungen oder Funktionsverlagerungen nach Deutschland vorgenommen wird, die eine Gegenberichtigung in Deutschland erfordert. Deutschland hat seinen Vorbehalt gegen Art. 9 Abs. 2 OECD-MA aufgegeben, weshalb es verpflichtet ist, eine innerstaatliche Gegenberichtigungsvorschrift zu erlassen. Der deutsche Gesetzgeber ist insoweit seinen international übernommenen Pflichten bisher nicht nachgekommen. Er hätte darüber hinaus berücksichtigen sollen, dass außersteuerrechtliche Gesichtspunkte auf das Entgelt von Geschäftsbeziehungen einwirken und einen unangemessen hohen inländischen Gewinn bewirken können, weshalb es eine Frage der Anwendung des richtigen Prinzips ist, eine Gewinnberichtigung auch in diesen Fällen vorzunehmen.3
II. Verhältnis des § 1 AStG zu anderen Vorschriften 2.66
Verhältnis des § 1 AStG zu § 12 EStG. Das Verhältnis zwischen § 12 EStG und § 1 AStG hängt davon ab, wie man § 12 EStG rechtssystematisch einordnet. Soweit die Vorschrift bestimmte Aufwendungen als Nicht-Betriebsausgaben bzw. als Nicht-Werbungskosten charakterisiert, findet sie auf der 1. Stufe der Einkünfteermittlung Anwendung, während § 1 AStG stets nur auf die unter Berücksichtigung des § 12 EStG ermittelten Einkünfte Anwendung findet. Versteht man jedoch § 12 EStG dahin, dass die Vorschrift nichtabziehbare Betriebsausgaben oder Werbungskosten kreiert, so greift das Abzugsverbot auf der gleichen Ebene wie die Rechtsfolge des § 1 AStG ein.4 In diesem Fall besteht also ein echtes Konkurrenzverhältnis.
1 2 3 4
Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 76 ff. Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.105. Vgl. Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 673. Vgl. Wassermeyer, StbJb. 1997/98, 79 (83).
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G. § 1 AStG
Verhältnis des § 1 AStG zum Betriebsausgabenbegriff. Das Verhältnis des Betriebsausgabenbegriffes zu den Gewinnkorrekturvorschriften im Allgemeinen und zu § 1 AStG im Besonderen erklärt sich aus den unterschiedlichen Ebenen, auf denen § 4 Abs. 4 EStG einerseits und die Gewinnkorrekturvorschriften andererseits angewendet werden, und aus der teilweise anderen Zielvorstellung der Gewinnkorrekturvorschriften. § 4 Abs. 4 EStG wird stets innerhalb der Ermittlung des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 EStG bzw. der Überschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG angewendet. Die Rechtsfolge der Gewinnkorrekturvorschriften setzt dagegen erst gedanklich später bei dem ermittelten Unterschiedsbetrag an. Daraus folgt, dass § 4 Abs. 4 EStG keine Gewinnkorrektur ausschließt. Dies gilt auch für die vGA in der Form unangemessener Aufwendungen der Gesellschaft. Diese Aufwendungen sind Betriebsausgaben i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG.1 Der Betriebsausgabencharakter der Aufwendungen ist Voraussetzung für die Annahme einer Minderung des Unterschiedsbetrages, die durch die Gewinnkorrektur gerade ausgeglichen werden soll. Es ist deshalb im Grundsatz falsch, wenn die vGA häufig mit der fehlenden betrieblichen Veranlassung der Aufwendungen begründet wird.2 Wenn die Kapitalgesellschaft nur Betriebsvermögen haben kann, müssen alle ihre Aufwendungen i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG betrieblich veranlasst sein.3 Es ist gerade das Ziel des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, die von § 4 Abs. 4 EStG ausgehende Rechtsfolgewirkung in der Form einer Einkünftekorrektur „rückgängig“ zu machen. Aus diesem Grunde kann die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis nicht mit einer fehlenden betrieblichen Veranlassung gleichgesetzt werden. Allerdings können sowohl die vGA als auch § 1 AStG sog. verhinderte Einnahmen korrigieren. In einem solchen Fall ist die Annahme einer Betriebsausgabe undenkbar, weshalb sich auch die Frage nach einem Konkurrenzverhältnis nicht stellen kann. Entsprechendes gilt im Verhältnis zwischen einer Betriebsausgabe und einer (verdeckten) Einlage. Die Betriebsausgabe setzt eine Vermögensminderung voraus, während die Einlage in das Vermögen eines Unternehmens zu einer Betriebsvermögensmehrung führt. Auch insoweit kann sich die Frage nach dem Verhältnis der Betriebsausgabe zu einer (verdeckten) Einlage als Form einer Gewinnkorrektur nicht stellen.
2.67
Verhältnis des § 1 AStG zu §§ 10, 39–41, 90 Abs. 2 und 162 AO. § 1 AStG ist in erster Linie eine materielle Einkünfteberichtigungsvorschrift (vgl. Rz. 2.77), die gedanklich im Bereich des § 4 EStG und des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG anzusiedeln ist. Die Kennzeichnung als „Abgrenzungsregel“ in Rz. 1.1.2 VWG 1983 ist wenig aussagekräftig und sachlich eher schief. So, wie sich keine ins Gewicht fallenden Konkurrenzprobleme zwischen dem § 4 EStG und dem § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und den Vorschriften der
2.68
1 Vgl. BFH v. 13.7.1994 – I R 43/94, BFH/NV 1995, 548; Wassermeyer, StbJb. 1997/98, 79 (81); Wassermeyer in FS Frotscher, S. 685. 2 Vgl. BFH v. 13.7.1994 – I R 43/94. BFH/NV 1995, 548; Weber-Grellet in Schmidt33, § 20 EStG Rz. 41; a.A. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.4. 1 Satz 1. 3 Vgl. BFH v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123 = FR 1997, 311.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
AO ergeben, ist auch eine Konkurrenz zwischen § 1 AStG und den Vorschriften der AO im Grundsatz zu verneinen. Da die Ermittlung des Unterschiedsbetrages der Einkünfteberichtigung logisch vorangeht, ist es richtig, wenn Rz. l. l 2 VWG 1983 einen Vorrang der Vorschriften über die Zurechnung von Wirtschaftsgütern und Einkünften sowie über die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage vor den Einkünfteberichtigungsvorschriften konstatiert. Ein sachlicher Zusammenhang besteht allerdings zwischen § 1 Abs. 4 AStG a.F. und § 162 AO.1 Insoweit füllte § 1 Abs. 4 AStG den von § 162 AO vorgegebenen Schätzungsrahmen gesetzlich aus. § 1 Abs. 4 AStG a.F. wurde allerdings inzwischen ersatzlos aufgehoben. Berührungspunkte ergeben sich auch zwischen § 1 AStG und den Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO. Allerdings sind die Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO dem Anwendungsbereich des § 1 AStG stets vorgelagert. Die Mitwirkungspflichten beziehen sich auf die Sachverhaltsermittlung. § 1 AStG ist immer erst auf den ermittelten Sachverhalt anzuwenden. Ein Konkurrenzverhältnis besteht auch nicht zwischen §§ 10, 39 und 41 Abs. 2 AO. Soweit Rz. 1.1.2 VWG 1983 einen Vorrang der §§ 39–42 AO vor den „Abgrenzungsregelungen“ konstatiert, ist zumindest die Formulierung verunglückt. Die §§ 39–42 AO betreffen stets die Ermittlung des Unterschiedsbetrages nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (Steuerbilanzgewinn), die sog. Abgrenzungsregelungen dagegen die Korrektur des Unterschiedsbetrages (vgl. Rz. 2.147 ff.). Daraus folgt, dass die sog. Abgrenzungsregelungen logisch nachrangig sind.
2.69
Verhältnis zu § 42 AO. Ein Spannungsverhältnis kann dagegen zwischen § 42 AO und § 1 AStG entstehen. In diesem Verhältnis ist § 42 AO logisch vorrangig.2 Die Vorschrift betrifft die Beantwortung der Frage, welcher Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Wegen § 38 AO ist das im Regelfall der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt. § 42 AO gibt dem Finanzamt und ggf. dem FG die Befugnis, den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt gewissermaßen zu verwerfen und der Besteuerung einen Sachverhalt zugrunde zu legen, der tatsächlich nicht verwirklicht wurde, der jedoch bei angemessener Gestaltung hätte verwirklicht werden müssen. Auf diesen Sachverhalt kann auch § 1 AStG angewendet werden. Allerdings betont der BFH,3 dass § 42 AO lediglich dazu autorisiere, die Missbrauchsfolgen für Zwecke der Ermittlung der Steuerschuld aus dem konkreten Schuldverhältnis des einzelnen Steuerpflichtigen zu eliminieren. Die Vorschrift erlaube es nicht, Ersatzsachverhalte zu fingieren. Der
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.1.2 und 1.5.1. 3 Vgl. BFH v. 19.8.1999 – I R 77/96, BFHE 189, 342 = BStBl. II 2001, 43 = FR 1999, 1366.
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G. § 1 AStG
vorrangig anzuwendende § 42 AO schließt also die nachrangige Anwendung des § 1 AStG logisch nicht aus.1 § 1 AStG setzt allerdings eine Minderung von Einkünften voraus. Deshalb geht letztlich die entscheidende Frage dahin, ob die (fiktive) Annahme eines bei angemessener Gestaltung verwirklichten Sachverhaltes noch Raum für eine Gewinnminderung i.S.d. § 1 AStG lässt. Aus tatsächlichen Gründen wird man dies i.d.R. verneinen können. Dennoch sollte man die Anwendung des § 1 AStG in Ausnahmefällen denkgesetzlich nicht ausschließen. Unklar ist, welche Auswirkungen sich aus der Einfügung des § 42 Abs. 2 AO durch das StÄndG 2001 ergeben. Danach ist § 42 Abs. 1 AO anwendbar, wenn seine Anwendbarkeit gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Richtigerweise drückt die Vorschrift nur Selbstverständlichkeiten aus. Dass sie anwendbar ist, wenn ihre Anwendbarkeit gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, hat niemand bestritten. Dennoch ist sie nur anwendbar, wenn ein Missbrauch festzustellen ist. Ob ein Missbrauch gegeben ist, müssen die Gerichte an einem Maßstab messen. Dazu ist es legitim, wenn sie die Grundsatzentscheidungen heranziehen, die der Gesetzgeber in anderen Vorschriften getroffen hat.2 Verhältnis des § 1 AStG zu den §§ 7–14 AStG. Ein Steuerinländer kann Geschäftsbeziehungen zu einer von ihm beherrschten ausländischen Zwischengesellschaft unterhalten. Werden im Rahmen dieser Geschäftsbeziehungen Entgelte vereinbart, die zwischen fremden Dritten unüblich sind, so können dadurch die Einkünfte des Steuerinländers im Inland gemindert sein. Für diesen Fall enthält § 1 AStG die Möglichkeit einer Einkünftekorrektur, was die Gefahr einer Doppelbesteuerung heraufbeschwört. In Rz. 1.5.2 VWG 1983 sieht die Finanzverwaltung eine Gegenberichtigung bei der Ermittlung der Zwischeneinkünfte vor.
2.70
Einkünfteminderung eines Steuerpflichtigen. Das weitere Verhältnis zwischen § 1 und §§ 7–14 AStG muss aus zwei verschiedenen Perspektiven gesehen werden. Die eine Perspektive geht von der Tatsache aus, dass § 1 AStG die Einkünfteminderung eines Steuerpflichtigen voraussetzt. Aus der Sicht der §§ 7–14 AStG ist Steuerpflichtiger der Steuerinländer, der an der ausländischen Zwischengesellschaft unmittelbar oder mittelbar gem. § 7 AStG beteiligt ist. Dieser Steuerpflichtige erzielt Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG, wobei der Hinzurechnungsbetrag gem. § 10 Abs. 2 AStG eine (fiktive) Erhöhung der Einkünfte aus Kapitalvermögen oder aus Gewerbebetrieb bewirkt. Zwar kann der Hinzurechnungsbetrag durch Bedingungen im Rahmen von Geschäftsbeziehungen zum Ausland gemindert sein, die fremde Dritte unter vergleichbaren Verhältnissen nicht vereinbart hätten. Richtigerweise kann sich jedoch die in § 1 Abs. 1 AStG gefor-
2.71
1 A.A. Westerfelhaus, DB 1983, 907 (908); unklar: Brezing in B/K/L/M/R, § 1 AStG Rz. 13. 2 Vgl. BFH v. 5.9.2001 – I R 107/00, FR 2002, 279; BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, FR 2002, 1077 m. Anm. Fischer = IStR 2002, 568.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
derte Einkünfteminderung nur auf den Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 1 EStG und nicht auch auf die um einen Hinzurechnungsbetrag erhöhten Einkünfte beziehen. Dafür spricht nicht zuletzt der Vergleich mit § 15 AStG (vgl. Rz. 2.75). Im Ergebnis bedeutet dies, dass § 1 AStG innerhalb der §§ 7–14 AStG unanwendbar ist. Man kann dem entgegenhalten, dass § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG die entsprechende Anwendung auch des § 1 AStG auf die Zwischeneinkünfte der Zwischengesellschaft vorschreibt. Dann hätte jedoch die Zwischengesellschaft mit dem Steuerpflichtigen in § 10 AStG gleichgestellt werden müssen. An einer solchen Gleichstellung fehlt es. Deshalb fallen unter § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG nur die Vorschriften, die nicht an eine bestimmte im Inland steuerpflichtige Person anknüpfen. Dazu gehört § 1 AStG nicht. Der BFH scheint diesen Gesichtspunkt übersehen zu haben.1
2.72
Geschäftsbeziehungen zum Ausland. Die andere Perspektive setzt bei der Tatsache an, dass § 1 Abs. 1 AStG Geschäftsbeziehungen zum Ausland voraussetzt. Die ausländische Zwischengesellschaft, deren Zwischeneinkünfte der inländischen Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen, ist jedoch zwangsläufig im Ausland ansässig. Sie kann überhaupt nur dann Geschäftsbeziehungen zum Ausland unterhalten, wenn sie über inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG verfügen sollte. Dies gilt auch im Fall von Mitwirkungstatbeständen i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 4–6 AStG. Aus der Sicht dieser Perspektive fände § 1 AStG nur ausnahmsweise für den Fall Anwendung, dass die Zwischengesellschaft inländische Einkünfte aus passivem Erwerb erzielt. Dies ist die Auffassung des BFH.2 Die Auffassung ist insoweit unbefriedigend, als § 1 AStG innerhalb der Hinzurechnungsbesteuerung entweder immer oder nie Anwendung finden sollte. Es leuchtet nicht ein, dass die Vorschrift nur dann Anwendung finden soll, wenn ein inländischer Einkünftebezug besteht, der ohnehin zur beschränkten Steuerpflicht der Zwischengesellschaft führt. Deshalb ist den Überlegungen zu Rz. 2.71 der Vorzug zu geben.
2.73
Mögliche Doppelbesteuerungskonsequenzen. Wer der Anwendung des § 1 AStG innerhalb der §§ 7–14 AStG das Wort redet, muss sich mit möglichen Doppelbesteuerungskonsequenzen auseinander setzen, die sich aus den folgenden Beispielen ergeben: Beispiel 1: Der unbeschränkt steuerpflichtige A ist an der ausländischen Zwischengesellschaft Z zu 100 % beteiligt, die ihrerseits an der inländischen Kapitalgesellschaft K zu 100 % beteiligt ist. Z erbringt der K eine Dienstleistung zu einem unangemessen niedrigen Preis. Die Dienstleistung erhöht den Gewinn der K. Würde mit Hilfe des § 1 AStG auch der dem A zuzurechnende Hinzurechnungsbetrag bei Z erhöht, so würde der Vorteil im Inland doppelt versteuert.
1 Vgl. BFH v. 20.4.1988 – I R 41/82, BFHE 153, 530 = BStBl. II 1988, 868. 2 Vgl. BFH v. 20.4.1988 – I R 41/82, BFHE 153, 530 = BStBl. II 1988, 868.
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G. § 1 AStG
Richtigerweise fehlt es an „Geschäftsbeziehungen zum Ausland“, weil die Einkünfteminderung im Ausland (bei Z) eintritt. Z hat Geschäftsbeziehungen zum Inland. Wer eine andere Auffassung vertritt, muss an eine analoge Anwendung von Art. 9 Abs. 2 OECD-MA im Billigkeitswege denken. Beispiel 2: Sachverhalt wie im Beispiel Nr. 1, jedoch erbringt K eine Dienstleistung an Z zu einem unangemessen niedrigen Preis. Bei K führt dieser Sachverhalt zu einer vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und bei Z zu einem Beteiligungsertrag i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG. Für eine Anwendung des § 1 AStG besteht auch in diesem Fall kein Raum. Es besteht auch kein Grund, eine korrespondierende Gewinnberichtigung auf der Ebene von Z vorzunehmen.
Das FG Münster hat in seinem Urteil v. 7.8.19971 die Auffassung vertreten, § 1 AStG trete hinter die §§ 7 ff. AStG zurück, wenn ein Steuerinländer (teilweise) unentgeltliche Nutzungsvorteile seiner ausländischen Zwischengesellschaft überlasse. Das FG hat die Revision gegen das Urteil zwar zugelassen. Die Revision wurde jedoch vom Finanzamt verspätet eingelegt und deshalb vom BFH verworfen. Der BFH konnte nicht die Auffassung des FG auf ihre Richtigkeit hin überprüfen. Die Auffassung des FG sollte mit gewissen Einschränkungen zutreffend sein. Im Ausgangspunkt geht es um die Vermeidung einer an sich nicht gewollten „Doppel-Besteuerung“. Es geht auch um die Vermeidung einer verfassungswidrigen mehr als 100 %-Besteuerung und in diesem Sinne um eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 AStG. Dazu ist davon auszugehen, dass die Hinzurechnungsbesteuerung – anders als § 1 AStG – auf keiner Einkünftekorrektur beruht, was dafür spricht, ihr den Vorrang vor § 1 AStG einzuräumen. Die Vermeidung einer mehr als 100 %-Besteuerung muss deshalb bei § 1 AStG und nicht bei §§ 7 ff. AStG ansetzen. Für eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG besteht nur dann Anlass, wenn die Einkünfte nicht schon aus anderem Grund in der zutreffenden Höhe erfasst werden. Entsprechend muss § 1 AStG teleologisch reduziert ausgelegt werden. Allerdings können an der Zwischengesellschaft Personen beteiligt sein (z.B. Steuerausländer), die nicht der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Insoweit muss § 1 AStG anwendbar bleiben. Ebenso ist es denkbar, dass eine Hinzurechnungsbesteuerung z.B. aus Gründen eines Verlustvortrages nicht durchgeführt wird. In diesem Fall bleibt es jedoch bei der Nichtanwendung des § 1 AStG, weil die Regelung in § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG als die speziellere vorgeht. Die insoweit denkbaren Probleme können nicht dadurch gelöst werden, dass man sich auf rechtssystematische Abgrenzungsüberlegungen des § 1 AStG einerseits und der §§ 7–14 AStG andererseits zurückzieht.2 Im Kern geht es ausschließlich darum, ob § 1 AStG über das vom Gesetzgeber selbst vorgegebene Ziel hinausschießt und deshalb teleologisch reduziert ausgelegt werden muss. Die Finanzverwaltung und der BFH haben das Gebot einer te1 FG Münster v. 7.8.1997 – 15 K 144/96 F, EFG 1997, 1289. 2 So Baranowski, IWB 1998, Editorial zu Heft l.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
leologisch reduzierten Auslegung des § 1 AStG anerkannt.1 Dann aber besteht kein Grund, in dem vom FG Münster entschiedenen Fall eine offensichtliche Doppelbesteuerung hinzunehmen.2
2.74
Ansatz der Rechtsfolgen bei verschiedenen Personen. Ein Doppelbesteuerungsproblem zwischen § 1 AStG einerseits und der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG andererseits kann sich auch dann ergeben, wenn die Rechtsfolgen der genannten Vorschriften jeweils bei verschiedenen Steuerinländern ansetzen. Dies war das Problem im BFH-Urteil v. 19.3.2002.3 Dort war einer inländischen Muttergesellschaft eine inländische Tochtergesellschaft nachgeschaltet, die wiederum die Anteile an einer ausländischen Enkelgesellschaft hielt, die ihrerseits Zwischengesellschaft war. Die Muttergesellschaft gewährte der Enkelgesellschaft ein niedrig verzinsliches Darlehen, was die Rechtsfolge des § 1 AStG bei der Muttergesellschaft auslöste. Die Zinsersparnis der Enkelgesellschaft erhöhte deren Einkünfte aus passivem Erwerb, die der Tochtergesellschaft hinzugerechnet wurden. Die Finanzverwaltung vermied die Doppelbesteuerung dadurch, dass sie die der Muttergesellschaft hinzugerechneten Zinsen als „fiktive“ Betriebsausgaben der Enkelgesellschaft absetzte. § 1 AStG erhielt dadurch Vorrang vor §§ 7 ff. AStG, was dann von Bedeutung ist, wenn an der Enkelgesellschaft auch noch Steuerausländer beteiligt sind, denen nichts hinzugerechnet werden kann. Der BFH hat die Handhabung durch die Finanzverwaltung als rechtmäßig bestätigt. Damit hat er Rz. 1.5.2 VWG 1983 abgesegnet.4
2.75
Verhältnis des § 1 AStG zu § 15 AStG. Für das Verhältnis zwischen §§ 1 und 15 AStG gelten die Ausführungen zu Rz. 2.70 sinnentsprechend. Zu beachten ist, dass § 15 AStG bis zum Veranlagungszeitraum 2012 die Zurechnung des Einkommens (nicht der Einkünfte!) der ausländischen Familienstiftung vorsah.5 Damit entfiel die Möglichkeit, mit Hilfe des § 1 AStG das zugerechnete Einkommen zu erhöhen. Darüber hinaus ist die Familienstiftung notwendigerweise eine ausländische. Sie wird i.d.R. keine Geschäftsbeziehungen „zum Ausland“ haben. Letzteres ist nur denkbar, wenn sie über inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG verfügen sollte. Es ist jedoch wenig einleuchtend, dass § 1 AStG nur auf diese inländischen Einkünfte anwendbar sein soll. Im Ergebnis muss deshalb das Konkurrenzverhältnis von § 1 AStG zu §§ 7–14 AStG einerseits und zu § 15 AStG andererseits einheitlich beurteilt werden. Dies gilt insbeson-
1 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 8.3.2; BFH v. 5.4.1995 – I R 81/94, BFHE 177, 437 = BStBl. II 1995, 629 = FR 1995, 711. 2 Vgl. FW, IStR 1998, 369. 3 Vgl. BFH v. 19.3.2002 – I R 4/01, BFHE 198, 499 = BStBl. II 2002, 644 = FR 2002, 1058. 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 5 Vgl. BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BFHE 173, 404 = BStBl. II 1994, 727 = FR 1994, 369.
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G. § 1 AStG
dere für die ab dem Veranlagungszeitraum 2013 geänderte Gesetzesfassung des § 15 AStG. Verhältnis des § 1 AStG zu § 1 Abs. 3 und 4, § 1a EStG und §§ 2 und 5 AStG. § 1 AStG findet grundsätzlich auch im Bereich der beschränkten bzw. der erweiterten beschränkten Einkommensteuerpflicht Anwendung (vgl. Rz. 2.64). Dies gilt auch für die Fälle des § 1 Abs. 3 und des § 1a EStG. Allerdings müssen alle Tatbestandsvoraussetzungen des § l AStG erfüllt sein. Insbesondere müssen die inländischen bzw. nicht-ausländischen Einkünfte durch Geschäftsbeziehungen „zum Ausland“ i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG gemindert sein (vgl. Rz. 2.134 ff.). Im Verhältnis zwischen § 1 und § 5 AStG gelten die Ausführungen zu Rz. 2.70 entsprechend.
2.76
III. Zweck des § 1 AStG Eine den Art. 9 Abs. 1 OECD-MA ausfüllende Gewinnkorrekturvorschrift. Über den Zweck des § 1 AStG und die Frage, ob die Vorschrift ihr Ziel erreicht hat, lässt sich trefflich streiten. Nach Rz. 15 ff. der Regierungsbegründung zum AStG1 sollte in das innerstaatliche deutsche Steuerrecht eine den Art. 9 Abs. 1 OECD-MA ausfüllende Gewinnkorrekturvorschrift eingefügt werden. Dadurch sollte der „Dealing-at-arm’s-lengthGrundsatz“ auch innerstaatlich abgesichert werden.2 Dieses Ziel hätte aber nur erreicht werden können, wenn der „Dealing-at-arm’s-lengthGrundsatz“ zu einem einheitlichen Einkünftekorrekturmaßstab für alle Einkünftekorrekturvorschriften ausgestaltet worden wäre. Bedenkt man, dass etwa 85 % aller Einkünftekorrekturen auf der Grundlage einer vGA und weitere etwa 10 % aller Einkünftekorrekturen auf der Grundlage einer (verdeckten) Einlage bzw. einer Entnahme vorgenommen werden, dann wäre es erforderlich, vor allem den Maßstab der vGA und der verdeckten Einlage an den „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz“ anzupassen.3 Dies ist jedoch nicht geschehen. Damit wurden die Ziele, die dem § 1 AStG ursprünglich zugrunde lagen, in etwa 95 % der einschlägigen Fälle nicht erreicht. § 1 AStG wurde im Jahr 1972 an sich überflüssigerweise zu einer eigenständigen Einkünftekorrekturvorschrift ausgestaltet, obwohl es ausgereicht hätte, den Maßstab des Fremdvergleichs als die Grundlage für die Vornahme von Einkünftekorrekturen zu regeln. Man hätte sich im Jahre 1972 auch Gedanken darüber machen sollen, ob für Einkünftekorrekturen auf der Grundlage von inländischen Geschäftsbeziehungen und für solche auf der Grundlage von ausländischen Geschäftsbeziehungen unterschied-
1 BT-Drucks. VI/2883. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. l. l.1. 3 Vgl. Baumhoff in FS Flick, 1997, 633 ff.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
liche Korrekturmaßstäbe gelten können und bejahendenfalls, ob dies mit Art. 3 GG zu vereinbaren ist.1 Letztlich ist es der BFH-Rechtsprechung zu verdanken, dass § 1 AStG „nachträglich“ einen eigenständigen Anwendungsbereich erhielt. Nachdem der BFH die entsprechende Rechtsfrage im Jahr 1971 noch offen gelassen hatte,2 entschied er erstmalig in den Jahren 1981 und 1982, dass Nutzungsüberlassungen eines Gesellschafters an seine Gesellschaft nicht einlagefähig seien.3 Dadurch entfiel die Rechtsgrundlage für eine entsprechende Korrektur. Soweit Nutzungsüberlassungen vom Inland ins Ausland vorgenommen werden, kam dem § 1 AStG plötzlich eine Art Auffangkorrekturfunktion zu, die auch für Dienstleistungen gilt, die vom Inland ins Ausland erbracht werden.4 Ohne diese plötzlich auftretende „Gesetzeslücke“ wäre der Anwendungsbereich des § 1 AStG praktisch gleich Null, zumal die Vorschrift nur „unbeschadet anderer Vorschriften“ galt, was allgemein dahin verstanden wurde, dass § 1 AStG nur dann eingreift, wenn sich eine entsprechende oder weitergehende Rechtsfolge nicht schon nach anderen Vorschriften ergab.5 Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 wurde § 1 AStG wesentlich umgestaltet. Die Vorschrift findet zwar weiterhin nur auf Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Person zum Ausland Anwendung. In der Praxis kann aber der Korrekturmaßstab des § 1 AStG ein anderer als der bei der Entnahme und/oder der Einlage sein. Unterschiedliche Auswirkungen können sich auch bei der Kapitalertragsteuer ergeben, weil die Korrekturbeträge nach § 1 AStG nicht der Kapitalertragsteuer unterliegen. Durch das AmtshilfeRLUmsG6 wurde der Fremdvergleichsgrundsatz in § 1 Abs. 5 AStG n.F. auch auf die Betriebsstättengewinnermittlung ausgedehnt.
IV. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG 1. Steuerpflichtiger
2.78
Begriff „Steuerpflichtiger“. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG wirkt sich die Rechtsfolge der Vorschrift auf Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus. Der Begriff „Steuerpflichtiger“ ist objektiv unklar. Man kann ihn in einem auf § 1 EStG und § 1 KStG aufbauenden materiellen Sinne oder aber in einem auf § 33 AO aufbauenden verfahrensrechtlichen Sinne verstehen. § 33 1 Vgl. Baumhoff in FS Flick, 1997, 637 ff. 2 Vgl. BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408 = BFHE 101, 501. 3 Vgl. BFH v. 28. l.1981 – I R 10/77, BStBl. II 1981, 612 = BFHE 133, 172 = FR 1981, 389; v. 19.5.1982 – I R 102/79, BStBl. II 1982, 631 = BFHE 136, 105 = FR 1982, 441. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.3.1.2 Satz 3. 5 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 76 ff.; Wassermeyer, StbJb. 1998/99, 157 ff. (170). 6 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 (1826).
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G. § 1 AStG
AO enthält eine beispielhafte Aufzählung, die deutlich über den in § 1 EStG und § 1 KStG angesprochenen Personenkreis hinausgeht. Die Tatsache, dass § 1 AStG die Minderung von bei einem Steuerpflichtigen anzusetzenden Einkünften voraussetzt, spricht dafür, dass unter den Begriff nur Personen fallen, bei denen die Einkünfte steuerrechtlich anzusetzen sind. Da § 1 AStG nur Einkünfteminderungen aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland erfasst, bezieht sich der Begriff „Steuerpflichtiger“ nur auf Personen, die selbst einer Ertragsteuerpflicht in Deutschland unterliegen.1 Dies bestätigt der Gesetzgeber, wenn er im AmtshilfeRLUmsG2 § 1 Abs. 1 AStG um einen Satz 2 ergänzt, wonach Steuerpflichtige i.S.d. § 1 AStG auch Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften sind. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine Fiktion, die i.S. einer Ausdehnung des Begriffs über seinen an sich engeren Inhalt hinaus zu verstehen ist. Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften können zwar Einkünfteerzielungssubjekte sein. Sie sind aber nicht mit den von ihnen erzielten Einkünften steuerpflichtig, weshalb bei ihnen keine geminderten Einkünfte angesetzt werden können.3 Unter den Begriff „Steuerpflichtiger“ fallen ohne Berücksichtigung von § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG natürliche Personen i.S.d. § 1 EStG sowie Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen i.S.d. § 1 KStG. Der Begriff umfasst gleichermaßen unbeschränkt wie beschränkt (vgl. Rz. 2.1) steuerpflichtige Personen. Personen, die nur der Gewerbesteuerpflicht i.S.d. § 2 GewStG unterliegen, fallen dagegen nicht unter den Begriff i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG. Dies belegt einerseits § 2 GewStG, der von „Steuergegenstand“ und nicht von „Steuerpflicht“ spricht. Dies folgt aber auch aus der Überlegung, dass § 7 GewStG an den nach den Vorschriften des EStG und des KStG ermittelten Gewinn anknüpft. Das GewStG enthält keine eigenständigen Gewinnkorrekturvorschriften. Deshalb sind Steuerpflichtige i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nicht die Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften, sondern nur die Personengesellschafter und Mitunternehmer mit ihren im Inland steuerpflichtigen Einkünften. Die anteiligen Einkünfte der Personengesellschafter und Mitunternehmer sind unter Anwendung des § 1 AStG zu ermitteln. Sinn des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG. Es stellt sich die Frage, welche materielle Rechtsänderung durch die Einfügung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG ab dem Veranlagungszeitraum 2013 eingetreten ist. Nach der hier vertretenen Auffassung bedeutet die Gesetzesergänzung eine fiktive Ausweitung des Begriffs „Steuerpflichtiger“. Auch der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG in dem in Rz. 2.78 dargelegten Sinne aus1 Vgl. Nientimp in Mössner/Fuhrmann2, § 1 AStG Rz. 49; Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 56; Kaligin in Lademann, § 1 AStG Rz. 19. 2 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 (1826). 3 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321 = BFHE 185, 24 = FR 1998, 487.
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2.79
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
zulegen ist. Es macht bezogen auf die Anwendung von § 1 AStG einen Unterschied, ob man die Mitunternehmer (Personengesellschafter) oder die Mitunternehmerschaft (Personengesellschaft) als Steuerpflichtigen versteht. Das folgende Beispiel mag dies verdeutlichen: Beispiel Die unbeschränkt stpfl. A und B sind zu 75 % bzw. 25 % an der A-OHG beteiligt. Die A-OHG unterhält Geschäftsbeziehungen zu dem Steuerausländer X, der nur dem A nahe steht. Vor 2013 konnte nur der Gewinnanteil des A, nicht aber auch der des B gem. § 1 AStG korrigiert werden. Ab 2013 gilt die Personengesellschaft selbst als Steuerpflichtiger, wenn ein Nahestehen ihr gegenüber festgestellt wird. Die Rechtsfolge des § 1 AStG löst eine Korrektur des gesamten von der Personengesellschaft erzielten Gewinns aus. In dem Beispielsfall kommt es bei Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG nur darauf an, ob der Steuerausländer X auch der A-OHG nahesteht. Die Tatsache, dass der X dem A nahesteht, bedeutet nicht zugleich, dass er auch der A-OHG nahesteht.
2.80
Unterschiedliche Rechtsfolgen. Das Beispiel sollte deutlich machen, dass einerseits die Einkünfteminderung sich seit 2013 auch auf Personengesellschaften beziehen kann, die selbst nicht steuerpflichtig sind. Die Einkünfteminderung kann also bei einer Person eintreten, die nur Einkünfteerzielungssubjekt ist. Andererseits ist ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Sätzen 1 und 2 entstanden. Es sind Fälle denkbar, in denen die Voraussetzungen des Satzes 1, nicht jedoch die des Satzes 2 erfüllt sind, und umgekehrt. Auch der Umfang der Einkünftekorrektur ist nach den Sätzen 1 und 2 ein jeweils anderer. Im Ergebnis wird man die Sätze 1 und 2 als selbständige Rechtsgrundlagen für eine Einkünftekorrektur verstehen müssen, die unabhängig voneinander in einem ggf. unterschiedlichen Umfang anzuwenden sind. Dies gilt auch dann, wenn man an eine inländische Mitunternehmerschaft denkt, an der eine im Ausland unbeschränkt steuerpflichtige Person beteiligt ist. Bei einer ausländischen Mitunternehmerschaft, an der eine im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Person beteiligt ist, wird es i.d.R. an einer Geschäftsbeziehung zum Ausland fehlen. Allerdings darf die gleichzeitige Anwendung der Sätze 1 und 2 nicht zu einer doppelten Einkünftekorrektur führen. Außerdem fällt auf, dass Gemeinschaften (Erbengemeinschaft, Gesamthandsgemeinschaft) nicht von § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG erfasst werden, soweit sie keine Mitunternehmerschaften darstellen.
2.81
Beschränkt steuerpflichtige Personen, Zwischengesellschaften. Auch beschränkt steuerpflichtige Personen können Steuerpflichtige i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG sein (vgl. Rz. 2.1).1 Dies gilt unbeschadet der Frage, ob sie im Inland eine Betriebsstätte oder eine feste Einrichtung unterhalten oder ob sie andere inländische Einkünfte erzielen. Allerdings ist bei beschränkt steuerpflichtigen Personen stets die Frage zu problematisieren, ob sie Geschäftsbeziehungen zum Ausland unterhalten. Dies erfordert eine Minderung der im Inland steuerpflichtigen Einkünfte. Das Unterhal1 Vgl. Nientimp in Mössner/Fuhrmann2, § 1 AStG Rz. 49; Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 59; Kaligin in Lademann, § 1 AStG Rz. 19.
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G. § 1 AStG
ten von Geschäftsbeziehungen zum Inland reicht für die Anwendung des § 1 AStG nicht aus. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Rz. 2.91 ff. und Rz. 2.134 verwiesen. Den beschränkt steuerpflichtigen Personen stehen sowohl die erweitert beschränkt als auch die gem. § 1 Abs. 3 und § 1a EStG fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtigen gleich. Dagegen sind Zwischengesellschaften keine Steuerpflichtigen i.S.d. § 1 AStG. Etwas anderes gilt nur dann, wenn und soweit die Zwischengesellschaft selbst beschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist. Ausländische Mitunternehmerschaften können grundsätzlich unter § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG fallen. Allerdings wird es bei den im Ausland lebenden Personen häufig an Geschäftsbeziehungen zum Ausland fehlen. Persönlich haftender Gesellschafter einer KGaA. § 1 AStG findet auch auf die Ermittlung des Gewinnanteils eines persönlichen haftenden Gesellschafters einer KGaA gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG entsprechende Anwendung, obwohl der persönlich haftende Gesellschafter einer KGaA kein Unternehmen betreibt.1 Steuerpflichtige sind insoweit sowohl die KGaA als auch der persönlich haftende Gesellschafter. Es reicht aus, wenn der Geschäftspartner einem von beiden nahesteht.
2.82
2. Einkünfte Begriff. An sich sind unter „Einkünfte“ alle i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG zu verstehen, d.h. es kommt weder auf die Einkunftsart noch auf die Einkunftsermittlung (Bilanzierung, Überschussrechnung, Durchschnittssätze) an.2 Es ist weder erforderlich noch schädlich, wenn der Steuerpflichtige Einkünfte kraft Rechtsform erzielt.3 Jedoch versteht sich der Einkünftebegriff i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG als ein Nettobetrag, der sich auf Vermögenszu- und -abgänge innerhalb eines Kalender- bzw. Wirtschaftsjahres bezieht. Der Einkünftebegriff des § 1 AStG bezieht sich dagegen auf das Bruttoentgelt aus einem einzelnen Geschäftsvorfall. Das Bruttoentgelt muss erfolgswirksam zu erfassen sein, weil andernfalls eine Einkünfteminderung nicht denkbar ist. Insoweit enthält der Einkünftebegriff des § 1 AStG abweichende Besonderheiten, die jedoch mit denen der vGA, der Einlage und der Entnahme vergleichbar sind. Unter den Einkünftebegriff des § 1 AStG fallen keine Vermögenszu- und -abgänge, die bei der Einkünfteermittlung erfolgsneutral anzusetzen sind. Dazu gehören z.B. die Auszahlung oder Rückzahlung von Darlehen, Einlagen u.a. m. Problematisch ist die Antwort auf die Frage, ob sich der Einkünftebegriff auf die Einkünfte vor oder nach Anwendung von anderen Einkünftekorrekturvorschriften bezieht. Geht man von der Einkünftedefinition des § 2 Abs. 1 EStG aus, so fällt auch jede Einkünfteerhöhung aufgrund einer Einkünftekorrekturvorschrift unter den Einkünftebegriff.4 1 2 3 4
Vgl. Wassermeyer, Ubg 2011, 47; Wassermeyer in FS Streck, 2011, 259. Vgl. Wassermeyer, IStR 2010, 324. Vgl. § 15 Abs. 3 EStG und § 8 Abs. 2 KStG. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 77, 211.
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2.83
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Der Logik der Sache nach kann sich der Einkünftebegriff des § 1 AStG jedoch nur auf den Betrag vor Anwendung dieser Vorschrift beziehen. Es ist gerade die Funktion des § 1 AStG, eine vorher eingetretene Minderung des (vorläufigen) Einkünftebetrages auszugleichen. Dies belegt auch die Formulierung „unbeschadet anderer Vorschriften“. Danach soll § 1 AStG nur dann und nur insoweit Anwendung finden, als die Einkünfte nicht schon nach anderen Vorschriften zu korrigieren sind. Unter Einkünften ist deshalb ein vorläufig ermittelter Nettobetrag zu verstehen, der sich aufgrund der erfolgswirksam anzusetzenden Entgelte aus einzelnen Geschäftsvorfällen nach Anwendung der Einkünfteermittlungsvorschriften unter Einbeziehung von Einkünftekorrekturvorschriften, jedoch vor Anwendung des § 1 AStG ergibt.
2.84
Fehlende Einkunftserzielungsabsicht. Gewährt ein unbeschränkt Steuerpflichtiger einer ihm nahestehenden und im Ausland lebenden Person ein zinsloses Darlehen, das die nahestehende Person im Ausland zur Einkünfteerzielung i.S.d. §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG einsetzt, so fehlt es in der Person des unbeschränkt Steuerpflichtigen schon dem Grunde nach an einer Einkünfteerzielungsabsicht im steuerrechtlichen Sinne und damit an einem einkommensteuerrechtlich relevanten Tatbestand jedenfalls dann, wenn das Darlehen keiner vom Steuerpflichtigen betrieblich und mit Gewinnerzielungsabsicht im Übrigen ausgeübten Tätigkeit zugeordnet werden kann. Es fragt sich, ob in einem solchen Fall § 1 AStG anwendbar ist, wenn man eine Verwendung des Darlehensbetrages durch den Darlehensnehmer im Rahmen von Einkünften i.S.d. §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG unterstellt. Die Bejahung dieser Frage setzt voraus, dass man unter den Einkünften, die mit Einkünfteerzielungsabsicht erzielt werden, den auch nach § 1 AStG korrigierten Betrag versteht. Dies steht einerseits mit dem Erfordernis einer Einkünfteminderung nicht in Einklang. Andererseits ist es schon deshalb widersinnig, weil der Steuerpflichtige im Zweifel gerade nicht die Absicht hat, einen Korrekturbetrag nach § 1 AStG zu erzielen. Bei wortgetreuer Auslegung deckt deshalb § 1 AStG diesen Fall nicht ab.1 § 1 AStG ist eben nur Einkünftekorrekturvorschrift. Die Vorschrift greift nicht in den Einkünfteerzielungstatbestand ein, sondern setzt einen solchen voraus. Ob ein Einkünfteerzielungstatbestand verwirklicht wurde, beurteilt sich ausschließlich nach § 2 Abs. 1 EStG i.V.m. § 38 AO. Danach setzen alle Einkünfteerzielungstatbestände die Absicht der Einkünfteerzielung voraus. Fehlt es an einer solchen Absicht, so fehlt es an einer Einkünfteerzielung im steuerrechtlichen Sinne. Damit ist eine Minderung der Einkünfte i.S.d. § 1 AStG ausgeschlossen. Dieses Ergebnis macht auch Sinn, wenn man sich vorstellt, dass ein im Inland lebender Vater seinen beiden einmal im Inland und einmal im Ausland lebenden Kindern gleich hohe zinslose Darlehen gewährt. Es wäre eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG, 1 Vgl. Wassermeyer, DB 1991, 695.
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G. § 1 AStG
wenn man eine Einkünftekorrektur nur bei der Darlehensgewährung über die Grenze durchführen und den reinen Inlandsfall nicht besteuern wollte. Allerdings ist eine Einkünfteerzielungsabsicht zu bejahen, wenn das Darlehen nur zu unangemessen niedrigen Zinsen vergeben wird. Die Bejahung schließt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht aus. Ist die Darlehenshingabe Teil einer anderen Tätigkeit, die mit Einkünfteerzielungsabsicht ausgeübt wird, so reicht auch dies zur Anwendung von § 1 AStG aus. Betriebliche Darlehensgewährungen. Die Rechtslage ist anders zu beurteilen, wenn eine inländische Muttergesellschaft ihrer ausländischen Tochtergesellschaft oder eine inländische OHG ihrem ausländischen Mitunternehmer ein zinsloses Darlehen gewährt. In diesem Fall bezieht sich die Einkünfteerzielungsabsicht nicht isoliert auf das einzelne Darlehen, sondern auf die ausgeübte unternehmerische Tätigkeit insgesamt. Entsprechend schließt die Unentgeltlichkeit der Darlehensüberlassung nicht automatisch die Annahme einer Einkünfteerzielungsabsicht aus. Bei einer unbeschränkt steuerpflichtigen Mutterkapitalgesellschaft wird man sogar wegen § 8 Abs. 2 KStG auf die Prüfung einer Gewinnerzielungsabsicht verzichten müssen. Dafür spricht auch der Rechtsgedanke des § 14 AO. Es ist kein Grund dafür erkennbar, die Kapitalgesellschaft in Bezug auf die Gewinnerzielungsabsicht anders als einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu behandeln. Entsprechendes gilt, wenn die zinslose Darlehensgewährung Teil einer betrieblichen Tätigkeit ist.
2.85
Steuerfreie Einkünfte. Unklar ist ferner, ob § 1 AStG auch auf steuerfreie Einkünfte anzuwenden ist. Zu denken ist z.B. an den Fall einer inländischen Kapitalgesellschaft, die ihrer ausländischen Tochtergesellschaft die Beteiligung an einer anderen ausländischen Gesellschaft zu einem unangemessen niedrigen Preis verkauft. Die Anwendung des § 1 AStG löst (höhere) steuerfreie Einkünfte i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG aus, was mit Rücksicht auf die Bemessung der 5 % i.S.d. § 8b Abs. 5 KStG von Interesse sein kann. Bei sinngemäßer Auslegung ist § 1 Abs. 1 AStG auch auf steuerfreie Einkünfte anzuwenden, soweit sie steuerrechtliche Bedeutung haben. Dafür spricht die Verwendung des Gewinnbegriffes in § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG. Die Frage kann insbesondere im Bereich des Progressionsvorbehaltes relevant werden. Im Übrigen ist es eine Frage der Rechtsfolge des § 1 AStG und des Rechtsgrundes der angeordneten Einkünftekorrektur, ob auch der Korrekturbetrag unter § 8b Abs. 2 KStG fällt oder nicht. In Rz. 21 des BMF-Schreibens v. 28.4.20031 bejaht die Finanzverwaltung die hier interessierende Rechtsfrage. Der BFH tendiert offenbar zu der gleichen Auffassung.2
2.86
Steuerarten. Der Einkünftebegriff des § 1 AStG besagt unmittelbar nichts darüber, im Rahmen welcher Steuerarten § 1 AStG Anwendung findet.
2.87
1 BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292 Rz. 21. 2 Vgl. BFH v. 6.7.2000 – I B 34/00, BStBl. II 2002, 490 = BFHE 102, 307 = FR 2000, 1135 m. Anm. Kempermann.
Wassermeyer
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Insoweit gilt, dass § 1 AStG überall dort Anwendung findet, wo Einkünfte (nicht das Entgelt!) als Bemessungsgrundlage zu ermitteln sind. Dies gilt für die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuer. Mittelbar kann sich die Rechtsfolge des § 1 AStG auch auf die Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag auswirken. Keine Auswirkung ergibt sich für die VSt, die ErbSt, die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens und die USt.
2.88
Einkünfte aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland. § 1 AStG gilt nur für Einkünfte aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland. Der Begriff ist nicht mit dem der ausländischen Einkünfte i.S.d. § 34d EStG identisch. Der Begriff der Geschäftsbeziehungen wird unter Rz. 2.91 ff. und der Begriff „zum Ausland“ unter Rz. 2.134 ff. näher erläutert. 3. Einkünfteminderung
2.89
Begriff. Das in § 1 Abs. 1 AStG enthaltene Erfordernis einer Einkünfteminderung ist systematisch betrachtet widersinnig. Nach der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG sind unter „Einkünfte“ je nach Einkunftsart entweder der Gewinn i.S.d. §§ 4–7k EStG oder der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten i.S.d. §§ 8–9a EStG zu verstehen. Sowohl der Gewinn i.S.d. §§ 4–7k EStG als auch der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten i.S.d. §§ 8–9a EStG sind zwangsläufig „steuerpflichtige“, d.h. es handelt sich um Beträge nach Anwendung sämtlicher Korrektvorschriften eingeschlossen § 1 AStG, die auch um sämtliche steuerfreie Einkünfteteile bereits gemindert sind. In diesem Sinne können die „Einkünfte“ gar nicht mehr gemindert sein. Gemindert wird lediglich ein ohne Anwendung des § 1 AStG ermittelter (vorläufiger) Einkünftebetrag. In diesem Sinne ist § 1 AStG teleologisch reduziert auszulegen. Entsprechend ist von einer Einkünfteminderung auszugehen, wenn der (vorläufige) Einkünftebetrag nicht dem entspricht, der sich auf der Grundlage des in § 1 AStG vorgeschriebenen Fremdvergleichs hätte ergeben müssen. Das Erfordernis einer Minderung von Einkünften kann sich in jeder Einkunftsart innerhalb des § 2 Abs. 1 EStG vollziehen. Eine Einschränkung ergibt sich nur durch den Hinweis auf §§ 13, 15, 18 und 21 EStG, der sich jedoch gleichermaßen auf Steuerpflichtige wie auch auf die ihnen nahestehenden Personen bezieht. Für jede Einkunftsart ist die Einkunftsminderung getrennt festzustellen. Dabei ist von einer Erfassung aller Geschäftsvorfälle entsprechend den steuerrechtlichen Einkunftsermittlungsgrundsätzen auszugehen (Vermögensvergleich, Überschussrechnung, Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen). Fehler in der Buchführung des Steuerpflichtigen bzw. in seinen Aufzeichnungen sind vor der Feststellung einer Einkünfteminderung zu berichtigen. Es müssen ggf. auch die allgemeinen Grundsätze der Bilanzberichtigung beachtet werden. Dazu gehört, dass der Unternehmer im Zeitpunkt der Bilanzerstellung ausreichende Erkenntnismöglichkeiten über die zum Bilanzstichtag 98
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G. § 1 AStG
objektiv bestehenden Verhältnisse bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung hätte haben müssen.1 Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, liegt keine Einkünfteminderung i.S.d. § 1 AStG vor. Vielmehr ist der Vermögenszugang erst zu einem späteren Bilanzstichtag erfolgsmäßig zu erfassen, was im Bereich des § 1 AStG zu akzeptieren ist. Zu beachten ist ferner, dass ein steuerrechtlich anzuerkennender Vorteilsausgleich die Annahme einer Einkünfteminderung ausschließen kann (vgl. Rz. 3.172).2 Grundsatz der geschäftsvorfallbezogenen Einzelerfassung. Eine andere Frage ist die, ob sich der Ausdruck „Minderung von Einkünften“ auf die Einkünfte aus einem einzelnen Geschäftsvorfall oder aber auf die addierten bzw. saldierten Einkünfte aus einer bestimmten Geschäftsbeziehung während eines Wirtschaftsjahres bezieht. Bei seiner Rechtsprechung zur vGA geht der BFH von ersterer Betrachtungsweise aus,3 d.h. er befürwortet eine geschäftsvorfallbezogene Einkünftekorrektur. Dies schließt nicht aus, dass rechtstechnisch betrachtet die Einkünftekorrektur durch Hinzurechnung auf den vorläufig ermittelten Einkünftebetrag vollzogen wird. Für § 1 AStG kann nichts anderes gelten.4 Der Ausdruck „Einkünfte“ kann sich zwar gleichermaßen auf die aus einem einzelnen Geschäftsvorfall als auch auf die aus der Gesamtheit der Geschäftsbeziehungen als auch auf bestimmte Geschäftsbeziehungen eines Wirtschaftsjahres beziehen. Dem Rechtsgedanken nach soll jedoch eine einzelne Gewinnverlagerung geschäftsvorfallbezogen korrigiert werden.5 Sie besteht aus einem unangemessenen Aufwand oder aus nicht erzielten Einnahmen. Die Gewinnkorrektur setzt deshalb gedanklich bei dem konkreten Aufwand bzw. bei der nicht erzielten Einnahme an.6 Dies ist auch der Grund dafür, weshalb sich die Anwendung der DBA auf den einzelnen Geschäftsvorfall bezieht.7 § 1 AStG und die vGA können insoweit nicht unterschiedlich behandelt werden, weil sie andernfalls auf unterschiedliche Sachverhalte anzuwenden wären, was es aus Gründen der Rechtsfolgenkonkurrenz zu vermeiden gilt.
1 Vgl. BFH v. 5.4.2006 – I R 46/04, BStBl. II 2006, 688 = BFHE 213, 326 = FR 2006, 828; v. 10.6.2010 – IV R 66/07, BFH/NV 2011, 211. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 791 ff. 3 Vgl. BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBl. II 1993, 801 = BFHE 172, 51 unter II.4.a; v. 6.7.2000 – I B 34/00, BStBl. II 2002, 490 = BFHE 102, 307 = FR 2000, 1135 m. Anm. Kempermann; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = BFHE 197, 68 = FR 2002, 154. 4 Vgl. Nientimp in Mössner/Fuhrmann2, § 1 AStG Rz. 51; Kaligin in Lademann, § 1 AStG Rz. 22; Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 44, 45. 5 Vgl. BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBI. II 1993, 801 = BFHE 172, 51 unter II.4.a. 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 2.1.2. 7 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 8.2.2.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
4. Geschäftsbeziehung
2.91
Begriff. Der Ausdruck „Geschäftsbeziehung“ erfährt in § 1 Abs. 4 AStG n.F. eine gesetzliche Definition. Er setzt sich aus den Wortteilen „Geschäft“ und „Beziehung“ zusammen.1 Der Ausdruck „Geschäft“ ist unter Einbeziehung von Begriffen wie Geschäftsführer, geschäftlich, Geschäftsträger und Geschäftsordnung als eine i.d.R. nachhaltig ausgeübte Tätigkeit auszulegen, die auf die Erzielung von Erlösen angelegt ist. Steuerrechtlich betrachtet drückt die Geschäftsbeziehung etwas aus, was die Eignung hat, sich auf die Höhe von Einkünften auszuwirken. Insoweit steht eine private Veranlassung bzw. eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis in einem Gegensatz zur Geschäftsbeziehung, weil beides schon nach anderen Vorschriften die Höhe der steuerpflichtigen Einkünfte nicht beeinflussen soll. Der Ausdruck „Beziehung“ drückt ein Verhältnis i.S. eines Bezuges aus. Neben Geschäftsbeziehungen gibt es z.B. Rechts- oder Liebesbeziehungen. Der Begriff setzt unbeschadet der Regelungen in § 1 Abs. 4 und 5 AStG immer mindestens zwei Personen voraus, zwischen denen die Beziehung besteht. Dies kann, muss aber nicht i.S. einer Abhängigkeit der beiden Personen untereinander zu verstehen sein. Die eine der beiden Personen muss dem Steuerpflichtigen nahe stehen. Die andere Person kann der Steuerpflichtige selbst sein. Dies ist jedoch nicht notwendige Voraussetzung. Die Beziehung kann eine vertragliche, eine gesetzliche oder eine tatsächliche sein. Zu beachten ist allerdings, dass gesetzliche und tatsächliche Beziehungen nur gesetzliche Ansprüchen auslösen, die z.B. innerhalb der Steuerbilanz anzusetzen und deshalb einer Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG nicht mehr zugänglich sind. Das Schwergewicht des § 1 AStG liegt daher bei den vertraglichen Beziehungen. § 1 AStG verlangt nur, dass der Steuerpflichtige Einkünfte aus der Geschäftsbeziehung erzielt. Diese Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn er an einer Personengesellschaft beteiligt ist, die ihrerseits die Geschäftsbeziehungen zu der nahestehenden Person unterhält. In diesem Falle war dann, wenn ein Nahestehen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG nur im Verhältnis zu einem Mitunternehmer und nicht auch im Verhältnis zu der Mitunternehmerschaft bestand, vor der Gesetzesänderung durch das AmtsHilfeRLUmsG nur der Gewinnanteil des Gesellschafters unter Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zu ermitteln, für den ein Nahestehen zu der an der Geschäftsbeziehung beteiligten Person festgestellt werden konnte (vgl. Rz. 2.107 ff.). Seit dem Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG ist die Rechtslage eine andere (vgl. Rz. 2.96).
2.92
Rechtslage bis 1991 einschließlich. Der Begriff „Geschäftsbeziehung“ war bis 1991 einschließlich in § 1 AStG gesetzlich nicht definiert. Der BFH ging in seinem Urt. v. 30.5.1990 – I R 97/882 davon aus, dass der Begriff unter Veranlassungsgesichtspunkten auszulegen sei. Danach sind 1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 77, 211. 2 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567.
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G. § 1 AStG
alle Beziehungen, die ausschließlich durch ein Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, keine Geschäftsbeziehungen. Diese Sichtweise entsprach einerseits der Rechtsprechung zu Zahlungen einer Kapitalgesellschaft auf eine Bürgschaft, die zugunsten eines Gesellschafters versprochen war.1 Sie wurde andererseits auch von der Finanzverwaltung in Rz. 4.4.1 des BMF-Schreibens vom 23.2.19832 übernommen. Sie sollte verhindern, dass die Inanspruchnahme der Kapitalgesellschaft aus derartigen Beziehungen abziehbare Betriebsausgaben auslöste. Rechtslage ab 1992. Dem Gesetzgeber war diese Sichtweise zu eng. Er fügte durch Art. 17 Nr. 1 StAndG 19923 dem § 1 AStG einen Abs. 4 an und regelte dort den Ausdruck gesetzlich. Die neue Fassung von § 1 Abs. 4 AStG trat am 28.2.1992 in Kraft. Nach § 21 Abs. 4 Satz 2 AStG war die Vorschrift erstmals auf die für den Veranlagungszeitraum 1992 zu erhebende ESt oder KSt sowie auf die für den Erhebungszeitraum 1992 festzusetzende GewSt anzuwenden. Allerdings beinhaltete § 21 Abs. 4 Satz 2 AStG eine rückwirkende Gesetzesänderung, die erst im StOG v. 13.9.19934 eingefügt wurde. Nach § 1 Abs. 4 AStG sollte eine Geschäftsbeziehung anzunehmen sein, wenn die den Einkünften zugrunde liegende Beziehung entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden sind oder wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. Im Ergebnis war damit nichts gewonnen. Die Formulierung schloss nicht aus, dass der BFH an seiner o.g. Rechtsprechung festhielt und alle privat bzw. durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Ereignisse aus dem Anwendungsbereich des § 1 AStG ausklammerte, weil sie schon nach allgemeinen Grundsätzen die Einkünfte nicht mindern durften. Die Problematik wird deutlich, wenn man sich den Fall vorstellt, dass eine ausländische Konzernmuttergesellschaft, die auch die Beteiligungen an deutschen Tochtergesellschaften hält, eine Unternehmensgruppe erwirbt und den Kaufpreis durch ein Bankenkonsortium fremdfinanziert. Das Bankenkonsortium verlangt, dass alle Tochtergesellschaften ihr Vermögen zur Sicherung der Kaufpreisschuld übereignen. Unterstellt man, dass die entsprechenden Sicherungsübereignungen seitens der deutschen Tochtergesellschaften ausschließlich durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, so stellt sich die Frage, ob die Konzernmuttergesellschaft dafür den Tochtergesellschaften eine Avalprovision hätte versprechen müssen, die im Fall des Nichtversprechens eine Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG auslöst. Die logische Folge einer Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1 AStG ist, dass die Inanspruchnahme des Vermögens der Tochtergesellschaften durch das Bankenkonsortium einen Betriebsausgabenabzug 1 Vgl. BFH v. 19.3.1975 – I R 173/73, BStBl. II 1975, 614 = BFHE 115, 359. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 4.4.1. 3 Vgl. StÄndG 1992 v. 25.2.1992, BGBl. I 1992, 297 = BStBl. I 1992, 146. 4 Vgl. StOG v. 13.9.1993, BGBl. I 1993, 1569 = BStBl. I 1993, 774.
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2.93
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
bei den Tochtergesellschaften auslöst. Diese Konsequenz wollte die Rechtsprechung und will auch die Finanzverwaltung in Rz. 4.4.1 des BMF-Schreibens v. 23.2.19831 vermeiden. Der BFH hält jedenfalls eine Veranlassung ausschließlich durch das Gesellschaftsverhältnis für denkbar, was ggf. eine Geschäftsbeziehung ausschließt.
2.94
Steuervergünstigungsabbaugesetz. Im StVergAbG v. 16.5.20032 wurde § 1 Abs. 4 AStG noch einmal geändert. Nunmehr ist Geschäftsbeziehung i.S.d. Abs. 1 und 2 jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist und die – wie vorher – entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden ist oder im Falle eines ausländischen Nahestehenden dann anzuwenden wäre, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. Die Änderung ist die Reaktion des Gesetzgebers auf das BFH-Urt. v. 29.11.2000 – I R 85/99.3 Das Urteil liegt auf der Linie der o.g. Rechtsprechung (vgl. Rz. 2.92 ff.). Zu dem Urteil hat die Finanzverwaltung ein Nichtanwendungsschreiben4 erlassen. Nach der Gesetzesbegründung5 soll eine schuldrechtliche Beziehung auch dann Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 1 und 2 AStG sein, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Die Gesetzesänderung bedeutet einen Systembruch. Die Auslegung der Einkünftekorrekturvorschriften wird von dem Veranlassungsgrundsatz geprägt. § 1 Abs. 4 AStG verlässt nunmehr diesen Grundsatz und orientiert sich plötzlich am Zivilrecht. Es wird die Möglichkeit eröffnet, der Sache nach schuldrechtliche Beziehungen mit dem Ziel in den Gesellschaftsvertrag zu verlagern, die Anwendung von § 1 AStG auszuschließen. Es bleibt unberücksichtigt, dass eine „private Veranlassung“ nicht zwangsläufig schuldrechtlicher Natur sein muss. Umgekehrt hat die Annahme schuldrechtlicher Beziehungen zur Folge, dass die Inanspruchnahme aus Bürgschaften und vergleichbaren Sicherheiten immer Betriebsausgaben auslöst. Es drängt sich der Eindruck auf, als habe der Gesetzgeber die Konsequenzen seiner Vorgehensweise nicht voll durchschaut. Die Gesetzesänderung ist ab dem Veranlagungszeitraum 2003 anzuwenden (§ 21 Abs. 11 AStG). Der Systembruch wird deutlich, wenn man an den Fall denkt, dass ein Steuerinländer an zwei Kapitalgesellschaften (T und T1) beherrschend beteiligt ist, die ihrerseits Geschäftsbeziehungen unterhalten, die unter fremden Dritten unüblich sind. In diesem Fall wird dem Steuerpflichtigen als Gesellschafter ein Beteiligungsertrag zugerechnet, der jedoch nicht 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 4.4.1. 2 StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660 = BStBl. I 2003, 321. 3 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = FR 2001, 604 = BFHE 194, 53. 4 BMF-Schreiben v. 17.10.2002 – IV B 4 - S 1341 - 14/02, BStBl. I 2002, 1025. 5 Vgl. BT-Drucks. 15/119 v. 4.12.2002.
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G. § 1 AStG
aus der Geschäftsbeziehung zwischen T und Tl, sondern aus der gesellschaftsrechtlichen Beziehung zu der den Vorteil gewährenden Kapitalgesellschaft stammt. Es ist zwar zweifelhaft, ob dieser Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis „eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung“ i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG zugrunde liegt. Nach der hier vertretenen Rechtsauffassung löst jedoch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG das Problem. Die Annahme einer vGA und die sich daraus ergebende Einkünftekorrektur schließt die Annahme einer Einkünfteminderung i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG aus. Damit scheidet die Anwendung § 1 Abs. 1 AStG aus. Unternehmenssteuerreformgesetz 2008. Im UntStRG vom 14.8.20071 wurde der Regelungsinhalt des bisherigen § 1 Abs. 4 AStG in den Abs. 5 verlagert, ohne dass der Inhalt im Übrigen geändert worden wäre. Damit verlagert sich das Problem aber nur hin zur „Einkünfteminderung“. Dies mag der Fall verdeutlichen, dass eine inländische Muttergesellschaft Produkte, die einen gemeinen Wert von 100 haben, an ihre ausländische Tochtergesellschaft zu einem Preis von 50 liefert. Eine entsprechende Vereinbarung ist einerseits eine schuldrechtliche Beziehung. Die Erfüllung der schuldrechtlichen Beziehung löst aber auch eine unter § 12 Abs. 1 KStG zu subsumierende Entnahme bei der Muttergesellschaft2 und eine Einlage bei der Tochtergesellschaft aus. In Höhe der Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem nach § 12 Abs. 1 KStG anzusetzenden gemeinen Wert tritt einerseits Gewinnrealisierung ein und fallen andererseits Anschaffungskosten auf die Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft an, was die Annahme einer Einkünfteminderung ausschließt. Damit entfällt die Anwendung von § 1 AStG. Man muss das Gesagte einerseits unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz zwischen den Rechtsfolgen aus § 1 Abs. 1 AStG einerseits und §§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG bzw. 12 Abs. 1 KStG sehen. § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG finden immer vorrangige Anwendung, weil § 1 Abs. 1 AStG nur zum Zuge kommt, wenn sich ohne die Anwendung der Vorschrift eine Einkünfteminderung ergibt.
2.95
Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz. Im AmtshilfeRLUmsG v. 26.6. 20133 wird der bisherige § 1 Abs. 4 AStG ersatzlos aufgehoben. Dadurch wird aus § 1 Abs. 5 AStG wieder Abs. 4. Allerdings erfährt § 1 Abs. 4 AStG gewisse Änderungen. Nunmehr wird der Begriff „Geschäftsbeziehung“ als „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle)“ definiert, denen keine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung zugrunde liegt und die – wie vorher – Teil einer Tätigkeit sind, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG usw.“. Es wird also der Begriff „Geschäftsbeziehung“ durch den des „Geschäftsvorfalls“ ersetzt. Auch wenn man dies vor dem Hintergrund des neuen § 1 Abs. 5 AStG sehen muss, so ist mit der Gesetzesänderung kein Hauch von mehr Klarheit
2.96
1 UntStRG v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912 = BStBl. I 2007. 2 Vgl. BFH v. 20.7.2005 – X R 22/02, BStBl. II 2006, 457 = BFHE 210, 345. 3 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 (1826).
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
oder Rechtssicherheit verbunden. Aus der „Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist“ wird nunmehr „ein Geschäftsvorfall, dem keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt“. Die Formulierung „zugrunde liegt“ deutet einen Schritt in Richtung der Anwendung des Veranlassungsprinzips an. Die Tendenz des Gesetzgebers geht dennoch offensichtlich dahin, den Begriff weit auszulegen. Insbesondere der Begriff „wirtschaftliche Vorgänge“ ist offenbar bewusst unklar gewählt. Auch die Gründung einer Kapital- oder Personengesellschaft ist zweifelsfrei ein wirtschaftlicher Vorgang. Das Schwergewicht der Abgrenzung liegt deshalb bei dem sich anschließenden Relativsatz, wonach dem „wirtschaftlichen Vorgang“ keine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung zugrunde liegen darf. Um die Problematik dieser Formulierung zu erkennen, muss man nur an die Einlage von Bargeld durch einen Gesellschafter in das Vermögen seiner Kapitalgesellschaft denken. Diese Einlage ist zunächst einmal ein tatsächlicher Vorgang, dem zweifellos eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegen kann, aber nicht zugrunde liegen muss. Es macht aber wenig Sinn, die Korrekturmöglichkeit nach § 1 AStG davon abhängig zu machen, ob eine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung gewählt wurde oder nicht. Im Gegenteil besteht sogar die Gefahr, dass künftig vieles in eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung gekleidet wird, was vor dem Jahr 2013 außerhalb des Gesellschaftsvertrages geregelt wurde. Hingewiesen sei z.B. auf das BFHUrt. v. 2.10.1984,1 in dem der BFH die Zahlung des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft zwecks Freistellung von einer übernommenen Bürgschaft als verdeckte Einlage und damit als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung qualifiziert hat. Hingewiesen sei auch auf Rz. 4.4.1 des BMF-Schreibens vom 23.2.1983,2 in dem angeordnet ist, im Falle der Übernahme von Bürgschaften und ähnlichen Verpflichtungen gegenüber einer nahestehenden Person zu prüfen, ob die Verpflichtung auch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters für einen Fremden übernommen worden wäre.3 Verneinendenfalls ist eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis anzunehmen, was den Betriebsausgabenabzug der Bürgschaftszahlungen ausschließt.
2.97
Geschäftsbeziehung und Gesellschaftsverhältnis. Ein zentrales Problem innerhalb des Ausdrucks „Geschäftsbeziehung“ besteht darin, ob alles, was durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, aus dem Begriff „Geschäftsbeziehung“ ausscheidet, oder ob sich der Inhalt des Begriffs „Geschäftsbeziehung“ nur nach der ausgewählten äußeren Form bestimmt. Die Rechtsprechung tendierte bisher zu ersterer Auffassung. Der Gesetzgeber versucht, dies durch die Umformulierung des § 1 Abs. 4 AStG zu unterlaufen. Gewährt z.B. ein Gesellschafter seiner Gesellschaft ein zinsloses Darlehen, so kann man die Zinslosigkeit durchaus als einen echten 1 Vgl. BFH v. 2.10.1984 – VIII R 36/83, BStBl. II 1985, 320 = BFHE 143, 228 = FR 1985, 273. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 3 Hinweis auf BFH v. 19.3.1975 – I R 173/73, BStBl. II 1975, 614 = BFHE 115, 359.
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Gesellschafterbeitrag verstehen. Ist der Gesellschafter frei, seine Gesellschaft mit Eigen- und/oder Fremdkapital auszustatten, so muss er auch eine Mischform wählen und Fremdkapital zinslos zur Verfügung stellen können. Der Fremdkapital überlassende Gesellschafter darf insoweit nicht anders behandelt werden als derjenige, der seiner Gesellschaft verspricht, die Geschäftsführertätigkeit unentgeltlich zu erbringen. Die Frage geht dahin, ob § 1 AStG sich über diese Fremdvergleichsüberlegungen hinwegsetzt oder ob die Vorschrift nur innerhalb dieser Fremdvergleichsüberlegungen anwendbar ist.1 Insoweit ist davon auszugehen, dass jedenfalls die Finanzverwaltung die Vereinbarung eines Darlehensvertrages als Geschäftsbeziehung behandelt, auf die § 1 AStG anzuwenden ist. Sie wird nicht anerkennen, dass der Fremdvergleich hier an Grenzen stößt, weil eine Mischform von Kapitalüberlassung gewählt wurde, die sich in ihrem Kern als Gesellschafterbeitrag darstellt. Der Gesellschafter will seiner Gesellschaft kein Kapital auf Dauer, sondern nur solches auf Zeit zur Verfügung stellen. Er wählt die Darlehensbeziehung nur deshalb, weil die andere Möglichkeit (Kapitalerhöhung und spätere Kapitalherabsetzung), die ihm das Zivilrecht zur Verfügung stellt, zu kompliziert erscheint. Die Behandlung der Darlehensbeziehung als Geschäftsbeziehung müsste eigentlich zur Folge haben, dass der Ausfall der Darlehensforderung als Verlust geltend gemacht werden kann. § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG steht insoweit in einem denkgesetzlichen Widerspruch zu § 1 AStG. Dreiecksbeziehung. Der Steuerpflichtige muss seine Einkünfte aus einer Geschäftsbeziehung erzielen. Daran fehlt es, wenn als Grundlage für die Einkünfteerzielung nur ein Gesellschaftsverhältnis in Betracht kommt. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Steuerpflichtige an zwei Kapitalgesellschaften (T und Tl) beherrschend beteiligt ist, die ihrerseits untereinander Geschäftsbeziehungen unterhalten, die unter fremden Dritten unüblich sind. In diesem Fall wird dem Steuerpflichtigen als Gesellschafter ein Beteiligungsertrag zugerechnet, der jedoch nicht aus der Geschäftsbeziehung zwischen T und Tl, sondern nur aus der gesellschaftsrechtlichen Beziehung zu der den Vorteil gewährenden Kapitalgesellschaft stammt. I.d.R. löst die Vorteilsgewährung bei dem Gesellschafter eine vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aus. Die Abgrenzung zwischen einer Geschäfts- und einer gesellschaftsrechtlichen Beziehung kann große Schwierigkeiten bereiten. Offenbar will der deutsche Gesetzgeber unter den Ausdruck „Geschäftsbeziehung“ alles fassen, was nicht auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage geleistet wird. Darunter kann auch der Mehrbetrag einer in ein Darlehen umgewandelten Sacheinlage gegenüber der vereinbarten Einlageverbindlichkeit fallen.2
2.98
Beteiligungsähnliche Beziehungen. Es gibt beteiligungsähnliche Beziehungen wie die stille Gesellschaft, das partiarische Darlehen, Genuss-
2.99
1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 108; Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 732. 2 Vgl. FG Bad.-Württ. v. 4.12.2001 – 1 K 250/99, EFG 2002, 381.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
rechte, Optionen und anderes mehr (Swap, Wandelanleihe, Wertpapierleihe), für die sich die Frage stellt, ob sie Gegenstand einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG n.F. sein können. Die beteiligungsähnlichen Beziehungen vermitteln keine Beteiligung i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG. Soweit die Finanzverwaltung in Rz. 1.3.2.2 VWG 1983 eine andere Auffassung vertritt, ist dieselbe nicht haltbar.1 Bei den beteiligungsähnlichen Beziehungen handelt es sich regelmäßig um schuldrechtliche Beziehungen. Vorausgesetzt, dass eine anderweitige Nahestehensbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG besteht, ist darauf abzustellen, ob der Beteiligte Einkünfte i.S.d. § 15 EStG oder i.S.d. § 20 EStG erzielt. Erzielt er Einkünfte i.S.d. § 20 EStG, so ist zusätzlich zu prüfen, ob die nahestehende Person, die aus der beteiligungsähnlichen Beziehung verpflichtet ist, Einkünfte erzielt, die unter §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG zu subsumieren wären, wenn die Tätigkeit im Inland ausgeübt würde. Das ist nicht der Fall, wenn die nahestehende Person die Einkünfte z.B. in einer inländischen Betriebsstätte erzielt, auf die § 15 EStG Anwendung findet. Sollte § 1 AStG dem Grunde nach anwendbar sein, so wird seine Anwendung doch häufig an den Regeln des Fremdvergleichs scheitern, wenn nämlich für die Ausgestaltung der beteiligungsähnlichen Beziehungen ein übliches Verhalten unabhängiger Dritter nicht festzustellen ist.
2.100
Personengesellschaft, Betriebsstätte. Für die Rechtslage bis zum Veranlagungszeitraum 2012 einschließlich gilt, dass zwischen dem Stammhaus und seiner Betriebsstätte bzw. zwischen Betriebsstätten desselben Stammhauses keine Geschäftsbeziehungen bestehen. Es fehlte an einer Geschäftsbeziehung zu einer dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person. Eine solche Geschäftsbeziehung setzt mindestens zwei selbständige Rechtsträger voraus, weshalb sie nicht zwischen unselbständigen Teilen desselben Unternehmens bestehen kann. Dies war auch die Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schr. v. 14.5.20042. § 1 AStG ist deshalb bis 2012 auf den gesamten Bereich der Betriebsstättengewinnermittlung unanwendbar. Dies gilt unabhängig davon, ob das Stammhaus im Inland und die Betriebsstätte im Ausland oder aber das Stammhaus im Ausland und die Betriebsstätte im Inland gelegen waren, selbst wenn zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ein Lieferungs- oder Leistungsverkehr stattfand. § 1 AStG war auch auf die „Beziehungen“ zwischen mehreren Unternehmen (Betrieben) desselben Steuerpflichtigen unanwendbar, weil auch insoweit keine Geschäftsbeziehungen bestehen. Demgegenüber werden die Gesellschaften und ihre Gesellschafter als verschiedene Personen behandelt, weshalb Geschäftsbeziehungen zwischen ihnen grundsätzlich denkbar sind. Die Gesellschaft kann auch eine Personengesellschaft sein. Eine Beziehung kann auch zwischen zwei Personengesellschaften bestehen, an denen jeweils dieselben Gesellschafter beteiligt sind. Allerdings war in diesem Fall bis 2012 einschließlich zu berücksich1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 834. 2 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.3.
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G. § 1 AStG
tigen, dass „Steuerpflichtiger“ nur die Gesellschafter der Personengesellschaft sein konnten. Jedoch ist der Gewinnanteil der Personengesellschafter, die dem Partner der Geschäftsbeziehung nahestehen, unter Anwendung des § 1 AStG zu ermitteln. Insoweit müssen sich die Gesellschafter, die die Nahestehensvoraussetzung erfüllen, die Beziehungen der Personengesellschaft zurechnen lassen. Sondervergütungen i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG können zwar auf Geschäftsbeziehungen beruhen. Sie können jedoch keine Einkünfteminderung auslösen, weil sie dem Gewinn der Mitunternehmerschaft wieder hinzuzurechnen sind. Eine Beziehung besteht auch, wenn die Betriebsstätte des Unternehmers A eine Vereinbarung mit der Betriebsstätte oder dem Stammhaus des Unternehmers B abschließt. Die Unternehmen müssen sich das Handeln ihrer Betriebsstätten als Beziehung zurechnen lassen. Ob deshalb eine Beziehung „zum Ausland“ besteht, ist eine andere Frage (vgl. Rz. 2.134 ff.). Ab dem Veranlagungszeitraum 2013 ist einerseits § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG zu beachten, wonach jede Personengesellschaft sowohl „Steuerpflichtiger“ als auch „nahestehende Person“ ist. Außerdem ist § 1 Abs. 5 AStG n.F. zu beachten, wonach der Begriff „Geschäftsbeziehung“ fiktiv auch im gesamten Bereich der Betriebsstättengewinnermittlung entsprechende Anwendung findet. Insoweit ergibt sich insbesondere eine Rechtsfolgenkonkurrenz zu § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG sowie zu § 12 Abs. 1 KStG, weil diese Vorschriften möglicherweise anders auszulegen sind. Man muss die Rechtsfolgenkonkurrenz insbesondere unter dem Gesichtspunkt der in § 1 Abs. 1 AStG geforderten Einkünfteminderung sehen. Beziehung und Tätigkeit. Wann die den Einkünften zugrunde liegende Beziehung Teil einer Tätigkeit des Steuerpflichtigen bzw. der nahestehenden Person ist, ist unter Zurückstellung allgemeiner, sich aus dem Sprachgebrauch ergebender Bedenken nach allgemeinen Veranlassungsgrundsätzen zu bestimmen. I.d.R. ist die Beziehung eine Rechtsbeziehung; sie kann allerdings auch eine tatsächliche sein. Als Rechtsbeziehung kann sie allen denkbaren Rechtsgebieten zuzuordnen sein. I.d.R. muss die Beziehung „abgeschlossen“ werden. Hierin kann man eine Tätigkeit sehen. Aus der Beziehung erzielt der Steuerpflichtige oder die nahestehende Person Einnahmen, die für den jeweils anderen Vertragspartner Aufwendungen darstellen. In derartigen Fällen ist darauf abzustellen, ob die Einnahmen oder die Aufwendungen in einem Veranlassungszusammenhang zu dem Abschluss der Beziehung stehen, weshalb die Zuordnung der Einnahmen oder Aufwendungen zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung auf Seiten des Steuerpflichtigen oder der ihm nahestehenden Person zugleich die Zuordnung der Tätigkeit zu diesen Einkunftsarten indiziert. Stets ist zu fordern, dass die die Einkünfte auslösende Tätigkeit insgesamt nachhaltig und mit Einkünfteerzielungsabsicht ausgeübt wird. Soweit die Einkünfteerzielung im Einzelfall auf keine Tätigkeit zurückzuführen ist (z.B. weil die Einkunftsquelle aus einer geerbten Beteiligung an einer Personengesellschaft besteht, innerhalb derer der Steuerpflichtige bzw. die nahestehende Person nicht täWassermeyer
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2.101
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
tig werden), stellt sich die Frage, ob man sich im Interesse einer „vernünftigen“ Gesetzesauslegung über den an sich unsinnigen Gesetzeswortlaut hinwegsetzen darf oder ob der Rechtsanwender an das gebunden ist, was der Gesetzgeber formuliert hat. Diese Frage, die vermutlich im ersteren Sinne beantwortet werden wird, kann nur von einem Gericht entschieden werden.
2.102
Subsumtion der Tätigkeit unter §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG. Die Beziehung muss einer bestimmten Tätigkeit des Steuerpflichtigen oder der nahestehenden Person zugeordnet werden können, um die Rechtsfolge des § 1 AStG auszulösen. Die Tätigkeit ist den Einkünften zuzuordnen, die der Steuerpflichtige oder die nahestehende Person erzielt. Für die jeweiligen Einkünfte ist die maßgebliche Einkunftsart zu bestimmen. Die Zuordnung richtet sich nach Veranlassungsgesichtspunkten. Aus der Sicht des Steuerpflichtigen ist eine Zuordnung der Tätigkeit zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung schädlich. Unschädlich ist dagegen die Zuordnung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, zu den sonstigen Einkünften und zum gesamten Bereich der Einkommensverwendung. Die Zuordnung zu einem unschädlichen Bereich des Steuerpflichtigen schließt jedoch die gleichzeitige Zuordnung zu einem schädlichen Bereich der nahestehenden Person und umgekehrt nicht aus. Letztere Zuordnung genügt für die Annahme von Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG. So ist z.B. das Anstellungsverhältnis eines Steuerinländers zu einer ihm nahestehenden, gewerblich tätigen ausländischen Kapitalgesellschaft nach dem Sprachgebrauch keine Geschäftsbeziehung aus der Sicht des Steuerinländers (= Einkünfte i.S.d. § 19 EStG), wohl aber eine solche aus der Sicht der ausländischen Kapitalgesellschaft (= Einkünfte i.S.d. § 15 EStG). Letzteres reicht für die Anwendung des § 1 Abs. 4 AStG beim Steuerpflichtigen aus. Entsprechendes gilt, wenn der Steuerinländer der nahestehenden Person ein Darlehen aus seinem Privatvermögen gewährt und die nahestehende Person dieses Darlehen verwendet, um Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen. Wird dagegen das gleiche Darlehen zum Bau eines privat genutzten Einfamilienhauses oder zum Erwerb einer Yacht (u.a. m.) verwendet, so ist keine Geschäftsbeziehung anzunehmen. Entsprechendes gilt, wenn der Steuerpflichtige ein Wirtschaftsgut unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 EStG „unter Preis“ an einen ihm nahestehenden Steuerausländer veräußert. Allerdings ist zu beachten, dass die nahestehende Person im Inland nicht persönlich steuerpflichtig sein muss. In diesem Fall ist die Zuordnung der Geschäftsbeziehung zu bestimmten Einkünften unter der fiktiven Annahme vorzunehmen, dass sie im Inland ausgeübt wird. Das Gesetz unterstellt, dass die Ausübung der Tätigkeit im Inland immer im Inland sachlich steuerpflichtige Einkünfte auslöst. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn ein Steuerausländer vom Inland aus z.B. ein im Ausland belegenes Grundstück verwaltet. Das Gesetz fingiert nicht die unbeschränkte Steuerpflicht der nahestehenden Person. Bedeu108
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G. § 1 AStG
tung hat dies bezogen auf § 8 Abs. 2 KStG. Diese Vorschrift findet auf beschränkt steuerpflichtige Personen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1–3 KStG keine Anwendung. Betreibt aber eine ausländische Kapitalgesellschaft nur Vermögensverwaltung, so erzielt sie Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG und keine i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG. Dies schließt die Anwendung von § 1 Abs. 4 AStG i.d.R. aus. Eine ausländische Kapitalgesellschaft kann auch neben Einkünften aus § 15 Abs. 2 EStG solche z.B. i.S.d. § 20 EStG erzielen. Ggf. muss die Geschäftsbeziehung einer der in Betracht kommenden Einkunftsarten zugeordnet werden. Anwendung im Falle eines ausländischen Nahestehenden, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. Wird der Steuerpflichtige im Inland nicht nach §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG besteuert, so führt eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG zu einer ausländischen nahestehenden Person nur dann zu einer potentiellen Einkünftekorrektur, wenn die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG auf die nahestehende Person bei einer Ausübung der Tätigkeit im Inland anzuwenden wäre. Seit dem Veranlagungszeitraum 2003 bezieht sich die hypothetische Anwendung des § 13, des § 15, des § 18 oder des § 21 EStG insoweit auf ausländische nahestehende Personen. Der Begriff „ausländisch“ bedarf der Erläuterung. Nach dem Sinnzusammenhang ist die nahestehende Person dann eine ausländische, wenn sie im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist. Auf die Ansässigkeit nach einem DBA kann es nicht ankommen, weshalb Geschäftsbeziehungen zu doppelt ansässigen Personen, die ihren Lebensmittelpunkt im Ausland haben, keine Anwendung des § 1 AStG auslösen müssen. Besteht eine entsprechende schuldrechtliche Beziehung zu einer ausländischen nahestehenden Person und wird der Steuerpflichtige im Inland nicht nach §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG besteuert, so ist die Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG nur dann steuerrechtlich relevant, wenn bei einer Ausübung der Tätigkeit im Inland §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG auf die nahestehende Person anzuwenden wären. Hier irritiert der Ausdruck „Tätigkeit“. Er suggeriert, dass nach §§ 13, 15, 18 und 21 EStG Tätigkeiten besteuert werden. Dies trifft für die Tatbestände der §§ 13, 15 und 18 EStG zu. Ausweislich § 24 Nr. 2 EStG werden jedoch im Bereich des § 21 EStG Einkünfte aus einem Rechtsverhältnis besteuert, weshalb die Formulierung des § 1 Abs. 4 AStG insoweit ins Leere läuft. Hervorzuheben ist, dass § 1 Abs. 4 AStG z.B. nicht auf den Verwertungstatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG Bezug nimmt. § 1 Abs. 4 AStG greift auch nicht ein, wenn z.B. Anteile an ausländischen Kapitalgesellschaften oder ausländisches Grundvermögen unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG durch Vertragsabschluss im Inland veräußert werden. § 13, § 15, § 18 oder § 21 EStG wird nicht angewendet, wenn die jeweiligen Einkünfte aufgrund eines DBA in Deutschland steuerfrei zu stellen sind. Dies gilt auch dann, wenn ein Besteuerungsrecht Deutschlands im Falle der hypothetischen Tätigkeitsausübung im Inland bestünde. Die DBA stellen nicht auf die hypothetische Wassermeyer
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2.103
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Tätigkeitsausübung, sondern auf die tatsächliche Besteuerung der erzielten Einkünfte ab. Die Nichtanwendung des § 13, des § 15, des § 18 oder des § 21 EStG aufgrund eines DBA ist deshalb unabhängig davon, ob ein deutsches Besteuerungsrecht bestünde, wenn die Tätigkeit im Inland ausgeübt würde.
2.104
Geschäftsbeziehung nur wegen der Anwendung von § 8 Abs. 2 KStG. Man kann darüber streiten, inwieweit der Rechtsgedanke des § 8 Abs. 2 KStG in dem hier besprochenen Problembereich anzuwenden ist. Ist der Steuerpflichtige ein inländischer Gewerbebetrieb kraft Rechtsform, so ist die von ihm zu einer nahestehenden Person geknüpfte Rechtsbeziehung immer eine Geschäftsbeziehung. Ist umgekehrt der Steuerpflichtige eine natürliche Person und die nahestehende Person eine Kapitalgesellschaft, so ist der BFH-Beschl. v. 30.8.19891 zu beachten. Danach fallen ausländische Kapitalgesellschaften ohne Sitz und Geschäftsleitung im Inland nicht unter § 8 Abs. 2 KStG. In diesem Fall ist darauf abzustellen, ob die ausländische Kapitalgesellschaft eine gewerbliche Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG ausübt.
2.105
Zuordnung der Beziehung nach deutschem Steuerrecht. Die Zuordnung der Beziehung zu einer bestimmten Einkunftsart richtet sich ausschließlich nach deutschem Steuerrecht. Das ausländische (Steuer-)Recht kann allenfalls indiziell herangezogen werden. Die Tatsache, dass § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG fiktiv auf eine Tätigkeitsausübung im Inland abstellt, bedeutet nicht, dass die nahestehende Person fiktiv als Steuerinländer zu behandeln sei. Es bedeutet nur, dass es für die Zuordnung zu einer bestimmten Einkunftsart unerheblich sein soll, ob die Tätigkeit im In- oder Ausland ausgeübt wurde.
2.106
Geschäftsbeziehung und Einkünfteminderung. Bei der Auslegung des § 1 Abs. 4 AStG ist zu bedenken, dass die Vorschrift nur dann Anwendung findet, wenn die Geschäftsbeziehung zum Ausland die Eignung hat, eine Einkünfteminderung auszulösen. Daran fehlt es immer, wenn bereits aufgrund anderer Vorschriften eine Einkünftekorrektur nach Fremdvergleichsgesichtspunkten vorzunehmen ist. Zu welchen Verwerfungen dies führen kann, mag das folgende aus der Praxis abgeleitete Beispiel verdeutlichen. Beispiel: Einer inländischen Mutterkapitalgesellschaft ist eine Tochterkapitalgesellschaft in Österreich und dieser wiederum eine Enkelkapitalgesellschaft in der Ukraine nachgeschaltet. Die Enkelgesellschaft ist unzureichend mit Eigenkapital ausgestattet. Die inländische Muttergesellschaft entsendet deshalb Personal zur Enkelgesellschaft, ohne dafür ein angemessenes Entgelt zu erhalten, um die Enkelgesellschaft in die Lage zu versetzen, ihren Aufgaben nachzugehen. Die zuständige Betriebsprüfung möchte eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 677 BGB) der Muttergesellschaft gegenüber ihrer österreichischen Tochtergesellschaft annehmen und auf die1 BFH v. 30.8.1989 – I B 39/89, BFH/NV 1990, 161.
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G. § 1 AStG ser Grundlage eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG durchführen, die auf dem Beteiligungskonto zu aktivieren ist.
Problematisch ist bereits der Hinweis auf §§ 677 ff. BGB, weil eine grenzüberschreitende Geschäftsbeziehung zur Diskussion steht, auf die die Anwendung deutschen Zivilrechts nicht selbstverständlich ist. Selbst wenn man jedoch die entsprechenden Bedenken zurückstellt, dann führt die Anwendung der §§ 677 ff. BGB ggf. zu gesetzlichen Ansprüchen, die in der Steuerbilanz anzusetzen sind. Dies schließt eine Einkünftekorrektur aus. Die Aktivierung gesetzlicher Ansprüche setzt auch Kenntnisse des Unternehmers über die Existenz dieser Ansprüche voraus, ohne dass im Falle fehlender Kenntnisse von einer Einkünfteminderung ausgegangen werden könnte. Es kommt hinzu, dass § 683 BGB nur einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen der Muttergesellschaft vorsieht. Diese gesetzliche Regelung kann nicht mit Hilfe des § 1 AStG in ihr Gegenteil verkehrt werden. Es ist auch fragwürdig, weshalb die Hilfestellung durch die Muttergesellschaft eine Geschäftsführung zugunsten der Tochtergesellschaft sein soll. Schließlich geht es auch um die Frage, ob mit Hilfe des § 1 AStG der Grundsatz der Nichteinlagefähigkeit von Dienstleistungen und Nutzungen unterlaufen werden kann. Eine andere Frage ist die, ob nicht eine Geschäftsbeziehung der Muttergesellschaft zu ihrer Enkelgesellschaft besteht, die eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG auszulösen geeignet ist. 5. Nahestehende Person Begriff. § 1 Abs. 1 AStG erfordert eine Geschäftsbeziehung zu einer dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person. Unter den Begriff „Person“ fällt jede, die die Eignung hat, Vereinbarungen zu treffen, die Gegenstand einer Gewinnverlagerung sein können. Insoweit sind an die nahestehende Person die gleichen Anforderungen wie an den Steuerpflichtigen zu stellen (vgl. Rz. 2.78 ff.). Die nahestehende Person muss nicht notwendigerweise rechtsfähig und/oder geschäftsfähig sein. Sie kann ihrerseits beschränkt oder unbeschränkt steuerpflichtig sein. Sie muss jedoch nicht notwendigerweise im Inland einer persönlichen Steuerpflicht unterliegen. Welche Personen dem Steuerpflichtigen nahe stehen, bestimmt § 1 Abs. 2 AStG in der Form einer gesetzlichen Definition. Bei der Auslegung ist zu beachten, dass die Ausdrücke „nahestehende Personen“ und „voneinander unabhängige Dritte“ bzw. „fremde Dritte“ sich wechselseitig ausschließen, weshalb es in Grenzbereichen zulässig ist, den Ausdruck „nahestehende Person“ im Umkehrschluss aus dem Ausdruck „voneinander unabhängige Dritte“ abzuleiten und umgekehrt.
2.107
Gesetzliche Definition. § 1 Abs. 2 AStG regelt, was unter einer nahestehenden Person zu verstehen ist, zu der die Geschäftsbeziehung bestehen muss.1 Dazu ist kritisch anzumerken, dass der Begriff nicht mit dem
2.108
1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 826 ff.
Wassermeyer
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gleichlautenden identisch ist, wie er von der Rechtsprechung im Bereich der vGA und der verdeckten Einlage verwendet wird.1 § 1 AStG gebietet eine Überprüfung der Geschäftsbeziehungen zu der nahestehenden Person im Ausland nach dem Maßstab des „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatzes“ mit dem Ziel festzustellen, ob der Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG bzw. der vorläufig ermittelte Einkünftebetrag durch die Vereinbarung unangemessener Bedingungen gemindert wurde. Halten die vereinbarten Bedingungen dem Fremdvergleich nicht stand, so greift die Rechtsfolge des § 1 AStG ein, die in einer Hinzurechnung zum Unterschiedsbetrag (vorläufig ermittelten Einkünftebetrag) besteht. Die Rechtsfolge gilt allerdings nur „unbeschadet anderer Vorschriften“. Was unter dieser Formulierung zu verstehen ist, ist in Rz. 2.23 ausgeführt.
2.109
Auslegungskriterien. Bei der Auslegung des § 1 Abs. 2 AStG sollte man zwischen einem Nahestehen aufgrund einer Beteiligung bzw. einem Beherrschungsverhältnis und einem solchen aufgrund besonderer Einflussnahmemöglichkeiten bzw. partieller Interessenidentität unterscheiden. Das Nahestehen aufgrund einer Beteiligung bzw. eines Beherrschungsverhältnisses unterwirft alle bestehenden Geschäftsbeziehungen der Rechtsfolge des § 1 AStG. Beruht dagegen das Nahestehen auf besonderen Einflussnahmemöglichkeiten bzw. auf einer Interessenidentität, dann muss die Einflussnahmemöglichkeit bzw. die Interessenidentität bezüglich der konkreten Geschäftsbeziehung bestehen, um die Rechtsfolge des § 1 AStG auszulösen.2
2.110
Das Nahestehen von mindestens zwei Personen. Die Anwendung der Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG setzt außerhalb des § 1 Abs. 5 AStG n.F. das Nahestehen von mindestens zwei Personen voraus. Das entsprechende Nahestehen steht im Gegensatz zu der Beziehung zwischen fremden Unternehmen. Beide Begriffe schließen sich wechselseitig aus, weshalb im Umkehrschluss von dem einen auf das andere rückgeschlossen werden kann. Die Personen, die einander potentiell nahe stehen, können natürliche oder juristische, in- oder ausländische, rechtsfähige oder nicht rechtsfähige, geschäftsfähige oder nicht geschäftsfähige sein. Es kann sich auch um eine oder mehrere Körperschaften oder Vermögensmassen handeln. Die Personen können innerhalb von Gemeinschaften (Erbengemeinschaft; Gesamthandsgemeinschaft) auftreten. In diesem Fall kommt es nicht auf das Nahestehen zu der Gemeinschaft, sondern nur auf das zu der einzelnen Person an. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Gemeinschaft keine Mitunternehmerschaft ist und deshalb § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG keine Anwendung findet (vgl. Rz. 2.80). Es müssen nicht beide Personen im Inland potentiell steuerpflichtig sein.3 Sie können umgekehrt beide, jedoch muss mindestens eine von ihnen unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig sein. Welcher Steuerpflicht sie in einem ausländischen 1 Vgl. BFH v. 19. l.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = BFHE 174, 61 = FR 1994, 367. 2 Vgl. Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. A 215. 3 A.A. Brezing in B/K/L/M/R, § 1 AStG Rz. 223.
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G. § 1 AStG
Staat unterliegen, ist irrelevant. Bei Personengesellschaften ist zu beachten, dass sie „Steuerpflichtiger“ i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG n.F. sein können.1 Sie sind Personen und können auch eine dem Steuerpflichtigen (= Gesellschafter) nahestehende Person sein.2 Das Einander-Nahestehen zweier Personen drückt im Übrigen nur eine zwischen ihnen bestehende unmittelbare oder mittelbare Beziehung aus, die die Eignung hat, Einfluss auf Geschäftsbeziehungen zwischen ihnen zu nehmen, weshalb innerhalb derselben Bedingungen vereinbart sein können, die denen nicht entsprechen, die untereinander fremde Dritte vereinbart hätten. Dabei ist zwischen solchen Einflussnahmemöglichkeiten zu unterscheiden, die auch zwischen fremden Dritten, und solchen, die nur zu nahestehenden Personen bestehen können. Daraus folgt letztlich, dass von einer bestimmten Art von Einflussnahmemöglichkeiten auf das Nahestehen rückgeschlossen wird. In diesem Sinne kann das Nahestehen durch Ehe, Verwandtschaft, eine eheähnliche Lebensbeziehung oder auch durch bloße Freundschaft begründet werden.3 Die Schwierigkeit besteht darin, dass nicht jede Ehe, Verwandtschaft oder Freundschaft zwangsläufig ein Nahestehen begründet. Die Eheleute oder Verwandten können untereinander derart verfeindet sein, dass sie sich schon deshalb nur wie zwischen fremden Dritten üblich behandeln. Auch eine Freundschaft zwingt nicht immer zu dem Schluss, dass die befreundeten Personen bei Einkünfteverlagerungen zusammenwirken. Es gilt deshalb, das Nahestehen nicht an einem bestimmten „äußeren Mantel“ der Beziehung auszurichten, sondern jede individuelle Beziehung dahin zu überprüfen, ob konkrete Anhaltspunkte für Einflussnahmemöglichkeiten sprechen, die außerhalb der zwischen fremden Dritten üblichen Geschäftsbeziehungen liegen. In vielen Fällen ist ein tatsächliches Nahestehen nicht nachweisbar. Die Praxis orientiert sich an Ehe, Verwandtschaft, Lebensgemeinschaft und Beteiligungen, um den Betroffenen im Einzelfall die Möglichkeit zu eröffnen, die Vermutung des Nahestehens zu widerlegen. Während der Gesetzgeber im Bereich der vGA, der Einlage und der Entnahme den Begriff des Nahestehens gesetzlich nicht geregelt hat und deshalb dort der Begriff seinem Sinngehalt entsprechend in einem weiten Sinne auszulegen ist, enthält § 1 Abs. 2 AStG ausschließlich für Zwecke der Anwendung des Abs. 1 eine abschließende gesetzliche Definition, die den an sich weiten Begriff einerseits einschränkt und andererseits auszudehnen versucht, indem unter bestimmten Voraussetzungen ein Nahestehen ohne Möglichkeit des Gegenbeweises „unterstellt“ wird. Dies ist 1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 218; zur Kritik: Baranowski, IWB F. 3a Gr. l, 669 (673). 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 828; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.0.1 i.V.m. BMF v. 23.2. 1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.3.2.2; a.A. Piltz, Die Personengesellschaft im Internationalen Steuerrecht, 1981, 101 ff. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Rz. 1.3.2.1.
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auch der Grund, weshalb der BFH im Urteil vom 19.1.19941 entschieden hat, dass die Regelung in § 1 Abs. 2 AStG nicht mit dem deckungsgleich sei, was der BFH zum Nahestehen im Bereich der vGA geurteilt habe.
2.111
Unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an Kapitalgesellschaften. Eine besondere Form des Nahestehens ist die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft (Rz. 1.3.2.2 VWG 1983). Ihr wird in § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG die beherrschende Einflussnahmemöglichkeit gleichgestellt (Rz. 1.3.2.3 VWG 19832). Beide Alternativen beherrschen die Regelung in § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AStG. Der Gesetzgeber sah insoweit ein Bedürfnis, den Umfang der Beteiligung gesetzlich zu regeln, ab dem ein Nahestehen anzunehmen ist. Er hat die Grenze bei genau 25 % gezogen. Jede Beteiligung von 25 % und mehr führt zu einem Nahestehen. Der Steuerpflichtige kann nicht einwenden, dass er tatsächlich keine Einflussnahmemöglichkeiten gehabt habe, selbst wenn er „nur“ eine Minderheitsbeteiligung von 25 % hält. Er kann seine „Verteidigung“ nur darauf konzentrieren, dass die tatsächlich getroffenen Vereinbarungen dem Fremdvergleich entsprechen. Immer dann, wenn es an einer Beteiligung fehlt (z.B. im Verhältnis zwischen Stifter und Stiftung oder in dem zwischen einem Verein und seinen Mitgliedern), steht das Problem der Einflussnahmemöglichkeit im Raum. Auf die Bedeutung mittelbarer Beteiligungen (z.B. zwischen Schwestergesellschaften) ist besonders hinzuweisen. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG ist dagegen eher „schwammig“ gefasst. Die Vorschrift hat in der Praxis wenig Bedeutung. Außerhalb von familienrechtlichen Beziehungen ist es unklar, wann eine Einflussnahmemöglichkeit besteht bzw. der Steuerpflichtige oder die nahestehende Person ein Interesse an der Einkünfteerzielung des jeweils anderen haben könnte. Hier drückt sich das zwar verständliche, aber dennoch nicht immer sinnvolle Bemühen des Gesetzgebers aus, jede nur denkbare Fallkonstellation gesetzlich erfassen zu wollen. Der Gesetzgeber hätte wahrscheinlich besser daran getan, das Nahestehen wie bei vGA überhaupt nicht gesetzlich zu definieren.
2.112
Beteiligungen an Personen- und Kapitalgesellschaften. Ist ein Steuerinländer oder -ausländer sowohl an einer inländischen Personengesellschaft als auch an einer ausländischen Kapitalgesellschaft wesentlich beteiligt, dann steht der Gesellschafter (selbst) seiner Kapitalgesellschaft mit der Folge nahe, dass sein Gewinnanteil bei der Personengesellschaft unter Anwendung des § 1 AStG zu ermitteln ist. Entscheidend ist insoweit, dass die Einkünfte i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG aus dem Gewinnanteil bei der Personengesellschaft bestehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
1 BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = BFHE 174, 61 = FR 1994, 367. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218.
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G. § 1 AStG
EStG). Dies entspricht dem BFH-Urt. v. 30.5.19901 und Rz. 1.3.2.1 Satz 2 VWG 19832. Soweit das Niedersächsische FG in seinem Beschluss vom 7.7.19973 eine andere Auffassung vertreten hat, entspricht sie nicht der damals geltenden Rechtslage. Der BFH hat den Beschluss des Niedersächsischen FG durch Beschluss vom 17.12.19974 aufgehoben. Heute ist das Problem in § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG gesetzlich geregelt. Sind umgekehrt die Kapitalgesellschaft im Inland und die Personengesellschaft im Ausland ansässig, so ist die Kapitalgesellschaft der Steuerpflichtige und die Personengesellschaft die nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG, wenn der Gesellschafter an beiden wesentlich beteiligt ist oder auf beide einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Dem steht nicht entgegen, dass der beherrschende Gesellschafter die Gewinne der Personengesellschaft (im Inoder Ausland) möglicherweise anteilig versteuern muss. Nahestehen gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG definiert als wesentliche Beteiligung eine unmittelbare oder mittelbare von mindestens einem Viertel (= 25 %). Insoweit handelt es sich um eine gesetzliche Definition (per Klammerzusatz), die auch für die Auslegung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG verbindlich ist.5 Beteiligungsobjekte können sowohl Körperschaften als auch andere Personenvereinigungen (Personengesellschaften) sein, deren Rechtsnatur eine vermögensmäßige Beteiligung ihrer Mitglieder (Gesellschafter) im konkreten Einzelfall vermittelt. Aus der Sicht des deutschen Rechts kommen als beteiligungsfähige Körperschaften die Kapitalgesellschaften i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, die Genossenschaften i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 KStG und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 3 KStG in Betracht. Nicht in Betracht kommen Stiftungen, Anstalten, Zweckvermögen, Gebietskörperschaften und die große Mehrheit der Vereine. Der Rechtsträger, an dem die wesentliche Beteiligung besteht, kann seinen Sitz und/oder seine Geschäftsleitung im In- oder Ausland haben. Er kann nach in- oder ausländischem Recht errichtet worden sein. Bei ausländischen Rechtsgebilden wird zweckmäßigerweise im Wege des Rechtsvergleichs mit Körperschaften des deutschen Rechts ermittelt, ob sie beteiligungsfähig sind. Nach einer weit verbreiteten Auffassung soll an einer Personengesellschaft keine Beteiligung zu mindestens einem Viertel möglich sein, weil die Personengesellschaft keine eigene Rechtspersönlichkeit besitze.6 Diese Auffassung ist heute überholt. Die h.M. geht von der sog. Rechtssubjektivität der Gesamthand aus.7 Deshalb ist eine Beteiligung an einer Personengesellschaft auch i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG ohne weiteres 1 2 3 4 5 6 7
BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. FG Nds. v. 7.7.1997 – XII 774/96 V, EFG 1997, 1288. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321 = BFHE 185, 24 = FR 1998, 487. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 847. So: Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. A 207. Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht3, § 8 III Nr. 2 m.w.N.
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möglich. Allerdings kommt als mögliche Korrekturvorschrift aus Konkurrenzgründen weniger § 1 AStG als vielmehr die Einlage und die Entnahme in Betracht.1 Für die atypisch stille Gesellschaft gilt Entsprechendes. Die typisch stille Gesellschaft begründet dagegen nur eine schuldrechtliche Forderung und keine vermögensmäßige Beteiligung.2
2.114
Form der Beteiligung. Was die Form der Beteiligung anbelangt, so enthält § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG keine gesetzliche Regelung. Es liegt nahe, auf § 17 Abs. 1 EStG zurückzugreifen. Bei dem Rückgriff auf § 17 EStG ist allerdings zu beachten, dass dessen Abs. 1 Satz 3 eine erweiternde Definition enthält, die durch § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG nicht angesprochen wird. Neuerdings fallen auch Anteile an Genossenschaften einschließlich der Europäischen Genossenschaften unter § 17 Abs. 7 EStG. Deshalb kann nur auf Aktien, Anteile an einer GmbH, Anteile an einer Genossenschaft, die Mitgliedschaft in einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit und auf die Beteiligung am Festkapital einer Personengesellschaft als Beteiligungsformen abgestellt werden. Die Beteiligung kann eine unmittelbare oder eine mittelbare sein.3 Bei Aktien, Anteilen an einer GmbH bzw. einer Genossenschaft kommt es auf die Beteiligung am gezeichneten Kapital an. Irrelevant sind (Eigenkapital ersetzende) Gesellschafterdarlehen, Zuzahlungen i.S.d. § 272 Abs. 2 HGB, Genussrechte, stille Beteiligungen, Bürgschaften, Rangrücktrittserklärungen und Anwartschaften auf eine Beteiligung einschließlich Wandlungs- und Optionsrechte.4 Soweit in Rz. 1.3.2.2 VWG 19835 eine andere Rechtsauffassung vertreten wird, handelt es sich um eine offensichtlich rechtswidrige Verwaltungsanweisung. Stimmrechte vermitteln für sich allein noch keine Beteiligung. Auch § 7 Abs. 2 AStG findet innerhalb des § 1 Abs. 2 AStG keine Anwendung. Die Beteiligung an einem Einzelunternehmen6 kann nur dann eine Verflechtung i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG begründen, wenn es sich um eine atypisch stille handelt.
2.115
Beteiligung zu mindestens 25 %. Die maßgebliche Beteiligung beträgt mindestens 25 %. Sie ist losgelöst von der in § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG geregelten „wesentlichen Beteiligung“ zu ermitteln. Letztere betrug ursprünglich mehr als 25 %, ab dem 1.1.1999 mindestens l0 % und ab dem 1.1.2001 nur noch l %. Die Beteiligung zu mindestens 25 % ist ausschließlich auf der Basis des gezeichneten Kapitals zu ermitteln. Die Höhe des Eigenkapitals ist irrelevant. Eigene Anteile, die die nahestehende Person an sich selbst hält, sind nicht mitzurechnen.7 Im Übrigen 1 2 3 4 5 6
Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 89–97. A.A. Flick/Wassermeyer, FR 1974, 545 (549). Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 836. Vgl. Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. A 208. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. l.3.2.2. 7 Vgl. BFH v. 18.4.1989 – VIII R 329/84, BFH/NV 1990, 27.
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sind dem Steuerpflichtigen die Anteile zuzurechnen, die er als wirtschaftlicher Eigentümer hält. Ist zwischen den Steuerpflichtigen und die nahestehende Person eine Mitunternehmerschaft zwischengeschaltet, so ist dem Steuerpflichtigen die Beteiligung an der nahestehenden Person nur entsprechend seiner Beteiligung an der Mitunternehmerschaft anteilig zuzurechnen. Zusätzlich ist § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG zu beachten. Für die Ermittlung der Höhe der Beteiligung ist es unerheblich, ob der Steuerpflichtige seinen Einlageverpflichtungen nachgekommen ist. Sollte der Steuerpflichtige am gezeichneten Kapital nicht zu mindestens einem Viertel, jedoch am Reingewinn und am Liquidationserlös zu einem Viertel beteiligt sein, so löst dies allein die Anwendung von § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG noch nicht aus. Mittelbare Beteiligung (Rz. 1.3.2.3 VWG 19831). Als wesentliche Beteiligung genügt auch eine mittelbare zu mindestens 25 %. Die mittelbare Beteiligung kann insbesondere durch andere Kapitalgesellschaften, aber auch durch Personengesellschaften vermittelt werden, an denen der Steuerpflichtige unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist. Dem Steuerpflichtigen sind mittelbar gehaltene Beteiligungen in dem Umfang zuzurechnen, der dem Verhältnis der mittelbaren oder unmittelbaren Beteiligung der Person an der vermittelnden Gesellschaft zur Gesamtheit der Beteiligungen an der vermittelnden Gesellschaft entspricht.2
2.116
Beispiel: A ist an der inländischen A-GmbH zu 40 % beteiligt, die ihrerseits an der ausländischen Y-SA zu 80 % beteiligt ist. Die Y-SA ist an der ausländischen X-AG zu 50 % beteiligt. A ist mittelbar an der Y-SA zu (40 % von 80 % =) 32 % und an der ausländischen X-AG (40 % von 80 % von 50 % = 16 %) beteiligt.
Ansässigkeit im Ausland. Die die mittelbare Beteiligung vermittelnde Kapital- oder Personengesellschaft kann im Inland ansässig und hier unbeschränkt steuerpflichtig sein. Sie kann ebenso im Ausland ansässig sein.
2.117
Beispiel: Der unbeschränkt steuerpflichtige A ist an der A-GmbH zu 100 % (Altern. 50 %) beteiligt. Die A-GmbH ist ihrerseits an der B-GmbH zu 25 % (Altern. 50 %) beteiligt. Die B-GmbH ist an der ausländischen C-GmbH zu 100 % beteiligt. Es bestehen Geschäftsbeziehungen zwischen A und der C-GmbH. A ist in beiden Alternativen an der C-GmbH mittelbar zu einem Viertel beteiligt. Es ist unerheblich, ob die A-GmbH und/oder die B-GmbH im In- oder Ausland ansässig sind.
Zusammenrechnung unmittelbarer und mittelbarer Beteiligungen. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG muss die Beteiligung zu mindestens einem Viertel entweder unmittelbar oder mittelbar bestehen. Es kommt weder eine Zu-
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. l.3.2.3.
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sammenrechnung unmittelbarer und mittelbarer Beteiligungen noch die mehrerer mittelbarer Beteiligungen in Betracht.1 Beispiel 1: A ist an der ausländischen C-GmbH zu 10 % unmittelbar beteiligt. Außerdem ist er an der inländischen A-GmbH zu 50 % beteiligt, die ihrerseits an der ausländischen C-GmbH zu 40 % beteiligt ist. Zwischen A und der C-GmbH bestehen Geschäftsbeziehungen. – Die C-GmbH steht dem A nicht nahe. Dessen unmittelbare Beteiligung an der C-GmbH beträgt nur 10 %. Zwar hält A weitere 20 % mittelbar. Das Gesetz sieht jedoch keine Zusammenrechnung der unmittelbaren und der mittelbaren Beteiligung vor. Es verlangt, dass A entweder unmittelbar oder mittelbar wesentlich beteiligt ist.
Beispiel 2: A ist an der inländischen A-GmbH zu 100 % beteiligt, die ihrerseits an der ausländischen C-GmbH zu 20 % beteiligt ist. Außerdem ist A an der inländischen B-GmbH zu 50 % beteiligt, die ihrerseits an der ausländischen C-GmbH zu 40 % beteiligt ist. Zwischen A und der C-GmbH bestehen Geschäftsbeziehungen. – Auch in diesem Beispiel steht die C-GmbH dem A nicht nahe. A hält lediglich zwei mittelbare Beteiligungen, die beide auf 20 % lauten. Das Gesetz verlangt, dass eine mittelbare Beteiligung zu mindestens einem Viertel besteht. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.
2.119
Vergleich mit § 17 EStG. Der hier vertretenen Auffassung wird häufig der Vergleich mit der Rechtsprechung zu § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG entgegengehalten.2 Dort werden nach ständiger Rechtsprechung unmittelbare und mittelbare Beteiligungen quotal zusammengerechnet.3 Ob dies auch für die ab 2001 geltende Neufassung gilt, ist noch nicht entschieden. Zu beachten ist jedoch die Begründung, mit der der BFH die Zusammenrechnung früher rechtfertigte.4 Danach hängt die Steuerbefangenheit von wesentlichen Beteiligungen innerhalb des § 17 Abs. 1 EStG nur von der Quote der Beteiligung am gezeichneten Kapital der Gesellschaft und nicht von der Ausübung eines beherrschenden Einflusses ab. Gerade dies ist jedoch innerhalb des § 1 Abs. 2 AStG anders. Hier geht es nicht um die Steuerbefangenheit einer Beteiligung bzw. der nahestehenden Person, sondern um das Nahestehen einer Person im Verhältnis zum Steuerpflichtigen. Hier kommt es tatsächlich auf eine wirtschaftliche und/oder gesellschaftsrechtliche Machtstellung des Steuerpflichtigen gegenüber der nahestehenden Person bzw. der nahestehenden Person gegenüber dem Steuerpflichtigen an. Außerdem sei auf die Kritik hingewiesen,5 die an der Rechtsprechung geübt worden ist. Insbesondere bei dem unmittelbaren 1 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 329; Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 106; a.A. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.5.3; Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 61; Kraftin Kraft, § 1 AStG Rz. 171; Kaligin in Lademann, § 1 Rz. 32. 2 Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 623; Kroppen, DAI 2003, 65. 3 Vgl. BFH v. 12.6.1980 – IV R 128/77, BStBl. II 1980, 646 = BFHE 131, 49 = FR 1980, 567; v. 14.10.2003 – VIII R 22/02, BFH/NV 2004, 620. 4 Vgl. BFH v. 28.6.1978 – l R 90/76, BStBl. II 1978, 590 = BFHE 125, 444; v. 12.6. 1980 – IV R 128/77, BStBl. II 1980, 646 = BFHE 131, 49 = FR 1980, 567. 5 Vgl. Döllerer, StbJb. 1981/82, 195; Ring, BB 1981, 419; Niemann, DStZ 1992, 679.
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Halten sog. Zwerganteile hat der Steuerpflichtige häufig keine Kenntnis über mittelbar gehaltene Beteiligungen, weshalb von diesen auch kein Einfluss auf die vom Steuerpflichtigen vereinbarten Geschäftsbeziehungen ausgehen kann. Zwischengeschaltete Personengesellschaften. Ist eine Personengesellschaft oder eine Gemeinschaft zwischen den Steuerpflichtigen und die nahestehende Person zwischengeschaltet, so ist es oft gleichgültig, ob man die Beteiligung anteilig den Personengesellschaftern (Gemeinschaftern) zurechnet und von einer unmittelbaren Beteiligung spricht oder ob man mittelbare Beteiligungen der Personengesellschafter (Mitunternehmer) annimmt.1 Allerdings wird auf die Ausführungen in Rz. 2.79 ausdrücklich hingewiesen.
2.120
Beteiligung über eine Innengesellschaft. Ist ein Steuerpflichtiger über eine sog. Innengesellschaft an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, so stellt sich die Frage, ob jeder Innengesellschafter mittelbar an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist oder ob nur der Gesellschafter unmittelbar beteiligt ist, der die Beteiligung formell im eigenen Vermögen hält. Für eine nicht gewerblich tätige Innengesellschaft ist die Frage eindeutig in letzterem Sinne zu beantworten. Entsprechendes sollte für den „stillen Gesellschafter“ einer atypisch stillen Gesellschaft gelten, wenn die Beteiligung im Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäftes liegt.2 § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG ist auch in diesem Fall zu beachten.
2.121
Beherrschender Einfluss – Definition (Rz. 1.3.2.4 und 1.3.2.5 BMF v. 23.2. 19833). In einer weiteren Alternative des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG wird das Nahestehen einer Person gegenüber dem Steuerpflichtigen dadurch begründet, dass sie auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Insoweit entspricht der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG dem des § 17 Abs. 1 AktG. Dies wurde auch vom Gesetzgeber so gesehen,4 weshalb zur Auslegung der Vorschrift auf § 17 Abs. 1 AktG 1965 beispielhaft zurückgegriffen werden kann. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG stellt einen beherrschenden Einfluss der wesentlichen Beteiligung gleich. Dennoch ist unklar, was unter dem Begriff zu verstehen sein soll. Die Finanzverwaltung vertritt in Rz. 1.3.2.4 des BMF-Schreibens v. 23.2.19835 die Auffassung, der beherrschende Einfluss könne rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein oder auf dem Zusammenwirken beider beruhen. Auch natürliche Personen könnten unter einem beherrschenden Einfluss stehen.6 Rz. 1.3.2.5 des BMF-Schreibens v. 23.2.19837 nennt nur sehr all-
2.122
1 Vgl. Brezing in Brezing/Krabbe/Lempenau/Mössner/Runge, § 1 AStG Rz. 233; Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. A 211; Weber-Grellet in Schmidt32, § 17 EStG Rz. 69. 2 Vgl. Hörger in L/B/P, § 17 EStG Rz. 84. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 4 BT-Drucks. VI/2883, 23 Nr. 50. 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 6 Vgl. Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. A 214. 7 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218.
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gemein gehaltene Beispiele. Danach kann ein beherrschender Einfluss auf beteiligungsähnlichen Rechten, auf Unternehmensverträgen i.S.d. AktG, auf unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligungen derselben Person an der Geschäftsleitung oder an der Kontrolle zweier Unternehmen oder aber auf der Unterstellung zweier Unternehmen unter den beherrschenden Einfluss eines dritten Unternehmens beruhen. Nicht genannt wird die in § 17 AktG enthaltene Aufzählung der abhängigen und herrschenden Unternehmen. Es sei deshalb an die Problematik des § 7 Abs. 4 AStG erinnert.1 Auch diese Vorschrift soll alle theoretisch denkbaren Gestaltungen erfassen und läuft gerade deshalb heute faktisch leer. Es hat keiner eine klare Vorstellung über die Grenzen der Vorschrift. Dies gilt auch für § 1 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 AStG. Aus dem Gesetz ergibt sich nur, dass der Einfluss ein „beherrschender“ sein muss, dass der mittelbar beherrschende Einfluss dem unmittelbar beherrschenden gleichsteht und dass es nur auf einen potentiell beherrschenden Einfluss ankommt. In erster Linie wird man an Fälle denken müssen, in denen dem Steuerpflichtigen oder der nahestehenden Person ein beherrschender Einfluss in der Form eines entsprechenden Stimmrechtes, d.h. aufgrund struktureller Gegebenheiten zusteht.2 Dem entspricht es, dass z.B. auch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA (Stichwort: Kontrolle)3 und § 7 Abs. 2 AStG4 das Innehaben von Stimmrechten an einer Körperschaft der Beteiligung am gezeichneten Kapital gleichstellen. In jedem Fall setzt ein potentiell beherrschender Einfluss eine strukturelle Grundlage voraus. Ein nur faktisch bestehender Einfluss genügt nicht. So wird der Einfluss eines Kreditgebers i.d.R. nur ein faktischer sein. Ein (stiller) Teilhaber (Inhaber beteiligungsähnlicher Rechte) kann dagegen unter Umständen einen rechtlichen Einfluss aufgrund seiner Teilhaberposition ausüben. Seine Rechte müssen allerdings nicht nur mit denen eines wesentlich beteiligten Gesellschafters vergleichbar sein, sondern außerdem die Beherrschungsvoraussetzungen erfüllen.5 Im Übrigen sollte der Begriff wegen seiner Unbestimmtheit eher eng ausgelegt werden. Für die Zurechnung von Einflussnahmemöglichkeiten z.B. aufgrund einer Treuhandschaft gilt vorrangig § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO, ohne dass es dort auf einen beherrschenden Einfluss ankäme. Ein beherrschender Einfluss setzt nicht voraus, dass der beherrschenden Person Zwangsmittel zur Verfügung stehen. Es reicht aus, dass sich die beherrschte Person vernünftigerweise dem beherrschenden Einfluss nicht entziehen wird. Umgekehrt liegt kein beherrschender Einfluss vor, wenn derselbe nur mit Hilfe eines Dritten durchgesetzt werden kann und die Mitwirkung des Dritten nicht sicher ist. Die Streitfrage, ob § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG eine Einflussnahmemöglichkeit auf die Gesamtheit der Geschäftsbeziehungen voraussetzt oder ob eine solche auf einzelne Ge-
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Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 90.1. Vgl. Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. A 212. Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 43. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 55 ff. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 841.
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schäftsbeziehungen genügt, ist steuerrechtlich ohne Bedeutung, weil ggf. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG insoweit als Auffangnorm wirkt.1 Wann ist ein Einfluss ein beherrschender? Die Frage, wann ein Einfluss ein beherrschender ist, ist einmal nach dem Sprachgebrauch und zum anderen nach dem Zusammenhang zu beurteilen, in dem die Vorschrift steht. „Beherrschender Einfluss“ drückt nach dem Sprachgebrauch ein absolutes Abhängigkeitsverhältnis aus, wie es üblicherweise in einem Beherrschungsvertrag vereinbart zu werden pflegt. Gegenstand des Abhängigkeitsverhältnisses müssen die zwischen fremden Dritten untereinander üblicherweise zu vereinbarenden Geschäftsbeziehungen sein, d.h. die beherrschende Person muss ihren beherrschenden Einfluss gerade auf diese Bedingungen ausüben können. Der beherrschten Person darf insoweit kein wesentlicher eigener Entscheidungsspielraum mehr verbleiben. Bezogen auf die Stimmrechte setzt dies nicht nur solche von mindestens mehr als 50 % voraus, sondern die Stimmrechte müssen auch die Möglichkeit vermitteln, unmittelbar auf die Vereinbarung von Geschäftsbeziehungen Einfluss zu nehmen. Die 50 %-Grenze entspricht dem § 7 Abs. 2 AStG einerseits und der BFH-Rechtsprechung zur vGA gegenüber einem beherrschenden Gesellschafter andererseits. Sollte die Satzung der beherrschten Person eine qualifiziertere Mehrheit verlangen, wird ein Beherrschungsverhältnis erst bei Erreichen derselben angenommen werden können. Die Tatsache, dass § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG eine wesentliche Beteiligung schon bei einer solchen von 25 % annimmt, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Die Differenzierung entspricht der unterschiedlichen Auslegung der Ausdrücke „wesentlich“ und „beherrschend“. Das zusätzliche Erfordernis einer beherrschenden Einflussnahme auf die Geschäftsbeziehungen entspricht dem § 7 Abs. 4 AStG. So gesehen genügt eine Mehrheitsbeteiligung bei den Stimmrechten allein noch nicht für die Annahme eines beherrschenden Einflusses.2
2.123
Beherrschte Person. Grundsätzlich kann jede Person beherrscht sein. Dies gilt auch für natürliche Personen und Personengesellschaften. Die Auffassung, Personengesellschaften seien keine eigenständigen Rechtsträger,3 entspricht nicht mehr der im Gesellschaftsrecht herrschenden Auffassung.4 Gegenüber natürlichen Personen wird die Annahme eines beherrschenden Einflusses eher die Ausnahme sein. Es wird regelmäßig an einer strukturellen Grundlage fehlen. Dies gilt auch für die Beziehung zwischen Eheleuten untereinander und zwischen Eltern und Kindern. Eltern üben nicht schon dann einen beherrschenden Einfluss auf ihre Kinder aus, wenn letztere minderjährig sind und von den Eltern gesetzlich vertreten werden.
2.124
1 Vgl. im Übrigen BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.3.2.6 Satz 1. 2 Vgl. Brezing in Brezing/Krabbe/Lempenau/Mössner/Runge, § 1 AStG Rz. 237. 3 Vgl. Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. A 214. 4 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht3, § 8 III Nr. 2.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
2.125
Beteiligung (Einfluss) des Steuerpflichtigen oder der nahestehenden Person. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG reicht es gleichermaßen aus, wenn der Steuerpflichtige an der potentiell nahestehenden Person oder wenn die potentiell nahestehende Person an dem Steuerpflichtigen wesentlich beteiligt ist. Das Gleiche gilt für den beherrschenden Einfluss des Steuerpflichtigen auf die potentiell nahestehende Person und der potentiell nahestehenden Person auf den Steuerpflichtigen. Man muss diese Merkmale aus der Sicht eines bestehenden Über- und Unterordnungsverhältnisses sehen. Soll die Beteiligung eine mittelbare sein, so muss der nachgeordnete Steuerpflichtige oder die nachgeordnete Person eine Körperschaft bzw. Personengesellschaft sein. Außerdem muss zwischen den beteiligten Steuerpflichtigen bzw. die beteiligte Person und die Körperschaft eine weitere Körperschaft geschaltet sein. Geht es um einen mittelbaren beherrschenden Einfluss, so muss die zwischengeschaltete Person bereit, in der Lage und verpflichtet sein, einen beherrschenden Einfluss im Interesse des Steuerpflichtigen bzw. der Person auszuüben. Übt die Person den beherrschenden Einfluss auch im eigenen Interesse aus, so kann von einer mittelbaren Einflussnahme i.d.R. nur dann ausgegangen werden, wenn eine Interessenpoolung gegeben ist.
2.126
Nahestehen gem. § 1 Abs. 2 Nr. 2. Zwar erwähnt § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG nicht ausdrücklich unmittelbare und mittelbare wesentliche Beteiligungen. Der Ausdruck „wesentliche Beteiligung“ wird jedoch in § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG in diesem Sinne gesetzlich definiert. § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG verwendet die gesetzliche Definition und ist deshalb i.S.v. unmittelbaren und mittelbaren wesentlichen Beteiligungen zu verstehen.
2.127
Beherrschender Einfluss in Fällen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG. Betroffen sind vor allem Geschäftsbeziehungen zwischen Schwestergesellschaften. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG begründet auch der Fall ein Nahestehen zwischen dem Steuerpflichtigen1 und der Person2, dass ein Dritter sowohl an dem Steuerpflichtigen als auch an der Person wesentlich beteiligt ist3 oder auf beide Personen einen beherrschenden Einfluss ausübt.4 Die dritte Person kann ihrerseits eine natürliche oder juristische sein. Sie kann Körperschaft, Vermögensmasse, Personengesellschaft oder eine Gemeinschaft sein. Sie kann im Inland oder im Ausland ansässig sein. Sie muss nicht im Inland steuerpflichtig sein. In der Praxis sind Fälle des § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG äußerst selten.
2.128
Nahestehen gem. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG soll das Nahestehen gegenüber dem Steuerpflichtigen auch durch das Imstandesein einer Person oder des Steuerpflichtigen begründet werden, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auf den Steuerpflichtigen 1 2 3 4
Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, §
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1 AStG Rz. 1 AStG Rz. 1 AStG Rz. 1 AStG Rz.
218–221. 249–251. 833. 840.
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G. § 1 AStG
oder die Person auszuüben. Zu dem Gesetzestatbestand ist kritisch anzumerken, dass er in fast 40 Jahren Geltung des § 1 AStG keine praktische Wirkung entfaltet hat. Die Vorschrift ist Ausdruck des Bemühens des Gesetzgebers, jede auch nur theoretisch denkbare Form des Nahestehens erfassen zu wollen. Damit schießt der Gesetzgeber über das vernünftigerweise Gebotene weit hinaus. Geschäftsfremde Einflussnahmemöglichkeit. Die Regelung ist wenig klar und kaum nachvollziehbar.1 In Abgrenzung von § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AStG stellt Nr. 3 nur auf Einflussnahmemöglichkeiten zwischen dem Steuerpflichtigen und der potentiell nahestehenden Person und umgekehrt ab. Die Einflussnahmemöglichkeiten Dritter auf den Steuerpflichtigen und die potentiell nahestehende Person sind innerhalb der Nr. 3 ohne Bedeutung. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG stellt allerdings nur auf Einflussnahmemöglichkeiten und nicht auf eine tatsächliche Einflussnahme ab. Auch genügt innerhalb der Nr. 3 an sich jede Einflussnahmemöglichkeit. Es muss sich nicht – wie in Nr. 1 und 2 – um eine beherrschende handeln. Dennoch wird man aus dem Vergleich der Nr. 3 zu den Nr. 1 und 2 folgern müssen, dass eine Einflussnahmemöglichkeit i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG von einem besonderen Gewicht sein muss. Die geschäftsfremde Einflussnahmemöglichkeit muss in ihrer Wirkung die Geschäftsbeziehung betreffen, die Gegenstand des Fremdvergleichs ist.2 Sie muss jedoch ihren eigentlichen Entstehungsgrund außerhalb dieser Geschäftsbeziehung haben. Unklar ist, ob der Entstehungsgrund in einer anderen Geschäftsbeziehung bestehen kann3 oder ob er gewissermaßen nichtgeschäftlicher (= außerbetrieblicher) Natur sein muss.4 Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG ist jede Einflussnahmemöglichkeit auf eine Geschäftsbeziehung in Betracht zu ziehen, die ihren Entstehungsgrund außerhalb „dieser“ Geschäftsbeziehung hat. Danach kann die Einflussnahmemöglichkeit auch durch eine andere Geschäftsbeziehung begründet sein (z.B. Marktbindungsvertrag, Konkurrenzausschlussabsprache, Vertriebsbindung). Dies führt allerdings zu der im Einzelfall schwierigen Abgrenzungsfrage, wann eine Einflussnahmemöglichkeit durch „diese“ und wann sie durch eine andere Geschäftsbeziehung begründet ist. Die Einflussnahmemöglichkeit muss jedenfalls schon bei Abschluss der Geschäftsbeziehung bestanden haben, die der Grund für die Einkünfteminderung ist. Fälle einer Marktbeherrschung können ein Monopol oder ein Oligopol sein. Derartige Einflussnahmemöglichkeiten sind aber durch den Markt begründet und in diesem Sinne „betrieblicher Natur“, weshalb sie eine Gewinnkorrektur gerade nicht rechtfertigen.5 Die bestehenden Unklarheiten zwingen letztlich dazu, die verwendeten Begriffe eng auszulegen. 1 Vgl. Boller/Kahle/Sinz in W/S/G, § 1 AStG Rz. 210. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.3.2.6 Satz 1. 3 So wohl: Debatin, DStZ/A 1972, 265 (268). 4 So: Brezing in B/K/L/M/R, § 1 AStG Rz. 240. 5 Vgl. Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. A 217.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
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Eigenes Interesse an der Einkünfteerzielung durch den anderen. Das Nahestehen des Steuerpflichtigen zu einer Person kann gem. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG auch dadurch vermittelt werden, dass entweder der Steuerpflichtige ein eigenes Interesse an der Einkünfteerzielung der Person oder die Person ein eigenes Interesse an der Einkünfteerzielung des Steuerpflichtigen hat.1 Die Regelung hatte vor 1972 im deutschen Steuerrecht kein Vorbild. Sie ist eine abschließende, die auf eine Ausdehnung des Ausdrucks „Nahestehen“ zielt. Ähnlich wie in § 7 Abs. 4 AStG wollte der Gesetzgeber missbräuchliche Gestaltungsmöglichkeiten erfassen, die jedoch nicht konkret auszumachen sind. Die Vorschrift trägt die Gefahr in sich, den Ausdruck „Nahestehen“ ausufern zu lassen. Sie steht nicht mit Art. 9 OECD-MA in Einklang, weshalb sie im Verhältnis zu DBAStaaten nur eingeschränkt durchsetzbar ist.2 Sie hat in der Praxis während der letzten 40 Jahre wenig Bedeutung gehabt. Zu Auslegungszwecken ist insbesondere das BFH-Urt. v. 19.1.19943 zu beachten.
2.131
Eigenes Interesse.4 Das in § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG geforderte „eigene Interesse“ muss sich auf die Einkünfteerzielung des jeweils anderen beziehen. Insoweit enthält das Gesetz eine positive Aussage. Das Interesse muss zugleich außerhalb der Geschäftsbeziehung liegen, aus der die geminderten Einkünfte des Steuerpflichtigen fließen.5 Insoweit enthält das Gesetz eine negative Aussage. Aus dem Vergleich zwischen den Nr. 1–3 untereinander wird man folgern müssen, dass nicht jedes irgendwie geartete Allgemeininteresse, sondern nur ein solches von besonderem Gewicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG erfüllt. Es reicht nicht aus, dass der Steuerpflichtige dem anderen „wohlgesonnen“ ist und ihm „Gewinne“ und „Reichtum“ wünscht. Andererseits hat der BFH es in seinem Urteil vom 19.1.19946 abgelehnt, unter § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG nur wirtschaftliche Interessen zu subsumieren. Er hat aus dem Vergleich zu Nr. 1 und 2 gefolgert, dass die Interessen i.S.d. Nr. 3 auch persönliche sein können. Persönliche Interessen sind insbesondere in einem Familienverbund denkbar. Deshalb begründet jedoch nicht jede familiäre Beziehung zwangsläufig ein Nahestehen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG. Es muss die Absicht einer mittelbaren Vermögensverlagerung zwischen den nahestehenden Personen und ein daran bestehendes eigenes Interesse hinzukommen.7 Ein entsprechendes Interesse wird unter Umständen zu bejahen sein, wenn ein im Inland wohnender Familienvater Vermögen auf seine im Ausland lebenden Kinder überträgt, um es der in eigener Person potentiell anfallenden deutschen Einkommen- und Erb1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 857. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 98 ff.. 100. BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = BFHE 174, 61 = FR 1994, 367. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.3.2.7. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 854. BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = BFHE 174, 61 = FR 1994, 367. Vgl. Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 67; Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. A 218.
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schaftsteuer zu entziehen.1 Zu beachten ist allerdings, dass aus der Verfolgung von Fremdinteressen nicht immer auf das Fehlen von Eigeninteressen rückgeschlossen werden darf.2 § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG verlangt ein eigenes Interesse an der Einkünfteerzielung des anderen. Ein Fremdinteresse genügt nicht. I.d.R. wird deshalb zwischen dem Steuerpflichtigen und der Person eine besondere Interessengemeinschaft oder zumindest eine zusätzliche Rechtsbeziehung (z.B. Unterhaltspflicht) bestehen müssen, aufgrund derer die Fremdinteressen zu eigenen werden. Der BFH leitet aus dem Bericht des Finanzausschusses des Bundestages3 ab, dass das Interesse sich speziell auf die Erzielung der zur Berichtigung anstehenden Einkünfte erstrecken muss. Es genügt deshalb kein Interesse, das sich nur auf die Einkünfteerzielung allgemein erstreckt. Das Interesse an der Einkünfteerzielung des jeweils anderen muss nachgewiesen werden. Die Beweislast trifft das Finanzamt. Die Formulierung in Rz. 1.3.2.7 VWG 1983 ist nichtssagend und deshalb unbrauchbar. Interesse des Steuerpflichtigen bzw. der Person an der Einkünfteerzielung des jeweils anderen. Der Steuerpflichtige muss ein außerhalb der Geschäftsbeziehung liegendes Eigeninteresse daran haben, dass die andere Person die ins Ausland verlagerten Einkünfte erzielt. Dieser Fall ist unschwer nachvollziehbar. Es wird ein Eigeninteresse des Steuerpflichtigen an der Gewinnverlagerung ins Ausland verlangt. Dieses ist regelmäßig gegeben, wenn der Steuerpflichtige an der Person beteiligt ist, die im Ausland die verlagerten Einkünfte erzielt. Die Voraussetzung ist auch dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige mit Hilfe der Gewinnverlagerung ins Ausland eigene außerbetriebliche Verbindlichkeiten erfüllt. Schwer vorstellbar ist dagegen der umgekehrte Fall, dass die potentiell nahestehende Person ein Eigeninteresse an der Einkünfteerzielung durch den Steuerpflichtigen haben soll. Dazu ist festzuhalten, dass der Steuerpflichtige nicht immer Einkünfte erzielen muss.4 Daran fehlt es z.B., wenn er eine Leistung unentgeltlich erbringt. Es kommt hinzu, dass die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG weniger durch die Einkünfteerzielung als vielmehr durch die Einkünfteminderung ausgelöst wird.5 Die Einkünfteminderung besteht i.d.R. aus nicht erzielten Einnahmen. Eigentlich müsste man deshalb ein Eigeninteresse der potentiell nahestehenden Person an der Nichterzielung von Einnahmen durch den Steuerpflichtigen verlangen. Dies widerspricht jedoch dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG. Auch bliebe unklar, warum der Gesetzgeber dann nicht gleich auf das Eigeninteresse der Person an der Einkünfteverlagerung ins Ausland abgestellt hat. Umgekehrt macht es wiederum keinen Sinn, auf ein Eigeninteresse der potentiell nahestehenden Person an der Erzielung der geminderten Einkünfte abzustellen. Es 1 2 3 4 5
Vgl. Offerhaus, FR 1971, 425 (426). Vgl. Brezing in Brezing/Krabbe/Lempenau/Mössner/Runge, § 1 AStG Rz. 246. BT-Drucks. VI/3537, 3. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 212. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 252 ff.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
besteht deshalb der Eindruck, als ob diese Alternative des § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG vom Gesetzgeber nicht richtig durchdacht wurde. Es fragt sich, ob es überhaupt einen Sachverhalt gibt, der unter die Vorschrift subsumiert werden kann. Die Tatsache, dass es seit Inkrafttreten des AStG noch keinen einschlägigen Fall gegeben hat, belegt eher, dass die Vorschrift eine Leerformel ist. 6. Geschäftsbeziehung zu einer nahestehenden Person
2.133
Nur schuldrechtliche Vereinbarungen. Die die Einkünfteminderung auslösende Geschäftsbeziehung muss schuldrechtlicher Natur sein und speziell zu einer dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person bestehen. Anders ausgedrückt muss eine schuldrechtliche Vereinbarung mit der dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person bestehen, die dem Fremdvergleich nicht entspricht und deshalb eine Einkünfteminderung auslöst. Es muss nicht der Steuerpflichtige selbst die Geschäftsbeziehung zu der ihm nahestehenden Person unterhalten. Er muss allerdings mit den Einkünften aus der Geschäftsbeziehung im Inland steuerpflichtig sein. Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen zu der nahestehenden Person wie z.B. Geschäftsführung ohne Auftrag, unerlaubte Handlung oder ungerechtfertigte Bereicherung sind ungeeignet, um die Rechtsfolge aus § 1 AStG auszulösen. Bei gesetzlichen Schuldverhältnissen stellt sich nur innerhalb der Steuerbilanz die Frage, welcher Anspruch in welcher Höhe zu aktivieren ist. Ggf. ist der tatsächlich aktivierte Anspruch zu berichtigen. 7. Geschäftsbeziehung zum Ausland
2.134
Allgemeines. § 1 Abs. 1 AStG verlangt Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus dessen Geschäftsbeziehungen zum Ausland. Der Ausdruck „zum Ausland“ wird in § 1 Abs. 1 AStG nicht näher definiert. Er ist deshalb entsprechend dem Zweck der Vorschrift auszulegen. § 1 AStG soll Einkünfteverlagerungen ins Ausland verhindern. Daraus folgt, dass einerseits eine Minderung der im Inland steuerpflichtigen Einkünfte eintreten und der damit korrespondierende Vorteil im Ausland anfallen muss. Tritt die Einkünfteminderung im Ausland ein und fällt der damit korrespondierende Vorteil im Inland an, so liegt eine Geschäftsbeziehung vom Ausland ins Inland vor. Der Begriff ist deshalb weniger unter geographischen Gesichtspunkten als vielmehr unter dem eines vorrangigen Besteuerungsrechtes eines ausländischen Staates zu beurteilen.1 Problematisch sind die Fälle, in denen der im Ausland anfallende korrespondierende Vorteil dennoch im Inland steuerpflichtig ist. Für diesen Fall fragt es sich, ob die den Vorteil im Ausland erzielende nahestehende Per1 Vgl. Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. 202; Pohl in Blümich, § 1 AStG, Rz. 32; Nientimp in Mössner/Fuhrmann2, § 1 AStG Rz. 56, 57; Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 72.
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son einen Bezug zum Ausland haben muss, der es ausschließt, die auf sie verlagerten Einkünfte im Inland zu besteuern. Die Frage stellt sich vor allem nach der Neufassung des § 1 Abs. 4 AStG ab dem Veranlagungszeitraum 2003. Danach setzt eine Geschäftsbeziehung alternativ voraus, dass die schuldrechtliche Beziehung beim Steuerpflichtigen Teil einer Tätigkeit ist, auf die § 13, § 15, § 18 oder § 21 EStG anzuwenden ist oder dass sie bei einem ausländischen Nahestehenden Teil einer Tätigkeit ist, auf die § 13, § 15, § 18 oder § 21 EStG anzuwenden wäre, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass keine Geschäftsbeziehung anzunehmen ist, wenn ein Steuerinländer einem ihm nahestehenden Steuerausländer ein zinsloses Darlehen gewährt, das dieser im Inland als Teil einer Tätigkeit einsetzt, auf die § 13, § 15, § 18 oder § 21 EStG anzuwenden ist. Damit werden ein weiteres Mal vergleichbare in- und ausländische Sachverhalte im Inland ungleich besteuert. Problematisch ist das Abstellen auf die Besteuerung beim Leistungsempfänger aber auch dann, wenn der Steuerpflichtige keinen Einfluss auf die Verwendung seiner Leistung hat. Gibt z.B. ein Steuerinländer einer inländischen GmbH, an der er zu 30 % beteiligt ist, ein zinsloses Darlehen, und verwendet die GmbH das Darlehen für Zwecke ihrer ausländischen Betriebsstätte, dann mag sich de facto eine Gewinnverlagerung in den ausländischen Betriebsstättenstaat ergeben. Dennoch ist nicht sicher, dass der Steuerinländer diese Verlagerung beabsichtigt hat. Die Besteuerung des Steuerinländers hängt von dem Verhalten einer anderen Person ab, auf die er nicht immer den nötigen Einfluss hat. Es kommt hinzu, dass die Betriebsstätteneinkünfte unter den Voraussetzungen eines DBAAktivitätsvorbehaltes im Inland steuerpflichtig sein können. Es wäre eigenartig, wenn § 1 AStG nur auf ausländische aktive und nicht auf ausländische passive Einkünfte Anwendung finden könnte. Ausland, nicht Inland. Die Geschäftsbeziehung muss „zum Ausland“ bestehen. Eine Geschäftsbeziehung „zum Inland“ oder von dem einen ausländischen Staat zu einem anderen genügt nicht. Die Geschäftsbeziehung muss als solche eine grenzüberschreitende sein. Daran fehlt es, wenn beide Vertragspartner der Geschäftsbeziehung im Inland ansässig sind und der Leistungsempfänger die Leistung lediglich im Ausland nutzt oder verwendet. Gewährt z.B. der Steuerpflichtige einer ihm nahestehenden, jedoch im Inland ansässigen Person ein Darlehen, das der Darlehensnehmer für seine ausländische Betriebsstätte verwendet, so vollzieht sich die Geschäftsbeziehung im Inland. Die Darlehensnutzung innerhalb der Betriebsstätte ist nicht Gegenstand der Geschäftsbeziehung. Nur dann, wenn die Vertragspartner vereinbaren, dass das Darlehen für die ausländische Betriebsstätte gewährt wird, kann etwas anderes gelten. Entscheidend ist dann, ob sich die aus der Geschäftsbeziehung zu erwartende Einkünfteminderung im Inland auswirkt, ob also der bei der nahestehenden Person anfallende Vermögensvorteil im Inland nicht besteuert werden kann. Tritt die Einkünfteminderung beim Steuerpflichtigen nur im Ausland ein, so ist das Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt. Wassermeyer
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Die Tatsache, dass die im Inland an sich steuerfreien Einkünfte des Steuerpflichtigen oder der nahestehenden Person dennoch im Progressionsvorbehalt gem. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG zu erfassen sein können, reicht allerdings aus, um eine Einkünfteverlagerung ins Ausland nur für Zwecke des Progressionsvorbehaltes anzunehmen. Zu beachten ist die unterschiedliche Formulierung von § 1 Abs. 1 AStG einerseits und § 90 Abs. 3 AO. In § 90 Abs. 3 AO ist von Sachverhalten die Rede, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen. Der Begriff „Vorgänge mit Auslandsbezug“ ist der Formulierung in § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG in der ab dem Veranlagungszeitraum 2013 geltenden Fassung angenähert. Dies wirft die Frage auf, ob es für Geschäftsbeziehungen zum Ausland ausreicht, wenn ein Vorgang bloßen Auslandsbezug hat. Im Einzelnen sind folgende Beispielsfälle besonders zu beachten:
2.136
Doppelansässigkeit des Steuerpflichtigen. Beispiel A, ein pensionierter Beamter, lebt hauptsächlich in Großbritannien. Er hat einen Zweitwohnsitz in Deutschland. Er gewährt seinem im Ausland lebenden Sohn S für dessen Einzelunternehmen ein niedrig verzinsliches Darlehen. Außerdem erzielt A Einkünfte aus der Vermietung einer im Inland belegenen Wohnung.
A hat seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Großbritannien. Dort muss er deshalb auch seine Darlehenszinsen versteuern. Es stellt sich nur die Frage, ob § 1 AStG innerhalb des Progressionsvorbehaltes für die Vermietungseinkünfte anzuwenden ist. Dies ist zu verneinen, weil die Geschäftsbeziehung zu S nur im Ausland besteht.
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Doppelansässigkeit der nahestehenden Person. Beispiel: A, ein pensionierter Beamter, ist im Inland unbeschrankt steuerpflichtig. Er gewährt seinem im Ausland lebenden Sohn S für dessen Einzelunternehmen ein niedrig verzinsliches Darlehen. S ist alternativ in einem DBA-Staat bzw. in einem Nicht-DBA-Staat ansässig. Er besitzt im Inland einen Zweitwohnsitz und ist deshalb hier unbeschränkt steuerpflichtig.1
Nach § 1 Abs. 4 AStG ist der Darlehensvertrag eine Geschäftsbeziehung, weil er auf Seiten des S in den Bereich dessen Einkünfte aus Gewerbebetrieb fällt. Solange S seinen ersten Wohnsitz in einem DBA-Staat hat und deshalb dort ansässig ist, besteht die Geschäftsbeziehung des A zum Ausland, weil S mit seinen Unternehmensgewinnen im Inland nicht steuerpflichtig ist. Die Frage geht dahin, ob etwas anderes dann gilt, wenn S mit seinen gewerblichen Einkünften der inländischen Besteuerung unterliegt. Insoweit ist sicherlich zu fordern, dass die Geschäftsbeziehung eine grenzüberschreitende ist. Diese Voraussetzung ist in dem Beispielsfall erfüllt, weil das Darlehen für Zwecke des Einzelunternehmens von S ge1 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.3.
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G. § 1 AStG
währt wird. Die weitere Frage geht dahin, ob die Besteuerung des Geschäftspartners im Inland nicht der Anwendung des § 1 AStG entgegensteht. Mit Rücksicht auf die folgenden Beispielsfälle ist dies unbeschadet der Tatsache zu bejahen, dass die anfallende (höhere) ausländische Steuer gem. § 34c EStG im Inland anrechenbar ist. Rz. 1.4.3 AEAStG bedarf insoweit der Differenzierung.
2.138
Ausländische Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen. Beispiel: A ist im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Er hat ein Einzelunternehmen geerbt, das in einem DBA-Staat (Altern.: Nicht-DBA-Staat) belegen ist. Das Einzelunternehmen hat einer anderen im Ausland ansässigen Person ein niedrig verzinsliches Darlehen gewährt. Die andere Person steht dem A nahe.
Solange sich das Einzelunternehmen in einem DBA-Staat befindet und deshalb Deutschland kein Besteuerungsrecht auf die gewerblichen Einkünfte zusteht, ist keine Geschäftsbeziehung zum Ausland mangels Möglichkeit einer Gewinnverlagerung vom Inland ins Ausland gegeben. Problematisch wird es jedoch, wenn das einschlägige DBA die Steuerbefreiung im Inland nur unter Aktivitätsvorbehalt gewährt und das Darlehen dem passiven Bereich zuzuordnen ist. Problematisch ist auch, wenn das Einzelunternehmen in einem Nicht-DBA-Staat betrieben wird. Für beide Fälle ist mit Rücksicht auf den Gedanken des vorrangigen ausländischen Besteuerungsrechts eine Geschäftsbeziehung zum Ausland anzunehmen. Dennoch ist mit dem Einwand zu rechnen, es liege nur eine Geschäftsbeziehung im Ausland vor. Problematisch ist ferner der Fall, dass ein unbeschränkt Steuerpflichtiger einen schuldrechtlichen Nutzungsüberlassungsvertrag z.B. mit seiner inländischen Kapitalgesellschaft abschließt und es der Entscheidung der inländischen Kapitalgesellschaft vorbehalten bleibt, ob das überlassene Wirtschaftsgut (Geld) im inländischen Stammhaus oder in einer ausländischen Betriebsstätte genutzt wird. In diesem Zusammenhang kann von Bedeutung sein, dass § 1 Abs. 4 AStG die Geschäftsbeziehung als Teil einer Tätigkeit umschreibt, die im Ausland vorgenommen wird. Teil einer Tätigkeit kann aber nur die Darlehenshingabe und nicht die Nutzungsüberlassung sein. Vollzieht sich die Darlehenshingabe im Inland, so ist eine Geschäftsbeziehung zum Inland anzunehmen.1 Inländische Betriebsstätte einer beschränkt steuerpflichtigen nahestehenden Person. Beispiel: Der unbeschränkt steuerpflichtige A betreibt im Inland eine Privatbank. Er gewährt dem nur im Ausland ansässigen B, der ihm nahe steht, ein niedrig verzinsliches Darlehen. B verwendet dieses Darlehen für Zwecke seiner im Inland belegenen Betriebsstätte. 1 Vgl. BFH v. 28.4.2004 – I R 5/02, BStBl. II 2005, 516 = BFHE 206, 116.
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2.139
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
In diesem Fall fehlt es an einer Geschäftsbeziehung zum Ausland.1 Die Geschäftsbeziehung besteht nur im Inland. Dies gilt unbeschadet der Ansässigkeit des B im Ausland jedenfalls dann, wenn das Darlehen für Zwecke seiner inländischen Betriebsstätte gewährt wird. Das Darlehen wird nicht grenzüberschreitend gewährt. In Deutschland soll derselbe Vorteil nicht zweimal besteuert werden.
2.140
Ausländische Betriebsstätte einer unbeschränkt steuerpflichtigen nahestehenden Person in einem DBA-Staat bzw. in einem Nicht-DBA-Staat. Beispiel: Die nahestehende Person kann auch unbeschränkt steuerpflichtig sein. Unterhält sie im Ausland eine Betriebsstätte und besteht die Geschäftsbeziehung des Steuerpflichtigen speziell zu dieser Betriebsstätte, so ist darauf abzustellen, ob der Betriebsstättengewinn im Inland besteuert werden kann oder nicht. Dies ist der Fall, wenn entweder kein DBA mit dem Betriebsstättenstaat besteht oder wenn das bestehende DBA für den konkreten Einzelfall die Anwendung der Anrechnungsmethode vorschreibt.2 Die Tatsache, dass in beiden Fällen eine Steuerermäßigung in der Form der Anrechnung der Steuern des Betriebsstättenstaates auf die inländische Steuer gewährt wird, steht der Annahme einer Geschäftsbeziehung zum Inland nicht entgegen. Sollte die ausländische Betriebsstättenstaatsteuer höher als die inländische sein, so muss dennoch eine Geschäftsbeziehung zum Inland angenommen werden. Die Geschäftsbeziehung zum Inland hängt nicht davon ab, ob im Inland eine Ertragsteuer von mindestens 1 Euro erhoben wird.
2.141
Beteiligung eines Steuerausländers an inländischer Personengesellschaft. Beispiel: Der Steuerausländer A ist an einer inländischen KG beteiligt, die im Inland eine Privatbank betreibt. Die inländische KG gewährt einer unbeschränkt stpfl. GmbH, an der A beherrschend beteiligt ist, ein niedrig verzinsliches Darlehen.
Auch in diesem Fall fehlt es an einer Geschäftsbeziehung zum Ausland. Die Geschäftsbeziehung besteht von der „inländischen“ KG zu der inländischen GmbH, d.h. im Inland. Der durch das Gesellschaftsverhältnis begründete Auslandsbezug reicht nicht aus, um auch eine Geschäftsbeziehung zum Ausland anzunehmen.
2.142
Inländische Betriebsstätte eines Steuerausländers und ausländische Betriebsstätte eines Steuerinländers. Beispiel: Der Steuerausländer A verfügt über eine inländische Betriebsstätte. Im Rahmen seiner Betriebsstättentätigkeit schließt er mit der ausländischen Betriebsstätte des unbeschränkt steuerpflichtigen B einen Vertrag, aufgrund dessen A dem B Leistungen gegen ein unangemessen niedriges Entgelt erbringt. A und B stehen einander nahe. Die Betriebsstätte des B befindet sich in einem DBA-Staat.
In diesem Fall besteht eine Geschäftsbeziehung zum Ausland jedenfalls dann, wenn die Geschäftsbeziehung den beiden Betriebsstätten zuzuord1 A.A. Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 680. 2 Z.B. aufgrund einer Aktivitätsklausel oder aufgrund des § 20 Abs. 2 AStG.
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G. § 1 AStG
nen ist. Es ist irrelevant, dass A nur beschränkt steuerpflichtig ist. Auch beschränkt Steuerpflichtige fallen unter den Begriff des „Steuerpflichtigen“ i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG. Es ist unerheblich, dass der Geschäftspartner B unbeschränkt steuerpflichtig ist. Die Beziehung „zum Ausland“ wird nicht durch die persönliche Steuerpflicht der nahestehenden Person begründet. Entscheidend ist vielmehr, ob einerseits die in Deutschland zu versteuernden Einkünfte des Steuerpflichtigen gemindert wurden und andererseits der damit korrespondierende Vorteil der nahestehenden Person nur im Ausland zu besteuern ist. Letztere Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Vorteil einer ausländischen DBA-Betriebsstätte zuzurechnen ist, für die Deutschland kein Besteuerungsrecht hat. Außerdem muss die Zuordnung der Geschäftsbeziehung zu den beiden Betriebsstätten zur Vertragsgrundlage gehören. Die Rechtslage wäre allerdings dann eine andere, wenn die Betriebsstätte des B sich in einem Nicht-DBA-Staat befände.
2.143
Geschäftsbeziehung zu einer Zwischengesellschaft. Beispiel 1: Der unbeschränkt stpfl. A unterhält im Inland einen Gewerbebetrieb, der mit einer ausländischen Zwischengesellschaft einen Vertrag abschließt, aufgrund dessen die Zwischengesellschaft verbilligte Dienstleistungen erhält. A ist an der Zwischengesellschaft mehrheitlich beteiligt.1
Es besteht eine Geschäftsbeziehung zum Ausland. Dennoch droht eine Doppelbesteuerung insoweit, als die Zwischengesellschaft Aufwendungen erspart und deshalb einen aus der Sicht des Fremdvergleichs zu hohen Gewinn ausweist. Soweit der zu hohe Gewinn der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegt, hat A Anspruch auf einen Billigkeitserlass der doppelt erhobenen Steuern. Rz. 8.3.2 des BMF-Schreibens v. 23.2.1983 muss insoweit sinngemäße Anwendung finden.2 Beispiel 2: Eine inländische Muttergesellschaft gewährt ihrer ausländischen Enkelgesellschaft ein Darlehen zu einem unüblich niedrigen Zins. Die Enkelgesellschaft ist zugleich Zwischengesellschaft i.S.d. §§ 7 ff. AStG., die niedrig besteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb erzielt. Die Einkünfte aus passivem Erwerb der ausländischen Enkelgesellschaft werden der inländischen Tochtergesellschaft hinzugerechnet, die an der Enkelgesellschaft zu 100 % beteiligt ist.
Das Beispiel 2 ist dem BFH-Urteil v. 19.3.20023 nachgebildet. Der BFH hat § 1 AStG bezogen auf die inländische Muttergesellschaft für anwendbar erklärt. Zugleich hat er ausgesprochen, dass die hinzuzurechnenden Zwischeneinkünfte um den Betrag zu mindern seien, der bei der Muttergesellschaft hinzugerechnet werde. Damit hat der BFH Rz. 1.5.2 des BMFSchreibens v. 23.2.1983 bestätigt. Seine Vorgehensweise ist insoweit nicht unbedenklich, als die in § 1 AStG verwendeten Worte „unbescha1 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.3. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 8.3.2. 3 BFH v. 19.3.2002 – I R 4/01, BStBl. II 2002, 644 = BFHE 198, 499 = FR 2002, 1058.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
det anderer Vorschriften“ eigentlich die einzige Rechtsgrundlage für eine sog. Gegenkorrektur enthalten.
2.144
In- und ausländische Betriebsstätten zweier beschränkt Steuerpflichtiger. Beispiel: A und B sind einander nahestehende Steuerausländer. A unterhält im Inland eine Betriebsstätte. Im Rahmen seiner Betriebsstätte schließt er mit dem nur im Ausland gewerblich tätigen B einen Vertrag, aufgrund dessen A dem B Dienstleistungen zu einem unangemessen niedrigen Preis erbringt.1
Es ist von einer Geschäftsbeziehung zum Ausland auszugehen, weil der inländische Betriebsstättengewinn von A (Steuerpflichtiger) zu Lasten des ausländischen Betriebsstättengewinns von B (nahestehende Person) gemindert wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Vertragspartner die Geschäftsbeziehung einvernehmlich den genannten Betriebsstätten zuordnen. Deutschland kann den erhöhten ausländischen Betriebsstättengewinn nicht besteuern.
2.145
Inländische Gesellschafter einer ausländischen Personengesellschaft. Beispiel: Die unbeschrankt steuerpflichtigen A und B sind an einer ausländischen Personengesellschaft beteiligt, die ihrerseits Geschäftsbeziehungen zu anderen in- und ausländischen Personen unterhält, aufgrund derer der Gewinn der Personengesellschaft gemindert wird. A und B einerseits und die „anderen Personen“ andererseits stehen einander nahe.
In diesem Fall fehlt es an Geschäftsbeziehungen zum Ausland jedenfalls dann, wenn die Personengesellschaft in einem DBA-Staat ansässig sein sollte und deshalb Deutschland kein Besteuerungsrecht für die Gewinnanteile von A und B zusteht. Dagegen muss dann, wenn die Personengesellschaft in einem Nicht-DBA Staat ansässig sein sollte, von einer Geschäftsbeziehung von A und B zum Ausland ausgegangen werden. Zwar sieht § 1 AStG als Rechtsfolge nicht vor, nur die Gewinnanteile von A und B um die nicht erzielten anteiligen Einnahmen zu erhöhen. Mit Hilfe des § 1 AStG kann aber der Gewinn der Personengesellschaft erhöht werden, was sich aus deutscher Sicht in einer Erhöhung der Gewinnanteile von A und B niederschlägt. Immerhin muss in diesem Fall mit dem Einwand gerechnet werden, die Geschäftsbeziehungen bestünden nicht zum Ausland, sondern zum Inland bzw. im Ausland.
2.146
Inländische und ausländische Personengesellschaften mit identischem Gesellschafterkreis. Beispiel: Die inländische Personengesellschaft A schließt mit der ausländischen Personengesellschaft B einen Vertrag ab, aufgrund dessen die A an B verbilligte Dienstleis1 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.3.
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G. § 1 AStG tungen erbringt. An A und B sind dieselben unbeschrankt stpfl. Gesellschafter ausschließlich beteiligt.1
Solange die Personengesellschaft B ihre Geschäftsleitungsbetriebsstätte in einem DBA-Staat hat und Deutschland deshalb kein Besteuerungsrecht auf die Gewinnanteile der Gesellschafter zusteht, ist von einer Geschäftsbeziehung zum Ausland auszugehen. Problematisch wird die Rechtslage nur, wenn die Personengesellschaft ihre Geschäftsleitungsbetriebsstätte in einem Nicht-DBA-Staat haben sollte. Dann besteht für eine Doppelbesteuerung der Gesellschafter von A und B kein Rechtfertigungsgrund. Die Regelung in Rz. 1.4.3 des BMF-Schreibens v. 14.5.2004 bedarf deshalb der Differenzierung. 8. Rechtsfolge: Einkünftekorrektur Einkünfteerhöhung. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG bewirkt eine Erhöhung der Einkünfte (Nettobetrag) durch den Austausch der unangemessenen Bedingungen der Geschäftsbeziehung gegen angemessene. Dies schließt nicht aus, die Erhöhung des Nettobetrages gedanklich dadurch zu vollziehen, dass man die Einnahmen (Bruttobetrag) erhöht und alsdann die erhöhten Einnahmen in die Einkünfte eingehen lässt. Dennoch geht § 1 AStG bei wörtlicher Auslegung von einer Erhöhung erst des Nettobetrages aus. Dies schließt indes nicht aus, dass § 1 AStG seinem Rechtsgedanken nach bei dem Entgelt für eine erbrachte Leistung konzeptionell ansetzt. Regelmäßig besteht die unangemessene Bedingung aus einem unangemessen hohen oder niedrigen Entgelt. Mit Hilfe des § 1 AStG kann eine teilweise unentgeltliche Geschäftsbeziehung zum Ausland nur für Besteuerungszwecke fiktiv als eine voll entgeltliche behandelt werden. Es kann jedoch nicht eine anders geartete Beziehung in eine Geschäftsbeziehung umgedeutet werden.2 Dem steht nicht entgegen, dass § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auch dann Anwendung findet, wenn eine Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil vollunentgeltlich zuwendet. Der Tatbestand des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist insoweit weiter als der des § 1 AStG.3 Letzterer setzt Einkünfte aus einer Geschäftsbeziehung voraus, ersterer nicht.
2.147
System der zweistufigen Gewinnermittlung. Will man die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 rechtssystematisch zutreffend einordnen, so muss man die Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG als eine auf einem System der zweistufigen Gewinnermittlung aufbauende verstehen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG „ist der Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen“. Unter dem
2.148
1 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.3. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 91, 95. 3 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 81 ff.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Betriebsvermögen wird dabei das Eigenkapital verstanden. Auf das Schaubild in Rz. 2.5 wird hingewiesen.
2.149
Wesensmerkmale der beiden Stufen. Bezogen auf die Gewinnermittlung durch Bilanzierung unterteilt sich das Schaubild in Rz. 2.5 in zwei Stufen. Auf der 1. Stufe wird der Unterschiedsbetrag ermittelt. Hier wird i.d.R. Bilanzrecht angewendet. Dabei gilt der in § 5 Abs. 1 EStG verankerte Maßgeblichkeitsgrundsatz. Es kommt ggf. auf den Wirtschaftsgutbegriff und die betriebliche Veranlassung von Aufwendungen an. Wichtig ist, dass der Unterschiedsbetrag nicht mit dem Steuerbilanzgewinn identisch sein muss. Dies hängt letztlich davon ab, wie man den Unterschiedsbetrag definiert. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG wird er als Unterschied zwischen zwei Eigenkapitalbeständen bestimmt. Auf der 2. Stufe wird aus dem Unterschiedsbetrag der Gewinn abgeleitet. Dem Unterschiedsbetrag werden bestimmte Beträge hinzugerechnet. Andere Beträge werden vom Unterschiedsbetrag abgesetzt. Zu den Beträgen, die hinzuzurechnen sind, gehört auch der Betrag nach § 1 Abs. 1 AStG. Dabei ist allerdings zu beachten, dass § 1 Abs. 1 AStG wiederum eine Einkünfteminderung voraussetzt. Eine solche ist nur dann gegeben, wenn der „Gewinn“ vor Anwendung von § 1 AStG nicht dem Fremdvergleich entspricht. § 1 AStG beinhaltet deshalb die letzte steuerrechtlich mögliche Einkünftekorrektur. Das Endergebnis der Hinzurechnungen und Kürzungen ist nicht der Steuerbilanzgewinn und auch kein Jahresüberschuss im steuerrechtlichen Sinne, sondern der Gewinn i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG, wie er als Teil des zu versteuernden Einkommens in den ESt- bzw. KSt-Bescheid eingeht und gem. § 7 GewStG Bemessungsgrundlage für den Gewerbeertrag ist. Man muss ferner beachten, dass der nach § 1 AStG zu korrigierende Einkünftebetrag ein Nettobetrag ist, der sich aus dem Saldo aller erfolgswirksamen Vermögenszu- und -abgänge eines Kalender- bzw. Wirtschaftsjahres ergibt. Der Korrekturbetrag nach § 1 AStG bezieht sich dagegen auf einzelne Geschäftsvorfälle, die bei der Unterschiedsbetragsermittlung nur mit einem unangemessen niedrigen Betrag berücksichtigt wurden. Beides ist kein Widerspruch in sich. Auch für Einlagen, Entnahmen und vGA gilt, dass sie sich auf einzelne Vorgänge beziehen und dass sie dennoch eine Korrektur des (vorläufigen) Jahresergebnisses nach sich ziehen. Schließlich ist zu beachten, dass sowohl der Gewinn als auch Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG durch Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG bzw. nach §§ 8 und 9 EStG ermittelt werden können. In diesen Fällen fehlt es an einem Unterschiedsbetrag. Dennoch verbleibt es bei einer zweistufigen Einkünfteermittlung. Man muss gedanklich an die Stelle der Unterschiedsbetragsermittlung die Ermittlung eines vorläufigen Überschusses der Einnahmen über die Betriebsausgaben/Werbungskosten setzen. Es wird der vorläufige Überschussbetrag korrigiert.
2.150
§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ist unvollständig. Die Unvollständigkeit des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG beruht einmal darauf, dass die Vorschrift im Körperschaftsteuerrecht nur mittelbar über § 8 Abs. 1 KStG anzuwenden ist. Im 134
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G. § 1 AStG
EStG bedarf z.B. die vGA keiner unmittelbaren Erwähnung. Zum anderen sind im Steuerrecht neue Tatbestände geschaffen worden, ohne dass der Gesetzgeber sie immer gleichzeitig an den Wortlaut von § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG angepasst hätte. Dies gilt z.B. für § 1 und § 10 Abs. 2 AStG. Darüber hinaus regelt der deutsche Gesetzgeber bestimmte Steuerbefreiungen nur in den DBA, ohne ihre Anbindung an das innerstaatliche Recht gesetzlich zu regeln. Wichtig ist, dass auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung kein Bilanzrecht angewendet wird. Die Hinzurechnungen und Kürzungen vollziehen sich außerhalb von Handels- und Steuerbilanz (vgl. Rz. 2.5). Für die Hinzurechnungen und Kürzungen kommt es nicht darauf an, ob sie Wirtschaftsgutqualität haben. Es können auch fiktive Beträge hinzugerechnet werden, die tatsächlich gar nicht existieren. § 1 und § 10 Abs. 2 AStG belegen die Richtigkeit dieser These. Richtigerweise müssen auf der 2. Stufe die in Rz. 2.5 genannten Hinzurechnungen und Kürzungen berücksichtigt werden. Sollgewinn. Die Rechtsfolge speziell des § 1 Abs. 1 AStG besteht in der Ermittlung eines Korrekturbetrages, der dem vorläufig ermittelten Einkünftebetrag auf der 2. Stufe der Einkünfteermittlung außerhalb der Handels- und Steuerbilanz als letzter Betrag hinzuzurechnen ist. Insoweit entsteht in Höhe des Korrekturbetrages ein partieller „Sollgewinn“.1 Der Höhe nach besteht der Korrekturbetrag aus der Differenz zwischen dem der übrigen Einkünfteermittlung zugrunde liegenden Entgelt und dem Entgelt, das voneinander unabhängige Dritte üblicherweise vereinbart hätten. Der „Sollgewinn“ entsteht in dem Wirtschaftsjahr, in dem der Unterschiedsbetrag des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG durch den Ansatz eines unangemessenen niedrigen Entgeltes gemindert wurde.2 Dies gilt auch dann, wenn eine Minderung des Unterschiedsbetrages als Folge einer Bilanzberichtigung eintritt. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG ist eine zwingende, d.h. das Abweichen von dem zwischen fremden Dritten üblichen Verhalten zwingt zu einer Gewinnkorrektur; es wird nicht etwa nur eine Veranlassung durch die Nahestehensbeziehung widerlegbar vermutet. Dies widerspricht nicht der Rechtsprechung des BVerfG zum sog. Oderkonto,3 weil die Gewinnkorrektur durch Gesetz vorgeschrieben ist. Allerdings ist seit dem Veranlagungszeitraum 2003 § 162 Abs. 3 Satz 1 AO zu beachten. Es ist dem Wortlaut des § 1 AStG insgesamt und seinem Zweck zu entnehmen, wie die Einkünftekorrektur durchzuführen ist. Danach sind nur „die Einkünfte“ anderweitig anzusetzen. Die Vorschrift fingiert weder Einnahmen (Betriebseinnahmen, Erlöse) noch Forderungen noch eine Verwendung des Einkünfteerhöhungsbetrages auf die Beteiligung. Nach § 1 Abs. 4 AStG können die geminderten Einkünfte des Steuer1 Vgl. Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 48; Kritisch: Schön in Festgabe Flume, 1998, 265 ff. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 8.1.2. 3 Vgl. BVerfG v. 7.11.1995 – 2 BvR 802/90, BStBl. II 1996, 34 = FR 1996, 18 m. Anm. Pezzer.
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2.151
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
pflichtigen auch solche z.B. i.S.d. §§ 20 oder 21 EStG (Einkünfte aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung) sein. Einkünfte i.S.d. §§ 20 und 21 EStG werden gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG in der Form des Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten, d.h. nicht durch Vermögensvergleich ermittelt. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG muss deshalb auch bei Überschussrechnungen i.S.v. § 4 Abs. 3 oder § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG vollzogen werden können. Sie kann nicht ausschließlich bilanzieller Art sein. Schließlich ist § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG zu beachten. Danach können der Steuerpflichtige und eine andere Person auch dann einander nahe stehen, wenn keinerlei Beteiligung besteht. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG muss auch in einem solchen Fall durchgeführt werden können. Es kann deshalb keine Lösung in Betracht gezogen werden, die nur dann durchführbar ist, wenn zwischen dem Steuerpflichtigen und der nahestehenden Person eine Beteiligung besteht. Aus dem Gesagten folgt, dass der Korrekturbetrag stets die zu berichtigenden Einkünfte erhöht und Teil derselben ist. Er ist der Einkünfteart zuzuordnen, für die die Einkünfteminderung festzustellen ist. Rechtsfolgemäßig teilt der Korrekturbetrag das Besteuerungsschicksal der übrigen Einkünfte. Sind dieselben steuerfrei, so gilt die Steuerfreiheit auch für den Korrekturbetrag.1
2.152
Berichtigung innerhalb oder außerhalb der Bilanz. Es entspricht heute sowohl der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum als auch der Rechtsprechung2 als auch der Verwaltungsauffassung3, dass eine nach § 1 Abs. 1 AStG gebotene Gewinnkorrektur außerhalb der Handels- und Steuerbilanz vorzunehmen ist. Dies gilt sinngemäß auch für eine Einkünfteermittlung nach § 4 Abs. 3 bzw. nach §§ 8, 9 EStG. Die früher im Schrifttum vertretene andere Auffassung4 hat sich nicht durchgesetzt. Die herrschende Meinung steht allein mit Wortlaut und Zweck des § 1 AStG in Einklang.5 Dies folgt bereits aus § 1 Abs. 4 AStG. Nach dieser Vorschrift können auch die Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung zu berichtigen sein. Diese Einkünfte werden jedoch nicht durch Vermögensvergleich ermittelt. Damit fehlt es an einer Bilanz, innerhalb derer die Korrektur vorgenommen werden könnte. Es steht also weniger die Frage der bilanziellen oder außerbilanziellen Korrektur zur Diskussion als die, ob der Korrekturbetrag gleichzeitig die Anschaffungskosten auf die Beteiligung erhöht. Die steuerrechtlichen Auswirkungen zeigen sich bei einer Teilwertabschreibung auf die Beteiligung bzw. bei der Ermittlung eines Beteiligungsveräußerungsgewinnes oder -verlustes. Wer für eine Hinzuaktivierung des Korrekturbetrages auf dem Beteiligungskonto eintritt, der muss 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83, BStBl. I 1983, 218 Rz. 8.2.1. 2 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Rz. 5.3.3. 4 Vgl. Brezing in B/K/L/M/R, § 1 AStG Rz. 213; Döllerer, JbFStR 1980/81, 274; Raupach, JbFStR 1980/81, 263. 5 Vgl. Baranowski in FS Flick, 615 (628).
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G. § 1 AStG
auf § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG verwiesen werden. Danach kann das Nahestehen einer Person gegenüber dem Steuerpflichtigen auch durch bestimmte Einflussnahmemöglichkeiten bzw. durch bestimmte Interessenlagen begründet werden. Das Nahestehen setzt also keine Beteiligung voraus. Einflussnahmemöglichkeiten oder Interessenlagen bilden jedoch kein Wirtschaftsgut, auf dessen Anschaffungskosten der Korrekturbetrag hinzuaktiviert werden könnte. Eine Aktivierung des Korrekturbetrages ist in diesen Fällen denkgesetzlich ausgeschlossen. Versteht man deshalb die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG als eine einheitliche, die sich auf alle Formen des Nahestehens gleichermaßen erstreckt, dann ist die Forderung nach einer Korrektur innerhalb der Steuerbilanz bzw. nach einer Hinzuaktivierung auf dem Beteiligungskonto undurchführbar. Bezüglich der Billigkeitsregelung in Rz. 5.5.1 der VWG-Verfahren wird auf Rz. 2.160 verwiesen. Einkünfteberichtigung der Höhe nach. Der Höhe nach muss der Betrag, um den die Einkünfte anderweitig anzusetzen sind, der eingetretenen Einkünfteminderung entsprechen. Dies führt zu einem doppelten Fremdvergleich. Zunächst ist innerhalb der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG zu ermitteln, ob die eingetretene Einkünfteminderung auf vereinbarten Bedingungen von Geschäftsbeziehungen zum Ausland zwischen dem Steuerpflichtigen und einer ihm nahestehenden Person beruhen, die dem Fremdvergleich nicht entsprechen. In diesem Bereich ist die betragsmäßig exakte Ermittlung der eingetretenen Einkünfteminderung noch entbehrlich. Sie muss jedoch nachgeholt werden, wenn die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG zur Anwendung gelangt. Dann muss die eingetretene Einkünfteminderung betragsmäßig genau ermittelt werden. Der BFH hat Entsprechendes für die vGA entschieden.1 Ist der Fremdvergleichspreis bekannt, so kann die Eingriffskorrektur genau ermittelt werden, weshalb für eine Schätzung kein Raum besteht. Ist der Fremdvergleichspreis nicht bekannt, muss die Einkünftekorrektur durch Schätzung ermittelt werden. Schätzungsgrundlage ist § 162 Abs. 1 Satz 1 AO.
2.153
Unterschiedliche Korrekturmaßstäbe. Während § 1 AStG rechtsfolgemäßig eine Einkünftekorrektur in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlich vereinbarten Preis und dem Fremdvergleichspreis vorschreibt, sehen die Rechtsfolgen der Entnahme (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) und der Einlage (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG) im Regelfall eine Bewertung mit dem Teilwert und die der Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG, § 12 KStG) eine solche mit dem gemeinen Wert vor. Dies wirft die Frage auf, ob der Fremdvergleichspreis, der Teilwert und der gemeine Wert stets einander entsprechen oder ob es für den Steuerpflichtigen auch rechtsfolgemäßig einen Unterschied macht, welche Gewinnkorrekturvorschrift Anwendung findet. Während für den Fremdvergleichspreis und den gemeinen Wert i.d.R. Deckungsgleichheit bestehen wird, sind Unterschiede vor al-
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1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = BFHE 197, 68 = FR 2002, 154.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
lem zwischen dem Fremdvergleichspreis und dem Teilwert denkbar. Dies macht der BFH-Beschluss v. 17.12.1997 deutlich.1 Dort ging es um die Frage, zu welcher Gewinnkorrektur eine von einem inländischen Unternehmen (AG & Co. KG) hergestellte und an eine ausländische nahestehende Person gelieferte Hühnerfarm führt. Zieht man als Rechtsgrundlage die Entnahme heran, so war die Hühnerfarm nach damaliger Rechtslage mit ihrem Teilwert zu bewerten, was bei einem produzierenden Unternehmen zu einer Bewertung mit den eigenen Herstellungskosten (= Wiederbeschaffungswert) führt. Die so ermittelten Herstellungskosten enthalten keinen Gewinnaufschlag. Der Ansatz des Fremdvergleichspreises gem. § 1 AStG führt dagegen zur Berücksichtigung des Gewinnaufschlages. Der Steuerpflichtige stand sich deshalb bei der Annahme einer Entnahme günstiger. Die steuerrechtliche Ungleichbehandlung von Entnahmen und den Tatbeständen des § 1 AStG bzw. von Inlands- und Auslandssachverhalten lässt eine Verletzung des EUV befürchten (vgl. Rz. 2.158). Durch § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG und § 12 Abs. 1 KStG werden die Unterschiede allerdings relativiert.
2.155
§ 1 AStG oder Einlage bzw. Entnahme. Für Leistungen, die eine inländische Muttergesellschaft an ihre ausländische Tochtergesellschaft unentgeltlich oder teilunentgeltlich erbringt, stellt sich stets die Frage, ob eine Gewinnkorrektur nach § 1 AStG oder nach Einlage- bzw. Entnahmegrundsätzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 und § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG) vorrangig vorzunehmen ist. Dabei wird der Vermögensabgang bei der Muttergesellschaft einerseits als Entnahme und andererseits als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung an der Tochtergesellschaft behandelt. Insoweit sind die Einlage- und Entnahmegrundsätze vorrangig anzuwenden, wenn der Gegenstand der Vorteilszuwendung ein einlagefähiges Wirtschaftsgut ist.2 Ob § 1 AStG anzuwenden ist, wenn die Vorteilszuwendung aus Dienstleistungen oder Nutzungsüberlassungen besteht, ist streitig. Es kann auch bei der Muttergesellschaft eine Entnahme anzunehmen sein, die die Anwendung des § 1 ausschließt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Beispiele in Rz. 2.22 verwiesen.
2.156
Anwendung des § 1 AStG in Dreiecksverhältnissen. Ähnlich problematisch wie das Verhältnis zwischen Einlage und § 1 AStG ist die Anwendung des § 1 AStG in sog. Dreiecksverhältnissen. Dies mag mit Hilfe der folgenden Beispiele deutlich werden. Beispiel 1: Der unbeschränkt steuerpflichtige A ist sowohl an der im Inland ansässigen X-AG als auch an der im Ausland ansässigen Y-SA zu jeweils 100 % beteiligt. Die X-AG verkauft der Y-SA ein Wirtschaftsgut „unter Preis“. Lösung: Es ist die Besteuerung des A von der der X-AG getrennt zu beurteilen. Aus der Sicht der X-AG liegt eine Vorteilszuwendung an A in Höhe der Differenz zwi1 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321 = BFHE 185, 24 = FR 1998, 487. 2 Vgl. BFH v. 20.7.2005 – X R 22/02, BStBl. II 2006, 457 = BFHE 210, 345.
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G. § 1 AStG schen dem tatsächlich vereinbarten Preis und dem Fremdvergleichspreis vor. Die Vorteilszuwendung löst eine Besteuerung nach § 1 Abs. 1 AStG aus. Die entscheidende Frage geht dahin, ob die Vorteilszuwendung bei der X-AG zugleich eine vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und bei A ein Beteiligungsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG auslöst. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG müsste dann dem § 1 Abs. 1 AStG vorgehen. A legt ggf. den Vorteil in das Vermögen der X-SA ein. Damit erhöhen sich seine Beteiligungsanschaffungskosten (Buchung: Beteiligung an Erträge). Die Annahme eines Beteiligungsertrages i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG schließt die Anwendung des § 1 AStG bei A aus.
Beispiel 2: Der unbeschränkt steuerpflichtige A ist sowohl an der im Inland ansässigen X-AG als auch an der im Ausland ansässigen Y-SA zu jeweils 100 % beteiligt. Die X-AG gewährt der Y-SA ein zinsloses Darlehen. Lösung: Es liegt eine Vorteilszuwendung der X-AG an die Y-SA vor, die wie im Beispiel Nr. 1 bei der X-AG als vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und bei A als Beteiligungsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu beurteilen ist. A kann den Vorteil nicht bei der Y-SA einlegen, weil er nicht einlagefähig ist. A verbraucht jedoch den Vorteil auf die Beteiligung an Y-SA. Insoweit entstehen bei ihm Werbungskosten i.S.d. § 9 EStG. § 1 AStG ist im Verhältnis zwischen X-AG und Y-SA sowie zwischen X-AG und A unanwendbar, weil es an einer Einkünfteminderung i.S.d. § 1 AStG fehlt. Sie wird durch die Hinzurechnung gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ausgeglichen.
Beispiel 3: Sachverhalt wie im Beispiel Nr. 1, jedoch handelt es sich bei der X-AG und der Y-SA um zwei Kommanditgesellschaften (A-KG; Y-KG), an denen A jeweils zu 80 % beteiligt ist. Lösung: Bei der A-KG ist eine Sachentnahme des A gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG anzunehmen, die nur dem A zuzurechnen ist. Die Sachentnahme verbraucht sich auf die Beteiligung des A an der Y-KG. Bei der Y-KG ist deshalb eine Einlage des A in das Gesamthandsvermögen der Y-KG anzunehmen. § 1 AStG findet keine Anwendung, weil es an einer Einkünfteminderung fehlt. Sie wird durch die Rechtsfolge des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG aufgehoben.
Beispiel 4: Sachverhalt wie im Beispiel Nr. 2, jedoch handelt es sich bei der X-AG und der Y-SA um zwei Kommanditgesellschaften (A-KG; Y-KG), an denen A jeweils zu 80 % beteiligt ist. Lösung: Die Frage geht dahin, ob die Darlehensüberlassung steuerrechtlich anzuerkennen ist oder ob es sich um eine Entnahme des Darlehensbetrages und dessen Einlage in das Gesamthandsvermögen handelt. Wird die Darlehensüberlassung steuerrechtlich nicht anerkannt, so ist das Darlehen bei der A-KG als Sachentnahme des A zu behandeln. Bei der Y-KG liegt eine Geldeinlage des A in das Gesamthandsvermögen vor. § 1 AStG ist unanwendbar, weil es an einer Einkünfteminderung bei der A-KG fehlt. Wird die Darlehensüberlassung steuerrechtlich anerkannt, so findet auf der Ebene der A-KG eine Gewinnkorrektur gem. § 1 AStG statt. Dies löst eine Doppelbesteuerung bei der Y-KG aus, weil kein Aufwand berücksichtigt wird.
Beispiel 5: Sachverhalt wie im Beispiel Nr. 2, jedoch ist zwischen A und der Y-SA eine ausländische Kommanditgesellschaft (B-KG) geschaltet, an der A zu 99 % beteiligt ist.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht Lösung: Die Beurteilung bei X-AG und bei A ändert sich nicht. A wendet seinen Beteiligungsertrag jedoch auf seine Beteiligung an der B-KG auf. Er bildet nach deutscher Rechtsauffassung Sonderbetriebsausgaben bei der B-KG. Die B-KG kann den Vorteil nicht an die Y-SA weiterleiten, weil es sich um ein nicht einlagefähiges Wirtschaftsgut handelt. § 1 AStG ist unanwendbar, weil die Annahme einer vGA und die daraus folgende Einkünftekorrektur gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG eine Einkünfteminderung bei der X-AG ausschließt.
Beispiel 6: Die ausländische Muttergesellschaft (M-SA) ist zu jeweils 100 % an der inländischen T-GmbH und an der inländischen S-AG beteiligt. Die T-GmbH überlässt der S-AG unentgeltlich eine Lizenz zur Nutzung (Alternative: sie verkauft eine Maschine „unter Preis“). Lösung: Es liegt eine Vorteilszuwendung von der T-GmbH an die S-AG vor. Die Vorteilszuwendung ist bei der T-GmbH eine vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und bei der M-SA ein Beteiligungsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, auf den Kapitalertragsteuer zu erheben ist. Bei der S-AG ist die Maschine mit ihrem Teilwert zu aktivieren und abzuschreiben. Im Falle der Lizenzüberlassung kann die M-SA den Beteiligungsertrag nicht in das Vermögen der S-AG einlegen. Er verbraucht sich auf die Beteiligung der M-SA an der S-AG und löst nach deutscher Rechtsauffassung Betriebsausgaben der M-SA aus. Die Anwendung von § 1 AStG ist ausgeschlossen, weil zwischen der T-GmbH und der S-AG nur eine Geschäftsbeziehung im Inland besteht. In der Alternative legt die M-SA den Vorteil in das Vermögen der S-AG ein. Damit erhöhen sich die Beteiligungsanschaffungskosten der M-SA (Buchung: Beteiligung an Erträge). Die Anwendung des § 1 AStG ist auch in dieser Alternative ausgeschlossen.
Beispiel 7: Sachverhalt wie im Beispiel Nr. 6, jedoch soll die S-AG eine Kommanditgesellschaft (S-KG) sein, an der die M-SA zu 99 % beteiligt ist. Lösung: wie Beispiel Nr. 6. Im Falle der Lizenzüberlassung entstehen Sonderbetriebsausgaben der M-SA im Betriebsvermögen der S-KG. Beim Maschinenverkauf „unter Preis“ muss die S-KG die Maschine mit ihrem gemeinen Wert bewerten und aktivieren (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG).
Beispiel 8: Sachverhalt wie im Beispiel Nr. 6, jedoch ist zwischen die M-SA und die S-AG eine weitere inländische Kommanditgesellschaft (S-KG) zwischengeschaltet, an der die M-SA zu 99 % beteiligt ist. Die Behandlung bei der T-GmbH ändert sich nicht. Der Beteiligungsertrag der M-SA wird in der Lizenzüberlassungsalternative als Sonderbetriebsausgabe innerhalb der S-KG verbraucht und nicht an die S-AG weitergeleitet. In der Maschinenalternative wird der Vorteil in das Vermögen der S-KG eingelegt, die ihn in das Vermögen der S-AG weiterleitet. Es sind jeweils eine Einlage bei der S-KG und bei der S-AG zu verbuchen. § 1 AStG ist unanwendbar.
Beispiel 9: Sachverhalt wie im Beispiel Nr. 6, jedoch soll die ausländische Muttergesellschaft eine M-KG sein. Die Behandlung bei der T-GmbH ändert sich nicht. Die M-KG erzielt einen Beteiligungsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, auf den Kapitalertragsteuer einzubehalten ist. Der Beteiligungsertrag verbraucht sich in der Lizenzüberlassungsalternative innerhalb der M-KG als Betriebsausgabe. Innerhalb der Maschinenalternative ist eine Einlage der M-KG an die S-AG anzunehmen. Bei der S-AG ändert sich nichts. § 1 AStG ist unanwendbar.
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G. § 1 AStG
Beispiel 10: Die inländische M-AG ist sowohl an der inländischen T-GmbH als auch an der ausländischen T-SA zu je 100 % beteiligt. Die T-GmbH liefert an die T-SA Waren „unter Preis“ (Alternative: Sie überlässt der T-SA teilentgeltlich eine Lizenz zur Nutzung). Lösung: In der Warenalternative liegt bei der T-GmbH eine vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und bei der M-AG ein Beteiligungsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG vor. Der Beteiligungsertrag wird in das Vermögen der T-SA eingelegt (Buchung: Beteiligung an Erträge). In der Lizenzüberlassungsalternative wird der Beteiligungsertrag bei der M-AG als Betriebsausgabe auf die Beteiligung an der M-SA verbraucht (Buchung: Aufwand an Ertrag). Groh1 meint, auf der Ebene der M-AG komme § 1 AStG zur Anwendung. Richtigerweise fehlt es jedoch an einer Geschäftsbeziehung, aus der die M-AG Einkünfte erzielt. Die M-AG hat nur gesellschaftsrechtliche Beziehungen, die keine Geschäftsbeziehungen sind.
Beispiel 11: Sachverhalt wie Beispiel Nr. 10, jedoch ist die Muttergesellschaft eine Kommanditgesellschaft (M-KG). Lösung: wie Beispiel Nr. 10.
Anwendung von DBA. Der Anwendung der Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG darf nicht die Sperrwirkung einer DBA-Berichtigungsklausel bzw. einer Steuerbefreiung im Inland aufgrund eines DBA entgegenstehen. Ersteres ist regelmäßig nicht der Fall. Zum einen entspricht der Fremdvergleichsmaßstab des § 1 Abs. 1 AStG dem abkommensrechtlich geltenden „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz“, weshalb die dem Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Vorschriften keine Sperrwirkung entfalten. Zum anderen greift Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nur unter gegenüber § 1 Abs. 1 AStG engeren Tatbestandsvoraussetzungen ein. Vor allem erfasst Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nur Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen und keine sonstigen Zuwendungen an beherrschende Gesellschafter. Soweit § 1 Abs. 1 AStG Einkünftekorrekturen auch in Fällen vorschreibt, die nicht gleichzeitig unter Art. 9 Abs. 1 OECD-MA fallen, scheidet ein Konkurrenzverhältnis von vornherein aus.2 Gegenberichtigungen im anderen Vertragsstaat sehen zwar viele deutsche DBA noch nicht vor. Nachdem Deutschland jedoch seinen Vorbehalt gegenüber Art. 9 Abs. 2 OECD-MA aufgegeben hat, ist eine entsprechende Anregung nicht ohne Aussicht auf Erfolg, selbst wenn möglicherweise kein Rechtsanspruch besteht (vgl. zu DBA-Verständigungsverfahren bzw. der EU-Schiedkonvention Rz. 10.6 ff. und 10.30). Sollten die geminderten Einkünfte im Inland aufgrund eines DBA steuerfrei sein, so wird es i.d.R. an einer „Geschäftsbeziehung zum Ausland“ fehlen. Es besteht dann regelmäßig eine Geschäftsbeziehung im Ausland oder zum Inland. Im Übrigen findet § 1 Abs. 1 AStG auch dann Anwendung, wenn die geminderten Einkünfte z.B. wegen § 8b Abs. 2 KStG oder wegen eines DBA im Inland steuerbefreit sind (vgl. Rz. 2.86). Die Einkünftekorrektur wirkt sich dann 1 Groh, DB 1988, 514, 571 (574). 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Rz. 6.1.1.
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2.157
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
auf die Höhe der steuerfreien Einkünfte aus. Es gilt der Grundsatz, dass die Steuerfreiheit von Einkünften sich auch auf ihren Korrekturbetrag nach § 1 Abs. 1 AStG erstreckt. Dies gilt entsprechend, wenn die zu korrigierenden Einkünfte im Inland ermäßigt zu besteuern sind.
2.158
Mögliche Verletzung des EU-Vertrages. § 1 AStG ist nur in den Schranken des EU-Rechts anzuwenden. Die Anwendbarkeit von EU-Recht setzt in vielen Fällen einen Geschäftspartner voraus, der in einem EU-Mitgliedstaat ansässig ist bzw. dort einer Einkünfteerzielung nachgeht. Die bisher herrschende Meinung1 sah die Anwendung unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe auf grenzüberschreitende Sachverhalte einerseits und reine Inlands- bzw. Auslandssachverhalte andererseits als eine Verletzung der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 49 und 63 AEUV an. Diese Auffassung wurde insbesondere durch die BFH-Rechtsprechung gestützt2. Mit seinem Urteil vom 21.1.20103 hat der EuGH entschieden, dass Vorschriften, die nur bei Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen zu Gewinnkorrekturen führen, gerechtfertigt sein können. Im Rahmen seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung hat der EuGH allerdings Forderungen aufgestellt, an denen sich auch § 1 AStG messen lassen muss. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass die Diskussion sich auf besondere Fallkonstellationen konzentriert, in denen die Anwendung der Rechtsfolge des § 1 AStG als unangemessen angesehen wird.4 Es stellt sich insbesondere die Frage, ob dem Steuerpflichtigen nicht nach dem Vorbild des § 8 Abs. 2 AStG die Möglichkeit eingeräumt werden muss, außersteuerliche Gründe für die Gewinnverlagerung darzulegen. Auch können Gewinnverlagerungen gerechtfertigt erscheinen, wenn sie z.B. in Sanierungsabsicht vollzogen werden.5
2.159
Anrechnung ausländischer Steuern. Die Einkünftekorrektur gemäß § 1 Abs. 1 AStG auf Seiten des Steuerpflichtigen entspricht einer tatsächlich erzielten Einkünftevermehrung auf Seiten der nahestehenden Person. I.d.R. muss die nahestehende Person auf die von ihr tatsächlich erzielten Einkünfte (ausländische) Steuern zahlen. Diese ausländischen Steuern sind bei dem Steuerpflichtigen nicht anrechnungsfähig.6 Es fehlt an der Identität des Steuersubjektes.7 Ist die nahestehende Person eine Kapitalge1 Vgl. Wassermeyer, IStR 1998, 243; Wassermeyer, IStR 2001, 633; Borstell in V/B/E, Verrechnungspreise3, 13, ABC der Verrechnungspreise; Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 50 ff., 525 ff.; Borstell/Brüninghaus/Dworaczek, IStR 2001, 757. 2 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = BFHE 194, 53 = FR 2001, 604; v. 22.6.2001 – I B 141/00, BFH/NV 2001, 1169; v. 23.6.2010 – I R 37/09, BStBl. II 2010, 895 BFHE 230, 156. 3 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 – SGI, IStR 2010, 144. 4 Vgl. Englisch, IStR 2010, 139; Thömmes, JbFStR 2010/11, 79; Becker/Sydow, IStR 2010, 195; Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 6, 7. 5 Vgl. Glahe, IStR 2010, 870. 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Rz. 5.4. 7 Vgl. Lüdicke in F/W/B/S, § 34d EStG Rz. 129.
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G. § 1 AStG
sellschaft, so kann sie ihren (Mehr-)Gewinn an die Gesellschafter ausschütten. Die Ausschüttung unterliegt bei den Gesellschaftern den normalen Rechtsfolgen. Eine auf die Ausschüttung im Ausland erhobene Quellensteuer kann i.d.R. entweder nach dem einschlägigen DBA oder nach § 34c Abs. 1 EStG angerechnet werden. Auch insoweit ist eine Kürzung der anrechenbaren ausländischen Steuer rechtlich ausgeschlossen. Ist die nahestehende Person eine Personengesellschaft, an der der Steuerinländer beteiligt ist, so fällt bei ihm ein höherer Gewinnanteil an, in dem allerdings die Einkünftekorrektur (anteilig) enthalten ist. Soweit ein DBA den Gewinnanteil steuerfrei stellt, gilt i.d.R. Entsprechendes für den Korrekturbetrag.1 Es ist allerdings für Zwecke des Progressionsvorbehaltes (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG) zu entscheiden, ob der Gegenwert des Korrekturbetrages in die Bemessungsgrundlage eingehen darf. Es liegt in der Konsequenz von Rz. 8.2. des BMF-Schreibens v. 23.2.19832, diese Frage zu bejahen. Allerdings stellt sich zusätzlich die Frage, ob die Steuerbefreiung im Inland nicht Indiz für das Fehlen einer Geschäftsbeziehung zum Ausland ist (vgl. Rz. 2.134). Bejahendenfalls fehlt es an einer Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 AStG, weshalb dessen Rechtsfolge insgesamt unanwendbar ist. Sieht das maßgebliche DBA im Inland keine Steuerbefreiung, sondern nur eine Steueranrechnung vor, so stellt sich im Grundsatz die gleiche Rechtsfrage nunmehr allerdings in Bezug auf den Ansatz des Gewinnanteils. Insoweit kann es auch an Geschäftsbeziehungen zum Ausland fehlen. Fehlt es nicht an einer Geschäftsbeziehung zum Ausland und ist auch nicht die Rechtsfolge einer Entnahme vorrangig anzuwenden, dann kommt es zu einer Doppelbesteuerung des Korrekturbetrages einmal innerhalb des Gewinnanteils des Steuerpflichtigen bei der ausländischen Gesellschaft und zum anderen innerhalb dessen inländischen Einkünften. In diesem Fall muss dem Steuerpflichtigen ein Anspruch auf eine sachliche Billigkeitsentscheidung dahin eingeräumt werden, dass der Gewinn nur einmal besteuert wird.3 Es ist dann konsequent, dass der Steuerpflichtige nur seine auf den geminderten Gewinnanteil entfallende ausländische Steuer anrechnen darf. In keinem Fall geht es an, einerseits den (erhöhten) Gewinnanteil zu versteuern und andererseits die Anrechnung der vollen auf ihn entfallenden ausländischen Steuer zu versagen, wie es Rz. 8.2.3 des BMF-Schreibens v. 23.2.19834 vorsieht. Rückgängigmachung der Einkünfteminderung. Der Sachverhalt, der zu einer Einkünftekorrektur geführt hat, kann auf verschiedene Weise „nachträglich wieder ausgeglichen werden“. So kann eine vorgenommene Einlage durch eine sich anschließende Entnahme oder durch eine vGA „rückgängig“ gemacht werden. Steuerrechtlich gesehen handelt es sich um 1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 816. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 8.2. 3 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567; v. 5.4.1995 – I R 81/94, BStBl. II 1995, 629 = BFHE 177, 437. 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 8.2.3.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
zwei Vorgänge, von denen der eine als Einlage und der andere als Entnahme bzw. als vGA zu beurteilen ist. Dabei ist § 27 KStG zu beachten. Entsprechendes gilt, wenn eine Entnahme durch eine sich anschließende Einlage ausgeglichen wird.1 Wird eine eingetretene Einkünfteminderung dadurch rückgängig gemacht, dass der Steuerpflichtige und die ihr nahestehende Person nachträglich die ursprünglich vereinbarten Bedingungen an die anpassen, die untereinander unabhängige Dritte abgeschlossen hätten, so kann dies die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG an sich nicht berühren, d.h. es verbleibt bei der Einkünftekorrektur.2 Soweit Leistungen aufgrund der geänderten Vereinbarung erbracht werden, sind sie steuerrechtlich für sich zu beurteilen. Ist der Steuerpflichtige eine Kapitalgesellschaft, so ist die Rückgängigmachung einer vGA steuerrechtlich wie eine Einlage zu behandeln, die sich allerdings erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Rückabwicklung vollzieht.3 Die Auffassung, dass eine vGA mit Rücksicht auf eine zu aktivierende Rückgewährforderung begrifflich nicht denkbar sei, wird von der Rechtsprechung nicht geteilt.4 Tritt die Einkünfteminderung bei einer Personengesellschaft ein, so ist die Rückabwicklung der Einkünfteminderung ebenfalls als Einlage zu behandeln. Die Finanzverwaltung beurteilt dies in Rz. 5.5.1 Buchst. a–c des BMF-Schreibens v. 12.4.20055 ebenso. Nach Rz. 5.5.1 Buchst. d des BMF-Schreibens v. 12.4.2005 sollen allerdings Vorgänge, die zu einer lediglich auf § 1 AStG zu stützenden Berichtigung führen und die durch Ausgleichszahlungen ausgeglichen werden, außerhalb der Bilanz mit dem zu Zwecken der Berichtigung vorgenommenen Zuschlag zu verrechnen sein.6 Im Klartext bedeutet dies, dass die Finanzverwaltung die Möglichkeit einräumt, eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG rückgängig zu machen. Dies widerspricht dem Grundsatz, dass ein einmal realisierter Besteuerungssachverhalt nicht mit steuerrechtlicher Wirkung rückgängig gemacht werden kann, es sei denn, es besteht insoweit eine ausdrückliche Gesetzesgrundlage. Zwar zitiert die Finanzverwaltung das BFH-Urteil v. 30.5.1990.7 Den Entscheidungen ist aber die von der Finanzverwaltung eingeräumte Möglichkeit nicht zu entnehmen. Es liegt in der Logik der Verwaltungsanweisung, dass die zivilrechtlich wirksame Vereinbarung einer Ausgleichsforderung des Steuerpflichtigen gegen die nahestehende Person ausreicht, um die Rechtsfolge von Rz. 5.5.1 Buchst. d des BMF-Schreibens v. 12.4.2005 eintreten zu lassen. 1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 8.3.1. 2 Vgl. BFH v. 6.5.2003 – I B 168/02, BFH/NV 2003, 1412. 3 Vgl. BFH v. 29.5.1996 – I R 118/93, BStBl. II 1997, 92 = BFHE 180, 405 = FR 1996, 718. 4 Vgl. BFH v. 5.6.2003 – I B 168/02, IStR 2003, 738; Wassermeyer, StbJb. 1995/96, 213. 5 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Rz. 5.5.1. 6 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 8.1.1. 7 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567; s. auch: BFH v. 5.4.1995 – I R 81/94, BStBl. II 1995, 629 = BFHE 177, 437 = FR 1995, 711.
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G. § 1 AStG
Ein tatsächlicher Zahlungsausgleich muss nach Rz. 5.5.1 Buchst. d des BMF-Schreibens v. 12.4.2005 innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des berichtigten Steuerbescheides tatsächlich durchgeführt werden. Die Verwaltungsanweisung hat im Übrigen Billigkeitscharakter. Sie kann nur im Wege einer Verpflichtungsklage und nicht durch teleologisch reduzierte Auslegung von § 1 AStG durchgesetzt werden. Der BFH hat allerdings die Übernahme von Kosten einer ausländischen Tochtergesellschaft durch ihre inländische Muttergesellschaft als Einlage i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG beurteilt und nicht unter § 1 Abs. 1 AStG subsumiert. BMF-Schreiben v. 28.5.2002. Das BMF-Schreiben v. 28.5.20021 behandelt die interessante Frage, inwieweit der spätere Wegfall von Leistungsverpflichtungen einer Körperschaft, die im Zeitpunkt ihrer ursprünglichen Entstehung als vGA behandelt wurden, eine Doppelbesteuerung auslösen darf. Das Schreiben anerkennt den Grundsatz, dass der um den Wegfall der Verbindlichkeit erhöhte Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG um den Betrag außerbilanziell zu mindern ist, der zeitlich früher tatsächlich als vGA angesetzt wurde. Insoweit wird die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG gewissermaßen spiegelbildlich zugunsten der Körperschaft angewendet. Die Frage geht dahin, ob dieser Rechtsgedanke auf § 1 AStG übertragbar ist. Die Frage ist insoweit zu verneinen, als die unter § 1 AStG zu fassenden Sachverhalte keine zu passivierenden Verbindlichkeiten auszulösen geeignet sind. Die Frage wirkt sich dennoch auf die in Rz. 2.160 besprochenen Fälle aus, weil das BMF-Schreiben die These bestätigt, dass eine ursprünglich auf § 1 AStG gestützte Einkünftekorrektur und ein erst später vereinbartes angemessenes Leistungsentgelt nicht doppelt besteuert werden dürfen.
2.161
Beteiligungsveräußerung nach Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1 AStG. Zweckmäßigerweise sind die Korrekturbeträge gemäß 1 Abs. 1 AStG als Erinnerungsposten außerhalb der Bilanz festzuhalten. Gemäß Rz. 5.5.2 des BMF-Schreibens v. 12.4.2005 sind sie im Falle einer Veräußerung der Beteiligung an der nahestehenden Person bzw. im Falle der Liquidation der nahestehenden Person in die Ermittlung des Veräußerungs- oder Liquidationsgewinnes in der Weise mit einzubeziehen, dass der Veräußerungs- bzw. Liquidationsgewinn des Steuerpflichtigen, dem gegenüber die Rechtsfolge aus 1 Abs. 1 AStG angewendet wurde, um den Erinnerungsposten gemindert wird. Die Minderung ist außerhalb der Gewinnermittlung nach § 16 Abs. 2 EStG bzw. nach § 17 Abs. 2 EStG vorzunehmen. Zeitlich gesehen ist sie zusammen mit dem Veräußerungsgewinn oder -verlust anzusetzen. Sie kann auch zu einem Negativbetrag führen bzw. einen solchen erhöhen, der im Wege des Verlustausgleichs gem. § 2 Abs. 1 EStG bzw. eines Verlustvor- oder -rücktrags zu berücksichtigen ist. Die Minderung ist auch dann vorzunehmen, wenn der Veräußerungsoder Liquidationsgewinn nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei sein sollte. Der BFH sieht in der Vorgängerregelung (Rz. 8.3.2 des BMF-Schreibens v. 23.2.
2.162
1 BMF v. 28.5.2002 – IV A 2 - S 2742 - 32/02, BStBl. I 2002, 603 Rz. 38.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
19831) eine sachliche Billigkeitsmaßnahme, die schon deshalb geboten sei, weil § 1 AStG keine Doppelbesteuerungen auslösen wolle. Problematisch ist die Ausdehnung des Rechtsgedankens auf den Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolger des Steuerpflichtigen, dem gegenüber die Rechtsfolge aus § 1 Abs. 1 AStG angewendet wurde. Richtigerweise muss der Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolger des Steuerpflichtigen dessen Rechte jedenfalls dann geltend machen können, wenn und soweit er zur Fortführung der Anschaffungskosten des Steuerpflichtigen steuerrechtlich verpflichtet ist.
2.163
Problemfälle. Problematisch sind auch die beiden folgenden Fälle: Besteht im Inland eine Personengesellschaft, an der ein Steuerinländer beteiligt ist, und wurde der Gewinnanteil des Steuerinländers gem. § 1 AStG korrigiert, so stellt sich bei einem Verkauf des Gesellschaftsanteils an der Personengesellschaft durch den Steuerpflichtigen die Frage, ob nicht der nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG erzielte Gewinn um den Korrekturbetrag zu mindern ist. Die Frage ist zu bejahen, weil der Verkauf des Anteils an einer Personengesellschaft steuerlich wie der anteilige Verkauf der Wirtschaftsgüter zu behandeln ist, die das Gesellschaftsvermögen der Personengesellschaft bilden. Dies gilt auch dann, wenn der Anteil an einer Personengesellschaft „aufgeteilt“ und nur ein Teil desselben verkauft wird bzw. wenn – wie im Beschluss des BFH-GS v. 18.10.19992 – ein Einzelunternehmen in eine Personengesellschaft gegen Zuzahlung an den einbringenden Einzelunternehmer eingebracht wird. Problematisch ist ferner der Fall, dass der Steuerinländer, bei dem eine Korrektur nach § 1 AStG vorgenommen wird, nur mittelbar an der ausländischen Gesellschaft beteiligt ist, zu der er die zu korrigierenden Geschäftsbeziehungen zum Ausland unterhält. Beispiel: Der unbeschränkt steuerpflichtige A ist zu 100 % an der inländischen A-GmbH beteiligt, die ihrerseits eine 100 %-Beteiligung an der ausländischen X-SA hält. A gewährt der X-SA ein unangemessen niedrig verzinsliches Darlehen. Das Finanzamt korrigiert die Zinseinkünfte des A um die Differenz zwischen angemessenen und tatsächlich gezahlten Zinsen. Setzt der Korrekturbetrag bei der Beteiligung des A an der A-GmbH oder bei der Beteiligung der A-GmbH bei der X-SA an? Lösung: Hier stellt sich die Frage, ob der Korrekturbetrag beim Steuerinländer zu bilden ist und ob er dessen Gewinn aus einer Veräußerung der von ihm unmittelbar gehaltenen Beteiligung mindert, oder ob der Korrekturbetrag bei der zwischengeschalteten Gesellschaft zu bilden ist, die die unmittelbare Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft hält (wobei die zwischengeschaltete Gesellschaft auch eine inländische sein kann), oder ob ein Korrekturbetrag sowohl bei der Gesellschaft, bei der die Korrektur nach § 1 AStG vorgenommen wird, als auch bei allen nach- und der ausländischen Gesellschaft vorgeschalteten Gesellschaften anzuset1 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567; v. 5.4.1995 – I R 81/94, BStBl. II 1995, 629 = BFHE 177, 437 = FR 1995, 711; BFH v. 6.7.2000 – I B 34/00, BFHE 192, 307 = FR 2000, 1135 m. Anm. Kempermann. 2 Vgl. BFH v. 18.10.1999 – GrS 2/98, BStBl. II 2000, 123 = BFHE 189, 465.
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H. Rechtsgrundlagen im Abkommensrecht zen ist (wobei die zwischengeschalteten Gesellschaften wiederum auch ausländische sein können). Richtigerweise will die in Rz. 5.5.2 des BMF-Schreibens v. 12.4.2005 enthaltene Regelung eine Doppelbesteuerung vermeiden, die nur bei der Person eintreten kann, bei der der Korrekturbetrag nach § 1 AStG einkünfteerhöhend angesetzt wird. Deshalb kann nur die erste der in Betracht gezogenen Alternativen richtig sein. Zu korrigieren ist der Gewinn aus der Veräußerung der von dem Steuerinländer unmittelbar gehaltenen Beteiligung, soweit an ihr mittelbar die Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft hängt, die die Korrektur nach § 1 AStG ausgelöst hat.
Keine Teilwertabschreibung auf Korrekturbetrag. Da die Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG außerhalb der Steuerbilanz vorzunehmen ist, erhöht sie nicht die Anschaffungskosten auf die Beteiligung. Damit kann der Korrekturbetrag nicht Gegenstand einer Teilwertabschreibung sein.1 Vielmehr ist die in Rz. 5.5.2 des BMF-Schreibens v. 12.4.20052 vorgesehene Minderung des Veräußerungs- bzw. Liquidationsgewinnes um den Korrekturbetrag gedanklich als eine gebotene sachliche Billigkeitsmaßnahme zu verstehen, die der Vermeidung der Doppelbesteuerung dient und gerade deshalb erst in dem Augenblick vorzunehmen ist, in dem eine Doppelbesteuerung tatsächlich droht.
2.164
Beispiel: Eine inländische Muttergesellschaft ist an ihrer ausländischen Tochtergesellschaft beteiligt. Der Buchwert der Anteile beträgt am 1.1.11 300 000 Euro. Die Muttergesellschaft überlässt der Tochtergesellschaft im Jahr 01 ein zinsloses Darlehen i.H.v. 1 Mio. Euro. Das Finanzamt erhöht den Gewinn der Muttergesellschaft für das Jahr 01 um 5 % von 1 Mio. Euro = 50 000 Euro. Zum 31.12.13 sinkt der Teilwert der Beteiligung auf 200 000 Euro. Kann die Muttergesellschaft eine Teilwertabschreibung i.H.v. 150 000 Euro oder nur i.H.v. 100 000 Euro vornehmen?
Richtigerweise kann sie nur eine Teilwertabschreibung von 100 000 Euro vornehmen, weil der Korrekturbetrag nicht auf dem Beteiligungskonto zu aktivieren ist.
H. Rechtsgrundlagen im Abkommensrecht I. Art. 9 OECD-MA Entstehungsgeschichte. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist es üblich, dass Staaten bilaterale Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung abschließen. Nach dem 1. Weltkrieg setzte der Völkerbund Experten ein, die das Muster eines entsprechenden Abkommens erarbeiten sollten. 1926 und 1927 wurden Entwürfe vorgelegt. 1928 verabschiedeten Regierungsvertreter aus 28 Staaten auf einer vom Völkerbund einberufenen Konferenz ein erstes Musterabkommen. Gleichzeitig wurde ein Aus1 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Rz. 5.5.2.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
schuss einberufen, der die Aufgabe fortführen sollte. Der Ausschuss legte bis 1946 zwei verschiedene Musterabkommen vor, die jedoch nicht mehr verabschiedet wurden. 1956 berief die damals neu gegründete OEEC, die später in die OECD übergeleitet wurde, einen Steuerausschuss, der die Arbeiten des Völkerbundes fortführen sollte. Der Steuerausschuss legte 1963 das sog. OECD-Musterabkommen (OECD-MA) mit einem offiziellen Musterkommentar (OECD-MK) vor. Die OECD verabschiedete beide am 30.7.1963 als Empfehlung sowohl an die Mitglied- als auch an Nichtmitgliedstaaten. OECD-MA und OECD-MK wurden in der Folgezeit weiter überarbeitet. Fortgeschriebene Muster wurden vor allem im Jahr 1977 verabschiedet. Daneben gibt es Berichte der OECD, in denen zu Rechtsfragen Stellung genommen wird. Tatsächlich beeinflusste das OECD-MA die meisten von den Staaten bilateral abgeschlossenen Abkommen. Die Folgezeit ist durch ständige Verfeinerungen der beiden Muster gekennzeichnet. Das OECD-MA ist in englischer und französischer Sprache abgefasst. Viele Berichte sind dagegen nur in englischer Sprache abgefasst. Das OECD-MA und der OECD-MK wurden mehrfach von Experten in die deutsche Sprache übersetzt. Deshalb gibt es jedoch keine „amtliche Übersetzung“. Nur die OECD könnte eine amtliche deutsche Fassung beschließen. Es fehlt aber auch an einer gemeinsamen Übersetzung durch die Staaten (Deutschland, Österreich, Schweiz), in denen deutsch gesprochen wird. Soweit in dem Kommentar von Gosch/Kroppen/Grotherr eine andere Auffassung vermittelt wird, ist dieselbe falsch.1 Die in den verschiedenen Kommentaren wiedergegebenen und im Detail voneinander abweichenden deutschen Fassungen verdeutlichen auch ein Problem potentiell unterschiedlicher Auslegungen des OECD-MA und des OECD-MK
2.166
Bedeutung des Art. 9 OECD-MA. Aus der Sicht der Verrechnungspreisproblematik ist zunächst von Art. 7 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA auszugehen. Danach steht das Besteuerungsrecht für Unternehmensgewinne dem Staat zu, dem das Unternehmen gem. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECD-MA zuzuordnen ist. Dies hängt davon ab, in welchem Staat die Person gem. Art. 4 OECD-MA ansässig ist, die das Unternehmen betreibt. Unternehmensgewinne können nur dann von einem anderen Vertragsstaat besteuert werden, wenn das Unternehmen dort eine Betriebsstätte unterhält und der „Teilgewinn“ dieser Betriebsstätte zuzuordnen ist. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gestattet es beiden Vertragsstaaten, auf die Ermittlung des Unternehmensgewinns, für den nach Art. 7 Abs. 1 OECD-MA ein Besteuerungsrecht besteht, Gewinnkorrekturvorschriften anzuwenden. Dies gilt jedoch nur für Geschäftsbeziehungen zwischen sog. verbundenen Unternehmen und nicht für Einkünfte, die außerhalb einer unternehmerischen Tätigkeit erzielt werden.2 Außerdem setzt die Einkünftekorrektur voraus, dass die Geschäftsbeziehungen Vereinbarungen enthalten, die zwischen fremden Dritten unüblich sind. Eine evtl. durchzuführende 1 Becker in G/K/G, Art. 9 OECD-MA Rz. 7. 2 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 22.
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H. Rechtsgrundlagen im Abkommensrecht
Gewinnkorrektur muss sich in ihrem Umfang am Fremdvergleich orientieren. Für die von Deutschland abgeschlossenen Abkommen gilt, dass sie weitgehend dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechen. Deutschland hat allerdings über viele Jahre hinweg Art. 9 Abs. 2 OECD-MA (Gegenberichtigung) in seinen abgeschlossenen Abkommen nicht umgesetzt. Dieser Vorbehalt wurde inzwischen aufgegeben. Kriterien der Verbundenheit. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b OECD-MA nennt zwei alternative Kriterien der Unternehmensverbundenheit. Eine solche Verbundenheit wird zum einen angenommen, wenn ein Unternehmen des einen Vertragsstaates unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder am Kapital eines Unternehmens des anderen Vertragsstaates beteiligt ist (Buchst. a). Zum anderen besteht eine Unternehmensverbundenheit, wenn dieselben Personen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder am Kapital eines Unternehmens eines Vertragsstaates und eines Unternehmens des anderen Vertragsstaates beteiligt sind (Buchst. b). Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c OECD-MA ist unter einem „Unternehmen“ die Ausübung einer Geschäftstätigkeit zu verstehen. Nach Art. 3 Nr. 4 OECD-MK ist der Ausdruck „Unternehmen“ ergänzend nach dem innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten auszulegen, was allerdings in einem gewissen Widerspruch zu Art. 3 Abs. 2 OECD-MA steht. Aus deutscher Sicht muss insoweit § 15 Abs. 2 EStG herangezogen werden. Nach der Auffassung der Rechtsprechung ist dagegen § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (Sondervergütungen) und Abs. 3 EStG (gewerblich geprägte Mitunternehmerschaft) nicht einschlägig.1 Im Zweifel gilt dies auch für Einkünfte i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECD-MA regelt, welchem Vertragsstaat die in Betracht kommenden Unternehmen zuzuordnen sind. Die Vorschrift stellt weder auf bestimmte Rechtsformen noch auf die formale Rechtsträgerschaft, sondern darauf ab, wer das Unternehmen tatsächlich betreibt. Für das Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen Betriebsstätten desselben Unternehmens gilt Art. 7 OECD-MA und nicht Art. 9 OECD-MA. Art. 9 OECD-MA ist allerdings nur auf die Geschäftsbeziehungen zwischen den einander nahestehenden Unternehmen und nicht auch notwendigerweise auf die Beziehungen zwischen dem Unternehmen und den Personen anzuwenden, die die Kontrolle ausüben bzw. an dem Unternehmen beteiligt sind.
2.167
Kaufmännische und finanzielle Beziehungen. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA erlaubt eine Gewinnkorrektur, wenn die kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen zwischen den einander nahestehenden Personen nicht dem Fremdvergleich entsprechen. Darunter fallen alle schuldrechtlichen Beziehungen, nicht jedoch Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen
2.168
1 Vgl. BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356 = BFHE 219, 518 = FR 2008, 729; v. 28.4.2010 – I R 81/09, FR 2010, 903 m. Anm. Buciek = BFH/NV 1020, 1550 = BFHE 229, 252; v. 9.12.2010 – I R 49/09, BStBl. II 2011, 482 = BFHE 232, 145 = FR 2011, 683; v. 24.8.2011 – I R 46/10, BFHE 234, 339 = FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
(Geschäftsführung ohne Auftrag, unerlaubte Handlung, ungerechtfertigte Bereicherung). Zweifelhaft ist, inwieweit Beziehungen auf gesellschaftsvertraglicher Basis unter den Begriff fallen. Grundsätzlich ist dies zu verneinen. Die Frage stellt sich allerdings, ob in Fällen einer Unterkapitalisierung von Unternehmen eine Gewinnkorrektur bei Hingabe eigenkapitalersetzender Darlehen möglich ist. In diesen Fällen werden Maßnahmen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, in eine schuldrechtliche Beziehung gekleidet. Dies reicht aus, um von einer finanziellen Beziehung i.S.d. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA auszugehen.
2.169
Fremdvergleich. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA erlaubt eine Gewinnkorrektur, wenn die in Rz. 2.168 genannten Bedingungen von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden. Art. 9 Nr. 1 OECD-MK formuliert dies dahin, dass die Beziehungen nicht unter den Bedingungen des freien Marktes abgewickelt wurden. Mit dieser Formulierung interpretiert der OECD-MK auch das „Dealing-at-arm’s-lengthPrinzip“. Wann die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, wird allerdings weder im OECD-MA noch im OECD-MK geregelt. Vielmehr hat die OECD einen Bericht unter dem Titel „Verrechnungspreisrichtlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen“ verfasst (vgl. Rz. 2.174). Dieser Bericht enthält international abgestimmte Grundsätze und soll Richtlinien für die Anwendung des Fremdvergleichs geben. Die ursprüngliche Fassung des Berichtes wurde vom Rat der OECD am 27.6. 1995 beschlossen. Der Bericht ist nur in englischer Sprache abgefasst („Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations“). Es fehlt eine amtliche Übersetzung in die deutsche Sprache, was seine Anwendung im deutschen Recht zweifelhaft macht. Der Bericht wird ständig fortgeschrieben.
2.170
Keine Self-executing-Wirkung des Art. 9 OECD-MA. Bei der Beantwortung der Frage, ob dem Art. 9 OECD-MA Self-executing-Wirkung zukommt, sollte man zwischen seinen beiden Absätzen unterscheiden. Zu Abs. 1 wurde zwar in der älteren Literatur1 eine Self-executing-Wirkung des Art. 9 OECD-MA bejaht. Heute entspricht es jedoch der ganz h.M.2, dass Art. 9 Abs. 1 OECD-MA durch innerstaatliche Gewinnkorrekturvorschriften ausgefüllt werden muss. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Sie zeigt zugleich die Bedeutung der Diskussion um einen einheitlichen oder mehrere verschiedene Fremdvergleichsmaßstäbe im innerstaatlichen
1 Vgl. Bellstedt, Die Besteuerung international verflochtener Gesellschaften, 430 ff. 2 BFH v. 12.3.1980 – I R 186/76, BStBl. II 1980, 531 = BFHE 130, 296 = FR 1980, 360; v. 21.1.1981 – I R 153/77, BStBl. II 1981, 517 = BFHE 133, 33 = FR 1981, 288; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.2.1; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 76; Wassermeyer in Schaumburg, Kölner Konzernrechtstage, Rz. 664; Eigelshoven in V/L, DBA5, Art. 9 OECD-MA Rz. 15; Becker in G/K/G, Art. 9 OECD-MA Rz. 67 (69); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 758.
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H. Rechtsgrundlagen im Abkommensrecht
deutschen Recht.1 Gäbe es mehrere verschiedene Fremdvergleichsmaßstäbe, so wären vielfältige Kollisionen zu Art. 9 Abs. 1 OECD-MA vorgegeben. Nur dann, wenn es einen einzigen Fremdvergleichsmaßstab gibt und dieser auch noch mit dem „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz“ des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA übereinstimmt, besteht die Chance, innerstaatlich und abkommensrechtlich zu einheitlichen Ergebnissen zu kommen. Soweit das innerstaatliche Recht Einkünftekorrekturen gestattet, die über das hinausgehen, was der „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz“ gestattet, schränkt Art. 9 Abs. 1 OECD-MA unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen die Berichtigungsmöglichkeiten ein. Insoweit ist Rz. 1.2.1 Satz 6 VWG 1983 „schief“ formuliert. Die deutsche Finanzverwaltung ist deshalb nicht gehindert, aus sachlichen Billigkeitsgründen Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu ergreifen.2 Diese Maßnahmen können jedoch nur zugunsten und nicht zu Lasten der Steuerpflichtigen wirken. Was für Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gilt, muss für Abs. 2 entsprechend gelten. Deshalb kann auch dem Art. 9 Abs. 2 OECD-MA keine Self-executing-Wirkung zugesprochen werden. Die Vorschrift eröffnet den Vertragsstaaten nur die Möglichkeit, ihre innerstaatlichen Vorschriften über eine Gegenberichtigung anzuwenden. Gerade deshalb ist das BMF aufgerufen, im innerstaatlichen deutschen Steuerrecht eine Gesetzesgrundlage für eine Gegenberichtigung zu schaffen, wenn im Ausland eine Gewinnkorrektur nach der Art des § 1 AStG berechtigterweise vorgenommen werden sollte. In Deutschland kann eine solche Gegenberichtigung heute nur in der Form einer Billigkeitsmaßnahme auf der Grundlage eines Verständigungsverfahrens vorgenommen werden. Der Steuerpflichtige hat auf eine solche Gegenberichtigung keinen Rechtsanspruch. Die Rechtmäßigkeit einer von der Finanzverwaltung gewährten Gegenberichtigung kann von den FG praktisch nicht überprüft werden. Dies entspricht weder dem Geist des Art. 9 Abs. 2 OECD-MA noch den Rechtsgrundsätzen, die unser übriges Steuerrecht beherrschen. Gegenberichtigung. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA verpflichtet den anderen Vertragsstaat zu einer Gegenberichtigung bei dem jeweils anderen Unternehmen, wenn der eine Vertragsstaat eine Gewinnkorrektur bei dem Unternehmen berechtigterweise durchgeführt hat, dessen Gewinn gemindert wurde. Sinn des Art. 9 Abs. 2 OECD-MA ist die Vermeidung einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung. Dabei drückt der Begriff „wirtschaftliche Doppelbesteuerung“ das Faktum aus, dass die Gewinnkorrektur einerseits und die Gegenberichtigung andererseits bei jeweils verschiedenen Unternehmen durchgeführt werden. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA erfasst allerdings nur die Fälle, in denen die Gegenberichtigung unmittelbare 1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 82, 110 ff., und Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 144 ff. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. l.2.2–1.2.6.
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2.171
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Folge der Erstberichtigung ist. Beruht die Doppelbesteuerung auf anderen Umständen (z.B. Qualifikationskonflikt), so ist die Anwendung der Vorschrift ausgeschlossen. Auch eröffnet Art. 9 Abs. 2 OECD-MA dem anderen Vertragsstaat die Möglichkeit zu prüfen, ob der erste Vertragsstaat zu Recht eine Verletzung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA angenommen hat. Häufig löst diese Prüfung die Einleitung eines Verständigungs- bzw. Schiedsverfahrens aus. Deutschland hat Regelungen nach Art und Inhalt des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA in allen seinen Abkommen übernommen. Deutschland hatte allerdings bis etwa 1989 Vorbehalte gegenüber der Regelung in Art. 9 Abs. 2 OECD-MA. Deshalb enthalten ältere Abkommen keine entsprechende Regelung. Deutschland hat inzwischen seine Vorbehalte aufgegeben, was auch auf die EU-Schiedskonvention vom 23.7. 19901 zurückzuführen ist. Die neu abgeschlossenen Abkommen enthalten fast ausnahmslos eine Vorschrift, die dem Art. 9 Abs. 2 OECD-MA entspricht.2
II. Art. 7 OECD-MA 2.172
Allgemeine Grundsätze. Während Art. 9 Abs. 1 OECD-MA Gewinnkorrekturen bei Geschäftsbeziehungen zwischen miteinander verbundenen Unternehmen regelt, betrifft Art. 7 OECD-MA die Abgrenzung der Gewinne von Betriebsstätten desselben Unternehmens in mindestens zwei Vertragsstaaten. Nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA dürfen Betriebsstättengewinne im Betriebsstättenstaat nur insoweit besteuert werden, als sie der Betriebsstätte zugerechnet werden können. Die Zurechnung soll sich am Fremdvergleich orientieren, d.h. der Betriebsstätte sind die Gewinne zuzurechnen, die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Tätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre. Zur Auslegung des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA wurden im Schrifttum zwei verschiedene Auffassungen vertreten. Die eine Auffassung trat für eine absolute (hypothetische) Selbständigkeit der Betriebsstätte mit der Folge ein, dass auch Leistungsbeziehungen und Nutzungsüberlassungen zwischen verschiedenen Betriebsstätten desselben Unternehmen steuerrechtlich erfolgswirksam zu erfassen seien.3 Die herrschende Meinung verstand dagegen die Selbständigkeitsfiktion des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA als eine nur
1 Vgl. EU-Schiedskonvention v. 23.7.1990, BGBl. II 1993, 1314 = BStBl. I 1993, 819 (90/436/EWG). 2 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 (Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen). 3 Vgl. Kroppen in G/K/G, Art. 5 OECD-MA Rz. 108 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 620 ff.; Kluge, StuW 1975, 294 (304); Sieker, DB 1996, 110 (112); Ritter, JbFStR 1976/77, 288 (300).
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H. Rechtsgrundlagen im Abkommensrecht
eingeschränkte.1 Sie gilt nicht für die Gewinnermittlung als solche, sondern nur für die Abgrenzung des erzielten Gewinns zwischen den Betriebsstätten. Abzugrenzen ist nur der Gewinn, den das Unternehmen nach allgemeinen Grundsätzen ohne Anwendung von Art. 7 Abs. 2 OECD-MA erzielt hat. Authorized OECD Approach (AOA). Im Juli 2008 gab die OECD den „Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments“ heraus (kurz: Betriebsstättenbericht 2008) heraus. In dem Bericht entwickelte die OECD die These, dass die Betriebsstättengewinne auf der Basis einer fiktiven funktionalen Selbständigkeit zu ermitteln seien. Teile des Berichtes gingen noch in 2008 in die Musterkommentierung von Art. 7 OECD-MA ein. Eine vollständige Umsetzung wurde im Jahr 2010 vollzogen. Damals wurde Art. 7 OECD-MA neu gefasst und die Kommentierung vor allem redaktionell überarbeitet. Im Einzelnen wurde Art. 7 Abs. 3–6 OECD-MA a.F. gestrichen. Aus Art. 7 Abs. 7 OECD-MA a.F. wurde Abs. 4 n.F. In Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA n.F. wurden aus den Gewinnen „des Unternehmens“ solche, die „der Betriebsstätte nach Abs. 2 zuzurechnen sind“. Deutschland hat im AmtshilfeRLUmsG2 diese Grundsätze ins innerstaatliche Recht (§ 1 AStG) übernommen. Es hat auf dieser Grundlage DBA mit Liechtenstein, Luxemburg und den Niederlanden abgeschlossen. Der AOA behandelt jede Betriebsstätte fiktiv als selbständiges Unternehmen, das mit eigenen Funktionen, Wirtschaftsgütern, Risiken und Kapital ausgestattet ist. Für materielle Wirtschaftsgüter ergibt sich die Zuordnung zu einer Betriebsstätte aus dem Ort der Nutzung. Die Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern richtet sich nach den übernommenen Funktionen und den damit verbundenen Risiken.
2.173
III. OECD-Richtlinien Allgemeines. Unter OECD-Richtlinien sind Veröffentlichungen des Rates der OECD zu verstehen, denen entsprechende Beschlussfassungen des Rates zugrunde liegen. Materiell-rechtlich haben auch das OECD-MA und der OECD-MK den Charakter einer Richtlinie. Aus dem OECD-MA und den OECD-Richtlinien ergibt sich keine unmittelbare Rechtswirkung für die OECD-Mitgliedstaaten einerseits und die Auslegung von abgeschlossenen DBA andererseits. Dies gilt gleichermaßen für die Steuerpflichtigen, die Finanzverwaltung und die FG. Es handelt sich um Empfehlungen zur Auslegung von DBA. Jede Empfehlung ist als Maßnahme des Rates i.S.d. Art. 5 des OECD-Vertrages zu verstehen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 18 Buchst. c OECD-Verfahrensordnung zu einer Prüfung der 1 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 185, 324; Hemmelrath in V/L, DBA5, Art. 7 OECD-MA Rz. 92; Looks in Löwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung2, Rz. 853 ff.; Andresen in Wassermeyer/Andresen/ Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 141; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.268; Ditz, IStR 2005, 37 (42). 2 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 (1826).
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2.174
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
Angemessenheit der empfohlenen Maßnahme zwingt. Diese Prüfung kann allerdings in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausfallen. Auch ist die Rechtsprechung nicht an das Prüfungsergebnis der Finanzverwaltung gebunden. Den Empfehlungen kann dann Bedeutung zukommen, wenn sie bei Abschluss des auszulegenden DBA bereits existent waren und anzunehmen ist, dass die Vertragsstaaten die Empfehlungen bei Vertragsabschluss in ihre Willensbildung aufgenommen haben. Dafür kann die Übernahme einer empfohlenen Formulierung sprechen. Dennoch kann jede OECD-Richtlinie auf einem Kompromiss beruhen, dem nicht alle Mitgliedstaaten zugestimmt haben müssen. Einzelne Mitgliedstaaten können Gegenvorstellungen geltend gemacht haben. Auch ist zu bedenken, dass die Auslegung von OECD-Richtlinien durch nationale Interessen des auslegenden Mitgliedstaates beeinflusst wird. Das Abkommensrecht baut auf dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten auf. Entsprechend ist insbesondere bei einem DBA zwischen einem Mitgliedstaat und einem Nichtmitgliedstaat der OECD die Übernahme einer in einer Richtlinie vertretenen Rechtsauffassung sehr differenziert zu beurteilen.
2.175
Speziell: OECD-Richtlinie 1995/96/97. Die OECD-RL 1995/96/97 betrifft allgemein die Verrechnungspreisproblematik und damit die Auslegung von Art. 9 OECD-MA. Grundlagen waren der am 16.5.1979 beschlossene OECD-Bericht „Transfer Pricing and Multinational Enterprises“ und der im Jahr 1984 beschlossene OECD-Report über „Verrechnungspreise und Multinationale Unternehmen“. Die OECD-Richtlinie 1995/96/97 sollte den Bericht vom 16.5.1979 ersetzen. Sie besteht aus mehreren Kapiteln, die getrennt voneinander beschlossen und veröffentlicht wurden, deren Zusammenhalt jedoch von vornherein beabsichtigt war. Im Juli 1995 veröffentlichte der Rat der OECD die Kapitel I–V der Richtlinie betreffend die „Verrechnungspreise für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen“. Im Jahr 1996 wurde diese Richtlinie um die Kapitel VI und VII erweitert. Schließlich wurde am 24./25.6.1997 ein Kapitel VIII beschlossen. In den Jahren bis 2000 wurde die Richtlinie durch Anhänge ergänzt, die Monitoring Procedures, praktische Beispiele sowie APAs betrafen.
2.176
Überarbeitung der OECD-Richtlinie 1995/96/97. Inzwischen ist die OECD in ein Stadium der Überarbeitung, Ergänzung und Weiterentwicklung der OECD-Richtlinie 1995/96/97 eingetreten. Am 10.5.2006 forderte die OECD zur Stellungnahme betreffend Fragen des Fremdvergleichsgrundsatzes1 und am 25.1.2008 betreffend Fragen der Anwendung geschäftsvorfallbezogener Gewinnmethoden2 auf. Am 19.9.2008 wurde ein Diskussionspapier zu Verrechnungspreisaspekten von Unterneh1 Vgl. OECD, Comparability: Public Invitation to Comment on a Series of Draft Issues Notes, abrufbar unter: http://www.oecd.org/tax/transfer-pricing/ 36651642.pdf, Stand: 13.3.2014. 2 Vgl. OECD, Transactional Profit Methodes: Discussion Draft for Public Comment, abrufbar unter: http://www.oecd.org/tax/transfer-pricing/39915180.pdf, Stand: 13.3.2014.
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H. Rechtsgrundlagen im Abkommensrecht
mensumstrukturierungen und Funktionsverlagerungen beschlossen.1 Am 9.9.2009 veröffentlichte die OECD den Entwurf der überarbeiteten Kapitel I–III der Richtlinie 1995/96/97.2 Im Kapitel I wird der Fremdvergleichsgrundsatz allgemein abgehandelt. Kapitel II enthält eine Besprechung der Verrechnungspreismethoden und Kapitel III eine Besprechung der Vergleichbarkeitsanalyse. Am 22.7.2010 veröffentlichte die OECD die endgültige Fassung der überarbeiteten Richtlinie 1995/96/97.3 Gleichzeitig gab die OECD eine Stellungnahme zu den von der Wirtschaft eingereichten Anmerkungen ab.4 Die endgültige Fassung muss in ihrem Zusammenhang mit dem im JStG 2008 neu gefassten § 1 Abs. 3 AStG beurteilt werden.5 Bereits im Juli 2008 veröffentlichte die OECD Ergebnisse ihrer Überlegungen zur Gewinnabgrenzung von Unternehmensgewinnen i.S.d. Art 7 OECD-MA. Die Überlegungen führten zu einer Verabschiedung des „Authorized OECD Approach“ (AOA) am 22.6.2010 (vgl. hierzu Rz. 2.173) und zu einer sich anschließenden Neufassung des Art. 7 OECD-MA und des dazugehörigen Kommentars.
IV. EU-Schiedskonvention Abschluss und Umsetzung. Am 23.7.1990 haben die EU-Mitgliedstaaten eine sog. EU-Schiedskonvention über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Fall von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen abgeschlossen.6 Die Schiedskonvention geht zurück auf einen Vorschlag der EU-Kommission aus dem Jahre 1976.7 In Deutschland wurde die Schiedskonvention durch Gesetz vom 26.8.19938 in innerstaatliches Recht umgesetzt. Die Schiedskonvention galt zunächst nur von 1995 bis 1999 einschließlich. Einige Monate vor Ablauf dieser 5-Jahresfrist nahm der Rat der EU ein Verlängerungsprotokoll an, wonach die Geltung der Schiedskonvention sich automatisch jeweils um 5 Jahre verlängert, wenn kein Mitgliedstaat Einwendungen erhebt.9 Durch Gesetz vom 1 Vgl. OECD, Transfer Pricing Aspects of Business Restructurings: Discussion Draft for Public Comment, abrufbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transferpricing/41346644.pdf, Stand: 13.3.2014. 2 Vgl. OECD, Proposed Revision of Chapters I–III of the Transfer Pricing Guidelines, abrufbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/43655703.pdf, Stand: 13.3.2014. 3 Vgl. OECD, Review of Comparability and of Profit Methods: Revision of Chapters I–III of the Transfer Pricing Guidelines, abrufbar unter: http://www.oecd.org/ dataoecd/23/12/45763692.pdf, Stand: 13.3.2014. 4 Vgl. OECD, Report on the Transfer Pricing Aspects of Business Restructurings – Chapter IX of the Transfer Pricing Guidelines, abrufbar unter: http://www.oecd.org/dataoecd/22/54/45690216.pdf, Stand: 13.3.2014. 5 Vgl. Förster, IStR 2011, 20. 6 Übereinkommen v. 23.7.1990 90/436/EWG, ABl. Nr. L 225 v. 20.8.1990, 10 ff.; BStBl. I 1993, 819. 7 Vgl. ABl. C 301 v. 21.12.1976. 8 Gesetz v. 26.8.1993, BStBl. I 1983, 818. 9 Vgl. Protokoll v. 25.5.1999, ABl. C 202 v. 16.7.1999.
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2.177
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung im innerstaatlichen Recht
22.6.20061 wurde die Schiedskonvention auf die zum 1.5.2004 der EU beigetretenen Staaten ausgedehnt.2 Die Schiedskonvention regelt in Art. 4 die allgemeinen Prinzipien der Gewinnabgrenzung, wie sie zwischen verbundenen Unternehmen gelten. Die Vorschrift ermöglicht eine Gewinnkorrektur, wenn im Einzelfall gegen die Prinzipien verstoßen wird. Abweichend von § 1 AStG gilt dies unabhängig davon, ob sich die Verletzung der Prinzipien zugunsten oder zu Lasten eines EU-Mitgliedstaates auswirkt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Ausführungen in Rz. 10.30 ff. verwiesen.
1 Gesetz v. 22.6.2006, BGBl. II 2006, 554. 2 Vgl. Vögele/Forster, IStR 2006, 537.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung Literatur Bärsch/Luckhaupt/Schulz, Bestimmung angemessener Verrechnungspreise im Zusammenhang mit immateriellen Vermögenswerten, Ubg 2014, 37; Bauer, Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei der Verrechnungspreisplanung und -dokumentation, DB 2008, 152; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln u.a. 1986; Baumhoff, Der Einfluss der Finanzmarktkrise auf die Festlegung und Prüfung von internationalen Verrechnungspreisen, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Festschrift für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 21; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik bei Verlustgesellschaften, in Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 133; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Lohnfertigern – Anmerkungen zum Urteil des FG Münster vom 16.3.2006, IStR 2006, 789; Bittner/ Jann, Anpassungsrechnungen bei der Verrechnungspreisanalyse, IWB 2010, 449; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Ditz/Liebchen, Bewertung von Transferpaketen im Rahmen von Funktionsverlagerungen, DB 2012, 1470; Dorner/Dawid, Erhöhung der Vergleichbarkeit von Profitabilitätskennzahlen durch Anpassungsrechnungen, IWB F. 10 Gr. 2, 1549; Eigelshoven/Ebering, Das Fremdvergleichsprinzip neu interpretiert: Das „Practical Manual on Transfer Pricing for Developing Countries“ der Vereinten Nationen, IStR 2014, 16; Engler, Änderung von Verrechnungspreisen in der Rezession, IStR 2009, 685; Fiehler, Vergütungsformen von funktions- und risikoarmen Vertriebsgesellschaften, IStR 2007, 464; Fischer/Looks/im Schlaa, Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise – Aktuelle Erfahrungen mit der Betriebsprüfung und zukünftige Entwicklungen, BB 2010, 157; Förster, Die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 3 AStG – Vergleich mit den aktualisierten Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, IStR 2011, 20; Fris/Gonnet, The State of the Art in Comparability for Transfer Pricing, ITPJ 2010, 99; Gommers/Reyneveld/Lund, Pan-European comparables searches: enhancing comparability using comparability adjustments, ITPJ 2008, 126; Katz, Comparability Issues: Additional Difficulties in Latin American Transfer Pricing Analysis, ITPJ 2010, 417; Kolb, Datenbankanalysen zu internationalen Verrechnungspreisen – Erfahrungen aus der Betriebsprüfung, IWB 2009, Fach 3 Gruppe 1, 2391; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Lorenzen/Feldtkeller, Konfliktpotential durch zunehmende Bedeutung der BRIC-Staaten, IWB 2012, 452; Macho/Perneki, Verrechnungspreise: Benchmarking mittels Datenbankstudien – Fluch oder Segen?, SWI 2011, 294; Naumann, Seminar E: Gewinnaufteilungsmethoden und der Fremdvergleichsgrundsatz, IStR 2013, 616; Rasch, Jahresendanpassungen: Möglichkeiten und Grenzen für „year end adjustments“ in Verrechnungspreissystemen, ISR 2013, 431; Reyneveld/Gommers/Lund, Pan-European Comparables Searches – Analysing the Search Criteria, ITPJ 2007, 79; Tucha, Der Einsatz von Unternehmensdatenbanken im Rahmen von Verrechnungspreisanalysen – Möglichkeiten und Grenzen, IStR 2002, 745.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
A. Merkmale des Fremdvergleichs 3.1
Dominante Merkmale des Fremdvergleichs. Der Fremdvergleich als Instrument zur Ermittlung eines quantitativen Vergleichsmaßstabes (sog. Fremdpreis oder Fremdvergleichspreis) fordert eine Verrechnung konzerninterner Lieferungen und Leistungen zu Preisen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart haben oder vereinbart hätten.1 Als die zwei dominanten Merkmale des Fremdvergleichs sind dabei die Unabhängigkeit der Geschäftspartner (Unternehmen) und die Vergleichbarkeit der Verhältnisse anzusehen. Das erste Merkmal steht für den Wortbestandteil „Fremd-“, das zweite Merkmal für den Wortbestandteil „-vergleich“. Die Wahl des Verfahrens zur Ermittlung von Vergleichstatbeständen bei der Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen ist allein davon abhängig, wie sich im konkreten Einzelfall die beiden charakteristischen Merkmale des Fremdvergleichs – Unabhängigkeit der Geschäftspartner einerseits, Vergleichbarkeit der Verhältnisse andererseits – darstellen.
B. Unabhängigkeit der Geschäftspartner I. Tatsächliche Unabhängigkeit 3.2
Unterscheidung zwischen tatsächlicher und fiktiver Unabhängigkeit. Im Rahmen des Merkmals der Unabhängigkeit der Geschäftspartner ist zwischen tatsächlicher und fiktiver Unabhängigkeit zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist im Hinblick auf die Technik eines vorzunehmenden Fremdvergleichs, insbesondere bei Anwendung der klassischen Verrechnungspreismethoden (Rz. 6.1 ff.), erforderlich. Sind zwei Geschäftspartner nach der nachfolgend dargestellten Definition als tatsächlich unabhängig anzusehen, so erübrigt sich die Zugrundelegung einer fiktiven Unabhängigkeit. Die fiktive Unabhängigkeit ist daher nur im Fall des Nicht-Vorhandenseins von Geschäften zwischen tatsächlich Unabhängigen von Bedeutung.
3.3
Abgrenzung zum Begriff der „nahe stehenden“ Person. Die Rechtsnormen des deutschen Steuerrechts zur Einkunftsabgrenzung, die einen Fremdvergleich fordern (Rz. 2.1 ff.), enthalten keine Anhaltspunkte zur Bestimmung des Begriffs des unabhängigen Dritten. Auch die VWG 1983 erläutern in Tz. 1.3.2. in Anlehnung an § 1 Abs. 2 AStG lediglich den Begriff der „nahe stehenden“ Person als Tatbestandsvoraussetzung einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG.2 Es stellt sich daher die Frage, ob 1 So auch die deutsche Finanzverwaltung, vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.4. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.3.2.
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B. Unabhängigkeit der Geschäftspartner
Geschäftsbeziehungen zwischen Personen bzw. Unternehmen, die nicht als „nahe stehende“ Personen qualifiziert werden können, als solche zwischen unabhängigen Dritten anzusehen sind. Gegen die Annahme einer komplementären Beziehung zwischen dem Begriff der „nahe stehenden Person“ und dem des „unabhängigen Dritten“ sprechen die unterschiedlichen Zwecksetzungen dieser beiden Begriffskategorien.1 Daher sollte von einer tatsächlichen Unabhängigkeit der Unternehmen immer nur dann ausgegangen werden, wenn weder dem leistungserbringenden Unternehmen noch dem leistungsempfangenden Unternehmen Mittel zur Verfügung stehen, die geeignet sind, „in allen wesentlichen Punkten von unternehmenspolitischer Bedeutung auf die Geschäftsführung eines anderen Unternehmens – auch gegen dessen Widerstand – einzuwirken“.2 Von einer Unabhängigkeit der Unternehmen ist somit immer dann auszugehen, wenn eine Einflussnahme auf das Entscheidungsverhalten der einzelnen Geschäftspartner, die über den aus der Geschäftsbeziehung selbst entstehenden Einfluss hinausgeht, ausgeschlossen ist.3
II. Fiktive Unabhängigkeit „Fiktive Unabhängigkeit“ als Hilfsmaßstab. Durch die Verwendung des Konjunktivs in der Formulierung „die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten“ gibt der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 AStG einen Hinweis darauf, dass bei einem Fremdvergleich nicht nur die unter vergleichbaren Verhältnissen zustande gekommenen Preise zwischen tatsächlich unabhängigen Unternehmen als Vergleichsmaßstäbe verwendet werden dürfen, sondern dass im Fall des Nicht-Vorhandenseins von vergleichbaren Geschäften zwischen tatsächlich Unabhängigen dafür ersatzweise auch eine fiktive Unabhängigkeit zugrunde gelegt werden kann. Das setzt jedoch voraus, dass Klarheit darüber besteht, auf welche Unternehmensbereiche und in welchem Ausmaß der Hilfsmaßstab der „fiktiven Unabhängigkeit“ anzuwenden ist.
3.4
Konkretisierung durch Eliminierung aktiver und passiver Konzerneffekte. Eine Möglichkeit besteht darin, unter einem fiktiv unabhängigen Unternehmen ein völlig aus der Konzernstruktur herausgelöstes Unternehmen zu verstehen. Um den „effektiven“ Gewinn dieses fiktiv selbständigen Unternehmens ermitteln zu können, müssen alle gewinnrelevanten Einflüsse, die auf die Konzernzugehörigkeit bzw. Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund zurückzuführen sind, als nicht erwünschte Gewinnmanipulationen eliminiert werden.4 Dazu gehören sowohl passive als
3.5
1 Vgl. Kumpf, Steuerliche Verrechnungspreise in internationalen Konzernen, 144. 2 Uecker, Der Vorteils-Nachteils-Ausgleich beim Abhängigkeitsbericht, 26. 3 Siehe auch Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, V Anm. zu Tz. 1.3.2.6. 4 Vgl. Moxter, ZfbF 1961, 643; Kußmaul, RIW 1987, 681; siehe ferner Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, 33.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
auch aktive Konzerneffekte. Zu den passiven Konzerneffekten zählt man solche Vorteile, die allein aus der Konzernzugehörigkeit bzw. Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund resultieren und sich beispielsweise in erhöhter Kreditwürdigkeit, verbilligter Einkaufsmöglichkeit, Risikostreuung und verbesserten Absatzmöglichkeiten niederschlagen. Als aktive Konzerneffekte bezeichnet man alle Eingriffe der Spitzeneinheit in den Betriebsablauf der Einzelgesellschaften, wie Entscheidungen über die künftige Absatz-, Beschaffungs-, Produktions-, Investitions-, Finanz-, Forschungs- und Entwicklungs-, Personal- und Sozialpolitik oder gar über Betriebsstilllegungen. Die Durchführung einer so verstandenen Einkünfteabgrenzung erfordert die völlige gedankliche Ausgliederung des einzelnen Unternehmens aus der wirtschaftlichen Einheit „Gesamtunternehmen“. Der Besteuerung wird damit – abweichend von der wirtschaftlichen Realität – ein fiktiver Erfolg zugrunde gelegt, den einzelne Unternehmen zwar bei Verfolgung der eigenen Zielvorstellung erzielt hätten, aber aufgrund der Konzernzugehörigkeit bzw. Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund und der dispositiven Eingriffe der Muttergesellschaft nicht erzielt haben.1 Diese Betrachtungsweise widerspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Gestalt des Prinzips der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit, da als Steuerbemessungsgrundlage hierbei kein tatsächlich erzieltes Ergebnis dient, sondern eine vom tatsächlichen Einkommen regelmäßig abweichende fiktive Größe. Letztlich führt die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zwar immer zu einer Sollgewinnbesteuerung, indem der tatsächlich ermittelte Gewinn mit einem Sollgewinn verglichen wird, den der Steuerpflichtige erzielt hätte, wenn die von ihm mit nahe stehenden Personen getroffenen Vereinbarungen dem Fremdvergleich entsprechen würden. Der Fremdvergleichsgrundsatz soll allerdings lediglich Gewinnverlagerungen vermeiden und nicht etwa dazu führen, dass fiktive Tatbestände zur Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage herangezogen werden. Der BFH2 spricht konsequenterweise auch nur von einem „partiellen“ Sollgewinn, der durch den Fremdvergleich besteuert wird: „Der partielle Sollgewinn ist derjenige, den sie erzielt hätten, wenn keine Gewinnverlagerung zugunsten des Gesellschafters stattgefunden hätte.“3
3.6
Verlagerungsneutrale Verrechnungspreise. Eine andere Möglichkeit der Konkretisierung der Unabhängigkeitsfiktion des Fremdvergleichs geht von der Erkenntnis aus, dass der Gesamtgewinn des Unternehmensverbundes auf das Zusammenwirken aller Einzelgesellschaften zurückzuführen ist, zu dem diese – entsprechend ihrem Anteil an Leistungserstellung und -verwertung – ihren Beitrag, den sog. Gliedgewinn, leisten. Dabei sollen nicht die auf die Konzernverbundenheit zurückzuführenden Einflüsse 1 Vgl. Bergsteiner, Gewinnverlagerungen, 34. 2 BFH v. 2.2.1994 – I R 78/91, BStBl. II 1994, 479. 3 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wassermeyer, DB 2001, 2466; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 216.
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B. Unabhängigkeit der Geschäftspartner
der Gewinnentstehung eliminiert werden, sondern nur solche Eingriffe, die den Gewinnausweis manipulieren, m.a.W. durch die „Verschiebungen zwischen den Gewinnen der Gliedunternehmen bewirkt werden“.1 Solche buchtechnischen Gewinnverschiebungen, die zwar den jeweiligen Gewinn des einzelnen Gliedunternehmens verfälschen, sich jedoch nicht auf den Gewinn des Gesamtunternehmens auswirken, werden insbesondere hervorgerufen durch den Ansatz unangemessener Verrechnungspreise für den konzerninternen Liefer- und Leistungsaustausch. Die Folge einer solchen Verrechnungspreispolitik besteht darin, dass ein Gewinn nicht bei derjenigen Unternehmenseinheit ausgewiesen wird, die ihn tatsächlich erwirtschaftet hat. Geht man davon aus, dass entsprechend einer solchen Betrachtungsweise der Gewinn nicht unter der Annahme einer völligen Herauslösung der Unternehmenseinheit aus der Konzernstruktur errechnet werden soll, sondern danach, welchen effektiven Beitrag die Einzelgesellschaft zum Gesamtgewinn leistete, so kommt dem Unabhängigkeitsbegriff nur die Bedeutung eines die Abrechnung konzerninterner Leistungen objektivierenden Elements zu.2 Eine solche Betrachtungsweise richtet ihr Augenmerk ausschließlich auf „verlagerungsneutrale“ Verrechnungspreise, die alle übrigen Maßnahmen innerhalb des Gesamtunternehmens, wie z.B. den organisatorischen Aufbau oder die funktionale Gliederung einer Unternehmensgruppe, trotz ihres Einflusses auf die Gewinnentstehung unberücksichtigt lässt.3 Autonome Entscheidungsträger. Unter einem fiktiv unabhängigen Unternehmen ist ein nicht aufgrund von Beteiligungsrechten anderer beeinflusstes fiktives Vergleichsunternehmen zu verstehen, das seine unternehmenspolitischen und betrieblichen Entscheidungen nur nach Maßgabe seiner originären Zielfunktion trifft. Dabei wird unterstellt, dass deren unternehmerisches Entscheidungsfeld mit dem des zu betrachtenden abhängigen Unternehmen identisch ist. Es wird somit davon ausgegangen, dass das abhängige Unternehmen zum Zeitpunkt der Festlegung angemessener Verrechnungspreise aus dem Konzern ausscheidet und unter Unabhängigkeit entscheidet. Dieses fiktiv, ex-nunc-unabhängige Vergleichsunternehmen hat damit zwar das gleiche Entscheidungsfeld wie das abhängige Unternehmen. Die Einzelentscheidungen über Art, Umfang und Bewertung des Leistungsaustausches werden aber nicht determiniert durch die Zielfunktion des
1 Moxter, ZfbF 1961, 643. 2 Vgl. Klein, ZfB 1982, 157. 3 Zum Konzept der „verlagerungsneutralen“ Verrechnungspreise vgl. auch BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573; Baumhoff, DStR 1987, 497; Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 139; Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 110; Klein, BB 1995, 226 f.; Rödder, StbJb 1997/98, 117; Schnorberger/Waldens, IStR 2001, 39; a.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 127.
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3.7
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Gesamtunternehmens, sondern allein durch die Vorteilhaftigkeitsüberlegungen nunmehr autonomer Entscheidungsträger.1
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse I. Vorüberlegung 3.8
Gleiche oder vergleichbare Verhältnisse. Neben der Unabhängigkeit der Geschäftspartner besteht das zweite Merkmal des Fremdvergleichs in der Notwendigkeit einer Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Dazu gehört sowohl die Betrachtung der einzelnen Leistung bzw. des einzelnen Geschäfts als auch die Berücksichtigung aller Umstände, die auf das einzelne Geschäft einwirken können. Letztlich hat damit die Durchführung eines Fremdvergleichs ihren Ausgangspunkt in einem Vergleich der konzerninternen Leistungsbeziehung mit potenziellen Referenztransaktionen unabhängiger Unternehmen im Hinblick darauf, ob diese unter gleichen oder zumindest vergleichbaren Verhältnissen zustande gekommen sind.
3.9
Keine Beschränkung auf den hypothetischen Fremdvergleich. Die Formulierung des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG könnte angesichts der Verwendung des Konjunktivs („vereinbart hätten“) eine Beschränkung nur auf den hypothetischen Fremdvergleich implizieren.2 Hiergegen spricht allerdings der systematische Zusammenhang, der zwischen § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG und § 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AStG besteht. Zwar wird dort nur auf eine „Geschäftsbeziehung i.S. des Absatzes 1 Satz 1“ Bezug genommen, die Ausdrücke „Fremdvergleichswerte“, „uneingeschränkt vergleichbar“ und „eingeschränkt vergleichbare Werte“ stehen jedoch im Kontext des tatsächlichen Fremdvergleichs. Insofern ist es u.E. zweifelsfrei, dass der Fremdvergleichsgrundsatz für den hypothetischen wie für den tatsächlichen Fremdvergleich gleichermaßen gilt. Diese Feststellung erstreckt sich allerdings nicht auf die durch den Gesetzgeber vorgenommene Konkretisierung in Gestalt der Informationstransparenz, die § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes vorgibt (Rz. 3.155 ff.), sie hat – wenn überhaupt – allenfalls Berechtigung im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs.3 Gleiches gilt für die Rechtsfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters in ihrer verdoppelten Ausprägung, die im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs verfehlt ist. Anderenfalls stellt sich die Frage, ob etwa im Rahmen eines äußeren Preisvergleichs abgeleitete Vergleichspreise für Referenztransaktionen nur deshalb auszuscheiden sind, weil das Handeln der Transaktionspartner dem Sorgfaltsmaßstab offenkundig nicht genügt. Die 1 Dazu – aufgrund der fehlenden Berücksichtigung der „strategischen Rente“ – kritisch Kleineidam, IStR 2001, 726 ff. Siehe ferner Schneider, DB 2003, 54 ff. 2 Vgl. Kaminski, RIW 2007, 594; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 81; Wellens, IStR 2010, 155. 3 Vgl. hierzu Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 546; Wassermeyer, DB 2007, 536.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Vergleichbarkeit der Verhältnisse ist nach alledem auch und gerade bei Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs von entscheidender Bedeutung. Eignung der Vergleichsobjekte und Identität. Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Ermittlung geeigneter Vergleichsobjekte muss die Erkenntnis sein, dass zwei voneinander unabhängige Geschäftsvorfälle nur unter der Prämisse des vollkommenen Marktes als absolut deckungsgleich zu qualifizieren sind und nur dann zwingend zu einem gleichen Ergebnis (Preis) führen, das außerdem als mathematisch exakt und ökonomisch als objektiv richtig zu werten ist. Aufgrund der Unvollkommenheit der Märkte, der unendlichen Vielgestaltigkeit autonomer unternehmerischer Verhaltensweisen und verschiedenster ökonomischer Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren ist jedoch ein exaktes Ergebnis i.S. einer mathematisch genau fixierbaren Größe in aller Regel nicht denkbar.1 So betont Tz. 1.13 OECD-Leitlinien2 zu Recht, dass die Verrechnungspreisgestaltung keine exakte Wissenschaft sein kann, sondern zwangsläufig mit gewissen Unsicherheitsfaktoren behaftet sein muss. Ferner unterstreicht Tz. 3.55 OECD-Leitlinien, dass die Anwendung des Fremdvergleichs stets nur auf eine Annäherung der Vergleichbarkeitsfaktoren gerichtet sein kann.3 Im Übrigen kann es auch nach Einschätzung des BFH den einen, „richtigen“ Verrechnungspreis nicht geben, sondern lediglich eine „Bandbreite“ von Preisen ermittelt werden.4
3.10
Preis- oder Wertbandbreiten. Die Möglichkeit der Existenz von Preis- oder Wertbandbreiten sowohl bei Vornahme eines tatsächlichen Fremdvergleichs als auch bei Anwendung der klassischen Methoden wird in § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG ausdrücklich erwähnt („mehrere solcher Werte bilden eine Bandbreite“). Wenngleich es letztlich hierbei um den Fall der Anwendung der Preisvergleichsmethode geht, wo die beiden zentralen Anwendungsvoraussetzungen des tatsächlichen Fremdvergleichs (Unabhängigkeit der Geschäftspartner und Vergleichbarkeit der Verhältnisse) erfüllt sind, erfasst der Wortlaut dieser Regelung auch die Fälle, in denen mehrere Vergleichswerte durch die Anwendung der Wiederverkaufspreisbzw. der Kostenaufschlagsmethode vorliegen und sich deshalb eine „Wertbandbreite“ ergibt (Rz. 5.186 ff.). Gleiches gilt, wenn – bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) (Rz. 5.92 ff.) – die Nettomarge mittels tatsächlichen Fremdvergleichs, d.h. durch äußeren oder inneren Betriebsvergleich (Rz. 3.128 ff.), ermittelt und jeweils mehrere Vergleichswerte abgeleitet werden (können). Dies beruht auf dem Umstand, dass der Gesetzgeber – in unzutreffender Weise – den
3.11
1 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Wassermeyer, 347 ff. 2 Vgl. Tz. 1.13 OECD-Leitlinien 2010, ferner Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010 sowie hierzu Eigelshoven/Ebering in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 209. 3 Vgl. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; Baumhoff, IStR 2001, 752; Wassermeyer, WPg 2005, 15.
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163
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
tatsächlichen Fremdvergleich mit den klassischen Methoden (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode) gleichsetzt (Rz. 5.150).
II. Grad der Vergleichbarkeit 3.12
Vergleichbarkeit setzt im Unterschied zur Identität nicht voraus, dass die zu vergleichenden Verhältnisse absolut deckungsgleich sind; dennoch ist eine annähernde Gleichheit durch Übereinstimmung der Vergleichsobjekte in ihren wesentlichen Merkmalen erforderlich. Allerdings hat die Verrechnungspreispraxis – insbesondere im Rahmen der Datenbankanalyse1 – gezeigt, dass an das Kriterium der Vergleichbarkeit mangels Vergleichsmerkmalen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen. So ist es in praxi i.d.R. nicht unproblematisch, geeignete Vergleichsunternehmen und Vergleichstransaktionen ausfindig zu machen. Vor diesem Hintergrund hat es sich als sinnvoll erwiesen, die Vergleichsfaktoren auf die wesentlichen preis- und gewinndeterminierenden Faktoren zu reduzieren2. Dazu gehören insbesondere neben den von den Konzerneinheiten ausgeübten Funktionen die von ihnen getragenen Risiken sowie die von ihnen eingesetzten Produktionsmittel. 1. OECD-Leitlinien
3.13
Relativ gleiche Zuverlässigkeit/verhältnismäßig gleicher Vergleichbarkeitsgrad. Die OECD-Leitlinien stellen zunächst fest, dass es viele Situationen geben wird, bei denen die Anwendung der am besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind.3 Allerdings können erhebliche Abweichungen zwischen den Punkten innerhalb dieser Fremdvergleichsbandbreite nach Auffassung der OECD darauf hindeuten, dass die für die Bestimmung dieser Punkte verwendeten Daten nicht so zuverlässig sind wie solche Daten, die für andere Punkte innerhalb der Bandbreite herangezogen wurden.4 Ebenso kann sich die Abweichung aus Vergleichsdaten erklären, die eine Anpassung erfordern. In diesen Fällen empfehlen die OECD-Leitlinien eine weitergehende Analyse der Werte dieser Bandbreite daraufhin, inwieweit sie überhaupt als Vergleichswerte für eine Fremdvergleichsbandbreite geeignet sind.5 Insofern kommen sowohl die Nichtberücksichtigung bestimmter Werte, ggf. die Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen als auch die unveränderte Berücksichtigung für die Fremdvergleichsbandbreite in Betracht. Den OECD-Leitlinien kann nicht 1 Vgl. zum Einsatz von Datenbanken auch Baumhoff, IStR 2003, 3 f.; Oestreicher/ Duensing, IStR 2005, 134; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34; Tucha, IStR 2002, 175; Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937; kritisch Kolb, IWB Fach 3 Gruppe 1, 2391 ff.; Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160. 2 Vgl. Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1939; Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 136. 3 Vgl. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 3.59 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 3.59 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
entnommen werden, dass erhebliche Abweichungen zwischen einzelnen Werten der Bandbreite die fehlende Vergleichbarkeit (Vergleichbarkeitsdefizite) und/oder Zuverlässigkeit indizieren. Lediglich ihre ungeprüfte Einbeziehung in die Bandbreite sollte den Grundsätzen der OECD-Leitlinien nicht entsprechen. Insofern sind auch die Ausführungen in Tz. 3.63 der OECD-Leitlinien von Bedeutung, wonach extreme Werte nicht allein deshalb ausgeschlossen werden können, weil sie in auffälliger Weise von anderen Vergleichswerten abweichen.1 Ohne konkrete Anhaltspunkte für bestehende Vergleichbarkeitsdefizite sind auch extreme Vergleichswerte zu berücksichtigen. Die OECD-Leitlinien nennen in diesem Zusammenhang verlustbringende Geschäftsvorfälle bzw. defizitäre Unternehmen, die im Hinblick auf ihre Einbeziehung in die Vergleichbarkeitsanalyse einer weitergehenden Überprüfung daraufhin zu unterziehen sind, ob sie den Vergleichbarkeitsanforderungen konkret genügen.2 Ausdrücklich lehnen die OECD-Leitlinien einen Ausschluss nur aufgrund der Verlustentstehung ab, wobei Gleiches auch für Vergleichswerte gilt, die ungewöhnlich hohe Gewinne ausweisen.3 Bei relativ gleichem Grad von Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit der Vergleichswerte sehen die OECDLeitlinien keine Einengung der Wert- oder Preisbandbreite vor.4 Die konkreten Anforderungen an den Grad der Vergleichbarkeit bleiben allerdings völlig offen. Unterschiedliche Vergleichbarkeitsgrade. Offenkundig gehen die OECDLeitlinien davon aus, dass nur in Ausnahmefällen („in einigen Fällen“) nicht alle untersuchten Vergleichstransaktionen einen verhältnismäßig gleichen Grad an Vergleichbarkeit aufweisen. Tz. 3.55 („viele Situationen […], bei denen die Anwendung der am besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind“)5 und 3.56 („einige Fälle“)6 OECD-Leitlinien verdeutlichen, dass die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung von einer allenfalls „eingeschränkten Vergleichbarkeit“ und dem regelmäßigen Vorliegen von Vergleichbarkeitsdefiziten nicht auf die OECD-Leitlinien gestützt werden kann. Ob in der Praxis das Verbleiben von Vergleichbarkeitsdefiziten den „wahrscheinlicheren“ Fall darstellt,7 ist eben ganz entscheidend von den Anforderungen abhängig, die an einen relativ hohen Grad der Vergleichbarkeit gestellt werden. Bereits die Feststellung von Vergleichstransaktionen, die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen als andere und deshalb ausgeschlossen werden sollten,8 ist je1 Vgl. Tz. 3.63 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. hierzu auch Eigelshoven/Ebering in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 220. 2 Vgl. Tz. 3.65 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 3.65 und 3.66 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. auch Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 96. 5 Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010. 6 Tz. 3.56 OECD-Leitlinien 2010. 7 So jedenfalls Förster, IStR 2011, 22. 8 Vgl. Tz. 3.56 OECD-Leitlinien 2010.
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3.14
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
denfalls schon angesichts der inhaltlichen Unbestimmtheit problematisch. 2. Uneingeschränkte versus eingeschränkte Vergleichbarkeit
3.15
Gesetzliche Regelung. § 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AStG unterscheiden zwischen „uneingeschränkter“ und „eingeschränkter“ Vergleichbarkeit. Die Fremdvergleichswerte müssen mit dem Verrechnungspreis (ggf. nach Vornahme sachgerechter Anpassungen) „uneingeschränkt vergleichbar“ sein (Satz 1). Bei der Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs muss der Steuerpflichtige dann einschätzen, ob noch uneingeschränkte Vergleichbarkeit gegeben ist oder ob nur noch eingeschränkte Vergleichbarkeit (Satz 2) oder gar Unvergleichbarkeit vorliegt. Während bei Unvergleichbarkeit die entsprechenden Vergleichswerte zu verwerfen sind, können uneingeschränkt und eingeschränkt vergleichbare Vergleichswerte grundsätzlich für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises herangezogen werden. Die Unterscheidung ist von Bedeutung für die Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten (Rz. 5.186 ff.). Können im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs – ggf. nach Vornahme sachgerechter Anpassungen – lediglich eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte festgestellt werden, ist die sich ergebende Preis- bzw. Wertbandbreite gem. § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG einzuengen. Demgegenüber enthält § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG lediglich die Feststellung, dass mehrere festgestellte Fremdvergleichswerte, die nach Vornahme sachgerechter Anpassungen uneingeschränkt vergleichbar sind, eine Bandbreite bilden. Im Umkehrschluss folgt aus § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, dass Fremdvergleichsbandbreiten uneingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte nicht einzuengen sind, sondern der Steuerpflichtige diese – im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH (Rz. 5.175 ff.) – in vollem Umfang ausschöpfen darf.1
3.16
Fehlende gesetzliche Definition. Was unter „uneingeschränkter“ und „eingeschränkter“ Vergleichbarkeit zu verstehen sein soll, wird gesetzlich nicht definiert. Dies verwundert angesichts der mit dieser Unterscheidung verbundenen unterschiedlichen Rechtsfolgen. Zwar beschreibt Tz. 3.4.12.7 VWG-Verfahren, was nach der Auffassung der Finanzverwaltung unter „uneingeschränkter Vergleichbarkeit“ zu verstehen ist. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob dieses Verständnis einer sachlich vernünftigen Gesetzesauslegung entspricht – auch wenn nach der Gesetzesbegründung jedenfalls die Einengung der Bandbreite nach den VWG-Verfahren vorgenommen werden soll.2 Die Kategorien der VWG-Verfahren zur Vergleichbarkeit sind neu und international keineswegs anerkannt. So unterscheiden die OECD-Leitlinien nicht zwischen uneingeschränkter und eingeschränkter Vergleichbarkeit, sondern – bezogen auf die Vergleichswerte – zwischen einem verhältnismäßig gleichen Grad an Vergleichbarkeit und einem geringeren Grad an Vergleichbarkeit, wobei Ver1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1463. 2 Vgl. BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 143.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
gleichswerte mit einem geringeren Vergleichbarkeitsgrad grundsätzlich auszuschließen sind (Rz. 3.13).1 Daneben gehen die OECD-Leitlinien von Fremdvergleichsbandbreiten aus, für deren Werte angenommen werden müsse, dass Vergleichbarkeitsdefizite, etwa infolge von Informationsmängeln oder Verfahrensmängeln bei der Auswahl von Vergleichswerten, verbleiben, die nicht identifiziert und/oder quantifiziert werden können und deshalb nicht angepasst sind.2 Vertreter der Finanzverwaltung gehen hier davon aus, dass letzterer Fall verbleibender Vergleichbarkeitsdefizite gleichbedeutend mit „eingeschränkter Vergleichbarkeit“ sei.3 Dies verwundert insofern, als verbleibende Vergleichbarkeitsdefizite nach den OECD-Leitlinien erhebliche Auswirkungen auf die Verlässlichkeit des Vergleichs haben müssen.4 Die VWG-Verfahren stellen dagegen auf „identische Geschäftsbeziehungen“ bzw. darauf ab, dass die Unterschiede bei den Geschäftsbedingungen „keinen wesentlichen Einfluss auf die Preisgestaltung“ haben. Letzteres passt offenkundig nur zur Preisvergleichsmethode. Demgegenüber bezieht sich das Verständnis von Vergleichbarkeit im Sinne der OECD-Leitlinien auf die konkrete Verrechnungspreismethode und wird nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.5 Zwar ist dieser konkrete Bezug der Vergleichbarkeit und der hierfür vorzunehmenden Anpassungen zu einer konkreten Verrechnungspreismethode grundsätzlich auch in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG angelegt, wenn uneingeschränkte Vergleichbarkeit „für diese Methoden“ vorliegen muss. Gleiches gilt für Zwecke der eingeschränkten Vergleichbarkeit in Bezug auf „andere geeignete Verrechnungspreismethoden“ i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG.6 Fraglich ist allerdings angesichts der gesetzgeberischen Intention, die Formulierungen der VWG-Verfahren zu bestätigen und mit einer (ausdrücklichen) Rechtsgrundlage auszustatten,7 ob dieses Verständnis auch von der Finanzverwaltung geteilt wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung für die Vergleichbarkeitsprüfung alle Faktoren heranzuziehen sein sollen, „die sich auf die Preisgestaltung auswirken könnten“.8 Uneingeschränkte Vergleichbarkeit. Nach Tz. 3.4.12.7 Buchst. a VWGVerfahren soll eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit bestehen, „wenn 1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Tz. 3.56 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Förster, IStR 2011, 22. Vgl. Tz. 3.51 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. auch Ditz/Liebchen, DB 2012, 1470. Vgl. Förster, IStR 2011, 22. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7.
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3.17
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
– die Geschäftsbedingungen identisch sind oder – Unterschiede in den Geschäftsbedingungen keine wesentliche Auswirkung auf die Preisgestaltung haben oder – Unterschiede in den Geschäftsbedingungen (z.B. unterschiedliche Zahlungsziele) durch hinreichend genaue Anpassungen beseitigt worden sind.“ Angesichts des weit gefassten Begriffs der Geschäftsbedingungen werden diese Voraussetzungen selten erfüllt sein, weshalb es über die „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“1 häufig Streit geben wird. Deutlich wird dies auch anhand der Ausführungen von Vertretern der Finanzverwaltung, die „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“ mit „Identität von Funktionen, Risiken, eingesetzten WG, vertraglichen Vereinbarungen, Marktverhältnissen (z.B. Marktgröße, Wettbewerbsintensität, Verhandlungsmacht, staatliche Regulierungen) und Geschäftsstrategien“ gleichsetzen und ferner infrage stellen, „ob es eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit überhaupt geben“ könne.2 Eine Ausnahme mag für die Lieferung und Leistung homogener Güter und Waren, z.B. Rohstoffe einer bestimmten Kategorie und Güte, gelten. Anders ausgedrückt ist die bisherige Verwaltungsauffassung kaum praxistauglich.
3.18
Eingeschränkte Vergleichbarkeit. Noch schwieriger dürfte es sein, den Begriff der „eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte“ sachgerecht auszulegen. Tz. 3.4.12.7 Buchst. c VWG-Verfahren3 geht davon aus, dass sich die Abgrenzung gegenüber der Unvergleichbarkeit „nicht allgemein entscheiden lasse“. Die eingeschränkte Vergleichbarkeit soll von Aufzeichnungen zur Vergleichbarkeitsprüfung abhängen. „Eingeschränkte Vergleichbarkeit“ soll gegeben sein, wenn die wesentlichen preisdeterminierenden Faktoren zwar zutreffend identifiziert wurden, wegen bestehender Informationsdefizite oder anderweitiger Unsicherheiten eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit jedoch nicht gegeben ist bzw. sich auch mittels erforderlicher, bereits durchgeführter Anpassungsrechnungen nicht verlässlich herstellen lässt.4
3.19
Unvergleichbarkeit. Demgegenüber liegt „Unvergleichbarkeit“ vor, wenn sich ein oder mehrere wesentliche preisdeterminierende Faktoren erheblich von denjenigen der Referenztransaktionen unterscheiden und diese Unterschiede auch durch Anpassungsrechnungen nicht eliminiert werden können.5 Dies soll nach Tz. 3.4.12.7 Buchst. b VWG-Verfah1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. a. 2 Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 220. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. c. 4 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 235. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. b.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
ren1 insbesondere der Fall sein, wenn spezielle, besonders wertvolle immaterielle Wirtschaftsgüter eingesetzt werden und sich die preisbestimmenden Funktionen und Risiken erheblich unterscheiden. Ferner geht die Finanzverwaltung davon aus, dass Dauerverluste bei Konzernvertriebs- oder Konzerndienstleistungsgesellschaften die Unvergleichbarkeit mit den Referenztransaktionen indizieren. 3. Direkte versus indirekte Vergleichbarkeit Direkte Vergleichbarkeit. Die VWG 1983 unterscheiden in Tz. 2.2.2. zwischen direkter und indirekter Vergleichbarkeit.2 Eine direkte Vergleichbarkeit ist gegeben, wenn die Verhältnisse entweder deckungsgleich sind bzw. mögliche Unterschiede zwischen Vergleichstatbeständen unwesentlich sind und deshalb keine beeinträchtigende Wirkung auf einen Vergleich haben oder innerhalb eines noch vertretbaren Ermessensspielraums liegen. Dies entspricht der Auffassung der OECD, die ausdrücklich darauf hinweist, dass die wirtschaftlich relevanten Gegebenheiten der verglichenen Situation lediglich „ausreichend vergleichbar sein“ sollen.3
3.20
Indirekte Vergleichbarkeit. Ist eine direkte Vergleichbarkeit aufgrund eines oder mehrerer Unterschiede zwischen den die Vergleichbarkeit beeinflussenden Faktoren nicht möglich, so ist zu prüfen, ob der Einfluss der abweichenden Faktoren eliminiert werden kann, um zumindest eine indirekte Vergleichbarkeit herzustellen. Von indirekter Vergleichbarkeit wird gesprochen, wenn offensichtliche Unterschiede zwischen den Vergleichstatbeständen quantifiziert und durch Korrekturen bereinigt werden können, ohne dass die Vergleichbarkeit dadurch wesentlich beeinträchtigt wird. Die indirekte Vergleichbarkeit kommt damit zum Tragen, wenn identische oder nur unwesentlich abweichende Vergleichsobjekte nicht gefunden werden können. Sie setzt allerdings voraus, dass die Abweichungen der Vergleichsobjekte identifiziert und bewertet werden können. Insoweit sind Anpassungsrechnungen notwendig, mit deren Hilfe die unzureichende Vergleichbarkeit der zu bewertenden innerkonzernlichen Transaktion mit dem identifizierten Referenzobjekt ausgeglichen wird.4
3.21
Verhältnis zu Vergleichbarkeitsgraden nach § 1 Abs. 3 AStG. Allerdings sind die Begriffe „direkte/indirekte Vergleichbarkeit“ einerseits und „uneingeschränkte/eingeschränkte Vergleichbarkeit“ andererseits nicht synonym zu betrachten. Bei der „indirekten“ Vergleichbarkeit können gem.
3.22
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. b. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.2. 3 Vgl. Tz. 1.33 OECD-Leitlinien 2010. 4 Zur Notwendigkeit und Durchführung entsprechender Anpassungsrechnungen vgl. Scholz/Ackermann/Schmitt, IWB Fach 3 Gruppe 1, 1779 ff.; Dawid/Dorner, IWB Fach 10 Gruppe 2, 1549 ff.; Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1944.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Tz. 2.2.2. VWG 19831 „ungleichartige“ Geschäfte herangezogen werden, wenn der Einfluss der abweichenden Faktoren „eliminiert“ und die Preisabweichung „umgerechnet“ werden kann. Diese „Anpassungsrechnung“ wird in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG, der an die uneingeschränkte Vergleichbarkeit anknüpft, dahingehend konkretisiert, dass die sachgerechten Anpassungen „im Hinblick auf die ausgeübten Funktionen, die eingesetzten Wirtschaftsgüter und die übernommenen Chancen und Risiken“ vorzunehmen sind. Insoweit deckt der Begriff der uneingeschränkten Vergleichbarkeit i.S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG sowohl die direkte als auch die indirekte Vergleichbarkeit mit ab.
III. Vergleichbarkeitsanalyse 1. Vorbemerkung
3.23
Gegenstand der Vergleichbarkeitsanalyse. Die OECD-Leitlinien enthalten in Tz. 3.1 ff. umfangreiche Empfehlungen zur Durchführung von Vergleichbarkeitsanalysen, die an die Darstellungen zu den Vergleichbarkeitsfaktoren in Tz. 1.38 bis 1.63 der OECD-Leitlinien2 anknüpfen. Im Hinblick auf den konkreten Gegenstand des Vergleichs stellen die OECDLeitlinien klar, dass sich die Vergleichbarkeitsanalyse nicht in der Suche nach Vergleichswerten erschöpft, sondern sich auf beide Elemente des Vergleichs erstreckt, nämlich den zu prüfenden konzerninternen Geschäftsvorfall ebenso wie die Fremdgeschäftsvorfälle.3 Hierbei knüpft die Identifikation potenziell vergleichbarer Fremdgeschäftsvorfälle an die vorhergehende Analyse des konzerninternen Geschäftsvorfalls im Hinblick auf die relevanten Vergleichbarkeitsfaktoren (Rz. 3.38 ff.) an. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass nach Tz. 1.33 OECD-Leitlinien Vergleichbarkeit bedeutet, „dass keiner der Unterschiede (soweit vorhanden) zwischen den zu vergleichenden Umständen die untersuchte Bedingung der Methode (z.B. Preis oder Spanne) wesentlich beeinflussen kann oder dass hinreichend genaue Berichtigungen erfolgen können, um die Auswirkung dieser Unterschiede zu beseitigen“.4 Dementsprechend wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.5 Methodisch empfehlen die OECD-Leitlinien im Hinblick auf die einzelnen Schritte der Vergleichbarkeitsanalyse (Vorabanalyse der Bedingungen des konzerninternen Geschäftsvorfalls, Auswahl der Verrechnungspreismethode, Identifikation potenziell vergleichbarer Fremdgeschäftsvorfälle, Beurteilung der Fremdvergleichskonformität) ein einheitliches Vorgehen, 1 2 3 4 5
BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.2. Vgl. Tz. 1.38 ff. OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.1 OECD-Leitlinien 2010. Tz. 1.33 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
bei dem der gesamte analytische Prozess eine gewisse Kontinuität dergestalt aufweist, dass eine konstante Beziehung zwischen den einzelnen Schritten der Vergleichbarkeitsanalyse hergestellt wird.1 Zwecksetzung der Vergleichbarkeitsanalyse. Der im Hinblick auf das Verständnis von Vergleichbarkeit i.S. der OECD-Leitlinien hergestellte methodenspezifische Zusammenhang verdeutlicht sich in der Zwecksetzung der Vergleichbarkeitsanalyse: Die Auswahl und Anwendung der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse bezweckt stets die Identifizierung der verlässlichsten Vergleichswerte.2 Insofern kommt der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode die zentrale Funktion im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse zu.
3.24
2. „Good-practise“-Verfahren nach den OECD-Leitlinien Typisches Verfahren als „good practise“. Die OECD-Leitlinien erläutern in Tz. 3.4 ff. ein mögliches typisches Verfahren zur Durchführung einer Vergleichbarkeitsanalyse, das als „good practise“ angesehen wird.3 Hierbei handelt es sich allerdings nicht um ein obligatorisches Analyseverfahren. Die OECD-Leitlinien heben ausdrücklich hervor, dass jedes Verfahren zur Durchführung einer Vergleichbarkeitsanalyse zulässig ist, das zu verlässlichen Ergebnissen führt.4 Die Wahl des konkret zur Anwendung kommenden Analyseverfahrens wird nach Auffassung der OECD ausschließlich von der Verlässlichkeit seiner Ergebnisse bestimmt. Dementsprechend garantiert die Durchführung des als „good practise“ angesehenen typischen Verfahrens nicht, dass das Ergebnis stets fremdvergleichskonform ist. Ebenso wenig schließt die Durchführung eines anderen Verfahrens aus, dass dessen Ergebnis dem Fremdvergleich entspricht.5 Vor diesem Hintergrund ist der Steuerpflichtige in der Verfahrenswahl und -ausgestaltung frei. Er muss insbesondere nicht glaubhaft machen, dass das von ihm seiner Vergleichbarkeitsanalyse zugrunde gelegte Verfahren einem Fremdvergleich besser Rechnung trägt als ein anderes Verfahren.
3.25
Verfahrensschritte. Im Einzelnen sehen die OECD-Leitlinien neun Schritte im Rahmen der Durchführung einer Vergleichbarkeitsanalyse vor. Die einzelnen Schritte sind:6 1. Schritt: Festlegung der erfassten Jahre. 2. Schritt: Breitgefächerte Analyse der für den Steuerpflichtigen geltenden Umstände. 3. Schritt: Den bzw. die untersuchten konzerninternen Geschäftsvorfälle verstehen, insbesondere auf der Basis einer Funktionsanalyse,
3.26
1 2 3 4 5 6
Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz.
3.1 OECD-Leitlinien 2010. 3.2 OECD-Leitlinien 2010. 3.4 OECD-Leitlinien 2010. 3.4 OECD-Leitlinien 2010. 3.4 OECD-Leitlinien 2010. 3.4 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
4. Schritt: 5. Schritt:
6. Schritt:
7. Schritt:
8. Schritt: 9. Schritt:
3.27
um (sofern nötig) das untersuchte Unternehmen, die jeweils am besten geeignete Verrechnungspreismethode und den zu prüfenden Finanzindikator (im Fall einer geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethode) auszuwählen sowie die signifikanten Vergleichbarkeitsfaktoren zu identifizieren, die berücksichtigt werden sollen. Überprüfung der internen Vergleichswerte (falls vorhanden). Bestimmung der verfügbaren Informationsquellen über externe Vergleichswerte, wo derartige Größen benötigt werden, unter Berücksichtigung ihrer relativen Zuverlässigkeit. Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode und, je nach Methode, Bestimmung des relevanten Finanzindikators (z.B. Bestimmung des relevanten Nettogewinnindikators im Fall der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode). Identifizierung potenzieller Vergleichswerte: Bestimmung der wichtigsten Merkmale, die von jedem Geschäftsvorfall zwischen unabhängigen Unternehmen erfüllt sein müssen, um als potenziell vergleichbar betrachtet werden zu können, auf der Basis der im 3. Schritt identifizierten relevanten Faktoren und entsprechend der Vergleichbarkeitsfaktoren. Bestimmung und Durchführung der Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit (sofern angemessen). Interpretation und Verwendung der gesammelten Daten, Ermittlung der fremdüblichen Vergütung.
Verfahrensablauf. Die OECD-Leitlinien gehen nach Tz. 3.5 davon aus, dass der Prozess nicht linear abläuft, sondern einzelne Verfahrensschritte ggf. mehrfach durchgeführt werden müssen, bis ein befriedigendes Ergebnis erzielt wird, wobei insbesondere die Verfahrensschritte 5–7 (Bestimmung verfügbarer Informationsquellen; Identifizierung potentieller Vergleichswerte; Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen) angesprochen werden.1 Beispielhaft wird dies an der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode deutlich, die in mehreren Verfahrensschritten angesprochen wird (vgl. Rz. 5.141 ff.). So wird im Schritt 4 herausgestellt, dass das Verständnis des untersuchten konzerninternen Geschäftsvorfalls auf Grundlage der Funktions- und Risikoanalyse für Zwecke der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode erforderlich ist. In Schritt 6 wird die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode nach der Evaluation etwaiger interner und/oder externer Vergleichswerte (Schritte 4 und 5) und vor der Identifizierung potentieller Vergleichswerte (Schritt 7) angesiedelt.2
1 Vgl. Tz. 3.5 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 3.2 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Verfahrensschritte 1 und 2. Nach Festlegung der für die Vergleichswerte relevanten Jahre (Schritt 1) erfolgt in Schritt 2 zunächst eine umfangreiche Analyse des wirtschaftlichen Umfelds des Steuerpflichtigen. Diese soll dazu dienen, die Umstände, unter denen der zu beurteilende konzerninterne Geschäftsvorfall zustande gekommen ist, besser zu verstehen.1 Die Analyse des wirtschaftlichen Umfelds weist vor diesem Hintergrund keinen konkreten Geschäftsvorfallbezug auf oder steht mit einzelnen Geschäftsvorfällen im Zusammenhang. Vielmehr ist sie darauf gerichtet, den Einfluss der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse auf die Vergleichbarkeit der jeweiligen Vergleichsobjekte zu bestimmen (vgl. Rz. 4.26 ff.). In diese Analyse fließen neben der Branche, der Wettbewerbssituation, den wirtschaftlichen und regulatorischen Faktoren sämtliche Umstände ein, die die wirtschaftliche Betätigung des Steuerpflichtigen betreffen und dadurch u.U. bei der Beurteilung der Fremdüblichkeit der Abrechnung des konzerninternen Geschäftsvorfalls von Bedeutung sein könnten. Entsprechende Bezüge bestehen für Zwecke der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV in § 1 Abs. 3 Satz 1 GAufzV mit der dort vorgesehenen Darstellung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse. Im Hinblick auf die erforderlichen Angaben konkretisiert § 4 Abs. 3 Buchst. a GAufzV dies dahingehend, dass Informationen zu den bedeutsamen Markt- und Wettbewerbsverhältnissen erforderlich sind (Rz. 8.83 ff.).
3.28
Verfahrensschritt 3. In einem dritten Schritt sollen die zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsvorfälle eingehend untersucht werden. Dabei sollen alle relevanten Vergleichbarkeitsfaktoren (Rz. 3.38 ff.) identifiziert werden, die die Auswahl des Vergleichsunternehmens, der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode, relevante Vergleichsgrößen, etwaige Anpassungen und (bei Wahl einer geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethode) auch den zu prüfenden Finanzindikator betreffen.2 Im Hinblick auf die Beurteilung einer Vergleichbarkeit des konzerninternen Geschäftsvorfalls mit Fremdgeschäftsvorfällen und die methodenspezifisch unterschiedliche Relevanz einzelner Vergleichbarkeitsfaktoren kommt bereits für die Beurteilung der relevanten Vergleichbarkeitsfaktoren der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode eine gewisse Bedeutung zu. Nach der Konzeption der OECD-Leitlinien bestimmt sich die Vergleichbarkeit bezogen auf die konkrete Verrechnungspreismethode.3 Dementsprechend wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.4 Bekanntlich wird die Vergleichbarkeit im Rahmen der Preisvergleichsmethode stark von Unterschieden in den relevanten Produkteigen-
3.29
1 2 3 4
Vgl. Tz. 3.7 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.8 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 1.33 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2010.
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schaften beeinflusst, während den Produkteigenschaften im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode eine geringere Bedeutung jedenfalls dann zukommt, wenn die Produktunterschiede nicht die Vergleichbarkeit der ausgeübten Vertriebsfunktionen erheblich beeinflussen.1 Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogen Nettomargenmethode ist die Vergleichbarkeit der Nettomargen dagegen durch Funktionsunterschiede und die Andersartigkeit der Leistung weniger beeinträchtigt.2 Sind mehrere Geschäftsvorfälle zu beurteilen, stellt sich ferner die Frage, ob die Vergleichbarkeitsanalyse geschäftsvorfallbezogen oder für mehrere Geschäftsvorfälle zusammen durchzuführen ist. Grundsätzlich gehen die OECD-Leitlinien von einem Transaktionsbezug auch im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse aus. Sog. „Paketgeschäfte“ sind nur dann der Angemessenheitsbeurteilung und damit auch der Vergleichbarkeitsanalyse zugrunde zu legen, wenn die Geschäfte so eng miteinander verbunden sind, dass bei separater Betrachtung eine Angemessenheitsbeurteilung unmöglich ist.3 Als Beispiele werden Langzeitverträge über Warenlieferungen oder Dienstleistungen, Rechte zur Benutzung immaterieller Wirtschaftsgüter und die Bewertung einer Gruppe verwandter Produkte (i.S. einer Produktlinie oder -palette), sofern es unpraktisch wäre, für jedes einzelne Produkt oder jeden einzelnen Geschäftsvorfall einen gesonderten Preis festzulegen, genannt. Ferner werden auch zwischen fremden Dritten Produkte mit einer niedrigeren Gewinnmarge oder verlustbringend verkauft, wenn das vertriebene Produkt den Verkauf eines (gewinnbringenden) Folgeproduktes nach sich zieht, wobei die OECD-Leitlinien beispielhaft auf Geräte und Verbrauchsmaterial des monopolistischen Zubehörmarktes wie Kaffeemaschinen und Kaffeekapseln oder Drucker und Druckerpatronen erwähnen.4 Die OECD-Leitlinien sehen in einer solchen Palettenbetrachtung eine Geschäftsstrategie, die im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse zu berücksichtigen ist (vgl. ferner hierzu Rz. 3.173 f.).5
3.30
Verfahrensschritt 4. In den Schritten 4 und 5 werden sowohl interne als auch externe Vergleichswerte ermittelt. Zwar ist im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse die Identifikation interner Vergleichswerte der Identifikation externer Vergleichswerte vorgelagert (Rz. 3.31). Hieraus ist jedoch nicht zu schließen, dass die OECD-Leitlinien internen Vergleichswerten einen generellen Vorrang vor externen Vergleichswerten einräumen. Vielmehr gehen die OECD-Leitlinien davon aus, dass für den konkreten Einzelfall zu bestimmen ist, ob interne oder externe Vergleichswerte zu einem verlässlicheren Ergebnis führen.6 Die OECD-Leitlinien 1 Vgl. auch Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 1; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 165. 2 Vgl. Tz. 2.62 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 3.9 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 3.10 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 3.10 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. Tz. 3.27 f. OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
verweisen in diesem Zusammenhang beispielhaft auf Mengenunterscheide als ein in Betracht kommender Unterschied in der Vergleichbarkeit der Produkteigenschaften, der im Rahmen des inneren Betriebsvergleichs die Vergleichbarkeit (wesentlich) beeinflussen und entsprechende Vergleichbarkeitsanpassungen (Rz. 3.113 ff.) erforderlich machen kann.1 Ferner ist zu berücksichtigen, dass die verbundexternen Referenztransaktionen, die zur Ermittlung interner Vergleichswerte herangezogen werden, ein Mindestvolumen aufweisen müssen, um ihre objektivierende Wirkung i.S. einer Marktentstehung entfalten zu können. Anderenfalls muss man sich gegebenenfalls des Verdachts erwehren, die verbundexternen Geschäfte allein zum Zwecke der Verrechnungspreisrechtfertigung abgeschlossen zu haben.2 Diese Anforderung lässt sich auch aus der Rechtsprechung des BFH ableiten, der die Voraussetzungen eines betriebsinternen Fremdvergleichs nicht als gegeben ansah, wenn die Referenztransaktionen lediglich 5 % des Gesamtumsatzes ausmachen.3 Verfahrensschritt 5. Für die Bestimmung externer Vergleichswerte im fünften Schritt gehen die OECD-Leitlinien zunächst davon aus, dass die Existenz verlässlicher interner Vergleichswerte die Ermittlung externer Vergleichswerte entbehrlich machen kann.4 Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der in der Praxis relevanten Bestimmung externer Vergleichswerte mittels Datenbankanalysen erörtern die OECD-Leitlinien in Tz. 3.30 bis 3.34. Bei Datenbankanalysen werden verrechnungspreisdeterminierende Faktoren (z.B. Gewinnmargen, Renditekennziffern, Profitabilitätskennziffern etc.) aus einer Datenbank5 mit wirtschaftlichen Kennziffern von privaten und börsennotierten Unternehmen abgeleitet. Die OECD-Leitlinien führen in diesem Zusammenhang aus, dass die Verwendung kommerzieller Datenbanken eine gebräuchliche und in Abhängigkeit von dem konkreten Einzelfall die verlässlichste Informationsquelle zur Feststellung externer Vergleichswerte sei; zudem werden praktische Gesichtspunkte und Kostengesichtspunkte angeführt.6 Zu Problemen führt in diesem Zusammenhang vor allem die Sicherstellung einer hinreichenden Vergleichbarkeit zwischen dem zu beurteilenden Konzernunternehmen und dem unabhängigen Vergleichsunternehmen. So kann es sich als außerordentlich schwierig erweisen, eine angemessene Anzahl von 1 Vgl. Tz. 3.28 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 577; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 688 f.; Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung, 148. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 sowie hierzu Baumhoff, IStR 2001, 751 ff. 4 Vgl. Tz. 3.29 OECD-Leitlinien 2010. 5 Siehe zu den hauptsächlich in Deutschland zum Einsatz kommenden Datenbanken und deren Merkmalen ausführlich Vögele/Crüger in V/B/E, Verrechnungspreise3, H Rz. 28 ff. Zur Eignung von Datenbanken für die Verrechnungspreisanalyse vgl. auch Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937 ff.; Oestreicher, StuW 2006, 243 ff.; Oestreicher, IStR 2005, 134 ff.; Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 95 ff.; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34 ff.; Wahl/Preisser, IStR 2008, 51 ff. 6 Vgl. Tz. 3.30 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Vergleichsunternehmen zu identifizieren. Nur wenn sichergestellt ist, dass die mittels der Datenbank identifizierten Vergleichsunternehmen hinsichtlich ihrer ausgeübten Funktionen und ihrer getragenen Risiken sowie der diesen Funktionen und Risiken immanenten Geschäftsbeziehungen mit dem zu beurteilenden Konzernunternehmen vergleichbar sind, kann eine solche Ermittlung der Verrechnungspreise überzeugen. Die OECD-Leitlinien empfehlen für die Auswahl potenzieller Vergleichsunternehmen die Konzentration auf vergleichsweise wenige, dafür aber vergleichbare Unternehmen anstelle vieler eher weniger vergleichbarer Unternehmen sowie die Überprüfung der Auswahl potenzieller Vergleichsunternehmen an Hand weiterer Informationsquellen.1 Angesichts der Probleme bei der Identifikation geeigneter Vergleichsunternehmen und Vergleichstransaktionen hat es sich ferner als sinnvoll erwiesen, die Vergleichsfaktoren auf die wesentlichen preis- und gewinndeterminierenden Faktoren zu reduzieren.2 Dazu gehören insbesondere neben den von den Konzerneinheiten ausgeübten Funktionen die von ihnen getragenen Risiken sowie die von ihnen eingesetzten Produktionsmittel. Der BFH hat grundsätzlich keine Bedenken gegen die Verwendung solcher mittels Datenbanken ermittelter Vergleichsdaten („comparables“).3 Dies gilt unabhängig davon, ob die Daten allgemein zugänglich sind oder nicht. Vor diesem Hintergrund darf sowohl die Finanzverwaltung als auch der Steuerpflichtige Datenbanken aufbauen und verwenden, selbst wenn die entsprechenden Daten nicht allgemein zugänglich sind. Der Beweiswert der aus anonymisierten Datenbanken ermittelten Vergleichsdaten ist allerdings nach Ansicht des BFH davon abhängig, ob die verwendete Datenbank Mindestanforderungen an die Qualität der Datenerfassung genügt.4 Die OECD-Leitlinien sehen die Verwendung sog. „secret comparables“ deutlich kritischer, indem die Verwendung solcher Vergleichswerte als unfair und unbillig angesehen wird.5 Der von den OECD-Leitlinien im Rahmen der Herstellung von Waffengleichheit angeregten Transparenz gegenüber dem Steuerpflichtigen im Rahmen der gesetzlichen Vertraulichkeitserfordernisse steht für deutsch-steuerliche Zwecke das Steuergeheimnis (§ 30 AO) entgegen. Insofern beschränken sich die Rechte des Steuerpflichtigen auf die gerichtliche Überprüfbarkeit. Für deutsch-steuerliche Zwecke ist ferner zu berücksichtigen, dass die deutsche Finanzverwaltung an einen datenbankgestützten Fremdvergleich erhebliche Anforderungen knüpft.6 1 2 3 4
Vgl. Tz. 3.33 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1939; Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 136. Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. Allerdings ist diese Forderung des BFH weitestgehend unbestimmt; vgl. hierzu Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 217. 5 Vgl. Tz. 3.36 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.4; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 214 ff.; Kolb, IWB Fach 3 Gruppe 1, 2391 ff.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Ein weiteres Problem bei der Verwendung von Datenbankanalysen im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Referenztransaktionen resultiert aus der Realität gesamtwirtschaftlicher oder branchenspezifischer Instabilität, die den Beweiswert der Informationen aus Datenbanken erheblich beeinträchtigt. Üblicherweise wird einer Datenbankanalyse ein Beobachtungszeitraum von drei bis fünf Jahren zugrunde gelegt. Sind die in diesem Zeitraum vorherrschenden Markt- und Wettbewerbsverhältnisse nicht mit denen vergleichbar, die der zu bepreisenden verbundinternen Transaktion zugrunde liegen (z.B. in Zeiten der Finanzmarktkrise und der ihr nachfolgenden Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009), sind die gewonnen Daten nicht verwend- bzw. verwertbar. Dies deshalb, weil die ermittelten Vergleichsdaten nicht auf vergleichbare Verhältnisse zurückgehen.1 Insofern bedarf es der Identifikation von Vergleichsdaten, die ebendiese Vergleichbarkeit aufweisen. Hier dürfte allerdings die Datenbasis (noch) als unzureichend zu bezeichnen sein. Dieser Umstand wird die Datenbankanalyse zukünftig vor die Herausforderung stellen, auch die Volatilität der ermittelten Vergleichsdaten zu dokumentieren.2 Dies wird zwangsläufig die Ausdehnung des Beobachtungszeitraums erfordern, um Rezessions- wie Wachstumsphasen in dem Datensatz zu berücksichtigen.3 Verfahrensschritt 6. Im sechsten Verfahrensschritt sehen die OECD-Leitlinien die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode und – methodenspezifisch bei einseitigen Verrechnungspreismethoden – die Bestimmung des relevanten Finanzindikators (Kostenaufschlag i.R. der Kostenaufschlagsmethode, Handelsspanne i.R. der Wiederverkaufspreismethode, Nettogewinnindikator i.R. der geschäftsvorfallbezogen Nettomargenmethode) vor.4 Die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode ist vor der Evaluation etwaiger interner und/oder externer Vergleichswerte (Schritte 4 und 5) und vor der Identifizierung potentieller Vergleichswerte (Schritt 7) angesiedelt. Angesichts des methodenspezifischen Verständnisses der OECD-Leitlinien von Vergleichbarkeit5 verwundert es, dass die Analyse von etwaigen Vergleichswerten im Rahmen eines innerbetrieblichen Fremdvergleichs („interne Vergleichswerte“) im Schritt 4 der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode vorgelagert ist. Offenkundig gehen die OECD-Leitlinien wie selbstverständlich von der Anwendung eines inneren Preisvergleichs aus, in dessen Rahmen etwaige betriebsindividuelle Vergleichspreise ggf. identifiziert werden können. Richtigerweise können allerdings auch Handelsspannen im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode und Gewinnaufschläge im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode durch inneren Betriebsvergleich abgeleitet werden (vgl. Rz. 5.20 und 5.69). Insofern ist die Identifizierung interner wie externer Vergleichswerte von der konkreten Verrechnungspreismethode abhängig. Die Auswahl der am besten geeig1 2 3 4 5
Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 38; siehe ferner Engler, IStR 2009, 685 ff. Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 38. Vgl. Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160. Vgl. Tz. 3.18 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 1.33 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
neten Verrechnungspreismethode sollte vor diesem Hintergrund auch der Identifizierung interner Vergleichswerte vorgelagert sein.1 Entsprechend problematisch ist, dass die OECD-Leitlinien die Bestimmung verfügbarer Informationsquellen über externe Vergleichswerte (Schritt 5) und die Identifikation der signifikanten Vergleichbarkeitsfaktoren (Schritt 3) vor die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode stellen. Richtigerweise bestimmen nur die Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren die Vergleichbarkeit, die einen wesentlichen Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben. Die Anforderungen an die erforderlichen Informationen unterscheiden sich dementsprechend in Abhängigkeit von der konkreten Verrechnungspreismethode. Auch vor diesem Hintergrund sollte die Auswahl einer konkreten Verrechnungspreismethode vorrangig sein. Die OECD-Leitlinien gehen allerdings von einem rollierenden Prozess aus, der ggf. die mehrfache Durchführung einzelner Verfahrensschritte erfordert (Rz. 3.27).2
3.33
Verfahrensschritt 7. Bei Durchführung des siebten Schrittes unterscheiden die OECD-Leitlinien zwischen einem additiven und einem deduktiven Ansatz zur Identifikation von potentiellen Vergleichswerten.3 Die Verfahren stehen dem Grunde nach gleichberechtigt nebeneinander. In Abhängigkeit vom konkret zu untersuchenden Einzelfall kann jedoch der eine Ansatz gegenüber dem anderen vorzugswürdig sein. Es können auch beide Ansätze nebeneinander zur Anwendung kommen.4 Bei Anwendung des additiven Ansatzes wird zunächst eine Liste von in Frage kommenden Vergleichsunternehmen erstellt, die möglicherweise vergleichbare Transaktionen ausführen. Im Anschluss daran werden entsprechende Informationen zu den Geschäftsvorfällen dieser potenziellen Vergleichsunternehmen gesammelt, um die Vergleichbarkeit an Hand der festgelegten Vergleichbarkeitskriterien zu bestätigen. Die OECD-Leitlinien empfehlen in diesem Zusammenhang, dass das Verfahren aus Gründen der Nachvollziehbarkeit transparent und systematisch sein sollte.5 Zweckmäßig ist der additive Ansatz dann, wenn Kenntnisse von mehreren Dritten vorhanden sind, die an mit dem untersuchten Geschäftsvorfall vergleichbaren Geschäftsvorfällen beteiligt sind. Dies dürfte in der Praxis jedoch selten der Fall sein. Der deduktive Ansatz geht von einem Portfolio an Unternehmen aus, die in der gleichen Branche tätig sind und – jedenfalls im Wesentlichen – vergleichbare Funktionen ausüben.6 Die in dem ersten Schritt relativ breite 1 Vgl. auch Dawid/Renaud in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 19 und 20. 2 Vgl. Tz. 3.5 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 3.40 ff. OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 3.45 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 3.41 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. Tz. 3.42 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Auswahl von Unternehmen wird im Anschluss daran durch quantitative und qualitative Kriterien verfeinert. Hierzu listen die OECD-Leitlinien beispielhaft folgende Kriterien auf:1 – Größenkriterien (z.B. Umsatz, Kapital, Arbeitnehmer); – Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter; – Bedeutung von Exportumsätzen; – Lagerbestände; – Phase des Unternehmens (Gründung; Insolvenz; Liquidation). Der Vorteil des deduktiven Ansatzes ist die leichte Nachvollziehbarkeit sowie die Reproduzierbarkeit, die dem Adressaten eine Überprüfung des Verfahrens ermöglichen. Verfahrensschritt 8. Der achte Verfahrensschritt betrifft die Vornahme ggf. erforderlicher Vergleichbarkeitsanpassungen zur Herstellung oder Erhöhung der Vergleichbarkeit (Rz. 3.113 ff.).2 Nach Auffassung der OECD wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.3 Ferner gehen die OECDLeitlinien davon aus, dass „im Allgemeinen durch die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nur eine Annäherung an jene Bedingungen erzielt wird, die zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wären“.4 Vor diesem Hintergrund sind Vergleichbarkeitsanpassungen von der Zwecksetzung her stets nur dann in Betracht zu ziehen, wenn sie die Verlässlichkeit der Ergebnisse erhöhen.5 Sie sollen ferner nur Unterschiede betreffen, die erhebliche Auswirkungen auf den Vergleich und dessen Verlässlichkeit haben werden.6 Die Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen findet ihre Grenzen in der rechnerischen „Scheingenauigkeit“. Die OECD-Leitlinien weisen ausdrücklich darauf hin, dass zahlreiche und komplizierte Anpassungen den falschen Eindruck vermitteln können, dass das Ergebnis der Suche nach Vergleichswerten „wissenschaftlich“, verlässlich und sachlich richtig sei.7
3.34
Verfahrensschritt 9. In letzten Schritt werden die ermittelten Vergleichswerte mit dem Ziel ausgewertet, den nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs anzusetzenden Preis, den Fremdvergleichspreis, zu bestimmen. Regelmäßig wird die Anwendung der vorgenannten Verfahrensschritte nicht zur Ableitung nur eines Vergleichswertes oder Vergleichspreises führen, sondern es können mehrere Vergleichswerte oder -preise abgeleitet werden. Die OECD-Leitlinien führen in Tz. 3.55 zu dieser Realität der
3.35
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Tz. 3.43 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.50 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2010. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.50 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Verrechnungspreispraxis wie folgt aus: „Da jedoch die Verrechnungspreisgestaltung keine exakte Wissenschaft ist, wird es auch viele Situationen geben, bei denen die Anwendung der besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind“.1 Die Existenz von Fremdvergleichsbandbreiten macht weitergehende Untersuchungen und ggf. die Einengung der Fremdvergleichsbandbreite erforderlich (Rz. 5.168 ff.). 3. Analyseverfahren nach dem UN-Manual
3.36
Zwecksetzung des UN-Manual. Nach Auffassung der Entwicklungs- und Schwellenländer benachteiligt die Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S. von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA (entsprechend: Art. 9 Abs. 1 UNMA) insbesondere durch die OECD-Leitlinien diese Länder gegenüber Industriestaaten, wobei insbesondere angeführt wird, dass die in den Entwicklungs- und Schwellenländern bestehenden Kostenvorteile und die Stärke dieser Absatzmärkte nicht hinreichend berücksichtigt würden.2 Vor diesem Hintergrund wurde durch die UN das sog. „Practical Manual on Transfer Pricing for Developing Countries“ (nachfolgend „UN-Manual“) durch eine Vielzahl von Vertretern von OECD- und Nicht-OECDLändern erstellt und abgestimmt sowie als Entwurfsfassung im Oktober 2012 vorgelegt. Mit dem UN-Manual soll der Fremdvergleichsgrundsatz i.S. von Art. 9 Abs. 1 UN-MA durch eigene praxisorientierte Richtlinien unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Erfahrungen von Entwicklungs- und Schwellenländern ausgelegt werden. Mit dem UN-Manual sollen vornehmlich den Gesetzgebern und Finanzverwaltungen von Schwellenländern eine Anleitung und Hilfestellung zur Umsetzung der normativen und administrativen Aspekte des Fremdvergleichsgrundsatzes gegeben werden.3
3.37
Darstellung des Analyseverfahrens. Innerhalb des mit 65 Seiten umfangreichsten Kapitels 5 erläutert das UN-Manual unter Abschnitt 5.2 und 5.3 ebenso wie die OECD-Leitlinien ein typisches Verfahren zur Durchführung der Vergleichbarkeitsanalyse und diskutiert in Abschn. 5.4 besondere Aspekte der Vergleichbarkeit. Dieses Analyseverfahren hat insgesamt 8 Schritte, die z.T. weitergehend untergliedert sind, wobei nach dem UN-Manual wie auch nach dem Analyseverfahren der OECD-Leitlinien (Rz. 3.26)4 die einzelnen Verfahrensschritte nicht linear, sondern einzelne Verfahrensschritte ggf. mehrfach durchgeführt werden müssen, bis ein befriedigendes Ergebnis erzielt wird.5 Die Verfahrensschritte sind im Einzelnen: 1 Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Eigelshoven/Ebering, IStR 2014, 16. Siehe hierzu auch Lorenzen/Feldtkeller, IWB 2012, 452. 3 Vgl. UN-Manual, Vorwort (v). 4 Vgl. Tz. 3.5 OECD-Leitlinien 2010 5 Vgl. Tz. 5.2 UN-Manual.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
1. Schritt: Verstehen der wesentlichen wirtschaftlichen Bedingungen der Branche, der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen und der Geschäftsbeziehungen mit verbundenen Unternehmen, wobei in diesem Schritt – allgemeine Informationen über den Steuerpflichtigen zu sammeln sind, – die Geschäftsvorfälle zu analysieren sind und – die Beurteilung zu treffen ist, ob die Vergleichbarkeitsanalyse für einzelne Geschäftsvorfälle oder für mehrere zusammenhängende Paketgeschäfte vorzunehmen ist. 2. Schritt: Untersuchung der Vergleichbarkeitsfaktoren des zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsvorfalls, wobei insbesondere auf – die Produkteigenschaften der Waren und Dienstleistungen, – die Durchführung der Funktions- und Risikoanalyse, – die Vertragsbedingungen, – das wirtschaftliche Umfeld und – die Geschäftsstrategien der Vertragsparteien – hingewiesen wird. 3. Schritt: Auswahl des/der untersuchten Unternehmen(s). 4. Schritt: Ermittlung interner und externer Vergleichswerte. 5. Schritt: Bestimmung und Durchführung der Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit (sofern geeignet). 6. Schritt: Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode. 7. Schritt: Bestimmung des Fremdvergleichspreises oder -gewinns. 8. Schritt: Dokumentation der Vergleichbarkeitsanalyse und Überwachung.
IV. Bestimmungsfaktoren der Vergleichbarkeit 1. Vorbemerkung Kriterienkatalog. Die Vergleichbarkeitsprüfung setzt die Existenz eines Kriterienkatalogs voraus, anhand dessen zu beurteilen ist, ob und inwieweit die gesetzliche Forderung nach gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen erfüllt ist. Aus der Rspr.1, den OECD-Leitlinien2 und den Verlautbarungen der Finanzverwaltung3 lassen sich brauchbare Hinweise für die 1 Vgl. BFH v. 1.2.1967 – I 220/64, BStBl. III 1967, 497; siehe ferner BFH v. 17.10. 2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 2 Vgl. Tz. 1.38–1.63 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.2; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7.
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3.38
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Ausgestaltung eines Kriterienkataloges für die Vergleichbarkeit der Verhältnisse bei der Ermittlung von Fremdpreisen ableiten. Danach ist eine Vergleichbarkeit immer dann gegeben, wenn sich die Vergleichstatbestände nach ihrer Art, ihren Merkmalen, ihrem Umfang und den maßgeblichen Markt- bzw. Branchenverhältnissen entsprechen. Konkretisiert man diese eher allgemeine Feststellung, so lässt sich in Anlehnung an Tz. 3.1.2. VWG 1983 und Tz. 1.38 ff. OECD-Leitlinien ein Vergleich dann vornehmen, wenn zwischen den Vergleichsobjekten insbesondere folgende Merkmale übereinstimmen: – Die Art, Ausgestaltung, Qualität und der Umfang der Lieferungen und Leistungen. – Die allgemeinen Marktverhältnisse, in denen die Lieferungen und Leistungen erstellt, genutzt, verbraucht oder veräußert werden. – Die Funktionen, die von den Unternehmenseinheiten tatsächlich wahrgenommen werden, sowie die übernommenen Risiken und eingesetzten Mittel. – Die Marktstufe, auf der die Lieferungen und Leistungen ausgetauscht werden. – Die vereinbarten Vertrags- und Lieferbedingungen. – Die Fristigkeit der Liefer- und Leistungsbeziehungen. Die unternehmerischen Zielvorstellungen sowie die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Produzent und Abnehmer bzw. Leistungserbringer und -empfänger.
3.39
Vergleichbarkeitsfaktoren nach OECD-Leitlinien. Die OECD-Leitlinien benennen aktuell in Tz. 1.38 ff. fünf Vergleichbarkeitsfaktoren, die im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse näher zu untersuchen sind, nämlich: 1. die Produkteigenschaften von Wirtschaftsgütern und Dienstleistungen, 2. die Funktionen und Risiken (Funktionsanalyse), 3. die Vertragsbedingungen, 4. die wirtschaftlichen Verhältnisse sowie 5. die Geschäftsstrategien.
3.40
Erweiterung durch Änderung der OECD-Leitlinien. Nach dem überarbeiteten OECD-Diskussionsentwurf zur Überarbeitung des Kapitels VI der OECD-Leitlinien vom 30.7.2013 sind umfangreiche Erläuterungen zu Standortvorteilen, anderen lokalen Marktbedingungen, zur Übernahme einer einzigartig qualifizierten oder erfahrenen Belegschaft und zu Synergieeffekten geplant, die dem Kapitel I annexiert werden sollen.1 Insofern wären als weitere Bestimmungsfaktoren in die Vergleichbarkeitsanalyse einzubeziehen: 1 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 1 ff.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
1. Standortvorteile und andere lokale Marktbedingungen, 2. die Belegschaft und 3. Synergieeffekte. 2. Produkteigenschaften von Waren und Dienstleistungen Art, Menge, Qualität. Es handelt sich um eine Selbstverständlichkeit und bedarf daher auch keiner näheren Erläuterung, wenn festgestellt wird, dass Art, Menge und Qualität einer Lieferung oder Leistung letztlich den zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbarten Preis bestimmen.1 Daher ist ein zwischen fremden Dritten vereinbarter Preis nur dann als Fremdpreis tauglich, wenn es sich bei dem Geschäft zwischen verbundenen Unternehmen um eine gleiche oder zumindest ähnliche Lieferung oder Leistung handelt bzw. sich ergebende Unterschiede durch einfache Anpassungsrechnungen quantifizieren und eliminieren lassen.
3.41
Vergleichbarkeit im Lieferbereich. Die Vergleichbarkeit im Lieferbereich selbst stellt die Grundvoraussetzung für die Durchführung eines Vergleichs dar. Handelt es sich um vertretbare Waren, wie z.B. Rohöl, Walzstahl einer bestimmten Qualitätskategorie oder Orangensaftkonzentrat einer bestimmten Klassifikation, so ist eine Vergleichbarkeit der Lieferund Leistungsgegenstände relativ problemlos festzustellen, da die Liefergegenstände physisch gleich sind. Vorstehend genannte Beispiele stellen allerdings eher die Ausnahme dar. Im Lieferbereich hängt die Vergleichbarkeit entscheidend von Art, Qualität, Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Liefervolumen der zu vergleichenden Gegenstände ab; vielfach spielen Nebenleistungen wie Kundendienst, Lieferbereitschaft, Ersatzteilwesen oder Garantiezusagen eine die Vergleichbarkeit beeinflussende Rolle.
3.42
Vergleichbarkeit im Dienstleistungsbereich. Im Dienstleistungsbereich stellen der Spezialisierungsgrad und die fachliche Qualifikation des Leistungserbringers leistungsdeterminierende Faktoren dar, die sich einer genauen Erfassung und Quantifizierung entziehen. Ein zusätzliches Problem besteht im Dienstleistungsbereich darin, dass die meisten Dienstleistungsarten nicht standardisierbar sind, sondern auf die individuellen betrieblichen Gegebenheiten und Erfordernisse des leistungsempfangenden Unternehmens ausgerichtet sein müssen. Diese Problematik wird besonders deutlich am Beispiel von Beratungsleistungen, wo sich Art und Qualität der Dienstleistung überwiegend an den Branchenkenntnissen, dem Bekanntheitsgrad, der Berufserfahrung, der Leistungsbereitschaft und der Arbeitseffizienz des Beratenden orientieren. Auch sind die besonderen, oft langjährigen Geschäftsbeziehungen zwischen Lieferanten und Abnehmer preisbeeinflussend.2
3.43
1 Vgl. Tz. 1.39 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BFH v. 16.4.1981 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.44
Vergleichbarkeit im Bereich immaterieller Wirtschaftsgüter. Bei den immateriellen Vermögensgegenständen hängt die Vergleichbarkeit insbesondere von der Art des Geschäfts (z.B. Lizenzvergabe oder Verkauf), der Art des immateriellen Vermögenswertes (z.B. Patent, Marke oder Know-how), der Dauer und dem Grad des Schutzes sowie den prognostizierten Erträgen aus der Nutzung des Vermögenswertes ab.1 3. Funktionsanalyse a) Begriff und Gegenstand
3.45
Unterschiedliche Begriffsverwendungen. Eine Prüfung der Vergleichbarkeit der Verhältnisse setzt insbesondere eine Analyse der ausgeübten Funktionen voraus, die ein Unternehmen innerhalb des Verbundes tatsächlich wahrnimmt. Von dieser Funktionsanalyse sprechen sowohl Tz. 1.42 OECD-Leitlinien als auch § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG. Während sich die innerstaatliche Rechtssetzung in einem annexierten Klammerausdruck an die Formulierung „ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Chancen und Risiken“ erschöpft, bestimmen die OECD-Leitlinien jedenfalls deren Zwecksetzung. Hiernach ist die Funktionsanalyse darauf gerichtet, die von den Transaktionspartnern ausgeübten wirtschaftlich erheblichen Tätigkeiten und übernommenen Verantwortlichkeiten, die eingesetzten Wirtschaftsgüter sowie die übernommenen Risiken festzustellen und zu vergleichen.2 Dies verdeutlicht bereits hinreichend, dass die so bezeichnete „Funktionsanalyse“ letztlich integraler Bestandteil einer „Funktions- und Risikoanalyse“ ist,3 wie sie in § 4 Nr. 3 GAufzV jedenfalls begrifflich zutreffend verwandt wird. Die VWG 1983 erwähnen sie begrifflich gar nicht, behandeln sie aber inhaltlich.4 Die VWG-Verfahren schließlich gehen von einer Verpflichtung zur Durchführung einer Funktions- und Risikoanalyse aus.5
3.46
Gesetzliche Verpflichtung im Rahmen der Dokumentationspflichten. Von einer solchen generellen Verpflichtung geht offenkundig auch § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG aus, wenn er die zutreffende, nämlich mit dem Fremdvergleich vereinbare Ermittlung von Verrechnungspreisen zu regeln beabsichtigt. Ein solcher Regelungsgegenstand kann aber angesichts von § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG keinen Bestand haben. Denn dieser sanktioniert nicht die Ermittlung eines Verrechnungspreises, sondern dessen Abweichen vom Fremdvergleichspreis und dies insbesondere nur dann, wenn sich hierdurch eine Minderung der Einkünfte eingestellt hat. Vor diesem Hintergrund unterliegen unangemessen hohe Verrechnungspreise jedenfalls keiner Einkünftekorrektur nach § 1 AStG, obgleich sie mit dem Fremd1 2 3 4
Tz. 1.39 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 1.42 Satz 3 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. auch Tz. 9.10 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.3. 5 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.4.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
vergleich unvereinbar sind. Hier ist die Unterscheidung zwischen Verrechnungspreis und Fremdvergleichspreis grundlegend.1 Eine rechtliche Verpflichtung zur Durchführung einer Funktions- und Risikoanalyse kann nach alledem nicht aus § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG erwachsen. Sie kann sich allenfalls aus § 90 Abs. 3 Satz 2 AO i.V.m. § 1 Abs. 1 und 3 sowie § 4 Nr. 3 GAufzV2 ergeben,3 wenngleich man auch hier wird feststellen müssen, dass lediglich die Dokumentation, nicht aber die Vornahme einer Funktions- und Risikoanalyse geregelt ist. Instrument zur Sachverhaltsermittlung, -würdigung und -dokumentation. Dessen unbenommen spielt die Funktionsanalyse für die praktische Beurteilung internationaler Verrechnungspreise sowohl national wie auch international eine zentrale Rolle. Sie ist tragender Bestandteil jeder Vergleichbarkeitsanalyse und hat in der Praxis eine herausragende Bedeutung, um dokumentieren zu können, welche Konzerngesellschaften welche Funktionen, welche Risiken und welche Chancen übernehmen. Auch die OECD-Leitlinien bekennen sich ausdrücklich zur Funktionsanalyse.4 Grundlage dieser Betrachtungsweise ist die Erkenntnis, dass der von einem Geschäftspartner geforderte Preis umso höher ist, je mehr Funktionen und Risiken von diesem übernommen werden bzw. je höher seine eingesetzten Mittel im Rahmen der zu beurteilenden Geschäftsbeziehung sind.5 Durch die VWG 19836 wie auch die VWG-Verfahren7 zieht sie sich wie ein „roter Faden“. Bei der Funktionsanalyse handelt es sich allerdings um keine eigenständige Preismethode, sondern um ein Instrument zur Sachverhaltsermittlung, -würdigung und -dokumentation.
3.47
b) Funktionen Funktionsbegriff nach § 1 Abs. 1 FVerlV. Ebenso wenig wie der Begriff der Funktionsanalyse hatte bisher der Begriff der „Funktion“ eine gesetzliche Definition erfahren. Erst durch das Unternehmensteuerreformgesetz 20088 wurde diese Lücke mit § 1 Abs. 1 FVerlV geschlossen. Hiernach ist eine Funktion „eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden. Sie ist ein organischer Teil eines Unternehmens, ohne dass ein Teilbetrieb im steuerlichen 1 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 536. 2 GAufzV v. 13.11.2003, BGBl. I 2003, 2296. 3 Vgl. hierzu auch Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 88 ff. 4 Vgl. Tz. 1.42–1.51 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 1.47 OECD-Leitlinien 2010; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 216. 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.3, 2.2.3, 2.4.4 Buchst. a, 2.2.4, 3.1.2.1 Nr. 3 u. 3.1.3. 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.4. 8 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (UntStRefG 2008) v. 14.8.2007, BStBl. I 2007, 1912; hierzu z.B. Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, passim.
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3.48
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Sinn vorliegen muss.“ Die Verwendung der Begriffsdefinition in der FVerlV, deren Regelungsgegenstand „die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes in Fällen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen“ ist, lässt Zweifel daran aufkommen, ob diese Begriffsdefinition auch für Zwecke der Funktionsund Risikoanalyse maßgeblich ist. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG verwendet jedenfalls für Zwecke der Funktionsanalyse denselben Begriff wie § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG für den Tatbestand der Funktionsverlagerung. Dies spricht für identische Begriffsmerkmale, wenngleich beide Regelungen von unterschiedlichen Zwecksetzungen getragen sind. Während die Funktionsanalyse, u.a. auf Grundlage der ausgeübten Funktionen, letztlich darauf gerichtet ist, den Anteil des jeweiligen Verbundunternehmens an der Gesamtwertschöpfung (Wertschöpfungsbeitrag) und die wertreibenden Aktivitäten zu identifizieren und dementsprechend zu vergüten,1 beabsichtigt der Gesetzgeber mittels der Besteuerung von Funktionsverlagerungen die „Sicherung des deutschen Steueraufkommens“ sowie „die Besteuerung in Deutschland geschaffener Werte“2 nicht zuletzt durch Erfassung geschäftswertbildender Faktoren (vgl. hierzu Rz. 7.30 ff. und 7.83 ff.). Beiden Zwecksetzungen ist gemein, dass sie sich an der Wertschöpfung ausrichten. Allerdings ist die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nicht auf den Beitrag an einer tatsächlich realisierten Wertschöpfung gerichtet, sondern auf die Erfassung eines Wertschöpfungspotenzials.
3.49
Begriffsbildung nach VWG und OECD-Leitlinien. An dieser Stelle soll darauf verzichtet werden, den Funktionsbegriff in dem speziell auf Funktionsverlagerungen zugeschnittenen Begriffsverständnis zu diskutieren (Rz. 7.22 ff.). Für Zwecke der Funktionsanalyse reicht es aus, die beispielhafte Begriffsbildung der VWG 1983,3 der Betriebsstätten-VWG4 sowie der VWG-Verfahren5 („Herstellung, Montage, Forschung und Entwicklung, verwaltungsbezogene Leistungen, Absatz, Dienstleistungen“) bzw. der OECD-Leitlinien („Design, Herstellung, Montage, Forschung und Entwicklung, Service, Einkauf, Vertrieb, Marketing, Werbung, Transport, Finanzierung und Management“)6 zugrunde zu legen. Auf eine vergleichbare Begriffsbildung gehen die sog. betriebswirtschaftlichen Hauptfunktionen – Produktion (ausgeübt als Eigenproduzent oder Lohnfertiger, Rz. 6.7 ff.), – Vertrieb (ausgeübt als Eigenhändler, Kommissionär oder Handelsvertreter, Rz. 6.49 ff.), – Dienstleistung, 1 Vgl. Vögele/Fügemann in V/B/E, Verrechnungspreise3, E Rz. 87. 2 BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 144. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.3. 4 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - 1300 – 111/99 – Betriebsstätten-VWG, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 2.3.1 Abs. 3. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.4. 6 Vgl. Tz. 1.43 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
– Finanzierung sowie – Forschung und Entwicklung zurück, die einschließlich ihrer Kombinationen, z.B. in Form von sog. Profitcenter, im Folgenden erfasst werden sollen. Maßgeblichkeit der tatsächlichen Funktionsverteilung. Eine Funktionsanalyse ist auf der Grundlage derjenigen Funktionsverteilung vorzunehmen, wie sie sich im Konzern tatsächlich darstellt. Das bedeutet, dass die Funktionen der einzelnen nahe stehenden Unternehmen so zu beachten sind, wie sie zwischen den verbundenen Unternehmen wahrgenommen werden.1 Letztlich ist die Konzernleitung frei, den organisatorischen Aufbau und die funktionale Untergliederung jeder Unternehmensgruppe nach ihrem Ermessen zu gestalten.2 Entscheidet sie sich z.B. für einen Produzenten in Irland und eine Vertriebsgesellschaft in Deutschland oder einen Kommissionär in Frankreich, so muss die Finanzverwaltung diese Entscheidung hinnehmen. Sie kann nicht die tatsächliche Aufgabenverteilung im Konzern – von Missbrauchsfällen i.S. des § 42 AO abgesehen – durch eine fiktiv neue Organisationsstruktur bzw. Aufgabenverteilung ersetzen. Vielmehr ist jede Unternehmensgruppe im organisatorischen Aufbau und in der funktionalen Gliederung ihrer Tätigkeitsbereiche frei. Die Finanzverwaltung kann hierbei lediglich überprüfen, ob die Preise für den Liefer- und Leistungsaustausch innerhalb dieser vorgefundenen Aufgaben- bzw. Funktionsverteilung sachgerecht festgesetzt wurden.
3.50
Dispositionsfreiheit im Unternehmensverbund. Dies folgt nicht zuletzt aus der Forderung in Tz. 1.64 OECD-Leitlinien, dass bei der steuerlichen Beurteilung eines Geschäftsvorfalls von dem tatsächlich abgewickelten Geschäft auszugehen ist, wie es zwischen den verbundenen Geschäftspartnern gestaltet wurde.3 Denn es impliziert freilich die Anerkennung der zugrunde liegenden Funktions- und Risikoverteilung zwischen den verbundenen Geschäftspartnern. Diese ausdrückliche Anerkennung der Dispositionsfreiheit im Unternehmensverbund gehört zu den tragenden Grundsätzen der OECD-Leitlinien.4 Hiernach soll sich die Finanzverwaltung nicht als der „bessere Kaufmann“ gerieren können. Vielmehr beschränkt sich die Umdeutung der Verbunddisposition auf außergewöhnliche Fälle.5 Die OECD-Leitlinien verdeutlichen und unterstreichen den Ausnahmecharakter in Tz. 9.168.6 Als diese benennen die OECD-Leitlinien zwei Fallgruppen, nämlich
3.51
1 Vgl. Eigelshoven/Ebering in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 97. 2 Vgl. Tz. 9.163 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 1.64 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. auch Eigelshoven/Ebering in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 161; Baumhoff/Puls, IStR 2009, 76 f.; Werra, IStR 2009, 82. 5 Vgl. auch Tz. 9.169 OECD-Leitlinien 2010. 6 „The word ‚exceptional‘ in this context is similar in meaning to ‚rare‘ or ‚unusual‘.“
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
– dass sich der wirtschaftliche Gehalt eines Geschäfts von seiner äußeren Form unterscheidet oder – dass die „kaufmännische Sinnhaftigkeit“ („commercially rational manner“) der Verbundorganisation insgesamt nicht gegeben ist, d.h., dass sie von dem abweicht, was ordentlich und gewissenhaft handelnde Geschäftsleiter jemals vereinbart hätten, und hierdurch die Finanzverwaltung an der Überprüfung der Verrechnungspreise gehindert ist.1 Hierbei ist die ökonomische Sinnhaftigkeit einer verbundinternen Funktions- und Aufgabenverteilung nicht vor dem Hintergrund zu hinterfragen, dass sie zwischen unverbundenen Unternehmen so nicht vorstellbar wäre.2 Denn die Tatsache, dass ein verbundinterner Lieferungs- und Leistungsaustausch zwischen unverbundenen Marktteilnehmern nicht identifizierbar ist, impliziert nicht dessen Unvereinbarkeit mit dem Arm’s-Length-Grundsatz.3
3.52
Commercial rationality. Eine inhaltliche Präzisierung dessen, was „kaufmännische Sinnhaftigkeit“ bzw. „kaufmännische Vernunft“ („commercial rationality“) konkret ausmacht, erfolgt nicht. Lediglich im Zusammenhang mit der Anerkennung von Restrukturierungstransaktionen erfolgen diesbezügliche Konkretisierungen. Nach Auffassung der OECD soll sie von den realistischerweise vorhandenen Handlungsalternativen („eindeutig günstigere Handlungsalternative“) abhängig gemacht werden können.4 Im Schrifttum wird der den beteiligten Finanzverwaltungen eingeräumte Beurteilungsspielraum kritisch gesehen. Letztlich birgt er die Gefahr, dass die Finanzverwaltung die „kaufmännische Vernunft“ vor dem Hintergrund ex post gewonnener Erkenntnisse reflektiert und ebendiese dem Steuerpflichtigen entgegenhält. Dies widerspräche dem Grundsatz der Ex-ante-Betrachtung und wäre deshalb grundsätzlich abzulehnen.
3.53
Funktionsverteilung nicht Gegenstand einer Angemessenheitsprüfung. Die Ausführungen in Tz. 1.47 und 1.49 OECD-Leitlinien, wonach die ausgeübten Funktionen bis zu einem gewissen Grad die Risikoaufteilung und deren Auswirkungen wie bei einem Fremdgeschäft bestimmen, dürfen nicht dahin gehend verstanden werden, dass eine Funktionsverteilung innerhalb eines Konzerns von den Finanzbehörden „umfingiert“ werden kann. Die Funktionsverteilung innerhalb eines Konzerns ist nicht Gegenstand einer Verrechnungspreisprüfung. Maßgebend ist die Aufgabenverteilung, die aufgrund der autonomen Entscheidung der Konzernleitung über die Arbeitsteilung und Aufgabenverteilung im Konzern vorgenom1 Vgl. Tz. 1.65 OECD-Leitlinien 2010 sowie zur Konkretisierung Tz. 1.66 ff. OECD-Leitlinien 2010. 2 Siehe hierzu auch Tz. 9.173 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 1.11, 9.19 u. 9.52 OECD-Leitlinien 2010. So zutreffend auch Tz. 147 der VWG-Funktionsverlagerung; vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 – S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 3.1 Rz. 147. 4 Vgl. Baumhoff/Puls, IStR 2009, 77. Zur Kritik an den angeführten Beispielen vgl. Werra, IStR 2009, 83.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
men wurde.1 Letztlich ist nur zu analysieren, welche Eigenschaft das Unternehmen und die ihm von der Konzernleitung zugewiesene Funktion erfüllt, etwa als ein „Entrepreneur“ (Rz. 3.67) mit der Übernahme aller aus der Tätigkeit stammenden Risiken und Gewinnchancen, als Teilnehmer bzw. Handlungsbeauftragter eines (weniger risikobehaftenden) Interessenpools oder als „verlängerte Werkbank“ bzw. Lohnhersteller des Auftraggebers i.S. eines „Routineunternehmens“ (Rz. 3.67). VWG-Funktionsverlagerung. Die deutsche Finanzverwaltung hat in den VWG-Funktionsverlagerung2 erstmals ihre Auffassung zur unternehmerischen Dispositionsfreiheit geäußert. Im Einklang mit den OECD-Leitlinien3 anerkennt sie die unternehmerische Freiheit darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Funktionen ausgeübt, Risiken und Gewinnchancen übernommen und welche Ressourcen eingesetzt werden. Ausdrücklich formulieren die VWG-Funktionsverlagerung ihr Regelungsziel unter „Respektierung der unternehmerischen Dispositionsfreiheit“.4 Die unternehmerische Dispositionsfreiheit erstreckt sich auf Entscheidungen darüber, ob Funktionen selbst wahrgenommen, bei einem anderen verbundenen Unternehmen konzentriert, auf mehre Unternehmen aufgeteilt oder mit ihrer Ausübung Subunternehmer beauftragt werden. Die konkrete Disposition des Unternehmens ist grundsätzlich aus den abgeschlossenen Verträgen abzuleiten. Zutreffend werden in Tz. 97 der VWGFunktionsverlagerung5 formale Anforderungen („in Form von im Voraus abgeschlossenen, klaren und eindeutigen [möglichst schriftlichen] Verträgen“) der Nachweis- bzw. Beweisvorsorge zugeordnet. Ihr Fehlen erhöht die Darlegungslast des Steuerpflichtigen im Rahmen der erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO über den abgeschlossenen Vertrag als solchen und dessen Inhalt.6 Im Übrigen folgt die deutsche Finanzverwaltung uneingeschränkt den OECDLeitlinien, indem sie die Anerkennung der unternehmerischen Disposition als Regelfall setzt und eine Abweichung hiervon an die in Rz. 3.51 benannten Ausnahmefälle knüpft.7
3.54
c) Risiken Wesentliche Risikoarten. Eine Prüfung der Vergleichbarkeit der Verhältnisse setzt im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse außerdem eine 1 Vgl. Werra, IStR 2009, 82. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 145 ff. 3 Vgl. Tz. 1.64 u. 9.163 OECD-Leitlinien 2010. 4 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 145 ff. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 97. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 145 ff. 7 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 145 u. 148.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Analyse der von den verbundenen Unternehmen übernommenen Risiken voraus (Risikoanalyse). Zu unterscheiden sind in diesem Zusammenhang insbesondere:1 – Marktrisiken, wie z.B. Produktions-, Beschaffungs- und Absatzschwankungen, – Verlustrisiken, die durch Eigentum und Gebrauch von Wirtschaftsgütern (z.B. Maschinen) entstehen können, – Vorratsrisiken, verstanden als das Risiko der fehlenden Vermarktung oder Verderblichkeit von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie unfertigen und fertigen Erzeugnissen, – Gewährleistungsrisiken, resultierend aus Produkthaftpflichtrisiken und Qualitäts- bzw. Garantiezusagen, – Forschungs- und Entwicklungsrisiken aufgrund vergeblicher bzw. ergebnisloser F&E-Aktivitäten, – Wechselkursrisiken aufgrund von Kursschwankungen zwischen dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und dem der Vertragserfüllung, – Kreditrisiken, bedingt durch mögliche Forderungsausfälle, – Zinsrisiken aufgrund sich veränderbarer Zinssätze, – Auslastungsrisiken i.S. eines Leerkostenrisikos aufgrund nicht ausgelasteter sachlicher und personeller Kapazitäten.
3.56
Maßgeblichkeit der tatsächlichen Risikoverteilung. Die Risikoverteilung zwischen verbundenen Unternehmen ist ein wesentlicher Bestandteil der Funktions- und Risikoanalyse (zur Begriffsbestimmung vgl. Rz. 3.45). Grundsätzlich implizieren die ausgeübten Funktionen eine dementsprechende Risikoverteilung zwischen den verbundenen Vertragspartnern.2 Ebenso wie auf die Funktionsverteilung im Unternehmensverbund (Rz. 3.50) erstreckt sich die Dispositionsfreiheit der Konzernleitung aber auch auf die Allokation von Risiken. Hierbei entspringt es unmittelbar dem Fremdvergleichsgrundsatz, dass die Übernahme wirtschaftlicher Risiken nicht unentgeltlich erfolgt, sondern gewöhnlicherweise mit erhöhten Renditeerwartungen einhergeht.3 Hierbei ist entscheidend, dass nach dem Ex-ante-Grundsatz nur die erwartete Mehrrendite maßgeblich ist. Ob sich diese ex post auch tatsächlich einstellt, ist demgegenüber unbeachtlich.4 1 Vgl. u.a. Tz. 1.46 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.2.1; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 204; Ditz, IStR 2002, 214; Vögele/Borck, IStR 2002, 176; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 302 f. 2 Vgl. auch Tz. 1.47 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 1.47 u. 9.10 OECD-Leitlinien 2010. Siehe hierzu auch BMF v. 13.10. 2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 13. 4 So wohl auch Tz. 9.10 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Feststellung der Risikoverteilung. Angesichts der rechtlichen Selbständigkeit der Transaktionspartner werden Risiken regelmäßig vertraglich geregelt.1 Ausgangspunkt einer jeden Risikoanalyse müssen deshalb die vertraglichen Bestimmungen sein, die den vorgenommenen Transaktionen zugrunde liegen. Wenn die OECD-Leitlinien hierzu feststellen, dass es einer „good practice“ verbundener Unternehmen entspräche, ihre Entscheidung über die Allokation bedeutsamer Risiken schriftlich und im Vorhinein zu dokumentieren,2 kann hierin keine Hinwendung zu formalen Fremdvergleichsgesichtspunkten – wie sie im Rahmen der vGA bei beherrschenden Gesellschaftern nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht zum Tragen kommen – erblickt werden. Vielmehr stellen die vertraglichen Vereinbarungen über die Verteilung der Risiken nur eine Erkenntnisquelle dar. Daneben kann sich diese aus anderen schriftlichen Verträgen, aus schriftlicher Korrespondenz und anderweitiger (nichtschriftlicher) Kommunikation, dem allgemeinen Handelsbrauch sowie dem speziellen Unternehmensbrauch zwischen den verbundenen Unternehmen ergeben.3 Ferner gehen die OECD-Leitlinien in Tz. 9.11 ausdrücklich auf das Fehlen derartiger – allerdings schriftlicher – Vereinbarungen ein. In diesem Fall soll die Risikoverteilung aus der tatsächlichen Durchführung der vertraglichen Beziehungen und ökonomischen Prinzipien – zu diesen rechnen auch Handelsbräuche4 – abgeleitet werden.5 Was die deutsche Verwaltungsauffassung anbelangt, rechnet die Erfüllung formaler Anforderungen zur Nachweis- und Beweisvorsorge (Rz. 3.54).6
3.57
Maßgeblichkeit der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse. Ungeachtet etwaiger vertraglicher Vereinbarungen muss eine – wie auch immer vorgenommene – Risikoverteilung mit den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen übereinstimmen, so wie sie sich angesichts der tatsächlichen Durchführung der Geschäftsbeziehung darstellen.7 Insofern ist keine rein rechtliche (nämlich vertragsgemäße), sondern eine wirtschaftliche Betrachtungsweise für die Feststellung der „wahren“ Risikoallokation zwischen den verbundenen Parteien maßgeblich. Ebenso wie die
3.58
1 Insofern unterscheidet sich die Risikoallokation im Unternehmensverbund von derjenigen zwischen den rechtlich unselbständigen Organisationseinheiten eines Einheitsunternehmens, zwischen denen angesichts ihrer rechtlichen Unselbständigkeit Rechte und Pflichten vertraglich nicht begründet werden können; vgl. hierzu nur Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten Handbuch, Rz. 4.42. 2 Vgl. Tz. 9.11 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. hierzu auch Eigelshoven/Ebering in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 128. 4 Vgl. Eigelshoven/Ebering in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 126. 5 Tz. 9.11 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 2.4 Rz. 97. 7 Vgl. Tz. 9.13 ff. OECD-Leitlinien 2010.
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VWG 19831 stellen die OECD-Leitlinien2 in diesem Zusammenhang auf den „wirtschaftlichen Gehalt“ der Geschäftsbeziehung ab.3 Dem steht auch die Dispositionsfreiheit der Konzernleitung über die Verteilung der Risiken im Unternehmensverbund nicht entgegen, denn diese kommt gerade in der Ausgestaltung der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse zum Ausdruck und nicht etwa in hiervon abweichenden vertraglichen Bestimmungen.
3.59
Risikoverteilung und Fremdvergleichskonformität. Von dieser Feststellung der Risikoverteilung – dem eigentlichen Kern der Risikoanalyse – zu trennen ist die Frage, ob aus dieser Disposition auch die konkreten verrechnungspreisbezogenen Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Fraglich ist, ob sie als „kaufmännische und finanzielle Beziehungen“ i.S.v. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA zu akzeptieren und der Bestimmung eines mit dem Fremdvergleich vereinbaren Verrechnungspreises zugrunde zu legen sind. Die OECD-Leitlinien 1995/96 haben hier noch in Tz. 1.27 – ebenso wie Tz. 1.49 OECD-Leitlinien – lediglich angedeutet, dass Fremdvergleichserwägungen eine bestimmte Risikoallokation tragen. Die OECD-Leitlinien führen nunmehr mit Abschn. 1 des Kap. IX besondere Überlegungen zur Risikoverteilung an. Sie sollen Grundsätze für die Verteilung von Risiken zwischen verbundenen Unternehmen im Anwendungsbereich von Art. 9 OECD-MA und insbesondere für die Interpretation und Anwendung der Tz. 1.47–1.53 OECD-Leitlinien darstellen. Andererseits beschränken sich die OECD-Leitlinien auf diejenigen Bezüge, die das Kap. IX selbst setzt. Fraglich ist deshalb, welche Bedeutung diese Grundsätze außerhalb von Funktionsverlagerungen („business restructurings“) haben. Konkret kommt es darauf an, ob die unternehmensseitige Risikoverteilung an einem Fremdvergleich zu messen ist, im Falle ihrer Unvereinbarkeit abgelehnt werden kann und stattdessen eine fremdvergleichskonforme Risikoverteilung der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde zu legen ist. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass weder die allgemeinen Auslegungsgrundsätze zum Arm’s-Length-Grundsatz in Kap. I der OECDLeitlinien auf diese Überlegungen verweisen, noch für Funktionsverlagerungen ein „Sonderrecht“ verankert werden soll. Vielmehr gehen die Grundsätze zu Funktionsverlagerungen auf die Prämisse zurück, dass der Fremdvergleichsgrundsatz in der gleichen Art und Weise auf die Restrukturierungstransaktionen selbst und die Transaktionen nach Abschluss der Restrukturierung anzuwenden ist, wie er auf Transaktionen bei ebendieser Strukturierung von Anfang an zum Tragen gekommen wäre.4 Aus 1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.2. 2 Tz. 9.12 f. OECD-Leitlinien 2010; zu Beispielen vgl. ferner Tz. 9.14 ff. OECDLeitlinien 2010. 3 Dergleichen regeln Sec. 1.482-1(d)(3)(ii)(B)(1) f. US-Regs., vgl. hierzu Eigelshoven/ Ebering in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 134. 4 Vgl. Tz. 9.9 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
diesen Ausführungen lässt sich diese Frage nicht abschließend beantworten. Die OECD hat ihre „Überlegungen“ offenkundig nicht mit den allgemeinen Grundsätzen abgestimmt und hierdurch in einem grundlegenden Bereich Unsicherheit geschaffen. Relevante Faktoren für die Risikoverteilung. Von besonderer Bedeutung ist diese letztlich offene Frage deshalb, weil die Beurteilung der Risikoallokation in einem sich an ihre Feststellung nach den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen anschließenden zweiten Schritt einem Fremdvergleich zugänglich gemacht wird.1 Hiernach soll die vertragliche Risikoverteilung zunächst mittels eines internen oder externen Betriebsvergleichs auf die Vereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz hin überprüft werden, und dies nicht isoliert, sondern im Rahmen der allgemeinen Vergleichbarkeitsanalyse bezogen auf die Transaktion, mit der das Risiko verbunden ist.2 Lassen sich solche Fremdvergleichsdaten nicht ableiten – u.E. der Regelfall –, identifizieren die OECD-Leitlinien zwei relevante, aber nicht bestimmende Faktoren für die Risikoverteilung bei Transaktionen zwischen unverbundenen Partnern, nämlich – die Kontrolle über das Risiko und – die für die Risikotragung hinreichende Kapitalausstattung.
3.60
Risikokontrolle. Was die Risikokontrolle anbelangt, bedienen sich die OECD-Leitlinien des Erfahrungssatzes, dass unverbundene Transaktionspartner nur solche Risiken tragen, die sie kontrollieren können. Hierbei soll „Kontrolle“ als die Fähigkeit zur Entscheidung darüber verstanden werden, die infrage stehenden Risiken zu übernehmen und das ob und wie ihrer Kontrolle zu bestimmen.3 Entscheidend ist demgegenüber nicht, welche Partei die Risikoüberwachung im Tagesgeschäft vornimmt,4 sondern wer deren Ergebnisse bewertet und aus diesen Entscheidungs- bzw. Handlungsbedarfe abzuleiten und umzusetzen berufen ist. Demgemäß würde das Fehlen ebendieser Entscheidungsmacht die Fremdunüblichkeit indizieren.
3.61
Beurteilung auf „Stand-alone-Basis“. Bereits dieses Kriterium verdeutlicht hinreichend, dass sich die OECD-Leitlinien für eine Überprüfung der vereinbarten Risikoverteilung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz an einer „Stand-alone-Basis“ ausrichten. Die Unternehmenswirklichkeit der Verteilung von Entscheidungskompetenzen innerhalb internationaler Verbundorganisationen zeigt hier jedoch, dass gerade die Kontrolle erfolgskritischer Risiken nicht den einzelnen Konzerngesellschaften anheimgestellt, sondern meistens zentralisiert ist. So sind etwa in der Versicherungs- oder in der Bankenbranche integrierte Risikomanagementsys-
3.62
1 2 3 4
Vgl. Tz. 9.12 u. 9.18 ff. OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.18 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.23 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.24 OECD-Leitlinien 2010 sowie die Beispiele in Tz. 9.25–9.27 OECDLeitlinien 2010. Siehe hierzu auch Werra, IStR 2009, 83 f.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
teme für geschäftsfeldübergreifende operative und Vermögensrisiken implementiert worden, die ein zentrales Risikomanagement auf Konzernebene zum Gegenstand haben.
3.63
Keine Versagung des Betriebsausgabenabzugs. Ein weiterer Aspekt der Nichtanerkennung einer Verbunddisposition über die Risikoverteilung wäre im Falle ihrer verwaltungsseitigen Umdeutung darin zu sehen, dass die Realisierung der infrage stehenden Risiken den Betriebsausgabenabzug auf den Prüfstand stellen würde. Was im Inland ansässige Verbundunternehmen anbelangt, fehlt dem deutschen Steuerrecht eine Rechtsgrundlage dafür, den Betriebsausgabenabzug aufgrund einer nicht fremdvergleichskonformen Risikozuordnung zu versagen. Die Einkünftekorrekturvorschrift des § 1 AStG vermittelt ebendiese nicht. Insofern ist es zu begrüßen, dass sich die deutsche Finanzverwaltung uneingeschränkt zur unternehmerischen Dispositionsfreiheit bekennt (Rz. 3.54) und sich die vagen und im Ansatz verfehlten Überlegungen der OECD nicht zu eigen macht. d) Eingesetzte Produktionsmittel
3.64
Neben den ausgeübten Funktionen und den getragenen Risiken der Konzerneinheiten sind im Rahmen der Funktionsanalyse die eingesetzten Produktionsmittel zu identifizieren. Dazu gehören die folgenden Wirtschaftsgüter1: – Sachmittel, wie z.B. Grund und Boden, Gebäude, technische Anlagen und Maschinen, Betriebs- und Geschäftsausstattung, – Finanzielle Mittel, wie z.B. die Liquiditätsausstattung, Ausleihungen, Wertpapiere, kurzfristige Forderungen, – Immaterielle Vermögenswerte, wie z.B. Patente, Know-how, Markenrechte, Urheberrechte, Kundenstamm, Herstellungsverfahren, Stellung und Image des Unternehmens am Markt, – Humane Vermögenswerte, wie z.B. Ausbildungsstand, Alter und Struktur des Mitarbeiterstammes, Unternehmenszugehörigkeit, Berufserfahrung. Sieker2 weist zutreffend darauf hin, dass sich eine Funktionsanalyse nicht in der Erfassung der ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten Mitteln erschöpfen darf. Vielmehr ist der relative Einfluss dieser Faktoren auf das Ergebnis der einzelnen Geschäftsbeziehungen zu würdigen. Auf dieses Ergebnis können die einzelnen Faktoren also mehr oder minder, ggf. sogar gar keinen Einfluss haben.
3.65
Gewichtung nach relativem Einfluss. Dieser relative Einfluss der einzelnen Chancen, Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter auf die verbundinternen Transaktionen wird in der Verrechnungspreispraxis – vornehm1 Vgl. Tz. 1.44 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 194.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
lich im Rahmen der Sachverhaltsdokumentation – mittels eines sog. „Star Charts“ oder alternativ mittels einer Funktionsanalysematrix, die auf kardinalen Ausprägungsgraden (0–5 oder 0–10) beruht, analysiert und dargestellt1. Die VWG-Verfahren nehmen in Tz. 3.4.11.42 explizit auf diese Darstellungsweise Bezug. Allerdings beschränkt sich diese wertende Gegenüberstellung regelmäßig auf überschaubare Verhältnisse, mit zunehmendem Komplexitätsgrad nimmt ihre Eignung hingegen ab.3 Ferner ist zu berücksichtigen, dass die relative Bedeutung der einzelnen Faktoren naturgemäß auf subjektive Einschätzungen zurückgehen muss, die insofern den Mangel fehlender Objektivierbarkeit zwangsläufig in sich tragen. e) Unternehmenscharakterisierung Referenzunternehmen/Referenztransaktionen. Die Funktions- und Risikoanalyse ist zwingender Bestandteil der Vergleichbarkeitsanalyse. Sie schafft die Voraussetzung dafür, ein potenzielles Referenzunternehmen bzw. eine geeignete Referenztransaktion zwischen unabhängigen Dritten zu ermitteln, bei dem bzw. bei der eine vergleichbare Verteilung von Funktionen und Risiken vorzufinden ist. Die Abrechnungsformen der potenziellen Referenzunternehmen bzw. die identifizierten Referenztransaktionen selbst werden dann zur Ableitung eines fremdvergleichskonformen Verrechnungspreises für die zu bewertende konzerninterne Leistungsbeziehung herangezogen.
3.66
Klassifizierung nach Unternehmenstypen. Darüber hinaus verlangt Tz. 3.4.10.2 der VWG-Verfahren („regelmäßig unverzichtbar“) – anders als die OECD-Leitlinien – bezogen auf die zu prüfenden Geschäftsbeziehung die Vornahme einer Unternehmenscharakterisierung, „um zu klären, ob und welches der beteiligten Unternehmen Routinefunktionen ausübt, welches das wesentliche Unternehmensrisiko trägt und welches mehr als nur Routinefunktionen ausübt, ohne die wesentlichen Risiken zu tragen.“4 Hierfür werden die folgenden drei „Unternehmensformen“ unterschieden: – Ein Unternehmen, das lediglich Routinefunktionen ausübt, geringe Risiken trägt und nur in geringem Umfang Wirtschaftsgüter einsetzt5 („Routineunternehmen“). Als Routinefunktionen werden beispielhaft
3.67
1 Vgl. hierzu Ernst & Young, Verrechnungspreise – Dokumentationsmanagement nach den neuen Mitwirkungspflichten, Teil C Tz. 161; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 173 ff.; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 105 ff. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.4. 3 Vgl. hierzu auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 173. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
die Erbringung konzerninterner, marktgängiger Dienstleistungen und einfache Vertriebsfunktionen benannt. Routineunternehmen erzielen im gewöhnlichen Geschäftsverlauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne. Routineunternehmen i.d.S. sind etwa der Lohnfertiger (Rz. 6.7 ff.) oder der sog. Low-Risk-Distributor (Rz. 6.51 ff. und 6.60 ff.). – Ein Unternehmen, das über die zur Durchführung von Geschäften wesentlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter verfügt, die erfolgskritischen Funktionen ausübt und die wesentlichen unternehmerischen Risiken trägt („Entrepreneur“ oder „Strategieträger“).1 Dem Strategieträger gebührt – ggf. zusammen mit anderen, als Strategieträger qualifizierenden Verbundunternehmen – der Residualgewinn oder -verlust. – Ein Unternehmen, das unter Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken weder als Unternehmen mit Routinefunktionen noch als „Entrepreneur“ anzusehen ist2 („Mittelunternehmen“ oder „Hybridunternehmen“).
3.68
Mittelunternehmen/Hybridunternehmen als Residualansatz. Die Kategorie des „Mittelunternehmens“ findet ihr Pendant weder in den OECDLeitlinien noch in den Verrechnungspreisgrundsätzen anderer Staaten; sie erweist sich als deutsches Spezifikum.3 Als Residualansatz konzipiert, fehlen ihr Abgrenzungskriterien im Hinblick auf das maßgebliche Funktions- und Risikoprofil, das eine Einordnung unter diesen Unternehmenstyp zur Folge hat.4 Dies ist insofern beachtlich, als auch die Betriebswirtschaftslehre einen derartigen Unternehmenstyp – im Gegensatz zum Strategieträger (erfolgskritische Funktionen) und Routinefunktionen (nicht erfolgskritische Funktionen)5 – nicht kennt. Für dessen Ausdifferenzierung lassen sich deshalb keine betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse fruchtbar machen. Die Finanzverwaltung möchte diese Einordnung „anhand der Umstände des jeweiligen Falles“6 vornehmen, was freilich mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden ist.7 Dies ist vor dem Hinter1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. c. 3 Vgl. hierzu und zur (Un-)Vereinbarkeit mit dem vom EU-Verrechnungspreisforum erarbeiteten Konzept der „EU Transfer Pricing Documentation“ (EU TPD) Rasch in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. V Rz. 32, Rasch/Rettinger, BB 2007, 354. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1553; Wehnert u.a., IStR 2005, 717; Rasch/Rettinger, BB 2007, 354. 5 Vgl. Klein, IStR 1995, 547. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. 7 Zu systematisierenden Ansätzen vgl. etwa Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 158; Brem/Tucha, IStR 2006, 500 ff.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
grund der erheblichen praktischen Bedeutung dieser Fälle nicht zu rechtfertigen. Denn auf die meisten verbundenen Unternehmen lässt sich die Schablone „Entrepreneur“ oder „Routineunternehmen“ nicht legen. Bedeutung erlangt die Kategorisierung der deutschen Finanzverwaltung insbesondere vor dem Hintergrund, dass die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM) auf sog. Mittelunternehmen nicht anwendbar sein soll.1 Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind bei Mittelunternehmen – soweit die Preisvergleichsmethode keine Anwendung finden kann – die Verrechnungspreise aufgrund von „Planrechnungen“ zu ermitteln.2 Dies soll dergestalt erfolgen, dass die Gewinnkomponente von Verrechnungspreisen u.a. auf Basis von „Renditeziffern funktional (zumindest eingeschränkt) vergleichbarer Unternehmen in dem betreffenden Geschäftsbereich“3 bestimmt wird. Dies läuft de facto jedoch auf die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode hinaus,4 deren Anwendung für Mittelunternehmen gerade ausgeschlossen werden soll. Dieser Widerspruch und damit die Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode auf Mittelunternehmen bleiben letztlich offen. 4. Vergleichbarkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse Vergleichbarkeit der allgemeinen Marktverhältnisse. Eine Vergleichbarkeit der allgemeinen Marktverhältnisse, in denen die Lieferungen oder Leistungen erstellt, genutzt, verbraucht oder veräußert werden, ist immer dann gewährleistet, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gleich oder ähnlich sind. Nach Auffassung des Steuerausschusses der OECD ist dies insbesondere dann der Fall, wenn die geographische Lage und die Größe der Märkte, die Wettbewerbsintensität, die Wettbewerbssituation von Anbieter und Nachfrager, die Verfügbarkeit von Substitutionsgütern und -dienstleistungen, das Niveau von Angebot und Nachfrage, ggf. getrennt nach Global- und Regionalmärkten, die Kaufkraft der Konsumenten, die Art und der Umfang von staatlichen Eingriffen in das Marktgeschehen, die Höhe der Produktionslasten, die Kosten von Grund und Boden sowie von Arbeit und Kapital, die Transportkosten, die Marktstufe (Rz. 3.77) und der Zeitpunkt des Geschäftes annähernd vergleichbar sind.5 Insbesondere in geographisch unterschiedlichen Märkten, in denen vergleichbare Lieferungen und Leistungen ausgetauscht werden, wirken auf die Marktgeschehnisse unterschiedliche ökonomische, soziale und staatlich direktive Faktoren ein. Unterscheiden sich die Marktverhält1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, Tz. 3.4.10.2 Buchst. c. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, Tz. 3.4.10.2 Buchst. c. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, Tz. 3.4.12.6 Buchst. b Abs. 4 1. Spiegelstrich. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1553; Eigelshoven/Nientimp, 2005, 1185 f.; Rasch/Rettinger, BB 2007, 357. 5 Vgl. Tz. 1.55 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
nisse für die vergleichbare Lieferung oder Leistung ausschließlich aufgrund der räumlichen Distanz der Vergleichsmärkte, so sind die Verhältnisse desjenigen Marktes maßgebend, in dem der wirtschaftliche Schwerpunkt der Geschäftsbeziehung liegt. Ähnlich sind die Ausführungen in Tz. 2.1.5 VWG 1983 zu verstehen, wonach die Preise des Marktes maßgebend sind, auf dem Fremde die Geschäftsbedingungen aushandeln würden.1 Die VWG-Verfahren beziehen sich in diesem Zusammenhang auf „die wirtschaftlichen Umstände im maßgeblichen Markt“2 und benennen als wesentliche Markt- und Wettbewerbsverhältnisse: – Wettbewerbsposition und Verhandlungsmacht der Käufer (Anzahl der Anbieter und der potentiellen Nachfrager, Angebots- und Nachfragemenge, Verkauf direkt an Endkunden oder an Händler oder an Filialisten) sowie der Lieferanten (Qualitätsprodukte), – Wettbewerbsintensität zwischen den Anbietern, Wahrscheinlichkeit des Eintritts neuer Marktteilnehmer und Konkurrenzprodukte (Anzahl, Preis, Qualität, Substitutionsrisiko), – Größe des Marktes und Marktstufe, Kaufkraft von Konsumenten, Kosten für Kapital, Arbeit und Umweltschutz, Konjunkturlage, – Preiskontrollen, Importbeschränkungen, Einschränkungen beim Devisentransfer, – Zeitpunkt der Geschäfte.3
3.70
Konkurrenz- bzw. Wettbewerbsverhältnisse. Es sind die konkreten Konkurrenz- bzw. Wettbewerbsverhältnisse zu beachten, wobei man je nach Anzahl von Anbietern und Nachfragern verschiedene Marktformen (Monopol, Oligopol, Polypol) bzw. Marktsituationen (Anbietermarkt, Nachfragermarkt) unterscheidet.4 Ferner sind Wettbewerbsverhältnisse durch Marktregulierung zu beachten (vgl. Rz. 3.74). Der sog. relevante Markt, der die Preisfindung zwischen Fremden entscheidend beeinflusst, kann nicht nur von Branche zu Branche, sondern auch von Gegenstand zu Gegenstand der einzelnen Lieferung oder Leistung wechseln. So kann der Hersteller eines bestimmten Gutes oder einer bestimmten Ware auf dem Markt Alleinanbieter (Monopolist) sein, z.B. weil er als einziger über ein bestimmtes Produktionspatent verfügt, hinsichtlich anderer Waren und Güter kann er hingegen einem erheblichen Wettbewerbsdruck ausgesetzt sein. Es bedarf keiner weiteren Erwähnung, dass er im ersten Fall höhere Preisvorstellungen am Markt durchsetzen kann als im letzteren. Auch können sich im Zeitablauf Veränderungen am relevanten Markt ergeben, etwa weil bisherige Wettbewerber vom Markt verschwunden sind bzw. neue hinzutreten. 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.5. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7, 4. Spiegelstrich. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.4 Buchst. f, 4. Spiegelstrich. 4 Vgl. Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, L Rz. 82 ff.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Absatzmarkt als relevanter Markt? Die Formulierung in Tz. 3.1.2.1 Nr. 2 VWG 1983 könnte darauf hindeuten, dass der relevante Markt mit dem Absatzmarkt gleichzustellen sei.1 Dieses Verständnis wäre unzutreffend, zumal nach Tz. 3.1.1. VWG 1983 neben dem inhaltsgleich umschriebenen „Absatzmarkt“ die Vergleichbarkeit der Handelsstufe und die Verhältnisse „wirtschaftlich vergleichbarer Märkte“ gefordert werden.2 Der Absatzmarkt kann der relevante Vergleichsmarkt sein, er muss es aber nicht. Es können auch die Verhältnisse am Markt des Herstellers, als dem Markt, aus dem eine Lieferung oder Leistung erfolgt, preisrelevant sein. Insoweit ist die Formulierung in Tz. 2.1.5 VWG 1983 zutreffender, wonach die Preise des Marktes maßgebend sind, „auf dem Fremde die Geschäftsbedingungen aushandeln würden“. Das muss nicht unbedingt der Absatzmarkt sein.
3.71
Wettbewerbsbedingungen auf relevanten Vergleichsmärkten. Ein Marktvergleich setzt außerdem voraus, dass die zu vergleichenden Geschäftspartner gleiche oder annähernd gleiche Wettbewerbsbedingungen vorfinden. Entsprechendes gilt für die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die im Wesentlichen durch saisonale und regional abweichende Konjunkturverläufe bestimmt werden. Hierbei kommen im Hinblick auf die Glättung konjunktureller und branchenspezifischer Marktzyklen und von Produktlebenszyklen Mehrjahresanalysen in Betracht (vgl. Rz. 3.106 ff.).3 Ausgeschlossen als Vergleichsmaßstab sind somit sogenannte abgeschlossene Sondermärkte, wo sich die Verhältnisse vom relevanten Vergleichsmarkt unterscheiden.4 Entscheidend für die Ableitung der Fremdpreise sind die Markt- und Preisverhältnisse auf den relevanten Vergleichsmärkten. Als relevante Vergleichsmärkte können auch Schattenmärkte oder sog. „graue Märkte“ in Betracht kommen, wenn der Zugang zum „offiziellen“ Markt versperrt ist, sei es durch behördliche oder private Preisvorgaben bzw. -regulierungen oder künstliche preisbeeinflussende Mengenverknappungen, und die Marktverhältnisse vergleichbar sind. Eine einzelne bzw. direkte Einflussnahme auf Preise und Mengen wird allerdings nur in der Marktform des Monopols oder – dazu im vergleichsweise eingeschränkten Umfang – der des Oligopols denkbar sein. In diesem besonderen Fall ist der „offizielle Markt“ als Sondermarkt i.S. der Tz. 3.1.2.4 Nr. 1 VWG 1983 und der Schattenmarkt als der relevante Vergleichsmarkt anzugehen, weil nur der Schattenmarkt für fremde Dritte zugänglich ist.
3.72
Ausmaß von Schattenmärkten. Das Ausmaß von Schattenmärkten oder „grauen Märkten“ hängt entscheidend vom Umfang der Preis- und/oder Mengenbeeinflussungen und der Intensität der Kontrolle bei Preisvor-
3.73
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.2.1 Nr. 2. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.1. 3 Vgl. Tz. 1.56 und 3.77 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.2.4 Nr. 1.
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gaben ab. Es ist davon auszugehen, dass bei für die Nachfrageseite einschneidenden Preis- und Mengenvorgaben und einer entsprechenden strengen Überwachung solcher Vorgaben der Schattenmarkt oder „graue Markt“ den Umfang des „offiziellen“ Marktes übersteigen wird. Eine solche Marktentwicklung war während der sog. „Ölkrise“ gegen Ende der 70er Jahre zu beobachten, wo das Preisniveau der Spotmärkte sich von dem der offiziellen Ölmärkte deutlich unterschied, da vielen Nachfragern der Zugang zu bestimmten staatlichen Märkten, die durch Mengen- und Preisreglementierungen gekennzeichnet waren, versperrt war.
3.74
Preisrelevante staatliche Maßnahmen/Regulierte Märkte. Staatliche Maßnahmen wie behördliche Preisregulierungen und ähnlich preisbeeinflussende Faktoren in Form devisen- oder kartellrechtlicher Vorschriften können die Vergleichbarkeit ebenfalls beeinträchtigen.1 Tz. 1.1.4 sowie Tz. 3.1.2.4 Nr. 4 VWG 1983 weisen ausdrücklich auf diese die Vergleichbarkeit der Verhältnisse ggf. beeinflussenden Umstände hin. Tz. 1.73 OECD-Leitlinien nennt als weitere Beispiele für preisrelevante staatliche Maßnahmen „Preiskontrollen (sogar Preiskürzungen), Zinssatzkontrollen, Preiskontrollen in Bezug auf Dienstleistungs- oder Verwaltungsvergütungen und Lizenzgebühren, Subventionen für bestimmte Branchen, Devisenkontrollen, Anti-Dumpingabgaben oder die Wechselkurspolitik“.2 Weitere staatliche Maßnahmen sind z.B. kartellrechtliche, patentrechtliche oder haftungsrechtliche Vorschriften, steuerliche Vorschriften und Zollvorschriften, Transferbeschränkungen (z.B. für Waffen und Kriegsgerät), Exportbeschränkungen z.B. für Technologien, Importkontingentierung für Waren und sonstige Mengenbeschränkungen.3 Die Maßnahmen können sich auf bestimmte Waren beziehen, wie z.B. der Import von Waren, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Sie können sich zudem auf bestimmte Länder beschränken, wie z.B. der Import bestimmter Eisen- und Stahlwaren aus Russland in Mitgliedstaaten der EU. Ferner können regulatorische Maßnahmen bestimmte Branchen betreffen, wie z.B. die Pharmabranche im Hinblick auf Preisregulierungen. Protektionistische staatliche Maßnahmen sind vielfach im Rahmen von Devisenkontrollen vorzufinden, wie dies etwa noch in Argentinien im Hinblick auf Importkontingente mit entsprechenden Exportverpflichtungen der Fall ist. Vorstehende staatliche, preisrelevante Maßnahmen haben lediglich Beispielcharakter, der Katalog ist keineswegs vollständig. Sie können den Markt und damit auch den Wettbewerb beeinflussen und müssen insbesondere bei Anwendung der Standardmethoden außer Betracht gelassen werden,4 sofern die zu beurteilende verbundwirtschaftliche Liefer1 Vgl. Tz. 1.73 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.1.4. und 3.1.2.4 Nr. 4. 2 Tz. 1.73 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. z.B. Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, L Rz. 75; Eigelshoven/ Ebering in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 189. 4 So zutreffend BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 3.1.2.4 Nr. 4.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
oder Leistungsbeziehung solchen preisrelevanten Maßnahmen nicht unterliegt. Gewinnminderungen auf Grund von Preisregulierungen. In Tz. 1.74 OECD-Leitlinien werden die Auswirkungen von Preisregulierungen, die regelmäßig den Endkundenpreis betreffen, auf die Preisbestimmung vorgelagerter Handelsstufen erörtert.1 Zwar gehen die OECD-Leitlinien grundsätzlich davon aus, dass es dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht entspricht, wenn die Verluste aus staatlichen Preisregulierungen ausschließlich von dem Vertriebsunternehmen getragen werden, wobei dies insbesondere für Dauerverluste gilt.2 Im Ergebnis neigt die OECD allerdings zu der Auffassung, dass der Staat, in dem solche Preiskontrollen gelten, entsprechende Gewinnminderungen zulasten seines Steueraufkommens anerkennen sollte.3 M.a.W. sind entsprechende Gewinnminderungen von dem Unternehmen zu tragen, das diesen Preiskontrollen ausgesetzt ist. Diese vielfach in der Pharmabranche geltenden Preisregulierungen führen dazu, dass deutsche Produktionsmuttergesellschaften derartige Verrechnungspreiskonzessionen machen, dass nicht einmal mehr die anteiligen Forschungskosten abgedeckt werden.4 In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass auch deutsche Produktionsgesellschaften – nicht zuletzt zur Vermeidung strafrechtlicher Sanktionen – die ausländischen Preisvorschriften zu beachten haben. Ferner können die ausländischen Vertriebsgesellschaften, die zwar die „Primärlast“ der regulierungsbedingten Verluste bzw. Preisminderungen tragen müssen, nicht in eine Dauerverlustsituation gedrängt werden.5 Daher ist eine inländische Produktionsmuttergesellschaft oft nur vor die Wahl gestellt, entweder die regulierungsbedingten Verluste ganz oder teilweise hinzunehmen oder den Markt aufzugeben.6 Eine Marktaufgabe ist jedoch aufgrund marketing- bzw. marktstrategischer Überlegungen (z.B. Marktpräsenz in bestimmten Regionen wie z.B. in Europa) oft nicht möglich. Dann bleibt nur die andere Alternative übrig, Verluste ausländischer Vertriebsgesellschaften (zunächst bzw. vorübergehend) bewusst hinzunehmen, um diese danach in bestimmten Abständen von der inländischen Muttergesellschaft auf gesellschaftsrechtlicher Ebene (z.B. durch offene oder verdeckte Einlagen) zu übernehmen.7
1 2 3 4
Vgl. Tz. 1.74 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 1.70 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 1.74 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Dahnke in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 146. 5 Vgl. Moebus/Zitzelsberger in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 148. 6 Vgl. Zitzelsberger in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, S. 148. 7 So der Vorschlag von Dahnke in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 148; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Tz. 243 ff.
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3.75
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.76
Devisentransferbeschränkungen bzw. -verbote in Entwicklungs- und Schwellenländern. Verbundene Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern unterliegen für bestimmte Arten von Lieferungen und Leistungen oft bestimmten Devisentransferbeschränkungen bzw. -verboten. Diese Beschränkungen bzw. Verbote betreffen insbesondere Vergütungen für Lizenzen und Beratungsleistungen (technische Dienstleistungen) sowie für Darlehen durch dort ansässige Tochtergesellschaften an ihre inländische Muttergesellschaft bzw. andere verbundene Unternehmen. Solche Zahlungsbeschränkungen bzw. -verbote schließen i.d.R. eine Vergleichbarkeit der Verhältnisse aus, sofern entsprechende Zahlungen an verbundene oder fremde Unternehmen mit Sitz im gleichen Land oder an fremde Unternehmen mit Sitz im Ausland gestattet sind.1 Das Geschäft wird dominiert durch die Besonderheit der Zahlungsbeschränkung bzw. des -verbots, die es bei entsprechenden Geschäftsbeziehungen zwischen Fremden eben nicht gibt. Vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob und nach welchen Grundsätzen der Fremdvergleichsgrundsatz anwendbar ist. Beispielhaft wird in diesem Zusammenhang auf die Verrechnungspreisgrundsätze sowie Abzugs- und Auszahlungsbeschränkungen nach dem nationalen Steuerrecht Brasiliens Bezug genommen, die für deutsche Unternehmen wegen ihres wirtschaftlichen Engagements in diesem BRICStaat einerseits und wegen des fehlenden Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und Brasilien2 andererseits von erheblicher praktischer Bedeutung sind. In Brasilien sind z.B. für die Bestimmung von Lieferverrechnungspreisen feste Gewinnmargen vorgeschrieben, die mit einer Verrechnungspreisbestimmung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz vielfach nicht zu vereinbaren sind.3 Ferner sind Lizenzgebühren und bestimmte Managementvergütungen auf einen Abzugssatz i.H.v. 1 %–5 % der Nettoeinkünfte aus dem Verkauf des hergestellten oder weiterverkauften Produkts beschränkt, wobei darüber hinausgehende Lizenzverpflichtungen weder als Betriebsausgaben abgezogen noch ins Ausland überwiesen werden dürfen.4 Die Betriebsprüfungspraxis zeigt hier, dass insbesondere deutsche Konzerne mit Produktionsgesellschaften in Brasilien zunehmend Verrechnungspreiskorrekturen in Deutschland ausgesetzt sind. Insbesondere werden Lizenzvereinbarungen aufgegriffen, deren Lizenzsatz im Einklang mit den regulatorischen Vorgaben in Brasilien bestimmt wurde, aber den nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung angemessenen Lizenzsatz unterschreitet. Hierbei überschreiten die in Betriebsprüfungen geforderten Lizenzsätze regelmäßig die nach brasilianischem Recht höchstzulässigen Lizenzsätze. Die Frage geht in diesem Zusammenhang dahin, ob der Fremdvergleich überhaupt denkbar ist, da 1 Vgl. Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 212. 2 Vgl. hierzu auch BMF v. 6.1.2006, IV B 3 - S 1301 - BRA - 77/05, BStBl. I 2006, S. 83. 3 Vgl. z.B. Dagnese, IWB 2013, 257; siehe auch UN-Manual, Tz. 10.2.1.3. 4 Vgl. Dagnese, Verrechnungspreise und die Aufzeichnungspflicht im brasilianischen und deutschen Steuerrecht, 73 f.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
fremde Unternehmen normalerweise keine Geschäfte abschließen würden, die Zahlungsbeschränkungen oder -verboten unterliegen,1 oder ob regulatorische Vorgaben des betreffenden Staates als relevante Marktbedingungen in die Beurteilung der Vergleichbarkeit der Verhältnisse einzubeziehen sind. M.a.W. kommt es darauf an, ob der Fremdvergleich unter Einbeziehung dieser Sonderbedingungen durchzuführen ist, weil er im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Verhältnisse auf die konkreten (preisbeeinflussenden) Bedingungen abstellt. Soweit es Einkünftekorrekturen nach den Grundsätzen des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG anbelangt, ist der Vergleichstatbestand nicht unter Zugrundelegung fiktiver Marktverhältnisse, sondern auf Grundlage der für die zu beurteilende Geschäftsbeziehung relevanten und deshalb anhand konkreter Marktbedingungen zu bestimmen. Soweit § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG durch Verwendung des Konjunktivs („vereinbart hätten“) die Beschränkung auf einen hypothetischen Fremdvergleich impliziert, bezieht sich dies allenfalls auf Bedingungen, die vergleichbare Geschäftsbeziehungen nicht aufweisen, nicht jedoch auf „erdachte“ Bedingungen (vgl. Rz. 3.133).2 Nichts anderes ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG, wonach das Handeln der verbundenen Transaktionspartner nach dem Sorgfaltsmaßstab ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter zu bestimmen ist. Ebendieser Sorgfaltsmaßstab zwingt die Beachtung sämtlicher gesetzlichen Regelungen – einschließlich regulatorischer Beschränkungen – auf. Vor diesem Hintergrund liegt für Vergleichswerte, die unter anderen Marktbedingungen zustande gekommen sind, „Unvergleichbarkeit“ vor, weil die betreffenden regulatorischen Bedingungen als wesentliche preisdeterminierende Faktoren zu qualifizieren sind und diesbezüglich bestehende Unterschiede auch durch Anpassungsrechnungen nicht eliminiert werden können (vgl. auch Rz. 3.15 ff.).3 Auch soweit nach § 1 Abs. 3 Sätze 5 ff. AStG die Bestimmung des angemessenen Lizenzsatzes durch hypothetischen Fremdvergleich erfolgt, sind die individuellen Preisgrenzen von Lizenzgeber und Lizenznehmer unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben und damit auch des regulatorischen Umfelds zu bestimmen, wodurch jeweils bestehende Freiheitsgrade in der individuellen unternehmerischen Entscheidung auf Basis der jeweiligen unternehmerischen Zielvorstellung beschränkt werden. Insofern können die individuellen Grenzpreise (Höchstpreis des Lizenznehmers; Mindestpreis des Lizenzgebers) den gesetzlich höchstzulässigen Lizenzsatz nicht überschreiten. Gleiches gilt, sofern „realistischerweise verfügbare und eindeutig vorteilhaftere Handlungsalternativen“ für die Bestimmung der jeweiligen Preisgrenze zu berücksichtigen sind (Rz. 5.218). Vor diesem Hintergrund liegen die Voraussetzungen einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nicht vor. Auch im Hin1 Ebenso Tz. 1.75 OECD-Leitlinien 2010. 2 Zur Berücksichtigung „tatsächlichen Fremdverhaltens“ im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleich vgl. auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 65. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. b.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
blick auf Einkünftekorrekturen nach den Grundsätzen einer verdeckten Gewinnausschüttung fehlt es in diesem Zusammenhang an einer durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten verhinderten Vermögensmehrung.
3.77
Verschiedene Handelsstufen. Der Einfluss der „Marktstufe“ auf die Vergleichbarkeit hat insbesondere beim Austausch von Gütern und Waren besondere Bedeutung. Hier ist gegebenenfalls zwischen Produzent, Groß-, Zwischen- und Einzelhändler zu unterscheiden. Dagegen ist es für weite Bereiche des Dienstleistungsmarktes unüblich, zwischen verschiedenen Handelsstufen zu unterscheiden, weil Dienstleistungen aufgrund ihrer Unstofflichkeit, Nicht-Speicherbarkeit und Abnehmerbezogenheit grundsätzlich nicht mehrmals weiterveräußert werden können. Oft kann die Grenze zwischen den einzelnen Marktstufen nicht eindeutig gezogen werden.1 Ferner verliert die Abgrenzung zwischen Großhändler und Einzelhändler durch moderne Absatzsysteme insbesondere im Bereich des E-Business (Rz. 6.606 ff.) weiter an Konturen (Rz. 6.613).2 Letztlich geht es bei der Abgrenzung von Handelsstufen um die Identifizierung homogener Teilmärkte, die sich nach geographischen, zeitlichen, personellen, verwendungsbezogenen, mengenbezogenen und leistungsbezogenen Segmentierungskriterien definieren lassen. 5. Besondere Geschäftsstrategien
3.78
Unternehmerische Zielvorstellung und Geschäftsstrategien. Weitere, die Vergleichbarkeit der Verhältnisse möglicherweise beeinträchtigende Einflussfaktoren sind die konkrete unternehmerische Zielvorstellung, die speziellen betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die Geschäftsstrategien der am Leistungsaustausch beteiligten Unternehmen. Unterstellt man den Entscheidungsträgern unabhängiger Unternehmen langfristig die Absicht der Gewinnerzielung bzw. Gewinnmaximierung, so kann diese Zielvorstellung in einer kurzfristigen Betrachtung vorübergehend anderen Zielsetzungen weichen. Die Ursachen für das temporäre Abweichen von einer rein gewinnorientierten Unternehmenspolitik können z.B. in Beschäftigungsgradschwankungen oder Maßnahmen der Markterschließung, der Marktsicherung und der Markterweiterung liegen und kurzfristig zu einem vollständigen oder begrenzten Verzicht auf Gewinn oder volle Kostendeckung führen. Die VWG 1983 erfassen in Tz. 3.1.2.1. Nr. 6 solche Maßnahmen unter dem Oberbegriff der „besonderen Wettbewerbssituation“, die OECD-Leitlinien sprechen in diesem Zusammenhang von besonderen „Geschäftsstrategien“.3 Treten z.B. bei einer Produktionsgesellschaft infolge konjunktureller oder saisonaler 1 Vgl. Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, L Rz. 147, die auf die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung Großhandel/Endverbraucher bei sog. Cash & Carry-Märkten hinweisen. 2 Vgl. Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, L Rz. 151. 3 Vgl. Tz. 1.60 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Schwankungen zeitweise Überkapazitäten auf, kann diese zur Auslastung der Kapazitäten bzw. Aufrechterhaltung der Beschäftigung gezwungen sein, vorübergehend Bedingungen zu akzeptieren, die lediglich die Einzelbzw. variablen Kosten decken, um wenigstens einen gewissen Deckungsbeitrag zu erzielen.1 Umgekehrt kann bei Überbeschäftigung durch Nutzung günstiger Marktsituationen zeitweilig ein vergleichsweise höherer Preis gefordert und durchgesetzt werden, um den Deckungsbeitrag zu maximieren. Zum anderen kann die Absicht zur Schaffung oder Erweiterung des Abnehmerkreises die Notwendigkeit mit sich bringen, neben diversen anderen Maßnahmen des Marketing-Mix auch die Preispolitik gezielt einzusetzen. Dieser Aspekt ist insofern von besonderer Relevanz, als die Gewinnung neuer Abnehmer vielfach mit der Errichtung dauerhafter Geschäftsbeziehungen gleichzusetzen ist. In der Erwartung, neu geschaffene Geschäftsbeziehungen auf Dauer gewinnbringend zu nutzen, könnte eine Unternehmung bereit sein, zeitlich begrenzte Preiskonzessionen hinzunehmen. Solche Geschäftsstrategien sind in erster Linie für die Beurteilung von Verrechnungspreisen gegenüber Vertriebsgesellschaften relevant. Insbesondere in der Gründungs- und Anlaufphase, aber auch während der Einführung neuer Produkte und Produktlinien erwirtschaften Vertriebsgesellschaften oft beachtliche Verluste bzw. Mindererlöse. Diese resultieren zum einen aus den Kosten für den Aufbau einer Innen- und Vertriebsorganisation, zum anderen aus temporär günstigen Endabgabepreisen (sog. „Kampfpreisen“).2 Darüber hinaus führen zeitweise überdurchschnittlich hohe Marketingaufwendungen und sonstige Verkaufsförderungsmaßnahmen zu Renditen, die vorübergehend unter denen des Branchendurchschnitts liegen können. Werbe- und Markterschließungsaufwendungen. Für die Beantwortung der Frage, welches Konzernunternehmen die Werbe- und Markterschließungsaufwendungen zu tragen hat, führen die OECD-Leitlinien aus, dass die Markterschließungsstrategie entweder durch den Produzenten selbst oder aber durch den Vertreiber, der getrennt vom Produzenten agiert, umgesetzt und die daraus entstehenden Kosten von beiden getragen werden könnten.3 Ferner ist als weiterer Gesichtspunkt zu berücksichtigen, ob die Beziehung zwischen den Vertragspartnern der Geschäftsbeziehung konsistent zu der Allokation der Markterschließungskosten ist. Diese, für die Praxis wenig hilfreiche Feststellung wird allerdings durch den Hinweis präzisiert, dass z.B. bei Fremdgeschäften eine konzernunabhängige Gesellschaft, die lediglich als „Sales Agent“ mit keinem oder nur geringem Vermarktungsrisiko handle, üblicherweise nicht die Kosten einer Markteroberungsstrategie zu tragen habe.4 Preisrelevant sei darüber hi1 Vgl. hierzu im Einzelnen Baumhoff, IStR 1996, 55 sowie Tz. 2.51 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. hierzu auch Baumhoff, IStR 1993, 520 ff. 3 Vgl. Tz. 1.62 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 1.62 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
naus, ob eine Konzerngesellschaft Markterschließungsmaßnahmen auf ihr eigenes Risiko hin entfalte und den Wert eines Produkts durch eine Marke oder einen Firmennamen steigere oder den Firmenwert in Verbindung mit dem Produkt steigere. Damit stellt auch die OECD hinsichtlich der Frage der Aufteilung von Markterschließungskosten letztlich darauf ab, welche Funktionen, welches Risiko und welches Interesse die an der Umsetzung der Markterschließungsmaßnahmen beteiligten Konzerngesellschaften übernommen haben und welche Konzerngesellschaft hierdurch einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt (sog. „benefit test“). Diese Auffassung deckt sich im Wesentlichen mit der Auffassung der deutschen Finanzverwaltung, die feststellt, dass für die Frage der steuerlichen Einkunftsabgrenzung insbesondere auf die Funktionen der beteiligten verbundenen Unternehmen abzustellen ist. Erhöht sich durch Werbemaßnahmen der Vertriebsgesellschaft nicht nur der Absatz der Vertriebsgesellschaft selbst, sondern auch das Absatzvolumen der inländischen Produktionsgesellschaft, erfolgen die Werbemaßnahmen der ausländischen Vertriebsgesellschaft somit nicht nur in deren Interesse, sondern auch zum Vorteil der inländischen Konzerneinheit. Infolgedessen sind die Werbekosten der ausländischen Vertriebsgesellschaft auch durch die inländische Produktionsgesellschaft betrieblich veranlasst1 und somit anteilig dieser zuzuordnen. Vor diesem Hintergrund sieht Tz. 3.3.2. VWG 1983 zutreffend vor, die Kosten der Werbung „angemessen aufzuteilen“. Demgegenüber sind Kosten der Markterschließung, die (erhöhten) Kosten für die Einführung neuer Produkte (z.B. aufgrund einer aggressiven Niedrigpreispolitik oder einer besonderen Werbekampagne) betreffen,2 nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung nur insoweit vom Vertriebsunternehmen zu tragen, als ihm aus der Geschäftsbeziehung „ein angemessener Betriebsgewinn“ verbleibt.3 Infolgedessen sind die Kosten – zumindest anteilig – durch das Produktionsunternehmen zu tragen.4 Lediglich bei Routine-Vertriebsunternehmen
1 Vgl. § 4 Abs. 4 EStG. 2 Von den Kosten der Markterschließung zu unterscheiden sind nach BMF v. 23.2. 1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.3 die Kosten und Erlösminderungen, die dadurch entstehen, dass ein Vertriebsunternehmen durch Kampfpreise oder ähnliche Mittel seinen Marktanteil wesentlich erhöhen oder verteidigen will. Diese Kosten seien grundsätzlich vom Hersteller zu tragen. Diese Auffassung ist insofern kritisch zu sehen, als sie sich von der allgemeinen Regel einer veranlassungsorientierten Kostenzuordnung löst und statt dessen eine pauschale Allokation der Kosten zum Produktionsunternehmen vorsieht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine Kampfpreispolitik sowohl im Interesse der Produktions- als auch im Interesse der Vertriebsgesellschaft erfolgt und damit eine Kostenaufteilung vorzunehmen ist (so auch Tz. 1.59 ff. OECD-Leitlinien 2010). 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.1. 4 Ähnlich Tz. 1.62 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
vertritt die OECD die Auffassung, dass Markterschließungskosten durch die Produktionsgesellschaft zu tragen sind.1 Verlustsituationen bei Markterschließungsmaßnahmen. Sowohl die Finanzverwaltung als auch die OECD-Leitlinien teilen damit die Auffassung des BFH in seinem Urteil v. 17.2.1993 (sog. „Aquavit-Urteil“),2 wonach ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter eines Vertriebsunternehmens nur dann ein neues Produkt am Markt einführen und vertreiben werde, wenn er daraus bei vorsichtiger und vorheriger kaufmännischer Prognose innerhalb eines überschaubaren Zeitraums und unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Marktentwicklung einen angemessenen Gesamtgewinn erwarten könne. Allerdings soll nach den Urteilen des BFH v. 17.2.19933 und 17.10.20014 eine mögliche Verlustphase der Vertriebsgesellschaft – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalls – bei neu eingeführten Produkten drei Jahre nicht überschreiten, „erst recht“ nicht beim Weitervertrieb von bereits vorher auf dem Markt eingeführten Produkten. Die in der Literatur5 kritisierte starre Dreijahresfrist ist allerdings als widerlegbare Vermutung zu verstehen, sodass es dem Steuerpflichtigen freisteht darzulegen, dass die Verlustursachen nicht in unangemessenen Verrechnungspreisen, sondern vielmehr in sonstigen betrieblichen Gründen (z.B. Fehlmaßnahmen, nicht vorhersehbaren Ereignissen) zu suchen sind und rechtzeitig Anpassungsmaßnahmen ergriffen wurden. Insofern ist hier eine Analyse der Verlustursachen erforderlich. Dies gilt auch und insbesondere beim Ausweis von Dauerverlusten. Die Anerkennung von Anlaufverlusten wird zudem von der Erzielung eines „angemessenen“ Totalgewinns innerhalb eines – vom BFH nicht näher quantifizierten – überschaubaren Kalkulationszeitraums abhängig gemacht. Das heißt, die nach der Anlaufphase entstehenden Gewinne müssen die Anlaufverluste mehr als kompensieren. Die Höhe dieser „Überkompensation“ soll mindestens der angemessenen Verzinsung des zugeführten Eigenkapitals (einschließlich Zinseszins und Risikozuschlags) entsprechen. Dementsprechend ist für den Fall, dass beim Vertreiber die Kosten einschließlich Markterschließungskosten die Erlöse übersteigen, davon auszugehen, dass der Produzent bzw. der Lieferant durch reduzierte Lieferverrechnungspreise oder Zuschüsse (Markterschließungs- bzw. Werbekostenzuschüsse) die Verlustsituation beseitigt bzw. überkompensiert. Außerdem und unabhängig davon hat nach Auffassung des BFH die Vertriebsgesellschaft die Markterschließungskos1 Vgl. Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, L Rz. 353. 2 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457; dazu kritisch Becker, IWB Fach 3 Gruppe 1, 1339; Sieker, BB 1993, 2424; Baumhoff, IStR 1993, 520. 3 BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457. 4 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 5 Vgl. Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 521; Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 294; Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Rz. W 77; Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, L Rz. 365 ff.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
ten dann nicht zu übernehmen, wenn die Kosten branchenüblich vom Hersteller oder Lieferanten getragen werden.1 Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Markterschließungsmaßnahmen im alleinigen oder ganz überwiegend im betrieblichen Interesse des Produzenten liegen bzw. ein Markeninhaber ein Interesse am Aufbau seiner Marke in einem bestimmten Markt hat.
3.81
Verlustfreistellung nur bei Routinevertriebsunternehmen. Allerdings ist diese Rspr. nur vor dem Hintergrund der klassischen Verrechnungspreislehre zu verstehen und zutreffend. Sie ist nur sachgerecht für den Fall, dass der Vertreiber nicht als „Entrepreneur“ fungiert, d.h. allenfalls als „Mischunternehmen“ oder gar nur als „Routineunternehmen“, also Kommissionär oder einfacher Low-Risk-Distributor.2 Agiert das Vertriebsunternehmen hingegen als „Entrepreneur“ bzw. „Strategieträger“, gebührt ihm – ggf. zusammen mit anderen, als Strategieträger qualifizierenden Verbundunternehmen – der Residualgewinn oder -verlust, der nach Abgeltung der Funktionsvergütung für das Produktionsunternehmen verbleibt.3 Nach den Grundsätzen der zitierten Rspr. muss in diesem Fall die Verlustfreistellung und die Forderung nach einer Überkompensation auf das Produktionsunternehmen „durchschlagen“. Wird dieses als Unternehmen mit Routinefunktionen (z.B. Lohnfertiger oder Auftragsfertiger) qualifiziert, weist es bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf in Ansehung seiner reduzierten Chancen und Risiken regelmäßig moderate bzw. geringe, aber relativ stabile Gewinne aus. Wird dieser Forderung mittels eines kostenorientierten (Dienstleistungs-)Entgelts Rechnung getragen, scheidet die Zuordnung von Markterschließungs- und Werbekosten schon aus diesem Grund aus.
3.82
Weitere Aspekte besonderer Geschäftsstrategien. Die OECD-Leitlinien sehen auch in der sog. Palettenbetrachtung (vgl. hierzu Rz. 3.173 f.) eine Geschäftsstrategie, die darauf gerichtet ist, bestimmte Produkte mit einer niedrigeren Gewinnmarge oder verlustbringend zu verkaufen, wenn das vertriebene Produkt den Verkauf eines (gewinnbringenden) Folgeproduktes nach sich zieht, wobei die OECD-Leitlinien beispielhaft auf Geräte und Verbrauchsmaterial des monopolistischen Zubehörmarktes wie Kaffeemaschinen und Kaffeekapseln oder Drucker und Druckerpatronen erwähnen.4 Geschäftsstrategien können ferner darauf gerichtet sein, Standortvorteile (vgl. Rz. 3.83 ff.) oder Synergieeffekte (vgl. Rz. 3.92 ff.) zu erzielen und sind vor diesem Hintergrund im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse zu berücksichtigen.5
1 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457. 2 Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 35 ff.; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 2011, 145. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b. 4 Vgl. Tz. 3.10 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 9.148, 1.59 ff. OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
6. Standortvorteile und andere lokale Marktbedingungen Erweiterung der Vergleichbarkeitsfaktoren. Die OECD-Leitlinien haben sich im Zusammenhang mit den in Kapitel IX eingeführten Grundsätzen zu Business Restructurings erstmals zur Behandlung von Standortvorteilen geäußert.1 Beispielhaft benennen die OECD-Leitlinien als Standortvorteile niedrige Arbeits- und Immobilienkosten, die bei höheren, durch die Verlagerung bedingten Kosten (z.B. Schließungskosten, Infrastrukturkosten am neuen Standort, Transportkosten, Ausbildungskosten für lokale Arbeitskräfte) insgesamt zu (kostenorientierten) Standortvorteilen führen können.2 Der OECD-Steuerausschuss beabsichtigt, umfangreiche Erläuterungen zum Einfluss von Standortvorteilen und anderen lokalen Marktbedingungen auf die Vergleichbarkeit der Verhältnisse in das Kapitel I der OECD-Leitlinien aufzunehmen.3
3.83
Standortvorteile und Anpassungsrechnungen. Im Hinblick auf Standortvorteile führt der überarbeitete OECD-Diskussionsentwurf aus, dass einige Eigenschaften des relevanten Marktes auf Standortvorteile hindeuten könnten, während andere Eigenschaften eher Bedenken an der Vergleichbarkeit hervorrufen, ohne unmittelbar mit Standortvorteilen zusammenzuhängen. Zu letzteren Eigenschaften des relevanten Marktes gehören etwa die Größe des geografischen Marktes, auf dem die Lieferungen und Leistungen erfolgen, die Kaufkraft und die Konsumpräferenzen der (privaten) Haushalte, ob es sich um einen Wachstumsmarkt oder um einen zurückgehenden Markt handelt, die Wettbewerbsintensität auf diesem Markt und vergleichbare Faktoren mit Einfluss auf die Preise und Margen auf diesem Markt.4 Während eine Berücksichtigung dieser konkreten Markteigenschaften in der Vergleichbarkeitsanalyse eine Selbstverständlichkeit ist, geht der überarbeitete Diskussionsentwurf auch für die Standortfaktoren, die zu Standortvorteilen oder -nachteilen führen können (z.B. die relative Verfügbarkeit lokaler Infrastruktur, die relative Verfügbarkeit von ausgebildeten Arbeitskräften, die Nähe zu lukrativen Märkten), davon aus, dass sie in der Vergleichbarkeitsanalyse berücksichtigt werden sollten.5 Hierbei soll diesen Standortfaktoren vorrangig durch Vergleichbarkeitsanpassungen Rechnung getragen werden, wenn diese Anpassungen verlässlich sind und die Vergleichbarkeit erhöhen.
3.84
Tatsächlicher Fremdvergleich und Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Der überarbeitete OECD-Diskussionsentwurf geht davon aus, dass der Rückgriff auf Vergleichswerte vergleichbarer Geschäftsvorfälle zwischen fremden Dritten auf diesem geografischen Markt den verlässlichsten Ansatz dafür bietet, ob für die konkreten Markteigenschaften besondere Anpassungen erforderlich sind oder nicht. Können solche Vergleichswerte iden-
3.85
1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 9.148–9.153 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.148 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 1 ff. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 6. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 6.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
tifiziert werden, sollen nach Auffassung der OECD keine besonderen Anpassungen im Hinblick auf die konkreten Markteigenschaften, einschließlich Standortvorteilen und -nachteilen, erforderlich sein.1 Der Auffassung der OECD ist insofern zuzustimmen, als die Ableitung von z.B. konkreten Preisen vergleichbarer Fremdgeschäftsvorfälle, die unter denselben Marktbedingungen und -eigenschaften zustande gekommen sind, mittels tatsächlichen Fremdvergleichs die Fremdüblichkeit indiziert und jedwede darüber hinausgehende Anpassung auch mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht zu vereinbaren wäre (vgl. auch Rz. 5.231). In der Praxis sollte allerdings gerade die Vergleichbarkeit der Fremdgeschäftsvorfälle das Hauptproblem darstellen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die konkrete Funktions- und Risikoverteilung zwischen den Parteien der Vergleichstransaktionen, über die entsprechende Informationen regelmäßig nicht verfügbar sein sollten. Gleiches gilt für die erforderliche Referenz, auf die sich die Beurteilung vorteilhafter oder nachteiliger Standortfaktoren letztlich bezieht. Neben den konkreten Markteigenschaften und Standortfaktoren des Marktes, auf dem die Leistungserstellung erfolgt, erfordert eine konkrete Referenz auch die Einbeziehung der Markteigenschaften und Standortfaktoren des jeweiligen Auftraggebers. Insofern müssen vergleichbare Fremdgeschäftsvorfälle dieselben Marktbezüge aufweisen. Ferner steht die Vergleichbarkeit der Verhältnisse bei Technologie- und Know-how-Beistellungen des Auftraggebers im Rahmen von konzerninternen Transaktionen stets in Frage (vgl. Rz. 5.231). Wir gehen deshalb davon aus, dass die Identifizierbarkeit konkreter Vergleichspreise oder -werte für die konzerninternen Geschäftsvorfälle, bei denen Standortvorteile und deren Aufteilung in Rede stehen, aufgrund der spezifischen Ausgestaltung dieser Geschäftsbeziehungen eher die Ausnahme sein sollte.
3.86
Vergleichbarkeitsanpassungen. Für Situationen, in denen verlässliche lokale Vergleichswerte vernünftigerweise nicht festgestellt werden können, empfiehlt der überarbeitete OECD-Diskussionsentwurf für die Bestimmung angemessener Vergleichbarkeitsanpassungen folgende Vorgehensweise im Hinblick auf die Berücksichtigung von Standortvorteilen: 1. es ist festzustellen, ob ein Standortvorteil oder -nachteil existiert; 2. der Anstieg oder Rückgang von Umsätzen, Kosten oder Gewinnen gegenüber den Umsätzen, Kosten oder Gewinnen auf anderen Märkten, die dem betreffenden Standortvorteil oder -nachteil zuzuordnen sind, ist betragsmäßig zu ermitteln; 3. es ist festzustellen, in welchem Umfang Gewinne und Belastungen durch lokale Markteigenschaften an unabhängige Abnehmer oder Lieferanten weitergegeben werden; 4. für Fälle, in denen Gewinne und Belastungen existieren, die lokalen Markteigenschaften zuordenbar sind und nicht vollständig an unabhängige Abnehmer oder Lieferanten weitergegeben werden, ist die Me1 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 7.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
thode zu bestimmen, nach der fremde Dritte, die unter ähnlichen Verhältnissen tätig sind, solche Nettogewinne und Belastungen untereinander aufteilen würden. Die Vorstellungen der OECD haben für sich, dass sie eine theoretische Vorgehensweise aufzeigen, nach der Standortvorteile in die Vergleichbarkeitsanalyse einbezogen werden könnten. Allerdings sollte mit Ausnahme der Feststellung konkreter Standortvorteile oder -nachteile in der Praxis keiner dieser Schritte tatsächlich umsetzbar sein. Schon die Allokation bestimmter Veränderungen von Ergebniszahlen auf Standortvorteile oder -nachteile nach objektiven Gesichtspunkten sollte in der Praxis mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, erfordert sie doch die Kenntnis und Abgrenzbarkeit von Ergebniswirkungen, die auf andere Einflussfaktoren, wie z.B. Synergieeffekte, zurückzuführen sind. In welchem Umfang Gewinne oder Belastungen aus den lokalen Marktgegebenheiten zwischen fremden Dritten weitergegeben werden, würde die Kenntnis über deren Höhe und die Isolierbarkeit aus ggf. feststellbaren Vergleichspreisen und -werten voraussetzen. Für beides fehlen gegenwärtig entsprechende Vergleichsdaten, auf deren Grundlage – methodisch mittels tatsächlichen Fremdvergleichs – entsprechende Feststellungen getroffen werden könnten. Auch würde dieses Verfahren erfordern, dass die Kalkulationsgrundlagen der an den Fremdgeschäftsvorfällen beteiligten Unternehmen offengelegt und zugänglich gemacht werden, was praktisch kaum vorstellbar ist. Man wird letztlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass Standortvorteile und -nachteile nicht mittels eines tatsächlichen Fremdvergleichs aufgeteilt und zugeordnet werden können. Insofern verbliebe als Formel für die Berücksichtigung von Standortvorteilen im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse lediglich, die Methode zu bestimmen, nach der fremde Dritte unter ähnlichen Rahmenbedingungen Standortvorteile aufteilen würden. Welche Methoden hierfür konkret in Betracht kommen, lässt der überarbeitete OECD-Diskussionsentwurf allerdings offen. Berücksichtigung von Standortvorteilen nach dem UN-Manual. Die Berücksichtigung von Standortvorteilen bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen wird auch im sog. UN-Manual1 ausführlich diskutiert. Mit dem UN-Manual sollen vornehmlich des Gesetzgebern und Finanzverwaltungen von Schwellenländern eine Anleitung und Hilfestellung zur Umsetzung der normativen und administrativen Aspekte des Fremdvergleichsgrundsatzes gegeben werden. Als Standortvorteile versteht das UN-Manual den ökonomischen Nutzen, der sich aus der Ausübung der Geschäftstätigkeit an einem bestimmten/spezifischen Standort ergibt (z.B. Marktnähe, Kundenstamm, Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitnehmer, Lohnkostenvorteile, etc.), wobei dem betreffenden Standort auf Basis volkswirtschaftlicher Überlegungen eine sog. „Standortrente“ (sog. 1 Practical Manual on Transfer Pricing for developing Countries 2013, abrufbar unter http://www.un.org/esa/ffd/documents/UN_Manual_TransferPricing.pdf.
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3.87
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
„Location Rent“) zugesprochen wird.1 Auf Basis der konkreten Erfahrungen Chinas aus der Prüfung von Verrechnungspreissachverhalten seit Ende der 1990er Jahre gibt Abschnitt 10.3 des UN-Manual Hinweise zur Berücksichtigung von Standortvorteilen. Hiernach hat sich aus der Prüfung von Verrechnungspreissachverhalten in China herausgestellt, dass in Schwellenländern häufig keine Fremdvergleichswerte (z.B. aus Datenbanken) verfügbar sind und Datenbankstudien mit überregionalem geographischem Fokus (z.B. Pan-Asiatische Studien) häufig lediglich Fremdvergleichswerte aus Industrieländern (z.B. Japan), seltener jedoch aus Entwicklungsländern (z.B. Vietnam) enthalten.2 China geht deshalb davon aus, dass die bestehenden erheblichen Unterschiede der wirtschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Schwellenländern regelmäßig Anpassungsrechnungen erforderlich machen, um eine – jedenfalls eingeschränkte – Vergleichbarkeit herzustellen.3 Gegenstand dieser Anpassungen sind sog. „lokale Standortvorteile“ („location specific advantages“), aufgrund derer sog. „lokale Kostenvorteile“ („location savings“)4 bzw. sog. „Marktprämien“ („market premium“)5 realisiert werden können.6 Die Berücksichtigung dieser lokalen Standortvorteile wird in der chinesischen Verrechnungspreisprüfung mittels eines vierstufigen Prüfverfahrens vorgenommen:7 1. Prüfung, ob lokale Standortvorteile vorliegen, 2. Prüfung, ob lokale Standortvorteile den Gewinn erhöhen, 3. Quantifizierung/Bewertung des zusätzlichen Gewinns, welcher durch den Standortvorteil generiert wird, 4. Festlegung der Verrechnungspreismethode, um den zusätzlichen Gewinn zuzuordnen. Anhand des Beispiels zur Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bei Auftragsforschungsleistungen für ausländische Strategieträger wird deutlich, wie die Berücksichtigung und Zuordnung von Standortvorteilen erfolgen soll.8 Sollte demnach aus einer Verrechnungspreisstudie ersichtlich sein, dass ein angemessener Gewinnaufschlag auf Vollkosten in Industriestaaten 8 % beträgt, ist dieser Gewinnaufschlag (prozentual) auch auf die eingesparten Kosten anzuwenden. Die Bestimmung des angemessenen Gewinnaufschlags wird wie folgt erläutert:
1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. UN Manual, Tz. 5.3.2.39.–5.3.2.47. Vgl. UN Manual, Tz. 10.3.2.4. Vgl. UN Manual, Tz. 10.3.2.5. Kostenvorteile können sich beispielhaft durch günstigere Lohnkosten, Vermeidung von Transportkosten, etc. ergeben, vgl. UN Manual, Tz. 10.3.3.2. Die Marktprämie bezeichnet alle Umstände, die die Erwirtschaftung von Umsatz bzw. Gewinn im Vergleich zu anderen Ländern positiv beeinflussen, vgl. UN Manual, Tz. 10.3.3.3. Vgl. UN Manual, Tz. 10.3.3.1. Vgl. UN Manual, Tz. 10.3.3.4. Vgl. UN Manual, Tz. 10.3.3.9.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse Angemessener Gewinnaufschlag in Industriestaaten: Kosten im Industriestaat: Kosten in China:
8% 150 100
Angemessener Gewinn in China: Angemessener Gewinnaufschlag in China:
12 (=8 % × 150) 12 % (=12/100)
Im Ergebnis wird der Gewinnaufschlag fiktiv auch auf die Kostenvorteile angewendet, die durch die Lohnfertigung in China entstehen und der daraus resultierende Mehrgewinn in einen höheren Gewinnaufschlagssatz umgesetzt. Der Standortvorteil geringerer Kosten i.H.v. 50 Geldeinheiten wird damit z.T. (i.H.v. 4 Geldeinheiten) dem Auftragsforscher und i.Ü. dem Strategieträger (i.H.v. 46 Geldeinheiten) zugewiesen. Diese Anpassungsrechnung stellt einen pragmatischen Ansatz dar, der sich aus dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht ableiten lässt.1 7. Qualifizierte und eingearbeitete Belegschaft Isolierung des Wertschöpfungsbeitrags geschäftswertbildender Faktoren? Nach Auffassung des überarbeiteten OECD-Diskussionsentwurf zur Überarbeitung des Kapitels VI der OECD-Leitlinien vom 30.7.2013 soll der Einfluss einer einzigartig qualifizierten und eingearbeiteten Belegschaft auf die Fremdvergleichspreise der durch diese Arbeitnehmer erbrachten Dienstleistungen oder die Effizienz bei der Erbringung von Dienstleistungen und der Produktion von Waren bei der Vergleichbarkeitsanalyse grundsätzlich Berücksichtigung finden.2 Hierbei geht der OECD-Steuerausschuss davon aus, dass Vergleichbarkeitsanpassungen deren Einfluss auf die Fremdvergleichspreise reflektieren müssten, wenn der Nutzen oder die Beeinträchtigung der Leistungserbringung durch die eingesetzte Belegschaft gegenüber entsprechenden Vergleichstransaktionen bestimmbar ist. Die Bestimmbarkeit wie die Quantifizierbarkeit würden voraussetzen, dass der Wertschöpfungsbeitrag isolierbar wäre und dass unter den Marktteilnehmern im Hinblick auf Vergleichstransaktionen Kenntnis über die jeweils eingesetzte Belegschaft, deren jeweilige „Güte“ und Bewertung i.S. von Zu- oder Abschlägen besteht. Dies ist allerdings in der Praxis mangels Verfügbarkeit entsprechender Daten nicht der Fall. Immaterielle Vorteile aus einer gut ausgebildeten und eingearbeiteten Belegschaft gehen vielmehr als geschäftswertbildende Faktoren – neben weiteren geschäftswertbildenden Faktoren (z.B. gute Verkehrsanbindungen, gute Beziehungen zu Genehmigungsbehörden, bestehende Konzessionen oder Zertifizierungen) – im Geschäfts- und Firmenwert auf, der einer Einzelbewertung nicht zugänglich ist, und das bezogen auf das gesamte Unternehmen oder auf organisatorisch geschlossene Teilbereiche eines Unternehmens mit Teilbetriebsqualität. Wenn die Bewertung einzelner geschäftswertbildender Faktoren schon im Hinblick auf die Isolierung und Zuordenbarkeit von Aufwendungen und Erträgen bezogen auf 1 So auch Eigelshoven/Ebering, IStR 2014, 18. 2 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 14.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
das Gesamtunternehmen theoretisch wie praktisch nicht möglich ist, bleibt völlig offen, wie dies auf Basis einzelner Geschäftsvorfälle und damit transaktionsbezogen erfolgen soll. Es ist der OECD zwar darin zuzustimmen, dass eine (einzigartig) qualifizierte und eingearbeitete Belegschaft zweifelsohne einen Erfolgsfaktor für die unternehmerische Leistungserstellung darstellt. Allerdings sollte die Berücksichtigung im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse mittels Anpassungsrechnungen eine eher theoretische Fragestellung sein.
3.89
Übertragung im Rahmen von „Business Restructurings“. Wird im Rahmen von Restrukturierungen oder Funktionsverlagerungen eine bestehende Belegschaft als Bestandteil der Transaktion zwischen verbundenen Transaktionspartnern übertragen, soll nach Auffassung der OECD geprüft werden, ob für das aufnehmende Unternehmen mit der Übernahme der eingearbeiteten Belegschaft ein Vorteil oder Nachteil verbunden ist und dies durch Anpassungsrechnungen bezogen auf den Preis, der nur im Hinblick auf die übertragenen Wirtschaftsgüter als Fremdvergleichspreis anzusehen wäre, Berücksichtigung finden.1 In diesem Zusammenhang können Vorteile etwa in ersparten Kosten für die Anwerbung und Ausbildung neuer Arbeitskräfte bestehen. Als Nachteile erwähnt der überarbeitete OECD-Diskussionsentwurf Beschränkungen des aufnehmenden Unternehmens in der Strukturierung der Geschäftsabläufe und die Begründung potenzieller zukünftiger Verpflichtungen bei Beendigung der Arbeitsverhältnisse.2 In diesem Zusammenhang wären etwa auch Belastungen aus übernommenen Sozialstandards und höheren Lohn- und Gehaltskosten zu nennen. Ob solche Vor- oder Nachteile separat zu erfassen sind, ist nach Auffassung der OECD davon abhängig, nach welchen Grundsätzen bzw. nach welcher Verrechnungspreismethode die Preisbestimmung für die gesamte Transaktion erfolgt. Anpassungsrechnungen sollten nur dann in Betracht kommen, wenn und soweit Einzelverrechnungspreise bestimmt werden (können) und entsprechende Vor- oder Nachteile quantifizierbar sind. Demgegenüber kommt in Fällen einer Preisbestimmung mittels ertragswertbasierter Bewertungsverfahren eine darüber hinausgehende Berücksichtigung einzelner Vor- oder Nachteile aus der Übernahme einer bestehenden Belegschaft nicht in Betracht.
3.90
Abgrenzung insb. zur konzerninternen Arbeitnehmerentsendung (Rz. 6.175). Zutreffend stellen die OECD-Empfehlungen klar, dass in typischen Fällen konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen separate Ausgleichszahlungen nicht sachgerecht sind.3 Vielmehr ist lediglich die für die Arbeitsnehmerentsendung fremdvergleichskonforme Vergütung erforderlich. Dies entspricht den Grundsätzen zur Abgrenzung von Personalentsendungen im Konzern von Funktionsverlagerungen nach deutschem Steuerrecht (vgl. Rz. 7.73 f.). Durch normale Personalentsendungsfälle im Konzern geht regelmäßig keine Funktion i.S. eines organischen Teils des 1 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 15. 2 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 15. 3 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 16.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Unternehmens über, sodass die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung nicht vorliegen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung1 sind deshalb lediglich die für die entsandten Arbeitnehmer angefallenen Kosten zu verrechnen. Liegen die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung hingegen nicht vor, weil die Arbeitnehmer in Erfüllung einer Dienstleistungsverpflichtung des entsendenden Unternehmens tätig werden,2 ist diese Dienstleistung regelmäßig nach der Kostenaufschlagsmethode zu verrechnen. Allerdings ist die Rückausnahme des § 1 Abs. 7 Satz 1 Alt. 2 AStG dann zu beachten, wenn die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung nicht erfüllt sind und die Dienstleistungen des entsendenden Unternehmens Teil einer Funktionsverlagerung sind. Abgrenzung zum Know-how-Transfer. Nach den Empfehlungen der OECD sind zudem Fälle gesondert zu analysieren, in denen aus der Entsendung oder Übertragung einer eingearbeiteten Belegschaft die Übertragung von Know-how resultiert.3 Das hierzu angeführte Beispiel zur Abschmelzung eines Eigenforschers zum Auftragsforscher verdeutlicht, dass ein Know-how-Transfer nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen in Betracht kommt und nicht den Regelfall darstellt.4 In dem dargestellten Fall wären für deutsch-steuerliche Zwecke die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG erfüllt, so dass auf Basis des übergehenden Transferpakets eine Funktionsverlagerungsbesteuerung erfolgen würde (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 7.73). In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass der OECD-Steuerausschuss alternativ sowohl die einmalige Ausgleichszahlung als auch laufende Ausgleichszahlungen als Bestandteil der Vergütungen für die Auftragsforschungs- und Auftragsentwicklungsleistungen als mit dem Fremdvergleich vereinbar ansieht.5 Letztere Alternative entspricht den Regelungen zur Lizenzierung von Transferpaketen anstelle einer Einmalbesteuerung nach § 4 Abs. 2 FVerlV jedenfalls dann, wenn das wirtschaftliche Eigentum an dem Transferpaket und dessen Bestandteilen nicht auf das übernehmende Unternehmen übergeht (vgl. hierzu Rz. 7.84).
3.91
8. Synergieeffekte Einfluss auf die Vergleichbarkeitsanalyse. Nach Auffassung der OECD sollen auch Synergieeffekte im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse Berücksichtigung finden und Gegenstand von Vergleichbarkeitsanpassungen sein können.6 Beispielhaft nennt der überarbeitete Diskussi1 BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 769. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 769, Tz. 2.1 Abs. 2. 3 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 17. 4 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 290 ff. 5 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 292 ff. 6 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 18 ff.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
onsentwurf vom 30.7.2013 zur Überarbeitung des Kapitels VI der OECD-Leitlinien die Bündelung von Einkaufsmacht, Skaleneffekte, die Zusammenführung und Integration von Computer- und Kommunikationssystemen, integriertes Management, die Vermeidung von Doppel- und Mehrfacharbeit sowie die Steigerung der Kreditaufnahmemöglichkeit.1 Der OECD-Steuerausschuss begründet die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Synergieeffekten im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse mit den Vorteilen, die verbundene Unternehmen durch Wechselwirkungen und Synergien unter den Mitgliedern des betreffenden Unternehmensverbundes haben können, die unverbundenen Unternehmen in vergleichbarer Situation nicht zugänglich sind. Neben vorteilhaften Synergieeffekten sind nachteilige Verbundeffekte in die Vergleichbarkeitsanalyse einzubeziehen, wobei die OECD beispielhaft auf den Aufbau oder die Zunahme bürokratischer Strukturen und Hindernisse sowie die zwingende Verwendung einheitlicher Computer- und Kommunikationssysteme, die für bestimmte Geschäftsbereiche ineffizient sind, verweist.2
3.93
Abgrenzung zu passiven Konzerneffekten/Rückhalt im Konzern. Der Steuerausschuss der OECD hält ungeachtet seiner Empfehlungen zur Einbeziehung und Anpassung von Synergieeffekten daran fest, dass passive Konzerneffekte, d.h. Vorteile ebenso wie Nachteile, die sich bei völliger Passivität der Konzernleitung allein aus der Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund ergeben, nicht verrechenbar sind.3 Die Empfehlungen der OECD nehmen ausdrücklich Bezug auf Tz. 7.13 der OECD-Leitlinien. Hiernach ist die reine Konzernzugehörigkeit in Form einer rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Eingliederung in den Unternehmensverbund bei völliger Passivität der Spitzeneinheit von aktiven Handlungen, d.h. dem aktiven Tätigwerden, der Spitzeneinheit oder einer anderen beauftragten Konzerngesellschaft abzugrenzen und insofern zwischen passiven (d.h. nicht verrechenbaren) und aktiven (d.h. verrechenbaren) Konzerneffekten zu unterscheiden (Rz. 6.130).4 Für die Vergleichbarkeitsanalyse bedeutet dies, dass passive Konzerneffekte bzw. Synergieeffekte weder gesondert verrechnet noch den jeweiligen Verbundeinheiten gesondert zugeordnet werden dürfen.5
3.94
Beschränkung auf Synergieeffekte aus aktiven Handlungen. In die Vergleichbarkeitsanalyse einzubeziehen und ggf. anzupassen sind vor diesem Hintergrund ausschließlich die Synergieeffekte, die aus spezifischen aktiven Handlungen der Konzernspitze herrühren und die einen wesentlichen, eindeutig feststellbaren strukturellen Marktvorteil oder -nachteil gegenüber solchen Marktteilnehmern zum Gegenstand haben, die an vergleichbaren Geschäftsvorfällen beteiligt sind.6 Nach den Empfehlungen 1 2 3 4 5 6
Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. Tz. 7.13 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
der OECD können die Existenz struktureller Vor- oder Nachteile, die Natur und Quelle positiver wie negativer Synergieeffekte als auch die Feststellung darüber, ob diese Vor- oder Nachteile aus bewusst abgestimmten Handlungen des Konzerns hervorgegangen sind, nur auf Basis einer sorgfältigen Funktions- und Vergleichbarkeitsanalyse bestimmt werden. Der OECD-Steuerausschuss geht hier davon aus, dass Vergleichbarkeitsanpassungen am ehesten gerechtfertigt sind, wenn ein bestimmter struktureller Vorteil oder der Nutzen oder die Belastung aus Synergien eindeutig identifiziert und einer bestimmten konzerninternen Maßnahme zugeordnet werden kann.1 Beispielhaft verweisen die Empfehlungen der OECD auf die Zentralisierung des konzernweiten Einkaufs in einer Einkaufsgesellschaft, um durch die Bündelung von Einkaufsmacht Mengenrabatte zu erlangen (Rz. 3.96).2 Gleiches soll gelten, wenn die Einkaufskonditionen zentral durch die Konzernspitze oder eine regionale Spitzeneinheit ausgehandelt werden und alle Konzerngesellschaften zu diesen (Rabatt-)Konditionen bei dem betreffenden Lieferanten einkaufen können (siehe aber Rz. 3.97). An einer solchen zielgerichteten konzerninternen Maßnahme fehlt es hingegen, wenn Zulieferer einzelnen Konzerngesellschaften nur deshalb Sonderkonditionen einräumen, weil sie weiteres Geschäft von anderen Mitgliedern dieses Unternehmensverbunds lediglich erwarten.3 Feststellung und Aufteilung von Synergieeffekten. Der OECD-Diskussionsentwurf geht davon aus, dass nur unter bestimmten Umständen („In some circumstances“) die Entstehung von Synergievorteilen oder -nachteilen auf besondere abgestimmte Handlungen des Unternehmensverbunds zurückgeführt werden können.4 Wenn ein wesentlicher Vorteil oder Nachteil auf konkrete abgestimmte Handlungen im Unternehmensverbund zurückgeführt werden kann, empfiehlt der OECD-Diskussionsentwurf folgende weitere Vorgehensweise im Hinblick auf die Berücksichtigung von Synergieeffekten: 1. Feststellung der Art des Vorteils oder Nachteils; 2. betragsmäßige Bestimmung des Nutzens oder Nachteils; 3. Feststellungen darüber, wie dieser Nutzen oder Nachteil zwischen den verbundenen Unternehmen aufgeteilt werden kann.5 Im Hinblick auf die Allokation entsprechender Vor- oder Nachteile geht der OECD-Diskussionsentwurf von einer Aufteilung zwischen den Mitgliedern des Unternehmensverbunds nach dem jeweiligen Beitrag zur Entstehung des betreffenden Synergieeffekts aus. Hierzu werden beispielhaft Einkaufsvorteile bzw. Skaleneffekte angeführt, die auf die Bündelung ihrer Einkaufsaktivitäten zurückgehen (vgl. auch Rz. 3.96 f.).6 Was den Aufteilungsmaßstab nach Maßgabe des Beitrags zur Realisierung der betref1 2 3 4 5 6
Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz.
19. 20. 20. 20. 22. 23.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
fenden Synergieeffekte anbelangt, mag die Empfehlung der OECD nachvollziehbar sein, zumal sie zu einer vermeintlich verursachungsgerechten Allokation von Vor- oder Nachteilen aus Konzernsynergien führt. Zudem weist dieser Aufteilungsmaßstab Parallelen zur Aufteilung des Gesamtgewinns nach der sog. Beitragsmethode (Rz. 5.130) bzw. des Residualgewinns nach der sog. Residualgewinnmethode (Rz. 5.131) bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (Rz. 5.123 ff.) auf. Das wesentliche Problem sollte allerdings darin bestehen, die tatsächlich auf Konzernsynergien zurückgehenden Vorteile von den Vorteilen abzugrenzen, die auf Wertschöpfungsbeiträge einzelner Konzerngesellschaften zurückgehen, und letztere aus der Allokation auszunehmen.
3.96
„Anpassungsrechnungen“ bei Einkaufsdienstleistungen. Nach welchen Grundsätzen Vor- oder Nachteile aus Verbundsynergien im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse angepasst werden können, verdeutlichen ein Beispiel zu Einkaufsgesellschaften1 und ein Beispiel zur zentralen Verhandlung von Einkaufskonditionen durch eine Konzerngesellschaft2. Was die Erbringung von Einkaufsdienstleistungen in Gestalt der zentralen Aushandlung von Bezugspreisen und Rabattkonditionen durch eine Konzerngesellschaft zum Nutzen und im Interesse anderer Konzerngesellschaften anbelangt, geht die OECD von koordinierenden Dienstleistungen aus, die nach dem Fremdvergleichsgrundsatz abzurechnen sind. Die entsprechenden Einkaufsvorteile können von den Verbundgesellschaften, in deren Interesse die Bezugspreise und Rabatte ausgehandelt wurden, unmittelbar entsprechend ihren jeweiligen Einkäufen in Anspruch genommen werden, ohne dass es etwaiger (weiterer) Anpassungen bedarf.3 Die Auffassung der OECD ist zweifelsohne zutreffend. Allerdings handelt es sich nicht um bestimmte Vergleichbarkeitsanpassungen im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse, sondern letztlich um die Abrechnung von (Einkaufs-)Dienstleistungen. Letztlich handelt es sich bei den Konzerngesellschaften, zu deren Nutzen und in deren Interesse die Bezugspreise ausgehandelt werden, um Mitglieder eines sog. Nachfragepools, die bezogen auf den Einkauf von Waren und Dienstleistungen gleichgerichtete wirtschaftliche Interessen haben, d.h. die in Gestalt bestimmter Einkaufskonditionen bestehenden Leistungen des Pools in wirtschaftlich gleicher Weise nutzen (vgl. im Einzelnen hierzu Rz. 6.342 ff.).4 Die zentrale Aushandlung von Bezugspreisen und Rabattkonditionen durch ein außerhalb des Pools stehendes verbundenes Unternehmen stellt eine Dienstleistung an den Pool dar, die der poolexterne Leistungserbringer dieser Leistungen zu Fremdpreisen, d.h. entweder anhand der Preisvergleichsmethode oder
1 2 3 4
Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 28 (Beispiel 3). Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 29 (Beispiel 4). Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 29 (Beispiel 4). Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2.
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der Kostenaufschlagsmethode (mit Gewinnaufschlag1), abzurechnen hat (vgl. im Einzelnen hierzu Rz. 6.347).2 Im Hinblick auf die Aufteilung der Einkaufsvorteile entsprechend der Inanspruchnahme bestimmter Einkaufs- und Rabattkonditionen verdeutlicht die OECD die Rückführung ihrer Auffassung auf das Poolkonzept beispielhaft für den Fall, dass die gruppenweit realisierten Einkaufsvorteile nur bestimmten Konzerngesellschaften gutgebracht werden.3 Hiernach steht es nicht im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz, wenn eine zentrale Dienstleistungsgesellschaft, die neben der zentralen Einkaufskoordination auch die Abwicklung der Bestellungen übernimmt, auf Basis bestimmter Bezugsmengen einzelner Konzerngesellschaften Mengenrabatte aushandelt und diese Einkaufskonditionen nicht entsprechend den (geplanten und) tatsächlichen Einkaufsmengen, sondern – abweichend von dem Beitrag der Einzelgesellschaften zur Erzielung des Einkaufsvorteils – den gesamten Rabatt nur für die Bestellung einer Konzerngesellschaft in Anspruch nimmt.4 „Anpassungsrechnungen“ bei Konzerneinkaufsgesellschaften. Im Hinblick auf eine zentrale Konzerneinkaufsgesellschaft, die unter Bündelung des gruppenweiten Einkaufsvolumens entsprechende Einkaufsvorteile erzielt, die Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung einkauft und diese an Konzerngesellschaften weiterverkauft, will die OECD den Fremdvergleichspreis für den Weiterverkauf nach denselben Grundsätzen wie bei Einkaufsdienstleistungen bestimmen, wobei die OECD davon ausgeht dass die zentrale Einkaufsgesellschaft Dienstleistungen in Gestalt der Koordinierung von Einkaufsaktivitäten erbringt.5 Die Handelsspanne soll hierbei kostenorientiert bestimmt werden, wobei die Empfehlung der OECD ausdrücklich auf die Kostenaufschlagsmethode Bezug nimmt, d.h. die Bestimmung anhand der für die Funktionsausübung entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags (vgl. Rz. 5.39 ff.).6 Gleichermaßen sollte die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (vgl. Rz. 5.92 ff.) in Betracht kommen. Beide Verrechnungspreismethoden führen dazu, dass die Ausübung der Einkaufsfunktion mit einem kostenorientierten Entgelt abgegolten wird und die hiernach verbleibenden Einkaufsvorteile den konzerninternen Abnehmern zugutekommen. Sollte man in dem Konzernbezugspreis einen Marktpreis sehen, der mittels der Abgeltung der Ausübung einer Routinefunktion angepasst wird, mögen die Darstellungen der OECD als Anpassungsrechnung im Hinblick auf Synergieeffekte verstanden werden können. De 1 Vgl. Tz. 8.3 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.7.; Becker, IWB F. 10 Gr. 2, 1325. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.7. 3 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 30 ff. (Beispiel 5). 4 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 33. 5 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 28 (Beispiel 3). 6 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 28 (Beispiel 3).
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
facto handelt es sich um eine dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Ermittlung von Lieferverrechnungspreisen. Eine andere Frage ist allerdings, ob die Ausübung der Einkaufsfunktion tatsächlich als Routinefunktion bzw. die Einkaufsgesellschaft als Routineunternehmen einzustufen ist. Dies würde voraussetzen, dass die Einkaufsgesellschaft marktgängige Dienstleistungen erbringt oder lediglich einfache Einkaufsfunktionen übernimmt, keine unternehmerischen Risiken trägt und nur in geringem Umfang Wirtschaftsgüter einsetzt.1 Durch die Anwendung einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode wird dem Routineunternehmen ein geringer, aber stabiler Standardgewinn zugewiesen.2 Die Empfehlungen der OECD problematisieren die Frage nach der Einordnung der Einkaufsgesellschaft als Routineunternehmen nicht, sondern unterstellen lediglich, dass die Erlangung besonderer Einkaufskonditionen lediglich auf die Bündelung der Einkaufsmacht des Konzerns zurückgeht. Überträgt man die Eigenschaften und Anforderungen einer absatzmarktseitigen risikoarmen Vertriebsgesellschaft (low risk distributor) auf eine beschaffungsmarktseitige Einkaufsgesellschaft, darf diese Einkaufsgesellschaft jedenfalls keine wesentlichen Risiken tragen, d.h. es muss sich um eine risikoarme Einkaufsgesellschaft (low risk purchaser) handeln. Sofern die Einkaufsgesellschaft gegenüber Zulieferern Abnahmeverpflichtungen eingeht, die nicht durch entsprechende Abnahmegarantien von den konzerninternen Abnehmern abgedeckt sind, trägt die Einkaufsgesellschaft wesentliche unternehmerische Risiken, was die Einordnung als Routineunternehmen ausschließt. Gleiches gilt, wenn die Gewährung bestimmter Einkaufskonditionen an das Erreichen bestimmter Umsatzstufen geknüpft ist und die konzerninterne Einkaufsgesellschaft auf Basis von Planbezugsmengen bestimmte Rabatte an die konzerninternen Abnehmer weiterreicht, ohne entsprechende Rückvergütungsansprüche abzusichern. In diesem Fall trägt die Einkaufsgesellschaft ein Preisänderungsrisiko, das ein wesentliches unternehmerisches Risiko darstellt. Auch sollte die Vorfinanzierung von Jahresendboni durch die Einkaufsgesellschaft einer Qualifikation als Routineunternehmen entgegenstehen. In diesen Fällen werden Bonuszahlungen nicht nach der Zahlung durch den Lieferanten über Rückvergütungen auf Basis der jeweiligen Ist-Abnahmemengen an die konzerninternen Abnehmer weitergegeben, sondern bereits in den Lieferverrechnungspreis einkalkuliert. Ferner darf es sich nicht um erfolgskritische Funktionen handeln, die von der Einkaufsgesellschaft ausgeübt werden. Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn die entsprechenden Einkaufsvorteile nicht ausschließlich auf entsprechende Mengeneffekte zurückgehen, sondern z.B. durch geschicktes Ausnutzen schwankender Rohstoffpreise oder Verhandlungsgeschick der Einkaufsgesellschaft entstanden sind.3 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 3 Vgl. auch Bärsch/Luckhaupt/Schulz, Ubg 2014, 41.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Diese Beispiele mögen deutlich machen, dass der konkreten Funktionsund Risikoverteilung zwischen der Konzerneinkaufsgesellschaft und den konzerninternen Abnehmern entscheidende Bedeutung dafür zukommt, ob die Abgeltung der von der Einkaufsgesellschaft ausgeübten Funktionen, der von dieser getragenen Risiken und der eingesetzten Wirtschaftsgüter durch eine bloße Routinevergütung einem Fremdvergleich standhält. Etwaige Anpassungsrechnungen müssen geeignet sein, den betreffenden Unterschied zu identifizieren und zu quantifizieren. Eine Quantifizierbarkeit und eine hinreichend genaue Anpassung sollten nur dann sichergestellt sein, wenn die Unterschiede auf Basis von Marktdaten quantifiziert werden können oder wenn es sich um die Ausübung von Routinevergütungen handelt. Dagegen kommen für Mittel- oder Hybridunternehmen Anpassungen im Hinblick auf eine ihrem Funktions- und Risikoprofil entsprechende Vergütung nicht in Betracht. Anpassungsrechnungen bei Kreditkonditionen. Die Abgrenzung zwischen aktiven und passiven Konzerneffekten verdeutlichen die Empfehlungen der OECD auch anhand des Zugangs zu bestimmten Kreditkonditionen.1 Werden einer Konzerngesellschaft allein aufgrund der reinen Konzernzugehörigkeit in Form einer rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Eingliederung in den Unternehmensverbund bei völliger Passivität der Spitzeneinheit Kreditkonditionen eingeräumt, die sie auf Basis ihrer Kreditwürdigkeit als Einzelgesellschaft nicht hätte erlangen können, dann ist die Erhöhung der Kreditwürdigkeit als passiver Konzerneffekt nicht verrechenbar.2 Diese Auffassung entspricht dem vorherrschenden Verständnis, nach dem die Erhöhung der Kreditwürdigkeit Bestandteil des sog. Rückhalts im Konzern ist, der einer Verrechnung dem Grunde nach nicht zugänglich ist (vgl. Rz. 6.131). Insofern ist es auch nur konsequent, wenn nach Auffassung der OECD diese Synergieeffekte keine Vergleichbarkeitsanpassungen im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse erfordern.3 Für konzerninterne Darlehensbeziehungen ist ferner von Bedeutung, dass ein entsprechender Vergleichszinssatz unter Einbeziehung der erhöhten Kreditwürdigkeit (als Bestandteil des Rückhalts im Konzern) als Referenz im Rahmen der Preisvergleichsmethode in Betracht kommt.4 Bekanntlich vertritt die deutsche Finanzverwaltung im Hinblick auf die Einbeziehung des Konzernrückhalts bei konzerninternen Darlehensbeziehungen die Auffassung, dass dieser bei Darlehensvergaben von einer Tochter- an ihre Muttergesellschaft und zwischen Schwestergesellschaften nicht zu berücksichtigen sei, und fordert bei Fehlen einer tatsächlichen Sicherheit einen entsprechenden Risikozuschlag.5 1 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 24 ff. (Beispiel 1 und 2). 2 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 26. 3 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 26. 4 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 25 f. 5 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 26 f.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Sofern die Erlangung bestimmten Kreditkonditionen auf aktive Handlungen einer Konzerngesellschaft z.B. in Gestalt spezieller Garantiezusagen (z.B. Bürgschafts- oder „harte“ Patronatserklärungen) zugunsten bestimmter Konzerngesellschaften zwecks Erhöhung der Kreditwürdigkeit beruht, geht Tz. 7.13 OECD-Leitlinien1 von einer verrechenbaren und verrechnungspflichtigen konzerninternen Dienstleistung aus. Im Hinblick auf die Bestimmung der Avalvergütung führen die Empfehlungen der OECD nunmehr aus, dass sie sich nach dem Vorteil bestimmen muss, den der konzerninterne Darlehensgeber aus der Erhöhung der Kreditwürdigkeit hat.2 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass eine partielle Berücksichtigung des Rückhalts im Konzern, auf dessen Basis die Bonität der Tochtergesellschaft ohne entsprechende Garantie bestimmt wurde, die Referenz für die Ermittlung des (Zins-)Vorteils darstellt.3 Insofern kann die Vorteilsbestimmung nicht fiktiv auf die Bonität zurückgreifen, die der jeweilige konzerninterne Darlehensnehmer als nicht verbundzugehörige Einzelgesellschaft hätte, sondern auf den Vorteil, der ausschließlich durch die Garantie erlangt wird. Diese Auffassung ist insofern sachgerecht, als der Rückgriff auf ein Einzelrating z.T. passive Konzerneffekte einbeziehen und verrechnen würde (vgl. ausführlich auch Rz. 6.521 ff.). Vor diesem Hintergrund mag man Vergleichbarkeitsanpassungen im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse im Hinblick auf Synergieeffekte darin sehen, dass die tatsächliche Kreditwürdigkeit, d.h. ggf. unter Einbeziehung der Erhöhung der Kreditwürdigkeit durch partielle Berücksichtigung des Rückhalts im Konzern, zu bestimmen ist.
V. Zeitliche Aspekte der Vergleichbarkeitsprüfung 1. Price-setting- und Outcome-testing-Ansatz
3.99
Unterschiedliche Ansätze. Die OECD-Leitlinien unterscheiden Zeitfragen der Vergleichbarkeit im Hinblick auf den Ursprungs-, den Erhebungsund den Erstellungszeitpunkt der Informationen über Vergleichbarkeitsfaktoren.4 Was den Ursprungszeitpunkt der Vergleichstransaktionen und der Informationen über deren Bedingungen anbelangt, stellt Tz. 3.68 OECD-Leitlinien auf den Idealzustand ab, wonach die Bedingungen solcher Fremdgeschäftsvorfälle die verlässlichsten Informationen für eine Vergleichbarkeitsanalyse darstellten, die zum selben Zeitpunkt wie der zu beurteilende Geschäftsvorfall zwischen den verbundenen Transaktionspartnern begonnen oder durchgeführt wurden („zeitgleiche Fremdgeschäftsvorfälle“).5 Dieser Idealzustand würde es allerdings erfordern, dass Informationen über die wesentlichen Vergleichbarkeitsfaktoren in einer gewissen Zeitnähe zu ihrem Ursprung auch verfügbar wären. Wenn 1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 7.13 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 27. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 27. Vgl. Tz. 3.67 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.68 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Tz. 3.68 OECD-Leitlinien in diesem Zusammenhang von einer möglicherweise nur eingeschränkten Datenverfügbarkeit spricht („Availability of information […] may however be limited in practice“)1, bildet diese vage Aussage die Realität der Verrechnungspreispraxis allenfalls unzulänglich ab. Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass wesentliche Informationen über Vergleichbarkeitsfaktoren zum Zeitpunkt der Transaktion zwischen den verbundenen Transaktionspartnern – wenn überhaupt – nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung verfügbar sind, sieht man einmal von gesamtwirtschaftlichen und branchenspezifischen Rahmenbedingungen ab. Insofern ist es zu begrüßen, dass nach der beabsichtigten Änderung von Tz. 3.68 OECD-Leitlinien für die Durchführung der Vergleichbarkeitsanalyse das Bestreben danach, möglichst zeitnahe Informationen zu identifizieren und zu nutzen, mit der Einschränkung versehen ist, dass die praktischen Grenzen der Datenverfügbarkeit und -erhebung zu berücksichtigen sind.2 Für die Verrechnungspreisbestimmung entscheidend sind die unterschiedlichen Konzepte, die die OECD-Leitlinien als Zeitfragen hinsichtlich des Zeitpunkts der Datenerhebung diskutieren.3 Im Grundsatz geht es um die Frage, ob für die fremdvergleichskonforme Bepreisung konzerninterner Transaktionen auf Informationen über vergleichbare Transaktionen zwischen unverbundenen Transaktionspartnern zurückzugreifen ist bzw. zurückgegriffen werden kann, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses verfügbar waren oder ob auch solche Informationen einzubeziehen sind, die erst nachträglich verfügbar werden bzw. die Vergleichstransaktionen betreffen, die gleichzeitig oder später erfolgt sind. Die OECD-Leitlinien unterscheiden in diesem Zusammenhang zwei Konzepte: den sog. „Ex-ante“-Ansatz bzw. „Arm’s-length-pricesetting“-Ansatz und den „Ex-post“-Ansatz bzw. „Arm’s-length-outcometesting“-Ansatz. Die OECD hat am 6.6.2012 einen Diskussionsentwurf zu den Zeitfragen für die Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise veröffentlicht, mit dem die Tz. 3.67 bis 3.70 der OECD-Leitlinien i.d.F. vom 22.7.2010 erneut geändert werden sollen.4 Die Änderungen betreffen im Wesentlichen die genannten unterschiedlichen Konzepte des „Price-setting-Ansatzes“ und des „Outcome-approach-Ansatzes“. Auf Grundlage der zahlreichen Stellungnahmen insbesondere aus der Beratungspraxis5 lässt sich ableiten, dass in der Verrechnungspreispraxis insbesondere eine flexible An1 Tz. 3.68 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. den Diskussionsentwurf der OECD „Draft on timing issues relating to transfer pricing“ vom 6.6.2012, verfügbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transferpricing/50519380.pdf. 3 Vgl. Tz. 3.69 ff. OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. den Diskussionsentwurf der OECD „Draft on timing issues relating to transfer pricing“ vom 6.6.2012, verfügbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transferpricing/50519380.pdf. 5 Vgl. OECD, „The comments received with respect to the discussion draft on timing issues relating to transfer pricing“ v. 29.10.2012, verfügbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/Timing_Issues_Comments.pdf.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
wendung der beiden Ansätze und keine starre Festlegung auf eines der Konzepte gefordert werden.1
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„Ex-ante“-Ansatz („Arm’s-length-price-setting“-Ansatz). Nach dem sog. „Arm’s-length-price-setting“-Ansatz werden für die Verrechnungspreisbestimmung nur solche Informationen zugrunde gelegt, die zum Zeitpunkt der Preissetzung verfügbar waren; die OECD-Leitlinien sprechen in diesem Zusammenhang von Informationen, die zu diesem Zeitpunkt „vernünftigerweise zugänglich“ sind.2 Im Nachhinein mögen durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, welche Informationen wem zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar waren oder hätten verfügbar gewesen sein müssen. Tz. 3.68 OECD-Leilinien soll deshalb insofern geändert werden, dass es auf die (positive) Kenntnis der verbundenen Transaktionspartner ankommt sowie auf solche Informationen, die zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses vernünftigerweise vorhersehbar waren.3 Auffällig ist hier, dass für die Preissetzung auf die Kenntnis beider Transaktionspartner abgestellt wird, womit Informationen und Umstände von Bedeutung sind, die lediglich einem der Transaktionspartner tatsächlich bekannt waren bzw. Entwicklungen, die aufgrund des jeweiligen Kenntnisstandes nur für einen der Transaktionspartner vorhersehbar waren. Man kann hierin eine gewisse Nähe zur symmetrischen Informationsverteilung zwischen verbundenen Transaktionspartnern feststellen, wie sie § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.v. § 1 AStG vorgibt. Wie jede unternehmerische Preiskalkulation und jede unternehmerische Planung geht der Informations- und Kenntnisstand über die wesentlichen preisbestimmenden Einflussfaktoren vergleichbarer Geschäftsvorfälle auf vergangenheitsbezogene Daten zurück und berücksichtigt Veränderungen, die zwischen dem Ursprungzeitpunkt der betreffenden Daten und dem Zeitpunkt der Preisfestsetzung eingetreten sind. Insofern ist die Feststellung der OECD-Leitlinien im Hinblick auf die Berücksichtigung wirtschaftlicher Veränderungen und Marktveränderungen gerechtfertigt und entspricht ordnungsmäßiger Unternehmensplanung. Entscheidend ist, dass in die Verrechnungspreisbestimmung nur die Informationen eingehen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung bekannt waren. Der Ex-ante-Ansatz beruht darauf, dass der Fremdvergleichsgrundsatz zum Zeitpunkt der Durchführung der Geschäftsbeziehung – „ex ante“ – beachtet wird. Später eintretende Entwicklungen berühren die Vereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz ebenso wenig wie das erst nach Abschluss der Geschäftsbeziehung Bekanntwerden von Informatio1 Vgl. hierzu auch Dawid/Renaud in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 259. 2 Vgl. Tz. 3.68 OECD-Leitlinien 2010; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 143 f. 3 Vgl. OECD, „The comments received with respect to the discussion draft on timing issues relating to transfer pricing“ v. 29.10.2012, verfügbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/Timing_Issues_Comments.pdf.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
nen über preisbestimmende Einflussfaktoren, die ihren Ursprung vor dem Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung haben. Daneben sollen nach den beabsichtigten Änderungen in Tz. 3.69 der OECD-Leitlinien allerdings auch solche Informationen über wirtschaftliche Veränderungen und Marktveränderungen der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde gelegt werden, die nach dem Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung wahrscheinlich eintreten, zu diesem Zeitpunkt vernünftigerweise hätten vorhergesehen werden können und unter fremden Dritten bei vergleichbaren Verhältnissen die Preisbestimmung beeinflusst hätten.1 Mit dieser Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Hinblick auf die Verrechnungspreisbestimmung zum Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung entfernen sich die OECD-Leitlinien deutlich vom „Ex-ante“-Ansatz und öffnen diesen hin zum „Ex-post“-Ansatz (vgl. Rz. 3.101). Nicht nur dass der Steuerpflichtige gehalten sein soll, zukünftig ggf. eintretende Marktveränderungen zu prognostizieren und über Eintrittswahrscheinlichkeiten zu sinnieren. Er hätte zudem Spekulationen darüber anzustellen, ob und in welcher Weise diese Veränderungen die Preisvereinbarungen zwischen fremden Dritten beeinflusst hätten. Was letzteren Aspekt anbelangt, entstehen Preise am Markt üblicherweise im Verhandlungswege und nicht durch einseitige Preissetzung. Insofern müsste der Steuerpflichtige auch den Einfluss dieser Marktveränderungen auf die Ergebnisse von Preisbildungsprozessen, wie sie bezogen auf den Liefer- und Leistungsgegenstand zwischen unverbundenen Transaktionspartner erfolgen, prognostizieren, was theoretisch wie praktisch unmöglich ist. Richtigerweise implizieren die Ausdrücke „reasonable been anticipated“ und „would have affected the pricing that would have been agreed between independent enterprises in similar circumstances“, dass es nur um solche allgemeinen Markterwartungen gehen kann, wie sie üblicherweise die Preisbildung für homogene Güter auf organisierten Märkten (z.B. Börsen) beeinflussen. „Ex-post“-Ansatz („Arm’s-length-outcome-testing“-Ansatz). Nach dem sog. „Arm’s-length-outcome-testing“-Ansatz bestimmt sich die Übereinstimmung der Verrechnungspreisbestimmung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht zum Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung, sondern zu einem späteren Zeitpunkt nach Abschluss oder während der Durchführung der Geschäftsbeziehung, d.h. im Nachhinein. Hierbei verprobt der Steuerpflichtige das tatsächlich auf Grundlage des vereinbarten Verrechnungspreises eingetretene Ergebnis aus der Geschäftsbeziehung daraufhin, ob dieses im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz steht.2 Die OECD-Leitlinien gehen gegenwärtig davon aus, dass eine solche Überprüfung mit der Erstellung der Steuererklärung zum Jahresende erfolgt. Mit der Änderung von Tz. 3.70 der OECD-Leitlinien soll eine ver1 Vgl. den Diskussionsentwurf der OECD „Draft on timing issues relating to transfer pricing“ vom 6.6.2012, verfügbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transferpricing/50519380.pdf. 2 Vgl. Tz. 3.70 OECD-Leitlinien 2010.
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3.101
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
pflichtende starre Überprüfung zum Jahresende aufgegeben und stattdessen auf den Zeitpunkt der Erstellung der Steuererklärung abgestellt werden.1 Für die Überprüfung sollen sämtliche zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen über die Ergebnisse vergleichbare Geschäftsvorfälle zwischen unverbundenen Transaktionspartnern herangezogen werden, die zur selben Zeit oder zeitlich vor der zu beurteilenden Geschäftsbeziehung erfolgt sind. Ggf. ist etwaigen Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch entsprechende Anpassungen Rechnung zu tragen, wenn die Vergleichstransaktion zeitlich vor der zu beurteilenden Geschäftsbeziehung erfolgte.2 Im Rahmen des „Arm’s-length-outcome-testing“-Ansatzes kommt es ausschließlich auf die materielle Angemessenheit, d.h. auf die Höhe der Vergütung an, unabhängig davon, wie diese konkret hergestellt wurde. In diesem Zusammenhang ist auch die Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 11.10.20123 zur Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden Regelung des Art. 6 DBA-Niederlande von Bedeutung. Der BFH hat – im Zusammenhang mit der konzerninternen Erbringung von Dienstleistungen gegen Kostenumlage (vgl. Rz. 6.395 f.) – entschieden, dass die sog. Sonderbedingungen für beherrschende Gesellschafter im Rahmen des anzustellenden Fremdvergleichs als Korrektiv ausscheiden, weil Art. 6 DBA-Niederlande innerstaatliche Korrekturmöglichkeiten auf Fälle materieller Unangemessenheit beschränkt. Vor diesem Hintergrund sollten Zweifel an der restriktiven Haltung der deutschen Finanzverwaltung zur Zulässigkeit von Jahresendanpassungen bestehen (Rz. 3.111). 2. Unsicherheiten und Preisanpassungen
3.102
Preisvereinbarung unter Unsicherheit. Preisvereinbarungen zwischen verbundenen Unternehmen erfolgen ebenso wie Preisvereinbarungen zwischen unverbundenen Transaktionspartnern unter Unsicherheit. Tz. 3.72 der OECD-Leitlinien behandelt die Frage, ob und nach welchen Grundsätzen unvorhersehbare Ereignisse in der Vergleichbarkeitsanalyse Berücksichtigung finden müssen, wobei dieser Frage bei hoher Unsicherheit der Bewertung besondere Bedeutung beigemessen wird.4 Der besondere Hinweis darauf, dass die Bewertung zum Zeitpunkt der Vergleichbarkeitsanalyse „höchst unsicher“ war, impliziert, dass nicht jedwedes Bestehen von Unsicherheiten die Vergleichbarkeit beeinflusst und deshalb Berücksich1 Vgl. den Diskussionsentwurf der OECD „Draft on timing issues relating to transfer pricing“ vom 6.6.2012, verfügbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transferpricing/50519380.pdf. 2 Vgl. den Diskussionsentwurf der OECD „Draft on timing issues relating to transfer pricing“ vom 6.6.2012, verfügbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transferpricing/50519380.pdf. 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324. Siehe hierzu auch Gosch, BFH/PR 2013, 88; Andresen/Immenkötter/Frohn, DB 2013, 534; Schnorberger/Becker, IStR 2013, 109. 4 Vgl. Tz. 3.72 OECD-Leilinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
tigung in der Vergleichbarkeitsanalyse finden sollte. Tz. 3.73 OECD-Leitlinien führt dementsprechend aus, dass das bloße Vorhandensein von Unsicherheiten keine nachträglichen Anpassungen erforderlich macht.1 Insofern gehen die OECD-Leitlinien im Grundsatz davon aus, dass Bewertungsunsicherheiten wie Prognoserisiken zugunsten wie zulasten des jeweiligen Transaktionspartners gehen und – wie bei unverbundenen Transaktionspartnern – keine nachträglichen Preisanpassungen nur deshalb rechtfertigten, weil diese im Konzernverbund – und zwar aufgrund der Verbundenheit der Transaktionspartner – vermeintlich einfach durchsetzbar wären. Es ist gerade die Funktion des Fremdvergleichsgrundsatzes, den fehlenden Interessengegensatz aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit der Transaktionspartner zu überwinden. Maßgeblichkeit des Fremdvergleichsgrundsatzes. Wenig aufschlussreich empfehlen die OECD-Leilinien für die Berücksichtigung unvorhersehbarer Ereignisse eine Orientierung daran, wie fremde Dritte unter vergleichbaren Umständen gehandelt hätten, um die Bewertungsunsicherheiten bei der Preisvereinbarung für den betreffenden Geschäftsvorfall zu berücksichtigen. Mithin soll es sich nach dem Fremdvergleichsgrundsatz bestimmen, ob und mit welchen Maßnahmen unverbundene Transaktionspartner „hohen“ Bewertungsunsicherheiten Rechnung tragen. Die OECD-Leitlinien führen hierzu in Tz. 3.73 und 9.88 wie folgt aus: „The main question is to determine whether the valuation was sufficiently uncertain at the outset that the parties at arm’s length would have required a price adjustment mechanism, or whether the change in value was so fundamental a development that it would have led to a renegotiation of the transaction.“2 Mithin wird gerade die Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel selbst einem Fremdvergleich anheimgestellt, ohne für dessen Durchführung konkrete Vorgaben zu machen oder gar das Ergebnis vorwegzunehmen. Dies entspricht im Übrigen den Auslegungsrundsätzen der OECD-Leitlinien in Tz. 6.28 ff., die Anpassungsklauseln als eine – von zahlreichen anderen – Möglichkeiten zur Erfassung der Unsicherheit darstellen, ohne allerdings eine Verpflichtung zu ihrem Abschluss vorzusehen.3
3.103
„Pacta sunt servanda“ und Fremdvergleichsgrundsatz. Eine andere Frage ist, ob die alternative Möglichkeit der Neuverhandlung wesentlicher Vertragsbestimmungen, hier insbesondere des vereinbarten Preises, einem Fremdvergleich überhaupt zugänglich ist. Die OECD-Leitlinien wollen diese Frage in Fällen, in denen eine Wertveränderung eine (derart) grundlegende Entwicklung darstellt, nach dem Fremdvergleichsgrundsatz beantworten. Richtigerweise müssen fremde Dritte auch die rechtlichen Möglichkeiten haben, eine solche Nachverhandlung durchzusetzen. Nach dem Grundsatz der Vertragstreue („pacta sunt servanda“) sind zivilrechtlich die Parteien an den von ihnen geschlossenen Vertrag gebunden,
3.104
1 Vgl. Tz. 3.73 OECD-Leitlinien 2010. 2 Tz. 3.73 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 6.28 ff. OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
es sei denn, es wurden vertragliche Vorbehalte vereinbart oder ein Festhalten an dem Vertrag ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, insbesondere bei Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage, nicht mehr zumutbar.1 Ob eine schwerwiegende Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt, bestimmt sich nach Treu und Glauben oder – entsprechend der Rechtswahl – nach § 313 BGB bzw. der vergleichbaren Regelung ausländischen Zivilrechts. Diese Rechtsfrage ist einem Fremdvergleich grundsätzlich nicht zugänglich. Sie ist im konkreten Einzelfall entsprechend der zivilrechtlichen Rechtsprechung zu beantworten und nach allgemeinen Beweislastregeln von demjenigen nachzuweisen, der für sich das Vorliegen der Voraussetzungen in Anspruch nimmt. Erst wenn feststeht, dass die Neu- oder Nachverhandlung wesentlicher Vertragsbestimmungen zivilrechtlich durchsetzbar ist, können Fremdvergleichsgesichtspunkte darüber Aufschluss geben, ob fremde Dritte unter vergleichbaren Umständen Nachverhandlungen geführt hätten. Hierfür kann es durchaus von Bedeutung sein, ob aufgrund von Interessen an anderweitigen Lieferungs- und Leistungsbeziehungen im konkreten Einzelfall ein Festhalten an der unveränderten Preisvereinbarung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar ist.2 Liegen demgegenüber die zivilrechtlichen Voraussetzungen für eine Nachverhandlung nicht vor, entspricht es gerade dem Fremdvergleichsgrundsatz, dass sich diejenige Vertragspartei, zu deren Lasten sich Nachverhandlungen auswirken würden, auf den Grundsatz der Vertragstreue beruft und entsprechende Ansprüche durchsetzt. Jedes andere Verhalten ließe sich allenfalls durch die Verbundenheit der Transaktionspartner erklären und würde deshalb zu einem Ergebnis führen, das mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht zu vereinbaren wäre. Die deutsche Finanzverwaltung will dagegen in Tz. 195 der VWG-Funktionsverlagerung die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vorliegen, mittels des Fremdvergleichsgrundsatzes und unter Einbeziehung der gesetzlichen Fiktion des § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG beantworten. So heißt es in Tz. 195 der VWGFunktionsverlagerung wie folgt: „Weichen die prognostizierten Gewinne erheblich von den tatsächlich realisierten Gewinnen ab, ist davon auszugehen, dass sich fremde Dritte mit Erfolg auf eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB hätten berufen können“.3 Die Finanzverwaltung versucht hier eine Umkehr der Beweislast auf Tatbestandsebene einzuführen, um letztlich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, den auf das Verhalten fremder Dritter reduzierten Soll-Vergleichstatbestand zur Anwendung zu bringen. Diese Auffassung ist ohne Rechtsgrundlage und lässt sich nicht auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurückführen (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 7.12). 1 Zu den zivilrechtlichen Möglichkeiten nachträglicher Preisanpassungen siehe Engler, IStR 2009, 686 f.; Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, N Rz. 558 ff. 2 Vgl. in diesem Zusammenhang auch BMF v. 29.3.2011 – VI B 5 - S 1341/09/1004, BStBl. I 2011, 277 Tz. 17 und 19. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 195.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Zeitpunkt des Bestehens von Unsicherheiten. Die entscheidende Frage für den Umgang mit Unsicherheiten bei der Verrechnungspreisbestimmung besteht darin, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem hohe Unsicherheiten bei der Bewertung bestanden haben müssen. Tz. 3.72 und 3.73 OECD-Leitlinien deuten mit der Verwendung der Begriffe „zu Beginn“, „zum Zeitpunkt der Untersuchung […] nicht vorhersehbar waren“ und „von vornherein“ darauf hin, dass es nicht auf Informationen ankommen kann, die sich erst im Nachhinein durch das Abweichen der tatsächlichen von der prognostizierten Entwicklung einstellen. Vielmehr ist auf die Informationen abzustellen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Geschäftsvorfalls bzw. zum früheren Zeitpunkt der Vergleichbarkeitsanalyse verfügbar waren. Dies ergibt sich zudem zwingend daraus, dass die Diskussion um die Berücksichtigung unvorhersehbarer Ereignisse nur vor dem Hintergrund des zeitlichen Konzepts des „Price-setting-Ansatzes“ Sinn macht, nach dem auf die zum Zeitpunkt der Preissetzung verfügbaren Informationen zurückgegriffen wird (Rz. 3.100), während nach dem „Outcome-testing-Ansatz“ auch ex-post verfügbare Informationen herangezogen werden (Rz. 3.101).1 Nach allgemeinen Beweislastregeln muss das Ex-ante-Bestehen von hohen Bewertungsunsicherheiten auf Basis der zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses verfügbaren Informationen von demjenigen nachgewiesen werden, der dieses für sich in Anspruch nehmen will. Demgegenüber regelt § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG die Frage des Bestehens von Unsicherheiten zum Zeitpunkt des Abschlusses einer Geschäftsbeziehung mittels einer „wiederlegbaren Vermutung“ für Fälle, in denen der hypothetische Fremdvergleich zur Anwendung kommt (Rz. 5.242 ff.) und für Funktionsverlagerungen (Rz. 7.129 ff.). Hiernach wird bei einer erheblichen Abweichung der tatsächlichen späteren Gewinnentwicklung von der ursprünglich erwarteten Gewinnentwicklung wiederlegbar vermutet, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses erhebliche Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden haben. Der entscheidende Unterschied zwischen der Auffassung der OECD und § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG besteht in der Beweislastverteilung. Während die OECD von einer Beweislast der Finanzverwaltung ausgeht,2 ist innerstaatlich mittels einer widerlegbaren Vermutung eine Beweislastumkehr zulasten des Steuerpflichtigen geregelt.3 Andererseits beschränken sich die gesetzlichen Regelungen zur Berücksichtigung erheblicher Bewertungsunsicherheiten auf die Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs, womit deren Berücksichtigung in allen Fällen ausgeschlossen ist, in denen die Vergleichbarkeitsanalyse im Hinblick auf die Anwendung eine Verrechnungspreismethode durchgeführt wird. Dies gilt deshalb, weil die Anwendung jeder geeigneten Verrechnungspreis1 Vgl. auch Dawid/Renaud in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 273 f. 2 Vgl. hierzu auch Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 278 f. 3 Vgl. auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 141.
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3.105
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
methode nach dem gesetzlich geregelten Stufenverhältnis des § 1 Abs. 3 AStG auf die Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs zurückgeführt wird (Rz. 5.153). Insofern scheinen die Überlegungen der OECDLeitlinien weitreichender, da sie von einer Übertragbarkeit der Grundsätze zu immateriellen Vermögenswerten auf alle Arten von Geschäftsvorfällen ausgehen, bei denen Bewertungsunsicherheiten bestehen.1 Ferner ist die Vergleichbarkeitsanalyse nach den OECD-Leitlinien per se auf die Identifikation der verlässlichsten Vergleichswerte im Rahmen der Auswahl und Anwendung der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode gerichtet.2 3. Mehrjahresanalysen
3.106
Einbeziehung von Vergleichswerten mehrerer (Vor-)Jahre. Tz. 3.75 bis 3.79 OECD-Leitlinien behandeln die Einbeziehung von Daten mehrerer Jahre in die Vergleichbarkeitsanalyse. In der Verrechnungspreispraxis werden Vergleichbarkeitsanalysen vielfach auf mehrere Jahre bezogen, um die Verlässlichkeit der abgeleiteten methodenspezifischen Vergleichswerte zu erhöhen. Weder nach den OECD-Leitlinien noch nach den VWG-Verfahren ist eine solche Mehrjahresanalyse jedoch zwingend vorgegeben. Nach Tz. 3.75 OECD-Leitlinien sind Mehrjahresanalysen zwar hilfreich, jedoch kein systematisches Erfordernis.3 Vielmehr ist nach den OECD-Leitlinien bezogen auf den jeweiligen Einzelfall darüber zu entscheiden, ob durch die Verwendung von Mehrjahresdaten der Wert der Vergleichbarkeitsanalyse und damit die Verlässlichkeit der Ergebnisse erhöht werden. Dementsprechend gehen die VWG-Verfahren von einer Zulässigkeit von Mehrjahresanalysen und davon aus, dass ihre Erstellung und Aufzeichnung zweckmäßig sein kann.4 Dies bedeutet allerdings nicht, dass Vergleichbarkeitsanalysen unter Verwendung von Daten lediglich einzelner Wirtschaftsjahre für die Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen nicht ausreichend seien bzw. deren Verwertbarkeit für Zwecke der Angemessenheitsdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV per se beeinträchtigen würden.5 Richtigerweise müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch eine Mehrjahresanalyse die Zuverlässigkeit der Vergleichbarkeitsanalyse erhöht wird. Regelmäßig ist die Durchführung von Mehrjahresanalysen darauf gerichtet, Einmal- und Sondereffekte, wie z.B. besondere Verlust- oder Gewinnsituationen, zu identifizieren und zu eliminieren und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des konkreten Geschäftsvorfalls (z.B. Produktlebens- und Konjunkturzyklen) zu verstehen.6 1 2 3 4
Vgl. Tz. 3.73 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.2 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.75 OECD-Leitlinien 2010. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.9. 5 A.A. Kolb, IWB Fach 3 Gruppe 9, 2395. 6 Vgl. Tz. 3.76 f. OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.9.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Kein maßgeblicher Mehrjahreszeitraum. Weder die OECD-Leitlinien noch die VWG-Verfahren regeln Grundsätze, nach denen eine Mehrjahresanalyse durchgeführt werden kann. Tz. 3.75 OECD-Leitlinien weist in diesem Zusammenhang sogar ausdrücklich darauf hin, dass es nicht zweckmäßig sei, hinsichtlich der von einer Mehrjahresanalyse abzudeckenden Anzahl von Jahren verbindliche Leitlinien zu bestimmen.1 In der Verrechnungspreispraxis wird zum einen darauf hingewiesen, dass sich Zeiträume von drei bis fünf aufeinanderfolgenden Jahren als aussagefähig erwiesen hätten.2 Zum anderen werden für die mittels Mehrjahresanalysen bezweckte Glättung konjunktureller und branchenspezifischer Marktzyklen ein Dreijahreszeitraum als Regelfall und in Fällen längerer Marktzyklen ein Fünfjahreszeitraum als begründungsbedürftiger Ausnahmefall angeführt.3 Schließlich wird für Deutschland eine Orientierung an konkreten Betriebsprüfungszeiträumen von drei bis vier Jahren festgestellt,4 wobei diese Praxis weniger einer ökonomischen Rechtfertigung im Hinblick auf konkrete Markt-, Branchen- und Produktlebenszyklen als vielmehr dem Umstand geschuldet sein sollte, dass Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV in Deutschland vielfach für Betriebsprüfungszwecke erstellt werden. Anhaltspunkte für Beobachtungszeiträume von drei bis fünf Jahren können auch der Rechtsprechung des BFH in den Urteilen vom v. 17.2.19935 und 17.10.20016 zur Anerkennung von Anlaufverlusten bei Vertriebsgesellschaften entnommen werden, die von der Erzielung eines „angemessenen“ Totalgewinns innerhalb eines – vom BFH nicht näher quantifizierten – überschaubaren Kalkulationszeitraums abhängig gemacht wird, wobei dieser Kalkulationszeitraum in der Literatur mit fünf Jahren7 angenommen wird. Ferner bestehen im Hinblick auf die mittels Mehrjahresanalysen intendierte angemessene Berücksichtigung von konjunkturellen Einflüssen, Produktlebenszyklen, Risiken, besonderen Kosteneinflüssen und Geschäftsstrategien Bezüge zur Bestimmung des Kapitalisierungszeitraums bei Bewertungen von Unternehmen, immateriellen Wirtschaftsgütern und Transferpaketen im Rahmen von Funktionsverlagerungen nach anerkannten ertragswertbasierten Bewertungsverfahren. Im Zusammenhang mit der Bewertung von Transferpaketen nach ertragswertbasierten Bewertungsverfahren wird abweichend von dem nach § 6 FVerlV vorgegebenen unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum ein zeitlich begrenzter Kapitalisierungszeitraum von drei bis fünf Jahren mit der Berücksichtigung zeitlicher Aspekte wie Produktlebenszyklen, technische Entwicklungen, Absatzmarktände1 Vgl. Tz. 3.75 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Kolb, IWB Fach 3 Gruppe 9, 2395. 3 Vgl. Dawid/Renaud in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 282. 4 Vgl. Dawid/Renaud in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 286. 5 BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457. 6 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 7 Vgl. Wassermeyer, WPg 2002, 16.
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3.107
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
rungen, Bedarfswandlungen am Markt etc. begründet (vgl. Rz. 7.96 ff.).1 Schließlich weisen Beobachtungszeiträume von drei bis fünf Jahren eine gewisse internationale Üblichkeit auf.2
3.108
Glättung von Marktzyklen und gesamtwirtschaftliche Einflüsse. Die Durchführung von Mehrjahresanalysen ist darauf gerichtet, die Verlässlichkeit der Vergleichbarkeitsanalyse für die Ableitung zuverlässiger und verwertbarer Vergleichswerte zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund müssen die konkret in die Mehrjahresanalyse einbezogenen Jahre eine gewisse Stabilität gesamtwirtschaftlicher und branchenspezifischer Rahmenbedingungen aufweisen, die die Vergleichbarkeit der Fremdvergleichswerte nicht per se beeinträchtigt. Für den konkreten Beobachtungszeitraum muss insofern sichergestellt sein, dass die in diesem Zeitraum vorherrschenden Markt- und Wettbewerbsverhältnisse mit denen vergleichbar sind, die der zu bepreisenden verbundinternen Transaktion zugrunde liegen, oder dass die auf außergewöhnliche Effekte zurückgehenden Unterschiede durch die Mehrjahresanalyse identifiziert und eliminiert werden können. Diese Vergleichbarkeit besteht jedenfalls nicht bei Instabilität der gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie in Zeiten der Finanzmarktkrise und der nachfolgenden Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 vorherrschte, die – regional begrenzt – von einer Staatsschuldenkrise begleitet wird, deren (Folge-)Wirkungen bis in die Gegenwart andauern. Für die Vergleichswerte dieser Jahre ist fraglich, ob sie auf vergleichbare Verhältnisse zurückgehen und deshalb verwend- bzw. verwertbar sind.3 Insofern bedarf es der Identifikation von Vergleichsdaten, die ebendiese Vergleichbarkeit aufweisen. Hier dürfte allerdings die Datenbasis (noch) als unzureichend zu bezeichnen sein. Dieser Umstand wird insbesondere die Datenbankanalyse zukünftig vor die Herausforderung stellen, auch die Volatilität der ermittelten Vergleichsdaten zu dokumentieren.4 Dies wird zwangsläufig die Ausdehnung des Beobachtungszeitraums erfordern, um Rezessions- wie Wachstumsphase in dem Datensatz zu berücksichtigen.5
3.109
Mehrjahresanalyse und Durchschnittsbildung. Im Rahmen von Mehrjahresanalysen werden in der Verrechnungspreispraxis zumeist Durchschnittsbetrachtungen angestellt und diese Mehrjahresdurchschnitte als Vergleichswerte zugrunde gelegt. Tz. 3.79 der OECD-Leitlinien weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Verwendung von Mehrjahresdaten nicht zwingend die Bildung mehrjähriger Durchschnittswerte bedingt.6 Die Auffassung der OECD-Leitlinien ist vor dem Hintergrund zu 1 Vgl. Ditz, DStR 2006, 1628; Finsterwalder, IStR 2004, 767; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1951; Vögele, DStR 2010, 422; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.420. 2 Vgl. Eigelshoven in V/L5, Art. 9 OECD-MA Rz. 117; Eigelshoven/Ebering in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 123. 3 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 38; siehe ferner Engler, IStR 2009, 685 ff. 4 Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 38. 5 Vgl. Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160. 6 Vgl. Tz. 3.79 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
sehen, dass Vergleichswerte, die den Vergleichbarkeitsanforderungen nicht genügen oder deren Zuverlässigkeit in Frage steht, grundsätzlich aus der Vergleichbarkeitsanalyse auszuscheiden sind (vgl. Rz. 5.171 ff.). Sie finden auch über eine Durchschnittsbildung keine Berücksichtigung. Ebenso geht die deutsche Finanzverwaltung davon aus, dass die Zulässigkeit von Mehrjahresanalysen nicht die Anerkennung von Durchschnittsbetrachtungen in jedem Fall impliziert.1 Die OECD-Leitlinien stellen allerdings auch fest, dass Vergleichswerte mehrerer Jahre und Mehrjahresdurchschnittswerte in vielen Fällen die Zuverlässigkeit von Preis- oder Wertbandbreiten verbessern können. Hier geht allerdings die Frage dahin, ob diese Feststellung die zutreffende Bestimmung von Fremdvergleichsbandbreiten selbst oder die Auswahl eines bestimmten Werts innerhalb dieser Fremdvergleichsbandbreite betrifft. Nach Tz. 3.62 der OECD-Leitlinien wird jedenfalls die Verwendung gewichteter Durchschnittswerte als ein statistisches Mittel mit zentraler Tendenz angeführt, um das Fehlerrisiko durch unbekannte oder verbliebene nicht quantifizierbare Vergleichbarkeitsmängel zu minimieren.2 Eine andere Frage ist, nach welchen Grundsätzen Mehrjahresdurchschnittswerte zu ermitteln sind, d.h. als ungewichteter oder gewichteter Durchschnittswert. Konkrete Anhaltspunkte lassen sich weder den OECD-Leitlinien noch den VWG-Verfahren entnehmen. Im Hinblick auf die Zielsetzung von Mehrjahresanalysen, Sondereffekte aufgrund von Marktzyklen zu identifizieren und zu eliminieren, um so die Zuverlässigkeit der Vergleichbarkeitsanalyse zu erhöhen, muss die konkrete Ausgestaltung der Durchschnittswertbildung als ungewichteter oder gewichteter Durchschnitt (einschließlich der konkreten Gewichtungsfaktoren) dieser Zielsetzung Rechnung tragen. Insofern kommen beide Arten der Durchschnittswertbildung grundsätzlich in Betracht. Gewichtete Durchschnittswerte, die regelmäßig mit einer stärkeren Gewichtung zeitnäherer Vergleichswerte gebildet werden, vermitteln jedenfalls dann eine bloße Scheingenauigkeit, wenn die mit dieser Wertbildung implizierte Entwicklung mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt. 4. Jahresendanpassungen/Year-End-Adjustments Plan-Ist-Abweichungen und Jahresendanpassungen. In der Verrechnungspreispraxis werden die Verrechnungspreise für gleichartige Lieferungen und Leistungen üblicherweise im Rahmen des jährlichen Budgetprozesses auf Planbasis bestimmt und unterjährig abgerechnet. Entsprechend dem Ex-ante-Ansatz erfolgt die Preissetzung mithin im Vorhinein auf Basis der zum Zeitpunkt der Budgetierung vorhandenen Informationen. Dies entspricht – wie im Verhältnis zu unverbundenen Transaktionspartnern – ordnungsmäßiger Preiskalkulation und führt im Ergebnis zu einer für das Budgetjahr geltenden Preisliste. In Abhängigkeit von der konkreten Verrechnungspreismethode, die für die Bestimmung der Verrech1 Tz. 3.79 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2010.
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3.110
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
nungspreise der betreffenden Lieferungen oder Leistungen angewandt wurde, geht die Anwendung von Planzahlen mit Mengen-, Preis- oder Kostenabweichungsrisiken einher, die sich aufgrund des Prognosecharakters zugunsten der einen Vertragspartei und – vice versa – zulasten der anderen Vertragspartei auswirken können. Im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode betrifft dies etwa die Abweichung der Plan- von den Istkosten, wobei die Plankosten und das Gewinnelement auf Basis der Planmengen durch die vorkalkulierten Verrechnungspreise abgedeckt werden. Gleiches gilt bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode, wenn die Handelsspanne unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bestimmt wird, wobei sowohl die Kostenerstattungskomponente als auch das Gewinnelement auf Planbasis kalkuliert werden (vgl. Rz. 5.26 ff.). Was die Bestimmung des Gewinnelements anbelangt, kommen sowohl eine umsatzabhängige Gewinnkomponente als auch eine kostenabhängige Gewinnkomponente in Betracht. Ersteres entspricht im Ergebnis der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Letzteres kommt im Verhältnis zu Routinevertriebsgesellschaften in Dauerverlustsituationen zur Anwendung um sicherzustellen, dass das Routineunternehmen einen geringen, aber stabilen Gewinn erwirtschaftet, d.h. insbesondere von Verlusten freigestellt wird. Um sicherzustellen, dass die Funktions- und Risikoverteilung auf Basis der konkreten Verbunddisposition durch die Verrechnungspreisbestimmung abgebildet wird, werden vertraglich regelmäßig Vereinbarungen getroffen, nach denen entweder die Preisbestimmung generell auf Basis von Istkosten und Istmengen erfolgt oder aber Plan-Ist-Abweichungen innerhalb einer bestimmten Bandbreite (z.B. 10 %-Korridor) zugunsten wie zulasten der jeweiligen Vertragspartei gehen und außerhalb dieser Bandbreite zu entsprechenden Anpassungen auf Basis der Istzahlen führen. Ist vertraglich die Verrechnungspreisbestimmung auf Basis von Ist-Zahlen vereinbart, trägt im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode der konzerninterne Dienstleister oder Lieferant und im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode der konzerninterne Abnehmer keine Mengen- oder Preisrisiken. De facto erhält er eine Gewinngarantie von seinem konzerninternen Transaktionspartner. In diesen Fällen werden die Verrechnungspreise – vertragsgemäß – erst bei Kenntnis der entsprechenden Istkosten, -mengen und -absatzpreise endgültig festgelegt, wobei der für die betreffende Verrechnungspreismethode relevante Finanzindikator (Gewinnaufschlagssatz i.R. der Kostenaufschlagsmethode, Provisionssatz bei umsatzabhängiger Kalkulation des Gewinnelements i.R. der Wiederverkaufspreismethode) im Vorhinein bestimmt wurde. Die unterjährigen Abrechnungen haben bei dieser Vorgehensweise Vorauszahlungscharakter. Entsprechendes gilt in Fällen, in denen eine Abrechnung auf Istbasis bei Plan-Ist-Abweichungen außerhalb einer bestimmen Bandbreite vereinbart ist und entsprechende Abweichungen eintreten. Da Plan-Ist-Abweichungen innerhalb der vereinbarten Bandbreite von Plan-Ist-Abweichungen zugunsten wie zulasten des konzerninternen Dienstleisters oder Lieferanten im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode bzw. des konzerninternen Ab234
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
nehmers im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode gehen, trägt dieser ein begrenztes Mengen- und Preisrisiko. Sowohl die Risikofreistellung als auch die Risikobegrenzung kommen im Zusammenhang mit sog. Routineunternehmen zur Anwendung, die ex definitione nur geringe Risiken tragen und im gewöhnlichen Geschäftsverlauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne erzielen (Rz. 3.67).1 Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird regelmäßig eine im Vorhinein auf Basis einer Vergleichbarkeitsanalyse bestimmte Nettomarge fest vereinbart und der Preiskalkulation im Rahmen des Budgetprozesses zugrunde gelegt. Abweichungen der Plankosten, -mengen und -absatzpreise von den entsprechenden Istgrößen können zu Abweichungen der tatsächlichen von der angestrebten Nettomarge führen, was entsprechende Anpassungen notwendig macht (Rz. 5.120 ff.). Nachträgliche Preisanpassungen nach den VWG-Verfahren. Die deutsche Finanzverwaltung hat erhebliche Vorbehalte gegen Jahresendanpassungen. Nach Tz. 3.4.12.8 VWG-Verfahren sind nachträgliche Preisermittlungen anzuerkennen, „wenn im Vorhinein sowohl das Leistungsverhältnis als auch alle Preisbestimmungsfaktoren vereinbart wurden.“2 Zwar will die Finanzverwaltung eine nachträgliche Preisfestlegung bzw. -anpassung ausnahmsweise auch dann anerkennen, wenn glaubhaft gemacht werde, dass diese auch zwischen fremden Dritten in vergleichbaren Fällen vorgenommen worden wäre; allerdings wird dies mit der beispielhaften Benennung von Preisanpassungen oder -vereinbarungen, die kurzfristig nach erfolgter Lieferung oder Leistung erfolgen, auf Fälle beschränkt, die die in der Praxis relevanten Anwendungsfälle nicht betreffen. Ferner muss die „nachträgliche Preisberechnung auf eine bei Vertragsschluss vorliegende und festgestellte Ungewissheit über eine oder mehrere Preiskomponenten zurückzuführen sein, jedoch nicht auf das bei einem Beteiligten entstehende Ergebnis“.3 In Tz. 3.4.20 Buchst. e VWG-Verfahren heißt es hierzu ausdrücklich wie folgt „Vom Steuerpflichtigen vorgenommene Ergebnisanpassungen für die Vergangenheit, die nicht auf im Vorhinein abgeschlossenen Vereinbarungen […] beruhen, sind steuerlich nicht anzuerkennen. Dies gilt insbesondere für rückwirkende ‚Preisanpassungen’ durch nachträgliche Zahlungen oder Gutschriften/Belastungen, die das Ergebnis eines Unternehmens […] den Nettorenditekennzahlen von Vergleichsunternehmen anpassen“.4 Begründet wird dies damit, dass fremde Dritte dem Grunde nach keine Gewinnanpassungen, 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.8. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.8. Satz 4. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.20 Buchst. e.
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3.111
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
sondern lediglich Preisanpassungen vereinbaren und dem Zeitpunkt nach entsprechende Anpassungen mit Wirkung für die Zukunft vornehmen.1 Ferner wird von Vertretern der Finanzverwaltung argumentiert, dass die Vereinbarung einer bestimmten Ziel-Nettomarge und deren Sicherstellung durch Jahresendanpassungen de facto eine Gewinngarantie darstellen würde, die im wirtschaftlichen Verkehr zwischen voneinander unabhängigen Geschäftspartner nicht vorstellbar wäre.2 Diese Auffassung der Finanzverwaltung ist vor dem Hintergrund nicht konsistent, dass die Bewältigung des mit der Verrechnungspreisbestimmung gegenüber Routineunternehmen verbundenen Zirkularitätsproblems als mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbar angesehen wird. So sollen zum einen die Verrechnungspreise gegenüber Routineunternehmen vornehmlich kostenorientiert, d.h. nach der Kostenaufschlagsmethode oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode bestimmt werden.3 Zum anderen sollen Routineunternehmen gerade dadurch gekennzeichnet sein, dass sie lediglich geringe Risiken tragen und „bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“ erzielen.4 Es steht zwar zu erwarten, dass sich die Finanzverwaltung mit der anstehenden sog. Fremdvergleichsverordnung neu positioniert.5 Abzuwarten bleibt allerdings, ob die Finanzverwaltung ihre restriktive Haltung zu Jahresendanpassungen auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des BFH zur Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden abkommensrechtlichen Bestimmungen gegenüber formalen Anforderungen aufgibt (Rz. 3.101, 3.168).6
VI. Vergleichbarkeitsanpassungen 3.112
Vergleichbarkeitsanpassungen nach den OECD-Leitlinien. Die OECDLeitlinien behandeln Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit ausführlich in Tz. 3.47 ff.7 Daneben werden Vergleichbarkeitsanpassungen allgemein z.B. in Tz. 1.33 bis 1.36, 1.43, 1.55 und 1.68 f. OECD-Leitlinien angesprochen. So heißt es in Tz. 1.35 OECD-Leitlinien z.B.: „Wenn Unterschiede zwischen den zu vergleichenden Umständen auftreten, welche den Vergleich erheblich beeinflussen können, müssen gegebenenfalls Anpassungen für Zwecke der Vergleichbarkeit vorgenommen werden, um die Zuverlässigkeit des Vergleichs zu verbessern“.8 Im Hinblick auf die konkrete Durchführung von Vergleichbarkeitsanpassungen behan1 Vgl. Rasch, ISR 2013, 434. 2 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 237.4. 3 Vgl. BR-Drucks. 352/08 v. 23.5.2008, 16. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 5 Vgl. Naumann, IStR 2013, 618. 6 Vgl. hierzu auch Schnorberger/Becker, IStR 2013, 113; Rasch, ISR 2013, 438. 7 Vgl. Tz. 3.47 ff. OECD-Leitlinien 2010. 8 Tz. 1.35 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
deln Tz. 1.55 OECD-Leitlinien Anpassungsrechnungen bei unterschiedlichen Marktbedingungen, Tz. 2.14 ff. Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Preisvergleichsmethode, Tz. 2.23, Tz. 2.26, Tz. 2.28 und Tz. 2.35 Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode, Tz. 2.41 ff. Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode, Tz. 2.73 ff., Tz. 2.98 und Tz. 2.105 Anpassungsrechnungen bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Ferner sollen mit der Änderung des Kapitels VI der OECD-Leitlinien Darstellungen zu Anpassungsrechnungen im Zusammenhang mit Standortvorteilen und anderen lokalen Marktbedingungen (vgl. Rz. 3.83 ff.), (der Übernahme) einer qualifizierten und eingearbeiteten Belegschaft (vgl. Rz. 3.88 ff.) und Synergieeffekten (vgl. Rz. 3.92 ff.) als Tz. 1.80 ff. OECD-Leitlinien aufgenommen werden. Die Darstellungen zu Vergleichbarkeitsanpassungen und zu den Erfordernissen der Genauigkeit und Verlässlichkeit in den OECD-Leitlinien beziehen sich sowohl auf die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Allgemeinen als auch auf die Anwendung jeder einzelnen Verrechnungspreismethode im Besonderen.1 Vergleichbarkeitsanpassungen im deutschen Steuerrecht. Innerhalb der gesetzlichen Regelungen nehmen § 1 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AStG auf sog. Vergleichbarkeitsanpassungen Bezug. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG sind der Bestimmung des sog. Fremdvergleichspreises Fremdvergleichswerte zugrunde zu legen, die nach Vornahme sachgerechter Anpassungen im Hinblick auf die ausgeübten Funktionen, die eingesetzten Wirtschaftsgüter und die übernommenen Chancen und Risiken uneingeschränkt vergleichbar sind. Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG sind nachrangig eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte nach Vornahme sachgerechter Anpassungen der Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode zugrunde zu legen. Eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG muss ebenso wie eine nur eingeschränkte Vergleichbarkeit i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG mithin erst nach „Vornahme sachgerechter Anpassungen“ gegeben sein. Fraglich ist hier, welche Anpassungen noch als „sachgerecht“ anzusehen sind. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG könnte entnommen werden, dass die Beurteilung „im Hinblick auf die ausgeübten Funktionen, die eingesetzten Wirtschaftsgüter und die übernommenen Chancen und Risiken“ zu erfolgen habe. Richtigerweise wird man davon ausgehen müssen, dass sich diese Anforderungen auf die Vergleichbarkeit als solche und zudem bezogen auf eine konkrete Verrechnungspreismethode beziehen, nicht jedoch auf die Art und den Umfang konkreter Anpassungen. Die Verwendung von „sachgerecht“ impliziert vielmehr einen gewissen Beurteilungsspielraum für eine bezogen auf den konkreten Einzelfall zu entscheidende Sachgerechtigkeit konkreter Anpassungsrechnungen.2 § 4 Abs. 4 Buchst. d GAufzV fordert in 1 Vgl. Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Dawid/Renaud in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 181.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
diesem Zusammenhang lediglich, dass der Steuerpflichtige die von ihm vorgenommenen Anpassungsrechnungen aufzuzeichnen hat, ohne die konkreten Anforderungen an solche Vergleichbarkeitsanpassungen inhaltlich zu konkretisieren. Die Verordnungsbegründung zu § 4 Abs. 4 Buchst. d GAufzV verweist auf eine angemessene Berücksichtigung von Abweichungen bei den Funktionen und Risiken mit Hilfe von Anpassungsrechnungen und fordert – ggf. – deren rechnerische Darstellung und Aufzeichnung.1 Bereits die VWG 1983 hatten in Tz. 2.1.7 gefordert, dass Vergleichsdaten „angemessen zu berichtigen“ sind, „um sie an abweichende Bedingungen des jeweils vorliegenden Geschäfts anzupassen, die für die Bemessung des Fremdpreises von Bedeutung sind“.2 Die VWGVerfahren sprechen im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer uneingeschränkten Vergleichbarkeit von Vergleichswerten von einer Beseitigung bestehender Unterschiede in den Geschäftsbedingungen mit beispielhaftem Hinweis auf unterschiedliche Zahlungsziele „durch hinreichend genaue Anpassungen“.3 Im Zusammenhang mit der eingeschränkten Vergleichbarkeit von Vergleichswerten werden im Hinblick auf bestehende Unterschiede der Vergleichbarkeitsfaktoren ausdrücklich Darlegungen und Aufzeichnungen über „Anpassungsrechnungen im Hinblick auf die Unterschiede“ gefordert bzw. darüber, weshalb ohne entsprechende Anpassungsrechnung eine eingeschränkte Vergleichbarkeit angenommen werden kann.4 Im Hinblick auf die Qualität von Anpassungsrechnungen führen die VWG-Verfahren im Zusammenhang mit einer auf Planzahlen beruhenden Angemessenheitsdokumentation ferner aus, dass Anpassungsrechnungen, die allein auf griffweisen Schätzungen und nicht näher begründeten „Erfahrungswerten“ beruhen, nicht ausreichen.5
3.114
Zwecksetzung von Vergleichbarkeitsanpassungen. Nach Auffassung der OECD wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.6 Ferner gehen die OECD-Leitlinien davon aus, dass „im Allgemeinen durch die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nur eine Annäherung an jene Bedingungen erzielt wird, die zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wären“.7 Vor diesem Hintergrund sind Vergleichbarkeitsanpassungen von der Zwecksetzung her stets nur dann in Betracht zu ziehen, wenn sie die Verlässlichkeit der Ergebnisse erhöhen.8 Sie sollen 1 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 13. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.7. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.7 Buchst. a. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.7 Buchst. b. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.6, 2. Speiegelstrich. 6 Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2010. 7 Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010. 8 Vgl. Tz. 3.50 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
ferner nur Unterschiede betreffen, die erhebliche Auswirkungen auf den Vergleich und dessen Verlässlichkeit haben werden.1 Die OECD-Leitlinien führen vor diesem Hintergrund ausdrücklich aus, dass die Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen dem Grunde und der Art nach stets bezogen auf den konkreten Einzelfall eine Ermessensfrage darstellt, die unter Kosten- und Nutzengesichtspunkten und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beantworten ist.2 Insofern kann es eine generelle Verpflichtung zur Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen nicht geben. Im Hinblick auf den Umfang und den Aufwand konkreter Anpassungsrechnungen gehen die OECD-Leitlinien zudem davon aus, dass die Notwendigkeit zahlreicher oder substanzieller Anpassungen wesentlicher Vergleichbarkeitsfaktoren die nicht bestehende hinreichende Vergleichbarkeit implizieren kann.3 In diesem Zusammenhang können zahlreiche und komplizierte Anpassungen den Eindruck vermitteln, dass das Ergebnis der Suche nach Vergleichswerten „wissenschaftlich“, verlässlich und sachlich richtig sei.4 Insofern finden Vergleichbarkeitsanpassungen stets ihre Grenzen in der Herstellung einer rechnerischen „Scheingenauigkeit“. Verlässlichkeit von Anpassungsrechnungen. Durch Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen soll grundsätzlich die Zuverlässigkeit der Ergebnisse der Vergleichbarkeitsanalyse erhöht werden. Sie sind unmittelbar auf den Vergleich als solchen gerichtet, wobei jede konkrete Anpassungsrechnung für sich die Herstellung der Vergleichbarkeit zum Ziel haben muss. Die OECD-Leitlinien stellen vor diesem Hintergrund fest, dass es keine Arten von Anpassungsrechnungen gibt, die „routinemäßig“ durchzuführen und im Hinblick auf die Verlässlichkeit als „unzweifelhaft“ anzusehen sind.5 Ebenso wenig sind an bestimmte Anpassungsrechnungen höhere Anforderungen zu stellen als ihre Eignung, die Verlässlichkeit des Vergleichs zu erhöhen bzw. die Vergleichbarkeit zu verbessern.6 Insofern stehen letztlich alle in diesem Sinne geeigneten Anpassungsrechnungen gleichberechtigt nebeneinander.
3.115
Dokumentation und Überprüfung von Vergleichbarkeitsanpassungen. Die OECD-Leitlinien gehen davon aus, dass über die Vornahme von Anpassungsrechnungen und ihre Begründung Transparenz im Rahmen der Dokumentationsanforderungen erforderlich ist, wobei die konkreten Aufzeichnungen u.a. von der Verfügbarkeit von Erklärungen für vorgenommene Anpassungen, den Gründen für diese Anpassungen, der Berechnungsmethode, der konkreten Auswirkung auf die Ergebnisse für jedes Vergleichsunternehmen und den Nachweis über die Verbesserung der
3.116
1 Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2010; vgl. Dawid/Renaud in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 179. 3 Vgl. Tz. 3.51 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 3.53 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. Tz. 3.53 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Vergleichbarkeit durch die betreffende Anpassungsrechnung abhängen sollen.1 Inhaltlich sind diese Anforderungen wenig konkret. Auch die deutschen Regelungen über erforderliche Aufzeichnungen im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation enthalten keine Anhaltspunkte über inhaltliche Anforderungen an die Aufzeichnung von Anpassungsrechnungen. Sie beschränken sich auf die allgemeine Forderung „darzulegen und aufzuzeichnen, […] welche Anpassungsrechnungen im Hinblick auf die Unterschiede vorgenommen wurden“.2 Als Mindestanforderungen an entsprechende Aufzeichnungen wird man davon ausgehen müssen, dass Informationen über die Begründung und die Berechnung konkreter Anpassungen sowie deren Auswirkungen auf die Vergleichbarkeitsanalyse erforderlich sind.3
3.117
Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Preisvergleichsmethode. Entscheidend ist für die Anwendung der Preisvergleichsmethode, ob etwaige Unterschiede in den Eigenschaften und der Beschaffenheit des Transaktionsgegenstands ebenso wie in den Marktbedingungen erhebliche Preisauswirkungen haben. Bekanntlich ist die Vergleichbarkeitsanalyse bei der Preisvergleichsmethode auf produktbezogene Differenzierungen, Transaktions- und Marktbedingungen gerichtet.4 Die OECD-Leitlinien beschränken ihre beispielhaften Anpassungen im Zusammenhang mit der Preisvergleichsmethode auf die Anpassung unterschiedlicher Lieferbedingungen in Tz. 2.19 und unterschiedlicher Liefermengen in Tz. 2.20.5 Tz. 2.19 OECD-Leitlinien spricht Anpassungen bei unterschiedlichen Vertragsbedingungen beispielhaft für Unterschiede in den Lieferbedingungen zwischen der zu untersuchenden Geschäftsbeziehung und der Vergleichstransaktion an („frei Haus“ gegenüber „ab Werk“).6 Die Unterschiede in den Lieferbedingungen bestehen im Ort der Lieferung und im Zeitpunkt des Gefahrübergangs. Der unterschiedliche Ort der Lieferung betrifft den Transport zwischen diesen beiden Orten. Für diesbezügliche Transportdienstleistungen können regelmäßig Marktpreise festgestellt werden. Der unterschiedliche Zeitpunkt des Gefahrübergangs ist demgegenüber im Wesentlichen mit den Risiken der Verschlechterung oder des zufälligen Untergangs der Waren während des Transports verbunden. Diese Risiken können zu marktüblichen Konditionen versichert werden, so dass die entsprechende Versicherungsprämie für Anpassungen herangezogen werden kann. Vergleichbare Marktpreise lassen sich für andere Vertragsbedingungen, z.B. für die Übernahme von Zollgebühren oder für 1 Vgl. Tz. 3.53 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.7 Buchst. b. 3 Vgl. auch Dawid/Renaud in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 202. 4 Vgl. Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 5; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, S. 144 ff. 5 Vgl. Tz. 2.19 und 2.20 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. Tz. 2.19 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
Lagerdienstleistungen, identifizieren und entsprechend anpassen.1 Ferner kommen im Hinblick auf unterschiedliche Vertragsbedingungen Anpassungen für unterschiedliche Zahlungsbedingungen in Betracht, wobei regelmäßig auf Marktkonditionen für kurzfristige Finanzierungen abgestellt wird.2 Eine weitergehende Anpassung im Hinblick auf die aus dem Finanzierungsverhältnis selbst herrührenden Risiken (z.B. Delkredererisiko) erfolgt üblicherweise nicht.3 In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass der Rückgriff auf Marktpreise und damit die Quantifizierung und Anpassung bestehender Unterschiede auf Grundlage eines tatsächlichen Fremdvergleichs zwar für sich in Anspruch nehmen kann, unter Anwendung der Preisvergleichsmethode im Hinblick auf eine Herstellung bzw. Verbesserung der Vergleichbarkeit vorgenommen zu werden. Allerdings setzt eine solche Vorgehensweise voraus, dass diese Nebenleistungen in vollem Umfang Preisbestandteil festgestellter Vergleichspreise sind bzw. werden. Können dagegen entsprechende Nebenleistungen nicht in vollem Umfang an die Kunden weitergegeben werden, werden den Anpassungsrechnungen Preiseffekte zugrunde gelegt, die sich tatsächlich in den Vergleichspreisen nicht widerspiegeln.4 Dies führt bei Kürzungen von zu Marktpreisen bewerteten Nebenleistungen bei der zu untersuchenden konzerninternen Geschäftsbeziehung tendenziell zu einer Unterbewertung der eigentlichen Wertschöpfung und bei entsprechenden Hinzurechnungen – vice versa – zu einer Überbewertung der eigentlichen Wertschöpfung. Vor diesem Hintergrund sollten bei Vornahme entsprechender Anpassungen auch die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse einbezogen werden, um Anhaltspunkte dafür zu bestimmen, ob ein entsprechender Wettbewerbsbzw. Margendruck auf z.B. branchenübliche Mischkalkulationen hindeutet. Die OECD-Leitlinien behandeln in Tz. 2.20 zudem die Anpassungen von Mengenunterschieden zwischen der zu untersuchenden konzerninternen Geschäftsbeziehung und entsprechenden Vergleichstransaktionen. Die OECD-Leitlinien empfehlen in diesem Fall Anpassungen „um die üblichen Mengenrabatte“ bei Geschäftsvorfällen mit gleichartigen Produkten auf dem maßgeblichen Markt.5 Die OECD-Leitlinien gehen mithin davon aus, Mengenrabatte ließen sich durch tatsächlichen Fremdvergleich auf Basis externer Vergleichsdaten bestimmen. Dies sollte in der Praxis allerdings eher der Ausnahmefall sein. Der Regelfall sollte vielmehr darin be1 Vgl. auch Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 84. 2 Vgl. z.B. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, 1997, Rz. 98; Dawid/Dorner, IWB F. 10 Gr. 2, 1549. 3 Vgl. zu Anhaltspunkten für entsprechende Berichtigungen Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. 84 zu Tz. 2.19 OECD-Leitlinien. 4 Vgl. hierzu auch Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 86. 5 Vgl. Tz. 2.20 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
stehen, dass – mittels internen Betriebsvergleichs – konzerninterne Rabatt- oder Bonusstaffeln angewendet werden, um die entsprechenden Preiseffekte zu quantifizieren und anzupassen. Ferner werden in der Praxis vielfach auf Basis der individuellen Kostenstrukturen die Kostendegressionseffekte abgeschätzt, die sich bei unterschiedlichen Liefermengen an unverbundene Transaktionspartner einstellen würden, und auf dieser Grundlage die entsprechenden Anpassungen vorgenommen.1 Vor diesem Hintergrund ist auch zu berücksichtigen, dass der Umfang und die Komplexität von Anpassungsrechnungen die Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode insgesamt in Frage stellen kann.2 Was den Anwendungsbereich der Preisvergleichsmethode anbelangt, hat der BFH in seinem Urteil vom 6.4.20053 gefordert, dass die Preise „auf zumindest im Wesentlichen identischen Leistungsbeziehungen beruhen“ müssen. Zwar ist diese Forderung nach einer Identität der Leistungsbeziehungen, d.h. Deckungsgleichheit, zu weitgehend. Die Auffassung des BFH belegt gleichwohl, wie nahe der Vergleichstatbestand im Rahmen des durch die Preisvergleichsmethode vorzunehmenden Ist-Ist-Vergleichs an der zu bewertenden Transaktion liegen muss. Im Zweifel kommt es auf die Unwesentlichkeit der verbleibenden Unterschiede im Hinblick auf die Preisauswirkung an.
3.118
Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode. Im Zusammenhang mit der Wiederverkaufspreismethode verweisen die OECD-Leitlinien in Tz. 2.28 auf die Anpassung der Funktionsunterschiede, die die Handelsspanne erheblich beeinflussen. Für Vertriebsunternehmen, für die die Wiederverkaufspreismethode die Regelmethode darstellt (Rz. 5.30), bestehen solche Unterschiede zwischen der zu untersuchenden konzerninternen Geschäftsbeziehung und Vergleichstransaktionen in dem Umfang der Lagerhaltung und entsprechenden Risiken, den Vertragsbedingungen, den Vertriebsstrategien, der Markt- bzw. Handelsstufe, Währungsrisiken u.a.4 In der Verrechnungspreispraxis werden Auswirkungen auf die Bruttomarge (insbesondere aber auf die Nettomarge) durch Unterschiede in der Lagerhaltung und in den vertraglich vereinbarten Zahlungszielen üblicherweise durch Kapitalanpassungsrechnungen korrigiert, bei denen Unterschieden im Nettoumlaufvermögen (Net Working Capital) Rechnung getragen wird.5
3.119
Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode. Die OECD-Leitlinien verweisen im Hinblick auf Vergleichbarkeitsanpassungen bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zunächst auf die 1 Vgl. hierzu auch Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 89. 2 Vgl. hierzu auch Ditz/Liebchen, DB 2012, 1469. 3 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658. 4 Vgl. hierzu auch Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 134. 5 Vgl. Scholz, IStR 2004, 209; Dorner/Dawin, IWB Fach 10 Grupe 2, 1563; Bittner/ Jann, IWB 2010, 449.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
entsprechenden Grundsätze bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode, weil – vglb. der Wiederverkaufspreismethode – Funktionsunterschiede (z.B. Umfang der Lagerhaltung und entsprechenden Risiken, Vertragsbedingungen, Geschäftsstrategien) eine stärkere Auswirkung auf den Kostenaufschlag haben als geringe Unterschiede der Produkteigenschaften.1 Daneben kommt allerdings im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode der zugrunde gelegten Kostenbasis eine erhebliche Bedeutung für den Gewinnaufschlag und damit für das Gewinnelement zu, das sich methodenimmanent durch Anwendung eines Gewinnaufschlagssatzes auf ebendiese Kostenbasis ergibt. In diesem Zusammenhang verweisen die OECD-Leitlinien in Tz. 2.42 OECD-Leitlinien darauf, dass Effizienzunterschiede, die nicht durch hinreichend zuverlässige Anpassungsrechnungen eliminiert werden können, die Zuverlässigkeit der Kostenaufschlagsmethode insgesamt beeinträchtigen können.2 Diese Erläuterungen gehen darauf zurück, dass Unwirtschaftlichkeiten im Leistungserstellungsprozess im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode jedenfalls dann auf den Abnehmer abgewälzt werden, wenn Istkosten verrechnet werden (Rz. 5.54). Dagegen gehen bei Verwendung von Plankosten sowohl Unwirtschaftlichkeiten als auch Kostenvorteile zulasten wie zugunsten des Unternehmens, in dessen Verantwortungsbereich die Abweichung fällt (Rz. 5.58). Vor diesem Hintergrund kommt dem Zeitbezug der Kosten eine entscheidende Bedeutung zu (Rz. 5.51 ff.). Daneben kommt der Kostenbasis insgesamt als wesentlicher Vergleichbarkeitsfaktor im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse entscheidende Bedeutung zu. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Gewinnaufschlagssatz durch äußeren Betriebsvergleich bestimmt wird, während eine fehlerhaft bestimmte Kostenbasis bei Ableitung des Gewinnaufschlagssatzes durch inneren Betriebsvergleich das Gewinnelement bei Geschäftsbeziehungen mit unabhängigen wie abhängigen Transaktionspartnern gleichermaßen beeinflusst.3 Hinsichtlich erforderlicher Anpassungen der Kostenbasis verweisen die OECD-Leitlinien beispielhaft auf die Verwendung eigener Produktionsanlagen gegenüber der Verwendung geleaster Produktionsanlagen durch das Vergleichsunternehmen, die wie andere Unterschiede in der Finanzierungsstruktur und den Finanzierungskosten (z.B. Eigenlager gegenüber Fremdlager) in der Praxis durch Kapitalanpassungsrechnungen angepasst werden. Im Zusammenhang mit Anpassungen der Kostenbasis kommt in der Praxis ferner den Kosten Bedeutung zu, mit denen keine oder eine geringere Wertschöpfung verbunden ist. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus denkbar, dass kein bzw. nur ein geringer Gewinnaufschlag verrechnet werden darf, wenn es sich um sog. „durchlaufende Kosten“ handelt, also ein Unternehmen für ein anderes in Vorlage tritt. Dies entspricht der Auffassung der Finanzverwaltung, dass in Fällen der 1 Vgl. Tz. 2.41 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 2.42 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. hierzu auch Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 213.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Lohn- und Auftragsfertigung Materialbeistellungen nicht in die Kostenbasis mit einzubeziehen sind.1
3.120
Anpassungsrechnungen bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM). Im Zusammenhang mit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode weisen die OECD-Leitlinien auf die Anpassung der Nettomargen auf Basis des Net-Working-Capital (NWC) hin.2 Der Bedeutung einer entsprechenden Anpassung auf Basis des NWC wird durch ein ausführliches Beispiel im Anhang der OECD-Leitlinien Nachdruck verliehen.3 Einzelheiten hierzu werden ausführlich unter Rz. 5.109 ff. dargestellt.
3.121
Anpassungen im Hinblick auf gesamtwirtschaftliche Verhältnisse (z.B. Krisensituationen). Die Bestimmung externer Vergleichswerte mittels Datenbankanalyse führt dann zu nicht verwend- bzw. verwertbaren Ergebnissen, wenn die betreffenden Daten nicht unter vergleichbaren Markt- und Wettbewerbsverhältnissen zustande gekommen sind (vgl. Rz. 3.131). Dies ist etwa im Hinblick auf Vergleichswerte der Jahre der Finanz- und Wirtschaftskrise (insbesondere 2008 und 2009) – jedenfalls bezogen auf Industriestaaten – der Fall. Mangels entsprechender Datenqualität können Anpassungen regelmäßig nicht datenbankgestützt vorgenommen werden. Im Hinblick auf die Berücksichtigung ökonomischer Krisen wird folgende Vorgehensweise vorgeschlagen: – Verwendung der zeitlich jüngsten Vergleichswerte, einschließlich der Ergebnisse aus Zwischenabschlüssen und Prognosen, wobei eine entsprechende Datenqualität regelmäßig nur für börsennotierte Unternehmen verfügbar ist; – Verwendung alternativer Beobachtungszeiträume, wobei gewichtete Durchschnittswerte zur Glättung marktzyklischer Entwicklungen zu bilden sind (z.B. Verwendung von Daten aus den Jahren 2010–2012 anstelle von Daten aus den Jahren 2007–2009); – Durchführung geeigneter Anpassungen der beobachteten Finanzkennzahlen an das Niveau der Vergleichswerte durch – Regressionsanalyse4 auf Basis eines systematischen Zusammenhangs zwischen den Änderungen der Umsatz- und der Ergebniszahlen im Beobachtungszeitraum, wobei die Zuverlässigkeit dieser Vorgehensweise stark von der Anzahl der Beobachtungen und der Zuverlässigkeit der zugrunde liegenden Daten abhängt; 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 4.1.3 Rz. 207; Zech, IStR 2011, 135. 2 Vgl. Tz. 3.49 OECD-Leitlinien 2010. Zur NWC-Anpassung sowie anderen Arten von Anpassungsrechnungen vgl. Gommers/Reyneveld/Lund, ITPJ 2008, 126 ff. 3 Vgl. OECD-Leitlinien 2010, Annex zu Kapitel III. 4 Zu Vergleichbarkeitsanpassungen durch Regressionsanalysen vgl. z.B. Curtis/ Ruhashyankiko, TMTR 2005, 22, Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1938; Oesteicher/ Duensing, IStR 2005, 141.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse
– Analyse der Kostenstrukturen bestehend aus der Beurteilung des Niveaus der variablen und fixen Kosten der Vergleichsunternehmen und der Beurteilung des Einflusses von Umsatzrückgängen auf die Nettogewinne der Vergleichsunternehmen, wobei die wesentlichen Probleme dieses Ansatzes in der fehlenden Datenqualität insb. im Hinblick auf die Aufteilung des jeweiligen Kostenblocks der identifizierten Vergleichsunternehmen in fixe und variable Kosten bestehen sollte.1 Die Verwendung von Regressionsanalysen und Analysen der Kostenstrukturen für Zwecke von Vergleichbarkeitsanpassungen setzt neben einer entsprechenden Datenqualität, wobei jedenfalls die Annahme vergleichbarer Kostenstrukturen bei fehlender Datenqualität problematisch ist,2 eine hinreichende Zuverlässigkeit der identifizierten Einflussfaktoren im Hinblick auf die gesamtwirtschaftlichen Umstände der zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsbeziehung voraus. Anpassungsrechnungen im Hinblick auf Marktunterschiede. Für die Anpassung einzelwirtschaftlicher (mikroökonomischer) Unterschiede zwischen den zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsbeziehungen und entsprechenden Vergleichstransaktionen werden im Schrifttum Anpassungen auf Basis der jeweiligen Marktrendite vorgeschlagen.3 Hierzu sind für den konkreten Markt der zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsbeziehung und das jeweilige Marktumfeld der identifizierten Vergleichsunternehmen sowohl der jeweilige risikolose Zinssatz als auch der jeweilige Risikozuschlag zu bestimmen, wobei die Bestimmung des Risikozuschlags auf Basis des vergleichbaren Funktions- und Risikoprofils erfolgt. Diese Anpassungsrechnungen beruhen mithin auf der Überlegung, dass sich Unterschiede in den Nettomargen vergleichbarer Unternehmen, die in unterschiedlichen Märkten agieren, auf (renditebezogene) Marktunterschiede zurückführen lassen und dass die Marktunterschiede anhand der unterschiedlichen Marktrenditen quantifiziert und angepasst werden können. Bei einem marktunabhängigen risikolosen Zinssatz reflektiert der Unterschied der Risikozuschläge das konkrete Marktrisiko, das bei vergleichbaren Tätigkeiten zusätzlich vergütet werden muss. In Abhängigkeit davon, ob die zu beurteilende konzerninterne Geschäftsbeziehung oder die entsprechenden Vergleichstransaktionen den höheren Marktrisiken ausgesetzt ist, ist die operative Ergebnisgröße (i.d.R. der Gewinn vor Zinsen und Ertragsteuern [EBIT]) durch Ab- oder Zuschläge anzupassen, wobei der entsprechende Mehr-/Mindergewinn durch Anwendung des Risikozuschlags auf das eingesetzte Kapital bestimmt wird.4 Bei mehreren Vergleichswerten empfiehlt es sich bei entsprechender Daten1 Vgl. Fris/Gonnet, ITPJ 2010, 104. 2 Einen zwingenden Zusammenhang zwischen der zutreffenden Auswahl von Vergleichsunternehmen und „mehr oder weniger“ vergleichbaren Kostenstrukturen besteht u.E. jedenfalls nicht, a.A. Fris/Gonnet, ITPJ 2010, 104. 3 Vgl. Fris/Gonnet, ITPJ 2010, 105. 4 Im Einzelnen siehe hierzu Fris/Gonnet, ITPJ 2010, 105 m.w.N.
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3.122
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
qualität, die jeweiligen länderbezogenen Risiken der Vergleichswerte an die relevanten Marktbedingungen der zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsbeziehung anzupassen. Die Vornahme dieser Anpassungsrechnung setzt die Bestimmbarkeit der jeweiligen Marktrisikoprämien voraus, was insbesondere bei Entwicklungs- und Schwellenländern problematisch ist.
D. Arten des Fremdvergleichs 3.123
Unterschiedliche methodische Ansätze. Die Beantwortung der Frage, ob im zu beurteilenden Einzelfall von einer tatsächlichen oder fiktiven Unabhängigkeit der Geschäftspartner und von einer direkten oder indirekten bzw. uneingeschränkten oder eingeschränkten Vergleichbarkeit der Verhältnisse ausgegangen werden muss, bestimmt die Wahl des Verfahrens zur Ermittlung geeigneter Vergleichstatbestände. Für die sachgerechte Bemessung oder Beurteilung von Verrechnungspreisen ist daher zwischen zwei unterschiedlichen methodischen Ansätzen zu differenzieren, nämlich dem tatsächlichen und dem hypothetischen Fremdvergleich.
3.124
Tatsächlicher Fremdvergleich. Voraussetzung für den tatsächlichen Fremdvergleich (Fremdvergleich i.e.S.), bei dem es sich um einen „IstIst“-Vergleich unter Verwendung tatsächlich feststellbarer Marktdaten handelt, ist sowohl eine tatsächliche Unabhängigkeit der Geschäftspartner als auch eine (direkte oder indirekte) Vergleichbarkeit der Verhältnisse.
3.125
Hypothetischer Fremdvergleich. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist die Durchführung eines Fremdvergleichs dennoch nicht ausgeschlossen. In einem solchen Fall lässt sich auf den hypothetischen Fremdvergleich (Fremdvergleich i.w.S.) ausweichen, wobei es sich um einen „Ist-Soll“-Vergleich auf der Basis betriebsinterner Werte über Kosten und Leistungen handelt.1
E. Tatsächlicher Fremdvergleich 3.126
„Klassischer“ Fall des Fremdvergleichs. Der tatsächliche Fremdvergleich,2 der allgemein als der „klassische“ Fall des Fremdvergleichs betrachtet wird, ist nach Ansicht der OECD „die direkteste und verlässlichste Methode für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes“3 und daher idealerweise für die Beurteilung sämtlicher konzerninternen Liefer- und 1 Vgl. Scheffler, Die Berichtigung von Einkünften nach § 1 AStG durch Schätzung, 85. 2 Mithin wird auch von einem „konkreten Fremdvergleich“ gesprochen, vgl. Wassermeyer, IStR 2001, 636; Borstell in V/B/E, Verrechnungspreise3, C Rz. 5. 3 Tz. 2.14 OECD-Leitlinien 2010.
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E. Tatsächlicher Fremdvergleich
Leistungsentgelte geeignet. Zur Ermittlung eines quantitativen Vergleichsmaßstabes orientiert sich der tatsächliche Fremdvergleich an tatsächlich feststellbaren Vereinbarungen, die zwischen gesellschaftsrechtlich nicht verbundenen Unternehmen unter vergleichbaren Verhältnissen zur maßgeblichen Zeit getroffen worden sind. Identität der Vergleichbarkeitsfaktoren als Idealfall. Im Idealfall besteht der einzige Unterschied zwischen Ausgangstatbestand und Vergleichstatbestand im Merkmal gesellschaftsrechtlicher Unabhängigkeit der Geschäftspartner, während alle übrigen, den Leistungstransfer beeinflussenden Faktoren, absolut identisch sind. Grundsätzlich sollte die Ermittlung des Vergleichstatbestandes zeitgleich mit dem festgestellten Ausgangstatbestand erfolgen. Außerdem ist bei einem tatsächlichen Fremdvergleich zu beachten, dass die verwendbaren Vergleichstatbestände repräsentativ sein müssen und daher nur dann zu Vergleichszwecken herangezogen werden dürfen, wenn sie über ein bestimmtes „Mindestvolumen“ verfügen.1
3.127
Innerbetrieblicher Fremdvergleich. Ein innerbetrieblicher Vergleich2 ist immer dann möglich, wenn ein bestimmtes Konzernunternehmen die gleiche Lieferung bzw. Leistung sowohl mit verbundenen als auch mit unverbundenen Geschäftspartnern austauscht. Als Vergleichstatbestand dient dabei das unbeeinflusste Geschäft eines Mitglieds des Unternehmensverbundes mit einem gesellschaftsrechtlich unabhängigen Leistungserbringer bzw. -empfänger. Sind die Voraussetzungen für einen innerbetrieblichen Vergleich gegeben, weil das betrachtete verbundene Unternehmen die gleiche Leistung unter vergleichbaren Bedingungen sowohl für ein verbundenes als auch für ein nicht verbundenes Unternehmen erbringt, bzw. sowohl von einem verbundenen als auch von einem unverbundenen Unternehmen erhält, so stellt diese Art des tatsächlichen Fremdvergleichs die theoretisch exaktere und in der Durchführung zweckmäßigste Verfahrensweise dar. Die besondere Eignung des innerbetrieblichen Vergleichs ergibt sich dabei aus der Einbeziehung des verbundenen Unternehmens in den Vergleichstatbestand. Dies ist insofern vorteilhaft, als sowohl die Möglichkeit einer Beachtung der Konzernzugehörigkeit durch Berücksichtigung innerbetrieblicher Einflussfaktoren als auch die einer relativ problemlosen Ermittlung der relevanten Vergleichsdaten aus den Unterlagen des betreffenden Konzernunternehmens besteht.
3.128
Zwischenbetrieblicher Fremdvergleich. Fehlen die Voraussetzungen für einen innerbetrieblichen Vergleich, so ist zu prüfen, ob ein tatsächlicher
3.129
1 Vgl. BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270 Tz. zu 3 (aufgeh. durch BMF v. 23.4.2010 – IV A 6 - O 1000/09/10095, BStBl. I 2010, 391 für ab dem 1.1.2009 verwirklichte Tatbestände); BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 2 Im Schrifttum wird auch von einem „betriebsinternen Fremdvergleich“ gesprochen, vgl. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 24.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Fremdvergleich in Form eines zwischenbetrieblichen Vergleichs möglich ist.1 Als Vergleichstatbestände dienen dabei Vereinbarungen, die zwischen zwei unabhängigen Geschäftspartnern, wovon keiner dem betrachteten Unternehmensverbund angehört, für vergleichbare Leistungen unter vergleichbaren Bedingungen festgelegt wurden. Der Unterschied zum innerbetrieblichen Vergleich liegt somit darin, dass der Ursprung der zugrunde zu legenden Vereinbarungen außerhalb des Einflussbereichs des Unternehmensverbundes liegt. Vergleichstatbestände, die durch einen zwischenbetrieblichen Vergleich ermittelt werden, unterliegen insofern am wenigsten der Vermutung der Unangemessenheit, als sie durch das Zusammenwirken der Marktkräfte zustande gekommen sind, daher frei von innerbetrieblichen Einflüssen sind und somit als besonders objektiv angesehen werden müssen.
3.130
Grenzen des tatsächlichen Fremdvergleichs. Allerdings sind sowohl dem innerbetrieblichen wie dem zwischenbetrieblichen Vergleich in der praktischen Durchführung sehr enge Grenzen gesetzt. Das Hauptproblem besteht darin, geeignete „unabhängige“ Vergleichsobjekte zu finden, deren Abweichungen zum Ausgangstatbestand so gering sind, dass eine Vergleichbarkeit der Vergleichsobjekte gewährleistet ist. Dies ist jedoch in einer Vielzahl von Fällen nicht möglich, da einerseits nicht alle die Vergleichbarkeit bestimmenden Einflussfaktoren übereinstimmen und andererseits vergleichbare Transaktionen entweder nur in dem betrachteten oder nur innerhalb anderer Konzerne, aber nicht zwischen fremden Dritten ausgetauscht werden. Im ersten Fall scheitert somit ein tatsächlicher Fremdvergleich aufgrund mangelnder Vergleichbarkeit der Verhältnisse, im zweiten Fall aufgrund fehlender gesellschaftsrechtlicher Unabhängigkeit der Geschäftspartner.
3.131
Bedeutung von Datenbankanalysen. Die dargestellten Probleme des tatsächlichen Fremdvergleichs zeigen sich insbesondere im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung über eine Datenbankanalyse. Bei dieser werden verrechnungspreisdeterminierende Faktoren (z.B. Gewinnmargen, Renditekennziffern, Profitabilitätskennziffern etc.) aus einer Datenbank abgeleitet, die wirtschaftliche Kennziffern von privaten und börsennotierten Unternehmen enthält.2 Zu Problemen führt in diesem Zusammenhang vor allem die Sicherstellung einer hinreichenden Vergleichbarkeit zwischen dem zu beurteilenden Konzernunternehmen und dem unabhängigen Vergleichsunternehmen. So kann es sich als außerordentlich schwie1 Im Schrifttum wird diese Art des Fremdvergleichs auch als „betriebsexterner Fremdvergleich“ bezeichnet, vgl. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 24. 2 Siehe zu den hauptsächlich in Deutschland zum Einsatz kommenden Datenbanken und deren Merkmalen ausführlich Vögele/Crüger in V/B/E, Verrechnungspreise3, H Rz. 28 ff. Zur Eignung von Datenbanken für die Verrechnungspreisanalyse vgl. auch Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937 ff.; Oestreicher, StuW 2006, 243 ff.; Oestreicher, IStR 2005, 134 ff.; Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 95 ff.; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34 ff.; Wahl/Preisser, IStR 2008, 51 ff.
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E. Tatsächlicher Fremdvergleich
rig erweisen, eine angemessene Anzahl von Vergleichsunternehmen zu identifizieren. Nur wenn sichergestellt ist, dass die mittels der Datenbank identifizierten Vergleichsunternehmen hinsichtlich ihrer ausgeübten Funktionen und ihrer getragenen Risiken sowie der diesen Funktionen und Risiken immanenten Geschäftsbeziehungen mit dem zu beurteilenden Konzernunternehmen vergleichbar sind, kann eine solche Ermittlung der Verrechnungspreise überzeugen. Angesichts der Probleme bei der Identifikation geeigneter Vergleichsunternehmen und Vergleichstransaktionen hat es sich als sinnvoll erwiesen, die Vergleichsfaktoren auf die wesentlichen preis- und gewinndeterminierenden Faktoren zu reduzieren.1 Dazu gehören insbesondere neben den von den Konzerneinheiten ausgeübten Funktionen die von ihnen getragenen Risiken sowie die von ihnen eingesetzten Produktionsmittel. Der BFH hat grundsätzlich keine Bedenken gegen die Verwendung solcher mittels Datenbanken ermittelter Vergleichsdaten („comparables“).2 Dies gilt unabhängig davon, ob die Daten allgemein zugänglich sind oder nicht. Vor diesem Hintergrund darf sowohl die Finanzverwaltung als auch der Steuerpflichtige Datenbanken aufbauen und verwenden, selbst wenn die entsprechenden Daten nicht allgemein zugänglich sind. Der Beweiswert der aus anonymisierten Datenbanken ermittelten Vergleichsdaten ist allerdings nach Ansicht des BFH davon abhängig, ob die verwendete Datenbank Mindestanforderungen an die Qualität der Datenerfassung genügt.3 Ferner knüpft die Finanzverwaltung an einen datenbankgestützten Fremdvergleich erhebliche Anforderungen.4 Ein weiteres Problem bei der Verwendung von Datenbankanalysen im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Referenztransaktionen resultiert aus der Realität gesamtwirtschaftlicher oder branchenspezifischer Instabilität, die den Beweiswert der Informationen aus Datenbanken erheblich beeinträchtigt. Üblicherweise wird einer Datenbankanalyse ein Beobachtungszeitraum von drei bis fünf Jahren zugrunde gelegt. Sind die in diesem Zeitraum vorherrschenden Markt- und Wettbewerbsverhältnisse nicht mit denen vergleichbar, die der zu bepreisenden verbundinternen Transaktion zugrunde liegen (z.B. in Zeiten der Finanzmarktkrise und der ihr nachfolgenden Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009), sind die gewonnen Daten nicht verwend- bzw. verwertbar. Dies deshalb, weil die ermittelten Vergleichsdaten nicht auf vergleichbare Verhältnisse zurückgehen.5 Insofern bedarf es der Identifikation von Vergleichsdaten, die ebendiese Vergleichbarkeit aufweisen. Hier dürfte allerdings die Daten1 Vgl. Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1939; Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 136. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 3 Allerdings ist diese Forderung des BFH weitestgehend unbestimmt; vgl. hierzu Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 217. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.4; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 214 ff.; Kolb, IWB Fach 3 Gruppe 1, 2391 ff. 5 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 38; siehe ferner Engler, IStR 2009, 685 ff.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
basis (noch) als unzureichend zu bezeichnen sein. Dieser Umstand wird die Datenbankanalyse zukünftig vor die Herausforderung stellen, auch die Volatilität der ermittelten Vergleichsdaten zu dokumentieren.1 Dies wird zwangsläufig die Ausdehnung des Beobachtungszeitraums erfordern, um Rezessions- wie Wachstumsphasen in dem Datensatz zu berücksichtigen.2
F. Hypothetischer Fremdvergleich I. Ordentlicher Geschäftsleiter als Kriterium des hypothetischen Fremdvergleichs 3.132
Simulation des Preisbildungsprozesses. Unumstritten ist, dass einem tatsächlichen Fremdvergleich grundsätzlich Vorrang vor anderen Vergleichsverfahren einzuräumen ist.3 Ein tatsächlicher Fremdvergleich erweist sich allerdings immer dann als nicht durchführbar, wenn es an einer effektiven Vergleichsmöglichkeit zwischen unabhängigen Vergleichspartnern fehlt. In diesem Fall besteht die Möglichkeit und Notwendigkeit, auf Hilfs- und Simulationsverfahren zurückzugreifen. Dabei handelt es sich um einen hypothetischen Fremdvergleich, der, basierend auf der Fiktion gesellschaftsrechtlicher Unabhängigkeit der Vertragspartner, eine Simulation des Preisbildungsprozesses4 vornimmt.
3.133
Konkrete Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Die Ermittlung fiktiver Vergleichstatbestände durch Simulation des Preisbildungsprozesses muss auf der Grundlage der Daten des realen Ausgangstatbestandes erfolgen, wobei durch die Unabhängigkeitsfiktion lediglich solche Einflüsse auf die Preisfestlegung zu eliminieren sind, die auf die Verflechtung der Unternehmen zurückzuführen sind. Dies hat für die praktische Ausgestaltung des hypothetischen Fremdvergleichs zur Folge, dass das Ergebnis der Preissimulation entscheidend geprägt sein muss von den konkreten Marktverhältnissen, den Handelsbräuchen und Marktgepflogenheiten, der Unternehmensstruktur, den Funktionen und den Risiken des Unternehmens innerhalb des Gesamtverbundes sowie der Kostensituation der jeweiligen 1 Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 38. 2 Vgl. Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160. 3 Vgl. Tz. 2.14 OECD-Leitlinien 2010; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.304; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.131; Eigelshoven in V/L5, Art. 9 OECD-MA Rz. 60; differenzierend Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 190 ff. Dagegen macht nach Auffassung des BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171, die nachhaltige Erwirtschaftung von Verlusten bei einer inländischen TochterVertriebsgesellschaft die Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs „obsolet“. 4 Vgl. dazu auch Kleineidam in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 105 ff.
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F. Hypothetischer Fremdvergleich
Vertragspartner.1 Die deutsche Finanzverwaltung spricht in diesem Zusammenhang von der Berücksichtigung „tatsächlichen Fremdverhaltens“ im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs.2 Objektivierender Bezugspunkt. Erweist sich ein hypothetischer Fremdvergleich als notwendig, so bedarf es zu dessen Durchführung eines objektiven Bezugspunktes. Die ständige Rspr. des BFH3 zur vGA und verdeckten Einlage hat hierfür auf die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters bzw. eines ordentlichen Kaufmanns (im Folgenden kurz: ordentlicher Geschäftsleiter) verwiesen, um beurteilen zu können, ob ein Verrechnungspreis als sachgerecht anzusehen ist, also mit dem Preis übereinstimmt, den unabhängige Dritte in einer vergleichbaren Situation vereinbart hätten (vgl. auch Rz. 2.10 und 2.37 ff.). Die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters einer unabhängigen Gesellschaft ist als der Maßstab des hypothetischen Fremdvergleichs anzusehen und daher immer dann anwendbar, wenn ein objektiver Wert i.S. eines Marktpreises als Vergleichsmaßstab nicht zur Verfügung steht.
3.134
Ursprung des Sorgfaltsmaßstabs. Bei diesem Sorgfaltsmaßstab handelt es sich um ein Kriterium des deutschen Handelsrechts, das die BFH-Rspr. in das Steuerrecht übernommen hat und das in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG nunmehr seine gesetzliche Grundlage hat. Hiernach ist bei der Anwendung des Fremdvergleichs davon auszugehen, „dass die voneinander unabhängigen Dritten […] nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln.“ Es dient den VWG 19834, den VWGUmlageverträge 19995 und den VWG-Arbeitnehmerentsendung6, den VWG-Verfahren7 und den VWG-Funktionsverlagerung8 als zentrales Angemessenheitskriterium. Wassermeyer betont, dass es sich bei dem Maßstab des ordentlichen Geschäftsführers um eine „Erfindung Döllerers“ handele, der den Maßstab aus den §§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG abgeleitet habe, obwohl beide Vorschriften mit einer vGA im steuerlichen Sinne nichts zu tun hätten. Genau genommen sei dieser Maßstab ohne jede Rechtsgrund-
3.135
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.1.4. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 65. 3 Vgl. erstmals BFH v. 16.3.1967 – I 261/63, BStBl. III 1967, 626. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.1, 2.1.8, 2.1.9, 2.3.2, 2.4.1 u. 6.4. 5 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1. 6 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 769 Tz. 3.1, 3.1.1 u. 3.1.2. 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.1. 8 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 30, 96, 193.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
lage.1 Dennoch erwächst die besondere Relevanz dieser Rechtsfigur als Objektivitätskriterium des deutschen Steuerrechts aus ihrer zentralen Stellung innerhalb der beiden dominanten Abgrenzungsregelungen, der vGA und der verdeckten Einlage, und nunmehr auch in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG.
3.136
Parallelen in ausländischen Rechtskreisen. Bei der Rechtsfigur des ordentlichen Geschäftsleiters handelt es sich keineswegs um einen deutsche Besonderheit. Vielmehr ist sie auch in anderen ausländischen Rechtskreisen bekannt, wie etwa die „Theorie der ordnungsgemäßen Geschäftsleitungsmaßnahme“ in Frankreich zur Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes zeigt.2 Geht man davon aus, dass man mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters nicht über einen punktmäßig vorgegebenen Maßstab verfügt, sondern dass dem Geschäftsleiter unter Berücksichtigung seiner unternehmerischen Zielfunktion ein gewisser Spielraum kaufmännischen Ermessens eingeräumt werden muss, der sich im Einzelfall aus Art, Funktion, Marktsituation und Größe der betreffenden Unternehmen ergibt,3 so muss man konzedieren, dass dieser Maßstab für viele Situationen der internationalen Einkünfteabgrenzung ein geeignetes Abgrenzungskriterium darstellt. Auch die OECD-Leitlinien haben die besondere Eignung des Maßstabs erkannt, indem sie in Kap. V zur Nachweisführung bei Verrechnungspreisprüfungen von „den Grundsätzen einer gewissenhaften Geschäftsleitung“ bzw. „des gewissenhaften Geschäftsleiters“ sprechen.4 Die OECD-Leitlinien beziehen sich ferner im Zusammenhang mit Restrukturierungen und dem Ausnahmecharakter von Umdeutungen der konkreten Verbunddisposition auf die „kaufmännische Sinnhaftigkeit“ („commercially rational manner“) der Verbundorganisation (Rz. 3.51 f.).5 Inhaltlich sollte diese Abgrenzung dem Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsleiters entsprechen.
3.137
Notwendigkeit der inhaltlichen Konkretisierung. Eine „Internationalisierung“ der Rechtsfigur des ordentlichen Geschäftsleiters wird allgemein begrüßt und als „Retter“ des Arm’s-Length-Tests in solchen konzernspezifischen Situationen angesehen, „bei denen mangels vergleichbarer unbeeinflusster Transaktionen nur noch ein hypothetischer Fremdvergleich 1 Vgl. Wassermeyer in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 126; Wassermeyer, DB 1994, 1107. Siehe hierzu auch Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 300 ff.; Borstell in V/B/E, Verrechnungspreise3, C Rz. 66 ff. 2 Vgl. Sinz, IStR 2002, 195 und ferner Becker in FS Döllerer, 19 ff.; Becker, IWB Fach 3 Gruppe 1, 1631 ff. 3 Vgl. BFH v. 10.1.1973 – I R 119/70, BStBl. II 1973, 322; v. 16.4.1980 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492 sowie BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.8. 4 Vgl. Tz. 5.4, 5.6, 5.11 u. 8.41 OECD-Leitlinien 2010; siehe auch Tz. 3.82 OECDLeitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 9.177 und 9.180 OECD-Leitlinien 2010.
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F. Hypothetischer Fremdvergleich
möglich ist“.1 Die erweiterte Verwendungsmöglichkeit des ordentlichen Geschäftsleiters zur Konkretisierung des Fremdvergleichs resultiert aus der Flexibilität seines Angemessenheitskriteriums, welches allerdings für die praktische Anwendung einer zusätzlichen Präzisierung bedarf. Hierbei ergibt sich das zentrale Problem der Entwicklung sachgerechter Kriterien zur Bestimmung der Interventionspunkte bzw. Toleranzgrenzen von Entscheidungsspielräumen, innerhalb derer die Entscheidungen als – aus steuerlicher Sicht – akzeptabel anzusehen sind. Entscheidungen über absatz- und beschaffungswirtschaftliche Preisgrenzen. Geht man von der Überlegung aus, dass es grundsätzlich dem rationalen Verhalten eines ordentlichen Geschäftsleiters widerspricht, Entgelte zu akzeptieren, die entweder zu einem völlig oder teilweise unentgeltlichen Liefer- oder Leistungstransfer führen oder über den Aufwand hinausgehen, der entstünde, wenn bestimmte Leistungen durch den eigenen Betrieb oder fremde Dritte erbracht werden würden,2 so erhält das Problem der Begrenzung von Entscheidungsspielräumen eher eine ökonomische als eine rechtliche Dimension. Dieser Umstand macht die einem betriebswirtschaftlichen Kalkül unterziehbare Entscheidungssituation deutlich, die durch Entscheidungen über absatz- und beschaffungswirtschaftliche Preisgrenzen gekennzeichnet ist. Diese Preisgrenzen determinieren das Ausmaß von Ermessensspielräumen. Der Gesetzgeber hat diese Überlegung mit der Neufassung des § 1 Abs. 3 AStG (i.R. des UntStRefG 2008) konsequent mit der Einigungsbereichsbetrachtung in Satz 6 umgesetzt, wobei er vom „Mindestpreis des Leistenden“ und vom „Höchstpreis des Leistungsempfängers“ spricht.
3.138
Ausrichtung an Gewinnerzielung bzw. Gewinnmaximierung. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist der ordentliche Geschäftsleiter als Träger betriebswirtschaftlicher Entscheidungen anzusehen, der das erwerbswirtschaftliche Prinzip in Form der „Gewinnmaximierung“ als oberste Maxime seines unternehmerischen Handelns zu respektieren hat. So verlangen die VWG 1983 von der Rechtsfigur des ordentlichen Geschäftsleiters die strikte Beachtung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips.3 Im Übrigen ist auch nach Auffassung der Rspr. das Verhalten des ordentlichen Geschäftsleiters an der betriebswirtschaftlichen Zielsetzung der Gewinnerzielung bzw. Gewinnmaximierung auszurichten.4
3.139
1 Lahodny-Karner, Konzernverrechnungspreise im nationalen und internationalen Steuerrecht, 60; jedoch kritisch Kleineidam, IStR 2001, 726 f. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.4.1. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.8 u. 6.4.1. 4 Vgl. BFH v. 16.4.1980 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492; v. 28.6.1989 – I R 9/85, BStBl. II 1989, 854; v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; v. 15.5.2002 – I R 92/00, BFH/NV 2002, 1538; v. 6.4. 2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.140
Indizwirkung konträrer Zielsysteme. Betrachtet man die Eliminierung der Einflussnahme des Gesellschafters bzw. einer ihm nahe stehenden Person auf die unternehmerischen Zielsetzungen der Kapitalgesellschaft als die Hauptabsicht des Fremdvergleichs, so lassen andere, dem Gewinnstreben entgegengesetzte Zielsysteme grundsätzlich eine nicht erwünschte gesellschaftsrechtlich bedingte Einflussnahme vermuten, die bei der Ermittlung hypothetischer Vergleichstatbestände nicht berücksichtigt werden darf.1 Lediglich in begründeten Ausnahmefällen sind andere, vom Gewinnstreben abweichende Zielsetzungen bei der Konstruktion hypothetischer Lösungsansätze möglich.
3.141
Temporär vom Gewinnstreben abweichende Zielsetzung. Wenngleich das Gewinnstreben als oberste, langfristige und während der gesamten Lebensdauer eines Unternehmens gültige Maxime zu betrachten ist, so kann dennoch ein vorübergehendes Abweichen hiervon zugunsten einer anderen Zielsetzung im Rahmen einer kurzfristigen Betrachtung betriebswirtschaftlich durchaus sinnvoll sein. Dies gilt bspw. bei der Neueinführung von Produkten oder der Markterschließung bzw. der Marktverteidigung/-sicherung, wo entsprechende Maßnahmen häufig zu erhöhten Kosten bzw. zu Mindererlösen führen (vgl. Rz. 3.78 ff.). Dabei bestimmt sich die Dauer solcher Maßnahmen ausschließlich nach Vorteilhaftigkeitserwägungen eines rational handelnden Entscheidungsträgers in Gestalt des ordentlichen Geschäftsleiters, der diese nur dann realisiert, wenn er aufgrund unternehmerischer Planungsergebnisse davon ausgehen kann, dass sich die Kosten bzw. Mindererlöse solcher Maßnahmen im Planungszeitraum durch daraus entstehende zusätzliche Erlöse mindestens kompensieren. In diesem Zusammenhang geht die Rspr. davon aus, dass eine Verlustphase – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalls – sowohl bei neu eingeführten als auch bei bereits auf dem Markt etablierten Produkten drei Jahre nicht überschreiten sollte.2 Die Dreijahresfrist ist allerdings als widerlegbare Vermutung zu verstehen (Rz. 3.80), sodass es dem Steuerpflichtigen freisteht, darzulegen, dass die Verlustursachen nicht in unangemessenen Verrechnungspreisen, sondern vielmehr in sonstigen betrieblichen Gründen (z.B. Fehlmaßnahmen, nicht vorhersehbaren Ereignissen) zu suchen sind und rechtzeitig Anpassungsmaßnahmen ergriffen wurden. Die Anerkennung von Anlaufverlusten wird zudem von der Erzielung eines „angemessenen Totalgewinns“ innerhalb eines – vom BFH nicht näher quantifizierten – überschaubaren Kalkulationszeitraumes abhängig gemacht. Die Höhe dieser „Überkompensation“ soll mindestens der angemessenen Verzinsung des zugeführten Eigenkapitals (einschl. Zinseszins und Risikozuschlag) entsprechen.3 1 Vgl. etwa BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 2 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457; v. 17.10.2001 – I R 103/00, IStR 2001, 745. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, IStR 2001, 745; BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270.
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F. Hypothetischer Fremdvergleich
„Make-or-Buy“-Kalkül. Bei beschaffungswirtschaftlichen Entscheidungsprozessen sieht sich ein ordentlicher Geschäftsleiter als Entscheidungsträger grundsätzlich den Handlungsalternativen Eigenfertigung oder Fremdbezug gegenüber.1 Im Rahmen absatzwirtschaftlicher Entscheidungen ist die Wahl zwischen alternativen Abnehmern erforderlich. Die Anzahl der Handlungsalternativen orientiert sich dabei an der Menge potenzieller Leistungserbringer bzw. -empfänger. Ein ordentlicher Geschäftsleiter wird aus den zum Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Handlungsalternativen diejenige auswählen, die nach seiner Einschätzung für das von ihm vertretene Unternehmen langfristig den größten Nutzen bringt. Abzustellen ist damit auf die Vorteilhaftigkeitserwägungen eines autonomen Entscheidungsträgers. Da für die Bestimmung von Ermessensspielräumen, innerhalb derer die Entscheidungen eines Geschäftsleiters als akzeptabel anzusehen sind, operationale und allgemein verbindliche Normen fehlen, muss auf die Grundregeln ordnungsmäßiger Unternehmensführung als Verhaltensmaßstab zurückgegriffen werden. Mithin sind die Entscheidungen eines ordentlichen Geschäftsleiters steuerlich anzuerkennen, solange er sich im Rahmen des ihm einzuräumenden Ermessensspielraumes bewegt und dadurch seiner Sorgfaltspflicht genügt. Dies gilt auch dann, wenn sich in zwei vergleichbaren Fällen ein ordentlicher Geschäftsleiter anders entscheidet als ein anderer.2 Ein ordentlicher Geschäftsleiter hat sein Entscheidungsverhalten ausschließlich am Ziel des von ihm geleiteten Unternehmens zu orientieren. Das hat zur Folge, dass er auch dann keine nachteiligen Geschäfte für „sein“ Unternehmen abschließen darf, wenn seine Handlungsweise für andere verbundene Unternehmen möglicherweise vorteilhaft sein sollte.3
3.142
II. „Doppelter“ ordentlicher Geschäftsleiter Einbeziehung des Vertragspartners. Will man das Kriterium des ordentlichen Geschäftsleiters im Interesse eines einheitlichen Fremdvergleichs im deutschen internationalen Steuerrecht sachgerecht anwenden, so kommt man nicht umhin, auch den Vertragspartner in das Kriterium miteinzubeziehen.4 Der BFH hat diese Notwendigkeit erkannt und unter Änderung seiner ständigen Rspr. zur vGA im Urteil v. 17.5.19955 die Ein1 Vgl. insoweit BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.4.1 Satz 4; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1; Baumhoff, IStR 2000, 696. 2 Siehe zum Ermessenspielraum auch Borstell in V/B/E, Verrechnungspreise3, C Rz. 79 ff. 3 So ausdrücklich BFH v. 1.8.1984 – I R 99/80, BStBl. II 1985, 18. 4 Vgl. Wassermeyer, DB 1994, 1109; Wassermeyer, IStR 2001, 636; siehe auch Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 360 ff. 5 Vgl. BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204. Siehe ferner BFH v. 6.12. 1995 – I R 88/94, BStBl. II 1996, 383; v. 19.5.1998 – I R 36/97, BStBl. II 1998, 689; v. 27.3.2001 – I R 27/99, BStBl. II 2002, 111; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; v. 24.4.2002 – I R 18/01, BStBl. II 2002, 670; v. 28.1.2004 – I R 87/02,
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3.143
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
beziehung des Vertragspartners in den Fremdvergleich vorgenommen. Der BFH führt hierzu aus: „Der Maßstab der Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ist jedoch nicht für alle Fälle als Beurteilungsmaßstab geeignet. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass der gebotene Fremdvergleich nur aus der Sicht der Kapitalgesellschaft gesehen wird. Der ordentliche und gewissenhafte Gesellschafter wird grundsätzlich jeder Vereinbarung zustimmen, die für die Kapitalgesellschaft vorteilhaft ist. Dabei kann der Vorteil auch darin liegen, dass eine Verbindlichkeit der Gesellschaft nicht sofort erfüllt werden muss und damit der Gesellschaft Liquidität erhält. Der Fremdvergleich erfordert auch die Einbeziehung des Vertragspartners. Auch wenn ein Dritter einer für die Gesellschaft vorteilhaften Vereinbarung nicht zugestimmt hätte, kann deren Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis liegen. So gesehen ist der Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nur ein Teilaspekt des Fremdvergleichs.“ Damit hat der BFH den von der Betriebswirtschaftslehre nahezu zehn Jahre zuvor entwickelten Vorschlag1 zur Verdopplung der Rechtsfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters aufgenommen und seiner nunmehr ständigen Rspr. zugrunde gelegt.
3.144
Verdopplung der Rechtsfigur. Es kann also nicht auf die Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsleiters nur des einen Unternehmens ankommen, erforderlich ist auch die Einbeziehung des ordentlichen Geschäftsleiters des im anderen Staat ansässigen Unternehmens. Der ordentliche Geschäftsleiter ist damit gewissermaßen zu „verdoppeln“, wenn man der im Wirtschaftsleben an sich selbstverständlichen Tatsache Rechnung tragen will, dass Verträge notwendigerweise von mindestens zwei Rechtssubjekten ausgehandelt und abgeschlossen werden. Denn es darf nicht übersehen werden, dass beim Liefer- und Leistungsverkehr zwischen international verbundenen Unternehmen auch aufseiten der ausländischen Gesellschaft ein Geschäftsleiter beteiligt ist, der mit der gebotenen Sorgfalt die Interessen seines Unternehmens zu vertreten hat und den Erwartungen „seines“ Fiskus gerecht werden muss (Rz. 3.147).
3.145
Gesetzlicher Maßstab für den Fremdvergleich. Der Gesetzgeber hat die Sinnhaftigkeit des „doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ erkannt und diese Rechtsfigur beinahe 25 Jahre nach ihrer „Geburt“ als Leitgedanken des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG verankert.2 Hiernach ist bei der Anwendung des FremdverBFH/NV 2004, 736; v. 6.4.2005 – I R 15/04, BStBl. II 2006, 196; v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658; v. 21.8.2007 – I R 27/07, HFR 2008, 367; v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961; v. 5.3.2008 – I R 45/07, BFH/NV 2008, 1534; v. 17.2.2010 – I R 97/08, BFH/NV 2010, 1307. 1 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 139 ff. 2 Siehe hierzu grundlegend Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 139 ff.
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F. Hypothetischer Fremdvergleich
gleichs davon auszugehen, „dass die voneinander unabhängigen Dritten […] nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln.“ Zu der Zwecksetzung heißt es in der Regierungsbegründung ausdrücklich: „da anderenfalls das Zustandekommen marktkonformer Verrechnungspreise nicht erreicht werden kann“.1 Dies verdeutlicht bereits hinreichend, dass die Rechtsfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters in ihrer verdoppelten Ausprägung auf den hypothetischen Fremdvergleich zugeschnitten ist und besser in § 1 Abs. 3 AStG hätte verankert werden sollen. Im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs ist sie hingegen verfehlt (Rz. 3.9). Für den hypothetischen Fremdvergleich erkennt der Gesetzgeber allerdings zutreffend, dass – bezogen auf die Ermittlung angemessener Verrechnungspreise – erst die Kombination zweier Fremdvergleichswerte (Preisunter-/Preisobergrenze) zwei kontrahierende ordentlicher Geschäftsleiter (Käufer/Verkäufer) zu einem Fremdvergleichspreis führt. Nach welchem Maßstab ihr Handeln zu beurteilen ist, bringt die Gesetzesbegründung zweifelsfrei zum Ausdruck: „nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen“.2 Normverhalten/Soll-Vergleichstatbestand. In diesem Zusammenhang kann das Verhalten „unabhängiger Dritter“, soweit ein tatsächlicher Fremdvergleich (Rz. 3.126 ff.) mangels Existenz uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbarer Vergleichsdaten scheitert, durch das Normverhalten der ordentlichen Geschäftsleiter im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs konkretisiert werden. Die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters erfährt dadurch als objektivierender Bezugspunkt eine eigenständige Bedeutung, was „letzten Endes auf eine Angemessenheitsprüfung nach betriebswirtschaftlichen Kriterien“ hinausläuft.3 Dieser Maßstab erweist sich jedoch nicht allein als Ergänzungskriterium eines hypothetischen, sondern auch als neutraler Bezugspunkt bei einem tatsächlichen Fremdvergleich und somit auch für die Auslegung des § 1 AStG insgesamt als geeignet.4 Denn ein ordentlicher Geschäftsleiter würde mit einem gesellschaftsrechtlich verbundenen Geschäftspartner dasselbe Geschäft zu genau den gleichen Bedingungen abschließen, wie er dies mit einem fremden Dritten tun würde bzw. wie dies fremde Dritte untereinander tun würden. Wenn also ein Geschäftsleiter mit einer verbundenen Unternehmung ein Geschäft „at arm’s length“ abschließt und durchführt, so verhält er sich damit ordentlich und gewissenhaft.
1 BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 142. 2 BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 144. 3 Vgl. Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 107 ff.; Borstell in V/B/E, Verrechnungspreise3, C Rz. 93 f.; Roeder, Ubg 2008, 204 f.; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 3.2 Rz. 149. 4 Vgl. etwa bereits BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.1., wonach dem Fremdvergleich „die verkehrsübliche Sorgfalt ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter gegenüber Fremden“ zugrunde zu legen ist.
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3.146
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.147
Berücksichtigung der individuellen Entscheidungssituation. Gegenüber dem tatsächlichen Fremdvergleich bietet das Kriterium des ordentlichen Geschäftsleiters die Möglichkeit einer zusätzlichen inhaltlichen Präzisierung, indem hiermit der individuellen Entscheidungssituation des Entscheidungsträgers im Unternehmen und damit auch in größerem Umfang der Funktion des einzelnen Unternehmens im gesamten Unternehmungsverbund Rechnung getragen werden kann. Darüber hinaus ist es dem tatsächlichen Fremdvergleich in den Bereichen überlegen, in denen aufgrund konzernspezifischer Besonderheiten ein vergleichbares Fremdverhalten nicht mehr denkbar ist.1 Eine „Verdopplung“ der Rechtsfigur des ordentlichen Geschäftsleiters eröffnet im Übrigen die Möglichkeit einer international einheitlichen Anwendung des Fremdvergleichs und der „Internationalisierung“ dieser Rechtsfigur.2 Es stehen sich damit zwei ordentliche Geschäftsleiter sowohl aufseiten des anbietenden als auch des nachfragenden Unternehmens gegenüber, die aufgrund ihrer unternehmerischen Zielsetzung und Ergebnisverantwortung bestrebt sind, die für die von ihnen vertretenen Gesellschaften jeweils günstigsten Bedingungen zu vereinbaren. Durch die „Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters“ wird der in der Literatur vermisste natürliche Interessengegensatz der Geschäftspartner, der wie bei voneinander unabhängigen Unternehmen für marktkonforme, ausgewogene Preise sorgt, geschaffen. Darüber hinaus lässt die Etablierung eines zweiten Entscheidungsträgers das Kriterium des ordentlichen Geschäftsleiters insofern realitätsnaher und praktikabler erscheinen, als durch das Vorhandensein voneinander unabhängiger Anbieter und Nachfrager einer Grundbedingung von Preisbildungsprozessen Rechnung getragen und damit erst die Akzeptanz eines Preises durch beide Seiten ermöglicht wird.
3.148
Ermittlung individueller Grenzpreise und Handlungsalternativen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stehen sich nach dieser Betrachtungsweise zwei voneinander unabhängige Entscheidungsträger mit individuellen Zielfunktionen gegenüber, die nur dann zu einem Ergebnis gelangen können, wenn ihre Interessen in angemessener Weise gewahrt werden. Damit gilt für die Herstellung eines Interessenausgleichs als Grundvoraussetzung, dass beide Seiten den Bedingungen eines Transfers nur dann zustimmen können, wenn sich diese – zumindest langfristig – nicht negativ auf das Betriebsergebnis der von ihnen vertretenen Unternehmen auswirken. Um dies beurteilen zu können, ist eine vorherige Festlegung der individuellen Entscheidungssituationen der Geschäftspartner durch Ermittlung der individuellen Preisgrenzen (Rz. 5.208 ff.) sowie der Handlungsalternativen (Rz. 5.214 und 5.218) erforderlich, die sowohl dem Anbieter 1 Dagegen kritisch Kleineidam, IStR 2001, 726 f.; Bauer, IStR 2006, 320 ff. 2 Vgl. Lahodny-Karner, Konzernverrechnungspreise im nationalen und internationalen Steuerrecht, 61; Wassermeyer, IStR 2001, 636; Borstell in V/B/E, Verrechnungspreise3, C Rz. 94 f.; siehe hierzu auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.305.
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F. Hypothetischer Fremdvergleich
als auch dem Nachfrager neben dem zu beurteilenden Liefer- bzw. Leistungstransfer offenstehen.1 Einigungsbereichsbetrachtung. Dabei kann es bei rationalem Verhalten unabhängiger Entscheidungsträger nur dann zu einer Einigung kommen, wenn die Preisobergrenze des Nachfragers über der Preisuntergrenze des Anbieters liegt, m.a.W. wenn ein Einigungsbereich besteht. Mithin bildet dieser Einigungsbereich das Preisband (sog. „Bandbreitenbetrachtung“2), innerhalb dessen der angemessene Verrechnungspreis liegen muss. Dieses Preisband wird determiniert durch die Preisuntergrenze aus Sicht des leistungserbringenden Unternehmens und die Preisobergrenze aus Sicht des leistungsempfangenden Unternehmens (Rz. 3.158 und 5.208 ff.).
3.149
Langfristige und kurzfristige Preisuntergrenze. Die Preisuntergrenze ist dabei definiert als dasjenige Entgelt, das das leistungserbringende Unternehmen von einem fremden Dritten mindestens für die Leistung fordern würde. Ist der Leistungsempfänger nicht bereit, dieses Entgelt zu vergüten, wird der ordentliche Geschäftsleiter des Unternehmens nicht bereit sein, die Leistung zu erbringen. Betriebswirtschaftlich ist zwischen der lang- und der kurzfristigen Preisuntergrenze zu unterscheiden.3 Langfristige Preisuntergrenzen stellen Preis-Mindesthöhen dar, die selbst dann die Existenz des Unternehmens nicht gefährden, wenn diese auf Dauer beibehalten werden (müssen). Da langfristig marktwirtschaftlich geführte Unternehmen nur funktionsfähig sein können, wenn mindestens die gesamten Kosten (Vollkosten) und ein Mindestgewinn für die Verzinsung des eingesetzten Kapitals durch die Erlöse gedeckt werden, bilden die gesamten Durchschnittskosten pro Leistungseinheit (Einzelkosten zuzüglich anteiliger Gemeinkosten) die langfristige Preisuntergrenze, wobei die Normalverzinsung des Kapitals als Kostenbestandteil anzusehen ist (sog. kalkulatorische Eigenkapitalzinsen). Ein zu Vollkosten kalkulierter Selbstkostenpreis wird zuweilen auch als „natürliche“ Preisuntergrenze bezeichnet. Der langfristigen Preisuntergrenze steht die kurzfristige Preisuntergrenze gegenüber, die nur für begrenzte Zeit und nur in Ausnahmefällen, z.B. bei einer konjunkturell bedingten (vorübergehenden) Unterbeschäftigung bzw. betrieblichen Sondersituationen (etwa Rezession), realisierbar ist.
3.150
1 Zum betriebswirtschaftlichen Entscheidungsprozess bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen im Rahmen der sog. „Bandbreitenbetrachtung“ vgl. auch Kleineidam/Baumhoff/Seutter, DB 1986, 238 ff.; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 139 u. 236 ff.; Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 103 ff.; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.147 ff.; Roeder, Ubg 2008, 205 f.; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464 f.; Baumhoff in FS Krawitz, 24 ff. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.9.; Tz. 3.55 ff. OECD-Leitlinien 2010; Baumhoff in FS Wassermeyer, 347 ff. 3 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 25 ff. m.w.N.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Demnach kann es für ein leistungserbringendes Unternehmen betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, vorübergehend (z.B. in Krisensituationen) eine Preiskalkulation auf Teilkostenbasis zu realisieren, also auf die Deckung der gesamten Selbstkosten zu verzichten. Dabei müssen jedoch die variablen Kosten einer Lieferung oder Leistung die absolute Preisuntergrenze darstellen, deren Unterschreiten im Normalfall betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Anderenfalls wäre infolge des Ressourcenverzehrs das Überleben des jeweiligen Unternehmens nicht gewährleistet.
3.151
Preisobergrenze. Demgegenüber wird als Preisobergrenze der Preis verstanden, den der ordentliche Geschäftsleiter des leistungsempfangenden Unternehmens maximal zu zahlen bereit ist. Übersteigt der Preis diese Grenze, wird er auf die Inanspruchnahme der Leistung verzichten. Die Höhe der Preisobergrenze kann nur unter konkreter Bezugnahme auf die einem unabhängigen Entscheidungsträger alternativ zur Verfügung stehenden Beschaffungsmöglichkeiten bestimmt werden. Dabei lässt sich grundsätzlich unterscheiden zwischen – dem (internen) Bezug der Lieferung/Leistung bei einem verbunden Unternehmen, – der Eigenerstellung des Produkts/der Leistung sowie – dem (externen) Bezug des Produkts/der Leistung bei einem unabhängigen Unternehmen. Welche der drei Alternativen im Einzelfall realisierbar ist, hängt von der Art der betreffenden Lieferung/Leistung sowie den damit einhergehenden Eigenerstellungs- und Fremdbezugsmöglichkeiten des Empfängers ab. Sind mehrere Alternativen realisierbar, so ergeben sich daraus verschiedene Ansatzpunkte der Preisobergrenzen-Bestimmung, wobei ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter die Festsetzung seiner Preisobergrenze an der Alternative orientieren wird, die seiner Zielsetzung am ehesten entspricht.
3.152
Positiver/negativer Einigungsbereich. Liegt ein Einigungsbereich vor, d.h., die Preisobergrenze des Leistungsempfängers liegt über der Preisuntergrenze des Leistungserbringers, sind grundsätzlich sämtliche Preise innerhalb dieser Bandbreite als fremdvergleichskonform anzusehen. Liegt dagegen kein Einigungsbereich vor, weil es einem oder beiden Vertragspartnern nicht möglich ist, den individuellen Grenzpreis, bei dem Entscheidungsindifferenz vorliegt, zu erzielen, wird zwischen unabhängigen Unternehmen keine Transaktion zustande kommen. Denn mindestens einer der Beteiligten müsste einen – unter Fremden nicht akzeptablen – Gewinnentgang in Kauf nehmen, was mit dem Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht zu vereinbaren wäre. In diesem Fall ist ein Fremdvergleich weder in seiner tatsächlichen noch in seiner hypothetischen Form durchführbar, obwohl aufgrund des faktischen Kontrahierungszwangs zwischen den Konzernunternehmen die Notwendigkeit der Festsetzung eines Verrechnungspreises besteht (Rz. 5.249 ff.). 260
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F. Hypothetischer Fremdvergleich
III. Der hypothetische Fremdvergleich gem. § 1 Abs. 3 Sätze 5 ff. AStG Kodifizierung des hypothetischen Fremdvergleichs. Mit der Neufassung des Außensteuergesetzes durch das Unternehmensteuerreformgesetz 20081 wurde der hypothetische Fremdvergleich gesetzlich verankert. Entsprechend dem § 1 Abs. 3 AStG zugrunde liegenden Stufenverhältnis kommt er nachrangig dann zum Tragen, wenn mittels eines tatsächlichen Fremdvergleichs weder uneingeschränkt noch eingeschränkt vergleichbare Werte identifiziert werden können (Rz. 5.149 ff.). In diesem Fall hat „der Steuerpflichtige für seine Einkünfteermittlung einen hypothetischen Fremdvergleich […] durchzuführen.“2
3.153
1. Innerstaatliche „Konkretisierungen“ des Fremdvergleichsgrundsatzes Doppelter ordentlicher Geschäftsleiter. Für die Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs sind die Konkretisierungen des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG zu beachten, die der Gesetzgeber für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes vorgibt. Zum einen soll davon auszugehen sein, „dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung kennen“, zum anderen davon, dass sie „nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln“. Während die Ausrichtung an der Referenzfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters in seiner verdoppelten Ausprägung im Einklang mit der Rspr. des BFH zur vGA steht (Rz. 3.143 ff.) und sich als unabdingbar für die Simulation von Preisbildungsprozessen erweist, ist die Fiktion vollständiger Transparenz zwischen den beteiligten Transaktionspartnern national wie international eine Novität und eben nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar, da miteinander kontrahierende fremde Dritte eben nicht die volle Transparenz über die Entscheidungssituation ihres Gegenübers haben.
3.154
Transparenzfiktion. Die Fiktion der vollständigen Information und Markttransparenz legt der Verrechnungspreisermittlung volkswirtschaftliche Modellannahmen zugrunde, die die vereinfachte Abbildung und Erklärung komplexer Marktmechanismen bezwecken, ohne dass sie mit der Realität irgendetwas gemein hätten.3 Zwischen unabhängigen Dritten jedenfalls herrschen regelmäßig unvollkommene Informationen vor. Nur unter dieser asymmetrischen Informationsverteilung lassen sich empirisch beobachtbare betriebswirtschaftliche Entscheidungen – und damit
3.155
1 UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 2 § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG. 3 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 545 f. Zu der Abwesenheit der Bedingungen eines vollkommenen Marktes und den deshalb erklärbaren Ursachen für die Entstehung von Preisbandbreiten vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 348 f.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
auch Preisentscheidungen – überhaupt erklären1. Anderenfalls gäbe es auch nur einen Preis, nämlich den sog. „Gleichgewichtspreis“2. Ausweislich der Gesetzesbegründung zielt die Annahme vollständiger Information auf die „Vermeidung willkürlicher Ergebnisse im Verhältnis der nahe stehenden Personen“ 3, um sicherzustellen „dass nicht jeder beliebige Fremdvergleich, der auch unter irregulären Umständen (z.B. wegen mangelhafter Information oder Qualifikation) zustande gekommen sein kann, zu berücksichtigen ist.“ Sie soll „insbesondere für den hypothetischen Fremdvergleich wichtig“ sein. Einerseits impliziert die Verwendung „insbesondere“, dass die Transparenzklausel auch auf den tatsächlichen Fremdvergleich zur Anwendung kommen könnte, womit der international anerkannte Grundsatz des Fremdvergleichs verlassen wird.4 Andererseits verkennt der Gesetzgeber die Zielsetzung des § 1 AStG, mittels des Fremdvergleichsgrundsatzes den fehlenden Interessengegensatz aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit der Transaktionspartner zu überwinden, und konterkariert diese, indem er Informationen fordert, die nur unter Nutzung der gesellschaftsrechtlichen Stellung der Muttergesellschaft zu erlangen sind.5 Dem Vernehmen nach geht die Finanzverwaltung im Hinblick auf die Anwendung der Transparenzklausel zudem von einer Beschränkung auf bestimmte Verrechnungspreismethoden aus, wobei vollständige Markttransparenz lediglich bei Anwendung einer zweiseitigen Verrechnungspreismethode (geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode, Rz. 5.123 ff.) zu unterstellen sein soll, nicht hingegen bei Anwendung einer einseitigen Verrechnungspreismethode (klassische Methoden, Rz. 5.5 ff., und die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode, Rz. 5.92 ff.). Ferner ist die ertragswertorientierte Bewertung, so wie sie in § 1 Abs. 3 Sätze 5 ff. AStG geregelt ist, zweiseitig, weil sie aus der Perspektive des Leistenden (Rz. 5.210 ff.) wie auch aus derjenigen des Leistungsempfängers (Rz. 5.213 ff.) vorzunehmen ist.
3.156
Transparenzfiktion und Fremdvergleichsgrundsatz. Die Finanzverwaltung geht offenkundig von einer Vereinbarkeit der Transparenzfiktion mit dem internationalen Fremdvergleichsgrundsatz des Art. 9 OECD-MA und der ihm nachgebildeten Bestimmungen der deutschen DBA aus. So belegen die VWG-Funktionsverlagerung ihre Aussage in Tz. 149, dass insbesondere „zur Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs […] Informationstransparenz unterstellt werden“ müsse, mit Verweis auf die
1 Vgl. Selchert/Greinert, Einführung in die Betriebswirtschaftslehre8, 15 ff.; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 546. 2 Siehe hierzu Stiglitz/Walsh, Mikroökonomie4, 83 ff. 3 BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 142 f. 4 Insofern wird schon aus diesem Grunde einer restriktiven Auslegung i.S. einer Anwendbarkeit allenfalls auf den hypothetischen Fremdvergleich das Wort geredet, vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 546 f.; wohl auch Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 273. 5 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 276.
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F. Hypothetischer Fremdvergleich
Tz. 9.81 und 9.85 OECD-Leitlinien.1 Einer näheren Überprüfung hält diese vermeintliche Legitimation allerdings nicht stand. Denn dort wird – wie bereits in Tz. 6.14 OECD-Leitlinien – „lediglich“ explizit darauf hingewiesen, dass bei der Bestimmung von Fremdvergleichspreisen für Rechte an immateriellen Wirtschaftsgütern die Sichtweisen sowohl des Käufers wie des Verkäufers zu berücksichtigen sind.2 In diesem Gebot der Berücksichtigung der Interessen beider Transaktionspartner mag man eine Entsprechung mit der Referenzfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters erblicken.3 Dass diese mit dem Fremdvergleich vereinbar ist, wird hier nicht bestritten (Rz. 3.143 ff.). Diese Referenzfigur würde jedoch lediglich seine eigenen alternativen Handlungsmöglichen kalkülisieren und nur ausnahmsweise – im Falle besonderer und unter marktlichen Gegebenheiten gewonnener Informationen über die erwarteten Vorteile des Kontrahenten – anstreben, diese in die Preisfindung einzubeziehen.4 Allerdings ist den Ausführungen der OECD nicht ansatzweise zu entnehmen, dass international von einer vollständigen Kenntnis über die Handlungsalternativen der konzernverbundenen Transaktionspartner auszugehen sei. Ebenso wenig vermag der Begründungsansatz der VWG-Funktionsverlagerung zu überzeugen, dass erst mittels vollständiger Information der Verhandlungsspielraum der Parteien festgestellt werden könne und die Bestimmung betriebswirtschaftlich sachgerechter Verrechnungspreise entsprechend dem hypothetischen Fremdvergleich ermöglicht würde und deshalb insgesamt eine Vereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz gegeben sei.5 Diese vermeintlichen Ermittlungsdefizite vermögen diese realitätsferne Annahme freilich nicht zu rechtfertigen. Vielmehr bedürfte auch die Informationstransparenz selbst einer aus dem Fremdvergleichsgrundsatz abzuleitenden Rechtfertigung.6 Gänzlich außerhalb jedweder Rechtsgrundlage ist schließlich die Vorstellung, dass – i.S. einer Konzerninformationstransparenz – auch sämtliche Umstände heranzuziehen sind, die bei der Konzernzentrale bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen.7 Keine übergeordnete Transparenzinstanz. Man mag das fiskalische Interesse nachvollziehen können, gewissermaßen als übergeordnete Instanz die zu Entscheidungswerten verdichteten Handlungsalternativen und de1 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 149. 2 Vgl. Tz. 9.81, 9.85 sowie 6.14 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Roeder in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. 1 zu Tz. 6.14 OECD-Leitlinien. 4 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 269. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 149; siehe zur Notwendigkeit für eine „sinnvolle Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes“ auch Hruschka in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 17. 6 Vgl. zur „Lebenswirklichkeit“ in internationalen Konzernen auch Roeder, Ubg 2008, 205. 7 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 149; zu Recht kritisch Kroppen/Rasch, IWB 2010, 840.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
ren jeweiligen Bewertungen beider an der Transaktion beteiligter Parteien zu erhalten, um einen idealtypischen hypothetischen Fremdvergleich durchführen zu können. Allerdings fehlt es auch in der wirtschaftlichen Realität an einer „übergeordneten Transparenzinstanz“.1 Wollte man diese in der Konzernleitung erblicken,2 wäre (auch) der hypothetische Fremdvergleich in Gestalt der Simulation eines Preisbildungsprozesses ad absurdum geführt und durch ein Preisdiktat zu ersetzen, mithin einer auferlegten Bedingung, die sich weder mit § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG noch mit Art. 9 OECD-MA und Art. 4 EU-Schiedskonvention vereinbaren ließe. Insofern ist den realen Marktverhältnissen Rechnung zu tragen, die auch und gerade infolge asymmetrischer Informationsverteilung eine marktliche Preisentstehung ermöglichen. Insbesondere bietet die fehlende Informationstransparenz den Erklärungsansatz für die Entstehung von Preisbandbreiten.3 Da von dieser Realität im Übrigen auch § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG ausgeht, ist schon innerhalb der Regelungen des § 1 AStG die Vereinbarkeit mit der Transparenzklausel fraglich. Mit dem international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz, wie er in Art. 9 OECD-MA und Art. 4 EU-Schiedskonvention verankert ist, ist diese Fiktion der vollständigen Information und Marktransparenz jedenfalls unvereinbar.4 2. Regelungen zur Einigungsbereichsbetrachtung
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Bestimmung des Einigungsbereichs. Im Hinblick auf die Simulation des Preisbildungsprozesses gibt § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG vor, dass der Steuerpflichtige „aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen den Mindestpreis des Leistenden und den Höchstpreis des Leistungsempfängers unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze zu ermitteln [hat] (Einigungsbereich); der Einigungsbereich wird von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotentialen) bestimmt“. Was die Ermittlung der individuellen Preisgrenzen des Leistenden und des Leistungsempfängers anbelangt, ist angesichts der verwendeten Begriffe „Planrechnungen“ und „Gewinnpotentiale“ letztlich die Ermittlung eines Ertragswerts erforderlich.5 Dies wird 1 Vgl. hierzu ausführlich Frischmuth in FS Schaumburg, 657 ff. 2 Offenkundig geht die Auslegung der Finanzverwaltung zu § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG i.S. einer Konzerninformationstransparenz in diese Richtung, vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 149. 3 Vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 348 f. 4 Gl.A. Wassermeyer, DB 2007, 536; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 546; Kaminski, RIW 2007, 595; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 275; Kroppen/Nientimp, IWB Fach 3 Gruppe 1, 2359; Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 107; Kroppen in FS Schaumburg, 868 f.; Frischmuth, IStR 2007, 488; Frischmuth in FS Schaumburg, 656 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.108; Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Q Rz. 221 f. 5 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651.
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F. Hypothetischer Fremdvergleich
durch die konkretisierende Einfügung von „unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze“ durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26.6.20131 nochmals verdeutlicht. Die gesetzlichen Regelungen beschränken sich mithin auf die ertragswertbasierte Bestimmung der Preisgrenzen, wobei es jedenfalls methodisch nicht im hypothetischen Fremdvergleich angelegt ist und auch für die Simulation eines Preisbildungsprozesses durch Einigungsbereichsbetrachtung nicht erforderlich wäre, Grenzpreise nur durch Anwendung umfangreicher Bewertungsverfahren zu bestimmen. Jede nicht-ertragswertbasierte Ableitung von Grenzpreisen zur Bestimmung von Soll-Vergleichstatbeständen mag zwar methodisch auch auf einem hypothetischen Fremdvergleich basieren, sie ist gesetzlich jedoch nicht geregelt (vgl. Rz. 5.152). Ebenso fraglich ist, ob die Berücksichtigung alternativer Handlungsmöglichkeiten bei der Bestimmung des jeweiligen Grenzpreises stets auch eine ertragswertbasierte Bewertung der betreffenden Handlungsalternativen aufzwingt (vgl. hierzu Rz. 5.211, 5.214 und 5.218). Offenkundig geht der Gesetzgeber ferner – wie selbstverständlich – davon aus, dass die individuellen Preisgrenzen der Kontrahenten stets einen Einigungsbereich markieren. Dies ist allerdings nicht zwingend, denn ein Einigungsbereich setzt denklogisch voraus, dass die Preisobergrenze die Preisuntergrenze übersteigt. Mithin entsteht ein Einigungsbereich dann nicht, wenn die individuellen Preisgrenzen der Kontrahenten identisch sind oder die Preisobergrenze des Leistungsempfängers unter der Preisuntergrenze des Leistenden liegt.2 Die Realität negativer Einigungsbereiche haben Gesetzgeber, Verordnungsgeber und Finanzverwaltung nicht erkannt, jedenfalls aber weder in § 1 Abs. 3 AStG oder der FVerl noch in den VWG-Funktionsverlagerung geregelt (vgl. hierzu Rz. 5.249 ff.). Aufteilung von Einigungsbereichen. Zu der Frage, wie ein ermittelter Einigungsbereich zwischen den Verhandlungspartnern aufzuteilen ist, gab es bisher keine klare Handlungsempfehlung. In den VWG 1983 wird lediglich ausgeführt, dass eine schematische Orientierung des Verrechnungspreises an der Ober- oder Untergrenze eines solchen Einigungsbereichs ohne wirtschaftlich beachtliche Gründe nicht statthaft sei, weil ein ordentlicher Geschäftsleiter „im Interesse seines Unternehmens auf eine ausgewogene Preisgestaltung bedacht“3 wäre. Auch die VWG-Verfahren gehen nur auf die Auswahl eines Wertes aus einer Preisbandbreite ein,4 die allerdings durch einen tatsächlichen, nicht dagegen durch einen hypothetischen Fremdvergleich abgeleitet wurde. Mit § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG wurde eine gesetzliche Regelung zur Aufteilung eines Einigungsbereichs 1 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 2 Siehe auch Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 554. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.9 Bsp. 1. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5.
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3.159
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
verankert. Hiernach „ist der Preis im Einigungsbereich der Einkünfteermittlung zugrunde zu legen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht; wird kein anderer Wert glaubhaft gemacht, ist der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen.“ Wenn also nichts anderes glaubhaft gemacht wird, ist zunächst auf den Mittelwert abzustellen. Der Steuerpflichtige muss hierzu glaubhaft machen, dass ein anderer Wert als der Mittelwert dem Fremdvergleichsgrundsatz mit „der höchsten Wahrscheinlichkeit“ entspricht. Hierbei erfordert die Glaubhaftmachung ein herabgesetztes Beweismaß. Der Steuerpflichtige muss darlegen, dass für die behauptete Tatsache – der behauptete Wert entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit – „eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben ist“; d.h., das Bestehen der behaupteten Tatsache „wahrscheinlicher ist als ihr Nichtbestehen“1. Fraglich ist, wie diese tautologische Glaubhaftmachung mittels Wahrscheinlichkeiten in praxi bewerkstelligt werden kann. Denn innerhalb des Einigungsbereichs entspricht jeder Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz, weil jeder dieser Werte – und zwar mit der gleichen Wahrscheinlichkeit – auch zwischen fremden Dritten (hypothetisch) vereinbart werden könnte. Insofern muss die Glaubhaftmachung mittels Wahrscheinlichkeiten – verstanden als Häufung einer (beobachtbaren) Ausprägung – im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs scheitern, weil eine größere Häufung einer Ausprägung ebenso wie der hypothetische Fremdvergleich einem Denkprozess entspringen muss2. Nach Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung3 bleibt für die Glaubhaftmachung eines anderen Wertes als des Mittelwertes die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit der Transaktionspartner unberücksichtigt. Demgegenüber können als Kriterien für einen dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der größten Wahrscheinlichkeit entsprechenden Wert die jeweiligen Marktpositionen, das jeweilige mit der Transaktion verbundene Interesse, die Kapitalausstattung und Ertragslage der Kontrahenten, die Entstehung von Synergieeffekten und Standortvorteilen herangezogen werden. Ferner sind – unter Verweis auf die Auffassung der OECD4 – die Handlungsalternativen der Parteien zu beachten (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 5.226 ff.).
3.160
Nachträgliche Preisanpassungen. Für Fälle, in denen – neben Funktionsverlagerungen – der hypothetische Fremdvergleich zur Anwendung kommt, und „wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter […] Gegenstand einer Geschäftsbeziehung sind“, besteht gem. § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG die widerlegbare Vermutung, „dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung be1 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 40. 2 Vgl. hierzu ausführlich Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 556; Greinert, Ubg 2010, 106; Kroppen in FS Schaumburg, 872. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 128. 4 Vgl. Tz. 1.34 u. 8.59 ff. OECD-Leitlinien 2010.
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G. Vorteilsausgleich
standen und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten.“ Diese gesetzliche Fiktion wird flankiert durch die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG: „Wurde eine solche Regelung nicht vereinbart und tritt innerhalb der ersten zehn Jahre nach Geschäftsabschluss eine erhebliche Abweichung im Sinne des Satzes 11 ein, ist für eine deshalb vorzunehmende Berichtigung nach Abs. 1 Satz 1 einmalig ein angemessener Anpassungsbetrag auf den ursprünglichen Verrechnungspreis der Besteuerung des Wirtschaftsjahres zugrunde zu legen, das dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist.“ Hiernach kommt eine einmalige nachträgliche gesetzliche Preisanpassung innerhalb eines 10-Jahres-Zeitraums zur Anwendung, wenn keine (fremdvergleichskonforme) Preisanpassungsklausel individualvertraglich vereinbart wurde. Dies gilt ungeachtet dessen, ob die ursprüngliche Verrechnungspreisbestimmung im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben zur Aufteilung des (ursprünglichen) Einigungsbereichs steht, d.h. insbesondere unter Beachtung der hälftigen Teilung des Einigungsbereichs mangels eines anderen, dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entsprechenden Werts erfolgte. Wenn tatsächlich ein kürzerer Zeitraum vereinbart wird (z.B. 5 Jahre), muss dieser Zeitraum gelten. Insofern liegt auch mit der Festlegung des Anpassungszeitraums ein steuerliches Gestaltungsinstrument vor (vgl. zur gesetzlichen Preisanpassungsklausel im Einzelnen Rz. 5.242 ff.). Die VWG-Funktionsverlagerung führen in Tz. 135 die (zwingende) Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel ausdrücklich auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurück. Hiernach „vereinbaren ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter Preisanpassungsklauseln, wenn die Wertbestimmung […] zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist.“1 Vor dem Hintergrund der entsprechenden Ausführungen in den OECD-Leitlinien2 zur Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist diese Auffassung zweifelhaft, da die Notwendigkeit der Vereinbarung einer solchen Preisanpassungsklausel selbst nach Fremdvergleichsgesichtspunkten zu beantworten ist (vgl. Rz. 5.247).
G. Vorteilsausgleich I. Rechtsgrundlage und Begriff Rechtsgrundlage. Als Rechtsgrundlage für einen Vorteilsausgleich kommt zunächst § 1 AStG in Betracht, der als einzige Einkünftekorrekturvorschrift den Fremdvergleichsgrundsatz ausdrücklich erwähnt und konkretisiert. Allerdings ist in § 1 AStG vom Vorteilsausgleich unmittelbar keine Rede. Der steuerrechtliche Einfluss eines Vorteilsausgleichs auf die Rechtsfolge des § 1 AStG ergibt sich unmittelbar aus dem Veranlassungs1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 135. 2 Vgl. Tz. 3.73 und Tz. 9.88 OECD-Leitlinien 2010.
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3.161
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
prinzip, das durch den Fremdvergleich konkretisiert wird. Die Inkaufnahme eines Nachteils muss durch einen anderweitigen Vorteil veranlasst sein. Die entsprechende Veranlassung setzt voraus, dass sich Vorund Nachteil annähernd ausgleichen bzw. dass der Vorteil höher als der Nachteil ausfällt. Der Vorteilsausgleich erfordert eine innere Verknüpfung zwischen den betreffenden Geschäftsbeziehungen. Die innere Verknüpfung ergibt sich aus dem Veranlassungsprinzip, in das auch § 1 AStG eingebettet ist. Innerhalb des § 1 AStG ist unter dem Fremdvergleich der Fremdvergleich i.S. von „dealing at arm’s length“ zu verstehen. Da ein fremder Dritter betriebswirtschaftlich vernünftig handelt, wenn er einen Vermögensnachteil in Kauf nimmt, um einen anderweitigen (zumindest gleich hohen) Vermögensvorteil zu erzielen, muss sich auch der Steuerpflichtige in der Beurteilung seiner Beziehung zu einer ihm nahestehenden Person auf diesen Grundsatz berufen können. Vor diesem Hintergrund besteht die Rechtsgrundlage des Vorteilsausgleichs unmittelbar im Fremdvergleichsgrundsatz selbst, wie ihn § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG definiert und § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG mit dem Handeln ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter als Sollvergleichstatbestand konkretisiert. Insofern fehlt es bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Vorteilsausgleichs an einem Abweichen der vertraglich vereinbarten Bedingungen vom Fremdvergleichsgrundsatz, auf die eine Minderung im Inland steuerpflichtiger Einkünfte für eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG zurückgehen muss („dadurch […] dass“). Der Vorteilsausgleich muss im Bereich der vGA, der verdeckten Einlage, der Entnahme und des § 1 AStG einheitlich behandelt werden. Der Vorteilsausgleich muss unter zwei unterschiedlichen Aspekten gesehen werden. Er kann zum einen Gegenstand der zwischen verbundenen Unternehmen tatsächlich bestehenden Geschäftsbeziehungen sein. Insoweit stellt sich die Frage, ob der Vorteilsausgleich die Annahme einer Einkünfteminderung für Zwecke von § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG (vgl. Rz. 2.78 ff.) oder einer Minderung des bilanziellen Unterschiedsbetrags für Zwecke einer vGA (vgl. Rz. 2.10 ff.) ausschließt. Daneben kann sich jedoch auch innerhalb eines tatsächlichen oder hypothetischen Fremdvergleichs die Frage stellen, ob entweder tatsächlich existierende oder aber gedachte ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter einen bestimmten Vorteilsausgleich akzeptiert hätten.
3.162
Begriff. Grundsätzlich sind innerkonzernliche Liefer- und Leistungsbeziehungen einzeln nach dem Prinzip des „dealing at arm’s length“ zu erfassen und mit einem angemessenen Verrechnungspreis zu bewerten (Grundsatz der Einzelbewertung). Allerdings ist es auch zwischen unabhängigen Dritten bei dauerhaften und umfangreichen Geschäftsbeziehungen durchaus üblich, Vorteile aus einem Einzelgeschäft mit Nachteilen aus einem anderen zu kompensieren. Hierbei wird von einem Vorteilsausgleich gesprochen. Unter einem Vorteilsausgleich versteht man den kalkulatorischen Ausgleich von Vorteilen des einen Geschäfts mit Nachteilen eines anderen, 268
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G. Vorteilsausgleich
wobei begrifflich zwischen den Geschäften kein personeller, sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang bestehen muss. Insoweit knüpft der Vorteilsausgleich an den wechselseitigen Leistungsbeziehungen zwischen zwei Vertragspartnern (hier: zwei Konzernunternehmen) an. Dabei erbringen die beiden Vertragspartner ihre jeweiligen Leistungen gegenüber dem anderen entweder zu einem – isoliert gesehen – unangemessen hohen oder niedrigen Entgelt, wobei sich die unangemessenen Beträge der Höhe nach entweder voll oder teilweise decken. Außerdem ist der Fall denkbar, dass der eine Vertragspartner dem anderen mehrere Leistungen erbringt, von denen er für die eine ein unangemessen hohes und für die andere ein unangemessen niedriges Entgelt fordert. Auch in diesem Fall können sich Vor- und Nachteile aus den Leistungsbeziehungen ganz oder teilweise ausgleichen. Kalkulatorischer Ausgleich. Wirtschaftlich betrachtet erfolgt beim Vorteilsausgleich eine Saldierung vorteilhafter mit nachteiligen Geschäften. Es werden bei bestimmten Einzeltransaktionen bewusst Gewinneinbußen in Kauf genommen, um, wie z.B. im Wege eines absatzwirtschaftlichen Verbundes, diese mit besonders gewinnträchtigen Geschäften zu kompensieren (sog. kalkulatorischer Ausgleich). Derartige Konstellationen treten innerhalb einer internationalen Unternehmung insbesondere im Zusammenhang mit wechselseitigen Leistungsbeziehungen zwischen den verbundenen Unternehmen auf. So kann z.B. die Zahlung einer überhöhten Beratungsgebühr an die Muttergesellschaft durch eine zu niedrige Lizenzgebühr zugunsten der Tochtergesellschaft ausgeglichen werden, ohne dass daraus einem der Geschäftspartner wirtschaftliche Nachteile entstehen. Daher kann es nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der Einzelerfassung internationaler Liefer- und Leistungstransfers angesehen werden, einen solchen Ausgleich vor- und nachteiliger Geschäfte auch zwischen international verbundenen Unternehmen zuzulassen und unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich anzuerkennen. Die besondere steuerliche Relevanz einer solchen Saldierung von Einzelgeschäften wird daraus ersichtlich, dass sowohl die OECD-Leitlinien1 als auch die VWG 19832 den Vorteilsausgleich in einem gesonderten Abschnitt diskutieren.
3.163
Angemessenheit beim Vorteilsausgleich. Ein Vorteilsausgleich ist in zwei Schritten zu prüfen. Zunächst wird für die im Wege des Vorteilsausgleichs zu verrechnende Leistung und Gegenleistung isoliert festgestellt, ob und inwieweit die vereinbarten Entgelte angemessen bzw. unangemessen sind. Ist die Angemessenheit oder Unangemessenheit eines Leistungsentgelts festgestellt, so schließt sich in einem zweiten Schritt die Prüfung an, ob und inwieweit sich für den einzelnen Vertragspartner die aus einem unangemessenen Entgelt ergebenden Vor- oder Nachteile durch andere Nach- oder Vorteile ausgleichen bzw. ob ein an sich angemessenes Entgelt mit Rücksicht auf weitere Leistungsbeziehungen als
3.164
1 Vgl. Tz. 3.13 ff. OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
unangemessen zu behandeln ist. Aufgrund eines Vorteilsausgleichs kann sich deshalb sowohl die Angemessenheit eines (isoliert gesehen) unangemessenen Verrechnungspreises als auch die Unangemessenheit eines (isoliert gesehen) angemessenen Verrechnungspreises ergeben. Er beinhaltet stets die Kompensation wirtschaftlich selbständiger Geschäfte. Er ist deshalb von Teilleistungen innerhalb eines wirtschaftlich einheitlichen Geschäftes abzugrenzen. Bei dem wirtschaftlich einheitlichen Geschäft besteht stets ein personeller, sachlicher und zeitlicher Zusammenhang, der zu einer Gesamtschau von Leistungen und Gegenleistungen zwingt. Ferner sind im Vorfeld der Vorteilsausgleichsproblematik zivilrechtliche Ansprüche aus der Vorteilszuwendung zu prüfen. Diese Prüfung sollte vor Durchführung des zweiten Schritts vorgenommen werden. Allerdings kann kein Vorteilsausgleich angenommen werden, soweit ein verbundenes Unternehmen ihrem innerkonzernlichen Vertragspartner mit Rücksicht auf langjährige Geschäftsbeziehungen einen Vorzugspreis einräumt, der einem fremden Dritten nicht gewährt worden wäre.
II. Voraussetzungen 3.165
Steuerliche Anerkennung. Rechtsprechung1 wie Finanzverwaltung erkennen den Vorteilsausgleich grundsätzlich an. Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung2 setzt die steuerliche Anerkennung eines Vorteilsausgleichs jedoch voraus, dass 1. derselbe auch zwischen untereinander unabhängigen Unternehmen (unabhängigen Dritten) denkbar ist, 2. die Geschäfte in einem inneren Zusammenhang zueinander stehen, 3. die Vor- und Nachteile quantifizierbar sind und 4. die Vor- und Nachteilsverrechnung vereinbart war oder zur Geschäftsgrundlage des nachteiligen Geschäftes gehört. Die erste Forderung, dass der Vorteilsausgleich auch zwischen untereinander unabhängigen Unternehmen (unabhängigen Dritten) denkbar ist, hat in der Verrechnungspreispraxis wenig Bedeutung. Mithilfe dieser Voraussetzung soll ein Vorteilsausgleich steuerlich dann nicht anerkannt werden, wenn besondere Umstände des konkreten Einzelfalles die Annahme nahelegen, dass der Vorteilsausgleich zwischen fremden Dritten nicht bzw. so nicht vereinbart worden wäre. Ob die zweite Forderung nach einem „inneren Zusammenhang“ zwischen Geschäft und Gegengeschäft wirklich gerechtfertigt ist, ist fraglich. Die Rechtsgrundlage des Vorteilsausgleichs legitimiert eine solche Forderung nicht. Der Ausdruck 1 Vgl. etwa FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2248/02 rkr., EFG 2006, 1562. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3.1 u. 2.3.2. Siehe dazu auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.118 ff. mit einer Abgrenzung des Vorteilsaugleichs im Rahmen der vGA vom Vorteilsausgleich im Rahmen von § 1 AStG; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 632; Gundel in FS Flick, 790 f.
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G. Vorteilsausgleich
„innerer Zusammenhang“ ist im Übrigen unklar. Er wird in Tz. 2.3.1 VWG 19831 i.S.v. wirtschaftlich einheitlichen Geschäften ausgelegt. Danach müssen Leistung und Gegenleistung so miteinander verknüpft sein, dass sie wirtschaftlich als ein einheitliches Geschäft anzusehen sind. Eine solche Forderung widerspricht jedoch geradezu dem Grundgedanken des Vorteilsausgleichs, der sich gerade nicht auf wirtschaftlich einheitliche, sondern auf wirtschaftlich verschiedene Geschäfte bezieht (Rz. 3.163) und steht im Gegensatz zur betriebswirtschaftlichen Realität, in der voneinander unabhängige Dritte einen Vorteilsausgleich nicht nur innerhalb wirtschaftlich einheitlicher Geschäfte akzeptieren. Anzuerkennen sind dagegen die beiden weiteren Voraussetzungen nach der Quantifizierbarkeit der Vor- und Nachteile und der Kompensationsabsicht der Vertragspartner. Beide Forderungen lassen sich unmittelbar aus dem Fremdvergleich ableiten. Ein fremder Dritter wird einen Nachteil nur in Kauf nehmen, wenn er von vornherein mit seinem Ausgleich durch einen anderweitigen Vorteil hinreichend sicher rechnen kann. Eine solche Prognose setzt die Quantifizierbarkeit der Vor- und Nachteile von vornherein voraus. Außerdem muss zwischen Vor- und Nachteil eine „do ut des“-Absicht bestehen. Verbundene Unternehmen müssen deshalb das Vorhandensein ihrer Kompensationsabsicht im Zeitpunkt des Abschlusses des nachteiligen Geschäfts nachweisen. Zweckmäßigerweise wird die Kompensationsabsicht in eine schriftliche Vereinbarung aufgenommen. Dies ist allerdings keine Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung des Vorteilsausgleichs. Die Existenz einer Kompensationsabsicht kann auch in anderer Weise nachgewiesen werden. Der Fremdvergleich rechtfertigt schließlich auch die Forderung nach einem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem vorteilhaften und dem nachteilhaften Geschäft. Ein fremder Dritter würde einem nachteiligen Geschäft nur zustimmen, wenn er mit dem Abschluss des vorteilhaften Geschäftes sicher rechnen kann. Dies ist nur der Fall, wenn er einigermaßen konkret damit rechnen kann. Dies setzt einen gewissen zeitlichen Zusammenhang zwischen den beiden Geschäften voraus. Deshalb kann aber nicht ein Ausgleich innerhalb desselben Wirtschaftsjahres gefordert werden.2 Vorteilsausgleich nach den OECD-Leitlinien vs. VWG 1983. Der OECDSteuerausschuss betont, dass eine innerkonzernliche Vereinbarung über einen Vorteilsausgleich keinesfalls die Forderung nach der Fremdvergleichbarkeit der Verrechnungspreise aufheben kann.3 In diesem Zusammenhang wird dem Steuerpflichtigen empfohlen, eine Dokumentations- und Nachweisvorsorge derart zu treffen, dass dieser Vorteils-/ Nachteilsausgleich im Zeitpunkt der Vereinbarung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz in Einklang stand. Vorausgesetzt wird also auch hier 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3.1. 2 So jedoch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3.3. 3 Vgl. Tz. 3.15 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
eine Kompensationsabsicht zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses, wobei lediglich gefordert wird, dass sich die einander gewährten Vorteile „bis zu einem bestimmten Grad“ ausgleichen. Das setzt jedoch voraus, dass man sich über die Höhe der wechselseitig gewährten Vorteile bewusst ist und diese auch im Einzelnen quantifizieren kann. Vergleicht man den Forderungskatalog der OECD-Leitlinien zum Vorteilsausgleich mit demjenigen der VWG 1983, so zeigt sich, dass die OECD-Leitlinien lediglich voraussetzen, dass – ein Ausgleich auch zwischen Fremden denkbar sein muss und – die Vor- und Nachteile quantifizierbar sind. Demgegenüber fordern die VWG 19831 zusätzlich, dass – die Geschäfte in einem inneren Zusammenhang stehen und – die Vorteilsverrechnung vereinbart gewesen ist oder zur Geschäftsgrundlage des nachteiligen Geschäfts gehört hat. Dieser Versuch der VWG 1983, den Vorteilsausgleich unter enge zeitliche und sachliche Grenzen zu stellen, wird somit von den OECD-Leitlinien nicht gedeckt.
3.167
Das Erfordernis klarer und von vorherein abgeschlossener Vereinbarungen. Die Forderung der VWG 1983 nach einer im Voraus getroffenen Vereinbarung über einen Vorteilsausgleich steht – formal – im Einklang mit der Rspr. des BFH.2 Der BFH hat in seiner Rechtsprechung zur vGA3 einen Vorteilsausgleich nur zugelassen, wenn er als solcher von vornherein und klar vereinbart war. Diese Rechtsprechung gilt allerdings nur für Vorteilsausgleichsvereinbarungen, die zwischen zwei verbundenen Unternehmen tatsächlich geschlossen werden. Im Verhältnis zu beherrschenden Gesellschaftern hat der BFH gefordert, dass sich aus den im Voraus getroffenen klaren und eindeutigen Vereinbarungen der synallagmatische Charakter von Leistung und Gegenleistung ergeben muss.4 Allerdings kommt dem Fehlen einer klaren, von vornherein abgeschlossenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung nach dem Beschluss des BVerfG v. 7.11.19955 keine absolute, sondern lediglich indizielle Wirkung zu. Sie ist mithin ein Beweisanzeichen. Formale Mängel bewirken eine Beweismaßreduzierung zulasten des Steuerpflichtigen, indem die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis widerlegbar vermutet wird. Es ist dann an dem Steuerpflichtigen darzulegen, dass sein abweichendes Verhalten durch „good business reasons“ bedingt war. Insofern mögen auch Fremdvergleichsgesichtspunkte angeführt werden können, 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3.2. 2 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; H 36 KStH 2008 „Vorteilsausgleich“. 3 Vgl. BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704. 4 Vgl. BFH v. 19.7.1994 – I B 13/94n. v.; FG München v. 24.10.2013 – 11 K 1190/11 –, juris. 5 BVerfG v. 7.11.1995 – 2 BvR 802/90, BStBl. II 1996, 34.
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G. Vorteilsausgleich
die auf vergleichbare und ebenso nicht hinreichend klare Vereinbarungen zwischen fremden Dritten abzielen.1 Vor diesem Hintergrund hat auch der BFH seine Rechtsprechung zur vGA bei beherrschenden Gesellschaftern gelockert.2 Danach ist das Fehlen einer Vereinbarung nur noch indiziell darauf hin zu überprüfen, ob es den Rückschluss auf eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis zulässt. Man sollte allerdings die überschießende Tendenz erkennen, die in der o.g. BFH-Rechtsprechung zum Vorteilsausgleich enthalten ist. Streng genommen geht es nur um den „Do-ut-des“-Zusammenhang zwischen Vorund Nachteil. Dieser Zusammenhang kann zwar mit Hilfe einer bereits getroffenen Vereinbarung nachgewiesen werden. Eine solche Vereinbarung ist aber nicht notwendige Voraussetzung für einen „do ut des“-Zusammenhang. Es reicht aus, wenn ein Steuerpflichtiger einen Nachteil nur deshalb in Kauf nimmt, weil er davon überzeugt ist, „dafür“ einen anderweitigen Vorteil zu erhalten. Auch die VWG 1983 lassen in Tz. 2.3.2. zu, dass die Vorteilsverrechnung „nur“ zur Geschäftsgrundlage des nachteiligen Geschäftes gehörte, d.h. nicht ausdrücklich vereinbart war.3 Nach Tz. 2.3.3 der VWG 1983 soll bis zum Ende des Wirtschaftsjahres, in dem der Nachteil übernommen wird, bestimmt sein, wann und durch welche Vorteile der Nachteil ausgeglichen wird.4 Richtigerweise besteht für eine solche zeitliche Begrenzung keine Rechtsgrundlage. Vielmehr geht es letztlich darum, ob der Steuerpflichtige schlüssig darlegen kann, dass er tatsächlich den Nachteil in Erwartung eines bestimmten Vorteils übernommen hat. Je unbestimmter der erwartete Vorteil ist und je weiter er zeitlich gesehen vom Nachteil entfernt eintreten soll, desto weniger würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter sich auf einen Ausgleich einlassen. Umgekehrt kommt jedoch ein Vorteilsausgleich z.B. dann in Betracht, wenn ein Steuerpflichtiger zunächst einen außergewöhnlichen Vorteil erzielt hat und anschließend glaubt, seinem Geschäftspartner im Gegenzug ausnahmsweise eine Vorzugsbedingung einräumen zu müssen. Innerhalb eines hypothetischen Vorteilsausgleichs zwischen zwei gedachten unabhängigen Geschäftspartnern ist keine von vornherein abgeschlossene Vereinbarung denkbar. In diesem Zusammenhang ist zudem von Bedeutung, dass die Finanzverwaltung formalen Gesichtspunkten eine geringere Bedeutung beizumessen scheint. So ist nach Tz. 97 der VWG-Funktionsverlagerung die konkrete Disposition über die wahrgenommenen Funktionen zwar grundsätzlich aus abgeschlossenen Verträgen abzuleiten. Die formalen Anfor1 Vgl. Bogenschütz, BB 2006, 759; Eigelshoven/Nientimp, DB 2003, 2308 f.; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 354. 2 Vgl. BFH v. 11.2.1997 – I R 43/96, BFH/NV 1997, 806; v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545; v. 28.6.2002 – IX R 68/99, BStBl. II 2002, 699; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit BFH v. 27.7.2009 – I B 45/09, BFH/NV 2009, 2005. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3.2. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3.3.
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derungen („in Form von im Voraus abgeschlossenen, klaren und eindeutigen [möglichst schriftlichen] Verträgen“) werden jedoch – zutreffend – der Nachweis- bzw. Beweisvorsorge zugeordnet.1 Ihr Fehlen erhöht die Darlegungslast des Steuerpflichtigen im Rahmen der erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO über den abgeschlossenen Vertrag als solchen und dessen Inhalt.2
3.168
Abkommensrechtliche Sperrwirkung gegen formale Beanstandungen. Im Hinblick auf die abkommensrechtliche Gewinnkorrekturvorschrift des Art. 9 OECD-MA ist jedoch zu beachten, dass die ihr entsprechenden Vorschriften des jeweiligen DBA nicht auf diesen formalen Aspekt abstellen. Der BFH hat mit Urteil vom 11.10.20123 – wie bereits zuvor das FG Köln mit rechtskräftigem Urteil vom 22.8.20074 – entschieden, dass es aufgrund der Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden Regelung des Art. 6 DBA-Niederlande nicht auf die formalen Anforderungen des Fremdvergleichs ankommt. Für den im Rahmen des abkommensrechtlich nach den Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen durchzuführenden Fremdvergleich kommt es allein auf die materielle (Un-)Angemessenheit an; die Sonderbedingungen für beherrschende Gesellschafter scheiden dagegen abkommensrechtlich aus. Aufgrund dieser abkommenrsechtlichen Sperrwirkung steht der steuerlichen Anerkennung eines Vorteilsausgleichs mithin allein das Fehlen im Voraus getroffener klarer und eindeutiger Vereinbarungen nicht entgegen.
3.169
Vorteilsausgleich im Konzern. Umstritten ist die Frage, ob neben einem „bilateralen“ Vorteilsausgleich zwischen zwei verbundenen Unternehmen auch ein Vorteilsausgleich zwischen mehreren Gesellschaften des Unternehmensverbundes steuerlich anzuerkennen ist (sog. Vorteilsausgleich im Konzern). Während die VWG 1983 in diesem Zusammenhang keine eindeutige Stellung beziehen,5 gehen die OECD-Leitlinien nur von einem bilateralen Vorteilsausgleich aus.6 Dies entspricht im Übrigen der Rspr. des BFH, nach welcher ein Vorteilsausgleich nur innerhalb eines zweiseitigen Verhältnisses möglich sein soll.7 Ferner deutet der Wortlaut 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 97. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 145 ff. 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324. Siehe hierzu auch Gosch, BFH/PR 2013, 88; Andresen/Immenkötter/Frohn, DB 2013, 534; Schnorberger/Becker, IStR 2013, 109. 4 Vgl. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161, rkr.; Schaumburg, Internationales Steuerecht3, Rz. 18.87 m.w.N., Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Rasch, IWB F. 3a Gr. 1, 1103; Strunk/Kaminski, Stbg 2008, 211; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 704 f. 5 Siehe aber auch BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1 Abs. 7. 6 Vgl. Tz. 3.13 OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. BFH v. 1.8.1984 – I R 99/80, BStBl. II 1985, 18; gl.A. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.121.
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G. Vorteilsausgleich
des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG in diese Richtung.1 Sieht man jedoch die theoretische Rechtfertigung des Vorteilsausgleichs im Grundsatz des Fremdvergleichs, bleibt für eine Ablehnung des Vorteilsausgleichs im Konzern kein Raum. Rechtssystematische Argumente lassen sich insbesondere auch aus der Rspr. zu Gewinnverlagerungen zwischen Schwestergesellschaften ableiten (Rz. 2.16 und Rz. 2.41). Gemäß der von der Rechtsprechung entwickelten sog. Dreieckstheorie werden Vorteilszuwendungen zwischen Schwestergesellschaften nicht unmittelbar zwischen den betreffenden Gesellschaften verrechnet, sondern sie laufen als verdeckte Gewinnausschüttungen bzw. verdeckte Einlagen „im Dreieck“ über die gemeinsame Muttergesellschaft. In gleicher Weise müssen im Rahmen der Vorteilsausgleichung auch alle Gegenvorteile aus umgekehrter Richtung auf die Muttergesellschaft bezogen werden. Somit berühren gegenseitig gewährte Vorteile im Unternehmensverbund auch stets mittelbar oder unmittelbar die Spitzeneinheit. Sie werden hier sozusagen „kanalisiert“. Die gemeinsame Muttergesellschaft wird in jedem Fall in ihrer Funktion als „Clearing-Stelle“ für den gesamten Unternehmensverbund berührt. Darüber hinaus wäre auch ein ordentlicher Geschäftsleiter bereit, einen Nachteil von einem verbundenen Unternehmen hinzunehmen, wenn er im Verhältnis zu einem anderen verbundenen Unternehmen mit einem entsprechenden Vorteil rechnen kann. Allerdings ist es schwieriger, die Vor- und Nachteile zu quantifizieren, wenn mehrere Personen an dem zu verrechnenden Leistungsaustausch beteiligt sind. Ferner lässt sich die Kompensationsabsicht umso schwieriger feststellen, je mehr Personen Vor- und Nachteile untereinander verrechnen wollen. Darüber hinaus muss sich für alle beteiligten Konzernunternehmen ein Ausgleich ihrer Vor- und Nachteile ergeben. Deshalb ist der Vorteilsausgleich innerhalb einer Gruppe von verbundenen Unternehmen nur schwer durchführbar. An seinen Nachweis sind – insbesondere vor dem Hintergrund der Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO (Rz. 8.1 ff.) – hohe Anforderungen zu stellen. Kein fiktiver Vorteilsausgleich mehr. Die deutsche Finanzverwaltung ließ einige Jahre lang bei der Erbringung von „technologischen Dienstleistungen“ deutscher Muttergesellschaften gegenüber Tochtergesellschaften in Entwicklungsländern in bestimmten Fällen einen sog. „fiktiven Vorteilsausgleich“ zu.2 Sofern der Abschluss von Lizenz- und Dienstleistungsverträgen im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft verboten war, devisenrechtliche Transferverbote einer Entgeltzahlung entgegenstanden oder in diesem Zusammenhang eine „exzessive Besteuerung“ bzw. eine Versagung des Betriebsausgabenabzugs drohte, sollte sich die Außenprüfung auf eine globale Prüfung des Waren- und Leistungsverkehrs beschränken. 1 So auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.121. 2 Vgl. OFD Koblenz, Vfg. v. 10.8.1995, WPg 1995, 674. Siehe hierzu auch Böcker in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 179; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 570 f.
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3.170
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Faktisch wurde damit, sofern die o.g. Voraussetzungen vorlagen, im Interesse einer Sicherung der Wettbewerbsposition deutscher Unternehmen in Entwicklungsländern auf die Zahlung von Vergütungen für technische und administrative Beratungsleistungen und für die Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern (z.B. Patenten, Marken, Know-how) verzichtet. Allerdings waren Löhne und sonstige Kosten von entsandtem oder durch die ausländische Tochtergesellschaft unmittelbar eingestelltem Personal von dieser Regelung ausgenommen. Im Jahr 2010 wurde diese Praxis durch die Finanzverwaltung aufgegeben.1
3.171
Vorteilsausgleich und Umlageverfahren. Die VWG-Umlage wollen einen Vorteilsausgleich nur innerhalb eines abgeschlossenen Umlageverfahrens zulassen2 und zwar auch nur insoweit, als dieser innerhalb einer einzelnen Leistungskategorie vorgenommen wird. Eine solche Einschränkung ist nicht sachgerecht. Sie entbehrt einer Rechtsgrundlage und verkennt, dass es sich bei der Poolumlage lediglich um eine – gegenüber der Einzelverrechnung – besondere Abrechnungsform handelt, die keinerlei Aussage zu einer Ausgleichsfähigkeit von Leistungen trifft. Diese Abrechnungsform wird gegenüber der Einzelverrechnung mithin „diskriminiert“, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund erkennbar ist. Stattdessen sollten u.E. die Grundsätze über den Vorteilsausgleich einheitlich für alle Leistungen ungeachtet der jeweiligen Abrechnungsform anzuwenden sein. Dies entspricht i.Ü. auch dem Handeln ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, die selbstverständlich den Ausgleich vorteilhafter mit nachteiligen Geschäften nicht von der konkreten Abrechnungsform abhängig machen, sondern diese – unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten – gleichwertig ihrer Kompensationsabsicht zugrunde legen. Da auch § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes diesen Verhaltensmaßstab zugrunde legt, liegt es auf der Hand, dass diese Einschränkung mit geltendem Recht nicht zu vereinbaren ist.
III. Auswirkungen des Vorteilsausgleichs 3.172
Reduzierte (keine) Einkünfteminderung/Unterschiedsbetragsminderung. Ein steuerrechtlich anzuerkennender Vorteilsausgleich reduziert die von § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG geforderte Einkünfteminderung des Steuerpflichtigen. Eine Einkünfteminderung bleibt nur in Höhe eines Saldobetrages bestehen. Im Extremfall lässt der Vorteilsausgleich die Einkünfteminderung vollständig entfallen. Gleiches gilt für Zwecke der vGA im Hinblick auf die Minderung des (bilanziellen) Unterschiedsbetrags. Dies ist auch dann denkbar, wenn Vor- und Nachteile sich in verschiedenen Wirtschaftsjahren vollziehen. Wird der im Wirtschaftsjahr 01 eintretende Nachteil durch einen im Wirtschaftsjahr 02 eintretenden höheren Vorteil ausgegli1 Vgl. OFD Koblenz, Vfg. v. 4.3.2010, S 1341A - St 33 3. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 6.
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G. Vorteilsausgleich
chen, so darf der Nachteil des Jahres 01 nicht zum Anlass für eine Einkünftekorrektur genommen werden. Er wird zwar als solcher bilanziell erfasst. Jedoch findet die Rechtsfolge des § 1 AStG keine Anwendung. Der eintretende Nachteil mindert den Gewinn des Jahres 01; der später eintretende Vorteil erhöht den Gewinn des Jahres 02. Entsprechendes gilt spiegelbildlich, wenn ein zunächst eintretender Vorteil durch einen später eintretenden Nachteil ausgeglichen wird.
IV. Vorteilsausgleich und Palettenbetrachtung Vor- und Nachteile aus Lieferungs- und Leistungspaketen. Vom „echten“ Vorteilsausgleich zu unterscheiden ist die Saldierung von Vor- und Nachteilen aus Lieferungs- und Leistungspaketen bzw. einzelnen Teilleistungen. Hierbei wird im Rahmen einer Angemessenheitsbeurteilung nicht isoliert auf den einzelnen Produktpreis oder die einzelne Dienstleistung abgestellt, vielmehr wird eine gesamte Produktpalette bzw. eine Gruppe gleichartiger oder verwandter Produkte bzw. Leistungen analysiert. Die Angemessenheitsprüfung bezieht sich damit auf eine Gesamtanalyse i.S. einer Saldobetrachtung; auf die Angemessenheit des Produkteinzelpreises bzw. der einzelnen Leistungsgebühr kommt es insoweit nicht an. In der Praxis der steuerlichen Verrechnungspreisprüfung hat sich für eine derartige Saldierung unangemessen niedriger mit unangemessen hohen Produkteinzelpreisen bzw. Leistungsgebühren der Begriff der „Palettenbetrachtung“1 herausgebildet, wofür die Finanzverwaltung die strengen Regeln der VWG 1983 (Rz. 3.165) zum Vorteilsausgleich nicht anwendet. Somit muss zunächst nicht jeder einzelne Produktpreis oder jede einzelne Gebühr beim konzerninternen Lieferungs- und Leistungsaustausch einem Fremdvergleich standhalten. Vielmehr muss sichergestellt sein, dass hinsichtlich der zu analysierenden Produktpalette bzw. des Leistungsbündels ein angemessener Gesamtpreis vereinbart wurde. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass auch unter fremden Dritten aus marktspezifischen Erwägungen vielfach Mischkalkulationen i.S. eines kalkulatorischen Ausgleichs vorgenommen werden, um Preisnachteile bei Einzelprodukten und -leistungen mit anderen Preisvorteilen zu verrechnen.
3.173
„Paketgeschäfte“ nach den OECD-Leitlinien. Die OECD diskutiert die Zusammenfassung von Vor- und Nachteilen mehrerer Teilleistungen unter dem Stichwort „Paketgeschäfte“. In Tz. 3.9 OECD-Leitlinien wird zutreffend darauf hingewiesen, dass es häufig Geschäfte gibt, die so eng miteinander verbunden sind, dass bei separater Betrachtung eine Ange-
3.174
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.13; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141 f.; Baumhoff, IStR 1994, 593; Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 521 f.; Kroppen/Tausch, IWB Fach Gruppe 2, 354 ff.; kritisch Kleineidam, IStR 2001, 728. Zur Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen instruktiv auch Bauer, DB 2008, 152 ff.; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 147 f.
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
messenheitsbeurteilung unmöglich ist.1 Als Beispiele werden Langzeitverträge über Warenlieferungen oder Dienstleistungen, Rechte zur Benutzung immaterieller Wirtschaftsgüter und die Bewertung einer Gruppe verwandter Produkte (i.S. einer Produktlinie oder -palette), sofern es unpraktisch wäre, für jedes einzelne Produkt oder jeden einzelnen Geschäftsvorfall einen gesonderten Preis festzulegen, genannt. Derartige Geschäfte, die in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, können nach Auffassung der OECD zusammen bewertet werden, wenn es sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise hierbei um die Verrechnung von Vor- und Nachteilen mehrerer Teilleistungen handelt.2 Solche Teilleistungskombinationen sind auch zwischen Fremden denkbar und in vielen Geschäftszweigen üblich. So können die Lizenzierung von Herstellungs-Know-how und die Überlassung wesentlicher Komponenten jeweils als Teilleistung bzw. -lieferung betrachtet werden, die erst zusammengefasst als einheitliches Geschäft anzusehen sind und daher nur über einen Gesamtpreis verrechnet werden können. Die OECD-Leitlinien weisen in Tz. 3.12 zu Recht auf die praktischen Schwierigkeiten hin, die dadurch entstehen können, dass die Besteuerung der verschiedenen Teilelemente eines Gesamtgeschäfts nach nationalem Recht oder auf Basis der DBA differiert.3 Als Beispiel werden Lizenzgebühren angeführt, die Gegenstand einer Quellenbesteuerung sind, während Leasinggebühren i.d.R. ohne Quellensteuer vereinnahmt werden. Insofern kann unter diesem Aspekt ggf. dennoch eine Aufteilung der Gesamtgeschäfte in mehrere Teilgeschäfte geboten sein.4
1 Vgl. Tz. 3.9 OECD-Leitlinien 2010. 2 Zu einem Beispiel aus der Pharmaindustrie vgl. Kroppen/Rasch, IWB Fach 5 Gruppe 2, 355. Siehe auch Bauer, DB 2008, 157. 3 Vgl. Tz. 3.12 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 631. Siehe hierzu auch Bauer, DB 2008, 157.
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse als Ausgangspunkt der Verrechnungspreisbestimmung Literatur Baulig, Begriff und Problematik der Erfassung der betrieblichen Wertschöpfung, München 2011; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln 1986; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik gegenüber ausländischen Lohnfertigern, in Kleineidam (Hrsg.), Unternehmenspolitik und Internationale Besteuerung, Festschrift für Lutz Fischer, Berlin 1999, 487; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 1549; Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, Stuttgart 2009; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei Internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Eisele, Value-atRisk-basiertes Risikomanagement in Banken, Wiesbaden 2004; Götze/Henselmann/Mikus, Risikomanagement, Heidelberg 2001; Hüsgens, Balanced Scorecard und Ursache-Wirkungsbeziehungen, Wiesbaden 2008; Kuckhoff/Schreiber, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung aus Sicht der Betriebsprüfung, IStR 1999, 326; Lachnit, Bilanzanalyse, Wiesbaden 2004; Markowitz, Portfolio Selection, Journal of Finance 1952, 77; Porter, Globaler Wettbewerb – Strategien der neuen Internationalisierung, Wiesbaden 1989; Puls, Funktionsverlagerungsbesteuerung: Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche als „Transferpaket“-Ersatz nach § 8 FVerlV, IStR 2010, 89; Rasch/Rettinger, Aktuelle Fragen der Verrechnungspreisdokumentation: Unternehmenscharakterisierung und Methodenwahl in den Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, BB 2007, 353; Reijers, Design and Control of Workflow Processes – Business Process Management, Berlin Heidelberg 2003; Tucha/Brem, Dokumentation von Verrechnungspreisen: zur Strukturierung der Angemessenheitsanalyse, IStR 2006, 499; Wellens/van der Ham, Charakterisierung von Geschäftseinheiten im Transfer Pricing-Umfeld, DB 2012, 1534; Wolke, Risikomanagement, 2. Aufl., München 2008; Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 2. Aufl., München 2009.
A. Allgemeines Hintergrund der Funktions- und Risikobetrachtung. Im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen ist die Identifikation der von verbundenen Unternehmen wahrgenommenen Funktionen und eingegangenen Risiken von entscheidender Bedeutung. Sowohl die OECD-Leitlinien als auch die bisherigen Verlautbarungen der deutschen Finanzverwaltung1 erkennen die zentrale Stellung der Funktions- und Risikoanalyse bei der Beurteilung der Fremdvergleichskonformität der angesetzten Verrechnungspreise ausdrücklich an. Dahinter steht die Erkenntnis, dass unverbundene Unternehmen die sich aus rechtsgeschäftlichen Kontakten ergebenden Chancen und Risiken bei der Vergütungsbestimmung grundsätzlich berücksichtigen würden.2 1 S. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 sowie BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570. 2 Siehe auch Tz. 1.42 OECD-Leitlinien 2010.
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4.1
Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
4.2
Reflex der Funktionen und Risiken auf das Vergütungsniveau. In funktionierenden Märkten wird der „ordentlich und gewissenhaft handelnde Geschäftsleiter“ daher in aller Regel versucht sein, die im Rahmen der vorgenommenen Geschäftsvorfälle eingegangenen unternehmerische Risiken durch einen risikoadäquaten Vergütungsansatz (Verrechnungspreis) zu kompensieren, um in Fällen einer Materialisierung bestimmter Transaktionsrisiken noch eine angemessene Gesamtrendite erwirtschaften zu können. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Übernahme von mehr betrieblichen Funktionen aufgrund des damit verbundenen Einsatzes materieller wie immaterieller Wirtschaftsgüter sowie aufgrund der eingegangenen wirtschaftlichen Risiken dem Unternehmen im Verhältnis zu anderen Marktteilnehmern regelmäßig eine verbesserte Marktund Wettbewerbsstellung einräumt, die in einer Fremdvergleichssituation von einem „ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter“ zur maximierenden Gewinnerzielung ausgenutzt werden würde. Der Einfluss des Funktions- und Risikoprofils auf die Preisbestimmung ist daher auch auf Geschäftsvorfälle zwischen verbundenen Unternehmen zu übertragen. Allgemein untergliedert sich die Funktions- und Risikoanalyse als Ganzes in die Untersuchungsbereiche der – ausgeübten betrieblichen Funktionen, – eingegangenen bzw. übernommenen (wirtschaftlich relevanten) Risiken sowie – die zur Funktionserfüllung eingesetzten materiellen wie immateriellen Wirtschaftsgüter.
4.3
Gegenstand. Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen ist die Frage, was unter diesen Teilelementen der Funktions- und Risikoanalyse im Einzelnen zu verstehen ist.
B. Funktionsanalyse I. Begriff und Bestimmungsfaktoren des Funktionsprofils 4.4
Allgemeines. Unter dem Begriff „Funktionsanalyse“ sind allgemein diejenigen Untersuchungsschritte zu verstehen, die darauf gerichtet sind, die von einem verbundenen Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten, übernommenen Zuständigkeiten und Kompetenzen zu ermitteln. Bereits die VWG 1983 zählen übersichtsartig verschiedene Faktoren auf, die im Rahmen der Verrechnungspreisbestimmung zwischen verbundenen Unternehmen auf Ebene der Funktionsanalyse zu berücksichtigen sind. Dies sind insbesondere folgende Gesichtspunkte:1
1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.3.
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B. Funktionsanalyse
– die Struktur, Organisation, Aufgabenteilung und Risikoverteilung innerhalb eines Unternehmensverbunds, – die Zurechnung von Wirtschaftsgütern auf die einzelnen verbundenen Unternehmen, – die Zuordnung der betrieblichen Aufgaben (bspw. Herstellung, Montage, Forschung und Entwicklung, verwaltungsbezogene Leistungen, Absatz, sonstige Dienstleistungen) sowie – die „Eigenschaft“ der verbundenen Unternehmen, in welcher sie die ihnen zugeordneten betrieblichen Aufgaben wahrnehmen (bspw. Eigenhändler, Auftragsfertiger etc.). Betrachtungsperspektive. Interessant an dieser beispielhaften Aufzählung ist, dass die Finanzverwaltung die Betrachtung von ausgeübten Funktionen begrüßenswerterweise in einen wirtschaftlichen Kontext eingebettet wissen möchte. Insofern ist die Analyse von ausgeübten betrieblichen Funktionen stets vor dem Hintergrund der unternehmerischen Gesamtzielsetzung sowie der Aufgabenverteilung und Organisation eines Unternehmensverbundes zu betrachten. Wie im Folgenden noch aufzuzeigen sein wird, hat diese „Betrachtungsperspektive“ entscheidenden Einfluss auf die quantitative wie qualitative Gewichtung von betrieblichen Funktionen und damit auch auf das Ergebnis der Funktionsanalyse.
4.5
Begriff der Funktionsanalyse in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG. In § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG wird der Begriff der Funktionsanalyse legal definiert, indem eine Analyse die „ausgeübten Funktionen, die eingesetzten Wirtschaftsgüter und die übernommenen Chancen und Risiken“ umfassen soll. Zielrichtung ist es hierbei nach der Diktion des Gesetzes, die Funktionsanalyse vornehmlich vor dem Hintergrund etwaiger (sachgerechter) Anpassungsrechnungen zu betrachten, die erforderlich sind, um eine Vergleichbarkeit von Fremdvergleichswerten zur Ermittlung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise für grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen herstellen zu können. Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG erweckt damit den Eindruck, eine Funktionsanalyse sei ausschließlich zum Zwecke der Ermittlung eines sachgerechten „Vergleichsmaßstabs“ notwendig, damit Fremdvergleichswerte auf Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen als tauglicher Vergleichsmaßstab überhaupt angewendet werden können. Diese Einengung – obwohl sie auch in den OECD-Leitlinien vorgenommen zu werden scheint – ist indes missverständlich. Denn die Funktions(sowie Risiko-)Analyse bildet einen wesentlichen Ausgangspunkt für die Bestimmung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise; sie ist damit mehr als ein Instrument zur Herstellung einer Vergleichbarkeit von Fremdvergleichsdaten. Denn je höher die Intensität und die Qualität der übernommenen Funktionen und der eingegangenen Risiken einer Partei sind, desto höher muss bereits aus kaufmännischen Gesichtspunkten ihr tendenzieller Vergütungsanspruch sein.
4.6
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
4.7
Funktions- und Risikoanalyse in den VWG-Verfahren. Die VWG-Verfahren1 verwenden – im Gegensatz zum Gesetzeswortlaut – den Begriff „Funktions- und Risikoanalyse“ aus einem differenzierten Blickwinkel. Dies soll zum einen dazu dienen, Unternehmen in die Charakterisierung „Routineunternehmen“, „Mittel-Unternehmen“ sowie „Entrepreneur“ einzuordnen (Rz. 4.60 ff.). Zum anderen soll der Steuerpflichtige verpflichtet sein, für seine Geschäftsbeziehungen zu nahe Stehenden eine „Funktions- und Risikoanalyse“ durchzuführen. Ziel soll es hierbei sein, die für die Positionierung des Unternehmens in der Gesamtwertschöpfungskette relevanten Informationen dergestalt aufzubereiten, dass es der Finanzverwaltung ermöglicht wird, Rückschlüsse auf die Angemessenheit der für die jeweilige Geschäftsbeziehung bestimmten Verrechnungspreise zu ziehen.2
4.8
OECD-Leitlinien. Die OECD-Leitlinien verwenden – ähnlich wie § 1 Abs. 3 AStG – ausschließlich den Begriff der „Funktionsanalyse“. Diese soll der Erforschung der Frage dienen, ob konzerninterne und Fremdgeschäfte oder verbundene oder nicht verbundene Unternehmen „vergleichbar“ sind.3 Unterstrichen wird in diesem Zusammenhang, dass die „wirtschaftliche Bedeutung“ einer Funktion hinsichtlich „Häufigkeit, Art und Wert für die Parteien“ letztlich bedeutsam sein soll, wenn es darum geht, ihre Relevanz aus Verrechnungspreisperspektive zu bestimmen.4 Zugleich weisen die OECD-Leitlinien darauf hin, dass eine Funktionsanalyse unvollständig ist, wenn die von jeder Partei übernommenen „wesentlichen Risiken“ nicht berücksichtigt werden. Hintergrund dessen ist, dass auch in einer Fremdvergleichssituation die Übernahme und Aufteilung von Risiken zwischen den Transaktionsparteien die Geschäftsbedingungen beeinflussen.5 Da die Übernahme bestimmter Funktionen nach OECD-Überzeugung bis zu einem gewissen Grad mit der Übernahme bestimmter Risiken korreliert, ist die Risikoanalyse nach OECDAuffassung zugleich integraler Bestandteil der Funktionsanalyse.
4.9
Maßgeblichkeit des wirtschaftlichen Gehalts. Zu betonen ist – wie bereits oben angedeutet –, dass es stets auf den wirtschaftlichen Gehalt der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit des Unternehmens ankommt.6 Nach den VWG 1983 wie auch nach den OECD-Leitlinien können daher beispielhaft bei funktionslosen Unternehmen Leistungsentgelte grundsätzlich nicht verrechnet werden, da es an einer tatsächlichen Leistungserbringung mangelt. Bei funktionsschwachen Unternehmen hingegen können 1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 a.E. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a–c. 3 Tz. 1.42 OECD-Leitlinien 2010. 4 Tz. 1.43 OECD-Leitlinien 2010. 5 Tz. 1.45 OECD-Leitlinien 2010. 6 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.2. sowie BFH v. 30.7.1965 – VI 288/63 U, BStBl. III 1965, 613; v. 26.2.1970 – I R 42/68, BStBl. II 1970, 419; v. 15.1.1974 – VIII R 63/68, BStBl. II 1974, 606.
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B. Funktionsanalyse
nur die tatsächlich erbrachten wirtschaftlichen Leistungen berücksichtigt werden. Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll dies i.d.R. auf Basis eines kostenorientierten Entgelts erfolgen.1 Mit funktionsschwachen Unternehmen sind in erster Linie Unternehmen gemeint, die über ein limitiertes Funktionsprofil verfügen und regelmäßig keine zentralen Wertschöpfungsbeiträge für den Unternehmenserfolg beisteuern (bspw. Lohnfertigung, Erbringung einfacher Verwaltungsleistungen etc.) (Rz. 4.63 ff.). Übereinstimmung von Risikoaufteilung und wirtschaftlichem Gehalt. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang weiterhin der Gedanke, dass eine behauptete Risikoaufteilung mit dem „wirtschaftlichen Gehalt“ eines Geschäfts zwischen verbundenen Parteien übereinstimmen muss. Die OECD-Leitlinien geben hierzu sinngemäß folgendes Einführungsbeispiel:2 „Ein Produzent verkauft Waren an ein verbundenes ausländisches Vertriebsunternehmen. Soll das Vertriebsunternehmen vertraglich alle mit den konzerninternen Geschäften verbundenen Wechselkursrisiken tragen, wird jedoch der Verrechnungspreis so angepasst, dass das Vertriebsunternehmen vor den (negativen) Auswirkungen schwankender Wechselkurse geschützt wird, ist die Übernahme des Wechselkursrisikos durch das Vertriebsunternehmen aus Sicht der Finanzverwaltung in Frage zu stellen.“
4.10
Maßgeblichkeit der Risikokontrolle. Schließlich ist nach OECD-Auffassung der Gedanke, welche Partei mehr (bzw. in besserem Maße) Kontrolle über ein Risiko (bzw. ein sich noch nicht materialisiertes Risikopotential) ausüben kann, für die Prüfung des wirtschaftlichen Gehalts einer behaupteten Risikoallokation relevant. Insoweit ist es nach OECD-Auffassung zwischen fremden Dritten im Rahmen von Geschäftsbeziehungen üblich, dass derjenigen Partei ein größerer Teil an Risiken zugeordnet wird, die hierüber „mehr Kontrolle“ ausüben kann.3
4.11
II. Differenzierung zwischen quantitativer und qualitativer Funktionsanalyse 1. Identifikation von betrieblichen Funktionen Funktionsbegriff. Der Begriff der „Funktion“ ist in jüngerer Vergangenheit insbesondere durch die Diskussion über die sog. Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG (vgl. hierzu Kap. 7) in den Betrachtungsfokus gerückt. Allgemein wird unter einer Funktion ein bestimmter betrieblicher Tätigkeitsbereich verstanden, der organisatorisch abgrenzbar und infolgedessen selbständig identifizierbar ist. § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV versteht unter dem Begriff „Funktion“ eine „Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher 1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.4. 2 Tz. 1.48 OECD-Leitlinien 2010. 3 Tz. 1.49 Satz 1 u. 2 OECD-Leitlinien 2010.
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4.12
Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden.“ (Rz. 7.22).
4.13
Analyseschritte. Um die von einem Unternehmen ausgeübten Funktionen und deren Relevanz für die Gesamtwertschöpfung festzustellen sowie im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation beschreiben und begreiflich machen zu können, ist eine umfassende Untersuchung der von einem Unternehmen übernommenen Zuständigkeiten sowie der damit zusammenhängenden ausgeübten betrieblichen Tätigkeiten erforderlich. Die Funktionsanalyse ist daher zunächst nicht mehr als eine spezifische Sachverhaltsanalyse. Hierbei ist zwischen einer Gesamt- und einer Einzelfunktionsanalyse zu unterscheiden.
4.14
Gesamtfunktionsanalyse. Die Gesamtfunktionsanalyse untersucht sämtliche von einem Unternehmen ausgeübte Funktionen (bspw. Produktion, Vertrieb, Logistik, Forschung und Entwicklung, Marketing etc.) und ihre wirtschaftliche Bedeutung für die Geschäftsbeziehungen zu anderen verbundenen Unternehmen („macro-level analysis“). Sie orientiert sich im Regelfall an dem funktionalen Konzernaufbau, in welchem Konzernunternehmen systematisch in bestimmte Verantwortungsbereiche organisiert sind. In diesem Zusammenhang wird auch die rechtliche bzw. steuerkategorische Organisationsform des Unternehmens berücksichtigt (bspw. selbständiges Rechtssubjekt oder lediglich rechtlich unselbständige Betriebsstätte), da die mit der Ausübung verschiedener Funktionen verbundenen Entscheidungskompetenzen für die qualitative Gewichtung dieser Funktion bei der Unternehmenscharakterisierung relevant sind. Ferner lassen sich aus diesen Feststellungen Rückschlüsse auf das Vorhandensein von Marktchancen und Marktrisiken des Unternehmens ziehen. Dies gilt insbesondere bei mehrstufigen Lieferungs- und Leistungsbeziehungen im Konzern. Die Resultate einer Gesamtfunktionsanalyse sind daher insbesondere im Hinblick auf die oben angesprochene Unternehmenscharakterisierung als „Entrepreneur“, „Mittelunternehmen“ oder als „Routineunternehmen“ von großer Bedeutung, welche nach Ansicht der deutschen Finanzverwaltung letztlich darüber mitentscheidet, welche Verrechnungspreismethode zur Anwendung gelangen darf.1 Insoweit hat die Gesamtfunktionsanalyse (wie letztlich auch die Einzelfunktionsanalyse) auch zu berücksichtigen, welche wirtschaftlichen Risiken bei der Funktionsausübung vorhanden sind und welche wesentlichen (materiellen und immateriellen) Wirtschaftsgüter im Rahmen der Funktionsausübung zum Einsatz gelangen, die erfolgsrelevant sind.
4.15
Einzelfunktionsanalyse bei spezifischen Geschäftsvorfällen. Im Rahmen einer Einzelfunktionsanalyse werden spezifische Zuständigkeiten und Tätigkeitswahrnehmungen des Unternehmens im Rahmen eines einzelnen Geschäftsvorfalls untersucht. Die Einzelfunktionsanalyse weist daher im Verhältnis zu der Gesamtfunktionsanalyse ein höheres Maß an 1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 letzter Abs. i.V.m. Tz. 3.4.10.3.
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B. Funktionsanalyse
Granularität auf („micro-level analysis“), indem sie die Verteilung der Zuständigkeiten und der Tätigkeitserbringungen einschließlich der Verwendung (vorwiegend) immaterieller Wirtschaftsgüter (Patente, Markenrechte, Gebrauchs- und Geschmacksmuster, Prozess-Know-how etc.) verbundener Unternehmen transaktionsbezogen untersucht und infolgedessen auf die Gesamtfunktionsanalyse aufbaut. Eine Einzelfunktionsanalyse kann insbesondere dann erforderlich werden, wenn Geschäftsvorfälle zwischen verbundenen Unternehmen gegeben sind, die in enger Wechselbeziehung stehen und bei denen nicht ohne weiteres geklärt werden kann, welcher relative Wert den von den jeweiligen Parteien ausgeübten Funktionen beigemessen werden muss. Typischerweise wird eine Einzelfunktionsanalyse im Rahmen von Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen durchgeführt, die auf Basis eines Profit-Splits (Rz. 5.123 ff.) vergütet werden. 2. Abgrenzung von Haupt- und Hilfsfunktionen/Gewichtung von Funktionen Delegationsfähigkeit als Abgrenzungskriterium. Wie im Folgenden noch näher gezeigt werden wird, lassen sich betriebliche Funktionen qualitativ in Haupt- und Hilfsfunktionen untergliedern. Hauptfunktionen sind solche betrieblichen Tätigkeiten und Aufgaben, die für den Wertschöpfungsprozess erfolgsmäßig den (relativ) wichtigsten Anteil beisteuern. Sie kennzeichnen sich nach Ansicht der Finanzverwaltung insbesondere durch ihre Einbindung bestimmter, vornehmlich immaterieller Wirtschaftsgüter (Rz. 6.547 ff.) und ihre „Quasi-Unersetzlichkeit“. Hilfsfunktionen sind demgegenüber durch ihren „Routine-Charakter“ geprägt. Sie kennzeichnen sich dadurch, dass sie jederzeit an andere Leistungserbringer am Markt delegiert werden könnten. Ferner sind sie – nach Ansicht der Finanzverwaltung – nur in geringem Umfang durch den Einsatz von immateriellen Wirtschaftsgütern geprägt.1
4.16
Abgrenzung auf Basis von funktionsspezifischen Margen. Bei der Abgrenzung zwischen Haupt- und Hilfscharakter sind zunächst die Erkenntnisse sog. Balanced-Scorecard-Systeme in Erwägung zu ziehen, die darauf aufbauen, welche Ergebniskennzahlen als Schlüsselindikatoren aus einer bestimmten Funktionsausübung resultieren.2 Hilfsfunktionen, d.h. solche Funktionen, die qualitativ nicht als entscheidend für die Erreichung unternehmensstrategischer Ziele gelten, können demnach im Grundsatz lediglich fix (bspw. unter gedanklicher Anwendung der Kostenaufschlagsmethode) vergütet werden. In der Praxis kann sich ein derartiger Ansatz allerdings als problematisch erweisen, da den jeweiligen Funktionen bestimmte operative Margen zugeordnet werden müssen, welche die Bedeutung der Funktionen im Gesamtwertschöpfungsprozess eines Unterneh-
4.17
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. Buchst. a. 2 Vgl. dazu Hüsgens, Balanced Scorecard und Ursache-Wirkungsbeziehungen, 19 ff.
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
mens angemessen reflektieren. Da die in Datenbanken erhältlichen Informationen über die Profitabilität unabhängiger Unternehmen regelmäßig keine Untergliederung in einzelne Tätigkeitssegmente der Vergleichsunternehmen beinhalten, ist es praktisch kaum möglich, den ausgeübten Funktionen (einschließlich der übernommenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter) eine individuelle „Marge“ zuzuordnen. Im Übrigen würde ein derartiger Ansatz auf eine retrograde Funktionswertbestimmung hinauslaufen, da auf Basis der erwirtschafteten Marge die ökonomische Bedeutung der Funktion im Gesamtwertschöpfungsprozess bestimmt werden müsste. Dies erscheint problematisch.
4.18
Praktischer Analyseansatz. Es empfiehlt sich daher, auf Basis einer quantitativen und qualitativen Analyse den „Wert“ einer Funktion im Gesamtwertschöpfungsgefüge zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sind folgende grundlegenden Untersuchungsschritte vorzunehmen: – Erfassung der einzelnen, in der Funktion angesiedelten Unternehmenstätigkeiten; – Ermittlung der Kosten, die durch die Funktionsausübung entstehen (auf Basis der unternehmensinternen Kostenrechnung); – Ermittlung der eingesetzten materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter zur Funktionsausübung; – Ermittlung des im Rahmen der Funktionsausübung erforderlichen Personals (z.B. als Know-how-Träger).
4.19
Indizwirkung der Analyse. Die Resultate der einzelnen Analysefelder vermitteln in der Gesamtschau ein Bild darüber, welche Stellung und welche wertschöpfungsbezogene Bedeutung die Funktionen im Unternehmen haben. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass von den einzelnen Analysefeldern nur eine indikative Wertung ausgehen kann, da bspw. eine kostenintensive Funktionsausübung gleichwohl nur unerhebliche Bedeutung für die Gesamtwertschöpfung haben kann (bspw. lohnintensive Lagerung und Sortimentierung von Vertriebsprodukten). Das Gesamtergebnis dieser Analyse hat – wie im Folgenden noch aufgezeigt wird – erheblichen Einfluss auf die Charakterisierung des Unternehmens als Strategieführer, Mittel- oder Routineunternehmen.
4.20
Business-Process-Analysis. Ein neuerer Ansatz – insbesondere in der betriebswirtschaftlichen Unternehmensberatung – geht dorthin, die Funktionsanalyse aus Perspektive einer Untersuchung der Leistungserstellungsprozesse im Konzern zu begreifen. In diesem Zusammenhang werden alle in einem Unternehmen bzw. Konzern stattfindenden Leistungserstellungsprozesse zunächst inventarisiert und auf Basis einer TopDown-Analyse auf einzelne Makroprozesse (bspw. Produkt-F&E, Einkauf von Rohstoffen, Produktion, Vertrieb) sowie damit verbundene Tätigkeiten heruntergebrochen. Ziel dessen ist, sämtliche Prozesse der Wertschöpfung in einem Unternehmen möglichst „feinkörnig“ zu erfassen, um sodann die individuellen Leistungserstellungsprozesse einem einzel286
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B. Funktionsanalyse
nen Unternehmen bzw. Unternehmensteil zuordnen zu können.1 Am Ende einer derartigen Analyse steht i.d.R. ein umfassendes Bild der gesamtunternehmensbezogenen Wertschöpfung, die insbesondere aus betriebswirtschaftlicher Sicht Rückschlüsse auf die einzelnen Wertschöpfungsbeiträge der Beteiligten zulässt. Ein derartiger Analyseansatz ist insbesondere im Rahmen von „Gestaltungsprojekten“ von Bedeutung, in denen sich zwar die rechtliche Organisation eines Gesamtunternehmens bzw. Konzerns ändert, jedoch nicht die Art und Zuordnung der ausgeübten Funktionen. Ferner können durch eine „Business-Process-Analysis“ vor dem Hintergrund einer konzernweiten Risikosteuerung Erkenntnisse für bestimmte Risikosteuerungsmaßnahmen gewonnen werden. Aus Sicht der deutschen Verrechnungspreisdokumentationsvorschriften kann ein umfassender Analyseansatz – so wie ihn die „Business-Process-Analysis“ darbietet – jedoch bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht gefordert werden.2 Ferner ist hier eindeutig geregelt, dass – auf der Funktionsanalyse aufbauend – nur die Wertschöpfungsbeiträge des Steuerpflichtigen darzustellen sind und nicht diejenigen der gesamten Unternehmensgruppe bzw. des Konzerns (vgl. § 90 Abs. 3 AO i.V.m. § 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV).
III. Grundformen betrieblicher Funktionen 1. Produktionsbezogene Funktionen Allgemeines. Die Analyse produktionsbezogener Funktionen ist im Hinblick auf die Abgrenzung von sog. Eigenfertigern und Auftrags- bzw. Lohnfertigern besonders relevant. Die Frage, wie eine Produktionsfunktion konzernintern organisiert ist und welche Unternehmen in Produktionstätigkeiten involviert sind, ist zunächst eine Frage der unternehmerischen Dispositionsfreiheit.3 Die Auslagerung von Produktionsfunktionen tritt in aller Regel bei Unternehmen mit einer größeren Produktionstiefe in Erscheinung, wo mehrere, mitunter technisch anspruchsvolle Komponenten durch spezialisierte Zulieferungen endgefertigt werden. Jedoch können auch Lohnkostenvorteile bei verhältnismäßig einfachen Produktionstätigkeiten zu einem Einschalten von Auftrags- bzw. Lohnfertigungsunternehmen führen (bspw. in der Bekleidungsherstellung).
4.21
Produktionstypen. Die Unterscheidung bestimmter Produktionstypen ist für die Auswahl der geeigneten Verrechnungspreismethode entscheidend.
4.22
1 Vgl. Reijers, Design and Control of Workflow Processes – Business Process Management, 4 ff. 2 Siehe auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.4 Satz 3, wonach bereits bloße „Star-Charts“ für die Funktionsdarstellung ausreichend sein sollen. 3 Siehe Tz. 9.163 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 145.
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
So werden Lohnfertigungstätigkeiten – nach Auffassung der Finanzverwaltung – regelmäßig auf Basis der Kostenaufschlagsmethode vergütet (Rz. 5.40).1 Sog. Eigenfertiger (Fully-fledged Producer) kennzeichnen sich regelmäßig dadurch, dass sämtliche mit der Vorbereitung, der eigentlichen Durchführung und der Nachbereitung der Produktionstätigkeit verbundene Aktivitäten und Entscheidungskompetenzen (Beschaffung der Rohstoffe, eigentliche Produktion, Qualitätssicherung, Verpackung, Transport, Lagerhaltung etc.) durch das Unternehmen auf eigene Rechnung, durch den Einsatz eigener (ggf. auch lizenzierter) Wirtschaftsgüter und auf eigenes Kostenrisiko wahrgenommen werden. Der Lohnfertiger (Toll-Manufacturer) hingegen ist durch eine geringere Funktions- und auch Risikotiefe gekennzeichnet. Seine Tätigkeiten beschränken sich auf die bloße Erbringung einer Produktionsdienstleistung an beigestellten Rohstoffen oder Vorprodukten, ohne dass er die mit der Produktion verknüpften wirtschaftlichen Risiken tragen müsste (Rohstoffbeschaffungsrisiko, Leerkostenrisiko, Absatzrisiko, allgemeines Marktrisiko etc.). Der Auftragsfertiger (Contract-Manufacturer) hat hingegen gegenüber dem Lohnfertiger ein angereichertes Funktions- und Risikoprofil. Auch er erbringt letztlich eine reine Dienstleistung in Gestalt der Ausübung einer Produktionstätigkeit, gleichwohl beschafft er die Rohstoffe oder zu bearbeitenden Vorprodukte selbst, erhält hierfür im Gegenzug aber Abnahmegarantien durch seinen Auftraggeber nach Vollendung der Fertigungstätigkeiten. Mitunter erbringen Auftragsfertiger auch Forschungs- und Entwicklungsleistungen zur Produkt- oder Fertigungsverfahrensoptimierung.2 Eine verbindliche Definition der Begriffe „Eigenproduzent“ sowie „Auftrags- bzw. Lohnfertiger“ mit einer abschließenden Anzahl von Tatbestandsmerkmalen existiert jedoch nicht, so dass die Begriffe als „Typusbegriffe“ einzustufen sind, die im übertragenen Sinne als „Anschauungsbilder“ fungieren, denen mithin Sachverhalte und Erscheinungsformen als „entsprechend“ oder „sinnähnlich“ zugeordnet werden. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Begriff des Eigenproduzenten oder des Lohn- bzw. Auftragsfertigers nicht von dem Vorhandensein bestimmter, abschließender Tatbestandsmerkmale abhängig ist. Gleichwohl ist das Vorhandensein bestimmter zentraler Funktionen und Risiken (bspw. das Absatzrisiko) für die Kategorisierung als Eigen- oder Lohn- bzw. Auftragsfertiger von ausschlaggebender Bedeutung. 2. Absatz- und vertriebsbezogene Funktionen
4.23
Ausgangspunkt. Betriebliche Funktionen im Absatz- und Vertriebsbereich sind aus Verrechnungspreissicht von signifikanter Bedeutung, weil bereits zivilrechtlich verschiedene Vertriebsformen (Eigenhändler, d.h. Kauf oder Verkauf im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, Kommissionär, d.h. Kauf oder Verkauf im eigenen Namen, jedoch auf 1 BMF v. 23.2.1983 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. 2 Vgl. Baumhoff in Kleineidam, FS Fischer, 491; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 326.
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B. Funktionsanalyse
fremde Rechnung, Handelsvertreter, d.h. Kauf oder Verkauf auf fremden Namen und fremde Rechnung, Handelsmakler, d.h. bloße Vermittlung von Handelsgeschäften) existieren, die – aufgrund ihrer strukturellen Besonderheiten – entscheidenden Einfluss auf die Unternehmenscharakterisierung (als „Strategieführer“, „Mittelunternehmen“ oder „Routineunternehmen“) haben. Die Analyse von Funktionen im Absatz- und Vertriebsbereich ist daher u.a. von der bereits aus zivilrechtlicher Perspektive gewählten Vertriebsform abhängig (Rz. 6.55 ff.). Innerhalb der vorgenannten Vertriebsformen hängt die Ausgestaltung des Funktions- und Risikoprofils ferner davon ab, in welchem Marktumfeld und auf welcher Handelsstufe (Großhandel, Zwischenhandel, Einzelhandel) sich der Vertreiber befindet. Bereits nach Auffassung der Finanzverwaltung sollen bei der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise im Rahmen von Warenoder Güterlieferungen zwischen verbundenen Unternehmen u.a. folgende Schlüsselparameter Berücksichtigung finden, die zwischen fremden Dritten bei der Preisbildung regelmäßig bedacht würden:1 – Gleichartigkeit der vertriebenen Güter oder Waren (Beschaffenheit, Qualität, Innovationsgehalt etc.); – Vertriebsmengen; – Markt- und Wettbewerbsverhältnisse; – Handelsstufe; – Liefervereinbarungen (Haftungsverhältnisse, Zahlungsziele, Rabatte, Skonti, Gefahrentragung, Gewährleistung etc.). Handelsstufen und Vertriebsstrukturierung. Um die mit einer Vertriebstätigkeit verbundenen Funktionen und Risiken besser nachvollziehen zu können, ist zunächst eine Betrachtung der jeweiligen strukturellen Positionierung des Vertreibers innerhalb eines Marktes durchzuführen. Im Einzelnen sind folgende Betriebsformen zu unterscheiden: – Großhandel. Ist das Vertriebsunternehmen im Bereich Großhandel tätig, so erfolgt die Vertriebstätigkeit vornehmlich gegenüber anderen gewerblichen Abnehmern („B2B“), was insbesondere Auswirkungen auf die Bedeutung von Marken und Markenartikeln im Rahmen dieser Handelsstufe hat. Denn bei Geschäftsbeziehungen im Unternehmenskundensegment ist der Absatzförderungsnutzen aus der Verwendung einer Marke oder Warenbezeichnung i.d.R. von untergeordneter Bedeutung.2 Der Grund hierfür liegt darin, dass sog. B2B-Geschäfte regelmäßig zwischen professionellen Einkaufsabteilungen abgewickelt werden, bei denen ein bestimmtes Markenimage als subjektives Kaufentscheidungskriterium ausgeblendet wird, es sei denn, es kommt gerade auf den Erwerb eines bestimmten Markenartikels an, der als solcher für den Weiterverkauf im Endkundensegment bestimmt ist. Vertriebs1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.1. und 3.1.2.1. 2 Vgl. hierzu FG Rh.-Pf. v. 14.12.1998 – 5 K 2821/96, IStR 1999, 537; aufgehoben durch BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246.
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4.24
Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
unternehmen, die innerhalb der Marktstufe „Großhandel“ angesiedelt sind, werden vornehmlich in der Rechtsform eines Eigenhändlers organisiert, da diese Betriebsform bereits aus zivilrechtlicher Sicht für eine klare Strukturierung der Vertriebsaufgaben und rechtliche Abschirmung der Verantwortlichkeiten Sorge trägt und demzufolge einem klaren Funktions- und Risikoprofil dienlich ist. Anzutreffen sind jedoch auch Großhandelstätigkeiten, die auf Kommissionärsbasis erfolgen. Ferner besteht gerade im B2B-Bereich eine sehr transparente Marktlandschaft, so dass der Kundenstamm als Wertschöpfungsfaktor i.d.R. keine große Bedeutung besitzt.1 – Zwischenhandel. Vertriebstätigkeiten im Zwischenhandel erfolgen desgleichen regelmäßig im Unternehmenskundenbereich. Im Hinblick auf die konzerninterne Strukturierung von Vertriebstätigkeiten sorgen Zwischenhändler für einen optimierten Marktzugang, indem sie lokal Marktpräsenz zeigen können, sich aufgrund ihrer (zivilrechtlichen) Eigenschaft als Eigenhändler jedoch in gezielter Weise weitere Vertriebspartner im Endkundengeschäft aussuchen. Zwischenhändler kennzeichnen sich regelmäßig durch ein vergleichsweise „schlankes“ Funktionsprofil, welches Auswirkungen auf die Unternehmenscharakterisierung hat (s. dazu im Folgenden Rz. 4.60 ff.). Ihre Aufgabe ist vornehmlich darauf gerichtet, die konzerninterne Absatzorganisation zu optimieren, ohne Endkundenkontakt aufzubauen. Zwischenhändler dienen innerhalb der konzerninternen Vertriebsstruktur daher u.a. der Verbesserung der logistischen Vertriebsvoraussetzungen für den Endkundenvertrieb. Auch bei ihnen ist die ökonomische Bedeutung des Kundenstamms i.d.R. von untergeordneter Bedeutung. – Einzelhandel. Der Vertrieb von Gütern und Waren im Bereich des Einzelhandels umfasst typischerweise das Endkunden- bzw. Verbrauchergeschäft. Der Vertrieb auf dieser Marktstufe kennzeichnet sich dadurch, dass die Vertriebstätigkeit sich an eine Vielzahl von (potentiellen) Abnehmern richtet. Einzelhandelstätigkeiten können sowohl in der Eigenschaft als Eigenhändler, Kommissionär wie auch als Handelsvertreter betrieben werden.
4.25
Rechtliche Organisation des Vertriebs/Aktivitäten. Innerhalb des gegebenen Marktumfelds und der jeweiligen Handels- bzw. Marktstufe kommen verschiedene Eigenschaften eines Vertriebsunternehmens in Betracht. Hierbei sind folgende rechtliche Organisationsformen zu unterscheiden, die mit entsprechenden Aktivitätsprofilen verbunden sind: – Eigenhändler („Fully-fledged Distributor“): Kundenakquisition, Lagerhaltung, Sortimentierung, Bereitstellung und Dispatching, Administrationstätigkeiten, Markterschließung, Marktpflege, Werbung/Marketing, Marktanalyse im Hinblick auf Festlegung der Preis- und Ge1 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 220; s. auch OLG Hamm v. 6.3.1986 – 18 U 73/85, NJW-RR 1988, 550 zur Frage eines Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB bei transparenten Absatzmärkten, in denen die Anbieter und Nachfrager marktbekannt sind.
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B. Funktionsanalyse
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schäftspolitik, Forderungsbeitreibung, After-Sales-Services u. Gewährleistung. Eigenhändler mit eingeschränktem Funktionsprofil („Low-risk Distributor“): Kundenakquisition, ggf. Lagerhaltung, Sortimentierung, Bereitstellung und Dispatching, Administrationstätigkeiten, ggf. Werbung, Forderungsbeitreibung, ggf. After-Sales-Services. Kommissionär/Kommissionsagent: Kundenakquisition, Administrationstätigkeiten, Werbung, ggf. Marktpflege, ggf. Forderungsbeitreibung (vgl. § 394 HGB), ggf. After-Sales-Services. Handelsvertreter: Kundenakquisition, Administrationstätigkeiten, ggf. Werbung, ggf. Forderungsbeitreibung (vgl. §§ 86b, 87 Abs. 4 HGB). Handelsmakler: Vermittlung von Kunden zum Zwecke des Geschäftsabschlusses, Administrationstätigkeiten, ggf. Werbung.
IV. Funktionen im Zusammenhang mit Dienstleistungserbringungen Allgemeines. Funktionen im Bereich der Erbringung von Dienstleistungen können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Die konkrete Organisationsform einer Dienstleistungserbringung hängt dabei in erster Linie von dem Leistungsgegenstand und dem angestrebten Leistungserfolg ab. In diesem Zusammenhang entscheidet sich auch, ob und in welcher Hinsicht materielle wie immaterielle Wirtschaftsgüter zur Leistungserbringung eingesetzt werden müssen. So sind z.B. Verwaltungsleistungen, die von einem verbundenen Unternehmen ausgeübt werden, als sog. RoutineLeistungen zu betrachten, die ohne den – oder durch einen geringfügigen – Einsatz werthaltiger immaterieller Wirtschaftsgüter erfolgen. Art und Umfang sowie die damit einhergehende Funktionstiefe entscheiden auch über den jeweiligen Vergütungsansatz (Rz. 4.29).1 Die Finanzverwaltung möchte in diesem Zusammenhang – ähnlich wie bei dem Vertrieb von Gütern und Waren – auch die jeweilige Marktstufe berücksichtigt wissen, allerdings nur insoweit, als „marktüblicherweise“ Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von Auftraggebern gemacht werden können.2 Relevant ist dies immer dann, wenn die Dienstleistung Hauptgegenstand eines Vertragsverhältnisses ist und nicht bloße Neben- oder Unterstützungsleistung.
4.26
Erscheinungsformen und Dienstleistungsfunktionen. Abzugrenzen ist die Dienstleistungserbringung zunächst von anderen Leistungsverhältnissen, bspw. Miet- oder Pachtverhältnissen, bei denen Hauptgegenstand die Überlassung eines Wirtschaftsguts zur Nutzung ist. Gegenstand einer Dienstleistungstätigkeit ist die Erbringung einer schuldrechtlich verein-
4.27
1 BMF v. 23.2.1983 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.2.3.1. und 3.2.3.2. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.2.1.
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
barten Tätigkeit, die für den Auftraggeber einen wirtschaftlichen Nutzen ergeben soll. Dienstleistungen können sich auf unterschiedliche Leistungsinhalte beziehen, so u.a. – gewerbliche Dienstleistungen (z.B. Auftragsforschung, Logistik, Verwaltungsleistungen etc.); – technische Dienstleistungen (z.B. technische Planung, Engineering etc.); – sonstige Dienstleistungen (z.B. freiberufliche Leistungen, Beratungsleistungen)1.
4.28
Dienstleistungsfunktionen. Diesbezüglich kann der Erbringer einer Dienstleistungstätigkeit folgende Funktionen ausüben: – Planungs- und Vorbereitungsleistungen; – Bereitschaftsleistungen („Stand-by“); – Durchführung/Abwicklung der eigentlichen Dienstleistung; – Überwachung und Dokumentation der Leistungserbringung; – Nachbereitung/“After-Sales“.
4.29
Einsatz materieller/immaterieller Wirtschaftsgüter. Entscheidend für die „Verrechnungspreisrelevanz“ einer Dienstleistung ist im Regelfall die Verwendung von materiellen wie immateriellen Wirtschaftsgütern zur Erreichung des Leistungsgegenstands. In diesem Zusammenhang gilt, dass je intensiver der Einsatz von (im-)materiellen Wirtschaftsgütern für die Erbringung der Dienstleistung ist, desto größer muss die entsprechende Reflexwirkung auf den Vergütungsansatz sein. Insbesondere die Verwendung immaterieller Wirtschaftsgüter zur Dienstleistungserbringung beinhaltet aus Verrechnungspreissicht besondere Folgewirkungen für die Funktionstiefe des Leistungserbringers, so dass bspw. die von der Finanzverwaltung regelmäßig favorisierte Kostenaufschlagsmethode für die Vergütung von Dienstleistungen nicht immer zu einer sachgerechten Reflektion der ausgeübten Funktionen im Hinblick auf ein fremdvergleichskonformes Vergütungsniveau des Leistungserbringers führt (Rz. 6.156). Im Grunde geht es hier um die Abgrenzung von RoutineFunktionen gegenüber Funktionen, deren Ausübung für die Gesamtwertschöpfung des Leistungsempfängers eine zentralere Bedeutung haben. Beispielhaft hierfür sind Dienstleistungen in der Verwaltung von Vermögen (Asset-Management), bei denen der Asset-Manager neben der Anlageplanung auch die laufende Anlageportfolio-Überwachung und ggf. auch die erforderlichen Anlageentscheidungen tätigt. Eine derartige Dienstleistungserbringung ist in hohem Maße durch den Einsatz eines entsprechenden Beratungs- und Markt-Know-hows geprägt, so dass eine Routinevergütung nach Maßgabe eines Cost-Plus-Ansatzes keine adäquate Reflektion der ausgeübten Funktionen und ihrer Funktionstiefe im Gesamt-
1 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 21 ff.
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B. Funktionsanalyse
wertschöpfungsprozess gewährleisten würde.1 Denkbar wäre hier die Basisfunktionen auf Grundlage der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) und alle weiteren, stärker wertschöpfungsrelevanten Tätigkeiten auf Grundlage eines Profit-Splits (Rz. 5.123 ff.) (wertschöpfungsbezogene Aufteilung des Residualgewinns) zu vergüten.
V. Funktionen im Bereich E-Commerce Lokalisierung der Funktionsausübung. Besondere Fragestellungen ergeben sich bei der Ausübung von Funktionen im Bereich E-Commerce, die sich vornehmlich auf die Tätigkeitsbereiche Vertrieb und Dienstleistungen beziehen (Rz. 6.606 ff.). Werden bspw. Software-Produkte zum Herunterladen aus dem Internet bereitgestellt (Software as a Service – SaaS), so liegt darin eine automatisierte Funktion, die – sofern das Download-Produkt einmal auf dem Download-Server platziert ist und nur bei SoftwareUpdates aktualisiert werden muss – keine weitere Tätigkeit des Anbieters erfordert. In einer derartigen Sachverhaltskonstellation stößt die (klassische) Funktionsanalyse an ihre Grenzen, da sich die eigentlichen Funktionsbeiträge aufgrund des Zwischenschaltens beliebiger Angebotsplattformen in Gestalt von (virtuellen) Internetadressen und (physischen), örtlich nahezu beliebig anzusiedelnden Server-Stationen nicht genau identifizieren und gewichten lassen.
4.30
Reale und virtuell vorhandene Funktionen. Entscheidend ist bei derartigen Sachverhaltskonstellationen, welche ausgeübten Funktionen für das Anbieten derartig automatisierter Tätigkeiten konstitutiv wirken, d.h. die automatisierten Tätigkeiten erst ermöglichen. Die Funktionsanalyse bei virtuellen Unternehmenstätigkeiten hat vor diesem Hintergrund in besonderem Maße wertschöpfungsbezogen zu erfolgen. Das OECD-Diskussionspapier zum Thema E-Commerce und Verrechnungspreise aus dem Jahr 2005 scheint in dieser Frage tendenziell eine wertschöpfungsbezogene Betrachtungsweise zu favorisieren.2
4.31
VI. Verlagerung von Funktionen Auswirkungen auf das Funktionsprofil. Die (steuerlich relevante) Verlagerung von Funktionen i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG hat selbstredend Auswirkungen auf die Funktions- und Risikoausstattung eines Unternehmens (vgl. grds. zu Funktionsverlagerungen Kap. 7). Werden Funktionen verlagert, so hat dies – je nach Intensität und Bedeutsamkeit der verlagerten Funktionen für die Gesamtwertschöpfung – spiegelbildliche Auswirkungen auf die Unternehmenscharakterisierung und infolgedessen auf die 1 Siehe hierzu sog. Combined-Profit-Modelle, OECD-Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Tz. 166, 168, 175 und 177. 2 OECD Tax Policy Study E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, Tz. 11, 199.
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4.32
Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
Verrechnungspreisbestimmung. Insoweit ist es von besonderer Bedeutung, dass geprüft wird, ob durch die Funktionsverlagerung die noch verbleibenden Funktionen in ihrer Bedeutung und ihrem Funktionswert für die Gesamtwertschöpfung eines Unternehmens verändert, ggf. geschmälert wurden.
4.33
Einfluss auf das Funktionsprofil bei Nichtvorliegen einer Funktionsverlagerung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. Auch wenn mangels Transfers von Gewinnpotential keine tatbestandliche Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG gegeben ist, kann sich die Veränderung von Funktionsprofilen auf die Verrechnungspreisbestimmung auswirken. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn – innerhalb einer Unternehmensgruppe organisationsrechtlich Aufgaben neu zugeteilt werden, ohne (materielle oder immaterielle) Wirtschaftsgüter zu übertragen oder zu überlassen oder – Personal innerhalb der Unternehmensgruppe entsandt oder versetzt wird, ohne dass in diesem Zusammenhang wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter mit übergehen.
4.34
Sicherstellung der Funktions- und Risikoadäquanz. In derartigen Fällen ist gleichwohl sicherzustellen, dass die angewendete Verrechnungspreismethode und die damit erzielten Vergütungen (immer noch) als funktions- und risikoadäquat betrachtet werden können.
VII. Funktionsanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation 4.35
Allgemeines. Nach § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV ist der Steuerpflichtige dazu angehalten, in der Verrechnungspreisdokumentation auch eine Funktions-(sowie Risiko-)Analyse durchzuführen, um die wirtschaftlichen sowie organisatorischen Begleitumstände und Rahmenbedingungen von Geschäftsvorfällen mit verbundenen Parteien erläutern zu können (vgl. grds. zur Verrechnungspreisdokumentation Kap. 8).
4.36
Art der Darstellung. Ausdrücklich zugelassen ist die Darstellung der Funktions-(wie auch der Risiko-)Verteilung auf Grundlage eines sog. StarCharts, einer Matrixdarstellung, aus der übersichtsartig die einzelnen wahrgenommenen Funktionen (sowie die entsprechenden Risiken) ersichtlich werden.1 Insoweit verzichtet die Finanzverwaltung auf eine extensivere Darstellung der einzelnen Funktionsarten, ihrer Wahrnehmung durch den Steuerpflichtigen sowie der wirtschaftlichen Hintergründe für die Funktionswahrnehmung. Im Hinblick auf die Praxis ist allerdings anzuraten, die Funktionsbeiträge sowie Funktionswerte der Transaktionsparteien weitergehend zu erläutern, da die Erkenntnisse aus der Funktions-(wie auch der Risiko-)Analyse regelmäßig besondere Bedeutung für die Anerkennung der gewählten Verrechnungspreismethode haben. 1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.4.
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C. Risikoanalyse
C. Risikoanalyse I. Einfluss des Risikoprofils auf die Verrechnungspreisbestimmung Grundsätze. Ähnlich wie das Vorhandensein von Funktionen und der mit ihnen verbundenen Möglichkeiten, durch Ausübung der Funktion einen Beitrag zur Wertschöpfung eines Unternehmens zu leisten, haben auch die wirtschaftlichen Risiken Einfluss auf die Wertschöpfungsmöglichkeiten. Mit der Ausübung einer betrieblichen Funktion ist – ökonomisch betrachtet – neben einer entsprechenden, dahinterstehenden Chance eines Wertzuwachses auch das „Risiko“ eines Wertverlustes verbunden (bspw. Absatzrisiken im Vertriebsbereich). Durch die Verhinderung der Materialisierung eines wirtschaftlichen Risikos wird im Ergebnis ein positiver Beitrag zur Wertschöpfung erzielt, der für die Wertentwicklung eines Unternehmens zu berücksichtigen ist.1 Die Ausübung einer Funktion sowie die Betrachtung des mit der Funktionsausübung implizierten Risikos sind daher stets gemeinsam zu betrachten. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Risiken automatisch den vorhandenen Funktionen folgen müssen.2
4.37
Vorliegen eines Risikos. Klärungsbedürftig ist zunächst die Frage, wann von einem Risiko im eigentlichen Sinne ausgegangen werden kann. Abzugrenzen ist der Begriff des „Risikos“ vom allgemeineren Begriff der „Unsicherheit“. Ein Risiko ist immer dann gegeben, wenn eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ereignisses gegeben ist, welches sich nachteilig auf Vermögenspositionen des Steuerpflichtigen auswirken kann.3 Aus ökonomischer Perspektive handelt es sich bei einem Risiko mithin um eine – aufgrund fehlender Informationen bestehenden – Unsicherheit über den Eintritt eines nachteiligen Ereignisses und der dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigung unternehmerischer Zielsetzungen.4 Der Risikobegriff ist damit ein Produkt aus Schadenseintrittswahrscheinlichkeit und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgewirkungen. Wichtig ist diese Erkenntnis im Hinblick auf entsprechende Risikoeinschätzungen im Rahmen von Risikomanagementsystemen, deren Umsetzbarkeit wiederum Einfluss auf die Margenkalkulation eines Unternehmens hat.
4.38
Abgrenzung zwischen Risikoart und -umfang. Im Rahmen der Risikoanalyse ist zunächst festzustellen, welches Risiko einer bestimmten Funktionsausübung zuzuordnen ist. In einem zweiten Schritt ist festzustellen, wie hoch die Eintrittswahrscheinlichkeit anzusehen ist und welche wirtschaftlichen Nachteile durch die Materialisierung des Risikos eintreten können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, die einzelnen Risiken
4.39
1 2 3 4
Vögele/Brem in V/B/E, Verrechnungspreise2, G 328. Siehe auch Wellens/van der Ham, DB 2012, 1534. Vgl. Mikus in Götze/Henselmann/Mikus, Risikomanagement, 4 f. Vgl. Mikus in Götze/Henselmann/Mikus, Risikomanagement, 4 f.
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
funktionsbezogen zu betrachten, da im Rahmen der Risikoanalyse weniger das Gesamtunternehmerrisiko im Vordergrund steht als die spezifischen Risikopositionen, die mit der Ausübung jeder betrieblichen Funktion konkret verbunden sind.
4.40
Risikoexposition/Risikosteuerung. Ausgangspunkt einer Risikoanalyse ist zunächst die Frage nach der Risikoexposition. Daran schließt sich die Untersuchung der Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos bzw. die Darstellung auf Basis eines Risikomaßes (z.B. Value-at-Risk im Finanzbereich) an. Im Hinblick auf das Produktportfolio eines Unternehmens bedeutet dies z.B., dass Portfoliowertschwankungen aufgrund von Nachfrage- und Preisentwicklungen einer bestimmten Intensität unterliegen müssen, die statistisch durch die Kennzahl der Varianz erfasst wird. In diesem Zusammenhang wird im Hinblick auf die Messung und Aggregation verschiedener Risiken vor allem im Finanzsektor auf Portfolioebene der sog. Value-at-Risk-Ansatz (VaR) angewandt, wonach Aussagen über die möglichen wirtschaftlichen Veränderungen von Vermögenspositionen eines Unternehmens bei einem normalen Marktverlauf getroffen werden können. Darüber hinaus bestehen eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten einer quantitativen Risikomessung, u.a. Maximalverlust- oder Kennzahlen-basierte Risikomessungsansätze. Für das Unternehmen bedeutet dies, dass es geeignete Maßnahmen der Risikopolitik treffen muss, d.h. es ist festzulegen, welche Risiken eingegangen werden dürfen und welchen Umfang diese Risiken letztlich haben dürfen (strategische Steuerung der Risikoausmaße). In diesem Zusammenhang spielen eine Reihe unterschiedlicher Faktoren eine Rolle, wie z.B. die Eigenkapitalausstattung des Unternehmens, die Ertragsstärke, die Einschätzung künftiger Marktentwicklungen, jedoch auch das Festlegen von bestimmten Verlustobergrenzen (die z.B. letztlich dazu führen, dass die Produktion und der Vertrieb bestimmter Produkte eingestellt wird).1 Es ist ausschließlich Aufgabe der Unternehmensleitung, die Eckpfeiler dieser strategisch motivierten Risikosteuerung vorzunehmen. Entsprechende Entscheidungen zur Risikosteuerung (und zur Risikoaufteilung bzw. Risikoallokation innerhalb grenzüberschreitend tätiger Konzernunternehmen) sind daher grundsätzlich von der Finanzverwaltung anzuerkennen.
4.41
Ökonomische Rolle des Risikos in den OECD-Leitlinien. Nach Auffassung der OECD ist der Aspekt der Risikokontrollmöglichkeit bei der Überprüfung einer vom Steuerpflichtigen behaupteten Risikoaufteilung im grenzüberschreitend tätigen Konzern von besonderer Relevanz (Rz. 4.57).2 Die Erwägungen zu der Bedeutung von Risiken in der Verrechnungspreisermittlung sind von der OECD im Rahmen der Diskussion über die sog. „Business-Restructurings“ intensiviert worden. So hat die OECD in dem neu eingefügten Kapitel 9 der Verrechnungspreisleitlinien 1 Vgl. hierzu am Beispiel von Energiehandelsmärkten Lintzel/Borchert in Zenke/ Schäfer, Energiehandel in Europa2, Kap. 3 § 13 Rz. 12 f. 2 Vgl. auch Tz. 1.48, 1.49 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Risikoanalyse
im Jahr 2010 umfangreiche Überlegungen insbesondere zu der Bedeutung der Allokation von Risiken bei der Restrukturierung von Geschäftsstrukturen im internationalen Konzern angestellt. In diesem Zusammenhang lassen sich die Erwägungen der OECD thesenartig wie folgt zusammenfassen: – Die Frage der Zuordnung eines wirtschaftlich relevanten Risikos ist davon abhängig zu machen, wer die entsprechende „Kontrolle“ über dieses Risiko ausüben kann. Dies setzt u.a. voraus, dass entsprechende Ressourcen vorhanden sind, eine Risikokontrolle auch tatsächlich auszuüben (bspw. das Vorhandensein einer entsprechenden Personalausstattung). – Die Analyse, welche Partei wirtschaftliche Risiken bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen im Konzern trägt, ist aus Sicht der OECD ein essentieller Bereich der Funktionsanalyse. Denn im „freien Markt“ würde die Übernahme eines erhöhten Risikos stets mit der Aussicht auf eine „höhere“ Rendite korrelieren. Im Rahmen von „Business-Restructurings“ ist dieser Aspekt, insbesondere bei der Abschmelzung von Funktionen auf „Low-Risk Entities“ von besonderer Verrechnungspreisrelevanz.1 – In diesem Zusammenhang spielen nach OECD-Überzeugung auch die vertraglichen Grundlagen und der dort enthaltene Regelungsinhalt eine maßgebliche Rolle für die Allokation von Risiken, denn die schuldrechtlich vereinbarten Vertragsinhalte sind der zentrale Anknüpfungspunkt für die Risikobestimmung.2 – Besondere Relevanz hat der weitreichende Gedanke der Risikokontrolle. Kontrolle über ein Risiko wird demgemäß als „capacity to make decisions to take on the risk (decision to put the capital at risk) and decisions on whether and how to manage the risk“, d.h. allgemein als Fähigkeit zur Risikosteuerung bzw. zum Risikomanagement verstanden.3 Eingebunden in das Risikomanagement sind hierbei immer auch Konzepte zur Risikomessung, einschließlich des ökonomischen Verlustrisikos zur Bestimmung einer hinreichenden Kapitalausstattung eines Unternehmens („capital at risk“). Dies bedeutet, dass dem Entscheidungsträger, d.h. demjenigen, der ein wirtschaftlich relevantes Risiko dem Grunde nach (infolge eigener Entscheidung) übernimmt und auch die Kontrolle über dieses Risiko ausüben kann, i.d.R. auch das Risiko zuzuordnen ist. – Darüber hinaus ist auf Grundlage der OECD-Leitlinien 2010 die Fragestellung zu untersuchen, ob eine Partei die finanziellen Ressourcen besitzt, ein (sich ggf. materialisierendes) Risiko in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen letztlich tragen zu können („financial capacity to assume the risk“). Insoweit ist bei der Analyse von Risiken und deren Allokation im grenzüberschreitenden Konzern stets zu hinterfragen, ob 1 Tz. 9.10 OECD-Leitlinien 2010. 2 Tz. 9.11 ff. OECD-Leitlinien 2010. 3 Tz. 9.23, 9.24 ff. OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
die risikotragende Partei dieses Risiko bei Materialisierung wirtschaftlich auch tatsächlich tragen kann oder ob eine wirtschaftliche Abfederung/Transferierung dieses Risikos auf eine andere Partei erfolgen muss (z.B. die Konzernmuttergesellschaft).1 Diese Fragestellung kann erhebliche Auswirkungen auf die Frage der Vergleichbarkeit von Transaktionen haben, die im Markt zwischen fremden Dritten beobachtet werden können und als Nachweis für die Fremdvergleichskonformität herangezogen werden. Ggf. sind insoweit Anpassungsrechnungen vorzunehmen, welche die tatsächlich abweichende Risikoallokation berücksichtigen müssen („comparability adjustment“).2 Von Interesse wird in diesem Zusammenhang auch sein, welche „wirtschaftliche Logik“ („economic logic“) und welche Ressourcen zu einem effektiven Risikomanagement den Parteien zur Verfügung stehen sowie welche „Nähe“ der jeweiligen Partei zu beeinflussbaren Risikoparametern besteht.3
4.42
Folgen einer steuerlich anzuerkennenden Risikoallokation. Ist die gegebene Risikoallokation für steuerliche Zwecke anzuerkennen, weil sie als solche fremdvergleichskonform erscheint, so sollen sich nach OECD-Auffassung grundsätzlich folgende Konsequenzen ergeben: – Die risikotragende Partei hat den gesamten Aufwand des Risikomanagements oder der Risikominimierung (z.B. durch Hedging-Maßnahmen oder durch entrichtete Versicherungsprämien) sowie den Gesamtaufwand aus einer Risikomaterialisierung (z.B. wertlos gewordenes Lagerinventar) zu tragen.4 – Die risikotragende Partei hat grundsätzlich einen Anspruch auf eine höhere Rendite.5 – Entscheidend ist nach OECD-Ansicht allerdings stets, dass ein Risiko von einer wirtschaftlich signifikanten Bedeutung ist und im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Auswirkungen, seine Eintrittswahrscheinlichkeit, seine Vorhersehbarkeit sowie seine Steuerbarkeit identifizierbar ist.6
II. Identifikation von betrieblichen Risiken 4.43
Abgrenzung. Die einem Unternehmen bei der Ausübung seiner Tätigkeit begegnenden Risiken lassen sich grob in zwei Unterformen kategorisieren. Zum einen ist dies die Gruppe der originär betrieblichen Risiken, d.h. solcher Risiken, die aus der Tätigkeitsausübung selbst resultieren (bspw. Produktstrategierisiko, Finanzierungsrisiko, Personalauswahlrisiko etc.). 1 2 3 4 5 6
Tz. Tz. Tz. Tz. Tz. Tz.
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9.29, 9.30 ff. OECD-Leitlinien 2010. 9.34 ff. OECD-Leitlinien 2010. 9.36, 9.37 OECD-Leitlinien 2010. 9.39 Buchst. a und b OECD-Leitlinien 2010. 9.39 Buchst. c und Tz. 1.45 OECD-Leitlinien 2010. 9.40 u. 9.41 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Risikoanalyse
Die andere Risikogruppe besteht aus solchen Risiken, die sich aus dem Tätigkeitsrahmen ergeben und damit mittelbar auf das Risikoprofil eines Unternehmens Einfluss nehmen (bspw. allgemeines Marktrisiko, Wettbewerbsrisiko, regulatorisches Risiko etc.). Die Unterteilung in diese beiden Unterkategorien ist für die Fragestellung von Bedeutung, welche Risikobeherrschungs- oder Risikominimierungsstrategien ein Unternehmen entwickeln und umsetzten kann. Dieser Umstand ist für die Berücksichtigung einer „Risikoprämie“ (d.h. eines Risikozu- oder -abschlags) innerhalb der zu erwirtschaftenden operativen Marge entscheidend. Wechselwirkung zwischen Risiko und Verrechnungspreismethodik. Ausgehend von dem kaufmännischen Gewinnmaximierungsprinzip wird ein ordentlicher und gewissenhaft handelnder Geschäftsleiter eines Unternehmens („hypothetischer Fremdvergleich“) regelmäßig nur dann unternehmerische Risiken eingehen, wenn sich diese Risiken übersteigende „Gewinnchancen“ ergeben. In diesem Zusammenhang wird der ordentlich und gewissenhaft handelnde Geschäftsleiter zugleich versuchen, offene Risikopositionen durch entsprechende Sicherungsgeschäfte zu schließen, wenn unklar ist, ob die gegebenen „Gewinnchancen“ die vorhandenen Risiken bei Vornahme eines Geschäfts übersteigen. Relevant ist diese Untersuchung im Hinblick auf die Frage, ob zusätzlich zu einem Geschäftsvorfall gesonderte Risikovergütungen erforderlich sind.1
4.44
OECD-Standpunkt. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Sichtweise der OECD zu der Frage, inwieweit die Allokation von Risiken mit der Wahl der Verrechnungspreismethode korreliert.2 Anerkannt zu sein scheint nach OECD-Auffassung, dass die Wahl der Kostenaufschlagsmethode oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) stets in einem „Low-risk“-Verrechnungspreisumfeld („low risk environment“) erfolgt. Zunächst spricht sich die OECD dafür aus, zwischen dem tatsächlichen „pricing arrangement“ und der Wahl der Verrechnungspreismethode (zur Simulation eines Fremdvergleichspreises) zu differenzieren. Auf Grundlage dessen soll schließlich die Frage beantwortet werden, ob und inwieweit das „pricing arrangement“ die Risikoallokation zutreffend reflektiert. Allerdings spricht sich die OECD eindeutig dafür aus, dass der Risiko-Charakter eines Geschäftsvorfalls (d.h. die risikoschwache bzw. risikostarke Ausgestaltung von Rechten und Pflichten einer Partei in ihrem geschäftlichen Kontakt zu einer nahe stehenden Person) darüber zu entscheiden hat, welche sachgerechte Verrechnungspreismethode der Bepreisung zugrunde zu legen ist.3
4.45
Ansatzpunkt der deutschen Finanzverwaltung. Die deutsche Finanzverwaltung scheint einer anderen Auffassung zu folgen. Insbesondere bei der
4.46
1 Siehe auch Puls, IStR 2010, 89. 2 Tz. 9.44 OECD-Leitlinien 2010. 3 Tz. 9.46 Satz 3 OECD-Leitlinien 2010 („Thus, it is the low (or high) risk nature or a business that will dictate the selection of the most appropriate transfer pricing method, and not the contrary.“).
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
Frage nach den Anwendungsvoraussetzungen der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode vertritt die Finanzverwaltung die Ansicht, die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode sei ausschließlich auf funktions- und risikoschwache Routine-Unternehmen sachgerecht anzuwenden (Rz. 5.159). In diesem Zusammenhang geht die Finanzverwaltung – im Vergleich zur OECD – genau den umgekehrten Weg.1 Gleiches gilt für die Anwendung der Profit-Split-Methode, die nach Ansicht der Finanzverwaltung nur für Unternehmen mit Entrepreneur-Stellung in Betracht kommt (Rz. 5.160).2 Noch offensichtlicher wird diese Sichtweise bei Betrachtung der VWG-Funktionsverlagerung.3 Hier soll die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV (Verlagerung von Funktionen auf Routine-Unternehmen) nur dann zur Anwendung gelangen können, wenn die Entlohnung des funktionsaufnehmenden Unternehmens auf Grundlage der Kostenaufschlagsmethode oder auf einer kostenbasierten geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode erfolgt.4 Die Wahl der Verrechnungspreismethode soll damit über die Risikoallokation (und letztlich über den Routine-Charakter des funktionsaufnehmenden Unternehmens) entscheiden.
4.47
Kritik. Diese Sicht der Dinge ist wenig einleuchtend. Sachgerecht wäre es stattdessen, in Anlehnung an die OECD-Leitlinien zunächst den RisikoCharakter des Geschäftsvorfalls zu bestimmen und davon ausgehend die Wahl der sachgerechten Verrechnungspreismethode zu treffen. Denn ist der Risiko-Charakter der in Rede stehenden Geschäftsvorfälle dem Grunde nach anzuerkennen, so ist daran die Frage nach der Wahl der sachgerechten Verrechnungspreismethode anzuschließen. Der Risiko-Charakter eines Geschäftsvorfalls hat dann in einem zweiten Schritt Reflexwirkungen auf das Funktions- und Risikoprofil der Parteien – und nicht umgekehrt. Die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung birgt das Risiko, methodische Überlegungen der Verrechnungspreisbildung mit Aspekten der Funktions- und Risikoanalyse in unzulässiger Weise zu vermengen. Die Verwaltungsauffassung ist daher weder schlüssig, noch systematisch zutreffend.
4.48
Risikostrukturierung im Konzern. Im Rahmen der Risikoanalyse ist auch zu bedenken, welcher Systemansatz zur Risikostrukturierung innerhalb einer Unternehmensgruppe implementiert worden ist. Werden unternehmerische Hauptrisiken bei einem Unternehmen gebündelt, so hat dies wiederum Ausstrahlungswirkung auf die Unternehmenscharakterisierung (Rz. 4.60 ff.). Insoweit ist auch von Interesse, wie sich eine Risiko1 BMF v. 12.4.2005 – IV B Tz. 3.4.10.3 Buchst. b. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B Tz. 3.4.10.3 Buchst. b. 3 BMF v. 13.10.2010 – IV 2010, 774 Tz. 66, 67. 4 BMF v. 13.10.2010 – IV 2010, 774 Tz. 66, 67.
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4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I
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C. Risikoanalyse
bündelung auf die dahinter liegenden Gewinnchancen auswirkt. Die Entscheidung, wie unternehmerische Risiken im Konzern strukturiert werden sollen, ist eine unternehmerisch-strategische Entscheidung der Geschäftsleitung, die von der Finanzverwaltung grundsätzlich anzuerkennen ist. Risikobündelung. Verfügt bspw. ein Unternehmen über entsprechendes Personal und Know-how zur Durchführung entsprechender Risikomanagementtätigkeiten, so kann auf Ebene dieses Unternehmens eine Risikobündelung – bspw. auf Grundlage bestimmter Vertragsregelungen, welche die Risiken diesem Unternehmen zuordnen – betriebswirtschaftlich zweckmäßig erscheinen lassen.1 Beispielhaft hierfür sind sog. Central-Entrepreneur-Modelle zu nennen, bei denen die Vertriebseinheiten funktions- und risikoschwach aufgestellt sind, während die Hauptrisiken des Vertriebs – wie bspw. allgemeines Marktrisiko, Absatzrisiko, Produktstrategierisiko, Gewährleistungsrisiko, Währungsrisiko etc. – bei einer zentralen Einheit gebündelt werden, welche diese Risiken durch geeignete Maßnahmen (bspw. Masseneffekte bei der Produktbeschaffung, Währungsswaps etc.) minimieren kann. Erklärt sich ein Unternehmen zur Risikoübernahme bereit, so wird es dies nur unter Berücksichtigung der Risikoeintrittswahrscheinlichkeit und infolgedessen unter Gewährung einer angemessenen Risikoprämie tun (Kompensationsgedanke). Denn das risikoübernehmende Unternehmen muss seinerseits Risikovorsorge treffen, etwa in Gestalt einer bestimmten Kapitalausstattung, eines bestimmten Risikomanagement-Know-hows und des Beherrschens bestimmter Sicherungstechniken wie bspw. Hedging-Aktivitäten, Risikoabsicherung durch Optionsgeschäfte, Währungs- oder Zinsswaps etc. Hierbei gilt grundsätzlich, dass von der Unternehmensleitung getroffene Entscheidungen zur Risikoallokation von der Finanzverwaltung nicht ohne weiteres bestritten werden können und daher zu akzeptieren sind.2 Auf Grundlage einer in den OECD-Leitlinien enthaltenen Grafik lässt sich eine fremdvergleichskonforme Risikoallokation im grenzüberschreitend tätigen Konzern in diesem Zusammenhang wie folgt illustrieren3:
1 Tz. 1.49, 1.50 OECD-Leitlinien 2010; vgl. dazu auch die Grundlagen der sog. Portfoliotheorie von Markowitz, Portfolio Selection, Journal of Finance 1952, 77. 2 Vgl. auch Tz. 9.22, 9.39 OECD-Leitlinien 2010. 3 Tz. 9.33 OECD-Leitlinien 2010.
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301
4.49
Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
Fremdvergleichskonforme Risikoallokation auf Basis entsprechender Vergleichsdaten
Besteht die Möglichkeit des Nachweises einer ähnlichen Risikoallokation zwischen fremden Dritten?
Welche Partei hat die bessere Möglichkeit einer Risikokontrolle? Hat diejenige Partei, auf die das Risiko allokiert worden ist, die finanziellen Ressourcen, dies auch zu tragen?
Wäre eine ähnliche Risikoallokation auch zwischen fremden Dritten vorgenommen worden?
Qualität der Funktions- und Risikoanalyse
4.50
Wahrscheinlichkeit einer ähnlichen Risikoallokation zwischen fremden Dritten bei vergleichbaren Verhältnissen
Ermittlung einer Risikoprämie. Die Bestimmung einer Entlohnung für die Übernahme von Risiken (Risikoprämie) hängt in erster Linie von der Art des Grundgeschäfts und der damit verbundenen Risiken ab, die wirtschaftlich abgesichert werden sollen. Möglich ist insoweit zunächst, auf die aus einem weitgehend risikolosen Kapitaleinsatz (bspw. Bundesschatzbrief) resultierende Marge abzustellen und diese mit der aus dem zu untersuchenden Kapitaleinsatz resultierenden Marge zu vergleichen. Aus dieser Differenz ist ableitbar, ob und inwieweit das risikoübernehmende Unternehmen eine Risikoprämie für die Übernahme des Risikos verlangen kann. Ein anderer, vornehmlich in der „Financial Industry“ gewählter Ansatz geht dahin, Marktrisiken auf Basis des sog. Value-at-Risk-Ansatzes (VaR) abzuschätzen (Rz. 4.40). Der VaR-Ansatz schätzt den höchstmöglichen, aus gegebenen Risiken resultierenden Verlustbetrag für eine bestimmte zukünftige Periode ab. Darauf aufbauend kann das risikoübernehmende Unternehmen die Risikopositionen limitieren und den Kapitaleinsatz risikoadäquat im Unternehmen steuern.1
1 Vgl. Eisele, Value-at-Risk-basiertes Risikomanagement in Banken, 87 ff.; Wolke, Risikomanagement2, 27, 31 f., 34 f.
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C. Risikoanalyse
III. Grundformen betrieblicher Risiken Allgemeines. Im Rahmen der Ausübung von Produktions-, Vertriebs- und Dienstleistungsfunktionen sind insbesondere die nachfolgend aufgeführten Risiken bei der Risikoanalyse zu untersuchen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob und inwieweit das risikoübernehmende Unternehmen zu einer tatsächlichen Risikotragung in der Lage ist. Im Zusammenhang mit der Untersuchung der übernommenen Risiken ist daher auch zu hinterfragen, welche Materialisierungswahrscheinlichkeit mit einem bestimmten Risiko verbunden ist.
4.51
Abhängigkeit von Organisationsform und zivilrechtlicher Haftung. Die Antwort auf diese Fragestellung hängt u.a. davon ab, welche Risiken mit der Organisationsform des Unternehmens verbunden sind und welche zivilrechtliche Haftung hieraus resultieren kann. So wird bspw. ein Produktionsunternehmen, das in der Organisationsform eines Lohnfertigers tätig wird, nicht mit Produktstrategierisiken oder Absatzrisiken konfrontiert sein.
4.52
Übersicht. Die nachfolgende Übersicht beinhaltet die im Rahmen der jeweiligen Funktionsausübung in den Bereichen Produktion, Vertrieb und Dienstleistung grundsätzlich in Erwägung zu ziehenden funktionstypischen Risiken. Inwieweit diese Risiken sich bei der jeweiligen unternehmerischen Organisationsform materialisieren können, ist im Einzelnen den Ausführungen in Kap. 6 zu entnehmen.
4.53
Produktion
Vertrieb
Dienstleistung +
Allgemeines Markt- u. Wettbewerbsrisiko
+
+
Produktstrategierisiko
+
(+)
Produktrisiko
+
(+)
Schlechtleistungsrisiko
+
Technisches Fehlinvestitionsrisiko
+
Vertriebsstrategierisiko
+
(+)
Lagerhaltungsrisiko
+
+
Forderungsausfallrisiko
+
+
Gewährleistungsrisiko
+
+
Währungsrisiko
+
+
+
+
+
Regulatorisches Risiko
+
Umwelthaftungsrisiko
+
Auslastungsrisiko
+
+
(+) (+)
+
Transportrisiko
+
+
Know-how-Verlustrisiko
+
(+)
+
Liquiditätsrisiko
+
+
+
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
IV. Risiken bei E-Commerce-Tätigkeiten 4.54
Besondere Fallsituation. Bei unternehmerischen Aktivitäten, die online über das Internet abgewickelt werden, ist der Frage nach der Risikoanalyse aus einem anderen Blickwinkel nachzugehen. Virtuelle Unternehmenstätigkeiten sind u.a. dadurch geprägt, dass für die eigentliche Tätigkeitsausführung – bspw. Vertrieb von Softwareprodukten über das Internet (SaaS) – kein unmittelbarer Personaleinsatz erforderlich ist. Im Bereich des vorgenannten Vertriebsbeispiels in Rz. 5.30 erfolgt die Vertriebstätigkeit weitgehend automatisiert über Serveraktivitäten. Personaleinsatz ist i.d.R. lediglich zu Kontroll- und Wartungszwecken notwendig.
4.55
Folgen für das Risikoprofil. Die Automatisierung der Vertriebstätigkeit hat wiederum Folgewirkungen auf die „Risikolandschaft“ eines Unternehmens. Beschränken sich die Tätigkeiten auf das reine „TransactionProcessing“ (Aufrechterhalten der Serververbindung, Anmeldung und Registrierungsüberwachung des Kunden etc.), so sind sämtliche humanbezogene Vertriebsrisiken eines Unternehmens – wie bspw. Qualitätsmängel im Vertrieb, Verlust von Vertriebs-Know-how etc. – im Rahmen der Analyse des Risikoprofils nicht relevant. Da der Online-Vertrieb zudem im Regelfall über Vorkassenzahlungen (bspw. über Kreditkartenanbieter) vollzogen wird, ergeben sich erhebliche Auswirkungen auf das Forderungsausfallrisiko.1 Als Risikopositionen, die von Bedeutung sind, verbleiben sonach lediglich allgemeine Markt- und Absatzrisiken, das Risiko des Anbietens von wenig nachgefragten (weil z.B. technisch nicht mehr aktuellen) Produkten, ggf. das Währungsrisiko sowie ein technologiebezogenes Risiko (bspw. Einsatz fehlerhafter Hard- und Software).
V. Verlagerung von Risiken 4.56
Kaufmännische Rationalität. Verlagerungen von Risiken können bspw. im Rahmen einer nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG tatbestandlichen Funktionsverlagerung erfolgen (vgl. zu Funktionsverlagerungen Kap. 7). Werden bestimmte betriebliche Funktionen auf ein anderes verbundenes Unternehmen transferiert, so geht dies regelmäßig mit einer entsprechenden Übertragung der insoweit bestehenden (wirtschaftlichen) Risiken, die aus der Funktionsausübung folgen, einher (vgl. § 1 Abs. 3 FVerlV zum Begriff des „Transferpakets“). Eine Verlagerung von Risiken kann aber auch außerhalb von Funktionsverlagerungen erfolgen, bspw. durch das Anpassen von vertraglichen Regelungen, die bei Schlechtleistung zivilrechtlich in bestimmte Haftungstatbestände münden können. Ein Risikotransfer kann daher immer dann in Betracht gezogen werden, wenn eine Bündelung von Risiken ökonomische Vorteile bescheren kann, etwa durch eine optimierte Risikomanagementorganisation oder das Erzielen von Risikoarbitrage. Werden Risiken außerhalb von Funktionsverlagerungstat1 Vgl. auch OECD Tax Policy Study E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, Tz. 52 ff.
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C. Risikoanalyse
beständen (bspw. durch Vertragsänderungen) transferiert, so ist auf Grundlage des Fremdvergleichsgrundsatzes allerdings zu berücksichtigen, dass ein ordentlich und gewissenhaft handelnder Geschäftsleiter einer Risikoübernahme i.d.R. nur bei entsprechender Kompensation zustimmen würde; dies setzt regelmäßig die Messbarkeit bzw. die Bewertbarkeit eines Risikos voraus. Werden bspw. aufgrund von abgeänderten vertraglichen Regelungen Lager- oder Transportrisiken auf den Abnehmer delegiert, indem die Frachtbestimmungen eines Liefervertrags modifiziert werden, so würde in einer Fremdvergleichssituation eine Anpassung des Preises dahingehend erfolgen, dass das Aufwenden einer eigenen Risikoprämie zur Absicherung der übernommenen Risiken in angemessener Weise Niederschlag in der Kalkulation des Abnehmers finden muss. Risikokontrolle. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die letztendliche Kontrolle eines Risikos für die Zurechnung ausschlaggebend sein kann. Wenn die Risikokontrolle auf ein anderes Unternehmen outgesourct worden ist, das outsourcende Unternehmen aber gleichwohl die Leitlinien der Risikobeobachtung und Risikoadministrierung vorgibt und sich die wesentlichen Risikomanagemententscheidungen vorbehält, kann dies die Annahme rechtfertigen, dass das outsourcende Unternehmen immer noch als „Risikoträger“ zu qualifizieren ist.1 In den OECD-Leitlinien sind hierzu Fallbeispiele enthalten, die sich letztlich danach ausrichten, wer die „Letztentscheidungsbefugnis“ im Hinblick auf das Risikomanagement besitzt.2 Diesem „Letztentscheidungsträger“ ist – so die OECD-Auffassung – auch das Risiko aus Verrechnungspreisperspektive zuzuordnen.
4.57
VI. Risikoanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation Keine Darstellungsvorgaben. § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV sowie die VWGVerfahren sprechen lediglich von einer „Funktions- und Risikoanalyse“ und versuchen, bestimmte Beispielssachverhalte für eine Illustration des gewünschten Dokumentationsinhalts zu vermitteln.3 Ferner wird auf die VWG 1983 verwiesen, in denen ebenfalls der Begriff einer Risikoverteilung im Konzern aufgegriffen worden ist. Wie eine Analyse der Risiken letztlich erfolgen soll und wie eine wirtschaftliche Gewichtung der Risiken hinsichtlich ihres Einflusses auf die Verrechnungspreisermittlung durchgeführt werden kann, ist in das Ermessen des Steuerpflichtigen gestellt. Die Tatsache, dass es dem Steuerpflichtigen gestattet ist, die Darstellung der (Funktionen und) Risiken auf Grundlage eines „Star-Charts“ darzulegen, lässt allerdings erkennen, dass es der Finanzverwaltung letztlich nur auf eine überblicksartige Einschätzung der (übernommenen 1 Tz. 9.23, 9.24 OECD-Leitlinien 2010. 2 Tz. 9.25 bis 9.27 OECD-Leitlinien 2010. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.4.
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4.58
Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
Funktionen und) eingegangenen Risiken anzukommen scheint. Näheres hierzu wird in Kap. 8 ausgeführt.
4.59
Dokumentarischer Erkenntniswert. Das Ergebnis der in der Verrechnungspreisdokumentation enthaltenen Risikoanalyse ist – nach Maßgabe der VWG-Verfahren – darauf gerichtet, folgenden Erkenntniswert zu schaffen: – Beantwortung der Frage nach der Unternehmenscharakterisierung (Routineunternehmen, Mittelunternehmen oder Strategieführer); – Beantwortung der Frage, welche Verrechnungspreismethode am sachgerechtesten erscheint; – Beantwortung der Frage, welcher Anteil der Gesamtwertschöpfung dem Unternehmen zukommen muss und ob dieser Anteil in der erzielten Marge des Unternehmens angemessen reflektiert wird.
D. Einfluss des Funktions- und Risikoprofils auf die Unternehmenscharakterisierung I. Grundlagen 4.60
Konsistenz zwischen Unternehmenstyp und Ergebniserwirtschaftung. Sind ausgeübte Funktionen, übernommene Risiken sowie eingesetzte (materielle und immaterielle) Wirtschaftsgüter identifiziert und lokalisiert worden, so lassen sich darauf aufbauend bestimmte Unternehmenstypen ausmachen. Hintergrund dieser Klassifizierung in sog. Unternehmenstypen ist letztlich die Frage, ob das von einem verbundenen Unternehmen mit einem bestimmten Funktions- und Risikoprofil erwirtschaftete Ergebnis in Einklang mit den ausgeübten Funktionen, der Funktionstiefe und dem wirtschaftlichen Wert der Funktionen, den übernommenen Risiken und ihrer (wirtschaftlichen) Tragweite im Fall der Risikomaterialisierung sowie den eingesetzten Wirtschaftsgütern steht („Quasi-Verprobung“ auf Basis des aggregierten Nettoergebnisses). Den OECD-Leitlinien folgend soll das Ergebnis aus Geschäftsvorfällen mit verbundenen Unternehmen daher mit der Quantität und der Qualität der ausgeübten Funktionen, eingegangenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgütern der beteiligten Transaktionsparteien korrelieren.1
4.61
VWG-Verfahren.2 International anerkannt ist eine Zweiteilung der Unternehmenstypen in sog. Routineunternehmen und sog. Strategieführer (Entrepreneure).3 Die deutsche Finanzverwaltung hingegen erweitert diese Einteilung um eine gewissermaßen „hybride“ Form4, ein sog. Mittel1 2 3 4
Tz. 1.47 OECD-Leitlinien 2010. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570. Siehe hierzu auch Wellens/van der Ham, DB 2012, 1534. Vgl. auch Tucha/Brem, IStR 2006, 499.
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D. Einfluss auf die Unternehmenscharakterisierung
unternehmen, das zwischen dem Strategieführer und dem Routineunternehmen angesiedelt sein soll. Der Hintergrund dieser weiteren Differenzierung dürfte in der Absicht der Finanzverwaltung zu erblicken sein, den Anwendungsbereich der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode im Ergebnis signifikant zu beschränken (Rz. 5.159).1 Denn nach Ansicht der Finanzverwaltung soll lediglich bei reinen Routineunternehmen eine Angemessenheitsdokumentation auf Grundlage einer datenbankgestützten Nettomargenanalyse erfolgen dürfen. Hintergrund dieser Sorge ist, dass je stärker das Unternehmensprofil durch den Einsatz immaterieller Wirtschaftsgüter gekennzeichnet ist, auch die Wahrscheinlichkeit einer fehlenden Übereinstimmung mit dem Funktions- und Risikoprofil identifizierter „Vergleichsunternehmen“ zunehmen wird. Demzufolge sollen für sog. Mittelunternehmen lediglich Planrechnungen in Betracht kommen, deren Netto-Ergebnisse einer Soll-/Ist-Verprobung unterliegen.2 Damit läuft das Instrument der Planrechnung allerdings im Ergebnis auf die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode hinaus, deren Anwendbarkeit von der Finanzverwaltung gerade verhindert werden soll.3 Abgesehen davon muss das Heranziehen von datenbankgestützten Nettoergebnisvergleichswerten bei Mittelunternehmen bereits deswegen zulässig sein, weil dadurch erstens das „ernsthafte Bemühen“ des Steuerpflichtigen manifestiert wird, die Angemessenheit seiner Verrechnungspreise darzulegen, sowie zweitens eine objektive Verprobung und Plausibilisierung des Unternehmensergebnisses ermöglicht wird.4
II. Eigenschaft als Strategieführer (Entrepreneur) Strategieführer. Als Strategieführer wird ein Unternehmen in einem Gesamtunternehmen bzw. Konzern bezeichnet, das die wesentlichen, für die Gesamtwertschöpfung ausschlaggebenden Funktionen ausübt, entsprechende wirtschaftliche Risiken übernimmt und in größerem Umfang (immaterielle) Wirtschaftsgüter einsetzt. Durch sein ausgeprägtes Funktions- und Risikoprofil tragen die Tätigkeiten des Strategieführers maßgeblich zur Materialisierung von Gewinnchancen bei. Die Strategieführereigenschaft kennzeichnet sich innerhalb einer Unternehmensgruppe regelmäßig dadurch, dass der Strategieführer die wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter in seinem Eigentum bzw. seinen Verfügungsrechten hält. Zugleich sind regelmäßig sämtliche Entscheidungsträger im Konzern auf Ebene des Strategieführers angesiedelt.5 Typische Tätigkeitsbeispiele für Strategieführer sind bspw. die Bestimmung des Produktsorti1 Schreiber in Kroppen, Handbuch der Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 158. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. c und Tz. 3.4.12.6. 3 Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549. 4 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 269; s. auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWGVerfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b. 5 Tucha/Brem, IStR 2006, 499.
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4.62
Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
ments, die Festlegung der Markt- und Preisstrategie, Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten (keine Auftragsforschung), die zentrale Kundengewinnung und Werbe- bzw. Marketingaktivitäten.
III. Unternehmen mit sog. „Routine“-Funktionen 4.63
Allgemeines. Routineunternehmen kennzeichnen sich dadurch, dass sie technisch wie organisatorisch einfache Funktionen ausüben und dementsprechend lediglich geringe wirtschaftliche Risiken tragen. Im Gegenzug erwirtschaften Routineunternehmen geringere, jedoch stabile Gewinne. Der Einsatz von (immateriellen) Wirtschaftsgütern und Know-how ist im Vergleich zum Strategieführer stark eingeschränkt. Tätigkeitsbeispiele für das „Routineunternehmen“ sind Lohn- bzw. Auftragsfertigungstätigkeiten, Erbringung einfacher Dienstleistungen (z.B. unternehmensinterne Verwaltungsdienstleistungen), Lagerhaltung, Kundenbetreuung, sog. Low-Risk-Vertriebstätigkeiten (einschließlich Kommissionärstätigkeiten) ohne Einfluss auf Produkt-, Preis- oder Marketingentscheidungen.1
4.64
Rolle immaterieller Wirtschaftsgüter bei Routineunternehmen. Routineunternehmen können selbstverständlich auch dann vorliegen, wenn diese Unternehmen über eigene (immaterielle) Wirtschaftsgüter verfügen. Die Finanzverwaltung schränkt diese Sichtweise dahingehend ein, dass Routineunternehmen „nur in geringem Umfang“ Wirtschaftsgüter einsetzen dürfen.2 Diese Wertung ergibt sich nach Auffassung der Finanzverwaltung bereits spiegelbildlich aus der Feststellung, dass Entrepreneure über die (für die Durchführung der Geschäftstätigkeiten) wesentlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter verfügen müssten. Kennzeichnend für die Stellung eines Routineunternehmens ist daher nach Ansicht der Finanzverwaltung die „Austauschbarkeit“ des Unternehmens in der Gesamtwertschöpfungskette. Grundsätzlich ist die Annahme sachgerecht, dass Routineunternehmen in aller Regel durch ein geringes Maß an eigenen – vor allen Dingen immateriellen – Wirtschaftsgütern gekennzeichnet sind. Dies darf jedoch nicht zu der Vorstellung verleiten, dass ein Unternehmen über keinerlei (immaterielle) Wirtschaftsgüter, die für seine Unternehmenstätigkeiten von Bedeutung sind, verfügen darf, ohne seinen Status als Routineunternehmen einzubüßen. Beispielhaft ist hier die Tätigkeit als sog. Low-Risk Distributor (LRD) zu erwähnen, der selbstverständlich über einen – zivilrechtlich – eigenen Kundenstamm verfügen muss, da er – obgleich risikolimitiert – im eigenen Namen und für eigene Rechnung handelt. Das Wirtschaftsgut „Kundenstamm“ kann für den LRD hierbei auch von großer Bedeutung sein, denn ohne einen eigenen Kundenstamm könnte der LRD die Vertriebstätigkeit bereits nicht im eigenen Namen ausüben. Entscheidend für den Status als Routineunterneh1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2 Buchst. a.
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D. Einfluss auf die Unternehmenscharakterisierung
men müssen daher stets die wirtschaftlichen Risiken sein, die für das Unternehmen aus der Gesamttätigkeit resultieren. Sind diese bei einem LRD nur kommissionärsähnlich ausgeprägt, da der LRD als Vertreiber von wesentlichen wirtschaftlichen Risiken ausgenommen ist, so ist das Unternehmen als Routineunternehmen zu qualifizieren. Dieser Gedanke scheint schlussendlich auch von der Finanzverwaltung anerkannt zu werden.1 Entscheidend für den Status als Routineunternehmen ist daher vornehmlich das Risikoprofil des Unternehmens. Die Ausstattung mit materiellen bzw. immateriellen Wirtschaftsgütern ist demgegenüber nachrangig und kann nur indizielle Bedeutung haben.
IV. Eigenschaft als Mittelunternehmen Unklare Tatbestandsmerkmale. Die Eigenschaft als sog. Mittelunternehmen wird von der Finanzverwaltung tatbestandlich nicht näher definiert. Mittelunternehmen sollen – so die Andeutungen der Finanzverwaltung in den VWG-Verfahren – im Hinblick auf ihre Funktions- und Risikoprofilausprägung zwischen den Unternehmenstypen „Strategieführer“ und „Routineunternehmen“ angesiedelt sein. Unklar bleibt jedoch, wie in der Praxis eine sachgerechte Abgrenzung erfolgen soll. Gleichwohl sind in der Praxis viele Unternehmen als Mittelunternehmen zu qualifizieren, weil sie weder reine Strategieführer noch reine Routineunternehmen verkörpern.
4.65
Literaturauffassung. Nach einer Auffassung soll der Begriff des übernommenen „Risikos“ ausschlaggebend sein, wobei zwischen einem „bestimmbaren Risiko“ und einer „koordinierten Unsicherheit“ zu unterscheiden sein soll. Die Entrepreneur-Eigenschaft soll innerhalb von konzerninternen Wertschöpfungsprozessen immer dann naheliegen, wenn eine Partei ein intern oder extern absicherbares Risiko eingeht und dies auch in der Kostenkalkulation i.S. einer Versicherungsprämie berücksichtigt wird. Dem Begriff der „Unsicherheit“ mangelt es demgegenüber an einer hinreichenden Konkretisierung, so dass ein Unternehmer nur versuchen kann, die gegebene „Unsicherheit“ durch betriebswirtschaftlich sinnvolle Koordinierungstätigkeiten zu beherrschen. Andererseits wird vorgeschlagen, auf den Einsatz der zur Verfügung stehenden wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter, welche für den Unternehmenserfolg entscheidend sind, abzustellen.2
4.66
Kritik. Letztgenannter Auffassung dürfte in der Praxis die größte Aufmerksamkeit zukommen, da der Einsatz wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter – und damit die Eigenschaft als „Know-how tragende Unternehmenseinheit“ – sich bereits nach den Dokumentationsvorschriften (vgl. § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV) feststellen lassen muss (vgl. zu den
4.67
1 So im Ergebnis BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a Satz 2. 2 Vgl. Rasch/Rettinger, BB 2007, 353.
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
Dokumentationsvorschriften Kap. 8). Zudem kann das auf Ebene eines Unternehmens verfügbare Know-how auch zur Risikoverhinderung bzw. -minimierung eingesetzt werden. Letzteres ist für die Fragestellung nach der Unternehmenscharakterisierung von entscheidender Bedeutung. Ferner ist zu bedenken, dass die Zuordnung von wirtschaftlichen Risiken innerhalb einer Unternehmensgruppe verschiedenen ökonomischen Dogmen folgen kann. So ist möglich, dass die Zuordnung von Risiken zum einen zu einer Unternehmenseinheit erfolgt, welche jene Risiken durch den Einsatz bestimmter Sicherungsinstrumente und Hedging-Strategien bestmöglich absichern kann (Motiv der „Risikobeherrschbarkeit“). Zum anderen können Risiken nach Maßgabe der wirtschaftlichen Auswirkung einer Risikomaterialisierung auf eine bestimmte Unternehmenseinheit zugeordnet werden (Motiv der geringstmöglichen Risikoauswirkung). Inwieweit diese unterschiedlichen Risikosteuerungs- und Risikoallokationsansätze Einfluss auf die Unternehmenscharakterisierung als Mittelunternehmen haben, wird auch in der Literatur nicht weiter vertieft. Für die Fragestellung nach der Unternehmenscharakterisierung wird letztlich entscheidend sein, welches Investitionsrisiko das betreffende Unternehmen wirtschaftlich tragen muss. Ist das Investitionsrisiko nur schwach oder allenfalls mittelstark ausgeprägt (was sich beispielsweise in einer – relativ – stabilen, volatilitätsreduzierten operativen Marge ausdrücken kann), so ist zumindest eine Entrepreneur-Stellung ausgeschlossen.
E. Wertschöpfungsanalyse I. Identifizierung von Werttreibern und Wertbegrenzern 4.68
Allgemeines. Ausgeübte Funktionen, übernommene Risiken sowie eingesetzte Wirtschaftsgüter besitzen eine Reflexwirkung auf den Erfolgsbeitrag, den ein Unternehmen zur Wertschöpfung leisten kann. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist der Wertschöpfungsbeitrag infolgedessen als Differenz zwischen dem Marktpreis (Preisreferenz) einer Leistung und den vom Leistungserbringer bezogenen bzw. aufgewendeten Vorleistungen zu qualifizieren.1 Als Wertschöpfungskette wird demgemäß die strukturierte Aneinanderreihung von verschiedenen Leistungserbringungsstufen (als Prozesselemente) innerhalb einer Unternehmensgruppe bezeichnet.2 Erkenntnisziel der Betrachtung der Wertschöpfung eines Unternehmens innerhalb einer Wertschöpfungskette soll sein, ob die Entlohnung eines verbundenen Unternehmens – gemessen an seinem Beitrag zur Wertschöpfungskette und damit zur Gesamtwertschöpfung einer Unternehmensgruppe – als angemessen betrachtet werden kann. Erforderlich 1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4. 11.5. 2 Vgl. nur Baulig, Begriff und Problematik der Erfassung der betrieblichen Wertschöpfung, 67 f.; Lachnit, Bilanzanalyse, 255 ff.
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E. Wertschöpfungsanalyse
ist daher – vor dem Hintergrund der gesamten Wertschöpfungskette – eine Gewichtung der ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken des Unternehmens vorzunehmen. Damit dient die Analyse der Wertschöpfung innerhalb eines Konzerns ebenfalls als Plausibilisierungs- bzw. Verprobungsinstrument, indem gefragt wird, ob die Gesamtentlohnung eines verbundenen Unternehmens in einer Fremdvergleichssituation sich auf einem ähnlichen Vergütungsniveau befinden würde. Angesichts der Tatsache, dass Angaben und Überlegungen zur Wertschöpfungsverteilung innerhalb einer Unternehmensgruppe häufig auch von der subjektiven Einschätzung des Betrachters abhängen,1 sind Wertungen der relativen „Wichtigkeit“ eines Wertschöpfungsbeitrags im Rahmen der Gesamtwertschöpfung kritisch zu hinterfragen, da diese Gewichtung nicht immer auf Grundlage von objektiven Sachverhaltselementen gestützt und plausibilisiert werden kann. Primäre und sekundäre Wertschöpfungsbeiträge. Namentlich Schreiber weist darauf hin, dass die deutsche Finanzverwaltung im Rahmen der Analyse von Wertschöpfungsbeiträgen sich an der Unterteilung in sog. primäre und unterstützende Kategorien orientiert.2 Primäre Wertschöpfungsbeiträge sind auf sämtliche Unternehmenstätigkeiten gerichtet, welche bspw. die Produktion von Waren und Gütern oder die Erbringung von Dienstleistungen umfassen, mithin gezielt produktiven Charakter in Gestalt unmittelbarer, für einen Leistungsempfänger greifbarer Leistungsresultate vermitteln. Unterstützende Wertschöpfungsbeiträge sind demgegenüber darauf gerichtet, die o.g. Produktivtätigkeiten erst zu ermöglichen bzw. die damit verbundene Leistungserbringung aufrecht zu erhalten.
4.69
Wertschöpfungsanalyse anhand von Unternehmenskennzahlen. Weitergehend ist eine Analyse und Gewichtung der Wertschöpfungsbeiträge auch anhand bestimmter Unternehmenskennzahlen möglich. So kommt – neben weiteren Ansätzen zur Beleuchtung der Arbeits- und Kapitalproduktivität und der damit einhergehenden Wertschöpfungsquote – insbesondere eine Analyse auf Basis der Erfolgsverteilung in der Unternehmensgruppe in Betracht.3 Demzufolge kann der Wertschöpfungsanteil im Rahmen einer Wertschöpfungsrechnung folgendermaßen bestimmt werden: „Produktionswert“ abzgl. „Vorleistungen“ = „Wertschöpfung“ nach Maßgabe einer Entstehungsrechnung.4 Ähnlich wie die handelsrechtliche
4.70
1 Vgl. Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei Internationalen Verrechnungspreisen, 113. 2 Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 177 unter Verweis auf Porter, Globaler Wettbewerb – Strategien der neuen Internationalisierung, 22. 3 Vgl. Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 1158. 4 Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 1158; Baulig, Begriff und Problematik der Erfassung der betrieblichen Wertschöpfung, 20 ff.
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
Gewinn- und Verlustrechnung besteht nämlich auch die Wertschöpfungsrechnung aus einer Erfolgsermittlungs- und Erfolgsverteilungsrechnung. Charakteristisch für die Wertschöpfungsrechnung ist – im Gegensatz zu der handelsrechtlichen Gewinn- und Verlustrechnung – jedoch eine „ausgedehntere“ Interpretation des Erfolgsbegriffs. Beispielhaft lässt sich dies für die Ausübung von Produktionstätigkeiten illustrieren. Realgüterwirtschaftlich ist die Wertschöpfung als der in einer bestimmten Periode erwirtschaftete Produktionsbeitrag zu begreifen, der im Rahmen des betrieblichen Leistungserstellungs- und Leistungsverwertungsprozesses den bereits von anderen Unternehmen empfangenen Vorleistungen hinzugefügt wird. Die Wertschöpfung ergibt sich infolgedessen aus der Differenz des gesamten Produktionswerts und der empfangenen Vorleistungen eines Unternehmens.
II. Wertschöpfungsanalyse bei Profit-Split-Modellen 4.71
Grundgedanke. Anhaltspunkte für das Erbringen von Wertschöpfungsbeiträgen sind in erster Linie der Funktions- und Risikoanalyse eines Unternehmens als (steuer-)rechtliche Einheit eines Konzerns zu entnehmen. Sind jedoch Unternehmenstätigkeiten funktional so stark miteinander verwoben, dass auf Basis einer Einzelunternehmensbetrachtung keine präzise, den wirtschaftlichen Umständen entsprechende sachgerechte Ermittlung der ausgeübten Funktionen und eingegangenen Risiken möglich und durchführbar ist, kann zur weiteren Funktions- und Risikoabgrenzung (und mithin zur Analyse der jeweiligen Wertschöpfungsbeiträge) eine Gesamtwertschöpfungsanalyse erforderlich werden. Im Rahmen dieser Gesamtwertschöpfungsanalyse ist der relative Wert der ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken wirtschaftlich zu analysieren, um letztlich bestimmen zu können, welche Vergütung in Anbetracht des Funktions- und Risikoprofils eines Unternehmens – im Verhältnis zu seinen verbundenen Transaktionsparteien – als angemessen gelten kann (Plausibilisierungsgedanke).
4.72
Vorgehensweise. Eine derartige Analyse der Wertschöpfung ist regelmäßig in Fällen sog. Profit-Split-Modelle bei Anwendung des sog. Residualgewinnaufteilungsansatzes erforderlich (Rz. 5.123 ff.), so dass folgende Analyseschritte vorgenommen werden müssen:1 – Zerlegung und Bestimmung der einzelnen Komponenten eines Geschäftsvorfalls mit verbundenen Parteien auf Basis der einzelnen Transaktionsschritte und -prozesse; – Bestimmung der Bedeutung dieser Transaktionsschritte und -prozesse sowie der eingesetzten Wirtschaftsgüter im Hinblick auf die Unternehmensgesamtwertschöpfung (relativer Wert); 1 Siehe dazu auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 179 f.
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E. Wertschöpfungsanalyse
– ggf. Bestimmung einer Basisvergütung für bestimmte, in diesem Zusammenhang vorgenommene Routine-Aktivitäten („unterstützende Wertschöpfung“, s. Rz. 5.131); – Verteilung des Anteils an der Gesamtwertschöpfung auf die einzelnen beteiligten Unternehmen einer Unternehmensgruppe bzw. eines Konzerns sowie Zuweisung des entsprechenden Gewinnanteils (bzw. Verlustanteils) als Residuum.
III. Darstellung der Wertschöpfungsanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation Regelung des § 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV. Die GAufzV verpflichtet den Steuerpflichtigen, im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und eine Darstellung seines Wertschöpfungsbeitrags im Verhältnis zu nahe stehenden Personen, mit denen Geschäftsbeziehungen bestehen, vorzunehmen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV („Darstellung des Wertschöpfungsbeitrags des Steuerpflichtigen …“) ist der Steuerpflichtige jedoch ausschließlich verpflichtet, seinen eigenen Wertschöpfungsbeitrag darzustellen und zu umschreiben. Für eine weitergehende Dokumentationsverpflichtung, die auch auf die Darstellung und Umschreibung der Wertschöpfungsbeiträge weiterer Konzerngesellschaften gerichtet ist, besteht keine Rechtsgrundlage.1 Auch die in § 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV enthaltene Verpflichtung zur „Beschreibung der Wertschöpfungskette“ bedeutet nicht, dass der Steuerpflichtige dazu angehalten ist, eine detaillierte Darstellung der jeweiligen Wertschöpfungsbeiträge aller in eine Geschäftsbeziehung involvierten (ausländischen) nahe stehenden Personen vorzunehmen. Die Verpflichtung zur Beschreibung der Wertschöpfungskette bedeutet lediglich, dass der Steuerpflichtige darzulegen hat, welche Parteien in die Geschäftsbeziehungen involviert sind und welche Aufgaben durch diese Parteien im Rahmen der bestehenden vertraglichen Beziehungen zur Leistungserbringung wahrgenommen worden sind. Diese Sichtweise wird auch durch die in der Begründung der GAufzV enthaltenen Aussagen bestätigt, wonach – so wörtlich – „die Beschreibung der Wertschöpfungskette wichtige Hinweise darauf geben kann, ob der Steuerpflichtige entsprechend seinem Wertschöpfungsbeitrag den im Fremdvergleich angemessenen Anteil am Ertrag erwirtschaftet hat“.2
4.73
Darstellung des Wertschöpfungsbeitrags „im Verhältnis zu nahe stehenden Personen“. Auch die Tatsache, dass der Steuerpflichtige nach § 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV zur Darstellung des Wertschöpfungsbeitrags „im Verhältnis zu nahe stehenden Personen“ verpflichtet ist, beinhaltet keine Verpflichtung zu einer quantitativen oder qualitativen Umschreibung der Wertschöpfungsbeiträge weiterer Konzerngesellschaften. Die Forderung
4.74
1 Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 34. 2 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 13 zu Buchst. b.
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Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse
des Verordnungsgebers, den eigenen Wertschöpfungsbeitrag „im Verhältnis zu nahe stehenden Personen“ darzustellen, soll es der Finanzverwaltung lediglich ermöglichen, die vom Steuerpflichtigen übernommenen Funktionen, Risiken und das daraus entstehende Wertschöpfungspotenzial im Einzelnen festzustellen und zu bewerten. Insoweit bedeutet die Verpflichtung, den eigenen Wertschöpfungsbeitrag des Steuerpflichtigen „im Verhältnis zu nahe stehenden Personen“ darzustellen, dass erkennbar werden soll, ob und inwieweit das Funktions- und Risikoprofil des Steuerpflichtigen mit demjenigen der nahe stehenden Personen übereinstimmt oder ggf. davon abweicht und inwieweit sich die Übereinstimmungen oder Abweichungen auf die Verrechnungspreisbildung niederschlagen müssen. Es ist jedoch in diesem Zusammenhang nicht Aufgabe des Steuerpflichtigen, Wertschöpfungsbeiträge der übrigen (in- und ausländischen) nahe stehenden Personen detailliert zu analysieren, darzulegen oder gar abschließend auf Gesamtunternehmensebene zu gewichten. Insoweit unterscheidet der Verordnungsgeber bewusst zwischen der Dokumentationsaufgabe gem. § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV, wonach Informationen über das Funktions- und Risikoprofil des Steuerpflichtigen und der nahe stehenden Personen darzulegen sind, und der Dokumentationsaufgabe des Steuerpflichtigen gem. § 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV, die sich neben der allgemeinen Beschreibung der Wertschöpfungskette lediglich auf die Beschreibung des eigenen Wertschöpfungsbeitrags des Steuerpflichtigen bezieht (vgl. Kap. 8).
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises Literatur Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung, 2004, 148; Baumhoff/Ditz/Greinert, Angemessenheit von Verrechnungspreisen gegenüber inländischen Vertriebsgesellschaften – Anmerkungen zum BFH-Urteil vom 6.4.2005, I R 22/04, IStR 2005, 592; Baumhoff in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Festschrift für Krawitz, Wiesbaden 2010, 21; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 133; Fischer/Kleineidam/ Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 2005, 688 f.; Freidank, Kostenrechnung8, München 2007; Baumhoff in Gocke/Gosch/M. Lang (Hrsg.), Festschrift für Wassermeyer, München 2009, 355; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied/Kriftel, 2001; Kilger/Pampel/Viskas, Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung12, Wiesbaden 2007; Kolb, Datenbankanalysen zu internationalen Verrechnungspreisen – Erfahrungen aus der Betriebsprüfung, IWB 2009, Fach 3 Gruppe 1, 2391; Hülshorst/Mank in Kroppen (Hrsg.), Handbuch internationale Verrechnungspreise, Köln 2013, OECD-Kap. II, Anm. 1; Schreiber in Kroppen (Hrsg.), Handbuch internationale Verrechnungspreise, Köln 2013, VerwGr. Verf. Anm. 1; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 2009; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, München 2011, 577; Oestreicher/Duensing, Eignung von Unternehmensdatenbanken zur Bestimmung der Verrechnungspreise an deutsche Vertriebsunternehmen, IStR 2005, 134; Tucha, Der Einsatz von Unternehmensdatenbanken im Rahmen von Verrechnungspreisanalysen – Möglichkeiten und Grenzen, IStR 2002, 745; Engler in Vögele/Borstell/Engler (Hrsg.); Verrechnungspreise–, München 2011, Rz. 351; Vögele/Raab in Vögele/Borstell/Engler (Hrsg.), Verrechnungspreise–, München 2011, Rz. 384; Sieker in Wassermeyer (Hrsg.), Doppelbesteuerung, München 2013, Art. 9 OCED-MA, Rz. 221.
A. Überblick Klassische Methoden. Die Konkretisierung des Fremdvergleichs der Höhe nach erfolgt durch sog. Verrechnungspreismethoden. Zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise kommen zunächst grundsätzlich die drei national wie international anerkannten und gebräuchlichen klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung – bisher häufig auch als Standardmethoden bezeichnet – in Betracht, nämlich – die Preisvergleichsmethode, – die Wiederverkaufspreismethode und – die Kostenaufschlagsmethode.
5.1
Gewinnorientierte Methoden. Daneben können zur Ermittlung des Fremdvergleichspreises nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG als eine „andere geeignete Methode“, nach den VWG-Verfahren wie nach den OECD-Leit-
5.2
Baumhoff
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
linien1 die sog. gewinnorientierten Methoden herangezogen werden. Hierbei sind die geschäftsvorfallbezogenen von den nicht-geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden zu unterscheiden. Als mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar werden national2 wie international3 nur die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden angesehen, nämlich die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM) und die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split-Method). Sie untersuchen die Gewinne aus verbundinternen Geschäftsvorfällen und vergleichen diese mit Gewinnen voneinander unabhängiger Unternehmen aus vergleichbaren Geschäftsvorfällen.
5.3
Globale Gewinnaufteilungsmethode. Dagegen ist die globale Gewinnaufteilungsmethode, bei der ein konsolidierter (Konzern-)Gewinn aller Konzerneinheiten ermittelt und anhand bestimmter Schlüsselgrößen (z.B. das eingesetzte Vermögen, die Lohnsumme oder der Umsatz) auf die nationalen Konzerngesellschaften aufgeteilt wird, nach Auffassung der OECD nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar. Sie wird von der OECD kategorisch abgelehnt und als „nicht realistische Alternative zum Fremdvergleichsgrundsatz“4 angesehen. Insofern steht sie nicht im Einklang mit Art. 9 OECD-MA. Die strikte Ablehnung der globalen formelhaften Gewinnaufteilungsmethode durch die OECD ist insbesondere auch im Hinblick auf die Bemühungen der EU zur Schaffung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB; „Common Consolidated Corporate Tax Base“ = CCCTB) als ausgesprochen bemerkenswert anzusehen. Diese haben bekanntlich nach 10-jährigen Vorarbeiten zur Veröffentlichung eines Richtlinienentwurfs der Europäischen Kommission am 16.3.2011 geführt, der auf eine Option zur GKKB abstellt.5
5.4
Gewinnvergleichsmethode. Nach Auffassung der OECD ist auch die Gewinnvergleichsmethode (Comparable-Profits-Method) mangels Transaktionsbezugs nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar.6 Hierbei geht die OECD davon aus, dass die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Allgemeinen auf einem transaktionsbezogenen Vergleich basiert.7 Kann dieser Transaktionsbezug jedoch dadurch hergestellt werden, dass die Betriebsgewinne einzelnen Geschäftsvorfällen zuordenbar sind, und besteht deshalb eine Vergleichbarkeit mit Fremdgeschäften, ge1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 – S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.3. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.3 Buchst. d. 3 Vgl. Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2010. 4 Tz. 1.21 OECD-Leitlinien 2010. 5 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), KOM (2011), 121/4. Siehe hierzu Lenz/Rautenstrauch, DB 2011, 726; Scheffler/ Krebs, DStR 2011, Beihefter zu Heft 22, 13; Förster/Krauß, IStR 2011, 607. 6 Vgl. Tz. 2.56 OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. Tz. 2.6 OECD-Leitlinien 2010.
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B. Klassische Methoden
nügt auch die Gewinnvergleichsmethode den Anforderungen an eine Vergleichbarkeitsanalyse i.S.d. OECD-Leitlinien.1 Insofern akzeptieren auch die OECD-Leitlinien die Gewinnvergleichsmethode als eine mit dem Fremdvergleich vereinbare Methode.2 Die deutsche Finanzverwaltung geht hingegen pauschal davon aus, dass die Gewinnvergleichsmethode nicht zu fremdvergleichskonformen Ergebnissen führt und lehnt diese Methode deshalb ab.3 Ebenso wird sie etwa in Großbritannien, Japan, Frankreich und den Niederlanden nicht als eigenständige Verrechnungspreismethode anerkannt.4 Gleichwohl ist in der Betriebsprüfungspraxis immer wieder festzustellen, dass es gerade gesamtunternehmensbezogene Renditevergleiche sind, die methodisch auf die Gewinnvergleichsmethode zurückgehen, mittels derer die Unangemessenheit von Verrechnungspreisen behauptet wird.
B. Klassische Methoden I. Preisvergleichsmethode 1. Vorgehensweise der Preisvergleichsmethode Form des tatsächlichen Fremdvergleichs. Die Preisvergleichsmethode orientiert sich zur Bestimmung von Verrechnungsentgelten an Preisen, die bei vergleichbaren Geschäften zwischen Fremden am Markt vereinbart werden (Marktpreise). Damit ist sie die einzige Methode, die zur Ermittlung von Vergleichstatbeständen einem tatsächlichen Fremdvergleich standhält. Entsprechend der Unterteilung des tatsächlichen Fremdvergleichs in einen innerbetrieblichen und einen zwischenbetrieblichen Vergleich lässt sich bei Anwendung der Preisvergleichsmethode zwischen einem – inneren Preisvergleich (betriebsindividuelle Preise) und einem – äußeren Preisvergleich (markt- oder branchenübliche Preise) unterscheiden. Wichtigste Voraussetzung für die Anwendung der Preisvergleichsmethode ist eine direkte Vergleichbarkeit oder zumindest indirekte Vergleichbarkeit (indirekter Preisvergleich) der Verhältnisse, wovon immer dann auszugehen ist, wenn sowohl die Art und Ausgestaltung der Vergleichsobjekte als auch die Nebenbedingungen des Vergleichsgeschäfts mit dem zu beurteilenden Geschäft in allen wesentlichen Ein1 Vgl. hierzu auch Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, D Rz. 385; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 2009, 56. 2 Vgl. Tz. 2.56 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.3 Buchst. d. 4 Siehe Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 2009, 56 m.w.N.
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5.5
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
zelheiten übereinstimmen oder abweichende Merkmale durch Korrekturen eliminiert werden können.
5.6
Identität der Leistungsbeziehungen? Demgegenüber verlangt der BFH in seinem Urteil vom 6.4.2005,1 dass die Preise „auf zumindest im Wesentlichen identischen Leistungsbeziehungen beruhen“. Mit der Forderung nach einer Identität der Leistungsbeziehungen werden zu hohe Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Verhältnisse gestellt. Vergleichbarkeit bedeutet nämlich keine Identität, also Deckungsgleichheit der Verhältnisse. Vielmehr ist Vergleichbarkeit bereits dann gegeben, wenn die Vergleichsobjekte ähnlich mit Bezug auf ihre wesentlichen Merkmale sind. Auch § 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AStG sowie die Finanzverwaltung fordern keine uneingeschränkte Vergleichbarkeit, vielmehr reicht unter bestimmten Umständen auch eine eingeschränkte Vergleichbarkeit.2
5.7
Preisbandbreiten. Lassen sich mit Hilfe der Preisvergleichsmethode im Einzelfall mehrere, unterschiedlich hohe Vergleichspreise ermitteln, bilden diese ein Preisband. Die Existenz derartiger „Preisbänder“ erwähnt § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG ausdrücklich („mehrere solcher Werte bilden eine Bandbreite“). Sie ist ferner sowohl von der deutschen Finanzverwaltung3 und der Rechtsprechung4 als auch von der OECD5 anerkannt. Zu der sich daraus zwangsläufig ergebenden Frage, welcher Wert innerhalb dieser Bandbreite im Einzelfall in concreto anzusetzen ist, hat der BFH festgestellt, dass sich die Finanzverwaltung im Regelfall an der für den Steuerpflichtigen günstigeren Ober- oder Untergrenze der Bandbreite von möglichen Fremdvergleichspreisen zu orientieren habe.6 Dieser Vorgehensweise liegt die zutreffende Überlegung zugrunde, dass innerhalb der maßgeblichen Bandbreite von Fremdvergleichspreisen letztlich jeder Wert dem Fremdvergleich entspricht und insoweit eine Rechtsgrundlage für eine Einkünftekorrektur fehlt. Allerdings ist diese Rechtsprechung legislativ eingeschränkt. Sie hat nur noch insofern Bestand, als die Preisbandbreite auf uneingeschränkt vergleichbare Referenztransaktionen zurückgeht. In diesem Fall kann der Steuerpflichtige jeden beliebigen Wert aus der Bandbreite wählen.7 Sind demgegenüber die Vergleichsdaten allenfalls eingeschränkt vergleichbar, ist die Bandbreite gem. § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG einzuengen. Aus dieser mittels der Methode der „Interquartile Range“ oder – besser geeigneter – mathematischer Verfahren eingeengten Bandbreite kann der Steuerpflichtige zwar jeden Preis ansetzen. Es 1 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.7; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1555 f. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.1.9.; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.2012.5. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. Tz. 3.55 ff. OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; ausführlich hierzu Baumhoff in FS Wassermeyer, 355 ff. m.w.N. 7 § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG.
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kommt allerdings gem. § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG der Median zum Tragen, sofern der vom Steuerpflichtigen angesetzte Verrechnungspreis außerhalb der (eingeengten) Bandbreite liegt (Rz. 5.119). 2. Innerer Preisvergleich Innerer Preisvergleich. Ein innerer Preisvergleich setzt voraus, dass eine Konzernunternehmung die gleiche Lieferung oder Leistung unter vergleichbaren Verhältnissen sowohl gegenüber verbundenen wie auch unverbundenen Unternehmen erbringt bzw. sowohl von verbundenen wie auch unverbundenen Unternehmen erhält. Damit erweist sich der innere Preisvergleich immer dann als besonders geeignet, wenn ein internationaler Unternehmensverbund über organisatorisch und rechtlich selbständige Unternehmen verfügt, die sowohl zu verbundenen wie unverbundenen Unternehmen Geschäftsbeziehungen mit einem vergleichbaren Liefer- oder Leistungsprogramm unterhalten.
5.8
Vergleich marktentstandener Preise. Trotz der Tatsache, dass eine verbundene Unternehmung an der als Vergleichsobjekt fungierenden Transaktion als Vertragspartner beteiligt ist, besitzen die über einen inneren Preisvergleich ermittelten Verrechnungspreise den Charakter marktentstandener Preise, da die Entscheidungsträger beider beteiligten Unternehmen jeweils ihre eigenen erwerbswirtschaftlichen Ziele verfolgen und somit zwischen diesen ein „natürlicher“ Interessengegensatz besteht. Diese Feststellung gilt jedenfalls solange, als es sich um ein unbeeinflusstes, marktentstandenes Geschäft („Bona-fide-Geschäft“) handelt. Das setzt allerdings voraus, dass eine verbundene Unternehmung bewusst keine ungewöhnlichen, wirtschaftlich nicht plausiblen Bedingungen akzeptiert. Wäre dies der Fall, so liegt die Vermutung nahe, dass die unüblichen Bedingungen im Hinblick auf die Schaffung einer geeigneten Vergleichsbasis für konzerninterne Leistungsbeziehungen eingegangen wurden. Dies würde letztlich zu einer missbräuchlichen Anwendung der Preisvergleichsmethode führen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings das BFH-Urteil v. 28.6.2002, nach dem Mängel eines Vertrages unter Angehörigen nicht ohne weiteres auf eine private Veranlassung hindeuten, wenn die durch den Steuerpflichtigen mit fremden Dritten abgeschlossenen Verträge ebenfalls derartige Mängel aufweisen. Überträgt man diese Aussage auf die Anwendung des Fremdvergleichs im Rahmen der internationalen Gewinnabgrenzung, könnten auch von einem ordentlichen Geschäftsleiter nicht akzeptierte Vereinbarungen, soweit sie tatsächlich gegenüber fremden Dritten getroffen werden, als Vergleichsmaßstab im Rahmen der Preisvergleichsmethode fungieren. Ein tatsächlicher Preisvergleich wäre somit selbst in den Fällen maßgeblich, in denen der daraus abgeleitete Verrechnungspreis einem hypothetischen Fremdvergleich (Rz. 3.132 ff.) nicht standhält.
5.9
Mindestvolumen verbundexterner Referenztransaktionen. Damit die mittels inneren Preisvergleichs abgeleiteten Preise ihre objektivierende Wir-
5.10
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kung i.S. marktentstandener Preise entfalten können, ist ferner ein Mindestvolumen verbundexterner Referenztransaktionen erforderlich. Anderenfalls muss man sich gegebenenfalls des Verdachts erwehren, die verbundexternen Geschäfte allein zum Zwecke der Verrechnungspreisrechtfertigung abgeschlossen zu haben.1 Diese Anforderung lässt sich auch aus der Rechtsprechung des BFH ableiten, der die Voraussetzungen eines betriebsinternen Fremdvergleichs nicht als gegeben ansah, wenn die Referenztransaktionen lediglich 5 % des Gesamtumsatzes ausmachen.2 3. Äußerer Preisvergleich
5.11
Allgemeines. Der äußere Preisvergleich stellt im Rahmen eines zwischenbetrieblichen Vergleichs auf den Liefer- und Leistungsverkehr zwischen unverbundenen Unternehmen, z.B. der gleichen Branche, ab. Der Unterschied zum inneren Preisvergleich besteht darin, dass am Zustandekommen des Vergleichsgeschäfts kein verbundenes Unternehmen beteiligt war. Der äußere Preisvergleich kommt insbesondere für homogene Liefergegenstände, standardisierte, marktgängige Dienstleistungen sowie für normierte oder an Warenbörsen gehandelte Waren in Betracht, also für marktgängige, branchenübliche Lieferungen und Leistungen, die gleichartig und gleichwertig sind. Entsprechende Vergleichspreise lassen sich ableiten aus Börsen- oder Marktnotierungen, branchenüblichen Abschlüssen, Preisübersichten von Verbänden und amtlichen Stellen sowie aus Honorar- und Gebührentabellen.3
5.12
Anonymisierte Vergleichsdaten. Zur Durchführung eines äußeren Preisvergleichs ist auch die Heranziehung von Datenbanken, wie etwa die Lizenzkartei des Bundeszentralamts für Steuern,4 denkbar. So ist nach Auffassung des BFH v. 17.10.2001 die Verwertung von anonymisierten Vergleichsdaten (sog. „Secret Comparables“) zur Durchführung eines äußeren Preisvergleichs grundsätzlich zulässig.5 Dies gilt unabhängig davon, ob die Daten allgemein zugänglich sind oder nicht. Vor diesem Hintergrund darf sowohl die Finanzverwaltung als auch der Steuerpflichtige Datenbanken aufbauen und verwenden, selbst wenn die entsprechenden Daten nicht allgemein zugänglich sind. Der Beweiswert der aus anonymisierten Datenbanken ermittelten Vergleichsdaten ist allerdings nach Ansicht des BFH davon abhängig, ob die verwendete Datenbank qualitativen Mindestanforderungen genügt. Deshalb steht es den Finanzgerichten of1 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 577; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 688 f.; Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung, 148. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 sowie hierzu Baumhoff, IStR 2001, 751 ff. 3 Zur Heranziehung von Gebührenordnungen für konzerninterne Dienstleistungen vgl. BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBl. II 1993, 801. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 5.2.2. 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; Kuckhoff/ Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 1871 ff.
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B. Klassische Methoden
fen, Rückfragen über die Zusammenstellung und Ableitung der anonymisierten Vergleichsdaten zu stellen. Sollten diese aus Gründen des Steuergeheimnisses oder aus anderen Gründen nicht beantwortet werden können, geht dies zu Lasten des Beweiswertes der angeführten Vergleichsdaten.1 Ferner knüpft die Finanzverwaltung an einen datenbankgestützten Fremdvergleich erhebliche Anforderungen.2 4. Anwendungsvoraussetzungen Umfangreiche Anwendungsvoraussetzungen. Die Anwendung der Preisvergleichsmethode, die in der Literatur allgemein als das ideale Verfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen angesehen wird, stößt in der Praxis häufig auf schwerwiegende Probleme. Trotz der Existenz von markt- oder branchenüblichen Preisen für bestimmte Lieferungen und Leistungen scheitert ein Preisvergleich häufig auf Grund der Tatsache, dass die zuvor diskutierten umfangreichen Anwendungsvoraussetzungen, die sich aus dem Postulat der Vergleichbarkeit der Verhältnisse ergeben, infolge der Unvollkommenheit der Märkte im konkreten Einzelfall meistens entweder nicht erfüllt sind oder sich die Einflüsse abweichender Transaktionsbedingungen bei potentiellen Vergleichstatbeständen nicht eliminieren lassen.3 Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass bei vergleichbaren Geschäftsbeziehungen zwischen fremden Dritten entsprechende Vergleichspreise vielfach nicht zur Verfügung stehen bzw. nicht feststellbar sind, ganz abgesehen von dem großen Bereich nicht marktüblicher und marktfähiger konzernspezifischer Lieferungen und Leistungen, für die externe Märkte und somit verwertbare Vergleichstransaktionen völlig fehlen.
5.13
Grenzen der Anwendung der Preisvergleichsmethode. Daher kann die Preisvergleichsmethode für die Ermittlung und Beurteilung von Verrechnungspreisen allenfalls als begrenzt verwendbar angesehen werden, da sie nur in speziellen Fällen, in denen sämtliche Anwendungsvoraussetzungen erfüllt sind, konkrete Anhaltspunkte für die Entgeltsbemessung liefern kann. In einer Vielzahl von Fällen lassen sich die Vergleichspreise entweder gar nicht oder nur innerhalb gewisser Bandbreiten feststellen. Wassermeyer stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Preisvergleichsmethode allenfalls in 5 % der einschlägigen Fälle herangezogen werden kann.4 Gleichwohl ist sie in der Praxis internationaler Konzerne sowohl bei Lieferungen von Gütern und Waren als auch bei der Erbrin-
5.14
1 Vgl. ebenda sowie BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 2.6. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.4; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 214 ff.; Kolb, IWB F. 3 Gr. 1, 2391 ff. Vgl. zur ablehnenden Haltung der Finanzverwaltung auch Thier, IStR 2011, 941. 3 Zur Notwendigkeit und Durchführung entsprechender Anpassungsrechnungen vgl. Scholz/Ackermann/Schmitt, IWB F. 3 Gr. 1, 1779 ff.; Dawid/Dorner, IWB F. 10 Gr. 2, 1549 ff.; Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1944. 4 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 536 f.
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gung konzerninterner Dienstleistungen die nach der Kostenaufschlagsmethode dominierende Methode (27 % bzw. 21 %); bei der Lizenzierung immaterieller Wirtschaftsgüter wird die Fremdüblichkeit der Lizenzgebühren sogar vornehmlich methodisch auf den inneren Preisvergleich (22 %) und den äußeren Preisvergleich (21 %) abgestützt.1
II. Wiederverkaufspreismethode 1. Vorgehensweise der Wiederverkaufspreismethode
5.15
Retrograde Preisbestimmung. Die Wiederverkaufspreismethode,2 auch Absatzpreismethode genannt, ist grundsätzlich anwendbar, wenn ein verbundenes Unternehmen einem anderen verbundenen Unternehmen Lieferungen oder Leistungen erbringt bzw. von diesem empfängt und diese Lieferungen oder Leistungen danach an fremde Dritte weiterveräußert werden. Dabei wird der Marktpreis aus dem Wiederverkauf (Wiederverkaufspreis) retrograd um eine Spanne, deren Höhe sich an der Funktion und dem Risiko des Wiederverkäufers orientiert, gekürzt, um so zu dem Einkaufspreis des wiederverkaufenden Unternehmens (der gleichzeitig der Verkaufspreis des Verkäufers an den Wiederverkäufer ist) zu gelangen. Der Marktpreis bei Wiederverkauf der Lieferung oder Leistung an fremde Dritte bildet damit die Ausgangsbasis der Wiederverkaufspreismethode. Der angemessene Verrechnungspreis wird also auf retrogradem Weg durch Subtraktion bestimmt: Marktpreis bei Wiederverkauf an Dritte marktübliche Handelsspanne des Wiederverkäufers angemessener Verrechnungspreis
./. =
5.16
Anwendungsbereich. Diese Art der Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises rechtfertigt daher auch die Bezeichnung „MarktpreisMinus-Methode“ für die Wiederverkaufspreismethode. Die Methode eignet sich besonders für die Bestimmung von Verrechnungspreisen gegenüber Vertriebsunternehmen.3 Vorherrschend ist sie beispielsweise bei den Pharmaunternehmen,4 nicht zuletzt um staatlichen Preisregulierungsvorschriften im Gesundheitswesen Rechnung zu tragen.5 Sie kann auch dann angewandt werden, wenn eine Ware oder ggf. auch Leistung über eine ganze Kette Nahestehender läuft, so dass u.U. von dem Marktpreis bei Wiederverkauf an Fremde über alle Stufen jeweils um eine Stufe zurückgerechnet wird.6 1 Vgl. hierzu auch Ernst & Young, 2010 Global Transfer Pricing Survey, 13. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.3.; Tz. 2.20 ff. OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. auch Tz. 2.21 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Moebus in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 138; Andresen, IStR 2004, 355; Bauer, IStR 2006, 320. 5 Vgl. Andresen, IStR 2004, 355. 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.3.; Tz. 2.33 OECD-Leitlinien 2010.
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B. Klassische Methoden
2. Ermittlung der marktüblichen Handelsspanne Ermittlung durch tatsächlichen oder hypothetischen Fremdvergleich. Während der mit dem unabhängigen Käufer tatsächlich vereinbarte Preis einen objektivierten Wert und somit ein „Datum“ darstellt, besteht die Schwierigkeit der Wiederverkaufspreismethode in der Bestimmung der „marktüblichen“ Handelsspanne.1 Zur Bestimmung der Handelsspanne kann zunächst auf einen tatsächlichen Fremdvergleich zurückgegriffen werden. Dies setzt eine uneingeschränkte, jedenfalls aber eine eingeschränkte Vergleichbarkeit der Referenztransaktionen voraus (Rz. 3.15 ff.). Während bei der Preisvergleichsmethode vergleichbare Preise heranzuziehen sind, kommt es bei der Wiederverkaufspreismethode auf vergleichbare Handelsspannen an.
5.17
Geeignete Vergleichsobjekte. Dazu ist es erforderlich, branchenzugehörige, unabhängige Vergleichsunternehmen der gleichen Handelsstufe als Vergleichsobjekte zu identifizieren. Eine derartige Ermittlung der marktüblichen Handelsspanne würde – in Anlehnung an den sog. „äußeren Preisvergleich“ (Rz. 5.11 f.) – im Wege des äußeren Betriebsvergleichs erfolgen, also durch Heranziehung der Handelsspanne solcher Zwischenhändler, die sowohl von Fremden erwerben als auch an Fremde weiterverkaufen. Dies kann etwa mittels einer Datenbankanalyse geschehen (Rz. 3.31 und 3.131). Hierbei kommt Unterschieden in den Produkteigenschaften eine im Vergleich zur Preisvergleichsmethode geringere Bedeutung zu.2 Allerdings gilt dies nur insofern, als die Produktunterschiede nicht die Vergleichbarkeit der ausgeübten Vertriebsfunktionen erheblich beeinflussen.3 Bei der Ermittlung der angemessenen Handelsspanne kommt vielmehr der Vergleichbarkeit der ausgeübten Funktionen und der getragenen Risiken des Wiederverkäufers sowie der Geschäftsbedingungen der größere Stellenwert zu.4
5.18
Datenbankanalyse. Die Ableitung fremdüblicher Handelsspannen mittels Datenbankanalyse erfordert Informationen über transaktionsbezogene Bruttomargen bei Fremdgeschäften, die ausgeübten Funktionen und die getragenen Risiken des externen Wiederverkäufers, die Vertragsbedingungen, die Kostenstruktur und -situation der Unternehmen (auf Grundlage von Informationen über Kostenrechnungssysteme, angewandte Rechnungslegungsstandards, Ausübung bilanzieller Wahlrechte etc.), die Marktstrukturen und Geschäftsstrategien.5 Hierbei sind transaktions-
5.19
1 Vgl. Tz. 2.35 ff. OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. 2.23 und 2.26 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. auch Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.25 Rz. 117; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 165. 4 Vgl. hierzu Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 164 ff. 5 Siehe hierzu vergleichende Übersicht bei Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 406.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
bezogene Bruttomargen bzw. Handelsspannen regelmäßig äußerst sensible Informationen, die fremden Dritten üblicherweise nicht zugänglich gemacht werden, weil aus ihnen Rückschlüsse auf die Gewinnsituation des betreffenden Unternehmens und die Konzessionsbereitschaft bei Preisverhandlungen gezogen werden können. Gleiches gilt selbstverständlich uneingeschränkt auch für Informationen über die Kostenstruktur und -situation des betreffenden Unternehmens. Insofern greift die Verrechnungspreispraxis vornehmlich auf Unternehmensdatenbanken zurück, die allerdings ausschließlich publizitätspflichtige Jahresabschlussdaten enthalten, aus denen standardisierte, unternehmensbezogene Bilanz- und GuV-Kennzahlen abgeleitet werden können. Diese Daten der externen Rechnungslegung weisen keinen Transaktionsbezug auf und sind deshalb für Vergleichbarkeitsanalysen nur bedingt geeignet. Dies gilt selbst dann, wenn aufgrund einer Verpflichtung zur Segmentberichterstattung Daten für abgrenzbare Teileinheiten diversifizierter Unternehmen verfügbar sind. Denn die Datenqualität beschränkt sich hier bestenfalls auf einzelne Produktgruppen. Ferner enthalten Unternehmensdatenbanken keine Informationen über den jeweiligen Funktionsund Risikoumfang und die jeweiligen Geschäftsbedingungen. Vor diesem Hintergrund können allenfalls Daten von Unternehmen einigermaßen verlässlich herangezogen werden, die ein relativ homogenes Produktbzw. Leistungsprogramm aufweisen oder nur wenige Funktionen ausüben und lediglich in geringem Umfang Kapital und Wirtschaftsgüter einsetzen. Nur in solchen Fällen wird es in der Praxis möglich sein, Unternehmenskennzahlen potentiell vergleichbarer Unternehmen auf einzelne Transaktionen herunterzubrechen.1 Dies allerdings beschränkt den Margenvergleich von Bruttomargen letztlich auf Routineunternehmen.2 Es verbleibt auch hier die mangelnde Kenntnis über die konkrete Bilanzierungspraxis. Wie Kaminski zu Recht ausführt, impliziert die Verwendung unternehmensbezogener Daten einen umfassenden Vorteilsausgleich (Rz. 3.161 ff.) bzw. eine Palettenbetrachtung (Rz. 3.173 f.) über das gesamte Produkt- und Leistungsprogramm des betreffenden Unternehmens.3
5.20
Innerer Margenvergleich. Analog zum sog. „inneren Preisvergleich“ ist daneben auch eine Ermittlung der marktüblichen Handelsspanne über den inneren Betriebsvergleich denkbar. Dies betrifft bspw. Fälle, in denen ein konzernzugehöriger Wiederverkäufer bestimmte Lieferungen oder Leistungen gleichermaßen sowohl an fremde Dritte als auch an verbundene Unternehmen verkauft. Allerdings muss es sich beim Vergleichs-
1 Vgl. Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 143; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 408. 2 Vgl. Fiehler, IStR 2007, 468. Siehe zur Eignung von Benchmarkstudien bei funktionsschwachen Unternehmen auch Scholz, BB 2011, 1516. 3 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 450.
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B. Klassische Methoden
geschäft auch hier um ein sog. „Bona-fide-Geschäft“ handeln (Rz. 5.9).1 Sofern die Bestimmung der marktüblichen Handelsspanne sowohl über einen inneren als auch über einen äußeren Betriebsvergleich möglich ist, sollte dem inneren Betriebsvergleich der Vorzug gegeben werden. Dies deshalb, weil hierbei die verbundene Unternehmung in den Vergleichstatbestand einbezogen wird, innerbetriebliche Einflussfaktoren Berücksichtigung finden und die relevanten Vergleichsdaten aus dem Rechnungswesen der betreffenden Konzernunternehmung in der Regel unmittelbar entnommen werden können. Der „innere Betriebsvergleich“ dürfte sich gegenüber dem „äußeren Betriebsvergleich“ auch als der praktikablere Weg darstellen, da viele international tätige Unternehmen insbesondere ihre Absatzaktivitäten oft sowohl über verbundene als auch über freie Vertreiber abwickeln. Für den Fall, dass die marktübliche Handelsspanne nicht über den „inneren Betriebsvergleich“ bestimmbar ist und stattdessen auf einen „äußeren Betriebsvergleich“ übergegangen werden muss, besteht das zur Datenbankanalyse dargestellte Problem unzureichender Datenqualität. Auswahl geeigneter Vergleichsobjekte. Die Skepsis gegenüber Margenvergleichen gilt umso mehr, als die Unterstellung gleicher Handelsspannen die Gefahr einer Zuweisung normativ bestimmter Gewinnanteile beinhaltet, zumal der Gewinn in der Realität vor allem durch unternehmerisches Geschick und die jeweiligen Marktgegebenheiten determiniert wird.2 Bei der Auswahl geeigneter Vergleichsobjekte ist im Interesse der Vergleichbarkeit der Verhältnisse darauf zu achten, dass die Vergleichsunternehmen die gleiche Stellung wie die verbundenen Unternehmen zueinander haben, über vergleichbare Geschäftsbeziehungen verfügen, dabei ein vergleichbares unternehmerisches Risiko tragen und dass sowohl der Zeitpunkt oder Zeitraum der zu vergleichenden Geschäfte als auch die Konditionen zumindest annähernd gleich sind. Insoweit ist auch im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode eine Funktions- und Risikoanalyse durchzuführen (Rz. 4.4 ff.). Die Handelsspanne ist dabei vom Umfang der durch den Vertreiber übernommenen Funktionen und Risiken und der eingesetzten Mittel (z.B. Lagergebäude, Verkaufsräume etc.) abhängig. Insoweit geht ein höherer Funktionsumfang (z.B. bei einem Eigenhändler) gegenüber einem geringeren (z.B. bei einem Kommissionär bzw. Handelsvertreter) regelmäßig mit einer höheren Handelsspanne einher (Rz. 6.65)
5.21
Komponenten der „marktüblichen Handelsspanne“ des Wiederverkäufers. Komponenten der „marktüblichen Handelsspanne“ des Wiederverkäufers sind dessen Kosten, die Risikoprämie und der Gewinnaufschlag. Diese drei Komponenten sind für sich nicht gesondert zu bewerten, sondern stehen zueinander in einem inneren Zusammenhang. Bei dieser
5.22
1 Vgl. dazu auch BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270 (aufgeh. durch BMF v. 23.4.2010 – IV A 6 - O 1000/09/10095 – DOK 2010/0197416, BStBl. I 2010, 391 für ab dem 1.1.2009 verwirklichte Tatbestände). 2 Vgl. Eigelshoven in V/L5, Art. 9 OECD-MA Rz. 75; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 449.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
marktüblichen Handelsspanne handelt es sich also um eine Brutto- bzw. Rohgewinnspanne und nicht etwa um eine aus dem Betriebsergebnis resultierende Nettogewinnmarge.1 Die Kosten des Vertriebes, also z.B. die Vertriebs- und Verwaltungskosten (nicht jedoch die Bezugskosten, für die ja der angemessene Verrechnungspreis zu bestimmen ist) sind also auch Bestandteil der „marktüblichen Handelsspanne“.
5.23
Risikoprämie und Gewinnaufschlag. Die ebenfalls zur „marktüblichen Handelsspanne“ zählenden Komponenten „Risikoprämie“ und „Gewinnaufschlag“ sind in ihrer Höhe voneinander abhängig und daher zusammen zu bestimmen. Die OECD-Leitlinien betonen, dass in den Fällen, in denen der konzerninterne Wiederverkäufer beim konzerninternen Geschäft „keine erhebliche Geschäftstätigkeit“ entfalte, in Anbetracht der wahrgenommenen Funktionen nur von einer geringen Handelsspanne auszugehen sei.2 Erbringt ein Wiederverkäufer minimale Leistungen, beispielsweise als Telefonvermittler oder Transportagent, so hat er dadurch relativ geringe Kosten bei geringem wirtschaftlichen Risiko. Diese Funktionen rechtfertigen dann nur einen entsprechend geringen Risiko- und Gewinnaufschlag.
5.24
Risikoübernahme. Übernimmt dagegen der Absatzmittler das volle Risiko eines Eigenhändlers (einschl. des vollen Eigentümerrisikos) sowie die volle Verantwortung und die Risiken für Werbung, Marketing, Vertrieb (einschl. Markterschließungsaufwendungen) bei gleichzeitiger Übernahme der Kosten für Umfüllung, Verpackung, Transport, Kundendienstund Garantieleistungen, Finanzierung, Lagerhaltung etc., so rechtfertigt dies einen vergleichsweise hohen Gewinnaufschlag.3 Tz. 2.2.3 VWG 1983 weist ebenfalls darauf hin, dass sowohl die Funktion als auch das Risiko des Wiederverkäufers bei der Bestimmung der marktüblichen Handelsspanne zu berücksichtigen sind.4 Vorstehende Beispiele sind Extremfälle und sollen nur die Breite der Spannweite von möglichen Funktions- und Risikoverteilungen im Konzern illustrieren. Konkret zu beurteilende Einzelfälle werden i.d.R. zwischen den Extrempunkten des Spannweitenbereichs angesiedelt sein.
5.25
Besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen. Ein weiterer bedeutsamer Faktor für die Bestimmung einer angemessenen Handelsspanne ist die Frage, ob der Absatzmittler über besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen verfügt und/oder im Besitz von besonderen immateriellen Wirtschaftsgütern (Markenrechte, Exklusivrechte) ist.5 Tz. 2.34 OECD-Leitlinien weist darauf hin, dass z.B. der Wert eines Exklusivrechtes von geographischen Geltungsbereichen, der Existenz von SubstitutiEbenso Vögele/Raab/Diesner in V/B/E, Verrechnungspreise3, D Rz. 106. Vgl. Tz. 2.31 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.31 OECD-Leitlinien 1995. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.3. 5 Vgl. Tz. 2.25 OECD-Leitlinien 2010.
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B. Klassische Methoden
onswaren und deren relativer Wettbewerbsfähigkeit abhängt. Auch solche Faktoren sollten sich in der Höhe der marktüblichen Handelsspanne widerspiegeln. Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs. Ist die Ermittlung der „marktüblichen Handelsspanne“ nicht im Wege eines tatsächlichen Fremdvergleichs möglich, ist sie subsidiär nach Maßgabe eines hypothetischen Fremdvergleichs zu ermitteln. Dazu ist es erforderlich, die Kosten – insbesondere in Form der Vertriebs- und allgemeinen Verwaltungskosten – der Vertriebsgesellschaft im Vorhinein als Plankosten (Rz. 5.51 ff.) zu bestimmen und diese um einen angemessenen Gewinnaufschlag zu erhöhen. Dies setzt freilich voraus, dass die Kosten – unter Berücksichtigung der erwarteten Umsätze – budgetiert werden. Die Reichweite der Budgetphase sollte dabei an den im betrachteten Konzernverbund üblichen Zeithorizont der Planungsrechnung angepasst werden. Erfahrungsgemäß ist hier eine jährliche Festlegung bzw. Prüfung der Handelsspanne und somit eine einjährige Budgetphase sinnvoll.
5.26
Kombination von Wiederverkaufs- und Kostenaufschlagsmethode. Im Ergebnis bedeutet die Ermittlung der Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft mittels eines hypothetischen Fremdvergleichs die Kombination von Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode. Eine solche Vorgehensweise wird sowohl von der deutschen Finanzverwaltung1 und Rechtsprechung2 als auch von den OECD-Leitlinien3 ausdrücklich für zulässig erachtet. Im Übrigen trägt sie der Forderung Rechnung, dass eine Vertriebsgesellschaft im Grundsatz – ggf. nach möglichen temporären Anlaufverlusten – einen angemessenen Gewinn erwirtschaften soll (Rz. 6.46). Denn letztlich wird durch die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode der spezifischen Kostensituation der Vertriebsgesellschaft Rechnung getragen, so dass nur bei Abweichung der Soll- von den Istkosten eine temporäre Verlustsituation entstehen kann.
5.27
Kostenabweichungen. Ergeben sich nach Ablauf der Budgetphase im Rahmen eines Soll-Ist-Vergleiches Kostenabweichungen, die der Wiederverkäufer zu vertreten hat, so ist eine Änderung bzw. Anpassung der vorher auf Plandaten festgelegten „marktüblichen Handelsspanne“ ausgeschlossen. Anderenfalls würde dem konzerninternen Wiederverkäufer quasi eine „Gewinngarantie“ gegeben, da er über die ihm eingeräumte Handelsspanne stets eine volle Kostendeckung zzgl. eines Risiko- und Gewinnaufschlags erzielen würde.
5.28
Berücksichtigung von Verlusten. Aber auch bei Festlegung der „marktüblichen Handelsspanne“ im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs ist es keinesfalls auszuschließen, dass dem Vertreiber aus der Pro-
5.29
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.4.2. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 3 Vgl. Tz. 2.31 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
duktvermarktung Verluste entstehen.1 Dies ist einerseits damit zu begründen, dass auch fremde Vertreiber – insbesondere in schlechten Marktund Konjunktursituationen – Verluste erwirtschaften können. Zum anderen kann ein Vertreiber über eine derart negative Verwaltungs- und Vertriebskostenstruktur verfügen (z.B. einen zu aufwendigen Außendienst), dass diese nur von ihm zu vertretenden überhöhten Kosten den Risikound Gewinnzuschlag überkompensieren. Ein weiteres Argument kann darin bestehen, dass aufgrund schlechter Markt- und Absatzsituation der Hersteller – temporär – bereits auf eine volle Herstellkostendeckung verzichtet und an den Vertreiber seine Produkte zu Teilkosten abgibt, vom Vertreiber jedoch im Gegenzuge erwartet, dass dieser sich an der schlechten Markt- und Absatzsituation in angemessener Form, d.h. durch ganzen oder teilweisen Verzicht auf seine Handelsspanne ebenfalls temporär beteiligt. Eine solche „temporäre Verlustteilung“ entspricht in jedem Fall dem Fremdvergleichsgrundsatz,2 denn es sind durchaus Fälle denkbar, in denen nicht nur der Produzent oder der Vertreiber aus einer Transaktion Verluste erwirtschaftet, sondern der Konzern als Ganzes.
5.30
Verluste bei Lieferungen an verbundene Eigenhändler. Soweit die Anwendungsvoraussetzungen der Preisvergleichsmethode nicht erfüllt sind, ist nach der Rechtsprechung des BFH der Verrechnungspreis für Lieferungen an als Eigenhändler organisierte Vertriebsgesellschaften „regelmäßig“ nach der Wiederverkaufspreismethode zu ermitteln.3 Im Rahmen der Anwendung der Wiederverkaufspreismethode ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die nationalen Fisci bei Vertriebsgesellschaften keine nachhaltigen Verluste akzeptieren. Sowohl nach den OECD-Leitlinien4 als auch nach der Rechtsprechung des BFH5 und der Auffassung der Finanzverwaltung würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter eines Vertriebsunternehmens nur dann ein neues Produkt am Markt einführen und vertreiben, wenn er daraus bei vorsichtiger und vorheriger kaufmännischer Prognose innerhalb eines überschaubaren Zeitraums und unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Marktentwicklung einen angemessenen Gesamtgewinn erwarten könne. Hierbei soll nach der nach den Urteilen des BFH vom 17.2.19936 und 17.10.20017 eine mögliche Verlustphase der Vertriebsgesellschaft – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalls – bei neu eingeführten Produkten drei Jahre nicht überschreiten, „erst recht“ nicht beim Weitervertrieb von bereits vorher auf dem Markt eingeführten Produkten. Ferner wird die Anerkennung von Anlaufverlusten zudem von der Erzielung eines „angemessenen“ To1 Gleicher Ansicht Vögele/Raab/Diesner in V/B/E, Verrechnungspreise3, D Rz. 107. 2 So auch Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 567. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 4 Vgl. Tz. 1.70 ff. OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 6 BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375. 7 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
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B. Klassische Methoden
talgewinns innerhalb eines – vom BFH nicht näher quantifizierten – überschaubaren Kalkulationszeitraums abhängig gemacht.1 Das heißt, die nach der Anlaufphase entstehenden Gewinne müssen die Anlaufverluste mehr als kompensieren. Die Höhe dieser „Überkompensation“ soll mindestens der angemessenen Verzinsung des zugeführten Eigenkapitals (einschließlich Zinseszins und Risikozuschlags) entsprechen. Allerdings ist diese Rechtsprechung nur vor dem Hintergrund der klassischen Verrechnungspreislehre zu verstehen und zutreffend. Sie ist nur sachgerecht für den Fall, dass der Vertreiber nicht als „Entrepreneur“ fungiert, d.h. allenfalls als „Mischunternehmen“ oder gar nur als „Routineunternehmen“, also Kommissionär oder einfacher „Low-Risk-Distributor“.2 Agiert das Vertriebsunternehmen hingegen als „Entrepreneur“ bzw. „Strategieträger“, gebührt ihm – ggf. zusammen mit anderen, als Strategieträger zu qualifizierenden Verbundunternehmen – der Residualgewinn oder -verlust, der nach Abgeltung der Funktionsvergütung für das Produktionsunternehmen verbleibt.3 Nach den Grundsätzen der zitierten Rechtsprechung muss in diesem Fall die Verlustfreistellung und die Forderung nach einer Überkompensation auf das Produktionsunternehmen „durchschlagen“. Wird dieses als Unternehmen mit Routinefunktionen (z.B. Lohnfertiger oder Auftragsfertiger) qualifiziert, weist es bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf in Ansehung seiner reduzierten Chancen und Risiken regelmäßig moderate bzw. geringe, aber relativ stabile Gewinne aus. Wird dieser Forderung mittels eines kostenorientierten (Dienstleistungs-)Entgelts Rechnung getragen, scheidet die Zuordnung von Markterschließungs- und Werbekosten schon aus diesem Grund aus. 3. Anwendungsbereiche Anwendung auf Eigenhändler-Vertriebsgesellschaften. Hauptanwendungsbereich der Wiederverkaufspreismethode ist die Verrechnungspreisermittlung im Zusammenhang mit Vertriebsgesellschaften. Entsprechend dem in § 1 Abs. 3 AStG verankerten Stufenverhältnis ist zwar vorrangig der tatsächliche Fremdvergleich anzuwenden und erst dann auf den hypothetischen Fremdvergleich überzugehen, wenn keine jedenfalls eingeschränkt vergleichbaren Vergleichswerte identifiziert werden können. Die einzige mit ihren Vergleichstatbeständen methodisch auf den tatsächlichen Fremdvergleich zurückgehende (Rz. 3.126 ff.) und nach der Rechtsprechung des BFH4 zu präferierende Preisvergleichsmethode ist jedoch mangels Vorliegens der Anwendungsvoraussetzungen regelmäßig nicht anwendbar (Rz. 5.13 ff.). Dementsprechend sieht der BFH bei Liefe1 Nach Wassermeyer umfasst dieser Zeitraum fünf Jahre, vgl. Wassermeyer, WPg 2002, 16. 2 Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 35 ff.; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 2011, 145. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2 Buchst. b. 4 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030.
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5.31
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
rungen an eine Vertriebsgesellschaft, die als Eigenhändler zu qualifizieren ist, „regelmäßig“ die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode vor.1 Dies entspricht der Auffassung sowohl der deutschen Finanzverwaltung2 als auch der OECD.3 Die „marktübliche Handelsspanne“ kann dabei mittels eines tatsächlichen oder – mangels Vergleichsobjekten – subsidiär über einen hypothetischen Fremdvergleich, d.h. anhand der Kostenaufschlagsmethode, ermittelt werden.
5.32
Veredelungstätigkeiten. Wird die Lieferung oder Leistung vor dem Weiterverkauf bearbeitet, weiterentwickelt oder in anderer Weise verändert, muss diese verändernde Tätigkeit im Rahmen der Handelsspanne erfasst und bewertet werden. Solche Veränderungen, die häufig unter dem Begriff „Veredelungstätigkeiten“ zusammengefasst werden, dürfen allerdings nicht so weit reichen, dass dadurch eine Lieferung oder Leistung in eine andere übergeht und infolgedessen die ursprüngliche Identität verliert. Wäre dies der Fall, so wären die Anwendungsvoraussetzungen für die Wiederverkaufspreismethode nicht mehr erfüllt.
5.33
Vertriebs- und Verarbeitungskonzerngesellschaften. Übt das unabhängige, für die Ermittlung der Handelsspanne als Vergleichsobjekt dienende Unternehmen keine vergleichbare verändernde Tätigkeit aus, so dass nicht auf eine einheitliche Gesamtspanne zurückgegriffen werden kann, muss diese verändernde Tätigkeit mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) bewertet werden. Die „marktübliche Handelsspanne“ ist insoweit um die Kosten der Veränderungs- oder Veredelungstätigkeiten zu korrigieren. Je aufwendiger und komplizierter diese Veränderungs- oder Veredelungstätigkeiten des Absatzmittlers sind, desto umfangreicher sind die entsprechenden (kosten-)rechnerischen Anpassungen.
5.34
Veränderungen der Märkte. Liegt zwischen An- und Verkauf der Lieferung oder Leistung durch den Wiederverkäufer ein längerer Zeitraum, so sind im Rahmen einer möglichen Korrekturrechnung insbesondere die Veränderungen der Märkte und der Wechselkurse rechnerisch zu berücksichtigen.4 Darüber hinaus kann sich der Wert einer Lieferung oder Leistung durch den Gebrauch einer Marke erheblich verändern. Dieser Umstand muss in der Korrekturrechnung ebenso Berücksichtigung finden wie mögliche geografische Beschränkungen bei der Erteilung von Wiederverkaufsrechten.5
5.35
Wiederverkaufspreismethode bei Dienstleistungen. Die Wiederverkaufspreismethode eignet sich insbesondere für den Bereich der Lieferung von Gütern und Waren, sofern diese auf der Ebene des Absatzmarktes keine 1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 3.1.3. Bsp. 1. 3 Vgl. Tz. 2.20 ff. OECD-Leitlinien 2010. 4 Ebenso Tz. 2.30 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 2.34 OECD-Leitlinien 2010.
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B. Klassische Methoden
oder nur geringfügige Veränderungen in Form von Be- und Verarbeitung erfahren. Das ist normalerweise bei Lieferungen an Vertriebsunternehmen der Fall. Umstritten ist hingegen die Eignung der Wiederverkaufspreismethode zur Bestimmung von Dienstleistungsentgelten (Rz. 6.151). Die Eignung der Wiederverkaufspreismethode wird insbesondere von den VWG 19831 und der älteren Literaturmeinung infrage gestellt, weil Dienstleistungen in der Regel einen sehr individuellen Charakter besäßen und daher nicht weiterveräußerbar seien.2 Die heute vorherrschende Auffassung hält dagegen den generellen Ausschluss der Wiederverkaufspreismethode für den Dienstleistungssektor nicht für gerechtfertigt.3 Als Standardbeispiele werden dabei der Stromhandel und die Weiterveräußerung von Software sowie die Existenz von Handelsstufen im Versicherungsund Transportgewerbe angeführt. Beschränkung auf den Bereich marktgängiger Dienstleistungen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass sich die Anwendungsmöglichkeiten der Wiederverkaufspreismethode zur Bestimmung von Dienstleistungsentgelten zwangsläufig auf den Bereich der marktgängigen Dienstleistungen beschränken müssen, da diese Methode ex definitione von dem Preis ausgeht, den ein unabhängiger Käufer für eine ihm erbrachte Leistung tatsächlich gezahlt hat. Für alle übrigen Dienstleistungen, wie z.B. die, die zwar marktfähig, aber (doch) nicht zwischen Fremden ausgetauscht worden sind, oder solche, die aufgrund ihrer Beschaffenheit ausschließlich im Unternehmensverbund und nicht zwischen Fremden ausgetauscht werden können (sog. konzernspezifische Dienstleistungen), erweist sich diese Methode als ungeeignet. Die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode setzt außerdem voraus, dass die wiederverkaufende Unternehmung gegenüber der mit ihr verbundenen leistungserbringenden Unternehmung als Käufer der Leistung auftritt, also zwischen leistungserbringender und leistungswiederverkaufender Unternehmung eine unmittelbare Rechtsbeziehung, z.B. durch Abschluss eines Kaufvertrages zustande kommt. Erst im Anschluss daran kann die wiederverkaufende Unternehmung die betreffende Leistung an fremde Dritte weiterverkaufen. Ausgeschlossen bleiben hier somit alle Vermittlungsleistungen, wobei die zwischengeschaltete Unternehmung nur als Makler, Treuhänder oder Vermittler und nicht als Käufer bzw. Wiederverkäufer fungiert. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn eine Unternehmung durch Erteilung von Unteraufträgen für Dienstleistungen nur das Aussuchen eines geeigneten, dem Unternehmensverbund angehörenden „Subunternehmers“ übernimmt. 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 3.2.3.2. 2 Vgl. Kumpf, Steuerliche Verrechnungspreise im internationalen Konzern, 262; Schmitz, Methoden zur Ermittlung von Arm’s-Length-Preisen, 113; Hoffmann, RIW 1977, 10 (12); aber auch Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 118. 3 Vgl. Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 211 ff.; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 408; Korff, IStR 2008, 46 f.; Fiehler, IStR 2007, 467 f.
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5.36
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Dieses Aussuchen ist als eine eigenständige Dienstleistung im Sinne einer reinen Vermittlungsleistung anzusehen, deren Verrechnung dem Grunde und der Höhe nach sich an dazu geeigneten Kriterien und Methoden orientieren muss.
5.37
Unterscheidung zwischen Kauf/Verkauf und Vermittlung. Bei Vermittlungsleistungen innerhalb eines Unternehmensverbundes dürfte eine Verrechnung dem Grunde nach (Rz. 6.108 ff.) allerdings nur dann möglich sein, wenn die Vergabe von Vermittlungsaufträgen an nahestehende Unternehmen betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheint. Sofern eine Verrechnung dem Grunde nach gerechtfertigt erscheint, könnte sich das Entgelt für diese Vermittlungsleistung an einer branchenüblichen Maklergebühr oder den durch die Vermittlung entstandenen Kosten orientieren. Eine Unterscheidung zwischen Kauf bzw. Verkauf und Vermittlung einer Dienstleistung ist insofern erforderlich, als ein Kauf und anschließender Wiederverkauf – im Gegensatz zum Sachleistungsbereich – wegen der Immaterialität, fehlender Möglichkeit der Vorratsproduktion bzw. Lagerhaltung, der Produktion und Verwertung „uno actu“ sowie der Auftrags-, Objekt- und Abnehmerorientierung einer Dienstleistung grundsätzlich ausgeschlossen ist. Eine wichtige Ausnahme hierzu bildet allerdings die Möglichkeit der Speicherung von Dienstleistungen auf geeignete Trägermedien, was bei marktgängiger Software oder bestimmten Gutachten der Fall sein kann. Besteht die Möglichkeit der Speicherung einer Dienstleistung auf einem geeigneten Trägermedium, werden die wesensprägenden Eigenschaften von Dienstleistungen, nämlich die Simultanität von Leistungserbringung und -verwertung und die Immaterialität, zu einem gewissen Grad überwunden und hierdurch der Zugang zur Wiederverkaufspreismethode eröffnet.1 Abgesehen von solchen Sonderfällen scheidet die Wiederverkaufspreismethode für die Fremdpreisermittlung von Dienstleistungen aus. Das gilt auch für Transport- und Versicherungsleistungen, wobei es sich u.a. aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Lagerhaltung bzw. Speicherung sowie der typischen Endabnehmerorientierung um Dienstleistungen handelt, die nicht von einem „Zwischenhändler“ gekauft und anschließend weiterverkauft, sondern allenfalls vermittelt werden können.
5.38
Subleasing, Unterlizenzverträge. Beim Subleasing und bei Unterlizenzverträgen, also Überlassungsleistungen, die oft als Beispiele für die Verwendung der Wiederverkaufspreismethode im Dienstleistungsbereich herangezogen werden, handelt es sich um Leistungen aus dem Bereich der Nutzungsüberlassung von Patenten, Know-how oder anderen immateriellen Wirtschaftsgütern sowie der Nutzungsüberlassung körperlicher Gegenstände (Miete, Pacht, Leasing) und nicht um Dienstleistungen. In diesen Bereichen der Lizenzgebühren sowie Miet- und Pachtzinsen bzw. Leasinggebühren kann die Wiederverkaufspreismethode ebenfalls in Ausnahme1 Vgl. hierzu auch Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 230 f.
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B. Klassische Methoden
fällen zur Anwendung kommen. Nach den Tz. 5.2.3 und 5.2.4 VWG 19831 soll für den Bereich der Lizenzgebühren die Wiederverkaufspreismethode offenbar gar keine Rolle spielen, da nur die Preisvergleichs- und die Kostenaufschlagsmethode explizit erwähnt sind. Ein solcher Ausschluss der Wiederverkaufspreismethode ist insofern nicht sachgerecht, als für den Bereich der Unterlizenzen eine solche Methodenanwendung durchaus denkbar ist. Vergibt ein Konzernunternehmen, welches von einem verbundenen Unternehmen eine Hauptlizenz erhalten hat, die entsprechende Unterlizenz an einen fremden Dritten, so könnte, unter Einbeziehung der Wiederverkaufspreismethode, die Angemessenheit der Hauptlizenz nach der Höhe der Unterlizenz beurteilt werden.2 Gleiches gilt für den Bereich von Mieten, Pacht und Leasing, wo im Falle des Abschlusses von Untermiet- oder -pachtverträgen bzw. Subleasingverträgen mit fremden Dritten die Angemessenheit von Miet- und Pachtzinsen bzw. Leasinggebühren im Unternehmensverbund ebenfalls mit Hilfe der Wiederverkaufspreismethode festgestellt werden kann.
III. Kostenaufschlagsmethode 1. Vorgehensweise der Kostenaufschlagsmethode Funktionsweise: Selbstkosten zzgl. Gewinnaufschlag. Bei der Kostenaufschlagsmethode3 wird der Verrechnungspreis dadurch bestimmt, dass zunächst die Selbstkosten des liefernden/leistenden Unternehmens ermittelt und anschließend um einen angemessenen Gewinnaufschlag erhöht werden. Die Ermittlung der Kosten soll dabei anhand von Kalkulationsmethoden erfolgen, die der Liefernde oder Leistende auch bei seiner Preispolitik gegenüber Fremden zugrunde legt bzw. die betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entsprechen.4 Anwendung findet die Kostenaufschlagsmethode insbesondere in den Fällen, in denen für die ausgetauschten Lieferungen oder Leistungen keine Marktpreise als Vergleichsmaßstäbe zur Verfügung stehen, etwa weil – es sich um nicht marktfähige, konzernspezifische Güter oder Dienstleistungen handelt, – vorliegende Marktpreise nicht repräsentativ bzw. auf Grund einer fehlenden Vergleichbarkeit der Verhältnisse nicht brauchbar sind, – tatsächlich vereinbarte Marktpreise nicht feststellbar bzw. nachweisbar sind oder 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 5.2.3. f. 2 Vgl. Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, N Rz. 507 ff.; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 294 f. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.4.; Tz. 2.39 ff. OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 - VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.4.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
– gewisse Lieferungen oder Leistungen – wie auch unter fremden Dritten – nach der Kostenaufschlagsmethode abgerechnet werden müssen, wie z.B. Spezialaufträge. 2. Anwendungsbereiche
5.40
Zumeist „Ultima Ratio“. Sind die Anwendungsvoraussetzungen sowohl für die Preisvergleichs- als auch für die Wiederverkaufspreismethode nicht erfüllt, was bei der Fülle und Verschiedenartigkeit der in einem internationalen Unternehmensverbund ausgetauschten Güter und Dienstleistungen oft der Fall ist, kommt der Kostenaufschlagsmethode in der Praxis letztlich die Rolle der „Ultima Ratio“ zu. Vor diesem Hintergrund gilt sie insbesondere im Bereich der konzerninternen Dienstleistungen (z.B. in Form von Verwaltungsleistungen oder der Lohnfertigung und Auftragsforschung) sowie bei der konzerninternen Lieferung von Halbfertigfabrikaten als Regelmethode. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist die Kostenaufschlagsmethode insbesondere anzuwenden, wenn das betreffende Unternehmen „Routinefunktionen“ ausübt und nur geringe Risiken trägt.1
5.41
Ermittlung eines hypothetischen Vergleichspreises. Da die Kostenaufschlagsmethode die Ermittlung eines hypothetischen Vergleichspreises zum Ziel hat, stellt sie die praktische Ausgestaltung des hypothetischen Fremdvergleichs dar, als dessen Maßstab und neutraler Bezugspunkt die Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsleiters fungiert (Rz. 3.132 ff.). Dieser entscheidet im Einzelfall über die Ordnungsmäßigkeit und Sinnhaftigkeit der zugrunde zu legenden Kalkulationsmethoden. Wenn der Gewinnaufschlag mittels des tatsächlichen Fremdvergleichs ermittelt wird, stellt dies eine Kombination aus tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich dar. Die besonderen Schwierigkeiten der Kostenaufschlagsmethode liegen dabei in der Ermittlung der Selbstkosten, die u.a. als Bezugsbasis für den Gewinnaufschlag dienen, sowie in der Bestimmung des Gewinnaufschlags selbst. 3. Ermittlung der Kostenbasis a) Anzuwendender Kostenbegriff
5.42
Wertmäßiger Kostenbetriff. Die Forderung der VWG 1983,2 die Kostenermittlung bei der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode generell an betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu orientieren, erlaubt die Zugrundelegung des betriebswirtschaftlichen Kostenbegriffs. Dieser definiert 1 Vgl. BR-Drucks. 352/08 v. 23.5.2008, 16; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 2.2.2.1 Rz. 66. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.1.6. Buchst. c und 2.2.4.
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B. Klassische Methoden
Kosten als den in Geld bewerteten leistungsbedingten Güterverzehr eines Betriebs. Dabei richtet sich die inhaltliche Konkretisierung des Kostenbegriffs an der Zwecksetzung des Rechnungswesens aus. Vor diesem Hintergrund lässt sich die in der betriebswirtschaftlichen Kostentheorie umfänglich diskutierte Frage, ob zur Entstehung von Kosten eine Ausgabe erforderlich ist (pagatorischer Kostenbegriff) oder ob zu den Kosten auch kalkulatorische Kostenarten, wie z.B. kalkulatorische Eigenkapitalzinsen oder kalkulatorische Abschreibungen (also Kosten, die nicht zu Ausgaben geführt haben oder führen) zählen, zugunsten des wertmäßigen Kostenbegriffs beantworten. Denn nur dieser Kostenbegriff erfasst den Produktionsfaktorverbrauch streng produkt- bzw. leistungsbezogen und erweist sich daher für die Ermittlung eines Kosten-Preises als besonders geeignet. Dies beruht auf der Erkenntnis, dass bei langfristiger Betrachtung mindestens die gesamten Durchschnittskosten pro Leistungseinheit gedeckt sein müssen und somit die langfristige Preisuntergrenze bilden. Dabei sind die Normalverzinsung des gesamten zur Leistungserstellung eingesetzten Kapitals (kalkulatorische Zinsen) sowie der Unternehmerlohn (kalkulatorischer Unternehmerlohn) als Kostenbestandteile einzubeziehen. Andere Kostenbegriffe. Erscheint somit die Verwendung des wertmäßigen Kostenbegriffs im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode als besonders geeignet, lassen die VWG 19831 auch die Verwendung anderer Kostenbegriffe (z.B. des pagatorischen Kostenbegriffs) zu.2 Insoweit wird dem allgemeinen Ermessensspielraum des ordentlichen Geschäftsleiters Rechnung getragen, der ggf. auch gegenüber fremden Dritten keine kalkulatorischen Kosten in die Ermittlung seiner Absatzpreise einbezieht. Allerdings sollte dabei berücksichtigt werden, dass in der ganz überwiegenden Zahl der heute praktizierten Kostenrechnungssysteme der wertmäßige Kostenbegriff Anwendung findet.3 Darüber hinaus weisen die OECD-Leitlinien4 zutreffend auf die Schwierigkeiten hin, die dadurch entstehen können, dass in den einzelnen Ansässigkeitsstaaten der Konzerngesellschaften bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode unterschiedliche Kostenbegriffe verwendet werden können. Dies könne zu unterschiedlichen Kostenbasen führen, die als Bemessungsgrundlage für den angemessenen Gewinnaufschlag dienen. Vor diesem Hintergrund wäre eine einheitliche Anwendung des wertmäßigen Kostenbegriffs zweck1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.1.6. Buchst. c und 2.2.4., wonach die Kosten nach den Kalkulationsmethoden ermittelt werden sollen, „die der Liefernde oder Leistende auch bei seiner Preispolitik gegenüber Fremden zugrunde legt oder – wenn keine Lieferungen oder Leistungen gegenüber Fremden erbracht werden – die betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entsprechen“. 2 Gl.A. Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, D Rz. 179 ff.; Hülshorst/ Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.46 Rz. 222; Tucha, IStR 2002, 749. 3 So auch Lahodny-Karner in Schuch, Die neuen Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, 51. 4 Vgl. Tz. 2.44 und 2.46 OECD-Leitlinien 2010.
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5.43
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
mäßig. Alternativ dazu ist denkbar, soweit kalkulatorische Kosten in die Kostenbasis eingegangen sind, eine Korrektur über die Bemessung des Gewinnaufschlags vorzunehmen.1
5.44
Anwendbarkeit des verwendeten Kostenrechnungssystems. Die zur Ermittlung der Kostenbasis erforderlichen Daten liefert das Kostenrechnungssystem des Unternehmens. Grundsätzlich ist die Wahl der Kalkulationsmethode eine freie unternehmerische Entscheidung. Es muss jedoch gesichert sein, dass das angewandte Kalkulationsverfahren betriebswirtschaftlichen Erfordernissen entspricht. Werden bestimmte Kalkulationsmethoden konsequent sowohl gegenüber verbundenen als auch fremden Unternehmen angewendet und entsprechen sie betriebswirtschaftlichen Grundsätzen, können sie grundsätzlich als zweckmäßig und angemessen angesehen werden. b) Relevante Kostenarten
5.45
Allgemeines. Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines betrieblichen Kostenrechnungssystems ist die Existenz einer Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung.
5.46
Kostenartenrechnung. Unter der Kostenartenrechnung2 versteht man den Teilbereich der Kostenrechnung, der zur mengenmäßigen Erfassung, Abgrenzung und Bewertung anfallender Kosten dient und gleichzeitig die Grundlage für die Verrechnung der Kosten auf Kostenstellen und Kostenträger bildet. Daher muss die Kostenartenrechnung auf die Kostenrechnungsziele, die zusammen mit der Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung angestrebt werden, ausgerichtet sein. In der Kostenartenrechnung erfolgt die auf dem Verursachungsprinzip beruhende Unterscheidung zwischen Einzel- und Gemeinkosten. Diese auf ein Produkt oder eine Dienstleistung bezogene Betrachtungsweise qualifiziert diejenigen Kosten als Einzelkosten, die sich direkt einem Kostenträger bzw. einer Kostenstelle zurechnen lassen (direkte Kosten). Diese Einzelkosten werden unmittelbar aus der Kostenartenrechnung ohne Verrechnung über die Kostenstellen dem Kostenträger zugeordnet. Die Gemeinkosten sind dagegen nicht dem einzelnen, als Kalkulationsobjekt fungierenden Produkt oder der einzelnen Dienstleistung direkt, sondern nur indirekt zuzurechnen (indirekte Kosten). Bei Anwendung der Vollkostenrechnung werden diese indirekten Kosten über einzelne Kostenstellen geleitet und mit Hilfe von Schlüsselgrößen auf einzelne Kostenträger verteilt.3
5.47
Kostenarten nach den OECD-Leitlinien. Die OECD-Leitlinien unterscheiden im Rahmen der Ermittlung der relevanten Kostenbasis zwischen 1 Zum Verhältnis der Kostenbasis zum Gewinnaufschlag vgl. auch Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, 495, mit einem Bsp. 2 Dazu im Einzelnen vgl. auch Freidank, Kostenrechnung8, 95 ff. 3 Zum Verfahren s. Freidank, Kostenrechnung8, 139 ff.
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B. Klassische Methoden
drei verschiedenen Kostenarten, nämlich den direkten Kosten, den indirekten Kosten und den allgemeinen Verwaltungskosten („Operating Expenses“).1 Im Ergebnis stellen damit auch die OECD-Leitlinien auf eine Unterscheidung zwischen Einzel- und Gemeinkosten ab. Allerdings sei der Gewinnaufschlag nur auf der Basis der direkten und indirekten Kosten vorzunehmen. „Operating Expenses“. Die „Operating Expenses“, zu denen diejenigen Kosten zählen, die das Unternehmen als Ganzes betreffen, wie z.B. Überwachungs-, Geschäftsführungs- und allgemeine Verwaltungskosten, sollen nach Auffassung der OECD indessen nicht in die Kostenbasis einbezogen werden, wenngleich diese Kosten nach betriebswirtschaftlichem Kostenrechnungsverständnis den indirekten Kosten zuzurechnen sind. Zwar verkennen die OECD-Leitlinien nicht die Schwierigkeiten einer Abgrenzung zwischen den einzelnen Kostenarten. Sie gehen aber davon aus, dass Teile dieser Kosten bereits Gewinnelemente enthalten können und sich in der Höhe der „Operating Expenses“ bereits die Effizienz eines Unternehmens widerspiegelt.
5.48
Kostenkategorien. Unabhängig davon, dass sich Effizienzunterschiede zwischen einzelnen Unternehmen auch bei den übrigen (direkten und indirekten) Kosten zeigen können, ist die Frage, welche Kostenkategorie im Einzelnen vorliegt, abhängig von der Art des innerkonzernlichen Lieferund Leistungsaustausches. So können bei Warenlieferungen Verwaltungskosten zu den „Operating Expenses“ zählen, während diese im Rahmen einer Dienstleistungserbringung den indirekten oder gar den direkten Kosten zuzuordnen sind. Die Dreiteilung zwischen direkten, indirekten und „Operating Expenses“ ist also liefer- und leistungsabhängig und im Ergebnis willkürlich. Vor diesem Hintergrund ist sie für die praktische Verrechnungspreisermittlung ungeeignet, da bestimmte Kostenkategorien nicht oder nur wahlweise einbezogen werden.2
5.49
Eliminierung von „Operating Expenses“. Vielmehr erinnert die Eliminierung von „Operating Expenses“ aus der Kostenbasis an die Definition der steuerlichen Herstellungskosten.3 Danach müssen zwar die Materialeinzelkosten, Materialgemeinkosten, Fertigungseinzelkosten, Fertigungsgemeinkosten, Sonderkosten der Fertigung und die Abschreibungen, soweit durch die Herstellung bedingt, in die Herstellungskosten einbezogen werden (Pflichtbestandteile), während allgemeine Verwaltungs- und ähnliche Kosten nicht einbezogen werden brauchen (Wahlrecht) und Vertriebskosten nicht einbezogen werden dürfen (Verbot). Eine solche Orientierung an den steuerlichen Herstellungskosten verkennt allerdings, dass die steuerlichen Herstellungskosten bei der Verrechnungspreisermittlung keine Rolle spielen können und nur die kalkulatorischen Herstellungs-
5.50
1 Vgl. Tz. 2.47 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Baumhoff, IStR 1996, 54; Werra, IStR 1995, 461; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, 93. 3 Vgl. R 6.3 EStR.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
kosten in die Kostenbasis einbezogen werden dürfen, weil nur die Selbstkosten Grundlage für die Kalkulation von Absatzpreisen gegenüber fremden Dritten sein können und damit allein dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechen. Die steuerlichen Herstellungskosten dienen anderen Rechnungszwecken, z.B. der Vorratsbewertung oder der Ermittlung der Höhe der aktivierten Eigenleistungen, nicht aber als Basis für die Preispolitik gegenüber Fremden. Die Notwendigkeit einer ausschließlichen Orientierung an den betriebswirtschaftlichen Elementen dieser Methode zeigt sich insbesondere auch daran, dass kalkulatorischen Kosten in der Regel einen Inflationsausgleich beinhalten (z.B. Abschreibungen auf der Basis von Wiederbeschaffungskosten),1 während die steuerlichen Herstellungskosten auf der Basis von Istkosten (Rz. 5.52 ff.) zu ermitteln sind. c) Zeitbezug der Kosten
5.51
Allgemeines. Von der Frage der Ermittlung der Kostenarten zu unterscheiden ist die Frage des Zeitbezugs der zu verrechnenden Kosten. In diesem Zusammenhang wird allgemein zwischen Ist-, Normal- und Plankosten unterschieden. Für welche Kalkulationsmethodik sich der Steuerpflichtig entscheidet, steht dabei in seinem freien Ermessen, objektiviert durch das Verhalten eines ordentlichen Geschäftsleiters. Auch die OECD-Leitlinien bestimmen ausdrücklich, dass der Zeitbezug der Kosten auf der Basis von Ist-, Normal- oder Plankosten erfolgen kann.2
5.52
Istkostenrechnung. Bei der Istkostenrechnung, die auf einer Vergangenheitsrechnung beruht, werden alle tatsächlich angefallenen Kosten in die Kostenbasis der Kostenaufschlagsmethode einbezogen. Die Istkosten sind definiert als die mit Istpreisen bewerteten Istverbrauchsmengen der Produktionsfaktoren. Hauptzielsetzung der Istkostenrechnung ist die Nachkalkulation der betrieblichen Aufträge und Leistungen.3
5.53
Mängel der Istkostenrechnung. Den Vorteilen der Istkostenrechnung, die vergleichsweise einfache Kostenermittlung und Nachprüfbarkeit der ermittelten Ergebnisse sowie die daraus resultierende Einengung des Manipulationsspielraums, stehen allerdings schwerwiegende Mängel gegenüber. Der entscheidende Nachteil ist die Auswirkung aller zufallsbedingten Kostenschwankungen auf die Höhe der Selbstkosten.4 Solche Schwankungen können beispielsweise durch Preis- und Beschäftigungsgradänderungen oder bei unterschiedlichem Mengenverbrauch einzelner Inputfaktoren eintreten. Als praktischer Nachteil der Istkostenrechnung wird ferner die Tatsache angesehen, dass die so ermittelten Selbstkosten erst eine gewisse Zeit nach einer Transaktion festgestellt werden kön1 Vgl. Freidank, Kostenrechnung8, 110 ff. 2 Vgl. Tz. 2.49 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Kilger/Pampel/Vikas, Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung12, 44. 4 Vgl. auch Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, 96.
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B. Klassische Methoden
nen.1 Die OECD-Leitlinien schlagen insoweit vor, diesen Nachteil durch Korrekturzuschläge oder -abschläge im Rahmen der Festlegung des Gewinnaufschlags zu eliminieren, ohne allerdings zu erläutern, wie diese Berichtigungen quantitativ ermittelt werden sollen.2 Überdies findet man den begrüßungswerten Vorschlag, die angeführten Nachteile durch Verwendung der Normalkostenrechnung zu vermeiden.3 Eliminierung von unwirtschaftlichen Einflussfaktoren. Darüber hinaus erfolgt im Rahmen der Verrechnung von Istkosten keine Eliminierung von Einflussfaktoren, die auf Unwirtschaftlichkeiten beim Leistungserstellungsprozess zurückzuführen sind.4 Während solche Unwirtschaftlichkeiten bei Zugrundelegung von Marktpreisen regelmäßig vom Produzenten bzw. Leistungserbringer zu tragen sind, werden sie bei der Verwendung der Kostenaufschlagsmethode auf der Basis von Istkosten über den Verrechnungspreis auf den Abnehmer abgewälzt. Prinzipiell das Gleiche gilt für den umgekehrten Fall einer besonders günstigen Kostensituation beim Produzenten oder Leistungserbringer, wobei die Vorteile nicht diesem, sondern dem Abnehmer zugutekommen. Somit würde bei Anwendung der Istkostenrechnung der Preis umso höher (niedriger) ausfallen, je unwirtschaftlicher (wirtschaftlicher) produziert wird. Dies steht im Widerspruch zum Grundsatz des Fremdvergleichs, da unter fremden Dritten derjenige wirtschaftliche Vor- und Nachteile in Anspruch nehmen kann bzw. zu vertreten hat, der sie verursacht.5 M.a.W. wird eine ineffiziente Leistungserstellung vom Markt regelmäßig nicht honoriert.
5.54
Normalkostenrechnung. Die Normalkostenrechnung verwendet keine effektiv angefallenen, sondern „normale“, d.h. durchschnittliche Istkosten vergangener Perioden. Die Aufgabe der Normalkostenrechnung besteht somit darin, die periodischen Schwankungen der Kostenarten zu nivellieren und auszugleichen (d.h. zu „normalisieren“). Es existieren verschiedene Varianten der Normalkostenrechnung, die daraus resultieren, dass die Durchschnittsbildung (Normalisierung der Kosten) für die Preise und/ oder die Verbrauchsmengen der Produktionsfaktoren erfolgen kann.6 Die „normalisierten“ Kosten können durch sog. aktualisierte Mittelwerte, die die veränderten gegenwärtigen und zukünftigen Kosteneinflussgrößen erfassen, korrigiert werden. Insofern kann die Normalkostenrechnung auch zu erwartende Kostenentwicklungen berücksichtigen.
5.55
1 Vgl. Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.52 Rz. 248. 2 Vgl. Tz. 2.42 und 2.52 OECD-Leitlinien 2010 sowie hierzu Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.42 Rz. 206; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 583. 3 Vgl. Tz. 2.52 OECD-Leitlinien 2010. 4 So auch Tz. 2.42 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 2.52 OECD-Leitlinien 2010; Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 316. 6 Vgl. insofern die Unterscheidung zwischen starren und flexiblen Verfahren der Normalkostenrechnung bei Kilger/Pampel/Vikas, Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung12, 47 ff.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
5.56
Sollkostenrechnung. Eine Variante der Normalkostenrechnung, bei der eine Durchschnittsbildung korrigiert durch aktualisierte Mittelwerte nur für die Preise, nicht aber für die Verbrauchsmengen erfolgt, wird auch als Sollkostenrechnung bezeichnet.1 Diese Kosten sind definiert als die mit Plan-(Normal)preisen bewerteten Istverbrauchsmengen der Produktionsfaktoren. Damit wird ex ante nur die Wertkomponente festgelegt, während die Mengenkomponente offen bleibt und erst durch den tatsächlichen Mengenverbrauch der eingesetzten Produktionsfaktoren bestimmt wird.
5.57
Plankostenrechnung. Im Gegensatz zur Ist- und Normalkostenrechnung basiert die Plankostenrechnung ausschließlich auf zukunftsorientierten Größen (Prognosekosten, erwartete Kosten). Bei den Plankosten handelt es sich somit um Kostenvorgaben mit Soll-Charakter, die unter vorheriger Festlegung eines bestimmten Beschäftigungsgrades und Produktionsverfahrens, einer bestimmten Auftragszusammensetzung sowie weiterer Plandaten auf der Grundlage technischer und ökonomischer Verbrauchsstudien bzw. Beobachtungen unter der Prämisse rationalen Wirtschaftens festgelegt werden.2 Obwohl die Plankostenrechnung ein entsprechend entwickeltes Rechnungswesen und die Verwendung – mitunter aufwendiger – Prognosemethoden voraussetzt, erweist sie sich zur Bestimmung von Verrechnungspreisen auf der Basis der Kostenaufschlagsmethode aus zwei Gründen als besonders geeignet.3
5.58
Vorzüge der Plankostenrechnung. Zum einen erlaubt die Verwendung von Plankosten die Unterstellung einer gewissen Wirtschaftlichkeit bei der betrieblichen Leistungserstellung, was dazu führt, dass – wie beim Leistungsaustausch zwischen unabhängigen Geschäftspartnern üblich – sowohl Unwirtschaftlichkeiten als auch Kostenvorteile zu Lasten wie zugunsten des Unternehmens gehen, in dessen Verantwortungsbereich die Abweichung fällt. Auf Grund der teilweisen Glättung von Zufallsschwankungen der Kosten gilt dies in eingeschränktem Maße auch für die Normalkostenrechnung. Dennoch lässt sich nicht völlig verhindern, dass unrentabel arbeitende Unternehmen mitunter auch überhöhte Plan- oder Normalkostenwerte ansetzen.
5.59
Soll-Ist-Vergleich. Zum anderen berücksichtigt alleine das System der Plankostenrechnung den Grundsatz der „Ex-ante“-Betrachtung (Rz. 3.100), wonach einem Fremdvergleich nur die Verhältnisse und Informationen zugrunde zu legen sind, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannt waren bzw. sich abzeichneten. Da ein Unternehmer 1 Vgl. Kilger/Pampel/Vikas, Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung12, 594 f.; Rickards, Kostensteuerung kompakt, 180 f. 2 Zu den Entwicklungsformen der Plankostenrechnung im Einzelnen vgl. Kilger/ Pampel/Vikas, Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung12, 51 ff. 3 Gl.A Klein/Nohl/Zschiegner/Klein, Konzernrechnungslegung und Konzernverrechnungspreise, 111; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 583; Weber, Technologietransfer im internationalen Konzern, 159.
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B. Klassische Methoden
bzw. ein ordentlicher Geschäftsleiter zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die tatsächlich für die Leistungserstellung anfallenden Istkosten nicht kennen kann, muss insoweit von den erwarteten Kosten, also den Plankosten ausgegangen werden. Die Verwendung von Istkosten würde hingegen als Verstoß gegen das allgemein anerkannte Verbot der Retrospektive bei der Festlegung und Überprüfung von Verrechnungspreisen anzusehen sein. Ferner ist die Verwendung von Normal- und Plankosten dem Verdacht ausgesetzt, objektiv schwer kontrollierbare Manipulationen bei der Kostenfestsetzung zu bewirken.1 Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Möglichkeit, wenn auch nicht in gleichem Umfang, grundsätzlich auch bei Anwendung der Istkostenrechnung besteht. Außerdem stellt die Kostenkontrolle einen wesentlichen Bestandteil der Plankostenrechnung dar. Diese erfolgt durch eine Gegenüberstellung der geplanten mit den tatsächlichen Kosten und eine anschließenden Ermittlung und Analyse der Abweichungen zwischen Plan- und Istkosten. Da die Plankostenrechnung eine Vor- und eine Nachrechnung enthält, lässt sich mit Hilfe der Abweichungsanalyse die Manipulationsgefahr in hinreichendem Umfang begrenzen.2 Angemessene Toleranzgrenzen. Becker schlägt in diesem Zusammenhang vor, im Rahmen der Abweichungsanalyse angemessene Toleranzgrenzen festzulegen, wobei eine Schwankungsbreite von plus/minus 5 % angemessen sei.3 Dieser Auffassung ist aus Kontroll- und Praktikabilitätsgesichtspunkten grundsätzlich zuzustimmen. Überschreiten die Istkosten die vorgeschlagene Toleranzgrenze, so ist eine Soll-Ist-Analyse durchzuführen. Stellt sich dabei heraus, dass die Plankosten im Rahmen der „Ex-ante“-Betrachtung unter Verwendung aller verfügbaren Daten korrekt berechnet wurden und dass Manipulationen im Rahmen dieser Kostenbestimmung ausgeschlossen werden können, sind die Plankosten den Istkosten nach wie vor vorzuziehen. Dies entspricht dem Verbot der Retrospektive bei der Festlegung und Überprüfung von Verrechnungspreisen.
5.60
Schätzung von Plandaten und Planverbrauchsmengen. In der praktischen Handhabung wird die für die Anwendung der Plankostenrechnung unabdingbare Prognoserechnung und Budgetierung nicht unproblematisch sein. Dies gilt – neben der Schätzung der Kosten selbst – insbesondere für die Ermittlung der voraussichtlichen Produktionsmengen, die maßgeblich die Aufteilung der Fixkosten auf die Kostenträger und somit die Quantifizierung der Stückkosten determinieren.4 Insoweit können einer
5.61
1 Vgl. etwa Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.52 Rz. 249. 2 Im Übrigen wird auch im Rahmen der Plankostenrechnung in der Regel Dokumentationserfordernissen Rechnung getragen (z.B. mittels einer Abstimmung mit der Finanzbuchhaltung), vgl. Lorson/Schweitzer in Küting, Saarbrücker Handbuch der Betriebswirtschaftlichen Beratung4, Rz. 1249 ff. 3 Vgl. Becker, IWB F. 3 Gr. 1, 593. 4 In der Verrechnungspreispraxis werden insoweit die Plandaten häufig aus Erfahrungswerten der Vergangenheit abgeleitet. Zur Abschätzung von Risiken vgl. etwa Vögele/Borck, IStR 2002, 176 ff.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Anwendung der Plankostenrechnung durchaus praktische Schwierigkeiten entgegenstehen. Da jedoch die Heranziehung der Istkostenrechnung auf Grund des Verbots der Retrospektive aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen ist, wird mitunter das Herbeiführen einer Kompromisslösung erforderlich sein.
5.62
Normalkostenrechnung als Kompromisslösung. Als eine solche Kompromisslösung kann die Normalkostenrechnung fungieren, die es erlaubt, ex ante lediglich die Wertkomponente der Kosten festzulegen, während sich die Mengenkomponente ex post am tatsächlich eingetretenen Mengenverbrauch orientiert.
5.63
Istkostenrechnung als Ausnahmefall. In der Literatur1 wird für den Fall, dass die anfallenden Kosten wegen der Individualität der entsprechenden Lieferungen und Leistungen weder normiert noch hinreichend sicher geplant werden können (z.B. bei Einzel- und Spezialanfertigungen, konzernspezifischen Dienstleistungen und Forschungsleistungen), als einzig zielführendes System die Istkostenrechnung angesehen. d) Sachumfang der Kosten
5.64
Vollkostenrechnung. Im Rahmen der Bestimmung des Sachumfangs der verrechenbaren Kosten wird allgemein zwischen Voll- und Teilkosten unterschieden. Die VWG 19832 gehen im Zusammenhang mit der Kostenaufschlagsmethode grundsätzlich von Vollkosten aus. Die Vollkostenrechnung beruht auf der Erkenntnis, dass eine Unternehmung auf Dauer nur dann bestehen kann, wenn die erzielten Preise sämtliche Kosten decken. Ausgangspunkt einer auf Vollkosten basierenden Verrechnungspreisgestaltung sind somit die durch die Kostenträgerstückrechnung zu ermittelnden Selbstkosten. Da das Problem der verursachungsgerechten Zuordnung der echten Gemeinkosten nach wie vor als unlösbar gilt,3 wird hierbei bewusst in Kauf genommen, dass zur Ermittlung der Selbstkosten einer Leistungseinheit eine im Grunde willkürliche Zurechnung der echten Gemeinkosten notwendig ist. Hieraus resultiert die Forderung, möglichst alle Kosten weitgehend als Einzelkosten zu erfassen, soweit diese den einzelnen Leistungen zugerechnet werden können, während dies für die Gemeinkosten nur indirekt über die Kostenstellenrechnung möglich ist.4 Bei der Einteilung einer Unternehmung in Kostenstellen ist u.a. zu beachten, dass sich für alle Kostenstellen geeignete Bezugsgrößen (Maßgrößen der Kostenverursachung) finden lassen. Dabei sollte die Bezugsgröße möglichst eine direkte Beziehung zum Kostenträger aufwei1 Vgl. Lahodny-Karner, Konzernverrechnungspreise im nationalen und internationalen Steuerrecht, 116; Weber, Technologietransfer im internationalen Konzern, 159 jeweils m.w.N. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.4. 3 Dies anerkennt auch die OECD in Bezug auf den Umlageschlüssel im Rahmen der Konzernumlage, vgl. Tz.8.19 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. auch Vögele/Scholz/Hoffmann, IStR 2001, 94 ff.
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B. Klassische Methoden
sen.1 Die Verteilung der Gemeinkosten in der Kostenstellenrechnung erfolgt mit Hilfe des tabellarisch aufgebauten Betriebsabrechnungsbogens (BAB). Dabei werden die Gemeinkosten im Rahmen der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung anhand von Bezugs- oder Schlüsselgrößen auf sog. Haupt- bzw. Endkostenstellen verteilt. Danach erfolgt die Festlegung der Gemeinkosten einer jeden Endkostenstelle mit den dort angefallenen Einzelkosten.2 Daran anschließend werden in der Kostenträgerrechnung die Gemeinkosten mit Hilfe der zuvor ermittelten Gemeinkostenzuschlagssätze den der einzelnen betrieblichen Leistung (Kostenträger) bereits zugeordneten Einzelkosten hinzugerechnet. Mängel der Vollkostenrechnung. Der jeder Vollkostenrechnung immanente Mangel, trotz Anwendung noch so verfeinerter Erfassungsmethoden und Verrechnungsmodi keine absolut willkürfreie und verursachungsgerechte Gemeinkostenschlüsselung vornehmen zu können, wird bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen auf Vollkostenbasis besonders deutlich. Die Existenz nicht eindeutiger Kriterien der Kostenstellenund Bezugsgrößenbildung, unterschiedlicher Möglichkeiten der Aufschlüsselung der Gemeinkosten sowie alternativer Kalkulationsverfahren eröffnen dem Kalkulierenden Möglichkeiten der Verrechnungspreisgestaltung durch zielorientierte Kostenverrechnung. Dieser elementare Mangel ist auch nicht durch eine generelle Festlegung bestimmter Verteilungsschlüssel, Zuschlagsbasen und Kalkulationsverfahren zu beseitigen, da hierbei die Gefahr besteht, dass ihre Verwendung in bestimmten Fällen auf Grund mangelnder Flexibilität zu unangemessenen Verrechnungspreisen führt. Vielmehr muss die Bestimmung dieser Kosteneinflussgrößen einzelfallbezogen unter Berücksichtigung der Art des zu bewertenden Gutes bzw. der zu bewertenden Leistung, der Liefer- bzw. Leistungshäufigkeit, der Zusammensetzung des Lieferungs- und Leistungsprogramms, der Organisation des Rechnungswesens sowie der Organisationsstruktur des Unternehmens bzw. der Unternehmensbereiche erfolgen.
5.65
Kostenschlüsselung nach Ersatzkriterien. Da letztlich zwingende Zuordnungskriterien fehlen, verbleibt nur die Möglichkeit, die Kosten nach Ersatzkriterien zu schlüsseln, mit denen sie mehr oder weniger stark korrelieren. Um mögliche Manipulationsspielräume einzuschränken, sind bei der Kalkulation von Leistungen an verbundene wie unverbundene Unternehmen prinzipiell einheitliche Verteilungsmodi anzuwenden. Wird ausschließlich an verbundene Unternehmen geleistet, sind die für den Einzelfall geeignetsten Verfahren heranzuziehen, wobei deren konkrete Eignung anhand betriebswirtschaftlicher Grundsätze zu beurteilen ist.3 Als
5.66
1 Dies wird insbesondere durch die Prozesskostenrechnung gewährleistet. Vgl. dazu Ditz, DB 2004, 1952 ff.; Ditz, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 335 ff. 2 Insoweit werden sog. Zuschlagsätze ermittelt, zur Vorgehensweise vgl. Lorson/ Schweitzer in Küting, Saarbrücker Handbuch der Betriebswirtschaftlichen Beratung4, Rz. 1197 ff. 3 So ausdrücklich BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.4.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Prüfungs- und Beurteilungsmaßstab ist dabei das Verhalten eines ordentlichen Geschäftsleiters heranzuziehen (Rz. 3.132 ff.).1
5.67
Teilkostenrechnung. Die deutsche Finanzverwaltung fordert in Tz. 2.2.4. VWG 1983 ausdrücklich, die der Kostenermittlung zugrunde zu legenden Kalkulationsmethoden an der Preispolitik gegenüber Fremden bzw. an betriebswirtschaftlichen Grundsätzen auszurichten.2 Damit wird grundsätzlich auch die Teilkostenrechnung für all jene Fälle zugelassen, in denen es für einen ordentlichen Geschäftsleiter unter Berücksichtigung seines Zielsystems sinnvoll ist, auf die Deckung der vollen Selbstkosten einer Lieferung/Leistung zu verzichten und sich stattdessen mit einem „Costless“-Preis zu begnügen.3 Die Teilkostenrechnung ist ein betriebswirtschaftlich anerkanntes Instrument zur Fundierung preispolitischer Entscheidungen, deren Anwendung immer dann mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs in Einklang steht, wenn dies in vergleichbaren Situationen auch zwischen oder gegenüber unabhängigen Geschäftspartnern praktiziert wird. Daher würde es den Grundsätzen ordnungsmäßiger Geschäftsführung nicht widersprechen, wenn beispielsweise zur Erschließung neuer bzw. Erweiterung bestehender Absatzmöglichkeiten oder bei vorübergehender Unterbeschäftigung zur Ausnutzung freier Kapazitäten kurzfristig jeder Preis akzeptiert wird, der über den Einzelkosten liegt. Ebenso ist es mit dem Fremdvergleich vereinbar, zur Schaffung eines vollumfänglichen Sortiments auch solche Produkte in eine Produktpalette aufzunehmen, mit denen sich nicht die Vollkosten, jedoch zumindest die variablen Kosten decken lassen.4 Denn ein solcher kalkulatorischer Ausgleich i.R. einer Palettenbetrachtung ist jedenfalls zwischen unverbundenen Marktteilnehmern nicht unüblich.5 Allerdings kann eine Verrechnungspreisbestimmung auf Teilkostenbasis (z.B. auf Grundlage einer Deckungsbeitragsrechnung) nur dann zur Anwendung kommen, wenn eine Vollkostendeckung nicht möglich6 oder vorübergehend betriebswirt-
1 Zur vglb. Problematik eines fremdvergleichskonformen Umlageschlüssels bei Umlageverträgen s. Ditz, DB 2004, 1951 ff. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.4. 3 Ähnlich Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 2.1.6. und 2.2.4. VWG 1983; Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.51 Rz. 244 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 582; Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. D 206; Nientimp, Gewinnabgrenzung in internationalen Konzernen, 165; Scholz, BNA, 04/a, 8; Baumhoff in FS Krawitz, 29 f.; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 139 ff. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 593. 5 Vgl. Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141 f.; Baumhoff, IStR 1994, 593; Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 521 f.; Kaminski/Strunk, IWB F. 3 Gr. 1, 1837; Kroppen/Rasch, IWB F. 5 Gr. 2, 354; Bauer, DB 2008, 156 f.; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverechnung, 147 f. 6 Z.B. auf Grund zu geringer Absatzpreise.
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B. Klassische Methoden
schaftlich nicht sinnvoll ist.1 Letztlich müssen demnach betriebswirtschaftliche Gründe für die Preisfestsetzung auf der Grundlage einer Teilkostenrechnung vorliegen. Fehlen diese, kommt steuerlich ausschließlich eine Preisermittlung auf Vollkostenbasis in Betracht. Teilkostenrechnung in bestimmten Marktsituationen. Die OECD-Leitlinien eröffnen explizit die Möglichkeit, in bestimmten Marktsituationen auf eine Teilkostenrechnung überzugehen.2 Zwar erwähnen die OECDLeitlinien in diesem Zusammenhang lediglich die Teilkostenrechnung bei der Markterschließung, doch dürfte unbestritten sein, dass auch Preiskonzessionen zur Ausnutzung freier Kapazitäten einen nicht die Vollkosten deckenden Preis rechtfertigen, um die Leerkosten eines Unternehmens möglichst niedrig zu halten.3 Weitere Gründe für Preiskonzessionen können in Liquiditätsengpässen oder hohen Lagerbeständen liegen.
5.68
4. Gewinnaufschlag Unternehmens- und branchenübliche Gewinnaufschläge. Neben der Ermittlung der Kostenbasis liegt das zentrale Problem der Kostenaufschlagsmethode in der Bestimmung eines angemessenen Gewinnaufschlags. Es besteht jedoch weder dem Grunde noch der Höhe nach Einigkeit darüber, nach welchen Grundsätzen die Angemessenheit des Gewinnaufschlags zu beurteilen ist. Während die VWG 1983 im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode generell von betriebs- oder branchenüblichen Gewinnaufschlägen ausgehen,4 sehen die OECD-Leitlinien einen Gewinnaufschlag vor, „den derselbe Lieferant bei vergleichbaren Fremdgeschäften erzielt“.5 Abgestellt wird somit auf einen innerbetrieblichen Vergleich (Rz. 3.128), also auf betriebsübliche Gewinnaufschläge. Daneben lässt die OECD eine Ermittlung des Gewinnaufschlags nach Maßgabe eines zwischenbetrieblichen Vergleichs (Rz. 3.129) zu, wonach die Gewinnmarge zugrunde zu legen ist, die ein unabhängiges Unternehmen bei vergleichbaren Geschäften erzielt.6 Dabei ist jedoch zu beachten, dass auch die Kostenbasis vergleichbar sein muss.7 Insoweit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ggf. bereits in der Kostenbasis gewinnwirksame Bestandteile8 enthalten sind, deren Verrechnung sich auf die Höhe des Gewinnaufschlags auswirkt.9 1 Z.B. bei Markteintritt, Marktverteidigung, Marktanteilsausweitung, aber auch in Phasen gesamtwirtschaftlicher oder branchenbezogener Krisen. Vgl. hierzu etwa Baumhoff in FS Krawitz, 21 ff. 2 Vgl. Tz. 2.51 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. auch Nientimp, Gewinnabgrenzung in internationalen Konzernen, 165 m.w.N. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.4. Ähnlich auch die US-Reg. § 1.482-2(e) (4). 5 Tz. 2.40 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. Tz. 2.40 ff. OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. Tz. 2.44 OECD-Leitlinien 2010. 8 Z.B. durch die Verrechnung kalkulatorischer Kosten, vgl. Oestreicher, IStR 2000, 764 ff.; Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791. 9 Vgl. Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleich, 101.
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5.69
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
5.70
Steuerlicher Gewinnerzielungszwang. Hinsichtlich der Verrechnung eines Gewinnaufschlags dem Grunde nach wurde im Schrifttum vereinzelt die Ansicht vertreten, es bestehe für Dienstleistungen, die nicht zum eigentlichen Geschäftsgegenstand eines Unternehmens zählen, kein steuerlicher Gewinnerzielungszwang, sondern nur die Verpflichtung zur Weiterbelastung der Selbstkosten. Begründet wird diese Ansicht damit, solche Leistungen „dienender Art“ würden aus Kosten- und Qualitätsgründen zentral zum Nutzen aller Gruppenmitglieder erbracht. Hiermit sei keine unmittelbare Gewinnerzielungsabsicht verbunden, sondern vielmehr eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der Unternehmensgruppe zu möglichst niedrigen Kosten, womit ein Selbstkostenpreis zu rechtfertigen sei.
5.71
Kein Verzicht auf Gewinnelement. Die Forderung nach Verzicht auf die Einbeziehung eines Gewinnelements bei der Einzelverrechnung bestimmter Dienstleistungen ist jedoch – außerhalb der Poolumlage (Rz. 6.342 ff.) – mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs unvereinbar, da ein gewinnzielorientierter Unternehmer bzw. ordentlicher Geschäftsleiter i.d.R. keine Leistung – auch keine Nebenleistung – erbringen würde, ohne damit eine Gewinnerwartung zu verbinden (Rz. 6.76). Abgesehen davon, dass die Feststellung, ob eine Dienstleistung für das leistungserbringende bzw. -empfangende Unternehmen einen wesentlichen Bestandteil seiner Geschäftstätigkeit darstellt, oft sehr schwierig ist, ist nicht einsichtig, warum bestimmte Dienstleistungen, die wie alle übrigen Lieferungen und Leistungen zur Erzielung des Gesamtgewinns eines Unternehmens beitragen, nur zu Selbstkosten abgerechnet werden sollen. Tritt ein Unternehmen gegenüber einem anderen – mit welcher Art verrechenbarer Dienstleistungen auch immer – als Dienstleistungsunternehmen auf, so ist die Verrechnung von Selbstkosten ohne Gewinnaufschlag zwischen Fremden unter normalen Umständen nicht vorstellbar. Durch den Verzicht auf das Gewinnelement würde der Gewinn einseitig dem leistungsempfangenden Unternehmen zugeschlagen, was eine ungerechtfertigte Gewinnverlagerung bedeuten würde, die durch den Grundsatz des Fremdvergleichs eben gerade vermieden werden soll. Infolgedessen ist die Berücksichtigung eines Gewinnaufschlages im Rahmen der Einzelabrechnung von Dienstleistungen, d.h. außerhalb der Poolumlage (Rz. 6.342 ff.), zwingend.
5.72
Kein internationaler Konsens. Für die deutsche Verrechnungspreispraxis kommt in Übereinstimmung mit den OECD-Vorgaben eine reine Kostenverrechnung selbst dann nicht in Betracht, wenn die Leistungsgegenstände keine Kern- bzw. Hauptfunktion(en) des leistungserbringenden Unternehmens darstellen. In der Frage einer reinen Kostenverrechnung besteht jedoch international keinesfalls Konsens. So ist etwa in den USA, Japan und in den Niederlanden bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine reine Kostenverrechnung ohne Gewinnaufschlag zulässig.1 1 Vgl. hierzu Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 212 ff. m.w.N.
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B. Klassische Methoden
Allenfalls temporärer Verzicht. Von der letztlich auf dem Fremdvergleich basierenden Forderung nach einen Gewinnaufschlag dem Grunde nach zu unterscheiden sind Rahmenbedingungen, die einen temporären Verzicht auf einen Gewinnaufschlag rechtfertigen können. Hierbei handelt es sich um Frage des Gewinnaufschlags der Höhe nach, die im Folgenden behandelt wird.
5.73
Ermittlung des angemessenen Gewinnaufschlags. Zur Festlegung der angemessenen Gewinnkomponente der Höhe nach existieren in der Literatur und seitens der Rechtsprechung mehrere Vorschläge.1 Diese reichen vom inneren oder äußeren Betriebsvergleich über die Eigenkapitalrendite des betroffenen Unternehmens, die Preisbildungsvorschriften für öffentliche Aufträge bis hin zu festen, in Prozentsätzen anzugebenden Aufschlägen. Betriebsübliche Gewinnaufschläge, die sich durch einen inneren Betriebsvergleich ermitteln lassen, orientieren sich an Gewinnspannen, die von dem betreffenden Konzernunternehmen mit fremden Dritten erzielt werden. Als Vergleichsmaßstab sollen dabei möglichst Transaktionen herangezogen werden, die unter vergleichbaren Umständen vorgenommen wurden. Stehen vergleichbare Gewinnspannen nicht zur Verfügung, weil das liefernde/leistende Unternehmen keine oder keine vergleichbaren Geschäftsbeziehungen zu Fremden unterhält, so ist auf branchenübliche Gewinnaufschläge abzustellen, die sich durch einen äußeren Betriebsvergleich bestimmen lassen. Dabei wird auf Gewinnspannen Bezug genommen, die zwischen Unternehmen der gleichen Branche bei vergleichbaren Geschäften erzielt werden. Zu deren Ermittlung kann insbesondere auf Datenbanken zurückgegriffen werden (vgl. Rz. 3.31 und 3.131).2 Allerdings zeigt die Verrechnungspreispraxis, dass der Einsatz von Datenbanken nicht unproblematisch ist.3 Lassen sich indessen auch mit dieser Methodik keine Vergleichswerte identifizieren, besteht ferner die Möglichkeit, einen „normalisierten“ Gewinnaufschlag anhand der durchschnittlichen Branchenrendite heranzuziehen.4
5.74
Mindestansatz einer Kapitalmarktrendite. Ein anderer Vorschlag geht dahin, den Gewinnaufschlag so zu bemessen, dass zusammen mit den kalkulatorischen Eigenkapitalzinsen mindestens eine Eigenkapitalrendite in Höhe der Kapitalmarktrendite erwirtschaftet wird.5 Dies beruht auf der Überlegung, dass fremde Dritte eine unternehmerische Funktion nur dann ausüben würden, wenn die erzielbaren Erlöse langfristig eine ange-
5.75
1 Vgl. zu einem Überblick Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.40 Rz. 191 ff. 2 Vgl. Vögele/Juchens, IStR 2000, 713 ff.; Tucha, IStR 2002, 745 ff.; Baumhoff, IStR 2003, 3 f. Zum Einsatz von Datenbanken allgemein vgl. auch Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34.; Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937 ff. 3 Siehe auch Kolb, IWB F. 3 Gr. 1, 2391 ff.; Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160; Baumhoff in FS Krawitz, 37 ff. 4 Vgl. Klein/Nohl/Zschiegner/Klein, Konzernrechnungslegung und Konzernverrechnungspreise, 113. 5 Vgl. Scholz, IStR 2004, 209 ff.; Taetzner, IStR 2004, 726 ff.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
messene Verzinsung des eingesetzten Kapitals gewährleisten.1 Somit dürfte die Kapitalmarktrendite nur als Untergrenze der Eigenkapitalrendite in Frage kommen, da eine Kapitalmarktanlage, verglichen mit der Geldanlage in einem Unternehmen, ein wesentlich geringeres Kapitalausfallrisiko bedeutet. Folgerichtig wird deshalb auf eine Eigenkapitalrendite abgehoben, die eine Risikozuschlagskomponente beinhaltet.2
5.76
Aussagen der Rechtsprechung. Die deutsche Finanzrechtsprechung hat sich in mehreren Entscheidungen zur Angemessenheit von Gewinnaufschlägen geäußert. So beurteilte der BFH3 einen Gewinnaufschlag von 10 % bis 15 % „nicht als unangemessen“, ohne allerdings näher zu begründen, worauf er diese Feststellung stützt. Das FG Saarland hat in seinem rechtskräftigen Urt. v. 18.12.1996 – allerdings wiederum unbegründet – entschieden, dass ein Reingewinnzuschlag i.H.v. 5 % auf keine Bedenken stoße.4 Diese Quantifizierung des Gewinnaufschlags steht im Einklang mit dem BFH-Urteil v. 12.3.1980, nach dem ein Reingewinn von 3 % bis 5 % des wirtschaftlichen Umsatzes die Annahme einer vGA nicht rechtfertige.5 Das FG Baden-Württemberg führt in seinem Urteil v. 2.5.20036 aus, dass neben der Deckung der Kosten noch ein „bescheidener Rohgewinn“ verbleiben müsse, ohne diesen allerdings zu quantifizieren.7 Das FG Münster hat schließlich in seinem rechtskräftigen Urteil vom 16.3.2006 judiziert, dass ein Kostenaufschlag von 30 % bis 70 % auf die reinen Lohnkosten sich in einem Bereich bewegt, der „betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entspricht“ und „jedenfalls nicht zu hoch angesetzt sein dürfte“.8
5.77
Verrechnungspreispraxis. In der Verrechnungspreispraxis hat sich indessen ein Gewinnaufschlag i.H.v. 5 % bis 10 % auf die Selbstkosten (d.h. die nach den Grundsätzen der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung ermittelten Vollkosten) als in der Regel zweckmäßig erwiesen. Dieser wird – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – auch von der deutschen Finanzverwaltung akzeptiert9 und ist durchaus als internatio1 Vgl. in diesem Zusammenhang auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, wonach eine Vertriebsgesellschaft innerhalb eines überschaubaren Kalkulationszeitraums einen angemessenen Totalgewinn erwirtschaften soll. Dessen Höhe kann sich nach Ansicht des BFH „als Untergrenze an einer angemessenen Verzinsung des zugeführten Eigenkapital orientieren“. 2 Vgl. Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 237 f.; Fiehler, IStR 2007, 469 f. 3 Vgl. BFH v. 2.2.1960 – I 194/59, BB 1960, 731. 4 Vgl. FG Saarland v. 18.12.1996 – 1 K 257/94, EFG 1997, 485. 5 Vgl. BFH v. 12.3.1980 – I R 186/76, BStBl. II 1980, 531 = FR 1980, 360. 6 FG Baden-Württemberg v. 22.5.2003 – 3 K 143/98, DStRE 2004, 965. 7 Zur methodisch vertretbaren Vorgehensweise der Ableitung der Handelsspanne mittels der Kostenaufschlagsmethode vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 593. 8 FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2248/02, FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562. 9 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99 – Betriebsstätten-VWG, BStBl. I 1999, 1122, Tz. 3.1.2; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umla-
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B. Klassische Methoden
nal üblich anzusehen.1 Gleichwohl darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass es sich bei dieser Richtgröße um einen rein pragmatischen Ansatz handelt, der sich einer betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung entzieht. Insofern ist bei der Festlegung des Gewinnaufschlags immer den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen, d.h. es sind insbesondere die von der verbundenen Unternehmung ausgeübte Funktionen, wahrgenommenen Risiken und eingesetzten Produktionsmittel zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus denkbar, dass kein bzw. nur ein geringer Gewinnaufschlag verrechnet werden darf, wenn es sich um sog. „durchlaufende Kosten“ handelt, also eine Unternehmung für eine andere in Vorlage tritt. Dies entspricht der Auffassung der Finanzverwaltung, dass in Fällen der Lohn- und Auftragsfertigung Materialbeistellungen nicht in die Kostenbasis mit einzubeziehen sind.2 Temporärer Verzicht in Krisensituationen. Ferner ist die Zuordnung eines sicheren Gewinns mittels eines Standardgewinnaufschlages etwa in Krisenzeiten fraglich. Können in Krisenzeiten unternehmens- und branchenübliche Gewinnspannen konzernweit nicht dargestellt, sondern nur Verluste in Grenzen gehalten werden, steht auch für Routineunternehmen die Erzielbarkeit eines sicheren Gewinns zur Diskussion. Es ist durchaus denkbar, dass bei konjunkturellen Nachfrage- und Preisrückgängen, die dem gesamten Konzern bzw. der gesamten Branche keine Gewinnerzielung mehr ermöglichen, kein bzw. allenfalls ein nur sehr geringer Gewinnaufschlag verrechnet wird. Dies ist auch mit den VWG-Verfahren vereinbar, die Routineunternehmen „regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“3 zugestehen, weil kein Regelfall, sondern ein Ausnahmefall gegeben ist.4 Allerdings ist bei Routineunternehmen die Deckung der Selbstkosten auf Vollkostenbasis zwingend, da diese Unternehmenskategorie gerade dadurch gekennzeichnet ist, weder Marktchancen wahrzunehmen, noch Marktrisiken zu tragen. Insofern sollten ein „Costless“-Preis und damit der Ausweis von Verlusten bei Routineunternehmen ausscheiden.5
1 2 3 4 5
geverträge, BStBl. I 1999, 1122, Tz. 1.7.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 327; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150; Zech, IStR 2011, 135. Vgl. Casley, The Basic Framework of the Cost-Plus Method, ITPJ March/April 1999, 38. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 4.1.3 Rz. 207; Zech, IStR 2011, 135. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2. Buchst. a. Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 32 f., Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 139 ff. So wohl auch Engler, IStR 2009, 687. Dagegen hält Scholz die Vereinbarung eines Preises unterhalb der Selbstkosten für zulässig, vgl. Scholz, BNA, 04/a, 8.
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5.78
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
5. Nachteile der Kostenaufschlagsmethode
5.79
Zuordnung eines Garantiegewinns. Ein wesentlicher Nachteil der Kostenaufschlagsmethode besteht darin, dass dem leistungserbringenden Unternehmen auf Grund der Verwendung „normalisierter“ Gewinnaufschläge ein garantierter Gewinn zugeordnet wird. Insoweit wird verkannt, dass der einer Lieferung resp. Leistung zuzuordnende Gewinn nicht nur durch unternehmensinterne Faktoren, wie die Kosten der leistungserbringenden Unternehmung, sondern auch durch den am Markt erzielbaren Preis determiniert wird. Es fehlt somit die Einbeziehung der Nachfrageverhältnisse, d.h. die Entscheidungssituation des Abnehmers. Dieser Nachteil der Kostenaufschlagsmethode kann durch die Berücksichtigung des Vertragspartners im Rahmen der Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters kompensiert werden.1 Dabei wird neben der Kostensituation des leistungserbringenden Unternehmens die spezifische Entscheidungssituation des leistungsempfangenden Unternehmens berücksichtigt und insoweit der natürliche Interessengegensatz zweier – unabhängiger – Vertragspartner für Zwecke der Verrechnungspreisermittlung nachgebildet (Rz. 3.143 ff.). 6. Kombination der klassischen Methoden
5.80
Zulässigkeit. Weder die VWG 1983 noch die OECD-Leitlinien betrachten die drei klassischen Methoden als die einzigen Instrumente einer Verrechnungspreisbestimmung. Vielmehr wird in beiden Verlautbarungen zutreffend festgestellt, dass es auf Grund der Komplexität des Geschäftslebens oder des Bemühens, den gegebenen Marktverhältnissen hinreichend Rechnung zu tragen, zu praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung der klassischen Methoden kommen kann.2 Deshalb wird ausdrücklich gestattet, die klassischen Methoden erforderlichenfalls zu kombinieren bzw. durch zusätzliche Elemente und Berechnungen zu ergänzen.3 So kann bspw. nach Auffassung des BFH im Rahmen der Ermittlung von Verrechnungspreisen bei einer Vertriebsgesellschaft die Wiederverkaufspreismethode – insbesondere zur Vermeidung einer nachhaltigen Verlustsituation der Vertriebsgesellschaft – um die Kostenaufschlagsmethode ergänzt werden, um die Handelsmarge der Vertriebsgesellschaft zu ermitteln (Rz. 5.26 f.).4 Diese Vorgehensweise hat sich auch in der Verrechnungspreispraxis durchgesetzt, da in diesem Zusammenhang häufig ein tatsächlicher Fremdvergleich an den fehlenden Vergleichsdaten scheitert. 1 Vgl. Baumhoff, DStR 1987, 499. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.4.2.; Tz. 2.18 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.4.2. und 2.4.3. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; wohl auch BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030 und hierzu Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 593.
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C. Gewinnorientierte Methoden
Verwendung von sonstigen betriebswirtschaftlichen Daten. Darüber hinaus besteht nach Ansicht der deutschen Finanzverwaltung die Möglichkeit, „Kalkulationsverfahren oder sonstige betriebliche Grundlagen, die im freien Markt die Preisbildung beeinflussen (betriebswirtschaftliche Daten)“ als Anhaltspunkte für eine Verrechnungspreisbestimmung zu verwenden.1 Diese Freiheitsgrade in der Methodengestaltung werden allerdings nur unter der Bedingung gewährt, dass solche unternehmenseigenen Berechnungssysteme „mit angemessener Genauigkeit“ zu marktkonformen Ergebnissen führen und dabei die tatsächlichen Verhältnisse in ausreichendem Umfang berücksichtigen sowie vollständig und richtig erfassen.2 Prüfungstechnisch ist dabei zu beachten, dass die Schlüssigkeit des Berechnungssystems erwiesen und dessen sachgerechte Anwendung gewährleistet ist.3 Ändern sich die in den Berechnungssystemen enthaltenen Vorgaben und Daten im Zeitablauf, sind die Berechnungssysteme entsprechend anzupassen.4
5.81
C. Gewinnorientierte Methoden I. Grundlagen und Rechtsentwicklung Zulässigkeit gewinnorientierter Methoden. Im Hinblick auf die Zulässigkeit gewinnorientierter Methoden für die Verrechnungspreisermittlung hat sich in den letzten Jahren eine deutliche Veränderung ergeben. Insbesondere Diskussionen auf Ebene der OECD, die schließlich zu einer Neufassung der Kapitel I bis III der OECD-Leitlinien geführt haben, bewirkten eine Aufwertung der gewinnorientierten Methoden gegenüber den klassischen Methoden.5 Damit wurde die grundsätzliche Nachrangigkeit der gewinnorientierten Methoden mittlerweile aufgegeben.
5.82
Arten gewinnorientierter Methoden. Sowohl die OECD-Leitlinien6 als auch die deutschen VWG-Verfahren7 unterscheiden mit Bezug auf gewinnorientierte Methoden im Einzelnen zwischen – der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TransactionalNet-Margin-Method – TNMM, Rz. 5.92 ff.), – der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (ProfitSplit-Method – PSM, Rz. 5.123 ff.) und
5.83
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.1.6. Buchst. c. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.4.3. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.4.3. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.3. Buchst. c. 5 Vgl. auch Naumann, IStR 2013, 616. 6 Vgl. Tz. 2.56 und 2.57 OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b, c und d.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
– der globalen Gewinnvergleichsmethode (Comparable-Profit-Method – CPM, Rz. 5.136 f.). Die dritte Alternative (globale Gewinnvergleichsmethode) unterscheidet sich von den ersten beiden Alternativen (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode) dadurch, dass die Ermittlung von Vergleichswerten nicht geschäftsvorfallbezogen erfolgt. Mit dieser Begründung wird die globale Gewinnvergleichsmethode als eine nicht auf dem Fremdvergleichsgrundsatz basierende Methode grundsätzlich abgelehnt. Demgegenüber werden die Verrechnungspreise bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode und geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode – zumindest theoretisch – geschäftsvorfallbezogen ermittelt; beide Methoden werden daher unter dem Stichwort „Transactional-ProfitMethods“ in den OECD-Leitlinien zusammengefasst.1 Nach international anerkannter Auffassung stehen geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs im Einklang und können unter den nachfolgend beschriebenen Voraussetzungen angewendet werden.
5.84
Geschäftsvorfallbezogene Gewinnmethoden in den VWG. Die deutsche Finanzverwaltung wollte in der Vergangenheit die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden nur sehr eingeschränkt anwenden. Gemäß Tz. 2.4.5. VWG 1983 sollten diese nur in Fällen der Schätzung oder Verprobung zur Anwendung kommen. Ein solch restriktiver Anwendungsbereich wurde von der deutschen Finanzverwaltung damit begründet, dass die klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung ausreichend seien. Diese Auffassung wurde in einer Presseerklärung des BMF v. 13.7.1995 nochmals ausdrücklich bestätigt.2 Gleichwohl war die Betriebsprüfungspraxis aufgrund der nicht zu leugnenden Nachteile der klassischen Methoden häufig gezwungen, auf die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden zurückzugreifen.3 Zudem wurde bereits in Tz. 2.4.5. VWG4 auf die Möglichkeit hingewiesen, selbst außerhalb von Fällen der Schätzung oder Verprobung – also „eigenständig“ – Einkünfte des Steuerpflichtigen mit Hilfe des Gewinnvergleichs oder der Gewinnaufteilung zu korrigieren, „wenn die Anwendung der Standardmethoden wegen besonderer Umstände […] nicht zu sachgerechten Ergebnissen führen würde“. Ebenfalls erlaubt Tz. 2.4.6. VWG 19835 in „besonderen Fällen“ die Anwendung der geschäftsvorfallbezoge1 Vgl. Kapitel II, Teil III OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. die Stellungnahme des BMF zum neuen Verrechnungspreisbericht des OECD-Rates, IStR 1995, 384 ff.; dies nochmals bestätigend Runge, IStR 1995, 505. 3 Vgl. insbesondere Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Tz. 118 ff.; Hoffmann, IStR 1999, 69 ff. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.5. 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.6.
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C. Gewinnorientierte Methoden
nen Gewinnmethoden. Auch in Tz. 5.2.3. VWG 1983 wird für den typischen Fall, dass zur Ableitung von Lizenzgebühren die Preisvergleichsmethode keine Anwendung findet, auf den „Betriebsgewinn“ des Lizenznehmers abgestellt. Mit diesen Regelungen haben sich also bereits die VWG 1983 für die Zulässigkeit und eigenständige Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden ausgesprochen, allerdings unter sehr restriktiven Bedingungen. Sie waren quasi als die Methoden „des letzten Auswegs“ anzusehen.1 Neujustierung durch die VWG-Verfahren. Durch die in 2005 veröffentlichten VWG-Verfahren wurden die restriktiven Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden deutlich relativiert. So wird der Einsatz der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode und geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode seitdem ausdrücklich zugelassen. Dabei erfolgt die Klarstellung durch die VWG-Verfahren, dass die geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode u.a. dann zur Verrechnungspreisermittlung herangezogen werden kann, „wenn die Standardmethoden […] nicht angewandt werden können“.2 Eine vergleichbare Formulierung findet sich zur geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode. Auch diese darf „herangezogen werden, wenn sich die Standardmethoden nicht oder nicht verlässlich anwenden lassen.“3 Mit diesen Regelungen wird also nicht mehr – wie in den VWG 1983 – nur auf „besondere Umstände“4 oder „besondere Fälle“5 abgestellt. Vielmehr wird die eigenständige Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden eingeräumt.6 Voraussetzung dafür bleibt freilich, dass es unter Anwendung der klassischen (Standard-)Methoden nicht gelingt, fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise zu ermitteln. Damit wird zugleich das Rangverhältnis der Methoden untereinander geregelt: Vorrangig kommen die klassischen Methoden, nur nachrangig die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden zur Anwendung.
5.85
Neufassung von § 1 Abs. 3 AStG. Im Rahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 20087 wurde u.a. § 1 AStG neu gefasst. Neben den speziellen Regelungen zu Funktionsverlagerungen wurden auch die allgemeinen Vorschriften zur Verrechnungspreisermittlung grundlegend überarbeitet.8 § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG normiert nunmehr, dass der „Verrechnungspreis
5.86
1 Vgl. Menck, StBp 1996, 154 ff. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b, 1. Spiegelstrich. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. c. 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.5. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.6. 6 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1551. 7 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (UntStRefG 2008) v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 8 Gesamtüberblick zu den Neuregelungen: Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 ff.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
vorrangig nach der Preisvergleichsmethode, der Wiederverkaufspreismethode oder der Kostenaufschlagsmethode zu bestimmen [ist], wenn Fremdvergleichspreise ermittelt werden können, die […] für diese Methoden uneingeschränkt vergleichbar sind“. Demnach wird den klassischen Methoden der Vorrang gegeben, wenn uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichspreise vorliegen. Bekanntlich stellt jedoch die uneingeschränkte Vergleichbarkeit eher den Ausnahmefall dar. Die durch einen tatsächlichen Fremdvergleich abgeleiteten Werte sind meist nur als eingeschränkt vergleichbar zu qualifizieren. Für diesen Fall regelt § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG, „eingeschränkt vergleichbare Werte […] der Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode zugrunde zu legen“. Bei eingeschränkter Vergleichbarkeit wird also nur noch auf eine „geeignete Verrechnungspreismethode“ abgestellt. Ein Vorrang der klassischen Methoden gegenüber den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden wird nicht mehr ausdrücklich im Gesetz genannt. Hier ist nun fraglich, ob nur eine unpräzise Gesetzesformulierung vorliegt und wie bei der uneingeschränkten Vergleichbarkeit – von einem grundsätzlichen Vorrang der klassischen Methoden auszugehen ist. Hierfür könnte sprechen, dass die einschlägigen BMF-Schreiben (insbesondere VWG-Verfahren) nicht geändert wurden (vgl. Rz. 5.158 ff.) und demnach immer noch ein genereller Vorrang der klassischen Methoden besteht. Denkbar ist jedoch auch, dass der Gesetzgeber bei eingeschränkter Vergleichbarkeit von einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis absehen und der inzwischen dominanten Bedeutung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden1 Rechnung tragen wollte. Insbesondere die folgenden Argumente lassen sich dafür anführen: – In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es zu § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG: „Soweit uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte feststellbar sind, stellt die Regelung den Vorrang der klassischen Methoden fest.“2 Aufgrund der Formulierung „soweit“ lässt sich ableiten, dass der Vorrang nur bei uneingeschränkter Vergleichbarkeit gelten soll. – In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es zu § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG: Der Steuerpflichtige muss „eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte (z.B. Preise, Bruttomargen, Kostenaufschlagsätze, Provisionssätze) für die Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode“3 verwenden. Die in dem Klammerausdruck aufgeführten Fremdvergleichswerte werden gleichrangig, ohne irgendeine Abstufung genannt. Dabei sind Provisionssätze der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode zuzuordnen. Diese stehen also auf einer Stufe wie Preise (= Preisvergleichsmethode), Brutto1 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 774 ff., 587 f.; auch Naumann, IStR 2013, 616: bei 80 % der einfachen Fälle findet die TNMM Anwendung. 2 Abgedruckt in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 298. 3 Abgedruckt in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 298.
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C. Gewinnorientierte Methoden
margen (= Wiederverkaufspreismethode) und Kostenaufschlagsätze (= Kostenaufschlagsmethode). – Das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 wurde Mitte 2007 verabschiedet. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete die OECD bereits an der Neufassung der Kapitel I bis III der OECD-Leitlinien. Ergebnis dieser Neufassung war, dass der grundsätzliche Vorrang der klassischen Methoden gegenüber den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden aufgegeben wurde (Rz. 5.141 ff.). Möglicherweise hat die deutsche Regierung die damaligen Entwicklungen bereits im Gesetz vorweggenommen. OECD-Leitlinien 1995. Am 22.7.2010 wurden die OECD-Leitlinien grundlegend überarbeitet. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die OECD-Leitlinien 1995 einschlägig. Diese behandelten im Kapitel II die bekannten klassischen Methoden und im Kapitel III die sog. „Other Methods“, zu denen insbesondere die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode) gehörten. In mehreren Textziffern der OECD-Leitlinien 1995 wurde ausdrücklich festgehalten, dass sich Fremdvergleichspreise am besten mit den klassischen Methoden ermitteln lassen.1 Gleichwohl wird konzediert, dass sich die klassischen Methoden zumindest in manchen Fällen nicht eignen (sog. „cases of last resort“). In solchen Fällen können dagegen die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden herangezogen werden.2 Entsprechend wurden sie als „methods of last resort“ bezeichnet. Letztlich wird damit das bekannte VorrangNachrang-Verhältnis zwischen klassischen Methoden und geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden dargestellt.
5.87
Neufassung Kapitel I bis III OECD-Leitlinien 2010. Zur Fortentwicklung der OECD-Leitlinien hat die Working Party No. 6 des OECD Committee on Fiscal Affairs die Projekte „Comparability“3 und „Profit-Methods“4 mit dem Ziel einer Überarbeitung der OECD-Leitlinien 1995 gestartet. Im Rahmen dieser mehrjährigen Projekte wurde deutlich, dass der Anwendungsvorrang der klassischen Methoden gegenüber den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden als nicht mehr praktikabel zu erachten ist. Mittlerweile wurden diese Projekte erfolgreich abgeschlossen und die Kapitel I bis III der OECD-Leitlinien 2010 neu gefasst.5 Dabei kam es auch zu einer Neustrukturierung der einzelnen Kapitel. Nunmehr werden alle
5.88
1 Vgl. Tz. 2.49 und 3.49 OECD-Leitlinien 1995. 2 Vgl. Tz. 3.50 OECD-Leitlinien 1995. 3 Vgl. OECD, Invitation to Comment on Issues in Relation to Comparability, April 2003, www.oecd.org. Hierzu Przysuski, TNI 2006, 189. 4 Vgl. OECD, Invitation to Comment on Transactional Profit Methods, February 2006, www.oecd.org. Hierzu Förster/Naumann, DB 2006, 1129; Przysuski, TNI 2006, 725. 5 Zu dem Entwurf vom 9.9.2009 vgl. Förster, IStR 2009, 720; Kurzewitz, IWB 2010, 95; Wellens, IStR 2010, 153; Rasch/Feistle, IWB 2009, 982; Oosterhoff, ITPJ 2010, 3. Zu der verabschiedeten Fassung vom 22.7.2010 vgl. Verlinden et al., ITPJ 2010, 336.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Verrechnungspreismethoden im Kapitel II der OECD-Leitlinien 2010 erläutert, wobei sich die Ausführungen zu den bekannten klassischen Methoden im 2. Teil unter B. und zu den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode) im 3. Teil unter C. finden.
5.89
Am besten geeignete Methode. Mit der Zusammenfassung der klassischen Methoden und der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden in einem Kapitel soll auch nach außen deutlich werden, dass das traditionelle Vorrang-Nachrang-Verhältnis zwischen diesen Methoden nicht mehr unverändert gilt. Für die Verwendung einer Verrechnungspreismethode gilt vielmehr nun der Grundsatz, die am besten geeignete Methode („the most appropriate method“) für den jeweiligen Geschäftsvorfall heranzuziehen.1 Die OECD-Leitlinien nennen mehrere Kriterien, anhand derer bestimmt werden soll, welche Methode als am besten geeignet einzustufen ist, z.B. – Stärken und Schwächen der Verrechnungspreismethoden; – Eignung der Verrechnungspreismethoden im Hinblick auf die jeweilige Art des Geschäftsvorfalls; – Verfügbarkeit von zuverlässigen Informationen zur Anwendung der Verrechnungspreismethoden; – Ausmaß der Vergleichbarkeit einschließlich der Möglichkeit, Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit vorzunehmen. Dabei machen die OECD-Leitlinien auch deutlich, dass zahlreiche Fälle denkbar sind, in denen die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden als „most appropriate“ einzustufen sind.2 So eignet sich die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode insbesondere dann, wenn ein Unternehmen über wertvolle immaterielle Wirtschaftsgüter verfügt oder wenn stark integrierte Prozesse vorliegen. Die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode mag als geeigneter gegenüber der Wiederverkaufspreismethode einzustufen sein, wenn sich funktionale Unterschiede zwischen Transaktionen hauptsächlich in den operativen Aufwendungen widerspiegeln. Mit dieser Betonung der Eignung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden zur Ableitung angemessener Verrechnungspreise kommt es zu einer deutlichen Aufwertung dieser Methoden gegenüber den klassischen Methoden.
5.90
Gleiche Eignung. Eher theoretisch muten die Ausführungen in den OECD-Leitlinien zu dem Fall an, dass mehrere Verrechnungspreismethoden als gleich geeignet einzustufen sind.3 Nur für diesen speziellen Fall sollen noch Vorrang-Nachrang-Verhältnisse gelten, und zwar in der Weise, dass – die klassischen Methoden den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden vorgehen; 1 Vgl. Tz. 2.2 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
– die Preisvergleichsmethode allen anderen Methoden vorgeht. Die praktische Bedeutung dieser Regelung dürfte zu vernachlässigen sein, da eine gleiche Eignung von unterschiedlichen Verrechnungspreismethoden nur schwer vorstellbar ist. Gleichwohl ist zu begrüßen, dass nochmals der absolute Vorrang der Preisvergleichsmethode gegenüber allen anderen Verrechnungspreismethoden deutlich gemacht wurde. Dieser Vorrang steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH.1 Prüfung und Verwendung mehrerer Methoden. Der Selektionsprozess zur Auswahl der am besten geeigneten Methode erweckt den Eindruck, der Steuerpflichtige müsse zunächst alle Verrechnungspreismethoden im Detail auf ihre Eignung im Hinblick auf den jeweiligen Geschäftsvorfall prüfen und erst dann die am besten geeignete Methode auswählen. Zutreffenderweise wird in den OECD-Leitlinien klargestellt, dass eine so aufwendige Vorgehensweise vom Steuerpflichtigen nicht erwartet werden kann.2 Stattdessen wird empfohlen, im Rahmen der Dokumentation die Auswahl der am besten geeigneten Methode nachvollziehbar darzulegen. Insofern liegt sicherlich eine Abweichung von der US-amerikanischen „Best-Method-Rule“ vor, bei welcher der Steuerpflichtige letztlich die Anwendbarkeit sämtlicher Verrechnungspreismethoden im Detail analysieren muss.3 Ebenfalls bleibt es bei der auch schon bislang üblichen Anforderung, nur eine einzige Verrechnungspreismethode tatsächlich anzuwenden. Es kann vom Steuerpflichtigen nicht erwartet werden, den Verrechnungspreis anhand mehrerer Methoden zu berechnen. Vielmehr machen die OECD-Leitlinien deutlich,4 dass allenfalls in „schwierigen Fällen“, bei denen gegen jede Verrechnungspreismethode begründete Zweifel bestehen, eine Kombination von mehreren Verrechnungspreismethoden zu einem geeigneten Ergebnis führen kann (vgl. z.B. Rz. 5.184). Anhand der gewählten Formulierung wird jedenfalls klar, dass die Kombination mehrerer Verrechnungspreismethoden auf besondere Ausnahmefälle beschränkt sein soll.
5.91
II. Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode 1. Überblick Allgemeines. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (Transactional-Net-Margin-Method – TNMM) wird zur Ableitung angemessener Verrechnungspreise auf den Nettogewinn im Ver1 Vgl. insbesondere BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 2 Vgl. Tz. 2.8 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 257; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 587; Kurzewitz, IWB 2010, 104 f.; Verlinden et al., ITPJ 2010, 337. 4 Vgl. Tz. 2.11 OECD-Leitlinien 2010.
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5.92
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
hältnis zu einer definierten Bezugsbasis, z.B. Umsatz, Kosten oder Vermögen, abgestellt (nachfolgend „Nettomarge“). Die Nettomarge, die ein Unternehmen aus einer Geschäftsbeziehung mit einer nahestehenden Person gemäß dem Fremdvergleichsgrundsatz erwirtschaften kann, wird demnach aus solchen Nettomargen abgeleitet, die das Unternehmen mit fremden Dritten (interner Betriebsvergleich – „Internal Comparables“) oder die fremde Dritte bei vergleichbaren Geschäften untereinander (äußerer Betriebsvergleich – „External Comparables“) erzielt haben.1 Letztlich arbeitet diese Methode mit „Sollgewinnen“, die an die angemessene Handelsspanne bei der Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.17 ff.) oder den angemessenen Gewinnaufschlag bei der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.69 ff.) erinnern.
5.93
Geschäftsvorfallbezogenheit. Entscheidend für die Anerkennung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode durch die OECD und die deutsche Finanzverwaltung als Methode zur Ableitung angemessener Verrechnungspreise ist – wie der Methodenname erwarten lässt – die Geschäftsvorfallbezogenheit. Die Internal oder External Comparables sollen also aus vergleichbaren Geschäftsvorfällen abgeleitet werden. Gerade was die External Comparables anbelangt, ist es jedoch meist nicht möglich, auf nur einen vergleichbaren Geschäftsvorfall abzustellen. Vielmehr werden zur Ermittlung der External Comparables mehrere Geschäftsvorfälle gruppiert und zusammengefasst. Mit dieser Begründung erachten die VWG-Verfahren die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode als anwendbar bei Unternehmen mit Routinefunktionen,2 da solche Unternehmen nur eine Art von zusammenfassbaren Geschäftsvorfällen abwickeln.3 Unter dieser Bedingung stellen z.B. die aus den Jahresabschlüssen dieser Unternehmen ableitbaren Nettomargen dann die Nettomargen für eine Art von zusammengefassten Geschäftsvorfällen dar. Mit einer solchen Gruppierung und Zusammenfassung soll jedenfalls der Anforderung der Geschäftsvorfallbezogenheit entsprochen werden. Die Geschäftsvorfallbezogenheit ist sicherlich das Ideal bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Die OECD-Leitlinien erkennen in ihrer 2010 neugefassten Version allerdings die dabei bestehenden Praxisprobleme an.4 So wird ausdrücklich konzediert, dass es häufig an öffentlich verfügbaren Informationen über die mit einzelnen (gruppierten und zusammengefassten) Geschäftsvorfällen erzielten Nettomargen fehlt. Wichtig ist jedoch die von der OECD aus diesem Praxisproblem gezogene Schlussfolgerung: Wenn es nicht gelingt, Nettomargen einzelner Geschäftsvorfälle zu ermitteln, so wird nicht die Anwendbarkeit der Methode in Frage gestellt. Vielmehr wird zugestanden, stattdessen auf die Nettomargen der Vergleichsunternehmen als Ganzes Bezug zu 1 Vgl. Tz. 2.58 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b, 2. Spiegelstrich. 3 Vgl. Rupp in D/J/P/W, IntGA Rz. 205. 4 Vgl. Tz. 2.103 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
nehmen und sicherzustellen, dass insgesamt hinreichende Vergleichbarkeit vorliegt, ggf. unter Durchführung von Anpassungsrechnungen.1 Mit dieser Anforderung unterscheiden sich die OECD-Leitlinien wesentlich von den deutschen Verwaltungsgrundsätzen-Verfahren. Während nach deutscher Verwaltungsauffassung die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode nur bei Routinefunktionen gelten soll, weil hier im Rahmen der Gruppierung und Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen die gewünschte Geschäftsvorfallbezogenheit erreicht werden kann,2 gehen die OECD-Leitlinien– zutreffender Weise – darüber hinaus. Hier wird die Anforderung der Geschäftsvorfallbezogenheit im Zweifelsfall gelockert und das Kriterium der Vergleichbarkeit in den Vordergrund gestellt. Ziel muss es nach Auffassung der OECD-Leitlinien sein, möglichst zuverlässige Vergleichswerte für den untersuchten Geschäftsvorfall zu finden, auch wenn diese Vergleichswerte nicht geschäftsvorfallbezogen ermittelt werden können.3 Diese unterschiedliche Auffassung der deutschen Finanzverwaltung im Vergleich zu den OECD-Leitlinien mag im Zeitablauf begründet liegen. Die hier beschriebene OECD-Auffassung findet sich in dieser Klarheit auch erst in den 2010 überarbeiteten OECD-Leitlinien, die das Ergebnis der mehrjährigen Projekte „Comparability“ and „Profit Methods“ darstellen (Rz. 5.88). Insofern reflektieren die OECD-Leitlinien eher als die 2005 veröffentlichten deutschen VWG-Verfahren die sich bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ergebenden Probleme und zeigen praktikable Lösungsansätze auf. Vorteile. Der wesentliche Vorteil der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ist darin zu sehen, dass sich bei der Verwendung von Nettomargen Funktionsunterschiede bei den Vergleichs-Geschäftsvorfällen („Internal“ oder „External Comparables“) weniger stark auswirken als bei der Verwendung von Bruttomargen.4 Hintergrund dieser Überlegung ist die Tatsache, dass Funktionsunterschiede insbesondere einen Einfluss auf die operativen Kosten und damit auf die Höhe der Bruttomargen haben, während trotz dieser Funktionsunterschiede die Nettomargen weitgehend vergleichbar bleiben.5 Dies kann an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Vertriebsunternehmen 1 (VU 1) und Vertriebsunternehmen 2 (VU 2) sind gemäß der durchgeführten Funktionsanalyse vergleichbar. Der einzige Unterschied besteht darin, dass VU 1 die Transportkosten vom Hersteller zum Kunden trägt, während bei VU 2 die Transportkosten vom Hersteller übernommen werden. Es ergibt sich folgende Gewinn- und Verlustrechnung für beide Vertriebsunternehmen: 1 Vgl. Tz. 2.103 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b, 2. Spiegelstrich. 3 Vgl. Tz. 2.103 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 2.62 OECD-Leitlinien 2010. 5 Scheffler, Besteuerung der grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit2, 337, stellt allerdings zu Recht die Frage, inwieweit sich Funktionsunterschiede auch auf die Höhe der Nettomarge auswirken.
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5.94
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises VU 1 100 70 30 5 20 5
Umsatzerlöse Wareneinsatz Bruttomarge Transportkosten Sonstige operative Kosten Nettomarge
VU 2 100 75 25 0 20 5
Da VU 1 die Transportkosten tragen muss, erhält die Gesellschaft die von ihr vertriebenen Produkte zu einem niedrigeren Preis vom Hersteller (70 statt 75). Die Bruttomarge beträgt daher 30 statt 25. Würde für die Ableitung einer angemessenen Bruttomarge für VU 2 nun auf die Ergebnisse von VU 1 Bezug genommen (= 30), erhielte die Gesellschaft eine zu hohe Bruttomarge, da sie mit den Kosten für den Transport nicht belastet ist. Gerade wenn es sich bei den Werten von VU 1 um External Comparables handelt, ist es für den Außenstehenden meist nicht feststellbar, wie die Kostentragung im konkreten Geschäftsvorfall vereinbart wurde. Eine Anpassungsrechnung zur Eliminierung der Transportkosten ist mangels vorhandener Informationen dann nicht möglich. Wird zur Verrechnungspreisermittlung dagegen auf die Nettomarge Bezug genommen, so kann der für VU 1 festgestellte Wert (= 5) auch für VU 2 herangezogen werden. Basierend auf einer Nettomarge i.H.v. 5 ließe sich ein fremdvergleichskonformer Verrechnungspreis für VU 2 ermitteln; eine Verzerrung durch die unterschiedliche Höhe der operativen Kosten findet nicht statt.
5.95
Betrachtung nur einer Vertragspartei. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode müssen Vergleichswerte (Internal oder External Comparables) nur für eine an der Geschäftsbeziehung beteiligte Vertragspartei ermittelt werden.1 Dies ist insbesondere dann vorteilhaft, wenn die andere Vertragspartei komplexere Strukturen oder eine Vielzahl von anderen Transaktionen mit nahestehenden Unternehmen aufweist. Dies entbindet jedoch nicht von der Aufgabe, eine Funktionsanalyse für beide an dem jeweiligen Geschäftsvorfall beteiligten Vertragsparteien vorzunehmen, weil erst auf Basis dieser Funktionsanalyse eine Unternehmenscharakterisierung und darauf aufbauend die Auswahl der geeigneten Verrechnungspreismethode vorgenommen werden kann.
5.96
Problem der Sollgewinnbesteuerung. Für die Ermittlung von Verrechnungspreisen bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird auf die Nettomargen von Vergleichsunternehmen Bezug genommen. Deren Nettomargen stellen dann Sollgewinne für das betreffende Unternehmen dar. Dessen Umfeldbedingungen, Marktposition und -strategie, operative Effizienz, Funktionsprofil usw. mag jedoch gegenüber den Vergleichsunternehmen negativ oder positiv abweichen, so dass es bei schlichter Übertragung der Nettomargen der Vergleichsunternehmen zu einer Sollgewinnbesteuerung kommen könnte. 1 Vgl. Tz. 2.63 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
Die OECD-Leitlinien erkennen dieses Problem und stellen unmissverständlich fest, dass es dem Grundsatz des Fremdvergleichs nicht entspricht, solche Sollgewinne zu besteuern und damit eine Über- oder Unterbesteuerung auszulösen.1 Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es gerade die Aufgabe der Vergleichbarkeitsanalyse2 ist, solche Unterschiede im Hinblick auf Umfeldbedingungen, Marktposition und -strategie, operative Effizienz, Funktionsprofil usw. aufzudecken und die ggf. erforderlichen Anpassungen vorzunehmen.3 Insofern ist der Aussage von Sieker zuzustimmen, wonach die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode „steht und fällt […] mit dem Grad der Vergleichbarkeit des verbundenen Unternehmens in allen gewinnbeeinflussenden Merkmalen mit den zum Vergleich herangezogenen konzernfreien Unternehmen“.4 Keine Relevanz der Gewinnsituation bei Preisverhandlungen. Ein grundlegendes methodisches Problem der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ist darin zu sehen, dass sich diese Methode nicht an dem Preisbildungsprozess zwischen fremden Dritten orientiert. Grundsätzlich werden die Preise für Produkte und Dienstleistungen zwischen fremden Dritten nicht unter expliziter Bezugnahme auf die Nettogewinne der einen Vertragspartei bestimmt. Zum einen ist es den kontrahierenden Vertragsparteien meist unbekannt, ob und welchen Gewinn die jeweils andere Partei aus der Geschäftsbeziehung erzielt. Zum anderen ist dies für die Vertragsparteien von nur geringem Interesse, weil Rechtsansprüche auf einen Anteil am Gewinn des anderen ohnehin nicht existieren. Fremde Dritte orientieren sich bei ihren Preisverhandlungen an Marktpreisen, ihren eigenen Kosten oder ähnlichen Größen, nicht jedoch ausschließlich am Gewinn der anderen Vertragspartei. Diese Einwendungen sind zwar berechtigt. Gleichwohl sind bei einer Vielzahl von Transaktionen weder Marktpreise bekannt, noch eignet sich aufgrund der Unternehmenscharakterisierung eine kostenorientierte Ableitung der Verrechnungspreise. In diesen Fällen ist es vertretbar, gegenüber der anderen Vertragspartei einen solchen Verrechnungspreis festzulegen, durch den diese in der Lage sein sollte, eine marktübliche Nettomarge zu erzielen.
5.97
Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Die generelle Voraussetzung für die Anwendung von durch tatsächlichen Fremdvergleich ermittelten Comparables ist die Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Dies gilt gleichermaßen für die klassischen Methoden wie für die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode. Dabei lässt sich als generelle Aussage feststellen, dass die Anforderung an die Vergleichbarkeit bei der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode geringer als bei der Preisvergleichsmethode oder der Wiederverkaufspreismethode ausfällt.5 So führen bereits Produkt-
5.98
1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 2.7 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 1.33 ff. OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.66 OECD-Leitlinien 2010. Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 260. Vgl. Tz. 2.69 OECD-Leitlinien 2010; Eigelshoven in V/L5, Art. 9 OECD-MA Rz. 86.
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361
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
unterschiede (z.B. abweichende Größe, abweichendes Gewicht, abweichende Verpackung – bei gleichem funktionalem Nutzen) zu einer Beeinträchtigung bei Anwendung der Preisvergleichsmethode. Solche Produktunterschiede wirken sich aber – wenn überhaupt – wesentlich geringer im Hinblick auf die Bruttomarge oder Nettomarge einer Vertriebsgesellschaft aus. Bestehen Unterschiede bezüglich des Funktionsumfangs einer Vertriebsgesellschaft, wird dadurch die Nettomarge ebenfalls wesentlich geringer als die Bruttomarge beeinflusst (Rz. 5.94).
5.99
Relevante Unterschiede. Die geringere Beeinflussung der Nettomarge durch Produkt- und Funktionsunterschiede im Vergleich zu Preisen oder zur Bruttomarge darf jedoch nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, die als Comparables identifizierten Nettomargen ließen sich ohne weiteres für die Verrechnungspreisermittlung übernehmen. Auch die Nettomargen von Vergleichsunternehmen werden von zahlreichen Einflussfaktoren beeinflusst. So führen die OECD-Leitlinien exemplarisch die Wettbewerbsposition, Führungseffizienz, individuelle Strategie, Kosteneffizienz und Auslastung des Unternehmens, Bedrohung durch neue Produkte und Anbieter usw. an, wobei jeder dieser Faktoren wiederum durch zahlreiche andere Faktoren beeinflusst wird.1 Diese Aufzählung von Einflussfaktoren auf die Nettomarge ließe sich sicherlich noch deutlich erweitern.2 Gleichwohl muss das grundsätzliche Problem bei der Ableitung von Comparables berücksichtigt werden: Typischerweise liegen nur sehr begrenzte Informationen vor, welche dieser Einflussfaktoren im jeweiligen Sachverhalt überhaupt wesentlich und wie die Ausprägungen dieser Einflussfaktoren im jeweiligen Vergleichsfall sind. Die mangelnde Verfügbarkeit solcher Informationen stellt das eigentliche Hauptproblem dar, für das es auch keine überzeugende Lösung gibt.3 Die OECD behilft sich mit der schlichten Feststellung, dass die Auswahl von Vergleichswerten und die Durchführung von Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit einer gewissen Flexibilität und eines guten Urteilsvermögens bedürfen.4
5.100
Beweislast. Diese Hilflosigkeit selbst der OECD vor dem Auswahl- und Anpassungsproblem hat jedenfalls folgende Schlussfolgerung im Hinblick auf die Beweislast: Unterschiedliche subjektive Einschätzungen von einerseits dem Steuerpflichtigen und andererseits der Finanzverwaltung im Hinblick auf die durchgeführte Auswahl und etwaige Anpassung von Vergleichsunternehmen dürfen nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen, soweit er einen nachvollziehbaren Entscheidungsprozess gewählt hat. Die mit der Prüfung befasste Finanzverwaltung ist sicherlich nicht der bessere Unternehmer, der seine Einschätzungen über die des Steuerpflichtigen setzen darf. Für eine Infragestellung der herangezogenen Vergleichswerte reichen etwaige festgestellte Mängel in der Begründung des Steuer1 Vgl. Tz. 2.71 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. z.B. die Aufzählung von Tucha, IStR 2002, 746 ff. 3 So auch Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 136 f.; Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 97. 4 Vgl. Tz. 2.68 und 2.74 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
pflichtigen nicht aus. Voraussetzung ist vielmehr, dass das Ergebnis des Steuerpflichtigen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dem Fremdvergleich entspricht und die von der Finanzverwaltung vertretene Auswahl und Anpassung wahrscheinlicher ist.1 Diese Beweislastverteilung ergibt sich unmittelbar aus der Feststellungslast der Finanzbehörden für etwaige Verrechnungspreiskorrekturen.2 Auch die seit 2003 bestehende Verpflichtung zur Erstellung einer Verrechnungspreisdokumentation ändert nichts an dieser Beweislastverteilung.3 2. Maßgebende Nettomarge Ermittlung der Nettomarge. Für die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ist zum einen die Nettomarge und zum anderen die Bezugsgröße zu bestimmen, auf welche die Nettomarge bezogen wird (sog. Profit-Level-Indicator – PLI). Was die Nettomarge anbelangt, so sind nur diejenigen Gewinne zu erfassen, die im direkten oder indirekten Zusammenhang mit der jeweiligen Transaktion stehen. Dabei dürfen auch nur die Gewinne erfasst werden, die operativer Natur sind.4
5.101
Zusammenhang. Mit Bezug auf den erforderlichen direkten oder indirekten Zusammenhang der Nettomargen mit der jeweiligen Transaktion5 ist es auf Ebene des Unternehmens zweckmäßig, ein hinreichend detailliertes Rechnungswesen zu etablieren, anhand dessen es möglich ist, die der zu untersuchenden Geschäftsbeziehung zuzuordnenden Nettomargen zu ermitteln. Für eine solche Segmentierung der Ergebnisse bestehen keine spezifischen steuerlichen Anforderungen. Vielmehr gelten für die Zuordnung von Erlösen und Aufwendungen auf einzelne bzw. gruppierte Geschäftsvorfälle die allgemeinen betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse, die in jedem Lehrbuch zur Kosten- und Erlösrechnung ausreichend dargestellt sind. Die Segmentierung von Ergebnissen ist jedoch nicht nur auf Ebene des Unternehmens, das die Verrechnungspreise ermitteln muss, sondern möglicherweise auch auf Ebene der Comparables erforderlich.6 Wenn z.B. Comparables für den Vertrieb von Robotern gesucht werden und es wird ein Vergleichsunternehmen identifiziert, das Roboter vertreibt, zugleich aber auch erhebliche Einnahmen aus der Vermietung von Gebäuden erzielt, so interessieren bei diesem potentiellen Vergleichsunternehmen nur die Nettomargen aus dem Vertrieb der Roboter. In einem solchen Fall wäre es sicherlich nicht vertretbar, auf die Nettomarge des Gesamtunternehmens abzustellen. Um das Unternehmen als Ver-
5.102
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. a. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 2.1 und Tz. 4.2. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.3. 4 Vgl. Tz. 2.77 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 2.78 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. Tz. 2.79 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
gleichsunternehmen einbeziehen zu können, bedarf es also einer Segmentierung seiner Ergebnisse. Es hängt dann von den öffentlich verfügbaren Informationen ab, inwieweit eine solche Segmentierung möglich ist und die Werte als Comparables herangezogen werden können.
5.103
Operativer Gewinn. Die Nettomarge soll nur diejenigen Gewinnbestandteile enthalten, die operativer Natur sind.1 Im Allgemeinen wird daher auf die Ergebnisgröße EBIT – „Earnings Before Interest and Taxes“, also den Gewinn vor Zinsen und Ertragsteuern abgestellt. Zudem sollen auch diejenigen Ergebniskomponenten nicht berücksichtigt werden, die auf einmaligen oder außerordentlichen Einflüssen beruhen. Bei der vorstehend beschriebenen Ableitung handelt es sich allerdings lediglich um eine allgemeine Vorgehensweise. Im Einzelfall mag es erforderlich sein zu diskutieren, wie der operative Gewinn konkret definiert wird. So kann es zweckmäßig sein, das Zinsergebnis bei der Ermittlung des operativen Gewinns zu berücksichtigen, wenn es um finanzielle Transaktionen geht2 oder wenn es eine vorteilhafte Finanzierung erlaubt, geringere Preise für die angebotenen Produkte zu verlangen.3 Auch die (Nicht-)Erfassung von Währungsverlusten und Währungsgewinnen hängt vom Funktions- und Risikoprofil im Hinblick auf die untersuchte Transaktion ab.4 Vielfach sind diese vertiefenden Überlegungen allerdings vergebens, weil die veröffentlichten Informationen – gerade bei External Comparables – überschaubar sind und z.B. die außerordentlichen Ergebnisse oder Währungsverluste nicht gesondert ausgewiesen und erläutert werden. In diesem Zusammenhang ist auch das Problem von Bilanzierungsunterschieden zwischen den zu vergleichenden Unternehmen zu nennen. Exemplarisch führen die OECD-Leitlinien die Aufwandsarten Abschreibungen auf materielle Wirtschaftsgüter, Abschreibungen auf den Geschäftswert und immaterielle Wirtschaftsgüter, Pensionskosten und Aktienoptionen auf.5 Zu denken ist aber auch an die Vorratsbewertung und die Rückstellungsbildung. Solche Bilanzierungsunterschiede können sich erheblich auf die Höhe der Nettomargen auswirken. Soweit die verfügbaren Informationen Anpassungsrechnungen erlauben, sollten diese zur Herstellung der Vergleichbarkeit durchgeführt werden. Die praktische Erfahrung zeigt jedoch, dass nur im Ausnahmefall eine Anpassung zur Verbesserung der Vergleichbarkeit möglich ist.
5.104
Profit-Level-Indicator. Um die vorstehend ermittelte Nettomarge für Vergleichszwecke heranziehen zu können, ist es erforderlich, die Nettomarge auf eine Bezugsgröße, den sog. Profit-Level-Indicator – PLI, zu beziehen. Im Wesentlichen kommen dabei die PLI „Umsatzerlöse“, „Kosten“ und „Vermögen“ zur Anwendung. Die Auswahl des geeigneten PLI soll sich daran orientieren, welcher Indikator den Wert („value“) der von dem 1 2 3 4 5
Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz.
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2.80 OECD-Leitlinien 2010. 2.83 OECD-Leitlinien 2010. 2.81 OECD-Leitlinien 2010. 2.82 OECD-Leitlinien 2010. 2.84 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
Steuerpflichtigen ausgeübten Funktion unter Berücksichtigung der dabei getragenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter am besten repräsentiert.1 Dabei sollen auch nur solche PLI herangezogen werden, die sich zuverlässig sowohl bei dem Steuerpflichtigen als auch bei den ausgewählten Vergleichsunternehmen ermitteln lassen. Insofern sind die PLI faktisch auf solche Werte beschränkt, die sich aus den veröffentlichten Jahresabschlüssen ableiten lassen.2 Umsatzerlöse als PLI. Der wichtigste Anwendungsbereich für Umsatzerlöse als PLI sind Vertriebsaktivitäten. Es werden also die im Zusammenhang mit dem (gruppierten und zusammengefassten) Geschäftsvorfall Vertrieb erzielten Nettomargen ins Verhältnis zu den Umsatzerlösen aus dem Vertrieb der von nahestehenden Unternehmen bezogenen Produkte gesetzt.3 Dabei ist es wichtig, auf die Umsatzerlöse und nicht auf die Einkaufspreise für die vertriebenen Produkte abzustellen, da die Umsatzerlöse gegenüber fremden Dritten erzielt werden und damit die erforderliche Objektivität aufweisen. Demgegenüber kommen die Einkaufspreise aus Geschäftsvorfällen mit nahestehenden Unternehmen zustande. Für die Einkaufspreise soll gerade ermittelt werden, ob sie dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. Mangels Objektivität scheiden sie als Bezugsbasis aus.4 Bei den gegenüber fremden Dritten realisierten Umsatzerlösen ist zu entscheiden, ob die Bruttoumsatzerlöse oder die um Rabatte, Boni und Skonti geminderten Nettoumsatzerlöse heranzuziehen sind. Die Antwort hierauf hängt primär davon ab, welche Informationen über die Vergleichsunternehmen verfügbar sind. Sofern gemäß dem angewandten Rechnungslegungsstandard die in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesenen Umsatzerlöse als Nettoumsatzerlöse verstanden werden (also z.B. nach dem deutschen Handelsgesetzbuch – § 277 Abs. 1 HGB), sollten diese verwendet werden. Entscheidend ist dann, dass auch bei dem Steuerpflichtigen auf die Nettoumsatzerlöse abgestellt wird, also eine vergleichbare Bezugsbasis verwendet wird.5 Sollten dagegen Rabatte, Boni und Skonti als Aufwendungen behandelt und insofern Bruttoumsatzerlöse in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen werden, sollte zunächst versucht werden, anhand der vorliegenden Informationen eine Umrechnung auf die Nettoumsatzerlöse vorzunehmen, da die Nettoumsatzerlöse einen besseren Indikator für die eigentliche Vertriebsleistung darstellen. Gelingt eine solche Umrechnung auf die Nettoumsatzerlöse allerdings nicht, gilt auch hier der Grundsatz, auf eine vergleichbare Bezugsbasis – und damit auf die Bruttoumsatzerlöse – abzustellen.
5.105
Kosten als PLI. Der wichtigste Anwendungsbereich für Kosten als PLI sind Dienstleistungen und Produktionsaktivitäten. Es werden also die
5.106
1 2 3 4 5
Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz.
2.87 OECD-Leitlinien 2010. 2.99 OECD-Leitlinien 2010. 2.87 und 2.90 OECD-Leitlinien 2010. 2.88 OECD-Leitlinien 2010. 2.91 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
durch die Erbringung der Dienstleistungen oder Produktionsaktivitäten erzielten Nettomargen ins Verhältnis zu den für die Leistungserbringung angefallenen Kosten gesetzt. Was den Sachumfang der Kosten anbelangt, so gilt Vergleichbares wie im Hinblick auf die Nettomarge (Rz. 5.102 f.): Es dürfen nur die Kosten herangezogen werden, die in direktem oder indirektem Zusammenhang mit der Leistungserbringung stehen. Dabei sind auch nur die operativen Kosten zu berücksichtigen.1 Im Hinblick auf den zeitlichen Bezug der Kosten wird zwischen Plan-, Ist- und Normalkosten unterschieden. Die im Zusammenhang mit der Kostenaufschlagsmethode gemachten Ausführungen zum zeitlichen Bezug gelten hier entsprechend (Rz. 5.51 ff.). Auch ansonsten ist bei Verwendung der Kosten als PLI eine große Vergleichbarkeit von geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode und Kostenaufschlagsmethode gegeben.2 Im Zusammenhang mit Kosten als PLI ist die Frage zu diskutieren, ob auch solche Kosten denkbar sind, die zwischen fremden Dritten nicht mit einem Gewinnaufschlag versehen würden. Insbesondere wenn es um die Vergütung von Einkaufsaktivitäten geht, wird häufig die Frage diskutiert, ob auch die Kosten für die eingekauften Waren in die Kostenbasis einzubeziehen sind. Die OECD-Leitlinien stellen zutreffend fest, dass keine allgemeingültige Aussage hierzu möglich ist.3 Es ist auch nicht vertretbar, allein zwischen externen Kosten (also z.B. den Kosten für die eingekauften Waren) und internen Kosten (also z.B. den Kosten für die Mitarbeiter der Einkaufsabteilung) zu differenzieren. Entscheidend ist vielmehr das tatsächliche Verhalten fremder Dritter. Dabei ist auch hier besonderer Wert auf eine Funktions- und Risikoanalyse zu legen. Es muss identifiziert werden, ob die Einkaufsaktivitäten eher in der Funktion eines Mittlers oder aber eines Eigenhändlers durchgeführt werden.4 Diese Charakterisierung hat entscheidenden Einfluss auf die Frage, welche Kostenarten im Einzelfall zu berücksichtigen sind.
5.107
Vermögen als PLI. Der wichtigste Anwendungsbereich für Vermögen als PLI sind vermögens- bzw. kapitalintensive Aktivitäten, z.B. eine anlagenintensive Fertigung von Produkten. Es werden also die durch die Erbringung dieser Aktivitäten erzielten Nettomargen ins Verhältnis zu dem für die Leistungserbringung eingesetzten Vermögen bzw. Kapital gesetzt. Was den Sachumfang des Vermögens anbelangt, so gilt Vergleichbares wie im Hinblick auf die Nettomarge (Rz. 5.102 f.): Es darf nur das Ver1 Vgl. Tz. 2.92 OECD-Leitlinien 2010. 2 Zum Zusammenhang zwischen der Kostenaufschlagsmethode und der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode bei Verwendung der Kosten als PLI vgl. Haugen, ITPJ 2005, 224 ff. Der wesentliche Unterschied ist dabei im Umfang der Kostenbasis zu sehen. Während bei der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode stets die Vollkosten zum Ansatz kommen (Nettogewinn), ist es bei der Kostenaufschlagsmethode möglich, nur die Herstellungskosten (Cost Of Goods Sold – COGS) als Basis zu verwenden, dagegen die Verwaltungs- und Vertriebskosten (Operating Expenses) außen vor zu lassen. 3 Vgl. Tz. 2.93 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 7.36 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
mögen herangezogen werden, das in direktem oder indirektem Zusammenhang mit der Leistungserbringung steht. Dabei ist auch nur das operative Vermögen zu berücksichtigen, also Anlagevermögen und Nettoumlaufvermögen. Beteiligungen an anderen Unternehmen sowie Bankguthaben und Geldbestände sollen dagegen nicht einbezogen werden.1 Im Hinblick auf die Bewertung des Vermögens kommen Markt- oder Buchwerte in Betracht.2 Marktwerte haben zwar methodischen Vorrang, scheiden allerdings meist aus, weil es gerade für External Comparables nicht möglich ist oder extrem kostenintensiv wäre, die Marktwerte des eingesetzten Vermögens zu ermitteln. Daher kommen überwiegend Buchwerte zum Ansatz. Bei Buchwerten kann allerdings die Höhe des Vermögens wesentlich durch Bilanzierungsunterschiede zwischen den einbezogenen Unternehmen beeinflusst sein (Rz. 5.103), z.B. wegen Unterschieden bei der Abschreibungsdauer, der Abschreibungsmethode oder der Aktivierung selbstgeschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter. Soweit es auf Basis veröffentlichter Informationen möglich ist, sollten Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit des eingesetzten Vermögens vorgenommen werden. Berry-Ratio als PLI. Das nach Charles Berry benannte „Berry-Ratio“3 ist definiert als Quotient aus Bruttomarge (Gross Profit) und operativen Kosten.4 Ein Berry-Ratio größer als 1 besagt, dass die aus dem untersuchten Geschäftsvorfall erzielte Bruttomarge höher als die operativen Kosten ist, mithin ein Gewinn aus dem Geschäftsvorfall resultiert. Demgegenüber genügt bei einem Berry-Ratio kleiner als 1 die Bruttomarge nicht, um die operativen Kosten vollständig zu decken; aus dem Geschäftsvorfall resultiert also ein Verlust. Aufgrund der Bezugnahme auf die operativen Kosten (als Nennergröße) ist das Berry-Ratio vom Prinzip her vergleichbar mit der Kostenaufschlagsmethode und der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode unter Anwendung der Kosten als PLI.5 Insofern gelten die zur Kostenaufschlagsmethode und zu Kosten als PLI gemachten Anmerkungen hier entsprechend (Rz. 5.106). Voraussetzung für die Anwendung des Berry-Ratios ist also vor allem, dass die Wertschaffung des untersuchten Geschäftsvorfalls eher durch die operativen Kosten des Unternehmens als durch den realisierten Umsatz wiedergegeben wird.6 Die OECD-Leitlinien sehen die Verwendung des Berry-Ratios insbesondere bei intermediären Aktivitäten als geeignet an, wenn also ein Unternehmen von nahestehenden Unternehmen Produkte einkauft und diese an andere nahestehende Unternehmen weiterverkauft.7 In diesem Fall kommen weder die Einkaufspreise noch die Umsatzerlöse als PLI in Be1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Tz. 2.97 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.98 OECD-Leitlinien 2010. Zur Historie des Berry Ratios vgl. Przysuski/Lalapet, TNI 2005, 764. Vgl. Tz. 2.100 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Przysuski/Lalapet, TNI 2005, 765. Vgl. Tz. 2.101 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.102 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
tracht, da beide Werte durch das Nahestehen-Verhältnis beeinflusst sein können. Die operativen Kosten des Unternehmens mit den intermediären Aktivitäten sollten dagegen weitgehend unbeeinflusst durch das Nahestehen-Verhältnis sein und sich daher als Bezugsbasis eignen. 3. Anpassungen
5.109
Anpassungsrechnungen. Die im Juli 2010 neugefassten OECD-Leitlinien weisen darauf hin, dass im Rahmen einer Vergleichsanalyse zur Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise Anpassungsrechnungen bezüglich der Finanzdaten der Vergleichsunternehmen durchzuführen sind, soweit dies zu einer höheren Vergleichbarkeit führt.1 Auf eine Anpassung kann nach Auffassung der OECD-Leitlinien hingegen verzichtet werden, wenn die jeweiligen Unterschiede nicht wesentlich, die Qualität der vorliegenden Informationen nicht zuverlässig bzw. ausreichend oder die Methoden zur Durchführung der Anpassungen fraglich sind.2 Mit dieser Forderung nach Anpassungsrechnungen handelt es sich zwar um eine generelle Anforderung zur Herstellung der Vergleichbarkeit. Aufgrund der Bedeutung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode in der Unternehmenspraxis kommen solche Anpassungsrechnungen jedoch meist bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode zum Einsatz. Zudem verweisen die OECD-Leitlinien im Hinblick auf die Ermittlung der einzelnen Komponenten der Nettomarge und des PLI mehrfach auf Anpassungsrechnungen.
5.110
Net-Working-Capital-Anpassung. Insbesondere weisen die OECD-Leitlinien auf die Anpassung der Nettomargen auf Basis des Net-Working-Capital (NWC) hin.3 Der Bedeutung einer entsprechenden Anpassung auf Basis des NWC wird durch ein ausführliches Beispiel im Anhang der OECDLeitlinien Nachdruck verliehen.4 Dabei wird das NWC als Summe der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen plus Vorräte abzgl. der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen verstanden. Begründung für die Anpassung ist, dass das NWC eine implizite Finanzierungsfunktion im Unternehmen ausübt. Offensichtlich wird der Effekt, wenn zwei vergleichbare Transaktionen betrachtet werden, wobei der einzige Unterschied darin besteht, dass bei Transaktion 1 ein Zahlungsziel von 120 Tagen, bei Transaktion 2 dagegen ein Zahlungsziel von 30 Tagen gegenüber den Kunden gewährt wird. Bei Transaktion 1 ist es wegen des längeren Zahlungsziels ceteris paribus erforderlich, zusätzliche Darlehen zur Finanzierung des 90 Tage längeren Zahlungsziels aufzunehmen. Ein höherer Zinsaufwand bei Transaktion 1 ist die Folge. Wenn nun Transaktion 2 als Vergleichstransaktion herangezogen und dabei eine Nettomarge 1 Vgl. Tz. 3.47 und 3.53 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 3.50 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 3.49 OECD-Leitlinien 2010. Zur NWC-Anpassung sowie anderen Arten von Anpassungsrechnungen vgl. Gommers/Reyneveld/Lund, ITPJ 2008, 126 ff. 4 Vgl. OECD-Leitlinien 2010, Annex zu Kapitel III.
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C. Gewinnorientierte Methoden
(= EBIT) bezogen auf den PLI Umsatz i.H.v. z.B. 5,0 % ermittelt wird, so ist zu klären, inwieweit diese Nettomarge von 5,0 % auf Transaktion 1 (als zu untersuchende Transaktion) übertragen werden kann. Wegen des um 90 Tage längeren Zahlungsziels und des dadurch höheren Zinsaufwands wäre es bei Transaktion 1 erforderlich, eine höhere Nettomarge als 5,0 % zu erzielen. Nur die entsprechend erhöhte Nettomarge erlaubt es, den zusätzlichen Zinsaufwand zu finanzieren. Gemäß dem im Anhang der OECD-Leitlinien dargestellten Beispiel ist das Verhältnis von NWC zu Umsatz der jeweiligen Transaktionen die ausschlaggebende Kenngröße für die Anpassung. Unterscheiden sich die Werte, findet eine Anpassung der Nettomargen der Vergleichstransaktionen statt. Sie errechnet sich aus der Differenz des NWC/Umsatz der zu untersuchenden Transaktion und NWC/Umsatz der Vergleichstransaktionen, multipliziert mit einem angemessenen Zinssatz. Wenn z.B. das NWC des zu untersuchenden Unternehmens höher als das der Vergleichsunternehmen ausfällt, wäre die relevante Nettomarge der Vergleichsunternehmen entsprechend zu erhöhen et vice versa. Was die Ableitung des Zinssatzes anbelangt, so ist zunächst zu ermitteln, ob der zusätzliche Finanzierungsbedarf durch Eigenkapital oder Fremdkapital gedeckt wird. Die entsprechenden Zinssätze für Eigenkapital (ggf. abgeleitet aus dem Capital Asset Pricing Model – CAPM) oder Fremdkapital (ggf. abgeleitet aus dem üblichen Zinssatz für entsprechende Darlehen) sind dann heranzuziehen. Sollte ein negatives NWC vorliegen (die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen übertreffen die Summe der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und der Vorräte), ist dagegen eher der Zinssatz für die Anlage von Überschussliquidität relevant.1 Keine Notwendigkeit einer generellen NWC-Anpassung. Die OECD-Leitlinien stellen selbst klar, dass eine NWC-Anpassung weder routinemäßig noch verpflichtend erfolgen muss. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu diskutieren, ob eine solche NWC-Anpassung tatsächlich zu einer Erhöhung der Vergleichbarkeit beiträgt.2 Jedenfalls spricht eine ganze Reihe von Argumenten gegen die Notwendigkeit einer generellen NWC-Anpassung. So ist zunächst zu bedenken, dass das NWC ausschließlich auf Bilanzposten basiert. Eine Bilanz wird grundsätzlich zeitpunktbezogen erstellt.3 Damit stellt das NWC immer nur eine Momentaufnahme dar. Hingegen wird die für die Vergleichsanalyse herangezogene Kennzahl der Nettomarge aus Posten der Gewinn- und Verlustrechnung ermittelt. Im Unterschied zur Bilanz ist die GuV zeitraumbezogen.4 Dementsprechend 1 Vgl. OECD-Leitlinien 2010, Annex zu Kapitel III, Tz. 8, 2. Spiegelstrich. 2 Vgl. Tz. 3.49 OECD-Leitlinien 2010. 3 Im Rahmen des HGB ist dieser Grundsatz in § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB kodifiziert, den aber auch andere Rechnungslegungssysteme kennen. Im Fall der IFRS beispielsweise ist der Grundsatz des sog. Stichtagsprinzips in IAS 10 geregelt. Vgl. Wawrzinek in Beck’sches IFRS-Handbuch3, § 2 Rz. 48. 4 Im Rahmen des HGB ist dieser Grundsatz in § 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB kodifiziert, den aber auch andere Rechnungslegungssysteme kennen. So kennen sowohl die US-GAAP als auch die IFRS das sog. Periodisierungsprinzip unter der Bezeich-
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
nimmt bei einer Anpassungsrechnung auf Basis des NWC eine zeitpunktbezogene Kennzahl Einfluss auf die zeitraumbezogene Nettomarge. Berücksichtigt man dabei, dass Unternehmen aufgrund bilanzpolitischer Zielsetzungen Ansatz- und Bewertungswahlrechte zum Bilanzstichtag unterschiedlich ausüben, werden die Vorbehalte der Verwendung der stichtagsbezogenen Größe NWC deutlich.1 Auch die Anwendung unterschiedlicher Rechnungslegungsstandards bei den Vergleichsunternehmen führt zu Problemen bei der Anpassungsrechnung, weil unterschiedliche Rechnungslegungsstandards vergleichbare Sachverhalte teilweise abweichend behandeln. Dies gilt insbesondere für die Umsatz- und Gewinnrealisierung, die direkten Einfluss auf die Höhe der Forderungen aus Lieferung und Leistung und somit auf das NWC zum jeweiligen Stichtag nimmt. Dementsprechend weisen die OECD-Leitlinien explizit darauf hin, dass aus einer Anpassung bei unterschiedlichen Rechnungslegungsstandards Ergebnisse resultieren können, die nicht zu einer höheren Vergleichbarkeit der Unternehmen führen.2 Ferner ist zu bedenken, dass die in den OECD-Leitlinien dargestellte NWC-Anpassungsrechnung ausschließlich auf kalkulatorische Zinseffekte abstellt.3 Andere Auswirkungen werden nicht berücksichtigt, obwohl ein abweichendes NWC die Nettomarge eines Unternehmens auf verschiedenen Ebenen beeinflussen kann. Beispielsweise versetzen hohe Vorräte ein Unternehmen in die Lage, Kunden kurzfristig und schnell zu bedienen. Dies schafft einen Vorteil am Markt gegenüber Konkurrenten, die längere Lieferzeiten benötigen mit der Folge höherer Umsätze und Ergebnisse. Dem steht allerdings auch ein entsprechendes Lagerrisiko gegenüber, die Vorräte nicht oder nur zu reduzierten Preisen absetzen zu können. Auch insoweit kann sich ein abweichendes NWC auf die Höhe der Nettomarge auswirken. Somit wird die eindimensionale Betrachtungsweise im Hinblick auf ausschließlich kalkulatorische Zinsen dem Einfluss eines abweichenden NWC nicht vollständig gerecht.4 Es ist also im jeweiligen Einzelfall zu analysieren, welche Effekte aus einem unterschiedlich hohen NWC konkret zu erwarten sind. Jedenfalls sollte es vermieden werden, durch eine Anpassungsrechnung nur eine Scheingenauigkeit zu erzeugen, die jedoch der Vergleichbarkeit der Geschäftsvorfälle letztlich nicht dient.5
5.112
EU als einheitlicher Markt. Im Zusammenhang mit Anpassungsrechnungen ist auch die Frage zu erörtern, inwieweit bei der Bezugnahme auf Vergleichs-Nettomargen ausländischer Unternehmen Anpassungen vor-
1 2 3 4 5
nung „accrual principle“. Vgl. Ballwieser in Münchner Kommentar zum HGB, Bd. 43, § 252 Rz. 100. Vgl. OECD-Leitlinien 2010, Annex zu Kapitel III, Tz. 8, 1. Spiegelstrich. Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. OECD-Leitlinien 2010, Annex zu Kapitel III, Tz. 2 ff. Vgl. Dorner/Dawid, IWB 2002, F. 10 Gr. 2, 1565 f. Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2010; ebenfalls kritisch zu generellen Anpassungen: Kolb, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2396; Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 141.
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C. Gewinnorientierte Methoden
zunehmen sind. Sofern es sich um Länder der Europäischen Union handelt, ist grundsätzlich keine Anpassung erforderlich. Die Vergleichbarkeit der Verhältnisse innerhalb der Europäischen Union wurde – jedenfalls für die damaligen 15 Länder, die bereits vor der Osterweiterung Mitglieder der Europäischen Union waren – durch eingehende Analysen festgestellt. Demnach sind die Marktbedingungen hinreichend vergleichbar, so dass die Mitgliedsländer als ein Gesamtmarkt betrachtet werden können.1 Daher wird es auch als zulässig erachtet, im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs auf die Nettomargen europäischer Vergleichswerte abzustellen; eine rein nationale Betrachtungsweise wird dagegen als nicht erforderlich angesehen. Mit der Fragestellung der Einheitlichkeit des Europäischen Markts hat sich auch das von der EU-Kommission eingesetzte EU Joint Transfer Pricing Forum auseinandergesetzt. Die Ergebnisse dieses Forums wurden in einer „Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 27. Juni 2006 zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD)“2 umgesetzt. Dort wird in Tz. 25 klargestellt, dass europäische Vergleichswerte herangezogen werden können und eine rein nationale Betrachtungsweise nicht erforderlich ist. Diese Sichtweise wird im Grundsatz auch von der deutschen Finanzverwaltung geteilt. Gemäß Rupp (als Vertreter der Finanzverwaltung) ist „davon auszugehen, dass eine Begrenzung auf deutsche Daten nicht erforderlich ist, sondern dass auch europäische Daten zur Ermittlung eines Fremdvergleichs herangezogen werden können“.3 Die überarbeiteten OECD-Leitlinien erkennen ebenfalls an, dass eine rein länderbezogene Betrachtungsweise nicht erforderlich ist. So wird es als nicht zulässig erachtet, Vergleichswerte zu verwerfen, nur weil sie nicht aus dem jeweils zu untersuchenden Land stammen. Stattdessen kommt es bei der Einbeziehung von Vergleichswerten auf die Vergleichbarkeit der Marktbedingungen zwischen den jeweiligen Ländern an.4 Zur Vergleichbarkeit der Marktbedingungen innerhalb der Europäischen Union kann auf die vorstehend genannten Analysen Bezug genommen werden. 4. Quantitative Ermittlung Mehrjahresanalysen. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode finden sich in der Praxis meist Mehrjahresanalysen bei der Ableitung vergleichbarer Nettomargen. Allerdings werden solche Mehrjahresanalysen weder von den OECD-Leitlinien noch den VWG-Ver1 Vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Is Europe One Market? A Transfer Pricing Economic Analysis of Pan-European Comparables Sets, JTPF/007/BACK/ 2004/EN; Reyneveld/Gommers/Lund, ITPJ 2007, 79 ff.; Eigelshoven in V/L5, Art. 9 OECD-MA Rz. 86. 2 ABl. EU, C 176/01 v. 28.7.2006. 3 Rupp in D/J/P/W, IntGA Rz. 514. 4 Vgl. Tz. 3.35 OECD-Leitlinien 2010.
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5.113
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
fahren zwingend vorgeschrieben. Vielmehr wird mit den Formulierungen „ist es häufig nützlich“1 oder „kann es zweckmäßig sein“2 auf die zwar generelle Vorteilhaftigkeit einer Mehrjahresanalyse abgestellt, wobei jedoch im konkreten Einzelfall begründete Abweichungen möglich sind. Grundsätzlich werden Mehrjahresanalysen durchgeführt, um außergewöhnliche Effekte (z.B. einmalige Verluste oder bilanzpolitisch motivierte hohe Gewinne in einem Jahr) identifizieren und ggf. im Rahmen einer Durchschnittsbildung eliminieren zu können. Zudem hilft eine Mehrjahresanalyse beim Verständnis der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Geschäften (z.B. Konjunkturzyklen).3 Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht sinnvoll, eine generelle Vorgabe im Hinblick auf die Anzahl der einzubeziehenden Jahre, sondern dies abhängig vom jeweiligen Sachverhalt zu machen.4 Als allgemeiner Erfahrungswert kann zumindest auf Beobachtungszeiträume von drei bis fünf Jahren hingewiesen werden.5
5.114
Durchschnittsbetrachtung. Basierend auf einer Mehrjahresanalyse werden meist Durchschnittsbetrachtungen angestellt. Eine solche Durchschnittsbetrachtung wird zwar wiederum als nicht zwingend sowohl von den OECD-Leitlinien als auch den VWG-Verfahren angesehen,6 gleichwohl wird konzediert, dass aufgrund einer Durchschnittsbetrachtung die Zuverlässigkeit einer durch tatsächlichen Fremdvergleich ermittelten Bandbreite verbessert werden kann. Nicht geregelt ist, wie die Durchschnittsbetrachtung im Einzelnen erfolgen soll. Der Durchschnitt kann nämlich ungewichtet oder gewichtet ermittelt werden. Anhand folgenden Beispiels wird deutlich, dass sich die Ergebnisse dann durchaus unterscheiden können: EBIT (in 1 000 EUR)
Vergleichsunternehmen
2008
2007
2006
Op. Revenue (in 1 000 EUR)
Net Margin
Average
2005
2008
2007
2006
2005
2008
2007
2006
2005
Average Weighted Average
A
346
227
142
344
14 819
15 790
15 486
14 544
2,3 %
1,4 %
0,9 %
2,4 %
1,8 %
B
115
106
85
146
6 254
6 025
5 439
5 692
1,8 %
1,8 %
1,6 %
2,6 %
1,9 %
1,7 % 1,9 %
C
81
70
47
45
1 177
1 212
1 002
902
6,8 %
5,7 %
4,7 %
4,9 %
5,6 %
5,6 %
D
180
116
108
101
2 000
2 015
1 473
1 281
9,0 %
5,7 %
7,3 %
7,8 %
7,5 %
7,4 %
E
117
122
125
117
1 530
1 744
1 629
1 580
7,6 %
7,0 %
7,7 %
7,4 %
7,4 %
7,4 %
1,6 %
1,6 %
2,4 %
1,5 %
1,8 %
1,8 %
7,5 % 11,6 %
8,1 %
8,7 %
7,3 % 14,3 %
14,3 %
F
18
20
26
15
1 103
1 250
1 067
994
G
9
246
151
221
1 380
1 920
2 017
1 901
H
166
204
270
67
1 540
1 371
1 113
I
213
181
73
32
2 742
2 565
2 106
1 699
7,8 %
7,1 %
3,4 %
1,9 %
5,0 %
5,5 %
J
50
43
11
9
1 546
1 108
578
399
3,2 %
3,8 %
1,8 %
2,3 %
2,8 %
3,1 %
0,7 % 12,8 %
910 10,7 % 14,9 % 24,3 %
Es lässt sich keine eindeutige Antwort auf die Frage finden, ob der ungewichtete oder gewichtete Durchschnitt als Vergleichsgröße heranzuzie1 Tz. 3.75 OECD-Leitlinien 2010. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.9. 3 Vgl. Tz. 3.77 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 3.75 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Kolb, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2395. 6 Vgl. Tz. 3.79 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.9.
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C. Gewinnorientierte Methoden
hen ist. In dem in Tz. 3.4.12.5 Buchst. d VWG-Verfahren gebildeten Beispiel wird jedenfalls auf den ungewichteten Durchschnitt abgestellt. Auch international finden sich häufig ungewichtete Durchschnitte. Somit wird die Nettomarge jedes Jahres als ein Einzelereignis betrachtet. Es gibt jedoch auch gute Gründe, den gewichteten Durchschnitt heranzuziehen. Wenn in dem obigen Beispiel die relevante Frage ist, wie viel EBIT auf einen Euro des Umsatzes für die Gesamtperiode 2005 bis 2008 entfällt, so muss der gewichtete Durchschnitt gebildet werden. Der Unterschied besteht also darin, ob eine Periode (hier 2005 bis 2008) als eine Einheit betrachtet wird (= gewichteter Durchschnitt) oder ob mehrere Einzelereignisse einer Periode herangezogen werden (= ungewichteter Durchschnitt). Bandbreite. Bei der Ermittlung von Vergleichswerten im Wege des tatsächlichen Fremdvergleichs ergibt sich regelmäßig eine Bandbreite von Preisen oder Margen. Dass bei vergleichbaren Leistungen unterschiedliche Preise oder unterschiedliche Margen realisiert werden, erklärt sich insbesondere durch die Unvollkommenheit der Märkte. Mangelndes rationales Verhalten der Marktteilnehmer, eine eingeschränkte Markttransparenz, Beschränkungen beim Marktzutritt, Transaktionskosten usw. führen dazu, dass die Modellbedingungen des vollkommenen Markts nicht gegeben sind und insofern kein einheitlicher Preis für eine vergleichbare Leistung am Markt vorzufinden ist.1 Dass es „den ‚einen‘ angeblich richtigen Fremdvergleichspreis“2 nicht gibt, sondern dass bei Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs meist Bandbreiten vorliegen, wird auch von den Finanzbehörden anerkannt.3 Steuerlich ist zu klären, welchen Wert der Steuerpflichtige aus der identifizierten Preis-Bandbreite für seine Verrechnungspreisermittlung heranziehen soll.
5.115
Uneingeschränkte Vergleichbarkeit. Die Auswahl des Werts aus einer Bandbreite hängt davon ab, ob die durch den tatsächlichen Fremdvergleich ermittelten Werte als uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbar qualifiziert werden. Wenn mehrere Fremdvergleichswerte identifiziert werden und diese uneingeschränkt vergleichbar sind, ist aus § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG im Umkehrschluss ableitbar, dass die so ermittelte Bandbreite von dem Steuerpflichtigen vollumfänglich ausgeschöpft werden kann. Der Steuerpflichtige darf also den aus seiner Sicht vorteilhaftesten Wert als Verrechnungspreis ansetzen. Diese Regelung stellt allerdings auch eine Selbstverständlichkeit dar: Wenn der Steuerpflichtige darlegen kann, dass solche Preise oder Margen auch von fremden Dritten bei vergleichbaren Verhältnissen erzielt wurden, ist deren Ansatz als Verrechnungspreis ein der (wirtschaftlichen) Logik folgender Schritt. Die Möglichkeit, die gesamte ermittelte Bandbreite bei uneingeschränkter Ver-
5.116
1 Vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 348 ff. 2 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 3 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1, 2. HS AStG; Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010.
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373
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
gleichbarkeit auszuschöpfen, wird auch von der OECD anerkannt und sollte damit internationale Gültigkeit haben.1
5.117
Eingeschränkte Vergleichbarkeit. Für den Fall, dass die durch einen tatsächlichen Fremdvergleich ermittelten Werte nur eingeschränkt vergleichbar sind – wobei die Konkretisierung der eingeschränkten Vergleichbarkeit im Zweifelsfall strittig sein mag –, verlangt der deutsche Gesetzgeber nunmehr, „die sich ergebende Bandbreite einzuengen“.2 Wie eine solche Einengung vorzunehmen ist, lässt sich gemäß der Gesetzesbegründung aus den VWG-Verfahren ableiten.3 In Tz. 3.4.12.5 Buchst. b VWG-Verfahren werden zunächst Anpassungsrechnungen genannt. Durch diese Rechnungen soll versucht werden, vorhandene Unterschiede zu erfassen und den Einfluss dieser Unterschiede auf Preis oder Marge zu eliminieren (vgl. z.B. die Anpassungen im Hinblick auf unterschiedlich hohes Net-Working-Capital, Rz. 5.110). Im Idealfall werden durch solche Anpassungsrechnungen die vorhandenen Unterschiede eliminiert, so dass letztlich eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit vorliegt. Als weitere Alternative zur Einschränkung der Bandbreite führen die VWG-Verfahren4 sowie die OECD-Leitlinien5 sog. Kontrollrechnungen an. Hier sollen die Verrechnungspreise nicht nur durch eine, sondern ergänzend durch eine weitere geeignete Verrechnungspreismethode ermittelt werden. Dem sich dann ergebenden Überschneidungsbereich aus der Anwendung beider Verrechnungspreismethoden soll zumindest eine besondere Bedeutung beigemessen werden, ohne dass dieser jedoch als verbindlich angesehen werden kann.
5.118
Einengung durch mathematische Verfahren. Wenn sich die vorstehend genannten Verfahren zur Einengung im betreffenden Sachverhalt nicht eignen, sollen schließlich sog. mathematische Verfahren zur Anwendung kommen. Deren Anwendung ist dann geboten, wenn „some comparability defects remain that cannot be identified and/or quantified“.6 Insbesondere bei Benchmark-Studien, bei denen External Comparables ermittelt werden, verbleiben mangels umfassend verfügbarer Informationen meist Einschränkungen im Hinblick auf die Vergleichbarkeit, die auch nicht im Detail spezifiziert werden können. In diesen Fällen sollen nach übereinstimmender Auffassung der deutschen Verwaltungsvorschriften7 als auch der OECD-Leitlinien8 „mathematische Verfahren“ bzw. „Statis1 Vgl. Tz. 3.60 OECD-Leitlinien 2010. 2 § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG. 3 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zu § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, BR-Drucks. 220/07, 143. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570Tz. 3.4.12.5 Buchst. c. 5 Vgl. Tz. 3.58 OECD-Leitlinien 2010. 6 Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570Tz. 3.4.12.5 Buchst. d. 8 Vgl. Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
tical Tools“ verwendet werden, um so eine Einengung vornehmen zu können, wobei als eine mögliche Methode zur Einengung jeweils die Methode der „Interquartile Range“ genannt wird. Durch Anwendung der Methode der „Interquartile Range“ bleibt sowohl das untere als auch das obere Viertel der Werte der ermittelten Bandbreite bei der Verrechnungspreisbildung unberücksichtigt. Für diese Vorgehensweise fehlt es allerdings an einer tragfähigen ökonomischen Begründung. So wurden die Mängel dieser Methode bereits ausführlich in der Literatur1 dargelegt. Nicht nur, dass es sich um eine willkürliche, durch nichts zu begründende pauschale Einengung der Bandbreite um 50 % handelt, ohne dass auf das jeweilige Ausmaß der fehlenden Vergleichbarkeit eingegangen wird. Es liegt zudem kein anerkanntes statistisches Verfahren vor, das auf die Identifikation und Eliminierung von Ausreißerwerten gerichtet ist. Ferner dürfte die bei dem Verfahren unterstellte statistische Normalverteilung der Fremdvergleichswerte wohl eher eine Annahme als eine Tatsache sein. Aufgrund dieser Vorbehalte ist der von Scholz/Crüger gezogenen Schlussfolgerung zuzustimmen, dass es sich bei der Methode der „Interquartile Range“ letztlich um einen „Daumenregel“2 handelt, mit der solche Unternehmen ausgesondert werden sollen, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer nicht ausreichenden Vergleichbarkeit zu hoch ist. Trotz dieser gewichtigen Vorbehalte ist festzustellen, dass die Methode der „Interquartile Range“ in der Praxis häufig zur Anwendung kommt. Letztlich beruht dies wohl darauf, dass die Anwendung der „Interquartile Range“ im US-amerikanischen Steuerrecht ausdrücklich vorgesehen ist3 und dadurch eine faktische Bedeutung erlangt hat. Dies kann für deutsche Besteuerungszwecke allerdings kein (alleiniger) Maßstab sein.4 Vor diesem Hintergrund sind auch die allgemeinen Formulierungen „mathematische Verfahren“ bzw. „Statistical Tools“ in den VWG-Verfahren bzw. OECD-Leitlinien zu begrüßen, die es dem Steuerpflichtigen ermöglichen, andere Verfahren zur Einengung heranzuziehen. Dabei wurden in der Literatur bereits Verfahren diskutiert, die sich besser mathematisch begründen lassen.5 Solche Verfahren finden offenbar auch bereits Anwendung in der Unternehmenspraxis.6 Median als relevanter Verrechnungspreis? Wenn eingeschränkte Vergleichbarkeit vorliegt und eine Einengung vorgenommen wurde, kann der Steuerpflichtige den für ihn günstigsten Wert aus der eingeengten Bandbreite als Verrechnungspreis wählen. Sofern der vom Steuerpflichtigen angesetzte Verrechnungspreis allerdings außerhalb der ermittelten Band1 Vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 362 ff.; Werra, IStR 2005, 21; Finsterwalder, DStR 2005, 769; Steuerfachausschuss des IDW, FN-IDW 2004, 787 f. 2 Scholz/Crüger, RIW 2005, 37. 3 Vgl. Sec. 482 IRC und die dazu ergangenen Regulations. 4 So auch Wassermeyer, DB 2007, 537. 5 Beispiele für ein solches begründetes Verfahren zur Eliminierung von Ausreißerwerten finden sich bei Baumhoff in FS Wassermeyer, 366 ff.; Ziehr, Einkünftezurechnung im internationalen Einheitsunternehmen, 290. 6 Vgl. Kolb, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2401.
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5.119
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
breite liegt, ist gem. § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG im Fall der Korrektur des Verrechnungspreises der Median maßgeblich.1 Gegen den Ansatz des Medians im Rahmen der Ermittlung von Verrechnungspreisen lassen sich bereits aus statistischer Perspektive grundsätzliche Vorbehalte anbringen.2 Davon jedoch abgesehen ist es auch rein steuerlich nicht gerechtfertigt, auf einen fixierten Punkt der Bandbreite abzustellen. Gemäß der generellen Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG steht dem Steuerpflichtigen die gesamte (eingeengte) Bandbreite zur Verfügung. Diese Regelung muss auch gelten, wenn ein zunächst außerhalb der Bandbreite festgelegter Preis später angepasst wird, weil jeder Preis innerhalb der (eingeengten) Bandbreite als angemessen zu betrachten ist. Dies wird auch ausdrücklich für den Fall der Verrechnungspreiskorrektur durch die OECD-Leitlinien anerkannt mit der Begründung „that any point in the range satisfies the arm’s length principle“.3 Nur für den besonderen Einzelfall, dass erhebliche Unsicherheiten im Hinblick auf die Vergleichbarkeit verbleiben, kann die Orientierung an einem mittleren Wert (Median, Mittelwert oder gewichteter Mittelwert) vertretbar sein.4 Diese Regelung, die nur auf besondere Einzelfälle Bezug nimmt und zugleich klarstellt, dass eine Orientierung an einem mittleren Wert geeignet sein kann, ist auch nachvollziehbar. Hierzu steht jedoch die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG, die generell auf den Median abstellt, im Widerspruch. Nicht zuletzt diese Ausführungen der OECD-Leitlinien machen es jedoch offensichtlich, dass die entsprechende deutsche Vorschrift mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs nicht vereinbar ist. Kosten- und zeitintensive Schieds- und Verständigungsverfahren mit ausländischen Finanzverwaltungen werden daher die Folge sein, wenn die deutsche Finanzverwaltung die international abgestimmten Regelungen der OECD-Leitlinien nicht anwendet.
5.120
Year-End-Adjustments. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird im Vorhinein vereinbart, dass die eine Vertragspartei eine definierte Nettomarge mit dem betrachteten Geschäftsvorfall realisieren soll, wobei die Nettomarge aus Internal oder External Comparables abgeleitet wird und insofern fremdvergleichskonform ist. Diese definierte Nettomarge stellt die Grundlage für die Preiskalkulationen dar. Am Ende eines Geschäftsjahrs stellt sich allerdings häufig heraus, dass aufgrund von Preisschwankungen, Kostenänderungen, abweichenden Kapazitätsauslastungen usw. die angestrebte Nettomarge tatsächlich nicht realisiert werden kann. Es ist dann zu klären, inwieweit Preisanpassungen für z.B. die gelieferten Produkte zwischen den nahestehenden Unternehmen möglich sind, um dadurch sicherzustellen, dass die ursprünglich angestrebte – und fremdvergleichskonforme – Nettomarge
1 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG. 2 Vgl. im Einzelnen Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 551 f. 3 Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
tatsächlich erzielt wird.1 Solche Preisanpassungen werden üblicherweise als Year-End-Adjustments bezeichnet. Deutsche Finanzverwaltung zu Year-End-Adjustments. Die deutsche Finanzverwaltung vertritt zur Zulässigkeit von Year–End-Adjustments eine sehr restriktive Auffassung. So heißt es in Tz. 3.4.2012.8 VWG-Verfahren: „Eine nachträgliche Preisberechnung muss auf eine bei Vertragsabschluss vorliegende und festgestellte Ungewissheit über eine oder mehrere Preiskomponenten zurückzuführen sein […], jedoch nicht auf das bei einem Beteiligten entstehende Ergebnis.“ Eine Preisanpassung zur Sicherstellung einer fremdvergleichskonformen Nettomarge soll demnach nicht möglich sein. Dies wird auch in Tz. 3.4.20 Buchst. e VWGVerfahren nochmals betont: „Vom Steuerpflichtigen vorgenommene Ergebnisanpassungen für die Vergangenheit, die nicht auf im Vorhinein abgeschlossenen Vereinbarungen […] beruhen, sind steuerlich nicht anzuerkennen. Dies gilt insbesondere für rückwirkende ‚Preisanpassungen‘ durch nachträgliche Zahlungen oder Gutschriften/Belastungen, die das Ergebnis eines Unternehmens […] den Nettorenditekennzahlen von Vergleichsunternehmen anpassen.“ Diesen Verlautbarungen der Finanzverwaltung ist nur insoweit zuzustimmen, als darauf abgestellt wird, dass Preisanpassungsklauseln im Vorhinein vereinbart sein müssen. Auch fremde Dritte würden nur dann eine Preisanpassung vornehmen, wenn vor Durchführung der Transaktion eine entsprechende Vereinbarung diesbezüglich geschlossen wurde. Es lässt sich auch insoweit der Auffassung der deutschen Finanzverwaltung zustimmen, als im Vorhinein bereits vereinbart sein muss, bei Eintritt welcher Umstände ein Preisanpassung erfolgt und wie der Anpassungsbetrag im Einzelnen zu ermitteln ist.2 Wenn die vorstehenden Bedingungen erfüllt sind (Vereinbarung im Vorhinein, Konkretisierung der Preisanpassung), lässt sich nicht nachvollziehen, warum ein Year-End-Adjustment zur Erzielung einer fremdüblichen Nettomarge nicht zulässig sein soll.3 Year-End-Adjustments unter diesen Bedingungen finden sich auch zwischen fremden Dritten. So wird z.B. vereinbart, dass der Verkaufspreis um x Euro sinkt, wenn die Absatzmenge insgesamt y Einheiten übersteigt, dass sich eine Lizenzrate auf a % reduziert bei einem Umsatz unter Nutzung des jeweiligen immateriellen Wirtschaftsguts von b Euro oder dass ein Bonus i.H.v. m % bei einem Gesamtumsatz von n Euro vergütet wird. Ferner macht auch Schreiber als Vertreter der Finanzverwaltung deutlich: „Die Ausführungen in den VerwGr-Verfahren zu nachträglichen, datenbankgestützten Nettomargenanpassungen enthalten gravierende Widersprüche. […] Es erscheint sachgerecht, wenn nachträgliche Nettogewinnanpassungen auf vergleichbare Unternehmen, die im Vorhinein eindeutig vereinbart wor1 Kritisch zu Preisanpassungen, die nicht aufgrund verfehlter eigener Nettomarge, sondern aufgrund schlechter Marge des Geschäftspartners gewährt werden, vgl. BFH v. 14.8.1974 – I R 168/72, BStBl. II 1975, 123. 2 Vgl. auch BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545 = FR 1998, 625. 3 So auch Kaut/Freudenberg/Foth, BB 2007, 1668.
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5.121
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
den sind, steuerlich anerkannt werden“.1 Dem kann nur zugestimmt werden.2 Anders gelingt es häufig nicht, fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise zu vereinbaren. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum die deutsche Finanzverwaltung solche Vorbehalte gegen Anpassungen der Nettomargen am Jahresende anbringt, in anderen Zusammenhängen jedoch entsprechende Anpassungen ausdrücklich fordert. So wird bei den sog. Mittelunternehmen eine Verrechnungspreisermittlung auf Basis von Planrechnungen vorgeschlagen.3 Bei der Verrechnungspreisermittlung auf Basis von Planrechnungen, „verlangt die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes die regelmäßige Durchführung eines Abgleichs zwischen den Soll- und den IstZahlen“.4 Die VWG-Verfahren stellen also ausdrücklich klar, dass ein Festhalten an den ursprünglichen Kalkulationen nicht fremdvergleichskonform ist, wenn zwischenzeitlich entsprechende Änderungen eingetreten sind. Anpassungen werden dann ausdrücklich gefordert. Darüber hinaus sind die Regelungen des § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG anzuführen. Demnach wird bei Funktionsverlagerungen oder der Übertragung wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter widerlegbar vermutet, dass bei wesentlichen Abweichungen von Plan- und Istwerten nachträgliche Anpassungen vorgenommen werden (selbst wenn die Vertragsparteien eine solche Anpassung tatsächlich nicht vereinbart haben). Vor diesem Hintergrund sollte es auch vertretbar sein, Year-End-Adjustments zur Erzielung einer fremdüblichen Nettomarge durchzuführen, wenn eine Vereinbarung im Vorhinein geschlossen wurde und dabei die Art der Preisanpassung konkret definiert wurde. In der Praxis werden zur Durchsetzung der Möglichkeit von Preisanpassungen häufig nur vorläufige Preise für die Produkte in den jeweiligen Vertriebs- oder Herstellungsverträgen vereinbart. Die unterjährigen Zahlungen haben dann den Charakter von Vorauszahlungen bzw. Abschlagszahlungen. Die endgültigen Preise werden erst zum Jahresende vereinbart.5
5.122
OECD-Leitlinien zu Year-End-Adjustments. Im Rahmen der Neufassung der OECD-Leitlinien und den vorgehenden Konsultationen wurden auch ausführlich sog. „Timing Issues“ diskutiert, die sich u.a. mit der Frage der Year-End-Adjustments auseinandergesetzt haben. Das Ergebnis dieser umfassenden Diskussionen ist allerdings ernüchternd. So wird dargestellt, dass einige Länder der OECD den „Arm’s-Length-Price-settingApproach“ verfolgen, also darauf abstellen, dass bei der ursprünglichen 1 Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 237. 2 So auch Bickenbach/Rubart, IWB 2012, 92 f.; Schwaiger, SWI 2011, 425. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. c. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.2012.6 Buchst. c. 5 So wohl auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 237, der in den dort gebildeten Beispielen auf Vorauszahlungen bzw. Abschlagszahlungen Bezug nimmt.
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C. Gewinnorientierte Methoden
Preisfestsetzung ein fremdvergleichskonformer Preis zum Ansatz kommt (Ex-ante-Basis).1 Andere Länder wenden dagegen den „Arm’s-Length-Outcome-testing-Approach“ an, nehmen also darauf Bezug, inwieweit die tatsächlich realisierte Nettomarge im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz steht (Ex-post-Basis).2 Bei letzterem „Approach“ werden also Year-End-Adjustments anerkannt, um damit auf Ex-post-Basis eine fremdvergleichskonforme Nettomarge ausweisen zu können. Die OECDLeitlinien scheuen sich allerdings, für einen dieser beiden „Approaches“ klar Stellung zu nehmen. Vielmehr wird nur deutlich gemacht, dass Verrechnungspreisprobleme entstehen können, wenn beide an einer Transaktion beteiligten Länder einen unterschiedlichen „Approach“ verfolgen. Dieser Konflikt ist freilich offenkundig und hätte nicht gesondert erwähnt werden müssen. Wünschenswert wäre vielmehr gewesen, dass die OECD-Mitgliedsländer zu einer einheitlichen Auffassung gefunden hätten anstatt den Steuerpflichtigen zusätzliche Doppelbesteuerungsrisiken aufzuerlegen. Dass es sich hierbei um ein für die Unternehmenspraxis bedeutendes Problem handelt, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass die OECD am 6.6.2012 – also nicht einmal zwei Jahre nach der Veröffentlichung der überarbeiteten OECD-Leitlinien – einen „Request for Comments“ zu „Timing Issues Relating to Transfer Pricing“ startete.3 Demnach sollten Fragen zur Berechtigung der Ex-ante-Basis bzw. der Ex-postBasis erneut grundlegend diskutiert und Lösungswege zur Verhinderung einer Doppelbesteuerung aufgezeigt werden. Die Vorschläge wurden im November 2012 in einer öffentlichen Anhörung kontrovers diskutiert, ohne dass eine Einigung erzielt werden konnte. Im Frühjahr 2013 wurde der Reformversuch der OECD schließlich ergebnislos abgebrochen. So enthalten die OECD-Leitlinien derzeit weiterhin lediglich die allgemeine Aufforderung an die Fiski der jeweils beteiligten Länder, im Rahmen von Verständigungsverfahren die Doppelbesteuerungseffekte zu beseitigen, die aus Year-End-Adjustments resultieren.4 Aus dieser Aufforderung kann allerdings positiv geschlossen werden, dass Year-End-Adjustments von den OECD-Leitlinien als vertretbar angesehen werden und eine Doppelbesteuerung nicht begründen dürfen. Empfehlungen des EU JTPF. Auch das EU Joint Transfer Pricing Forum (EU JTPF) hat sich mit der Anwendung von Year-End-Adjustments auseinandergesetzt. Basierend auf einer Umfrage unter den einzelnen Mitgliedsstaaten wurden Empfehlungen zur einheitlichen Anerkennung von Year-End-Adjustments abgeleitet.5 So sollen diese von den Finanzverwaltungen akzeptiert werden, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1 Vgl. Tz. 3.69 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 3.70 OECD-Leitlinien 2010. 3 Abrufbar unter http://www.oecd.org/document/0/0,3746,en_2649_33753_50519 552_1_1_1_1,00.html. 4 Vgl. Tz. 3.71 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Report on Compensating Adjustments (EU JTPF Compensating Adjustments), January 2014, abrufbar unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/taxation/company_tax/transfer_ pricing/forum/jtpf/2013/jtpf_009_final_2013_en.pdf.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
– Der Steuerpflichtige hat vor Ausführung der Transaktion ernsthaft versucht, ein fremdübliches Ergebnis herbeizuführen. Dieses ernsthafte Bemühen wird in der Regel in der Verrechnungspreisdokumentation des Steuerpflichtigen beschrieben. – Der Steuerpflichtige nimmt die nachträgliche Preisanpassung symmetrisch in beiden beteiligten Mitgliedsstaaten vor. – Er wendet denselben Ansatz konsistent dauerhaft an. – Die nachträgliche Preisanpassung wird vor Abgabe der Steuererklärung durchgeführt. – Der Steuerpflichtige kann erklären, weshalb die budgetierten Zahlen nicht mit den tatsächlich erzielten Ergebnissen übereinstimmen, falls dies von mindestens einem der beteiligten Mitgliedsstaaten gefordert wird. Für den Fall, dass das tatsächlich erzielte Ergebnis außerhalb der der Preissetzung zugrunde gelegten Bandbreite fremdüblicher Verrechnungspreise liegt, sind Year-End-Adjustments nach Auffassung des EU JTPF somit möglich. Dabei soll auf den angemessensten Punkt innerhalb der Bandbreite angepasst werden. Insgesamt stellen die Regelungen nachvollziehbare und für den Steuerpflichtigen umsetzbare Bedingungen dar, die zum Großteil bereits bisher durch die Erfüllung der allgemeinen Dokumentationsvorschriften abgedeckt sind. So sind auch gem. § 5 Satz 2 Nr. 4 GAufzV nachträgliche Preisanpassungen und die Gründe dafür aufzuzeichnen. Zwar hat es das EU JTPF leider versäumt, eine praktikable und konkrete Lösung hinsichtlich des Punkts der Bandbreite, auf den angepasst werden soll, anzubieten. Die Empfehlungen des EU JTPF sind jedoch im Ganzen sehr zu begrüßen, da sie eine Lücke der OECD-Leitlinien schließen und das Risiko einer Doppelbesteuerung auf europäischer Ebene durch Anwendung verschiedener Ansätze verringern.1
III. Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode 1. Überblick
5.123
Allgemeines. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode („Profit-Split-Method“ – PSM) wird zunächst der Gewinn aus einer Transaktion ermittelt, an der mindestens zwei nahestehende Unternehmen beteiligt sind. Dieser Gewinn wird dann in einer wirtschaftlich begründeten Weise aufgeteilt und den beteiligten nahestehenden Unternehmen zugeordnet.2 Die Transaktionsbezogenheit dieser Methode wird dadurch deutlich, dass nur der gemeinsam erzielte Gewinn aus einem einzelnen, ganz bestimmten Geschäftsvorfall Gegenstand der Aufteilung ist. Dabei ist es – wie auch bei der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode – möglich, gleichartige Geschäfte zu einem Ge1 Vgl. Greinert/Metzner, DB 2014, 622 ff. 2 Vgl. Tz. 2.108 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
schäft zu gruppieren und zusammenzufassen (Rz. 5.93). Zur konkreten Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode enthalten weder Gesetz noch Verwaltungsvorschriften spezifische Regelungen. Vielmehr wird lediglich in den VWG-Verfahren auf die Ausführungen in Tz. 3.5 ff. OECD-Leitlinien 1995 (jetzt Tz. 2.108 ff. OECD-Leitlinien) verwiesen.1 Anwendungsbereiche. Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode ist eine sog. zweiseitige Methode, bei der für die Ableitung angemessener Verrechnungspreise beide an einer Transaktion beteiligten nahestehenden Unternehmen betrachtet werden. Diese zweiseitige Betrachtungsweise lässt sich durch die aus der BFH-Rechtsprechung abgeleitete Denkfigur des „doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ rechtfertigen,2 die mittlerweile auch in das Außensteuergesetz aufgenommen wurde.3 Im Unterschied zur geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode handelt es sich bei der Wiederverkaufspreismethode, der Kostenaufschlagsmethode und der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode nur um sog. einseitige Methoden, weil dabei nur auf die Verhältnisse eines an einer Transaktion beteiligten Unternehmens für die Ableitung angemessener Verrechnungspreise abgestellt wird, z.B. die Bruttomarge des Eigenhändlers, die Kosten des Dienstleisters oder die Nettomarge des Kommissionärs. Die (Gewinn-)Situation des anderen an der Transaktion beteiligten Unternehmens bleibt dagegen außen vor. Aufgrund der zweiseitigen Betrachtung bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode eignet sich diese Methode insbesondere dann, wenn Transaktionen eng miteinander zusammenhängen (z.B. „Global Trading“).4 Ebenso soll die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode beim Einsatz einzigartiger und hoch rentierlicher immaterieller Wirtschaftsgüter oder bei sonstigen besonders wertvollen Beiträgen einer Partei zum Zuge kommen.5 In diesen Fällen stehen nämlich meist überhaupt keine verlässlichen durch tatsächlichen Fremdvergleich ableitbaren Vergleichswerte über angemessene Preise oder Margen zur Verfügung. Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode ermöglicht somit in den Fällen, in denen durch tatsächlichen Fremdvergleich ermittelte Werte als Vergleichsmaßstäbe nicht zur Verfügung stehen, dennoch eine dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechende Verrechnungspreisermittlung vorzunehmen. Durch die zweiseitige Betrachtung ist auch die erforderliche Flexibilität gegeben, um die individuellen Beiträge der beteiligten nahestehenden Unternehmen für 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. c. 2 Vgl. BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann sowie grundlegend zum doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter: Baumhoff, Dienstleistungen, 139 ff. 3 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. c. 5 Vgl. Tz. 2.109 OECD-Leitlinien 2010.
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5.124
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
die Verrechnungspreisermittlung zu berücksichtigen.1 Im Umkehrschluss ist die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode daher grundsätzlich nicht anwendbar, wenn ein nahestehendes Unternehmen lediglich einfache Beiträge (insbesondere als Routineunternehmen) im Rahmen einer Transaktion erbringt und insofern verlässliche Vergleichswerte zur Verfügung stehen.
5.125
Aufteilung von Ergebnissen. Die Begriffe geschäftsvorfallbezogene „Gewinn“aufteilungsmethode bzw. „Profit“-Split-Method lassen zwar zunächst erwarten, dass es hierbei nur um die Aufteilung von Gewinnen geht. Dies trifft allerdings nicht zu. Vielmehr soll die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode auch in Verlustfällen zur Anwendung kommen und den einzelnen nahestehenden Personen dann entsprechende Anteile am Verlust zuweisen.2 Insofern wäre der Begriff „Ergebnisaufteilungsmethode“ sicherlich treffender für diese Methode gewesen.
5.126
Uneinheitliche Rechnungslegungsvorschriften. Die Frage der Angemessenheit der Verrechnungspreise ist insbesondere bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen von Bedeutung. Wenn aber die an einer Transaktion beteiligten Unternehmen in unterschiedlichen Ländern ansässig sind, kommt bei der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode das Problem zum Tragen, dass es keine weltweit einheitlichen Rechnungslegungsvorschriften gibt.3 Vielmehr hat jedes Land seine eigenen Vorschriften, auch wenn z.B. innerhalb der Europäischen Union gewisse Harmonisierungen bereits erfolgt sind. Aufgrund unterschiedlicher Rechnungslegungsvorschriften können – bei gleichen realwirtschaftlichen Gegebenheiten – die ausgewiesenen Gewinne in den einzelnen Ländern abweichen. Dies stellt insofern ein Problem dar, als bei der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode im ersten Schritt die Gewinne der beteiligten nahestehenden Unternehmen zusammengerechnet werden. Unterschiedlich ermittelte Größen werden also zu einer einheitlichen Basis zusammengefügt. Angesichts dieses Problems wird vorgeschlagen, Anpassungen in der Gewinnermittlung vorzunehmen und damit die bestehenden Unterschiede weitgehend zu eliminieren.4 Diese Forderung ist zwar theoretisch richtig, für die Praxis allerdings untauglich, da die Vielzahl der Unterschiede in der Rechnungslegung und die im Zeitablauf gegenläufigen Effekte eine so hohe Komplexität erzeugen, dass solche Anpassungen für die praktische Handhabung im Normalfall zu aufwendig sind. Vielfach wird daher auf umfassende Anpassungen verzichtet. Dies lässt sich zumindest insoweit rechtfertigen, als die meisten Unterschiede in der Rechnungslegung nur zeitliche Unterschiede in der Gewinnentstehung verursachen (z.B. unterschiedlich lange Nutzungsdauern, abweichende Abschreibungsmethoden, divergierende Anforderungen an die Rückstellungsbildung, abweichender Umfang der Herstellungskos1 2 3 4
Vgl. Tz. 2.112 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.108 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. hierzu Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 266. Vgl. Tz. 2.114 und 2.125 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
ten). Im Zeitablauf gleichen sich somit die Unterschiede wieder aus. Diese Begründung für einen Verzicht auf spezifische Anpassungen ist jedoch nur dann stichhaltig, wenn die Gewinnermittlung im Zeitablauf auch konsistent durchgeführt wird.1 Alternativ ist es auch möglich, die Unterschiede in den einzelnen Rechnungslegungssystemen dadurch zu relativieren, dass statt auf Größen des externen Rechnungswesens auf konzerneinheitliche Größen des internen Rechnungswesens abgestellt wird.2 Diese Größen orientieren sich eher an betriebswirtschaftlichen Anforderungen, die weltweite Gültigkeit besitzen und insofern einheitlich abgegrenzt sind. 2. Maßgebende Gewinngröße Allgemeines. Der zwischen den nahestehenden Unternehmen aufzuteilende Gewinn ist grundsätzlich als operativer Gewinn zu verstehen.3 Im Allgemeinen wird daher auf die Ergebnisgröße EBIT – „Earnings Before Interest and Taxes“, also den Gewinn vor Zinsen und Ertragsteuern – abgestellt (Rz. 5.103 ff.). Allerdings konzedieren die OECD-Leitlinien, dass es in begründeten Einzelfällen auch möglich ist, stattdessen den Bruttogewinn gemeinsam zu ermitteln und auf die beteiligten nahestehenden Unternehmen aufzuteilen.4 Der Bruttogewinn wird insbesondere dann als maßgebende Größe für die Gewinnaufteilung herangezogen, wenn die Zuordnung der operativen Kosten der beteiligten Unternehmen zu der untersuchten Transaktion zu große Schwierigkeiten bereitet. In diesem Fall muss dann jedes Unternehmen von dem so zugeordneten Bruttogewinn die eigenen operativen Kosten decken. Für den Grundfall der Verwendung des operativen Gewinns (EBIT) ist das praktische Problem darin zu sehen, aus dem gesamten operativen Gewinn des Unternehmens denjenigen operativen Gewinn der betreffenden Transaktion zu isolieren.5 Dabei hängt der zusätzliche Aufwand für die Ermittlung des operativen Gewinns einer Transaktion insbesondere davon ab, wie umfassend die betreffende Transaktion bereits gruppiert und zusammengefasst wurde. Wenn etwa eine so umfassende Gruppierung vorgenommen wurde, dass die zu untersuchende Transaktion mit einem Geschäftsbereich oder einem Profit-Center übereinstimmt, wofür ohnehin separierte Ergebnisse periodisch ermittelt werden, kann auf bereits nach objektivierten Maßstäben ermittelte Ergebnisse unmittelbar Bezug genommen werden. Ansonsten muss durch individuelle Zuordnungen und Schlüsselungen der relevante operative Gewinn einer Transaktion abgegrenzt werden. Bei solchen individuellen Berechnungen besteht naturgemäß eine höhere Subjektivität, als es bei periodischen Berichten der Fall ist. In diesem Zusammenhang kommt es auch auf die bereits vorhandene 1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 2.125 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.126 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.131 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.131 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Greinert, RIW 2006, 454.
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5.127
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Differenziertheit und Flexibilität des Rechnungswesens des Unternehmens an, in welchem Ausmaß zusätzlicher Aufwand für die Isolierung des operativen Gewinns anfällt.
5.128
Plan- oder Ist-Gewinne. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode ist zu klären, ob die ursprünglich geplanten Gewinne („Ex-ante“-Betrachtung) oder die tatsächlich realisierten Gewinne („Ex-post“-Betrachtung) aus der zugrunde liegenden Transaktion für die Gewinnaufteilung heranzuziehen sind. Diese Frage lässt sich allerdings nicht allgemeingültig beantworten. Entsprechend wird auch in den OECD-Leitlinien dargestellt, dass in Abhängigkeit von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls die Verwendung von Plan- oder Ist-Gewinnen in der Praxis feststellbar ist.1 Letztlich lassen sich für die Verwendung sowohl der Plan- als auch der Ist-Gewinne überzeugende Gründe mit Bezug auf den Grundsatz des Fremdvergleichs anführen.2 Insofern kann auch auf die bereits im Zusammenhang mit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode geführte Diskussion verwiesen werden (Rz. 5.120 ff.). 3. Methoden der Gewinnaufteilung
5.129
Allgemeines. Als Aufteilungsmaßstab der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode fungieren die von den nahestehenden Unternehmen ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter, die mittels einer Funktionsanalyse zu erfassen sind. Insoweit soll eine geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilung erreicht werden, wie sie zwischen unabhängigen Unternehmen bei vergleichbaren Funktionen, Risiken und Wirtschaftsgütern entstanden wäre. Eine solche geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilung entspricht zwar nicht unmittelbar dem Grundsatz des Fremdvergleichs, weil fremde Dritte normalerweise keine Gewinne untereinander aufteilen, sondern Preise miteinander vereinbaren.3 Gleichwohl kann trotz fehlender Vergleichsmaßstäbe des Markts eine Verrechnungspreissimulation auf der Grundlage eines Fremdvergleichs durchgeführt werden. Dabei ist wesentlich, dass die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode die Entscheidungssituation des „doppelten“ ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters berücksichtigt.4 Dadurch wird auch vermieden, dass einem an der Transaktion beteiligten nahestehenden Unternehmen ein unangemessen hoher oder unangemessen niedriger Gewinnanteil zugeordnet wird.5 In der Literatur werden unterschiedliche Ansätze für die Gewinnaufteilung genannt, und zwar die Beitragsmethode, die Restgewinnmethode, 1 Vgl. Tz. 2.127 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. die umfassenden Diskussionen in Tz. 2.128 bis Tz. 2.130 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Greinert, RIW 2006, 454. 4 Vgl. zum doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann. 5 Vgl. Tz. 2.113 OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
die Methode des eingesetzten Kapitals und die Methode der vergleichbaren Gewinnaufteilung.1 Die OECD-Leitlinien erläutern – vermutlich wegen ihrer Bedeutung – allerdings nur die beiden zuerst genannten Methoden, weisen jedoch auch ausdrücklich darauf hin, dass weitere Methoden zur Gewinnaufteilung bestehen und ebenfalls sachgerecht sein können.2 Beitragsmethode. Nach der Beitragsmethode („Contribution Analysis“) wird der Gesamtgewinn aus einer Transaktion ermittelt und zwischen den nahestehenden Unternehmen im Verhältnis ihrer Leistungsbeiträge aufgeteilt. Der Umfang der Leistungsbeiträge wird mit Hilfe der Funktionsanalyse festgelegt, wobei der Wert einer Leistung möglichst anhand von tatsächlichen Marktwerten bestimmt werden soll.3
5.130
Residualgewinnmethode. Nach der Residualgewinnmethode (Residual Analysis) wird der erzielte Gesamtgewinn in zwei Stufen aufgeteilt.4 Auf der ersten Stufe wird jedem an der Transaktion beteiligten Unternehmen eine „Normalrendite“ für die von ihm ausgeführten Routinefunktionen („Non-unique Contributions“) zugestanden (= Funktionsgewinn). Dabei bietet es sich an, die Ableitung der Normalrenditen anhand der bekannten klassischen Methoden oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode vorzunehmen, dabei also durch tatsächlichen Fremdvergleich abgeleitete Werte heranzuziehen. Der nach Subtraktion des Funktionsgewinns verbleibende Gewinn oder Verlust (der sog. „Residualgewinn“) wird dann auf der zweiten Stufe unter Berücksichtigung der individuellen Beiträge der nahestehenden Unternehmen, z.B. des Einsatzes bedeutender Patente, Know-how oder Marken verteilt. Die Residualgewinnmethode ist insbesondere dann empfehlenswert, wenn auf Grund nicht leicht zu bewertender Funktionen „Extragewinne“ zugeordnet werden müssen.
5.131
Gewinnaufteilung durch tatsächlichen Fremdvergleich. Bei der Beitragsmethode, der Residualgewinnmethode oder auch anderen geeigneten Methoden ist es schließlich erforderlich, den zutreffend isolierten (Residual-)Gewinn auf die beteiligten nahestehenden Unternehmen aufzuteilen. Auch für diese Aufgabe gilt das allgemeine Stufenverhältnis, wonach die Aufteilung primär auf Basis von durch den tatsächlichen Fremdvergleich abgeleiteten Werten vorzunehmen ist. Erst subsidiär sind durch hypothetischen Fremdvergleich ermittelte Werte für die Aufteilung heranzuziehen. Bei der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode besteht allerdings das Problem, dass der tatsächliche Fremdvergleich nur in Aus-
5.132
1 Vgl. Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, 69 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 595 f.; Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 262 ff. 2 Vgl. Tz. 2.118 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 2.119 OECD-Leitlinien 2010; im Einzelnen Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Tz. 139 f. 4 Vgl. Tz. 2.121 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
nahmefällen zur Anwendung kommen kann. Die OECD-Leitlinien nennen zwar einige Beispiele, anhand derer Verteilungsschlüssel marktorientiert abgeleitet werden können, z.B. Joint-Venture-Verträge, Verträge über Entwicklungsprojekte in der Pharma-, Öl- und Gasindustrie oder Verträge über Co-Marketing in der Unterhaltungsindustrie.1 Die in diesen Verträgen enthaltenen Aufteilungsschlüssel sind allerdings stets auf das individuelle Projekt abgestimmt und lassen nicht immer einen verallgemeinerungsfähigen Rückschluss auf eine zwischen fremden Dritten übliche Gewinnaufteilung zu.
5.133
Gewinnaufteilung durch hypothetischen Fremdvergleich. Sofern es nicht gelingt, durch tatsächlichen Fremdvergleich eine fremdvergleichskonforme Gewinnaufteilung vorzunehmen, ist subsidiär der hypothetische Fremdvergleich vorzunehmen. Dabei sind zunächst die von den nahestehenden Unternehmen ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter anhand einer Funktionsanalyse zu ermitteln. Auf Basis einer solchen Funktionsanalyse lässt sich eine Wertschöpfungsbeitragsanalyse erstellen, anhand derer die Beiträge der nahestehenden Unternehmen deutlich werden.
5.134
Verteilungsschlüssel. Für die praktische Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode ist es erforderlich, einen oder mehrere Verteilungsschlüssel für die Gewinnaufteilung auszuwählen. Dabei sollen solche Verteilungsschlüssel ausgewählt werden, die stark mit der Gewinnentstehung korrelieren.2 Als Verteilungsschlüssel kommen insbesondere vermögens- bzw. kapitalorientierte Schlüssel (z.B. eingesetztes Vermögen, eingesetztes Nettoumlaufvermögen oder eingesetzte immaterielle Wirtschaftsgüter), kostenorientierte Schlüssel (z.B. geleistete Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen oder geleistete Werbeaufwendungen) oder mitarbeiterorientierte Schlüssel (z.B. Anzahl der eingesetzten Mitarbeiter oder geleistete Arbeitsstunden) zur Anwendung.3 Wenn sich also z.B. die Gewinnentstehung für die untersuchte Transaktion primär durch die Höhe der geleisteten Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der beteiligten nahestehenden Unternehmen erklären lässt, so wären entsprechend die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen als Schlüssel für die Gewinnverteilung heranzuziehen. Bei der Verwendung solcher kostenorientierter Schlüssel ist allerdings vielfach Vorsicht geboten. Tatsächlich beruht eine Gewinnaufteilung und damit Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode meist auf dem Einsatz wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter, die für die Gewinnentstehung als ursächlich angesehen werden können. Die für die Schaffung dieser immateriellen Wirtschaftsgüter angefallenen Kosten stehen allerdings nicht zwingend in einem proportionalen Verhältnis zu dem aus den immateriellen Wirtschaftsgütern resultierenden Nutzen (vgl. etwa Rz. 6.585 ff. zur Gewinnaufteilung bei der 1 Vgl. Tz. 2.133 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 2.136 und 2.138 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 2.135 ff. OECD-Leitlinien 2010.
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C. Gewinnorientierte Methoden
Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern mit Hilfe der KnoppeFormel oder der Goldscheider-Rule).1 Daher schränken die OECD-Leitlinien den Einsatz kostenorientierter Schlüssel zu Recht ein, auch wenn deren Vorteil in der einfachen Anwendbarkeit zu sehen ist.2 Häufig lässt sich die Gewinnentstehung nicht nur auf einen einzigen Einflussfaktor zurückführen. In diesem Fall ist es zweckmäßig, mehrere Verteilungsschlüssel auszuwählen, anhand derer die Ursachen für die Gewinnentstehung möglichst umfassend widergespiegelt werden. Je nach Bedeutung der einzelnen Verteilungsschlüssel bedarf es auch ihrer Gewichtung.3 Subjektivität der Auswahl. In der Auswahl und Gewichtung der Verteilungsschlüssel ist auch das eigentliche Problem der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode zu sehen. Die Auswahl und Gewichtung der Verteilungsschlüssel ist stark von subjektiven Beurteilungen des Anwenders abhängig. Anstelle einer durch tatsächlichen Fremdvergleich abgeleiteten Gewinnaufteilung tritt das subjektive Urteil des jeweiligen Anwenders. Insofern ist Sieker zuzustimmen, dass ein „reiner Zufall“ vorliegt, wenn in einem Einzelfall zwei Anwender nebeneinander zu einer identischen Gewinnaufteilung kommen.4 Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode ist damit recht streitanfällig, weil einerseits Steuerpflichtiger und Finanzverwaltung und andererseits die Finanzverwaltungen der beteiligten Länder untereinander zu jeweils abweichenden Gewinnaufteilungen und damit angemessenen Verrechnungspreisen kommen können. Um solche Konflikte zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren, ist es für den Steuerpflichtigen zweckmäßig, im Rahmen der ohnehin zu erstellenden Verrechnungspreisdokumentation (Rz. 8.6 ff.) eingehend die eigenen Überlegungen und betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge darzustellen, um damit die Gewinnaufteilung möglichst intersubjektiv nachvollziehbar auszugestalten.5
5.135
IV. Gewinnvergleichsmethode Überblick. In ihrer Anwendung ähnelt die (globale) Gewinnvergleichsmethode (Comparable-Profit-Method – CPM) der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Sowohl bei der Gewinnvergleichsmethode als auch bei der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird zur Ableitung angemessener Verrechnungspreise auf den Nettogewinn im Verhältnis zu einer definierten Bezugsbasis, z.B. Umsatz, Kosten oder Vermögen, abgestellt (nachfolgend „Nettomarge“). Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Methoden besteht allerdings in der Aggregation 1 2 3 4 5
Vgl. Baumhoff/Greinert, Ubg 2009, 544; Greinert, Ubg 2010, 104. Vgl. Tz. 2.138 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.134 OECD-Leitlinien 2010. So zutreffend Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 267. Vgl. Scheffler, Besteuerung der grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit2, 336.
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5.136
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
von Geschäftsvorfällen. Während bei der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode der einzelne (gruppierte und zusammengefasste) Geschäftsvorfall betrachtet wird, wird bei der Gewinnvergleichsmethode die Anforderung der Geschäftsvorfallbezogenheit nicht notwendigerweise beachtet. Vielmehr wird z.B. der Gesamtgewinn eines Unternehmens oder der Gewinn einer Unternehmensdivision für die Ableitung von Verrechnungspreisen herangezogen.1
5.137
Bedeutung der Geschäftsvorfallbezogenheit. Die deutsche Finanzverwaltung möchte die Gewinnvergleichsmethode nicht als geeignete Verrechnungspreismethode anerkennen. Nach ihrer Auffassung führt die Gewinnvergleichsmethode „nicht zu fremdvergleichskonformen Ergebnissen.“2 Mit dieser strikten Auffassung unterscheidet sich die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung allerdings von den nun überarbeiteten Regelungen der OECD-Leitlinien. So relativieren die OECD-Leitlinien die Anforderung der Geschäftsvorfallbezogenheit. Stattdessen wird das Kriterium der Vergleichbarkeit in den Vordergrund gestellt. Ziel muss es nach Auffassung der OECD-Leitlinien sein, möglichst zuverlässige Vergleichswerte für den untersuchten Geschäftsvorfall zu finden, auch wenn diese Vergleichswerte nicht geschäftsvorfallbezogen ermittelt werden können (Rz. 5.93).3 Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die OECD-Leitlinien nunmehr die Gewinnvergleichsmethode nicht mehr generell ablehnen. Vielmehr wird nun ausdrücklich die Anwendung der Gewinnvergleichsmethode anerkannt, soweit die Methode im Einklang mit den übrigen Anforderungen der OECD-Leitlinien – insbesondere im Hinblick auf Vergleichbarkeit – steht.4 Diese Klarstellung und damit Relativierung der restriktiven Auffassung der deutschen Finanzverwaltung durch die OECDLeitlinien ist von hoher praktischer Bedeutung, weil die Gewinnvergleichsmethode eine in den USA anerkannte Verrechnungspreismethode darstellt. Mit Bezug auf die OECD-Leitlinien ist es nun für die deutsche Finanzverwaltung nicht mehr generell möglich, mit Verweis auf die Regelungen in den VWG-Verfahren die Anerkennung der Gewinnvergleichsmethode zu versagen. Vielmehr muss nun die deutsche Finanzverwaltung die Anwendung der Gewinnvergleichsmethode anerkennen – zumindest gegenüber Staaten, die eine der Art. 9 OECD-MA nachgebildete Vorschrift in dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland enthalten –, soweit die übrigen Anforderungen der OECD-Leitlinien erfüllt sind.
1 Vgl. Eigelshoven in V/L5, Art. 9 OECD-MA Rz. 81. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. d. 3 Vgl. Tz. 2.58 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 2.56 OECD-Leitlinien 2010.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden Literatur Ahmadov, The „Most Appropriate Method“ as the New OECD Transfer Pricing Standard: Has the Hierarchy of Methods Been Completely Eliminated?, ITPC 2011, 184; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Förster, Der Entwurf zur Aktualisierung der Kapitel I und III der OECD-Verrechnungspreisleitlinien, IStR 2009, 720; Förster, Die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 3 AStG – Vergleich mit den aktualisierten Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, IStR 2011, 20; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 2009; Kurzewitz, Aufgabe des strikten Anwendungsvorrangs der Standardmethoden zur Verrechnungspreisbestimmung?, IWB 2010, 95; Luckhaupt, Bestimmung von Verrechnungspreisen gemäß den OECD-TPG 2010 und § 1 Abs. 3 AStG, Ubg 2010, 646; Naumann, Seminar E: Gewinnaufteilungsmethoden und der Fremdvergleichsgrundsatz, IStR 2013, 616; Rasch/Festle, OECD-Entwurf der überarbeiteten Verrechnungspreisrichtlinien, IWB 2009, 983; Roeder, Immaterielle Wirtschaftsgüter: Diskussionsentwurf zur Überarbeitung des Kapitels VI der OECD-Verrechnungspreisleitlinien – Ausgewählte Aspekte aus deutscher Sicht, ISR 2012, 70; Staudacher/Groß, OECD veröffentlicht überarbeitete Verrechnungspreisgrundsätze 2010, SIW 2010, 461; Wassermeyer, Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, 535; Wellens, Fremdvergleichsgrundsatz nach OECD und nach deutschem Recht – Gleichzeitig Vorstellung des Diskussionsentwurfs der OECD hinsichtlich der Überarbeitung der Kapitel I und III der OECD-Verrechnungspreisrichtlinie, IStR 2010, 153.
I. Auffassung der OECD 1. OECD-Leitlinien 1995/1996 Vorrang der klassischen Methoden. Nach den OECD-Leitlinien 1995/96 waren die klassischen Methoden – Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5), Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.) und Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) – vorrangig anwendbar. Dagegen waren die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM, Rz. 5.92 ff.) und die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split-Method, Rz. 5.123 ff.) nur in Ausnahmefällen nachrangig dann anwendbar, wenn die klassischen Methoden aufgrund unzuverlässiger Vergleichsdaten nicht zuverlässig oder gar nicht angewendet werden können.1 Aufgrund dieses Ausnahmecharakters wurden die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden als sog. Hilfsmethoden angesehen, denen die Bedeutung als „methods of last resort“ zukam. Dieses Rangfolgeverhältnis geht auf die Auffassung der OECD zurück, dass sich mittels der klassischen Methoden am unmittelbarsten feststellen ließe, ob die kaufmännischen und finanziellen Beziehungen zwischen verbundenen Unternehmen dem Fremdvergleich entsprechen.2 Ferner wurde es auf Erfahrungen aus der 1 Vgl. Tz. 2.49, 3.1, 3.49 ff. OECD-Leitlinien 1995/1996. 2 Vgl. Tz. 2.49 OECD-Leitlinien 1995/1996.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Praxis gegründet, denen zufolge es in der Mehrzahl der Fälle möglich sein soll, den Fremdvergleichspreis mittels der klassischen Methoden zu ermitteln.1 Die Gewinnvergleichsmethode (Comparable-Profits-Method) wird von der OECD nur dann anerkannt, wenn sie mit dem Fremdvergleich i.S.v. Art. 9 OECD-MA im Einklang steht. Dies erfordert konkret, dass ein Transaktionsbezug im Einzelfall dadurch hergestellt werden kann, dass der Betriebsgewinn einzelnen Geschäftsvorfällen zuordenbar ist. In diesem Fall stimmt die Gewinnvergleichsmethode inhaltlich mit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode überein und steht gleichberechtigt neben den anderen geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden.2 Verbleibt es hingegen, was den Regelfall für die Anwendung der Gewinnvergleichsmethode darstellen sollte, bei dem segment-, spartenoder gesamtunternehmensbezogenen Gewinnvergleich, wird die Gewinnvergleichsmethode mangels Transaktionsbezugs als nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbare Methode abgelehnt. Gleiches gilt für die globale Gewinnaufteilungsmethode, die von der OECD als „nicht realistische Alternative zum Fremdvergleichsgrundsatz“3 abgelehnt wird.
5.139
Rangfolgeverhältnis innerhalb der klassischen Methoden. Innerhalb der klassischen Methoden hat die Preisvergleichsmethode uneingeschränkten Vorrang, da sie – wegen ihrer Bezugnahme auf marktentstandene Preise – die direkteste und verlässlichste Methode für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes darstellt.4 Dagegen wurde zwischen der Wiederverkaufspreis- und der Kostenaufschlagsmethode kein hierarchisches Über-/Unterordnungsverhältnis ausgemacht. Vielmehr war die Methodenrangfolge am Referenzmaßstab des Fremdvergleichsgrundsatzes zu messen und die Methode anzuwenden, die diesem am ehesten entspricht.5
5.140
Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden? Die OECD-Leitlinien 1995/1996 stellen ausdrücklich fest, dass die Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes nicht vom Steuerpflichtigen verlangt, mehr als eine Methode zur Bestimmung seiner Verrechnungspreise heranzuziehen.6 Ausdrücklich wird auf die „beträchtliche Erschwernis“ hingewiesen, die mit einer Abweichung von diesem Grundsatz verbunden wäre. Ferner ist der Steuerpflichtige auch nicht gehalten, die Nichtanwendung der von ihm ausgeschlossenen Methoden zu begründen.7 Dies entspricht 1 Vgl. Tz. 3.49 und 3.50 OECD-Leitlinien 1995/1996. 2 Vgl. Tz. 3.1 OECD-Leitlinien 1995/1996. Siehe ferner Vögele/Raab in V/B/E, Verrechnungspreise3, D Rz. 385; Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 32. 3 Tz. 1.21 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 2.5 und 2.7 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 2.7, 2.16 und 2.34 f. OECD-Leitlinien 1995/1996. 6 Vgl. Tz. 1.69 OECD-Leitlinien 1995/1996. 7 Vgl. Tz. 1.68 OECD-Leitlinien 2010.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
der Auffassung der deutschen Finanzverwaltung in den VWG-Verfahren, der zufolge der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, seine Ergebnisse nach anderen Methoden zu verproben und zu begründen, warum er andere Methoden für weniger geeignet hält.1 Entscheidend ist, dass die Anwendungsvoraussetzungen der zugrunde gelegten Verrechnungspreismethode erfüllt sind. Insofern steht auch § 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV den OECDLeitlinien 1995/1996 nicht entgegen, wenn für Zwecke der Angemessenheitsdokumentation eine Begründung dafür verlangt wird, warum der Steuerpflichtige die angewandte Methode hinsichtlich der Art der Geschäfte und der sonstigen Verhältnisse für geeignet hält.2 2. OECD-Leitlinien 2010 Aufgabe des strengen Hierarchieverhältnisses. Die Bedeutung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden hat in der Praxis der Festlegung und Prüfung internationaler Verrechnungspreise in den letzten Jahren erheblich zugenommen. So werden nach den Erfahrungen der deutschen Finanzverwaltung 80 % der „einfachen Fälle“ („einfache“ Vertriebsgesellschaften, Produktionsgesellschaften oder Dienstleistungsgesellschaften) von vornherein nach dieser Methode abgerechnet.3 Ferner werden bei Abschluss von Advance Pricing Agreements unter Beteiligung der USA zunehmend gewinnorientierte Methoden vereinbart.4 Mit den OECD-Leitlinien 2010 wurden vor diesem Hintergrund das strenge Hierarchieverhältnis in der Methodenrangfolge und der Ausnahmecharakter der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden („ProfitSplit“/„TNMM“) als „methods of last resort“ aufgegeben.5
5.141
Ansatz der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“. Statt einer strengen Methodenhierarchie kommt bezogen auf die einzelne Transaktion die „am besten geeignete Verrechnungspreismethode“ („most appropriate method“) zum Tragen.6 Konzeptionell geht dieser Ansatz erkennbar auf die sog. „Best-Method-Rule“ der US-amerikanischen Verrechnungspreis-Richtlinien zurück.7 Er erfordert eine Abwägung der Stärken und Schwächen der einzelnen Verrechnungspreismethoden, die insbesondere an folgenden Kriterien auszurichten ist:8
5.142
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.1 Abs. 2. 2 Vgl. auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.1 Abs. 1; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 156. 3 Vgl. Naumann, IStR 2013, 616. 4 Vgl. auch Kurzewitz, IWB 2010, 95. 5 Zu der Revision der OECD-Leitlinien vgl. Förster, IStR 2009, 720; Förster, IStR 2011, 20; Rasch/Feistle, IWB 2009, 982; Kurzewitz, IWB 2010, 95; Hülshorst/ Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.4 Rz. 21 ff.; Staudacher/Groß, SWI 2010, 461; Luckhaupt, Ubg 2010. 6 Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. ausführlich Kurzewitz, IWB 2010, 104 f.; Ahmadov, ITPJ 2011, 184 ff. 8 Vgl. Tz. 2.2 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
– die Eignung der Methode im Hinblick auf den wirtschaftlichen Gehalt der innerkonzernlichen Transaktion, wie er sich insbesondere nach der Funktionsanalyse darstellt, – die Verfügbarkeit hinreichend verlässlicher Daten (insbesondere Fremdvergleichsdaten) im Hinblick auf die jeweilige Verrechnungspreismethode, – der Grad der Vergleichbarkeit von innerkonzernlicher Transaktion und Vergleichstransaktionen, einschließlich der Zuverlässigkeit von Anpassungsrechnungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit.
5.143
Methodenrangfolge bei gleicher Eignung und gleich zuverlässiger Anwendbarkeit. Sind nach dieser Vergleichbarkeitsprüfung und nach der Informationsverfügbarkeit klassische und geschäftsvorfallbezogene Gewinnmethode nebeneinander gleich zuverlässig anwendbar, gebührt nach Auffassung der OECD der klassischen Methode der Vorrang.1 Allerdings überzeugt die angeführte Begründung nicht, denn der Marktbezug – i.S. eines Vergleichs mit marktentstandenen Preisen – der klassischen Methoden kann jedenfalls für die Kostenaufschlagsmethode nicht und für die Wiederverkaufspreismethode nur mit Einschränkungen festgestellt werden (Rz. 5.13). Dass die OECD hingegen die Dominanz der Preisvergleichsmethode gegenüber einer anderen klassischen Methoden mit gleicher Zuverlässigkeit herausstreicht,2 ist international konsensfähig. Sie verkörpert letztlich das Urbild des Fremdvergleichs, indem sie marktentstandene Preise als Referenzpreis für innerkonzernliche Lieferungen und Leistungen nimmt.
5.144
Evaluation alternativer Verrechnungspreismethoden. Die methodische Bezugnahme auf die „Best-Method-Rule“ nach den US-amerikanischen Verrechnungspreisvorschriften wirft die Frage auf, ob der Steuerpflichtige – abweichend von Tz. 1.68 und 1.69 OECD-Leitlinien 1995/1996 – nunmehr gehalten sein soll, seine Verrechnungspreise nach mehreren oder gar allen zulässigen Verrechnungspreismethoden zu ermitteln und die Nichteignung alternativer Methoden bzw. die Besteignung der gewählten Methode nachzuweisen und zu dokumentieren. Zwar hat auch nach USamerikanischen Verrechnungspreisgrundsätzen3 formal ein Nachweis über die Nichtwandwendbarkeit anderer Methoden nicht zu erfolgen. Faktisch ist es zur Vermeidung von Strafzuschlägen aber erforderlich, die Verrechnungspreise stets nach allen zulässigen Methoden zu berechnen, für die Daten über die Vergleichbarkeit verfügbar sind, und nach der „Best-Method-Rule“ zu analysieren, welche Methode die zuverlässigsten Ergebnisse bereitstellt.4 1 2 3 4
Vgl. Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2010. § 1.482-1 (c) (1) Satz 3 US-Regs. Vgl. hierzu Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 79; Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 257; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 587; Ahmadov, ITPJ 2011, 195 f.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
Die OECD-Leitlinien 2010 folgen diesem Ansatz ausdrücklich nicht. Tz. 2.8 OECD-Leitlinien 2010 stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Selektion der für den jeweiligen Einzelfall am besten geeigneten Methode nicht bedeutet, dass alle Verrechnungspreismethoden eingehend zu analysieren oder für die Auswahl der am besten geeigneten Methode getestet werden sollen.1 Der Steuerpflichtige soll vielmehr i.S. einer „Best Practice“ in der Lage sein, die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode und der Vergleichsgrößen zu belegen, wobei dies anhand eines standardisierten Suchprozesses erfolgen kann, wie ihn die OECD-Leitlinien in Tz. 3.4 als „typisches Verfahren“ beispielhaft beschreiben (Rz. 3.25 ff.).2 Nachweis der Besteignung nur für „sonstige Methoden“. Ferner nehmen die OECD-Leitlinien 2010 in Tz. 2.9 eine klare Abgrenzung zwischen den nach den OECD-Leitlinien 2010 zulässigen Verrechnungspreismethoden und „sonstigen Methoden“ im Hinblick auf die Anforderungen an den Auswahlprozess vor, die dem Steuerpflichtigen abverlangt werden können.3 Zwar konzedieren die OECD-Leitlinien 2010 – wie auch schon die OECD-Leitlinien 1995/1996 – die Anwendbarkeit auch solcher Verrechnungspreismethoden, die in den OECD-Leitlinien nicht behandelt werden (sog. „sonstige Methoden“), sofern sie dem Fremdvergleichsgrundsatz genügen. Allerdings haben die nach den OECD-Leitlinien 2010 zulässigen Methoden uneingeschränkten Vorrang. Deshalb soll der Steuerpflichtige bei der Verwendung einer sonstigen Methode darlegen, warum die von der OECD anerkannten Methoden als weniger geeignet oder in dem konkreten Fall als nicht anwendbar angesehen werden und warum davon ausgegangen wird, dass die gewählte sonstige Methode eine bessere Lösung bereitstellt. Vor diesem Hintergrund wäre der Steuerpflichtige wohl gehalten, die Verrechnungspreise auch nach den anerkannten Methoden zu ermitteln.
5.145
Keine Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden. Tz. 2.11 OECD-Leitlinien 2010 hält überdies an der wesentlichen Erkenntnis fest, dass der Fremdvergleichsgrundsatz die Anwendung von mehr als einer Verrechnungspreismethode nicht verlangt.4 Der Steuerpflichtige ist deshalb weder verpflichtet noch gehalten, seine jeweiligen Verrechnungspreise nach mehr als einer Verrechnungspreismethode zu bestimmen (Rz. 5.174). Der Steuerpflichtige kann jedoch auch ohne eine bestehende Verpflichtung – und damit freiwillig – mehrere Verrechnungspreismethoden anwenden, entweder um deren Zweckmäßigkeit für den betreffenden Geschäftsvorfall zu untersuchen oder aber um seinen Verrechnungspreisansatz zu verproben oder zu plausibilisieren. Die OECD-Leitlinien
5.146
1 2 3 4
Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz.
2.8 OECD-Leitlinien 2010. 2.8 OECD-Leitlinien 2010. 2.9 OECD-Leitlinien 2010. 2.11 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
sprechen in diesem Zusammenhang von einem flexiblen Ansatz, der es in schwierigen Fällen erlauben würde, die Beweiskraft verschiedener Methoden gemeinsam zu nutzen.1 Hierbei werden als „schwierige Fälle“ solche Fälle verstanden, „in denen keine Methode für sich allein schlüssig ist“. Dass auch die Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden allein mit dem Ziel erfolgt, ein fremdvergleichskonformes Ergebnis zu erlangen, ist eine Selbstverständlichkeit. Deshalb ist ein solcher flexibler Ansatz vornehmlich von Praktikabilitätserwägungen getragen, und zwar aus der Sicht des bzw. der Steuerpflichtigen einerseits und der betroffenen Finanzverwaltung(en) andererseits.2 Diesem flexiblen Ansatz kommt u.E. vornehmlich bei kooperativen Verfahren zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung Bedeutung zu, wie etwa im Rahmen der Aushandlung von Advance Pricing Agreements.3 Keinesfalls kann nur mit dem Hinweis, die gewählte Verrechnungspreismethode sei für sich genommen nicht schlüssig, dem Steuerpflichtigen die dezidierte Anwendung weiterer Verrechnungspreismethoden abverlangt werden.4 Der Anwendung einer oder mehrerer weiterer Verrechnungspreismethoden kommt für die Plausibilisierung und Verprobung des Verrechnungspreisansatzes insbesondere im Zusammenhang mit Preis- bzw. Wertbandbreiten Bedeutung zu (vgl. hierzu Rz. 5.174 und 5.183). Die sich bei der Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden regelmäßig ergebenden methodenspezifischen Bandbreiten können zur Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten herangezogen werden, wobei insbesondere den Werten im Überschneidungsbereich dieser Bandbreiten eine gewisse Beweiskraft zukommen kann. Idealerweise liegt der als angemessen anzusehende Verrechnungspreis in diesem Bereich. Fraglich ist allerdings, ob dieser Überschneidungsbereich eine genauere Bandbreite darstellt bzw. ob die maßgebliche Bandbreite nur für den Überschneidungsbereich zutreffend ermittelt ist. Richtigerweise wird man davon ausgehen müssen, dass die methodenspezifische Bandbreite durch die jeweilige andere methodenspezifische Bandbreite – und vice versa – eingeengt wird. Dies berührt die Eignung der jeweiligen methodenspezifischen Bandbreite nicht, zutreffend ermittelt und deshalb maßgeblich zu sein. M.a.W. kann dort, wo Preis- und Wertbandbreiten einzuengen sind, u.a. die Verprobung mittels einer weiteren Verrechnungspreismethode sachgerecht sein. Die OECD-Leitlinien weisen in Tz. 3.58 zwar darauf hin, dass sich eine Bandbreite von Werten dann ergeben könne, wenn für die Bestimmung des Verrechnungspreises für einen Geschäftsvorfall mehr als eine Verrechnungspreismethode angewendet wird. Richtigerweise entstehen in 1 Vgl. Tz. 2.11 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 2.11 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. zu Advance Pricing Agreements Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 12.50 ff.; Liebchen in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 25 Rz. 322 ff. 4 So wohl im Ergebnis auch Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.11 Rz. 39.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
diesen Fall jedoch – regelmäßig – mehrere methodenspezifische Bandbreiten. Nach dem Rangfolgekonzept der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“1 kommt die Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden nebeneinander nur dann in Betracht, wenn sie nach der Vergleichbarkeitsanalyse und der Informationsverfügbarkeit gleich zuverlässig anwendbar sind. Hierbei gehen die OECD-Leitlinien bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit einer geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethode und einer klassischen Methode von einem Vorrang der klassischen Methoden und bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode neben einer anderen klassischen Methode vom Vorrang der Preisvergleichsmethode aus (Rz. 5.143).2 Im Zusammenhang mit Fremdvergleichsbandbreiten formulieren die OECD-Leitlinien als Anforderung an das Anwenden mehrerer Verrechnungspreismethoden, dass die betreffenden Methoden „einen ähnlichen Grad an Vergleichbarkeit“ liefen müssen.3 Dies sollte inhaltlich keinen Widerspruch zu den Anforderungen der gleichen Eignung und der gleich zuverlässigen Anwendbarkeit darstellen. Auch wenn methodenspezifische Bandbreiten regelmäßig voneinander abweichen werden, kann nach Auffassung der OECD jede einzelne Bandbreite für sich genommen für die Bestimmung einer fremdvergleichskonformen Bandbreite und damit letztlich für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises genutzt werden.4 Methodenwahl als Gegenstand der Vergleichbarkeitsanalyse. Die Prüfung der in Rz. 5.142 genannten Kriterien basiert auf einer umfangreichen Vergleichbarkeitsanalyse, die an die Funktions- und Risikoanalyse anknüpft (vgl. Rz. 4.4 ff. und 3.23 ff.). In der beispielhaften Darstellung eines „typischen Verfahrens“ für die Vergleichbarkeitsanalyse in Tz. 3.4 ff. OECDLeitlinien ist die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode in mehreren Schritten angesprochen (Rz. 3.25 ff.).5 So wird im Schritt 4 herausgestellt, dass das Verständnis des untersuchten konzerninternen Geschäftsvorfalls auf Grundlage der Funktions- und Risikoanalyse für Zwecke der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode erforderlich ist. In Schritt 6 wird die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode nach der Evaluation etwaiger interner und/oder externer Vergleichswerte (Schritte 4 und 5) und vor der Identifizierung potentieller Vergleichswerte (Schritt 7) angesiedelt. Die bestehenden Zusammenhänge werden in Tz. 3.2 OECD-Leitlinien 2010 ausdrücklich herausgestellt, wonach die Auswahl und Anwendung der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse stets die Identifizierung der verlässlichsten Vergleichswerte bezweckt.6 1 2 3 4 5 6
Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.58 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.58 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.4 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.2 OECD-Leitlinien 2010.
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5.147
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Nach dem Verständnis der OECD-Leitlinien bezieht sich die Vergleichbarkeit auf die konkrete Verrechnungspreismethode. So heißt es in Tz. 1.33 OECD-Leitlinien „Vergleichbar sein heißt, dass keiner der Unterschiede (soweit vorhanden) zwischen den zu vergleichenden Umständen die untersuchte Bedingung der Methode (z.B. Preis oder Spanne) wesentlich beeinflussen kann oder dass hinreichend genaue Berichtigungen erfolgen können, um die Auswirkung dieser Unterschiede zu beseitigen“.1 Dementsprechend wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.2 Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass die Analyse von etwaigen Vergleichswerten im Rahmen eines innerbetrieblichen Fremdvergleichs („interne Vergleichswerte“) im Schritt 4 der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode vorgelagert ist. Offenkundig gehen die OECD-Leitlinien wie selbstverständlich von der Anwendung eines inneren Preisvergleichs aus, in dessen Rahmen etwaige betriebsindividuelle Vergleichspreise ggf. identifiziert werden können. Richtigerweise können allerdings auch Handelsspannen im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode und Gewinnaufschläge im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode durch inneren Betriebsvergleich abgeleitet werden (vgl. Rz. 5.20 und 5.69). Insofern ist die Identifizierung interner wie externer Vergleichswerte von der konkreten Verrechnungspreismethode abhängig. Die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode sollte vor diesem Hintergrund auch der Identifizierung interner Vergleichswerte vorgelagert sein.3 Entsprechend problematisch ist, dass die OECD-Leitlinien 2010 die Bestimmung verfügbarer Informationsquellen über externe Vergleichswerte (Schritt 5) und die Identifikation der signifikanten Vergleichbarkeitsfaktoren (Schritt 3) vor die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode stellen. Richtigerweise bestimmen nur die Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren die Vergleichbarkeit, die einen wesentlichen Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben. Die Anforderungen an die erforderlichen Informationen unterscheiden sich dementsprechend in Abhängigkeit von der konkreten Verrechnungspreismethode. Auch vor diesem Hintergrund sollte die Auswahl einer konkreten Verrechnungspreismethode vorrangig sein. Die OECD-Leitlinien 2010 gehen nach Tz. 3.5 davon aus, dass der Prozess nicht linear abläuft, sondern einzelne Verfahrensschritte ggf. mehrfach durchgeführt werden müssen, bis ein befriedigendes Ergebnis erzielt wird, wobei insbesondere die Verfahrensschritte 5–7 (Bestimmung verfügbarer 1 Tz. 1.33 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. auch Dawid/Renaud in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 19 und 20.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
Informationsquellen; Identifizierung potentieller Vergleichswerte; Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen) angesprochen werden.1 Finanzmathematische Bewertungsverfahren und Verrechnungspreismethoden. Mit dem (überarbeiteten) OECD-Diskussionsentwurf vom 30.7.2013 hat sich die OECD im Zusammenhang mit der Bestimmung von Fremdvergleichspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter erstmals umfassend zur Nutzung finanzmathematischer Bewertungsverfahren für die Ableitung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise geäußert.2 Demnach können in Fällen, in denen verlässliche Vergleichspreise im Rahmen der Preisvergleichsmethode nicht festgestellt werden können, die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode sowie anerkannte finanzmathematische Bewertungsverfahren zur Ableitung von Fremdvergleichspreisen herangezogen werden.3 Die OECD stellt zwar nunmehr finanzmathematische Bewertungsverfahren jedenfalls für die Ableitung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise immaterieller Wirtschaftsgüter gleichrangig neben die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode als international anerkannte Verrechnungspreismethode. Begrifflich unklar bleibt jedoch das Verhältnis dieser finanzmathematischen Bewertungsverfahren zu den international anerkannten Verrechnungspreismethoden. Tz. 80 des überarbeiteten Diskussionsentwurfs deutet darauf hin, dass finanzmathematische Bewertungsverfahren als Verrechnungspreismethoden verstanden werden können,4 Tz. 163 des Diskussionsentwurfs bezeichnet die Bewertungsverfahren dagegen als „useful tools“. Tz. 306 zu Beispiel 22 und Tz. 309 zu Beispiel 23 des Diskussionsentwurfs gehen im Zusammenhang mit der Anwendung eines Bewertungsverfahrens von der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ aus.5 Im Hinblick auf ein Rangfolgeverhältnis zwischen der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode und finanzmathematischen Bewertungsverfahren geht der Diskussionsentwurf zwar davon aus, dass die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode in Lizenzierungsfällen häufig angewendet wird, weitergehende Aussagen finden sich allerdings nicht. Sie ließen sich auch mit dem Grundkonzept der OECDLeitlinien nicht vereinbaren, wonach anstelle einer strengen Methoden1 Vgl. Tz. 3.5 OECD-Leitlinien 2010. 2 OECD, überarbeiteter Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, „Revised Discussion Draft on Transfer Pricing aspects on Intangibles“, abrufbar unter: http://www. oecd.org/ctp/transfer-pricing/revised-discussion-draft-intangibles.pdf. Zur vorgehenden Entwurfsfassung vgl. OECD, Diskussionsentwurf v. 6.6.2012, „Revision of the special considerations for intangibles in chapter VI of the OECD Transfer Pricing Guidelines and related provisions, abrufbar unter: http://www. oecd.org/ctp/transfer-pricing/50526258.pdf. 3 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 166 ff. und 171 ff. 4 „Because it may be difficult to find comparable transactions involving the outsourcing of such important functions, it may be necessary to utilise transfer pricing methods not directly based on comparables, including profit split methods and valuation techniques […].“ 5 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 306 und 309.
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5.148
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
hierarchie die für die jeweilige Transaktion am besten geeignete Verrechnungspreismethode anzuwenden ist und lediglich bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit die klassischen Methoden vorrangig vor den gewinnorientierten Verrechnungspreismethoden und die Preisvergleichsmethode vorrangig vor jeder anderen Verrechnungspreismethode anzuwenden sind (Rz. 5.143).1 Nach dem OECD-Entwurf ist kein bestimmtes finanzmathematisches Bewertungsverfahren vorrangig oder exklusiv anzuwenden, womit für die gewinnorientierte Bewertung die anerkannten Ertragswert- und DCF-Verfahren akzeptiert werden.2 Allerdings entspricht nach Auffassung der OECD eine für Bilanzierungszwecke vorgenommene Bewertung aufgrund der unterschiedlichen Zwecksetzungen regelmäßig nicht den Anforderungen des Fremdvergleichsgrundsatzes, was im Wesentlichen in dem für Bilanzierungszwecke maßgeblichen Vorsichtsprinzip begründet ist.3 Ausdrücklich lehnt die OECD deshalb eine Wertermittlung im Rahmen der Kaufpreisallokation als nicht maßgeblich ab und fordert für Zwecke der Verrechnungspreisanalyse eine vorsichtige und sorgfältige Berücksichtigung der zugrunde gelegten (Bewertungs-) Annahmen, wenn solche Werte herangezogen werden.4 Ferner ist auch nach Auffassung der OECD die ertragswertorientierte Bewertung zweiseitig, d.h. sie hat aus der Sicht beider Transaktionspartner zu erfolgen. Insofern besteht jedenfalls konzeptionell kein Unterschied zu den Regelungen des § 1 Abs. 3 Sätze 5 und 6 AStG, die für den hypothetischen Fremdvergleich in Gestalt der Einigungsbereichsbetrachtung eine ertragswertorientierte Ermittlung der Preisgrenze des Leistenden (Mindestpreis) und der Preisgrenze des Leistungsempfängers (Höchstpreis) regeln (vgl. Rz. 5.208 ff. und Rz. 7.89 ff.).
II. Regelungen des § 1 AStG 5.149
Kein abschließendes Rangfolgeverhältnis. Ein Rangfolgeverhältnis der Verrechnungspreismethoden ist im innerstaatlichen Recht gesetzlich nicht (abschließend) geregelt. Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG könnte zwar implizieren, der Gesetzgeber hätte zum einen den Vorrang der klassischen Methoden grundsätzlich geregelt und diese zum anderen gleichberechtigt nebeneinander gestellt. Einer näheren Überprüfung hält diese Vermutung allerdings nicht stand. Denn § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG stellt kein gesetzliches Stufenverhältnis zwischen den klassischen Methoden auf, sondern regelt den uneingeschränkten Vorrang des tatsächlichen Fremdvergleichs vor dem hypothetischen Fremdvergleich. Hierzu bedient sich der Gesetzgeber eines Stufenverhältnisses, das sich grafisch wie folgt darstellen lässt:5 1 2 3 4 5
Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 171. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 173. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 173. Vgl. hierzu Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1462).
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
Stufe 1
tatsächlicher Fremdvergleich uneingeschränkt vergleichbare Ware
Stufe 2
tatsächlicher Fremdvergleich eingeschränkt vergleichbare Ware
Stufe 3
hypothetischer Fremdvergleich Ermittlung eines (hypothetischen) Einigungsbereichs
Auf der 1. Stufe soll stets ein tatsächlicher Fremdvergleich durchgeführt werden. Die Anwendung der 1. Stufe setzt allerdings uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte voraus. Scheitert die Anwendung der 1. Stufe an dieser Voraussetzung, so soll auf der 2. Stufe ein tatsächlicher Fremdvergleich auf der Basis eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte durchgeführt werden. Sind auch keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte feststellbar, so soll auf der 3. Stufe ein hypothetischer Fremdvergleich durchgeführt werden, für den ein hypothetischer Einigungsbereich zu ermitteln ist. Tatsächlicher Fremdvergleich und die klassischen Methoden. Das in § 1 Abs. 3 AStG geregelte Stufenverhältnis ist in seinem Ausgangspunkt durchaus einleuchtend, in seiner Durchführung jedoch problematisch. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG bezieht sich auf die sog. klassischen Methoden, d.h. die Preisvergleichs- (Rz. 5.5 ff. HB), die Wiederverkaufspreis(Rz. 5.15 ff. HB) und die Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.), ohne allerdings eine Aussage darüber zu treffen, welche der Methoden dem tatsächlichen und welche dem hypothetischen Fremdvergleich zuzuordnen ist. Diese Abgrenzung ist aber durchaus von Bedeutung, weil § 1 Abs. 3 Sätze 5 ff. AStG nur noch für den hypothetischen Fremdvergleich gelten. Die „Einbettung“ der klassischen Methoden in den tatsächlichen Fremdvergleich kann dazu führen, dass der tatsächliche Fremdvergleich mit den klassischen Methoden gleichgesetzt wird.1 Dies wäre gedanklich wie methodisch verfehlt: Die drei klassischen Methoden sind nicht mit dem tatsächlichen Fremdvergleich gleichzusetzen. Dies gilt, obgleich der Gesetzgeber offenbar in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG hiervon auszugehen scheint, ohne die Frage – auch nicht in der Gesetzesbegründung – zu problematisieren. Richtigerweise ist in der praktischen Anwendung ein tatsächlicher Fremdvergleich nur in Gestalt der Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff. HB) möglich, da sich diese Methode an Preisen orientiert, die bei vergleichbaren Geschäften zwischen Fremden am Markt vereinbart werden (Marktpreise). Diese Methode nimmt aufgrund der Verwendung tatsächlich feststellbarer, zwischen Unabhängigen zustande gekommener Marktpreise einen Ist-Ist-Vergleich vor. Deshalb entspricht sie einem tatsächlichen Fremdvergleich.2 In der Tat hatte der Gesetzgeber in der ursprünglichen Fassung des Referentenentwurfs beabsichtigt, den Vorrang der 1 So offenbar Jenzen, NWB F. 2, 9421 f.; Luckhaupt, Ubg 2010, 466. 2 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 197; Wassermeyer, DB 2007, 536; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1462; Borstell in V/B/E, Verrechnungspreise3, C Rz. 5. Ebenso im Ergebnis Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Preisvergleichsmethode zu regeln,1 sich dann aber dazu entschlossen, den Vorrang der klassischen Methoden in das Gesetz aufzunehmen.2 Demgegenüber stellt die Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff. HB) aufgrund der Verwendung tatsächlich feststellbarer wie – wenn auch nur in begrenztem Umfang – fiktiv zu ermittelnder Daten eine Kombination von tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich dar, während die Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff. HB) aufgrund der Festlegung ausschließlich fiktiv zu ermittelnder Soll-Vergleichstatbestände mit dem hypothetischen Fremdvergleich (Rz. 3.132 ff.) gleichzusetzen ist,3 es sei denn, der Gewinnaufschlag wird mit Hilfe eines tatsächlichen Fremdvergleichs bestimmt.
5.151
Tatsächlicher Fremdvergleich und „geeignete Verrechnungspreismethoden“. Auf der 2. Stufe des zuvor erwähnten Stufenverhältnisses kommt – wiederum – der tatsächliche Fremdvergleich zum Tragen, allerdings auf Basis eingeschränkt vergleichbarer Fremdwerte. Diese sind gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG nach Vornahme sachgerechter Anpassungen „einer geeigneten Verrechnungspreismethode“ zugrunde zu legen. Welche Verrechnungspreismethoden in diesem Sinne geeignet sind, lässt das Gesetz offen. Auf dieser Stufe kommen jedenfalls auch die klassischen Methoden zur Anwendung.4 Angesichts der legislativen Vermengung von tatsächlichem Fremdvergleich mit Verrechnungspreismethoden, die konzeptionell auf einen hypothetischen Fremdvergleich zurückzuführen sind (Rz. 5.150), erhebt sich die Frage nach weiteren anerkannten Verrechnungspreismethoden. Bereits die VWG 1983 weisen auf die Möglichkeit hin, die Einkünfte des Steuerpflichtigen mithilfe des Gewinnvergleichs oder der Gewinnaufteilung zu korrigieren, „wenn die Anwendung der Standardmethoden wegen besonderer Umstände […] nicht zu sachgerechten Ergebnissen führen würde“5. Vergleicht man diese Formulierung der VWG 1983 mit den entsprechenden Ausführungen in den OECD-Leitlinien i.d.F. 1995/96 zur Zulässigkeit gewinnorientierter Methoden, so lassen sich keine signifikanten Unterschiede feststellen.6 Insofern haben sich bereits die VWG 1983 für die Zulässigkeit gewinnorientierter Methoden ausgesprochen, falls die klassischen Methoden nicht „sachgerecht“7 bzw. nicht „zuverlässig“ angewendet werden können. Auch Vertreter der Finanzverwaltung gehen davon aus, dass als geeignete Verrechnungspreis-
1 2 3 4 5 6 7
Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 32; Brähler, Internationales Steuerrecht5, 386. Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG i.d.F. des Referentenentwurfs v. 5.2.2007; s. hierzu auch Wassermeyer, DB 2007, 536. Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1462. Gl.A. Wassermeyer, DB 2007, 536; Klapdor, StuW 2008, 86. Vgl. Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.3 Rz. 15. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.5. Vgl. Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 259. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.5.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
methode i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG jede anerkannte Verrechnungspreismethode in Betracht kommt.1 Zwischen den „geeigneten Verrechnungspreismethoden“ besteht kein gesetzliches Rangfolgeverhältnis. Vielmehr lässt § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG die Anwendung jeder geeigneten Verrechnungspreismethode zu. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass alle geeigneten Verrechnungspreismethoden gleichrangig nebeneinander stehen. Lediglich nicht geeignete Verrechnungspreismethoden können nicht angewendet werden. Hypothetischer Fremdvergleich und Verrechnungspreismethoden. § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG regelt für die 3. Stufe des Stufenverhältnisses, dass der Steuerpflichtige für seine Einkünfteermittlung einen hypothetischen Fremdvergleich durchzuführen habe. Dies impliziert wegen der offenkundigen Formulierung als Programmsatz zunächst, dass jede auf einen hypothetischen Fremdvergleich zurückgehende Verrechnungspreisbestimmung auf dieser letzten Stufe des Stufenverhältnisses mit der Folge Anwendung findet, dass für sie § 1 Abs. 3 Sätze 5 ff. gelten. Ein solches Verständnis steht jedoch im Widerspruch zu § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG, der in Fällen eingeschränkt vergleichbarer Vergleichswerte die Anwendung jeder geeigneten Verrechnungspreismethode zulässt (Rz. 5.151). Während der Gesetzgeber für Fälle uneingeschränkt vergleichbarer Vergleichswerte in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG den tatsächlichen Fremdvergleich unzulässigerweise mit den klassischen Methoden gleichsetzt (vgl. Rz. 5.150), wird für Fälle eingeschränkter Vergleichbarkeit die Anwendung jeder geeigneten Verrechnungspreismethode auf die Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs zurückgeführt. Dies bedeutet, dass die Anwendung einer konkreten Verrechnungspreismethode nicht auf die Durchführung des in § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG gesetzlich geregelten hypothetischen Fremdvergleichs zurückgeführt werden kann. Ist eine Verrechnungspreismethode für den konkreten Sachverhalt geeignet, basiert ihre Anwendung bei uneingeschränkter Vergleichbarkeit auf § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG und bei eingeschränkter Vergleichbarkeit auf § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG. Eine nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG mangels Eignung ausgeschlossene Verrechnungspreismethode kann für die Umsetzung des Fremdvergleichs nicht angewendet werden. Zwar ist der hypothetische Fremdvergleich von seiner Grundkonzeption ein Denkmodell, bei dem gemessen am Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auf Seiten des leistungserbringenden wie auf Seiten des leistungsempfangenden Unternehmens (doppelter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, Rz. 3.143) Soll-Vergleichstatbestände für beide Kontrahenten durch Nachdenken ermittelt werden und ein Preisbildungsprozess simuliert wird (Rz. 3.132 ff.).2 Nach welchen 1 Vgl. Förster, IStR 2011, 22. 2 Vgl. grundlegend Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 109 ff. Siehe auch Wassermeyer in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 126; Wassermeyer, DB 1994, 1107; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 128.
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5.152
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Grundsätzen die Preisgrenzen als Soll-Vergleichstatbestände konkret zu bestimmen sind, ist gesetzlich jedoch lediglich für den hypothetischen Fremdvergleich in Gestalt der sog. Einigungsbereichsbetrachtung geregelt. In § 1 Abs. 3 Sätze 6 und 7 AStG ist konkret gesetzlich geregelt, wie der hypothetische Fremdvergleich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG durchzuführen ist, wobei für die Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs überdies die Konkretisierungen des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG zu beachten sind. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG bestimmt, dass der Steuerpflichtige „auf Grund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen den Mindestpreis des Leistenden und den Höchstpreis des Leistungsempfängers unter Berücksichtigung funktionsund risikoadäquater Kapitalisierungszinsätze zu ermitteln [hat] (Einigungsbereich); der Einigungsbereich wird von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotentialen) bestimmt“. Was die Ermittlung der individuellen Preisgrenzen des Leistenden und des Leistungsempfängers anbelangt, ist angesichts der verwendeten Begriffe „Planrechnungen“ und „Gewinnpotentiale“ letztlich die Ermittlung eines Ertragswerts erforderlich.1 Die durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26.6. 20132 vorgenommene Klarstellung, dass für den hypothetischen Fremdvergleich generell der Mindestpreis des Leistenden und der Höchstpreis des Leistungsempfängers „unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze“ zu ermitteln sind, verdeutlicht dies. Insofern ist die Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs auf die Durchführung einer zweiseitigen ertragswertbasierten Bewertung beschränkt. Jede andere Bestimmung von Soll-Vergleichstatbeständen für einen SollIst-Vergleich mag zwar konzeptionell einen hypothetischen Fremdvergleich darstellen. Es ist jedoch kein hypothetischer Fremdvergleich im Sinne der gesetzlichen Regelungen in § 1 Abs. 3 Sätze 5 ff. AStG. Die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden – geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (Rz. 5.92 ff.) und geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split-Method, Rz. 5.123 ff.) – basiert vor diesem Hintergrund nicht auf dem gesetzlich geregelten hypothetischen Fremdvergleich i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG („Dazu“) lässt eine andere Formulierung von Soll-Vergleichstatbeständen als eine zweiseitige ertragswertbasierte Bewertung für den im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs durchzuführenden Soll-Ist-Vergleich nicht zu. Eine andere Frage ist, ob die Anwendung finanzmathematischer Bewertungsverfahren im Rahmen einer zweiseitigen Bewertung letztlich für sich genommen eine Verrechnungspreismethode darstellt. Die Überlegungen der OECD im Zusammenhang mit der Bestimmung von Fremdvergleichspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter gehen jedenfalls in diese Richtung (Rz. 5.148). 1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651. 2 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den Verrechnungspreismethoden und dem gesetzlichen Stufenverhältnis zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich in § 1 Abs. 3 AStG ist festzustellen, dass sich die unzutreffende Vermengung von Verrechnungspreismethoden und tatsächlichem Fremdvergleich für den hypothetischen Fremdvergleich fortsetzt. Tatsächlich kommen alle anerkannten Verrechnungspreismethoden in praxi auf Ebene eines tatsächlichen Fremdvergleichs mittels eingeschränkt vergleichbarer Vergleichswerte zum Tragen, während die Durchführung des gesetzlich vorgegebenen hypothetischen Fremdvergleichs nicht auf der Anwendung von Verrechnungspreismethoden beruht. Auch insofern ist die Frage berechtigt, warum der Gesetzgeber die Verrechnungspreismethoden „in ein Stufenverhältnis pressen“ musste.1 Verhältnis von § 1 AStG zum Konzept der OECD-Leitlinien. Das Konzept der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ der OECD-Leitlinien 2010 (Rz. 5.142 ff.) wurde zeitlich nach der Etablierung eines Stufenverhältnisses zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich einerseits und der Integration eines Rangfolgeverhältnisses der Verrechnungspreismethoden für den tatsächlichen Fremdvergleich mittels uneingeschränkt vergleichbarer Vergleichswerte (Rz. 5.149 und 5.143) andererseits im nationalen Recht eingeführt. Augenscheinlich weichen beide Konzeptionen voneinander ab, was im Wesentlichen darin begründet liegt, dass die OECD-Leitlinien 2010 für die Anwendung von Verrechnungspreismethoden die Unterscheidung zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich und diejenige zwischen uneingeschränkter und eingeschränkter Vergleichbarkeit nicht kennen. Was den Grad der Vergleichbarkeit anbelangt, unterscheiden die OECD-Leitlinien 2010 bezogen auf die Vergleichswerte zwar zwischen einem verhältnismäßig gleichen Grad an Vergleichbarkeit und einem geringeren Grad an Vergleichbarkeit, wobei Vergleichswerte mit einem geringeren Vergleichbarkeitsgrad grundsätzlich auszuschließen sind (Rz. 5.172).2 Daneben gehen die OECD-Leitlinien von Fremdvergleichsbandbreiten aus, für deren Werte angenommen werden müsse, dass Vergleichbarkeitsdefizite, etwa infolge von Informationsmängeln oder Verfahrensmängeln bei der Auswahl von Vergleichswerten, verbleiben, die nicht identifiziert und/oder quantifiziert werden können und deshalb nicht angepasst sind.3 Nach der Konzeption der OECD-Leitlinien bestimmt sich ferner die Vergleichbarkeit bezogen auf die konkrete Verrechnungspreismethode.4 Dementsprechend wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.5 Denklogisch ist damit die 1 2 3 4 5
Wassermeyer, DB 2007, 536. Vgl. Tz. 3.56 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 1.33 OECD-Leitlinien. Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Bestimmung des Vergleichbarkeitsgrads der jeweiligen Vergleichswerte der Auswahl der Verrechnungspreismethode nachgelagert. Gleiches ist zwar auch im innerstaatlichen Recht angelegt, wenn für Zwecke des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG uneingeschränkte Vergleichbarkeit „für diese Methoden“ vorliegen muss und Gleiches für Zwecke der eingeschränkten Vergleichbarkeit in Bezug auf „andere geeignete Verrechnungspreismethoden“ i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG gilt. Entsprechend dem Gesetzeswortlaut ist die Bestimmung des Vergleichbarkeitsgrads der Vergleichswerte (uneingeschränkte vs. eingeschränkte Vergleichbarkeit) der Auswahl der Verrechnungspreismethode jedoch vorgelagert. Während die OECD-Leitlinien 2010 grundsätzlich von einem gleichrangigen Nebeneinander jedenfalls der anerkannten Verrechnungspreismethoden ausgehen und ein Rangfolgeverhältnis der klassischen Methoden gegenüber den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden und der Preisvergleichsmethode gegenüber anderen klassischen Methoden nur bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit mehrerer Verrechnungspreismethoden vorgeben, regelt § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG für Fälle uneingeschränkter Vergleichbarkeit den Vorrang der klassischen Methoden. Auf den ersten Blick erscheinen die innerstaatlichen Regelungen im Hinblick auf eine Methodenrangfolge insofern enger zu sein, als die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden nur nachrangig anwendbar sind. Da die Voraussetzungen uneingeschränkter Vergleichbarkeit für Zwecke der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden allenfalls theoretisch erfüllbar sind, kommt dieser Unterscheidung jedoch keine Praxisrelevanz zu.1 Gleiches sollte für Fälle gelten, in denen neben der Preisvergleichsmethode eine andere klassischen Methode gleich zuverlässig anwendbar ist, was im Hinblick auf die uneingeschränkte Vergleichbarkeit der Vergleichswerte in der Praxis allenfalls dann erfüllt sein sollte, wenn die Handelsspanne im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode bzw. der Gewinnaufschlag im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode durch inneren Betriebsvergleich abgeleitet werden können, wobei jeweils ein Mindestvolumen verbundexterner Referenztransaktionen aus Objektivierungsgründen erforderlich ist (vgl. Rz. 5.20 und 5.69). Für Fälle eingeschränkter Vergleichbarkeit der Vergleichswerte ist § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG gegenüber den OECD-Leitlinien 2010 dagegen insofern weiter gefasst, als er die Anwendung jeder „geeigneten Verrechnungspreismethode“ zulässt, während nach den OECD-Leitlinien 2010 die „am besten geeignete Verrechnungspreismethode“ anzuwenden ist. Da der Steuerpflichtige nach Tz. 2.8 OECD-Leitlinien 2010 jedoch ausdrücklich nicht gehalten ist, jede infrage kommende Verrechnungspreismethode eingehend zu analysieren oder für die Auswahl der der am besten geeigneten Methode zu testen (vgl. Rz. 5.144),2 sollte der Unterschied in der Praxis nicht von Bedeutung sein. Gleiches sollte für Fälle gelten, in denen mehrere Verrechnungspreismethoden gleich zuverlässig anwendbar sind 1 So wohl auch Förster, IStR 2011, 22. 2 Tz. 2.8 OECD-Leitlinien 2010.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
und für die die OECD-Leitlinien ein Rangfolgeverhältnis regeln (Rz. 5.143), während nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG alle geeigneten Verrechnungspreismethoden gleichrangig nebeneinander stehen (Rz. 5.151). Für die Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs i.S.d. § 1 Abs. 3 Sätze 5 ff. durch zweiseitige ertragswertbasierte Bewertung in Fällen, in denen weder uneingeschränkt noch eingeschränkt vergleichbare Vergleichswerte festgestellt werden können, besteht der Unterschied gegenüber den beabsichtigten Änderungen der OECD-Leitlinien im Zusammenhang mit der Bestimmung von Fremdvergleichspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter auf Basis des (geänderten) Diskussionsentwurfs vom 30.7.2013 (vgl. Rz. 5.148) darin, dass der hypothetische Fremdvergleich stets nachrangig zur Anwendung kommt. Die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden sind dagegen als geeignete Verrechnungspreismethoden nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG vorrangig anzuwenden.1 Dies gilt auch für die zur Konkretisierung und praktischen Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode in der Betriebsprüfungspraxis häufig herangezogene sog. „Knoppe-Formel“ oder die sog. „25 %-Rule“ (Rz. 6.585 f.). Nach den beabsichtigten Änderungen der OECD-Leitlinien 2010 können dagegen die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode sowie anerkannte finanzmathematische Bewertungsverfahren zur Ableitung von Fremdvergleichspreisen herangezogen werden, wenn keine verlässlichen Vergleichspreise im Rahmen der Preisvergleichsmethode festgestellt werden können (Rz. 5.148). Ein konkretes Rangfolgeverhältnis zwischen der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode und finanzmathematischen Bewertungsverfahren wird demgegenüber nicht vorgegeben, wenngleich davon ausgegangen wird, dass die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode in Lizenzierungsfällen häufig zur Anwendung kommt.
III. Rechtsprechung des BFH Kein Rangverhältnis. Nach der Rechtsprechung des BFH, die allerdings vor der gesetzlichen Einführung des Stufenverhältnisses in § 1 Abs. 3 AStG ergangen und auf ein Rangfolgeverhältnis innerhalb der klassischen Methoden beschränkt ist, war die Methode heranzuziehen, „mit der der Fremdvergleichspreis im konkreten Einzelfall mit der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit seiner Richtigkeit ermittelt werden kann“.2 Mit der h.M.3 hat der BFH die klassischen Methoden als vorrangig und im Grundsatz als gleichberechtigt nebeneinander anwendbar angesehen.4 Dem BFH-Urt. v. 6.4.20055 kann ferner entnommen werden, dass der BFH der Anwendung der Preisvergleichsmethode einen gewissen Vorrang vor der 1 2 3 4 5
A.A. Roeder, ISR 2012, 72. Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1551. Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; Baumhoff/ Ditz/Greinert, IStR 2005, 592.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Anwendung der anderen klassischen Methoden einräumen will. Dies ist bei Vorliegen der Voraussetzungen der Preisvergleichsmethode auch sachgerecht und entspricht dem in § 1 Abs. 3 AStG verankerten Stufenverhältnis, nach dem der tatsächliche Fremdvergleich vorrangig zum Tragen kommt. Da die Preisvergleichsmethode als einzige Verrechnungspreismethode auf marktentstandene, d.h. direkt am Markt beobachtbare Preise für uneingeschränkt, jedenfalls aber eingeschränkt vergleichbare Referenztransaktionen abstellt, basiert sie auf einem tatsächlichen Fremdvergleich und stellt gewissermaßen auch dessen „Urbild“ dar. Der BFH verlangt allerdings für die Anwendung der Preisvergleichsmethode, dass die Preise „auf zumindest im Wesentlichen identischen Leistungsbeziehungen beruhen“1, was den Anwendungsbereich der Preisvergleichsmethode erheblich einschränkt. Mit der Forderung nach einer Identität der Leistungsbeziehungen werden jedoch zu hohe Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Verhältnisse gestellt. Vergleichbarkeit bedeutet nämlich keine Identität, also Deckungsgleichheit der Verhältnisse. Vielmehr ist Vergleichbarkeit bereits dann gegeben, wenn die Vergleichsobjekte ähnlich mit Bezug auf ihre wesentlichen Merkmale sind. Auch § 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AStG sowie die Finanzverwaltung fordern keine uneingeschränkte Vergleichbarkeit, vielmehr reicht unter bestimmten Umständen auch eine eingeschränkte Vergleichbarkeit (Rz. 5.186 ff.).2
IV. Auffassung der Finanzverwaltung 1. VWG 1983
5.155
Keine bestimmte Methodenrangfolge. Tz. 2.4.1 VWG 1983 spricht sich insofern gegen eine starre Methodenrangfolge und für eine gewisse Flexibilität aus, als sie keine bestimmte Methodenrangfolge explizit vorschreibt, sondern die Methoden grundsätzlich als untereinander gleichrangig betrachtet. Der Verrechnungspreisprüfung soll die vom Unternehmen bzw. vom dort tätigen ordentlichen Geschäftsleiter gewählte Methode zugrunde gelegt werden, da erwartet wird, dass man sich immer an der Methode orientieren wird, die im Einzelfall den geeignetsten Vergleichstatbestand liefert.3 Eine Prüfung soll sich darauf beschränken, ob die Methodenwahl „nach Art und Anwendung sachgerecht“ war.4 Damit wird seitens der Finanzverwaltung konzediert, dass, wenn mehrere methodische Ansätze vertretbar sind, die Methodenwahl des Unternehmens absoluten Vorrang hat, sofern dessen Wahl vertretbar ist. Die Finanzverwaltung kann eine mögliche Verrechnungspreiskorrektur hier nur noch 1 BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4. 12.7; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1555 f. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.1 Buchst. b. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.1.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
über den Nachweis führen, dass nicht nur die Preise, sondern auch die Methodik, die zur Preisermittlung führte, nicht sachgerecht war oder dass ein klarer Missbrauchsfall vorliegt. Sofern also die Methodenwahl des Unternehmens zulässig ist, kann die Finanzverwaltung dieser nicht ihre eigene, andere Methodenwahl entgegensetzen.1 Dies würde eine Missachtung der unternehmerischen Entscheidung und faktisch eine Umkehr der Beweislast für die Richtigkeit des Ergebnisses bedeuten. Kuckhoff/Schreiber2 haben zur Frage der Anwendung der klassischen Methoden einzelne Arbeitsschritte entwickelt. Primat der Preisvergleichsmethode. Die in Tz. 2.4.1 VWG 1983 angeführte Notwendigkeit einer flexiblen Methodenhandhabung wird allerdings in verschiedenen Einzelregelungen durch bestimmte Formulierungen, die eher als „Handlungsempfehlungen“ für einen ordentlichen Geschäftsleiter anzusehen sind und indirekt das Primat der Preisvergleichsmethode bestätigen, wieder eingeschränkt: – Gemäß Tz. 2.4.1 Buchst. a VWG 1983 soll sich der ordentliche Geschäftsleiter an der Methode orientieren, „die den Verhältnissen am nächsten kommt, unter denen sich auf wirtschaftlich vergleichbaren Märkten Fremdpreise bilden“.3 Hierbei kann es sich allerdings nur um Marktpreise handeln, so dass eindeutig die Anwendung der Preisvergleichsmethode gefordert wird.4 – Gemäß Tz. 2.4.1 Buchst. b VWG 1983 soll sich der ordentliche Geschäftsleiter in Zweifelsfällen an der Methode orientieren, für die „Daten aus dem tatsächlichen Verhalten der beteiligten nahestehenden Unternehmen bei Fremdgeschäften zur Verfügung stehen“.5 Hierbei wird ebenfalls ein tatsächlicher Fremdvergleich und somit die Preisvergleichsmethode gefordert. – In Tz. 3.2.3.2 VWG 1983 lässt die Formulierung „wenn Vergleichspreise fehlen“ erkennen, dass zunächst die Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode geprüft und erst bei fehlenden Voraussetzungen die übrigen Methoden Anwendung finden sollen.6 – In Tz. 4.2.1 VWG 1983 wird für den Bereich der Festlegung angemessener Zinsen auf denjenigen Zins abgestellt, „zu dem Fremde unter vergleichbaren Bedingungen den Kredit am Geld- oder Kapitalmarkt gewährt hätten“, womit letztlich auf die Preisvergleichsmethode abgestellt wird.7 1 So im Ergebnis auch Dahnke in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 137. 2 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Tz. 86 ff. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.1 Buchst. a. 4 Wie hier Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr zu Tz. 2.4.1. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.1 Buchst. b. 6 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.2.3.2. 7 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.2.1.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
– In Tz. 5.2.3 VWG 1983 wird explizit gefordert, bei der Festlegung angemessener Lizenzgebühren zuerst die Anwendung der Preisvergleichsmethode zu prüfen.1 – Für Tz. 6.4.1 VWG 1983 gilt aufgrund der Formulierung „soweit hierfür Marktpreise nicht feststellbar sind“ ebenfalls das Primat der Preisvergleichsmethode.2
5.157
Nur scheinbar widersprüchliche Haltung der VWG 1983. Die scheinbar widersprüchliche Haltung der VWG 1983, einerseits eine generelle Rangfolge der klassischen Methoden abzulehnen, andererseits jedoch in Einzelregelungen die Priorität der Preisvergleichsmethode zu betonen, lässt sich damit erklären, dass lediglich eine qualitative Rangfolge der klassischen Methoden nicht existiert. Vielmehr erhalten die einzelnen Methoden ihre Qualität erst bei ihrer Anwendung auf konkrete Fälle von Leistungsbeziehungen, so dass die „qualitative Hierarchie“ und Sachnähe der Methoden allenfalls einzelfallbezogen beurteilt werden kann. Eine Priorität kommt der Preisvergleichsmethode – und nur so sind die zuvor genannten einschränkenden Formulierungen der VWG 1983 zu verstehen – allerdings prüfungstechnisch zu. Dies deshalb, weil bei zweifelsfreiem Vorhandensein eines Fremdpreises die Heranziehung weiterer Preisermittlungsmethoden überflüssig wäre.3 Neben einer (nicht vorhandenen) allgemeinen und einer (jeweils abzuleitenden) einzelfallbezogenen Hierarchie der Verrechnungspreismethoden ist auch noch eine (allgemeine, aber unverbindliche) fallgruppenbezogene Hierarchie denkbar und wohl auch sinnvoll. Becker4 nennt eine solche, indem er feststellt, dass sich bestimmte Preismethoden für bestimmte Sachverhalte anbieten. So komme i.d.R. die Preisvergleichsmethode zur Anwendung, wenn Börsen- oder allgemein zugängliche Marktpreise vorliegen. Die Wiederverkaufsmethode werde i.d.R. bei verbundenen Vertriebsunternehmen angewendet, während man die Kostenaufschlagsmethode oft dann einsetze, wenn entweder Halbfertigungserzeugnisse oder Sonderanfertigungen geliefert werden. 2. VWG-Verfahren
5.158
Vorrang der klassischen Methoden. Die VWG-Verfahren beschränken sich im Zusammenhang mit Aufzeichnungen über die vom Steuerpflichtigen angewandte Verrechnungspreismethode auf die Wiedergabe der Grundsätze der VWG 1983 (Rz. 5.155 ff.).5 Tz. 3.4.10.3 VWG-Verfahren regelt die uneingeschränkte Anwendbarkeit und den Vorrang der klassischen Methoden vor anderen Verrechnungspreismethoden (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und geschäftsvorfallbezogene Ge1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5.2.3. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.4.1. 3 Vgl. Lahodny-Karner, Konzernverrechnungspreise, S. 89. 4 Vgl. Becker in G/K/G, Art. 9 OECD-MA Rz. 163. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.1.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
winnaufteilungsmethode).1 Weitergehende Aussagen zu einem Vorrang der Preisvergleichsmethode vor den anderen klassischen Methoden enthalten die VWG-Verfahren hingegen nicht. Im Zusammenhang mit sog. Mittel- bzw. Hybridunternehmen soll nach Auffassung der Finanzverwaltung die geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode auf Mittelunternehmen nicht anwendbar sein.2 Allerdings sind nach Auffassung der Finanzverwaltung bei Mittelunternehmen – soweit die Preisvergleichsmethode keine Anwendung finden kann – die Verrechnungspreise aufgrund von „Planrechnungen“ zu ermitteln.3 Dies soll dergestalt erfolgen, dass die Gewinnkomponente von Verrechnungspreisen u.a. auf Basis von „Renditeziffern funktional (zumindest eingeschränkt) vergleichbarer Unternehmen in dem betreffenden Geschäftsbereich“4 bestimmt wird. Dies läuft de facto jedoch auf die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode hinaus.5 Im Ergebnis wird hierdurch zwar ein Vorrang der Preisvergleichsmethode gegenüber der – praktisch anwendbaren – geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode verankert, die Frage nach dem Vorrangverhältnis der anderen klassischen Methoden (insbes. der Kostenaufschlagsmethode) gegenüber der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode jedoch erst aufgeworfen. Die Auffassung der Finanzverwaltung ist vor diesem Hintergrund widersprüchlich. Subsidiarität der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Die VWG-Verfahren6 regeln konkrete Vorgaben bzgl. der Anerkennung und der Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden. Hiernach werden die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode wie die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode zwar grundsätzlich anerkannt,7 sie kommen allerdings nur subsidiär zu den klassischen Methoden zur Anwendung.8 Der Anwendungsbereich der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird ferner auf Unternehmen mit Routinefunktionen beschränkt. Zusätzlich wird er davon abhängig gemacht, dass der Nachweis über die Vergleichbarkeit der Vergleichsunternehmen geführt wird und dass besondere, tatsächlich entstandene Gewinne oder Verluste des betreffenden Unternehmens, die sich trotz Vergleichbarkeit nicht in den Renditekennziffern der Vergleichsunterneh1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. c. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b Abs. 4 1. Spiegelstrich. 5 Siehe hierzu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1553. 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3. 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b u. c. 8 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b und c.
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5.159
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
men niederschlagen, Berücksichtigung finden.1 Dass die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode nicht auf Unternehmen zur Anwendung kommt, die als Entrepreneur bzw. Strategieträger zu qualifizieren sind, ist keine Einschränkung des Anwendungsbereichs. Diese Unternehmen charakterisieren sich gerade dadurch, dass sie die wesentlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter einsetzen, die erfolgskritischen Funktionen ausüben und die wesentlichen unternehmerischen Risiken tragen und ihnen aufgrund dessen der Residualgewinn oder -verlust gebührt.2 Zum einen fehlt es regelmäßig an Vergleichsunternehmen, auf deren Renditekennziffern abgestellt werden könnte. Zum anderen reflektiert eine kostenorientierte Entgeltermittlung nicht das Funktions- und Risikoprofil eines Strategieträgers, denn mittels kostenorientierter Methoden würde diesem ein sicherer Gewinn zugeordnet, nicht hingegen das Residualergebnis.3 Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll die Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode allerdings nicht für die Kategorie der sog. Mittelunternehmen gelten, wobei allerdings die Verrechnungspreisermittlung aufgrund von Planrechnungen und unter Bestimmung der Gewinnkomponente auf Basis von Renditeziffern funktional (zumindest eingeschränkt) vergleichbarer Unternehmen in dem betreffenden Geschäftsbereich letztlich auf diese Methode hinausläuft (Rz. 6.158). Es ist überdies weitestgehend unklar, auf welches Funktions- und Risikoprofil sich die Kategorie des sog. Mittelunternehmens konkret erstreckt. Weder verwenden die OECD-Leitlinien einen solchen Unternehmenstyp, noch ist er – im Gegensatz zum Strategieträger (erfolgskritische Funktionen) und Routineunternehmen (nicht erfolgskritische Funktionen)4 – in der Betriebswirtschaftslehre überhaupt bekannt. Für dessen Ausdifferenzierung lassen sich deshalb keine betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse fruchtbar machen.
5.160
Subsidiarität der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode. Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode kann nur herangezogen werden, wenn „sich die Standardmethoden nicht oder nicht verlässlich anwenden lassen.“5 Dies sieht die Finanzverwaltung etwa dann als gegeben an, wenn die beteiligten Transaktionspartner als Entrepreneur bzw. Strategieträger qualifiziert werden. Dies ist insofern folgerichtig, als ihnen (ggf. zusammen mit anderen Unternehmen, die ebenfalls eine Entrepreneurfunktion ausüben) das betreffende Konzernergebnis zusteht, das nach Abgeltung der Funktionen der anderen Verbundgesell1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b. 3 Vgl. auch Baumhoff in FS Krawitz, 35; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 144. 4 Vgl. Klein, IStR 1995, 547. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. c.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
schaften und nach Abrechnung des mittels der klassischen Methoden abrechenbaren Lieferungs- und Leistungsaustauschs zwischen ihnen verbleibt. Da sich die Finanzverwaltung auf die Vorgaben der OECD-Leitlinien1 bezieht, ist davon auszugehen, dass die deutsche Finanzverwaltung sowohl die Beitrags- als auch die Restgewinnmethode als maßgebliche Ausprägungen der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode akzeptiert.2 Unvereinbarkeit mit den gesetzlichen Vorgaben des § 1 Abs. 3 AStG. Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 20083 sollte u.a. für eine Vielzahl von Verlautbarungen der Finanzverwaltung in den VWG-Verfahren eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, die bis dahin einer Rechtsgrundlage entbehrten.4 Im Hinblick auf den eingeschränkten Anwendungsbereich der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ist allerdings fraglich, ob dies tatsächlich gelungen ist. Geht man davon aus, dass der Anwendungsbereich uneingeschränkter Vergleichbarkeit der Vergleichswerte – auch im Hinblick auf die an die uneingeschränkte Vergleichbarkeit gestellten (überzogenen) Anforderungen (vgl. Rz. 5.186 ff.) – in der Praxis eher auf Ausnahmefälle beschränkt sein wird,5 kommt der gesetzlichen Regelung zu eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichspreisen und -werten entscheidende Bedeutung zu. Auf der 2. Stufe des in § 1 Abs. 3 AStG verankerten Stufenverhältnisses kommt – wiederum – der tatsächliche Fremdvergleich zum Tragen, allerdings auf Basis eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte. Diese sind gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG nach Vornahme sachgerechter Anpassungen „einer geeigneten Verrechnungspreismethode“ zugrunde zu legen. Als geeignete Verrechnungspreismethoden i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG kommt jede anerkannte Verrechnungspreismethode in Betracht (Rz. 5.151). Ferner besteht zwischen mehreren „geeigneten Verrechnungspreismethoden“ kein gesetzliches Rangfolgeverhältnis. Vielmehr lässt § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG die Anwendung jeder geeigneten Verrechnungspreismethode zu. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass alle geeigneten Verrechnungspreismethoden gleichrangig nebeneinander stehen. Lediglich nicht geeignete Verrechnungspreismethoden können nicht angewendet werden. Vor diesem Hintergrund steht der Auffassung der Finanzverwaltung insbesondere zum eingeschränkten Anwendungsbereich der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode die insoweit eindeutige Rechtsgrundlage entgegen. Die gleichrangige Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode entspricht auch den Praxiserfahrungen der deutschen Finanzverwaltung, nach denen 80 % der 1 Vgl. nunmehr Tz. 2.108 ff. OECD-Leitlinien 2010. 2 Gl.A. Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 52 ff. 3 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 4 Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461; Förster, IStR 2011, 22. 5 Vgl. zur Auffassung der Finanzverwaltung auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Tz. 3.4.12.5 Rz. 220; Förster, IStR 2011, 22.
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5.161
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
„einfachen Fälle“ („einfache“ Vertriebsgesellschaften, Produktionsgesellschaften oder Dienstleistungsgesellschaften) von vornherein nach dieser Methode abgerechnet werden.1 Ob die deutsche Finanzverwaltung gut beraten ist, den Anwendungsbereich dieser Verrechnungspreismethode entgegen den OECD-Leitlinien weitergehend einzuschränken oder sie gar für deutsche Verrechnungspreiszwecke nicht mehr zuzulassen, begegnet sicherlich erheblichen Zweifeln. Solchen Bestrebungen innerhalb der Finanzverwaltung2 steht jedenfalls aktuell § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG entgegen. Die deutschen Verrechnungspreisgrundsätze würden sich auch in Widerspruch zu den international anerkannten Verrechnungspreisgrundsätzen setzen, wobei die OECD-Leitlinien 2010 der zunehmenden praktischen Bedeutung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode jüngst erst durch die Konzeption der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ Rechnung getragen haben (Rz. 5.142 ff.). Ein deutscher Sonderweg könnte Doppelbesteuerungen hervorrufen, die zu langwierigen Verständigungs- und Schiedsverfahren (Rz. 10.6 ff.) führen würden. Zudem würde die Aushandlung von Advance Pricing Agreements unter deutscher Beteiligung erschwert.3 3. VWG-Funktionsverlagerung
5.162
Vorrangigkeit des tatsächlichen Fremdvergleichs. Weder die FVerlV noch die VWG-Funktionsverlagerung enthalten konkrete Aussagen zur Anwendung und zu einem Rangfolgeverhältnis der Verrechnungspreismethoden. Dies liegt im Wesentlichen darin begründet, dass in der ursprünglichen Fassung der Regelungen zum Transferpaket in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG i.d.F. des UntStRefG 2008 lediglich isoliert auf § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG Bezug genommen wurde, was die Anwendung nur des hypothetischen Fremdvergleichs implizierte. Richtigerweise ist die Verrechnungspreisbestimmung für Transferpakete im Rahmen von Funktionsverlagerungen an dasselbe Stufenverhältnis zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich verwiesen, das § 1 Abs. 3 Sätze 1–5 AStG für „normale“ Transaktionsgegenstände vorgibt. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG i.d.F. des EU-Vorgaben-Gesetzes4 setzt tatbestandlich den eröffneten Anwendungsbereich des hypothetischen Fremdvergleichs voraus, „weil für das Transferpaket als Ganzes keine zumindest eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte vorliegen.“ Diese Tatsache wurde bereits durch § 2 Abs. 1 Satz 1 FVerlV ausdrücklich bestätigt.
5.163
Unzulässige Einschränkung auf die klassischen Methoden. Die VWGFunktionsverlagerung beschränken den Vorrang des tatsächlichen Fremd1 Vgl. Naumann, IStR 2013, 616. 2 Vgl. hierzu Naumann, IStR 2013, 617. 3 Vgl. zu Advance Pricing Agreements Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 12.50 ff.; Liebchen in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 25 Rz. 322 ff. 4 Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften v. 8.4.2010, BGBl. I 2010, 386.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden
vergleichs vor dem hypothetischen Fremdvergleich unzulässigerweise auf die Anwendung der klassischen Methoden, indem sie ihre Auffassung unter die Überschrift „Standardmethoden zur Bestimmung des Verrechnungspreises“ stellen. Sie beziehen sich richtigerweise auch auf § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG und damit auf die 2. Stufe des Rangfolgeverhältnisses zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich.1 Für die Verrechnungspreisbestimmung mittels eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte kann jedoch jede geeignete Verrechnungspreismethode angewendet werden, ohne dass zwischen mehreren geeigneten Verrechnungspreismethoden ein Vorrangverhältnis geregelt ist. Vielmehr stehen nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG mehrere geeignete Verrechnungspreismethoden gleichrangig nebeneinander (Rz. 5.161). Abgeltung von Routinefunktionen nach der Kostenaufschlagsmethode? § 2 Abs. 2 FVerlV enthält eine speziell auf Routineunternehmen zugeschnittene Regelung, die unter bestimmten Voraussetzungen zu der gesetzlichen Vermutung führt, dass mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden und deshalb der Anwendungsbereich der Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Alt. 1 AStG eröffnet ist (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 7.115 ff.). Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV ist allerdings u.a. darauf beschränkt, dass für die Verrechnungspreisermittlung die Kostenaufschlagsmethode zur Anwendung kommt. Die VWG-Funktionsverlagerung dehnen den Anwendungsbereich auf die zulässigerweise zur Anwendung kommende kostenbasierte, geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und die Vergütung mittels einer das niedrigere Risiko berücksichtigenden Provision aus.2 Voraussetzung ist neben der exklusiven Funktionsausübung, dass diese Verrechnungspreisermittlung zu vergleichbaren Ergebnissen führt. Die Festlegung auf bestimmte Verrechnungspreismethoden wirft die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem in § 1 Abs. 3 AStG verankerten Stufenverhältnis auf. Der Verordnungsgeber ging in der Verordnungsbegründung zu § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV unter Hinweis auf Tz. 3.4.10.2 Buchst. a der VWG-Verfahren demgegenüber offenkundig („ist vor allem anzuwenden“) von einer zwingenden Anwendung der Kostenaufschlagsmethode auf die Abgeltung der Ausübung von Routinefunktionen aus.3 Dies entspricht jedoch weder der Rechtslage vor Einführung des benannten Rangfolgeverhältnisses in § 1 Abs. 3 AStG auf Grundlage der Rechtsprechung des BFH (Rz. 5.154), noch viel weniger lässt sich ein solcher Vorrang § 1 Abs. 3 AStG entnehmen (Rz. 5.149 f.). Insofern ist jedenfalls und vor allem die Preisvergleichsmethode in Betracht zu ziehen, wenn mittels eines inneren (Rz. 5.8 ff.) oder äußeren Preisvergleichs 1 Vgl. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 61. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 67. 3 Vgl. BR-Drucks. 352/08 v. 23.5.2008, 16.
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5.164
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
(Rz. 5.11 f.) uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte identifiziert werden können. Sie ist u.E. zwingend vom Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV erfasst.1 Insofern kann § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV und der Verordnungsbegründung nicht entnommen werden, dass die Verrechnungspreisbestimmung für Routinefunktionen zwingend nach der Kostenaufschlagsmethode zu erfolgen habe. Gleiches gilt für die Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung im Hinblick auf die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode, die zudem darauf beschränkt ist, dass diese Verrechnungspreismethode „zulässigerweise“ angewendet wird, was die Beurteilung der „Zulässigkeit“ nach den Vorgaben der VWG-Verfahren impliziert (vgl. Rz. 5.158 f.). Richtigerweise ist die Verrechnungspreisbestimmung für die Ausübung von Routinefunktionen jedenfalls dann jeder geeigneten Verrechnungspreismethode zugänglich, wenn lediglich eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte festgestellt werden können (Rz. 5.151).
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich Literatur Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln u.a. 1986; Baumhoff, Die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise bei der Existenz von Preisbandbreiten, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer, München 2005, 347; Baumhoff, Die steuerliche Bewertung von Transferpaketen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, 541; Baumhoff, Verrechnungspreise, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaftsstrukturen im Internationalen Steuerrecht, Köln 2010, 75; Baumhoff, Der Einfluss der Finanzmarktkrise auf die Festlegung und Prüfung von internationalen Verrechnungspreisen, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Festschrift für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 21; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik bei Verlustgesellschaften, in Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 133; Baumhoff, Praxisprobleme bei der Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, WPg 2012, 396; Baumhoff/Bodenmüller, Die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 541; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Lohnfertigern – Anmerkungen zum Urteil des FG Münster vom 16.3.2006, IStR 2006, 789; Baumhoff/Greinert, Angemessene Lizenzsätze bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, Ubg 2009, 544; Betten/ Rotondaro, The Concept of an Arm’s Length Range, ITPJ 1998, 174; von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, Köln 2011; von Bredow, Funktionsverlagerung: Lock-in-Effekt statt Steuervorteil bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, ISR 2012, 138; Ditz/Liebchen, Bewertung von Transferpaketen im Rahmen von Funktionsverlagerungen, DB 2012, 1469; Förster, Die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 3 AStG – Ver1 Gl.A. im Ergebnis Ditz/Just, DB 2009, 142.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich gleich mit den aktualisierten Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, IStR 2011, 20; Greinert, Maßgebende Überschussgröße zur Bewertung eines Transferpakets bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, DB 2009, 755; Greinert, Steuerliche Besonderheiten bei der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter im Rahmen von grenzüberschreitenden Transaktionen im Konzern, Ubg 2010, 101; Greinert/Reichl, Einfluss von Besteuerungseffekten auf die Verrechnungspreisermittlung bei Funktionsverlagerungen, DB 2011, 1182; Greinert/Thiele, Steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen vor 2008, DStR 2011, 1197; Herbert/ Luckhaupt, Bestimmung von Verrechnungspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter – zum Diskussionsentwurf der OECD, Ubg 2012, 672; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Kurzewitz, Die Bestimmung von Verrechnungspreisbandbreiten als Problem der internationalen Doppelbesteuerung, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 635; Luckhaupt, Bestimmung von Verrechnungspreisen gemäß den OECD-TPG 2010 und § 1 Abs. 3 AStG, Ubg 2010, 646; Luckhaupt, Fragwürdige Vorgaben der Finanzverwaltung bei der Grenzpreisermittlung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DStR 2012, 1571; Menninger/Wellens, Valuation Standards and the German Restructuring Regulation, TMTR v. 30.6.2011; Menninger/Wellens, Grundsätzliche Bewertungsfragen im Zusammenhang mit der Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 3 AStG, DB 2012, 10; Oestreicher, Die (reformbedürftigen) Regelungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in Fällen der Funktionsverlagerung, Ubg 2009, 80; Oestreicher/Hundeshagen, Bewertung von Transferpaketen bei Funktionsverlagerungen, DB 2008, 1637 (Teil I) und 1693 (Teil II); Oestreicher/ Hundeshagen, Weder Wirtschaftsgut noch Unternehmen – die Bewertung von Transferpaketen anlässlich der grenzüberschreitenden Verlagerung von Unternehmensfunktionen, IStR 2009, 146; Oestreicher/Wilke, Die Einzelbewertung des Firmenwerts – Verrechnungspreise in Fällen einer Funktionsverlagerung nach dem Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften, Ubg 2010, 225; Piehler, Kontraktgestaltung bei M&A-Transaktionen, Wiesbaden 2007; Rasch, Die Bestimmung fremdvergleichskonformer Lizenzen – oder: die Quadratur des Kreises, ISR 2013, 31; Roeder, Ökonomische Aspekte des hypothetischen Fremdvergleichs, Ubg 2008, 202; Roeder, Immaterielle Wirtschaftsgüter: Diskussionsentwurf zur Überarbeitung des Kapitels VI der OECDVerrechnungspreisleitlinien – Ausgewählte Aspekte aus deutscher Sicht, ISR 2012, 70; Schierenbeck, Beteiligungsentscheidungen, Berlin 1973.
I. Begriffsabgrenzung Preis- und Wertbandbreiten. Preisbandbreiten entstehen im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs, d.h. bei Anwendung der Preisvergleichsmethode, durch die Zusammenstellung marktentstandener, also direkt am Markt beobachtbarer Preise für uneingeschränkt bzw. eingeschränkt vergleichbare Referenztransaktionen. Von Wertbandbreiten spricht man, wenn – bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) der Gewinnaufschlag bzw. Mark-up, – bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.) die Handelsspanne bzw. Bruttomarge und – bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) (Rz. 5.92 ff.) die Nettomarge Baumhoff/Liebchen
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
mittels tatsächlichen Fremdvergleichs, d.h. durch äußeren oder inneren Betriebsvergleich (Rz. 3.126 ff.), ermittelt und jeweils mehrere Vergleichswerte abgeleitet werden (können). In diesem Fall bilden die Vergleichswerte – im Rahmen der jeweiligen Verrechnungspreismethode – eine Wertbandbreite. Die Existenz von Preis- und Wertbandbreiten ist als Realität der Verrechnungspreispraxis anerkannt. Die OECD-Leitlinien gehen in Tz. 3.55 sogar vom Regelfall aus. So wird ausgeführt: „Da jedoch die Verrechnungspreisgestaltung keine exakte Wissenschaft ist, wird es auch viele Situationen geben, bei denen die Anwendung der besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind“.1 Auch der deutsche Gesetzgeber erwähnt in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG ausdrücklich Preis- und Wertbandbreiten sowohl bei Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs als auch bei Anwendung der klassischen Methoden („mehrere solcher Werte bilden eine Bandbreite“). Wenngleich es letztlich hierbei um den Fall der Anwendung der Preisvergleichsmethode geht, bei der die beiden zentralen Anwendungsvoraussetzungen des tatsächlichen Fremdvergleichs (Unabhängigkeit der Geschäftspartner und Vergleichbarkeit der Verhältnisse, Rz. 3.1 ff.) erfüllt sind, erfasst der Wortlaut dieser Regelung auch die Fälle, in denen mehrere Vergleichswerte durch die Anwendung der Wiederverkaufspreis- bzw. der Kostenaufschlagsmethode vorliegen und sich deshalb eine „Wertbandbreite“ ergibt. Dies beruht auf dem Umstand, dass der Gesetzgeber – in unzutreffender Weise – den tatsächlichen Fremdvergleich mit den klassischen Methoden gleichsetzt (Rz. 5.150 f.). Ebenso entspricht es der allgemeinen Auffassung2 sowie der Rechtsprechung des BFH, dass es den „richtigen Verrechnungspreis“ im Sinne eines mathematisch exakt fixierbaren Werts nicht geben, sondern allenfalls eine Bandbreite angemessener Preise bestimmt werden kann.3 Die Finanzverwaltung hat überdies bereits (weit) vor der gesetzlichen Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG sowohl in den VWG 19834 als auch in den VWG-Verfahren5 Preis- und Wertbandbreiten ausdrücklich anerkannt. Preis- und Wertbandbreiten (Fremdvergleichsbandbreiten, „arm’s-length range“) werden schließlich auch international überwiegend akzeptiert.6
1 Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 16. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; v. 6.4. 2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658. = FR 2005, 1030 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.8. und Tz. 2.1.9. Bsp. 1. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. a. 6 Siehe hierzu den Ländervergleich (USA, Niederlande, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Japan) von Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 86 ff.; Kurzewitz in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 635 ff.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
Einigungsbereich. In der Verrechnungspreispraxis ist der Idealfall des tatsächlichen Fremdvergleichs häufig die Ausnahme. Stattdessen werden Verrechnungspreise mittels des hypothetischen Fremdvergleichs ermittelt. Entsprechend dem in § 1 Abs. 3 AStG angelegten Stufenverhältnis kommt der hypothetische Fremdvergleich zur Anwendung, wenn mittels eines tatsächlichen Fremdvergleichs keine jedenfalls eingeschränkt vergleichbaren Werte ermittelt werden können. Nach § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG hat der Steuerpflichtige in diesem Fall „für seine Einkünfteermittlung einen hypothetischen Fremdvergleich […] durchzuführen“. Hierbei handelt es sich um die Simulation eines Preisbildungsprozesses, der sich sowohl aufseiten des Leistungsempfängers als auch aufseiten des Leistungserbringers der objektivierenden Referenzfigur des „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ bedient (sog. Theorie des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters). Dabei kann es bei rationalem Verhalten unabhängiger Entscheidungsträger nur dann zu einer Einigung kommen, wenn die Preisobergrenze des Nachfragers über der Preisuntergrenze des Anbieters liegt, m.a.W. wenn ein Einigungsbereich besteht. Mithin bildet dieser Einigungsbereich das Preisband (sog. „Bandbreitenbetrachtung“1), innerhalb dessen der angemessene Verrechnungspreis liegen muss. Dieses Preisband wird determiniert durch die Preisuntergrenze aus Sicht des leistungserbringenden Unternehmens und der Preisobergrenze aus Sicht des leistungsempfangenden Unternehmens. Vom Wortsinn her ist ein Einigungsbereich mithin der Bereich, innerhalb dessen die Möglichkeit einer Einigung zwischen den Transaktionspartnern besteht. Betriebswirtschaftlich markiert er den Bereich, in dem jeder Vertragspartner seinen jeweiligen Grenzpreis, bei dem Entscheidungsindifferenz gegenüber alternativen Handlungsmöglichkeiten vorliegt, auch durchsetzen kann und sich somit bei jedem Wert innerhalb des Einigungsbereichs gegenüber seiner äußersten Konzessionsbereitschaft in Gestalt seiner jeweiligen Preisgrenze verbessert. Der Begriff Einigungsbereich ist gleichbedeutend mit den Begriffen Verhandlungsbereich (-spielraum), Kontraktbereich (-raum) und Arbitriumbereich.2 Von einem nichtnegativen Einigungsbereich wird gesprochen, wenn mindestens eine Möglichkeit der Einigung existiert, wobei in diesem Fall die Grenzpreise der Transaktionspartner identisch sind und sich der Einigungsbereich auf diesen Wert verengt; anderenfalls wird von einem negativen Einigungsbereich gesprochen.3 Ein positiver Einigungsbereich liegt demgegenüber vor, wenn der Einigungsbereich mindestens eine Möglichkeit zur Einigung enthält.
1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.9.; Tz. 3.55 ff. OECD-Leitlinien 2010; Baumhoff in FS Wassermeyer, 347 ff. 2 Vgl. grundlegend Matschke, Funktionale Unternehmensbewertung, Bd. II, Der Arbitriumwert der Unternehmung; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 249 ff. 3 Vgl. auch Piehler, Kontraktgestaltung bei M&A-Transaktionen, 5.
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5.166
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
5.167
Abgrenzung zu den sog. Zinsurteilen. Der BFH hatte in seinen sog. „Zinsurteilen“ zu konzerninternen Darlehensbeziehungen entschieden, dass die banküblichen Habenzinsen als Untergrenze und die banküblichen Sollzinsen als Obergrenze für angemessene Zinsen zu beachten sind, wobei sich „im Zweifel“ Darlehensgläubiger und Darlehensschuldner die Spanne zwischen bankenüblichen Haben- und Schuldzinsen teilen sollen.1 Dem steht auch das BFH-Urteil v. 17.10.2001 nicht entgegen, mit dem grundsätzlich der Mittelwertmethode die Rechtfertigung abgesprochen wurde. Denn der BFH konzedierte den Ansatz des Mittelwertes zutreffenderweise dann, „wenn er aus Fremdvergleichswerten abgeleitet werden kann“2. Auf einen solchen, wenngleich pauschalen Fremdvergleich geht der Erfahrungssatz zurück, dass sich – im Zweifel – Darlehensgläubiger und -schuldner die Spanne zwischen banküblichen Haben- und Schuldzinsen teilen (vgl. auch Rz. 6.440).3 Diese Rechtsprechung des BFH wird zumeist mit der Aufteilung einer „Zinsbandbreite“ gleichgesetzt, die allerdings mit der Preisbandbreite im hier verstandenen Sinne nichts gemein hat, sondern der Differenz zwischen einem Soll- und einem Habenzins entspricht. Eine Zinsbandbreite entsteht im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs durch die Zusammenstellung marktentstandener, d.h. direkt am Markt beobachtbarer Preise für uneingeschränkt, jedenfalls aber eingeschränkt vergleichbare Referenztransaktionen (Rz. 6.439). Zwar sind bankübliche Soll- wie Habenzinssätze letztlich Marktdaten. Allerdings liegen die Vergleichbarkeitsvoraussetzungen schon deshalb nicht vor, weil für Darlehensvergaben nur der Sollzinssatz maßgeblich ist, soweit keine überschüssige Liquidität beim Darlehensgeber besteht (Rz. 6.441). Insofern basiert diese Rechtsprechung methodisch auf dem hypothetischen Fremdvergleich, wobei als Preisobergrenze der darlehensnehmenden Konzerngesellschaft der bankenübliche Sollzinssatz, der letztlich die bewertete Handlungsalternative Darlehensaufnahme als Bankenfinanzierung darstellt, und als Preisuntergrenze der darlehensgebenden Konzerngesellschaft der bankenübliche Habenzinssatz, der die bewertete Handlungsalternative Kapitalanlage zu banküblichen Konditionen darstellt, zugrundgelegt werden. Auf die Aufteilung des zwischen diesen Preisgrenzen bestehenden Einigungsbereichs beziehen sich die Rechtsprechungsgrundsätze der sog. „Zinsurteile“. Im Hinblick auf die Preisgrenzen ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese zwar theoretisch durch den banküblichen Habenzinssatz (Darlehensgeber) und den banküblichen Sollzinssatz (Darlehensnehmer) verkörpert werden können. Dies aber nur dann, wenn sie mit der günstigsten alternativen Kapitalanlagemöglichkeit des Darlehensgebers und der günstigsten alternativen Kapitalaufnah-
1 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; v. 22.10.2003 – I R 36/03, FR 2004, 462 = DStRE 2004, 304. 2 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 3 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Wassermeyer, 353 f.; Buciek, JbFStR 2008/2009, 795 f.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
memöglichkeit des Darlehensnehmers korrespondieren.1 Es kommt letztlich auf die zu Entscheidungswerten verdichteten Handlungsalternativen beider Kontrahenten an, die jeweils an der Referenzfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu verproben sind (Rz. 3.132 ff.).2
II. Preis- und Wertbandbreiten 1. Ursachen für die Entstehung a) Volkswirtschaftliche Erklärung: Unvollkommenheit von Märkten Bedingungen des vollkommenen Marktes. Zur Klärung der Frage, welcher Wert innerhalb einer Bandbreite konkret als angemessener Verrechnungspreis heranzuziehen ist, müssen zunächst die Ursachen identifiziert werden, die zum Entstehen von Preis- und Wertbandbreiten führen. Hierzu bietet es sich an, zunächst auf das volkswirtschaftliche Modell des vollkommenen Marktes abzustellen, der dadurch gekennzeichnet ist, dass für ein Gut im Marktgleichgewicht von Angebot und Nachfrage nur ein Preis existiert. Ein vollkommener Markt wird u.a. durch folgende Merkmale charakterisiert: – rationales Verhalten der Marktteilnehmer, – Abwesenheit persönlicher, zeitlicher, räumlicher und sachlicher Präferenzen, – Homogenität der gehandelten Güter, – vollständige Markttransparenz, – alle Anbieter und Nachfrager haben nur sehr kleine Marktanteile (atomistische Angebots- und Nachfragestruktur), – freier Marktzutritt/Offenheit des Marktes, – unendlich schnelle Reaktionsgeschwindigkeit und – keine Transaktionskosten bei der Durchführung von Anpassungsprozessen.3 Liegen diese Voraussetzungen vor, bildet sich im Marktgleichgewicht von Angebot und Nachfrage ein einheitlicher Preis für das betreffende Gut, der Gleichgewichtspreis. Arbitragemöglichkeiten kann es auf einem voll1 Der Rückgriff auf Marktdaten stellt den hypothetischen Fremdvergleich gerade nicht infrage, sondern verschafft die Referenz für das ökonomisch adäquate Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auf der jeweiligen Vertragsseite. Der neuerdings – u.E. zu Unrecht – eingeleitete Abgesang auf den hypothetischen Fremdvergleich gründet letztlich auf einem falschen Verständnis dessen, was den tatsächlichen Fremdvergleich inhaltlich ausmacht; infrage gestellt etwa von Wellens, IStR 2010, 155. 2 Vgl. hierzu auch Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.275 ff. 3 Vgl. Aberle, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik2, 27 f.; Fischbach/Wollenberg, Volkswirtschaftslehre 113, 275; Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre6, 156 f.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
kommenen Markt folglich nicht geben. Alle Anbieter und Nachfrager haben nur die Möglichkeit, als Mengenanpasser zu reagieren.
5.169
Marktunvollkommenheiten in der Realität. Allerdings handelt es sich bei den Bedingungen des vollkommenen Marktes um Annahmen eines für Theoriezwecke entwickelten volkswirtschaftlichen Modells. In der Realität sind diese Bedingungen vollständig nie und auch jede einzelne Bedingung ist regelmäßig für sich genommen nicht gegeben. Sofern jedoch nur eine Bedingung nicht erfüllt ist, liegt bereits ein unvollkommener Markt vor. Herrscht beispielsweise keine vollständige Information und Markttransparenz, kann der Anbieter seine Informationsvorteile nutzen und abweichende Preise für das gleiche Produkt gegenüber unterschiedlichen Nachfragern durchsetzen. Insbesondere beim Austausch von Waren und Leistungen, deren Preise nicht in öffentlich zugänglichen Preislisten verzeichnet sind, ist es der Regelfall, dass die Anbieter unterschiedliche Preise für die gleichen Waren bzw. die gleiche Leistung verlangen (Beispiele: allgemeine Versicherungstarife, Handytarife). Bei der Preisfestlegung kann es dabei auf die ökonomische Bedeutung des Nachfragers, seine Zahlungsbereitschaft, seine Marktmacht, seine Bereitschaft zur langfristigen Abnahme, die Möglichkeit zur Ausnutzung von Informationsasymmetrien oder Ähnliches ankommen. Gleiches lässt sich für jedes andere Merkmal des vollkommenen Marktes ableiten. So können auch persönliche und sachliche Präferenzen eines Nachfragers dazu führen, dass ein höherer Preis im Verhältnis zu neutralen Nachfragern durchgesetzt werden kann. Hierbei kann weder der eine noch der andere Preis als „der richtige“ Preis für die Ware oder Leistung bezeichnet werden. Vielmehr kann nur der Schluss gezogen werden, dass es für ein betreffendes Gut eine Bandbreite angemessener Preise gibt. Letztlich kann aufgrund der Unvollkommenheit der Märkte (z.B. mangelnde Homogenität der ausgetauschten Güter, persönliche und/oder sachliche Präferenzen, asymmetrische Informationsverteilung), der unendlichen Vielgestaltigkeit autonomer unternehmerischer Verhaltensweisen sowie unterschiedlicher ökonomischer Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren ein mathematisch genau fixierbarer Preis nicht abgeleitet werden. b) Voraussetzungen nach § 1 Abs. 3 Sätze 1–3 AStG
5.170
Uneingeschränkte und eingeschränkte Vergleichbarkeit. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG können Preis- oder Wertbandbreiten entstehen, wenn eine der folgenden drei Voraussetzungen gegeben ist: – Bei Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs in Gestalt der Preisvergleichsmethode können mehrere Werte ermittelt werden, selbst wenn hierbei sachgerechte Anpassungen „im Hinblick auf die ausgeübten Funktionen, die eingesetzten Wirtschaftsgüter und die übernommenen Chancen und Risiken“ vorzunehmen sind, aber dennoch eine „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“ gewährleistet ist. 420
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
– Bei Anwendung der Wiederverkaufspreis- oder Kostenaufschlagsmethode können einer oder mehrere Werte ermittelt werden, selbst wenn hierbei sachgerechte Anpassungen „im Hinblick auf die ausgeübten Funktionen, die eingesetzten Wirtschaftsgüter und die übernommenen Chancen und Risiken“ vorzunehmen sind, aber dennoch eine „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“ gewährleistet ist. – Bei Kombination aller drei Methoden (Preisvergleichs-, Wiederverkaufs- und Kostenaufschlagsmethode) können mehrere Werte ermittelt werden, für die eine „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“ gegeben ist und die in einer Bandbreite zusammengefasst werden können. § 1 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AStG nehmen auf „eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte“ bzw. auf „mehrere eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte“ Bezug, sodass Wert- oder Preisbandbreiten auch in Fällen der eingeschränkten Vergleichbarkeit dann gegeben sind, wenn bei Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode etwa mehrere eingeschränkt vergleichbare Preise (Preisvergleichsmethode), Handelsspannen (Wiederverkaufspreismethode), Gewinnaufschläge (Kostenaufschlagsmethode) oder Nettomargen (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode) – ggf. nach Vornahme sachgerechter Anpassungen – ermittelt werden. 2. Einengung von Bandbreiten a) OECD-Leitlinien Relativ gleiche Zuverlässigkeit/verhältnismäßig gleicher Vergleichbarkeitsgrad. Die OECD-Leitlinien stellen zunächst fest, dass es viele Situationen geben wird, bei denen die Anwendung der am besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind.1 Allerdings können erhebliche Abweichungen zwischen den Punkten innerhalb dieser Fremdvergleichsbandbreite nach Auffassung der OECD darauf hindeuten, dass die für die Bestimmung dieser Punkte verwendeten Daten nicht so zuverlässig sind wie solche Daten, die für andere Punkte innerhalb der Bandbreite herangezogen wurden.2 Ebenso kann sich die Abweichung aus Vergleichsdaten erklären, die eine Anpassung erfordern. In diesen Fällen empfehlen die OECD-Leitlinien eine weitergehende Analyse der Werte dieser Bandbreite daraufhin, inwieweit sie überhaupt als Vergleichswerte für eine Fremdvergleichsbandbreite geeignet sind.3 Insofern kommen sowohl die Nichtberücksichtigung bestimmter Werte, ggf. die Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen als auch die unveränderte Berücksichtigung für die Fremdvergleichsbandbreite in Betracht. Den OECD-Leitlinien kann nicht entnommen werden, dass erhebliche Abweichungen zwischen einzelnen Werten der Bandbreite die fehlende Vergleichbarkeit (Vergleichbarkeits1 Vgl. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 3.59 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 3.59 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
defizite) und/oder Zuverlässigkeit indizieren. Lediglich ihre ungeprüfte Einbeziehung in die Bandbreite sollte den Grundsätzen der OECD-Leitlinien nicht entsprechen. Insofern sind auch die Ausführungen in Tz. 3.63 der OECD-Leitlinien von Bedeutung, wonach extreme Werte nicht allein deshalb ausgeschlossen werden können, weil sie in auffälliger Weise von anderen Vergleichswerten abweichen.1 Ohne konkrete Anhaltspunkte für bestehende Vergleichbarkeitsdefizite sind auch extreme Vergleichswerte zu berücksichtigen. Die OECD-Leitlinien nennen in diesem Zusammenhang verlustbringende Geschäftsvorfälle bzw. defizitäre Unternehmen, die im Hinblick auf ihre Einbeziehung in die Vergleichbarkeitsanalyse einer weitergehende Überprüfung daraufhin zu unterziehen sind, ob sie den Vergleichbarkeitsanforderungen konkret genügen.2 Ausdrücklich lehnen die OECD-Leitlinien einen Ausschluss nur aufgrund der Verlustentstehung ab, wobei Gleiches auch für Vergleichswerte gilt, die ungewöhnlich hohe Gewinne ausweisen.3 Bei relativ gleichem Grad von Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit der Vergleichswerte sehen die OECD-Leitlinien keine Einengung der Wert- oder Preisbandbreite vor.4 Die konkreten Anforderungen an den Grad der Vergleichbarkeit bleiben allerdings völlig offen.
5.172
Unterschiedliche Vergleichbarkeitsgrade. Offenkundig gehen die OECDLeitlinien davon aus, dass nur in Ausnahmefällen („in einigen Fällen“) nicht alle untersuchten Vergleichstransaktionen einen verhältnismäßig gleichen Grad an Vergleichbarkeit aufweisen. Tz. 3.55 („viele Situationen […], bei denen die Anwendung der am besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind“)5 und 3.56 („einige Fälle“)6 OECD-Leitlinien verdeutlichen, dass die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung von einer allenfalls „eingeschränkten Vergleichbarkeit“ und dem regelmäßigen Vorliegen von Vergleichbarkeitsdefiziten nicht auf die OECD-Leitlinien gestützt werden kann. Ob in der Praxis das Verbleiben von Vergleichbarkeitsdefiziten den „wahrscheinlicheren“ Fall darstellt,7 ist eben ganz entscheidend von den Anforderungen abhängig, die an einen relativ hohen Grad der Vergleichbarkeit gestellt werden. Bereits die Feststellung von Vergleichstransaktionen, die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen als andere und deshalb ausgeschlossen werden sollten,8 ist jedenfalls schon angesichts der inhaltlichen Unbestimmtheit problematisch. 1 Vgl. Tz. 3.63 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. hierzu auch Eigelshoven/Ebering in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 220. 2 Vgl. Tz. 3.65 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 3.65 und 3.66 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. auch Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 96. 5 Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010. 6 Tz. 3.56 OECD-Leitlinien 2010. 7 So jedenfalls Förster, IStR 2011, 22. 8 Vgl. Tz. 3.56 OECD-Leitlinien 2010.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
Bandbreiteneinengung bei Vergleichbarkeitsdefiziten. Im Falle verbleibender Vergleichbarkeitsmängel, die nicht identifiziert oder quantifiziert werden können und deshalb nicht angepasst sind, empfehlen die OECDLeitlinien bei einer „beträchtlichen Zahl solcher Beobachtungen“ innerhalb der Bandbreite deren Einengung mittels statistischer Verfahren, die am Mittelwert orientiert sind.1 Vergleichbarkeitsmängel liegen nach Auffassung der OECD vor, wenn die Bandbreite Werte enthält, die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen. Allerdings bedeutet Vergleichbarkeit nicht Identität. Die Anwendung des Fremdvergleichs kann stets nur auf eine Annäherung der Vergleichbarkeitsfaktoren gerichtet sein.2 Dementsprechend ist das Verbleiben von Unterschieden jeder Vergleichbarkeitsanalyse immanent. Die OECD-Leitlinien geben keine konkreten Verfahren für die Einengung von Preis- oder Wertbandbreiten vor, sondern beschränken sich auf die Feststellung, dass statistische Verfahren mit zentraler Tendenz dabei helfen können, die Verlässlichkeit der Analyse zu verbessern. Als solche statistischen Verfahren werden beispielhaft die Interquartilsbandbreite (Rz. 5.194), aber auch andere Perzentile genannt. Man wird hieraus schließen können, dass diese Ansätze mit den OECD-Leitlinien im Einklang stehen. Allerdings sind diese Ansätze zur Einengung von Preis- oder Wertbandbreiten weder exklusiv noch vorrangig anzuwenden. Vielmehr wird man den Vorgaben der OECD-Leitlinien lediglich entnehmen können, dass sowohl die Einengung von Preis- oder Wertbandbreiten selbst als auch die hierfür in Betracht kommenden Verfahren geeignet sein müssen, die Verlässlichkeit der Vergleichbarkeitsanalyse zu verbessern.3
5.173
Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden. Tz. 3.58 der OECDLeitlinien weist darauf hin, dass sich eine Bandbreite von Werten auch dann ergeben könne, wenn für die Bestimmung des Verrechnungspreises für einen Geschäftsvorfall mehr als eine Verrechnungspreismethode angewendet wird. Richtigerweise entstehen in diesen Fall jedoch – regelmäßig – mehrere methodenspezifische Bandbreiten. Nach dem Rangfolgekonzept der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“4 kommt die Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden nebeneinander nur dann in Betracht, wenn sie nach der Vergleichbarkeitsanalyse und der Informationsverfügbarkeit gleich zuverlässig anwendbar sind. Hierbei gehen die OECD-Leitlinien bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit einer geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethode (Rz. 5.82 ff.) und einer klassischen Methode (Rz. 5.5 ff.) von einem Vorrang der klassischen Methoden und bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode neben einer anderen klassischen Methode vom Vorrang der Preisvergleichsmethode aus (Rz. 5.143).5 Im Zusammenhang mit Fremdver-
5.174
1 Vgl. Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. auch Dawid/Renaud in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 217. 4 Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
gleichsbandbreiten formulieren die OECD-Leitlinien als Anforderung an das Anwenden mehrerer Verrechnungspreismethoden, dass die betreffenden Methoden „einen ähnlichen Grad an Vergleichbarkeit“ liefen müssen.1 Dies sollte inhaltlich keinen Widerspruch zu den Anforderungen der gleichen Eignung und der gleich zuverlässigen Anwendbarkeit darstellen. Auch wenn methodenspezifische Bandbreiten regelmäßig voneinander abweichen werden, kann nach Auffassung der OECD jede einzelne Bandbreite für sich genommen für die Bestimmung einer fremdvergleichskonformen Bandbreite und damit letztlich für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises genutzt werden.2 Dies steht im Einklang mit den Anforderungen des Fremdvergleichsgrundsatzes, der die Anwendung von mehr als einer Verrechnungspreismethode nicht verlangt.3 Dementsprechend ist der Steuerpflichtige weder verpflichtet noch gehalten, seine jeweiligen Verrechnungspreise nach mehr als einer Verrechnungspreismethode zu bestimmen (Rz. 5.146). Dies entspricht der Auffassung der deutschen Finanzverwaltung in den VWG-Verfahren, wonach der Steuerpflichtige zur Verprobung seiner Ergebnisse nach anderen Verrechnungspreismethoden nicht verpflichtet ist;4 ebenso wenig muss der Steuerpflichtige begründen, warum er andere Verrechnungspreismethoden als die seiner Verrechnungspreisbestimmung zugrunde gelegte Verrechnungspreismethode für weniger geeignet hält.5 Der Steuerpflichtige kann jedoch auch ohne eine bestehende Verpflichtung – und damit freiwillig – mehrere Verrechnungspreismethoden anwenden, entweder um deren Zweckmäßigkeit für den betreffenden Geschäftsvorfall zu untersuchen oder aber um seinen Verrechnungspreisansatz zu verproben oder zu plausibilisieren. Die OECD-Leitlinien sprechen in diesem Zusammenhang von einem flexiblen Ansatz, der es in schwierigen Fällen erlauben würde, die Beweiskraft verschiedener Methoden gemeinsam zu nutzen.6 Hierbei werden als „schwierige Fälle“ solche Fälle verstanden, „in denen keine Methode für sich allein schlüssig ist“. Dass auch die Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden allein mit dem Ziel erfolgt, ein fremdvergleichskonformes Ergebnis zu erlangen, ist eine Selbstverständlichkeit. Deshalb ist ein solcher flexibler Ansatz vornehmlich von Praktikabilitätserwägungen getragen, und zwar aus der Sicht des bzw. der Steuerpflichtigen einerseits und der betroffenen Finanzverwaltung(en) andererseits.7 Diesem flexiblen Ansatz kommt u.E. vornehmlich bei kooperativen Verfahren zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung Bedeutung zu, wie etwa im Rahmen der Aushandlung
1 2 3 4
Vgl. Tz. 3.58 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.58 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 2.11 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. a. 5 § 2 Abs. 2 Satz 3 GAufzV. 6 Vgl. Tz. 2.11 OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. Tz. 2.11 OECD-Leitlinien 2010.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
von Advance Pricing Agreements.1 Keinesfalls kann nur mit dem Hinweis, die gewählte Verrechnungspreismethode sei für sich genommen nicht schlüssig, dem Steuerpflichtigen die dezidierte Anwendung weiterer Verrechnungspreismethoden abverlangt werden.2 Die sich bei der Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden regelmäßig ergebenden methodenspezifischen Bandbreiten können zur Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten herangezogen werden, wobei insbesondere den Werten im Überschneidungsbereich dieser Bandbreiten eine gewisse Beweiskraft zukommen kann. Idealerweise liegt der als angemessen anzusehende Verrechnungspreis in diesem Bereich. Fraglich ist allerdings, ob dieser Überschneidungsbereich eine genauere Bandbreite darstellt bzw. ob die maßgebliche Bandbreite nur für den Überschneidungsbereich zutreffend ermittelt ist. Richtigerweise wird man davon ausgehen müssen, dass die methodenspezifische Bandbreite durch die jeweilige andere methodenspezifische Bandbreite – und vice versa – eingeengt wird. Dies berührt die Eignung der jeweiligen methodenspezifischen Bandbreite nicht, zutreffend ermittelt und deshalb maßgeblich zu sein. M.a.W. kann dort, wo Preis- und Wertbandbreiten einzuengen sind, u.a. die Verprobung mittels einer weiteren Verrechnungspreismethode sachgerecht sein. b) Rechtsprechung des BFH Ausschöpfen der „maßgebenden“ Bandbreite. Der BFH hat sich zur Frage, ob eine bestehende Preis- oder Wertbandbreite einzuengen ist, bisher nicht ausdrücklich geäußert. In seinem Grundsatzurteil vom 17.10.20013 kam der BFH einerseits zu der Erkenntnis, dass es den richtigen Verrechnungspreis im Sinne einer mathematisch genau fixierbaren Größe nicht geben kann, sondern allenfalls eine Bandbreite angemessener Preise bestimmbar ist. Zur letztlich entscheidenden Frage, wie der Verrechnungspreis innerhalb einer bestimmten Preisbandbreite konkret festzulegen ist, hat der BFH jedoch ausgeführt, dass sich der Steuerpflichtige bei einer im Wege des tatsächlichen Fremdvergleichs ermittelten Bandbreite an dem für ihn günstigen Rand der Bandbreite orientieren kann. Hierzu führt der BFH ferner wie folgt aus: „Dies entspricht der Überlegung, dass innerhalb der letztlich maßgebenden Bandbreite jeder Preis dem Fremdvergleich entspricht“.4 Der BFH beruft sich mithin auf den Fremdvergleichsgrundsatz.
1 Vgl. zu Advance Pricing Agreements Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 12.50 ff.; Liebchen in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 25 Rz. 322 ff. 2 Sowohl im Ergebnis auch Hülshorst/Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 43. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 4 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. Vgl. Kleineidam/Baumhoff/Seutter, DB 1986, 233.
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5.175
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
5.176
Lediglich Ausscheiden von Ausreißerwerten. Zwar hat der BFH mit dem Hinweis auf die letztlich „maßgebende Bandbreite“ ebenso wie dadurch, dass im Urteilssachverhalt tatsächlich auf eine „eingeschränkte Bandbreite angemessener Verrechnungspreise“ abgestellt wurde, im Ergebnis auch die Möglichkeit der Einengung von Bandbreiten eröffnet. Hierbei handelt es sich jedoch um solche Einengungen, die sich lediglich darauf beschränken, Ausreißer zu eliminieren oder Besonderheiten einzelner Vergleichstransaktionen zu korrigieren. Dies ist auch grundsätzlich mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar, da die Vergleichbarkeit der Verhältnisse und ggf. die Vornahme sachgerechter Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit Voraussetzungen für die zutreffende Identifizierung von Vergleichswerten oder -preisen und deren Zusammenstellung zu einer Wert- oder Preisbandbreite sind.
5.177
Verprobung mittels einer anderen Verrechnungspreismethode. In seinem Urteil vom 17.10.2001 hat der BFH angedeutet, dass es nach dem Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters geboten sein kann, eine sich nach der Wiederverkaufspreismethode ergebende Bandbreite nicht vollständig auszuschöpfen, sondern dass die Kostenaufschlagsmethode dazu dienen kann, die sich nach der Wiederverkaufspreisemethode ergebende Bandbreite entsprechend dem im Einzelfall Gebotenen einzuschränken und zu begrenzen.1 Auch im Urteil vom 6.4.2005 hat der BFH die Preisvergleichs- anhand der Wiederverkaufspreismethode verprobt.2 Ferner hat das FG Saarland in seinem Urteil vom 18.12.1996 festgestellt, dass die Kostenaufschlagsmethode zu Verprobungszwecken herangezogen werden kann, wenn Zweifel an der Vergleichbarkeit im Rahmen der Preisvergleichsmethode bestehen.3 Vor diesem Hintergrund entspricht es einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung, dass die Ergebnisse einer Verrechnungspreismethode mittels einer anderen Verrechnungspreismethode verprobt werden können. c) Auffassung der deutschen Finanzverwaltung aa) VWG 1983
5.178
Preisbandbreiten nach Auffassung der VWG 1983. Die Existenz von Preisbandbreiten bei der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise wird auch von der Finanzverwaltung seit langem anerkannt. Dies ergibt sich insbesondere aus mehreren Formulierungen der VWG 1983: – Gemäß Tz. 2.1.8. hat der Steuerpflichtige bei der Ableitung des Verrechnungspreises „die Spielräume in der Lagebeurteilung und der geschäftlichen Entscheidung, wie sie sich aus der Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr und aus der Marktsituation ergeben“,4 1 2 3 4
Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. I 2004, 171 = FR 2002, 154. Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. Vgl. FG Saarland v. 18.12.1996 – 1 K 257/94, EFG 1997, 485. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.8.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
wahrzunehmen. Hiermit wird deutlich auf die Beurteilungs- und Entscheidungsspielräume und die daraus resultierenden Preisbandbreiten hingewiesen und zudem eingeräumt, dass diese Spielräume auch zielgerichtet genutzt werden können. – Gemäß Tz. 2.1.9. Bsp. 1 wird klar konzediert, dass „zur Ermittlung des Fremdpreises […] auf dem Markt oft nur ein Band von Preisen zur Verfügung [steht], innerhalb dessen unabhängige Marktteilnehmer von Fall zu Fall den Preis für die einzelnen Geschäfte aushandeln.“1 Allerdings möchte die Finanzverwaltung die Bestimmung des angemessenen Verrechnungspreises innerhalb der Preisbandbreite insofern einschränken, als sie es für unvertretbar hält, die Preise – ohne wirtschaftlich beachtliche Gründe – „schematisch auf der Ober- oder Untergrenze des Preisbandes“ festzusetzen.2 Diese Auffassung dürfte angesichts der Rechtsprechung des BFH (Rz. 5.175 ff.), der zeitlich jüngeren Verlautbarungen der Finanzverwaltung in den VWG-Verfahren (Rz. 5.179 ff.) und der gesetzlichen Regelungen in § 1 Abs. 3 Sätze 1, 3 und 4 AStG zweifelsohne überholt sein. Gleichwohl wurde diese Auffassung bis heute nicht, auch nicht durch die VWG-Verfahren, aufgegeben. Ausdrücklich nehmen die VWG-Verfahren sogar auf Tz. 2.1.9. der VWG 1983 Bezug.3 bb) VWG-Verfahren Größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist bei mehreren Fremdvergleichswerten zunächst festzustellen, ob für einen der festgestellten Werte „die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ spreche, wobei in diesem Fall in „aller Regel“ nur dieser Wert für die Besteuerung maßgeblich sein soll.4 Dies würde letztlich die Preis- oder Wertbandbreite auf einen Wert einengen, was eo ipso die Nichtanerkennung der Preis- oder Wertbandbreite bedeutete. Unklar ist zunächst bereits, was konkret unter der „größten Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ verstanden werden soll. So kann für einen Wert innerhalb der durch Fremdvergleich ermittelten Bandbreite die „größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ bestehen, wenn – der Anteil dieses Werts an der Grundgesamtheit am größten ist oder – die Vergleichbarkeit dieses Werts bezüglich der zugrunde liegenden Transaktionsbedingungen (Funktionen, Risiken eingesetzte [immaterielle] Wirtschaftsgüter, Vertragsbedingungen) am größten ist. 1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 Bsp. 1. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 Bsp. 1. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. c. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. a.
- S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.9. - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.9. B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005,
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5.179
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Was den Fall angeht, dass die „größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ im Sinne des höchsten Anteils eines Werts an der Grundgesamtheit verstanden wird, könnte man auf die Anzahl der Anbieter abstellen, die eine Ware oder ein Leistung auf dem Markt zu unterschiedlichen Preisen (= Preisband) anbieten. Je mehr Anbieter dann den gleichen Preis fordern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für diesen Wert. Eine solche Vorgehensweise würde jedoch erfordern, dass ein vollständiger Marktüberblick über die Anbieter der jeweiligen Ware oder Leistung besteht. Andernfalls ließe sich über eine zufällige oder auch zielgerichtete Zusammenstellung der Anbieter mehr oder weniger beliebig gestalten, für welchen Wert die größte Wahrscheinlichkeit besteht. Es ist jedoch kaum möglich, für irgendeine Ware oder Leistung einen vollständigen Marktüberblick zu gewinnen.1 Selbst wenn das für einen regionalen Markt gelingen sollte, so ist das mit Bezug auf den – häufig relevanten – nationalen, internationalen oder gar globalen Markt wohl nicht mehr möglich. Ohnehin ist es fraglich, ob allein die Anzahl der Anbieter das geeignete Kriterium für die Bestimmung der „größten Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ ist. Dafür würden nämlich Größenunterschiede zwischen den Anbietern nicht erfasst, obwohl gerade ihre Größe und das von ihnen abgedeckte Marktvolumen der jeweiligen Ware oder Leistung für die Einschätzung der „größten Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ von Bedeutung sind. So wäre es wohl nicht vertretbar, von der größten Wahrscheinlichkeit für einen Preis auszugehen, weil drei kleine Anbieter zum gleichen Preis anbieten, obwohl ein Anbieter mit dem zehnfachen Marktvolumen der betreffenden Ware oder Leistung einen anderen Preis verlangt. Insofern wäre neben der Anzahl der Anbieter auch die von ihnen angebotene Menge zu berücksichtigen. Solche Informationen werden allerdings kaum zu beschaffen sein. Aufgrund dieser Überlegungen wird es in der Praxis wohl nicht möglich sein, einen Wert mit einer „größten Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ zu ermitteln, der den dargestellten Anforderungen entspricht. Sollte dennoch die Finanzverwaltung im Einzelfall die Auffassung vertreten, sie hätte einen Wert mit der größten Wahrscheinlichkeit seiner Richtigkeit identifiziert, so wird sie vermutlich Schwierigkeiten haben nachzuweisen, dass die Grundgesamtheit der möglichen Anbieter vollständig ermittelt und auch die von den Anbietern angebotenen Mengen berücksichtigt wurden. Die hier vorgenommene Interpretation des Begriffs „größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ beruht auf einem mathematisch-statistischen Verständnis. Denkbar ist jedoch auch eine eher qualitative Interpretation des Begriffs „größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ in dem Sinne, dass auf den durch Preisvergleich ermittelten Wert abzustellen ist, bei 1 Vgl. zum Einsatz von Datenbanken auch Baumhoff, IStR 2003, 3 f.; Oestreicher/ Duensing, IStR 2005, 134; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34; Tucha, IStR 2002, 175; Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937; kritisch Kolb, IWB F. 3 Gr. 1, 2391 ff.; Fischer/ Looks/Schlaa, BB 2010, 160.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
dem die Vergleichbarkeit im Hinblick auf übernommene Funktionen, getragene Risiken, eingesetzte (immaterielle) Wirtschaftsgüter und zugrunde liegende Vertragsbedingungen am größten ist. „Größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ würde dann im Hinblick auf das Ausmaß der Vergleichbarkeit verstanden. Auch bei dieser Interpretation besteht jedoch das Problem, die Grundgesamtheit der möglichen Anbieter vollständig zu ermitteln. Es lassen sich nämlich keine fundierten Aussagen ableiten, wenn nur eine irgendwie bestimmte Teilmenge der möglichen Anbieter betrachtet und dann der Wert mit der höchsten Übereinstimmung innerhalb der Teilmenge gewählt wird, Solange nicht auszuschließen ist, dass außerhalb dieser Teilmenge Werte mit besserer Übereinstimmung vorliegen, vermitteln die innerhalb der Teilmenge betrachteten Werte kein verwertbares Bild. Vor allem ist es als problematisch anzusehen, dass bereits die Auswahl der Teilmenge mehr oder weniger bestimmt, welcher Wert am besten vergleichbar ist. Eine unter Ausnutzung solcher Spielräume zustande gekommene Auswahl eines Verrechnungspreises ist allerdings mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht vereinbar. Selbst wenn sich die Grundgesamtheit vollständig erheben ließe, bleibt die Frage zu klären, wieweit tatsächlich der Wert als Verrechnungspreis angesetzt werden sollte, der am ehesten im Hinblick auf übernommene Funktionen, getragene Risiken, eingesetzte (immaterielle) Wirtschaftsgüter und zugrunde liegende Vertragsbedingungen vergleichbar ist. Bei einer solchen Bestimmung des Verrechnungspreises kann das Problem entstehen, dass der zum Vergleich herangezogene Wert als ein Ausreißer zu qualifizieren ist. Beispielsweise könnte der so ermittelte Wert 100 Euro betragen, während sich alle anderen Werte in einer Bandbreite zwischen 50 und 70 Euro bewegen. Wenn dann die anderen Werte z.B. auch im Hinblick auf Funktionen, Risiken und eingesetzte Wirtschaftsgüter genauso vergleichbar sind, lediglich im Hinblick auf die Vertragsbedingungen geringfügig abweichen (Anpassungsbetrag maximal 5 Euro), so ist es fraglich, ob dennoch der Wert von 100 Euro angesetzt werden sollte. Wenn der Preisunterschied nicht auf den geringfügig abweichenden Vertragsbedingungen beruht, so werden vielmehr irgendwelche Marktunvollkommenheiten dafür verantwortlich sein. Jedenfalls spricht dann nicht die „größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ für diesen Wert. Es ist daher nicht vertretbar, den so identifizierten Preis aufgrund der mehr oder weniger zufälligen Übereinstimmung der Bedingungen ungeprüft zu übernehmen, auch wenn die zugrunde liegenden Bedingungen für diesen Wert am ehesten übereinstimmen. Ohne eine Berücksichtigung der Verteilung der ermittelten Werte innerhalb der Bandbreite kann ein tragfähiges Ergebnis nicht abgeleitet werden. Insofern ist auch die Interpretation von „größter Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ im Sinne von höchster Vergleichbarkeit zu verwerfen. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Verengung einer Preisoder Wertbandbreite auf den Wert mit der „größten Wahrscheinlichkeit seiner Richtigkeit“ mit der BFH-Rechtsprechung nicht im Einklang steht, Baumhoff/Liebchen
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
die dem Steuerpflichtigen konzedierte, die Korrektur auf den für ihn günstigen Rand einer Preisbandbreite vorzunehmen (Rz. 5.175 ff.). Dieser Auffassung der Finanzverwaltung stehen seit den Änderungen in § 1 AStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 20081 zudem die – insofern – eindeutige Rechtsgrundlagen entgegen. § 1 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 AStG gehen ausdrücklich davon aus, dass mehrere Werte eine Bandbreite bilden. Im Übrigen ist im Hinblick auf die Beweislastverteilung festzustellen, dass die Finanzverwaltung diesen Wert nachweisen muss.
5.180
Entstehung von Preis- oder Wertbandbreiten. Während bei mehreren Vergleichswerten der Wert anzusetzen sein soll, für den nach den konkreten Umständen des Falles „die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit spricht“ (Rz. 5.179), will die Finanzverwaltung Preis- oder Wertbandbreiten erst dann annehmen, wenn „mehrere Werte einen Anschein der Richtigkeit haben“.2 Wie die Anforderungen „größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ und „Anschein der Richtigkeit“ inhaltlich voneinander abzugrenzen sind, lassen die VWG-Verfahren offen. Jedenfalls implizieren „größte Wahrscheinlichkeit“ und „Anschein“, dass an letzteres Kriterium weitaus geringere Anforderungen zu stellen sind. Grundsätzlich kann jeder Wert einer zutreffend ermittelten Preis- oder Wertbandbreite in diesem Sinne für sich in Anspruch nehmen, zwischen fremden Dritten potentiell vereinbart oder – der jeweiligen Preisermittlung – zugrunde gelegt werden zu können bzw. worden zu sein. Insofern fallen allenfalls solche Werte heraus, die nachweislich falsch ermittelt sind, z.B. weil die relevanten Vergleichbarkeitsfaktoren nicht erfüllt sind.
5.181
Uneingeschränkte Vergleichbarkeit. Nach Tz. 3.4.12.5 Buchst. a VWGVerfahren sind Wert- und Preisbandbreiten nur dann in vollem Umfang zu berücksichtigen, wenn aufgrund zuverlässiger und vollständiger Informationen feststeht, dass die zugrunde liegenden Geschäftsbedingungen uneingeschränkt vergleichbar sind.3 Hierbei ist die erste Anforderung auf die Datenqualität gerichtet. Jeder, der bereits Vergleichswerte, insbesondere Vergleichspreise, im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs ermittelt hat, weiß, dass ein „Feststehen“ im Sinne von absoluter Sicherheit bezüglich der Vergleichbarkeit einzelner Vergleichbarkeitsfaktoren insbesondere dann nie gegeben ist, wenn uneingeschränkte Vergleichbarkeit angestrebt wird. Dementsprechend gehen auch die OECD-Leitlinien zutreffend davon aus, dass „im Allgemeinen durch die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nur eine Annäherung an jene Bedingungen erzielt wird, die zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wären“.4 Die deutsche Finanzverwaltung fordert dagegen in der Pra1 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (UntStRefG 2008) v. 14.8.2007, BStBl. I 2007, 1912; hierzu z.B. Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, passim. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. a Abs. 2. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. a. 4 Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2010.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
xis regelmäßig eine Identität sämtlicher potentiell möglicher Vergleichbarkeitsfaktoren ungeachtet der Auswirkungen auf die Vergleichswerte.1 Können uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte bzw. -preise festgestellt werden und hat der Steuerpflichtige seiner Verrechnungspreisbestimmung einen Preis bzw. Wert außerhalb dieser Fremdvergleichsbandbreite zugrunde gelegt, ist eine Korrektur auf den für den Steuerpflichtigen günstigsten Rand der Bandbreite vorzunehmen.2 Idealtypisch wurde nach dieser Verwaltungsauffassung mithin das Ergebnis hergestellt, welches sich bei ursprünglicher Berücksichtigung der uneingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte bei der Verrechnungspreisbestimmung eingestellt hätte. Hierbei müssen allerdings – entsprechend dem Ex-ante-Grundsatz – die entsprechenden Vergleichswerte spätestens auf den Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung zurückgehen. Mit § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG besteht allerdings für Veranlagungszeiträume ab 2008 (§ 21 Abs. 16 AStG) eine eindeutige gesetzliche Grundlage, die die nachträgliche Korrektur bei Wertansätzen außerhalb der Preis- oder Wertbandbreite entgegen dieser Verwaltungsauffassung regelt (Rz. 5.200 ff.). Bandbreiteneinengung durch erneute Analyse und Anpassungen. Besteht die Preis- oder Wertbandbreite aus nur eingeschränkt vergleichbaren Vergleichswerten und -preisen oder steht die uneingeschränkte Vergleichbarkeit der Geschäftsbedingungen wegen Informations- oder Datenmängeln nicht hinreichend genau fest, ist nach Auffassung der Finanzverwaltung die Bandbreite einzuengen. Dies soll zunächst dadurch geschehen, dass die ermittelten Daten erneut daraufhin analysiert werden, ob diese ganz oder teilweise wegen nicht ausreichender Vergleichbarkeit der Umstände nicht zu berücksichtigen sind oder ob zuverlässige Anpassungsrechnungen vorgenommen werden können.3 Im Grundsatz handelt es sich bei der Selektion einzelner Vergleichswerte mangels Vergleichbarkeit und der Vornahme von Anpassungsrechnungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit nicht um Methoden, mittels derer Preis- oder Wertbandbreiten eingeengt werden können, sondern um die zutreffende Ermittlung von Vergleichswerten und der Fremdvergleichsbandbreite. Die Auffassung der Finanzverwaltung steht im Einklang mit den OECD-Leitlinien.4
5.182
Verprobungs- und Kontrollrechnungen mittels anderer Methoden. Wird diese zusätzliche Analyse nicht vorgenommen, etwa weil eine Verbesserung der Vergleichbarkeit nicht zu erwarten ist oder weil die Analyse mit unzumutbarem Aufwand verbunden ist, geht die Finanzverwaltung zum einen davon aus, dass es sich bei den betreffenden Werten (weiterhin) um eingeschränkt vergleichbare Daten handelt; zum anderen sollen diese
5.183
1 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Tz. 3.4.12.5 Rz. 220. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. b, 1. Spiegelstrich. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. b. 4 Vgl. Tz. 3.56 f. OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
eingeschränkt vergleichbaren Daten allerdings nicht verwertet werden dürfen.1 Hierbei sollte mit der „Verwertung“ für Zwecke der Verrechnungspreisbestimmung gemeint sein, dass der Steuerpflichtige nicht die gesamte Bandbreite eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte ausnutzen darf. Stattdessen ist die Bandbreite zwingend einzuengen, wofür die VWG-Verfahren – Verprobungs- und Kontrollrechnungen, – Plausibilitätsüberlegungen sowie – mathematisch-statistische Verfahren vorsehen.2 Beispielhaft nennen die VWG-Verfahren als Verprobungs- und Kontrollrechnungen die Anwendung einer anderen Verrechnungspreismethode, wobei die sich bei der Anwendung einer anderen Verrechnungspreismethode ergebende Fremdvergleichsbandbreite mit der ursprünglichen Bandbreite zu vergleichen ist. Allerdings gehen die VWG-Verfahren davon aus, dass der Überschneidungsbereich beider Fremdvergleichsbandbreiten nicht zwangsläufig als die steuerlich maßgebliche Bandbreite angesehen werden kann.3 Während die OECD-Leitlinien eine Verprobung mittels anderer Verrechnungspreismethoden nur in schwierigen Fällen vorsehen, „in denen keine Methode für sich allein schlüssig ist“ und mittels eines flexiblen Ansatzes die Beweiskraft verschiedener Methoden gemeinsam genutzt werden kann (Rz. 5.174),4 gehen die VWG-Verfahren angesichts der praktischen Bedeutungslosigkeit der uneingeschränkten Vergleichbarkeit von Fremdvergleichsdaten bzw. der an die uneingeschränkte Vergleichbarkeit gestellten (überzogenen) Anforderungen von einer wohl regelmäßig vorzunehmenden Verprobung zum Zwecke der Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten aus. De facto wird hierdurch die Anwendung (mindestens) einer weiteren Verrechnungspreismethode zu Verprobungszwecken zum Regelfall. Dies steht nicht im Einklang mit den Anforderungen des Fremdvergleichsgrundsatzes, der die Anwendung von mehr als einer Verrechnungspreismethode nicht verlangt (Rz. 5.146).5 Zwar ist auch nach den VWG-Verfahren der Steuerpflichtige grundsätzlich nicht verpflichtet, seine Ergebnisse nach anderen Verrechnungspreismethoden zu verproben.6 Diese dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Auffassung wird jedoch für Fälle eingeschränkter Vergleichbarkeit dadurch „ausgehöhlt“, dass der Steuerpflichtige gehalten ist, die ermittelten Ver1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. b. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. b und c. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. b. 4 Tz. 2.11 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 2.11 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 570 Tz. 3.4.10.1 Abs. 2.
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- 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005,
- 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005,
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X:/OSV-2/WVP-001/WVP1_05.3d – Seite 432/502 | 5.5.2014 | 11:26 |
WVP1 - D/1422
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
gleichswerte resp. die ermittelte Fremdvergleichsbandbreite zu verproben, um deren Verwertbarkeit abzusichern und die Angemessenheit seiner Verrechnungspreisbildung zu stützen.1 Ferner sollte unbestritten sein, dass dem Überschneidungsbereich methodenspezifischer Bandbreiten eine gewisse Beweiskraft zukommen kann. Anderenfalls wäre die Anwendung einer anderen Verrechnungspreismethode zu Verprobungszwecken obsolet. Worin die VWG-Verfahren allerdings konkret eine Einengung der ursprünglichen Fremdvergleichsbandbreite sehen wollen, bleibt völlig unklar. So wird die Eignung einer Verrechnungspreismethode für die Einengung der ursprünglichen Bandbreite daran festgemacht („kann“), dass „die Verprobungsmethode […] bestimmte Aspekte des konkreten Einzelfalls besser“ berücksichtigt. Schließlich soll nur die nach der Verprobungsmethode ermittelte Bandbreite berücksichtigt werden, wenn „die Verprobungsmethode den betriebsbezogenen Umständen nachweislich besser Rechnung [trägt] als die ursprünglich vom Steuerpflichtigen angewandte Methode“.2 Die Nachweispflicht, dass eine andere als die vom Steuerpflichtigen der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde gelegte Verrechnungspreismethode bestimmte Aspekten des konkreten Einzelfalls besser berücksichtigt oder betriebsindividuellen Umständen besser Rechnung trägt, liegt bei der Finanzverwaltung. Im Übrigen steht der Auffassung der Finanzverwaltung – jedenfalls bei eingeschränkter Vergleichbarkeit – § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG entgegen, wonach eingeschränkt vergleichbare Vergleichswerte „einer geeigneten Verrechnungspreismethode“ zugrunde zu legen sind, womit jedenfalls die klassischen Methoden (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode, Rz. 5.5 ff.) und die Gewinnmethoden (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode, geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode, Rz. 5.82 ff.) als die von der OECD anerkannten Verrechnungspreismethoden in Betracht kommen (Rz. 5.151). Die vom Steuerpflichtigen der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde gelegte Verrechnungspreismethode kann von der Finanzverwaltung nicht durch eine vermeintlich besser geeignete Verrechnungspreismethode ersetzt werden, da jede geeignete Verrechnungspreismethode angewendet werden darf (Rz. 5.161). Dementsprechend kann die nach einer anderen Verrechnungspreismethode zu Verprobungszwecken ermittelte Fremdvergleichsbandbreite steuerlich nur dann – ausschließlich – maßgeblich sein, wenn die ursprünglich angewandte Verrechnungspreismethode für die betreffenden Geschäftsvorfälle nicht geeignet ist (Rz. 5.151 f.). Auch hier hat die Finanzverwaltung die Nichteignung nachzuweisen. Schließlich steht diese Auffassung der Finanzverwaltung im Widerspruch zu den OECD-Leitlinien, die gerade davon ausgehen, dass methodenspezi1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.18.2 Buchst. a. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. b.
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X:/OSV-2/WVP-001/WVP1_05.3d – Seite 433/502 | 5.5.2014 | 11:26 |
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
fische Bandbreiten regelmäßig voneinander abweichen werden, und deshalb konzedieren, dass jede einzelne Bandbreite für sich genommen für die Bestimmung einer fremdvergleichskonformen Bandbreite und damit letztlich für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises genutzt werden kann.1
5.184
Andere Verprobungsrechnungen/Plausibilitätsüberlegungen. Die VWGVerfahren benennen keine konkreten Verprobungsrechnungen oder -verfahren. Im Hinblick auf die Bandbreiteneinengung mittels Plausibilitätsüberlegungen führen die VWG-Verfahren beispielhaft zwei Überlegungen an, nämlich „ob eine angemessene Gewinnerzielung in einem überschaubaren Zeitraum möglich ist oder ob der Steuerpflichtige in der konkreten Situation auf Grund seiner Verhandlungsmacht bestimmte Preise innerhalb der Bandbreite hätte durchsetzen können“.2 Speziell für Vertriebsgesellschaften sollen die Ergebnisse durch Berechnungen verprobt bzw. gestützt werden (können), „nach denen das Unternehmen mit den vereinbarten Preisen oder Margen in einem überschaubaren Zeitraum einen angemessenen Totalgewinn erzielt“.3 In der Verrechnungspreispraxis werden bei Vertriebsgesellschaften die Bruttomargen, die für Zwecke der Verrechnungspreisbestimmung unter Anwendung der Wiederverkaufspreismethode durch tatsächlichen Fremdvergleich – regelmäßig durch externen Fremdvergleich mit Hilfe von Datenbanken – ermittelt wurden, dadurch verprobt, dass die Handelsspanne durch einen hypothetischen Fremdvergleich ermittelt wird. Dies erfolgt im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode, indem die Kosten der Vertriebsgesellschaft um einen angemessenen Gewinnaufschlag erhöht werden. Diese Kombination von Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode soll verhindern, dass die Vertriebsgesellschaft nachhaltig Verluste erwirtschaftet. Sie trägt der Forderung von Rechtsprechung4, Finanzverwaltung5 und OECD-Leitlinien6 Rechnung, dass eine unabhängige Vertriebsgesellschaft auf Dauer keine Produkte vertreibt, mit denen sie nur Verluste erzielt. Unter Berücksichtigung des hypothetischen Fremdvergleichs soll eine Vertriebsgesellschaft spätestens „innerhalb eines angemessenen kalkulatorischen Zeitraums“ einen „angemessenen Totalgewinn“ erzielen. Als entsprechender Zeitraum wird dabei in der Literatur eine Periode von fünf Jahren genannt.7
1 Vgl. Tz. 3.58 OECD-Leitlinien 2010. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. c. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.18.2 Buchst. a. 4 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270; v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 3.4.18.2 Buchst. a. 6 Vgl. Tz. 1.70, 1.72, 3.64 OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. Wassermeyer, WPg 2002, 16.
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X:/OSV-2/WVP-001/WVP1_05.3d – Seite 434/502 | 2.5.2014 | 15:39 |
WVP1 - D/1422
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
Zu berücksichtigen ist, dass die Verprobung von Handelsspannen mittels hypothetischen Fremdvergleichs, der letztlich auf eine Verlustfreistellung der Vertriebsgesellschaft hinausläuft, nur vor dem Hintergrund der klassischen Verrechnungspreislehre zutreffend und sachgerecht ist. Dies ist der Fall, wenn der Vertreiber nicht als „Entrepreneur“ fungiert, d.h. allenfalls als „Mischunternehmen“ oder gar nur als „Routineunternehmen“, also Kommissionär oder einfacher Low-Risk-Distributor.1 Agiert das Vertriebsunternehmen hingegen als „Entrepreneur“ bzw. „Strategieträger“, gebührt ihm – ggf. zusammen mit anderen, als Strategieträger zu qualifizierenden Verbundunternehmen – der Residualgewinn oder -verlust, der nach Abgeltung der Funktionsvergütung für das Produktionsunternehmen verbleibt.2 Durch Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs wird – in Abhängigkeit von der Bandbreite angemessener Gewinnaufschläge – die ursprüngliche Fremdvergleichsbandbreite auf diejenigen Werte verengt, mittels derer eine angemessene Gewinnerzielung ermöglicht wird. Ggf. führt diese Verprobung zu dem Ergebnis, dass der tatsächliche Fremdvergleich gänzlich obsolet wird, weil die Vertriebsgesellschaft auf Grundlage der mittels Datenbankanalyse abgeleiteten Bruttomargen Verluste erwirtschaften würde, oder aber es kann nur der obere Rand der ursprünglichen Fremdvergleichsbandbreite der Verrechnungspreisermittlung zugrunde gelegt werden. Eine weitere Verprobungsmethode basiert auf der angemessenen Eigenkapitalrendite. Sie beruht auf der Überlegung, dass fremde Dritte eine unternehmerische Funktion nur dann ausüben würden, wenn die erzielbaren Erträge langfristig eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals gewährleisten. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass die Kapitalmarktrendite nur als Untergrenze der Eigenkapitalrendite in Frage kommt, da eine Kapitalmarktanlage (z.B. Anleihe oder Festgeld) gegenüber einer Investition in einem Unternehmen ein wesentlich geringeres Kapitalausfallrisiko hervorruft. Mittels der angemessenen Eigenkapitalrendite wird die ursprüngliche Fremdvergleichsbandbreite auf diejenigen Werte oder Preise verengt, mittels derer eine angemessene Gewinnerzielung ermöglicht wird. Zu Verprobungszwecken kann sie deshalb vornehmlich nur für Routineunternehmen herangezogen werden, die aufgrund ihres Funktions- und Risikoprofils geringe, aber stabile Gewinne erwirtschaften (vgl. Rz. 4.63 f.). Dagegen kommt eine Verprobung mit einer angemessenen Eigenkapitalrendite für Unternehmen, die als „Entrepreneur“ bzw. „Strategieträger“ agieren, naturgemäß nicht in Betracht. Ihnen gebührt kein sicherer Gewinn, sondern der nach Abgeltung aller Funktionsvergütungen verbleibende Residualgewinn oder -verlust.
1 Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 35 ff., Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 145. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
5.185
Einengung mittels mathematisch-statistischer Verfahren. Sofern der Versuch der Bandbreiteneinengung mittels anderer Verrechnungspreismethoden, sonstiger Verprobungsverfahren und Plausibilitätsüberlegungen nicht zum Ziel führt, ist die Fremdvergleichsbandbreite nach den VWGVerfahren zwingend mittels mathematisch-statistischer Verfahren einzuengen.1 Hierbei geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die lediglich eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte oder -preise ohne diese Einengung zu verwerfen und damit nicht verwertbar sind. Fraglich ist, wann die Bandbreiteneinengung mittels priorisierter anderer Verfahren nicht zum Ziel führt bzw. geführt hat. Die VWG-Verfahren sprechen hier von einer „notwendigen Einengung“, wobei sich „notwendig“ nicht auf den Umfang der Einengung bezieht.2 Insofern ist jede Einengung, z.B. durch selektive Eliminierung von Ausreißerwerten, prinzipiell geeignet, zum Ziel der Einengung einer Fremdvergleichsbandbreite zu führen. Gleichwohl wird man davon ausgehen müssen, dass in der Praxis die Verlässlichkeit eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte ohne Anwendung mathematisch-statistischer Verfahren von der Betriebsprüfung angezweifelt wird. Die Finanzverwaltung verwendet und priorisiert für die Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten die sog. Methode der „Interquartile Range“, bei welcher sowohl das untere Viertel (unteres Quartil) als auch das obere Viertel (oberes Quartil) der Werte der ermittelten Bandbreite unberücksichtigt bleiben (Rz. 5.194 f.).3 Ebenso wie die OECD-Leitlinien („statistical tools“)4 verwenden die VWG-Verfahren mit „mathematische Verfahren“ eine neutrale Formulierung, so dass der Steuerpflichtige grundsätzlich auch andere mathematische Verfahren als die Methode der „Interquartile Range“ zur Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten verwenden kann. Allerdings muss der Steuerpflichtige glaubhaft machen, dass „diese den Verhältnissen seines Falles besser gerecht werden“,5 was de facto eine Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen bedeutet (vgl. hierzu Rz. 5.203). d) Gesetzliche Regelung aa) Uneingeschränkte und eingeschränkte Vergleichbarkeit
5.186
Gesetzliche Regelung. Im Hinblick auf die Einengung von Preis- und Wertbandbreiten muss zwischen uneingeschränkt und eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerten unterschieden werden. Können im 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. d. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. d. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. d. 4 Vgl. Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 570 Tz. 3.4.20 Buchst. d.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs – ggf. nach Vornahme sachgerechter Anpassungen – lediglich eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte festgestellt werden, ist die sich ergebende Preis- bzw. Wertbandbreite gem. § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG einzuengen. Demgegenüber enthält § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG lediglich die Feststellung, dass mehrere festgestellte Fremdvergleichswerte, die nach Vornahme sachgerechter Anpassungen uneingeschränkt vergleichbar sind, eine Bandbreite bilden. Im Umkehrschluss folgt aus § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, dass Fremdvergleichsbandbreiten uneingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte nicht einzuengen sind, sondern der Steuerpflichtige diese – im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH (Rz. 5.175 ff.) – in vollem Umfang ausschöpfen darf.1 Der Steuerpflichtige kann mithin jeden Wert innerhalb der Bandbreite wählen und sich hierbei an dem für ihn günstigen Rand orientieren. Dies entspricht jedenfalls insofern der Auffassung der Finanzverwaltung, als für keinen der Fremdvergleichswerte nach den konkreten Umständen des Einzelfalls „die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ spricht (Rz. 5.179).2 Fehlende gesetzliche Definition. Was unter „uneingeschränkter“ und „eingeschränkter“ Vergleichbarkeit zu verstehen sein soll, wird gesetzlich nicht definiert. Dies verwundert angesichts der mit dieser Unterscheidung verbundenen unterschiedlichen Rechtsfolgen. Zwar beschreibt Tz. 3.4.12.7 VWG-Verfahren, was nach der Auffassung der Finanzverwaltung unter „uneingeschränkter Vergleichbarkeit“ zu verstehen ist. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob dieses Verständnis einer sachlich vernünftigen Gesetzesauslegung entspricht – auch wenn nach der Gesetzesbegründung jedenfalls die Einengung der Bandbreite nach den VWG-Verfahren vorgenommen werden soll.3 Die Kategorien der VWG-Verfahren zur Vergleichbarkeit sind neu und international keineswegs anerkannt. So unterscheiden die OECD-Leitlinien nicht zwischen uneingeschränkter und eingeschränkter Vergleichbarkeit, sondern – bezogen auf die Vergleichswerte – zwischen einem verhältnismäßig gleichen Grad an Vergleichbarkeit und einem geringeren Grad an Vergleichbarkeit, wobei Vergleichswerte mit einem geringeren Vergleichbarkeitsgrad grundsätzlich auszuschließen sind (Rz. 5.172).4 Daneben gehen die OECD-Leitlinien von Fremdvergleichsbandbreiten aus, für deren Werte angenommen werden müsse, dass Vergleichbarkeitsdefizite, etwa infolge von Informationsmängeln oder Verfahrensmängeln bei der Auswahl von Vergleichswerten, verbleiben, die nicht identifiziert und/oder quantifiziert werden können und deshalb nicht angepasst sind.5 In diesen Fällen konzedieren die OECD-Leitlinien die Einengung der Fremdvergleichsbandbreite mittels 1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1463. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. a. 3 Vgl. BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 143. 4 Vgl. Tz. 3.56 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2010.
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5.187
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
statistischer Instrumente allein zu dem Zweck, die Verlässlichkeit der Vergleichsanalyse zu verbessern (Rz. 5.173). Vertreter der Finanzverwaltung gehen hier davon aus, dass letzterer Fall verbleibender Vergleichbarkeitsdefizite gleichbedeutend mit „eingeschränkter Vergleichbarkeit“ sei.1 Dies verwundert insofern, als verbleibende Vergleichsdefizite nach den OECD-Leitlinien erhebliche Auswirkungen auf die Verlässlichkeit des Vergleichs haben müssen.2 Die VWGVerfahren stellen dagegen auf „identische Geschäftsbeziehungen“ bzw. darauf ab, dass die Unterschiede bei den Geschäftsbedingungen „keinen wesentlichen Einfluss auf die Preisgestaltung“ haben. Letzteres passt offenkundig nur zur Preisvergleichsmethode. Demgegenüber bezieht sich das Verständnis von Vergleichbarkeit im Sinne der OECD-Leitlinien auf die konkrete Verrechnungspreismethode. So heißt es in Tz. 1.33 OECDLeitlinien „Vergleichbar sein heißt, dass keiner der Unterschiede (soweit vorhanden) zwischen den zu vergleichenden Umständen die untersuchte Bedingung der Methode (z.B. Preis oder Spanne) wesentlich beeinflussen kann oder dass hinreichend genaue Berichtigungen erfolgen können, um die Auswirkung dieser Unterschiede zu beseitigen“.3 Dementsprechend wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.4 Zwar ist dieser konkrete Bezug der Vergleichbarkeit und der hierfür vorzunehmenden Anpassungen zu einer konkreten Verrechnungspreismethode grundsätzlich auch in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG angelegt, wenn uneingeschränkte Vergleichbarkeit „für diese Methoden“ vorliegen muss. Gleiches gilt für Zwecke der eingeschränkten Vergleichbarkeit in Bezug auf „andere geeignete Verrechnungspreismethoden“ i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG.5 Fraglich ist allerdings angesichts der gesetzgeberischen Intention, die Formulierungen der VWG-Verfahren zu bestätigen und mit einer (ausdrücklichen) Rechtsgrundlage auszustatten,6 ob dieses Verständnis auch von der Finanzverwaltung geteilt wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung für die Vergleichbarkeitsprüfung alle Faktoren heranzuziehen sein sollen, „die sich auf die Preisgestaltung auswirken könnten“.7
5.188
Uneingeschränkte Vergleichbarkeit. Nach Tz. 3.4.12.7 Buchst. a VWGVerfahren soll eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit bestehen, „wenn
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Förster, IStR 2011, 22. Vgl. Tz. 3.51 OECD-Leitlinien 2010. Tz. 1.33 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. auch Ditz/Liebchen, DB 2012, 1470. Vgl. Förster, IStR 2011, 22. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
– die Geschäftsbedingungen identisch sind oder – Unterschiede in den Geschäftsbedingungen keine wesentliche Auswirkung auf die Preisgestaltung haben oder – Unterschiede in den Geschäftsbedingungen (z.B. unterschiedliche Zahlungsziele) durch hinreichend genaue Anpassungen beseitigt worden sind.“ Angesichts des weit gefassten Begriffs der Geschäftsbedingungen werden diese Voraussetzungen selten erfüllt sein, weshalb es über die „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“1 häufig Streit geben wird. Deutlich wird dies auch anhand der Ausführungen von Vertretern der Finanzverwaltung, die „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“ mit „Identität von Funktionen, Risiken, eingesetzten WG, vertraglichen Vereinbarungen, Marktverhältnissen (z.B. Marktgröße, Wettbewerbsintensität, Verhandlungsmacht, staatliche Regulierungen) und Geschäftsstrategien“ gleichsetzen und ferner infrage stellen, „ob es eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit überhaupt geben“ könne.2 Eine Ausnahme mag für die Lieferung und Leistung homogener Güter und Waren, z.B. Rohstoffe einer bestimmten Kategorie und Güte, gelten. Anders ausgedrückt ist die bisherige Verwaltungsauffassung kaum praxistauglich. Eingeschränkte Vergleichbarkeit. Noch schwieriger dürfte es sein, den Begriff der „eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte“ sachgerecht auszulegen. Tz. 3.4.12.7 Buchst. c VWG-Verfahren3 geht davon aus, dass sich die Abgrenzung gegenüber der Unvergleichbarkeit „nicht allgemein entscheiden lasse“. Die eingeschränkte Vergleichbarkeit soll von Aufzeichnungen zur Vergleichbarkeitsprüfung abhängen. „Eingeschränkte Vergleichbarkeit“ soll gegeben sein, wenn die wesentlichen preisdeterminierenden Faktoren zwar zutreffend identifiziert wurden, wegen bestehender Informationsdefizite oder anderweitiger Unsicherheiten eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit jedoch nicht gegeben ist bzw. sich auch mittels erforderlicher, bereits durchgeführter Anpassungsrechnungen nicht verlässlich herstellen lässt.4
5.189
Unvergleichbarkeit. Demgegenüber liegt „Unvergleichbarkeit“ vor, wenn sich ein oder mehrere wesentliche preisdeterminierende Faktoren erheblich von denjenigen der Referenztransaktionen unterscheiden und auch durch Anpassungsrechnungen nicht eliminiert werden können.5 Dies soll
5.190
1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. a. 2 Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Tz. 3.4.12.5 Rz. 220. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. c. 4 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Tz. 3.4.12.7 Rz. 235. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. b.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
nach Tz. 3.4.12.7 Buchst. b VWG-Verfahren1 insbesondere der Fall sein, wenn spezielle, besonders wertvolle immaterielle Wirtschaftsgüter eingesetzt werden und sich die preisbestimmenden Funktionen und Risiken erheblich unterscheiden. Ferner geht die Finanzverwaltung davon aus, dass Dauerverluste bei Konzernvertriebs- oder Konzerndienstleistungsgesellschaften die Unvergleichbarkeit mit den Referenztransaktionen indizieren. bb) Einengung der Bandbreite nur bei eingeschränkter Vergleichbarkeit
5.191
Nach Vornahme sachgerechter Anpassungen. Können mittels tatsächlichen Fremdvergleichs lediglich (mehrere) eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte festgestellt werden, ist die sich ergebene Bandbreite einzuengen (§ 1 Abs. 3 Satz 3 AStG). Diese gesetzliche Regelung knüpft an Fälle i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG an. Dies bedeutet, dass die eingeschränkte Vergleichbarkeit trotz Vornahme sachgerechter Anpassungen nicht in dem Sinne erhöht werden kann, dass die Voraussetzungen einer uneingeschränkten Vergleichbarkeit vorliegen bzw. dass die eingeschränkte Vergleichbarkeit erst mittels sachgerechter Anpassungen hergestellt werden kann. Keinesfalls handelt es sich bei der sachgerechten Anpassung um eine eigenständige Rechtsfolge. Vielmehr sind jedwede Anpassungen stets Gegenstand der Vergleichbarkeitsprüfung bzw. -analyse (Rz. 3.23 ff.). § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG stellt diese Anpassungen in einen konkreten methodenspezifischen Zusammenhang („für diese Methoden“). Gleiches gilt für § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, der für Zwecke der uneingeschränkten Vergleichbarkeit an die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG anknüpft. Dementsprechend erfolgen Anpassungen stets und ausschließlich im Hinblick auf die Herstellung einer Vergleichbarkeit zwecks Anwendung einer konkreten Verrechnungspreismethode. Insofern stimmen die gesetzlichen Regelungen mit Tz. 1.33 OECD-Leitlinien überein.2 Welche Anpassungen konkret als sachgerecht anzusehen sind, ist gesetzlich nicht geregelt. Aufgrund ihrer – auch gesetzlich vorgegebenen – Zwecksetzung müssen sie jedenfalls die Eignung aufweisen, die Vergleichbarkeit herzustellen und zu erhöhen. Nach Auffassung der OECD sollten Vergleichbarkeitsanpassungen nur in Betracht gezogen werden, wenn durch sie die Verlässlichkeit der Ergebnisse voraussichtlich erhöht werden kann.3 Ferner sollten nur solche Unterschiede Gegenstand von Anpassungen sein, die erhebliche Auswirkungen auf den Vergleich haben.4 Zahlreiche oder substantielle Anpassungen wesentlicher Vergleichbarkeitsfaktoren indizieren nach Auffassung der OECD die nicht hinreichende Vergleichbarkeit.5 Ob konkrete Anpassungen im Einzelfall als sachgerecht anzusehen sind, bleibt auch hiernach letztlich eine Wert1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. b. 2 Vgl. Tz. 1.37 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 3.50 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 3.51 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 3.51 OECD-Leitlinien 2010.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
entscheidung, die allerdings ihre Grenzen in der rechnerischen „Scheingenauigkeit“ findet. Was letzteren Punkt betrifft, weisen die OECD-Leitlinien ausdrücklich darauf hin, dass zahlreiche und komplizierte Anpassungen den falschen Eindruck vermitteln können, dass das Ergebnis der Suche nach Vergleichswerten „wissenschaftlich“, verlässlich und sachlich richtig sei.1 Zwingende Bandbreiteneinengung. Die Bandbreite zutreffend ermittelter und ggf. angepasster Vergleichswerte, die lediglich eingeschränkt vergleichbar sind, ist zwingend einzuengen. Diese Forderung steht allerdings im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des BFH, nach der bei einer durch tatsächlichen Fremdvergleich ermittelten Bandbreite jeder Wert innerhalb der Bandbreite als angemessen zu betrachten ist und sich der Steuerpflichtige an dem für ihn günstigsten Rand der Bandbreite orientieren kann (Rz. 5.175 ff.).2 Zwar ist es grundsätzlich möglich, dass der Gesetzgeber von der ständigen Rechtsprechung des BFH abweicht. Allerdings hat der BFH in seinen Urteilen den Grundsatz des Fremdvergleichs ausgelegt. Da § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG Einkünftekorrekturen nur zulässt, wenn die vereinbarten Verrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht standhalten, ist eine solche Abweichung jedenfalls nicht unmittelbar eingängig – insbesondere nicht vor dem Hintergrund, dass die Einengung von Preis- und Wertbandbreiten nicht zu den Regelungen gehört, mit denen der Gesetzgeber den Fremdvergleichsgrundsatz für Zwecke von § 1 AStG „konkretisiert“ (vgl. Rz. 3.154 ff.).
5.192
Verweis auf VWG-Verfahren. Es ist gesetzlich nicht geregelt, nach welchen Grundsätzen die Einengung der Bandbreite erfolgen soll. Die Einengung einer Bandbreite erfolgt prinzipiell dadurch, dass man zumindest ein Ende der Bandbreite verkürzt. Es können auch beide Enden der Bandbreite verkürzt werden. Auch ist der Umfang der Einengung gesetzlich nicht geregelt. Insofern würde jede minimale Einengung dem Gesetzesbefehl genügen. In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es jedoch recht allgemein: „Die Einengung ist entsprechend den Verwaltungsgrundsätzen Verfahren vorzunehmen“.3 Dieser Verweis ist allerdings mehr als ungewöhnlich. Die entsprechenden Aussagen befinden sich in Tz. 3.4.12.5 der VWG-Verfahren.4 Sie erfolgten damals ohne gesetzliche Grundlage.5 Wenn nun nachträglich eine Rechtsgrundlage geschaffen wurde, so kann es nicht überzeugen, zur Auslegung dieser Rechtsgrundlage auf solche Ausführungen zu verweisen, die selbst nicht durch eine gesetzliche Grundlage zustande gekommen waren. Erst recht gilt dies für Fälle außerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs der gesetzlichen Rege-
5.193
1 Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. insb. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004 = FR 2002, 154. Siehe ferner Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1554; Kaminski, RIW 2007, 596. 3 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zu § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, BR-Drucks. 220/07, 143. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5. 5 Vgl. im Einzelnen Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1555 f.
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lung, d.h. für Veranlagungszeiträume vor 2008 (§ 21 Abs. 16 AStG). Ferner ergibt sich aus dieser „Gesetzgebungstechnik“1 zwingend die Folgefrage, inwieweit sich spätere Änderungen oder die Aufhebung der VWG-Verfahren auswirken sollen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass angesichts der Verordnungsermächtigung in § 1 Abs. 6 AStG eine Rechtsverordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes für § 1 Abs. 3 Sätze 1–8 AStG (sog. „Fremdvergleichsverordnung – FVV“) zu erwarten steht, die dem Vernehmen nach gegenwärtig im Bundesfinanzministerium erarbeitet wird. Es kommt mithin darauf an, ob ein statischer Verweis auf die zum Zeitpunkt der Verabschiedung geltenden Regelungen oder ein dynamischer Verweis maßgeblich ist, der zukünftige Änderungen mitumfasst. Kaminski weist zu Recht darauf hin, dass nur ein statischer Verweis mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren ist, da anderenfalls der Gesetzgeber die zukünftigen Änderungen oder ggf. neuen Erlasse bereits antizipiert haben müsste, was mit den Grundsätzen der Gewaltenteilung nicht zu vereinbaren wäre und zudem in originäre Gesetzgebungsrechte von Bundestag und Bundesrat eingreifen würde.2
5.194
Methode der „Interquartile Range“. Die Anwendung der Methode der „Interquartile Range“ hat ihrer Ursprung im US-amerikanischen Steuerrecht. Sie ist dort wie folgt definiert: „[T]he interquartile range is the range from the 25th to the 75th percentile of the results derived from the uncontrolled comparables“.3 Bei dieser Methode bleiben sowohl das untere Viertel (unteres Quartil) als auch das obere Viertel (oberes Quartil) der Werte der ermittelten Bandbreite unberücksichtigt. Hierbei zielt diese Methode darauf, statistische Ausreißer zu eliminieren. Für diese Methode fehlt es allerdings an einer tragfähigen ökonomischen Begründung. In der Literatur wurden die Mängel dieser Methode hinreichend diskutiert.4 Nicht nur, dass es sich um eine letztlich willkürliche, durch nichts zu begründende pauschale Einengung der Bandbreite um 50 % der Werte handelt, ohne dass auf das jeweilige Ausmaß der fehlenden Vergleichbarkeit eingegangen wird. Es liegt zudem kein anerkanntes statistisches Verfahren vor, das auf die Identifikation und Eliminierung von Ausreißerwerten gerichtet ist. Ein solches existiert schon deshalb nicht, weil in der Statistik bereits der Begriff des „Ausreißers“ bzw. „Outlier“ inhaltlich unbestimmt ist. In der Statistik wird zwischen „Extremwerten“, „Ausreißern“ und „Irrläufern“ unterschieden.5 Hierbei werden als „Extremwerte“ die beiden Randwerte der geordneten Merkmalswerte bezeichnet, also der größte und der 1 Zum gerade für § 1 AStG zu verzeichnenden modernen Gesetzgebungsniveau s. nur Wassermeyer, DB 2007, 535 ff. 2 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 622. 3 § 1.482-1 (e) (2) (iii) (C) US-Regs. 4 Vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 362 ff.; Werra, IStR 2005, 21; Finsterwalder, DStR 2005, 769; Steuerfachausschuss des IDW, FN-IDW 2004, 787 f. 5 Vgl. Barnett/Lewis, Outliers in Statistical Data3, 8 ff.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
kleinste Wert. Dagegen stammen „Irrläufer“ aus anderen Verteilungen. Als „Ausreißer“ werden schließlich die Werte bezeichnet, die mit der Masse der übrigen Werte unvereinbar erscheinen, wobei es kein allgemeingültiges objektives Kriterium gibt, anhand dessen eindeutig entschieden wird, ob ein Wert ein Ausreißer ist oder nicht.1 Vielmehr besteht Ermessensspielraum. Ausreißer sind hiernach gerade nicht notwendigerweise ausschließlich falsche oder ungenau erfasste Werte, sondern u.U. auch Werte, die richtig und genau, aber erwartungswidrig sind.2 Vor diesem Hintergrund kann ungeachtet der Vollständigkeit der ermittelten Vergleichswerte, was in der Verrechnungspreispraxis und den hier bestehenden Problemen in der Ermittlung von „Comparables“ eher die Ausnahme sein sollte, und der Verteilung der ermittelten Vergleichswerte kein statistisches Verfahren Allgemeingültigkeit beanspruchen. Ferner ist festzustellen, dass in der Statistik von Ausreißern gerade keine Rede ist, wenn sich die Werte unterhalb des 25 %-Quartils und oberhalb des 75 %-Quartils ziemlich gleichmäßig über den jeweiligen Wertebereich verteilen.3 Verteilung der Vergleichswerte. Die Methode der „Interquartile Range“ unterstellt eine statistische Normalverteilung der Werte einer Bandbreite. Dies sollte für die Fremdvergleichswerte einer Bandbreite wohl eher eine Annahme als eine Tatsache sein. Tatsächlich lassen sich die im Rahmen einer Vergleichbarkeitsanalyse ermittelten Vergleichswerte keiner statistischen Verteilungsart (z.B. Normalverteilung, t-Verteilung, F-Verteilung) zuordnen. Aufgrund dieser Vorbehalte ist der von Scholz/Crüger gezogenen Schlussfolgerung zuzustimmen, dass es sich bei der Methode der „Interquartile Range“ letztlich um einen „Daumenregel“4 handelt, mit der solche Vergleichswerte ausgesondert werden sollen, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer nicht ausreichenden Vergleichbarkeit zu hoch ist.
5.195
Andere mathematische Verfahren. Sowohl die OECD-Leitlinien als auch die VWG-Verfahren verweisen mit den Begriffen „statistical tools“5 bzw. „mathematische Verfahren“6 auf allgemeine Formulierungen. Nach den OECD-Leitlinien ist einerseits eine Bandbreiteneinengung nur dann vorzunehmen, wenn die Bandbreite eine „beträchtliche Zahl“ von Beobachtungen mit Vergleichbarkeitsdefiziten aufweist. Andererseits halten die OECD-Leitlinien jedes statistische Instrument mit zentraler Tendenz für
5.196
1 Vgl. Barnett/Lewis, Outliers in Statistical Data3, 7; Buttler, Ein einfaches Verfahren zur Identifikation von Ausreißern bei multivariaten Daten, Diskussionspapiere Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Statistik und Ökonometrie, No. 09/1996, 4. 2 Vgl. Schendra, Datenqualität mit SPSS, 165. 3 Vgl. Buttler, Ein einfaches Verfahren zur Identifikation von Ausreißern bei multivariaten Daten, Diskussionspapiere Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg, Lehrstuhl für Statistik und Ökonometrie, No. 09/1996, 8. 4 Scholz/Crüger, RIW 2005, 37. 5 Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2010. 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. d.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
die Einschränkung von Bandbreiten für geeignet, wobei beispielhaft „die Interquartilsbandbreite oder andere Perzentile“ benannt werden (Rz. 5.173).1 In der Betriebswirtschaftslehre werden als statistische Instrumente mit zentraler Tendenz, d.h. Instrumente zur Beschreibung der Verteilung um den Mittelwert, insbesondere – die Variationsbreite, – die Varianz oder – die Standardabweichung verwendet.2 Die Variationsbreite vermittelt die Information, in welchem Bereich sich die Messwerte befinden. Sie wird ermittelt, indem die Differenz aus dem größten und dem kleinsten Wert gebildet wird. Sofern die Verteilung der Werte Extremwerte aufweist, kann ausgehend von der zunächst ermittelten Variationsbreite ein eingeschränkter Streubereich betrachtet werden, z.B. nur die mittleren 80 % aller Werte. Dieser Bereich ist durch Werte begrenzt, welche die unteren 10 % (das 10. Perzentil) und die oberen 10 % (das 90. Perzentil) der Verteilung abschneiden. Auf dieser Vorgehensweise beruht auch die Methode der „Interquartile Range“ (Rz. 5.194), bei der allerdings nur die mittleren 50 % aller Werte betrachtet werden, während das untere und obere Viertel unberücksichtigt bleiben. Die Varianz und die Standardabweichung geben an, in welchem Ausmaß bei einer Verteilung Abweichungen vorn Mittelwert vorliegen. Dabei ist die Varianz als die Summe der quadrierten Abweichungen aller Einzelwerte vorn Mittelwert, dividiert durch die Anzahl aller Einzelwerte, definiert. Da ein solches Maß nur schwer interpretierbar ist, wird das Quadrieren gewissermaßen wieder rückgängig gemacht. Dafür wird die Wurzel aus der Varianz berechnet. Der positive Wert dieser Wurzel wird als Standardabweichung bezeichnet. Wenn die der Verrechnungspreisermittlung zugrunde liegenden Werte normalverteilt wären, würden zwischen den Werten „Mittelwert + 1 × Standardabweichung“ und „Mittelwert – 1 × Standardabweichung“ 68,26 % aller Werte liegen. Würde der Bereich sogar auf „Mittelwert + 2 × Standardabweichung“ und „Mittelwert – 2 × Standardabweichung“ erweitert, so befänden sich 95,44 % aller Werte in diesem Bereich. Eine Bezugnahme auf den Mittelwert und die Varianz bzw. Standardabweichung könnte für die Bestimmung des Verrechnungspreises bei Existenz einer Preisbandbreite geeignet sein. Wenn z.B. als generelle Anforderung gelten würde, dass der Verrechnungspreis innerhalb des durch „Mittelwert + 2 × Standardabweichung“ und „Mittelwert – 2 × Standardabweichung“ definierten Bereichs liegen müsste, so wäre sichergestellt, 1 Vgl. Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. zu den Begriffen Bamberg/Baur/Krapp, Statistik17, 20 ff.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
dass der größte Teil der Bandbreite zur Anwendung kommen kann, gleichwohl Extremwerte keine Berücksichtigung finden. Eine solche Vorgehensweise würde auch eine Alternative zur Methode der „Interquartile Range“ (Rz. 5.194) darstellen. Die Bezugnahme auf die Standardabweichung dürfte gegenüber der auf der Variationsbreite beruhenden „Interquartile Range“ vorzugswürdig sein, weil bei der Standardabweichung durch das Quadrieren der Einzelwerte Extremwerte noch stärker erfasst werden. Es lässt sich zwar nicht fundiert ableiten, warum auf den Bereich „Mittelwert + 2 × Standardabweichung“ und „Mittelwert – 2 × Standardabweichung“ abgestellt werden soll. Es könnte auch „1× Standardabweichung“ oder „4 × Standardabweichung“ zugrunde gelegt werden. In der Statistik ist zudem in vielen Fällen der Faktor „2,5“ gebräuchlich, wodurch ca. 99 % aller Werte erfasst würden. Berücksichtigt man die Rechtsprechung des BFH, wonach dem Steuerpflichtigen jeder Wert der (zutreffend) ermittelten Preisbandbreite zur Verfügung steht, und die Auffassung der OECD-Leitlinien, wonach die Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten mit dem Ziel erfolgt, die Verlässlichkeit der Analyse dadurch zu erhöhen, dass das Fehlerrisiko durch unbekannte oder nichtquantifizierte verbleibende Vergleichbarkeitsmängel minimiert werden,1 erscheint der mit „2 × Standardabweichung“ abgegrenzte Bereich als tragfähig. Da die Verteilung der Vergleichswerte oder -preise regelmäßig schon deshalb unbekannt ist, weil die Grundgesamtheit nicht vollständig ermittelt werden kann, ist die angenommene Normalverteilung der ermittelten Vergleichswerte oder -preise allenfalls ein pragmatischer Lösungsansatz. Mit dem Theorem von Tschebyscheff (auch Ungleichung von Tschebyscheff) kann für jede Verteilung und damit unabhängig von der (tatsächlichen) Verteilung der Vergleichswerte oder -preise die Mindestwahrscheinlichkeit berechnet werden, mit der sich die Zufallsvariable in einem zentralen Intervall realisieren wird.2 In einem Bereich von „Mittelwert + 2 × Standardabweichung“ und „Mittelwert – 2 × Standardabweichung“ beträgt die Mindestwahrscheinlichkeit 75 %. Zwar handelt es sich bei dem Theorem von Tschebyscheff um eine grobe Abschätzung. Es ist jedoch das einzige Verfahren, das für jede Verteilung der Vergleichswerte und -preise gleichermaßen gilt. 3. Verrechnungspreisbestimmung Uneingeschränkt vergleichbare Vergleichswerte. Bei uneingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerten kann der Steuerpflichtige grundsätzlich die Preis- oder Wertbandbreite vollständig ausschöpfen und den Preis oder Wert an dem für ihn günstigsten Rand seiner Verrechnungspreisbestimmung zugrunde legen (Rz. 5.186 ff.). 1 Vgl. Tz. 3.57 und 3.62 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. hierzu Bourier, Wahrscheinlichkeitsrechnung und schließende Statistik7, 104 f.
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5.197
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
5.198
Eingeschränkt vergleichbare Vergleichswerte. Bei eingeschränkt vergleichbaren Vergleichswerten kann der Steuerpflichtige lediglich die eingeengte Fremdvergleichsbandbreite ausnutzen, wobei der Verrechnungspreisbestimmung jeder Preis oder Wert zugrunde gelegt werden kann. Allerdings liegt das Problem bei der Verrechnungspreisbestimmung nicht in der Auswahl eines Wertes innerhalb einer eingeengten Bandbreite, sondern in der Bestimmung der eingeengten und damit steuerlich maßgeblichen Preis- oder Wertbandbreite selbst. 4. Einkünftekorrekturen und Fremdvergleichsbandbreiten a) Uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte
5.199
Wertansatz innerhalb der Bandbreite. Da der Steuerpflichtige bei uneingeschränkter Vergleichbarkeit der Fremdvergleichswerte die – nicht eingeengte – Fremdvergleichsbandbreite vollständig ausschöpfen kann, scheidet eine Einkünftekorrektur aus, wenn der Verrechnungspreisbestimmung ein Preis bzw. Wert innerhalb der Bandbreite zugrunde gelegt wurde. Dies ist auch denklogisch eine Selbstverständlichkeit, kann doch der Steuerpflichtige darlegen, dass solche Preise auch von fremden Dritten unter gleichen oder vergleichbaren Bedingungen vereinbart wurden bzw. worden wären. Dagegen sehen die VWG-Verfahren die Einschränkung vor, dass zunächst festgestellt werden müsse, ob für einen der festgestellten Werte „die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit“ spreche, wobei in diesem Fall in „aller Regel“ nur dieser Wert für die Besteuerung maßgeblich sein soll (Rz. 5.179).1 Diese Vorgehensweise würde letztlich die Preis- oder Wertbandbreite auf einen Wert einengen, was eo ipso die Nichtanerkennung der Preis- oder Wertbandbreite bedeutete. Neben Bedenken grundsätzlicher Art2 steht der Auffassung der Finanzverwaltung eine eindeutige Rechtsgrundlage entgegen. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG geht ausdrücklich davon aus, dass mehrere Werte eine Bandbreite bilden. Im Übrigen ist im Hinblick auf die Beweislastverteilung festzustellen, dass die Finanzverwaltung diesen Wert nachweisen muss.
5.200
Wertansatz außerhalb der Bandbreite. Hat der Steuerpflichtige seiner Verrechnungspreisbestimmung einen Vergleichspreis oder -wert zugrunde gelegt, der außerhalb der für § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG maßgeblichen, d.h. der nicht eingeengten Bandbreite liegt, ist nach § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG der Einkünftekorrektur der Median zugrunde zu legen. Dieser statistische Begriff ist nicht gleichbedeutend mit dem Mittelwert oder dem Durchschnitt, sondern ist als Lageparameter „durch die Eigenschaft definiert, dass mindestens 50 % aller Merkmalswerte kleiner oder gleich […] und mindestens 50 % aller Merkmalswerte auch größer oder gleich“ diesem Wert sind.3 Wie jeder andere Lageparameter soll er möglichst gut beschrei1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. a. 2 Vgl. hierzu ausführlich Baumhoff in FS Wassermeyer, 356 ff. 3 Bamberg/Baur/Krapp, Statistik17, 16.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
ben, „wo das gesamte Datenmaterial auf der Merkmalsachse lokalisiert ist“.1 Gegen den Ansatz des Medians bestehen statistische Vorbehalte grundsätzlicher Art im Hinblick auf die eingeschränkte Aussagefähigkeit des Medians im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung. Jeder, der schon einmal Verrechnungspreise durch Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs ermittelt hat, ist sich bewusst, dass die Erhebung der Vergleichsgrößen nicht mit anderen statistischen Fragestellungen vergleichbar ist. So gelingt es meist nicht, eine größere Anzahl an Vergleichsgrößen zu ermitteln. Zudem lassen sich die Vergleichsgrößen keiner statistischen Verteilungsart (z.B. Normalverteilung, t-Verteilung, F-Verteilung) zuordnen, was allerdings für die Aussagekraft statistischer Größen bedeutsam ist. Ferner ist kaum sicherzustellen, dass die Vergleichsgrößen vollständig erhoben werden. Wenn bei einem so unbefriedigenden statistischen Ausgangsmaterial dennoch statistische Größen zur Anwendung kommen, geben die so ermittelten Werte nichts anderes als eine Scheingenauigkeit wieder. Dass der deutsche Gesetzgeber gleichwohl vorschreibt, einen so ermittelten Wert als Verrechnungspreis anzusetzen, ist erstaunlich. Verschärfung gegenüber der bisherigen Rechtslage. Die gesetzliche Regelung steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH, die dem Steuerpflichtigen konzediert, die Preisbandbreite zu seinen Gunsten vollständig auszuschöpfen und dementsprechend den Verrechnungspreis an dem für ihn günstigsten Rand zu wählen.2 Hierbei hat sich der BFH ausdrücklich auf den Fremdvergleichsgrundsatz abgestützt. Ebenso entsprach es bis zur gesetzlichen Neuregelung der Auffassung der Finanzverwaltung, dass bei uneingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichsdaten und einem Ansatz des Verrechnungspreises außerhalb der Bandbreite eine Korrektur auf den für den Steuerpflichtigen günstigsten Wert innerhalb der Bandbreite vorzunehmen war.3 Letztlich wollten Gesetzgeber und Finanzverwaltung mit der Einkünftekorrektur auf den Median der Preis- oder Wertbandbreite jedwedem Anreiz vorbeugen, dass der Steuerpflichtige im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung gezielt einen Preis oder Wert außerhalb der Preis- oder Wertbandbreite zugrunde legt und gleichwohl – und das nur im Aufgriffsfall – einer Einkünftekorrektur auf den günstigsten Rand der Preis- oder Wertbandbreite ausgesetzt ist. Dies allerdings würde voraussetzen, dass – erst recht bei uneingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerten – in der Betriebsprüfung kein Streit über die zutreffende Ermittlung der Fremdvergleichsbandbreite aufkommt. Dies allerdings ist in der Verrechnungspreispraxis eher die Ausnahme als die Regel. Ferner steht die gesetzliche Vorgabe des § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG im Widerspruch zu § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG, der als Programmsatz dieser Einkünftekorrekturvorschrift 1 Bamberg/Baur/Krapp, Statistik17, 16. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. b.
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5.201
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
eine Einkünftekorrektur der Höhe nach nur auf den Fremdvergleichspreis zulässt. Offenkundig soll der dem vertraglich vereinbarten Verrechnungspreis gegenüberzustellende „zutreffende“ Fremdvergleichspreis davon abhängen, ob der Steuerpflichtige seiner Verrechnungspreisbestimmung die gesetzlichen Vorgaben bereits zugrunde legt und diese beachtet oder nicht, wobei im letzteren Fall eine Verrechnungspreisbestimmung außerhalb der Preis- oder Wertbandbreite sanktioniert ist. Dies kann nicht richtig sein und hat insbesondere keine Rechtfertigung im Fremdvergleichsgrundsatz. Es tritt hier ein Grundproblem des § 1 AStG in seiner gegenwärtigen ausufernden Konzeption zu Tage, das darin besteht, dass der Gesetzgeber meint, dem Steuerpflichtigen vorschreiben zu können und zu müssen, nach welchen Grundsätzen und Verfahren er Verrechnungspreise gegenüber nahe stehenden Transaktionspartnern zu bestimmen hat. § 1 AStG ist allerdings keine Verhaltens-, sondern eine Einkünftekorrekturvorschrift. Sanktioniert ist ein Abweichen vom Fremdvergleichspreis zu Lasten im Inland steuerpflichtiger Einkünfte, und zwar mit einer Preiskorrektur. Die Rechtsfolge kann nur im Nachhinein greifen. b) Eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte
5.202
Wertansatz innerhalb der eingeengten Bandbreite. Bei eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerten kann der Steuerpflichtige lediglich die eingeengte Preis- oder Wertbandbreite ausschöpfen. Insofern ist die Rechtsprechung des BFH (Rz. 5.175 ff.) legislativ überholt. Die Verrechnungspreispraxis zeigt hier, dass die deutsche Finanzverwaltung regelmäßig dann, wenn eine Unvergleichbarkeit der Vergleichswerte im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs ausgeschlossen werden kann, von einer nur eingeschränkten Vergleichbarkeit ausgeht und dementsprechend nur eine eingeengte Preis- oder Wertbandbreite als zulässig ansieht. Dies sollte mit den OECD-Leitlinien jedenfalls insofern nicht zu vereinbaren sein, als das Verbleiben von Vergleichbarkeitsdefiziten gerade nicht als der Regelfall konzipiert ist (vgl. Rz. 5.171 ff.).
5.203
Wertansatz außerhalb der eingeengten Bandbreite. Hat der Steuerpflichtige seiner Verrechnungspreisbestimmung einen Vergleichspreis oder -wert zugrunde gelegt, der außerhalb der nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG maßgeblichen eingeengten Preis- oder Wertbandbreite liegt, ist nach § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG eine Einkünftekorrektur auf den Median vorzunehmen. Problematisch an dieser Einkünftekorrektur ist zum einen, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG Einkünftekorrekturen nur in dem Umfang zulässt, wie der vereinbarte Verrechnungspreis von dem Fremdvergleichspreis abweicht. Markiert jedoch die eingeengte Preis- oder Wertbandbreite – auch nach Maßgabe der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG – den Bereich von Vergleichswerten, die mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar sind, kann eine Einkünftekorrektur auf den Median nicht aus dem Fremdvergleichsgrundsatz abgeleitet werden (Rz. 5.201). Es kann nicht angehen, dass unterschiedliche Fremdvergleichspreise einer Einkünftekorrektur nach § 1 AStG in Abhängigkeit davon zugrunde gelegt 448
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
werden, ob der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Verrechnungspreis – ggf. zufällig – innerhalb oder außerhalb einer zulässigen Bandbreite liegt. Der Steuerpflichtige, dessen Verrechnungspreis nur geringfügig außerhalb der zulässigen Bandbreite liegt, wird also im Verhältnis zu einem anderen Steuerpflichtigen, dessen Verrechnungspreis nur geringfügig innerhalb der zulässigen Bandbreite liegt, extrem ungleich behandelt. Er wird einer Strafbesteuerung unterworfen. Problematisch ist zum anderen, dass die Einkünftekorrektur ganz erheblich von dem mathematischen Verfahren bestimmt wird, das der Steuerpflichtige seiner Bandbreiteneinengung zugrunde legt. Die OECD-Leitlinien empfehlen einerseits eine Bandbreiteneinengung nur dann, wenn die Bandbreite eine „beträchtliche Zahl“ von Beobachtungen mit Vergleichbarkeitsdefiziten aufweist, und halten zum anderen jedes statistische Instrument mit zentraler Tendenz für die Einschränkung von Bandbreiten für geeignet, wobei beispielhaft „die Interquartilsbandbreite oder andere Perzentile“ benannt werden.1 Dagegen sehen die VWG-Verfahren die Methode der „Interquartile Range“ als Regelverfahren der Finanzverwaltung vor.2 Der Steuerpflichtige kann zwar andere mathematische Verfahren verwenden. Er muss allerdings glaubhaft machen, dass „diese den Verhältnissen seines Falles besser gerecht werden“.3 Die VWG-Verfahren sehen mithin eine Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen vor, für die es keine Rechtsgrundlage gibt. Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass sich der Gesetzgeber mit dem pauschalen Hinweis auf eine den VWG-Verfahren entsprechende Vorgehensweise bei der Bandbreiteneinengung jede Auffassung der Finanzverwaltung zu eigen gemacht hat. Unklar ist überdies, was konkret Gegenstand dieser Glaubhaftmachung sein soll. Schreiber vertritt unter Hinweis auf die Zulässigkeit von Computer-Software wie Tabellenkalkulationsprogrammen (z.B. Excel), Statistikprogrammen (z.B. SPSS oder SAS) oder anderen statistischen Methoden (z.B. bimodale Verfahren) die Auffassung, dass diese Programme oder Verfahren „eine mindestens gleich hohe Zuverlässigkeit aufweisen“ müssen.4 Die „bessere Eignung“ eines bestimmten Verfahrens im konkreten Einzelfall ist ebenso für das Kriterium der „gleich hohen Zuverlässigkeit“ ohne konkreten Bezug zu einer Leistungsanforderung an ein bestimmtes mathematisches Verfahren sinnentleert. Konkret sollen mittels der Methode der „Interquartile Range“ in der Statistik Ausreißerwerte eliminiert werden. Vor diesem Hintergrund ist jedes Verfahren gleich geeignet bzw. gleich zuverlässig, das im konkreten Einzelfall Ausreißerwerte ausschließt. Es muss lediglich glaubhaft gemacht werden, 1 Vgl. Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. d; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Verf. Tz. 3.4.12.5 Rz. 225; Förster, IStR 2011, 22. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. d. 4 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Verf. Tz. 3.4.12.5 Rz. 226.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
dass das jeweilige mathematische Verfahren konkret Ausreißerwerte ausschließt. Hierbei erfordert die Glaubhaftmachung ein herabgesetztes Beweismaß. Der Steuerpflichtige muss darlegen, dass für die behauptete Tatsache – das konkrete mathematische Verfahren schließt Ausreißerwerte aus – „eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben ist“; d.h., das Bestehen der behaupteten Tatsache „wahrscheinlicher ist als ihr Nichtbestehen“.1 Vor diesem Hintergrund bestehen erhebliche rechtliche Bedenken, wenn die Finanzverwaltung eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG dann vornehmen will, wenn der zugrunde gelegte Verrechnungspreis außerhalb der Interquartilsbandbreite, d.h. zwischen dem 25 %-Quartil und dem 75 %-Quartil, aber innerhalb der nach einem anderen mathematischen Verfahren bestimmten Bandbreite liegt. Mangels gesetzlicher Grundlage für die von der Finanzverwaltung in den VWGVerfahren vorgesehene Beweislastumkehr2 bezüglich eines anderen mathematischen Verfahrens, z.B. Einengung der Bandbreite auf die mittleren 80 % der Bandbreite (10. Perzentil bis 90. Perzentil), zur Einengung der betreffenden Bandbreite als die Methode der „Interquartile Range“ trägt die Finanzverwaltung die objektive Beweislast dafür, dass in dem konkreten Fall das gewählte Verfahren Ausreißerwerte nicht ausschließt. c) Schätzung bei Verletzung der Mitwirkungspflichten
5.204
Verletzung der Dokumentationspflichten. Kommt der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO nicht nach, indem – er die in § 90 Abs. 3 AO bzw. der GAufzV vorgeschriebenen Aufzeichnungen (Rz. 8.6 ff.) nicht vorlegt, – die von ihm vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind oder – Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 3 AO nicht zeitnah erstellt wurden, wird gem. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO widerlegbar vermutet, dass die inländischen Einkünfte aus den entsprechenden Geschäftsbeziehungen zum Ausland höher sind als die bislang erklärten.3 Letztlich wird damit unterstellt, dass die vom Steuerpflichtigen erklärten Einkünfte nicht auf der Grundlage eines Fremdvergleichs ermittelt wurden. Mithin liegt es dann – aufgrund der „Widerlegbarkeit“ dieser Vermutung – beim Steuerpflichtigen, die Angemessenheit der von ihm festgesetzten Verrechnungspreise nachzuweisen. Dies wird ihm jedoch nur dann mit Erfolg gelingen, wenn er dem FA die zugrunde liegenden Geschäftsbeziehungen und die entspre1 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 40. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. d. 3 Zu den Sanktionen des § 162 Abs. 3 u. 4 AO vgl. auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
chende Verrechnungspreisermittlung in dem Umfang glaubhaft vortragen kann, wie er sie in einer ordnungsgemäßen Dokumentation i.S.d. § 90 Abs. 3 AO hätte erläutern müssen. Im Ergebnis führt die Vorschrift des § 162 Abs. 3 AO zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen, welche im Widerspruch zu den allgemeinen verfahrensrechtlichen Beweislastregeln einerseits und dem Amtsermittlungsgrundsatz andererseits steht.1 Nach § 88 Abs. 1 AO ist prinzipiell die Finanzbehörde verpflichtet, „von Amts wegen“ den Sachverhalt zu ermitteln. Daneben hat der Steuerpflichtige bestimmte Mitwirkungspflichten – insbesondere gem. § 90 Abs. 1 und 2 AO – zu erfüllen. Kommt er diesen nicht nach und ist der Sachverhalt nicht anderweitig aufklärbar, kann prinzipiell – zum Nachteil des Steuerpflichtigen – von einem Sachverhalt ausgegangen werden, für den die größte Wahrscheinlichkeit spricht.2 Im Gegensatz zu diesen allgemeinen Grundsätzen des Verfahrensrechts kommt es nach § 162 Abs. 3 i.V.m. § 90 Abs. 3 AO nicht mehr darauf an, ob der Sachverhalt ggf. anderweitig aufklärbar ist bzw. ob eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die Verrechnungspreise dem Prinzip des „dealing at arm’s length“ entsprechen. Vielmehr wird gesetzlich – wenngleich durch den Steuerpflichtigen widerlegbar – ein Verstoß gegen den Grundsatz des Fremdvergleichs vermutet.3 Verletzung der Mitwirkungspflichten ausländischer Nahestehender. Nach § 162 Abs. 3 Satz 3 AO greifen (selbst) bei der Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen, d.h. bei Erfüllung der Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV, dieselben Sanktionen wie bei der Nichtvorlage oder der Vorlage im Wesentlichen unverwertbarer Aufzeichnungen, wenn – Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Einkünfte des Steuerpflichtigen bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten, und – diese Zweifel deshalb nicht ausgeräumt werden können, weil eine ausländische nahe stehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 AO nicht erfüllt. § 162 Abs. 3 Satz 3 AO ist darauf gerichtet, die Anwendung der im Regelfall geltenden Schätzungsgrundsätze davon abhängig zu machen, dass die Finanzverwaltung die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen mit Unterla1 Vgl. Moebus, BB 2003, 1413; Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2010, Beihefter zu Heft 20/2010, 39. 2 Sog. Beweismaßreduktion auf die größtmögliche Wahrscheinlichkeit, vgl. grundlegend BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 2, 4 u. 7; Seer, BB 1999, 79. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.6.1; a.A. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, FR 2001, 694 = DStR 2001, 985, nach dem aus einer fehlenden Verrechnungspreisdokumentation nicht die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass die festgesetzten Verrechnungspreise einem Fremdvergleich nicht genügen.
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5.205
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
gen eines ausländischen Rechtsträgers abgleichen kann.1 Im Kern geht es darum, dass die deutsche Finanzverwaltung die Angaben des Steuerpflichtigen insbesondere bezogen auf die Angemessenheitsdokumentation anhand der entsprechenden Unterlagen insbesondere des verbundenen Transaktionspartners, aber auch anderer Verbundgesellschaften überprüfen möchte, hierzu jedoch nur sehr eingeschränkte rechtliche Möglichkeiten hat. So haben insbesondere deutsche Tochtergesellschaften vielfach keinen Zugang zu den Geschäftsunterlagen ihrer ausländischen Muttergesellschaft.2 Auch die Verpflichtung zur Beweisvorsorge (§ 90 Abs. 2 Satz 4 AO) beschränkt sich auf die Gestaltung der „eigenen“ Verhältnisse des Steuerpflichtigen, was insbesondere bezüglich etwaiger Vorteile aus Transaktionen zwischen Schwestergesellschaften, die bei der Muttergesellschaft oder anderen Verbundgesellschaften „vermutet“ werden, aber auch bei zeitlich nachgelagerten Transaktionen des ausländischen Transaktionspartners mit fremden Dritten nicht vorliegt, weil es sich diesbezüglich um die Gestaltung „fremder“ Verhältnisse handelt, für die der Steuerpflichtige Beweisvorsorge naturgemäß nicht treffen kann. Mit § 162 Abs. 3 Satz 3 AO sollen insbesondere ausländische Muttergesellschaften „motiviert“ werden, ihrer deutschen Tochtergesellschaft – auch ohne rechtliche Grundlage – angeforderte Unterlagen zur Verfügung zu stellen, um bei dieser Sanktionen auszuschließen. So zeigt die Betriebsprüfungspraxis, dass Auskunfts- und Vorlageverlangen regelmäßig nicht an die betreffende ausländische Konzerngesellschaft gerichtet werden, sondern an den inländischen Steuerpflichtigen unter Hinweis auf § 162 Abs. 3 Satz 3 AO. Insofern entscheidet diese Regelung nicht nur über die Zurechnung mangelnder Mitwirkung verbundener ausländischer Gesellschaften,3 sondern fungiert vornehmlich als „Druckmittel“ gegenüber dem Steuerpflichtigen. Dies ist ausweislich der Gesetzesbegründung auch beabsichtigt. Dort heißt es wie folgt: „Da entsprechende Durchsetzungsschwierigkeiten gegenüber einem inländischen Mitwirkungspflichtigen nicht bestehen, ist die Regelung ein notwendiger Beitrag zur Gleichbehandlung, denn die Belastung des Steuerpflichtigen durch die entsprechend erhöhte Steuer hat zum Zweck, Druck auf ausländische Anteilseigner bzw. Eigentümer auszuüben, die Mitwirkungs- und Auskunftspflichten zu erfüllen“.4 Um die Rechtsfolgen des § 162 Abs. 3 Satz 3 AO auszulösen, müssen zunächst Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einkünfte des Steuerpflichtigen bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten. Worin diese Anhaltspunkte konkret bestehen müssen, ist gesetzlich nicht geregelt. Sie müssen jedenfalls eine konkrete Grundlage haben und dürfen sich nicht in 1 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zu § 162 Abs. 3 Satz 3 AO, BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 141; Buciek in Beermann/Gosch, § 162 AO Rz. 191. 2 Vgl. dazu auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 3 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 71b. 4 Begründung des Regierungsentwurfs zu § 162 Abs. 3 Satz 3 AO, BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 141.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
Spekulationen oder allgemeinen Erwägungen des Inhalts erschöpfen, dass der Zugriff auf Unterlagen der ausländischen nahe stehenden Person die Überprüfungsmöglichkeit der deutschen Finanzbehörden stets verbessern würde.1 In der Praxis sollten solche Anhaltspunkte regelmäßig daran festgemacht werden, dass die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse erheblich von den Annahmen abweicht, die der Steuerpflichtige in seinen Aufzeichnungen erwartet hat.2 Hierbei sollten vornehmlich Abweichungen der tatsächlich erzielten Gewinne von den prognostizierten Gewinnen etwa im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen und der Übertragung oder Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter von Bedeutung sein, da diese der Bestimmung des Veräußerungspreises bzw. der Lizenzgebühr zugrunde gelegt wurden. Allerdings handelt es sich bei der Prognose zukünftig erwarteter Gewinne stets um unsicherheitsbehaftete Schätzungen zukünftiger Verhältnisse. Es kann nicht angehen, dass Prognoseirrtümer, die sich zugunsten wie zu Lasten des inländischen Steuerpflichtigen auswirken können, zum Anlass genommen werden, daraus für Zwecke des § 162 Abs. 3 Satz 3 AO belastbare Anhaltspunkte abzuleiten. Gleiche Prognoserisiken trägt i.Ü. der verbundene ausländische Transaktionspartner. Dies gilt umso mehr, als dies letztlich die Gefahr birgt, dass dem Steuerpflichtigen ex post gewonnene Erkenntnisse in Gestalt eines „Perfect Hindsight“ entgegenhalten werden, was mit dem für die Verrechnungspreisbestimmung maßgeblichen Grundsatz der Ex-anteBetrachtung (Rz. 3.100) unvereinbar und deshalb grundsätzlich abzulehnen wäre. Ferner muss die ausländische nahestehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 AO verletzt haben und diese Pflichtverletzung muss ursächlich dafür sein („deswegen nicht […], weil“), dass bestehende Zweifel nicht ausgeräumt werden können. Die Verletzung der benannten Pflichten erfordert denklogisch zunächst, dass solche Pflichten überhaupt bestehen. Was die erweiterten Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO anbelangt, treffen den im Deutschland weder unbeschränkt noch beschränkt steuerpflichtigen verbundenen ausländischen Transaktionspartner keine originären Mitwirkungspflichten gegenüber dem deutschen Fiskus.3 Er ist nicht Beteiligter i.S.d. § 78 AO.4 Auch kann die deutsche Finanzbehörde kein Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 AO an den verbundenen ausländischen Transaktionspartner richten, da ein solches Auskunftsersuchen als Verwaltungsakt nicht an ein ausländisches Staatsgebiet gerichtet werden kann; anderenfalls werden die territorialen Geltungsgrenzen deut1 Vgl. Buciek in Beermann/Gosch, § 162 AO Rz. 221. 2 Vgl. Buciek in Beermann/Gosch, § 162 AO Rz. 221. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1467; Seer in Tipke/Kruse, § 90 Rz. 45 und § 162 AO Rz. 71b; Buciek in Beermann/Gosch, § 162 AO Rz. 229; IDW, IDW-Fn. 2007, 207; Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB F. 3 Deutschland Gr. 1, 2228; Wulf, DB 2007, 2285; Sinz/Kubaile, IStR 2009, 403. 4 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 90 Rz. 45; s. auch BMF v. 25.1.2006 – IV B 1 - S 1320 11/06, BStBl. I 2006, 26 Tz. 5.2.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
scher Rechtsnormen und damit Völkerrecht verletzt.1 Allenfalls können deutsche Finanzbehörden benötigte Informationen ausländischer Gesellschaften im Rahmen des zwischenstaatlichen Informationsaustauschs über Auskunftsersuchen an die jeweilige ausländische Finanzbehörde auf Basis der in deutsches Rechts transformierten EU-Amtshilfe-Richtlinie2 oder der Art. 26 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen des jeweiligen DBA erlangen (Rz. 10.75 ff.).3 Allerdings handelt es sich hierbei um Auskunftsersuchen, die gerade nicht auf der Grundlage von § 93 Abs. 1 AO erfolgen und deshalb nicht an die ausländische nahestehende Person, sondern an die jeweilige ausländische Finanzbehörde gerichtet werden. Auch insofern bestehen mithin keine Pflichten des ausländischen verbunden Transaktionspartners, die verletzt werden könnten. Vor diesem Hintergrund entspricht es der einhelligen Auffassung im Schrifttum, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 162 Abs. 3 Satz 3 AO nicht vorliegen können und diese Regelung deshalb leer läuft.4
5.206
Schätzung zu Lasten des Steuerpflichtigen. Kann der Steuerpflichtige aufgrund einer fehlenden oder im Wesentlichen unverwertbaren Verrechnungspreisdokumentation die Vermutung der Unangemessenheit seiner Verrechnungspreise nicht entkräften, ist das FA berechtigt, die Einkünfte aus den entsprechenden Geschäftsvorfällen zu schätzen. Können im Rahmen dieser Schätzung die Einkünfte nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, z.B. in Form einer Bandbreite von Vergleichspreisen, ermittelt werden, kann das FA diesen Rahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausschöpfen5. Dazu ist es allerdings nicht verpflichtet, vielmehr liegt es in seinem Schätzungsermessen, welchen Wert es im Rahmen der Bandbreite wählt. Die gleiche Rechtsfolge der Schätzung zu Lasten des Steuerpflichtigen soll bei mangelnder Mitwirkung einer ausländischen nahestehenden Person zum Tragen kommen, wobei allerdings die Tatbestandsvoraussetzungen des § 162 Abs. 3 Satz 3 AO regelmäßig nicht vorliegen. Hat die Finanzverwaltung eine Preis- oder Wertbandbreite im Wege der Schätzung ermittelt, stellt sich die Folgefrage, ob das Schätzungsermessen angesichts der Regelungen in § 1 Abs. 3 Sätze 3 und 4 AStG reduziert
1 Vgl. Buciek in Beermann/Gosch, § 162 AO Rz. 229; Wulf, DB 2007, 2285. 2 Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG; umgesetzt durch EU-Amtshilfegesetz v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 3 Vgl. Übersicht bei Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 58 sowie ferner Czakert in Schönfeld/Ditz, Art. 26 OECD-MA Rz. 94 ff. 4 Vgl. Buciek in Beermann/Gosch, § 162 AO Rz. 229; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 71a; Mank/Rasch in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. IV Rz. 51; Wulf, DB 2007, 2285; Sinz/Kubaile, IStR 2009, 403. 5 Vgl. § 162 Abs. 3 Satz 2 AO. Auch insoweit ist fraglich, ob diese Vorgehensweise abkommensrechtlich gedeckt ist. Ebenfalls kritisch Moebus, BB 2003, 1413; Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2010, Beihefter zu Heft 20/2010, 39.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
wird.1 Regelmäßig sollte eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit der Preise oder Werte der Bandbreite ausscheiden. Insofern kommen allenfalls die Regelungen für eingeschränkt vergleichbare Referenzwerte, die im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs ermittelt wurden, zur Anwendung. Deshalb ist einerseits die Einschränkung der Preis- und Wertbandbreite von Bedeutung, die die Finanzverwaltung nach der Methode der „Interquartile Range“ vornimmt.2 Liegt der Verrechnungspreisansatz des Steuerpflichtigen innerhalb dieser eingeengten Bandbreite, kommt eine Einkünftekorrektur nicht in Betracht. Ein Ausschöpfen auch des unteren oder oberen Quartils sollte jedenfalls ausscheiden, zumal die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass sich durch die Verkürzung einer Bandbreite Außreißerwerte am zuverlässigsten eliminieren ließen. Nichts anderes kann für Schätzungen nach § 162 Abs. 3 Satz 2 AO gelten. Sollte der vom Steuerpflichtigen angesetzte Verrechnungspreis außerhalb der eingeengten Bandbreite liegen, ist nach § 1 Abs. 3 Satz 4 AO nur der Ansatz des Medians zulässig. Auch insofern sollte sich das Ermessen der Finanzverwaltung auf null reduzieren. Nur wenn von diesen allgemeinen Grundsätzen nicht abgewichen wird, dürfte § 162 Abs. 3 Satz 2 AO mit Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht vereinbar sein.3 Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Diese Vorgehensweise kann im Einzelfall zu einem Verstoß gegen die Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildete DBA-Norm führen, da abkommensrechtlich nur bei tatsächlich unangemessenen Verrechnungspreisen eine Einkünftekorrektur möglich ist. So haben der BFH mit Urteil vom 11.10.20124 – im Einklang mit der vorinstanzlichen Entscheidung der FG Hamburg vom 31.10.20115 – und das FG Köln mit rechtskräftigem Urteil vom 22.8.20076 konkret zu den formalen Sonderbedingungen entschieden, denen beherrschende Gesellschafter im Rahmen einer Einkünftekorrektur auf Grundlage einer vGA (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) unterliegen, dass die Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Abkommensbestimmungen keine formalen Anforderungen beinhalten und deshalb gegenüber rein formalen Beanstandungen eine Sperrwirkung entfalten (vgl. konkret im Bereich der Konzern- und 1 Vgl. auch Engler/Ebert in V/B/E, Verrechnungspreise3, F Rz. 43. Zur Orientierung am Mittelwert der Bandbreite vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 70. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. d. 3 Vgl. hierzu auch Buciek in Beermann/Gosch, § 162 AO Rz. 213. 4 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324. Siehe hierzu auch Gosch, BFH/PR 2013, 88; Andresen/Immenkötter/Frohn, DB 2013, 534; Schnorberger/Becker, IStR 2013, 109. 5 Vgl. FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190 f. Siehe hierzu auch Rasch, IWB 2012, 198 ff. 6 Vgl. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161; Schaumburg, Internationales Steuerecht3, Rz. 18.87 m.w.N.; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.69; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Rasch, IWB F. 3a Gr. 1, 1103; Strunk/Kaminski, Stbg 2008, 211; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 704 f.
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5.207
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Kostenumlagen Rz. 6.326 ff.). Um ebensolche formale Anforderungen handelt es sich auch bei den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV. Auch aufgrund der Nichtvorlage entsprechender Aufzeichnungen, der Vorlage im Wesentlichen nicht verwertbarer Aufzeichnungen und der nicht zeitnahen Dokumentation außergewöhnlicher Geschäftsvorfälle lassen sich abkommensrechtlich Einkünftekorrekturen nur in dem Umfang durchsetzen, als nach dem Fremdvergleichsgrundsatz unangemessene Verrechnungspreise abgerechnet wurden. Strafschätzungen durch Ausschöpfen von Fremdvergleichsbandbreiten zu Lasten des Steuerpflichtigen sollten deshalb wegen der Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht durchsetzbar sein.
III. Einigungsbereich 1. Bestimmung der Preisgrenzen a) Vorbemerkungen
5.208
Gesetzliche Beschränkung auf eine ertragswertbasierte Bewertung. Der hypothetische Fremdvergleich ist von seiner Grundkonzeption ein Denkmodell, bei dem gemessen am Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auf Seiten des leistungserbringenden wie auf Seiten des leistungsempfangenden Unternehmens (doppelter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, Rz. 3.143 ff.) Soll-Vergleichstatbestände für beide Kontrahenten durch Nachdenken ermittelt werden und ein Preisbildungsprozess simuliert wird (Rz. 3.132 ff.).1 Nach welchen Grundsätzen die Preisgrenzen als Soll-Vergleichstatbestände konkret zu bestimmen sind, ist gesetzlich lediglich für den hypothetischen Fremdvergleich in Gestalt der sog. Einigungsbereichsbetrachtung geregelt. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG bestimmt, dass der Steuerpflichtige „aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen den Mindestpreis des Leistenden und den Höchstpreis des Leistungsempfängers unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinsätze zu ermitteln [hat] (Einigungsbereich); der Einigungsbereich wird von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotentialen) bestimmt“. Was die Ermittlung der individuellen Preisgrenzen des Leistenden und des Leistungsempfängers anbelangt, ist angesichts der verwendeten Begriffe „Planrechnungen“ und „Gewinnpotentiale“ letztlich die Ermittlung eines Ertragswerts erforderlich.2 Die durch das AmtshilferichtlinieUmsetzungsgesetz vom 26.6.20133 vorgenommene Klarstellung, dass für 1 Vgl. grundlegend Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 109 ff. Siehe auch Wassermeyer in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 126; Wassermeyer, DB 1994, 1107; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 128. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651. 3 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
den hypothetischen Fremdvergleich generell der Mindestpreis des Leistenden und der Höchstpreis des Leistungsempfängers „unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze“ zu ermitteln sind, verdeutlicht dies. Die Ermittlung des Ertragswerts hat aus zweierlei Perspektiven zu erfolgen, nämlich aus Sicht des Leistenden wie auch aus derjenigen des Leistungsempfängers. Hierbei treten dieselben Aspekte in den Vordergrund, die die Unternehmensbewertung prägen:1 – Isolierung und Prognose der künftigen, zurechenbaren Gewinne, – Ermittlung der Nutzungsdauer und – Ableitung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes. Fraglich ist, ob diese durchaus aufwendige Vorgehensweise für jedwede Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs – auch im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit – gerechtfertigt ist. U.E. ist dies nur dann der Fall, wenn zu erwarten ist, dass die Preisobergrenze des Empfängers und die Preisuntergrenze des Leistenden wesentlich voneinander abweichen. Solche Abweichungen können insbesondere auf Synergieeffekte, Standortvorteile und strategische Überlegungen zurückgehen und sind wohl am ehesten bei Funktionsverlagerungen i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG relevant. Offenkundig ist der Anwendungsbereich des hypothetischen Fremdvergleichs exklusiv auf diese zugeschnitten, obgleich er stets dann zur Anwendung kommt, wenn für einzelne Transaktionsgegenstände mittels eines tatsächlichen Fremdvergleichs weder uneingeschränkt noch eingeschränkt vergleichbare Werte festgestellt werden können. Konkrete Regelungen nur für Funktionsverlagerungen. Die Grenzpreisermittlung aus Sicht des Leistungserbringers wie aus Sicht des Leistungsempfängers ist durch die Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8. 20082 und durch die VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.20103 lediglich für Funktionsverlagerungen umfassend geregelt (vgl. zu Funktionsverlagerungen grds. Kap. 7). Für die Verrechnungspreisermittlung außerhalb von Funktionsverlagerungsfällen gelten die allgemeinen Regelungen des § 1 Abs. 3 Satz 6 ff. AStG. Nach welchen Grundsätzen die Preisgrenzen des Einigungsbereichs konkret zu ermitteln sind, ist bisher nicht näher bestimmt. Die Verordnungsermächtigung des BMF in § 1 Abs. 3 Satz 13 AStG a.F. bzw. des § 1 Abs. 6 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, die Einzelheiten zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.d. § 1 Abs. 1 und Abs. 3 AStG im Rahmen einer Rechtsverordnung zu konkretisieren, wurde bisher durch Erlass der FVerlV nur für die 1 Vgl. IDW S 5 i.d.F. 2010, WPg Supplement 3/2010, 109 Tz. 24 ff. sowie hierzu Greinert, DB 2004, 2116 f.; Greinert, Ubg 2010, 102 ff. 2 Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes in Fällen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen (Funktionsverlagerungsverordnung – FVerlV) v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. 3 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774.
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5.209
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
„Einkunftsabgrenzung zwischen nahe stehenden Personen in Fällen von grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen“ ausgeübt. Außerhalb von Funktionsverlagerungen fehlen dagegen vereinheitlichende Regelungen zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Dem Vernehmen nach arbeitet das Bundesfinanzministerium gegenwärtig an einer Rechtsverordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes für § 1 Abs. 3 Sätze 1–8 AStG (sog. „Fremdvergleichsverordnung – FVV“).1 Ebenso sind auf deren Grundlage überarbeitete VWG zu erwarten. Da ungeachtet des konkreten Bewertungsobjekts (Einzelwirtschaftsgut oder Transferpaket) die Ableitung von Fremdvergleichspreisen durch einen hypothetischen Fremdvergleich einheitlich in § 1 Abs. 3 Sätze 5–7 AStG gesetzlich geregelt ist, sind im Hinblick auf die konkrete Umsetzung der Einigungsbereichsbetrachtung dieselben Grundsätze zu erwarten, wie sie in der FVerlV und den VWG-Funktionsverlagerung für Fälle der Funktionsverlagerung geregelt sind. Im Folgenden wird deshalb auf diese Regelungen Bezug genommen. b) Preisgrenze des Leistungserbringers
5.210
Grenzpreisermittlung in Abhängigkeit von der Ergebnissituation. Der Einigungsbereich wird nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG von dem Mindestpreis des Leistungserbringers und von dem Höchstpreis des Leistungsempfängers begrenzt. Beide Preisgrenzen sind auf Grundlage einer Funktionsanalyse, innerbetrieblicher Planrechnungen und unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze zu ermitteln. § 7 Abs. 1 FVerlV sieht vor, dass für die Ermittlung der Preisgrenze des Leistungserbringers zwischen Gewinnfällen einerseits sowie Verlustfällen und Liquidationsfällen andererseits zu unterscheiden ist.
5.211
Mindestpreis in Gewinnfällen. Falls im Fall der Funktionsverlagerung das verlagernde Unternehmen aus der verlagerten Funktion zukünftige Gewinne zu erwarten hatte, ergibt sich nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FVerlV der Mindestpreis des verlagernden Unternehmens aus dem Ausgleich für den Wegfall oder die Minderung des Gewinnpotentials zzgl. gegebenenfalls anfallender Schließungskosten. Die VWG-Funktionsverlagerung gehen in Tz. 116 davon aus, dass ohne diesen Ausgleich die Funktionsverlagerung aus der Sicht des verlagernden Unternehmens nicht sinnvoll sei.2 § 7 Abs. 1 Satz 2 FVerlV konkretisiert für die Bestimmung des Mindestpreises die Einbeziehung alternativer Handlungsmöglichkeiten nach § 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV dahingehend, dass die tatsächlich bestehenden Handlungsmöglichkeiten des verlagernden Unternehmens zu berücksichtigen sind, ohne die unternehmerische Dispositionsfreiheit des verlagernden Unternehmens einzuschränken. 1 Vgl. hierzu Naumann, IStR 2013, 618 f.; Rasch, ISR 2013, 35. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 116.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
Nach dieser zutreffenden Auffassung wird zwar die tatsächlich verwirklichte Geschäftsbeziehung unter Anerkennung der unternehmerischen Dispositionsfreiheit steuerlich zugrunde gelegt (vgl. Rz. 6.145),1 die Preisgrenze des Leistungserbringers allerdings nicht von dem Ertragswert des Gegenstands der Geschäftsbeziehung (Transaktionsgegenstands) bestimmt, sondern von dem Ertragspotential der letztlich günstigsten, d.h. vorteilhaftesten, alternativen Handlungsmöglichkeit (Rz. 5.218). Stellt die tatsächlich verwirklichte Geschäftsbeziehung die günstigste Handlungsalternative des Leistungserbringers dar, ist auch das Gewinnpotential des Bewertungsobjekts zugrunde zu legen. Im Übrigen bestimmt das Ertragspotential der günstigsten Handlungsalternative die Ermittlung der Preisgrenze des Leistungserbringers, was zwangsläufig zu betragsmäßigen Abweichungen führen wird. Im Einklang mit den OECD-Leitlinien2 stellt die deutsche Finanzverwaltung auf „realistischerweise verfügbare und eindeutig vorteilhaftere Handlungsalternativen“ ab, die allerdings auf Grundlage der Transparenzfiktion des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG zu ermitteln sein sollen.3 Da nach Auffassung der Finanzverwaltung die Nachweispflicht für das Bestehen und die Bewertung einer eindeutig günstigeren Handlungsalternative derjenige trägt, der diese Handlungsalternative für sich in Anspruch nimmt (vgl. Rz. 5.218),4 wird für die Bestimmung des Mindestpreises des Leistungserbringers als Preisuntergrenze des Einigungsbereichs eine von dem Ertragspotential des konkreten Transaktionsgegenstands abweichende Bewertung aufgrund einer eindeutig günstigeren Handlungsalternative durch die Finanzverwaltung nachzuweisen sein. Mindestpreis in Verlustfällen. Für Fälle der Verlagerung einer Funktion, aus der dauerhaft Verluste erwartet werden, bestimmt sich nach § 7 Abs. 3 Satz 1 FVerlV der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens aus den zu erwartenden Verlusten oder den eventuell anfallenden Schließungskosten, wobei der niedrigere absolute Betrag maßgeblich ist. Die Verordnungsbegründung5 und die VWG-Funktionsverlagerung6 führen die Maßgeblichkeit des am wenigsten belastenden Betrags unmittelbar auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurück, wonach von den alternativen Handlungsmöglichkeiten, die verlustbehaftete Funktion fortzuführen oder zu schließen, diejenige gewählt würde, die betriebswirtschaftlich am wenigsten nachteilig ist. Die Preisgrenze des Leistungserbringers wäre in 1 Vgl. zur unternehmerischen Dispositionsfreiheit auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 145 ff. 2 Vgl. Tz. 6.59 ff. OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 117 und 96. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 96. 5 Vgl. BR-Drucks. 325/08, 22. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 121.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
diesem Fall negativ (vgl. auch Rz. 5.250).1 § 7 Abs. 3 Satz 2 FVerlV führt überdies aus, dass eine Entgeltvereinbarung dem Fremdvergleich entsprechen kann, bei der die Schließungskosten nur zum Teil abgedeckt werden, oder dass Ausgleichszahlungen an das übernehmende Unternehmen für die Übernahme der Verlustquelle geleistet werden.2 Was diese Fälle anbelangt, stellen sowohl die nur anteilige Abdeckung etwaiger Schließungskosten als auch etwaige Ausgleichszahlungen letztlich Ergebnisse dar, die sich innerhalb eines bestehenden Einigungsbereichs abspielen. Insofern kommt es auf den Höchstpreis des Leistungsempfängers an, wobei ungeachtet des Vorzeichens dieser Preisgrenze der Einigungsbereich auch negative Werte umfasst, die mit der Folge Ergebnis des hypothetischen Fremdvergleichs sein können, dass der Leistungserbringer an den Leistungsempfänger Ausgleichszahlungen zu leisten hat, sich gleichwohl aber besser stellt, als er ohne Übertragung stünde. Nach § 7 Abs. 5 FVerlV ist in den Verlustfällen des § 7 Abs. 3 FVerlV mit einem Mindestpreis von null oder einem negativen Mindestpreis stets zu prüfen, ob ein fremder Dritter im Einzelfall bereit wäre, einen Preis für die Übernahme der Funktion zu bezahlen. Fraglich ist hier allerdings vor dem Hintergrund der Zweiseitigkeit des hypothetischen Fremdvergleichs in Gestalt der Einigungsbereichsbetrachtung, ob diese Prüfung losgelöst von den Grundsätzen ansetzen soll, die – in Abhängigkeit von der Preisgrenze des Leistungsempfängers – für die Aufteilung des Einigungsbereichs (vgl. Rz. 5.226 ff.) gelten sollen. Letztlich hat der Leistungsempfänger (das übernehmende Unternehmen) für die Übernahme der Funktion ein Entgelt zu bezahlen, wenn der anzusetzende Wert im Einigungsbereich größer null ist. Dies bestimmt sich auf Grundlage von § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG, wonach der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen ist, wenn der Steuerpflichtige keinen anderen Wert glaubhaft macht, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. Rz. 5.235 ff.). Dagegen meint die Finanzverwaltung, den Fremdvergleichsgrundsatz neuerlich mit der Argumentation bemühen zu können und zu müssen, fremde Dritte würden auch für die Übernahme einer Verlustfunktion ein Entgelt bezahlen, wenn sie sich hierdurch ein Gewinnpotential erschließen, auf das sie anderenfalls kein Zugriff haben.3 Dies kann schon deshalb nicht überzeugen, weil § 7 Abs. 5 FVerlV die Preisfindung ausdrücklich denselben Rechtsgrundsätzen unterstellt.4 1 Vgl. hierzu im Einzelnen Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 165.1; Bodenmüller/Hülster, IStR 2010, 654 ff. 2 Vgl. hierzu Kroppen, in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 165.2 m.w.N. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 127; kritisch zu Recht Kroppen, in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 167. 4 Vgl. zur Auswirkung auf die Verhandlungsposition des verlagernden Unternehmens, wenn eine Funktion rechtlich oder tatsächlich nicht mehr wahrgenommen werden kann oder aber dauerdefizitär ausgeübt werden müsste, Kroppen, in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 167; Bodenmüller/Hülster, IStR 610, 667 f.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
c) Preisgrenze des Leistungsempfängers Beschränkung auf allg. Ermittlungsformel. Anders als für die Bestimmung des Mindestpreises des Leistungserbringers beschränken sich die Regelungen über die Ermittlung des Höchstpreises des Leistungsempfängers in § 7 Abs. 4 FVerlV in Fällen der Funktionsverlagerung auf die allgemeine Ermittlungsformel, dass sich diese Preisgrenze regelmäßig nach dem Gewinnpotential des übernehmenden Unternehmens aus der übernommenen Funktion bestimmt. Auch für die Ermittlung des Höchstpreises des Leistungsempfängers sind dessen tatsächlich bestehende alternative Handlungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (§ 7 Abs. 4 Satz 2 FVerlV).
5.213
Berücksichtigung alternativer Handlungsmöglichkeiten. Bei der Bestimmung der Obergrenze wird der Steuerpflichtige nachzuweisen haben, dass die aus seiner Sicht günstigste alternative Handlungsmöglichkeit zu einer niedrigen Preisgrenze führt, wenn er dieses für sich in Anspruch nehmen will (vgl. Rz. 5.218). Im Hinblick auf die Bewertung dieser konkreten, realistischen und eindeutig vorteilhafteren Handlungsalternative ist von Bedeutung, dass die steuerlichen Auswirkungen nicht nachzuweisen, sondern lediglich glaubhaft zu machen sind.1 Hierbei erfordert die Glaubhaftmachung ein herabgesetztes Beweismaß. Der Steuerpflichtige muss darlegen, dass für die behauptete Tatsache „eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben ist“; d.h., das Bestehen der behaupteten Tatsache „wahrscheinlicher ist als ihr Nichtbestehen“2. Trotz des reduzierten Beweismaßes sollte der Steuerpflichtige sowohl im Hinblick auf die Existenz etwaiger Handlungsalternativen als auch für deren Bewertung Vorsorge durch Erstellung oder Aufbereitung entsprechender Aufzeichnungen treffen. Was die Bewertung betrifft, gelten dieselben Bewertungsgrundsätze für die Ermittlung des jeweiligen Gewinnpotentials alternativer Handlungsmöglichkeiten wie für die Bewertung von Transferpaketen oder Einzelwirtschaftsgütern im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs. Insofern ist es durchaus vorstellbar, dass eine allein steuerliche Vorteilhaftigkeit z.B. aus fehlenden Abschreibungsmöglichkeiten bei Realisierung einer anderen Handlungsalternative unter sonst gleichen Parametern herrührt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man der Auffassung der Finanzverwaltung folgt, dass abschreibungsbedingte Steuervorteile bei der Ermittlung der Preisgrenze des Leistungsempfängers zu berücksichtigen sind (Rz. 5.221 ff.).3
5.214
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 96. 2 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 40. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 125.
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2. Bestimmungsfaktoren des Einigungsbereichs a) Vorbemerkungen
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Bestimmung durch Standortvorteile und Synergieeffekte. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV sind die jeweiligen Gewinnpotentiale des Transferpakets auf der Grundlage einer Funktionsanalyse vor und nach der Funktionsverlagerung unter Berücksichtigung tatsächlich bestehender Handlungsmöglichkeiten zu ermitteln und beinhalten auch Standortvorteile oder -nachteile und Synergieeffekte. Aus der Begründung zu § 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV lässt sich zudem ableiten, dass der Verordnungsgeber davon ausgeht, dass der Einigungsbereich vornehmlich durch Standortvorteile bzw. -nachteile sowie zu erwartende Synergieeffekte bestimmt wird.1 b) Standortvorteile, Synergieeffekte und alternative Handlungsmöglichkeiten
5.216
Standortvorteile. Unter Standortvorteilen versteht man gemeinhin diejenigen Vorteile, die sich aus der Ausübung unternehmerischer Aktivitäten an bestimmten Standorten ergeben, wobei die alternativen Standorte die jeweilige Referenz darstellen. Hierbei sind es insbesondere die gestaltbaren Standortfaktoren, über die der internationale Standortwettbewerb geführt wird, da die natürlichen Standortfaktoren naturgegeben und somit kaum gestaltbar sind.2 Die gestaltbaren Standortvorteile sind durchaus mannigfaltig und reichen von günstigen Faktorkosten über günstige gesetzliche und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen bis hin zur sozialen, humanen und sachlichen Infrastruktur.3 Die VWG-Funktionsverlagerung benennen als Standortvorteile beispielhaft Unterschiede bei Lohn- und Materialkosten, Finanzierungskonditionen, die Qualität der Infrastruktur oder die Zuverlässigkeit und die Qualifizierung des Personals und der Materiallieferungen.4 Auch können Steuerbelastungsunterschiede und Investitionshilfen Standortvorteile und -nachteile begründen, ohne dass die Erzielung von Steuervorteilen oder die Inanspruchnahme anderer Investitionsanreize bereits die Annahme eines steuerlichen Missbrauchs rechtfertigen würde.5 Standortvor- wie -nachteile, z.B. höhere Logistik- und Koordinierungskosten, bestimmen den jeweiligen Grenzpreis der Transaktionspartner.6 1 Vgl. BR-Drucks. 352/08 v. 23.5.2008, 18. 2 Vgl. zur Unterscheidung zwischen natürlichen und gestaltbaren Standortfaktoren Smekal in Theurl/Smekal, Globalisierung, 2001, 267 ff. 3 Vgl. Smekal in Theurl/Smekal, Globalisierung, 2001, 268. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 93. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 93 unter Hinweis auf Tz. 9.181 ff. OECD-Leitlinien 2010. 6 Zum (isolierten) Einfluss von Steuervorteilen in Fällen von Funktionsverlagerungen s. etwa von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 2011, 189 ff.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
Synergieeffekte. Unter Synergieeffekten versteht man gemeinhin integrative Verbundeffekte, die ausschließlich aus der wirtschaftlichen Einbindung von Teileinheiten in einen Unternehmensverbund entstehen (auch als „passive Konzerneffekte“ bezeichnet). Vor der Realisierung handelt es sich um Synergiepotentiale bzw. Wertsteigerungspotentiale. IDW S 1 definiert Synergien als „Veränderung[en] der finanziellen Überschüsse, die durch den wirtschaftlichen Verbund zweier oder mehrerer Unternehmen entstehen“.1 Zu unterscheiden sind zum einen interne von externen Synergieeffekten. Unter internen Synergieeffekten versteht man solche Verbundwirkungen, die das zu bewertende Unternehmen bereits aus seiner bestehenden Verbundorganisation realisiert. Externe Verbundeffekte sind demgegenüber Verbundeffekte, die durch die Neukonfiguration der Verbundorganisation infolge der wirtschaftlichen Einbindung neuer bzw. des Zusammenwirkens mit neuen Teileinheiten entstehen.2 Ferner sind unechte von echten Synergieeffekten abzugrenzen. IDW S 1 konkretisiert unechte Synergieeffekten als solche Synergieeffekte, „die sich ohne Durchführung der dem Bewertungsanlass zugrunde liegenden Maßnahme realisieren lassen“.3 Für transaktionsinduzierte Bewertungen sind dies mithin solche Verbundeffekte, die „ohne […] Veräußerung realisierbar sind“.4 Echte Synergieeffekte sind dagegen unternehmensübergreifende externe Verbundeffekte, die „sich erst mit Durchführung der dem Bewertungsanlass zugrunde liegenden Maßnahme“5 einstellen. In der Betriebswirtschaftslehre werden folgende Synergieformen unterschieden: – erlössteigernde Verkaufssynergien (sales synergy), – kostensenkende Produktionssynergie (operating synergy), – Investitionssynergien (investment synergy), – Management-Synergien (management synergy).6
5.217
Alternative Handlungsmöglichkeiten. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stehen sich bei Preisbildungsprozessen zwei voneinander unabhängige Entscheidungsträger mit individuellen Zielfunktionen gegenüber, die nur dann zu einem Ergebnis gelangen können, wenn ihre Interessen in angemessener Weise gewahrt werden. Damit gilt für die Herstellung eines Interessenausgleichs als Grundvoraussetzung, dass beide Seiten den Bedingungen eines Transfers nur dann zustimmen können, wenn sich diese – zumindest langfristig – nicht negativ auf das Betriebsergebnis der von ih-
5.218
1 IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2008, 271 Tz. 33. 2 Vgl. auch Franke, Synergien in der Rechtsprechung und Rechnungslegung, 2009, 38. 3 IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2008, 271 Tz. 34. 4 IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2008, 271 Tz. 51; vgl. auch Franke, Synergien in der Rechtsprechung und Rechnungslegung, 2009, 38. 5 IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2008, 271 Tz. 50; vgl. Franke, Synergien in der Rechtsprechung und Rechnungslegung, 2009, 38. 6 Vgl. Böcker, Synergieeffekte und Integration bei Mergers & Acquisitions, 2011, 15.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
nen vertretenen Unternehmen auswirken. Um dies beurteilen zu können, ist eine vorherige Festlegung der individuellen Entscheidungssituationen der Geschäftspartner durch Ermittlung der individuellen Preisgrenzen sowie der Handlungsalternativen erforderlich, die sowohl dem Anbieter als auch dem Nachfrager neben dem zu beurteilenden Liefer- bzw. Leistungstransfer offenstehen.1 Rationales Verhalten unterstellt, würde jeder der unabhängigen Entscheidungsträger seinen Grenzpreis nach der letztlich günstigsten, d.h. vorteilhaftesten, alternativen Handlungsmöglichkeit ermitteln. Dies erfordert, dass die Handlungsalternativen zu identifizieren und zu bewerten sind. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV und § 7 Abs. 1 Satz 2 FVerlV sollen für die Bewertung von Transferpaketen bei Funktionsverlagerungen die jeweiligen Handlungsalternativen sowohl bei der Ermittlung der Gewinnpotentiale als auch bei der Ermittlung des jeweiligen Grenzpreises berücksichtigt werden. Im Hinblick auf die Berücksichtigung alternativer Handlungsmöglichkeiten führen die VWG-Funktionsverlagerung in Tz. 96 aus, dass für den anzustellenden Fremdvergleich die rechtliche und wirtschaftliche Position der Vertragspartner zu berücksichtigen sei.2 Bestehen etwa für das übernehmende Unternehmen konkrete, realistische und eindeutig vorteilhaftere Handlungsmöglichkeiten, so wird ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter versuchen, aus diesen bestehenden Handlungsmöglichkeiten einen Verhandlungsvorteil abzuleiten und diesen in die Preisverhandlungen zu seinen Gunsten einzubringen.3 Demgegenüber wird ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter des übertragenden Unternehmens nicht bereit sein, einen wirtschaftlichen Vorteil ganz oder teilweise unentgeltlich abzugeben, wenn z.B. konkret die Möglichkeit bestünde, einen höheren Preis für die Abgabe der Funktion zu erzielen; er würde vielmehr versuchen, ein optimales Ergebnis für das von ihm vertretene, verlagernde Unternehmen zu erreichen. Diese Aussagen der Finanzverwaltung stellen letztlich zutreffende Konkretisierungen des Fremdvergleichsgrundsatzes dar. Ferner wirkt sich die Berücksichtigung alternativer Handlungsmöglichkeiten nach zutreffender Auffassung der Finanzverwaltung ausschließlich auf die Ermittlung der jeweiligen Grenzpreise aus. So heißt es in Tz. 117 der VWG-Funktionsverlagerung, dass realistischerweise verfügbare und eindeutig vorteilhaftere Handlungsalternativen bei der Bestimmung des 1 Zum betriebswirtschaftlichen Entscheidungsprozess bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen im Rahmen der sog. „Bandbreitenbetrachtung“ vgl. auch Kleineidam/Baumhoff/Seutter, DB 1986, 238 ff.; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 139 u. 236 ff.; Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 103 ff.; Roeder, Ubg 2008, 205 f.; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464 f.; Baumhoff in FS Krawitz, 24 ff.; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.148. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 94 und Tz. 121 ff. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 96.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
Mindestpreises (des verlagernden Unternehmen) berücksichtigt werden müssen, was zutreffend mit deren Einfluss auf diesen Grenzpreis begründet wird.1 Gleiches gilt konsequenterweise für die Ermittlung des Höchstpreises, d.h. für den Grenzpreis des übernehmenden bzw. leistungsempfangenden Unternehmens.2 Überdies soll es nach Tz. 93 der VWG-Funktionsverlagerung für die Zurechnung von Standortvorteilen darauf ankommen, „welches Unternehmen diese Vorteile/Nachteile in den fiktiven Preisverhandlungen in Anspruch nehmen könnte bzw. tragen müsste“, was letztlich von den – sich aus objektiven Umständen ergebenden – „konkreten Handlungsalternativen“ und der „jeweiligen Verhandlungsstärke“ abhängen soll.3 Insofern ist nach deutscher Verwaltungsauffassung ausgeschlossen, dass die tatsächlich verwirklichte Geschäftsbeziehung mit dem Hinweis auf eine andere, eindeutig vorteilhaftere Handlungsalternative nicht anerkannt wird.4 Vielmehr ist die tatsächlich verwirklichte Geschäftsbeziehung grundsätzlich steuerlich anzuerkennen.5 Insbesondere bedeutet dies auch, dass eine bestimmte Funktions- und Risikoverteilung zwischen verbundenen Transaktionspartnern nicht mit Hinweis auf etwaige eindeutig vorteilhaftere Handlungsalternativen durch eine andere Funktionsund Risikoverteilung ersetzt werden kann. Die verrechnungspreisbezogenen Konsequenzen können jeweils nur bezogen auf den jeweiligen Vertragspartner gezogen werden, der die betreffende Handlungsalternative zu berücksichtigen und zu bewerten hat. Hierbei beschränken sich diese Konsequenzen auf die Auswirkung der betreffenden Handlungsalternative auf die jeweilige Preisgrenze und führen ggf. zu einem neuen Einigungsbereich. Auf entsprechende, nachträgliche Einkünftekorrekturen kann in diesem Fall gem. § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG verzichtet werden, wenn der zugrunde gelegte Verrechnungspreis innerhalb dieses neuen Einigungsbereichs liegt. Die Finanzverwaltung will für die Ausübung ihres Ermessens darauf abstellen, ob die Abweichung vom Mittelwert im zutreffenden Einigungsbereich erheblich ist und ob dem Steuerpflichtigen die Fehlerhaftigkeit der Ermittlung des Einigungsbereichs bekannt war oder bekannt sein musste, z.B. wegen einer entsprechenden Beanstandung bei einer vorhergehenden Prüfung (vgl. hierzu Rz. 5.241). Die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung zur Berücksichtigung eindeutig vorteilhafterer Handlungsalternativen steht insofern im Ein1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 117. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 126. 3 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 93 und Tz. 121 ff. 4 Zu vergleichbaren Überlegungen im Rahmen von Betriebsprüfungen s. etwa Kroppen in Kroppen, Handbuch internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 136. 5 Vgl. Tz. 1.64 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 146.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
klang mit den OECD-Leitlinien, als auch nach Tz. 9.59–9.64 der OECDLeitlinien die realistischerweise zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse zu untersuchen und einzubeziehen sind. Hierbei gehen die OECD-Leitlinien zutreffend davon aus, dass die Berücksichtigung verfügbarer Handlungsalternativen die Perspektive des jeweiligen Vertragspartners betrifft und davon auszugehen ist, dass fremde Dritte keine Handlungsalternative realisieren, bei der sie sich schlechter stellen als bei ihrer nächstbesten Handlungsalternative.1 Allerdings bleibt unklar, nach welchen Grundsätzen dieses Konzept im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse konkret umzusetzen sein soll. Tz. 9.60 der OECD-Leitlinien geht in Fällen von Umstrukturierungen davon aus, dass eine alternative, profitablere Struktur aus der Sicht eines der Transaktionspartner Anlass dafür geben kann, dass die Gegenleistung aus der konzerninternen (Restrukturierungs-)Transaktion unter Bezugnahme auf die Gewinne korrigiert werden könne, die der betreffende Transaktionspartner mit der alternativen Struktur hätte erzielen können. Begründet wird diese Auffassung damit, dass unabhängige Unternehmen ein bestimmtes Geschäft nur dann abschließen, wenn sie keine eindeutig attraktivere Alternative haben.2 Insofern scheint die OECD der Auffassung zu sein, dass eine Einkünftekorrektur höchstens auf den sich nach der günstigsten alternativen Handlungsmöglichkeit ergebenden (Grenz-)Preis mit dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vereinbaren ist. Dies setzt freilich voraus, dass auch aus Sicht des verbundenen Transaktionspartners hiernach ein entsprechender Kontrakt- bzw. Einigungsbereich bestünde. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist, wer die Existenz entsprechender alternativer Handlungsmöglichkeiten nachzuweisen und deren Bewertung vorzunehmen hat. Nach den OECD-Leitlinien soll der Steuerpflichtige nicht gehalten sein, alle möglichen Hypothesen über realistischerweise zur Verfügung stehende Alternativen anzustellen und zu dokumentieren, sondern es soll (nur) eine eindeutig attraktivere Alternative dann in die Vergleichbarkeitsanalyse einbezogen werden, wenn diese realistischerweise zur Verfügung gestanden hätte.3 Dies deutet darauf hin, dass sich eine bestimmte Handlungsalternative unter rationalen Entscheidern schon gewissermaßen aufdrängen muss. Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung kommen hierbei allgemeine Beweislastregeln zum Tragen. Hiernach hat derjenige die Voraussetzungen für das Vorliegen von konkreten, realistischen und eindeutig vorteilhafteren Handlungsalternativen nachzuweisen und die sich aus diesen Handlungsalternativen ergebenden steuerlichen Auswirkungen glaubhaft zu machen, der sich zu seinen Gunsten auf diese beruft.4 1 2 3 4
Vgl. Tz. 9.59 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.60 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.64 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 96.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
In diesem Zusammenhang sind in der Praxis ferner die zeitlichen Aspekte von Bedeutung. Die OECD-Leitlinien diskutieren als Zeitfragen im Hinblick auf die Datenerhebung den „Arm’s-Length-Price-Setting“-Ansatz einerseits und den „Arm’s-Length-Outcome-Testing“-Ansatz andererseits,1 wobei umfangreiche Änderungen auf Grundlage des OECD-Diskussionsentwurfs zu den Zeitfragen für die Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise vom 29.10.2012 zu erwarten sind.2 Beide Ansätze unterscheiden sich im Wesentlichen in der Frage, ob für die fremdvergleichskonforme Bepreisung konzerninterner Transaktionen auf Informationen über vergleichbare Transaktionen zwischen unverbundenen Transaktionspartnern zurückzugreifen ist bzw. zurückgegriffen werden kann, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses verfügbar waren, oder ob auch solche Informationen einzubeziehen sind, die erst nachträglich verfügbar werden bzw. die Vergleichstransaktionen betreffen, die gleichzeitig oder später erfolgt sind (vgl. Rz. 3.100 f.). Von Seiten der deutschen Finanzverwaltung wird die Berücksichtigung von Vergleichsdaten, die sich auf zeitlich der Preisentscheidung nachfolgende Geschäftsvorfälle beziehen oder erst nach der Preisentscheidung verfügbar werden, stets kritisch gesehen; insofern vertritt sie zur Zulässigkeit sog. „Year-End-Adjustments“ auch eine äußerst restriktive Auffassung (Rz. 5.120 ff.).3 Im Hinblick auf die erwartete Fremdvergleichsverordnung zur Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.v. § 1 Abs. 1 und 3 AStG ist damit zu rechnen, dass der Verordnungsgeber für deutsche Besteuerungszwecke nur den „Arm’s-Length-Price-Setting“-Ansatz und damit die Ex-ante-Beurteilung zulässt.4 Ungeachtet der unterschiedlichen Konzepte für Zwecke der Verrechnungspreisbestimmung muss für mögliche Handlungsalternativen und deren Bewertung in zeitlicher Hinsicht auf die Informationen abgestellt werden, die in der konkreten Entscheidungssituation zur Verfügung gestanden haben. Hierbei ist bereits der Zeitpunkt der Entscheidung über die Realisierung einer bestimmten verbundinternen Transaktion anstelle einer anderen alternativen Handlungsmöglichkeit als spätester Zeitpunkt der Informationsverfügbarkeit problematisch, weil die Entscheidung auf Grundlage bewerteter Handlungsalternativen erfolgt und die Bewertung verschiedener Handlungsalternativen einen Prozess darstellt, der für sich genommen Zeit in Anspruch nimmt. Insofern kommen Handlungsmöglichkeiten nicht in Betracht, die in der vorgelagerten Entscheidungssituation über die Einbeziehung und Berücksichtigung alternativer Hand1 Vgl. Tz. 3.67 ff. OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. OECD, „The comments received with respect to the discussion draft on timing issues relating to transfer pricing“ v. 29.10.2012, verfügbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/Timing_Issues_Comments.pdf. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.8, 3.4.20 Buchst. e; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 237; Naumann, IStR 2013, 617 f. 4 Hierauf deuten die Äußerungen von Naumann hin, vgl. Naumann, IStR 2013, 617 f.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
lungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung gestanden haben.1 Gleiches gilt für bewertungsrelevante Informationen zu bestehenden Handlungsalternativen, die zeitlich erst nach dem Bewertungsprozess, jedenfalls aber nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Realisierung einer bestimmten Handlungsalternative bekannt geworden sind. Denklogisch ausgeschlossen ist es, dass sich eine bestimmte Handlungsalternative erst nachträglich zu einer eindeutig vorteilhafteren Handlungsalternative „wandelt“. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Fremdvergleichsgrundsatz, auf den die OECD-Leitlinien das Konzept der realistischerweise zur Verfügung stehenden Handlungsalternative zurückführen. Ferner stellen § 3 Abs. 2 Satz 1 und § 7 Abs. 1 Satz 2 FVerlV auf „tatsächlich bestehende“ und nicht auf erst nachträglich entstehende Handlungsmöglichkeiten ab. In zeitlicher Hinsicht wird in der Praxis deshalb von Bedeutung sein, auf welchen Zeitpunkt die Informationen zurückgehen, mittels derer das Vorliegen und die Bewertung einer konkreten, realistischen und eindeutig vorteilhafteren Handlungsalternative nachgewiesen wird. c) Berücksichtigung von Steuereffekten aa) Periodische Besteuerungseffekte
5.219
Regelungen für Funktionsverlagerungen maßgeblich. Neben Standortvorteilen, Synergieeffekten und alternativen Handlungsmöglichkeiten bestimmen Steuereffekte die Grenzpreise der Kontrahenten und damit die Einigungsbereichsgrenzen. Entscheidungsrelevant sind jeweils nur die Nettozuflüsse nach Ertragsteuern. Die Berücksichtigung von Steuereffekten bei der Ermittlung des jeweiligen Grenzpreises der Transaktionspartner im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs ist gesetzlich nicht geregelt. § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG beschränkt sich auf die Feststellung, dass „der Einigungsbereich […] von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotentialen) bestimmt“ wird. Wie insgesamt für die Umsetzung des hypothetischen Fremdvergleichs in Gestalt der Einigungsbereichsbetrachtung bestehen konkrete Regelungen lediglich für Funktionsverlagerungen. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass im Hinblick auf die Berücksichtigung von Steuereffekten für Einzeltransaktionen bzw. die Einzelbewertung einerseits und Funktionsverlagerungen bzw. die Transferpaketbewertung andererseits verschiedene Grundsätze zur Anwendung kommen (Rz. 5.209 ff.).
5.220
Beschränkung auf periodische Besteuerungseffekte auf Unternehmensebene. Gemäß § 1 Abs. 4 FVerlV ist bei der Ermittlung des funktionsbezogenen Gewinnpotentials im Rahmen der Bewertung von Transferpaketen in Fällen von Funktionsverlagerungen auf die „jeweils zu erwartenden Reingewinne nach Steuern (Barwert)“ abzustellen. Dies impliziert zu1 Vgl. zum sog. „Vorentscheidungsproblem“ auch Laux/Gillenkirch/Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie8, 536 ff.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
nächst eine Beschränkung auf periodische Steuereffekte bezogen auf die zukünftig erwarteten Reingewinne. Für sich genommen steht dies im Einklang mit dem Gesetzeswortlaut sowohl des § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG, der auf „Gewinnerwartungen“ abstellt, als auch des § 3 Abs. 1 FVerlV, wonach der Wert des Transferpakets „in Übereinstimmung mit den Gewinnen stehen [muss], die zum Zeitpunkt der Verlagerung aus der Ausübung der Funktion erwartet werden können“.1 Die VWG-Funktionsverlagerung beschränken sich typisierend auf die Steuern des Unternehmens.2 Allerdings wird dem Steuerpflichtigen das Wahlrecht eingeräumt, die persönliche Steuerbelastung der Gesellschafter zu berücksichtigen und damit ein finanzmathematisch exaktes Ergebnis zu berechnen, wobei in diesem Fall bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes bzgl. der Steuerbelastung entsprechend zu verfahren ist.3 Offenkundig bezieht die Finanzverwaltung dieses Wahlrecht auf die entsprechende Regelung des IDW S 1, wonach die Nettozuflüsse „unter Berücksichtigung der […] Ertragsteuern des Unternehmens und grundsätzlich der aufgrund des Eigentums am Unternehmen entstehenden persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigner zu ermitteln“ sind.4 Zweifelsohne ist die explizite Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern und damit der wertrelevanten steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner in dem Bewertungskalkül bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts stets sachgerecht.5 Für die Verrechnungspreisermittlung im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs entspricht die Einbeziehung der persönlichen Ertragsteuern jedoch weder den gesetzlichen Vorgaben, noch lässt sie sich methodisch mit der Simulation eines Preisbildungsprozesses und der für diesen relevanten Entscheidungsträger vereinbaren. Die Einigungsbereichsbetrachtung im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs ist unter Beachtung des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG durchzuführen. Hiernach ist für die Anwendung des Fremdvergleichs insbesondere davon auszugehen, dass die voneinander unabhängigen Dritten nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln. Mit der Bezugnahme auf die Rechtsfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters sowohl aufseiten des verlagernden wie aufseiten des übernehmenden Unternehmens (sog. doppelter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter; Rz. 3.143 ff.) ist die Grenzpreisermittlung (Mindestpreis des Leistenden, Höchstpreis des Leistungsempfängers) auf die Gesellschaftsebene eingeengt und festgelegt. Die maßgeblichen Entscheidungswerte sind deshalb diejenigen auf Gesellschaftsebene und 1 Vgl. auch Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 95; Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 168; Greinert/Reichl, DB 2011, 1184; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.400. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 34. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 36. 4 IDW S 1, FN-IDW 2008, 271 Tz. 28. 5 Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271 Tz. 43 f. u. 46 f.
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nicht diejenigen auf Gesellschafterebene.1 Der zwingende Verzicht auf die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner von Kapitalgesellschaften folgt unmittelbar auch aus § 1 Abs. 4 FVerlV, nach dem bei der Bewertung die Perspektiven des verlagernden und des übernehmenden Unternehmens maßgebend sind. Vor diesem Hintergrund ist für das in Tz. 34 der VWG-Funktionsverlagerung eingeräumte Wahlrecht eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich und eine Berücksichtigung von periodischen Steuereffekten auch der Gesellschafter abzulehnen (vgl. auch Rz. 7.103).2 bb) Aperiodische Besteuerungseffekte
5.221
Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung. Neben periodischen Besteuerungseffekten will die Finanzverwaltung auch aperiodische Besteuerungseffekte in die Ermittlung des jeweiligen Grenzpreises des Leistungserbringers und des Leistungsempfängers einbeziehen. Die Finanzverwaltung macht sich hierbei eine vereinzelt im Schrifttum vertretene Auffassung zu eigen,3 ohne diese allerdings zu begründen oder aus den gesetzlichen Vorgaben abzuleiten. So heißt es in Tz. 118 der VWG-Funktionsverlagerung denkbar knapp: „Für die Berechnung des Mindestpreises des verlagernden Unternehmens ist auch dessen Steuerbelastung auf den Ertrag aus der Veräußerung von Bestandteilen des Transferpakets der verlagerten Funktion zu berücksichtigen.“4 Bei der Ermittlung der Preisgrenze des Leistenden soll mithin die Steuerbelastung auf den jeweiligen Ertrag aus der Veräußerung einbezogen werden (sog. Exit-Tax bzw. Tax-Gross-up). Zu der Ermittlung der Preisgrenze des übernehmenden Unternehmens (Höchstpreis) führen die VWG-Funktionsverlagerung in Tz. 125 aus, „dass auch die steuerlichen Auswirkungen der Aufwendungen für den Erwerb von Bestandteilen des Transferpakets der verlagerten Funktion (Abschreibungen auf erworbene Wirtschaftsgüter) zu berücksichtigen“5 seien. Die Finanzverwaltung will also die Besteuerungseffekte des durch die Funktionsverlagerungsbesteuerung erst entstehenden Abschreibungspotentials (sog. Tax-Amortization-Benefit [TAB]) in die Ermittlung des Höchstpreises einbeziehen. Die Berücksichtigung einer Exit-Tax und eines TAB ist weder Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens zum Unternehmensteuerreformgesetz gewesen, noch kann sie der Begründung des Verordnungsgebers zur FVerlV6 1 Vgl. auch Greinert/Reichl, DB 2011, 1183; für die Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter Kasperzak/Nestler, Bewertung von immateriellem Vermögen, 136. 2 Vgl. auch Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 748; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.397 ff. 3 Vgl. Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1698 f.; Heining, Funktionsverlagerungen ins Ausland, 127 ff.; Oestreicher/Wilcke, DB 2010, 1714 f. 4 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 118. 5 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 125. 6 FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
entnommen werden1. Das BMF hat diese Beurteilung der Finanzverwaltung auch erst seiner endgültigen Fassung der VWG-Funktionsverlagerung zugrunde gelegt. Hierbei mutet es schon befremdlich an, dass die Finanzverwaltung ihre Auffassung im Wesentlichen anhand eines Beispiels darbringt.2 Beide Vorgaben der Finanzverwaltung bewirken, dass sich die Preisgrenzen deutlich erhöhen und es durch diese Art einer wertmäßigen „Parallelverschiebung nach oben“ zu einer Steigerung des innerhalb des Einigungsbereichs ansetzbaren Werts z.B. für die Übertragung eines immateriellen Einzelwirtschaftsguts kommt.3 Überdies führt die Barwertermittlung zu einer Einengung des Einigungsbereichs, weil die zeitlich später anfallenden abschreibungsbedingten Entlastungseffekte regelmäßig hinter dem Barwerteffekt der Exit-Tax zurückbleiben.4 Nationale und internationale Bewertungsgrundsätze. Wie bereits dargestellt, kann aus den gesetzlichen Vorgaben lediglich die Berücksichtigung laufender Besteuerungseffekte der Gewinnpotentiale entnommen werden (Rz. 5.220). Ebenso wenig sieht IDW S 1, auf den die VWG-Funktionsverlagerung ansonsten für Zwecke der Bewertung von Transferpaketen verweisen,5 die Berücksichtigung einer Exit-Tax oder eines TAB vor. Nach IDW S 5 steht es im Bewertungsermessen, diese Besteuerungseffekte beim kapitalwertorientierten Verfahren in die Bewertung einzubeziehen.6 Im Übrigen sind entgegen den gesetzlichen Vorgaben für den hypothetischen Fremdvergleich in Gestalt der Einigungsbereichsbetrachtung nach IDW S 5 die Modalitäten des Bewertungsverfahrens zwischen den Parteien frei verhandelbar.7 Die VWG-Funktionsverlagerung können zur Rechtfertigung nicht auf die international konsensfähige Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes für die Verrechnungspreisermittlung nach den OECD-Leitlinien zurückgreifen. Zwar können nach den OECD-Leitlinien immaterielle Wirtschaftsgüter auch anhand eines Grenzpreiskonzepts bewertet werden, ohne dass jedoch die Berücksichtigung einer Exit-Tax oder eines TAB vorgesehen wäre.8 Auch soweit der überarbeitete Diskussionsentwurf der OECD zu Verrechnungspreisaspekten bei immateriellen Wirtschaftsgütern vom 30.7.20139 an verschiedenen Stellen solche Besteuerungs1 Abgedruckt in Schreiber, Verrechnungspreise2, 359 ff. 2 Vgl. hierzu BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Anlage Beispiel 1, Abwandlung C. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 168; Greinert/Reichl, DB 2011, 1183. 4 Vgl. hierzu auch Greinert/Reichl, DB 2011, 1185. 5 Vgl. z.B. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 30, 31, 34, 35, 63, 87 ff., 104, 108. 6 Vgl. IDW S 5 i.d.F. 2010, WPg Supplement 3/2010, 109 Tz. 45 ff. 7 Vgl. IDW S 5 i.d.F. 2010, WPg Supplement 3/2010, 109 Tz. 53. 8 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 168. 9 OECD, überarbeiteter Diskussionsentwurf vom 30.7.2013, „Revised Discussion Draft on Transfer Pricing aspects on Intangibles“, abrufbar unter:
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5.222
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
effekte anspricht, die aus der Transaktion selbst herrühren,1 beziehen sich diese Ausführungen auf die Formulierung von Bewertungsannahmen für die Anwendung ertragswertorientierter Bewertungsverfahren und stellen keine Auslegung oder Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes dar. Hier bleibt abzuwarten, inwieweit über diese Fragen ein internationaler Konsens erzielt werden kann. Eine Fremdüblichkeit ergibt sich auch nicht aus der Bewertung im Rahmen der Übertragung einer Unternehmenstätigkeit bei Unternehmensrestrukturierungen. Hier kann sich die Bewertungsmethodik an derjenigen orientieren, die für Unternehmenskäufe verwendet wird.2 Praxisberichte aus der Transaktionspraxis belegen allerdings, dass insbesondere bei Unternehmensbewertungen im Rahmen von Unternehmenskäufen die Exit-Tax und der TAB keine oder eine nur untergeordnete Rolle spielen.3 In der Realität von Unternehmenstransaktionen werden solche Steuerwirkungen regelmäßig nicht vergütet.4 Insofern lässt sich aus dem abstrakten Fremdvergleich die Berücksichtigung der Exit-Tax und des TAB nicht als fremdüblich ableiten. Aus dem Fremdvergleich lässt sich stattdessen ableiten, dass die Berücksichtigung dieser Besteuerungseffekte fremdunüblich ist. Da der hypothetische Fremdvergleich darauf gerichtet ist, einen (Verrechnungs-)Preis zu ermitteln, der zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbart werden könnte, muss er auch an marktkonformen und realistischen Bedingungen ansetzen.
5.223
Keine spezifische innerstaatliche Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Aus der gesetzlichen Ausrichtung des hypothetischen Fremdvergleichs am Handeln zweier ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter (§ 1 Abs. 1 Satz 3 AStG) ergibt sich nicht, dass die von § 1 Abs. 3 Sätze 5–6 AStG gesetzlich verankerte Simulation eines Preisbildungsprozesses die Ermittlung eines nur hypothetischen und theoretisch richtigen Verrechnungspreises zum Ziel hat. Vielmehr muss dieser Verrechnungspreis auch praktisch darstellbar sein. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Fremdvergleichsgrundsatz (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG). Im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs bedeutet dies, dass möglichst umfassend Fremdvergleichswerte und Fremdvergleichsverhalten zu erfassen sind, wie die VWG-Funktionsverlagerung in Tz. 65 zutreffend feststellen.5 Die Berücksichtigung einer Exit-Tax oder eines TAB ist gesetzlich auch nicht als besondere Bedingung geregelt, die der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 AStG zwingend zugrunde zu legen ist, wie
1 2 3 4 5
http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/revised-discussion-draft-intangibles. pdf. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 175, 196, 318 f. Vgl. Tz. 9.94 OECD-Leitlinien 2010; Baumhoff/Puls, IStR 2009, 79. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 168 f.; Kasperzak/Nestler, DB 2007, 474; Menninger/Wellens, TMTR v. 30.6.2011, 4. Vgl. Menninger/Wellens, TMTR v. 30.6.2011, 4. Vgl. z.B. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 65.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
dies etwa für die gesetzliche Fiktion einer vollständigen Information und Markttransparenz der Fall ist (§ 1 Abs. 1 Satz 3 AStG). Nur speziell für diese gesetzlichen Konkretisierungen ist nicht auszuschließen, dass sie der Anwendung des Fremdvergleichs nach § 1 AStG zugrunde zu legen sind, obgleich sie mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbar sind. Mangels einer konkreten gesetzlichen Regelung bedarf die Einbeziehung der Exit-Tax und des TAB in das Bewertungskalkül daher dann zumindest einer Rechtfertigung aus dem Fremdvergleich. Die Berücksichtigung dieser Besteuerungseffekte bei der Bewertung von Transferpaketen lässt sich aus marktüblichen Transaktionsbedingungen jedoch nicht ableiten. Sie steht vielmehr im Widerspruch zu Fremdüblichem. Konzeptioneller Widerspruch und Unvereinbarkeit mit Willen des Gesetzgebers. Die Berücksichtigung einer Exit-Tax und eines TAB lässt sich mit der Einigungsbereichsbetrachtung, wie sie § 1 Abs. 3 Sätze 5 ff. AStG gesetzlich verankert, nicht vereinbaren. Nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG hat der Steuerpflichtige „aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen den Mindestpreis des Leistenden und den Höchstpreis des Leistungsempfängers zu bestimmen (Einigungsbereich).“ Der Gesetzgeber nimmt hier einen gesetzlichen Regelfall an, nämlich dass der Höchstpreis des Leistungsempfängers (Preisobergrenze) den Mindestpreis des Leistenden (Preisuntergrenze) überschreitet und sich deshalb „regelmäßig“ ein Einigungsbereich ergibt.1 Aus der Begründung zu § 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV lässt sich zudem ableiten, dass der Verordnungsgeber davon ausgeht, dass der Einigungsbereich vornehmlich durch Standortvorteile bzw. -nachteile sowie zu erwartende Synergieeffekte bestimmt wird.2 Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass es dem Willen des Gesetzgebers entsprochen hat, die benannten Besteuerungseffekte bei der Wertermittlung zu berücksichtigen. Denn hierdurch wird der Mindestpreis des verlagernden Unternehmens häufig den Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens überschreiten, so dass kein Einigungsbereich zustande kommt. Letztlich ist der gesetzliche Regelfall, d.h. die Entstehung eines Einigungsbereichs, vom Belastungsniveau und den Abschreibungsmöglichkeiten im Sitzstaat des übernehmenden Unternehmens abhängig. Dies gilt insbesondere dann, wenn von realistischerweise realisierbaren Standortvorteilen ausgegangen wird.3 Auch ist dann nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber so wesentliche Bestimmungsfaktoren des Einigungsbereichs, wie die Exit-Tax und den TAB, schlichtweg übersehen hat (vgl. Rz. 5.249 ff.).
5.224
Unvereinbarkeit mit der Transparenzfiktion. Die Berücksichtigung einer Exit-Tax und eines TAB widerspricht auch der in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG verankerten Fiktion einer vollständigen Information und Markttransparenz (Rz. 3.155 ff.). Legt man diese volkswirtschaftliche Modellannahme isoliert zugrunde, würde ein ordentlicher und gewissenhafter
5.225
1 Vgl. BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 144. 2 Vgl. BR-Drucks. 352/08 v. 23.5.2008, 18. 3 Vgl. hierzu ausführlich Greinert/Reichl, DB 2011, 1185 f.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Geschäftsleiter des übernehmenden Unternehmens in Kenntnis aller für die Transaktion entscheidungsrelevanten Informationen wahrscheinlich auf die Nichtberücksichtigung beider zu seinen Ungunsten einfließenden Steuerwirkungen drängen.1 Jedenfalls aber würde er seine zukünftigen abschreibungsbedingten Entlastungswirkungen nicht mit einpreisen, da sich seine Zahlungsbereitschaft bei vollständiger Information nicht erhöhen dürfte. Bei Transparenz über die Transaktionsbedingungen wäre überdies nicht begründbar, wieso abschreibungsbedingte Steuerentlastungseffekte wider bessere Kenntnis zu hoch kalkuliert werden. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter des übernehmenden Unternehmens würde allenfalls Entlastungseffekte auf Grundlage des für das Transferpaket anzusetzenden Verrechnungspreises berücksichtigen, nicht jedoch auf Grundlage des Grenzpreises seiner Konzessionsbereitschaft. 3. Aufteilung des Einigungsbereichs a) Betriebswirtschaftliche Lösungsansätze
5.226
Betriebswirtschaftliche Sicht zur Aufteilung von Einigungsbereichen. Da sich der Gesetzgeber mit der Einführung des hypothetischen Fremdvergleichs in Gestalt der sog. Einigungsbereichsbetrachtung die Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre zu eigen macht, erscheint es sinnvoll, zunächst die betriebswirtschaftlichen Lösungsansätze zu vergegenwärtigen. In der Betriebswirtschaftslehre werden Fragestellungen zur Aufteilung von Einigungsbereichen u.a. im Zusammenhang mit der Unternehmensbewertung diskutiert und dies insbesondere im Zusammenhang mit der Preisfindung bei M&A-Transaktionen. Zwei Lösungsansätze werden hier präferiert: – die Verhandlungslösung und – die Arbitriumwertlösung i.S. einer Schiedsrichterlösung.
5.227
Verhandlungslösung. Bei der Verhandlungslösung wird davon ausgegangen, dass jede Partei unter Beachtung der eigenen und gegnerischen Verhandlungssituation bestrebt sein wird, im Verhandlungsprozess einen möglichst großen Teil des Einigungsbereichs für sich zu beanspruchen. Die Aufteilung des Einigungsbereichs wird hierbei bestimmt durch die Verhandlungsstärke, die wiederum von der wirtschaftlichen Machtstellung (durch z.B. finanzielle Ressourcen oder vorhandene bzw. verfügbare Informationen) abhängt, die Verhandlungsstrategie, die Verhandlungstaktik, Informationen über die Entscheidungssituation des Verhandlungspartners und das Verhandlungsgeschick sowie die Konzessionsbereitschaft der Vertragsparteien. Da diese Einflussfaktoren im internationalen Unternehmensverbund nahezu beliebig dem einen oder anderen Verhandlungspartner zugeordnet werden können, scheidet die Verhandlungslösung für eine (Verrechnungs-)Preisfindung innerhalb von Einigungsbereichen aus. 1 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1186.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
Gleichwohl will die Finanzverwaltung nach Tz. 93 der VWG-Funktionsverlagerung für die Zurechnung von Standortvorteilen darauf abstellen, „welches Unternehmen diese Vorteile/Nachteile in den fiktiven Preisverhandlungen in Anspruch nehmen könnte bzw. tragen müsste“, was letztlich von den – sich aus objektiven Umständen ergebenden – „konkreten Handlungsalternativen“ und der „jeweiligen Verhandlungsstärke“ abhängen soll.1 Außerdem sind diese Überlegungen nicht mit der gesetzlichen Fiktion der vollständigen Information und Markttransparenz nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG zu vereinbaren, die letztlich zu gleichen Verhandlungsstärken führen muss. Schiedsrichter- bzw. Arbitriumwertlösung. Im Unterschied zur Verhandlungslösung geht die Schiedsrichter- bzw. Arbitriumwertlösung2 von gleicher Verhandlungsstärke und symmetrischen Verhandlungspositionen beider Transaktionspartner sowie der Kenntnis über die jeweilige Preisgrenze des Kontrahenten aus. Unter diesen Voraussetzungen soll die Möglichkeit bestehen, einen objektiven, gerechten und neutralen Kompromisswert zu finden. Der so ermittelte Wert soll also die Interessen der Beteiligten nach Ansicht eines unparteiischen Vermittlers in angemessener Weise wahren. Dies führt meist dazu, dass der Einigungsbereich zu gleichen Teilen auf die Beteiligten aufgeteilt wird („salomonische Mitte“ = Mittelwert). Letztlich handelt es sich dabei aber um einen rein pragmatischen Ansatz. Dass dagegen berechtigte Vorbehalte – insbesondere bei einer ausschließlich konzerninternen Beschaffungsmöglichkeit – bestehen, ist jedoch offenkundig.
5.228
b) Vorgaben der OECD-Leitlinien OECD-Leitlinien. Die OECD-Leitlinien kennen den hypothetischen Fremdvergleich zur Ermittlung von Fremdvergleichspreisen grundsätzlich nicht, sondern beziehen die Verrechnungspreisermittlung auf anerkannte Verrechnungspreismethoden. Ebenso wie der tatsächliche Fremdvergleich nicht grds. mit bestimmten Verrechnungspreismethoden, insbesondere mit den klassischen Methoden, gleichzusetzen ist, obgleich der Gesetzgeber mit § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG offenkundig eine gebotene Unterscheidung vermissen lässt (Rz. 5.150 f.), handelt es sich beim hypothetischen Fremdvergleich nicht um eine bestimmte Verrechnungspreismethode. Stattdessen stellt die Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.) aufgrund der Verwendung tatsächlich feststellbarer wie – wenn auch nur in begrenztem Umfang – fiktiv zu ermittelnder Daten eine Kombination von tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich dar, während die Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) aufgrund der Festlegung ausschließlich fiktiv zu ermittelnder Soll-Vergleichstatbestände mit dem 1 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 93 und 121 ff. 2 Vgl. grundlegend Matschke, Funktionale Unternehmensbewertung, Bd. II, Der Arbitriumwert der Unternehmung.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
hypothetischen Fremdvergleich (Rz. 5.150) gleichzusetzen ist,1 es sei denn, der Gewinnaufschlag wird mit Hilfe eines tatsächlichen Fremdvergleichs bestimmt. Gleiches gilt für die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (Rz. 5.92 ff.). Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Rz. 5.123 ff.) setzt schließlich nur den hypothetischen Fremdvergleich um. Trotz einer fehlenden Unterscheidung zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich enthalten die OECD-Leitlinien ausdrückliche Hinweise darauf, dass bei der Verrechnungspreisbestimmung die Sichtweisen beider Transaktionspartner einzubeziehen sind.2 So führen Tz. 6.14 und Tz. 9.81 OECD-Leitlinien gleichermaßen aus, dass bei der Bestimmung von Fremdvergleichspreisen für Rechte an immateriellen Wirtschaftsgütern die Sichtweisen sowohl des Käufers wie des Verkäufers zu berücksichtigen sind.3 Nach Tz. 7.29 OECD-Leitlinien sind bei der Bestimmung des Fremdvergleichspreises für konzerninterne Dienstleistungen sowohl die Sichtweise des Erbringers als auch die Sichtweise des Empfängers der Dienstleistungen zu beachten.4 Ferner bezieht sich Tz. 9.159 OECD-Leitlinien für die Aufteilung von Einkaufsvorteilen sowohl auf die Perspektive der Einkaufsgesellschaft als auch auf die Perspektive des konzerninternen Abnehmers.5 Schließlich sind nach Tz. 9.59 ff. OECD-Leitlinien realistischerweise zur Verfügung stehende Handlungsalternativen in die Vergleichbarkeitsanalyse einzubeziehen und eindeutig vorteilhaftere Handlungsalternativen in die Verrechnungspreisbestimmung einzubeziehen.6 Diese Beispiele mögen hinreichend belegen, dass die OECD-Leitlinien für die Verrechnungspreisermittlung grundsätzlich von einer zweiseitigen Betrachtung im Rahmen der Verrechnungspreisbestimmung ausgehen. Zutreffend ist allerdings, dass die OECD-Leitlinien im Hinblick auf die konkrete Umsetzung der perspektivischen Einbeziehung beider Kontrahenten keinerlei Hinweise geben.
5.230
(Überarbeiteter) OECD-Diskussionsentwurf vom 30.7.2013. Die OECD hat am 6.6.2012 einen Diskussionsentwurf zur Überarbeitung des Kapitels VI der OECD-Leitlinien vorgelegt, in dem die Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise bei der Übertragung von immateriellen Wirtschaftsgütern breiten Raum einnimmt.7 Am 30.7.2013 hat die OECD einen überarbeiteten Diskussionsentwurf zu Verrechnungspreisaspekten bei immateriellen Wirtschaftsgütern veröffentlicht.8 Neben der Anwen1 2 3 4 5 6 7
Gl.A. Wassermeyer, DB 2007, 536; Klapdor, StuW 2008, 86. Vgl. Tz. 6.14, 7.29, 9.81, 9.84 f., 9.91 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 6.14 und 9.81 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 7.29 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.159 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.59 ff. OECD-Leitlinien 2010. OECD, Diskussionsentwurf vom 6.6.2012, „Revision of the special considerations for intangibles in chapter VI of the OECD Transfer Pricing Guidelines and related provisions, abrufbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/ 50526258.pdf. 8 OECD, überarbeiteter Diskussionsentwurf vom 30.7.2013, „Revised Discussion Draft on Transfer Pricing aspects on Intangibles“, abrufbar unter:
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
dung der Preisvergleichsmethode und der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises von immateriellen Wirtschaftsgütern wird erstmals die Nutzung finanzmathematischer Bewertungsverfahren zur Ableitung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise als zulässig erachtet.1 Demnach können in Fällen, in denen verlässliche Vergleichspreise im Rahmen der Preisvergleichsmethode nicht festgestellt werden können, die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode sowie anerkannte finanzmathematische Bewertungsverfahren zur Ableitung von Fremdvergleichspreisen herangezogen werden.2 Sowohl die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode als auch die Anwendung finanzmathematischer Bewertungsverfahren basieren methodisch auf dem hypothetischen Fremdvergleich, so dass ein Unterschied zu dem in § 1 Abs. 3 AStG angelegten Stufenverhältnis zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich bei Abwesenheit zuverlässiger Vergleichspreise nicht besteht.3 Ferner stellt die OECD nunmehr finanzmathematische Bewertungsverfahren jedenfalls für die Ableitung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise immaterieller Wirtschaftsgüter gleichrangig neben die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode als international anerkannte Verrechnungspreismethode. Begrifflich unklar bleibt das Verhältnis dieser finanzmathematischen Bewertungsverfahren zu den international anerkannten Verrechnungspreismethoden. Tz. 80 des überarbeiteten Diskussionsentwurfs deutet darauf hin, dass finanzmathematische Bewertungsverfahren als Verrechnungspreismethoden verstanden werden können,4 Tz. 163 des Diskussionsentwurfs bezeichnet die Bewertungsverfahren dagegen als „useful tools“. Tz. 306 zu Beispiel 22 und Tz. 309 zu Beispiel 23 des Diskussionsentwurfs gehen im Zusammenhang mit der Anwendung eines Bewertungsverfahrens von der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ aus.5 Im Hinblick auf ein Rangfolgeverhältnis zwischen der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode und finanzmathematischen Bewertungsverfahren geht der Diskussionsentwurf zwar davon aus, dass die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode in Lizenzierungsfällen häufig angewendet wird, weitergehende Aussagen finden sich allerdings nicht. Sie ließen sich auch mit dem Grundkonzept der OECDLeitlinien nicht vereinbaren, wonach anstelle einer strengen Methoden-
1 2 3 4
5
http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/revised-discussion-draft-intangibles. pdf. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 171 ff. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 166 ff. und 171 ff. A.A. Roeder, ISR 2012, 72. „Because it may be difficult to find comparable transactions involving the outsourcing of such important functions, it may be necessary to utilise transfer pricing methods not directly based on comparables, including profit split methods and valuation techniques […].“ Vgl. den revidierten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 306 und 309.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
hierarchie die für die jeweilige Transaktion am besten geeignete Verrechnungspreismethode anzuwenden ist und lediglich bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit die klassischen Methoden vorrangig vor den gewinnorientierten Verrechnungspreismethoden und die Preisvergleichsmethode vorrangig vor jeder anderen Verrechnungspreismethode anzuwenden sind (Rz. 5.143).1 Nach dem OECD-Entwurf ist kein bestimmtes finanzmathematisches Bewertungsverfahren vorrangig oder exklusiv anzuwenden, womit für die gewinnorientierte Bewertung die anerkannten Ertragswert- und DCF-Verfahren akzeptiert werden.2 Allerdings entspricht nach Auffassung der OECD eine für Bilanzierungszwecke vorgenommene Bewertung aufgrund der unterschiedlichen Zwecksetzungen regelmäßig nicht den Anforderungen des Fremdvergleichsgrundsatzes, was im Wesentlichen in dem für Bilanzierungszwecke maßgeblichen Vorsichtsprinzip begründet ist.3 Ausdrücklich lehnt die OECD deshalb eine Wertermittlung im Rahmen der Kaufpreisallokation als nicht maßgeblich ab und fordert für Zwecke der Verrechnungspreisanalyse eine vorsichtige und sorgfältige Berücksichtigung der zugrunde gelegten (Bewertungs-)Annahmen, wenn solche Werte herangezogen werden.4 Ferner ist auch nach Auffassung der OECD die ertragswertorientierte Bewertung zweiseitig, d.h. sie hat aus der Sicht beider Transaktionspartner zu erfolgen. Insofern besteht jedenfalls konzeptionell kein Unterschied zu den Regelungen des § 1 Abs. 3 Sätze 5 und 6 AStG, die für den hypothetischen Fremdvergleich in Gestalt der Einigungsbereichsbetrachtung eine ertragswertorientierte Ermittlung der Preisgrenze des Leistenden (Mindestpreis) und der Preisgrenze des Leistungsempfängers (Höchstpreis) regeln. Deutlich zurückhaltender sind die Empfehlungen der OECD im Hinblick auf die entscheidende Frage, welcher Wert innerhalb der Bandbreite zwischen den Ertragswerten der beiden Vertragsparteien dem Fremdvergleichspreis entspricht. Der Diskussionsentwurf führt in Tz. 175 lediglich aus, dass der Fremdvergleichspreis für das betreffende immaterielle Wirtschaftsgut irgendwo („somewhere“) in der Bandbreite liegen wird, die durch die individuell ermittelten Ertragswerte der Vertragsparteien gebildet wird.5 Eine bestimmte Aufteilung des Einigungsbereichs sehen die Empfehlungen der OECD nicht vor. Der Diskussionsentwurf der OECD macht sich insbesondere nicht die in § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG für Zwecke der innerstaatlichen Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes verankerte widerlegbare Vermutung einer hälftigen Teilung des Einigungsbereichs zu eigen. Insofern ist davon auszugehen, dass nach Auffassung der OECD jeder Wert innerhalb der Bandbreite zwischen den Ertragswerten der beiden Vertragsparteien mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar ist. Ferner ist von Bedeutung, dass die OECD die Aufteilung des Ei1 2 3 4 5
Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz.
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171. 173. 173. 175 und 319.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
nigungsbereichs wohl nicht im Zusammenhang mit der Allokation von Standortvorteilen und Synergieeffekten beurteilt, die nach den Empfehlungen des OECD-Diskussionsentwurfs als Vergleichbarkeitsfaktoren in die Vergleichbarkeitsanalyse eingehen und erforderlichenfalls Anpassungen der abgeleiteten Vergleichswerte bedingen und zulassen (Rz. 5.231).1 Standortvorteile und Synergieeffekte. Die OECD-Leitlinien haben sich im Zusammenhang mit den in Kapitel IX eingeführten Grundsätzen zu Business-Restructurings erstmals zur Behandlung von Standortvorteilen geäußert.2 Beispielhaft benennen die OECD-Leitlinien als Standortvorteile niedrige Arbeits- und Immobilienkosten, die bei höheren, durch die Verlagerung bedingten Kosten (z.B. Schließungskosten, Infrastrukturkosten am neuen Standort, Transportkosten, Ausbildungskosten für lokale Arbeitskräfte) insgesamt zu (kostenorientierten) Standortvorteilen führen können.3 Nach Tz. 9.149 OECD-Leitlinien soll sich die Aufteilung „signifikanter“ Standortvorteile danach bestimmen, was unabhängige Vertragspartner unter ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten, wobei davon ausgegangen wird, dass sich die Vereinbarungen fremder Dritter „normalerweise“ an den ausgeübten Funktionen, den getragenen Risiken und den eingesetzten Wirtschaftsgütern, aber auch an der jeweiligen Verhandlungsmacht (-stärke) ausrichten wird.4 Nach welchen Grundsätzen dieser Fremdvergleich konkret durchgeführt werden soll, erläutern die OECDLeitlinien lediglich beispielhaft. Die Erörterungen zur Auftragsfertigung, d.h. zur Ausübung einer Routineproduktionsfunktion, in Tz. 9.151 OECD-Leitlinien deuten darauf hin, dass die entsprechende Funktionsausübung durch lokale Wettbewerber des verbundenen Routineunternehmens eine realistischerweise zur Verfügung stehende Handlungsalternative sein kann und dass die Bedingungen, zu denen fremde Dritte die Funktionsausübung übernehmen würden, Anhaltspunkte für eine dem Fremdvergleich entsprechende Aufteilung der betreffenden Standortvorteile geben könnten.5 Die Überlegungen der OECD sind offenkundig darauf gerichtet, die Aufteilung von Standortvorteilen über die Feststellung von Vergleichspreisen für die entsprechende verbundinterne Transaktion und damit allenfalls als deren nicht isolierbare Komponente vorzunehmen. Dies verwundert insofern, als dieser methodisch auf die Preisvergleichsmethode zurückzuführende Ansatz die Aufteilung von Standortvorteilen allenfalls mittelbar betrifft und im Hinblick auf die eigentliche Fragestellung keine Anhaltspunkte bereitstellt. Denn sollten die strengen Vergleichbarkeitsanforderungen an die Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode im konkreten Einzelfall tatsächlich vorliegen, kommt lediglich der Ansatz eines ggf. innerhalb einer Bandbreite festgestellter Vergleichswerte liegen1 2 3 4 5
Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 1 ff. Vgl. Tz. 9.148–9.153 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.148 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.149 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.151 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
den Werts in Betracht, ohne dass eine isolierte oder zusätzliche Aufteilung etwaiger Standortvorteile mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar wäre. Diese ergibt sich allenfalls mittelbar über die Fremdvergleichsbandbreite bzw. den entsprechenden Wertansatz innerhalb der Fremdvergleichsbandbreite. Einer Aufteilung etwaiger Standortvorteile kommt in diesem Fall keine eigenständige Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund sind die Aussagen der OECD nicht nachvollziehbar, dem verbundinternen Auftragsfertiger gebührte „allenfalls ein sehr geringer Anteil der Standortvorteile“1, die sich jedenfalls nicht aus dem Fremdvergleichsgrundsatz ableiten lassen. Im Übrigen ist mehr als zweifelhaft, ob die in den OECD-Leitlinien ausgemachte Auftragsvergabe an fremde Dritte tatsächlich eine realistischerweise zur Verfügung stehende Handlungsalternative darstellt. Zieht man in Betracht, dass konzerninterne Auftragsfertigungsverhältnisse in der Praxis üblicherweise mit Technologie- und Know-how-Beistellungen des Auftraggebers verbunden sind, sollte bei entsprechenden Auftragsverhältnissen mit fremden Dritten die Vergleichbarkeit der Verhältnisse fraglich sein. Dies betrifft insbesondere die Funktions- und Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Angesichts des in der Praxis bestehenden Risikos des Technologie- und Know-how-Übergangs auf den Auftragnehmer mit der Folge, dass der Auftragnehmer zukünftig als Wettbewerber des Auftraggebers am Markt agiert, wird die Risikoposition des Auftraggebers regelmäßig nicht vergleichbar sein. Da diese zusätzlichen Risiken mangels verfügbarer Marktdaten Anpassungsrechnungen nicht zugänglich sind,2 können die bestehenden Unterschiede im Hinblick auf die vom Auftraggeber übernommenen Risiken auch nicht angepasst werden. Ein tatsächlicher Fremdvergleich und damit die Anwendung der Preisvergleichsmethode wird mangels Vergleichbarkeit der Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer daher regelmäßig nicht in Betracht kommen. Auch das weitere von der OECD angeführte Beispiel zu hochspezialisierten Ingenieurleistungen betrifft die Aufteilung von Standortvorteilen im Grundsatz nicht.3 Der dort in Bezug genommene Wettbewerbsdruck auf dem Absatzmarkt, der ggf. zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit eine Senkung der Absatzpreise erfordert, betrifft nicht die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse des für den Bezug der entsprechenden Leistungen relevanten Vergleichsmarkts. Wenn die OECD-Leitlinien davon sprechen, dass ggf. ein Teil der Standortvorteile an den Endkunden weitergegeben werden müsse,4 gibt diese Feststellung für die Aufteilung von Standortvorteilen aus dem Fremdbezug dieser Leistungen durch Unterauftragsverhältnisse nichts her. Man wird allenfalls für die von der OECD beiseitegelassene, aber bestehende Handlungsalternative der Eigenerstel1 2 3 4
Tz. 9.151 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. hierzu auch Ditz/Liebchen, DB 2012, 1469 ff. Vgl. Tz. 9.152 f. OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.152 OECD-Leitlinien 2010.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
lung der entsprechenden Dienstleistungen (sog. „Make-or-Buy“-Kalkül)1 feststellen müssen, dass der Handlungsdruck erhöht würde. Diese Handlungsalternative der Eigenerstellung wird allerdings nicht von den Absatzpreisen, sondern ausschließlich von den entsprechenden Kosten bestimmt, die durch die Eigenerstellung entstehen. Standortvorteile und Anpassungsrechnungen. Nach dem überarbeiteten OECD-Diskussionsentwurf zur Überarbeitung des Kapitels VI der OECDLeitlinien vom 30.7.2013 (Rz. 5.230) sind umfangreiche Erläuterungen zu Standortvorteilen, anderen lokalen Marktbedingungen, zur Übernahme einer einzigartig qualifizierten oder erfahrenen Belegschaft und zu Synergieeffekten geplant, die dem Kapitel I annexiert werden sollen.2 Im Hinblick auf Standortvorteile führt der überarbeitete OECD-Diskussionsentwurf aus, dass einige Eigenschaften des relevanten Markts auf Standortvorteile hindeuten könnten, während andere Eigenschaften eher Bedenken an der Vergleichbarkeit hervorrufen, ohne unmittelbar mit Standortvorteilen zusammenzuhängen. Zu letzteren Eigenschaften des relevanten Markts gehören etwa die Größe des geografischen Markts, auf dem die Lieferungen und Leistungen erfolgen, die Kaufkraft und die Konsumpräferenzen der (privaten) Haushalte, ob es sich um einen Wachstumsmarkt oder um einen zurückgehenden Markt handelt, die Wettbewerbsintensität auf diesem Markt und vergleichbare Faktoren mit Einfluss auf die Preise und Margen auf diesem Markt.3 Während eine Berücksichtigung dieser konkreten Markteigenschaften in der Vergleichbarkeitsanalyse eine Selbstverständlichkeit ist, geht der überarbeitete Diskussionsentwurf auch für die Standortfaktoren, die zu Standortvorteilen oder -nachteilen führen können (z.B. die relative Verfügbarkeit lokaler Infrastruktur, die relative Verfügbarkeit von ausgebildeten Arbeitskräften, die Nähe zu lukrativen Märkten), davon aus, dass sie in der Vergleichbarkeitsanalyse berücksichtigt werden sollten.4 Hierbei soll diesen Standortfaktoren vorrangig durch Vergleichbarkeitsanpassungen Rechnung getragen werden, wenn diese Anpassungen verlässlich sind und die Vergleichbarkeit erhöhen. Der überarbeitete OECD-Diskussionsentwurf geht davon aus, dass der Rückgriff auf Vergleichswerte vergleichbarer Geschäftsvorfälle zwischen fremden Dritten auf diesem geografischen Markt den verlässlichsten Ansatz dafür bietet, ob für die konkreten Markteigenschaften besondere Anpassungen erforderlich sind oder nicht. Können solche Vergleichswerte identifiziert werden, sollen nach Auffassung der OECD keine besonderen Anpassungen im Hinblick auf die konkreten Markteigenschaften, einschließlich Standortvorteilen und -nachteilen, erforderlich sein.5 Der Auf1 Vgl. auch Baumhoff in Mössner u.a., Steuerecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.250 und 3.317. 2 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 1 ff. 3 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 6. 4 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 6. 5 Vgl. den überarbeiteten Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, Tz. 7.
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5.232
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
fassung der OECD ist insofern zuzustimmen, als die Ableitung von z.B. konkreten Preisen vergleichbarer Fremdgeschäftsvorfälle, die unter denselben Marktbedingungen und -eigenschaften zustande gekommen sind, mittels tatsächlichen Fremdvergleichs die Fremdüblichkeit indiziert und jedwede darüber hinausgehenden Anpassung auch mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht zu vereinbaren wäre (vgl. auch Rz. 5.231). In der Praxis sollte allerdings gerade die Vergleichbarkeit der Fremdgeschäftsvorfälle das Hauptproblem darstellen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die konkrete Funktions- und Risikoverteilung zwischen den Parteien der Vergleichstransaktionen, über die entsprechende Informationen regelmäßig nicht verfügbar sein sollten. Gleiches gilt für die erforderliche Referenz, auf die sich die Beurteilung vorteilhafter oder nachteiliger Standortfaktoren letztlich bezieht. Neben den konkreten Markteigenschaften und Standortfaktoren des Markts, auf dem die Leistungserstellung erfolgt, erfordert eine konkrete Referenz auch die Einbeziehung der Markteigenschaften und Standortfaktoren des jeweiligen Auftraggebers. Insofern müssen vergleichbare Fremdgeschäftsvorfälle dieselben Marktbezüge aufweisen. Ferner steht die Vergleichbarkeit der Verhältnisse bei Technologie- und Know-how-Beistellungen des Auftraggebers im Rahmen von konzerninternen Transaktionen stets in Frage (vgl. Rz. 5.231). Wir gehen deshalb davon aus, dass die Identifizierbarkeit konkreter Vergleichspreise oder -werte für die konzerninternen Geschäftsvorfälle, bei denen Standortvorteile und deren Aufteilung in Rede stehen, aufgrund der spezifischen Ausgestaltung dieser Geschäftsbeziehungen eher die Ausnahme sein sollte. Für Situationen, in denen verlässliche lokale Vergleichswerte vernünftigerweise nicht festgestellt werden können, empfiehlt der überarbeitete OECD-Diskussionsentwurf für die Bestimmung angemessener Vergleichbarkeitsanpassungen folgende Vorgehensweise im Hinblick auf die Berücksichtigung von Standortvorteilen: 1. es ist festzustellen, ob ein Standortvorteil oder -nachteil existiert; 2. der Anstieg oder Rückgang von Umsätzen, Kosten oder Gewinnen gegenüber den Umsätzen, Kosten oder Gewinnen auf anderen Märkten, die dem betreffenden Standortvorteil oder -nachteil zuzuordnen sind, ist betragsmäßig zu ermitteln; 3. es ist festzustellen, in welchem Umfang Gewinne und Belastungen durch lokale Markteigenschaften an unabhängige Abnehmer oder Lieferanten weitergegeben werden; 4. für Fälle, in denen Gewinne und Belastungen existieren, die lokalen Markteigenschaften zuordenbar sind und nicht vollständig an unabhängige Abnehmer oder Lieferanten weitergegeben werden, ist die Methode zu bestimmen, nach der fremde Dritte, die unter ähnlichen Verhältnissen tätig sind, solche Nettogewinne und Belastungen untereinander aufteilen würden. Die Vorstellungen der OECD haben für sich, dass sie eine theoretische Vorgehensweise aufzeigen, nach der Standortvorteile in die Vergleichbar482
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
keitsanalyse einbezogen werden könnten. Allerdings sollte mit Ausnahme der Feststellung konkreter Standortvorteile oder -nachteile in der Praxis keiner dieser Schritte tatsächlich umsetzbar sein. Schon die Allokation bestimmter Veränderungen von Ergebniszahlen auf Standortvorteile oder -nachteile nach objektiven Gesichtspunkten sollte in der Praxis mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, erfordert sie doch die Kenntnis und Abgrenzbarkeit von Ergebniswirkungen, die auf andere Einflussfaktoren, wie z.B. Synergieeffekte, zurückzuführen sind. In welchem Umfang Gewinne oder Belastungen aus den lokalen Marktgegebenheiten zwischen fremden Dritten weitergegeben werden, würde die Kenntnis über deren Höhe und die Isolierbarkeit aus ggf. feststellbaren Vergleichspreisen und -werten voraussetzen. Für beides fehlen gegenwärtig entsprechende Vergleichsdaten, auf deren Grundlage – methodisch mittels tatsächlichen Fremdvergleichs – entsprechende Feststellungen getroffen werden könnten. Auch würde dieses Verfahren erfordern, dass die Kalkulationsgrundlagen der an den Fremdgeschäftsvorfällen beteiligten Unternehmen offengelegt und zugänglich gemacht werden, was praktisch kaum vorstellbar ist. Man wird letztlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass Standortvorteile und -nachteile nicht mittels eines tatsächlichen Fremdvergleichs aufgeteilt und zugeordnet werden können. Insofern verbliebe als Formel für die Berücksichtigung von Standortvorteilen im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse lediglich, die Methode zu bestimmen, nach der fremde Dritte unter ähnlichen Rahmenbedingungen Standortvorteile aufteilen würden. Welche Methoden hierfür konkret in Betracht kommen, lässt der überarbeitete OECD-Diskussionsentwurf allerdings offen. c) Auffassung der Rechtsprechung Zinsurteile des BFH. Nach Auffassung des BFH in seinen sog. „Zinsurteilen“ sind bei der Festlegung konzerninterner Zinssätze für die Verrechnung von Finanzierungsleistungen die banküblichen Habenzinsen als Untergrenze und die banküblichen Sollzinsen als Obergrenze für angemessene Zinsen zu beachten, wobei sich „im Zweifel“ Darlehensgläubiger und Darlehensschuldner die Spanne zwischen bankenüblichen Habenund Schuldzinsen teilen sollen.1 Da diese Rechtsprechung konzeptionell auf dem hypothetischen Fremdvergleich beruht (Rz. 3.132 ff.), ging der BFH bereits in seinen Zinsurteilen von einer hälftigen Teilung des Einigungsbereichs aus.
5.233
Aufteilung von Standortvorteilen. In der Verrechnungspreispraxis wird die Vergütung eines Lohnfertigers regelmäßig nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt (Rz. 6.31 ff.). Die undifferenzierte Anwendung der Kos-
5.234
1 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; v. 22.10.2003 – I R 36/03, FR 2004, 462 = DStRE 2004, 304.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
tenaufschlagsmethode führt jedoch dazu, dass der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn jedenfalls dann unzutreffend zugeordnet wird, wenn die Standortvorteile nicht bei der Bemessung des Gewinnaufschlags berücksichtigt werden, sondern – wie regelmäßig – ein Standardgewinnaufschlag auf die durch die Standortvorteile niedrigere Kostenbasis angesetzt wird (Rz. 6.36 ff.). In diesem Fall kommt der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn größtenteils dem Auftraggeber zugute. Letztlich würden dadurch die Standortvorteile vollständig ins Inland übertragen und dort der Besteuerung zugeführt. Eine solche Zuordnung der Standortvorteile ist allerdings nicht sachgerecht und entspricht auch nicht dem Grundsatz des Fremdvergleichs. Denn Standortvorteile entstehen aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Staates. Somit sollte das grundsätzliche Besteuerungsrecht der daraus resultierenden Gewinne auch dem betreffenden Staat zustehen (Rz. 6.36 ff.). Das FG Münster hat in seinem rechtskräftigen Urteil v. 16.3.20061 erstmals zur Aufteilung von Standortvorteilen bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen gegenüber Lohnfertigern entschieden (vgl. auch Rz. 6.38) Das FG Münster hat hier die Rechtsauffassung vertreten, dass die durch Kostenvorteile entstandenen Standortvorteile nicht vollständig vom inländischen Auftraggeber absorbiert werden können. Stattdessen ist der Lohnfertiger an diesen Standortvorteilen zu beteiligen. Dies entspricht der h.M. in der Literatur, wonach die durch die niedrigeren Kosten im Ausland resultierenden Standortvorteile zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger aufzuteilen sind.2 Selbst Vertreter der Finanzverwaltung sehen eine Aufteilung als erforderlich an. So formulieren Kuckhoff/Schreiber, dass durch eine undifferenzierte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode „die Standortvorteile über den Verrechnungspreis seitens der inländischen Muttergesellschaft oder des inländischen Abnehmers nahezu völlig abgeschöpft [würden], was betriebswirtschaftlich und damit auch steuerlich nicht zu rechtfertigen ist“.3 Nach der Literaturauffassung ist es daher unstreitig, dass Standortvorteile zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger grundsätzlich aufzuteilen sind. Fraglich ist allerdings, nach welchen Grundsätzen diese Aufteilung zu erfolgen hat. In der Verrechnungspreispraxis wird diese Aufteilung von Standortvorteilen auf Basis eines hypothetischen Fremdvergleichs vorgenommen. Mittels der Referenzfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftslei1 FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562. 2 Vgl. Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791; Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 319; Wassermeyer, StbJb. 1997/98, 163; Rödder, StbJb. 1997/98, 122; Kroppen in Kroppen, Handbuch internationale Verrechnungspreise, Rz. W 59; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 363; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 363; Dreßler in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Podiumsdiskussion, 98. 3 Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 217; vgl. auch Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 319.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
ters sowohl aufseiten des Lohnfertigers als auch aufseiten des Auftraggebers („doppelter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter“, Rz. 3.143 ff.) ist eine am Fremdvergleich orientierte Aufteilung abzuleiten. Methodisch sind hierzu der Mindestpreis des Lohnfertigers (Preisuntergrenze) und der Höchstpreis des Auftraggebers (Preisobergrenze) zu bestimmen.1 Hierbei bezieht sich die Preisobergrenze des Auftraggebers auf die Handlungsalternative Eigenfertigung und umfasst die dementsprechenden Kosten. Die Preisuntergrenze des Lohnfertigers markieren die Kosten des jeweiligen Auftrags zzgl. eines Standardgewinnaufschlags. Da bei den hier zur Diskussion stehenden Auslagerungen von Produktionsaufgaben die Preisobergrenze üblicherweise die Preisuntergrenze überschreitet, liegt ein Einigungsbereich vor. Grundsätzlich dürften alle Preise innerhalb dieses Einigungsbereichs als angemessen anzusehen sein, da jeder dieser Preise auch zwischen fremden Dritten vereinbart werden könnte. Das FG Münster hat konkret bei einer hälftigen Teilung des Kostenvorteils keinen Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz gesehen.2 In aller Deutlichkeit wird in dem Urteil zudem ausgeführt, dass es für die Aufteilung von Standortvorteilen nicht auf die wirtschaftliche Machtstellung zwischen nahe stehenden Unternehmen ankommen kann. Vielmehr ist gemäß dem Grundsatz des Fremdvergleichs darauf abzustellen, wie unabhängige Parteien die Preise vereinbart hätten. Die Finanzverwaltung wendet dieses Urteil indes nicht allgemein an.3 Nach Zech entspricht es vielmehr der Auffassung der Finanzverwaltung, dass der Standortvorteil vollständig im Inland vereinnahmt wird.4 Diese Auffassung dürfte allerdings angesichts der Qualifikation der Funktionsabspaltung auf einen Lohnfertiger als Funktionsverlagerung nicht mehr begründbar sein (Rz. 7.147 ff.).5 Die VWG-Funktionsverlagerung äußern sich zwar wiederholt zu Standortvorteilen,6 bleiben allerdings im Hinblick auf ihre Aufteilung letztlich unbestimmt. Nach Tz. 93 der VWGFunktionsverlagerung soll es für die Zurechnung von Standortvorteilen darauf ankommen, „welches Unternehmen diese Vorteile/Nachteile in den fiktiven Preisverhandlungen in Anspruch nehmen könnte bzw. tragen müsste“, was letztlich von den – sich aus objektiven Umständen ergebenden – „konkreten Handlungsalternativen“ und der „jeweiligen Verhandlungsstärke“ abhängen soll.7 Diese Überlegungen erinnern an die sog. Verhandlungslösung, die allerdings wegen ihrer Abhängigkeit von 1 Vgl. hierzu Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791. 2 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562; s. hierzu ausführlich Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 792 f. 3 Vgl. Rupp in Haufe Steueroffice Kanzlei-Edition, Haufe-Index 2061149, Tz. 2.4; Zech, IStR 2011, 134. 4 Vgl. Zech, IStR 2011, 133. 5 So zutreffend Zech, IStR 2011, 133 f. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 76, 85, 93, 123, 128, 155, 168. 7 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 93 und 121 ff.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Einflussfaktoren, die zwischen nahe stehenden Unternehmen beliebig dem einen oder dem anderen Verhandlungspartner zugeordnet werden können, für die Aufteilung von Einigungsbereichen ungeeignet ist (Rz. 5.227). Außerdem stehen diese Überlegungen im Widerspruch zur Fiktion der vollständigen Information und Markttransparenz nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG, die letztlich zu gleichen Verhandlungsstärken führen muss. d) Gesetzliche Regelung und Verwaltungsauffassung
5.235
VWG 1983 und VWG-Verfahren. Zu der Frage, wie ein ermittelter Einigungsbereich zwischen den Verhandlungspartnern aufzuteilen ist, gab es bisher keine klare Handlungsempfehlung. In den VWG 1983 wird lediglich ausgeführt, dass eine schematische Orientierung des Verrechnungspreises an der Ober- oder Untergrenze eines solchen Einigungsbereichs ohne wirtschaftlich beachtliche Gründe nicht statthaft sei, weil ein ordentlicher Geschäftsleiter „im Interesse seines Unternehmens auf eine ausgewogene Preisgestaltung bedacht“1 wäre. Auch die VWG-Verfahren gehen nur auf die Auswahl eines Werts aus einer Preisbandbreite ein,2 die allerdings durch einen tatsächlichen, nicht dagegen durch einen hypothetischen Fremdvergleich abgeleitet wurde.
5.236
Hälftige Teilung des Einigungsbereichs. Mit § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG wurde nunmehr eine gesetzliche Regelung zur Aufteilung eines Einigungsbereichs verankert. Hiernach „ist der Preis im Einigungsbereich der Einkünfteermittlung zugrunde zu legen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht; wird kein anderer Wert glaubhaft gemacht, ist der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen“. Wenn also nichts anderes glaubhaft gemacht wird, ist zunächst auf den Mittelwert abzustellen. Eine solche hälftige Teilung des Einigungsbereichs ist zunächst nicht abwegig, zumal sie betriebswirtschaftlich der sog. Arbitriumwertlösung entspricht.3 Auch die sog. Zinsurteile des BFH (Rz. 5.233)4 machen einen entsprechenden Lösungsvorschlag. In gleicher Weise geht die Rspr. zur Aufteilung von Standortvorteilen bei einem Lohnfertiger (Rz. 5.234)5 davon aus, dass Auftraggeber und Lohnfertiger den sich durch die Standortvorteile ergebenden Einigungsbereich hälftig teilen.
1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.9 Bsp. 1. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5. 3 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Wassermeyer, 351 m.w.N. 4 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; v. 22.10.2003 – I R 36/03, FR 2004, 462 = DStRE 2004, 304. 5 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562; ausführlich hierzu Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 789.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
Widerlegbare Vermutung. Allerdings handelt es sich bei der hälftigen Teilung des Einigungsbereichs um eine widerlegbare Vermutung. Der Steuerpflichtige muss hierzu glaubhaft machen, dass ein anderer Wert als der Mittelwert dem Fremdvergleichsgrundsatz mit „der höchsten Wahrscheinlichkeit“ entspricht. Hierbei erfordert die Glaubhaftmachung ein herabgesetztes Beweismaß. Der Steuerpflichtige muss darlegen, dass für die behauptete Tatsache – der behauptete Wert entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit – „eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben ist“; d.h., das Bestehen der behaupteten Tatsache „wahrscheinlicher ist als ihr Nichtbestehen“1. Fraglich ist, wie diese tautologische Glaubhaftmachung mittels Wahrscheinlichkeiten in praxi bewerkstelligt werden kann. Denn innerhalb des Einigungsbereichs entspricht jeder Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz, weil jeder dieser Werte – und zwar mit der gleichen Wahrscheinlichkeit – auch zwischen fremden Dritten (hypothetisch) vereinbart werden könnte. Insofern muss die Glaubhaftmachung mittels Wahrscheinlichkeiten – verstanden als Häufung einer (beobachtbaren) Ausprägung – im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs scheitern, weil eine größere Häufung einer Ausprägung ebenso wie der hypothetische Fremdvergleich einem Denkprozess entspringen muss.2 Nach Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung3 bleibt für die Glaubhaftmachung eines anderen Werts als des Mittelwerts die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit der Transaktionspartner unberücksichtigt. Demgegenüber können als Kriterien für einen dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der größten Wahrscheinlichkeit entsprechenden Wert die jeweiligen Marktpositionen, das jeweilige mit der Transaktion verbundene Interesse, die Kapitalausstattung und Ertragslage der Kontrahenten, die Entstehung von Synergieeffekten und Standortvorteilen herangezogen werden. Ferner sind – unter Verweis auf die Auffassung der OECD4 – die Handlungsalternativen der Parteien zu beachten. Wichtig wird hier sein, dass die unternehmensseitig angelegten Kriterien bereits bei der Erfüllung der Dokumentationspflichten hinreichend dargelegt werden.5
5.237
Wahlrecht für einen abweichenden Wertansatz. Vor dem Hintergrund der Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 AStG ist fraglich, ob der Steuerpflichtige verpflichtet ist, einen Wert innerhalb des Einigungsbereichs „glaubhaft“ zu machen. Geht man – wie hier vertreten – von einer wider-
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1 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 40. 2 Vgl. hierzu ausführlich Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 556; Greinert, Ubg 2010, 106; Kroppen in FS Schaumburg, 872. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 128. 4 Vgl. Tz. 1.34 u. 8.59 ff. OECD-Leitlinien 2010. 5 Zur Dokumentation von Funktionsverlagerungen s. auch Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.438 ff.; Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Q Rz. 258 u. 779 ff.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
legbaren Vermutung der hälftigen Teilung aus, wird – rationales Verhalten unterstellt – die Glaubhaftmachung eines anderen Werts innerhalb des Einigungsbereichs nur dann anzustreben sein, wenn hierdurch eine für den Steuerpflichtigen günstigere Aufteilung des Einigungsbereichs erreicht werden kann. Der Normwortlaut impliziert eine widerlegbare Vermutung bzw. ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen („kann“). Ebenso wenig lässt sich der Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung ein Hinweis darauf entnehmen, dass verwaltungsseitig von einer diesbezüglichen Verpflichtung ausgegangen wird. Gegen eine solche Verpflichtung spricht das Beispiel in Tz. 128 der VWG-Funktionsverlagerung, wenn von einer „insoweit […] abweichenden Aufteilung des Einigungsbereichs“ im Zusammenhang mit der Glaubhaftmachung eines anderen Wertansatzes die Rede ist.1 Dies impliziert grundsätzlich eine gesetzliche – allerdings widerlegbare – Aufteilung von Einigungsbereichen. Überdies nimmt die Finanzverwaltung für die Ausübung des ihr nach § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG in Fällen der unzutreffenden Ermittlung des Einigungsbereichs für eine Einkünftekorrektur eingeräumten Ermessens ausdrücklich darauf Bezug, „ob die Abweichung vom Mittelwert im zutreffenden Einigungsbereich erheblich ist“.2 Demgegenüber vertritt Zech die Auffassung, dass es Sache des Steuerpflichtigen sei, im Rahmen der Dokumentation glaubhaft zu machen, dass kein anderer Wert angesetzt werden kann.3 Eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen soll sich aus dem „Zusammenspiel von § 90 Abs. 3 AO und § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 AStG“ ergeben.4 Hiernach soll der Steuerpflichtige gehalten sein, bei ihm vorliegenden Erkenntnissen, nach denen ein höherer Wert als der Mittelwert zum Ansatz kommt, eben diesen Wert zugrunde zu legen. Ferner geht Zech von einer Verpflichtung des Steuerpflichtigen aus, die Unmöglichkeit einer anderweitigen Wertfindung wiederum glaubhaft zu machen.5 Insofern käme es hierfür auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit an. Was letztere Verpflichtung anbelangt, entbehrt sie einer rechtlichen Grundlage. Gegenstand der Glaubhaftmachung i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 AStG sind der Wert selbst, nicht hingegen die Möglichkeiten dessen Ermittlung. Es würde schier Unmögliches verlangt, sollte dem Steuerpflichtigen – basierend auf einem Denkmodell – eine Darlegungspflicht erwachsen (Rz. 5.237). Insofern bleibt festzustellen, dass der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, einen Wert innerhalb des Einigungsbereichs glaubhaft zu machen. Er kann vielmehr den gesetzlichen Wertansatz „in Kauf nehmen“.
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 128. 2 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 130. 3 Vgl. Zech, IStR 2011, 136. 4 Vgl. Zech, IStR 2011, 136. 5 Vgl. Zech, IStR 2011, 136.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
4. Nachträgliche Verrechnungspreiskorrekturen a) Unzutreffender Einigungsbereich/Verrechnungspreisansatz Zutreffender Einigungsbereich/zutreffender Verrechnungspreisansatz. Hat der Steuerpflichtige den Einigungsbereich zutreffend ermittelt, seiner Verrechnungspreisermittlung allerdings einen anderen als den Mittelwert zugrunde gelegt, ist es nach den gesetzlichen Vorgaben Sache des Steuerpflichtigen, glaubhaft zu machen, dass dieser Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht. Hierzu wurde bereits dargelegt, dass in praxi die Glaubhaftmachung mittels Wahrscheinlichkeiten schon theoretisch erheblichen Bedenken begegnet, weil jeder Wert innerhalb des Einigungsbereichs grundsätzlich gleich wahrscheinlich ist (vgl. Rz. 5.237). Der Steuerpflichtige wird deshalb nicht umhinkommen, seinen Wertansatz unter Rückgriff auf die in den VWGFunktionsverlagerung genannten Kriterien für einen dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der größten Wahrscheinlichkeit entsprechenden Wert (jeweilige Marktposition, das jeweilige mit der Transaktion verbundene Interesse, die Kapitalausstattung und Ertragslage der Kontrahenten, die Handlungsalternativen der Parteien) zu begründen.1 Diese Überlegungen sollten bereits die Verrechnungspreisbestimmung leiten und zudem dokumentiert werden. Da die Glaubhaftmachung ein herabgesetztes Beweismaß erfordert, ist bei einer plausiblen Begründung der Wertfindung grundsätzlich keine Verrechnungspreiskorrektur zulässig.
5.239
Zutreffender Einigungsbereich/unzutreffender Verrechnungspreisansatz. Geht die Verrechnungspreisbestimmung zwar auf einen zutreffend ermittelten Einigungsbereich zurück, wurde der Wertansatz aber an dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Rand des Einigungsbereichs festgelegt, entspricht der Verrechnungspreisansatz nicht den gesetzlichen Vorgaben die – allerdings widerlegbar – von einer hälftigen Teilung des Einigungsbereichs zwischen den Transaktionspartnern ausgehen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die vollständige Vereinnahmung der Standortvorteile und Synergieeffekte nur durch einen der Transaktionspartner als mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar abgeleitet werden kann, was allenfalls in Ausnahmefällen gelingen sollte.
5.240
Unzutreffender Einigungsbereich. Die nachträgliche Korrektur des angesetzten Verrechnungspreises richtet sich nach § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG. Hiernach kann die Finanzverwaltung in dem Fall, dass sich der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Einigungsbereich nachträglich als unzutreffend herausstellt, auf eine Einkünfteberichtigung verzichten, wenn der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Wert innerhalb des zutreffenden Einigungsbereichs liegt. Ob eine Korrektur vorgenommen wird, liegt damit im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzverwaltung.2 Nach Tz. 130
5.241
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 128. 2 Vgl. § 5 AO.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
der VWG-Funktionsverlagerung1 soll für die Ausübung dieses Ermessens u.a. darauf abzustellen sein, ob die Abweichung vom Mittelwert im zutreffenden Einigungsbereich erheblich ist und ob dem Steuerpflichtigen die Fehlerhaftigkeit der Ermittlung des Einigungsbereichs bekannt war oder bekannt sein musste, z.B. wegen einer entsprechenden Beanstandung bei einer vorhergehenden Prüfung. Die Auffassung der Finanzverwaltung zu den ermessensleitenden Erwägungen ist nicht bedenkenfrei. Angesichts des Wortlauts des § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG ist fraglich, ob es für die Ermessensausübung auf die Abweichung vom Mittelwert des zutreffenden Einigungsbereichs und deren Umfang („erheblich“) überhaupt ankommen kann. Dies würde de facto voraussetzen, dass der Steuerpflichtige den zutreffenden Einigungsbereich, d.h. die zutreffend ermittelten Grenzpreise der Transaktionspartner, kannte und bewusst seiner Verrechnungspreisbestimmung hiervon abweichende Preisgrenzen zugrunde gelegt hat. Angesichts der mit der Prognose zukünftiger Erträge, aber auch mit der Festlegung von „Rechnungsgrößen“ (insbesondere Kapitalisierungszinssatz und Kapitalisierungszeitraum) verbundenen Schwierigkeiten und der bestehenden Bewertungsfreiräume ist diese Vorstellung auch unter Berücksichtigung der gesetzlich fingierten vollständigen Information und Markttransparenz2 abwegig. Auch ist es letztlich völlig unklar, wann eine Abweichung „erheblich“ ist. Für Zwecke der gesetzlichen Preisanpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG (Rz. 5.242) soll in Fällen von Funktionsverlagerungen eine Abweichung der Gewinnentwicklung etwa dann „erheblich“ sein, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Verrechnungspreis außerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs liegt.3 Für Zwecke des § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG hilft dieses Begriffsverständnis nicht weiter. b) Preisanpassungsklausel
5.242
Gesetzliche Preisanpassungsklausel. Zivilrechtlich sind die Parteien zwar grundsätzlich an den von ihnen geschlossenen Vertrag gebunden, es sei denn, es wurden vertragliche Vorbehalte vereinbart oder ein Festhalten an dem Vertrag ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, insbesondere bei Wegfall der Geschäftsgrundlage, nicht mehr zumutbar.4 Für Fälle, in denen – neben Funktionsverlagerungen – der hypothetische Fremdvergleich zur Anwendung kommt, und „wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter […] Gegenstand einer Geschäftsbeziehung sind“, besteht allerdings gem. § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG die widerlegbare Vermutung, „dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sach1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 130. 2 § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG. 3 § 10 Satz 1 FVerlV. 4 Zu den zivilrechtlichen Möglichkeiten nachträglicher Preisanpassungen s. Engler, IStR 2009, 686 f.; Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, N Rz. 558 ff.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
gerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten.“ Diese gesetzliche Fiktion wird flankiert durch die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG: „Wurde eine solche Regelung nicht vereinbart und tritt innerhalb der ersten zehn Jahre nach Geschäftsabschluss eine erhebliche Abweichung im Sinne des Satzes 11 ein, ist für eine deshalb vorzunehmende Berichtigung nach Abs. 1 Satz 1 einmalig ein angemessener Anpassungsbetrag auf den ursprünglichen Verrechnungspreis der Besteuerung des Wirtschaftsjahres zugrunde zu legen, das dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist.“ Hiernach kommt eine einmalige nachträgliche gesetzliche Preisanpassung innerhalb eines 10-Jahres-Zeitraums zur Anwendung, wenn keine (fremdvergleichskonforme) Preisanpassungsklausel individualvertraglich vereinbart wurde. Dies gilt ungeachtet dessen, ob die ursprüngliche Verrechnungspreisbestimmung im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben zur Aufteilung des (ursprünglichen) Einigungsbereichs steht, d.h. insbesondere unter Beachtung der hälftigen Teilung des Einigungsbereichs mangels eines anderen, dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entsprechenden Werts erfolgte (Rz. 5.235 ff.). Wenn tatsächlich ein kürzerer Zeitraum vereinbart wird (z.B. 5 Jahre), muss dieser Zeitraum gelten. Insofern liegt auch mit der Festlegung des Anpassungszeitraums ein steuerliches Gestaltungsinstrument vor. Eingeschränkte Zulässigkeit von Korrekturen zugunsten des Steuerpflichtigen. § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG regelt eine eigenständige Einkünftekorrektur aufgrund des Fehlens einer die zukünftige Gewinnentwicklung berücksichtigenden Anpassungsregelung, die allerdings mit der Folge in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG „eingebettet“ ist, dass sie nur zu Lasten des Steuerpflichtigen erfolgen kann. Diese gesetzliche Konzeption ist nicht sachgerecht. Dies schon deshalb nicht, weil jede vertragliche Anpassungsregelung zu einer Anpassung des ursprünglich vereinbarten Kaufpreises führt. Diese nachträgliche Kaufpreisanpassung ist als ein steuerlich auf den Transaktionszeitpunkt rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AStG zu qualifizieren. Sie betrifft folglich das Wirtschaftsjahr, in dem sich der Geschäftsvorfall ereignete. Demgegenüber soll die (einmalige) gesetzliche Preisanpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG für das Wirtschaftsjahr erfolgen, das dem Wirtschaftsjahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist. Wenn der Gesetzgeber qua Fiktion die Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel unter bestimmten Voraussetzungen auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurückführt und die fehlende Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen für die finale Preisfindung mangels individualvertraglicher Preisanpassungsklausel mit einer gesetzlichen Anpassungsregelung „sanktioniert“, muss insgesamt auch ein Ergebnis hergestellt werden, das dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Da § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nur preisbezogene Einkünftekorrekturen zulässt,1 die Anpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG die Bepreisung dersel1 Vgl. hierzu Ditz/Liebchen, IStR 2012, 103; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.237.
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5.243
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
ben Geschäftsbeziehung betrifft und sich die erforderliche Kausalität zwischen den vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichenden, vertraglich vereinbarten Bedingungen und der Minderung im Inland steuerpflichtiger Einkünfte („dadurch […] dass“) genau hierauf bezieht, sind grundsätzlich auch nachträgliche Preisanpassungen zugunsten des Steuerpflichtigen zulässig (vgl. auch Rz. 7.131). Allerdings ist dies nur dann und in dem Umfang möglich, wie der ursprüngliche Verrechnungspreisansatz bereits einer Einkünftekorrektur unterlegen hat. Eine Preisanpassung, die insgesamt zu einer Einkünftekorrektur zugunsten des Steuerpflichtigen führt, kann dagegen nicht auf § 1 AStG gestützt werden.
5.244
Beschränkung auf Übertragungsfälle. Immaterielle Wirtschaftsgüter sind sowohl dann Gegenstand einer Geschäftsbeziehung, wenn sie übertragen werden, als auch dann, wenn an ihnen ein Nutzungsrecht (Lizenz) eingeräumt wurde. Für die Lizenzierung immaterieller Wirtschaftsgüter regelt § 9 FVerlV, dass „Lizenzvereinbarungen, die die zu zahlende Lizenz vom Umsatz oder Gewinn des Lizenznehmers abhängig machen oder für die Höhe der Lizenz Umsatz und Gewinn berücksichtigen“, einer Anpassungsregelung gleichstehen, m.a.W. in diesen Fällen eine nachträgliche Preisanpassung infolge des Fehlens einer ausdrücklich vereinbarten Anpassungsregel (§ 1 Abs. 3 Satz 12 AStG) ausscheidet.1 Diese Einschränkung ist auch sachgerecht, weil der Lizenzgeber bei einer umsatz- bzw. gewinnabhängigen Lizenzgebühr an jedweder Änderung – bzw. im Fall gestaffelter Lizenzsätze bei Über-/Unterschreiten der jeweiligen Grenzwerte – der Bezugsgröße partizipiert. Dies gilt bei umsatzabhängigen Lizenzgebühren allerdings ohne Berücksichtigung einer günstigeren Kostenentwicklung.2 Außerhalb von Funktionsverlagerungen (vgl. Rz. 7.129 ff.) erstreckt sich der Anwendungsbereich deshalb auf die Einzelübertragung wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter. Zu berücksichtigen ist hier, dass (wesentliche) immaterielle Wirtschaftsgüter „Gegenstand einer Geschäftsbeziehung“ sein müssen, wobei der Begriff der Geschäftsbeziehung abschließend in § 1 Abs. 4 AStG gesetzlich definiert ist. So stellt etwa die Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter im Wege gesellschaftsrechtlicher Sacheinlagen im Zuge der Sachgründung oder einer Sachkapitalerhöhung keine Geschäftsbeziehung i.S.v. § 1 Abs. 4 AStG dar, weil diesen „wirtschaftlichen Vorgängen“ eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt.
5.245
Wesentlichkeitskriterium. Nachträgliche Preisanpassungen durch die Finanzbehörden kommen nur in Betracht, wenn sich die Transaktion auf ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut bezieht. Im Hinblick auf das Wesentlichkeitskriterium gibt das Gesetz allerdings keine inhaltlichen Anforderungen vor. Für Fälle der Funktionsverlagerung sind nach § 1 Abs. 5 FVerlV – allerdings bezogen auf die verlagerte Funktion respektive das übergehende Transferpaket – funktionsverlagerungsbedingte im1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 136. 2 Vgl. Schaumburg, IStR 2009, 878.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
materielle Wirtschaftsgüter und Vorteile „wesentlich“, wenn sie für die verlagerte Funktion erforderlich sind (qualitativer Maßstab) und ihr Fremdvergleichspreis insgesamt mehr als 25 % der Summe der Einzelpreise aller Wirtschaftsgüter und Vorteile des Transferpakets beträgt (quantitativer Maßstab) (Rz. 7.119).1 Fraglich ist, ob diese Definition auch für die Einzelübertragung immaterieller Wirtschaftsgüter beachtlich ist, zumal sich § 1 Abs. 5 FVerlV auf „§ 1 Abs. 3 Satz 10 erste Alternative des Außensteuergesetzes“ beschränkt und die FVerlV im Übrigen nur Funktionsverlagerungen i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG betrifft. Die Finanzverwaltung scheint jedenfalls hiervon auszugehen, wenn sie für die insofern vergleichbare Escape-Klausel des § 10 Abs. 3 Satz 10 Alt. 3 AStG bezogen auf ein einzelnes immaterielles Wirtschaftsgut von einer sinngemäßen Anwendung dieses Wesentlichkeitskriteriums spricht.2 Allerdings ist diese Rechtsauffassung ohne Rechtsgrundlage. Sie ist auch bei Einzelübertragungen praktisch nicht umsetzbar, weil der quantitative Maßstab bei der Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern ad absurdum geführt wird, denn jedes immaterielle Wirtschaftsgut würde mit 100 % stets wesentlich sein. Dagegen ist es für die Übertragung einzelner immaterieller Wirtschaftsgüter völlig unbeachtlich, in welchem Verhältnis der Wert des übergehenden immateriellen Wirtschaftsguts zum Gesamtwert der Wirtschaftsgüter steht, die beim übernehmenden verbundenen Transaktionspartner bereits vorhanden sind. Es verbliebe bei der Einzelübertragung immaterieller Wirtschaftsgüter lediglich der qualitative Maßstab, der sich allerdings auf eine übergehende Funktion bezieht. Da allerdings bei der Einzelübertragung immaterieller Wirtschaftsgüter gerade keine Funktion verlagert wird, ist auch dieser qualitative Maßstab praktisch nicht anwendbar. Insbesondere ist die Erforderlichkeit des immateriellen Wirtschaftsguts für den übernehmenden Transaktionspartner unbeachtlich. Insgesamt lässt sich feststellen, dass für die Einzelübertragung immaterieller Wirtschaftsgüter die gesetzlichen Regelungen zum Wesentlichkeitskriterium dem Bestimmtheitsgebot nicht genügen. Doppelte Berücksichtigung von Prognoserisiken. Die gesetzliche Vermutung stützt sich ausdrücklich darauf, dass „zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarungen bestanden.“ Üblicherweise tragen fremde Dritte diesem Risiko jedoch nicht durch eine Anpassungsklausel, sondern durch die explizite Berücksichtigung des Risikos im Bewertungskalkül Rechnung.3 Nach dem IDW S 5 erfolgt dies konkret durch Berücksichtigung des Risikos entweder im Kapitalisierungszinssatz (Risikozuschlagsmethode) oder durch Anpassung der erwarteten Erträge (Sicherheitsäquivalent).4 Diesem 1 Vgl. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.361 ff. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 75. 3 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107. 4 Vgl. IDW S 5 i.d.F. 2010, WPg Supplement 3/2010, 109 Tz. 27.
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5.246
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Bewertungsstandard folgt auch die Finanzverwaltung, wenn von der Funktionsverlagerung vor allem immaterielle Wirtschaftsgüter betroffen sind.1 Angesichts der in § 5 FVerlV geforderten Anwendung der Risikozuschlagsmethode wird mithin die zum Übertragungs-/Bewertungsstichtag vorhandene Unsicherheit doppelt berücksichtigt, was nicht sachgerecht sein kann.2
5.247
Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen. Die VWG-Funktionsverlagerung führen in Tz. 135 die (zwingende) Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel ausdrücklich auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurück. Hiernach „vereinbaren ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter Preisanpassungsklauseln, wenn die Wertbestimmung […] zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist.“3 Hieran verwundert zum einen, dass das Gesetz das Bestehen von „Unsicherheiten“ unterstellt, während die Finanzverwaltung die zwingende Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel bei „erheblichen Unsicherheiten“ sieht. Zum anderen beruft sich die Finanzverwaltung auf die OECD-Leitlinien (Tz. 3.72 f., 9.88 OECD-Leitlinien). Die dortigen Ausführungen tragen die Auffassung der Finanzverwaltung jedoch nicht. Denn Tz. 3.73 OECD-Leitlinien führt – im Wesentlichen identisch mit Tz. 9.88 OECD-Leitlinien – hierzu aus: „The main question is to determine whether the valuation was sufficiently uncertain at the outset that the parties at arm’s length would have required a price adjustment mechanism, or whether the change in value was so fundamental a development that it would have led to a renegotiation of the transaction“.4 Mithin wird gerade die Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel selbst einem Fremdvergleich anheimgestellt, ohne für dessen Durchführung konkrete Vorgaben zu machen oder gar das Ergebnis vorwegzunehmen. Dies entspricht im Übrigen den Auslegungsrundsätzen der OECD-Leitlinien in Tz. 6.28 ff., die Anpassungsklauseln als eine – von zahlreichen anderen – Möglichkeit(en) zur Erfassung der Unsicherheit darstellen, ohne allerdings eine Verpflichtung zu ihrem Abschluss vorzusehen.5 Der entscheidende Unterschied zwischen der Auffassung der OECD und § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG besteht in der Beweislastverteilung. Während die OECD von einer Beweislast der Finanzverwaltung ausgeht,6 ist innerstaatlich mittels einer widerlegbaren Vermutung eine Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen geregelt.7 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 89. 2 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 135. 4 Tz. 3.73 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 6.28 ff. OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. hierzu auch Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 278 f. 7 Vgl. auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 141.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
Bestimmung des Anpassungsbetrags. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG ist einmalig ein angemessener Anpassungsbetrag auf den ursprünglichen Verrechnungspreis der Besteuerung des Wirtschaftsjahres zugrunde zu legen, das dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist. Was unter einer angemessenen Anpassung in diesem Sinne zu verstehen ist, definiert § 11 FVerlV. Hiernach ist eine Anpassung angemessen, wenn sie in Fällen einer erheblichen Abweichung i.S.d. § 10 Satz 1 FVerlV dem Unterschiedsbetrag zwischen dem ursprünglichen und dem neu ermittelten Verrechnungspreis liegt (§ 11 Satz 1 FVerlV). Eine erhebliche Abweichung i.S.d. § 10 Satz 1 FVerlV besteht, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung und des hiernach bestimmten neuen Einigungsbereichs zutreffende Verrechnungspreis außerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs liegt. In den Fällen des § 10 Satz 3 FVerlV, in denen eine erhebliche Abweichung auch dann vorliegt, wenn der auf Grundlage der tatsächlichen Gewinnentwicklungen bestimmte Höchstpreis niedriger ist als der ursprüngliche Mindestpreis, ist die Anpassung nach § 11 Satz 3 FverlV angemessen, wenn sie dem Unterschiedsbetrag zwischen dem ursprünglichen Verrechnungspreis und dem Mittelwert zwischen dem neuen Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens und dem ursprünglichen Mindestpreis des verlagernden Unternehmens entspricht. Eine Anpassung nach § 11 Satz 3 FVerlV kann allerdings nur eingeschränkt auf Grundlage von § 1 Abs. 3 Satz 12 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AStG vorgenommen werden (Rz. 5.243).1
5.248
5. Sonderproblem: Negativer Einigungsbereich a) Begriffsbildung und -abgrenzung Preisuntergrenze überschreitet Preisobergrenze. Von einem negativen Einigungsbereich bzw. Kontraktbereich spricht man, wenn die Preisgrenze des leistenden Unternehmens die Preisgrenze des leistungsempfangenden Unternehmens überschreitet. In diesem Fall liegt begriffslogisch kein Einigungsbereich vor, weil es einem oder beiden Vertragspartnern nicht möglich ist, den individuellen Grenzpreis, bei dem Entscheidungsindifferenz vorliegt, zu erzielen. Zwischen unabhängigen Unternehmen würde in diesem Fall keine Transaktion zustande kommen. Denn mindestens einer der Beteiligten müsste einen – unter Fremden nicht akzeptablen – Gewinnentgang in Kauf nehmen, was mit dem Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht zu vereinbaren wäre. In diesem Fall ist ein Fremdvergleich weder in seiner tatsächlichen noch in seiner hypothetischen Form durchführbar, obwohl aufgrund des faktischen Kontrahierungszwangs zwischen den Konzernunternehmen die Notwendigkeit der Festsetzung eines Verrechnungspreises besteht.
1 Vgl. ferner zur Inbound-Funktionsverlagerung Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 243.
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5.249
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
5.250
Abgrenzung zu negativen Preisgrenzen. Begrifflich abzugrenzen sind Fälle, in denen beide Preisgrenzen negativ sind, die Preisobergrenze des leistungsempfangenden Unternehmens aber die Preisuntergrenze des leistenden Unternehmens überschreitet, ein Einigungsbereich mithin gegeben ist. Eine solche Situation kann sich etwa im Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung dann einstellen, wenn eine Verlustfunktion verlagert wird und es auch dem funktionsaufnehmenden Unternehmen nicht möglich ist, mit dieser Funktion Gewinne zu erwirtschaften. Hier besteht für Verrechnungspreiszwecke die Fragestellung darin, die vom verlagernden Unternehmen zu leistende Kompensationszahlung für die Übernahme der Verlustquelle zu bestimmen. Sie beantwortet sich – im Hinblick auf die Preisbestimmung – grundsätzlich nach denselben Regeln wie bei der Übertragung von profitablen Funktionen. Allerdings wird über die Bestimmung eines Preises innerhalb des Einigungsbereichs die Kompensationszahlung so bestimmt, dass keiner der Kontrahenten sich gegenüber seinen die jeweilige Preisgrenze bestimmenden alternativen Handlungsmöglichkeiten verschlechtert. Während das verlagernde Unternehmen seine Verlustquelle gegen eine solche Kompensationszahlung überträgt, die hinter seinen erwarteten Verlusten aus der fortgeführten Funktionsausübung – regelmäßig – zurückbleibt, wird das übernehmende Unternehmen qua Kompensationszahlung so gestellt, dass die erwarteten Verluste aus der Übernahme der Verlustfunktion mindestens ausgeglichen werden. Was die Aufteilung des Einigungsbereichs anbelangt, muss im Zusammenhang mit Verlustquellen berücksichtigt werden, dass eine bloße Verlustfreistellung des übernehmenden Unternehmens dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht genügt. Als weiterer Aspekt muss mit einbezogen werden, dass aus Sicht des übernehmenden Unternehmens auch die Ausübung defizitärer Funktionen nicht unentgeltlich erfolgt, sondern eine Funktionsvergütung erfordert, die die Kompensationszahlung erhöht. Dagegen findet das Prognoserisiko bereits bei der Kalkulation der jeweiligen Preisgrenze Berücksichtigung, wobei dies allerdings – jedenfalls wenn die Transparenzfiktion des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG „konsequent“ angewendet wird – mit umgekehrten Vorzeichen erfolgt (Zuschläge beim übertragenden und Abschläge beim übernehmenden Unternehmen).
5.251
Gesetzliche Regelungen. Im Hinblick auf die Simulation des Preisbildungsprozesses gibt § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG vor, dass der Steuerpflichtige „aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen den Mindestpreis des Leistenden und den Höchstpreis des Leistungsempfängers zu bestimmen [hat] (Einigungsbereich); der Einigungsbereich wird von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotentialen) bestimmt.“ Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FVerlV ist die „Untergrenze des Verhandlungsrahmens (Mindestpreis des Einigungsbereichs)“ aus Sicht des verlagernden Unternehmens zu bestimmen, wobei sich diese aus dem Wegfall oder der Minderung des Gewinnpotentials zzgl. der gegebenenfalls anfallenden Schließungskosten ergibt. § 7 Abs. 4 Satz 1 AStG regelt schließlich, dass das „Gewinnpotential des übernehmenden Unternehmens aus der übernommenen Funktion […] regelmäßig die Obergrenze 496
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
des Verhandlungsrahmens (Höchstpreis des Einigungsbereichs)“ ist. Mit den Lageparametern „Obergrenze des Verhandlungsrahmens“ bzw. „Untergrenze des Verhandlungsrahmens“ wird hinreichend deutlich, dass Gesetzgeber und Verordnungsgeber offenkundig – wie selbstverständlich – davon ausgehen, dass die individuellen Preisgrenzen der Kontrahenten stets einen Einigungsbereich abstecken. So heißt es auch in der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG: „Im hypothetischen Fremdvergleich ergibt sich regelmäßig ein Einigungsbereich zwischen dem Mindestpreis des Leistenden einerseits und der Höchstpreisvorstellung des Leistungsempfängers andererseits“1. Dies verdeutlicht auch die Regelung des § 10 Satz 3 FVerlV im Zusammenhang mit nachträglichen Preisanpassungen aufgrund einer erheblichen Abweichung der tatsächlichen Gewinnentwicklung von der ursprünglich erwarteten und der Verrechnungspreisentwicklung zugrunde gelegten Gewinnentwicklung. Hiernach ist eine Abweichung auch dann erheblich, wenn der auf Grundlage der tatsächlichen Gewinnentwicklungen bestimmte Höchstpreis des Leistungsempfängers niedriger ist als der ursprüngliche Mindestpreis des Leistungserbringers, mithin ein Einigungsbereich nicht mehr vorliegt. Ausweislich der Verordnungsbegründung zu § 10 Satz 3 FVerlV geht der Verordnungsgeber offenkundig von einem sich erst nachträglich einstellenden Phänomen aufgrund „ungünstiger“ Gewinnentwicklung aus.2 Realität negativer Einigungsbereich. Die Vorstellung des Gesetzgebers ist insofern gerechtfertigt, als sich die Preisgrenzen auch tatsächlich – bezogen auf den Einigungsbereich – so einstellen, dass der Grenzpreis des Leistungsempfängers den Grenzpreis des Leistungserbringers übersteigt. Da die jeweilige Grenzpreisermittlung allerdings autonom erfolgt, ergeben sich vielfach Fallgestaltungen, in denen sich dieses idealtypische Verhältnis der Preisgrenzen zueinander nicht einstellt. Dies kann zum einen darin begründet sein, dass die jeweiligen Erwartungen über die zukünftigen Erträge des Transaktionsgegenstands einschließlich der Berücksichtigung der jeweiligen Handlungsalternativen voneinander abweichen, was unter fremden Dritten üblicherweise auf eine asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten des Käufers zurückzuführen ist. Für die Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs ist jedoch kraft gesetzlicher Fiktion des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG von vollständiger Information und Markttransparenz und damit von einem einheitlichen Kenntnisstand über alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung und insbesondere über die jeweiligen Handlungsalternativen der verbundenen Kontrahenten auszugehen. Gesetzgeber wie Finanzverwaltung gehen von einer „begriffslogischen“ Verknüpfung der Transparenzfiktion mit der Referenzfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters aus. 1 BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007. 2 Vgl. BR-Drucks. 325/08, 26.
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5.252
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
Die Entstehung negativer Einigungsbereiche wird ferner insbesondere dadurch „begünstigt“, dass nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung neben der laufenden Steuerbelastung aperiodische Steuerwirkungen bei der Ermittlung der jeweiligen Preisgrenze berücksichtigt werden müssen (Rz. 5.219 ff.), was angesichts des Barwerteffekts der Exit-Tax bzw. des Tax-Gross-up schon erheblicher Synergien und Standortvorteile bedarf, um aus Sicht des Erwerbers zu einem Grenzpreis zu führen, der oberhalb des Mindestpreises des übertragenden Unternehmens liegt. b) Verrechnungspreisbestimmung bei negativen Einigungsbereichen
5.253
Aufteilung negativer Einigungsbereiche/Wertfindung. In der Transaktionspraxis wird in Fällen eines negativen Einigungsbereichs unter Marktbedingungen die Konzessionsbereitschaft ausschließlich auf Seiten des Veräußerers festgemacht. Eine Transaktion kommt nur dann zustande, wenn der Veräußerer sein Anspruchsniveau im Hinblick auf den Preis einseitig variiert.1 Hierbei ist allerdings fraglich, ob Kompensationsobjekte bestehen, die den Veräußerer dazu bewegen, sein Preisanspruchsniveau einseitig nach unten anzupassen. Im Wesentlichen werden solche Konzessionsüberlegungen auf die spezifische Entscheidungssituation des Veräußerers zurückzuführen sein, die – mangels Erfolgswirkung – keinen Einfluss auf seine individuelle Grenzpreisbestimmung haben. Dies gilt vornehmlich in Fällen, in denen es sich auf Seiten des Veräußerers um Unternehmensträger oder Unternehmensträgergruppen handelt, die ihr wirtschaftliches Engagement dauerhaft beenden wollen.
5.254
Keine (offizielle) Auffassung der Finanzverwaltung. Die nach gegenwärtigem Stand einzigen Verlautbarungen der Finanzverwaltung zur Einigungsbereichsbetrachtung nach § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG und zur Aufteilung von Einigungsbereichen existieren mit den VWG-Funktionsverlagerung2 zu Fällen von Funktionsverlagerungen nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. Die Finanzverwaltung äußert sich allerdings zur Verrechnungspreisbestimmung bei negativen Einigungsbereichen nicht. Sie erwähnt deren Existenz noch nicht einmal. Insofern trägt die Finanzverwaltung nichts dazu bei, die Regelungslücke in Gesetz und FVerlV – jedenfalls verwaltungsintern – zu schließen.
5.255
Aufteilungsregel „im Einigungsbereich“ nicht anwendbar. In der Betriebsprüfungspraxis sieht man sich vor diesem Hintergrund regelmäßig mit Wertermittlungen konfrontiert, bei denen ungeachtet des Verhältnisses der jeweiligen Preisgrenzen zueinander die gesetzlichen Regelungen über die Verrechnungspreisbestimmung bei Existenz eines Einigungsbereichs zur Anwendung gebracht werden. Dies gilt, obgleich diese Bestimmungen den fraglichen Sachverhalt nicht regeln und sich ihr Anwen1 So bereits Schierenbeck, Beteiligungsentscheidungen, 157 f. 2 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
dungsbereich auf die Preis- bzw. Wertbestimmung „im Einigungsbereich“ beschränkt. § 1 Abs. 3 Sätze 7 und 8 AStG können weder unmittelbar noch über einen Analogieschluss angewandt werden. Ferner verkennt diese rein analytische Vorgehensweise das Wesen eines Einigungsbereichs und die Rechtfertigung seiner Aufteilung zwischen den beiden Transaktionspartnern: Die Einigungsbereichsbetrachtung basiert auf der Simulation eines Preisbildungsprozesses, bei dem durch die Bestimmung der individuellen Preisgrenzen ein Verhandlungsrahmen nur dann abgesteckt wird, wenn die Preisgrenze des leistungserbringenden Unternehmens unter der Preisgrenze des leistungsempfangenden Unternehmens liegt. Dieser Verhandlungsrahmen ist dadurch gekennzeichnet, dass sich beide Transaktionspartner bei jedem Wert innerhalb dieses Einigungsbereichs gleich oder besser stellen, als sie auf Grundlage ihrer individuellen Grenzpreisermittlung unter Berücksichtigung ihrer individuellen Handlungsalternativen stehen würden. Der Einigungsbereich steckt mithin den „gemeinsamen Gewinn“ der Kontrahenten ab.1 Deshalb entspricht jede Preisfindung innerhalb des Einigungsbereichs auch dem Fremdvergleichsgrundsatz. Vergleichbare Überlegungen können nicht angestellt werden, wenn eine Verbesserung für keinen der Transaktionspartner möglich ist. Eine Verlustteilung entzieht sich damit regelmäßig einem Fremdvergleich, da es unter fremden Dritten regelmäßig nicht üblich ist, Verlustquellen zu übernehmen oder sich anteilig an Verlustquellen eines anderen zu beteiligen. Gänzlich abwegig sind die Überlegungen, auf die die Rechtfertigung des Mittelwertansatzes bzw. der hälftigen Teilung von Einigungsbereichen zurückgeführt werden (Rz. 5.233 f. und 5.236). Dies entspricht in Fällen der Verlagerung von Verlustfunktionen den Regelungen in § 7 Abs. 3 FVerlV und der Sichtweise der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung (vgl. auch Rz. 5.250). Verlustteilung nach den VWG 1983? Die VWG 1983 versuchen diese Problematik dadurch zu lösen, dass sie in Fällen, in denen „Geschäftsbeziehungen […] zwischen Fremden […] nicht oder nur mit einem wesentlich anderen wirtschaftlichen Gehalt zustande gekommen wären […], eine angemessene Aufteilung der Einkünfte aus den Geschäftsbeziehungen“ vorsehen, und zwar so, „wie sie ordentliche Geschäftsleiter vereinbart hätten“.2 Da der Einkünftebegriff sowohl positive wie auch negative Einkünfte umfasst, wird mit dieser Regelung auch die Möglichkeit einer Aufteilung von Verlusten aus einzelnen Geschäftsbeziehungen abgedeckt.3 Die Frage geht allerdings dahin, nach welchen Grundsätzen diese Aufteilung dann zu erfolgen hätte. Der Rückgriff auf die Referenzfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gibt zwar einen Hinweis 1 Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung2, 18. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.6. 3 Ebenso Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 253 ff.; Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 2.4.6. VWG 1983.
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5.256
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
darauf, dass sich die Verlustteilung nach dem – nunmehr – in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG geregelten Verhaltensmaßstab richtet, auf dessen Grundlage der Fremdvergleichsgrundsatz nach innerstaatlichem Recht anzuwenden ist. In praxi hilft dies allerdings nicht weiter, weil weder die Verlustteilung noch die (unentgeltliche) Übernahme von Verlustquellen unter fremden Dritten üblich sind. Diese Frage entzieht sich deshalb grundsätzlich einem Fremdvergleich.
5.257
Verlustteilung bei nachträglicher Preisanpassung nach § 11 Satz 3 FVerlV. Eine konkrete Regelung im Zusammenhang mit negativen Einigungsbereichen besteht lediglich für Fälle einer nachträglichen Preisanpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG, in denen eine erhebliche Abweichung der tatsächlichen von der ursprünglich erwarteten Gewinnentwicklung dazu führt, dass der Höchstpreis des Leistungsempfängers den (ursprünglichen) Mindestpreis des Leistungserbringers unterschreitet (vgl. Rz. 5.248). In diesem Fall wird zwar formal eine angemessene Anpassung nicht als Unterschiedsbetrag zweier Verrechnungspreise ermittelt, nämlich des ursprünglichen Verrechnungspreises und des zutreffenden neuen Verrechnungspreises. Statt des zutreffenden neuen Verrechnungspreises ist der Unterschiedsbetragsermittlung der „Mittelwert zwischen dem ursprünglichen Mindestpreis des verlagernden Unternehmens und dem neuen Höchstbetrag des Unternehmens“ zugrunde zu legen. Die VWGFunktionsverlagerung führen in Tz. 143 hierzu weiter aus, dass dieser Wert niedriger als der ursprüngliche Mindestpreis und höher als der neue Höchstpreis sei.1 Auch wenn dieser „Wert“ nicht als Verrechnungspreis bezeichnet wird, liegt seiner Bestimmung zum einen der Mittelwertansatz des § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG zugrunde, allerdings unwiderlegbar. Zum anderen beschränkt sich die Rechtsfolge des § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG auf eine (gesetzliche) Preisanpassung des ursprünglichen Verrechnungspreises aufgrund eines sich nach der tatsächlichen Gewinnentwicklung ergebenden neuen Verrechnungspreises. Insofern ist die durchaus feinsinnige Unterscheidung zwischen dem zutreffenden neuen Verrechnungspreis (i.S.d. § 11 Satz 1 FVerlV) und dem diesen umschreibenden Wertansatz (i.S.d. § 11 Satz 3 FVerlV) materiell ohne Bedeutung (vgl. aber Rz. 5.243 und 5.248). Im Ergebnis wird der negative Einigungsbereich und damit der Verlust zwischen den Transaktionspartnern hälftig geteilt (vgl. hierzu Rz. 5.255).
5.258
Interessen anderer Konzerngesellschaften/Einigungsbereichsermittlung. Im Zusammenhang mit negativen Einigungsbereichen muss sich der Steuerpflichtige in der Betriebsprüfungspraxis mit der Argumentation auseinandersetzen, dass nicht vorteilhafte Transaktionen, die insgesamt zu einem Verlust der beteiligten Transaktionspartner führen, bei rationalem Verhalten nicht durchgeführt würden. Insofern wird entweder die zutreffende Ermittlung der betreffenden Preisgrenzen angezweifelt oder es 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 143.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich
werden Vorteile auf Ebene eines oder mehrerer anderer Konzernunternehmen vermutet. Vergleichbare Überlegungen werden in der Beratungspraxis von Roeder angestellt, der ausgehend von der Prämisse, dass eine rational handelnde Konzernleitung eine Maximierung des Konzernergebnisses anstrebt, keine Geschäftsbeziehung zuließe, die planmäßig zu einer Verringerung des Gesamtgewinns aller an der Transaktion beteiligten Konzernunternehmen führt.1 Insofern sei in Fällen, in denen kein Einigungsbereich ermittelt werden könne, der Kreis der einzubeziehenden verbundenen Transaktionspartner unvollständig bestimmt und um dasjenige bzw. diejenigen Konzernunternehmen zu erweitern, welche von der betreffenden Transaktion Gewinnsteigerungen erwarten, wobei davon auszugehen sei, dass diese Gewinnsteigerung den kumulierten Gewinnentgang kompensiert. Auf dieser Grundlage soll der hypothetische Fremdvergleich für alle „betroffenen“ Konzernunternehmen ausgeweitet und ein (!) zutreffender Einigungsbereich ermittelt werden. Diese Überlegungen haben für sich, dass sie die ökonomische Sinnhaftigkeit bzw. Rationalität, bezogen auf alle relevanten Konzernunternehmen, zu ergründen suchen. Fraglich ist allerdings zum einen, ob erwartete Gewinnsteigerungen stets bei Konzernunternehmen eintreten, die auch Beteiligte der betreffenden Transaktion sind. Zum anderen geht der hypothetische Fremdvergleich in Gestalt der Einigungsbereichsbetrachtung auf die Simulation eines Preisbildungsprozesses zurück und ist darauf gerichtet, für die betreffende Transaktion bzw. den betreffenden Geschäftsvorfall den Preis zu ermitteln, der dem Fremdvergleich entspricht. Dies impliziert, dass der hypothetische Fremdvergleich ein zweiseitiger ist, der eine Berücksichtigung von mehr als zwei Transaktionspartnern nicht zulässt. Vielmehr sind die jeweils zwischen den einzelnen Konzernunternehmen bestehenden Geschäftsbeziehungen zu identifizieren und einzeln zu bepreisen, d.h. der hypothetische Fremdvergleich ist bezogen auf mehrere Geschäftsvorfälle jeweils gesondert anzuwenden. Dieser Geschäftsvorfallbezug ist nach den innerstaatlichen wie nach den international anerkannten Verrechnungspreisgrundsätzen zwingend. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG ist der Fremdvergleichspreis bezogen auf die jeweilige Geschäftsbeziehung zu ermitteln (sog. „geschäftsvorfallbezogene Betrachtung“ bzw. „Transaktionsbezug“). Sind die Vorteile bei anderen Gruppenunternehmen mithin nicht auf die betreffende Transaktion zurückzuführen, kommt eine Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs zur Bestimmung des Verrechnungspreises für diese Geschäftsbeziehung nicht in Betracht. Ob z.B. im Zusammenhang mit einer betriebswirtschaftlich erforderlichen Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Produktion, Vertrieb etc. innerhalb der Unternehmensgruppe bei sog. Entrepreneur- oder Strategieträgermodellen insgesamt Vor- oder Nachteile erzielt werden können, lässt keine Rückschlüsse für die Bepreisung der zweiseitigen Geschäftsbeziehung zwi1 Vgl. Roeder, Ubg 2008, 206.
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Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises
schen den Transaktionspartnern zu. Für diese Frage entscheidend ist, ob die betreffenden Vorteile aus dieser zweiseitigen Transaktion herrühren, für die der Verrechnungspreis zu bestimmen ist. Für außerhalb bestehender Geschäftsbeziehungen zwischen einem inländischen Steuerpflichtigen und einem ausländischen Nahestehenden liegende Vorteile kommt eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG jedenfalls nicht in Betracht. Insbesondere können anderweitig erwartete Zentralisierungsvorteile nicht auf eine „fremde“ Geschäftsbeziehung bezogen werden, an der der inländische Steuerpflichtige nicht beteiligt ist, und über die Verrechnungspreisbestimmung für diese Geschäftsbeziehung gewissermaßen abgeschöpft werden. Insofern kann die Ausweitung des hypothetischen Fremdvergleichs auch auf andere Konzernunternehmen keine Lösung bereitstellen, um bei einem negativen Einigungsbereich einen Verrechnungspreis für eine Transaktion mittels außerhalb der betreffenden Transaktion liegender Umstände zu bestimmen. Dies sollte auch der Auffassung der OECD-Leitlinien entsprechen, die in Tz. 9.63 ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Fremdvergleichsgrundsatz transaktionsbezogen ausschließlich aus der Sicht der beteiligten Transaktionspartner anzuwenden ist.1
1 Vgl. Tz. 9.63 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für einzelne Bereiche des Liefer- und Leistungsaustausches A. Lieferung von Gütern und Waren Literatur Baumhoff, Aktuelle Entwicklungen bei den internationalen Verrechnungspreisen, IStR 2003, 1; Baumhoff, Internationale Verrechnungspreise – Die „Palettenbetrachtung“, eine Weiterentwicklung des Vorteilsausgleichs?, IStR 1994, 593; Baumhoff/ Ditz/Greinert, Angemessenheit von Verrechnungspreisen gegenüber inländischen Vertriebsgesellschaften, IStR 2005, 592; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf den Ermittlungen internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, DStR 2007, 1649; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Lohnfertigern, IStR 2006, 789; Baumhoff/Greinert/Ditz, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 1549; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, Düsseldorf 2004; Dahnke, Podiumsdiskussion, in: Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1994, 14; Ditz, Anmerkung zu BFH vom 11.10.2012, ISR 2013, 54; Ditz/Just, Die Besteuerung einer Produktionsverlagerung nach der Funktionsverlagerungsverordnung – Praxisbeispiel, DB 2009, 141; Kuckhoff/Schreiber, Ist die Prüfung von Verrechnungspreisen noch sinnvoll?, IWB 2002, Fach 3 Gruppe 1, 1863; Oestreicher, Die Bedeutung von Datenbankinformationen bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen, StuW 2006, 243; Oestreicher/Vormoor, Verrechnungspreisanalyse mit Hilfe von Unternehmensdatenbanken – Vergleichbarkeit und Datenlage, IStR 2004, 95; Rasch/Rettinger, Aktuelle Fragen der Verrechnungspreisdokumentation: Unternehmenscharakterisierung und Methodenwahl in den Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, BB 2007, 353; Rehkugler/Vögele, Quantitative Verfahren der Prüfung von Verrechnungspreisen – Perspektiven und offene Fragen, BB 2002, 1937; Wassermeyer, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats des BFH, WPg 2002, 10; Wassermeyer, Verdeckte Gewinnausschüttung: Veranlassung, Fremdvergleich und Beweis Risikoverteilung, DB 2001, 2465.
I. Allgemeine Grundsätze Regelungen der Finanzverwaltung und der OECD. Wenngleich im Zusammenhang mit der zunehmenden Internationalisierung und Globalisierung der Wirtschaft eine „wachsende Entmaterialisierung“ konzerninterner Transaktionen zu konstatieren ist,1 nimmt der Bereich der Lieferung von Gütern und Waren innerhalb des konzerninternen Lieferungs- und Leistungsaustausches weiterhin eine vergleichsweise große Bedeutung ein. So widmen auch die VWG 1983 diesem Bereich einen eigenen Ab1 Vgl. etwa Herzig, WPg 1998, 285; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 370 ff.
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6.1
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
schnitt,1 in welchem die Funktionsanalyse und die Anwendung der klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (Rz. 5.5 ff.) bei konzerninternen Lieferungen konkretisiert werden. Darüber hinaus sind die Regelungen der VWG-Verfahren zu beachten, die in Tz. 3.4.10.2 und 3.4.10.3 allgemeine Regelungen zur Unternehmenscharakterisierung (Rz. 4.60 ff.) und Verrechnungspreisbildung enthalten,2 die insbesondere auch für die Ermittlung von Verrechnungspreisen für konzerninterne Lieferbeziehungen zu beachten sind. Ferner adressieren die VWG-Funktionsverlagerung3 mit besonderen Aspekten bestimmter Funktionsverlagerungen Themen des Produktions- und Lieferbereichs. Die OECD-Leitlinien enthalten hingegen keine gesonderten Ausführungen zu konzerninternen Lieferverhältnissen. Allerdings wird hier vereinzelt auf diesen Bereich im Rahmen der Darstellungen zum Fremdvergleichsgrundsatz (Kapitel I), zu den klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (Kapitel II) und zu den „Business-Restructurings“ (Kapitel IX) eingegangen.
6.2
Grundsatz des Fremdvergleichs. Dem Grundsatz des Fremdvergleichs folgend ist nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung für konzerninterne Lieferungen derjenige Preis anzusetzen, „den Fremde für Lieferungen – gleichartiger Güter oder Waren – in vergleichbaren Mengen – in den belieferten Absatzmarkt – auf vergleichbarer Handelsstufe und – zu vergleichbaren Lieferungs- und Zahlungsbedingungen unter den Verhältnissen wirtschaftlich vergleichbarer Märkte vereinbart hätten“.4 Dabei können grundsätzlich die klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung sowie die transaktionsbezogenen Gewinnmethoden Anwendung finden,5 wobei die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.6 Von zentraler Bedeutung ist insofern, dass eine uneingeschränkte oder zumindest eingeschränkte Vergleichbarkeit der Verhältnisse zwischen der zu bewertenden konzerninternen Lieferbeziehung und der Referenztransaktion zwischen unabhängigen Dritten vorliegt.7 Preisdeterminierend sind nach dem umfangreichen, jedoch nicht abschließenden Kriterienkatalog der Tz. 3.1.2.1. VWG 1983 insbesondere: 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 und 3.4.10.3. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 201–215. 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.1. 5 Zu den Voraussetzungen vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWGVerfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b, c und d. 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.2.1. 7 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; Baumhoff/ Ditz/Greinert, IStR 2005, 592.
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A. Lieferung von Gütern und Waren
– die besondere Art, Beschaffenheit und Qualität sowie der Innovationsgehalt der gelieferten Güter und Waren, – die Verhältnisse des Marktes, in dem die Güter oder Waren benutzt, verbraucht, bearbeitet oder an Fremde veräußert werden, – die Funktionen und die Handelsstufen, die von den beteiligten Unternehmen tatsächlich wahrgenommen werden, – die Liefervereinbarungen, insbesondere über Haftungsverhältnisse, Zahlungsfristen, Rabatte, Skonti, Gefahrentragung, Gewährleistungen etc., – bei langfristigen Lieferbeziehungen die damit verbundenen Vorteile und Risiken, – besondere Wettbewerbsbedingungen. Berücksichtigung von Neben-, Zusatz- und Serviceleistungen. Schließlich sind im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung bei Lieferbeziehungen die von den Vertragsparteien wahrgenommenen Neben-, Zusatz- und Serviceleistungen sowie mögliche Materialbeistellungen zu berücksichtigen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an Finanzierungsleistungen (Rz. 6 417 ff.) oder an administrative und technische Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit der Warenlieferung erbracht werden. Im Einzelnen kann es sich um folgende Leistungen handeln:1 – technische Beratung, – Projektausarbeitung, – Kaufberatung, – Musterversand bzw. Lieferung zur Probe, – Bestelldienst und Zustellung, – Installation und Montage, – Kundenschulung in Form von Dokumentationen, Betriebsanleitungen und Ausbildungsgesprächen, – Instandsetzung und Instandhaltung (inkl. Ersatzteilversorgung), – Sonderverpackungen, – Umtauschrechte, Garantieleistungen und Gewährleistungen, – Bereitstellen eines Recyclingsystems sowie Rücknahmegarantien und – sonstige Dienstleistungen.
6.3
Ansatz eines Gesamtentgelts. Derartige Nebenleistungen, die im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Warenlieferung stehen, werden häufig auch zwischen unabhängigen Dritten im Rahmen eines Gesamtentgelts vergütet. Vor diesem Hintergrund verstößt es nicht gegen den Grundsatz der Einzelverrechnung, wenn sie zusammen mit der innerkonzernlichen Warenlieferung verrechnet werden. In diesen Fällen kann die Preisvergleichsmethode unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Anwendungsvoraussetzungen herangezogen werden. Ist die Preisver-
6.4
1 Vgl. Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. L 53.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
gleichsmethode (z.B. mangels vergleichbarer Markttransaktionen) nicht anwendbar, kann der Verrechnungspreis für die zusammen zu bewertenden Haupt- und Nebenleistungen entweder mit der Wiederverkaufspreisoder der Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden. Nicht ausgeschlossen ist außerdem, dass die einzelnen Leistungen anhand unterschiedlicher Verrechnungspreismethoden bewertet werden (z.B. die Hauptleistung mit Hilfe der Preisvergleichs- und die Nebenleistung mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode) und die einzelnen Preisbestandteile dann zu einem (Gesamt-)Verrechnungspreis zusammengefasst werden.
6.5
Notwendige Anpassungsrechnungen. Werden Neben-, Zusatz- oder Serviceleistungen im Zusammenhang mit Güter- oder Warenlieferungen erbracht, so kann es zur Herstellung der Vergleichbarkeit der Verhältnisse erforderlich sein, diese Leistungen zu definieren, zu quantifizieren und anschließend durch Zu- oder Abschläge bei der bestehenden Vergleichstransaktion zu eliminieren. Sowohl die Finanzverwaltung1 als auch die OECD2 weisen auf diese Korrekturmöglichkeit zur Herstellung der Vergleichbarkeit ausdrücklich hin.3 Bei Anwendung der Preisvergleichsmethode erfolgt diese Anpassungsrechnung in Form einfacher Preiszuschläge oder -abschläge, bei der Kostenaufschlagsmethode entweder durch Verwendung anderer Kostenwerte bzw. kalkulatorischer Kostenelemente und/oder durch Verwendung höherer bzw. niedrigerer Gewinnaufschlagssätze. Bei der Wiederverkaufspreismethode lassen sich derartige Abweichungen entweder durch Zu- oder Abschläge beim Wiederverkaufspreis (Marktpreis) und/oder durch Verwendung höherer bzw. niedrigerer Rohgewinnmargen (Handelsspannen) beim Vertreiber erfassen.
6.6
Vorteilsausgleich und Palettenbetrachtung. Von einem zusammengefassten Entgelt für Haupt- und Nebenleistungen inhaltlich und begrifflich zu trennen ist die Frage eines Vorteilsausgleichs,4 der eine Saldierung vorteilhafter und nachteiliger Geschäfte zum Inhalt hat (Rz. 6.413). Allenfalls der Gedanke der sog. „Palettenbetrachtung“ (Rz. 3.173) kann bei der Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen für Leistungsbündel eine gewisse Rolle spielen. Im Rahmen der „Palettenbetrachtung“ hat sich in der Verrechnungspreispraxis eine Saldierung unangemessen niedriger mit unangemessen hohen Produkteinzelpreisen bzw. Leistungsgebühren herausgebildet, wofür die Finanzverwaltung die strengen Regeln des Vorteilsausgleichs der VWG 19835 nicht anwendet.6 Im Rahmen der 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.2.; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. c. 2 Vgl. Tz. 1.35 OECD-Leitlinien 2010. 3 Zur Durchführung entsprechender Anpassungsrechnungen vgl. auch Scholz/ Ackermann/Schmitt, IWB F. 2 Gr. 1, 1779 ff.; Rehkugel/Vögele, BB 2002, 1944. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3. 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3.1. und 2.3.2. 6 Zur „Palettenbetrachtung“ vgl. auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.13; Dahnke in Schaumburg, Interna-
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A. Lieferung von Gütern und Waren
„Palettenbetrachtung“ muss lediglich sichergestellt sein, dass hinsichtlich der zu analysierenden Produktpalette bzw. des Leistungsbündels insgesamt ein angemessener Gesamtpreis vereinbart wurde. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass auch unter fremden Dritten aus marktspezifischen Erwägungen heraus vielfach Mischkalkulationen im Sinne eines kalkulatorischen Ausgleichs vorgenommen werden, um Preisnachteile bei Einzelprodukten und Leistungen mit anderen Preisvorteilen zu verrechnen. Die OECD diskutiert diese Zusammenfassung von Vor- und Nachteilen mehrerer Teilleistungen unter dem Stichwort „Paketgeschäfte“.1 Dabei weist die OECD zutreffend darauf hin, dass es häufig Geschäfte gibt, die so eng miteinander verbunden sind, dass bei separater Betrachtung eine Angemessenheitsbetrachtung nicht möglich ist.2
II. Lieferungen von Produktionsgesellschaften 1. Funktionsanalyse im Rahmen der Produktion a) Eigenproduzent vs. Lohnfertiger Funktionsanalyse als Ausgangspunkt. Bei Lieferbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen ist im Rahmen einer Funktionsanalyse zunächst zu klären, wie die jeweilige Produktionsgesellschaft zu qualifizieren ist (vgl. zur Funktions- und Risikoanalyse grds. Kap. 4). Dabei sind die folgenden Grundformen denkbar: – Produktion durch einen Eigenproduzenten, – Produktion durch einen Lohnfertiger, – Produktion durch ein verbundenes Unternehmen, dessen Funktionen zwischen diesen beiden Polen liegen. Der Einordnung eines produzierenden verbundenen Unternehmens in die Kategorien Eigenproduzent oder Lohnfertiger kommt im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung eine große Bedeutung zu. Während die Eigenproduktion die Übernahme eigener Marktchancen und Marktrisiken impliziert, ist die Lohnfertigung als nur eingeschränkte Funktionsausübung in Form einer Dienstleistung anzusehen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass fremde Lohnfertiger neben der Ausführung eines vorgegebenen Fertigungsschritts häufig eine Reihe weiterer Funktionen übernehmen. Das einem Lohnfertiger zugestandene Entgelt (Rz. 6.32) wird dementspretionale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141 f.; Baumhoff, IStR 1994, 593; Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 121; krit. Kleineidam, IStR 2001, 728. 1 Vgl. Tz. 3.9–3.12 OECD-Leitlinien 2010, vgl. hierzu ausführlich Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 121; Eigelshoven/Ebering in Kroppen, Handbuch der Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 193 ff. 2 Vgl. auch Tz. 2.58 OECD-Leitlinien 2010. Hier bestätigt die OECD, dass die TNMM (auch) die Nettogewinnmarge untersucht, die ein Steuerpflichtiger „aus Geschäften, die nach den Grundsätzen der Rz. 3.9–3.12 zusammengefasst werden dürfen“, erzielt.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
chend zwischen fremden Dritten vom Umfang der ausgeübten Funktionen, der getragenen Risiken und der eingesetzten (immateriellen) Wirtschaftsgüter abhängen. Übernimmt ein Lohnfertiger immer mehr Funktionen und Risiken, wird irgendwann ein Punkt erreicht sein, ab dem er zum Eigenproduzenten wird, also nicht mehr nur ein Entgelt für eine übernommene Dienstleistung erhält, sondern die vollen Chancen und Risiken der Produktion innehat. Zur Abgrenzung zwischen Eigenproduktion und Lohnfertigung sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.1
6.8
Auffassung der Finanzverwaltung und der OECD. Im Rahmen der Einordnung einer Produktionsgesellschaft als Eigenproduzent oder Lohnfertiger bestand bisher das Problem, dass es keine verbindliche Definition für einen Lohnfertiger gab, da sich die VWG 19832 und die OECD-Leitlinien3 in einer beispielhaften Darstellung von Lohnfertigungsverhältnissen erschöpfen und die VWG-Verfahren lediglich eine Qualifikation als „Routinefunktion“ vornehmen.4 So gehen die VWG 1983 auf die „verlängerte Werkbank“ in Tz. 3.1.3. Bsp. 3 anhand eines Beispiel-Szenarios ein:5 „Ein Unternehmen lagert spezielle Teile seiner Fertigung auf eine ausländische Tochtergesellschaft aus. Die Produktion und der Vertrieb durch die ausländische Gesellschaft erfolgen in enger Anbindung an den Betrieb des inländischen Unternehmens. Die Produktion wird von der Muttergesellschaft langfristig abgenommen. Die Tochtergesellschaft mit ihrer eingeschränkten Produktionsbreite wäre als unabhängiges Unternehmen auf Dauer nicht lebensfähig. Unter Fremden wäre die Produktion in Lohnfertigung übertragen worden (vgl. auch Tz. 2.1.2.). Dementsprechend kann der Verrechnungspreis durch die Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden.“ Die OECD-RL 2010 enthalten in Tz. 2.54 ein ähnliches Beispiel: „Die Gesellschaft C im Staat D ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Gesellschaft E mit Sitz in Staat F. Im Vergleich zu Staat F sind die Löhne in Staat D sehr niedrig. Die Gesellschaft C montiert Fernsehgeräte auf Kosten und Gefahr der Gesellschaft E. Die Gesellschaft E liefert alle notwendigen Bestandteile, Know-how usw. Die Gesellschaft E garantiert 1 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, 100; Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 789 (789 f.). 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Bsp. 3. 3 Vgl. Tz. 2.54 und 7.40 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. Zur Definition des Routineunternehmens vgl. auch Rz. 3.67 sowie Baumhoff/Greinert/Ditz, DStR 2005, 1549 (1551 ff.); Brem/Tucha, IStR 2006, 500; Rasch/Rettinger, BB 2007, 353 (354 f.); Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 93; s. auch Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.244. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Bsp. 3.
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den Kauf des montierten Produkts für den Fall, dass die Fernsehgeräte einen bestimmten Qualitätsstandard nicht erreichen. Nach der Qualitätsprüfung werden die Fernsehgeräte – auch auf Kosten und Gefahr der Gesellschaft E – zu den Vertriebszentren gebracht, die die Gesellschaft in mehreren Staaten unterhält. Die Funktion der Gesellschaft C kann kostentechnisch als reine Lohnfertigung („cost manufacturing function“) bezeichnet werden. Die Risiken, die die Gesellschaft C tragen könnte, sind mögliche Abweichungen von der vereinbarten Qualität und Menge. Die Basis für die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bilden alle Kosten, die mit der Montagetätigkeit im Zusammenhang stehen.“ Die deutschen VWG 1983 stehen also insoweit im Einklang mit den OECD-Leitlinien. Eine weitere einschlägige Darstellung zu Lohnfertigungsverhältnissen enthalten die OECD-Leitlinien in Tz. 7.40: „Auftragsproduktion könnte ein weiteres Beispiel für eine konzerninterne Dienstleistung sein. Ein Auftragsproduzent erhält u.U. umfassende Anweisungen, was er in welchen Mengen und in welcher Qualität produzieren soll. Die Produktionsgesellschaft trägt ein geringes Risiko und kann die Garantie erhalten, dass ihre gesamte Produktion abgenommen wird, sofern die Qualitätsstandards erreicht werden. In einem solchen Fall könnte die Auffassung vertreten werden, dass die Produktionsgesellschaft eine Dienstleistung erbringt und die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode (unter Beachtung der Grundsätze in Kapitel II) zweckmäßig erscheint.“ Im Ergebnis ließ sich aus den vorstehenden Beispielen der Finanzverwaltung und der OECD lediglich entnehmen, dass ein Lohnfertiger mit Bezug auf die Produktion nur wenige Funktionen übernimmt, geringe Risiken trägt und in einem geringen Umfang eigene Wirtschaftsgüter einsetzt. Was dies indessen konkret bedeutet, blieb offen. Begriffsdefinition nach den VWG-Funktionsverlagerung. Dem Mangel fehlender Abgrenzungskriterien, nach denen die Einordnung als Lohnfertiger zwingend ist, begegnen nunmehr die VWG-Funktionsverlagerung, die sowohl für den Lohnfertiger als auch für den Eigenhändler verwaltungsseitig abgestimmte Begriffscharakteristika enthalten. Nach Rz. 204 der VWG-Funktionsverlagerung sind typische Merkmale eines Lohnfertigers, „dass er auf vertraglicher Grundlage oder tatsächlicher Übung – keine Produktionsrisiken (z.B. Qualitätsrisiko, Auslastungsrisiko, Absatzrisiko, Lagerrisiko usw.) trägt, – die Produkte nicht selbst entwickelt und kein Eigentum an den für die Produktion erforderlichen immateriellen Wirtschaftsgütern besitzt oder erwirbt, – keine Vermarktungsfunktionen wahrnimmt und keine Marktrisiken trägt, – über keine entsprechenden Entscheidungskompetenzen verfügt und Ditz
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– die notwendigen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, aber auch ganz oder teilweise die Produktionsanlagen vom Auftraggeber erhält (Beistellung).“1
6.10
Begriffsdefinition im Schrifttum. Mit dieser Begriffsbildung entspricht die Finanzverwaltung der im Schrifttum2 vorgenommenen. Hiernach ist die idealtypische Ausprägung eines Lohnfertigers gekennzeichnet durch – Beschränkung der Produktion auf einzelne Teile, einzelne Bearbeitungsschritte oder Großserienprodukte; – keine oder geringe unternehmerische Dispositionsfreiheiten; vielmehr bestimmt der Auftraggeber über die Produktpolitik und die Fertigungsschritte des Lohnfertigers; – keine eigene Forschung und Entwicklung und kein Eigentum an den maßgeblichen immateriellen Vermögenswerten; vielmehr wird die Technologie vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt; – nur eingeschränkte eigene Beschaffungsfunktion; Rohstoffe werden – zumindest teilweise – durch den Auftraggeber beigestellt; – geringe Lagerhaltung, da häufig „Just-in-Time“-Konzeption; – kein eigener Vertrieb. b) Funktionen des Lohnfertigers
6.11
Kriterien der Literatur. Für die Qualifikation einer Produktionsgesellschaft als Lohnfertiger ist es erforderlich, eine Funktions- und Risikoanalyse durchzuführen (vgl. grds. zur Funktions- und Risikoanalyse Kap. 4). In diesem Zusammenhang wurden in der Literatur Kriterien erarbeitet, bei denen mit Bezug auf ausgeübte Funktionen, getragene Risiken und eingesetzte Wirtschaftsgüter innerhalb der Produktion dargestellt wird, bei welchen Ausprägungen dieser Funktionen, Risiken und Wirtschaftsgüter von einem Lohnfertiger oder einem Eigenproduzenten auszugehen ist. Somit beurteilt sich die Qualifikation eines Unternehmens grundsätzlich nach dem Ergebnis der Funktionsanalyse. Letztlich determiniert diese auch die Vergleichstransaktion zur Beurteilung des Fremdverhaltens.3 Nachfolgend werden die von einem Lohnfertiger typischerweise ausgeübten Funktionen dargestellt (Rz. 4.21 f.):
6.12
Forschungs- und Entwicklungsfunktionen. Ein ganz wesentliches Merkmal eines Lohnfertigers ist, dass er das herzustellende Produkt nicht 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 204. 2 Vgl. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.244; Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 557 f.; Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 87; Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 318. 3 Vgl. auch Baumhoff in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.115; Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. L 38; Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Rz. W 30.
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selbst entwickelt (hat).1 Vielmehr liegen das Produktmanagement, die Entscheidungskompetenz über den Forschungs- und Entwicklungsprozess und neue Produkte sowie die Anpassung bestehender Produkte an geänderte Marktbedingungen beim Auftraggeber.2 Lediglich die Übernahme der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung steht nicht im Widerspruch zu einem typischen Lohnfertigungsverhältnis. So ist insbesondere denkbar, dass der Lohnfertiger im Hinblick auf die Optimierung seines Produktionsprozesses eigene Forschung und Entwicklung betreibt. Beschaffungsfunktionen. Idealtypisch werden dem Lohnfertiger die Vorprodukte oder Rohstoffe, die zur Herstellung des Produktes notwendig sind, vom Auftraggeber beigestellt bzw. kommissionsweise überlassen.3 Es steht indessen nicht im Widerspruch zu einem Lohnfertigungsverhältnis, wenn der Lohnfertiger (gegebenenfalls teilweise) die Beschaffung der Vorprodukte oder Rohstoffe im eigenen Namen und auf eigene Rechnung selbst übernimmt. In manchen Branchen ist dies sogar üblich, weil die Produktionsunternehmen ihr Vorratsrisiko auch auf ihre Zulieferer (Lohnfertiger) übertragen wollen. Häufig wählt dabei aber der Auftraggeber die Lieferanten aus und gibt diese dem Lohnfertiger vor. Werden die Vorprodukte und Rohstoffe von dem Produktionsunternehmen selbst beschafft, wird nicht mehr von einer Lohn-, sondern von einer Auftragsfertigung gesprochen.4 Zivilrechtliche Folge der Auftragsfertigung ist, dass das Produktionsunternehmen keine Dienstleistungen erbringt; vielmehr werden die vom Auftragsfertiger hergestellten Produkte an den Auftraggeber geliefert. Dies hat insbesondere Auswirkungen auf die umsatzsteuerliche Würdigung der Lieferungen bzw. Leistungen des Lohnfertigers (Verschaffung der Verfügungsmacht auf Basis einer Lieferung gem. § 3 Abs. 1 UStG anstatt Erbringung einer sonstigen Leistung gem. § 3 Abs. 9 UStG).
6.13
Herstellungsfunktion. Charakteristisch für ein Lohnfertigungsverhältnis ist überdies, dass sich die Produktion des Lohnfertigers auf einzelne Teile, einzelne Bearbeitungsschritte oder Großserienprodukte beschränkt.5 Ferner ist die Produktion großer Stückzahlen eines bestimmten Produktes für einen Lohnfertiger typisch. Der Herstellungsvorgang wird dabei in enger Anbindung an den Betrieb des Auftraggebers und genau nach dessen Vorgaben durchgeführt.6 Es ist jedoch auch denkbar, dass der Auftraggeber dem Lohnfertiger lediglich die Spezifikationen der gewünschten Kom-
6.14
1 Vgl. auch Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 249. 2 Siehe auch Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 204. 3 Vgl. Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 518; Ditz/Just, DB 2009, 142; FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562 (rkr.). 4 Vgl. auch Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. M 444. 5 Vgl. Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 518; Ditz/Just, DB 2009, 141; Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 249. 6 Vgl. auch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Bsp. 3; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150.
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ponenten überlässt. Das Fertigungsverfahren sowie das Qualitätskontrollverfahren werden in aller Regel vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt. Es kann sich insoweit aber auch um reine Routineverfahren handeln, die der Lohnfertiger selbst durchführt. Die Produktionsplanung und die Mengendisposition werden in Lohnfertigungsverhältnissen regelmäßig vom Auftraggeber übernommen. In vielen Branchen ist es aber auch nicht unüblich, dass der Lohnfertiger (innerhalb der vom Kunden vorgegebenen Bestellmengen) die Produktionsplanung selbst durchführt. Letztlich bestimmt allerdings der Auftraggeber über den Auslastungsgrad der Produktionsmittel des Lohnfertigers.
6.15
Lagerfunktion. Im Regelfall werden dem Lohnfertiger die Vorprodukte oder Rohstoffe durch den Auftraggeber beigestellt, so dass der Lohnfertiger zwar grundsätzlich eine Lagerfunktion ausüben kann, aber dennoch kein Lagerrisiko trägt. Diesem ist der Auftraggeber ausgesetzt, der rechtlicher und wirtschaftlicher Eigentümer der Fertigprodukte wird und der in diese eingehenden Vorprodukte und Rohstoffe bleibt. Oftmals übt der Lohnfertiger auch deshalb keine Lagerfunktion aus, weil er nach der „Just-in-Time-Konzeption“ die von ihm hergestellten Produkte unmittelbar an den Auftraggeber oder dessen Kunden ausliefert. Soweit der Lohnfertiger die Vorprodukt- und Rohstoffbeschaffung selbst übernimmt, verfügt er regelmäßig über ein entsprechendes Lager. Die Unterhaltung eines solchen Lagers steht der Qualifikation als Lohnfertigung grundsätzlich nicht entgegen. Dies gilt im Übrigen auch für ein Warenausgangslager. Die Lagerhaltung von Vorprodukten, Rohstoffen und/oder Fertigprodukten erhöht den Funktions- und Risikoumfang des Lohnfertigers. Dies rechtfertigt einen dementsprechend höheren Gewinnaufschlag (Rz. 6.44).
6.16
Vertriebs- und Verwaltungsfunktionen. Da dem Lohnfertiger regelmäßig die Abnahme seiner Leistungen bzw. die Abnahme seiner Produkte vom Auftraggeber garantiert wird, muss er kaum Vertriebsanstrengungen unternehmen.1 Er verfügt deshalb über keine eigene Vertriebsorganisation. Auch die Verwaltung des Lohnfertigers nimmt regelmäßig nur einen geringen Funktionsumfang mit keinem großen Stellenwert ein.2 c) Risiken des Lohnfertigers
6.17
Absatzrisiko. Kennzeichnend für einen Lohnfertiger ist, dass er keine wesentlichen unternehmerischen Risiken trägt (vgl. zu den Grundformen betrieblicher Risiken Rz. 4.53). Dies wird sowohl von der Finanzverwaltung3 als auch vom FG Münster in seinem Urteil v. 16.3.20064 heraus1 Vgl. auch FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562 (rkr.); Ditz/ Just, DB 2009, 142; Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 790. 2 Vgl. Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 249; s. hierzu auch Baumhoff/ Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 557 f. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 4 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562 (rkr.), Baumhoff/ Greinert, IStR 2006, 789.
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gestellt. Insbesondere das Preis- und Absatzrisiko nimmt bei einem Lohnfertiger regelmäßig einen nur geringen Umfang ein.1 Ob hierbei jedoch die Abnahme aller Produkte garantiert werden muss oder ob die faktische Abnahme des überwiegenden Teils der Produktion ausreicht, ist umstritten. So wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass allein der Umstand der ausschließlichen Produktabnahme durch den Auftraggeber noch nicht die Annahme eines Lohnfertigungsverhältnisses rechtfertige.2 U.E. sollte die Begrenzung einer Abnahmeverpflichtung für die Annahme eines Lohnfertigungsverhältnisses unproblematisch sein, wenn die vertraglich oder faktisch garantierte Abnahmemenge ausreicht, die Kosten des Lohnfertigers (Fixkosten sowie variable Kosten) zu decken. Denn unter diesen Umständen sind die mit der Herstellung verbundenen Risiken des Lohnfertigers begrenzt und mit einer vollständigen Abnahmeverpflichtung vergleichbar.3 Infolgedessen werden die Preise bei einer weitreichenden Abnahmeverpflichtung geringer sein, als bei einer eingeschränkten oder nur faktischen Abnahmeverpflichtung.4 Bezieht sich hingegen die Abnahmeverpflichtung nur auf einen Teil der Produktion des Lohnfertigers und werden (umfangreiche) Lieferungen an Dritte oder an den Auftraggeber ohne Abnahmeverpflichtung erbracht, dann spricht dies für ein eigenes Preis- bzw. Absatzrisiko des Lohnfertigers. Beschaffungsrisiko. Idealtypisch trägt der Lohnfertiger kein Beschaffungsrisiko. Denn die zur Herstellung seiner Produkte notwendigen Vorprodukte und/oder Rohstoffe werden üblicherweise von seinem Auftraggeber (kostenlos) beigestellt. Ein gewisses Beschaffungsrisiko kann sich allerdings ergeben, wenn der Lohnfertiger die Vorprodukte und/oder Rohstoffe (gegebenenfalls auch teilweise) selbst beschafft. Ein solches Beschaffungsrisiko spricht grundsätzlich nicht gegen die Einordnung eines Produktionsunternehmens als Lohnfertiger. Sollte dieses Beschaffungsrisiko jedoch erheblich sein, wird keine typische Lohnfertigung mehr angenommen werden können.
6.18
Lagerrisiko. Da dem Lohnfertiger die Vorprodukte bzw. Rohstoffe üblicherweise vom Auftraggeber beigestellt werden bzw. er im Rahmen einer „Just-inTime-Konzeption“ produziert, ergibt sich für ihn generell kein bzw. ein nur sehr geringes Lagerrisiko. Ein solches besteht nur dann in einem größeren Maße, wenn der Lohnfertiger ausnahmsweise für die Vorprodukt- und/oder Rohstoffbeschaffung selbst verantwortlich ist. Sollte dies der Fall sein, spricht dies für einen funktionsstarken Lohnfertiger bzw. bei erheblichen Lagerrisiken für die Einordnung des Produktionsunternehmens als Eigenproduzent.
6.19
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Bsp. 3; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150; Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 517; Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 87. 2 Vgl. Rödder, StbJb. 1997/98, 121; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 214. 3 So auch Engler in V/B/E, Verrechungspreise3, Rz. M 454. 4 Vgl. auch BFH v. 16.4.1980 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492.
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6.20
Produkthaftungsrisiko. Gewährleistungs- bzw. Produkthaftungsrisiken treffen den Lohnfertiger nur insoweit, als der entsprechende Schaden durch ihn verursacht wird. Dies betrifft z.B. das Risiko, dass die vom Lohnfertiger hergestellten Produkte den vereinbarten Qualitätsstandard nicht erreichen. Diese Risiken können durchaus von Bedeutung sein, wenn z.B. ganze Produktionsserien Qualitätsmängel aufweisen und damit unbrauchbar sind. Aus den Qualitätsmängeln entstehende Kosten sind grundsätzlich vom Lohnfertiger zu tragen. d) Eingesetzte Wirtschaftsgüter des Lohnfertigers
6.21
Produktionsanlagen. Typischerweise beschafft der Lohnfertiger keine eigenen Produktionsanlagen und mietet diese auch nicht vom Auftraggeber. Vielmehr werden ihm die Anlagen vom Auftraggeber über die Laufzeit des Lohnfertigungsvertrages beigestellt.1 Das zivilrechtliche und wirtschaftliche Eigentum an den Produktionsanlagen verbleibt in diesem Fall beim Auftraggeber und geht nicht auf den Lohnfertiger über.2 Die Beistellung der Produktionsanlagen erfolgt üblicherweise ohne Verrechnung eines Entgelts. Es gibt allerdings auch Lohnfertiger, die über einen Grundbestand an Produktionsanlagen selbst verfügen. Ist dies der Fall, besteht grundsätzlich kein Widerspruch zur Einordnung der Produktionsgesellschaft als Lohnfertiger. Vielmehr ist dann – wenn die anderen Voraussetzungen eines Lohnfertigers erfüllt sind – von einem funktionsstarken Lohnfertiger auszugehen. Dies ist im Rahmen der Bemessung des Gewinnaufschlags zu berücksichtigen.
6.22
Immaterielle Wirtschaftsgüter. Neben dem Funktions- und Risikoprofil erfolgt die Unternehmenscharakterisierung im Allgemeinen und vorliegend für Produktionsunternehmen im Speziellen nach Art und Qualität der eingesetzten Wirtschaftsgüter. Den Lohnfertiger kennzeichnet hier, dass nicht er es ist, der die für die Fertigung wesentlichen materiellen, insbesondere aber produkt- und marktbezogenen immateriellen Wirtschaftsgüter (Patente, produktspezifisches Know-how und Marken) einsetzt. Vielmehr befinden sich die zur Herstellung der Produkte notwendigen immateriellen Wirtschaftsgüter im Eigentum des Auftraggebers und werden dem Lohnfertiger (kostenlos) beigestellt.3 Die Verrechnungspreispraxis zeigt allerdings, dass Lohnfertiger durchaus auch über eigenes Know-how verfügen können. Dieses Know-how bezieht sich dann allerdings i.d.R. auf den Fertigungsprozess.
6.23
Kapitalausstattung des Lohnfertigers. Aus der Tatsache, dass der Lohnfertiger nur geringe Risiken trägt, eingeschränkte Funktionen ausübt und ty1 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562 (rkr.). 2 Zu der Frage der Begründung einer Betriebsstätte durch die Beistellung von Produktionsanlagen durch den Auftraggeber vgl. Ditz in Wassermeyer/Andresen/ Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 4.30. 3 Vgl. Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 314; Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 790; Ditz/Just, DB 2009, 141.
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pischerweise kein Eigentum an den Produktionsanlagen erwirbt, folgt, dass er i.d.R. auch nur relativ geringe finanzielle Mittel benötigt.1 Personaleinsatz des Lohnfertigers. Die Anstellung von Personal im Hinblick auf die Ausübung seiner Produktionsfunktion ist alleinige Aufgabe des Lohnfertigers. Nur in Ausnahmefällen behält sich der Auftraggeber vor, in die Personalpolitik des Lohnfertigers einzugreifen. Die entsprechenden Personalkosten sind daher auch durch den Lohnfertiger zu tragen und über den Verrechnungspreis abzudecken. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass der Auftraggeber – insbesondere zur Planung, Koordinierung und Kontrolle des Herstellungsprozesses – eigenes Personal in die Produktionsstätte des Lohnfertigers auf eigene Kosten entsendet. Sollte dies der Fall sein, ist zu prüfen, ob der Auftraggeber ggf. im Ansässigkeitsstaat des Lohnfertigers eine Betriebsstätte begründet.2
6.24
e) Zwingende Merkmale eines Lohnfertigers Unternehmen zwischen Lohnfertiger und Eigenproduzent. Nur bei nahezu vollständiger Erfüllung der oben dargestellten Merkmale ist davon auszugehen, dass das verbundene Produktionsunternehmen als ein Lohnfertiger zu qualifizieren ist. In Abhängigkeit von der Ausgestaltung der einzelnen Merkmale kann dabei auch eine Zwischenform zwischen Lohnfertiger und Eigenproduzenten vorliegen, die keiner der beiden Grundformen vollständig entspricht.3 Solche Zwischenformen kommen in der Praxis sogar sehr häufig vor. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das dem Lohnfertiger zugestandene Entgelt vom Umfang der von ihm wahrgenommenen Funktionen, den von ihm getragenen Risiken sowie den von ihm eingesetzten Wirtschaftsgütern abhängt. Infolgedessen wird die einem Lohnfertiger zuzuordnende Gewinnmarge umso höher sein, je mehr Funktionen und Risiken der Lohnfertiger übernimmt. Übernimmt ein Lohnfertiger immer mehr Funktionen und Risiken und setzt er immer mehr Mittel ein, so wird irgendwann ein Punkt erreicht sein, ab dem er zum eigenständigen Produktionsunternehmen wird und mithin als Eigenproduzent zu qualifizieren sein wird. In diesen Fällen liegt die besondere praktische Schwierigkeit darin, den Zeitpunkt auszumachen, ab dem ein Lohnfertiger zum Eigenproduzenten wird. Denn ab diesem Zeitpunkt sind insbesondere die im Rahmen der Auftragsfertigung unentgeltlichen Beistellungen von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern (Know-how, Produktionsverfahren, Maschinen etc.) sowie etwaige Leistungs- und Materialbeistellungen durch den Auftraggeber mit einem dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Entgelt abzurechnen.4 Ferner 1 Vgl. Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 249. 2 Zu Einzelheiten vgl. Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 4.30. 3 Vgl. Tz. 1.49 OECD-Leitlinien 2010; Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. L 233. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 208.
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6.25
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
können Funktionseinschränkungen des Auftraggebers zugunsten des nunmehrigen Eigenproduzenten als Funktionsverlagerung qualifizieren und dementsprechende verrechnungspreisbezogene Konsequenzen auslösen.1 Praktische Probleme entstehen damit insbesondere dann, wenn sich ein verbundenes Produktionsunternehmen auf Grund der ihm zugewiesenen Funktionen nicht eindeutig den „Polen“ Eigenproduzent oder Lohnfertiger zuordnen lässt, sondern zwischen diesen beiden Extrempunkten liegt.
6.26
Zwingende Voraussetzungen eines Lohnfertigers. Lohnfertigungsverhältnisse können eine Vielzahl von Ausprägungen annehmen. Allerdings existieren eine Reihe von Voraussetzungen, die für die Qualifikation eines Produktionsunternehmens als Lohnfertiger zwingend sind.2 Zwingende Voraussetzungen eines typischen Lohnfertigers sind, dass er – kein bzw. nur ein geringes Absatzrisiko trägt, weil der Auftraggeber die Produktion ganz bzw. größtenteils abnimmt, – die Produkte bzw. Teile nicht selbst entwickelt und kein Eigentum an den wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgütern hat, – Anweisungen vom Auftraggeber erhält, welche Fertigungsschritte er wie auszuführen hat, und – nur geringe Risiken trägt und nur geringe Mittel einsetzt.
6.27
Indizienwirkung der übrigen Kriterien. Die übrigen vorstehend dargestellten Kriterien sind allenfalls als Indizien heranzuziehen. Erfüllt ein verbundenes Produktionsunternehmen alle vier in Rz. 6.26 genannten Voraussetzungen nicht, handelt es sich eindeutig nicht um ein Lohnfertigungsverhältnis. Erfüllt es dagegen alle vier Kriterien, liegt ein Lohnfertigungsverhältnis vor. In allen übrigen Fällen ist im Einzelfall zu entscheiden, welcher Aspekt überwiegt. Bei dieser Entscheidung ist der Schwerpunkt auf die (faktische oder rechtliche) Abnahmegarantie und damit auf das Absatzrisiko des Lohnfertigers zu legen. Weiteres entscheidendes Kriterium ist die Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern zum Produktionsunternehmen. Verfügt das Produktionsunternehmen über die zur Herstellung und den Vertrieb der Produkte notwendigen immateriellen Wirtschaftsgüter, spricht dies gegen dessen Einordnung als Lohnfertiger.
6.28
Begriffsdefinition des Eigenproduzenten. Im Gegensatz zum Lohnfertiger verfügt der Eigenproduzent über die volle Dispositionsbefugnis der Produktion. In der Regel ist er daher auch als „Entrepreneur“ resp. „Strategieträger“ in Bezug auf das entsprechende Produkt bzw. die entsprechende Produktgruppe anzusehen.3 Denn der Eigenproduzent bestimmt die we1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 68 sowie Rz. 208 f. 2 Vgl. Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 318; Baumhoff in Schaumburg/Piltz, Internationale Einkünfteabgrenzung, 93. 3 Vgl. insoweit auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. Buchst. b.
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sentlichen strategischen und betriebswirtschaftlichen Entscheidungen1 und trägt infolgedessen alle Marktchancen und Marktrisiken der betrachteten Produktgruppe.2 Nach Rz. 201 der VWG-Funktionsverlagerung sind wesentliche Merkmale eines Eigenproduzenten, dass das Unternehmen – die Produktionsfunktionen (z.B. Fertigung, Produktentwicklung, Produktauswahl, Einkauf, Lagerhaltung, Forschung und Entwicklung usw.) sowie die Vermarktungsfunktionen (z.B. Werbung, Vertrieb usw.) ausübt, – über die entsprechenden Entscheidungskompetenzen verfügt, – regelmäßig im Besitz der wesentlichen Betriebsgrundlagen (materielle und insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter) ist und – die mit der Ausübung der Funktionen verbundenen Chancen und Risiken (z.B. Marktrisiko, Qualitätsrisiko, Absatzrisiko usw.) trägt. Möglichkeiten zur Ausgestaltung der Produktionsfunktion. Die nachfolgende Tabelle fasst die typischen Funktionen des Lohnfertigers einerseits und des Eigenproduzenten andererseits zusammen:3 Lohnfertiger
Eigenproduzent
Fertigungsvorbereitende Funktionen Forschung, Forschungsrisiko
–
+
Produktionsmanagement
–
+
Entwicklungskompetenz
–
+
Produktanpassungen
–
+
Eigentumserwerb an Vorprodukten, Rohstoffen
+/–
+
Rohstoff- und Vorproduktlager
+/–
+
–
+
Eigentum an Produktionsanlagen
+/–
+
Eigentum an Patenten, Know-how
–
+
Fertigungsfunktionen Produktionsplanung, Mengendisposition
Disposition über Fertigungsverfahren
–
+
Qualitätskontrolle
–
+
(Halb)Fertigproduktlager, Lagerrisiko
–
+
+/–
+
Produkthaftung
1 Wie z.B. die Produkt- und Distributionspolitik sowie übergeordnete Aspekte der Preis- und Kommunikationspolitik. 2 Vgl. dazu Borstell in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung3, 530; Baumhoff, IStR 2003, 5 f. 3 Vgl. Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 47 m.w.N.; Baumhoff/ Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung3, 557 f.
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6.29
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch Lohnfertiger
Eigenproduzent
–
+
+/–
+
–
+
+/–
+
Nachgelagerte Funktionen Absatzmengenrisiko, Absatzpreisrisiko Garantieleistungen Administrative Funktionen Eigentum an Warenzeichen, Marken Verwaltungsaktivitäten
2. Verrechnungspreisermittlung bei einem Lohnfertiger a) Anwendung der Preisvergleichsmethode
6.30
Vorrang der Preisvergleichsmethode. Für den Fall des Lohnfertigungsverhältnisses enthalten die VWG 1983 im Hinblick auf die anzuwendende Verrechnungspreismethode den Hinweis, dass der Verrechnungspreis durch die Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden „kann“.1 In diesem Zusammenhang fällt zunächst auf, dass die Regelung ein fakultatives „kann“, nicht dagegen ein zwingendes „muss“ oder ein vorziehenswürdiges „soll“ enthält. Diese Auffassung der Finanzverwaltung ist insofern schlüssig, als auch bei einem Lohnfertigungsverhältnis neben der Kostenaufschlagsmethode die anderen klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (vgl. Kap. 5) zur Anwendung kommen können. Nach Auffassung der deutschen Rspr. und der Finanzverwaltung stehen nämlich die klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode) zwar grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander.2 Gleichwohl liefert die Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff.) auf der Grundlage eines tatsächlichen Fremdvergleichs die verlässlichsten Vergleichspreise, weil bei Existenz von zwischen fremden Dritten vereinbarten Preisen das Heranziehen weiterer Preisermittlungsmethoden überflüssig wäre. Daher sollte vorrangig die Preisvergleichsmethode zur Anwendung kommen.3 Dies entspricht im Übrigen auch dem Stufenverhältnis des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG, wo1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Bsp. 3. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 ff. = FR 2002, 154; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.1. und 2.4.1.; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. a; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1551. 3 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 88. Nach dem mit den OECDLeitlinien 2010 für die Methodenwahl eingeführten Konzept der „geeignetsten Methode“ haben die Standardmethoden nur dann Vorrang vor den transaktionsbezogenen Gewinnmethoden, wenn eine Standard- und eine Gewinnmethode „gleich zuverlässig“ angewendet werden kann. Bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit dominiert die Preisvergleichsmethode alle anderen Verrechnungspreismethoden. Vgl. auch hierzu Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2010.
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A. Lieferung von Gütern und Waren
nach der tatsächliche Fremdvergleich vorrangig gegenüber dem hypothetischen Fremdvergleich anzuwenden ist.1 Auch durch das BFH-Urteil v. 6.4.2005 wird der grundsätzliche Vorrang der Preisvergleichsmethode2 bestätigt: „[…] deshalb ist, wenn sich für eine bestimmte Leistung im Geschäftsverkehr des betreffenden Unternehmens mit Dritten (‚interner‘ Preisvergleich) oder im allgemeinen Geschäftsverkehr (‚äußerer‘ Preisvergleich) ein bestimmter Preis als üblich feststellen lässt, für Zwecke der Besteuerung auf diesen Preis abzustellen“. Dabei kann der durch einen Preisvergleich ermittelte Betrag nur bei Vergleichbarkeit der Verhältnisse als Verrechnungspreis angesetzt werden (Rz. 6.56). Sofern allerdings eine Vergleichbarkeit der Verhältnisse vorliegt, mithin die Preisvergleichsmethode also anwendbar ist, verlangt die BFH-Rspr. auch die zwingende Anwendung der Preisvergleichsmethode. Insofern ist auch bei einem Lohnfertigungsverhältnis zunächst zu prüfen, ob primär die Preisvergleichsmethode Anwendung finden kann. Dass die Preisvergleichsmethode grundsätzlich auch bei Lohnfertigern in Betracht kommt, dürfte unstrittig sein, denn oftmals übernehmen auch unabhängige Lohnfertiger in Osteuropa und Asien Produktionsaufträge.3 Wenn anhand solcher Vergleichstransaktionen marktübliche Preise ermittelt werden können, sind diese als Verrechnungspreise zugrunde zu legen. b) Anwendung der Kostenaufschlagsmethode Kostenaufschlagsmethode als Regelmethode. Sollte die Preisvergleichsmethode im Einzelfall nicht anwendbar sein, so ist bei Lohnfertigungsverhältnissen gem. Tz. 3.1.3. Bsp. 3 VWG 19834 vornehmlich auf die Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) abzustellen. Da in der Verrechnungspreispraxis häufig die Preisvergleichsmethode an fehlenden Vergleichstransaktionen des Marktes scheitert, stellt die Kostenaufschlagsmethode bei Lohnfertigungsverhältnissen die Regelmethode dar.5 Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ist insofern sachgerecht, als man z.B. bei „Make-or-Buy“-Entscheidungen im Rahmen des „Outsourcings“ zwischen fremden Dritten üblicherweise auf Kostenvergleichsrechnungen abstellt. Ferner wird die vom Lohnfertiger ausgeübte Leistung von der OECD als Dienstleistung angesehen, die mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode zu verrechnen ist.6 1 Vgl. zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1462. 2 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; Baumhoff/ Ditz/Greinert, IStR 2005, 592. 3 Vgl. auch Wolff in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, 96 f. 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Bsp. 3. 5 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562 (rkr.); Kuckhoff/ Schreiber, IStR 1999, 327; Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 314; Baumhoff in Schaumburg/Piltz, Internationale Einkünfteabgrenzung, 95; Ditz/Just, DB 2009, 142. 6 Vgl. Tz. 7.40 OECD-Leitlinien 2010.
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6.31
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.32
Kostenaufschlagsmethode nicht zwingend. Wie bereits ausgeführt, gehen die VWG 1983 davon aus, dass bei Vorliegen eines „reinen“ Lohnfertigungsverhältnisses „in der Regel“ ein kostenorientiertes Entgelt anzusetzen ist.1 Nach dem Beispiel 3 in Tz. 3.1.3. VWG 1983 „kann“ die Kostenaufschlagsmethode angewandt werden. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sie nicht zwangsläufig angewendet werden „muss“. Vielmehr gibt es auch Fälle, in denen selbst bei Lohnfertigungsverhältnissen die Preisvergleichsmethode (Rz. 6.30) oder die Wiederverkaufspreismethode zur Anwendung kommen kann. So ist etwa die Preisvergleichsmethode im Sinne eines internen Preisvergleichs in Betracht zu ziehen, wenn ein Lohnfertiger neben verbundenen Auftraggebern für eine Produktion auch an unabhängige Abnehmer liefert. Demgegenüber ist die Wiederverkaufspreismethode bei Lohnfertigungsverhältnissen einschlägig, wenn z.B. der Auftraggeber die vom Lohnfertiger gelieferten Produkte ohne besondere Be- und Weiterverarbeitung und ohne besondere Absatzanstrengungen weiterveräußert. In diesem Fall spricht allerdings vieles dafür, dass das Produktionsunternehmen nicht als Lohnfertiger, sondern als Eigenproduzent zu qualifizieren ist.
6.33
Sachumfang der Kosten. Im Rahmen der Bestimmung des Sachumfangs der verrechenbaren Kosten wird allgemein zwischen Voll- und Teilkosten unterschieden (Rz. 5.64 ff.). Bei Lohnfertigungsverhältnissen kommt indessen nur die Verrechnung von Vollkosten in Frage, da Teilkostenrechnungen nur im Zusammenhang mit Verrechnungspreisen gegenüber Vertriebsunternehmen (Markteroberungs-, Marktverteidigungs- und Markterschließungskosten) bzw. bei voll ausgestatteten Produktionsunternehmen (Ausfüllen von Überkapazitäten) in Betracht kommen (Rz. 5.68). Bei Lohnfertigungsverhältnissen ist indessen ausschließlich der Auftraggeber für die Kapazitätsauslastung des Lohnfertigers verantwortlich, der die gesamte bzw. nahezu die gesamte Produktion des Lohnherstellers auf Grund eines Dauerschuldverhältnisses mittel- und langfristig übernimmt. Da der Auftraggeber alle wirtschaftlichen Risiken der Produktion trägt, unterliegt er auch dem Kostenrisiko einschließlich des Auslastungsrisikos. Insofern kann nicht das Kostenrisiko (auch nicht das Leerkostenrisiko) beim Lohnfertiger verbleiben, da es im Regelfall allein in der Sphäre des Auftraggebers liegt, ob und in welcher Höhe der Lohnfertiger ausgelastet ist (Rz. 6.14).
6.34
Anwendung des betriebswirtschaftlichen Kostenbegriffs. Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode fußt auf betriebswirtschaftlichen Grundsätzen. Unstreitig ist daher, dass der betriebswirtschaftliche Kostenbegriff Anwendung findet. Dies lässt sich aus Tz. 2.3.4. VWG 19832 ableiten. Bei Anwendung des betriebswirtschaftlichen Kostenbegriffs ist unter Kosten der entgeltbewertete leistungsbedingte Güterverzehr eines Betriebs zu 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.3. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3.4.
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A. Lieferung von Gütern und Waren
verstehen. Damit wird klargestellt, dass die Kosten nicht den in der handels- bzw. steuerrechtlich relevanten Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesenen Aufwendungen entsprechen müssen. Vielmehr kann auch der wertmäßige Kostenbegriff zur Anwendung kommen, wonach neben den pagatorischen Kosten (Aufwendungen) auch kalkulatorische Kosten einzubeziehen sind. Dabei sind die folgenden Arten kalkulatorischer Kosten zu unterscheiden (Rz. 5.42): – kalkulatorische Abschreibungen (Abschreibungen bezogen auf die Wiederbeschaffungskosten des Sachanlagevermögens unter Ansatz der betriebswirtschaftlichen Nutzungsdauern), – kalkulatorische Zinsen (angemessene Verzinsung des gebundenen Kapitals), – kalkulatorische Wagniskosten (insbesondere für Anlagenwagnisse, Vorratswagnisse und Forderungswagnisse), – kalkulatorischer Unternehmerlohn und – kalkulatorische Miete. Zeitbezug der Kosten. Die Vollkosten können grundsätzlich auf Basis vergangenheitsbezogener Ist- oder Normalkosten oder mit Hilfe von Plankosten ermittelt werden. Für welche Kalkulationsmethodik sich der Steuerpflichtige entscheidet, steht dabei in seinem freien Ermessen. Denn auch nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung ist der ordentliche Geschäftsleiter in seinem Ermessen nicht eingeschränkt, im Rahmen von „Kalkulationsmethoden […], die der Liefernde und Leistende auch bei seiner Preispolitik gegenüber Fremden zugrunde legt oder […] die betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entsprechen“,1 Ist-, Normal oder Plankosten zu verrechnen. Im Übrigen bestimmen auch die OECD-Leitlinien, dass der Zeitbezug der Kosten auf Basis von Ist-, Normal- oder Plankosten erfolgen kann.2 In der Verrechnungspreispraxis hat sich allerdings die Verwendung von Plankosten als besonders geeignet erwiesen.3 Zum einen erlaubt die Verwendung von Plankosten die Unterstellung einer gewissen Wirtschaftlichkeit bei der betrieblichen Leistungserstellung, was dazu führt, dass – wie beim Leistungsaustausch zwischen unabhängigen Geschäftspartnern üblich – Unwirtschaftlichkeiten sowie Kostenvorteile zu Lasten oder zugunsten des Unternehmens gehen, das sie verursacht. Zum anderen berücksichtigt allein die Plankostenrechnung den Grundsatz der „Ex-ante“-Betrachtung, wonach einem Fremdvergleich nur die Verhältnisse und Informationen zugrunde zu legen sind, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannt waren bzw. sich abzeichneten 1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.4., 2.4.3. und 2.1.6. Buchst. c. 2 Vgl. Tz. 2.49 OECD-Leitlinien 2010; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 112. 3 Vgl. Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 316; Baumhoff in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, 75; Ditz/Just, DB 2009, 142.
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6.35
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
(Rz. 5.59). Da ein Unternehmer bzw. ein ordentlicher Geschäftsleiter zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die tatsächlich für die Leistungserstellung anfallenden Istkosten nicht kennen kann, muss insoweit von den erwarteten Kosten, also den Plankosten, ausgegangen werden. Im Übrigen entspricht die Verwendung von Plan- bzw. Normalkosten auch sog. „Outsourcing“-Vereinbarungen zwischen fremden Dritten, in welchen der Preis von vornherein anhand eines Kostenrahmens des Leistenden festgelegt wird, so dass Effizienzfortschritte und Preisabweichungen dem Lohnfertiger zugute kommen, er aber auch entsprechende Nachteile zu tragen hat.1 Schließlich ermöglicht der Ansatz von Plankosten die Aufteilung der i.d.R. bei dem ausländischen Lohnfertiger entstehenden Standortvorteile (insbesondere in Form von Kostenvorteilen oder Subventionen (Rz. 6.36).
6.36
Notwendigkeit der Aufteilung von Standortvorteilen. Standortvorteile werden meist durch niedrigere Produktionskosten des Lohnfertigers auf Grund eines niedrigeren Lohnniveaus, geringerer Sozialabgaben, niedrigerer Energiekosten usw. im Ausland realisiert. Die günstigere Kostensituation führt ceteris paribus zu einem Mehrgewinn im Vergleich zur reinen Inlandsproduktion ohne Einschaltung des jeweiligen Lohnfertigers. Der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn wird indessen bei einer undifferenzierten Anwendung der Kostenaufschlagsmethode nicht zutreffend berücksichtigt.2 Denn wird lediglich ein Standardgewinnaufschlag (von z.B. 5–10 %) auf die durch die Standortvorteile niedrigere Kostenbasis angesetzt (vgl. zur Ermittlung des Gewinnaufschlags Rz. 6.41 ff.), kommt der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn größtenteils dem Auftraggeber zu. Letztlich würden dadurch die Standortvorteile ins Inland zum Auftraggeber übertragen und dort der Besteuerung zugeführt. Eine solche Zuordnung von Standortvorteilen ist allerdings nicht sachgerecht und entspricht auch nicht dem Grundsatz des Fremdvergleichs. Denn Standortvorteile entstehen auf Grund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Staates. Somit sollte das grundsätzliche Besteuerungsrecht der daraus resultierenden Gewinne auch dem betreffenden Staat zustehen. Besonders deutlich wird dies bei Gewährung von Steuervergünstigungen, Investitionszuschüssen oder vergleichbaren staatlichen Subventionen. In diesen Fällen schränkt die ausländische Steuerhoheit ihr Besteuerungsrecht zur Förderung der heimischen Wirtschaft gezielt ein. Vor diesem Hintergrund kann es dann nicht gerechtfertigt sein, wenn das Inland durch eine undifferenzierte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode mit einem Standardgewinnaufschlag die im Ausland erhöhten Gewinne auf Grund von Standortvorteilen abschöpft und der deutschen Besteuerung unterwirft.3 Aus diesen Überlegungen rechtfertigt sich im Übrigen auch die sog. fiktive Steueranrechnung, die 1 Vgl. Leitner, IWB F. 5 Österreich Gr. 2, 396. 2 So z.B. auch Dreßler in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, 98. 3 Vgl. auch Kroppen in Kroppen, Handbuch internationale Verrechnungspreise, Rz. D 59.
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A. Lieferung von Gütern und Waren
bei Zugeständnissen solcher Art an inländische Steuerpflichtige zum Tragen kommt und in einer Reihe deutscher DBA verankert ist.1 Auf Grund dieser Sachlage sind nach h.M. in der Literatur die durch die niedrigeren Kosten im Ausland resultierenden Standortvorteile zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger aufzuteilen.2 Selbst Vertreter der Finanzverwaltung sehen eine Aufteilung als erforderlich an. So formulieren Kuckhoff/ Schreiber, dass durch eine undifferenzierte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode „die Standortvorteile über den Verrechnungspreis seitens der inländischen Muttergesellschaft oder des inländischen Abnehmers nahezu völlig abgeschöpft [würden], was betriebswirtschaftlich und damit auch steuerlich nicht zu rechtfertigen [sei].“3 Nach der Literaturauffassung ist es daher unstreitig, dass Standortvorteile zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger grundsätzlich aufzuteilen sind. Fraglich ist allerdings, nach welchen Grundsätzen diese Aufteilung zu erfolgen hat. Vorgehen zur Aufteilung von Standortvorteilen. Bei der Frage der Aufteilung eines Standortvorteils zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger handelt es sich nicht um einen tatsächlichen Fremdvergleich. Vielmehr ist im Wege eines hypothetischen Fremdvergleichs anhand der Denkfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters in seiner verdoppelten Ausprägung im Rahmen einer Preissimulation zu klären, wie fremde Dritte einen Standortvorteil aufteilen würden. Dies läuft letztlich auf die Ermittlung eines Einigungsbereichs i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG hinaus, wonach zur Ermittlung eines Verrechnungspreises ein Einigungsbereich im Sinne eines Mindestpreises des Leistenden (hier: des Lohnfertigers) und eines Höchstpreises des Leistungsempfängers (hier: des Auftraggebers) zu ermitteln ist.4 So umfasst die Preisobergrenze des Auftraggebers die Kosten des jeweiligen Auftrags bei Eigenerstellung, während die Preisuntergrenze des Lohnfertigers die Kosten des jeweiligen Auftrags zzgl. eines Standardgewinnaufschlags umfasst. Da bei den hier zur Diskussion stehenden Auslagerungen von Produktionsaufgaben die Preisobergrenze üblicherweise die Preisuntergrenze übersteigt, liegt ein Einigungsbereich vor. Grundsätzlich dürften alle Preise innerhalb dieses Einigungsbereiches als angemessen anzusehen sein, da jeder dieser Preise auch zwischen fremden Dritten vereinbart werden könnte. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG sieht hinsichtlich der Frage, wie ein ermittelter Einigungsbereich zwischen den Verhandlungspartnern aufzuteilen ist, vor, dass der Preis im Einigungsbereich der Einkünfteermittlung zugrunde zu legen ist, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht; wird kein anderer Wert glaubhaft gemacht, ist der Mittelwert 1 Vgl. hierzu Übersicht bei Vogel in V/L5, Art. 23B OECD-MA Rz. 191. 2 Vgl. Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791; Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 319; Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 89; Kroppen in Kroppen, Handbuch internationale Verrechnungspreise, Rz. W 59; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 363. 3 Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 217; vgl. auch Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 319. 4 Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1464 f.).
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
des Einigungsbereiches zugrunde zu legen. Da die Aufteilung der Standortvorteile mittels einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung nur schwerlich möglich ist,1 wird in praxi von einer hälftigen Aufteilung des Einigungsbereiches, d.h. von einer hälftigen Aufteilung der Standortvorteile, auszugehen sein. Dies läuft auf eine Arbitriumwertlösung hinaus, welche letztlich als rein pragmatischer Ansatz zu verstehen ist.2
6.38
Urteil des FG Münster v. 16.3.2006. Die hälftige Aufteilung von Standortvorteilen wurde durch das rechtskräftige Urteil des FG Münster v. 16.3. 20063 bestätigt (Rz. 6.173). Dem Urteil lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem es um die Auslagerung von Produktionsfunktionen an ein in Polen angesiedeltes verbundenes Unternehmen ging, das als reiner Lohnfertiger agierte. Konkret ging es um die Herstellung von Kreuzverbindern für den Fensterbau. Das FG Münster machte in seiner Urteilsbegründung zutreffend deutlich, dass der durch die Produktion im Ausland entstandene Kostenvorteil nicht vollständig dem inländischen Auftraggeber zuzuordnen ist, sondern auch dem Lohnfertiger zusteht. Konkret hat das FG Münster bei einer hälftigen Teilung des Kostenvorteils keinen Verstoß gegen den Grundsatz des Fremdvergleichs gesehen. Dies wird schließlich damit begründet, dass der Auftraggeber mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters gehandelt hat, weil die Herstellungskosten zur Produktion der entsprechenden Teile in Deutschland wesentlich höher gewesen wären. Damit wurden die vorstehend dargestellten Grundsätze einer Aufteilung von Standortvorteilen durch das FG Münster bestätigt. Mit dem Urteil wird damit in bemerkenswerter Klarheit herausgestellt, dass ein durch Kostenvorteile entstandener Standortvorteil vom Auftraggeber nicht vollständig absorbiert werden kann, sondern ebenfalls dem herstellenden Unternehmen (Lohnfertiger) zugutekommt.
6.39
Berücksichtigung von Standortvorteilen nach Auffassung der UN. Seitens der UN wurde daher das sog. „Practical Manual on Transfer Pricing for developing Countries“ (nachfolgend „UN Manual“) durch eine Vielzahl von Vertretern von OECD- und Nicht-OECD-Ländern erstellt und abgestimmt.4 Ziel des UN Manual ist es, eine Anleitung und Hilfestellung zur Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu geben. Es richtet sich somit insbesondere an die Gesetzgeber und Finanzverwaltungen von Schwellenländern. Es soll dabei auch eine Auslegungshilfe insbesondere für Sachverhalte sein, die vor allem Schwellenländer betreffen. Ausführlich werden dabei auch die Wirkungen von Standortvorteilen (sog. „Location Specific Advantages“) auf die Verrechnungspreisfestsetzung diskutiert.5 Als Standortvorteil wird der ökonomische Nutzen betrachtet, welcher sich aus der Ausübung der Geschäftstätigkeit an einem bestimmten/spezifischen Standort ergibt (z.B. Marktnähe, Kundenstamm, Verfüg1 2 3 4 5
Vgl. dazu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1465. Vgl. Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 792. Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562. Vgl. hierzu Wehnert/Dräger, ISR 2013, 106 ff. Vgl. UN Manual, Tz. 5.3.2.39.–5.3.2.47.
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A. Lieferung von Gütern und Waren
barkeit qualifizierter Arbeitnehmer, Lohnkostenvorteile, etc.). Dem Standort wird – in Anlehnung an die Volkswirtschaftslehre – eine sog. „Standortmarge“ (sog. „Location Rent“) zugesprochen. Das UN Manual erkennt dabei an, dass eine entsprechende positive Standortmarge jedoch z.B. durch höhere Transportkosten oder eine schlechte Infrastruktur gegenläufig (in Teilen) kompensiert werden kann. Nicht ausgeschlossen wird dabei, dass die Standortmarge auch negativ sein kann. Auffassung Chinas. Im Unterschied zu den allgemeinen Kapiteln des UN Manual, die insbesondere den Gesetzgebern und der Finanzverwaltung in Schwellenländern Hilfestellung bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes geben sollen, gibt Abschnitt 10.2 des UN Manual die Erfahrungen Chinas wider, welches bereits seit Ende der 1990er Jahre Verrechnungspreissachverhalte intensiv prüft.1 Demnach ist nach Auffassung Chinas zu beobachten, dass in Schwellenländern häufig keine Fremdvergleichswerte (z.B. aus Datenbanken) verfügbar sind. Datenbankstudien mit überregionalem geographischem Fokus (z.B. Pan-Asiatische Studien) enthalten demnach häufig Fremdvergleichswerte aus Industrieländern (z.B. Japan), seltener jedoch aus Entwicklungsländern (z.B. Vietnam).2 Die wirtschaftlichen Unterschiede in diesen Ländern sind aber häufig so groß, dass die Fremdvergleichswerte nicht uneingeschränkt vergleichbar sind. Es sind vielmehr Anpassungsrechnungen notwendig, um eine (eingeschränkte) Vergleichbarkeit herzustellen.3 Weiterhin geht China davon aus, dass es sog. „lokale Standortvorteile“ („location specific advantages“) gibt, welche in sog. „lokalen Kostenvorteilen“ („location savings“)4 bzw. sog. „Marktprämien“ („market premium“)5 bestehen.6 Nach Auffassung Chinas ist eine vierstufige Prüfungsweise zur Berücksichtigung dieser lokalen Standortvorteile notwendig:7 1. Prüfung, ob lokale Standortvorteile vorliegen, 2. Prüfung, ob lokale Standortvorteile den Gewinn erhöhen, 3. Quantifizierung/Bewertung des zusätzlichen Gewinns, welcher durch den Standortvorteil generiert wird, 4. Festlegung der Verrechnungspreismethode, um den zusätzlichen Gewinn zuzuordnen. Mit Bezug zur Forschungs- und Entwicklungstätigkeit, die in Schwellenländern häufig von sog. „Auftragsforschern“ für ausländische Strategieträger und unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ausgeübt wird, 1 2 3 4
Vgl. UN Manual, Tz. 10.2.1.2. Vgl. UN Manual, Tz. 10.2.2.4. Vgl. UN Manual, Tz. 10.2.2.5. Kostenvorteile können sich beispielhaft durch günstigere Lohnkosten, Vermeidung von Transportkosten, etc. ergeben, vgl. UN Manual, Tz. 10.2.3.2. 5 Die Marktprämie bezeichnet alle Umstände, die die Erwirtschaftung von Umsatz bzw. Gewinn im Vergleich zu anderen Ländern positiv beeinflussen, vgl. UN Manual, Tz. 10.2.3.3. 6 Vgl. UN Manual, Tz. 10.2.3.1. 7 Vgl. UN Manual, Tz. 10.2.3.4.
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6.40
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
zeigt China beispielhaft die Wirkung lokaler Kostenvorteile auf.1 Sollte demnach aus einer Verrechnungspreisstudie ersichtlich sein, dass ein angemessener Gewinnaufschlag auf Vollkosten in Industriestaaten 8 % beträgt, ist dieser Gewinnaufschlag (prozentual) auch auf die eingesparten Kosten anzuwenden, wie folgendes Beispiel zeigt: Angemessener Gewinnaufschlag in Industriestaaten: Kosten im Industriestaat: Kosten in China: Angemessener Gewinn in China: Angemessener Gewinnaufschlag in China:
8% 150 100 12 (=8 % × 150) 12 % (=12/100)
Im Ergebnis hat der Strategieträger einen höheren prozentualen Gewinnaufschlag i.H.v. 12 % an den chinesischen Auftragsforscher zu entrichten, da China den Gewinnaufschlag fiktiv auf die Kostenbasis von Industriestaaten anwendet, um eine Vergleichbarkeit herzustellen. Gleichwohl hat auch der Strategieträger einen Vorteil. Denn er profitiert von der Einsparung der Kosten, i.H.v. 50 Geldeinheiten, so dass bei ihm im Gesamtergebnis ein Vorteil von 46 Geldeinheiten (50 Geldeinheiten ./. 4 Geldeinheiten des höheren Gewinnaufschlags) verbleibt.
6.41
Methoden zur Ermittlung des Gewinnaufschlags. Zur Ermittlung des Gewinnaufschlags des Lohnfertigers kann auf die allgemeinen Grundsätze der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zurückgegriffen werden (Rz. 5.39 ff.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es den einen „richtigen“ Gewinnaufschlag nicht gibt. Vielmehr kann allenfalls – bezogen auf den Einzelfall – eine Bandbreite angemessener Gewinnaufschläge ermittelt werden, die sich an den vom Lohnfertiger ausgeübten Funktionen, den von ihm getragenen Risiken und den von ihm eingesetzten Wirtschaftsgütern ausrichtet. Zur Festlegung eines angemessenen Gewinnaufschlags existieren im Schrifttum und seitens der Rspr. mehrere methodische Ansätze. Diese betreffen im Wesentlichen – einen inneren Betriebsvergleich (sog. betriebsübliche Gewinnaufschläge), – einen äußeren Betriebsvergleich (sog. branchenübliche Gewinnaufschläge), – die angemessene Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals sowie – pauschale, in Prozentsätzen festgelegte Aufschlagssätze.
6.42
Innerer und äußerer Betriebsvergleich. Die Ermittlung betriebsüblicher Gewinnaufschläge mittels eines inneren Betriebsvergleichs orientiert sich an Gewinnspannen, die vom Lohnfertiger mit fremden Dritten erzielt werden. Als Vergleichsmaßstab sollen dabei möglichst Transaktionen herangezogen werden, die unter vergleichbaren Umständen vorgenommen werden. Stehen vergleichbare Gewinnspannen nicht zur Verfügung, weil der Lohnfertiger keine oder keine vergleichbaren 1 Vgl. UN Manual, Tz. 10.2.3.9.
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A. Lieferung von Gütern und Waren
Geschäftsbeziehungen zu fremden Dritten unterhält, so ist auf branchenübliche Gewinnaufschläge abzustellen. Diese lassen sich durch einen äußeren Betriebsvergleich bestimmen.1 Dabei wird auf Gewinnspannen Bezug genommen, die Unternehmen der gleichen Branche bei vergleichbaren Geschäften untereinander erzielen. Zu deren Ermittlung wird häufig auf Datenbanken zurückgegriffen.2 Die Verrechnungspreispraxis zeigt allerdings, dass die Anwendung von Datenbankanalysen im Produktionsbereich zur Ableitung angemessener Gewinnaufschläge bei Lohnfertigern nicht unproblematisch ist.3 Angemessene Eigenkapitalrendite. Ein anderer Vorschlag geht dahin, den Gewinnaufschlag so zu bemessen, dass durch den Lohnfertiger mindestens eine Eigenkapitalrendite in Höhe der Kapitalmarktrendite erwirtschaftet wird.4 Die Ableitung eines angemessenen Gewinnaufschlags aus der Eigenkapitalrendite beruht auf der Überlegung, dass fremde Dritte eine unternehmerische Funktion nur dann ausüben würden, wenn die erzielbaren Erträge langfristig eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals gewährleisten. Allerdings kommt die Kapitalmarktrendite nur als Untergrenze der Eigenkapitalrendite in Frage, da eine Kapitalmarktanlage (z.B. Anleihe oder Festgeld) gegenüber einer Investition in einem Unternehmen ein wesentlich geringeres Kapitalausfallrisiko aufweist. Im Übrigen können durch die Verwendung einer Eigenkapitalrendite ggf. bestehende Standortvorteile des ausländischen Lohnfertigers nicht im Rahmen des Gewinnaufschlags berücksichtigt werden (Rz. 6.36). Vor diesem Hintergrund wird in der Verrechnungspreispraxis die Ermittlung des Gewinnaufschlags auf Basis einer angemessenen Kapitalmarktrendite häufig nur zu Verprobungszwecken herangezogen.
6.43
Auffassung der Finanzverwaltung. In der Verrechnungspreispraxis akzeptiert die deutsche Finanzverwaltung im Rahmen der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bei Lohnfertigern häufig lediglich Gewinnaufschläge i.H.v. 5–10 % auf die Selbstkosten (d.h. die nach den Grundsätzen der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung ermittelten Vollkosten).5 Diese Bandbreite von Gewinnaufschlägen ist indessen angesichts der möglichen Ausprägungsformen von Lohnfertigungsverhältnissen zu un-
6.44
1 Vgl. auch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.4. 2 Vgl. zum Einsatz von Datenbanken auch Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34; Tucha, IStR 2002, 175; Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937. 3 Krit. auch Kolb, IWB F. 3 Gr. 1, 2391 ff.; Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160. 4 Vgl. § 1 Abs. 3 AStG; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270; Scholz, IStR 2004, 209. 5 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 327; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99 – Betriebsstätten-VWG, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1.2; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.7.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
flexibel und zu eng bemessen. Je mehr Funktionen vom Lohnfertiger wahrgenommen werden, je mehr wirtschaftliche Risiken er übernimmt und je höher seine eingesetzten Mittel sind, desto höher muss auch seine Marge sein. Seine Wertschöpfungsquote muss sich letztlich in dem ihm unter Fremdvergleichsgesichtspunkten zuzugestehenden Gewinn – gleich nach welcher Methode der Verrechnungspreis ermittelt wird – widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund können selbstverständlich auch Gewinnaufschläge von mehr als 5–10 % Anwendung finden.1 Daher kann es sich bei der von der Finanzverwaltung vorgesehenen Richtgröße eines Gewinnaufschlags i.H.v. 5–10 % allenfalls um einen rein pragmatischen Ansatz handeln, der sich einer betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung entzieht. Insofern ist bei der Festlegung des Gewinnaufschlags immer den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen, d.h. es sind insbesondere die von dem Lohnfertiger ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Produktionsmittel zu berücksichtigen. Ferner ist zu prüfen, ob über den Gewinnaufschlag dem Lohnfertiger Anteile an den Standortvorteilen zuzuordnen sind (Rz. 6.36). 3. Anlaufverluste des Lohnfertigers
6.45
Übernahme von Anlaufverlusten durch den Auftraggeber. Nach Tz. 3.5 VWG 19832 sind sog. „Anlaufkosten“ grundsätzlich von der neu gegründeten Gesellschaft zu tragen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob diese Sichtweise der Finanzverwaltung auch auf verbundene Lohnfertigungsunternehmen anzuwenden ist. Zwar entstehen einem Lohnfertiger auf Grund seines eingeschränkten unternehmerischen Funktions- und Risikoprofils i.d.R. keine besonderen Kosten des Aufbaus einer Innen- bzw. Außenorganisation. Allerdings erwachsen Lohnfertigern nicht selten auf Grund anfänglich geringer Stückzahlen und folglich einer geringen Auslastung produktionsbezogene Anlaufkosten in Gestalt sog. Leerkosten, die häufig zu Anlaufverlusten führen können. Tz. 3.5 VWG 1983 ist auf solche Anlaufverluste des Lohnfertigers nicht anzuwenden. Denn dieser Regelung liegt offensichtlich der Gedanke eines vollumfänglich ausgestatteten, d.h. mit eigenen Marktchancen und -risiken versehenen Eigenproduzenten zugrunde. Bei einem Lohnfertiger handelt es sich dagegen um ein Routineunternehmen mit geringen unternehmerischen Risiken. Die Regelung der Tz. 3.5 VWG 1983 kann daher nicht auf Fälle der Lohnfertigung angewendet werden, sondern nur auf den umgekehrten Fall des Eigenproduzenten. Ist daher ein verbundenes Produktionsunternehmen als Lohnfertiger zu qualifizieren, sind die bei ihm entstehenden Anlaufverluste grundsätzlich vom Auftraggeber zu tragen.3 Dies folgt auch aus den VWG-Verfahren, wonach einem Lohnfertiger als Routine1 So auch Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 317. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.5. 3 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 327; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3 252; Baumhoff in FS Krawitz, 31; Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 88; Ditz/Just, DB 2009, 142.
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unternehmen „bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“1 zuzuordnen sind. Würde der Lohnfertiger hingegen solche Anlaufverluste tragen, wäre es ihm ggf. nicht möglich, über die Totalperiode einen Gewinn auszuweisen. Ihm würde somit die Möglichkeit genommen, kurz- und mittelfristig einen angemessenen Lohnfertigergewinn zu erzielen.2 Diese Grundsätze gelten prinzipiell auch in Bezug auf Schließungskosten sowie in Zeiten eines konjunkturellen Nachfrage- oder Preisrückgangs (z.B. Wirtschaftskrise), wobei hier allerdings ein temporärer Gewinnverzicht prinzipiell denkbar ist.3 Implikationen des BFH-Urteils v. 17.10.2001. Die Zuordnung von Anlaufverlusten in Lohnfertigungsverhältnissen zum Auftraggeber kann im Übrigen auch aus der Rspr. des BFH zur Nichtanerkennung von nachhaltigen Verlustsituationen bei Vertriebsgesellschaften abgeleitet werden. So hat der BFH mit Urteil v. 17.10.2001 entschieden, dass eine Vertriebsgesellschaft „innerhalb eines überschaubaren Kalkulationszeitraums mit einem angemessenen Totalgewinn rechnen“4 muss. Zwar wurde dieser Grundsatz zu als Eigenhändler organisierten Vertriebsgesellschaften judiziert. Bei Lohnfertigungsverhältnissen kann indessen nichts anderes gelten, weil auch der Lohnfertiger – vergleichbar zur Vertriebsgesellschaft des Sachverhalts v. 17.10.2001 – als Routineunternehmen zu qualifizieren ist. Im Produktionsbereich kann daher für funktions- und risikoschwache Unternehmen nichts anderes gelten als im Vertriebsbereich. Denn auch der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter eines Lohnfertigers würde auf Dauer keine Produkte in einer Lohnfertigung herstellen, wenn er aus seiner Tätigkeit keinen angemessenen Totalgewinn erzielen kann. Verlustphasen des Lohnfertigers dürfen im Übrigen auch nicht dazu führen, dass ihm die von ihm erwirtschafteten Standortvorteile „genommen“ werden (Rz. 6.36).
6.46
4. Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenproduzenten Eigenproduzent als Strategieträger. Im Gegensatz zum Lohnfertiger hat der Eigenproduzent die volle Dispositionsbefugnis über die Produktion inne (Rz. 6.28). In der Regel ist er daher auch als „Entrepreneur“ bzw. „Strategieträger“ in Bezug auf das entsprechende Produkt bzw. die entsprechende Produktgruppe anzusehen.5 Der Strategieträger ist dadurch ge1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 2 Auch nach Ansicht von Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 316, ist dem Lohnfertiger „regelmäßig ein – wenn auch geringer – Gewinn (Funktionsnutzen) zuzuweisen.“ Siehe ferner Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 327. 3 Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 32 f. 4 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 170 = FR 2002, 154. 5 Vgl. dazu BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b; Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 90.
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6.47
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
kennzeichnet, dass er im Hinblick auf die entsprechenden Produkte bzw. die entsprechende Produktgruppe die betriebswirtschaftlich wesentlichen Entscheidungen trifft, über die zur Herstellung und den Vertrieb der entsprechenden Produkte notwendigen immateriellen Wirtschaftsgüter verfügt (insbesondere Patente, Know-how, Marken und Kundenstamm) und die wesentlichen Markt-, Preis- und Absatzrisiken trägt (Rz. 6.28).1 Folge der Einordnung des Eigenproduzenten als „Entrepreneur“ bzw. „Strategieträger“ ist, dass ihm der konzerninterne Residualgewinn bzw. -verlust zuzuordnen ist. Die Zuordnung eines geringen Standardgewinnes – wie beim Lohnfertiger – ist insoweit nicht möglich.2
6.48
Methodenwahl bei Eigenproduzenten. Liefert ein verbundenes Produktionsunternehmen an einen Eigenproduzenten, spricht vieles dafür, dass dieses als Lohn- bzw. Auftragsfertiger oder als Mittelunternehmen3 zu qualifizieren ist. In diesem Fall sind die entsprechenden Verrechnungspreise vorrangig nach der Preisvergleichsmethode und, falls diese nicht angewendet werden kann, nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln (Rz. 6.32). Liefert der Eigenproduzent an verbundene Vertriebsgesellschaften, welche die Produkte am Markt vertreiben, bietet sich zur Ermittlung der Verrechnungspreise hingegen die Wiederverkaufspreismethode (Rz. 6.57) oder die TNMM (Rz. 6.59) an. Insofern ist bei einem Eigenproduzenten die Methodenwahl nicht auf die Kostenaufschlagsmethode beschränkt, sondern es kommen primär die Preisvergleichs- und die Wiederverkaufspreismethode zur Anwendung. Werden dem Eigenproduzenten für dessen Produktion von einem anderen verbundenen Unternehmen materielle oder immaterielle Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlassen, ist hierfür nach Maßgabe des Fremdvergleichs ein Kaufpreis (bei Kauf bzw. Übertragung) bzw. eine Lizenzgebühr oder Miete (bei Nutzungsüberlassung) zu verrechnen.
III. Lieferungen an Vertriebsgesellschaften 1. Funktionsanalyse im Rahmen des Vertriebs
6.49
Grundformen des Vertriebs. Für die Wahrnehmung von Vertriebsfunktionen4 kommen grundsätzlich die folgenden Formen in Betracht (Rz. 4.25):5 1 Vgl. Baumhoff, IStR 2003, 4; Baumhoff in FS Krawitz, 28 f. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. c. 4 Zur Gewinnabgrenzung im Rahmen des Vertriebs über das Internet vgl. Pinkernell/Ditz, FR 2001, 1271; Ditz, IStR 2002, 210. 5 Vgl. Prinz, FR 1997, 519; Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 560; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 210 ff.
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A. Lieferung von Gütern und Waren
– Eigenhändler (Vertrieb im eigenen Namen und auf eigene Rechnung), – Kommissionär (Vertrieb im eigenen Namen und auf fremde Rechnung), – Handelsvertreter (Tätigkeit im fremden Namen und auf fremde Rechnung). Eigenhändler als „Fully-fledged Distributor“. Der Eigenhändler übt im Grundmodell die volle Vertriebsfunktion aus (sog. „Fully-fledged Distributor“). Dabei erwirbt er von dem konzerninternen oder -externen Lieferanten (z.B. verbundene Produktionsgesellschaft) das Eigentum an der Ware und verkauft diese im eigenen Namen und auf eigene Rechnung an seine Kunden. Damit trägt er sowohl die Lager- und Absatzrisiken des Vertriebs als auch das Risiko des zufälligen Untergangs des Produktes vor dem Verkauf der Ware.1 Ferner verfügt er über weitgehende Dispositionsbefugnisse hinsichtlich der Ausgestaltung seiner Vertriebspolitik. Diese betreffen bspw. die Bestimmung der Preispolitik, die Auswahl von lokalen Vertriebspartnern sowie die Durchführung eigener Werbekampagnen bzw. eigener Marktforschung. Die durch den Eigenhändler übernommenen Risiken korrespondieren i.d.R. mit den durch ihn ausgeübten Funktionen.2 So ist davon auszugehen, dass er neben den Vorrats-, Gewährleistungs- und Auslastungsrisiken des Vertriebs auch das Forderungsausfallrisiko sowie das Risiko fehlgeschlagener Geschäftsstrategien zu verantworten hat. Ein wesentliches Risiko des Eigenhändlers ist dabei das Risiko zurückgehender Umsätze, die bei gleichbleibenden Fixkosten zu Verlustrisiken führen können.
6.50
Eigenhändler als „Low-Risk-Distributor“. Neben dem in vorstehender Rz. 6.50 dargestellten „Fully-fledged Distributor“ existiert mit dem „Low-Risk-Distributor“ ein weiteres Eigenhändlermodell. Diese Variante des Eigenhändlermodells unterscheidet sich hinsichtlich des Umfangs der vom Eigenhändler übernommen Funktionen und Risiken, wobei der Funktions- und Risikoumfang des „Low-Risk-Distributor“ wesentlich geringer ist als der des „Fully-fledged Distributor“.3 Der „Low-Risk-Distributor“ ist dadurch gekennzeichnet, dass er nur geringe vertriebstypische Funktionen ausübt (neben der Akquisition und Auftragsbearbeitung erfolgt z.B. keine Lagerhaltung, keine Warenverteilung, kein Kundendienst, keine Marktforschung und kein Marketing; ferner fehlt die Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Preispolitik) und folglich auch über keine wesentlichen unternehmerischen Risiken verfügt. Darüber hinaus ist er häufig nicht Eigentümer des Kundenstamms und folglich als sog. Routineunternehmen einzustufen (Rz. 4.63 f.)4. Einzelheiten des Funk-
6.51
1 Vgl. auch Wassermeyer in FS Schaumburg, 972 f. 2 Siehe zu dieser Implikation auch Tz. 1.47 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. US Transfer Pricing Guidelines, Rz. 2530.20; Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 560 f.; Fiehler, IStR 2007, 464 (465 f.). 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1552 f.).
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
tions- und Risikoprofils der unterschiedlichen Ausprägungsformen des Eigenhändlermodells werden tabellarisch in Rz. 6.54 dargestellt.
6.52
Kommissionär. Im Gegensatz zum Eigenhändler wird der Kommissionär1 nach dem gesetzlichen Grundmodell des § 383 HGB kein Eigentümer der Kommissionsgüter.2 Vom Eigenhändler unterscheidet sich der Kommissionär infolgedessen in seinem reduzierten Funktionsumfang. Dieser resultiert insbesondere daraus, dass der Kommissionär zwar nach außen im eigenen Namen auftritt, im Innenverhältnis jedoch auf Rechnung des Prinzipals tätig wird. Vor diesem Hintergrund beschränkt sich der Funktionsumfang des Kommissionärs auf die Akquisition der Kunden, die Auftragsbearbeitung sowie ggf. auf die Durchführung des Kundendienstes, der regionalen Werbung und des Inkassos. Letztlich trägt er damit im Vergleich zum Eigenhändler (verstanden als „Fully-fledged Distributor“) ein geringeres Vertriebsrisiko, so dass ihm ein entsprechend geringerer Vertriebsgewinn zusteht. Mithin ist damit der Kommissionär nach Auffassung der Finanzverwaltung als Routineunternehmen zu qualifizieren.3 Der Kommissionär begründet keine Vertreterbetriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA.4
6.53
Handelsvertreter. Als Handelsvertreter ist nach seiner gesetzlichen Definition gem. § 84 Abs. 1 HGB derjenige zu verstehen, der als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Er agiert somit sowohl in fremdem Namen als auch für fremde Rechnung. Im Ergebnis erbringt der Handelsvertreter eine Vermittlungsleistung und wird nicht Vertragspartei des zwischen seinem Prinzipal und dem Endkunden zustande kommenden Vertrags. Im Rahmen der Ausübung der Vertriebsfunktion ist damit der Handelsvertreter die funktionsschwächste und risikoärmste Alternative, da er neben der Akquisition von Kunden und der Auftragsbearbeitung keine zusätzlichen Funktionen ausübt. Der Handelsvertreter kann u.U. eine Vertreterbetriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA seines Prinzipals begründen.5
6.54
Tabellarische Zusammenfassung der Funktions- und Risikoanalyse im Vertriebsbereich. Die von einer Vertriebsgesellschaft in dem jeweiligen Vertriebsmodell wahrgenommenen Funktionen und Risiken lassen sich tabellarisch wie folgt zusammenfassen:6 1 Zur Funktionsabschmelzung von einem Eigenhändler auf einen Kommissionär vgl. Baumhoff in Schaumburg/Piltz, Internationale Einkünfteabgrenzung, 101 f.; Ditz in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 163 ff.; Kroppen, IWB F. 3 Gr. 2, 745 ff. 2 Vgl. Wassermeyer in FS Schaumburg, 973. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 4 Vgl. Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 4.28 m.w.N. 5 Vgl. Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 4.29. 6 Vgl. Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 560 f.
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A. Lieferung von Gütern und Waren Fullyfledged Distributor
Low-RiskDistributor
Kommissionär
Handelsvertreter
Akquisition
+
+
+
+
Auftragsbearbeitung
+
+
+
+
Lagerhaltung
+
+/–
–
–
Warenverteilung
+
+/–
–
–
Preispolitik
+
+/–
–
–
Kundendienst
+
+/–
+/–
+/–
Inkasso
+
+
+/–
–
Marktforschung
+
–
–
–
Marketing
+
–
–
–
Werbung
+
+/–
+
+
Auswahl von lokalen Vertriebspartnern
+
–
–
–
Vorratsrisiko
+
–
–
–
Gewährleistungsrisiko
+
–
–
–
Kreditrisiko
+
+/–
+/–
–
Wechselkursrisiko
+/–
+/–
–
–
Auslastungsrisiko
+
+/–
+
+
Risiko fehlgeschlagener Geschäftsstrategien (z.B. Markteroberung)
+
–
–
–
2. Ermittlung von Verrechnungspreisen a) Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenhändler Allgemeine Grundsätze. Der Eigenhändler erwirbt grundsätzlich Eigentum an den von ihm vertriebenen Produkten.1 Als (Roh-)Ergebnis steht ihm die gesamte Differenz zwischen seinem Einkaufs- und seinem Verkaufspreis zu. Der Verrechnungspreis wird im Falle des Eigenhändlermodells nach der Preisvergleichsmethode unter Berücksichtigung der Handelsstufe, nach der Wiederverkaufspreismethode oder nach der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (Rz. 5.92) ermittelt. Die Höhe der angemessenen EBIT-Marge des Eigenhändlers ist dabei vom Umfang der von ihm übernommenen Funktionen und Risiken sowie von weiteren Faktoren (z.B. Existenz von Hersteller- oder Handelsmarken, Marktverhältnisse im lokalen Markt, Kostensituation der Vertriebsgesellschaft, 1 Insoweit besteht im Eigenhändlermodell kein Risiko, dass die Vertriebsgesellschaft eine Vertreterbetriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA des Lieferanten begründet, vgl. Prinz, FR 1997, 520; Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 4.24.
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6.55
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Vertriebsbedingungen) abhängig. Im Vergleich zum Kommissionär und zum Handelsvertreter erzielt der Eigenhändler auf Grund seines größeren Funktions- und Risikoumfangs tendenziell auch ein höheres Ergebnis. Dabei ist allerdings zwischen dem „Fully-fledged Distributor“ und dem „Low-Risk-Distributor“ zu unterscheiden: Da der „Fully-fledged Distributor“ über ein wesentlich höheres Funktions- und Risikoprofil verfügt als der „Low-Risk-Distributor“, ist ihm eine entsprechend höhere EBITMarge zuzuordnen (Rz. 6.60).
6.56
Vorrang der Preisvergleichsmethode. Aus der Begründung zum BFH-Urteil v. 6.4.20051 wird deutlich, dass der BFH im Rahmen der Ermittlung von Verrechnungspreisen für Lieferungen an Vertriebsgesellschaften die Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff.) präferiert. Dies entspricht im Übrigen dem Stufenverhältnis des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG, wonach der tatsächliche Fremdvergleich vorrangig gegenüber dem hypothetischen Fremdvergleich anzuwenden ist (Rz. 3 153).2 Die Anwendung der Preisvergleichsmethode kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn die zwischen fremden Dritten identifizierten Preise unter vergleichbaren Bedingungen zustande gekommen sind. Dabei ist jedoch fraglich, ob die Anforderung der Vergleichbarkeit – wie durch den BFH im Urteil v. 6.4.2005 postuliert – so weit gehen kann, dass die Preise „auf zumindest im Wesentlichen identischen Leistungsbeziehungen beruhen“ müssen.3 Mit der Forderung nach einer Identität der Leistungsbeziehungen werden zu hohe Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Verhältnisse gestellt. Vergleichbarkeit bedeutet nämlich keine Identität, also Deckungsgleichheit der Verhältnisse.4 Vielmehr ist Vergleichbarkeit bereits dann gegeben, wenn die Vergleichsobjekte ähnlich in Bezug auf ihre wesentlichen Merkmale sind (Rz. 3.12). Auch die Finanzverwaltung fordert keine uneingeschränkte Vergleichbarkeit, vielmehr reicht unter bestimmten Umständen auch eine eingeschränkte Vergleichbarkeit.5 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der BFH in seinem Urteil v. 6.4.2005 auch die Ertragssituation der Vertriebsgesellschaft als Vergleichbarkeitskriterium bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen gegenüber Vertriebsgesellschaften ansieht.6 Unter Zugrundelegung dieser Überlegungen ist die Preisvergleichsmethode gegenüber Vertriebsgesellschaften dann nicht anwendbar, wenn sich entweder im Rahmen eines inneren oder eines äußeren Preisvergleichs die Ertrags- und Renditesituationen der zu vergleichenden Vertriebsgesellschaften unterscheiden. Bei diesem Kriterium ergeben sich in der Verrechnungspreispraxis allerdings regelmäßig erhebliche Probleme bei der Umsetzung. So muss insbesondere bekannt sein, wie hoch die pro1 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; Baumhoff/ Ditz/Greinert, IStR 2005, 592. 2 Vgl. zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1462. 3 BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 4 Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 63. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1555 f.). 6 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030.
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duktbezogenen Gewinne bei den zum Vergleich herangezogenen Vertriebsgesellschaften ausfallen. Solche Informationen liegen allerdings nur im Ausnahmefall durch Datenbank- oder Jahresabschlussanalysen vor. Vor diesem Hintergrund kommt der Preisvergleichsmethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen bei als Eigenhändler organisierten Vertriebsgesellschaften nur eine sehr untergeordnete Bedeutung zu. Wiederverkaufspreismethode als Regelmethode. Soweit die Anwendungsvoraussetzungen der Preisvergleichsmethode nicht erfüllt sind, ist nach der Rspr. des BFH der Verrechnungspreis für Lieferungen an als Eigenhändler organisierte Vertriebsgesellschaften „regelmäßig“ nach der Wiederverkaufspreismethode zu ermitteln (vgl. grds. zur Wiederverkaufsmethode Rz. 5.15 ff.).1 Im Rahmen seines Urteils v. 17.10.2001 hat der BFH detailliert zur Anwendung der Wiederverkaufspreismethode Stellung genommen. Danach ist in diesem Zusammenhang Folgendes zu beachten:2 – Im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode ist die Handelsspanne idealerweise durch einen tatsächlichen Fremdvergleich zu bestimmen. – Ein interner Fremdvergleich ist zur Bestimmung der Handelsspanne nur dann anzuerkennen, wenn die zu vergleichenden Geschäftsbeziehungen einen vergleichbaren Umfang annehmen.3 – Ein externer Fremdvergleich kann zur Ermittlung der Handelsspanne auch mit Hilfe von Datenbanken erfolgen. Weichen die von den Vergleichsunternehmen übernommenen Funktionen und Risiken von dem Funktions- und Risikoprofil der verbundenen Vertriebsgesellschaft ab, können diese Abweichungen evtl. durch Anpassungsrechnungen berücksichtigt werden. Die Anpassungsrechnungen dürfen allerdings nicht nur dem Grunde nach begründet und der Höhe nach „griffweise geschätzt“ werden; sie sind vielmehr auch der Höhe nach nachvollziehbar zu begründen. – Die Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft kann auch mittels eines hypothetischen Fremdvergleichs im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden. Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode soll in diesem Zusammenhang verhindern, dass die Vertriebsgesellschaft nachhaltig Verluste erwirtschaftet. – Eine unabhängige Vertriebsgesellschaft wird auf Dauer keine Produkte vertreiben, mit denen sie nur Verluste erzielt (Rz. 5.184). Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung bei Vertriebsgesellschaften zwingend sicherzustellen, dass sie auf Dauer Ge1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, dazu Baumhoff, IStR 2001, 751 ff.; Kuckhoff/Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 863 ff.; Kaminski/Strunk, IWB F. 3 Gr. 1, 1831 ff.; Kroppen/Rasch/Roeder, IWB F. 3 Gr. 1, 1787; Wassermeyer, DB 2001, 2465 ff.; Wassermeyer, WPg 2001, 13 ff.; Wehnert/Stalberg, IStR 2002, 141 ff. 3 Vgl. dazu auch BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270.
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winne erwirtschaften können. Die Verlustphase einer Vertriebsgesellschaft soll dabei – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalls – einen Zeitraum von drei Jahren nicht überschreiten. Ist dies dennoch der Fall, wird widerlegbar vermutet, dass gegenüber der Vertriebsgesellschaft unangemessene Verrechnungspreise verrechnet wurden. Insoweit wurde durch den BFH in seinem Urteil v. 17.10.20011 das sog. „Aquavit“-Urteil des BFH v. 17.2.19932 bestätigt. Unter Berücksichtigung des hypothetischen Fremdvergleichs soll eine Vertriebsgesellschaft spätestens „innerhalb eines angemessenen kalkulatorischen Zeitraums“ einen „angemessenen Totalgewinn“ erzielen. Als entsprechender Zeitraum wird dabei in der Literatur eine Periode von fünf Jahren genannt.3 Diese „Verprobung“ kann sogar dazu führen, dass der tatsächliche Fremdvergleich „obsolet“ wird bzw. nur noch der Bestimmung der Obergrenze der anzusetzenden Bandbreite angemessener Verrechnungspreise dienen kann. Als Untergrenze der angemessenen Rendite einer Vertriebsgesellschaft soll eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitals der Vertriebsgesellschaft (einschließlich Zinseszinsen und Risikozuschlag) fungieren. Für Zwecke von Verrechnungspreiskorrekturen ist die für den Steuerpflichtigen günstigere Ober- und Untergrenze der Bandbreite fremdüblicher Margen maßgeblich. Eine Rechtsgrundlage für eine Korrektur auf den Median oder den Mittelwert der Bandbreite existiert nicht. Vielmehr entspricht innerhalb der Bandbreite jeder Verrechnungspreis dem Fremdvergleich. Diese Grundsätze wurden indessen durch die Neufassung des § 1 Abs. 3 AStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 legislativ überholt (Rz. 5.186).4 Zwar ist das BFH-Urteil v. 17.10.2001 zur Frage der Verrechnungspreisermittlung von Lieferungen an eine inländische Vertriebsgesellschaft ergangen. Da allerdings die Argumentation lediglich auf einer Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes fußt, ist davon auszugehen, dass diese Grundsätze auch bei ausländischen Vertriebsgesellschaften anzuwenden sind.
Anwendung der Kostenaufschlagsmethode in Ausnahmefällen. Wenngleich der BFH in seinem Urteil v. 17.10.20015 judiziert hat, dass Verrechnungspreise für Produktlieferungen an eine als Eigenhändler organisierte Vertriebsgesellschaft „regelmäßig“ anhand der Wiederverkaufspreismethode zu ermitteln sind, kann dies nicht bedeuten, dass nur die Wiederverkaufspreismethode bei Vertriebsgesellschaften anzuwenden ist. Vielmehr ist auch denkbar, dass die Verrechnungspreise für Produktliefe1 2 3 4 5
Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457. Vgl. Wassermeyer, WPg 2002, 16. Vgl. zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1462 f.). Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
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rungen an einen Eigenhändler anhand der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) ermittelt werden. Dies kann insbesondere in den Fällen in Betracht kommen, in denen die Produkt-, Preis- und Marktstrategie von der Vertriebsgesellschaft vorgegeben wird und die Produktionsgesellschaft – ähnlich einem Lohnfertiger – die Produkte nach den Vorgaben der Vertriebsgesellschaft herstellt. Bei einer solchen innerkonzernlichen Verteilung von Aufgaben, Verantwortungsbereichen und Entscheidungskompetenzen ist die Vertriebsgesellschaft als Strategieträger bzw. Entrepreneur zu qualifizieren, so dass die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode für die Bewertung von Lieferungen an die Vertriebsgesellschaft sachgerecht ist.1 Dies gilt auf Grund der Strategieträgerschaft der Vertriebsgesellschaft unabhängig davon, ob die (liefernde) Produktionsgesellschaft als Lohnfertiger oder als Eigenproduzent anzusehen ist. Dem größeren Funktionsumfang des Eigenproduzenten ist in diesem Fall bei der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode durch einen im Vergleich zum Lohnfertiger höheren Gewinnaufschlag Rechnung zu tragen.2 Im Übrigen kann die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für Produktlieferungen an Vertriebsgesellschaften dann zum Tragen kommen, wenn die Wiederverkaufspreismethode aus praktischen Gründen nicht anwendbar ist. Vertreibt etwa eine Vertriebsgesellschaft ihre (identischen) Produkte über verschiedene Vertriebskanäle zu sehr unterschiedlichen Preisen, lässt sich ein Wiederverkaufspreis gegebenenfalls nicht verlässlich ermitteln. Typischerweise bestehen solche „Unzulänglichkeiten“ bezogen auf den Anwendungsbereich der Wiederverkaufspreismethode in den Branchen der Medizintechnik und der Pharmaindustrie.3 Werden z.B. medizintechnische Produkte von der Vertriebsgesellschaft zu sehr unterschiedlichen Preisen an Apotheken, Krankenhäuser und im Großhandel vertrieben, ist die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode problematisch, da der Wiederverkaufspreis für das jeweilige Produkt nur schwerlich ermittelt werden kann. Auch in diesen Fällen ist eine Anwendung der Kostenaufschlagsmethode denkbar. Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Nach Ansicht der Finanzverwaltung soll die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (Rz. 5.92 ff.) auf Unternehmen, die mehr als Routinefunktionen ausüben, jedoch nicht als Entrepreneur zu qualifizieren sind (sog. Mittelunternehmen), nicht anwendbar sein (Rz. 4.65 ff.).4 Auf welche Funktionen bzw. auf welchen Funktionsumfang sich die Mittelunterneh1 Vgl. auch Bodenmüller, Steuerplanung von Funktionsverlagerungen ins Ausland, 440 f.; Borstell in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung3, 535; Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 94; Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 171 ff.; wohl a.A. Isensee, IStR 2001, 696. 2 So auch Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 441. 3 Vgl. hierzu etwa das Beispiel bei Bauer, DB 2008, 157. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Abs. 3 und 3.4.10.2 Buchst. c.
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men indessen konkret erstrecken, lässt die Finanzverwaltung offen. Dies ist insoweit bedauerlich, als auch die Betriebswirtschaftslehre einen derartigen Unternehmenstyp – im Gegensatz zum Strategieträger (erfolgskritische Funktionen) und Routinefunktionen (nicht erfolgskritische Funktionen)1 – nicht kennt. Aus dem Gesamtzusammenhang der Tz. 3.4.10.2 VWG-Verfahren2 lässt sich jedoch ableiten, dass die Finanzverwaltung insbesondere Vertriebsgesellschaften, die als Eigenhändler strukturiert sind und über einen für einen „Fully-fledged Distributor“ typischen Funktions- und Risikoumfang (Rz. 6.52) verfügen, als Mittelunternehmen ansehen will. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind bei Mittelunternehmen – soweit die Preisvergleichsmethode keine Anwendung finden kann – die Verrechnungspreise auf Grund von „Planrechnungen“ zu ermitteln.3 Eine Rechtsgrundlage für diese Vorgehensweise der Finanzverwaltung ist indessen nicht ersichtlich. Dies gilt im Übrigen auch für die in Tz. 3.4.12.6 VWG-Verfahren4 detailliert beschriebene Ermittlung von Verrechnungspreisen anhand von Planrechnungen. Danach kann die Gewinnkomponente von Verrechnungspreisen u.a. auf Basis von „Renditeziffern funktional (zumindest eingeschränkt) vergleichbarer Unternehmen in dem betreffenden Geschäftsbereich“5 bestimmt werden. Dies läuft de facto auf die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode hinaus, die gerade in Tz. 3.4.10.2 Buchst. c und 3.4.10.3 Abs. 3 VWG-Verfahren6 für Mittelunternehmen ausgeschlossen wird.7 Letztlich bleibt auf Grund dieses Widerspruchs offen, ob nach Ansicht der Finanzverwaltung die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode bei als „Fully-fledged Distributor“ organisierten Vertriebsgesellschaften anwendbar ist oder nicht. Diese Frage ist u.E. jedoch zu bejahen, da die Ermittlung von Gewinnmargen mittels der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode bei Vertriebsgesellschaften gängige Verrechnungspreispraxis ist. Dies sollte auch von der Finanzverwaltung anerkannt werden.8 Die OECD hat mit den OECD-Leitlinien den Ausnahmestatus der transaktionsbezogenen Gewinnmethoden aufgegeben (Rz. 5 141). Wenn die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode – wie für den vorgetragenen Sachverhalt9 1 Vgl. Klein, IStR 1995, 547. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. Buchst. c. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6. 5 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6. Buchst. b Abs. 4 1. Spiegelstrich. 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Abs. 3. 7 Kritisch auch Dawid in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 2.58 Anm. 281. 8 Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1553; Kroppen/Rasch, IWB F. 3 Gr. 1, 2113; Rasch/Rettinger, BB 2007, 353 (356 f.). 9 Siehe ferner die modifizierten Beispiele in Tz. 2 105 ff. OECD-Leitlinien 2010.
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– die geeignetste Methode darstellt („most appropriate method“), kommt sie zur Anwendung.1 b) Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenhändler (Low-Risk-Distributor) Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode als Regelmethode. Vertriebsgesellschaften, die als Low-Risk-Distributor organisiert sind, sind als sog. Routineunternehmen zu qualifizieren.2 Infolgedessen lässt die Finanzverwaltung die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode in Low-Risk-Distributor-Modellen explizit zu,3 wenn der Nachweis der (zumindest eingeschränkten) Vergleichbarkeit der – etwa im Rahmen einer Datenbankstudie – ermittelten Vergleichsunternehmen geführt werden kann (vgl. grds. zur geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode Rz. 5.92 ff.). In der Verrechnungspreispraxis ist die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode die Regelmethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen bei Low-Risk-Distributors. Dies ist insofern sachgerecht, als der Low-Risk-Distributor nur sehr geringe Markt- und Absatzrisiken trägt und i.d.R. über keine zur Leistungserbringung notwendigen wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter verfügt. Daher wird dem Low-Risk-Distributor über die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode eine relativ geringe, jedoch stabile Gewinnmarge zugeordnet.4
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Methodische Vorgehensweise der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode bei Vertriebsgesellschaften. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode werden die Verrechnungspreise für Lieferungen an die als Low-Risk-Distributor organisierte Vertriebsgesellschaft unter Berücksichtigung angemessener Nettomargen ermittelt. Nettomargen sind dabei zu verstehen als das betriebliche Ergebnis aus einer Transaktion (i.d.R. EBIT), das in Bezug zu einer geeigneten Größe (i.d.R. Umsatzerlöse) gesetzt wird. Für die Verrechnungspreisermittlung werden die anzusetzenden Nettomargen anhand der Nettomargen abgeleitet, die von unabhängigen Unternehmen mit vergleichbarem Funktions- und Risikoprofil bei vergleichbaren Geschäften ermittelt werden. Typischerweise geschieht dies mittels einer Datenbankstudie.5 Auf Basis des sich hieraus ergebenden Margenkorridors wer-
6.61
1 Vgl. Tz. 2.2 und 2.56 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. zur Entwurfsfassung Kurzewitz, IWB 2010, 102; Rasch/Feistle, IWB 2009, 982; Dawid in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 2.58 Anm. 285. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. Buchst. a. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3. Buchst. b. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. Buchst. a; Ditz in Raupach/Pohl/Ditz, Praxis des internationalen Steuerrechts 2010, 5. 5 Vgl. dazu Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134; Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 95; Oestreicher, StuW 2006, 243; Wahl/Preisser, IStR 2008, 51; krit. Kolb,
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den am Jahresbeginn vorläufige Verrechnungspreise festgesetzt. Sofern die – sich bei Anwendung der vorläufigen Verrechnungspreise ergebende – tatsächliche Rendite (i.d.R. EBIT/Umsatzerlöse) am Ende des Jahres außerhalb des Zielkorridors liegt, erfolgt eine nachträgliche Korrektur der Verrechnungspreise durch Ausgleichszahlungen (sog. „Adjustment-Payments“).1 Die Ausgleichszahlungen können dabei sowohl in Form von Erstattungen (tatsächliche Rendite des Low-Risk-Distributor liegt unterhalb des Zielkorridors) als auch in Form von Rückzahlungen (tatsächliche Rendite des Low-Risk-Distributors liegt oberhalb des Zielkorridors) geleistet werden. In der Verrechnungspreispraxis läuft dabei die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode bei einem Low-RiskDistributor häufig auf eine modifizierte Anwendung der Wiederverkaufspreismethode hinaus. Der besondere Vorteil der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ist dabei darin zu sehen, dass diese Methode auf eine Nettomarge abstellt, die sich bspw. aus einer Datenbankstudie ableiten lässt. Anpassungsrechnungen in Bezug auf die Kostenbasis – wie sie bei der Wiederverkaufspreismethode i.d.R. erforderlich sind – müssen nicht durchgeführt werden. Ein weiterer Vorteil ist darin zu sehen, dass bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode eine Zusammenfassung einzelner Transaktionen erfolgen kann. Dies setzt indessen nach Auffassung der Finanzverwaltung voraus, dass die einzelnen Geschäftsvorfälle wirtschaftlich vergleichbar sind und dass der Low-RiskDistributor in Bezug auf die betrachteten Transaktionen gleichartige Funktionen ausübt.2 Diese sog. Palettenbetrachtung ist auch von der OECD anerkannt. So sieht Tz. 3.9 OECD-Leitlinien vor, dass Geschäfte, die eng miteinander verbunden sind oder eng aufeinander folgen, nicht auf Basis jedes einzelnen Geschäfts beurteilt werden müssen. Dies betrifft z.B. sog. „range of closely-linked products (e.g. in a product line)“.3 Derartige Geschäfte sollen unter Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode „gemeinsam“ beurteilt werden, so dass nicht jede einzelne Transaktion einem Fremdvergleich standhalten muss. Vielmehr ist sicherzustellen, dass für die betrachtete Produktpalette ein angemessener Gesamtpreis vereinbart wird.
6.62
Auswirkungen von Verlustsituationen des Strategieträgers. Wenngleich dem Low-Risk-Distributor im Rahmen der Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode „regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“4 zuzuordnen sind, kann es bei Verlustsituationen des Strategieträgers notwendig sein, die Gewinnmarge des Low-Risk-Distri-
1 2 3 4
IWB F. 3 Gr. 1, 2391. Zu einem Anwendungsbeispiel vgl. Ditz in Raupach/Pohl/ Ditz, Praxis des internationalen Steuerrechts 2010, 1 ff. Dagegen pragmatisch auf ex-post-Margen abstellend Dawid/Renaud in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 2.68 Anm. 343. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.2013; Rz. 3.9 OECD-RL 2010. Tz. 3.9 Bsp. Nr. 3 OECD-Leitlinien 2010. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a.
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butors (nach unten) zu korrigieren. Dies soll anhand des folgenden Beispiels dargestellt werden: Beispiel: Die in Frankreich ansässige F-S.A. stellt im Bereich der Automobil-Zulieferer-Industrie Lenksäulen her. Die Lenksäulen werden am Stammsitz der F-S.A. in Paris entwickelt, hergestellt und u.a. über die in Deutschland ansässige T-GmbH vertrieben. Der bereits im Jahr 2006 abgeschlossene Vertriebsvertrag sieht vor, dass die T-GmbH als Low-Risk-Distributor die von der F-S.A. hergestellten Lenksäulen an die deutschen Automobilhersteller vertreibt. Im Zusammenhang mit dem Vertrieb der Lenksäulen verfügt die T-GmbH über 20 Mitarbeiter, die die Vermarktung der Lenksäulen in Deutschland übernehmen und dabei insbesondere vor Ort bei der Automobilherstellern entwickeln und abstimmen. Ferner verfügt die T-GmbH über den für eine Vertriebsgesellschaft typischen Verwaltungsapparat (Auftragskalkulation und Abwicklung, Fakturierung, Rechnungswesen, Personal). Die Verrechnungspreise für die Lieferungen der Lenksäulen von der F-S.A. an die T-GmbH werden – wie im Vertriebsvertrag im Einzelnen geregelt – auf Basis der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode bestimmt. In diesem Zusammenhang wurde 2006 eine Datenbankanalyse durchgeführt, die im Hinblick auf die angemessene Vertriebsmarge der T-GmbH zu folgendem Ergebnis kam (Umsatzrendite auf EBITBasis): Obergrenze 12,8 % 2. Quartil 6,4 % Median 5,3 % 1. Quartil 3,2 % Untergrenze 1,6 % Auf Grund der Wirtschaftskrise und des erheblichen Absatzeinbruchs in der Automobilindustrie erwartet die F-S.A. für 2009 einen Verlust i.H.v. mehr als 50 Mio Euro. Auch für das Wirtschaftsjahr 2010 wird mit keinem wesentlich besseren Ergebnis gerechnet. Vor diesem Hintergrund soll der T-GmbH im Rahmen der Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode im Wirtschaftsjahr – statt der im Vertrag vorgesehenen Nettorendite von 5,0 % – keine Nettorendite zugestanden werden. Durch eine – im Vertrag vorgesehene – Ausgleichszahlung an die F-S.A. soll vielmehr bei der T-GmbH für 2009 eine Nettorendite von 0 % ausgewiesen werden. Lösung: Die T-GmbH ist auf Grund ihres Funktions- und Risikoprofils als Routineunternehmen zu qualifizieren. Infolgedessen ist die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode grundsätzlich sachgerecht, zumal eingeschränkt vergleichbare Vergleichsunternehmen zur Ableitung einer Nettorendite im Rahmen einer Datenbankstudie ermittelt werden können.1 Die Verlustsituation der F-S.A. in 2009 kann indessen nicht ohne Auswirkungen auf die Nettomarge der T-GmbH sein. Denn auch fremde Dritte würden in Zeiten einer Absatz- und Wirtschaftskrise in Verhandlungen treten, um über die Preise neu zu verhandeln. Zwar wurde ein Vertriebsvertrag mit einer festen Nettomarge bis in das Jahr 2011 abgeschlossen. Allerdings sollte hier die (erhebliche) Verlustsituation bei der F-S.A. ein Grund sein, um die Gewinnmarge der T-GmbH für 2009 anzupassen. Dies ist auch durch die VWG-Verfahren gedeckt: Denn in Tz. 3.4.10.2 Buchst. a VWG-Verfahren2 wird davon gesprochen, dass Routineunternehmen „regelmäßig“ und „rela1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1551 ff.). 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch tiv“ stabile Gewinne zuzuordnen sind. Im Übrigen steht auch die schriftliche Fixierung einer Nettorendite von 5 % im Vertriebsvertrag einer Reduktion der Nettorendite auf Null nicht entgegen. Denn Art. 9 DBA Deutschland/Frankreich entfaltet eine Sperrwirkung gegenüber § 8 Abs. 3 KStG (vGA) in den Fällen, in denen die Einkünftekorrektur (hier: Nichtanerkennung der reduzierten Nettorendite von 0 % statt 5 %) nach nationalem Recht auf rein formale Beanstandungen gestützt wird.1 Im Ergebnis kann daher die Nettomarge der T-GmbH für 2009 auf 0 % reduziert werden. Im Rahmen einer schriftlichen Vereinbarung als Ergänzung zum bestehenden Vertriebsvertrag könnte daher mit der F-S.A. vereinbart werden, dass in der Zeit nach der Rezession bei entsprechend höheren Gewinnen der F-S.A. entsprechend höhere Nettomargen gezahlt werden (z.B. ab 2011). Dies würde zu einem interperiodischen Vorteilsausgleich führen, wie er auch von der Finanzverwaltung anerkannt wird.2 Die Anpassung der Nettomarge der T-GmbH kann im Übrigen auch dadurch gerechtfertigt werden, dass die in der Datenbankstudie aus 2005 verwendeten „Comparables“ in den Jahren der Wirtschaftskrise nicht vergleichbar sind.3 Denn die in der Datenbankanalyse zugrunde gelegten Wirtschaftsjahre waren durch andere Markt- und Wirtschaftsverhältnisse geprägt, als sie 2009 vorhanden waren. Vor diesen Hintergrund enthält die Datenbankanalyse von 2005 „Comparables“ mit zu hohen Nettorenditen, die – auf Grund anderer Markt- und Wirtschaftsverhältnisse – für das Jahr 2009 zur Ableitung einer angemessenen Nettomarge der T-GmbH nicht geeignet sind. Vor diesem Hintergrund ist denkbar, eine neue Datenbankanalyse durchzuführen, die eine Bandbreite von Nettomargen ermittelt, die von unabhängigen Vertriebsunternehmen in vergleichbaren Rezessionsperioden – z.B. in den Jahren 2000 und 2001 – erwirtschaftet wurden.4 Insoweit würde sichergestellt, dass für die Ermittlung (und spätere Überprüfung durch die Finanzverwaltung) der Margen für das Jahr 2009 nicht auf die Durchschnittswerte der Jahre 2003 bis 2005 zurückgegriffen wird; denn insoweit handelt es sich um Wachstumsjahre. Alternativ ist denkbar, Anpassungsrechnungen auf Basis des bestehenden Datenbankanalyse durchzuführen. Z.B. sind Anpassungsrechnungen im Hinblick auf die Berücksichtigung von Umsatzrückgängen und deren Auswirkungen auf die Nettomargen möglich.5 Darüber hinaus wäre denkbar, die Datenbankstudie um Verlustunternehmen, die üblicherweise aus den „Comparables“ herausgenommen werden, zu ergänzen. Dieses Verfahren sollte auch durch die Finanzverwaltung akzeptiert werden.6 Schließlich sollte es auch möglich sein, die Datenbankstudie von dem üblichen Zeitrahmen von drei Jahren auf eine längere Periode auszuweiten, so dass auch Rezessionsphasen berücksichtigt werden.
c) Verrechnungspreisermittlung bei einem Kommissionär
6.63
Kosten- oder umsatzbezogene Kommissionärsprovision. Der Kommissionär erwirbt im Gegensatz zum Eigenhändler kein Eigentum an den von ihm vertriebenen Produkten (zur Funktions- und Risikoanalyse vgl. Rz. 6.52 und 6.54). Vielmehr erbringt er gegenüber dem Kommittenten 1 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 mit Anm. Ditz; FG Köln v. 22.8. 2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161 (rkr.); Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 20 f. m.w.N. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3. 3 Vgl. auch Baumhoff in FS Krawitz, 38. 4 Vgl. auch Engler, IStR 2009, 687. 5 Zur Zulässigkeit von solchen Anpassungsrechnungen vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. a. 6 Vgl. das Beispiel in BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. d.
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eine reine Dienstleistung in Form einer Vermittlungsleistung. Damit ist er gegenüber dem Eigenhändler in Form eines Fully-fledged Distributors wesentlich geringeren unternehmerischen Risiken ausgesetzt, da er z.B. kein Markt- und Absatzrisiko, kein Lager- und Transportrisiko und kein Forderungsausfallrisiko trägt. Dies spiegelt sich in der einem Kommissionär zuzuordnenden Gewinnmarge insoweit wider, als ihm als Routineunternehmen eine „geringe, aber relativ stabile“1 Marge zuzuordnen ist. Provisionsbandbreiten. Die Vergütung für die (Vermittlungs-)Dienstleistung des Kommissionärs kann auf Basis einer umsatzabhängigen Kommission ermittelt werden.2 Dies läuft auf eine Anwendung der Preisvergleichsmethode hinaus, wobei die branchenabhängig zwischen fremden Dritten vereinbarten Kommissionärsprovisionen als Vergleichsmaßstab herangezogen werden können. In diesem Zusammenhang existieren keine allgemeingültigen Provisionssätze. In vielen Fällen erhält der Kommissionär allerdings eine Provision zwischen 3 % und 7 % vom Umsatz, wenn daneben kein Kostenersatz vereinbart wird. Bei einem zusätzlichen Kostenersatz kommt häufig eine Provisionsbandbreite zwischen 0,5 % und 5 % zur Anwendung. Da die Ermittlung angemessener Kommissionärsprovisionen in der Verrechnungspreispraxis – mangels Vergleichstransaktionen – auf Basis der Preisvergleichsmethode oftmals nicht möglich ist, kommt zur Ermittlung der Kommissionärsprovision häufig die Kostenaufschlagsmethode zur Anwendung. Dies ist insofern sachgerecht, als es sich bei der Kostenaufschlagsmethode um die Regelmethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für Dienstleistungen handelt und der Kommissionär eine vertriebsbezogene Dienstleistung erbringt (Kostenaufschlagsmethode bei Dienstleistungen Rz. 6.154 ff.). Da der Kommissionär lediglich eine Routinefunktion ausübt, wird in der Verrechnungspreispraxis in Kommissionärsfällen i.d.R. ein Gewinnaufschlag i.H.v. 5–10 % angewandt.
6.64
d) Verrechnungspreisermittlung bei einem Handelsvertreter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode. Der Handelsvertreter erwirbt – wie der Kommissionär – kein Eigentum an den durch ihn vertriebenen Produkten. Vielmehr erbringt er eine (Vermittlungs-)Dienstleistung, indem er die Produkte des Prinzipals in dessen Namen und auf dessen Rechnung vertreibt. Infolge seines limitierten Funktions- und Risikoumfangs (Rz. 6.53 und 6.54) ist auch der Handelsvertreter als Routineunternehmen einzustufen. Über die Kostenaufschlagsmethode (Rz 5.39 ff.) wird ihm dabei ein weitgehend risikoloser Gewinn zugeordnet, der auf Grund des geringen Umfangs der vom Handelsvertreter übernommenen Funktionen und Risiken im Vergleich zur Handelsspanne des Eigenhändlers und zur 1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. Buchst. a. 2 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, 87 f.; Isensee, IStR 2001, 695 f.
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Kommission des Kommissionärs am geringsten ist. Alternativ zur Anwendung der Kostenaufschlagsmethode kann eine umsatzabhängige Provision des Handelsvertreters auch auf Basis der Preisvergleichsmethode ermittelt werden. In der Verrechnungspreispraxis kommt allerdings der Anwendung der Preisvergleichsmethode in diesem Zusammenhang eine nur untergeordnete Bedeutung zu, da sich i.d.R. entsprechende branchenspezifische Handelsvertreterprovisionen am Markt nicht ermitteln lassen. 3. Aufteilung von Markterschließungs-, Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten a) Begriffsabgrenzungen
6.66
Überblick. Die Erschließung, Ausweitungen und Verteidigungen von Absatzmärkten kann eine vorübergehende Verrechnungspreispolitik erforderlich machen, die sich von derjenigen bei „normalen“ Marktverhältnissen wesentlich unterscheidet. Solche „besonderen Wettbewerbssituationen“1 werden grundsätzlich auch von der deutschen Finanzverwaltung anerkannt. Neben der Frage der Ermittlung angemessener Verrechnungspreise stellt sich im Rahmen der Markteinführung, Marktausweitung und Marktverteidigung insbesondere die Frage, durch welches verbundene Unternehmen (Produktions- oder Vertriebsgesellschaft) die im Zusammenhang mit diesen besonderen „Geschäftsstrategien“2 entstehenden Kosten zu tragen oder ob diese aufzuteilen sind. Die Finanzverwaltung widmet diesem Themenbereich in den VWG 1983 eigene Abschnitte „Kosten der Werbung“3, „Kosten der Markterschließung“4 und „Anlaufkosten“5, die in der Verrechnungspreispraxis von erheblicher Bedeutung sind. Bereits die Stellung dieser Regelungen der Finanzverwaltung in Tz. 3. VWG 1983 („Warenlieferungen und Dienstleistungen“)6 macht deutlich, dass sie nicht nur im Verhältnis zwischen Produktions- und Vertriebsunternehmen anzuwenden sind, sondern auch bei Handels- und Dienstleistungsunternehmen. Der Begriff „Produkt“ in Tz. 3.4.1. VWG 1983 ist daher weit auszulegen.7
6.67
Anlaufkosten. Tz. 3.5. VWG 19838 behandelt die Berücksichtigung von sog. „Anlaufkosten“. Anlaufkosten entstehen, wenn eine Gesellschaft neu gegründet oder eine bestehende Gesellschaft erweitert oder wesentlich umorganisiert wird. Es handelt sich dabei um die typischen Kosten 1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.2.1. Nr. 6. 2 Tz. 1.59 OECD-Leitlinien 2010. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3. 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.5. 6 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3. 7 Vgl. auch Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. L 341. 8 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.5.
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einer Vertriebsgesellschaft, die durch Aufbau ihrer Vertriebstätigkeit verursacht werden (z.B. Aufbau eines Vertriebsaußendienstes, einer Auftragsabwicklung, eines Lagers, eines EDV-Systems, einer Verwaltung). Wird eine bestehende Gesellschaft erweitert oder umorganisiert, sind unter Anlaufkosten interne und externe Reorganisations- und Beratungskosten zu verstehen, wobei auch Sozialplankosten und Kosten für Unternehmensberater von den Anlaufkosten erfasst werden. Die Anlaufkosten sind grundsätzlich Betriebsausgaben der Vertriebsgesellschaft, die aus ihrer Handelsspanne (verstanden als Rohgewinnmarge) zu decken sind. So vertritt auch die Finanzverwaltung die Auffassung, dass Anlaufkosten grundsätzlich von der neu gegründeten, erweiterten oder umorganisierten Gesellschaft zu tragen sind.1 Kosten der Markterschließung. Bei den Kosten der Markterschließung handelt es sich um Kosten, die im Zusammenhang mit der Einführung von Produkten in einem bislang nicht bearbeiteten Markt oder im Zusammenhang mit der Einführung neuer Produkte in bereits bestehenden Märkten entstehen. Zu diesen Kosten zählen etwa Kosten des Aufbaus eines Vertriebsaußendienstes (auch entsprechende Personalkosten), Kosten für eine bestimmte Werbekampagne, um allgemeine Marketing- und Promotionkosten oder sonstige Kosten (z.B. Kosten für den Aufbau eines Showrooms). Diese Kosten sind – im Gegensatz zu Anlaufkosten (Rz. 6.67) – nicht nur auf die Gründungsphase einer Gesellschaft beschränkt, sondern können jederzeit bei der Einführung neuer Produkte entstehen. Im Zusammenhang mit diesen Kosten stellt sich die Frage, ob sie auf Basis eines Fremdvergleichs nicht (ggf. teilweise) von der Produktionsgesellschaft zu tragen sind. Erhöhen sich z.B. auf Grund von Markterschließungsmaßnahmen einer Vertriebsgesellschaft – der Absatz einer Produktions- oder Zwischenhandelsgesellschaft, welche die Vertriebsgesellschaft beliefert, – die Lizenzeinnahmen einer Patent- bzw. Markenverwertungsgesellschaft oder – die Lizenzeinnahmen einer konzerninternen F&E-Gesellschaft, so profitieren diese von den Markterschließungsnahmen der Vertriebsgesellschaft und sind folglich an den Markterschließungskosten der Vertriebsgesellschaft zu beteiligen. Dies gilt insbesondere für den Fall, in dem die Vertriebsgesellschaft auf Betreiben der o.g. Gesellschaften Markterschließungsmaßnahmen durchführt und daher die entsprechenden Kosten auch von diesen Unternehmen zu verantworten sind. Würden die entsprechenden Kosten nicht durch die ebenfalls profitierende, liefernde Konzerngesellschaft (ggf. teilweise) getragen werden, wären die erhöhten Markterschließungskosten durch eine höhere Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft zu berücksichtigen. Letztlich würde damit die liefernde Konzerngesellschaft über verminderte Verrechnungspreise für Produktlieferungen an die Vertriebsgesellschaft die Markterschließungskosten tra1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.5.
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gen. Dieser Grundsatz wird durch das Urteil des FG Hessen v. 17.10.19881 bestätigt. Danach muss eine Vertriebsgesellschaft vom Hersteller eine Hochgewinnspanne zugebilligt bekommen, „die die üblichen anfallenden Kosten deckt und zumindest einen bescheidenen Gewinn ermöglicht“.2 Dieser Grundsatz wird auch durch die Rspr. des BFH zur Ermittlung von Verrechnungspreisen bei Vertriebsgesellschaften untermauert.3
6.69
Kosten der Marktausweitung und Marktverteidigung. Nach Tz. 3.4.3. VWG 19834 sind Kosten und Erlösminderungen, die dadurch entstehen, dass ein Vertriebsunternehmen durch Kampfpreise oder ähnliche Mittel seinen Marktanteil wesentlich erhöhen oder verteidigen will, grundsätzlich vom Hersteller zu tragen. Angesprochen sind insoweit Kosten für die Marktausweitung und -verteidigung, wobei die Finanzverwaltung insoweit offen lässt, was unter „Kampfpreise oder ähnliche Mittel“ zu verstehen ist. Der Begriff „Kampfpreis“ ist weder rechtlich definiert, noch existiert dafür eine betriebswirtschaftliche Definition. Mit Borstell5 kann von Kampfpreisen dann gesprochen werden, wenn eine Vertriebsgesellschaft über eine Niedrigpreispolitik aggressiv ihren Marktanteil ausweiten oder verteidigen will. Dabei sollte die Gewährung üblicher Rabatte für das Vorliegen von Kampfpreisen nicht ausreichen. Ferner muss die entsprechende Preissenkung konkret auf eine Erhöhung des Marktanteils oder seine Verteidigung ausgerichtet sein, d.h. die Vertriebsgesellschaft muss ihre Niedrigpreispolitik am Markt aggressiv betreiben. Nach Ansicht der Finanzverwaltung können Kampfpreise immer nur dann vorliegen, wenn eine Vertriebsgesellschaft ihren Marktanteil „wesentlich erhöhen“ will. Eine Niedrigpreispolitik im Hinblick auf eine „übliche“ Erhöhung des Marktanteils wird daher nach dem Wortlaut der Tz. 3.4.3. VWG 1983 von dem Begriff des „Kampfpreises“ nicht erfasst. Diese Unterscheidung birgt in der Verrechnungspreispraxis erhebliches Diskussionspotential in Betriebsprüfungen und ist auf Grund seiner praktischen Unanwendbarkeit abzulehnen. Vielmehr sollte der Begriff des Kampfpreises für eine aggressive Niedrigpreispolitik stehen. Neben dem Begriff des Kampfpreises ist auch der in Tz. 3.4.3. VWG 1983 verwandte Begriff der „ähnlichen Mittel“ zur Erhöhung des Marktanteils oder dessen Verteidigung völlig unklar. Letztlich sind darunter alle Maßnahmen, die nicht eine Niedrigpreispolitik sind, zu verstehen, um einen Marktanteil im Wesentlichen zu erhöhen oder zu verteidigen. Dies kann z.B. folgende Maßnahmen betreffen:6
1 Vgl. FG Hessen v. 17.10.1988 – IV 293/82, EFG 1989, 200. 2 Zu dieser Entscheidung kritisch Bellstedt, IWB 1989/12 F. 2, 429; Kroppen/Günkel, JbFSt 1995/1996, 194 ff. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.3. 5 Vgl. Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. L 380. 6 Vgl. auch Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. L 381.
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– kostenlose Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Lieferung von Produkten an die Kunden (z.B. After-Sales-Services, technische oder kaufmännische Beratung, kulante Bearbeitung von Gewährleistungsfällen), – kostenlose Lieferung von Ersatzteilen, – kostenlose Schulung für Mitarbeiter, – Ausgabe von Geschenken im Zusammenhang mit Produktlieferungen an die Kunden, – Gewinnspiele. Kosten der Werbung. Sowohl im Rahmen der Erschließung von Märkten als auch im Zusammenhang mit der Ausweitung und Verteidigung von Marktanteilen können erhöhte Marketing- und Werbekosten bei der Vertriebsgesellschaft entstehen. Die VWG 1983 enthalten in Tz. 3.3.1 eine eigenständige Regelung für „Kosten der Werbung“. Danach sind „Kosten einer Werbemaßnahme“ grundsätzlich von demjenigen nahestehenden Unternehmen zu tragen, für dessen Aufgabenbereich die Maßnahme durchgeführt wird. Soweit Werbemaßnahmen zum Aufgabenbereich der Produktions- als auch der Vertriebsgesellschaft gehören, können die entsprechenden Werbekosten aufgeteilt werden.2 Was in diesem Zusammenhang allerdings unter Werbekosten zu verstehen ist und wie sie gegenüber den Markterschließungskosten bzw. den Kosten der Marktausweitung und -verteidigung abzugrenzen sind, lässt die Finanzverwaltung offen. U.E. werden i.d.R. in den Markterschließungs-, Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten Werbekosten enthalten sein. In diesen Fällen besteht grundsätzlich nach Tz. 3.3.2. VWG 1983 die Möglichkeit, die entsprechenden Aufwendungen aufzuteilen.
6.70
b) Aufteilung von Markterschließungskosten Grundsätzliche Überlegungen. Eine schematische Antwort auf die Frage, welches Unternehmen (Produktions- oder Vertriebsgesellschaft) Markterschließungskosten zu tragen hat, lässt sich nicht geben. Liegen die Markterschließungsmaßnahmen im Interesse sowohl der Produktionsals auch der Vertriebsgesellschaft, sind die entsprechenden Kosten von beiden Unternehmen zu tragen. Hinsichtlich des Aufteilungsmaßstabs besteht dabei ein Ermessensspielraum des Steuerpflichtigen. Steht z.B. im Rahmen von Markterschließungsaktivitäten die Aufwertung bzw. Steigerung des Bekanntheitsgrades einer Marke im Vordergrund, sind die entsprechenden Kosten im Wesentlichen vom Markeninhaber zu tragen. Dies gilt auch, wenn durch eine Expansionsstrategie des Produzenten (bzw. des Strategieträgers) der Absatz in bestimmten Märkten gezielt gesteigert werden soll. Auch in diesen Fällen hat die Produktionsgesellschaft ein maßgebliches Interesse an den Markterschließungsmaßnah1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3.2.
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men, da durch diese der Absatz und damit der Deckungsbeitrag der Produktionsgesellschaft gesteigert werden. Eine Kostenbeteiligung der Vertriebsgesellschaft ist allerdings insofern sachgerecht, als diese an den Ertragschancen und Risiken der Markterschließungsmaßnahmen entsprechend ihrer Kostenbeteiligung partizipiert. Allerdings wird man mit steigendem Funktions- und Risikoprofil einer Vertriebsgesellschaft davon ausgehen müssen, dass diese auf Grund der Übernahme zusätzlicher Funktionen und Risiken im Rahmen der Anwendung der Wiederverkaufspreismethode eine höhere Handelsspanne erwartet. Da sich diese Handelsspanne aus den Komponenten Kosten, Risikoprämie und Gewinnaufschlag zusammensetzt (Rz. 5.15 ff.), müssten sich hiermit auch die von der Vertriebsgesellschaft anteilig übernommenen Markterschließungskosten abdecken lassen. Vor diesem Hintergrund geht es aus Sicht der Vertriebsgesellschaft nicht so sehr um die Frage, ob und mit welchem Anteil sie sich an den Markterschließungskosten zu beteiligen hat, sondern vielmehr darum, ob die der Vertriebsgesellschaft zugestandene Handelsspanne auf Dauer ausreichend die von ihr übernommenen Kosten (einschließlich der Markterschließungskosten) und Risiken abdeckt. Agiert die Vertriebsgesellschaft indessen als Low-Risk-Distributor, Kommissionär oder Handelsvertreter, sind die Markterschließungskosten auf Grund des geringen Risikoprofils dieser Vertriebsformen grundsätzlich von der Produktionsgesellschaft bzw. dem Lieferanten (z.B. auch einem Handelsunternehmen) zu tragen. Risikoschwache Vertriebsgesellschaften müssen sich daher i.d.R. nicht an den Markterschließungskosten beteiligen.1 In allen übrigen Fällen liegt es allerdings im gemeinsamen Interesse der Produktions- und Vertriebsgesellschaft, den Absatz (und damit Umsatz) ihrer Produkte durch geeignete Maßnahmen zu fördern bzw. zu sichern, mit der Folge, dass sich beide Unternehmen – je nach Grad des betrieblichen Interesses und der unternehmerischen Chancen und Risiken – an den Markterschließungskosten zu beteiligen haben.
6.72
Auffassung der OECD. Die OECD-Leitlinien führen im Hinblick auf die Frage, welche Konzerngesellschaft die Markterschließungskosten zu tragen hat, aus, dass die Markterschließungsstrategie entweder durch den Produzenten selbst oder aber durch den Vertreiber, der getrennt vom Produzenten agiert, umgesetzt und die daraus entstehenden Kosten von beiden getragen werden könnten.2 Ferner ist als weiterer Gesichtspunkt zu berücksichtigen, ob die Beziehung zwischen den Vertragspartnern der Geschäftsbeziehung konsistent zu der Allokation der Markterschließungskosten ist. Diese, für die Praxis wenig hilfreiche Feststellung wird allerdings konkretisiert durch den Hinweis, dass z.B. bei Fremdgeschäften eine konzernunabhängige Gesellschaft, die lediglich als „Sales-Agent“ mit keinem oder nur geringem Vermarktungsrisiko handle, üblicherweise nicht die Kosten einer Markteroberungsstrategie zu tragen habe.3 Preis1 So auch zutreffend Tz. 1.62 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 1.62 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 1.62 OECD-Leitlinien 2010.
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relevant sei darüber hinaus, ob eine Konzerngesellschaft Markterschließungsmaßnahmen auf ihr eigenes Risiko hin entfalte und den Wert eines Produkts durch eine Marke oder einen Firmennamen steigere oder den Firmenwert in Verbindung mit dem Produkt steigere. Damit stellt auch die OECD hinsichtlich der Frage der Aufteilung von Markterschließungskosten letztlich darauf ab, welche Funktionen, welches Risiko und welches Interesse die an der Umsetzung der Markterschließungsmaßnahmen beteiligten Konzerngesellschaften übernommen haben und welche Konzerngesellschaft hierdurch einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt (sog. „Benefit-Test“). Diese Auffassung deckt sich im Wesentlichen mit der Auffassung der deutschen Finanzverwaltung, die feststellt, dass für die Frage der steuerlichen Einkunftsabgrenzung insbesondere auf die Funktionen der beteiligten verbundenen Unternehmen abzustellen ist.1 Aufteilungsgrundsätze der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung werden unter fremden Dritten die Markterschließungskosten von einem Vertreiber nur insoweit getragen, als diesem aus der Geschäftsbeziehung ein angemessener Betriebsgewinn verbleibt.2 Damit sind nach Ansicht der Finanzverwaltung Markterschließungskosten grundsätzlich vom Produzenten zu tragen, und zwar unabhängig davon, welche Funktionen und Risiken die Vertriebsgesellschaft tatsächlich wahrnimmt. Dies bedeutet mit anderen Worten für die Vertriebsgesellschaft eine dauerhafte Verlustfreistellung. Eine solche entspricht indessen u.E. nicht dem Verhalten unabhängiger Dritter.3 Denn ein Produkt am Markt erfolgreich einzuführen, ist grundsätzlich im betrieblichen Interesse sowohl des Produzenten als auch des Vertreibers. Insbesondere lässt sich am Markt sogar feststellen, dass Handelsunternehmen für lukrative Produkte die Markteinführung selbst übernehmen, die entsprechenden Kosten tragen und dabei sogar (zunächst) Verluste akzeptieren. Die Auffassung der Finanzverwaltung entspricht im Übrigen nicht den Vorgaben der OECD-Leitlinien, wonach Markteinführungskosten zwischen Produktions- und Vertriebsgesellschaft grundsätzlich aufzuteilen sind (Rz. 6.72). Im Übrigen stellt auch die Rspr. des BFH in Bezug auf Markterschließungskosten auf eine branchenübliche Kostenaufteilung ab. Denn nach Auffassung des BFH „würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter keine Vermögensminderung […] wegen des Aufwands der Markteinführung […] hinnehmen, wenn üblicherweise dieser Aufwand von Dritten – insbesondere vom Hersteller oder Lieferanten – getragen wird“.4 Im Ergebnis erkennt damit der BFH das beiderseitige betriebliche Interesse des Produzenten einerseits und des Vertreibers andererseits an der Markteinführung eines Produkts an. 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.3. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.1. 3 Gl.A. Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. L 352. 4 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; Baumhoff, IStR 1993, 520.
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Technik der Aufteilung von Markterschließungskosten. Nach Ansicht der Finanzverwaltung werden Markterschließungskosten unter Fremden derart aufgeteilt, dass – das Vertriebsunternehmen diese Kosten oder Erlösminderungen trägt und ihm dafür Lieferpreise eingeräumt werden, durch die es nach dem Einführungszeitraum seine Gewinnausfälle in überschaubarer Zeit ausgleichen kann, oder – der Produzent diese Kosten oder Erlösminderungen trägt und nach dem Einführungszeitraum seine Gewinnausfälle in überschaubarer Zeit durch höhere Lieferpreise ausgleichen kann.1 Tz. 3.4.2. VWG 19832 regelt damit nicht die Frage, welches Unternehmen (Produktions- oder Vertriebsgesellschaft) nach dem Fremdvergleichsgrundsatz Markterschließungskosten zu tragen hat, sondern beschreibt zutreffend3 zwei Vorgehensweisen, um Markterschließungskosten zwischen Produzenten bzw. Lieferanten und Vertreibern zu verrechnen. Im Rahmen der ersten Alternative der Berücksichtigung von Markterschließungskosten trägt die Vertriebsgesellschaft die entsprechenden Kosten bzw. Erlösminderungen und bekommt dafür geminderte Verrechnungspreise eingeräumt. Dies läuft in der Verrechnungspreispraxis bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode regelmäßig auf eine höhere Handelsspanne, die auch im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden kann (Rz. 6.58), hinaus. Die zweite Alternative sieht eine unmittelbare Tragung der Markterschließungskosten (ggf. teilweise) durch den Produzenten bzw. Lieferanten vor. In der praktischen Umsetzung bedeutet dies, dass der Produzent bzw. Lieferant Markterschließungskostenzuschüsse an den Vertreiber leistet, d.h. bestimmte Kosten, die durch die Markteinführung des Produkts entstehen, bezuschusst. Diese Kosten stellen auf Ebene des Produzenten bzw. Lieferanten auf Grund seines eigenen betrieblichen Interesses an der Markterschließung Betriebsausgaben i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG dar.
6.75
Formale Voraussetzungen. Tz. 3.4.2. VWG 1983 beschreibt im Übrigen auch die formalen Voraussetzungen, unter denen die Finanzverwaltung die Übernahme von Markterschließungskosten durch die Produktionsgesellschaft akzeptiert. Danach ist eine Aufteilung von Markterschließungskosten über geminderte Verrechnungspreise4 oder Markterschließungskostenzuschüsse5 möglich, wenn entsprechende Rentabilitätsberechnungen im Vorhinein erstellt und vertraglich abgesichert wurden. Auf Grund der Einschränkung „in aller Regel“6 sind allerdings Ausnah1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2. 3 Vgl. auch Baumhoff, IStR 1993, 520. 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2. Buchst. a. 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2. Buchst. b. 6 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 – S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2.
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men von diesen formalen Anforderungen denkbar. Begründete Ausnahmefälle sind demnach anzuerkennen. Dies bezieht sich sowohl auf die Erstellung von Rentabilitätsberechnungen als auch auf den Abschluss eines Vertrages im Vorhinein. Dies ist auch insofern sachgerecht, als es abkommensrechtlich gem. Art. 9 OECD-MA nicht auf die strengen formalen Anforderungen der Rspr. des BFH zu vGA bei beherrschenden Gesellschaftern1 ankommen kann.2 c) Verlustsituationen bei Markterschließungsmaßnahmen Rechtsprechung des BFH. Nach der Rspr. des BFH darf eine verbundene Vertriebsgesellschaft keine Produkte mit nachhaltigen Verlusten vertreiben. Die Verlustphase soll dabei – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalls – bei neu eingeführten Produkten drei Jahre nicht überschreiten.3 Der BFH begründet dies mit der Feststellung, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer eines Vertriebsunternehmens nur dann ein neues Produkt am Markt einführen und vertreiben werde, wenn er daraus bei vorsichtiger und vorheriger kaufmännischer Prognose innerhalb eines überschaubaren Zeitraums und unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Marktentwicklung einen angemessenen Gesamtgewinn erwarten könne. Damit soll – unter Berücksichtigung des hypothetischen Fremdvergleichs – eine Vertriebsgesellschaft spätestens „innerhalb eines angemessenen kalkulatorischen Zeitraums“ einen „angemessenen Totalgewinn“ erzielen.4 Als entsprechender Zeitraum wird dabei in der Literatur eine Periode von fünf Jahren genannt.5 Damit geht der BFH inzidenter davon aus, dass für den Fall, in dem beim Vertreiber die Kosten einschließlich Markterschließungskosten die Erlöse übersteigen, der Produzent bzw. der Lieferant durch reduzierte Lieferverrechnungspreise oder Zuschüsse (Markterschließungs- bzw. Werbekostenzuschüsse) die Verlustsituation beseitigt bzw. überkompensiert. Außerdem und unabhängig davon hat nach Auffassung des BFH die Vertriebsgesellschaft die Markterschließungskosten dann nicht zu übernehmen, wenn die Kosten branchenüblich vom Hersteller oder Lieferanten getragen werden.6 Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Markterschließungsmaßnahmen im alleinigen oder ganz überwiegend im betrieblichen Interesse des Produzenten liegen bzw. ein Markeninhaber Interesse am Aufbau seiner Marke in einem bestimmten Markt hat. 1 Vgl. insoweit etwa BFH v. 31.5.1995 – I R 64/94, BStBl. II 1996, 246 = FR 1996, 72 m. Anm. Pezzer; v. 17.9.1992 – I R 89-98/91, BStBl. II 1993, 141 = FR 1993, 18; R 36 Abs. 2 KStR 2006. 2 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 mit Anm. Ditz; FG Köln v. 22.8. 2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161 (rkr.) und dazu Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353 ff.; Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 20 f. m.w.N. 3 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. Wassermeyer, WPg 2002, 16. 6 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375.
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Akzeptable Verlustperiode. Die VWG 1983 sprechen im Hinblick auf eine akzeptable Verlustperiode einer Vertriebsgesellschaft in Folge von Markterschließungsmaßnahmen von einer „überschaubaren Zeit“1 und vermeiden damit eine konkrete Zeitangabe. Dies ist insofern sachgerecht, als je nach Branche (z.B. Investitions- vs. Konsumgüter), Produktlebenszyklus (kurzlebig vs. langlebig) oder der Marktstellung des Produzenten und des Vertreibers unterschiedlich lange Markteinführungsphasen zum Tragen kommen können. Eine generelle Normierung macht insoweit betriebswirtschaftlich keinen Sinn und entbehrt zudem jeglicher Rechtsgrundlage.2 Demgegenüber hat der BFH in seinem „Aquavit“-Urteil v. 17.2.19933 judiziert, dass die „Verlustphase der Anlaufzeit […] – abgesehen von besonderen Umständen im Einzelfall – einen Zeitraum von drei Jahren nicht übersteigen“ sollte. Eine solche zeitliche Limitierung, die sowohl die VWG 1983 als auch die OECD-Leitlinien bewusst vermeiden, ist zu Recht in der Literatur kritisiert worden, da sie zu schematisch und letztlich willkürlich ist und je nach Marktsituation die erforderliche Flexibilität vermissen lässt.4 Die akzeptable Verlustperiode einer Vertriebsgesellschaft sollte damit keinen starren zeitlichen Beschränkungen unterworfen werden, die den wirtschaftlichen Realitäten und Notwendigkeiten zuwider laufen, sondern auf die geschäftlichen Beziehungen zur Vertriebsgesellschaft insgesamt abstellen, um die Frage eines „angemessenen Zeitrahmens“ einzelfallbezogen entscheiden zu können. Vor diesem Hintergrund ist die Relativierung der Drei-Jahres-Frist des AquavitUrteils durch das BFH-Urteil v. 17.10.20015 zu begrüßen.6 In diesem Urteil hat der BFH klargestellt, dass er die Drei-Jahres-Frist nicht als Dauer versteht, innerhalb derer die Vertriebsgesellschaft betriebswirtschaftlich gesehen längstens Verluste erzielen kann. Vielmehr versteht er eine Verlusterzielung über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren als einen so ungewöhnlichen Vorgang, dass es Sache des Steuerpflichtigen ist, darzulegen, weshalb in seinem konkreten Fall die Verlusterzielung über drei Jahre hinaus noch auf einem ordentlichen und gewissenhaften kaufmännischen Verhalten beruht. Der Steuerpflichtige kann in diesem Bereich z.B. auf außerordentliche Entwicklungen und nicht vorhergesehene Risiken verweisen. Ist sein Vortrag schlüssig und glaubhaft, so kann die Verlustphase verlängert werden. Kriterium kann auch sein, ob der Steuer1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2. Buchst. a und b. 2 Gl.A. Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. L 365. 3 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375. 4 Vgl. Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 521; Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 294; Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Rz. W 77; Schreiber, IStR 1994, 317, der einen Zeitraum von fünf bis acht Jahren für angemessen hält; s. ferner Dahnke, IStR 1996, 583, der je nach Wirtschaftszweig, Aktivitäten und Standort Zeiträume von einem bis zu zehn Jahre als angemessen ansieht. 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 6 Vgl. Baumhoff, IStR 2001, 753; Wassermeyer, WPg 2002, 16; Wehnert/Stalberg, IStR 2002, 143.
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pflichtige mit Anpassungsmaßnahmen zeitnah auf nicht vorhergesehene Entwicklungen reagiert hat. Damit löst die Drei-Jahres-Frist nur eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast aus. Der Fremdvergleich hat nur eine widerlegbare Vermutung zur Folge. Ex-ante-Rentabilitätsberechnung. Sowohl der BFH1 als auch die Finanzverwaltung2 erwarten für den Fall der Übernahme von Markterschließungskosten durch die Vertriebsgesellschaft eine Ex-ante-Rentabilitätsberechnung. Daraus soll hervorgehen, dass bei der Vertriebsgesellschaft ggf. nach dreijährigen bzw. zeitlich überschaubaren Anlaufverlusten eine Gewinnphase eintritt, die es ihr erlaubt, in der Totalperiode einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften (Rz. 6.46). Sofern die entsprechende Prognoserechnung plausibel ist und eine Gewinnsituation voraussagt, kommt es auf die tatsächlich eingetretenen Verhältnisse nicht mehr an, selbst wenn sich ex post der erwartete Ausgleich erst später oder überhaupt nicht einstellen sollte. Hinsichtlich der Form solcher betriebswirtschaftlichen Prognoserechnungen lassen sich keine allgemein gültigen Aussagen treffen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht reichen allgemeine Planungsrechnungen, die im Rahmen der generellen Unternehmensplanungen erstellt werden, aus. Exakte Dokumentationen, etwa vergleichbar mit umfassenden ertragswertorientierten Unternehmensbewertungen, können nicht gefordert werden. Vielmehr reichen Unterlagen der unternehmensinternen Kosten- bzw. Erfolgsrechnungen aus. Darüber hinaus können auch Protokolle, Schriftverkehr, Hausmitteilungen oder sonstige Notizen als zusätzliches Dokumentationsmaterial herangezogen werden. Keinesfalls müssen solche Prognosen und Rentabilitätsberechnungen verbunden mit Vorteils- oder Nachteilsmaßnahmen vertraglich abgesichert werden (Rz. 6.75).3 Dafür gibt es auch keine Rechtsgrundlage. Hier genügt ein tatsächlich vorgenommener faktischer Ausgleich im Sinne einer Palettenbetrachtung (Rz. 3 173). Vor diesem Hintergrund muss sich die Prognoserechnung auf die Erfolgssituation der Vertriebsgesellschaft insgesamt beziehen und nicht etwa auf ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Produktgruppe. Diese können auch dauerhaft defizitär vertrieben werden (z.B. wenn es sich um Komplementär- oder Kuppelprodukte handelt), sofern andere Produkte bzw. Produktgruppen diese auf Grund ihrer positiven Deckungsbeiträge alimentieren bzw. überkompensieren.4 Denn der BFH spricht in seiner Rspr. lediglich von einem „Gesamtgewinn“5 und einem „Totalgewinn“6 und nicht etwa von einem einzelnen Produkterfolg. Im Übrigen ist auch in Tz. 3.4.1. VWG 1983 von ei1 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2. 3 So ist auch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2. Satz 2 nicht zu verstehen. 4 Dies ist auch durch die Finanzverwaltung anerkannt, vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.13. 5 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375. 6 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nem „Betriebsgewinn“ und nicht von einem „produktbezogenen Betriebsgewinn“ die Rede. d) Aufteilung von Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten
6.79
Regelung der Tz. 3.4.3. VWG 1983 unzutreffend. Nach Tz. 3.4.3. VWG 1983 sind Kosten und Erlösminderungen, die dadurch entstehen, dass eine Vertriebsgesellschaft durch Kampfpreise oder ähnliche Mittel ihren Marktanteil wesentlich erhöhen oder verteidigen will, „grundsätzlich vom Hersteller zu tragen“. Die Finanzverwaltung geht folglich davon aus, dass Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten (Rz. 6.69) durch den Produzenten bzw. Lieferanten zu tragen sind. Diese Auffassung ist indessen abzulehnen, da sie nicht im Einklang mit einer veranlassungsgerechten Zuordnung von Marktausweitungs- bzw. Marktverteidigungskosten steht.1 Sie verkennt, dass sowohl der Produzent bzw. der Lieferant als auch der Vertreiber an Maßnahmen zur Marktausweitung bzw. Marktverteidigung ein betriebliches Interesse haben und folglich durch einen entsprechend höheren Absatz bzw. Umsatz einen betrieblichen Nutzen haben. Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten sind also grundsätzlich dem Verantwortungsbereich sowohl der Produktions- als auch der Vertriebsgesellschaft zuzuordnen, so dass auch in diesem Zusammenhang grundsätzlich von einer Aufteilung der entsprechenden Kosten zwischen beiden Unternehmen auszugehen ist. Damit gelten auch für Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten die Grundsätze, wie sie bereits in Rz. 6.71 für die Aufteilung von Markterschließungskosten dargestellt werden. Danach hat dasjenige verbundene Unternehmen die Marktausweitungs- bzw. Marktverteidigungskosten zu tragen, dem auch später der entsprechende Gewinn aus dem Erfolg dieser Maßnahmen zusteht.2 Dies kann sowohl der Produzent bzw. der Lieferant als auch der Vertreiber sein. Im Übrigen ist auch eine Aufteilung der Kosten denkbar, wobei der Aufteilungsmaßstab im Ermessen des Steuerpflichtigen liegt. Lediglich bei Vertriebsgesellschaften, die als Routineunternehmen zu qualifizieren sind (insbesondere Low-Risk-Distributor [Rz. 6.51], Kommissionär [Rz. 6.52] und Handelsvertreter [Rz. 6.53]), besteht insofern kein Ermessensspielraum, als bei diesen Vertriebsformen entsprechende Kosten prinzipiell durch den Produzenten bzw. den Lieferanten zu tragen sind. Allenfalls bei diesen Unternehmenstypen kann daher die Regelung der Tz. 3.4.3. VWG 1983 überzeugen. e) Aufteilung von Werbekosten
6.80
Auffassung der Finanzverwaltung in Tz. 3.3.3. VWG 1983. Markterschließungs-, Markterweiterungs- und Marktverteidigungsmaßnahmen sind i.d.R. mit spezifischen Marketingmaßnahmen bzw. Werbeaktionen ver1 Gl.A. Borstell/Hülster in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. L 384. 2 Vgl. auch Tz. 1.45 OECD-Leitlinien 2010.
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bunden. Aber auch außerhalb von Markterschließungs-, Markterweiterungs- und Marktverteidigungsmaßnahmen gehört die Werbung – insbesondere im Konsumgüterbereich – zu den üblichen Marketingaktivitäten. Die VWG 1983 behandeln die Kosten der Werbung in einer eigenständigen Tz. 3.3. und erlauben eine ebenso praktikable wie flexible Handhabung dieser Kosten. Danach können Kosten der Werbung, die im betrieblichen Interesse und damit zum betrieblichen Nutzen von mehreren verbundenen Unternehmen durchgeführt werden, zwischen diesen Unternehmen unter Berücksichtigung des jeweiligen betrieblichen Interesses verteilt werden.1 Die Aufteilung kann dabei in Form entsprechender Verrechnungsverträge erfolgen, wozu grundsätzlich auch Kostenumlageverträge zählen.2 Ansonsten sind die Kosten einer Werbemaßnahme von dem Unternehmen zu tragen, „für dessen Aufgabenbereich durch diese Maßnahmen geworben wird“.3 Ist z.B. ein verbundenes Unternehmen Eigentümerin einer Marke, die über spezielle Werbemaßnahmen gefördert werden soll, so ist zumindest der überwiegende Teil der entsprechenden Werbekosten von diesem Unternehmen als Markeninhaber zu tragen. Das gilt auch dann, wenn der Markeninhaber eine Vertriebsgesellschaft ist. Liegen die Werbemaßnahmen indessen im betrieblichen Interesse sowohl des Produzenten bzw. des Lieferanten als auch des Vertreibers, sind die Maßnahmen bei beiden betrieblich veranlasst und folglich die entsprechenden Werbekosten zwischen beiden aufzuteilen. Die Werbekosten stellen dann bei beiden Gesellschaften steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG dar. Der Aufteilungsmaßstab muss dabei die betrieblichen Interessen beider Unternehmen an den Werbemaßnahmen widerspiegeln, wobei dem Steuerpflichtigen insoweit ein gewisser Ermessensspielraum zuzubilligen ist. Branchenüblichkeit. Ein weiteres Kriterium für die Zuordnung von Werbekosten ist deren Branchenüblichkeit. Dies hat der BFH in seinem sog. „Werbekosten“-Urteil v. 1.2.19764, welches den Pharmabereich betraf, ausdrücklich festgestellt. Auch in seinem sog. „Aquavit“-Urteil v. 17.2. 1993 (Rz. 6.76)5 stellt der BFH auf die Branchenüblichkeit ab, indem er darlegt, dass der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter einer Vertriebsgesellschaft Werbeaufwendungen nicht tragen würde, wenn diese üblicherweise vom Hersteller oder Lieferanten getragen werden. Oft wird die Aufteilung von Werbekosten auch nach dem Kriterium der regionalen Wirkung der Werbung vorgenommen.6 Danach wird regionale Werbung oftmals von der Vertriebsgesellschaft getragen, während das strategische Marketing bzw. überregionale Werbung vom Produzenten bzw. Strategie1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3.2. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3.3. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 - VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3.1. 4 Vgl. BFH v. 1.2.1967 – I 220/64, BStBl. III 1967, 995. 5 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375. 6 Vgl. auch Günkel, IWB F. 3 Deutschland Gr. 1, 959 f.
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träger übernommen wird. Insbesondere wenn die Werbemaßnahmen einer internationalen Konzernmarke dienen bzw. sich die Werbekampagnen nicht nur auf den Absatz eines bestimmten Produkts beziehen, sondern auf das gesamte Konzernimage abzielen, muss sich der Produzent bzw. Strategieträger an den entsprechenden Kosten beteiligen.
6.82
Ausreichende Handelsspanne. Letztlich gilt auch für den Bereich der Werbekosten, dass – soweit diese von der Vertriebsgesellschaft getragen werden – gesichert werden muss, dass im Falle der Anwendung der Wiederverkaufspreismethode die Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft dazu ausreicht, sämtliche Kosten (einschließlich der Werbekosten) zzgl. Nettomarge zu decken. Auch die OECD folgt dieser Grundüberlegung, wenn sie in Tz. 1.47 OECD-Leitlinien1 feststellt, dass einer Vertriebsgesellschaft, welche unter Einsatz eigener Mittel die Verantwortung für die Vermarktung und Werbung übernimmt, eine entsprechend höhere Gewinnerwartung aus ihrer Tätigkeit zusteht als ohne solche Funktionen. 4. Zuordnung von Währungsrisiken
6.83
Grundsatz der Vertragsfreiheit. Ein wesentliches Risiko bei Warenlieferungen zwischen international verbundenen Unternehmungen stellen Währungsschwankungen dar. Dabei besteht insbesondere ein Umrechnungsrisiko dann, wenn ein verbundenes Unternehmen (z.B. Vertriebsgesellschaft) Waren in fremder Währung erwirbt, um diese dann auf dem heimischen Markt in lokaler Währung zu verkaufen.2 Eine Aufwertung der fakturierten Währung kann dann zur Folge haben, dass bei gleichbleibenden Umsatzerlösen (in lokaler Währung) die Wareneinstandspreise für die bezogenen Waren steigen, so dass die Vertriebsgesellschaft durch Währungsschwankungen in eine Verlustsituation kommen kann. Im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Lieferungen von Waren stellt sich folglich die Frage, in welcher Währung fakturiert werden soll. Weder die Finanzverwaltung noch die OECD stellen Grundsätze dafür bereit, welche Gesellschaft (Produzent bzw. Lieferant oder Vertreiber) das Währungsrisiko bei grenzüberschreitenden Lieferbeziehungen zu tragen hat. Eine allgemein gültige Regelung existiert damit nicht; auch die Praxis ist insoweit uneinheitlich.3 Dies ist insofern nicht überraschend, als die Vereinbarung der Währung nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit zwischen den verbundenen Unternehmen frei gewählt werden kann. Letztlich sind der Produzent bzw. Lieferant einerseits und der Vertreiber andererseits damit in ihrer Entscheidung frei, welche Gesellschaft das Währungsrisiko trägt. Um Verlustsituationen auf Grund von Währungs1 Vgl. Tz. 1.47 OECD-Leitlinien 2010. 2 Zur Beschreibung der Währungsrisiken vgl. auch Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 297. 3 Vgl. etwa Gundel in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 178 f.; Treptow in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 181.
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schwankungen bei Vertriebsgesellschaften zu vermeiden (s. auch Rz. 6.76), werden in der Verrechnungspreispraxis allerdings Vertriebsgesellschaften häufig in deren Landeswährung beliefert. Dies gilt insbesondere für funktionsschwache Vertriebsgesellschaften (Low-Risk-Distributor, Kommissionär und Handelsvertreter), die als Routineunternehmen keine wesentlichen unternehmerischen Risiken tragen. Ein Grundsatz, dass diese in ihrer Landeswährung beliefert werden müssen, existiert allerdings nicht. Es ist jedoch darauf zu achten, dass ein einmal gewähltes Verfahren konstant praktiziert und nicht willkürlich verändert wird.1 Soll eine bestehende Regelung (z.B. Fakturierung in Landeswährung der Vertriebsgesellschaft) umgestellt werden (z.B. Fakturierung in der Währung des Produzenten bzw. Lieferanten), ist dies im Rahmen der Anwendung der Wiederverkaufspreismethode bei der Bemessung der Handelsspanne zu berücksichtigen. Die Übernahme von Währungsrisiken hat dabei zur Folge, dass die Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft tendenziell höher ist, als wenn diese Risiken durch die Vertriebsgesellschaft nicht getragen werden. Handhabung gegenüber fremden Dritten. Ein Indikator für die Zuordnung von Währungsrisiken kann die Fakturierung gegenüber fremden Dritten sein. Sofern z.B. eine Produktionsgesellschaft bei Exporten in ausländische Staaten sowohl an verbundene Unternehmen als auch an externe Dritte liefert, wird häufig eine einheitliche Fakturierungspraxis angewandt werden. Allerdings gilt auch hier der Grundsatz der Vertragsfreiheit, wonach individuell mit jedem Abnehmer eine andere Währungsabrede getroffen werden kann. Dies gilt insbesondere in solchen Fällen, wenn ausländische und verbundene Abnehmer eine solche Machtstellung haben, dass sie die Währung, in welcher fakturiert wird, autonom bestimmen können. Ferner sind Fälle denkbar, in denen die Übertragung des Währungsrisikos auf den Vertragspartner dessen Wettbewerbsfähigkeit zu stark einschränken würde.2
6.84
Wechselkurssicherungsmaßnahmen. Auch im Hinblick auf die Frage der Übernahme von Währungsrisiken ist nach dem Grundmodell des hypothetischen Fremdvergleichs das Verhalten des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang kann allerdings keinesfalls von einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter gefordert werden, dass er sich gegenüber Währungsrisiken (z.B. durch geeignete Wechselkurssicherungsmaßnahmen) absichert. Vielmehr handelt es sich bei dieser Entscheidung um eine unternehmerische Entscheidung, die alleine im Ermessensspielraum des Steuerpflichtigen liegt. Sie ist damit abhängig von der individuellen Risikoneigung und Einschätzung und entzieht sich einer Überprüfung durch die Finanzverwaltung. Dies gilt umso mehr, als mit der Entscheidung für Kurssicherungs-
6.85
1 So auch Dreissig/Treptow/Kleine in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 179 ff. 2 Vgl. hierzu auch Gundel in FS Flick, 789 f.
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maßnahmen auch auf die Chance einer Realisierung von Währungsgewinnen verzichtet wird. Im Rahmen der Fakturierung in ausländischen Währungen werden Währungsschwankungen in gewissen Bandbreiten als selbstverständlich unterstellt und sind im Rahmen der Bestimmung der (Liefer-)Verrechnungspreise zu berücksichtigen. Sofern sich allerdings außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Wechselkursänderungen ergeben, die das normale und im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung berücksichtigte Maß übersteigen, muss dieser Umstand bei der Preisfestsetzung Berücksichtigung finden. Denn auch fremde Dritte würden bei derartig außergewöhnlichen Wechselkursänderungen Preisanpassungen vornehmen. Ob eine solche Vertragsanpassung indessen erforderlich ist, kann erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung festgestellt werden, da sich Währungsschwankungen auch kurzfristig wieder umkehren können.
6.86
Risikoprämie und Berücksichtigung von Wagniskosten. Die Zuordnung von Währungsrisiken ist im Rahmen der Bestimmung des Verrechnungspreises für die entsprechende Lieferung zu berücksichtigen. Im Ergebnis hat damit die Vertriebsgesellschaft, soweit sie ein entsprechendes Währungsrisiko trägt, hierfür über den Verrechnungspreis eine entsprechende Risikoprämie zu erhalten. Dies wird in der Verrechnungspreispraxis im Rahmen der Ermittlung der Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft i.d.R. über entsprechende Wagniskosten berücksichtigt. Dabei können die Kosten einer externen Kurssicherung einen gewissen Anhaltspunkt für die Höhe einer angemessenen Prämie bieten.1 Ermittelt z.B. eine inländische Produktionsgesellschaft den Verrechnungspreis für Warenlieferungen an ihre nicht in der EU ansässige Vertriebsgesellschaft nach der Wiederverkaufspreismethode und wird dabei in Euro fakturiert, so trägt die ausländische Vertriebsgesellschaft das Währungsrisiko. In diesem Fall muss die anzusetzende Handelsspanne so bemessen sein, dass das (normale) Währungsrisiko über die Handelsspanne abgedeckt wird.2 Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass sich durch die Fakturierung in fremder Währung auch Währungschancen ergeben. Die Verrechnungspreispraxis zeigt dabei, dass die entsprechenden Wagniskosten auch Null betragen können.
B. Dienstleistungen Literatur Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln u.a. 1986; Baumhoff, Die steuerliche Bewertung von Transferpaketen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, 541; Baumhoff, Der Einfluss der Finanzmarktkrise auf die Festlegung und Prüfung von internationalen Verrech1 Vgl. auch Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 297. 2 Zur quantitativen Bestimmung von Währungsrisiken vgl. auch McKee/Patton/ Kapoor, IStR 1996, 251.
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B. Dienstleistungen nungspreisen, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Festschrift für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 21; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik bei Verlustgesellschaften, in Baumhoff/ Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 133; Baumhoff, Praxisprobleme bei der Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, WPg 2012, 396; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Lohnfertigern – Anmerkungen zum Urteil des FG Münster vom 16.3.2006, IStR 2006, 789; Ditz/Liebchen, Teilwertabschreibungen und Forderungsverzicht auf Gesellschafterdarlehen – Praxisfall zum BMF-Schreiben vom 29.3.2011, IStR 2012, 97; Durst, The OECD’s Discussion Draft on Transfer Pricing for Intangibles, TNI 2012, 447; Engler, Änderung von Verrechnungspreisen in der Rezession, IStR 2009, 685; Fiehler, Vergütungsformen von funktions- und risikoarmen Vertriebsgesellschaften, IStR 2007, 464; Finsterwalder, Bemessung von Verrechnungspreisen bei grenzüberschreitenden Knowhow-Überlassungen im Konzern, IStR 2006, 355; Herbig, Steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung im internationalen Vergleich, Stuttgart 2009; Kaeser, Generalthema 1: Besteuerung grenzüberschreitender Dienstleistungen, IStR 2012, 674; Kaminski, Seminar C: Kostenaufteilungspraktiken bei der internationalen Entwicklung immaterieller Wirtschaftsgüter, IStR 2001, 539; Korff, Verrechnungspreise für konzerninterne Dienstleistungen aus Sicht Deutschlands und der USA, Lohmar 2008; Korff, Dienstleistungsverrechnung zwischen deutsch-US-amerikanischen Konzernunternehmen, IStR 2008, 44; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Lieber, Anmerkung zu FG Münster, Urt. v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 – (Berichtigung gem. § 1 Abs. 1 AStG: Aufteilung von Standortvorteilen bei Lohnfertigern), IWB 2006, 1189; Mehta, Formulating an Intra-Group Management Fee Policy: An Analysis from a Transfer Pricing and International Tax Perspective, ITPJ 2005, 253; Oestreicher/Endres, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen in zehn Fällen – Zugleich eine Stellungnahme zum Entwurf der Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, IStR 2009, Beih. zu Heft 20, 3; Rasch/Fischer, Die neuen Final und Temporary US-Regulations zu konzerninternen Dienstleistungen, DB 2007, 878; Schmidtke/Rasch, Routinefunktionen, Gewinnverlagerungen und das Versagen des hypothetischen Fremdvergleichs, IStR 2009, 92; Schoppe/Voltmer-Darmanyan, Konzerndienstleistungsverträge in der (steuerlichen) Praxis, BB 2012, 1251; Scholz, Verrechnungspreisbestimmung bei funktionsschwachen Unternehmen, BB 2011, 1515; Spengel/Elschner, Steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung – Empirische Befunde, internationaler Vergleich und Reformansätze für Deutschland, ZfB 2010, Special Issue 2, 1; SpengelHerbold, Steuerliche Anreize zur Förderung von Forschung und Entwicklung in Deutschland, Ubg 2009, 343; Stuffer/Reichl, Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen über die Grenze – Aktuelle Entwicklungen im EU-Verrechnungspreisforum, IStR 2010, 685; Wendel, Verrechnungspreise: Berücksichtigung von Standortvorteilen bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode, JbFfSt 2011/2012, 860.
I. Vorbemerkung Weltweite „Transfer-Pricing“-Umfrage. Verrechnungspreise für konzerninterne Dienstleistungen stehen im Fokus der nationalen Fisci. Im Rahmen einer weltweiten „Transfer-Pricing“-Umfrage wurden 877 multinational operierende Unternehmen aus 25 Staaten1 zu ihren Erfahrungen 1 Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, China, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Me-
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und Prognosen für die steuerliche Behandlung von gruppeninternen grenzüberschreitenden Transaktionen befragt. Hiernach stellen mit Abstand konzerninterne Dienstleistungen den Prüfungsschwerpunkt der jeweiligen Betriebsprüfungen dar. Nach dieser Studie aus dem Jahr 2010 wurde in 66 % aller Prüfungsfälle die Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen untersucht, wobei der Anteil gegenüber dem Jahr 2007 um 20 % angestiegen ist.1 Aus Sicht der international agierenden Konzerne werden von allen Transaktionsarten zwei Dienstleistungskategorien als besonders anfällig für eine Überprüfung durch die jeweilige Finanzverwaltung eingeschätzt, nämlich die administrativen und kaufmännischen Dienstleitungen einerseits und die technischen Dienstleistungen andererseits. Dieses hohe Prüfungsrisiko liegt im Wesentlichen darin begründet, dass in einer Vielzahl der Fälle konzerninterner Dienstleistungstransfers kein tatsächlicher Fremdvergleich möglich ist. Dies hat zur Folge, dass – von einigen Ausnahmefällen abgesehen – sowohl die Preisvergleichs- als auch die Wiederverkaufspreismethode zur Ermittlung angemessener Verrechnungspreise für Dienstleistungen ausscheiden. So verwundert es nicht, dass nach der o.g. Umfrage die kostenorientierten Methoden (Kostenaufschlagsmethode, TNMM) mit 63 % die Ermittlung von Verrechnungspreisen im Dienstleistungsbereich dominieren, wobei die Kostenaufschlagsmethode immer noch die meistgenutzte Verrechnungspreismethode für die (Einzel-)Abrechnung von Dienstleistungen ist (vgl. Rz. 6.154 ff.).
II. Erscheinungsformen von Dienstleistungen 6.88
Verschiedene Erscheinungsformen. Dienstleistungen zwischen international verbundenen Unternehmen besitzen eine beachtliche Fülle von Erscheinungsformen. Art und Umfang ihrer Erbringung sind sowohl vom Geschäftszweig als auch der organisatorischen Struktur der international verbundenen Unternehmen abhängig. Bei dezentraler Organisationsstruktur erbringen die einzelnen Unternehmen die benötigten Dienstleistungen entweder selbst oder sie bedienen sich verbundexterner Leistungserbringer. Die Aufgaben der Muttergesellschaft beschränken sich insoweit auf die Überwachung ihrer Tochtergesellschaft in ihrer Eigenschaft als Anteilseignerin.2 Demgegenüber werden in zentralisierten oder integrierten Konzernen3 von der Muttergesellschaft oder von einer speziellen Dienstleistungsgesellschaft Dienstleistungen von zentraler Stelle aus an die einzelnen Konzerngesellschaften erbracht. Diese umfassen insbesondere den Bereich der Administration, der EDV sowie der Forschung und xiko, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Schweden, Schweiz, Spanien, Südafrika, Südkorea, USA. 1 Vgl. Ernst & Young, 2010 Global Transfer Pricing Survey, 14. 2 Vgl. Tz. 7.4 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. dazu Kleineidam, IStR 2001, 724 f. m.w.N.
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Entwicklung (im Rahmen der Auftragsforschung). Hauptziel einer solchen Konzernorganisation ist die Realisierung von Synergieeffekten.1 Der Dienstleistungsaustausch im internationalen Unternehmensverbund kann grundsätzlich zwischen sämtlichen Unternehmenseinheiten stattfinden, wobei es unerheblich ist, ob die Muttergesellschaft, die Tochtergesellschaft oder eine Gemeinschaftseinrichtung (Interessen-Pool) als Leistungserbringer fungiert. Leistungsempfänger können einzelne, mehrere oder alle verbundenen Unternehmen zusammen sein. Kategorisiert man konzerninterne Dienstleistungen nach ihrem Leistungsobjekt, sind administrative bzw. kaufmännische Dienstleistungen und Finanzdienstleistungen2 (Rz. 6.417 ff.), industrielle und technische Dienstleistungen sowie Dienstleistungen im Bereich der Forschung und Entwicklung zu unterscheiden. Administrative und kaufmännische Dienstleistungen. Insbesondere den administrativen und kaufmännischen Dienstleistungen kommt bei international verbundenen Unternehmen ein hoher Stellenwert zu, weil sie alle qualifizierten Planungs-, Informations-, Verwaltungs-, Koordinationssowie Kontrollaktivitäten einer Unternehmung umfassen. Das Spektrum von administrativen und kaufmännischen Dienstleistungen, die zwischen international verbundenen Unternehmen ausgetauscht werden können, reicht von – allgemeiner Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung, – Buchführungs- und Revisionsaufgaben, – Überwachungs- und Kontrollaufgaben (z.B. Qualitätskontrollen), – Marketing- und Marktforschungsleistungen, – Beschaffungs- und Absatzleistungen, – Dienstleistungen im Organisations- und Finanzbereich, – Dienstleistungen im Personalbereich (z.B. Personalbedarfsplanung, Einstellung und Ausbildung), – EDV-Dienstleistungen, – Produktions-, Investitions-, Absatz- und Lagerhaltungsplanung, – Planung, Koordination und Kontrolle von Rechnungs- und Berichtswesen, FuE-Aktivitäten, des Leistungsprogramms, der Werbung und der Marktuntersuchungen bis hin – zur kompletten oder bereichsbezogenen Wahrnehmung von Verwaltungs- und Managementfunktionen der Tochtergesellschaften.
6.89
Industrielle und technische Dienstleistungen. Demgegenüber betreffen industrielle und technische Dienstleistungen Inputfaktoren zur Produktion von materiellen Gütern. Sie umfassen insbesondere die Lohnfer-
6.90
1 Vgl. Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 285 f. 2 Kritisch zur Qualifikation von Darlehensgewährungen als Finanzdienstleistungen Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 195.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
tigung (Rz. 6.11 ff.), Architektur-, Ingenieurleistungen, technische Prüfungen und Gutachten, Instandhaltungen sowie Reparatur- und Montageleistungen.1 Daneben gehören zu den technischen Dienstleistungen IT-Dienstleistungen, die im Rahmen der industriellen Dienstleistungsproduktion Infrastrukturdienstleistungen (z.B. Bereitstellung von Rechen-, Kommunikations- und Netzwerkressourcen), IT-Arbeitsplatzdienstleistungen (z.B. E-Mail-Leistungen, Druckdienstleistungen), Geschäftsprozessdienstleistungen (z.B. die IT-gestützte Abwicklung von Buchhaltungs-, Personalmanagement- oder Einkaufsprozessen) und Unterstützungs- und Wartungsdienstleistungen (z.B. Help-Desk-Dienstleistungen) umfassen.2 Schließlich rechnen Engineering-Dienstleistungen zu den technischen Dienstleistungen. Sie umfassen Dienstleistungen i.R. des Basis-Engineering (Entwurfsplanung/Anlagenspezifikation), d.h. die gesamte technische Dokumentation für das Layout eine Maschine oder Anlage (z.B. Erstellung von Zeichnungen, Listen mit technischen Daten, verbale Beschreibungen) und für die Projektabwicklung, des DetailEngineering (Ausführungsplanung), d.h. die Gesamtheit aller ingenieurtechnischen Fachplanungsaufgaben zur bildlichen, verbalen und zahlenmäßigen Beschreibung jedes einzelnen Details der Maschine oder Anlage, sowie des Montage-Engineering, d.h. Zeichnungen und andere Dokumentationen mit technischen Einzelanweisungen in Bezug auf die Montage.
6.91
Dienstleistungen im Bereich FuE. Im Bereich der Forschung und Entwicklung können Dienstleistungen das gesamte Spektrum von FuE-Aktivitäten betreffen. Dienstleistungen im Bereich der Forschung und Entwicklung beziehen sich insbesondere auf die sog. Auftragsforschung und -entwicklung (Rz. 6.161). Diese liegt vor, wenn ein Konzernunternehmen einem verbundenen Unternehmen einen Einzelforschungsauftrag erteilt, nach welchem spezielle Aufgabenstellungen des Auftraggebers zu lösen sind, die diesem später ausschließlich und uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Der Forschungsauftrag kann sich dabei auf die Grundlagenforschung wie auch auf die angewandte Forschung und Entwicklung beziehen (Rz. 6.164).
6.92
Marktgängige und konzernspezifische Dienstleistungen. Bestimmte Dienstleistungen (z.B. Rechts-, Steuer-, Unternehmensberatung, Rechnungswesen, Marketing oder Marktforschung) entsprechen denen, die spezialisierte unabhängige Dienstleistungsunternehmen (fremde Dritte) ebenfalls erbringen könnten (sog. marktgängige Dienstleistungen).3 Für diesen Bereich marktgängiger Dienstleistungen geht die Finanzverwaltung davon aus, dass konzerninterne Dienstleister allenfalls Routine-
1 Zur Begriffsabgrenzung im Einzelnen vgl. Joos in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 860 f. 2 Vgl. Zarnekow, Produktionsmanagement von IT-Dienstleistungen: Grundlagen, Aufgaben und Prozesse, 11 ff. 3 Vgl. Tz. 7.2 OECD-Leitlinien 2010.
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B. Dienstleistungen
funktionen ausüben.1 Andere Dienstleistungen sind dahingegen unternehmensspezifischer Natur, so dass sie nur innerhalb eines Unternehmensverbundes und nicht von außen stehenden Dritten erbracht werden können (sog. konzernspezifische Dienstleistungen). Hierbei handelt es sich i.d.R. um Leistungen, die die Konzernspitze aus ökonomischen und organisatorischen Gründen für die ihr unterstellten Konzerngesellschaften wahrnimmt. So sind bestimmte Fachabteilungen des Dienstleistungsbereichs der Muttergesellschaften – vor allem bei geschäftsführenden Holding-Gesellschaften – sowohl für das eigene Unternehmen als auch für die Tochtergesellschaften tätig, weil diesen Töchtern entsprechende Abteilungen fehlen bzw. diese nicht oder nur unzureichend in der Lage sind, diese Leistungen zu erbringen.
III. Dienstleistungsbegriff 1. Abgrenzung zu anderen Leistungsbereichen Abgrenzungsproblematik. Eine Abgrenzung des Dienstleistungsbereichs vom Bereich der Güter- und Warenlieferungen (Maschinen, Anlagen, Halb- und Fertigerzeugnisse, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe), der Nutzungsüberlassungen materieller Wirtschaftsgüter (Miete, Pacht, Leasing) und des Kapitalverkehrs (Darlehen und sonstige schuldrechtliche Finanzierungsleistungen) ist aufgrund der unterschiedlichen Charakteristika dieser Leistungsbereiche relativ problemlos. Weitaus problematischer hingegen ist eine Abgrenzung zum Bereich der immateriellen Wirtschaftsgüter, der den gesamten Technologiesektor, die Gruppe der gewerblichen Schutzrechte (Patente, Gebrauchs- und Geschmacksmuster, Marken- und Urheberrechte) und die sog. „Know-how“-Nutzungen umfasst.
6.93
Abgrenzung zur Know-how-Überlassung. Insbesondere die inhaltliche bzw. begriffliche Trennung der Know-how-Verträge von den Dienstleistungsverträgen ist insofern problematisch, als die meisten Know-howVerträge zugleich Dienstleistungselemente aufweisen. So beinhalten die meisten Know-how-Verträge die Erbringung von Dienstleistungen in Form von Beratungsleistungen.2 Insofern kann es sehr schwierig sein festzustellen, wo die Grenze zwischen der Übertragung oder Lizenzierung immaterieller Vermögenswerte und der Erbringung von Dienstleistungen verläuft.3 In der Praxis werden Know-how-Verträge zur Überlassung oder Nutzung gesetzlich nicht geschützten Spezialwissens über gewerblichtechnische Erfahrungen abgeschlossen, wie z.B. Produktionsverfahren, Konstruktionen und nicht patentierte Erfindungen. Dieses Spezialwissen wird im Allgemeinen im Wege praktischer Erprobung gewonnen und
6.94
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 2 Vgl. Tz. 7.26 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Tz. 7.3 f. OECD-Leitlinien 2010.
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durch praktische Beratung, technische Hilfe und Mitarbeiter-Schulung einem anderen zur Verfügung gestellt. Tz. 6.18 OECD-Leitlinien betont, dass diese Dienstleistungskomponenten ggf. getrennt berechnet werden müssen, und zwar entsprechend den für die Dienstleistungsverrechnung vorgesehenen Verfahren und Methoden.1 Insofern müssen Kriterien für eine Abgrenzung dieser beiden Entgeltkategorien entwickelt werden. Ist bei solchen „gemischten Verträgen“ der Stellenwert der praktischen Beratung und Schulung im Rahmen der Übertragung des Know-how an den Abnehmer höher als der des weiterzugebenden Spezialwissens, bzw. ist die Beratungs- und Schulungsleistung für den Leistungsempfänger von größerer Bedeutung als das Know-how selbst, so handelt es sich um die Erbringung einer Dienstleistung und nicht um eine Know-how-Übertragung. Dient die Beratung hingegen lediglich der Erläuterung der Unterlagen und Aufzeichnungen, die die zu übermittelnden Kenntnisse und Erfahrungen betreffen, so wird man diesen Vorgang nicht als eine eigenständige Dienstleistung qualifizieren können. Letztlich ist also die Abgrenzung nach dem Schwerpunkt des Vertragsinhalts bzw. der Wissensvermittlung vorzunehmen bzw. auf den Grad des Interesses des Abnehmers an den einzelnen Leistungskomponenten abzustellen. Der OECD-Diskussionsentwurf zur Berücksichtigung von Intangibles bei der Festlegung von Verrechnungspreisen vom 6.6.2012 stellt überdies heraus, dass nicht jedwedes immaterielles Wirtschaftsgut eine gesonderte Vergütung erfordert. Beispielhaft wird auf die Erbringung von Dienstleistungen eingegangen, die unter Einsatz von nicht eindeutigem Know-how erfolgt, wenn vergleichbare Dienstleistungsunternehmen vergleichbares Know-how für die Dienstleistungserstellung bzw. -erbringung einsetzen. In diesem Fall ist es Sache der Vergleichbarkeitsanalyse für Zwecke der Bemessung einer fremdvergleichskonformen Dienstleistungsgebühr, den Einsatz vergleichbarer immaterieller Wirtschaftsgüter im Vergleichstatbestand zu berücksichtigen. Eine gesonderte Lizenzgebühr für die Knowhow-Überlassung kommt insofern nicht in Betracht.2
6.95
Unterschiedliche abkommensrechtliche Behandlung. Die Erbringung von Dienstleistungen ist gegenüber der Überlassung von Know-how auch deshalb abzugrenzen, weil abkommensrechtlich unterschiedliche Besteuerungsfolgen insbesondere bezogen auf das Quellenbesteuerungsrecht des Sitzstaates des Dienstleistungsempfängers bzw. Lizenznehmers zum Tragen kommen.3 So fassen einige DBA mit Entwicklungsländern Vergütungen für bestimmte Dienstleistungen unter den Lizenzgebührenartikel,4 1 Vgl. Tz. 6.18 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. OECD, Discussion Draft – Revision of the Special Considerations for Intangibles in Chapter VI of the OECD-Transfer Pricing Guidelines and Related Provisions, http://www.oecd.org/dataoecd/39/61/50526258.pdf, Tz. 9. 3 Vgl. hierzu Tz. 6.19 OECD-Leitlinien 2010; Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 86 f. 4 Vgl. z.B. Art. 12 Abs. 1 DBA-Indien, Art. 12 Abs. 1 DBA-Indonesien, Art. 12 Abs. 1 DBA-Jamaika; Art. 12 Abs. 1 DBA-Vietnam; siehe ferner Übersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L5, Art. 12 OECD-MA Rz. 79.
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B. Dienstleistungen
wobei vornehmlich technische Dienstleistungen betroffen sind.1 Während in diesen Fällen der Begriff „technisch“ regelmäßig definiert wird, bleibt der Dienstleistungsbegriff ausnahmslos ohne eigenständige abkommensrechtliche Begriffsdefinition. Insofern ist über den jeweiligen Anwendestaatsvorbehalt der Art. 3 Abs. 2 OECD-MA entsprechenden Bestimmung auf das Begriffsverständnis des innerstaatlichen Rechts des jeweiligen Anwendestaates zurückzugreifen, wobei es aus deutscher Sicht vor allem darauf ankommt, dass die Tätigkeit als solche geschuldet ist.2 Die DBA, die Vergütungen für technische Dienstleistungen und die Know-how-Überlassung gleichermaßen unter den Lizenzgebührenartikel einordnen, sehen regelmäßig – abweichend von Art. 12 Abs. 1 OECD-MA – ein der Höhe nach beschränktes Quellenbesteuerungsrecht vor.3 Der Unterscheidung dieser „Lizenzgegenstände“ im Hinblick auf das Quellenbesteuerungsrecht kommt insofern nur dann praktische Bedeutung zu, wenn unterschiedliche Quellensteuerhöchstsätze vereinbart sind.4 Bezieht ein DBA hingegen – wie Art. 12 Abs. 1 OECD-MA – technische Dienstleistungen nicht in den Anwendungsbereich des Lizenzgebührenartikels ein bzw. sind andere Dienstleistungen betroffen, kommt ein nach dem jeweiligen DBA dem Quellenstaat – regelmäßig auf Bruttobasis der Vergütungen – zugestandenes Quellenbesteuerungsrecht5 nur dann zum Tragen, wenn die Schwelle zur Know-how-Überlassung überschritten ist.6 Im Übrigen können aufgrund des Wohnsitzstaatsprinzips des Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 OECD-MA die Dienstleistungsvergütungen nur im Wohnsitzstaat des Dienstleistungserbringers besteuert werden. Ein Besteuerungsrecht des Quellenstaates besteht nur dann, wenn die in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. Satz 2 OECD-MA gesetzte Intensitätsschwelle überschritten wird, weil der Dienstleistungserbringer im Tätigkeitsstaat eine sog. Dienstleistungsbetriebsstätte unterhält.7 2. Assistenz-, Management-, Kontroll- und Regieleistungen Überholte Dreiteilung. In der historischen Entwicklung wurde insbesondere aufgrund des hohen Unbestimmtheitsgrads und der mangelnden Aussagefähigkeit des Begriffs „Konzernumlagen“ versucht, den innerkonzernlichen Dienstleistungsaustausch in folgende drei Teilbereiche zu 1 Vgl. hierzu auch Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 264; Kaeser, IStR 2012, 674 f. 2 Vgl. auch Kaeser, IStR 2012, 674. 3 Vgl. Übersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L5, Art. 12 OECD-MA Rz. 29. 4 So z.B. Art. 12 Abs. 1 DBA-Indonesien; Art. 12 Abs. 1 DBA-Vietnam. 5 Vgl. Übersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L5, Art. 12 OECD-MA Rz. 29. 6 Vgl. hierzu Nr. 11.1 ff. OECD-MK zu Art. 12 OECD-MA. 7 Vgl. hierzu z.B. Ditz/Quillitzsch, FR 2012, 493 ff.; Kaeser, IStR 2012, 676 f.; zu Art. 5 Abs. 3 Buchst. b des rückwirkend zum 1.1.2011 anzuwendenden DBATürkei (BGBl. II 2012, 526) siehe etwa Müller-Gatermann in Lüdicke, Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, Köln 2012, 32; Endres/Freiling, PIStB 2012, 161.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
klassifizieren, um hieraus allgemeingültige Aussagen zu Entgeltfähigkeit und -pflicht abzuleiten:1 – Assistenzleistungen, – Managementleistungen sowie – Kontrollleistungen.
6.97
Assistenzleistungen. Unter Assistenzleistungen sind hierbei definitionsgemäß Tätigkeiten der Obergesellschaft zu verstehen, die ihrer Art nach auch von einem unabhängigen Dienstleistungsunternehmen erbracht werden können. Zum Bereich der Assistenzleistungen zählen beispielsweise Werbemaßnahmen, Markt- und Produktforschung, Beratung in Steuer-, Rechts-, Finanz-, Marketing-, EDV-, Patent-, Bau- und Ingenieurangelegenheiten, Auftrags- bzw. Zweckforschung, die Überlassung von Immaterialgüterrechten und Erfahrungen, das Anfertigen von Fachgutachten bis hin zur Bereitstellung von EDV-Kapazität und Inkassostellen. Es handelt sich also um die Erbringung marktgängiger Dienstleistungen, wobei der Leistende zugleich Gesellschafter des Leistungsempfängers ist. Dennoch übernimmt die Obergesellschaft hierbei nicht die Funktion eines Gesellschafters, sondern die eines Dienstleistungsunternehmens, dem unternehmerische Teilfunktionen aus dem Aufgabenbereich des Leistungsempfängers übertragen werden. Die Obergesellschaft „assistiert“ hierbei quasi der Tochtergesellschaft, ohne in deren Entscheidungskompetenz einzugreifen. Ebenso wie das die Leistung empfangende Konzernunternehmen einen unabhängigen Dritten mit der Erbringung der Dienstleistung beauftragen könnte, kann es auch die zur Dienstleistungserbringung befähigte Obergesellschaft damit betrauen. Da einem fremden Dritten die Dienstleistung marktgerecht zu vergüten wäre, muss dementsprechend auch der die Leistung erbringenden Obergesellschaft ein marktübliches Entgelt gezahlt werden.2
6.98
Managementleistungen. Als Managementleistungen werden die Tätigkeiten bezeichnet, durch die die Obergesellschaft in den Entscheidungsprozess des abhängigen Unternehmens eingreift. Standardfall hierfür ist die Wahrnehmung der Geschäftsführungsfunktion sowie die teilweise oder völlige Planung und Durchführung von unternehmerischen Entscheidungen der Konzernspitze für die Tochtergesellschaften. Hierzu zählen insbesondere die Gestaltung des Produktions- und Absatzprogramms, die Festlegung der Investitionspolitik und der Finanzplanung, die Auftragssteuerung sowie die Personalpolitik. Durch diese Art von Leistungen beteiligt sich die Konzernspitze am Management einer verbundenen Unternehmung, indem sie die Geschäftsführung mit dem dazugehörigen Beratungs- und Verwaltungsstab der die Leistung empfangenden Unternehmung ganz oder teilweise entlastet. Es erfolgt praktisch eine Aufteilung der Aufgaben der Unternehmensführung und -politik auf zwei Gesell1 Vgl. Felix, StuW 1964, Sp. 23; sowie hierzu Schlagheck, StBp. 2000, 84. 2 Vgl. auch Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 37.
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B. Dienstleistungen
schaften. Diese Managementleistungen wurden früher als höchst unternehmensspezifische Leistungen angesehen, die im Gegensatz zu den Assistenzleistungen nicht von einem unabhängigen Beratungs- bzw. Dienstleistungsunternehmen erbracht werden können. Demzufolge ging man von nicht marktgängigen Leistungen aus, die sich einem Fremdvergleich grundsätzlich entziehen würden und mangels Marktpreisen lediglich auf der Grundlage der Kosten der leistungserbringenden Konzerngesellschaft zzgl. eines Gewinnaufschlags abzurechnen seien. Insbesondere die Abgrenzung der Assistenzleistungen von den Managementleistungen, die sich letztlich nach der (fehlenden) Marktgängigkeit der jeweiligen Dienstleistungen entscheidet, lässt sich seit geraumer Zeit mit der Realität der Leistungsgegenstände unabhängiger Dienstleistungsunternehmen nicht mehr vereinbaren. Ein überwiegender Teil der ex definitione zum Bereich der Managementleistungen zählenden Aufgaben wird heute von spezialisierten Unternehmens- und Managementberatern angeboten, wobei neben einer detaillierten Investitions-, Finanz-, Absatz-, Produktions- und Personalplanung selbst Krisenmanagement- bzw. Geschäftsführungsfunktionen übernommen werden. Häufig werden dabei Dauerberatungsverträge abgeschlossen, so dass eine Management-Dienstleistung vor dem Hintergrund unternehmensindividueller Vorgänge auch ohne die Eingliederung des Leistenden in die Unternehmung von einem fremden Dritten erbracht werden kann. Daher muss davon ausgegangen werden, dass jedwede Dienstleistung am Markt angeboten und deshalb grundsätzlich auch vom Markt bezogen werden kann. Die Marktgängigkeit von Dienstleistungen ist deshalb kein taugliches Abgrenzungskriterium. Kontrollleistungen. Kontrollleistungen beinhalten alle Maßnahmen, die die Muttergesellschaft zur Wahrnehmung von Überwachungs- und Kontrollfunktionen in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin gegenüber den Tochtergesellschaften trifft. Diese Kontrollleistungen unterscheiden sich von den Assistenzleistungen dadurch, dass die Konzernspitze hiermit ihre Mitgliedschaftsrechte ausübt, während der Unterschied zu den Managementleistungen darin besteht, dass es bei Kontrollleistungen nicht um Betriebsleitung, sondern um Betriebskontrolle geht. Leistungen dieser Art gehören zum Aufgabenbereich der Muttergesellschaft und erfolgen nur in deren Interesse, wobei die abhängige Tochtergesellschaft keinen Vorteil erlangt, sondern lediglich Gegenstand der Kontrolle ist. Ein Leistungsaustausch findet demnach nicht statt, so dass die Kosten solcher Kontrollleistungen den Tochtergesellschaften nicht berechnet werden dürfen.1 Allerdings kann nicht jede Leistung, deren Zwecksetzung die Unternehmenskontrolle darstellt, der Gesellschafterebene zugeordnet werden. Kontrollleistungen beinhalten auch solche Leistungen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie zwar der Muttergesellschaft die Möglichkeit der Überwachung und Kontrolle der Tochtergesellschaften geben, darüber hinaus aber auch im Interesse der Tochtergesellschaften liegen können, 1 Vgl. BFH v. 19.3.1969 – I R 31/67, BStBl. II 1969, 498.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
und diese möglicherweise von diesen Kontrollleistungen ebenfalls profitieren. In solchen Fällen, zu denen beispielsweise die Tätigkeit des Controllers, Wirtschaftsprüfers oder Innenrevisors zählt, ersparen sich die Tochtergesellschaften eigene notwendige Kontrollmaßnahmen und erlangen somit einen Vorteil, der den Tochtergesellschaften in Rechnung zu stellen ist und bei diesen eine abzugsfähige Betriebsausgabe darstellt (Rz. 6.120).
6.100
Bei allgemeinen Planungs- und Koordinierungsleistungen (Rz. 6.136 ff.) sowie dem sog. „Rückhalt im Konzern“ (Rz. 6.131 ff.) ist eine Zuordnung in die drei Leistungskategorien besonders problematisch. Umgekehrt ist eine Weiterbelastung von Assistenz- bzw. Managementkosten ebenfalls nicht uneingeschränkt zulässig, da bestimmte Leistungen, sofern sie von der Konzernspitze erbracht werden, dem Erscheinungsbild nach zwar Management- bzw. Assistenzleistungen darstellen, aber dennoch ausschließlich bei der Muttergesellschaft betrieblich veranlasst sind. Es handelt sich hierbei um Leistungen, die die Konzernspitze in Eigen- oder Gesellschafterfunktion erbringt, im Gegensatz zu den „typischen“ weiterbelastbaren Assistenz- oder Managementleistungen, bei denen es sich um die Wahrnehmung einer sog. Fremd- oder Dienstleistungsfunktion handelt. Gemäß der bisweilen noch heute anzutreffenden Dreiteilung der Dienstleistungen bilden Assistenz- und Managementleistungen bei Erfüllung einer Eigen- oder Gesellschafterfunktion mit den nicht weiterbelastbaren Kontrollleistungen eine Einheit, obwohl die Leistungsinhalte völlig unterschiedlich sind.
6.101
Dreiteilung des Dienstleistungsaustauschs. Zu der traditionellen Dreiteilung des Dienstleistungsaustausches lässt sich zusammenfassend folgendes feststellen: Bei bestimmten Arten von Dienstleistungen, die innerhalb einer internationalen Unternehmung ausgetauscht werden, können bei Verwendung dieser Terminologie aufgrund der Begriffsinhalte – Managementleistungen dem Bereich der Assistenzleistungen, – Kontrollleistungen dem Bereich der Assistenz- und Managementleistungen und umgekehrt, – Assistenz- und Managementleistungen dem Bereich der Kontrollleistungen zugeordnet werden. Angesichts dieser groben begrifflichen Unschärfe ist eine Verwendung der dargestellten Dreiteilung zur Ordnung und Strukturierung des zu untersuchenden komplexen Sachverhalts ungeeignet.
6.102
Regieleistungen/-kosten. Vergleichbar ungeeignet für die Kategorisierung des konzerninternen Dienstleistungsaustausches im Hinblick auf eine Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach ist der Begriff „Regieleistungen“ bzw. „Regiekosten“. Zum einen wird der Begriff „Regieleistungen“ den wirtschaftlichen Realitäten insofern nicht gerecht, als er einseitig nur den Leistungsfluss von der Muttergesellschaft zur Tochtergesellschaft erfasst, nicht jedoch die auch in umgekehrter Richtung zu erbringenden Dienstleistungen von der Tochtergesellschaft zur Mutterge568
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B. Dienstleistungen
sellschaft einerseits und zwischen den einzelnen Tochtergesellschaften untereinander andererseits. Zum anderen erfasst der Ausdruck „Regie“ längst nicht alle Dienstleistungen, die innerhalb eines internationalen Unternehmensverbundes ausgetauscht werden können, sondern nur solche Leistungen, die üblicherweise von einer Konzernmuttergesellschaft für Tochtergesellschaften erbracht werden, wie z.B. Aufgaben der allgemeinen Konzernverwaltung, die Betreuung und Wahrnehmung des Weisungsrechts über die unternehmerischen Aktivitäten der Tochtergesellschaften oder die Festlegung der Konzernpolitik. Der Ausdruck „Regieleistungen“ kennzeichnet somit beispielsweise nicht solche Dienstleistungen, die die einzelnen Gliedunternehmen selbst erbringen könnten, die aber aus organisatorischen Zweckmäßigkeitserwägungen von der Obergesellschaft erbracht werden, oder diejenigen Dienstleistungen, die auch von unabhängigen Dienstleistungsunternehmen übernommen werden könnten. Wie unscharf und irreführend der Begriff „Regieleistungen“ zur Bezeichnung des Dienstleistungsaustausches ist, zeigt auch der Leitsatz einer Entscheidung des BFH vom 19.3.19691, der „Regiekosten“ mit Kontrollkosten gleichsetzt, obwohl Einigkeit darüber besteht, dass der Ausdruck „Regieleistungen“ auch für solche Leistungen steht, deren Abzugsfähigkeit unumstritten ist. 3. Klassifizierung nach den OECD-Leitlinien Zweiteilung. Zur Kennzeichnung und zur Klassifizierung der zwischen international verbundenen Unternehmen ausgetauschten Dienstleistungen wird eine Zweiteilung in gesellschafts- und schuldrechtliche Dienstleistungsbeziehungen vorgenommen.2 Dabei unterscheiden die OECDLeitlinien zwischen – nicht verrechenbaren Tätigkeiten, welche die Muttergesellschaft in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin erbringt („shareholder activity“), und – verrechenbaren Tätigkeiten, die eindeutig zum Vorteil eines oder mehrerer verbundener Unternehmen erbracht werden. – Eine zusätzliche dritte Kategorie sog. „Mischleistungen“ erwähnen die OECD-Leitlinien zwar nicht; sie sind jedoch – allerdings in Abhängigkeit von Inhalt und Reichweite der nicht verrechenbaren Dienstleistungen („Gesellschafteraufwand“) – in der deutschen Verrechnungspreispraxis als Realität und typische Kompromissfälle in Betriebsprüfungen nicht wegzudenken (Rz. 6.121 ff.). Bei diesen Mischleistungen handelt es sich um Dienstleistungen, die sowohl im Interesse der Muttergesellschaft bzw. des Gesamtkonzerns als auch im Interesse einer oder mehrerer Konzerngesellschaften erbracht werden.3 Aufgrund der 1 BFH v. 19.3.1969 – I R 31/67, BStBl. II 1969, 497. 2 So ausdrücklich Tz. 7.9 und 7.10 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.6 Anm. 6 m.w.N.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Notwendigkeit der Zuordnung solcher Dienstleistungen entweder zur gesellschaftsrechtlichen oder schuldrechtlichen Sphäre entsteht die Schwierigkeit, darüber zu entscheiden, welchem Unternehmen die Dienstleistungen Vorteile gebracht haben bzw. in welchem Verhältnis der Vorteil auf die beteiligten Unternehmen entfällt.1 Infolgedessen ist eine Aufteilung in einen verrechenbaren und einen nicht verrechenbaren Teil vorzunehmen. 4. Bezeichnungen und Klassifizierungen in den VWG
6.104
Bezeichnungen und Klassifizierungen in den VWG 1983. Die VWG 1983 bedienen sich keines einheitlichen Dienstleistungsbegriffs, sondern behandeln die Dienstleistungen je nach Erscheinungsform unter mehreren, voneinander unabhängigen Gliederungspunkten. Dabei wird unterschieden zwischen: – gewerblichen Dienstleistungen,2 – Dienstleistungen im Bereich der Forschung und Entwicklung (FuE)3 und – verwaltungsbezogenen Leistungen,4 wobei Dienstleistungen aus dem Bereich der Forschung und Entwicklung sowie verwaltungsbezogene Dienstleistungen als Sonderbereiche gewerblicher Dienstleistungen angesehen werden.5 Trotz dieser Unterscheidung existiert jedoch keine exakte Beschreibung dieser verschiedenen Dienstleistungsarten. Dies war früher insofern von Nachteil, als nur diejenigen Dienstleistungen, die als FuE- bzw. verwaltungsbezogene Dienstleistungen klassifiziert wurden, im Wege der Kostenumlage verrechnet werden durften,6 sofern die dafür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt waren. Mit den VWG-Umlage wurde diese Form der Verrechnung nicht nur für gewerbliche Dienstleistungen, sondern für „alle Leistungskategorien“ zugelassen, „z.B. die Forschung und Entwicklung, der Erwerb von Wirtschaftsgütern, verwaltungsbezogene oder andere Leistungen“7, soweit die Umlage der Kosten auf der Grundlage des sog. „Poolkonzeptes“ erfolgt (Rz. 6.342). Gem. Tz. 3.3.1. Buchst. a VWG 1983 sollen die Kosten für Werbemaßnahmen dann als gewerbliche Dienstleistungen verrechnet werden, wenn „sie nach Art und Umfang den Leistungen eigenständiger 1 Vgl. Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.6 Anm. 6. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.2. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5. 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6. 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.2.2. 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.1.1. 7 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. Abs. 2.
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B. Dienstleistungen
Werbeunternehmen entsprechen“1. Ist das nicht der Fall, so können diese Kosten „nach den Grundsätzen über verwaltungsbezogene Leistungen2 verrechnet werden“3. Auch wird gestattet, die Kosten, die im Konzern aufgrund eines mittel- oder längerfristigen Werbekonzeptes entstehen, im Wege der Kostenumlage auf die beteiligten Konzernunternehmen zu verteilen (Rz. 6.80 ff.).4 Typischerweise marktgängige Dienstleistungen. Aus den zuvor genannten Formulierungen in den VWG 1983 lässt sich schließen, dass es sich bei (typischen) gewerblichen Dienstleistungen um marktgängige Dienstleistungen handelt, die auch von unabhängigen Dienstleistungsunternehmen erbracht werden können. In den VWG 1983 wird der Begriff der gewerblichen Dienstleistungen inhaltlich ebenso wenig konkretisiert wie der der FuE-Dienstleistungen. Auch findet sich keine begriffliche Abgrenzung der FuE-Dienstleistungen von den Leistungen des Technologiebereichs, die zur Leistungskategorie der immateriellen Wirtschaftsgüter zählen. Trotz der dargestellten Schwierigkeiten einer begrifflichen Abgrenzung dieser beiden Leistungskategorien muss der gesamte Bereich der Auftragsforschung bzw. -entwicklung (Rz. 6.168) als eine Dienstleistung des FuE-Bereichs angesehen werden. Auch der gesamte Bereich der Lohnbzw. Auftragsfertigung (Rz. 6.7 ff.) muss als Dienstleistung bezeichnet werden.5
6.105
Dienstleistungen und Routineunternehmen. Als Routineunternehmen wird nach Tz. 3.4.10.2 Buchst. a der VWG-Verfahren ein Unternehmen qualifiziert, das lediglich Routinefunktionen ausübt, geringe Risiken trägt und nur in geringem Umfang Wirtschaftsgüter einsetzt.6 Als Routinefunktionen werden beispielhaft die Erbringung konzerninterner, marktgängiger Dienstleistungen und einfache Vertriebsfunktionen benannt. Routineunternehmen i.d.S. sind etwa der Auftragsfertiger, der Lohnfertiger (Rz. 6.7 ff.), der Kommissionär (Rz. 6.52) oder der sog. Low-Risk-Distributor (Rz. 6.51). Das Funktionsprofil eines Routineunternehmens beschränkt sich regelmäßig auf die (konkrete) Funktions- bzw. Tätigkeitsausübung. Eigene Marktchancen und -risiken nimmt es nicht wahr. Die für die Geschäftsbeziehung wesentlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter werden nicht durch das Routineunternehmen eingesetzt, sondern durch den Auftraggeber – i.d.R. kostenlos – beigestellt. Insofern kennzeichnen das Risikoprofil eines Routineunternehmens ledig-
6.106
1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.1.1. Tz. 3.3.1. Buchst. a. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.1.1. Tz. 6. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.1.1. Tz. 3.3.1. Buchst. b. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.1.1. Tz. 3.3.3. 5 Vgl. Tz. 7.40 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a.
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lich die mit der Funktionsausübung verbundenen Risiken (vgl. etwa Rz. 4.63 f. Die eingeschränkte Funktionsausübung des Routineunternehmens ist grundsätzlich – ausgenommen der als Eigenhändler zu qualifizierende Low-Risk-Distributor – als Dienstleistung an den Auftraggeber anzusehen. Für diese wird in der Verrechnungspreispraxis i.d.R. ein – nach der Kostenaufschlagsmethode oder geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ermitteltes – kostenorientiertes Entgelt verrechnet. Angesichts dessen vertritt die Finanzverwaltung die u.E. zutreffende Auffassung, dass Routineunternehmen „bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“ erzielen.1 Von Verlusten werden Routineunternehmen – bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf – durch den Auftraggeber freigehalten, was durch die kostenorientierte Entgeltsbemessung gewährleistet ist.2
6.107
Der Begriff der „verwaltungsbezogenen Leistungen“. Der Begriff der „verwaltungsbezogenen Leistungen“ wird in Tz. 6.1. VWG 1983 inhaltlich näher umschrieben. Hierunter wird die Wahrnehmung von Aufgaben der Verwaltung, des Managements, der Kontrolle, der Beratung und von ähnlichen Aufgaben verstanden.3 Becker4 sieht in dieser Aufzählung die traditionelle Dreiteilung des konzerninternen Dienstleistungsaustausches bestätigt, obwohl hier vier Leistungsbereiche angegeben sind (Verwaltung, Management, Kontrolle, Beratung), und andere Dienstleistungsarten, wie typische gewerbliche und F+E-Dienstleistungen, die nach der traditionellen Dreiteilung den Assistenzleistungen zugeordnet werden müssten, ex definitione nicht zu den verwaltungsbezogenen Leistungen zählen. Es stellt sich die Frage, ob eine begriffliche Trennung zwischen (typischen) gewerblichen Dienstleistungen einerseits und F+E- bzw. verwaltungsbezogenen Dienstleistungen andererseits überhaupt möglich und darüber hinaus auch sinnvoll ist. Geht man davon aus, dass bestimmte Dienstleistungen, wie z.B. Beratungsleistungen, Werbemaßnahmen und Produktforschung, die Hauptfunktion vieler spezialisierter Dienstleistungsunternehmen darstellen und nach der Begriffsverwendung der Verwaltungsgrundsätze einerseits als (typische) gewerbliche, andererseits auch als FuE- bzw. verwaltungsbezogene Dienstleistungen angesehen werden können, so wird deutlich, dass die Markierung einer klaren Trennungslinie zwischen diesen Dienstleistungsarten unmöglich ist, weil die Begriffe nicht überschneidungsfrei definiert sind. Dies wird beispielsweise in Tz. 3.3.1. VWG 1983 sehr deutlich, wonach Werbemaßnahmen sowohl als gewerbliche als auch als verwaltungsbezogene Dienstleistungen ver1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 2 Siehe zu einem infrage kommenden temporären Gewinnverzicht in Phasen gesamtwirtschaftlicher oder branchenbezogener Krisen aber auch Baumhoff in FS Krawitz, 32 f. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.1.1. Tz. 6.1. 4 Vgl. Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 6.1. VWG.
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B. Dienstleistungen
rechnet werden können.1 Da sich die Verrechnungsform der Kostenumlage nach den VWG-Umlage auf alle Leistungskategorien erstreckt und nicht mehr auf (typische) gewerbliche Dienstleistungen beschränkt ist, ist diese Unterscheidung praktisch ohnehin bedeutungslos. Da diese Leistungen ex definitione Gegenstand des Dienstleistungsaustausches zwischen Fremden sind und aufgrund ihrer Transparenz und hohen Standardisierbarkeit i.d.R. eindeutig abgrenzbar und messbar sind, kommt hierfür in der überwiegenden Zahl der Fälle ohnehin nur die Einzelabrechnung in Frage (Rz. 6.146 ff.). In Anlehnung an die OECD-Leitlinien (bzw. die diesen zeitlich vorlagerten OECD-Berichte) gliedern die VWG 1983 doch letztlich trotz der dargestellten begrifflichen Schwierigkeiten den Dienstleistungsaustausch in die zwei Bereiche der gesellschafts- und der schuldrechtlichen Leistungsbeziehungen2 und geben damit die traditionelle Dreiteilung der Dienstleistungen in Management-, Kontroll- und Assistenzleistungen (Rz. 6.96 ff.) auf. Auch sollte die in den VWG 1983 vorgenommene begriffliche Trennung der Dienstleistungen im Konzern zwischen gewerblichen, FuE- und verwaltungsbezogenen Dienstleistungen wegen der zuvor angeführten Nachteile nicht aufrechterhalten werden. Stattdessen sollte analog der Vorgehensweise der OECDLeitlinien3 nur noch unterschieden werden zwischen nicht entgeltpflichtigen Dienstleistungen, die vor dem Hintergrund gesellschaftsrechtlicher Beziehungen erbracht werden, und solchen Leistungen, die schuldrechtlichen Charakter besitzen und deshalb dem Leistungsempfänger in Rechnung zu stellen und bei diesem abzugsfähig sind. Hierzu ist eine Prüfung der Verrechnung dem Grunde nach erforderlich. Danach ist im Rahmen der Verrechnung der Höhe nach festzustellen, welches Entgelt im Einzelfall angemessen ist.
IV. Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach 1. Allgemeines Leistungsaustausch bei Dienstleistungen. Nach der zuvor vorgenommenen Klassifizierung des Dienstleistungsaustausches in gesellschafts- und schuldrechtliche Leistungsbeziehungen ist im Folgenden zunächst zu prüfen, ob eine Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach überhaupt gerechtfertigt bzw. notwendig ist, oder ob die Leistungen der Obergesellschaft „ihren Rechtsgrund in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen“4 haben, ein echter Leistungsaustausch im betrieblichen Bereich also gar nicht stattgefunden hat. Eine Prüfung der Verrechnung von Dienstleistungen dem Grunde nach ist somit immer dann erforderlich, wenn eine 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3.1. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.1., 6.2.1. und 6. 3. 2. 3 Vgl. Tz. 7.9 und 7.10 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.1.
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6.108
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Gesellschaft in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin am Leistungsaustausch beteiligt ist, oder wenn eine andere Gesellschaft im Unternehmensverbund Gesellschafteraufgaben im Auftrag der Obergesellschaft wahrnimmt. Eine Verrechnung von Dienstleistungen kommt nur in Betracht, soweit ein echter Dienstleistungsaustausch im betrieblichen Bereich vorliegt und damit eine schuldrechtliche Beziehung zwischen leistendem und dem die Leistung empfangenden Verbundunternehmen besteht.1 Gleichzeitig stellt sich dabei die Frage nach der Höhe des Verrechnungspreises für diese Leistung. Hierfür kommt je nach Art der Leistung sowie der Anzahl und Funktion der am Leistungsaustausch beteiligten Konzernunternehmen grundsätzlich die Verrechnungsform der Einzelverrechnung (Rz. 6.332 ff.) in Betracht, und zwar in Gestalt der direkten und der indirekten Methode. Die Kostenumlage (Rz. 6.342 ff.) stellt demgegenüber nach dem Verständnis der Umlage-VWG 1999 – im Gegensatz zu Tz. 7. der VWG 1983 – gemäß dem dort verwendeten „Poolkonzept“ immer einen innerbetrieblichen Vorgang auf gesellschaftsvertraglicher Ebene dar, so dass ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch nicht stattfindet (Rz. 6.342). Nichts anderes gilt nach der Neufassung des Begriffs der Geschäftsbeziehung durch das AmtshilfeRLUmsG.2 Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG sind Geschäftsbeziehungen nicht mehr – wie nach § 1 Abs. 5 AStG a.F. – als „jede schuldrechtliche Beziehung“, sondern als „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle)“ definiert. Ausgenommen sind jedoch weiterhin „gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen“, wie sie der Umlagevertrag als gesellschaftsvertragliche Grundlage des Pools als Innengesellschaft darstellt (Rz. 6.426). Dementsprechend ist auch die in § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG geregelte gesetzliche Fiktion, dass „voneinander unabhängige ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter […] bestehende Rechtspositionen geltend machen würden“ nicht anwendbar, da sie eine Geschäftsbeziehung voraussetzt. 2. Abgrenzungskriterium der betrieblichen Veranlassung
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Gesellschaftsrechtliche vs. schuldrechtliche Veranlassung. Erbringt eine Muttergesellschaft gegenüber ihren Tochtergesellschaften Dienstleistungen, ist zunächst zu prüfen, ob die Leistungen auf gesellschaftsrechtlicher oder schuldrechtlicher Basis erbracht werden. Eine Verrechnung von Dienstleistungen dem Grunde nach ist insoweit erforderlich, als ein echter Dienstleistungsaustausch auf schuldrechtlicher Basis vorliegt, der zumindest mittelbar geeignet ist, die betrieblichen Interessen des dienstleistungsempfangenden Konzernunternehmens zu fördern. Demgegenüber scheidet die Verrechnung eines Entgelts aus, wenn die Leistung ihre Rechtsgrundlage in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen der beteiligten Unternehmen findet und somit die Interessen des leistenden Konzern1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2. 2 Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (AmtshilfeRLUmsG) v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809.
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B. Dienstleistungen
unternehmens (Muttergesellschaft) im Vordergrund der Leistungserbringung stehen.1 Mit der Frage der Verrechenbarkeit von Dienstleistungen geht die Frage nach der steuerlichen Abzugsfähigkeit der durch die Dienstleistung verursachten Aufwendungen bei der leistungsempfangenden Konzernunternehmung einher. Der Prüfung der Verrechenbarkeit der Dienstleistung aus Sicht der leistenden Konzerngesellschaft und der Abzugsfähigkeit der entsprechenden Aufwendungen als Betriebsausgaben aus Sicht der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft sind dabei einheitliche Kriterien zugrunde zu legen. Mithin ist diese Fragestellung unter Fremdvergleichsgesichtspunkten („dealing at arm’s length“) danach zu beurteilen, ob die Dienstleistung unter vergleichbaren Verhältnissen auch unter fremden Dritten vereinbart und vergütet worden wäre2 bzw. ob ein ordentlicher Geschäftsleiter die Leistungserbringung als Eigenleistung veranlasst oder die Leistung gegen Entgelt angenommen hätte. Betriebliche Veranlassung. Der Grundsatz des Fremdvergleichs konkretisiert sich in diesem Zusammenhang – nach deutschem Steuerrecht – in der Frage, ob eine betriebliche Veranlassung i.S. des § 4 Abs. 4 EStG gegeben ist.3 Liegt eine solche vor, sind die beim Leistungsempfänger für die Inanspruchnahme der Dienstleistung entstehenden Aufwendungen als Betriebsausgaben steuerlich abzugsfähig (Rz. 2.67). Angesichts des systematisch – jedenfalls innerhalb einer Rechtsordnung – zwingenden Gleichlaufs4 der Abgrenzungskriterien beim leistungsempfangenden wie beim leistungserbringenden Unternehmen ist die betriebliche Veranlassung als das maßgebliche Abgrenzungskriterium für die Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach anzusehen.5 Infolgedessen ist die zu beurteilende Dienstleistung aus Sicht des leistenden Konzernunternehmens zu verrechnen und hier als Einnahme/Ertrag zu erfassen. Denn wenn eine Leistung beim Leistungsempfänger betrieblich veranlasst ist, ist sie aus der Sicht des Leistenden verrechnungsfähig und nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs auch verrechnungspflichtig. Ist die Leistung hingegen beim Leistungsempfänger nicht betrieblich veranlasst, muss deren betriebliche Veranlassung entweder beim Leistenden selbst oder bei seinem 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.1. 2 Vgl. Tz. 7.6, 7.14 u. 7.29 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.1; Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.6 Anm. 4; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.158. 3 Vgl. auch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.4.1. 4 Vgl. etwa auch § 160 Abs. 1 AO. 5 Vgl. Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, V Anm. zu Tz. 1.4.1, 6.1 u. 6.3 VWG; Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.5 Anm. 3; Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 57; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.158; Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 204 f.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Auftraggeber gegeben sein, so dass der entsprechende Aufwand bei diesen abzugsfähig ist. Aufwendungen gelten bei einem verbundenen Unternehmen als betrieblich veranlasst, wenn sie in einem objektiven Zusammenhang mit dessen Betrieb stehen.1 Bei einer Vielzahl von Leistungen ist allerdings ein direkter, objektiver Zusammenhang mit dem Betrieb des Leistungsempfängers nicht erkennbar, so dass es an einer unmittelbaren betrieblichen Veranlassung fehlt. Folglich ist eine zweifelsfreie Zuordnung von Aufwendungen bestimmter Leistungen zur gesellschafts- oder schuldrechtlichen Sphäre nicht immer möglich. Die betriebliche Veranlassung kann jedoch nicht nur i.S. einer kausalen Notwendigkeit verstanden werden. Daher gelten nicht nur solche Aufwendungen als betrieblich veranlasst, die unmittelbar, d.h. objektiv für jeden erkennbar, durch den Betrieb verursacht wurden, sondern auch solche, die nur mittelbar mit dem Betrieb zusammenhängen. In solchen Fällen kommt es entscheidend auf die subjektiven Erwägungen des Steuerpflichtigen an,2 d.h. der Steuerpflichtige muss mit den entsprechenden Aufwendungen den Betrieb subjektiv fördern wollen. Im Ergebnis wird damit die Qualifizierung von Aufwendungen als Betriebsausgabe bei nur mittelbarer betrieblicher Veranlassung allein durch die subjektive Zweckbestimmung des ordentlichen Geschäftsleiters (Rz. 3.134) bestimmt. Er beurteilt letztlich im Rahmen seines Entscheidungsspielraums die betriebliche Veranlassung bestimmter Aufwendungen, wobei diese Aufwendungen nicht unmittelbar der betrieblichen Nutzenerzielung dienen müssen. Vielmehr reicht bereits die Möglichkeit aus, dass die Aufwendungen zukünftig, wenn auch nur mittelbar, dem Unternehmen einen diesen Aufwendungen entsprechenden wirtschaftlichen Vorteil bringen können bzw. dazu geeignet sind, die Geschäftstätigkeit der Unternehmung zu fördern. 3. Ergänzende Hilfskriterien
6.111
Indizien der betrieblichen Veranlassung. Angesichts der offensichtlich bestehenden Unschärfen in Verständnis und Anwendung des Veranlassungszusammenhangs3 stellt die Finanzverwaltung indizielle Hilfskriterien zur Konkretisierung der betrieblichen Veranlassung als Kriterium der Verrechenbarkeit von Dienstleistungen im Konzern zur Verfügung.4 Hiernach ist eine Dienstleistung verrechenbar (und entgeltpflichtig), wenn sie 1 Vgl. BFH v. 21.11.1983 – GrS 2/82, BStBl. II 1984, 160 = FR 1984, 177; Stapperfend in H/H/R, § 4 EStG Rz. 792. 2 Vgl. Stapperfend in H/H/R, § 4 EStG Rz. 806 ff. 3 Vgl. hierzu etwa Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung im Steuerrecht, 61 ff. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.2.
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B. Dienstleistungen
– eindeutig abgrenzbar und messbar ist, – im Interesse der leistungsempfangenden Unternehmung erbracht wird, wovon auszugehen ist, wenn sie einen Vorteil erwarten lässt und eigene Kosten erspart, und – auch von einem unabhängigen Unternehmen unter vergleichbaren Verhältnissen in Anspruch genommen würde. Eine ähnliche Konkretisierung der betrieblichen Veranlassung als Maßstab der Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach nimmt die OECD im Rahmen des sog. „Benefit-Test“ vor. Nach diesem sind Dienstleistungen grundsätzlich verrechenbar, wenn beim leistungsempfangenden Unternehmen ein Nutzen oder Vorteil entstanden ist bzw. wenn dieser zum Zeitpunkt der Dienstleistungserbringung zu erwarten war.1 Darüber hinaus wird darauf abgestellt, ob ein unabhängiges Unternehmen für die betreffenden Dienstleistungen ein Entgelt entrichtet oder die Dienstleistung selbst durchgeführt hätte.2 Die Abgrenzungskriterien des Nutzens, Vorteils bzw. Interesses sind schließlich nur dann als solche geeignet, wenn entsprechend dem allgemein anerkannten Grundsatz der Ex-anteBetrachtung3 auf den erwarteten Vorteil und nicht auf den tatsächlich realisierten Vorteil abgestellt wird.4 Hiervon ist auszugehen, wenn im Zeitpunkt der Erbringung der Dienstleistungen eine Förderung der Geschäftstätigkeit der leistungsempfangenden Konzernunternehmung vernünftigerweise erwartet werden kann. Die Dienstleistung ist in diesem Fall auch dann verrechenbar, wenn sich der mögliche und erwartete Vorteil später nicht einstellt bzw. sich aus der Dienstleistung sogar ein Nachteil ergibt. Eindeutige Abgrenzbarkeit und Messbarkeit der Leistung. Die Forderung, die Verrechenbarkeit einer Dienstleistung auch von ihrer Abgrenzbarkeit und Messbarkeit abhängig zu machen, beruht auf dem Grundsatz der Einzelerfassung internationaler Leistungstransfers. Sie ist insbesondere deshalb ebenso notwendig wie sachgerecht, weil eine Verrechenbarkeit zunächst einer mengenmäßigen Konkretisierung bedarf, da nur messbare Dienstleistungen verrechnet werden können.5 Die praktische Durchsetzung dieser Forderung erscheint jedoch aufgrund der Immaterialität einer Dienstleistung besonders problematisch, da eine Abgrenzbarkeit und Messbarkeit immer voraussetzt, dass sich die Dienstleistung überhaupt erfassen und in einem bestimmten Mindestmaß definieren und standardisieren lässt. Diese Schwierigkeiten erhöhen sich für den Bereich der kon1 Vgl. Tz. 7.6 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 7.2 u. 7.8 OECD-Leitlinien 2010; siehe auch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.1. 3 Vgl. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.123, 3.225 und 3.288. 4 Vgl. auch BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1. 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.2.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
zerninternen, nicht marktgängigen und marktfähigen Leistungen mit zunehmendem Grad der Spezifität der Dienstleistung, während demgegenüber für marktgängige Leistungen aufgrund des Vorhandenseins klarer Vergleichs- und Wertmaßstäbe eine Abgrenzung und Messung i.S. der Ermittlung eines Mengengerüstes der Dienstleistung weniger problematisch sein dürfte.
6.113
Konkretisierung und Quantifizierung der Leistungsbereiche. Oft lässt sich im Bereich der Verwaltung, des Managements, der Kontrolle, der Beratung oder ähnlicher Aufgaben nur ein Leistungsfluss feststellen, innerhalb dessen die Einzelleistung kaum mehr nachzuweisen ist. Vielfach dürfte es sogar schwierig sein, überhaupt einen oder mehrere Leistungsnutzer eindeutig zu identifizieren. In Fällen, in denen sich Art und Umfang einer Dienstleistung nicht exakt abgrenzen bzw. von anderen Leistungsbereichen isolieren lassen, bleibt nur die Möglichkeit, die für eine Verrechnung erforderliche Konkretisierung und Quantifizierung sukzessive zu erreichen. Eine solche Vorgehensweise, die zwar theoretisch durchaus denkbar, in der praktischen Durchführung allerdings besonders aufwendig, langwierig und schwerfällig ist, setzt folgende Maßnahmen voraus: 1. Beschreibung, Konkretisierung und Definition der betreffenden Dienstleistung. 2. Bestimmung des Konzernbereichs bzw. der Konzerngesellschaft und der Kostenstelle, die mit der Erbringung dieser Leistung beauftragt ist. Sind mehrere Bereiche damit beschäftigt, so ist deren Zusammenwirken zu analysieren und deren Teilleistung festzulegen. 3. Aufzeichnungen über die zur Leistungserstellung beanspruchten Kapazitäten (z.B. Stunden- bzw. Tagesaufzeichnungen) sowie aller benötigten Einsatzfaktoren. 4. Bestimmung der Mengenkomponente der Dienstleistung durch Multiplikation der beanspruchten Kapazitäten und Einsatzfaktoren mit den entsprechenden Bezugseinheiten und deren Zusammenfassung. Im Einzelfall können jedoch auch theoretische Lösungsansätze trotz systematischer Analyse aufgrund fehlender inhaltlicher, körperlicher und technischer Erfassbarkeit der Leistung keine eindeutige und exakte Abgrenzung und Messung von Dienstleistungen garantieren. Dies gilt insbesondere für die Wahrnehmung von Managementfunktionen, die zwar zweifelsfrei im Interesse der die Leistung empfangenden Unternehmung erbracht werden, für die jedoch oft eine genaue Messung und Abgrenzung von Einzelleistungen entweder überhaupt nicht oder nur mit großen Kosten und technischen Schwierigkeiten durchführbar sein wird. Angesichts der geschilderten Schwierigkeiten wird daher vielfach zu Recht verlangt, die Anforderungen nach eindeutiger Abgrenzbarkeit und Messbarkeit nicht zu hoch zu stellen, und diese in besonderen Fällen bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn es gelingt, die Dienstleistung angemessen zu konkretisieren, zu schätzen, einen Leistungsfluss durch Einzelbelege nachzuweisen, zumindest aber plausibel bzw. glaubhaft zu machen. Ne578
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B. Dienstleistungen
ben der Anwendung solcher Schätz- und Näherungslösungen sollte allerdings nicht die Möglichkeit übersehen werden, statt auf Einzelleistungen auf ganze Leistungsbereiche abzustellen, und so die Forderung nach eindeutiger Abgrenzbarkeit und Messbarkeit zu erfüllen. Dieser Alternative kommt im Rahmen der Einzelverrechnung die indirekte Methode (als besondere Form der Konzernumlage auf der Basis des „Leistungsaustauschkonzepts“, Rz. 6.333) insofern in hohem Maße entgegen, als sie gerade in Fällen, in denen sich Schwierigkeiten bei einer Leistungsabgrenzung ergeben, als indirekte (pauschale) Verrechnungsform anstelle direkt (einzeln) berechneter Leistungsentgelte zu einer Lösung verhelfen soll (Rz. 6.333). Leistungen im Interesse des Leistungsempfängers. Die VWG 1983 machen die Verrechenbarkeit einer Dienstleistung auch davon abhängig, ob sie im Interesse des die Leistung empfangenden Unternehmens erbracht wird, wovon immer dann auszugehen ist, wenn die Leistungen „einen Vorteil erwarten lassen und eigene Kosten ersparen“1. Dies entspricht im Wesentlichen den OECD-Leitlinien, die in Tz. 7.6, 7.23 und 7.27 ebenfalls fordern, dass eine verrechenbare Dienstleistung zum Nutzen, im Interesse oder zum Vorteil der die Leistung empfangenden Konzerngesellschaft erbracht wird.2 Grundsätzlich lassen sich die Merkmale „Interesse/ Vorteil/Nutzen“ synonym verwenden, da es im Grunde das Gleiche bedeutet, wenn man fordert, eine entgeltpflichtige bzw. -fähige Dienstleistung müsse zum Nutzen, im Interesse, zum Vorteil der empfangenden Konzerngesellschaft erbracht werden oder sie müsse ihr dienen, zumal diese Kriterien lediglich als Indizien für die betriebliche Veranlassung einer Leistung fungieren sollen3.
6.114
Zu erwartender Vorteil oder Nutzen des Leistungsempfängers. Bei den Kriterien Vorteil oder Nutzen, die als inhaltlich deckungsgleich angesehen werden und dem – u.a. in den OECD-Leitlinien verwendeten – Begriff „benefit“ entsprechen,4 handelt es sich um international bekannte und gebräuchliche Abgrenzungsmerkmale. Die gedankliche Verbindung zum Kriterium „Interesse“ besteht insofern, als grundsätzlich alle Leistungen, von denen sich ein Leistungsempfänger einen Vorteil verspricht, gleichzeitig auch in dessen Interesse erbracht werden. Nach allgemein anerkannter Auffassung erweist sich das Kriterium „Vorteil“ allerdings nur dann als Abgrenzungsmerkmal geeignet, wenn, entsprechend dem Grundsatz der „Ex-ante“-Betrachtung (Rz. 3.100) statt auf einen tatsächlich realisierten Vorteil auf einen zu erwartenden Vorteil abgestellt wird. Hiervon wird immer dann auszugehen sein, wenn durch die Dienstleistung eine Förderung der Geschäftstätigkeit der die Leistung empfangenden Unternehmung erwartet werden kann, bzw. wenn zum Zeitpunkt der Erbringung der Dienstleistungen vernünftigerweise zu erwarten war, dass sie
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1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.2. 2 Vgl. Tz. 7.6, 7.23 und 7.27 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. auch Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 68; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 779. 4 Vgl. z.B. Tz. 7.4, 7.12 f., 7.17 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
dem betreffenden Unternehmen dienen würden, selbst wenn sich der mögliche und erwartete Vorteil später doch nicht eingestellt oder sich daraus sogar ein Nachteil ergeben hat. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass selbst ein so verstandener Vorteilsbegriff mit dem Betriebsausgabenbegriff des § 4 Abs. 4 EStG nicht vollkommen identisch ist und zu Anwendungsproblemen führen kann. So können z.B. Kontrolltätigkeiten, die eine Obergesellschaft eindeutig in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin bei ihren Untergesellschaften ausführt, durchaus für die Untergesellschaften von Vorteil sein, obwohl solche Tätigkeiten ausschließlich bei der Spitzeneinheit betrieblich veranlasst und deshalb nicht verrechenbar sind. Daneben stellt sich bei Verwendung des Vorteilsbegriffs als Abgrenzungskriterium, insbesondere in Fällen, in denen die Leistungen eindeutig zum Vorteil mehrerer Konzernunternehmen erbracht werden, die Problematik der Erfassung, Quantifizierung und Zurechnung des zu erwartenden Vorteils. Will man dies anhand der (tatsächlich) ersparten Aufwendungen der die Leistung empfangenden Unternehmen feststellen, so scheitert diese Lösung in all den Fällen, in denen sich das Ergebnis der betreffenden Leistung als Fehlmaßnahme und damit als Ursache zusätzlicher Aufwendungen herausstellt. Berücksichtigt man allerdings neben der Möglichkeit einer Vorteilserzielung zusätzlich die betrieblichen Notwendigkeiten, Verantwortlichkeiten, Funktionen und die Ergebnisse der am Leistungsaustausch beteiligten Unternehmen sowie das gesamte Spektrum der Leistungsbeziehungen, so lassen sich die genannten Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Kriterien beträchtlich vermindern und eindeutigere Aussagen über die Verrechenbarkeit dem Grunde nach machen.
6.116
Ersparte Kosten beim Leistungsempfänger. Die Eignung des Kriteriums der ersparten Kosten1 als Abgrenzungsmerkmal erscheint aus mehreren Gründen problematisch. Grundsätzlich gilt, dass Dienstleistungen, die beim Leistungsempfänger Tätigkeiten ersetzen und deshalb dort zu ersparten eigenen Aufwendungen führen, immer zu dessen Vorteil und somit in dessen Interesse erbracht werden. Insofern ist festzustellen, dass es sich bei der Forderung, die Leistung müsse zu erspartem Aufwand geführt haben, nur um eine andere Formulierung des Grundsatzes handelt, dem die Leistung empfangenden Unternehmen müsse durch die Leistung ein Nutzen erwachsen.2 Dieser logische Zusammenhang zwischen Kostenersparnis einerseits und Vorteil bzw. Interesse andererseits gilt jedoch nicht gleichermaßen im umgekehrten Fall. Dienstleistungen können nämlich auch dann zum Vorteil bzw. im Interesse der die Leistung empfangenden Unternehmung erbracht werden, wenn sie bei diesem nicht zu ersparten eigenen Aufwendungen, sondern zu höheren Erträgen führen. Die Diskrepanz zwischen den beiden Kriterien wird außerdem an den unterschiedlichen Betrachtungszeitpunkten deutlich. Wie bereits fest1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.2. 2 So Kumpf, Steuerliche Verrechnungspreise im internationalen Konzern, 245.
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B. Dienstleistungen
gestellt, gilt bei der Prüfung, ob die Aufwendungen für eine Leistung betrieblich veranlasst sind oder zum Vorteil des Leistungsempfängers führen, grundsätzlich die „Ex-ante“-Betrachtung (Rz. 6.115). Demgegenüber ist das Kriterium „Kostenersparnis“ sowohl im Rahmen einer „Ex-ante“als auch im Rahmen einer „Ex-post“-Betrachtung anwendbar. Bei einer „Ex-post“-Betrachtung wird erst nach Erbringung der Dienstleistung objektiv festgestellt, ob hierdurch beim Leistungsempfänger tatsächlich eine Ersparnis eingetreten ist. Ausgeschlossen bleiben hierbei somit alle durch die Leistung hervorgerufenen Fehlmaßnahmen, die trotz erwarteter Vorteile statt zu ersparten zu erhöhten Aufwendungen geführt haben. Hier wird deutlich, dass dem Merkmal „Kostenersparnis“ zur Feststellung der betrieblichen Veranlassung einer Leistung lediglich untergeordnete Bedeutung zukommt und es keinesfalls als alleiniges Indiz für die Beurteilung des „objektiv Erforderlichen“ in Frage kommt. Dies gilt umso mehr, als eine betriebliche Veranlassung nicht unbedingt eine Leistungsanforderung voraussetzt, sondern statt dessen auch aus den zivilrechtlichen Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag – jedoch im mutmaßlichen Interesse des Geschäftsherrn – und den Grundsätzen ungerechtfertigter Bereicherung abgeleitet werden kann. Dies wird auch von der Finanzverwaltung nicht (mehr) bestritten. Es kommt vielmehr letztlich darauf an, ob die Leistung tatsächlich erbracht wurde.1 Selbst wenn das die Leistung empfangende Unternehmen deshalb keine eigenen Aufwendungen erspart, weil ein und dieselbe Dienstleistung mehrfach – z.B. durch ein fremdes oder das die Leistung empfangende Unternehmen selbst – erbracht wird, kann dies nicht zu einer generellen Versagung der Verrechenbarkeit der betreffenden Leistung führen. Zwar wird man im Allgemeinen die Abzugsfähigkeit eines Dienstleistungsentgelts bestreiten müssen, wenn ein Konzernunternehmen einem anderen Konzernunternehmen eine Dienstleistung mit „Verdoppelungseffekt“2 erbringt, z.B. weil sich das die Leistung empfangende Unternehmen diese Leistung selbst erbracht oder von einem fremden Dritten bezogen hat. Dennoch kann in bestimmten Ausnahmefällen z.B. die doppelte oder sogar mehrfache Erbringung einer Beratungsleistung zur Erhöhung der Entscheidungssicherheit des die Leistung empfangenden Konzernunternehmens beitragen (z.B. bei Erhebung einer zweiten Rechtsmeinung in derselben Angelegenheit, „Second Opinion“), was zu einem unmittelbaren Vorteil führt, damit in deren betrieblichem Interesse liegt und so letztlich als betrieblich veranlasst angesehen werden muss.3
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.3. 2 So Tz. 7.11 OECD-Leitlinien 2010. 3 So ausdrücklich Tz. 7.11 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
4. Verrechenbare und nicht verrechenbare Dienstleistungen a) Gesellschafteraufwand/Stewardship-Expenses
6.117
Gesellschafteraufwand. Verwendet man die betriebliche Veranlassung als das Hauptkriterium für die Verrechenbarkeit von Leistungen, sind letztlich alle Maßnahmen, die eine Muttergesellschaft trifft, um ihre Rechte als Gesellschafterin gegenüber ihrer Tochtergesellschaft wahrzunehmen bzw. um deren Tätigkeit zu überwachen, unzweifelhaft bei der Muttergesellschaft betrieblich veranlasst. Infolgedessen sind die daraus resultierenden Aufwendungen nur bei der Muttergesellschaft als Betriebsausgaben abzugsfähig. Die OECD spricht in diesem Fall zutreffend von einem „Gesellschafteraufwand“.1 Dieser ist im Rahmen der Gesellschaftereigenschaft der Muttergesellschaft regelmäßig nicht verrechenbar, da er bei einer gesellschaftsrechtlichen Unabhängigkeit der Tochtergesellschaft nicht erforderlich wäre und ihm daher kein echter Leistungsaustausch zugrunde liegt.2 Vielmehr verfolgt die Muttergesellschaft in diesem Zusammenhang ihre eigenen Interessen, um die zielkonforme Führung ihrer Tochtergesellschaft einschließlich ihrer Verwaltung und Kontrolle zu gewährleisten.
6.118
Qualifikationskonflikte. Allerdings gehen die deutsche Finanzverwaltung und die OECD in ihrem Verständnis vom Umfang des Gesellschafteraufwands auseinander. Die OECD – und mit ihr eine Reihe wesentlicher Industriestaaten, z.B. Japan, Großbritannien und Frankreich3 – reduziert den nicht verrechnungsfähigen Gesellschafteraufwand auf diejenigen Aktivitäten, die mit dem Erwerb und der Verwaltung der Beteiligungen im Zusammenhang stehen, d.h. die im ausschließlichen Beteiligungsinteresse der Muttergesellschaft ausgeführt werden, und den Rückhalt im Konzern.4 Demgegenüber rechnet die deutsche Finanzverwaltung explizit zum nicht verrechenbaren Gesellschafteraufwand bestimmte zentrale Management- und Kontrolltätigkeiten, weil sie aufgrund ihres Charakters nur von der Konzernleitung vorgenommen werden können und deshalb bei dieser betrieblich veranlasst sind.5 Nach Tz. 7.10 der OECD-Leitlinien zählen etwa die hierunter fallende Tätigkeit des Vorstands, die Produktions- und Investitionssteuerung, die Revision sowie die Planung und Koordinierung zu den Leistungskategorien, die einer Verrechnung grundsätzlich zugänglich sind.6 1 Vgl. Tz. 7.9 OECD-Leitlinien 2010; siehe ferner BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.1 u. 6.2.1; BFH v. 19.3.1969 – I R 31/67, BStBl. II 1969, 497. 2 Vgl. Tz. 7.10 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2. 3 Vgl. Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 201 m.w.N. 4 Vgl. Tz. 7.9 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2. 6 Siehe hierzu etwa Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.9 Anm. 6 f. sowie Tz. 7.10 Anm. 1 ff.; Kurzewitz, Wahl
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B. Dienstleistungen
b) Beispiele für nicht verrechenbare Dienstleistungen Nicht verrechenbare Dienstleistungen. Zu den gesellschaftsrechtlich veranlassten und somit nicht verrechenbaren Dienstleistungskategorien gehören insbesondere:1 – Die Leitung und Organisation des Konzerns, die Festlegung der Konzernpolitik sowie die Finanzplanung für den Gesamtkonzern: Hierzu zählen Aufwendungen im Rahmen der dispositiven Tätigkeit des Konzern-Vorstandes, des Konzern-Aufsichtsrates sowie der Gesellschafterversammlung der Konzernspitze. Ferner betreffen sie Leistungen im Zusammenhang mit der Festlegung von Unternehmenszielen und der Unternehmenspolitik einschließlich der Erarbeitung zielorientierter Konzeptionen und Strategien, wie z.B. die rechtliche Organisation des Konzerns, die Unternehmens- und Bereichsdiversifizierung, Maßnahmen zur Risikostreuung, die Gründung neuer Gesellschaften oder eine Kapitalbedarfsplanung für den Gesamtkonzern. – Die Planung von Investitions-, Produktions-, Forschungs- und Absatzmaßnahmen im Gesamtkonzernbereich sowie deren zentrale Koordination: Solche Aufgaben können aufgrund ihres Charakters nur von der Konzernspitze bearbeitet werden und erfolgen ausschließlich im Interesse der Gesamtunternehmung. Eine umfassende Unternehmensplanung und vollständige Integration aller Leistungs- und Unternehmensbereiche sind Bestandteil einer effektiven Unternehmensführung und unabdingbar zur Nutzung möglicher Synergieeffekte im Konzern. – Die Dokumentation der Konzernergebnisse sowie alle Kontrollmaßnahmen zur Überwachung der Aktivitäten der Untergesellschaften: Bei diesen typischen Aufgaben der Konzernspitze geht es im Einzelnen um die Einführung und Überwachung eines einheitlichen Rechnungs- und Berichtswesens, die Konsolidierung des Konzernergebnisses, die Aufstellung einer Weltbilanz und deren Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer. Zu den Kontrollmaßnahmen zählt man die Überwachung der Geschäftsführung der Tochtergesellschaften einschließlich der Analyse und Kontrolle ihres Rechnungswesens, die Innenrevision durch konzerneigene oder fremde Prüfer sowie Informationsbesuche von Vertretern der Konzernspitze bei den Untergesellschaften. – Der sog. Rückhalt im Konzern: Für die Vorteile, die einer Tochtergesellschaft aus der reinen Konzernzugehörigkeit in Form der rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Eingliederung in den Unternehmensverbund bei völliger Passivität der Konzern-Spitzeneinheit erwachsen, darf kein Dienstleistungsentgelt verrechnet werden. Hierzu der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 205 f. m.w.N. 1 Vgl. Tz. 7.10 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.306; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 781 f.; Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 110; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.159.
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6.119
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
zählen bspw. die erhöhte Kreditwürdigkeit, verbilligte Einkaufsmöglichkeiten, die Risikostreuung, das Recht auf Führung des Konzernnamens (Rz. 6.133) sowie günstigere Absatzmöglichkeiten, die einer Konzerngesellschaft im Rahmen ihrer bloßen Zugehörigkeit zum Konzern zur Verfügung stehen.1 Mangels schuldrechtlichen Leistungsaustausches sind Aufwendungen, die in diesem Zusammenhang stehen, nicht verrechenbar. Davon zu unterscheiden sind allerdings Vorteile einer Tochtergesellschaft, die aus unmittelbaren aktiven Handlungen der Muttergesellschaft bzw. Konzernspitze resultieren (z.B. MarketingKampagnen, zentralisierter Einkauf, Cash-Pooling [Rz. 6.538 ff.] etc.).2 Hierbei handelt es sich um abgrenzbare Einzelleistungen, die nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs zu verrechnen sind (Rz. 6.132). c) Beispiele für verrechenbare Dienstleistungen
6.120
Verrechenbare Dienstleistungen. Den nicht verrechenbaren Dienstleistungen steht die Gruppe der eindeutig beim Leistungsempfänger betrieblich veranlassten und damit verrechenbaren Leistungen gegenüber. Hierzu zählen insbesondere die folgenden Dienstleistungen:3 – Gewerbliche Dienstleistungen: Hierunter fallen marktgängige Leistungen, z.B. Leistungen im Bereich des Transportwesens, der Informationsund Nachrichtenübermittlung, der Instandhaltung, der Reinigung und der Bewachung. – Unterstützungs- und Beratungsleistungen in wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Angelegenheiten: Dazu gehören etwa Beratungsleistungen im Bereich der EDV, des Rechnungswesens, des Marketings sowie die zeitlich begrenzte Überlassung von Arbeitskräften im Rahmen einer Dienst- oder Werkleistungsverpflichtung.4 – Geschäftsführungs- und Managementleistungen: Hierbei handelt es sich um Aufgaben, die von der Tochtergesellschaft selbst – z.B. im Rahmen ihrer Geschäftsführungsorgane – erfüllt werden müssten, jedoch von der Obergesellschaft mit dem Ziel erbracht werden, die Tochtergesellschaft zu entlasten oder deren Organe zu ergänzen oder zu ersetzen. Dazu gehören z.B. die konkrete Investitions- und Finanzplanung, die Festlegung des Produktionsprogramms, die Personal- und Beschaffungspolitik, die Erstellung von Marketingkonzepten etc. – Aus- und Fortbildungsleistungen: Hierunter fallen Leistungen der Betreuung, Aus- und Fortbildung von Personal. 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2 Bsp. 1. 2 Vgl. auch Tz. 7.13 OECD-Leitlinien 2010 mit einer Unterscheidung zwischen aktiven (verrechenbaren) und passiven (nicht verrechenbaren) Konzerneffekten. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.1; Tz. 7.2, 7.8, 7.14 u. 7.16 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 769 Tz. 2.1 Abs. 2.
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B. Dienstleistungen
– Überwachungs- und Kontrollleistungen: Solche Leistungen sind nur dann verrechenbar, wenn sie in den Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich der Tochtergesellschaft fallen und insoweit eigene Kosten vermieden werden. Dies betrifft bspw. die Kontrolle der Produktqualität, der Arbeitsproduktivität, die Erstellung von Rentabilitätsrechnungen, die Einrichtung und Überwachung eines unternehmensspezifischen internen Kontrollsystems etc., sofern diese im Auftrag und im Interesse der Tochtergesellschaft durchgeführt werden. – Spezielle Forschungsleistungen: Dazu gehört insbesondere die Auftragsforschung (Rz. 6.168) sowie die Durchführung von Markt- und Verbraucheranalysen. – Leistungsbereitschaft auf Abruf: Grundsätzlich ist eine innerkonzernliche Dienstleistung nur verrechenbar, wenn sie tatsächlich erbracht wird. Dies schließt indessen nicht aus, dass die Verfügbarkeit einer Dienstleistung i.S. einer Bereitschaftsleistung – zusätzlich zur tatsächlichen Leistungserbringung – verrechnet wird. Voraussetzung einer Verrechnung ist allerdings, dass die Leistungsbereitschaft in angemessenem Umfang innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes tatsächlich abgerufen wird und auch ein unabhängiges Unternehmen ein Entgelt für die „auf Abruf“ zur Verfügung stehende Dienstleistung entrichten würde1 (Rz. 6.126). d) Mischleistungen und Aufteilung Aufteilungsgrundsatz. Den beiden Gruppen der nicht verrechenbaren bzw. verrechenbaren Dienstleistungen stehen die sog. Mischleistungen gegenüber. Bei diesen handelt es sich um Dienstleistungen, die sowohl im Interesse der Muttergesellschaft bzw. des Gesamtkonzerns als auch im Interesse einer oder mehrerer Konzerngesellschaften erbracht werden.2 Aufgrund der Notwendigkeit der Zuordnung solcher Dienstleistungen entweder zur gesellschaftsrechtlichen oder schuldrechtlichen Sphäre entsteht die Schwierigkeit, darüber zu entscheiden, welchem Unternehmen die Dienstleistungen Vorteile gebracht haben bzw. in welchem Verhältnis der Vorteil auf die beteiligten Unternehmen entfällt.3 Infolgedessen ist eine Aufteilung in einen verrechenbaren und einen nicht verrechenbaren Teil vorzunehmen. Dies entspricht den Empfehlungen des EU-JTPF zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung, wonach
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.1 Bsp. 5; Tz. 7.16 OECD-Leitlinien 2010; Stock/Kaminski, DB 1997, 1054; Baumhoff in Mössner u. a, Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.308; Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.16 Anm. 1 ff. 2 Vgl. Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.6 Anm. 6 m.w.N. 3 Vgl. Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.6 Anm. 6.
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585
6.121
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
bei Mischleistungen ausdrücklich von einer Kostenaufteilung ausgegangen wird.1
6.122
Keine Verrechnung als Ausnahme. Angesichts der Individualität und Vielfalt konzerninterner Dienstleistungen erweist sich die betriebliche Veranlassung (Rz. 6.110) im Rahmen von Mischleistungen häufig als zu undifferenziert, um eine zweifelsfreie Trennung zwischen verrechenbaren und nicht verrechenbaren Dienstleistungen zu ermöglichen. Daher ist es sinnvoll und zulässig, die bereits erwähnten Hilfskriterien der VWG 19832 (Rz. 6.111 ff.) (Forderung nach einer Abgrenzbarkeit und Messbarkeit der Leistung sowie das Interesse des Leistungsempfängers in Form eines erwarteten Vorteils) in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Diese ergänzenden Hilfskriterien erleichtern die Entscheidung über die Frage, bei welchem Unternehmen die Dienstleistung betrieblich veranlasst ist. Im Übrigen betonen auch die OECD-Leitlinien, dass die Erzielung eines mittelbaren, indirekten, kaum greifbaren oder „nebenbei entstehenden“ Vorteils die Verrechnung einer Dienstleistung nicht rechtfertige.3 Diese Feststellung erscheint allerdings insofern zu pauschal, als bereits festgestellt wurde, dass bei nur mittelbarer betrieblicher Veranlassung die subjektive Zweckbestimmung eines ordentlichen Geschäftsleiters im Rahmen seines Ermessensspielraums darüber entscheidet, ob er eine Leistung als durch seinen Betrieb veranlasst und für diesen geeignet ansieht oder nicht (Rz. 6.110). Daher sollte eine Verrechnung bei mittelbarer oder unbedeutender Vorteilszuwendung nur für den Fall ausgeschlossen bleiben, in dem auch ein ordentlicher Geschäftsleiter solche Vorteile als nicht entgeltfähig betrachten würde.4 In der Praxis der steuerlichen Betriebsprüfung stellen diese Mischleistungen, die letztlich eine Aufteilung in verrechenbaren und nicht verrechenbaren Aufwand erfordern, die typischen Kompromissfälle dar.
6.123
Praktische Bedeutung. Angesichts des international unterschiedlichen Verständnisses vom Umfang des Gesellschafteraufwands wird zwangsläufig sowohl das Vorliegen sog. Mischleistungen als auch die praktische Bedeutung einer Aufteilung international uneinheitlich beurteilt. In Deutschland ist der nicht verrechenbare Gesellschafteraufwand durchaus weit gefasst und bezieht insbesondere zentrale Management- und Kontrolltätigkeiten ein, da sie aufgrund ihres Charakters nur von der Konzernspitze wahrgenommen werden können und deshalb ausschließlich dort betrieblich verlasst sind (Rz. 6.119). Naturgemäß bestehen deshalb größere Überschneidungsbereiche zu verrechenbaren Dienstleistungen. Demgegenüber ist der Bereich des Gesellschafteraufwands in den OECDLeitlinien und nach den Verrechnungspreisgrundsätzen wesentlicher In1 Vgl. KOM (2011) 16 endgültig, Rz. 47. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.2. 3 Vgl. Tz. 7.12 OECD-Leitlinien 2010. 4 Gl.A. Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.6 Anm. 6.
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B. Dienstleistungen
dustriestaaten deutlich eingeengt (Rz. 6.118). Zumeist schließt ein konkreter, quantifizierbarer Nutzen in Gestalt eines wirtschaftlichen oder kommerziellen Werts, den die Leistung erwarten lässt, das Vorliegen von Gesellschafteraufwand aus und führt zu einer Verrechnungspflicht. Praktisch sind Mischleistungen deshalb kaum von Bedeutung.1 Für Deutschland bleibt abzuwarten, ob die anstehende Verordnung zur Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes und die Revision der VWG 1983 in Bezug auf Gesellschafteraufwand zu einer Annäherung an Rz. 7.9 OECD-Leitlinien2 führen werden. e) Übersicht Leistungskategorien. Die folgende Aufstellung nimmt eine Kategorisierung von Leistungen in verrechenbar („ja“) und nicht verrechenbar („nein“) vor. Die Aufstellung ist idealtypisch und sollte hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf den Einzelfall geprüft werden3. ja 1.
2.
nein
Konzernleitung a)
Vorstand, Geschäftsführung, Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung der Muttergesellschaft (Tz. 6.3.2 VWG 1983)
x
b)
Rechtliche Organisation des Gesamtkonzerns (Tz. 6.3.2 VWG 1983)
x
c)
Produktions- und Investitionssteuerung im Gesamtkonzern (Tz. 6.3.2 VWG 1983)
x
e)
Schutz und Verwaltung der Beteiligungen (Tz. 6.3.2 VWG 1983)
x
f)
Konzernführung und Führungsaufgaben nachgeordneter Unternehmen, die die Konzernspitze an sich gezogen hat
x
g)
Zentrale Planung und Koordination der Investitions-, Produktions-, Finanz- und Absatzplanung des Gesamtkonzerns
x
h)
Gründung von Tochtergesellschaften oder Erwerb von Beteiligungen
x
i)
Kapitalerhöhung
x
Koordination und allgemeines Management a)
Horizontale Koordination von konkreten Maßnahmen zwischen Tochtergesellschaften, z.B. Produktion und Verkauf
x
1 Vgl. Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 110. 2 Vgl. Tz. 7.9 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. auch Übersichten bei Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 110; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 781 f.
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6.124
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
3.
4.
588
nein
b)
Vertikale Koordination zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften (Kostenteilung)
x
x
c)
Unterstützung der Tochtergesellschaften gegenüber Behörden zur Erlangung erforderlicher Genehmigungen, z.B. für Export-, Devisentransfer- oder Aufenthaltsgenehmigungen, etwa bei Gesellschaftsgründungen
x
x
(x)
Kosten für Unterstützung im Personalbereich a)
Einrichtung und Durchführung von (Management-) Trainingsprogrammen (ggf. nein, falls Vorstand/ Geschäftsführer)
x
b)
Unterstützung bei der Auswahl und Einstellung von (leitenden) Angestellten
x
c)
Entwicklung von Richtlinien für die Entlohnung
x
d)
Beratung betreffend Personalpolitik und Personalverwaltung
x
Kosten für Finanz- und Rechnungswesen a)
5.
ja
Übernahme von Buchhaltungsarbeiten
x
b)
Konzernbuchhaltung, -budgetierung, -finanzierung
x
c)
Konzernabschluss, Holdingabschluss
x
d)
Deutscher Teilkonzernabschluss
x
e)
Erarbeitung von Rechnungslegungsgrundsätzen
(x)
f)
Unterstützung bei Erstellung des Budgets
x
g)
Einführung eines neuen EDV-Systems
x
h)
Unterstützung bei der Finanzplanung, Kreditaufnahme
x
i)
Interne Revision (ja, wenn Ersatz für eigene Revision)
(x)
j)
Konzernweite Führungs- und Reporting-Systeme für Sparten-/Unternehmensbereichsorganisationen
x
k)
Unterstützung bei der Kostenrechnung
x
l)
Unterstützung bei der Inventur
x
m) Erstellung von Kosten- und Preisanalysen
x
n)
x
Rechnungserstellung oder Factoring
x (x) x
Kosten für Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung a)
Entwicklung von Verträgen
x
b)
Beratung in allgemeinen rechtlichen Fragen, z.B. Exportgenehmigung, Kundeninsolvenz, Versicherungsfragen etc.
x
c)
Gründung der Tochtergesellschaft sowie Kapitalerhöhung/-herabsetzung, Liquidation, Verschmelzung, Formwechsel oder Spaltung
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x
B. Dienstleistungen ja d)
6.
7.
nein
Unterstützung der Tochter-/Schwestergesellschaft beim Erwerb, Verkauf oder der Reorganisation von Beteiligungen
x
e)
Patentanmeldungen, Markenschutz etc.
f)
Kartellrechtliche Verfahren
x
x
g)
Beratung beim Abschluss von Versicherungen
x
h)
Steuerliche Beratung
x
i)
Unternehmensberatung und -bewertung
x
j)
Betriebswirtschaftliche Untersuchungen
x
(x) (x)
Kosten für Produktion a)
Errichtung einer neuen Produktionsstätte einschließlich Planung des Produktionsprozesses und Durchführung
x
b)
Unterstützung bei der Planung neuer Produktionsanlagen (anders ggf. bei Neugründung)
x
c)
Unterstützung bei der Produktplanung im Hinblick auf Wettbewerb und Kundenakzeptanz
x
d)
Technische Einweisung in Produktionsprozesse
x
e)
Unterstützung bei technischen Problemen einschließlich Rufbereitschaft
x
f)
Bau- oder Ingenieurleistungen (anders bei Neugründung)
x
(x)
g)
Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität (anders, wenn nur Kontrolle)
x
(x)
h)
Assistenz bei der Entwicklung von Qualitätskontrollen und Testverfahren
x
i)
Überwachende Qualitätskontrolle
(x)
j)
Wartung, Reinigung, Überholung, Reparatur
x
k)
Unterstützung beim Erwerb von Rohstoffen
x
l)
Auftragsfertigung, Lohnveredelung
x
x
m) Auftragsverpackung
x
Kosten für Marketing und Vertrieb
x
a)
Strategische Gesamtplanung der Gruppe
b)
Informationen über Markt- und Produktentwicklungen
x
c)
Marktstudien, z.B. für Exportmärkte
x
d)
Unterstützung bei der Werbung (Einstellung von Werbefilmen, Prospekten, Beratung etc.)
x
e)
Entwurf von Etiketten, Gebrauchsanweisungen, Übersetzungen
x
f)
Preisstudien betreffend Wettbewerbsprodukte und die Preisfestsetzung
x
x
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(x)
(x)
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch ja g)
8.
9.
Unterstützung bei Verkaufsproblemen
nein
x
h)
Beratung und Schulung betreffend Verkaufstechniken
x
i)
Öffentlichkeitsarbeit/Konzernöffentlichkeitsarbeit
x
(x)
j)
Bildung einer Corporate Identity
x
(x)
k)
Veranstaltung von Messen/Ausstellungen
x
l)
Transport
x
m) Lagerhaltung
x
n)
Vermittlung von Kunden
x
o)
Vermittlung als Handelsvertreter oder Kommissionär
x
Kosten für Forschung und Entwicklung a)
Grundlagenforschung
x
b)
Spezielle Produktforschung, Neuentwicklung, Anwendungsforschung
x
c)
Weiterentwicklung, Produkt- oder Verfahrensalternativen
x
d)
Unterstützung von Laborkontrollen
x
e)
Auftragsforschung
x
Nutzungsüberlassung, Darlehensgewährung und sonstige Leistungen a)
Nutzung des Konzernnamens (Tz. 6.3.2 VWG 1983)
x
b)
Rückhalt im Konzern (Tz. 6.3.2 VWG 1983)
c)
Überlassung materieller Wirtschaftsgüter
x
d)
Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter
x
e)
Überlassung finanzieller Mittel
x
f)
Übernahme von Bürgschaften oder Zahlungsgarantien
x
g)
Sonstige Finanzdienstleistungen
x
x
5. Problembereiche der Dienstleistungsverrechnung a) Schwierigkeit der eindeutigen Beurteilung
6.125
Uneindeutige Leistungsarten. In der Praxis der Dienstleistungserbringung im Konzern wird oft über Leistungsarten und deren Verrechenbarkeit diskutiert, die aufgrund ihrer Konzernspezifizität eine eindeutige Beurteilung hinsichtlich ihrer Verrechenbarkeit nicht zulassen. Hierzu werden exemplarisch im Folgenden vier Leistungsbereiche dargestellt.
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B. Dienstleistungen
b) Leistungsbereitschaft auf Abruf Gesonderte Dienstleistung. Dienstleistungen im Konzern sind gem. Tz. 6.2.3. VWG 1983 grundsätzlich nur dann verrechenbar, wenn sie zuvor auch tatsächlich erbracht wurden. Das bloße Angebot einer Dienstleistungserbringung reicht also nicht aus, da unter Fremden i.d.R. „nur tatsächlich abgenommene Leistungen entgolten werden“1. Diese grundsätzlich einleuchtende und zutreffende Feststellung schließt allerdings nicht aus, dass eine „Leistungsbereitschaft auf Abruf“, also die „Verfügbarkeit“ einer Dienstleistung i.S. einer Bereitschaftsleistung (sog. OnCall-Services) ebenfalls eine gesondert verrechenbare Dienstleistung darstellen kann, zusätzlich zur Verrechnung einer tatsächlich erbrachten Dienstleistung.2 Hierbei werden von der Muttergesellschaft oder einem Dienstleistungszentrum im Konzern Personal, Anlagen usw. zu dem Zweck vorgehalten, einer Konzernunternehmung auf Abruf jederzeit Unterstützung und Beratung in finanziellen, administrativen, technischen, rechtlichen oder steuerlichen Fragen gewähren zu können.3
6.126
Voraussetzungen für die Verrechenbarkeit. Eine solche Leistungsbereitschaft ist allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen verrechenbar. Zunächst muss man davon ausgehen können, dass auch ein unabhängiges Unternehmen unter vergleichbaren Verhältnissen ein Entgelt für diese „auf Abruf“ zur Verfügung stehende Dienstleistung zahlen würde, um deren Verfügbarkeit im Bedarfsfall zu gewährleisten. Das ist z.B. dann nicht der Fall, wenn diese Dienstleistung unverzüglich von anderen Quellen bezogen werden könnte, ohne dass eine Vereinbarung über eine Leistungsbereitschaft abgeschlossen werden müsste.4 Gleiches gilt, wenn der Bedarf an solchen Dienstleistungen gering ist oder der mit der Leistungsbereitschaft verbundene Vorteil nicht nennenswert ist.5 Die OECD-Leitlinien nennen in Tz. 7.16 als Beispiel für verrechenbare Bereitschaftsleistungen unter Fremden das Anwaltsbüro, das von einem unabhängigen Unternehmen eine jährliche Bereitstellungsgebühr erhält und sich so den Anspruch auf Rechtsberatung und Prozessvertretung im Streitfall sichert; oder ein Dienstleistungsvertrag für die bevorzugte Behandlung bei Reparaturen im Computernetz bei Störfällen (sog. „Trouble-Shooting“). Gleiches gilt für die sog. redundante Rechner- bzw. Serverkapazität für den Fall, dass der eigene Rechner oder Server ausfällt. Neben dem Recht auf jederzeitige Inanspruchnahme der Dienstleistung gilt als wichtigste Voraussetzung für eine Verrechenbarkeit, dass die Leistungsbereitschaft in angemessenem Umfang innerhalb eines überschaubaren Zeitraums auch tatsächlich abgerufen wird.6 Somit bleibt eine Verrechenbarkeit für all die
6.127
1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.3. 2 Vgl. insoweit Tz. 7.16 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.1. Bsp. 5. 3 Vgl. Tz. 7.16 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 7.17 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 7.17 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. insoweit ausdrücklich BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.1. Bsp. 5.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Fälle ausgeschlossen, in denen die Leistungen nicht oder nur äußerst selten in Anspruch genommen werden, da der Vorteil für den Leistungsempfänger dann i.d.R. „nicht nennenswert“ ist1.
6.128
Maßgeblichkeit des Fremdvergleichs. Da sich Umfang und Bedeutung der abgerufenen Dienstleistungen von Jahr zu Jahr ändern können, ist bei der Beurteilung i.d.R. von einem schwankenden Leistungsfluss auszugehen.2 Unklar ist der genaue Zeitraum, innerhalb dessen die Leistungen abgerufen werden sollen. Während Einigkeit darüber besteht, dass der Leistungsfluss über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg beobachtet werden muss,3 lehnen Stock/Kaminski einen Vorschlag aus der Literatur, hierfür den „Betriebsprüfungszeitraum, mindestens aber vier Jahre“ heranzuziehen,4 mit der Begründung ab, dass eine solche Interpretation weder im Gesetz noch in den VWG irgendeine Stütze fände. Entscheidend ist, dass die Leistungen innerhalb des mehrjährigen Zeitraums auch tatsächlich abgerufen werden.5 Nach zutreffender Auffassung von Becker/Kroppen ist für die Verrechenbarkeit dem Grunde nach allein der Fremdvergleich ohne Bindung an starre zeitliche Fristen maßgeblich.6 Dies entspricht im Ausgangspunkt der Auffassung der OECD-Leitlinien. Ein geringer Bedarf oder die Nichtabnahme über einen bestimmten Zeitraum sind dann unbeachtlich, wenn die angebotene Leistungsbereitschaft Versicherungscharakter hat und der Schaden bei Verzug der Leistungsbereitstellung unverhältnismäßig groß wäre, wie dies z.B. bei der sog. redundanten Serverkapazität der Fall ist.7 Letztlich entscheidend ist, dass sowohl die Kriterien der OECD-Leitlinien als auch diejenigen der VWG 1983 allenfalls indiziellen Charakter haben, für sich genommen aber nicht geeignet sind, den erforderlichen Fremdvergleich sachgerecht einzuschränken. Es ist jedoch insbesondere dann, wenn die entsprechenden Dienstleitungen über einen mehrjährigen Zeitraum nicht oder allenfalls in marginalem Umfang abgerufen werden, Sache des Steuerpflichtigen darzulegen, dass auch fremde Dritte allein die Leistungsbereitschaft vergütet hätten. Auf die Marktüblichkeit der Bereitstellung bestimmter konzerninterner Dienstleistungen, so wie es die VWG 1983 fordern,8 kann es jedenfalls dann nicht an1 So Tz. 7.17 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.3. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.3. 4 Vgl. Stock/Kaminski, DB 1997, 1054. 5 So ausdrücklich BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.3. 6 Vgl. Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.16 und 7.17 Anm. 4. 7 Vgl. Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.16 und 7.17 Anm. 4; siehe auch Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 107. 8 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.1. Bsp. 5.
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B. Dienstleistungen
kommen, wenn es um die Bereitstellung konzernspezifischer Dienstleistungen geht (Rz. 6.92), die selbst nicht marktgängig sind.1 Perspektive des konzerninternen Dienstleisters. Dagegen will das EUJTPF für konzerninterne Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung – allerdings für die Verrechnung der Höhe nach – in dem Fall, dass Dienstleistungen in einem Jahr nicht in Anspruch genommen werden, für das Folgejahr darauf abstellen, „wie hoch der Leistungserbringer das Risiko einschätzt und welche Risikobereitschaft der Dienstleistungserbringer hat“2. Grundsätzlich ist die Perspektive des Leistungserbringers für die Verrechnung dem Grunde nach unbeachtlich. Dem Leistungsempfänger muss – wie bei jeder anderen Dienstleistungsverrechnung – aus der Leistungsbereitstellung ein Nutzen erwachsen, d.h. diese gesonderte Dienstleistung muss entweder einen Vorteil erwarten lassen oder eigene Aufwendungen ersparen (Rz. 6.111). Anderenfalls ist unter fremden Dritten eine Dienstleistungsgebühr nicht vorstellbar. In der Praxis ist diese Fragestellung vornehmlich dann relevant, wenn die Leistungsbereitschaft auf marktgängige Leistungen gerichtet ist, die jederzeit vom Markt bezogen werden können. Grundsätzlich ist die Interessenslage des konzerninternen Dienstleisters ebenso wie dessen Risikoneigung nicht von Bedeutung. Es sollte davon auszugehen sein, dass seine Verfügbarkeit und Leistungsbereitschaft zu den Grundinteressen bezogen auf die Leistungserbringung gehören. Speziell für konzerninterne Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung ist überdies davon auszugehen, dass der konzerninterne Dienstleister als Routineunternehmen einzuordnen ist. Dementsprechend muss gewährleistet sein, dass der Dienstleister „bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“3 erzielt. Von Verlusten werden Routineunternehmen – bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf – durch den Auftraggeber freigehalten, was durch die kostenorientierte Entgeltsbemessung gewährleistet ist.4 Hiermit verträgt sich die Auffassung des EU-JTPF nicht, dass der Risikobereitschaft des konzerninternen Dienstleisters irgendeine Bedeutung zukäme.
6.129
Verrechnung der Höhe nach. Speziell für die Leistungsbereitschaft auf Abruf stellen sich für die Verrechnung der Höhe nach spezifische Fragen, die letztlich darauf zurückzuführen sind, dass zwischen der Leistungsbereitschaft und der tatsächlich abgerufen und in Anspruch genommenen Dienstleistung ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang besteht.
6.130
1 So im Ergebnis wohl auch Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.16 und 7.17 Anm. 5. 2 EU-JTPF, Leitlinien zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise4, 372 ff. Tz. 93. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 4 Siehe zu einem infrage kommenden temporären Gewinnverzicht in Phasen gesamtwirtschaftlicher oder branchenbezogener Krisen aber auch Baumhoff in FS Krawitz, 32 f.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Grundsätzlich ist nicht nur für die Verrechnung dem Grunde nach, sondern auch für die Verrechnung der Höhe nach strikt zwischen Leistungsbereitstellungen und den Dienstleistungen zu unterscheiden, die konkret abgerufen werden, d.h. auf deren Erbringung die Bereitstellung letztlich gerichtet ist. Es handelt sich jeweils um gesonderte Dienstleistungen, für die ein fremdvergleichskonformer Verrechnungspreis zu bestimmen ist. Dies sollte der Auffassung der OECD entsprechen.1 Demgegenüber hält es das EU-JTPF für möglich, dass die Infrastrukturkosten vollständig zzgl. einer „Handelsspanne“ bereits für die Abrufleistungen weiterbelastet werden können, dafür aber die Inanspruchnahme der vereinbarten Dienstleistungen dem potenziellen Leistungsempfänger nicht berechnet wird.2 Dies ist unzutreffend. Über eine Stand-by-Charge können grundsätzlich nicht sämtliche Kosten bereits weiterbelastet werden. Der überwiegende Teil der Selbstkosten des Leistungserbringers muss entsprechend dem Umfang der tatsächlichen Inanspruchnahme belastet werden, während die Abrufleistung grds. von allen potenziellen Leistungsempfängern in Anspruch genommen wird und dementsprechend zu verrechnen ist (Umlagefall).3 c) Rückhalt im Konzern
6.131
Begriffsverständnis. Die Dauerdiskussion, ob der sog. „Rückhalt im Konzern“ eine verrechenbare Leistung darstellt, ist allein auf die uneinheitliche und unpräzise Definition dieses Begriffs zurückzuführen. Bedient man sich einer engeren, betriebswirtschaftlich orientierten Begriffsdefinition, so setzt man den Rückhalt im Konzern mit der sog. passiven Konzernwirkung (Konzerneffekte) gleich. Hierunter werden alle Vor- und Nachteile verstanden, die sich bei völliger Passivität der Konzernleitung allein aus der Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund ergeben. Hierzu zählt man z.B. eine erhöhte Kreditwürdigkeit, verbilligte Einkaufsmöglichkeiten, Risikostreuung, das Recht auf Führung des Konzernnamens oder günstigere Absatzmöglichkeiten.4 Aufgrund der Erkenntnis, dass der Gesamtgewinn eines Konzerns auf das Zusammenwirken aller Konzerngesellschaften zurückzuführen ist, die entsprechend ihrem Anteil an Leistungserstellung und -verwertung ihren Gewinnbeitrag leisten, ist eine Verrechnung der passiven Konzerneffekte schon deshalb unzulässig, weil als Steuerbemessungsgrundlage nur der tatsächlich erwirtschaftete Erfolg der einzelnen Konzernunternehmung angesehen werden darf, bei Verrechnung der Konzerneffekte hingegen alle auf die Verbundenheit zurückzuführenden Einflüsse eliminiert würden und der Besteuerung damit ein fiktiver Erfolg zugrunde gelegt würde. Daneben müsste eine Verrechnung des Konzernrückhalts sowohl aufgrund 1 2 3 4
Vgl. Tz. 7.16 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. KOM (2011) 16 endgültig, Rz. 92. Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 106 ff. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2. Bsp. 1.
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B. Dienstleistungen
mangelnder Erfassbarkeit und Quantifizierbarkeit als auch wegen des Fehlens eines Leistungsaustausches scheitern, zumal der Konzernrückhalt keine eigenständige Leistung eines bestimmten Unternehmens darstellt. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass jedes Konzernmitglied im Allgemeinen so viel zum Konzernrückhalt beiträgt, wie es andererseits vom Rückhalt profitiert, so dass unabhängig von den übrigen Gründen schon deshalb eine gegenseitige Berechnung entfallen sollte.1 Abgrenzung zu aktiven Konzerneffekten und Handlungen. Von den passiven Konzerneffekten sind aktive Konzerneffekte ebenso abzugrenzen wie aktive Handlungen der Konzernleitung bzw. Spitzeneinheit. Die Forderung einiger Autoren, eine Verrechenbarkeit des Konzernrückhalts nicht generell abzulehnen, sondern stattdessen darüber im Einzelfall zu befinden,2 ist die Konsequenz einer unzulässigen Begriffsausweitung. Entgegen den ursprünglich festgelegten Prämissen, unter dem Konzernrückhalt allein die reine Konzernzugehörigkeit in Form einer rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Eingliederung in den Unternehmensverbund bei völliger Passivität der Spitzeneinheit zu verstehen, werden hierunter oftmals (aktive) Leistungen zusammengefasst, für die diese Definition nicht zutrifft. Dies ist letztlich als Ursache des Meinungsstreits über die Verrechenbarkeit des Rückhalts im Konzern anzusehen. Hierbei versteht man unter aktiven Konzerneffekten alle Eingriffe der Spitzeneinheit in den Betriebsablauf der Einzelgesellschaften, wie Entscheidungen über die künftige Absatz-, Beschaffungs-, Produktions-, Investitions-, Finanz-, Forschungs- und Entwicklungs-, Personal- und Sozialpolitik oder gar über Betriebsstillegungen. Dagegen können sich aktive Handlungen der Konzernspitze auf das gesamte Spektrum konzerninterner Dienstleistungen und Nutzungsüberlassungen erstrecken. So sind z.B. weltweite Marketingund PR-Kampagnen einer Konzernobergesellschaft sowie ein einheitlicher Internetauftritt, die den einzelnen Konzernunternehmen eigene Werbeaufwendungen ersparen, als verrechenbare Dienstleistungen anzusehen, weil sie auf aktiven Handlungen einer Konzerngesellschaft beruhen3 und zum Vorteil der einzelnen Konzerngesellschaften erbracht werden. Gleiches kann ggf. gelten für spezielle Garantiezusagen (z.B. Bürgschaftsoder „harte“ Patronatserklärungen) zugunsten bestimmter Konzerngesellschaften zwecks Erhöhung der Kreditwürdigkeit,4 das Recht auf Benutzung von Konzernmarken, Rückgriffmöglichkeiten auf Know-how und Patente,5 die Bereitschaft bestimmter Spezialabteilungen, rechtliche, fi1 Vgl. Neubauer, JbFSt 1974/1975, 280 f.; Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.13 Anm. 4. 2 Vgl. Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz 6.3.2. VWG. 3 Vgl. Tz. 7.13 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3.3. 4 Vgl. Tz. 7.13 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.4. 5 Einschließlich Vorrats- und Sperrpatente, vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5.1.1.
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6.132
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nanzielle oder technische Probleme (auf Abruf) zu lösen (Rz. 6.126), oder die Beratung bei der Beschaffung von Gütern und Leistungen. Hierbei handelt es sich um eindeutig abgrenzbare und verrechenbare Einzelleistungen, die allein schon aufgrund der Notwendigkeit des aktiven Tätigwerdens der Spitzeneinheit oder einer anderen beauftragten Konzerngesellschaft ex definitione nicht zum Konzernrückhalt zählen können und daher anderen Leistungsbereichen zuzuordnen sind. Auch die OECDLeitlinien unterscheiden in Tz. 7.13 ausdrücklich zwischen passiven (d.h. nicht verrechenbaren) und aktiven (d.h. verrechenbaren) Konzerneffekten.
6.133
Einbeziehung des Rechts auf Führung des Firmennamens. Die Finanzverwaltung bezieht das Recht, den Firmennamen der Spitzeneinheit zu führen, ausdrücklich in das Begriffsverständnis vom „Rückhalt im Konzern“ ein.1 Dementsprechend ist die Einräumung dieses Rechts nicht entgeltfähig. Die Verleihung eines Firmennamens ist die Aufgabe bzw. Pflicht des Gründers (Gesellschafters) und gehört damit zur „Grundausstattung“ der neu gegründeten Gesellschaft. Sie ist durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und kann deshalb nicht Gegenstand von zusätzlichen schuldrechtlichen Verträgen sein. Etwas anderes kann sich allerdings ergeben, wenn der Firmenname auch als Marke für die Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen genutzt wird, mithin also firmennamensgleiche Marken zur Nutzung überlassen werden. In diesem Fall sind nach dem BFH-Urteil v. 9.8.2000 Marken und Markenrechte als produkt- und dienstleistungsidentifizierte Kennzeichnungen einerseits und Firmenbzw. Unternehmensbezeichnungen als besondere Bezeichnungen des Geschäftsbetriebs andererseits strikt voneinander zu trennen.2 Die Firma ist der Name des Kaufmanns, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt.3 Dagegen wird die vom Firmenträger gewählte Schreibweise oder sonstige grafische Gestaltung der Firma nicht Firmenbestandteil, auf dessen Eintragung er einen Anspruch hätte.4 Die Firma ist mit dem Handelsgeschäft derart verknüpft, dass sie nur zusammen mit dem Handelsgeschäft veräußert werden kann, für welches sie geführt wird.5 Ferner genießt die Firma sowohl öffentlich-rechtlichen als auch privatrechtlichen Schutz.6 Im Gegensatz dazu können als Marke alle Zeichen geschützt werden, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Eine Marke kann neben Wörtern auch grafische Gestaltungen, Farben etc. beinhalten.7 Markenschutz entsteht insbesondere durch die 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2. 2 Vgl. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. 3 Vgl. § 17 Abs. 1 HGB. Die Anforderungen an eine ordnungsmäßige Firma sind insbesondere in §§ 18, 19 u. 30 HGB geregelt. 4 Vgl. KG Berlin v. 23.5.2000 – 1 W 247/99, BB 2000, 1957. 5 Vgl. § 23 HGB. 6 Vgl. § 37 Abs. 1 u. Abs. 2 HGB, §§ 12, 823 u. 826 BGB, § 1 UWG sowie § 15 MarkenG. 7 Vgl. § 3 Abs. 1 MarkenG.
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B. Dienstleistungen
„Eintragung eines Zeichens als Marke in das vom Patentamt geführte Register.“1 Der Markenschutz gewährt dem Inhaber der Marke das Recht, jeden Dritten von der Nutzung der Marke auszuschließen.2 Firma und Marke haben damit zwar gemeinsam, dass beide in ein Register einzutragen sind und dem Inhaber ermöglichen, andere von der Nutzung auszuschließen. Sie unterscheiden sich aber hinsichtlich ihrer Funktion und ihrer Inhalte. Daher sind sie unabhängig voneinander verwertbar und aufgrund dessen sowohl rechtlich als auch hinsichtlich ihrer steuerlichen Verrechenbarkeit unterschiedlich zu behandeln.3 Möchte demnach eine Muttergesellschaft ihrer Tochtergesellschaft ermöglichen, sowohl den Konzernnamen zu führen als auch die gleichlautende Konzernmarke zu nutzen, handelt es sich um zwei rechtlich zu trennende Vorgänge. Die Zuweisung der Firma ist auf der Ebene des gesellschaftsrechtlichen Gründungsaktes anzusiedeln. Eine Vergütung für die Zuweisung der Firma kommt nicht in Betracht. Da es sich um einen Akt der „Dotation“ handelt, kann für Bestandteile eines bekannten Konzernnamens nichts anderes gelten als für jede andere Firma. Die Gewährung von Nutzungsrechten an der Marke erfolgt demgegenüber auf schuldrechtlicher Ebene. Die Überlassung von (werthaltigen) immateriellen Wirtschaftsgütern zur Nutzung ist zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften grundsätzlich als entgeltfähiger Vorgang anzusehen, der mittels einer Fremdvergleichslizenz zu verrechnen ist. Dies gilt auch dann, wenn die Firma des Lizenznehmers der Markenbezeichnung entspricht, da der Inhaber einer Firma nicht ohne weiteres zur Nutzung einer gleichlautenden Marke berechtigt ist. Soweit eine überlassene Marke werthaltig ist, kann sie einem verbundenen Unternehmen unter den gleichen Umständen wie einem fremden Dritten überlassen werden. Eine Werthaltigkeit ist grundsätzlich dann gegeben, wenn die Konzernmarke entsprechend den Voraussetzungen des § 4 Nr. 1–3 MarkenG entweder rechtlich wirksam eingetragen oder in den beteiligten Verkehrskreisen bzw. „notorisch“ bekannt ist.4 Sind Firmenname und Markenname identisch, so hat das Namensrecht gegenüber dem Markenrecht zumindest teilweise zurückzutreten.5 Daher ist der in der Literatur und dem – durch das BFH-Urteil v. 9.8.2000 revidierten – Urteil des FG Rh.-Pf. v. 14.12.19986 vertretenen Auffassung, wonach die Frage der Entgeltfähigkeit davon abhängig sei, ob das Schwergewicht auf der Firmenbezeichnung oder der Markenrechtsüberlassung liege,
1 § 4 Nr. 1 MarkenG. 2 Vgl. § 14 Abs. 1 MarkenG. 3 Vgl. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246; zu diesem Urteil vgl. auch Lahodny-Karner/Furherr, SWI 2001, 301; Borstell/Wehnert, IStR 2001, 127; Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, N Rz. 403 ff. 4 Siehe zur Werthaltigkeit einer Marke auch Brändel, Verrechnungspreise bei grenzüberschreitender Lizenzierung von Marken im Konzern, 55 ff. 5 Vgl. § 23 MarkenG. 6 Vgl. FG Rh.-Pf. v. 14.12.1998 – 5 K 2821/96, EFG 1999, 499.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
keine Bedeutung beizumessen.1 Vielmehr ist dieser Umstand allenfalls für die Bestimmung der Höhe des Lizenzentgelts relevant.2 Hinsichtlich der Frage, ob ein Lizenzentgelt für eine Markenüberlassung – auch bei gleichzeitiger Identität mit dem Firmennamen – dem Grunde nach zu verrechnen ist, ist letztlich darauf abzustellen, ob die mit der Einräumung des Nutzungsrechts „verbundenen besonderen und marktfähigen Schutzrechte geeignet sind, zur Absatzförderung beizutragen“3. Es reicht somit bereits die Möglichkeit aus, mit der Benutzung einer Marke absatzwirtschaftliche Vorteile zu erzielen, unabhängig davon, ob die Benutzung der Marke „tatsächlich zu einer Absatzsteigerung und/oder zu einer Erhöhung des einschlägigen Marktanteils geführt hat.“4 Entscheidend ist somit die sog. ex-ante-Betrachtung, wonach zum Zeitpunkt des Abschlusses eines Lizenzvertrages mit markenbedingten absatzwirtschaftlichen Vorteilen gerechnet werden konnte.
6.134
BMF-Schreiben vom 29.3.2011. Mit Schreiben vom 29.3.20115 hat das BMF zur Anwendung von § 1 AStG auf Teilwertabschreibungen und Forderungsverzichte auf Konzerndarlehen an ausländische Tochterkapitalgesellschaften Stellung genommen und die bis dahin bereits in Betriebsprüfungen vertretene Rechtsauffassung „offiziell“ bestätigt (Rz. 6.482).6 Die Finanzverwaltung glaubt u.a. der Rechtsprechung des BFH Rechnung zu tragen, wonach die fehlende Besicherung konzerninterner Darlehen aufgrund einer bestehenden Konzernbeziehung unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar ist. Konkret hat der BFH die Fremdüblichkeit der fehlenden Besicherung eines von einem beherrschenden Gesellschafter ausgereichten Darlehens auf die Einflussnahmemöglichkeiten des beherrschenden Gesellschafters und auf dessen gesellschaftsrechtlich bestehende Möglichkeit gestützt, für die Rückzahlung des Darlehens Sorge tragen zu können.7 Demgegenüber begreift die Finanzverwaltung die Konzernbeziehung als ein Quasi-Sicherungsverhältnis, das zwischen der Konzernobergesellschaft und einer Tochtergesellschaft begründet werden kann. Sie fasst dies begrifflich unter den 1 So ausdrücklich BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246; Baumhoff, IStR 1999, 534. 2 Hinsichtlich der wertdeterminierenden Faktoren einer Markenlizenz stellt der BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246 insbesondere darauf ab, wer den Wert der Marke geschaffen und wer die Aufwendungen für deren Begründung und Erhalt (z.B. Marketingaufwendungen) getragen hat. Zur Markenwertmessung im Allgemeinen vgl. Rohnke, DB 1992, 1941 f.; Stein/Ortmann, BB 1996, 788 f.; Havenstein/Heiden, BB 2003, 1275 f.; Brändel, Verrechnungspreise bei grenzüberschreitender Lizenzierung von Marken im Konzern, 76 ff. m.w.N. 3 BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. 4 BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. 5 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277. 6 Siehe hierzu im Einzelnen Ditz/Liebchen, IStR 2012, 97 ff. 7 Vgl. BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, BFHE 176, 571 = FR 1995, 476; v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482.
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B. Dienstleistungen
„Rückhalt im Konzern“. Dies geht letztlich auf eine von Vertretern der Finanzverwaltung vorgenommene Trennung von Sicherungs- und Darlehensverhältnis zurück, wonach die Konzernobergesellschaft gegenüber ihrer darlehensnehmenden Tochtergesellschaft sowohl als Sicherungswie als Darlehensgeber auftreten können soll, nämlich durch „Gewährung“ des Rückhalts im Konzern.1 Vom bestehenden Rückhalt im Konzern soll nach dem BMF-Schreiben auszugehen sein, „solange der beherrschende Gesellschafter die Zahlungsfähigkeit der Tochtergesellschaft (Darlehensnehmer) gegenüber fremden Dritten (im Außenverhältnis) tatsächlich sicherstellt bzw. solange die Tochtergesellschaft ihre Verpflichtungen im Außenverhältnis erfüllt“2. Ferner geht die Finanzverwaltung davon aus, dass der Rückhalt im Konzern als faktische Sicherheit nachträglich entfallen kann, und zwar bei fortbestehender konzerninterner Einbindung des Darlehensnehmers. Dies soll etwa dann vorliegen, wenn der beherrschende Gesellschafter nicht mehr dafür sorgt, dass der Darlehensnehmer seine Außenverpflichtungen gegenüber fremden Dritten erfüllt.3 Gleiches soll gelten, wenn der beherrschende Gesellschafter gegenüber einem fremden Dritten, der im Vertrauen auf den Rückhalt im Konzern einer nahe stehenden Gesellschaft Darlehen ohne tatsächliche Sicherheit gewährt hat, diesen Rückhalt im Konzern tatsächlich nicht gewährt hat.4 Schließlich will die Finanzverwaltung einen funktionsfähigen Rückhalt im Konzern auch dann nicht mehr annehmen, wenn die wirtschaftliche Situation des beherrschenden Gesellschafters bzw. des Konzerns insgesamt erkennen lässt, dass auf Grund des Rückhalts im Konzern keine Zahlungen geleistet würden bzw. geleistet werden könnten.5 Die Auffassung der Finanzverwaltung wird im Wesentlichen durch ein kürzlich ergangenes Urteil des FG Berlin-Brandenburg gestützt, wobei die Revision beim BFH abzuwarten bleibt.6 Ablehnung dieses Begriffsverständnisses. Sowohl das Grundverständnis der Finanzverwaltung vom Gegenstand des Rückhalts im Konzern wie auch die in Betracht gezogene Möglichkeit, der Konzernrückhalt könne bei fortbestehender Konzernbeziehung nachträglich entfallen, sind mit einem von passiven Konzerneffekten getragenen Begriffsverständnis nicht zu vereinbaren (Rz. 6.131). Passive Konzerneffekte erwachsen allein aufgrund der Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund – und insbesondere 1 Vgl. auch Eisgruber in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 162. 2 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 11. 3 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 15, 1. Spiegelstrich. 4 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 15, 2. Spiegelstrich. 5 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 15, 3. Spiegelstrich. 6 FG Berlin-Brandenburg v. 30.1.2013 – 12 K 12056/12 (n.rkr., Az. BFH I R 23/13), EFG 2013, 1560. Vgl. hierzu ausf. Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 ff.
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6.135
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– zwangsläufig. Ihnen kann sich die jeweilige Konzerngesellschaft nur durch Ausscheiden aus dem Unternehmensverbund entziehen. Ebenso wenig kann der „Rückhalt im Konzern“ durch die Spitzeneinheit „gewährt werden“, und zwar weder an Konzerngesellschaften noch an fremde Dritte. Richtigerweise kann die Spitzeneinheit über den Rückhalt im Konzern nicht disponieren. Es erübrigt sich deshalb auch die Frage, ob er auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage, d.h. unentgeltlich, oder auf schuldrechtlicher Grundlage, d.h. entgeltlich, zur Verfügung gestellt wird. Schließlich sollte berücksichtigt werden, dass passive Konzerneffekte nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile verkörpern. Nach dem „neuen“ Verständnis der Finanzverwaltung wirkt die Konzernobergesellschaft dagegen aktiv auf die Tochtergesellschaft ein, ihren Verpflichtungen im Außenverhältnis nachzukommen, und gewährleistet die Zahlungsfähigkeit der ausländischen Tochter-Kapitalgesellschaft notfalls durch Kapitalzuführungen. Die Finanzverwaltung versteht den Rückhalt im Konzern somit als Kreditsicherheit („Konzernhaftung“ als harte Besicherung). Diese Auffassung steht im Widerspruch zur jüngeren Rechtsprechung des BGH, nach der nur die konzernextern gegebene harte Patronatserklärung einen solchen Kreditsicherungscharakter entfalten kann.1 Das „neue“ Begriffsverständnis steht ferner nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH, der die Fremdüblichkeit der fehlenden Besicherung eines von einem beherrschenden Gesellschafter ausgereichten Darlehens nicht auf den „Rückhalt im Konzern“, sondern auf Einflussnahmemöglichkeiten des beherrschenden Gesellschafters und auf dessen gesellschaftsrechtlich bestehende Möglichkeit gestützt hat, für die Rückzahlung des Darlehens Sorge tragen zu können.2 Für die von der Finanzverwaltung ausgemachte Unterscheidung zwischen Darlehensgewährung und Gewährung des Rückhalts im Konzern als Sicherungsinstrument besteht kein Raum. Dass dies wohl im Ergebnis auch von der Finanzverwaltung nicht anders beurteilt wird, lässt sich aus der Rechtsfolge ableiten, die die Finanzverwaltung bei Teilwertabschreibungen und Forderungsverzichten auf Forderungen aus solchen Darlehen ziehen will. Denn konsequent zu Ende gedacht, müsste die fehlende Entgeltlichkeit der Sicherungsgewährung zum Ansatz einer fremdvergleichskonformen Avalprovision führen. Stattdessen wird jedoch der Aufwand aus der Teilwertabschreibung bzw. dem Forderungsverzicht für Veranlagungszeiträume vor 2008 nach § 1 AStG korrigiert.3 Insgesamt bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Finanzverwaltung ihre Rechtsauffassung geändert hätte. Tatsächlich handelt es sich um ein spezielle Scheinargumentation bzw. ein Hilfskonstrukt, das schon für konzerninterne Darlehensbeziehungen nicht überzeugend ist. An der fehlenden Verrechenbarkeit des
1 Vgl. BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, GmbHR 2011, 769. Siehe ferner Roser, GmbHR 2011, 845. 2 Vgl. BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, BFHE 176, 571 = FR 1995, 476; v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482. 3 Für VZ ab 2008 gelten § 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG.
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B. Dienstleistungen
Rückhalts im Konzern sollten im Einklang mit den VWG 1983 keine ernsthaften Zweifel bestehen.1 d) Koordinierung und Kontrolle Gesellschafteraufwand. Koordinierungsmaßnahmen der Spitzeneinheit, die mit dem Ziel durchgeführt werden, die Tätigkeiten der Konzerngesellschaften zielorientiert unter Nutzung möglichst aller Verbundeffekte zu planen und zu steuern, zählen grundsätzlich zum Interessenbereich zu und den Pflichten eines Gesellschafters. Die dazu notwendigen Aufwendungen sind deshalb nicht verrechenbar.2 Diese zentrale Koordination umfasst neben einer konzernweit abgestimmten Investitions-, Produktions- und Absatzplanung im Gesamtverbund die Steuerung des Lieferungsund Leistungsaustausches zwischen sämtlichen Konzerngesellschaften einschließlich der Spitzeneinheit.
6.136
Gemeinschaftliche Interessen. Daneben sind bei verbundenen Unternehmen auch solche Koordinierungsleistungen erforderlich, die sowohl im Interesse der Mutter- als auch der Tochtergesellschaft liegen. So erfolgt die unmittelbare Abstimmung des Lieferungs- und Leistungsaustausches zwischen der Muttergesellschaft und einer bestimmten Tochtergesellschaft (vertikale Koordination) oder zwischen zwei bestimmten Schwestergesellschaften (horizontale Koordination) im Interesse beider Gesellschaften; sie ist bei beiden Beteiligten betrieblich veranlasst und damit als verrechenbare Leistung anzusehen. Die Aufteilung des Aufwandes erfolgt nach dem Grad des Interesses an der Koordinationsleistung, der nur im Schätzwege bzw. anteilig bestimmt werden kann. Erspart sich eine Tochtergesellschaft durch Koordinierungsleistungen der Muttergesellschaft die Durchführung eigener Koordinationsaufgaben, so sind diese Leistungen der Tochtergesellschaft ebenfalls anteilig in Rechnung zu stellen.
6.137
Kontrollleistungen. Eine ähnlich differenzierende Betrachtungsweise gilt für den Bereich der Kontrollleistungen. Wie bereits festgestellt, erfolgen alle Maßnahmen, die eine Obergesellschaft zur Überwachung und Kontrolle ihrer Untergesellschaft trifft, in ihrem Interesse als Gesellschafterin (Rz. 6.117). Hier liegt kein Leistungsaustausch vor. Die Untergesellschaften sind lediglich Gegenstand der Kontrolle. Vielmehr sind die entsprechenden Aufwendungen nicht verrechenbar und nur bei der Obergesellschaft als Betriebsausgaben abzugsfähig. Diesen gesellschaftsrechtlich bedingten Leistungen stehen Kontrolltätigkeiten der Muttergesellschaft oder damit beauftragten Tochtergesellschaften (wie z.B. regionalen Konzernverwaltungsstellen) gegenüber, die gleichzeitig oder ausschließlich zum Vorteil der Tochtergesellschaft erbracht werden. In diesem Zusam-
6.138
1 Siehe zu Folgefragen z.B. Kaminski/Strunk, Stbg 2011, 249 ff.; Prinz/Scholz, FR 2011, 927 f. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2. sowie BFH v. 19.3.1969 – I R 31/67, BStBl. II 1969, 497.
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menhang werden Dienstleistungen ersetzt, die die Tochtergesellschaft zur Kontrolle ihrer eigenen unternehmerischen Betätigung benötigt und daher bei dieser zu ersparten Aufwendungen führen. Solchen Kontrollleistungen, wie z.B. die Kontrolle der Produktqualität, der Arbeitsproduktivität oder der Kosten, liegt ein Leistungsaustausch zugrunde, der vom Leistungsempfänger zu vergüten und dort als Betriebsausgabe abzugsfähig ist. e) Revision
6.139
Konsolidierung und Prüfung. Zu den Kontrolltätigkeiten im weiteren Sinne zählen auch Revisionsleistungen, deren Verrechenbarkeit oft grundsätzlich bestritten wird. Dies gilt allerdings nur für Prüfungstätigkeiten der Spitzeneinheit bei den Konzerngesellschaften und die Konsolidierung der Einzelergebnisse einschließlich der damit verbundenen Prüfung durch die eigene Revisionsabteilung oder eine beauftragte Prüfungsgesellschaft. Diese Tätigkeiten sind eindeutig gesellschaftsrechtlich bedingt und erfolgen ausschließlich im Interesse der Muttergesellschaft. Allerdings können Konsolidierungsleistungen im Interesse z.B. einer Zwischengesellschaft sein, wenn durch den Konzernabschluss der Muttergesellschaft diese Gesellschaft von der Notwendigkeit der Aufstellung und Prüfung eines Teilkonzernabschlusses befreit wird.
6.140
Eigeninteresse der Konzerngesellschaft. Daneben können Leistungen einer zentralen Revisionsabteilung auch im Interesse der Konzerngesellschaften erfolgen, weil sie dort eigene Prüfungstätigkeiten ersetzen und daher zu ersparten Aufwendungen führen. So kann z.B. eine Konzerngesellschaft aufgrund von zentralen Revisionstätigkeiten auf eine sonst notwendige Innenrevision oder Wirtschaftsprüfung ganz oder teilweise verzichten. Würden diese Revisionsleistungen nicht durch ein Konzernunternehmen erbracht, so müsste ein unabhängiger Controller oder Wirtschaftsprüfer damit beauftragt werden. Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen eine Konzerngesellschaft über keine eigene Innenrevision verfügt.1 Die entsprechenden Aufwendungen sind daher ganz oder zumindest teilweise bei der die Leistung empfangenden Konzerngesellschaft betrieblich veranlasst und somit verrechenbar.
V. Dienstleistungsverrechnung der Höhe nach 1. Formen der Dienstleistungsverrechnung
6.141
Verrechnungsformen. Wird nach Würdigung aller Umstände eine Dienstleistung nach dem Prinzip der betrieblichen Veranlassung als dem Grunde nach verrechenbar angesehen, stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage der Verrechnung der Höhe nach. In diesem Zusammenhang sind die folgenden Verrechnungsformen zu unterscheiden: 1 Vgl. Baranowski, JbFSt 1981/82, 161.
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B. Dienstleistungen
– Einzelabrechnung der Dienstleistung im Rahmen eines schuldrechtlichen Leistungsaustausches zwischen den Konzerngesellschaften, – Konzernumlage in Form der – Leistungsumlage im Rahmen eines schuldrechtlichen Leistungsaustausches zwischen den Konzerngesellschaften (Leistungsaustauschkonzept), – Kosten- bzw. Poolumlage im Rahmen der Begründung eines Pools zum Leistungsempfang im gemeinsamen Interesse und auf gemeinsames Risiko der involvierten Konzerngesellschaften (Poolkonzept). Leistungsaustauschkonzept. Während bei der Einzelabrechnung für jede einzelne, im Rahmen einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen den Konzerngesellschaften erbrachte Dienstleistung ein separates Entgelt verrechnet wird, ist im Zusammenhang mit der Konzernumlage zu differenzieren, ob zwischen den involvierten Konzerngesellschaften ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch stattfindet oder nicht.1 Erfolgt ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch, werden nach dem Leistungsaustauschkonzept von einem (zentralen) Leistungserbringer als Auftragnehmer gegenüber mehreren verbundenen Unternehmen als Auftraggeber Leistungen erbracht, z.B. indem eine spezialisierte Dienstleistungsgesellschaft im Bereich des Rechnungswesens gleichartige Leistungen an mehrere Konzerngesellschaften erbringt. Dabei wird der Verrechnungspreis der Dienstleistung an die einzelnen Auftragnehmer pauschal durch Umlage der beim Leistungserbringer entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlages mithilfe einer sachgerechten Schlüsselung bestimmt (sog. Leistungsumlage). Insofern handelt es sich bei der Leistungsumlage im Ergebnis um eine besondere Form der Verrechnungspreisermittlung auf der Grundlage einer modifizierten Kostenaufschlagsmethode mit einer einhergehenden pauschalen Kostenermittlung und -verteilung zuzüglich Gewinnaufschlag (Rz. 6.338).
6.142
Leistungsumlage statt Einzelabrechnung. Die Leistungsumlage ist eine der Einzelabrechnung gleichwertige Abrechnungsform, die insbesondere in solchen Fällen Anwendung findet, in denen die Einzelabrechnung der Dienstleistungen nicht oder – aufgrund eines hohen Verwaltungsaufwandes – zumindest nicht wirtschaftlich sinnvoll möglich ist (sog. Vereinfachungsfunktion der Leistungsumlage).2 Vor diesem Hintergrund findet nach Auffassung der OECD die Leistungsumlage insbesondere dann Anwendung, wenn „der anteilsmäßige Wert der an die verschiedenen maßgeblichen Unternehmen erbrachten Dienstleistungen nur auf der Grund-
6.143
1 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 348; Baumhoff, IStR 2000, 693 f.; Oestreicher, IStR 2000, 760 f.; Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 892 ff.; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 ff.; Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. K 7; Ditz, DB 2004, 1949 f.; rechtsvergleichend siehe etwa Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 209 ff. m.w.N. 2 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 348.
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lage eines Näherungs- oder Schätzwertes berechnet werden“1 kann. Dies sei bspw. bei der zentralen Verkaufsförderung, z.B. mithilfe internationaler Messen oder bei der Werbung in der internationalen Presse, der Fall (Rz. 6.333). Nach dem sog. Poolkonzept schließen sich mehrere verbundene Unternehmen zusammen, um im gemeinsamen Interesse und auf gemeinsames Risiko über einen längeren Zeitraum Leistungen zu erhalten bzw. zu erbringen.2 Zu diesen Poolkonzepten vgl. Rz. 6.342 ff.
6.144
Methoden der Verrechnung. Die OECD bezeichnet die Einzelabrechnung von Dienstleistungen als direkte Methode3, die Konzernumlage nach dem Leistungsaustauschkonzept als indirekte Methode4. Daneben werden in Kap. VIII der OECD-Leitlinien die Kostenumlagen nach dem Poolkonzept erörtert. Insofern lassen die OECD-Leitlinien eine klare Trennung der drei dargestellten Abrechnungskategorien erkennen. Demgegenüber war aufgrund der missverständlichen Formulierung der Tz. 1 VWG-Umlage5, wonach die Einzelverrechnung sowohl nach der direkten als auch der indirekten Methode erfolgen kann,6 zunächst unklar, ob auch nach Einführung der VWG-Umlage7 die Leistungsumlage mit ihrer Vereinfachungsfunktion Anwendung finden kann. Dies wird sowohl von der h.M. im Schrifttum8 als auch von Vertretern der deutschen Finanzverwaltung9 bejaht. Allerdings wurden von Vertretern der Finanzverwaltung10 Zweifel an diesem Verständnis geweckt. Hiernach soll mit den VWG-Umlage eine abschließende Regelung erfolgt sein, die ab dem Jahr 2001 ausschließlich Poolumlagen zulässt. Begründet wird diese Auffassung damit, dass Tz. 7 der VWG 1983 durch die VWG-Umlage aufgehoben wurde11 und dass be1 Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. 3 Vgl. Tz. 7.20 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 7.23 f. OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1. 6 Der Wortlaut der Tz. 1 VWG-Umlage ist insofern missglückt, als entsprechend der Handhabung der OECD-Leitlinien 2010 die Einzelverrechnung von Leistungen mit der direkten Methode und die Konzernumlage nach dem Leistungsaustauschkonzept mit der indirekten Methode gleichgesetzt wurden. 7 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122. 8 Vgl. Oestreicher, IStR 2000, 762; Baumhoff, IStR 2000, 694; Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 894 f.; Becker, IWB F. 3 Gr. 2, 880 f.; Waldens, ITPJ 2001 No. 2, 50 f.; Freytag/Vögele, IWB F. 10 Gr. 2, 1498; Ditz, DB 2004, 1949; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 ff.; Arbeitskreis Außensteuerrecht beim Institut der Wirtschaftsprüfer in GS Krüger, 25; a.A. Vögele/Freytag, IStR 2000, 249; Vögele, DB 2000, 297. 9 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 347. 10 Vgl. Böcker, StBp. 2008, 8 ff. 11 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 7.
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B. Dienstleistungen
stehende Umlageverträge gem. Tz. 8 der VWG-Umlage1 bis zum 31.12. 2000 anzupassen waren. Geschieht dies nicht, wird durch Tz. 8 auf Tz. 6 verwiesen, die bei gravierenden Mängeln von Umlageverträgen eine Versagung des Betriebsausgabenabzugs vorsieht. Diese Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Sie ist schon deshalb abzulehnen, weil Tz. 8 der VWG-Umlage2 sich nur auf erforderliche Anpassungen bestehender Umlageverträge bezieht, nicht jedoch auf die Kündigung bestehender Verträge über Leistungsumlagen.3 Unternehmerische Dispositionsfreiheit. Grundsätzlich ist jede Konzernleitung bzw. jeder Gesellschafter frei, den organisatorischen Aufbau und die funktionale Untergliederung seiner Unternehmensgruppe nach freiem Ermessen zu gestalten.4 Gegenstand dieser unternehmerischen Dispositionsfreiheit ist auch die Entscheidung, ob konzerninterne Dienstleistungen in der Organisationsform des Kostenpools oder auf der Basis eines gesonderten Dienstleistungsvertrages (Leistungsumlage oder Einzelabrechnung) erbracht werden sollen. Sie ist daher als unternehmerische Entscheidung hinsichtlich der Funktions- und Risikoverteilung im Konzern von der Finanzverwaltung generell zu akzeptieren.5 Allerdings sind aus der gewählten Organisationsstruktur der zentralen Dienstleistungserbringung die entsprechenden Rückschlüsse im Hinblick auf die Verrechnung der daraus resultierenden innerkonzernlichen Leistungsflüsse zu ziehen. Entscheidet man sich demnach für eine Leistungserbringung im gemeinsamen Interesse und im gemeinsamen Risiko der betroffenen Konzerneinheiten (Pool), kann die Leistungsverrechnung nur über eine Kostenumlage ohne Gewinnaufschlag erfolgen. Wird demgegenüber ein Leistungsaustausch zwischen der leistungserbringenden und der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft vereinbart, ist die Leistung nach dem Grundsatz des „dealing at arm’s length“ zwingend unter Einbeziehung eines Gewinnaufschlages zu verrechnen. Dabei ist nach Auffassung der OECD der Einzelverrechnung der Dienstleistungen mittels der Standardmethoden der Vorrang gegenüber der Leistungsumlage einzuräumen, soweit die entsprechenden Leistungen zur Haupttätigkeit der leistungserbringenden Konzerngesellschaft gehören und sowohl gegen1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 8. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 8. 3 Vgl. ausführlich Kaminski, SAM 2009, 175 ff.; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 703. 4 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 324; Borstell, StbJb. 2001/2002, 221; Baumhoff/Puls, IStR 2009, 76 f.; Werra, IStR 2009, 82. Siehe hierzu auch die erstmalige Äußerung der Finanzverwaltung zur unternehmerischen Dispositionsfreiheit in den VWG-Funktionsverlagerung, vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/ 10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 145 ff. 5 Vgl. zur Akzeptanz der unternehmerischen Dispositionsfreiheit auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 145 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
über verbundenen wie auch unverbundenen Unternehmen erbracht werden.1 Denn für diesen Fall wird vermutet, dass eine gesonderte, d.h. auf die einzelne Leistung bezogene Preisermittlung möglich ist. Im Folgenden wird die Einzelverrechnung der im Rahmen eines schuldrechtlichen Leistungsaustausches erbrachten Dienstleistungen dargestellt. Auf Konzern- und Kostenumlagen wird gesondert eingegangen (Rz. 6.326 ff.). 2. Einzelverrechnung mittels der Verrechnungspreismethoden a) Voraussetzungen
6.146
Voraussetzungen der Einzelverrechenbarkeit. Im Rahmen der Einzelabrechnung wird für jede einzelne innerkonzernliche Dienstleistung ein Entgelt verrechnet. Insofern wird dem Grundsatz der Tz. 2.1.4 VWG 1983 entsprochen, nach welchem im Rahmen des Prinzips des „dealing at arm’s length“ jede einzelne Leistung gesondert zu vereinbaren und abzurechnen ist.2 Dies setzt voraus, dass die Dienstleistung klar definiert ist und von anderen innerkonzernlichen Lieferungs- und Leistungsbeziehungen abgegrenzt werden kann. Insbesondere in Fällen, in denen Dienstleistungen in Form von Neben-, Zusatz- und Serviceleistungen erbracht (Rz. 6.3) bzw. zusammengefasste Entgelte für Haupt- und Nebenleistungen vereinbart werden,3 kann eine solche Abgrenzung zu praktischen Schwierigkeiten führen. b) Klassische Methoden aa) Preisvergleichsmethode
6.147
Innerer Preisvergleich. Zur Bestimmung von Verrechnungspreisen für konzerninterne Dienstleistungen im Wege der Einzelabrechnung kommen grundsätzlich die drei klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung in Betracht. Dabei kann im Rahmen der Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff.) ein innerer oder ein äußerer Preisvergleich durchgeführt werden. Der innere Preisvergleich (Rz. 5.8 ff.) erweist sich immer dann als besonders geeignet, wenn ein internationaler Unternehmensverbund über organisatorisch und rechtlich selbständige Dienstleistungsgesellschaften verfügt, die sowohl zu verbundenen wie auch zu unverbundenen Unternehmen Geschäftsbeziehungen mit einem vergleichbaren Leistungsprogramm unterhalten. Zu denken ist hierbei insbesondere an konzerneigene Marketing-, FuE-, Verwaltungs-, Unternehmensberatungs1 Vgl. Tz. 7.21 u. 7.23 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.4. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.2.3.3 nennt in diesem Zusammenhang „z.B. Garantie-, Wartungs- oder branchenübliche Kulanzleistungen“.
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B. Dienstleistungen
und Engineering-Gesellschaften.1 Daneben ist ein innerer Preisvergleich auch im umgekehrten Fall denkbar, indem Konzerngesellschaften bestimmte Dienstleistungen sowohl von verbundenen wie auch von unverbundenen Unternehmen empfangen. Im Gegensatz zum äußeren Preisvergleich (Rz. 6.148) erfordert der innere Preisvergleich keine Marktgängigkeit der betreffenden Dienstleistungen, sondern lässt bereits eine gewisse Marktfähigkeit hinreichen. Den objektivierenden Charakter marktentstandener Vergleichspreise vermittelt allein die Erbringung der betreffenden Dienstleistungen auch an unverbundene Dienstleistungsempfänger bzw. deren Bezug von unverbundenen Dienstleistungserbringern. Hierbei kommt es jedoch darauf an, dass die verbundexternen Referenztransaktionen ein gewisses Mindestvolumen aufweisen. Anderenfalls muss man sich gegebenenfalls des Verdachts erwehren, die verbundexternen Geschäfte allein zum Zwecke der Verrechnungspreisrechtfertigung abgeschlossen zu haben.2 Diese Anforderung lässt sich auch aus der Rechtsprechung des BFH ableiten, der die Voraussetzungen eines betriebsinternen Fremdvergleichs nicht als gegeben ansah, wenn die Referenztransaktionen lediglich 5 % des Gesamtumsatzes ausmachen.3 Unter diesen Voraussetzungen ist eine Marktpreisorientierung auch bei schlecht standardisierbaren und speziell abnehmerorientierten Dienstleistungen möglich.4 Äußerer Preisvergleich. Der äußere Preisvergleich (Rz. 5.11 f.), bei dem auf den Leistungsverkehr zwischen unabhängigen Unternehmen abgestellt wird, eignet sich indessen nur für den Bereich der marktgängigen und marktfähigen Dienstleistungen,5 da nur für diese Leistungen eine vergleichbare Referenztransaktion zwischen unabhängigen Dritten identifiziert werden kann. Dazu gehören in erster Linie die sog. gewerblichen Dienstleistungen, wie z.B. Transport-, Versicherungs-, Überwachungs-, Reinigungs-, Wartungs-, Montage-, Reparatur- und Marketingleistungen sowie Dienstleistungen im Bereich der EDV. Für den ebenfalls zu den Dienstleistungen zählenden Bereich der Auftragsforschung (Rz. 6.168) ist ebenfalls eine Marktpreisorientierung möglich. So können bspw. Vergleichsangebote von unabhängigen Forschungseinrichtungen (wie z.B. Universitätsinstitute oder FuE-Abteilungen unabhängiger Unternehmen) eingeholt werden.6 1 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Stock/Kaminski, IStR 1997, 451 ff. 2 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 577; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 688 f.; Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung, 148. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 sowie hierzu Baumhoff, IStR 2001, 751 ff. 4 Vgl. auch Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 224. 5 Vgl. Tz. 7.2 OECD-Leitlinien 2010. 6 Dagegen sieht BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5.3 im Rahmen der Auftragsforschung „regelmäßig“ die Kostenaufschlagsmethode vor. Dies entspricht der grundsätzlichen Auffassung der Finanz-
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Freiberufliche Dienstleistungen und Gebührenordnungen. Darüber hinaus kann ein Preisvergleich häufig im Bereich der freiberuflichen Dienstleistungen, wie z.B. der Rechts-, Steuer-, Unternehmens- und Ingenieurberatung durchgeführt werden. Als Vergleichsmaßstab fungieren dabei die am Markt realisierten Honorar- bzw. Stundensätze bzw. die einschlägigen Gebührenverordnungen der Steuerberater, Rechtsanwälte etc. Die Verwendung von Gebührenordnungen – konkret die Anwendung der Steuerberatervergütungsverordnung bei einer konzerneigenen Steuerberatungsgesellschaft – und damit die Anwendung der Preisvergleichsmethode für konzerninterne Dienstleistungen hat der BFH in seinem Judikat v. 23.6.1993 expressis verbis bestätigt.1 Danach würde auch ein ordentlicher Geschäftsleiter für geleistete Steuerberatungsdienstleistungen ein an der entsprechenden Gebührenverordnung orientiertes Entgelt fordern, weil dies „standesrechtlich geboten“ ist. Der BFH betont in seinem Urteil allerdings ausdrücklich, dass eine konzerneigene Steuerabteilung nicht in vergleichbarer Weise an den Gebührenrahmen der Steuerberater gebunden sei. Insofern ist die Vergleichbarkeit der Verhältnisse eventuell nicht gegeben, was den Anwendungsbereich der Preisvergleichsmethode jedenfalls dann ausschließt, wenn die bestehenden Unterschiede nicht mittels sachgerechter Anpassungen eliminiert werden können. Für die Anwendung der Preisvergleichsmethode ist hierbei entscheidend, dass diesbezügliche Unterschiede selbst auf Grundlage eines tatsächlichen Fremdvergleichs quantifiziert und angepasst werden, sodass eine Beeinträchtigung der Vergleichbarkeit ausgeschlossen werden kann. Dagegen gefährden Anpassungen, die sich nicht auf Marktdaten stützen können, grds. die Anwendung der Preisvergleichsmethode.2 Für den Bereich konzerninterner Steuerberatungsleistungen sollte vor diesem Hintergrund die Anwendung der Preisvergleichsmethode ausscheiden. Dies macht andere Lösungsansätze erforderlich, wobei hier vornehmlich die kostenorientierte Entgeltbemessung – insb. nach der Kostenaufschlagsmethode – in Betracht kommt.
6.150
Praktische Anwendungsprobleme. Die Preisvergleichsmethode stößt im Zusammenhang mit konzerninternen Dienstleistungen i.d.R. auf erhebliche praktische Anwendungsprobleme. Trotz der Existenz von markt- oder branchenüblichen Preisen für bestimmte Dienstleistungsarten scheitert ein Preisvergleich häufig an einer fehlenden Übereinstimmung der maßgeblichen Vergleichstatbestände der konzerninternen Dienstleistung eiverwaltung zur Abgeltung von Unternehmen mit Routinefunktionen, vgl. BRDrucks. 352/08 v. 23.5.2008, 16; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Rz. 67. Dieser pauschalen Aussage kann indessen nicht gefolgt werden, sodass auch hier die Preisvergleichsmethode Anwendung finden kann, soweit deren Voraussetzungen erfüllt sind. Im Übrigen entspricht sie nicht dem in § 1 Abs. 3 AStG verankerten Stufenverhältnis zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich. 1 Vgl. BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBl. II 1993, 801. 2 Vgl. Dietz/Liebchen. DB 2012, 1469 f.
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nerseits und der identifizierten Referenztransaktion zwischen unabhängigen Dritten andererseits. Im Übrigen sind Anpassungsrechnungen zur Herstellung einer indirekten Vergleichbarkeit (Rz. 3.21) bzw. eingeschränkten Vergleichbarkeit (Rz. 3.18) oftmals problematisch. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass sich für den großen Bereich der konzernspezifischen Dienstleistungen (z.B. der Übernahme von Managementfunktionen, der Arbeitnehmerentsendung,1 des Cash-Poolings [Rz. 6.538 ff.] etc.) aufgrund ihrer fehlenden Marktgängigkeit i.d.R. keine geeigneten Vergleichsobjekte finden lassen. Letztlich kommt daher der Preisvergleichsmethode zur Ermittlung von konzerninternen Dienstleistungsentgelten eine untergeordnete Bedeutung zu. bb) Wiederverkaufspreismethode Kein genereller Ausschluss. Umstritten im Rahmen der Ermittlung angemessener Dienstleistungsentgelte ist die Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.). Während nach Auffassung der Finanzverwaltung deren Anwendung im Zusammenhang mit Dienstleistungen prinzipiell ausscheidet, weil Dienstleistungen i.d.R. immaterieller Natur sind und nicht weiterveräußert werden,2 wird in Teilen des Schrifttums die Ansicht vertreten, dass ein genereller Ausschluss der Wiederverkaufspreismethode für den Bereich der innerkonzernlichen Dienstleistungen nicht gerechtfertigt sei.3 Als Beispiele werden dabei Unterlizenzverträge für die Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter, die Weitervermietung von Wirtschaftsgütern (sog. „Sub-Leasing“), die Weiterveräußerung von Software sowie die Existenz von Handelsstufen im Versicherungs- und Transportgewerbe genannt (Rz. 5.35 ff.). Zwangsläufig beschränkt sich die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode zur Bestimmung von konzerninternen Dienstleistungsentgelten auf den Bereich der marktgängigen Dienstleistungen, weil sie ex definitione ihren Ausgangspunkt in dem Preis findet, den die verbundene Unternehmung von einem unabhängigen Käufer für die Dienstleistungserbringung am Markt realisiert. Infolgedessen erweist sich die Wiederverkaufspreismethode für Dienstleistungen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit ausschließlich im Unternehmensverbund und nicht zwi1 Zum Problem der Umsetzung des Fremdvergleichs im Rahmen der innerkonzernlichen Arbeitnehmerentsendung vgl. Schnorberger/Waldens, IStR 2001, 24 f. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.2.3.2. Die OECD-Leitlinien 2010 äußern sich nicht zur Eignung der Wiederverkaufspreismethode bei der Festsetzung konzerninterner Dienstleistungsentgelte. Insofern misst auch die OECD der Wiederverkaufspreismethode in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. 3 Vgl. Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, V Anm. zu Tz. 3.2.1 u. 3.2.3 VWG; Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 7.31 Anm. 14; Klein/Nohl/Zschiegner/Klein, Konzernrechnungslegung und Konzernverrechnungspreise, 176; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreise zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 230.
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schen unabhängigen Dritten ausgetauscht werden (sog. konzernspezifische Dienstleistungen), grundsätzlich als ungeeignet.
6.152
Abgrenzung zu Vermittlungsleistungen. Die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode setzt ferner voraus, dass die wiederverkaufende Konzernunternehmung gegenüber der leistungserbringenden Konzernunternehmung als „Käufer“ der Leistung auftritt; mithin zwischen der leistungserbringenden und der leistungswiederverkaufenden Konzernunternehmung eine unmittelbare Rechtsbeziehung i.S. eines Dienstleistungsverkaufs respektive Dienstleistungseinkaufs besteht. Erst im Anschluss daran kann die wiederverkaufende Unternehmung die betreffende Leistung an fremde Dritte weiterverkaufen. Von der Wiederverkaufspreismethode ausgeschossen bleiben demnach alle Vermittlungsleistungen, bei der die „zwischengeschaltete“ Konzernunternehmung nur als Makler, Treuhänder oder Vermittler und nicht als Käufer bzw. Wiederverkäufer der Dienstleistung fungiert. In diesen Fällen wird nämlich keine Dienstleistung „weiterverkauft“. Vielmehr erbringt die „zwischengeschaltete“ Konzernunternehmung eine – von der vermittelten Dienstleistung zu unterscheidende – Vermittlungsleistung, die ihrerseits mit einem fremdvergleichskonformen Leistungsentgelt (ermittelt i.d.R. nach der Kostenaufschlagsmethode) zu vergüten ist (Rz. 6.52 f.).
6.153
Beschränkung auf Ausnahmefälle. Im Ergebnis ist die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode im Dienstleistungsbereich auf Ausnahmefälle beschränkt, in denen die entsprechende Dienstleistung auf einem geeigneten Trägermedium gespeichert und somit durch den Wiederverkäufer am Markt veräußert werden kann. Dies ist allerdings nur in seltenen Einzelfällen, wie z.B. bei bestimmten EDV-Dienstleistungen (Programmierung von Software) oder der Erstellung von Gutachten, möglich.1 Abgesehen von solchen Sonderfällen scheidet die Wiederverkaufspreismethode für die Verrechnungspreisermittlung von Dienstleistungen aus, weil Dienstleistungen i.d.R. nicht speicherbar sind. cc) Kostenaufschlagsmethode
6.154
Anwendungsbereich. Aufgrund der Tatsache, dass die Preisvergleichsmethode für die Bestimmung von Dienstleistungsentgelten nur begrenzt einsetzbar ist und darüber hinaus die Wiederverkaufspreismethode nur in wenigen Ausnahmefällen Anwendung finden kann, kommt der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) im Rahmen der Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen die größte Bedeutung zu.2 Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen für eine konzerninterne Dienstleistung keine Marktpreise als Vergleichsmaßstab zur Verfügung stehen, etwa weil 1 Hier ist grundsätzlich auch eine Veränderung oder Ergänzung der Dienstleistung vor dem Weiterverkauf denkbar, was bei der Bestimmung der Handelsspanne zu berücksichtigen ist. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.2.3.2.
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– es sich um nicht marktfähige, konzernspezifische Dienstleistungen handelt, – vorliegende Marktpreise aufgrund einer fehlenden Vergleichbarkeit der Verhältnisse nicht brauchbar sind, – tatsächlich vereinbarte Marktpreise nicht identifizierbar sind, – schon der Grundsatz des Fremdvergleichs bei gewissen Dienstleistungen eine Verrechnung mit der Kostenaufschlagsmethode verlangt (Rz. 5.39 und 6.546). Konkrete Ausgestaltung. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Kostenaufschlagsmethode im Rahmen der Ermittlung von Dienstleistungsentgelten kann auf die allgemeinen Ausführungen zur Kostenaufschlagsmethode verwiesen werden (Rz. 5.39 ff.). Von besonderer Bedeutung ist allerdings, dass im Rahmen der Einzelabrechnung von Dienstleistungen nach der Kostenaufschlagsmethode zwingend ein Gewinnaufschlag zu verrechnen ist. Denn der ordentliche Geschäftsleiter der leistungserbringenden Konzernunternehmung wird i.d.R.1 keine Leistung erbringen, aus welcher er sich keinen Gewinn verspricht. Allerdings ist bei der Bemessung des Dienstleistungsentgelts auch der Entscheidungssituation des Leistungsempfängers Rechnung zu tragen. Dies gilt insbesondere für dessen wirtschaftliche Handlungsalternativen im Rahmen der Eigenerstellung der Dienstleistung (sog. „Make-or-Buy“-Kalkül). Diese determinieren die Preisobergrenze des Leistungsempfängers2 (z.B. in Form der Kosten der Eigenerstellung einer Dienstleistung) ohne Rücksicht darauf, ob und wenn ja, in welcher Höhe der Leistende einen Gewinnaufschlag realisieren kann.3 Dies entspricht im Übrigen der sog. „Einigungsbereichsbetrachtung“ des § 1 Abs. 3. Sätze 5 ff. AStG.
6.155
Grenzen der Kostenaufschlagsmethode. Wie jedwede transaktionsbezogene Verrechnungspreismethode bestehen die Grenzen der Kostenaufschlagsmethode in der fehlenden Vergleichbarkeit der Verhältnisse, wenn diese auch mittels Anpassungsrechnungen nicht hergestellt werden kann. Insbesondere bei individualisierten Dienstleistungen, die unter Einsatz besonders wertvoller, ggf. einzigartiger immaterieller Wirtschaftsgüter erstellt bzw. erbracht werden, ist die Kostenaufschlagsmethode regelmäßig nicht anwendbar. Gleiches gilt, wenn zwischen den Kosten der Leistungserstellung und dem Wertschöpfungsbeitrag des Dienstleisters keinerlei Zusammenhang besteht. Letzteres insb. deshalb, weil die Nachfrageverhältnisse, d.h. die Entscheidungssituation des Abnehmers nicht berücksichtigt wird. Als kostenorientierte Methode führt die Kostenaufschlagsmethode zur Allokation eines sicheren Gewinns. Dies reflektiert den Wertschöpfungsbeitrag des Dienstleistungserbringers dann nicht zutref-
6.156
1 Ausnahmen bestehen für das Poolkonzept und besondere Umstände, in denen die Teilkostenrechnung Anwendung findet. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.4.1. 3 Vgl. Tz. 7.35 OECD-Leitlinien 2010.
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fend, wenn wertvolle immaterielle Wirtschaftsgüter in den Leistungserstellungsprozess integriert werden und/oder nicht nur geringe Risiken getragen werden. c) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnmethoden aa) Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM)
6.157
Zulässigkeit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (Rz. 5.92 ff.) ist als eine i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG „geeignete Verrechnungspreismethode“ eine zulässige Verrechnungspreismethode für die Bestimmung von Dienstleistungsentgelten, die auf der zweiten Stufe des in § 1 Abs. 3 AStG verankerten Stufenverhältnisses (Rz. 5.149 ff.) zum Tragen kommen kann (Rz. 5.151). Auf diese Stufe sind eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte nach Vornahme sachgerechter Anpassungen „einer geeigneten Verrechnungspreismethode“ zugrunde zu legen. Zwar regelt § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG zwischen den „geeigneten Verrechnungspreismethoden“ kein Rangfolgeverhältnis. Nach Tz. 3.4.10.3 Buchst. b der VWGVerfahren1 kommt die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode jedoch nur subsidiär zu den klassischen Methoden zur Anwendung. Ferner ist nach Auffassung der Finanzverwaltung die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode nur für Routineunternehmen zulässig, die sich dadurch als solche qualifizieren, dass sie marktgängige Dienstleistungen erbringen, keine unternehmerischen Risiken tragen und nur in geringem Umfang Wirtschaftsgüter einsetzen.2 Diese Verwaltungsauffassung ist angesichts der Regelungen in § 1 Abs. 3 AStG ohne Rechtsgrundlage und deshalb abzulehnen. Zudem widerspricht sie dem Rangfolgeverhältnis der Verrechnungspreismethoden nach den OECD-Leitlinien. Hiernach steht die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode grundsätzlich gleichberechtigt neben den Standardmethoden und ist jedenfalls dann zwingend anzuwenden, wenn sie für die betreffende Transaktion die „geeignetste Methode“ („most appropriate method“) darstellt (Rz. 5.89).3
6.158
Grenzen des Anwendungsbereichs. Nach der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird ebenso wie nach der Kostenaufschlagsmethode das Dienstleistungsentgelt kostenorientiert bestimmt. Sie führt deshalb zur Allokation eines sicheren Gewinns und trägt hierdurch der Risikoverteilung zwischen den Transaktionspartnern nur dann hinreichend Rechnung, wenn – wie bei Unternehmen mit Routinefunktionen, aber auch ggf. bei sog. Mittel- bzw. Hybridunternehmen – nur geringe Risiken getragen werden. Erfolgt die Dienstleistungserstellung bzw. -erbringung unter Einsatz einzigartiger bzw. wesentlicher immaterieller Wirt1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 3 Vgl. Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2010.
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schaftsgüter, liegen die Anwendungsvoraussetzungen der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode regelmäßig nicht vor. Wie für die Anwendung der klassischen Methoden fehlt es auch für die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode an der Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Zwar wird die Nettomarge durch Produkt- und Funktionsunterschiede im Vergleich zu Preisen oder zur Bruttomarge geringer beeinflusst, allerdings verbleiben zahlreiche relevante Einflussfaktoren, deren fehlende hinreichende Vergleichbarkeit zur Einengung des Anwendungsbereiches der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode führt. Zu diesen Einflussfaktoren gehören insbesondere Wettbewerbsposition, Führungseffizienz, individuelle Strategie, Kosteneffizienz und Auslastung des Unternehmens, Bedrohung durch neue Produkte und Anbieter usw., wobei jeder dieser Faktoren wiederum durch zahlreiche andere Faktoren beeinflusst wird.1 Mit dem Einsatz besonders wertvoller, einzigartiger immaterieller Wirtschaftsgüter erbringt der Dienstleister individualisierte Leistungen,2 wobei sich der Einsatz dieser immateriellen Wirtschaftsgüter sowohl auf das „Produkt“ Dienstleistung als auch auf den Leistungserstellungsprozess auswirken kann. Vergleichsmargen können hier regelmäßig nicht um den Einfluss immaterieller Wirtschaftsgüter angepasst werden.3 bb) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split) Anwendungsbereich. Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode kommt regelmäßig bei stark integrierten Wertschöpfungsprozessen, beim Einsatz besonders wertvoller immaterieller Wirtschaftsgüter und bei sonstigen besonders wertvollen Beiträgen eines Transaktionspartners in Betracht. Dies betrifft im Rahmen konzerninterner Dienstleistungen insb. den Bereich des sog. „Global Development“.4 Überdies ist bei internationalen Dienstleistungskonzernen der Leistungserstellungsprozess ebenso von wechselseitigen Transaktionen geprägt wie die Produktion von Gütern und Waren. Im Rahmen der erforderlichen Funktionsund Risikoanalyse und der hiernach vorzunehmenden transaktionsbezogenen Unternehmenscharakterisierung können mehrere Strategieträger bzw. Entrepreneure bestehen, deren jeweiliger Erfolgsbeitrag nur durch Gewinnaufteilung bestimmt werden kann. Im Einzelnen wird auf die allgemeinen Ausführungen zur geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode verwiesen (Rz. 5.123 ff.).
1 Vgl. Tz. 2.71 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Greinert, RIW 2006, 453. 3 Vgl. Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 241 m.w.N. 4 Vgl. dazu Kaminski, IStR 2001, 540 f.; Fischer/Looks/Reese, IStR 2008, 254 ff.; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 340 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
VI. Spezielle Konzerndienstleistungen 1. Einordnung
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Bereiche. Als spezielle Konzerndienstleistungen kommen – im Produktionsbereich die Lohn- oder Auftragsfertigung, – im Vertriebsbereich die vertragsvermittelnden Tätigkeiten eines Handelsvertreters oder Kommissionärs bzw. Disclosed oder Undisclosed Sales-Agent und – im FuE-Bereich die Auftragsforschung und -entwicklung in Betracht. Während produktions- und vertriebsbezogene Dienstleistungen gesondert betrachtet werden sollen, wird nachfolgend als spezielle Konzerndienstleistung die Auftragsforschung und -entwicklung dargestellt. 2. Auftragsforschung und -entwicklung a) Begriffsabgrenzungen aa) Forschung und Entwicklung
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Begriffsdefinitionen nach HGB. Durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG)1 wurde in § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB ein Aktivierungswahlrecht für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens eingeführt, das allerdings für bestimmte Vermögensgegenstände (z.B. Marken, Verlagsrechte) nicht gilt (§ 248 Abs. 2 Satz 2 HGB). In diesem Zusammenhang wurden mit § 255 Abs. 2a HGB Klarstellungen eingeführt, die der Ermittlung der Herstellungskosten dienen, wobei sich allerdings die Bewertung von Entwicklungskosten nach den (allgemeinen) Grundsätzen des § 255 Abs. 2 HGB bestimmt.2 Als Herstellungskosten selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände sind nur die Entwicklungskosten, nicht dagegen Forschungskosten zu aktivieren (§ 255 Abs. 2a Satz 1 HGB). Eine Aktivierung von Entwicklungskosten nach § 255 Abs. 2a Satz 4 HGB kommt nicht in Betracht, wenn Forschungs- und Entwicklungskosten nicht verlässlich voneinander unterschieden werden können. Insofern kommt dem Zeitpunkt des Übergangs von der Forschungs- zur Entwicklungsphase entscheidende Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund enthalten § 255 Abs. 2a Sätze 1 und 2 HGB erstmals handelsrechtliche Definitionen der Begriffe Forschung und Entwicklung: – Forschung ist die eigenständige und planmäßige Suche nach neuen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen oder Erfahrungen allgemeiner Art, über deren technische Verwertbarkeit und wirtschaftli1 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102. 2 Vgl. Grottel/Pastor in Beck’scher Bilanzkommentar8, § 255 HGB Rz. 481.
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che Erfolgsaussichten grundsätzlich keine Aussagen gemacht werden können (§ 255 Abs. 2a Satz 3 HGB). – Entwicklung ist die Anwendung von Forschungsergebnissen oder von anderem Wissen für die Neuentwicklung von Gütern oder Verfahren oder die Weiterentwicklung von Gütern oder Verfahren mittels wesentlicher Änderungen. – Im Gegensatz zur Forschungsphase sind in der Entwicklungsphase die „Güter“ oder „Verfahren“ bereits konkretisierbar, wobei beide Begriffe ausweislich der Gesetzesbegründung grundsätzlich weit auszulegen sind. Sie umfassen z.B. Materialien, Produkte, geschützte Rechte oder auch ungeschütztes Know-how, Dienstleistungen, Produktions- und Herstellungsverfahren und entwickelte Systeme.1 Im Hinblick auf den kritischen Zeitpunkt des Übergangs von der Forschungs- zur Entwicklungsphase ist nach der Gesetzesbegründung bei sequentiellen Abläufen auf den Zeitpunkt abzustellen, ab dem vom systematischen Suchen zum Erproben und Testen der gewonnen Erkenntnisse und Fertigkeiten übergegangen wird.2 Die hier bestehenden Unschärfen zu der überwiegenden Praxis alternierender FuE-Prozesse hat der Gesetzgeber zwar gesehen und auf Probleme hingewiesen, die sich für die (erstmalige) Aktivierung von Entwicklungskosten ergeben können.3 Konkrete Anhaltspunkte für die Abgrenzung der Forschungs- von der Entwicklungsphase stellt die Gesetzesbegründung jedoch nicht bereit. Für alternierende FuE-Phasen wird die Aktivierung von Entwicklungskosten letztlich davon abhängen, ob in der Entwicklungsphase die Entstehung eines Vermögensgegenstands ohne weitere Forschungsergebnisse auskommt.4 Anderenfalls scheidet eine Aktivierung mangels verlässlicher Abgrenzung der Forschungs- von den Entwicklungskosten aus.5 Begriffsdefinitionen nach IAS 38. Nach IAS 38.8 ist Forschung die eigenständige und planmäßige Suche mit der Aussicht, zu neuem wissenschaftlichen oder technischen Verstehen zu gelangen. Beispielhaft benennt IAS 38.56 folgende Forschungsaktivitäten bzw. Aktivitäten der Forschungsphase: – Aktivitäten zur Erlangung neuer Erkenntnisse; – die allgemeine Suche nach, die Bewertung von und die finale Entscheidung für Anwendungen von Forschungsergebnissen und sonstigem Know-hows; – die Suche nach alternativen Materialien, Geräten, Produkten, Verfahren, Systemen oder Dienstleistungen; – die Formulierung von, der Entwurf von, die Bewertung von und die finale Entscheidung über mögliche Alternativen, neue oder verbesserte 1 2 3 4 5
Vgl. BT-Drucks. 16/10067 v. 30.7.2008, 60. Vgl. BT-Drucks. 16/10067 v. 30.7.2008, 60. Vgl. BT-Drucks. 16/10067 v. 30.7.2008, 60. Vgl. Küing/Ellmann, DStR 2010, 1304. § 255 Abs. 2a Satz 4 HGB.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Materialien, Geräte, Produkte, Verfahren, Systeme oder Dienstleistungen.1 – Nach IAS 38.8 ist Entwicklung die Anwendung von Forschungsergebnissen oder von anderem Wissen auf einen Plan oder Entwurf für die Produktion von neuen oder beträchtlich verbesserten Materialien, Vorrichtungen, Produkten, Verfahren, Systemen oder Dienstleistungen, wobei – in zeitlicher Hinsicht – die Entwicklung vor der kommerziellen Produktion oder Nutzung stattfindet. Zur Konkretisierung benennt IAS 38.57 beispielhaft folgende Entwicklungsaktivitäten bzw. Aktivitäten der Entwicklungsphase: – den Entwurf, die Konstruktion und das Testen von Prototypen und Modellen vor der Aufnahme der eigentlichen Produktion oder Nutzung; – der Entwurf von Werkzeugen, Spannvorrichtungen, Gussformen und Prägestempeln unter Verwendung neuer Technologien; – der Entwurf, die Konstruktion und das Betreiben von Pilotanlagen, die von ihrer Größe her nicht geeignet sind, eine kommerzielle Produktion wirtschaftlich sinnvoll zu betreiben; – der Entwurf, die Konstruktion und das Testen einer gewählten Alternative für neue oder verbesserte Materialien, Geräte, Produkte, Verfahren, Systeme oder Dienstleistungen.2 Ebenso wie nach deutschem Handelsrecht sind bei der Rechnungslegung nach IFRS Forschungskosten nicht aktivierungsfähig, sondern in der Periode erfolgswirksam zu erfassen, in der sie anfallen (IAS 38.54). Insofern kommt wiederum der Abgrenzung der Forschungs- von der Entwicklungsphase und dem Zeitpunkt des Übergangs entscheidende Bedeutung zu (IAS 38.52). Können bei der Erstellung eines immateriellen Vermögensgegenstands Forschungs- und Entwicklungsphase nicht abgegrenzt werden, ist zu unterstellen, dass die gesamten Kosten für die Erstellung des Gutes in der Forschungsphase angefallen und somit aufwandswirksam zu erfassen sind (IAS 18.53). Insofern gelten nach HGB wie nach IFRS dieselben Grundsätze. Es bestehen hier dieselben Abgrenzungsprobleme wie für Zwecke des § 255 HGB, die im Kern in der Ausgestaltung der FuE-Prozesse liegen, wenn die Phasen Forschung und Entwicklung nicht sequenziell, sondern alternierend, zyklisch bzw. iterativ verlaufen.3 Für Projekte in der Entwicklungsphase besteht – im Gegensatz zum Ansatzwahlrecht nach § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB – ein Ansatzgebot, wenn nachweislich ein Vermögenswert entwickelt wird, der wahrscheinlich ei1 Vgl. Baetge/von Keitz in Baetge et al., Rechnungslegung nach IFRS2, Band 3, IAS 38 Rz. 56. 2 Vgl. Baetge/von Keitz in Baetge et al., Rechnungslegung nach IFRS2, Band 3, IAS 38 Rz. 56. 3 Vgl. hierzu z.B. Hoffmann in Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung3, § 255 HGB Rz. 171 ff.; Hoffmann in Haufe IFRS-Kommentar9, § 13 Rz. 34 ff.
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B. Dienstleistungen
nen künftigen Nutzen stiften wird. Hierzu müssen die Ansatzkriterien nach IAS 38.57 kumulativ vorliegen: – die technische Realisierbarkeit der Fertigstellung des immateriellen Vermögenswertes, so dass er zur Nutzung bzw. zum Verkauf nutzbar ist; – die Absicht des Unternehmens, den immateriellen Vermögenswert fertig zu stellen und anschließend zu nutzen oder zu vermarkten; – die Fähigkeit des Unternehmens, den immateriellen Vermögenswert zu nutzen oder zu vermarkten; – der Nachweis, wie mit dem immateriellen Vermögenswert wahrscheinlich ein künftiger Nutzen entstehen wird, wobei das Unternehmen u.a. zu zeigen hat, dass ein Markt für die Erzeugnisse aus dem immateriellen Vermögenswert selbst existiert bzw. – bei interner Nutzung des Vermögenswerts – worin dessen Nützlichkeit besteht; – die Verfügbarkeit von adäquaten technischen, finanziellen und sonstigen Ressourcen zur Fertigstellung der Entwicklung und zum Gebrauch bzw. zum Verkauf des immateriellen Vermögenswertes sowie – die Fähigkeit des Unternehmens, die zurechenbaren Kosten des immateriellen vermögenswertes während der Entwicklung zuverlässig zu ermitteln.1 Steuerrechtliche Begriffsdefinitionen. Weder die Verwaltungsgrundsätze noch die OECD-Leitlinien enthalten eine Definition des Begriffs „Forschung und Entwicklung“. Im Hinblick auf die OECD-Leitlinien wird sich diese Mangellage auch nicht im Zuge der Überarbeitung des Kapitels 7 ändern. Nach gegenwärtigem Stand des OECD-Diskussionsentwurfs zur Berücksichtigung von Intangibles bei der Festlegung von Verrechnungspreisen vom 6.6.2012 fehlen eine eindeutige Begriffsdefinition des „Intangibles“ ebenso wie Definitionen der Begriffe „Forschung“ und „Entwicklung“.2 Dies mag letztlich darin begründet liegen, dass bei der Berichtsentstehung zunächst die Bewertungsfragen vertieft wurden und erst im Nachgang versucht wurde, das Bewertungsobjekt konkret zu fassen. Insofern mögen die Erwartungshaltungen, die im Vorwege der Überarbeitung aus Wirtschafts- und Beraterkreisen abgefragt wurden und die insbesondere auch auf klare Begriffsabgrenzungen abzielten, letztlich verfehlt werden. Nach gegenwärtigem Stand ist das Begriffsverständnis jedenfalls ein sonderlich breites (Rz. 6.549).3 Im nationalen Steuerrecht fand sich in mehreren steuerlichen Sondervorschriften (so z.B. im früheren § 82d Abs. 4 EStDV, § 4 InvZulG 1982/1986, sowie im früheren § 19 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c BerlinFG) ein 1 Vgl. hierzu im Einzelnen Baetge/von Keitz in Baetge et al., Rechnungslegung nach IFRS2, Band 3, IAS 38 Rz. 60 ff. 2 Vgl. OECD, Discussion Draft – Revision of the Special Considerations for Intangibles in Chapter VI of the OECD-Transfer Pricing Guidelines and Related Provisions, http://www.oecd.org/dataoecd/39/61/50526258.pdf. 3 Vgl. hierzu im Einzelnen Rouenhoff, IStR 2012, 654; Durst, TNI 2012, 447.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Verweis auf die im EStG enthaltene Legaldefinition für Forschung und Entwicklung. § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. u Satz 4 EStG beinhaltet die folgende Begriffsbestimmung im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen auf solche Wirtschaftsgüter, die der Forschung und Entwicklung dienen: „Wirtschaftsgüter dienen der Forschung und Entwicklung, wenn sie verwendet werden aa) zur Gewinnung von neuen wissenschaftlichen oder technischen Erkenntnissen allgemeiner Art (Grundlagenforschung) oder bb) zur Neuentwicklung von Erzeugnissen oder Herstellungsverfahren oder cc) zur Weiterentwicklung von Erzeugnissen oder Herstellungsverfahren, soweit wesentliche Änderungen dieser Erzeugnisse oder Verfahren entwickelt werden.“ Darüber hinaus besteht angesichts des (fortbestehenden) steuerbilanziellen Ansatzverbotes für selbst erstellte immaterielle Wirtschaftsgüter auch keine Notwendigkeit, „Forschung“ und „Entwicklung“ bzw. Forschungs- und Entwicklungskosten voneinander abzugrenzen. bb) Grundlagen- und angewandte Forschung
6.164
Abgrenzung. Die Grenzen zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung sind nicht eindeutig markierbar. Die Grundlagenforschung steht nicht in direktem Zusammenhang zum gegenwärtigen oder künftigen Produktionsprogramm. Sie hat im Vergleich zur angewandten Forschung eine andere Zielsetzung, wie z.B. die Gewinnung von Kenntnissen und Erfahrungen auf anderen, bisher vom Konzernverbund noch nicht bearbeiteten Geschäftsfeldern. Die angewandte Forschung und Entwicklung – auch als Zweckforschung bezeichnet – beschäftigt sich demgegenüber mit der Neu- und Weiterentwicklung vorhandener Erzeugnisse (Produkte) oder Herstellungsverfahren und weist damit einen direkten Bezug zu einem bestimmten Produktprogramm oder zu einem bestimmten Kundenauftrag auf.1
6.165
Kostenumlage. Im Gegensatz zu den VWG 19832 unterscheiden die Umlage-VWG 1999 nicht mehr zwischen den Kosten der Grundlagenforschung und denen der angewandten Forschung. Aus Sicht der Poolmitglieder müssen sich die FuE-Leistungen auf Hilfsfunktionen erstrecken,3 mit Hilfe derer die Poolmitglieder die Forschungsergebnisse in wirtschaftlich gleicher Weise nutzen.4 Damit wird der Kreis der Poolmitglieder auf sol1 Vgl. hierzu Hoffmann, StBp. 1982, 287. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.2.1. Nr. 3. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. Abs. 2. 4 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 1.
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B. Dienstleistungen
che Unternehmen beschränkt, die aus den Leistungen des Pools für ihre eigene Geschäftstätigkeit Vorteile erzielen können.1 Der Aufteilungsschlüssel muss so festgelegt werden, dass die Aufwendungen entsprechend dem jeweiligen Nutzen der Poolmitglieder verteilt werden. Diese Aussage ist sachgerecht. Besteht nämlich bei den Forschungsaktivitäten kein Bezug mehr zum Produktionsprogramm des einzelnen Konzernmitglieds, so ist eine Verrechnung dieser Kosten auf die einzelnen Konzernmitglieder problematisch. Besteht demgegenüber ein – wenn auch nur mittelbarer oder entfernter – Zusammenhang mit dem gegenwärtigen oder künftigen Leistungsprogramm oder dem dauerhaft fortzuführenden Unternehmens- oder Gesellschaftszweck des Konzernmitglieds, so ist die Kostenumlage betrieblich veranlasst und damit verrechenbar.2 In diesem Sinne ist es zulässig, sämtliche Kosten der Forschung, die in einem – weit auszulegenden – Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit des Leistungsempfängers stehen, diesem anteilig zuzurechnen.3 b) Organisation der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten Organisation der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten können grundsätzlich ausgestaltet sein als – Eigenforschung und -entwicklung, – Auftragsforschung und -entwicklung, – Gemeinschaftsforschung und -entwicklung.4
6.166
Abgrenzung. Eigenforschung und -entwicklung liegt hiernach vor, wenn ein Verbundunternehmen (Muttergesellschaft oder spezielle FuE-Gesellschaft) in eigenem Namen und auf eigene Rechnungen Forschung und Entwicklung betreibt und die hieraus resultierenden Ergebnisse, insb. daraus hervorgehende immaterielle Wirtschaftsgüter, entweder in seinem eigenen Leistungserstellungsprozess einsetzt oder aber diese an andere Verbundunternehmen – ggf. organisatorisch über eine zentrale IP-Verwertungsgesellschaft oder einen IP-Pool – lizenziert.
6.167
Begriff der Auftragsforschung/-entwicklung. Auftragsforschung im Konzern liegt vor, wenn ein Konzernunternehmen einem verbundenen Unternehmen einen Einzelforschungsauftrag dergestalt erteilt, dass gezielt spezielle Aufgabenstellungen des Auftraggebers zu lösen sind, die diesem später ausschließlich und uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Dieser
6.168
1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 2. 2 Vgl. Storck in FS Debatin, 459. 3 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 934. 4 Vgl. Tz. 6.3. OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 216; Engler in V/B/E, Verrechnungspreise, N Rz. 63 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Forschungsauftrag kann sich auf die Grundlagenforschung wie auch die angewandte Forschung und Entwicklung beziehen, wobei es sich sowohl um Neu- als auch um Weiterentwicklungsprojekte handeln kann. Die VWG 1983 behandeln die Verrechnung von Auftragsforschungsleistungen im Zusammenhang mit der „Nutzungsüberlassung von Patenten, Knowhow oder anderen immateriellen Wirtschaftsgütern“ unter der Tz. 5.1
6.169
Auftragsforschung als Dienstleistung. Die (Auftragsforschungs-)Leistungen müssen gleichwohl regelmäßig als eine Dienstleistung des forschenden Unternehmens angesehen werden. Es handelt sich nämlich um Tätigkeiten, bei denen im Gegensatz zur Lizenzvergabe ausschließlich der Auftraggeber das „Ergebnisrisiko“ trägt, da auch dann sämtliche Forschungsaufwendungen zu vergüten sind, wenn das Forschungsergebnis aus der Erkenntnis besteht, dass für das zu erforschende Problem keine Lösung existiert. Derartige Auftragsforschungsleistungen stellen Leistungen dar, die auch von fremden Dritten, wie etwa unabhängigen Forschungseinrichtungen oder Universitätsinstituten, ausgeführt werden können.2 Die Vergütung des Ergebnisses des Einzelforschungsauftrags ist nicht als eine Lizenzgebühr, sondern als ein Entgelt für eine technische Dienstleistung anzusehen. Auch die OECD-Leitlinien erwähnen in Tz. 7.41 die Auftragsforschung als Beispiel für eine konzerninterne Dienstleistung.3 Die forschende Gesellschaft sei insofern i.d.R. vor einem finanziellen Risiko geschützt, als üblicherweise die Abgeltung aller Aufwendungen vereinbart werde, und zwar unabhängig vom konkreten Forschungserfolg. Der Auftraggeber sei generell Eigentümer derjenigen immateriellen Vermögenswerte, die aus der Forschungstätigkeit entstünden, weil er auch die entsprechenden Risiken übernehmen würde. In Tz. 9.26 OECD-Leitlinien wird ferner auf die typische Funktions- und Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragsforscher eingegangen, wonach der Auftraggeber das Risiko fehlgeschlagener Forschung trägt, Eigentümer der FuE-Ergebnisse wird und die maßgeblichen Entscheidungen trifft.4 Demgegenüber beschränkt sich der Auftragsforscher auf die Durchführung der Forschungsarbeiten, erhält ein erfolgsunabhängiges Entgelt, hat dem Auftraggeber nach vordefinierten Meilensteinen Bericht zu erstatten und trägt lediglich allgemeine Geschäftsrisiken.
6.170
Aktivierung der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen. Es stellt sich die Frage, ob die an die Forschungsgesellschaft zu zahlenden Entgelte beim Auftraggeber zu aktivieren sind. Eine solche Aktivierung käme steuerlich nur dann in Betracht, wenn es sich um ein entgeltlich erworbenes immaterielles Wirtschaftsgut handeln würde.5 Handelsrechtlich besteht dagegen ein Wahlrecht für die Aktivierung selbst geschaffener immate1 2 3 4 5
Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5.3. Vgl. Flick, BB 1973, 286. Vgl. Tz. 7.41 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.26 OECD-Leitlinien 2010. Vgl § 5 Abs. 2 EStG.
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B. Dienstleistungen
rieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens.1 Bei dem im Rahmen einer Auftragsforschung zu erteilenden Forschungsauftrag handelt es sich um einen Dienstvertrag (§ 611 BGB) bzw. um einen auf einem Dienstvertrag beruhenden Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB). Damit erhält das Forschungsunternehmen ein Entgelt für seine erbrachten Dienstleistungen, welches einen Ersatz der entstandenen Aufwendungen beinhaltet. Das Forschungsunternehmen schuldet in diesem Fall somit nicht die „Lieferung“ eines fertigen immateriellen Wirtschaftsguts, sondern lediglich die Erbringung von (Forschungs-)Dienstleistungen. Damit handelt es sich nicht um den entgeltlichen Erwerb eines immateriellen Wirtschaftsguts, so dass die Entgeltszahlungen an die Forschungsgesellschaft beim Auftraggeber nicht zu aktivieren sind, sondern dort eine sofort abzugsfähige Betriebsausgabe darstellen. Indirekt wird diese Auffassung von der Finanzverwaltung in Tz. 1.6 der VWG-Umlage bestätigt. Danach kommt bei Umlagezahlungen an einen Forschungs- bzw. Dienstleistungspool ebenfalls keine Aktivierung in Betracht.2 Ein gemeinsamer Forschungspool ist jedoch ein Unterfall der Auftragsforschung, wo mehrere Auftraggeber im Konzern im gemeinsamen Interesse und für gemeinschaftliches Risiko eine Konzernforschungseinheit mit der Erbringung von Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen beauftragen (Nachfragepool, Rz. 6.347). c) Verrechnungspreisermittlung bei Auftragsforschern Ermittlung des Leistungsentgelts. Tz. 5.3. VWG 1983 geht davon aus, dass das angemessene Leistungsentgelt bei Auftragsforschungsverhältnissen „regelmäßig“ mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln ist.3 Diese Aussage ist sachgerecht, da es sich bei den (Forschungs-)Dienstleistungen normalerweise um konzernspezifische Leistungen handelt, für die ermittelbare Marktpreise nicht existieren. Das schließt jedoch nicht aus, dass in bestimmten Ausnahmefällen dennoch eine Marktpreisorientierung möglich ist und damit die Anwendungsvoraussetzungen für die Preisvergleichsmethode vorliegen. Zur Ermittlung solcher Marktpreise ist z.B. das Einholen von Vergleichsangeboten oder die zeitweise Vergabe vergleichbarer Aufträge an unabhängige Forschungseinrichtungen, wie z.B. Universitätsinstitute oder FuE-Abteilungen spezialisierter unabhängiger Unternehmen, denkbar. Durch die Verwendung des Wortes „regelmäßig“ lassen die VWG 1983 in Tz. 5.3. auch diese Form der Preisermittlung zu. Dies entspricht dem in § 1 Abs. 3 AStG verankerten Stufenverhältnis, nach dem der tatsächliche Fremdvergleich vorrangig zum Tragen kommt. Folglich hat die Preisvergleichs1 Vgl. § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.6. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5.3.; ebenso Tz. 2.55 und 7.41 OECD-Leitlinien 2010. Siehe auch Wendel, JbFSt 2011/2012, 861.
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6.171
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
methode Vorrang vor jeder anderen Methode, da sie als einzige Methode auf marktentstandene, d.h. direkt am Markt beobachtbare Preise für uneingeschränkt, jedenfalls aber eingeschränkt vergleichbare Referenztransaktionen abstellt und damit auf dem tatsächlichen Fremdvergleich basiert. Ist demnach in Ausnahmefällen ein innerer Preisvergleich möglich, ist für die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode kein Raum. Dies steht im Einklang mit der Auffassung der OECD, wonach bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit die Preisvergleichsmethode stets jede andere klassische Methode dominiert.1
6.172
Gewinnaufschlag und Verzicht auf Gewinnelement. Bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode müssen sämtliche Kosten, also alle direkten und indirekten Kosten, verrechnet werden. Der Gewinnaufschlag dürfte sich – entsprechend der Handhabung bei Leistungen anderer Konzerndienstleistungseinheiten (Rz. 6.344) – zwischen 5 % und 10 % bewegen, zumal die Forschungsgesellschaft bei Auftragsforschungsleistungen kein Forschungsrisiko trägt. Der Ausschluss des Forschungsrisikos bedeutet allerdings nicht, dass eine selbständige Konzernforschungsgesellschaft nicht sonstigen unternehmerischen Risiken ausgesetzt ist, so dass ein Gewinnaufschlag dem Grunde nach in jedem Fall gerechtfertigt ist. Tz. 2.55 der OECD-Leitlinien ist insofern missverständlich, als dort neben der Abgeltung sämtlicher Kosten von einem „zusätzlichen Gewinnaufschlag“ die Rede ist, der zum Ausdruck bringen könne, wie innovativ und komplex die Forschungsarbeiten sind.2 Diese Ausführungen könnten implizieren, dass allein eine Kostenverrechnung in Betracht käme. Dies wäre unzutreffend. Jedweder Verzicht auf die Einbeziehung eines Gewinnelements bei der Einzelverrechnung bestimmter Dienstleistungen ist – außerhalb der Poolumlage (Rz. 6.342 ff.) – mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs unvereinbar, da ein gewinnzielorientierter Unternehmer bzw. ordentlicher Geschäftsleiter i.d.R. keine Leistung – auch keine Nebenleistung – erbringen würde, ohne damit eine Gewinnerwartung zu verbinden (Rz. 6.76). Tritt ein Unternehmen gegenüber einem anderen – mit welcher Art verrechenbarer Dienstleistungen auch immer – als Dienstleistungsunternehmen auf, so ist die Verrechnung von Selbstkosten ohne Gewinnaufschlag zwischen Fremden unter normalen Umständen nicht vorstellbar. Durch den Verzicht auf das Gewinnelement würde der Gewinn einseitig dem leistungsempfangenden Unternehmen zugeschlagen, was eine ungerechtfertigte Gewinnverlagerung bedeuten würde, die durch den Grundsatz des Fremdvergleichs eben gerade vermieden werden soll. Infolgedessen ist die Berücksichtigung eines Gewinnaufschlages im Rahmen der Einzelabrechnung von Dienstleistungen, d.h. außerhalb der Poolumlage (Rz. 6.342 ff.), zwingend.
6.173
Aufteilung von Standortvorteilen des Auftragsforschers. Zu den allgemein als Standortvorteilen in Betracht kommenden Faktoren sowie zur Vor1 Vgl. Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 2.55 OECD-Leitlinien 2010.
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B. Dienstleistungen
gehensweise vgl. Rz. 5.216 sowie Rz. 6.36. Die niedrigeren Kosten führen ceteris paribus zu einem Mehrgewinn im Vergleich zu reinen FuE-Aktivitäten im Inland ohne Einschaltung des jeweiligen Auftragsforschers. Speziell für FuE-Aktivitäten kommen als Standortvorteile insbesondere staatliche FuE-Förderinstrumente in Betracht, mittels derer der jeweilige Staat seine Attraktivität für FuE-Aktivitäten im Rahmen der Innovationspolitik zu steigern beabsichtigt.1 Diese können als direkte Projektförderung im Rahmen spezifischer Förderprogramme oder aber als steuerliche Förderung im Rahmen indirekter Fördermaßnahmen ausgestaltet sein. Der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn wird bei der undifferenzierten Anwendung der Kostenaufschlagsmethode nicht zutreffend berücksichtigt, es sei denn, der Gewinnaufschlag wird bereits entsprechend angepasst.2 Wie im Fall eines Lohnfertigers (vgl. Rz. 6.44 werden auch hier grds. seitens der Finanzverwaltung Gewinnaufschläge von 5–10 % akzeptiert. Diese pauschalen Aussagen können jedoch auch bei Auftragsforschern nicht akzeptiert werden. Besonders deutlich wird dies bei FuE-bezogenen Fördermaßnahmen, mit denen gezielt – auch durch Deutschland – Standortpolitik betrieben wird, um im internationalen Wettbewerb um FuEAktivitäten zu bestehen und sich zu behaupten. Gleiches gilt i.Ü. bei jedweder Gewährung von Steuervergünstigungen, Investitionszuschüssen oder vergleichbaren staatlichen Subventionen. In diesen Fällen schränkt die ausländische Steuerhoheit ihr Besteuerungsrecht zur Förderung der heimischen Wirtschaft gezielt ein.3 Vor diesem Hintergrund kann es dann nicht gerechtfertigt sein, wenn das Inland durch eine undifferenzierte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode mit einem Standardgewinnaufschlag die im Ausland aufgrund von Standortvorteilen erhöhten Gewinne abschöpft und der deutschen Besteuerung unterwirft.4 Eine Aufteilung von Standortvorteilen bei Lohnfertigern wurde in der Literatur umfangreich diskutiert und ist zwischenzeitlich akzeptiert (vgl. hierzu und zur analog geltenden Vorgehensweise bei der Aufteilung ausführlich Rz. 6.36). Dieser Befund einer zwingenden Aufteilung von Standortvorteilen gilt für Standortvorteile des Auftragsforschers gleichermaßen.5 Die Rechtfertigung besteht letztlich nicht darin, dass der Auftragsforscher produktionsbezogene Dienstleistungen erbringt, sondern darin, dass bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode mit einem Standardgewinnaufschlag eine Fehlallokation der Standortvorteile beim Auftrag1 Für einen internationalen Vergleich siehe etwa Spengel/Elschner, ZfB 2010, Special Issue 2, 1 ff,; für Deutschland etwa Spengel/Herbold, Ubg 2010, 343 ff. 2 So z.B. auch Dreßler in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Podiumsdiskussion, 98. 3 Vgl. zu gesamtwirtschaftlichen Effekten einer höheren FuE-Intensität Spengel/ Elschner, ZfB 2010, Special Issue 2, 2; Herbig, Steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung im internationalen Vergleich, Stuttgart 2009, 24 ff. jeweils m.w.N. zu empirischen Untersuchungen. 4 Vgl. auch Kroppen in Kroppen, Handbuch internationale Verrechnungspreise, Rz. D 59. 5 Vgl. Wendel, JbFSt 2011/2012, 860 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
geber eintritt, die unter Fremdvergleichsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen ist. Insofern tritt diese Fragestellung stets auf, wenn es um Routineunternehmen – wie vorliegend den Auftragsforscher – geht, dessen Dienstleistungsentgelt für die bloße Funktionsausübung kostenorientiert mittels der Kostenaufschlagsmethode ermittelt wird. In diesem Fall müssen etwaige Standortvorteile stets gesondert betrachtet werden. Soweit es Auftragsforscher in Deutschland betrifft, wird diese Auffassung auch von Vertretern der Finanzverwaltung geteilt.1 Die VWG-Funktionsverlagerung äußern sich zwar wiederholt zu Standortvorteilen,2 bleiben allerdings im Hinblick auf ihre Aufteilung letztlich unbestimmt. Nach Tz. 93 der VWG-Funktionsverlagerung soll es für die Zurechnung von Standortvorteilen darauf ankommen, „welches Unternehmen diese Vorteile/Nachteile in den fiktiven Preisverhandlungen in Anspruch nehmen könnte bzw. tragen müsste“, was letztlich von den – sich aus objektiven Umständen ergebenden – „konkreten Handlungsalternativen“ und der „jeweiligen Verhandlungsstärke“ abhängen soll.3 Die Finanzverwaltung argumentiert hier mit der Verhandlungslösung und unterstellt, dass der (inländische) Auftraggeber stärker als der (ausländische) Auftragnehmer ist. Diese Überlegungen erinnern an die sog. Schiedsrichterlösung, die allerdings wegen ihrer Abhängigkeit von Einflussfaktoren, die zwischen nahe stehenden Unternehmen beliebig dem einen oder dem anderen Verhandlungspartner zugeordnet werden können, für die Aufteilung von Einigungsbereichen ungeeignet ist.4 Außerdem stehen diese Überlegungen im Widerspruch zur Fiktion der vollständigen Information und Markttransparenz nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG, die letztlich zu gleichen Verhandlungsstärken führen muss.
6.174
(Anlauf-)Verluste des Auftragsforschers. Zur Behandlung von Anlaufverlusten kann zunächst auf die Ausführungen unter Rz. 6.45 f. verwiesen werden. Als entsprechender Zeitraum wird dabei in der Literatur eine Periode von fünf Jahren genannt.5 Allerdings muss – bei neu eingeführten Produkten – zu Beginn der Markteinführungsphase eine realistische Gewinnerwartung vorliegen, die durch eine betriebswirtschaftliche Prognoserechnung zu plausibilisieren ist. Dies schließt nicht aus, dass in bestimmten Fällen eine Fehlmaßnahme vorliegen kann, so dass sich die prognostizierte Gewinnerwartung ex post nicht einstellt. Entscheidend ist also nur, ob eine Markterschließungsstrategie zum Zeitpunkt ihres Beginns plausible Erfolgsaussichten hatte.6 1 Vgl. Wendel, JbFSt 2011/2012, 860 ff. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 76, 85, 93, 123, 128, 155, 168. 3 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 93, 121 ff. 4 Vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 351; Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 792. 5 Vgl. Wassermeyer, WPg 2002, 16. 6 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 36.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
Sowohl die Auffassung der Finanzverwaltung als auch diese Rechtsprechungsgrundsätze müssen zum einen vor dem Hintergrund der klassischen Verrechnungspreislehre eines als „Entrepreneur“ bzw. Strategieträger zu qualifizierenden Vollproduzenten gesehen werden.1 Sie sind zum anderen nur zutreffend, wenn nach der konkreten Funktions- und Risikoverteilung das betreffende Unternehmen eigene Marktchancen und -risiken wahrnimmt. Beschränkt sich etwa im Rahmen der Produktionsfunktion das Funktions- und Risikoprofil des Produktionsunternehmens auf die Funktionsausübung, wie dies bei einem Lohn- oder Auftragsfertiger der Fall ist, können diese Grundsätze nicht durchgreifen. Dies gilt deshalb, weil die Funktionsverantwortung beim Auftraggeber verbleibt (vgl. im Einzelnen Rz. 6.25 ff.). Nichts anderes gilt im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragsforscher. Auch hier verantwortet der Auftraggeber die FuE-Funktion und nimmt entsprechende Marktchancen und -risiken wahr. Der Auftragsforscher hingegen ist auf die Funktionsausübung beschränkt. Insofern trägt er lediglich die mit der Funktionsausübung verbundenen Risiken, wie dies jedweder Tätigkeitsausübung eigen ist.2 Im Übrigen sind Anlaufkosten auch Kosten, die vom Auftraggeber – über die Kostenaufschlagsmethode – zu ersetzen sind (auch bei fehlgeschlagener Forschung). Als Routineunternehmen erzielt der Auftragsforscher „bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“3. Von Verlusten werden Routineunternehmen – bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf – durch den Auftraggeber freigehalten, was durch die kostenorientierte Entgeltsbemessung gewährleistet ist.4 Anlaufverluste können vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BFH zu Vertriebsgesellschaften allenfalls über einen kurzen Zeitraum und auch nur dann in Betracht kommen, wenn diese danach überkompensiert werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass etwaige Standortvorteile – jedenfalls hälftig (Rz. 6.173) – beim Auftragsforscher verbleiben.
C. Arbeitnehmerentsendungen Literatur Achter, Der Arbeitgeberbegriff im Doppelbesteuerungsrecht, IStR 2003, 410; Amann, Dienstleistungen im internationalen Steuerrecht: Engineering – Management – Beratung – Lizenzverkehr, München 1998; Baranowski, Besteuerungsrecht nach Art. 15 OECD-MA und Aufwandszuordnung bei grenzüberschreitender Per1 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 35 ff., Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 2011, 145. 2 Vgl. Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1287; Zech, IStR 2011, 133. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. 4 Siehe zu einem infrage kommenden temporären Gewinnverzicht in Phasen gesamtwirtschaftlicher oder branchenbezogener Krisen aber auch Baumhoff in FS Krawitz, 32 f.
Baumhoff/Hick
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch sonalentsendung, IWB 2000, F. 3 Gr. 2, 941; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den „VerwaltungsgrundsätzeVerfahren“, DStR 2005, 1549; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8. 2008, DStR 2008, 1945; Brünninghaus/Bodenmüller, Tatbestandsvoraussetzungen der Funktionsverlagerung, DStR 2009, 1285; Busl, Arbeitnehmerentsendung aus Deutschland zwischen international verbundenen Unternehmen: Gedanken zur umsatzsteuerlichen Belastung, UVR 2005, 35; Ditz, Praxisfall einer Verrechnungspreisprüfung und Funktionsverlagerung, IStR 2009, 421; Ditz/Quilitzsch, Aktuelle Entwicklungen im Hinblick auf die Definition der Betriebsstätte, FR 2012, 493; Dubberke, Die steuerliche Behandlung von Engineering im Zusammenhang mit Großanlagenprojekten im Ausland, IStR 1998, 662; Endfellner, Der Begriff des Arbeitgebers im Sinne von Art. 15 Abs. 2 OECD-MA: Geltung der rechtlichen oder wirtschaftlichen Betrachtungsweise in Österreich, SWI 2002, 281; Finsterwalder, Einkunftsabgrenzung bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen, DStR 2005, 765; Finsterwalder, Bemessung von Verrechnungspreisen bei grenzüberschreitenden Know-how-Überlassungen im Konzern, IStR 2006, 355; Förster, Steuerfragen und Dokumentationspflichten bei der Mitarbeiterentsendung aus Sicht der Unternehmen, in: Festschrift für Franz Wassermeyer, München 2005; Gelsheimer/Meyen, Besonderheiten von Nettolohnvereinbarungen bei internationalem Mitarbeitereinsatz, DB 2010, 2581; Görl, Steuerliche Probleme der Mitarbeiterentsendung, IStR 2002, 443; Hasbargen/Moog, Abenteuer Auslandseinsatz – Grundlegende Aspekte der internationalen Mitarbeiterentsendung, BuP 2012, 375; Herzig, Steuerliche und bilanzielle Probleme bei Stock Options und Stock Appreciation Rights, DB 1999, 1; Hick, Die steuerliche Behandlung von Arbeitnehmerentsendungen ins Ausland, Diss., Köln 2004; Höppner, Aufwendungen für abgestellte Arbeitnehmer, JbFSt 1989/1990, 148; Hruschka/Lüdemann, Das Veranlassungsprinzip als Maßstab zur innerstaatlichen Betriebsstättengewinnermittlung, IStR 2005, 76; IDW, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen in Fällen der Arbeitnehmerentsendung, IDW-FN 2000, 657; Kratzenberg, Verrechnungspflicht und –entgelt bei der Entsendung von Arbeitnehmern zu ausländischen Beteiligungsgesellschaften, StBp. 1989, 205; Krawitz/Hick, Grenzüberschreitende gewerbliche Arbeitnehmerüberlassungen im Abkommensfall nach der neueren BFH-Rechtsprechung, RIW 2003, 900; Kroppen/Rasch, Die Funktionsverlagerungsverordnung, IWB 2008, F. 3 Gr. 1, 2346; Kroppen/Rasch/Roeder, Neue Verwaltungsgrundsätze des BMF zur Arbeitnehmerentsendung, in: IWB 2002, F. 3 Gr. 1, 1821; Kuckhoff, Auslandssachverhalte in der Betriebsprüfung, in Streck (Hrsg.), Auslandssachverhalte in der Betriebsprüfung, Bonn 1998, 57; Kuckhoff, Personalentsendung im deutschen und internationalen Steuerrecht, in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Internationale Einkünfteabgrenzung, Köln 2003, 115; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, München 1997; Kuckhoff/Schreiber, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung aus Sicht der Betriebsprüfung (Teil II), IStR 1999, 353; Kuckhoff/Schreiber, Die neuen Verwaltungsgrundsätze zur Personalentsendung im Konzern, IWB 2002, F. 3 Gr. 1, 1857; Kuebart, Verrechnungspreise im internationalen Lizenzgeschäft – Grundlagen der Ermittlung steuerlich angemessener Lizenzgebühren bei Verträgen zwischen international verbundenen Unternehmen und Entwicklung eines ganzheitlichen Preisermittlungsmodells, Diss., Bielefeld 1995; Mader, Lohnsteuer-Anmeldung des wirtschaftlichen Arbeitgebers bei internationaler Arbeitnehmerentsendung, BuP 2014, 41; Mastmann/Stark, Vertragsgestaltung bei Personalentsendungen ins Ausland, BB 2005, 1849; Maurer, Personaleinsatz im Ausland, München 2003; Mosbach, Grundfragen zur steuerlichen Behandlung von Mitarbeiterentsendungen, Ubg 2008, 675; Neubauer, Aktuelle Fragen aus der Praxis der Be-
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C. Arbeitnehmerentsendungen triebsprüfung – Zur Abgrenzung der verdeckten Einlagen in ausländische Kapitalgesellschaften von den Betriebsausgaben im Gesellschafterinteresse, StBp. 1971, 250; Neyer, Steuerliche Behandlung der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung im Konzernverbund, BB 2006, 917; Rohler, Anforderungen einer Verrechnungspreisdokumentation, GmbH-StB 2013, 350; Schliephake, Steuerliche Gewinnabgrenzung internationaler Personengesellschaften, Diss., Bielefeld 1990; Schmidt, Der BFH zum wirtschaftlichen Arbeitgeber – Konsequenzen für die Besteuerungspraxis, IStR 2006, 78; Schnorberger/Waldens, Einkommenszuordnung bei grenzüberschreitender Personalentsendung im Konzern, IStR 2001, 39; Schreiber, Grenzüberschreitende Personalentsendungen im Konzern, in JbFSt 2000/2001, 602; Seel, Grenzüberschreitende Arbeitnehmerentsendung – Ein Überblick über arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Fragen, MDR 2011, 5; Siegel, Personalaufwand bei Stock Options: eine Entmündigung der Aktionäre, WPg 2003, 157; Strunk/Kaminski, Internationale Arbeitnehmerentsendung: Wer ist „Experte“ im Sinne der Verwaltungsgrundsätze?, Stbg 2003, 174; Urbahns/Becker, Steuerliche Grundzüge grenzüberschreitender Personalentsendungen – Teil I und II, INF 2002, 353 u. 392; Vögele/Crüger/Schmitt, Mitarbeiterentsendung als Verrechnungspreisproblem: Neue Verwaltungsgrundsätze, DB 2002, 1185; Waldens, „Entsendungserlass“: Einkunftsabgrenzung bei Personalentsendungen ins Inland, PIStB 2002, 14; Waldens, Veranlassungsgerechte Einkunftsabgrenzung bei der Expertenentsendung, PIStB 2002, 255; Wassermeyer, Die Anwendung des § 1 AStG auf Entnahmen, IStR 1997, 657; Wassermeyer, Verdeckte Gewinnausschüttung: Veranlassung, Fremdvergleich und Beweisrisikoverteilung, DB 2001, 2465; Wassermeyer, Diskriminierungsfreie Betriebsstättengewinnermittlung, IStR 2004, 733; Wellisch/Näth/Thiele, Sozialversicherungspflicht bei internationaler Mitarbeiterentsendung – Vorschriften und Gestaltungsmöglichkeiten, IStR 2003, 746.
I. Grenzüberschreitender Einsatz von Arbeitnehmern in internationalen Konzernen 1. Zielsetzung und Ausgestaltung von Arbeitnehmerentsendungen Internationalisierung der wirtschaftlichen Betätigung. Die zunehmende Internationalisierung der grenzüberschreitenden unternehmerischer Betätigung im Zuge des Aufbaus international tätiger Konzerne hat zwangsläufig einen wachsenden Austausch von Arbeitnehmern zwischen den Konzerngesellschaften zur Folge. In der Praxis lässt sich feststellen, dass eine zunehmende Anzahl von Arbeitnehmern von Deutschland zu ausländischen Konzerngesellschaften bzw. von ausländischen Konzerngesellschaften nach Deutschland entsandt wird. Vielschichtig sind dabei die zugrunde liegenden Zielsetzungen. In der Praxis sind folgende typische Zielsetzungen anzutreffen: Umsetzung einer einheitlichen Unternehmenspolitik im Interesse der Konzernspitze, Überwachung der Geschäftstätigkeit der Tochtergesellschaften, internationaler Erfahrungsaustausch, Beseitigung eines Mangels an qualifizierten Arbeitskräften sowie die Fortbildung von Arbeitnehmern. Darüber hinaus kann auch ein Leistungsaustausch im Rahmen eines Dienstleistungsverhältnisses in Frage kommen.
6.175
Zwei zentrale Problemfelder aus steuerlicher Sicht. In steuerlicher Hinsicht ist zwischen zwei zentralen Problemfeldern zu unterscheiden. Aus Unternehmenssicht steht zunächst die Behandlung konzerninterner Ent-
6.176
Hick
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
sendungen im Rahmen der Einkunftsabgrenzung im Vordergrund. Konkret geht es um die Frage, ob die entsendende oder die aufnehmende Konzerneinheit mit dem Aufwand der Entsendung zu belasten ist. Diese Fragestellung wird von der deutschen Finanzverwaltung verstärkt überprüft, um zu vermeiden, dass das deutsche Besteuerungssubstrat durch die Geltendmachung von Aufwendungen der Entsendung in Deutschland gemindert wird. Die Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung hat zwischen den Konzerngesellschaften unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Fremdvergleichs zu erfolgen. Dabei ist für die Durchführung des Fremdvergleichs und damit die Ermittlung der Handlungsweise fremder Dritter von Bedeutung, dass die hier betrachteten konzerninternen Arbeitnehmerentsendungen zwischen nicht verbundenen Unternehmen i.d.R. nicht vorkommen. Soweit zwischen fremden Dritten der Austausch von Arbeitskräften erfolgt, handelt es sich um Fälle des gewerblichen Arbeitnehmerverleihs.1
6.177
Versteuerung der Vergütungen aus nichtselbstständiger Arbeit. Weiterhin geht es um die steuerliche Behandlung der von dem Arbeitnehmer erzielten Vergütungen aus nichtselbständiger Tätigkeit. Dabei steht aus Sicht des entsandten Arbeitnehmers die Frage nach der Zuordnung des Besteuerungsrechts für die während der Entsendung erzielten Vergütungen aus nichtselbständiger Tätigkeit im Vordergrund.2 Weiterhin ergeben sich auch sozialversicherungsrechtliche Fragestellungen.3 In Bezug auf die Versteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit geht es konkret um die Frage, ob dem Wohnsitzstaat oder dem Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht für die Vergütungen aus nichtselbständiger Tätigkeit zusteht.4 Aus Unternehmenssicht stehen hingegen vor allem Fragestellungen im Zusammenhang mit der Durchführung des Lohnsteuerabzugs im Vordergrund.5 Dabei geht es aus Unternehmenssicht vor allem um die Vermeidung aus § 42d EStG resultierender Lohnsteuerhaftungstatbestände.6 Die Durchführung des Lohnsteuerabzugs wird dabei in der Praxis durch die zahlreichen Zusatzleistungen erschwert, die entsandten Arbeitnehmern zum Ausgleich persönlicher und finanzieller Belastungen im Rahmen einer Entsendung gewährt werden.7 1 Zu Einzelheiten vgl. Krawitz/Hick, RIW 2003, 900 ff. 2 Hierzu hat die Finanzverwaltung in einem eigenständigen Schreiben Stellung genommen. Vgl. BMF v. 14.9.2006 – IV B 6 - S 1300 - 367/06, BStBl. I 2006, 532. Am 8.11.2013 hat die Finanzverwaltung einen umfassend überarbeiteten Entwurf des Schreibens veröffentlicht. 3 Vgl. hierzu Fey in Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Edition 2/12, Rz. 34; Wellisch/Näth/Thiele, IStR 2003, 746 ff. 4 Zu Einzelheiten vgl. Hick, Arbeitnehmerentsendungen, 174 ff.; Mosbach, Ubg 2008, 675 ff. 5 Zur umsatzsteuerlichen Behandlung vgl. Busl, UVR 2005, 35. 6 Vgl. hierzu auch Prinz/Hick in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, § 32 Rz. 33; Mader, BuP 2014, 41 (43). 7 Vgl. BFH v. 21.1.2010 – VI R 2/08, BStBl. II 2010, 639 zur Einstufung durch den Arbeitgeber übernommener Steuerberatungskosten als Arbeitslohn. Zur Behandlung von Nettolohnvereinbarungen vgl. Gelsheimer/Meyen, DB 2010, 2581.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
2. Ausgestaltung konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen Systematisierung konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen. In der Praxis weist die Ausgestaltung konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen vielfältige Ausprägungsformen auf. Für eine grobe Systematisierung kann zwischen sog. Outbound- und Inbound-Entsendungen unterschieden werden. Dabei zeichnen sich Outbound-Entsendungen dadurch aus, dass ein bei einem in Deutschland ansässigen Konzernunternehmen beschäftigter Arbeitnehmer zeitlich befristet bei einem ausländischen Konzernunternehmen tätig wird. Bei einer Inbound-Entsendung erfolgt hingegen der Einsatz bei einem ausländischen Konzernunternehmen beschäftigter Arbeitnehmer in einem inländischen Konzernunternehmen. Ein weiteres Systematisierungskriterium kann die Entsendungsrichtung bilden. Dabei kann unterschieden werden, ob die Entsendung eines bei der Konzernspitze beschäftigten Arbeitnehmers zu einer Tochtergesellschaft erfolgt, oder bei einer Tochtergesellschaft beschäftigte Arbeitnehmer für die Muttergesellschaft des Konzerns tätig werden. Anzutreffen sind zudem auch Entsendungen zwischen den Tochtergesellschaften eines Konzerns.
6.178
Unterschiedliche Vertragstypen zur Ausgestaltung konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen. In der Praxis sind unterschiedliche vertragliche Ausgestaltungen konzerninterner Entsendungen anzutreffen.1 Hierfür sind v.a. die unterschiedlichen Zielsetzungen ausschlaggebend, die einer Entsendung zugrunde liegen. Auch wenn im Detail unterschiedliche Ausgestaltungsformen bestehen, kann zwischen zwei wesentlichen Vertragstypen unterschieden werden2: Der Entsendung kann ein mit der entsendenden Konzerneinheit fortbestehender Arbeitsvertrag zugrunde liegen (Ein-Vertrags-Modell). Die Besonderheiten des Auslandseinsatzes werden dann regelmäßig in einer Zusatzvereinbarung zu dem fortbestehenden Arbeitsvertrag geregelt. Im Fall längerfristiger Entsendungen erfolgt i.d.R. allerdings der Abschluss eines Arbeitsvertrages mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft.3 In der arbeitsrechtlichen Terminologie wird diese Gestaltungsform als Versetzung bezeichnet. Der bestehende Arbeitsvertrag mit der entsendenden Gesellschaft wird für die Dauer der Entsendung i.d.R. ruhend gestellt (Zwei-Vertrags-Modell). In einem sog. Stammhausbindungsvertrag werden dann die fortbestehenden Pflichten der entsendenden Konzerngesellschaft während der Entsendung geregelt.4
6.179
1 Siehe hierzu auch Hasbargen/Moog, BuP 2012, 375. 2 Vgl. hierzu mit entsprechenden Vertragsmustern Lingemann in Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann, Anwalts-Formularbuch Arbeitsrecht, 2011, Kapitel 11 Rz. 1 ff.; Maurer, Personaleinsatz im Ausland, 2003, 98; Mastmann/Stark, BB 2005, 1849 ff. 3 Zu den unterschiedlichen Ausgestaltungsformen vgl. Hick, Arbeitnehmerentsendungen, 14 ff.; Neyer, BB 2006, 917 (918); sowie Seel, MDR 2011, 5 (6). 4 Zu Einzelheiten der unterschiedlichen Vertragsmuster vgl. Küttner/Röller in Küttner, Personalbuch, 2012, M7.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
II. Verwaltungsgrundsätze Arbeitnehmerentsendungen 1. Überblick
6.180
Verwaltungsgrundsätze Arbeitnehmerentsendungen. Mit den Verwaltungsgrundsätzen Arbeitnehmerentsendungen vom 9.11.20011 („VWGArbeitnehmerentsendung“) hat die Finanzverwaltung erstmals in einem eigenständigen BMF-Schreiben zur Behandlung grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendungen zwischen verbundenen Unternehmen im Rahmen der Einkunftsabgrenzung Stellung genommen. In der Praxis stellen die VWG-Arbeitnehmerentsendung daher regelmäßig den Ausgangspunkt für die Ermittlung einer zutreffenden Behandlung von Entsendungen im Rahmen der Einkunftsabgrenzung dar.
6.181
Zielsetzung der Verwaltungsgrundsätze. Die Zielsetzung der VWG-Arbeitnehmerentsendung besteht in der Aufteilung des Aufwandes einer konzerninternen Arbeitnehmerentsendung zwischen den beteiligten Konzerngesellschaften anhand des Grundsatzes des Fremdvergleichs.2 Die Ausführungen der Finanzverwaltung dienen insoweit der Konkretisierung des Grundsatzes der betrieblichen Veranlassung von Aufwendungen i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG in den Fällen einer Arbeitnehmerentsendung. Bis zum Erlass der VWG-Arbeitnehmerentsendung richtete sich die Behandlung von Entsendungen im Rahmen der Einkunftsabgrenzung nach den allgemeinen Regelungen der Verwaltungsgrundsätze vom 23.2.1983 zur Einkunftsabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen und den hierin enthaltenen Vorgaben zur betrieblichen Veranlassung (§ 4 Abs. 4 EStG) von Aufwendungen.3 Insoweit enthalten die VWG-Arbeitnehmerentsendung weitergehende Hinweise der Finanzverwaltung zur betrieblichen Veranlassung des Aufwandes einer Entsendung bei der entsendenden oder der aufnehmenden Konzerngesellschaft. Das Schreiben ist allerdings weder mit den OECD-Staaten noch innerhalb der EU abgestimmt. Insoweit ist nicht sichergestellt, dass andere Staaten eine entsprechende Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung vornehmen.4
6.182
Keine Regelung zur Besteuerung der Vergütungen aus nichtselbstständiger Arbeit. Der Regelungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung ist auf die Aufteilung des Aufwandes der Arbeitnehmerentsendung anhand des Grundsatzes des Fremdvergleichs beschränkt. Keine Aussage treffen die Verwaltungsgrundsätze hingegen zu der Behandlung der von dem entsandten Arbeitnehmer während der Entsendung erzielten Einkünfte aus 1 BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 2.1. 2 Vgl. Borstell in V/B/E, Verrechnungspreise3, Tz. P 5. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 4 Allein im Zusammenhang mit der Ermittlung eines einheitlichen Aufteilungsmaßstabes wird von der Finanzverwaltung die erforderliche Abstimmung mit der ausländischen Finanzverwaltung angesprochen. Vgl. Tz. 3.5. der VWG-Arbeitnehmerentsendung.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
nichtselbstständiger Tätigkeit.1 Bei Entsendungen in einen DBA-Staat kann ein Wechsel des für die Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit geltenden Besteuerungsregimes erfolgen. So steht nach Art. 15 Abs. 2 Buchst. b bzw. c OECD-MA dem Tätigkeitsstaat ab dem ersten Tag der Auslandstätigkeit an das Besteuerungsrecht zu, falls die Vergütungen des Arbeitnehmers wirtschaftlich von der Konzerngesellschaft bzw. Betriebsstätte getragen werden, für die der entsandte Arbeitnehmer während seiner Auslandstätigkeit tätig wird (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.221). 2. Abgrenzung des Anwendungsbereichs der VWG-Arbeitnehmerentsendung a) Persönlicher Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung Grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern zwischen verbundenen Unternehmen. Für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Verwaltungsgrundsätze ist zunächst zu beachten, dass die VWG-Arbeitnehmerentsendung nach dem Wortlaut nur auf grenzüberschreitende Arbeitnehmerentsendungen zwischen verbundenen Unternehmen zur Anwendung gelangen.2 Dies bedeutet, dass entweder das aufnehmende oder das entsendende Unternehmen im Ausland ansässig sein muss. Nicht zur Anwendung gelangen die VWG-Arbeitnehmerentsendung somit auf den Austausch von Arbeitnehmern zwischen konzernzugehörigen im Inland ansässigen Unternehmen sowie auf den Austausch von Arbeitskräften zwischen fremden Dritten. Dabei dürfte einem Austausch von Arbeitskräften zwischen fremden Dritten regelmäßig eine (gewerbliche) Arbeitnehmerüberlassung zugrunde liegen. Grundsätzlich ist allerdings zu beachten, dass der aus dem BMF-Schreiben resultierende Gedanke einer Aufteilung der Aufwendungen nach dem Prinzip der betrieblichen Veranlassung i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG prinzipiell auch im Rahmen des Einsatzes von Arbeitnehmern zwischen inländischen Konzerngesellschaften von Relevanz ist.
6.183
Entsprechende Anwendung der VWG-Arbeitnehmerentsendung im Rahmen der Betriebsstättengewinnermittlung. Nach der Auffassung der Finanzverwaltung sind die VWG-Arbeitnehmerentsendung im Rahmen der Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte entsprechend anzuwenden.3 Diese Anordnung ließ bislang allerdings die zwischen verbundenen Unternehmen und Betriebsstätten im Rahmen der Einkunftsabgrenzung bestehenden Unterschiede außer Acht. So konnte
6.184
1 Zu Einzelheiten der Besteuerung von Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit im Rahmen einer Auslandstätigkeit vgl. BMF v. 14.9.2006 – IV B 6 - S 1300 367/06, BStBl. I 2006, 532. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 1. 3 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 6.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nach der Rechtslage vor der Umsetzung des AmtshilfeRLUmsG1 der Grundsatz des Fremdvergleichs, gestützt auf das Veranlassungsprinzip2 des nationalen Rechts, auf Grund der rechtlichen Unselbstständigkeit der Betriebsstätte im Rahmen der Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht uneingeschränkt zur Anwendung gelangen. Somit konnte die Betriebsstätte für Zwecke der Einkunftsabgrenzung nicht mit einer rechtlich selbstständigen Tochtergesellschaft gleichgesetzt werden.3 Damit konnte bspw. auch der Maßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Rahmen der Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte keine Anwendung finden.4 Um eine Rechtsgrundlage für die Anwendung des neu gefassten Art. 7 des OECD-MA 20105 im innerstaatlichen Recht zu schaffen, sieht der im Rahmen des AmtshilfeRLUmsG neu gefasste § 1 Abs. 5 AStG vor, Betriebsstätten im Rahmen der Einkunftsabgrenzung fiktiv als selbstständige Unternehmen zu behandeln.6 Insoweit besteht damit ab dem 1.1. 2013 erstmals eine Rechtsgrundlage für die in den VWG-Arbeitnehmerentsendung angeordnete entsprechende Anwendung des Schreibens im Rahmen der Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte b) Überblick über den sachlichen Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung
6.185
Von dem Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung erfasste Entsendungen. Inhaltlich erstreckt sich der Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung auf Entsendungen, bei denen der Arbeitnehmer mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft eine arbeitsrechtliche Vereinbarung abschließt oder die aufnehmende Konzerngesellschaft als wirtschaftlicher Arbeitgeber einzustufen ist.7 In beiden Fällen muss es sich allerdings um die Entsendung eines Arbeitnehmers i.S.d. § 19 EStG handeln.8 Nicht erfasst wird damit der grenzüberschreitende Einsatz von selbstständig Tätigen i.S.d. § 18 EStG, die innerhalb eines Konzerns auf Veranlassung einer Konzerngesellschaft für weitere Konzerngesellschaften tätig werden. 1 Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (AmtshilfeRLUmsG) v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 2 Vgl. hierzu Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 76 (77); Wassermeyer, IStR 2004, 734. 3 Vgl. BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 131; v. 16.2.1996 – I R 46/95, BFH/NV 1997, 111. 4 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1087 Rz. 2.2. 5 Vgl. Ditz in Raupach/Pohl/Spatscheck/Weggenmann, Praxis des Internationalen Steuerrechts, 2012, 182. 6 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 7 OECD-MA, Rz. 15 ff. 7 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 2.1. 8 Zur Abgrenzung des Begriff des Arbeitnehmers vgl. Pflüger in H/H/R, § 19 EStG Rz. 76 ff.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
Nicht in den Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung fallende Entsendungen. Nicht in den Anwendungsbereich des BMF-Schreibens fallen auch Entsendungen, die im Rahmen eines Leistungsaustauschs erfolgen. Die Struktur stellt sich in der Praxis typischerweise so dar, dass der Entsendung zwischen den verbundenen Unternehmen ein Werk- bzw. Dienstleistungsvertrag zugrunde liegt, in dessen Rahmen dann der Einsatz des entsandten Arbeitnehmers erfolgt. D.h. der Einsatz des entsandten Arbeitnehmers dient der Erfüllung von Leistungen, zu denen sich eine Konzerngesellschaft vertraglich verpflichtet hat. In diesem Fall erfüllt die Gesellschaft, für die der entsandte Arbeitnehmer tätig wird, nicht die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers.1
6.186
III. Arbeitnehmerentsendungen i.S.d. VWG-Arbeitnehmerentsendung 1. Abgrenzung des Anwendungsbereichs a) Aufnehmende Konzerneinheit als arbeitsrechtlicher bzw. wirtschaftlicher Arbeitgeber Zivilrechtliche oder wirtschaftliche Arbeitgeberstellung der aufnehmenden Konzerngesellschaft. Die VWG-Arbeitnehmerentsendung gelangen nur auf Entsendungen zur Anwendung, bei denen die aufnehmende Konzerngesellschaft die Voraussetzungen eines zivilrechtlichen oder eines wirtschaftlichen Arbeitgebers erfüllt.2 Hintergrund ist, dass durch den zivilrechtlichen bzw. wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff die Gesellschaft bestimmt wird, die im Innenverhältnis zwischen den verbundenen Unternehmen den Aufwand der Entsendung zu tragen hat.
6.187
Zivilrechtliche Arbeitgeberstellung. Die Überprüfung der zivilrechtlichen Arbeitgeberstellung der aufnehmenden Konzerngesellschaft bereitet in der Praxis i.d.R. keine Schwierigkeiten. Schließt der entsandte Arbeitnehmer im Zuge der Entsendung mit der aufnehmenden Konzerneinheit eine arbeitsvertragliche Vereinbarung ab, erfüllt die aufnehmende Konzerneinheit die Voraussetzungen eines Arbeitgebers i.S.d. Arbeitsrechts. Dies gilt unabhängig davon, ob der bereits bestehende Arbeitsvertrag weiter besteht oder in einen ruhenden Vertrag umgewandelt wird. Komplexer stellt sich in der Praxis regelmäßig die Bestimmung des wirtschaftlichen Arbeitgebers dar.
6.188
Begriff des wirtschaftlichen Arbeitgebers. Bei dem Begriff des wirtschaftlichen Arbeitgebers handelt es sich um eine aus dem Abkommensrecht stammende Begrifflichkeit, die für die Zuordnung des abkommensrecht-
6.189
1 So auch BR-Drucks. 352/08, 15 zur Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerentsendungen i.S.d. VWG-Arbeitnehmerentsendung, Funktionsverlagerungen und Dienstleistungsverhältnissen. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 2.1.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
lichen Besteuerungsrechts bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit von Relevanz ist.1 Auch wenn der Begriff des wirtschaftlichen Arbeitgebers in Art. 15 Abs. 2 Buchst. b OECD-MA nicht ausdrücklich Verwendung findet, geht die h.M. davon aus, dass der in der Vorschrift verwendete Arbeitgeberbegriff in einem „wirtschaftlichen Sinne“ zu verstehen ist.2 Insoweit verweisen die VWG-Arbeitnehmerentsendung für die inhaltliche Abgrenzung auch auf das BFH-Urteil v. 21.8.19853. Die Entscheidung betrifft die Zuordnung des abkommensrechtlichen Besteuerungsrechts für die von einem entsandten Arbeitnehmer erzielten Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Im Urteilsfall war streitig, ob die aufnehmende Konzerngesellschaft die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers erfüllt. Das für die Zuordnung des abkommensrechtlichen Besteuerungsrechts im Bereich der Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit maßgebliche Begriffsverständnis soll nach dem Willen der Finanzverwaltung auch für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der VWG-Arbeitnehmerentsendung gelten.4 Der Umfang der zum wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff ergangenen Rechtsprechung verdeutlicht allerdings, dass in der Praxis die Bestimmung einer wirtschaftlichen Arbeitgeberstellung häufig streitbehaftet ist.5
6.190
Abgrenzung zum lohnsteuerlichen Arbeitgeber. Abzugrenzen ist der Begriff des wirtschaftlichen Arbeitgebers von dem Arbeitgeber i.S.d. Lohnsteuerrechts (§ 1 Abs. 2 LStDV). So dient der lohnsteuerrechtliche Arbeitgeberbegriff allein der Abgrenzung der zur Durchführung des Lohnsteuerabzugs verpflichteten Person nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG. Allerdings zieht der Gesetzgeber seit 2004 den wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff nach § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG6 bei Inbound-Entsendungen auch für die Abgrenzung der lohnsteuerlichen Einbehaltungsverpflichtungen der aufnehmenden inländischen Konzerngesellschaft heran, falls dieser die Stellung eines wirtschaftlichen Arbeitgebers zukommt.7
1 Vgl. Schmidt, IStR 2006, 78 (79); Neyer, BB 2006, 917 (918). 2 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 116; Endfellner, SWI 2002, 281; Achter, IStR 2003, 410 (411). 3 Vgl. BFH v. 21.8.1985 – I R 63/80, BStBl. II 1986, 4. 4 So auch Kroppen/Rasch/Roeder, IWB 2002, 1821 (1824); Görl, IStR 2002, 443 (444). 5 Vgl. BFH v. 18.5.2010 – I B 204/09, BFH/NV 2010, 1636; v. 18.12.2002 – I R 96/01, IStR 2003, 538; v. 4.9.2002 – I R 21/01, BStBl. II 2003, 307 = FR 2003, 262; v. 5.9. 2001 – I R 55/00, IStR 2002, 165; v. 27.4.2000 – I B 114/99, IStR 2000, 569; v. 15.3. 2000 – I R 28/99, FR 2000, 886 = IStR 2000, 408; v. 24.3.1999 – I R 64/98, FR 2000, 211 = IStR 2000, 104; v. 21.8.1985 – I R 63/80, BStBl. II 1986, 6; v. 29.1.1986 – I R 109/85, BStBl. II 1986, 443 = FR 1986, 364 sowie FG Saarland v. 25.7.2013 – 1 V 1184/13, EFG 2013 1706, rkr. 6 Eingefügt durch StÄndG 2003 v. 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2645. 7 Vgl. BFH v. 10.5.2006 – IX R 82/98, BStBl. II 2006, 669 = FR 2006, 833.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
b) Einzelheiten des wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriffs Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers. Dem Begriff des „wirtschaftlichen Arbeitgebers“ liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Unternehmen auch dann eine als Arbeitgeber einzustufende Funktion einnehmen kann, wenn der Arbeitnehmer mit der betreffenden Konzerngesellschaft keinen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Insoweit hat der entsandte Arbeitnehmer dann zwei Arbeitgeber, einen zivilrechtlichen und einen wirtschaftlichen Arbeitgeber. Die Einstufung der aufnehmende Konzerngesellschaft im Rahmen einer Arbeitnehmerentsendung als wirtschaftlicher Arbeitgeber ist daran geknüpft, dass sie den Arbeitnehmer in ihren Geschäftsbetrieb integriert, weisungsbefugt ist und die Vergütungen für die geleistete nichtselbständige Tätigkeit wirtschaftlich trägt.1
6.191
Wirtschaftliches Tragen der Vergütung des entsandten Arbeitnehmers. Für die Beurteilung, ob eine Konzerngesellschaft die Vergütungen des entsandten Arbeitnehmers wirtschaftlich trägt, kommt es wesentlich auf die Behandlung des Aufwandes der Entsendung im Rahmen der Einkunftsabgrenzung an. Ist im Rahmen einer konzerninternen Entsendung eine Konzerngesellschaft nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs mit dem Aufwand der Entsendung zu belasten, erfüllt die Gesellschaft die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es für ein „wirtschaftliches Tragen“ der Vergütung des entsandten Arbeitnehmers weder einer förmlichen Änderung des mit dem Arbeitnehmer abgeschlossenen Dienstvertrages noch einer im Vorhinein abgeschlossenen Verrechnungspreisabrede zwischen dem entsendenden und dem aufnehmenden Unternehmen bedarf.2 Die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers liegen insoweit nicht vor, falls eine Gesellschaft gegenüber dem entsandten Arbeitnehmer allein die Auszahlung des Arbeitslohns i.S. einer „Zahlstellenfunktion“ übernimmt.3
6.192
Keine Reduktion des wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriffs auf die Übernahme der Kosten der Entsendung. Der wirtschaftliche Arbeitgeberbegriff kann allerdings nicht allein auf die Übernahme der Kosten der Entsendung reduziert werden. Dies gilt unabhängig davon, ob unmittelbar die Auszahlung des Arbeitslohns durch die aufnehmende Konzerngesellschaft erfolgt, oder eine andere Konzerngesellschaft mit den Vergütungen in Vorlage tritt. Denn neben der Kostentragung setzt der wirtschaftliche Arbeitgeberbegriff auch voraus, dass der Arbeitnehmer unter der Leitung des aufnehmenden Unternehmens steht und dessen Weisungen unterworfen ist.4 Dies bedeutet für die Praxis, dass die wirtschaftliche Arbeitgeberstellung einer Konzerngesellschaft nicht allein durch die Zuordnung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung begründet werden kann.
6.193
1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 2.2. 2 Vgl. BFH v. 23.2.2005 – I R 46/03, BStBl. II 2005, 547 = FR 2005, 951. 3 Vgl. BFH v. 21.7.1999 – I R 71/98, FR 2000, 323 = DStR 2000, 276. 4 Vgl. BMF v. 14.9.2006 – IV B 6 - S 1300 - 367/06, BStBl. I 2006, 532 Rz. 67–70.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Vielmehr kommt es darauf an, ob das aufnehmende Unternehmen auch die Verantwortung bzw. das Risiko für die durch die Tätigkeit des Arbeitnehmers erzielten Ergebnisse trägt. Somit muss in einem gewissen Umfang auch eine Integration des entsandten Arbeitnehmers in das Unternehmen des wirtschaftlichen Arbeitgebers vorliegen. In der Regel dürfte es bei kurzfristigen Entsendungen an einer Integration des entsandten Arbeitnehmers in das aufnehmende Unternehmen fehlen.
6.194
Weitergehende Kriterien für die Bestimmung der wirtschaftlichen Arbeitgeberstellung. In der Praxis erfordert die Überprüfung der wirtschaftlichen Arbeitgeberstellung des aufnehmenden Unternehmens eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände. Häufig ist in der Praxis fraglich, ob das Kriterium der Integration des entsandten Arbeitnehmers in das aufnehmende Unternehmen erfüllt ist. Dabei kann es von Bedeutung sein, ob das aufnehmende oder das entsendende Unternehmen über die Art und Umfang der täglichen Arbeit, die Höhe der Bezüge, die Teilnahme an einer betrieblichen Altersvorsorge und Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen entscheidet.1 Wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass sich die Stellung eines wirtschaftlichen Arbeitgebers gerade dadurch auszeichnet, dass der wirtschaftliche Arbeitgeber gegenüber dem entsandten Arbeitnehmer Rechte geltend macht, die ansonsten nur dem zivilrechtlichen Arbeitgeber zustehen.
6.195
Vermutung hinsichtlich der Arbeitgeberstellung. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass bei einer Entsendung von mehr als drei Monaten eine Integration des entsandten Arbeitnehmers in das aufnehmende Unternehmen gegeben ist.2 Um Gestaltungen im Zusammenhang mit der Frist von drei Monaten zu vermeiden, geht die Finanzverwaltung auch dann von einer Integration aus, wenn der Arbeitnehmer zwar weniger als drei Monate für das aufnehmende Unternehmen tätig wird, sich dies aber mehrfach wiederholt. Allerdings lassen die VWG-Arbeitnehmerentsendung offen, unter welchen Voraussetzungen eine dauerhafte Wiederholung der Einsatztätigkeit anzunehmen ist.
6.196
Keine wirtschaftliche Arbeitgeberstellung im Rahmen eines Leistungsaustauschs. Erfolgt die Auslandstätigkeit des Arbeitnehmers im Rahmen eines Leistungsaustauschs, kann die Konzerngesellschaft, für die der Arbeitnehmer tätig wird, nicht die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers erfüllen. Die Integration des Arbeitnehmers in das Unternehmen des Auftraggebers scheitert i.d.R. bereits daran, dass der Einsatz des Arbeitnehmers der Durchführung einer in zeitlicher und sachlicher Hinsicht abgegrenzten Aufgabe dient. Weiterhin ist der Auftraggeber gegenüber dem Arbeitnehmer auch nicht weisungsbefugt. Nur soweit dies von dem mit dem Auftragnehmer bestehenden Werk- bzw. Dienstleis1 Vgl. hierzu auch BMF v. 14.9.2006 – IV B 6 - S 1300 - 367/06, BStBl. I 2006, 532 Rz. 69. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 2.2.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
tungsvertrag gedeckt ist, kann der Auftraggeber dem Arbeitnehmer Anweisungen erteilen. Hinzu kommt, dass der Auftraggeber die Vergütungen des Arbeitnehmers auch nicht wirtschaftlich trägt. Denn dem Auftraggeber wird für die erbrachte Werk- bzw. Dienstleistung ein Entgelt in Rechnung gestellt, dass auch eine Gewinnkomponente aufweist. Die Vergütungen des Arbeitnehmers bilden dabei lediglich einen Preisbestandteil dieses Entgelts. c) Aufteilung des originären Aufwands der Entsendung Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab für die Zuordnung des Aufwandes der Entsendung. Bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen ist nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes über die Aufteilung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung zwischen den Konzerngesellschaften zu entscheiden.
6.197
Originärer Aufwand des zivilrechtlichen bzw. wirtschaftlichen Arbeitgebers. Bei dem nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs von einer Konzerngesellschaft zu tragenden Entsendungsaufwand handelt es sich um originären Aufwand des zivilrechtlichen bzw. wirtschaftlichen Arbeitgebers. Dies hat zur Folge, dass nur eine Weiterverrechnung des Aufwands der Arbeitnehmerentsendung ohne Gewinnaufschlag zulässig ist. Gegen eine Weiterbelastung mit Gewinnaufschlag spricht, dass einer Arbeitnehmerentsendung kein Leistungsaustausch zwischen den Konzerngesellschaften auf einer schuldrechtlichen Grundlage zugrunde liegt. Diese Beurteilung gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft einen Arbeitsvertrag abschließt oder die Entsendung im Rahmen des bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses erfolgt.
6.198
2. Nicht von den Verwaltungsgrundsätzen erfasste Entsendungen Entsendungen auf der Grundlage eines Werk- und Dienstvertrages. Ausgenommen von dem Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung sind Entsendungen auf der Grundlage eines zwischen der entsendenden und der aufnehmenden Konzerneinheit abgeschlossenen Werk- bzw. Dienstvertrages. In diesen Fällen bildet die Entsendung des Arbeitnehmers einen Bestandteil der gegenüber der aufnehmenden Konzerngesellschaft geschuldeten Leistung. Die entsendende Konzerngesellschaft setzt den Arbeitnehmer ein, um eine gegenüber einer anderen Konzerngesellschaft geschuldete Leistung zu erfüllen.
6.199
Abrechnung der Leistungen. Die im Zusammenhang mit der Entsendung des Arbeitnehmers anfallenden Aufwendungen bilden einen Preisbestandteil der gegenüber dem Auftraggeber abgerechneten Leistungen. Es gelten insoweit die Grundsätze für die Bestimmung von Verrechnungspreisen bei Dienstleistungsentgelten (vgl. hierzu ausführlich Rz. 6.87 ff.). In das Dienstleistungsentgelt geht daher auch eine Gewinnkomponente ein.
6.200
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.201
Risiko einer Betriebsstättenbegründung durch das entsendende Unternehmen. Dient der Einsatz des entsandten Arbeitnehmers der Erfüllung einer Werk- bzw. Dienstleistungsverpflichtung des entsendenden Unternehmens, ist zu beachten, dass es hierdurch zu der Begründung einer Betriebsstätte durch das entsendende Unternehmen im Tätigkeitsstaat nach den nationalen bzw. abkommensrechtlichen Vorschriften kommen kann. Praktisch relevant ist v.a. die Begründung einer festen Geschäftseinrichtung nach der entsprechenden Betriebsstättendefinition des nationalen Rechts bzw. des jeweiligen Länderabkommens1 durch die Nutzung von Räumlichkeiten des Auftraggebers. Hintergrund ist, dass durch die Begründung einer Betriebsstätte ein Anknüpfungspunkt2 für die Besteuerung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht verwirklicht wird und hieraus die Notwendigkeit einer Betriebsstättengewinnabgrenzung resultiert.3 In der Praxis besteht daher regelmäßig die Zielsetzung, die Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden. Hierzu eigenen sich entweder kurzfristige Einsätze (von weniger als sechs Monaten) oder die Vermeidung einer ständigen Verfügungsmacht über Räumlichkeiten des Auftraggebers. Neben der Begründung einer Betriebsstätte in Form einer festen Geschäftseinrichtung4 ist auch die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte denkbar.5 Dieser Fall ist in der Praxis allerdings eher selten anzutreffen, da insbesondere bei der Entsendung eines Arbeitnehmers zur Durchführung von Vertriebstätigkeiten im Inland regelmäßig bereits eine feste Geschäftseinrichtung oder eine rechtlich selbstständige Vertriebsgesellschaft besteht, zu der der Arbeitnehmer entsandt wird.
6.202
Voraussetzungen einer Betriebsstättenbegründung bei Tätigkeiten in den Räumlichkeiten des Auftraggebers. Aus deutscher Sicht kann im Rahmen einer Inlandsentsendung die Begründung einer Betriebsstätte in Form einer festen Geschäftseinrichtung i.S.d. § 12 AO erfolgen, wenn dem entsendenden Unternehmen zur Ausübung seiner Tätigkeit Räumlichkeiten des Auftragnehmers zur Nutzung zur Verfügung stehen. Erforderlich ist, dass der Auftragnehmer eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über die von ihm genutzte Geschäftseinrichtung oder Anlage hat.6 Allein das bloße Tätigwerden in den Räumlichkeiten des Auftraggebers reicht allerdings nicht aus, um die erforderliche Verfügungsmacht zu begründen.7 1 Vgl. § 12 AO und Art. 5 OECD-MA sowie Haiß in Grotherr, Handbuch Internationale Steuerplanung, 2011, 33 ff. 2 Zur beschränkten Steuerpflicht aus deutscher Sicht vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. 3 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1084 Tz. 2.3.1. 4 Zu der geplanten Anpassung des OECD-MK zu Art. 5 bis 2014 vgl. Ditz/Quilitzsch, FR 2012, 493 (495). 5 Zu Einzelheiten der Begründung einer Vertreterbetriebsstätte aus Sicht des deutschen Rechts vgl. § 13 AO, Kruse in Tipke/Kruse, § 13 AO Rz. 2 ff. sowie BFH v. 7.9.2011 – I B 157/10, FR 2012, 326 = DB 2011, 2695. 6 Vgl. BFH v. 23.5.2002 – III R 8/00, BStBl. II 2002, 513 = FR 2002, 1321; v. 13.9. 2000 – X R 174/96, BStBl. II 2001, 734 = FR 2001, 420. 7 Vgl. BFH v. 22.4.2009 – I B 196/08, BFH/NV 2009, 1588.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
Vielmehr müssen weitere Umstände den Schluss auf eine örtliche Verfestigung der Tätigkeit zulassen.1
IV. Ermittlung des Gesamtaufwands einer Arbeitnehmerentsendung Gegenstand einer potenziellen Korrektur. Bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen bildet der gesamte Aufwand, der durch den entsandten Arbeitnehmer veranlasst ist, den Gegenstand einer potenziellen Gewinnkorrektur bei dem aufnehmenden bzw. entsendenden Unternehmen. Der Gesamtaufwand der Entsendung setzt sich aus allen direkten bzw. indirekten Aufwendungen zusammen, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Entsendung stehen und entweder bei dem entsendenden oder bei dem aufnehmenden Unternehmen angefallen sind.2 Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die als Aufwand der Entsendung qualifizierten Aufwendungen zu den Einkünften des Arbeitnehmers aus nichtselbstständiger Arbeit zählen.3
6.203
Direkter und indirekter Aufwand der Entsendung. Während die direkten Aufwendungen unmittelbar einer einzelnen Entsendung zugeordnet werden können, kann eine Zuordnung der indirekten Aufwendungen nur anhand eines Aufteilungsschlüssels erfolgen. Zu den indirekten Aufwendungen der Entsendung kann bspw. der Personalaufwand zählen, der für die Personalabteilung anfällt. Als Aufteilungsgröße kommt dann bspw. die Anzahl der entsandten Arbeitnehmer im Vergleich zu der Gesamtzahl der beschäftigten Arbeitnehmer in Betracht.
6.204
Ermittlung des Gesamtaufwands einer Entsendung. Im Rahmen einer Entsendung abgeschlossene Vergütungsvereinbarungen zeichnen sich dadurch aus, dass neben den Gehaltszahlungen zahlreiche Zusatzleistungen und Sachbezüge gewährt werden. Zu dem Entsendungsaufwand zählt das Grundgehalt, einmalige Bezüge wie Abfindungen und Boni, Sonderzahlungen in Form von Weihnachts- und Urlaubsgeld, Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung des Arbeitnehmers, die Teilnahme an Aktienoptionsprogrammen4 sowie der Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungsbeiträgen5. Ergänzt werden diese Zahlungen durch besondere Zusatzleistungen wie Umzugs- und Reisebeihilfen, Auslandszulagen (Le-
6.205
1 Vgl. BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922 = FR 2009, 192; v. 31.1.2012 – I B 110/11, zitiert nach juris. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 2.3. 3 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IWB, F. 3 Gr. 1, 1857 (1858). 4 Zur Ermittlung der Aufwands aus der Gewährung von Optionsrechten vgl. Herzig, DB 1999, 1 ff.; Siegel, WPg 2003, 157 ff. sowie BFH v. 25.8.2010 – I R 103/09, BStBl. II 2011, 215 = FR 2011, 231. 5 Bei Entsendungen innerhalb der EU kann durch die Inanspruchnahme der Sozialversicherungsabkommen regelmäßig die Weitergeltung des Sozialversicherungssystems des Entsendestaates sichergestellt werden. Vgl. Seel, MDR 2011, 7 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
benshaltungskostenzuschuss, Erschwerniszulage), Erstattung von Mehraufwendungen bei doppelter Haushaltsführung, zinsfreie bzw. verbilligte Arbeitgeberdarlehen, Zuschüsse zu den Mietzahlungen, Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, Übernahme von Versicherungsbeiträgen,1 Übernahme von Steuerberatungskosten,2 Kosten für Sprachunterricht, Aufwendungen für die Unterbringung und Betreuung der Kinder des Arbeitnehmers, Übernahme von Schulgebühren im Ausland, Kosten für die Beantragung von Genehmigungen (insb. Aufenthaltsund Arbeitserlaubnis). Häufig wird auch ein Steuerausgleich für eine vom deutschen Niveau abweichende Steuerbelastung gewährt, der als zusätzlicher Gehaltsaufwand den Entsendungsaufwand erhöht.
V. Beurteilungskriterien im Rahmen der Einkunftsabgrenzung 1. Betriebliche Veranlassung entsendungsbedingter Aufwendungen
6.206
Betriebliche Veranlassung des Aufwands der Entsendung. Für eine inländische Konzerngesellschaft steht die steuerliche Abzugsfähigkeit des Aufwands einer Arbeitnehmerentsendung unter dem Vorbehalt der betrieblichen Veranlassung i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG.3 Die betriebliche Veranlassung ist bei Aufwendungen gegeben, die in einem objektiven Zusammenhang mit dem Betrieb stehen und subjektiv dazu geeignet sind, den Betrieb zu fördern.4 Bei konzerninternen Entsendungen sind diese beiden Kriterien allerdings regelmäßig nur bedingt aussagekräftig. Aufgrund des fehlenden Interessengegensatzes sind die beiden Kriterien gestaltbar.
6.207
Konkretisierung des Veranlassungsprinzips. Bei konzerninternen Entsendungen ist das Veranlassungsprinzip durch den Grundsatz des Fremdvergleichs zu konkretisieren.5 Durch diesen Grundsatz ist zu klären, bei welcher Einheit die Aufwendungen betrieblich veranlasst sind. Als Hilfskriterium im Rahmen der Prüfung der betrieblichen Veranlassung der Aufwendungen dient im Rahmen der Einkunftsabgrenzung dem Grunde nach die Feststellung, in wessen Interesse die Entsendung des Arbeitnehmers erfolgt.6 Durch die Bestimmung der Interessenlage wird die praktische Umsetzung des Kriteriums der betrieblichen Veranlassung verbessert. Festzustellen ist, ob und in welchem Umfang bei der entsendenden Konzerneinheit oder der aufnehmenden Konzerneinheit ein betriebliches Interesse an der Entsendung des Arbeitnehmers besteht. 1 Zur Lohnsteuerpflicht von Beiträgen für eine Gruppenkrankenversicherung vgl. BFH v. 14.4.2011 – VI R 24/10, BStBl. II 2011, 767 = FR 2011, 774. 2 Vgl. BFH v. 21.1.2010 – VI R 2/08, BStBl. II 2010, 639. 3 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, 1997, 105. 4 Vgl. Stapperfend in H/H/R, § 4 EStG Rz. 790 ff. sowie BFH v. 21.9.2009 – GrS 1/06, BStBl. II 2010, 672 = FR 2010, 225; v. 4.7.1990 – GrS 2-3/88, BStBl. II 1990, 817 = FR 1990, 708. 5 Vgl. Wassermeyer, DB 2001, 2465 (2467); Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 287. 6 Vgl. Schnorrberg/Waldens, IStR 2001, 39 (41).
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C. Arbeitnehmerentsendungen
Maßgeblichkeit des Kriteriums der Interessenlage dem Grunde und der Höhe nach. Das Kriterium der „Interessenlage“ kommt sowohl im Rahmen der Einkunftsabgrenzung dem Grunde als auch der Höhe nach zur Anwendung. Im Rahmen der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach ist die Feststellung zu treffen, ob die Höhe der Aufwendungen der Entsendung einen Schluss auf die der Entsendung zugrunde liegende Interessenlage zulassen.
6.208
Bedeutung der Interessenlage dem Grunde nach. Die Praxis zeigt, dass i.d.R. bereits anhand der Bestimmung der Interessenlage der Entsendung dem Grunde nach eine eindeutige Abgrenzung erfolgen kann, ob die Aufwendungen von der entsendenden oder der aufnehmenden Gesellschaft zu tragen sind. Allerdings ist hier zwischen Inbound- und Outboundentsendungen zu differenzieren.
6.209
Interessenlage bei Outboundentsendungen. Kann bei einer Outboundentsendung im Rahmen der Einkunftsabgrenzung dem Grunde nach die Feststellung getroffen werden, dass die Entsendung ausschließlich im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft erfolgt, ist diese auch mit dem gesamten Aufwand der Entsendung zu belasten. Vor dem Hintergrund, dass das deutsche Besteuerungssubstrat durch den Aufwand der Arbeitnehmerentsendung nicht gemindert wird, spielt die Höhe der für den entsandten Arbeitnehmer anfallenden Aufwendungen für den deutschen Fiskus dann keine entscheidende Rolle.
6.210
Erweiterter Prüfungsansatz bei Inboundentsendungen. Bei Inboundentsendungen vertritt die Finanzverwaltung hingegen einen erweiterten Prüfungsansatz. Aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung ist auch bei Arbeitnehmern, die dem Grunde nach im Interesse der inländischen Konzerngesellschaft tätig werden, die Höhe der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung von Interesse. So stellt die Finanzverwaltung in den VWG-Arbeitnehmerentsendung die Vermutung auf, dass der ordentliche Geschäftsleiter eines inländischen unabhängigen Unternehmens nur Personal beschäftigen würde, das er für seinen Betrieb benötigt, und nur den Aufwand tragen würde, der bei der Beschäftigung eines vergleichbaren Arbeitnehmers anfallen würde.1 Bei Inboundentsendungen stellt die Finanzverwaltung insoweit die widerlegbare Vermutung auf, dass die höheren Aufwendungen für einen entsandten Arbeitnehmer durch die ausländische entsendende Gesellschaft veranlasst sind.
6.211
2. Ermittlung der Interessenlage einer Entsendung a) Vermutungen hinsichtlich der Interessenlage Grundsätze für die Bestimmung der Interessenlage. Die durch eine Entsendung veranlassten Aufwendungen sind von der Einheit zu tragen, in 1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.1.2.
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6.212
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
deren betrieblichem Interesse die Entsendung erfolgt.1 Dabei wird unterschieden, ob die Entsendung ausschließlich im betrieblichen Interesse der entsendenden oder der aufnehmenden Konzerngesellschaft erfolgt. Anzutreffen sind zudem Entsendungen, denen hinsichtlich der betrieblichen Veranlassung eine gespaltene Interessenlage zugrunde liegt.
6.213
Widerlegbare Vermutung der VWG-Arbeitnehmerentsendung hinsichtlich der Interessenlage. Nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung besteht, gestützt auf die BFH-Entscheidung v. 3.2.19932, die widerlegbare Vermutung, dass die Entsendung eines Arbeitnehmers regelmäßig im betrieblichen Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft erfolgt.3 Auf der Grundlage dieser Vermutung geht die Finanzverwaltung ferner davon aus, dass die aus einer Entsendung resultierenden Aufwendungen im Grundsatz durch die aufnehmende Konzerngesellschaft veranlasst sind. Auf die der Entsendung zugrunde liegende Entsendungsstruktur kommt es dabei nicht an. D.h. es kommt nicht darauf an, ob die aufnehmende Konzerngesellschaft mit dem entsandten Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag abschließt. Denkbar ist zudem auch, dass der Arbeitnehmer der aufnehmenden Konzerngesellschaft zur Arbeitsleistung lediglich überlassen wird.
6.214
Vermutung hinsichtlich der Interessenlage bei Inboundentsendungen. Bei Entsendungen nach Deutschland besteht insoweit eine Vermutung für die betriebliche Veranlassung des Entsendungsaufwands auf Ebene der inländischen Konzerngesellschaft.
6.215
Nachweis des wirtschaftlichen Interesses bei Outboundentsendungen. Beabsichtigt hingegen bei Auslandsentsendungen die entsendende Konzerngesellschaft den Entsendungsaufwand zu tragen, geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die inländische Gesellschaft ihr Interesse an der Entsendung nachzuweisen hat.4 b) Kriterien für die Beurteilung der Interessenlage
6.216
Zusammenstellung der Kriterien für die Beurteilung der Interessenlage. In Tz. 3.3 der VWG-Arbeitnehmerentsendung hat die Finanzverwaltung die für eine Beurteilung der Interessenlage heranzuziehenden Kriterien zusammengestellt. Aus den von der Finanzverwaltung angeführten Kriterien wird ersichtlich, dass die Interessenlage durch eine Vielzahl von Merkmalen bestimmt wird. Eine inhaltliche Ordnung weist die Zusam1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.1. So auch schon Kratzenberg, StBp. 1989, 205. 2 BFH v. 3.2.1993 – I R 80-81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336. 3 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.1.1; so auch schon OFD Koblenz v. 10.8.1995 – S 1341 A -c St 34 1, WPg 1995, 674. 4 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.1.1.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
menstellung nicht auf. Auch erfolgt keine Differenzierung, ob die Kriterien im Rahmen der Einkunftsabgrenzung dem Grunde oder der Höhe nach zur Anwendung gelangen sollen. Verzichtet wurde auch auf eine Gewichtung der angeführten Kriterien. So enthält die Aufstellung Kriterien, die für die Beurteilung der Interessenlage weitgehende Bedeutung entfalten. Dies gilt bspw. für die Feststellung, dass der Arbeitnehmer im gesellschaftsrechtlichen Interesse der Muttergesellschaft tätig wird. Aus einigen Kriterien können dagegen lediglich Indizien für die Beurteilung der Interessenlage abgeleitet werden. In der Praxis hat daher eine Ermittlung und Bewertung der im Einzelfall gegebenen Umstände zu erfolgen. In systematischer Hinsicht lassen sich die Kriterien wie folgt systematisieren: – funktionsbezogene Kriterien der Entsendung, – organisatorische Abwicklung der Entsendung sowie – die Höhe des Entsendungsaufwandes. Funktionsbezogene Kriterien der Entsendung. Zunächst ist zu ermitteln, welche Funktionen und Aufgaben der entsandte Arbeitnehmer im Rahmen der Entsendung übernehmen soll. Den ermittelten Funktionen sind die Eigenschaften des entsandten Arbeitnehmers gegenüberzustellen. Neben der beruflichen Ausbildung des Arbeitnehmers sind dabei auch die Sprachkenntnisse von Relevanz. In der Praxis können durch eine Funktionsanalyse regelmäßig erste Hinweise auf die der Entsendung zugrundeliegende Interessenlage gewonnen werden.
6.217
Organisatorische Abwicklung der Entsendung. Im Zusammenhang mit der organisatorischen Abwicklung der Entsendung steht zunächst die zivilrechtliche Ausgestaltung der Entsendung im Vordergrund. Dies gilt zunächst im Verhältnis zu dem entsandten Arbeitnehmer. So kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft einen Arbeitsvertrag abschließt oder die Entsendung im Rahmen des mit der entsendenden Gesellschaft fortbestehenden Arbeitsverhältnisses erfolgt. Zudem kommt es auch darauf an, ob zwischen dem entsendenden und dem aufnehmenden Unternehmen Absprachen betreffend die Übernahme der Aufwendungen der Entsendung bestehen. Daneben ist aber auch die Frage von Bedeutung, von welchem Unternehmen die Initiative für die Entsendung ausging. Auch kann es von Bedeutung sein, ob der Einsatz des Arbeitnehmers einzelprojektbezogen ist.
6.218
Höhe des Aufwands der Entsendung. Die Höhe des Entsendungsaufwandes wird für einen Vergleich mit den Aufwendungen eines auf dem lokalen Arbeitsmarkt beschäftigten Arbeitnehmers herangezogen. Aussagefähig ist diese Größe allerdings nur dann, wenn auf dem Arbeitsmarkt der aufnehmenden Gesellschaft entsprechend qualifizierte Arbeitnehmer zur Verfügung stehen.
6.219
Mangelnde Aussagefähigkeit des Anteils entsandter Arbeitnehmer im Verhältnis zur Gesamtbelegschaft. Die Aufstellung in Tz. 3.3. der VWGArbeitnehmerentsendung weist allerdings auch Kriterien auf, deren Aus-
6.220
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
sagefähigkeit fraglich ist. So lässt bspw. der Anteil entsandter Arbeitnehmer an der Gesamtbelegschaft keine Aussage darüber zu, welche Konzerngesellschaft mit dem Aufwand einer einzelnen Entsendung zu belasten ist. Ein hoher Anteil entsandter Arbeitnehmer wird vielmehr regelmäßig darauf beruhen, dass entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte auf dem lokalen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Regelmäßig lässt sich auch kein quantifizierbarer Zusammenhang zwischen den Aufwendungen für einen entsandten Arbeitnehmer und seinem Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens herstellen.
VI. Auswirkungen der Aufwandszuordnung für die Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit 6.221
Abkommensrechtliche Zuordnung des Besteuerungsrechts für die Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Aus der Zuordnung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung können Folgen für die Zuordnung des Besteuerungsrechts für die von dem entsandten Arbeitnehmer erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit resultieren.1 Vor diesem Hintergrund vertritt die Finanzverwaltung in dem zur abkommensrechtlichen Behandlung des Arbeitslohns nach den DBA ergangenen BMFSchreiben v. 14.9.2006 eine den VWG-Arbeitnehmerentsendung entsprechende Auslegung des Begriffs des wirtschaftlichen Arbeitgebers.2 Hintergrund ist die Systematik des Art. 15 OECD-MA, dem das jeweils anzuwendende Länderabkommen häufig nachgebildet ist.3 Nach Art. 15 OECD-MA steht dem Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zu, sobald durch den zeitlichen Umfang der Tätigkeit im Tätigkeitsstaat die Grenze von 183 Tagen überschritten wird (Art. 15 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA) oder die Gehaltszahlungen das Steueraufkommen eines im Tätigkeitsstaat ansässigen wirtschaftlichen Arbeitgebers mindern (Art. 15 Abs. 2 Buchst. b und c OECD-MA).4 Unterschreitet die Dauer der Entsendung die Zeitgrenze5 von 183 Tagen, ist insoweit von Bedeutung, ob die aufnehmende Konzerngesellschaft die Stellung eines wirtschaftlichen Arbeitgebers einnimmt.6 Ist dies der Fall, steht von dem ersten Tag der Auslandstätigkeit an dem Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zu.
6.222
Wirtschaftliches Tragen der Aufwendungen für entsandte Arbeitnehmer. Im Rahmen der Einkunftsabgrenzung ist die Frage zu beantworten, ob die aufnehmende Konzerngesellschaft mit dem Aufwand der Entsendung zu 1 2 3 4
Vgl. hierzu auch Mosbach, Ubg 2008, 675 (677). Vgl. BMF v. 14.9.2006 – IV B 6 - S 1300 - 367/06, BStBl. I 2006, 532 Rz. 67. Vgl. Bourseaux/Levedag in Schönfeld/Ditz, Art. 15 OECD-MA Rz. 7 ff. Zum Begriff des wirtschaftlichen Arbeitgebers vgl. auch BFH v. 23.2.2005 – I R 46/03, BStBl. II 2005, 547; FG Saarland v. 25.7.2013 – 1 V 1184/13, rkr., EFG 2013, 1706. 5 Zur Zählweise nach dem DBA-Frankreich vgl. BFH v. 12.10.2011 – I R 15/11, FR 2012, 738 = BFH/NV 2012, 640. 6 Vgl. BMF v. 14.9.2006 – IV B 6 - S 1300 - 367/06, BStBl. I 2006, 532 Rz. 64.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
belasten ist. Mit der Entscheidung über die Weiterbelastung der Aufwendungen der Entsendung wird damit auch zugleich entschieden, ob die aufnehmende Konzerngesellschaft die Aufwendungen des entsandten Arbeitnehmers i.S.d. Art. 15 Abs. 2 Buchst. b OECD-MA wirtschaftlich trägt. So erfolgt bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen eine Weiterbelastung des Entsendungsaufwands im Wege der Einzelverrechnung. Die Verrechnung eines Gewinnaufschlags unterbleibt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das aufnehmende Unternehmen die Vergütungen an den entsandten Arbeitnehmer unmittelbar auszahlt, oder ein anderes Unternehmen zunächst in Vorlage tritt. Kein wirtschaftliches Tragen in den Fällen eines Leistungsaustauschs. Anders gelagert ist die Situation allerdings bei Entsendungen im Rahmen eines Leistungsaustauschs. In diesem Fall bilden die für den entsandten Arbeitnehmer anfallenden Aufwendungen einen unselbstständigen Bestandteil des vereinbarten Dienst- bzw. Werklohns. Die aufnehmende Konzerngesellschaft kann daher nicht als wirtschaftlicher Arbeitgeber i.S.d. Art. 15 Abs. 2 Buchst. b OECD-MA eingestuft werden. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Belastung mit den Werk- bzw. Dienstleistungsentgelten im Rahmen einer Einzelverrechnung oder eines Kostenumlageverfahrens erfolgt. Insoweit steht dem Tätigkeitsstaat des Arbeitnehmers nur dann das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Arbeitnehmereinkünfte zu, falls die Dauer der Entsendung die Frist von 183 Tagen übersteigt.
6.223
VII. Einkunftsabgrenzung dem Grunde nach verlangt Ermittlung der Interessenlage der Entsendung 1. Entsendungen im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft Eigenes Interesse der aufnehmenden Gesellschaft an der Entsendung. Die VWG-Arbeitnehmerentsendung gehen, gestützt auf die BFH-Entscheidung v. 3.2.19931, davon aus, dass das aufnehmende Unternehmen stets ein eigenes Interesse an der Entsendung des Arbeitnehmers hat.2 Ein Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft an der Entsendung eines Arbeitnehmers setzt allerdings weitergehend voraus, dass die aufnehmende Gesellschaft den Arbeitnehmer zu ihrem wirtschaftlichen Vorteil in den Geschäftsbetrieb integrieren kann. Maßstab bildet insoweit die Handlungsweise eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters eines unabhängigen Unternehmens, der nur das Personal beschäftigen würde, das er tatsächlich für seine betrieblichen Zwecke benötigt. Sofern es sich bei dem entsendenden Unternehmen um eine Muttergesellschaft handelt, geht es insoweit um die Abgrenzungsfrage, ob die von dem entsandten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten im Interesse des aufnehmenden Unternehmens erfolgen, oder ob es sich vielmehr um Tätigkeiten handelt, 1 BFH v. 3.2.1993 – I R 80-81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.1.1.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
die das entsendende Unternehmen in seinem Interesse als Gesellschafter durchführen lässt.
6.225
Qualifikation des Arbeitnehmers für die Ausübung der zugewiesenen Funktion. Weitergehend setzt eine wirtschaftlich sinnvolle Integration des Arbeitnehmers auch voraus, dass der Arbeitnehmer über die erforderliche Qualifikation für die ihm zugewiesene Stelle verfügt. In der Praxis kann ein produktiver Einsatz des Arbeitnehmers bereits an mangelnden Sprachkenntnissen scheitern. Zu beurteilen sind daher die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitnehmers. Maßgeblich ist, ob diese mit den Anforderungen übereinstimmen, die an die Position zu richten sind, die dem entsandten Arbeitnehmer bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft zukommt.
6.226
Expertenentsendung. In der Praxis tritt häufig der Fall auf, dass auf dem lokalen Arbeitsmarkt der aufnehmenden Konzerngesellschaft für bestimmte Aufgaben keine ausreichend qualifizierten Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. In diesen Fällen wird bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft ein besonderes Interesse an der Entsendung eines Arbeitnehmers bestehen, der über die benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. In den Verwaltungsgrundsätzen wird dieser Sachverhalt als „Expertenentsendung“ bezeichnet.1 Für die Finanzverwaltung ist ausschlaggebend, dass ein gleichwertig qualifizierter Arbeitnehmer auf dem lokalen Arbeitsmarkt der aufnehmenden Tochtergesellschaft nicht beschafft werden kann. Die Entsendung eines besonders befähigten Arbeitnehmers führt allerdings nicht automatisch dazu, dass eine Expertenentsendung vorliegt. In der Praxis zeichnet sich eine „Expertenentsendung“ regelmäßig dadurch aus, dass die aufnehmende Konzerngesellschaft die entsendende um die Entsendung eines entsprechend qualifizierten Arbeitnehmers ersucht.2 Häufig wird das Interesse der aufnehmenden Gesellschaft an der Entsendung eines „Experten“ auch dadurch dokumentiert, dass der Arbeitnehmer für eine einzelprojektbezogene Tätigkeit benötigt wird. 2. Im Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft stehende Entsendungen
6.227
Differenzierung zwischen im gesellschaftsrechtlichen oder im betrieblichen Interesse erfolgenden Entsendungen. Bei im Interesse der entsendenden Konzerneinheit stehenden Entsendungen kann differenziert werden, ob diese im gesellschaftsrechtlichen oder im betrieblichen Interesse erfolgen.3 Im gesellschaftsrechtlichen Interesse erfolgende Entsendungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Entsendungen vor dem Hintergrund der Gesellschafterstellung der entsendenden Gesellschaft bei der aufneh1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.4.1; vgl. hierzu auch Strunk/Kaminski, Stbg 2003, 174. 2 Vgl. Baranowski, NWB 2000, F. 3 Gr. 2, (941) 949. 3 Vgl. Kratzenberg, StBp. 1989, 205 (206).
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C. Arbeitnehmerentsendungen
menden erfolgen. In diesen Fällen dient die Tätigkeit des Arbeitnehmers der Verwaltung und dem Schutz der Investition der entsendenden Konzerngesellschaft. Die aufnehmende Gesellschaft erlangt durch die Tätigkeit des Arbeitnehmers keinen unmittelbaren Vorteil. Gegenstand der Tätigkeit des entsandten Arbeitnehmers. Bei den von dem Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten wird es sich regelmäßig um Maßnahmen handeln, die in der Planung, Überwachung, Kontrolle und Koordination der Geschäftstätigkeit der aufnehmenden Konzerngesellschaft bestehen. Häufig ist beabsichtigt, durch die gewonnenen Informationen die unternehmerischen Entscheidungen der aufnehmenden Konzerngesellschaft zu beeinflussen. Durch das Gesellschaftsverhältnis bedingt sind auch Tätigkeiten, die der rechtlichen Organisation sowie der Produktions- und Investitionssteuerung des Gesamtkonzerns dienen.
6.228
Entsendungen im betrieblichen Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft. Entsendungen im betrieblichen Interesse der entsenden Konzerngesellschaft zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen Vorteil für das entsendende Unternehmen erwarten lassen. In diesen Fällen erbringt der Arbeitnehmer für die entsendende Gesellschaft eine konkret messbare Leistung. Bei den von dem Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten kann es sich um alle Leistungen handeln, aus denen für die entsendende Gesellschaft ein Vorteil resultiert. Dies trifft bspw. bei Entsendungen zu, die dem Zweck dienen, den Verkauf von Produkten des entsendenden Unternehmens zu unterstützen.
6.229
3. Im Interesse der aufnehmenden und der entsendenden Konzerngesellschaft stehende Entsendungen Betrieblich veranlasste Entsendungen mit gemischter Interessenlage. Eine konzerninterne Entsendung kann auch im betrieblichen Interesse sowohl der aufnehmenden als auch der entsendenden Konzerngesellschaft erfolgen.1 Dies ist bspw. der Fall, wenn der Arbeitnehmer Qualitätskontrollen bei von der aufnehmenden Konzerngesellschaft hergestellten Erzeugnissen vornimmt, die unter dem Warenzeichen der Konzern-Muttergesellschaft vertrieben werden.
6.230
Durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Entsendungen mit gemischter Interessenlage. Anzutreffen sind allerdings auch Sachverhalte, in denen eine Entsendung im gesellschaftlichen Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft und im betrieblichen Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft erfolgt. In diesen Fällen führt der entsandte Arbeitnehmer neben Tätigkeiten im betrieblichen Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft auch Planungs-, Kontroll- und Koordinationstätigkeiten durch. Deutlich wird die Interessenlage der entsendenden Konzerngesellschaft in der Praxis anhand der Berichtspflichten, die der
6.231
1 Vgl. Höppner, JbFSt 1990, 148 (153).
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Arbeitnehmer gegenüber der entsendenden Konzerngesellschaft zu erfüllen hat. 4. Sonderfälle a) Entsendungen zu Aus- und Fortbildungszwecken
6.232
Besondere Zielsetzungen der Entsendung. Besonderheiten bei der Bestimmung der Interessenlage ergeben sich bei Entsendungen zu Ausbildungsund Fortbildungszwecken. Bei dem entsendenden Unternehmen handelt es sich regelmäßig um die Muttergesellschaft des Konzerns, die mit der Entsendung die Zielsetzung verfolgt, die Qualifikation der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer zu verbessern.
6.233
Interessenlage einer Entsendung zu Aus- und Fortbildungszwecken. Ausgehend von den aus Sicht des Mutterunternehmens mit der Entsendung verfolgten Zielsetzungen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass Entsendungen zu Aus- und Fortbildungszwecken durch das Interesse des Mutterunternehmens an der Entsendung dominiert werden.1 Für diese Wertung spricht, dass die Muttergesellschaft nach dem Abschluss der Entsendung von den gesammelten Erfahrungen und Kenntnissen der Arbeitnehmer profitieren kann.2
6.234
Kriterien für die Bestimmung der Interessenlage. Das Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass regelmäßig keine Anfrage der aufnehmenden Konzerngesellschaft vorliegen wird, einen Arbeitnehmer zu entsenden.3 Insoweit tritt der Aspekt, dass die aufnehmende Konzerngesellschaft während der Entsendung ggf. aus der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers einen Nutzen ziehen kann, hinter die Interessenlage der Muttergesellschaft an der Entsendung zurück. b) Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens
6.235
Ausgestaltung von Entsendung auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens. In internationalen Konzernen werden bestimmte Führungspositionen der Tochtergesellschaft häufig mit entsandten Arbeitnehmern der Muttergesellschaft besetzt. Hierdurch soll die Entwicklung besonders qualifizierter Führungskräfte gefördert werden. In den VWG-Arbeitnehmerentsendung wird diese Form der konzerninternen Personalentwicklung als „Rotationsverfahren“ bezeichnet.4 1 Im Ergebnis so auch BFH v. 11.4.1984 – I R 175/79, BStBl. II 1984, 535; OFD Koblenz, v. 10.8.1995 – S 1341 A - St 34 1, WPg 1995, 675. 2 Vgl. Vögele/Crüger/Schmitt, DB 2002, 1185 (1186). 3 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.4.3. 4 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.4.2.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
Wesentliche Merkmale von Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass sich Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens durch folgende typische Merkmale auszeichnen:1 – Hinsichtlich der Entsendungsrichtung erfolgen die Entsendungen i.d.R. von der Muttergesellschaft zu den Tochtergesellschaften. – Im Regelfall nimmt der entsandte Arbeitnehmer eine Führungsposition oder technische Schlüsselfunktion im Geschäftsbetrieb der Tochtergesellschaft wahr. – In zeitlicher Hinsicht erstrecken sich die Entsendungen typischerweise über einen Zeitraum von 3–5 Jahren. – Die Tochtergesellschaft unternimmt i.d.R. keine Versuche, die Positionen mit Arbeitskräften des lokalen Arbeitsmarktes zu besetzen. Zudem unterbleiben Anstrengungen, den Bedarf mit selbst ausgebildeten Führungskräften abzudecken. Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens zeichnen sich damit dadurch aus, dass die Muttergesellschaft im Rahmen ihres Personalentwicklungsprogramms über die Besetzung bestimmter Führungspositionen der Tochtergesellschaft entscheidet.
6.236
Interessenlage einer Entsendung auf der Grundlage eines Rotationssystems. Bei Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die Entsendungen durch die Muttergesellschaft mitveranlasst sind. Die Mehraufwendungen der Entsendung sind daher durch die Muttergesellschaft zu tragen.2 Dies soll nach der Auffassung der Finanzverwaltung auch dann gelten, wenn im Rahmen eines Rotationsverfahrens die Entsendung eines Experten erfolgt. In diesen Fall ist allerdings zu prüfen, in welchem Umfang die aufnehmende Konzerngesellschaft von dem entsandten Arbeitnehmer profitiert. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Entsendung auf der Grundlage eines Rotationssystems auch dann vorliegen kann, wenn die Entsendung nicht sämtliche von der Finanzverwaltung angeführten Merkmale erfüllt. So kann eine Entsendung auf der Grundlage eines Rotationssystems – bei Erfüllung der übrigen o.g. Voraussetzungen – auch dann vorliegen, wenn die Zeitgrenze von drei Jahren unterschritten wird. Entsprechendes gilt, falls ein Arbeitnehmer für kurze Zeiträume mehrfach zu einer Tochtergesellschaft entsandt wird.
6.237
1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.4.2. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.4.2.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
VIII. Einkunftsabgrenzung der Höhe nach 1. Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung
6.238
Gegenstand der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach. Bei in den Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung fallenden Entsendungen ist zu klären, ob die entsendende oder die aufnehmende Konzerngesellschaft mit dem Aufwand der Arbeitnehmerentsendung zu belasten ist. Gegenstand der Einkunftsabgrenzung bilden damit die in Rz. 6.203 ff. angeführten Aufwendungen der Entsendung, die bei der entsendenden bzw. der aufnehmenden Konzerngesellschaft direkt bzw. indirekt im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerentsendung angefallen sind.
6.239
Behandlung der Aufwendungen der Entsendung als durchlaufender Posten. Fallen bei der entsendenden Konzerngesellschaft Aufwendungen für einen im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft tätigen Arbeitnehmer an, so handelt es sich bei den für den entsandten Arbeitnehmer anfallenden Aufwendungen um eine Art „durchlaufender Posten“. Das entsendende Unternehmen tritt mit den Aufwendungen lediglich in Vorlage. Originär sind die Aufwendungen für den entsandten Arbeitnehmer bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft entstanden.
6.240
Umfang der weiterzubelastenden Aufwendungen. Der Umfang der von der entsendenden Konzerngesellschaft weiterzubelastenden Aufwendungen für einen im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft tätigen Arbeitnehmer, hängt von der Ausgestaltung der Entsendung ab. Liegt der Entsendung ein mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft abgeschlossener Arbeitsvertrag zugrunde, trägt die aufnehmende Konzerngesellschaft auf der Grundlage des mit dem Arbeitnehmer abgeschlossenen Arbeitsvertrages bereits den Hauptteil des Entsendungsaufwands. Anders ist hingegen die Situation, wenn der Entsendung der fortbestehende inländische Arbeitsvertrag zugrunde liegt. Wird der entsandte Arbeitnehmer im Interesse der aufnehmende Konzerngesellschaft tätig, ist der Gesamtaufwand der Entsendung an die aufnehmende Konzerngesellschaft weiterzubelasten. 2. Zielsetzung der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach
6.241
Beurteilung einer gesellschaftsrechtlichen Mitveranlassung anhand der Höhe der Aufwendungen. Für die Beurteilung, ob die aufnehmende oder die entsendende Konzerngesellschaft mit den Aufwendungen der Entsendung zu belasten ist, ist das Gesamtinteresse einer Entsendung zu ermitteln. Dabei geht in die Ermittlung des Gesamtinteresses neben der Beurteilung der Interessenlage dem Grunde nach auch die Höhe des Aufwands der Entsendung ein.
6.242
Bedeutung der Höhe des Entsendungsaufwands. Die Höhe des Entsendungsaufwands wird im Rahmen der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach herangezogen, um die Feststellung zu treffen, ob aus der Höhe der für ei650
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C. Arbeitnehmerentsendungen
nen entsandten Arbeitnehmer anfallenden Aufwendungen eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung bzw. Mitveranlassung der Aufwendungen abgeleitet werden kann.1 Die Einkunftsabgrenzung der Höhe nach dient damit dem Ziel, den Gesamtaufwand entsprechend der betrieblichen Veranlassung zuzuordnen. Eingeschränkter Aussagegehalt des Aufwands der Entsendung. Im Rahmen der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein entsandter Arbeitnehmer auf Grund der im Zusammenhang mit einer Entsendung gewährten Zusatzleistungen regelmäßig höhere Aufwendungen verursachen wird, als ein Arbeitnehmer des lokalen Arbeitsmarktes. Dieser Umstand lässt allerdings lediglich den Schluss zu, dass ein Arbeitnehmer zu einer Auslandstätigkeit nur bereit ist, falls er dadurch auch finanzielle Vorteile erzielt bzw. die höheren Kosten einer Auslandstätigkeit zumindest ausgeglichen werden. Eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung der Aufwendungen lässt sich aus diesem Umstand aber nicht ableiten.
6.243
Gesamtaufwand einer Entsendung entspricht immer dem Fremdvergleich. Der Gesamtaufwand einer Arbeitnehmerentsendung ist im Rahmen der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach allerdings nicht in Frage zu stellen.2 Der Aufwand ist in jedem Fall bei dem jeweiligen zivilrechtlichen bzw. wirtschaftlichen Arbeitgeber betrieblich veranlasst und damit als Betriebsausgabe abzugsfähig. Bei betrieblich veranlassten Aufwendungen stellt sich nicht die Frage, ob die Aufwendungen der Höhe nach angemessen sind.3 Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Arbeitnehmer um einen unabhängigen Dritten handelt, erfüllt die Höhe des Aufwandes einer Entsendung immer die Voraussetzungen eines Fremdvergleichs. Der entsandte Arbeitnehmer handelt mit dem entsendenden bzw. dem aufnehmenden Unternehmen die Konditionen der Entsendung aus. Es ist damit nicht zu prüfen, ob das dem Arbeitnehmer bewilligte Gehalt bzw. zusätzliche Gehaltsbestandteile als solche der Höhe nach angemessen sind.4 Besonderheiten können sich allerdings im Rahmen einer in der Praxis eher selten anzutreffenden Entsendung von Gesellschafter-Geschäftsführern ergeben.5 Unerheblich ist damit auch, ob der Arbeitnehmer aufgrund der entsendungsbedingten Gehaltsvereinbarung wirtschaftlich von der Entsendung profitiert. Häufig wird dies der Fall sein, da ein Arbeitnehmer regelmäßig nur bei Gewährung entsprechender Zusatzleistungen zu einer Auslandstätigkeit bereit ist. Auch kommt es nicht darauf an, ob der Aufwand der Arbeitnehmerentsendung bei dem Arbeitnehmer als Ein-
6.244
1 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IWB, F. 3 Gr. 1, 1857 (1859). 2 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IWB, F. 3 Gr. 1, 1857 (1858); Förster, FS Wassermeyer, 2005, 377. 3 Vgl. nur BFH v. 4.3.1986 – VIII R 188/84, BStBl. II 1986, 374 = FR 1986, 306. 4 Vgl. Schreiber, JbFSt 2001, 602 (612). 5 Zur Angemessenheit der Gesamtbezüge eines Gesellschafter-Geschäftsführers vgl. BMF v. 14.10.2002 – IV A 2 - S 2742 - 62/02, BStBl. I 2002, 972; vgl. auch FinMin. Sachsen v. 28.1.2004 – 33 - S 2742 - 54/81 - 5126, nv.; OFD Chemnitz v. 1.6. 2004 – S 2742 - 44/15 - St 21, StEK KStG 1977 § 8 Nr. 216.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
künfte aus nichtselbständiger Tätigkeit zu versteuern ist. So kann bspw. für bestimmte Aufwandsbestandteile eine Steuerfreistellung eingreifen. Beitragsleistungen des Arbeitgebers zu einem Durchführungsweg der betrieblichen Altersvorsorge (bspw. zu einer Direktversicherung, Pensionskasse oder einem Pensionsfonds) sind bspw. in Höhe der in § 3 Nr. 63 EStG festgelegten Grenzen von der Besteuerung auf Ebene des Arbeitnehmers ausgenommen.
6.245
Vorgehensweise zur Ermittlung von Vergleichstatbeständen. Die für einen Fremdvergleich der Höhe nach heranzuziehenden Vergleichstatbestände können durch einen tatsächlichen oder einen hypothetischen Fremdvergleich gewonnen werden (vgl. zu den Methoden im Einzelnen Rz. 3.123 ff.). § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG schreibt allerdings einen Anwendungsvorrang für den tatsächlichen Fremdvergleich vor.1 Dies bedeutet, dass der Ermittlung des angemessenen Aufwandes der Entsendung nur dann ein hypothetischer Fremdvergleich zugrunde zu legen ist, falls durch einen tatsächlichen Fremdvergleich keine aussagefähigen Größen ermittelt werden können. Hinsichtlich der im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs anzuwendenden Verrechnungspreismethoden ist für die Bestimmung einer fremdüblichen Gehaltsbandbreite allerdings nur die Preisvergleichsmethode geeignet. Dies kommt auch in Tz. 2.4.1 der VWG-Arbeitnehmerentsendung zum Ausdruck, wonach die Angemessenheitsprüfung vorrangig anhand der Preisvergleichsmethode vorzunehmen ist. 3. Ermittlung des angemessenen Entsendungsaufwands durch betriebsinternen Fremdvergleich
6.246
Zwei Ausprägungsformen der Preisvergleichsmethode. Der tatsächliche Fremdvergleich kann im Rahmen der Preisvergleichsmethode zwei Ausprägungsformen annehmen. Zu differenzieren ist zwischen einem betriebsinternen und einem betriebsexternen Fremdvergleich.
6.247
Betriebsinterner Fremdvergleich. Im Rahmen eines betriebsinternen Fremdvergleichs ist festzustellen, welche Aufwendungen der aufnehmenden Konzerngesellschaft für vergleichbare, nicht entsandte Arbeitnehmer entstehen.2 Ein solcher Vergleich setzt die Vergleichbarkeit der Verhältnisse voraus. D.h. es ist zu prüfen, ob die Eigenschaften der Stamm-Arbeitnehmer der aufnehmenden Konzerngesellschaft mit denen der entsandten Arbeitnehmer vergleichbar sind.3 Im Rahmen dieses Vergleichs ist auf die Ausbildung und die Kenntnisse bzw. Fähigkeiten der Arbeitnehmer abzustellen.4 Eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit der so ge1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007 1461, (1462). 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.2.2. 3 Vgl. Urbahns/Becker, INF 2002, 392 (395). 4 Vgl. Schreiber, JbFSt 2001, 602 (617).
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C. Arbeitnehmerentsendungen
wonnenen Vergleichsfälle i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG ist dann gegeben, wenn die Vergleichsobjekte hinsichtlich der für den Vergleich herangezogenen Kriterien annähernd gleich oder doch zumindest ähnlich sind. Im Grundsatz reicht es aus, wenn der Steuerpflichtige einen Vergleichsfall präsentiert, der hinsichtlich der dem Vergleich zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse uneingeschränkt vergleichbar ist. Eingeschränkte Vergleichbarkeit der Verhältnisse. In der Praxis ist im Rahmen des Vergleichs der Verhältnisse zu berücksichtigen, dass die entsandten Arbeitnehmer regelmäßig über konzernspezifisches Wissen und eine konzernspezifische Arbeitsmethodik verfügen. Lokal angeworbene Arbeitnehmer weisen diese Merkmale regelmäßig nicht auf. Häufig sind die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen auch erst für die Entsendung ausschlaggebend.1 Möglich ist die Durchführung eines internen Fremdvergleichs daher nur dann, wenn der konzernspezifischen Qualifikation der entsandten Arbeitnehmer eine geringe Bedeutung zukommt. Durch diese Voraussetzungen wird die Durchführbarkeit eines betriebsinternen Fremdvergleichs erschwert. Insbesondere bei einer Entsendung besonders qualifizierter Arbeitnehmer kann daher ein betriebsinterner Fremdvergleich regelmäßig nicht durchgeführt werden. Im Ansässigkeitsstaat der aufnehmenden Konzerngesellschaft mangelt es häufig an entsprechend ausgebildeten Fachkräften.2 Hierdurch wird die Gewinnung uneingeschränkt vergleichbarer Vergleichsfälle i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG für einen betriebsinternen Fremdvergleich in der Praxis erheblich erschwert. Auch ist hinsichtlich der Aussagefähigkeit der Preisvergleichsmethode zu berücksichtigen, dass entsandte Arbeitnehmer auf Grund der im Zusammenhang mit einer Entsendung gewährten Zusatzleistungen regelmäßig erheblich höhere Aufwendungen verursachen als auf dem lokalen Arbeitsmarkt angeworbene Arbeitnehmer.
6.248
Bandbreite der angemessenen Aufwendungen. Bei dem für den Arbeitnehmer angemessenen Aufwand einer Arbeitnehmerentsendung handelt es sich nicht um eine Punktgröße. Vielmehr wird durch einen tatsächlichen Fremdvergleich eine Bandbreite des Aufwandes ermittelt, der für einen vergleichbar qualifizierten Arbeitnehmer üblicherweise anfällt.3 In diesem Fall kommt es darauf an, ob eingeschränkt oder uneingeschränkt vergleichbare Vergleichsgrößen vorliegen.
6.249
Uneingeschränkt vergleichbare Vergleichssachverhalte. Liegen mehrere uneingeschränkt vergleichbare Vergleichssachverhalte vor, kann die ermittelte Bandbreite von dem Steuerpflichtigen in vollem Umfang ausgeschöpft werden. D.h. auch ein am oberen Ende der Bandbreite liegender Entsendungsaufwand ist noch als angemessen einzustufen.
6.250
1 Vgl. Waldens, PIStB 2002, 14. 2 Vgl. Kroppen/Rasch/Roeder, IWB F. 3, Gr. 1, 1821 (1826); Förster, FS Wassermeyer, 2005, 380. 3 Vgl. Waldens, PIStB 2002, 255.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.251
Eingeschränkt vergleichbare Vergleichssachverhalte. Sind keine uneingeschränkt vergleichbaren Vergleichssachverhalte gegeben, sind gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG „eingeschränkt vergleichbare Werte nach Vornahme sachgerechter Anpassungen der Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode zugrunde zu legen“. D.h. die ermittelten Vergleichssachverhalte sind einer „sachgerechten Anpassung“ zu unterwerfen. Erforderlich ist insoweit, die nicht übereinstimmenden Kriterien des Vergleichssachverhalts durch entsprechende Zu- und Abschläge bei der Ermittlung der Höhe des Entsendungsaufwandes zu berücksichtigen. Es kommt insoweit darauf an, ob die zur Herstellung der Vergleichbarkeit erforderliche Anpassung durch eine Erhöhung oder eine Verminderung des Entsendungsaufwands hergestellt werden kann. Dies setzt allerdings voraus, dass eine betragsmäßige Quantifizierung der nicht übereinstimmenden Kriterien des Entsendungssachverhalts erfolgen kann. Lässt sich durch die Vornahme der Anpassungen ein uneingeschränkt vergleichbarer Vergleichssachverhalt herstellen, ist dieser Vergleichssachverhalt für die Bestimmung der Höhe des angemessenen Entsendungsaufwands heranzuziehen.
6.252
Kein uneingeschränkt vergleichbarer Sachverhalt durch Anpassungen ermittelbar. Ist ein uneingeschränkt vergleichbarer Vergleichssachverhalt nicht zu ermitteln, bildet im Fall mehrerer Vergleichssachverhalte die ermittelte Höhe der Entsendungsaufwendungen eine Bandbreite. Diese Bandbreite des Entsendungsaufwands ist nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG sachgerecht anzupassen und einzuengen. Dies geschieht dadurch, dass zumindest ein Ende der Bandbreite verkürzt wird. Denkbar ist zudem auch, dass beide Enden der Bandbreite verkürzt werden. Zu der konkreten Vorgehensweise äußert sich der Gesetzgeber nicht. 4. Ermittlung des angemessenen Entsendungsaufwands durch betriebsexternen Fremdvergleich
6.253
Durchführung eines betriebsexternen Fremdvergleichs. Im Rahmen eines betriebsexternen Fremdvergleichs ist festzustellen, welchen Aufwand unabhängige Unternehmen, die unter den gleichen Bedingungen wie die aufnehmende Konzerngesellschaft tätig sind, für einen vergleichbaren Arbeitnehmer tragen. In der Praxis ist allerdings die Umsetzung des betriebsexternen Fremdvergleichs nicht immer unproblematisch.
6.254
Voraussetzungen eines betriebsexternen Fremdvergleichs. Die Durchführung eines betriebsexternen Fremdvergleichs setzt voraus, dass auch zwischen nicht verbundenen Unternehmen Entsendungen anzutreffen sind. Hinsichtlich der Ausgestaltung müssen diese Entsendungen mit denen zwischen verbundenen Unternehmen vergleichbar sein. Die hier betrachteten Entsendungssachverhalte sind allerdings fast ausschließlich zwischen verbundenen Unternehmen anzutreffen.1 So wird zwischen nicht 1 So auch Kroppen/Rasch/Roeder, IWB, F. 3 Gr. 1, 1821 (1826).
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C. Arbeitnehmerentsendungen
verbundenen Unternehmen regelmäßig nur ein geringes Interesse bestehen, dass der Arbeitnehmer bspw. im Rahmen einer Versetzung mit einem fremden dritten Unternehmen einen Arbeitsvertrag abschließt. Auch erfolgen zwischen fremden Dritten im Regelfall keine Entsendungen, durch die die aufnehmende Konzerngesellschaft die Stellung eines wirtschaftlichen Arbeitgebers erlangt. Werden zwischen nicht verbundenen Unternehmen Arbeitnehmer ausgetauscht, so handelt es sich im Regelfall um gewerbliche Arbeitnehmerüberlassungen. In diesem Fall ist ein Verrechnungspreis für eine Dienstleistung zu ermitteln, der auch einen Gewinnaufschlag enthält. Eingeschränkter Aussagegehalt externer Vergütungsstudien. Die Praxis zieht für die Ermittlung einer angemessenen Gehaltsbandbreite im Rahmen eines externen Fremdvergleichs regelmäßig externe Vergütungsstudien heran. Aus einer Vergütungsstudie lässt sich allerdings nur der Vergütungsaufwand ermitteln, der bei einer Festanstellung eines Arbeitnehmers mit einer vergleichbaren Funktion und Position anfallen würde. Dem Charakter einer Entsendung entsprechend ist der Einsatz eines entsandten Arbeitnehmers bei dem aufnehmenden Unternehmen allerdings bereits im Grundsatz zeitlich befristet. Vor diesem Hintergrund kann es aus Sicht des aufnehmenden Unternehmens gerechtfertigt sein, für einen entsandten Arbeitnehmer, der auf Grund seiner besonderen Kenntnisse und Erfahrungen für ein zeitlich befristetes Projekt benötigt wird, einen höheren Gehaltsaufwand zu tragen, als bei einer Festanstellung eines entsprechenden Arbeitnehmers. Zudem werden auch die im Zuge einer Entsendung anfallenden Zusatzaufwendungen für einen entsandten Arbeitnehmer in den Vergütungsstudien nicht abgebildet. Allerdings werden Vergütungsstudien in der Praxis regelmäßig herangezogen, um zumindest eine grobe Abschätzung der angemessenen Gesamtausstattung für einen entsandten Arbeitnehmer vorzunehmen.
6.255
Vergleich der für den Arbeitnehmer anfallenden Aufwendungen. Aufgrund der im Zusammenhang mit der Durchführung eines betriebsexternen Fremdvergleichs auftretenden Schwierigkeiten wird auch die Auffassung vertreten, dass zu untersuchen ist, welchen Aufwand der Arbeitnehmer vor bzw. nach der Beendigung der Entsendung verursacht.1 Dieser Vorgehensweise steht allerdings entgegen, dass entsandte Arbeitnehmer auf Grund der im Zusammenhang mit einer Entsendung gewährten zahlreichen Zusatzleistungen regelmäßig höhere Aufwendungen verursachen. Ein Hinweis für eine gesellschaftsrechtliche Mitveranlassung der Entsendung kann hieraus nicht abgeleitet werden.
6.256
1 Vgl. Schreiber in JbFSt 2001, 602 (615).
Hick
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
5. Ermittlung der angemessenen Höhe des Entsendungsaufwands durch einen hypothetischen Fremdvergleich
6.257
Voraussetzungen für die Durchführung eines hypothetischen Fremdvergleichs. Liegen die Voraussetzungen für einen tatsächlichen Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG nicht vor, ist ein hypothetischer Fremdvergleich durchzuführen (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG; zu den Grundlagen des hypothetischen Fremdvergleichs vgl. Rz. 3.132 ff.). Der hypothetische Fremdvergleich basiert auf dem Grundsatz, dass sowohl das entsendende als auch das aufnehmende Unternehmen durch einen ordentlichen Geschäftsleiter vertreten werden. Zu ermitteln ist, ob der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter eines unabhängigen aufnehmenden Unternehmens bei vergleichbaren Bedingungen den Aufwand für den entsandten Arbeitnehmer getragen hätte oder ob er eine Kostenbeteiligung des entsendenden Unternehmens eingefordert hätte.1 Die Überprüfung der Vergleichbarkeit der Verhältnisse der Arbeitnehmerentsendung hat unter Berücksichtigung der von dem Arbeitnehmer ausgeübten Funktion, der Verfügbarkeit gleichwertig qualifizierter Arbeitnehmer auf dem lokalen Arbeitsmarkt sowie der Initiative der Entsendung zu erfolgen.
6.258
Überlegungen eines ordentlichen Geschäftsleiters zur Übernahme der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung. Ein ordentlicher Geschäftsleiter wird eine Kostenbeteiligung dann in Erwägung ziehen, falls die Entsendung im Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft erfolgt. In diesen Fällen ist die Entsendung für die entsendende Einheit selbst vorteilhaft. Im Einzelfall hat daher die Prüfung zu erfolgen, welche Aufwendungen der ordentliche Geschäftsleiter getragen hätte. Verursacht ein entsandter Arbeitnehmer erheblich höhere Aufwendungen als ein am lokalen Arbeitsmarkt angeworbener Arbeitnehmer, kommt dem Handeln des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters besondere Bedeutung zu. Dieser wird im Grundsatz nur Arbeitnehmer beschäftigen und deren Aufwendungen tragen, falls durch deren Einsatz ein Nutzen für sein Unternehmen erwartet werden kann. Der Geschäftsleiter wird daher prüfen, ob trotz des für den entsandten Arbeitnehmer anfallenden Mehraufwandes dieser Nutzen noch gegeben ist. Diese Prüfung wird vor der Entsendung erfolgen. Die Zuordnung des Aufwandes wird damit nicht dadurch beeinflusst, inwieweit der erwartete Nutzen auch tatsächlich eingetreten ist.
6.259
Mehraufwand für einen entsandten Arbeitnehmer. Beurteilungsmaßstab für den hypothetischen Fremdvergleich bildet die Frage, ob der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter den Mehraufwand für einen entsandten Arbeitnehmer getragen hätte. Dieser Prüfungsansatz setzt allerdings voraus, dass zunächst der Aufwand ermittelt wird, der für die Beschäftigung eines auf dem lokalen Arbeitsmarkt angeworbenen Arbeitnehmers anfallen würde. Für den darüber hinausgehenden Auf1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.2.3.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
wand ist zu prüfen, ob auch ein fremder Dritter als Geschäftsleiter den Mehraufwand getragen hätte. Maßstab für eine Gewinnkorrektur bildet insoweit der Lohn, den ein vergleichbar qualifizierter Arbeitnehmer fordern würde. Wirtschaftlich nachweisbarer höherer Nutzen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren. Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter des aufnehmenden Unternehmens einen durch die Entsendung des Arbeitnehmers entstehenden Mehraufwand nur dann tragen wird, falls er dadurch in einem überschaubaren Zeitraum einen wirtschaftlich nachweisbar höheren Nutzen erwarten kann.1 Als überschaubar bezeichnet die Finanzverwaltung, wohl gestützt auf die Rechtsprechung des BFH v. 17.2.19932 zur Unangemessenheit der Verrechnungspreise bei einer Vertriebsgesellschaft im Fall einer Dauerverlustsituation, einen Zeitraum von drei Jahren. Diese Regelung ist in der Praxis nicht praktikabel.3 So stellt sich die Frage, wie im Einzelfall der Nachweis geführt werden soll, dass aus der Beschäftigung eines entsandten Arbeitnehmers ein höherer Gewinn der aufnehmenden Konzerngesellschaft resultiert.4 Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Mehrzahl entsandter Arbeitnehmer in der Verwaltung bzw. in der Grundlagenforschung eingesetzt wird.5 D.h. der wirtschaftliche Beitrag zur Ergebnissituation des Gesamtunternehmens lässt sich zeitnah ohnehin nicht ermitteln.
6.260
6. Entsendungsaufwand übersteigt das bei Beschäftigung eines Arbeitnehmers des lokalen Arbeitsmarktes anfallende Entgelt a) Entsendung erfolgt dem Grunde nach im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft Überlegungen des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Erfolgt die Entsendung dem Grunde nach im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft, würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nur den Aufwand hinnehmen, der ihm für die Beschäftigung eines vergleichbar qualifizierten Arbeitnehmers unter sonst gleichen Bedingungen entstehen würde.6 Die Bereitschaft, den für einen entsandten Arbeitnehmer anfallenden Mehraufwand zu akzeptieren, wird allerdings 1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.2.3. 2 BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 458. So im Ergebnis auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. 2004, 171 = FR 2002, 154 sowie v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 3 So auch Nientimp in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGrArbN. Rz. 29. 4 Vgl. Kroppen/Rasch/Roeder, IWB, F. 3 Gr. 1, 1821 (1827); IDW, FN-IDW 2000, 657 (659). 5 So auch Förster, FS Wassermeyer, 2005, 380. 6 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.2.3.
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6.261
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
dann bestehen, falls gleichwertig qualifizierte Arbeitskräfte auf dem lokalen Arbeitsmarkt nicht angeworben werden können.1
6.262
Sonderfall der Expertenentsendung. Insbesondere im Fall einer sog. „Expertenentsendung“ kann nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung ein höherer Gesamtaufwand für einen entsandten Arbeitnehmer gerechtfertigt sein. Dies gilt auch dann, wenn der Gesamtaufwand für den entsandten Arbeitnehmer wesentlich den Aufwand übersteigt, der bei Beschäftigung eines Arbeitnehmers mit vergleichbarer Qualifikation im Ansässigkeitsstaat der aufnehmenden Konzerngesellschaft anfallen würde. Dies gilt sowohl im Fall einer Inbound- als auch im Fall einer Outbound-Entsendung. Dabei setzt eine sog. „Expertenentsendung“ nach dem VWG-Arbeitnehmerentsendung voraus, dass der Arbeitnehmer über besondere Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die bspw. bei einer projektbezogenen Entsendung zum Einsatz gelangen.2 Für die praktische Anwendung der sog. „Expertenregelung“ stellt sich in der Praxis regelmäßig die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer über die in den VWG-Arbeitnehmerentsendung geforderten besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt und auf welche Weise die Dokumentation für einen entsprechenden Nachweis gegenüber der Finanzverwaltung zu erfolgen hat. In der Praxis hängt die Qualifikation eines Arbeitnehmers als „Experte“ wesentlich von dem jeweiligen Betrachter ab. Im Ergebnis wird die Einstufung einer Entsendung als sog. „Expertenentsendung“ damit wesentlich durch subjektive Kriterien beeinflusst.
6.263
Nutzen der aufnehmenden Konzerngesellschaft rechtfertigt den Mehraufwand. Der Mehraufwand für den entsandten „Experten“ soll nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung dadurch gerechtfertigt sein, dass der Gesamtaufwand der Entsendung mit der tatsächlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers korrespondiert und damit auch dem Nutzen der aufnehmenden Konzerngesellschaft entspricht. Gerade im Fall einer InboundEntsendung wird daher ein Interesse an dem Nachweis einer sog. Expertenentsendung bestehen, um den Mehraufwand der Entsendung nicht rechtfertigen zu müssen.
6.264
Auf den lokalen Arbeitsmarkt stehen entsprechend qualifizierte „Experten“ zur Verfügung. Stehen allerdings entsprechend qualifizierte „Experten“ auf dem lokalen Arbeitsmarkt zur Verfügung oder verfügt der entsandte Arbeitnehmer nicht über Spezialkenntnisse, ist bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft nur ein Gehalt in ortsüblicher Höhe betrieblich veranlasst. Der ordentliche Geschäftsleiter der aufnehmenden Einheit wird sich in diesem Fall für einen Arbeitnehmer entscheiden, der bei gleicher Leistung einen geringeren Aufwand verursacht. In Zweifelsfällen besteht bei diesen Sachverhalten auch ein Interesse der entsendenden 1 Vgl. Kuckhoff in Kuckhoff, 57 (93); Höppner, JbFSt 1990, 155. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.4.1.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
Konzerngesellschaft an der Entsendung. Die entsendende Konzerngesellschaft hat daher den Mehraufwand der Entsendung zu tragen.1 b) Entsendung erfolgt dem Grunde nach im Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft Bedeutung der Interessenlage dem Grunde nach. In diesen Fällen führt bereits die Ermittlung der Interessenlage dem Grunde nach zu dem Ergebnis, dass der Aufwand der Entsendung nicht bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft betrieblich veranlasst ist. Diese Feststellung kann dann i.d.R. auch durch die Beurteilung der Höhe des Entsendungsaufwandes gestützt werden. Die dem Arbeitnehmer gewährte Vergütung liegt regelmäßig über dem Entgelt, das für einen vergleichbar qualifizierten Arbeitnehmer üblicherweise im Ansässigkeitsstaat des aufnehmenden Unternehmens gezahlt wird.2 Der ordentliche Geschäftsleiter der aufnehmenden Konzerngesellschaft wird im Grundsatz nicht bereit sein, Aufwendungen für einen Arbeitnehmer zu tragen, aus dessen Tätigkeit kein Nutzen für die aufnehmende Konzerngesellschaft resultiert.
6.265
c) Sonderfälle Entsendungen zu Aus- und Fortbildungszwecken. Dient die Entsendung Ausbildungs- oder Fortbildungszwecken, so ist der Entsendungsaufwand, der über den für einen vergleichbaren Arbeitnehmer am lokalen Arbeitsmarkt der aufnehmenden Konzerngesellschaft hinausgeht, durch die entsendende Gesellschaft veranlasst.3 Der unangemessene Teil des Entsendungsaufwandes wird im Regelfall dafür gezahlt, dass der Arbeitnehmer im Interesse der entsendenden Gesellschaft Auslandserfahrungen sammelt.4
6.266
Entsendung auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens. Erfolgt eine Besetzung von bestimmten Führungspositionen der aufnehmenden Konzerngesellschaft im Rahmen eines Rotationsverfahrens, so ist der Mehraufwand der Entsendung häufig dadurch veranlasst, dass der Arbeitnehmer Kontroll- und Berichtspflichten gegenüber der entsendenden Konzerngesellschaft zu erfüllen hat. Regelmäßig erfolgen die Entsendungen im Zuge der Umsetzung eines Personalentwicklungskonzeptes der entsendenden Konzerngesellschaft.
6.267
Expertensendung im Rahmen eines Rotationsverfahrens. Auch im Rahmen eines Rotationsverfahrens können Arbeitnehmer entsandt werden,
6.268
1 Vgl. Kuckhoffin Kuckhoff, 57 (93); Schreiber, JbFSt 2001, 602 (613). 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.1.1. 3 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.4.2 u. 3.4.3; gl. A. Schreiber, JbFSt, 2001, 613; Kuckhoff/ Schreiber, IStR 1999, 357; Neubauer, StBp. 1971, 256. 4 Vgl. Schreiber, JbFSt 2001, 613.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
die als sog. „Experten“ über besondere Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen. Fraglich ist, welche Einheit den aus der Entsendung resultierenden Mehraufwand zu tragen hat. Die VWG-Arbeitnehmerentsendung enthalten die Regelung, dass die im Rahmen eines Rotationsverfahrens geltenden Grundsätze auch im Fall einer Expertenentsendung anzuwenden sind.1 Danach wäre der Mehraufwand von der entsendenden Konzerngesellschaft zu tragen. Dies soll auch dann gelten, falls entsprechend qualifizierte „Experten“ auf dem lokalen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Die Finanzverwaltung begründet diese Beurteilung damit, dass bei Entsendungen im Rahmen eines Rotationsverfahrens dem Grunde nach auch die entsendende Konzerngesellschaft ein betriebliches Interesse an der Entsendung des Arbeitnehmers hat.2 Aus Sicht der Finanzverwaltung kann die Belastung der aufnehmenden Konzerngesellschaft mit dem Gesamtaufwand der Entsendung nicht damit begründet werden, dass es sich um eine sog. „Expertenentsendung“ handelt. Für diese Beurteilung spricht, dass der Einsatz des besonders qualifizierten Arbeitnehmers auf der Grundlage eines Personalentwicklungskonzeptes der entsendenden Konzerngesellschaft erfolgt. Insoweit überlagert die Qualifikation einer Entsendung im Rahmen eines „Rotationsverfahrens“ die Einstufung des entsandten Arbeitnehmers als besonders qualifizierter „Experte“.
IX. Rechtsgrundlagen einer Gewinnkorrektur und Korrekturmaßstab 1. Aufwand der Entsendung als Gegenstand der Einkünftekorrektur
6.269
Nicht dem Fremdvergleich entsprechende Aufteilung des Entsendungsaufwands als Gegenstand der Einkünftekorrektur. Wird im Rahmen der Prüfung der Einkunftsabgrenzung dem Grunde und der Höhe nach festgestellt, dass zwischen den verbundenen Unternehmen eine nicht dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechende Zuordnung des Aufwandes der Entsendung erfolgt ist, hat eine Korrektur zu erfolgen. Erforderlich ist daher die Durchführung eines doppelten Fremdvergleichs. Zunächst hat auf der Grundlage des Fremdvergleichs die Prüfung zu erfolgen, ob die Aufteilung des Aufwandes mit der Interessenlage der entsendenden und der aufnehmenden Konzerngesellschaft übereinstimmt. Auf die genaue Ermittlung des zu korrigierenden Betrages kann zu diesem Zeitpunkt noch verzichtet werden. Für die Anwendung der Einkünftekorrekturnormen besteht allerdings die Voraussetzung, dass der Korrekturbetrag der Höhe nach betragsmäßig genau ermittelt wird (vgl. zu den Rechtsgrundlagen Rz. 2.153). Diese Ermittlung hat im Rahmen des Fremdvergleichs der Höhe nach zu erfolgen. 1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.4.1; gl. A. Kuckhoff in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 115 (121); kritisch Kroppen/Rasch/Roeder, IWB, F. 3, Gr. 1, 1828. 2 A.A. Waldens, PIStB 2002, 255.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
Gegenstand der Einkünftekorrektur der Höhe nach. Der Höhe nach bildet der Betrag den Gegenstand der Einkünftekorrektur, der nicht mit einer an dem Grundsatz des Fremdvergleichs ausgerichteten Aufteilung des Gesamtaufwandes der Entsendung übereinstimmt. Somit kann auch die Höhe der Einkünftekorrektur über den tatsächlich angefallenen Gesamtaufwand einer Entsendung nicht hinausgehen. Dies gilt unabhängig davon, auf welche Rechtsgrundlage eine Korrektur der Einkünfte im Einzelfall gestützt werden kann.
6.270
Ausrichtung der Höhe der Einkünftekorrektur an dem Gesamtinteresse der Entsendung. Die Höhe einer Einkünftekorrektur ist an dem ermittelten Gesamtinteresse der Entsendung auszurichten. Eine eindeutige Beurteilung ergibt sich für Sachverhalte, in denen das Gesamtinteresse der Entsendung der entsendenden oder der aufnehmenden Konzerngesellschaft zugeordnet werden kann. Der Gesamtaufwand der Entsendung ist dann von der Einheit zu tragen, durch deren Interesse die Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach veranlasst sind. Problematisch sind Entsendungssachverhalte mit einer gespaltenen Interessenlage. Auch in diesen Fällen ist die Aufteilung des Gesamtaufwandes der Entsendung an der Interessenlage auszurichten. Häufig wird eine Aufteilung des Aufwandes nur durch die Bestimmung eines Aufteilungsschlüssels erfolgen können, der regelmäßig auf einer Schätzung der Interessenlage beruht.
6.271
2. Ermittlung eines einheitlichen Aufteilungsmaßstabes Einheitlicher Aufteilungsmaßstab bei einer größeren Anzahl von Entsendungen. Vor dem Hintergrund der Verwaltungsvereinfachung sehen die VWG-Arbeitnehmerentsendung vor, dass bei einer größeren Anzahl von Entsendungen die Aufteilung des Aufwandes der Entsendung nach einem einheitlichen Aufteilungsmaßstab erfolgen kann.1
6.272
Voraussetzungen für die Ermittlung eines einheitlichen Aufteilungsmaßstabes. Nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung kann nach einer Funktionsanalyse ein einheitlicher Aufteilungsmaßstab für die Aufteilung des Aufwands der Entsendung Anwendung finden, falls im Rahmen einer Außenprüfung festgestellt wird, dass die Entsendung sowohl im Interesse der entsendenden als auch der aufnehmenden Konzerngesellschaft erfolgt.2 Der ermittelte Aufteilungsmaßstab kann dann auf alle gleich gelagerten Sachverhalte im Prüfungszeitraum im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise Anwendung finden. Die VWG-Arbeitnehmerentsendung enthalten den Hinweis, dass die Abstimmung der Aufteilungsgröße mit der ausländischen Finanzverwaltung erfolgen sollte. In der Praxis ist dies auf Grund der hieraus resultierenden Aufwendungen aber nur selten
6.273
1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.5. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 3.5.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
der Fall. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass in jedem Verfahrensstadium1, d.h. auch außerhalb einer Betriebsprüfung, mit der Finanzverwaltung der Abschluss einer tatsächlichen Verständigung hinsichtlich der Aufteilung der Entsendungsaufwendungen erfolgen kann.2
6.274
Anwendung des Aufteilungsmaßstabs in über den Prüfungszeitraum hinausgehenden Wirtschaftsjahren. Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann der ermittelte Aufteilungsmaßstab i.S. einer verbindlichen Zusage auch für Wirtschaftsjahre Anwendung finden, die über den Prüfungszeitraum hinausgehen. Voraussetzung ist, dass sich die Verhältnisse nicht wesentlich ändern, die für die Festlegung des Maßstabs ausschlaggebend waren. Die Angemessenheit des Aufteilungsmaßstabs ist in regelmäßigen Abständen zu prüfen und bei Veränderung der Verhältnisse anzupassen. 3. Inanspruchnahme eines Vorteilsausgleichs
6.275
Voraussetzungen für die Durchführung eines Vorteilsausgleichs. Nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung kann ein Vorteilsausgleich auch im Rahmen der Einkunftsabgrenzung bei Arbeitnehmerentsendungen erfolgen.3 Hinsichtlich der näheren Voraussetzungen verweisen die VWG-Arbeitnehmerentsendung auf Tz. 2.3 der VWG vom 23.2.1983 (vgl. zu weiteren Einzelheiten eines Vorteilsausgleichs Rz. 3.161 ff.).4
6.276
Praktische Umsetzung eines Vorteilsausgleichs. Angesprochen ist der Fall, dass umfängliche Geschäftsbeziehungen zwischen dem aufnehmenden und dem entsendenden Unternehmen bestehen. Dies bedeutet, dass bspw. der Verzicht auf die Weiterbelastung der Aufwendungen für einen im Interesse der Tochtergesellschaft tätigen Arbeitnehmer dadurch ausgeglichen wird, dass die Tochtergesellschaft einen überhöhten Preis für die Lieferung von Waren akzeptiert. Die Finanzverwaltung akzeptiert eine Kompensation zwischen dem nachteiligen und dem vorteilhaften Geschäft unter den eng gefassten Voraussetzungen des BMF-Schreibens v. 23.2.1983.
1 Vgl. BFH v. 11.12.1984 – VIII R 131/76, BStBl. II 1985, 354 = FR 1985, 306; v. 5.10. 1990 – III R 19/88, BStBl. II 1991, 45; v. 8.9.1994 – V R 70/91, BStBl. II 1995, 32. 2 Zu den Voraussetzungen einer tatsächlichen Verständigung vgl. BMF v. 30.7. 2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831. 3 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 4.3. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.3.1. ff.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
X. Korrektur einer nicht dem Fremdvergleich entsprechenden Zuordnung der Aufwendungen der Entsendung 1. Überblick Abgrenzung des Gegenstands der Korrektur. Entspricht die Zuordnung der Aufwendungen einer Arbeitnehmerentsendung nicht dem Fremdvergleich, hat eine Korrektur zu erfolgen. Dabei ist zu differenzieren, ob durch die nicht dem Fremdvergleich entsprechende Zuordnung des Aufwands der Entsendung eine Vorteilsgewährung der Muttergesellschaft an die Tochtergesellschaft oder im umgekehrten Fall eine Vorteilsgewährung der Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft den Gegenstand der Einkünftekorrektur bildet.
6.277
Rechtsgrundlagen der Einkünftekorrektur. Bei einer nicht angemessenen Beteiligung der Muttergesellschaft an dem bei der Tochtergesellschaft anfallenden Entsendungsaufwand ist zu prüfen, ob eine vGA vorliegt (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG).1 Wird die Tochtergesellschaft hingegen nicht in angemessenem Umfang mit den Aufwendungen der Entsendung belastet, die bei der Muttergesellschaft für den entsandten Arbeitnehmer anfallen, ist zu prüfen, ob eine Einkünftekorrektur auf die Grundsätze der verdeckten Einlage (§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Satz 3 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG) gestützt werden kann.2 Liegen die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage nicht vor, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG vorliegen (vgl. zu den Rechtsgrundlagen Rz. 2.64 ff., 5.149 ff. und 7.13 ff.).3 Handelt es sich bei der Muttergesellschaft um ein Personenunternehmen, kommt zudem auch eine Einkünftekorrektur nach Entnahmegrundsätzen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG) in Betracht.4
6.278
2. Fallgruppe I: Nicht fremdübliche Übernahme von Entsendungsaufwand durch eine in- bzw. ausländische Tochtergesellschaft Leistungsungleichgewicht zu Lasten der Tochtergesellschaft. Trägt eine Tochtergesellschaft Aufwendungen für einen im Interesse der Muttergesellschaft tätigen Arbeitnehmer, liegt ein Leistungsungleichgewicht zugunsten der Muttergesellschaft vor. Den von der Tochtergesellschaft übernommenen Aufwendungen der Entsendung steht keine objektiv angemessene Gegenleistung gegenüber. Hinsichtlich der weiteren Rechtsfolgen ist zwischen einer Inbound- und Outbound-Entsendung zu unterscheiden. 1 Vgl. hierzu zuletzt BFH v. 15.2.2012 – I R 19/11, FR 2012, 690 sowie BFH v. 8.10. 2008 – I R 61/07, BStBl. II 2011, 62 = FR 2009, 583; v. 22.12.2010 – I R 47/10, BFH/NV 2011, 1019. 2 Vgl. hierzu zuletzt BFH v. 18.4.2012 – X R 7/10, GmbHR 2012, 860 sowie Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 108. 3 Zu den Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 1 Abs. 1 AStG vgl. auch FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, IStR 2006, 794, rkr. 4 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 109.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.280
Inbound-Entsendung. Im Fall einer Inbound-Entsendung liegt eine vGA der inländischen Tochtergesellschaft an ihren Gesellschafter vor (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG). Die vGA beruht auf einer verhinderten Vermögensmehrung aufgrund der Nichtgeltendmachung einer Kostenbeteiligung der Muttergesellschaft.
6.281
Outbound-Entsendung. Im Fall einer Outbound-Entsendung können sich Rechtsfolgen für die inländische Muttergesellschaft nur dann ergeben, wenn nach dem Recht des Sitzstaates der Tochtergesellschaft eine Korrektur der Einkünfte der Tochtergesellschaft erfolgt. Hintergrund ist, dass sich die steuerlichen Rechtsfolgen des Leistungsungleichgewichts zu Lasten der Tochtergesellschaft allein nach dem Steuerrecht des Sitzstaates der Tochtergesellschaft bestimmen. 3. Fallgruppe II: Keine angemessene Weiterbelastung von Entsendungsaufwand an die ausländische Tochtergesellschaft
6.282
Verdeckte Einlage durch die Nichtgeltendmachung gegenüber der Tochtergesellschaft bestehender Forderungen. Übernimmt eine inländische Muttergesellschaft Aufwendungen einer Arbeitnehmerentsendung, zu deren Zahlung sich die ausländische Tochtergesellschaft gegenüber dem entsandten Arbeitnehmer vertraglich verpflichtet hat, kann der Tatbestand einer verdeckten Einlage erfüllt sein.1 Die Struktur zeichnet sich dadurch aus, dass die aufnehmende ausländische Konzerngesellschaft mit dem entsandten Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Auf der Grundlage des Arbeitsvertrages ist die Tochtergesellschaft zu Gehaltszahlungen an den in ihrem Interesse tätigen Arbeitnehmer verpflichtet. An Stelle der Tochtergesellschaft nimmt allerdings die Muttergesellschaft aus gesellschaftsrechtlichen Gründen an den Arbeitnehmer die Gehaltszahlungen vor. Hierdurch übernimmt die Muttergesellschaft Verbindlichkeiten gegenüber einem bei der Tochtergesellschaft angestellten Arbeitnehmer.2 Aus der Tilgung der Lohnschulden durch den Gesellschafter resultiert eine Vermögensmehrung der Tochtergesellschaft. Die verdeckte Einlage besteht in der Nichtgeltendmachung der Forderung der Muttergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft aus dem übernommenen Aufwand der Entsendung (hinsichtlich der weiteren Rechtsfolgen verdeckter Einlagen vgl. Rz. 2.63).
6.283
Nachträglicher Verzicht auf die Geltendmachung einer Forderung. Eine verdeckte Einlage kann auch daraus resultieren, dass die Muttergesellschaft nachträglich auf die Geltendmachung einer gegenüber der Tochtergesellschaft bestehenden Forderung verzichtet. Dieser Fall kann in der Praxis dann vorliegen, wenn der aufnehmenden Tochtergesellschaft ledig1 Vgl. Höppner, JbFSt 1990, 148 (150); Schreiber, JbFSt 2001, 602 (608). 2 Vgl. BFH v. 11.4.1984 – I R 175/79, BStBl. II 1984, 537. Im Ergebnis so auch BFH v. 29.7.1997 – VIII R 57/94, BStBl. II 1998, 653; v. 19.5.1982 – I R 102/79, BStBl. II 1982, 632 = FR 1982, 441.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
lich eine wirtschaftliche Arbeitgeberstellung zukommt. D.h. der Arbeitsvertrag mit dem entsandten Arbeitnehmer wird während der Entsendung fortgeführt. Betreffend den Aufwand der Entsendung wurde zwischen der Muttergesellschaft und der aufnehmenden Tochtergesellschaft eine Vereinbarung hinsichtlich der Übernahme der Aufwendungen der Entsendung durch die Tochtergesellschaft getroffen. Nachträglich verzichtet die Muttergesellschaft jedoch auf die Geltendmachung gegenüber der Tochtergesellschaft bestehender Forderungen. Leistungsentnahme durch die Nichtweiterbelastung von Aufwendungen der Entsendung. Handelt es sich bei dem entsendenden Unternehmen um eine Personengesellschaft, kann auf Grund der Nichtweiterbelastung von Entsendungsaufwand an eine dem Gesellschafter nahe stehende Person (Schwestergesellschaft) eine Leistungsentnahme vorliegen.1 Die Vorteilsgewährung an die Schwestergesellschaft auf Grund der Nichtweiterbelastung von Aufwendungen der Entsendung stellt eine Wertabgabe in einen betriebsfremden Bereich dar. So ist der Tatbestand einer Entnahme auch dann erfüllt, wenn eine Vorteilsgewährung an eine dem Gesellschafter nahe stehende Person erfolgt.2 Bei einer Wertabgabe an nahe stehende Dritte im Rahmen einer unausgewogenen Geschäftsbeziehung wird gedanklich eine Entnahme des Steuerpflichtigen in sein Privatvermögen mit einer anschließenden Wertabgabe an den fremden Dritten fingiert.3 Die Wertabgabe aus dem Betrieb der Personengesellschaft kann daher nach § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG den Gesellschaftern als Entnahme zugerechnet werden.
6.284
Einkünftekorrektur nach § 1 AStG. Im Grundsatz kommt eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG nur in Betracht, falls aus einer Geschäftsbeziehung (§ 1 Abs. 4 AStG) eine Minderung der Einkünfte der inländischen Konzerngesellschaft resultiert. Dabei ist zu beachten, dass sich die Frage einer Anwendung des § 1 AStG nur für Sachverhalte stellt, in denen eine Einkünftekorrektur nicht bereits auf eine verdeckte Einlage bzw. Entnahme gestützt werden kann.4 Zum Konkurrenzverhältnis des § 1 AStG zu den übrigen Korrekturnormen des innerstaatlichen Rechts wird auf die Ausführungen in Kap. 2 (Rz. 2.66 ff.) verwiesen. Erfasst werden bspw. Sachverhalte, in denen die inländische entsendende Gesellschaft für einen im Interesse der Tochtergesellschaft tätigen Arbeitnehmer auf die Weiterbelastung der Aufwendungen der Entsendung verzichtet.
6.285
Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG im Rahmen von Entsendungen. Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG ist jede schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung ist. Fraglich ist, ob von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfasste Entsendungen im
6.286
1 2 3 4
Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 324 = FR 1998, 487. Vgl. BFH v. 6.8.1985 – VIII R 280/81, BStBl. II 1986, 17 = FR 1986, 44. Vgl. Schliephake, Personengesellschaften, 164. Zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs zwischen § 1 AStG und § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG vgl. Wassermeyer, IStR 1997, 657.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Rahmen einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG erfolgen. So ist zu beachten, dass den von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen gerade kein Leistungsaustausch auf schuldrechtlicher Basis zugrunde liegt. Die Finanzverwaltung geht allerdings davon aus, dass eine Geschäftsbeziehung auch dann vorliegen kann, wenn kein Leistungsaustausch erfolgt.1 Diese Beurteilung ist fragwürdig. So fehlt es im Fall konzerninterner Entsendungen regelmäßig an einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen den Konzerngesellschaften hinsichtlich der Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung.
XI. Know-how-Transfer und Funktionsverlagerung im Zusammenhang mit Entsendungen 1. Know-how-Transfer a) Erscheinungsformen des Know-how im Zusammenhang mit Entsendungen
6.287
Prüfung eines Transfers von Know-how an die aufnehmende Gesellschaft. Nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung ist zu prüfen, ob im Rahmen einer Entsendung ein Transfer von Know-how an die aufnehmende Konzerngesellschaft erfolgt, der zur Gewinnrealisierung bei der abgebenden Konzerngesellschaft führt.2 Bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft muss ggf. ein immaterielles Wirtschaftsgut aktiviert und abgeschrieben werden. Dieser Hinweis in den VWG-Arbeitnehmerentsendung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der grenzüberschreitende konzerninterne Austausch von Know-how häufig als Grund für die Durchführung von Arbeitnehmerentsendungen genannt wird.3
6.288
Nicht dem urheberrechtlichen Schutz unterliegende Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten. Know-how fällt in die Kategorie der immateriellen Vermögenswerte des Betriebsvermögens.4 In Anlehnung an das Urteil des BFH v. 4.3.1970 wird der Begriff für nicht dem urheberrechtlichen Schutz unterliegende Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten verwandt.5 Know-how kann seinen Ausdruck in physischen Gegenständen wie Zeichnungen, Versuchsergebnissen, Tabellen, Plänen, Formeln, Rezepten, Mustern und Arbeitsanweisungen finden. Know-how kann allerdings auch durch das Humankapital eines Spezialisten verkörpert werden.6 Als Know-how können dessen gewerbliche, technische und wissenschaftliche 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.5. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 4.2. 3 Vgl. Borstell in V/B/E, Verrechnungspreise3, Tz. P 2. 4 Vgl. BFH v. 3.7.1987 – III R 7/86, BStBl. II 1987, 730 = FR 1987, 477. 5 Vgl. BFH v. 4.3.1970 – I R 86/69, BStBl. II 1970, 567; v. 13.11.2002 – I R 90/01, FR 2003, 469; v. 13.2.1970 – III R 43/68, BStBl. II 1970, 373; so auch Amann, Dienstleistungen, 64; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA, Rz. 81. 6 Vgl. Kuebart, Verrechnungspreise im internationalen Lizenzgeschäft, 13.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten eingestuft werden. In diesem Fall hat sich der Vermögenswert „Know-how“ nicht in Form von Zeichnungen und Plänen oder auf Datenträgern konkretisiert.1 Wird das Knowhow einem Dritten vermittelt, so spart es diesem Zeit und Kosten.2 Die Qualität eines betrieblichen Vermögenswertes hat Know-how nur dann, wenn es sich um relativ geheimes Know-how handelt.3 Es muss sich daher um für Außenstehende nicht zugängliche Kenntnisse und Erfahrungen handeln. Zu beachten ist, dass regelmäßig jede Preisgabe von Knowhow mit einer Reduktion von dessen Wert einhergeht. Übertragung bzw. Überlassung von Know-how. Die VWG-Arbeitnehmerentsendung gehen nicht darauf ein, in welcher Weise der Transfer von Know-how erfolgt. In Abhängigkeit davon, ob mit dem Transfer ein Rechtsträgerwechsel einhergeht, kann zwischen der Übertragung und der Überlassung unterschieden werden. Auch wenn die Finanzverwaltung auf die Unterscheidung nicht ausdrücklich eingeht, werden von den VWGArbeitnehmerentsendung wohl beide Sachverhalte angesprochen. Dabei tritt im Zusammenhang mit der Überlassung von Know-how die Problematik auf, dass dieses einer zeitlich begrenzten Überlassung häufig nicht fähig ist.4 In der Praxis lässt sich die Weiterbenutzung der einmal überlassenen Kenntnisse und Erfahrungen regelmäßig nicht vermeiden.
6.289
Richtung des Know-how-Transfers. Die Finanzverwaltung spricht in den VWG-Arbeitnehmerentsendung nur den Transfer von Know-how von der entsendenden an die aufnehmende Konzerngesellschaft an.5 In Betracht zu ziehen ist aber auch, dass der Arbeitnehmer während der Entsendung spezielle Kenntnisse und Erfahrungen der aufnehmenden Konzerngesellschaft erlangt.6
6.290
b) An den Arbeitnehmer gebundenes Know-how Überlassung von Know-how im Rahmen der Entsendung. Die Kenntnisse und besonderen Erfahrungen des Arbeitnehmers können als an den Arbeitnehmer gebundenes Know-how eingestuft werden. Eine Überlassung von Know-how im Rahmen der Entsendung eines Arbeitnehmers würde voraussetzen, dass der aufnehmenden Konzerngesellschaft im Rahmen der Entsendung ein Nutzungsrecht in Bezug auf das Know-how eingeräumt wird. Diese Voraussetzungen liegen vor, falls die aufnehmende Konzerngesellschaft zukünftig selbst Problemstellungen mit Hilfe des Know-hows lösen kann.7 1 2 3 4 5
Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 81. Vgl. BFH v. 23.11.1988 – II R 209/82, BStBl. II 1989, 82. Vgl. BFH v. 10.3.1993 – I R 116/91, BFH/NV 1993, 595. Vgl. BFH v. 27.4.1977 – I R 211/74, BStBl. II 1977, 623. Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 4.2. 6 Vgl. IDW, FN-IDW 2000, 657 (658). 7 Vgl. BFH v. 16.12.1970 – I R 44/67, BStBl. II 1971, 235.
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6.291
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.292
Spezielle Kenntnisse und Erfahrungen des Arbeitnehmers. Verfügt der Arbeitnehmer über spezielle Kenntnisse und Erfahrungen, so stellen diese kein von dem Arbeitnehmer lösbares, selbstständig bewertbares Wirtschaftsgut dar.1 Die Mitteilung des an den Arbeitnehmer gebundenen Know-hows wird im Regelfall nur mündlich erfolgen. Dies ist bspw. im Rahmen der Ausbildung oder Schulung von Mitarbeitern der aufnehmenden Konzerngesellschaft der Fall. Wendet der Arbeitnehmer hingegen seine Kenntnisse und Erfahrungen zur Lösung einer ihm übertragenen Aufgabe an, so resultiert hieraus keine Überlassung des Know-how. Diese Beurteilung gilt auch dann, wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers bspw. in der Anfertigung eines Gutachtens besteht.2 In diesem Fall handelt es sich nicht um die Vermittlung von Erfahrungswissen, sondern um dessen Anwendung durch den „Vermittler“ selbst.3
6.293
Kein gesondert zu vergütender Transfer von Know-how. Im Ergebnis ist im Rahmen einer Entsendung kein gesondert zu verrechnender Transfer von Know-how gegeben.4 Verfügt der Arbeitnehmer über besondere Kenntnisse und Fähigkeiten, so bilden diese einen Bestandteil des von der aufnehmenden Konzerngesellschaft zu übernehmenden Aufwands der Entsendung.5 Häufig liegt einer Entsendung auch die Zielsetzung zugrunde, die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen des Arbeitnehmers zu nutzen. Diese Zielsetzung ist regelmäßig im Rahmen von „Expertenentsendungen“ gegeben. c) Sonderfall der Überlassung bzw. Übertragung körperlicher Unterlagen
6.294
Voraussetzungen einer Nutzungsüberlassung bzw. Übertragung von Know-how. Eine Nutzungsüberlassung bzw. Übertragung von Know-how im Zusammenhang mit einer Entsendung liegt vor, falls der aufnehmenden Konzerngesellschaft körperliche Unterlagen wie Datenträger, Zeichnungen oder technische Dokumentationen übergeben werden.6 In diesem Fall werden der aufnehmenden Konzerngesellschaft Nutzungs- oder Herstellungsrechte an dem mitgeteilten Know-how eingeräumt.7 Dies hat zur Folge, dass die Überlassung bzw. Übertragung von Know-how im Rahmen der Einkunftsabgrenzung einen eigenständigen Sachverhalt bildet, der getrennt von der in diesem Zusammenhang erfolgenden Entsendung des Arbeitnehmers zu beurteilen ist. Wird Know-how kostenlos oder zu einem unangemessen niedrigen Preis von der Muttergesellschaft an eine Tochtergesellschaft übertragen, hat eine Korrektur nach den Grundsätzen ver1 2 3 4
Vgl. BFH v. 10.3.1993 – I R 116/91, BFH/NV 1993, 595. Vgl. Amann, Dienstleistungen, 72. Vgl. BFH v. 16.12.1970 – I R 44/67, BStBl. II 1971, 237. Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 4.2. 5 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 1857 (1862); Waldens, PIStB 2002, 166 (180). 6 Vgl. BFH v. 27.4.1977 – I R 211/74, BStBl. II 1977, 623. 7 Vgl. Amann, Dienstleistungen, 72; Dubberke, IStR 1998, 662 (664).
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C. Arbeitnehmerentsendungen
deckter Einlagen zu erfolgen.1 Im Fall der Überlassung ist prüfen, ob eine Berichtigung des Gewinns auf § 1 AStG gestützt werden kann.2 d) Voraussetzungen für einen Know-how-Transfer von der aufnehmenden an die entsendende Gesellschaft Erlangung von Kenntnissen und Erfahrungen der aufnehmenden Gesellschaft. Bei einer Entsendung zu Ausbildungs- und Fortbildungszwecken wird der Arbeitnehmer häufig als Know-how zu qualifizierende Kenntnisse und Erfahrungen der aufnehmenden Konzerngesellschaft erwerben. Die dem Arbeitnehmer vermittelten speziellen Kenntnisse und Erfahrungen stellen allerdings kein von diesem lösbares, selbstständig bewertbares Wirtschaftsgut dar. Im Wirtschaftsleben wird die Mitnahme und Nutzung der bei einem anderen Arbeitgeber erworbenen Kenntnisse im Allgemeinen nicht gesondert vergütet. Ein Transfer von Know-how liegt daher nur dann vor, wenn die Entsendung mit der Einräumung von Nutzungsrechten an immateriellen Wirtschaftsgütern wie Plänen, Mustern, Verfahren, Formeln oder Patenten verbunden ist.
6.295
2. Arbeitnehmerentsendung und Funktionsverlagerung a) Überblick Keine Einstufung von Arbeitnehmerentsendungen als Funktionsverlagerung. In § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV wird klargestellt, dass konzerninterne Arbeitnehmerentsendungen als solche nicht die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllen (zu den Grundlagen von Funktionsverlagerungen vgl. Rz. 7.5 ff.). Diese Beurteilung ist sachgerecht, da im Rahmen einer Entsendung allein eine Entscheidung über die Zuordnung des Aufwandes der Entsendung bei dem zivilrechtlichen oder wirtschaftlichen Arbeitgeber zu treffen ist. Die Verlagerung einer Funktion i.S. eines organischen Teils eines Unternehmens gemäß § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ist insoweit ausgeschlossen.3
6.296
Übertragung einer Funktion im Rahmen einer Entsendung. Von diesem Grundsatz begründet § 1 Abs. 7 Satz 2 Halbs. 2 FVerlV allerdings dann eine Ausnahme, wenn im Zuge der Entsendung eine Funktion mit übertragen wird. In den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung unterscheidet die Finanzverwaltung für die Anwendung von § 1 Abs. 7 Satz 2 Halbs. 2 FVerlV zwischen folgenden Fallgruppen:
6.297
1 Zur verdeckten Einlage immaterieller Wirtschaftsgüter vgl. Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 106. 2 Hinsichtlich der Bemessung von Verrechnungspreisen bei einer Know-how Überlassung vgl. Finsterwalder, IStR 2006, 355 (356). 3 Zur Abgrenzung einer von § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG erfassten Funktion vgl. Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch Internationale Steuerplanung, 2011, 548; Brünninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1285 (1286).
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– Entsendungen in rein zeitlichem Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung,1 – Entsendungen, die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer tatsächlich verwirklichten Funktionsverlagerung erfolgen,2 sowie – Funktionsverlagerungen als Folge einer Arbeitnehmerentsendung.3 b) Arbeitnehmerentsendungen in rein zeitlichem Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung
6.298
Getrennte Behandlung von Funktionsverlagerung und Arbeitnehmerentsendung. Erfolgt eine Arbeitnehmerentsendung in einem rein zeitlichen, aber nicht in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung, gelten für die Verrechnung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung die allgemeinen Grundsätze. D.h. soweit der aufnehmenden Konzerngesellschaft die Stellung eines zivilrechtlichen bzw. eines wirtschaftlichen Arbeitgebers zukommt, gelten für die Verrechnung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung die VWG-Arbeitnehmerentsendung. c) Arbeitnehmerentsendungen als wirtschaftlicher Teil einer Funktionsverlagerung
6.299
Erfassung von Arbeitnehmerentsendungen als Bestandteil des „Transferpakets“. Erfolgt die Entsendung von Arbeitnehmern hingegen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung, geht die Finanzverwaltung davon aus, dass das verlagernde Unternehmen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Funktionsverlagerung Dienstleistungen an das aufnehmende Unternehmen erbringt, die einen Teil des Transferpakets bilden.4
6.300
Abgrenzung zu Entsendungen in einem rein zeitlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung. Vor dem Hintergrund der Verwaltungsauffassung kommt aus Sicht der Praxis der Abgrenzung zwischen Entsendungen in einem rein zeitlichen und in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung entscheidende Bedeutung zu. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Funktionsverlagerung und der Entsendung des Arbeitnehmers soll nach der Verwaltungsauffassung dann bestehen, wenn die Entsendung des Arbeitnehmers dem Zweck dient, dem übernehmenden Unternehmen folgende Vorteile zu 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 53 u. 54. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 55. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 56. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 54.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
vermitteln: Kenntnisse des Produkt- oder Prozess-Know-hows, Kenntnisse über Forschungsprojekte, die Betriebsorganisation, persönliche Netzwerkbeziehungen zu anderen Konzernunternehmen, Markt- und Branchenkenntnisse bzw. personengebundene Aufträge im Beratungsgeschäft. Aus Sicht der Praxis kommt es insoweit darauf an, durch eine entsprechende Dokumentation gegenüber der Finanzverwaltung den Nachweis zu führen, dass eine erfolgte Entsendung nicht in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung steht. Praktisch setzt dies voraus, dass Aufzeichnungen über das Tätigkeitsfeld des entsandten Arbeitnehmers im Rahmen der Entsendung geführt werden. Rechtsfolgen von Entsendungen im wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass es sich bei den o.g. durch den Arbeitnehmer erbrachten Leistungen um Dienstleistungen handelt, die einen Bestandteil des Transferpakets bilden.1 D.h. die VWG-Arbeitnehmerentsendung sollen für die Zuordnung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung nicht zur Anwendung gelangen. Der Aufwand der Arbeitnehmerentsendung bildet dann einen Bestandteil des Verrechnungspreises für die Verlagerung einer Funktion als Ganzes.2 Die Einstufung der Arbeitnehmerentsendung als Dienstleistung setzt allerdings voraus, dass die in Tz. 2.1. und Tz. 2.2. der VWG-Arbeitnehmerentsendung genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. D.h. bei der aufnehmenden Gesellschaft darf es sich weder um den zivilrechtlichen noch um einen wirtschaftlichen Arbeitgeber der entsandten Arbeitnehmer handeln.3
6.301
Ermittlung des Dienstleistungsentgelts. Nach der Verwaltungsauffassung sollen in die Ermittlung des Dienstleistungsentgelts auch wirtschaftliche Vorteile des aufnehmenden Unternehmens eingehen, die daraus resultieren, dass dem aufnehmenden Unternehmen im Zuge der Entsendung Know-how überlassen wird.4 D.h. in die Bewertung des Transferpaktes soll auch der Wert des an den Arbeitnehmer gebundenen Know-how eingehen. Nach den in Rz. 6.291 dargelegten Grundsätzen fehlt es allerdings an einer Überlassung von Know-how, wenn der Arbeitnehmer sein Erfahrungswissen zur Lösung einer ihm übertragenen Aufgabe einsetzt. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Entsendung des Arbeitnehmers im Rahmen einer Funktionsverlagerung erfolgt und der Arbeitnehmer sein Erfahrungswissen dazu einsetzt, um die verlagerten Wirtschaftsgüter bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft wirtschaftlich effizient einzusetzen.
6.302
1 2 3 4
Vgl. BR-Drucks. 352/08, 14. Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1945 (1947). Vgl. Ditz, IStR 2009, 421 (423). Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 55.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
d) Funktionsverlagerung als Folge einer Arbeitnehmerentsendung
6.303
Funktionsverlagerung durch Arbeitnehmerentsendungen. Nach der Begründung zur FVerlV soll als Folge einer Arbeitnehmerentsendung eine Funktionsverlagerung vorliegen, wenn der entsandte Arbeitnehmer seinen bisherigen Zuständigkeitsbereich beibehält und infolgedessen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen werden bzw. Chancen und Risiken übergehen.1 Die Begründung zur FVerlV beschreibt einen Sachverhalt, bei dem im Zusammenhang mit einer konzerninternen Arbeitnehmerentsendung auf die aufnehmende Konzerngesellschaft ein Leistungspaket aus materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern übertragen wird, damit der entsandte Arbeitnehmer bei dem aufnehmenden Unternehmen seinen bislang ausgeübten Tätigkeiten weiterhin nachgehen kann.2 Nach § 1 Abs. 1 FVerlV handelt es sich bei einer Funktion um eine Zusammenfassung betrieblicher Aufgaben, die als organischer Teil des Unternehmens einzustufen sind. Vor diesem Hintergrund ist es in der Praxis nur schwer denkbar, dass die Tätigkeit eines einzelnen entsandten Arbeitnehmers als organischer Teil des Unternehmens eingestuft werden kann. Allein die Mitgabe materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter reicht hierfür nicht aus. Die Voraussetzungen einer Funktion i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV werden insoweit nicht erfüllt.3 Genauer zu prüfen sind in der Praxis allerdings Sachverhalte, in denen – alle Mitarbeiter einer Abteilung an ein verbundenes Unternehmen entsandt werden, – das aufnehmende Unternehmen in Folge der Entsendung die Aufgaben der Abteilung übernehmen kann und – in Folge der Entsendung auch ein Transfer von immateriellen Wirtschaftsgütern erfolgt.
6.304
Rechtsfolgen für die Verrechnung des Aufwands der Entsendung. Liegt eine Funktionslagerung als Folge einer Arbeitnehmerentsendung vor, sollen die VWG-Arbeitnehmerentsendung für die Aufteilung des Aufwands der Entsendung nicht zur Anwendung gelangen. Nach der Verwaltungsauffassung bildet in diesen Fällen der Aufwand der Entsendung einen Bestandteil des zu bewertenden Transferpakets.
1 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 14. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Tz. 56. 3 So im Ergebnis auch Kroppen/Rasch, IWB, F. 3 Gr. 1, 2346.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
XII. Nachweis-, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei Arbeitnehmerentsendungen 1. Nachweis- und Mitwirkungspflichten Ermittlung des Sachverhalts durch die Finanzverwaltung. Im Grundsatz ist die Finanzverwaltung nach § 88 Abs. 1 AO zur Ermittlung des „Sachverhalts“ einer Arbeitnehmerentsendung von Amts wegen verpflichtet.1 Soweit die Finanzverwaltung die näheren Umstände einer Arbeitnehmerentsendung nicht abschließend aufklären kann, wird die Finanzverwaltung eine inländische Konzerngesellschaft, die als aufnehmendes oder entsendendes Unternehmen an einer Arbeitnehmerentsendung beteiligt ist, zur Mitwirkung an der Sachverhaltsermittlung auffordern.2
6.305
Mitwirkungspflichten bei Arbeitnehmerentsendungen. Sofern inländische Konzerngesellschaften an einer Arbeitnehmerentsendung entweder als entsendendes oder als aufnehmendes Unternehmen beteiligt sind, resultiert aus § 90 Abs. 1 Satz 1 AO für das inländische Unternehmen die Verpflichtung, an der Ermittlung der für die Besteuerung erheblichen Tatsachen mitzuwirken.3 Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den hier behandelten Arbeitnehmerentsendungen um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt handelt, ist zudem die erweiterte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO zu beachten. Aus § 90 Abs. 2 AO resultiert für das inländische entsendende bzw. aufnehmende Unternehmen eine Sachverhaltsaufklärungs- und Beweismittelbeschaffungspflicht. Im Zusammenhang mit einer Arbeitnehmerentsendung kommt neben der Erteilung von Auskünften bspw. die Vorlage des mit dem entsandten Arbeitnehmer abgeschlossenen Arbeitsvertrages, des Schriftverkehrs im Zusammenhang mit der Entsendung oder eine Tätigkeitsbeschreibung in Betracht.4 Die Verpflichtung zur Beweismittelbeschaffung kann sich allerdings nur auf die im Ausland bereits vorhandenen Beweismittel erstrecken. Regelmäßig wird es sich um Beweismittel handeln, die für die Ermittlung der Interessenlage herangezogen werden können. Dabei ist allerdings zur beachten, dass sich die Vorlagepflicht ausschließlich auf Sachverhaltsfeststellungen und nicht auf Sachverhaltswürdigungen in Form von Gutachten und Stellungnahmen erstreckt.5 Dies bedeutet, dass bspw. keine Vorlagepflicht für Verrechnungspreisgutachten besteht, die zur Angemessenheit von Vergleichsgehältern Stellung nehmen. In Bezug auf die aus § 90 Abs. 2 AO resultierenden Vorlagepflichtigen ist allerdings das Ver-
6.306
1 Zu Einzelheiten vgl. Wünsch in Pahlke/König, § 90 AO Rz. 11 ff. 2 So auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 2.1. 3 Zu Einzelheiten vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.2. 4 Vgl. hierzu auch Nientimp in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGrArbN. Rz. 47. 5 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1550); Finsterwalder, DStR 2005, 765 (767).
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
hältnis zu § 90 Abs. 3 AO zu beachten. Die aus § 90 Abs. 3 AO resultierende Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Erstellung einer Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation betreffend die Arbeitnehmerentsendung hat im Ergebnis eine vorrangige schriftliche Auskunftsverpflichtung des Steuerpflichtigen zur Folge.
6.307
Beweislastverteilung bei Arbeitnehmerentsendungen. Eine an einer Entsendung als entsendendes oder als aufnehmendes Unternehmen beteiligte inländische Konzerngesellschaft ist dazu verpflichtet, Einzelheiten der Entsendung darzulegen und unter den Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 AO auch nachzuweisen. Zudem sind die aus § 90 Abs. 3 AO resultierenden Anforderungen an die Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation zu beachten. Werden diese Verpflichtung nicht erfüllt, kann die Finanzverwaltung bei der Besteuerung des inländischen Unternehmens von dem Sachverhalt ausgehen, für den die größte Wahrscheinlichkeit spricht.1 Im Ergebnis liegt in der Praxis im Hinblick auf die aus § 90 Abs. 3 AO resultierende Verpflichtung zur Erstellung einer Sachverhaltsund Angemessenheitsdokumentation die Verpflichtung zum Nachweis der Fremdüblichkeit der Arbeitnehmerentsendung bei dem Steuerpflichtigen.
6.308
Erfüllung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen. Kommt der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nach, liegt die Beweislast bei der Finanzverwaltung. Dies bedeutet, dass die Finanzverwaltung durch Beschaffung betriebsexterner Fremdvergleichsdaten den Nachweis führen muss, dass ein ordentlicher Geschäftsleiter eines unabhängigen Unternehmens für den entsandten Arbeitnehmer nur einen geringeren Gehaltsaufwand getragen hätte. 2. Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO im Rahmen von Arbeitnehmerentsendungen a) Keine Geschäftsbeziehung bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen
6.309
Aufzeichnungspflicht für Entsendungen. Im Grundsatz erfasst die Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 Satz 1 AO Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG, die ein Steuerpflichtiger zum Ausland mit nahe stehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG unterhält2 (zu den Grundlagen der durch § 90 Abs. 3 AO begründeten Aufzeichnungsverpflichtungen vgl. Rz. 8.6 ff.). Ausgehend von den Wortlaut des § 1 Abs. 4 AStG ist das Kriterium einer Geschäftsbeziehung erfüllt, falls die Entsendung im Rahmen eines durch einen Dienstleistungsvertrag begründeten Leistungsaustauschs erfolgt. Die Finanzverwaltung vertritt allerdings in § 1 Abs. 1 1 Vgl. Wünsch in Pahlke/König, § 90 AO Rz. 43. 2 Zum Begriff der nahe stehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 AStG vgl. BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771 sowie Rohler, GmbH-StB 2013, 350 (351).
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C. Arbeitnehmerentsendungen
Satz 3 GAufzV die Auffassung, dass sich die Aufzeichnungspflicht auch auf Geschäftsbeziehungen erstreckt, die keinen Leistungsaustausch zum Gegenstand haben. Ausdrücklich werden dabei Arbeitnehmerentsendungen i.S.d. VWG-Arbeitnehmerentsendung angesprochen, denen kein Leistungsaustausch zugrunde liegt.1 Diese Beurteilung ist allerdings zweifelhaft, da es bei den von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen an einem schuldrechtlich begründeten Leistungsaustausch zwischen den Konzerngesellschaften fehlt. Zu dokumentierende Geschäftsbeziehung. Auch bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen kann sich der Gegenstand der Dokumentationsverpflichtung allerdings nur auf die Geschäftsbeziehung zwischen dem entsendenden und dem aufnehmenden Unternehmen erstrecken. Ausgenommen von der Dokumentationsverpflichtung sind die Rechtsbeziehungen des entsandten Arbeitnehmers zu dem aufnehmenden bzw. dem entsendenden Unternehmen. In Bezug auf das Verhältnis zu dem entsandten Arbeitnehmer ist die Dokumentationsverpflichtung auf die Sachverhaltsdokumentation i.S.d. § 4 Satz 1 Nr. 2 GAufZV begrenzt (siehe hierzu auch Rz. 8.56 ff.). Allerdings ist zu beachten, dass mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2011 das von unbeschränkt Steuerpflichtigen auszufüllende Formular N-AUS detaillierte Angaben zu der im Ausland ausgeübten nichtselbstständigen Tätigkeit verlangt. Neben den für die Besteuerung relevanten Angaben zum Wohnsitz werden u.a. detaillierte Angaben zum Arbeitslohn, d.h. zu dessen Zusammensetzung und zur Aufteilung verlangt.
6.310
Nachweis- und Vorlagepflichten im Rahmen von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfasster Entsendungen. In den VWG-Arbeitnehmerentsendung hat die Finanzverwaltung dargelegt, welche besonderen Nachweis- und Vorlagepflichten bei von den Verwaltungsgrundsätzen erfassten Entsendungen bestehen. Dabei ist zu beachten, dass der Erlass auf der vor der Einführung des § 90 Abs. 3 AO geltenden Rechtslage beruht.2 D.h. ausgehend von den durch § 90 Abs. 2 AO begründeten erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten bestand die Verpflichtung zur Aufklärung eines Sachverhalts mit Auslandsberührung. Aufzeichnungs- und Dokumentationsverpflichtungen konnten allerdings nicht auf die Vorschrift gestützt werden.3
6.311
Nachweis von Gesamtaufwand und Interessenlage der Entsendung. In Tz. 5 der VWG-Arbeitnehmerentsendung führt die Finanzverwaltung vornehmlich eine Reihe von Unterlagen auf, die darauf ausgerichtet sind, den Gesamtaufwand und die Interessenlage der Entsendung zu belegen. Eine systematische Ordnung weist die Aufstellung allerdings nicht auf.
6.312
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.5. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 5. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Verlangt wird eine umfassende Dokumentation der wirtschaftlichen Gegebenheiten der Entsendung.1 Insoweit sind die in Tz. 5 der VWG-Arbeitnehmerentsendung angeführten Unterlagen dazu geeignet, die nunmehr nach § 90 Abs. 3 AO bestehenden Aufzeichnungs- und Dokumentationsverpflichtungen inhaltlich auszufüllen. b) Gegenstand der Aufzeichnungsverpflichtungen im Einzelnen
6.313
Dokumentation des verwirklichten Sachverhalts. Nach § 1 Abs. 1 GAufzV muss aus den nach § 90 Abs. 3 AO zu erstellenden Aufzeichnungen hervorgehen, welcher Sachverhalt im Rahmen einer konzerninternen Arbeitnehmerentsendung verwirklicht wurde (Sachverhaltsdokumentation) und inwieweit bei der Zuordnung der Aufwendungen der Entsendung der Grundsatz des Fremdvergleichs beachtet wurde (Angemessenheitsdokumentation).2 In der Praxis wird die Dokumentation von Arbeitnehmerentsendungen regelmäßig nur einen Teilaspekt der von dem Unternehmen zu erstellenden Verrechnungspreisdokumentation bilden. D.h. die Dokumentation zu Arbeitnehmerentsendungen kann i.d.R. auf den Angaben (entsprechend § 4 GAufzV) aufbauen, die allgemeine Informationen über die Beteiligungsverhältnisse, den Geschäftsbetrieb, den Organisationsaufbau sowie den Gegenstand der wirtschaftlichen Tätigkeit der entsendenden und der aufnehmenden Konzerngesellschaft vermitteln.
6.314
Relevanz der Dokumentationsverpflichtung. Aus Sicht der Praxis sind die Dokumentationsverpflichtungen dann von besonderer Relevanz, wenn sich die Aufwendungen der Entsendung in Deutschland als Betriebsausgabe auswirken sollen. Dies kann bei einer Auslandsentsendung im Fall eines Verzichts auf die Weiterbelastung von Aufwendungen der Fall sein. In diesem Fall ist anhand der Dokumentation die besondere Interessenlage des entsendenden Unternehmens an der Entsendung zu belegen. Entsprechend ist im Fall einer Inlandsentsendung die Interessenlage des aufnehmenden inländischen Unternehmens und die Angemessenheit der Aufwendungen der Entsendung zu dokumentieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Aufwand für den entsandten Arbeitnehmer den Aufwand übersteigt, der bei der Beschäftigung eines auf dem lokalen Arbeitsmarkt angeworbenen Arbeitnehmers anfallen würde. c) Art und Gegenstand der Arbeitnehmerentsendung (Sachverhaltsdokumentation) aa) Überblick
6.315
Wesentliche Bereiche der Sachverhaltsdokumentation. Der wesentlichen Gegenstand der Sachverhaltsdokumentation erstreckt sich auf die folgenden Bereiche: 1 Vgl. Vögele/Fügemann in V/B/E, Verrechnungspreise3, Tz. E 79. 2 Vgl. hierzu allgemein Rätke in Klein, § 90 AO Rz. 57.
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C. Arbeitnehmerentsendungen
– Vertraglichen Grundlagen der Entsendung, – Angaben zur Höhe und Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung sowie – Angaben zu Art und Umfang der Tätigkeit des Arbeitnehmers. Abhängigkeit der Sachverhaltsdokumentation von der Art der zu dokumentierenden Entsendung. In der Praxis wird die Ausgestaltung und der Umfang der Sachverhaltsdokumentation wesentlich durch die Art der zu dokumentierenden Entsendung bestimmt. So ist danach zu unterscheiden, ob Gegenstand der Dokumentation eine sog. „Routineentsendung“, eine Entsendung zu Aus- und Fortbildungszwecken oder eine Entsendung im Rahmen eines Rotationsverfahrens bildet. Weiterhin kann sich in Einzelfällen die Notwendigkeit ergeben, die Einstufung der aufnehmenden Konzerngesellschaft als wirtschaftlicher Arbeitgeber besonders zu dokumentieren. Auch kann sich in Einzelfällen die Notwendigkeit einer Abgrenzung zwischen einer von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendung und einer Entsendung im Rahmen eines Leistungsaustauschs ergeben.
6.316
bb) Vertragliche Grundlagen der Entsendung und Schriftverkehr Dokumentation der vertraglichen Grundlagen der Entsendung. Hinsichtlich der vertraglichen Grundlagen der Entsendung ist zwischen den im Innenverhältnis zwischen den Konzerngesellschaften abgeschlossenen Verträgen und den vertraglichen Beziehungen zu dem entsandten Arbeitnehmer zu unterscheiden. Gegenstand der Dokumentation bilden zunächst die Verträge, die das Verhältnis zwischen dem entsandten Arbeitnehmer und den in die Entsendung einbezogenen Konzerngesellschaften regeln.1 Von Relevanz sind an die Auslandstätigkeit angepasste Entsendungsverträge sowie ein mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft ggf. abgeschlossener zusätzlicher Arbeitsvertrag. Weiterhin sind die vertraglichen Grundlagen zu dokumentieren, die im Innenverhältnis zwischen den Konzerngesellschaften im Zuge der Entsendung begründet wurden. Hierbei kann es sich bspw. um Vereinbarungen betreffend die Aufteilung und Übernahme der Kosten der Arbeitnehmerentsendung handeln.
6.317
Im Rahmen der Entsendung angefallener Schriftwechsel. Zu dokumentieren ist auch der Schriftverkehr, der im Zusammenhang mit der Entsendung auf der Unternehmensebene angefallen ist. Dieser soll Auskunft geben, von welcher Konzerngesellschaft die Initiative für die Entsendung ausgegangen ist. Der im Zuge einer Entsendung angefallene Schriftverkehr wird häufig auch den Schluss zulassen, ob der Einsatz des Arbeitnehmers einem Einzelprojekt dient, ob es sich um eine Expertenentsendung handelt oder der Entsendung vielmehr Ausbildungszwecke zugrunde liegen. Stellenanzeigen können hilfsweise für den Nachweis herangezogen werden, dass gleichwertig qualifizierte Arbeitnehmer auf dem lokalen Ar-
6.318
1 So im Ergebnis auch § 1 Abs. 2 GAufzV.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
beitsmarkt der aufnehmenden Konzerngesellschaft nicht zur Verfügung stehen. Erfolgt die Entsendung im Rahmen eines Rotationsverfahrens, ist ein funktionsorientiertes Arbeitnehmerorganigramm vorzulegen. cc) Höhe und Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung sowie Art und Umfang der Tätigkeit
6.319
Höhe der Aufwendungen der Entsendung. Aufzuzeichnen ist weiterhin die Höhe des Gesamtaufwands der Entsendung und dessen Zusammensetzung. Die Finanzverwaltung verlangt auch Angaben zur Höhe der Lohnaufwendungen, die vor der Entsendung für den Arbeitnehmer angefallen sind. Diese Größe ist allerdings nur bedingt aussagefähig. Im Hinblick auf die im Zuge einer Entsendung gewährten zahlreichen Zusatzleistungen werden die Lohnaufwendungen für einen entsandten Arbeitnehmer das bisherige Niveau i.d.R. überschreiten.
6.320
Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung. In Bezug auf die Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung ist darzulegen, welcher Maßstab der Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung auf das aufnehmende und das entsendende Unternehmen zugrunde liegt. Maßstab bildet insoweit die der Entsendung zugrunde liegende Interessenlage.
6.321
Dokumentation der Höhe von Vergleichsgehältern. Weiterhin ist die Höhe der Vergleichsgehälter von Arbeitnehmern auf dem lokalen Arbeitsmarkt der aufnehmenden Konzerngesellschaft zu dokumentieren. Dabei muss die Beschaffung der Vergleichsdaten mit vertretbarem Aufwand erfolgen können (§ 1 Abs. 3 Satz 2 GAufzV). Eine Dokumentation von Vergleichsgehältern macht allerdings nur in den Fällen Sinn, in denen vergleichbar qualifizierte Arbeitnehmer auf dem lokalen Arbeitsmarkt der aufnehmenden Konzerngesellschaft überhaupt zur Verfügung stehen. Daher kann im Fall der Entsendung eines besonders qualifizierten Arbeitnehmers die Situation eintreten, dass sich keine aussagekräftigen Vergleichsgehälter ermitteln lassen.
6.322
Nachweise über Art und Umfang der Tätigkeit des Arbeitnehmers. Weiterhin sind Art und Umfang der Tätigkeit des Arbeitnehmers darzustellen. Der Umfang der hieraus resultierenden Dokumentationsverpflichtung hängt dabei wesentlich davon ab, ob der Arbeitnehmer für einen längeren Zeitraum für das aufnehmende Unternehmen tätig wird, oder ob es sich um mehrfache kurzfristige Auslandseinsätze handelt. d) Angemessenheitsdokumentation
6.323
Gegenstand der Angemessenheitsdokumentation. Der Gegenstand der Angemessenheitsdokumentation erstreckt sich auf die Begründung, dass die Aufteilung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung unter Zugrundelegung der Interessenlage der Entsendung erfolgt ist. Aufbauend auf der Sachverhaltsdokumentation ist darzulegen, welche Interessenlage 678
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D. Konzern- und Kostenumlagen
der Entsendung und der hierauf aufbauenden Übernahme der Aufwendungen der Entsendung durch die aufnehmende Konzerngesellschaft bzw. dem Verzicht auf eine Weiterbelastung der Aufwendungen zugrunde liegt. Rechtfertigung eines höheren Gesamtaufwandes für entsandte Arbeitnehmer. Im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation kann sich zudem die Notwendigkeit ergeben, darzulegen, aus welchen Gründen ein entsandter Arbeitnehmer höhere Aufwendungen verursacht, als ein auf dem lokalen Arbeitsmarkt angeworbener Arbeitnehmer. Insbesondere bei Entsendungen nach Deutschland wird die deutsche Finanzverwaltung eine entsprechende Begründung verlangen.
6.324
Fragwürdige Forderung nach der Erstellung einer Kosten-Nutzen-Analyse. Als fragwürdig ist die Forderung der Finanzverwaltung nach der Erstellung einer Kosten-Nutzen-Analyse bezüglich des Lohnaufwandes und dem Erfolgsbeitrag des entsandten Arbeitnehmers zu beurteilen.1 Im Regelfall kann ein Zusammenhang zwischen dem Unternehmensgewinn und dem auf einen entsandten Arbeitnehmer entfallenden Erfolgsbeitrag nicht hergestellt werden. Entsprechendes gilt für Gewinnprognosen der aufnehmenden Einheit.
6.325
D. Konzern- und Kostenumlagen Literatur Arbeitskreis Außensteuerrecht beim Institut der Wirtschaftsprüfer, Verrechnungspreise und Außensteuergesetz, in: Strunk/Wassermeyer/Kaminski (Hrsg.), Unternehmensteuerrecht und Internationales Steuerrecht, Gedächtnisschrift für Dirk Krüger, Bonn 2006, 19 ff.; Baumhoff, Die Verrechnung von Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen mit Hilfe von Konzernumlagen, IStR 2000, 693 (Teil I), 731 (Teil II); Baumhoff/Greinert, Steuerliche Anerkennung internationaler Verrechnungspreise bei Nichteinhaltung formaler Anforderungen – Anmerkungen zum Urteil des FG Köln vom 22.8.2007, IStR 2008, 353; Becker, Commentary on Chapter VIII of the OECD Transfer Pricing Guidelines: Cost Contribution Arrangements, ITPJ 1998, 62; Becker, Cost Sharing, Die OECD-Leitlinie zu den Kostenteilungsvereinbarungen, IWB F. 10 Gr. 2, 1325; Becker, Verwaltungsbezogene Leistungen im Konzern und die neuen Verwaltungsgrundsätze zu den Umlagen, IWB F. 3 Gr. 2, 879; Böcker, Aktuelle Erfahrungen bei der Prüfung von Kostenumlageverträgen mit ausländischen verbundenen Unternehmen, StBp. 2008, 8; Dahnke, Kostenumlagen: Kostennachweis anhand der Unterlagen der ausländischen Dienstleistungsgesellschaften, IStR 1994, 24; Ditz, Fremdvergleichskonforme Ermittlung eines Umlageschlüssels bei Konzernumlagen, DB 2004, 1949; Ditz/Schneider, Internationale Rechtsprechung zu Verrechnungspreisen, DB 2011, 779; Eggers, Umlagen und Verrechnungspreise für konzerninterne Dienstleistungen in der Umsatzsteuer, Köln 2005; Endres, Kostenumlagen für das Key-Account-Management, PIStB 2005, 254; Kaminski, Umlagen bei konzerninternen Leistungen – Gestaltung von Konzernumlageverträgen unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens v. 1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796, Tz. 5.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch 30.12.1999, IWB F. 3 Gr. 2, 891; Kaminski, Verrechnung von Dienstleistungen mit Hilfe von Umlagen im internationalen Konzern – Zum Verständnis des BMFSchreibens vom 30.12.1999, Steueranwaltsmagazin 2009, 175; Kaminski, Umlagen bei konzerninternen Dienstleistungen, in: Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne 2011, 693; Kuckhoff/Schreiber, Kommentierung zu Kapitel VIII der OECD-Guidelines 1995: Kostenumlagen, IStR 1998, 1; Kuckhoff/Schreiber, Die neuen Verwaltungsgrundsätze zu den Umlageverträgen, IStR 2000, 346 (Teil I), 373 (Teil II); Oestreicher, Neufassung der Verwaltungsgrundsätze zur Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen, IStR 2000, 759; Piltz, Verrechnungspreise für Dienstleistungen – Einzelabrechnung versus Umlage, in: Schaumburg (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 6, Köln 1994, 66; Rasch, Verdeckte Gewinnausschüttung wegen Nichteinhaltung formaler Anforderungen, IWB 2012, 198; Rasch/Fischer, Die neuen „Temporary U. S. Cost-Sharing Regulations“ – Chancen und Probleme, IWB F. 8 Gr. 2, 1533; Runge, The German View of Cost Contribution Arrangements, Intertax 1997, 81; Slapio/Bosche, Umlageverträge bergen umsatzsteuerliche Risiken, PIStB, 2005, 231; Slapio/Schmitz, Verwaltungsgrundsätze zur Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge – Überlegungen zu umsatzsteuerlichen Aspekten, IWB F. 3 Gr. 1, 671; Stock/Kaminski, Anm. zum Gewinnaufschlag bei Konzernumlagen, IStR 1998, 7; Storck, Umlangen im Bereich Forschung und Entwicklung globaler Konzerne, in: Burmester/Endres (Hrsg.) Außensteuerrecht, Doppelbesteuerungsabkommen und EU-Recht im Spannungsverhältnis, Festschrift für Helmut Debatin, München 1997, 453; Stuffer/Reichl, Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen über die Grenze: Aktuelle Entwicklungen im EU-Verrechnungspreisforum, IStR 2011, 685; Vögele, Prüfungsgrundsätze für Umlageverträge international verbundener Unternehmen, DB 2000, 297; Vögele/Freytag, Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen – Abgrenzung von Hilfs- und Hauptfunktionen, RIW 2001, 172; Vögele/ Freytag, Kernbereiche der neuen Prüfungsgrundsätze zu Kostenumlagen, IStR 2000, 249; Vögele/Freytag, Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen – Wesen und Zweifelsfragen, IWB F. 10 Gr. 2, 1493; Vögele/Scholz, Nutzen-Analyse im Rahmen der neuen Kostenumlagegrundsätze: Ein methodischer Überblick, IStR 2000, 155; Vögele/Scholz, Nutzenanalyse im Rahmen eines Umlagevertrages – Ermittlung des Umlageschlüssels auf Basis geplanter Kosteneinsparungen, IStR 2000, 557; Waldburger, Cost Contribution Arrangements („CCA“) im Forschungs- und Entwicklungsbereich internationaler Konzerne – ausgewählte Aspekte aus schweizerischer Sicht, in: Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts, FS für Helmut Loukota, Wien 2005, 629.
I. Vorbemerkung 6.326
Alternative Formen der Leistungsverrechnung. Für die Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen der Höhe nach ist von der bereits dargestellten Einzelverrechnung (Rz. 6.146) mittels der klassischen Methoden oder anderer geeigneter Verrechnungspreismethoden (z.B. der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode, Rz. 5.92 ff.) die alternative Abrechnungsform der Konzernumlage zu unterscheiden. Die Abrechnungsform der Konzernumlage ist weitergehend zu unterscheiden in – Leistungsumlage im Rahmen eines schuldrechtlichen Leistungsaustausches zwischen den Konzerngesellschaften (Leistungsaustauschkonzept), und 680
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D. Konzern- und Kostenumlagen
– Kosten- bzw. Poolumlage im Rahmen der Begründung eines Pools zum Leistungsempfang im gemeinsamen Interesse und auf gemeinsames Risiko der involvierten Konzerngesellschaften (Poolkonzept). Abgrenzung zum Kostenfinanzierungsverfahren. Vom Kostenumlageverfahren begrifflich und sachlich zu trennen ist das sog. „Kostenfinanzierungsverfahren“. Hierbei handelt es sich um eine pauschalierte Bezuschussung (Cost-Funding) der Aktivitäten einer dienstleistungserbringenden Konzerneinheit durch die an den Dienstleistungen interessierten Konzernmitglieder. Hierbei wird der Zuschuss bzw. Beitrag auf eine vorher festgesetzte betriebswirtschaftliche Bezugsgröße (i.d.R. der Umsatz) bestimmt, wobei allerdings die beim Leistungserbringer entstandenen Kosten unberücksichtigt gelassen werden. Dieses kostenunabhängige Umlageverfahren wird von den VWG-Umlage ausdrücklich abgelehnt.1 Diese Ablehnung ist insofern sachgerecht, als aufgrund der Vernachlässigung der durch die Dienstleistung bzw. das Dienstleistungsbündel beim Leistungserbringer verursachten Kosten und der Verwendung einer mehr oder weniger willkürlich ausgewählten Schlüsselgröße dem Kostenfinanzierungsverfahren allenfalls der Charakter einer groben Schätzung zukommt. Dies resultiert daraus, dass dieses Verfahren aufgrund der Vernachlässigung des Verursachungsprinzips entweder zu Über- oder Unterdeckungen der verursachten Kosten führt, so dass eine genaue Kostenerstattung mithin rein zufällig wäre. Da dieses Verfahren somit in aller Regel zu einem Leistungsungleichgewicht führt, ist es mit den Grundsätzen des Fremdvergleichs nicht zu vereinbaren. Sachgerecht und für einen ordentlichen Geschäftsleiter akzeptabel wäre dieses Verfahren nur dann, wenn es im Einzelfall gelänge, eine Korrelation zwischen der gewählten Schlüsselgröße und den beim Leistungserbringer entstandenen Kosten nachzuweisen. Dies wiederum würde eine Ermittlung eben dieser Kosten erforderlich machen, was jedoch das gesamte Verfahren ad absurdum führte, da damit auch gleichzeitig die Voraussetzungen für das allgemein anerkannte Kostenumlageverfahren erfüllt wären.
6.327
Leistungsumlage. Während bei der Einzelabrechnung für jede einzelne, im Rahmen einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen den Konzerngesellschaften erbrachte Dienstleistung ein separates Entgelt verrechnet wird, ist im Zusammenhang mit der Konzernumlage zu differenzieren, ob zwischen den involvierten Konzerngesellschaften ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch stattfindet oder nicht.2 Ist dies der Fall, werden nach dem Leistungsaustauschkonzept von einem (zentralen) Leistungs-
6.328
1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1. Abs. 2 a.E.; Flick, JbFSt 1981/82, 158; Schulze, FR 1983, 92, Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 378. 2 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 348; Baumhoff, IStR 2000, 693 f.; Oestreicher, IStR 2000, 760 f.; Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 892 ff.; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 ff.; Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. K 7; Ditz, DB 2004, 1949 f.; rechtsvergleichend siehe etwa Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreise zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 209 ff. m.w.N.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
erbringer als Auftragnehmer gegenüber mehreren verbundenen Unternehmen als Auftraggeber Leistungen erbracht, z.B. indem eine spezialisierte Dienstleistungsgesellschaft im Bereich des Rechnungswesens gleichartige Leistungen an mehrere Konzerngesellschaften erbringt. Dabei wird der Verrechnungspreis der Dienstleistung an die einzelnen Auftragnehmer pauschal durch Umlage der beim Leistungserbringer entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlages mit Hilfe einer sachgerechten Schlüsselung bestimmt (sog. Leistungsumlage). Insofern handelt es sich bei der Leistungsumlage im Ergebnis um eine besondere Form der Verrechnungspreisermittlung auf der Grundlage einer modifizierten Kostenaufschlagsmethode mit einer einhergehenden pauschalen Kostenermittlung und -verteilung zuzüglich Gewinnaufschlag (Rz. 6.338). Im Gegensatz zur Poolumlage ist das Dienstleistungsentgelt in Gestalt der Leistungsumlage Betriebsausgabe auf Ebene des Leistungsempfängers; die in der Kostenbasis enthaltenen Aufwendungen sind und bleiben solche des (zentralen) Leistungserbringers. Nach allgemeinen Grundsätzen und ungeachtet der Abrechnungsform (Einzelabrechnung vs. Leistungsumlage) ist auf Ebene des Leistungsempfängers über die Abzugsfähigkeit des Dienstleistungsentgelts und auf Ebene des Leistungserbringers über die Abzugsfähigkeit der in die Kostenbasis eingehenden Aufwendungen zu entscheiden. Fraglich ist hier insbesondere, ob sog. „nützliche“ Aufwendungen für die Akquise, sofern sie nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben zu qualifizieren sind, aus der Kostenbasis auszuscheiden sind und die Leistungsumlage dementsprechend zu kürzen ist. Diese in der Praxis bisweilen vorgebrachte Vorstellung verkennt das Wesen der Leistungsumlage. Sie ist „lediglich“ eine gegenüber der Einzelverrechnung alternative Abrechnungsform. Keinesfalls sind die Aufwendungen des Leistungserbringers abgeleitete Aufwendungen des Leistungsempfängers. Das Dienstleistungsentgelt ist Gegenleistung für die erbrachten Dienstleistungen. Es wird allerdings im Wege des hypothetischen Fremdvergleichs mittels der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) der Preis ermittelt, den fremde Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten. Hierdurch wird der Fremdvergleich praktisch umgesetzt. Dem Vernehmen nach will die Finanzverwaltung einzelne Bestandteile der Kostenbasis daraufhin überprüfen, ob deren Einbeziehung dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Ebenso wie bei der Einzelverrechnung ist jedoch auch bei der Leistungsumlage die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode auf die Bestimmung des Fremdvergleichspreises gerichtet, ohne dass die Kostenbasis isoliert bzw. einzelne Kostenbestandteile einem Fremdvergleich zugänglich wären. Die Leistungsumlage ist eine der Einzelabrechnung gleichwertige Abrechnungsform, die insbesondere in solchen Fällen Anwendung findet, in denen die Einzelabrechnung der Dienstleistungen nicht oder – auf Grund eines hohen Verwaltungsaufwandes – zumindest nicht wirtschaftlich sinnvoll möglich ist (sog. Vereinfachungsfunktion der Leistungsumlage).1 Vor 1 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 348.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
diesem Hintergrund findet nach Auffassung der OECD die Leistungsumlage insbesondere dann Anwendung, wenn „der anteilsmäßige Wert der an die verschiedenen maßgeblichen Unternehmen erbrachten Dienstleistungen nur auf der Grundlage eines Näherungs- oder Schätzwertes berechnet werden“1 kann. Dies sei bspw. bei der zentralen Verkaufsförderung, z.B. mit Hilfe internationaler Messen oder bei der Werbung in der internationalen Presse, der Fall.2 Kosten- bzw. Poolumlage. Demgegenüber schließen sich nach dem sog. Poolkonzept – international auch „cost sharing“ bzw. „cost contribution“ genannt – mehrere verbundene Unternehmen zusammen, um im gemeinsamen Interesse und auf gemeinsames Risiko über einen längeren Zeitraum Leistungen zu erhalten bzw. zu erbringen.3 Die beteiligten Konzernunternehmen bilden insoweit eine Innengesellschaft (Pool), auf die sie eigene Leistungen, Leistungskomponenten oder unternehmensinterne Funktionsbereiche auslagern und gemeinsam nutzen. Die in diesem Zusammenhang entstehenden Kosten werden ohne Gewinnaufschlag nach einem nutzenorientierten Umlageschlüssel auf die Poolmitglieder verteilt (Rz. 6.368 ff.). Im Gegenzug können die Poolmitglieder entsprechend der Umlagevereinbarung auf die im Pool erzielten Ergebnisse zurückgreifen. Ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch zwischen den Poolmitgliedern findet dabei grundsätzlich nicht statt. Die innerhalb des Pools erbrachten Leistungen haben vielmehr den Charakter von innerbetrieblichen Leistungen.4 Die damit verbundenen Aufwendungen sind demnach als eigene originäre Aufwendungen der Poolmitglieder zu behandeln und bei diesen als Betriebsausgaben abzugsfähig.5 Dementsprechend finden die Vorschriften über nicht abzugsfähige Betriebsausgaben (z.B. § 4 Abs. 5 EStG, § 4h EStG und § 160 AO) auf Ebene des Poolmitglieds Anwendung. Gleiches gilt für die Abgrenzung sofort abzugsfähiger Betriebsausgaben von Anschaffungskosten, wie dies insbesondere bei der Umlage von Forschungs- und Entwicklungskosten im Konzern von Bedeutung ist.6 Ferner stellt der Eintritt in einen Pool keine Funktionsverlagerung dar (Rz. 7.1 ff.).7
6.329
Zulässigkeit der Leistungsumlage nach den VWG. Beide Konzepte der Konzernumlage waren ursprünglich in Tz. 7 der VWG 1983 gleicherma-
6.330
1 Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. dazu im Einzelnen Baumhoff in F/W/B/S, § 1AStG Rz. 649 f. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. 4 Vgl. IDW, WPg 1999, 714. 5 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.4. Abs. 1. 6 Zur Änderungsnotwendigkeit des Kap. VIII der OECD-Leitlinien (Kostenumlageverträge) siehe aber OECD, Transfer Pricing and Intangibles: Scope of the OECD Project, Document Approved by the Committee on Fiscal Affairs on 25 January 2011, Tz. 26 und 27. 7 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 50.
Baumhoff
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ßen geregelt. Die Neuregelung durch die VWG-Umlage vom 30.12.1999 umfasste dagegen nur noch die Umlage nach dem Poolkonzept, was die Frage aufwarf, ob die auf dem Leistungsaustauschkonzept beruhende Konzernumlage noch eine zulässige Abrechnungsform darstellt. Offenkundig betrachten die VWG-Umlage die Leistungsumlage nunmehr nicht als Konzernumlage, sondern als eine Form der Einzelverrechnung. In Tz. 1. der VWG-Umlage heißt es hierzu „Die Einzelverrechnung von Leistungen bleibt hiervon unberührt, ohne Rücksicht darauf, ob der Verrechnungspreis mit Hilfe der direkten oder indirekten Methode ermittelt wird“1. Diese Form der Einzelverrechnung unter Anwendung einer indirekten Methode lassen die VWG-Umlage ausdrücklich zu, ohne sie allerdings zu regeln. In der Diktion der VWG-Umlage ist demnach zu unterscheiden zwischen – der Einzelverrechnung unter Anwendung einer direkten Methode, – der Einzelverrechnung unter Anwendung einer indirekten Methode und – der Kostenumlage. Die h.M. im Schrifttum2 ebenso wie Vertreter der Finanzverwaltung3 gehen davon aus, dass die Leistungsumlage mit ihrer Vereinfachungsfunktion auch nach Einführung der VWG-Umlage – nunmehr allerdings in Gestalt der Einzelverrechnung unter Anwendung einer indirekten Methode – Anwendung findet. Auch sollte dies der Auffassung des BMF entsprechen.
6.331
Position von Vertretern der Finanzverwaltung. Allerdings wurden zwischenzeitlich von Vertretern der Finanzverwaltung4 Zweifel an diesem Verständnis geweckt. Hiernach soll mit den VWG-Umlage eine abschließende Regelung erfolgt sein, die ab dem Jahr 2001 ausschließlich Poolumlagen zulässt. Begründet wird diese Auffassung damit, dass Tz. 7 der VWG 1983 durch die VWG-Umlage aufgehoben wurde5 und dass bestehende Umlageverträge gem. Tz. 8 der VWG-Umlage6 bis zum 31.12.2000 anzupassen waren. Geschieht dies nicht, wird durch Tz. 8 auf Tz. 6 ver1 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1. 2 Vgl. Oestreicher, IStR 2000, 762; Baumhoff, IStR 2000, 694; Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 894 f.; Becker, IWB F. 3 Gr. 2, 880 f.; Waldens, ITPJ 2001 No. 2, 50 f.; Freytag/Vögele, IWB F 10 Gr. 2, 1498; Ditz, DB 2004, 1949; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 ff.; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 242; Arbeitskreis Außensteuerrecht beim Institut der Wirtschaftsprüfer in GS Dirk Krüger, 25; a.A. Vögele/Freytag, IStR 2000, 249; Vögele, DB 2000, 297. 3 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 347; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Uml. Anm. 4 zu Tz. 1. 4 Vgl. Böcker, StBp. 2008, 8 ff. 5 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 7. 6 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 8.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
wiesen, die bei gravierenden Mängeln von Umlageverträgen eine Versagung des Betriebsausgabenabzugs vorsieht. Diese Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Sie ist schon deshalb abzulehnen, weil Tz. 8 der VWG-Umlage1 sich nur auf erforderliche Anpassungen bestehender Umlageverträge bezieht, nicht jedoch auf die Kündigung bestehender Verträge über Leistungsumlagen.2 Direkte oder indirekte Methode. Durch den Verweis der Tz. 7.1.1. VWG 1983 auf die Tz. 2.4.3. VWG 19833 bestand auch bisher schon außerhalb der für Umlageverträge geltenden – insbesondere im Hinblick auf den fehlenden Gewinnaufschlag restriktiven – Preisermittlungsvorschriften die Möglichkeit, die „Verrechnungspreise […] aufgrund von allgemeinen Kosten-, Kalkulations- oder ähnlichen Berechnungsvorgaben oder zentral genannten Daten“ zu ermitteln, worunter auch die „Einzelverrechnung von Leistungen mit Hilfe der indirekten Methode“4 subsumiert werden könnte. Dabei sind die Anwendungsvoraussetzungen der Buchst. a–c von Tz. 2.4.3. VWG 1983 im Einzelnen zu beachten. Nach der Diktion der VWG-Umlage kann somit die Einzelverrechnung von Leistungen sowohl nach der direkten als auch nach der indirekten Methode erfolgen. Diese Begriffsverwendung ist insofern ungenau und ungewöhnlich, als nach den OECD-Leitlinien die Einzelverrechnung von Leistungen begrifflich mit der direkten Methode gleichgesetzt wird, während die Umlage als alternative Verrechnungsform zur Einzelabrechnung den indirekten Methoden zugeordnet wird (Rz. 6.333). Dagegen ordnen die VWG-Umlage der Einzelabrechnung sowohl die Einzelverrechnung mit Hilfe der klassischen Methoden als auch mit Hilfe der Umlage zu,5 sofern die Umlage auf dem Leistungsaustauschkonzept („Leistungsumlage“) erfolgt und dabei eine Vereinfachungsfunktion erfüllt. Die Umlage nach dem Poolkonzept, die ausschließlich Regelungsgegenstand der VWG-Umlage ist, zählt begrifflich somit nicht zur Einzelabrechnung.
6.332
Einzelverrechnung von Leistungen nach der „indirekten Methode“. Weder die VWG 1983 noch die VWG-Umlage enthalten einen Hinweis darauf, was unter der „indirekten Methode“ – insbesondere im Zusammenhang mit der „Einzelverrechnung von Leistungen“6 – zu verstehen ist. Die OECD-Leitlinien bezeichnen Methoden der indirekten Preisverrech-
6.333
1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 8. 2 Vgl. ausführlich Kaminski, SAM 2009, 175 ff.; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (703). 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.1.1. 4 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1. sowie Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 894 f.; a.A. Vögele, DB 2000, 297. 5 Ebenso Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 895; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 699 ff.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 347. 6 So BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.
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nung als eine „mit gewissen Schätzungen und Pauschalmethoden behaftete[n] Kostenzuordnung und -aufteilung“.1 Die Anwendung der indirekten Methode könne z.B. dann notwendig sein, wenn „der anteilsmäßige Wert der an die verschiedenen maßgeblichen Unternehmen erbrachten Dienstleistungen nur auf der Grundlage eines Näherungs- oder Schätzwertes berechnet werden“2 könne. Als Beispiel werden zum einen die zentrale Verkaufsförderung z.B. mit Hilfe internationaler Messen und die Werbung in der internationalen Presse genannt. Ein anderer Fall sei dann gegeben, wenn die maßgebliche berücksichtigungsfähige Tätigkeit nur mit einem Verwaltungsaufwand erfasst und analysiert werden könne, der im Verhältnis zu den Tätigkeiten selbst unverhältnismäßig hoch sei. Für diese Fälle, in denen der Vereinfachungsgedanke im Vordergrund steht, wird die Umlage als die einzig gangbare Verrechnungsform angesehen, es sei denn, die entsprechenden Tätigkeiten und Leistungen gehören zur Haupttätigkeit des die Leistung erbringenden Unternehmens und werden sowohl für verbundene als auch für unverbundene Unternehmen erbracht. In diesem Zusammenhang wird der Einzelverrechnung mit Hilfe der direkten Methoden (Rz. 6.146) ein Vorrang gegenüber der Umlage eingeräumt, weil hierbei vermutet wird, dass das Konzerndienstleistungsunternehmen in der Lage ist, gesonderte Preisermittlungsgrundlagen vorzulegen. Einschränkend dazu wird aber festgestellt, dass diese Betrachtungsweise dann unzweckmäßig sein kann, wenn Dienstleistungen nur gelegentlich gegenüber fremden Dritten erbracht werden bzw. wenn diese Leistungen nur von marginaler Bedeutung sind.3 Dennoch wird nicht verkannt, dass die Einzelabrechnung (mit Hilfe der direkten Methoden) in der Praxis oft auf erhebliche Anwendungsschwierigkeiten stößt, was die Heranziehung anderer Methoden der Preisverrechnung notwendig mache. Dies führt nach Auffassung der OECD zwangsläufig zu einer, mit gewissen Schätzungen und Pauschalierungen behafteten Kostenzuordnung und -aufteilung. Daher will die OECD indirekte Verrechnungsmethoden akzeptieren, allerdings nur unter folgenden Bedingungen:4 – die Methode muss die kaufmännischen Aspekte des Einzelfalles berücksichtigen (insbesondere Wahl eines sachgerechten Aufteilungsschlüssels); – die Methode muss Schutzmechanismen gegen Manipulationen enthalten; – die Methode muss die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung beachten und in der Lage sein, Werte oder Kostenzuordnungen zu liefern, die mit den tatsächlichen oder erwarteten Vorteilen für den Leistungsempfänger im Einklang stehen. Zwar verkennt die OECD in diesem Zusammenhang nicht, dass die Einzelabrechnung mit Hilfe der direkten Methode den Vorteil hat, dass sich 1 2 3 4
Tz. 7.23 OECD-Leitlinien 2010. Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 7.21, 7.23 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 7.23 OECD-Leitlinien 2010.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
die so verrechnete Dienstleistung sowie die Grundlage der Zahlung im Hinblick auf die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes leichter überprüfen lässt;1 dennoch wird aus Praktikabilitätserwägungen die Anwendung indirekter Preisverrechnungsmethoden für solche Dienstleistungen zugelassen, bei denen die Einzelabrechnung aufgrund mangelnder Abgrenzbarkeit einzelner Leistungsbereiche oder wegen übermäßig hohen Verwaltungsaufwandes ausscheidet.2 Praktikabilitätserwägungen. Beim Dienstleistungsaustausch im Konzern muss hinsichtlich der Wahl der richtigen Verrechnungsform letztlich dem praktischen Umstand Rechnung getragen werden, dass eine eindeutige Abgrenzbarkeit und Messbarkeit der Leistung3 als Voraussetzung für eine Einzelabrechnung mit Hilfe der direkten Methode vielfach entweder unmöglich oder aufgrund des damit verbundenen Aufwands unwirtschaftlich ist. Das gilt zum einen insbesondere für solche Fälle, in denen anstelle einzelner Leistungen nur ein Leistungsbündel feststellbar ist, so dass sich die Schwierigkeit ergibt, überhaupt einen Leistungsfluss nachzuweisen bzw. einen oder mehrere Leistungsnutzer eindeutig zu identifizieren. Zum anderen können Dienstleistungen so vielschichtig und umfangreich sein, dass eine Einzelerfassung und -abrechnung dieser Leistungen mit einem wirtschaftlich nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand verbunden wäre4 und insoweit auf vereinfachte bzw. pauschale Verrechnungsformen zurückgegriffen werden muss. Als Beispiel hierfür lässt sich die (Dauer-)Beratungsleistung anführen, bei der der Aufwand einer Einzelabrechnung jeder einzelnen Beratungstätigkeit in keinem Verhältnis zu der bei einer Pauschalvergütung zu befürchtenden Ungenauigkeit steht. In diesem Fall würde auch ein unabhängiges Unternehmen pauschal abrechnen, was die Praxis von Beratern und Beratungsfirmen beweist. Hier steht der Vereinfachungsgedanke im Vordergrund, wonach eine vereinfachte Entgeltsverrechnung vorliegt und der Leistungserbringer – wie bei der Einzelabrechnung mit Hilfe der direkten Methode auch – sein „normales“ Geschäftsrisiko trägt. Übernimmt der Leistungserbringer aber ein wirtschaftliches Risiko (im Gegensatz zu einem gemeinsamen InteressenPool), so steht ihm auch eine Risikoprämie in Form eines Gewinnaufschlags (Rz. 6.363) zu. Den VWG-Umlage liegt demgegenüber der „Poolgedanke“ zugrunde, wobei international verbundene Unternehmen untereinander Verträge abschließen, „um im gemeinsamen Interesse, in einem längeren Zeitraum, durch Zusammenwirken in einem Pool Leistungen zu erlangen bzw. zu erbringen“.5 Aufgrund dieses Poolgedankens wird im
1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 7.20, 7.21 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2010. So BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.2. Ebenso Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2010. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. Abs. 1.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Hinblick auf das fehlende unternehmerische Risiko ein Gewinnaufschlag nicht akzeptiert (Rz. 6.365).1
6.335
Unternehmerische Dispositionsfreiheit. Der organisatorische Aufbau und die funktionale Untergliederung von Unternehmensgruppen kann grundsätzlich von Konzernleitung bzw. Gesellschaftern frei gestaltet werden.2 Dies gilt auch hinsichtlich der Entscheidung, ob konzerninterne Dienstleistungen in der Organisationsform des Kostenpools oder auf der Basis eines gesonderten Dienstleistungsvertrages (Leistungsumlage oder Einzelabrechnung) erbracht werden sollen. Die Finanzverwaltung hat diese unternehmerische Entscheidung hinsichtlich der Funktions- und Risikoverteilung im Konzern zu akzeptieren.3 Allerdings sind aus der gewählten Organisationsstruktur der zentralen Dienstleistungserbringung die entsprechenden Rückschlüsse im Hinblick auf die Verrechnung der daraus resultierenden innerkonzernlichen Leistungsflüsse zu ziehen. Entscheidet man sich demnach für eine Leistungserbringung im gemeinsamen Interesse und im gemeinsamen Risiko der betroffenen Konzerneinheiten (Pool), kann die Leistungsverrechnung nur über eine Kostenumlage ohne Gewinnaufschlag erfolgen. Wird demgegenüber ein Leistungsaustausch zwischen der leistungsbringenden und der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft vereinbart, ist die Leistung nach dem Grundsatz des „dealing at arm’s length“ zwingend unter Einbeziehung eines Gewinnaufschlages zu verrechnen. Dabei ist nach Auffassung der OECD der Einzelverrechnung der Dienstleistungen mittels der klassischen Methoden der Vorrang gegenüber der Leistungsumlage einzuräumen, soweit die entsprechenden Leistungen zur Haupttätigkeit der leistungserbringenden Konzerngesellschaft gehören und sowohl gegenüber verbundenen wie auch unverbundenen Unternehmen erbracht werden.4 Denn für diesen Fall wird vermutet, dass eine gesonderte, d.h. auf die einzelne Leistung bezogene Preisermittlung möglich ist.
II. Konzernumlagen nach dem Leistungsaustauschkonzept 6.336
Schwierigkeiten der Einzelabrechnung. In der Verrechnungspraxis hat sich die Einzelabrechnung konzerninterner Dienstleistungen häufig als 1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.2. 2 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 324; Borstell, StbJb. 2001/2002, 221; Baumhoff/Puls, IStR 2009, 73 (76 f.); Werra, IStR 2009, 81 (82). Siehe hierzu auch die erstmalige Äußerung der Finanzverwaltung zur unternehmerischen Dispositionsfreiheit in den VWG-Funktionsverlagerung, vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 145 ff. 3 Vgl. zur Akzeptanz der unternehmerischen Dispositionsfreiheit auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 145 ff. 4 Vgl. Tz. 7.21 und 7.23 OECD-Leitlinien 2010.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
unpraktikabel und unzweckmäßig erwiesen. Dies insbesondere in den Fällen, in denen der Vorteil und Nutzen einzelner Dienstleistungen für eine bestimmte Konzernunternehmung nur sehr vage oder nur auf Grund von Schätzungen quantifiziert werden kann (z.B. im Zusammenhang mit Management- und Marketingleistungen). Außerdem bestehen konzerninterne Dienstleistungen häufig aus einem gesamten Leistungsbündel, in dem die einzelnen Leistungskomponenten überhaupt nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand erfasst und bewertet werden können (z.B. im Bereich IT und Marketing). Auf Grund dieser praktischen Schwierigkeiten der Einzelabrechnung wird in der Verrechnungspreispraxis im Rahmen konzerninterner Dienstleistungen – insbesondere bei einer zentralisierten Leistungserbringung einer Konzernobergesellschaft an mehrere Konzernuntergesellschaften – häufig die Abrechnungsform der Konzernumlage bevorzugt. Umlagekonzept. Mit Veröffentlichung der VWG-Umlage ist im Rahmen der Konzernumlagen zwischen dem Leistungsaustauschkonzept („Leistungsumlage“) und dem Poolkonzept („Poolumlage“) zu differenzieren (Rz. 6.333). Während Tz. 7 VWG 1983 diese beiden Konzepte noch gleichermaßen regelte,1 betreffen die VWG-Umlage nur noch die Konzernumlage auf der Grundlage des Poolkonzepts, während das Leistungsaustauschkonzept hier keine unmittelbare Berücksichtigung mehr findet. Die Leistungsumlage unter Berücksichtigung der Vereinfachungsfunktion findet ihre Legitimation vielmehr in den – weiterhin gültigen – Tz. 2.4.3. und 6.4.1. VWG 1983.2 Im Übrigen wird in Tz. 1 VWG-Umlage expressis verbis zum Ausdruck gebracht, dass die VWG-Umlage die Leistungsverrechnung (verstanden als Einzelabrechnung) auf Basis der „indirekten Methode“ unberührt lassen. Daher ist davon auszugehen, dass auch nach Einführung der VWG-Umlage die Leistungsumlage auf der Basis eines schuldrechtlichen Leistungsaustausches von der deutschen Finanzverwaltung als Abrechnungsform akzeptiert wird (Rz. 6.333).
6.337
Modifizierte Kostenaufschlagsmethode. Bei der Leistungsumlage wird von einer leistungserbringenden Konzerngesellschaft gegenüber einem oder mehreren verbundenen Unternehmen eine Leistung bzw. ein Leistungsbündel erbracht (schuldrechtlicher Leistungsaustausch), wobei der Verrechnungspreis pauschal durch Umlage der beim Leistungserbringer entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags mit Hilfe eines sachgerechten Schlüssels bestimmt wird. Im Ergebnis findet somit eine modifizierte Kostenaufschlagsmethode Anwendung, im Rahmen derer – aus Gründen der Vereinfachung – die durch die Dienstleistung veranlassten Kosten gesammelt, um einen Gewinnaufschlag erhöht und sachgerecht auf die leistungsempfangenden Konzerngesellschaften verteilt wer-
6.338
1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7 wurde durch die VWG-Umlage aufgehoben, vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 7. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.3. und 6.4.1. Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 347.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
den. Hinsichtlich der Ermittlung der „Umlagemasse“, d.h. der Ermittlung der Kostenbasis und des Gewinnaufschlages, sind dabei die allgemeinen Grundsätze der Kostenaufschlagsmethode anzuwenden (Rz. 6.353 und 6.363).1 Die Verteilung dieser „Umlagemasse“ auf die leistungsempfangenden Konzernunternehmen hat einem Fremdvergleich zu genügen, d.h. es ist die Frage zu stellen, ob der ordentliche Geschäftsleiter der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft in Erwartung der zukünftigen Vorteile bzw. des zu erwartenden Nutzens aus den Leistungen bereit gewesen wäre, die vereinbarten Beiträge zu zahlen. Insofern hat sich der Umlageschlüssel am Verhältnis des erwarteten Nutzens der leistungsempfangenden Konzerngesellschaften auszurichten (Rz. 6.373).2
6.339
Umlagevertrag. Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung der Leistungsumlage ist der Abschluss eines entsprechenden Umlage- bzw. Dienstleistungsvertrages zwischen der leistungserbringenden Konzerneinheit einerseits und den leistungsempfangenden Konzerngesellschaften andererseits. Freilich gilt – rein formal betrachtet – die Verpflichtung des Steuerpflichtigen zum Abschluss eines schriftlichen Vertrages auf Grund des Wegfalls der Tz. 7. VWG 1983 nur noch für Poolumlagen.3 Tz. 2.4.3. VWG 19834, in deren Anwendungsbereich die Leistungsumlage nunmehr fällt, sieht die Pflicht zur Erstellung eines schriftlichen Vertrages insoweit nicht vor. Allerdings sollte auch die Verrechnung von Leistungsumlagen auf der Grundlage eines schriftlichen Umlagevertrages erfolgen, da die Finanzverwaltung Verträge zwischen nahe stehenden Personen nur dann anerkennt, wenn hierüber im Voraus getroffene, klare und eindeutige Vereinbarungen bestehen (Rz. 6.394). Im Hinblick auf die abkommensrechtliche Gewinnkorrekturvorschrift des Art. 9 OECD-MA ist jedoch festzustellen, dass die ihr entsprechenden Vorschriften des jeweiligen DBA nicht auf diesen formalen Aspekt abstellen. Gegenüber rein formalen Beanstandungen entfalten diese insofern eine Sperrwirkung (Rz. 6.395).5 Dies bedeutet im Klartext, dass ein schriftlicher Umlagevertrag nicht erforderlich ist, wenn ansonsten die materiellen Angemessenheitsanforderungen bei der Umlagenberechnung erfüllt sind.
6.340
Umlagevertrag in der Verrechnungspreisdokumentation. Darüber hinaus ist ein schriftlicher Umlagevertrag wesentlicher Bestandteil einer nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV gesetzlich vorgeschriebenen Verrechnungspreisdokumentation, die den Steuerpflichtigen vor einer Schätzung 1 Vgl. Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 666. 2 Vgl. Tz. 8.8 OECD-Leitlinien 2010; Ditz, DB 2004, 1949 f. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 5.1.1. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.3. 5 Vgl. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161, rkr.; BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 mit Anm. Ditz; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.87 m.w.N., Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Rasch, IWB F. 3a Gr. 1, 1103; Rasch, IWB 2012, 198; Strunk/Kaminski, Stbg. 2008, 211; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 704 f.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
gem. § 162 Abs. 3 AO und vor Strafzuschlägen gem. § 162 Abs. 4 AO schützt (Rz. 8.6 ff.). Zu berücksichtigen ist hier, dass der Abschluss eines Umlagevertrages einen außergewöhnlichen Geschäftsvorfall i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 3 AO i.V.m. § 3 Abs. 2 GAufzV darstellt, für den der Gesetzgeber letztlich eine sog. Vorratsdokumentation fordert.1 Aufzeichnungen sind deshalb zeitnah, d.h. innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahres, in dem Umlagevertrag abgeschlossen wurde, zu erstellen.2 Gerade die Dokumentation von Leistungsumlagen erweist sich in der Praxis als besonders problematisch, wobei insbesondere die erforderliche Nutzenanalyse im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz darzulegen hat, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter die anteiligen Kosten des – regelmäßig zugrunde liegenden – Leistungsportfolios tragen würde.3 Tatbestände des Umlagevertrags. Der Umlagevertrag sollte vor diesem Hintergrund mindestens die folgenden Tatbestände regeln:4 – Konkretisierung der zu erbringenden Dienstleistungen (Art und Umfang); – Bestimmung der leistungserbringenden und leistungsempfangenden Konzerngesellschaften (Vertragsparteien); – Ermittlung und Umfang der umlagerelevanten Kosten; – Bestimmung des Gewinnaufschlages; – Bestimmung des Umlageschlüssels; – Angaben über die Abrechnungsmodalitäten (ggf. Vorauszahlungen, Endabrechnung); – Zahlungsbedingungen (z.B. Verzinsung bei Zahlungsverzug); – Dokumentationspflichten der Vertragsparteien; – Öffnungsklausel für Vertragsanpassungen (insbesondere bei langfristigen Verträgen); – Laufzeit und Kündigung des Vertrages; – anwendbares Recht; – salvatorische Klausel.
1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2007, 1461 (1466). 2 Vgl. auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.2. 3 Vgl. Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 157 (161 f.). 4 Vgl. hierzu auch Hahn in Formularbuch Recht und Steuern6, 591 ff.; Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M 285 ff.; Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Uml. Anh. Anm. 1 und 2. Da die VWG-Umlage nur für den Bereich der Poolumlagen gelten, können ihre umfangreichen Dokumentationsvorgaben in Tz. 5 für einen Umlagevertrag im Rahmen der Leistungsumlage keine Wirkung entfalten.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
III. Konzernumlagen nach dem Poolkonzept (Poolumlage) 1. Poolmitglieder
6.342
Gleichgerichte Interessen. Gemäß Tz. 1.2 VWG-Umlage können an einer Poolumlage als Poolmitglieder nur solche Konzernunternehmen teilnehmen, die gleichgerichtete Interessen verfolgen, d.h. sie müssen die Leistungen in wirtschaftlich gleicher Weise nutzen.1 Da im Rahmen des Poolkonzepts zwischen den Poolmitgliedern kein schuldrechtlicher Leistungsaustauch erfolgt, sondern vielmehr die Poolmitglieder mit der Zusammenlegung von Aktivitäten, Ressourcen oder Fähigkeiten gegenseitigen Nutzen ziehen, ist der Teilnehmerkreis zwangsläufig auf Unternehmen beschränkt, die aus den Leistungen für sich selbst Vorteile ziehen.2 Infolgedessen kommt es nicht zu Leistungsflüssen zwischen den Poolmitgliedern; vielmehr bildet der Pool als Innengesellschaft eine Interessengemeinschaft wirtschaftlich gleichberechtigter Partner. Aufgrund der Forderung nach gleichgerichteten wirtschaftlichen Interessen eignet sich das Poolkonzept eher für den horizontalen Verbund (z.B. bei einem Pool aus Vertriebsgesellschaften zum Zweck der gemeinsamen Markenentwicklung) als für den vertikalen Verbund (z.B. bei einem Pool aus Mutter- und Tochtergesellschaften zur Beschaffung einer gemeinsamen Software),3 da im vertikalen Verbund eher unterschiedliche Interessenlagen bestehen können als im horizontalen Verbund. Ferner dürften Holdingund Patentverwertungsgesellschaften regelmäßig als Poolmitglieder ausscheiden, da sie regelmäßig die Leistungen des Pools nicht in wirtschaftlich gleicher Weise nutzen werden.4 Allerdings ist auch dies letztlich von den konkreten Leistungsgegenständen des Pools abhängig, auf die bezogen die Art und Weise der Nutzenziehung der (potenziellen) Poolmitglieder zu bestimmen ist.5
6.343
Keine Beschränkung auf Unternehmensverbund. Die VWG-Umlage regeln nur die Einkunftsabgrenzung mittels Umlageverträgen und betreffen deshalb nur Unternehmen desselben Unternehmensverbunds. Dies bedeutet aber nicht, dass die Mitgliedschaft bei (Pool-)Umlagesystemen notwendigerweise ausschließlich verbundenen Unternehmen vorbehalten ist. Tz. 8.1 und 8.8 OECD-Leitlinien6 gehen ausdrücklich auf die Einbeziehung auch von unabhängigen Unternehmen in den Pool ein, wobei die OECD-Leitlinien für diesen Fall und bei nicht nur marginaler Betei1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 1. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 2. 3 Vgl. Vögele, DB 2000, 297. 4 Vgl. Baumhoff, IStR 2000, 698; Engler/Ebert in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 416; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 707. 5 Vgl. hierzu auch Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Uml. Anm. 4 ff. zu Tz. 1.3. 6 Vgl. Tz. 8.1 und 8.8 OECD-Leitlinien 2010.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
ligung unabhängiger Unternehmen aus dem gegebenen inneren Vergleich der vertraglichen Regelungen die Vereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz ableiten.1 Da der Interessengegensatz allein durch die Einbeziehung in den Pool nicht berührt wird und nur aufgrund dessen kein Nahestehen des fremden dritten Vertragspartners i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG (Rz. 2.107 ff.) begründet wird, kommen die VWG-Umlage bezogen auf den unverbundenen Vertragspartner nicht zur Anwendung.2 Dass sich auch unabhängige Unternehmen zu einem Pool zusammenschließen können, bedarf angesichts des Grundsatzes der Vertragsfreiheit keiner näheren Erläuterung.3 Auch insoweit sind die VWG-Umlage nicht einschlägig. Abgrenzung zu reinen Auftragnehmern. Da der Teilnehmerkreis bei Poolumlagen auf Unternehmen beschränkt ist, die aus den Leistungen für sich selbst Vorteile ziehen, stehen reine Auftragnehmer, die lediglich Leistungen im Interesse der Poolmitglieder erbringen, ohne die Ergebnisse selbst zu nutzen oder zu verwerten, außerhalb des Pools.4 Ihre Leistungen an den Pool, der in diesem Fall als sog. Nachfragepool auftritt,5 sind zu Fremdpreisen im Wege der Einzelabrechnung (z.B. mit Hilfe der Preisvergleichs- oder Kostenaufschlagsmethode) zu verrechnen.6 Gleiches gilt für Poolmitglieder, die Leistungen im Interesse des Pools bzw. anderer Poolmitglieder erbringen, ohne die Ergebnisse selbst zu nutzen oder zu verwerten (Rz. 6.347).7 Gem. Tz. 1.4. Abs. 2 VWG-Umlage kann dem Nachfragepool ein nach Art und Umfang bestimmter Anspruch eingeräumt werden, Leistungen selbst abzurufen oder dem leistungserbringenden Unternehmen Aufträge zu erteilen. Werden diese Leistungen, die poolexterne Auftragsleistungen darstellen, mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode abgerechnet, sollte der zu verrechnende Gewinnaufschlag in einer Bandbreite zwischen 5 % und 10 % liegen (Rz. 5.77).
6.344
Transferprobleme. Teilnehmer am Umlageverfahren sollten nur Gesellschaften in solchen Ländern sein, deren Steuerbehörden Umlagezahlungen auch akzeptieren. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Konzern-
6.345
1 Vgl. Tz. 8.8 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. hierzu auch Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 351; Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Uml. Anm. 3 zu Tz. 1.3. 2 Vgl. auch BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.0.1 sowie BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.3.2. 3 Vgl. hierzu nur das instruktive Beispiel zur Organisation der Weihnachtsbeleuchtung in Geschäftsstraßen von Piltz in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1994, 69. 4 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 4. 5 Zu denken ist etwa an die Auftragsforschung, die eine zentrale F&E-Gesellschaft an mehrere, als Pool organisierte Konzerngesellschaften erbringt. 6 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.7. Darüber hinaus ist auch eine Leistungsumlage denkbar. 7 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 4; Tz. 8.12 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
gesellschaften in Ländern, die aufgrund steuerlicher oder devisenrechtlicher Vorschriften keine Umlagezahlungen leisten dürfen, keine Vertragspartner werden sollten. Letztlich sind die jeweils restriktivsten nationalen Anforderungen an Umlageverträge entscheidend, so dass aus steuerplanerischer Sicht eine bewusste Selektion der Unternehmen vorgenommen werden kann,1 um praktische Schwierigkeiten bei der steuerlichen Anerkennung von Umlagezahlungen in Grenzen zu halten. Auf keinen Fall dürfen die anderen Vertragsparteien mit den Kosten bzw. Umlagen belastet werden, die bestimmte Konzerngesellschaften aus steueroder devisenrechtlichen Gründen nicht entrichten dürfen.2 Diese Kosten müssten im Bedarfsfall von der Muttergesellschaft ausgeglichen werden.
6.346
Keine Mitgliedschaft bei Poolleistung als Haupttätigkeit. Tz. 1.1 Abs. 2 VWG-Umlage beschränkt den umlagefähigen Leistungsgegenstand auf Hilfsfunktionen der Poolmitglieder. Dementsprechend scheidet die Mitgliedschaft derjenigen Konzernunternehmen aus, für die die im Poolzweck definierten Leistungen eine Haupttätigkeit darstellen. Eine vergleichbare Einschränkung sehen die OECD-Leitlinien nicht vor. Ferner ergibt sie sich auch nicht aus der geforderten gleichen Interessenlage der Poolmitglieder, die sich letztlich auf die Gleichartigkeit des individuellen Nutzens aus den Poolleistungen bezieht. Fraglich ist, ob sich der Ausschluss von Konzerngesellschaften mit betroffener Haupttätigkeit aus der gemeinsamen Zweckverfolgung des Pools ableiten lässt, die in diesem Fall durch eigene Zwecke überlagert würde.3 Letztlich will die Finanzverwaltung für Haupttätigkeiten einen bloßen Kostenersatz ohne Gewinnaufschlag nicht akzeptieren, sondern geht von einem Leistungsaustauschverhältnis aus (Rz. 6.347). Allerdings geben die VWG-Umlage nicht vor, nach welchen Kriterien Haupt- von Hilfsfunktionen abzugrenzen sind. Im Schrifttum wird hier auf eine Einzelfallprüfung, den Umfang der Leistungserbringung mit Gewinnerzielungsabsicht gegenüber Dritten,4 die Bedeutung der betreffenden Funktion für jedes einzelne Konzernunternehmen,5 die Wesentlichkeit im Leistungserstellungsprozess6 sowie schließlich den im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse zu ermittelnden Stellenwert der Funktion7 abgestellt. Es bedarf keiner näheren Erläuterung, dass jeder einzelfallbezogenen Prüfung der Mangel klarer und eindeutiger Abgrenzungskriterien anhaftet.8 Die Betriebswirtschaftslehre richtet die Abgrenzung zwischen Haupt- und Hilfstätigkeiten seit jeher 1 Vgl. Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 898; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 707. 2 Vgl. Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 340 sowie Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 378. 3 So Engler/Ebert in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 409 und 417. 4 Vgl. Engler/Ebert in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 417. 5 Vgl. Engler/Ebert in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 409 und 417. 6 Vgl. Vögele/Freytag, RIW 2001, 174; Vögele/Freytag, IStR 2000, 249. 7 Vgl. Engler/Ebert in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 417. 8 Zu dieser Kritik vgl. auch Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 697 f.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
an der Aufgabenstellung des Unternehmens (Sachziel) aus, wobei als Haupttätigkeit jede im Hinblick auf das Sachziel wesentliche und maßgebliche Tätigkeit und als Hilfstätigkeiten lediglich vorbereitende, unterstützende oder der Haupttätigkeit zeitlich nachfolgende Tätigkeiten mit regelmäßig quantitativ geringerem Umfang verstanden werden.1 2. Leistungen an den Umlagepool durch selbständige Dienstleistungsgesellschaft Leistungserbringung an den Umlagepool. Ein Pool kann sowohl fremde wie verbundene Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen beauftragen (Nachfragepool). Beauftragt ein Pool verbundene Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen, so ist hinsichtlich der Verrechnung dieser Leistungen zunächst danach zu unterscheiden, ob die Leistungen von einem außerhalb oder innerhalb des Pools stehenden verbundenen Unternehmen bezogen werden. Bezieht der Pool die Leistungen von einem außerhalb des Pools stehenden verbundenen Unternehmen (sog. Nachfragepool), so hat der poolexterne Leistungserbringer diese Leistungen zu Fremdpreisen, d.h. entweder anhand der Preisvergleichsmethode oder der Kostenaufschlagsmethode (also mit Gewinnaufschlag2) abzurechnen.3 Gleiches gilt für den (Ausnahme-)Fall, dass die Leistungen von einem Poolmitglied erbracht werden, das die entsprechenden Ergebnisse nachweisbar und eindeutig selbst weder nutzen noch verwerten kann,4 weil der Pool unterschiedliche Leistungskategorien erbringt.5 In beiden Fällen ist der Leistungserbringer bloßer Auftragnehmer des Pools, der seine Leistungen außerhalb des Umlagevertrages erbringt. Dementsprechend legen die VWG-Umlage in Tz. 2.1. Abs. 5 folgerichtig fest, dass für den Fall, dass Aufwendungen für unterschiedliche Leistungen nach einem einheitlichen Umlagevertrag abgerechnet werden, der umzulegende Aufwand für jede Leistungskategorie gesondert zu ermitteln ist. Sofern die Leistungen demgegenüber von einem Poolmitglied erbracht werden, welches die entsprechenden Poolergebnisse nutzt bzw. verwertet, steht diesem hierfür lediglich Kostenersatz (ohne Gewinnaufschlag) zu.
1 Vgl. z.B. Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 304. 2 Vgl. Tz. 8.3 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.7.; Becker, IWB F. 10 Gr. 2, 1325. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.7. 4 Vgl. Tz. 8.12 OECD-Leitlinien 2010. 5 In diesem Fall müssen gem. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWGUmlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 5 die umlagerelevanten Kosten für jede Leistungskategorie gesondert ermittelt werden.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
3. Innengesellschaft der Poolmitglieder
6.348
Qualifikation als Innengesellschaft. Die Poolmitglieder bilden auf Grundlage der Kostenteilungsvereinbarung, vorbehaltlich einer anderweitig getroffenen Rechtsformwahl, eine Innengesellschaft in Gestalt einer BGBGesellschaft; dies deshalb, weil die Innengesellschaft keinen Erwerbszweck verfolgt bzw. keine Gewinnerzielungsabsicht hat.1 Bei den Umlagevereinbarungen nach dem Poolkonzept handelt es sich quasi um einen innerbetrieblichen Vorgang durch Auslagerung eigener Kosten für gemeinsame Leistungen bzw. Leistungsprojekte; ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch zwischen verbundenen Poolpartnern findet somit nicht statt. Der Pool erbringt gegenüber seinen Mitgliedern (gesellschaftsrechtlich/innerbetrieblich bedingte) Eigenleistungen im Gegensatz zu (schuldrechtlich bedingten) Fremdleistungen.2
6.349
Non-Profit-Innengesellschaft. Entsprechend dem Poolkonzept verfolgen mehrere verbundene Unternehmen als gleichberechtigte Partner im gemeinsamen Interesse, bei gemeinschaftlichem Risiko und bei gemeinschaftlicher Ertragschance den gemeinsamen Zweck, Leistungen zu generieren und unentgeltlich zu nutzen oder zu verwerten.3 Der Pool übt hierbei lediglich eine Hilfsfunktion seiner Mitglieder aus und stellt insoweit eine „Non-Profit-Innengesellschaft“ dar.4 Dies bedeutet, dass der Pool weder unternehmerische Chancen wahrnimmt, noch unternehmerische Risiken trägt. Es ist eben diese fehlende Risikoposition, aufgrund derer eine Risikoprämie in Gestalt eines Gewinnzuschlags weder erforderlich noch gerechtfertigt wäre (Rz. 6.363).5
6.350
Keine Mitunternehmerschaft oder Betriebsstätte. Mit der Hervorbringung bloßer Eigenleistungen und der Nutzung bzw. Verwertung dieser Leistungen auf eigene Rechnung der Mitglieder verwirklicht der Pool keinen Einkünfteerzielungstatbestand nach § 2 Abs. 1 EStG i.V.m. § 38 AO, da es mit der Absicht der Einkünfteerzielung an dem für Ertragsteuerzwecke grundlegenden Tatbestandsmerkmal fehlt. Konkret für die gewerbliche Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG mangelt es 1 Vgl. Tz. 8.3 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1 Abs. 2; Becker, IWB F. 10 Gr. 2, 1325. 2 Vgl. IdW, Stellungnahme v. 30.6.1999, WPg 1999, 714. 3 Vgl. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.310; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 703; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 703. 4 Vgl. Raupach, StuW 1990, 400; Scheffler, ZfbF 1991, 483. 5 Ebenso BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.2.; IdW, Beilage zu den IDW-FN 1-2/1999, Anm. zu Tz. 7.1.6. VWG 1983; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.164; Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 427; a.A. Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 906; wohl auch Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (721 f.).
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D. Konzern- und Kostenumlagen
dieser reinen Hilfsgesellschaft an der Gewinnerzielungsabsicht, ohne die eine eigengewerbliche Tätigkeit i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 EStG nicht gegeben ist. Insofern liegt auch steuerlich – bezogen auf die anteilig umgelegten Kosten – originärer Aufwand des jeweiligen Poolmitglieds vor. Da eine gewerbliche Mitunternehmerschaft nicht gegeben ist, deren Betriebsstätte(n) dem jeweiligen Poolmitglied anderenfalls als eigene Betriebsstätte(n) zuzurechnen wären, kann es im Hinblick auf die Begründung einer Betriebsstätte für das jeweilige Poolmitglied nur auf die jeweilige eigengewerbliche Tätigkeit – außerhalb des Pools als Hilfsgesellschaft – ankommen. Selbst wenn man für Zwecke des § 12 Abs. 1 Satz 1 AO noch eine feste Geschäftseinrichtung unterstellen könnte, weil der Pool in der Praxis regelmäßig bei einem Poolmitglied angesiedelt wird, dürfte – jedenfalls bezogen auf die anderen Poolmitglieder – keine Verfügungsmacht über diese feste Geschäftseinrichtung bestehen. Der BFH stellt für die Begründung einer Betriebsstätte letztlich entscheidend darauf ab, „ob eine unternehmerische Tätigkeit in einer Geschäftseinrichtung oder Anlage mit fester örtlicher Bindung ausgeübt wird und sich in der Bindung eine gewisse ‚Verwurzelung‘ des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausdrückt“.1 Von einer solchen intensiven Anbindung des jeweiligen Poolmitglieds – i.S. einer „Verwurzelung“ – an das Domizil des Pools kann nicht die Rede sein, zumal schon deshalb nicht, weil keine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird. Mit der gleichen Begründung ist auch das Urteil des BFH v. 24.8.20112 vorliegend nicht einschlägig, mit dem der BFH – soweit ersichtlich erstmals – aufgrund eines langfristigen Managementvertrags die Verfügungsmacht des Auftraggebers über die feste Geschäftseinrichtung des Auftragnehmers (Managementgesellschaft) bejaht hat.3 Abkommensrechtlich muss zunächst festgestellt werden, dass die gemäß nationaler Definition (§ 12 AO) unabdingbare Verfügungsmacht von eher geringerer Bedeutung für die Betriebsstättenbegründung ist, weil die faktische Nutzung einer Einrichtung („an der die Tätigkeit [. . ] ausgeübt wird“) und damit letztlich die bloße Anwesenheit zur Bewirkung der geschuldeten Leistungserbringung betriebsstättenbegründend (bei hinreichender Dauerhaftigkeit) sein kann.4 Allerdings übt der Pool lediglich Hilfsfunktionen seiner Mitglieder aus, die jedenfalls dann keine Betriebsstätte begründen, wenn sie vom Negativkatalog vorbereitender und Hilfstätigkeiten des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA erfasst werden.
1 Vgl. BFH v. 3.2.1993 – I R 80-81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336; v. 4.6. 2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922 = FR 2009, 192. 2 Vgl. BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, FR 2012, 39 = IStR 2011, 925. 3 Zu Recht kritisch Wassermeyer, IStR 2011, 931 f.; siehe ferner Blumers/Weng, DStR 2012, 551 ff. 4 Vgl. Tz. 4.1 ff. OECD-MK.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
4. Standort des Pools
6.351
Wahl des Poolstandorts. Grundsätzlich ist der internationale Unternehmensverbund frei in der Wahl des Poolstandorts. Regelmäßig wird der Pool in der Praxis jedoch bei einem Poolmitglied angesiedelt. Mit der Standortentscheidung verbunden ist letztlich die Rechtswahl für das Tätigwerden des Pools. Hier wird insbesondere darauf zu achten sein, dass sich auch nach der Rechtsordnung des potenziellen Domizilstaats die Rechtsnatur des Pools als Innengesellschaft, jedenfalls aber als transparentes Rechtsgebilde einstellt, denn die dortige steuerliche Einordnung als Kapitalgesellschaft würde die Poolungsfunktion letztlich obsolet machen.1 Vor diesem Hintergrund erübrigen sich regelmäßig auch konkrete Feststellungen darüber, ob es sich bei dem Domizilstaat um ein Niedrigsteuerland handelt und ob die Umlage vom Empfänger versteuert wird oder nicht. Konkreten steuerlichen Rahmenbedingungen kommt allerdings insofern Bedeutung zu, als dem Pool als Ganzem staatliche Subventionen oder Steuervergünstigungen zugestanden werden (Rz. 6.361).
6.352
Begrenzung in der Standortwahl. Die Standortwahl des Pools wird dadurch begrenzt, dass der potenzielle Standort die Erfüllung der Grundfunktionen des Pools ermöglichen muss. Dies bedeutet insbesondere, dass nach der jeweiligen Rechtsordnung die Auslagerung einzelner Leistungen, Leistungskomponenten oder unternehmensinterner Funktionsbereiche sowie die gemeinschaftliche Bereitstellung und Nutzung zulässig sein müssen. Konkrete Standortkriterien2 bestimmen sich nicht nach der Poolungsfunktion, sondern nach den konkreten Leistungskategorien des Pools. So weisen etwa Verwaltungs- und Finanzierungsleistungen eine hohe Standortelastizität, d.h. eine geringe Standortabhängigkeit auf. Dagegen benötigt etwa ein F&E-Pool individuelle infrastrukturelle Rahmenbedingen (z.B. Universitäten, Labore) und den Zugang zu (hoch-)qualifiziertem Personal. Wie auch im Übrigen bei der Standortwahl sind es vornehmlich nichtsteuerliche Kriterien, die die Entscheidung beeinflussen.3 5. Ermittlung der Kostenbasis
6.353
Kostenbasis. Voraussetzung für die Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen nach dem Poolkonzept ist die Ermittlung der Kostenbasis, welche mittels eines sachgerechten Umlageschlüssels auf die Poolmitglieder zu verteilen ist (sog. umlegbare Kostenmasse). Diese erstreckt sich nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung auf „die tatsächlichen direk1 Vgl. Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (721 f.). 2 Vgl. z.B. Übersicht bei Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 573. 3 Vgl. Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 575; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (709).
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D. Konzern- und Kostenumlagen
ten und indirekten Aufwendungen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der erbrachten oder zu erbringenden Leistung stehen“.1 Umlagerelevante Dienstleistungen. Mit Hilfe eines Umlagevertrages nach dem Poolkonzept können nur sog. verrechenbare Dienstleistungen abgerechnet werden.2 Das bedeutet, dass das leistungsempfangende Unternehmen diese Dienstleistungen tatsächlich benötigt, nutzt bzw. voraussichtlich nutzen wird, diese in seinem Interesse erbracht werden, einen Vorteil erwarten lassen (z.B. durch Ersparnis von Aufwand oder Steigerung der Erlöse)3 und ihm ein genau umschriebener Nutzungsanspruch eingeräumt wird. Insofern ist es erforderlich, die zu erbringenden Leistungen möglichst exakt und umfassend zu definieren.4 Gemäß Tz. 1.1. Abs. 2 VWG-Umlage5 dürfen – neben F&E-Leistungen und dem Erwerb von Wirtschaftsgütern – sämtliche konzerninternen Dienstleistungen, also sowohl verwaltungsbezogene als auch sonstige Leistungen, Gegenstand einer Umlage sein. Gegenüber den ursprünglichen Regelungen zu Umlageverträgen in den VWG 1983 bedeutet dies für den Dienstleistungsbereich eine erhebliche Erweiterung des Anwendungsbereiches für Kostenumlagen, da die Umlage (neben den Aufwendungen für F&E) ursprünglich auf den Bereich der verwaltungsbezogenen Dienstleistungen beschränkt war.6 Mithin können auch Kosten einer Werbemaßnahme oder solche eines längerfristigen Werbekonzepts gem. Tz. 3.3.1.b und Tz. 3.3.3. VWG 1983 mittels einer Umlage verrechnet werden. Weitere Beispiele sind Kauf oder Leasing von Gebäuden oder Maschinen und Versorgung mit Management- sowie Finanzdienstleistungen.7 Die OECDLeitlinien wollen die Kostenumlage gem. Tz. 8.3 ebenfalls auf die Bereiche „Entwicklung, Produktion oder Beschaffung von Wirtschaftsgütern, Dienstleistungen oder Rechten“8 angewendet wissen. Dem sind die VWG-Umlage in Tz. 1.1 Abs. 2 weitgehend angenähert, da die Aufwendungen alle Leistungskategorien betreffen können, „z.B. für die Forschung und Entwicklung, den Erwerb von Wirtschaftsgütern, verwal-
1 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1. Zum Terminus „Aufwendungen“ kritisch vgl. Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 901; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (712 f.); Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 664.1 f.; Baumhoff, IStR 2000, 700. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 2. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. Abs. 2. 4 Vgl. Engler/Ebert in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 415. 5 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. Abs. 2. 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.2.1. Nr. 1, aufgeh. durch BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 7. 7 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 349. 8 Tz. 8.3 OECD-Leitlinien 2010.
Baumhoff
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
tungsbezogene oder andere Leistungen“1. Insofern ist es sachgerecht und konsequent, dass die VWG-Umlage, entsprechend den OECD-Leitlinien, die Umlage explizit für sämtliche Dienstleistungen im Konzern zulassen und nicht zwischen „verwaltungsbezogenen“ und „anderen“ Leistungen einerseits und gewerblichen Dienstleistungen andererseits unterscheiden.
6.355
Aufwendungen vs. Kosten. Die VWG-Umlage stellen in Tz. 2.1. Abs. 12 für den Bereich der Poolumlagen auf die „tatsächlichen direkten und indirekten Aufwendungen“ ab, während nach der ursprünglichen Regelung der VWG 1983 die tatsächlich entstandenen Kosten nach einer anerkannten Kostenrechnungsmethode auf Vollkostenbasis (direkte und indirekte Kosten) zu erfassen und zu verteilen waren.3 Offenbar ist also der Begriff „Kosten“ durch „Aufwand“ ersetzt worden, was dazu führen würde, dass man zwecks Ermittlung des umlagefähigen Betrags nicht mehr auf die Kostenrechnung, sondern auf die Buchführung abstellen müsste.4 Dies scheint aber von der Finanzverwaltung offenbar nicht gesehen worden bzw. beabsichtigt zu sein, zumal man in den VWG-Umlage keine konsequente Trennung zwischen Aufwands- und Kostenkategorien vornimmt. Zum einen macht man mit der Formulierung in Tz. 2.1. Abs. 1 VWG-Umlage „Aufwendungen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der erbrachten oder zu erbringenden Leistung stehen“5 deutlich, dass man einen Bezug zu der zu bewertenden Leistung herstellen will, wofür der Kostenbegriff final ist. Zum anderen soll gem. Tz. 5.1.4. Nr. 4 VWGUmlage eine „Auflistung des Gesamtaufwandes nach Kostenstellen“6 erfolgen, was allerdings nur mit Hilfe der Kostenrechnung und nicht der Buchführung möglich ist. Darüber hinaus soll im Rahmen der Ermittlung des umlagerelevanten Betrages die Berücksichtigung (kalkulatorischer) Eigenkapitalzinsen möglich sein, wobei es sich nicht um (buchhalterischen) Aufwand, sondern um kostenrechnerische Elemente in Form kalkulatorischer Zusatzkosten handelt. Hinzu kommt, dass der (buchhalterische) Aufwandsbegriff auch neutralen (d.h. nicht leistungs- bzw. unternehmenstätigkeitsbezogenen sowie periodenfremden) Aufwand beinhaltet, was kostenrechnerisch nicht oder in anderer Form Berücksichtigung findet. Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass auch für den Bereich der Ermittlung der umlagerelevanten Kosten für Poolumlagen auf 1 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. Abs. 2. 2 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.1.2.; aufgeh. durch BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 7. 4 Vgl. hierzu umfassend Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 901. 5 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1. 6 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 5.1.4. Nr. 4.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
die Daten der Kostenrechnung zurückgegriffen werden kann, wobei die Finanzverwaltung gem. Tz. 2.1. Abs. 1 VWG-Umlage eine Eliminierung solcher Kostenelemente fordert, die steuerrechtlich nicht als Betriebsausgaben (z.B. gem. § 160 AO oder § 4 Abs. 5 EStG) berücksichtigt werden dürfen.1 Eine Ermittlung der umlagerelevanten Kosten anhand buchhalterischer Aufwandskategorien wäre unsystematisch und praxisfern, so dass die Begründung von Kuckhoff/Schreiber2, die Verwendung des Aufwandsbegriffs würde Definitionsdefizite bei der Ermittlung der umlagerelevanten Kosten vermeiden, nicht überzeugt. Rechnungslegungsvorschriften des Poolstaates. Für Umlagen auf der Grundlage des Poolkonzepts („Poolumlagen“) sollen nach den VWG-Umlage die Aufwendungen grundsätzlich nach den Rechnungslegungsvorschriften des Staates ermittelt werden, in dem der Leistungserbringer bzw. der Pool tätig wird.3 Betriebswirtschaftlich versteht man unter „Rechnungslegung“ den Nachweis über betriebliches Handeln durch quantitative Informationen mittels geordneter und nachprüfbarer Rechenwerke. Generiert werden diese Informationen im betrieblichen Rechnungswesen, wie z.B. der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung (internes Rechnungswesen). Offengelegt werden sie in komprimierter Form durch die (Handels-)Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung (externes Rechnungswesen). (Nationale) Vorschriften existierten generell nur bezüglich des externen Rechnungswesens, wenngleich sich diese nationalen Vorschriften z.B. durch Anwendung von US-GAAP oder IFRS, in einem starken Internationalisierungsprozess befinden. Insofern kann nur das externe Rechnungswesen angesprochen sein, was jedoch nicht zwingend bedeutet, dass die umlagefähigen Beträge nur nach den handelsrechtlichen Vorschriften des Staates ermittelt werden müssen, in dem sich der Pool befindet; vielmehr sollten die umlagefähigen Beträge auch auf der Grundlage eines im Poolstaat anerkannten Kostenrechnungssystems bestimmt werden können.4 Sofern, was in der Praxis vielfach der Fall ist, im internationalen Unternehmensverbund einheitliche interne bzw. externe Rechnungslegungsrichtlinien existieren, können diese verwendet werden, sofern sie auch im Poolstaat angewendet werden dürfen. Dies entspricht i.Ü. der Rechtslage für den Eigenkapitalvergleich im Rahmen der Zinsschranke (§ 4h Abs. 2 Sätze 8 und 9 EStG) und der Auffassung der Finanzverwaltung für die Transferpaketbewertung bei Funktionsverlagerungen,5 wo auch auf unterschiedliche Rechnungslegungssysteme (z.B. IFRS, USGAAP) Bezug genommen werden kann. 1 Vgl. Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 901; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 717. 2 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 374. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1. 4 Ebenso Vögele, DB 2000, 298. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 31.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.357
Sachumfang und Zeitbezug der umlagerelevanten Kosten. Gemäß Tz. 2.1. VWG-Umlage sind der Umlage „die tatsächlichen direkten und indirekten Aufwendungen“ zugrunde zu legen. Hieraus ist zu folgern, dass die Finanzverwaltung der Kostenumlage die Vollkosten auf Istkostenbasis zugrunde legen will. Dabei sollen kalkulatorische Kostenelemente, wie eine Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals lt. Steuerbilanz nach dem Habenzinssatz für die Währung des Tätigkeitsstaates, berücksichtigt werden.1 Durch den Ansatz „Vollkosten auf Istkostenbasis“ wird sichergestellt, dass sämtliche Aufwendungen bzw. Kosten, also auch außerordentliche Aufwendungen bzw. ungeplant angefallene Kosten, verteilungsfähig sind, d.h. als Kostenbestandteile in die Vollkostenbasis einbezogen werden. Dies gilt selbst für den Fall, dass aufgrund unvorhersehbarer Umstände die tatsächlichen Kosten die geplanten Kosten um ein Mehrfaches übersteigen. Ein Pool stellt eine Risikogemeinschaft dar, so dass dessen Mitglieder gemeinsam über die Kostenumlage sämtliche Risiken der Pooltätigkeit tragen. Dazu gehören insbesondere das Kostenrisiko sowie das Preisabweichungsrisiko.2
6.358
(Temporäre) Plankosten nur mit Istkosten-Anpassung. Zwar wird im Schrifttum zutreffend darauf hingewiesen, dass die Verrechnung von Plankosten mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar ist, weil auch fremde Dritte regelmäßig nicht bereit sind, die Istkostenrisiken des anderen Vertragspartners zu tragen und deshalb auf Plankosten abstellen.3 Allerdings besteht vorliegend zwischen dem Pool und dem Poolmitglied kein Leistungsaustauschverhältnis. Ebenso wenig kommt es vorliegend auf die Übertragung von Istkostenrisiken an. Der Pool ist eine Risikogemeinschaft seiner Mitglieder; er nimmt weder Chancen wahr, noch trägt er Risiken. Insofern muss bei Abrechnung auf Plankostenbasis sichergestellt werden, dass in regelmäßigen Abständen (mindestens einmal jährlich) diese Plankosten und die auf deren Grundlage geleisteten Zahlungen den Ist-Kosten im Rahmen einer Nachkalkulation gegenüber gestellt werden und sich daraus ergebende Differenzen zwischen den Poolmitgliedern beglichen werden.4 Ansonsten würden – bei Nichtausgleich – Gewinne oder Verluste entstehen, die aber bei einem Pool – ex definitione – nicht anfallen dürfen.
6.359
Kürzung von Dritteinnahmen. Gemäß Tz. 2.1. Abs. 2 VWG-Umlage sind die umlagerelevanten Kosten um Einnahmen zu kürzen, „die mit den Aufwendungen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen“.5 Diese Re1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 4. 2 Das Risiko liegt also nicht beim Pool, sondern (anteilig) bei dessen Mitgliedern; gl.A. Vögele/Freytag, IStR 2000, 249; Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 348. 3 Vgl. Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Uml. Tz. 2.1 Anm. 4. 4 Vgl. Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 719; Engler/Freytag in V/B/E, Verrechnungspreise3, N Rz. 205. 5 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 2.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
gelung betrifft vornehmlich Kostenumlagen für Forschungs- und Entwicklungsleistungen, sofern diese (oder auch Dienstleistungen) außerhalb der Gruppe der Poolmitglieder (z.B. gegenüber nicht am Umlageverfahren teilnehmenden Konzernunternehmen oder Konzernfremden) verwertet werden. Die aus dieser Verwertung resultierenden Einnahmen, die beispielsweise auch Lizenzeinnahmen sein können, die aus der Lizenzierung der durch den Pool geschaffenen immateriellen Wirtschaftsgüter stammen, sollen die umlagerelevanten Kosten vermindern. Diese Regelung ist dann sachgerecht, wenn man dem Poolgedanken folgt, weil in diesem Fall die aus der „Drittverwertung“ resultierenden Einnahmen allen Poolmitgliedern anteilig (in Form reduzierter Umlagezahlungen) zugutekommen. Würde man demgegenüber nur die durch die „Drittverwertung“ dem Pool entstehenden Kosten von dessen Gesamtkosten abziehen, so kämen die aus der „Drittverwertung“ resultierenden Einnahmen allein dem Pool zugute. Dies wäre nur dann sachgerecht, wenn das aus der „Drittverwertung“ resultierende wirtschaftliche Risiko (z.B. Inkassorisiko, Währungsrisiko) allein beim Pool verbleibt. Partizipieren jedoch – wie es bei Poolumlagen der Fall ist – alle Poolmitglieder an diesem Risiko, haben auch alle (anteilig) Anspruch auf den aus diesem Geschäft resultierenden Gewinn. Der „Drittverwertung“ steht in dieser Betrachtungsweise die Erbringung „außervertraglicher Zusatzleistungen“ an ein Poolmitglied gleich, die neben dem Umlagevertrag vergütet werden. Einbezug von nach nationalem Recht nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben. Nach den VWG-Umlage sind die Aufwendungen nach den Rechnungslegungsvorschriften desjenigen Landes zu ermitteln, in dem der die Leistung erbringende Unternehmer tätig ist.1 Dagegen gelten hinsichtlich der die Nichtabzugsfähigkeit von Betriebsausgaben bei einem inländischen Leistungsempfänger die Vorschriften des deutschen Steuerrechts, wie § 160 AO oder § 4 Abs. 5 EStG. 2 Die entsprechenden Aufwendungen müssen deshalb eindeutig abgegrenzt werden, was einen erheblichen Aufwand mit sich bringen kann.
6.360
Standortvorteile und öffentliche Subventionen (Zulagen, Zuschüsse). Die VWG-Umlage behandeln Standortvorteile, Zuschüsse und Zulagen sowie die Effekte aus steuerlichen Sondervergünstigungen, wie z.B. Sonderabschreibungen, wie normale „Dritteinnahmen“3, die die umlagerelevanten Kosten entsprechend mindern. Diese Vorgehensweise wird jedoch dem Charakter und der Zielsetzung dieser öffentlichen Subventionen und Steuervergünstigungen nicht gerecht. Stellt man – wie die OECD-Leitlinien auch – auf das Verhalten un-
6.361
1 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1. 2 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1. 3 Im Ergebnis ähnlich Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 217 sowie Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 376.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
abhängiger Unternehmen ab, so wären folgende Lösungsansätze realistisch: – Steht eine Subvention oder eine Steuervergünstigung in direktem Zusammenhang mit den Aktivitäten des Pools, ist sie sozusagen „poolspezifisch“ (z.B. staatliche Forschungskostenbeihilfen bei F&E-Aktivitäten, steuerliche Vergünstigungen aufgrund spezieller Tätigkeiten des F&E-Pools), so sollten alle Poolmitglieder daran partizipieren, da auch unabhängige Unternehmen diese Vorteile untereinander aufteilen würden.1 Gefördert werden soll in diesem Fall nicht ein bestimmtes Poolmitglied, sondern der Pool als Ganzes. – Erbringt ein Poolmitglied gegenüber dem Pool bestimmte Leistungen und werden diesem Poolmitglied Subventionen und Steuervergünstigungen unabhängig von den Aktivitäten des Pools zuteil, so fließen sie ihm wegen seiner eigenen Standortbedingungen bzw. -vorteile zu, und nicht aufgrund von Faktoren, die dem Pool zuzurechnen sind. In diesem Fall kann nur das einzelne Poolmitglied und nicht der Pool insgesamt an den Vorteilen partizipieren. Letztlich sollte es somit auf die konkrete Zielsetzung der staatlichen Subventionen bzw. Steuervergünstigungen sowie auf die Frage ankommen, wer – entweder der Pool als Ganzes oder das einzelne Poolmitglied – die Voraussetzungen für die Gewährung der Subventionen bzw. Steuervergünstigungen erfüllt.2
6.362
Plausibilisierung der Kostenbasis. Das EU Joint Transfer-Pricing Forum hat am 4.2.2010 einen Leitfaden unter dem Titel „Guidelines on Low Value Adding Intra-group Services“ mit dem Ziel veröffentlicht,3 im Bereich der als besonders problematisch angesehenen konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung Wege zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung aufzuzeigen und gleichzeitig die Compliance-Costs für Unternehmen zu reduzieren. Die Europäische Kommission hat mit Mitteilung vom 25.1.2011 u.a. den Europäischen Rat über dieses Konzept unterrichtet.4 Der Ansatz zielt weniger auf eine Vereinheitlichung der jeweiligen national unterschiedlichen Verrechnungspreisregelungen, sondern vielmehr auf einen kooperativen Prüfungsansatz der Finanzverwaltungen, bei dem die Finanzverwaltungen auf eine vollumfängliche Prüfung konzerninterner Dienstleistungen verzichten. Kernstück des Vorschlages des EU-JTPF ist eine zentral zu erstellende Prozessdokumentation, mittels derer nachgewiesen wird, dass die Verrechnung der Konzerndienstleistungen im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz steht, und der Betriebsprüfung ein ausreichendes Maß an Informationen zur Verfügung ge1 Ebenso Kuckhoff/Schreiber, IStR 1998, 4 sowie Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 376. 2 Ähnlich Kuckhoff/Schreiber, IStR 1998, 4 sowie Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 376; Storck in FS Haas, 471. 3 EU-JTPF, Guidelines on Low Value Adding Intra-group Services, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise3, 347 ff. 4 Vgl. KOM(2011) 16.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
stellt wird.1 Diese Prozessdokumentation wird gerade angesichts des Routinecharakters der Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung für sachgerecht erachtet. Für die Kosten- bzw. Poolumlage empfiehlt das EU-JTPF, folgende Informationen über die Kostenbasis zum Gegenstand der Prozessdokumentation zu machen:2 – Gruppeninterner Prüfstandard für den Pool, z.B. Grenzen für die Wesentlichkeit oder das Beweismaß; – Erklärung der Kostenrechnungsmethode für die Zuweisung von Einzelund Gemeinkosten sowie bei Dienstleistungszentren mit Erbringung verschiedenartiger Dienstleistungen eine Beschreibung der Behandlung dieser Kosten; – Grundlage, auf der Gesellschafteraufwand (Anteilseignerkosten) ausdrücklich aus dem Pool eliminiert wird mit ggf. gesonderter Analyse dieser Kosten; – Beschreibung und Analyse der Kostenkategorien des Pools (z.B. IT, Rechnungswesen, Personalverwaltung); – Ursprung etwaiger Gewinnaufschläge und Ermittlung von Kosten, die ohne Aufschlag zugewiesen werden; – Beschreibung und Analyse der zugewiesenen Kosten, wobei Detailangaben insbesondere dann wichtig sind, wenn weltweite Servicekosten einzelnen Gesellschaften zugeordnet werden; – Abgleich der Gesamtkosten des Pools mit den zugewiesenen Gesamtkosten, damit die zugewiesenen Kosten nicht höher sind als die Gesamtkosten. 6. Berücksichtigung eines Gewinnaufschlags Kein internationaler Konsens. Über die Frage, ob auf die umlegbare Kostenmasse ein Gewinnaufschlag zu erheben ist oder nicht, konnte bisher international noch kein Konsens erzielt werden.3 Die OECD-Leitlinien lassen diese Frage offen. Auch das EU-JTPF äußert sich in seinen Leitlinien zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung nicht zur Erhebung eines Gewinnaufschlags bei der Poolumlage. Demgegenüber lehnen die VWG-Umlage einen Gewinnaufschlag mit Hinweis auf den gemeinsamen Zweck des Pools und das fehlende unternehmerische Risiko für den Pool grundsätzlich ab.4 Jedoch ist auch die Vorgehens1 Vgl. EU-JTPF, Guidelines on Low Value Adding Intra-group Services, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise3, 350 Rz. 20 ff.; siehe hierzu auch Stuffer/Reichl, IStR 2010, 685 ff. 2 Vgl. EU-JTPF, Guidelines on Low Value Adding Intra-group Services, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise3, 353 Rz. 36. 3 Zu einem internationalen Vergleich siehe Narraina/Neubauer/Viegener, IWB F. 10 Gr. 2, 802 ff. 4 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.2.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
weise der deutschen Finanzverwaltung im Ergebnis nicht konsequent, da andererseits die Verrechnung kalkulatorischer Kosten (insbesondere kalkulatorische Eigenkapitalzinsen, vgl. Rz. 6.367, welche de facto Gewinncharakter haben, zugelassen wird.1
6.364
Konsequente Unterscheidung zwischen Leistungsumlage und Poolumlage. Die Ursache für die unterschiedlichen Ansätze in der Frage der Verrechnung eines Gewinnaufschlages ist in den divergierenden Zwecksetzungen der Leistungsumlage einerseits und der Poolumlage andererseits zu suchen (Rz. 6.328). Sieht man in der Leistungsumlage eine gegenüber der Einzelverrechnung zwar vereinfachte, aber dennoch gleichberechtigte Form der Entgeltbestimmung, tritt die leistungserbringende Konzernunternehmung als Dienstleistungsunternehmen auf. Infolgedessen ist ihre Tätigkeit darauf gerichtet, Gewinne zu erzielen, so dass ihr nach Maßgabe des Fremdvergleichs auch ein Gewinnzuschlag zusteht.2 Demgegenüber entspricht es dem Grundsatz des Fremdvergleichs im Rahmen des Poolkonzepts, nach welchem mehrere verbundene Unternehmen als gleichberechtigte Partner bei gemeinschaftlichem Risiko einen gemeinsamen Zweck verfolgen, ausschließlich die Kosten ohne Gewinnaufschlag auf die Poolmitglieder zu verteilen. Denn der Pool übt lediglich eine Hilfsfunktion seiner Mitglieder aus und stellt insoweit eine „NonProfit-Innengesellschaft“ dar.3 Mithin lässt sich der Verzicht auf einen Gewinnaufschlag damit rechtfertigen, dass der Pool selbst kein unternehmerisches Risiko trägt, das eine Risikoprämie in Gestalt eines Gewinnzuschlages erfordern bzw. rechtfertigen würde.4
6.365
Risikosituation des Leistenden als Entscheidungskriterium. Entscheidend für die Frage eines Gewinnaufschlages dem Grunde nach ist letztlich die Risikosituation, in der sich die leistungserbringende, umlageerhebende Konzerneinheit befindet. Werden die Dienstleistungen mit einer rechtlich selbstständigen Konzern-Servicegesellschaft im Wege der Umlage abgerechnet, wobei diese Servicegesellschaft ein wirtschaftliches Risiko trägt, ist ein Gewinnaufschlag nach dem Prinzip des „dealing at arm’s length“ zwingend. Liegt eine bloße Kooperation international ansässiger Konzerngesellschaften in Form eines Pools vor, der als Interessengemeinschaft 1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 4. 2 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 265 f. So auch Piltz in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 66 ff.; Stock/Kaminski, IStR 1998, 9; Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 906; Kaminski/ Strunk, IWB F. 3 Gr. 1, 1846; Ditz, DB 2004, 1949; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (720 f.). 3 Vgl. Raupach, StuW 1990, 400; Scheffler, ZfbF 1991, 483. 4 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 266 f. Ebenso BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.2.; IdW, Beilage zu den IDW-FN 1–2/1999, Anm. zu Tz. 7.1.6. VWG 1983; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.164; Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 427; a.A. Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 906; wohl auch Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (721 f.).
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D. Konzern- und Kostenumlagen
kein eigenes wirtschaftliches Risiko trägt (Rz. 6.342) kann dagegen ein Gewinnaufschlag nicht gefordert werden. Gewinnaufschlag bei Kontroll- und Koordinierungsstellen. Hiervon zu unterscheiden sind die sog. Kontroll- und Koordinierungsstellen im Konzern, die i.d.R. im Interesse und zum Vorteil der nationalen Konzerngesellschaften tätig werden und dadurch verrechenbare Leistungen erbringen, die einen Gewinnaufschlag i.H.v. 5–10 % auf die gesamten direkten und indirekten Kosten erheben dürfen.
6.366
Kapitalverzinsung. Trotz der grundsätzlichen Weigerung der Finanzverwaltung, einen Gewinnaufschlag anzuerkennen, enthalten die VWG-Umlage in Tz. 2.1. Abs. 4 eine – zur Vermeidung internationaler Streitfälle begrüßenswerte – Regelung, wonach der Pool im Rahmen der Kostenermittlung „eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals“ berücksichtigen kann.1 Die VWG 1983 enthielten in Tz. 7.1.6. eine ähnliche Regelung, wonach zusätzlich zu dieser Kapitalverzinsungskomponente noch ein weiteres Kostenelement in Form einer sog. „HandlingFee“, also einer Geschäftsführungs- und Verwaltungsgebühr für die organisatorische Leitung und Betreuung des Pools berücksichtigt werden konnte. Geht man davon aus, dass diese „Handling“-Kosten ohnehin Kostenbestandteile darstellen, die gem. Tz. 2.1. VWG-Umlage als „indirekte Aufwendungen“ in die umlagerelevanten Kosten einzubeziehen sind, so hat sich gegenüber den VWG 1983 insoweit keine Veränderung hinsichtlich der Verwaltungsauffassung ergeben.2 Die kalkulatorische Kostenkomponente „Eigenkapitalverzinsung“ besitzt faktisch (zumindest aus Sicht der handels- und steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften) Gewinncharakter, so dass mit deren Einbeziehung (indirekt) die Forderungen mancher ausländischer Fisci nach Erhebung eines Gewinnaufschlags auch bei risikolosen Interessen-Pools Rechnung getragen werden kann. Die VWG-Umlage sehen unter Tz. 2.1. in diesem Zusammenhang vor, dass im Rahmen der Verzinsung des eingesetzten Kapitals das „Eigenkapital lt. Steuerbilanz“ herangezogen werden kann. Der anzuwendende Zinssatz soll sich am „Habenzinssatz für die Währung des Tätigkeitsstaates“ orientieren. Diese Regelung ist zwar inhaltlich präziser als die bisher geltende Formulierung in Tz. 7.1.6. VWG 1983, allerdings vergleichsweise komplizierter und zudem nicht willkürfrei gestaltet. Zum einen wird hier ausdrücklich auf die Steuerbilanz des Pools im Tätigkeitsstaat abgestellt (was voraussetzt, dass für den Pool eine Steuerbilanz erstellt wird), während bei der Ermittlung der umlagerelevanten Kosten auf die (handelsrechtlichen) Rechnungslegungsvorschriften Bezug genommen wird (Rz. 6.356).3 Insofern spielen bei der
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1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 4. 2 Ebenso Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 374. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Ermittlung der umlagefähigen Beträge des Pools sowohl handels- als auch steuerrechtliche Elemente eine Rolle, die einerseits schwer ermittelbar und andererseits ebenso schwer nachprüfbar sind. Darüber hinaus dienen handels- und steuerrechtlich basierte Aufwandsgrößen anderen Rechnungszwecken als betriebswirtschaftliche Kostengrößen (Rz. 6.356), die richtigerweise einer Umlagenberechnung zugrunde zu legen wären (Rz. 6.356). Außerdem wird in den VWG-Umlage durch nichts belegt, warum bei der Kapitalverzinsungskomponente auf Buchwerte im Rahmen des steuerbilanziellen Eigenkapitals abgestellt werden soll, während bei der Nutzungsüberlassung von bereits abgeschriebenen materiellen Wirtschaftsgütern zur Bestimmung der Nutzungsgebühr auf den „Verkehrswert im Zeitpunkt der Überlassung“1 Bezug genommen wird. Diese Regelung ist nicht willkürfrei, ebenso wie das Abstellen auf den Habenzinssatz für die Währung des Tätigkeitsstaates, zumal der BFH in seinen einschlägigen Zinsurteilen festgelegt hat, dass sich Darlehensgeber und Darlehensnehmer „im Zweifel die Spanne zwischen banküblichen Sollund Habenzinsen teilen“2 und diese Aufteilung des Zinsbandes mittlerweile in § 1 Abs. 3 Sätze 5 ff. AStG gesetzlich geregelt ist (Rz. 5.166 f. und 6.439).3 Insofern wäre der Ansatz des Mittelzinssatzes plausibler. Das Abstellen auf „die Währung des Tätigkeitsstaates“ ist ebenfalls nicht sachgerecht, da es auf die – ggf. im Umlagevertrag geregelte – Abrechnungswährung (Währungszins) ankommt und nicht auf die des Tätigkeitslandes (Ortszins) (Rz. 6.445). Befindet sich z.B. ein von europäischen Konzernmitgliedern installierter Pool in Großbritannien, und hat man sich zur Abrechnung der Umlagebeträge auf die Euro-Währung verständigt, so ist der Euro-Zinssatz und nicht etwa der des britischen Pfunds anzusetzen. 7. Umlageschlüssel
6.368
Sicherstellung einer verursachungsgerechten Kostenverteilung. Steht die Höhe der umzulegenden Kosten fest, sind diese in einem nächsten Schritt auf die Poolmitglieder zu verteilen. Dazu ist die Bestimmung eines dem Grundsatz des Fremdvergleichs genügenden Umlageschlüssels notwendig. Über die dazu erforderliche Bestimmung eines angemessenen Umlage- oder Aufteilungsschlüssels enthalten weder die OECD-Leitlinien noch die VWG-Umlage konkrete Anhaltspunkte. Ebenso wenig legt sich der Vorschlag des EU-JTPF zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung fest, sondern verweist vielmehr für einen sachgerechten Umlageschlüssel auf den jeweiligen Einzelfall. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass ein Umlagevertrag keinen starren Aufteilungsschlüssel enthalten sollte, sondern dieser im Interesse einer verursachungs1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 3. 2 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; v. 22.10.2003 – I R 36/03, DStRE 2004, 304. 3 Vgl. auch Engler/Freytag in V/B/E, Verrechnungspreise3, N Rz. 217.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
gerechten und leistungsentsprechenden Kostenzuordnung regelmäßig überprüft und dann ggf. angepasst werden sollte.1 Regelungen in den OECD-Leitlinien. Tz. 8.19 OECD-Leitlinien betont zutreffend, dass zur Bestimmung eines sachgerechten Aufteilungsschlüssels keine generell anwendbare Regel existiere. Der Aufteilungsschlüssel solle – idealerweise – für jeden Vertragspartner den Anteil an dessen voraussichtlichem Nutzen (z.B. in Form zusätzlichen Einkommens oder ersparter Kosten) widerspiegeln. Es müsse ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Aufteilungsschlüssel und dem voraussichtlichen Nutzen bestehen, wobei als mögliche Aufteilungsschlüssel neben den Umsatzerlösen z.B. auch auf die jeweils genutzten bzw. produzierten oder verkauften Stückzahlen, den Rohgewinn, das Betriebsergebnis, die Zahl der Beschäftigten oder das von den Vertragspartnern investierte Kapital zurückgegriffen werden könne. Im Rahmen der Verwendung von Plandaten sei hinsichtlich des Kriteriums der „künftigen Vorteilserzielung“ dem Unsicherheitsfaktor Rechnung zu tragen.2 Sofern Plandaten und später erzielte Istwerte stark voneinander abweichen, müsse geprüft werden, ob die Planung vernünftig und realistisch gewesen sei; unvorhersehbare Ereignisse dürften bei diesem Soll-Ist-Vergleich jedoch nicht zu Korrekturen führen.
6.369
Regelungen in den VWG-Umlage. Nach Tz. 3.1. Abs. 1 VWG-Umlage ist der umlagefähige Aufwand auf Basis des Nutzens, den jedes Poolmitglied für sich erwartet, aufzuteilen. Hierbei ist der erwartete Nutzen „anhand betriebswirtschaftlicher Grundsätze und unter Berücksichtigung aller Umstände und Entwicklungen, die vernünftigerweise im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorhersehbar sind“3, zu ermitteln. Insofern besteht auch bei Vertretern der Finanzverwaltung Einvernehmen darüber, dass im Einklang mit den OECD-Leitlinien jedenfalls vom Grundsatz her der erwartete und nicht der tatsächliche Nutzen entscheidend ist.4 Allerdings lässt sich den VWG-Umlage zur konkreten Ableitung und Umsetzung eines Umlageschlüssels anhand des Kriteriums des erwarteten Nutzens nichts entnehmen.5 Tz. 3.2 Abs. 2 führt lediglich mehr oder minder pauschale Aufteilungsschlüssel, wie z.B. die eingesetzten, hergestellten, verkauften oder zu erwartenden Einheiten einer Produktlinie, den Materialaufwand, die Maschinenstunden, die Anzahl der Arbeitnehmer, die Lohnsumme, die Wertschöpfung, das investierte Kapital, den Betriebsgewinn und den Umsatz auf,6 die mit Ausnahme der erwarteten Einheiten einer
6.370
1 Vgl. z.B. Tz. 8.22 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.3. 2 Vgl. Tz. 8.20 OECD-Leitlinien 2010. 3 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1 Abs. 1 Satz 2. 4 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 350; Böcker, StBp. 2008, 9. 5 Vgl. auch Ditz, DB 2004, 1950. 6 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.2. Abs. 2.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Produktlinie sämtlich nicht zukunftsgerichtet sind und schon deshalb keinen Bezug zum erwarteten Nutzen aufweisen. Tz. 3.2. Abs. 1 VWG-Umlage schreibt keinen allgemein anzuwendenden Aufteilungsschlüssel vor; vielmehr soll die sachgerechte Schlüsselwahl einzelfallabhängig erfolgen. Sofern sich mehrere Schlüssel als gleichwertig erweisen, soll es im Ermessen des (ordentlichen) Geschäftsleiters liegen, welchen Schlüssel er wählt. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass ein Aufteilungsmodus dann als sachgerecht und angemessen zu betrachten ist, wenn diesem jeder der betroffenen ordentlichen Geschäftsleiter im Hinblick auf die ihm eingeräumten Nutzungsmöglichkeiten zugestimmt hätte.1 Damit besteht bei der Auswahl des Aufteilungsschlüssels ein erheblicher Ermessensspielraum.
6.371
Bericht des EU-JTPF. Die Leitlinien des EU-JTPF zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung verweisen auf die Grundsätze der OECD-Leitlinien, allerdings auf diejenigen zur Leistungsumlage bzw. indirekten Einzelverrechnung in Tz. 7.23 und 7.24 OECD-Leitlinien. Im Hinblick auf den Umlageschlüssel für die Kostenumlage gelten jedoch keine anderen Anforderungen (Rz. 6.369). Für das Verständnis des Ansatzes des EU-JTPF ist der Hinweis wichtig, dass im Bereich der Poolumlage die Nachprüf- und Nachvollziehbarkeit im Vordergrund stehen. Basierend auf den Grundsätzen der OECD-Leitlinien soll im Bereich der Kostenumlage Transparenz über deren wesentliche Bestimmungsfaktoren (Kostenbasis, Gewinnaufschlag, Umlageschlüssel) hergestellt werden. Tz. 51 der Leitlinien sieht es deshalb als entscheidend an, dass der Umlageschlüssel begründet werden kann, einheitlich angewendet und regelmäßig überprüft wird.2 Insofern sollte der Aufwand für die Entwicklung und Begründung eines komplexen Umlageschlüssels in keinem Missverhältnis („marginale Verbesserung“) zu einem in der Praxis leichter anzuwendenden Umlageschlüssel stehen. Das EU-JTPF rechtfertigt die Pragmatik dieses Konzepts mit der Nachvollziehbarkeit und einheitlichen Anwendbarkeit des Umlageschlüssels.3 Beispielhaft werden folgende, in der Praxis allgemein verbreiteten Umlageschlüssel aufgeführt:4 – IT: Anzahl der Rechner, – ERP-Software (z.B. SAP): Anzahl der Lizenzen, – Personalwesen: Anzahl der Beschäftigten, – Sicherheitsleistungen: Anzahl der Mitarbeiter, – Managemententwicklung: Anzahl der Mitarbeiter, – Steuern, Rechnungswesen usw.: Umsatz oder Bilanzsumme, 1 Ähnlich DIHT, Planspiel Verrechnungspreise, 1981, 28, Nr. 8. 2 Vgl. EU-JTPF, Guidelines on Low Value Adding Intra-group Services, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise3, 350 Rz. 51. 3 Vgl. EU-JTPF, Guidelines on Low Value Adding Intra-group Services, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise3, 350 Rz. 52. 4 Vgl. EU-JTPF, Guidelines on Low Value Adding Intra-group Services, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise3, 350 Rz. 53.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
– Marketing: Umsatz, – Fuhrpark: Anzahl der Fahrzeuge. Erwarteter vs. tatsächlicher Nutzen. Nach Auffassung der OECD1 wie nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung2 ist der Umlageschlüssel grundsätzlich nach dem Verhältnis des erwarteten Nutzens eines jeden Poolmitglieds zum erwarteten Gesamtnutzen aus dem Pool3 zu bestimmen. Der erwartete Nutzen ist im Rahmen einer sog. Nutzenanalyse anhand betriebswirtschaftlicher Grundsätze und unter Berücksichtigung aller Umstände, die bei Abschluss des Umlagevertrages abzusehen sind, zu ermitteln. Er konkretisiert sich i.d.R. in Form zukünftiger Kosteneinsparungen oder zukünftiger Umsatzsteigerungen aus der Poolteilnahme.4 Dabei muss ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem ermittelten Aufteilungsschlüssel und dem voraussichtlichen Nutzen der Poolmitglieder bestehen. Allerdings lässt sich eine am erwarteten Nutzen ausgerichtete Bestimmung des Umlageschlüssels nicht aus dem Fremdvergleichsgrundsatz ableiten, denn eine solche Schlüsselung ist zwischen fremden Dritten gar nicht vorstellbar.5 Dies liegt darin begründet, dass jedes Poolmitglied im Rahmen der Verhandlungen über die Festlegung des Umlageschlüssels seinen erwarteten Nutzen und dies zudem in Kenntnis seines hiernach bemessenen Kostenanteils offenbaren müsste. Rationales Verhalten unterstellt, würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter des jeweiligen Poolmitglieds in virtuellen Preisverhandlungen seinen individuellen erwarteten Nutzen aus der Poolbildung unterbewerten, um bei gleichbleibender Inanspruchnahme der Leistungen des Pools seinen Kostenbeitrag zu „optimieren“.6 Auf Grundlage des Fremdvergleichs lässt sich stattdessen ableiten, dass die Kostenverteilung sich nach der tatsächlichen Inanspruchnahme von Poolleistungen und damit nach dem tatsächlichen Nutzen bestimmt.
6.372
Umsatz als Umlageschlüssel. Als der in der Praxis am häufigsten gewählte Aufteilungsmaßstab wird der Umsatz genannt. Dies wird beispielsweise damit begründet, dass sich schwerlich ein besserer Schlüssel finden lässt7 und es dann keinen besseren Schlüssel gibt, sofern man die betroffenen Gesellschaften nicht mit unzumutbaren Abrechnungsarbeiten belasten will.8 Außerdem stelle der Umsatz eine aussagekräftige
6.373
1 Vgl. Tz. 8.19 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S-1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1. 3 Dazu kritisch Ditz, DB 2004, 1952. 4 Vgl. dazu Vögele/Scholz, IStR 2000, 557 ff.; Ditz, DB 2004, 1951 f. 5 Vgl. Ditz, DB 2004, 1952. 6 Vgl. hierzu und dem aufgrund dessen bestehenden „Trittbrettfahrer“-Problem Ditz, DB 2004, 1952. 7 So Strobl, RIW/AWD 1980, 746. 8 So Schröder, StBp. 1981, 13.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Kennzahl für die Leistungserstellung eines Konzernmitgliedes dar,1 die zudem leicht nachprüfbar sei. Ferner wird angeführt, dass die Manipulierbarkeit ausgeschlossen ist.2 Die VWG-Umlage wollen den Umsatz ebenfalls als Aufteilungsschlüssel anerkennen.3 Sowohl die OECD-Leitlinien4 als auch die VWG-Umlage erkennen somit den vergangenen, den gegenwärtigen oder den geplanten zukünftigen Umsatz der Poolteilnehmer ausdrücklich als eine akzeptable Schlüsselgröße an, sofern dieser eine verursachungsgerechte und leistungsentsprechende Zuordnung der Kosten des Pools gewährleistet.
6.374
Sonstige Umlageschlüssel. Neben dem Umsatz kommen auch andere Größen in Betracht, wie z.B. die Wertschöpfung, der Betriebsgewinn, die Lohnsumme, das investierte Kapital, das Vermögen, der Materialaufwand, die Maschinenstunden, die Anzahl der Arbeitnehmer oder die Anzahl der voraussichtlich eingesetzten, hergestellten oder verkauften Einheiten einer Produktlinie. Diese Schlüsselgrößen können entweder einzeln oder in Kombination (sog. „Mischschlüssel“) ggf. mit unterschiedlicher Gewichtung angewendet werden.5 Aus der beispielhaften Aufzählung ergibt sich, dass außer dem Umsatz auch andere, für den konkreten Sachverhalt sachgerechte Schlüsselgrößen zugrunde gelegt werden können.6 Ferner ist davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung sowohl erwartete als auch tatsächlich realisierte Größen als Grundlage zur Bestimmung des Aufteilungsschlüssels akzeptiert.7 Dies impliziert Tz. 3.2. Abs. 2 Umlage VWG, wenn dort von „eingesetzten, hergestellten, verkauften oder zu erwartenden Einheiten einer Produktlinie“ die Rede ist.
6.375
Rechtsprechung zum Umlageschlüssel. Die Rechtsprechung räumt dem Steuerpflichtigen – ebenso wie die OECD-Leitlinien und die VWG-Umlage – bei der Auswahl des Umlageschlüssels einen erheblichen Ermessensspielraum ein und will einen Umlageschlüssel nur dann beanstanden, wenn für seine Anwendung keine sachlichen Gründe angeführt werden können.8 Grundsätzlich müsse die Wahl des angemessenen Verteilungsschlüssels „den Vereinbarungen der Beteiligten überlassen bleiben“; es sei dabei „nicht vom Standpunkt jedes einzelnen angeschlossenen Unternehmens für jedes Jahr getrennt“ auszugehen, sondern vielmehr seien „die Auswirkung des Maßstabes auf längere Sicht und unter Beachtung der Interessen aller betreuten Unternehmen“ zu analysieren. 1 So Becker, JbFSt 1981/82, 159. 2 Vgl. Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 724. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.2. Abs. 2. 4 Vgl. Tz. 8.19 und 8.21 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.2. Abs. 2. 6 Vgl. auch vgl. Runge in FS Haas, 303; Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, O Tz. 8.19 Anm. 6 f. sowie Uml. Tz. 3.2 Anm. 2 ff. 7 Vgl. Ditz, DB 2004, 1950. 8 Vgl. BFH v. 2.2.1960 – I 194/59, BB 1960, 731; Ditz, DB 2004, 1950 f.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Umlageschlüssel. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht trägt die Zulässigkeit einzelner mehr oder weniger willkürlich ausgewählter Verteilungsschlüssel eher dem Gedanken der Vereinfachung Rechnung als dem Bestreben nach einer objektiven, verursachungsgerechten und leistungsentsprechenden Zuordnung der umlagerelevanten Kosten. Das liegt darin begründet, dass die Unterstellung irgendwelcher Proportionalitäten zwischen einer Schlüsselgröße einerseits und dem unternehmensbezogenen Anteil des tatsächlichen oder voraussichtlichen Nutzens aus dem Umlagepool andererseits normalerweise nicht gerechtfertigt ist, sondern allenfalls aus Praktikabilitätserwägungen herangezogen werden kann.1 Da die VWG-Umlage in Tz. 3.1. Abs. 1 ausdrücklich fordern, die umlagerelevanten Kosten auf der Basis des für ein Poolmitglied zu erwartenden Nutzens aufzuteilen und der zu erwartende Nutzen dabei „anhand betriebswirtschaftlicher Grundsätze“ zu ermitteln ist, muss auf Lösungsansätze der Betriebswirtschaftslehre zurückgegriffen werden.
6.376
Gemeinkostenverteilungsprinzipien in der betrieblichen Kostenrechnung. Betriebswirtschaftlich ist die Verteilung der umlagerelevanten Kosten auf die Poolmitglieder vergleichbar mit der Verteilung der Gemeinkosten auf Kostenträger oder -stellen und der damit verbundenen Suche nach relevanten Bezugsgrößen. Im Rahmen dieser Gemeinkostenverteilung erscheinen solche Verfahren als geeignet, die es erlauben, die Kosten nach Kriterien zu schlüsseln, mit denen sie in einem bestimmten Ausmaß korrelieren. Bei der Ermittlung dieser Kriterien ist zu berücksichtigen, dass – den Umlageverfahren i.d.R. längerfristige Dienstleistungsbeziehungen mit schwankender Nachfrage während mehrerer Verrechnungszeiträume zugrunde liegen, – die Interessen aller am Umlageverfahren teilnehmenden Unternehmen beachtet werden müssen und – die beteiligten Unternehmen aufgrund unterschiedlicher wirtschaftlicher Funktionen und Leistungsprogramme verschiedene Strukturen (z.B. hinsichtlich der Umsatz-, Lohn- oder Kapitalintensität) aufweisen. Für die Bestimmung der optimalen Schlüsselgröße sind verschiedene Kriterien entwickelt worden, deren Auswahl von dem jeweils zugrunde gelegten Kostenrechnungsprinzip abhängt. Über die Eignung dieser verschiedenen Prinzipien der Kostenverteilung bestehen im betriebswirtschaftlichen Schrifttum unterschiedliche Auffassungen. Am häufigsten werden hierbei das Kostenverursachungsprinzip, das Kostentragfähigkeitsprinzip sowie das Leistungsentsprechungsprinzip diskutiert.2
6.377
1 Ähnlich Bähr, Gewinnermittlung ausländischer Zweigbetriebe, 133; Moxter, ZfhF 1961, 649. 2 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 269 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.378
Bestimmung des Umlageschlüssels nach dem Kostenverursachungsprinzip. Der Grundgedanke des Kostenverursachungsprinzips, welches vielfach auch als das „Fundamentalprinzip“ der Kostenrechnung bezeichnet wird, besteht darin, dass die Kosten nur solchen Einheiten zuzuordnen sind, durch welche sie „verursacht“ worden sind. Hierbei wird unterstellt, dass die Kosten proportional zu bestimmten Bezugsgrößen verlaufen und entsprechend dieser Größen anteilig zuzuordnen sind. Diese Annahme wird als das „Proportionalitätsprinzip“ bezeichnet, welches, basierend auf dem Kostenverursachungsprinzip, als Kriterium für die Wahl des optimalen Verteilungsschlüssels dient. Nach diesem Prinzip ist für die Kostenverteilung diejenige Schlüsselgröße zu wählen, zu welcher die Kosten annähernd proportional verlaufen. Danach müsste eine Veränderung der Schlüsselgröße eine entsprechende Veränderung der zu verteilenden Kosten bewirken. Das Kostenverursachungsprinzip kann nur für solche Kosten zu sachgerechten Ergebnissen führen, die – kausal bedingt – nicht entstehen, wenn das Bezugsobjekt nicht existiert, bzw. wegfallen, wenn dieses entfällt.1 Dieser kausale Zusammenhang besteht jedoch nur für variable Kosten, nicht dagegen für Fixkosten. Insofern ist die Kostenallokation nach dem Proportionalitätsprinzip nur bei den variablen Kosten anwendbar, während es für die Verteilung von Fixkosten keinen Lösungsansatz bietet. Allerdings sind es oftmals die Fixkosten, die im Rahmen der Pooltätigkeit bedeutsam sind.2
6.379
Bestimmung des Umlageschlüssels nach dem Kostentragfähigkeitsprinzip. Das Kostentragfähigkeitsprinzip, bei dem sich die Zurechnung der umlagerelevanten Kosten auf die am Umlageverfahren teilnehmenden Unternehmen nach deren Fähigkeit richtet, Kosten zu übernehmen, ist ebenfalls abzulehnen; denn als Maßgröße für die Tragfähigkeit der umlagerelevanten Kosten werden die Gewinne der beteiligten Unternehmen angesehen. Die Anwendung dieses Prinzips würde somit bedeuten, dass ertragsschwache bzw. notleidende Poolmitglieder mit geringeren Umlagebeträgen belastet würden als die übrigen Teilnehmer. Diese Auffassung ist betriebswirtschaftlich insofern abzulehnen, als eine Kostenzurechnung nur dann sinnvoll ist, wenn sie nach Kostenentstehungsgesichtspunkten erfolgt. Da jedoch Gewinnhöhe und Kostenentstehung in keinem begründeten Zusammenhang zueinander stehen, erweist sich das Kostentragfähigkeitsprinzip zum Zwecke der Verteilung der umlagerelevanten Kosten als ungeeignet. Zudem wäre eine solche Kostenallokation im Rahmen der Pooltätigkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbar.
6.380
Bestimmung des Umlageschlüssels nach dem Leistungsentsprechungsprinzip. Das Leistungsentsprechungsprinzip stellt auf die Beziehung zwischen den umlagerelevanten Kosten und der Gesamtheit der Leistungs1 Vgl. auch Ditz, DB 2004, 1953. 2 Vgl. Ditz, DB 2004, 1953.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
einheiten (Dienstleistungen) ab. Dabei erfolgt letztlich eine Verteilung der umlagerelevanten Kosten nach dem Verhältnis der Anteile an den Gesamtkosten, die auf die einzelnen Poolmitglieder entfallen. Je nach Art der zu verteilenden Kosten können dabei unterschiedliche Schlüsselgrößen zur Anwendung kommen. Je enger die Kausalität zwischen Schlüsselgröße und verrechneten Kosten ist, desto mehr eignet sich der Schlüssel. Letztlich lassen sich die alternativen Schlüsselgrößen mit Hilfe eines sog. „Variationskoeffizienten“ (= relatives Streuungsmaß) miteinander vergleichen. Dabei ist die Schlüsselgröße mit dem geringsten Variationskoeffizienten die optimale Schlüsselgröße.1 Bestimmung des Umlageschlüssels nach der Prozesskostenrechnung. Mittels der Prozesskostenrechnung werden in der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung Gemeinkosten den jeweiligen Kostenträgern zugerechnet, ohne dass auf pauschale Aufteilungsschlüssel abgestellt wird. Anstelle einer pauschalen Schlüsselung und Zuordnung zu den Kostenträgern erfolgt eine Kostenallokation indirekter Leistungsbereiche nach der tatsächlichen Inanspruchnahme der betrieblichen Ressourcen.2 Überträgt man die Grundsätze der Prozesskostenrechnung auf die Ableitung eines prozessorientierten Umlageschlüssels,3 sind zunächst die durch den Pool ausgeübten Funktionen im Rahmen einer Funktions- und Prozessanalyse zu identifizieren, zu analysieren und zu strukturieren und sodann die Kostentreiber für die Poolleistungen festzustellen. Diese Kostentreiber sind diejenigen Funktionen, für die eine direkte Abhängigkeit zum Leistungsvolumen des Pools besteht. Die Kostenentstehung wird aufgrund dessen hauptsächlich auf sie zurückgeführt. Sie fungieren als Bezugsgröße für die Allokation der angefallenen Kosten auf die Poolmitglieder, weil nach ihnen die Inanspruchnahme der betrieblichen Ressourcen und hierdurch die Kostenverursachung bemessen werden. Hierbei wird eine Proportionalität zwischen Kostentreiber und der Inanspruchnahme der Poolleistungen bzw. betrieblichen Ressourcen angenommen. Diese tatsächliche Inanspruchnahme der Poolleistungen wird durch die Prozessmenge gemessen. Insofern sind für die Poolmitglieder – idealtypisch bezogen auf jede einzelne Poolleistung – die Prozessmengen zu ermitteln. Der Umlageschlüssel bestimmt sich schließlich nach dem Verhältnis der Prozessmengen. Dem jeweiligen Poolmitglied ist sein Anteil an den indirekten, d.h. nicht direkt zuordenbaren Kosten (= für die prozessorientierte Umlage relevante Kostenbasis) zuzuordnen.
6.381
Überprüfung und Anpassung des Umlageschlüssels. Die Finanzverwaltung geht in Tz. 3.3 VWG-Umlage als Konkretisierung des aus ihrer Sicht
6.382
1 Zu diesem analytisch und rechnerisch aufwendigen Verfahren vgl. im Einzelnen Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 272 ff. sowie darauf abstellend Scheffler, ZfbF 1991, 485–487. 2 Im Einzelnen hierzu Freidank, Kostenrechnung8, 367 ff. 3 Vgl. hierzu im Einzelnen Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 335 ff.; Ditz, DB 2004, 1953 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Fremdüblichen davon aus, dass fremde Dritte nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums prüfen würden, ob der tatsächlich eingetretene Nutzen dem erwarteten Nutzen entspricht, und erforderlichenfalls den Umlageschlüssel entsprechend der dann erwarteten Nutzenverhältnisse anpassen würden.1 Der Zeitpunkt der Überprüfung bestimmt sich bei planmäßigem Verlauf, d.h. insbesondere ohne Veränderungen im Bestand der Poolmitglieder, nach dem Grad der Ungewissheit, der mit dem Poolgegenstand verbunden ist.2 Die Finanzverwaltung fordert eine Anpassung – regelmäßig durch Änderung des Verteilungsmaßstabs – bei „wesentlichen Veränderungen“.3 Fraglich ist, wann eine solche „wesentliche Veränderung“ vorliegt. Dass nicht lediglich Prognoseirrtümer Anlass für Anpassungen geben können, lässt sich Tz. 8.20 der OECD-Leitlinien entnehmen.4
6.383
Notwendigkeit einer Anpassungsklausel. Ferner kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Finanzverwaltung die Notwendigkeit einer Anpassungsklausel im Umlagevertrag aus der Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG ableitet. Die dort verankerte gesetzliche Vermutung, „dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten“, beschränkt sich jedoch auf Fälle, in denen wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter Gegenstand der Geschäftsbeziehung sind. Dies ist für Poolumlagen schon mangels Geschäftsbeziehung nicht gegeben. Nichts anderes gilt nach der Neufassung des Begriffs der Geschäftsbeziehung durch das AmtshilfeRLUmsG.5 Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG werden Geschäftsbeziehungen nicht mehr wie nach alter Rechtslage gemäß § 1 Abs. 5 AStG a.F. als „jede schuldrechtliche Beziehung“, sondern nunmehr als „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle)“ definiert. Ausgenommen sind jedoch weiterhin „gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen“, wie sie der Umlagevertrag als gesellschaftsvertragliche Grundlage des Pools als Innengesellschaft darstellt (Rz. 6.426). Dementsprechend ist auch die in § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG geregelte gesetzliche Fiktion, dass „voneinander unabhängige ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter […] bestehende Rechtspositionen geltend machen würden“ nicht anwendbar, da sie eine Geschäftsbeziehung voraussetzt. Auch lässt sich die Notwendigkeit der vertraglichen Vereinbarung einer Anpassungsklausel nicht aus dem Fremdvergleichsgrundsatz ableiten. Dies auch dann nicht, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erheb1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.3. Satz 1. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.3. Satz 2. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.3. Satz 3. 4 Vgl. auch Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Uml. Anm. 8 zu Tz. 3.3. 5 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (AmtshilfeRLUmsG) v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809.
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liche Unsicherheiten im Hinblick auf die erwarteten Vorteile bzw. den erwarteten Nutzen aus der Poolbildung und dementsprechend die Kostenverteilung bestehen. Zwar führt die Finanzverwaltung die Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel ausdrücklich auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurück.1 Die OECD-Leitlinien beurteilen diese Frage hingegen selbst auf Grundlage eines Fremdvergleichs.2 Dies bedeutet, dass es nach Auffassung der OECD keineswegs Ausprägung des Fremdvergleichs ist, dass erheblichen Unsicherheiten mit vertraglichen Anpassungsmechanismen begegnet wird. Mangels gesetzlicher Beweislastumkehr wäre es dann Sache der Finanzverwaltung, den entsprechenden Nachweis zu führen. Durchführung der Anpassungsvereinbarungen. Im Zusammenhang mit vertraglichen Anpassungsbestimmungen und Prüfungsrechten der Poolmitglieder ist ferner zu beachten, dass diese auch entsprechend dem vertraglich Vereinbarten durchgeführt werden müssen. Sieht etwa der Umlagevertrag vor, dass die Kostenverteilung jährlich von allen Vertragsparteien zu prüfen und ggf. zu korrigieren ist, finden diese Überprüfungen aber tatsächlich nicht statt, besteht die Gefahr, dass die Betriebsprüfung die tatsächliche Durchführung des Umlagevertrags anzweifelt.3 Gleiches gilt, wenn Änderungen des Vertrages, einschließlich der regelmäßig enthaltenen Leistungen des Pools und des Umlageschlüssels, einseitig durch die Muttergesellschaft ohne Mitwirkung aller Poolmitglieder erfolgen.4 Insofern ist nicht auszuschließen, dass die Finanzverwaltung dem Vertrag die steuerliche Anerkennung mangels tatsächlicher Durchführung versagt und die Konzernumlagen nicht zum Betriebsausgabenabzug zulässt. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Art. 9 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen der deutschen DBA gegenüber einer auf rein formale Anforderungen gestützten Einkünftekorrektur eine Sperrwirkung entfalten (Rz. 6.395).
6.384
8. Abrechnungsmodalitäten Finanzierung der Poolaktivitäten über Vorauszahlungen. Geht man davon aus, dass – dem Poolgedanken folgend – die umlagerelevanten (Voll-)Kosten auf Istkostenbasis abzurechnen sind (Rz. 6.357), so ist es ausreichend, wenn während des Geschäftsjahres aus abrechnungstechnischen Gründen Vorauszahlungen geleistet werden oder eine vorläufige Abrechnung auf Basis von Plankosten erfolgt.5 Diese Vorauszahlungen werden in der Praxis i.d.R. monatlich oder vierteljährlich geleistet. Am Ende des Geschäftsjahres werden dann die Plankosten den Istkosten gegenübergestellt, so 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 135. 2 Vgl. Tz. 3.73, 9.88 sowie 6.28 ff. OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. hierzu z.B. Böcker, StBp. 2008, 8. 4 Vgl. Böcker, StBp. 2008, 8. 5 Ebenso BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.4. sowie Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 374.
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6.385
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
dass etwaige Differenzen zwischen den Poolpartnern auszugleichen sind.1 Die VWG-Umlage sehen unter Tz. 3.4. ein solches Procedere ausdrücklich vor. Die Endabrechnung soll zeitnah bis zur Aufstellung der Bilanz jedes Abrechnungsjahres erfolgen. Alternativ zur Finanzierung der Poolaktivitäten über Vorauszahlungen seiner Mitglieder käme selbstverständlich auch jede andere Form der Eigen- oder Fremdfinanzierung der umlagerelevanten Kosten in Betracht.2 Im Hinblick auf eine (Anfangs-)Dotation des Pools wäre hier zu beachten, dass die Beteiligung jedes einzelnen Poolmitglieds dem zugrunde gelegten Umlageschlüssel entsprechen sollte und dass spätere Anpassungen des Umlageschlüssels Ausgleichszahlungen begründen können. Eine etwaige Fremdfinanzierung lässt sich u.E. mit dem Charakter des Pools als eine im Rechtsverkehr nicht auftretende und damit weder Rechte noch Pflichten begründende Innengesellschaft nicht vereinbaren (Rz. 6.348). Gleichwohl ist ein Pool mit Domizil in Deutschland als BGB-Gesellschaft grundsätzlich rechtsfähig, so dass eine Fremdfinanzierung rechtlich möglich wäre, dann allerdings läge keine reine Innengesellschaft mehr vor. In diesem Fall ist der Pool von etwaigen Risiken und von den Finanzierungskosten freizuhalten; Letztere gehen in die umzulegende Kostenbasis ein.
6.386
Bestimmung der Währung Weder in den Verwaltungsanweisungen noch in der Literatur und Rechtsprechung ist geklärt, in welcher Währung die Umlagen zu zahlen sind. Hierzu gibt es keine verbindlichen Regelungen, so dass es den Poolpartnern überlassen bleibt, in der Währung eines der Länder abzurechnen, in dem entweder der Leistende oder die Zahlergesellschaft ihren Sitz hat. Insofern ist die Regelung in Tz. 2.1. Abs. 4 VWGUmlage, bei der kalkulatorischen Kostenart „Eigenkapitalverzinsung“ auf die Währung des Tätigkeitsstaates abzustellen, nicht sachgerecht. Vielmehr kommt es auf die Währung an, auf die sich die Poolpartner vertraglich verständigt haben (Rz. 6.367).
6.387
Konsequenzen bei verspäteten Umlagezahlungen. Leistet ein Poolpartner zum vertraglich vereinbarten Fälligkeitszeitpunkt entweder nicht rechtzeitig seine Vorauszahlungen oder nach Rechnungsabschluss nicht rechtzeitig seine Ausgleichszahlung, so sollte eine marktübliche Verzinsung der entsprechenden Forderung erfolgen.3 9. Veränderungen im Bestand der Poolmitglieder
6.388
Eintritt und Ausscheiden von Poolmitgliedern. Umstrukturierungen im Konzern, Unternehmenszukäufe und -verkäufe sowie Änderungen der konzerninternen Funktionsverteilung können dazu führen, dass neue 1 So auch Runge in FS Haas, 300. 2 Vgl. hierzu auch Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 724. 3 Gl.A. Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 376; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 724.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
Mitglieder in bestehende Umlageverträge eintreten und/oder bisherige Poolmitglieder ausscheiden. Während sich für neu hinzutretende Poolmitglieder die Frage nach einer Eintrittszahlung als Abgeltung für den Adhoc-Zugang zu den bis zum Eintritt im Pool geschaffenen materiellen und immateriellen Vermögenswerten stellt, können im Falle des vorzeitigen Austritts Kompensationsansprüche sowohl des Ausscheidenden als auch der verbleibenden Poolmitglieder bestehen. Eintrittszahlungen. Verbundene Unternehmen, die sich nach Abschluss eines Kostenumlagevertrages erst zu einem späteren Zeitpunkt einem Kostenpool anschließen, haben gem. Tz. 4.1. Abs. 1 VWG-Umlage1 eine Eintrittszahlung (sog. „Buy-in-Payment“) zu leisten, soweit sie von den in der Vergangenheit durch den Pool entwickelten Ergebnissen ad hoc profitieren. Dies kann bspw. im Rahmen eines F&E-Pools der Fall sein, der bereits vor Eintritt des neuen Poolmitglieds materielle oder immaterielle Vermögenswerte bzw. Know-how entwickeln konnte, deren Zugang sich das neue Poolmitglied im Rahmen der Eintrittszahlung erkauft.2 Im Dienstleistungssektor haben Eintrittszahlungen hingegen eine nur untergeordnete Bedeutung;3 die VWG-Umlage sowie die OECD lehnen eine Eintrittszahlung bei verwaltungsbezogenen Leistungen sogar gänzlich ab.4 Die OECD begründet dies damit, dass Dienstleistungen nicht zur Schaffung eines Vermögenswerts oder Rechts führen, sondern vielmehr durch die Poolmitglieder „laufend“ in Anspruch genommen werden können und der Dienstleistungsempfang infolgedessen durch die – auf einen bestimmten Zeitraum bezogene – Kostenumlage vollumfänglich vergütet wird.5 Dieser Auffassung kann indessen nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Zum einen hat sich die dem Pool beitretende Konzerngesellschaft bis zum Zeitpunkt ihres Eintritts nicht an den Aufwendungen des Pools zur Schaffung der Voraussetzungen zur Erbringung der entsprechenden Dienstleistungen beteiligt. Zum anderen können auch im Dienstleistungsbereich verwertbare und „speicherbare“ Vorleistungen erbracht werden, die eine Eintrittszahlung unter Fremdvergleichsgesichtspunkten rechtfertigen.6 Zu denken ist etwa an Gutachten im Rahmen von Projektanalysen sowie die Erstellung von Vertragsentwürfen und Studien, wie z.B. Standort-, Markt- oder Produktanalysen. 1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.1. Abs. 1. 2 Zur Aktivierungspflicht der Eintrittszahlung vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.1. Abs. 1. 3 Gl.A. Runge in Raupach, Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen in betriebswirtschaftlicher, gesellschafts- und steuerrechtlicher Sicht, 173; Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Uml. Tz. 4.1 Anm. 6 ff.; wohl a.A. Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (726). 4 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.1. Abs. 3. 5 Vgl. Tz. 8.36 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. Baumhoff, IStR 2000, 731.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.390
Höhe der Eintrittszahlungen. Als besonders schwierig erweist sich die Frage der Bewertung der Eintrittszahlung. Die Eintrittszahlung hat sich nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs am Wert der vorhandenen Projektergebnisse im Zeitpunkt des Beitritts des neuen Poolmitglieds auszurichten. Darüber hinaus hat sie den erwarteten Nutzen der beitretenden Konzerngesellschaft aus der Verwertung der vorhandenen Ergebnisse des Pools zu berücksichtigen. Dieser zukünftige Nutzen ist allerdings nur schwer quantifizierbar. In der Verrechnungspreispraxis wird daher auf die Kostenaufschlagsmethode zurückgegriffen, wobei nur solche Kosten berücksichtigungsfähig sind, die ein ordentlicher Geschäftsleiter in einer vergleichbaren Situation als erforderlich ansehen würde. Bringt das beitretende Mitglied eigene Projektergebnisse in den Pool ein, die im Interesse, zum Nutzen und zum Vorteil der bisherigen Poolmitglieder sind, können die ggf. daraus resultierenden Ausgleichszahlungen an das leistende Mitglied und die von ihm ggf. zu entrichtende Eintrittszahlung miteinander verrechnet werden. Dies führt letztlich zur Verrechnung eines Spitzenausgleichs.1 Bringt der Eintretende einen annähernd gleichen Wissensstand wie die bisherigen Poolmitglieder in den Pool mit ein, scheidet dagegen ein Ausgleich aus.2
6.391
Höhe der Austrittszahlungen. Neben Eintrittszahlungen sehen die VWGUmlage in bestimmten Fällen Austrittszahlungen (sog. „Buy-out-Payment“) bei vorzeitigem Ausscheiden eines Poolmitglieds vor.3 Austrittszahlungen an die verbleibenden Poolmitglieder sind zu leisten, wenn der Austritt des Poolmitglieds zu einer identifizierbaren und quantifizierbaren Verminderung des Werts des dem fortgeführten Umlagevertrag zugrunde liegenden Projekts führt. Dies ist bspw. der Fall, wenn die verbleibenden Poolmitglieder vom Pool entwickelte Rechte an immateriellen Vermögenswerten bzw. halbfertigen Arbeiten oder Kenntnisse, die im Rahmen der bisherigen Poolaktivitäten geschaffen wurden, dem austretenden Poolmitglied überlassen oder abtreten.4 Im Gegensatz zu Eintrittszahlungen akzeptieren die VWG-Umlage bei dienstleistungsbezogenen Umlageverträgen ausnahmsweise Austrittszahlungen dann, wenn „durch die Dienstleistungen [. . ] Wirtschaftsgüter oder Rechte geschaffen“5 werden.
1 Vgl. Tz. 8.32 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.1. Abs. 1; zu den möglichen Eintrittszahlungen bei F&E-Pools vgl. Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 727; Weber, Technologietransfer im internationalen Konzern, 395 ff. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.1. Abs. 1. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.2.; siehe auch Tz. 8.38 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.2. Abs. 1. 5 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.2. Abs. 2.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
Umgekehrt erhält das ausscheidende Poolmitglied eine Austrittszahlung von den verbleibenden Poolmitgliedern, wenn die bisher vom Pool entwickelten Erkenntnisse und Ergebnisse zukünftig nur oder überwiegend den verbleibenden Poolmitgliedern zugutekommen. Dies ist der Fall, wenn der Ausscheidende seine Vermögensrechte aus dem Umlagevertrag an die verbleibenden Poolmitglieder überträgt.1 Insoweit entsteht bei diesem ein einmaliger Veräußerungsgewinn, es sei denn, die entsprechenden Rechte werden an die verbleibenden Poolmitglieder lizenziert (Rz. 6.560 ff.).2 Wird die Poolaktivität als Ganzes beendet bzw. aufgelöst, stehen den Poolmitgliedern die Ergebnisse der Pooltätigkeit jeweils anteilig zu. Dieser Anteil bemisst sich an den während der Laufzeit des Umlagevertrages gezahlten Kostenumlagen sowie eventuell geleisteten Eintritts- oder Ausgleichszahlungen an den Pool.3 Aktivierungsfragen. Sofern Eintrittszahlungen geleistet werden, hält die deutsche Finanzverwaltung dies beim beitretenden Mitglied für einen aktivierungspflichtigen Vorgang.4 Darüber hinaus stellen Tz. 8.33 und 8.35 OECD-Leitlinien ausdrücklich fest, dass weder Eintritts- noch Austrittszahlungen – auch nicht teilweise – eine Lizenzgebühr für die Nutzung eines immateriellen Vermögenswertes darstellen.
6.392
Neufestlegung der Aufteilungsquoten bei Wechsel der Poolpartner. Sofern ein Partner den Umlage-Pool verlassen hat, sind die Aufteilungsquoten neu festzulegen. Die Problematik der Festlegung von Ein- und Austrittsgeldern stellt sich unabhängig davon, ob der Umlagevertrag diese Problematik im Einzelnen regelt oder nicht. Idealerweise sollten allerdings Umlageverträge detaillierte Ein- und Austrittsregelungen enthalten.5
6.393
10. Umlagevertrag und Dokumentation Formale Anforderungen an den Umlagevertrag. Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung der Poolumlage und damit für den Abzug der auf inländische Poolmitglieder umgelegten Kosten als Betriebsausgabe ist der Abschluss eines Umlagevertrages zwischen den am Pool beteiligten Unternehmen.6 Unumstritten ist, dass ein Umlagevertrag eine klare und eindeutige Festlegung der maßgeblichen Bestimmungsgrößen des Umlageverfahrens enthalten muss. Weiterhin besteht Einigkeit darüber, dass 1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. 1999, 1122 Tz. 4.2. Abs. 3; Vögele/Freytag, IStR 2000, 252. 2 Vgl. IdW, WPg 1999, 716. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. 1999, 1122 Tz. 4.2. Abs. 4. 4 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. 1999, 1122 Tz. 4.1. Abs. 1. 5 Vgl. Tz. 8.37, 8.38 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. 1999, 1122 Tz. 5.1.1.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
der Vertrag vor der erstmaligen Vornahme einer Umlage abgeschlossen werden sollte, d.h. er darf sich grundsätzlich nur auf solche Leistungen beziehen, die nach Vertragsabschluss erbracht werden.1 Außerdem sieht Tz. 1.3. VWG-Umlage vor, dass ein Umlagevertrag „nach Handelsbrauch“ im Vorhinein schriftlich abgeschlossen werden muss. Wird der Vertrag während eines Geschäftsjahres abgeschlossen, sollte, sofern ein entsprechender Leistungsfluss unstreitig ist, eine Rückbeziehung des Vertrages auf den Beginn des Geschäftsjahres aus Praktikabilitätserwägungen zulässig sein.2 Zumindest muss zu Jahresbeginn kein bis ins letzte Detail ausgearbeiteter Umlagevertrag vorliegen. Aufgrund der komplizierten und zeitraubenden Abstimmungsnotwendigkeiten zwischen den international ansässigen, am Vertrag beteiligten Konzernunternehmen (und der damit verbundenen Notwendigkeit einer Abstimmung des Vertrages auf sämtliche nationalen zivil-, gesellschafts-, handels- und steuerrechtlichen Anforderungen) muss es ausreichend sein, wenn zunächst nur die Rahmenbedingungen feststehen und die Details innerjährlich festgelegt werden.3 Vor dem Hintergrund der Dokumentationsanforderungen nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 GAufzV sollte der Umlagevertrag innerhalb der ersten sechs Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres vorliegen, in dem der Umlagevertrag abgeschlossen wurde. Anderenfalls verstößt der Steuerpflichtige zwar gegen die Verpflichtung zur zeitnahen Erstellung der Aufzeichnungen. Allerdings ist bei Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen nur die verspätete Vorlage nach Ablauf einer Frist von 30 Tagen nach Aufforderung durch die Finanzverwaltung (§ 90 Abs. 3 Satz 9 AO) mit einem Zuschlag sanktioniert (§ 164 Abs. 4 Satz 3 AO). Im Hinblick auf eine Verlängerung der Vorlagefrist hat die Finanzverwaltung zudem „in begründeten Einzelfällen“ einen Ermessensspielraum (§ 90 Abs. 3 Satz 10 AO); insofern tritt die Rechtsfolge einer verspäteten Vorlage erst nach Ablauf einer verlängerten Vorlagefrist ein.
6.395
Schriftformerfordernis und Sperrwirkung nach Art. 9 OECD-MA. Nach Tz. 5.1.1 VWG-Umlage bedarf der Umlagevertrag für dessen Anerkennung der Schriftform, sofern dies im konkreten Fall dem „Handelsbrauch“ entspricht.4 In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Art. 9 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen der deutschen DBA gegenüber einer auf rein formale Anforderungen gestützten Einkünftekorrektur eine Sperrwirkung entfalten (Rz. 5.207). Nach dem 1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 - VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.3. 2 Vgl. Baumhoff, IStR 2000, 696 f.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 627. 3 So auch Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Uml. Rz. 3 zu Tz. 1.3.; Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 897; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 705. 4 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.3.; Runge, in: FS Haas, 297; Dahnke, IStR 1994, 24; Höppner, StbJb. 1981/82, 433; Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 381.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
rechtskräftigen Urteil des FG Köln vom 22.8.20071 zur Auslegung von Art. 4 DBA-Großbritannien, der Art. 9 OECD-MA inhaltlich entspricht, ist nur eine Einkünftekorrektur aufgrund (materieller) Unangemessenheit abkommensrechtlich durchsetzbar. Dem Urteilssachverhalt lag unter anderem eine vertraglich vereinbarte Kosten-Umlage zugrunde, tatsächlich wurde die Vergütung aber kostenunabhängig auf Grundlage der Umsätze bzw. Einnahmen berechnet.2 Diese pauschale Bezuschussung i.S. eines „Cost-Funding“ führt regelmäßig zu Über- und Unterdeckungen der verursachten Kosten und allenfalls zufällig zu einer genauen Kostenerstattung (Rz. 6.327). Sie ist deshalb nicht mit den Grundsätzen des Fremdvergleichs zu vereinbaren. Eine insoweit vorgenommene Einkünftekorrektur hätte die (materielle) Angemessenheit betroffen und wäre mit Art. 9 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen vereinbar gewesen. Allerdings hatte die Betriebsprüfung mangels tatsächlicher Durchführung – und damit allein aufgrund formaler Anforderungen an Verträge mit beherrschenden Gesellschaftern – die Einkünftekorrektur auch auf den – unstreitig – angemessenen Betrag erstreckt. Insoweit griff die Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden Bestimmung. Mit Urteil vom 11.10.20123 hat der BFH – wiederum zu Umlagen – entschieden, dass es aufgrund der Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden Regelung des Art. 6 DBA-Niederlande nicht auf die formalen Anforderungen des Fremdvergleichs ankommt. Im Urteilssachverhalt war streitig, ob für die konzerninterne Erbringung von Dienstleistungen gegen Kostenumlage eine wirksame vorherige Vereinbarung bestand. Der BFH judizierte, dass die sog. Sonderbedingungen für beherrschende Gesellschafter im Rahmen des anzustellenden Fremdvergleichs als Korrektiv ausscheiden, weil Art. 6 DBA-Niederlande innerstaatliche Korrekturmöglichkeiten auf Fälle materieller Unangemessenheit beschränkt. Angemessenheitsprüfung. Trotz dieser Sperrwirkung ist es allerdings erforderlich, die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Regelungen hinreichend zu konkretisieren, um eine Angemessenheitsprüfung überhaupt durchführen zu können. Insofern ist auch ein schriftlicher Kostenumlagevertrag (sog. „Cost-Allocation-Agreement“) regelmäßig nicht entbehrlich.4 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass für das jeweilige Poolkonzept eine ausreichende Dokumentation sicherzustellen ist (Rz. 6.398). 1 Vgl. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161, rkr.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.87 m.w.N., Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Rasch, IWB F. 3a Gr. 1, 1103; Strunk/Kaminski, Stbg 2008, 211; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 704 f. 2 Vgl. hierzu auch Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 356 Fn. 25. 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324. Siehe hierzu auch Gosch, BFH/PR 2013, 88; Andresen/Immenkötter/Frohn, DB 2013, 534; Schnorberger/Becker, IStR 2013, 109. 4 Vgl. auch Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 705.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
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Inhalt des Umlagevertrags. Ein Umlagevertrag sollte dabei insbesondere folgende Regelungen enthalten:1 – Benennung der Poolmitglieder sowie ggf. weiterer Nutznießer aus dem Umlagevertrag; – Beschreibung von Art und Umfang der zu erbringenden Leistung(en); – Ermittlungsart und Umfang der umlagerelevanten Kosten; – Ermittlung des voraussichtlichen Nutzens für die jeweiligen Poolmitglieder; – Bestimmung des Umlageschlüssels; – Beschreibung, wie der Wert der anfänglichen und der späteren Leistungsbeiträge der Poolmitglieder ermittelt und einheitlich auf alle Poolmitglieder verrechnet wird; – Art und Umfang der Rechnungskontrolle (z.B. bei Vorauszahlungen, Zeitpunkt der Zahlungen); – Bestimmungen über die Anpassung an veränderte Verhältnisse (vertragliche Anpassungsklausel); – Vertragsdauer; – Bestimmungen über die Vertragsauflösung sowie ggf. die Voraussetzungen und Folgen des Eintritts neuer und des vorzeitigen Austritts bisheriger Poolmitglieder (Ein- und Austrittszahlungen); – Vereinbarungen über den Zugriff auf Unterlagen, welche die Ermittlung der umzulegenden Kostenmasse und des Umlageschlüssels sowie die Leistungen des Pools bzw. des leistungserbringenden Unternehmens dokumentieren; – Zuordnung der Nutzungsrechte an immateriellen Vermögenswerten im Falle eines Forschungs- und Entwicklungspools; – Berücksichtigung von Dritteinnahmen und anrechenbarer Leistungen; – Festlegung von Informations- und Prüfungsrechten bzw. -pflichten; – Sicherstellung der Dokumentationserfordernisse nach den nationalen Steuergesetzen der Ansässigkeitsstaaten der Poolmitglieder; – Steuern (Umsatz- [Rz. 6.412] und ggf. Quellensteuer2); – anwendbares Recht; – Schiedsgerichtsregelung; – salvatorische Klausel. 1 Vgl. hierzu BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 5.1.1.; Tz. 8.40 ff. OECD-Leitlinien 2010; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 627 ff.; Hahn in Formularbuch Recht und Steuern6, 591 ff.; Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 435 f.; Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Uml. Anh. Anm. 1 und 2. 2 Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung unterliegen die Umlagezahlungen nicht der Quellensteuer, vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.4. Abs. 1.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
Dokumentationsvorgaben. Über den Kostenumlagevertrag hinaus müssen deutsche Poolmitglieder die Anforderungen an eine Verrechnungspreisdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV erfüllen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 GAufzV besteht die Aufzeichnungspflicht ausdrücklich auch für solche „Geschäftsbeziehungen, die keinen Leistungsaustausch zum Gegenstand haben, wie […] Poolvereinbarungen (zum Beispiel Umlageverträge)“. Ausweislich der Verordnungsbegründung zur GAufzV soll die GAufzV die in den VWG-Umlage dargestellte Rechtsauffassung nicht berühren.1 Dies kann allerdings nur für Art und Umfang der zu erstellenden Aufzeichnungen gelten, nicht hingegen für diejenigen Rechtsfolgen, die bei Verletzung der Dokumentationspflichten eintreten. Diese Sanktionen sind in § 162 Abs. 3 und 4 AO gesetzlich geregelt (Rz. 8.170 ff.). Die Regelungen sehen insbesondere nicht vor, dass allein bei Verletzungen der Dokumentations- und anderer formaler Anforderungen der Umlagevertrag der Einkunftsabgrenzung nicht zugrunde zu legen ist. Die entgegenstehende Verwaltungsauffassung in Tz. 5.2 VWG-Umlage ist ohne Rechtsgrundlage (Rz. 6.415).
6.398
Aufzeichnungspflichten bei Umlageverträgen. Der Abschluss eines Umlagevertrags ist ein außergewöhnlicher Geschäftsvorfall i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 3 AO i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 GAufzV. Aufzeichnungen sind deshalb zeitnah, d.h. innerhalb von 6 Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahres zu erstellen.2 Die hiernach bei Umlageverträgen erforderliche Vorratsdokumentation erfasst allerdings ausdrücklich nur den Abschluss des Umlagevertrages, nicht dagegen dessen Änderungen. Ferner stellen Umlageverträge Dauersachverhalte dar, die bezogen auf das Wirtschaftsjahr aufzuzeichnen sind, in dem der Umlagevertrag abgeschlossen wurde.3 Spätere Veränderungen im Bestand der Poolmitglieder (Rz. 6.388) dürften für die verbleibenden Poolmitglieder jedenfalls dann eine für die Angemessenheit der Kostenumlage wesentliche Änderung darstellen, wenn – wie regelmäßig – der Umlageschlüssel angepasst wird. Auf Anforderung sind für das Wirtschaftsjahr Aufzeichnungen zu erstellen, in dem die Änderung eingetreten ist.4 Gleiches sollte für das ausscheidende Poolmitglied insbesondere auch im Hinblick auf etwaige Kompensationszahlungen gelten. Für das eintretende Poolmitglied ist dagegen ein außergewöhnlicher Geschäftsvorfall gegeben.
6.399
Erforderliche Aufzeichnungen. Neben den allgemein erforderlichen Aufzeichnungen nach § 4 GAufzV sind nach § 5 GAufzV Aufzeichnungen in besonderen Fällen zu erstellen. Zu diesen in § 5 Satz 2 GAufzV abschlie-
6.400
1 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 7 f. und 14. 2 Vgl. auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.2. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.3. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.3.
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ßend aufgeführten Fällen1 gehören auch Umlagevereinbarungen. Für sie sind nach § 5 Satz 2 Nr. 2 GAufzV mindestens folgende Aufzeichnungen erforderlich: – Verträge, ggf. in Verbindung mit Anhängen, Anlagen und Zusatzvereinbarungen, – Unterlagen über die Anwendung des Aufteilungsschlüssels und über den erwarteten Nutzen für alle Beteiligten, – Unterlagen über Art und Umfang der Rechnungskontrolle, über die Anpassung an geänderte Verhältnisse, über die Zugriffsberechtigung auf die Unterlagen des leistungserbringenden Unternehmens und – Unterlagen über die Zuordnung von Nutzungsrechten. Ausweislich der Verordnungsbegründung2 sind die genannten Angaben „erforderlich“. Zwar sollen die Anforderungen nach den VWG-Umlage unberührt bleiben. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die in Tz. 5.1.1 bis 5.1.4 der VWG-Umlage als zwingende Mindestanforderungen und Sollvorgaben – im Gegensatz zu Tz. 8.40 ff. OECD-Leitlinien – ausgestalteten Dokumentationsanforderungen in § 5 Satz 2 Nr. 2 GAufzV gesetzlich verankert werden sollten, um ihre Anwendbarkeit sicherzustellen.3 11. Vertragsanpassungen an veränderte Verhältnisse
6.401
Notwendigkeit von Öffnungsklauseln. National wie international besteht Einigkeit darüber, dass ein Umlagevertrag sog. „Öffnungsklauseln“ enthalten muss.4 Danach muss es vertraglich möglich sein, bei sich verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Vertragsmodalitäten an die neuen Verhältnisse anzupassen.
6.402
Gründe für Vertragsanpassungen. So können neue Mitglieder dem Pool beitreten, andere ihn (z.B. durch Verkauf eines Poolmitgliedes durch die Obergesellschaft) verlassen. Auch können sich Vertragsänderungen aufgrund von (Steuer-)Rechtsänderungen in dem Staat eines Poolpartners ergeben. Poolmitglieder können ihr wirtschaftliches Betätigungsfeld neu strukturieren und deshalb auf künftige Dienstleistungen verzichten oder zusätzliche Dienstleistungen benötigen, so dass sich die aus der Poolmitgliedschaft resultierenden Vorteile zwischen den Poolpartnern verschieben können.5 Darüber hinaus kann sich eine Divergenz zwischen tatsäch-
1 Vgl. auch Tz. 5.19 OECD-Leitlinien 2010; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 246. 2 BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 14. 3 So auch Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 123. 4 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.3.; Tz. 8.40 ff. OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 8.22 OECD-Leitlinien 2010.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
lich eingetretenem und erwartetem Nutzen einstellen, die erst nach Ablauf eines „angemessenen Zeitraums“ sichtbar wird.1 Art der Vertragsanpassungen. Solche Veränderungen haben insbesondere Einfluss auf den Aufteilungsschlüssel, aber auch auf die umlagerelevanten Kosten, soweit Ein- und Austrittszahlungen zu leisten sind oder Einnahmen aufgrund einer „Drittverwertung“ der Poolaktivitäten anfallen.
6.403
Zeitpunkt der Vertragsanpassungen. Grundsätzlich sollten solche Vertragsanpassungen zeitnah zu den sich verändernden Rahmenbedingungen stattfinden. Eine „laufende“ oder „unverzügliche“ Anpassung ist allerdings weder praktikabel noch zumutbar, da diese Veränderungen mit den steuerlichen Rahmenbedingungen sämtlicher Poolpartner abgestimmt werden müssen und daher jeweils ein zeitaufwendiger Abstimmungsbedarf erforderlich ist. Dabei darf nicht nur eine Ausrichtung an den Vorstellungen der deutschen Finanzverwaltung oder des OECD-Steuerausschusses erfolgen. Vielmehr bestimmen die jeweils strengsten nationalen Vorschriften der Poolpartner die letztlich zu vereinbarenden Vertragsund Abrechnungsmodalitäten. Tz. 3.3. VWG-Umlage spricht in diesem Zusammenhang von einem „angemessenen Zeitraum“. Dieser bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls, d.h. er orientiert sich nicht an starren Fristen. Insbesondere bei Neugründung eines Umlagepools muss der „angemessene Zeitraum“ großzügig bemessen sein, da sich die wirtschaftlichen Ergebnisse einer solchen Poolgemeinschaft erfahrungsgemäß erst nach mehreren Jahren zuverlässig analysieren lassen. Auf jeden Fall sollte der „angemessene Zeitraum“ einen Betriebsprüfungszeitraum überdauern.
6.404
12. Laufzeit und Kündigung von Umlageverträgen Vertragsdauer. Die Vertragsdauer hängt von den zu erbringenden Dienstleistungen bzw. der Dauer des F&E-Projekts ab. Gleiches gilt für die Modalitäten der Vertragsbeendigung.
6.405
Grundlaufzeit und Verlängerungsoption. Um den praktischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, sollte ein Umlagevertrag normalerweise zunächst für eine Anfangsperiode von zwei bis drei Jahren abgeschlossen werden und dann eine automatische Vertragsverlängerung von jeweils einem Jahr enthalten, sofern kein Vertragspartner kündigt und der Pool keine größeren Investitionen getätigt hat2 oder längere Dauerschuldverhältnisse eingegangen ist. Die Kündigungsfrist für die Zeit nach der Anfangsperiode sollte – damit rechtzeitig Dispositionen getroffen werden können – mindestens sechs Monate betragen.
6.406
1 So BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.3. 2 Vgl. Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, M Rz. 392.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.407
Ergebnisverwertung nach Vertragskündigung. Für den Fall, dass ein Kostenumlagevertrag beendet wird, hat jeder Vertragspartner das Recht, die bis zu diesem Zeitpunkt erzielten Ergebnisse künftig weiter zu verwerten. Verzichtet ein Partner auf dieses Recht, so kann er von den anderen (ehemaligen) Partnern angemessen entschädigt werden, sofern diese durch den Verzicht einen Vorteil erzielen1 (Rz. 6.391). 13. Steuerliche Besonderheiten bei Kostenumlagen
6.408
Steuerliche Besonderheiten der Sitzstaaten. Im Rahmen der Erhebung und Zahlung von Kostenumlagen sind die jeweiligen steuerlichen Besonderheiten der Sitzstaaten der Poolmitglieder zu beachten. Für das deutsche Steuerrecht betreffen diese sowohl die Abzugssteuern bei Zahlungen an beschränkt Steuerpflichtige als auch die Umsatzsteuer.
6.409
Steuerliche Abzugsfähigkeit von Kostenumlagen. Umlagezahlungen deutscher Poolpartner an ausländische Umlagepools besitzen aufgrund deren „betrieblicher Veranlassung“ steuerlich Betriebsausgabencharakter.2 Auf diese Tatsache weist Tz. 8.23 OECD-Leitlinien ausdrücklich hin. Die Poolbeiträge der einzelnen Poolpartner seien sofort abzugsfähige Betriebsausgaben und besäßen weder den Charakter von Lizenz- noch von Knowhow-Gebühren. Wenngleich sich in vielen Fällen der Beitrag eines Poolpartners und die Gegenleistung des Pools gleichwertig und zeitgleich gegenüberstünden, könne es aber auch vorkommen, dass sich die Vorteile aus einem Umlagevertrag bei einem Poolpartner zeitlich erst viel später einstellen, als sich der geleistete Beitrag eines Partners auf dessen Ergebnis gewinnmindernd auswirke.3 Selbst wenn also die Umlagezahlungen und die Vorteilserzielung aus der Poolteilnahme zeitlich auseinanderfallen, steht dies dem Abzug der geleisteten Zahlung als Betriebsausgabe nicht entgegen. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass der Angemessenheitsprüfung und damit auch der Beurteilung der „betrieblichen Veranlassung“ von Kostenumlagen nicht die Verhältnisse eines einzigen Jahres, sondern die einer längeren Zeitperiode zugrunde gelegt werden müssen.4 Weil Umlagezahlungen steuerlich sofort abzugsfähige Betriebsausgaben darstellen, kommt auch keine Aktivierung von Poolbeiträgen (etwa als immaterielle Wirtschaftsgüter oder als Rechnungsabgrenzungsposten) in Betracht.5 Dies resultiert auch aus dem Umstand, dass Beiträge für Poolumlagen letztlich die ausgelagerten eigenen Kosten für bestimmte, gemeinsam zu erbringende Leistungen bzw. Leistungsprojekte darstellen. Ggf. durch den Pool geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter sind als 1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 8.39 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. § 4 Abs. 4 EStG. Vgl. Tz. 8.24 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 8.28 OECD-Leitlinien 2010. So BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122, Tz. 1.6.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1998, 5 sowie IStR 2000, 378 f. zur Aktivierung von Eintrittszahlungen.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
selbsterstellt (originär) zu qualifizieren, so dass eine Aktivierung aufgrund des fehlenden entgeltlichen Erwerbs nicht möglich ist.1 Da es sich um eigene originäre Aufwendungen der Poolmitglieder handelt, finden die Vorschriften über nicht abzugsfähige Betriebsausgaben (z.B. § 4 Abs. 5 EStG, § 4h EStG und § 160 AO) auf Ebene des jeweiligen Poolmitglieds Anwendung. Steuerabzug gem. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG. In Tz. 4.4. Abs. 1 VWG-Umlage wird seitens der deutschen Finanzverwaltung ausdrücklich betont, dass Umlagezahlungen nicht dem (Quellen-)Steuerabzug unterliegen.2 Sofern allerdings ein ausländischer Poolpartner (und nicht der Pool selbst) einem leistungserbringenden inländischen Poolpartner immaterielle Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlässt, ist auf die entsprechende Zahlung unter den Voraussetzungen des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG Quellensteuer i.H.v. 15 % vom inländischen Poolmitglied einzubehalten und abzuführen. Selbst wenn diese Zahlung mit dem Umlagebeitrag verrechnet werden sollte, berührt dies nicht die Erhebung der Quellensteuer.3 Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass in den deutschen DBA, die abweichend vom OECD-MA ein der Höhe nach beschränktes Quellenbesteuerungsrecht für Lizenzgebühren vorsehen, regelmäßig ein geringer Quellensteuerhöchstsatz (5–10 %) geregelt ist, und dass die dem OECD-MA entsprechenden deutschen DBA Deutschland kein Quellenbesteuerungsrecht zugestehen.4 Allerdings ist der Quellensteuerabzug i.H.v. 15 % ungeachtet dieser abkommensrechtlichen Beschränkungen vorzunehmen (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG). Das inländische Poolmitglied wird erst dann von seiner Verpflichtung, Quellensteuer einzubehalten und abzuführen, befreit bzw. kann den Quellensteuerabzug nach dem niedrigeren abkommensrechtlichen Quellensteuersatz vornehmen, wenn ihm auf seinen Antrag hin vom Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) eine Freistellungsbescheinigung erteilt wurde (§ 50d Abs. 2 Satz 1 EStG). Vor diesem Hintergrund sollte der Poolvertrag dementsprechende Mitwirkungs- und Minderungspflichten für die einzelnen Poolmitglieder vorsehen.
6.410
Anrechnung ausländischer Quellensteuern/Abkommensberechtigung. Werden zwischen den Poolpartnern im Rahmen von Pool-Eintritten und Pool-Austritten (Rz. 6.388) sowie im Rahmen einer „Drittverwertung“ von Poolergebnissen (Rz. 6.359) Ausgleichszahlungen an den bzw. vom Pool geleistet, so ist eine Ausgleichszahlung beim Leistenden als Aufwand und beim Empfänger als Kostenerstattung zu behandeln. Eine solche Ausgleichszahlung stellt im Regelfall keine Lizenzgebühr dar, so dass
6.411
1 Vgl. § 5 Abs. 2 EStG. Handelsrechtlich besteht gemäß § 248 Abs. 2 HGB ein Aktivierungswahlrecht für bestimmte selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens. 2 Ebenso Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 351. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.4. Abs. 3 sowie hierzu Vögele, DB 2000, 298 und Vögele/Freytag, IStR 2000, 249/250. 4 Vgl. Übersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L5, Art. 12 OECD-MA Rz. 29.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
auch keine Quellensteuerpflicht begründet wird. Ausnahmen hierzu gelten nur dann, wenn der Zahlende (z.B. ein fremder Dritter) mit der Zahlung das Recht erhält, einen immateriellen Vermögenswert zu nutzen, der z.B. dem Pool gehört. Im Vordergrund dieser Überlegung steht also die Lizenzvergabe durch den Pool an Dritte. Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung kann die Quellensteuer, die auf Lizenzgebühren aus der Vergabe von Poolergebnissen an Dritte lastet, nur anteilig von den einzelnen Poolpartnern geltend gemacht werden. Sofern ein Poolpartner, der formal die Rechte an den immateriellen Wirtschaftsgütern für den Pool wahrnimmt, die gesamte ausländische Quellensteuer im Rahmen seiner Besteuerung geltend macht, ist er gegenüber den anderen Poolpartnern anteilig zum Ausgleich verpflichtet.1 Diese Behandlung liegt im deutschen Transparenzprinzip begründet, aufgrund dessen nicht der Pool – als BGB- und damit Personengesellschaft – subjektiv einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtig ist, sondern seine Mitglieder. Dementsprechend sind deutsche Personengesellschaften auch nicht abkommensberechtigt, d.h. sie können die Schutzwirkungen eines DBA wie etwa die Quellensteuerreduktion für Lizenzgebühren2 nicht in eigener Person beanspruchen.3 Etwas anderes soll nach Auffassung der Finanzverwaltung allerdings dann gelten, wenn der Pool sein Domizil in einem DBA-Staat hat, der Personengesellschaften intransparent behandelt, d.h. den Pool selbst der subjektiven Steuerpflicht unterwirft. Für die aus Deutschland an den Pool abfließenden Lizenzgebühren soll der Pool selbst berechtigt sein, Entlastung von deutschen Abzugssteuern zu beanspruchen.4 Die Finanzverwaltung stützt diese Behandlung ausdrücklich auf den Musterkommentar der OECD (Nr. 5 zu Art. 1 OECD-MA), in den die Ergebnisse des sog. Partnership-Reports eingegangen sind,5 bzw. auf diejenigen DBA, die konkrete Regelungen zur abkommensrechtlichen Einkünftezurechnung vorsehen (bisher ausschließlich Art. 1 Abs. 7 DBAUSA).6 Zwar ist diese Auffassung grundsätzlich zu begrüßen. Man kommt jedoch nicht umhin festzustellen, dass ihr keine Rechtgrundlage zur Seite steht. Ungeachtet der steuerlichen Behandlung im jeweiligen Domizilstaat des Pools sind es für Zwecke der deutschen Besteuerung jedenfalls die Poolmitglieder, die der beschränkten Steuerpflicht unterliegen und
1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.4. Abs. 2. 2 Vgl. hierzu Übersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L5, Art. 12 OECD-MA Rz. 29. 3 Vgl. hierzu im Einzelnen Liebchen, Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften, 130 ff. m.w.N.; BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354 Tz. 2.1.1 und 2.1.2. 4 Vgl. BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354 Tz. 2.1.2. 5 Vgl. hierzu im Einzelnen Liebchen, Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften, 143 ff. m.w.N. 6 Vgl. BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354 Tz. 2.1.2.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
die – für Zwecke des § 50d Abs. 4 EStG – als Gläubiger der Lizenzgebühren anzusehen sind.1 Umsatzsteuerliche Behandlung von Kostenumlagen. Bei Konzernumlagen nach dem Leistungsaustausch- bzw. Vereinfachungskonzept (Leistungsumlagen) ist aufgrund der schuldrechtlichen Leistungsbeziehung zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger davon auszugehen, dass die umlageerhebende Konzerneinheit umsatzsteuerlicher Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist. Problematischer hingegen ist die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft eines Pools, der seine Leistung nach dem Poolkonzept (Poolumlagen) gegenüber seinen Mitgliedern zur Verfügung stellt. Voraussetzung für die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG ist, dass der Unternehmer aktiv am Wirtschaftsleben teilnimmt und nach außen selbst als Unternehmer auftritt.2 Das kann aber bei einem Pool als Innengesellschaft3 nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Innengesellschaften, die nach außen nicht selbst als Unternehmer auftreten, sondern deren Mitglieder jeweils im eigenen Namen für die Innengesellschaft handeln, sind mangels Auftretens nach außen umsatzsteuerlich als nicht existent anzusehen.4 Die Unternehmer sind vielmehr die an der Innengesellschaft beteiligten Personen. Es ist i.d.R. davon auszugehen, dass der Pool selbst keine Rechtsbeziehungen zu Dritten eingeht, sondern vielmehr ein Leistungsaustausch zwischen den Poolmitgliedern stattfindet. Diese Leistungen i.S.d. Umsatzsteuergesetzes sind gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG umsatzsteuerbar, wenn der Ort der Leistung5 im Inland liegt. Werden demnach Poolfunktionen im Rahmen eines Kostenpools nicht zentral durch eine Konzerngesellschaft, sondern dezentral durch alle am Pool teilnehmenden Konzerngesellschaften ausgeübt, erbringen sich die Poolmitglieder gegenseitig Leistungen im umsatzsteuerlichen Sinne. Dabei stehen den Leistungen des jeweiligen Poolmitglieds als Gegenleistung nicht nur die über die Umlage gezahlten Geldbeträge, sondern auch die Leistungen der anderen Poolmitglieder gegenüber. Infolgedessen liegen bei den Poolleistungen tauschähnliche Umsätze mit Baraufgabe i.S.d. § 3 Abs. 12 UStG vor, deren Entgelt sich nach der Vorschrift des § 10 Abs. 2 Satz 2 UStG bemisst.6 Danach gilt der Wert eines jeden Umsatzes als Entgelt für den anderen Umsatz. Soweit der Wert der Gegenleistung nicht ermittelt werden kann, ist er zu schätzen.7 Im Rahmen von in Deutschland steuerbaren und steuerpflichtigen Leistungen eines im Ausland ansässigen Poolmitglieds ist die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers gem. § 13b UStG mit 1 Vgl. Wassermeyer, IStR 2011, 87. 2 Vgl. BFH v. 11.11.1965 – V 146/63 S, BStBl. III 1966, 28. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 2. 4 Vgl. BFH v. 25.7.1968 – V 150/65, BStBl. II 1968, 731; v. 27.5.1982 – V R 110-111/81, BStBl. II 1982, 678. Vgl. auch Abschn. 2.1 Abs. 5 UStAE. 5 Vgl. § 3a UStG. 6 Vgl. Eggers, IStR 2001, 311; Forster/Mühlbauer, DStR 2002, 1476. 7 Vgl. Abschn. 10.5 Abs. 1 Satz 7 UStAE.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
dementsprechendem Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG zu beachten (Reverse-Charge-Verfahren).1 Im Hinblick auf den Vorsteuerabzug für die vom Pool bezogenen Leistungen ist jedes Poolmitglied als Leistungsempfänger anzusehen und insoweit anteilig zum Vorsteuerabzug berechtigt, als der seinem Unternehmen zugeordnete Anteil am Gegenstand seinen Miteigentumsanteil nicht übersteigt.2 Daneben sind aber auch Fälle denkbar, in denen der Pool selbst als Unternehmer auftreten kann. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Pool sog. „Dritteinnahmen“ erhält (Rz. 6.359), indem der Pool z.B. Leistungen gegen Entgelt (wie Lizenzgebühr) an poolfremde Dritte (konzernverbundene wie konzernunverbundene Unternehmen) erbringt und dabei selbständig als Pool auftritt. Insoweit tritt der Pool als Zusammenschluss an die Stelle seiner Mitglieder, so dass ihm umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft beizumessen ist. Diese Leistungen i.S.d. Umsatzsteuerrechts sind gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG umsatzsteuerbar, wenn der Ort der Leistung3 im Inland liegt. Insoweit ist auch der Pool selbst zum Vorsteuerabzug aus Leistungen berechtigt, die für das Unternehmen des Pools (Leistungserbringung gegenüber poolfremden Dritten) bezogen wurden. 14. Vorteilsausgleich bei Kostenumlagen
6.413
Vorteilsausgleich. Die VWG-Umlage wollen einen Vorteilsausgleich nur innerhalb eines abgeschlossenen Umlageverfahrens zulassen4 und zwar auch nur insoweit, als dieser innerhalb einer einzelnen Leistungskategorie vorgenommen wird. Eine solche Einschränkung ist nicht sachgerecht. Sie entbehrt einer Rechtsgrundlage und verkennt, dass es sich bei der Poolumlage lediglich um eine – gegenüber der Einzelverrechnung – besondere Abrechnungsform handelt, die keinerlei Aussage zu einer Ausgleichsfähigkeit von Leistungen trifft. Diese Abrechnungsform wird gegenüber der Einzelverrechnung mithin „diskriminiert“, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund erkennbar ist. Stattdessen sollten u.E. die Grundsätze über den Vorteilsausgleich einheitlich für alle Leistungen ungeachtet der jeweiligen Abrechnungsform anzuwenden sein. Dies entspricht i.Ü. auch dem Handeln ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, die selbstverständlich den Ausgleich vorteilhafter mit nachteiligen Geschäften nicht von der konkreten Abrechnungsform abhängig machen, sondern diese – unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten – gleichwertig ihrer Kompensationsabsicht zugrunde legen. Da auch § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes diesen Verhaltensmaßstab zugrunde legt (Rz. 3.132 ff.), liegt es auf der Hand, dass diese Einschränkung mit geltendem Recht nicht zu vereinbaren ist. 1 2 3 4
Vgl. Abschn. 13b.1 UStAE. Vgl. Abschn. 15.2 Abs. 16 Sätze 8 ff. UStAE. Vgl. § 3a UStG. Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 6.
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D. Konzern- und Kostenumlagen
15. Konzernspezifische Umlagesysteme Keine Escape-Regelung nach den VWG-Umlage. Die VWG-Umlage enthalten keine Escape-Regelung, die es ermöglichen würde, einem konzernspezifischen Umlageverfahren beizutreten, das in seinen einzelnen Bestimmungen – insbesondere im Hinblick auf die Kostenerfassung und -verteilung – von den VWG-Umlage abweicht oder diese Fragen nicht regelt. Dies ist deshalb für die internationale Konzernpraxis von erheblicher Bedeutung, weil Umlageverträge nicht nur für ein Land vereinbart werden, sondern den Verhältnissen und Anforderungen einer Vielzahl von Staaten gerecht werden müssen und dabei eine multinationale Einigung oft nur auf dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ erfolgen kann.1 Eine solche Regelung sah etwa Tz. 7.2.4 VWG 19832 vor. Hiernach wurde deutschen Unternehmen, die an einem Umlageverfahren teilnehmen wollen, auf Antrag die Möglichkeit eingeräumt, abweichend von sämtlichen in Tz. 7 VWG 1983 enthaltenen Voraussetzungen und Anforderungen „auch andere Einzelregelungen“ zu vereinbaren, „wenn dies wegen der besonderen Umstände (z.B. wegen des multilateralen Einsatzes des Umlagevertrages oder bei Fehlen einzelner die Kostenerfassung oder -verteilung regelnder Bestimmungen i.S. der Tz. 7.2.1.) sachgerecht ist und sich das Ergebnis des Umlagevertrages im Inland nicht wesentlich gegenüber dem eines den Voraussetzungen der Tz. 7.1. bis 7.2.3. entsprechenden Vertrages ändert“. Diese Regelung bot auch den zuständigen Finanzämtern die notwendige Ermächtigung, in bestimmten Fällen den Unternehmen flexible Einzelregelungen zuzugestehen und „maßgeschneiderte Lösungen“, die den unternehmensindividuellen Verhältnissen am ehesten entsprechen, mitzutragen.
6.414
Keine Sanktionierung nach aktueller Rechtslage. Fraglich ist, ob die steuerliche Anerkennung allein von der Einhaltung der strengen Nachweisund Formvorschriften (Rz. 6.394) abhängig gemacht werden kann. Nach Tz. 5.1.1 VWG-Umlage bedarf der Umlagevertrag für dessen Anerkennung der Schriftform.3 Nach Tz. 5.2. VWG-Umlage ist der Umlagevertrag steuerlich grundsätzlich nur dann der Einkunftsabgrenzung zugrunde zu legen, wenn die Dokumentationsanforderungen erfüllt werden. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die Dokumentationsanforderungen der VWG-Umlage nach der gesetzlichen Einführung einer Dokumentationspflicht ihre Rechtsgrundlagen in § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV haben und nicht losgelöst von diesen als verwaltungsmäßiges Sonderrecht fort-
6.415
1 So zutreffend Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 7.2.4. VWG. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.2.4. Nr. 1, aufgeh. durch BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 7. Wirtschaftlich vergleichbare Regelungen enthielten Tz. 6. bzw. Tz. 5.3. der Entwurfsfassungen der VWG-Umlage v. 26.4.1999 bzw. 15.9.1999. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 5.1.1.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
bestehen können. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 GAufzV besteht die Aufzeichnungspflicht ausdrücklich auch für solche „Geschäftsbeziehungen, die keinen Leistungsaustausch zum Gegenstand haben, wie […] Poolvereinbarungen (zum Beispiel Umlageverträge)“. Ausweislich der Verordnungsbegründung zur GAufzV soll die GAufzV die in der VWG-Umlage dargestellte Rechtsauffassung nicht berühren.1 Dies kann allerdings nur für Art und Umfang der erforderlichen Aufzeichnungen gelten, nicht hingegen für die Rechtsfolgen bei Verletzung der Dokumentationspflichten. Diese Sanktionen sind gesetzlich geregelt, nämlich in § 162 Abs. 3 und 4 AO. Der hier entscheidende § 162 Abs. 3 Satz 1 AO sieht gerade nicht vor, dass die Geschäftsbeziehung bzw. die dieser gleichgestellte Umlagevereinbarung steuerlich nicht anerkannt wird. Insofern ist Tz. 5.2. VWGUmlage ohne rechtliche Grundlage. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO regelt stattdessen die widerlegbare Vermutung, dass die inländischen Einkünfte aus den entsprechenden Geschäftsbeziehungen zum Ausland höher sind als die bislang erklärten, d.h. dass gegen den Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen wurde, und zwar nur dann, wenn der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, indem – er die in § 90 Abs. 3 AO bzw. der GAufzV vorgeschriebenen Aufzeichnungen (Rz. 8.11 ff.) nicht vorlegt, – die von ihm vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind oder – Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 3 AO – hierzu gehört auch der Abschluss eines Umlagevertrags (§ 3 Abs. 2 GAufzV) – nicht zeitnah erstellt wurden. Aufgrund der „Widerlegbarkeit“ dieser Vermutung ist es an dem Steuerpflichtigen nachzuweisen, dass die Kostenumlage – insbesondere im Hinblick auf die Kostenerfassung und -verteilung – einem Fremdvergleich standhält. Dies bedeutet, dass die Kostenumlage nach dem konkreten Umlageverfahren an dem Ergebnis zu messen ist, das sich nach den Grundsätzen der VWG-Umlage eingestellt hätte. Insofern bestehen u.E. vergleichbare Rahmenbedingungen für eine Teilnahme an multinationalen Umlageverfahren, wie sie nach der Escape-Regelung der Tz. 7.2.4 VWG 1983 bestanden haben. Auf rein formale Gesichtspunkte kann die Finanzverwaltung jedenfalls die Ablehnung der Kostenumlage mangels Rechtsgrundlage nicht stützen.
6.416
Sperrwirkung nach Art. 9 OECD-MA. Schließlich ist auch in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Art. 9 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen der deutschen DBA gegenüber einer auf rein formale Anforderungen gestützten Einkünftekorrektur eine Sperrwirkung entfalten (Rz. 6.395). Trotz dieser Sperrwirkung ist es allerdings erforderlich, die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Regelungen hinreichend zu konkretisieren, um eine Angemessenheitsprüfung überhaupt durch1 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 7 f. und 14.
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E. Finanzierungsleistungen
führen zu können. Insofern ist auch ein schriftlicher Umlagevertrag regelmäßig unverzichtbar (Rz. 6.396).1 Dies gilt bei Teilnahme an einem multilateralen Umlageverfahren schon deshalb, weil wegen der Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen die Vereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nachzuweisen ist, um die Vermutung des § 162 Abs. 3 Satz 1 AO zu widerlegen (Rz. 6.415).
E. Finanzierungsleistungen Literatur Ammelung, (Erneute) Verrechnungspreisaspekte bei Sicherheitengestellung gegenüber ausländischen Finanzierungsgesellschaften?, IStR 2003, 250; Baumhoff/Ditz/ Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Greinert, Steuerliche Anerkennung internationaler Verrechnungspreise bei Nichteinhaltung formaler Anforderungen – Anmerkungen zum Urteil des FG Köln vom 22.8.2007, IStR 2008, 353; Crüger/Köhler, Avalprovisionen: Fremdvergleichskonforme Berechnung mittels Credit Default Swaps, RiW 2008, 378; Ditz, Anmerkung zu BFH vom 11.10.2012, Sperrwirkung von Art. 6 Abs. 1 DBA-Niederlande gegenüber Sonderbedingungen bei beherrschenden Gesellschaftern, ISR 2013, 54; Ditz in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 65; Ditz, Praxisfall einer Verrechnungspreisprüfung und Funktionsverlagerung, IStR 2009, 421; Ditz/Kluge, Einkünftekorrekturen bei Sicherheitengestellung im Konzern, IWB 2013, 87; Ditz/Liebchen, Teilwertabschreibungen und Forderungsverzicht auf Gesellschafterdarlehen – Praxisfall zum BMF-Schreiben vom 29.3.2011, IStR 2012, 97; Ditz/Quilitzsch, Anwendung von § 1 AStG a.F. bei Teilwertabschreibungen auf Darlehensforderungen gegen ausländische Tochtergesellschaften, ISR 2014, 109; Ditz/Schneider, Internationale Rechtsprechung zu Verrechnungspreisen, DB 2011, 779; Ditz/Tcherveniachki, Abzugsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen – Eine Analyse des BFH-Urteils vom 14.1.2009 unter besonderer Berücksichtigung des § 1 AStG, IStR 2009, 709; Eberhard, Steuerwirksame Abschreibungen auf Gesellschafterdarlehen – Mögliche Folgen aus dem BFHUrteil I R 52/08 vom 14.1.2009, DStR 2009, 2226; Eisgruber in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 25; Häuselmann, Grenzüberschreitender Wertpapierhandel unter Einschaltung von Auslandsniederlassungen und Tochtergesellschaften, IStR 2003, 139; Nieß in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1994, 45; Prinz/Scholz, § 1 AStG und darlehensbezogene Teilwertabschreibungen: Kreativer, aber rechtsfehlerhafter Versuch der Finanzverwaltung zur Rettung der Wirkung des § 8b Abs. 3 KStG für Altfälle, FR 2011, 925; Puls, Finanzierungsunterstützung im Konzern aus Verrechnungspreissicht, IStR 2012, 209; Schaus/Köhler/John, Fremdübliche Avalprovisionen: Überblick und aktuelle Entwicklungen im Rahmen der Finanzmarktkrise, RiW 2009, 533; Wassermeyer, Anmerkung zum BFH-Urteil vom 29.11.2000, IStR 2001, 319; Zech, Funktionsverlagerung durch Zusammenlegung von Produktion und Vertrieb?, IStR 2009, 418.
1 Vgl. auch Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 705.
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I. Erscheinungsformen von Finanzierungsleistungen 6.417
Internationalisierung und Deregulierung von Finanzierungsleistungen. Seit der Veröffentlichung der VWG 1983 haben sich die internationalen Finanzmärkte erheblich verändert. Insbesondere haben die Globalisierung der Wirtschaft (z.B. „Global Trading“1), Deregulierung (z.B. Zulassung neuer Finanzierungsinstrumente, Aufhebung von Beschränkungen des Kapitalverkehrs), Institutionalisierung (z.B. Beeinflussung des Marktes durch Pensionsfonds, Versicherungen und Private-Equity-Unternehmen) sowie „Securitisation“ (z.B. Verbriefung von Forderungen und Verbindlichkeiten, um deren Handel zu ermöglichen) auch die Finanzbereiche international verbundener Unternehmen erheblich verändert.2 Daraus folgte auch ein nachhaltiger Strukturwandel in den Finanzierungsbeziehungen zwischen den verbundenen Unternehmen untereinander, aber auch zwischen diesen und externen Banken. Vor dem Hintergrund dieses Strukturwandels verfügen Unternehmensgruppen und Konzerne immer mehr über eigene Treasury-Abteilungen, die als konzerninterne ServiceCenter bisher durch Banken ausgeübte Finanzierungsfunktionen übernehmen, um die konzerninterne Finanzierung zu optimieren, Finanzierungsrisiken zu vermeiden und neue Einnahmequellen zu erschließen. Diese konzerninterne Ausübung von Finanzierungsfunktionen wird allgemein als „In-House-Banking“ oder als „Corporate-Banking“ bezeichnet, wobei die Banken lediglich Ergänzungs- oder Ausgleichsfunktionen ausüben.3
6.418
Überblick über konzerninterne Finanzierungsleistungen. Zwischen international verbundenen Unternehmen sind grundsätzlich die gleichen Finanzierungsleistungen denkbar, wie sie auch zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart werden. Dabei ist der Grundsatz der Finanzierungsfreiheit zu beachten, wonach es im freien Ermessen des Gesellschafters liegt, seine Gesellschaft (z.B. Tochter- oder Enkelgesellschaft) mit Eigenoder Fremdkapital zu finanzieren.4 Auf Basis der Finanzierungs- und Vertragsfreiheit ist es international verbundenen Unternehmen völlig freigestellt, die folgenden Finanzierungsformen einzusetzen: – Gewährung langfristiger Darlehen, – Gewährung kurzfristiger Kredite, – Gewährung von Kreditlinien, – Führung kontokorrentähnlicher Verrechnungskonten, – Gewährung von Lieferantenkrediten (Einräumung von Zahlungszielen), 1 Vgl. dazu Kaminski/Strunk, IStR 1999, 221 f.; Häuselmann, IStR 2003, 139 ff. 2 Vgl. auch Nieß in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 46. 3 Vgl. Nieß in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 46. 4 Vgl. BFH v. 8.12.1997 – GrS 1-2/95, BStBl. II 1998, 193 = FR 1998, 147; v. 5.2. 1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = FR 1992, 525.
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E. Finanzierungsleistungen
– – – – – – – –
Gewährung von Bürgschaften, Gewährung von Patronatserklärungen und sonstigen Garantien, Gewährung von Genussrechten mit Fremdkapitalcharakter, Weitergabe von Wechseln (Diskontgeschäfte), Durchführung von Wertpapierleihgeschäften, Dienstleistungen im Bereich der Forfaitierung, Dienstleistungen im Bereich des Factoring, Cash-Pooling (Cash-Management, Devisen-Management, PortfolioManagement und Forderungs-Management), – Einsatz von Finanzierungsinstrumenten (z.B. Swaps, Futures, Optionen, Termingeschäfte, Securities Lending). – Zwischen international verbundenen Unternehmen bilden die bestehenden Beteiligungen allerdings auch Einflussnahmemöglichkeiten, die es zwischen unabhängigen Unternehmen so nicht gibt. Die Einflussnahmemöglichkeiten können für sich betrachtet Sicherheiten darstellen, die es im Rahmen des Fremdvergleichs angemessen zu berücksichtigen gilt. Insoweit ist es eine Frage der steuerrechtlichen Wertung, ob von einer „Geschäftsbeziehung“ oder von einer Maßnahme auszugehen ist, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist (Rz. 6.420 ff. und 6.513 ff.). Verlautbarungen der OECD und der Finanzverwaltung. Wenngleich finanzbezogene Transaktionen in der Verrechnungspreispraxis eine erhebliche Rolle spielen und zunehmend im Fokus der Finanzbehörden stehen,1 enthalten die OECD-Leitlinien dazu nur sehr wenige Hinweise in Kap. VII zu konzerninternen Dienstleistungen. Der (wichtige und sehr praxisrelevante) Bereich der Bestimmung von angemessenen Zinssätzen wird von der OECD in diesem Zusammenhang allerdings nicht behandelt. Demgegenüber widmen die VWG 1983 der Thematik „Zinsen und ähnliche Vergütungen“ einen eigenen Abschnitt.2
6.419
II. Verrechnung von Finanzierungsleistungen dem Grunde nach 1. Notwendigkeit einer schuldrechtlichen Leistungsbeziehung Voraussetzung der Verrechnung dem Grunde nach. Bevor die Angemessenheit des Verrechnungspreises einer Finanzierungsleistung der Höhe nach geprüft werden kann, ist zunächst zu untersuchen, ob eine dem Grunde nach verrechenbare, schuldrechtliche Leistungsbeziehung zwischen den international verbundenen Unternehmen vorliegt oder ob die Finanzierungsleistung vielmehr der gesellschaftsrechtlichen Ebene zuzuordnen und somit zwischen den verbundenen Unternehmen (z.B. Mutter1 Vgl. Puls, IStR 2012, 209. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.
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6.420
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
und Tochtergesellschaft) nicht verrechenbar ist.1 Die Abgrenzungsfrage ist unter Veranlassungsgesichtspunkten zu beantworten. Dabei darf die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis nicht als ein aliud gegenüber einer betrieblichen Veranlassung verstanden werden. Ausgehend von der Vorstellung, dass Rechtsträger i.S.d. § 8 Abs. 2 KStG keine Privatsphäre haben, steht die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis neben der betrieblichen Veranlassung. Letztlich kommt es darauf an, bei welcher Veranlassung das Schwergewicht liegt.
6.421
„Patronatsurteil“ des BFH. In seinem Urt. v. 29.11.20002 hatte der BFH folgenden Sachverhalt des Streitjahres 1985 zu entscheiden: Eine in Deutschland ansässige Muttergesellschaft hatte ihrer niederländischen Tochter-Finanzierungsgesellschaft eine unbedingte und unwiderrufliche Garantieerklärung (Patronatserklärung) abgegeben. Ein Entgelt für die Gewährung der Garantie wurde indessen zwischen der Mutter- und der Tochtergesellschaft nicht vereinbart. Die Finanzverwaltung sah im Rahmen einer Betriebsprüfung in der Abgabe der Garantieerklärung eine Leistung der Muttergesellschaft, für die fremde Dritte ein Entgelt vereinbart hätten. Da zwischen der Mutter- und ihrer niederländischen Tochtergesellschaft hingegen kein Entgelt für die Einräumung der Garantieerklärung vereinbart worden war, nahm die Finanzverwaltung eine Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1 AStG vor. In Bezug auf diesen Sachverhalt hat der BFH entschieden, dass eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG a.F.3 nicht vorliegt, wenn eine inländische Muttergesellschaft ihre ausländische Tochtergesellschaft unzureichend mit Eigenkapital ausstattet und zum Ausgleich für ein funktionsgerechtes Eigenkapital zugunsten der Tochtergesellschaft unentgeltliche Stützungsmaßnahmen – im Urteilsfall durch Abgabe einer sog. „harten Patronatserklärung“ (Rz. 6.512) – getroffen werden. Denn § 1 Abs. 1 AStG erfasse nur solche Vorgänge, die als Leistungsaustausch zu qualifizieren sind und demnach nicht dem privaten Bereich zuzuordnen oder im Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind. Ein Leistungsaustausch sei auch nicht insoweit anzunehmen, als der Gesellschafter die Gewährung von Eigenkapital durch die Übernahme von Verpflichtungen zugunsten der Tochtergesellschaft ersetzt. So könne es im Zusammenhang mit § 1 AStG keinen Unterschied machen, ob die Tochtergesellschaft eine für ihr Funktions- und Risikoprofil ausreichende Kapitalausstattung erhält oder ob der Gesellschafter sie mit einem nur unzureichenden Eigenkapital ausstattet und zum Ausgleich dafür die Geschäftstätigkeit der Tochterkapitalgesellschaft durch unentgeltliche Stützungsmaßnahmen ermöglicht.4 Im Ergebnis wurde damit durch die Ga1 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 97. 2 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = FR 2001, 604. 3 Im Streitfall konnte die Frage des Vorliegens einer „Geschäftsbeziehung“ nicht auf Basis des § 1 Abs. 4 AStG beurteilt werden. Denn diese Vorschrift wurde erst durch das StÄndG v. 25.2.1992 (BGBl. I 1992, 297) in das AStG eingeführt und war erst mit Wirkung zum 1.1.1992 in Kraft getreten (§ 21 Abs. 4 Satz 2 AStG i.d.F. des StandOG). Damit galt die Vorschrift noch nicht für das Streitjahr 1985. 4 Im Ergebnis ebenso Ditz, IStR 2009, 422.
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E. Finanzierungsleistungen
rantieerklärung der Muttergesellschaft eine funktions- und risikogerechte Kapitalausstattung der Tochtergesellschaft ersetzt. Das schließt – so der BFH – die Annahme einer Geschäftsbeziehung und damit die Anwendung des § 1 AStG aus. Weiterhin konstatiert der BFH, dass die Herstellung der Kreditwürdigkeit einer Tochtergesellschaft sich „schon ihrer Natur nach“ einem Fremdvergleich entziehe, da „derartige Leistungen immer nur im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter erbracht“ werden. Aus der fehlenden Fremdvergleichbarkeit zog der BFH daher den Schluss, dass keine Geschäftsbeziehung vorliegt und demnach eine Einkünftekorrektur nach Maßgabe des Fremdvergleichs gem. § 1 AStG nicht möglich ist.1 Weitere Rechtsprechung. Die Grundsätze des Patronatsurteils v. 29.11. 20002 wurden durch die Rspr. mehrfach bestätigt. So hatte der BFH in seinem Urt. v. 27.8.20083 ebenfalls zu einem Sachverhalt der Übernahme einer Garantie von einer inländischen Muttergesellschaft gegenüber ihrer niederländischen Tochter-Finanzierungsgesellschaft zu entscheiden. Streitjahr war das Jahr 1995, in dem die mit dem StÄndG v. 25.2.19924 in § 1 Abs. 4 AStG aufgenommene Definition der Geschäftsbeziehung galt. Nach dieser Vorschrift lag (bis zum VZ 2002) eine Geschäftsbeziehung vor, wenn die den Einkünften zugrunde liegende Beziehung entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit war, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden waren oder gewesen wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen worden wäre. Der BFH hielt – trotz der Neudefinition der Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 AStG durch das StÄndG v. 25.2.1992 – an den Grundsätzen des „Patronatsurteils“ v. 29.11.20005 (Rz. 6.421) fest und bestätigte, dass mit der Übernahme einer Garantieerklärung keine Geschäftsbeziehung vorliegt. Der I. Senat knüpfte dabei unmittelbar an die Begründung seines „Patronatsurteils“ v. 29.11.2000 an. Auch die Tatsache, dass im Streitjahr 1995 mit § 1 Abs. 4 AStG i.d.F. des StÄndG v. 25.2.1992 eine konkrete Definition der Geschäftsbeziehung vorlag, führte nach Ansicht des BFH zu keiner Abweichung von den Grundsätzen des „Patronatsurteils“. Denn es sei dem Gesetzgeber durch die Klarstellung der Definition der Geschäftsbeziehung durch das StÄndG v. 25.2.1992 ausschließlich darum gegangen, auf die Rspr. des BFH zu reagieren, wonach § 1 AStG zuvor nur bei Gewinneinkünften anwendbar war.6 Durch die Ergänzung des § 1 AStG um die Definition der Geschäftsbeziehung in Abs. 4 sollte daher nur klargestellt werden, dass eine Korrektur nach dieser Vorschrift auch 1 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = FR 2001, 604; ähnlich FG BW v. 4.12.2001 – 1 K 250/99, EFG 2002, 381. 2 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = FR 2001, 604. 3 Vgl. BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123. 4 Vgl. Steueränderungsgesetz v. 25.2.1992, BGBl. I 1992, 297. 5 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = FR 2001, 604. 6 Vgl. dazu BFH v. 5.12.1990 – I R 94/88, BStBl. II 1991, 287; v. 5.12.1990 – I R 28/90, BFH/NV 1991, 654.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
bei Überschusseinkünften in Betracht kommt.1 Der BFH folgte damit der h.M. der Literatur, wonach die Rechtsgrundsätze des „Patronatsurteils“ durch die Einfügung der Definition der Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 AStG i.d.F. des StÄndG 1992 nicht berührt wurden.2 Schließlich wurden die Grundsätze des „Patronatsurteils“ durch zwei weitere Entscheidungen des BFH v. 29.4.20093 auch im Hinblick auf zinslose und unbesicherte Darlehen bzw. unverzinsliche Lieferkredite bestätigt. Auch in diesen Fällen kommt nach Ansicht des BFH eine Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG nicht in Betracht, wenn die begünstigte Gesellschaft mangels ausreichender Eigenkapitalausstattung ohne die Kredite die ihr zugedachten unternehmerischen Funktionen nicht hätte erfüllen können.
6.423
Nichtanwendungserlass v. 17.10.2002. Die Finanzverwaltung hat auf das „Patronatsurteil“ v. 29.11.20004 mit einem Nichtanwendungserlass reagiert.5 Danach waren nach Ansicht der Finanzverwaltung die Grundsätze des Urteils über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Denn es soll nach § 1 Abs. 1 AStG nicht darauf ankommen, ob eine Geschäftsbeziehung betrieblich oder gesellschaftsrechtlich veranlasst ist bzw. welche betrieblichen oder gesellschaftsrechtlichen Interessen ihr zugrunde liegen. Schuldrechtliche Beziehungen der Mutter- zu ihrer Tochtergesellschaft verlieren – so die Ansicht der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben v. 17.10.2002 – auch deshalb ihre Eigenschaft als Geschäftsbeziehungen, weil sie betriebswirtschaftlich einen eigenkapitalersetzenden Zweck verfolgen. Entscheidet sich eine inländische Muttergesellschaft dafür, ihre ausländische Tochtergesellschaft nicht hinreichend mit Eigenkapital auszustatten und sie als Ausgleich für fehlende Eigenmittel auf schuldrechtlicher Basis durch Übernahme verbindlicher Garantien oder durch die Überlassung von Fremdkapital zu stützen, handele es sich bei den Leistungen der Muttergesellschaft um eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 AStG, die fremdüblich abzurechnen sei.6 Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Finanzverwaltung die Konsequenzen ihrer eigenen Rechtsauffassung zutreffend bedacht hat. Dazu sollte man an die Möglichkeit denken, dass die Muttergesellschaft aus ihrer Patronatserklärung in Anspruch genommen wird. Es ist die Konsequenz der Auffassung der Finanzverwaltung, dass entsprechende Zahlungen der Muttergesellschaft als Betriebsausgaben absetzbar sind. Im Zweifel will die Finanzver-
1 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drucks. 12/1108; Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/1368, jeweils Begründung zu Art. 13 Nr. 1. 2 Vgl. Wassermeyer, IStR 2001, 319 f.; Ammelung, IStR 2003, 252; FG BW v. 4.12. 2001 – 1 K 250/99, EFG 2002, 381; FG Münster v. 24.8.2006 – 6 K 2655/03 E, EFG 2007, 92, rkr. 3 Vgl. BFH v. 29.4.2009 – I R 88/08, nv.; v. 29.4.2009 – I R 26/08, BFH/NV 2009, 1648. 4 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = FR 2001, 604. 5 Vgl. BMF v. 17.10.2002 – IV B 4 - S 1341 - 14/02, BStBl. I 2002, 1025. 6 Vgl. BMF v. 17.10.2002 – IV B 4 - S 1341 - 14/02, BStBl. I 2002, 1025 Rz. 2.
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E. Finanzierungsleistungen
waltung diese Konsequenz nicht ziehen, was jedoch nur die Fragewürdigkeit der von ihr vertretenen Rechtsauffassung belegt. BMF-Schreiben v. 12.1.2010. Mit dem BMF-Schreiben v. 12.1.20101 werden die Regelungen des BMF-Schreiben v. 17.10.2002 aufgehoben. Als Grund wird von der Finanzverwaltung das zwischenzeitlich ergangene BFH-Urt. v. 27.8.20082 genannt. In diesem Urteil hat der BFH bestätigt, dass keine Geschäftsbeziehung vorliegt, wenn die Tochtergesellschaft eine Garantie (konkret eine harte Patronatserklärung) von der Muttergesellschaft erhält, wobei die Tochtergesellschaft mangels ausreichender Eigenkapitalausstattung ohne diese Garantie ihre Funktion als Finanzierungsgesellschaft nicht hätte erfüllen können. Das BMF schließt sich nunmehr der Auffassung des BFH an und verfügt, dieses Urteil für VZ vor 2003 „auf alle offenen Fälle anzuwenden, in denen eine inländische Konzernobergesellschaft ihrer ausländischen Tochtergesellschaft eigenkapitalersetzende Stützungsmaßnahmen gewährt, z.B. eine sog. harte Patronatserklärung.“ Man mag hier zwar zweifeln, ob die Eingrenzung auf Tochtergesellschaften gerechtfertigt ist, hat doch der BFH auch die analoge Anwendung auf Enkelgesellschaften entschieden.3 Es sind indessen keine Gründe ersichtlich, warum die im BMF-Schreiben v. 12.1.2010 dargestellte Auffassung der Finanzverwaltung bei nachgeordneten Gesellschaften (z.B. Enkelgesellschaften) nicht gelten sollte. Gleichwohl ist die hier vorgenommene Klarstellung durch das BMF positiv zu bewerten, weil dadurch das „Ping-Pong-Spiel zwischen BFH und BMF“4 über die Behandlung von Stützungsmaßnahmen beendet wird. Zudem wird in dem BMF-Schreiben herausgearbeitet, dass seine Regelungen nicht nur bei ausländischen Finanzierungsgesellschaften, sondern generell gegenüber ausländischen Tochtergesellschaften gelten.
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Gewährung zinsloser oder zinsbegünstigter Darlehen. Die Frage der Qualifikation als Geschäftsbeziehung ist allerdings nicht nur bei Patronatserklärungen und vergleichbaren eigenkapitalersetzenden Stützungsmaßnahmen (Rz. 6.513 ff.) relevant, sondern auch bei der Gewährung zinsloser oder zinsgünstiger Darlehen an die ausländische Tochtergesellschaft. So wurde noch in dem ursprünglichen BMF-Schreiben v. 17.10.2002 die Gewährung solcher Darlehen als Geschäftsbeziehung qualifiziert.5 Nunmehr wird diese Auffassung zu Recht aufgegeben. Dabei findet sich allerdings eine Einschränkung. Demnach wird eine Geschäftsbeziehung verneint, „soweit Fälle der Gewährung zinsloser oder zinsgünstiger Darlehen durch eine inländische Obergesellschaft an ihre ausländische Tochtergesellschaft betroffen sind, wenn die Gewährung solcher Darlehen zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung führt, weil eine
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1 Vgl. BMF v. 12.1.2010 – IV B 5 - S 1341/07/10009 – DOK 2010/0002173, BStBl. I 2010, 34. 2 Vgl. BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123. 3 Vgl. BFH v. 29.4.2009 – I R 88/08, nv. 4 Herlinghaus, EFG 2007, 93. 5 BMF v. 17.10.2002 – IV B 4 - S 1341 - 14/02, BStBl. I 2002, 1025 Rz. 2.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
(verdeckte) Zuführung von Eigenkapital vorliegt.“1 Mit dieser Aussage ist das BMF-Schreiben in zweierlei Hinsicht nicht überzeugend: – Es ist nicht nachvollziehbar, warum das BMF für die Gewährung zinsloser Darlehen auf das BFH-Urt. v. 27.8.20082 abstellt. In dem diesem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um die Abgabe einer Patronatserklärung zugunsten der Tochtergesellschaft, hingegen nicht um eine unentgeltliche Darlehensgewährung. In der Zwischenzeit wurden jedoch zahlreiche finanzgerichtliche Urteile gefällt, die sich speziell mit der Fragestellung der Gewährung von zinslosen Darlehen auseinander gesetzt haben.3 Diese Urteile werden jedoch in dem BMFSchreiben v. 12.1.2010 nicht erwähnt und damit ihre Schlussfolgerungen nicht berücksichtigt. – Die Gewährung zinsloser Darlehen soll nur dann nicht als Geschäftsbeziehung anerkannt werden, wenn das Darlehen zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung führt, weil eine (verdeckte) Zuführung von Eigenkapital vorliegt. Mit dieser Einschränkung scheint die Finanzverwaltung bestrebt zu sein, ihre – nicht überzeugende – Argumentation aufrecht zu halten, dass die darlehensweise Zuführung von Finanzierungsmitteln nur dann außerhalb einer Geschäftsbeziehung erfolge, wenn sie sich aus Sicht des maßgeblichen Gesellschaftsrechts als Zuführung von Eigenkapital darstellte. Der BFH hat diese Auffassung der Finanzverwaltung jedoch in seinen Urt. v. 27.8.2008 und v. 29.4.2009 ausdrücklich verworfen.4 Vielmehr stellt er klar, dass solche eigenkapitalersetzenden Finanzierungsmaßnahmen im Hinblick auf die Anwendung von § 1 AStG der Zuführung von Eigenkapital gleichzustellen sind; daraus folgt jedoch nicht, diese Maßnahmen steuerlich auch als Eigenkapital zu behandeln. Die Intention der Finanzverwaltung mit dieser Einschränkung mag zwar nachvollziehbar sein: Unterliegt das gewährte Darlehen einer Wertminderung, so reduziert die Abschreibung des Darlehens den steuerlichen Gewinn der Muttergesellschaft.5 Bei einer Qualifikation als Eigenkapital käme dagegen § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG zur Anwendung, wonach die Wertminderung bei der Gewinnermittlung der Muttergesellschaft nicht berücksichtigt würde. Die Finanzverwaltung möchte also steuerwirksame Abschreibungen auf diese zinslosen Darlehen verhindern. Allerdings steht diese Auffassung im klaren Widerspruch zu den einschlägigen BFH1 BMF v. 12.1.2010 – IV B 5 - S 1341/07/10009 – DOK 2010/0002173, BStBl. I 2010, 34. 2 Vgl. BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123. 3 Vgl. BFH v. 29.4.2009 – I R 88/08, nv.; v. 29.4.2009 – I R 26/08, BFH/NV 2009, 1648; FG München v. 17.7.2009 – 2 K 2798/06, EFG 2010, 22; FG BW v. 18.3.2009 – 5 K 118/09, DStZ 2009, 830; FG Münster v. 24.8.2006 – 6 K 2655/03 E, EFG 2007, 92, rkr. 4 Vgl. BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123; v. 29.4.2009 – I R 26/08, BFH/NV 2009, 1648; v. 29.4.2009 – I R 88/08, nv. 5 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818. Erst seit dem VZ 2008 reduzieren Wertminderungen bei Darlehen den steuerlichen Gewinn nicht mehr, vgl. § 8b Abs. 3 Sätze 4–8 KStG i.d.F. des JStG 2008.
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E. Finanzierungsleistungen
Entscheidungen. Weitere Rechtsbehelfsverfahren und finanzgerichtliche Entscheidungen werden somit zu erwarten sein. Im Übrigen ist ab dem VZ 2008 § 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG zu beachten (Rz. 6.471 ff.). Neufassung des § 1 Abs. 4 AStG im Jahr 2003. Mit Neufassung des § 1 Abs. 4 AStG durch das StVergAbG v. 16.5.20031 sind die Grundsätze des „Patronatsurteils“ und des BMF-Schreiben v. 12.1.2010 legislativ überholt. Nach § 1 Abs. 4 AStG i.d.F. des StVergAbG v. 16.5.2003 ist eine Geschäftsbeziehung „jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist und entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 des Einkommensteuergesetzes anzuwenden sind oder im Fall eines ausländischen Nahestehenden anzuwenden wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde.“ Mit dieser Neufassung der Definition der Geschäftsbeziehung, die erstmals für den VZ 2003 anzuwenden ist,2 will der Gesetzgeber klarstellen, dass eine nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs zu würdigende Geschäftsbeziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und einem ihm Nahestehenden immer dann anzunehmen ist, wenn es sich um eine auf schuldrechtlichen Vereinbarungen beruhende Beziehung handelt. Infolgedessen soll es für das Bestehen einer Geschäftsbeziehung ohne Bedeutung sein, ob sie nur betrieblich oder auch durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist bzw. inwieweit ihr auch gesellschaftliche Interessen zugrunde liegen.3 Folglich sind nach der Gesetzesbegründung verbindliche Kreditgarantien, zinslose oder zinsgünstige Darlehen sowie die unentgeltliche oder teilentgeltliche Gewährung anderer Leistungen einer inländischen Mutter- an ihre ausländische Tochtergesellschaft als „Geschäftsbeziehungen“ zu qualifizieren, unabhängig davon, ob sie fehlendes Eigenkapital der Tochtergesellschaft ersetzen oder die wirtschaftliche Betätigung dieser Gesellschaft stärken sollen.4 Bedenklich ist allerdings, dass die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung voraussetzen soll.
6.426
Finanzierungsunterstützung als Geschäftsbeziehung. In diesem Zusammenhang werden in der Literatur zu Recht Zweifel geäußert, ob notwendige Stützungsmaßnahmen einer Muttergesellschaft überhaupt als tatbestandliche Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 AStG qualifiziert werden können.5 Zu einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG kann es nämlich nur dann kommen, wenn eine schuldrechtliche Beziehung, d.h. keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung, vorliegt. Unzweifelhaft kann daher die Zuführung von Nominalkapital an eine ausländische
6.427
1 Vgl. Steuervergünstigungsabbaugesetz v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 2 Vgl. § 21 Abs. 11 Satz 1 AStG. 3 Vgl. Begründung zur Neufassung des § 1 Abs. 4 AStG, BT-Drucks. 15/119 v. 2.12.2002, 53. 4 Vgl. BT-Drucks. 15/119, 53; Rödder/Schumacher, DStR 2003, 817. 5 Vgl. Rehm/Nagler, IStR 2008, 422 m.Verw. auf die Entscheidung des FG Düsseldorf v. 19.2.2008 – 17 K 894/05 E, IStR 2008, 449.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Tochtergesellschaft in Form einer gesellschaftsrechtlichen Einlage keine Geschäftsbeziehung begründen. Darüber hinaus ist denkbar, dass bestimmte Finanzierungsinstrumente im Konzern auch weiterhin nicht als Geschäftsbeziehung qualifiziert werden können, wenn insoweit keine schuldrechtliche Beziehung begründet wird. Dies gilt z.B. für die Gewährung von Garantien und Bürgschaften sowie für die Vereinbarung von Patronaten (Rz. 6.513 ff.).
6.428
Änderung des § 1 Abs. 4 AStG im Jahr 2013. Durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013 wurde § 1 Abs. 4 AStG ab dem Veranlassungszeitraum 20131 erneut geändert.2 Nach § 1 Abs. 4 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013 sind Geschäftsbeziehungen zum einen „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle) zwischen einem Steuerpflichtigen und einer nahestehenden Person“, die – sofern sich der Geschäftsvorfall im Inland ereignet oder ereignen würde – zu einer Tätigkeit i.S.d. §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG rechnen würde (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) AStG), und die nicht aufgrund einer gesellschaftsvertraglichen Regelung erfolgen (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) AStG). Damit löst sich der Gesetzgeber – vor dem Hintergrund der in § 1 Abs. 5 AStG n.F. vorgesehenen Anwendung des § 1 AStG auch bei Betriebsstätten3 – im Hinblick auf die Definition der Geschäftsbeziehung vom Begriff der schuldrechtlichen Beziehung und ersetzt ihn durch den Begriff des „wirtschaftlichen Vorgangs“. Infolgedessen stellt sich die Frage, ob Veranlassungsgesichtspunkte bei der Auslegung des Begriffs der Geschäftsbeziehung nunmehr keine Bedeutung mehr haben, da ggf. auch vGA und weitere denkbare Formen der Einkommensverwendung „wirtschaftliche Vorgänge“ und damit – ab dem Veranlagungszeitraum 2013 – auch Geschäftsbeziehungen darstellen können. Dies kann indessen nicht sachgerecht sein, da – bereits nach internationalen Grundsätzen – die betrieblich veranlasste Leistungsbeziehung von einem durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Vorgang streng zu trennen ist. Infolgedessen steht die sehr weite Definition der Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 AStG n.F. auch nicht im Einklang mit Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Denn dieser bezieht sich ausdrücklich auf „kaufmännische oder finanzielle Beziehungen“, welche nach Auffassung der OECD sowie der h.M.4 eine nicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Beziehung voraussetzt.5
1 Vgl. § 21 Abs. 20 Satz 3 AStG n.F. 2 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften, BGBl. I 2013, 1809. Vgl. dazu im Einzelnen Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917. 3 Vgl. dazu Ditz, ISR 2013, 261 ff. m.w.N. 4 Vgl. zu Einzelheiten Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 43 ff. 5 Zur Kritik an der Neudefinition der Geschäftsbeziehung nach § 1 Abs. 4 AStG n.F. vgl. im Einzelnen Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1918; Ditz, StbJb 2012/2013, 438 f.
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E. Finanzierungsleistungen
2. Voraussetzung einer „ernstgemeinten“ Darlehensgewährung Prüfungskriterien. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist bei Finanzierungsleistungen zunächst (dem Grunde nach) zu prüfen, ob eine „ernstgemeinte Darlehensgewährung“1 oder eine verdeckte Einlage bzw. eine vGA vorliegt. Nur bei einer solchen „ernstgemeinten Darlehensgewährung“ erkennt die Finanzverwaltung die Verrechnung von Zinsen an. Eine (zinsrelevante) Darlehensgewährung liegt unzweifelhaft immer dann vor, wenn ein Darlehensvertrag abgeschlossen wurde, in welchem die üblichen Abreden (z.B. Verzinsung, Laufzeit, geltendes Recht) enthalten sind. Die steuerliche Anerkennung eines Darlehensverhältnisses kann allerdings nicht daran scheitern, dass ein unvollständiger Darlehensvertrag vorliegt, in welchem einzelne Kriterien des Fremdvergleichs nicht geregelt sind (wie z.B. Verzicht auf die Vereinbarung von Sicherheiten oder detaillierte Regelungen der Tilgung des Darlehens). Auch nach Auffassung des BFH können die einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs, dem die Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen zu unterziehen sind, nicht im Sinne von absoluten Tatbestandsvoraussetzungen verstanden werden. Sie sind vielmehr indiziell zu würdigen, ob sie in ihrer Gesamtschau als Darlehensverhältnis auszulegen sind. Vor diesem Hintergrund kann auch ein unvollständiger Darlehensvertrag zwischen verbundenen Unternehmen nicht zwangsläufig in eine Zuführung von Eigenkapital umgedeutet werden.2 Im Übrigen ist eine Darlehensgewährung auch dann steuerrechtlich anzuerkennen, wenn im Einzelfall aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen die Zuführung von Gesellschaftskapital angezeigt gewesen wäre. Demnach sind auch eigenkapitalersetzende Darlehen sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz weiterhin als Fremdkapital zu passivieren und können steuerrechtlich nicht in Eigenkapital umgedeutet werden.3 Die Passivierungspflicht endet auch bei eigenkapitalersetzenden Darlehen erst dann, wenn der Gesellschafter auf das Darlehen verzichtet (Rz. 6.502 ff.) hat.4 Auch auf der Grundlage des § 42 AO kommt eine steuerrechtliche Umqualifizierung von eigenkapitalersetzenden Darlehen in Eigenkapital nicht in Betracht.5
6.429
Absicht der Gewährung eines Darlehens. Im Ergebnis kommt es neben den objektiven Gegebenheiten (insbesondere Abschluss eines Darlehensvertrages mit Rückzahlungsvereinbarung) vor allem auf die erkennbare Absicht an, einem verbundenen Unternehmen ein Darlehen zu gewähren und eben nicht (verdeckt) Eigenkapital zuzuführen. Eine solche Absicht kann auch dann gegeben sein, wenn nicht alle Kriterien eines typischen Darlehensvertrages im Einzelnen erfüllt sind. Insbesondere können auch
6.430
1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.1. 2 Vgl. BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482; Gosch, StBp 1998, 166 f. 3 Vgl. BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = FR 1992, 525. 4 Vgl. dazu insbesondere BMF v. 2.12.2003 – IV A 2 - S 2743 - 5/03, BStBl. I 2003, 648. 5 Vgl. auch BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = FR 1992, 525.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
fehlende Vereinbarungen über die Gewährung von Sicherheiten oder Tilgungsmodalitäten nicht zwangsläufig dazu führen, dass eine Finanzierungsmaßnahme als Eigenkapital qualifiziert wird. Vielmehr ist auf Grund aller Indizien des Einzelfalles zu prüfen, ob das Fehlen einzelner Kriterien eines Darlehensverhältnisses einen Rückschluss auf eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis bzw. eine nicht ernstlich vereinbarte Darlehensgewährung zulässt. Insbesondere die Gewährung von Sicherheiten ist dabei keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Darlehensverhältnisses zwischen verbundenen Unternehmen. So hat auch der BFH in Bezug auf eine vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG entschieden, dass die Besicherung des Darlehensanspruchs in einem Konzern schon durch die Einflussnahmemöglichkeiten des beherrschenden Gesellschafters bei der Tochtergesellschaft gegeben ist (Rz. 6.482 ff.).1
6.431
Betriebliche Notwendigkeit des Darlehens. Nach dem Grundsatz der Finanzierungsfreiheit (Rz. 6.418) steht es dem Gesellschafter frei, seine Kapitalgesellschaft mit Eigen- oder Fremdkapital zu finanzieren.2 Soweit keine betriebliche Notwendigkeit besteht, der Kapitalgesellschaft Fremdkapital zuzuführen, da sie selbst über ausreichend Zahlungsüberschüsse verfügt, kann der Abzug von Zinsen als Betriebsausgaben gegebenenfalls in Zweifel gezogen werden. Denn insofern ist fraglich, ob die entsprechenden Zinsaufwendungen tatsächlich auf Ebene der Kapitalgesellschaft betrieblich veranlasst sind (§ 4 Abs. 4 EStG) oder ob eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung besteht. Denn es ist zweifelhaft, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter der Kapitalgesellschaft Fremdkapital aufnehmen würde, wenn dafür keine konkrete betriebliche Notwendigkeit besteht und insbesondere ausreichend Eigenkapital zur Verfügung steht.
6.432
Vereinbarung im Vorhinein. Da der Gesellschafter grundsätzlich ein Wahlrecht hat, seine Gesellschaft entweder mit Eigen- oder Fremdkapital zu finanzieren, verlangen sowohl der BFH3 als auch die Finanzverwaltung4 zur Anerkennung des Betriebsausgabenabzugs für Zinsen im Rahmen der Gewährung von Darlehen oder sonstigem Fremdkapital das Vorliegen von im Vorhinein getroffenen klaren und eindeutigen Vereinbarungen. Dies gilt nicht nur für Darlehensverträge zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft, sondern allgemein für die Darlehensgewährung zwischen verbundenen Unternehmen. Selbst wenn hierzu grundsätzlich keine zivilrechtliche Verpflichtung besteht, sollte nicht zuletzt zur Erfüllung der erweiterten Mitwirkungspflichten des § 90 Abs. 2 AO und der Dokumen1 Vgl. BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482; v. 21.12. 1994 – I R 65/94, FR 1995, 476 = DB 1995, 1312; s. auch Hoffmann, GmbH-StB 2008, 155. 2 Vgl. BFH v. 8.12.1997 – GrS 1-2/95, BStBl. II 1998, 193 = FR 1998, 147; v. 5.2. 1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = FR 1992, 525. 3 Vgl. etwa BFH v. 3.11.1976 – I R 98/75, BStBl. II 1977, 172. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.4.1.
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E. Finanzierungsleistungen
tationspflichten des § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV ein schriftlicher Darlehensvertrag abgeschlossen werden. In Abkommensfällen ist allerdings die Rspr. der Finanzgerichte zu beachten.1 Danach entfaltet Art. 9 Abs. 1 OECD-MA (präziser: die Art. 9 OECD-MA nachgebildete, einschlägige Abkommensnorm) in den Fällen eine Sperrwirkung gegenüber § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, in denen eine Einkünftekorrektur auf rein formale Beanstandungen gestützt wird.2 Wurde vor diesem Hintergrund – auch ohne schriftlichen Darlehensvertrag – Fremdkapital gewährt und dieses fremdüblich abgerechnet und auch als solches handels- und steuerbilanziell zutreffend ausgewiesen, steht einer Einkünftekorrektur aus rein formalen Gesichtspunkten Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entgegen.3 Keine schriftliche Vereinbarung bei Warenkrediten. Eine Ausnahme von der allgemeinen Forderung der Finanzverwaltung nach einer schriftlichen Darlehensvereinbarung im Vorhinein gilt für den Lieferungs- und Leistungsverkehr.4 So bedarf es bei Zinsen auf Forderungen aus Lieferungen und Leistungen keines Abschlusses eines schriftlichen Vertrages im Vorhinein. Vielmehr gelten die gleichen formalen Anforderungen wie bei Geschäften zwischen unabhängigen Dritten, d.h. die Angabe eines Zahlungsziels auf der Ausgangsrechnung (oder vergleichbaren Dokumenten) ist völlig ausreichend.
6.433
III. Ermittlung fremdüblicher Zinssätze 1. Maßgebende Verhältnisse Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Hat die Verrechnung von Finanzierungsleistungen dem Grunde nach zu erfolgen, d.h. erfolgt die Gewährung von Darlehen oder Krediten auf schuldrechtlicher und nicht gesellschaftsrechtlicher Ebene, ist in einem nächsten Schritt ein angemessener Zinssatz für die Gewährung des Darlehens oder Kredites zu ermitteln. Als Prüfungsmaßstab ist in diesem Zusammenhang der Grundsatz des Fremdvergleichs heranzuziehen. Dabei kommt zur Ermittlung fremdüblicher Zinssätze in der Verrechnungspreispraxis i.d.R. die Preisvergleichsmethode (Rz. 6.442) zur Anwendung.
6.434
Verhältnisse im Zeitpunkt der Kreditgewährung. Im Rahmen der Ermittlung fremdüblicher Zinssätze für die Gewährung von Darlehen oder Krediten stellt sich die Frage, welcher Zeitpunkt heranzuziehen ist. Nach dem Grundsatz der Ex-ante-Betrachtung ist regelmäßig von den Verhält-
6.435
1 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz; FG Köln v. 22.8. 2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161; FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190. 2 Zu Einzelheiten vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 19 ff.; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353 ff.; Rasch, IWB 2012, 198 ff. 3 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 98. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.4.1.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nissen im Zeitpunkt der Darlehens- oder Kreditgewährung auszugehen.1 Infolgedessen kann die Finanzverwaltung nicht im Rahmen einer (nachgelagerten) Betriebsprüfung auf Grund neuerer Erkenntnisse im Rahmen einer Ex-post-Betrachtung von anderen Verhältnissen am Kapitalmarkt ausgehen und darauf aufbauend Zinskorrekturen durchführen. Die Finanzverwaltung fordert indessen zu prüfen, „ob bei mittel- oder langfristigen Krediten Schwankungen im Zinsniveau in der unter Fremden üblichen Weise Rechnung getragen ist (z.B. durch Kündigungs- oder Zinsanpassungsklauseln).“2 Diese Regelung der VWG 1983 darf allerdings nicht so verstanden werden, dass die Finanzverwaltung prinzipiell solche Anpassungsklauseln für mittel- oder langfristige Darlehen fordern darf. Entsprechende vertragliche Regelungen sind folglich nicht zwingend; vielmehr ist gem. Tz. 4.2.5. VWG 1983 lediglich zu prüfen, ob fremde Dritte bei mittel- oder langfristigen Krediten3 derartige Klauseln vereinbart hätten.4 Denn auch am Kapitalmarkt werden mittel- und langfristige Darlehen zu variablen oder festen Zinssätzen angeboten, wobei bei festen Zinssätzen von den Banken üblicherweise ein Aufgeld für entsprechende Zinsänderungsrisiken verlangt wird.
6.436
Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist in Anwendung der Preisvergleichsmethode „Fremdpreis der Zins, zu dem Fremde unter vergleichbaren Bedingungen den Kredit am Geldoder Kapitalmarkt gewährt hätten.“ Dabei sei „von den Zinssätzen auszugehen, zu denen Banken unter vergleichbaren Verhältnissen Kredite gewähren (Sollzins).“5 Diese Regelung verkennt, dass die Bankfinanzierung einerseits und die Konzernfinanzierung andererseits unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen. Verbundene Unternehmen handeln nicht als Banken und sind daher auch nicht gehalten, den bankspezifischen Geschäftserfolg anzustreben. Während Banken das Ziel verfolgen, aus der gewerblichen Geldanlage einen Gewinn zu erwirtschaften, hat die Konzernfinanzierung die Absicht, Liquidität im Konzern aufzunehmen und weiterzuleiten, damit die einzelnen Konzerngesellschaften ihre eigene unternehmerische Zielsetzung im Interesse der gesamten Unternehmensgruppe verfolgen können.6 Bei Darlehensgewährungen im internationalen Konzern steht somit nicht der Geldanlagecharakter, sondern die Investitionsentscheidung im Vordergrund. Darüber hinaus unterliegen Banken regulatorischen Pflichten (z.B. Mindestreserve, KWG, Basel II), welche im 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.2.5. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.2.5. Satz 2. 3 Mittel- und langfristige Kredite sollten bei einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten vorliegen. Vgl. dazu auch Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. O 25. 4 Vgl. auch Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 4.2.5. VWG. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.2.1. 6 Vgl. auch Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 4.2.1. VWG.
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E. Finanzierungsleistungen
Konzern keine Rolle spielen. Die Zinskonditionen von Banken können daher nicht alleine als Angemessenheitskriterium für Finanzierungskonditionen im internationalen Konzern herangezogen werden; vielmehr dienen sie lediglich als Anhaltspunkt für die Angemessenheit eines Zinssatzes.1 Vor diesem Hintergrund relativieren auch die VWG 1983 ihre in Tz. 4.2.1. getroffene Grundaussage der Verwendung von sog. Vollzinssätzen der Banken, indem für die Festsetzung von konzerninternen Zinssätzen alle „Umstände des Einzelfalls“ zu berücksichtigen sind.2 Parameter der Bestimmung fremdüblicher Zinssätze. Im Rahmen der einzelfallbezogenen Bestimmung von fremdüblichen Zinssätzen sind nach Ansicht der Finanzverwaltung insbesondere3 die folgenden Gesichtspunkte zu beachten:4 – Kredithöhe und Laufzeit, – Art und Zweck des Kredits, – Sicherheiten und Kreditwürdigkeit des Schuldners (unter Berücksichtigung von Sonderkonditionen, die auch Fremde dem Schuldner im Hinblick auf dessen Zugehörigkeit zum Konzern einräumen würden), – die Kreditwährung, die Wechselkursrisiken und -chancen und etwaige Versicherungskosten, – bei durchgeleiteten Krediten die Refinanzierungskosten, – sonstige Umstände der Kreditgewährung, insbesondere die Verhältnisse auf den Kapitalmärkten. Außerdem ist hinsichtlich der Bestimmung eines angemessenen Zinssatzes bei mittel- und langfristigen Krediten zu berücksichtigen, ob über die Laufzeit ein variabler oder fester Zins vereinbart wird. Bei variablen Zinsvereinbarungen verlangen Banken i.d.R. geringere Zinssätze als bei fixen Zinsvereinbarungen, da bei variablen Zinsvereinbarungen der Darlehensnehmer das Zinsänderungsrisiko trägt.
6.437
Gewährung von Sicherheiten. Nach Auffassung der Finanzverwaltung in Tz. 4.2.2. VWG 1983 sollen im Rahmen der Ermittlung angemessener Zinssätze für die Gewährung von Darlehen auch die Kreditwürdigkeit des Schuldners und ggf. bestehende Sicherheiten Berücksichtigung finden. Diese Auffassung kann insofern nicht überzeugen, als es im Konzern (zumindest im Verhältnis einer Ober- zu einer Untergesellschaft) auf die Gewährung von Sicherheiten und die Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers nicht ankommt.5 Denn die darlehensgebende Konzernobergesell-
6.438
1 Gl.A. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 1179. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.2.2. 3 Durch die Verwendung von „insbesondere“ wird deutlich, dass es sich insoweit nicht um eine abschließende Aufzählung handelt. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.2.2. 5 Zu Einzelheiten vgl. auch Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 713; Schmidt, NWB 2009, 1987.
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schaft hat direkten Einfluss auf die Kapitalstruktur und damit die Kreditwürdigkeit der darlehensnehmenden Untergesellschaft. So hat auch der BFH in Bezug auf vGA entschieden, dass die Besicherung des Darlehensanspruchs in einem Konzern schon durch die Einflussnahmemöglichkeiten des beherrschenden Gesellschafters bei der Tochtergesellschaft gegeben ist.1 Dabei ist es unerheblich, dass die Rückzahlung des Darlehens nicht in einem Maße sichergestellt werden kann, wie es von einem fremden Dritten üblicherweise zur Voraussetzung der Darlehenshingabe gemacht worden wäre.2 Denn eine Besicherung von Darlehensforderungen zwischen Kapitalgesellschaften, die demselben Konzern angehören, ist unüblich, da die Konzernbeziehung für sich gesehen eine Sicherheit darstellt.3 Außerdem besitzt bei einer Darlehensgewährung von der Mutteran die Tochtergesellschaft die Muttergesellschaft kraft Gesellschafterstellung als „quasi-Sicherheit“ die Gesellschaftsanteile an der Tochtergesellschaft, die im Zweifel weitergehende Sicherungseigenschaften besitzen als andere Sicherheiten.4 Der BFH wertet damit die gesellschaftsrechtliche Beherrschung der Tochtergesellschaft als Komponente des nicht verrechenbaren „Rückhalts im Konzern“ (vgl. Rz. 6.484 ff.). Dieser Auffassung folgt auch die Finanzverwaltung in ihrem Schreiben v. 29.3.2011.5 Vor diesem Hintergrund kommt bei Darlehen an Tochtergesellschaften als angemessener Zins nur derjenige in Betracht, der für besicherte Darlehen gilt. Folglich ist nach der Rspr. des BFH die fehlende Besicherung von Darlehen an verbundene Unternehmen „mit dem Fremdvergleich vereinbar.“6 Damit liegt bei einer fehlenden Besicherung eines gruppeninternen Darlehens einer Ober- an eine Untergesellschaft keine fremdunübliche Bedingung vor. 2. Bandbreitenbetrachtung zur Ermittlung fremdüblicher Zinssätze
6.439
Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters. Die VWG 1983 relativieren in Tz. 4.2.2. ihre in Tz. 4.2.1. aufgestellte Forderung, bei der Angemessenheitsprüfung von Sollzinssätzen der Banken auszugehen. In diesem Zusammenhang wird klargestellt, dass die Umstände des Einzelfalls es notwendig machen können, auch andere Zinssätze als die Sollzinssätze heranzuziehen, sofern dies fremdüblich ist. Im Ergebnis läuft dies auf die Ermittlung eines angemessenen Zinssatzes über eine Bandbreitenbetrachtung hinaus. Insofern ist – entsprechend der Theorie des doppelten ordent1 Vgl. BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482; v. 21.12. 1994 – I R 65/94, FR 1995, 476 = DB 1995, 1312; siehe ferner BFH v. 6.3.2003 – IV R 21/01, DStRE 2003, 1372; Hoffmann, GmbH-StB 2008, 155. 2 Vgl. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 4234/03, DStRE 2008, 931. 3 So explizit BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482 unter II.3.d der Entscheidungsgründe. 4 Vgl. auch Löwenstein/Maier, BB 1998, 1690. 5 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 11. 6 BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, FR 1995, 476 = DB 1995, 1312 unter II.B.4. der Entscheidungsgründe; Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 713.
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lichen Geschäftsleiters – zu berücksichtigen, dass neben der darlehensgebenden Konzerngesellschaft auch der ordentliche Geschäftsleiter der darlehensaufnehmenden Konzerngesellschaft Berücksichtigung finden muss.1 Vor diesem Hintergrund kann sich der konzerninterne Zinssatz keinesfalls nur einseitig am Sollzinssatz orientieren (Rz. 6.441). Vielmehr ermittelt er sich innerhalb eines Zinsbandes, d.h. der Bandbreite zwischen Soll- und Haben-Zinssatz. Dies läuft im Ergebnis auf die Ermittlung eines Einigungsbereiches i.S. eines hypothetischen Fremdvergleichs gem. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG hinaus, wonach im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs durch die Simulation eines Preisbildungsprozesses der Mindestpreis des Leistenden (hier: Darlehensgeber) und der Höchstpreis des Leistungsempfängers (hier: Darlehensnehmer) zu ermitteln ist.2 Dabei ist die Bestimmung eines angemessenen Zinssatzes auf der Ober- bzw. Untergrenze des Einigungsbereiches jedenfalls ohne Begründung nicht zulässig. Dies ergibt sich auch aus Tz. 2.1.9 VWG 1983, wonach ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter die schematische Orientierung eines Preises an der Ober- bzw. Untergrenze der Bandbreite nicht hinnehmen würde, sondern im Interesse seines Unternehmens auf eine ausgewogene Preisgestaltung (hier: Bestimmung eines fremdüblichen Zinssatzes) bedacht wäre.3 Auch nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG ist hinsichtlich der Aufteilung des Einigungsbereiches zu beachten, dass der Preis dem Einigungsbereich zugrunde zu legen ist, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht. Auch insofern ist gesetzlich keine schematische Festlegung an der Unter- bzw. Obergrenze der Zinsbandbreite vorgesehen. Zinsurteile des BFH. Die Zinsbandbetrachtung entspricht auch der Rspr. des BFH. So sind nach Auffassung des BFH die banküblichen Habenzinsen als Untergrenze und die banküblichen Sollzinsen als Obergrenze für angemessene Zinsen zu beachten. Nach Auffassung des BFH haben sich dabei „im Zweifel“ Darlehensgläubiger und Darlehensschuldner die Spanne zwischen banküblichen Haben- und Schuldzinsen zu teilen (Rz. 6.439).4 Diese Rspr. ist nicht überzeugend, denn eine solche hälftige Teilung des Zinssatzes ist zwischen unabhängigen Dritten nicht üblich.5 Vielmehr ist alleine darauf abzustellen, zu welchen Konditionen das verbundene Unternehmen anderweitig ein Darlehen hätte aufnehmen können oder müs1 Ähnlich Niess in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 53. 2 Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464 f. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.9. Bsp. 1. Die VWG-Verfahren gehen nur auf die Auswahl eines Wertes aus einer Preisbandbreite ein, die durch einen tatsächlichen, nicht dagegen durch einen hypothetischen Fremdvergleich abgeleitet wurde. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5. 4 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; v. 22.10.2003 – I R 36/03, BStBl. II 2004, 307 = FR 2004, 462. 5 Kritisch auch Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 693; Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. O 57 ff.
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sen.1 Damit kann als angemessener Zinssatz nur derjenige zur Anwendung kommen, welcher am Markt zum Ansatz kommen würde. Allerdings ist der Ansatz eines Mittelwertes des Einigungsbereichs in § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG gesetzlich vorgesehen, soweit kein Wert innerhalb des Einigungsbereichs mit einer höchsten Wahrscheinlichkeit bestimmt werden kann (Rz. 6.439).2 Sieht man daher das Zinsband zwischen Habenzinsen als Untergrenze und den banküblichen Sollzinsen als Obergrenze als Einigungsbereich i.S. eines hypothetischen Fremdvergleichs an, so ist nach den Vorgaben des § 1 Abs. 3 AStG der Mittelwert zwingend zum Ansatz zu bringen, soweit kein anderer Wert des Einigungsbereichs mit höchster Wahrscheinlichkeit ermittelt werden kann. Damit ist die Mittelwertlösung nicht schematisch anzuwenden. Denn bei der hälftigen Teilung des Einigungsbereiches handelt es sich nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG um eine widerlegbare Vermutung. Die Widerlegbarkeit ist insofern sachgerecht, als die Festlegung auf den Mittelwert international nicht zwingend und auch nicht üblich ist.3 Im Ergebnis sollte sich daher auch aus § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG nichts anderes ergeben. Denn weil die hälftige Teilung des Zinssatzes unter unabhängigen Dritten nur in seltenen Ausnahmefällen zum Ansatz kommt, kann mit höchster Wahrscheinlichkeit eine solche Mittelwertlösung widerlegt werden. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass auch der BFH eine „Zinsteilung“ nur „im Zweifel“ vorsieht, wenn also keine Anhaltspunkte vorliegen, den angemessenen Zinssatz eher an der Unter- oder an der Obergrenze des Zinsbandes festzulegen.
6.441
Relevanz des Sollzinssatzes. Der Sollzins der Banken stellt die Obergrenze des Zinsbandes dar.4 Er kommt nach Auffassung des BFH dann zwingend zum Ansatz, wenn sich das verbundene Unternehmen im Rahmen der Darlehensgewährung selbst (d.h. zum Sollzinssatz) refinanzieren muss. Verfügt das verbundene Unternehmen demgegenüber über eigene Liquidität, die ohne Kreditaufnahme zur Verfügung steht, so kommt nach Auffassung des BFH der Habenzinssatz als Untergrenze in Betracht. Somit kann auch der Habenzinssatz ein angemessener Vergleichsmaßstab sein. Verfügt beispielsweise eine Gesellschaft über überschüssige Liquidität, so kann sie vor der Frage stehen, diese Liquidität bei einer Bank zum Habenzinssatz anzulegen oder einem verbundenen Unternehmen darlehensweise zur Verfügung zu stellen. In diesem Fall wäre es nicht gerechtfertigt, von dem verbundenen Unternehmen mehr Geld zu verlangen, als bei einer Bank mit einer entsprechenden Geldanlage erwirtschaftet werden könnte. Es ist in diesem Fall nicht zu beanstanden, wenn der vereinbarte Zinssatz dem Habenzinssatz von Banken bei einer entsprechenden Geld1 So auch FG Berlin-Bdb. v. 9.3.2011 – 12 K 12267/07, EFG 2011, 1737, rkr.; FG Sa.Anh. v. 21.2.2008 – 3 K 305/01, nv., rkr. 2 Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1465. 3 Vgl. auch Frischmuth, StuB 2007, 390. 4 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = FR 1994, 367; v. 22.10.2003 – I R 36/03, BStBl. II 2004, 307 = FR 2004, 462.
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anlage entspricht. Damit orientiert sich diese Betrachtungsweise an der Entscheidungssituation des Gläubigers. Betrachtet man indessen die Situation aus der Sicht des Schuldners, der über ein Darlehen liquide Mittel benötigt, so steht dieser vor der Frage, ob er das benötigte Darlehen bei einer Bank oder bei einem verbundenen Unternehmen aufnimmt.1 Dies gilt unabhängig davon, ob der Darlehensgeber über überschüssige Liquidität verfügt oder nicht.2 Im Ergebnis lässt sich damit aus den Zinsurteilen des BFH3 keine eindeutige Bestimmung des konkreten Zinssatzes innerhalb der Bandbreite ablesen. Die Höhe des Zinses ist vielmehr von der Entscheidungssituation des Gläubigers (Refinanzierung zum Sollzins oder Anlage überschüssiger Liquidität zum Habenzins) und des Schuldners (Darlehensaufnahme bei einer Bank oder einem verbundenen Unternehmen) abhängig. Kann insoweit innerhalb des Einigungsbereiches kein Zinssatz ermittelt werden, greift die widerlegbare Vermutung des § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG, wonach von einer hälftigen Teilung des Einigungsbereichs auszugehen ist. Anwendung der Preisvergleichsmethode. Die konkreten Zinssätze als Unter- bzw. Obergrenze des Zinsbandes werden in der Verrechnungspreispraxis üblicherweise über die Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 5.5 ff.) ermittelt. In diesem Zusammenhang kann zunächst ein interner Preisvergleich Anwendung finden, wobei die konzerninternen Zinssätze aus Zinssätzen abgeleitet werden, die durch das verbundene Unternehmen für Darlehen an Banken oder andere Darlehensgeber entrichtet werden bzw. die das verbundene Unternehmen für eine Geldanlage bei Banken erhält. In diesem Zusammenhang ist auch denkbar, dass entsprechende Zinssätze über Angebote externer Banken dokumentiert werden. Sollte ein entsprechendes Angebot vorliegen, spricht dieses für die Fremdüblichkeit des darin ausgewiesenen Zinssatzes. Sollte ein interner Preisvergleich zur Ermittlung des Zinssatzes nicht möglich sein, ist eine Anwendung des externen Preisvergleichs zu prüfen. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, den Zinssatz aus den zahlreichen im Internet veröffentlichten Statistiken der Bundesbank abzuleiten. So verprobt auch die Rspr. die Marktüblichkeit der angewandten Zinssätze mittels dieser Statistiken.4 Darüber hinaus kann ein fremdüblicher Zinssatz im Wege des externen Preisvergleichs im Rahmen der Anwendung von Datenbanken (z.B. Bloomberg und Reuters/Deal Scan) bestimmt werden. Schließlich werden in der Verrechnungspreispraxis konzerninterne Zinssätze häufig auf Basis eines Re1 Vgl. auch Wassermeyer in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 130. 2 Vgl. Oho/Behrens, IStR 1996, 313 ff. 3 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; v. 22.10.2003 – I R 36/03, BStBl. II 2004, 307 = FR 2004, 462. 4 Vgl. zur Thematik der vGA FG BW v. 10.11.2005 – 3 K 353/01, DStRE 2006, 845, rkr., und zur Thematik eines marktüblichen Zinses bei Arbeitgeberdarlehen BFH v. 4.5.2006 – VI R 28/05, BStBl. II 2006, 781 = FR 2006, 1039; FG Köln v. 10.3. 2005 – 10 K 999/01, DStRE 2005, 1308, nrkr., Rev. Az. BFH VI R 32/05; BFH v. 4.5.2006 – VI R 32/05, nv.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
ferenzzinssatzes (z.B. Euribor, Libor) zuzüglich eines Zuschlages ermittelt.1 Auch diese Vorgehensweise ist sachgerecht, da sie so auch zwischen unabhängigen Unternehmen Anwendung findet.
6.443
Preisvergleichs- und Kostenaufschlagsmethode bei Durchlaufkrediten. Die Frage der Refinanzierung der darlehensgebenden Gesellschaft und die entsprechend entstehenden Refinanzierungskosten haben maßgeblichen Einfluss auf die Höhe des angemessenen Zinssatzes.2 Insofern ist unstrittig, dass der darlehensgebenden Gesellschaft, der die Refinanzierungskosten entstehen, ein Gewinnaufschlag bzw. ein sog. „Spread“ zustehen.3 Dieser Spread deckt einerseits die Verwaltungskosten (wie z.B. Kosten der Verhandlung und Verwaltung der Refinanzierung) und enthält andererseits einen Gewinnaufschlag der darlehensgebenden Gesellschaft. Dieses Prozedere läuft im Ergebnis auf die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode (hierzu ausführlich Rz. 5.39 ff.) hinaus. Insofern ist es sachgerecht, aus dem Zinssatz der Refinanzierung einen Kostenzuschlag und einen Gewinnaufschlag zu erheben. Diese betragen in der Verrechnungspreispraxis häufig zwischen 0,2 und 0,5 %-Punkten. Lediglich bei sog. Durchlaufkrediten, welche „eins zu eins“ an ein weiteres verbundenes Unternehmen durchgereicht werden, und der darlehensgebenden Gesellschaft keine wesentlichen Kosten entstehen, kann auf solche Gemeinkostenzuschläge und Gewinnaufschläge verzichtet werden. 3. Fremdwährungsdarlehen
6.444
Grundsatz der Vertragsfreiheit. Werden Darlehen oder Kredite zwischen verbundenen Unternehmen in unterschiedlichen Währungsräumen vergeben, so spielen sowohl das Währungsrisiko als auch die eventuell anfallenden Kurssicherungskosten eine besondere Rolle. Nach Tz. 4.2.3. VWG 1983 ist bei Darlehen in ausländischer Währung der sog. Währungszins als Vergleichsmaßstab zugrunde zu legen, „wenn auch Fremde den Kredit unter vergleichbaren Umständen in dieser Währung vereinbart hätten“. Diese Formulierung lässt eine gewisse Skepsis der deutschen Finanzverwaltung gegenüber Fremdwährungsdarlehen erkennen. Die Bevorzugung der inländischen Währung (Euro) bei grenzüberschreitenden Darlehensverhältnissen ist indessen nicht gerechtfertigt, zumal hiermit eine grundsätzliche Verlagerung der Währungsrisiken und -chancen auf das im Ausland ansässige verbundene Unternehmen ausgelöst werden würde. Dies kann insbesondere im Verhältnis zu ausländischen Vertriebsgesellschaften problematisch sein.4 Vielmehr liegt nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit die Auswahl der Währung ausschließlich im Ermessen der Ver1 Vgl. auch Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. O 30. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.2.2. Nr. 5. 3 Vgl. auch Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 317. 4 Vgl. hierzu Gundel in Raupach, Verrechnungspreise multinationaler Unternehmen, 365 ff.
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tragsparteien.1 Die Darlehensvergabe kann demnach grundsätzlich in der Währung eines der beteiligten verbundenen Unternehmen erfolgen. Darüber hinaus sind selbstverständlich auch Darlehen in einer Fremdwährung denkbar, die keiner Inlandswährung der beteiligten verbundenen Unternehmen entspricht. Dies betrifft z.B. die Branchen, die prinzipiell in einer bestimmten Währung abrechnen (z.B. Ölindustrie oder Flugzeugbau in US-Dollar). Im Übrigen werden auch in Ländern mit hoher Inflation oder starken Wechselkursschwankungen Finanzierungen häufig in einer „stabilen“ Drittwährung abgewickelt. Auch dies ist von der Finanzverwaltung anzuerkennen. Währungszinssatz. Die Forderung der Finanzverwaltung, bei Krediten in ausländischer Währung den Währungszins als Vergleichsmaßstab zugrunde zu legen, ist sachgerecht.2 Gewährt beispielsweise eine im Inland ansässige Muttergesellschaft ihrer italienischen Tochtergesellschaft ein Darlehen in US-Dollar, so ist der angemessene Zins an den Kapitalmarktverhältnissen für den US-Dollar und nicht etwa für den Euro zu bemessen. Auf den sog. Ortszins (z.B. inländischer Zinsort, ausländischer Zinsort, Zinsort des Darlehensschuldners) kommt es insoweit nicht an.3 Dies entspricht auch der Auffassung des BFH.4 Hinsichtlich der konkreten Bestimmung des Währungszinssatzes gelten die allgemeinen Grundsätze. Danach darf insbesondere auch zur Ermittlung des Währungszinssatzes nicht der Sollzinssatz von Banken herangezogen werden (Rz. 6.436). Vielmehr ist eine Bandbreitenbetrachtung durchzuführen (Rz. 6.439). Außerdem gilt als Währungsgebiet nicht nur der Staat, in dem die Währung gesetzliches Zahlungsmittel ist, sondern alle weltweiten Geld- und Kapitalmärkte, auf denen die Währung gehandelt wird.5
6.445
Kurssicherungsmaßnahmen. Wie die Auswahl der Währung liegt auch die Frage, ob Kurssicherungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Währungsdarlehen durchgeführt werden, im Ermessensspielraum des verbundenen Unternehmens. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Fremdwährungsgeschäfte nicht nur ein Währungsrisiko, sondern auch eine Währungschance beinhalten. Auch vor diesem Hintergrund kann die Finanzverwaltung ein verbundenes Unternehmen zur Durchführung von Kurssicherungsmaßnahmen nicht verpflichten. Denn es obliegt der Risikoneigung und Abschätzung des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, ob er Kurssicherungsgeschäfte durchführt oder nicht. Diese (unternehmerische) Entscheidung steht dabei außerhalb einer Prüfung durch die Finanzverwaltung. Üblicherweise werden Währungsrisiken bei Währungsdarlehen im entsprechenden Währungszins berücksichtigt. Allenfalls
6.446
1 Gl.A. Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. O 89 f. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.2.3. 3 Gl.A. Reimann, BB 1981, 1145. 4 Vgl. BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = FR 1994, 367. 5 Gl.A. Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 4.2.4. VWG.
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dann, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses offensichtliche außergewöhnliche Kursrisiken erkennbar waren, ist davon auszugehen, dass sich ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter gegen diese abgesichert hätte. Dies entspricht dem in Tz. 4.2.3. VWG 1983 geforderten Fremdverhalten, zumal außergewöhnlichen Kursrisiken auch entsprechende Kurschancen gegenüberstehen. Gem. Tz. 4.2.4. VWG 1983 sollen nach Möglichkeit günstigere Zinssätze für die jeweilige Fremdwährung mit herangezogen werden, die „auf einem anderen Geld- oder Kapitalmarkt als auf dem des Währungsgebiets der Kreditwährung“ verlangt oder gewährt werden. Diese Forderung setzt indessen voraus, dass die Vertragsparteien auch Zugang zu diesen Märkten haben und ihnen die jeweiligen Zinsunterschiede bekannt sind. Auch hier muss auf den Erkenntnisstand der Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abgestellt werden, der auch bei der Zinsfestlegung einen gewissen Ermessensspielraum besitzt. Auf Grund der Formulierung der Tz. 4.2.4. VWG 1983 „mit heranzuziehen“ besteht daher kein Zwang, diese Zinssätze als alleinigen Vergleichsmaßstab bei der Ermittlung des angemessenen Zinssatzes zu verwenden.
6.447
Zinslosigkeit oder niedrige Verzinsung aus devisenrechtlichen Gründen. In Entwicklungs- und Schwellenländern unterliegen Zins- oder Lizenzzahlungen an ausländische verbundene Unternehmen (z.B. an die inländische Muttergesellschaft) häufig Devisentransferbeschränkungen oder -verboten. Darüber hinaus sind in manchen dieser Länder Zins- und Lizenzzahlungen an ausländische verbundene Unternehmen nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig. Schließlich ist in diesen Ländern auch zu beobachten, dass Dividendenzahlungen an ihre ausländische Muttergesellschaft beschränkt bzw. faktisch ausgeschlossen sind. Gleiches gilt für die Rückzahlung von Eigenkapital etwa auf Grund einer Kapitalherabsetzung oder der Auflösung von Kapitalrücklagen. Aus diesen oder vergleichbaren Gründen kann es aus Sicht der kapitalgewährenden (Mutter-)Gesellschaft geboten sein, statt eines vollverzinslichen ein zinsbegünstigtes oder zinsloses Darlehen zu gewähren bzw. der in diesen Staaten ansässigen (Tochter-)Gesellschaft statt Eigenkapital Fremdkapital zur Verfügung zu stellen (ggf. in Form eines eigenkapitalersetzenden Darlehens).
6.448
Verzicht auf Einkünftekorrekturen durch die Finanzverwaltung. Die deutsche Finanzverwaltung trägt diesen besonderen Umständen in Entwicklungs- und Schwellenländern in Form zweier Begünstigungsvorschriften Rechnung. So kommt es gem. Tz. 4.2.6. VWG 1983 zu keiner Einkünftekorrektur bei der Kapital gewährenden inländischen (Mutter-)Gesellschaft (z.B. auf Grund von § 1 AStG), „wenn wegen zwingender Rechtsvorschriften im Sitzstaat des nahestehenden Unternehmens oder aus ähnlichen Gründen, die außerhalb des Kreditverhältnisses liegen, statt einer an sich gebotenen Zuführung von Eigenkapital ein zinsloses oder zinsgünstiges Darlehen gewährt wird“. Eine entsprechende Ver-
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E. Finanzierungsleistungen
fügung der OFD Koblenz1 bestätigt diese Auffassung unter ausdrücklichem Hinweis auf Tz. 4.2.6. VWG 1983. Die weitere Regelung der Tz. 4.2.6. VWG 1983, wonach in diesen Fällen die Zinslosigkeit oder niedrige Verzinslichkeit keine Teilwertabschreibung des Darlehens begründen kann, ist indessen differenzierter zu sehen. Sofern die Teilwertabschreibung allein auf die niedrige Verzinslichkeit oder Zinslosigkeit des Darlehens gestützt wird, ist der Haltung der Finanzverwaltung zuzustimmen. Erfolgt die Teilwertabschreibung hingegen auf Grund dauerhafter fehlender Zahlungsmöglichkeiten des Darlehens (i. S. eines Darlehensausfalls) oder der dauerhaften Wertlosigkeit der Beteiligung (bei eigenkapitalersetzendem Darlehen), so muss eine Teilwertabschreibung des Darlehens möglich sein. In diesem Zusammenhang ist allerdings die Vorschrift des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG zu beachten (Rz. 6.471 ff.). 4. Zinslosigkeit bzw. niedrige Verzinsung aus betrieblichen Gründen Auffassung der Finanzverwaltung. Neben den vorstehend genannten devisenrechtlichen oder ähnlichen Gründen kann es weitere betriebliche Gründe, die außerhalb des Kreditverhältnisses liegen, geben, ein Darlehen nicht oder nur niedrig zu verzinsen. In diesem Zusammenhang nennen die VWG 1983 in Tz. 4.3.2. exemplarisch zwei Fälle, in denen ein Zinsverzicht oder eine niedrige Verzinsung aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt sein kann: Die Absatzförderung bei Vertriebsunternehmen sowie die Finanzierung von Einfuhrdepots bei Vertriebsunternehmen. Da es sich nur um Beispiele handelt, sind weitere Fallkonstellationen in diesem Zusammenhang denkbar (Rz. 6.452).
6.449
Zinslose Warenkredite an Vertriebsgesellschaften. Jedes Produktionsoder Großhandelsunternehmen hat ein eigenbetriebliches Interesse daran, die von ihm hergestellten oder eingekauften Produkte (bzw. Dienstleistungen) absatzwirtschaftlich optimal zu vermarkten. Geschieht diese Vermarktung durch die Einschaltung von Vertriebsgesellschaften, so kann die Absatzförderung z.B. durch Werbekostenzuschüsse, günstigere Lieferund Verrechnungspreise, die Übernahme von Markterschließungskosten oder durch zinslose Warenkredite oder zinslose bzw. zinsbegünstigte Darlehen erfolgen. Letztlich zielen all diese Maßnahmen darauf ab, bei der Vertriebsgesellschaft eine angemessene Vertriebsmarge sicherzustellen.2 Im Ergebnis verfolgt der Lieferant in diesen Fällen durch die Vergabe zinsloser bzw. zinsbegünstigter Warenkredite bzw. Darlehen eigene Interessen, die bei ihm betrieblich und nicht gesellschaftsrechtlich veranlasst sind. Einkünftekorrekturen – insbesondere nach § 1 AStG – scheiden da-
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1 Vgl. OFD Koblenz v. 10.8.1995 – S 1341 A – St 341, WPg 1995, 674 und dazu o.V., IStR 1993, 71; Böcker in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 179. 2 Vgl. auch BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; v. 17.10. 2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030.
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her aus. Denn der Vertriebsgesellschaft wird kein Vorteil zugewendet; vielmehr sind solche absatzwirtschaftlich bedingten Maßnahmen auch gegenüber unabhängigen Vertriebsunternehmen üblich und betriebswirtschaftlich sinnvoll.
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Finanzierung von Einfuhrdepots von Vertriebsgesellschaften. Die Finanzverwaltung hält die Gewährung von zinslosen bzw. zinsermäßigten Krediten von Produktions- und Großhandelsgesellschaften zugunsten verbundener Vertriebsgesellschaften dann für betrieblich veranlasst, wenn das „Vertriebsunternehmen wirtschaftlich nicht in der Lage ist, aus eigenen Mitteln ein behördlich vorgeschriebenes Depot zur Erlangung von Einfuhrgenehmigungen für Erzeugnisse der Muttergesellschaft zu erreichen.“1 Diese Regelung ist vor dem Hintergrund der Einfuhrpraxis einiger Staaten zu sehen, Einfuhrgenehmigungen nur dann zu erteilen, wenn hohe Einfuhrdepots unterhalten werden. Diese Depots können entweder in einer bestimmten Mindestlagerungsmenge oder in der Hinterlegung von Liquidität bestehen. Da die Unterhaltung solcher Depots auch und insbesondere im eigenen betrieblichen Interesse der Produktions- bzw. Großhandelsgesellschaft, welche die Vertriebsgesellschaft beliefert, liegt, ist deren Finanzierung auch in deren Interesse. In diesen Fällen kann infolgedessen ein zinsloses bzw. zinsermäßigtes Darlehen ebenfalls nicht zu einer Einkünftekorrektur führen.
6.452
Weitere Fälle zinsloser bzw. zinsermäßigter Darlehen. Bei den unter Tz. 4.3.2. Buchst. a und b VWG 1983 dargestellten Fallkonstellationen für die betriebliche Veranlassung zinsloser bzw. zinsermäßigter Darlehen handelt es sich lediglich um Beispielfälle, die beliebig erweiterbar sind. So kann eine betriebliche Veranlassung zinsloser bzw. zinsermäßigter Kredite auch bei der Vorfinanzierung verbundener Einkaufs- oder Produktionsgesellschaften für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe liegen. Ferner ist denkbar, dass eine Einkaufsgesellschaft, welche für ein im Inland ansässiges verbundenes Unternehmen Produkte einkauft, ein zinsloses bzw. zinsermäßigtes Darlehen rechtfertigt. Gleiches gilt für Produktions-, Dienstleistungs- und F&E-Gesellschaften. In diesen Fällen führt die Zinslosigkeit bzw. die Verrechnung eines ermäßigten Zinssatzes immer dann zu keinen Einkünftekorrekturen, wenn die ausländische Gesellschaft im eigenen betrieblichen Interesse für das inländische Unternehmen agiert. Insbesondere für den Fall, dass es sich bei dem ausländischen Unternehmen um ein sog. „Routineunternehmen“2 handelt, sind zinslose bzw. zinsermäßigte Darlehen von der Finanzverwaltung anzuerkennen (z.B. Lohn- oder Auftragsfertiger, Low-Risk Vertriebsgesellschaften).
1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.3.2. Buchst. B. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VGW-Verfahren, BStBl. 2005, 57, Tz. 3.4.10.2.
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E. Finanzierungsleistungen
Beispiel: Ein produzierendes Pharmaunternehmen benötigt für die Herstellung bestimmter Extrakte große Mengen Blätter besonderer Pflanzen, die auf Plantagen in Asien von verbundenen Unternehmen gezüchtet werden. Bis zu der ersten Ernte dieser Blätter vergehen fünf Jahre, so dass der Grundstückswert, die Pflanzungen sowie der Aufwuchs finanziert werden müssen. Das produzierende Pharmaunternehmen gewährt den die Plantage betreibenden verbundenen Unternehmen hierfür einen zinslosen Kredit, der mit späteren Blattlieferungen getilgt wird. In diesem Fall ist die Gewährung des zinslosen Darlehens beim inländischen Pharmaunternehmen betrieblich veranlasst, da es ein eigenbetriebliches Interesse an der Sicherung seiner Rohstoffbasis hat.
Kein Vorteilsausgleich bei Zinslosigkeit bzw. -ermäßigung. Geht man davon aus, dass die Zinslosigkeit bzw. -ermäßigung beim darlehensgewährenden Unternehmen (und nicht beim darlehensempfangenden Unternehmen) betrieblich veranlasst ist, so bleibt in diesen Fällen für die Anwendung eines sog. „Vorteilsausgleichs“ kein Raum.1 Ein solcher Ausgleich setzt eine unangemessene Vorteilsgewährung in Form eines unangemessenen Zinses voraus, die durch entsprechende unangemessene Maßnahmen des darlehensempfangenden Unternehmens zu kompensieren wären. Daher ist hier eine Einkünftekorrektur trotz eines fehlenden Vorteilsausgleichs nicht möglich. Etwas anderes gilt nur in den Fällen, in welchen Verrechnungspreise für Lieferungen und Leistungen des darlehensempfangenden Unternehmens an das darlehensgewährende Unternehmen auf Basis der Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden und dabei fiktive bzw. kalkulatorische Zinskosten einbezogen werden. In diesen Fällen dürfen nur die tatsächlich entstandenen Finanzierungskosten im Rahmen der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode Berücksichtigung finden.
6.453
5. Verzinsung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen Zinslosigkeit als Ausnahmeregelung. Dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechend sind Finanzierungsleistungen zwischen verbundenen Unternehmen prinzipiell verzinslich zu erbringen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt u.a. dann, wenn – zum Beispiel nach Handelsbrauch – auch zwischen unabhängigen Dritten keine Zinsen verrechnet werden. Das ist z.B. bei der Abrechnung von Warenlieferungen oder Dienstleistungen innerhalb der üblichen Zahlungsziele der Fall.2
6.454
Definition eines „üblichen Zahlungsziels“. Die zeitliche Dauer eines „üblichen Zahlungsziels“ bei Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ist einzelfallabhängig. So wird bei Forderungen gegenüber Inlandsschuldnern ein Zahlungsziel von zwei bis drei Monaten nicht als unüblich zu qualifizieren sein. Gegenüber Auslandsschuldnern sind dagegen
6.455
1 So jedoch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.3.2. letzter Satz. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.3.1.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Zahlungsziele von sechs Monaten und mehr nicht selten anzutreffen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass in Deutschland keine genauen zeitlichen Vorgaben im Hinblick auf die Definition eines „üblichen Zahlungsziels“ existieren und im Zweifel auch die zuvor genannten Zeiträume überschritten werden können. Auch die Finanzverwaltung gesteht dem Steuerpflichtigen im Hinblick auf die Definition von Zahlungszielen bei Forderungen aus Lieferungen und Leistungen eine gewisse Flexibilität zu.1
6.456
„Handelsübliche“ Zinsverrechnung. Zur Beantwortung der Frage, ob eine Zinsverrechnung „handelsüblich“ ist, ist nach Auffassung der Finanzverwaltung auch darauf abzustellen, ob bei einem umgekehrten Liefer- und Leistungsfluss ebenfalls Zinsen berechnet werden.2 Insoweit sind solche Fälle angesprochen, in denen dem liefernden Unternehmen bei dessen Waren- und Dienstleistungsbezug nach einem bestimmten Zeitraum, d.h. bei Überschreiten der handelsüblichen Zahlungsziele, ebenfalls Soll- oder Verzugszinsen in Rechnung gestellt werden. Insbesondere dann, wenn im Rahmen der Fakturierung von Lieferungen und Leistungen im Unternehmensverbund solche Zinsen verrechnet werden, müssen im umgekehrten Fall, also bei Überschreiten der handelsüblichen Zahlungsziele durch den (verbundenen) Abnehmer, ebenfalls Soll- bzw. Verzugszinsen berechnet werden. Zinsen in der einen „Richtung“ sollen also nur dann angesetzt werden, wenn sie auch in der anderen „Richtung“ berechnet werden.3 Im Übrigen ist jeweils vor einer Berechnung von Verzugszinsen zu prüfen, ob evtl. Zahlungszielüberschreitungen bei der Festlegung des Verrechnungspreises für das Grundgeschäft bereits Berücksichtigung gefunden haben.4
IV. Einschaltung von Finanzierungsgesellschaften 6.457
Vorteile einer Finanzierungsgesellschaft. Die Funktionen einer Finanzierungsgesellschaft liegen im Wesentlichen in der Beschaffung von Kapital auf in- und ausländischen Kapitalmärkten verbunden mit dem Zweck einer Weiterleitung der aufgenommenen Kapitalmittel an verbundene Unternehmen. Die Einschaltung von ausländischen Finanzierungsgesellschaften dient insbesondere der Realisierung folgender nicht steuerlicher Vorteile:5
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.3.1.: „[…] ist zu prüfen, ob […]“. Siehe ferner Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 4.3.1. VWG. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.3.1. 3 So zutreffend Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 4.3.1. VWG. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.2.1. Nr. 4 und 3.1.2.2. 5 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 1130 ff.
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E. Finanzierungsleistungen
– Reduktion der Emissionskosten im Vergleich zu einer Ausgabe von Anleihen im Inland; – Vermeidung staatlicher Reglementierungen, welche auf dem inländischen Kapitalmarkt die Finanzierung behindern können; – Einsparung von Kosten im Hinblick auf die Bestellung von Sicherheiten. Neben diesen außersteuerlichen Vorteilen ist die Etablierung einer ausländischen Finanzierungsgesellschaft mit zahlreichen steuerlichen Vorund Nachteilen verbunden. Ein wesentlicher steuerlicher Vorteil einer ausländischen Finanzierungsgesellschaft besteht in der Vermeidung der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Fremdkapitalzinsen gem. § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG. Darüber hinaus bieten ausländische Finanzierungsgesellschaften die Möglichkeit, aus der Finanzierungsfunktion resultierende Gewinne einer im Vergleich mit dem deutschen Steuerniveau geringeren Steuerbelastung zuzuführen. Dieses Ziel kann allerdings nur erreicht werden, wenn eine Anwendung der Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung gem. § 7 ff. AStG vermieden wird. Dies setzt insbesondere voraus, dass aktive Einkünfte i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG (bzw. in EU-Fällen i.S.d. § 8 Abs. 2 AStG) erwirtschaftet werden.1 Finanzierungsgesellschaft als Agent oder Kommissionär. Tz. 4.3.3. VWG 1983 regelt Einzelheiten der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise bei der Einschaltung ausländischer Finanzierungsgesellschaften. Dabei wird zwischen einer Organisation der Finanzierungsgesellschaft als Agent oder Kommissionär einerseits und einer Kreditvergabe im eigenen Namen auf eigene Rechnung der Finanzierungsgesellschaft andererseits unterschieden. Für den Fall, dass die Finanzierungsgesellschaft für Refinanzierungszwecke des Konzerns als Agent oder Kommissionär für ein inländisches verbundenes Unternehmen auftritt, will die Finanzverwaltung die Aufnahme der Mittel im Ausland unmittelbar dem inländischen Unternehmen zurechnen.2 Dies ist insofern sachgerecht, als im Innenverhältnis zwischen Agent bzw. Kommissionär und dem kreditaufnehmenden Unternehmen die aufgenommenen Mittel dem inländischen Unternehmen zuzurechnen sind. Kommissionär bzw. Agent sind in diesen Fällen keine selbstständigen Kreditgeber;3 denn sie agieren im fremden Namen und auf fremde Rechnung (Agent) bzw. im eigenen Namen und auf fremde Rechnung (Kommissionär) der Finanzierungsgesellschaft. Damit steht der als Agent oder Kommissionär organisierten Finanzierungsgesellschaft eine angemessene Provision zu, welche die von ihr ausgeübten Funktionen und die von ihr wahrgenommenen Risiken adäquat reflektiert. 1 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 1133 ff. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.3. 3. Buchst. a 3 Zu den Funktionen und Risiken eines Kommissionärs im Allgemeinen vgl. auch Wassermeyer in FS Schaumburg, 972 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.459
Höhe des Provisionsanspruchs. Die Höhe der angemessenen Provision der Finanzierungsgesellschaft ist davon abhängig, ob diese als Agent oder als Kommissionär nach außen hin als selbstständiger Kreditnehmer (also im eigenen Namen) auftritt und entsprechend haftet. So tritt der Kommissionär nach § 383 HGB handelsrechtlich im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung auf. Damit tritt er nach außen als Kreditnehmer auf und haftet entsprechend. Dieses Haftungsrisiko muss sich in seinem Provisionsanspruch entsprechend niederschlagen. Die Beschreibung des Begriffs „Agent“ in Tz. 4.3.3. Buchst. a VWG 1983 ist hingegen insofern widersprüchlich, als er dort als „im eigenen Namen“ handelnd beschrieben wird, was wiederum der Funktion eines Kommissionärs entspricht. Der Begriff des „Agenten“ ist rechtlich nicht (mehr) definiert. Das HGB 1900 enthielt besondere Vorschriften über die „Handelsagenten“ statt des allgemeinen Werk- und Dienstvertragsrechts, wie noch unter dem alten ADHGB. Mit dem Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs vom 6.8. 19531 wurde die Bezeichnung „Handelsagent“ durch den Begriff des „Handelsvertreters“ in § 84 HGB ersetzt. Aber auch im Zusammenhang mit Kommissionsgeschäften ist vom sog. „Kommissionsagenten“ die Rede, sofern ein Kommissionär vertraglich ständig mit Geschäftsabschlüssen im eigenen Namen und für fremde Rechnung betraut ist. Die Bedeutung und der Tätigkeitsumfang des „Agenten“ sind somit rechtlich nicht eindeutig fixierbar.2 Betrachtet man vor diesem Hintergrund den Agenten als Handelsvertreter i.S.d. § 84 HGB, so tritt dieser in fremdem Namen, d.h. in offener Stellvertretung, auf, was im Vergleich zum Kommissionär zu deutlich geringeren Haftungsrisiken und damit auch zu einem entsprechend geringeren Provisionsanspruch führen muss.3
6.460
Anwendung der Preisvergleichs- oder der Kostenaufschlagsmethode. Die als Kommissionär oder Agent organisierte Finanzierungsgesellschaft, die letztlich nicht als selbstständiger Kreditgeber funktioniert, erbringt eine (Vermittlungs-)Dienstleistung. Für diese Leistung kann ihr kein „Spread“ i.S. eines Aufschlagsatzes auf von ihr weiterbelastete Finanzierungskosten (insbesondere in Form von Zinsen) zugeordnet werden. Stattdessen besteht ihre Vergütung in der Verrechnung einer Provision für die von ihr erbrachten Leistungen. Dieser Provisionsanspruch stellt eine Dienstleistungs- bzw. Vermittlungsgebühr dar, welche auf Basis der Preisvergleichsmethode (hierzu ausführlich Rz. 5.5 ff.) oder anhand der Kostenaufschlagsmethode (hierzu ausführlich Rz. 5.39 ff.) konkret bestimmt werden kann. Agiert die Finanzierungsgesellschaft als Kommissionär, ist das 1 Vgl. Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs (Recht der Handelsvertreter) v. 6.8.1953, BGBl. I 1953, 771. 2 Vgl. auch Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 4.3.3. VWG, der von dem „schillernden Begriff des Agenten“ spricht. 3 Zu den daraus folgenden Konsequenzen für die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte vgl. Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 4.28
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E. Finanzierungsleistungen
insoweit vorhandene Haftungsrisiko im Rahmen eines zusätzlichen Risikozuschlags zu berücksichtigen. Finanzierungsgesellschaft als eigenständiger Kreditnehmer. Handelt die ausländische Finanzierungsgesellschaft hingegen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, d.h., nimmt sie im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Kapital auf und leitet dieses (z.B. über Darlehen) an verbundene Unternehmen weiter, so sind die entsprechenden Zinsen wie zwischen unabhängigen Dritten zu vereinbaren.1 Damit gelten die allgemeinen Regelungen zur Bestimmung angemessener Zinssätze (Rz. 6.434 ff.), wobei insbesondere die Besonderheiten bei sog. „Durchlaufkrediten“ zu beachten sind (Rz. 6.443). Maßgebend für die Bestimmung eines angemessenen Zinssatzes für Darlehen der Finanzierungsgesellschaft sind infolgedessen ihre Refinanzierungskosten, auf welche ein Gewinnaufschlag bzw. ein sog. „Spread“ aufzuschlagen ist.
6.461
Finanzierungsgesellschaft als bloße „Buchungsstelle“. Agiert die ausländische Finanzierungsgesellschaft lediglich als sog. „Buchungsstelle“ oder überlässt sie nur ihren Namen, so hat sie nach Auffassung der Finanzverwaltung „keine zu vergütende Leistung erbracht.“2 Infolgedessen steht ihr nach Auffassung der Finanzverwaltung keine Buchungsgebühr oder Ähnliches zu. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Sofern jedoch zusätzliche Leistungen erbracht werden, wie z.B. Kreditverhandlungen, Kreditverwaltung oder Kreditpflege, sind diese Leistungen als konzerninterne Dienstleistungen entgeltfähig und entgeltpflichtig.3 In diesem Zusammenhang sind die allgemeinen Grundsätze der Ermittlung von Verrechnungspreisen bei Dienstleistungen zu beachten (hierzu ausführlich Rz. 6.87 ff.).
6.462
Einschaltung einer inländischen Finanzierungsgesellschaft. Die vorstehend dargestellten Grundsätze sind nach Auffassung der Finanzverwaltung analog bei inländischen Finanzierungsgesellschaften anzuwenden.4 Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass in Tz. 4.3.3. VWG 1983 lediglich von der „Aufnahme von Mitteln“ die Rede ist, während sich Tz. 4.3.4. VWG 1983 auch auf die „Vergabe von Mitteln“ sowie das „Ausnutzen besonderer Anlagemöglichkeiten im Inland“ bezieht. Für die den Rahmen der Tz. 4.3.3. VWG 1983 überschreitende Tätigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze.5
6.463
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.3.3. Buchst. b mit Verweis auf Tz. 4.2.1. und 4.2.2. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.3.3. Buchst. C. 3 Ebenso Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 4.3.3. VWG. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.3.4. 5 Vgl. auch Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 4.3.4. VWG.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
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Finanzierungsunterstützung der Finanzierungsgesellschaft. Soweit die Finanzierungsgesellschaft zur Ausübung ihrer Funktionen Unterstützungsmaßnahmen in Form von Garantien, Bürgschaften oder Patronatserklärungen erhält, sind die in Rz. 6.507 ff. dargestellten Grundsätze zu beachten.
V. Teilwertabschreibungen und Forderungsverzichte auf Gesellschafterdarlehen 1. Überblick
6.465
§ 8b Abs. 3 KStG und § 3c EStG im Inlandsfall. Seit Einführung des Halbeinkünfteverfahrens im Jahr 2001 war streitig, ob Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen auf Ebene des Gesellschafters abzugsfähige Betriebsausgaben darstellen oder unter § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG zu subsumieren sind, falls der Anteilseigner eine Kapitalgesellschaft ist. Handelt es sich bei dem Anteilseigner um eine natürliche Person oder um eine Personengesellschaft mit natürlichen Personen als Gesellschafter, ist fraglich, ob § 3c Abs. 2 EStG Anwendung findet. Durch das JStG 20081 wurde mit Wirkung ab dem VZ 2008 eine Regelung in § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG geschaffen, die den Abzug von Wertminderungen auf Gesellschafterdarlehen bei Körperschaften – bis auf wenige Ausnahmen – ausschließt. Eine dieser Vorschrift vergleichbare Regelung enthält § 3c Abs. 2 EStG im Hinblick auf Gesellschafterdarlehen von natürlichen Personen bzw. von Personengesellschaften indessen nicht.
6.466
§ 1 AStG im Auslandsfall. Was den Auslandsfall betrifft, vertritt die Finanzverwaltung – insbesondere in Betriebsprüfungen – die Auffassung, dass Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen unter bestimmten Voraussetzungen nach den Grundsätzen des § 1 AStG zu korrigieren seien. Hintergrund der Argumentation der Finanzverwaltung – die in einem BMF-Schreiben v. 29.3.2011 niedergelegt ist2 – ist, dass auf Grund einer fehlenden Besicherung des Darlehens „fremdunübliche“ Bedingungen vorlägen und folglich die durch die Teilwertabschreibung resultierende Einkünfteminderung bei dem inländischen Anteilseigner und Darlehensgeber durch § 1 Abs. 1 AStG außerbilanziell zu korrigieren sei. Denn Darlehensgewährungen im Konzern seien – wie bei einer Darlehensgewährung durch eine (unabhängige) Bank – zu besichern.3
6.467
Steuerliche Konsequenzen einer Teilwertabschreibung. Nachfolgend wird die Abzugsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen im Einzelnen dargestellt und gewürdigt. Dabei werden zunächst die steuerrechtlichen Konsequenzen einer Teilwertabschreibung auf Gesell1 Vgl. Jahressteuergesetz 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150. 2 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277. 3 So auch Rupp in D/P/M, IntGA 2008, Rz. 619 f.; FG Berlin-Bdb. v. 30.1.2013 – 12 K 12056/12, EFG 2013, 1560.
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E. Finanzierungsleistungen
schafterdarlehen nach § 8b Abs. 3 KStG (Kapitalgesellschaft als Anteilseigner) und § 3c EStG (natürliche Person oder Personengesellschaft als Anteilseigner) erörtert. Daran anschließend wird untersucht, ob die Finanzverwaltung – wie im BMF-Schreiben v. 29.3.2011 vorgesehen – berechtigt ist, in grenzüberschreitenden Fällen Teilwertabschreibungen auf Darlehen an eine ausländische Tochtergesellschaft gem. § 1 Abs. 1 AStG zu korrigieren. 2. Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG bei Kapitalgesellschaften a) Rechtslage bis zum Veranlagungszeitraum 2007 BFH-Urteil v. 14.1.2009. Nach dem grundlegenden Urteil des BFH v. 14.1. 2009 sind Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen keine Gewinnminderungen i.S.d. § 8b Abs. 3 KStG a.F. und somit bei der Ermittlung des Gewinns der Kapitalgesellschaft nicht hinzuzurechnen.1 Der BFH bestätigte damit die h.M. der Literatur, wonach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. nicht auf die Wertminderung von eigenkapitalersetzenden Darlehen anwendbar ist.2 Dies begründet der BFH zutreffend damit, dass Darlehensforderungen als eigenständige Wirtschaftsgüter neben den Anteilen i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG stehen. Die Darlehensforderung ist dabei unbeschadet ihrer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis von der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft zu unterscheiden. Da mit der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft einerseits und der Darlehensforderung andererseits zwei unterschiedliche Wirtschaftsgüter vorliegen, ist es bereits bilanziell nicht möglich, dass die Wertminderung einer Darlehensforderung zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung führen kann. Eine Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG auf insoweit erhöhte Anschaffungskosten scheidet folglich aus. Ferner besteht auch im Rahmen der (außerbilanziellen) zweiten Stufe der Gewinnermittlung kein Grund dafür, die Existenz von zwei Wirtschaftsgütern zu negieren und die Wertminderung eines Wirtschaftsguts (Darlehensforderung) einem anderen Wirtschaftsgut (Anteil an der Kapitalgesellschaft) zuzuordnen.
6.468
Keine Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. Vielmehr erfasst das Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. ausschließlich einmalige Substanz- bzw. Vermögensänderungen im Zusammenhang mit Anteilen i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG, die sich aus der ertragsteuerlichen Behandlung des Anteils selbst ergeben. Zu diesen Substanz- bzw. Vermögensänderungen zählen beispielsweise Verluste aus der Veräußerung des Anteils sowie Teilwertabschreibungen auf die Anteile an der Kapitalgesellschaft. Durch den Verweis auf den „in Absatz 2 genannten Anteil“ wird der systemati-
6.469
1 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818; so auch die Vorinstanz des FG Nds. v. 3.4.2008 – 6 K 442/05, DStRE 2008, 1450. 2 Vgl. Rödder/Stangl, DStR 2005, 355; Morlock, JbFSt 2006/2007, 616; Schmidt/ Hageböke, DB 2004, 2715 ff.; Dötsch/Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 100, 123; Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 709 f.; a.A. Buchna/Sombrowski, DB 2004, 1956 ff. und 2718 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
sche Zusammenhang zu dem ebenfalls nur Substanz- und Vermögensänderungen umfassenden § 8b Abs. 2 KStG hergestellt. Laufende, nicht die Substanz der Anteile betreffende Betriebsausgaben sind demgegenüber Gegenstand des § 8b Abs. 5 KStG.1 Einer solchen Argumentation steht – so der BFH zutreffend – auch § 32a GmbHG a.F. nicht entgegen. Durch die in § 32a GmbHG a.F. geforderte Gesellschafterstellung für das Vorliegen eines eigenkapitalersetzenden Darlehens wurde zwar ein Zusammenhang zwischen dem Darlehen und der Beteiligung, jedoch nicht zwischen der Beteiligung und der Teilwertabschreibung auf das Darlehen hergestellt.2 Insoweit lehnt der BFH zutreffend die von Vertretern der Finanzverwaltung geäußerte Ansicht ab, wonach die gesellschaftliche Veranlassung des eigenkapitalersetzenden Darlehens einen Zusammenhang der Teilwertabschreibung mit den Anteilen i.S.d. § 8b Abs. 3 KStG begründen soll.3 In seinem Urteil v. 14.1.2009 bestätigt der BFH damit die Rechtsauffassung der Vorinstanz. Bereits das FG Niedersachsen hatte in seinem Urteil v. 3.4.2008 ausgeführt, dass die Auslegung des § 8b Abs. 3 KStG a.F. „nach ihrem Sinn und Zweck sowie ihrer systematischen Stellung“ dazu führe, „den Gewinnminderungsausschluss nicht auf Wertminderungen eigenkapitalersetzender Darlehen zu erstrecken“.4 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. auf die Wertminderung eigenkapitalersetzender Darlehen würde indessen zu einer gesetzlich nicht angeordneten Doppelbelastung führen, wenn einerseits Teilwertabschreibungen auf Ebene des Gesellschafters steuerlich nicht wirksam würden und andererseits der Ertrag bei einem späteren Verzicht auf die Forderungen auf Ebene der Gesellschaft zu versteuern wäre.
6.470
Teilwertabschreibungen als Betriebsausgabe. Im Ergebnis sind damit Teilwertabschreibungen auf (eigenkapitalersetzende) Gesellschafterdarlehen bis inkl. VZ 2007 steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. findet insofern keine Anwendung. Dies wurde mit Veröffentlichung des BFH-Urteils v. 14.1.2009 im Bundessteuerblatt auch von der Finanzverwaltung anerkannt.5 b) Rechtslage ab dem Veranlagungszeitraum 2008
6.471
Grundlagen des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG. Mit dem JStG 20086 wurde § 8b Abs. 3 KStG neu gefasst und um eine Regelung betreffend Wertverluste von Gesellschafterdarlehen ergänzt. So unterliegen nach § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG n.F. Gewinnminderungen aus sämtlichen – und nicht nur eigenkapitalersetzenden – Darlehensforderungen sowie aus der Inanspruch1 Vgl. Rödder/Stangl, DStR 2005, 254. 2 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818, Abschn. II.2. der Gründe. 3 Vgl. Buchna/Sombrowski, DB 2004, 1958. 4 FG Nds. v. 3.4.2008 – VI K 442/05, DStRE 2008, 1451, vgl. dazu auch Hoffmann, DStR 2008, 857 ff.; Rödder/Stangl, DStR 2005, 358. 5 Vgl. BFH v. 19.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674. 6 Vgl. Jahressteuergesetz 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150.
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E. Finanzierungsleistungen
nahme von Sicherheiten, die für ein Darlehen hingegeben wurden, dem Abzugsverbot gem. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG, wenn – das Darlehen oder die Sicherheit von einem Gesellschafter gewährt wird und – der Gesellschafter zu mehr als 25 % unmittelbar oder mittelbar an der Kapitalgesellschaft, der das Darlehen gewährt wurde, beteiligt war oder ist (wesentlich beteiligter Gesellschafter). In der Gesetzesbegründung zum JStG 2008 wird ausgeführt, dass die Änderung des § 8b Abs. 3 KStG lediglich redaktioneller Natur sei, um klarzustellen, dass die „Gesellschafterfinanzierung durch Eigenkapital oder durch nicht fremdübliche Gewinnminderung gleichbehandelt wird“.1 Nach (zutreffender) Auffassung des BFH handelt es sich jedoch bei der Gesetzesänderung nicht um eine rein redaktionelle Klarstellung; vielmehr kam es zu einer konstitutiven Neuregelung, die nach dem Gesetzeswortlaut erstmals ab dem VZ 2008 anzuwenden ist.2 Folgerichtig schließt der BFH eine rückwirkende Anwendung des Abzugsverbots des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG auf Teilwertabschreibungen vor dem VZ 2008 aus.3 Sachlicher Anwendungsbereich. In sachlicher Hinsicht bezieht sich § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG auf Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Darlehensforderungen. Die Vorschrift erfasst damit nicht jede Gewährung von Fremdkapital, sondern nur die Hingabe von Darlehen, und zwar unabhängig davon, ob das Darlehen an eine inländische oder eine ausländische Tochtergesellschaft gewährt wird,4 oder ob das Darlehen verzinslich oder unverzinslich ist.5 Auch die Darlehenslaufzeit sowie die Form der Darlehensvergütung ist für die Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG unbeachtlich.6 Von einer „Gewinnminderung“ i.S.d. § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG ist dabei insbesondere in den folgenden Fällen auszugehen:7 – Teilwertabschreibung auf das Gesellschafterdarlehen, wobei die Voraussetzungen für eine Teilwertabschreibung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG erfüllt sein müssen; – Ausfall der Darlehensforderung im Rahmen einer Insolvenz der Kapitalgesellschaft oder einer insolvenzfreien Liquidation im Zeitpunkt der Löschung der Kapitalgesellschaft; 1 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6290, 73. 2 Vgl. § 34 Abs. 1 KStG i.d.F. des JStG 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150. 3 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818, Abschn. II.2. der Gründe; so auch die Literatur Altrichter-Herzberg, GmbHR 2008, 338; Gosch in Gosch2, § 8b KStG Rz. 279a. 4 Vgl. Dötsch/Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 130; Rengers in Blümich, EStG, GewStG, KStG, § 8b KStG Rz. 296. 5 Vgl. Dötsch/Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 130, Rengers in Blümich, EStG, GewStG, KStG, § 8b KStG Rz. 296; Frotscher in Frotscher/Maas, § 8b KStG Rz. 60i. 6 Vgl. Winhard, FR 2010, 687; Pung in Preiser/Pung, Die Besteuerung der Personen- und Kapitalgesellschaften, 934 f. 7 Vgl. Pung in Preiser/Pung, Die Besteuerung der Personen- und Kapitalgesellschaften, 935.
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6.472
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– Verzicht auf die Darlehensforderung durch den Anteilseigner. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei einem Forderungsverzicht nur der nicht werthaltige Teil der Forderung in den Anwendungsbereich des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG fallen kann (Rz. 6.506).1 Denn bei einem gesellschaftsrechtlich veranlassten Forderungsverzicht liegt i. H. des werthaltigen Teils der Forderung eine verdeckte Einlage vor,2 die als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung zu erfassen ist. Kommt es dann zu einer Teilwertabschreibung auf die Beteiligung, ist diese – wie bereits nach altem Recht – nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG zu korrigieren. – Inanspruchnahme aus hingegebenen Sicherheiten (z.B. Bürgschaft, Grundschuld), wobei der besicherte Darlehensgeber auch ein anderer Anteilseigner, eine nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG oder auch ein fremder Dritter (z.B. ein Kreditinstitut) sein kann. – Nach § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG gilt das Abzugsverbot u.a. auch für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen.
6.473
Persönlicher Anwendungsbereich. § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG ist nur anwendbar, wenn der Darlehensgeber bzw. Sicherheitengeber „wesentlich“ unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital der darlehensnehmenden Kapitalgesellschaft „beteiligt ist oder war“. Maßgebend für die Höhe der Beteiligung ist dabei die nominelle Beteiligung am Grundoder Stammkapital, eine abweichende Stimmrechtsvereinbarung ist unerheblich.3 Die Zurechnung der Anteile an der Kapitalgesellschaft bestimmt sich nach dem wirtschaftlichen Eigentum.4 § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG greift auch dann, wenn im Zeitpunkt der Gewinnminderung eine „wesentliche Beteiligung“ nicht mehr besteht; stattdessen reicht eine solche zu irgendeinem Zeitpunkt aus. Somit kann die Vorschrift auch dann greifen, wenn die Beteiligung vor der Darlehensgewährung veräußert worden ist.5 Nach § 8b Abs. 3 Satz 5 KStG wird der Anwendungsbereich der Vorschrift auch auf dem Gesellschafter nahestehende Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG ausgeweitet. Im Ergebnis werden damit durch § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG sämtliche Darlehensbeziehungen im Konzern erfasst. Dies betrifft insbesondere Darlehen an Schwestergesellschaften sowie Upstream-Darlehen an Mutter- bzw. Konzernobergesellschaften.6 Im letzteren Fall stellt sich allerdings die Frage des Verhältnisses zur vGA, wobei nach h.M. der 1 Vgl. Letzgus, BB 2010, 92; Kleinert/Podewils, GmbHR 2009, 850; AltrichterHerzberg, GmbHR 2008, 337 ff.; Rengers in Blümich, EStG, GewStG, KStG, § 8b KStG Rz. 323. 2 Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723; v. 16.5.2001 – I B 143/00, BStBl. II 2002, 436; Frotscher in Frotscher/Maas, § 8b KStG Rz. 60n. 3 Vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, § 8b KStG Rz. 60d; Fuhrmann/Strahl, DStR 2008, 125 ff.; Gosch, in Gosch2, § 8b KStG Rz. 279c. 4 Vgl. § 39 Abs. 2 AO. 5 So auch Dötsch/Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 131; Winhard, FR 2010, 687. 6 Vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, § 8b KStG Rz. 60e f.; Gosch in Gosch2, § 8b KStG Rz. 279d; Hauswirth in Lademann, § 8b KStG Rz. 137.
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E. Finanzierungsleistungen
Literatur das Rechtsinstitut der vGA gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG einer Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG vorgeht.1 Rechtsfolge des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG. Die Rechtsfolge des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG besteht darin, dass die aus der Teilwertabschreibung resultierende Gewinnminderung außerbilanziell hinzuzurechnen ist. Nach § 8b Abs. 3 Satz 8 KStG bleiben spätere Gewinne aus der Wertaufholung in voller Höhe steuerfrei, wenn die vorangegangene Teilwertabschreibung als steuerneutral behandelt wurde. Die mit dem Gesellschafterdarlehen bzw. den entsprechenden Sicherheiten im Zusammenhang stehenden laufenden Betriebsausgaben (z.B. Refinanzierungskosten) werden indes von dem Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG nicht erfasst.
6.474
„Escape“ durch Drittvergleich. § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG gestattet dem Steuerpflichtigen im Sinne einer Beweislastumkehr den Nachweis, dass auch ein fremder Dritter bei sonst gleichen Umständen die Finanzierungsmaßnahme gewährt hätte. Gelingt ein solcher Entlastungsnachweis, bleiben die entsprechenden Gewinnminderungen aus der Teilwertabschreibung abzugsfähig. Hintergrund dieser Vorgehensweise ist, dass mit Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 8b Abs. 3 Satz 4 und 5 KStG die Vermutung einer Veranlassung der Darlehensgewährung bzw. des Stehenlassens der Forderung durch das Gesellschaftsverhältnis begründet wird.2 Die Kapitalgesellschaft hat dann die Möglichkeit, die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis mit den Mitteln eines Drittvergleichs zu widerlegen.3 Der Drittvergleich ist auf den Zeitpunkt der Gewährung bzw. des Stehenlassens der Finanzierungsmaßnahme zu führen. Konkrete Hinweise, wie der Drittvergleich zu führen ist, lässt die Gesetzesbegründung zu § 8b Abs. 3 Satz 8 KStG offen. Sie beinhaltet lediglich eine Aufzählung, wann eine Darlehensgewährung als nicht fremdüblich zu qualifizieren ist:4 – Das Darlehen ist unverzinslich. – Das Darlehen ist zwar verzinslich, es werden aber keine Sicherheiten vereinbart. – Das Darlehen ist verzinslich und es werden Sicherheiten vereinbart, aber das Darlehen wird bei Eintritt der Krise der Gesellschaft nicht zurückgefordert.
6.475
Berücksichtigung eigener Sicherheiten. Im Rahmen der Fremdüblichkeitsprüfung dürfen nur die eigenen Sicherungsmittel der finanzierten Gesellschaft berücksichtigt werden.5 Vertreter der Finanzverwaltung ziehen daraus den Rückschluss, dass für die Prüfung des Fremdvergleichs
6.476
1 Vgl. Gosch in Gosch2, § 8b KStG Rz. 279 Buchst. d; Eberhard, DStR 2009, 2231 f. 2 Vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, § 8b KStG Rz. 60c, 60g; Hauswirth in Lademann, § 8b KStG Rz. 136; BT-Drucks. 16/6290, 73. 3 Vgl. Lang, NWB 2010, 3801. 4 Vgl. BT-Drucks. 16/6290, 74. 5 Vgl. § 8b Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 KStG.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nach § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG der Gedanke des „Rückhalts im Konzern“ der BFH-Rspr. nicht übertragbar sei.1 Dem steht allerdings entgegen, dass es nach der BFH-Rspr. für die Fremdüblichkeit einer Darlehensgewährung im Konzern nicht auf die Besicherung ankommen kann.2 Diese Rspr. ist im Rahmen der Auslegung des § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG zu beachten (Rz. 6.505).
6.477
Verfassungsrechtliche Bedenken. Bei § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG handelt es sich um eine massive Durchbrechung des Systems des Teileinkünfteverfahrens:3 Während auf Ebene des Darlehensgebers Zinsen und Veräußerungsgewinne aus der Darlehensforderung voll steuerpflichtig sind, werden Verluste aus der Darlehensforderung nach § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG – rein fiskalisch motiviert – als nicht abzugsfähig behandelt. Im Bereich der (zu 95 % steuerfreien) Beteiligungserträge wird die Nichtabzugsfähigkeit anteilsbezogener Gewinnminderungen nachvollziehbar mit der Kehrseite der Steuerfreistellung für Dividenden und Veräußerungsgewinne begründet.4 Eine solche dogmatische Begründung ist indessen bei Gewinnminderungen (insbesondere in Form von Teilwertabschreibungen) aus Gesellschafterdarlehen nicht ersichtlich. Vielmehr sind hier die Erträge (insbesondere in Form von Zinsen) steuerpflichtig, während eine etwaige Gewinnminderung steuerlich nicht abzugsfähig ist. Im Schrifttum werden daher – vor diesem Hintergrund zutreffende – verfassungsrechtliche Zweifel an der Regelung des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG im Hinblick auf eine Besteuerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geäußert.5 3. Anwendung des § 3c EStG bei natürlichen Personen
6.478
Überblick. Wird die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft im Betriebsvermögen einer natürlichen Person gehalten, stellt sich die Frage, ob im Hinblick auf die Abzugsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auf kapitalersetzende Darlehen § 3c Abs. 2 EStG einschlägig ist. Nach dieser Vorschrift sind Betriebsausgaben im wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen gem. § 3 Nr. 40 EStG zur Hälfte (Halbeinkünfteverfahren) bzw. seit dem VZ 2009 zu 40 % (Teileinkünfteverfahren) nicht abzugsfähig. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, dass nach der Rspr. des BFH der zu § 17 EStG entwickelte Anschaffungskostenbegriff bei kapitalersetzenden Darlehen im betrieblichen Bereich keine Anwendung findet.6 Damit erhöhen Aufwendungen aus dem Ausfall derartiger Darlehen die Anschaffungskosten der zugrunde liegenden 1 2 3 4
Vgl. Lang, NWB 2010, 3801. Vgl. etwa BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482. Vgl. auch Winhard, FR 2010, 692. Vgl. Dötsch/Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 108; Gosch in Gosch2, § 8b KStG Rz. 261. 5 Vgl. Gosch in Gosch2, § 8b KStG Rz. 279a; Winhard, FR 2010, 693. 6 Vgl. Ott, StuB 2011, 183.
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E. Finanzierungsleistungen
Anteile nicht, soweit die Anteile im Betriebsvermögen des Anteilseigners gehalten werden. Im Ergebnis gilt damit außerhalb des Anwendungsbereichs von § 17 EStG der in § 255 Abs. 1 HGB sowohl für die Handelsals auch für die Steuerbilanz statuierte Anschaffungskostenbegriff.1 Keine Anwendung des § 3c EStG. Entgegen der mit BMF-Schreiben v. 23.10.20132 überholten (alten) Auffassung der Finanzverwaltung3 sind auch bei einer natürlichen Person als Anteilseigner die Grundsätze des BFH-Urteils v. 14.1.20094 zu beachten. Denn es liegen auch hier zwei selbstständige Wirtschaftsgüter in Form der Anteile an der Kapitalgesellschaft einerseits sowie der Forderung aus dem Gesellschafterdarlehen andererseits vor. Dementsprechend ist die Forderung aus dem Gesellschafterdarlehen – auch bei eigenkapitalersetzenden Darlehen – bilanziell weiterhin als Fremdkapital zu behandeln, so dass in dem Forderungsverlust kein wirtschaftlicher Zusammenhang mit Einnahmen i.S.d. § 3 Nr. 40 EStG besteht.5 Diese Auffassung wird auch durch die Ausführungen des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren zum JStG 20086 bestätigt. Danach ist für die Anwendung der Restriktionen des § 8b Abs. 3 KStG auf Wertminderungen von Darlehensforderungen natürlicher Personen eine entsprechende Änderung des § 3c Abs. 2 EStG erforderlich.7 Auch die Rspr. vertritt die Auffassung, dass das anteilige Abzugsverbot gem. § 3c Abs. 2 EStG nicht auf Wertminderungen von Darlehensforderungen des Gesellschafters gegenüber der Kapitalgesellschaft anwendbar ist.8 Dies insbesondere deswegen, weil die Anwendung des § 3c Abs. 2 EStG eine Veranlassung der Wertminderung durch die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft als Einkommensquelle voraussetzt. Die Wertminderung einer Darlehensforderung steht allerdings nicht in einem Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen gem. § 3 Nr. 40 EStG (insbesondere Dividenden- und Veräußerungsgewinne), welche aus der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft erzielt werden. Vielmehr geht die Darlehensforderung mit Zinseinnahmen einher, welche als Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht dem Halbeinkünfteverfahren (bzw. Teilein-
1 Vgl. BFH v. 18.12.2001 – VIII R 27/00, BStBl. II 2002, 733 = FR 2002, 522. 2 Vgl. BMF v. 23.10.2013 – IV C 6 - S 2128/07/10001, BStBl. I 2013, 1269. 3 Die Finanzverwaltung ging in ihrem nunmehr überholten BMF-Schreiben v. 8.11.2010 davon aus, dass § 3c Abs. 2 EStG im Hinblick auf Teilwertabschreibungen bei Gesellschafterdarlehen einschlägig ist, wenn keine fremdüblichen Konditionen vereinbart wurden. Vgl. BMF v. 8.11.2010 – IV C 6 S 2128/07/10001, BStBl. I 2010, 1292 Abschn. 2. 4 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818. 5 Vgl. Eberhard, DStR 2009, 2228; Fuhrmann/Strahl, DStR 2008, 125 ff.; Schulze zur Wiesche, GmbHR 2007, 850; Schwenker/Fischer, FR 2010, 649; Neumann/ Watermeyer, Ubg 2008, 759. 6 Vgl. Jahressteuergesetz 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 1350. 7 Vgl. BR-Drucks. 544/1/07, 6. 8 Vgl. BFH v. 18.4.2012 – X R 5/10, BFHE 237, 106; v. 18.4.2012 – X R 7/10, BFHE 237, 119; v. 28.2.2013 – IV R 49/11, BStBl. II 2013, 802.
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6.479
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
künfteverfahren) unterliegen, sondern voll steuerpflichtig sind.1 Im Ergebnis sind folglich Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen sowie der nicht werthaltige Teil des Forderungsverzichts (Rz. 6.506) in voller Höhe abzugsfähig; der steuerwirksame Abzug wird nicht nach § 3c Abs. 2 EStG eingeschränkt.2
6.480
Personengesellschaft als Anteilseigner. Bei einer Personengesellschaft mit Kapitalgesellschaften als Mitunternehmer sind deren Gewinnanteile grundsätzlich auch unter Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu ermitteln. Zusätzlich verweist § 8b Abs. 6 KStG auf eine korrespondierende Anwendung des § 8b Abs. 1–5 KStG bei den Mitunternehmern. Soweit demnach Mitunternehmer-Kapitalgesellschaften Gewinnminderungen aus Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen zugerechnet werden, ist bei diesen – seit dem VZ 2008 – ebenfalls § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG einschlägig. Insoweit gelten die für Kapitalgesellschaften in Rz. 6.471 ff. dargestellten Grundsätze korrespondierend. Dies gilt im Übrigen auch für die Rechtslage bis 2007, weshalb auch für Darlehen einer Personengesellschaft mit Kapitalgesellschaften als Mitunternehmer § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. nicht anwendbar ist. Auch insoweit sind demnach die im BFH-Urteil v. 14.1.2009 entwickelten Rechtsgrundsätze zu beachten (Rz. 6.468).3 4. Behandlung von Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen a) Auffassung der Finanzverwaltung
6.481
Betriebsprüfungspraxis. Bereits in der Vergangenheit hat die Finanzverwaltung – insbesondere in Betriebsprüfungen – die Auffassung vertreten, dass Teilwertabschreibungen auf Darlehen eines inländischen Anteilseigners an seine ausländische (Tochter-)Kapitalgesellschaft gem. § 1 Abs. 1 AStG zu korrigieren seien. Hintergrund der Argumentation der Finanzverwaltung ist, dass auf Grund einer fehlenden Besicherung des Darlehens „fremdunübliche“ Bedingungen vorlägen und folglich die durch die Teilwertabschreibung resultierende Einkünfteminderung bei den inländischen Anteilseignern durch § 1 Abs. 1 AStG außerbilanziell zu korrigieren sei.4 Denn die Darlehensgewährung im Konzern sei – wie bei einer Darlehensgewährung unter fremden Dritten – zu besichern.5 1 Vgl. FG Düss. v. 20.1.2010 – 2 K 4581/07 F, EFG 2010, 1775, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 14/10. 2 So nunmehr auch die Finanzverwaltung in BMF v. 23.10.2013 – IV C 6 S 2128/07/1001, BStBl. 1 2013, 1269. S. ferner Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 711; Eberhard, DStR 2009, 2228; Frotscher in Frotscher/Maas, § 8b KStG Rz. 60c; Schwenker/Fischer, FR 2010, 649; Neumann/Watermeyer, Ubg 2008, 758. 3 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818. 4 Bestätigt durch FG Berlin-Bdb. v. 30.1.2013 – 12 K 12056/12, EFG 2013, 1560 (n.rkr.); Rev. BFH I R 23/13. Vgl. hierzu ausf. Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 ff. 5 Vgl. auch Rupp in D/P/M, IntGA, Rz. 619 f.
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E. Finanzierungsleistungen
BMF-Schreiben v. 29.3.2011. Mit dem BMF-Schreiben vom 29.3.20111 bestätigt die Finanzverwaltung „offiziell“ die Anwendung von § 1 AStG auf Teilwertabschreibungen und Forderungsverzichte auf Darlehen an ausländische Tochter-Kapitalgesellschaften. Diese Rechtsauffassung wird nunmehr auch durch ein – noch nicht rechtskräftiges – Urteil des FG Brandenburg gestützt.2 Allerdings sieht sie die fehlende Besicherung eines Darlehens nicht per se als „fremdunübliche“ Bedingung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG mit der Folge einer dementsprechenden Einkünftekorrektur an. Vielmehr wird es im Einklang mit der Rspr. des BFH3 als mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar angesehen, dass bei einer Darlehensgewährung im Konzern keine Sicherheiten vereinbart werden, weil die Konzernbeziehung für sich gesehen eine ausreichende Sicherheit („Rückhalt“) darstellt.4 Ferner folgt die Finanzverwaltung in den relevanten Fällen der Darlehensgewährung eines beherrschenden Gesellschafters an „seine“ ausländische Kapitalgesellschaft der Rspr. des BFH, wonach in diesen Fällen der Zinssatz für besicherte Darlehen zugrunde zu legen ist. Dies bedeutet, dass der Rückhalt im Konzern als fremdübliche Sicherheit anerkannt wird.5 Für Downstream-Darlehen ist nach Auffassung der Finanzverwaltung demnach wohl regelmäßig von einem besicherten Darlehen auszugehen.
6.482
Alternative Darlehensbeziehungen. Das BMF unterscheidet für die Darlehensgewährung eines beherrschenden Gesellschafters einen Grundfall und zwei Abwandlungen. Im Grundfall wird davon ausgegangen, dass zwischen der beherrschenden Darlehensgeberin und der beherrschten Darlehensnehmerin keine weiteren Geschäftsbeziehungen bestehen.6 Folgende Alternativen für die Ausgestaltung der Darlehensgewährung eines beherrschenden Gesellschafters bestehen:7 – die Darlehensgewährung erfolgt unter Vereinbarung einer tatsächlichen Sicherheit und diese Sicherheit wird im Zinssatz berücksichtigt (Alternative 1); – die Darlehensgewährung erfolgt ohne Vereinbarung einer tatsächlichen Sicherheit und die fehlende Sicherheit wird durch einen angemessenen Risikozuschlag auf den Zinssatz berücksichtigt (Alternative 2);
6.483
1 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277. 2 Vgl. FG Berlin-Bdb. v. 30.1.2013 – 12 K 12056/12, EFG 2013, 1560 (n.rkr.); Rev. BFH I R 23/13. Vgl. hierzu ausf. Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 ff. 3 Vgl. BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, FR 1995, 476 = DB 1995, 1312; v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482. 4 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 10. 5 Dazu kritisch Prinz/Scholz, FR 2011, 927. 6 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 8–16. 7 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 8.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– die Darlehensgewährung erfolgt ohne Vereinbarung einer tatsächlichen Sicherheit und es wird kein Risikozuschlag auf den Zinssatz berücksichtigt (Alternative 3). Diese Unterscheidung beruht offenkundig auf einer strikten Trennung zwischen Sicherungsverhältnis einerseits und Darlehensverhältnis andererseits. Während in der Alternative 1 die Besicherung durch den Darlehensnehmer gestellt wird und in der Alternative 2 das Darlehen final unbesichert bleibt, tritt bei der Alternative 3 die Konzernobergesellschaft sowohl als Sicherungs- als auch als Darlehensgeber auf, nämlich durch „Gewährung“ des Rückhalts im Konzern.1
6.484
Rückhalt im Konzern als faktische Sicherheit. Der Rückhalt im Konzern als faktische, fremdübliche Sicherheit soll nach dieser Klassifizierung fremdüblicher Darlehensgewährungen immer dann zum Tragen kommen, wenn keine tatsächliche Sicherheit gestellt und dem Fehlen einer tatsächlichen Sicherheit auch nicht durch einen angemessenen Risikozuschlag Rechnung getragen wurde. In der Betriebsprüfungspraxis dürfte sich deshalb sowohl im Hinblick auf Teilwertabschreibungen für VZ bis einschließlich 2007 als auch in Bezug auf den Ansatz eines Zinssatzes für unbesicherte Darlehen – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen – die Frage als besonders streitanfällig erweisen, ob der Risikozuschlag auf den Zinssatz die fehlende Sicherheit angemessen berücksichtigt oder nicht. Nach welchen Grundsätzen die Angemessenheit einer Risikozuschlagskomponente „fehlende Besicherung“ zu beurteilen sein soll, lässt sich dem BMF-Schreiben nicht entnehmen.
6.485
Definition des Rückhalts im Konzern. Das BMF-Schreiben geht von einem bestehenden Rückhalt im Konzern aus, „solange der beherrschende Gesellschafter die Zahlungsfähigkeit der Tochtergesellschaft (Darlehensnehmer) gegenüber fremden Dritten (im Außenverhältnis) tatsächlich sicherstellt bzw. solange die Tochtergesellschaft ihre Verpflichtungen im Außenverhältnis erfüllt.“2 Dieses Verständnis steht im Widerspruch zu der Tz. 6.3.2. VWG 1983, wo es heißt: „Rückhalt im Konzern einschließlich des Rechts, den Konzernnamen zu führen, sowie der Vorteile, die sich allein aus der rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Eingliederung in den Konzern ergeben.“3 Gemeinhin wird der Rückhalt im Konzern mit sog. „passiven Konzerneffekten“ gleichgesetzt, worunter alle Vorteile verstanden werden, die sich bei völliger Passivität der Konzernleitung allein aus der Konzernzugehörigkeit in Gestalt der rechtlichen, finanziellen und wirtschaftlichen Eingliederung in den Unternehmensverbund ergeben. Ferner wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass jedes Konzernmitglied so viel zum Rückhalt im Konzern beiträgt, 1 Vgl. auch Eisgruber in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 162. 2 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 11. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2.
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wie es andererseits vom Rückhalt profitiert.1 Insofern fehlt es an einem Leistungsaustausch und auf Grund dessen an einer Erfassbar- und Quantifizierbarkeit des Konzernrückhalts. Eine Geschäftsbeziehung i.S.v. § 1 Abs. 4 AStG liegt mangels schuldrechtlicher Leistungsaustauschbeziehung nicht vor; § 1 AStG ist nicht anwendbar. Wegfall des Rückhalts im Konzern. Ferner geht die Finanzverwaltung davon aus, dass der Rückhalt im Konzern als faktische Sicherheit nachträglich entfallen kann. So wird ausdrücklich der Gegenbeweis konzediert, dass der Konzernrückhalt zum Zeitpunkt der Teilwertabschreibung nicht mehr bestanden hat.2 Hierfür hat der Steuerpflichtige konkrete Umstände darzulegen. Entsprechend der beispielhaften Aufzählung in Rz. 15 des BMF-Schreibens will die Finanzverwaltung den Rückhalt im Konzern als faktische Sicherheit etwa dann nicht mehr annehmen, wenn der beherrschende Gesellschafter nicht mehr dafür sorgt, dass der Darlehensnehmer seine Außenverpflichtungen gegenüber fremden Dritten erfüllt.3 Hiervon dürfte regelmäßig nur dann auszugehen sein, wenn die ausländische Tochtergesellschaft im Außenverhältnis bereits ausgefallen ist und die Spitzeneinheit nichts veranlasst hat (z.B. nicht die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt hat). Dies bedeutet letztlich, dass die Konzerngesellschaft „geopfert“ werden muss, was jedoch in der Praxis ein regelmäßig nur theoretisch in Betracht zu ziehendes „Gestaltungsmittel“ darstellen dürfte.4 Überdies soll ein Nichtbestehen des Konzernrückhalts dann gegeben sein, wenn der beherrschende Gesellschafter gegenüber einem fremden Dritten, der im Vertrauen auf den Rückhalt im Konzern einer nahe stehenden Gesellschaft Darlehen ohne tatsächliche Sicherheit gewährt hat, diesen Rückhalt im Konzern tatsächlich nicht gewährt hat.5 Dies setzt voraus, dass fremde Dritte nur im Vertrauen auf den Rückhalt im Konzern, d.h. insbesondere ohne Garantiezusage oder harte Patronatserklärung durch die Spitzeneinheit, Darlehen an Gesellschaften des betreffenden Unternehmensverbundes vergeben. Schon dies sollte in der Praxis auf Grund des allenfalls bonitätserhöhenden Einflusses des Konzernrückhalts eher die Ausnahme sein.6 Weiter setzt die tatsächliche Nichtgewährung des Konzernrückhalts voraus, dass die betreffende Konzerneinheit ausgefallen ist, d.h. ihren Zahlungsverpflichtungen nicht vollständig nachgekommen ist, und dass die Spitzeneinheit nicht als faktischer „Haftungsschuldner“ in die „Konzernhaftung“ eingetreten ist.7 1 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 188. 2 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 15. 3 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 15, 1. Spiegelstrich. 4 So auch Roser, GmbHR 2011, 846. 5 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004, BStBl. I 2011, 277, Rz. 15, 2. Spiegelstrich. 6 A.A. offenbar Prinz/Scholz, FR 2011, 926, die „nach allgemeiner Auffassung“ davon ausgehen, auch Drittgläubiger würden als ausschließliche „Sicherheit“ für Darlehen nur den Konzernrückhalt akzeptieren. 7 Zum Verständnis als „Konzernhaftung“ auch Kaminski/Strunk, Stbg 2011, 250.
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6.486
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Auch hier ist letztlich die Konzerngesellschaft „aufzugeben“. Schließlich will die Finanzverwaltung einen funktionsfähigen Rückhalt im Konzern auch dann nicht mehr annehmen, wenn die wirtschaftliche Situation des beherrschenden Gesellschafters bzw. des Konzerns insgesamt erkennen lässt, dass auf Grund des Rückhalts im Konzern keine Zahlungen geleistet würden bzw. geleistet werden könnten.1 Hierbei bleibt allerdings fraglich, ob nicht die geforderte Werthaltigkeit des Konzernrückhalts voraussetzen muss, dass die Zahlungsverpflichtungen vollständig erfüllt werden können. Hierfür spricht auch, dass die Finanzverwaltung beim Rückhalt im Konzern von einer „ausreichenden Sicherheit“ ausgeht.2
6.487
Vergleich zu passiven Konzerneffekten. Sowohl das Grundverständnis der Finanzverwaltung vom Gegenstand des Rückhalts im Konzern wie auch die in Betracht gezogene Möglichkeit, der Konzernrückhalt könne bei fortbestehender Konzernbeziehung nachträglich entfallen, sind mit einem von passiven Konzerneffekten getragenen Begriffsverständnis nicht zu vereinbaren. Passive Konzerneffekte erwachsen allein auf Grund der Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund – und insbesondere – zwangsläufig. Ihnen kann sich die jeweilige darlehensnehmende Gesellschaft ausschließlich durch Ausscheiden aus dem Unternehmensverbund entziehen. Insofern sollte als gesichert gelten, dass jedenfalls mit dem Beteiligungsverkauf der Konzernrückhalt nicht mehr besteht. Etwaigen Konzessionen im Zuge des Beteiligungsverkaufs, wie insbesondere die Freistellung der Gesellschaft durch Forderungsverzicht, kann dann aber nicht mit Verweis auf einen bestehenden Rückhalt im Konzern die steuerliche Anerkennung – im Hinblick auf eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG – versagt werden.
6.488
Rückhalt im Konzern als Konzernhaftung. Nach dem „neuen“ Verständnis der Finanzverwaltung wirkt die Konzernobergesellschaft aktiv auf die Tochtergesellschaft ein, ihren Verpflichtungen im Außenverhältnis nachzukommen, und gewährleistet die Zahlungsfähigkeit der ausländischen Tochter-Kapitalgesellschaft notfalls durch Kapitalzuführungen. Die Finanzverwaltung versteht den Rückhalt im Konzern somit als Kreditsicherheit („Konzernhaftung“ als harte Besicherung).3 Diese Auffassung steht im Widerspruch zur jüngeren Rspr. des BGH, nach der nur die konzernextern gegebene harte Patronatserklärung einen solchen Kreditsicherungscharakter entfalten kann.4 Das „neue“ Begriffsverständnis steht ferner nicht im Einklang mit der Rspr. des BFH, der die Fremdüblichkeit der fehlenden Besicherung eines von einem beherrschenden Gesellschafter ausgereichten Darlehens nicht auf den „Rückhalt im Konzern“, sondern 1 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 15, 3. Spiegelstrich. 2 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 11. 3 Verneiend FG Berlin-Bdb. v. 30.1.2013 – 12 K 12056/12, EFG 2013, 1560 (n.rkr.); Rev. BFH I R 23/13. Vgl. hierzu Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (110). 4 Vgl. BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, GmbHR 2011, 769. Siehe ferner Roser, GmbHR 2011, 845.
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E. Finanzierungsleistungen
auf Einflussnahmemöglichkeiten des beherrschenden Gesellschafters und auf dessen gesellschaftsrechtlich bestehende Möglichkeit gestützt hat, für die Rückzahlung des Darlehens Sorge tragen zu können.1 Schließlich werden verrechnungspreisbezogene Folgefragen der Verrechenbarkeit des Rückhalts im Konzern aufgeworfen, die als völlig offen bezeichnet werden müssen.2 Darlehensgewährung neben weiteren Geschäftsbeziehungen. Bestehen neben der Darlehensgewährung weitere Geschäftsbeziehungen zu der ausländischen Tochter-Kapitalgesellschaft, sind der Grundfall und damit die diesbezüglichen Grundsätze des BMF-Schreibens nicht (unmittelbar) einschlägig. Das BMF-Schreiben v. 29.3.2011 behandelt diesen Fall als Abwandlung I, dessen Beurteilung sich nach Rz. 17–19 richtet. Für das Verständnis wichtig ist, dass die Behandlung von Teilwertabschreibungen und Forderungsverzichten auf Darlehen eines beherrschenden Gesellschafters in diesem Abschnitt des BMF-Schreibens nicht grundlegend neu aufbereitet werden, sondern dass Besonderheiten aus dem Zusammentreffen mit anderen Lieferungs- und/oder Leistungsbeziehungen Berücksichtigung finden. Deshalb gelten im Ausgangspunkt die allgemeinen Grundsätze für Darlehensgewährungen ohne anderweitige Geschäftsbeziehungen entsprechend.3
6.489
Risikozuschlag im Rahmen des Zinssatzes. Hat die Tochtergesellschaft für das betreffende Gesellschafterdarlehen keine tatsächlichen Sicherheiten gestellt, ist nach den Vorgaben des BMF-Schreibens v. 29.3.2011 zunächst zu prüfen, ob der angewandte Zinssatz einen „angemessenen Risikozuschlag“ beinhaltet. Es stellt sich daher die Frage, ob der fehlenden Besicherung durch einen angemessenen Risikozuschlag auf den Zinssatz Rechnung getragen wurde. Das Darlehen wäre in diesem Fall entsprechend Alternative 2 (Rz. 6.483) ausgestaltet. Nach den Grundsätzen des BMF-Schreibens v. 29.3.2011 entspricht diese Fallgestaltung grundsätzlich dem Fremdvergleichsgrundsatz, wenn der angesetzte Verrechnungspreis (Zinssatz) dem Zinssatz entspricht, den fremde Dritte ohne Gewährung einer tatsächlichen Sicherheit vereinbart hätten.4
6.490
Ermittlung des Risikozuschlags. In der Betriebsprüfung ist die Ermittlung eines angemessenen Risikozuschlags indessen regelmäßig streitanfällig. Denn das BMF-Schreiben v. 29.3.2011 regelt weder die Bestimmung des die fehlende Sicherheit „angemessen“ berücksichtigenden Risikozuschlags, noch gibt es eine Größenordnung vor. Insofern ist auf die Grundsätze zurückzugreifen, nach denen die Angemessenheit von Zins-
6.491
1 Vgl. BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, FR 1995, 476 = DB 1995, 1312; v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573. 2 Siehe hierzu z.B. Kaminski/Strunk, Stbg 2011, 249 ff.; Prinz/Scholz, FR 2011, 927 f. 3 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 17 Satz 1 mit Verweis auf Rz. 8–11. 4 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 9 mit Verweis auf Rz. 6.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
sätzen für risikobehaftete Darlehen beurteilt wird. In der Praxis wird der Fremdvergleich üblicherweise auf Unternehmensanleihen gestützt. Hierbei werden in einem ersten Schritt das Kreditrisiko der konzerninternen Darlehensvergabe (Risikoermittlung) und in einem zweiten Schritt der fremdübliche Zinssatz über Unternehmensanleihen entsprechend der Risikokategorie und unter Berücksichtigung weiterer zinsrelevanter Faktoren ermittelt.1 Die Risikoermittlung kann entweder mittels eines externen Ratings (z.B. Standard & Poor’s, Moody’s, Fitch) oder durch ein internes Rating (z.B. Banken, Unternehmensberatungen) erfolgen. Fraglich ist hier, ob auf ein Konzern- oder auf ein Einzelrating abzustellen ist. Üblicherweise wird in der Beratungspraxis, insbesondere aus Praktikabilitätsgründen und aus Gründen der Informationsverfügbarkeit, das Konzernrating dem Einzelrating vorgezogen.2 Insofern partizipiert die Konzerneinheit von Vorteilen bzw. nimmt Nachteile in Kauf, die einzig aus der Konzernzugehörigkeit herrühren (passive Konzerneffekte = Rückhalt im Konzern). Nach dem BMF-Schreiben v. 29.3.2011 müsste demgegenüber für jede einzelne Konzerneinheit ein „Stand-Alone“-Rating erfolgen.3 Nach dem anleihebasierten Fremdvergleich wird der fremdübliche Zinssatz aus währungs-, fristen- und risikoklassenidentischen Unternehmensanleihen abgeleitet.
6.492
Berücksichtigung weiterer Liefer- und Leistungsbeziehungen. Ferner ordnet das BMF-Schreiben v. 29.3.2011 an, dass im Rahmen der Angemessenheitsbeurteilung zusätzlich zu prüfen ist, ob die weiteren Geschäftsbeziehungen Auswirkungen auf die Fremdüblichkeit der vereinbarten Bedingungen des Darlehensvertrags haben oder ob und in welcher Weise die Darlehenseinräumung wirtschaftlich mit den weiteren Geschäftsbeziehungen in Zusammenhang steht.4 Allerdings äußert sich das BMF-Schreiben nicht ausdrücklich dazu, welche Schlussfolgerungen für die Beurteilung der Angemessenheit – hier des Zinssatzes einschließlich Risikoprämie – zu ziehen sind, wenn eine Beeinflussung des Zinssatzes durch den daneben bestehenden anderweitigen Lieferungs- und Leistungsaustausch festzustellen ist. Mittelbar lässt sich dagegen der Auffassung der Finanzverwaltung entnehmen, dass jedenfalls die Sicherung der Existenz des Darlehensnehmers und der bestehenden Lieferungs- und Leistungsbeziehungen geeignet ist, auch einen Zinssatz zu rechtfertigen, der unterhalb der Bandbreite angemessener Zinssätze liegt, die für die isolierte Darlehensgewährung festzustellen wäre.5 Dies ist auch sachgerecht. Denn es 1 Vgl. hierzu im Einzelnen Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. O 61 ff. 2 Vgl. zu dieser Problematik die Entscheidung des Tax Court of Canada in Sachen GE Capital Canada v. 4.12.2009 und hierzu Ditz/Schneider, DB 2011, 779 f. 3 Vgl. hierzu auch Looks/Birmans/Persch, DB 2011, 2111; a.A. wohl Teschke/ Sundheimer, DStR 2011, 2024. 4 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 17 Satz 2. 5 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 19.
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E. Finanzierungsleistungen
entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz, dass die Interessen an einem bestehenden Lieferungs- und Leistungsaustausch in die Vereinbarung der Zinskonditionen für ein daneben gewährtes Darlehen einbezogen werden. Fortwährende Verhandlung über Sicherheiten. Die Finanzverwaltung trifft für das Zusammentreffen von Darlehens- und Lieferbeziehungen keine spezielle Aussage über die Anerkennung von Teilwertabschreibungen für Zwecke von § 1 AStG. Für den Grundfall jedenfalls erkennt die Finanzverwaltung die Teilwertabschreibung an. Dies soll allerdings davon abhängig sein, dass der konzerninterne Darlehensgeber während der Laufzeit wie ein fremder ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter alle Möglichkeiten zur Sicherung seiner Forderungen gewahrt hat.1 Dieser Anforderung könnte entnommen werden, dass für die Alternative 1 eine vollständige Besicherung des Darlehens erforderlich ist, denn sie zielt auf die etwaige Gestellung zusätzlicher Sicherheiten ab, spricht aber nicht von der Werthaltigkeit der ursprünglich gestellten Sicherheiten. Letztere Frage bleibt im gesamten BMF-Schreiben offen. Überdies ist die Vorstellung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbar, fremde Dritte würden fortwährend über die Gestellung zusätzlicher Sicherheiten verhandeln bzw. dritte Darlehensgeber hätten (rechtlich und tatsächlich) die Möglichkeit, ohne Weiteres zusätzliche Sicherheiten zu verlangen.2 Letztlich bestimmt es sich nach dem vertraglich Vereinbarten, ob eine solche Möglichkeit überhaupt besteht und von welchen Voraussetzungen diese abhängt.3 Üblicherweise werden Art und Umfang der Besicherung einschließlich Werthaltigkeitsprüfung der Sicherheiten ausschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses verhandelt. Die Finanzverwaltung meint für die festzustellende Wahrung von Sicherungsmöglichkeiten den Fremdvergleich „wiederbeleben“ zu können.4
6.493
b) Keine Anwendung des § 1 AStG Zwecksetzung des § 1 AStG. Es ist im Schrifttum5 hinreichend verdeutlicht worden, dass die Auffassung der Finanzverwaltung zur Korrektur von Teilwertabschreibungen und Forderungsverzichten auf eigenkapitalersetzende Darlehen nach § 1 AStG vor dem Hintergrund der Zwecksetzung und der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 AStG erheblichen Bedenken begegnet. Die Zwecksetzung des § 1 AStG besteht bekanntermaßen in der Sicherung des deutschen Steueraufkommens. Diese Vorschrift hat seit ihrer Einführung unverändert zum Ziel, Gewinnverlagerungen 1 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 12. 2 Vgl. hierzu auch Kaminski/Strunk, Stbg 2011, 253 f. 3 Vgl. zur Anforderung eines „permanenten Fremdvergleichs“ nach § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG im Falle stehengelassener Darlehen in der Krise Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 279e. 4 So auch Roser, GmbHR 2011, 846. 5 Vgl. Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 711 ff.; Ditz in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 65 ff.; Prinz/Scholz, FR 2011, 925 ff.; Ditz/ Quilitzsch, ISR 2014, 109 (113); Andresen, IStR 2014, 209 (213).
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6.494
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
ins Ausland zu verhindern.1 Wassermeyer weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass Sinn und Zweck bei der Auslegung dieser Vorschrift zu berücksichtigen sind. Es ist deshalb fraglich, ob bilanzielle Maßnahmen wie vorliegend die Teilwertabschreibung auf das Gesellschafterdarlehen geeignet sind, eine Gewinnverlagerung ins Ausland zu bewirken. Eine Gewinnverlagerung ins Ausland tritt regelmäßig ein, wenn die Muttergesellschaft und die Tochtergesellschaft gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG Bedingungen (Fremdkapitalvergütungen oder Verrechnungspreise) vereinbaren, die einem Fremdvergleich nicht standhalten. Konsequenterweise wäre eine Korrektur der vereinbarten Leistungsentgelte nach § 1 AStG vorzunehmen, wobei letztlich in der ersparten Fremdkapitalvergütung die Einkünfteverlagerung zu sehen ist.
6.495
Keine Gewinnverlagerung ins Ausland. Mit einer Teilwertabschreibung auf den mit der Geschäftsbeziehung verbundenen Bilanzansatz der Darlehensforderung entsteht keine Gewinnverlagerung ins Ausland, die § 1 AStG seiner Zielsetzung nach erfassen soll.2 Insbesondere ist die durch die Teilwertabschreibung verursachte Einkünfteminderung im Inland nicht mit einer korrespondierenden Einkünfteerhöhung im Ausland verbunden. Die von Teilen der Finanzverwaltung vorgenommene Trennung zwischen Darlehens- und Sicherungsgewährung3 lässt es allenfalls theoretisch zu, in der fehlenden Entgeltlichkeit der Sicherungsgewährung die Einkünfteverlagerung zu erblicken. Nach dem bisher noch geltenden Verständnis ist die „Gewährung“ des Rückhalts im Konzern jedoch einerseits nicht verrechenbar. Anderseits will die Finanzverwaltung eine Einkünftekorrektur auch nicht durch Ansatz einer Avalprovision vornehmen, sondern durch Korrektur der Teilwertabschreibung. Insofern fehlt es auch theoretisch an der Anknüpfung an eine Einkünfteverlagerung.4
6.496
Einkünfteminderung aus einer Geschäftsbeziehung. Ferner müssen die dem Fremdvergleichsmaßstab nicht standhaltenden Bedingungen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG kausal für die eingetretene Einkunftsminderung sein („dadurch […], dass“). Die Einkunftsminderung muss „aus der Geschäftsbeziehung“ selbst resultieren.5 Fraglich ist, ob die nach den Tatbestandsvoraussetzungen geforderte Kausalität auch für die Einkunftsminderung gegeben ist, die infolge einer Teilwertabschreibung auf ein 1 Vgl. BT-Drucks. VI/2883, Teil B Buchst. a Rz. 15 ff. und hierzu auch Wassermeyer, DB 2006, 299. Zur neuerlichen Klarstellung dieser Zielsetzung durch die Gesetzesbegründung zum UntStRefG 2008 (v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912) siehe BT-Drucks. 16/4841, 84. 2 Vgl. Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 713; Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (113). 3 Vgl. auch Eisgruber in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 162. 4 So wohl auch Vertreter der Finanzverwaltung, wenn ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Gegenberichtigung im Ausland keine Tatbestandsvoraussetzung des § 1 AStG ist, vgl. Morlock, JbFSt 2010/2011, 824. 5 Vgl. Roser, GmbHR 2011, 844; kritisch auch Teschke/Sundheimer, DStR 2011, 2022; Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (112 f.); Andresen, IStR 2014, 209 (211 f.); dies bestätigend hingegen FG Berlin-Bdb. v. 30.1.2013 – 12 K 12056/12, EFG 2013, 1560 (n.rkr.); Rev. BFH I R 23/13.
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E. Finanzierungsleistungen
eigenkapitalersetzendes Darlehen eintritt. Roser weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der der Einkünfteermittlung zugrunde gelegte (unmittelbare) Effekt der Bedingungen (Verrechnungspreise) zu beurteilen sei.1 Insofern wären mittelbare Effekte und Folgewirkungen – anders als von der Finanzverwaltung angenommen – nicht geeignet, Einkünftekorrekturen nach § 1 AStG auszulösen. Die Frage geht dahin, ob eine auch Folgewirkungen einbeziehende Interpretation des Kausalzusammenhangs nicht letztlich jedwede Geschäftsbeziehung – potenziell jedenfalls – dann für eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG „vorhält“, wenn sich Risiken aus dieser Geschäftsbeziehung zu Lasten des inländischen Vertragspartners realisieren. Es ist offenkundig, dass ein solches Verständnis mit dem auch von der Finanzverwaltung2 anerkannten „Ex-ante“-Grundsatz nicht zu vereinbaren ist. Andere als preisbezogene Einkünftekorrekturen. Eine Korrektur von Teilwertabschreibungen und tatsächlichen Wertminderungen infolge von Forderungsverzichten nach § 1 AStG setzt voraus, dass diese Korrekturnorm auch andere als preisbezogene Einkünftekorrekturen zulässt. Zweifelsohne können auch bilanzielle Gewinnminderungen Einkünfteminderungen bewirken, die als solche i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zu qualifizieren sind. Gleichermaßen wäre die Nichtvereinbarung einer tatsächlichen Sicherheit eine Bedingung, die einer Überprüfung im Hinblick auf ihre Fremdüblichkeit zugänglich ist. Jedenfalls für Darlehensgewährungen durch beherrschende Gesellschafter folgt die Finanzverwaltung nunmehr der Auffassung der Rspr. und nimmt in diesen Fällen keine fremdunübliche Bedingung mehr an. In allen anderen Fällen konzerninterner Darlehensbeziehungen allerdings gehen weder Rspr.3 noch Finanzverwaltung4 davon aus, dass fehlende Sicherheiten einem Fremdvergleich genügen.
6.497
Reine Preiskorrekturen. Nach der Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG „sind seine Einkünfte [. . ] so anzusetzen, wie sie unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären“. Dem kann man nicht – jedenfalls nicht unmittelbar – entnehmen, dass die Bedingungen selbst korrekturfähig seien und die Einkünfte auf Grundlage der korrigierten Bedingungen anzusetzen wären. Grundsätzlich gilt nach Auffassung der OECD5 sowie der deutschen Finanzverwaltung6, dass die tatsächlich verwirklichte Geschäftsbeziehung anzuerkennen ist, d.h. vorliegend die Darlehensgewährung ohne Gestellung tatsächlicher Sicherheiten. Allerdings sind aus der verwirklichten Ge-
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1 Vgl. Roser, GmbHR 2011, 844. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.2.1. 3 Vgl. BFH v. 14.3.1990 – I R 6/89, BStBl. II 1990, 795; v. 8.10.2008 – I R 61/07, BStBl. II 2011, 62 = FR 2009, 583. 4 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 27. 5 Vgl. Tz. 1.64 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 146.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
schäftsbeziehung die verrechnungspreisbezogenen Konsequenzen zu ziehen, d.h. es ist ein Zinssatz zugrunde zu legen, wie ihn fremde Dritte für unbesicherte Darlehen zugrunde gelegt hätten. Die Übernahme dieses Kreditrisikos, die sich im Kern aus der unternehmerischen Disposition ergibt und von der deutschen Finanzverwaltung anerkannt wird, widerspricht auch nicht den Grundsätzen der Funktions- und Risikoverteilung.1 Auch unter fremden Dritten werden unbesicherte Darlehen vergeben. Allerdings fordern ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter für die Übernahme des (erhöhten) Ausfallrisikos eine Risikoprämie. Dass Einkünftekorrekturen nach § 1 AStG der Höhe nach stets Ergebnis eines Preisvergleichs, nämlich des Vergleichs des Fremdvergleichspreises mit dem tatsächlich vereinbarten Verrechnungspreis sind, bestätigt auch § 1 Abs. 3 AStG, denn die Vorschrift regelt ausschließlich die Ermittlung des Fremdvergleichspreises („Verrechnungspreis“).2 Dagegen fehlen – zu Recht – Rechtsgrundlagen für die Ermittlung „anderer“ fremdvergleichskonformer Bedingungen, anhand derer die Einkünfte ermittelt werden können, die „unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären“. Deshalb deckt § 1 AStG andere als preisbezogene Einkünftekorrekturen nicht ab.3 Eine Einkünftekorrektur durch außerbilanzielle Hinzurechnung von Teilwertabschreibungen und tatsächlichen Gewinnminderungen auf Grund von Forderungsverzichten entbehrt einer Rechtsgrundlage, weil sie sich nicht aus einem Fremdvergleich (der Höhe nach!) rechtfertigen lässt. c) Europarechtswidrigkeit des § 1 AStG
6.499
Auffassung der Rechtsprechung. Es bestehen ernstliche Zweifel, ob § 1 AStG mit der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) vereinbar ist.4 Auch die h.M. der Literatur geht von einer Europarechtswidrigkeit des § 1 AStG aus.5 Schließlich hat auch das FG Düsseldorf die Europarechtskonformität von § 1 AStG verneint.6 Danach verstößt § 1 AStG gegen die Niederlassungsund Kapitalverkehrsfreiheit, indem die Vorschrift die Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft im Vergleich zu einer Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft benachteiligt. Soweit die Finanzver1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 146 ff. 2 Zu den legislativen Unzulänglichkeiten in dieser Unterscheidung siehe Wassermeyer, DB 2007, 536. 3 Zu Einzelheiten vgl. auch Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 711 ff.; Prinz/Scholz, FR 2011, 925 ff.; Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 47; Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (113 f.); Andresen, IStR 2014, 209 (213 f.). 4 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = FR 2001, 604; v. 21.6. 2001 – I B 141/00, BFH/NV 2001, Beilage 9, 1169. 5 Vgl. Kessler/Spengel, DB Beilage 1/2012 m.w.N.; Rödder, DStR 2004, 1632; Schaumburg, DB 2005, 1137; Wassermeyer, IStR 2001, 113 und 637; Ditz/ Quilitzsch, ISR 2014, 109 (114 f.). 6 Vgl. FG Düss. v. 19.2.2008 – 17 K 894/05 E, EFG 2008, 1006; vgl. dazu Rehm/ Nagler, IStR 2008, 421 ff.
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waltung den Abzug von Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen an ausländische Tochtergesellschaften bis einschließlich VZ 2007 nach § 1 AStG außerbilanziell korrigiert, führt dies zu einer europarechtswidrigen Benachteiligung ausländischer Sachverhalte im Vergleich zu den nationalen Fällen.1 Denn auf Darlehensgewährungen an inländische Tochtergesellschaften findet das Abzugsverbot gem. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. nach dem BFH-Urteil v. 14.1.20092 keine Anwendung. Es besteht keine Rechtfertigung, diesbezüglich Inlands- und Auslandsfälle unterschiedlich zu behandeln. Daran ändert auch die nachfolgend dargestellte Entscheidung des EuGH in der Rs. SGI nichts.3 Entscheidung des EuGH in der Rs. SGI. Der EuGH sieht in seiner Entscheidung v. 21.1.2010 in der Rs. SGI in der Anwendung der belgischen Vorschrift, die sich wie § 1 AStG nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte bezieht, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Diese Beschränkung sei allerdings gerechtfertigt. Dabei werden zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung einerseits die Notwendigkeit einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und andererseits die Vermeidung von Steuerumgehungen angeführt. Ein Absehen von der Besteuerung solcher außergewöhnlichen und unentgeltlichen Vorteile würde die Gefahr der Verlagerung von in Belgien erwirtschafteten Gewinnen in Niedrigsteuerländer mit sich bringen. Im Ergebnis gelangt daher der EuGH aus der Zusammenschau der beiden vorgenannten Rechtfertigungsgründe zu der Auffassung, dass die entsprechende belgische Vorschrift den Gründen des Gemeininteresses entspricht und zur Zielerreichung geeignet ist.4 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat der EuGH auf folgende Bedingungen hingewiesen, die zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfüllt sein müssen:5 – Die nationale Regelung muss eine Prüfung objektiver und nachprüfbarer Umstände vorsehen, damit festgestellt werden kann, ob ein geschäftlicher Vorgang eine rein künstliche Konstruktion zu steuerlichen Zwecken darstellt.6 Dabei wird der Fremdvergleichsgrundsatz durch den EuGH als „objektives, für Dritte nachprüfbares Kriterium“7 bezeichnet, anhand dessen festgestellt werden kann, ob eine rein künstliche Konstruktion zu steuerlichen Zwecken vorliegt oder nicht. 1 2 3 4 5
Vgl. Schmidt, NWB 2009, 1990. Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818. Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 – SGI, IStR 2010, 144. Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 – SGI, IStR 2010 144, Rz. 69. Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 – SGI, IStR 2010, 144 Rz. 71 ff.; vgl. dazu im Einzelnen Englisch, IStR 2010, 141 f.; Scheipers/Linn, IStR 2010, 472; Greinert/Weigert, DB 2013, 2524 ff. 6 Vgl. hierzu auch die Überlegungen von Schön, IStR 2011, 780 f., dass „künstliche Konstruktionen“ schon dann nicht mehr vorlägen, wenn die gewählten Verrechnungspreise ihre betriebswirtschaftliche Funktion erfüllen, nämlich darauf gerichtet sind, die Herstellungs- und Absatzprozesse effizient zu steuern. Denn in diesem Fall seien die gewählten Verrechnungspreise wirtschaftlich legitimiert. 7 EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Thin Cap GLO, IStR 2007, 249.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– Ferner muss dem Steuerpflichtigen Gelegenheit gegeben werden, wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des beanstandeten Geschäfts nachzuweisen. Auch ein Abweichen vom Fremdvergleichsgrundsatz führt damit nicht zwangsläufig zu einer Verrechnungspreiskorrektur, sofern die Preisfindung gleichwohl von außersteuerlichen Erwägungen getragen wird.1 – Schließlich darf eine Einkünftekorrektur auf Grund unangemessener Verrechnungspreise nur insoweit durchgeführt werden, als das zu Lasten des nationalen Fiskus vereinbarte Entgelt nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.
6.501
Verstoß gegen Europarecht. Im Ergebnis sieht der EuGH eine grenzüberschreitende Einkünftekorrektur auf Grund unangemessener Verrechnungspreise bei der Gewährung von unentgeltlichen oder außergewöhnlichen Vorteilen als grundsätzlich zulässig an. Um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen, unterliegt die Einkünftekorrektur jedoch Einschränkungen.2 Vertreter der Finanzverwaltung ziehen aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache SGI die Schlussfolgerung, dass es sich bei § 1 AStG um eine „zur Wahrung einer international ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsrechte und zur Verhütung von Steuerumgehungen dienende verhältnismäßige Regelung“ handelt, „die den EG-rechtlichen Anforderungen vollumfänglich standhält“3. Diese Aussage ist jedoch in ihrer Allgemeinheit unzutreffend. Zwar hat der EuGH klargestellt, dass Einkünftekorrekturvorschriften, die sich auf ungemessene Verrechnungspreise beziehen, als solche nicht europarechtswidrig sind. Dies gilt grundsätzlich auch für den in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG niedergelegten Fremdvergleichsgrundsatz.4 Allerdings geht die Vorschrift des § 1 AStG teilweise über das hinaus, was der EuGH zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung (Notwendigkeit einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und Vermeidung von Steuerumgehungen) als verhältnismäßig ansieht und was im Übrigen auch durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gedeckt ist.5 Dies gilt insbesondere für die durch die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben v. 29.3.20116 vorgesehene Anwendung des § 1 AStG auf Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen bei Auslandssachverhalten. Denn bei der Korrektur von Teilwertabschreibungen auf solche Gesellschafterdarlehen liegt gerade keine Maßnahme zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsrechte vor.7 Darüber hinaus ist in 1 Vgl. auch Englisch, IStR 2010, 141; Schön, IStR 2009, 888; Greinert/Weigert, DB 2013, 2524 ff. 2 Vgl. hierzu auch Baßler, Steuerliche Gewinnabgrenzung im Europäischen Binnenmarkt, 218 ff. 3 Vgl. Becker/Sydow, IStR 2010, 196. 4 Gl.A. Musil/Fähling, DStR 2010, 1505; Englisch, IStR 2010, 141. 5 Vgl. auch Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 313. 6 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277. 7 Vgl. Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (114).
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E. Finanzierungsleistungen
(steuerbilanziell gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG explizit vorgesehenen) Teilwertabschreibungen gerade keine Steuerumgehung zu erkennen. Infolgedessen sind die Regelungen im BMF-Schreiben v. 29.3.2011 nicht durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache SGI1 gedeckt. Es handelt sich insoweit um eine nicht gerechtfertigte, unverhältnismäßige Benachteiligung ausländischer Sachverhalte, welche gegen die Niederlassungsfreiheit des AEUV verstößt und für welche keine (verhältnismäßigen) Rechtfertigungsgründe vorliegen.2 Zum grundlegenden Verhältnis von Verrechnungspreisen zum Europarecht vgl. die Ausführungen in Kap. 13. 5. Behandlung von Forderungsverzichten Verdeckte Einlage auf Ebene der Gesellschaft. Bei einem Forderungsverzicht erlischt das Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner mit der Folge, dass die Verbindlichkeit beim Schuldner nicht mehr auszuweisen ist.3 Verzichtet ein Gesellschafter (z.B. Muttergesellschaft) auf seine Forderung gegenüber der Gesellschaft (z.B. Tochtergesellschaft) und liegen die Gründe für den Verzicht im Gesellschaftsverhältnis, kommt es nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH v. 9.6.19974 auf Ebene der (Tochter-)Gesellschaft in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung zu einer verdeckten Einlage in das Vermögen der (Tochter-)Gesellschaft.5 Die Erfassung des Forderungsverzichts als verdeckte Einlage setzt folglich einerseits eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung voraus, die gegeben ist, wenn ein Nichtgesellschafter der (Tochter-)Gesellschaft den Vermögensvorteil nicht zugewandt hätte. Ist der Forderungsverzicht damit beim Gesellschafterunternehmen betrieblich veranlasst, d.h. in dessen eigenem betrieblichen Interesse (Rz. 6.504), kann keine verdeckte Einlage vorliegen. Andererseits setzt die Behandlung des Forderungsverzichts als verdeckte Einlage voraus, dass die Forderung des Gesellschafters werthaltig ist. In diesem Zusammenhang gilt Folgendes:6 – Ist die Forderung werthaltig, sind nach Auffassung des BFH die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage erfüllt, so dass der aus dem Forderungsverzicht auf Ebene der Gesellschaft ausgewiesene (außerordentliche) Ertrag bei der Einkommensermittlung zu kürzen ist.7 Die verdeckte Einlage ist als Zugang beim steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG zu erfassen. – Ist die Forderung nicht werthaltig, kann nach Auffassung des BFH keine verdeckte Einlage vorliegen. Auf Ebene der (Tochter-)Gesellschaft ist der Forderungsverzicht infolgedessen als steuerpflichtiger Er1 2 3 4 5 6 7
Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 – SGI, IStR 2010, 144. Vgl. Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (115). Vgl. BFH v. 31.5.2005 – I R 35/04, BStBl. II 2006, 132 = FR 2006, 135. Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723. Vgl. auch BFH v. 31.5.2005 – I R 35/04, BStBl. II 2006, 132 = FR 2006, 135. Vgl. auch Ott, DStZ 2010, 627. Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723. Insoweit ist das Korrespondenzprinzip des § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG zu beachten.
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6.502
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
trag zu erfassen (und damit ggfs. gegen steuerliche Verluste oder Verlustvorträge zu verrechnen). Erfüllt der Forderungsverzicht auf Ebene der (Tochter-)Gesellschaft die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage, ist der handelsrechtlich in der Gewinn- und Verlustrechnung erfasste (außerordentliche) Ertrag außerbilanziell zu kürzen.1 Alternativ ist es möglich, die verdeckte Einlage unmittelbar in der Steuerbilanz erfolgsneutral auszuweisen, indem eine Gegenbuchung im Eigenkapital vorgenommen wird.2
6.503
Verdeckte Einlage auf Ebene des Gesellschafters. Auch auf Ebene des Gesellschafters (Muttergesellschaft) sind die steuerlichen Konsequenzen seines Forderungsverzichts gegenüber seiner Gesellschaft (Tochtergesellschaft) davon abhängig, ob die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage erfüllt sind. In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage, ob auf die Forderung im eigenen betrieblichen Interesse des Gesellschafters verzichtet wird (Rz. 6.504). Ist dies der Fall, kann keine verdeckte Einlage vorliegen, da diese eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung voraussetzt (Rz. 6.502). Ist die Voraussetzung einer betrieblichen Veranlassung gegeben, ist der Verzicht der Forderung auf Ebene des Gesellschafters aufwandswirksam zu erfassen. § 1 AStG sowie § 8 Abs. 3 Satz 4 ff. KStG (Rz. 6.505) sind nicht anwendbar. Ist hingegen eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung gegeben, kann nur der nicht werthaltige Teil der Forderung aufwandswirksam erfasst werden; in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung, auf welche verzichtet wurde, sind hingegen die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage erfüllt. Als Rechtsfolge der verdeckten Einlage sind bei dem Gesellschafter (Muttergesellschaft) die Anschaffungskosten der Beteiligung an der (Tochter-)Gesellschaft um den Teilwert der verdeckten Einlage zu erhöhen.3 Dabei stellt der Große Senat des BFH zur Bewertung des Forderungsverzichts auf den Betrag ab, den die (Tochter-)Gesellschaft für den Erwerb der Forderung oder für die Herbeiführung des Verzichts hätte aufwenden müssen. Dies ist der Wert, den der Gesellschafter bei Vollabwicklung der Gesellschaft noch erzielen würde.4 Für den Fall, dass der Forderungsverzicht gegenüber der (Tochter-)Gesellschaft gesellschaftsrechtlich veranlasst ist, ist auf den nicht werthaltigen Teil § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG anzuwenden (Rz. 6.506).
6.504
Betriebliche Veranlassung. Soweit der Forderungsverzicht durch den Gesellschafter (Muttergesellschaft) im eigenen betrieblichen Interesse erfolgt, sind die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage nicht erfüllt.5 Der Aufwand des Gesellschafters aus dem Forderungsverzicht ist infolge1 2 3 4
Vgl. § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG. Vgl. auch Wassermeyer, IStR 2001, 634. Vgl. § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG. Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723. Siehe ferner BFH v. 10.11.1998 – VIII R 6/96, BStBl. II 1999, 348 = FR 1999, 463; FG Köln v. 10.2.1999 – 10 K 862/95, EFG 1999, 547; FG Münster v. 15.6.2011 – 9 K 2731/08 K, G, F, EFG 2011, 2194. 5 Vgl. Wochinger in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG Rz. 63.
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dessen handelsrechtlich als Aufwand und steuerrechtlich als Betriebsausgabe zu erfassen. Ein betriebliches Interesse des Gesellschafters liegt insbesondere dann vor, wenn der Forderungsverzicht (auf eine Darlehensforderung oder auf Forderungen aus Lieferungen und Leistungen) zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der darlehensnehmenden (Tochter-)Gesellschaft dient, um infolgedessen einen bestehenden Liefer- und Leistungsverkehr zwischen beiden Unternehmen (weiterhin) zu gewährleisten.1 Typisches Beispiel für einen solchen Fall ist der Verzicht einer Produktions-Muttergesellschaft auf Forderungen aus Lieferungen und Leistungen gegenüber ihrer Vertriebs-Tochtergesellschaft. Ist die Vertriebs-Tochtergesellschaft in einer nachhaltigen wirtschaftlich problematischen Situation (z.B. nachhaltige Verlustsituation), wird ein Forderungsverzicht häufig notwendig sein, um eine Überschuldung der Vertriebsgesellschaft zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist der Verzicht auf Forderungen aus Lieferungen und Leistungen oder auf Darlehensforderungen der Mutter- gegenüber ihrer Vertriebs-Tochtergesellschaft in ihrem eigenen betrieblichen Interesse, da diese bei einer Insolvenz der VertriebsTochtergesellschaft beispielsweise den Markt „verlieren“ würde. Damit liegt der Forderungsverzicht gegenüber der Vertriebsgesellschaft – zur Aufrechterhaltung des lokalen Vertriebskanals – im eigenen betrieblichen Interesse der Mutter-Produktionsgesellschaft. Eine verdeckte Einlage kommt damit nicht in Betracht. Dies gilt nicht nur im Verhältnis zu Vertriebsgesellschaften, sondern kann auch in Bezug auf Liefer- und Leistungsbeziehungen zu einer Einkaufs-, Produktions-, Dienstleistungs- oder F&E-Gesellschaft von Bedeutung sein. Mithin ist ein Forderungsverzicht immer dann betrieblich veranlasst, wenn die betrieblichen Funktionen des Schuldnerunternehmens im eigenen betrieblichen Interesse des Gläubigerunternehmens liegen. Keine Anwendung des § 1 AStG und des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG. Ist der Forderungsverzicht betrieblich veranlasst, kommt eine Korrektur des Forderungsverzichts nach § 1 Abs. 1 AStG nicht in Betracht.2 Denn bei einem eigenen betrieblichen Interesse des Forderungsgläubigers würde auch ein fremder Dritter (in Person des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters des Forderungsgläubigers) einen Forderungsverzicht aussprechen. Im Übrigen ist fraglich, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 AStG bzw. die durch ihn verfolgte Zwecksetzung im Hinblick auf einen Forderungsverzicht erfüllt sind (Rz. 6.494).3 Im Übrigen kann der durch einen betrieblich veranlassten Forderungsverzicht ausgelöste Aufwand auf Ebene des Gesellschafters (z.B. Muttergesellschaft) nicht nach § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG neutralisiert werden. Denn nach § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG ist die Vorschrift nicht anzuwenden, wenn ein Gegenbeweis auf Basis eines Fremdvergleichs geführt werden kann. Eine weitergehen1 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 16. 2 Vgl. auch BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 19. 3 Vgl. Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 711 ff; Dietz/Liebchen, IStR 2012, 102 f.
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6.505
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
de, einschränkende Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes enthält § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG nicht. Insofern kann im Hinblick auf die Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG nichts anderes gelten, als in Bezug auf § 1 Abs. 1 AStG: Der Forderungsverzicht ist betrieblich veranlasst und infolgedessen fremdvergleichskonform. Damit greift die Escape-Klausel des § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG. Außerdem vertritt die Finanzverwaltung explizit die Auffassung, dass die Darlehensgewährung ohne Vereinbarung einer tatsächlichen Sicherheit, aber unter Berücksichtigung eines angemessenen Risikozuschlags „regelmäßig dem Fremdvergleichsgrundsatz“ entspricht.1 Im Übrigen ist es nach der Rspr. des BFH bei Darlehensgewährungen durch beherrschende Gesellschafter mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar, wenn keine Sicherheiten vereinbart werden, weil die Konzernbeziehung als solche eine ausreichende Sicherheit darstellt (Rz. 6.484 ff.).2
6.506
Werthaltigkeit einer Forderung. Auch wenn für den Forderungsverzicht eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis besteht, kann nur der werthaltige Teil der Forderung eine verdeckte Einlage begründen (Rz. 6.502). Der nicht werthaltige Teil der Forderung, auf welche verzichtet wurde, ist Aufwand bzw. Betriebsausgabe. Eine Korrektur des als Betriebsausgabe behandelten nicht werthaltigen Teils der Forderung nach § 1 AStG ist nicht sachgerecht. Denn insoweit sind die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt (Rz. 6.494 ff. und 6.506).3 Ist der Forderungsgläubiger allerdings eine Kapitalgesellschaft, ist der nicht werthaltige Teil der Forderung, auf welche verzichtet wurde, gem. § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG außerbilanziell hinzuzurechnen. Die Ausnahmeregelung des § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG greift insoweit nicht. Ist Darlehensgläubiger eine natürliche Person, kommt die Anwendung des § 3c Abs. 2 EStG nicht in Betracht (Rz. 6.479).
VI. Garantien, Bürgschaften und Patronatserklärungen 1. Zivilrechtliche Grundlagen
6.507
Überblick. Verbundene Unternehmen (z.B. ausländische Tochter- oder Enkelgesellschaften) erhalten oft nur dann Zugang zu Fremdkapital, wenn die (inländische) Konzernmuttergesellschaft oder eine Konzernfinanzierungsgesellschaft eine Sicherheit, z.B. in Form einer Garantie, Bürgschaft oder Patronatserklärung, gewährt. Ist dies der Fall, stellt sich die Frage, ob für die Gewährung einer solchen Finanzierungsunterstützung im Konzern dem Grunde nach ein Entgelt zu verrechnen ist (Rz. 6.420 ff. und 6.513). Wird diese Frage bejaht, ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, wie das Entgelt (der Höhe nach) zu bestimmen ist 1 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 9. 2 Vgl. BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, DB 1995, 1312 = FR 1995, 476; v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482. 3 Vgl. Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 711 ff.; Dietz/Liebchen, IStR 2012, 102 f.
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E. Finanzierungsleistungen
(Rz. 6.521 ff.). Die Abrechnung von Finanzierungs- und Kreditunterstützungsleistungen im internationalen Konzern steht dabei häufig im Fokus einer Prüfung durch die internationalen Finanzbehörden.1 Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Zwar entspricht es grundsätzlich dem Fremdvergleichsgrundsatz, für die Übernahme einer Bürgschaft, Garantie oder einer Patronatserklärung eine Vergütung zu verrechnen. Die regelmäßig von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung, wonach für eine Finanzierungsunterstützung einer inländischen Mutteran ihre ausländische Tochtergesellschaft ein „fremdvergleichsübliches Entgelt“2 anzusetzen ist, ist indessen nicht sachgerecht. Man muss auch steuerrechtlich anerkennen, dass es innerhalb von verbundenen Unternehmen Situationen gibt, die sich jedem Fremdvergleich entziehen und nur mit dem bestehenden Gesellschaftsverhältnis zu erklären sind. So kann sich z.B. eine Konzernmuttergesellschaft zur Sicherung von Ansprüchen Dritter dazu verpflichten, die eigene Tochtergesellschaft zu liquidieren, um mit dem so erzielten Gewinn eigene Schulden zu tilgen. Ebenso kann eine Konzernmuttergesellschaft einem Bankenkonsortium Konzernvermögen zur Sicherung übereignen, um z.B. den Kaufpreis für eine zusätzlich erworbene Unternehmensgruppe zu finanzieren. In derartigen Fällen macht es aus wirtschaftlicher Sicht keinen Unterschied, ob die Konzernmuttergesellschaft ausschließlich eigenes Vermögen zur Sicherung übereignet oder ob sie nachgeschaltete Konzerngesellschaften veranlasst, deren Vermögen zur Sicherheit zu übereignen. In diesen Fällen belegt Tz. 4.4.1 VWG 1983, dass auch die Finanzverwaltung dahin gehend differenziert, ob bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters die Garantie aus einem außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses liegenden wirtschaftlichen Grund hingegeben wurde. Nur unter dieser Voraussetzung ist eine Einkünftekorrektur i.S.v. nicht erzielten Entgelten (verhinderte Vermögensmehrung) denkbar. Besteht dagegen für die Sicherheitsleistung nur eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis, scheidet einerseits der Ansatz einer verhinderten Vermögensmehrung aus. Andererseits darf aber auch die im Falle der Inanspruchnahme von Sicherheiten eintretende Vermögensminderung nicht als Betriebsausgabe abgesetzt werden. Auch im Übrigen können die von Banken in ihrem üblichen Geschäftsverkehr angewandten Grundsätze nicht „eins zu eins“ auf verbundene Unternehmen übertragen werden. Hier sind insbesondere die gesellschaftsrechtlichen Beherrschungsverhältnisse sowie die vollkommen anderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Infolgedessen bedarf die Frage der Abrechnung von Garantien, Bürgschaften und Patronatserklärungen im internationalen Konzern dem Grunde und der Höhe nach einer differenzierten Analyse.
1 Vgl. etwa Zech, IStR 2009, 418 ff.; Ditz, IStR 2009, 421 ff.; Puls, IStR 2012, 209 ff.; Ammelung/Bernhardt/Lorenzen/Ackerman, DK 2010, 404 ff. 2 Zech, IStR 2009, 419.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
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Garantien. Zivilrechtlich ist unter einer Garantie eine einseitige Verpflichtung zu verstehen, auf Grund derer sich der Garantiegeber gegenüber dem Garantienehmer (Garantiegläubiger) verpflichtet, diesen im Garantiefall so zu stellen, als ob ein im Vorhinein avisierter Erfolg eingetreten oder ein Schadensereignis nicht eingetreten wäre.1 Damit handelt es sich bei einer Garantie um eine verschuldensunabhängige Erfüllungshaftung. Vergleichbar zu einem Bürgschaftsversprechen besteht der Zweck einer Garantie in der Sicherung eines fremden Interesses. Die Garantie ist jedoch nicht akzessorisch, d.h. sie ist nicht vom Bestehen einer Fremdverbindlichkeit abhängig.2 Für den Fall, dass die Garantie auf die Absicherung eines Zahlungsanspruchs gerichtet ist, ist ihre Zahlung infolgedessen auch dann zu leisten, wenn die Verbindlichkeit, für welche die Garantiezusage abgegeben wurde, nicht entstanden ist oder nicht mehr existiert.3 Denn anders als der Schuldner, der sich auf der Grundlage eines abstrakten Schuldversprechens (§ 780 BGB) verpflichtet, sagt der Garantiegeber nicht schlechthin die Zahlung gegenüber dem Garantienehmer zu. Eine Zahlungsverpflichtung besteht lediglich dann, wenn sich ein im zugrunde liegenden Garantieverhältnis vertraglich bestimmtes Risiko (i.d.R. ein Zahlungsausfall) realisiert.
6.510
Bürgschaften. Im Rahmen einer Bürgschaft gibt der Bürge (z.B. die inländische Muttergesellschaft) dem Gläubiger eines verbundenen Unternehmens ein Versprechen ab, für die Verbindlichkeiten des verbundenen Unternehmens (z.B. ausländische Tochtergesellschaft) einzustehen.4 Im Gegensatz zur Garantiezusage (Rz. 6.509) ist die Bürgschaft daher von dem Bestand einer Verbindlichkeit (Hauptschuld) des verbundenen Unternehmens abhängig. Infolgedessen handelt es sich bei Bürgschaften um akzessorische Sicherungsmittel, weil sie rechtlich von der Existenz einer Hauptschuld abhängen.5 Die Gewährung einer Bürgschaft hat regelmäßig in Schriftform zu erfolgen. Eine Ausnahme besteht lediglich dann, wenn es sich um ein kaufmännisches Handelsgeschäft handelt.6 Dies ist in Konzernfällen, z.B. im Hinblick auf die Gewährung einer Bürgschaft einer inländischen Mutter- an ihre ausländische Tochtergesellschaft, regelmäßig der Fall.
6.511
Patronatserklärungen. Für den Begriff des „Patronats“ existiert keine Definition; vielmehr kann eine Patronatserklärung in sehr unterschied-
1 Vgl. BGH v. 13.6.1996 – IX ZR 172/95, NJW 1996, 2569; v. 18.6.2001 – II ZR 248/99, ZIP 2001, 1496; Habersack in MünchKomm-BGB, Vor § 765 Rz. 16; Horn in Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 765 Rz. 194. 2 Vgl. BGH v. 23.1.1997 – IX ZR 297/95, NJW 1997, 1435; v. 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, NJW 2006, 996. 3 Vgl. Puls, IStR 2012, 209. 4 Vgl. Puls, IStR 2012, 209 f. 5 Vgl. auch BGH v. 9.7.1998 – IX ZR 272/96, DStR 1998, 1609. 6 Vgl. § 343 i.V.m. § 350 HGB.
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E. Finanzierungsleistungen
lichen Formen abgegeben werden. Dabei wird gemeinhin zwischen den folgenden fünf Grundformen unterschieden:1 – Die Muttergesellschaft sagt dem Gläubiger der Tochtergesellschaft zu, für die Dauer des Kreditverhältnisses das Gesellschaftsverhältnis mit der Tochtergesellschaft beizubehalten. – Die Muttergesellschaft sagt dem Gläubiger der Tochtergesellschaft zu, für die Dauer des Kreditverhältnisses den Unternehmensvertrag mit der Tochtergesellschaft nicht zu ändern, aufzuheben oder zu kündigen. – Die Muttergesellschaft sagt dem Gläubiger der Tochtergesellschaft zu, für die Dauer des Kreditverhältnisses die Tochtergesellschaft dahin zu beeinflussen, dass diese ihren Verpflichtungen (gegenüber dem Gläubiger) nachkommen wird. – Die Muttergesellschaft sagt dem Gläubiger der Tochtergesellschaft zu, für die Dauer des Kreditverhältnisses die Tochtergesellschaft finanziell so ausgestattet zu halten, dass sie ihren Verbindlichkeiten (gegenüber dem Gläubiger) nachkommen kann. – Die Muttergesellschaft sagt dem Gläubiger der Tochtergesellschaft zu, für die Dauer des Kreditverhältnisses eine bestimmte Kapitalausstattung bei der Tochtergesellschaft aufrecht zu erhalten. Weiche und harte Patronatserklärungen. Während die beiden letztgenannten Formen als sog. „harte“ Patronatserklärungen auf die ausreichende Ausstattung der Tochtergesellschaft mit Liquidität bzw. Kapital gerichtet sind, verpflichten die drei erstgenannten Formen als sog. „weiche“ Patronatserklärungen nicht zu Zahlungen, sondern nur zu einer bestimmten Handlungs- bzw. Verhaltensweise der Muttergesellschaft. Damit ist bei Patronatserklärungen zwischen sog. weichen und sog. harten Patronatserklärungen zu unterscheiden.2 Weiche Patronatserklärungen beinhalten einen nur sehr abgeschwächten Sicherungswert, da der Patron keine rechtlich bindende Verpflichtung eingeht, für eine fremde Schuld einzustehen.3 Mithin besteht auch keine Liquiditätsausstattungspflicht zugunsten der Tochtergesellschaft, so dass es sich bei der weichen Patronatserklärung letztlich um eine reine „Good-Will-Erklärung“ handelt.4 Infolgedessen werden weiche Patronatserklärungen von Gläubigern nur in seltenen Ausnahmefällen akzeptiert. Im Gegensatz dazu wird im Rahmen einer harten Patronatserklärung5 eine rechtlich verbindliche Verpflichtung des Patrons (z.B. Muttergesellschaft) begründet, deren Schuld1 Vgl. IDW RH HFA 1.013, Handelsrechtliche Vermerk- und Berichterstattungspflichten bei Patronatserklärungen v. 28.2.2008, WPg Supplement 1/2008, 37 ff. und FN-IDW 3/2008, 116 ff. 2 Vgl. Wittig, WM 2003, 1981; IDW RH HFA 1.013, Handelsrechtliche Vermerkund Berichterstattungspflichten bei Patronatserklärungen v. 28.2.2008, WPgSupplement 1/2008, 37 ff. und FN-IDW 3/2008, 116 ff. 3 Vgl. Puls, IStR 2012, 210. 4 Vgl. OLG Düss. v. 28.11.1996 – 6 U 11/95, ZIP 1997, 27; BGH v. 8.5.2006 – II ZR 94/05, NZG 2006, 543; v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, NJW 1992, 2093. 5 Zu einem Formulierungsbeispiel vgl. Ditz/Kluge, IWB 2013, 87 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
ner (z.B. Tochtergesellschaft) mit einer die Schuldentilgung ermöglichenden Liquidität auszustatten. Infolgedessen handelt es sich bei einer harten Patronatserklärung i.d.R. um eine bürgschaftsähnliche Pflicht zu einer (Mindest-)Kapitalausstattung der Tochtergesellschaft.1 Der wesentliche Unterschied zur Garantie und zur Bürgschaft liegt darin, dass der Patron außerhalb der Insolvenz des Hauptschuldners nicht unmittelbar zur Zahlung an den Gläubiger verpflichtet ist.2 Dies hat den Vorteil, dass der Patron frei entscheiden kann, wie er die Tochtergesellschaft mit Liquidität ausstattet. Vergleichbar zur Bürgschaft stellt die harte Patronatserklärung eine akzessorische Kreditsicherheit dar, die den rechtlichen Bestand einer Hauptforderung voraussetzt, die gesichert werden soll.3 2. Verrechnung dem Grunde nach
6.513
Geschäftsbeziehung oder ausschließliche Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis. Die Frage der Verrechnung einer angemessenen Avalvergütung („Avalprovision“) für die Gewährleistung der vorstehend dargestellten Finanzierungsunterstützungen geht zunächst dahin, ob dem Grunde nach eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG zwischen den verbundenen Unternehmen (z.B. der Mutter- und ihrer Tochtergesellschaft) begründet wird, welche fremdüblich abzurechnen ist (Rz. 6.420 ff.). Nur wenn die Frage der Verrechnung einer solchen Gebühr dem Grunde nach bejaht wird, ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, wie die Vergütung der Höhe nach (Rz. 6.434 ff.) zu bestimmen ist. Besteht dagegen die Veranlassung ausschließlich im Gesellschaftsverhältnis, so kann einerseits keine Vergütung für das Versprechen der Sicherheitsleistung angesetzt werden. Andererseits kann im Falle der Inanspruchnahme die dann eintretende Vermögensminderung nicht als Betriebsausgabe berücksichtigt werden. Hinsichtlich der Verrechnung einer Avalvergütung dem Grunde nach ist die Geschäftsbeziehung von einem reinen Gesellschafterbeitrag, d.h. einer durch das Gesellschaftsverhältnis motivierten Beziehung, abzugrenzen. Lediglich dann, wenn eine Geschäftsbeziehung i.S. einer schuldrechtlichen Beziehung vorliegt, kann eine Avalvergütung verrechnet werden. Unter eine schuldrechtliche Beziehung gem. § 1 Abs. 4 AStG fallen dabei alle vertraglichen wie auch gesetzlichen Rechtsverhältnisse, soweit sie im 2. Buch des BGB (Recht der Schuldverhältnisse) geregelt sind. Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis liegt demgegenüber vor, wenn sie durch das Nahestehen der Steuersubjekte erst begründet bzw. ermöglicht wird.4 Nach der Rspr. des BFH, kann 1 Vgl. Fleischer, WM 1999, 666; Puls, IStR 2012, 210. 2 Vgl. etwa BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, NJW 1992, 2093; Michalski, WM 1994, 1229. 3 Vgl. OLG München v. 24.1.2003 – 23 U 4026/02, DB 2003, 711; Schmidt, NZG 2006, 883; s. ferner BFH v. 25.10.2006 – I R 6/05, BStBl. II 2007, 384 = FR 2007, 698; Küffner, DStR 1996, 146 ff. zur bilanziellen Behandlung. 4 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 911; Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 68.
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E. Finanzierungsleistungen
es für die Annahme einer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis nicht auf die ausgewählte „äußere Form“ ankommen.1 Im Allgemeinen liegt damit eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis immer dann vor, wenn die Beziehung ihren Grund innerhalb des Gesellschaftsverhältnisses hat und das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter regelt. Werden in diesem Zusammenhang Finanzmittel an eine ausländische Tochtergesellschaft vergeben und dienen diese Finanzmittel dazu, die Tochtergesellschaft mit einer „funktionsgerechten Kapitalausstattung“ zu versehen, liegt nach Auffassung des BFH keine Geschäftsbeziehung vor (Rz. 6.421).2 Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist eine Avalvergütung für die Übernahme einer Bürgschaft bzw. einer harten Patronatserklärung immer dann zum Ansatz zu bringen, wenn eine solche auch zwischen fremden Dritten vereinbart worden wäre. Dies soll z.B. dann der Fall sein, wenn die Bürgschaft dem begünstigten Schuldner einen Vorteil bringt, insbesondere eigene Finanzierungskosten erspart werden.3 Im Ergebnis verfolgt die Finanzverwaltung damit eine weite Auslegung des Begriffs der Geschäftsbeziehung im Zusammenhang mit Maßnahmen der Finanzierungsunterstützung. Dies führt dazu, dass die Finanzverwaltung im Rahmen der Gewährung einer solchen Finanzierungsunterstützung regelmäßig den Ansatz einer Avalvergütung verlangt.4 Wurde eine Avalvergütung nicht abgerechnet, versucht die Finanzverwaltung – insbesondere in Betriebsprüfungen – eine Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1 AStG durchzuführen.
6.514
Ablehnung der Auffassung der Finanzverwaltung. Die vorstehend dargestellte Auffassung der Finanzverwaltung ist zu undifferenziert und daher abzulehnen. Dies gilt bereits deswegen, weil die Muttergesellschaft über die Anteile an ihrer Tochtergesellschaft verfügt und daher auf Grund ihrer beherrschenden Gesellschafterstellung das Risiko eines Schuldnerausfalls – insbesondere durch entsprechende „Kapitalisierungs“-Maßnahmen – selbst minimieren kann. Wenn auf Grund solcher rechtlicher und tatsächlicher Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Tochtergesellschaft kein praktischer Anwendungsraum für eine Inanspruchnahme aus der Bürgschaft besteht, ist die Verrechnung einer Avalprovision nicht gerechtfertigt.5 Mit einer analogen Begründung hat auch der BFH bei der Darlehensgewährung einer Mutter- an ihre Tochtergesellschaft entschieden, dass die Hingabe von Sicherheiten durch die Tochtergesellschaft
6.515
1 Vgl. BFH v. 23.6.2010 – I R 37/09, BStBl. II 2010, 895 = FR 2011, 139. 2 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = FR 2001, 604; v. 23.6. 2010 – I R 37/09, BStBl. II 2010, 895 = FR 2011, 139. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.4.2 Nr. 1 für die Bürgschaft und Tz. 4.4.3. für die Patronatserklärung. 4 Vgl. auch den Praxisfall von Zech, IStR 2009, 418 ff. und dazu Ditz, IStR 2009, 421 f.; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 1186. 5 Vgl. auch Puls, IStR 2012, 211.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nicht erforderlich ist (Rz. 6.438).1 Denn die Muttergesellschaft kann – rechtlich und tatsächlich – die Tochtergesellschaft dahin gehend beeinflussen, dass diese das Darlehen zurückzahlt.2 Dies muss bei der Gewährung von Stützungsmaßnahmen in Form von Garantien, Bürgschaften und Patronatserklärungen ebenso gelten. Auch hier kann die Muttergesellschaft einen solchen Einfluss auf die Tochtergesellschaft ausüben, dass es zu einer Inanspruchnahme nicht kommt. Daher scheidet die Verrechnung einer Avalprovision bei Stützungsmaßnahmen der Muttergesellschaft gegenüber ihrer Tochtergesellschaft bereits dem Grunde nach aus.3 Andernfalls müsste die Inanspruchnahme der Muttergesellschaft aus der Garantie, Bürgschaft oder Patronatserklärung bei dieser als Betriebsausgabe berücksichtigt werden.
6.516
Kein echtes Obligo. Wird die Muttergesellschaft aus der an ihre Tochtergesellschaft gewährten Garantie, Bürgschaft oder Patronatserklärung in Anspruch genommen, so hat sie die Möglichkeit, sich auf Grund ihrer tatsächlichen Einflussnahmemöglichkeiten bei der Tochtergesellschaft (z.B. im Wege des Rückgriffs auf die Gesellschaftsanteile an der Tochtergesellschaft) im Ergebnis schadlos zu halten. Sie trägt daher kein echtes Obligo, wenn sich der Wert der Geschäftsanteile auf Grund der der Bürgschaft zugrunde liegenden externen Kapitalzufuhr erhöht hat. Diese Überlegung ist auch insoweit mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs vereinbar, als dieser nur das „Wegdenken“ des Nahestehens der verbundenen Unternehmen verlangt. Das Fortbestehen aller übrigen Beziehungen wird unterstellt. Dazu gehören sowohl die Kapitalausstattung (und damit die Bestimmung der Kreditwürdigkeit) der Gesellschaft durch den Gesellschafter, die gesellschaftsvertraglichen Vorgaben, der durch den Konzernrückhalt entstehende Geschäftswert als auch eine faktisch vorhandene Sicherheit.4 In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Gewährleistung einer Finanzierungsunterstützung regelmäßig dazu dient, ausländische Konzerngesellschaften mit einer betriebsnotwendigen Liquidität auszustatten. Die Muttergesellschaft übernimmt also mit der Gewährung von Garantien, Bürgschaften und harten Patronatserklärungen Aufgaben, die typische Gesellschafterpflichten darstellen. Derartige Pflichten sind Ausdruck der Konzernverbundenheit und damit der gesellschaftsrechtlichen Ebene zuzuordnen. Dies folgt auch aus dem BMFSchreiben vom 29.3.20115 (Rz. 6.482 ff.). Aus diesem lässt sich die Auffassung der Finanzverwaltung ableiten, dass ein gruppeninternes Darlehen auch mit demjenigen Zinssatz (fremdüblich) vergütet wird, der für ein besichertes Darlehen hätte entrichtet werden müssen. Denn insoweit ist – 1 Vgl. BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, FR 1995, 476 = DB 1995, 1312; v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573. 2 Vgl. auch Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. O 21. 3 Vgl. auch Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 713. 4 So auch BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482; Löwenstein/Maier, DB 1998, 1690. 5 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277.
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E. Finanzierungsleistungen
so die Finanzverwaltung – der „Rückhalt im Konzern“ zu beachten.1 Damit widerlegt die Finanzverwaltung in ihrem Schreiben vom 29.3.2011 die Aussage der VGW 1983, dass konzerninterne Maßnahmen der Finanzierungsunterstützung stets auf einem „externen Preisvergleich“ beruhen müssen.2 Folgen des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG. Seit dem VZ 20083 sind nach Maßgabe des neu gefassten § 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Darlehen des wesentlich beteiligten Gesellschafters oder aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten des Gesellschafters steuerrechtlich nicht mehr berücksichtigungsfähig (Rz. 6.471 ff.). Die gesetzliche Regelung ist Ausdruck der fiktiven Annahme, dass entsprechende Darlehen und Sicherheiten stets durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind. Deshalb sollen Verluste generell steuerrechtlich unbeachtlich sein, die im Zusammenhang mit durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Darlehen oder Sicherheiten anfallen.4 Bei einer solchen gesetzlichen Wertung ist es zwingend, dass – wenn Verluste steuerrechtlich nicht berücksichtigt werden können – auch keine Vergütung für die Überlassung des Darlehens oder die Gewährung der Stützungsmaßnahme zu verrechnen ist. Soweit der Gesetzgeber daher entsprechende Sicherungsmaßnahmen als durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ansieht, sind steuerrechtlich für solche Stützungsmaßnahmen auch keine Vergütungen zu verrechnen (sog. Korrespondenzprinzip).5
6.517
Eigenbetriebliches Interesse an der Finanzierungsunterstützung. Bei der Gewährung von Finanzierungsunterstützungsmaßnahmen ist im Hinblick auf ihre Verrechnung dem Grunde nach zu berücksichtigen, dass die Verrechnung einer Avalvergütung auch dann ausscheidet, wenn die Stützungsmaßnahme in einem eigenbetrieblichen Interesse des die Stützungsmaßnahme Gewährenden (z.B. Muttergesellschaft) erfolgt. Zu denken ist an die Gewährung einer Garantie durch die Produktions-Muttergesellschaft gegenüber ihrer Vertriebs-Tochtergesellschaft, die einen ausländischen Markt erschließt. So erkennt auch die Finanzverwaltung zu Recht an, dass bei einer durch eigenbetriebliche Interessen geprägten Vergabe von Garantien, Bürgschaften oder Patronaten keine Verrechnung einer Avalvergütung zulässig ist.6 Neben Vertriebsgesellschaften kann ein eigenes betriebliches Interesse auch bei Finanzierungsunterstützungs-
6.518
1 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 10 f. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.2.1. 3 Vgl. § 34 Abs. 1 KStG i.d.F. d. JStG 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150. Vgl. dazu auch BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818; Ditz/ Tcherveniachki, IStR 2009, 710 m.w.N. 4 Vgl. Dötsch/Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 130 f. 5 Vgl. Puls, IStR 2012, 212; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 479. 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.4.2. Nr. 2.
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maßnahmen an Produktions- (insbesondere Lohnfertiger), Dienstleistungs-, Einkaufs-, Finanzierungs- sowie F&E-Gesellschaften bestehen.
6.519
Inanspruchnahme aus Unterstützungsmaßnahmen. Für den Fall der Inanspruchnahme aus gewährten Garantien, Bürgschaften oder Patronaten sind die insoweit verursachten Aufwendungen bei der Muttergesellschaft steuerrechtlich abzugsfähig, wenn eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis zu verneinen ist. Dies gilt selbst für den Fall, dass die Muttergesellschaft zuvor keine Bürgschaftsprovision vereinnahmt hat. Die Vereinnahmung einer Bürgschaftsprovision ist folglich keine Voraussetzung für den Betriebsausgabenabzug bei der Inanspruchnahme aus Bürgschaftsverpflichtungen. Ein Betriebsausgabenabzug scheidet insbesondere dann aus, wenn die Muttergesellschaft auf Grund ihrer tatsächlichen Einflussnahmemöglichkeiten als Gesellschafterin kein echtes Obligo übernommen hat, das provisionsfähig wäre. Allerdings ist zu prüfen, ob – zumindest auf Ebene einer Mutter-Kapitalgesellschaft – § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG (Rz. 6.471 ff.) einem Betriebsausgabenabzug entgegensteht (außerbilanzielle Hinzurechnung der Aufwendungen).
6.520
Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung können demgegenüber Aufwendungen aus der Inanspruchnahme eingegangener Bürgschaftsverpflichtungen bei der bürgenden Konzerngesellschaft steuerrechtlich nur dann anerkannt werden, „wenn diese die Bürgschaft bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters auch für einen Fremden übernommen hätte.“1 Für die Bürgschaftsübernahme muss aus Sicht der Finanzverwaltung ein wirtschaftlicher Grund außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses vorliegen. Nach dem in Tz. 4.4.1. VWG 1983 zitierten BFH-Urteil vom 19.3.19752 werden beispielhaft folgende Fälle für eine Begründung der betrieblichen Veranlassung genannt: – Abnahme und Vertrieb von Erzeugnissen des bürgenden Konzernunternehmens durch den Bürgschaftsbegünstigten, – Einkauf von Waren von dem Begünstigten sowie – die Unternehmensverpachtung von dem Bürgen an den Bürgschaftsbegünstigten. Diese enge Auslegung durch die Finanzverwaltung ist abzulehnen. Wie bereits (Rz. 6.513 ff.) dargestellt, wird die Bürgschaftsübernahme in aller Regel durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sein. Dabei ist für VZ seit 2008 § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG zu beachten, aus welchem eine außerbilanzielle Hinzurechnung des infolge der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft resultierenden Aufwands oder Verlusts angezeigt sein kann (Rz. 6.471 ff.).
1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.4.1. 2 Vgl. BFH v. 19.3.1975 – I R 173/73, BStBl. II 1975, 614.
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E. Finanzierungsleistungen
3. Verrechnung der Höhe nach Avalvergütungen von Banken. Nur wenn der Garantiegeber, der Bürge oder der Patron ein ausschließlich betrieblich veranlasstes Obligo übernommen hat und infolgedessen die Gewährung der Finanzierungsunterstützung einen wirtschaftlichen Grund außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses hat (Rz. 6.513 ff.), ist für die Gewährung der Sicherheit eine Provision zu entrichten. In diesem Fall stellt sich die Frage, wie die entsprechende Avalvergütung zu bestimmen ist. Sowohl die einschlägigen BMF-Schreiben als auch die OECD-Leitlinien enthalten dazu keine Aussage. Die OECD-Leitlinien gehen in Tz. 7.13 lediglich davon aus, dass die Gewährung einer Garantie eine (konzerninterne) Dienstleistung darstellt, da der Garantiegeber zugunsten des Garantienehmers letztlich den Empfang eines Darlehens und somit den Zugang zu einer Finanzierungsquelle ermöglicht.1
6.521
Anwendung der Preisvergleichsmethode. Die Betriebsprüfungspraxis zeigt, dass die Finanzverwaltung häufig auf die Gebührensätze abstellt, die Banken ihren Kunden in Rechnung stellen.2 Eine solche Vorgehensweise ist insofern nicht sachgerecht, als die von Banken herangezogenen Kalkulationsgrundsätze nicht für konzerninterne Avalvergütungen herangezogen werden können.3 Denn Banken müssen spezifische Faktoren (z.B. angemessene Eigenkapitalausstattung, Mindestreservekosten, Gemeinkosten, Einhaltung von KWG-Regularien, Basel II) im Rahmen ihrer Gewährung von Garantien und Bürgschaften berücksichtigen. Darüber hinaus zeigt die Praxis, dass Banken i.d.R. eine gewisse Übersicherung durch entsprechend höhere Avalvergütungssätze einfordern, um im Fall einer Inanspruchnahme aus der Garantie oder Bürgschaft entstehende Abwicklungskosten sowie Zinsen abdecken zu können. Diese Kriterien sind im Rahmen der konzerninternen Gewährung von Sicherheiten ohne Bedeutung. Daher können am Markt von Banken in Ansatz gebrachte Avalvergütungen nicht zur Bestimmung konzerninterner Avalvergütungen herangezogen werden.4
6.522
Urteil des Tax Court of Canada v. 4.12.2009. Auch die Entscheidung des Tax Court of Canada in der Rechtssache „GE Capital Canada“ zeigt, dass die von Banken herangezogenen Avalgebühren und damit die Preisvergleichsmethode (vgl. hierzu ausführlich Rz. 5.5 ff.) nicht zur Bestimmung konzerninterner Avalvergütungen geeignet sind.5 Vielmehr sind die konzernspezifischen Gegebenheiten im Rahmen der Ermittlung der Aval-
6.523
1 Vgl. auch Becker/Kroppen in Kroppen, Handbuch der Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII, Rz. 7.13 Anm. 3 ff. 2 Vgl. etwa Zech, IStR 2009, 418 f. 3 Vgl. Ditz, IStR 2009, 422; Puls, IStR 2012, 212. 4 Gl.A. Ammelung/Bernhardt/Lorenzen/Ackerman, DK 2010, 408. 5 Vgl. Tax Court of Canada v. 4.12.2009, General Electric Capital Canada Inc. vs. her Majesty the Queen, 2009, TCC 563, abrufbar unter http://www.gwb.tcccci.gc.ca Vgl. zu diesem Urteil auch Brinkmann, IStR 2010, 501 ff.; Ditz/Schneider, DB 2011, 779 ff.; Kamphuis, ITPJ 2010, 292 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
gebühr zu berücksichtigen. Demnach ist – so der Tax Court of Canada – die Avalgebühr auf Basis des Zinsvorteils („Interest Cost Savings“) zu ermitteln, welcher der Tochtergesellschaft auf Grund der bestehenden Garantie im Rahmen der Aufnahme von Fremdkapital entsteht (sog. „Yield Approach“). Bei Anwendung des „Yield Approach“ wird der Zinsvorteil aus einem Vergleich der Bonität der Tochtergesellschaft für den Fall, dass eine Garantie vorliegt („Guaranteed Debt“) mit der Bonität der Tochtergesellschaft für den Fall, dass keine Garantie vorliegt („Unguaranteed Debt“), abgeleitet. Der Zinsvorteil, der sich für die Tochtergesellschaft auf Grund der gewährten Garantie ergibt, stellt nach Ansicht des Gerichts einen Nutzen der Tochtergesellschaft dar, welcher die Zahlung einer Garantiegebühr rechtfertigt.1
6.524
Anwendung der Kostenaufschlagsmethode. Auf Grund der Tatsache, dass die OECD die Gewährung von Finanzierungsunterstützungsmaßnahmen als konzerninterne (Finanzierungs-)Dienstleistung ansieht, liegt es nahe, die Bestimmung der Avalvergütung an der Kostenaufschlagsmethode auszurichten. Die Kostenaufschlagsmethode (hierzu ausführlich Rz. 5.39 ff.) ist allerdings zur Bestimmung angemessener Avalvergütungen problematisch. So setzt die Bestimmung der Kostenbasis des Sicherungsgebers eine Ermittlung der Höhe der durch die Garantie abzusichernden Forderungen (Sicherungsvolumen) sowie die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme der Garantie (Sicherungsrisiko) voraus.2 Zur Bestimmung des Sicherungsrisikos ist ein Kapitalmarktrating durchzuführen,3 das mit einer Vielzahl von praktischen Problemen verbunden ist. Diese beziehen sich insbesondere auf die „Stand Alone“-Simulation der Bonität der Konzerngesellschaft, welcher die Finanzierungsunterstützung gewährt wird.4 Ferner sind zur Bestimmung der Kostenbasis etwaige Rückversicherungskosten sowie allgemeine Verwaltungskosten zu berücksichtigen. Ist bereits die Bestimmung der Kostenbasis im Rahmen der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode kaum praktikabel, stellt sich darüber hinaus das Problem der Ermittlung eines angemessen Gewinnaufschlags. In Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes geht hier die Frage dahin, welchen Gewinnaufschlag ein fremder dritter Garantiegeber für die Erbringung der Garantieleistung in Ansatz gebracht hätte. Eine Vergleichsanalyse zur Bestimmung des Gewinnaufschlags wird hierbei bereits daran scheitern, dass die von unabhängigen Banken gewährten Avalvergütungen und die 1 Die kanadische Finanzverwaltung hat am 4.1.2010 bei dem Federal Court of Appeal Revision gegen das Urteil des Tax Court of Canada eingelegt. Der Federal Court of Appeal hat die Revision mit Entscheidung vom 15.12.2010 nicht zugelassen und das Urteil des Tax Court of Canada bestätigt. Vgl. Federal Court of Appeal v. 15.12.2010, 2010 FCA 344, abrufbar unter http://decisions. fcs-caf. gz. ca. 2 Vgl. Ammelung/Bernhardt/Lorenzen/Ackerman, DK 2010, 409 f. 3 Vgl. Brüninghaus, in V/B/E, Handbuch der Verrechnungspreise3, Rz. O 116 ff. 4 Vgl. auch Tax Court of Canada v. 4.12.2009, General Electric Capital Canada Inc. vs. her Majesty the Queen, 2009, TCC 563, abrufbar unter http://www.gwb.tcccci.gc.ca; Brinkmann, IStR 2010, 501 ff.; Ditz/Schneider, DB 2011, 780.
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E. Finanzierungsleistungen
daraus erwirtschafteten Gewinnaufschläge – auf Grund der fehlenden Vergleichbarkeit der Verhältnisse – nicht geeignet sind, entsprechende fremdübliche Gewinnmargen zu bestimmen (Rz. 6.522). Vor diesem Hintergrund wird die Bestimmung eines fremdüblichen Gewinnaufschlags regelmäßig scheitern. Ergänzend kommt hinzu, dass die Kostenbasis zur Bestimmung einer Avalvergütung im Wesentlichen aus kalkulatorischen Kostenbestandteilen besteht (insbesondere in Form von Wagniskosten), so dass sich die Frage stellt, ob der Ansatz eines Gewinnaufschlags überhaupt sachgerecht ist.1 Im Ergebnis sind damit der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zur Bestimmung einer angemessenen Avalvergütung sehr enge Grenzen gesetzt. Die Praxis zeigt, dass die Kostenaufschlagsmethode insofern von untergeordneter Bedeutung ist.2 Nutzenbasierter Ansatz. Im Rahmen des sog. nutzenbasierten Ansatzes („Economic-Benefit-Approach“) erfolgt die Bestimmung der Avalvergütung unter Berücksichtigung des „ökonomischen Nutzens“ für das verbundene Unternehmen, zu dessen Gunsten die Sicherheit gewährt wird.3 Damit bestimmt sich die Avalvergütung auf Basis der „Verbesserung“ der Konditionen einer Aufnahme von Fremdkapital, welche sich auf Grund der Gewährung der Garantie, Bürgschaft oder der Patronatserklärung ergibt. Die insoweit zu bestimmende Zinssatzdifferenz soll dann den Nutzen des Garantienehmers widerspiegeln. Diesen Ansatz verfolgt auch der Tax Court of Canada in seiner Entscheidung „GE Capital Canada“, so dass nach Ansicht des Gerichts die fremdvergleichskonforme Avalvergütung auf Basis des Zinsvorteils der Tochter-Gesellschaft aus der Gewährung der Sicherheit zu bestimmen ist (Rz. 6.523). Insofern wird zur Bemessung der Avalvergütung das Zinsniveau der Aufnahme von Fremdkapital ohne und mit der Garantiezusage bestimmt.4 Dabei ist allerdings fraglich, ob der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter des garantienehmenden Unternehmens tatsächlich bereit wäre, seinen gesamten Nutzen aus der Inanspruchnahme der Sicherheiten an den Sicherungsgeber abzugeben.5
6.525
Finanzmathematischer Ansatz. Im Übrigen wird in der Literatur ein finanzmathematischer Ansatz zur Ermittlung angemessener Avalvergütungen auf Basis von „Credit-Default-Swaps“ („CDS“) vorgeschlagen, der eine ökonomisch belastbare Ableitung leisten können soll.6 Durch ein CDS wird das Kreditrisiko von der zugrunde liegenden Kreditbeziehung
6.526
1 Dies verneint Brüninghaus, in V/B/E, Handbuch der Verrechnungspreise3, Rz. O 118. 2 Auch der Tax Court of Canada vom 4.12.2009, General Electric Capital Canada Inc. vs. her Majesty the Queen, 2009, TCC 563, abrufbar unter http://www.gwb.tcc-cci.gc.ca, stellt explizit fest, dass die Kostenaufschlagsmethode zur Bestimmung einer Avalvergütung nicht in Betracht kommt. 3 Vgl. Tz. 7.13 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Ditz/Schneider, DB 2011, 780; Brinkmann, IStR 2010, 501 ff. 5 Kritisch auch Puls, IStR 2012, 214; Ammelung/Bernhardt/Lorenzen/Ackerman, DK 2010, 411. 6 Vgl. Crüger/Köhler, RIW 2008, 378 ff.; Schaus/Köhler/John, RIW 2009, 533 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
entkoppelt und das Ausfallrisiko aus einer bestimmten Kreditposition für eine festgesetzte Frist auf einen Vertragspartner (Sicherungsgeber) gegen periodische oder einmalige Vorab-Zahlung einer Risikoprämie für die Risikoübernahme transferiert. Insofern erfüllen CDS eine vergleichbare wirtschaftliche Funktion wie gruppeninterne Garantien, Bürgschaften oder harte Patronatserklärungen.1 Überdies wird die Vergleichbarkeit von Avalvergütungen und CDS-Spread darauf gestützt, dass sich die Bundesregierung, eine Reihe weiterer europäischer Staaten, die EU-Kommission sowie die europäische Zentralbank bei der Bewertung ihrer im Zuge der Finanzkrise eingeräumten Staatsgarantien an CDS ausrichten.2
6.527
Übliche Sätze für Avalvergütungen. Wie bereits in Rz. 6.522 dargestellt, können die von Banken erhobenen Avalvergütungen von i.d.R. mehr als 1 % nicht als Vergleichsmaßstab zur Bestimmung angemessener Avalvergütungen im Konzern herangezogen werden. In der Betriebsprüfungspraxis haben sich vor diesem Hintergrund Avalprovisionssätze (pro Jahr) von 0,125 % bis 0,25 % des tatsächlich in Anspruch genommenen Sicherungsvolumens als angemessen herausgebildet.3 Diese Avalsätze sind insofern realistisch, als sie sich aus den üblicherweise von Banken veranschlagten Provisionssätzen unter Berücksichtigung konzernspezifischer Parameter ableiten lassen. Geht man insofern von einer am Markt üblichen Avalvergütung der Geschäftsbanken i.H.v. 1 % des Sicherungsvolumens aus und bringt die wesentlichen konzernspezifischen Faktoren zum Abzug, die bei konzerninternen Sicherungsverhältnissen zu berücksichtigen sind, so liegt die Bandbreite konzerninterner Avalprovisionen zwischen 0,1 % und 0,4 % des Sicherungsvolumens (p.a.). 4 In diesem Zusammenhang sind insbesondere die folgenden Parameter, die bei einer Gewährung von Sicherheiten im Konzern ohne Bedeutung sind, zu berücksichtigen: – Liquiditätskosten: Bei verbundenen Unternehmen entstehen – im Gegensatz zu Geschäftsbanken – keine Liquiditätskosten zur Vorhaltung von Barreserven bzw. Finanzierungsquellen für die Absicherung von Garantien oder Bürgschaften. – Eigenkapitalkosten: Verbundene Unternehmen haben – im Gegensatz zu Geschäftsbanken – keine Vorgaben der Anteilseigner im Hinblick auf eine „Risk-free-Return“ zu beachten (Abgeltung des grundlegenden Anteilseignerrisikos). – Rückversicherungsrisiko: Den Geschäftsbanken entstehen Kosten im Rahmen der (obligatorischen) Rückversicherung von Garantien und Bürgschaften insbesondere zur Erfüllung bankaufsichtsrechtlicher Verpflichtungen sowie der Eigenkapitalausstattung (vgl. etwa §§ 10 ff. 1 Vgl. Crüger/Köhler, RIW 2008, 380; Schaus/Köhler/John, RIW 2009, 535. 2 Vgl. Schaus/Köhler/John, RIW 2009, 534 ff. m.w.N. 3 Vgl. Ditz, IStR 2009, 422; Gundel, IStR 1994, 267; Ammelung/Sorcan, RIW 1996, 673; Oho/Behrens, IStR 1996, 316. 4 Vgl. Puls, IStR 2012, 214.
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E. Finanzierungsleistungen
KWG i.V.m. SolV). Entsprechende Kosten entstehen bei verbundenen Unternehmen nicht. Besonderheiten bei Patronatserklärungen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind die Grundsätze der Abrechnung von Bürgschaften1 auch in Bezug auf Patronatserklärungen anzuwenden, „sofern diese Verpflichtungen den Charakter einer Bürgschaft haben.“2 Vor diesem Hintergrund können grundsätzlich nur harte Patronatserklärungen (Rz. 6.512) eine Avalvergütung auslösen. Dies setzt freilich voraus, dass die harte Patronatserklärung mit einem tatsächlichen Obligo des Patrons (z.B. Muttergesellschaft) verbunden ist. Weiche Patronatserklärungen, die für den Kreditgeber i.d.R. ohne praktischen Sicherungswert sind, können hingegen nicht avalprovisionspflichtig sein.3
6.528
VII. Sonstige Finanzdienstleistungen 1. Factoring Definition des Factoring. Unter Factoring wird der Kauf von Forderungen aus Waren und Dienstleistungsgeschäften vor deren Fälligkeit verstanden. Übernimmt der Käufer (d.h. die konzerninterne Factoring-Gesellschaft) die Haftung für das Ausfallrisiko (Delkrederehaftung), so liegt ein sog. echtes Factoring vor. Beim unechten Factoring bleibt das Ausfallrisiko beim Verkäufer der Forderung.
6.529
Ausübung einer Finanzdienstleistung. Beim echten und unechten Factoring handelt es sich um eine Finanzdienstleistung, bei der der Factor für den Verkäufer der Forderung (Factoringgeber) auf Basis eines gemischten Vertrages eine Finanzierungsfunktion (Ankauf und Kreditierung der Forderung), eine Dienstleistungsfunktion (Verwaltung des Forderungsbestandes) und ggfs. die Delkrederefunktion (Kreditversicherung) übernimmt. Sowohl beim echten als auch beim unechten Factoring steht die Finanzierungsfunktion im Vordergrund. Diese kommt darin zum Ausdruck, dass der Factor dem Factoringgeber durch die Finanzierung der vor Fälligkeit angekauften Forderungen sofortige Liquidität verschafft. Der Factoringgeber braucht nicht auf den Eingang seiner Außenstände mit ihren oft monatelangen Zahlungszielen bis zum Fälligkeitszeitpunkt zu warten, sondern genießt eine bevorzugte Befriedigung und einen eigenständigen umsatzkongruenten Bargeldzufluss mit seiner Leistungserbringung. Im Ergebnis handelt es sich damit beim Factoring um eine Vorfinanzierung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Dem Factoringgeber bleibt so die Aufnahme von Krediten zur Überwindung von Liquiditäts-
6.530
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.4.1. und 4.4.2. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.4.3. 3 Vgl. auch FG BW v. 26.11.1996 – 10 K 156/93, IWB 1997, F. 3a Gr. 1, 595, rkr.; FG Nds. v. 23.3.1999 – VI 357/95, DStRE 2000, 411.
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engpässen erspart, weshalb das Factoring auch in einer Substitutionsbeziehung zum Bankenkreditmarkt steht. Das gilt gleichermaßen für das unechte wie auch das echte Factoring, denn auch beim echten Factoring werden die – angekauften – Forderungen des Factoringgebers bevorschusst. Dies zeigt, dass das wirtschaftliche Schwergewicht beim Factoring auf einer Finanzierungsfunktion beruht.1
6.531
Bestimmung einer angemessenen Factoringgebühr. Die angemessene Factoringgebühr orientiert sich an dem Umfang der von der Factoring-Gesellschaft (z.B. Finanzierungsgesellschaft) wahrgenommenen Funktionen und Risiken, wobei zwischen – der Finanzierungsfunktion in Form der vorzeitigen Bereitstellung von Liquidität, – der Dienstleistungsfunktion in Form der Verwaltung, Überwachung und dem Inkasso der Forderungen sowie – der Delkrederefunktion in Form der Übernahme des Ausfallrisikos unterschieden wird.
6.532
Pauschal- versus Einzelgebühr. Die angemessene Factoringgebühr wird i.d.R. als Pauschalgebühr für die einheitliche Finanzdienstleistung „Factoring“ erhoben. Die Gebühr setzt sich dabei aus den Vergütungen für die einzelnen vorstehend dargestellten Funktionen zusammen.2 Daneben kann die angemessene Factoringgebühr auch direkt bzw. einzeln den verschiedenen Funktionen zugeordnet werden, so dass die Summe dieser Einzelgebühren im Ergebnis wieder der Pauschalgebühr entspricht bzw. entsprechen sollte.
6.533
Zinskomponente. Für die Zinsberechnung im Rahmen der Finanzierungsfunktion werden beim konzerninternen Factoring i.d.R. die Refinanzierungskosten zuzüglich eines Zinsaufschlages von 0,25–0,5 %-Punkten auf die Refinanzierungskosten erhoben.3
6.534
Dienstleistungskomponente. Das Entgelt für die Dienstleistungsfunktion wird i.d.R. – soweit die Preisvergleichsmethode nicht anwendbar ist – anhand der Kostenaufschlagsmethode (hierzu Rz. 5.39 ff.) bestimmt. Im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode ermittelt sich die Gebühr für die Dienstleistungskomponente des Factoring auf Basis der durch die entsprechenden Dienstleistungen ausgeübten Vollkosten zuzüglich eines angemessenen Gewinnaufschlags. Der Gewinnaufschlag beträgt in der Praxis i.d.R. zwischen 5 % und 10 %.
6.535
Delkrederekomponente. Die Gebühr für die Delkrederefunktion sollte sich am tatsächlichen Forderungsausfallrisiko orientieren. In diesem Zusammenhang lassen sich keine allgemeingültigen Grundsätze formulie1 Vgl. dazu auch BGH v. 23.1.1980 – VIII ZR 91/79, BGHZ 76, 126. 2 Vgl. Schnorberger, RIW 1993, 911. 3 So auch Gundel, IStR 1994, 266.
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E. Finanzierungsleistungen
ren; vielmehr ist der Einzelfall zu analysieren, wobei die Branchenzugehörigkeit und die Frage, ob die Forderungen gegenüber Privat- oder Geschäftskunden bestehen, eine wesentliche Rolle spielen. Sind in den Forderungen, welche im Rahmen des Factoring verkauft werden, auch konzerninterne Forderungen aus Lieferungen und Leistungen enthalten, kann für die Delkrederefunktion – wenn überhaupt – nur ein sehr geringes Entgelt angesetzt werden.1 Denn das Zahlungsausfallrisiko im Konzern ist i.d.R. – nicht zuletzt wegen des Rückhalts im Konzern (Rz. 6.484 ff.) – sehr gering. 2. Cash- und Devisenmanagement Zentralisierung der Finanzierungsfunktion. Auf Grund der zunehmenden Globalisierung, Deregulierung und Institutionalisierung der internationalen Finanzmärkte umfassen Finanzierungsleistungen zwischen international verbundenen Unternehmen mittlerweile weitaus mehr als die konzerninterne Darlehensgewährung (Rz. 6.417), die Einräumung von Lieferantenkrediten (Rz. 6.454 ff.) und die Gewährung von Finanzierungsunterstützungen (Rz. 6.507 ff.). Vielmehr übernehmen konzerninterne Finanzierungsstellen bzw. konzerneigene Finanzierungsgesellschaften (Rz. 6.457 ff.) bisher den Banken vorbehaltene Finanzgeschäfte selbst, um damit zum einen die konzerninternen Funktionen zu optimieren und zum anderen neue Ertragsquellen bzw. neue Kostensenkungspotentiale zu erschließen.
6.536
Cash-Management. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang sog. Cash-Management-Systeme, die i.d.R. in einem sog. „Corporate Treasury“2 organisiert sind. Durch ein solches „Corporate Treasury“ werden die Finanzierung und die Liquidität eines Konzerns zentral gesteuert.3 Dabei werden im Rahmen der konzerninternen Aufrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten (sog. „Netting“) bzw. durch die Konsolidierung der Zahlungskonten der einzelnen Konzerngesellschaften mit einem Verrechnungskonto (sog. „Pooling“) Finanzierungs- und Transaktionskosten eingespart und durch die Bündelung der Nachfrage nach Fremdkapital bzw. der Erhöhung des Anlagevolumens günstigere Zinskonditionen auf dem Kapitalmarkt ermöglicht. Beim Cash-Management werden täglich die Salden der Zahlungsverkehrskonten der einzelnen Konzerngesellschaften auf einem Sammelkonto der Konzernfinanzierungsgesellschaft konsolidiert bzw. „gepoolt“. Dadurch werden die Kontenbestände der einzelnen Konzerngesellschaften auf „Null“ gestellt bzw.
6.537
1 Vgl. auch FG Hamburg v. 16.12.1997 – V 49/96, EFG 1998, 580; BFH v. 5.5.1999 – XI R 6/98, BStBl. II 1999, 735 = FR 1999, 956. 2 Das „Corporate Treasury“ wird i.d.R. als zivilrechtlich unselbstständige Betriebsabteilung geführt, kann aber auch in Form einer selbstständigen Konzernfinanzierungsgesellschaft organisiert sein. 3 Zur Begriffsabgrenzung des Cash-Managements vgl. Werdenich, Modernes CashManagement2, 11 ff.; Ammelung/Kaeser, DStR 2003, 655 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
ausgeglichen, so dass nur der Saldo des Sammelkontos von der zentralen Cash-Management-Gesellschaft angelegt bzw. finanziert werden muss. Durch dieses Verfahren werden bei den einzelnen Konzernmitgliedern hohe Sollzinsen (für Überziehungen) und niedrige Habenzinsen (für Guthaben) der Banken vermieden. Die aus dem Cash-Management resultierenden Synergieeffekte müssen nach Verrechnung der entsprechenden Kosten allen beteiligten Konzerngesellschaften zugutekommen (Rz. 6.544).
6.538
Physisches Cash-Pooling. Beim physischen Cash-Pooling werden i.d.R. bankarbeitstäglich die Salden der jeweiligen Bankkonten der am CashPooling teilnehmenden verbundenen Unternehmen auf ein Zielkonto (sog. „Master-Account“) transferiert, welches im Allgemeinen bei der Muttergesellschaft oder einer Finanzierungsgesellschaft (sog. „Pool-Leader“) geführt wird. Guthaben der teilnehmenden verbundenen Unternehmen werden demzufolge auf das „Master-Account“ überwiesen, während der Kreditbedarf von verbundenen Unternehmen durch einen Geldtransfer vom „Master-Account“ gedeckt wird. Durch diese Vorgehensweise wird im Geldergebnis nur der Saldo des „Master-Account“ am Kapitalmarkt angelegt oder durch Kreditaufnahme gedeckt. Daraus ergibt sich für das jeweilige, am Cash-Pooling teilnehmende verbundene Unternehmen, dass Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber einer Bank durch Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber einem verbundenen Unternehmen, welches als „Pool-Leader“ das „Master-Account“ führt, ausgetauscht werden. Werden die Konten der teilnehmenden Konzerngesellschaften vollständig ausgeglichen, wird gemeinhin von einem sog. „Zero-Balancing“ gesprochen.1
6.539
Virtuelles Cash-Pooling. Beim virtuellen Cash-Pooling (auch „Notional Cash-Pooling“ genannt)2 erfolgt keine tatsächliche Übertragung der Banksalden der einzelnen verbundenen Unternehmen auf das Masterkonto bei der Muttergesellschaft. Stattdessen werden die Salden der einzelnen Konten lediglich rechnerisch auf einem (gedachten) „Master-Account“ zusammengeführt. Auf diesem zusammengefassten „Master-Account“ ergibt sich ein Saldo, der als Grundlage für die Bestimmung der jeweiligen Soll- und Habenzinssätze dient.3 Das virtuelle Cash-Pooling ist daher als eine Art „Bankprodukt“ zu verstehen, welches durch die Verrechnung eines virtuellen Saldos höhere Haben- und niedrigere Sollzinsen ermöglicht (Zinsoptimierung). Da in der Praxis der Ausgleich von Banksalden unterschiedlicher Währungen auf Grund von Umtausch und Versicherungskosten kostspielig sein kann, werden physische und virtuelle Cash-PoolingSysteme manchmal kombiniert von den Banken angeboten. 1 Vgl. Oho in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht2, § 10 Rz. 103; Cahn, ZHR 2002, 280. 2 Vgl. dazu auch Cahn, ZHR 2002, 280. 3 Vgl. Ammelung in Piltz/Schaumburg, Internationale Unternehmensfinanzierung, 81 ff.
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E. Finanzierungsleistungen
Finanzielle Risiken beim Cash-Pooling. Zivilrechtlich handelt es sich bei dem Ausgleich zwischen dem „Master-Account“ und den Konten der teilnehmenden verbundenen Unternehmen beim physischen Cash-Pooling (Rz. 6.538) um eine Darlehensgewährung.1 Weist z.B. das Konto eines teilnehmenden verbundenen Unternehmens einen positiven Saldo aus, welcher auf den „Master-Account“ übertragen wird, so handelt es sich um eine Darlehensgewährung von diesem verbundenen Unternehmen an den „Pool-Leader“. Ist umgekehrt ein negativer Saldo bei den teilnehmenden verbundenen Unternehmen vorhanden, erfolgt eine Darlehensgewährung durch den „Pool-Leader“ an diese verbundenen Unternehmen. Die laufenden gegenseitigen Ansprüche zwischen dem „Pool-Leader“ und den verbundenen Unternehmen verkörpern in diesem Zusammenhang ein echtes Kontokorrentverhältnis gem. § 355 HGB. Angesichts dieser durch wechselseitige Darlehensgewährungen eintretenden finanziellen Verpflichtungen innerhalb des Konzerns können folgende Risiken entstehen, die bei der Entscheidung, ein Cash-Pooling-System zu implementieren, bedacht werden sollten: – Übernahme von Bonitätsrisiken durch das die Liquidität abführende verbundene Unternehmen (Risiko, dass die abgeführten Mittel nicht zurückgezahlt werden können); – Entzug von Liquidität, die für Investitionen bei dem Mittel abführenden verbundenen Unternehmen benötigt wird; – Gefährdung einer eigenständigen Liquiditätsversorgung, da die Finanzierungsfunktionen auf Ebene der verbundenen Unternehmen praktisch eingestellt werden und Bankkontakte verlorengehen; – Eintreten eines sog. „Haftungsverbundes“ durch das Zurverfügungstellen von Sicherheiten bei allen am Cash-Pool-System teilnehmenden verbundenen Unternehmen. Kann eine Konzerngesellschaft ihre finanziellen Verpflichtungen nicht erfüllen, besteht das Risiko – z.B. bei einer Insolvenz –, alle weiteren CashPooling-Teilnehmer in Existenzschwierigkeiten zu bringen (sog. „Domino-Effekt“).
6.540
Kapitalerhaltungsgrundsätze und insolvenzrechtliche Bestimmungen. Sofern Kapitalgesellschaften in das Cash-Pooling-System involviert werden, ist aus gesellschaftsrechtlicher Sicht sicherzustellen, dass bei einem dem Cash-Pooling immanenten Abfluss von Finanzmitteln nicht das geschützte Eigenkapital aufgezehrt wird. Denn nach § 30 GmbHG darf z.B. aus deutscher Sicht das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft nicht an die Gesellschafter ausbezahlt werden. Bei konzerninternen Cash-Pooling-Systemen führte der Kapitalerhaltungsgrundsatz in der Vergangenheit – nicht zuletzt wegen der sehr strengen Rspr. des BGH – immer wieder zu Konflikten mit der gesetzlichen Ausschüttungssperre des § 30 GmbHG. Durch eine gesetzliche Neufas-
6.541
1 Vgl. Berger in MünchKomm-BGB5, Vor § 488 BGB Rz. 31 f.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
sung des § 30 Abs. 1 GmbHG durch das MoMiG1 ist die Zulässigkeit von Cash-Pooling-Systemen jedoch ausdrücklich erweitert worden. Dem Kapitalerhaltungssystem ist nunmehr – entgegen der restriktiven Rspr. des BGH – ein an einer bilanziellen Betrachtungsweise orientiertes Haftungssystem zugrunde zu legen, weswegen es entscheidend auf die Werthaltigkeit eines Rückzahlungsanspruchs von konzerninternen Darlehen im Rahmen des Cash-Poolings ankommt. Werden daher Mittel von einem verbundenen Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH auf Grundlage des Cash-Pooling-Systems an den „Pool-Leader“ übertragen und besteht ein werthaltiger Rückzahlungsanspruch des verbundenen Unternehmens, so verstößt die Darlehensgewährung im Rahmen des Cash-Poolings nicht gegen die Eigenkapitalerhaltungsregeln. Gleichwohl ist im Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit eine derartige Werthaltigkeit der Rückzahlungsansprüche tatsächlich vorhanden ist. Vergleichbare Fragestellungen können sich bei verbundenen Unternehmen ergeben, die in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG organisiert sind. Würde die GmbH & Co. KG in den Cash-Pool Zahlungen leisten, müsste ausgeschlossen werden, dass eine Einlagenrückgewähr an ihre Kommanditisten entsteht. Denn die Einlagenrückgewähr führt zu einem Wiederaufleben der unmittelbaren Kommanditistenhaftung nach §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB. Ferner können auch bei verbundenen Unternehmen, die in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG oder einer GmbH organisiert sind, die Regelungen über die Gewähr und die Rückforderung von Gesellschafterdarlehen in Krisenfällen zur Anwendung gelangen. Nach der gesetzlichen Novellierung durch das MoMiG ist bei Gesellschafterdarlehen im Krisenfall ein gesetzlicher Rangrücktritt von Forderungen auf Rückgewähr des Gesellschafterdarlehens vorgesehen.2 Dies bedeutet, dass ggf. Rückgewähransprüche aus Gesellschafterdarlehen im Krisenfall nicht mehr realisiert werden können.
6.542
Meldebestimmungen und behördliche Genehmigungen. Der grenzüberschreitende Transfer von Finanzmitteln im Rahmen eines Cash-PoolingSystems unterliegt in vielen Ländern rechtlichen Meldevoraussetzungen und ggf. müssen im Vorhinein einzuholende behördliche Genehmigungen legalisiert werden. Hier ist sicherzustellen, dass etwaige Meldungen und Genehmigungserfordernisse von den an einem Cash-Pool-System teilnehmenden verbundenen Unternehmen erfüllt werden. Im Übrigen ist bei der Ausgestaltung des Cash-Pool-Vertrages sicherzustellen, dass die nachfolgend genannten Mindestinhalte zwischen den teilnehmenden verbundenen Unternehmen schriftlich fixiert werden: – Bezeichnung der Vertragsparteien; – Aufzeichnung und Verbuchung aller Zahlungsvorgänge einschließlich der vereinbarten Konditionen; 1 Vgl. Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts v. 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2028. 2 Vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.
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E. Finanzierungsleistungen
– Vereinbarung eines Frühwarnsystems zur Erkennung von Liquiditätsproblemen und Vereinbarung eines entsprechenden Informationsaustauschs zwischen den teilnehmenden verbundenen Unternehmen; – Bestimmung einer „Mindestbonität“ von teilnehmenden verbundenen Unternehmen; – Bestimmungen zum Eigenkapitalschutz und zum Existenzschutz; – eindeutige Verrechnungsabreden (ggf. Vergütungsabreden für die Tätigkeiten des „Pool-Leader“); – ggf. Besicherung von Darlehensgewährungen; – Begrenzung des Haftungsverbunds; – ggf. Wahrung eines Mindestmaßes an finanzieller Eigenständigkeit der teilnehmenden verbundenen Unternehmen durch das Behalten einer bestimmten Mindestliquidität. Devisen-Management. Das Devisen-Management beinhaltet das DevisenNetting sowie die Devisentermingeschäfte. Hierbei stellen alle beteiligten Konzerngesellschaften dem zentralen Devisen-Management („Corporate Treasury“) ihr Devisenvolumen zur Verfügung, so dass die konzerninternen Forderungen und Verbindlichkeiten gegeneinander aufgerechnet werden können. Es verbleibt dann nur noch der zentrale Ausgleich der Spitzen, was zu Synergieeffekten u.a. in Form von geringeren Transaktionskosten und geringeren Währungsrisiken bei Fremdwährungen führt (insbesondere in Form von „ersparten“ Devisentermingeschäften).1 Letztlich führt das Devisen-Netting zu einer Art Konktokorrentverhältnis i.S.d. § 355 HGB, welches Zinsansprüche nur an den jeweiligen Saldo knüpft. Grundsätzlich ist dieser Saldo zu verzinsen, wobei auf die Ausnahme bei Lieferantenkrediten für Warenlieferungen und Dienstleistungen innerhalb der üblichen Zahlungsziele hinzuweisen ist (Rz. 6.454 ff. und 6.450).
6.543
Zuordnung von Synergieeffekten. Durch das Cash- und/oder Devisen-Management entstehen i.d.R. synergetische Vorteile, deren betriebswirtschaftlicher Nutzen für die beteiligten Konzerngesellschaften innerhalb der Gewinnabgrenzung nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs zu berücksichtigen ist.2 Dies soll an folgendem – stark vereinfachtem Beispiel – illustriert werden:
6.544
Beispiel: Die drei unabhängigen Unternehmen A, B und C vereinbaren, künftig die Anlage freier liquider Mittel gemeinsam durchzuführen, um auf Grund des höheren Anlagevolumens bessere Konditionen am Kapitalmarkt zu erzielen, als dies bei einer jeweiligen Einzelanlage möglich wäre. Um die gemeinsame Geldanlage umzusetzen, beauftragen sie einen Finanzfonds, der das Gesamtkapital der Unternehmen am 1 Vgl. Nieß in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 61. 2 Vgl. Nieß in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 60 f.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch Kapitalmarkt renditeoptimal anlegt, die Geldanlage verwaltet und nach Fälligkeit wieder – proportional zu den Einlagen – an A, B und C ausgezahlt. Das Gesamtkapital der drei Unternehmen wird durch den Finanzfonds am Kapitalmarkt angelegt. Auf Grund des erhöhten Anlagevolumens erzielt der Finanzfonds eine um 10 % höhere Rendite, als sie sich bei einer Einzelanlage durch das jeweilige Unternehmen ergeben hätte. Nunmehr stellt sich die Frage, wie die drei Unternehmen und der Finanzfonds als – im Sinne des Fremdvergleichs – voneinander unabhängige Personen abrechnen würden. Dabei kommen prinzipiell die drei folgenden Alternativen in Betracht: 1) Der Finanzfonds könnte die volle Mehrrendite i.H.v. 10 % an A, B und C weitergeben. In diesem Fall würde der Finanzfonds allerdings keine Vergütung für seine Leistungen erhalten und hätte somit selbst keinen Vorteil, sondern vielmehr lediglich Kosten aus seiner Tätigkeit. 2) Dem Finanzfonds könnte die Mehrrendite i.H.v. 10 % als Entgelt für seine Tätigkeit gewährt werden. Die drei Unternehmen würden in diesem Fall die Rendite erzielen, die sie bei einer jeweiligen Einzelanlage realisiert hätten. Diese Regelung würde allerdings von den Kapital anlegenden Unternehmen nicht akzeptiert werden, da sie aus ihrer Kooperation letztlich keinen Vorteil erzielen würden. 3) Der Finanzfonds könnte die Mehrrendite i.H.v. 10 % nur partiell an die Unternehmen weitergeben, wobei er den nicht ausgegebenen Anteil so bemessen würde, dass ein angemessenes Entgelt für seine Tätigkeit verbleibt. Damit würde zum einen der Finanzfonds für seine Tätigkeit angemessen vergütet und zum anderen würden A, B und C von ihrer Kooperation in Form einer gegenüber der jeweiligen Einzelanlage höheren Rendite profitieren.
6.545
Ansatz vergünstigter Verrechnungspreise. Unzweifelhaft führt nur die dritte Alternative zu einem ökonomisch angemessenen Ergebnis. Während der Grundsatz des Fremdvergleichs einerseits eine Verteilung der Synergieeffekte in Form der höheren Rendite auf die Unternehmen A, B und C impliziert, ist andererseits dem Finanzfonds – wie unter fremden Dritten üblich – ein Entgelt für seine Geldanlagetätigkeit zu gewähren. Bezogen auf das Cash- und Devisenmanagement des „Corporate Treasury“ eines Konzerns folgt aus dem dargestellten Beispiel, dass die erzielten Synergieeffekte dieser Abteilung an die beteiligten Konzerngesellschaften weiterzugeben sind. Jede Konzerngesellschaft trägt durch Liquidität zur Erhöhung der Nachfragemacht am Kapitalmarkt bzw. durch die Übertragung ihrer Forderungen und Verbindlichkeiten zur Senkung der Transaktions-, Finanzierungs- und Kurssicherungskosten bei, so dass diese an den daraus resultierenden Synergieeffekten zu beteiligen sind. Derartige Vorteile werden schließlich nicht durch die eigene Aktivität des Corporate Treasury geschaffen, sondern entstehen erst durch das Zusammenwirken aller beteiligten Konzerngesellschaften. Insofern sind sie – wie bei einem Pool – im Rahmen einer Umlage nach Abzug der dem Corporate Treasury in diesem Zusammenhang entstandenen Kosten (einschließlich eines Gewinnaufschlags) auf die betroffenen Konzerngesellschaften zu verteilen. Im Weiteren besteht die Möglichkeit, die erzielten Synergieeffekte durch den Ansatz vergünstigter Verrechnungspreise an die Konzerngesellschaften weiterzugeben (z.B. geringere Sollzinsen bei Darlehensgewährung, erhöhte Habenzinsen bei Kapitalanlage oder günstigere konzerninterne Devisenkurse). 808
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
Abrechnung von Dienstleistungen. Ferner hat die Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes zur Folge, dass dem Corporate Treasury für seine erbrachten Dienstleistungen eine angemessene Vergütung zusteht (analog der Vergütung der Tätigkeit des Finanzfonds im obigen Beispiel). Da insoweit – auf Grund der konzernspezifischen Ausrichtung des Corporate Treasury – vergleichbare Marktpreise i.d.R. nicht existieren und damit die Anwendung der Preisvergleichsmethode auszuschließen ist, kommt i.d.R. die Kostenaufschlagsmethode (hierzu Rz. 5.39 ff.) zur Quantifizierung entsprechender Verrechnungspreise in Betracht. Da das Corporate Treasury lediglich Routinefunktionen ausübt, also solche Funktionen, die ohne weiteres auch marktbeziehbar sind, nur in geringem Umfang Wirtschaftsgüter einsetzt und nur geringe, nämlich auf die Funktionsausübung beschränkte Risiken trägt, kann nach Auffassung der Finanzverwaltung zur Methodenwahl bei solchen Routineunternehmen auch die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (hierzu Rz. 5.92 ff.) herangezogen werden.1
F. Immaterielle Wirtschaftsgüter Literatur Bärsch/Luckhaupt/Schulz, Bestimmung angemessener Verrechnungspreise im Zusammenhang mit immateriellen Vermögenswerten, Ubg 2014, 37; Bärsch/Quilitzsch/Schulz, Steuerliche Implikationen des Aktionsplans der OECD aus deutscher Sicht, ISR 2013, 358; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.2008, DStR 2008, 1945; Baumhoff/Ditz/Greinert, Klärung des Begriffs „Geschäftsbeziehung“ i.S. des § 1 AStG durch das BMF-Schreiben vom 12.1.2010, DStR 2010, 476; Baumhoff/Greinert, Angemessene Lizenzsätze bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, Ubg 2009, 544; Baums, Ergebnisabhängige Preisvereinbarungen in Unternehmenskaufverträgen („earn-outs“), DB 1993, 1273; Bernhardt/van der Ham/Kluge, Die gesetzliche Preisanpassungsklausel im § 1 AStG – Bestimmung der Anpassungen der Höhe nach und weitere praktische Anwendungsprobleme, IStR 2008, 844; Bernhardt/van der Ham/Kluge, Verrechnungspreismethoden – Weitergehende Anwendungsbereiche des hypothetischen Fremdvergleichs, Ubg 2009, 244; Beuchert, Entwicklungen im Verrechnungspreissystem der USA am Beispiel der Verfahren DHL, Glaxo und Xilinx – Modell für Deutschland?, IStR 2006, 605; Beyer/Mackenstedt, Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte (IDW S 5), WPg 2008, 338; Böcker, Internationale Lizenzen – Verrechnung nach Grund und Höhe, in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Internationale Einkünfteabgrenzung, Köln 2003, 155; Borstell/Prick, Grundsatzentscheidung zu anonymen Vergleichsdaten in der Prüfung von Verrechnungspreisen, IStR 1999, 304; Ditz/Pinkernell/Quilitzsch, BEPS-Reformvorschläge zu Lizenzgebühren und Verrechnungspreisen bei immateriellen Wirtschaftsgütern aus Sicht der Beratungspraxis, IStR 2014, 45; Dürrfeld/Wingendorf, Lizenzierung von Markenrechten im Konzern, IStR 2005, 464; Frotscher, Grundfragen der Funktionsverlagerung, FR 2008, 49; Greinert, Die bilanzielle Behandlung von Marken, Lohmar/Köln 2002; Greinert, 1 Vgl. BMF v. 12. 4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3. Buchst. b.
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6.546
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch Besonderheiten bei der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise im Fall der Übertragung und Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter, RIW 2006, 449; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, in Schaumburg/Rödder (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008, München 2007, 541; Groß, Aktuelle Lizenzgebühren in Patentlizenz-, Know-how- und Computerprogrammlizenz-Verträgen, BB 1995, 885; Groß, Aktuelle Lizenzgebühren in Patentlizenz-, Know-how- und Computerprogrammlizenz-Verträgen: 1996/1997, BB 1998, 1321; Haas, Funktionsverlagerungen nach dem Erlass der Funktionsverlagerungsverordnung, Ubg 2008, 517; Kaminski, Die Festlegung von Maßstäben zur internationalen Einkünftekorrektur durch § 1 Außensteuergesetz, StuW 2008, 337; Kaminski/ Strunk, Auswirkungen des BFH-Urteils vom 17.10.2001 auf die Verrechnungspreisbestimmung, IWB 2002, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 55; Kaminski/Strunk, Stellungnahme zum Entwurf der „Verwaltungsgrundsätze–Funktionsverlagerungen“ des BMF vom 17.7.2009, RIW 2009, 706; Kleineidam, Verrechnungspreise für immaterielle Wirtschaftsgüter – Lizenzen, in Schaumburg (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Köln 1994, 103; Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz- und Know-how-Verträge, Köln 1972; Kohl/Schilling, Die Bewertung immaterieller Vermögenswerte gem. IDW ES 5, StuB 2007, 541; Kroppen/Eigelshoven, Die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise mit Hilfe des externen Betriebsvergleichs, IWB 2000, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 1587; Kroppen/Rasch, Die Funktionsverlagerungsverordnung, IWB 2008, 547; Kroppen/ Rasch, Funktionsverlagerung – Entwurf der Verwaltungsgrundsätze, IWB 2009, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2439; Kuckhoff/Schreiber, Quo vadis Fremdvergleich?, IStR 1999, 513; Oestreicher, Die (reformbedürftigen) Regelungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in Fällen der Funktionsverlagerung, Ubg 2009, 80; Peter/Spohn/Hogg, Preisanpassungsklauseln bei Funktionsverlagerungen nach deutschem sowie US-amerikanischem Steuerrecht, IStR 2008, 864; Pezzer, Verdeckte Gewinnausschüttung – Lizenzgebühr für Nutzung des Konzernnamens – Anmerkung zum BFH-Urteil vom 9.8.2000 – I R 12/99, FR 2001, 248; Pinkernell, OECD-Aktionsplan gegen internationale Gewinnverlagerung und Aushöhlung der Bemessungsgrundlagen (BEPS-Projekt), FR 2013, 737; Portner, Verrechnungspreise für immaterielle Wirtschaftsgüter – Grundsätze, in Schaumburg (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Köln 1994, 78; Raupach, Funktionsbezogene Systeme, in Raupach (Hrsg.), Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen, Herne 1999, 143; Roeder, Ökonomische Aspekte des hypothetischen Fremdvergleichs, Ubg 2008, 202; Schaumburg, Anpassungsklausel, IStR 2009, 877; Schnorberger, Unzulässigkeit gewinnvergleichender Verrechnungspreismethoden in Deutschland?, IStR 1999, 523; Scholz, Die Fremdüblichkeit einer Preisanpassungsklausel nach dem Entwurf zu § 1 Abs. 3 AStG, IStR 2007, 521; Schreiber, Funktionsverlagerungen im Konzern – Neue Rechtsgrundlagen durch die Unternehmensteuerreform 2008, Ubg 2008, 433; Strunk, Grenzüberschreitende Veräußerung immaterieller Wirtschaftsgüter, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Veräußerungsgewinne im Internationalen Steuerrecht, Köln 2004, 57; Wassermeyer, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats des BFH – Inhalt und Auswirkungen, WPg 2002, 10; Wassermeyer, Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, 535; Wehnert/Stalberg, Grundsatzentscheidung des BFH zur Bestimmung von Verrechnungspreisen im internationalen Konzern, IStR 2002, 141; Welling, Die Funktionsverlagerungsbesteuerung im Lichte der OECD-Äußerungen, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, 985; Zech, Funktionsverlagerung durch Zusammenlegung von Produkten und Vertrieb?, IStR 2009, 418.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
I. Grundlagen 1. Hintergrund der Bedeutung von immateriellen Wirtschaftsgütern Überblick und aktuelle Entwicklungen. Immaterielle Wirtschaftsgüter stehen im Fokus der Fisci weltweit.1 Sie können sehr hohe Werte aufweisen und für den Unternehmenserfolg maßgebend sein, gleichwohl werden selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter nur im Ausnahmefall bilanziert.2 Vor diesem Hintergrund ergreifen die nationalen Finanzverwaltungen umfassende Maßnahmen, um die Besteuerung der im jeweiligen Land geschaffenen immateriellen Wirtschaftsgüter sicherzustellen. Sowohl in den Fällen der Überlassung als auch denen der Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter stellt sich die Frage nach der Ermittlung eines angemessenen Verrechnungspreises. Spezielle gesetzliche Vorschriften für die Verrechnungspreisermittlung immaterieller Wirtschaftsgüter existieren nicht. Zur Konkretisierung des allgemein maßgebenden Fremdvergleichsgrundsatzes im Hinblick auf immaterielle Wirtschaftsgüter kommen insbesondere Tz. 5 VWG 1983 sowie Kapitel VI der OECD-Leitlinien in Betracht, die beide jedoch recht knapp ausgefallen sind und insofern die gebotene Tiefe der Erörterung vermissen lassen. Vor diesem Hintergrund und angesichts der zunehmenden Bedeutung von Verrechnungspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter hat sich die OECD im Jahr 2010 entschlossen, ein neues Projekt „on the Transfer Pricing Aspects of Intangibles“ zu starten, das zu einer grundlegenden Überarbeitung und Ergänzung von Kapitel VI der OECD-Leitlinien führen soll.3 Bereits am 6.6. 2012 wurde ein entsprechender „Discussion Draft – Revision of the Special Considerations for Intangibles in Chapter VI of the OECD Transfer Pricing Guidelines and Related Provisions“4 veröffentlicht, mit dem die Öffentlichkeit zur Kommentierung aufgerufen wurde.5 Im Unterschied zu dem aktuellen Kapitel VI, das gerade einmal 39 Textziffern umfasst, ist der „Discussion Draft“ mit 268 Textziffern und 22 Beispielen zur Veranschaulichung ungleich umfassender und detaillierter ausgefallen. Am 30.7.2013 hat die OECD einen „Revised Discussion Draft on Transfer
1 Vgl. etwa die Begründung der Bundesregierung zur Änderung von § 1 Abs. 3 AStG im Rahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, abgedruckt in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 296. 2 Bis zur Einführung des BilMoG galt ein generelles Aktivierungsverbot für selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter gemäß § 248 Abs. 2 HGB. Nunmehr ist – in Anlehnung an die Regelungen von IAS 38 – deren Aktivierung unter eingeschränkten Voraussetzungen möglich, vgl. Hoppen/Husemann/Schmidt, Das neue HGB-Bilanzrecht, 62 ff. Steuerrechtlich gilt hingegen das generelle Aktivierungsverbot für selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter unverändert fort, vgl. § 5 Abs. 2 EStG. 3 Vgl. www.oecd.org/ctp/tp/intangibles. 4 Abrufbar unter http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/50526258.pdf. 5 Die OECD weist darauf hin, dass es sich bei diesem Entwurf um noch kein finales, vollständig abgestimmtes Dokument handelt. Dieser Entwurf soll eher als ein „Status-Call“ verstanden werden, vgl. Martin, TNI 2012, 991.
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6.547
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Pricing Aspects of Intangibles“1 vorgelegt, nachdem zu dem ursprünglichen Entwurf eine Vielzahl öffentlicher Kommentare eingegangen war. Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf hat sich hierbei eine ganze Reihe von Änderungen ergeben. Insgesamt umfasst der „Revised Discussion Draft“ 330 Textziffern und 27 Beispiele, wobei die Öffentlichkeit erneut zur Kommentierung aufgerufen ist, so dass weitere Änderungen nicht ausgeschlossen sind. Bereits am 19.7.2013 hatte die OECD einen „Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting“2 („BEPS“) veröffentlicht, in dem sie Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewinnverkürzungen und Gewinnverlagerungen international tätiger Unternehmen vorschlägt.3 Das Projekt „Intangibles“ wird dabei als ein Teil von BEPS identifiziert. Derzeit geht die OECD davon aus, die Arbeiten an dem Projekt „Intangibles“ im September 2014 abzuschließen. 2. Begriffsbestimmungen für immaterielle Wirtschaftsgüter
6.548
Begriffsbestimmung in den VWG. Eine allgemein gültige Begriffsbestimmung für immaterielle Wirtschaftsgüter enthalten die VWG 1983 nicht. Vielmehr beschränken sich Tz. 5.1.1. i.V.m. Tz. 3.1.2.3. VWG 1983 auf eine lediglich beispielhafte, jedoch nicht abschließende Aufzählung. Erwähnt werden hier das gewerbliche Schutzrecht, das Geschmacksmusterrecht, das Urheberrecht, die nicht geschützte Erfindung oder eine sonstige die Technik bereichernde Leistung, das Sortenschutzrecht, das Geschäftsoder Betriebsgeheimnis sowie ein ähnliches Recht oder ein ähnlicher Wert.
6.549
Begriffsbestimmung in den OECD-Leitlinien 2010. Im Interesse einer einheitlichen internationalen Begriffsanwendung empfiehlt es sich, auch die Definition in Tz. 6.2 OECD-Leitlinien zu berücksichtigen. Dabei wird zwar nicht der Begriff „Intangible Asset“, sondern der eher an gewerbliche Schutzrechte anknüpfende Begriff „Intangible Property“ verwendet. Dieser umfasst jedenfalls zum einen die Rechte auf Benutzung gewerblicher Wirtschaftsgüter wie Patente, Marken, Firmennamen, Muster oder Modelle, zum anderen literarische und künstlerische Eigentumsrechte sowie geistiges Eigentum wie Know-how und Handelsgeheimnisse. Im Vordergrund der OECD-Leitlinien stehen die immateriellen Wirtschaftsgüter im Zusammenhang mit gewerblichen Aktivitäten („Commercial Intangibles“). Diese werden nochmals in die Sonderformen „Marketing Intangibles“ (Produkt- und Dienstleistungsmarken sowie Handelsnamen) und „Trade Intangibles“ unterteilt.4 Die „Marketing Intangibles“ sind absatzorientiert, während sich die „Trade Intangibles“ auf Patente, Know-how 1 Abrufbar unter http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/revised-discussiondraft-intangibles.pdf. 2 Abrufbar unter http://www.oecd.org/ctp/BEPSActionPlan.pdf. 3 Siehe hierzu Pinkernell, FR 2013, 737 ff.; Bärsch/Quilitzsch/Schulz, ISR 2013, 358 ff. 4 Vgl. Tz. 6.3 OECD-Leitlinien 2010.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
und Rechte zur Herstellung von Produkten beziehen, also produktionsorientiert sind.1 Begriffsbestimmung im überarbeiteten Entwurf zu „Intangibles“ v. 30.7. 2013. Der Entwurf zur Neufassung von Kapitel VI der OECD-Leitlinien zeigt ein doch erheblich abweichendes Begriffsverständnis im Vergleich zur aktuellen Fassung der OECD-Leitlinien. Offenkundig wird dies bereits an der nun verwendeten Bezeichnung „Intangibles“ statt des bislang verwendeten Ausdrucks „Intangible Property“, woraus sich ein weitergehendes Verständnis ableiten lässt. Dies wird verstärkt durch die Feststellung, dass „Intangibles“ über die für Rechnungslegungszwecke verwendeten „Intangible Assets“ hinausgehen.2 Insofern überrascht die allgemeine Definition nicht: „the word ‚intangible‘ is intended to address something which is not a physical asset or a financial asset, which is capable of being owned or controlled for use in commercial activities, and whose use or transfer would be compensated had it occurred in a transaction between independent parties in comparable circumstances“.3 Als unter diese Definition fallende Beispiele werden aufgezählt: Patente, Knowhow, Marken, Vertragsrechte und Lizenzen, aber auch „Goodwill and Ongoing Concern Value“.4 Hingegen sollen Standortvorteile („Location Savings“), Gruppensynergien („Group Synergies“), Marktbedingungen („Market Specific Characteristics“) und ein eingespielter Mitarbeiterstamm („Assembled Workforce“) nicht als „Intangibles“ verstanden werden.5 Ansonsten wird ausdrücklich darauf verzichtet, eine Kategorisierung von „Intangibles“ vorzunehmen.6
6.550
Weitere Definitionen von immateriellen Wirtschaftsgütern. Da in den VWG 1983 und OECD-Leitlinien nur eine beispielhafte, jedoch keine vollständige Aufzählung immaterieller Wirtschaftsgüter erfolgt, ist zu prüfen, ob eine Anknüpfung an die Definition immaterieller Wirtschaftsgüter durch andere Institutionen sinnvoll sein kann. Eine solche Definition hat etwa der Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ der Schmalenbach-Gesellschaft erstellt. Danach differenziert der Arbeitskreis die immateriellen Wirtschaftsgüter in Customer, Supplier, Investor, Process, Location, Innovation und Human Capital.7 Allerdings hat der Arbeitskreis seinen Fokus auf immaterielle Werte im Allgemeinen, nicht dagegen auf immaterielle Wirtschaftsgüter im Speziellen gerichtet. Vielfach ist es daher zweifelhaft, ob die dort aufgeführten immateriellen
6.551
1 Ausführlich zur Begriffsbestimmung durch die OECD-Leitlinien 2010 vgl. Roeder in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Rz. 1 ff. zu Tz. 6.2 OECD-Leitlinien. 2 Vgl. Tz. 41 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 3 Tz. 40 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 4 Vgl. Tz. 53–62 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 5 Vgl. Tz. 2 ff. und 63 f. des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 6 Vgl. Tz. 49 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 7 Vgl. hierzu und zu der Erläuterung der einzelnen Kategorien AK „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., DB 2001, 990 f.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Werte die Ansatzvoraussetzungen eines immateriellen Wirtschaftsguts erfüllen. Jedenfalls stellen einzelne vom Arbeitskreis genannte immaterielle Werte Bestandteile des Geschäfts- oder Firmenwerts dar, z.B. Investor-Capital (günstige Kreditkonditionen, hohes Rating) oder Process-Capital (Aufbau- und Ablauforganisation). Daher eignet sich diese Systematisierung nur eingeschränkt für steuerliche Zwecke. Mangels einer eigenständigen steuerlichen Systematisierung bietet es sich eher an, auf die Systematisierungen von „Intangible Assets“ nach IFRS 3 Bezug zu nehmen. Freilich gelten unterschiedliche Ansatzvorschriften für ein immaterielles Wirtschaftsgut nach deutschem Steuerrecht und für ein „Intangible Asset“ nach IFRS. Gleichwohl erscheint zumindest die dort vorgenommene Grobstrukturierung auch für immaterielle Wirtschaftsgüter geeignet. Danach werden unterschieden (vgl. Abb. 1):1
Arten immaterieller Wirtschaftsgüter Marketingbezogene Marken, Geschmacksmuster, Internet-Domains
Künstlerischbezogene
Immaterielle Wirtschaftsgüter
Schauspiele, Opern, Musicals, Lieder, Magazine, Zeitschriften, Bilder, Photographien
Vertragsbezogene
Kundenbezogene Kundenstamm, Auftragsbestand
Technologiebezogene
Patente, Gebrauchsmuster, Ungeschützte Erfindungen, Rezepturen, Software
Lizenzen, Franchise-
Abkommen,
Belieferungsrechte, Konzessionen
Abb. 1: Arten immaterieller Wirtschaftsgüter
Bei den hier genannten Gütern handelt es sich um eigenständige immaterielle Wirtschaftsgüter; sie sind keine Bestandteile des Geschäfts- oder Firmenwerts. Anhand der hier aufgeführten Beispiele wird deutlich, dass immaterielle Wirtschaftsgüter einzigartige Güter sind, die sich nur schwer substituieren oder imitieren lassen. Darin liegt auch ihr besonderer Wert begründet. Immaterielle Wirtschaftsgüter stellen vielfach die 1 Vgl. IFRS 3, Illustrative Examples.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
wichtigsten Faktoren für den Unternehmenserfolg dar und repräsentieren somit einen entsprechenden Wert. 3. Abgrenzung der Übertragung von der Nutzungsüberlassung eines immateriellen Wirtschaftsguts a) Vorbemerkungen Abgrenzung der Übertragung von der Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter. Die Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter, also die endgültige Übertragung des Eigentums, ist von der zeitlich begrenzten Nutzungsüberlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern zu unterscheiden.1 In manchen Fällen ist aufgrund nicht eindeutig formulierter Verträge nicht erkennbar, ob es sich um eine endgültige Eigentumsübertragung oder eine zeitlich begrenzte Nutzungsüberlassung handelt, so dass der Parteiwille zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu erforschen ist. Diese Notwendigkeit besteht ebenfalls in Fällen, in denen im Rahmen einer Betriebsprüfung aufgedeckt wird, dass immaterielle Wirtschaftsgüter von einer nahestehenden Person genutzt wurden, ohne dass entsprechende vertragliche Regelungen vereinbart wurden.
6.552
b) Maßgebender Eigentumsbegriff Rechtliches Eigentum. Für die Klärung der Frage einer Übertragung oder Überlassung kommt es also darauf an, welcher Gesellschaft das Eigentum an den Wirtschaftsgütern zuzuordnen ist. Nach deutschem Steuerrecht sind Wirtschaftsgüter nur im ersten Prüfungsschritt dem zivilrechtlichen Eigentümer zuzuordnen.2 Insofern bietet sich zunächst die Art des Vertrags für eine Zuordnung an: Während bei einem Kaufvertrag das rechtliche Eigentum übergeht (Übertragung), verbleibt bei einem Lizenz- oder Pachtvertrag das rechtliche Eigentum bei der ursprünglichen Gesellschaft (Überlassung).
6.553
Wirtschaftliches Eigentum. Letztlich entscheidend ist jedoch der zweite Prüfungsschritt, bei dem das wirtschaftliche Eigentum zugeordnet wird. So kann sich eine vom zivilrechtlichen Eigentum abweichende Zuordnung dann ergeben, wenn ein anderer (etwa der Lizenznehmer) die tatsächliche Sachherrschaft über ein immaterielles Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den rechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf dieses wirtschaftlich ausschließen kann (wirtschaftliches Eigentum).3 Zur Klärung der Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums wird nach allgemeinem Verständnis darauf abgestellt, wer nach dem Gesamtbild der Umstände Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten des immateriellen Wirtschaftsguts trägt.4 Insofern
6.554
1 2 3 4
So auch Tz. 6.16 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. § 39 Abs. 1 AO. Vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO. Vgl. nur BFH v. 28.4.1977 – IV R 163/75, BStBl. II 1977, 553; v. 7.11.1991 – IV R 43/90, BStBl. II 1992, 398.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
sind insbesondere die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den beteiligten Unternehmen zu prüfen. Generell bereitet es allerdings bei immateriellen Wirtschaftsgütern meist erhebliche Schwierigkeiten, das wirtschaftliche Eigentum zuzuordnen.1
6.555
Kriterien für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums. Bei der Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums erweist es sich als nachteilig, dass diese Frage mit Bezug auf immaterielle Wirtschaftsgüter bisher weder durch die Rechtsprechung entschieden noch durch Verwaltungsanweisungen der deutschen Finanzverwaltung konkretisiert wurde. Es verbleibt daher letztlich nur eine Bezugnahme auf die allgemeine BFHRechtsprechung zum wirtschaftlichen Eigentum im Zusammenhang mit Mietkauf und Leasing sowie die hierzu seitens der Finanzverwaltung herausgegebenen BMF-Schreiben (sog. Leasing-Erlasse2). Dass sich diese BMF-Schreiben auch für immaterielle Wirtschaftsgüter eignen dürften, ergibt sich insbesondere daraus, dass die darin enthaltenen Grundsätze auch speziell für Filmrechte – also immaterielle Wirtschaftsgüter – zur Anwendung kommen.3 Wenn also ein Lizenzvertrag (oder Pachtvertrag) vereinbart wurde, kommt es unter Bezugnahme auf diese Anforderungen für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an den beteiligten immateriellen Wirtschaftsgütern vor allem auf die folgenden Kriterien an: – Laufzeit des Lizenzvertrags, – Art des Lizenzvertrags (exklusive, alleinige oder einfache Lizenz), – Höhe der Lizenzentgelte für die immateriellen Wirtschaftsgüter über die Laufzeit des Vertrags im Verhältnis zum Wert der immateriellen Wirtschaftsgüter, – Recht zur Einräumung von Unterlizenzen, – Übernahme von Chancen und Risiken im Hinblick auf Wertveränderungen der lizenzierten immateriellen Wirtschaftsgüter, – Übernahme der Aufgaben und Kosten im Zusammenhang mit der Erhaltung des rechtlichen Schutzes der beteiligten immateriellen Wirtschaftsgüter, – Ordentliche und außerordentliche Kündigungsrechte des Lizenzgebers, – Kaufoptionsrechte des Lizenznehmers und Andienungsrechte des Lizenzgebers. Mit Bezug auf diese Kriterien lässt sich am ehesten von einer Überlassung zur Nutzung ausgehen, wenn die Dauer des Lizenzvertrags möglichst kurz ist, nur eine einfache Lizenz vereinbart wird, dem Lizenznehmer kein Recht zur Einräumung von Unterlizenzen gewährt wird, der Lizenz1 Vgl. Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 78 ff.; Strunk in Schaumburg/Piltz, Veräußerungsgewinne im Internationalen Steuerrecht, 57 ff. 2 Vgl. insbesondere BMF v. 19.4.1971 – IV B/2 - S 2170 - 31/71, BStBl. I 1971, 264. 3 Vgl. den sog. „Medienerlass“, BMF v. 23.2.2001 – IV A 6 - S 2241 - 8/01, BStBl. I 2001, 175.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
geber die Risiken im Hinblick auf Wertveränderungen der lizenzierten Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile trägt, die Maßnahmen zur Erhaltung des Schutzes der beteiligten immateriellen Wirtschaftsgüter von dem Lizenzgeber übernommen werden, der Lizenzgeber über außerordentliche Kündigungsrechte verfügt und dem Lizenznehmer keine Kaufoptionsrechte eingeräumt werden. Wirtschaftliches Eigentum bei Marken – DHL-Entscheidung. Wie schwierig im Einzelfall die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums bei immateriellen Wirtschaftsgütern (hier: einer Marke) sein kann, wird nicht zuletzt aufgrund des in den USA geführten Rechtsstreits in der Sache „DHL“ deutlich.1 Die DHL Corp., USA, war weltweit rechtliche Eigentümerin der Marke „DHL“. Sie überließ der nahestehenden Gesellschaft DHL International, Hong Kong, unentgeltlich die Nutzung der Marke „DHL“ für alle Märkte außerhalb der USA. Der US-amerikanische Fiskus korrigierte daraufhin die Ergebnisse der DHL Corp. in Höhe einer fiktiven Lizenzgebühr für die Überlassung der Marke. DHL klagte dagegen zunächst vor dem US Tax Court (DHL Corp. v. Commissioner, 76 T.C.M. 1122 [1998]) und schließlich vor dem US Court of Appeals als Rechtsmittelinstanz (DHL Corp. v. Commissioner, 285 F.3d 1210 [9th Cir. 2002]). Der US Court of Appeals kam – abweichend von der Vorinstanz – zu dem Ergebnis, dass das wirtschaftliche Eigentum an der Marke „DHL“ für die Märkte außerhalb der USA nicht bei der DHL Corp. (als rechtlicher Eigentümerin), sondern bei der DHL International lag. So führte das Gericht aus, dass es für die Frage des wirtschaftlichen Eigentums nicht wesentlich auf die markenrechtliche Lage ankäme. Vielmehr seien die Übernahme von Kosten und Risiken sowie die tatsächlichen Einflussnahmemöglichkeiten auf die Marke entscheidend. Was die Kosten anbelangt, so hatte die DHL Corp. im Zeitraum 1982–1992 insgesamt 150 Mio. US-$ für Marketingmaßnahmen innerhalb der USA und die DHL International im gleichen Zeitraum insgesamt 380 Mio. US-$ für Marketingmaßnahmen außerhalb der USA aufgewendet. Ferner hatte DHL International – obwohl sie nicht rechtliche Eigentümerin war – die Kosten für den Schutz der Marke außerhalb der USA selbst getragen und alle Rechtsstreitigkeiten hinsichtlich der Verletzung der Marke durch Dritte außerhalb der USA selbst geführt. Insofern habe sie auch die Risiken im Zusammenhang mit der Nutzung der Marke übernommen. Zwar ging es bei diesem Verfahren um US-amerikanisches Steuerrecht. Insofern sind die dabei maßgebenden Überlegungen nicht unmittelbar auf deutsches Steuerrecht anwendbar. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass bei der Frage des wirtschaftlichen Eigentums – wie es die Bezeichnung schon ausdrückt – wirtschaftliche Überlegungen entscheidend sind. Solche wirtschaftlichen Überlegungen basieren freilich auf ökonomischen Prinzipien, die in einem gewissen Ausmaß auch losgelöst von der jeweiligen Rechtsordnung gelten. Insofern 1 Vgl. hierzu o.V., TNI 2002, 375 f.; o.V., TNI 2002, 491 f.; Ackermann et al., TNI 2002, 553 f.; Przysuski/Lalapet/Swaneveld, TNI 2004, 295; Beuchert, IStR 2006, 605 ff.
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6.556
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
können die Erkenntnisse aus der „DHL“-Entscheidung auch bei der hier relevanten Frage nach dem wirtschaftlichen Eigentum an einer Marke zumindest nicht vernachlässigt werden.
6.557
Die Eigentumsfrage im überarbeiteten Entwurf zu „Intangibles“ vom 30.7.2013. Im Gegensatz zur aktuellen Fassung der OECD-Leitlinien beschäftigt sich auch der überarbeitete Entwurf zu „Intangibles“ eingehend mit der Frage des Eigentums an „Intangibles“. Die OECD diskutiert die Eigentumsfrage im Zusammenhang mit der Problematik, wem die „intangible related returns“, also die Erträge und Aufwendungen aus immateriellen Wirtschaftsgütern, für Zwecke der Einkünfteabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen zuzurechnen sind. Auch für die OECD handelt es sich beim rechtlichen Eigentum nur um den Ausgangspunkt der hierbei anzustellenden Überlegungen. Ausdrücklich weist die OECD darauf hin, dass das rechtliche Eigentum für sich allein betrachtet keinen Anspruch auf die „intangible related returns“ begründet.1 Dem rechtlichen Eigentümer stehen die „intangible related returns“ vielmehr nur dann zu, wenn er die folgenden Voraussetzungen erfüllt: – Performs and controls all of the important functions related to the development, enhancement, maintenance and protection of the intangibles; – Controls other functions outsourced to independent enterprises or associated enterprises and compensates those functions on an arm’s length basis; – Provides all assets necessary to the development, enhancement, maintenance and protection of the intangibles; and – Bears and controls all of the risks and costs related to the development, enhancement, maintenance and protection of the intangible.2 Sofern diese Voraussetzungen von einer anderen Gesellschaft als dem rechtlichen Eigentümer erfüllt werden, muss dies bei der Einkünfteabgrenzung berücksichtigt werden. In Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls kann dies im Extremfall dazu führen, dass dem jeweiligen rechtlichen Eigentümer keine „intangible related returns“ zuzurechnen sind.3 c) Gegenüberstellung der unterschiedlichen Besteuerungsfolgen
6.558
Steuerliche Folgen bei Übertragung bzw. Überlassung. Die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an einem immateriellen Wirtschaftsgut ist als ein Veräußerungsvorgang anzusehen.4 Insofern kommt es dabei zu einer vollständigen Aufdeckung und Versteuerung der in dem übertragenen immateriellen Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven bei dem 1 2 3 4
Vgl. Tz. 73 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. Tz. 89 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. Vgl. Tz. 90 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. Vgl. BFH v. 27.7.1988 – I R 130/84, BStBl. II 1989, 101.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
übertragenden Unternehmen, und zwar sofort. Hier ist dann eine Lizenzierung nicht mehr möglich, sondern allenfalls eine Ratenzahlung des übernehmenden Unternehmens, was das Problem der Sofortversteuerung der stillen Reserven mit entsprechendem sofortigem steuerbedingten Liquiditätsentzug beim übertragenden Unternehmen nicht löst. Betriebswirtschaftlich liegt hier dann quasi ein Mietkauf vor. Verbleibt dagegen das wirtschaftliche Eigentum bei dem Unternehmen und wird dem nahestehenden Unternehmen nur eine Nutzung des immateriellen Wirtschaftsguts gestattet, so ist dies als eine Lizenzierung zu qualifizieren. Steuerliche Folge ist, dass das Unternehmen die Lizenzerträge versteuern muss, und zwar im Zeitablauf mit ihrer Realisierung. Es kommt dann jedoch zu keiner Übertragung des immateriellen Wirtschaftsguts, so dass sich die in ihm enthaltenen stillen Reserven erst im Zeitablauf über die Lizenzerträge auflösen.1 Ein für die Besteuerung weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Übertragung und Überlassung besteht darin, dass sich die meisten Fisci bei Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter im Wege der Lizenzierung den Einbehalt von Quellensteuer vorbehalten,2 wobei die Höhe dieser Quellensteuer häufig durch DBA3 oder andere Vorschriften (insbesondere EU-Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie4) reduziert wird. Bei Erhebung von Quellensteuer besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit, die so entstehende Doppelbesteuerung durch Anrechnung oder Abzug im anderen Staat zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren.5 Bei der Abzugsmethode lässt sich die Quellensteuerbelastung jedoch nicht vollständig eliminieren, so dass eine Definitivbelastung eintritt. Selbst wenn die Anrechnungsmethode zur Anwendung kommt, können Anrechnungsüberhänge entstehen. Auch dann führt die ausländische Quellensteuer zu einer Definitivbelastung und einer Erhöhung der Steuerquote. Vor diesem Hintergrund ist es von Bedeutung festzustellen, ob eine Übertragung oder Überlassung vorliegt. Es ergeben sich jedoch nicht nur die oben dargestellten Auswirkungen im Hinblick auf den Zeitpunkt der Gewinnrealisierung und den Anfall von Quellensteuer. Vielmehr hat die Frage der Übertragung und Überlassung auch selbst Auswirkungen auf die Höhe des maßgebenden Verrechnungspreises für die immateriellen Wirtschaftsgüter (vgl. Rz. 6.571 ff. und 6.591 ff.). Wahlrecht für Nutzungsüberlassung? Angesichts der Vielzahl von Kriterien für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums und der möglicherweise entgegengesetzt wirkenden Ausprägungen bei einzelnen Krite1 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 570. 2 Vgl. etwa aus deutscher Perspektive § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG, § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG. 3 Vgl. insbesondere Art. 12 OECD-MA. 4 Vgl. Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlung von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 157, 49). 5 Vgl. § 34c EStG.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
rien kann es in der Unternehmenspraxis Probleme bereiten, das wirtschaftliche Eigentum zuzuordnen. Die Finanzverwaltung scheint sich dieser Abgrenzungsprobleme durchaus bewusst zu sein. Mit Bezug auf Funktionsverlagerungen (hierzu Kap. 7), bei denen es im Wesentlichen um die Erfassung immaterieller Wirtschaftsgüter geht, wurde in § 4 Abs. 2 FVerlV eine praktikable Regelung für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums aufgenommen. Demnach wird auf Antrag des Steuerpflichtigen von einer Überlassung ausgegangen, wenn die Frage der Übertragung oder Überlassung aufgrund bestehender Zweifel nicht eindeutig geklärt werden kann.1 Der Verordnungsgeber will durch dieses faktische Wahlrecht zu Gunsten des Steuerpflichtigen eine Sofortversteuerung („ggf. erheblicher“2) stiller Reserven (Differenz zwischen dem Fremdvergleichspreis und dem Buchwert) vermeiden, um besteuerungsbedingte unerwünschte Liquiditätsprobleme nicht aufkommen zu lassen. Dieses Wahlrecht gilt zwar formal lediglich für Funktionsverlagerungen, da es in der nur für Funktionsverlagerungen3 einschlägigen FVerlV enthalten ist. Gleichwohl sind die Abgrenzungsprobleme und die wirtschaftlichen Folgen bei Funktionsverlagerungen einerseits und immateriellen Wirtschaftsgütern andererseits vergleichbar, so dass die Regelung des § 4 Abs. 2 FVerlV auch bei immateriellen Wirtschaftsgütern Anwendung finden sollte.
II. Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter 1. Vorbemerkungen
6.560
Nutzungsüberlassung durch Lizenzverträge. Lizenzverträge sind Verträge „sui generis“, die Elemente eines Miet- oder Pachtverhältnisses aufweisen.4 Während das nationale Steuerrecht keine Einkunftsart „Lizenzeinnahmen“ kennt, sondern diese den gewerblichen Einkünften, denen aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung zuordnet, existiert abkommensrechtlich eine eigene Einkunftsart „Lizenzgebühren“.5 2. Arten von Lizenzgebühren
6.561
Arten von Lizenzgebühren. Werden Nutzungsrechte an immateriellen Wirtschaftsgütern durch einen Lizenzvertrag eingeräumt, so hat der Lizenznehmer dem Lizenzgeber hierfür eine Lizenzgebühr zu entrichten. Die Lizenzgebühr kann dabei unterschiedlich ausgestaltet werden.6 Am 1 2 3 4
Vgl. § 4 Abs. 2 FVerlV. Begründung zu § 4 Abs. 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08. Vgl. BR-Drucks. 352/08, Abschnitt „B. Lösung“. Vgl. Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 80 f. 5 Vgl. Art. 12 OECD-MA. 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5.2.2.; Tz. 6.16 OECD-Leitlinien 2010.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
häufigsten bemisst sich die Lizenzgebühr in Abhängigkeit vom erzielten Umsatz des Lizenznehmers unter Nutzung des betreffenden immateriellen Wirtschaftsguts (Umsatzlizenz). Vielfach anzutreffen ist auch eine sog. Stücklizenz, bei der sich die Lizenzgebühr an der Anzahl der produzierten oder abgesetzten Güter orientiert. Der Nachteil der Stücklizenz gegenüber der Umsatzlizenz besteht allerdings darin, dass bei dieser nur Mengeneffekte, nicht dagegen auch Preiseffekte berücksichtigt werden. Denkbar ist auch eine sog. Gewinnlizenz, deren Höhe sich nach dem vom Lizenznehmer erzielten Gewinn unter Nutzung des betreffenden immateriellen Wirtschaftsguts bemisst. Bei einer an den Gewinn anknüpfenden Lizenzgebühr besteht allerdings das Problem, dass es sich beim Gewinn um eine Residualgröße handelt, auf die zahlreiche (andere) Einflussfaktoren neben dem überlassenen immateriellen Wirtschaftsgut wirken. Umsatz-, Stück- und Gewinnlizenzen lassen sich linear, progressiv und degressiv gestaffelt vereinbaren. Daneben findet man in der Unternehmenspraxis auch Pauschallizenzen (Lump-Sum-Payments oder Down-Payments), bei denen die Lizenzgebühr durch einen festen Betrag bemessen wird, der unabhängig von der Nutzung durch den Lizenznehmer ausfällt. Zudem besteht die Möglichkeit, Mindestlizenzen und Höchstlizenzen zu vereinbaren. Darüber hinaus können auch andere Lizenzarten vereinbart werden, sofern dies zivil- und kartellrechtlich zulässig ist.1 Rücklizenzen. Im Zusammenhang mit der Lizenzierung eines immateriellen Wirtschaftsguts ist es in der Praxis nicht ungewöhnlich, dass der Lizenznehmer bei der Nutzung zusätzliche Erfahrungen sammelt und Verbesserungen vornimmt, die wiederum eigenständige immaterielle Wirtschaftsgüter darstellen können.2 Gelangen diese Wirtschaftsgüter – z.B. im Rahmen einer Rücklizenz – an den ursprünglichen Lizenzgeber zurück, so sind diese genauso zu verrechnen wie jede andere Nutzungsüberlassung auch.3 In der Praxis sind demgegenüber auch Lizenzverträge üblich, wonach der Lizenznehmer die in seiner Sphäre entstandenen Erfahrungen bzw. immateriellen Wirtschaftsgüter an den Lizenzgeber ohne zusätzliches Entgelt herauszugeben hat, da in der Bemessung der Lizenzgebühr dieser Rückfluss bereits seinen Niederschlag gefunden hat. Eine gesonderte Verrechnung dieses Rückflusses findet dann also nicht statt, ebenso wenig wie in den Fällen, in denen zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer ein gegenseitiger Erfahrungsaustausch stattfindet. Hierbei wird unterstellt, dass sich die ausgetauschten Erfahrungen gleichwertig gegenüberstehen. Eine Verrechnung wäre nur dann denkbar, wenn dieser Erfahrungsaustausch deutlich ungleichgewichtig wäre. 1 Die Anerkennung dieser unterschiedlichen Zahlungsformen für Verrechnungspreiszwecke richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen, vgl. Tz. 197 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 2 Vgl. Tz. 6.3 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5.1.3.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
3. Sonderfälle der Lizenzierung a) Lizenzierung des Firmennamens und Markenüberlassung
6.563
Recht auf Führen des Firmennamens. Die Finanzverwaltung lehnt die Zahlung eines Entgelts für das Recht, einen Firmennamen zu führen, unter Hinweis auf den nicht verrechenbaren sog. „Rückhalt im Konzern“ ab. So heißt es in Tz. 6.3.2. VWG: „Demgegenüber kann eine Muttergesellschaft z.B. Entgelte nicht verrechnen für […] den sogenannten Rückhalt im Konzern einschließlich des Rechts, den Konzernnamen zu führen“. Begründet wird dies damit, dass die Verleihung dieses Rechts als Akt der Dotation nach den Grundsätzen des Firmenrechts anzusehen sei und damit der Tochtergesellschaft auf gesellschaftsrechtlicher und nicht auf schuldrechtlicher Basis zugewendet wurde. Auch die OECD steht in ihrem aktuellen, überarbeiteten Entwurf zu „Intangibles“ der Zahlung eines Entgelts für die Nutzung eines Firmennamens kritisch gegenüber.1
6.564
Identität von Firma und Marke. Intensiv diskutiert in Literatur und Rechtsprechung wurde allerdings der Fall, bei dem der Firmenname mit einer namensgleichen Konzernmarke übereinstimmt. Bei dieser Konstellation wollte die deutsche Finanzverwaltung in der Vergangenheit zumindest für den Inbound-Fall die Zahlung von Lizenzgebühren für die Marke an die ausländische Muttergesellschaft nicht anerkennen, da Firmenname und Marke übereinstimmen. In dem Urteil des FG Rheinland-Pfalz v. 14.12.19982 wurde der Auffassung der Finanzverwaltung zunächst zugestimmt. Der BFH hat jedoch – der überwiegenden Auffassung in der Literatur folgend – mit dem Urteil v. 9.8.20003 das Urteil des FG RheinlandPfalz aufgehoben und die Zahlung von Lizenzgebühren für eine Marke anerkannt, die mit dem Firmennamen übereinstimmt. Dies wird insbesondere damit begründet, dass „Markenrechte als produktidentifizierende Kennzeichnungen einerseits und Unternehmensbezeichnungen als besondere Bezeichnungen eines Geschäftsbetriebes andererseits strikt auseinander zu halten [sind]. Beiden kommen verschiedene Inhalte zu: beide sind grundsätzlich unabhängig voneinander verwertbar und mit entsprechenden Schutzrechten ausgestattet […] Das gilt auch, wenn der Marken- und der Firmenname gleichlautend sind“4.
6.565
Entgeltlichkeit bei Markenüberlassung. Gemäß der nunmehr geklärten Rechtslage kann also Entgeltlichkeit für die Überlassung einer Marke bestehen, selbst wenn sie gleichzeitig als Firmenname fungiert. Die Entgeltlichkeit setzt freilich voraus, dass die Marke bzw. das die Marke begründende Zeichen auch hinreichend markenrechtlich geschützt ist, sei es durch Eintragung in das Markenregister, durch Verkehrsgeltung oder durch notorische Bekanntheit.5 Nur dann steht dem Markeninhaber ein 1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 99 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. Vgl. FG Rh.-Pf. v. 14.12.1998 – 5 K 2821/96, IStR 1999, 537. Vgl. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. Vgl. § 4 MarkenG.
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ausschließliches Nutzungsrecht sowie ein Ausschließlichkeitsrecht zu.1 Diese Rechte sind die Grundlage dafür, dass der Markeninhaber von einem Dritten ein Entgelt für die Nutzung der Marke verlangen kann. Sollten dagegen diese Rechte nicht bestehen, würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter keine Verpflichtung zur Zahlung einer Lizenzgebühr eingehen.2 Von einer Entgeltpflicht ist also nur dann auszugehen, wenn auch fremde Dritte für die Verwendung der Marke etwas zahlen würden. Für die Entgeltlichkeit kommt es nach Auffassung des BFH darauf an, „ob die mit der Einräumung verbundenen besonderen und marktfähigen Schutzrechte geeignet sind, zur Absatzförderung beizutragen.“3 Es reicht somit bereits die Möglichkeit aus, mit der Nutzung einer Marke absatzwirtschaftliche Vorteile zu erzielen, unabhängig davon, ob die Nutzung der Marke „tatsächlich zu einer Absatzsteigerung und/oder zu einer Erhöhung des einschlägigen Marktanteils geführt hat.“4 Entscheidend ist somit auch hier die „Ex-ante-Betrachtung“, wonach zum Zeitpunkt des Abschlusses des Lizenzvertrags mit absatzwirtschaftlichen Vorteilen gerechnet werden konnte. Auch zur Höhe des Entgelts für die Überlassung einer Marke äußert sich der BFH. Dabei wird es als „insbesondere“ relevant angesehen, „wer den Wert der Marke geschaffen und wer die Aufwendungen für deren Begründung und dessen Erhalt (bspw. durch Weiterentwicklung, Werbung, Marketingmaßnahmen) getragen hat“5. Erhält also ein Lizenznehmer die Nutzungsrechte an einer Marke, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Lizenzvertrags noch relativ neu war oder die in den lokalen Markt neu eingeführt wird, und trägt der Lizenznehmer durch eigene Aufwendungen und Leistungen zur Entstehung der Marke bei (z.B. Schaltung von Werbeanzeigen, Kostenbeteiligung an internationalen Werbefeldzügen), so kann der Lizenzgeber dem Lizenznehmer – wenn überhaupt – nur eine vergleichsweise geringe Lizenzgebühr berechnen.6 Umgekehrt können aber auch sämtliche Markensteigerungseffekte auf Bemühungen und Kosten des Lizenzgebers beruhen, mit der Folge der Verrechnung einer höheren Lizenzgebühr. Geschäftsbeziehung. Allgemeine Voraussetzung für eine Entgeltpflicht ist das Vorliegen einer Geschäftsbeziehung. Diesbezüglich ist der Zeitraum vor und seit 2003 zu unterscheiden. Vor 2003 war es auch möglich, eine Marke auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage unentgeltlich zu überlassen.7 Diese Auffassung lässt sich insbesondere anhand der Entscheidungsgründe des sog. Patronatsurteils8 und der ihm nachfolgenden Urteile
1 2 3 4 5 6
Vgl. § 14 MarkenG. Vgl. FG München v. 28.11.2006 – 6 K 578/06, BeckRS 2006, 26022354, rkr. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. Vgl. Tz. 6.38 OECD-Leitlinien 2010 sowie Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 302. 7 Vgl. Pezzer, FR 2001, 248. 8 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720.
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zur unentgeltlichen Garantie-1 und Darlehensgewährung2 fundieren. Der BFH hatte in diesen Urteilen entschieden, dass die Muttergesellschaft keine Provisionen bzw. Zinsen gegenüber ihrer Tochtergesellschaft verlangen muss, weil die Tochtergesellschaft nicht ausreichend mit Eigenkapital ausgestattet war (vgl. Rz. 6.421). Die Tochtergesellschaft konnte ihre Funktionen nur durch die unentgeltliche Garantie- bzw. Darlehensgewährung seitens der Muttergesellschaft erfüllen. Nach der bis einschließlich 2002 gültigen Definition war in diesen Fällen eine Geschäftsbeziehung nicht gegeben, weil die unentgeltliche Garantie- bzw. Darlehensgewährung dazu diente, fehlendes Eigenkapital der Tochtergesellschaft zu ersetzen und damit ihr wirtschaftliches Potenzial zu stärken. Diese Urteile, die nunmehr auch von der Finanzverwaltung anerkannt werden,3 lassen sich auch auf die unentgeltliche Nutzungsüberlassung einer Marke übertragen. Durch die unentgeltliche Überlassung einer Marke kann die Muttergesellschaft ihrer Verpflichtung nachkommen, die Tochtergesellschaft mit funktionsgerechtem Kapital auszustatten.4 Aufgrund der Neufassung des § 1 Abs. 4 AStG durch das „Steuervergünstigungsabbaugesetz“5 und der Änderung der Definition von „Geschäftsbeziehung“ besteht erstmals für den VZ 20036 diese Möglichkeit in einer solchen Allgemeinheit allerdings nicht mehr.7 Nunmehr ist eine „Geschäftsbeziehung […] jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist“. Für das Bestehen einer Geschäftsbeziehung ist es seitdem unbedeutend, ob eine Beziehung betrieblich oder gesellschaftsrechtlich veranlasst ist. Unabhängig davon, ob eine schuldrechtliche Beziehung aufgebaut wurde, um fehlendes Eigenkapital der Tochtergesellschaft zu ersetzen und damit ihr wirtschaftliches Potenzial zu stärken, soll dieser zu den Geschäftsbeziehungen i.S.v. § 1 AStG gehören. Eine Geschäftsbeziehung liegt nur dann nicht vor, wenn im Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Vereinbarung vorhanden ist.
1 Vgl. BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123. 2 Vgl. BFH v. 29.4.2009 – I R 88/08, BeckRS 2009, 25015331; v. 29.4.2009 – I R 26/08, BFH/NV 2009, 1648. 3 Vgl. BMF v. 12.1.2010 – IV B 5 - S 1341/07/10009 – DOK 2010/0002173, BStBl. I 2010, 34 und hierzu Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 476. 4 Zur Notwendigkeit, dass die Nutzungsüberlassung einer funktionsgerechten Kapitalausstattung dient, vgl. BFH v. 23.6.2010 – I R 37/09, BStBl. II 2010, 895 = FR 2011, 139. Ansonsten kann auch gemäß Rechtslage bis einschließlich 2002 eine Geschäftsbeziehung vorliegen. 5 Vgl. StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 6 Vgl. § 21 Abs. 11 Satz 1 AStG. 7 Dies gilt auch nach der Änderung der Definition einer Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 5 AStG a.F. durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 26.6.2013 fort. Nunmehr ist die Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 AStG n.F. definiert.
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b) Lizenzierung bei gleichzeitigem Leistungsaustausch Lizenzierung bei gleichzeitigem Leistungsaustausch. Gemäß Tz. 5.1.2. VWG 1983 ist die Verrechnung von gesonderten Nutzungsentgelten steuerlich nicht anzuerkennen, wenn die Nutzungsüberlassung im Zusammenhang mit Lieferungen oder Leistungen steht und Fremde nur ein Gesamtentgelt gezahlt hätten. Zweck dieser Regelung, die korrespondierend zu derjenigen in Tz. 3.1.2.3. VWG 1983 steht, ist der Ausschluss einer doppelten Verrechnung, indem in den Liefer- oder Leistungspreis die gleichzeitige Überlassung des immateriellen Wirtschaftsguts bereits einbezogen ist und diese Überlassung daneben nochmals gesondert berechnet wird.1 Vor diesem Hintergrund ist es unüblich, bei reinen Vertriebsgesellschaften eine Lizenzgebühr für Marken, Patente usw. zu verrechnen. So hat das FG München im Hinblick auf eine Vertriebsgesellschaft entschieden, die ein Produkt zusammen mit der Marke von der produzierenden Gesellschaft erworben hat: „Das Markenprodukt hat dabei einen Kaufpreis, mit dem auch anteilig die entsprechende Marke mit abgegolten ist. Ein fremder Dritter würde bei einem solchen Kauf nicht gesondert neben der Bezahlung des Kaufpreises an den Verkäufer noch eine zusätzliche Lizenzgebühr […] bezahlen.“2 Eine abweichende Würdigung wäre jedoch dann möglich, wenn die Vertriebsgesellschaft z.B. unmarkierte Produkte von einem Unternehmen bezieht und auf diese dann eine durch einen Lizenzvertrag zur Nutzung überlassene Marke anbringt. In einem solchen Fall wäre die gesonderte Verrechnung einer Markenlizenz erforderlich. Allerdings handelt es sich dann auch nicht mehr um eine reine Vertriebsgesellschaft, sondern um eine eher in Richtung Entrepreneur/ Strategieträger zu charakterisierende Gesellschaft, da diese aufgrund der Markenlizenz über wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter verfügt.3
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c) Lizenzierung von Vorrats- oder Sperrpatenten Vorrats- oder Sperrpatente. In der Unternehmenspraxis ist häufig der Fall anzutreffen, dass Erfindungen als Patente geschützt werden, gleichwohl nicht selbst unternehmerisch verwendet werden. Es ist dann zu klären, ob auch für solche Patente eine Vergütung zwischen nahestehenden Unternehmen verrechnet werden kann. Die VWG 1983 sehen in Tz. 5.1.1. ausdrücklich die Entgeltfähigkeit als gegeben an, „wenn das empfangende Unternehmen das immaterielle Wirtschaftsgut nicht nutzt, aber einen wirtschaftlichen Nutzen daraus erzielt oder voraussichtlich erzielen wird (z.B. Sperrwirkung bei Vorrats- oder Sperrpatenten)“. Damit wird verdeutlicht, dass es für die Frage der Verrechenbarkeit dem Grunde 1 Vgl. Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 302; Dürrfeld/Wingendorf, IStR 2005, 466; Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 90 sowie Tz. 6.17 OECD-Leitlinien 2010. 2 FG München v. 28.11.2006 – 6 K 578/06, BeckRS 2006, 26022354, rkr. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nach nicht auf die unmittelbare tatsächliche Nutzung ankommt, sondern darauf, ob im Fall der Nichtnutzung ein anderer wirtschaftlicher Vorteil aus der Überlassung gezogen werden kann. Solche Vorteile können darin bestehen, einen Wettbewerber von der Nutzung auszuschließen und dadurch eine höhere Preismacht zu erzielen oder um ein tatsächlich genutztes Hauptpatent wirkungsvoll durch nicht genutzte Nebenpatente abzuschirmen. Eine betriebliche Veranlassung für die Erhebung von Lizenzgebühren kann somit auch bei fehlender unmittelbarer Nutzung vorliegen. Gleiches gilt, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Lizenzvertrags mit einer voraussichtlichen Nutzung zu rechnen war, es ex post jedoch zu keiner unmittelbaren Nutzung gekommen ist. Hier kommt es allein auf die zum Entscheidungszeitpunkt verfügbaren oder zugänglichen (Prognose-)Daten an. d) Lizenzierung von Leistungsbündeln
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Globallizenz vs. Einzellizenz. Im internationalen Lizenzgeschäft kommt es vor, dass ein Lizenzvertrag mehrere immaterielle Wirtschaftsgüter zusammenfasst, weil oft ganze Leistungsbündel in Anspruch genommen werden, die sich nicht ohne weiteres voneinander trennen lassen. Sofern für diese zusammengefassten Leistungen eine einheitliche Lizenzgebühr vereinbart wird, liegt eine sog. Globallizenz vor. Dieser steht die Einzellizenz gegenüber, bei der für jedes einzelne zur Nutzung überlassene immaterielle Wirtschaftsgut (z.B. Patent, Marke) eine gesonderte Lizenzgebühr geregelt wird. Die deutsche Finanzverwaltung fordert in Tz. 5.2.1. VWG 1983 grundsätzlich die Verrechnung von Einzellizenzen. Globallizenzen sollen nur dann akzeptiert werden, wenn die genutzten immateriellen Wirtschaftsgüter „technisch und wirtschaftlich eine Einheit bilden“1. Insofern steht die deutsche Finanzverwaltung der Vereinbarung von Globallizenzen skeptisch gegenüber.2 Hierbei bleibt zunächst unklar, was die Finanzverwaltung unter einer technischen und wirtschaftlichen Einheit versteht. Fraglich erscheint auch, warum eine „und“-Verknüpfung zwischen „technisch“ und „wirtschaftlich“ vorgenommen wurde. Eine „oder“-Verknüpfung wäre treffender gewesen, weil damit zum Ausdruck gekommen wäre, dass eine Zusammenfassung dann möglich ist, wenn die immateriellen Wirtschaftsgüter aus irgendeinem Grund eine Einheit bilden.3 Im Übrigen ist festzuhalten, dass solche Globallizenzverträge mit einem einheitlichen Entgelt für mehrere immaterielle Wirtschaftsgüter auch zwischen fremden Dritten vereinbart werden, wenn diese die immateriellen Wirtschaftsgüter als ein nicht voneinander trennbares Bündel ansehen. Da sich Verrechnungspreise am Grundsatz des Fremdvergleichs, also dem tatsächlichen Verhalten zwischen fremden 1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5.2.1. 2 Vgl. Raupach in Raupach, Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen, 161. 3 So zutreffend Becker in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 5.2.1. VWG.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
Dritten orientieren, kann der einschränkenden Auffassung der deutschen Finanzverwaltung nicht gefolgt werden, wonach auf eine technische und wirtschaftliche Einheit abzustellen ist. Ferner stehen die deutschen Regelungen nicht im Einklang mit den international abgestimmten OECDLeitlinien. Unter dem Stichwort „Package-Deal“ werden dort solche Sachverhalte beschrieben.1 Die dortigen Ausführungen entsprechen weitgehend der in Deutschland bekannten sog. „Palettenbetrachtung“2, wonach nicht jede einzelne Gebühr beim konzerninternen Lieferungs- und Leistungsaustausch einem Fremdvergleich standhalten muss, sondern lediglich sicherzustellen ist, dass hinsichtlich der zu analysierenden Produktpalette bzw. des Leistungsbündels ein angemessener Gesamtpreis vereinbart wurde. Im Hinblick auf den „Package-Deal“ heißt es jedenfalls in den OECD-Leitlinien: „In some cases, it may not be feasible to evaluate the package as a whole so that the elements of the package must be segregated.“3 Durch die Formulierung „in some cases“ wird bereits deutlich, dass es nur in Ausnahmefällen erforderlich sein kann, eine Einzel- statt einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Damit wird das RegelAusnahme-Verhältnis gegenüber den VWG 1983 geradezu umgekehrt. Schließlich verlangen die OECD-Leitlinien sogar für die „some cases“, in denen eine Einzelbetrachtung vorgenommen wird eine Prüfung der Angemessenheit auf Basis der Gesamtbetrachtung: „In such cases, after determining separate transfer pricing for the separate elements, the tax administration should nonetheless consider whether in total the transfer pricing for the entire package is arm’s length.“4 e) Lizenzierung bei gleichzeitiger Erbringung von Dienstleistungen Gemischte Verträge. Von den vorstehend beschriebenen Globallizenzen sind die sog. „gemischten Verträge“ zu unterscheiden, bei denen neben der Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern (z.B. Patent, Marke) auch die Erbringung von Dienstleistungen (z.B. technische Unterstützung oder Schulung von Mitarbeitern) vereinbart wird.5 In solchen Fällen kann es erforderlich sein, die Dienstleistungskomponenten getrennt zu berechnen,6 und zwar entsprechend den für die Dienstleistungsverrechnung vorgesehenen Verfahren und Methoden (vgl. Rz. 6.141 ff.). Nicht zuletzt aufgrund der abkommensrechtlich unterschiedlichen Behandlung von Dienstleistungsentgelten einerseits und Lizenzgebühren andererseits7 müssen Kriterien für eine Abgrenzung dieser beiden Entgeltskategorien entwickelt werden. Wenn jedoch die Beratung lediglich der Erläute1 2 3 4 5 6
Vgl. Tz. 6.18 i.V.m. Tz. 3.11 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Baumhoff, IStR 1994, 593. Tz. 3.11 OECD-Leitlinien 2010. Tz. 3.11 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 7.26 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 6.18 OECD-Leitlinien 2010; Roeder in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Rz. 10 zu Tz. 6.18 OECD-Leitlinien. 7 Vgl. hierzu Tz. 6.19 OECD-Leitlinien 2010 sowie Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 86 f.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
rung der Unterlagen und Aufzeichnungen im Hinblick auf die zur Nutzung überlassenen immateriellen Wirtschaftsgüter dient, so wird man diesen Vorgang nicht als eine eigenständige Dienstleistung qualifizieren können. In diesem Fall dürfte eher die von der deutschen Finanzverwaltung geforderte technische und wirtschaftliche Einheit1 vorliegen. Letztlich ist also die Abgrenzung nach dem Schwerpunkt des Vertragsinhalts vorzunehmen bzw. auf den Grad des Interesses des Abnehmers an den einzelnen Leistungskomponenten abzustellen.
III. Methoden zur Berechnung einer angemessenen Lizenzgebühr für die Nutzungsüberlassung 1. Vorbemerkungen
6.571
Methoden zur Ableitung des Verrechnungspreises bei immateriellen Wirtschaftsgütern. Für die Ableitung einer angemessenen Lizenzgebühr werden weder im nationalen Recht noch in den OECD-Leitlinien spezifische Verrechnungspreismethoden genannt. Daher ist an die bekannten Methoden der Verrechnungspreisermittlung anzuknüpfen, also die klassischen Methoden (Preisvergleichsmethode, Wiederverkaufspreismethode und Kostenaufschlagsmethode) und die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden (TNMM und PSM). Auch wenn keine spezifischen steuerlichen Methoden für die Ableitung angemessener Verrechnungspreise für immaterielle Wirtschaftsgüter vorliegen, haben sich allerdings diverse Institutionen mit der Frage der Bewertung bereits auseinandergesetzt. Aus deutscher Sicht sind insbesondere die Veröffentlichungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. bedeutsam. Dieses hat im Jahr 2007 erstmals einen IDW-Standard zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte verabschiedet (IDW S 5).2 Mit diesem Standard sollen „vor dem Hintergrund der in Theorie und Praxis entwickelten Standpunkte die Grundsätze dar[gelegt werden], nach denen Wirtschaftsprüfer immaterielle Vermögenswerte bewerten.“3 Solche allgemeinen Grundsätze können freilich auch für die Verrechnungspreisermittlung herangezogen werden. 2. Standardmethoden a) Preisvergleichsmethode
6.572
Preisvergleichsmethode – Überblick. Die Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 5.5 ff.) orientiert sich an Preisen, die bei vergleichbaren Geschäften 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5.2.1. 2 Vgl. IDW Standard: Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte (IDW S 5), FN-IDW 2010, 356 ff. Zu diesem Standard vgl. auch Kohl/Schilling, StuB 2007, 541 ff.; Beyer/Mackenstedt, WPg 2008, 338 ff. 3 IDW S 5, Tz. 1, FN-IDW 2010, 356 ff.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
zwischen Fremden vereinbart werden. Der Preisvergleichsmethode liegt insofern die Überlegung zugrunde, dass der Wert eines immateriellen Wirtschaftsguts aus den bei anderen Transaktionen gezahlten Preisen für vergleichbare immaterielle Wirtschaftsgüter abgeleitet werden kann. Dabei wird zwischen einem äußeren und einem inneren Preisvergleich unterschieden.1 Äußerer Preisvergleich. Der äußere Preisvergleich stellt im Rahmen eines zwischenbetrieblichen Vergleichs auf Lieferungen und Leistungen zwischen unverbundenen Unternehmen der gleichen Branche ab. Trotz des grundsätzlichen Vorrangs der Preisvergleichsmethode vor den anderen Methoden (vgl. Rz. 5.139) ist deren Anwendung für die Ableitung von Verrechnungspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter nur eingeschränkt möglich. Es ergeben sich zwei grundlegende Probleme, nämlich Beobachtbarkeit und Vergleichbarkeit.
6.573
Beobachtbarkeit. Bei immateriellen Wirtschaftsgütern besteht das Problem, dass die für deren Nutzung gezahlten Preise häufig nicht beobachtbar sind. Während die Preise für Rohstoffe oder börsennotierte Wertpapiere täglich in diversen Medien veröffentlicht werden, wird bei den Preisen für immaterielle Wirtschaftsgüter meist Stillschweigen zwischen den Vertragsparteien vereinbart. Die in IDW S 5 genannte Anforderung an einen „aktiven“ Markt ist insofern nicht gegeben. Selbst wenn sich Informationen über einzelne immaterielle Wirtschaftsgüter erheben lassen (siehe die nachfolgenden Rz. 6.575 ff.), so handelt es sich meist nur um stark aggregierte Informationen.
6.574
Vergleichbarkeit. Der äußere Preisvergleich eignet sich insbesondere bei weitgehend homogenen Gütern, zwischen denen allenfalls graduelle Unterschiede bestehen, z.B. Rohstoffe oder börsennotierte Wertpapiere. Immaterielle Wirtschaftsgüter zeichnen sich allerdings gerade durch Individualität, durch Einzigartigkeit aus, durch die eine Monopolstellung geschaffen werden soll. Dies gilt gleichermaßen für produktionsorientierte (z.B. Patente) wie marketingorientierte immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Marken). Eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit mit dem Bewertungsobjekt lässt sich insofern nicht herstellen. Auch wenn die allgemeinen Kriterien für eine Vergleichbarkeitsanalyse herangezogen werden (Art des Wirtschaftsguts, ausgeübte Funktionen, getragene Risiken und eingesetzte Wirtschaftsgüter der Vertragsparteien, vereinbarte Vertragsbedingungen, wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Geschäftsstrategien der Vertragsparteien)2 und berücksichtigt wird, dass meist nur stark aggregierte Informationen im Rahmen von Datenbankanalysen für immaterielle Wirtschaftsgüter gewonnen werden können, wird deutlich, dass allenfalls von einer eingeschränkten Vergleichbarkeit ausgegangen wer-
6.575
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.2. 2 Vgl. Tz. 1.36 OECD-Leitlinien 2010 sowie umfassend zur Vergleichbarkeit der Verhältnisse vgl. Rz. 3.8 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
den kann. Ob überhaupt eine Vergleichbarkeitsanalyse im Wege eines äußeren Preisvergleichs gelingen kann, ist noch skeptischer zu beurteilen, wenn die in dem aktuell vorliegenden überarbeiteten Entwurf genannten hohen Anforderungen der OECD für eine Vergleichbarkeitsanalyse bei immateriellen Wirtschaftsgütern berücksichtigt werden. So sollen im Einzelnen folgende Kriterien einbezogen werden: Exklusivität der Nutzung, Ausmaß und Dauer des rechtlichen Schutzes, geographische Reichweite, Nutzungsdauer, Phase der Entwicklung, Recht an weiteren Entwicklungen sowie Erwartungen hinsichtlich des zukünftigen Nutzens.1 Hierbei handelt es sich vielfach um Informationen, die sich im Wege einer Datenbankanalyse überhaupt nicht erheben lassen. Eine Vergleichbarkeitsanalyse wird vor dem Hintergrund dieser Anforderungen in der Regel kaum gelingen. Auch die OECD räumt ein, dass „intangibles may have special characteristics that complicate the search for comparables.“2 Vor diesem Hintergrund ist auch nachvollziehbar, dass IDW S 5 von einer „Analogiemethode“ spricht, anhand derer die Vergleichbarkeit geschaffen werden soll.3 Aufgrund dieser Vorbehalte ist der äußere Preisvergleich für die Bestimmung von Verrechnungspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter nur begrenzt anwendbar. Jedenfalls wird es im Normalfall nur gelingen, allenfalls eingeschränkt vergleichbare Werte abzuleiten. Vereinzelt dient die Methode des äußeren Preisvergleichs auch dazu, zunächst eine Bandbreite an üblichen Lizenzgebühren innerhalb einer Branche zu ermitteln.4
6.576
Lizenzkartei. Um über das für einen „äußeren Preisvergleich“ unabdingbare Vergleichsmaterial zu verfügen, unterhält das Bundeszentralamt für Steuern eine sog. „Lizenzkartei“5, auf die Tz. 5.2.2. VWG 1983 indirekt hinweist. Es handelt sich hierbei um eine interne Datensammlung, in der die von der deutschen Finanzverwaltung überwiegend im Rahmen von Betriebsprüfungen zur Kenntnis gelangten Lizenzvereinbarungen zwischen fremden Dritten ausgewertet werden. Die einzelnen Lizenzgebühren werden dann dem Betriebsprüfer auf Anfrage für bestimmte Branchen mitgeteilt. Die Verwendung von Daten aus der „Lizenzkartei“ für die Prüfung von Verrechnungspreisen durch die Betriebsprüfung ist allerdings umstritten. Jedenfalls hat der BFH in seinem Urteil vom 27.10.19936 entschieden, dass mit dieser Sammlung von Fremddaten nicht gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen wird. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei nicht schrankenlos und die Weitergabe von anlässlich eines Be1 2 3 4
Vgl. Tz. 134 ff. des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. Tz. 126 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. Vgl. IDW S 5, Tz. 21, FN-IDW 2010, 356 ff. Vgl. Tz. 6.23 OECD-Leitlinien 2010; Roeder in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Rz. 3 f. zu Tz. 6.23 OECD-Leitlinien. 5 Es dürfte sich hierbei eher um eine Lizenzdatei handeln, gleichwohl ist der Ausdruck „Lizenzkartei“ für die Sammlung des BZSt noch weit verbreitet. 6 Vgl. BFH v. 27.10.1993 – I R 25/92, BStBl. II 1994, 210 = FR 1994, 199.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
steuerungsverfahrens erhaltenen Erkenntnissen auf der Grundlage des § 30 Abs. 4 AO sei im vorrangigen Allgemeininteresse begründet. Der Gesetzgeber hat daraufhin durch die Einführung des § 88a AO1 eine gesetzliche Grundlage für die „Lizenzkartei“ und ähnliche Datensammlungen geschaffen. Materiell richtet sich die Kritik an der Verwendung der „Lizenzkartei“ allerdings darauf, dass die konkreten Vereinbarungen des jeweiligen Lizenzvertrags aufgrund der Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses nicht offengelegt werden können. Insofern werden die Steuerpflichtigen nur mit anonymisierten Daten konfrontiert, deren Richtigkeit aus ihrer Sicht nicht prüfbar ist. Zudem ist nicht ersichtlich, welche wirtschaftlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen die Höhe der Lizenzgebühr zwischen den fremden Dritten beeinflusst haben. Eine Analyse im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Verhältnisse kann insofern nicht gelingen. Gleichwohl hat der BFH in seinem Grundsatzurteil zu Verrechnungspreisen vom 17.10.20012 entschieden, dass die Verwendung solcher anonymer Daten grundsätzlich zulässig ist. Damit wurde die Entscheidung der Vorinstanz3 aufgehoben. Im Einzelnen führt der BFH aus: „Die Zulässigkeit der Vorlage anonymisierter Daten ist unabhängig davon, ob sie allgemein zugänglich sind oder nicht. Insbesondere darf die Finanzverwaltung Datenbanken aufbauen und verwenden, die nicht allgemein zugänglich sind. […] Allerdings muss die im Einzelfall zu verwendende Datenbank Mindestanforderungen an die Qualität der Datenerfassung erfüllen. Deshalb kann ein FG gehalten sein, Rückfragen über die Zusammenstellung und Ableitung der anonymisierten Vergleichsdaten zu stellen. Sollten diese aus Gründen des Steuergeheimnisses oder aus anderen Gründen nicht beantwortet werden können, ginge dies zu Lasten des Beweiswertes der Vergleichsdaten.“4 Somit wird mit diesem Urteil die Verwendung der „Lizenzkartei“ zwar als zulässig angesehen.5 Allerdings dürfte die Beweiskraft solcher anonymer Daten begrenzt sein. So führt Wassermeyer unmissverständlich aus: Die Finanzverwaltung „könnte zwar anonymisierte Zahlen von Vergleichsunternehmen vorlegen. Sie müssten dann allerdings die Vergleichbarkeit der Vergleichsunternehmen mit dem jeweils geprüften belegen, was in der Praxis selten möglich ist.“6 Veröffentlichte Lizenzgebührensätze. Für eine effiziente Verrechnungspreisplanung wäre ein Zugriff der Steuerpflichtigen auf die „Lizenzkartei“ 1 Durch das StMBG v. 21.12.1993, BGBl. I 1993, 2310. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; vgl. hierzu Kaminski/Strunk, IWB 2002, F. 3 Gr. 1, 55 ff.; Wehnert/Stalberg, IStR 2002, 141 ff. 3 Vgl. FG Düsseldorf v. 8.12.1998 – 6 K 3661/93, IStR 1999, 311; vgl. hierzu Borstell/Prick, IStR 1999, 304 ff.; Kroppen/Eigelshoven, IWB 2000, F. 3 Gr. 1, 1587 ff.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 513 ff.; Schnorberger, IStR 1999, 523 ff. 4 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. Kaminski/Strunk, IWB 2002, F. 3 Gr. 1, 70 f. 6 Wassermeyer, WPg 2002, 15.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
wünschenswert. Da ein solcher Zugriff allerdings nicht möglich ist, muss auf bisher veröffentlichte allgemeine Übersichten über Lizenzgebühren sowie entsprechende Äußerungen von Gerichten zurückgegriffen werden. Zur konkreten Höhe von Lizenzgebühren für einzelne Produkte oder Produktgruppen haben sich in der einschlägigen Literatur bisher insbesondere Böcker1 sowie Groß2 geäußert. Die Lizenzsätze von Böcker (als Vertreter des Bundeszentralamts für Steuern) sollen aus patentrechtlichen Arbeitskreisen3 stammen, wobei nicht auszuschließen ist, dass diese Daten mit denen der „Lizenzkartei“ weitgehend identisch sind. Die Daten von Groß basieren „auf Erfahrungen im Hinblick auf eine Beteiligung an etwa 1.400 Lizenzverträgen“4. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die folgenden Lizenzgebührenaufstellungen zwar nicht repräsentativ sind; allerdings handelt es sich auch nicht um willkürliche Größen, so dass diese Lizenzgebühren im Einzelfall zumindest eine gewisse Orientierungshilfe sein können. Tabelle 1: Höhe der Lizenzgebühren für einzelne Produkte Erzeugnis Anlagen u. Maschinen für Tabakverarbeitung Autozubehör Backöfen Batteriekapazitätsbestimmung Baukeramik Baumaschinen Baustoffe – Dämmfolie – Kunststoffe für Fenster – Schalldämpfer – Gipsspanplatten – Raumklimatestsysteme – Raumteiler – Rohrmanschetten – Wärmedämmung Bergbau-Ersatzteile Bergbau-Großgeräte Bergbau-Kleinteile, Zubehör Bergwerkausrüstungen, Zubehör für Tragewerke Beschläge, Kleinteile Bioreaktoren Biotechnologie – Forschungsreagenzien – Diagnostische Produkte – Therapeutische Produkte – Impfstoffe – Tier-Gesundheit – Pflanzen, Agrarprodukte Blasfolienextruder 1 2 3 4
Lizenzsätze in % vom Umsatz 4 1,2–2,4 2–3 5 2–4 2,5–3 3–5 0,35–1,5 5–10 1,2–5 5–10 3 0,2 1 5–10 3 5 2–5 1–2 6 1–5 5–8 5–10 5–10 3–6 3–5 5–7,5
Vgl. Böcker, StBp. 1991, 79 ff. Vgl. Groß, BB 1995, 885 ff. und BB 1998, 1321 ff. So Böcker, StBp. 1991, 79. Groß, BB 1998, 1321.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter Erzeugnis Chemie-Holz Chemiefasern Chemikalien-Galvano Chemikalien-Sprengstoffe Chemikalien-Treibstoffe Chemische Erzeugnisse für gew. Zwecke Chemische Glasfilter Chemische Schutzschichten Chemische Grundstoffe Chemische Silikatwerkstoffe Chemische Trägermaterialien Chemischer Schadstoffabbau durch Salze Chemische Rohstoffe Chemische Salze Chemische Spezialitäten Chemisches Sol-Fett Chemische Verfahrensverbesserungen Computer-Steckkarte für Prüfung Damenoberbekleidung Datenverarbeitung (Baugruppen, Maschinen) Decoder/Encoder Edelstähle – hochwertig Elektrochemie Elektrogeräte Elektronische Maschinenbauteile Elektronische opt. Geräte für Kfz Elektronische Regler Elektronische Rohrleitungsüberwachung Elektronische Schaltungsger. im Kfz Elektronische Steuerung im Kfz Extruder Fahrzeugbau Fahrzeugheizungen Farbfernsehempfänger Farbstoffe Feinchemikalien Fernsprechtechnik Filter – Glasfilter Flachglas Flockungsmittel Fluorpolymerisate Fördergeräte Galvanoanlagen Getriebe Gipsschaumelemente Halbleiterbauelemente Halbleiterbauelemente – IC Hütteneinrichtungen und Zubehör Hüttenwerks- u. Industrieanlagen Implantat-Chips Kfz Kfz-Teile Kolbenringe Kondensatoren
Lizenzsätze in % vom Umsatz 2,5–3,5 3 3–10 1,6–2 2–3 2–3 5 1 1–2 2–5 2 3 1–2,5 1,5 2–4 1,5–4 0,5 10 5 0,6–3 1–10 1–3 5 1–5 3–11 1,5–3,5 3–5 5–10 2–4 2–5 5–7 1,5–3 5 0,3–5,5 3–6 3–7 1,5–2,5 2,5 3–6 2–3 6–15 2–3 m5 1–3 1 0,5–3,5 6 2,5–8 1–5 13 2–5 0,5–5 1–2 1–2
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch Erzeugnis Kosmetik Kunstharze Kunstlederherstellung-Verfahren Kunststoff-Apparaturen Kunststoff-Becher Kunststoff-Emballagen Kunststoff – lichtsammelnd Kunststoff-Profile und Folien Kunststoff-Spezial Kunststoff-Spezialschläuche Kunststoff- u. Gummikalander Kunststoffe – chemisch geprägt Kunststoffteile Kunststoffteile (Präzisions-) Lager Landmaschinen Landw. Maschinen-Getriebe Landw. Maschinen-Hydraulik Landw. Maschinen-Zusatzgewichte Lenkungen Masch. Elemente Maschinenbau – Elektronenstrahlschweißgeräte – Extruder – Flurförderung – Hohlglasschneider – Hydraulischer Druckpunkt – Kühlvorrichtung – Kugelumlaufspindel – Laser/-teile – CO2-Laser – Diagnosegerät – Mikropumpe – Module – Optik – Resonatoren – Schalter – Schneiddüse – Spektroskopiesystem – Spezielle Teile – Teile für Glaslaser – Wechselvorrichtung – Werkstückbearbeitung – Speicherungssysteme – Lüftungseinrichtung – Roboter/Schweißsysteme – Staubsammelvorrichtung – Ventile Maschinenbau-Ersatzteile Maschinenbau-Gebrauchsmuster Maschinenbau-Zubehör Medizinische Erzeugn. Analysegeräte Medizinische Erzeugn. Analysemethoden Medizinische Erzeugn. Optische Linsen
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Lizenzsätze in % vom Umsatz 1,5–3 1–3 3 2–4 3 1–2 2 2,5 1 3 3–5 2–3 1–3 2–3,5 2–3 2–6 1 2 4 1–3 1,5–3,5 1–7,5 1–5 1,6–3,2 7 4 10 5 6 0,3–10 3–5 4–6 3 2–4 4 0,3–0,5 5 5 3,5 10 0,3–5 6 3–4 2,5–5 2–2,5 5–6 4 3–50 1–5 0,5–2 5 4–5 3–5 6–10
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter Erzeugnis Medizinische Katheter Mess- und Regelgeräte Messverfahren – Aerosol – Anemometer – Akustik – Bohrhärte – Faseroptik – Interferometer – Kamera – Leckortung – Leitfähigkeit – Magnetometer – Medizin – Messrad – Oberflächen – Objektive – Optoelektronik – Radiosonde – Radprüfungsständer – Sensoren – Abstand – Magnetisch – Ultraschall – Vorrichtung – Wirbelstrom – Staub – Ultraschall – Wechselrichter Membran, Membranpumpe Metallschläuche Mikrowellentrockner Mikroskope Mineralölverarbeitung Mörtelmasse Monoklonale Antikörper Nachrichtentechn. Geräte Nachrichtentechn. Nachbaulizenz Nachrichtentechnik – Baugruppen Nahrungsmittel Optische Messgeräte Organische niedermolekulare Massenprodukte Organische niedermolekulare Spezialprodukte Panzer Papier – kunststoffbeschichtet Pharma – Chemische Verfahren – Diagnostika – Diagnostika-Testverfahren – Verfahrenserfindungen – Zahnfüllstoffe Pharmazeutika Plasmareaktor
Lizenzsätze in % vom Umsatz 1–6 2–7,5 3 7 10 5 5 5 1 5 2–10 8 5 3,5–5 3–7,5 5 5 5 8 4 5–7 3–10 4–5 5 3–8 5–7 2–10 5 1,5–5 1–3 2 3 0,2–0,7 4–6 6,5 0,1–4,5 1–10 1–3 2–4 5 0,3–0,8 m1 1,8–2,5 1,4–2 7,5–10 2–3 2–7 2 0,5–5 1,5 5–15 5
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch Erzeugnis Polymere Massenprodukte Polymere Spezialprodukte Pressen – mechanische Rundfunkempfänger Schalter/Steckdosen Schaumstoff-Formteile Schaumpartikelschweißen Schiffslager Schwarzweiß-Fernsehempfänger Schwingungsdämpfer Solare Energiespeicher Solare Kollektorspeicher Solare Rollosysteme Solarkocher Spinnereimaschinen Stähle – einfache Qualitäten Stahllegierungen Tankgeräte mit Elektronik Tankgeräte und Armaturen Tanks/Großbehälter/Silos Textilmaschinen – Feinmechanik/Nähmaschinen – Feuchtmessgeräte – Legemaschinen – Maschinensteuerung – oder deren Teile Topographie Trafosteuerung Uhrenherstellung Uhrenherstellung – elektron. Uhr Verpackungsbehälter-Blech Warenzeichen-Chemie Warenzeichen-Design/Mode Wasch- u. Körperpflegemittel Wellendichtringe Werkzeuge/Werkzeugteile – Glastrennung – Handhabung/Speicher – Ordnungseinrichtung – Positioniervorrichtung – Prüfeinrichtung – Rasenmäher Widerstände Zylinderkopfdichtungen
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Lizenzsätze in % vom Umsatz 0,2–0,4 m2 2–5 0,2–0,5 0,1–2 1,5 0,8–2 3,5–4,5 0,5–0,6 2–5 0,5 5 2,5–5 1 2–5 0,5–1 1,5–4 2–3 1–2 1–10 3–5 9 3 9 0,1–10 10 1–8 2–5 1,75–2 0,4 1 6,8 2–4 2 4 1,5–5 4 4 2–6 6 0,5 3
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
Tabelle 2: Entwicklung der Patentlizenzsätze für bestimmte Industriezweige1
711.2
Industriezweig
mittlere Lizenz 1991
mittlere Lizenz 1971
Elektronikindustrie
1,5–2,0 %
3,0–3,5 %
Maschinenbau
3,0–4,0 %
5,0–7,0 %
Chemie
2,5–3,5 %
2,5–3,5 %
Sonstige Industrien
3,0–5,0 %
4,0–6,0 %
Tabelle 3: Entwicklung der durchschnittlichen Lizenzsätze von 1960 bis 19812
711.3
Zeitraum
Durchschnittslizenzsatz
1960–1968
3,76 %
1969–1971
2,72 %
1972–1978
2,75 %
1979–1981
2,46 %
Datenbanken. Neben diesen veröffentlichten und insoweit allgemein zugänglichen Daten haben sich auch mehrere Unternehmen herausgebildet, die systematisch Informationen zu immateriellen Wirtschaftsgütern sammeln und diese Informationen gegen Entgelt anbieten. Zu nennen sind hier insbesondere die Datenbanken: – ktMINE, – RoyaltyStat und – RoyaltySource. Der Umfang der von den einzelnen Anbietern zur Verfügung gestellten Informationen unterscheidet sich zum Teil erheblich. Gleichwohl ist allen Datenbanken gemeinsam, dass sie einen starken US-Fokus aufweisen. Dies beruht sicherlich auch darauf, dass die börsennotierten Gesellschaften in den USA zum Teil Informationen zu Lizenzverträgen veröffentlichen (vgl. hierzu insbesondere das EDGAR-System der SEC). Auf diese Informationen greifen auch die professionellen Datenbankanbieter grundsätzlich zurück.
6.578
Innerer Preisvergleich. Im Unterschied zum äußeren Preisvergleich (Rz. 5.11 f.) wird beim inneren Preisvergleich (hierzu Rz. 5.8 ff.) geprüft, ob ein Unternehmen die für nahestehende Unternehmen erbrachten Lieferungen oder Leistungen auch gegenüber nicht nahestehenden Unternehmen erbringt.3 Der innere Preisvergleich sucht also nach betriebsindividuellen Preisen (vgl. Rz. 5.5). Der innere Preisvergleich findet in der Unter-
6.579
1 Vgl. Böcker, StBp. 1991, 79. 2 Vgl. Böcker, StBp. 1991, 79. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.2. und Tz. 6.23 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nehmenspraxis zur Ermittlung angemessener Verrechnungspreise für immaterielle Wirtschaftsgüter durchaus Anwendung. So ist es z.B. denkbar, dass ein Lizenzgeber eine Marke für bestimmte Regionen auch fremden Dritten zur Verfügung stellt, wenn er diese Regionen aufgrund begrenzter eigener Kapazitäten nicht bearbeiten kann oder will. Für die Anwendung dieser Methode sind gleichwohl die allgemeinen Voraussetzungen – insbesondere die Vergleichbarkeit der Verhältnisse – einschlägig. Demnach können nur dann Übertragungen oder Überlassungen gegenüber den nicht nahestehenden Unternehmen für die Verrechnungspreisermittlung herangezogen werden, wenn sie unter vergleichbaren Verhältnissen wie gegenüber den nahestehenden Unternehmen vollzogen werden. Inwieweit Vergleichbarkeit vorliegt, ist anhand der bekannten Vergleichbarkeitskriterien (vgl. Rz. 3.38) zu prüfen, also der Art des Wirtschaftsguts, den ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgütern der Vertragsparteien, den vereinbarten Vertragsbedingungen, den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie den Geschäftsstrategien der Vertragsparteien.1 Werden hierbei Unterschiede festgestellt, kann diesen durch Zu- oder Abschläge2 möglicherweise Rechnung getragen werden. Der wesentliche Vorteil des inneren gegenüber dem äußeren Preisvergleich ist jedoch darin zu sehen, dass die erforderlichen Informationen für eine Analyse der Vergleichbarkeit der Verhältnisse vorliegen oder zumindest beschaffbar sein sollten. Hier ist der Steuerpflichtige nicht den üblichen informationellen Begrenzungen von Datenbanken ausgesetzt. b) Wiederverkaufspreismethode
6.580
Wiederverkaufspreismethode. Die Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.) ist hauptsächlich bei Lieferungen an eine als Eigenhändlerin zu qualifizierende Vertriebsgesellschaft anzuwenden, welche die von nahestehenden Unternehmen erworbenen Güter an nicht nahestehende Abnehmer weiter veräußert (vgl. Rz. 5.16).3 Eine solche Konstellation stellt in Bezug auf immaterielle Wirtschaftsgüter jedoch den Ausnahmefall dar. Allenfalls ist denkbar, dass eine Rechteverwertungsgesellschaft immaterielle Wirtschaftsgüter eines Konzerns einlizenziert oder erwirbt und diese dann zentral verwertet, z.B. durch Auslizenzierung oder Verkauf. Wenn also eine solche Rechteverwertungsgesellschaft ein immaterielles Wirtschaftsgut im Wege der Unterlizenz an einen fremden Dritten weitergibt, kann mit Hilfe der Wiederverkaufspreismethode die Angemessenheit der Hauptlizenz anhand der Höhe der Unterlizenz abgeleitet werden.4 Die Rolle der Rechteverwertungsgesellschaft beschränkt sich in diesem 1 Vgl. Tz. 1.36 OECD-Leitlinien 2010. 2 Im Rahmen des sog. „indirekten“ Preisvergleichs gem. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.2. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.3. und Tz. 3.1.3. Bsp. 1; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 4 Vgl. Tz. 6.23 OECD-Leitlinien 2010.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
Fall allerdings auf die einer Lizenzvermittlerin, die eine Dienstleistung in Form einer Vermittlungsleistung erbringt. Üblicherweise ist diese (konzerninterne) Dienstleistung nach der Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 6.152) abzurechnen. c) Kostenaufschlagsmethode Kostenaufschlagsmethode. Bei der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) wird der Verrechnungspreis dadurch bestimmt, dass zunächst die Selbstkosten des leistenden Unternehmens ermittelt und anschließend um einen angemessenen Gewinnaufschlag erhöht werden (vgl. Rz. 5.39).1 Die Ermittlung der Kosten soll dabei anhand von Kalkulationsmethoden erfolgen, die der Leistende auch bei seiner Preispolitik gegenüber Fremden zugrunde legt. Wenn dagegen keine Leistungen gegenüber Fremden erbracht werden, müssen die Kalkulationsmethoden den anerkannten betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entsprechen. Einer kostenorientierten Wertermittlung liegt die Überlegung zugrunde, dass ein Erwerber nicht mehr für ein immaterielles Wirtschaftsgut zahlen würde, als er für dessen Reproduktion aufwenden müsste. Die Kostenaufschlagsmethode kann allerdings nur bei solchen immateriellen Wirtschaftsgütern angewendet werden, deren Entstehungsprozess nachvollzogen und die zugehörigen Kosten ermittelt werden können. Dagegen ist es nahezu ausgeschlossen, den Wert einer etablierten Marke kostenorientiert zu ermitteln, weil die Entstehung einer Marke auf einem lang andauernden, offenen, auf keinen Fall geradlinigen Weg erfolgt.2 So kann etwa von dem geschalteten Werbevolumen nicht auf die Stärke der Marke geschlossen werden.
6.581
Fehlende Nutzenorientierung der Kostenaufschlagsmethode. Das Hauptproblem bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode besteht allerdings darin, dass bei immateriellen Wirtschaftsgütern keine eindeutige Beziehung zwischen den angefallenen Kosten für ihre Schaffung und den aus ihnen resultierenden Nutzen besteht.3 Dabei ist etwa an besonders wertvolle immaterielle Wirtschaftsgüter zu denken, deren Wert wesentlich höher liegt als die Kosten für ihre Schaffung.4 Mangels Erfassung des Nutzens im Bewertungskalkül weist die Kostenaufschlagsmethode bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter nur eine geringe Praxisrelevanz auf. Entsprechend rät die OECD in ihrem aktuellen, überarbeiteten Entwurf zu „Intangibles“ von einem Rückgriff auf die Kostenaufschlagsmethode ab.5 Eine Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ist letztlich nur dann denkbar, wenn das zugrunde liegende immaterielle Wirtschaftsgut als „non-unique“ zu qualifizieren ist, weil es keinen über die bloße Anwendungsmöglichkeit hinausgehenden
6.582
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.4. 2 Vgl. Greinert, KoR 2003, 328 ff. 3 Vgl. Tz. 160 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 4 Vgl. Böcker in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 167 f. 5 Vgl. Tz. 160 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Vorteil verspricht und durch einen entsprechenden Ressourceneinsatz vergleichbar nachgebildet werden könnte. Zu denken ist dabei insbesondere an rein intern genutzte Software, die auch von jedem anderen Sachkundigen entwickelt werden könnte.1 In einem solchen Fall, wenn auch die für die Erstellung der Software erforderlichen Aufwandsarten nachvollziehbar abgegrenzt und die erforderlichen Mannstunden zur Entwicklung recht zuverlässig ermittelt werden können, ließe sich eine kostenorientierte Bewertung der Software durchführen. Insofern ist auch die in Tz. 5.2.4. VWG 1983 enthaltene generelle Aussage nachvollziehbar, dass die Kosten allenfalls „als Schätzungsanhalt bei der Verprobung von Lizenzgebühren verwendet werden“ können. Somit kommt der Kostenaufschlagsmethode bei der Ermittlung angemessener Lizenzgebühren eher eine Kontrollfunktion zu. Der Umstand, dass die Kostenaufschlagsmethode bei der Auftragsforschung (vgl. Rz. 6.161 ff.) weit verbreitet ist, steht zu Vorstehendem nicht im Widerspruch. Bei der Auftragsforschung handelt es sich um eine Dienstleistung, nicht dagegen um die Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter.2 3. Gewinnorientierte Methoden a) Grundlagen
6.583
Gewinnorientierte Methoden. Die VWG 1983 regeln für den Fall der mangelnden Eignung der klassischen Methoden, dass bei der Ermittlung der angemessenen Lizenzgebühr auf den Gewinn des Lizenznehmers aus der Nutzung des jeweiligen immateriellen Wirtschaftsguts abzustellen sei. Es sei davon auszugehen, „dass eine Lizenzgebühr von dem ordentlichen Geschäftsleiter eines Lizenzunternehmens nur bis zu der Höhe gezahlt wird, bei der für ihn ein angemessener Betriebsgewinn aus dem lizenzierten Produkt verbleibt“3. Bei dieser Betrachtung stehen somit die Gewinnerwartungen des Lizenznehmers im Vordergrund. Damit ist die Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden4 gegeben, bei denen der Verrechnungspreis unter Berücksichtigung des bei einem Geschäftsvorfall realisierten Gewinns ermittelt wird. Zu diesen Methoden gehören die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (PSM, Rz. 5.123 ff.) und die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM, Rz. 5.92 ff.). Für die Ermittlung von Verrechnungspreisen bei der Übertragung oder Nutzungsüberlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern dürfte vorwiegend die PSM in Betracht kommen. Dagegen wird die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargen1 Vgl. Tz. 161 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 2 Vgl. Tz. 7.41 OECD-Leitlinien 2010 sowie Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 306. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5.2.3. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b und c.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
methode von der Finanzverwaltung hierfür wohl nicht anerkannt, weil sie diese Methode nur bei Unternehmen mit Routinefunktionen anwenden will1 und Unternehmen mit wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgütern gerade keine Routinefunktionen ausüben. Auch die OECD äußert sich in ihrem aktuellen, überarbeiteten Entwurf zu „Intangibles“ zurückhaltend zur Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode.2 b) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode aa) Überblick Überblick über die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode. Im Rahmen der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (PSM) wird im ersten Schritt der Gesamtgewinn aus einem Geschäftsvorfall ermittelt und dieser im zweiten Schritt auf die an der Transaktion beteiligten nahestehenden Unternehmen aufgeteilt. Als Aufteilungsmaßstab der PSM fungieren die von den beteiligten nahestehenden Unternehmen ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter, die mittels einer Funktionsanalyse zu erfassen sind. Insoweit soll eine transaktionsbezogene Gewinnaufteilung erreicht werden, wie sie zwischen unabhängigen Unternehmen bei vergleichbaren Funktionen, Risiken und Wirtschaftsgütern entstanden wäre. Eine solche geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilung entspricht zwar nicht unmittelbar dem Grundsatz des Fremdvergleichs, weil fremde Dritte keine Gewinne untereinander aufteilen, sondern Preise miteinander vereinbaren. Gleichwohl kann trotz fehlender Vergleichsmaßstäbe des Marktes eine Verrechnungspreissimulation auf der Grundlage eines Fremdvergleichs durchgeführt werden, die i.d.R. zu akzeptablen Ergebnissen führt. Dabei ist wesentlich, dass die PSM die Entscheidungssituation des „doppelten“ ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters berücksichtigt.3 Bei dieser Betrachtungsweise werden die Leistungen beider Geschäftspartner aus einem Geschäft beurteilt und der aus dem einzelnen Geschäft resultierende Gewinn entsprechend der jeweiligen Leistungen auf die beiden Geschäftspartner (Lizenznehmer/Lizenzgeber) verteilt. Abgebildet wird dabei sozusagen der Verhandlungsprozess zweier ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, die nur dann zu einem Verhandlungsergebnis kommen können, wenn die Preisobergrenze des Lizenznehmers über der Preisuntergrenze des Lizenzgebers liegt.4 Ist dies der Fall, so existiert ein Einigungsbereich, der zwischen den beiden Geschäftspartnern aufgeteilt werden muss. 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b). 2 Vgl. Tz. 159 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 3 Vgl. zum doppelten ordentlichen Geschäftsleiter BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 ff. = FR 1995, 833 sowie grundlegend Baumhoff, Dienstleistungen, 139 ff. 4 Vgl. Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 105.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
bb) Methoden der Gewinnaufteilung (1) Pauschale Gewinnaufteilungsmaßstäbe
6.585
Knoppe-Formel. Das Hauptproblem bei Anwendung der PSM liegt in der Ermittlung eines möglichst objektivierten Gewinnaufteilungsmaßstabs. Die wohl bekannteste Methode zur Gewinnaufteilung bildet die sog. Knoppe-Formel.1 Wenngleich sie konzeptionell angreifbar ist,2 insbesondere weil es sich um eine pauschale Aufteilung ohne Berücksichtigung der Ergebnisse einer Funktionsanalyse handelt, werden in der Verrechnungspreispraxis Lizenzgebühren für immaterielle Wirtschaftsgüter oft nach dieser Formel verprobt.3 Diese Formel sieht für den Lizenzgeber eine Lizenz in Höhe von 25 % bis 331/3 % des vorkalkulierten Gewinns (ohne Berücksichtigung der Lizenzgebühr) des Lizenznehmers aus den zur Nutzung überlassenen immateriellen Wirtschaftsgütern vor. Beispiel: Eine deutsche Gesellschaft (Lizenznehmer) erwirtschaftet aus dem Einsatz einer von der ausländischen Muttergesellschaft eingeräumten Markenlizenz ein jährliches Betriebsergebnis (EBIT) vor Lizenzaufwand in Höhe von 12 Mio. Euro. Der Umsatz unter Nutzung der Markenlizenz beträgt jährlich 100 Mio. Euro. Lizenzberechnung: 25 %–331/ 3 % von 12 Mio. Euro = 3 Mio. Euro bzw. 4 Mio. Euro. Bezogen auf den Umsatz des Lizenznehmers von 100 Mio. Euro ergibt sich somit eine angemessene Lizenzgebühr zwischen 3 % und 4 % des Umsatzes.
Mithin verbleibt nach der Knoppe-Formel der größere Teil des durch die Überlassung der immateriellen Wirtschaftsgüter erwirtschafteten Gewinns beim Lizenznehmer. Dies ist auch insoweit gerechtfertigt, als der Lizenznehmer umfassendere Aktivitäten übernimmt und höhere wirtschaftliche Risiken (z.B. Vermarktungsrisiko, Kapitaleinsatzrisiko) trägt. Daher hat er auch Anspruch auf einen größeren Anteil des Einigungsbereichs.4
1 Vgl. Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz- und Know-how-Verträge. 2 Knoppe selbst betont in seinem Buch „Die Besteuerung der Lizenz- und Knowhow-Verträge“, 1972, 101, dass es sich bei seiner Formel um einen „recht vagen Anhaltspunkt“ handele. Seiner Erfahrung entsprechend könne diese Formel als Richtschnur für die Ermittlung einer angemessenen Lizenzgebühr dienen, größere Abweichungen nach oben oder unten seien allerdings möglich. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Auswertungen von Knoppe nunmehr ca. 40 Jahre zurückliegen und angesichts der Veränderungen der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse nur noch eingeschränkt aussagefähig sind. Überdies ist anzumerken, dass Knoppe die nach ihm benannte „Formel“ nicht selbst entwickelt bzw. empirisch nachgewiesen hat. Er verweist an der entsprechenden Stelle (S. 102) lediglich auf ein 54 Jahre altes Werk von Neuberg. 3 Zur Eignung der Knoppe-Formel in der Praxis vgl. Zech, IStR 2009, 419; Greinert, RIW 2006, 454. 4 Vgl. Bernhardt/van der Ham/Kluge, Ubg 2009, 247; Haas, Ubg 2008, 519; Goldscheider/Jarosz/Mulhern, Les Nouvelles 2002, 124.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
25 %-Rule. Auch wenn die Knoppe-Formel wegen ihrer Herleitung und pauschalen Vorgehensweise vielfach Kritik erfährt,1 so gibt es mittlerweile recht umfassende Studien, die ihren Gehalt bestätigen und präzisieren. Interessant ist dabei, dass diese Studien nicht aus dem Bereich des Steuerrechts, sondern des gewerblichen Rechtschutzes (IP-Recht) stammen. Dies ist auch nachvollziehbar, weil die Lizenzierung immaterieller Wirtschaftsgüter (Marken, Patente usw.) zwischen fremden Dritten ein vornehmliches Betätigungsfeld des gewerblichen Rechtschutzes darstellt. Hier gibt es eine umfassende Datengrundlage, anhand derer allgemeine Erkenntnisse abgeleitet werden können. Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Goldscheider. Dieser hatte bereits vor Jahrzehnten die sog. „25 %-Rule“ zur Ermittlung angemessener Lizenzsätze auf Basis eigener empirischer Studien sowie Vorarbeiten anderer Experten abgeleitet. Diese Regel besagt, dass ein angemessener Lizenzsatz so zu bemessen ist, dass der Lizenzgeber 25 % der mit den lizenzierten immateriellen Wirtschaftsgütern generierten (erwarteten) Gewinne erhält.2 Bei diesen immateriellen Wirtschaftsgütern handelt es sich um ein Bündel aus Patenten, Know-how, Marken usw. Damit weist die „25 %-Rule“ eine erhebliche Ähnlichkeit zu der „Knoppe-Formel“ auf. Basierend auf einem Datensatz von über 1 500 Lizenzverträgen aus 15 verschiedenen Branchen haben Goldscheider/Jarosz/Mulhern vor wenigen Jahren untersucht, inwieweit diese „25 %-Rule“ noch Bestand hat bzw. inwieweit sie ausdifferenziert werden kann.3 Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass bei Bezugnahme auf sämtliche Lizenzverträge und Branchen der Anteil des dem Lizenzgeber zustehenden Gewinns 26,7 % (ausgedrückt als Median) beträgt. Wenn aus dem Gesamtbestand der Lizenzverträge nur die erfolgreichen4 Lizenzverträge ausgewählt wurden, beträgt der Anteil des dem Lizenzgeber zustehenden Gewinns 22,6 % (ebenfalls ausgedrückt als Median). Es gab zwar auch Vereinbarungen, bei denen deutlich höhere oder deutlich niedrigere Lizenzsätze vereinbart waren. Dies ist auch nicht verwunderlich, hängt doch der zugrunde gelegte Lizenzsatz von den Spezifika des jeweiligen immateriellen Wirtschaftsguts, aber auch von der Aufteilung der Funktionen und Risiken zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer usw. ab. Bei einer Betrachtung mittlerer Werte über so viele Lizenzverträge (mehr als 1 500) lässt sich jedenfalls feststellen, dass im Normalfall eine Zuordnung von ca. 25 % des erwarteten Gewinns auf den Lizenzgeber nicht unangemessen ist.5 1 Vgl. Tz. 162 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. wo hervorgehoben wird, dass „rules of thumb“ nicht herangezogen werden können, um die Fremdvergleichskonformität eines Verrechnungspreises zu belegen. 2 Vgl. Goldscheider/Jarosz/Mulhern in Parr, Royalty Rates for Licensing Intellectual Property, 31; Granstrand, Les Nouvelles 2006, 179. 3 Vgl. Goldscheider/Jarosz/Mulhern, Les Nouvelles 2002, 123 ff. 4 Ein erfolgreicher Lizenzvertrag liegt gemäß dieser Studie dann vor, wenn die unter Verwendung der Lizenz realisierte Gewinnmarge im Top-Quartil der Gewinnmargen der jeweiligen Branche liegt. Vgl. Goldscheider/Jarosz/Mulhern, Les Nouvelles 2002, 133. 5 Vgl. Baumhoff/Greinert, Ubg 2009, 547 f.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Damit ist es bei einer Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter zwischen fremden Dritten gerade nicht üblich, dass sich Lizenzgeber und Lizenznehmer den aus der Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter erwarteten Gewinn hälftig teilen. Entgegen der Auffangnorm in § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG, die den Ansatz des Mittelwerts und insofern eine hälftige Teilung des Gewinns im Zweifelsfall vorsieht,1 lässt sich auf Basis umfassender statistischer Untersuchungen glaubhaft machen, dass der Lizenznehmer den größeren Teil des erwarteten Gewinns für sich beanspruchen kann.2 Der Lizenzgeber muss sich demnach mit dem geringeren Anteil begnügen. Dabei zeigen jüngste Untersuchungen, dass im Normalfall eine Orientierung bei 25 % des Gewinns angemessen ist. Die durch die Knoppe-Formel vorgegebene Bandbreite von 25–331/3 % ist – jedenfalls für den Durchschnittsfall – zu hoch. Eine Ausrichtung an den 25 % liefert die wohl zutreffenderen Werte. (2) Mehrgewinnmethode
6.587
Mehrgewinnmethode. Als weitere Methode zur Aufteilung des unter Nutzung von immateriellen Wirtschaftsgütern erzielten Gesamtgewinns einer Transaktion kommt die Mehrgewinnmethode („Incremental Cash Flow Method“) in Betracht.3 Hierbei handelt es sich um eine betriebswirtschaftlich begründbare Aufteilung des Gesamtgewinns. Im Rahmen der Mehrgewinnmethode wird ermittelt, welche zusätzlichen Gewinne bzw. Cashflows – sei es in Form von Aufwandsersparnissen oder zusätzlichen Erlösen – durch den Einsatz des jeweiligen immateriellen Wirtschaftsguts generiert werden können. Die Bezugnahme auf Aufwandsersparnisse erfolgt häufig im Zusammenhang mit der Nutzungsüberlassung von (Verfahrens-)Patenten oder Rezepturen, wenn diese darauf abzielen, eine Verbesserung der Kostenposition zu erreichen. In einem solchen Fall, wenn sich die erzielten Kostenersparnisse allein auf die eingesetzten Patente oder Rezepturen zurückführen lassen, ist es vertretbar, diese Kostenersparnisse den betreffenden immateriellen Wirtschaftsgütern zuzuordnen und dies entsprechend bei der Verrechnungspreisermittlung zu berücksichtigen. Es gibt aber auch (Produkt-)Patente und Rezepturen, die es erlauben, höhere Preise für die betroffenen Güter durchzusetzen. Gleiches gilt vielfach für Marken, wenn die Abnehmer bei – idealtypisch – vergleichbaren Produkten bereit sind, für das Produkt mit der eingesetzten Marke mehr zu zahlen als für ein vergleichbares Produkt ohne Marke, z.B. weil die Marke den Abnehmern Qualitätssicherheit signalisiert oder ein spezifisches Image mit der Marke verbunden wird. In einem solchen Fall lassen sich die auf die eingesetzten immateriellen Wirtschaftsgüter 1 Kritisch zur generellen hälftigen Teilung vgl. Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 119 ff.; Baumhoff/ Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950 f.; Frotscher, FR 2008, 54 ff.; Kaminski, StuW 2008, 341 f.; Kroppen/Rasch, IWB 2008, 557 f.; Roeder, Ubg 2008, 207 f. 2 Vgl. hierzu auch Schreiber, Ubg 2008, 440 f. 3 Vgl. IDW S 5, Tz. 33, FN-IDW 2010, 356 ff.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
entfallenden geschäftsvorfallbezogenen Gewinne in der Weise berechnen, dass die Preisdifferenzen zwischen den Gütern mit der zu bewertenden Marke und vergleichbaren Gütern ohne Marke ermittelt werden. Nach Subtraktion der markenspezifischen Aufwendungen von den zuvor ermittelten Mehrerlösen (aufgrund der Preisdifferenzen) lassen sich die allein auf die Marke zurückzuführenden Gewinne ermitteln.1 Diese Gewinne sind dann entsprechend bei der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilung für die immateriellen Wirtschaftsgüter zu erfassen. (3) Residualwertmethode Residualwertmethode – Überblick. Eine weitere betriebswirtschaftlich begründbare Methode zur Aufteilung des unter Nutzung von immateriellen Wirtschaftsgütern erzielten Gesamtgewinns einer Transaktion stellt die Residualwertmethode dar. Mit dem Residualwert soll der verbleibende Wert – mithin der Wert der immateriellen Wirtschaftsgüter, der nach der Vergütung aller anderen Wirtschaftsgüter bzw. Funktionen verbleibt – ermittelt werden. Bei der Residualwertmethode wird der auf die eingesetzten immateriellen Wirtschaftsgüter entfallende Gewinn also indirekt ermittelt. Diese Methode kommt insbesondere dann zur Anwendung, wenn der Ergebnisbeitrag einzigartiger und sehr wertvoller immaterieller Wirtschaftsgüter zu isolieren ist. Die Residualwertmethode impliziert dabei, dass die zu bewertenden immateriellen Wirtschaftsgüter die wesentlichen Treiber für die erzielten Ergebnisse sind. Werden über die Kapitalkosten bzw. die Vergütung für die (Routine-)Funktionen hinausgehende Ergebnisse erwirtschaftet, wird dieser Betrag vollständig den immateriellen Wirtschaftsgütern zugerechnet. Das mag auch zumindest vereinzelt gerechtfertigt sein, wenn immaterielle Wirtschaftsgüter nur schwer nachahmbar und substituierbar sind und somit den Wettbewerbsvorsprung sichern, der für die über die Kapitalkosten hinausgehenden Ergebnisse verantwortlich ist. Gleichwohl sind eine gewisse Skepsis gegenüber der Residualwertmethode und Vorsicht bei ihrer Anwendung erforderlich.2 So muss nämlich im konkreten Einzelfall geklärt werden, ob tatsächlich der gesamte Residualgewinn auf die immateriellen Wirtschaftsgüter entfällt. Möglicherweise haben auch andere Faktoren als immaterielle Wirtschaftsgüter zur Entstehung des Residualgewinns beigetragen. Zu denken ist etwa an spezifische (vorteilhafte) Marktbedingungen, Standortvorteile, Synergien usw., die zwar nicht als immaterielle Wirtschaftsgüter zu qualifizieren sind, jedoch gleichwohl wertbeeinflussende Wirkung entfalten können. Insofern kann es bei einer unreflektierten, rein schematischen Anwendung der Residualwertmethode zu einer Überschätzung des Werts der immateriellen Wirtschaftsgüter kommen. Nur mit einer sachgerechten Funktions- bzw. Wertschöpfungsbeitrags1 Vgl. Greinert, Die bilanzielle Behandlung von Marken, 184 ff. Ein anschauliches Beispiel zur Anwendung dieser Methode bei Marken findet sich bei Maul/Mussler/Hupp, in Markenbewertung – Die Tank AG, 171 ff. 2 Vgl. Tz. 151 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
analyse gelingt es, auch diese anderen Faktoren zu identifizieren und sie bei der Bewertung der immateriellen Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen.
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Vorgehensweisen zur Ermittlung des Residualwerts. Es existieren unterschiedliche Vorgehensweisen zur Berechnung des Residualwerts. Die eher aus der Bewertungsliteratur bekannte Vorgehensweise ist die sog. Multi-Period-Excess-Earnings-Method1. Ausgangsbasis für die Bewertung ist folgende Überlegung: Immaterielle Wirtschaftsgüter erlangen erst durch die Einbindung in das Unternehmensvermögen ihre Bedeutung. Daher ist zu ermitteln, welche weiteren Wirtschaftsgüter benötigt werden, um Nutzen aus den immateriellen Wirtschaftsgütern zu ziehen. Zu denken ist an Grundstücke und Gebäude, technische Anlagen und Maschinen sowie das Nettoumlaufvermögen. Nur in Kombination mit diesen Wirtschaftsgütern entfalten immaterielle Wirtschaftsgüter ihren Nutzen. Dabei wird unterstellt, dass diese weiteren Wirtschaftsgüter nur einen unterstützenden Charakter haben; die eigentlichen Werttreiber sind dagegen die immateriellen Wirtschaftsgüter. Diese Überlegung wird bei der Bewertung in der Weise berücksichtigt, dass von den geplanten Ergebnissen sog. Contributory-Asset-Charges (Kapitalkosten) für die weiteren Wirtschaftsgüter subtrahiert werden. Diese Contributory-Asset-Charges spiegeln fiktive Leasingraten für Grundstücke und Gebäude, technische Anlagen und Maschinen sowie das Nettoumlaufvermögen wider. Nach der Subtraktion der Contributory-Asset-Charges von den geplanten Ergebnissen ergeben sich dann isolierte Ergebnisbeiträge (Residualgewinne), die allein auf die eingesetzten immateriellen Wirtschaftsgüter zurückgeführt werden können. Statt dieser in der Bewertungsliteratur angeführten Vorgehensweise wird der Residualgewinn für steuerliche Zwecke häufig in der Weise abweichend ermittelt, dass statt der Vergütung für einzelne Wirtschaftsgüter (Contributory-Asset-Charges) auf die Vergütung für einzelne Funktionen, insbesondere Routinefunktionen im Zusammenhang mit der untersuchten Transaktion, abgestellt wird.2 Der nach Subtraktion der Vergütung für diese (Routine-)Funktionen verbleibende Gewinn ist dann der Residualgewinn, welcher der Entrepreneurfunktion und damit letztlich den immateriellen Wirtschaftsgütern zuzuordnen ist.
6.590
Vereinbarkeit der Residualwertmethode mit den VWG. Die der Residualwertmethode zugrunde liegenden Überlegungen stehen auch im Einklang mit den Anforderungen der Finanzverwaltung an die Ermittlung von Lizenzgebühren für immaterielle Wirtschaftsgüter. So heißt es in Tz. 5.2.3. VWG, dass „eine Lizenzgebühr von dem ordentlichen Geschäftsleiter eines Lizenznehmers regelmäßig nur bis zu der Höhe gezahlt wird, bei der für ihn ein angemessener Betriebsgewinn aus dem lizenzierten Produkt verbleibt.“ Bei betriebswirtschaftlicher Betrachtungsweise können unter 1 Vgl. IDW S 5, Tz. 37 ff., FN-IDW 2010, 356 ff.; Moser/Goddar, FB 2007, 604 ff., 661 ff.; Greinert, RIW 2006, 454 f. 2 Vgl. Engler in V/B/E, Handbuch der Verrechnungspreise3, Rz. 302 zu Kapitel N; Dürrfeld/Wingendorf, IStR 2005, 464 ff.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
dem angemessenen Betriebsgewinn die Kapitalkosten für das eingesetzte Vermögen verstanden werden. Was darüber hinausgeht, darf demgemäß vollständig der Lizenz – also den eingesetzten immateriellen Wirtschaftsgütern – zugeordnet werden. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich die Verwendung der Residualwertmethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter rechtfertigen.
IV. Bewertung eines immateriellen Wirtschaftsguts im Rahmen der Übertragung Besonderheiten bei Übertragung statt Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter. In den vorstehenden Abschnitten wurde erörtert, wie eine angemessene Lizenzgebühr bei Überlassung eines immateriellen Wirtschaftsguts ermittelt werden kann. Wird nun ein immaterielles Wirtschaftsgut nicht nur zur Nutzung überlassen, sondern übertragen (Übergang des wirtschaftlichen Eigentums, vgl. Rz. 6.552 ff.), sind die dann einschlägigen Anforderungen an die Bewertung zu klären. Wurde bereits eine angemessene Lizenzgebühr ermittelt, so bietet sich der kapitalwertorientierte Ansatz zur Bewertung des immateriellen Wirtschaftsguts an. Dieser Ansatz beruht auf der Investitionstheorie, konkret auf dem Kapitalwertkalkül: Danach bestimmt sich der Wert eines immateriellen Wirtschaftsguts aus dem Barwert der künftigen mit ihm erzielbaren Ergebnisse bzw. Cashflows.1 Diese künftig erzielbaren Ergebnisse werden durch die bereits abgeleiteten Lizenzgebühren widergespiegelt.
6.591
Nutzungsdauer eines immateriellen Wirtschaftsguts. Für die kapitalwertorientierte Bewertung ist es neben der Prognose der erzielbaren Ergebnisse erforderlich, die wirtschaftliche Nutzungsdauer des betreffenden immateriellen Wirtschaftsguts zu schätzen. Im Unterschied zu einer Unternehmensbewertung, bei der im Normalfall von einer unendlichen Nutzungsdauer ausgegangen wird,2 ist bei den meisten immateriellen Wirtschaftsgütern von einem begrenzten Nutzungszeitraum auszugehen.3 So wirken rein rechtliche Beschränkungen (z.B. Dauer des Patentschutzes, Dauer eines Vertriebsrechts), vornehmlich aber wirtschaftliche Beschränkungen (z.B. Produktlebenszyklus, Technologiezyklus) auf die Nutzungsdauer eines immateriellen Wirtschaftsguts. Darüber hinaus kann es auch zu einer Verminderung der Ergebnisse des immateriellen Wirtschaftsguts (Lizenzgebühren) im Zeitablauf kommen, z.B. bei dem immateriellen Wirtschaftsgut Kundenstamm infolge des üblicherweise anzutreffenden Abschmelzens des an einem Stichtag übernommenen Kundenbestands. Daher müssen gesonderte Überlegungen zur Nutzungsdauer eines immateriellen Wirtschaftsguts angestellt werden.
6.592
1 Vgl. IDW S 5, Tz. 22, FN-IDW 2010, 356 ff. 2 Vgl. IDW S 1, Tz. 85, FN-IDW 2008, 271 ff. 3 Vgl. Beyer/Mackenstedt, WPg 2008, 343.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.593
Kapitalisierungszinssatz. Für die kapitalwertorientierte Bewertung bedarf es schließlich der Ableitung eines risikoangepassten Kapitalisierungszinssatzes, um die künftigen erwarteten Gewinne auf den Bewertungsstichtag zu diskontieren. Der Kapitalisierungszinssatz richtet sich nach der erwarteten Rendite der günstigsten alternativen Kapitalanlagemöglichkeit. Er drückt also aus, welche Mindestverzinsung mit dem immateriellen Wirtschaftsgut erzielt werden muss, um nicht schlechter zu stehen als bei einer Anlage in der günstigsten Alternative. Zur Ableitung der günstigsten alternativen Kapitalanlagemöglichkeit wird auf eine vergleichbare Anlage am Kapitalmarkt abgestellt.1 Bezüglich der Kapitalisierung gelten also im Grundsatz die gleichen Überlegungen, die auch bei einer Unternehmensbewertung anzuwenden sind und über die es ausreichend Praxiserfahrungen gibt.2 Demnach setzt sich der Kapitalisierungszinssatz auch für die Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter aus den Komponenten Basiszinssatz und Risikozuschlag zusammen, wobei für die Ermittlung des Risikozuschlags das bekannte „Capital Asset Pricing Model“ (CAPM) einschlägig ist. Die Besonderheit bei der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter besteht allerdings darin, dass ein unter Anwendung des CAPM ermittelter Risikozuschlag ein Unternehmen insgesamt betrifft. Für die Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter ist dagegen deren spezifisches Risiko zu erfassen.3 Ein solcher vermögensspezifischer Risikozuschlag weicht jedoch üblicherweise von dem Risikozuschlag des jeweiligen Unternehmens insgesamt ab. Daher ist es für die Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter geboten, von dem systematischen Risiko des Unternehmens zu abstrahieren. Hilfreich ist hierfür eine Typisierung, bei der die Risikostruktur von Vergleichsunternehmen zugrunde gelegt wird (sog. Peer-Group) und daraus ein durchschnittlicher Beta-Faktor abgeleitet wird. Darauf basierend sind Zu- oder Abschläge zur Berücksichtigung der vermögensspezifischen Risiken vorzunehmen. Mangels Marktdaten über vermögensspezifische Risikozuschläge können diese Zu- oder Abschläge letztlich nur auf allgemeinen betriebswirtschaftlichen Überlegungen beruhen.4 Bei der Ableitung der Risikozuschläge ist auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass immaterielle Wirtschaftsgüter die Komponente mit dem höchsten Risiko im Unternehmen darstellen.5
6.594
Unveränderter Ansatz der Lizenzgebühren auch bei Übertragung? Unter der Annahme, dass eine Überlassung und eine Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte darstellen, mag es zunächst gerechtfertigt erscheinen, die im Rahmen einer Überlassung abgeleiteten Lizenzgebühren auch für die Bewertung des betreffenden immateriellen Wirtschaftsguts – und damit für die Übertragung – heranzuziehen. Im konkreten Einzelfall ist jedoch zu untersuchen, inwieweit Überlassung einerseits und Übertragung andererseits tatsächlich 1 2 3 4 5
Vgl. IDW S 5, Tz. 41 ff., FN-IDW 2010, 356 ff. Vgl. insbesondere IDW S 1, Tz. 85 ff., FN-IDW 2008, 271 ff. Vgl. IDW S 5, Tz. 43, FN-IDW 2010, 356 ff. Vgl. Beyer/Mackenstedt, WPg 2008, 346; Oestreicher, Ubg 2009, 90 und 93. Vgl. Tz. 190 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
vergleichbare Sachverhalte darstellen. So kann es wirtschaftlich einen Unterschied machen, ob das „Stammrecht“ beim Eigentümer des immateriellen Wirtschaftsguts bleibt (Überlassung) oder auf das übernehmende Unternehmen übergeht (Übertragung). Verbleibt das Stammrecht beim Eigentümer, darf das nutzende Unternehmen das Stammrecht nicht vollumfänglich, sondern nur in der Weise nutzen, wie es im zugrunde liegenden Vertrag vereinbart wurde, etwa beschränkt auf einzelne Produktgruppen oder Regionen. Die Nutzung wird auch häufig in der Weise beschränkt, dass eine anderweitige Verwertung, etwa durch Sublizenzierung, untersagt wird. Möglicherweise wird sogar anderen Unternehmen gestattet, ebenfalls das Stammrecht zu nutzen (einfache Lizenz). Darüber hinaus erfolgt eine Nutzungsüberlassung generell nur zeitlich begrenzt. Insofern kann der Empfänger den Nutzen aus dem immateriellen Wirtschaftsgut nur für einen vertraglich vereinbarten Zeitraum ziehen. Nach Ablauf dieses Zeitraums muss das nutzende Unternehmen das immaterielle Wirtschaftsgut wieder zurückgeben. Der Eigentümer hat nach Rückgabe des immateriellen Wirtschaftsguts auch die Möglichkeit, es selbst zu nutzen, auf ein weiteres Konzernunternehmen zu übertragen oder anderweitig zu verwerten und hierfür erneut ein Entgelt zu verlangen. Bei einem Übergang des Stammrechts auf das übernehmende Unternehmen wären diese Möglichkeiten hingegen ausgeschlossen. Insofern verbleiben bei einer Nutzungsüberlassung deutlich geringere Freiheitsgrade und damit unternehmerische Möglichkeiten. Übertragung einerseits und Überlassung andererseits können also zu Unterschieden im Hinblick auf den erwarteten Nutzen aus dem immateriellen Wirtschaftsgut führen. Solche Nutzenunterschiede müssen sich freilich auf die Höhe der anzusetzenden Lizenzgebühr auswirken.1 So wird auch ausdrücklich in den OECD-Leitlinien darauf hingewiesen, dass diese Unterschiede die Vergleichbarkeit und damit die Höhe des angemessenen Entgelts beeinflussen können.2 Insofern ist es denkbar, dass die für eine Nutzungsüberlassung abgeleitete Lizenzgebühr nicht unverändert im Fall der Übertragung des betreffenden immateriellen Wirtschaftsguts im Rahmen der kapitalwertorientierten Bewertung angesetzt werden kann, sondern modifiziert werden muss. In IDW S 5 wird diese Frage zwar nicht ausdrücklich diskutiert. Es werden lediglich die einschränkenden Begriffe „Analogieschluss“ und „approximieren“ im Hinblick auf die Verwendung von Lizenzgebühren für Zwecke der Bewertung bei Übertragung des betreffenden immateriellen Wirtschaftsguts verwendet.3 Mit diesen Relativierungen möchte das IDW wohl ausdrücken, dass eine unveränderte Übernahme der für eine Nutzungsüberlassung abgeleiteten Lizenzgebühr für den Fall der Übertragung des betreffenden immateriellen Wirtschaftsguts unter den Umständen des konkreten Einzelfalls geprüft werden muss. 1 A.A. wohl Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 147. 2 Vgl. Tz. 6.20 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. IDW S 5, Tz. 31 f. und speziell für Marken Tz. 63 ff., FN-IDW 2010, 356 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
V. Notwendigkeit von Preisanpassungen gemäß § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG 6.595
Preisanpassung im Zeitablauf – Gesetzliche Fiktion. Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 20081 wurde § 1 AStG grundlegend neu gefasst. Die neuen Regelungen sind gemäß § 21 Abs. 16 AStG ab dem VZ 2008 erstmals anzuwenden. Der Gesetzgeber verpflichtet nunmehr den Steuerpflichtigen in Einzelfällen zu nachträglichen Preisanpassungen. So heißt es in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG: „Sind in den Fällen der Sätze 5 und 9 wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand einer Geschäftsbeziehung und weicht die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnentwicklung ab, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, ist widerlegbar zu vermuten, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregel vereinbart hätten.“ Die Bezugnahme auf immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile ist gemäß Begründung zum Regierungsentwurf geboten, weil bei diesen die Wertermittlung „häufig mit erheblichen Unsicherheiten belastet“2 ist. Bereits diese Begründung kann nicht überzeugen. Bei Bewertungsmethoden wie den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethoden, bei denen erwartete künftige Werte Eingang finden, besteht naturgemäß Unsicherheit. Fremde Dritte berücksichtigen diese Unsicherheit jedoch typischerweise nicht durch die Vereinbarung einer Anpassungsklausel,3 sondern durch die explizite Berücksichtigung des Risikos im Bewertungskalkül, sei es durch Verwendung der Risikozuschlagsmethode oder durch Ansatz eines Sicherheitsäquivalents.4 Insofern ist es bereits fraglich, ob die Fiktion einer Preisanpassung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz im Einklang steht.
6.596
Preisanpassung nur beim hypothetischen Fremdvergleich. Mit dem Verweis auf die Sätze 5 und 9 des § 1 Abs. 3 AStG wird deutlich, dass die Preisanpassungsklausel nur im Fall der Verrechnungspreisermittlung durch hypothetischen Fremdvergleich sowie der Funktionsverlagerung zur Anwendung kommen kann. Sofern Verrechnungspreise unter Verwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs abgeleitet wurden, ist eine nachträgliche Preisanpassung hingegen nicht erforderlich. Dies ist im Hinblick auf immaterielle Wirtschaftsgüter dann relevant, wenn die Lizenzgebühren auf Basis der Preisvergleichsmethode, die dem tatsächlichen Fremdvergleich zuzuordnen ist, abgeleitet wurden. Bei solchen Lizenzgebühren kommt die gesetzliche Fiktion der Preisanpassung jedenfalls nicht zur Anwendung. 1 UntStRefG v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 2 Begründung des Regierungsentwurfs zu § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG, BR-Drucks. 220/07, 145. 3 Vgl. Mueller-Thuns in Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns, Unternehmenskauf/Unternehmensverkauf, 178; Welling in FS Schaumburg, 993; Kaminski/Strunk, RIW 2009, 715. 4 Vgl. IDW S 5, Tz. 27, FN-IDW 2010, 356 ff.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
Erhebliche Abweichung. Unter den vorstehend genannten Voraussetzungen ist eine nachträgliche Preisanpassung allerdings nur dann erforderlich, wenn es im Zeitablauf zu erheblichen Abweichungen der Gewinnentwicklung im Vergleich zu der ursprünglich zugrunde gelegten Gewinnentwicklung gekommen ist. Gemäß § 10 FVerlV soll von einer erheblichen Abweichung auszugehen sein, wenn „der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Verrechnungspreis außerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs liegt.“ Die Bezeichnung „zutreffender Verrechnungspreis“ löst zunächst Erstaunen aus, weil es gemäß BFH-Rechtsprechung1 den „einen“ angeblich zutreffenden Verrechnungspreis nicht gibt, sondern dieser i.d.R. aus einer Bandbreite von Preisen besteht. Dessen ungeachtet erscheint auch die Auslegung von „erheblicher Abweichung“ nicht zweckmäßig. So ist es nicht einzusehen, warum selbst bei einer geringfügigen Überschreitung des ex ante ermittelten Einigungsbereichs eine „erhebliche“ Abweichung vorliegen soll. Gerade wenn nur geringe Synergien oder Standortvorteile existieren und insofern ein enger Einigungsbereich vorliegt, muss eine Überoder Unterschreitung des ex ante ermittelten Einigungsbereichs noch keine erhebliche Abweichung darstellen. Verschärft wird dieses Problem noch dann, wenn der Steuerpflichtige seinen Verrechnungspreis am Rand des Einigungsbereichs festgelegt hat. In diesem Fall würde schon eine geringfügige Abweichung zwischen Plan- und Ist-Werten ausreichen, um zu einer Überschreitung zu kommen. Was an einer solchen Abweichung „erheblich“ sein soll, bleibt allerdings offen. Bei der Auslegung des Begriffs „erhebliche Abweichung“ ist ferner zu berücksichtigen, dass Abweichungen zwischen Plan- und Ist-Werten nicht nur auf Unsicherheiten zum Zeitpunkt der Transaktion beruhen. Vielmehr ist es auch möglich, dass der Erwerber eines immateriellen Wirtschaftsguts (zunächst ungeplante) besondere Anstrengungen unternimmt und Finanzmittel investiert, aufgrund derer sich ein über die ursprünglich erwarteten Gewinne hinausgehender Erfolg des immateriellen Wirtschaftsguts erst einstellt. Der sich später herausstellende höhere Wert wäre also das Ergebnis der Maßnahmen des Erwerbers, nicht dagegen das Ergebnis irgendwelcher Unsicherheiten. In einem solchen Fall ist es daher nicht vertretbar, den ursprünglichen Verkaufspreis anzupassen. Ein fremder Dritter wäre nicht bereit, nachträglich einen höheren Preis für das immaterielle Wirtschaftsgut an den Verkäufer zu entrichten, wenn der höhere Wert auf den selbst eingeleiteten Maßnahmen beruhen würde. Ansonsten würde er letztlich doppelt zahlen.
6.597
Rechtfertigung für gesetzliche Fiktion? Wenn eine erhebliche Abweichung der Gewinnentwicklung vorliegt, fingiert der Gesetzgeber eine widerlegbare Vermutung, dass unabhängige Dritte eine Anpassungsregelung vereinbart hätten. Hier ist die Frage zu stellen, aus welchen Erkenntnissen diese Vermutung abgeleitet wird. Zwar finden sich in der Unternehmenspraxis durchaus Anpassungsklauseln, insbesondere bei Unterneh-
6.598
1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
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mensverkäufen.1 Sie stellen allerdings nicht den Normal-, sondern den Ausnahmefall dar. Vielmehr wird sogar wegen der erheblichen Schwierigkeiten bei der Ausgestaltung und Handhabung späterer Kaufpreiskorrekturen von derartigen Anpassungsklauseln abgeraten.2 Insofern findet sich keine befriedigende Begründung für die Fiktion des Gesetzgebers. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Finanzverwaltung nachträgliche Preisanpassungen bislang nur unter eingeschränkten Bedingungen als fremdvergleichskonform angesehen hat.3 Während dies für die „normale“ Verrechnungspreisermittlung auch weiterhin gelten soll, ist aus nicht überzeugenden Gründen nun davon eine Ausnahme vorgesehen, allerdings nur bei Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter oder Funktionsverlagerungen. Zudem steht die widerlegbare Vermutung einer Anpassungsklausel nicht im Einklang mit den OECD-Leitlinien. Anpassungsklauseln werden dort zwar als eine – von zahlreichen anderen – Möglichkeiten zur Erfassung der Unsicherheit dargestellt, eine Verpflichtung zu ihrem Abschluss besteht jedenfalls nicht.4 Vielmehr wird ausdrücklich konzediert, dass fremde Dritte auch solche Vereinbarungen abschließen, bei denen nachträgliche Preisanpassungen ausgeschlossen werden.5 Diese Auffassung der OECD besteht auch im aktuellen, überarbeiteten Entwurf zu „Intangibles“ fort.6 Dort wird sogar klarstellend ausgeführt, dass in zahlreichen Transaktionen zwischen fremden Dritten das Risiko unvorhersehbarer Änderungen bewusst vom Erwerber getragen wird.7 Ferner ist zu berücksichtigen, dass Anpassungsklauseln das Chancen-/Risiken-Profil verändern. Ohne Anpassungsklausel übernimmt der Erwerber sämtliche Risiken im Zusammenhang mit einer Übertragung, mit Anpassungsklausel dagegen nur einen Teil der Risiken. Entsprechende Auswirkungen ergeben sich in Bezug auf die Höhe der zwischen fremden Dritten vereinbarten Kaufpreise.8 Vor diesem Hintergrund erscheint die Kritik von Wassermeyer berechtigt, wonach die „Anpassungsmöglichkeit […] die Bestandskraft von für die Vergangenheit erlassenen Steuerbescheiden (unterläuft), indem sie den maßgeblichen Besteuerungssachverhalt per Fiktion in die Gegenwart verlagert. Für diese neuartige Form rückwirkender Steuergesetze stellt sich naturgemäß die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit.“9 Insbesondere ist es als willkürlich anzusehen, dass der Gesetzgeber – ohne hinreichende Fundierung – eine solche Annahme in das Gesetz aufnimmt. Zwar soll diese Annahme widerlegbar sein. Die Frage bleibt allerdings, wie eine solche Annahme, 1 Vgl. Lacher/Poppe, DB 1988, 1761 ff.; Baums, DB 1993, 1273 ff. 2 Vgl. Mueller-Thuns in Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns, Unternehmenskauf/Unternehmensverkauf, 178. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.8. 4 Vgl. Tz. 6.28 ff. OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 6.29 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. Tz. 199 ff. des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 7 Vgl. Tz. 202 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 8 Vgl. Scholz, IStR 2007, 523 ff. 9 Wassermeyer, DB 2007, 539.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
für die selbst keine Fundierung geliefert wurde, widerlegt werden soll. Es ist völlig unklar, anhand welcher Argumente eine Widerlegung erfolgen könnte, abgesehen davon, dass die Annahme des Gesetzgebers selbst nicht begründet ist. Zusammengefasst ist es daher nachvollziehbar, dass die durch die Neufassung von § 1 AStG eingefügte Preisanpassungsklausel in der Literatur auf scharfe Kritik gestoßen ist.1 Standardisierte Anpassungsklausel. Sofern ein Steuerpflichtiger keine eigene individuelle Anpassungsklausel vereinbart, greift gemäß § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG eine gesetzlich standardisierte Anpassungsklausel. Danach ist unter anderem ein Anpassungszeitraum von zehn Jahren nach Geschäftsabschluss maßgebend. Mit Bezug auf die hohe Wettbewerbsintensität in nahezu allen Branchen und die sich daraus ergebenden kurzfristigen Wandlungen im Geschäft erscheint dieser Zeitraum allerdings als viel zu lang. So ist aus empirischen Auswertungen von Preisanpassungsklauseln ableitbar, dass typischerweise eine Anpassungsdauer zwischen einem und drei Jahren zugrunde gelegt wird.2 Ohnehin sind die übertragenen immateriellen Wirtschaftsgüter nach zehn Jahren typischerweise so sehr von dem Erwerber geprägt, dass eine Bezugnahme auf die ursprüngliche Transaktion verfehlt erscheint. Wenn innerhalb dieses zehnjährigen Zeitraums die tatsächlichen Gewinne von den bei der Durchführung der Transaktion angenommenen Gewinnen abweichen, ist auf Basis der tatsächlichen Gewinne eine Preisanpassung für die übertragenen immateriellen Wirtschaftsgüter vorzunehmen. Dabei ist innerhalb des zehnjährigen Beobachtungszeitraums nur eine „einmalige“ Preisanpassung vorgesehen, und zwar in dem Jahr, „das dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist.“3
6.599
Individuelle Anpassungsklausel. Für einen Steuerpflichtigen ist es meist ratsam, eine eigene individuelle Anpassungsklausel zu vereinbaren, weil dann die gesetzlich standardisierte Anpassungsklausel nicht zur Anwendung kommt. Bei einer individuellen Preisanpassungsklausel können nicht nur realistischere kürzere Anpassungszeiträume geregelt werden. Insbesondere besteht auch die Möglichkeit, den Begriff der „erheblichen“ Abweichung fremdvergleichskonform zu definieren und damit nur solche Abweichungen zu erfassen, die auf ganz besonderen Ereignissen beruhen.
6.600
Preisanpassungen vor 2008? Gemäß § 21 Abs. 16 AStG ist die Neuregelung des § 1 AStG und damit auch die nunmehr gesetzlich geregelte Preisanpassungsklausel ab dem VZ 2008 erstmals anzuwenden. Eine vergleichbare Regelung gibt es für VZ vor 2008 nicht. Insofern erscheint die Feststellung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung selbstverständlich, dass die gesetzliche Fiktion gemäß § 1 Abs. 3 Satz 11
6.601
1 Zur gesetzlichen Preisanpassungsklausel vgl. Schaumburg, IStR 2009, 877 ff.; Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 844 ff.; Peter/Spohn/Hogg, IStR 2008, 864 ff.; Scholz, IStR 2007, 521 ff. 2 Vgl. Scholz, IStR 2007, 524. 3 § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
und 12 AStG erstmalig für den VZ 2008 gilt.1 Allerdings wird diese Feststellung durch die nächsten Tz. der VWG-Funktionsverlagerung wieder relativiert. Zwar gelten die VWG-Funktionsverlagerung nur für Funktionsverlagerungen; da durch die Funktionsverlagerungsbesteuerung allerdings immaterielle Wirtschaftsgüter erfasst werden sollen, ist nicht auszuschließen, dass zumindest die Finanzverwaltung die gleichen Grundsätze bei der Übertragung bzw. Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter anwenden wird. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist jedenfalls auch für VZ vor 2008 eine Verrechnungspreiskorrektur dann vorzunehmen, wenn sich fremde Dritte erfolgreich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB oder eine vergleichbare Regelung des ausländischen Zivilrechts berufen können.2 Dabei wird in Tz. 194 VWG-Funktionsverlagerung der Anwendungsbereich des § 313 BGB aufgezeigt; die darin enthaltenen Aussagen geben im Wesentlichen die einschlägige Rechtsprechung des BGH wieder.3 Abenteuerlich ist jedoch die in den folgenden Textziffern vorgenommene Übertragung dieser Grundsätze auf den Fall der Funktionsverlagerung (und damit wohl auch der Übertragung bzw. Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter). Die VWG-Funktionsverlagerung gehen davon aus, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage bereits dann vorliegt, wenn die prognostizierten Gewinne erheblich von den tatsächlich realisierten Gewinnen abweichen.4 Diese Aussage ist allerdings nicht haltbar: Die Entwertung oder Aufwertung von Leistungen eröffnet grundsätzlich kein Recht auf Anpassung des Vertrags.5 Ausnahmsweise führt die Entwertung einer Leistung nur dann zu einer Anpassung, wenn das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung so stark gestört ist, dass die Grenze des übernommenen Risikos überschritten wird und das Interesse der benachteiligten Partei auch nicht mehr annähernd gewahrt ist.6 Bei der Interpretation des „ausnahmsweise“ ist zu beachten, dass § 313 BGB ohnehin nur bei schwerwiegenden Änderungen der Geschäftsgrundlage zur Anwendung kommt. Insofern ist die Anwendung des § 313 BGB in der zivilrechtlichen Praxis die absolute Ausnahme.7 Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten, dass eine Verrechnungspreiskorrektur auf der Grundlage von § 313 BGB grundsätzlich scheitert. Nur bei ganz besonderen Umständen kann sich der Anwendungsbereich dieser Vorschrift öffnen. Jedenfalls ist eine erhebliche Abweichung der tatsächlichen von den prognostizierten Gewinnen regelmäßig kein geeignetes Indiz für eine derart schwerwiegende Störung der Geschäftsgrundlage, bei der das Interessengleichgewicht der beteiligten 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 192. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 193 Satz 1. 3 Vgl. dazu nur Grüneberg in Palandt73, § 313 BGB Rz. 1, 18, 24 f. jeweils m.w.N. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 195 Satz 2. 5 Vgl. Grüneberg in Palandt73, § 313 BGB Rz. 29, 26 m.w.N. 6 Vgl. Grüneberg in Palandt73, § 313 BGB Rz. 27 m.w.N. 7 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2466.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
Parteien auch nicht mehr annähernd gewahrt ist. Der Versuch des BMF, die Fiktion der Preisanpassungsklausel über § 313 BGB auf VZ vor 2008 zu transportieren, scheitert somit.
VI. Auftragsforschung Auftragsforschung. Tz. 5.3. VWG 1983 behandelt die Verrechnung von Auftragsforschungsleistungen im Zusammenhang mit der „Nutzungsüberlassung von Patenten, Know-how oder anderen immateriellen Wirtschaftsgütern“. Insofern ist in diesem Kapitel auch auf Auftragsforschung einzugehen, obwohl es hierbei nicht um eine Nutzungsüberlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern geht. Vielmehr muss ein nahestehendes Unternehmen im Rahmen eines Auftragsforschungsverhältnisses spezifisch definierte Aufgabenstellungen des Auftraggebers lösen. Die Ergebnisse der Auftragsforschung stehen dann dem Auftraggeber ausschließlich und uneingeschränkt zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund sind die Auftragsforschungsleistungen als Dienstleistungen des forschenden Unternehmens anzusehen (zu Verrechnungspreisen für Dienstleistungen vgl. Rz. 6.87 ff.). Es handelt sich nämlich um Tätigkeiten, bei denen im Gegensatz zur Lizenzvergabe ausschließlich der Auftraggeber das „Ergebnisrisiko“ trägt, da auch dann sämtliche Forschungsaufwendungen zu vergüten sind, wenn das Forschungsergebnis aus der Erkenntnis besteht, dass für das zu erforschende Problem keine oder keine vermarktungsfähige Lösung existiert. Derartige Auftragsforschungsleistungen stellen Leistungen dar, die auch von fremden Dritten (z.B. unabhängigen Forschungseinrichtungen oder Universitätsinstituten) ausgeführt werden.1 Die Vergütung des Ergebnisses des Einzelforschungsauftrags ist nicht als eine Lizenzgebühr, sondern als ein Entgelt für eine technische Dienstleistung anzusehen. Nach Tz. 5.3. VWG 1983 ist für die Bestimmung der Angemessenheit des Leistungsentgelts regelmäßig die Kostenaufschlagsmethode anzuwenden. Auch die OECD-Leitlinien erwähnen in Tz. 7.41 die Auftragsforschung als Beispiel für eine konzerninterne Dienstleistung. Die forschende Gesellschaft sei insofern i.d.R. vor einem finanziellen Risiko geschützt, als üblicherweise die Abgeltung aller Aufwendungen vereinbart werde, und zwar unabhängig vom konkreten Forschungserfolg. Der Auftraggeber sei generell Eigentümer derjenigen immateriellen Wirtschaftsgüter, die aus der Forschungstätigkeit entstünden, weil er auch die entsprechenden Risiken übernehmen würde. Für die Vergütung der forschenden Gesellschaft könne die Kostenaufschlagsmethode zweckmäßig sein.
6.602
Aktivierung der Forschungsaufwendungen. Es stellt sich die Frage, ob die an die Forschungsgesellschaft zu zahlenden Entgelte beim Auftraggeber zu aktivieren sind. Eine solche Aktivierung kommt – zumindest in der Steuerbilanz – nur dann in Betracht, wenn es sich um ein entgeltlich er-
6.603
1 Vgl. Flick, BB 1973, 286.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
worbenes immaterielles Wirtschaftsgut handelt.1 Bei einem im Rahmen einer Auftragsforschung zu erteilenden Forschungsauftrag liegt allerdings ein Dienstvertrag (§ 611 BGB) bzw. ein auf einem Dienstvertrag beruhender Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) vor. Damit erhält das Forschungsunternehmen ein Entgelt für seine erbrachten Dienstleistungen, welches einen Ersatz der entstandenen Aufwendungen beinhaltet. Das Forschungsunternehmen schuldet in diesem Fall somit nicht die „Lieferung“ eines fertigen immateriellen Wirtschaftsguts, sondern lediglich die Erbringung von (Forschungs-)Dienstleistungen. Damit handelt es sich nicht um den entgeltlichen Erwerb eines immateriellen Wirtschaftsguts, so dass die Entgeltzahlungen an die Forschungsgesellschaft beim Auftraggeber nicht zu aktivieren sind, sondern dort eine sofort abzugsfähige Betriebsausgabe darstellen. Indirekt wird diese Auffassung von der Finanzverwaltung in den VWG-Umlage bestätigt.2 Danach kommt bei Umlagezahlungen an einen Forschungs- bzw. Dienstleistungspool ebenfalls keine Aktivierung in Betracht. Ein gemeinsamer Forschungspool ist jedoch ein Unterfall der Auftragsforschung, wo mehrere Auftraggeber im Konzern im gemeinsamen Interesse und für gemeinschaftliches Risiko eine Konzernforschungseinheit mit der Erbringung von Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen beauftragen (Nachfragepool) (vgl. zum Pool Rz. 6.348 ff.).
6.604
Forschungsleistungen im überarbeiteten Entwurf zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. Auch der überarbeitete Entwurf der OECD zu „Intangibles“ beschäftigt sich mit Auftragsforschung und enthält hierzu vier ausführliche Beispiele, mit deren Hilfe die OECD ihre Meinung illustriert.3 In erster Linie hat die OECD dabei Fälle im Auge, in denen eine Konzerngesellschaft Forschungsleistungen gegenüber einer anderen Konzerngesellschaft erbringt, welche das rechtliche Eigentum an den im Rahmen der Auftragsforschung entwickelten „Intangibles“ erlangt. Insofern stellt die OECD klar, dass einer Konzerngesellschaft, die einen Beitrag zur Entwicklung eines „Intangibles“ leistet, das im rechtlichen Eigentum einer anderen Konzerngesellschaft steht, eine fremdvergleichskonforme Vergütung für die von ihr ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter zusteht.4 Bei der Bemessung der Vergütung sind nach Ansicht der OECD alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere, ob das Forschungsteam über einzigartige Fähigkeiten verfügt, welche Risiken im Zusammenhang mit den Forschungsleistungen getragen werden, ob das Forschungsteam eigene „Intangibles“ einsetzt und inwiefern eine Kontrolle und Leitung durch andere Beteiligte erfolgt.5 Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode im Zusammenhang 1 Vgl. § 5 Abs. 2 EStG. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.6. 3 Vgl. Tz. 97 f. und 263 ff. des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7. 2013. 4 Vgl. Tz. 93 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 5 Vgl. Tz. 97 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013.
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F. Immaterielle Wirtschaftsgüter
mit Auftragsforschung wird von der OECD dabei deutlich zurückhaltender beurteilt als in der aktuellen Fassung der OECD-Leitlinien. Insofern stellt die OECD klar, dass die Kostenaufschlagsmethode nicht in allen Fällen zu einer Vergütung führen wird, die den Wert des zur Entwicklung der fraglichen „Intangibles“ erbrachten Beitrags zutreffend widerspiegelt. Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsleistungen im Konzern. Im Zusammenhang mit dem Thema Auftragsforschung stellt sich die Frage, wie die Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsleistungen im Konzern grundsätzlich erfolgen kann. Hierfür stehen im Wesentlichen drei Methoden zur Verfügung: – Auftragsforschung. Eine zum Konzernverbund gehörende Forschungsgesellschaft führt auf Anforderung, im Auftrag und auf Risiko eines anderen Konzernunternehmens (Auftraggeber) Forschungs- und Entwicklungsleistungen aus (Auftragsforschung). Die Ergebnisse werden dem Auftraggeber zur Verfügung gestellt, das forschende Unternehmen erhält für seine Dienstleistungen eine Vergütung, die i.d.R. mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode bemessen wird. – Lizenzierung. Ein Konzernunternehmen trägt alle Forschungs- und Entwicklungskosten und erhält von den übrigen Gesellschaften für die Nutzungsüberlassung der entwickelten immateriellen Wirtschaftsgüter eine Vergütung (Lizenzgebühr). In diesem Fall werden die Entwicklungsführerschaft, das Eigentumsrecht und das Forschungsrisiko bei einer Gesellschaft konzentriert. Die forschende Gesellschaft muss die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen vorfinanzieren. Eine Amortisation dieser Kosten (zuzüglich Gewinnelement) erfolgt durch spätere Lizenzeinnahmen, sofern die Forschungs- und Entwicklungsleistungen zu verwertbaren Ergebnissen geführt haben. – Kostenumlage. Der Konzernverbund finanziert seine Forschungs- und Entwicklungskosten über Kostenumlageverträge. Dabei werden von einer oder mehreren Konzerngesellschaften im gemeinsamen Interesse und für gemeinschaftliches Risiko der beteiligten Konzernunternehmen Forschungs- und Entwicklungsleistungen erbracht, an deren Ergebnissen alle Beteiligten partizipieren können. Die dabei anfallenden Aufwendungen werden auf die Mitglieder des Pools mit Hilfe eines sachgerechten Aufteilungsschlüssels verteilt (Kostenumlage). Somit werden die Ausgaben von den beteiligten Konzernunternehmen bereits in der Entwicklungsphase laufend finanziert. Aufgrund des gemeinschaftlichen Risikos sind die Finanzierungsbeiträge auch dann zu erbringen, wenn die Forschungs- und Entwicklungsleistungen nicht zu verwertbaren Ergebnissen geführt haben (vgl. zur Kostenumlage Rz. 6.342 ff.).
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6.605
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business Literatur Baumhoff, Die Verrechnung von Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen mit Hilfe von Konzernumlagen, IStR 2000, 693 und 731; Ditz, Fremdvergleichskonforme Ermittlung eines Umlageschlüssels bei Konzernumlagen, DB 2004, 1949; Fetzer, Die Besteuerung des Electronic Commerce im Internet, 2000; Graf, Gewinnabgrenzung im Electronic Commerce, 2003; Haas/Bacher/Scheuer, E-Commerce – Besteuerung und Rechnungslegung, Berlin, 2005; Kessler, Das Steuerrecht der neuen Medien, 2000; OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 2005; Pinkernell, Cloud Computing – Besteuerung des grenzüberschreitenden B2B- und B2C-Geschäfts, Ubg 2012, 331; Portner, Ertragsteuerrechtliche Aspekte des E-Commerce, IFSt-Schrift Nr. 390, 2001; Splittgerber/Rockstroh, Sicher durch die Cloud navigieren – Vertragsgestaltung beim Cloud Computing, BB 2011, 2179; Watrin, Betriebsstättenbesteuerung im Electronic Commerce und die ökonomische Theorie der Firma, IStR 2001, 425.
I. Einleitung 1. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien
6.606
Globalisierung und Internationalisierung. Das heutige Wirtschaftsleben ist durch eine zunehmende Globalisierung und Internationalisierung der Arbeits-, Kapital-, Informations- und Produktmärkte gekennzeichnet. Maßgeblichen Einfluss auf diese Entwicklung hat die verstärkte Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese Technologien ermöglichen es, Informationen ohne zeitliche und räumliche Begrenzungen zwischen einzelnen Marktteilnehmern auszutauschen.1 Auf diese Weise wird es den Unternehmen ermöglicht, ihre Produkte und Dienstleistungen einem immer größeren internationalen Kundenkreis anzubieten.
6.607
Auswirkungen auf die unternehmerische Wertschöpfung. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologie haben einen erheblichen Einfluss auf die Organisationsstrukturen der Unternehmen. Während sich die unternehmerische Wertschöpfung in der Vergangenheit i.d.R. als Prozess vollzogen hat, sind moderne Unternehmensstrukturen in stärkerem Maße durch modulare Organisationen, Netzwerke, Kooperationsgeflechte und elektronische Märkte gekennzeichnet.2 In diesem Zusammenhang lässt sich beobachten, dass das Konzept der Wertschöpfungskette in vielen Fällen durch das des „Wertschöpfungsnetzwerks“ verdrängt wird.3 Diese Entwicklung hat zur Folge, dass die Anzahl der Austauschbeziehungen zwischen den Transaktionspartnern tendenziell zunimmt. Darüber hinaus erfolgen die Leistungen häufig
1 Vgl. Portner, Ertragsteuerliche Aspekte des E-Commerce, 90 f. 2 Vgl. Picot/Reichwald/Wigand, Die grenzenlose Unternehmung3, 2. 3 Vgl. Kaminski/Strunk in F/W/B/S, § 1 AStG Anhang 1 Rz. 2050 ff.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
nicht mehr einseitig, z.B. von der Produktion zum Vertrieb, sondern wechselseitig zwischen den einzelnen Teilnehmern des Netzwerks. Steigende Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter. Eine weitere Entwicklung, die mit der zunehmenden Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien einhergeht, stellt die gestiegene Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter (z.B. Know-how, Patente oder Forschungsergebnisse) dar.1 Während immaterielle Wirtschaftsgüter im Rahmen der unternehmerischen Wertschöpfung oftmals einen entscheidenden Wertbeitrag leisten, nimmt die Bedeutung der physischen Wirtschaftsgüter in vielen Branchen stetig ab.
6.608
2. Begriffsabgrenzungen E-Business. Auch wenn die Begriffe des „e-Business“ und des „e-Commerce“ Gegenstand einer Vielzahl von Publikationen sind, hat sich bisher noch kein einheitliches Begriffsverständnis herausgebildet. Im Folgenden soll unter dem Begriff des „e-Business“ die Nutzung elektronischer Netzwerke und Technologien zur Prozessunterstützung verstanden werden, mit dem Ziel, einen Mehrwert zu schaffen.2 Unter die relevanten Prozesse fällt die Gesamtheit der unternehmerischen Wertschöpfungs-, Unterstützungs- und Führungsprozesse, welche sowohl interne als auch externe Aktivitäten umfassen.
6.609
E-Commerce. Der Begriff des „e-Commerce“ ist von dem Begriff des „e-Business“ abzugrenzen. Unter „e-Commerce“ ist die Unterstützung der Transaktionsprozesse eines Unternehmens unter Zuhilfenahme elektronischer Technologien, insbesondere des Internets, zu verstehen.3 Nach diesem Begriffsverständnis ist „e-Commerce“ als Teilbereich des „e-Business“ aufzufassen.4 „E-Commerce“ umfasst weitaus mehr als den bloßen Verkauf physischer oder digitaler Güter. So werden unter den Begriff des „e-Commerce“ auch transaktionsvorbereitende Handlungen wie Marketingaktivitäten (z.B. elektronische Werbung) und After-Sales-Services, wie bspw. die elektronische Bereitstellung von Software-Updates, gefasst.5
6.610
1 Vgl. Portner, Ertragsteuerliche Aspekte des E-Commerce, 93 f. 2 Vgl. auch Sawhney/Zabin, The Seven Steps to Nirvana: Strategic Insights into E-business Transformation, 15. 3 Vgl. Jelassi/Enders, Strategies for e-Business, 4. 4 Vgl. Bächle/Lehmann, E-Business, 4; Sawhney/Zabin, The Seven Steps to Nirvana: Strategic Insights into E-business Transformation, 17. 5 Vgl. Hedel in Haas/Bacher/Scheuer, E-Commerce – Besteuerung und Rechnungslegung, 39.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
II. Bedeutung des Fremdvergleichsgrundsatzes 6.611
Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Die neuen Geschäftsaktivitäten des e-Business werfen vielfältige Fragen hinsichtlich der Besteuerung der im Rahmen dieser Aktivitäten erzielten Einkünfte auf. Dies betrifft sowohl die Frage der Erfüllung steuerbegründender Tatbestände (z.B. Ort der Geschäftsleitung im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht oder Begründung einer Betriebsstätte im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht) als auch die laufende Besteuerung der im Rahmen des e-Business erzielten Einkünfte. Sofern sich der elektronisch gestützte Leistungsaustausch zwischen international verbundenen Unternehmen vollzieht, hat die Abrechnung des Leistungsaustauschs unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu erfolgen.
6.612
Grenzen des Fremdvergleichsgrundsatzes. Der Fremdvergleichsgrundsatz stellt gegenwärtig den tragenden Maßstab der internationalen Gewinnabgrenzung dar.1 Im Hinblick auf die Eignung des Fremdvergleichsgrundsatzes zur Berücksichtigung moderner Transaktionsformen ist jedoch festzustellen, dass die Entwicklung des Grundsatzes zu einer Zeit erfolgte, als der Austausch physischer Güter im Vordergrund stand, für die sich i.d.R. Fremdpreise ermitteln ließen.2 Im Zeitalter des elektronischen Geschäftsverkehrs und der zunehmenden „Entmaterialisierung“ des Wirtschaftslebens ist es demgegenüber oftmals nicht möglich, Fremdpreise für die zugrunde liegenden Leistungen zu ermitteln. Die steigende Zahl der wechselseitigen Beziehungen zwischen verbundenen Unternehmen hat zudem zur Folge, dass sich die einzelnen Leistungsbeiträge immer seltener eindeutig feststellen und bewerten lassen.3 Vor diesem Hintergrund erweist es sich sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für die nationalen Finanzbehörden als schwierig, die traditionellen Methoden der Verrechnungspreisermittlung auf die neuen Geschäftsmodelle des e-Business anzuwenden. Nachfolgend wird vor diesem Hintergrund die Verrechnungspreisermittlung für ausgewählte Geschäftsmodelle des e-Business im Einzelnen dargestellt.
III. Vertrieb im Wege des E-Commerce 1. Verrechnungspreisermittlung beim Offline-Handel
6.613
Vorteile des Handels über das Internet. Der Handel über das Internet hat in den letzten Jahren beträchtliche Ausmaße angenommen. So haben nach einer Studie des Branchenverbandes Bitkom bereits mehr als 40 Mio. Deutsche einmal im Internet eingekauft. Dies entspricht ca. 1 Vgl. Tz. 1.1 OECD-Leitlinien 2010; Herzig/Teschke/Joisten, Intertax 2010, 335. 2 Zur Entwicklung des Fremdvergleichsgrundsatzes vgl. Andresen, Konzernverrechnungspreise für multinationale Unternehmen, 57 ff. 3 Vgl. Graf, Gewinnabgrenzung im Electronic Commerce, 163.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
81 % sämtlicher Internetnutzer in Deutschland.1 Aus Sicht der Unternehmen bietet der Handel über das Internet den Vorteil, dass ein großer überregionaler Kundenkreis angesprochen werden kann. Durch die direkte Belieferung der Endkunden werden dabei die klassischen Handelsstufen (Zwischen- und Einzelhandel) „übersprungen“. Offline- und Online-Geschäfte. Bei der steuerlichen Beurteilung der online abgewickelten Handelsaktivitäten ist danach zu unterscheiden, ob es sich um sog. „Offline-“ oder „Online-Geschäfte“ handelt.2 Bei Online-Geschäften wird die gesamte Transaktion online abgewickelt, d.h. die Anbahnung, der Vertragsabschluss und die Lieferung vollziehen sich auf elektronischem Weg. Bei den im Rahmen von Online-Geschäften gehandelten Produkten handelt es sich z.B. um Standardsoftware, e-Books, Kataloge oder Musik, welche vom Nutzer heruntergeladen oder per E-Mail bezogen werden können. Zu den Online-Geschäften zählt ferner die Erbringung von Dienstleistungen auf elektronischem Weg (z.B. Fernwartung von Computern oder Nutzung von Datenbanken). Bei Offline-Geschäften werden dagegen lediglich die Anbahnung sowie der Vertragsabschluss auf elektronischem Weg durchgeführt. Die Lieferung der Produkte erfolgt sodann auf konventionellem Weg (z.B. durch einen Lieferdienst). Das Internet übernimmt bei Offline-Geschäften mithin die Aufgaben, die im Rahmen konventioneller Fernabsatzgeschäfte (z.B. Katalogbestellungen) von „traditionellen“ Medien wie z.B. Telefon, Fax oder Brief übernommen werden.3
6.614
Vertrieb im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Sofern der Offline-Handel in der Weise abgewickelt wird, dass die Produkte von einer Gesellschaft erworben bzw. hergestellt und von einer in einem anderen Staat ansässigen verbundenen e-Commerce Vertriebsgesellschaft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vertrieben werden, sind Verrechnungspreise für die Lieferungen an die e-Commerce Vertriebsgesellschaft zu ermitteln. Da eine physische Lieferung des Produkts zu der e-Commerce Vertriebsgesellschaft erfolgt, bestehen insoweit keine wesentlichen Unterschiede zu den konventionellen Vertriebsstrukturen international tätiger Konzerne.4
6.615
Funktions- und Risikoprofil. Hinsichtlich des Funktions- und Risikoprofils von e-Commerce Vertriebsgesellschaften kann daher auf die allgemeinen Erläuterungen der Funktions- und Risikoanalyse im Vertriebsbereich verwiesen werden (Rz. 6.49 ff.). Abweichungen können sich allenfalls im Bereich des Marketings ergeben. Denn e-Commerce Vertriebsgesellschaften sind im Gegensatz zu konventionellen Vertriebsgesellschaften da-
6.616
1 Vgl. Presseinformation des Branchenverbandes Bitkom v. 22.5.2011: „Jeder zweite shoppt im Web“. 2 Vgl. Fetzer, Die Besteuerung des Electronic Commerce im Internet, 7 ff.; Watrin, IStR 2001, 427. 3 Vgl. Fetzer, Die Besteuerung des Electronic Commerce im Internet, 8. 4 Vgl. Kaminski/Strunk in F/W/B/S, § 1 AStG Anhang 1 Rz. 2179.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
durch gekennzeichnet, dass das Marketing, die Vertragsanbahnung und der Vertragsabschluss online erfolgen und nur geringere Ressourcen in Anspruch nehmen. Bezüglich der Anwendung der Verrechnungspreismethoden sind im Bereich des Offline-Handels keine Besonderheiten zu beachten. So hat z.B. die Verrechnungspreisermittlung gegenüber e-Commerce Vertriebsgesellschaften, die im eigenen Namen und auf eigene Rechnung handeln, vorrangig nach der Wiederverkaufspreismethode zu erfolgen.1 Zu Einzelheiten wird auf die Ausführungen zu der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Vertriebsgesellschaften in Rz. 6.55 ff. verwiesen. 2. Verrechnungspreisermittlung beim Online-Handel a) Modelle des Online-Handels
6.617
Handel mit digitalen Produkten. Bei den Vertriebsaktivitäten des OnlineHandels besteht die Besonderheit darin, dass Gegenstand der Transaktion keine physischen, sondern digitale Produkte sind (z.B. Standardsoftware, e-Books, Magazine oder Musik). Die Kunden können die Produkte von einem Server herunterladen und verwenden (Rz. 6.614). Eine e-Commerce Vertriebsgesellschaft muss folglich kein Warenlager und entsprechende Logistikstrukturen unterhalten. Die Aufgabe der Gesellschaft beschränkt sich vielmehr auf die bloße Darstellung des Angebots sowie ggf. den Vertragsabschluss und die Bereitstellung der digitalen Produkte.
6.618
Unterschiedliche Modelle des Online-Handels. Hinsichtlich der Ausgestaltung des Online-Handels zwischen verbundenen Unternehmen haben sich verschiedene Modelle etabliert. Zum einen kann der OnlineHandel in der Weise organisiert werden, dass die e-Commerce Vertriebsgesellschaft die digitalen Produkte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung an Kunden vertreibt (sog. „Distributor-Model“2). Zum anderen kann der Vertrieb in der Weise erfolgen, dass die e-Commerce Vertriebsgesellschaft lediglich als Dienstleister auftritt, der in die Verkaufsabwicklung eingeschaltet wird. So kann die Gesellschaft beispielsweise Dienstleistungen in Form der Bereitstellung eines Servers, auf dem die Webseite betrieben wird, erbringen (sog. „Service-Provider-Model“3). Ferner ist denkbar, dass die e-Commerce Vertriebsgesellschaft – vergleichbar zu einem Agenten – reine Vertriebsdienstleistungen erbringt.
6.619
Funktions- und Risikoanalyse. Im Hinblick auf die Ermittlung von Verrechnungspreisen ist zunächst zu prüfen, ob die e-Commerce Vertriebsgesellschaft als Eigenhändler auftritt oder ausschließlich Vertriebsdienstleistungen erbringt. Dazu ist eine Funktions- und Risikoana1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 25 ff. 3 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 27 ff.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
lyse der e-Commerce Vertriebsgesellschaft erforderlich (zu Einzelheiten Rz. 6.49 ff.). Nachfolgend werden die im Rahmen der vorgenannten Modelle („Distributor-Model“ und „Service-Provider-Model“) typischen Funktions- und Risikoprofile im Einzelnen dargestellt. Bei der Darstellung wird beispielhaft angenommen, dass die e-Commerce Vertriebsgesellschaft Musikstücke bzw. -alben in elektronischer Form (z.B. im „mp3-Format“) auf ihrer Webseite zum Download anbietet. Das Recht zum Vertrieb dieser Musikstücke in einem bestimmten Vertriebsgebiet (z.B. Deutschland) wird der e-Commerce Vertriebsgesellschaft von ihrer ausländischen Muttergesellschaft eingeräumt, welche ihrerseits Lizenzverträge mit großen Musiklabels abgeschlossen hat, die sich auf den digitalen Vertrieb der jeweiligen Musikstücke in einem bestimmten Vertriebsgebiet (z.B. Europa) beziehen. b) E-Commerce Vertriebsgesellschaft als Eigenhändler Funktions- und Risikoanalyse. Eine e-Commerce Vertriebsgesellschaft übt im Rahmen des „Distributor-Model“ typischerweise die folgenden Funktionen aus (bezogen auf den in Rz. 6.619 dargestellten Beispielfall):1 – Betreiben eines eigenen Servers, von dem die Musikstücke heruntergeladen werden können, – Unterhaltung einer Webseite, auf der die Musikstücke von den Kunden angesehen, probegehört und bestellt werden können, – Herstellung einer Internetverbindung zwischen dem Server und den potentiellen Kunden, – Vertragsabschluss, – Auftragsannahme und -bearbeitung, – Rechnungsstellung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, – Zahlungsabwicklung mit Banken und Kreditkartenanbietern, – Marketing (z.B. Vorstellung neuer Künstler, Aktionsangebote etc.), – Mahnwesen, – Bereitstellung der Musikstücke zum Download (z.B. im „mp3-Format“), – Bearbeitung von Support-Anfragen von Kunden (z.B. bei einem fehlgeschlagenen Download der Musikstücke). Im Rahmen der Ausübung der vorstehend genannten Funktionen tragen e-Commerce Vertriebsgesellschaften, die als Eigenhändler agieren, üblicherweise die folgenden Risiken:2 – Forderungsausfallrisiko, 1 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 15 f. 2 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 17 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– – – –
Absatzrisiko, Gewährleistungsrisiken, Wechselkursrisiko, IT-Risiken (z.B. Serverausfall, Hackerangriffe).
6.621
Eingesetzte Wirtschaftsgüter. Bei den von der e-Commerce Vertriebsgesellschaft eingesetzten materiellen Wirtschaftsgütern handelt es sich i.d.R. um die Server-Hardware sowie die Büro- und Geschäftsausstattung. Ein Lager ist nicht erforderlich, da die Produkte im Wege des Downloads bezogen werden können. Die immateriellen Wirtschaftsgüter beziehen sich häufig auf den Kundenstamm sowie die Software, die auf dem Server betrieben wird.
6.622
Verrechnungspreisbestimmung im „Distributor-Model“. Der elektronische Vertrieb der Musikstücke (zum Ausgangssachverhalt Rz. 6.619) ist annahmegemäß in der Weise organisiert, dass die ausländische Muttergesellschaft Lizenzverträge mit den großen Musiklabels abgeschlossen hat, die sich auf den digitalen Vertrieb dieser Musikstücke in einem bestimmten Vertriebsgebiet (z.B. Europa) beziehen. Die Muttergesellschaft räumt der e-Commerce Vertriebsgesellschaft das Recht ein, diese Musikstücke in ihrem Vertriebsgebiet (z.B. Deutschland) an Endkunden zu vertreiben.1 Zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für diese Rechteüberlassung ist vorrangig die Anwendbarkeit der klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung zu prüfen (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis-, Kostenaufschlagsmethode).
6.623
Preisvergleichsmethode. Die Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff.) kann im Rahmen eines inneren oder eines äußeren Preisvergleichs umgesetzt werden. Voraussetzung für einen inneren Preisvergleich ist, dass das verbundene Unternehmen (hier: die ausländische Muttergesellschaft) vergleichbare oder ähnliche Leistungen unter vergleichbaren oder ähnlichen Verhältnissen sowohl an verbundene als auch an nicht verbundene Unternehmen erbringt. Der äußere Preisvergleich stellt demgegenüber auf den Liefer- und Leistungsverkehr zwischen fremden Unternehmen, z.B. der gleichen Branche, ab (Rz. 5.11 f.).
6.624
Innerer Preisvergleich. Im Bereich des Handels mit digitalen Produkten scheitert die Anwendung des inneren Preisvergleichs (Rz. 5.8 ff.) regelmäßig an der Tatsache, dass das ausländische verbundenen Unternehmen, das Lizenzen von Rechteinhabern (hier: Musiklabel) erworben hat, den Vertrieb in den einzelnen Ländern ausschließlich über eigene verbundene Unternehmen vornimmt.
6.625
Äußerer Preisvergleich. Ein äußerer Preisvergleich (Rz. 5.11 f.) kann geführt werden, wenn Informationen über Preise für die digitalen Produkte vorliegen, die bei Transaktionen zwischen fremden Dritten derselben 1 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 13 ff.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
Marktstufe angesetzt werden. Dies kann im Bereich der digitalen Produkte insofern Probleme bereiten, als im Gegensatz zu der Lieferung physischer Produkte nicht ohne Weiteres ermittelt werden kann, auf welcher Stufe der Verwertungskette die jeweiligen Preise angesetzt werden. Zudem dürfte es nicht ohne Weiteres möglich sein, an Informationen über Preise für vergleichbare Produkte zu gelangen. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Preisvergleichsmethode im Bereich des OnlineHandels sowohl in der Ausprägung des inneren als auch des äußeren Preisvergleichs eine untergeordnete Rolle spielt. Wiederverkaufspreismethode. Die Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.) ist anwendbar, wenn ein verbundenes Unternehmen einem anderen verbundenen Unternehmen Produkte liefert und diese Produkte an fremde Dritte weiterveräußert werden. Im Bereich des Online-Handels findet keine physische Lieferung eines Produkts an die Vertriebsgesellschaft zur Weiterveräußerung an fremde Dritte statt. Vielmehr wird der e-Commerce Vertriebsgesellschaft lediglich das Recht zum Vertrieb der digitalen Produkte (hier: elektronische Musikstücke) an Endkunden eingeräumt. Gleichwohl kann die Wiederverkaufspreismethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen im Bereich des Online-Handels herangezogen werden. Die Verrechnungspreise können dabei im Einzelnen wie folgt ermittelt werden:
6.626
Preis bei Wiederverkauf des Produkts an Endkunden (z.B. 9 Euro für ein Musikalbum) ./. marktübliche Handelsspanne der e-Commerce Vertriebsgesellschaft (z.B. 30 %) = Verrechnungspreis (z.B. 6,30 Euro) Probleme bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode. Die Wiederverkaufspreismethode stellt eine sachgerechte Methode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen im Bereich des Online-Handels dar. Schwierigkeiten könnten sich indessen bei der Ermittlung einer fremdüblichen Handelsspanne der e-Commerce Vertriebsgesellschaft ergeben. Denn die Handelsspannen branchenzugehöriger unabhängiger e-Commerce Vertriebsgesellschaften lassen sich in aller Regel nur schwer im Wege eines externen Betriebsvergleichs ermitteln. Auch ein interner Betriebsvergleich zur Ermittlung der Handelsspanne kann in der Praxis häufig nicht geführt werden, da es im Bereich des Online-Handels nicht üblich ist, die digitalen Produkte über mehrere Vertriebsgesellschaften zu vertreiben. Zur Ermittlung der Handelsspanne ist daher i.d.R. auf die Kostenaufschlagsmethode zurückzugreifen, d.h. die Handelsspanne bestimmt sich aus den (Plan-)Vertriebskosten der e-Commerce Vertriebsgesellschaft zuzüglich eines Gewinnaufschlags bzw. einer angemessenen Umsatzrendite (z.B. auf EBIT-Basis). Eine solche Kombination der Wiederverkaufs- mit der Kostenaufschlagsmethode ist zulässig (Rz. 5.27).1 1 Vgl. auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.628
Anwendung der Kostenaufschlagsmethode. Bei der Kostenaufschlagsmethode wird der Verrechnungspreis dadurch bestimmt, dass zunächst die Selbstkosten des liefernden oder leistenden Unternehmens ermittelt und anschließend um einen angemessenen Gewinnaufschlag erhöht werden.1 Im Bereich des Online-Handels ist die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode grundsätzlich denkbar. Die Anwendung der Methode hätte indessen zur Folge, dass sich der Gewinn der e-Commerce Vertriebsgesellschaft (verstanden als Residualgewinn) aus der Differenz zwischen dem gegenüber dem Endkunden erzielten Marktpreis und dem kostenorientierten „Lieferverrechnungspreis“ an die e-Commerce Vertriebsgesellschaft ermitteln würde. Dies wäre nur sachgerecht, wenn die e-Commerce Vertriebsgesellschaft als „Strategieträger“ bzw. „Entrepreneur“2 anzusehen wäre. Dies ist jedoch in den typischen Strukturen des OnlineHandels nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund ist die Kostenaufschlagsmethode nur in Ausnahmefällen zur Ermittlung von Verrechnungspreisen im Bereich des Online-Handels geeignet.
6.629
Gewinnorientierte Verrechnungspreismethoden. Die gewinnorientierten Verrechnungspreismethoden können nur zur Verrechnungspreisermittlung herangezogen werden, wenn die klassischen Methoden nicht oder nicht verlässlich angewendet werden können.3 Sofern dies der Fall ist, kommt im Bereich des Online-Handels insbesondere der geschäftsvorfallbezogenen Nettmargenmethode (TNMM) eine große Bedeutung zu. Die Anwendung dieser Methode setzt die Ermittlung von Renditekennziffern unabhängiger Vertriebsgesellschaften voraus, welche ein vergleichbares Funktions- und Risikoprofil aufweisen. Die Ermittlung der Renditekennziffern erfolgt üblicherweise im Rahmen einer Datenbankrecherche. Die Verrechnungspreise für die Rechteüberlassung an die e-Commerce Vertriebsgesellschaft werden dann unter Berücksichtigung der Renditekennziffern der Vergleichsunternehmen angesetzt. Die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die e-Commerce Vertriebsgesellschaft als sog. „Low-Risk-Distributor“ agiert (Rz. 6.60). c) E-Commerce Gesellschaft als Vertriebsdienstleister
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Funktions- und Risikoanalyse. Im Vergleich zu einer als Eigenhändler tätigen e-Commerce Vertriebsgesellschaft übt eine Gesellschaft, die lediglich Vertriebsdienstleistungen erbringt („Service-Provider-Model“), einen deutlich reduzierten Funktionsumfang aus. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Funktionen:4 1 Vgl. Tz. 2.39 ff. OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.4. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. Buchst. b. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b und c. 4 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 21 f.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
– Betreiben eines Servers, von dem die Musikstücke bzw. Musikalben heruntergeladen werden können, – Unterhaltung einer Webseite, auf der die Musikstücke bzw. Musikalben von den Kunden angesehen, probegehört und bestellt werden können, – Herstellung einer Internetverbindung zwischen dem Server und den potentiellen Kunden, – Auftragsannahme und -bearbeitung, – Zahlungsabwicklung mit Banken und Kreditkartenanbietern, – Bereitstellung der Musikstücke bzw. Musikalben zum Download (z.B. im „mp3-Format“), – Bearbeitung von Support-Anfragen von Kunden (z.B. bei einem fehlgeschlagenen Download der Musikstücke bzw. Musikalben). Im „Service-Provider-Model“ nimmt die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft häufig keine wesentlichen Risiken wahr (insbesondere in den Fällen, in denen ihre Vergütung auf Basis der Kostenaufschlagsmethode bestimmt wird (Rz. 6.634). Eingesetzte Wirtschaftsgüter. Bei den von der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft eingesetzten materiellen Wirtschaftsgütern handelt es sich i.d.R. um die Server-Hardware sowie die Büro- und Geschäftsausstattung. Ein Lager ist nicht erforderlich, da die Produkte im Wege des Downloads bezogen werden können. Bei den immateriellen Wirtschaftsgütern handelt es sich um die Software, die auf dem Server betrieben wird. Die Software wird in der Praxis häufig von der Gesellschaft lizenziert oder (kostenlos) beigestellt, in deren Auftrag die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft tätig wird. Der Kundenstamm ist im Dienstleistungsmodell nicht der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft, sondern ihrem Auftraggeber zuzuordnen.
6.631
Verrechnungspreisermittlung im „Service-Provider-Model“. Im Rahmen des „Service-Provider-Models“1 wird die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft als Dienstleister tätig, der in die Verkaufsabwicklung eingeschaltet wird. Infolgedessen erbringt die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft reine Dienstleistungen an ihren Auftraggeber. Die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft agiert daher in diesen Fällen häufig als bloßes Routineunternehmen, das weder wesentliche Risiken trägt noch über wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter verfügt (Rz. 4.63 f.). Zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für die vertriebsbezogenen Dienstleistungen der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft ist vorrangig die Anwendbarkeit der klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung zu prüfen (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis-, Kostenaufschlagsmethode). Darüber hinaus ist auch eine Anwendung der gewinnorientierten Methoden denkbar.
6.632
1 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 2005, 27 ff.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.633
Preisvergleichsmethode. Die Ermittlung von Verrechnungspreisen für die Dienstleistungen der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft kann anhand der Preisvergleichsmethode erfolgen, wenn Preise für vergleichbare Dienstleistungen unabhängiger Unternehmen ermittelt werden können. Da es sich bei den Dienstleistungen, welche die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft im Rahmen des „Service-Provider-Models“ erbringt, jedoch meist um spezifische Dienstleistungen handelt, die von fremden Dritten nicht am Markt angeboten werden, ist die Preisvergleichsmethode in der Praxis nur in Ausnahmefällen anwendbar. Denkbar ist die Anwendung der Preisvergleichsmethode z.B. auch auf Basis verbindlicher Vergleichsangebote, welche im Hinblick auf die von der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft erbrachten Leistungen eingeholt werden. In diesen Fällen kommt die Preisvergleichsmethode zur Bestimmung der Vergütung der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft grundsätzlich in Betracht.
6.634
Kostenaufschlagsmethode. Sofern die Preisvergleichsmethode aus den vorstehend genannten Gründen nicht anwendbar ist, können die Verrechnungspreise nach der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) ermittelt werden. Bei der Kostenaufschlagsmethode wird der Verrechnungspreis dadurch bestimmt, dass zunächst die (Ist- oder Plan-)Selbstkosten der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft ermittelt und anschließend um einen angemessenen Gewinnaufschlag erhöht werden.1 Die Ermittlung des Gewinnaufschlags erfolgt i.d.R. anhand eines Vergleichs mit Gewinnaufschlägen unabhängiger Gesellschaften, die ein mit dem der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft vergleichbares Funktions- und Risikoprofil aufweisen. Zur Identifikation der Vergleichsunternehmen wird in der Praxis üblicherweise eine Recherche in einer Unternehmensdatenbank (z.B. Amadeus) durchgeführt, in der die Gewinn- und Verlustrechnungen zahlreicher Unternehmen hinterlegt sind.
6.635
Wiederverkaufspreismethode. Die Wiederverkaufspreismethode kann nicht zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für die Dienstleistungen der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft herangezogen werden, da diese im Rahmen des „Service-Provider-Model“ lediglich Dienstleistungen erbringt und keine digitalen Produkte an Endkunden vertreibt.
6.636
Gewinnorientierte Verrechnungspreismethoden. Sofern die klassischen Methoden nicht anwendbar sind, ist zu prüfen, ob die gewinnorientierten Verrechnungspreismethoden angewendet werden können. Sofern dies der Fall ist, kommt im Bereich des Online-Handels insbesondere der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode eine Bedeutung zu.
6.637
Betreiben einer Internetplattform. Es ist auch denkbar, dass eine e-Commerce Gesellschaft eine Internetseite betreibt und über diese Internetseite i.S. eines Online-Portals es verbundenen Unternehmen ermöglicht, Ware 1 Vgl. Tz. 2.39 ff. OECD-Leitlinien; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.2.4.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
online anzubieten und zu verkaufen. Der Kunde kann dann über die Internetseite Waren bestellen, bezahlen und sich diese nach Hause versenden lassen (sog. „B2C Orders“). Von der e-Commerce Gesellschaft werden dabei i.d.R. als sog. „Full-Service-Provider“ folgende Funktionen ausgeübt: – Design, Aufbau und Unterhaltung einer Internetplattform für den Online-Handel; – Integration und Verwaltung einer erweiterten Internetplattform zur Durchführung des Onlinehandels; – Zahlungsabwicklung; – Abwicklung der Logistik (einschließlich Versand und Lagerhaltung der Ware); – Marketing; – Erstellung von Fotos der auf der Internetseite angebotenen Waren. Die e-Commerce Gesellschaft trägt kein Absatz- oder Preisrisiko aus dem Online-Handel; vielmehr wird dieses von dem verbundenen Unternehmen getragen, welches seine Waren über die von der e-Commerce Gesellschaft als reine Dienstleistung betriebenen Internetseite anbietet. Verrechnungspreisermittlung bei Betreiben einer Internetplattform. Betreibt die e-Commerce Gesellschaft eine Internetplattform, ist zunächst zu prüfen, ob die Verrechnungspreise zur Vergütung der von der e-Commerce Gesellschaft erbrachten Dienstleistungen auf Basis der Preisvergleichsmethode bestimmt werden können. Dies ist in der Praxis häufig der Fall, da entsprechende Internetplattformen auch von unabhängigen Unternehmen angeboten werden (z.B. Amazon). Die über einen Preisvergleich bestimmten Verrechnungspreise bestehen häufig aus pauschalisierten Entgelten, welche mit einer umsatzabhängigen Vergütung kombiniert werden. Diese Ausgestaltung der Vergütung von InternetplattformDienstleistungen ist auch zwischen fremden Dritten üblich. Im Übrigen können die Dienstleistungen der das Internetportal betreibenden e-Commerce Gesellschaft auf Basis von Stunden- oder Tagessätzen abgerechnet werden. Diese können ebenfalls über die Preisvergleichsmethode bestimmt und dokumentiert werden. Ist die Preisvergleichsmethode nicht anwendbar, können die Dienstleistungen anhand der Kostenaufschlagsmethode bestimmt werden. Dabei ist im Rahmen der Bemessung des Gewinnaufschlags zu berücksichtigen, dass die das Internetportal betreibende e-Commerce Gesellschaft häufig wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. die Internet-Domain, Marken oder spezifisches Know-how) einsetzt. Dies rechtfertigt es, der e-Commerce Gesellschaft eine relativ hohe Gewinnmarge zuzuordnen.
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6.638
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
IV. Konzernweite Intranet-Systeme 1. Begriff des Intranets
6.639
Definition des Begriffs Intranet. Unter dem Begriff „Intranet“ wird ein unternehmensinternes Netzwerk verstanden, das von Mitarbeitern des Unternehmens genutzt wird, um gegenseitig Informationen und Wissen auszutauschen. Das Intranet basiert i.d.R. auf der Technik des Internets, d.h. einem TCP/IP-Protokoll, auf das über einen Browser (Internet Explorer, Firefox, Chrome etc.) zugegriffen werden kann.1 Im Gegensatz zu dem öffentlich zugänglichen Internet handelt es sich bei dem Intranet um ein geschlossenes Netz.2 Der Zugriff auf das Intranet von außerhalb ist daher eingeschränkt und nur durch berechtigte Personen möglich. Der in das Intranet eingestellte Inhalt reicht von allgemeinen Unternehmensinformationen (z.B. Geschäftsberichte, Presseinformationen etc.) über Informationen zu Lieferanten und Kunden bis hin zu Modulen, die ein unternehmensübergreifendes Wissensmanagement ermöglichen.3
6.640
Verrechnungspreisermittlung. Nachfolgend werden die Verrechnungspreisaspekte, die sich im Zusammenhang mit der Bereitstellung eines konzernweiten Intranet-Systems sowie des Wissensaustauschs über das Intranet ergeben, im Einzelnen dargestellt. In der Praxis werden IntranetSysteme i.d.R. von der Konzernobergesellschaft – oder in deren Auftrag von einem Dritten – konzipiert, eingeführt und betrieben. Es stellt sich folglich die Frage nach einer Verrechnung der Bereitstellung des IntranetSystems dem Grunde nach. Daran anschließend ist zu untersuchen, wie die Dienstleistungen der Höhe nach zu verrechnen sind. 2. Leistungsverrechnung dem Grunde nach a) Allgemeine Voraussetzungen
6.641
Schuldrechtliche Leistungsbeziehung. Erbringt eine Konzernobergesellschaft gegenüber verbundenen Unternehmen Leistungen im Bereich des Intranets, ist zunächst zu prüfen, ob diese Leistungen auf gesellschaftsrechtlicher oder schuldrechtlicher Basis erbracht werden. Eine Verrechnung von Dienstleistungen zwischen Konzernober- und Untergesellschaft ist dem Grunde nach nur zulässig, wenn ein echter Dienstleistungsaustausch auf schuldrechtlicher Basis vorliegt und damit eine schuldrechtliche Beziehung zwischen leistender und leistungsempfangender Unternehmung besteht. Demgegenüber scheidet die Verrechnung eines Entgelts aus, wenn die Leistung ihre Grundlage in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen der beteiligten Unternehmen findet (Rz. 6.117 ff.).4 1 2 3 4
Vgl. Höller/Pils/Zlabinger, Internet und Intranet, 34. Vgl. Hoffmann/Lang, Das Intranet2, 9. Vgl. Hoffmann/Lang, Das Intranet2, 11. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983 218, Tz. 6.1.; Tz. 7.9 OECD-Leitlinien 2010.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
Kriterium der betrieblichen Veranlassung. Als Abgrenzungskriterium für die Frage der Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach wird die betriebliche Veranlassung gem. § 4 Abs. 4 EStG herangezogen. Folglich sind alle Maßnahmen der Konzernobergesellschaft zur Wahrnehmung ihrer Rechte als Gesellschafterin, zur Überwachung der Tätigkeit der Untergesellschaften sowie zur Führung und Kontrolle des Konzerns bei der Obergesellschaft betrieblich veranlasst. Damit können die durch solche Maßnahmen verursachten Kosten nur bei der Konzernobergesellschaft als Betriebsausgaben Berücksichtigung finden. Die OECD spricht in diesem Fall von einem „Gesellschafteraufwand“.1 Solche Maßnahmen als Ausdruck der Gesellschaftereigenschaft sind regelmäßig nicht verrechenbar, da sie bei gesellschaftsrechtlicher Unabhängigkeit der Untergesellschaft nicht erforderlich wären und ihnen daher kein echter Leistungsaustausch zugrunde liegt.2 Gesellschafteraufwand liegt insbesondere in den folgenden Fällen vor:3 – Aufwendungen für die rechtliche Organisation des Konzerns (z.B. Aufwendungen für die Organisation und Einberufung der Gesellschafterversammlung der Obergesellschaft oder die Ausgabe von Anteilen), – Aufwendungen für den Aufsichtsrat der Obergesellschaft, – Aufwendungen im Zusammenhang mit der Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Obergesellschaft; – Aufwendungen im Zusammenhang mit den Rechnungslegungsverpflichtungen der Obergesellschaft, einschließlich der Erstellung und Prüfung des Konzernabschlusses; – Aufwendungen für die Beschaffung von Kapital zum Kauf von Beteiligungen; – Aufwendungen für die Überwachung und Kontrolle der Beteiligungen an den Tochtergesellschaften (soweit ein fremder Dritter kein Entgelt hierfür entrichten würde); – Aufwendungen im Zusammenhang mit der Überwachung der Leistung („performance“) von Tochtergesellschaften (sofern dies nicht mit Beratungsleistungen für die Tochtergesellschaft verbunden ist); – Aufwendungen für Umstrukturierungen des Konzerns; – Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung bei einer Beteiligung; – Aufwendungen im Zusammenhang mit „Corporate Governance“-Verpflichtungen der Obergesellschaft.
6.642
Benefit-Test. Demgegenüber sind Dienstleistungen grundsätzlich verrechenbar, wenn beim leistungsempfangenden Unternehmen ein Nutzen
6.643
1 Vgl. Tz. 7.9 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 7.10 OECD-Leitlinien 2010; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2. 3 Vgl. Tz. 7.10 OECD-Leitlinien 2010; Annex II des EU Joint Transfer Pricing Forum, Report v. 4.2.2010.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
oder Vorteil entstanden ist bzw. wenn dieser zum Zeitpunkt der Dienstleistungserbringung zu erwarten war (sog. „Benefit-Test“).1 Darüber hinaus ist eine Dienstleistung zu verrechnen, wenn auch ein unabhängiges Unternehmen für die betreffenden Dienstleistungen etwas gezahlt oder die Dienstleistung selbst erstellt hätte.2 Die deutschen VWG 1983 sehen in diesem Zusammenhang in Tz. 1.4.1. die betriebliche Veranlassung als das Hauptkriterium an. Dieses Hauptkriterium wird in Tz. 6.2.2. VWG 1983 durch ergänzende Hilfskriterien weiter konkretisiert. Danach ist eine Dienstleistung dann verrechenbar und beim Leistungsempfänger als Betriebsausgabe abzugsfähig, wenn diese: – eindeutig abgrenzbar und messbar ist, – im Interesse der leistungsempfangenden Unternehmung erbracht wird, wovon immer dann auszugehen ist, wenn sie einen Vorteil erwarten lässt und eigene Kosten erspart, und – auch von einem unabhängigen Unternehmen unter vergleichbaren Verhältnissen in Anspruch genommen würde.
6.644
Mischleistungen. Den eindeutig nicht verrechenbaren bzw. eindeutig verrechenbaren Dienstleistungen stehen die sog. „Mischleistungen“ gegenüber (Rz. 6.121 ff.). Dabei handelt es sich um Dienstleistungen, die – ggf. in unterschiedlichem Ausmaß – sowohl im betrieblichen Interesse der Konzernobergesellschaft bzw. der Unternehmensgruppe insgesamt als auch im betrieblichen Interesse einer oder mehrerer Konzerngesellschaften erbracht werden. Bei solchen Leistungen ist eine Aufteilung in einen verrechenbaren und nicht verrechenbaren Teil vorzunehmen. Im Rahmen von Intranet-Aktivitäten ist im Hinblick auf Verrechnung dem Grunde nach zwischen – der Bereitstellung des Intranet-Systems einschließlich Infrastruktur und Software sowie dem laufenden Betrieb und der Pflege der Systeme durch die Konzernobergesellschaft und – dem Austausch von Wissen der am Intranet teilnehmenden Personen bzw. Konzerngesellschaften (sog. „Knowledge-Exchange“) zu unterscheiden. Nachfolgend wird die Verrechenbarkeit der vorstehenden Leistungen dem Grunde nach im Einzelnen erläutert. b) Bereitstellung des Intranet-Systems
6.645
Wissenstransfer im Konzern. Ein wesentliches Ziel von Intranet-Systemen ist der Wissenstransfer innerhalb des Konzerns. Der Zugang zum Know-how anderer stellt für die teilnehmenden Personen bzw. die teilnehmenden Konzerngesellschaften einen Nutzen dar und liegt in deren betrieblichem Interesse. Denn durch das erworbene Know-how können die partizipierenden Anwender der Konzerngesellschaften Anhaltspunkte 1 Vgl. Tz. 7.6 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 7.2 und 7.8 OECD- Leitlinien 2010; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.1.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
und neue Ideen z.B. zur Senkung von Kosten bzw. der Generierung von zusätzlichen Erträgen erhalten. Verrechenbarkeit dem Grunde nach. Es ist davon auszugehen, dass auch ein fremder Dritter in Form eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters bereit wäre, für den Zugang zu einer solchen Wissensdatenbank ein Entgelt zu zahlen. Folglich kann ein Nutzen bzw. ein betriebliches Interesse der an das Intranet angeschlossenen verbundenen Unternehmen im Einzelfall zu bejahen sein. Ist dies der Fall, spricht dies für eine schuldrechtliche Leistungsbeziehung zwischen der Konzernobergesellschaft einerseits und den untergeordneten Konzerngesellschaften, die das Intranet nutzen, andererseits. Diese Leistung ist dann dem Grunde nach zu verrechnen.
6.646
Gesellschafteraufwand. Es ist jedoch auch davon auszugehen, dass neben den einzelnen Konzerngesellschaften auch die Konzernobergesellschaft selbst von dem Intranet-System profitiert. Das betriebliche Interesse der Konzernobergesellschaft liegt insbesondere in der verbesserten Zusammenarbeit der einzelnen Tochtergesellschaften untereinander. Daraus ergeben sich wiederum positive Effekte für den Konzern als Ganzen. So können z.B. konzernweit der Innovationsgrad erhöht, Entwicklungskosten reduziert, die Produktivität verbessert oder Synergien genutzt werden. Ferner fördert das Intranet die horizontale und vertikale Kooperation der Konzerngesellschaften. Letztlich kann damit i.d.R. auch von einem durch die Konzernobergesellschaft veranlassten, nicht verrechenbaren Gesellschafteraufwand ausgegangen werden.
6.647
Vorliegen von Mischleistungen. Mithin liegen damit häufig „Mischleistungen“ vor, für die ein geeigneter Aufteilungsmaßstab für die Unterscheidung in verrechenbare und nicht verrechenbare Aufwendungen gefunden werden muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass weder der Nutzen der Konzernobergesellschaft noch derjenige der an dem Intranet teilnehmenden Konzerngesellschaften eindeutig gemessen werden kann. Folglich ist eine Schätzung notwendig, die durchaus auch von der Finanzverwaltung hinterfragt und ggf. angezweifelt werden kann. Bei der Schätzung ist davon auszugehen, dass der Gesellschafteraufwand nicht im Vordergrund steht, sondern von nachrangiger Bedeutung ist (d.h. häufig ca. 20–40 % der Gesamtkosten ausmacht).
6.648
Lieferanten- und Kundeninformationen. Sofern das Intranet Informationen zu Lieferanten und Kunden (Name, Kontaktperson, Adresse, Produkte etc.) enthält, kann die Möglichkeit, Zugang zu diesen Informationen zu erhalten, ebenfalls zu einem Nutzen auf Ebene der Untergesellschaften führen. Insbesondere im Hinblick auf die Markt- und Einkaufsmacht sind diese Daten für die Untergesellschaften von betrieblichem Interesse. Indessen wird auch bei diesen Informationen ein eigenes betriebliches Interesse der Konzernobergesellschaft vorliegen. Dieses kann in der Kontrolle und Überwachung der Debitoren- und KreditorenBuchführung der Untergesellschaften, der konzernweiten Vereinheitli-
6.649
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
chung der Debitoren- und Kreditoren-Buchführung sowie in der Vorbereitung von Konsolidierungsmaßnahmen liegen. Insoweit ist davon auszugehen, dass (anteilig) Gesellschafteraufwand vorliegt. Hinsichtlich des Aufteilungsverhältnisses ist auch insoweit eine Schätzung vorzunehmen. c) Verrechnung des Wissenstransfers
6.650
„Knowledge-Transfer“. Neben der vorstehend dargestellten Verrechnung der aus der Bereitstellung der Intranet-Systeme resultierenden Leistungen stellt sich die Frage, ob unter den Anwendern aus der Nutzung der Systeme weitere dem Grunde nach zu verrechnende Leistungen in Form des Wissenstransfers entstehen können. Eine dem Grunde nach verrechenbare Leistung könnte in diesem Zusammenhang insbesondere darin liegen, dass das von den jeweiligen Konzerngesellschaften in das Intranet eingestellte Wissen als immaterielles Wirtschaftsgut anzusehen wäre und (z.B. im Rahmen eines Downloadvorgangs) auf eine andere Konzerngesellschaft übertragen bzw. dieser zur Nutzung überlassen werden würde. Damit ist zunächst zu prüfen, ob das in das Intranet gestellte Wissen – bezogen auf den jeweiligen Einzelfall – als immaterielles Wirtschaftsgut einzustufen ist. Dies ist dann der Fall, wenn das Wissen als „Know-how“ zu qualifizieren ist1 oder ein Patent, eine Marke oder ein sonstiges Schutzrecht vorliegt.
6.651
Begriff des Know-how. Im Gegensatz zur Definition des Patents im PatentG oder der Marke im MarkenG existiert für den Begriff des Know-how im deutschen Steuerrecht keine Legaldefinition.2 Die OECD-Leitlinien 2010 verstehen unter Know-how geheime Verfahren, Formeln oder sonstige geheime Informationen über gewerbliche, kaufmännische oder wissenschaftliche Erfahrungen, die patentrechtlich nicht geschützt sind.3 Know-how kann damit von einfachem Erfahrungswissen bis hin zu nicht geschützten Erfindungen als Ergebnis umfangreicher Forschungs- und Entwicklungsleistungen reichen und dabei entweder in Dokumenten und sonstigen Unterlagen (z.B. Formeln, Materiallisten, Arbeitsanweisungen, schriftlichen Beschreibungen) oder in Humankapital (z.B. Wissen von Spezialisten) verkörpert sein.4
6.652
Problem der Identifikation von Know-how. Vor dem Hintergrund der „weiten“ Definition des Know-how ist es in der Verrechnungspreispraxis nicht unproblematisch, festzustellen, in welchen Fällen Know-how vorliegt und wann es zwischen Konzerngesellschaften übertragen oder zur Nutzung überlassen wird.5 Bei einem Intranet-System werden durch die an diesen Systemen teilnehmenden Konzerngesellschaften – durch eigene Erfahrungen erworbenes – technisches, kaufmännisches oder sonstiges 1 Vgl. BFH v. 23.11.1988 – II R 209/82, BStBl. II 1989, 82. 2 Vgl. BFH v. 16.12.1970 – I R 44/67, BStBl. II 1971, 235. 3 Vgl. Tz. 6.5 OECD- Leitlinien 2010; siehe auch BFH v. 16.12.1970 – I R 44/67, BStBl. II 1971, 235; FG Hess. v. 17.2.1998, EFG 1998, 1080. 4 Vgl. Ditz, IStR 2009, 422 f. 5 Vgl. Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 288.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
Wissen in das Intranet eingestellt. In Bezug auf dieses Wissen ist – bezogen auf den jeweiligen Einzelfall – zu prüfen, ob es als Know-how anzusehen ist und damit ein (immaterielles) Wirtschaftsgut darstellt. Soweit Patente, Marken oder sonstige Schutzrechte in das Intranet eingestellt werden, die von Konzerngesellschaften verwertet werden, kann insoweit ebenfalls von (immateriellen) Wirtschaftsgütern ausgegangen werden. Sichtweise der leistungsempfangenden Gesellschaft. Sofern eine Konzerngesellschaft einer anderen Konzerngesellschaft ein immaterielles Wirtschaftsgut (z.B. Know-how, Patente oder Marken) zur Nutzung überlässt, ist hierfür grundsätzlich nur dann ein Entgelt – in Form einer Lizenzgebühr oder eines sonstigen Leistungsentgelts – zu verrechnen, wenn auch fremde Dritte, d.h. unabhängige Unternehmen, ein solches vereinbaren würden.1 Dabei ist nach Auffassung der OECD insbesondere auf die Sichtweise der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft abzustellen.
6.653
Benefit-Test. Eine Entgeltverrechnung dem Grunde nach ist aus Sicht der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft nur gerechtfertigt, wenn diese aus der Verwertung der zur Nutzung überlassenen immateriellen Wirtschaftsgüter einen Vorteil erwarten kann und demnach auch ein unabhängiges Unternehmen bereit wäre, ein Entgelt zu zahlen.2 Vor diesem Hintergrund findet der „Benefit-Test“ auch bei der Prüfung der Verrechnungsfähigkeit der Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern Anwendung. Auch nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung ist die Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern nur verrechenbar, wenn die immateriellen Wirtschaftsgüter für den Nutzenden einen betrieblichen Vorteil bzw. Nutzen erwarten lassen.3 Insoweit muss – korrespondierend zur Auffassung der OECD – der Nutzende im Rahmen einer „ex-ante-Betrachtung“ aus der Nutzungsüberlassung des immateriellen Wirtschaftsgutes für sein Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil erwarten bzw. das immaterielle Wirtschaftsgut muss geeignet sein, seine Geschäftstätigkeit zu fördern. Darüber hinaus hat die Nutzungsüberlassung beim Nutzenden zu erhöhten Erlösen bzw. zu Kostenersparnissen zu führen und sie muss dort objektiv erforderlich sein.
6.654
1 Prinzipiell könnte auch die Übertragung eines immateriellen Wirtschaftsguts „Know-how“ vorliegen. Hinsichtlich der Differenzierung zwischen „Übertragung“ und „Nutzungsüberlassung“ eines immateriellen Wirtschaftsguts stellt die Rspr. jedoch u.a. auf die Dauer der Überlassung des Wirtschaftsguts und die Ausschließlichkeit der Überlassung ab (vgl. BFH v. 1.12.1982 – I B 11/82, BStBl. II 1983, 367 = FR 1983, 202 m.w.N.). Eine zeitlich befristete Überlassung wird dabei auch dann angenommen, wenn ungewiss ist, ob und wann die Überlassung zur Nutzung endet. Da das Know-how nicht exklusiv nur einer Konzerngesellschaft, sondern mehreren Konzerngesellschaften (namentlich: den am Intranet teilnehmenden Konzerngesellschaften) auf ungewisse Zeit überlassen wird, dürfte i.d.R. von einer Überlassung des Know-how und nicht von einer Übertragung ausgegangen werden. 2 Vgl. Tz. 6.14 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5.1.1.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
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Bestimmung einer Lizenzgebühr. Bei Intranet-Systemen ist wie dargestellt zu prüfen, ob die Teilnehmer im Rahmen ihrer Teilnahme am Intranet Know-how und ggf. auch gewerbliche Schutzrechte einstellen und diese immateriellen Wirtschaftsgüter von anderen Gesellschaften des Konzerns genutzt werden (z.B. durch einen Download der entsprechenden Informationen aus dem Intranet). Sofern dies der Fall ist und soweit die Nutzung und Verwertung des Know-how durch die entsprechende Konzerngesellschaft zu einem erwarteten betrieblichen Nutzen – insbesondere in Form einer Kostenersparnis oder einer Ertragssteigerung – führt, ist die Nutzungsüberlassung an die Konzerngesellschaft, die die Informationen ins Intranet gestellt hat, über eine Lizenzgebühr oder ein sonstiges Leistungsentgelt zu vergüten. Dies folgt aus dem Grundsatz des Fremdvergleichs, nach welchem die Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter grundsätzlich zu vergüten ist. In der Praxis kommt die Verrechnung einer Lizenzgebühr allerdings nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht.
6.656
Gegenseitige Nutzung des Intranet. Die Intranet-Systeme zeichnen sich regelmäßig dadurch aus, dass die Anwender ihr Wissen unter der Prämisse in die Systeme einstellen, dass sie das von anderen Anbietern eingestellte Wissen ebenfalls nutzen können. Damit leben beide Intranet-Systeme von einem „Geben und Nehmen“. Die Anwender stellen nämlich ihr Wissen in Form von Projekten, Tabellen etc. in der Erwartung in das Intranet ein, das Wissen anderer Anwender ebenfalls nutzen zu können. Entscheidend für das Funktionieren des Intranets ist letztlich das kontinuierliche Mitwirken aller Beteiligten. Ein fremder Dritter würde sich jedoch nicht an den Intranet-Aktivitäten beteiligen, wenn er für sich selbst einen Nutzen in der Teilnahme am Intranet nicht erwarten und nach einer gewissen Zeit auch nicht verwirklichen würde.
6.657
Poolgedanke. Im Ergebnis liegt damit den Intranet-Systemen eine Art „Poolgedanke“ zugrunde: Die Teilnehmer am Intranet stellen ihre Erfahrungen und ihr Wissen in das Intranet ein, um die Erfahrungen und das Wissen anderer Teilnehmer ebenfalls nutzen zu können. Dabei kann unterstellt werden, dass die beteiligten Konzerngesellschaften in vergleichbarem Umfang Wissen bzw. Know-how in die Intranet-Systeme einstellen (wovon andere Konzerngesellschaften partizipieren) wie sie Know-how von anderen Konzerngesellschaften selbst nutzen.1 Denn es kann unterstellt werden, dass das Angebot an Wissen mit der Nachfrage nach Wissen einer teilnehmenden Konzerngesellschaft korreliert: Je mehr IntranetTeilnehmer eine Konzerngesellschaft hat, desto mehr Wissen wird sie in das Intranet einstellen, aber auch abrufen. Damit ist davon auszugehen, dass Aufwand (der Einstellung von Informationen in das Intranet) und Nutzen (aus der Nutzung von Informationen des Intranets) in einem aus1 Ähnlich mit der Annahme einer „Fiktion der Entsprechung“ und unter Hinweis auf Vereinfachungs- und Praktikabilitätsgründe auch Kaminski/Strunk in F/W/B/S, § 1 AStG Anhang 1 Rz. 2100; Strunk/Kaminski in Kessler, Das Steuerrecht der Neuen Medien, Teil 5.2.4, 12.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
geglichenen Verhältnis zueinander stehen. Eine Verrechnung der Überlassung von Know-how scheidet daher dem Grunde nach aus. Es ist jedoch zu prüfen, ob im Einzelfall – z.B. auf Grund von Erfahrungen aus der Vergangenheit – ein offensichtliches und signifikantes Missverhältnis zwischen In- und Output einer Konzerngesellschaft besteht (z.B. wenn überhaupt keine Informationen in das System eingestellt werden, jedoch Wissen in erheblichem Umfang abgerufen wird). Keine Leistungsverrechnung im Rahmen des Intranet. Im Übrigen sprechen auch die Gründe der Praktikabilität und der Verhältnismäßigkeit gegen eine Leistungsverrechnung im Rahmen des Wissensaustausches über das Intranet. Denn es kann nicht im Voraus bestimmt werden, ob das bereitgestellte Wissen überhaupt von anderen Konzerngesellschaften genutzt wird. Ferner ist ungewiss, ob das Wissen, soweit es abgerufen wird, einen betrieblichen Nutzen stiftet. Zwar kann grundsätzlich vermutet werden, dass die abgerufenen Informationen für die Konzerngesellschaften einen Nutzen bzw. Wert haben; jedoch ist die Identifikation der abgerufenen Informationen, die Ermittlung des (erwarteten) betrieblicher Nutzens für den Nutzenden aus den Informationen und die Bewertung der Informationen erfahrungsgemäß bei solchen Intranet-Plattformen nicht bzw. nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich. Dies gilt selbst für den Fall, dass die Häufigkeit und die Dauer der Intranet-Nutzung durch die einzelnen Konzerngesellschaften dokumentiert werden könnte (vorbehaltlich einer arbeitsrechtlichen Zulässigkeit). Denn zwischen der Häufigkeit, der Dauer oder der Intensität der Nutzung des Intranets und dem wirtschaftlichen Nutzen aus den im Intranet – wenn überhaupt – gefundenen Informationen besteht kein unmittelbarer Zusammenhang. So ist einerseits denkbar, dass eine wertvolle Information in kürzester Zeit gefunden wird; andererseits kann deren Suche aber auch nach mehreren Stunden erfolglos verlaufen.
6.658
Ausgeglichenheit zwischen Aufwand und Nutzen. Vielmehr müsste für die Verrechnung des Wissensaustausches jede von einem User genutzte Information des Intranets einzeln identifiziert, dokumentiert, auf ihren betrieblichen Nutzen untersucht (ggf. ist das Wissen bereits schon [teilweise] bekannt) und – falls dieser bejaht wird – bewertet werden. Dies ist jedoch aus praktischen Gründen i.d.R. nicht möglich. Im Ergebnis ist daher zu konstatieren, dass eine Verrechnung des Wissenstransfers über das Intranet auf Grund einer unterstellten Ausgeglichenheit zwischen Aufwand und Nutzen der Konzerngesellschaften einerseits sowie aus Gründen der Praktikabilität und der Verhältnismäßigkeit andererseits i.d.R. ausscheidet. Mit der Zahlung einer Dienstleistungsgebühr für die Bereitstellung der Intranet-Systeme an die Konzernobergesellschaft (Rz. 6.655) sind die Anwender berechtigt, auf diese zuzugreifen. Der Wissenstransfer im Rahmen dieser Intranet-Systeme sollte dann für die User kostenlos erfolgen. Insoweit besteht eine Parallele zu im Internet angebotenen Foren zum Austausch von Spezialwissen.
6.659
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
3. Leistungsverrechnung der Höhe nach
6.660
Verrechnung der Höhe nach. Da es sich bei der Bereitstellung der Intranet-Systeme durch die Konzernobergesellschaft um (teilweise) dem Grunde nach verrechenbare Leistungen handelt, ist in einem nächsten Schritt die Frage der Verrechnung der Höhe nach zu klären. In diesem Zusammenhang ist zwischen den folgenden Abrechnungsformen zu unterscheiden (Rz. 6.141 ff.): – Einzelabrechnung der Dienstleistung; – Abrechnung auf Basis eines Umlagevertrages in Form der Leistungsumlage.1 Bei der Einzelabrechnung wird für jede einzelne Dienstleistung ein separates Entgelt verrechnet. Dabei kommen in der Verrechnungspreispraxis zur Ermittlung der Vergütung i.d.R. die klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (Preisvergleichsmethode, Wiederverkaufspreismethode und Kostenaufschlagsmethode) zur Anwendung. Da sich die Einzelabrechnung – insbesondere in Bezug auf die Verrechnung von Dienstleistungen – häufig als unpraktikabel erweist, kommt der Abrechnung auf Basis von Umlagen in der Verrechnungspreispraxis eine größere Bedeutung zu.2
6.661
Modifizierte Kostenaufschlagsmethode. Bei der Leistungsumlage wird von einer leistungserbringenden Konzerngesellschaft eine Leistung bzw. ein ganzes Leistungsbündel gegenüber mehreren verbundenen Unternehmen im Rahmen eines schuldrechtlichen Leistungsaustauschs erbracht. Dabei wird der Verrechnungspreis pauschal durch Umlage der beim Leistungserbringer entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags mit Hilfe eines sachgerechten Schlüssels bestimmt. Im Ergebnis findet somit bei Leistungsumlagen eine modifizierte Kostenaufschlagsmethode Anwendung, im Rahmen derer – aus Gründen der Vereinfachung – die durch die Dienstleistung veranlassten Kosten gesammelt, um einen Gewinnaufschlag erhöht und auf die leistungsempfangenden Konzerngesellschaften verteilt werden.3
6.662
Einmalige Zugangsgebühr. Die Bereitstellung von Intranet-Systemen kann einzeln oder auf Basis einer Leistungsumlage abgerechnet werden.4 Für welche Abrechnungsform sich der Steuerpflichtige entscheidet, liegt grundsätzlich in seinem eigenen Ermessen. Im Rahmen der Einzelabrech1 Alternativ ist auch eine sog. „Poolumlage“ denkbar. Im Rahmen der Poolumlage werden von einem, von mehreren oder von allen beteiligten Konzerngesellschaften Leistungen bzw. ganze Leistungsbündel im gemeinsamen Interesse und für gemeinschaftliches Risiko der Poolmitglieder erbracht (vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1; Baumhoff, IStR 2000, 693 ff.). Die Poolumlage ist jedoch mit hohen Dokumentationsanforderungen und einem hohen Administrationsaufwand verbunden. 2 Vgl. Ditz, DB 2004, 1949. 3 Vgl. Ditz, DB 2004, 1949. 4 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 789 f.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
nung kann für die Bereitstellung der Intranet-Systeme ein (pauschales) Entgelt pro Anwender gegenüber den am Intranet teilnehmenden Konzerngesellschaften verrechnet werden. Das gesamte von einer Konzerngesellschaft zu entrichtende Entgelt ergibt sich dann aus dem Entgelt pro Anwender multipliziert mit der Anzahl der gesamten Anwender der Konzerngesellschaft. Es bietet sich jedoch an, das Entgelt als (einmalige) Zugangsgebühr bei erstmaliger Zugangsberechtigung des Anwenders einerseits und einer dann laufenden Leistungsgebühr (z.B. pro Jahr) andererseits auszugestalten. Ist die Unterscheidung in Zugangsgebühr und laufende Leistungsgebühr nicht möglich, z.B. weil sich die Anzahl der neuen Anwender pro Konzerngesellschaft für jedes Geschäftsjahr nicht ermitteln lässt bzw. mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist, ist auch eine reine jährliche Leistungsgebühr denkbar. Ermittlung der Leistungsgebühr. Die Ermittlung einer Leistungsgebühr pro Anwender setzt voraus, dass die (tatsächliche oder erwartete) Anzahl der Anwender pro Konzerngesellschaft ermittelt oder zumindest verlässlich geschätzt werden kann. Ist dies nicht möglich, könnte die Anzahl der Anwender pro Konzerngesellschaft ggf. auch aus den in der Konzerngesellschaft installierten PCs mit Zugang zum Intranet abgeleitet werden.
6.663
Anwendung der klassischen Methoden. Die Leistungsgebühr ist im Bereich der Einzelabrechnung auf Basis der klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung zu ermitteln. Die Preisvergleichsmethode kann in diesem Zusammenhang keine Anwendung finden, da weder Marktpreise für die konzernspezifische Intranet-Leistung ermittelt werden können (äußerer Preisvergleich) noch ein interner Preisvergleich möglich ist. Denn konzernaußenstehende Dritte erhalten i.d.R. keinen Zugang zum Intranet. Da ferner die Anwendungsvoraussetzungen der Wiederverkaufspreismethode nicht erfüllt sind, ist i.d.R. die Leistungsgebühr auf Basis der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln.
6.664
Kostenaufschlagsmethode. Nach der Kostenaufschlagsmethode ergibt sich die Leistungsgebühr pro Anwender als Summe der durch die Bereitstellung der Intranet-Systeme verursachten Kosten zuzüglich eines angemessenen Gewinnaufschlags (Rz. 5.39). Die Leistungsgebühr kann auf diese Weise für jedes einzelne Modul des Intranets oder zusammengefasst für alle Module ermittelt werden. Im letzteren Fall würde – insbesondere aus Praktikabilitätsgründen – i.S. einer „Palettenbetrachtung“ nur von einer Leistungsgebühr „Intranet“ ausgegangen werden, ohne zwischen den einzelnen Systemen zu differenzieren. Dies setzt allerdings eine weitgehende Homogenität der Anwender der unterschiedlichen Systeme voraus.
6.665
Ermittlung der Kostenbasis. Die Kostenbasis ermittelt sich aus den durch die Bereitstellung der Intranet-Systeme bei der Konzernobergesellschaft veranlassten Vollkosten, wobei eine Verrechnung von Plan- oder Istkosten möglich ist (Rz. 5.51 ff.). Erfahrungsgemäß lassen sich die Vollkosten für die Bereitstellung der Intranet-Systeme aus der Kostenstellenrechnung
6.666
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
(ggf. unter zusätzlicher Berücksichtigung eines allgemeinen Gemeinkostenzuschlags) relativ unproblematisch ermitteln. Die Kostenbasis ist dann um die von der Konzernobergesellschaft betrieblich veranlassten (Gesellschafter-)Aufwendungen zu kürzen. Die Kürzung erfolgt pauschal in Höhe des festgelegten Anteils an nicht verrechenbarem Gesellschafteraufwand (Rz. 6.647).
6.667
Kostenbasis pro Leistungseinheit. Die um den Anteil an Gesellschafteraufwand gekürzte Kostenbasis ist dann durch die Anzahl der erwarteten oder tatsächlichen Anwender der Intranet-Systeme zu dividieren. Die so ermittelte Kostenbasis pro Leistungseinheit (d.h. pro Anwender) ist dann um einen angemessenen Gewinnaufschlag zu erhöhen. Die Ermittlung des Gewinnaufschlages erfolgt i.d.R. anhand eines Vergleichs mit Gewinnaufschlägen unabhängiger Gesellschaften, die vergleichbare Leistungen erbringen. Zur Identifikation der Vergleichsunternehmen wird in der Praxis üblicherweise eine Recherche in einer Unternehmensdatenbank (z.B. Amadeus) durchgeführt, in der die Gewinn- und Verlustrechnungen zahlreicher Unternehmen hinterlegt sind.
6.668
Verrechnung auf Basis der Leistungsumlage. Alternativ zur dargestellten Einzelabrechnung können die Leistungen der Konzernobergesellschaft auch auf Basis einer Leistungsumlage verrechnet werden.1 Danach sind die in einem Geschäftsjahr tatsächlich angefallenen (Ist-)Kosten der Bereitstellung der Intranet-Systeme – alternativ können auch Plankosten angesetzt werden – als Vollkosten zu ermitteln und um den Gesellschafteraufwand zu reduzieren.2 Die so ermittelte Kostenbasis ist um einen Gewinnaufschlag zu erhöhen und auf die partizipierenden Konzerngesellschaften mittels eines angemessenen Aufteilungsschlüssels zu verteilen. Da es sich bei der Leistungsumlage um eine modifizierte Kostenaufschlagsmethode handelt, kann hinsichtlich der Ermittlung der Kostenbasis und des Gewinnaufschlags auf die vorstehenden Ausführungen zur Einzelabrechnung verwiesen werden.
6.669
Aufteilungsschlüssel. Zur Ermittlung des Aufteilungsschlüssels ist auf den „erwarteten Nutzen“ der partizipierenden Konzerngesellschaften aus der Nutzung der Intranet-Systeme abzustellen.3 Als Aufteilungsschlüssel können z.B. die (erwartete oder tatsächliche) Anzahl der Anwender oder die Umsätze der teilnehmenden Konzerngesellschaften herangezogen werden.4 Die Leistungsumlage macht den Abschluss eines schriftlichen Umlagevertrages notwendig. Dieser geht inhaltlich über die Erfordernisse eines Vertrages bei der Einzelabrechnung hinaus und sollte detaillierte Regelungen zu den zu erbringenden Dienstleistungen (Art und Umfang), zu den beteiligten Konzerngesellschaften (Vertragsparteien), zu der Er1 2 3 4
Vgl. dazu Baumhoff, IStR 2000, 694. Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 789 f. Vgl. Ditz, DB 2004, 1950. Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 622.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
mittlung und dem Umfang der umlagerelevanten Kosten, zu dem Gewinnaufschlag sowie dem Umlageschlüssel enthalten.
V. IT-Dienstleistungen im Wege des Cloud-Computing 1. Begriff und Arten des Cloud-Computing Flexible Software-Nutzung. In jüngster Zeit nimmt die Bedeutung neuer Formen der Bereitstellung von IT-Leistungen zu, die zusammengefasst als „Cloud-Computing“ bezeichnet werden. Unter Cloud-Computing werden Netzwerke verstanden, die IT-Infrastrukturen dynamisch an den Bedarf der Anwender anpassen und diesen über das Internet zur Verfügung stellen.1 Auf diese Weise können Speicherplatz, Rechenzeit oder Softwaredienste flexibel und bedarfsabhängig bereitgestellt und bei Bedarf über festgelegte Schnittstellen abgefordert werden.2 Die Neuerung besteht darin, dass die Programme nicht mehr auf dem Rechner des Anwenders installiert sein müssen; vielmehr befindet sich die Software im Netz und der Rechner des Anwenders dient als Schnittstelle.3 Cloud-ComputingLeistungen werden sowohl gegenüber Endkunden (z.B. iCloud, Dropbox, Google Drive) als auch gegenüber Geschäftskunden angeboten. Nachfolgend werden ausschließlich B2B-bezogene Leistungen betrachtet.
6.670
Cloud-Computing als Online-Geschäft. Da die Bereitstellung der IT-Leistungen im Wege des Cloud-Computing auf automatisierten Vorgängen beruht und über Netzwerke erbracht wird, handelt es sich i.d.R. um sog. „Online-Geschäfte“, d.h. um Transaktionen, bei denen die vertragstypische Leistung weder in einer physischen Lieferung noch in einer persönlichen Dienstleistung besteht (Abgrenzung zum „Offline-Geschäft“).4 In Abhängigkeit von dem Umfang der bereitgestellten Leistungen lassen sich die folgenden Arten des Cloud-Computing unterscheiden:5 – „Software as a Service“ („SaaS“), – „Infrastructure as a Service“ („IaaS“), – „Platform as a Service“ („PaaS“).
6.671
„Software as a Service“ („SaaS“). SaaS (auch „Application Service Providing“ oder „Software on Demand“) bezeichnet die Bereitstellung von Software auf dem Server des Anbieters. Der Abruf der Software erfolgt über den Rechner der Nutzer, z.B. über den Internet Browser oder spezielle „Software Clients“. Eine Installation auf den Rechner des Nutzers
6.672
1 Vgl. Stögmüller in Leupold/Glossner, Münchner Anwaltshandbuch IT-Recht, 2011, Teil 5 Rz. 2; Pinkernell, Ubg 2012, 331; Heinsen/Voß, DB 2012, 1232. 2 Vgl. Nägele/Jacobs, ZUM 2010, 281. 3 Vgl. Nägele/Jacobs, ZUM 2010, 281. 4 Vgl. Pinkernell, Ubg 2012, 311. Zu der Unterscheidung in „Online-“ und „Offline-Handel“ vgl. Rz. 6.614. 5 Vgl. Nägele/Jacobs, ZUM 2010, 282; Welsch/Kinsky/Ronau/Klitgaard, TNI, October 2011, 148; Pinkernell, Ubg 2012, 332.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
ist nicht erforderlich. Daraus folgt, dass die Nutzer keinen Einfluss auf die Software und Hardware nehmen können, die zur Bereitstellung der SaaS-Dienste benötigt werden. Das Leistungsentgelt für die Bereitstellung der SaaS-Dienste wird i.d.R. monatlich oder jährlich nach der Anzahl der vereinbarten Nutzer abgerechnet.1 Beispiele für SaaS-Leistungen stellen Buchhaltungssoftware, ERP-Software2 und CRM-Pakete3 dar.
6.673
„Infrastructure as a Service“ („IaaS“). Unter IaaS wird das flexible Anmieten von Rechenleistung und Speicherkapazität verstanden, auf die jederzeit über das Internet zugegriffen werden kann.4 Der Kunde verfügt damit über IT-Infrastruktur, die er für seine unternehmerischen Zwecke nutzen kann, z.B. um darauf eigene Software laufen zu lassen, eine Website zu errichten oder Daten zu sichern. Die angemietete IT-Infrastruktur besteht allerdings nicht aus physischen, sondern aus „virtuellen Servern“, die sich aber aus Sicht des Anwenders wie ein echter Computer bzw. Internetserver verhalten.5 Die virtuellen Server sind ihrerseits auf physischen Servern untergebracht, die sich in großen Serverzentren befinden, die der Cloud-Anbieter betreibt („Serverfarm“). Das Leistungsentgelt wird i.d.R. nach dem Umfang der in Anspruch genommenen Ressourcen berechnet (z.B. Rechenkapazität und Datenvolumen). Typische Anwendungsfälle sind die Auslagerung besonders aufwendiger Berechnungen auf virtuelle Server und das automatische „Zuschalten“ von virtuellen Mirrorservern, wenn die Website des Kunden durch Anfragen überlastet wird.6 Anbieter von IaaS-Diensten sind z.B. IBM, Microsoft und Cisco.
6.674
„Platform as a Service“ („PaaS“). Die dritte Erscheinungsform des CloudComputing im B2B-Bereich stellt PaaS dar, d.h. die zeitlich begrenzte Bereitstellung von Infrastruktur (Prozessorleistung, Speicherkapazität, Internetanbindung) in Verbindung mit einer vorinstallierten Entwicklungsumgebung. Im Rahmen dieser Entwicklungsumgebung kann der Kunde eigene Software oder komplexe Websites erstellen. Beispiele für PaaSDienste stellen „Amazon Web Services“ von Amazon, „Windows Azure“ von Microsoft und „App Engine“ von Google dar. 2. Verrechnungspreisermittlungen beim Cloud-Computing
6.675
Formen der Dienstleistungen. Sofern die vorstehend beschriebenen Cloud-Computing-Leistungen in der Form SaaS, IaaS oder PaaS zwischen international verbundenen Unternehmen erbracht werden, ergibt sich die 1 2 3 4 5
Vgl. Pinkernell, Ubg 2012, 332. Enterprise Resource Planning Software, wie z.B. SAP Business by Design. Customer Relationship Software, wie z.B. Salesforce.com. Splittgerber/Rockstroh, BB 2011, 2179; Pinkernell, Ubg 2012, 332. Moderne Server-Hardware besitzt enorme Leistungsreserven, so dass auf einem physischen Server dutzende virtuelle Server gleichzeitig und völlig unabhängig voneinander laufen können. Der Anwender bemerkt den Unterschied i.d.R. nicht. 6 Ein bekannter Anbieter ist Amazon Web Services.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
Notwendigkeit, Verrechnungspreise für die Leistungen zu ermitteln. Dies ist zum einen der Fall, wenn sich ein Anbieter von Cloud-Leistungen einer ausländischen Tochtergesellschaft bedient, um die Cloud-Computing-Dienstleistungen gegenüber Endkunden anbieten zu können. In diesem Zusammenhang ist es beispielsweise denkbar, dass das ausländische verbundene Unternehmen eine Serverfarm betreibt, mittels derer die entsprechenden Cloud-Computing-Dienstleistungen gegenüber Endkunden erbracht werden. Zum anderen ist es denkbar, dass die Cloud-Dienstleistungen lediglich konzernintern erbracht und genutzt werden, etwa wenn die Obergesellschaft des Konzerns Rechenleistung und Speicherkapazität zur exklusiven Nutzung durch die in- und ausländischen Tochtergesellschaften bereitstellt (sog. „Private-Cloud“).1 Die Verrechnungspreisermittlung für die vorstehend genannten Fälle wird nachfolgend erläutert. Cloud-Computing Dienstleistungen. Bedient sich ein inländischer Anbieter von Cloud-Computing-Dienstleistungen eines ausländischen verbundenen Unternehmens, sind Verrechnungspreise für die von diesem erbrachten Leistungen zu ermitteln. Häufig handelt es sich bei den Leistungen um die Bereitstellung von Serverkapazität. Insoweit besteht eine Parallele zu dem im Rahmen des Online-Handels beschriebenen „ServiceProvider-Model“, bei dem eine ausländische e-Commerce Vertriebsgesellschaft als Dienstleister in die Verkaufsabwicklung eingeschaltet wird (Rz. 6.630 ff.). Indessen beziehen sich die Dienstleistungen im Bereich des Cloud-Computing lediglich auf die Bereitstellung von Serverkapazitäten und nicht auf weitere Funktionen wie die Auftragsannahme und -bearbeitung sowie die Zahlungsabwicklung, die das „Service-Provider-Model“ kennzeichnen.
6.676
Vorrangige Anwendung der Preisvergleichsmethode. Die Verrechnungspreise für die Cloud-Computing-Dienstleistungen der ausländischen Tochtergesellschaft sind vorrangig nach der Preisvergleichsmethode zu bestimmen.2 Da es sich bei den Leistungen ausschließlich um die Bereitstellung von Serverkapazität handelt, welche auch von fremden Dritten (d.h. Hostern von dedizierten Servern) angeboten wird, wird es häufig möglich sein, Fremdpreise für diese Leistungen zu ermitteln. Dabei ist darauf zu achten, dass die Fremdpreise sich auf vergleichbare Leistungen beziehen. Insoweit sind Vertragsbestandteile wie zugesicherter Speicherplatz, Anbindung der Server, Verfügbarkeit, Skalierbarkeit etc. im Einzelnen zu prüfen. Sofern keine Fremdpreise ermittelt werden können, da die innerkonzernliche Leistung nicht von fremden Dritten angeboten wird, kann die Verrechnungspreisermittlung nach der Kostenaufschlagsmethode erfolgen.3 Dabei sind die durch die Leistungserbringung veranlassten Vollkosten (Plan- oder Istkosten) zu ermitteln und um einen angemessenen Gewinnaufschlag zu erhöhen (Rz. 5.39). Die Ermittlung des
6.677
1 Vgl. Welsch/Kinsky/Ronau/Klitgaard, TNI, October 2011, 148. 2 Vgl. nur § 1 Abs. 3 Satz 1 f. AStG. 3 Vgl. Pinkernell, Ubg 2012, 337.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Gewinnaufschlags erfolgt i.d.R. anhand eines Vergleichs mit Gewinnaufschlägen unabhängiger Gesellschaften, die vergleichbare Leistungen erbringen. Zur Identifikation der Vergleichsunternehmen wird in der Praxis üblicherweise eine Recherche in einer Unternehmensdatenbank (z.B. Amadeus) durchgeführt, in der die Gewinn- und Verlustrechnungen zahlreicher Unternehmen hinterlegt sind. Die Finanzverwaltung geht bei Dienstleistungen i.d.R. von einem Gewinnaufschlag zwischen 5 % und 10 % aus.1
6.678
Private-Cloud. Werden die Cloud-Computing-Dienstleistungen von der Konzernobergesellschaft ausschließlich konzernintern erbracht (sog. „Private-Cloud“), ist zunächst zu prüfen, ob die Dienstleistungen dem Grunde nach verrechenbar sind. Eine Verrechnung der Cloud-ComputingDienstleistungen kommt nur in Betracht, wenn ein Dienstleistungsaustausch im betrieblichen Bereich vorliegt und damit eine schuldrechtliche Beziehung zwischen der Konzernobergesellschaft und den leistungsempfangenden verbundenen Unternehmen besteht. Dazu ist zu prüfen, ob die Cloud-Computing-Leistungen bei den verbundenen Unternehmen einen Nutzen oder Vorteil entstehen lassen bzw. ob dieser zum Zeitpunkt der Leistungserbringung zu erwarten ist.2 Die Verrechnung eines Entgelts scheidet dagegen aus, wenn die Leistung ihre Grundlage in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen der beteiligten Unternehmen findet (Rz. 6.117 ff.).
6.679
Verrechenbarkeit der Bereitstellung einer Private-Cloud. Bei der Bereitstellung einer „Private-Cloud“ ist davon auszugehen, dass diese bei dem leistungsempfangenden verbundenen Unternehmen einen Nutzen entstehen lässt. Denn auch ein fremder Dritter in Form eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters wäre dazu bereit, ein Entgelt für die Nutzung von Serverkapazitäten zu zahlen. Folglich ist die Bereitstellung einer „Private-Cloud“ dem Grunde nach verrechenbar. Bei der Verrechnung ist zu berücksichtigen, dass i.d.R. auch die Konzernobergesellschaft einen Nutzen aus der Private-Cloud erhält. Denn es ist davon auszugehen, dass die bereitgestellten Leistungen auch von Mitarbeitern der Konzernobergesellschaft abgerufen werden.
6.680
Verrechnungspreise bei „Private-Cloud“. Da es sich bei der Bereitstellung einer „Private-Cloud“ um eine dem Grunde nach verrechenbare Leistung handelt, ist die Frage der Verrechnung der Höhe nach zu klären. In diesem Zusammenhang ist zwischen den folgenden Abrechnungsformen zu unterscheiden (Rz. 6.141 ff.): 1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 - VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122, Rz. 1.7; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150. Das EU Joint Transfer Pricing Forum geht im Rahmen von konzerninternen Dienstleistungen von einem Gewinnaufschlag i.H.v. 3–10 % aus, wobei die Gewinnaufschläge „oft bei 5 %“ liegen, vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Report v. 4.2.2010, Rz. 63. 2 „Benefit-Test“ nach Tz. 7.6 OECD-Leitlinien 2010.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
– Einzelabrechnung der Dienstleistung; – Abrechnung auf Basis einer Leistungsumlage. Bei der Einzelabrechnung wird für jede einzelne Dienstleistung ein separates Entgelt verrechnet. Dabei kommen in der Verrechnungspreispraxis zur Ermittlung der Vergütung i.d.R. die klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (Preisvergleichsmethode, Wiederverkaufspreismethode und Kostenaufschlagsmethode) zur Anwendung. Bei der Leistungsumlage wird der Verrechnungspreis demgegenüber pauschal durch Umlage der im Zusammenhang mit den Cloud-Computing-Dienstleistungen entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags mit Hilfe eines sachgerechten Schlüssels bestimmt (modifizierte Kostenaufschlagsmethode; vgl. hierzu bereits Rz. 6.661). Abrechnung auf der Grundlage von Leistungseinheiten. Die Cloud-Computing-Leistungen kommerzieller Anbieter (z.B. SAP, Microsoft, Amazon) sind dadurch gekennzeichnet, dass die Abrechnung gegenüber den Endkunden auf der Basis klar bezeichneter Leistungseinheiten erfolgt, die auf Grund der Vernetzung der IT-Infrastrukturen einfach und zeitnah ermittelt werden können (z.B. Nutzerlizenzen, in Anspruch genommene Rechenkapazität, Zeiteinheiten etc.). Die im Rahmen einer „Private-Cloud“ erbrachten konzerninternen Dienstleistungen sollten daher ebenfalls auf Basis einzelner Leistungseinheiten bestimmt werden (Einzelabrechnung).
6.681
Verrechnungspreismethoden. Sofern die im Rahmen einer Private-Cloud erbrachten Leistungen mit den Leistungen kommerzieller Anbieter vergleichbar sind, sind die Verrechnungspreise für die konzernintern erbrachten Leistungen unter Bezugnahme auf die Preise anzusetzen, die von den kommerziellen Anbietern für die einzelnen Leistungseinheiten berechnet werden (Anwendung der Preisvergleichsmethode). Sollten demgegenüber keine Fremdpreise für die im Rahmen der Bereitstellung der PrivateCloud erbrachten Dienstleistungen ermittelt werden können, sind die Verrechnungspreise nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln. Die Kostenbasis ermittelt sich dabei aus den durch die Bereitstellung der Private-Cloud bei der Konzernobergesellschaft veranlassten Vollkosten (Plan- oder Istkosten). Die Kostenbasis ist um den Kostenanteil zu kürzen, der die Nutzung der Private-Cloud durch Mitarbeiter der Konzernobergesellschaft betrifft. Hinsichtlich des Gewinnaufschlags geht die Finanzverwaltung bei Dienstleistungen von einem Aufschlagssatz zwischen 5 % und 10 % aus.1 Bei der Bestimmung eines Aufschlagssatzes ist zu berücksichtigen,
6.682
1 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 3.1.2.; v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.7; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150. Das EU Joint Transfer Pricing Forum geht im Rahmen von konzerninternen Dienstleistungen von einem Gewinnaufschlag i.H.v. 3–10 % aus, wobei die Gewinnaufschläge „oft bei 5 %“ liegen, vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Report v. 4.2.2010, Rz. 63.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
dass es sich bei den Cloud-Computing-Leistungen um keine erfolgskritischen Leistungen, sondern um „Standardleistungen“ im Bereich des IT handelt. Vor diesem Hintergrund kann eine Orientierung am unteren Rand der genannten Bandbreite erfolgen.
VI. Global-Trading 1. Begriff und Strukturen des Global-Trading
6.683
Definition des „Global-Trading“. Unter „Global-Trading“ wird der elektronisch gestützte weltweite Handel von Finanzprodukten durch Finanzdienstleistungsunternehmen und Banken im Auftrag ihrer Kunden verstanden.1 Mitunter sind auch multinationale Konzerne in ähnlicher Weise wie Banken im „Global-Trading“ involviert.2 Der Handel wird dabei jeweils durch verbundene Unternehmen oder Betriebsstätten in den einzelnen Ländern durchgeführt. Zu den Aktivitäten des „Global-Trading“ gehören neben der weltweiten Vermarktung von Finanzprodukten insbesondere die Tätigkeiten eines sog. „Market-Makers“ bzw. eines „Brokers“ an Wertpapier- oder Rohstoffbörsen.3
6.684
Grundmodelle des „Global-Trading“. Im Bereich des „Global-Trading“ haben sich zahlreiche Strukturen etabliert, welche sich auf die folgenden drei Grundmodelle zurückführen lassen: – Integrierter Handel („Integrated-Trading“): Beim integrierten Handel sind in den regionalen Handelszentren Händler tätig, die ein Portfolio verschiedener Positionen (sog. „Buch“) verwalten. Bei Handelsschluss kann die Zuständigkeit für das Buch an den nächsten Standort weitergegeben werden, bei dem die offenen Positionen den Ausgangspunkt für den weiteren Handel bilden.4 Möglich ist daneben der gleichzeitige Handel an verschiedenen Orten aus einem Buch. Dies ist nicht zuletzt deshalb praktikabel, weil sich die Öffnungszeiten der Märkte teilweise überschneiden.5 – Handel mit zentralisierter Produktverwaltung („Centralised-ProductManagement“): In Abgrenzung zum integrierten Handel zeichnet sich der Handel mit zentralisierter Produktverwaltung dadurch aus, dass die Marktrisiken zentral verwalteter Produkte am Standort der Verwaltung gebündelt werden. Da sich die Verkaufsbemühungen nicht auf den Standort der Produktverwaltung begrenzen werden, wird regelmäßig durch spiegelbildliche Geschäfte (sog. „Back-to-back“-Transaktionen) des Händlers mit der Zentrale sichergestellt, dass das Marktrisiko einzig beim Standort der zentralen Produktverwaltung verbleibt.6 1 2 3 4 5 6
Vgl. Rz. 7, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Kaminski/Strunk in F/W/B/S, § 1 AStG Anhang 1 Rz. 2193. Vgl. Rz. 7, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 27, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Häuselmann, IStR 2003, 139 ff. Vgl. Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. K 162.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
– Handel eigenständiger Konzerneinheiten („Separate-Enterprise-Trading“): Beim Handel eigenständiger Konzerneinheiten werden die einzelnen Handelsstandorte als selbstständige „Profitcenter“ tätig, die mit einer eigenen Buchführung ausgestattet sind. Das bedeutet, dass jedes „Profitcenter“ eine eigene Handelsstrategie verfolgen und auch mit anderen verbundenen Unternehmungen Geschäfte abschließen kann.1 Regelmäßig werden allerdings von zentraler Stelle bestimmte Handelsgrenzen festgesetzt.2 In der Praxis sind vielfältige Strukturen im Bereich des Global-Trading anzutreffen, die sich zumeist als Kombination der drei vorgestellten Grundstrukturen darstellen. Denkbar sind auch flexible Übergänge zwischen den Grundmodellen, welche sich über die Zeit hinweg entwickeln.3 2. Funktions- und Risikoanalyse Unterschiede in Abhängigkeit von dem Geschäftsmodell. Bei der Funktions- und Risikoanalyse ist zu beachten, dass die ausgeübten Funktionen im Bereich des Global-Trading unabhängig von der gewählten Struktur („Integrated-Trading“, „Centralised-Product-Management“ oder „Separate-Enterprise-Trading“) weitgehend identisch sind. Lediglich die Verteilung und Ausprägung der Funktionen unterscheidet sich in Abhängigkeit von der gewählten Struktur. Dagegen sind die übernommenen Risiken beim Global-Trading in höherem Maße vom gewählten Geschäftsmodell bestimmt. Allerdings lassen sich auch hier charakteristische Risiken feststellen, die sich regelmäßig bei allen Global-Trading-Aktivitäten finden. Nachfolgend werden die typischen Funktions- und Risikoprofile im Einzelnen dargestellt.
6.685
Funktionen. Im Bereich des „Global-Trading“ werden folgende Funktionen ausgeübt: – Verkaufs- und Vermarktungsfunktionen („Sales and Marketing Functions“): Die Verkaufs- und Vermarktungsfunktionen beinhalten in erster Linie die Kundenakquisition, die Kontaktpflege sowie das Durchführen von Vertragsabschlüssen zu vorgegebenen Konditionen.4 Im Gegensatz zu den Händlern („Trader“) ist es den Beschäftigten im Verkaufs- und Vermarktungsbereich („Marketer“) regelmäßig nicht gestattet, eigenständig Preise festzusetzen und Produkte zu handeln.5 Je nach Geschäftsmodell nehmen die Verkaufs- und Vermarktungsfunktionen einen unterschiedlichen Stellenwert ein. Regelmäßig handelt es sich bei den genannten Funktionen aber um die Schlüsselfunktionen.6
6.686
1 2 3 4 5 6
Vgl. Rz. 32, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. K 162. Vgl. Rz. 36, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Häuselmann, IStR 2003, 139 ff. Vgl. Rz. 41, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. K 163.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– Handels- und Managementfunktion („Trading and Day-to-Day Risk Management Function“): Die Handels- und Managementfunktion hat alle Tätigkeiten des Handels mit Finanzprodukten sowie das Risikomanagement zum Gegenstand.1 Dies beinhaltet zunächst Vertragsabschlüsse, bei denen die Händler („Trader“) im Gegensatz zu den Verkäufern die Konditionen in den Grenzen bestimmter Positionslimite eigenständig festsetzen dürfen.2 Andererseits sind damit auch die Tätigkeiten im Hinblick auf das Management des Marktrisikos gemeint. Dabei handelt es sich in erster Linie um Maßnahmen zur Absicherung von Transaktionen („Hedging“).3 Handel und Risikomanagement können von derselben Person ausgeführt werden. Häufig werden die beiden Tätigkeiten aber getrennt voneinander wahrgenommen, z.B. auf Grund aufsichtsrechtlicher Vorgaben.4 Dies kann zur Folge haben, dass die genannten Funktionen auch an unterschiedlichen Standorten ausgeführt werden. Insoweit wird zwischen dem „Integrated-Trading-Model“ (jedes Unternehmen übernimmt eigene Handelsaufgaben und es erfolgt eine Zusammenarbeit), dem „Centralised-Product-Management-Model“ (Handel mit zentralisierter Produktverwaltung) und dem „Separate-Enterprise-Model“ (jedes Unternehmen übernimmt eigene Handelsaufgaben und die Leistungsbeziehungen beschränken sich auf Dienstleistungen, z.B. Hedging) unterschieden (Rz. 6.684). Die Handels- und Managementfunktionen stellen regelmäßig die Kerntätigkeit im Bereich des Global-Trading dar.5 – Überwachung der Liquidität des Unternehmens („Treasury“): Bei der Liquiditätsüberwachung im Zusammenhang mit Global-Trading bestehen keine wesentlichen Unterschiede zur allgemeinen Ausprägung dieser Funktion bei Finanzdienstleistungsinstituten.6 Im Kern geht es darum, ausreichend finanzielle Mittel zur Begleichung der Verbindlichkeiten bereitzustellen und dabei finanzielle Überschüsse profitabel anzulegen.7 Je nach organisatorischer Stellung (z.B. als eigenständiges Profitcenter) ist dem Treasury-Bereich ein unterschiedliches Maß an Risiken zugeordnet. Auch wenn die Liquiditätssicherstellung eine wichtige Aufgabe darstellt, handelt es sich dabei nicht um eine Kernfunktion des Global-Trading. – Unterstützende Funktionen („Support“): Bei den unterstützenden Funktionen handelt es sich insbesondere um die Bereiche der IT, der Systementwicklung, der Kreditabteilung sowie Controlling.8 Traditionell als klassische Back-Office-Funktionen bezeichnet, haben einige 1 2 3 4 5
Vgl. Rz. 49 ff., Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Häuselmann, IStR 2003, 139 ff. (139). Vgl. Rz. 55f., Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 49, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. K 163; Nientimp/Roeder, ITPJ 2005, 306 ff. (309). 6 Vgl. Rz. 60, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 7 Vgl. Rz. 60, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 8 Vgl. Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. K 162.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
dieser Tätigkeiten innerhalb der Organisation einen solchen Stellenwert erreicht, dass sie als Middle-Office-Funktionen bezeichnet werden.1 Allerdings handelt es sich bei den Unterstützungsfunktionen nicht um die Schlüsselfunktionen im Rahmen des Global-Trading. Risiken. Beim Global-Trading werden im Wesentlichen die folgenden Risikogruppen unterschieden: – Kreditausfallrisiko („Credit-Risk“): Das Kreditausfallrisiko zählt zu einem der bedeutendsten Risiken des traditionellen Bankgeschäfts, insbesondere im Zusammenhang mit der Kreditvergabe.2 Das Kreditausfallrisiko wird regelmäßig von demjenigen übernommen, der die Transaktion mit dem Kunden ausführt. Es ist aber auch denkbar, dass spezielle „Middle-Office“-Funktionen für die Übernahme und das Management des Kreditausfallrisikos zuständig sind.3 – Marktrisiko („Market-Risk“): Als Marktrisiko bezeichnet man die Schwankungen der Marktparameter, denen der Wert der im Rahmen des „Global-Trading“ gehaltenen Positionen ausgesetzt ist.4 Bei diesen Marktparametern handelt es sich typischerweise um Marktzinssätze, Rohstoffpreise, Wechsel- und Aktienkurse. Marktrisiken zählen im Bereich des Global-Trading zu der bedeutendsten Risikogruppe, da sie allen gehandelten Finanzinstrumenten innewohnen. Die Handels- und Managementfunktion übernimmt zumeist das Marktrisiko beim Eingehen der Transaktion und führt entsprechende Maßnahmen zum Risikomanagement, wie z.B. das Abschließen entsprechender HedgingTransaktionen, durch.5 – Operationale Risiken („Operational-Risks“): Bei den operationalen Risiken handelt es sich um Risiken des direkten oder indirekten Verlustes, die aus unzureichenden oder fehlerhaften internen Prozessen, Fehlern von Mitarbeitern, Systemen oder auch externen Effekten resultieren.6 Da diese Risikogruppe im Gegensatz zu den vorgenannten Risikoklassen überwiegend interne Ursachen hat, werden operationale Risiken nicht beim Eingehen von Transaktionen übernommen. Das Management der operationalen Risiken wird meist durch interne Systeme und Prozesse sichergestellt. Auf Grund ihrer Natur ist es schwierig, operationale Risiken zu quantifizieren und bestimmten Funktionen zuzuweisen.7 – Sonstige Risiken („Other-Risks“): Neben den genannten Risikogruppen gibt es noch eine Reihe sonstiger Risiken, denen Finanzdienstleistungsunternehmen im Rahmen des „Global-Trading“ ausgesetzt sein können. Neben dem allgemeinen Geschäftsrisiko und rechtlichen Risiken 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Rz. Vgl. Rz. Vgl. Rz. Vgl. Rz. Vgl. Rz. Vgl. Rz. Vgl. Rz.
66, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 93, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 96, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 97, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 99, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 101, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 103, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010.
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6.687
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
in Bezug auf die gehandelten Finanzinstrumente sind hier auch Risiken im Zusammenhang mit der Produktentwicklung und den IT-Systemen zu nennen.1 Ferner zählen Risiken aus unbeglichenen Fremdwährungsgeschäften sowie Zahlungs- und Lieferrisiken zu dieser Kategorie.2 Im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse ist genau zu prüfen, welche dieser sonstigen Risiken im Rahmen des Global-Trading übernommen werden und welcher Funktion sie zugeordnet werden können. 3. Verrechnungspreisermittlung beim Global-Trading
6.688
Gewinnaufteilung. Der im Rahmen des Global-Trading erzielte Gewinn ist nach fremdüblichen Kriterien auf die einzelnen am Handel beteiligten Konzerngesellschaften aufzuteilen. Im Rahmen der Aufteilung ist zu beachten, dass es sich beim „Global-Trading“ um einen im hohen Maße integrierten Prozess handelt, im Rahmen dessen verschiedene Funktionen durch die beteiligten Gesellschaften ausgeübt werden. Den Ausgangspunkt der Verrechnungspreisermittlung im Bereich des Global-Trading bildet daher stets eine Analyse der von den beteiligten Konzerngesellschaften ausgeübten Funktionen und getragenen Risiken (Rz. 6.685 ff.). Nachfolgend wird die Anwendbarkeit der Verrechnungspreismethoden auf die Funktionen des Global-Trading im Einzelnen dargestellt.
6.689
Unterstützende Funktionen. Für die unterstützenden Middle- und BackOffice-Funktionen des Global-Trading (Rz. 6.686) wird es – weitgehend unabhängig vom gewählten Geschäftsmodell – regelmäßig möglich sein, Verrechnungspreise mithilfe der klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung zu bestimmen. Denn bei diesen Funktionen des Global-Trading handelt es sich i.d.R. um Routinefunktionen, welche meist ohne Weiteres separat betrachtet werden können.3 Zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für diese Leistungen können i.d.R. die Kostenaufschlagsmethode oder – soweit Fremdpreise ermittelt werden können – die Preisvergleichsmethode zur Anwendung kommen.4 Die Preisvergleichsmethode ist vorzuziehen, sofern es sich bei den zu verrechnenden Leistungen um solche handelt, die auch gegenüber fremden Dritten erbracht werden.5
6.690
Verkaufs- und Vermarktungsfunktionen. Die Verkaufs- und Vermarktungsfunktionen beinhalten Tätigkeiten der Kundenakquisition, der Kontaktpflege sowie des Abschlusses von Verträgen (Rz. 6.686). Sofern diese Funktionen zentral von einer Konzerngesellschaft ausgeübt werden, sind Verrechnungspreise für die entsprechenden Leistungen zu ermitteln. Die Verrechnungspreise können nach der Preisvergleichsmethode ermittelt 1 2 3 4
Vgl. Rz. 104 f., Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 104 f., Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Nientimp/Roeder, ITPJ 2005, 306 (309). Vgl. Rz. 143 f., Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010; Nientimp/Roeder, ITPJ 2005, 306 (309). 5 Vgl. Rz. 143, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
werden, wenn Provisionen für entsprechende Verkaufs- und Vermarktungsaktivitäten fremder Dritter bekannt sind.1 Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass es sich um Provisionen auf derselben Marktstufe handelt. Die OECD schlägt zudem die Anwendung einer Form der Wiederverkaufspreismethode zur Ermittlung einer angemessenen Bruttomarge für die Verkaufs- und Vermarktungsaktivitäten einzelner Konzerngesellschaften vor. Dabei soll auf die Differenz zwischen dem Preis, zu dem ein Händler („Trader“) eine Transaktion abschließt, und dem von dem Verkäufer („Marketer“) erzielten Preis abgestellt werden.2 Es ist sicherzustellen, dass die so ermittelte Differenz die von dem Trader bzw. Marketer ausgeübten Funktionen und getragenen Risiken angemessen widerspiegelt. Die Kostenaufschlagsmethode ist nicht zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für die Verkaufs- und Vermarktungsaktivitäten einzelner Konzerngesellschaften anwendbar, da es sich insoweit nicht um Routinefunktionen handelt. Dagegen kann die Vergütung der Verkaufs- und Vermarktungsfunktion auch nach der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split-Method) ermittelt werden (Rz. 6.694). Separate-Enterprise-Model. Die Handels- und Managementfunktion stellt regelmäßig die Kerntätigkeit im Bereich des Global-Trading dar.3 Bei der Verrechnungspreisermittlung ist danach zu unterscheiden, nach welchem Modell der Handel strukturiert ist. Sofern die Handelsfunktion in der Form des „Separate-Enterprise-Model“ organisiert ist, bei der jedes Unternehmen eigene Handelsaufgaben übernimmt, beschränken sich die Leistungsbeziehungen auf Dienstleistungen, wie z.B. Hedging. Die Verrechnungspreise für diese Dienstleistungen können i.d.R. nach den klassischen Methoden ermittelt werden. Sofern es sich um Dienstleistungen handelt, die auch von fremdem Dritten am Markt angeboten werden, ist dabei vorrangig die Preisvergleichsmethode anzuwenden. Alternativ sind die Verrechnungspreise anhand der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln.
6.691
Centralised-Product-Management-Model. Wird die Handelstätigkeit in der Form des „Centralised-Product-Management-Model“ ausgeübt, so ergibt sich der Gewinn des entsprechenden Unternehmens i.d.R. aus Transaktionen mit fremden Dritten (Handelspartnern). In diesem Fall beschränken sich die Leistungsbeziehungen mit verbundenen Unternehmen auf Dienstleistungen.4 Die Verrechnungspreise für diese Dienstleistungen können ebenfalls nach den klassischen Methoden ermittelt werden.
6.692
1 Vgl. Verdoner, ITPJ 2005, 285; Rz. 129, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 2 Vgl. Rz. 127, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010; vgl. auch Verdoner, ITPJ 2005, 285. 3 Vgl. Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. K 163; Nientimp/Roeder, ITPJ 2005, 306 (309); Verdoner, ITPJ 2005, 285. 4 Vgl. Rz. 139, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.693
Integrated-Trading-Model. Im Fall des „Integrated-Trading-Model“ erfolgt im Gegensatz zu den beiden vorgenannten Modellen des „Separate-Enterprise-Trading“ und des „Centralised-Product-Management“ eine intensive Zusammenarbeit der einzelnen Unternehmen, welche jeweils über eigene Handelsabteilungen verfügen. Da eine derartige Zusammenarbeit zwischen unabhängigen Unternehmen i.d.R. nicht stattfindet, können die klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung nicht zur Aufteilung des im Rahmen des integrierten Handels erwirtschafteten Gewinns herangezogen werden. In diesem Fall ist die Anwendung der gewinnorientierten Methoden zu prüfen. Eine Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) scheidet dabei i.d.R. auf Grund der hohen Komplexität der Vorgänge beim Global-Trading sowie der Unsicherheiten im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Verhältnisse aus.1 Vielmehr ist der im Rahmen des „Integrated-Trading-Model“ aus den gemeinsam erbrachten Handelstätigkeiten erzielte Gewinn nach der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split-Method) auf die beteiligten Konzerngesellschaften aufzuteilen.2
6.694
Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode ist den am Global-Trading beteiligten verbundenen Unternehmen in einem ersten Schritt eine Grundvergütung für die von ihnen ausgeübten Routinefunktionen zuzuweisen (z.B. die durch das Back- oder Middle-Office ausgeübte Liquiditätsüberwachung oder das Controlling).3 Die Ermittlung der Grundvergütung kann auf Basis der klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode erfolgen.4 In der Praxis erfolgt die Ermittlung der Grundvergütungen für die durch das Back- oder Middle-Office ausgeübten Funktionen häufig auf Basis der Kostenaufschlagsmethode. Dies ist insofern sachgerecht, als es sich bei den entsprechenden Tätigkeiten des Back- oder Middle-Office um unterstützende Dienstleistungen handelt, die auch bei fremden Dritten in Auftrag gegeben werden können. Im Anschluss an die Ermittlung der Grundvergütungen ist der Restgewinn, der nach Abzug der Grundvergütungen von dem im Rahmen des „Integrated-Trading“ erzielten Gesamtgewinn verbleibt, anhand eines geeigneten Aufteilungsschlüssels auf die beteiligten Konzerngesellschaften aufzuteilen. Da der Restgewinn i.d.R. auf mehrere Funktionen zu verteilen ist, die zu dem Erfolg der Handelstätigkeiten beitragen (z.B. Trading, 1 Vgl. Rz. 173, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 2 Vgl. Rz. 170, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010 („particularly applicable“). Im Folgenden wird der in der Praxis verbreitete Residual Profit Split dargestellt. Nachrangig kann auch eine Aufteilung des Gewinns nach der sog. „Contribution Profit Split Analysis“ erfolgen, vgl. Rz. 172, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 3 Vgl. Tz. 2.116 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. auch Rz. 178 f., Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010, wonach bestimmte herausragende „support functions“ nicht. 4 Vgl. Tz. 2.121 OECD-Leitlinien 2010.
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G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business
Risk-Management, Structuring), sollten mehrere Aufteilungschlüssel ausgewählt werden (sog. „Multi-Factor-Formula“).1 Bei der Auswahl der einzelnen Aufteilungsschlüssel ist darauf zu achten, dass sie durch den Steuerpflichtigen nicht manipuliert werden können und dass ihre zugrunde liegenden Faktoren klar und einfach ermittelt werden können.2 In der Praxis kommen im Bereich des Global-Trading häufig Aufteilungsschlüssel zur Anwendung, die auf der Vergütung der mit den Kernfunktionen betrauten Mitarbeiter (Trader und Marketer), auf der Anzahl der durchgeführten Transaktionen sowie auf dem durch die einzelnen Konzerngesellschaften abgewickelten Handelsvolumen beruhen.3 Die OECD weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die einzelnen Faktoren zu gewichten sind, falls die Kernfunktionen in unterschiedlichem Maße zu dem Restgewinn beitragen.4
1 2 3 4
Vgl. Rz. 184, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Häuselmann, IStR 2003, 144. Vgl. Verdoner, ITPJ 2005, 282. Vgl. Rz. 184, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen Literatur Andresen, Grundsätzliche Grundfreiheitskompatibilität des § 1 AStG definiert gleichzeitig Freiräume des BFH, dessen Grundfreiheitswidrigkeit über § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG hinaus festzustellen, IStR 2010, 289; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik gegenüber ausländischen Lohnfertigern, in Kleineidam (Hrsg.), Unternehmenspolitik und internationale Besteuerung, Festschrift für Lutz Fischer, Berlin 1999, 487; Baumhoff, Eigenproduzent vs. Lohnfertiger – Qualifikation ausländischer Produktionsstätten für Zwecke der steuerlichen Verrechnungspreisplanung, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Köln 2000, 53; Baumhoff, Die steuerliche Bewertung von Transferpaketen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, 541; Baumhoff, Praxisprobleme bei der Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, WPg 2012, 396; Baumhoff/Bodenmüller, Die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 541; Baumhoff/Ditz/ Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Ditz/ Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, DStR 2007, 1649; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.2008, IStR 2008, 1945; Baumhoff/ Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach den Änderungen des § 1 Abs. 3 AStG durch das EU-Umsetzungsgesetz, DStR 2010, 1309; Baumhoff/ Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerung nach den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, Ubg 2011, 161; Baumhoff/ Greinert, Angemessene Lizenzsätze bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, Ubg 2009, 544; Baumhoff/Puls, Der OECD-Diskussionsentwurf zu Verrechnungspreisaspekten von „Business Restructurings“ – Analyse und erster Vergleich mit den deutschen Funktionsverlagerungsregeln nach § 1 Abs. 3 AStG, IStR 2009, 73; Bernhardt/van der Ham/Kluge, Die Expansion deutscher Unternehmen ins Ausland: Steuerliche Implikationen der Gründung von Vertriebsgesellschaften – Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen im Fall von „Vertriebsabspaltungen“, IStR 2008, 1; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, Düsseldorf 2004; Bohr, Die Transferpaket(be)rechnung – die Quadratur des Kreises, IWB 2008, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2285; Borstell, Verrechnungspreispolitik bei konzerninternen Lieferungsbeziehungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 519; Borstell/Schäperclaus, Was ist eigentlich eine Funktion?, IStR 2008, 275; Brüninghaus/Bodenmüller, Tatbestandsvoraussetzungen der Funktionsverlagerung, DStR 2009, 1285; Crüger/Wintzer, Funktionsverlagerungen ins Ausland – Aktuelle Neuerungen durch die Unternehmenssteuerreform 2008 und Gestaltungshinweise, GmbHR 2008, 306; Ditz, Übertragung von Geschäftschancen bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DStR 2006, 1625; Ditz, Praxisfall einer Verrechnungspreisprüfung und Funktionsverlagerung, IStR 2009, 421; Ditz, Praxisfall einer Funktionsverlagerung unter besonderer Berücksichtigung der VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, IStR 2011, 125; Ditz/Just, Besteuerung einer Produktionsverlagerung nach der Funktionsverlagerungsverordnung – Praxisfall, DB 2009, 141; Ditz/ Liebchen, Bewertung von Transferpaketen im Rahmen von Funktionsverlagerungen, DB 2012, 1469; Eigelshoven/Nientimp, Funktionsverlagerungen und kein
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen Ende – Die Änderungen bei der Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach dem EU-Umsetzungsgesetz, Ubg 2010, 233; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, Herne/Berlin 2003; Endres, Reiches Ausland – Armes Inland: Steuerliche Effekte bei einer Funktionsverlagerung ins Ausland, RIW 2003, 729; Förster, Die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 3 AStG – Vergleich mit den aktualisierten Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, IStR 2011, 20; Freudenberg/Ludwig, Chancen für Gestaltungen aufgrund der geänderten Vorschriften zur Funktionsverlagerung, BB 2010, 1268; Freudenberg/Peters, Steuerliche Allokation von Restrukturierungsaufwendungen im Kontext von Funktionsverlagerungen, BB 2008, 1424; Frischmuth, Die Konzeption der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach dem UntStRefG 2008, StuB 2007, 386; Frischmuth, Funktionsverdoppelungen im Visier des deutschen Fiskus – Quo vadis?, IWB 2007, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2253; Frischmuth, Schuldrechtliche und bilanzielle Aspekte sowie Preisanpassungen bei Funktionsverlagerungen nach dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008, StuB 2007, 459; Frischmuth, Wann genau liegt eine Funktionsverlagerung nach der FVerlV vor?, StuB 2008, 864; Frischmuth, Austausch von Funktionen im Konzern und Bewertung von Transferpaketen, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, Köln 2010, 73; Frotscher, Grundfragen der Funktionsverlagerung, FR 2008, 49; Fuhrmann, Die Funktionsverlagerungsverordnung, KÖSDI 2008, 16188; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, in Schaumburg/Rödder (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008, Köln 2007, 541; Greinert, Maßgebende Überschussgröße zur Bewertung eines Transferpakets bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, DB 2009, 755; Greinert, Steuerliche Besonderheiten bei der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter im Rahmen von grenzüberschreitenden Transaktionen im Konzern, Ubg 2010, 101; Greinert/Reichl, Einfluss von Besteuerungseffekten auf die Verrechnungspreisermittlung bei Funktionsverlagerungen, DB 2011, 1182; Greinert/Thiele, Steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen vor 2008, DStR 2011, 1197; Haas, Funktionsverlagerungen nach dem Erlass der Funktionsverlagerungsverordnung, Ubg 2008, 517; Haas, Funktionsverlagerung: Verhältnis zu DBAs, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, 715; Hornig, Die Funktionsverlagerung ab 2008 aus internationaler Sicht, PIStB 2008, 45; Jahndorf, Besteuerung der Funktionsverlagerungen, FR 2008, 101; Jenzen, Internationale Funktionsverlagerungen – Die Besteuerung von Gewinnpotentialen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen im Konzern, NWB 2007, Fach 2, 9419; Kahle, Die Ertragbesteuerungen von Funktionsverlagerungen nach der Unternehmensteuerreform 2008, Der Konzern 2007, 647; Kaminski, Änderungen im Bereich der internationalen Einkunftsabgrenzung durch die Unternehmensteuerreform 2008, RIW 2007, 594; Kaminski, Funktionsverlagerungen in das Inland, in Schaumburg/ Piltz (Hrsg.), Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, Köln 2010, 23; Kaminski, Umlagen bei konzerninternen Dienstleistungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 693; Kaminski/Strunk, Funktionsverlagerungen in und von ausländischen Betriebsstätten und Personengesellschaften: Überlegungen zur (Nicht-)Anwendbarkeit der Grundsätze zum sog. Transferpaket, DB 2008, 2501; Kaminski/Strunk, Stellungnahme zum Entwurf der „Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerungen“ des BMF vom 17.7.2009, RIW 2009, 711; Kasperzak/Nestler, Zur Berücksichtigung des Tax Amortization Benefit bei der Fair Value-Ermittlung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS 3, DB 2007, 473; Klapdor, Grundsätze der Verrechnungspreisermittlung nach dem UStRefG, StuW 2008, 83; Knoll, Der Risikozuschlag in der Unternehmensbewertung: Was erscheint plausibel?, DStR 2007, 1053; Kroppen/Nientimp, Absonderlichkeiten bei der Funktionsverlagerung, IWB 2008, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2355; Kroppen/Rasch, Die Funktionsverlagerungsverordnung, IWB 2008, Fach 3 Deutschland, Gruppe 1, 2339; Kroppen/Rasch,
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen Funktionsverlagerung – der nächste Akt, IWB 2010, 316; Kroppen/Rasch, Anmerkungen zu den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, IWB 2010, 824; Kroppen/Rasch/Eigelshoven, Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 und der zu erwartenden Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, IWB 2007, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2201; Looks/Freudenberg, Zukünftige Konfliktfelder zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen als Ergebnis des Entwurfs der Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, BB 2009, 2514; Looks/Scholz, Funktionsverlagerungen nach der Neufassung des § 1 Abs. 3 AStG, BB 2007, 2541; Looks/ Steinert/Müller, Der Fremdvergleichsgrundsatz – Zur Frage der Maßgeblichkeit des § 1 Abs. 3 AStG für andere Berichtigungsvorschriften, BB 2009, 2348; Luckhaupt, Bestimmung von Verrechnungspreisen gemäß den OECD-TPG 2010 und § 1 Abs. 3 AStG, Ubg 2010, 646; Luckhaupt, Fragwürdige Vorgaben der Finanzverwaltung bei der Grenzpreisermittlung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DStR 2012, 1571; Menninger/Wellens, Valuation Standards and the German Restructuring Regulation, TMTR v. 30.6.2011; Naumann, Im Gespräch: Besteuerung von Funktionsverlagerungen, Status: Recht 2007, 203; Naumann, Funktionsverlagerungsverordnung, in Lüdicke (Hrsg.), Besteuerung von Unternehmen im Wandel, Köln 2007, 167; Nestler, Ermittlung von Lizenzentgelten, BB 2008, 2002; Oestreicher, Die (reformbedürftigen) Regelungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in Fällen der Funktionsverlagerung, Ubg 2009, 80; Oestreicher/Hundeshagen, Bewertung von Transferpaketen bei Funktionsverlagerungen, DB 2008, 1637 (Teil I) und 1693 (Teil II); Oestreicher/Hundeshagen, Weder Wirtschaftsgut noch Unternehmen – die Bewertung von Transferpaketen anlässlich der grenzüberschreitenden Verlagerung von Unternehmensfunktionen, IStR 2009, 146; Oestreicher/Wilke, Die Einzelbewertung des Firmenwerts – Verrechnungspreise in Fällen einer Funktionsverlagerung nach dem Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften, Ubg 2010, 225; Pohl, Ergänzung der Funktionsverlagerungsregelung durch das Gesetz zur Umsetzung steuerrechtlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften, IStR 2010, 357; Puls, Funktionsverlagerungsbesteuerung: Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche als „Transferpaket“-Ersatz nach § 8 FVerlV, IStR 2010, 89; Rasch/Schmidtke, Routinefunktionen, Gewinnverlagerungen und das Versagen des hypothetischen Fremdvergleichs, IStR 2009, 92; Raupach/Pohl/Ditz (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, Herne/Berlin 2010; Roeder, Ökonomische Aspekte des hypothetischen Fremdvergleichs, Ubg 2008, 202; Schaumburg, Anpassungsklausel, IStR 2009, 877; Schreiber, Funktionsverlagerungen im Konzern – Neue Rechtsgrundlagen durch die Unternehmensteuerreform 2008, Ubg 2008, 433; Schwenke, Funktionsverlagerung über die Grenze – Verrechnungspreise und Funktionsausgliederung, StbJb. 2007/2008, 137; Schwenke, Funktionsverlagerung: neue Gesetzeslage, in Lüdicke (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, Köln 2008, 115; Strahl, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerung nach der Unternehmensteuerreform 2008, KÖSDI 2008, 15861; Vögele, Bewertung von Transferpaketen bei der Funktionsverlagerung, DStR 2010, 418; Wassermeyer, Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, 535; Wassermeyer, Funktionsverlagerung – Statement, FR 2008, 67; Werra, Verrechnungspreise bei der Restrukturierung internationaler Unternehmensgruppen, IStR 2009, 81; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen 2009: Die steuerliche Behandlung von Verrechnungspreisen, insbesondere bei Funktionsverlagerungen, nach der Unternehmensteuerreform 2008, Baden-Baden 2009; Zech, Funktionsverlagerung auf einen Eigenproduzenten und auf ein Routineunternehmen, IStR 2011, 131.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
A. Gründe für Funktionsverlagerungen 7.1
Beweggründe für Funktionsverlagerungen ins Ausland. Die Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft hat dazu geführt, dass internationale Konzerne ihre organisatorischen Strukturen ständig überprüfen und an aktuelle Entwicklungen anpassen müssen. Die internationale Ausrichtung von Konzernen löst damit häufig organisatorische Umstrukturierungsprozesse aus, im Rahmen derer betriebliche Funktionen (zum Begriff Rz. 7.18) vom Inland an andere (ggf. neue) Standorte im Ausland verlagert werden. Dies betrifft selbst solche Funktionen, die bislang als nicht standortelastisch angesehen wurden, wie z.B. die Produktions- sowie die Forschungs- und Entwicklungsfunktion.1 Die im Rahmen solcher Funktionsverlagerungen verfolgten unternehmerischen Zielsetzungen sind insbesondere die Folgenden:2 – Vorteile durch größere Marktnähe: Eine größere Marktnähe kann sowohl in Bezug auf die Beschaffungs- und Produktionsfunktion als auch im Hinblick auf Vertriebsfunktionen mit betriebswirtschaftlichen Vorteilen verbunden sein. Im Beschaffungs- und Produktionsbereich betrifft dies vor allem die Reduktion von Kosten, z.B. durch die Wahl eines Standortes mit einem großen Angebot an Rohstoffen, Energieträgern oder Arbeitskräften. Im Bereich des Vertriebs werden Funktionsverlagerungen zur Erschließung neuer Absatzmärkte, Erzielung einer größeren Kundennähe, Erreichung eines höheren Bekanntheitsgrades bzw. eines positiven Images sowie zur (länder-)spezifischen Bearbeitung des Absatzmarktes (z.B. im Rahmen einer Produktdifferenzierung) genutzt. – Nutzung von standortbedingten Kostenvorteilen: Standortbezogene Kostenvorteile betreffen z.B. die Reduktion der Arbeitskosten durch Nutzung des internationalen Lohn- und Gehaltsgefälles, die Senkung der Logistikkosten durch die Verkürzung von Transportwegen sowie die Verschlankung der Verwaltung und des Managements. – Nutzung von Skalen- und Synergieeffekten: Die Verlagerung betrieblicher Funktionen geht häufig – insbesondere im Anschluss an Unternehmensakquisitionen und Restrukturierungsprozesse in einem Konzern – mit einer Zentralisierung von Funktionen in einer ausländischen Konzerngesellschaft einher. Diese betrifft vor allem die Zentralisierung von Verwaltungsfunktionen (z.B. im Bereich des Rechnungswesens, des Einkaufs, der EDV, des Personalwesens) sowie die Bereiche der Forschung, der Entwicklung, der Logistik und der Produktion. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund der Zentralisierung von Tei1 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 1 f. 2 Vgl. dazu auch Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 57 ff.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 322; Ebke, REW 2004, 241 ff.; Umfrage des DIHK, Produktionsverlagerung als Element der Globalisierungsstrategie von Unternehmen, Ergebnis einer Unternehmensbefragung, Mai 2003.
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A. Gründe für Funktionsverlagerungen
len der Wertschöpfungskette ist die Erzielung von Synergieeffekten1 durch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und somit die Steigerung der Produktivität und Effizienz. Außerdem können durch die Zentralisierung betrieblicher Funktionen im Ausland Skaleneffekte im Rahmen sog. „Economies of Scale“ (z.B. Produktionssteigerungen durch zunehmende Lerneffekte und sinkende Rüstkosten) sowie sog. „Economies of Scope“ (z.B. Produktivitätssteigerungen durch höhere Auslastungsgrade und geringere Leer- und Stillstandszeiten) realisiert werden.2 – Minderung des unternehmerischen Risikos: Durch die Verteilung betrieblicher Funktionen auf mehrere Standorte kann das unternehmerische Gesamtrisiko gemindert werden. – Nutzung von Vorteilen des ausländischen Rechtssystems: Nach der Funktionsverlagerung unterliegt das ausländische verbundene Unternehmen dem dortigen Rechtssystem. Insoweit können Regelungen des Herkunftslandes (z.B. Deutschland) umgangen und ggf. bestehende günstigere Regelungen des Ziellandes genutzt werden.3 Diese können z.B. das Wettbewerbsrecht (Preisgestaltung, Vertriebssysteme, Werbung), das Patent- und Markenrecht, das Arbeits-, Mitbestimmungsund Betriebsverfassungsrecht, die Unternehmenspublizität bzw. die Rechnungslegungspflichten, Regelungen der Produkt- und Umwelthaftung, die Gestaltung von Allgemeinen Geschäftsbeziehungen (AGB), öffentlich-rechtliche Auflagen (z.B. Genehmigungsverfahren, Umweltund Sicherheitsvorschriften) sowie staatliche Fördermaßnahmen betreffen. Steuerliche Beweggründe. Neben den vorstehend genannten betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Beweggründen spielen im Rahmen der Verlagerung von betrieblichen Funktionen ins Ausland häufig auch steuerliche Motive eine Rolle.4 Die Unternehmen streben dabei diejenige Allokation betrieblicher Funktionen im In- und Ausland an, die zu einer Minimierung der unternehmerischen Gesamtsteuerbelastung führt.5 Steuerplanerisch werden insoweit solche Organisationsstrukturen bevorzugt, bei denen Funktionen mit hohem Gewinnpotential – i.d.R. erfolgsstrategische Funktionen – an steuerlich günstigen Standorten angesiedelt 1 Zum Begriff, den Arten und den Ursachen von Synergieeffekten im Einzelnen vgl. Eisenführ, ZfbF 1971, 467 ff.; Küting, BFuP 1981, 175 ff.; Frese, ZfbF 1995, 945 ff. 2 Vgl. dazu auch Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 385 ff.; Kleineidam in FS Flick, 859 f.; Kleineidam in FS Fischer, 706 f. 3 Zu einem Überblick über relevante Rechtsgebiete, welche die Standortwahl des Vertriebs beeinflussen, vgl. Herring/Frank/Stangl, Absatzwirtschaft 1999, 81. 4 Sogar bei einer Umfrage des DIHK gaben 38 % der befragten Unternehmen die Steuerbelastung als Beweggrund für eine Produktionsverlagerung ins Ausland an, wobei bei kleineren und mittleren Unternehmen die Steuerbelastung sogar als Hauptmotiv genannt wurde. Vgl. DIHK, Produktionsverlagerung als Element der Globalisierungsstrategie von Unternehmen, Ergebnis einer Unternehmensbefragung, Mai 2003. 5 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 3.
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7.2
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
werden, während Funktionen mit geringem Gewinnpotential – i.d.R. sog. „Routinefunktionen“1 – an steuerlich weniger günstigen Standorten unterhalten werden. Die maßgeblichen steuerlichen Entscheidungskriterien im Hinblick auf die Standortwahl sind vor allem – Steuerbelastung der Gewinne (unter Berücksichtigung des Steuertarifs und der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage); – Regelungen zur Verlustberücksichtigung (z.B. Verlustrücktrag und -vortrag); – Abschreibungsmöglichkeiten von Neuinvestitionen; – umfassendes Netz von Doppelbesteuerungsabkommen; – enge Betriebsstättendefinition;2 – Expatriate-Besteuerung; – Regelung zur Vorzugsbesteuerung (sog. „Tax-Holidays“); – steuerliche Sonderregelungen in Form von sog. „Rulings“; – Stetigkeiten und Voraussehbarkeit des Steuerrechts.
B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung I. Unternehmerische Dispositionsfreiheit 7.3
Unternehmerische Dispositionsfreiheit. Grundsätzlich ist jede Konzernleitung bzw. jeder Gesellschafter frei, den organisatorischen Aufbau und die funktionale Untergliederung seiner Unternehmensgruppe nach freiem Ermessen zu gestalten. Entscheidet man sich beispielsweise für einen Produzenten in Irland und eine Vertriebsgesellschaft in Deutschland oder einen Kommissionär in Frankreich, so muss die Finanzverwaltung diese unternehmerische Entscheidung akzeptieren. Dieser sog. Grundsatz der unternehmerischen Dispositionsfreiheit wird auch von der Rspr. des BFH betont. Danach ist es „Sache der Gesellschafter, die Aufgaben einer Kapitalgesellschaft zu bestimmen. Sie können den Aufgabenkreis nach eigenem Ermessen weit oder eng ziehen. Das Steuerrecht muss die Aufgabenzuweisung durch die Gesellschafter im Grundsatz akzeptieren.“3 Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung sind folgerichtig Entscheidungen darüber, ob Funktionen selbst wahrgenommen, bei einem anderen (Konzern-)Unternehmen konzentriert, auf mehrere Unternehmen aufgeteilt werden oder ob ein Subunternehmer beauftragt wird, Gegenstand der un1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. Buchst. a. 2 Zur weiten Auslegung der Definition der Betriebsstätte durch die OECD vgl. allerdings Ditz/Quilitzsch, FR 2012, 493 ff. 3 BFH v. 18.12.1996 – I R 26/95, FR 1997, 386 = BFH/NV 1997, R 232. S. ferner BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, FR 2002, 1077 m. Anm. Fischer = DStR 2002, 1348: „Es obliegt der Entscheidung des Gesellschafters, den Umfang des unternehmerischen Tuns abzustecken.“
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B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung
ternehmerischen Dispositionsfreiheit.1 Die Finanzbehörde hat diese Entscheidungen regelmäßig anzuerkennen, da bei der internationalen Einkünfteabgrenzung der tatsächlich durch den Steuerpflichtigen verwirklichte Sachverhalt2 und nicht ein von der Finanzverwaltung „konstruierter“, d.h. hypothetischer Sachverhalt, der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Fremdübliche Funktionsallokation. Auch die Tatsache, dass die von Steuerpflichtigen gewählte Funktionsallokation im Konzern oder die daraus resultierenden Lieferungen und Leistungen zwischen unabhängigen Dritten nicht vorkommen bzw. unüblich sind, kann nicht dazu führen, dass gruppeninterne Geschäftsbeziehungen dem Grunde nach von den Finanzbehörden nicht anerkannt werden.3 Nicht sachgerecht ist in diesem Zusammenhang die Forderung der Finanzverwaltung, von der gewählten Gestaltung des Steuerpflichtigen dann abzuweichen, wenn fremde Dritte in wirtschaftlich vernünftiger Weise die Vereinbarungen anders getroffen hätten und die tatsächlich gewählte Gestaltung der Finanzbehörde im Ergebnis die Möglichkeit nimmt, einen angemessenen Verrechnungspreis zu bestimmen.4 Denn insoweit wird der Anwendungsbereich der unternehmerischen Dispositionsfreiheit eingeschränkt, ohne dass dafür eine Rechtsgrundlage ersichtlich ist. Vielmehr findet die unternehmerische Dispositionsfreiheit nur in den Fällen eine Grenze, in welchen ein Missbrauch i.S.d. § 42 AO vorliegt.5
7.4
II. Besteuerung von Funktionsverlagerungen ab 2008 – Überblick Gesamtbewertung eines Transferpakets im Fall von Funktionsverlagerungen. Im Zuge des UntStRefG 2008 vom 14.8.20076 hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG erstmals eine Regelung zur Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen getroffen. Konkretisiert wird die Regelung durch die FVerlV vom 12.8.20087 und die VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.2010.8 Eine Funktionsverlagerung liegt demnach vor, wenn ein Unternehmen einem anderen nahe stehenden Unternehmen Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 145. 2 Vgl. auch Tz. 1.48 ff. und 9.163 OECD-Leitlinien 2010. 3 So zutreffend BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 147. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 148. 5 Vgl. Baumhoff in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 77. 6 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 7 Vgl. FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. 8 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774.
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7.5
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird.1 Ist der Tatbestand einer Funktionsverlagerung erfüllt, ist nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG grundsätzlich eine Gesamtbewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Eine Einzelbewertung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, aus denen sich das Transferpaket zusammensetzt, ist nur in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG, § 1 Abs. 6 und 7 FVerlV und § 2 Abs. 2 FVerlV zulässig. Die Ausnahmetatbestände, die eine Einzelbewertung erlauben, wurden im Rahmen des StEUVUmsG2 v. 8.4.2010 um eine zusätzliche Ausnahmeregelung erweitert, ohne dass eine Anpassung der FVerlV erfolgt wäre. Der Gesetzgeber begründet die aus der Transferpaketbewertung folgende Abweichung vom handels- und steuerrechtlichen Grundsatz der Einzelbewertung damit, dass der Preis der einzelnen übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter den Wert der Funktion als Ganzes regelmäßig nicht adäquat widerspiegle.3 Ziel des Gesetzgebers ist es also, im Rahmen der Gesamtbewertung eines Transferpakets einen Mehrwert der Besteuerung zu unterwerfen, der bei einer Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter unbesteuert bliebe.4 Bei diesem Mehrwert kann es sich nur um einen Teil des Geschäfts- oder Firmenwerts handeln, der nach Auffassung des Gesetzgebers bei einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung übergeht. Im Ergebnis behandelt der Gesetzgeber eine Funktionsverlagerung damit wie die Veräußerung eines Betriebs oder Teilbetriebs, bei der es nach der höchstrichterlichen Rspr.5 zu einem Übergang des Geschäfts- oder Firmenwerts kommen kann. Ob diese Besteuerung von Funktionsverlagerungen europa- und abkommensrechtlichen Anforderungen genügt, wird im Schrifttum bezweifelt.6
7.6
Anwendung der allgemeinen Grundsätze bei der Transferpaketbewertung. Die Gesamtbewertung des im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Abgesehen von der Tatsache, dass Gegenstand des Fremdvergleichs das Transferpaket ist, ergeben sich für Funktionsverlagerungen insofern keine Besonderheiten. Liegen für das Transferpaket danach uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte vor, die eine Bandbreite bilden – was der Ausnahmefall sein wird –, ist ein tatsächlicher Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG durchzuführen. Bei uneingeschränkt vergleichbaren Werten kann der Steuerpflichtige als Verrechnungspreis für das Transferpaket nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG jeden Wert innerhalb der Bandbreite ansetzen. Sind die ermittelten Werte nur eingeschränkt vergleichbar, ist die 1 2 3 4 5 6
Vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV. Vgl. StEUVUmsG v. 8.4.2010, BGBl. I 2010, 386. Vgl. BR-Drucks. 220/07, 144. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 568. Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108. Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 17 und 23 m.w.N.
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B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung
Bandbreite nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG einzuengen und ein Verrechnungspreis aus dem eingeengten Bereich zu wählen. Sofern der angesetzte Verrechnungspreis außerhalb der Bandbreite liegt, ist im Fall einer Korrektur nach § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG der Median maßgeblich. Liegen für das Transferpaket keine uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte vor – was den Regelfall darstellen wird –, ist ein hypothetischer Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG durchzuführen. Zur Bewertung des Transferpakets ist in diesem Fall nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG ein Einigungsbereich zu ermitteln, der durch die aus dem Transferpaket zu erwartenden Gewinnpotentiale bestimmt wird. Zu deren Ermittlung ist die Perspektive sowohl des übertragenden als auch des übernehmenden Unternehmens einzunehmen. Die Gewinnpotentiale, die das übertragende Unternehmen aus dem Transferpaket erwartet, bilden die Untergrenze des Einigungsbereichs, die Gewinnpotentiale, die das übernehmende Unternehmen erwartet, die Obergrenze. Innerhalb des Einigungsbereichs ist nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG der Mittelwert anzusetzen, sofern der Steuerpflichtige nicht glaubhaft machen kann, dass ein anderer Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz mit einer höheren Wahrscheinlichkeit entspricht. Erweist sich der Einigungsbereich im Nachhinein als unzutreffend, kann der angesetzte Wert von der Finanzverwaltung korrigiert werden. Auf eine Korrektur kann nach § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG jedoch verzichtet werden, wenn der angesetzte Wert innerhalb des zutreffenden Einigungsbereichs liegt. Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung. Neben einer Regelung zu grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen hat der Gesetzgeber im Rahmen des UntStRefG 2008 vom 14.8. 20071 in § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG auch erstmals eine gesetzliche Grundlage für nachträgliche Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung geschaffen, wenn die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnentwicklung abweicht, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag.2 Konkretisiert wird auch diese Regelung durch die FVerlV vom 12.8.20083 und die VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.20104. Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG findet nur Anwendung, wenn die in Rede stehenden Verrechnungspreise auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG ermittelt wurden. Im Fall einer Preisbestimmung durch tatsächlichen Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG ist eine nachträgliche Preisanpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG dagegen nicht möglich. Keine Bedeutung hat, ob der hypothetische Fremdvergleich anlässlich der Übertragung oder Überlassung eines einzelnen Wirt1 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 2 Ob die Preisanpassungsregelung des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG europa- und abkommensrechtlichen Maßstäben genügt, wird im Schrifttum bezweifelt. Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 17 und 23. 3 Vgl. FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774.
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7.7
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
schaftsguts oder aus Anlass einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung durchgeführt wurde. § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG erfasst beide Konstellationen. Weitere Voraussetzung für eine Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG ist, dass wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter oder Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen werden. Hieraus folgt, dass eine nachträgliche Preisanpassung durch die Finanzverwaltung ausscheidet, wenn lediglich materielle Wirtschaftsgüter verlagert wurden, oder die verlagerten immateriellen Wirtschaftsgüter oder Vorteile die Schwelle der Wesentlichkeit nicht überschreiten. Im Übrigen ermöglicht § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG sowohl eine nachträgliche Preisanpassung zu Lasten als auch zugunsten des Steuerpflichtigen, was sich nicht zuletzt aus § 10 Satz 3 FVerlV ergibt. Auch die Tatsache, dass es bei § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG nicht um eine Einkünftekorrektur, sondern um die zutreffende Ermittlung eines Verrechnungspreises geht, spricht hierfür.1
7.8
Standardisierte Anpassungsklausel und zehnjähriger Beobachtungszeitraum. Kommt es zu einer erheblichen Abweichung der tatsächlichen späteren Gewinnentwicklung von der Gewinnentwicklung, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, stellt § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG eine widerlegbare Vermutung dahingehend auf, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten. Kann der Steuerpflichtige die Vermutung des § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG nicht widerlegen und wurde auch keine fremdvergleichskonforme individuelle Preisanpassungsklausel vereinbart, kann die Finanzverwaltung die angesetzten Verrechnungspreise nach § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG innerhalb der ersten zehn Jahre nach Geschäftsabschluss einmalig korrigieren. In diesem Fall hat der Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG einen einmaligen angemessenen Anpassungsbetrag in dem Wirtschaftsjahr zu versteuern, das dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist. Hintergrund der in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG aufgestellten Vermutung dürfte letztlich die Absicht des Gesetzgebers sein, den Steuerpflichtigen in Zusammenhang mit der Verlagerung von immateriellen Wirtschaftsgütern zur Vereinbarung fremdvergleichskonformer individueller Preisanpassungsklauseln zu bewegen, denn in diesem Fall ist die Regelung nicht anwendbar.2 Insbesondere auf den Abschluss von Lizenzverträgen scheint es dem Gesetzgeber anzukommen, denn nach § 9 FVerlV soll eine fremdvergleichskonforme Preisanpassungsklausel jedenfalls dann vorliegen, wenn im Hinblick auf wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile Lizenzvereinbarungen getroffen werden, die die zu zahlende Lizenz vom Umsatz oder Gewinn des Lizenznehmers abhängig machen oder für die Höhe der Lizenz Umsatz und Gewinn berücksichtigen.3 1 Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 480. 2 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 146. 3 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107.
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B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung
III. Besteuerung von Funktionsverlagerungen bis 2007 – Überblick Rückwirkende Anwendung der Neuregelung nach Verwaltungsauffassung. Die im Rahmen des UntStRefG 2008 v. 14.8.20071 eingeführten Regelungen zur Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen in § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG sowie zur Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung in § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG finden nach § 21 Abs. 16 AStG ab dem VZ 2008 Anwendung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung, die ihren Niederschlag in Rz. 180 ff. VWG-Funktionsverlagerung2 gefunden hat, sind weite Teile der Regelungen aber bereits für Sachverhalte vor dem VZ 2008 anwendbar. Die Finanzverwaltung begründet ihre Auffassung damit, dass die Regelungen nach Maßgabe der Gesetzesbegründung3 vor allem klarstellende und präzisierende Wirkung hätten, da sie Ausfluss des seit jeher geltenden Fremdvergleichsgrundsatzes seien und lediglich eine ausdrückliche Regelung dieses Grundsatzes darstellten. Für grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen vor dem VZ 2008 sollen nach Auffassung der Finanzverwaltung danach die Rechtsfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG4, die ertragswertorientierte Gesamtbewertung eines Transferpakets i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG5 und der Mittelwertansatz beim hypothetischen Fremdvergleich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG6 entsprechend anzuwenden sein. Lediglich der Grundsatz der Informationstransparenz i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG soll nach Verwaltungsauffassung für Sachverhalte vor dem VZ 2008 keine Anwendung finden.7 Auch die Regelungen zu nachträglichen Preisanpassungen i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG sollen für Sachverhalte vor dem VZ 2008 nicht anwendbar sein. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sollen für VZ vor 2008 aber nachträgliche Preisanpassungen auf Grundlage von § 313 BGB in Betracht kommen.8 Die Auffassung der Finanzverwaltung kann nicht überzeugen.9 Die Regelungen zur Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen in § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG sowie zur Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung in § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG folgen 1 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10. 3 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 141. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10.1. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10.2. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10.3. 7 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10. 8 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10.4. 9 Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1197 ff.; Kroppen/Rasch, IWB 2009, 840 ff.
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7.9
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
gänzlich neuen Grundsätzen. Es handelt sich um echte Neuregelungen und nicht lediglich um Klarstellungen oder Präzisierungen.1 Insbesondere der Verweis der Finanzverwaltung auf den Fremdvergleichsgrundsatz geht ins Leere. Zwar war der Fremdvergleichsgrundsatz bereits vor dem VZ 2008 geltendes Recht in Deutschland. Die neuen Besteuerungsgrundsätze stimmen aber in wesentlichen Teilen mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht überein, sondern setzen sich vielmehr in expliziten Widerspruch zu diesem. Eine rückwirkende Anwendung der Neuregelungen kommt daher nicht in Betracht.
7.10
Keine rückwirkende Anwendung des Grundsatzes der Gesamtbewertung. Dies gilt zunächst für die ertragswertorientierte Gesamtbewertung eines Transferpakets i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. Nach der sich aus Rz. 184 der VWG-Funktionsverlagerung2 ergebenden Auffassung der Finanzverwaltung ist es für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes in Fällen einer Funktionsverlagerung erforderlich, den wirtschaftlichen Gehalt des Vorgangs festzustellen. Ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter würden für Zwecke der Preisbestimmung eine Funktionsverlagerung regelmäßig als wirtschaftlich einheitlichen Vorgang beurteilen und das Entgelt sowohl für die Verlagerung insgesamt als auch für die einzelnen Wirtschaftsgüter und Vorteile auf der Grundlage der betreffenden Gewinnpotentiale bemessen. Insofern sei es sachgerecht, die steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen auf einer ertragswertorientierten Gesamtbewertung aufzubauen. Dies gelte auch für VZ vor 2008. Die Auffassung der Finanzverwaltung kann nicht überzeugen.3 Hinzuweisen ist zunächst darauf, dass der Begriff des Transferpakets vor dem VZ 2008 sowohl im Inland als auch im Ausland völlig unbekannt war. § 2 Abs. 3 Satz 3 GAufzV sah zwar bereits bisher eine Zusammenfassung mehrerer Geschäftsvorfälle vor, wenn diese ursächlich verbunden waren oder wenn es sich um Teilleistungen im Rahmen eines Gesamtgeschäfts handelte und es für die Prüfung der Angemessenheit weniger auf den einzelnen Geschäftsvorfall, sondern mehr auf die Beurteilung des Gesamtgeschäfts ankam. Diese Möglichkeit bezog sich jedoch nur auf die Aufzeichnungspflichten im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen und ändert nichts an der Einzelbewertung der betroffenen Wirtschaftsgüter.4 Auch die in den Jahren vor dem VZ 2008 gültigen OECDLeitlinien 19955 erlaubten zwar die Bildung von Leistungspaketen, wenn einzelne Transaktionen so eng miteinander verbunden waren, dass eine getrennte Bewertung zu keinem angemessenen Verrechnungspreis führte. Als Beispiel hierfür nannten die OECD-Leitlinien 1995 insbesondere eng miteinander verbundene Produkte, bei denen es nicht praktikabel sei, für jede einzelne Transaktion einen Verrechnungspreis zu ermitteln. Eine Er1 Vgl. Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. Q 104 ff. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10.2. 3 Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1198 ff. 4 Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1198. 5 Vgl. Tz. 1.42 ff. OECD-Leitlinien 1995.
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B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung
fassung von Gewinnpotentialen im Rahmen einer Gesamtbewertung war aber auch in diesem Zusammenhang nicht vorgesehen.1 Vielmehr kam eine Gesamtbewertung vor dem VZ 2008 nur dann in Betracht, wenn ein Betrieb oder Teilbetrieb übertragen wurde. Hierbei konnten geschäftswertbildende Faktoren übergehen, so dass insofern ein Geschäfts- oder Firmenwert ermittelt werden musste.2 Auf grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen ließen sich diese Grundsätze aber nicht übertragen, da es hier regelmäßig zu keinem Übergang von geschäftswertbildenden Faktoren kam, so dass auch kein Geschäfts- und Firmenwert zu ermitteln war.3 Insgesamt betrachtet muss eine ertragswertorientierte Gesamtbewertung eines Transferpakets i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG vor dem VZ 2008 damit ausscheiden.4 Abzulehnen ist daher auch die in Rz. 186 der VWG-Funktionsverlagerung5 geäußerte Auffassung der Finanzverwaltung, dass für Zwecke der Schätzung auf die tatsächliche Gewinnsituation der beteiligten Unternehmen abzustellen ist, falls keine Unterlagen über die Gewinnerwartungen der verlagerten Funktion vorgelegt werden. Mangels Transferpaketbewertung spielen Gewinnerwartungen vor dem VZ 2008 keine Rolle.6 Hinzu kommt, dass den Steuerpflichtigen in den fraglichen Zeiträumen auch keine Verpflichtung traf, Aufzeichnungen zu Gewinnerwartungen einzelner Funktionen zu erstellen. Zwar waren bereits vor dem VZ 2008 nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO Aufzeichnungen bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen zu erstellen, worunter auch grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen fielen. Auf Gewinnerwartungen bezog sich diese Verpflichtung aber nicht.7 Schließlich setzt sich die Finanzverwaltung mit der in Rz. 186 der VWG-Funktionsverlagerung8 geforderten Ex-post-Betrachtung auch in expliziten Widerspruch zum Fremdvergleichsgrundsatz. Für den bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen durchzuführenden Fremdvergleich ist auf die Verhältnisse und Informationen im Zeitpunkt der Funktionsverlagerung abzustellen. Sofern überhaupt Raum für eine Schätzung ist, hätte diese daher auf Grundlage einer Ex-ante-Betrachtung zu erfolgen. Kein rückwirkender Mittelwertansatz beim hypothetischen Fremdvergleich. Auch der Mittelwertansatz beim hypothetischen Fremdvergleich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG kann vor dem VZ 2008 keine Anwendung
1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1199. Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108. Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1198 f. Fl.A. Hrschuka in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 14. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10.2. Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1199. Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1200. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10.2.
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7.11
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
finden. Nach der in Rz. 190 der VWG-Funktionsverlagerung1 wiedergegebenen Auffassung der Finanzverwaltung ist bei Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs auf Funktionsverlagerungen vor dem VZ 2008 für die Bestimmung des Werts im Einigungsbereich, der dem Fremdvergleichsgrundsatz am besten entspricht und der deshalb als Verrechnungspreis anzusetzen ist, von dem Erfahrungssatz auszugehen, dass sich fremde Dritte auf einen mittleren Wert einigen. Dies soll insbesondere dann gelten, wenn auf beiden Seiten ein gleichermaßen hohes Interesse am Zustandekommen des Geschäfts und gleichermaßen starke Verhandlungspositionen bestehen und wenn keine konkreten Anhaltspunkte für einen bestimmten Wert innerhalb des Einigungsbereichs erkennbar sind. Zur Begründung ihrer Auffassung verweist die Finanzverwaltung auf zwei Urteile des I. Senats des BFH aus den Jahren 19902 und 19943, in denen das Gericht die These aufgestellt hat, dass sich Darlehensgläubiger und Darlehensschuldner die Spanne zwischen den banküblichen Haben- und Schuldzinsen im Zweifel teilen. Gosch als mittlerweile Vorsitzender Richter des I. Senats des BFH sieht diese Rspr. jedoch als nicht haltbar an. Nach seiner Meinung ist eine hälftige Teilung unter fremden Dritten nicht üblich.4 Hinzu kommt, dass der I. Senat des BFH heute auf dem Standpunkt steht, dass im Fall des hypothetischen Fremdvergleichs auf den niedrigsten Wert im Einigungsbereich abzustellen ist.5 Entgegen den Ausführungen in Rz. 190 der VWG-Funktionsverlagerung6 ist die Auffassung der Finanzverwaltung daher nicht durch die Rspr. des I. Senats des BFH gedeckt. Vielmehr steht sie in explizitem Widerspruch zu dieser. Auch steht der Mittelwertansatz nicht in Einklang mit den in den Jahren vor dem VZ 2008 gültigen OECD-Leitlinien 1995. Nach den OECD-Leitlinien 19957 ist beim Vorliegen eines Einigungsbereichs nicht auf den Mittelwert, sondern auf den Wert abzustellen, der die jeweiligen Umstände des Einzelfalls am besten widerspiegelt. Ein Rückgriff auf die OECD-Leitlinien 2010 kommt für Sachverhalte vor dem VZ 2008 von vorneherein nicht in Betracht.8 Im Übrigen enthalten die OECD-Leitlinien 20109 zwar die Aussage, dass bei Vorliegen eines Einigungsbereichs auf den Mittelwert abgestellt werden kann, um den maßgeblichen Verrechnungspreis zu ermitteln. Dies ist aber nicht zwingend. Vielmehr stellen die OECD-Leitlinien auch andere statistische Instrumente zur Ermittlung des zutreffenden Werts im Einigungsbereich zur Verfügung. Gleichzeitig enthalten die OECD-Leitlinien aber auch den Hinweis, dass genauso gut 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10.3. 2 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649. 3 Vgl. BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = FR 1994, 367. 4 Vgl. Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 693. 5 Vgl. BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867 = FR 2005, 300. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10.3. 7 Vgl. Tz. 1.48 OECD-Leitlinien 1995. 8 Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1200. 9 Vgl. Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2010.
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B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung
argumentiert werden kann, dass jeder Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz genügt. Insgesamt betrachtet ist der Mittelwertansatz des § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG damit nicht vom Fremdvergleichsgrundsatz gedeckt. Er kann für Sachverhalte vor dem VZ 2008 daher keine Geltung beanspruchen. Keine rückwirkende Anwendung der gesetzlichen Preisanpassungsklauseln. Auch eine nachträgliche Anpassung der vom Steuerpflichtigen angesetzten Verrechnungspreise kommt vor dem VZ 2008 nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die Finanzverwaltung stellt sich in den Rz. 191 ff. der VWG-Funktionsverlagerung1 auf den Standpunkt, dass die Preisanpassungsklauseln des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG vor dem VZ 2008 zwar keine Anwendung finden. Sie gelangt unter Rückgriff auf § 313 BGB aber zu vergleichbaren Ergebnissen. Nach Verwaltungsauffassung ist eine Verrechnungspreiskorrektur für VZ vor 2008 vorzunehmen, wenn sich fremde Dritte erfolgreich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB oder einer vergleichbaren ausländischen Regelung hätten berufen können. Dies soll der Fall sein, wenn die prognostizierten Gewinne erheblich von den tatsächlich realisierten Gewinnen abweichen. Die Auffassung der Finanzverwaltung ist abzulehnen.2 Die Möglichkeit einer nachträglichen Vertragsanpassung auf der Grundlage von § 313 BGB steht in einem erheblichen Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Vertragstreue. Bei der Anwendung des § 313 BGB ist daher Zurückhaltung geboten.3 Vor diesem Hintergrund kann der pauschalen Aussage der Finanzverwaltung, dass immer dann, wenn die prognostizierten Gewinne erheblich von den tatsächlich realisierten Gewinnen abweichen, der Anwendungsbereich des § 313 BGB eröffnet ist, nicht gefolgt werden. Vielmehr kommt es für die Anwendung des § 313 BGB stets auf die Umstände des Einzelfalls an. Besondere Bedeutung erlangen hierbei die vertragliche Risikoverteilung und die Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag. Nach ständiger höchstrichterlicher Rspr. ist für eine Anwendung des § 313 BGB insbesondere dann kein Raum, wenn sich ein Risiko verwirklicht, das nach der vertraglichen Regelung in den Risikobereich einer Partei fällt.4 Hinzu kommt, dass eine Anwendung des § 313 BGB nur dann in Betracht kommt, wenn dies zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht vereinbarer und damit der betroffenen Vertragspartei nicht zumutbarer Folgen unabweisbar erscheint.5 Dies macht deutlich, dass die Anwendung des § 313 BGB stark vom Einzelfall abhängt und die absolute Ausnahme darstellt. Demgegenüber will die Finanzverwaltung die Anwendung des § 313 BGB zur Regel machen. Dies kann nicht überzeugen. Auch der Verweis der Finanzverwaltung auf die OECD1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10.4. 2 Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1201 f. 3 Vgl. Finkenauer in MünchKomm/BGB, § 313 Rz. 5. 4 Vgl. BGH v. 25.2.1993 – VII ZR 24/92, BGHZ 121, 379. 5 Vgl. BGH v. 4.7.1996 – I ZR 101/94, BGHZ 133, 281.
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7.12
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
Leitlinien 20101 in Rz. 196 der VWG-Funktionsverlagerung2 geht fehl. Abgesehen von der Tatsache, dass die OECD-Leitlinien 2010 auf Sachverhalte vor dem VZ 2008 keine Anwendung finden,3 sehen diese nur bei immateriellen Wirtschaftsgütern, nicht aber bei Funktionsverlagerungen nachträgliche Preisanpassungen vor. Hinzu kommt, dass die OECD-Leitlinien 2010 nur die Möglichkeit und nicht die Pflicht zu nachträglichen Preisanpassungen vorsehen und dies auch nur dann, wenn fremde Dritte auf einer Preisanpassungsklausel bestanden hätten. Dies ist aber nur selten der Fall.4 Insgesamt betrachtet dürften nachträgliche Preisanpassungen vor dem VZ 2008 damit die absolute Ausnahme sein.5
C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung I. Überblick 7.13
Regelung der Funktionsverlagerungsbesteuerung durch die Unternehmensteuerreform 2008. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des UntStRefG 20086 in § 1 AStG eine Regelung zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen eines inländischen Unternehmens auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen aufgenommen. Die Neuregelung des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG, welche durch die sog. „Funktionsverlagerungsverordnung“ (FVerlV7) und die „Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung“ (VWGFunktionsverlagerung8) durch das BMF konkretisiert wurden, ordnet an, dass das im Rahmen der Funktionsverlagerung übergehende „Transferpaket“ als Ganzes unter Berücksichtigung des mit der Funktion verbundenen „Gewinnpotentials“ zu bewerten ist.9 Im Ergebnis sind damit bei Funktionsverlagerungen ins Ausland die aus der Unternehmensbewertung bekannten Bewertungsverfahren (Ertragswertverfahren) anzuwenden, wobei der Grundsatz der Einzelbewertung von im Rahmen der Funktionsverlagerung übergehenden Wirtschaftsgütern aufgegeben wurde.10 1 Vgl. Tz. 6.33 f. OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 3.10.4. 3 Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1200. 4 Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1202. 5 Fl.A. Hrschuka in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 2010, 14. 6 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 7 Vgl. FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. 8 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774. 9 Vgl. dazu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 ff.; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 558 ff.; Boedefeld/Kuntschik in Blumenberg/Benz, Die Unternehmensteuerreform 2008, 240 ff.; Wassermeyer, FR 2008, 67 ff. 10 Zu einem Beispielfall vgl. Ditz/Just, DB 2009, 141 ff.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
Der Gesetzgeber hält vielmehr eine Gesamtbewertung für erforderlich, weil – so die Gesetzesbegründung – „der Preis für die einzelnen übertragenen Wirtschaftsgüter den Wert der Funktion regelmäßig nicht angemessen wiederspiegelt.“1 Dem Gesetzgeber geht es folglich um die Erfassung eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts (Rz. 7.31). In diesem Zusammenhang wurde auch die sog. „Einigungsbereichsbetrachtung“ gesetzlich eingeführt, die aus der betriebswirtschaftlichen Betrachtung der Unternehmensbewertung bzw. des Unternehmenskaufs stammt.2 Danach kann ein hypothetischer Fremdpreis nur dann zustande kommen, wenn die Preisuntergrenze des Verkäufers (respektive des funktionsabgebenden Unternehmens) unterhalb der Preisobergrenze des Käufers (respektive des funktionsübernehmenden Unternehmens) liegt. Innerhalb dieses „Einigungsbereichs“ muss dann der angemessene Verrechnungspreis für die Funktion liegen.3 Umstrittene Regelung. Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen gem. § 1 Abs. 3 Sätze 9 ff. AStG und der FVerlV war von Anfang an heftig umstritten. Hauptkritikpunkte der Vorschriften zur Verlagerung von Funktionsverlagerungen sind insbesondere – die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe und die daraus resultierenden Rechtsunsicherheiten, – das praktisch sehr aufwendige Modell für die Bewertung des Transferpakets, – die vorzeitige Besteuerung von im Ausland erst zukünftig entstehenden Gewinnpotentialen, – die Zuordnung eines (anteiligen) Geschäfts- oder Firmenwertes zu einer Funktion, – die unpraktikablen Escape-Klauseln des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG, – die europarechtlichen Probleme der Funktionsverlagerungsbesteuerung,4 – die fehlende Übereinstimmung mit dem in Art. 9 OECD-MA niedergelegten Fremdvergleichsgrundsatz5 sowie – die fehlende internationale Abstimmung der deutschen Regelungen für Funktionsverlagerungsbesteuerungen und das daraus resultierende Risiko einer internationalen Doppelbesteuerung.6 Im Ergebnis führte die Einführung der Funktionsverlagerungsbesteuerung gem. § 1 Abs. 3 Sätze 9 ff. AStG und der FVerlV zu einem fundamentalen 1 BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 144. 2 Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464 ff. 3 Zur Anwendung eines tatsächlichen Fremdvergleichs im Rahmen der Bewertung des Transferpaketes vgl. Schilling/Kandels, DB 2012, 1065 mit Anm. Ditz/Liebchen, DB 2012, 1469 ff. 4 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 17 m.w.N. 5 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 23. 6 Zu einem Überblick vgl. Wehnert/Sano, IStR 2010, 53 ff.
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7.14
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
Paradigmenwechsel im Hinblick auf die Aufdeckung und Besteuerung stiller Reserven. Da der Ansatz gänzlich neu und ohne vergleichbare Vorgängerregelung konzipiert wurde, gehört er heute zu den am meisten diskutierten und am heftigsten umstrittenen Regelungen des deutschen Internationalen Steuerrechts.1 Auf Grund des international nicht abgestimmten Alleingangs des deutschen Gesetzgebers bei der Besteuerung von Funktionsverlagerungen ist derzeit eine verlässliche Steuerplanung in der Praxis schwierig und das Risiko einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung sehr hoch.
7.15
Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. Nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG liegt eine Funktionsverlagerung vor, wenn „eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken und den mitübertragenen und überlassenen Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteile verlagert“ wird. Die vermeintliche Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG erschöpft sich allerdings in einer tautologischen Aussage, da der Begriff „Funktionsverlagerung“ als „Verlagerung einer Funktion“ umschrieben wird.2 § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ist infolgedessen zur Ableitung einer Definition der „Funktionsverlagerung“ nur bedingt geeignet; eine solche ergibt sich vielmehr eindeutig nur aus § 1 Abs. 2 FVerlV.3
7.16
Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 2 FVerlV. Entgegen § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG enthält § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV eine konkrete Definition der Funktionsverlagerung. Danach ist von einer solchen auszugehen, „wenn ein Unternehmen (verlagerndes Unternehmen) einem anderen, nahestehenden Unternehmen (übernehmendes Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird.“4 Eine Funktionsverlagerung setzt folglich voraus, dass – eine Funktion als Verlagerungsgegenstand vorliegt (Rz. 7.18 ff.), – diese Funktion bei dem im Inland ansässigen Unternehmen eingestellt oder zumindest eingeschränkt wird (sog. Verlagerung der Funktion, Rz. 7.35 ff.) und – Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile, die der Funktionsausübung zugrunde liegen, sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken übertragen bzw. zur Nutzung überlassen werden (Rz. 7.48 ff.). 1 Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1309. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Wassermeyer, FR 2008, 67. 3 Kritisch auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 45, der zutreffend von „verwirrenden Regelungen“ spricht. 4 § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
Allgemeine Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG. Neben einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV setzt eine Einkünftekorrektur auf Basis des § 1 Abs. 1 AStG durch die Finanzbehörden im Zusammenhang von Funktionsverlagerungen auch die Erfüllung der allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift voraus. Infolgedessen wird der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 AStG und der FVerlV nur eröffnet, wenn die Funktionsverlagerung eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 AStG darstellt. Nach § 1 Abs. 4 AStG ist eine Geschäftsbeziehung ein wirtschaftlicher Vorgang, dem „keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt“. Keine Geschäftsbeziehung sind damit insbesondere offene und verdeckte Einlagen sowie Kapitalerhöhungen. Stehen demnach Funktionsverlagerungen in einem Zusammenhang mit solchen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen, ist zu prüfen, ob § 1 AStG dem Grunde nach überhaupt Anwendung finden kann.1 Die Geschäftsbeziehung muss im Übrigen zu einer ausländischen nahestehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG bestehen.
7.17
II. Funktion 1. Betriebswirtschaftliche Definition Begriff der Organisationslehre. Der Begriff der Funktion wird in der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre verwendet. Hier bezeichnet er selbständige Teilaufgaben eines Unternehmens als „homogene Gruppe von Handlungen“2, welche aus einer Aufteilung der unternehmerischen Gesamtaufgabe entstanden ist.3 Eine Funktion stellt damit ein Bündel aus mehreren zusammengehörenden Aufgaben dar und umfasst immer nur einen Teilbereich der unternehmerischen Gesamtwertschöpfung. Einzelne Funktionen sind infolgedessen das Ergebnis der Aufgabenteilung innerhalb eines Unternehmens.4 Diese Aufgabenteilung führt zur Entstehung verschiedenster Aufgaben(bündel), die jeweils nicht sämtliche zur Erwirtschaftung der Gesamtwertschöpfung notwendigen Elemente umfassen. Damit verfügen Funktionen über – in Bezug auf die unternehmerische Gesamtaufgabe – eingeschränkte Entscheidungs-, Weisungs- und Ausfüh1 Vgl. auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 32. 2 Frese, Grundlagen der Organisationstheorie8, 409; ähnlich Picot/Dietl/Franck, Organisation2, 263; Schreyögg, Organisation3, 130. Der Begriff „Handlung“ bezeichnet in diesem Zusammenhang eine Verhaltensweise, durch die ein gegebener Zustand der Realität (Ausgangszustand) in einen veränderten Zustand (Endzustand) überführt wird und die durch einen Akt der Kombination von Ressourcen charakterisiert werden kann. 3 Vgl. Kosiol, Organisation der Unternehmung2, 77. Zu einem Überblick über die Entwicklung des Funktionsbegriffs in der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie vgl. Böhrs, Organisation des Industriebetriebes, 155 ff. 4 So auch die Finanzverwaltung in BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 14.
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7.18
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
rungsbefugnisse. Sie stehen komplementär nebeneinander und ergänzen sich in ihrer Gesamtheit zur unternehmerischen Gesamtwertschöpfung.1
7.19
Vertikale und horizontale Arbeitsteilung. Die Aufteilung der unternehmerischen Gesamtaufgabe in einzelne Teilaufgaben („Funktionen“) dient im Wesentlichen der Realisierung von Effizienzvorteilen, indem organisatorische Teileinheiten des Unternehmens (Stellen oder Abteilungen) für bestimmte Aufgaben verantwortlich sind bzw. diese ausüben. Die einzelnen Teilaufgaben (Funktionen) eines Unternehmens können auf Basis der folgenden Merkmale gebildet bzw. definiert werden:2 – Verrichtung (Abgrenzung anhand der zugrunde liegenden Tätigkeiten),3 – Objekte (Abgrenzung anhand von Produkten, Dienstleistungen, Regionen oder Kundengruppen),4 – Rangverhältnis (Abgrenzung anhand der Kriterien Entscheidung vs. Ausführung), – Phase des Entscheidungsprozesses (Abgrenzung der Planung von der Umsetzung und der Kontrolle) und – Zweckbeziehung (Abgrenzung von erfolgskritischen Leistungsaufgaben und nachrangigen Verwaltungsaufgaben). Nach den vorstehend dargestellten Merkmalen kann die unternehmerische Gesamtwertschöpfung in Teilaufgaben aufgeteilt werden. Die Teilaufgaben werden i.d.R. unter Berücksichtigung mehrerer Kriterien definiert. Die definierten Teilaufgaben werden dann nach der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre einzelnen organisatorischen Einheiten des Unternehmens zugewiesen. Mit Zuweisung dieser Teilaufgaben zu organisatorischen Einheiten (Rz. 7.20) entstehen Funktionen, so dass betriebswirtschaftlich die Funktion von der Definition der entsprechenden Teilaufgabe einerseits und von deren Zuweisung zu einer organisatorischen Einheit andererseits abhängig ist.5
7.20
Stellen oder Abteilungen als organisatorische Einheiten. Die Teilaufgaben eines Unternehmens werden i.d.R. organisatorischen Einheiten zugeordnet, welche sog. „Stellen“ oder „Abteilungen“ bilden können.6 Eine Stelle ist die kleinste aufbauorganisatorische Einheit eines Unternehmens, die 1 Vgl. Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 23. 2 Vgl. Kosiol, Organisation der Unternehmung2, 49; Schreyögg, Organisation: Grundlagen moderner Organisationsgestaltung4, 114; Picot/Dietl/Franck, Organisation – Eine ökonomische Perspektive5, 243; von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 56. 3 Im Falle der Unterteilung von unternehmerischen Aufgaben nach den Kriterien der Verrichtung entsteht eine funktionale Organisationsstruktur. 4 Im Falle einer Aufteilung der unternehmerischen Gesamtaufgabe nach dem Kriterium „Objekt“ entsteht eine divisionale Organisationsstruktur (Spartenorganisation oder Regionalorganisation). 5 Betriebswirtschaftlich ist die Definition von Teilaufgaben und ihre Zuweisung zu organisatorischen Einheiten ein interdependentes Problem. Vgl. Picot/Dietl/ Franck, Organisation – Eine ökonomische Perspektive5, 242. 6 So auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 14.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
von einer bzw. mehreren dafür qualifizierten Personen ausgeübt werden kann.1 Die Stelle ist unabhängig von einem möglichen Personalwechsel. Sie kann eine Leitungsstelle bzw. Instanz oder eine Ausführungsstelle darstellen. Leitungsstellen bzw. Instanzen verfügen über Entscheidungsund Weisungsrechte, während Ausführungsstellen lediglich Ausführungskompetenzen innehaben. Eine unternehmerische Teilaufgabe kann einer oder mehreren Stellen zugeordnet werden. Wenn die Stellen unter der Leitung einer Instanz zusammengefasst werden, spricht man betriebswirtschaftlich von einer Abteilung.2 Die Bildung von Stellen hat eine horizontale Arbeitsteilung zur Folge, während die Bildung von Instanzen und Abteilungen zu einer vertikalen Arbeitsteilung führt. Infolgedessen kann eine Funktion – je nachdem wieviele unternehmerische Teilaufgaben in ihr zusammengefasst werden – entweder durch eine oder mehrere Stellen oder durch eine oder mehrere Abteilungen ausgeführt werden. Wieviele Teilaufgaben in einer Funktion üblicherweise zusammengefasst werden, lässt die betriebswirtschaftliche Organisationslehre offen. Vielmehr ist dies von der organisatorischen Grundstruktur des Gesamtunternehmens abhängig.3 Abgrenzung von Haupt- und Hilfsfunktionen. Vor dem Hintergrund, dass nach der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie Funktionen komplementär nebeneinander stehen und sich gegenseitig ergänzen (Rz. 7.18), lässt sich betriebswirtschaftlich eine Untergliederung von Funktionen in Haupt- und Hilfsfunktionen nicht rechtfertigen. Allerdings lassen sich in der Unternehmenspraxis häufig sog. „erfolgskritische Funktionen“ identifizieren. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie – als unternehmensspezifische Merkmale – über den Markterfolg eines Unternehmens entscheiden, während die übrigen Funktionen in Form von Standard- und Routinefunktionen auch von Drittunternehmen im Wege des Outsourcings übernommen werden können.4 Funktionsverlagerungen ins Ausland können sich dabei sowohl auf erfolgskritische Funktionen als auch auf Standard- und Routinefunktionen beziehen. Schwerpunktmäßig sind in der Unternehmenspraxis im Rahmen von Funktionsverlagerungen folgende Funktionen betroffen: – Einkaufsfunktion, – Produktionsfunktion, – Vertriebsfunktion, – Forschungs- und Entwicklungsfunktionen sowie – Dienstleistungsfunktionen. 1 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 56. 2 Vgl. Kosiol, Organisation der Unternehmung2, 91 f.; Schreyögg, Organisation: Grundlagen moderner Organisationsgestaltung4, 125; Picot/Dietl/Franck, Organisation – Eine ökonomische Perspektive, 145. 3 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 57. 4 Vgl. auch Baumhoff, IStR 2003, 5 f.; Klein, IStR 1995, 546.
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7.21
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
2. Steuerliche Definition
7.22
Definition nach § 1 Abs. 1 FVerlV. Gegenstand der Verlagerung muss eine Funktion sein. Diese wird allerdings nicht in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG, sondern in § 1 Abs. 1 FVerlV definiert. So ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV eine Funktion „eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden.“ Die steuerliche Definition der Funktion steht damit – zumindest im Wesentlichen – im Einklang mit ihrem Verständnis in der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie (Rz. 7.18 ff.). Für die Praxis ist die Definition allerdings nur bedingt hilfreich, da sie keine „Untergrenze“ für das Vorliegen einer Funktion definiert und infolgedessen – zumindest nach Auffassung der Finanzverwaltung – auch beliebig kleine und „atomisierte“ Tätigkeitsbereiche erfasst werden.1 Im Allgemeinen kommen als Funktionen, welche Gegenstand einer Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG sein können, folgende in Betracht:2 – Geschäftsleitung, – Forschung und Entwicklung, – Materialbeschaffung, – Lagerhaltung, – Produktion, – Verpackung, – Vertrieb, – Montage, – Bearbeitung oder Veredelung von Produkten, – Qualitätskontrolle, – Finanzierung, – Transport, – Organisation, – Verwaltung, – Marketing, – Kundendienst.3 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 16; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 44; Wolter/Pitzal, IStR 2008, 793. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 15. 3 Vgl. auch Tz. 1.43 OECD-Leitlinien 2010, welche beispielhaft Design, Herstellung, Montage, Forschung und Entwicklung, Service, Einkauf, Vertrieb, Marketing, Werbung, Transport, Finanzierung und Management zur Konkretisierung der Funktionen nennen.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
Definition der Funktionen durch eine Geschäftstätigkeit. § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV beschreibt die Funktion als „Geschäftstätigkeit“. Was jedoch konkret eine Geschäftstätigkeit und damit eine Funktion ausmacht, lässt die FVerlV offen. Auffällig ist zunächst, dass jedweder Bezug zum Gegenstand des Unternehmens fehlt. Nach diesem Begriffsverständnis erfüllt etwa die Zusammenfassung einfachster Tätigkeiten die Anforderung an eine Geschäftstätigkeit, wenn sie nur von demselben Funktionsträger (d.h. Stelle oder Abteilung, Rz. 7.20) erfüllt werden. Ein solch weitgehendes Begriffsverständnis impliziert auch § 2 Abs. 2 FVerlV, wonach die Auslagerung einer Tätigkeit, die – nach der Funktionsverlagerung – vom übernehmenden Unternehmen ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausgeübt und deren Entgelt nach der Kostenaufschlagsmethode zu bemessen ist, als Funktionsverlagerung qualifiziert wird (Rz. 7.62 f.).1 Vom Gegenstand des Unternehmens „unternehmerische Gesamtaufgabe“ grenzt sich eine Funktion dadurch ab, dass sie nur einen Bestandteil dieser ausmacht, deshalb nicht sämtliche zur Erwirtschaftung der Gesamtwertschöpfung notwendigen Elemente umfasst und dementsprechend durch eingeschränkte Entscheidungs-, Weisungs- und Ausführungsbefugnisse gekennzeichnet ist (Rz. 7.18).2 Von der einzelnen Tätigkeit fehlt demgegenüber jedwede Abgrenzung, so dass die Finanzverwaltung von einer tätigkeits- und objektbezogenen „Atomisierung“ des Funktionsbegriffs ausgeht.3 Die VWG-Funktionsverlagerung führen zur Konkretisierung der Geschäftstätigkeit lediglich aus, dass diese auch dann vorliegt, wenn sie nur konzernintern ausgeübt wird.4 Infolgedessen bedarf es – nach Auffassung der Finanzverwaltung – zum Vorliegen einer Funktion keiner Marktteilnahme gegenüber unabhängigen Dritten. Ferner wird die Notwendigkeit der Abgrenzung gegenüber übrigen Geschäftstätigkeiten herausgestrichen, ohne dass eine inhaltliche Konkretisierung gegenüber einzelnen Tätigkeiten vorgenommen wird.5
7.23
Ablehnung der Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist der Begriff der Funktion „tätigkeitsbezogen und objektbezogen“6 zu definieren. Infolgedessen ist nach den VWG-Funktions-
7.24
1 Vgl. hierzu auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 44. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 14. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Rz. 16; Kroppen/Rasch, IWB F. 3 Gr. 1, 2444; Kroppen/Rasch, IWB 2010, 825 f.; Frischmuth in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 86 f.; Blumers, DStR 2010, 20. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 17. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 16. 6 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 16.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
verlagerung – entgegen der h.M. der Literatur1 – auch die „Produktion eines bestimmten Produkts oder einer bestimmten Produktgruppe“ als Funktion i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG anzusehen. Diese weite Interpretation der Funktion (i. S. einer „Atomisierung“ der Funktion) steht weder im Einklang mit dem Wortlaut und dem Telos des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG noch ist sie durch die Definition der Funktion in § 1 Abs. 1 FVerlV gedeckt. Denn nach § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV wird für eine Funktionsverlagerung vorausgesetzt, dass ein „organisatorischer Teil eines Unternehmens“ übergeht (Rz. 7.26). Dieser organisatorische Teil muss zwar nicht zwingend einen Teilbetrieb begründen, dem aber sehr nahe kommen2. Das Kriterium eines „organisatorischen Teils des Unternehmens“ schließt indessen unzweifelhaft eine „Atomisierung“ der Funktionsdefinition aus. Ferner ist zu beachten, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV eine Funktion als „Geschäftstätigkeit“ definiert (Rz. 7.23).3 In diesem Zusammenhang sieht die Begr. zu § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV ausdrücklich vor, dass mit der Funktion eine gewisse Eigenständigkeit einhergeht, die es erlaubt, der Funktion bestimmte Erträge und Aufwendungen zuzuordnen. Dadurch – so die Begr. zur FVerlV – soll auch eine „ausufernde Anwendung“ der Funktionsverlagerungsbesteuerung vermieden werden.4 Genau dieses geschieht aber bei der von der Finanzverwaltung vorgesehenen produktbezogenen Definition der Funktion. Im Übrigen kann auch die Substitution der Herstellung eines Produkts durch ein Nachfolgeprodukt – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung5 – nicht zu einer Funktionsverlagerung führen. Denn in diesem Fall ändert das inländische Unternehmen seine Geschäftstätigkeit in keiner Weise, sondern führt diese mit anderen Produkten fort.
7.25
Gesetzgebungsverfahren zur FVerlV. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Problem der „teilweisen“ Funktionsverlagerung bereits im Gesetzgebungsverfahren der FVerlV gesehen und diskutiert wurde. So enthielt der Entwurf der FVerlV vom 17.12.2007 noch folgende Regelung: „Eine Funktionsverlagerung kann auch vorliegen, wenn das übernehmende Unternehmen die Funktion nur zeitweise oder teilweise übernimmt; wird die Funktion nur teilweise übernommen, ist die Verordnung auf den übernommenen Teil anzuwenden.“6 In der damaligen Verordnungsbegründung hieß es dazu, dass eine teilweise Funktionsverlagerung vorliege, wenn z.B. im Rahmen des Vertriebs eines Unternehmens der Vertrieb einer bestimmten Produktgruppe verlagert wird. Nach 1 Vgl. Ditz in Raupach/Pohl/Ditz, Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, 15; Pohl, JbFSt 2007/08, 433 ff.; Frotscher, FR 2008, 49 f.; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 275. 2 So auch Vertreter der Finanzverwaltung, vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 43. 3 Vgl. dazu auch Frischmuth in FS Schaumburg, 675 ff. 4 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 10. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 23. 6 § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV, Entwurf vom 17.12.2007.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
Kritik der Wirtschaft wurde der Entwurf der FVerlV im Gesetzgebungsverfahren geändert, so dass eine teilweise Verlagerung einer Funktion ausdrücklich nicht mehr von der Rechtsverordnung erfasst werden sollte. Das BMF hat daher über die VWG-Funktionsverlagerung versucht, die eigene Auffassung „durch die Hintertür“ wieder einzuführen.1 Dies ist – auch unter Berücksichtigung der besonderen Bewertungsregelungen in Substitutionsfällen (Rz. 7.40 f.)2 – nicht akzeptabel, zumal diese Auffassung der Finanzverwaltung jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt. Organisatorischer Teil eines Unternehmens. In Ergänzung zur allgemeinen Definition der Funktion in § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV stellt Satz 2 der Vorschrift klar, dass die Funktion ein „organisatorischer Teil eines Unternehmens“ ist. Die Beschreibung der Funktion als organisatorischer Teil eines Unternehmens konkretisiert die Stellung einer Funktion im Unternehmen. So wird einerseits die Funktion von einer zusammenhanglosen Gruppe von Wirtschaftsgütern abgegrenzt; denn im Rahmen einer Funktion werden in einem organisatorischen Unternehmensteil (d.h. im Rahmen von Stellen oder Abteilungen, Rz. 7.20) Aufgaben gebündelt, die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.3 Darüber hinaus wird durch die Beschreibung der Funktion als „organisatorischer Teil eines Unternehmens“ klargestellt, dass die Funktion von anderen Funktionen des Unternehmens abgrenzbar sein muss.4 Eine Funktion kann – so die Begr. der FVerlV – nur dann als organisatorischer Teil eines Unternehmens angesehen werden, wenn sie über eine gewisse Eigenständigkeit verfügt, die es erlaubt, der Funktion bestimmte Aufwendungen und Erträge sachgerecht zuzuordnen.5 Zwingende Voraussetzung für die Annahme einer Funktion ist somit, dass sie gegenüber anderen Funktionen des Unternehmens eindeutig abgegrenzt werden kann. Denn nur dann kann ein Wert für das im Rahmen der Funktionsverlagerung übergehende Transferpaket – auf Basis der Diskontierung zukünftig erwarteter Reingewinne nach Steuern – konkret bestimmt werden. Eine Funktion, welche im Rahmen der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach dem Transferpaket zu bewerten ist, kann infolgedessen nur dann vorliegen, wenn ihr Erträge und Aufwendungen konkret zugeordnet werden können. Denn nur in diesem Fall würden auch unabhängige Dritte die Übertragung einer Funktion vergüten. Dabei sind der Funktion als organisatorischem Teil 1 Ebenso Kroppen/Rasch, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2445. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 119. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 18; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 279 f. 4 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 61. 5 Vgl. BT-Drucks. 220/07, 10; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 18; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1286; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 43.
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7.26
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
des Unternehmens auch die zur Aufgabenerfüllung notwendigen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter zuzuordnen.1 Sie sind es letztlich, die Gegenstand der Verlagerung sind und nach außen hin die Funktion erkennbar gegenüber den anderen Funktionen des Unternehmens abgrenzen (Rz. 7.48 ff.). Zudem muss die letztlich tätigkeitsbezogen dargestellte Aufgabenerfüllung in gewissen Zeitabständen wiederholt werden (können) und darf nicht auf eine einmalige Erledigung ohne Wiederholungsabsicht angelegt sein.2
7.27
Eigenständigkeit der Funktion. § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV konkretisiert mit der Forderung nach einem „organisatorischen Teil eines Unternehmens“ das Erfordernis einer betriebswirtschaftlichen Eigenständigkeit der Funktion, die es ermöglicht, ihr bestimmte Aufwendungen und Erträge sowie Chancen und Risiken zuzuordnen.3 Diese Einschränkung des Funktionsbegriffs ist sachgerecht, denn unter Fremdvergleichsgesichtspunkten ist eine Vergütung der Übertragung einer Funktion nur dann vorstellbar, wenn diese eindeutig abgrenzbar, insbesondere aber bewertbar ist.4 Im Schrifttum wird daher aus dem Erfordernis der funktionsspezifischen Zuordnung von Aufwendungen und Erträgen gefolgert, dass sich der Funktionsbegriff mittels des Konzepts der „Cash-Generating-Unit“ (CGU) nach IAS 36 präzisieren ließe.5 Diese Forderung lässt sich indessen nur mittelbar aus der Definition der Funktion in § 1 Abs. 1 FVerlV ableiten. Mithin geht aus § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV eindeutig hervor, dass eine Funktion „auf bestimmte, selbständige Teilaufgaben spezialisierte, in ihrem Tätigkeitsbereich abgegrenzte und aus mehreren Stellen oder Abteilungen bestehende Einheiten eines Unternehmens“6 erfordert. Damit wird die Anwendung der Funktionsverlagerungsbesteuerung auf konkret abgrenzbare Funktionen beschränkt, denen eindeutig Erträge und Aufwendungen zugeordnet werden können. Die weite Auslegung des Funktionsbegriffs durch die Finanzverwaltung (Rz. 7.24) ist hingegen durch die gesetzlichen Vorgaben des § 1 Abs. 1 FVerlV nicht gedeckt.
7.28
Abgrenzung der Funktion vom Teilbetrieb. § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV grenzt den Begriff der Funktion von demjenigen des Teilbetriebs ab, indem klargestellt wird, dass eine Funktion zwar ein „organisatorischer Teil eines Unternehmens“ darstelle, jedoch nicht die Voraussetzungen eines Teilbetriebs erfüllen müsse. Die Rspr. definiert den Teilbetrieb als 1 Vgl. auch Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 280; Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. Q 33. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 280. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 18. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1286. 5 Vgl. Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 284; Borstell/Wehnert, in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. Q 42 ff.; Blumers, BB 2007, 1762. 6 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 63.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
„einen mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten, organisch geschlossenen Teil des Gesamtbetriebs, der für sich lebensfähig ist.“1 Der Begriff des Teilbetriebs ist damit „enger“ als derjenige der Funktion. Mithin umfasst er regelmäßig mehrere betriebliche Funktionen, wobei darüber hinaus eine gewisse Selbständigkeit und vor allem eine selbständige Lebensfähigkeit den Teilbetrieb auszeichnen. Insbesondere das Kriterium der selbständigen Lebensfähigkeit (z.B. nach Auffassung des BFH in Form eines eigenen Kundenkreises, eigene Einkaufsbeziehungen oder einem eigenen Personalbestand2) ist für eine Funktion nicht erforderlich.3 Vielmehr setzt sich ein Teilbetrieb regelmäßig aus mehreren Funktionen i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV zusammen, so dass der Teilbetrieb auf einer Hierarchieebene des Unternehmens über der Funktion anzusiedeln ist. Denn die für einen Teilbetrieb notwendige selbständige Lebensfähigkeit kann nur dann angenommen werden, wenn er über sämtliche für eine eigenständige Tätigkeitsausübung notwendigen Funktionen verfügt. Demgegenüber beziehen sich Funktionen nur auf eine Stufe des Wertschöpfungsprozesses. Ferner müssen die einer Funktion immanenten Leistungen nicht marktbezogen sein, sondern können auch gruppenintern erbracht werden.4 Funktion als Untereinheit des Teilbetriebs. Ein Teilbetrieb kann erst dann auf einem Markt erwerbswirtschaftlich tätig werden, wenn mehrere, dem Teilbetrieb zuzuordnende Funktionen ausgeübt werden. Im Gegensatz zu Teilbetrieben sind Funktionen nicht selbständig, sondern nur in Kombination mit weiteren Funktionen lebensfähig5. In Abgrenzung zum Teilbetrieb ist damit eine Funktion eine „Untereinheit“ eines Teilbetriebs, die nicht selbständig lebensfähig ist. Die Funktion muss allerdings – vergleichbar zu den Kriterien des Teilbetriebs – von anderen Funktionen abgrenzbar sein und insofern über eine gewisse Eigenständigkeit verfügen. Diese erfordert insbesondere, dass der Funktion die von ihr ver1 BFH v. 17.3.1977 – IV R 218/72, BStBl. II 1977, 596; v. 5.6.2003 – IV R 18/02, BStBl. II 2003, 839 m.w.N. = FR 2003, 1181 m. Anm. Wendt; v. 21.3.2010 – IV R 41/07, FR 2010, 667 m. Anm. Wendt = DStR 2010, 924 m.w.N. 2 Vgl. zu einem Kundenstamm BFH v. 26.6.1975 – VIII R 39/74, BStBl. II 1975, 833; v. 15.3.1984 – IV R 189/81, BStBl. II 1984, 486 = FR 1984, 425; hinsichtlich eigener Einkaufsbeziehungen bei Einzelhandelsfilialen vgl. BFH v. 12.9.1979 – I R 146/76, BStBl. II 1980, 51; v. 12.2.1992 – XI R 21/90, BFH/NV 1992, 516; hinsichtlich eines eigenen Personalbestands vgl. BFH v. 1.2.1989 – VIII R 33/85, BStBl. II 1989, 458. 3 Zu Einzelheiten vgl. auch von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 63 ff. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 17. 5 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 42; Kroppen/Roeder in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 157; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 280. Nach Frischmuth, StuB 2010, 96 soll hingegen eine Funktion, die mit allen wesentlichen materiellen und immateriellen Betriebsgrundlagen inklusive der Funktionsberechtigung verlagert wird, einen Teilbetrieb darstellen.
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7.29
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
anlassten Aufwendungen und Erträge eindeutig zugeordnet werden können (Rz. 7.26). Indizien einer Eigenständigkeit der Funktion können darüber hinaus eine räumliche Trennung, der Einsatz eigener Betriebsmittel und eigenen Personals, eine gesonderte Buchführung oder eine separierte interne Kostenrechnung sein.1
7.30
Funktion beim abgebenden und/oder aufnehmenden Unternehmen. Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass eine Funktion entweder beim abgebenden „oder“ beim aufnehmenden Unternehmen eine organisatorische Einheit darstellen muss.2 Diese Auffassung ist abzulehnen; denn sowohl aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG als auch aus der Definition der Funktionsverlagerung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV geht eindeutig hervor, dass die Voraussetzungen einer Funktion bereits beim funktionsabgebenden, inländischen Unternehmen erfüllt sein müssen. Mithin kann eine Verlagerung von Funktionen i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG nur vorliegen, wenn die Funktion beim inländischen Unternehmen bereits vor der Verlagerung bestanden hat.3 Im Übrigen fordert § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV explizit, dass die verlagerte Funktion bereits beim abgebenden Unternehmen ausgeübt wurde. Schließlich ist die Realisierung des einer Funktion immanenten Geschäfts- oder Firmenwerts – wie von § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG beabsichtigt (Rz. 7.31) – nur möglich, wenn die aus der Funktion resultierenden geschäftswertbildenden Faktoren bereits im Inland durch eine organisatorische Einheit ausgeübt wurden. Die Bewertung eines Transferpakets setzt damit zwingend voraus, dass eine entsprechende Funktion beim inländischen, die Funktion abgebenden Unternehmen bereits vorhanden war.4 Denn auch fremde Dritte wären nur bereit, für eine übergehende Funktion ein Entgelt zu leisten, wenn die Funktion für das erwerbende Unternehmen „erkennbar“ ist.
7.31
Zuordnung eines Geschäfts- oder Firmenwerts. Die Realisierung und Besteuerung eines Transferpakets im Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung ist nur dann – i.S.d. Fremdvergleichsgrundsatzes – sachgerecht, wenn der entsprechenden Funktion ein (anteiliger) Geschäfts- oder Firmenwert zugeordnet werden kann und dieser mit der Funktion auf das ausländische verbundene Unternehmen übergeht. Fraglich ist allerdings, ob einer Funktion überhaupt ein (anteiliger) Geschäfts- oder Firmenwert immanent sein kann. Zwar hat der BFH entschieden, dass der Geschäftsoder Firmenwert eines Betriebs grundsätzlich spaltbar ist.5 Ferner geht die 1 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 69. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 18. 3 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 75; Wolter/Pitzal, IStR 2008, 798 f. 4 Sowohl auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 62. 5 Vgl. BFH v. 7.10.1970 – I R 1/68, BStBl. II 1971, 69; v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 577 = FR 1996, 760.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
Rspr. davon aus, dass der Geschäfts- oder Firmenwert grundsätzlich den übergehenden geschäftswertbildenden Faktoren folgt.1 Auf Grundlage dieser Rspr. des BFH könnte einer Funktion grundsätzlich ein anteiliger Geschäfts- oder Firmenwert zugeordnet werden. Voraussetzung wäre freilich, dass mit der Funktion geschäftswertbildende Faktoren tatsächlich auf das ausländische verbundene Unternehmen übertragen werden. Ob dies der Fall ist, ist in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Kroppen weist in diesem Zusammenhang allerdings zutreffend darauf hin, dass im Rahmen einer Funktionsverlagerung i.d.R. keine Organisationseinheit auf das ausländische, verbundene Unternehmen übertragen, sondern diese beim funktionsabgebenden Unternehmen aufgelöst und beim funktionsaufnehmenden ausländischen Unternehmen neu aufgebaut wird. Eine Übertragung geschäftswertbildender Faktoren wäre damit bei Funktionsverlagerungen im Allgemeinen ausgeschlossen.2 Voraussetzung eines selbständig lebensfähigen Betriebsteils. Im Übrigen ist die Rspr. des BFH zu beachten, wonach ein Geschäfts- oder Firmenwert nur dann übergehen kann, wenn der Verlagerungsgegenstand eigenständig am Wirtschaftsleben teilnehmen kann und somit selbständig lebensfähig ist.3 Vor dem Hintergrund der geforderten selbständigen Lebensfähigkeit des Verlagerungsgegenstands wurde in zahlreichen BFH-Urteilen ein Übergang eines Geschäfts- oder Firmenwerts nur angenommen, wenn der Verlagerungsgegenstand einem Betrieb oder Teilbetrieb entspricht.4 Gegenstand einer Funktionsverlagerung sind indessen nur in seltenen Ausnahmefällen Betriebe oder Teilbetriebe; denn wie bei der Funktion handelt es sich gerade um Bestandteile eines Betriebs oder Teilbetriebs (Rz. 7.28), so dass die strengen Voraussetzungen des BFH im Hinblick auf den Übergang eines (anteiligen) Geschäfts- oder Firmenwerts im Rahmen von Funktionsverlagerungen nicht erfüllt sind. Folgt man daher der Rspr. des BFH, lässt sich die Realisierung eines Geschäfts- oder Firmenwerts im Rahmen einer Funktionsverlagerung nur rechtfertigen, wenn ein selbständig lebensfähiger Betriebsteil übertragen wird.5
7.32
Übertragung geschäftswertbildender Faktoren. Entgegen der in der vorstehenden Rz. genannten Rspr. geht der Gesetzgeber im Hinblick auf die
7.33
1 Vgl. BFH v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 577 = FR 1996, 760; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 772 = FR 2001, 1108; v. 2.9.2008 – X R 32/05, FR 2009, 954 m. Anm. Wendt = BFH/NV 2009, 1001; FG Rh.-Pf. v. 24.10.2002 – 6 K 3031/98, EFG 2002, 240, rkr. 2 Vgl. Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 131; s. ferner Haas, Ubg 2008, 519; Kroppen/Rasch, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2454. 3 Vgl. BFH v. 28.6.1989 – I R 25/88, BStBl. II 1989, 982; v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 577 = FR 1996, 760; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 772 = FR 2001, 1108; v. 2.9.2008 – X R 32/05, FR 2009, 954 m. Anm. Wendt = BFH/NV 2009, 1001. 4 Vgl. BFH v. 7.10.1970 – I R 1/68, BStBl. II 1971, 70 f.; v. 17.3.1977 – IV R 218/72, BStBl. II 1977, 595 f.; v. 24.11.1982 – I R 123/78, BStBl. II 1983, 113 = FR 1983, 198. 5 Vgl. Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1637; Greinert, Ubg 2010, 109.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
Realisierung eines (anteiligen) Geschäfts- oder Firmenwerts im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen davon aus, dass dessen Realisierung keinen selbständig lebensfähigen Betriebsteil voraussetzt. Unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes und seiner Konkretisierung im Verhalten zweier ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter kann dieses Konzept jedoch nur dann überzeugen, wenn im Rahmen einer Funktionsverlagerung tatsächlich geschäftswertbildende Faktoren mit der Funktion auf das ausländische verbundene Unternehmen übergehen. Dies setzt einerseits voraus, dass der Funktion, verstanden als „organischer Teil eines Unternehmens“ (Rz. 7.26), eindeutig Erträge und Aufwendungen zugeordnet werden können. Ferner ist Voraussetzung, dass im Rahmen der Funktionsverlagerung tatsächlich die einen Geschäfts- oder Firmenwert prägenden Komponenten übergehen. Dies sind die Folgenden:1 – betriebswirtschaftliche Vorteile in Form eines Kundenstamms, Produktions- und Absatzverfahren, Organisationsstruktur, besondere Mitarbeiterqualifikationen oder günstige Einkaufsmöglichkeiten; – „Going-Concern“-Komponenten, die aus dem Zusammenwirken von Wirtschaftsgütern in der organisatorischen Einheit einer Funktion entstehen; – Synergieeffekte, die durch die Integration der Funktion in das jeweilige Unternehmen entstehen; – Standortvorteile des jeweiligen Landes wie bspw. ein niedriges Lohnund Kostenniveau oder das Steuersystem. Im Ergebnis kann daher eine Funktion nur dann Gegenstand einer Funktionsverlagerung sein, wenn diese bereits vor der Funktionsverlagerung bei dem inländischen Unternehmen vorhanden war (Rz. 7.30) und der Funktion geschäftswertbildende Faktoren zugeordnet werden können, welche ebenfalls auf das ausländische verbundene Unternehmen im Zusammenhang mit der Funktionsverlagerung übertragen oder zur Nutzung überlassen werden. Auch insoweit kommt es zu einer Einschränkung der Anwendung der Regelungen zur Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3 Sätze 9 ff. AStG und der FVerlV.
7.34
Verhältnis zur „Activity“ der OECD-Leitlinien. Die OECD-Leitlinien enthalten keine Definition der Funktion, sondern lediglich eine beispielhafte Aufzählung von Funktionen, welche im Rahmen der Funktionsanalyse zu prüfen sind.2 Im Gegensatz zu § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und der Funktionsverlagerungsverordnung setzt nach den OECD-Leitlinien eine Gesamtbewertung nicht den Übergang einer „Funktion“, sondern einer 1 Vgl. zum Geschäfts- oder Firmenwert einer Funktion Frotscher/Oestreicher, Intertax 2009, 389; von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 72. 2 Vgl. Tz. 1.21 OECD-Leitlinien 2010. Hier werden die folgenden Funktionen genannt: Design, Herstellung, Montage, Forschung und Entwicklung, Service, Einkauf, Vertrieb, Marketing, Werbung, Transport, Finanzierung und Management.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
„Activity“ voraus.1 Der Begriff der „Activity“ wird von der OECD mit dem Begriff des „Going Concern“ gleichgesetzt. Beide Begriffe dienen der Abgrenzung zum „bloßen“ Übergang von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern. Dabei kann eine Gesamtbewertung nach Auffassung der OECD notwendig sein, wenn ein „Going Concern“ und infolgedessen eine „Activity“ auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen übertragen wird.2 Unter einem „Going Concern“ wird der Transfer von Wirtschaftsgütern, welche der Ausübung von bestimmten Funktionen dienen und welchen Risiken zuzuordnen sind, verstanden. Darüber hinaus wird das „Going Concern“ von der OECD als „Functioning Economically Integrated Business Unit“ definiert.3 Solche „Business-Units“ umfassen regelmäßig mehrere Funktionen und sind infolgedessen mit einem Teilbetrieb vergleichbar (Rz. 7.28), so dass sie über „eine“ Funktion hinausgehen.4 Nach den OECD-Leitlinien führt damit der Übergang einer Funktion noch nicht zu einer Gesamtbewertung im Rahmen von Reorganisationsmaßnahmen. Vielmehr setzt eine solche die Übertragung einer „Business-Unit“ voraus. Eine „Business-Unit“ entspricht allerdings dem deutschen Begriff des „Teilbetriebs“ (Rz. 7.28), so dass eine Gesamtbewertung im Rahmen einer Funktionsverlagerung, im Rahmen welcher kein Teilbetrieb (und damit keine „Business-Unit“) übertragen wird, von den OECD-Leitlinien nicht vorgesehen ist. Infolgedessen ist die Funktionsverlagerungsbesteuerung gem. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und der FVerlV nicht durch die Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes der OECD und damit nicht durch Art. 9 OECD-MA gedeckt. Eine Art. 9 OECD-MA nachgebildete Abkommensnorm steht damit der Durchführung von Einkünftekorrekturen durch die deutsche Finanzverwaltung im Hinblick auf Funktionsverlagerungen entgegen.5
III. Verlagerung der Funktion Definition der „Verlagerung“ gem. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. Der in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG verwandte Begriff der „Verlagerung“ wird in der Vorschrift nicht definiert. Klar ist insoweit nur, dass der Gesetzeswortlaut weder Funktionsverdoppelungen noch Funktionsvervielfältigungen erfassen will.6 Denn das Gesetz spricht ausdrücklich von „verlagert“.
7.35
Betriebswirtschaftliche Sicht. Stellt man mangels gesetzlicher Definition in § 1 Abs. 3 AStG zur Definition des Verlagerungstatbestandes auf die betriebswirtschaftliche Sicht ab, liegt eine grenzüberschreitende Funktionsverlagerung vor, wenn eine Funktion (Rz. 7.18 ff.), die bisher im In-
7.36
1 2 3 4
Vgl. Tz. 9.93 ff. OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.94 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.93 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 96 f. 5 Vgl. auch Welling in FS Schaumburg, 990. 6 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 561.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
land ausgeübt wurde, zukünftig an einem anderen Standort im Ausland ausgeübt wird.1 Die Verlagerung von Funktionen setzt demnach voraus, dass die entsprechende Funktion bereits vor der Verlagerung ausgeübt worden ist (Rz. 7.30). Der Begriff der Funktionsverlagerung erfasst damit nicht die Kapazitätserweiterung. Ferner muss die Beendigung der Funktionsausübung am bisherigen Standort in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der Funktionsausübung am neuen Standort stehen. Infolgedessen kann von einer Verlagerung von Funktionen nicht ausgegangen werden, wenn eine Funktion im Inland zunächst eingestellt und zu einem späteren Zeitpunkt im Ausland von neuem aufgenommen wird. Der Begriff der „Verlagerung“ i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG impliziert damit nicht nur, dass eine bislang im Inland wahrgenommene Funktion zukünftig im Ausland ausgeübt wird; vielmehr ist es auch erforderlich, dass die ursprüngliche Tätigkeit im Inland eingestellt wird. Eine Verlagerung erfordert also, dass eine bereits vorhandene Tätigkeit vollständig an einem neuen Ort ausgeübt wird.2
7.37
Definition der „Verlagerung“ gem. § 1 Abs. 2 FVerlV. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV konkretisiert die Tatbestandsvoraussetzung der „Verlagerung“ dahin gehend, dass „damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird.“ Damit muss die in das Ausland „verlagerte“ Funktion beim inländischen Unternehmen eingestellt oder zumindest eingeschränkt werden.3 Während der Begriff des „Einstellens“ insofern eindeutig ist, als damit die Aufgabe der entsprechenden Funktion im Inland gemeint ist, ist die Auslegung des Begriffs „einschränken“ problematisch. Insbesondere stellt sich die Frage, ob der Begriff der Einschränkung einer Funktion tätigkeitsbezogen oder produktbezogen auszulegen ist. Die Finanzverwaltung geht von einem rein produktbezogenen Begriffsverständnis aus. Diese Auffassung ist abzulehnen, da sie durch die gesetzliche Definition der Funktionsverlagerung nicht gedeckt ist (Rz. 7.24 ff.). Soweit § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV eine „Verlagerung“ bereits mit einer Einschränkung der Funktion beim inländischen Unternehmen annimmt, während § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG von einer Einstellung der Funktion im Inland ausgeht, verlässt die FVerlV ihren Ermächtigungsrahmen und ist insoweit ohne Rechtsgrundlage.
7.38
Qualitative Auslegung der Einschränkung einer Funktion. Was konkret unter einer „Einschränkung“ der Funktionen beim inländischen Unternehmen zu verstehen ist, lässt § 1 FVerlV offen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll es indessen im Hinblick auf eine Funktionseinschränkung im Inland qualitativ darauf ankommen, ob das überneh1 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 7; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 26 f. 2 Vgl. auch Blumers, BB 2007, 1758. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 22.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
mende Unternehmen mit den übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgütern die Funktion in gleicher Weise wie das verlagernde Unternehmen ausübt.1 Diese Aussage ist insofern nicht sachgerecht, als dann eine ggf. im Ausland neu entstehende Funktion bzw. eine Neukonfiguration der Funktion in den Bewertungsbereich des Transferpakets eingehen könnte, welche im Inland vor der Funktionsverlagerung nicht bestand.2 Darüber hinaus ist auch selbstverständlich, dass Funktionen, die bislang von einem unabhängigen Dritten für das funktionsabgebende Unternehmen erbracht und nach der Funktionsverlagerung durch das ausländische verbundene Unternehmen selbst ausgeübt werden, nicht von einer Funktionsverlagerungsbesteuerung erfasst werden können. Quantitative Auslegung der Einschränkung der Funktion. Was den quantitativen Maßstab für die Einschränkung einer Funktion im Inland anbelangt, geht die Finanzverwaltung von dem mit der entsprechenden Funktion erzielten Umsatz aus.3 So könne eine Funktionseinschränkung erst bei Umsatzeinbußen von mehr als 1 Mio. Euro in einem Wirtschaftsjahr (Bagatellgrenze) vorliegen.4 Dies hat beispielsweise zur Folge, dass die Finanzverwaltung für den Fall, dass im Ausland eine Vertriebsfunktion neu aufgenommen wird und es dadurch beim inländischen Unternehmen zu Umsatzrückgängen kommt, eine Funktionsverlagerung annimmt.5 Eine solche Auslegung der „Einschränkung einer Funktion“ entbehrt indessen jeglicher Rechtsgrundlage und ist durch die Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 2 FVerlV nicht gedeckt. Vielmehr kann ein Umsatzrückgang allenfalls ein Indiz dafür sein, dass betriebliche Funktionen ins Ausland übertragen wurden.6 Selbstverständlich setzt eine Funktionsverlagerung nach ihrer allgemeinen Definition in § 1 Abs. 2 FVerlV voraus, dass neben dem Umsatzrückgang auch tatsächlich Funktionen i.S.v. Geschäftstätigkeiten in das Ausland verlagert werden. Ein bloßer Umsatzrückgang im Inland verbunden mit einem korrespondierenden Umsatzanstieg im Ausland reicht hingegen für die Annahme einer Funktionsverlagerung unzweifelhaft nicht aus. So anerkennt im Übrigen auch die Finanzverwaltung, dass der Tatbestand einer Funktionsverlagerung nicht darauf abstellt, ob durch den entsprechenden Vorgang die Gewinnerwartungen des inländischen Unternehmens steigen oder gemindert werden.7 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 24, s. ferner BR-Drucks. 352/08, 11. 2 Kritisch hierzu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Kroppen/Rasch, IWB F. 1 Gr. 3, 2342. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 23. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 48 f. und 58. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 43. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 160. 7 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 20.
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7.39
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
Damit kann ein reiner Gewinnrückgang im Inland verbunden mit einem korrespondierenden (oder übersteigenden) Gewinnanstieg im Ausland keine Funktionsverlagerung auslösen. Vielmehr ist im Einzelfall immer zu prüfen, ob tatsächlich Funktionen des inländischen Unternehmens auf das ausländische verbundene Unternehmen verlagert wurden und ob unabhängige Dritte für eine solche Funktionsverlagerung ein Entgelt zum Ansatz gebracht hätten. Vergleichbare Schwächen wie die Umsatz- oder Gewinnentwicklung weisen auch andere in Betracht kommende Kriterien (wie z.B. Stückzahlen, Volumen der Produktion, Mitarbeiteranzahl, Kapitalbindung oder Materialeinsatz) auf.1 Auch bei diesen Kriterien kann es sich letztlich nur um Indikatoren einer Funktionsverlagerung handeln.
7.40
Substitution einer Funktion. Die Finanzverwaltung geht von einer Einschränkung einer Funktion auch in sog. „Substitutionsfällen“ aus.2 In diesen Fällen bleibt die entsprechende Funktion (z.B. Produktion) im Inland zwar erhalten, bezieht sich allerdings auf andere, d.h. neue Produkte. Beispiel: Die deutsche M-GmbH ist im Bereich der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Kleinmaschinen tätig. Der Motorsägentyp A1 wurde bisher ausschließlich in Deutschland hergestellt und weltweit vertrieben. Das Produkt basiert auf einem Patent, das die M-GmbH bereits 1980 entwickelt hat; der Patentschutz ist abgelaufen. Da der Motorsägentyp A1 mittlerweile in Europa – insbesondere im Hinblick auf seine Abgaswerte – veraltet ist, soll seine Produktion am Stammsitz der M-GmbH eingestellt und zukünftig nur noch von der Tochtergesellschaft in China, der C-Ltd., ausgeübt werden. Die C-Ltd. verfügt bereits über eine entsprechende Produktionsanlage, wobei zur Herstellung der Kettensäge A1 das Know-how der M-GmbH notwendig ist. Darüber hinaus erhält die C-Ltd. in der Anfangsphase personelle Unterstützungsleistungen durch die M-GmbH, bis die Produktion der Motorsäge in China vollends angelaufen ist. Ferner erbringt die M-GmbH auch Unterstützungsleistungen an die C-Ltd. im Bereich des Vertriebs. Anstelle des Motorsägentyps A1 produziert und vertreibt die M-GmbH zukünftig nur noch das von ihr neu entwickelte Nachfolgeprodukt B1, das im Wesentlichen auf anderen Patenten als der Typ A1 beruht. Die M-GmbH erzielt mit der Kettensäge B1 bei unverändertem Personalbestand und Maschineneinsatz einen höheren Umsatz als mit dem Vorgängerprodukt A1.
7.41
Keine Funktionsverlagerung in Substitutionsfällen. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist das Tatbestandsmerkmal der „Funktionseinschränkung“ i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV im vorstehenden Beispielsfall erfüllt.3 Dies liegt daran, dass die Finanzverwaltung den Begriff der Funktion – entgegen der h.M. in der Literatur4 – z.B. als „Produktion eines bestimmten Pro1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 160. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 23. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 23. 4 Vgl. etwa Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 f.; Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 163.1; Pohl, JbFSt 2007/08, 433 ff.; Frotscher, FR 2008, 49 f.; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 275.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
dukts oder einer bestimmten Produktgruppe“1 (Rz. 7.24 ff.) definiert. Da die Funktion „Produktion und Vertrieb der Motorsäge A1“ in Deutschland bei der M-GmbH entfällt und damit – zumindest aus Sicht der Finanzverwaltung – i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV eingeschränkt wird, geht die Finanzverwaltung von einer Funktionsverlagerung aus. Dies wird damit begründet, dass es sich bei der „Produktion und dem Vertrieb der Motorsäge A1“ einerseits und der „Produktion und dem Vertrieb der Motorsäge B1“ andererseits um verschiedene Funktionen handelt, da im Wesentlichen unterschiedliche immaterielle Wirtschaftsgüter eingesetzt werden. Dabei soll es keine Rolle spielen, dass das verlagernde Unternehmen (im Beispielsfall: M-GmbH) keinen Personalabbau vornimmt und mit dem Motorsägentyp B1 sogar einen höheren Umsatz erzielt.2 Diese weite Interpretation des Begriffs der Funktion (i. S. einer „Atomisierung“ der Funktion) steht allerdings weder im Einklang mit § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG noch der Definition der Funktion und der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 1 und 2 FVerlV (zu Einzelheiten Rz. 7.24 ff.).3 Soweit die Finanzverwaltung in diesen Fällen unter bestimmten Voraussetzungen eine Transferpaketbewertung zu einem Mindestpreis beim verlagernden und – wohl auch beim übernehmenden – Unternehmen von null akzeptiert,4 ist dies nicht ausreichend. Ausprägungsformen von Funktionsverlagerungen. Im Rahmen einer Funktionsverlagerung wird ein wirtschaftlich separater bzw. organisatorischer Bereich eines Unternehmens übertragen (Rz. 7.26), ohne dass die Voraussetzungen eines Teilbetriebs erfüllt sein müssen (Rz. 7.28). Unter Berücksichtigung des Telos des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG können in diesem Zusammenhang folgende Ausprägungsformen einer „Verlagerung“ einer betrieblichen Funktion unterschieden werden:5 – Funktionsausgliederung, d.h. die vollständige Übertragung einer Funktion (Rz. 7.43); – Funktionsabschmelzung, d.h. die Übertragung eines Teils einer Funktion (Rz. 7.44); – Funktionsabspaltung, d.h. die Übertragung eines Teils einer Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken im Inland (Rz. 7.45); 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 16. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 23. 3 Kritisch auch Kroppen/Rasch, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2444 ff. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 119. Siehe hierzu auch Frischmuth in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 98 f. 5 Vgl. auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 52; Frischmuth, StuB 2007, 387; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650.
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7.42
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
– Funktionsverdoppelung bzw. Funktionsvervielfältigung, d.h. die Verdoppelung bzw. Vervielfältigung einer im Inland weiterhin ausgeübten Funktion (Rz. 7.46).
7.43
Funktionsausgliederung. Im Rahmen einer Funktionsausgliederung wird eine Funktion einschließlich des mit ihr in Zusammenhang stehenden Gewinnpotentials vollständig vom Inland auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen übertragen und die entsprechende Funktion im Inland eingestellt. Infolgedessen geht die entsprechende Funktion einschließlich der Entscheidungskompetenzen sowie der Gewinnchancen und Risiken auf das ausländische verbundene Unternehmen über.1 Mit der Funktion kommt es dann auch zu einer Übertragung oder Nutzungsüberlassung der der Funktion zugeordneten materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter. Mithin ist es dem inländischen Unternehmen im Anschluss an die Funktionsausgliederung nicht mehr möglich, die entsprechende Funktion selbst auszuüben. Gleichwohl kann es (rechtlicher und wirtschaftlicher) Eigentümer der im Rahmen der Ausübung der Funktion notwendigen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter bleiben, die in diesem Fall allerdings an das ausländische verbundene Unternehmen unter Berücksichtigung einer angemessenen Nutzungsgebühr (Miete, Pacht oder Lizenzgebühr) zur Nutzung überlassen werden. Eine Funktionsausgliederung liegt z.B. vor, wenn die Herstellung bestimmter Produkte einschließlich der Vertriebsverantwortung auf ein ausländisches Unternehmen übertragen wird.
7.44
Funktionsabschmelzung. Im Rahmen der Funktionsabschmelzung werden Teile einer Funktion auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen verlagert, so dass das inländische Unternehmen nach der Funktionsabschmelzung über ein geringeres Funktions- und/oder Risikoprofil verfügt.2 Infolgedessen liegt keine Funktionsausgliederung vor; denn die eigentliche Funktion verbleibt weiterhin im Inland, allerdings wird sie hier beschränkt. Das Funktions- und Risikoprofil kann dabei im Inland – im Extremfall – auf die Erbringung reiner Dienstleistungen beschränkt werden.3 Typische Anwendungsfälle einer Funktionsabschmelzung ist die Abschmelzung einer inländischen Produktionsgesellschaft vom Eigenproduzenten auf einen Lohnfertiger (Rz. 7.147 ff.) oder die Abschmelzung einer inländischen Vertriebsgesellschaft von einem funktionsstarken Eigenhändler auf einen Kommissionär oder einen „Low-Risk-Distributor“ (Rz. 7.173 ff.). Da nach der Funktionsabschmelzung dem inländischen verbundenen Unternehmen i.d.R. eine geringere Gewinnmarge zuzuordnen ist, geht die Finanzverwaltung in diesen Fällen häufig
1 Vgl. Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. Q 75; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 52. 2 Vgl. Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. Q 79; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 52. 3 Vgl. auch Oestreicher, Ubg 2009, 83.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
von einer Funktionsverlagerungsbesteuerung aus.1 Dies ist indessen nur sachgerecht, wenn die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllt sind (Rz. 7.18 ff.). Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die reine Verlagerung von Risiken keine Funktionsverlagerung auslösen kann.2 Denn das nach der Funktionsabschmelzung geminderte Gewinnniveau geht mit einem korrespondierend geringeren unternehmerischen Risiko einher (Rz. 7.173). Funktionsabspaltung. Bei einer Funktionsabspaltung wird ein Teil einer Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken beim inländischen verbundenen Unternehmen auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen übertragen. Teile der Funktion, die damit verbundenen Entscheidungskompetenzen sowie die zur Ausübung der Funktion notwendigen wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter verbleiben bei einer Funktionsabspaltung bei dem inländischen Unternehmen. Infolgedessen sind diesen auch nach der Funktionsverlagerung weiterhin die aus der Funktion resultierenden Chancen und Risiken zuzuordnen. Mithin bleibt damit das inländische verbundene Unternehmen Teil der Liefer- und Leistungskette.3 Infolgedessen werden im Rahmen der Funktionsabspaltungen zwar Funktionen auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen verlagert, es kommt allerdings nicht zu einer Funktionsverlagerungsbesteuerung, denn es wird kein Gewinnpotential ins Ausland verlagert (zu Einzelheiten Rz. 7.62 ff.). Beispiele für eine Funktionsabspaltung sind das „Outsourcing“ von bestimmten Produktionsschritten auf einen Lohn- oder Auftragsfertiger oder der Vertrieb durch einen Handelsvertreter, Kommissionär oder eine als „Low-Risk-Distributor“ organisierte ausländische Vertriebsgesellschaft.
7.45
Funktionsverdoppelung bzw. Funktionsvervielfältigung. Insbesondere in Fällen der Funktionsverdoppelung kommt dem Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzung „Einschränkung einer Funktion“ eine entscheidende Bedeutung zu. Unter einer Funktionsverdoppelung bzw. -vervielfältigung versteht man die Verdoppelung bzw. Vervielfältigung einer durch den bisherigen (alleinigen) Funktionsträger weiterhin ausgeübten Funktion.4 Begrifflich ist die Funktionsverdoppelung nicht als Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und des § 2 Abs. 1 Satz 1 FVerlV zu qualifizieren, da es an der Einstellung oder Einschränkung der Funktionsausübung durch den bisherigen Funktionsträger fehlt (zu Einzelheiten Rz. 7.54 ff.). Eine Funktionsverlagerung liegt demnach nicht vor, wenn die Aufnahme einer Funktion durch ein Unternehmen zu keiner Einschränkung dieser Funktion beim inländischen Unternehmen
7.46
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 21. 2 Gl.A. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 47. 3 Vgl. Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. Q 76; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 52. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
führt. Dies gilt auch dann, wenn alle übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 FVerlV erfüllt sind.1 Gleichwohl geht § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV bei der Funktionsverdoppelung offenkundig von einem Unterfall der Funktionsverlagerung aus.2 Hiernach soll eine Funktionsverlagerung erst dann nicht gegeben sein, „wenn es trotz Vorliegens der übrigen Voraussetzungen […] innerhalb von fünf Jahren nach Aufnahme der Funktion […] zu keiner Einschränkung der Ausübung der betreffenden Funktion […] kommt (Funktionsverdoppelung)“. Begrifflich soll eine Funktionsverdoppelung damit erst dann vorliegen, wenn keine Funktionseinschränkung beim „verlagernden“ Unternehmen innerhalb einer Fünf-Jahres-Frist zu verzeichnen ist. Diese Regelung ist offenkundig als Missbrauchsvermeidungsnorm zur Vermeidung sukzessiver Verlagerungen konzipiert.3 Die Finanzverwaltung will etwa Fälle nicht als Funktionsverdoppelung, sondern als Funktionsverlagerung behandeln, in denen im Ausland eine Vertriebsgesellschaft neu errichtet wird und dieser Markt zuvor vom Inland aus bedient wurde.4 Demgegenüber ist die Erschließung eines neuen Vertriebskanals bzw. eines neuen Absatzmarktes stets als Neuaufnahme einer Geschäftstätigkeit zu verstehen.5 Dies entspricht der regionalen und produktbezogenen Auslegung des Funktionsbegriffs durch die Finanzverwaltung, welcher grundlegend abzulehnen ist (Rz. 7.24).
7.47
Neuaufnahme einer Funktion. In Rz. 57 VWG-Funktionsverlagerung wird zutreffend klargestellt, dass die Neuaufnahme einer Funktion, die bisher durch das inländische Unternehmen noch nicht ausgeübt wurde, zu keiner Funktionsverlagerung führen kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine neue Technologie durch ein inländisches Unternehmen entwickelt wurde und sowohl die Produktion als auch der Vertrieb der entsprechenden Produkte durch ein ausländisches verbundenes Unternehmen erfolgt. Die Feststellung des BMF, dass in diesem Zusammenhang keine Funktionsverlagerung vorliegt, ist grundsätzlich zutreffend, letztlich aber auch selbstverständlich. Denn in diesem Fall kommt es nicht zu einer Einschränkung einer Funktion im Inland. Vielmehr wird die Funktion neu im Ausland geschaffen. Die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 2 FVerlV sind damit nicht erfüllt. Dies gilt im Übrigen auch, wenn das ausländische verbundene Unternehmen eine bislang von einem fremden Dritten wahrgenommene Funktion übernimmt. Auch in diesem Fall kommt keine Funktionsverlagerungsbesteuerung in Betracht, da die Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung „Einschränkung einer Funktion im Inland“ nicht erfüllt sind. 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 42. 2 Fl.A. Borstell in FS Herzig, 1005 f. 3 Vgl. auch Kroppen/Rasch, IWB 2010, 828. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 42 f. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 57.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
IV. Übergang von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen Kumulativer Übergang von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen. Weitere Tatbestandsvoraussetzung einer Funktionsverlagerung ist, dass mit der Funktion auf das ausländische verbundene Unternehmen Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile übergehen. Auch insoweit handelt es sich um eine konstitutive Tatbestandsvoraussetzung, d.h. ohne Übertragung und/oder Überlassung von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen kann keine Funktionsverlagerung vorliegen.1 Infolgedessen kann allein die Übertragung einer Funktion (Rz. 7.18 ff.) nicht zu einer gewinnrealisierenden Funktionsverlagerung führen.2 Durch die Verwendung einer „und“-Verknüpfung in § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV wird ferner deutlich, dass die Übertragung oder Nutzungsüberlassung sowohl von Wirtschaftsgütern als auch von sonstigen Vorteilen notwendig ist, um eine Funktionsverlagerungsbesteuerung auszulösen. Umgekehrt gesprochen reicht es nicht aus, dass nur Wirtschaftsgüter, nicht aber sonstige Vorteile übertragen werden.3 Ferner ist die bloße Übertragung oder Nutzungsüberlassung von sonstigen Vorteilen (ohne Wirtschaftsgüter) für eine Funktionsverlagerung nicht ausreichend.
7.48
Auffassung der OECD. Auch die OECD verfolgt die Auffassung, dass eine Reallokation von Funktionen im Konzern nur dann zu vergüten ist, wenn Wirtschaftsgüter oder Rechte von einem Unternehmen auf ein anderes verbundenes Unternehmen übertragen oder zur Nutzung überlassen werden.4 Eine Gesamtbewertung (i.S.d. Bewertung eines Transferpakets) ist allerdings nach Auffassung der OECD nur dann durchzuführen, wenn eine sog. „Activity“ ins Ausland übergeht.5 Voraussetzung für den Übergang einer „Activity“ (Rz. 7.34) ist, dass Wirtschaftsgüter übergehen, die es dem aufnehmenden Unternehmen ermöglichen, bestimmte Funktionen und Risiken wahrzunehmen.6
7.49
Begriff des Wirtschaftsguts. Die Rspr. definiert den Begriff des Wirtschaftsguts weit, indem weniger auf zivilrechtliche als vielmehr auf wirtschaftliche Gesichtspunkte abzustellen ist.7 Infolgedessen sind sowohl Sachen, Tiere und nicht körperliche Gegenstände i.S.d. BGB (§§ 90 und 90a BGB), sofern sie am Bilanzstichtag bereits „als realisierbarer Vermögenswert“ angesehen werden können,8 als auch bloße vermögenswerte Vorteile einschließlich „tatsächlicher Zustände“ und „konkretisierter
7.50
1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1288. 2 Vgl. auch Oestreicher, Ubg 2009, 83. 3 A.A. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 48. 4 Vgl. Rz. 9.65 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 9.94 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. Tz. 9.93 OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. z.B. BFH v. 12.4.1984 – IV R 112/81, BStBl. II 1984, 554. 8 Vgl. BFH v. 9.7.1986 – I R 218/82, BStBl. II 1987, 14 = FR 1986, 624.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
Möglichkeiten“1 Wirtschaftsgüter, wenn sich der Kaufmann diese etwas kosten lässt, sie nach der Verkehrsauffassung einer selbständigen Bewertung zugänglich sind und i.d.R. einen Nutzen für mehrere Wirtschaftsjahre erbringen.2 Einzelheiten der Definition des Wirtschaftsgutes sollen an dieser Stelle nicht weiter diskutiert, sondern stattdessen auf die umfangreiche Kommentarliteratur zur Definition des Wirtschaftsgutes verwiesen werden.3
7.51
Begriff des sonstigen Vorteils. Der Begriff des sonstigen Vorteils wird weder gesetzlich in § 1 AStG und der FVerlV noch in den VWG-Funktionsverlagerung definiert. Auch die OECD-Leitlinien befassen sich mit dem Begriff des sonstigen Vorteils als Tatbestandsvoraussetzung einer Funktionsverlagerung nicht. Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV „Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile“ kann allerdings die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der Gesetzgeber mit sonstigen Vorteilen alle Vermögenswerte gemeint hat, die nicht als Wirtschaftsgüter qualifiziert werden können. Es handelt sich damit um Vermögenswerte, die nicht zu einem Wirtschaftsgut „erstarkt“ sind, sondern üblicherweise Teil des Geschäfts- oder Firmenwertes sind. Als solche kommen z.B. Kundenbeziehungen, einzelne Kundenaufträge, eingearbeitetes Personal oder Lieferantenbeziehungen in Betracht.4 Darüber hinaus können singuläre und unternehmerische Geschäftschancen5 sonstige Vorteile sein.6 Solche sonstigen Vorteile sind regelmäßig – aufgrund ihrer fehlenden Wirtschaftsguteigenschaft – einer Einzelbewertung nicht zugänglich, sondern werden vielmehr im Rahmen der Transferpaketbewertung als Bestandteil des einer Funktion als organischer Teil eines Unternehmens (Rz. 7.26) zuzuordnenden Geschäfts- oder Firmenwertes vergütet (Rz. 7.31 ff.).
7.52
Übertragung von Chancen und Risiken. Eng verbunden mit der Frage der Abgrenzung des Begriffs der sonstigen Vorteile ist die Frage, was unter Chancen und Risiken, welche mit der Funktion sowie den Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen auf das ausländische verbundene Unternehmen übertragen werden,7 zu verstehen ist. Selbstverständlich ist, dass die isolierte Übertragung von Chancen und Risiken keine Funktionsverlagerung begründen kann. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV spricht insofern zutreffend von „damit verbundenen Chancen und Risiken“, ohne allerdings zu konkretisieren, ob es auf die Verbundenheit mit der Funktion selbst oder aber mit den übergehenden Wirtschaftsgütern und sonstigen Vortei1 Vgl. z.B. BFH v. 6.12.1990 – IV R 3/89, BStBl. II 1991, 346 = FR 1991, 357; v. 26.8. 1992 – I R 24/91, BStBl. II 1992, 977; v. 9.7.2002 – IX R 29/98, BFH/NV 2003, 21. 2 Vgl. für viele BFH v. 24.7.1996 – X R 139/93, BFH/NV 1997, 105. 3 Vgl. etwa Crezelius in Kirchhof12, § 5 EStG Rz. 57 ff.; Weber-Grellet in Schmidt32, § 5 EStG Rz. 93 ff. 4 Vgl. Oestreicher, Ubg 2009, 83; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1288; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 52. 5 Zum Begriff vgl. Ditz, DStR 2006, 1625 ff. m.w.N. 6 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946. 7 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG; § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
len ankommt. Richtigerweise können indessen die Chancen und Risiken nur mit den übergehenden Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen übergehen.1 Denn die mitübergehenden „Chancen und Risiken“ können nur mit den Wirtschaftsgütern (insbesondere den immateriellen Wirtschaftsgütern) und den sonstigen Vorteilen verbunden sein. Denn für die bloße Möglichkeit, unternehmerische Chancen wahrnehmen zu können (ohne rechtliche Absicherung), wird unter unabhängigen Dritten kein gesondertes Entgelt vergütet, sondern nur für die (konkretisierten) Gewinnpotentiale, welche aus Wirtschaftsgütern (und gegebenenfalls sonstigen Vorteilen) resultieren. Das aus den Chancen und Risiken resultierende Gewinnpotential geht – soweit es nicht einzelnen Wirtschaftsgütern zugeordnet werden kann – in den sonstigen Vorteilen und damit in dem der Funktion zugeordneten (anteiligen) Geschäfts- oder Firmenwert auf. Funktionale und unternehmerische Chancen und Risiken. Chancen und Risiken können in funktionale und unternehmerische Chancen und Risiken unterteilt werden.2 Funktionale Chancen und Risiken sind diejenigen, die mit der Tätigkeit einhergehen und aus einer guten oder schlechten Funktionsausübung resultieren. Sie sind infolgedessen i.d.R. der reinen Funktionsausübung zuzuordnen (häufig in Form einer reinen Routinefunktion), welcher eine geringe aber stabile Vergütung zusteht.3 Unternehmerische Chancen und Risiken entstehen hingegen erst durch die Beteiligung am Residualerfolg oder -misserfolg einer am Markt angebotenen Lieferung oder Leistung. Sie sind folglich sog. strategischen Funktionen zuzuordnen, die üblicherweise von einem Strategieträger oder Entrepreneur der Unternehmensgruppe ausgeübt werden.4
7.53
V. Abgrenzung zur Funktionsverdoppelung Regelung in § 1 Abs. 6 FVerlV. Im ersten Entwurf der FVerlV vom Juni 2007 wurden auch sog. Funktionsverdoppelungen als Funktionsverlagerungen i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG eingestuft.5 Von einer Funktionsverdoppelung wird dann gesprochen, wenn eine Funktion bei einem ausländischen verbundenen Unternehmen (neu und zusätzlich) aufgebaut und damit die bereits im Inland bestehende, vergleichbare Funktion weder eingestellt noch eingeschränkt wird.6 Die im Entwurf der FVerlV vorgesehene Regelung zur Besteuerung von Funktionsverdoppelungen war heftig 1 Fl.A. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 48. 2 Vgl. hierzu Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1287. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4. 10.2 Buchst. a. 4 Vgl. zum Begriff BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.10.2 Buchst. b. 5 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Brandenberg, BB 2008, 865. 6 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Kaminski, RIW 2007, 599; Frotscher, FR 2008, 50.
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7.54
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
umstritten und wurde in der endgültigen Fassung der FVerlV gestrichen. Stattdessen stellt § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV klar, dass eine Funktionsverlagerung nicht vorliegt, wenn es innerhalb von fünf Jahren nach Aufnahme der Funktion durch das ausländische verbundene Unternehmen zu keiner Einschränkung der Funktion durch das inländische Unternehmen kommt. In welchen Fällen von einer „Einschränkung“ der inländischen Funktion auszugehen ist, lässt die FVerlV offen. Die Begr. zu § 1 Abs. 6 FVerlV erwähnt lediglich, dass Funktionsverdoppelungen, die zu einer geringfügigen oder zeitlich begrenzten Einschränkung der betreffenden Funktion beim inländischen Unternehmen führen (sog. Bagatellfälle), unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV nicht von der Funktionsverlagerungsbesteuerung erfasst werden sollen.1
7.55
Definition der „Einschränkung“ in der VWG-Funktionsverlagerung. Nach § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV soll eine Funktionsverdoppelung final erst dann vorliegen, wenn eine Funktionseinschränkung beim inländischen Unternehmen innerhalb einer Fünf-Jahres-Frist nicht zu verzeichnen ist. Die Regelung dient letztlich der Vermeidung eines Missbrauchs im Hinblick auf sukzessive, d.h. sich über einen bestimmten Zeitraum erstreckende Funktionsverlagerungen (Rz. 7.46).2 Unter welchen Voraussetzungen eine Einschränkung der Funktionsausübung vorliegt, regelt § 1 Abs. 6 FVerlV nicht. Nach den VWG-Funktionsverlagerung ist die Frage der Einschränkung einer Funktion im Zusammenhang mit der Beurteilung von Funktionsverdoppelungen nach § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV nach dem Umsatz zu beurteilen. Dies ist nicht sachgerecht (Rz. 7.39).3 Im Übrigen führt dies dazu, dass die Finanzverwaltung den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 6 FVerlV erheblich einschränkt.
7.56
Bagatellgrenze. Die Begr. zu § 1 Abs. 6 FVerlV führt aus, dass eine geringfügige oder zeitlich begrenzte Einschränkung der Funktion unschädlich sein soll.4 Dies allerdings nur dann, wenn der Vorgang auch unter fremden Dritten nicht als Veräußerung oder Verlagerung einer Funktion angesehen werden würde.5 Die korrekte Ausgestaltung dieser Bagatellregelung stellt der Verordnungsgeber den VWG-Funktionsverlagerung anheim. Gemäß Rz. 49 VWG-Funktionsverlagerung ist eine Funktionseinschränkung nicht mehr nur geringfügig, sondern erheblich, „wenn der Umsatz aus der Funktion, den das ursprünglich tätige Unternehmen i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV im letzten vollen Wirtschaftsjahr vor der Funktionsänderung erzielt hat, innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums i.S.d. § 1 Abs. 6 FVerlV in einem Wirtschaftsjahr um mehr als 1 Mio. Euro absinkt“. Ein Unterschreiten dieser Bagatellgrenze in einem Wirtschaftsjahr führt ungeachtet der Umsatzentwicklung in vorangehenden oder nachfolgenden Wirt1 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 6 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 13. 2 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2010, 828. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 43. 4 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 13. 5 Vgl. § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV.
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C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung
schaftsjahren zwingend zur Annahme einer Funktionsverlagerung. Diese umsatzbezogene Betrachtungsweise führt im Ergebnis dazu, dass die Finanzverwaltung den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 6 FVerlV erheblich einschränkt (Rz. 7.39). Mithin geht die Finanzverwaltung bei Funktionsverdoppelungen bei entsprechender Umsatzentwicklung innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums (Umsatzrückgang im Inland verbunden mit einem korrespondierenden Umsatzanstieg im Ausland) häufig von Funktionsverlagerungen aus. Dies ist insofern nicht sachgerecht, als Funktionsverdoppelungen bereits durch den Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG nicht gedeckt sind. Zu Recht beurteilen daher auch Vertreter der Finanzverwaltung die Anwendung des § 1 AStG bei Funktionsverdoppelungen als äußerst kritisch.1 Dies nicht zuletzt auch deswegen, weil die Besteuerung von Funktionsverdoppelungen nicht im Einklang mit dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 6 FVerlV, wonach Funktionsverdoppelungen nur in absoluten Ausnahmefällen besteuert werden sollen, steht. Die Regelung ist ferner nicht praktikabel. Rechtsfolge einer Funktionsverdoppelung. Kommt es innerhalb der FünfJahres-Frist zu einer Einschränkung der Funktion beim inländischen Unternehmen, liegt im Zeitpunkt, in dem die Einschränkung eintritt, insgesamt eine einheitliche Funktionsverlagerung vor.2 Die steuerlichen Folgen einer Funktionsverlagerung können in diesem Fall nur vermieden werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass die entsprechende Funktionseinschränkung im Inland nicht in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Funktionsverdoppelung steht.3 Dies erfordert eine plausible Darlegung aller tatsächlichen und objektiven Umstände, die den Rückschluss zulassen, dass kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Einschränkung der betreffenden Funktion beim inländischen Unternehmen und der Aufnahme dieser Funktion durch das ausländische Unternehmen gegeben ist.4 Entsprechende Gründe können z.B. in einer veränderten Wettbewerbssituation, veränderten Verbraucherbedürfnissenn oder geänderten rechtlichen Grundlagen liegen. Kann ein solcher Nachweis nicht geführt werden, führt eine Funktionsverdoppelung gem. § 1 Abs. 6 Satz 2 FVerlV in dem Zeitpunkt zu einer Funktionsverlagerung, in dem das (noch fehlende) Tatbestandsmerkmal der Funktionseinschränkung verwirklicht wird.5 Eine „rückwirkende“ Funktionsverlagerungsversteuerung soll indessen nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht durchgeführt werden. Die Glaubhaftmachung erfordert nach Auffassung der Finanzverwaltung dabei eine plausible Darlegung aller tatsächlichen und objektiven Umstände, die den Rückschluss zulassen, dass kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zu1 Vgl. Schwenke, StbJb. 2007/08, 137; Brandenberg, BB 2008, 864; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 86. 2 Vgl. § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV. 3 Vgl. § 1 Abs. 6 Satz 2 FVerlV. 4 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 6 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 14. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 45.
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7.57
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
sammenhang zwischen der (späteren) Einschränkung der betreffenden Funktion des inländischen Unternehmens und der Aufnahme der Funktion im Ausland gegeben ist.1 Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang ist dann anzunehmen, wenn die spätere Einschränkung der betroffenen Funktion durch dasselbe Ereignis, d.h. durch die ursprüngliche Funktionsverdoppelung, verursacht worden ist.2
VI. Funktionsverlagerung im Zeitablauf 7.58
Zeitweise Übernahme von Funktionen. Üblicherweise werden Funktionen, welche auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen verlagert wurden, längerfristig oder für immer im Ausland angesiedelt bleiben. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV kann eine Funktionsverlagerung aber auch dann vorliegen, wenn das ausländische verbundene Unternehmen die Funktion nur zeitweise übernimmt. § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV stellt damit klar, dass eine Funktionsverlagerung auch dann vorliegen kann, wenn die Funktion eines Unternehmens nur für eine zeitlich begrenzte Dauer auf das übernehmende Unternehmen übergeht.3 Die Grundsätze der Funktionsverlagerungsbesteuerung sind damit auch dann zu berücksichtigen, wenn die Funktion im Ausland nur vorübergehend (z.B. drei Jahre) verbleibt. Die begrenzte Zeitdauer des Verbleibens der Funktion im Ausland ist allerdings im Rahmen der Bewertung des Transferpakets über den entsprechenden Diskontierungszeitraum (Rz. 7.97) zu berücksichtigen.
7.59
Übertragung vs. Nutzungsüberlassung. Es ist zu prüfen, ob tatsächlich – i.S.d. Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums – eine Funktionsübertragung vorliegt oder nicht von einer reinen Nutzungsüberlassung auszugehen ist. § 4 Abs. 2 FVerlV geht jedenfalls im Zweifel von einer Nutzungsüberlassung der Funktion aus. Dabei sind der erkennbare Wille der Beteiligten im Zeitpunkt der Funktionsverlagerung sowie der tatsächliche Ablauf und die Handhabung der Funktionsverlagerung durch die Beteiligten zu berücksichtigen.4 Als typische Anwendungsfälle des § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV sehen die VWG-Funktionsverlagerung die zeitweise Übertragung von Vertriebsrechten, Märkten oder Kunden oder Fälle der befristeten Versetzung einzelner Mitarbeiter mit ihrem Aufgabenbereich.5 Insoweit kommt die weite Interpretation der Regelung zur Funktionsverlagerungsbesteuerung durch die Finanzverwaltung zum Ausdruck. Denn die zeitweise Übertragung von Vertriebsrechten für einzelne Produkte sowie die Personalentsendung im Konzern stellen i.d.R. keine Funktionsver1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 46. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 47. 3 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 11. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 100 f. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 25.
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D. Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung
lagerung dar. Vielmehr handelt es sich insoweit nur um die Überlassung einzelner Wirtschaftsgüter, welche regelmäßig nicht zu einer Funktionsverlagerung führt.1 Dies gilt im Übrigen auch für die Personalentsendung. Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen innerhalb eines Fünf-JahresZeitraums. Der Vorgang einer Funktionsverlagerung kann sich auch über mehrere Jahre erstrecken. In diesem Zusammenhang sieht § 1 Abs. 2 Satz 3 FVerlV vor, dass Geschäftsvorfälle, die innerhalb von fünf Wirtschaftsjahren verwirklicht werden, zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllen, als einheitliche Funktionsverlagerung zusammenzufassen sind. Die Vorschrift ordnet damit eine veranlagungszeitraumübergreifende Betrachtung an. Dabei wird auch der Zeitpunkt, zu dem die Funktionsverlagerung vorliegt, bestimmt. Dieser liegt erst dann vor, wenn sämtliche Geschäftsvorfälle verwirklicht sind.2 Soweit die Finanzverwaltung dabei auf die in den Veranlagungszeiträumen tatsächlich verwirklichten Geschäftsvorfälle und nicht auf die Absicht des Steuerpflichtigen abstellt,3 verstößt sie gegen den Grundsatz der „Ex-ante“-Betrachtung.4
7.60
D. Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung I. Überblick Instrumente zur Vermeidung der Funktionsverlagerungsbesteuerung. Um die steuerlichen Risiken für deutsche Unternehmen mit internationalen Geschäftsbeziehungen in Grenzen zu halten, bietet die FVerlV einige Instrumente an, mit denen sich die negativen Folgen einer Funktionsverlagerungsbesteuerung vermeiden bzw. reduzieren lassen. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Alternativen: – Funktionsverdoppelung (Rz. 7.46 und 7.54 ff.), – Funktionsverlagerung auf ein Routineunternehmen (Rz. 7.62 ff.), – bloße Übertragung oder Überlassung von Wirtschaftsgütern (Rz. 7.71 f.), – bloße Erbringung von Dienstleistungen (Rz. 7.71 f.), – Personalentsendung im Konzern (Rz. 7.73 f.), – keine Funktionsverlagerung zwischen fremden Dritten (Rz. 7.75 ff.). 1 Vgl. § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV. 2 Vgl. Begr. zu § 2 Abs. 1 Satz 3 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 11; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 26. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 27. 4 Zu einem Beispiel vgl. auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 26.
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7.61
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
II. Funktionsverlagerung auf ein Routineunternehmen 7.62
Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 FVerlV. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerV werden von der Funktionsverlagerung solche Sachverhalte ausgeschlossen, in denen die Funktion von dem übernehmenden Unternehmen nur gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausgeübt und der Verrechnungspreis für die entsprechenden Lieferungen oder Leistungen auf Basis der Kostenaufschlagsmethode ermittelt wird. Diese Regelung ist insofern zutreffend, als in diesen Fällen keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter auf das ausländische verbundene Unternehmen übergehen und es sich bei dem von dem übernehmenden Unternehmen erwirtschafteten Gewinn ausschließlich um einen angemessenen Funktionsgewinn handelt. Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV erstreckt sich insbesondere auf den Bereich der Funktionsabspaltungen. Eine Funktionsabspaltung liegt vor, wenn eine Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken beim inländischen Unternehmen übertragen wird (Rz. 7.45). Nach zutreffender Auffassung der Finanzverwaltung ist die Ausnahmeregelung insbesondere bei Funktionsabspaltungen anzuwenden, wenn auf das ausländische verbundene Unternehmen sog. „Routinefunktionen“1 übertragen werden.2 Typischer Anwendungsfall ist die Übertragung (eines Teils) der Produktion auf einen Lohnfertiger. Mit der Übertragung einer Funktion auf ein Routineunternehmen werden mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen, so dass der Anwendungsbereich der Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Alt. 1 AStG (Rz. 7.66) eröffnet ist.
7.63
Definition der Routinefunktion. Die Finanzverwaltung definiert das Routineunternehmen als ein Unternehmen, das lediglich Routinefunktionen ausübt, geringe Risiken trägt und nur in geringem Umfang Wirtschaftsgüter einsetzt (hierzu grds. Rz. 4.63 f.).3 Als Routinefunktionen werden beispielhaft die Erbringung konzerninterner, marktgängiger Dienstleistungen und einfache Vertriebsfunktionen genannt. Infolgedessen sind z.B. Lohn- oder Auftragsfertiger, der Kommissionär, der Low-Risk-Distributor oder der Auftragsforscher und -entwickler als Routinefunktionen zu qualifizieren. Das Funktionsprofil eines Routineunternehmens beschränkt sich regelmäßig auf die (konkrete) Funktions- bzw. Tätigkeitsausübung. Eigene Marktchancen und Risiken nimmt es nicht oder nur geringfügig wahr.4 Die für die Geschäftsbeziehung wesentlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter werden nicht durch das Routineunterneh1 Vgl. dazu BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.10.2 Buchst. a. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 66; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.10.2 Buchst. a. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950.
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D. Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung
men eingesetzt, sondern durch den Auftraggeber – i.d.R. kostenlos – beigestellt. Insofern kennzeichnen das Risikoprofil eines Routineunternehmens lediglich die mit der Funktionsausübung verbundenen Risiken. Die eingeschränkte Funktionsausübung des Routineunternehmens ist grundsätzlich – ausgenommen die als Eigenhändler zu qualifizierende LowRisk-Vertriebsgesellschaft oder -Einkaufsgesellschaft – als Dienstleistung an den Auftraggeber anzusehen. Für diese wird in der Verrechnungspreispraxis i.d.R. ein nach der Kostenaufschlagsmethode oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) ermitteltes kostenorientiertes Entgelt vergütet. Vor diesem Hintergrund vertritt die Finanzverwaltung zutreffend die Auffassung, dass Routineunternehmen „bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“ erzielen.1 Von Verlusten werden Routineunternehmen – bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf – durch den Auftraggeber freigehalten, was durch die kostenorientierte Entgeltbemessung gewährleistet ist.2 Keine Verlagerung eines Gewinnpotentials. Wird lediglich die Funktionsausübung auf ein Routineunternehmen übertragen, ist der Tatbestand der Funktionsverlagerung regelmäßig nicht erfüllt.3 Sowohl die Funktion selbst als auch die mit ihr verbundenen Chancen und Risiken verbleiben in diesen Fällen beim verlagernden inländischen Unternehmen und gehen nicht auf das aufnehmende Unternehmen über. Was die mit der Funktions- bzw. Tätigkeitsausübung einhergehenden Chancen und Risiken anbelangt, sind diese jedweder Tätigkeitsausübung eigen.4 Sie erwachsen aus der Funktionsausübung selbst. Ebenso wenig gehen auf das Routineunternehmen ein Gewinnpotential ausmachende immaterielle Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile über. Vielmehr wird es (lediglich) in die Lage versetzt, eine nur die Tätigkeitsausübung betreffende fremdvergleichskonforme Vergütung zu erzielen. Insofern rechtfertigt sich auch unter Fremdvergleichsgesichtspunkten keine Vergütung für ein übergehendes Transferpaket.5
7.64
Funktionsverlagerung nach Ansicht der Finanzverwaltung. Von solchen Überlegungen geht auch die Begr. zu § 2 Abs. 2 FVerlV aus. Dort heißt es: „Auf ein solches Unternehmen [mit Routinefunktionen] gehen auf Grund der Funktionsverlagerung keine Chancen und Risiken über, die die Zahlung eines besonderen Entgelts an das verlagernde Unternehmen
7.65
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.10.2 Buchst. a. 2 Zum temporären Gewinnverzicht in Phasen der wirtschaftlichen Krise vgl. auch Baumhoff in FS Krawitz, 32 f.; Ditz in Raupach/Pohl/Ditz, Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, 1 ff. 3 So auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 552 f.; Ditz, IStR 2011, 126; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1287; Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 93 f.; Zech, IStR 2011, 133. 4 Vgl. Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1287; Zech, IStR 2011, 133. 5 Vgl. auch Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 93 f.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
für die Übertragung oder Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter und Vorteile rechtfertigen“.1 Allerdings hat der Verordnungsgeber dieses zutreffende Verständnis nicht zum Gegenstand einer Abgrenzung vom Tatbestand der Funktionsverlagerung gemacht, sondern argumentiert über die Bewertungsfolge. Während die FVerlV im Hinblick auf das Vorliegen einer Funktionsverlagerung damit letztlich unbestimmt bleibt,2 geht die Finanzverwaltung davon aus, dass in Fällen des § 2 Abs. 2 FVerlV eine Funktionsverlagerung gegeben ist.3 Allerdings lassen die VWG-Funktionsverlagerung offen, worauf sie ihre Auffassung stützen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund des ebenfalls einschlägigen § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV. Hiernach liegt keine Funktionsverlagerung vor, wenn ausschließlich Wirtschaftsgüter veräußert oder zur Nutzung überlassen werden oder Dienstleistungen erbracht werden (Rz. 7.71 f.).
7.66
Keine Funktionsverlagerung. Geht man entgegen der hier vertretenen Auffassung vom Vorliegen einer Funktionsverlagerung aus, kommt dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV eine entscheidende Bedeutung zu. Mit dieser Vorschrift hat der Verordnungsgeber seine zutreffende Auffassung, dass die Zahlung eines besonderen Entgelts an das verlagernde Unternehmen mangels Übertragung und Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter und Vorteile nicht zu rechtfertigen sei, auf Ebene der Bewertungsfolge umgesetzt. § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV regelt die den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 Satz 10 Alt. 1 AStG eröffnende gesetzliche Vermutung, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden, wenn – das übernehmende Unternehmen die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausübt (Rz. 7.67) und – das Entgelt, das für die Ausübung der Funktionen und die Erbringung der entsprechenden Leistungen anzusetzen ist, nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln ist (Rz. 7.69). Liegen diese Voraussetzungen vor, kommt gem. § 1 Abs. 3 Satz 10 Alt. 1 AStG anstelle der Transferpaketbewertung und -besteuerung die Einzelbewertung zum Tragen.
7.67
Funktionsausübung nur gegenüber dem abgebenden Unternehmen. § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV beschränkt sich auf Fälle, in denen das Routineunternehmen die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausübt. Agiert das aufnehmende Unternehmen etwa als Lohnfertiger auch für andere verbundene Unternehmen, ist grundsätzlich fraglich, ob die tatbestandlich geforderte Exklusivität noch gegeben ist. Hier wird man angesichts der Bezugnahme auf die Ausübung der entsprechenden übergehenden Funktionen feststellen müssen, dass 1 BR-Drucks. 352/08 v. 23.5.2008, 16. 2 So auch Zech, IStR 2011, 133. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 206 f.
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D. Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung
daneben bestehende weitere Lohnfertigungsverhältnisse des funktionsaufnehmenden Unternehmens der Negierung einer Funktionsverlagerung bzw. der Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV nicht entgegenstehen. Dies gilt selbst dann, wenn die Lohnfertigung auch gegenüber unverbundenen Marktteilnehmern erbracht wird. Entscheidend ist, dass bezogen auf das jeweilige Lohnfertigungsverhältnis die erforderlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter durch den jeweiligen Auftraggeber beigestellt werden und eigene Marktchancen und -risiken nicht daraus resultieren, dass die vom verlagernden Unternehmen beigestellten Produktionsmittel dazu eingesetzt werden, höhere als die Tätigkeitsausübung abgeltende Renditen aus anderweitigen Lohnfertigungsverhältnissen zu realisieren. Diese Überlegungen kommen in Rz. 208 f. VWG-Funktionsverlagerung zum Ausdruck. Dort vertritt die Finanzverwaltung die Auffassung, dass in Fällen der Lohnfertigung stets zu prüfen ist, ob und ab wann ggf. weitergehende Funktionen ausgeübt werden, z.B. der eigenständige Vertrieb an Kunden des Auftraggebers zu Marktpreisen, um aus der Umstellung vom Lohnfertiger zum Eigenproduzenten die – aus Verrechnungspreissicht – notwendigen steuerlichen Konsequenzen zu ziehen (Funktionsverlagerung einerseits und Entgeltpflicht für die Nutzungsüberlassung bisher kostenlos beigestellter Produktionsmittel andererseits). Im Übrigen wird in Rz. 68 VWG-Funktionsverlagerung explizit bestimmt, dass es im Rahmen des § 2 Abs. 2 FVerlV nicht notwendig ist, dass die Funktionen nur gegenüber dem funktionsabgebenden Unternehmen erbracht werden. Geschäftsbeziehungsbezogene Unternehmenscharakterisierung. Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich die Unternehmenscharakterisierung auf die jeweilige Geschäftsbeziehung bezieht, für die transaktionsbezogene Verrechnungspreise zu ermitteln sind. Insofern beschränkt sich das Funktions- und Risikoprofil des jeweiligen Transaktionspartners auf die konkrete Geschäftsbeziehung. Der Klassifizierung als Routineunternehmen – bezogen auf das Lohnfertigungsverhältnis – steht es deshalb nicht entgegen, wenn das aufnehmende Unternehmen für anderweitige Liefer- und Leistungsbeziehungen als Mittelunternehmen oder gar als Entrepreneur einzuordnen ist (soweit sich die vorstehenden Ausführungen auf das Beispiel eines Lohnfertigungsverhältnisses beziehen, gelten die insoweit dargestellten Konsequenzen auch für jedwede andere Routinefunktion; zur Definition s. Rz. 7.63).
7.68
Anwendung der Kostenaufschlagsmethode oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Ferner ist der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV darauf beschränkt, dass für die Verrechnungspreisermittlung nach der Funktionsaufnahme durch das ausländische verbundene Unternehmen die Kostenaufschlagsmethode zur Anwendung kommt. Die VWG-Funktionsverlagerung dehnen in diesem Zusammenhang zutreffend den Anwendungsbereich auf die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und die Vergütung mittels einer das niedrigere
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
Risiko berücksichtigenden Provision aus.1 Voraussetzung ist allerdings nach Auffassung der Finanzverwaltung, dass diese Verrechnungspreisermittlung zu vergleichbaren Ergebnissen führt. Was dies konkret bedeutet, bleibt in den VWG-Funktionsverlagerung unbeantwortet. Jedenfalls kann daraus nicht die Verpflichtung des Steuerpflichtigen abgeleitet werden, dass neben der angewandten geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode oder Provision eine weitere Verrechnungspreismethode – insbesondere zu „Verprobungszwecken“ – Anwendung finden muss. Denn der Steuerpflichtige ist nicht zur Anwendung oder Dokumentation mehrerer Verrechnungspreismethoden verpflichtet.
7.70
Stufenverhältnis des § 1 Abs. 3 AStG. Die Festlegung auf eine bestimmte Verrechnungspreismethode (Kostenaufschlagsmethode oder geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode) lässt die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem in § 1 Abs. 3 AStG verankerten Stufenverhältnis offen. Hiernach hat der tatsächliche Fremdvergleich mittels uneingeschränkt vergleichbarer Referenzwerte Vorrang vor dem tatsächlichen Fremdvergleich mittels eingeschränkt vergleichbarer Referenzwerte sowie schließlich dem hypothetischen Fremdvergleich (Rz. 7.88).2 Da richtigerweise in der praktischen Anwendung ein tatsächlicher Fremdvergleich nur in Gestalt der Preisvergleichsmethode möglich ist, weil sich nur diese Methode an marktentstandenen Preisen orientiert, gebührt ihr grundsätzlich der Vorrang. § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV geht hingegen von einer zwingenden Anwendung der Kostenaufschlagsmethode im Hinblick auf die Vergütung der Routinefunktionen aus.3 Dies entspricht nicht der Rechtslage vor Einführung des Rangfolgeverhältnisses in § 1 Abs. 3 AStG, denn nach der BFH-Rspr.4 war die Methode heranzuziehen, „mit der der Fremdvergleichspreis im konkreten Einzelfall mit der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit seiner Richtigkeit ermittelt werden kann“, d.h. die klassischen Methoden standen gleichberechtigt nebeneinander. Noch viel weniger lässt sich ein solcher Vorrang aus § 1 Abs. 3 AStG entnehmen. Insofern ist auch in Fällen des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV die Preisvergleichsmethode in Betracht zu ziehen, wenn mittels eines inneren oder äußeren Preisvergleichs uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte identifiziert werden können. Damit wird auch die Preisvergleichsmethode vom Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV erfasst.5
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 67. 2 Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1462 ff. 3 Vgl. BR-Drucks. 352/08 v. 23.5.2008, 16 mit Verweis auf BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.10.2 Buchst. a. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. auch Ditz/Just, DB 2009, 142.
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D. Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung
III. Übertragung oder Überlassung von Wirtschaftsgütern Negativabgrenzung gem. § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV. In Ergänzung zur allgemeinen Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 2 FVerlV (Rz. 7.16) grenzt § 1 Abs. 7 FVerlV den Begriff der Funktionsverlagerung negativ ab. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV liegt eine Funktionsverlagerung nicht vor, wenn ausschließlich Wirtschaftsgüter veräußert oder zur Nutzung überlassen oder wenn nur Dienstleistungen erbracht werden. Dies soll allerdings nur für solche Fälle gelten, in denen die Wirtschaftsgüter oder Dienstleistungen nicht Teil einer Funktionsverlagerung sind.1 Die entscheidende Frage, in welchen Fällen ausschließlich Wirtschaftsgüter übergehen bzw. nur Dienstleistungen erbracht werden und in welchen Fällen eine Funktionsverlagerung tatsächlich vorliegt, lässt die FVerlV indessen offen. Der Hinweis in der Begr. zu § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV, dass durch die Ausnahmeregelung „eine zu weitgehende Erfassung von Geschäftsvorfällen als Funktionsverlagerungen“ vermieden werden soll, lässt allerdings den Rückschluss zu, dass nur dann von einer Funktionsverlagerung auszugehen ist, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 FVerlV erfüllt sind. Dies setzt wiederum voraus, dass eine Funktion eindeutig sowohl beim verlagernden als auch beim aufnehmenden Unternehmen identifiziert und dergestalt abgegrenzt werden kann, dass dieser Funktion entsprechende Wirtschaftsgüter, sonstige Vorteile und Dienstleistungen zugeordnet werden können (Rz. 7.26 und 7.30).2 Dies ergibt sich allerdings auch bereits aus § 1 Abs. 2 FVerlV, so dass § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV lediglich klarstellender Natur ist.
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Regelungen der VWG-Funktionsverlagerung. Auch in den VWG-Funktionsverlagerung wird die Frage der Abgrenzung einer ausschließlichen Übertragung bzw. Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern bzw. einer reinen Dienstleistungserbringung einerseits und einer Funktionsverlagerung andererseits nicht beantwortet. Es wird lediglich klargestellt, dass solche Geschäftsvorfälle Teil einer Funktionsverlagerung sein können und folglich als Teil des Transferpakets im Rahmen einer Gesamtbetrachtung abzurechnen sind.3 Dies gelte – so die Finanzverwaltung – beispielsweise für Dienstleistungen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung erbracht werden (ein rein zeitlicher Zusammenhang reicht nicht aus4).5 Der Verweis in Rz. 51 VWG-Funk-
7.72
1 Vgl. § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV. 2 Vgl. auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 48. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 51 f. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 53. 5 Vgl. das Beispiel in BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 52, wonach durch Mitarbeiter des verlagernden Unternehmens erbrachte Dienstleistungen auch in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung stehen können.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
tionsverlagerung deutet im Übrigen darauf hin, dass die Finanzverwaltung vornehmlich solche (einzelne) Geschäftsvorfälle im Rahmen einer sukzessiven Funktionsverlagerung erfassen will, die gem. § 1 Abs. 2 Satz 3 FVerlV innerhalb eines 5-Jahres-Zeitraums zusammenzufassen sind.
IV. Personalentsendung im Konzern 7.73
Einschränkung nach § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV. Als weitere Ausnahme im Rahmen einer Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung schränkt § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV den Anwendungsbereich der Funktionsverlagerungsbesteuerung bei Personalentsendungen im Konzern ein (hierzu ausführlich Rz. 6.296 ff.). Nicht sachgerecht ist allerdings die weitere Einschränkung der Vorschrift in der Begr. zur FVerlV („Ausnahme von der Ausnahme“), wonach auch bei Personalentsendungen eine Funktionsverlagerung vorliegen kann, wenn das entsandte Personal seinen bisherigen Zuständigkeitsbereich aus dem entsendenden Unternehmen mitnimmt und nach der Entsendung im aufnehmenden Unternehmen die gleiche Tätigkeit ausübt und infolgedessen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen werden bzw. Chancen und Risiken übergehen.1 Diese Rückausnahme steht im Widerspruch zu § 1 Abs. 7 FVerlV und ist damit obsolet.2 Vielmehr ist auch in Personalentsendungsfällen zu prüfen, ob eine Funktion i.S. eines organischen Teils des Unternehmens (Rz. 7.26) übergeht. Dies ist bei üblichen Personalentsendungsfällen im Konzern regelmäßig nicht der Fall.3
7.74
Reine Aufwandsverrechnung. Bei Personalentsendungen im Konzern sind – vorausgesetzt die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung sind erfüllt – lediglich die für den entsandten Arbeitnehmer angefallenen Kosten zu verrechnen. Liegen die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung hingegen nicht vor, weil die Arbeitnehmer in Erfüllung einer Dienstleistungsverpflichtung des entsendenden Unternehmens tätig werden, ist diese Dienstleistung fremdüblich, d.h. i.d.R. nach der Kostenaufschlagsmethode, zu verrechnen.4 Allerdings will die Finanzverwaltung eine Funktionsverlagerung in Personalentsendungsfällen dann annehmen, „wenn das entsandte Personal seinen bisherigen Zuständigkeitsbereich aus dem entsendenden Unternehmen mitnimmt und nach der Entsendung im übernehmenden Unternehmen die gleiche Tätigkeit
1 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 14. 2 Kritisch auch Frotscher, FR 2008, 56. 3 Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung ist das durch Personalentsendungen ins Ausland „vermittelte“ Know-how nicht gesondert zu vergüten. Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 - VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796 Rz. 4.2. 4 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 - VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796 Rz. 2.1 Abs. 2.
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D. Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung
ausübt.“1 Die Finanzverwaltung geht hier vom Vorliegen der Voraussetzungen der Funktionsverlagerung aus. Eine solche Ausnahme steht indessen im Widerspruch zum Wortlaut des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV und ist damit ohne Rechtsgrundlage.2 Vielmehr kann auch in Personalentsendungsfällen eine Funktionsverlagerung nur dann vorliegen, wenn es zu einem Übergang einer Funktion i.S. eines organischen Teils des Unternehmens (Rz. 7.26 und 7.73) kommt. Ferner ist die Rückausnahme des § 1 Abs. 7 Satz 1 Alt. 2 AStG dann zu beachten, wenn die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung nicht erfüllt sind und die Dienstleistungen des entsendenden Unternehmens Teil einer Funktionsverlagerung sind. Sie rechnen dann zum Transferpaket.3
V. Keine Funktionsverlagerung unter Dritten Vorgang zwischen voneinander unabhängigen Dritten. Nach § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV liegt eine Funktionsverlagerung nicht vor, „wenn der Vorgang zwischen voneinander unabhängigen Dritten nicht als Veräußerung oder Erwerb einer Funktion angesehen würde.“ Diese Regelung ist insofern sachgerecht, als auch bei Funktionsverlagerungen nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs zu prüfen ist, ob diese zwischen unabhängigen Dritten (d.h. nach dem Modell des hypothetischen Fremdvergleichs zwischen zwei ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitern) vergütet worden wären. Dies ist nach der Begr. der FVerlV insbesondere bei Funktionsverlagerungen ohne relevante Gewinnauswirkungen (sog. Bagatellfälle, Rz. 7.76) sowie bei Vorgängen, die formal den Tatbestand einer Funktionsverlagerung erfüllen, aber entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz tatsächlich anders abgewickelt werden, der Fall. Letzteres gilt z.B. für die fristgerechte Kündigung von Verträgen oder dem Auslaufen von Vertragsbeziehungen. In diesen Fällen keine Funktionsverlagerung anzunehmen, ist insofern sachgerecht, als hier i.d.R. die Voraussetzung einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG nicht erfüllt ist.
7.75
Zeitlich befristete und geringfügige Verlagerungen (Bagatellfälle). Nach der Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV bezieht sich diese Vorschrift in ihrer ersten Fallgruppe auf zeitlich befristete und geringfügige Verlagerungen (sog. Bagatellfälle), die mangels relevanter Gewinnauswirkungen aus der Funktionsverlagerungsbesteuerung ausgenommen werden sollen, obgleich die Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllt sind.4 Im Hinblick auf die konkrete Abgrenzung der Geringfügigkeits- bzw. Wesentlichkeitsgrenze verweisen die VWG-Funktionsverlage-
7.76
1 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 56. S. ferner die Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV in BR-Drucks. 352/08, 14. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 163. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 51. S. ferner Zech, IStR 2011, 135. 4 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 15.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
rung auf die Bagatellregelung, die in Fällen der Funktionsverdoppelung für die Feststellung einer nicht nur geringfügigen Funktionseinschränkung zum Tragen kommt.1 Demnach führen Umsatzrückgänge von weniger als 1 Mio. Euro nicht zu einer Funktionsverlagerungsbesteuerung. Darüber hinaus führen die VWG-Funktionsverlagerung exemplarisch die Verlagerung eines einzelnen Auftrags als Beispielsfall für § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV an. Dies ist allerdings insofern nicht sachgerecht, als bei der Verlagerung eines einzelnen Auftrags die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung regelmäßig nicht erfüllt sind.
7.77
Fristgerechte Kündigung von Verträgen und Auslaufen von Vertragsbeziehungen. Die zweite Fallgruppe des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV erfasst Vorgänge, die formal als Funktionsverlagerung zu qualifizieren sind, aber entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz tatsächlich anders abgewickelt werden. Dies gilt insbesondere für die fristgerechte Kündigung von Verträgen (z.B. von Lizenz-, Vertriebs-, Kommissionärs- oder Handelsvertreterverträgen) oder das Auslaufen von Vertragsbeziehungen.2 Die VWGFunktionsverlagerung führen darüber hinaus exemplarisch die zentrale, optimierte Steuerung der Produktion durch die Muttergesellschaft und die damit verbundene Zuteilung eingehender Aufträge an die Produktionsgesellschaften des Konzerns an.3
7.78
Beendigung eines Lizenzvertrages. Die Anwendung des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV kann an folgendem Beispiel dargestellt werden: Beispiel: Die in Deutschland ansässige A-AG hat mit ihrer ebenfalls in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft, der T-GmbH, einen Lizenzvertrag abgeschlossen, wonach die Marke ABC von der A-AG an die T-GmbH lizenziert wird. Der Lizenzvertrag wurde 2008 abgeschlossen und hat eine Laufzeit bis zum 31.12.2012. Es ist beabsichtigt, dass die A-AG nach dem Auslaufen des Lizenzvertrages mit der T-GmbH die Marke ABC an ihre in Österreich ansässige Tochtergesellschaft, die Ö-GmbH, lizenziert. Die Ö-GmbH soll auf Basis eines neuen Lizenzvertrags mit der A-AG ab dem 1.1.2013 die Herstellung und den Vertrieb von Produkten unter der Marke ABC übernehmen, wobei die Herstellung der Produkte nicht durch die Ö-GmbH selbst, sondern – im Auftrag der Ö-GmbH – durch einen konzerninternen Lohnfertiger erfolgen wird. Die Arbeitsverträge der Mitarbeiter der T-GmbH sollen aufgehoben und mit der Ö-GmbH neue Arbeitsverträge abgeschlossen werden. Die in Deutschland (teilweise) verbleibenden Arbeitnehmer werden einen neuen Arbeitsvertrag bei der A-AG erhalten und dort im Bereich der konzernübergreifenden Markenverwaltung arbeiten. Die Ö-GmbH wird ab dem 1.1.2013 die Produkte über konzerninterne Lohnfertiger in Asien herstellen lassen und die Produkte in dem im Lizenzvertrag vorgegebenen Vertriebsgebiet unter der Marke ABC vertreiben.
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 58. 2 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 15. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 59.
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D. Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung
Anwendungsbereich des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV eröffnet. Nach § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV ist bei einer Funktionsverlagerung zu prüfen, ob diese zwischen unabhängigen Dritten – d.h. im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs zwischen zwei ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitern – vergütet worden wäre. Dementsprechend werden Vorgänge, die formal den Tatbestand einer Funktionsverlagerung erfüllen, aber entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz tatsächlich anders – also unentgeltlich – abgewickelt werden, nicht als Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV behandelt. Dies gilt nach § 8 FVerlV insbesondere für die fristgerechte Kündigung von Lizenzverträgen oder das Auslaufen von Vertragsbeziehungen. In diesen Fällen können nach § 8 Satz 1 FVerlV der Besteuerung einer Funktionsverlagerung gesetzliche oder vertragliche Umstände (z.B. gesetzliche oder vertragliche Schadensersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche) zugrunde gelegt werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass fremde Dritte unter ähnlichen Umständen in vergleichbarer Art und Weise verfahren würden. In dem vorstehend dargestellten Beispiel basiert die Funktionsausübung der T-GmbH auf dem mit der A-AG abgeschlossenen Lizenzvertrag. Auf Basis dieses Lizenzvertrags hat die T-GmbH das Recht lizenziert, Produkte unter der Marke ABC herzustellen und zu vertreiben. Die Funktionsausübung der T-GmbH ist damit unmittelbar an den abgeschlossenen Lizenzvertrag geknüpft. Mit Beendigung des Lizenzvertrags ist die T-GmbH rechtlich nicht mehr in der Lage, ihre Funktionen „Herstellung und Vertrieb von ABC-Produkten“ auszuführen. Vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV stellt sich damit die Frage, ob der Vorgang der Beendigung des Lizenzvertrags zwischen der A-AG und der T-GmbH einerseits sowie der daran anschließende Abschluss eines neuen Lizenzvertrags der A-AG mit der Ö-GmbH unter voneinander unabhängigen Dritten als Veräußerung oder Erwerb einer Funktion angesehen und entgolten werden würde. Dies ist zu verneinen: Denn zwischen fremden Dritten bestünden in diesem Zusammenhang keinerlei gesetzliche oder vertragliche Schadensersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche der T-GmbH gegenüber der A-AG oder gegen die Ö-GmbH. Darüber hinaus sind keinerlei weitergehende Ausgleichsansprüche erkennbar, welche der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter der T-GmbH geltend machen könnte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die T-GmbH – vorbehaltlich der Regelungen im Lizenzvertrag – keine Anspruchsgrundlage hat, Ausgleichszahlungen oder sonstige Vergütungen für die Funktionsausübung der Ö-GmbH einzufordern. Diese Argumentation wird auch in Rz. 59 VWGFunktionsverlagerung von der Finanzverwaltung geteilt.1
1 Vgl. auch Brandenberg, DB 2008, 865; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1288.
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7.79
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG I. Grundlagen 7.80
Zentrale gesetzliche Regelung für die Bewertung eines Transferpakets. § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG enthält die zentrale gesetzliche Regelung für die Bewertung eines Transferpakets bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG bestimmt hierzu: „Wird eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken und der mit übertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile verlagert (Funktionsverlagerung) und ist auf die verlagerte Funktion Satz 5 anzuwenden, weil für das Transferpaket als Ganzes keine zumindest eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte vorliegen, hat der Steuerpflichtige den Einigungsbereich auf der Grundlage des Transferpakets zu bestimmen.“ Diese Bestimmung wird durch § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG wie folgt ergänzt: „In den Fällen des Satzes 9 ist die Bestimmung von Einzelverrechnungspreisen für alle betroffenen Wirtschaftsgüter und Dienstleistungen nach Vornahme sachgerechter Anpassungen anzuerkennen, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren, oder dass die Summe der angesetzten Einzelverrechnungspreise, gemessen an der Bewertung des Transferpakets als Ganzes, dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht; macht der Steuerpflichtige glaubhaft, dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist, und bezeichnet er es genau, sind Einzelverrechnungspreise für die Bestandteile des Transferpakets anzuerkennen.“
7.81
Gesamtbewertung des Transferpakets als gesetzlicher Grundtatbestand. Wie sich aus § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ergibt, ist bei einer Funktionsverlagerung grundsätzlich eine Gesamtbewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Eine Einzelbewertung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, aus denen sich das Transferpaket zusammensetzt, ist in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG zulässig. Der Gesetzgeber begründet die Notwendigkeit einer Gesamtbewertung damit, dass der Preis der einzelnen übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter den Wert der Funktion als Ganzes regelmäßig nicht adäquat widerspiegele.1 In Rz. 29 der VWG-Funktionsverlagerung2 werden diese Ausführungen dahingehend präzisiert, dass der einheitliche Vorgang einer Funktionsverlagerung regelmäßig mehrere Geschäftsvorfälle umfasse, die so eng miteinander verbunden seien, dass die Beurteilung jedes einzelnen Geschäftsvorfalls nicht sachge1 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 144. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.3.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
recht sei. Vorteile, die im Rahmen einer Einzelpreisbestimmung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter häufig nur schwer erkennbar seien, könnten aufgrund der Betrachtung der insgesamt übergehenden Funktion identifiziert werden. Entsprechende Vorteile könnten z.B. geschäftswertbildende Faktoren wie ein guter Ruf, gut ausgebildete Arbeitnehmer oder eine eingespielte Betriebsorganisation sein. Dem Gesetzgeber geht es also darum, im Rahmen der Gesamtbewertung eines Transferpakets einen Mehrwert der Besteuerung zu unterwerfen, der bei einer Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter unbesteuert bliebe.1 Daneben bringt die Möglichkeit einer Gesamtbewertung erhebliche Beweiserleichterungen für die Finanzverwaltung,2 da diese nicht mehr den Übergang einzelner Wirtschaftsgüter, sondern nur noch den Übergang von Ertragskraft nachweisen muss. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, dass eine Gesamtbewertung nach § 4 Abs. 1 FVerlV auch dann durchzuführen ist, wenn für sämtliche Wirtschaftsgüter Einzelverrechnungspreise vorliegen. Auf die Frage, ob die Wirtschaftsgüter endgültig übertragen oder lediglich befristet zur Nutzung überlassen wurden, kommt es hierbei nicht an. Wie sich aus § 4 Abs. 2 FVerlV ergibt, hat in beiden Fällen eine Gesamtbewertung zu erfolgen. Werden mehrere Funktionen übertragen, ist für jede Funktion eine Gesamtbewertung vorzunehmen. Aus § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG folgt, dass die einzelnen Funktionen getrennt voneinander zu betrachten sind.3 In der Praxis dürfte dies vor allem bei größeren Umstrukturierungen zu erheblichen Abgrenzungsproblemen führen, da § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG den Begriff der Funktion nicht hinreichend genau definiert.4 Regelmäßig kein Übergang eines Mehrwerts bei Funktionsverlagerungen. Die Überlegungen zum Übergang eines Mehrwerts, der sich allein mit Hilfe einer Gesamtbewertung erfassen lässt, sind nicht neu, sondern finden sich in Rspr. und Schrifttum bereits bisher im Zusammenhang mit der Übertragung von Betrieben und Teilbetrieben.5 Nach der Rspr. ist es möglich, dass bei der Übertragung eines Betriebs nicht nur eine Gesamtheit von Wirtschaftsgütern, sondern auch ein Geschäfts- oder Firmenwert übergeht.6 Dies ist dann der Fall, wenn im Rahmen der fraglichen Transaktion geschäftswertbildende Faktoren übertragen werden, da der Geschäfts- und Firmenwert denjenigen geschäftswertbildenden Faktoren folgt, die durch ihn verkörpert werden.7 Dabei ist es auch möglich, dass 1 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 568. 2 Vgl. Naumann in Oestreicher, Unternehmensbesteuerung 2008: Neue Wege gehen, 99. 3 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 765. 4 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 765. 5 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 559. 6 Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108. 7 Vgl. BFH v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 576 = FR 1996, 760; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108; v. 2.9.2008 – X R 32/05, BStBl. II 2009, 634 = FR 2009, 954 m. Anm. Wendt; FG Rh.-Pf. v. 24.10.2002, – 6 K 3031/98, EFG 2003, 240, rkr.
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7.82
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
ein Geschäfts- oder Firmenwert nur teilweise übergeht, falls im Zusammenhang mit der Übertragung eines Teilbetriebs nur ein Teil der geschäftswertbildenden Faktoren übertragen wird.1 Jedenfalls in dieser Konstellation scheint die Rspr. von der Teilbarkeit des Geschäfts- oder Firmenwerts auszugehen.2 Im Ergebnis wird der Geschäfts- oder Firmenwert damit wie ein Wirtschaftsgut behandelt, was sich auch daran zeigt, dass er im Erwerbsfall nach § 246 Abs. 1 Satz 4 HGB für die Zwecke des Handelsrechts und nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Zwecke des Steuerrechts zu bilanzieren ist. Auf Funktionsverlagerungen lassen sich diese Überlegungen indes nicht übertragen, da es hier regelmäßig zu keinem Übergang von geschäftswertbildenden Faktoren kommt, so dass auch kein Geschäfts- und Firmenwert übergehen kann.3 Ein guter Ruf, gut ausgebildete Arbeitsnehmer, gewährte Konzessionen und Genehmigungen, eine eingespielte Betriebsorganisation etc. sind nur bei der funktionsübertragenden Gesellschaft vorhanden und müssen bei der funktionsaufnehmenden Gesellschaft erst neu aufgebaut werden.4 Damit kommt das beim Übertragenden abgegebene Transferpaket nicht in gleicher Zusammensetzung beim Aufnehmenden an. Die erforderliche Nämlichkeit des Transferpakets liegt insoweit nicht vor.5 Hinzu kommt, dass es nach der Rspr. nur dann zu einem Übergang eines Geschäfts- und Firmenwerts kommt, wenn der Gegenstand der Übertragung aufgrund seiner Organisation und Struktur eigenständig am Wirtschaftsleben teilnehmen kann.6 Dem Übertragungsgegenstand muss damit letztlich die Qualität eines Betriebs oder Teilbetriebs zukommen.7 Dies ist bei Funktionen, die ins Ausland verlagert werden, aber regelmäßig nicht der Fall. Ein Betrieb oder Teilbetrieb setzt sich i.d.R. aus mehreren Funktionen zusammen, wie etwa Geschäftsleitung, Produktion, Verpackung, Lagerhaltung, Qualitätskontrolle, Kundendienst, Buchhaltung und Finanzierung. Im Rahmen einer Funktionsverlagerung werden nur einzelne dieser Funktionen ins Ausland verlagert, z.B. die Produktion, während die restlichen Funktionen, und damit auch der Betrieb oder Teilbetrieb als solcher, im Inland verbleiben. Da es im Fall einer Funktionsverlagerung danach regelmäßig nicht zum Übergang eines Betriebs oder Teilbetriebs kommt, ist es auch nicht gerechtfertigt, eine Gesamtbewertung vorzunehmen und einen Geschäfts- oder Firmenwert der Besteuerung zu unterwerfen.8 Bereits aus 1 Vgl. BFH v. 7.10.1970 – I R 1/68, BStBl. II 1971, 69; v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 576 = FR 1996, 760; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108. 2 Vgl. BFH v. 7.10.1970 – I R 1/68, BStBl. II 1971, 69; v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 576 = FR 1996, 760; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108; 3 Vgl. Haas, Ubg 2008, 519; Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 165. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 165. 5 Vgl. Kroppen in Lüdicke, Brennpunkte im deutschen Internationalen Steuerrecht, 159. 6 Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108. 7 Vgl. BFH v. 24.11.1982 – I R 123/78, BStBl. II 1983, 113 = FR 1983, 198. 8 Vgl. Haas in FS Schaumburg, 717; Bödefeld/Kuntschik in Blumenberg/Benz, Die Unternehmensteuerreform 2008, 276.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
diesem Grund bestehen gegen die vom Gesetzgeber angeordnete Gesamtbewertung erhebliche Bedenken. Widerspruch zu nationalen und internationalen Besteuerungsgrundsätzen. Ferner ist festzuhalten, dass mit der Gesamtbewertung eines Transferpakets auch von nationalen und internationalen Besteuerungsgrundsätzen abgewichen wird. § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB und § 6 Abs. 1 EStG sehen vor, dass Wirtschaftsgüter für die Zwecke des Handelsrechts und des Steuerrechts einzeln zu bewerten sind. Dies gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG auch im Fall der Verlagerung von Wirtschaftsgütern ins Ausland. Auch wenn eine Gesamtheit von Wirtschaftsgütern übertragen wird und der Erwerber hierfür einen Gesamtpreis entrichtet, ist eine Einzelbewertung vorzunehmen.1 Der Grundsatz der Einzelbewertung, der seinen Ursprung im handelsrechtlichen Vorsichtsprinzip hat, erfordert in diesem Fall, dass der Gesamtpreis auf die einzelnen Wirtschaftsgüter aufgeteilt wird.2 Neben dieser Abweichung von nationalen Bewertungsgrundsätzen ist mit Blick auf die Transferpaketbewertung auch ein Widerspruch zum international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz zu konstatieren, wie er in Art. 9 OECD-MA und den darauf aufbauenden Bestimmungen der einzelnen DBA kodifiziert ist. Zwar lassen die OECD-Leitlinien eine Gesamtbewertung zu, wenn eine „Activity“ i.S. eines „Ongoing Concern“ auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen übertragen wird.3 Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind bei einer Funktionsverlagerung aber regelmäßig nicht erfüllt, da unter einem „Ongoing Concern“ eine „Functioning, Economically Integrated Business Unit“ zu verstehen ist.4 Eine solche setzt sich regelmäßig aus mehreren Funktionen zusammen und ist daher eher mit einem Betrieb oder Teilbetrieb vergleichbar.5 Zur Übertragung eines Betriebs oder Teilbetriebs kommt es bei Funktionsverlagerungen aber i.d.R. nicht. Weiterhin findet auch kein Übergang von einem „Experienced ResearchTeam“ statt, wie es die OECD-Leitlinien 2010 als typischen Fall der Übertragung eines „Going Concern“ beschreiben.6 Bei einem „Experienced Research-Team“ handelt es sich um einen geschäftswertbildenden Faktor.7 Solche gehen bei Funktionsverlagerungen im Regelfall nicht über. Schließlich schreiben die OECD-Leitlinien eine Gesamtbewertung der übertragenen „Activity“ auch nicht zwingend vor, sondern stellen lediglich fest, dass eine solche „necessary“ oder „useful“ sein kann.8 Auch hiervon weicht der Gesetzgeber ab,9 da er die Gesamtbewertung eines Transferpakets zwingend anordnet und lediglich unter den in § 1 Abs. 3 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. BFH v. 17.9.1987 – III R 272/83, BStBl. II 1988, 441. Vgl. BFH v. 17.9.1987 – III R 272/83, BStBl. II 1988, 441. Vgl. Tz. 9.94 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 9.93 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Baumhoff/Puls, IStR 2009, 80. Vgl. Tz. 9.93 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 165. Vgl. Tz. 9.94 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 165.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
Satz 10 AStG bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen hiervon zulässt. Auch vor diesem Hintergrund sieht sich der Grundsatz der Gesamtbewertung erheblichen Bedenken ausgesetzt.
7.84
Keine Gesamtbewertung eines Transferpakets bei bloßen Lizenzierungen. In keinem Fall gerechtfertigt ist eine Gesamtbewertung, wenn ein Transferpaket nicht endgültig übertragen, sondern lediglich befristet zur Nutzung überlassen wird. Eine endgültige Übertragung liegt vor, wenn es zu einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an dem Transferpaket kommt.1 Hierfür ist erforderlich, dass Besitz und Gefahr, Nutzen und Lasten, insbesondere die mit dem Transferpaket verbundenen Chancen und Risiken, auf das übernehmende Unternehmen übergehen.2 Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums hat regelmäßig zur Folge, dass es zu einer Aufdeckung aller in dem Transferpaket enthaltenen stillen Reserven kommt.3 Findet ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht statt, liegt eine bloße Nutzungsüberlassung vor. Bei immateriellen Wirtschaftsgütern handelt es sich in einem solchen Fall um eine Lizenzierung. Zu einer Aufdeckung von stillen Reserven kommt es in diesem Fall nicht. Zu versteuern sind lediglich die Lizenzraten im Zeitpunkt ihres Zuflusses.4 Nach § 4 Abs. 2 FVerlV ist bei Zweifeln, ob eine Übertragung oder eine Nutzungsüberlassung vorliegt, auf Antrag des Steuerpflichtigen von einer Nutzungsüberlassung auszugehen. Dem Steuerpflichtigen kommt damit faktisch ein Wahlrecht zu. Hintergrund der Bestimmung ist, dass die mit der Aufdeckung stiller Reserven einhergehende Sofortversteuerung im Einzelfall zu erheblichen Liquiditätsproblemen führen kann. Dies soll vermieden werden.5 Das dem Steuerpflichtigen eingeräumte Wahlrecht ändert indes nichts daran, dass auch im Fall einer Nutzungsüberlassung eine Gesamtbewertung des Transferpakets durchzuführen ist. Eine solche ist bei einer Nutzungsüberlassung aber gerade nicht gerechtfertigt, da bei einer Nutzungsüberlassung keine geschäftswertbildenden Faktoren und damit auch kein Geschäfts- oder Firmenwert übergeht.6 In der höchstrichterlichen Rspr. ist geklärt, dass es zu einem Übergang des Geschäfts- oder Firmenwerts nur dann kommt, wenn die geschäftswertbildenden Faktoren endgültig und nicht nur vorübergehend übertragen werden.7 Ein Übergang des Geschäfts- oder Firmenwerts setzt nach der Rspr. voraus, dass die geschäftswertbildenden Faktoren aufgrund einer verfestigten Rechtsposition dauerhaft genutzt werden können.8 Nicht ausreichend ist eine verfestigte tatsächliche Nutzungsmöglichkeit oder der tatsächliche 1 Vgl. § 39 AO. 2 Vgl. BFH v. 12.12.2007 – X R 17/05, BStBl. II 2008, 579 = FR 2008, 565 m. Anm. Wendt. 3 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 570. 4 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 570. 5 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 20. 6 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 110. 7 Vgl. BFH v. 2.9.2008 – X R 32/05, BStBl. II 2009, 634; hierzu Levedag, NWB 2010, 106; Wendt, FR 2009, 958. 8 Vgl. BFH v. 2.9.2008 – X R 32/05, BStBl. II 2009, 634 = FR 2009, 954 m. Anm. Wendt.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
Verbrauch der geschäftswertbildenden Faktoren beim übernehmenden Unternehmen.1 Ein endgültiger Übergang der geschäftswertbildenden Faktoren erfolgt bei einer bloßen Nutzungsüberlassung aber gerade nicht. Vielmehr ist die Nutzung von vorneherein befristet. Von daher ist es in diesen Fällen auch nicht gerechtfertigt, eine Gesamtbewertung des zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Vielmehr muss eine Einzelbewertung der in dem Transferpaket enthaltenen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter durchgeführt werden.2
II. Gesamtbewertung eines Transferpakets als gesetzlicher Regelfall 1. Überblick Gesamtbewertung des Transferpakets nach den allgemeinen Grundsätzen. Wie sich aus § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ergibt, ist bei einer Funktionsverlagerung grundsätzlich eine Gesamtbewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Eine Einzelbewertung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, aus denen sich das Transferpaket zusammensetzt, ist in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG zulässig. Die Gesamtbewertung des Transferpakets hat dabei nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen, was in § 2 Abs. 1 FVerlV und Rz. 61 der VWG-Funktionsverlagerung3 nochmals ausdrücklich klargestellt wird. Liegen für das Transferpaket danach uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte vor, ist ein tatsächlicher Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG durchzuführen. Andernfalls hat die Bestimmung des angemessenen Verrechnungspreises für das Transferpaket auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG zu erfolgen.
7.85
2. Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs zur Transferpaketbewertung Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs nur in Ausnahmefällen. Liegen für das Transferpaket uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte vor, ist gemäß dem Stufenverhältnis der Verrechnungspreisermittlung ein tatsächlicher Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG durchzuführen.4 Der Vorrang des tatsächlichen vor dem hypothetischen Fremdvergleich auch für Funktionsverlagerungen wird ausdrücklich durch § 2 Abs. 1 Satz 1 FVerlV anerkannt. Wegen der dominierenden Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei grenz1 Vgl. BFH v. 2.9.2008 – X R 32/05, BStBl. II 2009, 634 = FR 2009, 954 m. Anm. Wendt. 2 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 110. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.1.1. 4 Vgl. Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007, 309 f.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
überschreitenden Funktionsverlagerungen dürfte ein tatsächlicher Fremdvergleich jedoch die Ausnahme sein. Im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern ergeben sich bei einem tatsächlichen Fremdvergleich stets die Probleme der Vergleichbarkeit und der Beobachtbarkeit. Immaterielle Wirtschaftsgüter haben häufig einen einzigartigen Charakter, durch den eine Monopolstellung geschaffen werden soll und der die Suche nach Vergleichswerten erschwert.1 Hinzu kommt, dass für die meisten immateriellen Wirtschaftsgüter kein aktiver Markt besteht, auf dem eine Preisbildung beobachtet werden könnte. Vielmehr vereinbaren die Parteien häufig sogar Stillschweigen über den vereinbarten Preis. Aus diesem Grund können selbst im Fall einer gegebenen Vergleichbarkeit Fremdvergleichswerte häufig kaum ermittelt werden.2 Vor diesem Hintergrund dürfte die Ermittlung uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbarer Vergleichspreise bei Funktionsverlagerungen nur im Ausnahmefall gelingen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an die Verlagerung von Routinefunktionen, bei denen keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter übertragen werden, z.B. die Verlagerung der Datenverarbeitung auf ein spezialisiertes Softwarehaus, die Übertragung der Buchhaltung auf einen Steuerberater oder die Verlagerung des Liquiditätsmanagements auf eine Bank.3
7.87
Anwendung der allgemeinen Grundsätze des tatsächlichen Fremdvergleichs. Kommt es im Fall einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung zu einem tatsächlichen Fremdvergleich, gelten die allgemeinen Grundsätze des § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG.4 Abgesehen von der Tatsache, dass Gegenstand des Fremdvergleichs das Transferpaket ist, ergeben sich für Funktionsverlagerungen insofern keine Besonderheiten. Wurden durch den tatsächlichen Fremdvergleich mehrere uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte festgestellt, bilden diese nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG eine Bandbreite.5 Bei uneingeschränkt vergleichbaren Werten kann der Steuerpflichtige als Verrechnungspreis für das Transferpaket nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG jeden Wert innerhalb der Bandbreite ansetzen. Sind die ermittelten Werte nur eingeschränkt vergleichbar, ist die Bandbreite nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG einzuengen und ein Verrechnungspreis aus dem eingeengten Bereich zu wählen. Nach Auffassung des Gesetzgebers hat die Einengung nach Maßgabe der VWGVerfahren zu erfolgen.6 Angesprochen ist damit insbesondere die Methode der „Interquartile Range“, bei der das obere und untere Viertel der Bandbreitenwerte für die Verrechnungspreisermittlung außer Acht gelassen 1 2 3 4
Vgl. Greinert, Ubg 2010, 102. Vgl. Greinert, Ubg 2010, 102. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166. Zur Anwendung eines tatsächlichen Fremdvergleichs im Rahmen der Bewertung des Transferpakets vgl. auch Schilling/Kandels, DB 2012, 1065 mit Anm. Ditz/ Liebchen, DB 2012, 1469 ff. 5 Zu den Ursachen für die Entstehung einer Bandbreite vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 348 ff. 6 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 143.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
wird.1 Gegen die Methode der „Interquartile Range“ bestehen freilich erhebliche Bedenken.2 Sofern der angesetzte Verrechnungspreis außerhalb der Bandbreite liegt, ist im Fall einer Korrektur nach § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG der Median anzusetzen. Auch hiergegen bestehen erhebliche Bedenken.3 3. Bewertung eines Transferpakets auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs a) Hypothetischer Fremdvergleich als Regelfall Hypothetischer Fremdvergleich als Regelfall bei Funktionsverlagerungen. Sofern für das Transferpaket keine uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte vorliegen, ist ein hypothetischer Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG durchzuführen. In Anbetracht der dominierenden Bedeutung von immateriellen Wirtschaftsgütern bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen und der bei ihrer Bewertung auftretenden Schwierigkeiten dürfte der hypothetische Fremdvergleich den Regelfall darstellen. Kommt es im Fall einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung zu einem hypothetischen Fremdvergleich, gelten die allgemeinen Grundsätze des § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG. Abgesehen von der Tatsache, dass Gegenstand des Fremdvergleichs das Transferpaket ist, ergeben sich für grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen insofern keine Besonderheiten. Zur Bewertung des Transferpakets ist daher nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG ein Einigungsbereich zu ermitteln, der durch die Gewinne bestimmt wird, die das übertragende und das übernehmende Unternehmen aus dem Transferpaket erwarten. Innerhalb des Einigungsbereichs ist nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG der Mittelwert anzusetzen, sofern der Steuerpflichtige nicht glaubhaft machen kann, dass ein anderer Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz mit einer höheren Wahrscheinlichkeit entspricht. Erweist sich der Einigungsbereich im Nachhinein als unzutreffend, kann der angesetzte Wert von der Finanzverwaltung korrigiert werden. Auf eine Korrektur kann nach § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG jedoch verzichtet werden, wenn der angesetzte Wert innerhalb des zutreffenden Einigungsbereichs liegt.
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b) Ermittlung eines Einigungsbereichs aa) Vorbemerkungen Notwendigkeit der Ermittlung eines Einigungsbereichs für das Transferpaket. Erfolgt die Bewertung des Transferpakets auf Grundlage eines hy1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.12.5. Buchst. d. 2 Vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 362 ff.; Werra, IStR 2005, 21; Finsterwalder, DStR 2005, 769; Steuerfachausschuss des IDW, FN-IDW 2004, 787 f. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1463 f.; kritisch zum Ansatz des Medians im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG auch Bödefeld/Kuntschik in Blumenberg/Benz, Die Unternehmensteuerreform 2008, 245 f.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
pothetischen Fremdvergleichs, muss im ersten Schritt ein Einigungsbereich ermittelt werden. Hierzu bestimmt § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG: „Können keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte festgestellt werden, hat der Steuerpflichtige für seine Einkünfteermittlung einen hypothetischen Fremdvergleich unter Beachtung des Absatzes 1 Satz 3 durchzuführen.“ Diese Bestimmung wird durch § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG wie folgt ergänzt: „Dazu hat er auf Grund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen den Mindestpreis des Leistenden und den Höchstpreis des Leistungsempfängers unter Berücksichtigung funktions- und risikoadäquater Kapitalisierungszinssätze zu ermitteln (Einigungsbereich); der Einigungsbereich wird von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotenzialen) bestimmt.“ Hieraus folgt, dass es für die Ermittlung des Einigungsbereichs entscheidend auf die Gewinne ankommt, die das übertragende und das übernehmende Unternehmen zukünftig aus dem Transferpaket erwarten. Diese Vorgehensweise entspricht dem finanzwirtschaftlichen Verständnis von Wert, nach dem ein Gut nur so viel wert ist, wie Ergebnisse durch seine Verwendung erwirtschaftet werden können.1 Die Gewinnerwartungen des übertragenden Unternehmens bestimmen die Untergrenze des Einigungsbereichs, während die Gewinnerwartungen des übernehmenden Unternehmens die Obergrenze bestimmen. Aus der Regelung folgt außerdem, dass die jeweils zu erwartenden Gewinnpotentiale mit Hilfe eines kapitalwertorientierten Verfahrens zu ermitteln sind,2 was in Rz. 87 der VWG-Funktionsverlagerung3 nochmals ausdrücklich klargestellt wird. Angesprochen sind damit insbesondere das Ertragswertverfahren und das Discounted-CashflowVerfahren,4 die nach Rz. 88 der VWG-Funktionsverlagerung5 gleichberechtigt nebeneinander stehen. Bei der Anwendung eines kapitalwertorientierten Verfahrens zur Bewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets sind nach § 3 Abs. 2 Satz 3 FVerlV und Rz. 84 der VWG-Funktionsverlagerung6 insbesondere die nachfolgend aufgeführten Fragen zu klären,7 wobei maßgeblicher Bewertungszeitpunkt nach § 3 Abs. 1 FVerlV der Zeitpunkt der Übertragung der Funktion ist. Bei den nachfolgend aufgeführten Fragen handelt es sich um typische Fragen im Zusammenhang mit der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter,8 was sich aus der dominierenden Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen erklärt: 1 Vgl. Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung7, 77 ff.; Kruschwitz, Investitionsrechnung9, 45 ff. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.3.2.1. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.3.2.1. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.3.2. 7 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1652. 8 Vgl. Greinert, Ubg 2011, 102.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
– Bestimmung der Gewinnpotentiale für das Transferpaket; – Ermittlung eines sachgerechten Kapitalisierungszeitraums; – Ableitung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes.1 Erhebliche Bedenken gegen das generelle Abstellen auf einen Einigungsbereich. Gegen die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Bewertung eines Transferpakets mit Hilfe eines Einigungsbereichs bestehen erhebliche Bedenken. Problematisch ist zunächst, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass sich aufgrund der Bestimmung der zu erwartenden Gewinne sowohl aus Sicht des übertragenden als auch des übernehmenden Unternehmens stets ein Einigungsbereich ergibt.2 Dies ist aber nicht zwingend. Ein Einigungsbereich kommt zunächst dann nicht zustande, wenn die Gewinnerwartungen der beteiligten Unternehmen identisch sind.3 Darüber hinaus fehlt es an einem Einigungsbereich, wenn die Gewinnerwartungen des übernehmenden Unternehmens unter denen des übertragenden Unternehmens liegen.4 In diesem Fall käme zwischen unabhängigen Verhandlungspartnern kein Geschäft zustande, weil mindestens einer der Beteiligten einen Gewinnentgang oder Verlust in Kauf nehmen müsste. Für diese Fälle sieht das Gesetz allerdings keine Lösung vor.5 Weiterhin führt die Ermittlung eines Einigungsbereichs im täglichen Massengeschäft der Verrechnungspreisermittlung zu einem kaum vertretbaren Verwaltungsaufwand.6 Die Einigungsbereichsbetrachtung stammt ursprünglich aus der Unternehmensbewertung und kommt dort vor allem bei Unternehmenskäufen zur Anwendung. Sie dient der Ermittlung der Preisuntergrenze für den Verkäufer und der Preisobergrenze für den Käufer.7 In Anbetracht der hohen Beträge, die bei Unternehmenskäufen im Raum stehen, ist die Anwendung der Einigungsbereichsbetrachtung dort gerechtfertigt.8 Beim täglichen Massengeschäft der Verrechnungspreisermittlung besteht für einen Aufwand, wie ihn die Einigungsbereichsbetrachtung mit sich bringt, indes keine Rechtfertigung. Hinzu kommt, dass aufgrund der Maßgeblichkeit der in Zukunft zu erwartenden Gewinne für die Bestimmung des Einigungsbereichs nicht nur im Inland gebildete stille Reserven, sondern auch zukünftige, im Ausland erst entstehende Gewinne der inländischen Besteuerung unterworfen werden.9 Der Gesetzgeber begründet dies damit, 1 Eine umfassende Darstellung dieser Bewertungsparameter anhand von Beispielen findet sich in Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1637 (1693). 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464. 4 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 238 ff. 5 Vgl. Piltz, in Arbeitsbuch zur Jahrestagung der Fachanwälte für Steuerrecht, 101; Reichl, Verrechnung immaterieller Wirtschaftsgüter im internationalen Konzern, 155 ff. 6 Vgl. Eingabe des IDW v. 23.4.2007, FN-IDW 2007, 206; Greinert in Schaumburg/ Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 555. 7 Vgl. IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1) v. 2.4.2008, FN-IDW 2008, 271, Tz. 12 f. 8 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 554 f. 9 Vgl. Hey, BB 2007, 1308; Blumers, BB 2007, 1760; Lang in FS Reiß, 394; Kroppen/ Rasch, IWB 2008, 551 und 557.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
dass es nicht gerechtfertigt ist, wenn immaterielle Wirtschaftsgüter oder Vorteile, die mit Hilfe deutscher Infrastruktur erstellt wurden, ohne angemessene Besteuerung des inländischen Wertschöpfungsbeitrags im Ausland genutzt werden.1 Damit wird letztlich „eine Besitzstandabsicherung für alle jemals in Deutschland getätigten Investitionen und die daraus resultierenden Immaterialpositionen“2 geschaffen. Inwieweit sich ein Besteuerungskonzept, mit dem die Bundesrepublik Deutschland ihre Besteuerungsrechte einseitig zu Lasten der Ansässigkeitsstaaten der übernehmenden Unternehmen ausweitet – von Hey3 zutreffend als „Beggar My Neighbour Policy“ bezeichnet –, international durchsetzen lässt, bleibt abzuwarten.4 Ein deutlicher Anstieg von Schieds- und Verständigungsverfahren dürfte die Folge sein, bei deren Scheitern Doppelbesteuerungen drohen. Hiervon scheint auch der Gesetzgeber auszugehen. Nach seiner Aussage wurden zur Erledigung solcher Verfahren beim BZSt. zusätzliche Personalkapazitäten geschaffen.5 bb) Bestimmung der Gewinnpotentiale für das Transferpaket
7.91
Bestimmung der Gewinnpotentiale aus der Sicht der beteiligten Unternehmen. Zur Ermittlung des Einigungsbereichs sind zunächst die auf das Transferpaket entfallenden Gewinnpotentiale zu bestimmen. Hierzu ist nach § 3 Abs. 1 FVerlV die Perspektive sowohl des übertragenden als auch des übernehmenden Unternehmens einzunehmen, wobei auf den Zeitpunkt der Verlagerung der Funktion abzustellen ist. Entscheidend ist nach § 1 Abs. 4 FVerlV die Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters in der Position der beteiligten Unternehmen. Die Bestimmung der Gewinnpotentiale des Transferpakets richtet sich damit letztlich nach der bekannten Rechtsfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters.6 Bei der Bestimmung der auf das Transferpaket entfallenden Gewinne ist nach Rz. 31 f. der VWG-Funktionsverlagerung7 zwischen der direkten und der indirekten Methode zu unterscheiden. Bei der direkten Methode werden unmittelbar die Gewinnpotentiale des Transferpakets aus der Sicht der beteiligten Unternehmen ermittelt. Diese werden regelmäßig aus den für die Zukunft geplanten Jahresergebnissen abgeleitet. Erforderlich ist damit eine zweifache Bewertung.8 Bei der indirekten Methode erfolgt dagegen eine Ermittlung der Gewinne der beteiligten Unternehmen, jeweils vor und nach der Verlagerung 1 2 3 4 5 6
Vgl. BR-Drucks. 220/07, 141. Rödder, ZHR 2007, 402. Vgl. Hey, BB 2007, 1308. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651 f. Vgl. BR-Drucks. 220/07, 142. Vgl. BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann. 7 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.4.1. 8 Vgl. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.391.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
der Funktion. Die Gewinnpotentiale des Transferpakets ergeben sich in diesem Fall aus der Differenz der Unternehmenswerte vor und nach der Funktionsverlagerung. Dies erfordert eine vierfache Bewertung.1 Hält man sich den Aufwand vor Augen, den eine Unternehmensbewertung erfordern kann, dürfte die Grenze des dem Steuerpflichtigen Zumutbaren damit deutlich überschritten sein.2 Gleichwohl stehen die direkte Methode und die indirekte Methode nach Rz. 31 f. der VWG-Funktionsverlagerung3 grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander. Voraussetzung für eine Anwendung der indirekten Methode ist lediglich, dass die entsprechenden Berechnungen betriebswirtschaftlich nachvollziehbar sind. Was den Begriff der Gewinnpotentiale anbelangt, sind hierunter nach § 1 Abs. 4 FVerlV die aus der verlagerten Funktion jeweils zu erwartenden Reingewinne nach Steuern zu verstehen, auf die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter aus der Sicht des übertragenden Unternehmens nicht unentgeltlich verzichten würde und für die ein solcher Geschäftsleiter aus der Sicht des übernehmenden Unternehmens bereit wäre, ein Entgelt zu entrichten. Nach Rz. 30 der VWG-Funktionsverlagerung4 wird durch die Einnahme einer solchen Sichtweise zwischen dem übertragenden und dem übernehmenden Unternehmen eine Verhandlungssituation simuliert, die die unterschiedlichen Verhandlungspositionen und die jeweilige Verhandlungsstärke aufgrund der individuellen geschäftlichen Verhältnisse aus Sicht der beiden ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter berücksichtigt. Einbeziehung von Standortvorteilen, Synergieeffekten und Handlungsalternativen. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV sind die Gewinnpotentiale des Transferpakets unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und tatsächlich bestehender Handlungsmöglichkeiten zu ermitteln und beinhalten auch Standortvorteile und Synergieeffekte.5 Als Beispiele für solche Standortvorteile nennt Rz. 93 der VWG-Funktionsverlagerung6 Unterschiede bei Lohn- und Materialkosten, Finanzierungskonditionen, die Qualität der Infrastruktur oder die Zuverlässigkeit und die Qualifizierung des Personals und der Materiallieferungen. Auch Steuerbelastungsunterschiede und Investitionshilfen sollen Standortvorteile begründen können, ohne dass dies bereits die Annahme eines steuerlichen Missbrauchs rechtfertigen würde. Eine Begründung dafür, weshalb Standortvorteile, die allein dem ausländischen Unternehmen zustehen, zur Besteuerung im Inland herangezogen werden können, obwohl diese keinen 1 Vgl. die beispielhafte Darstellung von Schilling, StuB 2011, 868 ff. 2 Vgl. Baumhoff in FS Schaumburg, 547 f.; kritisch zur vierfachen Bewertung auch Brandenberg, BB 2008, 866. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.4.1. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.4. 5 Vgl. Naumann, Status: Recht 2007, 204. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.3.2.2.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
Bezug zum inländischen Wertschöpfungsprozess aufweisen, bleibt die Finanzverwaltung freilich schuldig.1 Ebenso wird es auch ein ausländischer Fiskus nicht anerkennen, wenn etwa eigene steuerliche Investitionsanreize berücksichtigt werden und insoweit den Verrechnungspreis zu Ungunsten des ausländischen Fiskus erhöhen.2 Hinzu kommt, dass ein fremder Dritter nicht akzeptieren würde, dass die eigenen Standortvorteile bei der Bemessung des Kaufpreises zu seinen Lasten berücksichtigt werden. Insofern ist die Regelung auch nicht fremdvergleichskonform.3 Was die in Rechnung zu stellenden Handlungsalternativen angeht, heißt es in Rz. 96 der VWG-Funktionsverlagerung,4 dass für den anzustellenden Fremdvergleich die rechtliche und wirtschaftliche Position der beteiligten Unternehmen zu berücksichtigen sei. Stünden z.B. dem übernehmenden Unternehmen konkrete, realistische und eindeutig vorteilhaftere Möglichkeiten offen, die ihm angebotene Leistung zu erlangen, würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter versuchen, seinen infolge der Handlungsalternativen bestehenden Verhandlungsvorteil zu nutzen, um den Preis zu reduzieren. Andererseits würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter des übertragenden Unternehmens nicht bereit sein, einen wirtschaftlichen Vorteil ganz oder teilweise unentgeltlich abzugeben, wenn z.B. konkret die Möglichkeit bestünde, einen höheren Preis für die Abgabe der Funktion zu erzielen. Er würde vielmehr versuchen, ein optimales Ergebnis für das von ihm vertretene, verlagernde Unternehmen zu erreichen. Die Finanzverwaltung gibt hiermit letztlich Konkretisierungen des Fremdvergleichsgrundsatzes wieder. Wer sich zu seinen Gunsten auf das Vorliegen von konkreten, realistischen und eindeutig vorteilhafteren Handlungsalternativen beruft, hat nach Ansicht der Finanzverwaltung deren Voraussetzungen nachzuweisen und die sich aus diesen Handlungsalternativen ergebenden steuerlichen Auswirkungen glaubhaft zu machen.
7.93
Heranzuziehende Ergebnisgröße für die Bestimmung der Gewinnpotentiale. Die Definition des Begriffs der Gewinnpotentiale in § 1 Abs. 4 FVerlV als Reingewinne nach Steuern wirft eine Reihe von Fragen auf, die bislang nicht abschließend geklärt sind. Fraglich ist zunächst, was unter dem Begriff des Reingewinns i.S.d. § 1 Abs. 4 FVerlV zu verstehen ist. Nach Rz. 4 des IDW S 1 20085 bestimmt sich der Wert eines Unternehmens unter der Voraussetzung ausschließlich finanzieller Ziele durch den Barwert der mit dem Eigentum an dem Unternehmen verbundenen Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner. Entscheidend sind damit die Nettozuflüsse, nicht die Nettogewinne.6 Dagegen bezeichnet der Begriff des 1 Vgl. Blumers, BB 2007, 1761; Jenzen, NWB 2007, 3126; Frotscher, FR 2008, 53; Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 417. 2 Vgl. Haas in FS Schaumburg, 724 f.; Kroppen/Rasch, IWB 2008, 557. 3 Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 417. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.3.2.5. 5 Vgl. Tz. 2.1. IDW S 1 2008. 6 Vgl. Günter, WPg 2007, 1086; Roeder, Ubg 2008, 206.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
Gewinns im Handelsrecht und im Steuerrecht nach allgemeinem Verständnis eine periodisierte Größe des Rechnungswesens, die auf eine Veränderung des Reinvermögens abstellt.1 Eine andere Definition des Gewinnbegriffs findet sich dagegen in Rz. 31 der VWG-Funktionsverlagerung.2 Danach soll es für den Begriff des Gewinns auf finanzielle Überschüsse und Nettoeinnahmen, also auf Zahlungsgrößen ankommen. Diese bilden eine Veränderung des Geldvermögens ab.3 Ebenso weist die Verordnungsbegründung zu § 3 Abs. 1 FVerlV auf den Begriff „Net Present Value“ hin.4 Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll dies der amerikanische Begriff für Gewinnpotential sein.5 Tatsächlich stammt „Net Present Value“ aus der Investitionsrechnung und kennzeichnet die Kapitalwertmethode6, bei der Einzahlungen und Auszahlungen zur Anwendung kommen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist ein solcher Rückgriff auf Zahlungsgrößen zwar stets zu bevorzugen.7 In der Praxis kann dies jedoch zu erheblichen Schwierigkeiten führen, da die innerbetrieblichen Planrechnungen i.d.R. von periodisierten Größen ausgehen.8 Die Finanzverwaltung hat dieses Problem erkannt. Nach Rz. 31 der VWG-Funktionsverlagerung9 können die innerbetrieblichen Planrechnungen, aus denen die aus dem Transferpaket zu erwartenden finanziellen Überschüsse abzuleiten sind, nach handelsrechtlichen, steuerrechtlichen oder nach anderen anerkannten Vorschriften, z.B. nach IFRS oder US-GAAP, aufgestellt sein. Voraussetzung ist nach Rz. 86 der VWGFunktionsverlagerung10 lediglich, dass die in Rede stehenden betriebswirtschaftlichen Bewertungsgrundlagen und -methoden unternehmensintern einheitlich angewendet werden und die entsprechenden Unterlagen und die darauf beruhenden Berechnungen plausibel sind. Dies bedeutet letztlich, dass für die Ermittlung des Reingewinns i.S.d. § 1 Abs. 4 FVerlV auch auf periodisierte Größen abgestellt werden kann.11 Im Ergebnis ist damit diejenige Ergebnisgröße heranzuziehen, die dem Steuerpflichtigen am zweckmäßigsten erscheint.12 Insofern kommt dem Steuerpflichtigen ein weites Ermessen zu, dessen Grenzen erst dann überschritten sind, 1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166 f. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.4.1. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166 f. 4 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 17. 5 Vgl. Naumann in Oestreicher, Unternehmensbesteuerung 2008: Neue Wege gehen, 104. 6 Vgl. Hahn, PuK4, 293; Copeland/Koller/Murrin, Valuation, 3rd edition, 399. 7 Vgl. Looks/Scholz, BB 2007, 2544; Günter, WPg 2007, 1086; Roeder, Ubg 2008, 206; Kahle, Der Konzern 2007, 652; Greinert, DB 2009, 756 f. 8 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1949. 9 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.4.1. 10 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.3.2. 11 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166 f. 12 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1949.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
wenn offenkundig gegen anerkannte betriebswirtschaftliche Methoden verstoßen wird.
7.94
Reingewinn nach Abzug der auf Unternehmensebene anfallenden Steuern. Unklar ist weiterhin, welche Steuern vom Reingewinn i.S.d. § 1 Abs. 4 FVerlV zum Abzug zu bringen sind. Nach Rz. 28 des IDW S 1 20081 sind die Nettozuflüsse unter Berücksichtigung der inländischen und ausländischen Ertragsteuern des Unternehmens und grundsätzlich der aufgrund des Eigentums am Unternehmen entstehenden persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigner zu ermitteln. Dagegen sieht Rz. 34 der VWG-Funktionsverlagerung2 vor, dass Steuern i.S.d. § 1 Abs. 4 FVerlV nur die bei den beteiligten Unternehmen anfallenden Ertragsteuern sind. Für den Steuerpflichtigen besteht jedoch die Möglichkeit, auch die persönlichen Ertragsteuern der Anteileigner in die Berechnung mit einzubeziehen. Aus Vereinfachungsgründen kommt dem Steuerpflichtigen damit ein Wahlrecht zu.3 Bei Personengesellschaften kann nach Rz. 35 der VWG-Funktionsverlagerung4 auf eine Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern auf Anteilseignerebene dagegen nicht verzichtet werden. Dem Steuerpflichtigen ist es jedoch gestattet, die anzusetzenden Steuern in Höhe der Ertragsteuern anzusetzen, die entstanden wären, wenn statt Personenunternehmen Kapitalgesellschaften an der Funktionsverlagerung beteiligt gewesen wären. Alternativ dazu steht es dem Steuerpflichtigen frei, die tatsächlichen persönlichen Ertragsteuern, die aufgrund der Gewinne des Unternehmens für die Mitunternehmer entstehen, anzusetzen. Auch hierbei handelt es sich um ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen aus Vereinfachungsgründen.5 Bezieht der Steuerpflichtige die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner in die Berechnung des Reingewinns nach Steuern ein, sind diese nach Rz. 36 der VWG-Funktionsverlagerung6 beim Kapitalisierungszinssatz ebenfalls zu berücksichtigen. Die Frage, inwiefern eine Kürzung der aus dem Transferpaket zu erwartenden Gewinne um die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner überhaupt sinnvoll ist, ist damit freilich nicht beantwortet. Bei einer Unternehmensbewertung ist eine solche Berücksichtigung unter Umständen geboten.7 Im Fall einer Funktionsverlagerung stellt sich die Lage aber anders dar, da es hier nicht auf den Entscheidungswert der Anteilseigner, sondern auf den des übertragenden Unternehmens ankommt.8 Würden die 1 Vgl. Tz. 4.4.1.2. IDW S 1 2008. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.4.2. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 167. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.4.2. 5 Vgl. Luckhaupt, IStR 2012, 916 ff., der die Vorteilhaftigkeit dieses Wahlrechts untersucht. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.4.2. 7 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1183. 8 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1183.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner bei der Verrechnungspreisermittlung berücksichtigt, würde dies zu unterschiedlichen Ergebnissen in Abhängigkeit von der Rechtsform der Anteilseigner führen, wofür keine Rechtfertigung besteht.1 Keine Gesamtbewertung des Transferpakets bei Funktionsabspaltungen. Fraglich ist auch, wie der Tatsache Rechnung zu tragen ist, dass die Übertragung einer Funktion oder deren Überlassung zur Nutzung stets zur Folge hat, dass sich der Gewinn des inländischen Unternehmens verringert. Besonders deutlich wird dies im Fall einer Funktionsabspaltung, bei der eine Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken beim inländischen Unternehmen übertragen oder zur Nutzung überlassen wird.2 Typischer Fall einer Funktionsabspaltung ist die Übertragung eines Teils der Produktion von einem inländischen Unternehmen auf einen ausländischen Lohnfertiger. Die Verlagerung eines Teils der Produktion ins Ausland hat zur Folge, dass auch ein Teil des Gesamtgewinns ins Ausland verlagert wird und sich der Gewinn des inländischen Unternehmens entsprechend verringert. Eine Erfassung des von der ausländischen Gesellschaft erwirtschafteten Gewinns im Inland ist nicht gerechtfertigt, da es sich hierbei ausschließlich um deren Funktionsgewinn handelt.3 Dieser Auffassung scheint auch die Finanzverwaltung zu sein. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV ist davon auszugehen, dass mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden, so dass nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG auf eine Gesamtbewertung des Transferpakets verzichtet werden kann, wenn das übernehmende Unternehmen die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem übertragenden Unternehmen ausübt und das Entgelt, das für die Ausübung der Funktion und die Erbringung der entsprechenden Leistungen anzusetzen ist, nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt wird. Es sind also lediglich die einzelnen übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter zu erfassen und zu bewerten, wobei es sich hierbei überwiegend um materielle Wirtschaftsgüter, insbesondere Anlagen und Maschinen, handelt. Im Ergebnis unterliegt der im Rahmen der Funktionsabspaltung auf die ausländische Gesellschaft übertragene Gewinn im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV damit keiner Besteuerung im Inland. Dies ist sachgerecht, weil bei einer Funktionsabspaltung „kein unternehmerisches Gewinnpotential, das über die Verzinsung des eingesetzten Kapitals für risikoadäquate Anlagen am Kapitalmarkt zzgl. eines Unternehmerlohns hinausgeht“4, übertragen wird.5
1 2 3 4 5
Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1183. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1652. Schreiber, Ubg 2008, 436. Vgl. Ditz/Just, DB 2009, 144; Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 10.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
cc) Ermittlung eines sachgerechten Kapitalisierungszeitraums
7.96
Unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum nicht fremdvergleichskonform. Zur Ermittlung des Einigungsbereichs ist ebenfalls zu klären, über welchen Zeitraum die aus dem Transferpaket zu erwartenden Gewinne zu prognostizieren sind. Nach Auffassung der Finanzverwaltung, die ihren Niederschlag in § 6 FVerlV gefunden hat, ist bei der Ermittlung der auf das Transferpaket entfallenden Gewinne grundsätzlich von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum auszugehen. Dies soll notwendig sein, damit die erforderlichen Berechnungen rechtssicher vorgenommen werden können.1 Ferner verweist die Finanzverwaltung darauf, dass auch für Betriebs- oder Teilbetriebsveräußerungen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum angewandt wird und Funktionsverlagerungen solchen Vorgängen ähnlich seien.2 Die Auffassung der Finanzverwaltung kann nicht überzeugen. Die Annahme eines unbegrenzten Kapitalisierungszeitraums geht in der Mehrzahl der Funktionsverlagerungen an der Wirklichkeit vorbei und setzt sich damit in Widerspruch zum Fremdvergleichsgrundsatz.3 So müssen etwa bei der Verlagerung einer Vertriebsfunktion die Laufzeit des Vertriebsvertrags oder, falls diese unbegrenzt ist, die gesetzlichen Kündigungsfristen berücksichtigt werden. Bei einer Produktionsverlagerung müssen Produktlebenszyklen beachtet werden, da gerade in der heutigen Zeit Produkte, wenn sie nicht laufend weiterentwickelt werden, schnell veralten und ihre Produktion eingestellt wird.4 Bei immateriellen Wirtschaftsgütern muss zudem die Laufzeit von Schutzrechten in Rechnung gestellt werden, da ein fremder Dritter nur für diesen Zeitraum bereit wäre, ein Nutzungsentgelt zu bezahlen. Vor diesem Hintergrund dürfte ein Kapitalisierungszeitraum von drei bis fünf Jahren, wie er im Schrifttum vorgeschlagen wird,5 sachgerechter und auch fremdvergleichskonform sein.6 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass Funktionen nicht in allen Fällen auf Dauer ins Ausland verlagert werden. Denkbar ist im Einzelfall auch eine nur zeitlich begrenzte Verlagerung. Diese Möglichkeit wird von § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV ausdrücklich anerkannt. Auch in solchen Fällen widerspricht die Annahme eines unbegrenzten Kapitalisierungszeitraums dem Fremdvergleichsgrundsatz.
7.97
Glaubhaftmachung eines begrenzten Kapitalisierungszeitraums möglich. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass für den Steuerpflichtigen nach § 6 FVerlV die Möglichkeit besteht, im Einzelfall einen begrenzten Kapitalisierungszeitraum glaubhaft zu machen. Für eine Glaubhaftmachung muss der Steuerpflichtige Gründe vortragen, die einen begrenzten 1 2 3 4
Vgl. BR-Drucks. 352/08, 21. Vgl. BR-Drucks. 352/08, 21. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 566 f. Vgl. mit Hinweis auf den „rasanten technischen Fortschritt“ auch Kuckhoff/ Schreiber, IStR 1999, 328. 5 Vgl. Baumhoff, WPg 2012, 399. 6 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 566 f.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
Kapitalisierungszeitraum wahrscheinlicher erscheinen lassen als einen unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum.1 Daneben ist nach § 6 FVerlV auch dann von einem begrenzten Kapitalisierungszeitraum auszugehen, wenn Gründe für einen solchen ersichtlich sind. Hiermit dürften Fälle angesprochen sein, in denen ein begrenzter Kapitalisierungszeitraum unabhängig von einer Glaubhaftmachung durch den Steuerpflichtigen aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls praktisch ins Auge springt. Vor diesem Hintergrund wird ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum nur in seltenen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein.2 Diese Erkenntnis scheint sich auch bei der Finanzverwaltung durchgesetzt zu haben. Nach Rz. 109 der VWG-Funktionsverlagerung3 soll ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum nur dann zur Anwendung kommen, wenn es sich bei der verlagerten Funktion um einen Betrieb, einen Teilbetrieb oder wenigstens um eine Einheit handelt, die wirtschaftlich eigenständig lebensfähig ist und weitgehend einem Teilbetrieb entspricht. Dies ist bei Funktionsverlagerungen regelmäßig nicht der Fall. Je weiter die verlagerte Funktion dagegen unterhalb der Schwelle eines Teilbetriebs liegt, umso eher soll ein begrenzter Kapitalisierungszeitraum anzusetzen sein. Im Ergebnis bewirkt § 6 FVerlV damit eine Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen.4 Da ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum zu einem höheren Verrechnungspreis führt, handelt es sich um eine steuererhöhende Tatsache, so dass die Beweislast an sich bei der Finanzverwaltung läge. Nach Rz. 112 der VWG-Funktionsverlagerung5 kann sowohl für das übertragende als auch für das übernehmende Unternehmen aus Vereinfachungsgründen typisierend von einem einheitlichen Kapitalisierungszeitraum ausgegangen werden. Wer sich darauf beruft, dass für die betroffenen Unternehmen kein einheitlicher Kapitalisierungszeitraum gilt, hat nach Auffassung der Finanzverwaltung die Voraussetzungen dafür nachzuweisen. Haben einzelne Bestandteile eines Transferpakets eine unterschiedliche Nutzungsdauer, soll für die Bestimmung des Kapitalisierungszeitraums nach Rz. 112 der VWG-Funktionsverlagerung6 eine Orientierung an der längsten Nutzungsdauer sachgerecht sein, wobei auch eine Gewichtung erforderlich sein kann. Als Beispiel hierfür nennt die Finanzverwaltung Patente mit unterschiedlicher Restlaufzeit.
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.5.2. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1951; Vögele, DStR 2010, 422; Gehri in Haase, Geistiges Eigentum, Rz. 11.357. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.6. 4 Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 421. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.6.1. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.6.1.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
dd) Ableitung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes
7.98
Allgemeine Grundsätze zur Bestimmung eines Kapitalisierungszinssatzes. Zur Ermittlung des Einigungsbereichs ist ferner zu klären, mit welchem Zinssatz die aus dem Transferpaket zu erwartenden Gewinne zu diskontieren sind. Der Gesetzgeber hat diese Frage nicht ausdrücklich geregelt. In § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG heißt es lediglich, dass funktions- und risikoadäquate Kapitalisierungszinssätze heranzuziehen sind. Diese Aussage wird in § 5 Satz 1 FVerlV dahingehend konkretisiert, dass zur Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes vom Zins für eine risikolose Investition auszugehen ist, auf den ein Risikozuschlag vorzunehmen ist. Damit richtet sich die Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes im Rahmen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen letztlich nach den aus der Finanzwirtschaftslehre und der Unternehmensbewertung bekannten Methoden.1 Dort wird der Kapitalisierungszinssatz durch die erwartete Rendite der günstigsten alternativen Kapitalanlagemöglichkeit bestimmt.2 Insofern handelt es sich beim Kapitalisierungszinssatz um die Mindestverzinsung, die mit dem Transferpaket erzielt werden muss, um nicht schlechter zu stehen, als bei der günstigsten alternativen Kapitalanlage. Zur Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes ist daher zu untersuchen, welche Rendite mit einer vergleichbaren Kapitalanlage am Markt erzielt werden könnte. Im Regelfall wird der Kapitalisierungszinssatz damit in einen Basiszinssatz und einen Risikozuschlag zerfallen. Seine Bestimmung richtet sich daher letztlich nach der international anerkannten Risikozuschlagsmethode.3 Für die Bewertung von Unternehmen sieht Rz. 117 des IDW S 1 20084 vor, dass zur Ermittlung des Basiszinssatzes als Ausgangspunkt vereinfachend auf öffentliche Anleihen mit langen Restlaufzeiten zurückgegriffen werden kann. Für die dabei erforderliche Wiederanlage kann zur Orientierung die aktuelle Zinsstrukturkurve herangezogen werden. Der auf den risikolosen Basiszinssatz vorzunehmende Risikozuschlag kann nach Rz. 118 des IDW S 1 20085 aus dem am Kapitalmarkt empirisch ermittelten Aktienrenditen mit Hilfe von Kapitalmarktpreisbildungsmodellen abgeleitet werden.
7.99
Ermittlung von Basiszinssatz und Risikozuschlag für ein Transferpaket. Im Hinblick auf die Bewertung eines Transferpakets bietet sich nach Rz. 104 der VWG-Funktionsverlagerung6 für die Bestimmung des risikolosen Basiszinssatzes ein Rückgriff auf die Zinssätze für öffentliche Anleihen im jeweiligen Land, im Inland auch auf die Zinsstrukturkurve der Deutschen Bundesbank an. Dabei ist auf die Laufzeitäquivalenz zu ach1 Vgl. Naumann, Status: Recht 2007, 204; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 567. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651. 4 Vgl. Tz. 7.2.4.1. IDW S 1 2008. 5 Vgl. Tz. 7.2.4.1. IDW S 1 2008. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.5.1.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
ten. Dies bedeutet, dass nur solche Anlagen heranzuziehen sind, deren Laufzeiten dem zuvor bestimmten Kapitalisierungszeitraum entsprechen. Bei einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum ist auf eine möglichst langfristige Vergleichsinvestition abzustellen. Was den Risikozuschlag anbelangt, soll sich dieser nach Rz. 106 der VWG-Funktionsverlagerung1 an den marktüblichen Renditen orientieren, die für die Ausübung vergleichbarer Funktionen erzielt werden können. Hierbei wird freilich verkannt, dass sich marktübliche Renditen für Funktionen nicht ermitteln lassen.2 Eine Renditeermittlung ist regelmäßig nur bei börsennotierten Unternehmen möglich. Funktionen werden an den Börsen aber nicht gehandelt, und börsennotierte Unternehmen, die nur eine einzige Funktion ausüben, dürften die Ausnahme sein.3 Sofern eine ausreichend vergleichbare Renditeerwartung nicht ermittelt werden kann, soll der Risikozuschlag nach Rz. 106 der VWG-Funktionsverlagerung4 im Wege einer Wertschöpfungsanalyse zu bestimmen sein, bei der der verlagerten Funktion ein angemessener Anteil am Gesamtgewinn zugeordnet wird. Eine solche Gewinnzuordnung ermöglicht jedoch noch keine Risikoeinschätzung.5 Von daher wird i.d.R. nichts anderes übrig bleiben, als das Risiko für das Gesamtunternehmen zu schätzen und auf dieser Grundlage eine Risikoeinschätzung für die jeweilige Funktion vorzunehmen.6 Wurden die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner in die Berechnung des Gewinns aus dem Transferpaket einbezogen, sind diese nach Rz. 108 der VWG-Funktionsverlagerung7 bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes ebenfalls zu berücksichtigen. c) Auswahl eines Verrechnungspreises aa) Bestimmung der Grenzen des Einigungsbereichs Grundsätze zur Bestimmung des Einigungsbereichs in Gewinnfällen. Die nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelten Gewinnpotentiale der verlagerten Funktion bilden die Grundlage für die Ermittlung des Einigungsbereichs i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG. Dieser wird durch den Mindestpreis des übertragenden Unternehmens und den Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens bestimmt. Maßgeblich ist die Sicht der beiden ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter. Der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens ergibt sich nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FVerlV aus dem Ausgleich für den Wegfall des Gewinnpotentials zzgl. 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.5.3. 2 Vgl. Oestreicher, Ubg 2009, 93 f. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 167 f.; Vögele, DStR 2010, 423. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.5.3. 5 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 167 f. 6 Vgl. Günter, WPg 2007, 1087; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1952. 7 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.5.4.
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7.100
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
eventuell anfallender Schließungskosten, falls das übertragende Unternehmen aus der verlagerten Funktion in Zukunft Gewinne zu erwarten hatte. Ohne einen solchen Gewinnausgleich ist die Aufgabe der Funktion nach Rz. 116 der VWG-Funktionsverlagerung1 aus der Sicht des übertragenden Unternehmens betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll. Tatsächlich bestehende Handlungsalternativen,2 die das übertragende Unternehmen als unabhängiges Unternehmen hätte, sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FVerlV zu berücksichtigen, so dass der maßgebliche Mindestpreis von den weggefallenen Gewinnen im Einzelfall auch abweichen kann. In Substitutionsfällen akzeptiert die Finanzverwaltung nach Rz. 119 der VWG-Funktionsverlagerung3 beim übertragenden Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen einen Mindestpreis von Null. Richtigerweise fehlt es in diesen Fällen aber bereits an einer Funktionsverlagerung, so dass sich die Frage nach der Ermittlung eines Einigungsbereichs i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG überhaupt nicht stellt.4 Der Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens ist nach § 7 Abs. 4 Satz 1 FVerlV regelmäßig in dem aus seiner Sicht ermittelten Gewinnpotential der verlagerten Funktion zu erblicken. Tatsächlich bestehende Handlungsalternativen,5 die das übernehmende Unternehmen als unabhängiges Unternehmen hätte, sind nach Rz. 126 der VWG-Funktionsverlagerung6 auch in diesem Fall zu berücksichtigen, so dass auch der maßgebliche Höchstpreis von dem ermittelten Gewinnpotential im Einzelfall abweichen kann.
7.101
Ermittlung des Einigungsbereichs in Liquidations- und Verlustfällen. Ist das übertragende Unternehmen aus rechtlichen, tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in der Lage, die verlagerte Funktion mit eigenen Mitteln auszuüben, entspricht der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens nach § 7 Abs. 2 FVerlV dem Liquidationswert der nicht mehr benötigten Wirtschaftsgüter.7 Bei der Ermittlung des Liquidationswerts sind nach Rz. 120 der VWG-Funktionsverlagerung8 auch die Schließungskosten zu berücksichtigen, so dass der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens auch negativ sein kann. In diesem Fall ist das übertragende Unternehmen letztlich bereit, an das übernehmende Unternehmen eine Abstandszahlung für die übergehende Funktion zu leisten. 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.7.1. 2 Vgl. hierzu Bodenmüller/Hülster, IStR 2010, 651 ff. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.7.1; s. hierzu auch Frischmuth in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 98 f. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 162. 5 Vgl. hierzu Bodenmüller/Hülster, IStR 2010, 651 ff. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.7.4. 7 Vgl. hierzu Bodenmüller/Hülster, IStR 2010, 654 ff.; Frischmuth, StuB 2009, 179 f. 8 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.7.2.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
Unabhängig davon ist nach § 7 Abs. 5 FVerlV in den Liquidationsfällen des § 7 Abs. 2 FVerlV aber stets zu prüfen, ob ein fremder Dritter im Einzelfall bereit wäre, einen Preis für die Übernahme der Funktion zu bezahlen. Verlagert ein Unternehmen eine Funktion, aus der es dauerhaft Verluste zu erwarten hat, ergibt sich der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens nach § 7 Abs. 3 Satz 1 FVerlV aus den zu erwartenden Verlusten oder den eventuell anfallenden Schließungskosten.1 Abzustellen ist hierbei nach § 7 Abs. 3 Satz 1 FVerlV auf den für das übertragende Unternehmen weniger belastenden Betrag, da auch fremde Dritte die Handlungsalternative wählen würden, die am wenigsten nachteilig ist.2 Auch in diesem Fall wäre das übertragende Unternehmen letztlich bereit, eine Abstandszahlung für die übergehende Funktion zu leisten. Unabhängig davon ist aber nach § 7 Abs. 5 FVerlV auch in den Verlustfällen des § 7 Abs. 3 Satz 1 FVerlV stets zu prüfen, ob ein fremder Dritter im Einzelfall bereit wäre, einen Preis für die Übernahme der Funktion zu bezahlen. Keine Regelung hat der Fall erfahren, dass das übernehmende Unternehmen aus der Funktion Verluste zu erwarten hat.3 Hier ist fraglich, ob überhaupt eine Funktionsverlagerung vorliegt. Jedenfalls ist das übernehmende Unternehmen für die Übernahme der Funktion fremdvergleichskonform zu entschädigen.4 Beispiel: Die D-GmbH mit Sitz in München ist im Bereich der Entwicklung, der Herstellung und dem Vertrieb von Fahrzeugfelgen tätig. Die Fahrzeugfelgen werden in München entwickelt und hergestellt. Auch der weltweite Vertrieb der Fahrzeugfelgen erfolgt von München aus. Aufgrund der angespannten Situation auf dem Fahrzeugmarkt musste die D-GmbH in den letzten Jahren einen starken Umsatzrückgang hinnehmen, der dazu führte, dass sie seit zwei Jahren beständig Verluste erwirtschaftet. Eine Besserung der Situation ist nicht zu erwarten. Die D-GmbH geht davon aus, dass sie in den kommenden Jahren Verluste erwirtschaften wird, deren Barwert 1 500 000 Euro beträgt. Die Schließungskosten würden 1 000 000 Euro betragen. Die D-GmbH entschließt sich daher, die Herstellung der Fahrzeugfelgen in Deutschland einzustellen und nach Rumänien zu verlagern, um mit Hilfe des dort herrschenden deutlich niedrigeren Lohnniveaus wieder in die Gewinnzone zu kommen. Zur Umsetzung ihres Vorhabens gründet die D-GmbH eine Tochtergesellschaft in Rumänien, die B-SRL, und überträgt ihr die für die Produktion der Fahrzeugfelgen erforderlichen Maschinen und Patente. Für die Zukunft ist beabsichtigt, dass die B-SRL sowohl für die D-GmbH als auch für fremde Dritte produziert. Eine exklusive Produktion für die D-GmbH ist nicht geplant. Die B-SRL geht davon aus, dass sie Gewinne in Höhe eines Barwerts von 500 000 Euro erwirtschaften wird. Lösung: Zur Bewertung der von der D-GmbH auf die B-SRL verlagerten Funktion „Herstellung von Fahrzeugfelgen“ ist nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG zunächst ein Einigungsbereich zu ermitteln, der durch die jeweiligen Gewinnpotentiale bestimmt wird. Die D-GmbH erwartet aus der Funktion dauerhaft Verluste, deren Barwert 1 Vgl. hierzu Bodenmüller/Hülster, IStR 2010, 654 ff.; Frischmuth, StuB 2009, 180 f. 2 Vgl. BR-Drucks. 325/08, 22. 3 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 831. 4 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 831.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen 1 500 000 Euro beträgt. Die Kosten für die Schließung der Funktion würden 1 000 000 Euro betragen. Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 FVerlV ist als Mindestpreis für die D-GmbH als übertragendes Unternehmen daher ein Betrag i.H.v. ./. 1 000 000 Euro anzusetzen, da dies der absolut niedrigere Betrag ist. Auch ein fremder Dritter würde sich im Zweifel für die Schließung der Funktion entscheiden, da dies die günstigste Alternative ist. Die B-SRL geht davon aus, dass sie mit der Funktion künftig Gewinne in Höhe eines Barwerts von 500 000 Euro erzielen wird. Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 FVerlV bildet dieser Betrag den Höchstpreis für die B-SRL als übernehmendes Unternehmen. Damit ergibt sich ein Einigungsbereich i.H.v. ./. 1 000 000 Euro bis + 500 000 Euro. Sofern die D-GmbH und die B-SRL keinen anderen Betrag glaubhaft machen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit einer höheren Wahrscheinlichkeit entspricht, ist nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG der Mittelwert i.H.v. ./. 250 000 Euro als Verrechnungspreis für die Funktion „Herstellung von Fahrzeugfelgen“ anzusetzen. Dies bedeutet, dass die D-GmbH an die B-SRL einen Betrag in dieser Höhe als Abstandszahlung für die Übernahme der Funktion leisten muss.
bb) Keine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten
7.102
Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten nach Verwaltungsauffassung. Nach Rz. 118 der VWG-Funktionsverlagerung1 ist für die Berechnung des Mindestpreises des übertragenden Unternehmens auch dessen Steuerbelastung auf den Ertrag aus der Veräußerung von Bestandteilen des Transferpakets der verlagerten Funktion zu berücksichtigen. Für die Berechnung des Höchstpreises des übernehmenden Unternehmens bestimmt Rz. 125 der VWG-Funktionsverlagerung,2 dass auch die steuerlichen Auswirkungen der Aufwendungen für den Erwerb von Bestandteilen des Transferpakets der verlagerten Funktion in Rechnung zu stellen sind. Die Finanzverwaltung stellt sich damit auf den Standpunkt, dass die mit der Funktionsverlagerung einhergehenden einmaligen Besteuerungseffekte bei der Ermittlung des Einigungsbereichs einbezogen werden müssen. Dies bedeutet, dass der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens um die Steuerbelastung des Veräußerungsgewinns (sog. Exit-Tax) und der Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens um das entstehende Abschreibungspotential der erworbenen Wirtschaftsgüter (sog. Tax-Amortisation-Benefit) zu erhöhen ist.3 Dies führt zu einem deutlichen Anstieg des Verrechnungspreises. Anhand eines in den VWGFunktionsverlagerung4 enthaltenen Beispiels5 werden die Effekte offenkundig.
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.7.1. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.7.4. 3 Fl.A. Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1698; Oestreicher/Wilcke, DB 2010, 1714; Oestreicher, Ubg 2011, 515 ff. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Anlage, Beispiel 1. 5 Zur kritischen Würdigung dieses Beispiels aus ökonomischer Sicht vgl. Luckhaupt, DStR 2012, 1571 ff.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
Unterscheidung zwischen laufenden und einmaligen Besteuerungseffekten. Von den durch die Verlagerung der Funktion ausgelösten einmaligen Besteuerungseffekten sind die bei der Ermittlung der jeweiligen Gewinnpotentiale zu berücksichtigenden laufenden Besteuerungseffekte zu unterscheiden. § 1 Abs. 4 FVerlV definiert die aus dem verlagerten Transferpaket zu erwartenden Gewinnpotentiale als Reingewinne nach Steuern. Gemeint sind damit die mit dem Transferpaket zusammenhängenden laufenden Steuern. Um welche Steuern es sich hierbei handelt, wird in Rz. 34 der VWG-Funktionsverlagerung1 geregelt. Danach sind die aus dem Transferpaket zu erwartenden Gewinne um die auf Unternehmensebene anfallenden Steuern zu kürzen. Im Hinblick auf die auf Ebene der Anteilseigner anfallenden Steuern kommt dem Steuerpflichtigen grundsätzlich ein Wahlrecht zu, ob er diese Steuern ebenfalls berücksichtigen will. Die Berücksichtigung der auf Unternehmensebene anfallenden laufenden Steuern entspricht insofern dem Fremdvergleichsgrundsatz, da die Belastung mit diesen Steuern auch von einem fremden Dritten in Rechnung gestellt würde.2 Dagegen bestehen gegen eine Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner erhebliche Bedenken,3 da die Höhe der Verrechnungspreise auf diese Weise von der Rechtsform der Anteilseigner abhängig gemacht wird.4
7.103
Einmalige Besteuerungseffekte stellen keinen Gewinn der übertragenen Funktion dar. Auch gegen eine Berücksichtigung der durch die Verlagerung der Funktion ausgelösten einmaligen Besteuerungseffekte, wie sie in Rz. 118 und 125 der VWG-Funktionsverlagerung5 gefordert wird, bestehen erhebliche Bedenken. Die Berücksichtigung solcher Effekte entspricht zwar einem in der Betriebswirtschaft diskutierten Bewertungsmodell.6 Mit ihrer Berücksichtigung setzt sich die Finanzverwaltung aber in Widerspruch zu den konkreten Vorgaben des AStG und der FVerlV und verstößt damit gegen höherrangiges Recht.7 Nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG wird der Einigungsbereich durch die jeweiligen Gewinnerwartungen der an der Funktionsverlagerung beteiligten Unternehmen bestimmt. § 3 Abs. 1 FVerlV sieht vor, dass der Wert des Transferpakets in Übereinstimmung mit den Gewinnen stehen muss, die aus der Ausübung der verlagerten Funktion erwartet werden. Eine Exit-Tax, die auf den Gewinn aus der Veräußerung der verlagerten Funktion anfällt, kann aber weder als Ge-
7.104
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.4.2. 2 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2008, 550; Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 95; Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 416. 3 Vgl. Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 748. 4 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1183. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.7.1. und 2.7.4. 6 Vgl. Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1698 f. 7 Auch nach Oestreicher (Ubg 2011, 515) ist der Ansatz einer Exit-Tax und eines Tax-Amortisation-Benefit weder im Gesetz noch in der Rechtsverordnung geregelt. Ebenso Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 749.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
winn noch als Kosten für die Schließung der übertragenen Funktion betrachtet werden.1 Auch ein Tax-Amortisation-Benefit, der sich aufgrund des Erwerbs der Funktion ergibt, stellt keinen Gewinn dar, welcher der übertragenen Funktion unmittelbar zugeordnet werden könnte.2 Im Übrigen hat der BFH bereits vor Jahrzehnten im Hinblick auf die Ermittlung des gemeinen Werts unmissverständlich klargestellt, dass die Möglichkeit einer zukünftigen steuerlichen Belastung durch einen Veräußerungsgewinn den gemeinen Wert nicht beeinflusst.3 Vor dem Hintergrund, dass i.d.R. eine Übereinstimmung zwischen dem Fremdvergleichswert und dem gemeinen Wert herrscht,4 hat die vorstehende Feststellung des BFH zum gemeinen Wert auch entsprechende Gültigkeit für die Bewertung eines Transferpakets nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes.
7.105
Widerspruch zu nationalen und internationalen Bewertungsgrundsätzen. Zu beachten ist ferner, dass mit der Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten bei der Ermittlung des Einigungsbereichs auch gegen nationale und internationale Bewertungsgrundsätze verstoßen wird. Bereits der in den VWG-Funktionsverlagerung viel zitierte5 IDW S 1 2008 sieht weder die Berücksichtigung einer Exit-Tax noch eines Tax-Amortisation-Benefit vor, obwohl bei einem Unternehmenskauf im Wege eines Asset-Deals die gleichen Überlegungen maßgebend sein müssten.6 Auch den OECD-Leitlinien liegt ein Verrechnungspreiskonzept zugrunde, bei dem Steuern keine Rolle spielen.7 So ist nach den OECD-Leitlinien bei der Bewertung von immateriellen Wirtschaftsgütern zwar die Anwendung eines Grenzpreiskonzepts zulässig, das mit der Einigungsbereichsbetrachtung bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen vergleichbar ist.8 Eine Exit-Tax oder ein Tax-Amortisation-Benefit wird bei diesem Konzept aber nicht in die Berechnungen mit einbezogen.9 Weiterhin sehen die OECD-Leitlinien zwar vor, dass bei der Verrechnungspreisermittlung die für Unternehmenskäufe geltenden Bewertungsgrundsätze zur Anwendung kommen können.10 Aus der Praxis ist jedoch bekannt, dass eine Exit-Tax oder ein Tax-Amortisation-Benefit bei Unternehmenskäufen allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt.11 1 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1184; Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 749; Pohl in Mössner/Fuhrmann, AStG, § 1 AStG Rz. 458; Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 160. 2 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1184. 3 Vgl. BFH v. 6.4.1962 – III 261/59 U, BStBl. III 1962, 253. 4 Vgl. z.B. BFH v. 22.12.2010 – I R 47/10, BFH/NV 2011, 1019. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 30, 31, 34, 35, 63, 87–89, 104, 108. 6 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1185. 7 Vgl. Wittendorf, ITPJ 2010, 394. 8 Vgl. Tz. 6.14 OECD-Leitlinien 2010. 9 Vgl. Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 749. 10 Vgl. Tz. 9.94 OECD-Leitlinien 2010. 11 Vgl. Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 749 f.; Kasperzak/Nestler, DB 2007, 474.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten verstößt gegen Systematik. Hinzu kommt, dass eine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten bei der Ermittlung des Einigungsbereichs zu unsystematischen Ergebnissen bei der Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs führen kann. Denn im Regelfall wird die Exit-Tax des übertragenden Unternehmens höher ausfallen als der Tax-AmortisationBenefit des übernehmenden Unternehmens. Dies kann im Einzelfall zur Folge haben, dass der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens den Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens übersteigt, mit dem Ergebnis, dass kein Einigungsbereich zustande kommt. Der Gesetzgeber hat für diesen Fall keine Regelung getroffen, so dass davon auszugehen ist, dass eine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten systematisch nicht vorgesehen ist.1 Andernfalls wäre eine entsprechende Regelung zu treffen gewesen. Denn fremde Dritte würden in der vorstehend beschriebenen Konstellation auf eine Durchführung der fraglichen Transaktion zwar verzichten, bei nahestehenden Unternehmen kann dies aber anders sein.2
7.106
Steuermindernde Berücksichtigung nicht abzugsfähiger Betriebsausgaben. Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass durch eine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten bei der Ermittlung des Einigungsbereichs nicht abzugsfähige Betriebsausgaben in abschreibungsfähige Aufwendungen transformiert werden. Denn bei der Exit-Tax handelt es sich um eine Steuer vom Einkommen, die beim übertragenden Unternehmen nach § 12 Nr. 3 EStG und § 10 Nr. 2 KStG nicht als Betriebsausgabe abziehbar ist, beim übernehmenden Unternehmen aber das Abschreibungspotential erhöht. Dies führt dazu, dass innerhalb des die Funktionsverlagerung durchführenden Konzerns nicht abzugsfähige Betriebsausgaben im Wege der Abschreibung steuermindernd geltend gemacht werden können. Dies kann schwerlich gewollt sein. Vollends unverständlich wird die Auffassung der Finanzverwaltung, wenn man den umgekehrten Fall einer Funktionsverlagerung ins Inland in den Blick nimmt, auf den nach Rz. 3 der VWG-Funktionsverlagerung3 die Grundsätze der Funktionsverlagerungsbesteuerung ebenfalls Anwendung finden.4 In diesem Fall würden ausländische Betriebsausgaben in inländisches Abschreibungspotential umgewandelt. Auch dies kann kaum der Intention des Gesetzgebers entsprechen.5
7.107
Erhebliche Benachteiligung des die Funktion übernehmenden Unternehmens. Nicht übersehen werden darf auch, dass eine Berücksichtigung von
7.108
1 Vgl. Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 750. 2 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1185 f. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 1.1. 4 Zur Anwendung von § 1 AStG bei einer Funktionsverlagerung ins Inland vgl. Kaminski in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 23 ff. 5 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1186.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
einmaligen Besteuerungseffekten bei der Ermittlung des Einigungsbereichs zu einer erheblichen Benachteiligung des übernehmenden Unternehmens führt. Durch die Einbeziehung der Exit-Tax in die Ermittlung des Einigungsbereichs erhöht sich der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens. Auf diese Weise wird die Steuerzahlung auf Seiten des übertragenden Unternehmens auf das übernehmende Unternehmen übergewälzt. Gleichzeitig führt die Einbeziehung des Tax-Amortisation-Benefit zu einer Erhöhung des Höchstpreises des übernehmenden Unternehmens. Dies hat zur Folge, dass auch die Steuerentlastung des übernehmenden Unternehmens zu dessen Lasten berücksichtigt wird. Damit ist eine erhebliche Benachteiligung des übernehmenden Unternehmens zu konstatieren.1 Rechtfertigungsgründe sind hierfür nicht ersichtlich. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter auf Seiten des übernehmenden Unternehmens würde eine solche Benachteiligung nicht hinnehmen – schon gar nicht angesichts der in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG kodifizierten Informationstransparenz2 –, sondern darauf drängen, einmalige Besteuerungseffekte bei der Bestimmung des Kaufpreises außer Acht zu lassen.3 Bereits dies zeigt, dass die Auffassung der Finanzverwaltung nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.
7.109
Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten nicht fremdvergleichskonform. Hinzuweisen ist auch darauf, dass eine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten bei der Ermittlung des Einigungsbereichs zu einer nicht fremdvergleichskonformen Allokation von Einkünften internationaler Unternehmen führt. Die Vorschriften der Funktionsverlagerungsbesteuerung verfolgen das Ziel, für die Verlagerung von Funktionen, die Übernahme von Risiken und den Einsatz von Wirtschaftsgütern sachgerechte Verrechnungspreise zu ermitteln. Dieses Ziel kann nicht erreicht werden, wenn hierbei einmalige Besteuerungseffekte berücksichtigt werden. Denn die Exit-Tax auf Seiten des übertragenden Unternehmens und der Tax-Amortisation-Benefit auf Seiten des übernehmenden Unternehmens hängen nicht von den Gewinnpotentialen der verlagerten Funktion, sondern von der Steuerbelastung der beteiligten Unternehmen in den jeweiligen Ländern ab. Insofern wird ein Fremdkörper in die Verrechnungspreisbestimmung eingeführt, was sich insbesondere dann zeigt, wenn das übertragende und das übernehmende Unternehmen von identischen Gewinnpotentialen ausgehen. In diesen Fällen müssten sich der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens und der Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens an sich decken. Die Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten kann in diesen Fällen jedoch zu einem Auseinanderfallen von Mindestpreis und Höchstpreis führen. Auch dies widerspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz.4
1 2 3 4
Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1186. Vgl. Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 750. Vgl. Schneider, ITPJ 2011, 119. Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1186 f.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
cc) Ermittlung des zutreffenden Werts im Einigungsbereich Aufteilung des jeweiligen Einigungsbereichs nach den allgemeinen Grundsätzen. Wurde nach den vorstehenden Grundsätzen ein Einigungsbereich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG ermittelt, stellt sich die Frage, welcher Wert im Einigungsbereich als Verrechnungspreis für das Transferpaket anzusetzen ist. In den VWG 1983 wird hierzu ausgeführt, dass eine schematische Orientierung des Verrechnungspreises an der Ober- oder Untergrenze des jeweiligen Einigungsbereichs ohne wirtschaftlich beachtliche Gründe nicht statthaft sei, weil ein ordentlicher Geschäftsleiter „im Interesse seines Unternehmens auf eine ausgewogene Preisgestaltung bedacht“1 wäre. Mit Neufassung des § 1 AStG bestimmt nunmehr Abs. 3 Satz 7 Halbs. 1 AStG, dass der Wert im Einigungsbereich anzusetzen ist, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht. Wird kein anderer Wert glaubhaft gemacht, ist nach § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 AStG auf den Mittelwert abzustellen. Für eine Glaubhaftmachung muss der Steuerpflichtige Gründe vortragen, die einen bestimmten Wert im Einigungsbereich wahrscheinlicher erscheinen lassen als einen anderen Wert.2 Bei der Bestimmung dieses Werts hat das bestehende gesellschaftsrechtliche Verhältnis nach Rz. 128 der VWG-Funktionsverlagerung3 unberücksichtigt zu bleiben. Dagegen sind alle Umstände des Einzelfalls, z.B. die jeweiligen Marktpositionen, das betriebliche Eigeninteresse des übertragenden Unternehmens, das Angewiesensein des übernehmenden Unternehmens auf die Wirtschaftsgüter und Vorteile, die Kapitalausstattung und Ertragslage der beteiligten Unternehmen, die Entstehung von Synergieeffekten, die jeweiligen Standortvorteile sowie die Höhe der ersparten Anlaufkosten des übernehmenden Unternehmens und die Handlungsalternativen der beteiligten Unternehmen in Rechnung zu stellen.
7.110
Wahrscheinlichkeitsmaßstab für hypothetischen Fremdvergleich unbrauchbar. Gegen die vom Gesetzgeber aufgestellten Regeln zur Bestimmung des maßgeblichen Werts im Einigungsbereich bestehen erhebliche Bedenken. Kritisch ist zunächst zu sehen, dass § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 1 AStG auf den Verrechnungspreis abstellt, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht.4 Dies bereitet deshalb Schwierigkeiten, weil es sich bei beim Begriff der Wahrscheinlichkeit um einen statistischen Begriff handelt, der die beobachtbare Häufigkeit einer Ausprägung bei im Prinzip beliebig oft wiederholbaren Vorgängen wiedergibt.5 Ein solches Konzept muss im Rahmen des hier in
7.111
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.9. Bsp. 1. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.5.2. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.7.6. 4 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 106. 5 Vgl. Bortz, Statistik4, 49.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
Rede stehenden hypothetischen Fremdvergleichs naturgemäß scheitern, weil Ausprägungen gerade nicht beobachtbar sind, sondern allenfalls erdacht werden können.1 Die Regelung dürfte daher kaum anwendbar sein. Stattdessen wird man sich darauf besinnen müssen, dass innerhalb eines Einigungsbereichs jeder Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, da jeder dieser Werte auch zwischen fremden Dritten vereinbart werden könnte.2 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, dass der Steuerpflichtige im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs nach der höchstrichterlichen Rspr. den günstigsten Wert im Einigungsbereich ansetzen kann.3 Der BFH hat also seine Überlegungen zur Auswahl eines Werts bei einer durch tatsächlichen Fremdvergleich ermittelten Bandbreite4 auf den durch hypothetischen Fremdvergleich ermittelten Einigungsbereich übertragen. Zu dieser Rspr. setzt sich der Gesetzgeber in Widerspruch.
7.112
Maßgeblichkeit des Mittelwerts widerspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz. Kritisch zu sehen ist auch, dass nach § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 AStG der Mittelwert maßgeblich sein soll, wenn vom Steuerpflichtigen kein anderer Wert im Einigungsbereich glaubhaft gemacht wird.5 Abgesehen davon, dass ein genereller Ansatz des Mittelwerts der vorstehenden höchstrichterlichen Rspr. widerspricht,6 kann ein Abstellen auf den Mittelwert auch nicht aus dem Fremdvergleichsgrundsatz abgeleitet werden.7 Vielmehr stellt Frotscher klar: „Kein Geschäftsleiter würde die Hälfte des von ihm und seinem Unternehmen in Zukunft zu erarbeitenden Profitpotentials abgeben.“8 Selbst (ehemalige) Vertreter der Finanzverwaltung erachten eine generelle Bezugnahme auf den Mittelwert als nicht sachgerecht.9 Es kann nämlich nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass zwischen fremden Dritten eine hälftige Teilung üblich ist.10 Vielmehr kann es im Einzelfall durchaus sachgerecht sein, eine andere Aufteilung vorzunehmen. Dies machen auch die OECD-Leitlinien deutlich, die neben dem Mittelwert auch andere statistische Instrumente aufführen, mit deren Hilfe der zutreffende Wert innerhalb eines Einigungsbereichs 1 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 556; Kroppen in FS Schaumburg, 871 f. 2 Vgl. Ditz, DStR 2006, 1628. 3 Vgl. BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867 = FR 2005, 300. 4 Vgl. insbesondere BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 119 ff.; Bödefeld/Kuntschik in Blumenberg/Benz, Die Unternehmensteuerreform 2008, 252 f.; Frotscher, FR 2008, 54 ff.; Kaminski, StuW 2008, 341 f.; Frischmuth, StuB 2007, 390; Greinert, Ubg 2010, 106. 6 Vgl. BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867 = FR 2005, 300. 7 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2008, 557 f.; Roeder, Ubg 2008, 203; Blumers, BB 2007, 1760; Reichl, IStR 2009, 683. 8 Frotscher, FR 2008, 54. 9 Vgl. Schwenke, StbJb. 2007/2008; 147; Schreiber, Ubg 2008, 439. 10 Vgl. Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 693. Dieser neueren Auffassung sind bereits mehrere FG gefolgt, vgl. FG Sachsen-Anhalt v. 21.2.2008 – 3 K 305/01, juris; FG Berlin-Brandenb. v. 9.3.2011 – 12 K 12267/07, GmbHR 2011, 670.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
ermittelt werden kann.1 Gleichzeitig stellen die OECD-Leitlinien klar, dass genauso gut argumentiert werden kann, dass jeder Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz genügt.2 Unklar ist auch, an welche Art von Mittelwert der Gesetzgeber gedacht hat. In der Statistik werden der arithmetische Mittelwert, der geometrische Mittelwert und der harmonische Mittelwert unterschieden.3 In Abhängigkeit davon, auf welchen Mittelwert man abstellt, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen.4 Von daher bestehen gegen die gesetzliche Regelung auch unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots Bedenken. d) Korrektur von Verrechnungspreisen Korrektur der Bewertung des Transferpakets nach den allgemeinen Grundsätzen. Erweist sich der nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelte Einigungsbereich als unzutreffend, und entspricht daher auch die Bewertung des Transferpakets nicht den gesetzlichen Anforderungen, kann der vom Steuerpflichtigen angesetzte Wert von der Finanzverwaltung nachträglich korrigiert werden. Die Korrektur des angesetzten Verrechnungspreises richtet sich auch bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen nach den allgemeinen Grundsätzen. Für den hypothetischen Fremdvergleich finden sich die entsprechenden Regelungen in § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG. Ist der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Einigungsbereich danach unzutreffend und muss deshalb von einem anderen Einigungsbereich ausgegangen werden, kann von der Finanzverwaltung auf eine Einkünfteberichtigung verzichtet werden, wenn der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Wert innerhalb des zutreffenden Einigungsbereichs liegt. Ob eine Korrektur vorgenommen wird, liegt damit im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzverwaltung.5 Nach Rz. 130 der VWG-Funktionsverlagerung6 soll es für die Ermessensausübung unter anderen darauf ankommen, ob die Abweichung vom Mittelwert im zutreffenden Einigungsbereich erheblich ist und ob dem Steuerpflichtigen die Fehlerhaftigkeit der Ermittlung des Einigungsbereichs bekannt war oder bekannt sein musste, etwa wegen einer entsprechenden Beanstandung bei einer vorhergehenden Prüfung.
7.113
Vorliegen einer unzutreffenden Transferpaketbewertung nur in Ausnahmefällen. Im Zusammenhang mit der Korrektur nach § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG stellt sich vor allem die Frage, wann ein Einigungsbereich und damit auch eine Transferpaketbewertung unzutreffend ist. Der Einigungsbereich wird nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG durch den Mindestpreis des
7.114
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Vgl. Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Bortz, Statistik4, 38 ff.; Bamberg/Baur, Statistik8, 17 f. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 556 f. Vgl. § 5 AO. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.7.6.2.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
übertragenden und den Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens bestimmt, die aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen zu ermitteln sind. Ein unzutreffender Einigungsbereich wird daher immer die Folge einer unzutreffenden Funktionsanalyse oder unzutreffender innerbetrieblicher Planrechnungen sein.1 Da eine Funktionsanalyse stets mit hohem Aufwand verbunden ist und es hierbei naturgemäß zu unterschiedlichen Auffassungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung kommen kann, wird man eine unzutreffende Funktionsanalyse nur in seltenen Ausnahmefällen annehmen können. Angesprochen sind Fälle, in denen die Funktionsanalyse in grundlegend anderer Art und Weise hätte erfolgen müssen, etwa wenn statt eines unterstellten Eigenproduzenten tatsächlich ein Lohnfertiger vorliegt.2 Entsprechendes gilt für die innerbetrieblichen Planrechnungen. Diese sind nicht bereits dann unzutreffend, wenn die späteren Ist-Werte von den Plan-Werten abweichen. Vielmehr müssen die Plan-Werte selbst unzutreffend, also unplausibel sein.3 In entsprechender Anwendung der Rechtsprechung zur Plausibilität von Unternehmensbewertungen4 muss hierfür in erheblichem Maße gegen Denkgesetze verstoßen worden sein.5 Beispiel: Die D-GmbH mit Sitz in München ist Inhaberin einer selbstgeschaffenen und daher nicht bilanzierten Marke. Sie will diese Marke an ihre Tochtergesellschaft, die B-SLR, mit Sitz in Bukarest verkaufen. Aufgrund der Spezifika der Marke scheidet ein tatsächlicher Fremdvergleich aus. Der Verrechnungspreis für die Marke muss daher im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs bestimmt werden. Hierbei ergibt sich für die D-GmbH ein Mindestpreis i.H.v. 7 000 000 Euro und für die B-SRL ein Höchstpreis i.H.v. 10 000 000 Euro. Diese Beträge bilden die Grenzen des Einigungsbereichs. Da die B-GmbH und die B-SRL keinen anderen Wert glaubhaft machen können, setzen sie als Verrechnungspreis für die Marke nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG den Mittelwert und damit einen Betrag i.H.v. 8 500 000 Euro an. Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangt die Finanzverwaltung in der Folge zu dem Ergebnis, dass der von der D-GmbH und der B-SRL ermittelte Einigungsbereich unzutreffend ist. Die Finanzverwaltung geht von einem zutreffenden Einigungsbereich i.H.v. 8 000 000 Euro bis 12 000 000 Euro aus. Der für die Marke angesetzte Preis müsste daher an sich von der Finanzverwaltung auf den Wert mit der höchsten Wahrscheinlichkeit innerhalb des zutreffenden Einigungsbereichs korrigiert werden. Da die D-GmbH und die B-SRL keinen anderen Wert glaubhaft machen können, wäre der Mittelwert anzusetzen, also ein Betrag i.H.v. 10 000 000 Euro. Die Finanzverwaltung kann jedoch nach § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG auf eine Korrektur auch verzichten, da der von der D-GmbH und der B-SRL angesetzte Wert i.H.v. 8 500 000 Euro innerhalb des zutreffenden Einigungsbereichs liegt. Ob sie auf eine Korrektur verzichtet, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen.
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Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1466. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1466. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1466. Vgl. FG Nds. v. 11.4.2000 – 6 K 611/93, EFG 2001, 157, rkr. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1466.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
III. Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter als Ausnahme 1. Vorbemerkungen Einzelbewertung der Wirtschaftsgüter nach den allgemeinen Grundsätzen. Wie sich aus § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ergibt, ist bei einer Funktionsverlagerung grundsätzlich eine Gesamtbewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Eine Einzelbewertung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, aus denen sich das Transferpaket zusammensetzt, ist in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG zulässig. Kommt es zu einer Einzelbewertung, hat diese nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen, was in Rz. 69 der VWG-Funktionsverlagerung1 nochmals ausdrücklich klargestellt wird. Liegen für die Wirtschaftsgüter des Transferpakets danach uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte vor, ist ein tatsächlicher Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG durchzuführen. Andernfalls hat die Bestimmung der angemessenen Verrechnungspreise für die übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG zu erfolgen. Die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG ist nicht abschließend.2 Weitere Fälle, in denen eine Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter erfolgt, finden sich in § 1 Abs. 6 und 7 FVerlV und § 2 Abs. 2 FVerlV.
7.115
Zulässigkeit einer Einzelbewertung in den gesetzlich geregelten Fällen. § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG unterscheidet drei eigenständige Konstellationen, in denen eine Einzelbewertung zulässig ist und deren Voraussetzungen stets unabhängig voneinander zu prüfen sind. Zu beachten ist, dass in diesen Fällen gleichwohl eine Funktionsverlagerung vorliegt und daher insbesondere die gesetzlichen Dokumentationspflichten zu erfüllen sind. Dies wird in Rz. 70 der VWG-Funktionsverlagerung3 ausdrücklich klargestellt. In folgenden Fällen ist eine Einzelbewertung zulässig: – Gegenstand der Funktionsverlagerung sind keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG); – Die Summe der angesetzten Einzelverrechnungspreise entspricht, gemessen an der Bewertung des Transferpakets, dem Fremdvergleichsgrundsatz (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG); – Zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut ist Gegenstand der Funktionsverlagerung (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG).
7.116
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3. 2 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 840. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
7.117
Grundsatz der Gesamtbewertung führt zu unzulässiger Beweislastumkehr. Macht man sich die dominierende Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei Funktionsverlagerungen klar, wird deutlich, dass in der Mehrzahl der Fälle die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG vorliegen dürften. In den noch verbleibenden Fällen dürften dann regelmäßig die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG gegeben sein. Anders als die gesetzliche Regelung auf den ersten Blick nahelegt, ist die Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG daher eher die Ausnahme, während die Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG die Regel sein dürfte.1 Die Vorschriften zur Ermittlung des Verrechnungspreises bei Funktionsverlagerungen in § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG bewirken damit im Ergebnis nichts anderes als eine Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen, da dieser die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG glaubhaft machen muss.2 Hiergegen bestehen erhebliche Bedenken, da im Rahmen der Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ein Mehrwert besteuert werden soll. Dabei handelt es sich um eine steuererhöhende Tatsache, so dass die Beweislast an sich bei der Finanzverwaltung läge.3 2. Keine Verlagerung wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter oder Vorteile
7.118
Auslegung der Begriffe des immateriellen Wirtschaftsguts und des Vorteils. Nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG ist eine Einzelbewertung der im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter zunächst dann zulässig, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung sind. Fraglich ist, was unter den Begriffen des immateriellen Wirtschaftsguts und des Vorteils zu verstehen ist. Das Gesetz definiert diese Begriffe nicht. Auch die FVerlV und die VWG-Funktionsverlagerung enthalten keine Definition. Vor diesem Hintergrund dürften keine Bedenken bestehen, insofern auf die höchstrichterliche Rspr. zur Definition immaterieller Wirtschaftsgüter zurückzugreifen.4 Immaterielle Wirtschaftsgüter sind danach alle unkörperlichen Vermögenswerte für den Betrieb, insbesondere Rechte und tatsächliche Positionen, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten lässt, die einer besonderen Bewertung zugänglich sind, i.d.R. eine Nutzung für mehrere Wirtschaftsjahre erbringen und zumindest mit dem Betrieb übertragen werden können.5 Unter den Begriff des Vorteils dürften alle sonstigen Vermögenswerte fallen, die die 1 Vgl. Eigelshoven/Nientimp, Ubg 2010, 234; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1311; Looks, StB 2010, 351. 2 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 568. 3 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 538; Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007, 311 f. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1311. 5 Vgl. zum Begriff des immateriellen Wirtschaftsguts auch Weber-Grellet in Schmidt32, § 5 EStG Rz. 171 ff. m.w.N.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
Voraussetzungen eines immateriellen Wirtschaftsguts nicht erfüllen,1 aber als geschäftswertbildende Faktoren Bestandteil des Geschäfts- oder Firmenwerts sind.2 Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an eingearbeitetes Personal oder Lieferantenbeziehungen.3 Auch singuläre und unternehmerische Geschäftschancen4 können unter den Begriff des Vorteils gefasst werden.5 Da es sich bei diesen Vermögenswerten um keine Wirtschaftsgüter handelt, können sie auch nicht einzeln bewertet werden. Sie werden daher im Rahmen der Gesamtbewertung eines Transferpakets als Bestandteil des Geschäfts- und Firmenwerts erfasst. Wesentlichkeit des fraglichen immateriellen Wirtschaftsguts oder Vorteils. Voraussetzung für eine Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG ist weiterhin, dass die in Rede stehenden immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile nicht wesentlich sind. Nach § 1 Abs. 5 FVerlV ist dies der Fall, wenn die fraglichen immateriellen Wirtschaftsgüter oder Vorteile für die verlagerte Funktion nicht erforderlich sind oder ihr Fremdvergleichspreis 25 % oder weniger als die Summe der Einzelpreise aller Wirtschaftsgüter und Vorteile des Transferpakets beträgt. Die Frage der Wesentlichkeit der in Rede stehenden immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile ist folglich mit Hilfe einer Analyse zu beantworten, bei der sowohl qualitative als auch quantitative Elemente eine Rolle spielen, was in Rz. 38 der VWG-Funktionsverlagerung6 nochmals ausdrücklich klargestellt wird. Eine Definition des Merkmals der Erforderlichkeit, auf dem die qualitative Analyse der fraglichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile aufbaut, findet sich in der FVerlV nicht. Auch die VWG-Funktionsverlagerung definieren das Merkmal nicht. Im Entwurf der VWG-Funktionsverlagerung hieß es zwar noch, dass immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile für die Funktion dann erforderlich sind, wenn sie aus betriebswirtschaftlicher Sicht für die Ausübung der Funktion notwendig sind.7 In der endgültigen Fassung der VWG-Funktionsverlagerung findet sich diese Aussage aber nicht mehr. Von daher wird man das Merkmal der Erforderlichkeit unter Rückgriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch auslegen müssen. Erforderlich sind die in Rede stehenden immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile danach dann, wenn die verlagerte Funktion ohne diese nicht ausgeübt werden kann.8 Zu beurteilen ist dies aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaf1 Vgl. Hruschka in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 15. 2 Vgl. Oestreicher, Ubg 2009, 83. 3 Vgl. Oestreicher, Ubg 2009, 83; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1288; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 51. 4 Zum Begriff vgl. Ditz, DStR 2006, 1625 ff. m.w.N. 5 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.5.1. 7 Vgl. Tz. 2.1.5 VWG-Funktionsverlagerung – Entwurf v. 17.7.2009. 8 Siehe hierzu auch Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.362.
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7.119
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
ten Geschäftsleiters aus der Sicht der beteiligten Unternehmen.1 Was die quantitative Analyse anbelangt, so ist hierfür ein Vergleich der Werte der fraglichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile mit der Summe der Werte aller Wirtschaftsgüter und sonstiger Vorteile des Transferpakets erforderlich. Da hierbei auch die sonstigen Vorteile zu bewerten sind, ist auch im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG letztlich eine Gesamtbewertung des Transferpakets durchzuführen.2 Dies folgt auch aus Rz. 39 der VWG-Funktionsverlagerung,3 wonach für die quantitative Analyse auch die geschäftswertbildenden Faktoren zu erfassen sind. Im Ergebnis bedeutet dies einen erheblichen Verwaltungsaufwand für den Steuerpflichtigen, da zwei Wertermittlungen durchgeführt werden müssen, eine Einzelbewertung sämtlicher materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter und eine Gesamtbewertung des Transferpakets.4 Es ist daher zu begrüßen, dass nach Rz. 71 der VWG-Funktionsverlagerung5 in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG für das Transferpaket keine präzise Wertermittlung erforderlich ist, womit freilich die Frage aufgeworfen ist, wie eine ausreichend pauschale Bewertung auszusehen hat. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten hätte die Finanzverwaltung besser daran getan, für die Frage der Wesentlichkeit ausschließlich eine qualitative, nicht auch zusätzlich noch eine quantitative Analyse zu fordern.6 Angesichts der großen Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei Funktionsverlagerungen dürfte die Vorschrift freilich keinen großen Anwendungsbereich haben. Zu denken ist etwa an Fälle, in denen Hilfsfunktionen wie die Buchhaltung oder das Personalwesen verlagert werden.7
7.120
Funktionsverlagerung auf ein Routineunternehmen und Funktionsausweitung. § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV enthält eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG. In § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV heißt es: „Übt das übernehmende Unternehmen die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen aus und ist das Entgelt, das für die Ausübung der Funktion und die Erbringung der entsprechenden Leistungen anzusetzen ist, nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln, ist davon auszugehen, dass mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden, so dass § 1 Abs. 3 Satz 10 erste Alternative des Außensteuergesetzes anwendbar ist.“ Aus § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV ergibt sich, dass die Finanzverwaltung in den 1 Siehe hierzu auch Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.362. 2 Vgl. Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 149; a.A. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 442. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.5.1. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 169. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3.1. 6 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 169. 7 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1653.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
dort beschriebenen Konstellationen stets vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG ausgeht. Die in § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV genannte Kostenaufschlagsmethode findet vor allem dann Anwendung, wenn das übernehmende Unternehmen lediglich Routinefunktionen ausübt, was etwa bei einem Lohnfertiger der Fall ist.1 Damit dürften die von § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV erfassten Konstellationen in erster Linie Funktionsverlagerungen auf ein ausländisches Routineunternehmen betreffen, wovon auch Rz. 66 der VWG-Funktionsverlagerung2 ausgeht. Eine wichtige Erweiterung3 erfährt § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV durch Rz. 67 der VWG-Funktionsverlagerung.4 Danach gelten die Grundsätze des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV auch dann, wenn das übernehmende Unternehmen auf Grundlage der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode vergütet wird oder eine niedrige, das jeweilige Risiko berücksichtigende Provision erhält. Voraussetzung ist, dass die Anwendung dieser Methoden zu vergleichbaren Ergebnissen führt und das übernehmende Unternehmen die verlagerte Funktion ausschließlich gegenüber dem übertragenden Unternehmen ausübt. Hintergrund des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV ist, dass in den dort beschriebenen Konstellationen keine Chancen und Risiken auf das übernehmende Unternehmen übergehen. Eine Gesamtbewertung des Transferpakets ist daher nicht gerechtfertigt.5 Gleichwohl wirft die von § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV geforderte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode die Frage nach der Vereinbarkeit mit § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG auf, der vorsieht, dass die klassischen Methoden gleichberechtigt nebeneinander stehen. Tatsächlich lässt sich ein Vorrang der Kostenaufschlagsmethode nicht begründen, so dass sich § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV insofern in Widerspruch zu höherrangigem Recht setzt. Die Grundsätze des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV müssen daher auch im Fall der Anwendung der Preisvergleichsmethode gelten.6 § 2 Abs. 2 Satz 2 FVerlV schränkt den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV allerdings wieder ein Stück weit ein. In § 2 Abs. 2 Satz 2 FVerlV heißt es: „Erbringt ein übernehmendes Unternehmen im Sinne des Satzes 1 die bisher ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen erbrachten Leistungen eigenständig, ganz oder teilweise, gegenüber anderen Unternehmen zu Preisen, die höher sind als das Entgelt nach der Kostenaufschlagsmethode oder die entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz höher anzusetzen sind, ist zum Zeitpunkt der erstmaligen Erbringung gegenüber den anderen Unternehmen für bisher unentgeltlich vom verlagernden Unternehmen für die Leistungserbringung zur Verfügung gestellte Wirtschaftsgüter und Vorteile ein Entgelt entsprechend § 3 zu ver1 Vgl. Hofacker in Haase, § 1 AStG Rz. 302. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.2.1. 3 Kritisch zur ausschließlichen Bezugnahme auf die Kostenaufschlagsmethode Oestreicher, Ubg 2009, 83 f.; Kahle, StuB 2009, 561. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.2.1. 5 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 16. 6 Vgl. auch Ditz/Just, DB 2009, 142.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
rechnen; die betreffenden Wirtschaftsgüter und Vorteile gelten als ein Transferpaket, soweit hierfür die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind.“ Die in § 2 Abs. 2 Satz 2 FVerlV beschriebenen Konstellationen zeichnen sich dadurch aus, dass es zu einem Übergang von Chancen und Risiken auf das übernehmende Unternehmen kommt. Daher ist es gerechtfertigt, eine Gesamtbewertung des Transferpakets vorzunehmen.1 3. Summe der Einzelverrechnungspreise entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz
7.121
Präzise Wertermittlung für Wirtschaftsgüter und Transferpaket erforderlich. Nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG ist eine Einzelbewertung der im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter weiterhin dann zulässig, wenn die Summe der angesetzten Einzelverrechnungspreise, gemessen an der Bewertung des Transferpakets als Ganzes, dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 FVerlV ist in diesen Fällen sowohl der Einigungsbereich als auch der Wert des Transferpakets zu ermitteln. Erforderlich ist in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG eine präzise Wertermittlung, was in Rz. 72 der VWG-Funktionsverlagerung2 ausdrücklich klargestellt wird. Die Summe der Einzelverrechnungspreise darf nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FVerlV nur angesetzt werden, wenn sie im Einigungsbereich liegt und der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass sie dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Die Auffassung der Finanzverwaltung in der Begründung zur FVerlV, dass die Summe der Einzelverrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz „am besten“ entsprechen müsse,3 hat im Wortlaut der FVerlV keinen Niederschlag gefunden. Sie ist auch abzulehnen, da in der höchstrichterlichen Rspr. geklärt ist, dass im Fall eines hypothetischen Fremdvergleichs jeder Wert im Einigungsbereich fremdvergleichskonform ist.4 Einen Wert, der dem Fremdvergleichsgrundsatz „am besten“ entspricht, gibt es nicht. Die Finanzverwaltung scheint ihre Auffassung in der Zwischenzeit auch aufgegeben zu haben. Jedenfalls findet sich in den VWG-Funktionsverlagerung kein Hinweis, dass der Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz „am besten“ entsprechen muss. Für die nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FVerlV notwendige Glaubhaftmachung ist nach Rz. 73 der VWG-Funktionsverlagerung5 erforderlich, dass der Steuerpflichtige die Differenz zwischen der Summe der Einzelverrechnungspreise und dem Wert für das Transferpaket aufklärt und begründet, warum die Summe der Einzelverrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Dies zeigt, dass die Inanspruchnahme der 1 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 16. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3.2. 3 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 17. 4 Vgl. BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867 = FR 2005, 300. 5 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3.2.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
Ausnahmeregel des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG für den Steuerpflichtigen mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden ist.1 Der Steuerpflichtige muss eine präzise Bewertung sowohl der einzelnen übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter als auch des Transferpakets vornehmen, worauf Rz. 72 der VWG-Funktionsverlagerung2 auch unmissverständlich hinweist. Hinzu kommt, dass unklar ist, mit Hilfe welcher Argumente der Steuerpflichtige glaubhaft machen kann, dass die Werte der einzelnen Wirtschaftsgüter dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, ihre Summe aber vom Wert des Transferpakets abweicht.3 In Anbetracht dieser Schwierigkeiten dürfte der erforderliche Nachweis kaum gelingen und der Regelung keine große Bedeutung zukommen. Beispiel: Die D-GmbH mit Sitz in Stuttgart ist im Bereich der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Spezialschrauben tätig. Die Entwicklung und Herstellung der Spezialschrauben erfolgt in Stuttgart. Von Stuttgart aus werden die Spezialschrauben auch weltweit vertrieben. Steigende Lohnkosten in Deutschland und zunehmende Konkurrenz aus Osteuropa haben in den letzten Jahren zu einem stetigen Rückgang der Gewinne der D-GmbH geführt. Die D-GmbH geht davon aus, dass sie künftig nur noch Gewinne in Höhe eines Barwerts von 1 000 000 Euro erwirtschaften wird. Sie beschließt daher, die Spezialschrauben künftig in Rumänien herstellen zu lassen. Sie hofft, dass das deutlich niedrigere Lohnniveau in Rumänien und die größere Nähe zum osteuropäischen Absatzmarkt zu einer Gewinnsteigerung führen werden. Zur Umsetzung ihres Vorhabens gründet die D-GmbH in Rumänien eine Tochtergesellschaft, die B-SRL, und überträgt ihr die für die Produktion der Spezialschrauben erforderlichen Maschinen und Patente, deren Einzelwerte bei insgesamt 1 100 000 Euro liegen. Für die Zukunft ist beabsichtigt, dass die B-SRL sowohl für die D-GmbH als auch für fremde Dritte produziert. Eine exklusive Produktion für die D-GmbH ist nicht geplant. Die B-SRL geht davon aus, dass ihre künftigen Gewinne einen Barwert von 2 000 000 Euro aufweisen werden. Lösung: Zur Bewertung der von der D-GmbH auf die B-SRL verlagerten Funktion „Herstellung von Spezialschrauben“ ist nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG zunächst ein Einigungsbereich zu ermitteln, der durch die jeweiligen Gewinnpotentiale bestimmt wird. Die D-GmbH erwartet aus der Funktion Gewinne i.H.v. 1 000 000 Euro. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FVerlV ist als Mindestpreis der D-GmbH daher ein Betrag i.H.v. 1 000 000 Euro anzusetzen. Die B-SRL geht davon aus, dass sie mit der Funktion Gewinne i.H.v. 2 000 000 Euro erzielen wird. Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 FVerlV bildet dieser Betrag den Höchstpreis für die B-SRL. Damit ergibt sich ein Einigungsbereich i.H.v. 1 000 000 Euro bis 2 000 000 Euro. Bei Ansatz des Mittelwerts nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG wäre für die Funktion „Herstellung von Spezialschrauben“ daher ein Verrechnungspreis i.H.v. 1 500 000 Euro anzusetzen. Nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG kann aber auch die Summe der Einzelverrechnungspreise für die übertragenen Wirtschaftsgüter i.H.v. 1 100 000 Euro als Verrechnungspreis angesetzt werden, da dieser Betrag innerhalb des Einigungsbereichs liegt. Voraussetzung ist allerdings, dass die D-GmbH und die B-SRL glaubhaft machen können, dass die Summe der Einzelverrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. 1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1653. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3.2. 3 Vgl. Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007, 318 f.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
4. Verlagerung von zumindest einem wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgut
7.122
Beurteilung der Wesentlichkeit auf Grundlage einer qualitativen Analyse. Nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG ist eine Einzelbewertung der im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter schließlich dann zulässig, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass zumindest ein genau bezeichnetes wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist. Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG wurde erst nachträglich durch das EU-Umsetzungsgesetz vom 8.4.20101 ins Gesetz eingefügt. Der Gesetzgeber hat damit auf die anhaltende Kritik von Schrifttum und Wirtschaft am Grundsatz der Gesamtbewertung reagiert, zumal die anderen in § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG enthaltenen Ausnahmen einen nur sehr eingeschränkten Anwendungsbereich haben. Der Begriff des immateriellen Wirtschaftsguts ist wie in § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG zu verstehen. Den Begriff des Vorteils enthält § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG nicht. Voraussetzung für eine Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG ist weiterhin, dass das übertragene oder zur Nutzung überlassene immaterielle Wirtschaftsgut wesentlich ist. Nach Rz. 75 der VWG-Funktionsverlagerung2 ist der Begriff der Wesentlichkeit wie in § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG auszulegen. Die Definition des § 1 Abs. 5 FVerlV ist nach Auffassung der Finanzverwaltung in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG daher sinngemäß anzuwenden.3 Dies kann bereits deshalb nicht überzeugen, weil der Wortlaut des § 1 Abs. 5 FVerlV nur auf § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG, nicht aber auch auf § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG Bezug nimmt.4 Hinzu kommt, dass § 1 Abs. 5 FVerlV zur Ermittlung der Wesentlichkeit des in Rede stehenden immateriellen Wirtschaftsguts sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Analyse erfordert. Was die quantitative Analyse anbelangt, so ist hierfür ein Vergleich der Werte der fraglichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile mit der Summe der Werte aller Wirtschaftsgüter und sonstiger Vorteile des Transferpakets erforderlich. Da hierbei auch die sonstigen Vorteile zu bewerten sind, ist auch im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG eine Gesamtbewertung des Transferpakets durchzuführen.5 Dies folgt auch aus Rz. 39 der VWG-Funktionsverlagerung,6 wonach für die quantitative Analyse auch die geschäftswertbildenden Faktoren zu erfassen sind. Im Ergebnis 1 Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (EU-Umsetzungsgesetz) v. 8.4.2010, BGBl. I 2010, 386. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3.3. 3 So auch Pohl, IStR 2010, 358. 4 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2010, 322; Freudenberg/Ludwig, BB 2010, 1270; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1311. 5 Vgl. Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 151. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.5.1.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
bedeutet dies einen erheblichen Verwaltungsaufwand für den Steuerpflichtigen, da zwei Wertermittlungen durchgeführt werden müssen, eine Einzelbewertung sämtlicher materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter sowie Vorteile und eine Gesamtbewertung des Transferpakets.1 Insofern setzt sich die Finanzverwaltung in Widerspruch zum Gesetzgeber,2 der mit der Einfügung von § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG im Rahmen des EU-Umsetzungsgesetzes vom 8.4.20103 die aus der Transferpaketbewertung resultierenden negativen Auswirkungen auf den Forschungsund Entwicklungsstandort Deutschland beseitigen wollte.4 Dies sollte dadurch geschehen, dass unter bestimmten Voraussetzungen für alle Wirtschaftsgüter, Vorteile und Leistungen, die im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragen oder zur Nutzung überlassen werden, Einzelverrechnungspreise nach den allgemeinen Grundsätzen angesetzt werden können.5 Die Tatsache, dass nach Rz. 75 der VWG-Funktionsverlagerung6 eine präzise Bewertung des Transferpakets in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG nicht erforderlich ist, ändert hieran nichts, da zumindest eine pauschale Bewertung durchgeführt werden muss, die ebenfalls zu erheblichem Aufwand führen kann. Im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG ist die Frage nach der Wesentlichkeit daher rein qualitativ zu beantworten.7 Zu fragen ist, ob die verlagerte Funktion ohne das in Rede stehende immaterielle Wirtschaftsgut vom übernehmenden Unternehmen nicht ausgeübt werden kann. Übertragung von zumindest einem wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgut. Voraussetzung für eine Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG ist weiterhin, dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut übertragen oder zur Nutzung überlassen wird. Hieraus folgt, dass § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG auch dann anwendbar ist, wenn mehrere wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter übertragen oder überlassen werden.8 Dies wird in Rz. 77 der VWG-Funktionsverlagerung9 ausdrücklich klargestellt. Zu beachten ist jedoch, dass die Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG nach Rz. 80 der VWG-Funktionsverlagerung10 ausgeschlossen sein soll, wenn mehrere immaterielle Wirtschaftsgüter übertragen werden, die die Schwelle der Wesentlichkeit erst zusammen überschreiten. Ein anderes soll nach Rz. 81 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 169. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 169 f. EU-Umsetzungsgesetz v. 8.4.2010, BGBl. I 2010, 386. Vgl. Eingabe des IDW v. 5.7.2011, Ubg 2011, 579. Vgl. BT-Drucks. 17/939, 16. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3.3. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1311; Eingabe des IDW v. 18.6.2010, FN-IDW 2010, 326; Freudenberg/Ludwig, BB 2010, 1270. Vgl. Lenz/Rautenstrauch, DB 2010, 698. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3.3. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3.3.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
der VWG-Funktionsverlagerung1 nur dann gelten, wenn der Steuerpflichtige mehrere immaterielle Wirtschaftsgüter zusammenfasst und deren gemeinsame Bewertung sachgerecht ist. In diesem Fall sind die zusammengefassten immateriellen Wirtschaftsgüter wie ein immaterielles Wirtschaftsgut zu behandeln. Die Finanzverwaltung versucht auf diese Weise, den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG einzuschränken. Die Auffassung ist daher abzulehnen.2 Der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG ist vielmehr unabhängig davon eröffnet, ob die Schwelle der Wesentlichkeit bereits durch ein oder erst durch mehrere immaterielle Wirtschaftsgüter überschritten wird. Insofern ergänzen sich die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG und die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG. Während die Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG voraussetzt, dass kein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut übertragen wird, ist Voraussetzung für die Anwendung von § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG, dass es zu einer Übertragung von zumindest einem wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgut kommt. Aufgrund der großen Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen hat dies zur Folge, dass in der Mehrzahl der Fälle eine Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG möglich sein wird. In den verbleibenden Fällen dürfte dann regelmäßig § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG eingreifen. Auf diese Weise wird die Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG zur Ausnahme, während die Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG zur Regel wird.3 Aufgrund der negativen Auswirkungen der Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG auf den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland ist dies positiv zu sehen.
7.124
Erfordernis einer genauen Bezeichnung des immateriellen Wirtschaftsguts. Schließlich setzt § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG für eine Einzelbewertung voraus, dass das übertragene oder zur Nutzung überlassene wesentliche immaterielle Wirtschaftsgut vom Steuerpflichtigen genau bezeichnet wird. Dass der Steuerpflichtige, will er die Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG in Anspruch nehmen, das in Rede stehende immaterielle Wirtschaftsgut bezeichnet, versteht sich von selbst, da es sonst schon an einem Glaubhaftmachen fehlt.4 Welche Funktion der zusätzlichen Voraussetzung, dass das Wirtschaftsgut „genau“ bezeichnet werden muss, zukommen soll, ist unklar, zumal im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen bereits umfangreiche Aufzeichnungspflichten bestehen.5 Nach Auffassung des Gesetzgebers ist eine „genaue“ 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3.3. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 169. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1311. So auch Antrag der Länder Rheinland-Pfalz, Berlin, Brandenburg, Bremen zur Einberufung des Vermittlungsausschusses, BR-Drucks. 107/4/10. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1312. 5 Vgl. Geberth, DB 2010, Heft 7, M 28.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
Bezeichnung notwendig, da selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter aufgrund ihrer fehlenden Bilanzierung von der Finanzverwaltung meist nicht selbständig identifiziert werden könnten.1 Nach Ansicht der Finanzverwaltung, die ihren Niederschlag in Rz. 78 der VWG-Funktionsverlagerung2 gefunden hat, ist ein immaterielles Wirtschaftsgut „genau“ bezeichnet, wenn es aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen so eindeutig identifiziert werden kann, dass entweder ausreichende Vergleichswerte ermittelt werden können oder eine sachgerechte Preisbestimmung nach dem hypothetischen Fremdvergleich möglich ist. Eine Bezeichnung sämtlicher in dem Transferpaket enthaltener immaterieller Wirtschaftsgüter ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG indes nicht notwendig.3 Die offenbar gegenteilige Auffassung des Gesetzgebers in der Gesetzesbegründung4 hat im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden und ist daher nicht maßgeblich. Im Einzelfall kann es für eine „genaue“ Bezeichnung hilfreich sein, an die in der Literatur herausgearbeiteten Systematisierungen von immateriellen Wirtschaftsgütern anzuknüpfen.5 In diesem Zusammenhang können etwa unterschieden werden: – Marketingbezogene immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Marken, Geschmacksmuster, Internet-Domains), – Technologiebezogene immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Patente, Gebrauchsmuster, Erfindungen, Rezepturen, Software), – Kundenbezogene immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Kundenstamm, Auftragsbestand, Firmenkontakte), – Vertragsbezogene immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Lizenzen, Belieferungsrechte, Konzessionen), – Kunstbezogene immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Zeitschriften, Bilder, Schauspiele, Filme). Keine Besteuerung eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts. Liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG vor, ist eine Einzelbewertung sämtlicher im Rahmen der Funktionsverlagerung übertragenen oder zur Nutzung überlassenen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter vorzunehmen. Hierbei gelten die allgemeinen Grundsätze. In Abhängigkeit davon, ob uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte vorliegen oder nicht, ist daher entweder ein tatsächlicher oder ein hypothetischer Fremdvergleich durchzuführen. Ein funktionsbezogener Geschäfts- oder Firmen1 Vgl. BT-Drucks. 17/939, 16. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.2.3.3. 3 Vgl. Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 151. 4 Vgl. Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/939, 16. 5 Vgl. IFRS 3, Illustrative Examples. Eine weitere Systematisierung hat der Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ der Schmalenbach-Gesellschaft erstellt, DB 2001, 990 f.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
wert, der in der Differenz zwischen dem Wert des Transferpakets und dem Wert der übertragenen Wirtschaftsgüter liegt, ist hierbei nicht zu berücksichtigen.1 Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG ist in dieser Hinsicht zwar nicht eindeutig. Aus der Entstehung der Vorschrift ergibt sich aber, dass eine Berücksichtigung eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts vom Gesetzgeber nicht gewollt war.2 Sinn und Zweck der Regelung ist die Beseitigung der negativen Auswirkungen der Funktionsverlagerungsbesteuerung auf den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland.3 Diese negativen Auswirkungen resultieren vor allem daraus, dass § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG die Bewertung eines Transferpakets anordnet,4 dessen einziger Zweck die steuerliche Erfassung eines Mehrwerts ist, der bei einer Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter unbesteuert bliebe.5 Ein solcher Mehrwert kann daher im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG keine Rolle spielen.6 5. Zivilrechtliche Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche
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Entstehung zivilrechtlicher Ausgleichsansprüche bei Funktionsverlagerungen. Einen Sonderfall der Einzelbewertung bilden zivilrechtliche Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche. Es ist eine Vielzahl von Fällen denkbar, in denen einem Konzernunternehmen gegenüber einem anderen Konzernunternehmen Schadenersatz-, Entschädigungsoder Ausgleichsansprüche zustehen. Zivilrechtliche Schadenersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche werden ihre Grundlage häufig in den zwischen diesen Unternehmen bestehenden Verträgen haben. Zu denken ist etwa an vertraglich vereinbarte Schadenersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche für nicht amortisierte Investitionen oder entgangene Gewinne bei vorzeitiger Kündigung des Vertragsverhältnisses.7 Schadenersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche können sich aber auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Besondere Bedeutung kommt dem Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach 1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1312 f. 2 Vgl. Kaminski, Stbg 2010, 196; Oestreicher/Wilcke, Ubg 2010, 226; Geberth, DB 2010, Heft 7, M 28; Eigelshoven/Nientimp, Ubg 2010, 235 f.; Baumhoff/Ditz/ Greinert, DStR 2010, 1312; Lenz/Rautenstrauch, DB 2010, 698; Eingabe des IDW v. 18.6.2010, FN-IDW 2010, 327; Eingabe des IDW v. 5.7.2011, Ubg 2011, 579; Frischmuth, IWB 2010, 433 ff. 3 Vgl. Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/939, 16. 4 Vgl. Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/939, 16. 5 Vgl. Greinert, in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 568. 6 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2010, 833 ff.; a.A. Pohl, IStR 2010, 359; Schilling, BB 2012, 307 ff. 7 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.8.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
§ 89b HGB zu,1 der im Wesentlichen auf Unionsrecht beruht.2 Nach dieser Vorschrift hat der Handelsvertreter gegen den Unternehmer im Fall der Kündigung des Vertragsverhältnisses einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich, wenn er während der Dauer des Handelsvertretervertrags den Kundenstamm erweitert oder intensiviert hat und aufgrund der Kündigung des Vertragsverhältnisses Provisionsansprüche verliert, die er bei Fortführung des Vertrags erlangt hätte, sofern ein solcher Anspruch der Billigkeit entspricht. Auf einen Eigenhändler ist § 89b HGB nach höchstrichterlicher Rspr. analog anwendbar, wenn der Eigenhändler wie ein Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Herstellers eingegliedert und vertraglich verpflichtet ist, dem Hersteller nach Vertragsende seinen Kundenstamm zu überlassen, so dass sich der Hersteller dessen Vorteile sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann.3 Nach Borstell/Wehnert4 kommt es für die Frage der Eingliederung in die Absatzorganisation des Herstellers vor allem auf folgende Aspekte an: – Vertragliche Zuweisung eines bestimmten Vertriebsgebiets an den Eigenhändler, – Pflicht des Eigenhändlers zur aktiven Vermarktung der Produkte des Herstellers, – Verpflichtung des Eigenhändlers zur Abnahme einer Mindestzahl von Produkten, – Pflicht des Eigenhändlers zur Zusammenarbeit mit dem Personal des Herstellers, – Vereinbarung von Wettbewerbsbeschränkungen zu Lasten des Eigenhändlers, – Übernahme einer Garantie durch den Hersteller für die gelieferten Produkte. Ausgleichsansprüche eines Handelsvertreters oder Eigenhändlers nach § 89b HGB können auch im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen Bedeutung erlangen. Zu denken ist etwa an eine inländische Vertriebsgesellschaft, die künftig nicht mehr für den Vertrieb, sondern nur noch für die Warenauslieferung oder vergleichbare Dienstleistungen zuständig sein soll. Zu diesem Zweck kündigt die ausländische Herstellergesellschaft den bestehenden Vertriebsvertrag fristgemäß. Der Vertrieb erfolgt künftig durch die ausländische Herstellergesellschaft. In diesem Fall kommt ein Ausgleichsanspruch der inländischen Vertriebsgesellschaft gegen die ausländische Herstellergesellschaft nach § 89b HGB in Betracht. Gleichzeitig führt die Übertragung der Vertriebsfunktion auf die ausländische Herstellergesellschaft zu einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.8. 2 Vgl. Art. 17 Richtlinie 86/653/EWG des Rates v. 18.12.1986. 3 Vgl. BGH v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98, NJW 2000, 515. 4 Vgl. Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. Q 176.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
7.127
Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters oder Eigenhändlers. Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters oder Eigenhändlers nach § 89b HGB erfolgt in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst ist im Rahmen einer zukunftsorientierten Betrachtung der Rohausgleich nach § 89b Abs. 1 HGB zu bestimmen. Im zweiten Schritt ist anhand von Vergangenheitswerten zu prüfen, ob der sich ergebende Betrag die Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 HGB einhält. Zur Ermittlung des Rohausgleichs nach § 89b Abs. 1 HGB sind zunächst die Provisionen zu bestimmen, die der Handelsvertreter oder Eigenhändler mit den von ihm geworbenen Neukunden in der Zukunft erwirtschaftet hätte, die ihm aber aufgrund der Kündigung des Vertragsverhältnisses entgehen. Hierzu ist auf die Provisionen abzustellen, die der Handelsvertreter oder Eigenhändler in den letzten zwölf Monaten vor der Beendigung des Vertragsverhältnisses erzielt hat.1 Der auf diese Weise ermittelte Betrag muss um eine Reihe von Korrekturposten gekürzt werden. Abzuziehen sind zunächst die Provisionen, die der Handelsvertreter oder Eigenhändler nicht aus Geschäften mit Neukunden oder intensivierten Altkunden erzielt hat. Dies folgt bereits aus dem Gesetz. In Abzug zu bringen sind weiterhin Provisionen, die sich auf nicht werbende Tätigkeiten, etwa Bestandspflege oder Forderungseinzug, beziehen. Auch hierfür gewährt das Gesetz keinen Ausgleich.2 Ferner müssen Provisionen, die von Einmalkunden stammen, abgezogen werden, da dem Handelsvertreter oder Eigenhändler auch insofern keine künftigen Provisionen entgehen. Schließlich ist auch die Abwanderung von Stammkunden zu berücksichtigen. Auch insofern ist ein Abschlag zu machen, der von den Umständen des Einzelfalls abhängt.3 Sofern der Ausgleichsanspruch eines Eigenhändlers im Raum steht, sind weitere Abschläge erforderlich, um den Unterschieden zwischen Handelsvertreter und Eigenhändler angemessen Rechnung zu tragen. Ein Eigenhändler nimmt typischerweise eine Reihe von Aufgaben wahr, die über das Tätigkeitsspektrum eines Handelsvertreters hinausgehen, z.B. Beschaffung, Lagerhaltung und Marketing. Die Kosten hierfür müssen vom Rohgewinn des Eigenhändlers in Abzug gebracht werden. Eine Nichtberücksichtigung solcher Kosten würde den Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers ungerechtfertigt erhöhen. Nachdem die Provisionsverluste des Handelsvertreters oder Eigenhändlers für die letzten zwölf Monate nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelt wurden, ist zu fragen, für welchen Zeitraum ein Ausgleich zu zahlen ist. Hierfür kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Zu fragen ist, wie lange die Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmer und Neukunden unter Berücksichtigung der Umstände erfahrungsgemäß andauern werden.4 Abschließend ist eine Gesamtabwägung aller Billigkeitsaspekte durchzuführen, wobei weitere Abschläge erforderlich sein können, insbesondere für
1 2 3 4
Vgl. BGH v. 14.4.1983 – I ZR 20/81, NJW 1983, 2877. Vgl. BGH v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, NJW-RR 2010, 1550. Vgl. BGH v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96, NJW 1998, 71. Vgl. BGH v. 15.10.1992 – I ZR 173/91, NJW-RR 1993, 221.
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E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG
die Sogwirkung der Marke.1 Da der Handelsvertreter oder Eigenhändler mit dem Ausgleich, der an die Stelle künftiger, mit der Vertragsbeendigung aber entfallender Provisionen tritt, eine Zahlung erhält, die sich bei einer Fortsetzung des Vertrags auf einen längeren Zeitraum verteilt hätte, sind die sich ergebenden Beträge schließlich abzuzinsen.2 Im zweiten Schritt muss der nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelte Rohausgleich daraufhin überprüft werden, ob er die Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 HGB einhält. Im Fall einer Überschreitung beschränkt sich der geschuldete Ausgleich auf die gesetzliche Höchstgrenze. Diese liegt bei einer nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre berechneten Jahresprovision. Für die Ermittlung der Höchstgrenze ist folglich eine vergangenheitsorientierte Betrachtung anzustellen. Bei kürzerer Vertragsdauer ist der Durchschnitt während der Dauer der Tätigkeit maßgebend. Verrechnungspreisbestimmung im Fall zivilrechtlicher Ausgleichsansprüche. Kommt es im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen zur Entstehung zivilrechtlicher Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche, stellt sich die Frage, welcher Verrechnungspreis in diesem Fall anzusetzen ist. Zu klären ist insbesondere, ob eine Transferpaketbewertung durchzuführen ist, ob eine Einzelbewertung der einzelnen übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter zu erfolgen hat, oder ob der jeweilige Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsanspruch zum Ansatz kommt. Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage ist § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV, wonach eine Funktionsverlagerung nicht vorliegt, wenn der Vorgang zwischen voneinander unabhängigen Dritten nicht als Veräußerung oder Erwerb einer Funktion angesehen würde. Nach Rz. 60 der VWGFunktionsverlagerung3 fällt hierunter insbesondere die fristgerechte Kündigung von Verträgen oder das Auslaufen einer Vertragsbeziehung. In diesen Fällen soll nach Auffassung der Finanzverwaltung keine Funktionsverlagerung vorliegen. In Rz. 214 der VWG-Funktionsverlagerung4 wird dies dahingehend konkretisiert, dass eine dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende, vertragskonforme Funktionsänderung, z.B. der Ablauf eines Vertrags oder eine fristgerechte Kündigung, und die damit einhergehende Verminderung von Chancen und Risiken für sich allein keine Funktionsverlagerung darstellt. Weitere Regelungen zur Behandlung zivilrechtlicher Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche im Fall grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen finden sich in § 8 FVerlV. In § 8 Satz 1 FVerlV heißt es: „Gesetzliche oder vertragliche Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche sowie Ansprüche, die voneinander unabhängigen Dritten zustünden, wenn ihre Handlungsmöglichkeiten vertraglich oder tatsächlich ausgeschlossen 1 Vgl. BGH v. 2.7.1987 – I ZR 188/85, NJW-RR 1988, 42. 2 Vgl. BGH v. 8.11.1990 – I ZR 269/88, NJW-RR 1991, 481. 3 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.1.7.4. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 4.2.2.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
würden, können der Besteuerung einer Funktionsverlagerung zugrunde gelegt werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass solche Dritte unter ähnlichen Umständen in vergleichbarer Art und Weise verfahren wären.“ Diese Bestimmung wird durch § 8 Satz 2 FVerlV wie folgt ergänzt: „Der Steuerpflichtige muss zusätzlich glaubhaft machen, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen worden sind, es sei denn, die Übertragung oder Überlassung ist zwingende Folge von Ansprüchen im Sinne des Satzes 1.“ Fraglich ist, wie das Verhältnis von § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV und § 8 FVerlV aufzulösen ist, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht gelingt, die Voraussetzungen des § 8 FVerlV glaubhaft zu machen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung, die ihren Niederschlag in Rz. 134 der VWG-Funktionsverlagerung1 gefunden hat, kommen in diesem Fall die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung. Es soll also grundsätzlich eine Transferpaketbewertung mit Ermittlung des Einigungsbereichs auf Grundlage der jeweiligen Gewinnpotentiale durchgeführt werden und im Zweifel der Mittelwert zum Ansatz kommen. Dies kann nicht überzeugen. Aus der Systematik der FVerlV ergibt sich, dass es bei der Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV bleibt, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 8 FVerlV nicht vorliegen. Für die hier zu beurteilenden Fälle bedeutet dies, dass bei Glaubhaftmachung der Voraussetzungen des § 8 FVerlV der jeweilige Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsanspruch anzusetzen ist. In allen anderen Fällen muss nach § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV eine Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter durchgeführt werden. Eine Gesamtbewertung des Transferpakets kommt in keinem Fall in Betracht.2
F. Preisanpassungsregelungen des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG 7.129
Nachträgliche Anpassungen von Verrechnungspreisen durch die Finanzbehörden. § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG ermöglicht der Finanzverwaltung unter bestimmten Voraussetzungen eine nachträgliche Anpassung von Verrechnungspreisen. § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG bestimmt hierzu: „Sind in den Fällen der Sätze 5 und 9 wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand einer Geschäftsbeziehung und weicht die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnentwicklung ab, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, ist widerlegbar zu vermuten, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpas1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.8. 2 Gl.A. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.380.
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F. Preisanpassungsregelungen des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG
sungsregelung vereinbart hätten.“ Diese Bestimmung wird durch § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG wie folgt ergänzt: „Wurde eine solche Regelung nicht vereinbart und tritt innerhalb der ersten zehn Jahre nach Geschäftsabschluss eine erhebliche Abweichung im Sinne des Satzes 11 ein, ist für eine deshalb vorzunehmende Berichtigung nach Abs. 1 Satz 1 einmalig ein angemessener Anpassungsbetrag auf den ursprünglichen Verrechnungspreis der Besteuerung des Wirtschaftsjahres zugrunde zu legen, das dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist.“ Aus § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG ergibt sich, dass bei einer nachträglichen Preisanpassung eine von den beteiligten Unternehmen individuell vereinbarte Anpassungsklausel vorrangig zugrunde zu legen ist. Wurde eine solche Klausel nicht vereinbart, und können die beteiligten Unternehmen die Vermutung des § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG nicht widerlegen, erfolgt die nachträgliche Preisanpassung auf Grundlage der standardisierten Anpassungsklausel des § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG. Fehlende Rechtfertigung für die Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen. Der Gesetzgeber begründet die Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung nach § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG damit, dass der hypothetische Fremdvergleich mangels vergleichbarer Fremddaten häufig mit erheblichen Unsicherheiten belastet sei und sich im Nachhinein als falsch herausstellen könne.1 Diese Begründung kann bereits deshalb nicht überzeugen, weil eine Prognose zukünftiger Gewinne, wie sie ein hypothetischer Fremdvergleich erfordert, naturgemäß mit Unsicherheiten verbunden ist.2 Diese Unsicherheiten werden von fremden Dritten jedoch i.d.R. nicht durch eine Preisanpassungsklausel,3 sondern bei der Preisbestimmung berücksichtigt. Insbesondere bei der Bemessung des Risikozuschlags im Rahmen der Ermittlung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes finden entsprechende Unsicherheiten Berücksichtigung. Daneben können entsprechende Unsicherheiten auch durch eine Anpassung der aus dem immateriellen Wirtschaftsgut bzw. der Funktion zu erwartenden Gewinne berücksichtigt werden. Bereits vor diesem Hintergrund erweist sich die Regelung als nicht fremdvergleichskonform.4 Dieser Befund wird eindrucksvoll durch die empirische Untersuchung von Ewelt-Knauer/Knauer/Pex5 bestätigt. Gemäß ihrer umfassenden Analyse für die Jahre 2005–2009, bei der 10 670 Transaktionen untersucht wurden, konnte lediglich bei 1,9 % aller Transaktionen (bezogen auf den Wert) eine Preisanpassungsklausel identifiziert wer-
1 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 145. 2 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107; kritisch zur Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen nach § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG auch Bödefeld/Kuntschik in Blumenberg/Benz, Die Unternehmensteuerreform 2008, 281 ff. 3 Vgl. Mueller-Thuns in Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns, Unternehmenskauf/Unternehmensverkauf, 178; Welling in FS Schaumburg, 993; Kaminski/Strunk, RIW 2009, 715; Nestler/Schaflitzl, BB 2011, 237. 4 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107. 5 Vgl. Ewelt-Knauer/Knauer/Pex, zfbf 2011, 371 ff.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
den.1 Auch mehrere andere (internationale) empirische Studien weisen auf vergleichbare Größenordnungen hin.2 Wie der deutsche Gesetzgeber bei einer zwischen fremden Dritten nur im Ausnahmefall vorgenommenen Regelung unterstellen kann, dass grundsätzlich vom Abschluss einer Preisanpassungsklausel auszugehen sei, bleibt ein Rätsel. Es zeigt allerdings in beeindruckender Klarheit, wie wenig die neuen Regelungen des § 1 AStG mit dem Verhalten zwischen fremden Dritten und damit dem Fremdvergleichsgrundsatz im Einklang stehen. Dieser Befund bestätigt sich, wenn man die OECD-Leitlinien in den Blick nimmt. Dort werden Preisanpassungsklauseln zwar als eine Möglichkeit beschrieben, um Bewertungsunsicherheiten im Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls Rechnung zu tragen.3 Aus den OECD-Leitlinien folgt aber zugleich, dass eine Pflicht zur Vereinbarung einer solchen Klausel nicht besteht, sondern dass es den Beteiligten frei steht, auf andere Methoden zurückzugreifen.4 Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit der Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung auch von den hergebrachten Bewertungsgrundsätzen des Handelsrechts und des Steuerrechts abweicht.5 Dort gilt seit jeher der Grundsatz, dass im Nachhinein eingetretene Entwicklungen, deren Wurzeln nach dem Bewertungsstichtag liegen, bei der Bewertung keine Berücksichtigung finden dürfen.6 Auch Rz. 22 des IDW S 1 2008 stellt klar, dass Unternehmenswerte zeitpunktbezogen auf den Bewertungsstichtag zu ermitteln sind.7 Weiterhin heißt es in Rz. 23 des IDW S 1 2008, dass bei Auseinanderfallen des Bewertungsstichtags und des Zeitpunkts der Durchführung der Bewertung nur der Informationsstand zu berücksichtigen ist, der bei angemessener Sorgfalt zum Bewertungsstichtag hätte erlangt werden können.8 Im Nachhinein eingetretene Entwicklungen, deren Wurzeln nach dem Bewertungsstichtag liegen (sog. wertbeeinflussende Tatsachen) dürfen demnach nicht berücksichtigt werden.9 Auch vor diesem Hintergrund bestehen gegen die Regelung im AStG erhebliche Bedenken. Im Übrigen führt die Vereinbarung einer Anpassungsklausel auch zur Veränderung des Chancen-/Risiken-Profils. Mit Anpassungsklausel verbleibt ein Teil der künftigen Risiken beim Übertragenden, während ohne Anpassungsklausel sämtliche Risiken vom Übernehmenden getragen werden. Eine solche unterschiedliche Risikoverteilung beeinflusst zwischen fremden Dritten auch die Kaufpreishöhe.10 Letztlich ermöglicht § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG der Finanzverwaltung, die Bestandskraft von für die Vergangenheit erlassenen Steuer1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Ewelt-Knauer/Knauer/Pex, zfbf 2011, 382 f. Vgl. die Zusammenstellung bei Ebering, IStR 2011, 419. Vgl. Tz. 6.28 ff. OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 6.28 ff. OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107. Vgl. Greil, IStR 2009, 569 f. Vgl. Tz. 4.3. IDW S 1 2008. Vgl. Tz. 4.3. IDW S 1 2008. Vgl. Greil, IStR 2009, 569 f. Vgl. Scholz, IStR 2007, 523 ff.; Luckhaupt, IStR 2010, 902 ff.; Oestreicher/Wilcke, DB 2010, 1713 ff.
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F. Preisanpassungsregelungen des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG
bescheiden zu unterlaufen, indem der maßgebliche Besteuerungssachverhalt per Fiktion in die Gegenwart verlagert wird.1 Hierbei handelt es sich um eine neuartige Form der rückwirkenden Steuergesetzgebung, bei der sich naturgemäß die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip stellt.2 Allgemeine Voraussetzungen für eine Anpassung von Verrechnungspreisen. Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG findet nur Anwendung, wenn die in Rede stehenden Verrechnungspreise auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG ermittelt wurden. Im Fall einer Preisbestimmung durch tatsächlichen Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG ist eine nachträgliche Preisanpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG nicht vorgesehen. Keine Bedeutung hat dagegen, ob der hypothetische Fremdvergleich anlässlich der Übertragung oder Überlassung eines einzelnen Wirtschaftsguts oder aus Anlass einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung durchgeführt wurde. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG, der durch seinen Verweis auf Satz 5 und Satz 9 beide Konstellationen erfasst. Weitere Voraussetzung für eine Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG ist, dass wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter oder Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen werden. Hieraus folgt zunächst, dass eine nachträgliche Preisanpassung ausscheidet, wenn lediglich materielle Wirtschaftsgüter verlagert wurden, oder die verlagerten immateriellen Wirtschaftsgüter oder Vorteile die Schwelle der Wesentlichkeit nicht überschritten haben. Was den Begriff der Wesentlichkeit anbelangt, so wird dieser im AStG und in der FVerlV nicht definiert. Die Definition des § 1 Abs. 5 FVerlV bezieht sich nach ihrem Wortlaut lediglich auf die Fälle des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG. Gegen eine sinngemäße Anwendung der Vorschrift dürften aber gleichwohl keine Bedenken bestehen.3 Keine Bedeutung erlangt die Frage der Wesentlichkeit, wenn nur ein einziges Wirtschaftsgut verlagert wurde, da in diesem Fall ein Vergleich mit den Werten der anderen Wirtschaftsgüter nicht in Betracht kommt.4 Im Übrigen ist die Bezugnahme des § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG auf § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nicht dahingehend zu verstehen, dass § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG nur eine nachträgliche Preisanpassung zu Lasten des Steuerpflichtigen zulassen würde.5 Es trifft zwar zu, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nur Einkünftekorrekturen zum Nachteil des Steuerpflichtigen ermöglicht. Bei einer nachträglichen Preisanpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG geht es aber nicht um eine Einkünftekorrektur, sondern um die zutreffende Ermittlung eines Verrechnungspreises. Erfasst sind Konstellationen, in denen ein Verrechnungspreis und 1 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 539. 2 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 539; Schaumburg, IStR 2009, 881. 3 Vgl. Pohl in Mössner/Fuhrmann, AStG, § 1 AStG Rz. 502. Zur Wesentlichkeit vgl. auch Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 82 ff. 4 Vgl. Pohl in Mössner/Fuhrmann, AStG, § 1 AStG Rz. 502. 5 Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 480.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
die darauf aufbauende Einkünftekorrektur im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben stehen. In dieser Situation müssen mit Hilfe einer nachträglichen Preisanpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG gesetzmäßige Zustände hergestellt werden. In Abhängigkeit davon, ob die tatsächliche Gewinnentwicklung positiv oder negativ von der ursprünglichen Gewinnerwartung abweicht, erfolgt demnach eine Korrektur zu Lasten oder zu Gunsten des Steuerpflichtigen.1
7.132
Notwendigkeit einer erheblichen Abweichung der späteren Gewinnentwicklung. Unabhängig von den vorstehenden Bedenken erfordert § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG das Vorliegen einer erheblichen Abweichung der späteren Gewinnentwicklung. Eine erhebliche Abweichung liegt nach § 10 Satz 1 FVerlV zunächst dann vor, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnermittlung zutreffende Verrechnungspreis außerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs liegt. Der neue Einigungsbereich, der die tatsächliche Gewinnermittlung berücksichtigt, wird nach § 10 Satz 2 FVerlV durch den ursprünglichen Mindestpreis des übertragenden und den neu ermittelten Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens bestimmt. Weiterhin ist eine erhebliche Abweichung nach § 10 Satz 3 FVerlV dann gegeben, wenn der neu ermittelte Höchstpreis niedriger ist als der ursprüngliche Mindestpreis des übertragenden Unternehmens und damit kein Einigungsbereich mehr vorliegt. Dieses Verständnis einer „erheblichen Abweichung“ kann nicht überzeugen. Bereits das Abstellen auf einen „zutreffenden Verrechnungspreis“ in § 10 Satz 1 FVerlV ist problematisch.2 Denn den „einen“ zutreffenden Verrechnungspreis gibt es nach der höchstrichterlichen Rspr.3 gerade nicht. Vielmehr ergibt sich regelmäßig ein Einigungsbereich, innerhalb dessen jeder Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz genügt. Hinzu kommt, dass nach der Definition der „erheblichen Abweichung“ in § 10 Satz 1 FVerlV auch bei einer nur geringfügigen Überschreitung des ursprünglichen Einigungsbereichs, insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige seinen Verrechnungspreis bei einem nicht sehr breiten Einigungsbereich an dessen Rand festgelegt hat, die Erheblichkeit zu bejahen ist. Warum eine solche Abweichung „erheblich“ sein soll, ist nicht klar. Wurde etwa ursprünglich ein Einigungsbereich von 100 000 Euro bis 200 000 Euro ermittelt und liegt der „zutreffende“ Einigungsbereich bei 100 000 Euro bis 300 000 Euro, so käme eine nachträgliche Preisanpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG nicht in Betracht, weil sich der „zutreffende“ Verrechnungspreis in Form des Mittelwerts i.H.v. 200 000 Euro noch innerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs läge. Wurde dagegen ursprünglich ein Einigungsbereich von 100 000 Euro bis 105 000 Euro ermittelt und liegt der „zutreffende“ Einigungsbereich bei 100 000 Euro bis 120 000 Euro, so wäre eine nachträgliche Preisanpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG möglich, weil der „zutreffende“ Verrechnungspreis in Form des Mittelwerts i.H.v. 1 Vgl. Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 480. 2 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 573. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
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F. Preisanpassungsregelungen des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG
110 000 Euro nicht mehr innerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs befände. Dieses Ergebnis kann vom Gesetzgeber kaum gewollt sein. Zudem weist Thier1 zutreffend darauf hin, dass die ursprünglich ermittelten Werte des Einigungsbereichs mathematisch betrachtet Erwartungswerte darstellen. Erwartungswerte stellen zwar einwertige Größen dar; sie wurden jedoch unter Berücksichtigung von Eintrittswahrscheinlichkeiten mehrerer denkbarer Ergebnisentwicklungen berechnet. Daher sollte auch die Schwankungsbreite dieser denkbaren Ergebnisentwicklungen bei der Festlegung der Grenze einer „erheblichen Abweichung“ berücksichtigt werden.2 Weiterhin ist das Verständnis der „erheblichen Abweichung“ in § 10 Satz 1 FVerlV deshalb kritisch zu sehen, weil es nicht berücksichtigt, dass ein über den ursprünglichen Gewinn hinausgehender Erfolg nicht nur auf Unsicherheiten im Zeitpunkt der Transaktion, sondern auch auf besonderen Anstrengungen des übernehmenden Unternehmens beruhen kann.3 Eine Preisanpassung hätte in diesem Fall zur Folge, dass das übernehmende Unternehmen für diesen Erfolg doppelt zahlt, einmal in Form der Kosten für die eigenen Anstrengungen, und einmal in Form des nachträglich erhöhten Kaufpreises. Ein solches Ergebnis wäre nicht fremdvergleichskonform, da ein fremder Dritter nicht bereit wäre, einen höheren Kaufpreis zu entrichten, wenn der über den ursprünglichen Gewinn hinausgehende Erfolg allein auf eigenen Anstrengungen beruht.4 Dies folgt auch aus der höchstrichterlichen Rspr., denn nach dieser kommt es für die Bemessung eines Lizenzentgelts entscheidend darauf an, wer den Wert einer Marke geschaffen und die Kosten für ihren Erhalt getragen hat. Je höher der Anteil des Lizenznehmers ausfällt, desto geringer ist das Lizenzentgelt zu bemessen.5 Diese Rspr. lässt sich auf Fälle, in denen ein immaterielles Wirtschaftsgut im Rahmen einer Funktionsverlagerung veräußert wird, ohne weiteres übertragen. Je mehr in solchen Fällen eine nachträgliche Wertveränderung auf Maßnahmen des Käufers zurückzuführen ist, desto weniger ist im Nachhinein eine Preisanpassung gerechtfertigt. Vermutung der Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel durch die Parteien. Kommt es zu einer erheblichen Abweichung in der Gewinnentwicklung im vorstehenden Sinn, stellt § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG eine widerlegbare Vermutung dahingehend auf, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten. Eine Begründung für diese Vermutung ist nicht ersichtlich. In der Praxis kann die Vereinbarung von Anpassungsklauseln zwar in Einzelfällen beobachtet werden, insbesondere bei Unternehmens1 2 3 4
Vgl. Thier, BB 2011, 2013 ff. Vgl. Thier, BB 2011, 2016 f. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1654. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1654; Oestreicher/Wilcke, DB 2010, 469. 5 Vgl. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246 m. Anm. Pezzer.
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7.133
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
käufen.1 Der Regelfall ist ein solches Vorgehen aber nicht, da den Parteien hiervon mit Blick auf die Schwierigkeiten nachträglicher Preiskorrekturen regelmäßig abgeraten wird.2 Zudem macht sich der Verkäufer abhängig von den Entscheidungen und dem Geschäftserfolg des Erwerbers.3 Vor diesem Hintergrund erklärt es sich auch, dass die Finanzverwaltung solche Klauseln bisher nur unter engen Voraussetzungen als fremdvergleichskonform angesehen hat.4 Aus welchem Grund dies nun gerade bei immateriellen Wirtschaftsgütern, und damit bei der Mehrzahl der Funktionsverlagerungen, anders sein soll, ist nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass nicht klar ist, mit Hilfe welcher Argumente die Vermutung des § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG widerlegt werden kann.5 Nach Rz. 141 der VWGFunktionsverlagerung6 kann der Steuerpflichtige zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung z.B. den Nachweis erbringen, dass wegen langjährig erzielter stabiler Ergebnisse des übertragenden Unternehmens aus der Funktion zum Zeitpunkt der Verlagerung tatsächlich keine wesentlichen Unsicherheiten bestanden oder dass die tatsächliche Gewinnentwicklung durch unvorhergesehene Ereignisse beeinflusst worden ist, die voneinander unabhängige Dritte nicht vorhersehen hätten können. Zur Präzisierung der gesetzlichen Anforderungen tragen diese sehr allgemein gehaltenen Ausführungen freilich nicht bei, so dass erhebliche Unsicherheiten verbleiben. Hintergrund der in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG aufgestellten Vermutung dürfte letztlich die Absicht des Gesetzgebers sein, den Steuerpflichtigen in Zusammenhang mit der Verlagerung von immateriellen Wirtschaftsgütern bzw. Funktionen zur Vereinbarung sachgerechter individueller Preisanpassungsklauseln zu bewegen, denn in diesem Fall ist die Regelung nicht anwendbar.7 Wie sich aus Rz. 137 der VWG-Funktionsverlagerung8 ergibt, liegt eine sachgerechte individuelle Preisanpassungsklausel vor, wenn sie dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Bei der konkreten Ausgestaltung einer solchen Preisanpassungsklausel sollten erhebliche Freiräume bestehen,9 nicht zuletzt weil aufgrund der nur im Ausnahmefall vorgenommenen Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel zwischen fremden Dritten eine echte Benchmark für fremdvergleichskonforme Preisanpassungsklauseln fehlt. Nach § 9 FVerlV soll eine fremdvergleichskonforme Preisanpassungsklausel jedenfalls dann vorliegen, wenn im Hinblick auf wesentliche immaterielle Wirtschafts1 Vgl. Lacher/Poppe, DB 1988, 1761 ff.; Baums, DB 1993, 1273 ff. 2 Vgl. Mueller-Thuns in Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns, Unternehmenskauf/Unternehmensverkauf, 178. 3 Vgl. Gehri in Haase, Geistiges Eigentum, Rz. 11.376. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.8. 5 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1654 f. 6 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.10. 7 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 146. 8 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Tz. 2.9. 9 Vgl. Naumann, Status: Recht 2007, 204.
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F. Preisanpassungsregelungen des § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG
güter und Vorteile Lizenzvereinbarungen getroffen werden, die die zu zahlende Lizenz vom Umsatz oder Gewinn des Lizenznehmers abhängig machen oder für die Höhe der Lizenz Umsatz und Gewinn berücksichtigen. Damit wird das eigentliche Anliegen des Gesetzgebers, den Steuerpflichtigen zum Abschluss von Lizenzvereinbarungen zu drängen, deutlich. Über die Beweggründe hierfür kann man nur spekulieren. Jedenfalls übersieht der Gesetzgeber, dass Veräußerung und Lizenzierung Vorgänge sind, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Weshalb eine Veräußerung für den Steuerpflichtigen unattraktiv gemacht werden soll, ist nicht klar, zumal es für eine solche berechtigte Gründe geben kann.1 Standardisierte Preisanpassungsklausel und zehnjähriger Beobachtungszeitraum. Kann der Steuerpflichtige die Vermutung des § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG nicht widerlegen und wurde auch keine fremdvergleichskonforme individuelle Preisanpassungsklausel vereinbart, kommt die standardisierte Preisanpassungsklausel des § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG zur Anwendung, falls innerhalb der ersten zehn Jahre nach Geschäftsabschluss eine erhebliche Abweichung bei der Gewinnentwicklung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG eintritt. In diesem Fall hat der Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG einmalig einen angemessenen Anpassungsbetrag in dem Wirtschaftsjahr zu versteuern, das dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist. Ein angemessener Anpassungsbetrag liegt nach § 11 FVerlV vor, wenn er in den Fällen des § 10 Satz 1 FVerlV dem Unterschiedsbetrag zwischen dem ursprünglichen und dem neu ermittelten Verrechnungspreis entspricht, oder wenn er in den Fällen des § 10 Satz 3 FVerlV dem Unterschiedsbetrag zwischen dem ursprünglichen Verrechnungspreis und dem Mittelwert zwischen dem neuen Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens und dem ursprünglichen Mindestpreis des übertragenden Unternehmens entspricht. Bedenken bestehen in diesem Zusammenhang vor allem gegen die Zehnjahresfrist des § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG, deren Anwendung nur bei Vereinbarung einer fremdvergleichskonformen individuellen Anpassungsklausel vermieden werden kann. Vor dem Hintergrund der hohen Wettbewerbsintensität in vielen Branchen und der Schnelllebigkeit der heutigen Geschäftswelt ist dieser Zeitraum deutlich zu lang bemessen.2 So stellt Wassermeyer klar: „Eine über 10 Jahre laufende Preisanpassungsklausel ist in der Wirtschaft undenkbar und verletzt alle Vorstellungen zum Fremdvergleich.“3 Soweit in der Praxis überhaupt Preisanpassungsklauseln vereinbart werden, sehen diese typischerweise einen Anpassungszeitraum von einem bis drei Jahren vor.4 Diese Erfahrungswerte von Praktikern werden durch die bereits zitierte empirische Untersuchung von Ewelt-Knauer/Knauer/Pex bestätigt. Demnach beträgt der Anpassungszeitraum im Durchschnitt 1 2 3 4
Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 575. Wassermeyer, FR 2008, 68. Vgl. Scholz, IStR 2007, 524; Werner, DStR 2012, 1664; ähnlich Oestreicher, Ubg 2009, 88; Steimel, in Oestreicher, Unternehmensbesteuerung 2008: Neue Wege gehen, 123.
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7.134
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
2,13 Jahre (Median: 2 Jahre).1 Hinzu kommt, dass insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter nach zehn Jahren eine so starke Prägung durch das übernehmende Unternehmen erfahren haben, dass es nicht sachgerecht ist, in diesem Fall noch auf die ursprüngliche Transaktion abzustellen.2 Zu beachten ist, dass § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG lediglich eine einmalige Anpassung ermöglicht. Hat daher bereits einmal eine Anpassung stattgefunden, und kommt es danach erneut zu einer erheblichen Gewinnabweichung, scheidet eine erneute Anpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG aus.3 Dies kann einerseits zu einer letztlich unbilligen Preisanpassung führen,4 kann allerdings andererseits vom Steuerpflichtigen unter Umständen für Zwecke der Steuerplanung genutzt werden.
G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen I. Verlagerung der Einkaufsfunktion 1. Organisationsformen des Einkaufs
7.135
Zentralisierung der Einkaufsfunktion. Der Zentralisierung der Beschaffungsfunktion kommt in der Unternehmens- und Konzernpraxis eine große Bedeutung zu. Dies deswegen, weil sich durch die Bündelung der Nachfragemacht einer ganzen Unternehmensgruppe – mitunter erhebliche – Synergieeffekte durch die Nutzung von Größenvorteilen (insbesondere in Form von mengenabhängigen Vergünstigungen im Rahmen des Einkaufs) realisieren lassen. Dies betrifft neben dem Einkauf von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie Halbfertigfabrikaten durch Industrieunternehmen auch die Beschaffung von Waren durch Einzel- oder Großhandelsunternehmen. Im Rahmen der Zentralisierung der Einkaufsfunktion in einem verbundenen Unternehmen kommt es zu einer Verlagerung der bislang durch die einzelnen Konzernunternehmen separat ausgeübten Einkaufsfunktionen auf das nunmehr auf den Einkauf spezialisierte Unternehmen. Dabei wird die Einkaufsfunktion i.d.R. auf spezialisierte, rechtlich selbständige Einkaufsgesellschaften verlagert oder zentral durch eine bereits existierende Konzerngesellschaft (z.B. zentrale Einkaufsabteilung einer Obergesellschaft des Konzerns) ausgeübt. Die Einkaufsfunktion kann dabei grundsätzlich in den folgenden Formen ausgeübt werden: – Einkaufsagent, d.h. die Einkaufsgesellschaft kauft die Waren im fremden Namen und auf fremde Rechnung ein (Rz. 7.136), – Einkaufskommissionär, d.h. die Einkaufsgesellschaft kauft die Waren im eigenen Namen und auf fremde Rechnung ein (Rz. 7.138), 1 2 3 4
Vgl. Ewelt-Knauer/Knauer/Pex, zfbf 2011, 388 f. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 575. Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 1049. Vgl. Schaumburg, IStR 2009, 879, der auch eine Lösungsmöglichkeit für diesen Fall aufzeigt.
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G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
– Eigenhändler, d.h. die Einkaufsgesellschaft kauft die Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ein (Rz. 7.140). Wie in Rz. 7.142 ff. gezeigt wird, ist die Frage, ob die Verlagerung der Einkaufsfunktion auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen zu einer Funktionsverlagerungsbesteuerung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und der FVerlV führt, von der Wahl der vorstehend dargestellten Organisationsform der Einkaufsgesellschaft abhängig. Einkaufsagent. Ist die Einkaufsgesellschaft als Einkaufsagent organisiert, kauft sie die Waren im fremden Namen und auf fremde Rechnung (z.B. der inländischen Muttergesellschaft oder anderer verbundener Unternehmen) ein. Im Agentenmodell agiert die Einkaufsgesellschaft damit als reiner Dienstleister, so dass sie weder rechtliches noch wirtschaftliches Eigentum an den von ihr eingekauften Waren erwirbt. Die Funktionen der Einkaufsgesellschaft beziehen sich in ihrer Organisationsform als Einkaufsagent i.d.R. auf die Folgenden: – Einkauf von Waren in fremden Namen und auf fremde Rechnung, – Herstellung von Kontakten zu Lieferanten und Lohnfertigern, – Vermittlung von Lieferanten-Aufträgen, – Lieferantenauswahl, – Qualitätskontrolle, – Audit bei Lieferanten und Lohnfertigern, – Scouting, – Logistikoptimierung, – Konkurrentenanalyse, – Erschließung neuer Märkte.
7.136
Verrechnungspreisermittlung des Einkaufsagenten. Die Tätigkeit der von einem Einkaufsagenten organisierten Einkaufsgesellschaft erschöpft sich in der Erbringung einer (Vermittlungs-)Dienstleistung. Der Einkaufsagent übt daher regelmäßig eine Routinefunktion (Rz. 7.63) aus. Gleichwohl kann der Einkaufsagent über spezielles Einkaufs-Know-how (z.B. in Bezug auf Lieferanten, Qualitätsstandards, spezielle Angebote, Qualitätschecklisten, Datenbanken zur Einkaufshistorie und ggf. eine entsprechende Logistik-Software) verfügen.1 Seine Vergütung ermittelt sich üblicherweise auf Basis einer Provision, die sich als Prozentsatz vom Einkaufsvolumen bestimmt oder anhand der Kostenaufschlagsmethode2 ermittelt wird (zu Einzelheiten vgl. die Ausführungen zum Vertriebsagenten in Rz. 6.52 f.).
7.137
1 Vgl. Becker/Loose, Ubg 2010, 786. 2 Vgl. auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 221 mit dem Hinweis, dass in diesem Fall für die Einkaufsgesellschaft ein angemessener Kostenaufschlag zu berücksichtigen ist.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
7.138
Einkaufskommissionär. Vergleichbar zum Einkaufsagenten erbringt auch die als Einkaufskommissionär organisierte Einkaufsgesellschaft eine (Vermittlungs-)Dienstleistung. Der wesentliche Unterschied zum Einkaufsagenten besteht allerdings darin, dass der Einkaufskommissionär die Waren im eigenen Namen (jedoch auf Rechnung des Kommittenten) einkauft. Üblicherweise erwirbt auch die als Einkaufskommissionär organisierte Einkaufsgesellschaft kein rechtliches oder wirtschaftliches Eigentum an den von ihr beschafften Waren. Die von einer als Einkaufskommissionär organisierten Einkaufsgesellschaft ausgeübten Funktionen entsprechen i.d.R. denjenigen des Einkaufsagenten (Rz. 7.136), wobei der Einkaufskommissionär darüber hinaus häufig die Bearbeitung von Mängelrügen und Gewährleistungsfällen, das Verbindlichkeitsmanagement sowie das Einkaufscontrolling übernimmt.1
7.139
Verrechnungspreisermittlung des Einkaufskommissionärs. Da der Einkaufskommissionär im eigenen Namen gegenüber den Lieferanten auftritt, ist ihm üblicherweise der Lieferantenstamm zuzuordnen. Allerdings ist das Marktrisiko der als Einkaufskommissionär organisierten Einkaufsgesellschaft i.d.R. begrenzt, da sie auf Rechnung des Kommittenten (z.B. der inländischen Muttergesellschaft) die Ware bezieht und infolgedessen weder ein Preis- noch ein Absatzrisiko trägt. Vor dem Hintergrund seines beschränkten Funktions- und Risikoprofils übt der Einkaufskommissionär eine reine Routinefunktion aus (Rz. 7.63).2 Daher wird die Vergütung des Einkaufskommissionärs üblicherweise anhand der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) bestimmt, soweit über die Preisvergleichsmethode keine fremdüblichen Provisionssätze bestimmt werden können.3
7.140
Eigenhändler. Die als Eigenhändler organisierte Einkaufsgesellschaft erwirbt und veräußert die von ihr eingekauften Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Infolgedessen erwirbt die Einkaufsgesellschaft in dieser Gestaltungsalternative rechtliches und wirtschaftliches Eigentum an den von ihr eingekauften Waren. Ihre Vergütung ermittelt sich damit aus der Differenz zwischen dem Ein- und Verkaufspreis ihrer Waren. Diese Differenz (verstanden als Bruttomarge oder Handelsspanne) sollte die Einkaufskosten der Einkaufsgesellschaft decken und darüber hinaus sicherstellen, dass sie einen angemessenen Gewinn erwirtschaftet. Im Gegensatz zum Einkaufsagenten bzw. -kommissionär (Rz. 7.136 und 7.138) übt die als Eigenhändler organisierte Einkaufsgesellschaft üblicherweise weitergehende Funktionen, wie z.B. die Lagerhaltung, das SupplyChain-Management sowie Logistikfunktionen aus und trägt die Transport-, Lager-, Preis- und Marktrisiken. Hinsichtlich ihres Funktionsund Risikoprofils ist sie damit mit einer als „Fully-fleged-Distributor“ 1 Vgl. auch Becker/Loose, Ubg 2010, 787. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.4.10.2 Buchst. a. 3 Vgl. auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 – S1341/08/10003 VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774, Rz. 221 mit dem Hinweis, dass in diesem Fall für die Einkaufsgesellschaft ein angemessener Kostenaufschlag zu berücksichtigen ist.
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G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
ausgestalteten Rz. 4.25 ff.).
Vertriebsgesellschaft
vergleichbar
(zu
Einzelheiten
Verrechnungspreisermittlung des Eigenhändlers. Der Eigenhändler übt die volle Einkaufsfunktion aus, wobei er von dem konzerninternen oder -externen Lieferanten das Eigentum an der Ware erwirbt und diese im eigenen Namen und auf eigene Rechnung veräußert. Damit trägt er sowohl die Lager- und Absatzrisiken des Einkaufs als auch das Risiko des zufälligen Untergangs des Produkts vor dem Verkauf der Ware. Ferner verfügt er über weitgehende Dispositionsbefugnisse hinsichtlich der Ausgestaltung seiner Einkaufspolitik. Diese betreffen beispielsweise die Bestimmung der Preispolitik, die Auswahl von lokalen Einkaufspartnern sowie die Durchführung eigener Einkaufsforschung. Ferner ist davon auszugehen, dass der Eigenhändler neben den Vorrats-, Gewährleistungs- und Auslastungsrisiken des Einkaufs auch das Forderungsausfallrisiko sowie das Risiko fehlgeschlagener Geschäftsstrategien zu verantworten hat. Ein wesentliches Risiko des Eigenhändlers ist dabei das Risiko zurückgehender Umsätze, die bei gleichbleibenden Fixkosten zu Verlustrisiken führen können. Im Eigenhändlermodell kann daher der Verrechnungspreis für die Weiterlieferung der von der Einkaufsgesellschaft erworbenen Ware anhand der Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff.) oder – falls diese nicht anwendbar ist – anhand der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) bestimmt werden. Darüber hinaus ist die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.) denkbar, wenn die Einkaufsgesellschaft als Strategieträger (Rz. 4.62 ff.) zu qualifizieren und ihr infolgedessen der Residualgewinn zuzuordnen ist.
7.141
2. Besteuerung einer Funktionsverlagerung Neuaufnahme der Einkaufsfunktion. Wird eine Einkaufsfunktion erstmalig durch ein ausländisches verbundenes Unternehmen ausgeübt, kann es nicht zu einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und der FVerlV kommen. Denn in diesem Fall fehlt es an der Tatbestandsvoraussetzung einer Einschränkung der Funktion im Inland (Rz. 7.37 ff.). Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass keine immateriellen Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile eines inländischen Unternehmens auf die ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen oder zur Nutzung überlassen werden. Für den Fall, dass die Einkaufstätigkeit durch eine ausländische Einkaufsgesellschaft neu in der Unternehmensgruppe installiert wird, scheidet daher eine Funktionsverlagerungsbesteuerung sowohl im Agenten- und Kommissionärs- als auch im Eigenhändlermodell aus. Dies gilt auch dann, wenn die Einkaufsfunktion vor Installierung der Einkaufsgesellschaft durch ein konzernexternes Unternehmen (z.B. externe Einkaufsagenten) ausgeübt wurde.1
1 Vgl. Becker/Loose, Ubg 2010, 787.
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7.142
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
7.143
Keine Funktionsverlagerung bei einem Einkaufsagenten. Wird die Einkaufsfunktion auf eine als Einkaufsagent organisierte ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen, liegt grundsätzlich eine Funktionsabspaltung vor (Rz. 7.45). Im Rahmen dieser wird zwar die Einkaufsfunktion auf die ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen, es kommt indessen nicht zu einer Verlagerung von Gewinnpotential ins Ausland. Damit gehen mit der Einkaufsfunktion auch keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile über, so dass eine Anwendung der Regelungen der Funktionsverlagerungsbesteuerung ausscheidet (zu Einzelheiten Rz. 7.62 ff.). Dies ist auch insoweit sachgerecht, als es sich bei der Funktionsausübung eines Einkaufsagenten um sog. Routinefunktionen handelt (Rz. 7.137), welche nicht Gegenstand einer Funktionsverlagerungsbesteuerung sein können (Rz. 7.62 f.). Dies gilt unabhängig davon, ob die Vergütung der als Einkaufsagent organisierten Einkaufsgesellschaft auf Basis der Preisvergleichsmethode (d.h. anhand einer umsatzbezogenen Provision) oder anhand der Kostenaufschlagsmethode bestimmt wird (Rz. 7.69 f.). Eine Funktionsverlagerung kann auch dann nicht angenommen werden, wenn die Einkaufsgesellschaft als Einkaufsagent ihre Einkaufsdienstleistungen gegenüber mehreren verbundenen Unternehmen erbringt (Rz. 7.67).
7.144
Keine Funktionsverlagerung bei einem Einkaufskommissionär. Auch im Hinblick auf die Verlagerung der Einkaufsfunktion auf eine als Kommissionär organisierte ausländische Einkaufsgesellschaft liegt eine Funktionsabspaltung vor (Rz. 7.45), welche jedoch nicht zu einer Funktionsverlagerungsbesteuerung führt (Rz. 7.62 ff.). Insoweit gelten die Ausführungen zum Einkaufsagenten (Rz. 7.143) für den Einkaufskommissionär entsprechend.
7.145
Mögliche Funktionsverlagerung bei einem Eigenhändler. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass bei der Übertragung der Einkaufsfunktion auf eine als Eigenhändler organisierte Einkaufsgesellschaft eine Funktionsverlagerung vorliegen kann, wenn der Einkaufsgesellschaft wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile (z.B. in Form von Lieferantenkontakten und Marktkenntnissen) übertragen oder zur Nutzung überlassen werden. Dies könne z.B. dann der Fall sein, wenn das für den Einkauf zuständige Personal in die ausländische Einkaufsgesellschaft versetzt wird.1 Insoweit verkennt die Finanzverwaltung, dass auch bei einer Verlagerung der Einkaufsfunktion die allgemeinen Voraussetzungen der Funktionsverlagerung erfüllt sein müssen (Rz. 7.13 ff.). Zwar ist der Einkauf unstreitig eine Funktion i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV (Rz. 7.22);2 allerdings setzt dies voraus, dass ein organisatorischer Teil des Unternehmens, der für den Einkauf verantwortlich ist, vom inländischen Unternehmen auf die ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen wird (Rz. 7.26 ff.). 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 222. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 15.
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G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
Dieser organisatorischen Einheit muss (eindeutig) ein Geschäfts- oder Firmenwert zugeordnet werden können (Rz. 7.31 ff.). Diese Voraussetzungen werden indessen im Rahmen der Gründung einer als Eigenhändler organisierten Einkaufsgesellschaft nur in sehr seltenen Ausnahmefällen erfüllt sein. Allerdings kann in diesen Fällen eine sog. Funktionsverdopplung vorliegen (Rz. 7.54 ff.). Keine Funktionsverlagerung bei dem „Low-Risk“-Einkaufsmodell. Wird die ausländische Einkaufsgesellschaft als Eigenhändler im Rahmen eines sog. „Low-Risk“-Einkaufsmodells tätig, scheidet die Besteuerung einer Funktionsverlagerung aus. Denn auch in diesem Fall greift die in § 2 Abs. 2 FVerlV vorgesehene Ausnahmeregel, wonach Funktionsverlagerungen auf Routineunternehmen keiner Besteuerung unterliegen (Rz. 7.62 ff.).
7.146
II. Verlagerung der Produktionsfunktion 1. Verlagerung auf einen Lohnfertiger Ausgangssachverhalt. Die Verlagerung von Produktionsfunktionen auf einen Lohnfertiger wird anhand des folgenden Sachverhalts dargestellt:
7.147
Beispiel: Die A GmbH mit Sitz in Bonn ist in den Bereichen der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Kühlschränken tätig. Die Kühlaggregate, die im Rahmen der Produktion der Kühlschränke benötigt werden, werden derzeit in Bonn entwickelt und hergestellt. Daneben werden die Kühlaggregate in erheblichem Umfang an externe Kunden der A GmbH vertrieben. Zur Herstellung der Kühlaggregate sind Patente notwendig, die von der A GmbH selbst entwickelt wurden. Die Kühlaggregate werden permanent weiterentwickelt; üblicherweise haben sie einen Produktlebenszyklus von fünf Jahren. Auf Grund des zunehmenden Wettbewerbsdrucks aus Asien und der steigenden Lohnkosten in Deutschland erwirtschaftet die Sparte „Kühlaggregate“ der A GmbH seit geraumer Zeit Verluste. Die in diesem Zusammenhang eingeleiteten Restrukturierungsmaßnahmen konnten daran nichts ändern. Es wird dauerhaft von jährlichen Verlusten i.H.v. mindestens 400 000 Euro ausgegangen. Falls die A GmbH die Sparte „Kühlaggregate“ schließen würde, könnte sie aus dem Verkauf der bestehenden Produktionsanlagen Einnahmen i.H.v. 500 000 Euro erzielen. Gleichzeitig würden Schließungskosten i.H.v. 800 000 Euro entstehen. Vor diesem Hintergrund beschließt die Geschäftsführung der A GmbH, die Produktion der Kühlaggregate in Bonn einzustellen und diese zukünftig in Ungarn durch die neu gegründete Tochtergesellschaft B Kft. herzustellen. Die Produktionsanlagen wurden bereits nach Ungarn überführt. Die Patente verbleiben jedoch bei der A GmbH. Zum Aufbau der Produktionsanlagen sowie zur Einarbeitung der ungarischen Fachkräfte sollen zudem Ingenieure der A GmbH entsandt werden. Die B Kft. wird nach der Produktionsverlagerung ausschließlich für die A GmbH produzieren und erhält dafür eine nach der Kostenaufschlagsmethode berechnete Vergütung. Die A GmbH hat sich zudem vertraglich zur Abnahme der gesamten Produktion verpflichtet.
Voraussetzungen eines Lohnfertigers. Die B Kft. agiert als reiner Lohnfertiger zur Herstellung der Kühlaggregate für die A GmbH. Nach Rz. 204 Ditz/Greinert
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7.148
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
VWG-Funktionsverlagerung v. 13.10.2010 sind – in Ergänzung zu den Regelungen der VWG 19831 – für einen Lohnfertiger die folgenden Merkmale typisch (Rz. 4.22):2 – Der Lohnfertiger trägt keine Produktionsrisiken (z.B. Qualitätsrisiko, Auslastungsrisiko, Absatzrisiko und Lagerrisiko). – Der Lohnfertiger hat die Produkte nicht selbst entwickelt und besitzt oder erwirbt kein Eigentum an den für die Produktion erforderlichen immateriellen Wirtschaftsgütern (hier: Patente). – Der Lohnfertiger nimmt keine Vermarktungsfunktion wahr und trägt keine Marktrisiken. – Der Lohnfertiger verfügt über keine entsprechenden Entscheidungskompetenzen. – Der Lohnfertiger erhält die für seine Produktionsschritte notwendigen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und ggf. auch die Produktionsanlagen vom Auftraggeber beigestellt. Diese Voraussetzungen sind bei der B Kft. erfüllt. Infolgedessen werden auf die B Kft. weder Geschäftschancen noch Gewinnpotential von der A GmbH übertragen. Denn der A GmbH stehen weiterhin alle Chancen und Risiken aus der Herstellung der Kühlaggregate bzw. der Kühlschränke zu, die sich z.B. aus der Vermarktung und Weiterverarbeitung ergeben. Da folglich die Chancen und Risiken sowie die wesentlichen Wirtschaftsgüter bei der A GmbH verbleiben (insbesondere Kundenstamm und Patente), kommt es nicht zu einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. Vielmehr greift § 1 Abs. 7 FVerlV, wonach keine Funktionsverlagerung vorliegt, wenn ausschließlich Wirtschaftsgüter veräußert oder zur Nutzung überlassen werden oder nur Dienstleistungen erbracht werden (Rz. 7.71).3
7.149
Anwendung des § 2 Abs. 2 FVerlV. Selbst wenn man – entgegen den o.g. Grundsätzen – von einer Funktionsverlagerung ausgehen würde, wäre § 2 Abs. 2 FVerlV einschlägig (Rz. 7.62 ff.). Denn die B Kft. produziert die Kühlaggregate ausschließlich für die A GmbH und der entsprechende Verrechnungspreis wird nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt. In diesem Fall geht auch die Finanzverwaltung4 davon aus, dass mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden. Damit ist die Escape-Klausel des § 1 Abs. 3 Satz 10 Alt. 1 AStG anwendbar, die im Ergebnis zu einer Einzelbewertung der übergegangenen Produktionsanlagen führt5. 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 3.1.3. Bsp. 3. 2 Vgl. auch Ditz, DStR 2006, 1629; Ditz/Just, DStR 2009, 141 f. 3 Vgl. auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 54. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 206 f. 5 Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950.
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WVP1 - D/1422
G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
Personalentsendung. Die Entsendung der Ingenieure an sich stellt keine Funktionsverlagerung dar. Vielmehr sind – soweit die Voraussetzungen des BMF-Schreibens zur Arbeitnehmerentsendung v. 9.11.20011 erfüllt sind – lediglich die für die Ingenieure angefallenen Kosten an die B Kft. zu verrechnen.2 Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, können die Dienstleistungen der Ingenieure anhand der Kostenaufschlagsmethode verrechnet werden. Im Rahmen der Personalentsendung ist – auch nach Ansicht der Finanzverwaltung – kein gesondertes Entgelt für die Überlassung von Know-how zu verrechnen.3
7.150
Aufteilung von Standortvorteilen. Hinsichtlich der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ist noch die Aufteilung von Standortvorteilen zu beachten (Rz. 7.92). Standortvorteile werden bei der B Kft. durch niedrigere Produktionskosten auf Grund eines niedrigeren Lohnniveaus, geringerer Sozialabgaben etc. realisiert. Die günstigere Kostensituation führt ceteris paribus zu einem Mehrgewinn im Vergleich zur Inlandsproduktion durch die A GmbH ohne Einschaltung der B Kft. Der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn darf allerdings nicht einseitig über die Kostenaufschlagsmethode (z.B. durch Anwendung eines pauschalen Gewinnaufschlags i.H.v. 5–15 %) an die A GmbH „abgegeben“ werden. Denn Standortvorteile entstehen auf Grund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Staates. Somit sollte das grundsätzliche Besteuerungsrecht der daraus resultierenden Gewinne auch dem betreffenden Staat (hier: Ungarn) zustehen. Vor diesem Hintergrund sind nach h.M. der Literatur die aus den niedrigeren Kosten im Ausland resultierenden Standortvorteile zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger aufzuteilen.4 Im Übrigen geht auch das FG Münster in seinem (rechtskräftigen) Urteil v. 16.3.2006 davon aus, dass Standortvorteile zwischen Auftraggeber (hier: A GmbH) und Lohnfertiger (hier: B Kft.) hälftig aufzuteilen sind.5 So machte das FG Münster in seiner Urteilsbegründung zutreffend deutlich, dass der durch die Produktion im Ausland entstandene Kostenvorteil nicht vollständig dem inländischen Auftraggeber zuzuordnen ist, sondern auch dem Lohnfertiger zusteht. Konkret hat dabei das FG Münster bei einer hälftigen Teilung des Kostenvorteils keinen Verstoß gegen den Grundsatz des Fremdvergleichs gesehen.
7.151
Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs. Dieses Ergebnis ist insofern sachgerecht, als auch § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG bei einer Anwendung
7.152
1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796. 2 Vgl. auch § 1 Abs. 7 FVerlV; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010 774, Rz. 54 f. 3 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796. 4 Vgl. Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791; Wassermeyer, StbJb. 1997/98, 163; Rödder, StbJb. 1997/98, 122; Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Rz. W 59; Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 89. 5 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
des hypothetischen Fremdvergleichs im Zweifel eine hälftige Aufteilung des Einigungsbereichs zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger vorsieht. Denn bei der Frage der Aufteilung eines Standortvorteils zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger handelt es sich nicht um einen tatsächlichen Fremdvergleich. Vielmehr ist im Wege eines hypothetischen Fremdvergleichs anhand der Denkfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Rahmen einer Preissimulation zu klären, wie fremde Dritte einen Standortvorteil aufteilen würden. Dies läuft letztlich auf die Ermittlung eines Einigungsbereichs i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG hinaus, wonach zur Ermittlung eines Verrechnungspreises ein Einigungsbereich i.S. eines Mindestpreises des Leistenden (hier: des Lohnfertigers) und eines Höchstpreises des Leistungsempfängers (hier: des Auftraggebers) zu ermitteln ist.1 So umfasst die Preisobergrenze des Auftraggebers die Kosten des jeweiligen Auftrags bei Eigenerstellung, während die Preisuntergrenze des Lohnfertigers die Kosten des jeweiligen Auftrags zzgl. eines Standardgewinnaufschlags umfasst. Da bei den hier zur Diskussion stehenden Auslagerungen von Produktionsaufgaben die Preisuntergrenze üblicherweise die Preisobergrenze unterschreitet, liegt ein Einigungsbereich vor. Grundsätzlich dürften alle Preise innerhalb dieses Einigungsbereichs als angemessen anzusehen sein, da jeder dieser Preise auch zwischen fremden Dritten vereinbart werden könnte. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG sieht hinsichtlich der Frage, wie ein ermittelter Einigungsbereich zwischen den Verhandlungspartner aufzuteilen ist, vor, dass der Preis im Einigungsbereich der Einkünfteermittlung zugrunde zu legen ist, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht; wird kein anderer Wert glaubhaft gemacht, ist der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen. Da die Aufteilung der Standortvorteile mittels einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung nur schwerlich möglich ist,2 wird in praxi von einer hälftigen Aufteilung des Einigungsbereichs, d.h. von einer hälftigen Aufteilung der Standortvorteile, auszugehen sein. Dies läuft auf eine Arbitriumwertlösung hinaus, welche letztlich als rein pragmatischer Ansatz zu verstehen ist3. 2. Verlagerung auf einen Eigenproduzenten
7.153
Ausgangssachverhalt. Der Sachverhalt entspricht dem in Rz. 7.147 dargestellten Sachverhalt. Allerdings beschließt die Geschäftsführung der A GmbH, auch die mit der Produktion der Kühlaggregate zusammenhängenden Patente auf die B Kft. zu übertragen. Zukünftig soll die B Kft. die Kühlaggregate selbständig weiterentwickeln. Darüber hinaus soll die B Kft. den Vertrieb der Kühlaggregate an die externen Kunden im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vornehmen. Die erwarteten Gewinne der B Kft. aus der Produktion und dem Vertrieb der Kühlaggregate betragen pro Jahr 1 Mio. Euro. 1 Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464 f. 2 Vgl. dazu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1465. 3 Vgl. Baumhoff//Greinert, IStR 2006, 792.
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G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
Voraussetzungen eines Eigenproduzenten. Im Gegensatz zu Fall 1 agiert die B Kft. in Fall 2 nicht als Lohnfertiger, sondern als Eigenproduzent. Nach Rz. 201 VWG-Funktionsverlagerung sind folgende Merkmale für einen Eigenproduzenten typisch (Rz. 4.22 ff.): – Der Eigenproduzent übt die volle Produktionsfunktion aus (z.B. Fertigung, Produktionsentwicklung, Produktauswahl, Einkauf, Lagerhaltung, Forschung und Entwicklung). – Der Eigenproduzent nimmt auch Vertriebs- und Vermarktungsfunktionen wahr (z.B. Werbung, Marketing, Vertrieb). – Der Eigenproduzent verfügt über eigene Entscheidungskompetenzen in Bezug auf die Produktions-, Vertriebs- und Vermarktungsfunktionen. – Der Eigenproduzent ist im Besitz der wesentlichen materiellen und insbesondere immateriellen Wirtschaftsgüter (Eigentum oder Lizenz). – Der Eigenproduzent trägt die mit der Ausübung dieser Funktionen verbundenen Chancen und Risiken, insbesondere das Markt- und Absatzrisiko.
7.154
Tatbestand einer Funktionsverlagerung erfüllt. Da die F&E-, die Herstellungs- und die Vertriebsfunktion für die Kühlaggregate und darüber hinaus sämtliche damit zusammenhängenden Chancen und Risiken sowie die wichtigsten immateriellen Wirtschaftsgüter (Patente) von der A GmbH auf die B Kft. übertragen werden, liegt eine Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV vor. Denn mit diesen Funktionen (Rz. 7.18 ff.) im Zusammenhang stehende Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile gehen auf die B Kft. über (Rz. 7.48 ff.) und bei der A GmbH werden die entsprechenden Funktionen nach der Funktionsverlagerung eingestellt.1 Ferner ist § 2 Abs. 2 FVerlV (Übertragung von Funktionen auf ein Routineunternehmen und Anwendung der Kostenaufschlagsmethode) nicht anwendbar. Ebenso wenig sind die Ausnahmetatbestände der Funktionsverdoppelung (§ 1 Abs. 6 FVerlV) und der bloßen Übertragung von Wirtschaftsgütern/Personalentsendung (§ 1 Abs. 7 FVerlV) einschlägig.2
7.155
Bewertung der Funktion als Ganzes. Da in dem in Rz. 7.153 dargestellten Sachverhalt die Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllt sind (Rz. 7.13 ff.), hat die A GmbH das entsprechende Entgelt auf der Grundlage einer Verlagerung „der Funktion als Ganzes“ zu bestimmen, d.h. den Wert für ein sog. Transferpaket zu ermitteln. Das Transferpaket besteht nach § 1 Abs. 3 FVerlV aus den von der A GmbH auf die B Kft. übergehenden Funktionen und den mit diesen Funktionen zusammenhängenden Chancen und Risiken sowie den Wirtschaftsgütern und Vorteilen, die auf die B Kft. übertragen werden. Im Ergebnis beinhaltet damit das Transferpaket ein Konglomerat aus allen denkbaren Lieferungsund Leistungsbeziehungen, die zwischen der A GmbH und der B Kft. im
7.156
1 Zu Einzelheiten vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946. 2 Vgl. auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 201 f.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
Zusammenhang mit der Funktionsverlagerung stattfinden.1 Da die Anwendung eines tatsächlichen Fremdvergleichs nicht möglich ist,2 ist nach der Grundregel des § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG der Wert des Transferpakets unter Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs zu ermitteln. Im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs sind auf Grund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen ein Einigungsbereich aus dem Mindestpreis der A GmbH und dem Höchstpreis der B Kft. zu ermitteln (Rz. 7.88 ff.). Dabei ist bei der Ermittlung der Preisunterbzw. Preisobergrenze auf die zukünftigen kapitalisierten Gewinnerwartungen („Gewinnpotential“) der Funktion abzustellen. Dies läuft auf eine Anwendung des Ertragswertverfahrens hinaus, wobei folgende – im Rahmen der VWG-Funktionsverlagerung ausführlich dargelegten – Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind: – Isolierung und Prognose der „Reingewinne nach Steuern“, die auf das Transferpaket entfallen;3 – Bestimmung des Kapitalisierungszeitraums;4 – Bestimmung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes.5
7.157
Ermittlung der Preisuntergrenze. Die Preisuntergrenze aus Sicht der A GmbH ergibt sich aus dem Barwert der „Reingewinne nach Steuern“, den die A GmbH bei einer Fortführung der entsprechenden Funktionen erwartet hätte. Da die A GmbH allerdings dauerhaft Verluste erwirtschaften wird, bestimmt sich die Preisuntergrenze gem. § 7 Abs. 3 FVerlV nach dem niedrigeren der beiden folgenden Werte:6 – Barwert der erwarteten Verluste (hier: ./. 400 000 Euro × Barwertfaktor) oder – Liquidationswert der Funktion (hier: 500 000 Euro ./. 800 000 Euro = ./. 300 000 Euro). Damit ergibt sich nach den Grundsätzen des § 7 Abs. 3 FVerlV eine Preisuntergrenze aus Sicht der A GmbH i.H.v. ./. 300 000 Euro, da der Liquidationswert der Funktion (./. 300 000 Euro) geringer ist als der Barwert der erwarteten Verluste.
7.158
Ermittlung der Preisobergrenze. Die Preisobergrenze aus Sicht der B Kft. bestimmt sich aus dem Barwert der Reingewinne nach Steuern, welche 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 28 f.; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1947 f. 2 Zu einem Fall des tatsächlichen Fremdvergleichs vgl. Schilling/Kandels, DB 2012, 1065 ff. und dazu kritisch Ditz/Liebchen, DB 2012, 1469 ff. 3 Vgl. dazu BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 82 ff. 4 Vgl. dazu BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 109 ff. 5 Vgl. dazu BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 104 ff. 6 Zu Einzelheiten vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 121 ff.
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G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
die B Kft. aus der Herstellung und dem Vertrieb der Kühlaggregate erwartet. Dabei kann nach Auffassung der Finanzverwaltung das Ertragswertverfahren angewendet werden.1 Dem hier durchgeführten Ertragswertverfahren werden folgende Annahmen zugrunde gelegt: – Erwarteter Gewinn: 1 Mio. Euro p.a.; – Kapitalisierungszinssatz: 7 % (Basiszinssatz von 2 % zzgl. Risikozuschlag von 5 %);2 – Kapitalisierungszeitraum: fünf Jahre.3 Aus Kapitalisierungszinssatz und -zeitraum folgt ein Kapitalisierungsfaktor von 4,1. Unter Berücksichtigung dieser Parameter im Rahmen der Anwendung des Ertragswertverfahrens ergibt sich eine Preisobergrenze aus Sicht der B Kft. i.H.v. 4,1 Mio. Euro. Mithin beträgt damit der Einigungsbereich zwischen ./. 300 000 Euro (Preisuntergrenze der A GmbH) und 4,1 Mio. Euro (Preisobergrenze der B Kft.). Ermittlung des Einigungsbereichs. Nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG ist der Preis für das Transferpaket aus dem Einigungsbereich zu wählen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit höchster Wahrscheinlichkeit entspricht. Der Steuerpflichtige hat dies anhand nachvollziehbarer und plausibler Gesichtspunkte glaubhaft darzulegen, wobei alle Umstände des Einzelfalls, z.B. die jeweiligen Marktpositionen, das betriebliche Eigeninteresse des verlagernden Unternehmens, das Angewiesensein des übernehmenden Unternehmens auf die Wirtschaftsgüter und Vorteile, die Kapitalausstattung und Ertragslage der beteiligten Unternehmen, die Entstehung von Synergieeffekten, die Standortvorteile sowie die Höhe der ersparten Anlaufkosten zu berücksichtigen sind.4 Kann kein anderer Wert glaubhaft gemacht werden, ist der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen. Bei Anwendung der Mittelwertbetrachtung ergibt sich ein Wert des Transferpakets i.H.v. 1,9 Mio. Euro. Da die A GmbH allerdings aus der Produktion der Kühlaggregate Verluste erwirtschaftet, könnte dies zum Anlass genommen werden, einen Preis am unteren Ende des Einigungs1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 87 ff. 2 Der Risikozuschlag muss grds. unter Berücksichtigung des spezifischen Risikoprofils des entsprechenden Unternehmens bzw. der entsprechenden Funktion ermittelt werden (vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 106). Nach den Empfehlungen des IDW beträgt der Risikozuschlag, der erwartungsgemäß erzielt wird, wenn statt in risikolose Wertpapiere in das aus riskanten Papieren bestehende Marktportfolio investiert wird, zwischen 4 % und 5 % (vgl. AKU des IDW, Berichterstattung über die 84. Sitzung des AKUs; Stehle, WPg 2004, 906 ff.). Im vorliegenden Sachverhalt soll daher beispielhaft von einem Risikozuschlag i.H.v. 5 % ausgegangen werden. Dabei wird ein Beta-Faktor von 1 unterstellt. 3 Der Zeitraum muss von der A GmbH „glaubhaft“ gemacht werden, vgl. § 6 FVerlV; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 113. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 128; kritisch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950 f.
Ditz/Greinert
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7.159
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
bereichs auszuwählen. Dabei wäre es ggf. sogar vertretbar, dass die A GmbH der B Kft. eine Ausgleichszahlung von 300 000 Euro leistet, um sich von der entsprechenden Verlustquelle zu lösen.
7.160
Risiko einer Doppelbesteuerung. Sollte ein Entgelt für das Transferpaket i.H.v. 1,9 Mio. Euro von der A GmbH an die B Kft. verrechnet werden, besteht das Risiko, dass die ungarische Finanzverwaltung das Konzept der Transferpaketbewertung dem Grund nach nicht anerkennt oder die Wertermittlung auf Basis eines hypothetischen Fremdvergleichs (Einigungsbereichsbetrachtung) nicht anerkennt.1 Eine entsprechende Doppelbesteuerung könnte nur durch ein Verständigungs- bzw. EU-Schiedsverfahren beseitigt werden.
7.161
Anwendung der Escape-Regelungen. Die Escape-Klauseln des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG lassen eine Ausnahme zur Gesamtbewertung eines Transferpakets zu. Danach ist eine Einzelbewertung der im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragenen Wirtschaftsgüter und erbrachten Dienstleistungen zulässig, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, – dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile mit der Funktion übergegangen sind oder zur Nutzung überlassen wurden oder – dass das Ergebnis der Einzelpreisbestimmungen, gemessen an der Preisbestimmung für das Transferpaket als Ganzes, dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Beiden, bereits mit dem UntStRefG 20082 eingefügten, Escape-Klauseln kommt in der Praxis kaum eine Bedeutung zu. Dies insbesondere deswegen, weil i.d.R. im Rahmen von Funktionsverlagerungen wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter übergehen (erste Alternative) bzw. ein Vergleich der Einzelpreisbestimmungen mit dem Wert des Transferpakets sehr aufwendig ist (zweite Alternative). Da in Bezug auf den in Rz. 7.153 dargestellten Sachverhalt davon auszugehen ist, dass die von der A GmbH auf die B Kft. übergehenden Patente „wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter“ darstellen,3 kommt eine Anwendung der ersten EscapeKlausel des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG (keine Übertragung eines wesentlichen immateriellen Wirtschaftsguts) nicht in Betracht.
7.162
Escape gem. § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG. Mit dem Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften4 wurde eine dritte Escape-Klausel in § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG eingefügt. Durch diese Escape-Klausel sollen die Vorgaben des Koalitionsvertrags, die negativen Auswirkungen der Funktionsverlagerungsbesteuerung auf den Forschungs- und Entwicklungsstandort zu beseitigen, umge1 Zu der Frage des Verhältnisses der Funktionsverlagerungsbesteuerung zu Art. 9 Abs. 1 OECD-MA vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 23. 2 Vgl. Unternehmenssteuerreformgesetz v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 3 Zur Definition vgl. § 1 Abs. 5 FVerlV. 4 Vgl. EU-Umsetzungsgesetz v. 8.4.2010, BGBl. II 2010, 386.
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G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
setzt werden. In § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG heißt es demnach: „Macht der Steuerpflichtige glaubhaft, dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist, und bezeichnet er es genau, sind Einzelverrechnungspreise für die Bestandteile des Transferpakets anzuerkennen.“ Mit dieser Regelung soll dem Steuerpflichtigen eine dritte Befreiungsmöglichkeit von der Gesamtbewertung eines Transferpakets eingeräumt werden. Übertragung eines wesentlichen immateriellen Wirtschaftsguts. Hinsichtlich der Frage, wann ein immaterielles Wirtschaftsgut „wesentlich“ ist, verweist Rz. 75 VWG-Funktionsverlagerung v. 13.10.2010 auf die Legaldefinition des § 1 Abs. 5 FVerlV. Danach ist ein immaterielles Wirtschaftsgut „wesentlich“, wenn es für die verlagerte Funktion erforderlich ist und sein Fremdvergleichspreis insgesamt mehr als 25 % der Summe der Einzelpreise aller Wirtschaftsgüter und Vorteile des Transferpakets beträgt. Eine Anwendung dieser Definition des wesentlichen immateriellen Wirtschaftsguts ist allerdings insofern nicht zweckmäßig, als durch die neu eingeführte Escape-Klausel gerade von einer Gesamtbewertung eines Transferpakets abgesehen werden soll. Die quantitative Gegenüberstellung des Werts eines immateriellen Wirtschaftsguts mit dem Wert des Transferpakets ist daher angesichts des Mehraufwands nicht nachvollziehbar. Die Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung wird allerdings insoweit eingeschränkt, als die Glaubhaftmachung, dass ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut vorliegt, „keine präzise Wertberechnung für das Transferpaket“ erfordert.1
7.163
Übertragung von Patenten. Nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG muss „zumindest ein“ wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung sein. Dies ist in dem in Rz. 7.153 dargestellten Sachverhalt mit den auf die B Kft. übergehenden Patenten der Fall. Die Bezeichnung „zumindest“ macht deutlich, dass für die Anwendung der Escape-Klausel auch mehrere wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter Gegenstand der Funktionsverlagerung sein können.2 Sollte demnach – neben den Patenten – auch ein Kundenstamm von der A GmbH auf die B Kft. übergehen, würde dies einer Anwendung der dritten Escape-Klausel des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG nicht entgegenstehen. Schließlich muss der Steuerpflichtige glaubhaft machen, dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist.3 Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll dabei ein immaterielles Wirtschaftsgut dann genau bezeichnet sein, „wenn es auf Grund der Angaben des Steuerpflichtigen so eindeutig identifiziert werden kann, dass entweder ausreichende Vergleichswerte ermittelt werden können oder eine sachgerechte Preisbestimmung nach dem hypothetischen Fremdver-
7.164
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 75. 2 So explizit auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 77. 3 Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1312.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
gleich möglich ist“.1 Es ist davon auszugehen, dass sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der dritten Escape-Klausel des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG im vorliegenden Sachverhalt erfüllt sind. Denn mit den Patenten werden wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter, die genau bezeichnet werden können, von der A GmbH im Rahmen der Funktionsverlagerung auf die B Kft. übertragen. Im Ergebnis ist damit eine Einzelbewertung aller übergehenden Wirtschaftsgüter (d.h. der Patente und der Produktionsanlagen) möglich. Im Einzelnen:
7.165
Bewertung der Patente. Was die Bewertung der übergehenden Patente betrifft, ist nach Ansicht der Finanzverwaltung zunächst die Anwendung der Preisvergleichsmethode zu prüfen.2 Dieser sind jedoch im Rahmen der Ermittlungen von angemessenen Lizenzgebühren in der Praxis enge Grenzen gesetzt, da i.d.R. fremdübliche Vergleichslizenzen nicht ermittelt werden können. Da ferner die Wiederverkaufspreismethode und die Kostenaufschlagsmethode zur Bestimmung angemessener Lizenzgebühren als wenig praktikabel gelten, kommt den gewinnorientierten Methoden in diesem Zusammenhang eine übergeordnete Bedeutung zu. Denn es ist davon auszugehen, dass eine Lizenzgebühr von dem ordentlichen Geschäftsleiter eines Lizenzunternehmens nur bis zu der Höhe gezahlt wird, bei der für ihn ein angemessener Betriebsgewinn aus dem lizenzierten Produkt verbleibt. Ausgangspunkt für die Bestimmung der angemessenen Lizenzgebühr sind daher die Gewinnerwartungen aus der Überlassung des immateriellen Wirtschaftsguts (Rz. 7.84).
7.166
Anwendung der Knoppe-Formel. In der Besteuerungspraxis haben sich mittlerweile vereinfachte Verrechnungspreismethoden herausgebildet, bei denen zugleich die gewünschte Gewinnorientierung gegeben ist. Die wohl bekannteste Vereinfachung bildet die sog. Knoppe-Formel.3 Wenngleich sie konzeptionell angreifbar ist, so werden in der Verrechnungspreispraxis Lizenzsätze für immaterielle Wirtschaftsgüter oft nach dieser Formel ermittelt bzw. verprobt.4 Diese Formel sieht für den Lizenzgeber (hier: A GmbH) eine Lizenz i.H.v. 25–331/ 3 % des vorkalkulierten Gewinns des Lizenznehmers (hier: B Kft.) aus den zur Nutzung überlassenen immateriellen Wirtschaftsgütern ohne Berücksichtigung der Lizenzgebühr vor. Auch wenn die Knoppe-Formel wegen ihrer Herleitung und pauschalen Vorgehensweise vielfach Kritik erfährt, so gibt es mittlerweile recht umfassende Studien, die ihren Gehalt bestätigen und präzisieren. Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Arbeit von Goldscheider. Dieser hatte bereits vor Jahrzehnten die sog. 25 %-Rule zur Ermittlung angemessener Lizenzsätze auf Basis eigener empirischer Studien sowie Vorarbeiten anderer Experten abgeleitet. Diese Regel besagt, 1 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 78. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 5.2.3. 3 Vgl. Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz- und Know-how-Verträge, 1972. 4 Vgl. etwa Zech, IStR 2009, 419; Ditz, IStR 2009, 423.
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G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
dass ein angemessener Lizenzsatz so zu bemessen ist, dass der Lizenzgeber 25 % des mit den lizenzierten immateriellen Wirtschaftsgütern generierten Gewinns erhält1. Wendet man die Knoppe-Formel bzw. die 25 %-Rule in dem in Rz. 7.153 dargestellten Sachverhalt an, würde auf die A GmbH als Lizenzgeber – bei einem erwarteten Gewinn der B Kft. von 1 Mio. Euro p.a. – eine Lizenzgebühr von 250 000 Euro p.a. entfallen. Bewertet man dann die Patente in Anlehnung an IDW S 5 basierend auf dem anteiligen erwarteten Gewinn als Barwert der Gewinne über die Nutzungsdauer von fünf Jahren, ergibt sich ein Wert der Patente i.H.v. ca. 1 Mio. Euro (250 000 Euro × 4,1): – Kapitalisierungszinssatz: 7 % (Basiszinssatz 2 % zzgl. Risikozuschlag 5 %); – Kapitalisierungsfaktor: 4,1; – Barwert: ca. 1 Mio. Euro. Einzelbewertung der Wirtschaftsgüter. Die überführten Produktionsanlagen haben einen auf Basis der Preisvergleichsmethode ermittelten Wert i.H.v. 500 000 Euro. Bei Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter ist somit ein Entgelt i.H.v. ca. 1,5 Mio. Euro angemessen. Dieses Entgelt liegt allerdings unter dem Wert von 1,9 Mio. Euro, welcher im Rahmen der Bewertung der Funktion als Ganzes ermittelt wurde. Insofern stellt sich die Frage, ob bei Anwendung der dritten Escape-Klausel des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG neben den übertragenen materiellen und immateriellen Einzelwirtschaftsgütern auch ein funktionsbezogener Geschäfts- oder Firmenwert anzusetzen ist. Dieser Wert lässt sich indessen nicht einzeln, sondern nur indirekt als Differenz aus dem Wert des Transferpakets und dem Wert der einzelnen übertragenen Wirtschaftsgüter ermitteln.2
7.167
Ansatz eines Geschäfts- oder Firmenwerts. Im Rahmen der Anwendung der dritten Escape-Klausel bleibt für den Ansatz eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts kein Raum.3 Dies ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der gesetzlichen Neuregelung, lässt sich jedoch aus der Entstehung der Vorschrift ableiten. Gemäß dem Bericht des Finanzausschusses wird durch den angefügten zweiten Halbsatz an den bisherigen § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG die Vereinbarung der Regierungsparteien im Koalitionsvertrag umgesetzt.4 Dort vereinbarten die Parteien, „bei den grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen unverzüglich die negativen Auswirkungen der Neuregelung zur Funktionsverlagerung auf
7.168
1 Vgl. Goldscheider/Jarosz/Mulhern in Parr, Royalty Rates for Licensing Intellectual Property, 2007, 31; Granstarnd, Les Nouvelles 2006, 179; Baumhoff/Greinert, Ubg 2009, 547. 2 Vgl. etwa BFH v. 26.11.2009 – III R 40/07, FR 2010, 480 m. Anm. Kanzler = DStR 2010, 371. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1312; Kroppen/Rasch, IWB 2010, 320; Frischmuth, IWB 2010, 435 f.; a.A. Pohl, IStR 2010, 360. 4 Vgl. Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/939, 16.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland [zu] beseitigen“.1 Dieses Ziel lässt sich allerdings nur dann realisieren, wenn in Bezug auf die neu eingeführte dritte Escape-Klausel des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG tatsächlich von einer reinen Bewertung der übergehenden Wirtschaftsgüter ohne den Ansatz eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts auszugehen ist. Der Ansatz eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts ist vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn der Erwerber einen für sich lebensfähigen Betriebsteil (Betrieb oder Teilbetrieb) übernimmt, der selbständig künftig Gewinne erwirtschaften kann. Dabei müssen die den Geschäftswert bildenden Faktoren mit übergehen. Nur unter dieser Voraussetzung (Rz. 7.31 ff.) wäre ein fremder Erwerber bereit, den Wert für eine Einheit durch Diskontierung der erwarteten künftigen Erträge zu bestimmen.2 Diese Überlegungen spiegeln sich auch im OECD-Bericht über „Transfer Pricing Aspects of Business Restructuring“ wider. Hier wird ausschließlich für den Fall des „Transfer of an Ongoing Concern“, also einer Übertragung eines für sich lebensfähigen Betriebsteils, der eigenständig Überschüsse erwirtschaften kann, der Ansatz eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts zugestanden. Dies trifft jedoch bei einer reinen Funktionsverlagerung wie im vorliegenden Sachverhalt nicht zu. Die Funktionsverlagerung ist vielmehr mit einer Betriebsverlagerung gerade nicht vergleichbar.3
7.169
Ergebnis der Einzelbewertung. Im Ergebnis sind damit in Anwendung der dritten Escape-Klausel des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG nur folgende Werte abzurechnen: – Für die Übertragung der Patente: 1 Mio. Euro; – für die Übertragung der Produktionsanlage: 500 000 Euro.
III. Verlagerung der Vertriebsfunktion 1. Gründung einer Vertriebsgesellschaft
7.170
Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung liegt eine Funktionsverlagerung vor, „wenn der Vertrieb (als Ganzes oder Teile davon) auf ein übernehmendes Unternehmen übertragen wird.“4 Nach Auffassung der Finanzverwaltung löst damit der in der Praxis äußerst relevante Fall der erstmaligen Gründung einer Vertriebsgesellschaft eine Funktionsverlagerungsbesteuerung aus. Diese allgemeine Aussage der Finanzverwaltung ist indessen nicht sachgerecht. Denn einerseits steht außer Zweifel, dass die Verlagerung von Vertriebsfunktionen auf als Routineunternehmen organisierte ausländische Vertriebs1 2 3 4
Vgl. Koalitionsvertrag v. 26.10.2009. Vgl. Haas in FS Schaumburg, 717; Lenz/Rautenstrauch, DB 2010, 698. Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2010, 322. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 211.
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G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
gesellschaften keine Funktionsverlagerung auslösen kann (z.B. auf eine als Low–Risk-Distributor, Kommissionär oder Handelsvertreter organisierte ausländische Vertriebsgesellschaft). Denn in diesen Fällen geht kein Gewinnpotential auf die ausländische Vertriebsgesellschaft über, so dass bereits die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung nicht erfüllt sind (Rz. 7.64 ff.). Im Übrigen ist in diesen Fällen – auch nach Auffassung der Finanzverwaltung – § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV einschlägig, wenn die Vertriebsgesellschaft auf Basis der Kostenaufschlagsmethode, der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode oder einer Provision vergütet wird (Rz. 7.69).1 Ablehnung der Auffassung der Finanzverwaltung. Schließlich geht die Finanzverwaltung (sehr allgemein) davon aus, dass die Verlagerung des Vertriebs auf eine als Eigenhändler organisierte Vertriebsgesellschaft (Rz. 4.25) zu einer Funktionsverlagerung führt.2 Auch diese allgemein gehaltene Aussage der Finanzverwaltung ist abzulehnen.3 Dies soll an folgendem Beispiel veranschaulicht werden:
7.171
Beispiel: Die im Inland ansässige A-GmbH vertreibt die Produktgruppen A und B, wobei für beide Produktgruppen unterschiedliche Vertriebsabteilungen zuständig sind. Die Vertriebsabteilungen sind jeweils für die genannte Produktgruppe für die Länder Deutschland, Frankreich und Spanien verantwortlich. Die Länderbeauftragten arbeiten dabei nicht in abgegrenzten organisatorischen Einheiten, so dass als Funktion i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV (Rz. 7.22 ff.) die beiden Funktionen „Vertrieb Produkt A“ und „Vertrieb Produkt B“ zu qualifizieren sind. Die A-GmbH gründet in Spanien eine Tochter-Vertriebsgesellschaft, welche die Produkte der Gruppen A und B zukünftig als Eigenhändler im eigenen Namen und auf eigene Rechnung in Spanien vertreiben soll. Hintergrund der Gründung der Vertriebsgesellschaft ist die Erwartung, mit einem eigenständigen Außendienst in Spanien den spanischen Markt besser zu erschließen und damit den Umsatz mit den Produktgruppen A und B erheblich ausweiten zu können.
Keine Funktionsverlagerung bei Gründung einer Vertriebsgesellschaft. Für den vorstehenden Sachverhalt geht die Finanzverwaltung wohl davon aus, dass von einer Funktionsverlagerung des Vertriebs von der A-GmbH auf die neu gegründete spanische Tochter-Vertriebsgesellschaft auszugehen ist.4 Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Denn bei der A-GmbH bestand vor der Gründung der spanischen Vertriebsgesellschaft kein organischer Teil des Unternehmens (Rz. 7.26 ff.), der für den Vertrieb in Spanien verantwortlich war. Infolgedessen ist der Vertrieb der Produktgruppen A und B für Spanien nicht als Funktion i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV zu qualifizie1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 67. 2 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 211. 3 Vgl. auch von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 84 f. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 211.
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7.172
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
ren und kann infolgedessen auch nicht Gegenstand einer Funktionsverlagerung sein.1 Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Gründung der Vertriebsgesellschaft in Spanien im eigenen betrieblichen Interesse der A-GmbH ist. Denn durch die Gründung der Vertriebsgesellschaft wird erwartet, dass der Umsatz in Spanien (erheblich) ansteigen wird, so dass auch unter unabhängigen Dritten in diesem Fall weder ein Entgelt für eine Funktionsverlagerung noch ein Entgelt für die Übertragung eines Kundenstamms zum Ansatz kommt. Die Gründung der spanischen Vertriebsgesellschaft ist vielmehr im ureigenen Interesse der A-GmbH. 2. Funktionsabschmelzung zum Kommissionär a) Betriebswirtschaftliche Gründe einer Funktionsabschmelzung
7.173
Umstellung auf Kommissionärsstrukturen. Im Rahmen der Anpassung von Vertriebsfunktionen an den internationalen Globalisierungs- und Konzentrationsprozess werden häufig innerkonzernliche Vertriebsfunktionen von einer Vertragshändlertätigkeit auf eine Kommissionärsstruktur umgestellt (sog. Funktionsabschmelzung).2 Während eine Vertriebsgesellschaft als Vertragshändler (bzw. Eigenhändler) im eigenen Namen und auf eigene Rechnung agiert und folglich die volle Vertriebsfunktion ausübt, übernimmt der Kommissionär keine oder nur sehr geringe Risiken. Denn er handelt zwar im eigenen Namen, jedoch auf Rechnung des Kommittenten (vgl. Rz. 7.138 f.).3 Für die Umstellung von einer Vertragshändler- auf eine Kommissionärsstruktur sind häufig sowohl betriebswirtschaftliche als auch steuerliche Gründe maßgeblich. Betriebswirtschaftlich liegen die Vorteile der Kommissionärsstruktur insbesondere in der organisatorischen und logistischen Vereinfachung der Vertriebsstruktur und einer damit einhergehenden Kostenreduktion. Ferner gewährleistet eine Kommissionärsstruktur – trotz regional agierender Vertriebsgesellschaften – eine einheitliche Preis- und Distributionspolitik. Daneben sind regelmäßig auch steuerliche Gründe für die Etablierung einer Kommissionärsstruktur maßgebend. Das gegenüber einem Eigenhändler reduzierte unternehmerische Risiko, aber auch der eingeschränkte Funktionsumfang des Kommissionärs haben zur Folge, dass diesem eine (mitunter wesentlich) geringere Vertriebsmarge zuzurechnen ist. Befindet sich die Vertriebsgesellschaft in einem Staat mit relativ hoher Steuerbelastung (z.B. Deutschland), kann demnach ein Teil der Vertriebsmarge in 1 Vgl. auch von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 85; Haas, Ubg 2008, 520; Wolter/Pitzal, IStR 2008, 797 f. 2 Vgl. dazu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Frischmuth, StuB 2007, 387. 3 Ein Kommissionär ist nach § 383 HGB derjenige, der es gewerbsmäßig übernimmt, Waren für Rechnung eines Kommittenten im eigenen Namen zu kaufen oder zu verkaufen. Zu den üblicherweise von einem Kommissionär wahrgenommenen Funktionen und Risiken sowie zur Abgrenzung des Kommissionärs vom Eigenhändler und Handelsvertreter vgl. Wassermeyer in FS Schaumburg, 972 ff.; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 49 ff.
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G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
einen niedrig besteuerten Staat verlagert und somit die Gesamtsteuerbelastung des Konzerns – und damit auch die Konzernsteuerquote – reduziert werden. Ausgangssachverhalt. Die steuerlichen Konsequenzen einer Funktionsabschmelzung werden nachfolgend anhand des folgenden Ausgangssachverhalts dargestellt: Der US-amerikanische Baumaschinenkonzern M-Inc. vertreibt seine in den USA hergestellten Baumaschinen in Deutschland über seine TochterVertriebsgesellschaft V-GmbH. Die V-GmbH agiert als Eigenhändler, indem sie die von ihrer Muttergesellschaft, der M-Inc., in den USA produzierten Baumaschinen auf eigene Rechnung und im eigenen Namen in Deutschland (Vertriebsgebiet) vertreibt. Die V-GmbH verfügt über einen „Showroom“, in welchem sie die aus den USA gelieferten Baumaschinen ausstellt, sowie über ein eigenes Lager, in welchem Baumaschinen bis zu ihrem Verkauf an Kunden sowie Ersatzteile für die Baumaschinen gelagert werden. Zum 31.1.2010 kündigt die M-Inc. vertragsgerecht den Vertriebsvertrag, da die V-GmbH ab dem 1.2.2010 als Kommissionär tätig werden soll. Der entsprechende (Kommissionärs-)Vertrag sieht vor, dass die V-GmbH im eigenen Namen, jedoch auf Rechnung der M-Inc. in Deutschland tätig wird und dabei ein vermindertes Funktions- und Risikoprofil aufweist. Für die Kunden der V-GmbH ist die Umstellung auf das Kommissionärsmodell nicht erkennbar, da die V-GmbH weiterhin im eigenen Namen auftritt. Zur Vergütung ihrer Tätigkeit erhält die V-GmbH eine angemessene Umsatzprovision i.H.v. 10 %. Diese wurde auf Basis von Planzahlen anhand der Kostenaufschlagsmethode unter Berücksichtigung eines Gewinnaufschlags i.H.v. 3 % ermittelt. Nach der Umstellung auf das Kommissionärsmodell zum 1.2.2010 wird das Lager der V-GmbH aufgelöst; die in den USA produzierten Baumaschinen werden jetzt unmittelbar durch die M-Inc. an die Kunden der V-GmbH geliefert. Der Showroom bleibt allerdings aus Marketinggesichtspunkten bestehen. Auf Grund der Umstellung auf das Kommissionärsmodell erleidet die V-GmbH 2010 gegenüber 2009 einen Gewinnrückgang i.H.v. ca. 50 %.
7.174
b) Verdeckte Gewinnausschüttung Voraussetzungen einer vGA. Nach der Rspr. des BFH ist für die Frage, ob eine vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG anzunehmen ist, in Bezug auf die Tatbestandsvoraussetzung der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung auf einen Fremdvergleich abzustellen. Der Fremdvergleich findet dabei seine Konkretisierung in der sog. „Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters“.1 Vor diesem Hintergrund stellt sich in Bezug auf den in Rz. 7.174 dargestellten Sachverhalt die Frage, ob zwei ordentliche und ge1 Vgl. nur BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann; v. 6.12.1995 – I R 88/94, BStBl. II 1996, 383 = FR 1996, 393; v. 19.5.1998 – I R 36/97, BStBl. II 1998, 689 = FR 1998, 902; v. 24.4.2002 – I R 18/01, BStBl. II 2002, 670 = FR 2002, 1178.
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7.175
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
wissenhafte Geschäftsleiter der M-Inc. und der V-GmbH im Rahmen der Kündigung des Vertriebsvertrags bei gleichzeitigem Abschluss des Kommissionärsvertrags einen Ausgleichs- oder sonstigen Entschädigungsanspruch vereinbart hätten.
7.176
Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB. Grundsätzlich kennt das deutsche Recht keine Rechtsgrundlage für einen Ausgleichsanspruch eines Eigenhändlers im Fall der Kündigung des Vertriebsvertrags durch das Prinzipalunternehmen (hier: M-Inc.). Nach der stRspr. des BGH ist jedoch § 89b HGB, der bei der Vertragsbeendigung einen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gegenüber seinem Prinzipal für den durch den Handelsvertreter geworbenen Kundenstamm vorsieht, analog bei einem Eigenhändler anzuwenden.1 Die Rechtsfolge des Ausgleichsanspruchs gem. § 89b HGB tritt bei einem Eigenhändler nach Auffassung des BGH allerdings nur dann ein, wenn – zwischen dem Hersteller und dem Eigenhändler ein Rechtsverhältnis besteht, das sich nicht in einer bloßen Verkäufer/Käufer-Beziehung erschöpft, sondern den Eigenhändler auf Grund vertraglicher Regelungen so in die Absatzorganisation des Herstellers eingliedert, dass er wirtschaftlich betrachtet in erheblichem Umfang Aufgaben übernimmt, die mit denen des Handelsvertreters vergleichbar sind, und er weisungsgebunden ist2 und – der Vertragshändler vertraglich verpflichtet ist, dem Hersteller die Kundendaten mitzuteilen, so dass dieser in der Lage ist, die Daten sofort und unmittelbar für eigene Zwecke zu nutzen.
7.177
Überlassung eines Kundenstamms. Vor diesem Hintergrund ist die Anwendung des § 89b HGB bei einem Eigenhändler nur dann möglich, wenn bei Vertragsende eine Verpflichtung des Eigenhändlers zur Überlassung des von ihm geworbenen Kundenstamms an das Prinzipalunternehmen besteht und davon auszugehen ist, dass das Prinzipalunternehmen die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzen kann.3 In Bezug auf den in Rz. 7.174 dargestellten Sachverhalt ist hingegen davon auszugehen, dass die V-GmbH auch nach ihrer Funktionsabschmelzung auf einen Kommissionär alle bisherigen Kundenbeziehungen aufrechterhält bzw. fortführt. Demnach geht ihr Kundenstamm nicht auf die M-Inc. über, sondern wird auch weiterhin von der V-GmbH – nunmehr in ihrer Funktion als Kommissionär – genutzt. Insoweit wird das bestehende Vertriebsverhältnis nicht vollständig beendet, sondern nur in seiner Struktur verändert. Da letztlich alle Kunden bei der V-GmbH verbleiben und von dieser weiterhin betreut werden, scheidet im Rahmen der Funktions1 Vgl. stRspr. des BGH z.B. BGH v. 20.10.1983 – I ZR 86/82, NJW 1984, 2102; v. 2.7.1987 – I ZR 188/85, NJW-RR 1988, 42; v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, BB 1996, 1458. 2 Vgl. etwa BGH v. 25.3.1982 – I ZR 146/80, DB 1982, 2293; v. 14.4.1983 – I ZR 20/81, DB 1983, 2412. 3 Vgl. BGH v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159 m.w.N.
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G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
abschmelzung der V-GmbH ein Ausgleichsanspruch gem. § 89b HGB aus.1 Entschädigungsanspruch für einen „entgangenen Gewinn“. Kommt insofern eine vGA der V-GmbH in Bezug auf einen Ausgleichsanspruch gem. § 89b HGB nicht in Betracht, könnte sich eine solche aus einem möglichen Verzicht der V-GmbH auf einen Entschädigungsanspruch für einen „entgangenen Gewinn“ i.S. einer entgangenen Geschäftschance2 ergeben. Dies deswegen, weil der Gewinn des Kommissionärs auf Grund seiner reduzierten Funktionen (z.B. keine Lagerhaltung ab dem 1.2.2010) und Risiken (z.B. Verkauf auf Rechnung der M-Inc.) geringer ist, als der des Eigenhändlers. Allerdings geht die Verminderung der Gewinne bei der V-GmbH mit einer Verringerung der durch sie ausgeübten Funktionen (z.B. keine Lagerhaltung) und der von ihr getragenen Risiken (z.B. Forderungsverluste, Lagerhaltungsrisiko, Garantieleistungen etc.) einher. Vor diesem Hintergrund steht der verminderten Gewinnchance eine äquivalente Minderung der Funktionen und Risiken der V-GmbH gegenüber, so dass für einen Entschädigungsanspruch der V-GmbH gegenüber der M-Inc. auf Grund geminderter Gewinnerzielungsmöglichkeiten kein Raum bleibt.3
7.178
Keine vGA im Ausgangssachverhalt. Im Ergebnis kommt daher im Ausgangssachverhalt eine vGA der V-GmbH an die M-Inc. nicht in Betracht. Auch eine Anwendung des Gedankens einer Übertragung eines Transferpakets mit Gewinnpotential i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG scheidet aus. Denn ein solcher Ansatz ist der Definition der vGA, die jeweils auf eine einzelne Transaktion zwischen Gesellschaft (hier: V-GmbH) und ihrem Gesellschafter (hier: M-Inc.) abstellt, fremd.
7.179
c) Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG Funktionsadäquater Gewinn. Im Zusammenhang mit der Kündigung des Vertriebsvertrags und dem Neuabschluss eines Kommissonärsvertrags zwischen der M-Inc. und der V-GmbH kommt auch die Besteuerung einer Funktionsverlagerung nicht in Betracht. Denn bereits in Rz. 7.178 wurde gezeigt, dass der durch den Abschluss des Kommissionärsvertrags verminderten Gewinnchance der V-GmbH eine äquivalente Minderung ihrer Funktionen und Risiken gegenübersteht, so dass auch zwischen fremden Dritten kein Entschädigungsanspruch entstehen würde. Im Übrigen vertreibt die V-GmbH als Kommissionär ab dem 1.2.2010 die Produkte (weiterhin) im eigenen Namen, so dass nicht von der Übertragung eines Kundenstamms auf die M-Inc. auszugehen ist. Auch die Realisierung eines Kundenstamms kommt daher nicht in Betracht. 1 Vgl. auch Kroppen, IWB 1997, F. 3 Gr. 2, 746; Faix/Wangler, IStR 2001, 68. 2 Zur Geschäftschancenlehre vgl. im Einzelnen Ditz, DStR 2006, 1625 ff. m.w.N. 3 Vgl. Kroppen/Hüffmeier, IWB 1995, F. 3 Gr. 2, 642; Faix/Wangler, IStR 2001, 68; wohl a.A. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, 1997, Rz. 180.
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7.180
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen
7.181
Auffassung der Finanzverwaltung. Die Ausführungen der Finanzverwaltung zur Funktionsabschmelzung einer Vertriebsgesellschaft auf einen Kommissionär sind in den VWG-Funktionsverlagerung widersprüchlich. So wird zunächst eingeräumt, dass auch nach Ansicht der Finanzverwaltung eine „vertragskonforme Funktionsänderung selbst und die damit einhergehende Verminderung von Chancen und Risiken für sich alleine keine Funktionsverlagerung“ darstellt.1 Auf Grund dieser Auffassung würde in Bezug auf den in Rz. 7.174 dargestellten Sachverhalt keine Funktionsverlagerung von der M-Inc. auf die V-GmbH ausgelöst werden. Demgegenüber qualifiziert Rz. 21 VWG-Funktionsverlagerung die „Umstellung eines Eigenhändlers zum Kommissionär“ als „typisches Beispiel“ einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV. Darüber hinaus enthält Rz. 214 VWG-Funktionsverlagerung ein Beispiel, welches mit dem in Rz. 7.174 geschilderten Sachverhalt vergleichbar ist. In diesem Beispiel geht die Finanzverwaltung bei einer Funktionsabschmelzung von einem Vertragshändler zum Kommissionär unter bestimmten Voraussetzungen von einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV aus. Insofern besteht ein Widerspruch zu der bereits oben zitierten Auffassung der Finanzverwaltung, wonach grundsätzlich bei einer vertragskonformen Funktionsänderung keine Funktionsverlagerungsbesteuerung eintritt.
7.182
Funktionsabschmelzung einer Vertriebsgesellschaft zum Handelsvertreter. Die vorstehenden Ausführungen zu einer Funktionsabschmelzung einer Vertriebsgesellschaft vom Eigenhändler bzw. Vertragshändler zum Kommissionär gelten korrespondierend bei einer Funktionsabschmelzung auf einen Handelsvertreter.
IV. Verlagerung der Dienstleistungsfunktion 7.183
Keine spezifischen Probleme. Im Rahmen der Verlagerung von Dienstleistungsfunktionen ergeben sich hinsichtlich der steuerlichen Behandlung des Verlagerungsvorgangs keine spezifischen Probleme. Insofern kann in diesem Zusammenhang auf die allgemeinen Ausführungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung (Rz. 7.13 ff.) verwiesen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Verlagerung von Dienstleistungsfunktionen häufig keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übergehen.2 Infolgedessen ist die Thematik „Funktionsverlagerungsbesteuerung“ im Zusammenhang mit Dienstleistungsfunktionen – insbesondere im Hinblick auf Hilfs-, Stabs- und Routinefunktionen (z.B. Buchhaltung, Controlling, Marketing, Werbung) – von untergeordneter Bedeutung. 1 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 214. 2 So auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 220.
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G. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen
In der Regel keine Funktionsverlagerung. Werden Dienstleistungsfunktionen auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen übertragen, liegt grundsätzlich eine Funktionsabspaltung vor (Rz. 7.45). In deren Rahmen wird zwar die entsprechende Dienstleistungsfunktion auf das ausländische verbundene Unternehmen übertragen, es kommt indessen nicht zu einer Verlagerung von Gewinnpotential ins Ausland. Damit gehen mit der Dienstleistungsfunktion keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile über, so dass eine Anwendung der Regelungen der Funktionsverlagerungsbesteuerung ausscheidet (zu Einzelheiten Rz. 7.62 ff.).1 Dies ist insoweit sachgerecht, als es sich bei der Funktionsausübung einer Dienstleistung durch das ausländische verbundene Unternehmen i.d.R. um sog. Routinefunktionen handelt, welche nicht Gegenstand einer Funktionsverlagerungsbesteuerung sein können (Rz. 7.63 f.). Dies gilt unabhängig davon, ob die Vergütung des ausländischen verbundenen Unternehmens, welches die Dienstleistungen an das funktionsabgebende inländische Unternehmen erbringt, auf Basis der Preisvergleichsmethode oder anhand der Kostenaufschlagsmethode ermittelt wird (Rz. 7.69 f.). Eine Funktionsverlagerung kann auch dann nicht angenommen werden, wenn das ausländische verbundene Unternehmen die entsprechenden Dienstleistungen gegenüber mehreren verbundenen Unternehmen erbringt (Rz. 7.67).2
1 Vgl. auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 219 f. 2 Wohl a.A. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 219.
Ditz/Greinert
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten Literatur Ackermann/Stock/Halbach, Angemessenheitsdokumentation unter Berücksichtigung der ex-ante- und ex-post-Sicht, DB 2014, 567; Ballwieser, Der Kalkulationszinsfuß in der Unternehmensbewertung: Komponenten und Ermittlungsprobleme, WPg 2002, 736; Bamberg/Baur/Krapp, Statistik, 17., überarb. Aufl., München/ Wien 2012; Baumhoff, Internationale Verrechnungspreise – Die „Palettenbetrachtung“, eine Weiterentwicklung des Vorteilsausgleichs?, IStR 1994, 593; Baumhoff, Die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise bei der Existenz von Preisbandbreiten, in: Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer zum 65. Geburtstag, München 2005, 347; Baumhoff, Verrechnungspreise bei ertragsschwachen Unternehmen, WPg 2006, 151; Baumhoff/Ditz/Greinert, Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV), DStR 2004, 157; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 1549; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Lohnfertigern – Anmerkung zum Urteil des FG Münster vom 16.3.2006, IStR 2006, 789; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, Düsseldorf 2004; Böcker, Aktuelle Erfahrungen bei der Prüfung von Kostenumlageverträgen mit ausländischen verbundenen Unternehmen, StBp. 2008, 8; Bruschke, Sanktionen bei einem Verstoß gegen die Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise, DStZ 2006, 575; Carlé, Schätzung bei Auslandssachverhalten – Verschärfte Dokumentationspflichten und Sanktionen, AO-StB 2004, 360; Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Cordes/Kluge, Beweislastumkehr und Schätzung bei Verstoß gegen Verrechnungspreisdokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO, steueranwaltsmagazin 2013, 183; Dahnke, Chemie und Pharmaunternehmen: Konfliktfelder aus der Sicht von Finanzverwaltung und Unternehmen – Podiumsdiskussion, in: Schaumburg (Hrsg.) Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Köln 1994, 136; Ditz, Reichweite des digitalen Datenzugriffs der Finanzverwaltung im nationalen und internationalen Konzern, DStR 2004, 2038; Ditz/Quilitzsch, Erweiterung von Offenlegungspflichten durch Country by Country Reporting, DStR 2014, 127; Drüen, Neue Pflichten zur Vorlage von Unterlagen bei der Betriebsprüfung von Kapitalgesellschaften und Konzernen?, JbFSt 2006/2007, 273; Eigelshoven/Ebering/Schmidtke, Streitpunkt immaterielle Wirtschaftsgüter – Der OECD-Diskussionsentwurf vom 6.6.2012, IWB 2012, 487; Eigelshoven/Kratzer, Rechtsverordnung zu Aufzeichnungspflichten bei der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise, IStR 2004, 30; Eigelshoven/Nientimp, Die Dokumentation angemessener Verrechnungspreise nach den Verwaltungsgrundsätze-Verfahren: Eine kritische Analyse, DB 2005, 1184; Endres/Oestreicher, Grenzüberschreitende Ergebnisabgrenzung: Verrechnungspreise, Konzernumlagen, Betriebsstättengewinnermittlung – Bestandsaufnahme und Neuentwicklungen, IStR 2003, Beihefter zu Heft 15, 1; Ernst & Young, Verrechnungspreise – Dokumentationsmanagement nach den neuen Mitwirkungspflichten, redaktionelle Gesamtverantwortung bei Wehnert/Wellens, Bonn/Berlin 2003; Fiehler, Vergütungsformen von funktions- und risikoarmen Vertriebsgesellschaften, IStR 2007, 464; Finsterwalder, Einkunftsabgrenzung bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen: Das BMF-Schreiben „Verwaltungsgrundsätze-Ver-
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten fahren“, DStR 2005, 765; Fischer/Looks/im Schlaa, Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise – Bisherige Erfahrungen mit der Betriebsprüfung und aktuelle Entwicklungen, BB 2007, 918; Frotscher, Verfassungsrechtliche Fragen zu den Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen und den Rechtsfolgen ihrer Verletzung, in: Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer, München 2005, 391; Giedinghagen, Rückwirkende Befreiung von den Offenlegungspflichten i.S.d. §§ 264a, 325 ff. HGB?, NZG 2007, 933; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, in: Schaumburg/Rödder (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008, Köln 2007, 541; Greinert/Weigert, Vorliegen wirtschaftlicher Gründe als unionsrechtliche Rechtfertigung für ein Abweichen vom Fremdvergleichsgrundsart, DB 2013, 2524; Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 4., völlig neu überarb. Aufl., Köln 2002; Hagen, Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten des Steuerpflichtigen bei Sachverhalten mit Auslandsbezug und Rechtsfolgen bei Pflichtverletzung, StBp. 2005, 33; Hahn/Surbier-Hahn, Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten europarechtswidrig? – Neukonzeption der §§ 90 Abs. 3 und § 162 Abs. 3 und 4 AO im SteVAG, IStR 2003, 84; Hahn/Ziegler, „Penalties“ i.S.d. § 162 Abs. 4 AO im Lichte des Art. 6 Abs. 1 EMRK, IStR 2004, 78; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren – Grundlagen, Systematik und Grenzen der informationellen zwischenstaatlichen Rechtsund Amtshilfe, Köln 2004; Hey, Schutz des Vertrauens in BFH-Rechtsprechung und Verwaltungspraxis, DStR 2004, 1897; Hick, Die steuerliche Behandlung von Arbeitnehmerentsendungen ins Ausland, Lohmar 2004; IDW, Arbeitshilfe zur Verrechnungspreisdokumentation, FN-IDW 2006, Beiheft zu FN-IDW 4/2006; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied/Kriftel 2001; Kaminski/Strunk, Dokumentationspflicht bei Verrechnungspreisen – Erste Analyse des Entwurfs der Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO, RIW 2003, 561; Kaminski/Strunk, Die „Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung“ – Eine Würdigung – (Teil I), StBp. 2004, 1; Kaminski/Strunk, Die „Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung“ – Eine Würdigung – (Teil II), StBp. 2004, 29; Kaminski/Strunk, Die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren vom 12.4.2005 (Teil II), StBp. 2005, 245; Klapdor, Grundsätze der Verrechnungspreisermittlung nach dem UStRefG, StuW 2008, 83; Kremer, Verrechnungspreisproblematik aus Sicht der Revision, IntR 2003, 56; Kroppen/Rasch, IWB 2002 F. 5 Gr. 2, 799; Kroppen/Rasch, Die Konkretisierung der Aufzeichnungspflichten für internationale Verrechnungspreise in den Verwaltungsgrundsätzen Verfahren, IWB 2005 F. 3 Gr. 1, 2091; Kroppen/Rasch, Zehn Jahre Aufzeichnungspflichten für Verrechnungspreise – Eine Bestandsaufnahme, IWB 2013, 830; Kroppen/Schnell, Verrechnungspreisauswirkungen der neuen Grundsätze zum digitalen Datenzugriff der Finanzverwaltung, IWB 2001 F. 3 Gr. 1, 1796; Kuckhoff/Schreiber, Ist die Prüfung von Verrechnungspreisen noch sinnvoll? – Anmerkungen zum BFH-Urt. v. 17.10.2001 aus Sicht der Betriebsprüfung, IWB 2002 F. 3 Gr. 1, 1863; Kühnast, Umfang der Vorlage von Unterlagen im Rahmen der Betriebsprüfung – Neue Anforderungen der Finanzverwaltung in Nr. 1 zu § 200 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung, in: JbFStR 2008/2009, 768; Kußmaul/Ruiner, Das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) – Handelsregisteranmeldung, verschärfte Offenlegung, europarechtliche Bedenken sowie Offenlegungs- bzw. Vermeidungsstrategien, KoR 2007, 672; Lenz/Fischer, Verrechnungspreisdokumentation in Deutschland – Erste Praxiserfahrungen, BB 2004, 2043; Lenz/Fischer/Schmidt, Verwaltungsgrundsätze-Verfahren – Konsequenzen für die Dokumentation von Verrechnungspreisen, BB 2005, 1255; Liebscher/Scharff, Das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister, NJW 2006, 3745; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung – Unter besonderer Berücksichtigung der Dokumentationspflichten bei Verrechnungsprei-
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten sen, Frankfurt/M. u.a. 2006; Linklaters Oppenhoff&Rädler, Dokumentation von Verrechnungspreisen: Ein Leitfaden für die Praxis, Frankfurt/M. 2004; Lüdicke, Internationale Aspekte des Steuervergünstigungsabbaugesetzes, IStR 2003, 433; Maier-Frischmuth, Verwendung entgeltpflichtiger Datenbanken bei der Angemessenheitsdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO i.V.m. der GAufzV, IWB 2003 F. 3 Gr. 1, S. 1989; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2., vollst. umgearbeitete Aufl., Wiesbaden 1983; Niemann/Kiera-Nöllen, Dokumentation der Geschäftsbeziehungen mit Auslandsbezug im Mittelstand, DStR 2004, 482; Oestreicher, Die Bedeutung von Datenbankinformationen bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen, StuW 2006, 243; Oestreicher/Duensing, Eignung von Unternehmensdatenbanken zur Bestimmung der Verrechnungspreise an deutsche Vertriebsunternehmen, IStR 2005, 134; Oestreicher/Vormoor, Verrechnungspreisanalyse mit Hilfe von Unternehmensdatenbanken – Vergleichbarkeit und Datenlage, IStR 2004, 95; Porter, Wettbewerbsstrategie – Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten, 11., durchges.u. erw. Aufl., Frankfurt/New York 2008; Reuter, Nationale und internationale Unternehmensbewertung mit CAPM und Steuer-CAPM im Spiegel der Rechtsprechung, AG 2007, 1; Rödder, Aktuelle Problemfälle verdeckter Gewinnausschüttungen im Konzern – Produktionsverlagerung, Markterschließung, Verlagerung von Vertriebsfunktionen, StbJb. 1997/98, 115; Ruiner, Zur steuerlichen Dokumentation von Verrechnungspreisen in mittelständischen Konzernen – Gesetzliche Anforderungen und beispielhafter Aufbau, DStR 2012, 1524; Schaumburg, Außensteuerrecht und europäische Grundfreiheiten, DB 2005, 1129; Schaumburg/Schaumburg, Grenzüberschreitende Sachaufklärung – Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, in: Binnewies/Spatscheck (Hrsg.), Festschrift für Michael Streck zum 70. Geburtstag, Köln 2011, 369; Schmidt/Gröger, Neue Dokumentationsplichten und „Strafzuschläge“ bei Geschäftsbeziehungen mit Auslandsbezug oder „Zuckerbrot und Peitsche“, FR 2003, 813; Schnitger, Internationale Aspekte des Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz – StVergAbG), IStR 2003, 73; Schnorberger, Verrechnungspreis-Dokumentation und StVergAbG – Offene Fragen und Probleme, DB 2003, 1241; Schnorberger/Rosenkranz/Garcia, Transfer Pricing Documentation: The EU Code of Conduct Compared with Member States Rules (Part 1), Intertax 2006, 305; Scholz/Crüger, Die Rolle von datenbankgestützten Margenanalysen bei der Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise, RIW 2005, 34; Schönenborn, Operational transfer pricing, DB 2013, 2869; Schreiber, Pflicht zur Angemessenheitsdokumentation bei internationalen Verrechnungspreisen, IWB 2005 F. 3 Gr. 1, 2105; Schreiber, Dokumentation von Verrechnungspreisen – Allgemeiner Teil, WPg 2006, 139, Schreiber, Aktuelle Fragen zu den „Verwaltungsgrundsätze Verfahren“ (Verrechnungspreise), JbFSt 2005/2006, 624; Seer, Die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung der erweiterten Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten, IWB 2005 F. 11 Gr. 2, 673; Seer, Neue Dokumentations- und Nachweispflichten, in: Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Internationale Einkunftsabgrenzung, Köln 2003, 35; Seer, Notwendigkeit der Pflichtenbegrenzung – Verrechnungspreisdokumentation bei verbundenen Unternehmen, IWB 2012, 350; Seer/Krumm, Die sog. Steuerzuschläge des § 162 Abs. 4 AO aus der Sicht des Art. 6 EMRK und der Grundfreiheiten des EGV, IWB 2006 F. 11 Gr. 2, 735; Sieker, Im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen zu internationalen Verrechnungspreisen i.S.v. § 162 Abs. 3 und 4 AO, in: Tipke/Söhn (Hrsg.), GS für Christoph Trzaskalik, Köln 2005, 135; Storck/ Hernler, Expertengespräch zur Verrechungspreisgestaltung, in: Raupach (Hrsg.), Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen in betriebswirtschaftlicher, gesellschaftsrechtlicher und steuerrechtlicher Sicht, Herne/Berlin 1999, 463; Stahl, Elektronisches Handelsregister und Publizität – Neue Rechtslage durch das EHUG und Gestaltungsstrategien, KÖSDI 2007, 15476; Taetzner, Rendite bei jeder Marktlage – das Comeback der Kapitalverzinsung als Gewinnuntergrenze für Ver-
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten triebsgesellschaften, IStR 2004, 726; Theile/Nitsche, Praxis der Jahresabschlusspublizität bei der GmbH, WPg 2006, 1141; Timmreck, Bestimmung der Eigenkapitalkosten, in: Richter/Timmreck (Hrsg.), Unternehmensbewertung: Moderne Instrumente und Lösungsansätze, Stuttgart 2004, 61; Vögele/Brem, Die neue Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO: Systematik zu Aufbau und Struktur der Verrechnungspreisdokumentation, IStR 2004, 48; Wahl/Preisser, Möglichkeiten und Grenzen von Datenbankanalysen zur Bestimmung von Verrechnungspreisen, IStR 2008, 51; Wassermeyer, Dokumentationspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen – Zum zweiten Entwurf einer Verordnung zu § 90 Abs. 3 AO, DB 2003, 1535; Wassermeyer, Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, 535; Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/ Beck/Bodenmüller/Wolff, Dokumentation von Verrechnungspreislisten: Ausgewählte Aspekte der Verwaltungsgrundsätze-Verfahren (Teil I), IStR 2005, 714; Wellens/van der Ham, Charakterisierung von Geschäftseinheiten im Transfer Pricing-Umfeld, DB 2012, 1534; Werra, Zweifelsfragen bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen – zum Entwurf der Verwaltungsgrundsätze-Verfahren zur Einkunftsabgrenzung zwischen internationalen Unternehmen, IStR 2005, 19; Wilmanns, Die Dokumentationsvorschriften im internationalen Vergleich, in: Endres (Hrsg.), Dokumentation von Verrechnungspreisen – Brennpunkte der neuen Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, Frankfurt 2005, 60.
A. Allgemeine nationale Mitwirkungsund Aufzeichnungspflichten I. Überblick 8.1
Deutsche steuerliche Dokumentations- und Mitwirkungspflichten. Die deutschen steuerlichen Dokumentations- und Mitwirkungspflichten lassen sich in verschiedene Bereiche unterteilen: – allgemeine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 1 AO, – Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten für gewerbliche Unternehmen nach §§ 140 ff. AO, – erweiterte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO und – spezielle Aufzeichnungspflichten für Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen im Ausland nach § 90 Abs. 3 AO. Verletzt der Steuerpflichtige seine oben aufgeführten Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten, zieht dies i.d.R. eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO durch die Finanzverwaltung nach sich (Rz. 8.169 ff.).1
II. Allgemeine Regelungen (§ 90 Abs. 1 und §§ 140 ff. AO) 8.2
Allgemeine Mitwirkungspflicht. Die Finanzbehörde hat nach dem in § 88 Abs. 1 AO kodifizierten Untersuchungsgrundsatz den für die Besteuerung 1 Vgl. § 162 Abs. 2 AO.
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A. Allgemeine nationale Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten
erheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Dabei hat der Steuerpflichtige nach § 90 Abs. 1 AO mitzuwirken, indem er die zur Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offen legt und Beweismittel angibt (allgemeine Mitwirkungspflicht). § 90 Abs. 1 AO ist allerdings nicht als unmittelbar vollziehbare Norm zu sehen, sondern beinhaltet nur einen allgemeinen Grundsatz, der durch verschiedene einzelne Pflichten konkretisiert wird.1 Hierzu gehören z.B. die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen nach § 149 AO, die Pflichten zur Erteilung von Auskünften nach § 93 AO sowie zur Vorlage von Urkunden nach § 97 AO und die Mitwirkungspflicht im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung nach § 200 AO. In Bezug auf die hier interessierenden internationalen Verrechnungspreissachverhalte ergeben sich bei den allgemeinen Mitwirkungspflichten keine Besonderheiten gegenüber rein nationalen Sachverhalten. Hierfür bestehen spezielle Mitwirkungspflichten in Form der erweiterten Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO sowie den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO (Rz. 8.4 ff. und 8.6 ff.). Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten. Für den Bereich der gewerblichen Unternehmen werden die allgemeinen Mitwirkungspflichten durch die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten nach §§ 140 ff. AO konkretisiert.2 Es gelten insoweit zunächst die allgemeinen Regeln des HGB, insbesondere die Pflicht zur vollständigen Erfassung aller Geschäftsvorfälle. § 143 und § 144 AO bestimmen ferner, dass alle Gewerbetreibenden Aufzeichnungen zu ihrem Wareneingang und Gewerbetreibende, die üblicherweise andere Gewerbetreibende beliefern, Aufzeichnungen über ihren Warenausgang zu führen haben. Hierzu gehören bei Eingangsleistungen z.B. Angaben zum Lieferanten und bei aufzeichnungspflichtigen Ausgangslieferungen z.B. Angaben zum Abnehmer der Lieferung. Die vorstehend dargestellten Angaben und Aufzeichnungen sind nach Maßgabe von § 147 AO aufzubewahren. Diese Aufbewahrungsverpflichtung erstreckt sich nicht nur auf Buchführungsunterlagen (§ 147 Abs. 1 Nr. 1 u. Nr. 4 AO) und Geschäftsbriefe (§ 147 Abs. 1 Nr. 2 u. Nr. 3 AO). Vielmehr sind auch sonstige Unterlagen aufzubewahren, wenn diese für die Besteuerung von Bedeutung sind (§ 147 Abs. 1 Nr. 5 AO). Dabei kann es sich z.B. um Kalkulationsunterlagen handeln.3 Die Finanzverwaltung ist nach § 147 Abs. 6 AO zu einem digitalen Datenzugriff auf die Buchführung berechtigt und darf die Buchführungsdaten für Zwecke einer steuerlichen Außenprüfung auch maschinell auswerten.4 Bezogen auf internationale Verrechnungspreise können die nach §§ 140 ff. AO verpflich1 2 3 4
Vgl. Schmitz in Schwarz, § 90 AO Rz. 1. Vgl. Seer in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkunftsabgrenzung, 2003, 38. Vgl. Seer in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkunftsabgrenzung, 2003, 39. Vgl. dazu im Einzelnen BMF v. 16.7.2001 – IV D 2 - S 0316 - 136/01, BStBl. I 2001, 415, sowie zu Besonderheiten im Hinblick auf Verrechnungspreise Kroppen/ Schnell, IWB F. 3 Gr. 1, 992 ff. Zur Abgrenzung insbesondere im Hinblick auf die Zugänglichmachung von Kostenstellendaten vgl. Ditz, DStR 2004, 2038; FG Rh.Pf. v. 13.6.2006 – 1 K 1743/05, EFG 2006, 1634, rkr.
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8.3
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
tend zu führenden Aufzeichnungen allerdings nur sehr bedingt verwendet werden. Sie können lediglich Auskunft darüber geben, ob Lieferungen und Leistungen zwischen Konzernunternehmen abgerechnet wurden, welche Mengen dabei gehandelt und welche Preise zugrunde gelegt wurden. Für eine Prüfung, ob Verrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, reichen diese Informationen nicht aus.
III. Erweiterte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO 8.4
Inhalt. Bei Sachverhalten, denen Vorgänge außerhalb Deutschlands zugrunde liegen, erweitert sich nach § 90 Abs. 2 Satz 1 AO die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen dahingehend, dass nun der Steuerpflichtige den Sachverhalt aufklären muss und erforderliche Beweismittel zu beschaffen hat.1 Im Rahmen dieser erweiterten Mitwirkungspflicht muss der Steuerpflichtige nach § 90 Abs. 2 Satz 2 AO alle für ihn bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung und zur Beweismittelbeschaffung nutzen.2 Dabei hat er nach § 90 Abs. 2 Satz 3 AO auch Beweisvorsorge zu treffen, d.h. er muss nach Auffassung der Finanzverwaltung ggf. auch seine Vertragspartner im Ausland verpflichten, ihm bestimmte – für die deutsche Besteuerung erhebliche – Auskünfte zu erteilen, die der Steuerpflichtige dann auf Ersuchen an die deutsche Finanzverwaltung weitergeben muss.3 Die Finanzverwaltung ist jedoch ihrerseits verpflichtet, konkrete Anhaltspunkte für die Steuererheblichkeit von Urkunden vorzutragen und ggf. zu beweisen, da sie die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen zum Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes trägt.4
8.5
Anwendung auf Verrechnungspreise. Die im Rahmen von § 90 Abs. 2 AO bestehende Pflicht des Steuerpflichtigen zur Aufklärung von Auslandssachverhalten umfasst – soweit rechtlich und tatsächlich möglich und nicht § 90 Abs. 3 AO als lex specialis vorgeht – auch die Angabe verrech1 Vgl. Seer, IWB F. Gr. 2, 674. Da von der erweiterten Mitwirkungspflicht nur Auslandssachverhalte erfasst werden, ist zu klären, ob § 90 Abs. 2 AO ggf. gegen die Grundfreiheiten des AEUV verstößt. Im Gegensatz zu inländischen Sachverhalten (z.B. Warenbezug von einer inländischen Tochtergesellschaft) hat der Steuerpflichtige bei Auslandssachverhalten (z.B. Warenbezug von einer Tochtergesellschaft in einem anderen EU-Mitgliedstaat) weitergehende Mitwirkungspflichten zu erfüllen, was ggf. zu einer Benachteiligung des Warenbezugs von der ausländischen Gesellschaft gegenüber dem Warenbezug von einer inländischen Gesellschaft führen könnte. Seer, IWB F. 11Gr. 2, 674 ff., legt zutreffend dar, dass das Erfordernis der Steuerkontrolle ein ausreichender Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung des inländischen und ausländischen Sachverhalts ist und § 90 Abs. 2 AO daher nicht gemeinschaftswidrig ist. 2 Vgl. Hagen, StBp. 2005, 34. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.3.3. 4 Vgl. hierzu ausführlich Drüen, in JbFSt 2006/2007, 273.
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A. Allgemeine nationale Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten
nungspreisrelevanter Informationen von nahe stehenden Personen im Ausland. Daher basierte vor Einführung der speziellen Aufzeichnungspflichten in § 90 Abs. 3 AO die Sachverhaltsaufklärung im Rahmen von Verrechnungspreisprüfungen auf § 90 Abs. 2 AO. Dies wurde in der Praxis lange Zeit als unstrittig akzeptiert, bis der BFH aufgerufen war, in seinem Urteil vom 17.10.20011 und dem vorangegangenen Beschluss vom 10.5.20012 zum Anwendungsbereich der erweiterten Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO sowie den Rechtsfolgen einer Verletzung der erweiterten Mitwirkungspflicht Stellung zu nehmen.3 Danach gilt zu den erweiterten Mitwirkungspflichten Folgendes: – Außerhalb der Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (§§ 238 ff. HGB und §§ 140 ff. AO) bestehen keine speziellen Dokumentationspflichten, auf Grund derer der Steuerpflichtige Aufzeichnungen über den einer vGA zugrunde liegenden Sachverhalt zu erstellen hat.4 Lediglich vorhandene Unterlagen, Aufzeichnungen u. Ä. seien vorzulegen, die auf Anforderung des Finanzamts ggf. auch nach bestimmten Kriterien geordnet oder zusammengestellt werden müssten.5 – Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO durch inländische Steuerpflichtige liegt nicht vor, wenn es für den inländischen Steuerpflichtigen (z.B. Tochtergesellschaft einer ausländischen Muttergesellschaft) rechtlich und tatsächlich unmöglich ist, die angeforderten Unterlagen zu beschaffen.6 Dies ist auch im Hinblick auf die später eingeführten speziellen Aufzeichnungspflichten von Bedeutung. – Die Nachweispflicht für eine etwaige Unangemessenheit von Verrechnungspreisen trägt – zumindest in der Rechtslage vor Einführung von § 90 Abs. 3 AO – die Finanzverwaltung. Die Finanzverwaltung kann sich auch nicht aus § 90 Abs. 2 AO darauf berufen, dass der Steuerpflichtige nicht hinreichend mitgewirkt habe und deshalb eine Erleichterung der Nachweispflicht eintrete.7 Festzuhalten ist, dass § 90 Abs. 2 AO durch die Einführung spezieller Aufzeichnungspflichten für Verrechnungspreise in § 90 Abs. 3 AO seine Bedeutung für die Verrechnungspreisprüfung weitgehend verloren hat. Gleichwohl strahlen die vom BFH in den vorstehenden Entscheidungen entwickelten Grundsätze auch auf die Auslegung von Einzelfragen zu den speziellen Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO aus. Dies gilt insbesondere für den Vorbehalt der rechtlichen und tatsächlichen Unmög1 2 3 4
BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, FR 2001, 694 = DB 2001, 1180. Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 1863 ff. m.w.N. Vgl. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, FR 2001, 694 = DB 2001, 1180, unter Abschn. 4. der Gründe. 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, unter Abschn. III.A.2.d bb. 6 Vgl. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, FR 2001, 694 = DB 2001, 1180, unter Abschn. 5. der Gründe. 7 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, unter Abschn. III.A.2.d bb.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
lichkeit der Angabe bestimmter Informationen.1 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nach Verwaltungsauffassung Sachverhaltsangaben, die nicht von den speziellen Aufzeichnungspflichten in § 90 Abs. 3 AO erfasst sind, ggf. über § 90 Abs. 2 AO angabepflichtig sind.2 Ob dies indes zulässig ist, hängt zunächst davon ab, ob die speziellen – und sehr weitreichenden – Aufzeichnungspflichten für Verrechnungspreise nach § 90 Abs. 3 AO die erweiterte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verdrängen. Eine Anforderung von Unterlagen (z.B. Gewinn- und Verlust- sowie Spartenrechnungen der Auslandsgesellschaften) auf Basis der erweiterten Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO wäre dann nicht zulässig. Die Frage der „Verdrängung“ der erweiterten Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO in Verrechnungspreissachverhalten durch die dafür geltenden Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO ist bislang durch die finanzgerichtliche Rechtsprechung nicht geklärt. U.E. sprechen gute Gründe für die Behandlung von § 90 Abs. 3 AO als lex specialis zu § 90 Abs. 2 AO und damit einer Nichtanwendbarkeit von § 90 Abs. 2 AO.3 Die in der Praxis gelegentlich anzutreffende Anforderung von Spartenrechnungen ausländischer Gruppenunternehmen ist – selbst wenn § 90 Abs. 2 AO anwendbar wäre – häufig bereits deshalb abzulehnen, weil Spartenrechnungen in verlässlicher Qualität und Aussagekraft auch im Ausland nicht vorhanden sind.
B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu internationalen Verrechnungspreisen I. Einführung von § 90 Abs. 3 AO und weiterer Begleitregelungen 1. Gesetzliche Regelungen und Verwaltungsanweisungen
8.6
Gesetz. Mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 16.5.20034 hat der Gesetzgeber § 90 AO um den Abs. 3 erweitert, der Aufzeichnungspflichten des Steuerpflichtigen bei Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Unternehmen im Ausland begründet (sog. Verrechnungspreisdokumentation5). Hintergrund war u.a. die Kritik der Finanzverwaltung an der 1 Vgl. Seer, IWB 2012, 352 m.w.N. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.3. 3 Kühnast, in JbFStR 2008/2009, 772. Die Erstellung von Unterlagen kann nach § 90 Abs. 2 AO indes nicht verlangt werden. 4 StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 5 Eine allgemein verwendete Definition des Begriffs „Verrechnungspreisdokumentation“ besteht nicht. Allgemein werden unter einer „Dokumentation“ im steuerlichen Sinne Unterlagen und Aufzeichnungen verstanden, nach denen ein sachverständiger Dritter in angemessener Zeit die zu dokumentierenden Vorgänge und Geschäftsvorfälle im Unternehmen erfassen und auf ihre richtige steuerliche Beurteilung überprüfen kann. Vgl. Seer in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkunftsabgrenzung, 38. Insoweit bestehen keine Einwände, den Begriff
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu int. Verrechnungspreisen
einschränkenden BFH-Rechtsprechung zu § 90 Abs. 2 AO1 (s.o. unter Rz. 8.5). Anwendbarkeit. § 90 Abs. 3 AO ist erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2002 beginnen, im Regelfall damit ab dem 1.1.2003 anzuwenden.2 Die allgemeinen Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 1 und Abs. 2 AO bleiben neben den neu eingeführten Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO bestehen.3
8.7
Sanktionsvorschriften. Begleitet wird die Einführung der Aufzeichnungspflichten mit der Schaffung von Sanktionsmöglichkeiten (zu den Regelungen im Einzelnen Rz. 8.169 ff.). Die neu eingeführten Vorschriften in § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO geben der Finanzverwaltung die Möglichkeit zur Schätzung von Verrechnungspreisen und zur Festsetzung von Strafzuschlägen, wenn der Steuerpflichtige seinen Aufzeichnungsverpflichtungen nicht in einem hinreichenden Maße nachkommt.
8.8
Rechtsverordnung. Einzelheiten zu Art, Inhalt und Umfang der nach § 90 Abs. 3 AO bestehenden Aufzeichnungspflichten ergeben sich aus einer Rechtsverordnung (GAufzV), die das BMF auf Grund der Ermächtigung in § 90 Abs. 3 Satz 5 AO mit Zustimmung des Bundesrates erlassen hat.4 Als Rechtsverordnung i.S.v. Art. 80 GG stellt die GAufzV wie ein Gesetz bindendes Recht für Steuerpflichtige, Finanzverwaltung und Gerichte dar.5
8.9
Verwaltungsanweisung. Neben § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV existiert ein umfangreiches Anwendungsschreiben6 der Finanzverwaltung (nachfolgend: „VWG-Verfahren“), in dem die Finanzverwaltung zu den neuen gesetzlichen Vorschriften Stellung genommen und damit weitere praxis-
8.10
1 2 3 4 5
6
„Verrechnungspreisdokumentation“ als Oberbegriff für die bei konzerninternen grenzüberschreitenden Lieferungen und Leistungen zu erstellenden Aufzeichnungen zu verwenden. Vgl. IDW, FN-IDW 2006, B4. Unter „Aufzeichnungen“ in dem hier verwendeten Sinne sind schriftlich festgehaltene Informationen zu einem Sachverhalt zu verstehen. Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; v. 10.5. 2001 – I S 3/01, FR 2001, 694 = DB 2001, 1180. Vgl. § 22 EGAO. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.3. Vgl. GAufzV v. 13.11.2003, BGBl. I 2003, 2296. Vgl. Pieroth in Jarass/Pieroth12, Art. 80 GG Rz. 20; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht21, § 5 Rz. 8 ff. Die Wirksamkeit einer Rechtsverordnung ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Sie bedarf zunächst einer Ermächtigungsgrundlage in einem im regulären Gesetzgebungsverfahren verabschiedeten Bundesgesetz (vgl. Art. 80 Abs. 2 Satz 1 GG). Ferner dürfen sich die Inhalte und Regelungen der Rechtsverordnung nur innerhalb eines Ermächtigungsrahmens bewegen, der in dem zugrunde liegenden Bundesgesetz bestimmt werden muss (vgl. Art. 80 Abs. 2 Satz 2 GG). Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
relevante Regelungen geschaffen hat. Im Gegensatz zu § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV haben die VWG-Verfahren allerdings keine Gesetzeskraft. Die VWG-Verfahren sind lediglich als Rechtsauslegung der gesetzlichen Vorschriften durch die Finanzverwaltung anzusehen und daher nur für die Finanzverwaltung verbindlich.1 Die FG sind hingegen nur an die gesetzlichen Vorschriften bzw. die Rechtsverordnung gebunden, so dass die FG die Aufzeichnungspflichten und Sanktionsvorschriften auch abweichend von den VWG-Verfahren auslegen können. Andererseits impliziert dies, dass der Steuerpflichtige vor Gericht keinen Anspruch auf Anwendung der VWG-Verfahren einklagen kann.2 2. Abstrakte inhaltliche Anforderungen und Beweislastverteilung
8.11
Abstrakter Inhalt der Aufzeichnungspflicht. § 90 Abs. 3 Satz 1 AO sieht vor, dass Steuerpflichtige bei Sachverhalten mit Auslandsbezug Aufzeichnungen über Art und Inhalt ihrer Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen3 im Ausland zu erstellen haben. Nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AO schließt dies auch Aufzeichnungen zu den wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen ein, die für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen mit den nahe stehenden Unternehmen im Ausland maßgeblich sind. Diese Grundsätze werden in § 1 GAufzV wiederholt bzw. präzisiert und können entsprechend der Unterteilung in § 1 Abs. 1 Satz 1 GAufzV grob in zwei Teilbereiche unterschieden werden. Hiernach muss aus den Aufzeichnungen ersichtlich sein, – welchen Sachverhalt der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen verwirklicht hat (sog. Sachverhaltsdokumentation; § 90 Abs. 3 Satz 1 AO und § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 GAufzV) und – ob und inwieweit er bei diesen Geschäftsbeziehungen Preise zugrunde gelegt hat, welche die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes erkennen lassen (sog. Angemessenheitsdokumentation; § 90 Abs. 3 Satz 2 AO und § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GAufzV). Aus den abstrakten Formulierungen wird deutlich, dass sich Inhalt und Umfang der Aufzeichnungen im praktischen Anwendungsfall nicht allgemein festlegen lassen. Daher sieht § 2 Abs. 2 Satz 1 GAufzV vor, dass zur Bestimmung des Inhalts und Umfangs der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO die Umstände des Einzelfalls und vor allem die angewandte Verrechnungspreismethode4 maßgebend sind. Die GAufzV gibt mithin ei1 Vgl. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht21, § 5 Rz. 28 und Rz. 33. 2 Vgl. Hey, DStR 2004, 1903. 3 Hinsichtlich des Begriffs der nahe stehenden Personen wird in § 90 Abs. 3 Satz 1 AO direkt auf § 1 Abs. 2 AStG verwiesen. 4 Durch § 2 Abs. 2 Satz 3 GAufzV wird dabei sichergestellt, dass der Steuerpflichtige nur die zur Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode erforderlichen Angaben aufzeichnen muss. Dies ist im Idealfall die Methode, anhand derer auch tatsächlich die Verrechnungspreise ermittelt wurden.
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu int. Verrechnungspreisen
nen Rahmen vor, innerhalb dessen sich die im konkreten Einzelfall zu erstellenden Aufzeichnungen bewegen. Sichergestellt sein muss, dass ein sachverständiger Dritter in angemessener Zeit die vom Steuerpflichtigen bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Unternehmen verwirklichten Sachverhalte erkennen und die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes beurteilen kann.1 Sachverhaltsdokumentation. Zur Dokumentation des Sachverhalts wiederholt § 1 Abs. 2 GAufzV im Wesentlichen die Formulierungen aus § 90 Abs. 3 Satz 1 AO. Es sind Aufzeichnungen zu Art, Umfang und Abwicklung sowie zu den wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Unternehmen im Ausland erforderlich. Dies sind z.B. Informationen darüber, welche Erzeugnisse welcher Beschaffenheit geliefert wurden, bzw. was Gegenstand einer Dienstleistung war und welche konkreten Leistungen in ihrem Rahmen erbracht wurden. Einige wesentliche Inhalte der Sachverhaltsdokumentation ergeben sich aus der Aufzählung in § 4 GAufzV.
8.12
Angemessenheitsdokumentation. Zu der in § 90 Abs. 3 Satz 2 AO und in § 1 Abs. 1 Satz 1 GAufzV eingegangenen Angemessenheitsdokumentation sieht § 1 Abs. 1 Satz 2 AO GAufzV vor, dass die Aufzeichnungen das „ernsthafte Bemühen“ des Steuerpflichtigen erkennen lassen müssen, seine Geschäftsbeziehung zu nahe stehenden Unternehmen im Ausland fremdvergleichskonform zu gestalten. Daneben gibt § 1 Abs. 3 GAufzV verschiedene Informationen vor, die aufgezeichnet werden müssen, soweit sie nach den Umständen des einzelnen Falls und insbesondere zur Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode erforderlich sind. Ferner hat der Steuerpflichtige im Rahmen dieser Angemessenheitsdokumentation zu begründen, dass die von ihm angewandten Verrechnungspreismethoden bei seinen Leistungsbeziehungen geeignet sind (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV).
8.13
Beweislast. Nach der Gesetzesbegründung soll mit den Aufzeichnungspflichten und insbesondere den darin enthaltenen Angemessenheitsdokumentationen keine Umkehr der Beweislast dahingehend erfolgen, dass der Steuerpflichtige künftig die Angemessenheit seiner Verrechnungspreise nachweisen muss. Die Beweislast für eine etwaige Unangemessenheit soll nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Finanzverwaltung verbleiben.2
8.14
Mindestanforderungen. Die gesetzlichen Aufzeichnungspflichten bei Geschäftsbeziehungen zu Gruppenunternehmen im Ausland müssen vom Unternehmen als gegeben hingenommen werden. Eine Verletzung der
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1 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWGVerfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. a. 2 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 2; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 2.1 und Tz. 4.2; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten – Ableitung einer rechtsformneutralen Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes im internationalen Steuerrecht, 361.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Aufzeichnungspflichten kann nach § 162 Abs. 3 und 4 AO erhebliche und nur schwer kalkulierbare finanzielle Zusatzbelastungen nach sich ziehen (zu den Rechtsfolgen einer Verletzung der Aufzeichnungspflichten vgl. Rz. 8.169 ff.), was im Rahmen eines modernen unternehmerischen Risikomanagements nicht zu verantworten ist.1 Ein Wahlrecht, Aufzeichnungen zu erstellen oder nicht, besteht daher nicht. Im Rahmen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit liegt es aber, in welcher Form die Aufzeichnungen ausgestaltet werden. Hier besteht zum einen die Möglichkeit, mit minimalem personellem und organisatorischem Aufwand die erforderlichen Aufzeichnungen in einem Mindestmaß zu erfüllen, mit dem den gesetzlichen Anforderungen gerade noch entsprochen wird.2 Da aber Verrechnungspreiskorrekturen durch die Finanzverwaltung auch bei erfüllten Aufzeichnungspflichten möglich sind,3 ist zum anderen zu überlegen, ob und in welchen Fällen die Aufzeichnungen über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehend ausgestaltet werden können, um das Risiko von Verrechnungspreiskorrekturen zu reduzieren.4 Die gesetzlichen Mindestanforderungen werden erfüllt, wenn die Aufzeichnungen „im Wesentlichen verwertbar“ sind (vgl. im Einzelnen Rz. 8.173 ff.).5 Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus den Sanktionsvorschriften in § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO, die bei „im Wesentlichen unverwertbaren“ Aufzeichnungen Anwendung finden. „Im Wesentlichen verwertbar“ sind Aufzeichnungen, wenn sie einem sachverständigen Dritten in angemessener Zeit die Prüfung ermöglichen, welche Sachverhalte im Zusammenhang mit Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Unternehmen im Ausland verwirklicht wurden und ob und inwieweit dabei der 1 Vgl. Kremer, IntR 2003, 56; Schönenborn, DB 2013, 2869. 2 Vgl. Sieker in GS Trzaskalik, 138; Lenz/Fischer, BB 2004, 2043. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. a. 4 Dies kann z.B. sinnvoll sein, wenn im Rahmen einer internationalen Steuerplanung gezielt versucht wurde, bestehende Gestaltungs- oder Bewertungsspielräume bei Verrechnungspreisen zu nutzen oder wenn aus der Vergangenheit bekannt ist, dass bestimmte Liefer- und Leistungsbeziehungen einer intensiven Prüfung durch die Finanzverwaltung unterliegen. Gleiches gilt, wenn besondere Umstände eine Verrechnungspreisfestsetzung rechtfertigen, die normalerweise als unangemessen anzusehen ist. Auch hier ist zu empfehlen, Beweisvorsorge zu treffen, um späteren Beanstandungen der Finanzverwaltung entgegentreten zu können bzw. den bisherigen Verrechnungspreis durchzusetzen. Erhöhte Dokumentationsbemühungen brauchen sich dabei nicht auf das komplette Verrechnungspreissystem des Unternehmens bzw. auf alle Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen im Ausland zu erstrecken, sondern nur auf die Teilbereiche oder Geschäftsbeziehungen, für die Risiken gesehen werden. Eine solche Unterscheidung ist im Ansatz auch in der GAufzV enthalten. § 5 GAufzV sieht vor, dass der Steuerpflichtige, soweit er sich hinsichtlich seiner Verrechnungspreisfestsetzung auf besondere Umstände beruft, über die Grundanforderungen nach § 4 GAufzV hinausgehende Angaben zu den besonderen Umständen zu machen hat. Zum Inhalt von § 5 GAufzV vgl. Rz. 8.105. 5 Für die Beurteilung ist auf die einzelne Geschäftsbeziehung abzustellen.
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu int. Verrechnungspreisen
Grundsatz des Fremdvergleichs beachtet wurde (Rz. 8.174 ff.).1 Damit müssen die Aufzeichnungen die Informationen (soweit sie im Unternehmen oder der Unternehmensgruppe vorhanden sind) enthalten, die erforderlich sind, um nach den geltenden Regelungen (insb. nach den zulässigen Verrechnungspreismethoden) einen dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechenden Preis zu ermitteln.
II. Sachlicher Anwendungsbereich und mögliche Unvereinbarkeit mit den europäischen Grundfreiheiten Sachlicher Anwendungsbereich. Die Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO erstrecken sich sachlich auf Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen im Ausland. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von § 90 Abs. 3 Satz 1 AO.2 Nicht von der Aufzeichnungspflicht erfasst werden daher – Geschäftsbeziehungen zu „fremden“ Unternehmen im Ausland, – Geschäftsbeziehungen zu inländischen Unternehmen (einschließlich Konzernunternehmen) sowie – Rechtsverhältnisse mit nahe stehenden Personen (Unternehmen) im Ausland, die nicht als „Geschäftsbeziehung“ zu qualifizieren sind. Infolgedessen brauchen in diesen Fällen keine besonderen Aufzeichnungen erstellt werden. § 1 Abs. 1 Satz 3 GAufzV ergänzt insoweit noch, dass auch Geschäftsbeziehungen, die keinen Leistungsaustausch zum Gegenstand haben (z.B. Arbeitnehmerentsendungen, Umlagevereinbarungen), den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO unterliegen. Dies ist zwar nicht unumstritten.3 Gleichwohl kann für die Praxis nur empfohlen werden, auch in diesen Fällen Aufzeichnungen zu erstellen, um Konflikte mit der Finanzverwaltung zu vermeiden.
8.16
Mögliche Unvereinbarkeit mit den europäischen Grundfreiheiten. Nicht unter die Aufzeichnungspflicht fallen innerdeutsche Geschäftsbeziehungen zwischen inländischen Konzernunternehmen (s.o.). Damit werden grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen zu Konzernunternehmen im Ausland gegenüber innerdeutschen Geschäftsbeziehungen zu Konzernunternehmen benachteiligt. Dies wirft die Frage auf, ob die Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO und die damit verknüpften Sanktionsregelungen in § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO bei Geschäftsbeziehungen zwischen Konzernunternehmen in Europa mit den europarechtlich geschützten Prinzipien der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV, früher
8.17
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. a. 2 Vgl. Endres/Oestreicher, IStR 2003, Beihefter zu Heft 15, 6. 3 Vgl. Schnorberger, DB 2003, 1242; Hick, Die steuerliche Behandlung von Arbeitnehmerentsendungen ins Ausland, 114 f.; Frotscher in FS Wassermeyer, 397, hält die Einbeziehung für zutreffend. Er weist allerdings darauf hin, dass diese Regelung nicht in die GAufzV hätte aufgenommen werden sollen.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Art. 43 EGV) bzw. der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV, früher Art. 56 EGV) zu vereinbaren sind und ob ggf. Rechtfertigungsgründe (z.B. Notwendigkeit für die Steueraufsicht) für eine Benachteiligung grenzüberschreitender Geschäftsbeziehungen zu Konzernunternehmen bestehen. Für die Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO hat der BFH entschieden, dass ausreichende Rechtfertigungsgründe vorliegen und die Aufzeichnungspflicht folglich nicht gegen EU-Recht verstößt.1 Für die Zuschläge bei Verrechnungspreiskorrekturen wegen Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 162 Abs. 4 AO geht hingegen die h.M. davon aus, dass diese einer europarechtlichen Prüfung nicht standhalten würden.2 Abschließende Klarheit wird insoweit voraussichtlich nur eine Entscheidung dieser Fragen durch den EuGH oder den BFH bringen.3
III. Formale Bestimmungen 1. Formfreiheit
8.18
Formfreiheit. Regelungen über Formerfordernisse für die Aufzeichnungen sind in § 90 Abs. 3 AO nicht enthalten. Allerdings ergibt sich aus der Verwendung des Begriffs „Aufzeichnungen“, dass mündliche Auskünfte nicht ausreichend sind. So wird dem Steuerpflichtigen in § 2 Abs. 1 Satz 1 GAufzV das Wahlrecht eingeräumt, die Aufzeichnungen schriftlich oder elektronisch zu erstellen. Diese Aufzeichnungen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GAufzV in einer sachgerechten Ordnung zu führen. Ein sachverständiger Dritter muss in der Lage sein, in angemessener Zeit die vom Steuerpflichtigen bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Unternehmen verwirklichten Sachverhalte zu erkennen und die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu beurteilen.4 Eine spezielle Form vergleichbar einem Steuererklärungsformular oder einem Gliederungsschema für Bilanzen oder Gewinn- und Verlustrechnungen (vgl. § 266 1 Vgl. BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771; vgl. hierzu Andresen, ISR 2013, 347 ff. 2 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 578; Seer/Krumm, IWB F. 11 Gr. 2, 746. Hahn/Surbier-Hahn, IStR 2003, 86 f. 3 Den Unternehmen ist damit zu raten, zumindest gegen die Festsetzung von Zuschlägen nach § 162 Abs. 4 AO bei innereuropäischen Geschäftsbeziehungen zu Konzernunternehmen Rechtsmittel einzulegen und die Verfahren bis zu einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung offenzuhalten. 4 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 6, fordern einen expliziten Hinweis in der GAufzV, dass auch die Einbindung vorhandener Unterlagen bei den Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO zulässig ist. Dies ist jedoch entbehrlich, da Sinn und Zweck der Aufzeichnungsregelung von § 90 Abs. 3 AO, der Finanzverwaltung die zur Prüfung von Verrechnungspreisen notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen, uneingeschränkt auch durch den Verweis auf vorhandene Unterlagen erfüllt werden können. Ferner lassen sich weder § 90 Abs. 3 AO noch der GAufzV Hinweise entnehmen, dass die Verwendung oder der Verweis auf vorhandene Unterlagen nicht oder nur beschränkt möglich sein soll.
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu int. Verrechnungspreisen
bzw. § 275 HGB) ist für die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO nicht vorgeschrieben.1 Für den Steuerpflichtigen besteht daher die Möglichkeit zur freien Ausgestaltung, soweit eine sachgerechte Ordnung gewährleistet bleibt.2 2. Sprache Sprache. Für die Aufzeichnungen ist grds. die deutsche Sprache zu verwenden (§ 2 Abs. 5 Satz 1 GAufzV). Ausnahmen davon sind jedoch auf Antrag möglich (§ 2 Abs. 5 Satz 2 GAufzV).3 Entsprechenden Anträgen soll die Finanzverwaltung unter der Bedingung entsprechen, dass bei einer konkreten Prüfung von der Finanzverwaltung angeforderte Übersetzungen kurzfristig, spätestens jedoch innerhalb von 60 Tagen, vorgelegt werden.4
8.19
3. Verfahren zur Anforderung der Aufzeichnungen durch die Finanzverwaltung und zeitliche Bestimmungen zur Vorlage Vorlagefrist. Regelungen zur Vorlage der Aufzeichnungen bei der Finanzverwaltung einschließlich entsprechender Fristen sind in § 90 Abs. 3 Satz 6 ff. AO und § 2 Abs. 6 GAufzV kodifiziert. Zunächst ist dazu festzuhalten, dass die Finanzverwaltung die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO gemäß Satz 6 der Vorschrift i.d.R. nur im Rahmen einer Außenprüfung anfordern soll. Dies wird in § 2 Abs. 6 Satz 1 GAufzV wiederholt. Ein konkreter Vorlagezeitpunkt für die Aufzeichnungen (ähnlich dem Abgabetermin für eine Steuererklärung) ist nicht vorgesehen. Nach § 90 Abs. 3 Satz 8 AO richtet sich der Vorlagezeitpunkt nach der Anforderung der Aufzeichnungen durch die Finanzverwaltung. Mit der Anforderung beginnt eine Frist von 60 Tagen, innerhalb derer der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen einzureichen hat.5 Dabei ist davon auszugehen, dass die Anforderung i.d.R. mit der Prüfungsanordnung6 für die Außenprüfung erfolgt, so dass dem Prüfer zu Beginn der Außenprüfung die Aufzeichnungen zur Verfügung stehen.7 Dementsprechend sieht § 2 Abs. 6 1 2 3 4
Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 158. Vgl. IDW, Beiheft zu FN-IDW 4/2006, B4. Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 8. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.16. 5 Für Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen beträgt die Vorlagefrist nach § 90 Abs. 3 Satz 9 AO n.F. 30 Tage. Die Vorschrift wurde mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 eingeführt und gilt seit dessen Verkündung am 18.8.2007. Vgl. Unternehmensteuerreformgesetz 2008, Art. 14 Abs. 1. Die Frist von 60 bzw. 30 Tagen kann nach § 90 Abs. 3 Satz 9 AO a.F. bzw. nach § 90 Abs. 3 Satz 10 AO n.F. in begründeten Ausnahmefällen verlängert werden. Dabei ist allerdings zu vermuten, dass die Finanzverwaltung die Ausnahmeregelung eng auslegen und ihre Anwendung auf seltene Ausnahmefälle beschränken wird. Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 560. 6 Vgl. § 196 und § 197 AO. 7 Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 9.
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8.20
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Satz 4 GAufzV auch die Möglichkeit vor, dass die Anforderung zusammen mit der Prüfungsanordnung ergehen kann.
8.21
Anforderung von Aufzeichnungen für die einzelne Geschäftsbeziehung. Nach § 2 Abs. 6 Satz 2 und 3 GAufzV soll die Finanzverwaltung bei Anforderung der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO jeweils die Geschäftsbereiche und Geschäftsbeziehungen, auf die sich die Prüfung erstrecken soll, sowie Art und Umfang der vorzulegenden Aufzeichnungen angeben. Grundlage hierfür ist, dass die Vorlagepflicht sich nicht auf eine Verrechnungspreisdokumentation als Ganzes, sondern auf einzelne Teilbereiche in Form der einzelnen Geschäftsbeziehungen bezieht.1 Die Maßgeblichkeit der einzelnen Geschäftsbeziehung lässt sich aus der gesetzlichen Formulierung in § 90 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO ableiten, wonach Aufzeichnungen zu den einzelnen zwischen den nahe stehenden Unternehmen bestehenden Geschäftsbeziehungen erforderlich sind. Bei verschiedenen Arten von Geschäftsbeziehungen (z.B. Lieferbeziehung, Dienstleistungsverträge, Darlehensverhältnisse usw.), ist daher die Aufzeichnungspflicht auf die einzelnen Geschäftsbeziehungen zu „zerlegen“. Sie muss für die einzelne Geschäftsbeziehung erfüllt werden.
8.22
Bedeutung für die Praxis. Für die Praxis hat die auf die einzelnen Geschäftsbeziehungen bezogene Regelung zur Anforderung von Aufzeichnungen folgende Auswirkungen: Wenn die Finanzverwaltung – wovon in der Praxis auszugehen ist2 – möglichst umfassende Informationen vom Steuerpflichtigen erhalten möchte, muss sie Aufzeichnungen zu allen Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Unternehmen anfordern. Hierbei wird sie aber nicht umhin kommen, diese Geschäftsbeziehungen einzeln zu benennen, um dem Gebot der inhaltlichen Konkretisierung nach § 2 Abs. 6 Satz 2 GAufzV zu genügen.3 Würde die Finanzverwaltung z.B. bloß die Vorlage der „Verrechnungspreisdokumentation für das Unternehmen“ verlangen, würde diese Anforderung mangels genauer inhaltlicher Bestimmung gegen § 2 Abs. 6 Satz 2 und 3 GAufzV verstoßen und wäre rechtswidrig bzw. unwirksam.4 Zutreffend wäre dagegen z.B. eine Anforderung der Aufzeichnungen zu Warenlieferungen des inländischen Konzernunternehmens A an die ausländischen Konzernvertriebsgesellschaften B und C.5 1 Eine andere Betrachtungsweise würde zwar zunächst zu keinen erkennbaren Abweichungen führen. Insbesondere bei Analyse möglicher Sanktionen wegen Verletzung von Aufzeichnungspflichten ergeben sich jedoch wesentliche Unterschiede, wenn von einer einheitlichen Aufzeichnungspflicht anstelle einer Aufzeichnungspflicht bezogen auf die einzelnen Geschäftsbeziehungen ausgegangen wird. Vgl. dazu im Detail Rz. 8.171. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 161. 3 Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 9; Fischer/Looks/im Schlaa, BB 2007, 919. 4 Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 9. 5 Schreiber, JbFSt 2005/2006, 626 f., geht davon aus, dass die Betriebsprüfung zunächst ein Organigramm und eine Übersicht über die Leistungsbeziehungen des zu prüfenden Unternehmens mit Konzernunternehmen im Ausland anfordert. Anhand dieser Unterlagen würde dann entschieden, für welche Geschäftsbeziehungen Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO angefordert würden.
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu int. Verrechnungspreisen
Nachholung, Änderung und Ergänzung der Anforderung. Die Anforderung kann nach § 2 Abs. 6 Satz 4 GAufzV jederzeit nachgeholt, geändert oder ergänzt werden. Damit wird gewährleistet, dass die Finanzverwaltung auch Aufzeichnungen zu Geschäftsbeziehungen anfordern kann, die ihr erst während der Außenprüfung bei dem Unternehmen bekannt werden. Eine Ergänzung oder Nachholung der Anforderung von Aufzeichnungen während einer Außenprüfung löst – für die damit nachträglich angeforderten Aufzeichnungen – eine eigene Frist von 60 Tagen aus. Dies ergibt sich aus der auf die einzelne Geschäftsbeziehung bezogenen Vorlageverpflichtung.
8.23
4. Zeitpunkt für die Erstellung der Aufzeichnungen Gewöhnliche Geschäftsvorfälle (Regelfall). Zum Zeitpunkt für die Erstellung der Aufzeichnungen sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Dies sind zum einen die Aufzeichnungen zu sog. „außergewöhnlichen“ Geschäftsvorfällen und zum anderen Aufzeichnungen für die Geschäftsvorfälle, die nicht in die vorgenannte Gruppe fallen und daher als „gewöhnliche“ Geschäftsvorfälle bezeichnet werden können. Für Aufzeichnungen zu gewöhnlichen Geschäftsvorfällen ist es ausreichend, wenn diese bis spätestens zu dem Tag erstellt werden, an dem sie der Finanzverwaltung nach § 90 Abs. 3 Satz 8 AO vorzulegen sind.1 Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus § 90 Abs. 3 Satz 3 AO, der nur für „außergewöhnliche“ Geschäftsvorfälle eine zeitnahe Erstellung vorsieht.
8.24
Außergewöhnliche Geschäftsvorfälle (Ausnahme). Demgegenüber sind außergewöhnliche Geschäftsvorfälle nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO zeitnah aufzuzeichnen. Hierzu bleibt im Gesetz unklar, – welche Geschäftsvorfälle als „außergewöhnlich“ zu qualifizieren sind und – wann Aufzeichnungen über außergewöhnliche Geschäftsvorfälle erstellt werden müssen, um als „zeitnah“ zu gelten. § 3 Abs. 1 GAufzV sieht zur Auslegung des Begriffs „zeitnah“ vor, dass Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen dann noch als „zeitnah“ erstellt gelten, wenn die Erstellung der Aufzeichnungen innerhalb von 6 Monaten nach Ablauf des Geschäftsjahres durchgeführt wurde, in dem sich der außergewöhnliche Geschäftsvorfall ereignete. Diese Regelung wurde aufgenommen, damit die Unternehmen entsprechende Aufzeichnungen im Rahmen der Jahresabschlussarbeiten für das betroffene Wirtschaftsjahr erstellen können.2
8.25
Definition der außergewöhnlichen Geschäftsvorfälle nach der GAufzV. Auf „außergewöhnliche“ Geschäftsvorfälle wird in § 3 Abs. 2 GAufzV eingegangen. Allerdings werden dort nur in Form einer beispielhaften,
8.26
1 Vgl. IDW, Beiheft zu FN-IDW 4/2006, B6; BT-Drucks. 15/481 v. 20.2.2003, 18. 2 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 11.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
nicht abschließenden Aufzählung fünf Fälle aufgeführt.1 Danach sollen „außergewöhnliche“ Geschäftsvorfälle bei – Abschluss oder Änderung langfristiger Verträge, wenn sich erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Einkünfte aus den Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Unternehmen ergeben, – Vermögensübertragungen im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen, – Übertragung und Überlassung von Wirtschaftsgütern und Vorteilen in Zusammenhang mit wesentlichen Funktions- und Risikoänderungen im Unternehmen,2 – Geschäftsvorfällen im Zusammenhang mit einer für die Verrechnungspreisbildung erheblichen Änderung der Geschäftsstrategie und bei – Abschluss von Umlageverträgen gegeben sein.3 Nach der Definition der Finanzverwaltung in den VWGVerfahren sind Geschäftsvorfälle außergewöhnlich, „wenn sie im Vergleich zum gewöhnlichen Tagesgeschäft bezüglich Art, Inhalt, Zweck, Umfang oder Risiko Ausnahmecharakter haben“.4 Ob es sich um außergewöhnliche Erträge oder Aufwendungen i.S.v. § 277 Abs. 4 HGB handelt, ist nach den VWG-Verfahren nicht von Bedeutung.5 Im Übrigen werden in den VWG-Verfahren nur die Beispiele der GAufzV wiederholt und teilweise etwas ausgeführt. 1 Nach der Begründung zur GAufzV ist eine allgemeine, abschließende Definition wegen der Vielzahl denkbarer Sachverhalte nicht möglich, vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 11. 2 Zur steuerlichen Behandlung grenzüberschreitender Funktionsverlagerung hat der Gesetzgeber mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 spezielle Regelungen in § 1 Abs. 3 Satz 9 ff. AStG geschaffen. 3 § 3 Abs. 2 GAufzV wurde mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 neu gefasst. Der Abschluss von Umlageverträgen wurde in diesem Zuge als „außergewöhnlicher Geschäftsvorfall“ aufgenommen. Wesentlicher ist allerdings, dass nach der bisherigen Definition der GAufzV außergewöhnliche Geschäftsvorfälle nur vorlagen, wenn sie sich erheblich auf die Höhe der Einkünfte aus den Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Unternehmen auswirkten. Dies bedeutete im Umkehrschluss, dass Maßnahmen der in § 3 Abs. 2 GAufzV aufgezählten Art, die nur zu geringfügigen Änderungen der Höhe der Einkünfte mit nahe stehenden Unternehmen führen, nicht als außergewöhnliche Geschäftsvorfälle anzusehen waren. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.2. Hier wurde insoweit eine Änderung vorgenommen, als sich die Einschränkung auf wesentliche Auswirkungen auf die Höhe der Einkünfte aus gruppeninternen Geschäftsbeziehungen nunmehr nur noch auf den Abschluss- und die Änderung langfristiger Verträge bezieht. Vgl. BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 89; Klapdor, StuW 2008, 90. Dies stellt eine wesentliche Verschärfung dar, da nunmehr die übrigen in § 3 Abs. 2 GAufzV aufgeführten Sachverhalte unabhängig von der Höhe ihrer steuerlichen Auswirkung stets als außergewöhnliche Geschäftsvorfälle zu qualifizieren sind. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.2. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.2.
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu int. Verrechnungspreisen
Dokumentation des Verpflichtungs- oder des Verfügungsgeschäftes. Eine Besonderheit des deutschen Rechts besteht darin, dass zwischen dem Verpflichtungsgeschäft (z.B. Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB) und den Verfügungsgeschäften (z.B. Übereignung eines Wirtschaftsgutes gemäß § 929 BGB) unterschieden wird. Die Zeitpunkte beider Geschäfte können deutlich auseinanderfallen, insbesondere können sie in unterschiedlichen Wirtschaftsjahren (z.B. Abschluss des Kaufvertrags im Dezember und Übereignung und Kaufpreiszahlung im Januar) liegen. Insofern ist für die Aufzeichnungspflichten – insbesondere für außergewöhnliche Geschäftsvorfälle – zu klären, ob auf das Verpflichtungs- oder das Verfügungsgeschäft abzustellen ist. Maßgeblich ist nach der hier vertretenen Auffassung allein das Verfügungsgeschäft. Denn die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO müssen den Sachverhalt darstellen, den der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen im Ausland verwirklicht hat. Das deutsche Ertragsteuerrecht ist dadurch gekennzeichnet, dass es auf die Verfügungsgeschäfte, konkret für den Zeitpunkt der Verwirklichung eines Realisationstatbestands auf den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums abstellt. Dem ist für Zwecke der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO zu folgen. Für die zeitliche Zuordnung kommt es auf die Realisation bzw. Leistungserbringung an. Schwebende Geschäfte sind nicht aufzeichnungspflichtig. Es ist auch nicht ersichtlich, warum für „außergewöhnliche Geschäftsvorfälle“ etwas anderes gelten sollte. Gleichwohl zählt § 3 Abs. 2 GAufzV auch die Fälle des Abschusses und der Änderung langfristiger Verträge (mit erheblichen Auswirkungen auf die Höhe der Einkünfte) sowie den Abschluss von Umlageverträgen auf. Mithin soll wohl eine Verpflichtung zur Dokumentation des Verpflichtungsgeschäftes intendiert sein. Sofern sich der Abschluss des Verpflichtungsgeschäftes jedoch erst in Verfügungsgeschäften des folgenden Wirtschaftsjahres niederschlagen sollte, ist es u.E. ausreichend, dass im Rahmen der zeitnahen Dokumentationspflicht allenfalls der Abschluss des Vertrages benannt wird und erst in die Aufzeichnungen für das oder die Folgejahre die wirtschaftlichen Auswirkungen – d.h. das Ergebnis des Verfügungsgeschäftes – aufgenommen werden.
8.27
Kritik und Praxishinweis. Trotz der „Konkretisierung“ der gesetzlichen Regelung (§ 90 Abs. 3 Satz 3 AO) in § 3 Abs. 2 GAufzV sowie den VWGVerfahren lässt sich für den Rechtsanwender in der Praxis nicht hinreichend sicher beurteilen, wo die Grenze zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen verläuft.1 Dies begründet sich zum einen damit, dass keine abschließenden Aufzählungen verwendet werden, und zum anderen damit, dass auch in der GAufzV und den VWG-Verfahren wieder auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgegriffen wird. Letztlich hat die Kritik aber am Wortlaut von § 90 Abs. 3 Satz 3 AO anzusetzen, der nur eine Einzelfallbetrachtung zulässt und eine hinreichend klare Abgrenzung ausschließt. Die fehlende inhaltliche Präzisierung des Begriffs „außergewöhnliche Geschäftsvorfälle“ ist zu kritisieren, weil bei
8.28
1 Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 9.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
verspäteter Aufzeichnung außergewöhnlicher Geschäftsvorfälle Sanktionen nach § 162 Abs. 3 und 4 AO vorgesehen sind (zu den Auswirkungen der Sanktionen im Einzelnen vgl. Rz. 8.171 ff.).1 Letztlich wird man in der Praxis daher nicht umhinkommen, im Unternehmen alle Geschäftsvorfälle zeitnah zu dokumentieren, die möglicherweise zum Kreis der „außergewöhnlichen“ Geschäftsvorfälle gezählt werden können, um die Anwendung der Sanktionsvorschriften zu vermeiden.2 5. Aufzeichnungserleichterungen für kleinere Unternehmen
8.29
Größenabhängige Erleichterung. Für Unternehmen, die lediglich in geringem Umfang Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Unternehmen im Ausland unterhalten, sind in § 6 GAufzV bestimmte Erleichterungen bei den Aufzeichnungspflichten vorgesehen. Hintergrund ist, dass diese Unternehmen nicht mit unverhältnismäßigem Administrationsaufwand hinsichtlich der Erstellung von Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO belastet werden sollen. Ferner geht der Verordnungsgeber davon aus, dass bei vom Umfang her geringen Geschäftsbeziehungen keine komplexen, aufzeichnungsbedürftigen Sachverhalte vorliegen.3
8.30
Auswirkungen. Die Erleichterungen für die in den Anwendungsbereich fallenden Unternehmen bestehen nach § 6 Abs. 1 GAufzV darin, dass diese Unternehmen keine speziellen Aufzeichnungen erstellen müssen, sondern dass die Vorlage vorhandener Unterlagen und die Erteilung von Auskünften genügen. Damit entfällt auch die Pflicht zur zeitnahen Aufzeichnung außergewöhnlicher Geschäftsvorfälle.4 Die erteilten Auskünfte müssen (sowohl bei gewöhnlichen als auch bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen) allerdings den Anforderungen von § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV genügen. D.h. sie müssen das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen erkennen lassen, bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise zu vereinbaren (zur eingehenden Kritik an dem Nachweis „ernsthaften Bemühens“ vgl. Rz. 8.118). Außerdem müssen Auskünfte auf Fragen der Betriebsprüfer innerhalb von 60 Tagen erteilt bzw. angeforderte vorhandene Unterlagen innerhalb dieser Frist vorgelegt werden. Damit soll vermieden werden, dass das Unternehmen den Ablauf der Prüfung bewusst verzögern kann, indem Auskünfte verspätet erteilt und Unterlagen verspätet vorgelegt werden.
8.31
Größenkriterien. Ein Unternehmen fällt als „kleineres Unternehmen“ in den Anwendungsbereich der Aufzeichnungserleichterungen nach § 6 Abs. 1 GAufzV, wenn im laufenden Wirtschaftsjahr 1 2 3 4
Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 161. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 161. Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 14 f. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.17; BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 15.
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu int. Verrechnungspreisen
– die Summe der Entgelte aus Lieferungen von Gütern und Waren mit nahe stehenden Unternehmen 5 Mio. Euro und – die Summe der Entgelte für andere Leistungen (z.B. Dienstleistungen, Lizenzen) 500 000 Euro nicht übersteigen.1 Maßgeblich dafür, ob für ein Wirtschaftsjahr die Aufzeichnungserleichterungen angewendet werden können, sind nach § 6 Abs. 2 Satz 2 GAufzV jeweils die Verhältnisse des vorangegangenen Wirtschaftsjahres. Wurden im vorangegangenen Wirtschaftsjahr die Grenzbeträge nicht überschritten, finden die Aufzeichnungserleichterungen im aktuellen Wirtschaftsjahr Anwendung. Andernfalls (d.h. die Grenzbeträge wurden im vorangegangenen Wirtschaftsjahr überschritten) gelten nach § 6 Abs. 2 Satz 3 GAufzV im aktuellen Wirtschaftsjahr wieder die allgemeinen Aufzeichnungspflichten. Für die Prüfung der Betragsgrenzen sind gem. § 6 Abs. 3 GAufzV zusammengehörende Unternehmen2 sowie inländische Betriebsstätten verbundener Unternehmen als Gesamtheit zu betrachten. Hiermit soll vermieden werden, dass Umsätze „künstlich“ auf verschiedene inländische Konzerngesellschaften verteilt werden, um so jeweils in den Anwendungsbereich der Aufzeichnungserleichterungen zu gelangen.3 Sanktionsregelungen. Zur Anwendung der Sanktionsregelungen nach § 162 AO ergeben sich aus § 6 GAufzV keine besonderen Anwendungsregelungen für kleinere Unternehmen. Soweit der Steuerpflichtige den erleichterten Auskunfts- und Vorlagepflichten nach § 6 Abs. 1 GAufzV nicht oder nur verspätet nachkommt, greifen die allgemeinen Sanktionsvorschriften nach § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO.4
1 Vgl. Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 35. Offen bleibt, ob für die Prüfung dieser Grenzen tatsächlich vereinbarte oder fremdübliche Entgelte maßgeblich sind. Vor dem Hintergrund, dass für eine praktikable Anwendung der Erleichterungsregelungen eine schnelle und einfache Möglichkeit zur Prüfung der Grenzen (durch Vergleich mit Zahlen aus dem Rechnungswesen) erforderlich ist, ist auf die tatsächlich vereinbarten Entgelte abzustellen. Zwar treten möglicherweise Fälle auf, in denen ein Unternehmen bei Maßgeblichkeit der fremdüblichen Entgelte die Grenzen für eine Anwendung der Erleichterungen überschreiten würde, während diese mit den tatsächlich vereinbarten Entgelten noch eingehalten werden. Dies ist jedoch akzeptabel, da im Ergebnis auch ein unter § 6 GAufzV fallendes Unternehmen alle für die Verrechnungspreisprüfung erforderlichen Auskünfte erteilen muss und sich die Prüfungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung daher nicht wesentlich verschlechtern. 2 § 6 Abs. 3 GAufzV stellt zur Definition zusammengehöriger Unternehmen auf die §§ 13, 18 und 19 BpO ab. Konzerne i.S.v. § 18 AktG werden in § 13 BpO erfasst. §§ 18 und 19 BpO enthalten Regelungen zu sonstigen zusammenhängenden Unternehmen. Damit hat in aller Regel eine Zusammenrechnung sämtlicher Gesellschaften oder Unternehmen einer Gruppe in Deutschland zu erfolgen. 3 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 15. 4 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 15.
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8.32
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
6. Anwendung der Aufzeichnungspflichten bei Betriebsstätten und Personengesellschaften
8.33
Betriebsstätten und Personengesellschaften. Da sich die Gewinnaufteilung bei Betriebsstätten auf Grund deren rechtlicher Unselbständigkeit systematisch von der Einkünfteabgrenzung zwischen verbundenen, aber rechtlich selbständigen Kapitalgesellschaften unterscheidet, lassen sich die auf die Einkunftsabgrenzung zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften zugeschnittenen Aufzeichnungsvorschriften in § 90 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AO sowie in der GAufzV teilweise nicht direkt auf die Gewinnaufteilung zwischen Betriebsstätten anwenden. Gleichwohl hat der Gesetzgeber den Bedarf gesehen, auch die Gewinnaufteilung bei Betriebsstätten den Aufzeichnungspflichten zu unterwerfen. Infolgedessen wurde in § 90 Abs. 3 Satz 4 AO geregelt, dass die Aufzeichnungspflichten analog auch für die Aufteilung der Einkünfte im Fall von in- und ausländischen Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.20131 gelten. § 7 Nr. 1 bzw. Nr. 2 GAufzV i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013 konkretisieren dies dahingehend, dass von Steuerpflichtigen bei Betriebsstätten entsprechende Aufzeichnungen zu den Sachverhalten zu erstellen sind, die relevant für die Aufteilung von Einkünften zwischen inländischen Unternehmen und deren ausländischen Betriebsstätten bzw. zwischen ausländischen Unternehmen und deren inländischen Betriebsstätten sind. Nach § 7 Nr. 3 GAufzV i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013 erstreckt sich die Aufzeichnungspflicht ferner auf die Gewinnermittlung von Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften, die nach § 1 Satz 2 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013 als Steuerpflichtige anzusehen sind. Von dieser Verpflichtung sind insbesondere Fälle betroffen, in denen eine im Ausland ansässige Kapitalgesellschaft mit einer inländischen Tochterpersonengesellschaft Liefer- und Leistungsbeziehungen unterhält oder umgekehrt. 7. Transaktionsbezogene Betrachtung und Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen a) Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei der materiellen Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen („Palettenbetrachtung“)
8.34
Transaktionsorientierte Betrachtung. Bei Festlegung, Prüfung und Dokumentation von Verrechnungspreisen wird sowohl national2 als auch international3 grundsätzlich auf den einzelnen verwirklichten Geschäftsvorfall abgestellt (sog. transaktionsorientierte Betrachtung). In der Praxis treten 1 BGBl. I 2013, 1809. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.2; § 2 Abs. 3 Satz 1 GAufzV; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.13; Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 32. 3 Vgl. Tz. 3.9 OECD-Leitlinien 2010; Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 521.
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu int. Verrechnungspreisen
dabei häufig Situationen ein, in denen bei miteinander in Zusammenhang stehenden Geschäften das vereinbarte Entgelt für ein Geschäft – isoliert gesehen – zu niedrig und für andere Geschäfte – isoliert gesehen – überhöht erscheint. Während eine globale Gewinnbetrachtung (vgl. Rz. 5.136) bzw. eine direkte Kompensation1 oder eine Saldierung der überhöhten und verbilligten Leistungsverrechnung nicht oder nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist, kann sich die Angemessenheit der getroffenen Preisvereinbarungen in solchen Fällen häufig aus der sog. „Palettenbetrachtung“ ergeben (zur Zulässigkeit eines Vorteilsausgleichs vgl. Rz. 3.161 ff.). Palettenbetrachtung. Der Begriff der Palettenbetrachtung entstammt der Praxis der Verrechnungspreisprüfung.2 Man versteht hierunter eine zusammengefasste Betrachtung verschiedener Geschäftsvorfälle mit dem Zweck, bei Prüfung der Angemessenheit des vereinbarten Preises für den einzelnen Geschäftsvorfall die Geschäftsvorfälle mit den anderen Produkten der Produktpalette zu berücksichtigen. Die Möglichkeit zur Palettenbetrachtung ist auf Geschäftsvorfälle mit Produkten beschränkt, die von ihrer Art her ein geschlossenes Ganzes bilden, z.B. bei verschiedenen Artikeln eines Produkts (z.B. Nägel in verschiedenen Größen) oder Produkten einer Produktgruppe (z.B. verschiedene Pkw eines Herstellers).3 Die Zulässigkeit der Anwendung der Palettenbetrachtung ergibt sich aus dem Fremdvergleichsgrundsatz.4
8.35
b) Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO gem. § 2 Abs. 3 GAufzV Geschäftsvorfallbezogene Aufzeichnungspflicht als Grundsatz. Entsprechend dem für Verrechnungspreise allgemein geltenden Grundsatz der Transaktionsbezogenheit sind nach § 2 Abs. 3 Satz 1 GAufzV auch die in § 90 Abs. 3 AO vorgesehenen Aufzeichnungen zu Verrechnungspreissachverhalten transaktionsbezogen zu erstellen.5 Die GAufzV sieht in § 2 Abs. 3 Satz 2 ff. GAufzV unter bestimmten Voraussetzungen aber auch Möglichkeiten einer Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen zu Gruppen vor (Gruppenbildung). Auf das vorstehend erläuterte Konzept der „Palettenbetrachtung“ wird kein Bezug genommen, sondern es werden ei1 Unter engen Voraussetzungen ist nach BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3 ein sog. Vorteilsausgleich zulässig. 2 Vgl. Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141; Baumhoff, IStR 1994, 593. Eine explizite Regelung der deutschen Finanzverwaltung zur Palettenbetrachtung existiert nicht. 3 Vgl. Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141; Kroppen/Rasch, IWB F. 5, 355 ff.; Tz. 3.9 OECD-Leitlinien 2010, wo als Beispiel für eine mögliche Palettenbetrachtung Produkte eines Sortiments angegeben werden („productline“). 4 Zur weiteren Erläuterung vgl. z.B. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 59. 5 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 9.
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8.36
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
gene Anforderungen definiert (s.u.). Gleichwohl besteht in der Sache eine weitgehende Parallelität. Bei Anwendung der Zusammenfassungsregelung nach § 2 Abs. 3 Satz 2 ff. GAufzV sind die Aufzeichnungen dann für die Gruppe als Ganzes zu erstellen und treten an die Stelle der normalerweise transaktionsbezogenen Einzelaufzeichnungen.
8.37
Voraussetzungen für eine Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen. Geschäftsvorfälle können nach § 2 Abs. 3 Satz 2 GAufzV für Zwecke der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO zusammengefasst werden, wenn – die Geschäftsvorfälle gemessen an Funktionen und Risiken wirtschaftlich vergleichbar sind, – sie gleichwertig oder gleichartig sind oder eine Zusammenfassung auch bei Geschäften zwischen fremden Dritten üblich ist und – die Zusammenfassung nach vorher festgelegten und nachvollziehbaren Regeln erfolgt. Nach § 2 Abs. 3 Satz 3 GAufzV ist eine Zusammenfassung ferner möglich, wenn die Geschäftsvorfälle ursächlich zusammenhängen oder es sich um Teilleistungen im Rahmen eines Gesamtgeschäfts handelt. Dabei darf es für die Prüfung der Angemessenheit aber weniger auf den einzelnen Geschäftsvorfall, sondern mehr auf die Beurteilung des Gesamtgeschäfts ankommen. Für beide Fälle gilt nach § 2 Abs. 3 Satz 4 GAufzV, dass die Regelungen für die Gruppenbildung sowie die Abwicklung von zur Gruppe gehörenden Geschäftsvorfällen im Rahmen der Aufzeichnungen darzustellen sind. Sind die Voraussetzungen erfüllt, können als Rechtsfolge die Aufzeichnungen für die Gruppe als Ganzes erstellt werden. Einzelaufzeichnungen zu den Transaktionen erübrigen sich damit. Ganz auf geschäftsvorfallbezogene Einzelaufzeichnungen verzichtet werden kann zudem nach § 2 Abs. 3 Satz 6 GAufzV, wenn in einer Unternehmensgruppe die Verrechnungspreisbestimmung durch innerbetriebliche Verrechnungspreisrichtlinien geregelt ist und die Richtlinien tatsächlich befolgt werden (vgl. Rz. 8.39).
8.38
„Technische“ Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen außerhalb der Regelungen der GAufzV. Eine Gruppenbetrachtung anstelle geschäftsvorfallbezogener Einzelaufzeichnungen kann stets und ohne weitere Voraussetzungen vorgenommen werden, wenn mit einer Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei den Aufzeichnungen kein Verlust an für die Verrechnungspreisprüfung relevanten Informationen einhergeht. Für den Bereich der Sachverhaltsdokumentation kommt in erster Linie in Betracht, gleiche Geschäftsvorfälle zusammenzufassen, z.B. alle Lieferungen eines bestimmten Produkts in einem Wirtschaftsjahr an eine Konzernvertriebsgesellschaft, wenn sich die verschiedenen Lieferungen im Laufe des Wirtschaftsjahres im Hinblick auf Preis, Preisermittlung, Lieferbedingungen usw. nicht unterscheiden. Dann tritt mit der technischen Zusammenfassung kein Informationsverlust ein. Die Einzeltransaktionsdaten sind zudem im Zweifel aus den Buchhaltungsunterlagen zu rekonstruieren. Soweit für bestimmte Liefer- und Leistungsbeziehungen die An1052
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu int. Verrechnungspreisen
gaben zur Funktions- und Risikoanalyse (vgl. Rz. 8.65 ff.), zu eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern, zu den Marktverhältnissen usw. keine Unterschiede aufweisen, bestehen keine Bedenken, diese Angaben ebenfalls nur einmal stellvertretend für verschiedene Liefer- und Leistungsbeziehungen zu machen. Auch durch diese technische Vereinfachung tritt kein Informationsverlust ein. Im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation können ebenfalls Fallgruppen auftreten, in denen es materiell keinen Unterschied macht, ob die einzelnen Geschäftsvorfälle oder das Gesamtergebnis aus einer Vielzahl entsprechender Geschäftsvorfälle betrachtet werden.1 Zu nennen sind beispielsweise Geschäftsvorfälle, die nach der Kostenaufschlagsmethode unter Verwendung des gleichen gewinndeterminierenden Faktors (Gewinnaufschlag) abgerechnet werden und bei denen keine Unterschiede in den übernommenen Funktionen und Risiken bestehen (z.B. Produktion verschiedener Artikel im Auftragsverhältnis). Infolgedessen reicht es in diesen Fällen aus, die Informationen zur Angemessenheit einmal für die gesamte Gruppe von Geschäftsvorfällen zur Verfügung zu stellen. Verzicht auf transaktionsbezogene Einzelaufzeichnung bei Verwendung innerbetrieblicher Verrechnungspreisrichtlinien. Klare Vorgaben trifft § 2 Abs. 3 Satz 6 GAufzV hinsichtlich der Verwendung innerbetrieblicher Verrechnungspreisrichtlinien, die die Verrechnungspreisermittlung regeln. Bei deren tatsächlicher Verwendung2 kann nach der Vorschrift für die von der Richtlinie erfassten Geschäftsvorfälle auf Einzelaufzeichnungen verzichtet werden. Eine Definition des Begriffs „innerbetriebliche Verrechnungspreisrichtlinie“ wird in § 2 Abs. 3 Satz 6 GAufzV nicht vorgenommen. Diese klare Regelung in der GAufzV mit der Möglichkeit des weitgehenden Verzichts auf geschäftsvorfallbezogene Einzelaufzeichnungen ist zu begrüßen. Sie wird allerdings in den VWG-Verfahren wieder eingeschränkt. Dort ist vorgesehen, dass auch bei Anwendung der Richtlinie alle für die Verrechnungspreisdokumentationen erforderlichen Daten, d.h. also insbesondere die Informationen zur Sachverhaltsdokumentation, vorgehalten werden müssen.3 Diese Abweichung von der GAufzV ist abzulehnen. Für die Praxis dürften sich daraus aber keine nennenswerten 1 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland – Ertragsteuerliche Folgen, Strategien und Modelle, 97, der in Bezug auf Verrechnungspreissysteme darstellt, dass eine Zusammenfassung von Einzeltransaktionen zu homogenen Gruppen eine transaktionsbezogene Prüfung nicht beeinträchtigt. 2 Nach BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.13 hat das Unternehmen die Anwendung der Verrechnungspreisrichtlinie an vom ihm ausgewählten Beispielen darzustellen. Die Finanzverwaltung ist angewiesen, durch eigene Stichproben die Anwendung der Richtlinie zu überprüfen. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.13.
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8.39
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Probleme ergeben, da i.d.R. die entsprechenden Daten aus den Berechnungsunterlagen zur Durchführung der innerbetrieblichen Verrechnungspreisrichtlinie entnommen werden können. c) Konkrete Anwendung der Regelungen in § 2 Abs. 3 GAufzV
8.40
Zusammenfassung vergleichbarer Geschäftsvorfälle. Auf Basis der Erläuterungen im vorstehenden Abschnitt sind die speziellen Regelungen zur Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen im Wesentlichen für den Bereich der Angemessenheitsdokumentation und dort speziell bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode von Bedeutung.1
8.41
Vergleichbarkeit der Geschäftsvorfälle hinsichtlich ihrer Funktionen und Risiken. Die erste Voraussetzung für die Zusammenfassung ist, dass die Geschäftsvorfälle hinsichtlich ihrer Funktionen und Risiken vergleichbar sein müssen (zu Funktionen und Risiken im Einzelnen vgl. Rz. 8.66 ff.). Dies ist sachgerecht, da bereits die Übernahme unterschiedlicher Funktionen und Risiken i.d.R. die Notwendigkeit abweichender Preisvereinbarungen nach sich zieht.2 Bei Zusammenfassung unvergleichbarer Geschäftsvorfälle zu einer Gruppe würde ansonsten das Ergebnis verfälscht bzw. das Ergebnis wäre nicht mehr aussagekräftig. Auch fremde Dritte würden hier keine Zusammenfassung vornehmen.
8.42
Gleichwertigkeit oder Gleichartigkeit. Als weitere Anwendungsvoraussetzung führt die GAufzV an, dass die Geschäftsvorfälle gleichwertig oder gleichartig sein müssen oder eine Zusammenfassung auch bei Geschäften zwischen fremden Dritten üblich sein muss.3 Durch die Alternativ-Verknüpfung („oder“) ist es ausreichend, wenn eines dieser Merkmale gegeben ist. Die Begriffe „gleichwertig“ oder „gleichartig“ sind wenig trennscharf. Gleichwertig bedeutet nach allgemeinem Verständnis, dass der Wert, z.B. von verschiedenen Fertigprodukten, in einem bestimmten Rahmen liegt. Die Verwendung dieses Begriffes ist wenig zielführend.4 Unter gleichartigen Geschäftsvorfällen können Geschäftsvorfälle mit Produkten einer Warengruppe verstanden werden, z.B. Schrauben verschiedener Größen.5 1 So beziehen Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 32 ihre Ausführungen zur Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen lediglich auf die Angemessenheitsdokumentation. 2 Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 7 m.w.N.; Lenz/Fischer/Schmidt, BB 2005, 1256. 3 Zum Beispiel sehen Lenz/Fischer, BB 2004, 2045 die Lieferung von ComputerProzessoren eines Typs an Vertriebsgesellschaften als Fall an, bei dem eine Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen nach § 2 Abs. 3 Satz 2 GAufzV erfolgen kann; im Einzelnen werden die Tatbestandsmerkmale von § 2 Abs. 3 Satz 2 GAufzV aber nicht geprüft. 4 Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 63 f. 5 Vgl. Knop in von Küting/Weber5, § 240 HGB Rz. 75 m.w.N.
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu int. Verrechnungspreisen
Üblichkeit bei Geschäften zwischen fremden Dritten. Die größte praktische Bedeutung wird dem Tatbestandsmerkmal „auch bei Geschäften zwischen fremden Dritten üblich“ zukommen. Dieses Merkmal lässt sich einfacher konkretisieren als die beiden vorgenannten unbestimmten Rechtsbegriffe. Hier kann auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurückgegriffen werden. Außerdem können Vergleichsfälle angeführt werden, wenn z.B. – Produkte eines Herstellers neben der konzernzugehörigen Vertriebsgesellschaft auch von einer konzernunabhängigen Vertriebsgesellschaft vertrieben werden und der unabhängigen Vertriebsgesellschaft über eine Gruppe von Produkten eine einheitliche Vertriebsmarge gewährt wird (ähnlich einem internen Fremdvergleich) oder – Warenlieferungen eines anderen Herstellers (gleiches oder ähnliches Produktsortiment wie das zu beurteilende Unternehmen) an eine von ihm unabhängige Vertriebsgesellschaft unter Anwendung einer einheitlichen Marge (d.h. Gruppenbildung) abgerechnet werden (ähnlich einem externen Fremdvergleich) und zuverlässige Informationen hierüber vorliegen. In den beiden vorgenannten Fällen wäre dann die Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen zu Gruppen auch bei Warenlieferungen zwischen den verbundenen Unternehmen möglich. Der Gruppenumfang (d.h. Anzahl und Art der zusammengefassten Produkte) sollte dabei dem Gruppenumfang bei dem Vergleichsunternehmen entsprechen. Gleichwohl ist es nicht zwingend erforderlich, dass interne oder externe Vergleichsfälle angeführt werden. Ausreichend ist, wenn anhand ökonomisch sinnvoller Überlegungen hypothetisch dargelegt werden kann, dass auch fremde Dritte eine Zusammenfassung zu Gruppen vorgenommen hätten.
8.43
Vorher festgelegte und nachvollziehbaren Regeln. Voraussetzung für die Anwendung der Zusammenfassungsregelungen ist weiter, dass die Gruppenbildung nach vorher festgelegten und nachvollziehbaren Regeln erfolgt. Aus dieser Formulierung könnte geschlossen werden, dass zu Beginn des relevanten Wirtschaftsjahres, d.h. vor Verwirklichung der Geschäftsvorfälle, ein Dokument – ähnlich einer Verrechnungspreisrichtlinie – existieren muss, in dem der Gruppenumfang bestimmt wird. Eine solche Auslegung ist aber zu weitgehend. Es kommt auf die tatsächliche Handhabung an. Wird bei Bestimmung der Verrechnungspreise eine nachvollziehbare Gruppenbildung vorgenommen, so werden zwangsläufig im Voraus festgelegte Regelungen angewendet. Dies gilt auch dann, wenn die Vorgehensweise nirgendwo niedergeschrieben ist, aber konsequent praktiziert wird. Auch fremde Dritte würden zur Gruppenbildung keine eigenen schriftlichen Regelungen treffen, sondern einfach eine entsprechende Handhabung vornehmen. Die formale Verpflichtung zur Darstellung der Gruppenbildungskriterien und der Abwicklung der Geschäftsvorfälle in der Gruppe (§ 2 Abs. 3 Satz 4 GAufzV) ist daher nicht als Voraussetzung für die Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen aufzufassen, sondern
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
stellt allenfalls eine der Verwirklichung der Gruppenbildung nachgelagerte Aufzeichnungspflicht dar.
8.45
Zusammenfassung ursächlich zusammenhängender Geschäftsvorfälle. Die ergänzende Möglichkeit, ursächlich zusammenhängende Geschäftsvorfälle oder Teilleistungen eines Gesamtgeschäfts für die Angemessenheitsdokumentation zusammengefasst zu beurteilen (§ 2 Abs. 3 Satz 3 GAufzV), ist systematisch zutreffend. Auch in diesen Fällen lässt sich die Angemessenheit der Preisfestsetzungen (z.B. für eine Teilleistung) regelmäßig nur unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs beurteilen.1 d) Abgrenzung der Anwendungsbereiche der „Palettenbetrachtung“ und der Zusammenfassungsregelungen für die Aufzeichnungspflichten
8.46
Abgrenzung. Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass weitgehende Parallelen zwischen der Palettenbetrachtung als einer materiellen Regelung bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen und der Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen nach § 2 Abs. 3 Satz 2 ff. GAufzV als einer formalen Regelung bei den Aufzeichnungspflichten zu Verrechnungspreisen bestehen. In den Fällen, in denen Verrechnungspreise zutreffend unter Anwendung der Palettenbetrachtung für eine Gruppe von Produkten ermittelt wurden, ist für die Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei der Angemessenheitsdokumentation nicht anders zu verfahren. Ansonsten stünden fehlende Zusammenfassungsmöglichkeiten bei den Aufzeichnungen einem materiell zutreffenden Ergebnis entgegen. Folglich ist eine Zusammenfassung nach der GAufZV stets dann möglich, wenn bei materieller Bestimmung der Verrechnungspreise das Konzept der „Palettenbetrachtung“ angewendet wurde.2
C. Sachverhaltsdokumentation I. Überblick über die allgemein erforderlichen Aufzeichnungen zur Sachverhaltsdokumentation 8.47
Überblick. § 4 GAufzV bestimmt konkrete Aufzeichnungen, die der Steuerpflichtige nach Maßgabe der in §§ 1–3 GAufzV aufgeführten allgemeinen Grundsätze zu erstellen hat. Die Vorschrift zählt die nach Ansicht des Verordnungsgebers allgemein erforderlichen Angaben abschließend auf. Bei den in § 4 GAufzV aufgeführten Punkten handelt es sich im Wesentlichen um Informationen, anhand derer dargestellt werden soll, welchen Sachverhalt der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Geschäftsbeziehun1 Vgl. Tz. 3.9 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 67 ff.
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C. Sachverhaltsdokumentation
gen mit nahe stehenden Personen verwirklicht hat (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 und Abs. 2 GAufzV; Sachverhaltsdokumentation). Einzelne nach § 4 GAufzV erforderliche Angaben dienen allerdings auch der Beurteilung, ob und inwieweit der Steuerpflichtige bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 und Abs. 3 GAufzV). Sie sind daher der Angemessenheitsdokumentation zuzuordnen. Für besondere Fälle werden neben den in § 4 GAufzV aufgeführten Informationen ergänzende Aufzeichnungen gefordert. Dies ist in § 5 GAufzV näher geregelt. Soweit die ergänzenden Informationen nach § 5 GAufzV die Sachverhaltsdokumentation betreffen, sind diese Gegenstand von Rz. 8.105 ff. Die Angaben sowohl nach § 4 GAufzV als auch nach § 5 GAufzV sind – zu Recht – nur insoweit notwendig, als solche Angaben für die Prüfung der Verrechnungspreise bei Geschäftsbeziehungen zum Ausland von Bedeutung sind.1 Dies wiederum hängt vom Einzelfall ab.
II. Beteiligungsverhältnisse, Organisationsaufbau und Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe (§ 4 Nr. 1 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 4 Nr. 1 GAufzV Inhalt. Nach der Aufzählung in § 4 Nr. 1 GAufzV hat der Steuerpflichtige (also das einzelne Konzernunternehmen) in einem ersten Teil der Aufzeichnungen allgemeine Angaben zur Unternehmensgruppe und der Gruppenorganisation zu machen:2 Der Verordnungsgeber erwartet nach § 4 Nr. 1 Buchst. a GAufzV zunächst eine Darstellung der Beteiligungsverhältnisse zwischen dem Steuerpflichtigen (hier das betroffene Unternehmen) und den nahe stehenden Unternehmen, mit denen er Geschäftsbeziehungen (unmittelbar oder über Zwischenpersonen) unterhält. Dabei muss auch auf Veränderungen während des Prüfungszeitraums eingegangen werden. Zudem sind nach § 4 Nr. 1 Buchst. b GAufzV zu den nahe stehenden Unternehmen sonstige Umstände aufzuzeichnen, die ein Nahestehen in Fällen begründen können, in denen kein Beteiligungsverhältnis besteht. Ferner müssen nach § 4 Nr. 1 Buchst. c GAufzV die organisatorische und operative Konzernstruktur sowie deren Veränderungen beschrieben werden, d.h. es sind die Rechtsformen der Konzernunternehmen, deren regionale Betätigungsgebiete sowie die Aufgabenverteilung zwischen den Kon1 Dies ergibt sich aus § 4 Satz 1 GAufzV. Vgl. Frotscher in FS Wassermeyer, 401; Rupp in D/P/M, Anhang Internationale Gewinnabgrenzung, Rz. 336. Klarstellend auch BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 11. 2 Zwischen den einzelnen Punkten der Aufzählung ergeben sich – was im Folgenden deutlich wird – gewisse Überschneidungen. Dem kommt aber keine weitere Bedeutung zu, da an die Zuordnung zu den einzelnen Punkten keine unterschiedlichen Rechtsfolgen geknüpft sind.
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8.48
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
zernunternehmen anzugeben.1 Diese Verpflichtung erstreckt sich auch auf Betriebsstätten und Beteiligungen an Personengesellschaften. Abschließend zu den allgemeinen Unternehmensinformationen ist nach § 4 Nr. 1 Buchst. d GAufzV auf die Tätigkeitsbereiche (z.B. Dienstleistungen, Produktion, Vertrieb) des Unternehmens einzugehen. 2. Beteiligungsverhältnisse
8.49
Umfang der Angaben. Prüfungsbedarf für Preisvereinbarungen zwischen in- und ausländischen Unternehmen besteht i.d.R. nur bei einer gesellschaftsrechtlichen Verbindung zwischen den beteiligten Unternehmen. Andernfalls fänden die steuerlichen Einkünftekorrekturnormen (vgl. Kap. 2 keine Anwendung. Die Angaben zu den Beteiligungsverhältnissen (z.B. Beteiligungshöhe, Rechtsform der Gesellschaft) in der Unternehmensgruppe nach § 4 Nr. 1 Buchst. a GAufzV sind daher im Grundsatz erforderlich, wenn eine Verrechnungspreisprüfung durchgeführt werden soll.2 Die notwendigen Informationen zu den Beteiligungsverhältnissen beschränken sich aber auf die Angabe der ausländischen Unternehmen, – die nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 AStG nahe stehend sind (unmittelbare oder mittelbare Beteiligung von mindestens 25 %; beherrschender Einfluss; Schwestergesellschaften mit mindestens einer Person, die an beiden Unternehmen zu mindestens 25 % beteiligt ist) und – mit denen tatsächlich Geschäftsbeziehungen unterhalten werden. Für die Anforderung darüber hinausgehender Informationen durch die Finanzverwaltung besteht indes keine rechtliche Grundlage, da diese Angaben für die inländische Verrechnungspreisprüfung nicht relevant sind. Zudem sind sie für ein deutsches Tochterunternehmen eines ausländischen Konzerns unter Umständen nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand zu beschaffen.
8.50
Abgleich mit dem Ermächtigungsrahmen. Im Schrifttum wird zu Recht bezweifelt, ob die Regelung in § 4 Nr. 1 Buchst. a GAufzV dem in § 90 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AO gesetzten Rahmen entspricht. Denn die Frage, ob ein „Nahestehen“ gegeben ist, betrifft die Anwendungsvoraussetzungen von § 90 Abs. 3 AO und nicht Art oder Inhalt der aufzuzeichnenden Geschäftsbeziehung.3 Dem steht allerdings die anderslautende Auffassung der Finanzverwaltung gegenüber.4 Lehnt man die Anwendbarkeit von § 4 Nr. 1 Buchst. a GAufzV auf Grund fehlender Ermächtigung in § 90 Abs. 3 Satz 5 AO ab, wird eine Anfrage der Finanzverwaltung nach 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.2. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.2. 3 Vgl. Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 34; Wassermeyer, DB 2003, 1537. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.2.
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C. Sachverhaltsdokumentation
den Beteiligungsverhältnissen allerdings ihre Rechtsgrundlage in der allgemeinen Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 1 AO (Rz. 8.2) und vor allem der besonderen Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO (Rz. 8.4) finden. Keine Anwendung der Sanktionsvorschriften bei isoliertem Fehlen dieser Angaben. Klärungsbedürftig ist ferner, inwieweit fehlende Angaben zu den Beteiligungsverhältnissen zu einer im Wesentlichen unverwertbaren Dokumentation führen können. Hierzu sind zwei Fälle zu unterscheiden: Werden Aufzeichnungen zu Art und Umfang einer Geschäftsbeziehung zu einem Unternehmen im Ausland erstellt, lässt sich daraus implizit schließen, dass das inländische Unternehmen das ausländische Unternehmen als nahe stehendes Unternehmen behandelt. Selbst wenn diese Annahme falsch sein sollte, erwächst der Finanzverwaltung kein Nachteil, der zu sanktionieren wäre, da die Aufzeichnungen erstellt wurden. Anders verhält es sich, wenn zu Geschäftsbeziehungen zu einem nahe stehenden Unternehmen im Ausland keine Aufzeichnungen erstellt wurden. Eine Sanktionierung würde in diesem Fall aber nicht alleine auf dem Fehlen der Angaben zu dem Beteiligungsverhältnis basieren, sondern vielmehr darauf, dass die zur Prüfung der angemessenen Preisfestsetzung notwendigen Angaben (Art und Umfang der Leistung, Verteilung der Funktionen und Risiken) fehlen.
8.51
Ergebnis. Mithin reicht es aus, wenn z.B. in der nach § 4 Nr. 2 GAufzV zu erstellenden Übersicht die nahe stehenden Unternehmen angegeben werden, mit denen Geschäftsbeziehungen unterhalten werden. Eine Sanktionierung nach § 162 Abs. 3 AO wegen des isolierten Fehlens von Daten zu den Beteiligungsverhältnissen kommt nicht in Betracht. Da i.d.R. Organigramme mit Übersichten der Beteiligungsverhältnisse o.Ä. im Unternehmen vorhanden sind und ohne zusätzlichen Aufwand den Aufzeichnungen beigefügt werden können, ist – auch wenn nicht zwingend erforderlich – zu empfehlen, entsprechende Unterlagen einzubinden. Etwaigen Auseinandersetzungen mit der Betriebsprüfung über die Notwendigkeit der Einbeziehung von Angaben zu Beteiligungsverhältnissen kann damit vorgebeugt werden. Die Angabe der Beteiligungsverhältnisse kann in bestimmten Fällen allerdings auch sinnvoll sein. Zu nennen sind insbesondere Fälle mit Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen, zwischen denen keine 100%igen Beteiligungen bestehen und an denen auch fremde Gesellschafter nennenswert (möglicherweise auch zu mehr als 50 %) beteiligt sind. Zwar erstrecken sich die Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO auch auf diese Fälle. Jedoch kann hier die Angabe der niedrigen Beteiligungsquote ggf. bereits als Argument für die Angemessenheit der Preisfestsetzung eingesetzt werden. Denn es wird in solchen Fällen i.d.R. nicht davon auszugehen sein, dass der inländische Steuerpflichtige der Gesellschaft einen unberechtigten Vorteil zuwenden wird, da der „fremde“ Gesellschafter von der Vorteilszuwendung „profitieren“ würde.
8.52
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
3. Angaben zu nahe stehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG
8.53
Umfang der Angaben. Die Verpflichtung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b GAufzV, Umstände für eine Anwendung von § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG (sonstige Einflussmöglichkeiten auf eine Preisfestsetzung; eigenes Interesse an der Erzielung von Einkünften des anderen) aufzuzeichnen, ist zu weitgehend.1 Ist ein Steuerpflichtiger der Ansicht, dass er die Tatbestände von § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG in Bezug auf ein anderes Unternehmen erfüllt, wird er die Geschäftsbeziehungen zu diesem Unternehmen bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Unternehmen angeben. Eine weitere Erläuterung bringt keinen Informationsgewinn für die Verrechnungspreisprüfung. Für den Fall, dass zu Geschäftsbeziehungen mit dem entsprechenden nahe stehenden Unternehmen im Ausland keine Aufzeichnungen erstellt wurden, gelten die Ausführungen im vorstehenden Abschnitt entsprechend. 4. Organisationsaufbau
8.54
Umfang der Angaben. Angaben zum Organisationsaufbau sind nicht für die Beurteilung notwendig, ob eine Aufzeichnungspflicht besteht. Sie können allenfalls im Rahmen der Prüfung der von den Gruppenunternehmen übernommenen Funktionen und Risiken Bedeutung erlangen und zur Verprobung der Darstellungen bei der Funktions- und Risikoanalyse verwendet werden. Ähnliches gilt für Veränderungen in der operativen Struktur, die ggf. auf Funktionsverlagerungen hindeuten könnten, sowie für Angaben zur Konzernstruktur (Divisional, Funktional u.Ä.). Diese sind allenfalls dazu geeignet, dem Dokumentationsadressaten den Aufbau des Verrechnungspreissystems und der Aufzeichnungen verständlicher zu machen, da das Verrechnungspreissystem meist auf die spezielle Konzernstruktur ausgerichtet ist. Zwingend erforderlich sind entsprechende Angaben jedoch nicht.2 Insoweit kann ein isoliertes Fehlen der Angaben zum Organisationsaufbau – wenn ausreichende Angaben z.B. zur Funktions- und Risikoanalyse gemacht werden – auch nicht zur Unverwertbarkeit der Aufzeichnungen führen. Um Konflikte mit der Betriebsprüfung über diese Frage jedoch zu vermeiden, ist in der Praxis zu empfehlen, ein vorhandenes Organigramm mit der Konzernstruktur um jeweilige Tätigkeits- und Aufgabenbereiche der Konzernunternehmen zu ergänzen. Ein solches erweitertes Organigramm wird sich – soweit es nicht sogar bereits im Unternehmen vorhanden ist – im Regelfall mit vertretbarem Arbeitsaufwand erstellen lassen und ausreichen, um der Betriebsprüfung einen entsprechenden Überblick geben zu können. 1 A.A. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.2; Kaminski/Strunk, RIW 2003, 566, sehen in der Formulierung der Vorschrift die Gefahr, dass eine Umkehr der Beweislast für ein Nicht-Nahestehen zu Lasten des Steuerpflichtigen erfolgen könnte. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Tz. 823.20; Frotscher in FS Wassermeyer, 401.
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C. Sachverhaltsdokumentation
5. Beschreibung der Tätigkeitsbereiche des Steuerpflichtigen Umfang der Angaben. Für die Beschreibung der Tätigkeitsbereiche gelten im Wesentlichen die vorgenannten Ausführungen. Auch diese Informationen können vornehmlich bei der Funktions- und Risikoanalyse Eingang finden bzw. dazu dienen, die dortigen Angaben abzugleichen.1 Festzustellen ist auch insoweit, dass die Angaben für die Verwertbarkeit von Aufzeichnungen nicht notwendig sind. Ihr isoliertes Fehlen kann daher nicht zu einer Sanktionierung nach § 162 Abs. 3 AO führen. Gleichwohl ist zu empfehlen, kurze Angaben zu machen, um Auseinandersetzungen mit der Betriebsprüfung vorzubeugen. Dazu kann z.B. auf entsprechende Angaben im Lagebericht (§ 289 HGB) und im Prüfungsbericht (§ 321 HGB) verwiesen werden. Beide Dokumente sind bereits als Unterlage zur Steuererklärung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 EStDV beim Finanzamt einzureichen. Wurden aus anderen Gründen Unterlagen mit Informationen zum Unternehmen (z.B. Broschüren für Kunden, Internetauftritt, Informationsmaterial für neue Mitarbeiter oder Bewerber, Geschäftsberichte für die Gesellschafter) erstellt, können solche Dokumente an dieser Stelle ebenfalls verwendet werden. Damit kann dem Betriebsprüfer ein besserer Einblick in das Unternehmen gegeben werden. Diese Informationen sind dem Betriebsprüfer bei Prüfung der Leistungsverrechnung dann gegenwärtig und könnten sich positiv auf die Würdigung der Angemessenheit der vereinbarten Verrechnungspreise auswirken.
8.55
III. Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen im Ausland (§ 4 Nr. 2 GAufzV) 1. Übersicht über Art und Umfang der Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen Umfang der Angaben. Nach § 4 Nr. 2 Buchst. a GAufzV sind in einer Übersicht Art (z.B. Warenlieferungen, Dienstleistungen, Darlehensverhältnisse oder Kostenumlagen) und Umfang (z.B. Menge oder Umsatzvolumen) der Geschäftsbeziehungen des betroffenen Konzernunternehmens zu anderen Konzernunternehmen darzustellen.2 Dabei sind auch die Verträge für diese Geschäftsbeziehungen zu benennen einschließlich eventueller Veränderungen. Die Übersicht über die Leistungsbeziehung dient zunächst dazu, dem Adressaten der Aufzeichnungen (hauptsächlich dem Betriebsprüfer) einen ersten Überblick über die Leistungsbeziehung des Unternehmens mit anderen Gruppenunternehmen zu verschaffen. Dem Betriebsprüfer wird dadurch die für eine Verrechnungspreisprüfung in angemessener Zeit not1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Tz. 823.20. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.3.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
wendige Möglichkeit gegeben, z.B. nach quantitativen Kriterien1 eine Auswahl der näher zu betrachtenden oder zu prüfenden Geschäftsbeziehungen vorzunehmen.2
8.57
Umsetzung. Um die Übersichtlichkeit zu gewährleisten, ist zu empfehlen, bei der Darstellung der Leistungsbeziehungen nach Leistungsarten (Lieferungen, Dienstleistungen, Finanzbeziehungen, Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter) zu differenzieren. Ggf. sind innerhalb der Leistungsarten weitere Unterscheidungen vorzunehmen. So kann zunächst differenziert werden, ob es sich um Eingangs- oder Ausgangsleistungen für das inländische Unternehmen handelt. Diese Unterscheidung ist insbesondere bei Lieferbeziehungen mit verbundenen Unternehmen zweckmäßig. Bei den Lieferungen kann ferner eine weitere Aufteilung nach verschiedenen Produktgruppen oder nach liefernden bzw. abnehmenden Konzernunternehmen vorgenommen werden. Ähnlich kann bei Dienstleistungen vorgegangen werden. Bei Finanzbeziehungen zu verbundenen Unternehmen kommt eine Unterscheidung in Darlehen und andere Finanzbeziehungen in Betracht (z.B. Bürgschaften, Patronatserklärungen).3 Zu Darlehensbeziehungen ist eine Angabe der Darlehenssumme sinnvoll.4 Die Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter ist ebenfalls in die Übersicht aufzunehmen, wobei die für die Überlassung verrechneten Entgelte anzugeben sind. Es bestehen ggf. Überschneidungen zu der nach § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV erforderlichen Zusammenstellung der im Rahmen der Geschäftsbeziehungen zu ausländischen verbundenen Unternehmen eingesetzten wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter (Rz. 8.59). Neben zahlenmäßigen Angaben ist zur Darstellung der Leistungsbeziehungen anzuraten, auf grafische Übersichten zurückzugreifen. Sie können zur einfachen Verständlichkeit der Aufzeichnungen beitragen.5 Die für die zahlenmäßige Darstellung erforderlichen Angaben lassen sich i.d.R. aus den Buchführungsunterlagen bzw. aus den Konsolidierungsrechnungen im Rahmen des Konzernabschlusses (Zwischenergebniseliminierung nach § 304 HGB für Warenlieferungen; Aufwands- und Ertragskonsolidierung nach § 305 HGB für andere Leistungen) entnehmen.6 Im weiteren Aufbau der Verrechnungspreisdokumentation ist es dann sinnvoll, den bei Darstellung der Leistungsbeziehungen gewählten Unter1 Dies ergibt sich daraus, dass in der Übersicht auch der betragsmäßige Umfang der Entgelte dargestellt werden muss, vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.3. 2 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 12; Schreiber, JbFSt 2005/2006, 627 f. 3 Für Unternehmen des Finanzsektors (Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften usw.) gilt dies allenfalls sehr eingeschränkt, da sich dort die gruppeninternen Finanzbeziehungen in aller Regel nicht auf vergleichsweise einfache Finanzierungsformen wie Darlehen oder Bürgschaften beschränken. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.3. 5 Vgl. Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 34. 6 Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 30; Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 34.
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C. Sachverhaltsdokumentation
scheidungen zu folgen. D.h. die Angabe der zugrunde liegenden Verträge, der übernommenen Funktionen und Risiken und der Verrechnungspreisanalyse erfolgt dann jeweils zu den Leistungsbeziehungen, die bei Darstellung der Leistungsbeziehungen unterschieden wurden. 2. Übersicht über die den Geschäftsbeziehungen zugrunde liegenden Verträge Umfang der Angaben. Hier sind – ggf. entsprechend einer zusätzlichen Unterteilung der Lieferbeziehungen in Produktgruppen – die den Lieferungen zugrunde liegenden Verträge zu benennen. Häufig wird es sich dabei um Rahmenvereinbarungen zwischen den Konzernunternehmen handeln. Als angabepflichtige Verträge kommen neben den Rahmenverträgen Einzelverträge sowie sämtliche Zusatzvereinbarungen (z.B. zu Haftungsund Garantieabreden, zu Regressabreden usw.) in Betracht.1 Einer Darstellung des konkreten Vertragsinhalts bedarf es hier nur insoweit, wie es zur Unterscheidung und zum Verständnis der relevanten Verträge erforderlich ist (z.B. bei Zusatzvereinbarungen).2 Ebenso wenig müssen die Verträge bereits den Aufzeichnungen beigefügt werden. Sie sind als Unterlagen zur Buchführung bereits nach § 257 Abs. 1 HGB aufbewahrungspflichtig und damit der Finanzverwaltung bei einer Prüfung zugänglich.3 Wenn keine schriftlichen Verträge für die gruppeninternen Leistungsbeziehungen existieren, können keine Verträge aufgelistet werden. Dies kann keinen Mangel oder keine Verletzung der Aufzeichnungspflichten begründen.
8.58
3. Angabepflichten zu immateriellen Wirtschaftsgütern a) Begriff der immateriellen Wirtschaftsgüter Umfang der Angaben. Zu den „Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen“ sieht § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV ferner vor, die wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter des Konzernunternehmens in einer listenförmigen Darstellung aufzuführen, die es im Rahmen der Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Unternehmen nutzt oder nahe stehenden Unternehmen zur Nutzung überlässt. In Betracht kommen hier insbesondere Patente, Marken und andere gewerbliche Schutzrechte sowie Knowhow, Kundenstamm. Wann ein wesentliches und damit angabepflichtiges immaterielles Wirtschaftsgut vorliegt, geht aus der GAufzV nicht hervor. 1 Vgl. Linklaters Oppenhoff&Rädler, Dokumentation von Verrechnungspreisen: Ein Leitfaden für die Praxis, 61. 2 Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 30, halten eine Liste nur mit Angabe von Vertragspartnern und Vertragsdaten zwar für „relativ aussagelos“. Angaben zu den Inhalten der Verträge lehnen sie aber mit Hinweis auf den damit verbundenen Aufwand bei den betroffenen Unternehmen ab. 3 Verträge fallen unter den weit gefassten Begriff der Handelsbriefe. Vgl. Winkeljohann/Philipps in Beck’scher Bilanzkommentar9, § 257 HGB Rz. 15 u. Rz. 27; Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 30.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Ausweislich der Begründung zur GAufzV wurde § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV aufgenommen, um die Identifizierung von Prüfungsfeldern im Bereich der immateriellen Wirtschaftsgüter zu erleichtern.1 In der Begründung zur GAufzV wird dazu weiter ausgeführt, dass immaterielle Wirtschaftsgüter häufig wertvoll seien und ihrer Zuordnung im Verhältnis zu nahe stehenden Unternehmen, die nicht selten schwierig sei, große Bedeutung zukomme.2 Immaterielle Wirtschaftsgüter, die in keinem Bezug zu Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Unternehmen im Ausland stehen, sind zutreffend von einer Angabepflicht ausgenommen. Ebenso wenig müssen immaterielle Wirtschaftsgüter im Besitz anderer (insbesondere ausländischer) Konzernunternehmen aufgelistet werden, die das inländische Konzernunternehmen nutzt.
8.60
Begriff. Unter immateriellen Wirtschaftsgütern versteht man unkörperliche Wirtschaftsgüter von wirtschaftlichem Wert.3 Dies können insbesondere Rechte und tatsächliche Positionen sein. In Anlehnung an die im bilanziellen Gliederungsschema in § 266 Abs. 2 HGB aufgeführten Posten zählen hierzu z.B. Konzessionen (z.B. Betriebs- und Versorgungsrechte), gewerbliche Schutzrechte (z.B. Marken, Patente, Geschmacksund Gebrauchsmuster) sowie rein wirtschaftliche Werte (z.B. ungeschützte Erfindungen, Auftragsbestand).4 Zu den immateriellen Wirtschaftsgütern gehört auch ein Geschäfts- oder Firmenwert.5 Synergien, die sich aus dem Gruppenverbund ergeben, sind keine immateriellen Wirtschaftsgüter.6 Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind immaterielle Wirtschaftsgüter unabhängig von ihrer Bilanzierungsfähigkeit angabepflichtig, wenn – sie in einem Register (z.B. Markenregister) registriert sind, – sie Gegenstand eines gesonderten Vertrags sind oder – sie nicht nur untergeordneter Teil einer Leistungsbeziehung sind.7 Die in diese Aufzählung eingegangenen Punkte sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. b) „Wesentliche“ immaterielle Wirtschaftsgüter
8.61
„Bezugsgröße“ zur Beurteilung der Wesentlichkeit. Von der Angabepflicht nach § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV sind nur „wesentliche“ immate1 2 3 4 5
Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 12. Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 12. Vgl. Weber-Grellet in Schmidt32, § 5 EStG Rz. 173. Vgl. Förschle in Beck’scher Bilanzkommentar9, § 248 HGB Rz. 10. Zur Definition und Abgrenzung des Geschäfts- und Firmenwerts vgl. u.a. BFH v. 18.2.1993 – IV R 40/92, BStBl. II 1994, 224 = FR 1993, 839. 6 Vgl. Eigelshoven/Ebering/Schmidkte, IWB 2012, 489. 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.3.
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C. Sachverhaltsdokumentation
rielle Wirtschaftsgüter erfasst. Dies ist insoweit sachgerecht, als damit nicht alle denkbaren immateriellen Wirtschaftsgüter aufzuführen sind, sondern unbedeutende immaterielle Wirtschaftsgüter ausgenommen bleiben. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist unklar, ob das immaterielle Wirtschaftsgut wesentlich für die gesamte Geschäftstätigkeit des Konzerns oder des zu prüfenden Konzernunternehmens sein muss oder ob sich die Wesentlichkeit nur auf die Leistungsbeziehungen des zu prüfenden Konzernunternehmens zu Konzernunternehmen im Ausland bezieht. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist zu prüfen, ob dem Wirtschaftsgut im Hinblick auf die Geschäftstätigkeit des zu prüfenden Unternehmens eine erhebliche Bedeutung zukommt.1 Als Beispiel für ein „wesentliches“ immaterielles Wirtschaftsgut wird in den VWG-Verfahren ein Patent angegeben, auf dem die Produktionstätigkeit des Unternehmens beruht. Nach der hier vertretenen Auffassung ist es zutreffend, die erhebliche Bedeutung auf die gesamte Geschäftstätigkeit des zu prüfenden Konzernunternehmens zu beziehen. Ansonsten würde der beabsichtigte Vereinfachungseffekt nicht eintreten. Dies dürfte auch die in den VWG-Verfahren zum Ausdruck kommende Auffassung der Finanzverwaltung sein. „Wesentlichkeitsgrenze“. Der mit Verwendung des Tatbestandsmerkmals „wesentlich“ beabsichtigte Vereinfachungseffekt wird dadurch beeinträchtigt, dass dessen Auslegung unbestimmt ist. So verweist auch die Finanzverwaltung auf eine einzelfallbezogene Würdigung.2 Zur Abgrenzung der Wesentlichkeit wird hier folgende Auffassung vertreten:3 Die „Wesentlichkeit“ immaterieller Wirtschaftsgüter i.S.v. § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV ist nach den geltenden ertragsteuerlichen Abgrenzungskriterien für wesentliche Betriebsgrundlagen zu beurteilen. Hierbei ist die funktionale Betrachtungsweise anzuwenden. „Wesentlich“ ist ein immaterielles Wirtschaftsgut, wenn ihm ein besonderes wirtschaftliches Gewicht für die Betriebsführung zukommt. Das besondere wirtschaftliche Gewicht kann nach dem Umfang der Umsätze beurteilt werden, die auf den Einsatz dieses Wirtschaftsguts zurückzuführen sind. Hier hat die Rechtsprechung Umsatzanteile von 25 % ausreichen lassen, um immaterielle Wirtschaftsgüter als wesentliche Betriebsgrundlagen zu qualifizieren. Damit ist jedenfalls bei immateriellen Wirtschaftsgütern bzw. Vermögensbestandteilen von einer „Wesentlichkeit“ i.S.v. § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV auszugehen, wenn die darauf zurückzuführenden Um1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.3. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.3. Kaminski/Strunk, StBp. 2005, 249, kritisieren, dass in den VWG-Verfahren kein Versuch unternommen wird, den Begriff „wesentlich“ näher zu definieren. Vielmehr werde er durch „erhebliche Bedeutung“ ersetzt, was zu keiner Erleichterung führe. 3 Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 82 ff.
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8.62
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
sätze 25 % des Gesamtumsatzes des zu prüfenden Konzernunternehmens übersteigen. Nicht als „wesentlich“ anzusehen sind immaterielle Wirtschaftsgüter, die ohne Beeinträchtigung des Betriebsablaufs jederzeit kurzfristig am Markt beschafft werden können (z.B. Standard-Software). Gleiches gilt für Wissen oder Kenntnisse, die frei zugänglich sind1 oder von fremden Dritten am Markt angeboten werden und daher ebenfalls jederzeit beschafft werden können.2 Eine quantitative Betrachtungsweise ist nicht zielführend. Allenfalls dann, wenn z.B. aus einer Unternehmensbewertung oder einem Unternehmenskauf verlässliche Daten über den Wert der immateriellen Wirtschaftsgüter in der Gruppe vorliegen, könnte überlegt werden, anhand des Verhältnisses des Werts eines immateriellen Wirtschaftsguts zu dem Gesamtwert des Unternehmens bzw. zum Gesamtwert der immateriellen Wirtschaftsgüter die Wesentlichkeit zu beurteilen.
8.63
Zeitpunkt zur Beurteilung der Wesentlichkeit. Zu klären ist, auf welchen Zeitpunkt zur Beurteilung der Wesentlichkeit abzustellen ist bzw. wann ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut erstmalig anzugeben ist. Hierzu gilt, dass ein immaterielles Wirtschaftsgut erstmalig in den Aufzeichnungen zu dem Veranlagungszeitraum aufzuführen ist, in dem beide Voraussetzungen (Wesentlichkeit und Verwendung bei Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen) kumulativ erfüllt sind.3 Die Prüfung, welche immateriellen Wirtschaftsgüter angabepflichtig sind, erfolgt jeweils für den einzelnen Veranlagungszeitraum. c) Rechtsfolgen einer fehlenden Angabe wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter
8.64
Keine Anwendbarkeit der Sanktionsvorschriften bei isoliertem Fehlen der Angaben zu immateriellen Wirtschaftsgütern. Wenngleich bisherige Betriebsprüfungserfahrungen zu den Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO gezeigt haben, dass die Betriebsprüfer den Informationen zu den eingesetzten immateriellen Wirtschaftsgütern eine hohe Bedeutung beimessen, ist zu hinterfragen, ob diese Informationen bei den Aufzeichnungen zwingend erforderlich sind. Wird für die Nutzungsüberlassung eines immateriellen Wirtschaftsguts ein Entgelt verrechnet bzw. wird der Einsatz immaterieller Wirtschaftsgüter bei der Verrechnung einer Lieferung oder Leistung erkennbar ver1 Bei freier Zugänglichkeit von Kenntnissen ist im Übrigen fraglich, ob diese Kenntnisse überhaupt als immaterielles Wirtschaftsgut angesehen werden können. Frei verfügbare Kenntnisse werden in aller Regel keinen wirtschaftlichen Wert verkörpern. 2 Vgl. BFH v. 25.10.1988 – VIII R 339/82, BFHE 154, 539 = FR 1989, 18, unter Abschn. 2.d der Gründe. 3 Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 85 f.; Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 30.
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C. Sachverhaltsdokumentation
gütet und erfolgt eine entsprechende Darstellung bei den Aufzeichnungen, so ist damit im Ergebnis die Angabe des immateriellen Wirtschaftsguts erfolgt. Dies gilt auch dann, wenn das immaterielle Wirtschaftsgut in keiner separaten Liste aufgeführt wurde. Soweit die Aufzeichnungen zu der Überlassung des immateriellen Wirtschaftsguts bzw. zu den Lieferungen oder Leistungen ansonsten den Vorschriften entsprechen, besteht auch kein Anlass, von im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen auszugehen. Damit führt eine fehlende Angabe einzelner immaterieller Wirtschaftsgüter für sich betrachtet i.d.R. nicht zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen (vgl. die unter Rz. 8.49 ff. dargestellte ähnliche Problematik bei fehlender Angabe nahe stehender Personen nach § 4 Nr. 1 Buchst. a GAufzV). Anders kann es sich verhalten, wenn für die Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter oder ihren Einsatz im Rahmen von Liefer- und Dienstleistungsbeziehungen keine Vergütung bei der Leistungsverrechnung berücksichtigt wurde. Eine Sanktionierung würde für diesen Fall aber auf fehlende Angaben zu den preisdeterminierenden Faktoren (Preisvergleiche o.Ä.) und nicht auf eine fehlende Angabe in der Aufstellung der wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter zurückgehen.
IV. Funktions- und Risikoanalyse (§ 4 Nr. 3 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 4 Nr. 3 GAufzV Regelungsinhalt von § 4 Nr. 3 GAufzV. Aufbauend auf dem Überblick über die Leistungsbeziehungen mit anderen Konzernunternehmen müssen für die einzelne Leistungsbeziehung nach § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV die Funktionen und Risiken dargestellt werden, die das inländische und die anderen an der Leistungsbeziehung beteiligten Konzernunternehmen übernehmen.1 Diese eingehende Sachverhaltsermittlung wird als Funktionsanalyse bezeichnet.2 Die Funktionsanalyse ist erforderlich, weil die ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken ausschlaggebende Faktoren bei der Verrechnungspreisbestimmung sind (vgl. Rz. 8.66 ff.). Dementsprechend sind auch Angaben zu einer Veränderung der Funktions- und Risikoverteilung notwendig. Gegenstand der Aufzeichnungspflicht sind nach § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV ferner Informationen zu den eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern, zu den vereinbarten Vertragsbedingungen, über gewählte Geschäftsstrategien sowie über bedeutsame Markt- und Wettbewerbsverhältnisse. Unter dem Oberbegriff Funktions- und Risikoanalyse sind nach § 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV außerdem Angaben zur Wertschöpfung erforderlich. Die Wertschöpfungskette muss beschrieben und der Wertschöpfungsbei1 Sofern diese bei mehreren Leistungsbeziehung bzw. Produktgruppen identisch ist, kann eine zusammenfassende Darstellung vorgenommen oder mit Verweisen gearbeitet werden. 2 Vgl. OECD-Leitlinien 2010, Glossar, Stichwort „Funktionsanalyse“.
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8.65
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
trag des Steuerpflichtigen im Verhältnis zu den nahe stehenden Personen dargestellt werden. Dabei geht mit der Übernahme bedeutender Funktionen und hoher Risiken meist eine hohe Wertschöpfung einher, während funktions- und risikoarme Tätigkeiten nur zu einer geringeren Wertschöpfung führen. 2. Angaben zu den ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern a) Vorbemerkungen
8.66
Bedeutung für die Verrechnungspreisermittlung und -prüfung. Die im Rahmen einer Leistungsbeziehung durch die beteiligten Konzernunternehmen ausgeübten Funktionen1 und übernommenen Risiken sind entscheidende Faktoren bei der Verrechnungspreisbildung und Verrechnungspreisprüfung.
8.67
Einzelfunktionsanalyse bei tatsächlichem Fremdvergleich. Dies gilt zum einen, wenn Verrechnungspreise im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs ermittelt werden. Zu dessen Durchführung muss eine Vergleichbarkeit der Leistungen gegeben sein (vgl. Rz. 4.6). Dies schließt bei Warenlieferungen neben der Identität der Güter auch ein, dass die zu der Warenlieferung zusätzlich übernommenen Funktionen (z.B. Transport) sowie die mit der Warenlieferung übernommenen Risiken (z.B. Gewährleistung) mit denen der Vergleichstransaktion übereinstimmen.2 Entsprechendes gilt für Dienstleistungen. Die Ermittlung der relevanten Funktionen und Risiken ist nach den Grundsätzen der in Rz. 4.21 ff. und Rz. 4.51 ff. dargestellten Einzelfunktionsanalyse vorzunehmen.
8.68
„Systemorientierte“ Funktionsanalyse bei hypothetischem Fremdvergleich. Zum anderen sind die übernommenen Funktionen und Risiken von wesentlicher Bedeutung, wenn – wie im überwiegenden Teil der Verrechnungspreisfälle – für die Ermittlung von Verrechnungspreisen ein hypothetischer Fremdvergleich durchgeführt wird. Dies begründet sich damit, dass sich auch zwischen Fremden das den beteiligten Unternehmen zugestandene Gewinnpotential i.d.R. mit einem Mehr an ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgütern und übernommen Risiken erhöht.3 Im Gegensatz zur Einzelfunktionsanalyse bei Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs kommt es bei einem hypothetischem Fremdvergleich aber zunächst darauf an, im Rahmen einer „systemorientierten“ Funktionsanalyse die grundlegenden Faktoren für das Verrechnungspreissystem im Konzern zu ermitteln. Hierzu sind die einzelnen Einheiten im 1 Statt des Begriffs „Funktion“ wird in der Literatur teilweise auch der Begriff „Tätigkeit“ verwendet. Er ist insoweit gleichbedeutend. 2 Vgl. Tz. 1.42 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland – Ertragsteuerliche Folgen, Strategien und Modelle, 99 m.w.N.
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C. Sachverhaltsdokumentation
Konzern1 nach ihrem Funktionsumfang zu klassifizieren (vgl. hierzu auch Rz. 4.12).2 Dort wird die „systemorientierte“ Funktionsanalyse als „Gesamtfunktionsanalyse“ bzw. „Macro-Level-Analysis“ bezeichnet. Hierauf basierend kann folgende Klassifizierung vorgenommen werden: Funktionsausübung („Routinefunktionen“). Als „unterste“ Ebene ist die Funktionsausübung anzusehen. Die Tätigkeit der betroffenen Gesellschaft in dem zu betrachtenden Prozess bzw. bei der zu betrachtenden Produktgruppe beschränkt sich auf die Ausübung von Realisationshandlungen.3 Die maßgeblichen Entscheidungen hierfür werden von einer anderen Konzerngesellschaft getroffen. Lohnfertigungstätigkeit oder Vertriebstätigkeit im Kommissionärsmodell stellen Beispiele für eine solche Funktionsausübung dar.
8.69
Funktionsleitung („Mittelunternehmen“). Über der Ebene der Funktionsausübung ist die Funktionsleitung angeordnet. Eine Funktionsleitung liegt vor, wenn eine Konzerngesellschaft mit allen Entscheidungskompetenzen ausgestattet ist, um den ihr zugewiesenen Aufgabenkomplex eigenständig und eigenverantwortlich wahrzunehmen. Es steht dann im Ermessen dieser funktionsleitenden Konzerngesellschaft, die Funktionsausübung oder Realisationshandlungen entweder selbst vorzunehmen oder sie im Rahmen eines Auftragsverhältnisses an andere Unternehmen oder Konzerngesellschaften zu delegieren. Als solche Funktionsleitung kann z.B. die Tätigkeit einer als Eigenhändler auftretenden Vertriebsgesellschaft angesehen werden, wenn diese z.B. hinsichtlich einer Produktgruppe eigene Marken verwendet und in ihren Entscheidungen bzgl. dieser Produktgruppe von anderen Konzerngesellschaften unabhängig ist.4
8.70
Strategieträgerschaft. Als oberste Ebene ist die Strategieträgerschaft anzusehen. Sie liegt vor, wenn eine Konzerngesellschaft die strategischen Entscheidungen für ein Produkt oder eine Produktgruppe treffen kann.5 Neben den strategischen Entscheidungen kann diese Konzerngesellschaft
8.71
1 Die Klassifizierung bezieht sich nicht auf ein Konzernunternehmen als Ganzes. Vielmehr kommt es auf die Funktion des Konzernunternehmens bei der zu beurteilenden Leistungsbeziehung (Produktgruppe) an, so dass ein Konzernunternehmen je nach Produktgruppe auch unterschiedlich klassifiziert werden kann. Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 93. 2 Die Analyse bezieht sich auf Leistungen, die mit dem späteren Außenumsatz verknüpft sind (Forschung und Entwicklung, Einkauf, Produktion, Marketing, Vertrieb). Für innerhalb der Gruppe gegenüber anderen Gruppenunternehmen erbrachten „Hilfsleistungen“ (z.B. verwaltungsbezogene Dienstleistungen) wird eine solche Analyse i.d.R. wenig hilfreich sein, da die Dienstleistung meist nur durch eine Gesellschaft erbracht wird und als Eingangsleistung für die zu Außenumsätzen führenden Leistungen anzusehen ist. Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 158.1. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a., dort als „Routinefunktionen“ bezeichnet. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. c., dort als „Mittelunternehmen“ bezeichnet. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
auch ganz oder teilweise Aufgaben der Funktionsleitung oder -ausübung bei der Produktgruppe übernehmen. Damit eine Konzerngesellschaft als Strategieträger angesehen werden kann, ist allerdings Voraussetzung, dass sie über eine finanzielle und funktionsmäßige Ausstattung verfügt, die ihr die Übernahme der Geschäftsstrategie ermöglicht und sie in die Lage versetzt, z.B. auch eine gescheiterte Markteinführung eines Produkts finanziell verkraften zu können.
8.72
Zuordnung des Residualgewinns. Aus der systemorientierten Funktionsanalyse und der damit einhergehenden Unternehmenscharakterisierung wird abgeleitet, welchem Konzernunternehmen der Residualgewinn aus einem Geschäft zuzuordnen ist und welche Verrechnungspreismethoden anzuwenden sind.1
8.73
Einzelfunktionsanalyse bei hypothetischem Fremdvergleich. An die systemorientierte Funktionsanalyse schließt sich in Fällen des hypothetischen Fremdvergleichs die bereits zum tatsächlichen Fremdvergleich erwähnte Einzelfunktionsanalyse (Rz. 8.67) an. Sie ist beim hypothetischen Fremdvergleich notwendig, um Anhaltspunkte für die Ermittlung der Gewinnkomponenten bei Anwendung der Methoden des hypothetischen Fremdvergleichs (insbesondere Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode) zu gewinnen.2
8.74
Notwendigkeit für die Aufzeichnungen. Auf die Angaben zu Funktionen und übernommenen Risiken kann daher im Rahmen der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO nicht verzichtet werden. Hierzu sind die in den folgenden Abschnitten beschriebenen Informationen zur Klassifizierung der an einer konzerninternen Leistungsbeziehung teilnehmenden Konzernunternehmen sowie zu den von diesen Konzernunternehmen im Einzelnen übernommenen Funktionen und Risiken aufzuzeichnen. b) Angaben zu den eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern
8.75
Umfang der Angaben. Neben der Funktions- und Risikoanalyse sieht § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV Angaben zu den bei Leistungsbeziehungen mit nahe stehenden Personen im Ausland eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern vor. Diese Angaben ergänzen die Funktions- und Risikoanalyse. Bei den Angaben zu den eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern bestehen gewisse Parallelen zu der Auflistung der wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter nach § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV. Ein Unterschied besteht lediglich darin, dass die Zusammenstellung nach § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV auf immaterielle Wirtschaftsgüter beschränkt ist, während nach § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV Angaben zu wesentlichen Wirtschaftsgütern aller Arterforderlich sind. Zum Begriff der „Wesentlichkeit“ kann auf die Erläuterungen in Rz. 8.62 verwiesen werden. 1 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 158 und Rz. 173; Wellens/van der Ham, DB 2012, 1534 ff. 2 Vgl. ausführlich sowie zur praktischen Durchführung Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 98 ff.
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C. Sachverhaltsdokumentation
Auswirkungen des Fehlens von Angaben. Die Angabepflicht für die eingesetzten immateriellen Wirtschaftsgüter ist im Grundsatz gerechtfertigt, da Nutzung und Zuordnung der immateriellen Wirtschaftsgüter für außenstehende Betrachter ansonsten ggf. schwierig zu erkennen sind. Dem kann allerdings für materielle Wirtschaftsgüter, insbesondere Immobilien, nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Eigentumsverhältnisse und Verwendung der materiellen Wirtschaftsgüter sind i.d.R. einfach zu bestimmen. Soweit die Eigentumsverhältnisse für wesentliche Wirtschaftsgüter offen erkennbar sind (z.B. aus Anlagespiegel oder Anlagebuchhaltung), ist eine explizite Auflistung bei den Aufzeichnungen zu Verrechnungspreisen nicht erforderlich. Ihr Fehlen kann daher nicht zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen führen. In anderen Fällen, insbesondere bei wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgütern, deren Zuordnung nicht ohne weiteres erkennbar ist, stellen die Angaben aber eine notwendige Ergänzung zu der Funktions- und Risikoanalyse dar. Allerdings sind an die Angaben keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Eine Benennung und Zuordnung zu den Konzernunternehmen reicht aus. Nur wenn die Angaben fehlen, obwohl sie im konkreten Fall unerlässlich für eine Verrechnungspreisbestimmung und -prüfung sind, könnte das Fehlen dieser Angaben – zusammen mit dem Fehlen weiterer Informationen – zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen führen.
8.76
c) Star-Chart-Darstellungs-Technik für die Funktionsanalyse und die eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgüter Star-Chart-Darstellungs-Technik. Im Schrifttum wird zur Darstellung der Funktions- und Risikoanalyse die Verwendung eines sog. „Star-Charts“ vorgeschlagen.1 Ein „Star-Chart“ beruht auf einer Matrix. Die verschiedenen Funktionen und Risiken, die für das betreffende Unternehmen zu analysieren sind, bezeichnen die Zeilen der Matrix. Die Spalten der Matrix werden nach den in den Leistungserstellungsprozess einbezogenen Konzernunternehmen benannt. Zunächst wird eine Gewichtung vorgenommen, indem für die verschiedenen Funktionen (Forschung, Produktion, Vertrieb, Logistik, usw.), die verschiedenen Risiken (Marktrisiko, Gewährleistungsrisiko, Lagerrisiko usw.) und die verschiedenen eingesetzten Wirtschaftsgüter (Marken, Kundenstamm, Produktionsanlagen usw.) die Bedeutung für das Unternehmen dargestellt wird. Dies erfolgt anhand einer Skala von z.B. null bis fünf „Sternen“2, wobei eine mit null Sternen bewertete Funktion keine 1 Vgl. Ernst & Young, Verrechnungspreise – Dokumentationsmanagement nach den neuen Mitwirkungspflichten, redaktionelle Gesamtverantwortung bei Wehnert/Wellens, 93. Dort wird der Begriff einer „Funktionsanalysematrix“ verwendet. Die Verwendung eines „Star-Charts“ ist nach Verwaltungsauffassung zulässig. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.4. 2 Durch die Verwendung von Sternen („*“) ist der Name „Star-Chart“ entstanden. Anstelle der Verwendung von Sternen ist auch eine zahlenmäßige Darstellung
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8.77
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Bedeutung für das Unternehmen hat und einer mit fünf Sternen bewerteten Funktion höchste Bedeutung zukommt. Anschließend wird dargestellt, wie sich die einzelnen Funktionen und Risiken sowie die verschiedenen eingesetzten Wirtschaftsgüter auf die Konzernunternehmen verteilen. Hierzu werden pro Funktion, Risiko und eingesetztem Wirtschaftsgut je fünf Sterne1 auf die Spalten der Konzernunternehmen verteilt. Wird eine Funktion nur von einem Gruppenunternehmen übernommen, so werden alle „Sterne“ für diese Funktion in dem Matrixfeld eingetragen, das in der für das Gruppenunternehmen vorgesehenen Spalte und in der für die Funktion vorgesehenen Zeile liegt. Die anderen Unternehmen erhalten für diese Funktion keine Sterne, so dass in den übrigen Feldern der Zeile dieser Funktion keine Eintragungen vorgenommen werden. Wird die Funktion von zwei oder mehreren Unternehmen ausgeübt, werden die Sterne nach dem Umfang der Funktionsausübung zwischen diesen Unternehmen aufgeteilt (z.B. Konzernunternehmen I vier Sterne, Konzernunternehmen II ein Stern). Wie allgemein bei der Funktions- und Risikoanalyse, wird auch bei der Star-Chart-Darstellung i.d.R. auf die übernommenen Funktionen und Risiken bezogen auf ein Produkt bzw. eine Produktgruppe abzustellen sein, es sei denn, die ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken eines Gruppenunternehmens unterscheiden sich bei den verschiedenen Produkten oder Produktgruppen nicht (Rz. 8.67). Aus Vereinfachungsgründen wird auf diese Differenzierung im Folgenden verzichtet und nur eine Produktgruppe betrachtet. Bedeutung
ProduktionsGmbH Deutschland
Forschung & Entwicklung
*****
*****
Produktion
***
*****
Logistik
*
***
**
Vertrieb
***
*
****
46
14
Vertriebs SA Frankreich
Funktionen
Zwischensumme2
der Funktionsausprägung möglich. Aus einer Skala von 0–5 oder von 0–10 wird der entsprechende Wert quasi als „Funktionsausprägungsgrad“ ausgewählt und in das zugehörige Matrixfeld eingetragen. 1 Um eine genauere Differenzierung zu erreichen, kann auch eine größere Anzahl an Sternen verwendet werden. 2 Die Zwischensummen ergeben sich, indem die Sterne der Konzernunternehmen für die entsprechende Funktion (bzw. die Risiken oder eingesetzten Wirtschaftsgüter) mit dem Gewichtungsfaktor aus der Spalte „Bedeutung“ multipliziert und dann addiert werden.
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C. Sachverhaltsdokumentation Bedeutung
ProduktionsGmbH Deutschland
Vertriebs SA Frankreich *
Risiken Markt
*****
****
Qualität
****
***** *****
Gewährleistung
**
Forderungsausfall
***
Lager
***
Zwischensumme
***** **
***
56
29
Eingesetzte immaterielle Wirtschaftsgüter Technologie
*****
*****
Patente
*****
*****
Handelsmarken
*****
****
*
Kundenstamm
*** 70
20
172
63
Zwischensumme Gesamt
*****
1
Funktionsanalysematrix
Aus dieser Darstellung können Anhaltspunkte für die Funktions- und Risikoverteilungen zwischen den Gesellschaften der Gruppe entnommen werden. Gleichwohl werden weitere schriftliche Erläuterungen erforderlich sein, z.B. um die subjektiv vorgenommene Gewichtung (z.B. Konzernunternehmen I vier Sterne bei Funktion X, Konzernunternehmen II ein Stern bei Funktion X) zu begründen. Hierzu bedarf es der zur Einzelfunktionsanalyse (Rz. 8.67) aufgeführten Informationen. Neben der darstellenden Funktion kann die Star-Chart-Technik auch zur Angemessenheitsdokumentation eingesetzt werden. Hierzu können die gewichteten Werte für ein Konzernunternehmen summiert und ins Verhältnis zur Gesamtsumme gesetzt werden. Anschließend kann abgeleitet oder verprobt werden, in welchem Maße das Konzernunternehmen an dem von dem Gesamtkonzern mit einem Produkt erzielten Gewinn zu beteiligen ist. Auf die Verwendungsmöglichkeit für die Angemessenheitsdokumentation und die dafür bestehenden Voraussetzungen wird unter Rz. 8.146 näher eingegangen.
1 In Anlehnung an Ernst & Young, Verrechnungspreise – Dokumentationsmanagement nach den neuen Mitwirkungspflichten, redaktionelle Gesamtverantwortung bei Wehnert/Wellens, Teil C Rz. 161.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
d) Zwischenergebnis zur Funktions- und Risikoanalyse
8.78
Zwischenergebnis. Den Angaben zur Funktions- und Risikoanalyse kommt entscheidende Bedeutung für die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO zu. In den Aufzeichnungen ist zwingend eine Klassifizierung der in die innerkonzernlichen Leistungsbeziehungen involvierten Konzernunternehmen nach den vorgenannten Grundsätzen vorzunehmen (Rz. 8.69 ff.). D.h. die beteiligten Konzernunternehmen sind in die Gruppen Strategieträger, Funktionsleitung, Funktionsausübung einzuordnen (systemorientierte Funktionsanalyse). Daran hat sich eine Einzelfunktionsanalyse dergestalt anzuschließen, dass Einzelheiten zur konkreten Ausgestaltung der Funktions- und Risikoverteilung aufzuzeichnen sind. Die Einzelfunktionsanalyse kann Anhaltspunkte für die Bemessung der Gewinnkomponenten liefern. 3. Vereinbarte Vertragsbedingungen
8.79
Umfang der Angaben. Im Rahmen der nach § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV erforderlichen Angaben soll auch auf die vereinbarten Vertragsbedingungen eingegangen werden. Was indessen der Verordnungsgeber als vereinbarte Vertragsbedingungen ansieht, bleibt unklar. In den VWG-Verfahren findet sich hierzu keine Aussage. Preise und Umfang der Lieferungen bzw. Leistungen gehen aus den entsprechenden Abrechnungsbelegen hervor und bedürfen daher keiner weiteren Aufzeichnung. Nach der Definition in den OECD-Leitlinien handelt es sich um die vertragliche Aufteilung von Funktionen und Risiken zwischen den Vertragsparteien.1 Beispiele hierfür sind vertragliche Regelungen zur Gewährleistung oder zu Abnahmeverpflichtungen (Mindestmengen). Diese Informationen werden nach der hier vertretenen Auffassung aber bereits von den Angaben zu den übernommenen Funktionen und Risiken erfasst. Dem unter § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV aufgeführten Punkt „vereinbarte Vertragsbedingungen“ kommt daher keine eigenständige Bedeutung zu. 4. Gewählte Geschäftsstrategien
8.80
Umfang der Angaben. Ferner sind nach § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV Angaben zu gewählten Geschäftsstrategien erforderlich. Die VWG-Verfahren führen als Geschäftsstrategien unter Bezugnahme auf die OECD-Leitlinien – Kostenführerschaft, – Marktführerschaft und – Diversifikation bzw. Konzentration auf Kerngeschäfte an.2 Die Untersuchung der vom Unternehmen angewendeten Geschäftsstrategien kann in zweierlei Hinsicht Bedeutung haben. Zum einen 1 Vgl. Tz. 1.52 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.4 Buchst. e; Tz. 1.59 ff. OECD-Leitlinien 2010.
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C. Sachverhaltsdokumentation
können bestimmte Geschäftsstrategien direkt Auswirkungen auf die angesetzten Verrechnungspreise haben, z.B. wenn Verrechnungspreise zwischen einem Produktionsmutterunternehmen und einem Vertriebstochterunternehmen ermittelt werden sollen. Zum anderen muss bei einer Verwendung von Preisen oder Finanzdaten von fremden Unternehmen sichergestellt sein, dass deren Vergleichbarkeit nicht durch die Anwendung unterschiedlicher Geschäftsstrategien beeinflusst ist. Weder aus der GAufzV noch aus den VWG-Verfahren ist zu entnehmen, welchem der beiden oben genannten Zwecke die Angabepflicht in § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV dienen soll. In den OECD-Leitlinien, auf die in den VWG-Verfahren verwiesen wird, wird der Bereich „Geschäftsstrategien“ unter der Überschrift „Vergleichbarkeitsprüfung“ behandelt.1 Gleichwohl wird auch darauf hingewiesen, dass z.B. mit Markterschließungsstrategien niedrigere Verrechnungspreise gegenüber Vertriebsunternehmen begründet werden können.2 Auswirkungen auf die Vergleichbarkeitsprüfung. Zunächst soll auf die Analyse der verfolgten Geschäftsstrategien bei der Vergleichbarkeitsprüfung eingegangen werden. Dazu kommt der Analyse der Geschäftsstrategien nach der hier vertretenen Auffassung allerdings nur in seltenen Fällen Bedeutung zu. Dies begründet sich damit, dass ein tatsächlicher Fremdvergleich unter Anwendung der Preisvergleichsmethode (hier könnten Geschäftsstrategien von Bedeutung sein) in der Praxis nur selten anzutreffen ist. Für Fälle eines hypothetischen Fremdvergleichs geht es bei der Vergleichbarkeitsprüfung häufig um die Beurteilung, ob die Tätigkeit von unabhängigen Unternehmen mit der Tätigkeit von Konzernunternehmen vergleichbar ist. Dann können aus den Finanzdaten des unabhängigen Unternehmens ggf. Anhaltspunkte für die Bemessung der Gewinnkomponenten bei Leistungen des Konzernunternehmens gewonnen werden (Rz. 8.130 ff.). Das zu beurteilende Konzernunternehmen wird in diesen Fällen aber häufig als funktionsausübende Einheit anzusehen sein. Funktionsausübende Einheiten sind regelmäßig kein Träger von Geschäftsstrategien; vielmehr trifft der Strategieträger die Entscheidung über die Verfolgung bestimmter Geschäftsstrategien. Das Ergebnis der funktionsausübenden Einheit wird durch die Verfolgung der Geschäftsstrategien nicht berührt, da die Verfolgung der Geschäftsstrategie durch den Strategieträger finanziert wird. Infolgedessen werden bei einem Vergleich der Tätigkeit einer funktionsausübenden Einheit im Konzern mit der Tätigkeit eines unabhängigen Unternehmens Geschäftsstrategien regelmäßig nicht von Bedeutung sein.
8.81
Direkte Auswirkungen auf die Verrechnungspreisermittlung. Anders verhält es sich im Hinblick auf direkte Auswirkungen von Geschäftsstrategien auf die angesetzten Verrechnungspreise (z.B. bei Lieferungen eines Produktionsmutterunternehmens an ein Vertriebstochterunternehmen bei Anwendung einer Markterschließungsstrategie). Liegen insoweit be-
8.82
1 Vgl. Tz. 1.59 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 1.62 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
sondere Geschäftsstrategien vor, müssen diese erläutert werden. Dies wird in § 5 Satz 2 Nr. 1 GAufzV deutlich, wo die Änderung von Geschäftsstrategien bei den erforderlichen Aufzeichnungen in besonderen Fällen aufgeführt wird. Nach der hier vertretenen Auffassung sind in diesen Fällen die Angaben zu den angewandten Geschäftsstrategien der Angemessenheitsdokumentation zuzuordnen. Insoweit wird auf Rz. 8.165 verwiesen. 5. Bedeutsame Markt- und Wettbewerbsverhältnisse
8.83
Umfang der Angaben. Schließlich werden in § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV Informationen zu den bedeutsamen Markt- und Wettbewerbsverhältnissen als erforderliche Angaben für eine Verrechnungspreisdokumentation genannt.1 § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV konkretisiert die Angabepflicht, die bereits in § 1 Abs. 3 Satz 1 GAufzV aufgeführt ist. Die Beschränkung auf „bedeutsame“ Markt- und Wettbewerbsverhältnisse impliziert, dass nicht zwangsläufig eine Darstellung erfolgen muss, sondern nur dann, wenn den Markt- und Wettbewerbsverhältnissen Bedeutung für die Verrechnungspreisbildung zukommt.
8.84
Bedeutung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse für die Verrechnungspreisbildung. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn für die Verrechnungspreisbestimmung auf Geschäftsdaten von Vergleichsunternehmen zurückgegriffen wird oder werden soll.2 Hier besteht ansonsten die Gefahr, dass die funktionale Vergleichbarkeit mit dem oder den Vergleichsunternehmen in den Vordergrund tritt, ohne dass die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, z.B. in Form branchenmäßiger Besonderheiten, ausreichend Berücksichtigung finden.3 So lassen sich z.B. Vertriebsunternehmen in regulierten Märken (z.B. Pharmabereich) nicht mit Vertriebsunternehmen in freien Märkten (z.B. Kosmetik- und Körperpflegebereich) vergleichen. Ebenso verhält es sich hinsichtlich Vertriebsunternehmen im Automobilbereich, wenn ein Vertriebsunternehmen schwerpunktmäßig Sportwagen im gehobenen Preissegment verkauft, während das andere Vertriebsunternehmen mit Kleinwagen in einem umkämpften Markt handelt. Dies sind aber häufig Informationen, die ohne spezielle Aufzeichnungen offen liegen.
8.85
Keine Notwendigkeit dieser Angaben. Für an den Mindestanforderungen ausgerichtete Aufzeichnungen ist daher eine ausführliche Beschreibung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse i.d.R. nicht erforderlich.4 D.h., 1 In Kapitel V der OECD-Leitlinien 2010 (Dokumentation) sind diese Angaben ebenfalls aufgeführt. Vgl. Tz. 5.22 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. Tz. 1.55 OECD-Leitlinien 2010. 3 Vgl. Ernst & Young, Verrechnungspreise – Dokumentationsmanagement nach den neuen Mitwirkungspflichten, redaktionelle Gesamtverantwortung bei Wehnert/Wellens, Teil C. Rz. 22. 4 A.A. Ernst & Young, Verrechnungspreise – Dokumentationsmanagement nach den neuen Mitwirkungspflichten, redaktionelle Gesamtverantwortung bei Weh-
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C. Sachverhaltsdokumentation
bei Fehlen dieser Informationen tritt keine Unverwertbarkeit ein. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn das Unternehmen Markt- und Wettbewerbsverhältnisse anführt, um damit Besonderheiten in der Verrechnungspreisfestsetzung (z.B. besonders niedrige oder besonders hohe Margen) zu begründen. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn für einen datenbankgestützten Margenvergleich Daten von branchenfremden Unternehmen herangezogen werden. Hier muss anhand einer Analyse des Marktumfelds und der Wettbewerbsverhältnisse die Vergleichbarkeit der Verhältnisse dargelegt werden (Rz. 8.153 und S. 1127, Fn. 5). 6. Wertschöpfungsanalyse Umfang der Angaben. Eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und des Wertschöpfungsbeitrags des Unternehmens im Rahmen der Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Unternehmen im Ausland ist Gegenstand von § 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV. Unter dem Begriff „Wertschöpfung“ oder „Wertschöpfungsbeitrag“ versteht man nach der Definition der Finanzverwaltung die Differenz zwischen dem vom Abnehmer gezahlten Preis für eine erbrachte Leistung (Marktpreis) und den vom Leistungserbringer aufgewendeten Kosten für in Anspruch genommene Vorleistungen.1 Eine Wertschöpfungskette beschreibt, welche Stufen der Leistungserbringung das Konzernunternehmen oder der Konzern z.B. bei der Herstellung eines Produkts (Forschung- und Entwicklung, Fertigung von Komponenten, Endmontage, Marketing, Vertrieb usw.) übernimmt.2 nert/Wellens, Teil C. Rz. 83; Linklaters Oppenhoff&Rädler, Dokumentation von Verrechnungspreisen: Ein Leitfaden für die Praxis, 41. Diese Auffassungen gehen davon aus, dass im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation nach § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV bzw. § 1 Abs. 3 Satz 1 GAufzV die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse stets zu analysieren sind. Dem steht allerdings entgegen, dass eine detaillierte Ermittlung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse in vielen Fällen keine zusätzlichen verrechnungspreisrelevanten Informationen liefert. Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 31. Insoweit greift der generelle Vorbehalt in § 4 Satz 1 GAufzV, dass nur solche Informationen aufzeichnungspflichtig sind, die Bedeutung für die Prüfung von Verrechnungspreisen (d.h. eine konkrete Auswirkungen auf die Preisgestaltung) haben. Zu Fällen, in denen auch nach der hier vertretenen Auffassung eine Erläuterung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse relevant ist, vgl. nächsten Absatz im Text. 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.5. Hingegen wird der Begriff „Wertschöpfung“ in der Betriebswirtschaftslehre anders definiert. Nach Albach, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre3, 10, wird hierunter die Differenz zwischen dem Wert eines hergestellten Produkts bzw. einer erbrachten Leistung und der dafür aufgewendeten Produktionsfaktoren (Betriebsmittel, Werkstoffe, Arbeit) verstanden. Der Unterschied liegt in der Einbeziehung der neben dem Einkauf von Vorleistungen entstandenen Kosten des Unternehmens, z.B. der Personalkosten oder des Wertverzehrs des eingesetzten Anlagevermögens. Diesem Unterschied kommt im Hinblick auf die Verwendung von Wertschöpfungsanalysen für die Aufzeichnungen zu Verrechnungspreisen allerdings keine entscheidende Bedeutung zu. Daher kann die Definition der Finanzverwaltung übernommen werden. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.5.
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8.86
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Nach der Gesetzesbegründung zur GAufzV können Angaben zur Wertschöpfungskette Hinweise darauf geben, ob inländische Konzernunternehmen angemessen an dem durch den Gesamtkonzern erwirtschafteten Gewinn beteiligt sind.1 Infolgedessen sollen Informationen zur Wertschöpfung in die Aufzeichnungen aufgenommen werden. Die Angabepflicht für diesbezügliche Informationen ist sachgerecht.
8.87
Subjektive Einschätzungen. Angaben und Überlegungen zur Wertschöpfung sind jedoch häufig subjektive Einschätzungen eines Betrachters. Daher ist es ausreichend, im Rahmen der Wertschöpfungsanalyse solche Informationen zur Verfügung zu stellen, die geeignet sind, grobe Missverhältnisse zwischen Umfang und Bedeutung der durch ein Konzernunternehmen in einem Staat übernommenen Tätigkeiten und der Gewinnbeteiligung dieses Konzernunternehmens am Gesamtgewinn des Konzerns deutlich zu machen. Dies steht auch in Einklang mit der Gesetzesbegründung, wo dargelegt wird, dass die Wertschöpfungsanalyse „Hinweise“ auf eine angemessene Beteiligung am Gesamtgewinn geben soll.
8.88
Angaben der Funktions- und Risikoanalyse. Aus einer ausführlichen Funktions- und Risikoanalyse, welche die unter Rz. 8.65 ff. aufgeführten Informationen enthält, wird bereits zu erkennen sein, welche Funktionen im Leistungserstellungsprozess des Konzerns ausgeübt werden und welche Konzernunternehmen diese Tätigkeiten übernehmen. Ebenso ergeben sich aus der Beschreibung der übernommenen Funktionen und Risiken Anhaltspunkte für den Wertschöpfungsbeitrag der einzelnen Konzernunternehmen an den Ausgangsleistungen des Konzerns.2 Anhand dieser Informationen wird für den Adressaten der Aufzeichnungen bereits erkennbar, ob grobe Missverhältnisse zwischen den von den Konzernunternehmen übernommenen Tätigkeiten und der Gewinnallokation im Konzern bestehen. Bei einer ausführlichen Funktions- und Risikoanalyse ist daher i.d.R. eine detaillierte Wertschöpfungsanalyse entbehrlich.3
8.89
Auswirkungen des Fehlens von Angaben. Das Fehlen einer Wertschöpfungsanalyse führt daher nicht zu unverwertbaren Aufzeichnungen i.S.v. § 162 Abs. 3 AO, wenn die Funktionen und Risiken entsprechend den Anforderungen dargestellt werden. Bei mangelnden Angaben zur Funktions- und Risikoanalyse und gleichzeitig fehlender Wertschöpfungsanalyse wird sich hingegen eine Sanktion bereits aus dem Fehlen der Informationen zu den Funktionen und Risiken ergeben, da es sich insofern um zwingend erforderliche Angaben handelt (Rz. 8.76). 1 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 12. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.5, 5. Abs. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.5, 5. Abs.; Lenz/Fischer/Schmidt, BB 2005, 1257; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 178; Ruiner, DStR 2012, 1528.
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C. Sachverhaltsdokumentation
Neben ihrer oben beschriebenen Funktion im Rahmen der Sachverhaltsdokumentation kann eine Wertschöpfungsanalyse auch eingesetzt werden, um im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation Gewinnaufteilungen, Gewinnaufschläge oder Margen zu begründen.1 Hierauf wird im Einzelnen unter Rz. 8.146 eingegangen. 7. Zwischenergebnis Nicht zwingend erforderliche Angaben. Von der zur materiellen Verrechnungspreisbestimmung erforderlichen Funktions- und Risikoanalyse sind die Angaben über vereinbarte Vertragsbedingungen, über gewählte Geschäftsstrategien, über bedeutsame Markt- und Wettbewerbsverhältnisse sowie zu Wertschöpfungsbeiträgen und zur Wertschöpfungskette abzugrenzen. Diese Angaben sind nicht zwingend erforderlich für die Verrechnungspreisbestimmung. Ihr Fehlen führt daher nicht zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen. Ausnahmen gelten aber, wenn die Verrechnungspreisermittlung des Unternehmens z.B. auf besonderen Marktoder Wettbewerbsverhältnissen oder auf einer Aufteilung des Konzerngewinns nach Wertschöpfungsbeiträgen beruht.
8.90
V. Darstellungen der konkreten Verrechnungspreisermittlung (§ 4 Nr. 4 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 4 Nr. 4 GAufzV Angaben zur konkreten Verrechnungspreisermittlung. Zur konkreten Verrechnungspreisermittlung sind nach § 4 Nr. 4 GAufzV verschiedene Angaben zu machen. Sie werden sich im Regelfall auf zulässigerweise zusammengefasste Gruppen von Geschäftsvorfällen bzw. Geschäftsvorfälle mit Produkten bestimmter Produktgruppen beziehen (Rz. 8.36 ff). Im Einzelfall ist auch eine Darstellung für einen einzelnen Geschäftsvorfall denkbar, insbesondere dann, wenn es sich um außergewöhnliche Geschäftsvorfälle, einmalige Veräußerungen oder Ähnliches handelt.2
8.91
Angaben nach § 4 Nr. 4 Buchst. a und Buchst. b GAufzV. Zur Verrechnungspreisermittlung ist nach § 4 Nr. 4 Buchst. a GAufzV zunächst die angewendete Methode anzugeben. Dies ist unproblematisch. In der Regel wird eine der in Kap. 5 erläuterten klassischen Methoden zur Anwendung kommen. Die Begründung der angewandten Verrechnungspreismethode (§ 4 Nr. 4 Buchst. b GAufzV) ist Bestandteil der Angemessenheitsdokumentation. Auf die dortigen Erläuterungen (Rz. 8.120) wird verwiesen.
8.92
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6, Buchst. b., dritter Spiegelstrich. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.13, Abs. 1
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
8.93
Angaben nach § 4 Nr. 4 Buchst. c GAufzV. Die nach § 4 Nr. 4 Buchst. c GAufzV zu erstellenden Unterlagen zu den Berechnungen bei Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode zählen dagegen zum Bereich der Sachverhaltsdokumentation. Sie dienen der Erkenntnis, wie der Verrechnungspreis konkret ermittelt wurde und welche Daten bzw. Zahlen zugrunde gelegt wurden. Die anzugebenden Daten variieren dabei nach der angewandten Verrechnungspreismethode.1 Aufzeichnungen für mehr als eine geeignete Verrechnungspreismethode sind nicht erforderlich.2 Die Angabepflicht nach § 4 Nr. 4 Buchst. c GAufzV schließt ferner die Vorlage der den Leistungsbeziehungen zwischen den Konzernunternehmen zugrunde liegenden Verträge oder Vereinbarungen ein (vgl. Rz. 8.58).3 In diesen Dokumenten werden i.d.R. Einzelheiten zur Bestimmung des Verrechnungspreises enthalten sein. Sind keine schriftlichen Verträge vorhanden, so begründet dies keinen Dokumentationsmangel. Zwar sind aus Gründen der Klarheit und Nachvollziehbarkeit schriftliche Verträge bzw. Vereinbarungen grds. zu empfehlen. Zwingend erforderlich sind schriftliche Verträge bzw. Vereinbarungen indes nicht, wenn der angesetzte Preis angemessen ist.4
8.94
Angaben nach § 4 Nr. 4 Buchst. d GAufzV. Hinsichtlich der nach § 4 Nr. 4 Buchst. d GAufzV erforderlichen Aufbereitung von Vergleichsdaten sowie der Darstellung der vorgenommenen Anpassungsrechnungen ist zu differenzieren. Die Informationen zählen zur Angemessenheitsdokumentation, wenn damit die vereinbarten Verrechnungspreise verprobt oder belegt werden sollen. Wurde der Verrechnungspreis hingegen unter Anwendung der Preisvergleichsmethode bestimmt und wurden hierzu ggf. Anpassungsrechnungen vorgenommen, so wird mit Angabe der Daten dargestellt, wie der Verrechnungspreis konkret ermittelt wurde. Dies entspricht dem Inhalt von § 4 Nr. 4 Buchst. c GAufzV und ist damit Gegenstand der Sachverhaltsdokumentation. 2. Erforderliche Sachverhaltsinformationen bei Anwendung einzelner Verrechnungspreismethoden a) Preisvergleichsmethode
8.95
Angaben bei Anwendung der Preisvergleichsmethode. Wird die Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 5.5 ff.) zur Verrechnungspreisermittlung angewendet, müssen die Aufzeichnungen die entsprechenden Vergleichsdaten sowie Angaben zu ggf. durchgeführten Überleitungsrechnungen (§ 4 Nr. 4 Buchst. d GAufzV) beinhalten. 1 So zutreffend § 2 Abs. 2 Satz 1 GAufzV. 2 Vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV. 3 Hiervon abzugrenzen ist die Verpflichtung nach § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV, eine Übersicht über die Verträge mit anderen Konzernunternehmen zu erstellen. Diese Verpflichtung erstreckt sich nur auf die Auflistung der Verträge, nicht aber auf deren Vorlage bzw. die Angabe deren Inhalts. 4 Vgl. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161, rkr.; Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 33.
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C. Sachverhaltsdokumentation
Innerer Preisvergleich. Wird ein innerer Preisvergleich durchgeführt, sind alle Daten über Geschäfte mit den Produkten der relevanten Produktgruppe zwischen Konzernunternehmen und fremden Unternehmen aufzuzeichnen. Hierzu ist dann darzustellen, wie aus den Vergleichsdaten der für die Leistungen zwischen Konzernunternehmen angesetzte Verrechnungspreis ermittelt wurde (z.B. durch eine Bandbreitenbetrachtung oder durch Auswahl eines Wertes, bei dem die höchste Wahrscheinlichkeit für eine Richtigkeit vermutet wird). Ferner sind die Rechenschritte bei Überleitungsrechnungen zu erläutern, z.B. wenn Funktionen und Risiken bei den Geschäften mit Fremden gegenüber den Geschäften zwischen den Konzernunternehmen abweichen.1
8.96
Äußerer Preisvergleich. Bei einem äußeren Preisvergleich sind die verfügbaren Informationen zu Geschäften zwischen fremden Dritten mit einem entsprechenden Produkt aufzuzeichnen. Ferner ist anzugeben, aus welcher Quelle die Information stammt, um eine Verifizierung zu ermöglichen. Am einfachsten lässt sich ein äußerer Preisvergleich durchführen, wenn Börsen- oder Marktpreise für ein Produkt (insbesondere für Rohstoffe) vorhanden sind. In diesem Fall sind außer der Aufzeichnung des Börsen- oder Marktpreises keine weiteren Informationen erforderlich. Auch bei einem äußeren Preisvergleich kann sich allerdings die Notwendigkeit für Überleitungsrechnungen ergeben, wenn Zusatzleistungen erbracht oder Risiken abweichend verteilt werden (s.o.). Weitergehende Begründungen, warum eine Vergleichbarkeit der Geschäfte gegeben ist und warum die Zu- oder Abschläge bei eventuellen Überleitungsrechnungen in der gewählten Höhe angesetzt wurden, sind als Gegenstand der Angemessenheitsdokumentation (Rz. 8.122 ff.) anzusehen.
8.97
b) Wiederverkaufspreismethode Angaben bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode. Wird zur Bestimmung des Verrechnungspreises die Wiederverkaufspreismethode (vgl. Rz. 5.15 ff.) angewendet, sind insbesondere Angaben zu den gegenüber fremden Abnehmern erzielten Preisen erforderlich.2 Diese werden sich i.d.R. bereits aus den in der Buchhaltung aufzubewahrenden Ausgangsrechnungen ergeben (vgl. hierzu auch Rz. 8.3 ff.),3 so dass die Daten nicht zusätzlich aufgezeichnet werden müssen. Durch Abzug der nach der (Vertriebs-)Vereinbarung zwischen den Konzernunternehmen anzusetzenden Marge lässt sich so abgleichen, ob der Verrechnungspreis entsprechend der (Vertriebs-)Vereinbarung ermittelt wurde. Ferner sind Angaben zu den Vertriebs- und sonstigen Kosten der Vertriebseinheit (oder einer anderen Einheit, bei der die Wiederverkaufspreismethode angewendet wird) erforderlich, damit ermittelt werden kann, 1 Vgl. auch § 4 Nr. 4 Buchst. d GAufzV. 2 Vgl. IDW, Beiheft zu FN-IDW 4/2006, B10. 3 Vgl. zu Aufbewahrungspflichten für inländische Gesellschaften § 144 AO.
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8.98
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
welchen Gewinn die Vertriebsgesellschaft aus dem Vertrieb der einzelnen Produkte erzielt. Dies muss sich aber nicht zwangsläufig auf einzelne Produkte beziehen, sondern ist hier auch bezogen auf Produktgruppen oder andere im Rahmen der Palettenbetrachtung oder der Zusammenfassungsregeln nach § 2 Abs. 3 GAufzV gebildete Gruppen möglich. Soweit die Aufzeichnungen für ein inländisches Unternehmen zu erstellen sind, das Lieferungen an eine ausländische verbundene Vertriebsgesellschaft tätigt (das inländische Unternehmen wird dabei meist als Strategieträger zu qualifizieren sein), wird es häufig sinnvoll sein, zusätzlich für das inländische Unternehmen die Deckungsbeiträge aus den Lieferungen an die Vertriebsgesellschaft zu ermitteln und aufzuzeichnen. So lässt sich ggf. zeigen, dass auch das inländische Unternehmen ein ausreichend positives Ergebnis aus den Lieferbeziehungen erzielt. Verpflichtend ist dies jedoch nicht, da die Angemessenheit der Vergütungen ausgehend von der (ausländischen) Vertriebseinheit als funktionsausübendem oder funktionsleitendem Unternehmen vorzunehmen ist (Rz. 8.127 und Rz. 8.102). c) Kostenaufschlagsmethode
8.99
Angaben bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode. Bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) ist es vor allem erforderlich, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde liegenden Daten zu ermitteln. Hier müssen aus der betrieblichen Kostenrechnung für die einzelnen Produkte oder Leistungen die Kosten entnommen werden, die nach der vertraglich zwischen den Konzernunternehmen vereinbarten Kalkulationsmethode in die Berechnung des Entgelts eingehen.1 Bei einer Auftragsproduktion werden dies i.d.R. Materialeinzel- und Materialgemeinkosten, Fertigungseinzel- und Fertigungsgemeinkosten sowie Verwaltungsgemeinkosten sein. Die Kostenpositionen können auch kalkulatorische Kosten beinhalten, wenn dies nach dem vereinbarten Kalkulationsschema vorgesehen ist.2 Zu beachten ist auch, ob die vertragliche Vereinbarung auf Plan- oder Istkosten abstellt. Bei vereinbarten Plankosten3 müssen diese sowie – zum Abgleich – die nachher tatsächlich angefallenen Ist-Kosten aufgezeichnet werden.4 Bei vereinbarten Ist-Kosten ist die Aufzeichnung der Ist-Kosten ausreichend. Diese Kosten sind – heruntergebrochen auf eine oder eine bestimmte Anzahl von Einheit(en) eines Produkts – darzustellen, so dass erkennbar ist, ob die Summe dieser Kosten zzgl. des angesetzten Gewinnaufschlags dem 1 Vgl. IDW, Beiheft zu FN-IDW 4/2006, B10. 2 Vgl. Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791. 3 Die Vereinbarung von Plankosten ist i.d.R. vorzuziehen, da sowohl Unwirtschaftlichkeiten als auch Kostenvorteile zu Lasten bzw. zugunsten des Unternehmens gehen, welches für die Abweichung verantwortlich ist, vgl. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.201 f. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. c.
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C. Sachverhaltsdokumentation
tatsächlich verrechneten Preis entspricht. Ergänzt werden können die Angaben um – die monatlichen oder jährlichen Abrechnungen des Lohnfertigungsunternehmens, aus denen sich die Menge der gelieferten Artikel und der Verrechnungspreis entnehmen lässt, sowie um – Kostenstellenrechnungen sowie – zu Verprobungszwecken – detaillierte Gewinn- und Verlustrechnungen des Lohnfertigers für jedes Jahr. d) Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode Angaben bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Für die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM, vgl. Rz. 5.92 ff.) gelten die Ausführungen in den vorstehenden Abschnitten weitgehend entsprechend. Dies ist auf die methodische Nähe der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode zur Kostenaufschlags- bzw. Wiederverkaufspreismethode zurückzuführen. Erforderlich sind insbesondere die Angabe der in die Verrechnungspreisermittlung einzubeziehenden Kostenkategorien sowie die Höhe der insoweit angefallenen Kosten (Rz. 5.106). Daneben ist die Höhe der angesetzten Umsatzrendite anzugeben.
8.100
3. Erforderliche Sachverhaltsinformationen in Abhängigkeit von der Funktion des Unternehmens Funktionsabhängigkeit der erforderlichen Sachverhaltsinformationen. Neben der Abhängigkeit der für die Verrechnungspreisanalyse anzugebenden Daten von der angewandten Methode besteht auch eine Abhängigkeit zu der von der Einheit ausgeübten Funktion (Strategieträger, Funktionsleitung, Funktionsausübung):
8.101
Strategieträger. Übt ein Konzernunternehmen Funktionen eines Strategieträgers (Rz. 4.62) aus, so wird bei ihm der Residualgewinn aus dem Geschäft anfallen. Allein aus der Perspektive des Strategieträgers und anhand seiner Daten kann die Angemessenheit der Verrechnungspreise für die von ihm bei anderen Konzernunternehmen bezogenen Eingangsleistungen (z.B. Auftragsfertigung, Vertriebsdienstleistung als Kommissionär) oder für seine Ausgangsleistungen an andere Konzernunternehmen (z.B. Warenlieferung an eine als Eigenhändler auftretende Vertriebsgesellschaft) jedoch im Regelfall nicht bestimmt und/oder aufgezeichnet werden. Die Daten aus der Sphäre des Strategieträgers lassen eine Anwendung der Kostenaufschlags-, der Wiederverkaufspreis oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode nicht zu. Hierzu muss auf die Daten (insbesondere die Kosten) der funktionsleitenden oder funktionsausübenden Einheiten zurückgegriffen werden. Etwas anderes gilt nur, wenn der Verrechnungspreis über einen tatsächlichen Fremdvergleich unter Anwendung der Preisvergleichsmethode ermittelt wird und der Strategieträger Zugang zu diesen Daten hat. Für ein Konzernunternehmen mit
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Strategieträgereigenschaft bedeutet dies, dass es die Daten der funktionsleitend oder funktionsausübend tätigen Einheiten vorhalten und dem Finanzamt auf Anforderung zur Verfügung stellen muss, wenn diese Einheiten Leistungen für den Strategieträger erbringen bzw. seine Produkte abnehmen und vertreiben.1 Anders kann keine Überprüfung der Angemessenheit der Verrechnungspreise und damit auch des Residualgewinns als Folgegröße erfolgen.2 Das Konzernunternehmen mit Strategieträgereigenschaft muss daher mit den funktionsausübenden Einheiten vertraglich vereinbaren, dass die funktionsausübenden Einheiten die entsprechenden Daten zur Verfügung stellen.3
8.103
Funktionsausübend tätige Einheit. Für die Aufzeichnungen einer funktionsausübend tätigen Einheit (Rz. 4.67) sind dementsprechend nur Daten aus ihrer eigenen Sphäre relevant. Auf Daten der anderen in den Leistungsprozess des Konzerns einbezogenen Konzernunternehmen, insbesondere des Strategieträgers, braucht nicht zurückgegriffen zu werden.
8.104
Funktionsleitend tätige Einheit. Bei einer funktionsleitend tätigen Einheit, die nicht zugleich auch Strategieträger ist, ist zu differenzieren. Bezieht sie Eingangsleistungen anderer funktionsausübender Einheiten, so muss sie – wie oben für den Strategieträger beschrieben – die Daten der funktionsausübenden Einheit in ihre Aufzeichnungen einbeziehen und diese Daten bei Bedarf zur Verfügung stellen können. Andernfalls, d.h. bei keinem Bezug von Eingangsleistungen durch funktionsausübende Einheiten, reichen – wie bei einer funktionsausübenden Einheit – die eigenen Daten für die Aufzeichnungen zur Verrechnungspreisanalyse aus.
VI. Sachverhaltsdokumentation in speziellen Fällen (§ 5 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 5 GAufzV
8.105
Fallgruppen. Zusätzlich zu den allgemein erforderlichen Aufzeichnungen nach § 4 GAufzV sind bei besonderen Umständen für die Verrechnungspreisbestimmung hierüber nach § 5 GAufzV ergänzende Aufzeichnungen anzufertigen. Die ergänzenden Aufzeichnungen müssen den Anforderungen der §§ 1–3 GAufzV genügen, d.h. sie müssen einem sachverständigen 1 Vgl. insoweit auch die Ausführungen zur Beweisvorsorgepflicht bei Anwendung von § 90 Abs. 2 AO in BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.3.3. 2 Vgl. die insoweit zutreffende Regelung in BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b. Dort wird ausgeführt, dass sich die Angemessenheit des Ergebnisses eines Strategieträgers (Entrepreneur) nicht durch einen Gewinnvergleich beurteilen lässt; vielmehr ist das Ergebnis eine Residualgröße nach Abzug der Vergütungen für (Eingangs-)Leistungen nahe stehender Unternehmen. Mit anderen Worten: Die (Eingangs-)Leistungen müssen auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.3.3.
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C. Sachverhaltsdokumentation
Dritten (Prüfer) eine Beurteilung der Angemessenheit der auf den besonderen Umständen beruhenden Verrechnungspreise ermöglichen. Zum einen sind solche aufzeichnungspflichtigen „besonderen“ Umstände in den in § 5 Satz 2 GAufzV aufgezählten Fällen gegeben (§ 5 Satz 1 Alt. 1 GAufzV).1 Zum anderen sind zusätzliche Aufzeichnungen stets in den Fällen erforderlich, in denen der Steuerpflichtige sich zur Begründung der Fremdüblichkeit seiner Verrechnungspreise auf besondere Umstände beruft (§ 5 Satz 1 Alt. 2 GAufzV). Jedoch ist dieser Regelung keine weitere Bedeutung beizumessen. Dem Kontext von § 5 GAufzV kann entnommen werden, dass es sich bei den besonderen Umständen nur um die in Satz 2 der Vorschrift aufgeführten Sachverhalte handelt.2 Zu den in der GAufzV aufgeführten „Katalogfällen“, in denen „besondere“ Umstände vorliegen, werden jeweils Unterlagen benannt, die zur Erläuterung der Verrechnungspreisbestimmung bzw. zur Angemessenheitsprüfung (vgl. Rz. 8.162)3 durch die Finanzverwaltung dienen können. Bei den angeführten Unterlagen handelt es sich um keine abschließende Aufzählung. Jedoch kann erwartet werden, dass die Finanzverwaltung keine wesentlich höheren Anforderungen in diesen Fällen stellt.4 2. Umlagevereinbarungen Aufzeichnungen zu Umlagevereinbarungen. Ein Fall, für den § 5 GAufzV ergänzende Aufzeichnungen vorsieht, sind sog. Umlagevereinbarungen. Zum Gegenstand von Umlagevereinbarungen und zu den entsprechenden Rechtsquellen vgl. Rz. 6.326 ff. Eine Umlagevereinbarung i.S. dieser Regelungen liegt vor, wenn sich mehrere Unternehmen über einen längeren Zeitraum zusammenschließen, um im gemeinsamen Interesse Leistungen zu erbringen oder zu erhalten.5 Typischer Fall ist z.B. eine Vereinbarung mehrerer (Konzern-)Unternehmen zur gemeinsamen Einrichtung und Nutzung eines EDV-Systems. Die VWG-Umlage, die vor Einführung der Aufzeichnungspflichten in § 90 Abs. 3 AO ergingen, enthalten auch spezielle Regelungen zu Auf-
1 Die in der Liste aufgeführten Fälle wurden zum Teil aus den Tz. 5.19 ff. OECDLeitlinien 2010 übernommen. 2 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 245 f.; Ferner werden in BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.15 die Fallgruppen mit „besonderen Umständen“ abschließend aufgezählt. 3 Zu einzelnen Punkten, die der Angemessenheitsdokumentation zuzuordnen sind (z.B. Änderung von Geschäftsstrategien, besondere Umstände für die Verrechnungspreisbegründung, Verlustsituation). 4 Hierfür spricht, dass in BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.15 keine zusätzlich erforderlichen Dokumente aufgeführt werden. 5 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Abschn. 1.1; Tz. 8.3 OECD-Leitlinien 2010.
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8.106
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
zeichnungen bei Umlagevereinbarungen.1 Diese sind Tz. 8.41 f. der OECD-Leitlinien nachempfunden und entsprechen im Wesentlichen den nunmehr nach § 5 Satz 2 Nr. 2 GAufzV erforderlichen Angaben und Unterlagen (Umlageverträge, Unterlagen über die Anwendung des Aufteilungsschlüssels, Informationen zum erwarteten Nutzen für alle Poolmitglieder usw.). Es ist zu vermuten, dass mit der Regelung in § 5 Satz 2 Nr. 2 GAufzV vorrangig beabsichtigt war, die Aufzeichnungsanforderungen der VWG-Umlage gesetzlich zu verankern und so ihre Anwendbarkeit sicherzustellen. Damit die Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO Anwendung finden, ist zunächst Voraussetzung, dass die Umlagevereinbarung als Geschäftsbeziehung qualifiziert werden kann. Diese Voraussetzung ist erfüllt, da es sich bei Umlageverträgen um schuldrechtliche Vereinbarungen handelt. In § 1 Abs. 1 Satz 3 GAufzV wird darüber hinaus klargestellt, dass die Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO auch für Geschäftsbeziehungen gilt, denen kein Leistungsaustausch zugrunde liegt. Umlagevereinbarungen werden als entsprechendes Beispiel hierfür angeführt.2 Wenngleich sich Umlagevereinbarungen von „normalen“ Leistungsverrechnungen unterscheiden, sind gewisse Aufzeichnungspflichten auch hier gerechtfertigt. Der Finanzverwaltung müssen die Sachverhaltsinformationen zur Verfügung gestellt werden, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob bei einer Umlagevereinbarung in einer Unternehmensgruppe die Kostenzuweisung an das inländische Unternehmen angemessen ist und inländische Unternehmen nicht zugunsten anderer Gruppenunternehmen unangemessen belastet werden. Fehlen hierzu die grundlegenden Informationen (Art und Umfang der bezogenen Leistungen, Aufteilungsschlüssel und hierfür relevante Faktoren)3, liegen bezogen auf die „Geschäftsbeziehung“ Umlage keine verwertbaren Aufzeichnungen vor. 3. Verrechnungspreiszusagen oder -vereinbarungen mit ausländischen Steuerbehörden
8.107
Aufzeichnungen zu Verrechnungspreiszusagen und -vereinbarungen. Nach § 5 Satz 2 Nr. 3 GAufzV sind auch Unterlagen zu Verrechnungspreiszusagen oder -vereinbarungen mit ausländischen Steuerbehörden sowie zu beantragten Verständigungs- oder Schiedsverfahren (nachfolgend zusammenfassend: „Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Steuerbehörden“) in die Aufzeichnungen zu den Verrechnungspreisen aufzunehmen. Insbesondere Informationen zu einseitigen Verrechnungspreiszusagen oder -vereinbarungen von bzw. mit ausländischen Steuerbe1 Vgl. im Einzelnen BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Abschn. 5. 2 Kritisch zu Aufzeichnungspflichten bei Umlagevereinbarungen: Schnorberger, DB 2003, 1242. 3 Vgl. Böcker, StBp. 2008, 11.
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C. Sachverhaltsdokumentation
hörden sind für die deutsche Finanzverwaltung von Interesse.1 Die Finanzverwaltung beabsichtigt insoweit zu prüfen, ob sich die entsprechenden Vereinbarungen auf die Verrechnungspreise für die betroffenen Geschäftsbeziehungen ausgewirkt haben und ob dies zum Nachteil des deutschen Fiskus geschah.2 Gleichwohl muss gefragt werden, inwieweit die Vorlagepflicht in § 5 Satz 2 Nr. 3 GAufzV für die Unterlagen zu Verrechnungspreiszusagen u. Ä. berechtigt und durch den Ermächtigungsrahmen in § 90 Abs. 3 AO gedeckt ist. Es handelt sich insoweit – anders als bei den typischen Sachverhaltsinformationen, wie z.B. übernommene Funktionen und Risiken, eingesetzte Wirtschaftsgüter – nicht um Informationen, die für die Bestimmung eines angemessenen Verrechnungspreises erforderlich sind. Vielmehr kann es aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung hier nur darum gehen, ein Motiv aufzuspüren, auf Grund dessen der Steuerpflichtige seine Verrechnungspreise möglicherweise unangemessen (und zwar zu Lasten des deutschen Fiskus) festgelegt haben könnte. Für den Fall, dass Vereinbarungen mit ausländischen Finanzverwaltungen den Preis beeinflusst haben, sind nach Schreiber die entsprechenden Auswirkungen auf den Preis aufzuzeichnen.3 Er zählt dies zu den rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen für die Preisbildung. Dem steht allerdings entgegen, dass nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AO nur die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Preisvereinbarung aufzuzeichnen sind. Hierzu sind aber – wie oben dargelegt – Informationen zu Vereinbarungen mit ausländischen Finanzverwaltungen grds. nicht geeignet. Festzuhalten ist daher, dass die Vorlagepflicht in § 5 Satz 2 Nr. 3 GAufzV für die Unterlagen zu Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Steuerbehörden nicht durch den Ermächtigungsrahmen in § 90 Abs. 3 AO gedeckt ist. Infolgedessen führt das isolierte Fehlen von Informationen zu Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Finanzbehörden nicht zu einer im Wesentlichen unverwertbaren Dokumentation. Wenn Verrechnungspreise allerdings allein auf eine Vorgabe einer ausländischen Finanzverwaltung zurückgehen, muss dies bei den Angaben zu der konkreten Verrechnungspreisermittlung nach § 4 Nr. 4 GAufzV erläutert werden. Um Konflikte mit der deutschen Finanzverwaltung im Hinblick auf die Vorlagepflicht zu vermeiden, ist es jedoch ratsam, bei Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Finanzbehörden auch in anderen Fällen entsprechende Angaben im Rahmen der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO zu machen.
1 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 247. 2 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2005, F. 3, Deutschland, Gr. 1, 2102. 3 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 247. Ähnlich Frotscher in FS Wassermeyer, 402.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
4. Aufzeichnungen über Preisanpassungen
8.108
Aufzeichnungen über Preisanpassungen. Als ergänzende Aufzeichnungen, die zum Bereich der Sachverhaltsdokumentation gezählt werden können, sieht § 5 Satz 2 Nr. 4 GAufzV ferner Angaben zu Preisanpassungen beim Steuerpflichtigen an. Die Aufzeichnungen sollen nach der Formulierung in der GAufzV auch dann erforderlich sein, wenn sie auf Verrechnungspreiskorrekturen oder Vorwegauskünfte ausländischer Finanzverwaltungen zurückgehen. Insoweit besteht eine Verbindung zu der im vorstehenden Abschnitt erläuterten Aufzeichnungspflicht in Zusammenhang mit Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Finanzbehörden. Der Anwendungsbereich von § 5 Satz 2 Nr. 4 GAufzV ist indes unklar. Wenn sich der Verrechnungspreis für ein Produkt oder eine Leistung ändert, so geht dies entweder bereits aus der „normalen“ Sachverhaltsdokumentation (§ 4 Abs. 4 GAufzV) hervor oder lässt sich aus der Buchhaltung und den entsprechenden Rechnungen nachvollziehen. Die Auflistung jährlich üblicher und im Vorhinein vereinbarter Preisanpassungen (z.B. bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode durch gestiegene Eingangskosten) kann daher nicht beabsichtigt sein. Auch wenn eine Preisanpassung für die Zukunft auf Verrechnungspreiskorrekturen oder Vorwegauskünfte ausländischer Finanzbehörden zurückgeht, besteht aus den vorgenannten Gründen kein Bedarf für zusätzliche Angaben. Nach Verwaltungsauffassung werden von § 5 Satz 2 Nr. 4 GAufzV nur nachträgliche Preisanpassungen erfasst.1 Diese Einschränkung erscheint vor dem Hintergrund der obigen Überlegung (keine Aufzeichnungspflicht für „normale“ Preisanpassungen) konsequent. Allerdings ist auch hier nicht hinreichend klar, was mit nachträglichen Preisanpassungen gemeint ist. Dies kann einerseits eine Preisanpassung sein, mit der Preise rückwirkend für die Vergangenheit korrigiert werden sollen. Andererseits könnte man darunter auch die Änderung einer bestehenden Preisvereinbarung mit Wirkung ausschließlich für die Zukunft verstehen. Diese Auslegung macht vor dem Hintergrund der Überlegungen im vorstehenden Absatz allerdings kaum Sinn. Infolgedessen werden im Folgenden unter nachträglichen Preisanpassungen lediglich Preisanpassungen mit Rückwirkung für die Vergangenheit verstanden. Zu den nachträglichen Preisanpassungen soll jeweils der Grund angegeben werden, wofür in den VWG-Verfahren Verrechnungspreiskorrekturen ausländischer Staaten als Beispiel angeführt werden.2 Dieses Beispiel trifft in seiner Allgemeinheit nicht zu. So kann eine Gegenberichtigung als Reaktion auf eine Verrechnungspreiskorrektur im Ausland durch einen Änderungsantrag für die betroffenen Steuerveranlagungen erreicht werden. Dann liegt der Sachverhalt der Finanzverwaltung offen, so dass zusätzli1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.15. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.15.
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C. Sachverhaltsdokumentation
che Aufzeichnungen entbehrlich sind. Allenfalls wenn die Korrektur durch erfolgswirksame Einbuchung einer Forderung/Verbindlichkeit im aktuellen Wirtschaftsjahr erfolgt, könnte ein entsprechender Hinweis in den Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO angezeigt sein. Die nachträgliche Preisanpassung ist zusammen mit ihrer Ursache und den dazu gehörenden Sachverhaltsangaben bei der Geschäftsbeziehung aufzuzeichnen (Lieferung, Dienstleistung o.Ä.), zu der sie gehört. Dabei sind regelmäßig auch Angaben zur Angemessenheitsdokumentation zu machen, um darzulegen, dass die Preisanpassung auch nachträglich gerechtfertigt war (Rz. 8.163). Das isolierte Fehlen von Angaben zu nachträglichen Preisanpassungen ist nur schwer vorstellbar. Dies begründet sich damit, dass die entsprechenden Informationen bereits bei den regulären Aufzeichnungen berücksichtigt werden müssen. Ist dies nicht geschehen, sind die regulären Aufzeichnungen unter Umständen unvollständig oder unzutreffend. Nur insoweit könnten ggf. Sanktionen greifen. 5. Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Nach § 5 Satz 2 Nr. 6 Satz 1 GAufzV werden bei Funktions- und Risikoänderungen im Unternehmen spezielle Aufzeichnungen erforderlich, wenn die Funktions- und Risikoänderungen den Bereich der Forschung und Entwicklung berühren.1 Aufzuzeichnen sind dann Informationen zu Forschungsvorhaben und laufenden Forschungsaktivitäten, die in den letzten drei Jahren vor der Funktions- und Risikoänderung stattfanden oder abgeschlossen wurden.2 § 5 Satz 2 Nr. 6 Satz 2 GAufzV beschränkt diese Aufzeichnungspflicht auf Fälle, in denen ein Unternehmen regelmäßig Forschung und Entwicklung betreibt und ohnehin aus betriebsinternen Gründen Aufzeichnungen über seine Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten und deren Stand führt, aus denen die steuerlichen Aufzeichnungen erstellt werden können. Hintergrund für die Aufzeichnungspflicht ist, dass es der Finanzverwaltung bei Funktions- und Risikoänderungen im Unternehmen (Funktionsverlagerungen) erleichtert werden soll festzustellen, ob immaterielle Vermögenswerte im Zuge der Funktions- und Risikoänderungen auf Konzernunternehmen im Ausland übergegangen sind.3 Die Regelung in § 5 Satz 2 Nr. 6 GAufzV kann als Konkretisierung der bei Funktionsverlagerungen ohnehin nach § 90 Abs. 3 AO bestehenden
1 Die Aufzählung in § 5 Satz 2 GAufzV wurde mit dem UntStRefG 2008 um die Nr. 6 ergänzt. 2 Die Informationen müssen nach § 5 Nr. 6 Satz 1 Halbs. 2 GAufzV mindestens den genauen Gegenstand der Forschungen sowie die insgesamt jeweils zuzuordnenden Kosten enthalten. 3 Vgl. BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 89.
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8.109
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Aufzeichnungspflichten angesehen werden.1 Eine Konkretisierung im positiven Sinne geht mit der Vorschrift indes nicht einher. Zum einen soll das Unternehmen Vermutungen anstellen, welche Forschungsvorhaben in Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung stehen „können“.2 Zum anderen dürfte es in der Praxis ggf. schwierig sein, eine Kostenzuordnung zu den einzelnen Forschungsvorhaben vorzunehmen. Die Rückausnahme von der Aufzeichnungspflicht in § 5 Satz 2 Nr. 6 Satz 2 GAufzV trägt solchen Schwierigkeiten nur bedingt Rechnung. Sie ist zudem unpräzise formuliert. Die Frage, ob aus betriebsinternen Aufzeichnungen die in § 5 Nr. 6 Satz 1 Halbs. 2 GAufzV geforderten Informationen (Kostenzuordnung zu den einzelnen Forschungsvorhaben) abgeleitet werden können, dürfte sich als streitanfällig erweisen. Die Vorschrift ist folglich nicht überschießend auszulegen. Aufzeichnungen sind nur zu verlangen, wenn ein konkreter Bezug zu einer Verlagerung von Forschungsaktivitäten und/oder deren Ergebnissen ins Ausland besteht. Dabei ist es ausreichend, wenn in diesen Fällen vorhandene Aufzeichnungen zum Stand der Forschungsvorhaben (z.B. Geschäftsberichte oder Berichte der Forschungsabteilung an ein Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgan) vorgelegt werden. Insbesondere besteht keine Verpflichtung, nachträglich Aufzeichnungen zu den Forschungsvorhaben und -projekten der letzten drei Jahre zu erstellen, wenn nicht bereits für unternehmensinterne Zwecke diese Informationen schriftlich zusammengestellt wurden. Ob das Fehlen von Aufzeichnungen zu Forschungsvorhaben und -projekten zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen für die zugrunde liegende Funktionsverlagerung führt, muss im Einzelfall beurteilt werden. Zunächst müssten die engen Voraussetzungen für eine Aufzeichnungspflicht vorgelegen haben, d.h. die Finanzverwaltung müsste im Zweifel nachweisen können, dass im Unternehmen betriebsinterne Aufzeichnungen zu den Forschungsvorhaben und -projekten mit den relevanten Informationen erstellt werden. Dies ist in der Praxis nur schwer vorstellbar. Ferner kommt eine Unverwertbarkeit nicht in Betracht, wenn die übrigen Aufzeichnungen zu der relevanten Funktionsverlagerung die für die Besteuerung der Funktionsverlagerung erheblichen Informationen enthalten.
VII. Ergebnisse und Klassifizierung 8.110
Angaben nach § 4 Nr. 1 und Nr. 2 GAufzV. Die in § 4 Nr. 1 und Nr. 2 GAufzV aufgeführten Angaben sind für die zutreffende Bestimmung von Verrechnungspreisen und damit für im Wesentlichen verwertbare Auf1 Vgl. Klapdor, StuW 2008, 91, der von einer Anknüpfung an die Aufzeichnungspflichten bei Funktions- und Risikoverlagerungen nach § 3 Abs. 2 GAufzV spricht. 2 Ähnlich kritisch auch Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 577.
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C. Sachverhaltsdokumentation
zeichnungen grds. nicht erforderlich (z.B. Organigramm, Tätigkeitsbeschreibung des Unternehmens, Liste der immateriellen Wirtschaftsgüter, Übersicht über die Geschäftsbeziehungen). Sie dienen im Wesentlichen dazu, dem Betriebsprüfer einen Überblick über die Geschäftsbeziehungen zu verschaffen und ihm eine Schwerpunktsetzung zu ermöglichen. Allenfalls sind die Übersicht über die Geschäftsbeziehungen sowie ein Organigramm aus formalen Gründen erforderlich, um die Prüfung innerhalb angemessener Zeit zu ermöglichen. Daher ist in der Praxis zu empfehlen, eine Übersicht über die Geschäftsbeziehungen und ein Organigramm zu erstellen, soweit diese Unterlagen nicht bereits im Unternehmen vorhanden sind. Für die Beurteilung der angemessenen Verrechnung einzelner Leistungsbeziehungen bringen diese Unterlagen jedoch keinen Informationsgewinn. Zur Liste der eingesetzten wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter (§ 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV) ist anzumerken, dass diese im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse unter Zuordnung zu einzelnen Geschäftsbeziehungen zu benennen sind. Angaben nach § 4 Nr. 3 GAufzV. Für die zutreffende Bestimmung von Verrechnungspreisen und damit für im Wesentlichen verwertbare Aufzeichnungen kann auf die in § 4 Nr. 3 GAufzV aufgeführte Funktionsund Risikoanalyse unter Angabe der eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgüter nicht verzichtet werden. Diese Angaben sind zwingend erforderlich. Die zusätzlich zur Beschreibung der übernommenen Funktionen und Risiken und der eingesetzten Wirtschaftsgüter in § 4 Nr. 3 GAufzV aufgeführten Angaben (vereinbarte Vertragsbedingungen, gewählte Geschäftsstrategien) sind hingegen meistens nicht notwendig bzw. werden bereits mit der Funktions- und Risikoanalyse abgedeckt. Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, die neben den vereinbarten Funktionen und Risiken ausschlaggebend für die Vergleichbarkeit sind, brauchen i.d.R. nicht angegeben zu werden. Ist zur Verrechnungspreisbestimmung auf Daten (z.B. Margen) unabhängiger Unternehmen zurückgegriffen worden, bei denen eine Vergleichbarkeit nicht offensichtlich gegeben ist, kann es jedoch ggf. erforderlich sein, eine detailliertere Markt- und Wettbewerbsanalyse durchzuführen, um so die Vergleichbarkeit zu belegen.
8.111
Angaben nach § 4 Nr. 4 GAufzV. Zwingend erforderlich für im Wesentlichen verwertbare Aufzeichnungen zu Verrechnungspreisen sind die unter § 4 Nr. 4 Buchst. a, Buchst. c und Buchst. d GAufzV aufgeführten Erläuterungen zur Ermittlung des angesetzten Verrechnungspreises. Dabei kommt es an dieser Stelle (Sachverhaltsdokumentation) nicht darauf an, ob es sich um eine zutreffende Ermittlung des Verrechnungspreises unter Angabe einer geeigneten Methode oder um eine „freie“ Festlegung des Verrechnungspreises ohne konkrete Anwendung einer Verrechnungspreismethode handelt.
8.112
Angaben nach § 5 Satz 2 Nr. 2–4 u. Nr. 7 GAufzV in besonderen Fällen. Bei Umlageverträgen sind die in § 5 Satz 2 Nr. 2 GAufzV aufgeführten Angaben größtenteils erforderlich. Aufzeichnungspflichtige Informationen zu Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Finanzverwaltun-
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
gen (§ 5 Satz 2 Nr. 3 GAufzV) bringen nach der hier vertretenen Auffassung keinen Informationsgewinn für die Festlegung von angemessenen Verrechnungspreisen. Zudem wird nach der hier vertretenen Auffassung die in § 5 Satz 2 Nr. 3 GAufzV getroffene Aufzeichnungspflicht nicht als im Einklang mit der Ermächtigung in § 90 Abs. 3 Satz 5 AO stehend und damit als unwirksam angesehen. Angaben zum Sachverhalt bei nachträglichen Preisänderungen werden i.d.R. bereits mit den Angaben nach § 4 Nr. 4 GAufzV abgedeckt. Angaben zur Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten nach § 5 Satz 2 Nr. 6 GAufzV können in entsprechenden Fällen – bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale der Vorschrift – erforderlich sein. Dies gilt jedoch nur insoweit, als sich die für die Besteuerung der Funktionsverlagerung erheblichen Informationen nicht bereits aus den übrigen Aufzeichnungen zu der Funktionsverlagerung ergeben.
D. Angemessenheitsdokumentation I. Überblick über Regelungen zur Angemessenheitsdokumentation 8.114
Allgemeine Anforderungen an die Angemessenheitsdokumentation. Zur Angemessenheitsdokumentation bestimmt § 90 Abs. 3 Satz 2 AO, dass die Aufzeichnungen neben Angaben zum verwirklichten Sachverhalt auch Angaben zu den rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen für eine dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechende Preisvereinbarung enthalten müssen. Diese Formulierung lässt grds. verschiedene Interpretationen zu. Allerdings ist eine Konkretisierung in der GAufzV erfolgt, der – soweit man sie nicht wegen Überschreitens des Ermächtigungsrahmens als unwirksam ansieht (Rz. 8.117) – als Rechtsverordnung nach Art. 80 GG Gesetzeskraft zukommt und die damit bindend für Steuerpflichtige, Finanzverwaltung und FG ist. In § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GAufzV wird folgende Interpretation vorgenommen: Aus den Aufzeichnungen müsse ersichtlich sein, ob und inwieweit der Steuerpflichtige Verrechnungspreise angesetzt hat, die erkennen lassen, dass er den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat.1 Ferner wird in § 1 Abs. 1 Satz 2 AO GAufzV verlangt, dass die Aufzeichnungen das „ernsthafte Bemühen“ des Steuerpflichtigen erkennen lassen müssen, seine Geschäftsbeziehung zu nahe stehenden Unternehmen im Ausland fremdvergleichskonform zu gestalten.2 Daneben gibt § 1 Abs. 3 GAufzV verschiedene Informationen vor, die aufgezeichnet werden müssen, soweit sie nach den Umständen des einzelnen Falls und insbesondere zur Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode erforderlich sind. Hierzu zählt 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.1. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.3.
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D. Angemessenheitsdokumentation
– die Darstellung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, die für die Tätigkeit des Steuerpflichtigen und damit für die Leistungsverrechnung von Bedeutung sind,1 – die Angabe von Vergleichsdaten, die insbesondere aus vergleichbaren Geschäften zwischen fremden Dritten oder aus vergleichbaren Geschäften des Steuerpflichtigen oder ihm nahestehender Unternehmen mit fremden Dritten stammen, wie z.B. – Preise und Geschäftsbedingungen, – Kostenaufteilungen, – Gewinnaufschläge, – Brutto- bzw. Nettospannen, – Gewinnaufteilungen, – soweit diese Daten vorhanden sind bzw. eine Beschaffung aus frei zugänglichen Quellen (Datenbanken) mit zumutbarem Aufwand möglich ist und2 – die Erstellung von Aufzeichnungen über innerbetriebliche Daten, z.B. Prognoserechnungen, Absatz-, Gewinn- oder Kostenplanungen.3 Auf Basis der zu den beiden letzten Spiegelstrichen aufgeführten Vergleichsdaten und innerbetrieblichen Daten sehen die VWG-Verfahren mehrere Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung der Angemessenheitsdokumentation vor. Schließlich ist im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation zu begründen, dass die angewandten Verrechnungspreismethoden für die abgerechneten Leistungsbeziehungen geeignet sind (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV). Sonderregelung bei sog. Dauersachverhalten. Eine Sonderregelung zur Angemessenheitsdokumentation bei sog. Dauersachverhalten enthält § 2 Abs. 4 GAufzV. Dauersachverhalte sind z.B. Liefer- oder Leistungsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen, denen langfristige Verträge zugrunde liegen.4 So können z.B. die Lieferungen von Waren einer ausländischen Muttergesellschaft im Jahre 2004 an ihre inländische Vertriebsgesellschaft auf einer vertraglichen Vereinbarung aus 1995 beruhen, in der auch die entsprechende Marge vereinbart wurde. Solche Liefer- und Leistungsbeziehungen sind Gegenstand der Angemessenheitsdokumentation, da § 90 Abs. 3 AO auf die Leistung als solche abstellt und nicht darauf, wann sie vereinbart wurde. Zur Angemessenheitsdokumentation be1 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 und 3 GAufzV. 2 Vgl. zu allen Unterpunkten des zweiten Spiegelstrichs § 1 Abs. 3 Satz 2 und 3 GAufzV. Eine Verpflichtung des Unternehmens zur Erstellung von Datenbankstudien wird hiermit nicht begründet, vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.4 a.E. des zweiten Absatzes. 3 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 und 3 GAufzV. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.3.
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8.115
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
steht bei Dauersachverhalten aber die Besonderheit, dass der Steuerpflichtige nach § 2 Abs. 4 Satz 1 GAufzV auch nach dem Abschluss des Geschäfts Informationen aufzeichnen muss, wenn sich Umstände mit wesentlicher Bedeutung für die Angemessenheit der Verrechnungspreise geändert haben. Diese in § 2 Abs. 4 GAufzV nicht näher konkretisierten Informationen sollen der Finanzverwaltung die Beurteilung ermöglichen, ob und wenn ja, wann fremde Dritte eine Anpassung der Geschäftsbedingungen vorgenommen hätten. Als Fälle, in denen eine Änderung von – für die Verrechnungspreisbestimmung bedeutsamen – Faktoren vorliegt, sieht § 2 Abs. 4 Satz 2 GAufzV insbesondere steuerliche Verluste in einem Geschäftsbereich an, die ein fremder Dritter nicht hingenommen hätte, sowie Preisanpassungen zu Lasten des Steuerpflichtigen.
8.116
Profit-Center-Organisation. Ist eine Unternehmensgruppe nach einem Profit-Center-Modell organisiert und werden die Geschäftsführer nach den Ergebnissen „ihrer“ Profit-Center entlohnt, so kann zwischen den erfolgsabhängig vergüteten Geschäftsführern ein Interessengegensatz bestehen und der Preisbildungsprozess zwischen den Konzernunternehmen einem Preisbildungsprozess zwischen fremden Dritten entsprechen.1 Für diese Fälle bestünde dann kein Bedarf mehr, Aufzeichnungen zur Fremdüblichkeit der Preise zu erstellen. Die Finanzverwaltung hält indes auch in diesen Fällen an der Angemessenheitsdokumentation fest.2 Sie lässt aber zu, dies ggf. als Anhaltspunkt für die Fremdüblichkeit der abgerechneten Beträge zu berücksichtigen.
II. Über den Ermächtigungsrahmen von § 90 Abs. 3 AO hinausgehende Anforderungen der GAufzV und der VWG-Verfahren an eine Angemessenheitsdokumentation 8.117
Keine gesetzliche Pflicht zu einer fremdvergleichskonformen Verrechnungspreisvereinbarung. Bereits die Formulierung in § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GAufzV (= Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes muss ersichtlich sein) impliziert, dass der Verordnungsgeber eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen unterstellt, eine dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Preisvereinbarung zu treffen. Eine solche gesetzliche Verpflichtung existiert jedoch nicht.3 Im Gesetz sind lediglich Korrekturnormen vorgesehen, nach denen für steuerliche Zwecke die aus unangemessenen Preisvereinbarungen einhergehenden Gewinnminderungen odererhöhungen berücksichtigt werden können. Diese muss der Steuerpflichtige bei Ermittlung des steuerlichen Gewinns selbstverständlich beachten. 1 Vgl. Storck/Hernler in Raupach, Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen in betriebswirtschaftlicher, gesellschaftsrechtlicher und steuerrechtlicher Sicht, 495. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.1 a.E. 3 Vgl. Eigelshoven/Nientimp, DB 2005, 1184; Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 2111.
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D. Angemessenheitsdokumentation
Verpflichtung zur Dokumentation von „ernsthaftem Bemühen“ zweifelhaft. Noch weiter geht § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV, wonach die Aufzeichnungen das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen belegen müssen, seine Verrechnungspreise dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechend zu gestalten.1 Mit dieser Regelung hat der Verordnungsgeber versucht, zwei sich widersprechende Ziele gleichzeitig zu verwirklichen: Auf der einen Seite soll keine Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen erfolgen. Auf der anderen Seite soll aber zum Ausdruck gebracht werden, dass der Steuerpflichtige tätig werden und den Grundsatz des Fremdvergleichs beachten soll.2 Zu der Bestimmung in § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV bestehen zwei wesentliche Kritikpunkte: – „Unbewusste“ Angemessenheit des Verrechnungspreises Ein zwischen den verbundenen Unternehmen zugrunde gelegter Verrechnungspreis kann auch dann angemessen sein, wenn er z.B. ohne weitere Überlegungen, d.h. quasi zufällig, festgelegt oder vom Mutterunternehmen diktiert wurde.3 Aus welchen Gründen ein konkreter Verrechnungspreis gewählt wurde, kann die objektive Angemessenheit eines Verrechnungspreises nicht beeinträchtigen. Infolgedessen müssen Aufzeichnungen, anhand derer dieser Preis überprüft werden kann, auch dann ausreichend sein, wenn die Preisfestsetzung unabhängig von diesen Überlegungen vorgenommen wurde.4 – Fehlender Einklang mit § 90 Abs. 3 AO § 90 Abs. 3 Satz 2 AO verpflichtet im Rahmen der Informationen zur Angemessenheit des Verrechnungspreises nur zur Angabe der rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen für eine fremdvergleichskonforme Preisvereinbarung. Im Übrigen beinhaltet § 90 Abs. 3 AO anders als § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GAufzV und § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV keine subjektiven Verhaltensanweisungen für den Steuerpflichtigen wie ein „ernsthaftes Bemühen“.5 Damit werden in der GAufzV Anforderungen formuliert, die über den Ermächtigungsrahmen in § 90 Abs. 3 AO hinausgehen. Wegen der Überschreitung des Ermächtigungsrah-
1 Vgl. auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.1, Tz. 3.4.12.1 und Tz. 3.4.12.3. 2 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 7. 3 Vgl. Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 2112. 4 Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 157, sieht die Pflicht des „ernsthaften Bemühens“ aus diesem Grund als tatsächlich „eher bedeutungslos“ an. Die Finanzverwaltung hingegen greift diesen Gedanken nur unvollständig auf. Zwar soll der Steuerpflichtige nach BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.1 zur Begründung der Verrechnungspreise ggf. im Nachhinein erstellte Berechnungen heranziehen können. Allerdings wird dabei vorausgesetzt, dass es sich um zusätzliche Berechnungen handelt, also vor Verrechnungspreisfestsetzung bereits eine andere Berechnung vorgelegen haben muss. 5 Vgl. Frotscher in FS Wassermeyer, 396 f.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
mens wird § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV – zu Recht – als unwirksam angesehen.1 Letztlich wird eine Klärung der Frage, inwieweit ein „ernsthaftes Bemühen“ gezeigt werden muss bzw. wie „ernsthaftes Bemühen“ auszulegen ist, erst dann erfolgen, wenn der BFH über entsprechende Fälle entscheidet. Zwar bestehen gute Gründe dafür, die Forderung nach einem „ernsthaften Bemühen“ abzulehnen, so dass Aufzeichnungen des Unternehmens zur Darlegung der Angemessenheit der angesetzten Preise nicht erforderlich wären. Gleichwohl kann wegen der derzeit bestehenden Rechtsunsicherheit nur empfohlen werden, den Vorgaben der GAufzV zum Umfang der Angemessenheitsdokumentation zu folgen, wenn steuerliche Risiken weitestgehend ausgeschlossen werden sollen. Dementsprechend soll im Folgenden auf die von der Finanzverwaltung in den VWG-Verfahren vorgeschlagenen Methoden für eine den Grundsätzen der GAufzV entsprechende Angemessenheitsdokumentation eingegangen werden.
8.119
Verpflichtung zur Aufzeichnung von Vergleichsdaten. Nicht zu beanstanden ist indes die in § 1 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 GAufzV enthaltene Verpflichtung, Vergleichsdaten aufzuzeichnen, soweit diese bei dem aufzeichnungspflichtigen Unternehmen und diesem nahe stehenden Unternehmen vorhanden sind bzw. sich mit zumutbaren Aufwand aus frei zugänglichen Quellen beschaffen lassen. Diese Daten können wesentliche Anhaltspunkte für eine fremdvergleichskonforme Ermittlung von Verrechnungspreisen bzw. deren Prüfung geben.
III. Begründung für die Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode 8.120
Begründung der Geeignetheit von Verrechnungspreismethoden. Eine Begründung für die Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode wird in § 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV und § 4 Nr. 4 Buchst. b GAufzV explizit gefordert. Dies ist grds. berechtigt und gilt auch, wenn zur Festsetzung des Verrechnungspreises keine Methode angewandt wurde und nur eine Verprobung anhand einer Methode erfolgte. Wie in den vorstehenden Kapiteln erläutert, werden für bestimmte Liefer- und Leistungsbeziehungen bestimmte Verrechnungspreismethoden allgemein als geeignet angesehen (vgl. z.B. Rz. 6.49 ff. zu Warenlieferungen an Vertriebsgesellschaften, Rz. 6.30 zu Warenlieferungen eines Lohnfertigers, Rz. 6.141 zu Dienstleistungen. So wird bei Lieferungen eines Strategieträgers an funktionsausübende Vertriebseinheiten regelmäßig auf die Wie-
1 Vgl. Frotscher in FS Wassermeyer, 397; Zu demselben Ergebnis kommt auch Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 2112, der dies allerdings daraus ableitet, dass die Forderung nach „ernsthaften Bemühen“ in bestimmten Fällen objektiv nicht erfüllt werden kann.
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D. Angemessenheitsdokumentation
derverkaufspreismethode zurückgegriffen,1 da im Vertriebsbereich zwischen Fremden i.d.R. mit Vertriebsmargen kalkuliert wird. Bei Dienstleistungsverhältnissen oder Auftragsproduktionen funktionsausübender Einheiten gilt allgemein die Kostenaufschlagsmethode als geeignete Verrechnungspreismethode.2 In diesen Standardfällen sind damit Hinweise auf die oben zitierten Quellen in den VWG 1983 und den OECD-Leitlinien i.d.R. ausreichend, um die Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode zu begründen.3 Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (zur Methode vgl. Rz. 5.92 ff.) ist indes eine ausführlichere Begründung zu empfehlen, da die deutsche Finanzverwaltung bestimmte Voraussetzungen für ihre Anwendung definiert hat.4 Hierzu ist darzulegen, dass die von der Finanzverwaltung aufgestellten Anforderungen erfüllt sind, bzw. dass die Methode wirtschaftlich zutreffende Ergebnisse liefert.5 Zudem ist zu empfehlen, unter Bezugnahme auf die Funktions- und Risikoanalyse kurz darzulegen, dass die Methodenwahl mit der Klassifizierung der einzelnen am Leistungsprozess beteiligten Einheiten (Strategieträger, Funktionsausübung, Funktionsleitung) in Einklang steht (vgl. Rz. 8.69 ff.). Hierzu ist für den konkreten Fall aufzuzeigen, dass bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode die liefernde Einheit Strategieträger und die an den Kunden weiterveräußernde Einheit als funktionsausübend oder funktionsleitend zu qualifizieren ist. Bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bei Warenlieferungen ist darzulegen, dass die produzierende Einheit funktionsausübend oder funktionsleitend tätig und der Leistungsempfänger Strategieträger ist.
IV. Methoden für die Angemessenheitsdokumentation nach den VWG-Verfahren 1. Abgrenzung der Anwendungsbereiche Angemessenheitsdokumentation nach den VWG-Verfahren. Nach Auffassung der Finanzverwaltung kann die Angemessenheitsdokumentation auf verschiedenen Wegen erfolgen, wobei gewisse Überschneidungen bestehen und die VWG-Verfahren insoweit nicht klar strukturiert sind. Vorrangig sind nach Auffassung der Finanzverwaltung für die Durchführung 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Beispiel 1; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, unter Abschn. III.A.2.d cc der Gründe; Tz. 2.21 OECD-Leitlinien 2010; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 581. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Beispiele 2 und 3, sowie Tz. 3.2.3.2; Tz. 2.39 OECD-Leitlinien 2010; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 769. 3 Vgl. IDW, Beiheft zu FN-IDW 4/2006, B10; Lenz/Fischer/Schmidt, BB 2005, 1257. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.1. 5 Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 18 ff.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
der Angemessenheitsdokumentation Fremdvergleichsdaten (zur Definition vgl. Rz. 8.153) zu verwenden.1 Deren Verwendung steht unter dem Vorbehalt, dass die Datenbeschaffung für den Steuerpflichtigen nach den Umständen des Falls zumutbar und möglich ist.2 In anderen Fällen, d.h. insbesondere dann, wenn geeignete Fremdvergleichsdaten nicht beschafft werden können, kann für die Angemessenheitsdokumentation auf „innerbetriebliche Plandaten“ (vgl. zu Voraussetzungen und Vorgehensweise im Detail Rz. 8.125 ff.) zurückgegriffen werden.3 2. Angemessenheitsdokumentation auf Basis von Fremdvergleichsdaten
8.122
Angemessenheitsdokumentation auf Basis von Fremdvergleichsdaten. Unter den Begriff „Fremdvergleichsdaten“ subsumiert die Finanzverwaltung Fremdpreise sowie Bruttomargen, Kostenaufschläge, Nettomargen und ähnliche Daten.4 Voraussetzung ist jeweils, dass es sich um Daten aus einzelnen oder im Rahmen einer Gruppenbetrachtung zusammengefassten Geschäften handelt, die – zwischen fremden Dritten, – zwischen dem Steuerpflichtigen und einem fremden Dritten oder – zwischen einem dem Steuerpflichtigen nahe stehenden Unternehmen und fremden Dritten abgeschlossen wurden. Reine (Finanz)Kennzahlen vergleichbarer Unternehmen (Umsatzrendite, Eigenkapitalrendite usw.) kommen mangels Transaktionsbezug nicht als Fremdvergleichsdaten in Betracht. Soweit Fremdvergleichsdaten bei dem aufzeichnungspflichtigen Unternehmen oder diesem nahe stehenden Unternehmen vorliegen, müssen diese Daten nach § 1 Abs. 3 Satz 2 GAufzV aufgezeichnet werden. Gleiches gilt, wenn Vergleichsdaten aus frei zugänglichen Quellen mit zumutbarem Aufwand beschafft werden können. Der Vollständigkeit halber soll hierzu noch darauf hingewiesen werden, dass die Fremdvergleichsdaten auch dann zu Verprobungszwecken aufzuzeichnen sind, wenn sie nicht in die konkrete Verrechnungspreisermittlung eingegangen sind. Dann ist zu empfehlen, auch kurz die Gründe hierfür darzulegen (z.B. mangelnde Vergleichbarkeit der Geschäfte). Für die Durchführung der Angemessenheitsdokumentation unter Verwendung von Fremdvergleichsdaten müssen in Abhängigkeit der Art der
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.2; Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/Beck/Bodenmüller/Wolff, IStR 2005, 718. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.2. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.2 u. Tz. 3.4.12.6. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.2.
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D. Angemessenheitsdokumentation
zur Verfügung stehenden Fremdvergleichsdaten zwei Fälle unterschieden werden: Fremdpreise. Liegen Fremdpreise für gelieferte Güter oder erbrachte Leistungen vor, so handelt es sich um eine Anwendung der Preisvergleichsmethode. In diesem Fall hat die Vergleichbarkeit der gelieferten Güter oder erbrachten Leistungen (z.B. im Hinblick auf physische Eigenschaften oder Qualität),1 der vereinbarten Geschäftsbedingungen (vertragliche Bedingungen wie Vertragslaufzeiten oder Zahlungsfristen, Abnahmemengen und -verpflichtungen, übernommene Funktionen und Risiken)2 und der Marktverhältnisse3 entscheidende Bedeutung.4 Stimmen diese Faktoren bei den Referenztransaktionen (d.h. den mit bzw. zwischen fremden Dritten abgeschlossenen Geschäften) und den gruppeninternen Transaktionen überein, oder haben Unterschiede keine wesentlichen Auswirkungen auf die Preisgestaltung, können die Fremdpreise für die Aufzeichnungen verwendet werden.5 Gleiches gilt, wenn etwaige Abweichungen zuverlässig durch Anpassungsrechnungen berücksichtigt werden konnten.6 Mit Angabe der Informationen zur Vergleichbarkeit und ggf. zu Überleitungsrechnungen7 sind dann die Anforderungen an die Angemessenheitsdokumentation erfüllt (vgl. Rz. 8.156).8
8.123
Brutto- bzw. Nettomargen oder Kostenaufschlagssätze aus Referenztransaktionen. Liegen keine Fremdpreise, sondern z.B. Informationen zu Brutto- bzw. Nettomargen oder Kostenaufschlagssätzen aus Referenztransaktionen (d.h. Geschäften mit bzw. zwischen fremden Dritten) vor, so scheidet eine Anwendung der Preisvergleichsmethode aus. Stattdessen sind die Informationen aus der Referenztransaktion bei der Anwendung der entsprechenden Verrechnungspreismethode für das gruppeninterne Geschäft zu berücksichtigen, z.B. die Kostenaufschlagssätze aus Referenztransaktionen bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode oder die Brutto- bzw. Nettomargen bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode.9 Gleiches gilt bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode mit den Vergleichsinformationen. Wesentliche Vo-
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1 2 3 4 5 6
7 8 9
Vgl. Tz. 1.39 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 1.42–1.54 OECD-Leitlinien 2010; § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG n.F. Vgl. Tz. 1.55 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/Beck/Bodenmüller/Wolff, IStR 2005, 749; Oestreicher, StuW 2006, 244. Zu Einzelheiten der Vergleichbarkeitsprüfung vgl. Hinweis am Ende des Absatzes. Zu Art und Inhalt von Anpassungsrechnungen vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 206 ff. Er weist allerdings darauf hin, dass keine einheitlichen Vorgaben existieren, wie Anpassungsrechnungen durchzuführen sind. Die Angabepflicht für diese Informationen ergibt sich auch aus § 4 Nr. 4 Buchst. d GAufzV. Zu Einzelheiten der Vergleichbarkeitsprüfung (Bandbreiten, eingeschränkte und uneingeschränkte Vergleichbarkeit; Regelung in § 1 Abs. 3 AStG n.F.). Diese Daten sind als Fremdvergleichswerte i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG n.F. anzusehen. Vgl. Roeder, Ubg 2008, 203.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
raussetzung für die Datenverwendung ist in allen Fällen (d.h. sowohl bei Anwendung der Kostenaufschlags- bzw. der Wiederverkaufspreismethode als auch bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode) die Vergleichbarkeit, d.h. die vereinbarten Geschäftsbedingungen sowie die übernommenen Funktionen und Risiken müssen weitgehend übereinstimmen und etwaige Unterschiede müssen zuverlässig durch Zu- oder Abschläge korrigiert werden können (Zu Einzelheiten der Vergleichbarkeitsprüfung (Bandbreiten, eingeschränkte und uneingeschränkte Vergleichbarkeit; Regelung in § 1 Abs. 3 AStG) vgl. Rz. 5.149). Auf die physische Übereinstimmung der gelieferten Güter kommt es nicht mehr an.1 Insbesondere bei einem Vergleich mit Brutto- oder Nettomargen fremder Unternehmen (z.B. aus Datenbanken) kann aber auch eine Vergleichbarkeit der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse2 und der Geschäftsstrategien3 erforderlich sein. 3. Angemessenheitsdokumentation auf Basis von Plandaten a) Überblick über Systematik der Planrechnungen und Anwendungsvoraussetzungen
8.125
Verwendung von Planrechnungen. Häufig fehlen Daten für einen Fremdvergleich. Daher ist es notwendig, Ansätze aufzuzeigen, mit denen auch in diesen Fällen Aufzeichnungen erstellt werden können, die den Anforderungen der GAufzV genügen („ernsthaftes Bemühen“). Hierzu sehen § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG n.F. sowie die VWG-Verfahren4 vor, innerbetriebliche Planrechnungen zu verwenden. Der Steuerpflichtige soll Planrechnungen erstellen, die ein vorsichtig prognostiziertes und für die von ihm übernommenen Funktionen und Risiken angemessenes Ergebnis ausweisen.5 Auf Grund dieser Planrechnungen sind die Verrechnungspreise festzusetzen, wobei die prognostizierten Erträge und Aufwendungen einzelnen oder zulässigerweise zusammengefassten Gruppen von Geschäftsvorfällen zugeordnet werden müssen.6 Die Planrechnungen und die Grundlagen für die Ermittlung eines angemessenen Gewinns sind dann Gegenstand der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO.7 Den innerbetrieb1 2 3 4
Vgl. Oestreicher, StuW 2006, 245. Vgl. Tz. 1.55 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Tz. 1.59–1.63 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b. Zum Planungshorizont wird in den VWG-Verfahren keine Aussage getroffen. Hier bestehen keine Bedenken, auf den Planungshorizont des betrieblichen Unternehmenscontrollings zurückzugreifen. Es dürfte allerdings erforderlich sein, zumindest in jährlichen Abständen die Verrechnungspreise auf Grund veränderter Planrechnungen anzupassen. 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6.
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D. Angemessenheitsdokumentation
lichen Planrechnungen soll ein angemessener Plangewinn zugrunde gelegt werden. Dieser lässt sich jedoch nicht eindeutig festlegen. Es wird regelmäßig ein weiter Rahmen bestehen, innerhalb dessen Gewinne angemessen sind.1 Damit bleibt auch bei Verwendung innerbetrieblicher Plandaten das zentrale Problem der Angemessenheit bestehen.2 Methodik der Planrechnungen. Methodisch setzt die Verwendung innerbetrieblicher Planrechnungen i.d.R. eine Anwendung der Kostenaufschlags- oder der Wiederverkaufspreismethode voraus, um die Verrechnungspreise zu kalkulieren.3 Die Vorgehensweise bei Verwendung innerbetrieblicher Planrechnungen nach den VWG-Verfahren unterscheidet sich daher nicht wesentlich von der – z.B. bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode – gängigen Praxis, Verrechnungspreise auf Basis von Plankosten und damit von Plandaten zu bestimmen. Neuerungen ergeben sich nur insoweit, als die VWG-Verfahren Methoden vorsehen, wie der angemessene Gewinn, d.h. der Gewinnaufschlag, zu bestimmen ist. Ähnlich verhält es sich bei der Wiederverkaufspreismethode. Auch hier wird in der Praxis – wenn keine Daten für einen Preisvergleich oder keine zuverlässigen Vergleichsmargen vorliegen – die Vertriebsmarge so kalkuliert, dass die Plankosten der Vertriebseinheit zzgl. eines Gewinns abgedeckt werden.
8.126
Anwendungsfälle laut VWG-Verfahren. Die VWG-Verfahren führen in einer Aufzählung verschiedene Fälle auf, in denen Planrechnungen verwendet werden können. Diese Fälle können zusammenfassend als Fälle beschrieben werden, in denen Fremdvergleichsdaten fehlen, Fremdvergleichsdaten nicht ausreichend zuverlässig sind oder nicht mindestens eine eingeschränkte Vergleichbarkeit der Fremdvergleichsdaten (z.B. bei den ausgeübten Funktionen oder Risiken) gegeben ist.4 Dies impliziert, dass – soweit verwertbare Fremdvergleichsdaten vorhanden sind – diese
8.127
1 In § 1 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 1 AStG n.F. wird insoweit von einem Einigungsbereich gesprochen. Dieser ergibt sich aus dem Mindestpreis des Leistenden für ein Produkt oder eine Leistung und dem Höchstpreis des Leistungsempfängers und hängt von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotentialen) des Leistenden und des Leistungsempfängers ab. Wenngleich sich die Formulierungen unterscheiden, wird im Ergebnis keine Abweichung zwischen der gesetzlichen Regelung und dem Ansatz in den VWG-Verfahren gesehen. Der in den VWG-Verfahren verwendete angemessene Plangewinn entspricht folglich dem in § 1 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 1 AStG n.F. verwendeten Gewinnpotential. 2 Vgl. Eigelshoven/Nientimp, DB 2005, 1185. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b 1. Abs., wo darauf hingewiesen wird, dass die Festlegung der Verrechnungspreise auch bei Planrechnungen nach einer im jeweiligen Fall geeigneten Methode erfolgen soll. Auch bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ist die Verwendung von innerbetrieblichen Plandaten möglich. Wegen der methodischen Nähe der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode zur Wiederverkaufspreis- bzw. Kostenaufschlagsmethode wird hierauf aber nicht näher eingegangen. 4 Dies entspricht der gesetzlichen Regelung in § 1 Abs. 3 AStG n.F.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
vorrangig zu berücksichtigen sind.1 Planrechnungen können in diesen Fällen zu Verprobungszwecken verwendet werden.2 Die VWG-Verfahren sehen vor, dass innerbetriebliche Planrechnungen insbesondere bei Unternehmen Verwendung finden sollen, die Funktionen eines Strategieträgers (vgl. Rz. 8.71)3 ausüben oder die Funktionsleitung (Rz. 8.70)4 wahrnehmen.5 Zumindest für Unternehmen, die Funktionen eines Strategieträgers ausüben, ist dies jedoch unzutreffend. Hier sehen die VWG-Verfahren an anderer Stelle zu Recht vor, dass die Angemessenheit des Ergebnisses solcher Unternehmen (d.h. des Residualgewinns) nur ausgehend von den anderen Konzernunternehmen (diese sind dann funktionsausübend oder funktionsleitend tätig) erfolgen kann (zur Zuordnung des Residualgewinns zum Strategieträger vgl. Rz. 8.72). D.h. die Angemessenheit der Verrechnungspreise für Leistungsbeziehungen zwischen dem Strategieträger und den anderen Konzernunternehmen ist aus Sicht der anderen Konzernunternehmen zu begründen, da der Residualgewinn des Strategieträgers keiner eigenen Angemessenheitsprüfung zugänglich ist.6 Für die Verrechnungspreisermittlung/-prüfung der anderen Konzernunternehmen können innerbetriebliche Plandaten relevant sein. Es handelt sich dann aber um innerbetriebliche Plandaten der anderen Konzernunternehmen und nicht um solche des Strategieträgers. Für Konzernunternehmen, die Funktionsleitung übernehmen, macht die Verwendung eigener innerbetrieblicher Plandaten hingegen Sinn. Das funktionsleitende Unternehmen wird i.d.R. nicht den Residualgewinn aus dem Geschäft vereinnahmen, sondern es erhält über den Verrechnungspreis eine feste Vergütung pro Transaktion. Diese kann – anders als der Residualgewinn – durch innerbetriebliche Plandaten ermittelt werden. In den VWG-Verfahren wird zur Verrechnungspreisbestimmung auf Basis von Plangewinnen ferner gefordert, dass eine Zuordnung von „Übergewinnen“ (d.h. von Gewinnen, die die prognostizierten Gewinne übersteigen) vorzunehmen ist, wenn der Plangewinn über eine Kapitalverzinsung berechnet wurde.7 Die Zuordnung der Übergewinne ist allerdings eine Fragestellung, die bei den anderen Möglichkeiten zur Ermittlung von Plangewinnen ebenso relevant und nicht auf die Kapitalverzinsung beschränkt ist. Ferner ist dies schon bei der bisherigen Verrechnungspreis1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. a. 2 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 4 GAufzV; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWGVerfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.18.1. 3 In den VWG-Verfahren als „Entrepreneur“-Funktionen bezeichnet. 4 In den VWG-Verfahren als Unternehmen bezeichnet, das keine „Entrepreneur“-Funktionen, aber auch keine Routinefunktionen ausübt. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. a. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b. 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b, zweiter Spiegelstrich letzter Satz.
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D. Angemessenheitsdokumentation
ermittlung auf Basis von Plandaten (z.B. Verwendung von Plankosten bei Verrechnungspreisermittlung nach der Kostenaufschlagsmethode) von Bedeutung. Hier wird der Mehrgewinn (z.B. auf Grund zusätzlicher Deckungsbeiträge durch gesteigerte Ausbringungsmengen) i.d.R. der leistungserbringenden Einheit zugeordnet. Bei Verwendung innerbetrieblicher Planrechnungen zur Verrechnungspreisermittlung ist daher zu empfehlen, in den Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO zur Zuordnung von „Übergewinnen“ Stellung zu nehmen. Festgehalten werden kann, dass nach der hier vertretenen Auffassung innerbetriebliche Planrechnungen insbesondere für die Verrechnungspreisermittlung von oder gegenüber funktionsausübenden Einheiten geeignet sind. Ferner können innerbetriebliche Planrechnungen bei funktionsleitend tätigen Einheiten verwendet werden. Die Verwendung innerbetrieblicher Planrechnungen des Strategieträgerunternehmens macht hingegen keinen Sinn, da für den Gewinn des Strategieträgers keine isolierte Angemessenheitsprüfung möglich ist. b) Formale Anforderungen an die Verwendung von Plandaten Formale Voraussetzungen. Neben den im vorstehenden Abschnitt erläuterten materiellen Voraussetzungen für die Verwendung von Plandaten bestehen auch bestimmte formale Voraussetzungen. Wie sich aus der Systematik der Planrechnungen ergibt, müssen diese im Vorhinein, d.h. vor Verwirklichung des zu verrechnenden Geschäftsvorfalls erstellt werden.1 Dies ist sachgerecht. Wurden im Vorhinein erstellte betriebswirtschaftliche Planrechnungen verwendet, ist es allerdings unschädlich, wenn – soweit überhaupt erforderlich – diese im Nachhinein für Zwecke der Verrechnungspreisdokumentation aufbereitet und neu zusammengestellt werden.2 Soweit allerdings in den VWG-Verfahren gefordert wird, dass die Planrechnungen im Einzelnen zu begründen sind,3 erscheint dies – mit Ausnahme der Begründung des angesetzten Plangewinns – überzogen. Soweit es sich um Planungen handelt, die auch für die betriebswirtschaftliche Unternehmensplanung verwendet werden, ist es ausreichend, wenn sich die rechnerische Umsetzung auf die Verrechnungspreise herleiten lässt. Wesentlich ist ferner, dass nach den VWG-Verfahren ein regelmäßiger Soll-Ist-Vergleich (d.h. ein Abgleich zwischen den Plandaten und den tatsächlichen Werten z.B. bei Kosten und Ausbringungsmenge) durchzuführen ist.4 Der Soll-Ist-Vergleich soll als Grundlage für die Beurteilung die1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6, Abs. 1. 2 Vgl. Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/Beck/Bodenmüller/Wolff, IStR 2005, 719 m.w.N. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. c.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
nen, wann fremde Dritte bei ihren Geschäftsbeziehungen eine Preisanpassung vorgenommen bzw. versucht hätten. Wie der Begriff „regelmäßig“ zu definieren ist, wird in den VWG-Verfahren nicht näher erläutert. Es spricht aber viel dafür, „regelmäßig“ als quartalsweise, zumindest aber als einmal jährlich anzusehen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere bei funktionsausübenden Unternehmen die Vereinbarungen über Preisanpassungen im Rahmen der entsprechenden Liefer-, Vertriebs- oder Dienstleistungsverträge zu beachten. Die Dauer der Preisbindung für die gruppeninternen Leistungen sollte dem entsprechen, was mit fremden Auftragnehmern der Unternehmensgruppe bei vergleichbaren Leistungen vereinbart wird oder was in der Branche bei vergleichbaren Leistungen üblich ist. Innerhalb dieser zeitlichen Preisbindung können Konditionen nur in dem vertraglich vereinbarten Rahmen geändert werden. Infolgedessen können selbst dann, wenn über Soll-Ist-Vergleiche in kurzen Intervallen Abweichungen festgestellt werden, diese Anpassungen erst mit Ablauf der vertraglichen Preisbindung umgesetzt werden. Entscheidend muss daher sein, dass bei längerfristigen Preisvereinbarungen zu den Zeitpunkten, an denen Preisänderungen möglich sind, zuverlässige Daten zu Soll-Ist-Vergleichen vorliegen. Auf Grund dieser Daten könnten dann Preisänderungen veranlasst werden. Ergeben sich erhebliche Abweichungen von den Planrechnungen, hat das Unternehmen nach den VWG-Verfahren die Ursachen für die Abweichungen aufzuzeichnen und zu begründen, dass die Abweichungen selbst bei vorsichtiger Planung nicht vorhergesagt werden konnten.1 Soweit die aus den Abweichungen resultierenden Mehrkosten o.Ä. allerdings dem Auftraggeber weiterbelastet werden können, mindern sich die Einkünfte des leistenden Unternehmens nicht. Infolgedessen besteht aus Sicht des leistenden Unternehmens keine Notwendigkeit, weitere Aufzeichnungen für steuerliche Zwecke zu erstellen. In anderen Fällen ist die in den VWGVerfahren vorgesehene Begründungspflicht jedoch dem Grunde nach berechtigt, um die Ernsthaftigkeit der ursprünglichen Planrechnungen zu belegen. c) Darlegung der Angemessenheit des prognostizierten Gewinns
8.129
Möglichkeiten zur Darlegung der Angemessenheit des prognostizierten Gewinns. Bei Verwendung von Planrechnungen erwartet die Finanzverwaltung nach den VWG-Verfahren, dass der bei den Planrechnungen einbezogene angemessene Gewinn soweit wie möglich durch Fremdvergleichsdaten oder eine marktübliche Kapitalverzinsung belegt wird.2 Insbesondere soll es nach Verwaltungsauffassung nicht zulässig sein, für die 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b.
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D. Angemessenheitsdokumentation
Prognoserechnung auf allgemeine Erfahrungswerte,1 Branchendurchschnittswerte, konzerninterne Vorgaben o.Ä. abzustellen oder lediglich darauf hinzuweisen, dass die Preise innerhalb des Konzerns frei ausgehandelt werden.2 Die VWG-Verfahren sehen folgende Möglichkeiten für die Begründung des Plangewinns vor: – Ableitung anhand von Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen; – Ableitung aus einer risikoadäquaten Verzinsung des eingesetzten Kapitals am freien Kapitalmarkt; – Aufteilung des Konzerngewinns nach Wertschöpfungsbeiträgen. Eine Vorgabe oder Regelung, wann eine der o.g. Vorgehensweisen zur Ermittlung des Plangewinns angewendet werden soll, besteht nicht. Infolgedessen besteht für die Unternehmen ein Wahlrecht. 4. Ableitung des Plangewinns aus Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen a) Abgrenzung zur Angemessenheitsdokumentation mit Fremdvergleichsdaten in Form von Renditekennziffern Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen. Als eine Möglichkeit zur Darlegung eines angemessenen Gewinns bei Verwendung von innerbetrieblichen Planrechnungen sehen die VWG-Verfahren vor, den angemessenen Gewinn aus Renditekennziffern (Umsatzrendite, Eigenkapitalverzinsung, Gesamtkapitalverzinsung) funktional zumindest eingeschränkt vergleichbarer Unternehmen abzuleiten.3 Die Daten sollen für eine vorsichtige, kaufmännische Gewinnprognose verwendet werden. Die Verrechnungspreise sollen dann so festgelegt werden, dass in den Planrechnungen der prognostizierte Gewinn erreicht wird.4 Die Berech-
1 In der Praxis wird bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode häufig ein Gewinnaufschlag zwischen 5 und 10 % angesetzt. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b a.E. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b, erster Spiegelstrich; Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 231 kritisiert diese Regelung der VWG-Verfahren insgesamt. Er weist darauf hin, dass aktuelle Vergleichsdaten anderer Unternehmen grds. nicht vorhanden sind, sondern z.B. zu Beginn des Jahres 2006 allenfalls Vergleichsdaten für 2004 und häufig nur Daten für 2003 und Vorjahre vorliegen. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter würde hingegen seine Preise nicht auf Grund von veralteten Renditekennziffern kalkulieren. 4 Oestreicher, StuW 2006, 251, weist zu Recht darauf hin, dass die Finanzverwaltung bei Prüfung der Angemessenheit der Verrechnungspreise auf diese Plandaten und nicht das später realisierte Ergebnis abzustellen hat. Dies begründet sich damit, dass eine Fehlentwicklung auf negativen Einflüssen aus der Unter-
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
8.131
nung ist jeweils für Gruppen zusammengefasster Geschäftsvorfälle vorzunehmen. Abgrenzung zur Angemessenheitsdokumentation mit Fremdvergleichsdaten. Die Verwendung der Renditekennziffern weist zunächst folgendes Problem auf: Liegen Renditekennziffern funktional zumindest eingeschränkt vergleichbarer Unternehmen vor, könnte ein Fremdvergleich erfolgen und die Daten bei Anwendung einer klassischen Methode oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode verwendet werden. Spezieller innerbetrieblicher Planrechnungen bedürfte es in diesem Fall nicht, bzw. ihre Verwendung wäre nach den VWG-Verfahren nicht zulässig, weil die Fremdvergleichsdaten vorzuziehen sind. Dieser Widerspruch lässt sich nur lösen, wenn man von einer unterschiedlichen Qualität der Renditekennziffern ausgeht. D.h. die Renditekennziffern für eine direkte Anwendung der klassischen Methoden müssen höheren Ansprüchen genügen als die z.B. aus Datenbanken (vgl. zum Einsatz von Informationen aus Unternehmensdatenbanken Rz. 8.132 ff.) ermittelten Renditekennziffern, die als Anhaltspunkte für eine vorsichtige Gewinnprognose bei der Verrechnungspreisermittlung über Plandaten verwendet werden.1 In Betracht kommen könnte z.B. bei einem funktionsleitend tätigen Unternehmen die Verwendung von Informationen zur Eigen- oder Gesamtkapitalrendite eines Vergleichsunternehmens. Hieraus ist dann für die Verrechnung der Leistungen des Unternehmens gegenüber dem Strategieträger oder anderen funktionsleitend tätigen Unternehmen der Gruppe2 zu ermitteln, wie hoch die Gewinnkomponente bei Anwendung der Kostenaufschlags- oder der Wiederverkaufspreismethode sein muss, um bei nehmensumwelt beruhen kann und nicht auf eine Einflussnahme des Gesellschafters zurückgehen muss. 1 Vgl. Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/Beck/Bodenmüller/Wolff, IStR 2005, 718; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b, erster Spiegelstrich a.E. Nach den VWG-Verfahren sollen Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen in dem „betreffenden Geschäftsbereich“ verwendet werden. Unklar bleibt, wie der Begriff „Geschäftsbereich“ zu verstehen ist. Handelt es sich dabei um die Sparte eines Unternehmens oder geht es um ein Unternehmen der entsprechenden Branche? Eine Auslegung im letzteren Sinne würde dazu führen, dass wesentlich mehr potentielle Vergleichsunternehmen verwendet werden könnten, weil ansonsten häufig spartenbezogene Informationen von Vergleichsunternehmen fehlen. Andererseits sinkt die Qualität der Vergleichsdaten, wenn die Daten für ein Gesamtunternehmen und nicht die Daten der relevanten Sparte verwendet werden. Nach der hier vertretenen Auffassung kann dieser Qualitätsverlust nicht in Kauf genommen, so dass auf den Geschäftsbereich im engeren Sinne abzustellen ist (d.h. die reine Branchenzugehörigkeit eines Unternehmens ist für einen Vergleich nicht ausreichend). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass bei einer Verwendung von Planrechnungen eine geringere Qualität der Vergleichsdaten zulässig sein soll. Relevante Vergleichsdaten würden ansonsten zu sehr durch andere Einflüsse „verfälscht“. 2 Eingangsleistungen von funktionsausübenden Unternehmen an das funktionsleitende Unternehmen sind aus Perspektive des funktionsausübenden Unternehmens zu dokumentieren. Daher ist hier nur auf die Ausgangsleistungen des funktionsleitend tätigen Unternehmens abzustellen.
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D. Angemessenheitsdokumentation
der geplanten Ausbringungsmenge die für das Unternehmen prognostizierte Rendite zu erreichen. b) Ermittlung von Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen aus Finanzdatenbanken Renditekennziffern aus Finanzdatenbanken. In der deutschen Verrechnungspreis-Literatur wird seit längerem eingehend diskutiert, inwieweit zur Festlegung von Verrechnungspreisen auf Informationen aus Finanzdatenbanken zurückgegriffen werden darf.1 International ist diese Vorgehensweise zur Ermittlung von Anhaltspunkten für die Festsetzung angemessener Verrechnungspreise übliche Praxis.2 Vor dem Hintergrund der weitgehenden internationalen Akzeptanz hat nunmehr auch die deutsche Finanzverwaltung in den VWG-Verfahren zur Verwendung von Finanzdatenbanken für Verrechnungspreiszwecke Stellung genommen und die Verwendung von Finanzdatenbanken unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt.3
8.132
Notwenigkeit zur Verwendung ausländischer Vergleichsdaten. Finanzdatenbank wie z.B. Amadeus Top 200 0004 beziehen ihre Datenbasis i.d.R. aus veröffentlichten Jahresabschlüssen von Unternehmen. Die Verwendung publizierter Informationen aus Jahresabschlüssen bedeutet, dass für Deutschland teilweise nur sehr begrenzt Daten zur Verfügung stehen.5 Dies begründet sich damit,6 dass in Deutschland – Personengesellschaften zum Teil nicht publizitätspflichtig sind bzw. eine Publizitätspflicht bei Personengesellschaften vergleichsweise einfach vermieden werden kann,7
8.133
1 Vgl. Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134. 2 Vgl. Finsterwalder, DStR 2005, 769; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.4. 4 Vgl. Maier-Frischmuth, IWB F. 3 Gr. 1, 1991. Zu einer Übersicht über Datenbanken, Anbieter und Kosten vgl. Vögele/Crüger in V/B/E, Verrechnungspreise3, Teil H Rz. 29 ff. Zu einer beispielhaften Durchführung einer Datenbankanalyse für eine im italienischen Arzneimittelmarkt tätige Vertriebsgesellschaft vgl. Wassermeyer, Analyse der steuerlichen Einflussfaktoren grenzüberschreitender Vertriebsalternativen inländischer Kapitalgesellschaften, abrufbar unter: http:// dokumentix.ub.uni-siegen.de/opus/volltexte/2006/208/pdf/wassermeyer.pdf, Stand: 18.3.2014 (2006), 115 ff. 5 In der Amadeus-Datenbank liegen nur zu ca. 2 % der für Deutschland erfassten Unternehmen Bilanz- und GuV-Daten vor, vgl. Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 99. Dieser Prozentsatz wird sich in der Zukunft durch die Einführung des „elektronischen Handelsregisters“ erheblich erhöhen. Vgl. Wahl/Preisser, IStR 2008, 59. 6 Vgl. zu allen Punkten der folgenden Aufzählung Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 102. 7 Zu entsprechenden Ansätzen vgl. Giedinghagen, NZG 2007, 933 f.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
– für kleinere und mittlere Unternehmen nur eingeschränkte Informationen publiziert werden müssen1 und – die Publizitätspflicht von den Registergerichten in der Vergangenheit nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag Dritter2 durchgesetzt werden konnte.3 Auf Deutschland bezogen ergibt sich dabei aber folgendes Problem: Können in der Datenbank über Branchen- und Tätigkeitsschlüssel unabhängige4 Unternehmen identifiziert werden, die vergleichbare funktionsausübende Tätigkeiten anbieten, sind dies häufig Unternehmen, die aus den im vorstehenden Abschnitt dargelegten Gründen nicht oder nur eingeschränkt publizieren.5 Infolgedessen wird bei einer auf Deutschland beschränkten Datenbankanalyse für funktionsausübende Tätigkeiten i.d.R. nie die vollständige Anzahl potentieller Vergleichsunternehmen in eine Vergleichsanalyse einbezogen werden können, sondern allenfalls ein kleiner Teil. Mangels geeigneter inländischer Daten ergibt sich bei der datenbankgestützten Verrechnungspreisermittlung für funktionsausübende Tätigkeiten daher der Bedarf, auch ausländische Vergleichsdaten zu verwenden.6 Sicherheit, alle relevanten Vergleichsunternehmen in eine Analyse einbeziehen zu können, besteht allerdings auch bei Einbeziehung 1 Kleine Kapitalgesellschaften (bzw. entsprechende Personengesellschaften, wenn § 264a HGB Anwendung findet) brauchen nach § 326 HGB keine GuV offen zu legen. Mittelgroße Kapitalgesellschaften brauchen bei Anwendung des Gesamtkostenverfahrens ihre Umsatzerlöse nicht offen zu legen, da nach § 276 Satz 1 HGB ein zusammengefasster Ausweis von Umsatzerlösen und Materialaufwand als „Rohergebnis“ zulässig ist. 2 Vgl. § 335a Satz 3 HGB a.F.; Liebscher/Scharff, NJW 2006, 3750; Strahl, KÖSDI 2007, 15480. 3 Nach einer aktuellen Studie von Theile/Nitsche, WPg 2006, 1151, ergibt sich für deutsche GmbHs im Zeitraum 1996–2004 trotz der bestehenden Offenlegungspflicht und der antragsgebundenen Sanktionsmöglichkeit eine Offenlegungsquote von nur ca. 14–17 %. Nach § 325 HGB sind offenlegungspflichtige Jahresabschlüsse bei dem Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers einzureichen. Die Jahresabschlüsse können dann im Internet von jedermann abgerufen werden. Nach § 335 Abs. 1 HGB n.F. wird – anders als in der Vergangenheit – bei Verstößen gegen Offenlegungspflichten ferner von Amts wegen ein Ordnungsgeldverfahren durch das Bundesamt für Justiz durchgeführt. Vgl. Kußmaul/Ruiner, KoR 2007, 676. Beides gilt für die Jahresabschlüsse für Geschäftsjahre, die nach dem 31.12.2005 beginnen. Vgl. Strahl, KÖSDI 2007, 15480. Daher wird die Offenlegungsquote in Zukunft erheblich ansteigen. 4 In der Amadeus-Datenbank sind auch Informationen zu Beteiligungsverhältnissen vorhanden, so dass die Auswahl potentieller Vergleichsunternehmen auf unabhängige Unternehmen beschränkt werden kann. Abhängige Unternehmen werden i.d.R. nicht verwendet werden können, da die in dem Einzelabschluss ausgewiesenen Ergebnisse durch unangemessene Verrechnungspreise mit nahe stehenden Unternehmen beeinflusst sein könnten. 5 Nach der empirischen Studie von Theile/Nitsche, WPg 2006, 1151 kommen insbesondere kleine Gesellschaften ihrer Publizitätspflicht nicht nach. 6 Die Verwendung ausländischer Vergleichsdaten führt allerdings zu erhöhtem Begründungsbedarf bei der Prüfung der Vergleichbarkeit, insbesondere im Hinblick auf die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse. Zur Vergleichbarkeit der Marktund Wettbewerbsverhältnisse vgl. Rz. 8.153.
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D. Angemessenheitsdokumentation
ausländischer Vergleichsunternehmen nicht, da die Branchenschlüssel1 mit den tatsächlichen Verhältnissen möglicherweise nicht genau übereinstimmen oder detaillierte und zutreffende Tätigkeitsbeschreibungen2 fehlen.3 Relevante Kennzahlen. Soweit die Datenbank Bilanz- und GuV-Daten zu Vergleichsunternehmen enthält, können daraus verschiedene Kennzahlen berechnet werden.4 Für Verrechnungspreiszwecke sind nach der hier vertretenen Auffassung vor allem die Bruttogewinnmarge5, die Umsatzrendite6, die sog. „Berry-Ratio“7 sowie die Eigen- und Gesamtkapitalrendite8 relevant. Zu den zuverlässigsten Vergleichsergebnissen dürfte im Bereich der funktionsausübenden Tätigkeiten die Verwendung der Umsatzrendite bzw. der „Berry-Ratio“ führen. – Aus der Umsatzrendite von Vergleichsunternehmen kann – wenn Verrechnungspreise nach der Kostenaufschlagsmethode bestimmt werden sollen – ein entsprechender Kostenaufschlagssatz (zur Kostenaufschlagsmethode vgl. auch Rz. 5.39)9 berechnet werden, so dass die Umsatzrenditen übereinstimmen. Hat z.B. eine datenbankgestützte Ver1 Als Branchenschlüssel werden i.d.R. nationale, europäische oder internationale Schlüssel verwendet, die hauptsächlich für Zwecke statistischer und volkswirtschaftlicher Erhebungen eingesetzt werden. Infolgedessen mangelt es z.B. in „jungen“ Industrie- oder Dienstleistungszweigen häufig an einer hinreichenden Gliederungstiefe der Schlüssel. 2 Die Tätigkeitsbeschreibungen stammen i.d.R. aus den Eintragungen der jeweiligen Unternehmen im Handelsregister zum Unternehmens- bzw. Gesellschaftszweck. In einigen Ländern werden diese Informationen in den Handelsregistern aber nicht geführt, so dass für Unternehmen dieser Länder meist nur die Branchenschlüssel hinterlegt sind. 3 Die von der Datenbank generierte Ergebnisliste muss daher auch durch eine anschließende manuelle Prüfung um nicht vergleichbare Unternehmen bereinigt werden. 4 Zu einer Auflistung und zu einzelnen Definitionen vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VWG-Verfahren Rz. 214. 5 Bruttogewinnmarge = Rohgewinn/Umsatzerlöse. 6 Umsatzrendite = Betriebsergebnis/Umsatzerlöse. Diese Größe wird auch als „Nettorendite“ bezeichnet. Die Verwendung des Betriebsergebnisses führt dazu, dass das Finanzergebnis, außerordentliche Erträge und Aufwendungen sowie Steuern nicht in die Berechnung der Umsatzrendite eingehen, vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 214, Fn. 4 m.w.N. Die Umsatzrendite setzt aber neben dem Vorhandensein von GuVInformationen der Vergleichsunternehmen voraus, dass die Umsatzerlöse ausgewiesen sind und nicht etwa nach § 276 Satz 1 HGB ein zusammengefasster Ausweis von Umsatzerlösen und Materialaufwand/Wareneinkauf in Form eines Rohergebnisses erfolgt. 7 Berry ratio = Rohgewinn/Kosten ohne Wareneinsatz, Finanzierung, Steuern. Vgl. Fiehler, IStR 2007, 470. 8 Eigenkapitalrendite = Gewinn/Eigenkapital; Gesamtkapitalrendite = (Gewinn + Vergütungen für langfristiges Fremdkapital)/(Eigenkapital + langfristiges Fremdkapital). 9 Kostenaufschlagssatz = Gewinn/Kosten. Zwischen Umsatzrendite und Kostenaufschlagsatz besteht folgender Zusammenhang: Kostenaufschlagsatz = 1/(1 ./. Umsatzrendite) ./. 1.
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8.134
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
gleichsanalyse ergeben, dass vergleichbare (Dienstleistungs- oder Lohnfertigungs-)Unternehmen eine Umsatzrendite von 8 % erzielen, so ist im Rahmen der innerbetrieblichen Planrechnungen ein Kostenaufschlagssatz von ca. 8,7 %1 anzusetzen. Wird dieser Gewinnaufschlag bei den Produktkalkulationen zugrunde gelegt und ergeben sich keine signifikanten Abweichungen von den Planungen, würde das Gruppenunternehmen eine fremdübliche Umsatzrendite von 8 % erzielen. – Die „Berry-Ratio“ drückt einen Kostenaufschlagssatz aus und kann insbesondere bei Vertriebsgesellschaften eingesetzt werden, da nur die Kosten der Vertriebsgesellschaft ohne Wareneinkauf („operating expenses“) einbezogen werden. Hat eine Vertriebsgesellschaft „operating expenses“ von ca. 1 Mio. Euro p.a. und liefert eine datenbankgestützte Vergleichsanalyse die Information, dass vergleichbare Vertriebsunternehmen eine „Berry ratio“ von 1,15 erzielen, so ist die Vertriebsmarge (Verkaufspreis an den Endkunden abzgl. Einkaufspreis der Vertriebsgesellschaft) so zu bemessen, dass die Vertriebsgesellschaft im Jahr 115 % der „operating expenses“ erwirtschaften kann, d.h. die Vertriebsgesellschaft erzielt einen Gewinn von 150 000 Euro. Dieser Gewinn ist als Plangewinn im Rahmen der innerbetrieblichen Planrechnungen anzusetzen. – Bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode lässt sich ggf. auch ein direkter Vergleich der Bruttogewinnmargen zielführend einsetzen. Hier würden aber Kostenelemente nicht in die Ermittlung des Verrechnungspreises eingehen, so dass sich in Abhängigkeit von der Kostenstruktur und vom Umsatz der Vertriebsgesellschaft ggf. hohe Gewinne, aber auch Verluste der Vertriebsgesellschaft ergeben können. Infolgedessen wird nach der hier vertretenen Auffassung eine Verwendung der Berry ratio oder der Umsatzrendite (aus der sich ggf. die „Berry-Ratio“ als Kostenaufschlag ableiten lässt) vorgezogen. Die Verwendung der vorgenannten drei Kennziffern hat den Vorteil, dass sich der Vergleich unabhängig von der Finanzierungsstruktur des Unternehmens vornehmen lässt. Dies ist bei der Verwendung von Eigenkapitalbzw. Gesamtkapitalrenditen i.d.R. nicht möglich. Hier können sich wesentliche Änderungen alleine danach ergeben, ob ein Unternehmen über eigenes ggf. fremdfinanziertes Anlagevermögen verfügt oder entsprechende Wirtschaftsgüter gemietet bzw. geleast werden. Um solche Ergebnisverzerrungen zu vermeiden, ist ferner der Vergleich der Gesamtkapitalrendite zielführender als der Vergleich der Eigenkapitalrendite.
8.135
Anforderungen der deutschen Finanzverwaltung an die Verwendung von Datenbankinformationen. Für die Verwendung von Datenbankinformationen zur Angemessenheitsdokumentation von Verrechnungspreisen bestehen nach den VWG-Verfahren verschiedene Anforderungen.2 Zunächst 1 Kostenaufschlagsatz = 1/(1 ./. 0,08) ./. 1 = 1/0,92 ./. 1 = 1,087 ./. 1 = 0,087. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.4.
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D. Angemessenheitsdokumentation
macht die Finanzverwaltung die Verwendung von Datenbankinformationen davon abhängig, dass die zumindest eingeschränkte Vergleichbarkeit für alle in die Vergleichsanalyse einbezogenen Datenbankinformationen dargelegt wird.1 Dazu soll der Steuerpflichtige über den Abruf von Informationen aus der Datenbank hinaus weitere Recherchen anstellen, z.B. durch Informationsbeschaffung über das Internet. An formellen Anforderungen kommt hinzu, dass die in die Analyse einbezogenen Daten der Finanzverwaltung in elektronischer Form zugänglich gemacht werden sollen, damit die Finanzverwaltung auf der Datenbasis eigene Berechnungen oder Auswertungen anstellen kann.2 Hier entstehen aber ggf. urheberrechtliche Probleme, wenn die Finanzverwaltung eine Kopie der verwendeten Datenbanken erwartet.3 Die Finanzverwaltung sollte daher zulassen, dass der Suchprozess in Papierform oder elektronisch gespeichert wird.4 Die übrigen formalen Anforderungen lassen sich grds. als genaue Beschreibung der Datenbank zusammenfassen, die aber letztlich der Datenbankanbieter zur Verfügung stellt und auf die dann zurückgegriffen werden kann. Fazit zur Verwendung von Daten aus Finanzdatenbanken. Es kann festhalten werden, dass eine Ermittlung von Verrechnungspreisen (allein) auf Basis von (Finanz)Informationen aus Unternehmensdatenbanken i.d.R. keine hinreichend zuverlässigen Ergebnisse liefert und keine Alternative für die Verwendung von Fremdvergleichsdaten, z.B. aus einem internen Fremdvergleich, darstellt. Hierfür bestehen mehrere Gründe: – Ein Vergleich auf Transaktionsbasis,5 d.h. der gruppeninternen Transaktion mit Transaktionen mit bzw. zwischen fremden Dritten, lässt sich bei der Verwendung von Finanzinformationen anderer Unternehmen nicht vornehmen, da lediglich die saldierten Ergebnisse des Vergleichsunternehmens aus seinen verschiedenen Transaktionen zum Vergleich herangezogen werden. Dies führt zu wesentlich ungenaueren Ergebnissen. – Die verfügbaren Unternehmensdatenbanken beinhalten – insbesondere für Deutschland – nur Informationen zu einem geringen Teil der möglicherweise relevanten Vergleichsunternehmen. Für das europäische Ausland sind zwar ggf. umfangreichere Daten vorhanden. Allerdings ist auch hier davon auszugehen, dass auf Grund fehlender Tätigkeitsbeschreibungen und ggf. nicht zutreffender Branchenzuordnungen 1 Vgl. Oestreicher, StuW 2006, 249; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.4. 3 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 216. 4 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 216. 5 Der Transaktionsbezug ist nach BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWGVerfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.2 Voraussetzung für die Verwendung von Fremdvergleichsdaten.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
nicht alle relevanten Vergleichsunternehmen berücksichtigt werden können. Die Informationen aus Finanzdatenbanken können aber wertvolle Anhaltspunkte für die Verrechnungspreisfestsetzung mit Planrechnungen darstellen. Hierauf kann insbesondere dann zurückgegriffen werden, wenn andere Vergleichsmöglichkeiten (z.B. Informationen aus einem internen Fremdvergleich) fehlen. Soweit Datenbankinformationen verwendet werden, sind nach der hier vertretenen Auffassung die Umsatzrendite und die „Berry-Ratio“ am besten geeignet. Die Anforderungen der Finanzverwaltung an die Verwendung von Datenbankinformationen erscheinen vertretbar vor dem Hintergrund, dass die Verrechnungspreisermittlung auf Basis offensichtlich ungeeigneter Vergleichsdaten aus Sicht der Finanzverwaltung vermieden werden soll. Allerdings wird sich erst zukünftig in den Betriebsprüfungen zeigen, ob sich dies auch in der Praxis bewahrheitet oder ob die Regelungen dazu führen, dass auch in nicht begründeten Fällen die Verwendung von Datenbankinformationen ausgeschlossen wird. Gewisse formale Anforderungen sollten noch überdacht werden. So sollten bei Verwendung einer gängigen Datenbank wie „Amadeus“ die nach den VWG-Verfahren erforderlichen Informationen zur Datenbank als solcher (Aufnahmekriterien, Gliederungen der GuV und der Bilanz) als bekannt vorausgesetzt werden können, so dass Angaben hierzu entbehrlich werden. 5. Ableitung des Plangewinns aus einer risikoadäquaten Verzinsung des eingesetzten Kapitals am freien Kapitalmarkt a) Vorgehensweise nach den VWG-Verfahren
8.137
Kapitalmarktanlage als Vergleichsmaßstab. Ein weiterer von der Finanzverwaltung vorgeschlagener Ansatz für die Gewinnprognose im Rahmen von Planrechnungen ist die Ableitung aus einer risikoadäquaten Verzinsung für das eingesetzte Kapital.1 Der Steuerpflichtige soll darlegen, dass er durch die Investition im Unternehmen einen höheren Ertrag als bei einer risikoadäquaten Anlage am Kapitalmarkt erzielen kann. Die Rendite aus der Anlage am Kapitalmarkt stellt damit eine Art „Mindestrendite“ oder Untergrenze für eine Kapitalverzinsung dar.2 Die Verrechnungspreise 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.2012.6 Buchst. b, zweiter Spiegelstrich. 2 Aus ökonomischer Sicht ist die pauschale Forderung einer „Mindestrendite“ kritisch zu sehen. So können auch Fälle auftreten, in denen es aus ökonomischer Sicht nicht sinnvoll ist, eine Mindestrendite zu fordern. Dies könnte z.B. bei einem renditeschwachen funktionsausübenden Konzernunternehmen der Fall sein, das eine Produktionsstätte in Deutschland mit mehreren tausend Arbeitsplätzen unterhält und nur eine Rendite erwirtschaftet, die unter der „Mindestrendite“ liegt. Hier ist zu überlegen, ob die steuerliche Mindestrendite nicht hinter den Erhalt der Produktion in Deutschland zurücktreten sollte. Folglich sind Fälle denkbar, in denen die Finanzverwaltung mit Rücksicht auf ggf. übergeordnete Ziele (z.B. Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland) keine Mindestrendite im Rahmen der Planrechnungen einfordern sollte.
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D. Angemessenheitsdokumentation
sind anschließend retrograd so festzulegen, dass bei den geplanten Kosten und der geplanten Leistungsmenge der Gewinn mindestens die risikoadäquate Verzinsung des eingesetzten Kapitals erreicht. Auffällig ist, dass nach den VWG-Verfahren stets gezeigt werden soll, dass durch die Anlage im Unternehmen ein höherer Ertrag als bei Anlage am Kapitalmarkt erzielt wird. Dies könnte für ausländische Tochterunternehmen eines inländischen Entrepreneurs z.B. bedeuten, dass die Kapitalverzinsung des ausländischen Tochterunternehmens nach oben nicht beschränkt ist. Die Finanzverwaltung müsste also auch wesentliche höhere Kapitalverzinsungen bei (ggf. im niedrig besteuerten Ausland ansässigen) Tochtergesellschaften anerkennen. Dies dürfte aus Sicht der Finanzverwaltung jedoch nicht gewollt gewesen sein, so dass für ausländische Tochtergesellschaften ebenfalls die ermittelte Kapitalverzinsung anzusetzen ist. Die Grundlage für die Aufnahme der Kapitalverzinsung als Methode zur Ermittlung eines angemessenen Plangewinns dürfte im BFH-Urt. v. 17.10.20011 zu sehen sein. Hier führt der BFH aus, dass sich bei Vertriebsgesellschaften die Ermittlung der Untergrenze eines angemessenen Totalgewinns an einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals orientieren kann.2 Diese Überlegung hat die Finanzverwaltung dann in das Anwendungsschreiben3 zum BFH-Urt. v. 17.10.2001 und anschließend auch in die VWG-Verfahren übernommen.4 Die Vorgaben in den VWG-Verfahren werfen vielfältige Fragestellungen auf. Zum einen ist unklar, wie das eingesetzte Kapital definiert ist, d.h. ob nur Eigenkapital oder ob auch ganz oder teilweise Fremdkapital zu erfassen ist.5 Zum anderen wird die Ermittlung der risikoadäquaten Kapitalverzinsung nicht ausreichend erläutert. Der Rückgriff auf Schätzungen oder Erfahrungswerte wird abgelehnt.6 Der Ansatz der Finanzverwaltung und mögliche alternative Lösungen werden unter Rz. 8.142 näher erläutert. b) Ermittlung des eingesetzten Kapitals Eingesetztes Kapital als Bemessungsgrundlage. Soll ein angemessener Plangewinn durch Kapitalverzinsung ermittelt werden, muss neben der Höhe des Zinssatzes die Bemessungsgrundlage für die Verzinsung bestimmt werden (Umfang des zugrunde liegenden Kapitals). Hierzu ist insbesondere zu klären, inwieweit stille Reserven zu berücksichtigen sind 1 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, unter Abschn. III.2.d ff, 2. Abs. a.E. 3 Vgl. BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270; Wehnert/Stalberg, IStR 2004, 467. 4 Kritisch hierzu Taetzner, IStR 2004, 727. 5 Vgl. zur insoweit gleichen Fragestellung bei § 1 Abs. 3 AStG Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, 128. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b, zweiter Spiegelstrich.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
(„Marktwert“ des Eigenkapitals), inwieweit Gesellschafterdarlehen einzubeziehen sind und wie nicht betriebsnotwendige Vermögensbestandteile zu behandeln sind. Die VWG-Verfahren beinhalten hierzu keine näheren Regelungen. Dort wird ohne nähere Erläuterung lediglich auf den Ertrag der „Investition im Unternehmen“ abgestellt.1 Geht man von der den VWG-Verfahren zugrunde liegenden Überlegung aus, dass mit der Investition in die Beteiligung mindestens der Ertrag einer risikoadäquaten Anlage am Kapitalmarkt erzielt werden soll, müssen konsequenterweise die Beträge in die „Bemessungsgrundlage“ für die Verzinsung einbezogen werden, die statt der Investition in die Beteiligung am Kapitalmarkt hätten investiert werden können. Vereinfachend wird für die folgende Darstellung davon ausgegangen, dass der Investor jeweils zu 100 % beteiligt ist, dass das zu beurteilende Unternehmen nur für Unternehmen des Konzerns tätig ist und dass nur Leistungen aus einem Bereich (z.B. Auftragsproduktion oder Produktvertrieb) erbracht werden.2 Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Kapitalverzinsung auf Basis des Kapitals zu bestimmen, das der Investor statt der Investition in dem Unternehmen am Kapitalmarkt hätte anlegen können und das mit einem dem Eigenkapital vergleichbaren Ausfallrisiko behaftet ist. Unter Berücksichtigung der dazu angestellten Überlegungen kann die Bemessungsgrundlage für die Kapitalverzinsung grds. wie folgt ermittelt werden (bezogen auf eine 100 %-Beteiligung an einem Unternehmen, das lediglich eine Art von Leistungen an andere Unternehmen des Konzerns erbringt):3
8.139
Wert der Beteiligung. Zu unterscheiden ist, ob objektive Anhaltspunkte für den Wert der Beteiligung vorliegen (z.B. aus einer aktuellen Anteilsveräußerung an/von fremden Dritten): – Wenn dies der Fall ist, wird der entsprechende Wert als investiertes Kapital angesetzt. – Wenn dies nicht der Fall ist: – Ansatz der Anschaffungskosten des Investors (z.B. Kaufpreis, Einlagen, Zuführungen zu Kapitalrücklagen); 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b, zweiter Spiegelstrich. 2 Unter dem Begriff „Investor“ ist im Folgenden der Gesellschafter zu verstehen. Die Annahme einer Beteiligung zu 100 % wird als sachgerecht angesehen, da eine Angemessenheitsprüfung bei Verrechnungspreisen i.d.R. erst dann relevant wird, wenn ein Gesellschafter zumindest mehrheitlich beteiligt ist und in der Praxis bei verrechungspreisrelevanten Fällen häufig eine Beteiligung zu 100 % vorliegt. Sind die Annahmen im Hinblick auf die Geschäftstätigkeit des zu beurteilenden Unternehmens nicht erfüllt, muss eine spartenbezogene Betrachtung erfolgen, d.h. für den Bereich des Unternehmens, der Leistungen gegenüber anderen Unternehmen des Konzerns erbringt, ist das in diesem Bereich eingesetzte Kapital nach den unten stehenden Grundsätzen zu ermitteln. 3 Zu Einzelheiten und einer näheren Begründung vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 155 ff.
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D. Angemessenheitsdokumentation
– bei Gewinnvortrag/Gewinnrücklagen in der Bilanz des Unternehmens anteilige Erhöhung der Anschaffungskosten (soweit bei einem länger zurückliegenden Anteilserwerb stille Reserven mit dem Kaufpreis der Anteile vergütet wurden, ist ggf. eine sachgerechte Verrechnung erforderlich); – bei Verlustvorträgen anteilige Kürzung der Anschaffungskosten, wenn Voraussetzungen für eine dauernde Wertminderung vorliegen. Berücksichtigung von Gesellschafterdarlehen. Darlehen des Investors mit Nachrangigkeit gegenüber anderen Gläubigern sowie Fremddarlehen, die zu Lasten des Investors besichert sind, erhöhen die Bemessungsgrundlage für die Kapitalverzinsung. Die hierauf zu entrichtenden regulären Zinsen mindern den anzusetzenden Plangewinn und müssen nicht zusätzlich zu dem Plangewinn erwirtschaftet werden.1
8.140
Korrektur um nicht betriebsnotwendige Liquidität sowie sonstiges nicht betriebsnotwendiges Vermögen. Die Bemessungsgrundlage für die Kapitalverzinsung ist um im Unternehmen vorhandene nicht betriebsnotwendige Liquidität sowie um sonstiges nicht betriebsnotwendiges Vermögen zu kürzen (nach Saldierung mit damit ggf. in Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten). Die Erträge hieraus fallen zusätzlich zu dem durch Kapitalverzinsung berechneten Plangewinn an.
8.141
c) Berechnung des Zinses Risikoadäquater Zins. Bei der Methode zur Ermittlung des risikoadäquaten Zinses lehnt sich die Finanzverwaltung an die Vorgehensweise bei der Ermittlung des Diskontierungszinses bei Unternehmensbewertungen an.2 Auf einen risikofreien Basiszins (i.d.R. Zinssatz aus Staatsanleihen) sollen 1 In der BFH-Rechtsprechung wurde die Einbeziehung von Gesellschafterfremdkapital bei Ermittlung einer Eigenkapitalrendite bisher nicht ausdrücklich entschieden. Zwar stellt BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 (unter Abschn. III.2.d ff., 2. Abs. a.E.) auf eine angemessene Verzinsung des „zugeführten Eigenkapitals (einschließlich Zinseszins und Risikozuschlag)“ ab und nimmt so eine Beschränkung der Renditeermittlung auf das Eigenkapital vor. Allerdings hat der BFH in der Entscheidung vom 17.10.2001 nur am Rande zu der Frage der Eigenkapitalverzinsung Stellung genommen und keine weiteren Überlegungen zur Bemessungsgrundlage angestellt. Es ist zu vermuten, dass die Einbeziehung von Gesellschafterdarlehen für die theoretischen Überlegungen in der Entscheidung vom 17.10.2001 nicht relevant war und dass der BFH die strenge Orientierung am Eigenkapital in anders gelagerten Fällen relativieren oder aufgeben könnte. Im Anwendungsschreiben des BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270 zum BFH-Urteil v. 17.10.2001 ist anders als in dem Urteil keine Beschränkung auf Eigenkapital vorgesehen. Hier wird „auf eine angemessene Verzinsung des zugeführten Kapitals“ abgestellt. Eine Begründung oder weitere Erläuterung hierzu enthält das Anwendungsschreiben nicht. 2 Bei Unternehmensbewertungen werden die zukünftigen Zahlungsüberschüsse des Unternehmens (nach Abzug der auf der Ebene des Unternehmens anfallenden Steuern) ermittelt und auf den Bewertungsstichtag abgezinst. Vgl. Ballwieser, WPg 2002, 736.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
funktions- und risikobezogene Zuschläge berechnet werden.1 Die Berechnung soll rechnerisch nachvollziehbar dargestellt und sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach begründet werden. Griffweise Schätzungen des Risikozuschlags oder der Rückgriff auf nicht näher begründete Erfahrungswerte genügen nicht.2 Allerdings führt die Verwendung geschätzter Werte nicht zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen, vgl. Rz. 8.176.3 Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen ist zur Bestimmung eines risikoadäquaten Zinssatzes eine Vorgehensweise zu wählen, die eine bessere Begründung/Plausibilisierung der Risikoprämie erlaubt als ein pauschaler Zuschlag auf den risikofreien Basiszins. Hierzu ist zum einen anzumerken, dass pauschale Zuschläge auf den risikofreien Basiszins (z.B. von 4,5 %) vom Gesetzgeber an anderer Stelle vorgegeben werden.4 Zum anderen geben die VWG-Verfahren keinen Hinweis darauf, wie eine bessere Begründung/Plausibilisierung der Risikoprämie praktisch durchgeführt werden soll. Als eine Möglichkeit zur Begründung/Plausibilisierung der Risikoprämie wird das in der Unternehmensbewertung eingesetzte Capital Asset Pricing Model (CAPM) bzw. das Tax-CAPM (CAPM unter Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern) angesehen.5 Durch den Einsatz dieser Modelle soll in der Unternehmensbewertung eine höhere Objektivierbarkeit des Risikoanteils im Diskontierungszinssatz gegenüber pauschalen Risikozubzw. abschlägen erreicht werden.6 d) Zwischenergebnis und Würdigung
8.143
Zwischenfazit zur Plangewinnermittlung durch Kapitalverzinsung. Die Bestimmung des relevanten Kapitals für die Kapitalverzinsung dürfte bei funktionsausübend tätigen Gesellschaften anhand der Bilanzdaten weitgehend problemlos möglich und auch sachgerecht sein. Etwas anderes 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b, zweiter Spiegelstrich. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b, zweiter Spiegelstrich. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. c, dritter Spiegelstrich, im Umkehrschluss. 4 Vgl. § 203 Abs. 1 BewG. 5 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 230, der zur Ermittlung des risikoadäquaten Zinses auf die CAPM-Formel zurückgreift. Ausführlich zur Anwendung des CAPM bzw. TaxCAPM zur Bestimmung von Zinssätzen für eine Eigenkapitalverzinsung zu Verrechnungspreiszwecken mit diversen Beispielen: Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 163 ff. 6 Vgl. Reuter, AG 2007, 2 f.; IDW, FN-IDW 2007, 194, Teil A Tz. 184 f.; Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht4, 134; IDW S1 i.d.F. von 2005, WPg 2005, 1320; Timmreck in Richter/Timmreck, Unternehmensbewertung: Moderne Instrumente und Lösungsansätze, 61; Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung2, 177.
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D. Angemessenheitsdokumentation
gilt, wenn erhebliche stille Reserven im Unternehmen vorhanden sind, was bei funktionsausübend tätigen Unternehmen i.d.R. aber nicht der Fall ist. Soweit stille Reserven vorhanden sind (z.B. bei funktionsleitenden Unternehmen) und die stillen Reserven z.B. aus einem zwischen fremden Dritten zustande gekommenen Unternehmenskauf abgeleitet werden können, sind diese einzubeziehen. Andernfalls können diese – schon alleine wegen der Schwierigkeiten in der Ermittlung – nicht berücksichtigt werden. Dies zeigt, dass die Bestimmung von Plangewinnen durch Kapitalverzinsung am besten für funktionsausübende Unternehmen geeignet ist. Zur Bestimmung des Zinssatzes kann festgehalten werden, dass hierfür grds. das in der Unternehmensbewertung eingesetzte CAPM bzw. das Tax-CAPM verwendet werden kann. Es entspricht den Anforderungen der Finanzverwaltung, auf einen risikofreien Basiszins funktions- und risikobezogene Zuschläge vorzunehmen. Wenngleich es auch bei Anwendung des CAPM bzw. Tax-CAPM nicht möglich ist, gänzlich auf Schätzungen und Erfahrungswerte (z.B. im Hinblick auf den Betafaktor) zu verzichten, besteht durch den Rückgriff auf diese in der Unternehmensbewertung anerkannten und angewandten Modelle eine ausreichende Basis, um zuverlässige Berechnungen vorzunehmen. Soweit auf Schätzungen und Erfahrungswerte bei den funktions- und risikobezogenen Zuschlägen zurückgegriffen werden muss, führt dies nicht zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen.1 Im Ergebnis ist die Verwendung der Kapitalverzinsung zur Berechnung eines Plangewinns nach der hier vertretenen Auffassung ein gangbarer Weg für das Unternehmen, um die von der Finanzverwaltung an eine Angemessenheitsdokumentation gestellten Anforderungen zu erfüllen. Auch die Umsetzung wird – zumindest bei funktionsausübend tätigen Unternehmen – als vergleichsweise einfach angesehen. 6. Ableitung des Plangewinns durch Aufteilung des Konzerngewinns nach der Wertschöpfung der einzelnen Konzernunternehmen a) Vorgehensweise nach den VWG-Verfahren Ableitung des Plangewinns durch Aufteilung des Konzerngewinns. Ein weiterer Ansatz zur Ermittlung eines angemessenen Plangewinns für Gruppenunternehmen ist die Aufteilung des Konzernergebnisses nach der Wertschöpfung der einzelnen Gruppenunternehmen.2 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. c, dritter Spiegelstrich, im Umkehrschluss. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b, dritter Spiegelstrich. Die Begriffswahl „Aufteilung nach Wertschöpfungsbeiträgen“ ist in diesem Zusammenhang nicht trennscharf: Zum einen wird der Begriff „Wertschöpfung“ bzw. „Wertschöpfungsbeiträge“ in der Überschrift für verschiedene Möglichkeiten der Aufteilung des Konzernergebnisses gebraucht. Zum anderen werden „Wertschöpfungsbeiträge“ ne-
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8.144
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Ausgangspunkt ist dabei das Konzernergebnis, da dieses die Leistungen aller Konzernunternehmen beinhaltet und Innenumsätze durch die Konsolidierung ausgenommen sind. Nach Anwendung des Aufteilungsschlüssels ergibt sich für jedes Gruppenunternehmen ein Anteil am Konzerngewinn. Dieser Gewinn ist für die funktionsausübenden oder funktionsleitenden Unternehmen, für die Verrechnungspreise bestimmt werden sollen, als Plangewinn anzusetzen („Gewinnprognose auf Grund funktionsgerechter Gewinnzuweisung“).1 Für die Aufteilung des Konzernergebnisses nennen die VWG-Verfahren beispielhaft folgende Möglichkeiten:2 – Wertschöpfungsbeiträge; – Kosten; – Umsätze; – wertende Gegenüberstellung der übernommenen Funktionen und Risiken im Verhältnis zu denen des Gesamtkonzerns. Die Aufteilung des Konzernergebnisses für die Bestimmung des Plangewinns der einzelnen Einheiten bietet sich insbesondere dann an, wenn in der Gruppe über einen längeren Zeitraum mit Verlusten zu rechnen ist. Dies würde bei konsequenter Umsetzung bedeuten, dass für kein Gruppenunternehmen ein positiver Plangewinn veranschlagt werden kann, wenn in der Gruppe Verluste erwartet werden. Damit ergäbe sich allerdings ein Widerspruch zu dem durch den BFH entwickelten Grundsatz, dass zumindest bei funktionsausübenden Einheiten regelmäßige positive Plangewinne anzusetzen sind.3 Daher werden auch bei der Plangewinnermittlung durch Aufteilung des Konzernergebnisses steuerliche Verluste bei funktionsausübenden Einheiten nur in Einzelfällen (z.B. Anlaufphase) begründet werden können. Allerdings lassen sich bei dieser Vorgehensweise gute Argumente dafür finden, einer funktionsausübenden Einheit bei einer längeren Verlustperiode im Gesamtkonzern ausgeglichene oder allenfalls geringe Ergebnisse zuzuweisen. Neben den in den VWG-Verfahren vorgeschlagenen Aufteilungsmöglichkeiten könnte überlegt werden, eine Aufteilung nach eingesetzten Wirt-
ben Umsätzen, Kosten usw. als konkrete Möglichkeit zur Aufteilung angesehen. Im Folgenden soll – um Überschneidungen zu vermeiden – die Formulierung „Aufteilung des Konzernergebnisses nach Wertschöpfung“ als Überschrift für die verschiedenen Aufteilungsmöglichkeiten verwendet werden, während der Begriff „Wertschöpfungsbeiträge“ in Zusammenhang mit der konkreten Aufteilung als eine der neben Kosten und Umsätzen bestehenden Aufteilungsmöglichkeiten verwendet werden soll. 1 In dem konsolidierten Konzerngewinn sind Zwischengewinne ausgenommen. Der Konzerngewinn kann daher für das zu betrachtende Jahr ggf. niedriger sein als die Summe der Gewinne der einbezogenen Konzernunternehmen. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b, dritter Spiegelstrich. 3 Vgl. zu Vertriebsgesellschaften BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375.
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D. Angemessenheitsdokumentation
schaftsgütern vorzunehmen. Auch hierauf soll im Anschluss an die Analyse der anderen Ansätze noch eingegangen werden. b) Gewinnprognose Gewinnprognose. Wesentlicher Faktor für die Ermittlung des Plangewinns für einzelne Gruppenunternehmen ist zunächst der prognostizierte Gesamtgewinn für den Konzern. Die VWG-Verfahren1 sehen hierzu vor, dass die Gesamtgewinnerwartung für den Konzern durch nachvollziehbare Analysen glaubhaft gemacht werden soll. Genannt werden Beurteilungen unabhängiger Dritter (z.B. Rating-Agenturen) oder vorab erstellte betriebswirtschaftlich fundierte vorsichtige Gewinnprognosen. Dabei sind die Ergebnisse der Vergangenheit zu berücksichtigen und Sondereffekte zu bereinigen. Soweit Beurteilungen unabhängiger Dritter gefordert werden, ist diese Forderung nach der hier vertretenen Auffassung überzogen. Zwar ist die Gewinnprognose des Gesamtergebnisses ein wesentlicher Faktor für den Plangewinn des einzelnen Unternehmens. Das zentrale Problem liegt aber vielmehr in der Subjektivität der Aufteilung des Gewinns auf die einzelnen Gruppenunternehmen. Infolgedessen ist es zur Gewinnprognose ausreichend, auf die intern im Unternehmen für die Unternehmensentwicklung und -steuerung verwendeten Daten und Planungen zurückzugreifen. Eine Verprobung mit Vergangenheitswerten und eine Korrektur um Sondereinflüsse sind allerdings erforderlich. In diesem Zusammenhang ist ferner zu überlegen, ob den verwendeten Rechnungslegungsstandards Bedeutung zukommt, d.h. ob sich Abweichungen ergeben, wenn ein Unternehmen z.B. nach IAS/IFRS Rechnung legt. Dies ist – aus den im Folgenden dargestellten Gründen – nicht erforderlich: Zum einen können spezielle, sich aus den Rechnungslegungsnormen ergebende Abschreibungen, Rückstellungen oder Zuschreibungen als Sondereinflüsse behandelt werden, die aus den Prognoserechnungen ohnehin auszunehmen sind. Zum anderen kommt es für interne, in die Zukunft gerichtete betriebswirtschaftliche Prognoserechnungen i.d.R. nicht darauf an, welche Normen für die im Nachhinein erfolgende externe Rechnungslegung verwendet werden.
8.145
c) Aufteilung nach Wertschöpfungsbeiträgen Aufteilung nach Wertschöpfungsbeiträgen. Die VWG-Verfahren enthalten Anhaltspunkte, wie bei einer Aufteilung des Konzerngewinns nach Wertschöpfungsbeiträgen die Wertschöpfungsbeiträge der einzelnen Gruppenunternehmen ermittelt werden sollen. Diese Hinweise finden sich allerdings nicht in den Erläuterungen zur Angemessenheitsdoku1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b, dritter Spiegelstrich.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
mentation, sondern in den Erläuterungen der VWG-Verfahren zur Wertschöpfungsanalyse im Rahmen der Sachverhaltsdokumentation.1 Danach sind in einem ersten Schritt die Geschäftsprozesse zu identifizieren, die für die Wertschöpfung des Konzerns relevant sind.2 Folgende Prozesse führt Schreiber als Beispiele auf:3 – Geschäftsbereichsmanagement (Geschäftsstrategie, Public Relations, Markenmanagement, Produktdesign), – Unterstützung (Finanzen, Rechnungswesen, IT usw.), – Forschung & Entwicklung (Festlegung der Strategie, Basisforschung, Produktentwicklung, Qualität), – Management der Lieferkette (Beschaffung, Produktion, Produktionsprozess, Logistik, Vertrieb). In einem zweiten Schritt soll die anteilige Bedeutung dieser Wertschöpfungsprozesse im Verhältnis zur Gesamtwertschöpfung im Konzern bestimmt werden. Schreiber nimmt in seinem Beispiel eine prozentuale Gewichtung vor. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob eine Aufteilung in nur vier Gruppen eine ausreichend differenzierte Betrachtung erlaubt. Es erscheint daher sinnvoll, statt der vier (Haupt)Gruppen auch die Bedeutung der dazu aufgeführten Unterpunkte zu gewichten. In einem dritten Schritt ist schließlich zu ermitteln, inwieweit die einzelnen Gruppenunternehmen Beiträge zu den für die Wertschöpfung in der Gruppe relevanten Aufgaben leisten. Die Ergebnisse aus dem zweiten und dritten Schritt werden in eine Matrix übertragen, aus der sich dann der prozentuale Anteil des einzelnen Gruppenunternehmens an der Wertschöpfung in der Gruppe ablesen lässt. Die Vorgehensweise weist enge Parallelen zu der unter Rz. 8.77 dargestellten Star-Chart-Analyse auf, die zur Erläuterung der Funktions- und Risikoverteilung verwendet werden kann. Wertschöpfungsprozess
Relativer Wert
Geschäftsbereichsmanagement 15 % (Geschäftsstrategie, Public Relations, Markenmanagement, Produktdesign)
Produktions S.r.l. Italien
Mutter GmbH (Strategieträger) Deutschland
Vertriebs SA Frankreich
2%
10 %
3%
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.5. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.5. 3 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 180.
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D. Angemessenheitsdokumentation Wertschöpfungsprozess
Relativer Wert
Produktions S.r.l. Italien
Mutter GmbH (Strategieträger) Deutschland
Vertriebs SA Frankreich
Unterstützung (Finanzen, Rechnungswesen, IT usw.)
10 %
1%
5%
4%
Forschung & Entwicklung (Festlegung der Strategie, Basisforschung, Produktentwicklung, Qualität)
30 %
10 %
20 %
0%
Management der Lieferkette (Beschaffung, Produktion, Produktionsprozess, Logistik, Vertrieb)
45 %
5%
30 %
10 %
Gesamt
100 %
18 %
65 %
17 %
Wertschöpfungsmatrix1
Im Beispiel der obigen Wertschöpfungsmatrix wäre der italienischen Produktions S.r.l. ein Anteil am Plan-Konzerngewinn der Gruppe von rund 18 % beizumessen. Die Verrechnungspreise gegenüber der Produktions S.r.l. wären dann (i.d.R. über die Kostenaufschlagsmethode) so festzulegen, dass die Produktions S.r.l. einen Plangewinn i.H.v. 18 % des PlanKonzerngewinns erzielt. Im Prinzip stellt diese Vorgehensweise einen zielführenden Ansatz dar. Das entscheidende Problem liegt aber darin, dass sämtliche Aufteilungen (Bedeutung des einzelnen Wertschöpfungsprozesses im Verhältnis zur Gesamtwertschöpfung in der Gruppe; Beiträge der einzelnen Gruppenunternehmen zu den einzelnen Wertschöpfungsprozessen) auf subjektiven Einschätzungen beruhen. Eine Objektivierung erscheint im Ergebnis nicht möglich.2 Zwar kann man die Auffassung vertreten, dass sich ge1 In Anlehnung an Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 180. 2 Vgl. Eigelshoven/Nientimp, DB 2005, 1186. In den Tz. 2.120 OECD-Leitlinien 2010, wird die Ermittlung entsprechender Beiträge des einzelnen Unternehmens zur Wertschöpfung in der Gruppe als „schwierig“ und von den Umständen des Einzelfalls abhängig eingestuft. Wenngleich es sich um eine etwas „schwächere“ Formulierung handelt, dürfte die hier vertretene Auffassung, dass eine wünschenswerte und eigentlich auch erforderliche Objektivierung praktisch i.d.R. nicht zu erreichen sein wird, mit der Auffassung der OECD in Einklang stehen. Zur Einordnung der OECD-Quelle, auf die auch die Finanzverwaltung in den VWG-Verfahren Bezug nimmt, ist auf Folgendes hinzuweisen: Bei den Tz. 2.119 f. und 2.131 OECD-Leitlinien 2010 handelt es sich um Erläuterungen zu geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungen. Zwar bestehen methodische Unterschiede zwischen dem Ansatz der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilung und der Ermittlung eines angemessenen Plangewinns für Verrechnungspreiszwecke. Trotzdem besteht eine Übereinstimmung im Ansatz, so dass die
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
ringfügige Änderungen an der Gewichtung kaum auswirken. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich letztlich um eine geschätzte und damit um eine durch das Unternehmen weitgehend frei beeinflussbare Aufteilung handelt. Ferner bleibt offen, welche Anforderung die Finanzverwaltung im Einzelnen an die Begründung der vom Steuerpflichtigen vorgenommenen Aufteilungen stellt. Es ist aber nur schwer vorstellbar, dass die Finanzverwaltung eine – wenngleich plausible – Matrix ohne weitere Begründungen und Versuche der Objektivierung anerkennen wird.1 Wie indessen eine solche Objektivierung erfolgen könnte, bleibt ungeklärt.2 Allenfalls könnte bei Einsatz einer Target-Costing Konzeption im Unternehmen versucht werden, hieraus Anhaltspunkte abzuleiten, welchen Eigenschaften des Produkts bzw. welchen Leistungen des Unternehmens (Produktgestaltung; Produktqualität; Service; Vertrieb) aus Sicht des Marktes die größte Bedeutung beizumessen ist. d) Aufteilung nach Kosten
8.147
Aufteilung nach Kosten. Als weitere Aufteilungsmöglichkeit sehen die VWG-Verfahren eine Aufteilung des Gesamtergebnisses nach Kosten vor. Diese Möglichkeit hat den Vorteil, dass die für die Aufteilung erforderlichen Daten auf jeden Fall vorhanden und i.d.R. auch ohne großen Aufwand verfügbar sind. Jedoch wird mit den Kosten ein formelmäßiger Aufteilungsschlüssel angewandt. Dies ist nach den OECD-Leitlinien grds. nicht zulässig.3 Zwar wird hier bei der Ermittlung von Plangewinnen, die anschließend die Verrechnungspreise determinieren sollen, keine Gewinnaufteilung im engeren Sinne vorgenommen, die nach den OECD-Richtlinien unzulässig ist. Allerdings würden sich die Ergebnisse, die eine solche Gewinnaufteilung liefert, nicht wesentlich von den Plangewinnen unterscheiden (zumindest wenn die zugrunde gelegten Annahmen wie Ausbringungsmenge, Kosten usw. eintreten). Insoweit spricht vieles dafür, die Aufteilung über Kosten bereits dem Grunde nach als unzulässig anzusehen. Ferner wären die Kosten grds. um kalkulatorische Kosten zu ergänzen, um eine zutreffende Aufteilung zu erhalten. Dazu zählen insbesondere kalkulatorische Abschreibungen auf immaterielle Wirtschaftsgüter oder entsprechenden Erläuterungen zu geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungen grds. auch für die vorliegende Aufteilung des Konzerngewinns berücksichtigt werden können. 1 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 204, unter (3) a.E., der von einem geringen Beweiswert dieser Daten ausgeht. 2 In den Tz. 2.119 f. und 2.131 OECD-Leitlinien 2010 wird die Verwendung externer Marktdaten empfohlen. Dies bezieht sich aber auf die konkrete geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilung und erscheint – mangels verwendbarer Marktdaten – für die hier betrachtete Ermittlung eines Plangewinns praktisch nicht durchführbar. 3 Vgl. Tz. 1.16–1.18 und 1.32 OECD-Leitlinien 2010; Wehnert/Brüninghaus/Marx/ Andresen/Hülster/Beck/Bodenmüller/Wolff, IStR 2005, 720.
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D. Angemessenheitsdokumentation
der Ansatz fiktiver Lizenzraten. Ansonsten erhielte das Gruppenunternehmen, das über die wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter verfügt, einen niedrigeren Anteil am Gewinn, als ihm eigentlich zustehen würde. Zuverlässige und objektivierte Daten zu den kalkulatorischen Kosten sind in aller Regel aber nicht verfügbar. Wäre dies dagegen der Fall, läge ein tragfähiger, praktikabler und zielführender Ansatz vor. Dieser wäre auch nicht mehr als unzulässige formelmäßige Gewinnaufteilung anzusehen, weil durch die Berücksichtigung der kalkulatorischen Kosten (insbes. kalkulatorische Abschreibungen auf immaterielle Wirtschaftsgüter) den Besonderheiten der einzelnen Gruppenunternehmen Rechnung getragen würde. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass ggf. Anpassungen bei Innenumsätzen notwendig wären, um Doppelerfassungen von Kosten auszuschließen. Vor diesem Hintergrund ist die Aufteilung des geplanten Konzernergebnisses nach Kosten daher in der Praxis allenfalls in Einzelfällen geeignet. e) Aufteilung nach Umsätzen Aufteilung nach Umsätzen. Ähnlich verhält es sich bei einer Aufteilung des Konzernergebnisses nach Umsätzen. Auch dies käme der Verwendung eines unzulässigen formelmäßigen Aufteilungsschlüssels1 nahe. Bei den zugrunde zu legenden Umsätzen wäre auf die Außenumsätze abzustellen. Ansonsten würden Verrechnungspreise zwischen den Gruppenunternehmen Einfluss auf die Aufteilung des Ergebnisses haben und sich damit im Ergebnis selber beeinflussen. Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass eine Aufteilung nach Umsätzen nur in speziellen Gruppenstrukturen sinnvoll erscheint, nämlich dann, wenn zwei funktionsleitende Unternehmen vorhanden sind, die beide bei ungefähr gleichen Funktionen und Risiken Außenumsätze erzielen. Keinen Sinn macht die Aufteilung nach Umsätzen indes bei einer Gruppenstruktur aus einem Strategieträger und verschiedenen funktionsausübenden Unternehmen. Dies wird an folgenden Beispielen deutlich: Funktionsausübend tätigen Produktionsunternehmen würde i.d.R. wegen fehlender Außenumsätze kein Ergebnisanteil zugewiesen werden können, was nicht zutreffend ist. Gleiches gilt für funktionsausübend tätige Vertriebsunternehmen, die nur eine Kommissions- oder Vermittlungsvergütung vom Strategieträger erhalten. Auch sie tätigen i.d.R. keine eigenen Außenumsätze. Sofern funktionsausübend tätige Vertriebsunternehmen als Eigenhändler auftreten, würden diesen bei einer Aufteilung nach Außenumsätzen dagegen hohe Ergebnisanteile zugewiesen. Der Strategieträger würde jedoch, wenn er seine Produkte über als Eigenhändler tätige Vertriebstochtergesellschaften veräußert, bei einer konsequenten Aufteilung nach Außenumsätzen keinen Anteil am Ergebnis erhalten. Dies wäre ebenfalls unzutreffend. 1 Vgl. Tz. 1.16–1.18 und 1.32 OECD-Leitlinien 2010.
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8.148
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Festzuhalten bleibt daher, dass eine Aufteilung des Plangewinns nach Umsätzen – sofern man sie überhaupt dem Grunde nach als zulässig ansieht und nicht als unzulässige formelmäßige Gewinnaufteilung ablehnt – nur bei ganz bestimmten Gruppenstrukturen (mehrere funktionsleitende Unternehmen mit Außenumsätzen bei ungefähr gleichen Funktionen und Risiken) zu sinnvollen Ergebnissen führen kann. f) Aufteilung durch wertende Gegenüberstellung der übernommenen Funktionen und Risiken im Verhältnis zu denen des Gesamtkonzerns
8.149
Aufteilung durch wertende Gegenüberstellung. Die wertende Gegenüberstellung der Funktionen und Risiken der einzelnen Gruppenunternehmen ist nach den VWG-Verfahren eine weitere Möglichkeit, anhand derer der Konzerngewinn auf die einzelnen Unternehmen aufgeteilt werden kann. Dabei bestehen aber weitgehende Parallelen zu der unter Rz. 8.146 erläuterten Aufteilung nach Wertschöpfungsbeiträgen. Für eine wertende Gegenüberstellung bietet sich die bereits oben beschriebene Funktionsanalysematrix (Rz. 8.68) an, die ggf. um eine entsprechende „Risikenmatrix“ und eine Matrix über die Eigentumsverhältnisse an den wesentlichen (immateriellen) Wirtschaftsgütern ergänzt werden könnte. Aus der Gewichtung der Ergebnisse der Einzelmatrizen (z.B. Funktionen 40 %, Risiken 40 %, eingesetzte immaterielle Wirtschaftsgüter 20 %) lässt sich dann der Gesamtaufteilungsschlüssel ableiten, soweit nicht bereits alle Faktoren komplett in einer Matrix erfasst werden. Auf Grund der Ähnlichkeit zur Aufteilung nach Wertschöpfungsbeiträgen ergeben sich die gleichen Problemfelder für die praktische Umsetzung. Das wesentliche Problem ist die fehlende Objektivierungsmöglichkeit hinsichtlich der Gewichtung der einzelnen Funktionen und Risiken (Rz. 8.146). g) Aufteilung nach eingesetzten Wirtschaftsgütern
8.150
Aufteilung nach eingesetzten Wirtschaftsgütern. Schließlich könnte überlegt werden, die von den einzelnen Gruppenunternehmen eingesetzten Wirtschaftsgüter (Anlagevermögen ohne Beteiligungen an Gruppenunternehmen) als Aufteilungsmaßstab für den Konzerngewinn zu verwenden.1 Dies setzt allerdings voraus, dass auf die Zeitwerte der entsprechenden Wirtschaftsgüter zurückgegriffen wird, da es ansonsten zu nicht gerechtfertigten Verschiebungen zwischen den Gruppenunternehmen 1 Vgl. Eigelshoven/Nientimp, DB 2005, 1186. Eigelshoven und Nientimp stellen die sog. Restgewinnanalyse vor. Bei diesem Verfahren wird zunächst jedem Unternehmen eine übliche Nettomarge für die Wahrnehmung von Funktionen zugewiesen. Der Restgewinn wird anschließend im Verhältnis des Werts der eingesetzten immateriellen Wirtschaftsgüter aufgeteilt. Ähnlich wie bei dem hier vorgeschlagenen Ansatz erfolgt damit letztlich eine Aufteilung nach eingesetzten Wirtschaftsgütern, wenngleich dies bei der Restgewinnanalyse auf immaterielle Wirtschaftsgüter beschränkt ist.
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D. Angemessenheitsdokumentation
käme (z.B. würde ein Gruppenunternehmen mit nicht bilanzierten immateriellen Wirtschaftsgütern einen zu niedrigen Gewinnanteil erhalten). Dies ist vergleichbar mit den Überlegungen zur Aufteilung des Konzerngewinns nach Kosten, wo zutreffende Ergebnisse nur unter Berücksichtigung kalkulatorischer Kosten (insbes. kalkulatorischer Abschreibungen) erreicht werden können. Die Aufteilung nach den Zeitwerten der eingesetzten Wirtschaftsgüter würde zur Folge haben, dass jedes Gruppenunternehmen prozentual die gleiche Rendite auf sein eingesetztes Aktivkapital (Zeitwert) erzielt. Der Strategieträger mit wertvollen immateriellen Vermögensgegenständen würde dementsprechend einen hohen Ergebnisanteil zugewiesen bekommen, während funktionsausübende Unternehmen wegen weniger wertvoller eingesetzter Wirtschaftsgüter nur einen geringeren Ergebnisanteil erhielten. Die Verwendung der Zeitwerte wirft aber das Problem auf, dass diese Werte in aller Regel nicht vorhanden sind. Zwar kann bei börsennotierten Mutterunternehmen ein Gesamtwert für das Mutterunternehmen aus der Marktkapitalisierung errechnet werden. Allerdings lässt sich daraus kein Rückschluss auf die Verteilung der eingesetzten Wirtschaftsgüter zwischen den Gruppenunternehmen ziehen. Wären entsprechende Daten jedoch vorhanden, läge mit der Aufteilung des Konzernergebnisses nach dem Wert der eingesetzten Wirtschaftsgüter ein zielführender und tragfähiger Ansatz vor. Im Ergebnis wird eine Aufteilung nach den Zeitwerten der eingesetzten Wirtschaftsgüter mangels objektiver Daten zu den Zeitwerten i.d.R. nicht möglich sein. h) Zwischenergebnis und Würdigung Fazit zur Plangewinnermittlung durch Aufteilung des Konzernergebnisses. Die Ermittlung eines angemessenen Plangewinns durch Aufteilung des Konzerngewinns anhand von Wertschöpfungsbeiträgen kommt nach der hier vertretenen Auffassung am ehesten für Unternehmensgruppen in Betracht, die aus mehreren Strategieträgern oder mehreren funktionsleitend tätigen Gruppenunternehmen bestehen und bei denen Leistungen zwischen den Strategieträgern bzw. den funktionsleitenden Gruppenunternehmen ausgetauscht werden. Insgesamt problematisch ist bei einer Aufteilung nach Wertschöpfungsbeiträgen die fehlende Möglichkeit einer Objektivierung. Vielmehr handelt es sich bei den Wertschöpfungsbeiträgen i.d.R. um subjektive Einschätzungen. Der in den VWG-Verfahren vorgeschlagenen Aufteilung des Konzerngewinns nach Umsatz oder Kosten steht die Nähe zur unzulässigen formelmäßigen Gewinnaufteilung entgegen. Im Übrigen lassen sich, z.B. bei einer Aufteilung des Konzerngewinns nach Kosten, nur dann sinnvolle Ergebnisse erzielen, wenn kalkulatorische Kosten, insbes. kalkulatoriCordes
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8.151
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
sche Abschreibungen auf immaterielle Wirtschaftsgüter, einbezogen werden. 7. Stellungnahme zur Verwendung von Planrechnungen
8.152
Fazit zur Verwendung von Planrechnungen. Durch eine Verrechnungspreisfestsetzung auf Basis von Planrechnungen kann dem nach Verwaltungsauffassung erforderlichen ernsthaften Bemühen zur fremdvergleichskonformen Festsetzung von Verrechnungspreisen entsprochen werden. Die Verrechnungspreisfestsetzung auf Basis von Planrechnungen ist insbesondere dann hilfreich und geeignet, wenn keine Daten für einen internen oder externen Preisvergleich vorliegen. Mit dem UntStRefG 2008 wurde die Verwendung von innerbetrieblichen Planrechungen bei fehlenden Fremdvergleichswerten zudem gesetzlich festgeschrieben.1 Die Verrechnungspreisfestsetzung auf Basis von Planrechnungen ist kein neuer Ansatz. Sie war bereits in der Vergangenheit bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode und zur Bestimmung einer angemessenen Vertriebsmarge bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode eine gängige Vorgehensweise. Es besteht nach den VWG-Verfahren allerdings die Verpflichtung, die im Rahmen der Planrechnungen angesetzte Gewinnkomponente plausibel abzuleiten und – nach Möglichkeit mittels Fremddaten – zu begründen. Hierzu werden in den VWG-Verfahren drei Alternativen vorgeschlagen, zwischen denen im Ergebnis ein Wahlrecht besteht. Geeignet erscheint insbesondere für funktionsausübende Unternehmen dabei die Ermittlung des Plangewinns durch Kapitalverzinsung. Sind in einer Gruppe Leistungsbeziehungen zwischen mehreren funktionsleitend tätigen Unternehmen zu verrechnen, lassen sich ggf. über eine Aufteilung von Wertschöpfungsbeiträgen brauchbare Ergebnisse erzielen. Ähnliches gilt bei einer Verlustsituation in der Gruppe.
V. Vergleichbarkeitsanforderungen und Bandbreitenbetrachtung bei Verwendung von Fremddaten 1. Relevante Vergleichskriterien
8.153
Bedeutung der Vergleichbarkeit. Die Verwendung von Fremdvergleichsdaten ist von der Vergleichbarkeit der Verhältnisse abhängig. Dies ist in verschiedenen Bereichen relevant. Unterschieden werden können Vergleichbarkeitskriterien bei – der Anwendung der Preisvergleichsmethode bei internem bzw. externem Fremdvergleich, – der Ermittlung von Brutto- oder Nettomargen oder von Gewinnaufschlägen aus Geschäften mit fremden Dritten bzw. zwischen fremden Dritten und bei der 1 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG.
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D. Angemessenheitsdokumentation
– Ermittlung von Unternehmens-, insbesondere Renditekennzahlen für die Bestimmung der Gewinnkomponente bei Verrechnungspreisbildung mittels Planrechnungen. Wie unter Rz. 8.122 erläutert, ist für die Vergleichbarkeit der gruppeninternen Transaktionen mit Transaktionen mit bzw. zwischen fremden Dritten bei Anwendung der Preisvergleichsmethode wesentliche Voraussetzung, dass die gelieferten Güter physisch übereinstimmen und keine wesentlichen Abweichungen in den Geschäftsbedingungen (Abnahmemengen usw.) bestehen. Abweichungen sind unschädlich, wenn diese durch Anpassungsrechnungen beseitigt werden können. Bei den unter dem zweiten Spiegelstrich aufgeführten Fällen ist dagegen entscheidend, dass die ausgeübten Funktionen sowie die übernommenen Risiken und die Geschäftsbedingungen übereinstimmen.1 Hierzu zählt z.B. bei Lieferungen an Vertriebsgesellschaften auch die Übereinstimmung der Handelsstufen.2 Diese Voraussetzungen (übereinstimmende Funktionen und Risiken; Vergleichbarkeit der übrigen Geschäftsbedingungen) müssen auch erfüllt sein,3 wenn – wie unter dem dritten Spiegelstrich aufgeführt – Unternehmenskennzahlen anderer Unternehmen ermittelt und für die Festlegung der Verrechnungspreise verwendet werden sollen.4 Hinzukommt in diesem Fall die Vergleichbarkeit der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse.5 1 Soweit bei abweichenden Verhältnissen Anpassungsrechnungen vorgenommen werden können, ist dies ausreichend. 2 Vgl. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.180. 3 Soweit bei abweichenden Verhältnissen Anpassungsrechnungen vorgenommen werden können, ist dies ausreichend. 4 Vgl. Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 135. 5 Für eine entsprechende Analyse kann beispielsweise auf das „Five Forces“-Modell von Michael E. Porter zurückgegriffen werden. Vgl. Porter, Wettbewerbsstrategie – Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten10, 34 ff. Das Modell wird von Porter ausführlich beschrieben. Von einer detaillierten Darstellung soll daher an dieser Stelle abgesehen werden. Nach Porter hängt der Umfang des Wettbewerbs in einer Branche von fünf verschiedenen Faktoren, den Wettbewerbskräften, ab. Die Stärke dieser Wettbewerbskräfte ist ausschlaggebend für das Gewinnpotential der Unternehmen in einer Branche. Als Wettbewerbskräfte führt Porter auf: 1. Bedrohung durch neue Konkurrenten; 2. Verhandlungsmacht der Abnehmer; 3. Verhandlungsmacht der Lieferanten; 4. Bedrohung durch Ersatzprodukte und -dienste; 5. Rivalität unter den bestehenden Unternehmen. Anhand dieser Kriterien ist zu untersuchen, inwieweit die Eigenschaften des Marktes, in dem sich das betrachtete Unternehmen befindet, und diejenigen des Marktes des Vergleichsunternehmens übereinstimmen (Marktanalyse). Ist dies der Fall, können ausländische oder ggf. auch branchenfremde Unternehmen für einen Vergleich herangezogen werden. In einem zweiten Schritt ist dann zu ermitteln, inwieweit die Position des betrachteten Unternehmens in seinem Markt mit derjenigen des Vergleichskandidaten in dessen Markt übereinstimmt (Unternehmensanalyse). Hierzu kann verglichen werden, wie das Unternehmen in dem vorher beschriebenen und analysierten Markt positioniert ist, d.h. ob es dem Unternehmen gelungen ist, z.B. einer im Markt vorherrschenden starken Verhandlungsposition der Abnehmer durch Differenzierung seines Produktangebots und
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
8.154
Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung. Die Prüfung der Vergleichbarkeit stößt aber häufig auf Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung, da hinreichend detaillierte Informationen zu den Transaktionen fremder Unternehmen (insbesondere Verteilung von Funktionen und Risiken; vereinbarte Geschäftsbedingungen) i.d.R. nicht zu beschaffen sind.1 Aus diesem Grund sehen § 1 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AStG n.F. sowie die VWG-Verfahren2 eine Abstufung bei der Vergleichbarkeit der Verhältnisse vor und schränken so die Verwendungsmöglichkeiten für Vergleichsdaten ein.
8.155
Ausländische Fremdvergleichsdaten. Auf die Verwendung ausländischer Fremdvergleichsdaten wird in § 1 Abs. 3 AStG n.F. und den VWG-Verfahren nicht eingegangen. Die Zulässigkeit ist aber nicht unumstritten.3 Nach der hier vertretenen Auffassung müssen ausländische Vergleichsdaten aber genauso wie inländische Vergleichsdaten anerkannt werden, wenn die oben genannten Vergleichbarkeitskriterien erfüllt sind. Die Berücksichtigung ausländischer Vergleichsdaten ist insbesondere dann geeignet, wenn es um die Beurteilung von Leistungsbeziehungen zwischen einem deutschen Strategieträger (Entrepreneur) und ausländischen funktionsausübenden Unternehmen geht. Hier können z.B. Daten aus Geschäftsbeziehungen mit unverbundenen Unternehmen in dem betroffenen Staat sowie Unternehmenskennzahlen unverbundener Unternehmen aus dem betroffenen Staat berücksichtigt werden. Etwas anders gelagert ist der Fall, wenn z.B. Transaktionen eines deutschen Unternehmens an eine fremde spanische Vertriebsgesellschaft Maßstab für die Verrechnungspreisbildung für Transaktionen mit einer zur Gruppe gehörenden Vertriebsgesellschaft in Großbritannien sein soll. Hier ist der Markt- und Wettbewerbsanalyse erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen (zu Ansätzen zur Analyse von Markt- und Wettbewerbsverhältnissen vgl. Rz. 8.153). 2. Abstufungen bei der Vergleichbarkeit von Fremdvergleichsdaten a) Uneingeschränkte Vergleichbarkeit
8.156
Definition und Umsetzbarkeit. Eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit liegt vor, wenn die Geschäftsbedingungen übereinstimmen und Abweichungen sich nicht wesentlich auf den Preis auswirken bzw. durch Anpassungsrechnungen korrigiert worden sind. Ferner müssen die Verseiner Leistungen entgegenzutreten und so seine Position zu verbessern. Die Kriterien aus dem „Five Forces“-Modell von Porter haben teilweise auch Eingang in die VWG-Verfahren gefunden, vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.4 Buchst. f. 1 Vgl. Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/Beck/Bodenmüller/Wolff, IStR 2005, 749. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7. 3 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 201.
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D. Angemessenheitsdokumentation
gleichsdaten zuverlässig und nachvollziehbar sein, d.h. es müssen ausreichend Informationen vorhanden sein, um die Vergleichbarkeit beurteilen zu können.1 Diesen Anforderungen wird i.d.R. am ehesten bei einem internen Fremdvergleich entsprochen werden können,2 da dort die erforderlichen Informationen zum Vergleich der Geschäftsbeziehungen offen liegen. Dagegen wird es in der Praxis häufig schwer sein, eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit bei Verwendung von Gewinn- oder Renditekennziffern fremder Unternehmen zu erreichen, weil detaillierte Informationen zur Vergleichbarkeit der Unternehmen i.d.R. nicht beschafft werden können. b) Eingeschränkte Vergleichbarkeit Definition. Eine eingeschränkte Vergleichbarkeit ist gegeben, wenn die Voraussetzungen für eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit nicht vollständig vorliegen, die Daten aber auch nicht als unvergleichbar (z.B. wegen erheblicher Unterschiede in den Funktionen und Risiken oder wegen fehlender Überprüfbarkeit)3 anzusehen sind.4 Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Daten dann eingeschränkt vergleichbar sind, wenn – Unterschiede (z.B. in den Abnahmemengen und Verpflichtungen) bestehen, diese jedoch nicht so signifikant sind, dass eine Vergleichbarkeit absolut ausgeschlossen ist; – die vorhandenen Informationen auf eine Vergleichbarkeit schließen lassen, jedoch nicht zu allen maßgeblichen Kriterien Informationen verfügbar sind (z.B. bei Ermittlung von Unternehmensdaten fremder Unternehmen, wo die Bilanzen und ggf. Informationen zur Unternehmenstätigkeit vorhanden sind, Informationen zu übernommenen Funktionen und Risiken im Detail jedoch nicht beschafft werden können).
8.157
3. Auswirkungen uneingeschränkter bzw. eingeschränkter Vergleichbarkeit im Hinblick auf die Auswahl von Vergleichswerten innerhalb von Bandbreiten Auswirkungen. Existieren mehrere potentielle Vergleichswerte, ist zu entscheiden, welcher Wert aus dieser sog. Bandbreite konkret herangezogen werden soll bzw. darf. Daraus ergeben sich folgende Fragen: Können 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. a. 2 Vgl. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.127. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. b. 4 Die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3. 2007, 85, könnte dahingehend missverstanden werden, dass Preise, Bruttomargen, Kostenaufschläge oder Provisionssätze stets als nur eingeschränkt vergleichbare Werte zu qualifizieren sind. Dem ist jedoch nicht zuzustimmen, da dann uneingeschränkt vergleichbare Werte praktisch ausgeschlossen würden.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
die Werte am oberen bzw. unteren Rand der Bandbreite verwendet werden? Ist auf das arithmetische Mittel der Werte abzustellen? Ist die Bandbreite in irgendeiner Form zu verengen, um sog. „Extremwerte“ auszuschließen? Diese Fragestellungen ergeben sich zunächst unabhängig davon, ob Vergleichsdaten in Form von Fremdpreisen aus einem internen oder externen Fremdvergleich oder in Form von Renditekennziffern fremder Unternehmen vorliegen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung war bei mehreren Auswahlwerten zunächst zu prüfen, ob für einen dieser Werte die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit spricht.1 Dann soll nur der Ansatz dieses Werts zulässig sein. Dies ist seit der Neufassung von § 1 Abs. 3 AStG ab dem Veranlagungszeitraum 2008 überholt. Sind mehrere Werte uneingeschränkt vergleichbar, kann nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG im Umkehrschluss jeder Wert der Bandbreite verwendet werden, d.h. auch die Werte am Rand der Bandbreite.2 Dies entspricht der Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 17.10.20013 und geht hierauf zurück.4
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.2012.5 Buchst. a. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1463. Die Finanzverwaltung machte dies bisher noch davon abhängig, dass mehrere Werte den Anschein der Richtigkeit haben und keinem der Werte die größte Wahrscheinlichkeit beizumessen ist. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.2012.7 Buchst. a und Tz. 3.4.12.5 Buchst. a. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 4 Soweit die Finanzverwaltung für Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2007 fordert, dass zunächst die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit zu beurteilen und dann der Wert mit der größten vermuteten Wahrscheinlichkeit anzusetzen ist, steht dies nicht im Einklang mit dieser Rechtsprechung. Vgl. Baumhoff/Ditz/ Greinert, DStR 2005, 1554. Im Anwendungsschreiben zum BFH-Urteil v. 17.10. 2001, BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270, unter Abschn. 2. Buchst. c a.E. folgt die Finanzverwaltung zudem der Rechtsprechung des BFH und erkennt es als zulässig an, wenn der Steuerpflichtige bei seiner Verrechnungspreisfestlegung einen Wert innerhalb bzw. am Rand der Bandbreite ansetzt. Nur für den Fall einer Verrechnungspreiskorrektur (insbes. im Fall einer Schätzung) ist auf den Wert mit der größten Wahrscheinlichkeit abzustellen, bzw. bei mehreren Werten mit gleicher Wahrscheinlichkeit auf den für den Steuerpflichtigen günstigsten Rand der sich daraus ergebenden Bandbreite. Ferner wird in den VWG-Verfahren nicht näher erläutert, was unter größter Wahrscheinlichkeit zu verstehen ist. Wenn damit der Wert gemeint ist, bei dem die größte Übereinstimmung der Vergleichskriterien gegeben ist, hätte dies bei der Abstufung der Vergleichbarkeit berücksichtigt werden können (so könnte die Regelung in BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270, unter Abschn. 2. Buchst. c a.E., aufzufassen sein). Wird dagegen eine mathematischstatistische Interpretation angestrebt, muss zur Kenntnis genommen werden, dass der BFH für Mittelwertbetrachtungen oder Ähnliches keine Rechtsgrundlage sieht und dem Steuerpflichtigen eine Auswahlmöglichkeit über die gesamte Bandbreite zugesteht. Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
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Soweit bei den ermittelten Fremdvergleichs- bzw. Unternehmensdaten nur eine eingeschränkte Vergleichbarkeit besteht, ist nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG die sich aus den verschiedenen Daten ergebende Bandbreite einzuengen.1 4. Vorgehensweisen zur Einengung von Bandbreiten a) Ansatz in den VWG-Verfahren Verfahren zur Einengung von Bandbreiten. Die VWG-Verfahren sehen mehrere Ansätze vor, wie Bandbreiten verengt werden können (zu den Auswirkungen der gesetzlichen Neuregelung vgl. Rz. 8.160): – Kontroll- und Verprobungsrechnungen, – mathematisch-statistische Verfahren. Als Beispiel für Kontroll- und Verprobungsrechnungen wird die Anwendung anderer Verrechnungspreismethoden genannt, über die Informationen zur Einengung der Bandbreite generiert werden sollen.2 So könnten z.B. die Ergebnisse einer datenbankgestützten Bruttomargenanalyse bei Vertriebsgesellschaften (zur Ermittlung einer fremdüblichen Vertriebsmarge für die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode) verprobt werden, indem die Kostenaufschlagsmethode auf Basis der Kosten der betroffenen Vertriebsgesellschaft (ohne Wareneinkauf) angewendet wird. Ggf. ließe sich aus den Ergebnissen dann ableiten, dass bestimmte Bereiche der Bandbreite zu verwerfen sind, z.B. weil die Vertriebsgesellschaft bei den Bruttomargen aus diesen Bereichen einen Verlust erwirtschaften oder sich ein unangemessen hoher Gewinnaufschlag ergeben würde. Solche grds. Überlegungen werden in der Praxis bereits heute – unabhängig von der Verwendung von Datenbankinformationen – angestellt. So ist es üblich, bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode Grenzwerte festzulegen, damit – auf jeden Fall die Kosten der Vertriebsgesellschaft gedeckt sind und – auch beim Produzenten bzw. beim Strategieträger ein Gewinn verbleibt. Werden die Grenzwerte über- oder unterschritten, ist im Einzelnen zu prüfen, wer den Verlust zu verantworten bzw. zu tragen hat oder wie die Marge aufgeteilt werden soll. Häufig wird aber die Marge bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode bereits so bemessen, dass die Vertriebsgesellschaft mit dieser Marge ihre Kosten zzgl. eines angemessenen Gewinnaufschlags abdeckt. 1 So auch die Auffassung der Finanzverwaltung vor Inkrafttreten von § 1 Abs. 3 AStG n.F. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.2012.5 Buchst. b–d. Die Verwaltungsauffassung basiert zum Teil auf den Erläuterungen in den Tz. 3.59 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. c. mit Verweis auf Tz. 3.58 OECD-Leitlinien 2010.
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8.159
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Ähnliche Verprobungen, wenngleich ohne Anwendung einer anderen Verrechnungspreismethode, könnten auf einer angemessenen Kapitalverzinsung basieren. Diese Möglichkeit besteht letztlich bei allen funktionsausübenden Tätigkeiten unabhängig davon, ob diese nach der Kostenaufschlags- oder der Wiederverkaufspreismethode verrechnet werden.1 Ferner weist die Finanzverwaltung darauf hin, dass bei den Plausibilitätsüberlegungen zum einen die Verhandlungsposition des Unternehmens und zum anderen der Erfahrungssatz zu berücksichtigen sei, dass fremde Unternehmen bestehende Preisspielräume nicht stets ihren Geschäftspartnern überlassen.2 Erweist sich eine solche Verprobung oder Plausibilisierung als nicht möglich, ist nach den VWG-Verfahren zwingend eine Einengung der Bandbreite mittels mathematisch-statistischer Verfahren erforderlich, wenn die eingeschränkt vergleichbaren Werte verwendet werden sollen. In den VWG-Verfahren wird ein statistisches Verfahren hierzu vorgestellt, und zwar die „Interquartile-Range“ nach US-amerikanischem Vorbild.3 „Interquartile-Range“ bedeutet, dass aus einer Grundgesamtheit nur die Werte betrachtet werden, die zwischen dem ersten und dem dritten Quartil4 liegen. D.h. bei einer Grundgesamtheit von 21 Werten werden die fünf niedrigsten und fünf höchsten Werte ausgeschieden, so dass die elf mittleren Werte verbleiben und die relevante Bandbreite bilden. Eine gesetzliche Legitimation für die „Interquartile-Range“ existiert in Deutschland – im Gegensatz z.B. zu den USA – bislang nicht.5 Die Finanzverwaltung lässt auch andere mathematisch-statistische Verfahren grds. zu; jedoch soll der Steuerpflichtige dann darlegen, dass das ausgewählte Verfahren in dem zu beurteilenden Fall besser geeignet ist als die Bandbreiteneinengung mittels „Interquartile-Range“. Dies verschafft dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht, welches er so ausüben kann, dass sich für ihn die besten Ergebnisse einstellen, d.h. sich eine möglichst große Bandbreite ergibt. Die Begründungspflicht erfordert im Ergebnis 1 Mit der Verprobung soll überprüft werden, ob bei allen Werten der Bandbreite in einem überschaubaren Zeitraum eine Gewinnerzielung möglich ist. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. c. 3 Vgl. Sec. 482 IRC und die dazu ergangenen Regulations. 4 Das erste Quartil einer Verteilung ist der Wert des Punkts einer Verteilung, unterhalb dessen sich 25 % aller Fälle der Verteilung befinden. Das dritte Quartil einer Verteilung ist der Wert des Punkts einer Verteilung, unterhalb dessen sich 75 % aller Fälle der Verteilung befinden. Vgl. Bamberg/Baur/Krapp, Statistik13, 110. 5 Vgl. Finsterwalder, DStR 2005, 769; Werra, IStR 2005, 21. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 227.1 und Rz. 220.3 sieht hingegen die Anwendung der Bandbreitenverengung über die „Interquartile-Range“ als durch den allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatz begründet an. Er leitet dies daraus ab, dass nach dem Fremdvergleichsgrundsatz auf „fremdübliches“ Verhalten abzustellen sei. Aus der Verwendung des Wortteils „üblich“ folge, dass es auf eine repräsentative Anzahl von Werten ankomme. Werte am Rand einer nicht eingeengten Bandbreite könnten dabei nicht zwangsläufig als „fremdüblich“ anzusehen sein.
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D. Angemessenheitsdokumentation
aber darzulegen, dass bestimmte Werte, die außerhalb der InterquartileRange liegen, qualitativ gleichwohl für einen Vergleich geeignet sind. Ein solcher Vortrag wiederum setzt genauere Kenntnisse der Vergleichsunternehmen voraus, die aber in aller Regel nicht vorliegen. Baumhoff schlägt als Alternative zur Interquartile-Range vor, zur Einengung der Bandbreite die Standardabweichung der Verteilung zu berücksichtigen. Die Bandbreite ergibt sich dann aus dem Mittelwert plus/minus der einfachen, eineinhalbfachen oder zweifachen Standardabweichung.1 Dies hat gegenüber der Verwendung der Interquartile-Range den Vorteil, dass auch die Wertabstände zwischen den Punkten der Verteilung in die Bandbreitenermittlung Eingang finden und nicht lediglich ein einfaches Abzählen erfolgt, auf Grund dessen das höchste und niedrigste Viertel der Werte verworfen wird. b) Auswirkungen der gesetzlichen Regelung in § 1 Abs. 3 AStG Regelung ab 2008. Für die Einengung von Bandbreiten sind seit dem Veranlagungszeitraum 2008 auch die Regelungen in § 1 Abs. 3 AStG zu berücksichtigen. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen einer Bandbreite bei zumindest eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerten2 und einem sog. „Einigungsbereich“ bei Anwendung eines hypothetischen Fremdvergleichs auf Basis von Planrechnungen.3 Bei zumindest eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerten sieht § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG vor, dass die sich ergebende Bandbreite einzuengen ist. Wie dies im Einzelnen zu erfolgen hat, ist aus § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG nicht ersichtlich. Nach der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG4 soll die Einengung der Bandbreite nach den Regelungen der 1 Vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 367. 2 Unter dem Begriff „Fremdvergleichswerte“ könnten bei einer engen Auslegung lediglich Fremdpreise i.S.d. Anwendung der Preisvergleichsmethode verstanden werden. Eine solche Auslegung ist jedoch unzutreffend und zu eng. Vielmehr sind unter „Fremdvergleichswerten“ i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG alle aus Geschäften mit bzw. zwischen fremden Dritten stammenden Daten zu verstehen, die für die Verrechnungspreisermittlung mittels Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis- oder Kostenaufschlagsmethode verwendet werden können. Insbesondere handelt es sich hierbei um Brutto- oder Nettomargen oder um Gewinnaufschläge aus Geschäften mit fremden Dritten bzw. zwischen fremden Dritten sowie um Renditekennzahlen von Unternehmen mit vergleichbarer Geschäftstätigkeit. Dies ergibt sich daraus, dass die Kostenaufschlags- und die Wiederverkaufspreismethode neben der Preisvergleichsmethode in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG aufgeführt werden. Vgl. Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG, BTDrucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 85. 3 Die gesetzliche Neuregelung zeichnet sich durch eine insgesamt fehlende Systematik und eine unpräzise Begriffswahl aus, wie z.B. in der vorstehenden Fn. beim Begriff „Fremdvergleichswerte“ deutlich wurde. Vgl. nur Wassermeyer, DB 2007, 535 ff. Hierauf soll nicht im Einzelnen eingegangen werden. Vielmehr soll versucht werden, die Neuregelung in ihren wesentlichen Auswirkungen darzustellen. 4 Vgl. BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 85.
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8.160
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
VWG-Verfahren (Rz. 8.159) erfolgen. Es ist aber auch möglich, dass das BMF im Rahmen einer Rechtsverordnung zu § 1 Abs. 3 AStG Regelungen hierzu erlässt und damit z.B. die oben dargestellte Interquartile-Betrachtung bindend für die Einengung der Bandbreite festlegt.1 Im Rahmen der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO ist daher seit dem Veranlagungszeitraum 2008 aufzuzeigen, dass die angesetzten Preise bei Vorhandensein zumindest eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte innerhalb der Bandbreite der Fremdvergleichswerte (bei uneingeschränkt vergleichbaren Werten) bzw. innerhalb der eingeengten Bandbreite liegen (bei eingeschränkt vergleichbaren Werten).2 Eine Sonderregelung sieht § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG vor, wenn mangels Fremdvergleichsdaten die Verrechnungspreisermittlung über einen hypothetischen Fremdvergleich und Planrechnungen erfolgt. Hier soll ein Einigungsbereich zwischen dem Mindestpreis des Leistenden und dem Höchstpreis des Leistungsempfängers zugrunde gelegt werden. Innerhalb des Einigungsbereichs soll der Wert angesetzt werden, für den die höchste Wahrscheinlichkeit spricht. Wird hierfür kein Wert glaubhaft gemacht, ist der Mittelwert anzusetzen.3 Bei Vergütungen für funktionsausübende Tätigkeiten wird sich der Einigungsbereich regelmäßig aus den Kosten der funktionsausübenden Einheit zzgl. eines angemessenen Gewinnaufschlags (berechnet wegen fehlender Fremdvergleichswerte z.B. auf Basis einer Kapitalverzinsung, Rz. 8.147) einerseits und den Kosten der auftraggebenden Einheit (regelmäßig der Strategieträger) bei Eigenerbringung der Leistung zzgl. des angemessenen Gewinnaufschlags für die funktionsausübende Tätigkeit andererseits ergeben („make or buy“-Entscheidung). Zu einem Einigungsbereich i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG kommt es nur dann, wenn die funktionsausübende Einheit die Leistung zu geringeren Kosten erbringen kann, als dies dem Auftraggeber möglich ist (z.B. auf Grund sog. Standortvorteile, Rz. 8.167), oder wenn sich bei Berechnung des Gewinnaufschlags eine Bandbreite ergibt (z.B. eine Bandbreite für eine angemessene Kapitalrendite). Infolgedessen ist die Neuregelung für den Bereich der Vergütung funktionsausübender Tätigkeiten nicht überzubewerten.4 1 Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Rechtsverordnung ist § 1 Abs. 3 Satz 13 AStG. 2 Liegt der angesetzte Wert außerhalb der Bandbreite, sieht § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG vor, dass Korrekturmaßstab der Median der Vergleichswerte ist. Vgl. hierzu im Einzelnen sowie zur berechtigten Kritik an dieser Vorschrift Baumhoff/Ditz/ Greinert, DStR 2007, 1463 f. 3 Dieser Ansatz ist sehr theoretisch und für die Praxis nur schwer handhabbar. Zur berechtigten Kritik im Einzelnen vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464 ff. Ein Widerspruch ergibt sich nach der hier vertretenen Auffassung auch zu der Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG. Hat der Steuerpflichtige einen falschen Einigungsbereich zugrunde gelegt und auf dieser Basis den Verrechnungspreis ermittelt, soll nach § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG eine Korrektur nur dann erfolgen, wenn der angesetzte Preis außerhalb des zutreffenden Einigungsbereichs liegt. Die Mittelwertbetrachtung greift dann nicht. 4 So wird auch in der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG (BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 86) dargelegt, dass die Verrechnungspreisermittlung gegenüber funktionsausübenden Einheiten weiterhin in der Weise erfolgen kann, dass
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D. Angemessenheitsdokumentation
Die Verrechnungspreisbestimmung auf Basis eines durch angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals ermittelten Plangewinns nach den VWG-Verfahren wird durch die Neuregelung nicht beeinträchtigt.1 5. Kritische Würdigung Interessengegensatz. Bei der kritischen Würdigung der Regelungen zur Verwendung von Fremdvergleichsdaten und zur Einengung von Bandbreiten in § 1 Abs. 3 AStG und den VWG-Verfahren sind zwei gegensätzliche Überlegungen zu berücksichtigen: – Zum einen besteht ein berechtigtes Interesse der Finanzverwaltung daran, zu verhindern, dass Verrechnungspreise auf Basis ungeeigneter Vergleichsdaten zu Lasten des inländischen Steueraufkommens festgelegt werden können.2 – Zum anderen besteht ein berechtigtes Interesse der Unternehmen, bestehende Bandbreiten bei der Festlegung von Verrechnungspreisen zu nutzen. Damit lassen sich Doppelbesteuerungsrisiken vermindern und ggf. Kostenvorteile aus dem internationalen Steuergefälle realisieren. Die Regelungen in § 1 Abs. 3 AStG und den VWG-Verfahren sind erkennbar von der ersten Überlegung geprägt.3 Dies wird insbesondere bei der Qualifikation bestimmter Daten als nur eingeschränkt vergleichbar sowie bei der daraus resultierenden Bandbreitenverengung deutlich. Insbesondere die mathematisch-statistische Bandbreitenverengung über die Quartilsregelung kann zu ungerechtfertigten Nachteilen für das Unternehmen führen.4 Allerdings wird den Unternehmen nach den VWG-Verfahren die Möglichkeit gegeben, über ökonomische Überlegungen (Verprobungen) eine zutreffende, von der mathematisch-statistisch verengten Bandbreite abweichende Spanne zu begründen. Diese Möglichkeit sollten die Unternehmen nutzen.5 Erforderlich ist aber, dass die Finanzverwaltung solchen
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dem funktionsausübenden Unternehmen ein angemessener Plangewinn zugewiesen wird und der Strategieträger den Residualgewinn erhält. Anderes wird gelten, wenn es sich z.B. um die Verrechnungspreisermittlung für die Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter oder um die Ermittlung der Höhe angemessener Lizenzzahlungen handelt. Wie indes die Plangewinnermittlung durch Aufteilung des Konzernergebnisses auf die verschiedenen Einheiten des Konzerns (z.B. anhand von Wertschöpfungsbeiträgen; vgl. dazu Rz. 8.146) in Einklang mit dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung gebracht werden soll, bleibt offen. Im Hinblick auf die vorstehend zitierte Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG, dürfte dies aber weiterhin zulässig sein. Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 227.1. Vgl. Eigelshoven/Nientimp, DB 2005, 1189. Vgl. Oestreicher, StuW 2006, 251, der darauf hinweist, dass auf Grund bestehender Informationsmängel nicht sichergestellt ist, dass die mittleren Quartile die qualitativ „besten“ Vergleichswerte beinhalten. Dies bedeutet letztlich, dass durch Anwendung der Quartilsregelung möglicherweise geeignete Vergleichswerte ausgeschlossen werden. Vgl. Eigelshoven/Nientimp, DB 2005, 1189.
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8.161
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Überlegungen auch in der Praxis offen und unvoreingenommen gegenübersteht und nicht starr auf der mathematisch-statistischen Bandbreitenverengung beharrt. Im Hinblick darauf, dass zur Definition der Bandbreite nach § 1 Abs. 3 AStG Regelungen in einer Rechtsverordnung erlassen werden könnten, bleibt die weitere Entwicklung aber abzuwarten.
VI. Zusätzliche Angaben zur Angemessenheitsdokumentation in besonderen Fällen 1. Relevante Fallgruppen
8.162
Besondere Umstände. Soweit sich das Unternehmen zur Begründung der Angemessenheit seiner Verrechnungspreise auf „besondere Umstände“ beruft, hat es hierüber gem. § 5 Satz 1 GAufzV Aufzeichnungen zu erstellen. Dies bringt zum Ausdruck, dass es sich bei den Aufzeichnungen nach § 5 GAufzV, die der Angemessenheitsdokumentation zuzurechnen sind (z.B. Änderung von Geschäftsstrategien, nachträgliche Preisanpassungen, Dauerverluste), um erhöhte „Dokumentationsbemühungen“ des Unternehmens handelt.1 Die erhöhten Dokumentationsbemühungen gehen darauf zurück, dass der Verrechnungspreisfestsetzung des Unternehmens Besonderheiten zugrunde liegen und das Unternehmen diese Besonderheiten im Rahmen seiner Verrechnungspreisgestaltung bzw. seiner internationalen Verrechnungspreisplanung nutzt. Infolgedessen besteht hier ein – über die Vermeidung einer Doppelbesteuerung hinausgehendes – Interesse, diese Verrechnungspreise gegenüber der Finanzverwaltung durchzusetzen. Dies führt dazu, dass das Unternehmen bereits aus eigenem Interesse (= „freiwillige“ Dokumentation) und nicht alleine wegen der in § 5 GAufzV festgelegten Verpflichtung Aufzeichnungen erstellen sollte. In diesem Zusammenhang ist klärungsbedürftig, ob das Fehlen der in § 5 GAufzV aufgeführten zusätzlichen Angemessenheitsangaben zu Sanktionen nach § 162 AO führen kann. 2. Nachträgliche Preisanpassungen
8.163
Ausnahmen von der Verrechnungspreisfestlegung im Vorhinein. Wie in Rz. 8.163 dargelegt, ergeben sich in Fällen nachträglicher Preisanpassungen die notwendigen Sachverhaltsinformationen i.d.R. bereits aus den Aufzeichnungen nach § 4 Nr. 4 GAufzV. Nachträgliche Preisanpassungen stellen mit Blick auf die Angemessenheitsdokumentation aber insoweit eine Besonderheit dar, als nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung2 und der BFH-Rechtsprechung3 Verrechnungspreise grds. im Vor1 Dies zeigt auch ein Vergleich mit den OECD-Leitlinien 2010. Dort werden diese Informationen als nützlich für die Ermittlung von Verrechnungspreisen qualifiziert, vgl. Tz. 5.19 OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10 Buchst. e. 3 Vgl. z.B. BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545 = FR 1998, 625, unter Abschn. II.1. Im Urteilsfall hat der BFH klargestellt, dass eine im Nachhinein
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D. Angemessenheitsdokumentation
hinein festzulegen sind.1 Dies begründet sich damit, dass ausgeschlossen sein muss, dass der Steuerpflichtige nach Verwirklichung eines Sachverhalts die daraus resultierenden Steuerwirkungen beeinflussen kann.2 Nachträglich vereinbarte Anpassungszahlungen sind daher als vGA oder verdeckte Einlagen zu qualifizieren. Von diesen Grundsätzen lässt die Finanzverwaltung – zu Recht – aber bestimmte Ausnahmen zu: So wird die nachträgliche Festlegung eines Preises akzeptiert, wenn die preisdeterminierenden Faktoren vorher feststehen, d.h. der Preis durch feststehende Rechenvorgänge ermittelt werden kann.3 Ein praktischer Anwendungsfall hierfür ist die Leistungsabrechnung auf Basis von Ist-Kosten, wobei in der Kostenvereinbarung die für die Abrechnung einzubeziehenden Kosten eindeutig festzulegen sind. Ein weiteres Beispiel ist die Festlegung eines Zinssatzes in Abhängigkeit von Referenzzinssätzen der Europäischen Zentralbank. Unzulässig sind nach Verwaltungsauffassung allerdings nachträgliche Ausgleichszahlungen, durch die das verbundene Unternehmen ein vorher festgelegtes Ergebnis oder eine vorher festgelegte Nettomarge erzielen soll.4 Auszunehmen sind ferner solche Preisanpassungen, die z.B. auf mangelhafte Qualität der gelieferten Waren bzw. der erbrachten Leistungen zurückgehen. Dies setzt natürlich voraus, dass die zur Minderung führenden Umstände ausreichend dokumentiert sind. Um in der Praxis mit einer gewissen Sicherheit davon ausgehen zu können, dass nachträgliche Preisanpassungen von der Finanzverwaltung akzeptiert werden, ist sicherzustellen, dass die Voraussetzungen für einen der o.g. Ausnahmefälle vorliegen. Hierüber sind entsprechende Aufzeichnungen zu erstellen. In anderen als den oben genannten Ausnahmefällen würden nachträgliche Preisanpassungen zwar i.d.R. steuerlich nicht anerkannt. Gleichwohl würden solche nachträglichen Preisanpassungen die Qualität der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO nicht beeinträchtigen. Dies begründet sich damit, dass der Finanzverwaltung durch die „regulären“ Aufzeichnungen nach § 4 GAufzV alle Informationen offen liegen, um einen angemessenen Verrechnungspreis bzw. eine angemessene Verrechnungspreisbandbreite zu ermitteln. Zu Recht sieht die Finanzverwal-
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festgelegte Vergütung, die an einen Gesellschafter gezahlt wurde und für die keine klare Berechnungsformel bestand, als vGA zu qualifizieren ist. Vgl. auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 238. Vgl. Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/Beck/Bodenmüller/Wolff, IStR 2005, 751 m.w.N. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.8; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545 = FR 1998, 625, unter Abschn. II.1. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.8 und Tz. 3.4.20 Buchst. e. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode liegt eine solche nachträgliche Anpassung nicht vor, da die Konditionen bereits im Vorhinein festgelegt sind. Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 238.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
tung daher vor, dass nachträgliche Preisanpassungen, auch soweit sie steuerlich unzulässig sind, nicht zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen und damit auch nicht zu einer Anwendung der Sanktionsvorschriften führen.1 3. Dauerhafte Verlustsituation
8.164
Erweiterte Angemessenheitsdokumentation. Die GAufzV sieht in § 5 Satz 2 Nr. 5 vor, dass Aufzeichnungen über Ursachen von Verlusten und Vorkehrungen zur Beseitigung einer Verlustsituation zu erstellen sind, wenn in drei aufeinanderfolgenden Wirtschaftsjahren aus den Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Unternehmen steuerliche Verluste ausgewiesen werden.2 Verluste aus Geschäften mit fremden Dritten fallen nicht unter § 5 Satz 2 Nr. 5 GAufzV.3 Die Regelung geht zurück auf die Rechtsprechung des BFH4 zu funktionsausübenden Unternehmen in Form von Vertriebstochtergesellschaften.5 Der BFH hat hierzu entschieden, dass ein unabhängiger ordentlicher Geschäftsleiter einer Vertriebsgesellschaft mehrere aufeinander folgende Verlustjahre nicht hinnehmen und entweder günstigere Konditionen einfordern oder die Geschäftsbeziehung beenden würde.6 Werden nach mehreren Verlustjahren weiterhin Verluste aus Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Unternehmen erzielt, wird die Unangemessenheit der zugrunde liegenden Verrechnungspreise widerlegbar vermutet.7 Wenngleich es sich bei den Informationen zur Verlustsituation und zu Maßnahmen zu deren Beseitigung letztlich um Sachverhaltsinformationen handelt, müssen diese Informationen in der hier getroffenen Unterscheidung zwischen Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation der Angemessenheitsdokumentation zugerechnet werden. Dies begründet sich damit, dass aus diesen Informationen wie bei einer Verprobung Anhaltspunkte oder Indizien über das Vorliegen einer angemessenen bzw. unangemessenen Preisvereinbarung gewonnen werden sollen. 1 Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. e. Dort werden nachträgliche Preisanpassungen als ein Beispielsfall aufgeführt, in dem auch bei verwertbaren Aufzeichnungen Korrekturen erforderlich sind. 2 Vgl. Niemann/Kiera-Nöllen, DStR 2004, 486. 3 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 248.3. 4 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 5 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 14. 6 Vgl. z.B. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030, unter Abschn. II.4.a bb; auch die OECD-Leitlinien 2010 greifen diesen Gedanken unter Tz. 1.70 f. auf und empfehlen sowohl den Steuerverwaltungen als auch den Steuerpflichtigen, die Verrechnungspreisgestaltung in diesen Fällen näher zu prüfen. 7 Vgl. Baumhoff, WPg 2006, 152; kritisch zur Rechtsprechung des BFH: Kroppen in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Teil W Rz. 90 ff.
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D. Angemessenheitsdokumentation
§ 5 Satz 2 Nr. 5 GAufzV kann für Fälle der Dauerverlustsituation als Verpflichtung des Unternehmens zu einer „erweiterten“ Angemessenheitsdokumentation angesehen werden. Das Unternehmen soll darlegen, warum seine Verrechnungspreise auch trotz der anhaltenden Verlustsituation aus den Geschäftsbeziehungen angemessen sind, um damit die Vermutung unangemessener Verrechnungspreise auf Grund der anhaltenden Verlustsituation zu widerlegen.1 In Abhängigkeit von der Verlustursache könnte zur Vermeidung einer solchen Korrektur Folgendes angeführt werden: – Nach § 5 Satz 2 Nr. 5 GAufzV ist für die Frage, ob eine Dauerverlustsituation vorliegt, zunächst auf die steuerliche Ergebnisermittlung abzustellen. Sind z.B. Sonderabschreibungen Ursache für die steuerlichen Verluste, so ist es ausreichend, darauf hinzuweisen, dass nach handelsrechtlicher Ergebnisermittlung bzw. nach betriebswirtschaftlicher (Nach)Kalkulation ein Gewinn erzielt wird. Dann besteht kein Korrekturbedarf mehr. Sinnvoller wäre es seitens des Verordnungsgebers allerdings gewesen, direkt auf die handelsrechtlichen Ergebnisse bzw. auf die betriebswirtschaftliche (Nach)Kalkulation als maßgebliches Kriterium für ein Vorliegen einer Dauerverlustsituation abzustellen. – Andere Ursachen für die dauerhafte Verlustsituation können vielfältig sein. Hier ist der jeweilige Einzelfall zu betrachten. Z.B. können unvorhersehbar schlechte Absatzzahlen bei einer funktionsausübend tätigen Vertriebsgesellschaft zu Verlusten führen. In diesem Fall ist zu empfehlen, spätestens im dritten Verlustjahr Konditionsänderungen für zukünftige Jahre vorzunehmen, die der Vertriebsgesellschaft auch bei schlechten Absatzzahlen eine verlustfreie Tätigkeit sichern. Kann dargelegt werden, dass die schlechten Absatzzahlen nicht vorhersehbar waren und dass als Reaktion auf die Fehlentwicklung Konditionsänderungen für die Zukunft vereinbart wurden, ließe sich so ggf. eine Verrechnungspreiskorrektur vermeiden. Zu der Frage, inwieweit das Fehlen der in § 5 Satz 2 Nr. 5 GAufzV vorgesehenen Erläuterungen zu einer im Wesentlichen unverwertbaren Dokumentation führen kann, ist zunächst auf die unter Rz. 8.174 ff. dargestellten Überlegungen zu verweisen. Danach führt das Fehlen von Informationen zur Angemessenheitsdokumentation (d.h. konkret die fehlende Darlegung der Angemessenheit) nicht zu einer im Wesentlichen unverwertbaren Dokumentation. Dies gilt uneingeschränkt auch für die ergänzenden Aufzeichnungen nach § 5 Satz 2 Nr. 5 GAufzV, da im Rahmen der Sachverhaltsdokumentation die den Preis bestimmenden Faktoren aufgezeichnet wurden. Ferner besteht eine Parallele zu nachträglichen Preisanpassungen. Hier wurde seitens der Finanzverwaltung in den VWGVerfahren klargestellt, dass die Aufzeichnungen auch dann verwertbar sind, wenn nachträgliche Preisanpassungen steuerlich nicht anerkannt werden (Rz. 8.163). Soweit die in § 5 Satz 2 Nr. 5 GAufzV vorgesehenen Aufzeichnungen nicht erstellt oder nicht vorgelegt werden, hat die Fi1 Vgl. Tz. 1.70 f. OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
nanzverwaltung die Konsequenzen aus der Dauerverlustsituation durch materielle Gewinn- oder Verrechnungspreiskorrekturen außerhalb des Anwendungsbereichs der Sanktionsvorschriften1 zu ziehen. Um jedoch auch solche Korrekturen zu vermeiden, sollten bei Dauerverlustsituationen im Rahmen einer „freiwilligen“ Dokumentation ausführliche Aufzeichnungen zu den Ursachen und zu den Gegenmaßnahmen erstellt und versucht werden, anhand dieser Aufzeichnungen die angesetzten Verrechnungspreise gegenüber der Finanzverwaltung zu verteidigen. 4. Geschäftsstrategien (§ 5 Satz 2 Nr. 1 GAufzV)
8.165
Kostenzuweisung zwischen Mutter- und Tochterunternehmen. Der Begriff der „Geschäftsstrategie“ wird im Kontext mit internationalen Verrechnungspreisen in erster Linie für Lieferbeziehungen zwischen einem Produktionsmutterunternehmen (i.d.R. Strategieträger) und funktionsausübend bzw. funktionsleitend tätigen Vertriebs(tochter)gesellschaften verwendet. Dem entspricht auch die Verwendung in der GAufzV, wo Marktanteilsstrategien, Wahl von Vertriebswegen und Management-Strategien als Beispiele für „Geschäftsstrategien“ angeführt werden. In die OECD-Leitlinien ist der Begriff unter Tz. 1.59 ff. ebenfalls eingegangen, wobei aber keine Definition vorgenommen wird. Als Beispiel werden lediglich Markterschließungsprogramme angeführt.2 Im Wesentlichen werden im Schrifttum und in Verwaltungsanweisungen bisher Marktanteilsstrategien bzw. Markterschließungsprogramme3 behandelt.4 Gemeint sind mit Marktanteilsstrategien Maßnahmen, die der Erschließung, der Ausweitung oder der Verteidigung von Absatzmärkten dienen.5 Temporär führen solche Marktanteilsstrategien in aller Regel zu einer Ergebnisbelastung, etwa durch stark vergünstigte Endabgabepreise oder durch hohe Marketingaufwendungen.6 Trägt eine Vertriebsgesellschaft die durch eine Marktanteilsstrategie verursachten Kosten, kann dies dazu führen, dass die Renditen der Vertriebsgesellschaft unter den Renditen vergleichbarer Unternehmen bzw. Wettbewerber liegen. Dies 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. e. 2 Vgl. Tz. 1.60 OECD-Leitlinien 2010. 3 Zwischen Markterschließungsprogrammen und Marktanteilsstrategien wird kein wesentlicher Unterschied gesehen. Im Folgenden soll der Begriff Marktanteilsstrategien stellvertretend auch für Markterschließungsprogramme verwendet werden. 4 In der GAufzV werden neben Marktanteilsstrategien die Wahl von Vertriebswegen oder Management-Strategien als Beispiele für Geschäftsstrategien angeführt. Zwischen diesen drei Arten von Geschäftsstrategien werden aber keine qualitativen Unterschiede gesehen, die eine unterschiedliche steuerliche Behandlung rechtfertigen. Infolgedessen gelten die folgenden Überlegungen zur Aufteilung von Kosten bei Marktanteilsstrategien hierfür entsprechend. 5 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 765. 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 565 f.
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D. Angemessenheitsdokumentation
wirft die Frage auf, wie vor dem Hintergrund des Fremdvergleichsgrundsatzes die entsprechenden Kosten zwischen der Vertriebsgesellschaft und dem verbundenen (Herstellungs-) Unternehmen1 bzw. dem Strategieträger zu verteilen sind. Hierzu hat sich die Auffassung durchsetzen können, dass die Kosten, soweit sie im beiderseitigen Interesse liegen, zwischen Vertriebsgesellschaft und dem verbundenen (Herstellungs-)Unternehmen aufzuteilen sind.2 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vertriebsgesellschaft – soweit sie Kosten für eine Marktanteilsstrategie getragen hat – über höhere Margen in der Zukunft die Möglichkeit haben muss, ihre anteiligen Kosten der Investition in den Markt zu amortisieren.3 Eine Ausnahme zu diesen Grundsätzen besteht, wenn die funktionsausübende Vertriebsgesellschaft nur in geringem Umfang Marktrisiken (z.B. bei einer Funktion als Handelsvertreter oder Kommissionär) übernimmt. Dann sind Aufwendungen für eine Marktanteilsstrategie i.d.R. komplett vom Herstellungsunternehmen zu tragen.4 In der Praxis resultiert aus Fallgestaltungen mit Marktanteilsstrategien meist die Notwendigkeit, beim leistenden Herstellungsunternehmen die Abzugsfähigkeit entsprechender Werbekostenzuschüsse an die Vertriebstochtergesellschaft bzw. die Abzugsfähigkeit von Kosten für Marketingmaßnahmen im Vertriebsgebiet der Vertriebstochtergesellschaft zu begründen. Hierzu ist auf die im Rahmen einer Funktionsanalyse (Rz. 4.4 ff.) ermittelte Funktionsverteilung zwischen den betroffenen verbundenen Unternehmen einzugehen. Soweit nach der Funktionsanalyse von einer lediglich funktionsausübenden Vertriebstochtergesellschaft ohne nennenswerte eigene Marktrisiken auszugehen ist, ist damit das wesentliche Kriterium für die Abzugsfähigkeit erfüllt. Andernfalls, d.h. wenn die entsprechenden Kosten zwischen den verbundenen Unternehmen aufzuteilen sind, sind anschließend die Ergebnissituation der Vertriebstochtergesellschaft, das genaue Marktumfeld und die mit den Maßnahmen angestrebten Ziele zu beschreiben. Anhand dieser Punkte, von denen die Kostenaufteilung im Wesentlichen abhängig ist, ist dann die getroffene Aufteilung näher zu erläutern. Bei der Vertriebsgesellschaft lösen Marktanteilsstrategien dagegen i.d.R. keinen größeren Begründungsbedarf aus. Es ist dem allgemeinen Erfordernis Rechnung zu tragen, dass die Vertriebsgesellschaft aus dem Vertrieb von Produkten verbundener Unternehmen keine dauerhaften Verluste erzielt (Rz. 8.165). Dies kann das Herstellungsunternehmen entweder 1 Die folgenden Grundsätze gelten entsprechend, wenn die Beziehung zwischen einer Vertriebsgesellschaft und einem verbundenen Unternehmen als Markeninhaber oder Lizenzgeber zu beurteilen ist. Dies soll im Folgenden nicht weiter differenziert werden. 2 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 765. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 200. 4 Vgl. Tz. 1.62 OECD-Leitlinien 2010; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 765.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
durch Werbekostenzuschüsse oder durch entsprechende Lieferverrechnungspreise sicherstellen. Soweit die Vertriebsgesellschaft aus eigenen Mitteln Aufwendungen für eine Marktanteilsstrategie getragen hat, ist ferner zu gewährleisten, dass die Vertriebsgesellschaft diese Investition über höhere Margen in der Zukunft amortisieren kann. Die Erläuterungen zur Abzugsfähigkeit eines Werbekostenzuschusses beim Herstellungsunternehmen haben gezeigt, dass auch vor Einführung der Dokumentationsvorschriften in § 90 Abs. 3 AO Dokumentationsbedarf bestand, wenn eine Anerkennung der getroffenen Aufteilung durch die Finanzverwaltung erreicht werden sollte. Dieser Dokumentationsbedarf hat sich nicht geändert. Hinzu kommt durch die Einführung der Dokumentationsvorschriften allerdings die Frage, ob fehlende Aufzeichnungen, z.B. zur Begründung der Fremdüblichkeit eines Werbekostenzuschusses, zu einer im Wesentlichen unverwertbaren Dokumentation führen und Sanktionen nach § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO auslösen. Dies ist mit den zu dauerhaften Verlustsituationen aufgeführten Argumenten (Rz. 8.164) jedoch zu verneinen. Auf fehlende Aufzeichnungen nach § 5 Satz 2 Nr. 1 GAufzV könnte die Finanzverwaltung daher allenfalls mit materiellen Gewinn- bzw. Verrechnungspreiskorrekturen außerhalb der Anwendung der Sanktionsvorschriften reagieren. Wie bei dauerhaften Verlustsituationen ist dem Unternehmen auch bei durch besondere Geschäftsstrategien verursachten (Marketing-)Aufwendungen zu empfehlen, materiellen Korrekturen durch ausführliche Aufzeichnungen und Begründungen im Rahmen einer freiwilligen Dokumentation vorzubeugen. 5. Andere „Sonderumstände“ (§ 5 Satz 2 Nr. 1 GAufzV) a) Vorteilsausgleich
8.166
Anerkennung unter bestimmten Voraussetzungen. Für die Beurteilung der Angemessenheit der gruppeninternen Verrechnungspreise wird i.d.R. auf die einzelne Geschäftsbeziehung bzw. im Fall einer „Palettenbetrachtung“ (vgl. Rz. 8.34 ff.) auf Gruppen von Leistungsbeziehungen Bezug genommen. Einen Sonderfall hierzu bildet der sog. Vorteilsausgleich. Dabei handelt es sich um einen kalkulatorischen Ausgleich der Vor- und Nachteile aus verschiedenen Geschäften, wobei i.d.R. wechselseitige Leistungsbeziehungen zwischen zwei Vertragspartnern vorliegen.1 So kann z.B. ein Mutterunternehmen als Lizenzgeber einem Tochterunternehmen die Nutzung einer Marke, eines Patents oder von Know-how verbilligt gewähren, während sich gleichzeitig das Tochterunternehmen verpflichtet, in festgelegtem Umfang Beratungsleistungen des Mutterunternehmens zu – isoliert gesehen – überteuerten Konditionen abzunehmen.
1 Vgl. Tz. 3.13 OECD-Leitlinien 2010; Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.329.
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D. Angemessenheitsdokumentation
Wird ein solcher Vorteilsausgleich anerkannt, bleibt es bei den vereinbarten Preisen für die jeweilige Leistung, obwohl diese isoliert gesehen zu niedrig bzw. hoch sind.1 Andernfalls würden entsprechende Korrekturen über vGA, verdeckte Einlagen oder über § 1 AStG vorgenommen. Zwar können sich die Effekte (sofort zu berücksichtigender Mehrgewinn und Mehraufwand in einem Veranlagungszeitraum) in bestimmten Fällen ausgleichen, so dass es dahinstehen könnte, ob ein Vorteilsausgleich anerkannt wird oder nicht. Allerdings ist stets die Quellensteuerproblematik auf vGA zu beachten, die insbesondere dann relevant wird, wenn Unternehmen außerhalb der EU an entsprechenden Leistungsbeziehungen beteiligt sind. Voraussetzungen für eine Anerkennung eines Vorteilsausgleichs ist nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung, dass – der Vorteilsausgleich auch zwischen nicht verbundenen Unternehmen denkbar wäre, – auch unter Fremdbedingungen wechselseitige Geschäfte zwischen dem Unternehmen und einem Vertragspartner abgeschlossen worden wären, d.h. ein innerer Zusammenhang zwischen den Geschäften besteht, – die Vor- und Nachteile aus beiden Geschäften quantifiziert werden können und – die Vorteilsverrechnung vereinbart war bzw. zu den Geschäftsgrundlagen für das nachteilige Geschäft gehörte.2 Sofern das Unternehmen die Angemessenheit der Verrechnungspreise bei wechselseitigen Leistungsbeziehungen mit einem Vorteilsausgleich begründen will, ist daher im Rahmen einer „freiwilligen“ Dokumentation aufzuzeigen, dass die einzelnen o.g. Voraussetzungen vorliegen. Wie bei Geschäftsstrategien ergibt sich dieser Bedarf unabhängig von den Aufzeichnungsvorschriften in § 90 Abs. 3 AO, wenn das Unternehmen die Anerkennung eines Vorteilsausgleichs begründen will. Eine Anwendung der Sanktionsvorschriften kommt aus den zu den Geschäftsstrategien (Rz. 8.165) aufgeführten Gründen nicht in Betracht. b) Standortvorteile Aufteilung von Kostenvorteilen. Als Sonderumstand nach § 5 Nr. 1 GAufzV kann auch das Vorhandensein von „Standortvorteilen“ anzusehen sein. Für Lohnfertigungen bzw. Auftragsproduktionen sowie ggf. Auftragsforschungen wird aus betriebswirtschaftlichen Gründen in der Praxis häufig 1 Vgl. BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704, unter Abschn. 1. a der Gründe; Borstell in V/B/E, Verrechnungspreise3, 223 f. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.3; kritisch insbes. zu den unter den ersten beiden Spiegelstrichen aufgeführten Voraussetzungen: Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.312.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
auf im Ausland ansässige Konzerngesellschaften zurückgegriffen. Diese können – z.B. auf Grund eines niedrigeren Lohnniveaus oder geringerer Energiekosten – entsprechende Leistungen häufig wesentlich günstiger erbringen, als dies einer vergleichbaren Einheit im Inland möglich ist. Liegen solche Kostenvorteile der ausländischen Konzerngesellschaft vor, spricht man von sog. Standortvorteilen. Hier ist zu klären, wie sich solche Kostenvorteile auf die Verrechnungspreisermittlung zwischen dem inländischen Auftraggeber und der funktionsausübenden Einheit im Ausland auswirken. Hierzu können zunächst die jeweiligen Preisober- bzw. Preisuntergrenzen betrachtet werden. Die Preisobergrenze ist der Preis, zu dem das inländische Unternehmen die Leistung selber erbringen könnte bzw. ihm fremde Unternehmen diese Leistung anbieten. Die Preisuntergrenze bilden die entsprechenden Kosten der funktionsausübenden Einheit zzgl. eines üblichen Gewinnaufschlags (dieser darf Standortvorteile allerdings noch nicht berücksichtigen). In einer solchen Situation ist davon auszugehen, dass sich Auftraggeber und Auftragnehmer die aus den Kostenunterschieden resultierenden Standortvorteile teilen,1 da dann für beide Seiten Vorteile entstehen. Hierzu hat das FG Münster entschieden,2 dass es dem Verhalten fremder Dritter entspricht, wenn sich Auftraggeber und Lohnfertiger den aus dem Standortvorteil resultierenden Gewinn hälftig teilen würden.3 Vor diesem Hintergrund sind Standortvorteile – ebenso wie Geschäftsstrategien, Vorteilsausgleich usw. – als Sonderumstände i.S.v. § 5 Satz 1 GAufzV anzusehen. Soweit sich das inländische auftraggebende Unternehmen zur Begründung der Angemessenheit seiner an die funktionsausübende Einheit im Ausland entrichteten Vergütungen auf Standortvorteile beruft, sind die notwendigen Informationen dazu aufzuzeichnen. Hierfür gelten die zu Geschäftsstrategien bzw. zum Vorteilsausgleich entwickelten Grundsätze. Es ist darzulegen, dass im Ausland entsprechende Kostenvorteile gegenüber dem Inland bestehen und damit die Voraussetzungen für Standortvorteile vorliegen. Dieser Dokumentationsbedarf ergibt sich aber – wie in den vorstehenden Abschnitten ausgeführt – bereits unabhängig von den Aufzeichnungsvorschriften in § 90 Abs. 3 AO, wenn das Unternehmen die Anerkennung des Verrechnungspreises begründen will. Eine Anwendung der Sanktionsvorschriften kommt bei Fehlen dieser Aufzeichnungen aus den zu den Geschäftsstrategien (Rz. 8.165) aufgeführten Gründen nicht in Betracht.
VII. Zusammenfassung 8.168
Zwischenfazit zur Angemessenheitsdokumentation. Zur sog. Angemessenheitsdokumentation kann Folgendes festgehalten werden: 1 Vgl. Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791; Rödder, StbJb. 1997/98, 122. 2 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, IStR 2006, 794, rkr. 3 Vgl. zu dieser Rechtsprechung auch Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 793.
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
§ 90 Abs. 3 Satz 2 AO gibt eine Verpflichtung des Unternehmens zur Darlegung der Angemessenheit der angesetzten Verrechnungspreise bzw. zu einer entsprechenden Verprobung nicht her. Entsprechende Bestimmungen der GAufzV gehen über den in § 90 Abs. 3 AO gesetzten Ermächtigungsrahmen hinaus und sind daher unwirksam. Die Beurteilung der Angemessenheit der angesetzten Verrechnungspreise ist Sache der Finanzverwaltung, soweit das Unternehmen die dazu notwendigen Sachverhaltsangaben aufzeichnet. Die Finanzverwaltung geht indes von einer Pflicht zur Angemessenheitsdokumentation aus. Wenn Rechtsstreitigkeiten mit der Finanzverwaltung vermieden werden sollen, muss daher die Angemessenheitsdokumentation durchgeführt werden. Idealerweise kann die Angemessenheitsdokumentation anhand eines internen oder externen Fremdvergleichs erfolgen. Geeignet hierzu sind neben Fremdpreisen für vergleichbare Güter insbesondere Gewinnaufschläge oder Margen, die das Unternehmen aus vergleichbaren Geschäften mit fremden Dritten erzielt. Existieren solche Daten nicht, wird die in den VWG-Verfahren vorgesehene Plangewinnermittlung durch Kapitalverzinsung als geeignet und durchführbar angesehen, um Verrechnungspreise für Leistungen funktionsausübender Einheiten zu bestimmen. Zu den unter § 5 GAufzV aufgeführten Angaben zur Angemessenheitsdokumentation in besonderen Fällen (Geschäftsstrategien, Vorteilsausgleich, Standortvorteile, nachträgliche Preisanpassungen, Dauerverlusten u.Ä.) kann festgehalten werden, dass diese für im Wesentlichen verwertbare Aufzeichnungen nicht erforderlich sind. Soweit die Unternehmen jedoch in solchen Fällen materielle Verrechnungspreiskorrekturen durch die Finanzverwaltung ausschließen wollen, ist den Unternehmen zu empfehlen, im Rahmen einer „freiwilligen“ Dokumentation rechtzeitig ausführliche Aufzeichnungen zu erstellen. Aufzuzeichnen ist dabei, dass die Voraussetzungen für die Anwendung einer der „Sonderregelungen“ bei dem Sachverhalt erfüllt sind.
E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO I. Überblick über die Sanktionsregelungen zur Durchsetzung der Aufzeichnungspflichten Beweislastumkehr. Um die neu geschaffenen Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO durchsetzen und Verstöße sanktionieren zu können, hat der Gesetzgeber mit dem StVergAbG spezielle Vorschriften in Gestalt
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
einer Beweislastumkehr1, einer speziellen „Berechnungsregelung“ für Verrechnungspreisschätzungen2 und eines Zuschlags3 eingeführt.4 Ähnlich den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO, die als spezielle Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen die allgemeine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 1 AO und die erweiterte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO ergänzen, stellen die Sanktionsregelungen in § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO spezielle Regelungen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten dar. Soweit sich Überschneidungen mit den allgemeinen Regelungen (z.B. mit den allgemeinen Schätzungsgrundsätzen) ergeben, gehen für den Bereich der Verletzung von Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO die Spezialregelungen in § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO den allgemeinen Regelungen grds. vor.5
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„Normale“ Verrechnungspreiskorrekturen kein Anwendungsfall der Sanktionsregelung. Von Verrechnungspreiskorrekturen auf Basis einer Anwendung der Beweislastumkehr nach § 162 Abs. 3 Satz 1 AO bzw. der speziellen „Berechnungsregelung“ für Verrechnungspreisschätzungen nach § 162 Abs. 3 Satz 2 AO abzugrenzen sind solche Verrechnungspreiskorrekturen, die sich außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Sanktionsvorschriften vollziehen. Sie sind auch dann möglich, wenn verwertbare Aufzeichnungen vorgelegt und damit den gesetzlichen Aufzeichnungsvorschriften Genüge getan wurde.6 Für diese Korrekturen außerhalb des Anwendungsbereichs der Sanktionsvorschriften gelten die für das Unternehmen positiven Grundsätze der BFH-Rechtsprechung vom 17.10. 2001 auch weiterhin, d.h. die Beweislast für solche Verrechnungspreiskorrekturen trägt die Finanzverwaltung.7 Besteht dabei eine Bandbreite angemessener Preise, so hat sich die Finanzverwaltung an dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Wert dieser ggf. eingeengten Bandbreite zu orientieren.8 1 Vgl. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO; hierzu Cordes/Kluge, Steueranwaltsmagazin 2013, 183 ff. 2 Vgl. § 162 Abs. 3 Satz 2 AO. 3 Vgl. § 162 Abs. 4 AO. 4 Vgl. Sieker in GS Trzaskalik, 136. 5 Vgl. Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung – Unter besonderer Berücksichtigung der Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, 105 f. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. a. 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. a. 8 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. b. Eine Ausnahme zu diesem Grundsatz stellt § 162 Abs. 3 Satz 3 AO dar. Die Vorschrift wurde mit dem UntStRefG 2008 in die AO aufgenommen. Danach soll – auch bei verwertbaren Aufzeichnungen des Unternehmens – die für die Unternehmen ungünstige Bandbreitenregelung in § 162 Abs. 3 Satz 2 AO greifen, wenn nahestehende ausländische Unternehmen ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO nicht erfüllt haben und deshalb der Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt werden kann. Nach der hier vertrete-
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
II. Schätzung auf Grundlage von § 162 Abs. 3 AO 1. Anwendungsvoraussetzungen der Schätzung a) Nichtvorlage von Aufzeichnungen Tatbestand. Das Tatbestandsmerkmal „Nichtvorlage von Aufzeichnungen“ ist auf den ersten Blick eindeutig. Es wird verwirklicht, wenn bei bestehender Aufzeichnungspflicht auf die Anforderung der Finanzverwaltung nach § 90 Abs. 3 Satz 8 AO keine Aufzeichnungen vorgelegt werden. Klärungsbedürftig ist insoweit allerdings, worauf sich das Tatbestandsmerkmal „Nichtvorlage“ bezieht, d.h. ob hiermit eine „Dokumentation“ als Ganzes gemeint ist oder ob es um Aufzeichnungen zu einzelnen Geschäftsbeziehungen geht. § 90 Abs. 3 AO verlangt Aufzeichnungen zu einzelnen Geschäftsbeziehungen (Rz. 8.11). Infolgedessen ist für die Beurteilung der Nichtvorlage (und für die Beurteilung der Verwertbarkeit, s. dazu unten) nicht auf eine Dokumentation als Ganzes abzustellen.1 Maßgeblich ist vielmehr, ob bezogen auf die einzelne Geschäftsbeziehung (z.B. Lieferung bestimmter Produkte an eine bestimmte Vertriebsgesellschaft im Ausland) Aufzeichnungen nach entsprechender Anforderung durch dieFinanzverwaltung eingereicht wurden.2 Die Geschäftsbeziehung schließt alle hierunter zu fassenden Geschäftsvorfälle ein bzw. setzt sich aus diesen zusammen. Dies bedeutet, dass für eine Geschäftsbeziehung das Fehlen von Aufzeichnungen zu einzelnen Geschäftsvorfällen jedenfalls dann nicht als „Nichtvorlage“ zu sehen ist, wenn Aufzeichnungen zu anderen Geschäftsvorfällen vorgelegt wurden, die ebenfalls zu dieser Geschäftsbeziehung zu rechnen sind. nen Auffassung läuft diese Vorschrift jedoch ins Leere und ist daher für die Praxis nicht von Bedeutung. Hintergrund ist, dass ausländische Unternehmen (die auch keine Betriebsstätte o.Ä. in Deutschland unterhalten) keinen inländischen Mitwirkungspflichten unterliegen. Vgl. IDW, FN-IDW 2007, 207. Eine solche wird auch nicht dadurch begründet, dass das ausländische Unternehmen einem inländischen Unternehmen nahe steht. Das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, durch die Vorschrift in größerem Umfang auf Daten ausländischer Konzernunternehmen zuzugreifen (vgl. BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 84), wird mit der Vorschrift daher nicht erreicht. Die Finanzverwaltung wird stattdessen auf die Möglichkeiten des zwischenstaatlichen Informationsaustauschs zurückgreifen müssen. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1467. Zu den Rechtsgrundlagen für einen zwischenstaatlichen Informationsaustausch vgl. Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren – Grundlagen, Systematik und Grenzen der informationellen zwischenstaatlichen Rechts- und Amtshilfe, 82 ff. 1 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 263. 2 Vgl. Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/Beck/Bodenmüller/Wolff, IStR 2005, 756; Buciek in Beermann/Gosch, § 162 AO Rz. 196. Die Auffassung von. Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung – Unter besonderer Berücksichtigung der Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, 107 f., weicht in der Formulierung ab. Allerdings dürfte dies zu keinen abweichenden Ergebnissen führen.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Die zu einer Geschäftsbeziehung zählenden Geschäftsvorfälle können definiert werden als Transaktionen mit einander ähnlichen Produkten oder Leistungen, für die eine einheitliche Entgeltvereinbarung besteht und bei denen der Leistungsempfänger identisch ist. Man könnte alternativ überlegen, die Geschäftsbeziehung als Summe aller Geschäftsvorfälle zu definieren, denen ein bestimmter Vertrag zugrunde liegt. Dies trifft allerdings nicht zu, da in einem Vertragsdokument auch mehrere verschiedene Leistungsbeziehungen geregelt sein können. Die erforderliche Abgrenzung zwischen diesen Leistungsbeziehungen hätte dann wieder nach den vorgenannten Kriterien (Ähnlichkeit der Produkte oder Leistungen; einheitliche Entgeltvereinbarung) zu erfolgen. Ferner ist es möglich, dass inhaltlich gleiche Regelungen in verschiedene Verträge (z.B. in einen ursprünglichen Vertrag und in einen in dem relevanten Wirtschaftsjahr vereinbarten Anschlussvertrag) aufgenommen werden. Auch in diesem Fall ist eine strenge Orientierung an dem einzelnen Vertrag unzutreffend, da ein wirtschaftlicher Sachverhalt künstlich in zwei Geschäftsbeziehungen getrennt würde. In den VWG-Verfahren existieren keine Ausführungen zu einem Bezugsmaßstab für die Beurteilung der Nichtvorlage. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass die Finanzverwaltung auf die Regelungen der VWG-Verfahren zur Beurteilung von im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen1 zurückgreift und diese analog anwendet. Danach ist auf die einzelne Prüfungsanforderung der Finanzverwaltung abzustellen, in der nach § 2 Abs. 6 Satz 2 GAufzV die zu prüfenden Geschäftsbereiche und Geschäftsbeziehungen bezeichnet werden sollen.2 Dem kann nur insoweit gefolgt werden, als der Begriff „Geschäftsbeziehungen“ auch seitens der Finanzverwaltung in dem oben definierten Sinne verstanden wird und dem Begriff „Geschäftsbereich“ keine andere Bedeutung beigemessen wird. Ferner muss sichergestellt sein, dass die Finanzverwaltung bei Anforderung von Aufzeichnungen § 2 Abs. 6 Satz 2 GAufzV konsequent beachtet und die Geschäftsbeziehungen detailliert einzeln aufführt, zu denen Aufzeichnungen angefordert werden. Andernfalls ergäben sich qualitative Unterschiede, z.B. wenn Aufzeichnungen zu den Warenlieferungen mit sämtlichen ausländischen Konzernunternehmen oder jeweils einzeln die Aufzeichnungen zu den Warenlieferungen mit bestimmten verbundenen ausländischen Konzernunternehmen angefordert würden.3 Im ersten Fall würde das Fehlen von Informationen zu Warenlieferungen mit einem bestimmten ausländischen Konzernunternehmen jedenfalls keine Nichtvorlage bedeuten, da Aufzeichnungen vorgelegt werden.4 Allenfalls könnte dies zu einer im Wesentlichen unverwertbaren Dokumentation 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. b. 2 So auch Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 263, sowie Bruschke, DStZ 2006, 577. 3 Vgl. Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/Beck/Bodenmüller/Wolff, IStR 2005, 756, die in Fn. 95 auf ein ähnliches Problem hinweisen. 4 Vgl. Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 30.
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
führen, was aber fraglich ist, wenn nur ein Teilbereich der Anforderung fehlt, der Rest aber dokumentiert ist.1 Im zweiten Fall hingegen wäre eine Nichtvorlage gegeben, die die Rechtsfolgen nach § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO auslöst. Diese Unterschiede sind nicht zu rechtfertigen. Es ist zu bezweifeln, dass sich der einzelne Prüfer in der Praxis dieser möglichen Konsequenzen bewusst ist und die Anforderung von Aufzeichnungen entsprechend detailliert ausgestaltet. Daher ist die in den VWG-Verfahren formulierte „Bindungswirkung“ der Anforderung zur Beurteilung der Nichtvorlage und der Verwertbarkeit abzulehnen. Die VWG-Verfahren sollten klar regeln, dass auf die einzelne Geschäftsbeziehung abzustellen ist. Vorlage von Aufzeichnungen nach erfolgter Schätzung. Wurden auf die Anforderung der Finanzverwaltung nach § 90 Abs. 3 Satz 8 AO keine Aufzeichnungen vorgelegt und hat das Finanzamt auf Grund dessen eine Schätzung nach § 162 Abs. 3 AO vorgenommen, geht eine weitere Fragestellung dahin zu klären, bis zu welchem Zeitpunkt das Unternehmen Aufzeichnungen vorlegen kann, um den Eintritt des Tatbestandsmerkmals „Nichtvorlage“ zu vermeiden. Eine solche nachträgliche Vorlage der Aufzeichnungen hätte für das Unternehmen den Vorteil, dass – soweit die Aufzeichnungen im Wesentlichen verwertbar sind – die Rechtsgrundlage für eine Schätzung nach § 162 Abs. 3 AO (nachträglich) entfällt. Das Finanzamt muss dann die Schätzung nach § 162 Abs. 3 AO rückgängig machen und kann allenfalls Verrechnungspreiskorrekturen bzw. -berichtigungen außerhalb der Anwendung von § 162 Abs. 3 AO nach den allgemeinen Grundsätzen2 vornehmen. Es bleibt als Belastung der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO für die verspätete Vorlage von Aufzeichnungen, der an die Stelle des Zuschlags für nicht vorlegte Aufzeichnungen tritt. Besonderheiten können sich ergeben, wenn es sich um Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen (zur Definition vgl. Rz. 8.26) handelt, die nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO zeitnah zu erstellen sind. Da die Vorlagefrist in § 90 Abs. 3 AO nicht als Ausschlussfrist formuliert ist und auch § 162 Abs. 3 AO keine spezielle Frist beinhaltet, ist eine solche nachträgliche Vorlage von Aufzeichnungen durch das Unternehmen bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung vor dem FG möglich.3 1 Die Unvollständigkeit von Aufzeichnungen in einzelnen Punkten führt nach Auffassung der Finanzverwaltung alleine regelmäßig nicht dazu, dass Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind, vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. b. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20. 3 So zutreffend Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 30; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung – Unter besonderer Berücksichtigung der Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, 106. Dies lässt sich aus den allgemeinen Regelungen zur Vorlage von Beweismitteln und Unterlagen im Steuerverfahren bzw. zur Vermeidung von Schätzungen nach § 162 Abs. 1 AO ableiten. Diese können im erstinstanzlichen Verfahren vor dem
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Soweit auf Grund der Schätzung bereits Bescheide ergangen sind, setzt eine Änderung dieser Bescheide verfahrensrechtlich voraus, dass die Bescheide angefochten bzw. gegen entsprechende Einspruchsentscheidungen Klagen erhoben wurden. Bislang fehlende Aufzeichnungen können ggf. auch außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens eingereicht und berücksichtigt werden. Dies ist aber nur möglich, solange die Steuerveranlagung für den entsprechenden Veranlagungszeitraum noch nach den Korrekturvorschriften der AO (§§ 164 f. AO, §§ 172 ff. AO) geändert werden kann. Hierbei ist insbesondere an einen bestehenden Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO zu denken. Soweit die Schätzungsergebnisse nach § 162 Abs. 3 AO noch nicht in einem Steuerbescheid umgesetzt wurden, ist ohnehin eine Berücksichtigung der bislang fehlenden Aufzeichnungen möglich. b) Im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen
8.173
Beurteilung für die einzelne Geschäftsbeziehung. Wesentlich schwieriger als die Beurteilung der Nichtvorlage von Aufzeichnungen ist bei den Tatbestandsmerkmalen von § 162 Abs. 3 AO die Beantwortung der Frage, wann Aufzeichnungen „im Wesentlichen unverwertbar“ sind. Zunächst ist hier – wie bei der Nichtvorlage von Aufzeichnungen – zu klären, ob die Beurteilung auf Basis der Gesamtdokumentation oder anhand der Aufzeichnungen zu einzelnen Geschäftsbeziehungen o.Ä. zu erfolgen hat. Maßgeblich für die Beurteilung sind, wie unter Rz. 8.21 im Einzelnen dargelegt, die Aufzeichnungen zu einzelnen Geschäftsbeziehungen. Wenn für eine bestimmte Geschäftsbeziehung im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen vorgelegt werden, findet daher § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO unabhängig davon Anwendung, welche Qualität die zu den anderen Geschäftsbeziehungen vorgelegten Aufzeichnungen haben. D.h. bei mehreren aufzeichnungspflichtigen Geschäftsbeziehungen können die Aufzeichnungen zu einzelnen Geschäftsbeziehungen im Wesentlichen unverwertbar sein, während die Aufzeichnungen zu den anderen Geschäftsbeziehungen verwertbar sind. § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO findet dann nur auf die Geschäftsbeziehungen Anwendung, zu denen die Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind.1
8.174
Notwendige Bestandteile für eine verwertbare Dokumentation. Wann indes Aufzeichnungen „im Wesentlichen unverwertbar“ sind, kann nicht generell, sondern nur im Einzelfall entschieden werden, da es sich um ein sehr unbestimmtes Tatbestandsmerkmal handelt. Eine nähere gesetzliche Definition oder Erläuterung existiert nicht. Nach der Gesetzesbegründung zur GAufzV sind Aufzeichnungen dann als unverwertbar anzusehen, wenn ein sachverständiger Prüfer anhand dieser Unterlagen in angemessener Zeit nicht prüfen kann, ob die angesetzten Verrechnungspreise FG noch weitgehend uneingeschränkt vorgebracht werden (Ausnahme: Ausschlussfristen). 1 Vgl. Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 33.
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen (s. dazu auch unter Rz. 8.174).1 Dies lässt sich auch aus § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV im Umkehrschluss ableiten: Danach sind Aufzeichnungen nicht verwertbar, soweit ein sachverständiger Dritter in angemessener Zeit nicht erkennen kann, welche Sachverhalte im Zusammenhang mit Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Unternehmen im Ausland verwirklicht wurden und ob und inwieweit dabei der Grundsatz des Fremdvergleichs beachtet wurde.2 Zwischen beiden Ansätzen wird im Ergebnis kein nennenswerter Unterschied gesehen. Für die konkrete Rechtsanwendung bedeutet dies Folgendes: Die Aufzeichnungen müssen die Informationen (soweit sie im Unternehmen oder der Unternehmensgruppe vorhanden sind) enthalten, um nach den geltenden Regelungen (insbes. nach den zulässigen Verrechnungspreismethoden) einen dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechenden Preis zu ermitteln. Welche Informationen dies im Einzelnen sind, wurde für den Bereich der Sachverhaltsdokumentation unter Rz. 8.47 ff. eingehend untersucht. Notwendig sind danach insbesondere Informationen zur Funktions- und Risikoverteilung bei der relevanten Geschäftsbeziehung sowie – in Abhängigkeit von der angewendeten Verrechnungspreismethode – die zur Anwendung der entsprechenden Methode erforderlichen Daten (Rz. 8.93). Dies sind bei der Preisvergleichsmethode die zur Verfügung stehenden Vergleichsdaten, bei der Kostenaufschlagsmethode die Daten über die zugrunde liegenden Kosten und bei der Wiederverkaufspreismethode Erlös- sowie ebenfalls Kostendaten. Bei Anwendung der Kostenaufschlags- oder der Wiederverkaufspreismethode sind daher in aller Regel die innerbetrieblichen Planrechnungen oder Budgets maßgeblich für die Bestimmung der Verrechnungspreise und daher notwendig aufzuzeichnen.3 Soweit aus vergleichbaren Leistungen des Unternehmens oder eines Konzernunternehmens mit fremden Dritten Informationen für die Margenbestimmung bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode bzw. für die Bestimmung des Kostenaufschlags bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode vorliegen, gehören diese ebenfalls zu den notwendigen Informationen (vgl. Rz. 8.112 und 8.95 ff.). Nach den vorgenannten Grundsätzen besteht indes keine Notwendigkeit, über die Angabe möglicher Fremdvergleichsdaten (Preise, Margen, Kostenaufschläge) hinaus eine weitere Angemessenheitsdokumentation zu erstellen. Dies begründet sich damit, dass mit den Sachverhaltsinformationen sowie den Fremdvergleichsdaten (soweit vorhanden) ausreichende Angaben vorliegen, anhand derer ein sachverständiger Dritter prüfen 1 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 8. Die Begründung enthält insoweit noch eine nicht abschließende Aufzählung von drei Fällen, in denen von einer Unverwertbarkeit der Aufzeichnungen auszugehen ist. 2 Vgl. Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung – Unter besonderer Berücksichtigung der Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, 107; Bruschke, DStZ 2006, 576; so im Ergebnis auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. a. 3 Eine Ausnahme stellt z.B. die Abrechnung nach Ist-Kosten dar.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
kann, ob die angesetzten Verrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. Insbesondere für die Regelungen in § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV, nach denen das „ernsthafte Bemühen“ des Unternehmens um die Festsetzung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise aus den Aufzeichnungen erkennbar sein muss, besteht keine Grundlage (vgl. Rz. 8.118). Mithin kann das Fehlen eines „ernsthaften Bemühens“ die Qualität der Aufzeichnungen nicht beeinträchtigen und auch nicht dazu führen, dass die Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind.
8.175
Abgrenzung des Begriffs „im Wesentlichen“. § 162 Abs. 3 AO setzt „im Wesentlichen“ unverwertbare Aufzeichnungen voraus. Dies bedeutet, dass geringe Mängel der Aufzeichnungen noch keine Sanktionen auslösen.1 Vielmehr müssen die Mängel so gravierend sein, dass die vorgelegten Aufzeichnungen im Hinblick auf ihre Verwendbarkeit für die Verrechnungspreisbestimmung und -prüfung mit einer Nichtvorlage von Aufzeichnungen verglichen werden können.2 Dies kann z.B. der Fall sein, wenn die Aufzeichnungen in einem solchen Maße nicht nachvollziehbar, unvollständig oder in sich widersprüchlich sind, dass sie die Ermittlung eines fremdvergleichskonformen Verrechnungspreises bzw. einer entsprechenden Preisbandbreite nicht zulassen.3 Gleiches gilt, wenn die Aufzeichnungen in entscheidenden Punkten sachlich falsch sind. So könnte z.B. die dargestellte Verteilung der Funktionen und Risiken von der tatsächlichen Verteilung abweichen. Ferner könnte eine – an sich dem Fremdvergleich entsprechende – Verrechnungspreisvereinbarung zwischen den Konzernunternehmen, anhand derer die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO erstellt wurden, in der Praxis schlicht nicht umgesetzt worden sein. In der Begründung zur GAufzV wird für eine im Wesentlichen unverwertbare Dokumentation ferner der Fall angeführt, dass keine oder eine offensichtlich ungeeignete Verrechnungspreismethode angewendet wurde und die Aufzeichnungen die Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode nicht zulassen, z.B. weil die hierfür notwendigen Informationen fehlen. Auch in diesem Fall ist von im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen auszugehen. 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. b. 2 Vgl. Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 31; Schreiber, WPg 2006, S142; Schreiber, JbFSt 2005/2006, 647; Kroppen/Rasch, IWB 2013, 833. Dies lässt sich ferner aus § 1 Abs. 1 Satz 4 GAufzV ableiten. Seer in Tipke/Kruse,§ 162 AO Rz. 67, Carlé, AO-StB 2004, 362, und diesen folgend Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung – Unter besonderer Berücksichtigung der Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, 108, ziehen zunächst eine Parallele zu den Maßstäben, die für eine formell ordnungswidrige Buchführung gelten, und ziehen hieraus folgenden Schluss für die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO: Sind die Mängel so gravierend, dass die Aufzeichnungen keine Aussagekraft zur Legitimation der angesetzten Verrechnungspreise mehr haben, sind die Aufzeichnungen als unverwertbar anzusehen. Im Ergebnis entspricht dies einer Nichtvorlage. Folglich weichen die angegebenen Auffassungen im Ergebnis nicht von einander ab. 3 BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 8.
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
Die Verwendung quantitativer Kriterien zur Abgrenzung des Begriffs „im Wesentlichen“ (im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen z.B. bei mehr als 25 % unverwertbarer Aufzeichnungen) wird nur in Ausnahmefällen möglich sein. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass keine geeignete Bezugsgröße für eine Anwendung eines Prozentsatzes zur Verfügung steht, wenn man davon ausgeht, dass sich die Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO – wie oben dargelegt – auf einzelne Geschäftsbeziehungen und nicht auf eine Dokumentation als Ganzes bezieht. Auf die unter die Geschäftsbeziehung zu fassenden Geschäftsvorfälle abzustellen, hilft nicht weiter, da diesen eine einheitliche Preisvereinbarung zugrunde liegt und es hauptsächlich auf diese Preisvereinbarung ankommt. Insoweit ist es grds. nicht entscheidend, wenn zu Teilen der Geschäftsvorfälle Aufzeichnungen fehlen, die Aufzeichnungen zu der hierfür getroffenen Preisvereinbarung aber ausreichend sind. Zutreffend ist insoweit die Auffassung der Finanzverwaltung, auf die Qualität der vorgelegten Aufzeichnungen abzustellen.1 Aussagen der VWG-Verfahren zur Verwertbarkeit. Die VWG-Verfahren folgen den in den vorangegangenen Abschnitten ermittelten Grundsätzen nur zum Teil. Sie gehen im Einzelnen in folgenden Fällen von im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen aus:2 – VWG-Verfahren: Aus den Aufzeichnungen zur Angemessenheitsdokumentation ergibt sich lediglich, dass die Verrechnungspreise von nahe stehenden Unternehmen vorgegeben wurden.3 Stellungnahme: Soweit darüber hinaus keine Informationen (wie mögliche Fremdvergleichsdaten oder innerbetriebliche Plandaten) aufgezeichnet wurden, anhand derer angemessene Verrechnungspreise bestimmt werden können, ist die Qualifikation der Aufzeichnungen als „im Wesentlichen unverwertbar“ berechtigt. Etwas anderes gilt aber, wenn z.B. der Sachverhalt zutreffend aufgezeichnet wurde, geeignete Fremdvergleichsdaten weder vorhanden noch beschaffbar sind und das Unternehmen die zur Anwendung der (zutreffenden) Kostenaufschlagsmethode erforderlichen Budget- und Plandaten aufgezeichnet hat. In diesem Fall wäre es dem Betriebsprüfer möglich, auf Basis der Plandaten die Kostenaufschlagsmethode anzuwenden und so die angesetzten Verrechnungspreise zu überprüfen. Ggf. muss er für seine Überprüfung auf Erfahrungssätze für Kostenaufschläge (z.B. 5–10 %)4 oder auf eine angemessene Eigenkapitalverzinsung zurückgreifen. 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. b. 2 Zu einer Übersicht vgl. Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/Beck/ Bodenmüller/Wolff, IStR 2005, 755. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. c. 4 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, VWG-Betriebsstätte, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 4.4.4. Die Verwendung solcher Erfahrungssätze reicht nach Schreiber, WPg 2006, 142, für im Wesentlichen verwertbare Aufzeichnungen aus.
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8.176
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
– VWG-Verfahren: Zur Angemessenheitsdokumentation wird lediglich die Verrechnungspreismethode und deren Eignung dargelegt, ohne dass Fremdvergleichsdaten oder ausreichende Planungsrechnungen einbezogen werden.1 Stellungnahme: Es gelten grds. die Überlegungen zum ersten Spiegelstrich entsprechend. Existieren geeignete Fremdvergleichsdaten, ohne dass diese aufgezeichnet und der Finanzverwaltung zugänglich gemacht wurden, und wurden auch keine Budget- und Plandaten aufgezeichnet, die eine Verrechnungspreisermittlung erlauben, so wird die Finanzverwaltung die Aufzeichnungen i.d.R. zu Recht als im Wesentlichen unverwertbar einstufen. In anderen Fällen sind die Aufzeichnungen verwertbar. – VWG-Verfahren: Die Aufzeichnungen zur Angemessenheitsdokumentation werden nur auf ungeeignete Fremdvergleichsdaten gestützt, es werden nur Datenbankinformationen ohne weitere Informationen zur Vergleichbarkeit vorgelegt oder es bestehen erhebliche Mängel an der zugrunde gelegten Datenbank.2 Stellungnahme: Hier gelten ebenfalls die Überlegungen zum ersten Spiegelstrich entsprechend. Auch in diesen Fällen können die Aufzeichnungen unter bestimmten zusätzlichen Bedingungen gleichwohl verwertbar sein.3 Positiv hervorzuheben sind Aussagen in den VWG-Verfahren zur Verwertbarkeit der Aufzeichnungen bei Verwendung innerbetrieblicher Planrechnungen: Wird z.B. zur Ermittlung des Plangewinns auf eine angemessene Eigenkapitalverzinsung abgestellt und schätzt das Unternehmen zur Berechnung eines entsprechenden Zinssatzes die funktions- und risikobezogenen Zuschläge auf den risikofreien Basiszins (Rz. 8.137 ff.), so beeinträchtigen diese Schätzungen die Verwertbarkeit der Aufzeichnungen zu Recht nicht.4 Dies schafft Planungssicherheit, da das Unternehmen jedenfalls auf diesem Weg verwertbare Aufzeichnungen schaffen und sich vor Anwendung der Sanktionsvorschriften nach § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO schützen kann, auch wenn – wie häufig vorkommend – keine geeigneten Fremdvergleichsdaten vorhanden sind. Solche Planrechnungen lassen sich in aller Regel mit vertretbarem Aufwand seitens des Unternehmens auf Basis bereits vorhandener Plan- und Budgetrechnungen erstellen.
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. c. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. c und Tz. 3.4.12.4. 3 Vgl. Schreiber, WPg 2006, 142, auf Basis des Beispiels auf 139. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.20 Buchst. c, dritter Spiegelstrich, wo dies als ein Fall verwertbarer Aufzeichnungen aufgeführt wird, in dem jedoch ggf. Berichtigungen außerhalb der Anwendung von § 162 Abs. 3 AO möglich sind.
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
Möglichkeit zur Nachbesserung von Aufzeichnungen. Stuft der Betriebsprüfer die vom Unternehmen vorgelegten Aufzeichnungen als im Wesentlichen unverwertbar ein, so sehen die VWG-Verfahren vor, das Unternehmen zur Nachbesserung der Aufzeichnungen aufzufordern.1 Damit soll dem Unternehmen Gelegenheit gegeben werden, die Verwertbarkeit der Aufzeichnungen herzustellen, um eine Anwendung von § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO zu vermeiden. Eine solche Nachbesserung der Aufzeichnungen ist – wie die erstmalige Vorlage von Aufzeichnungen – allerdings nicht nur während der Betriebsprüfung, sondern bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung in einem Rechtsbehelfs- bzw. Finanzgerichtsverfahren gegen einen entsprechenden Schätzungsbescheid möglich (vgl. im Einzelnen Rz. 8.172).2
8.177
c) Verspätet erstellte Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen Tatbestand und Rechtsfolge. Der dritte Tatbestand in § 162 Abs. 3 AO betrifft nur außergewöhnliche Geschäftsvorfälle. Hier greift § 162 Abs. 3 AO auch bei verwertbaren Aufzeichnungen, wenn festgestellt wird, dass diese Aufzeichnungen nicht zeitnah i.S.v. § 90 Abs. 3 AO und § 3 Abs. 1 Satz 2 GAufzV erstellt wurden (zur zeitnahen Erstellung von Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen vgl. Rz. 8.25). Dies ist zwar zu kritisieren, da ggf. verwertbare Aufzeichnungen lediglich wegen verspäteter Aufstellung wie nicht erstellte Aufzeichnungen behandelt werden.3 Es besteht aber grds. keine Alternative, als dies bei der Erstellung der Aufzeichnungen zu berücksichtigen. Die Problematik bei Anwendung dieses Tatbestands von § 162 Abs. 3 AO liegt zum einen in der Abgrenzung des Begriffs „außergewöhnliche Geschäftsvorfälle“ (vgl. Rz. 8.25 ff.). Zum anderen muss die Finanzverwaltung dem Unternehmen nachweisen, dass die Aufzeichnungen verspätet erstellt wurden. Dies dürfte in der Praxis regelmäßig nur schwierig möglich sein, wenn das Unternehmen die angeforderten Aufzeichnungen zu entsprechenden außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen kurzfristig nach Anforderung, d.h. innerhalb der 30-Tage-Frist nach § 90 Abs. 3 Satz 9 AO vorlegt. Lediglich wenn das Unternehmen erst nach wiederholter Aufforderung durch die Finanzverwaltung oder gar im Rechtsbehelfverfahren gegen einen Schätzungsbescheid erstmals die Aufzeichnungen vorlegt, spricht viel dafür, dass die Aufzeichnungen verspätet oder erst nachträglich erstellt wurden. Dies zeigt, dass bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen mit einer nachträglichen Vorlage von Aufzeichnungen (Rz. 8.172) oder einer Nachbesserung bisher unverwertbarer Aufzeich1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. c. 2 Besonderheiten können sich ergeben, wenn es sich um Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen handelt, die nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO zeitnah zu erstellen sind. Vgl. dazu Rz. 8.25. 3 Vgl. Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 34.
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8.178
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
nungen (Rz. 8.177) die Anwendung von § 162 Abs. 3 AO nicht wirksam vermieden werden kann. Lediglich die Begründung für die Anwendung von § 162 Abs. 3 AO wechselt (verspätete Erstellung statt Nichtvorlage bzw. Unverwertbarkeit). Die Prüfung, ob Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen zeitnah erstellt wurden, erstreckt sich auf die relevante Geschäftsbeziehung (s. Rz. 8.27). Diese wird bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen wie Funktionsverlagerungen i.d.R. jedoch nur aus einem einzelnen Geschäftsvorfall oder mehreren gleich gelagerten Geschäftsvorfällen (z.B. Übertragung mehrerer Wirtschaftsgüter im Rahmen einer Funktionsverlagerung) bestehen. Daher kann auch direkt auf den Geschäftsvorfall oder die Gruppe aus mehreren gleich gelagerten Geschäftsvorfällen abgestellt werden. d) Zwischenergebnis
8.179
Zusammenfassung zu den Sanktionstatbeständen. Auf Basis der vorstehenden Überlegungen kann zu den Tatbestandsmerkmalen in § 162 Abs. 3 AO zusammenfassend Folgendes festgehalten werden: – Die Nichtvorlage von Aufzeichnungen ist ein vergleichsweise eindeutiges Tatbestandsmerkmal. Es ist grds. möglich, Aufzeichnungen auch nach Abschluss der Betriebsprüfung vorzulegen, um das Eintreten des Tatbestandsmerkmals zu vermeiden. Voraussetzung ist aber, dass die Bescheide für entsprechende Veranlagungszeiträume verfahrensrechtlich noch geändert und die vorgelegten Aufzeichnungen verfahrensrechtlich noch berücksichtigt werden können. – Schwieriger ist indes die Abgrenzung, wann Aufzeichnungen verwertbar sind und wann sie als „im Wesentlichen unverwertbar“ qualifiziert werden müssen. Die Aufzeichnungen sind verwertbar, wenn sie die Informationen beinhalten, die aus betriebswirtschaftlicher Sicht notwendig sind, um einen Verrechnungspreis zu bestimmen. Dies schließt neben den notwendigen Sachverhaltsinformationen (Aufteilung der Funktionen- und Risiken; methodenabhängige Daten) die im Unternehmen bzw. der Unternehmensgruppe vorhandenen Fremdvergleichsdaten (Preise, Margen, Kostenaufschläge) aus vergleichbaren Geschäften mit oder zwischen fremden Dritten ein. Geringe Mängel oder Unvollständigkeiten beeinträchtigen die Verwertbarkeit nicht. Auch hier bestehen Nachbesserungsmöglichkeiten, um im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen zu vermeiden. – Das Tatbestandsmerkmal „nicht zeitnahe Erstellung von Aufzeichnungen i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 3 AO“ weist durch die Verbindung zu § 90 Abs. 3 Satz 3 AO insbesondere das Problem auf, wann „außergewöhnliche Geschäftsvorfälle“ vorliegen. Hierzu kann dem Unternehmen nur geraten werden, möglichst alle in Frage kommenden außergewöhnlichen Geschäftsvorfälle zeitnah aufzuzeichnen. Für die Finanzverwaltung wird es allerdings in der Praxis schwierig sein, dem 1156
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
Unternehmen eine verspätete Erstellung der Aufzeichnungen nachzuweisen. 2. Widerlegbare Vermutung als Rechtsfolge Beweislastumkehr. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen von § 162 Abs. 3 Satz 1 AO für eine oder mehrere Geschäftsbeziehungen erfüllt, so tritt als Rechtsfolge zunächst eine widerlegbare Vermutung ein. Gegenstand der widerlegbaren Vermutung ist, dass die Einkünfte des Unternehmens aus den betroffenen Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen höher sind als die hierzu erklärten Einkünfte des Unternehmens. Damit geht die Beweislast für die Angemessenheit der Verrechnungspreise auf das Unternehmen über. Gelingt es dem Unternehmen nicht, für die betroffenen Geschäftsbeziehungen die Vermutung höherer Einkünfte zu widerlegen, indem das Unternehmen die Angemessenheit der zugrunde gelegten Verrechnungspreise nachweist, kann das Finanzamt eine Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO durchführen.1 Hierbei wäre dann auch die spezielle Regelung zur Bemessung der Schätzung in § 162 Abs. 3 Satz 2 AO (Rz. 8.169) zu beachten. An die Widerlegung der Vermutung in § 162 Abs. 3 Satz 1 AO sind grds. höhere Bedingungen zu stellen als an verwertbare Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO. Ansonsten würde die Regelung keinen Sinn machen.2 Dies bedeutet, dass der Steuerpflichtige die erforderlichen Daten und Nachweise beschaffen muss, um seine Preisfestsetzung zu belegen.3 Dabei reicht es aber aus, wenn sich anhand der Nachweise und Erläuterungen des Unternehmens eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Sachvortrags des Unternehmens ergibt als für die Richtigkeit der Vermutung höherer Einkünfte bzw. der Schätzung.4 Ein „100%iger“ Gegenbeweis der widerlegbaren Vermutung in § 162 Abs. 3 Satz 1 AO ist nicht erforderlich. Zu prüfen bleibt, wie sich die widerlegbare Vermutung und die nachträgliche Vorlage (Rz. 8.172) bzw. die Nachbesserung bisher unverwertbarer Aufzeichnungen (Rz. 8.177) zueinander verhalten. Soweit z.B. nach einer Schätzung auf Basis von § 162 Abs. 3 AO i.V.m. § 162 Abs. 1 AO im Einspruchsverfahren erstmals verwertbare Aufzeichnungen vorgelegt werden, fällt die Schätzungsbefugnis weg und es wird die ursprüngliche Beweislastverteilung wieder hergestellt. Damit ist es nicht mehr erforderlich, dass das Unternehmen die Vermutung höherer Einkünfte widerlegt. Die Beweislastumkehr läuft für diese Fälle ins Leere, d.h. das Unterneh1 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 66 spricht in diesem Zusammenhang davon, dass der Steuerpflichtige die „nachteiligen Folgen“ seiner unzureichenden Aufzeichnungen zu tragen hat. 2 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 317. 3 Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 35. 4 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 317.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
men muss nur die Voraussetzungen für verwertbare Aufzeichnungen erfüllen und braucht keine höheren Nachweisanforderungen zu erfüllen. Gleiches gilt, wenn bisher unverwertbare Aufzeichnungen durch die Nachbesserung von Aufzeichnungen (z.B. nach einer Schätzung) verwertbar werden. Einzig in dem Fall, dass verwertbare Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen nachweisbar verspätet erstellt worden sind, kommt der Widerlegung der Vermutung höherer Einkünfte noch Bedeutung zu. In diesem Fall ist zu prüfen, inwieweit mit den verspätet erstellten, verwertbaren Aufzeichnungen die Vermutung widerlegt werden kann. Hierbei ist nach Auffassung der Finanzverwaltung der verminderte Beweiswert zu berücksichtigen, der sich daraus ergibt, dass die Aufzeichnungen zu den außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen nicht zeitnah erstellt wurden.1 Letztlich kommt es in solchen Fällen darauf an, die Aufzeichnungen so auszugestalten und durch geeignete Unterlagen und Nachweise zu untermauern, dass die Finanzverwaltung keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Unangemessenheit des angesetzten Preises hat.2 3. Durchführung der Schätzung a) Keine eigene Schätzungsregelung in § 162 Abs. 3 AO
8.181
Schätzungsregelung. Soweit es auf Basis der Vermutung höherer Einkünfte bzw. der entsprechenden Beweislastverteilung nach § 162 Abs. 3 Satz 1 AO zu einer Schätzung der Finanzverwaltung kommt, ist zu klären, welche Grundsätze für diese Schätzungen Anwendung finden.3 Zunächst ist festzuhalten, dass die Schätzung mangels eigener Schätzungsregelung in § 162 Abs. 3 Satz 1 AO auf Basis von § 162 Abs. 1 AO erfolgen muss.4 Dies bedeutet, dass – die für eine Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen und – die hierfür allgemein geltenden Regelungen zu beachten sind. Ferner werfen die bei Verrechnungspreisen regelmäßig auftretenden Preisbandbreiten die Frage auf, auf welchen Wert aus einer Preisbandbreite bei einer Schätzung abzustellen ist. Ziel einer Schätzung in Verrechnungspreisfällen ist es, den Gewinn näherungsweise zu bestimmen und einer Besteuerung zu unterziehen, der erzielt worden wäre, wenn von vornherein fremdvergleichskonforme Ver-
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.6.1. 2 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 316. 3 Vgl. dazu Cordes/Kluge, in steueranwaltsmagazin 2013, 188 ff. 4 Vgl. Buciek in Beermann/Gosch, § 162 AO Rz. 187.
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
rechnungspreise angesetzt worden wären.1 Liegen keine anderen Anhaltspunkte für eine Schätzung vor, so hat sich die Schätzung an einer nach Erfahrung und Üblichkeit unter normalen Umständen zu erwartenden Eigenkapitalverzinsung oder Umsatzrendite zu orientieren.2 Dies gilt nach der hier vertretenen Auffassung im Ergebnis auch unabhängig von der Aufhebung von § 1 Abs. 4 AStG in der für die Jahre 2008 bis 2012 gültigen Fassung (bzw. § 1 Abs. 3 AStG in der für die Jahre bis einschließlich 2007 gültigen Fassung) mit dem AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013.3 b) Grundsätze für Schätzungen nach § 162 Abs. 1 AO Schätzungen nach § 162 Abs. 1 AO. Die allgemeine Schätzungsvorschrift in § 162 Abs. 1 Satz 1 AO erlaubt der Finanzverwaltung, Besteuerungsgrundlagen, die sie nicht ermitteln oder berechnen kann, zu schätzen, um eine Besteuerung entsprechender Sachverhalte vornehmen zu können. Sie findet u.a. Anwendung, wenn es – wie in den vorstehenden Abschnitten beschrieben – zu einer Umkehr der Beweislast nach § 162 Abs. 3 Satz 1 AO kommt und das Unternehmen die Vermutung höherer Einkünfte nicht widerlegen kann.4 Nach der Vorgabe in § 162 Abs. 1 AO ist Voraussetzung für eine Schätzung, dass entscheidungserhebliche Sachverhaltsinformationen nicht ermittelt werden können oder nur solche Informationen zur Verfügung stehen, die nicht hinreichend zuverlässig sind. Dies bedeutet für die vorliegende Fragestellung, dass die Finanzverwaltung selbst bei einer Umkehr der Beweislast nach § 162 Abs. 3 Satz 1 AO keine Schätzung vornehmen darf, wenn sie z.B. über Fremdvergleichsdaten verfügt, die eine Ermittlung von Verrechnungspreisen auch ohne eine Schätzung zulassen.5 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.5. 2 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 307.1. 3 BGBl. I 2013, 1809. 4 Weitere Fälle, in denen eine Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO vorzunehmen ist, sind in § 162 Abs. 2 Satz 1 AO aufgeführt. Die Schätzungsvoraussetzungen sind danach insbesondere dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige keine ausreichenden Erklärungen geben kann, weitere Auskünfte verweigert oder seinen erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten in Gestalt der vollständigen Sachverhaltsaufklärung (soweit rechtlich und tatsächlich möglich) nicht nachkommt. Verletzt der Steuerpflichtige Buchführungs- oder Aufzeichnungspflichten nach §§ 140 ff. AO oder kann seine Buchführung wegen Mängeln nicht nach § 158 AO der Besteuerung zugrunde gelegt werden, ist ebenfalls ein Schätzungsfall gegeben. 5 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 321.2 und Rz. 322. Es ist allerdings davon auszugehen, dass diese Situation eher ein Ausnahmefall ist. So stellt BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030, unter Abschn. II.3. klar, dass bei Verrechnungspreisen regelmäßig Schätzungen erforderlich sind. Fraglich ist überdies, ob in solchen Fällen die Voraussetzungen nach § 162 Abs. 3 AO noch vorliegen würden, da die Finanzverwaltung – soweit ihr dies möglich und zumutbar ist –
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Bei einer Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO hat das Finanzamt bestimmte Grundsätze zu beachten, die – ggf. eingeschränkt durch die Bandbreitenregelung in § 162 Abs. 3 Satz 2 AO – auch bei Schätzungen in den vorliegend interessierenden Fällen gelten: – Es müssen alle Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die für die Schätzung von Bedeutung sind.1 Auch für den Steuerpflichtigen positive (d.h. zu einer Minderung der Steuerbelastung führende) Umstände müssen Eingang in die Schätzung finden.2 – Das Ergebnis einer Schätzung muss anhand von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so bestimmt werden, dass es der Wirklichkeit möglichst nahe kommt.3 Somit ist der Wert anzusetzen, für den die größte Wahrscheinlichkeit spricht. Bei Ermittlung dieses Werts kann die Finanzbehörde auch einen Sicherheitszuschlag berücksichtigen, weil aus einer ausbleibenden Mitwirkung des Steuerpflichten bei der Sachverhaltsaufklärung i.d.R. abgeleitet werden kann, dass die vom Steuerpflichtigen erklärten Einnahmen zu gering oder seine geltend gemachten Ausgaben zu hoch sind. Auch bei Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlags muss das Ergebnis der Schätzung jedoch in sich schlüssig sowie wirtschaftlich vernünftig und möglich sein.4 Mit dem Sicherheitszuschlag soll gewährleistet werden, dass der Steuerpflichtige aus der von ihm verursachten Unsicherheit keine Vorteile zieht.5 – Unzulässig ist eine sog. „Strafschätzung“ durch das Finanzamt.6 Eine solche liegt vor, wenn das Finanzamt im Rahmen einer Schätzung bewusst – etwa um den Steuerpflichtigen zur Abgabe von Steuererklärungen zu bewegen – Werte ansetzt, die außerhalb eines wahrscheinlichen Rahmens liegen, d.h. das Schätzungsergebnis unschlüssig und wirtschaftlich nicht nachvollziehbar ist.7 Insofern wird eine Schätzung durch das Verbot der behördlichen Willkür begrenzt.8
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die Verwertbarkeit von Aufzeichnungen ggf. auch ohne weitere Mitwirkung des Unternehmens herbeiführen soll, vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.19 Buchst. c, zweiter Absatz. Vgl. Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 73 m.w.N. Vgl. Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 73 m.w.N. Vgl. Trzaskalik in H/H/Sp, § 162 AO Rz. 38 m.w.N.; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 2, 13 und 44. Vgl. Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 74 m.w.N. Vgl. BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462 = FR 1989, 375, unter Abschn. 4 der Entscheidungsgründe. Als Anwendungsbeispiele für einen Sicherheitszuschlag kommen z.B. Fälle in Betracht, in denen das Finanzamt gewisse Fehler in der Buchführung des Steuerpflichtigen ermitteln und korrigieren kann, es jedoch möglich ist, dass noch weitere Fehler dieser Art in der Gewinnermittlung enthalten sind. Ein weiteres Beispiel bilden Fälle, in denen festgestellt wurde, dass nicht alle Geschäftsvorfälle (und damit Einnahmen) aufgezeichnet wurden, und daher vermutet werden muss, dass weitere Geschäftsvorfälle verwirklicht und Einnahmen erzielt wurden, die aber ebenfalls in der Buchführung nicht enthalten sind. Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 45. Vgl. Seer, IWB 2012, 355. Vgl. BFH v. 20.12.2000 – I R 50/00, BStBl. II 2001, 381, unter Abschn. II.2.b bb. Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 44 m.w.N.
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
c) Wertauswahl bei einer Schätzung im Falle bestehender Preisbandbreiten Wertauswahl zu Lasten des Unternehmens. Muss die Finanzverwaltung wegen einer Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO eine Schätzung durchführen, so sieht § 162 Abs. 3 Satz 2 AO eine besondere Regelung zur Bemessung der Schätzung vor. Soweit die zu schätzenden Einkünfte nur auf Basis von Preisbandbreiten bestimmt werden können, kann die Finanzverwaltung bei einer Schätzung eine bestehende Bandbreite angemessener Verrechnungspreise auch zu Lasten des Unternehmens ausschöpfen, d.h. die Finanzverwaltung kann den für das Unternehmen ungünstigsten Wert der Bandbreite zugrunde legen. Der BFH hatte hierzu mit Urteil vom 17.10.2001 noch entschieden, dass sich das Finanzamt bei einer Schätzung von Verrechnungspreisen an dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Wert einer Bandbreite zu orientieren habe, da bei Preisbandbreiten grds. jeder innerhalb einer entsprechenden Preisbandbreite liegende (Verrechnungs-)Preis fremdvergleichskonform und damit angemessen ist (vgl. Rz. 5.175).1 Die Orientierung an dem für das Unternehmen günstigsten Rand einer Bandbreite konnte allerdings dazu führen, dass ein Unternehmen, welches nur unzureichende Auskünfte zu seinen Verrechnungspreisen erteilt, zu Unrecht besser gestellt wird als ein Unternehmen, welches umfangreiche Auskünfte erteilt.2 Die Rechtsprechung des BFH vom 17.10.2001 wird mit § 162 Abs. 3 Satz 2 AO außer Kraft gesetzt. Durch die Verwendung des Worts „kann“ wird die Auswahl eines Werts in das Ermessen des Finanzamts gestellt. Nach Auffassung von Vertretern der Finanzverwaltung ist dieses Schätzungsermessen so auszuüben, dass der Wert einer bestehenden Bandbreite angesetzt wird, für den die größte Wahrscheinlichkeit spricht.3 Dies stimmt zum einen mit den Vorgaben der VWG-Verfahren zur Wertauswahl bei bestehenden Bandbreiten außerhalb der Anwendungsfälle von § 162 Abs. 3 AO überein. Zum anderen entspricht dies den Grundsätzen zur Wertauswahl bei „normalen“ Schätzungen (Rz. 8.170). Existiert kein solcher Wert, für den die größte Wahrscheinlichkeit spricht, soll nach Schreiber die Bandbreite zur Beseitigung 1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, unter Abschn. III.A.2.d dd. 2 Dies begründet sich damit, dass aus der fehlenden Mitwirkung ein Informationsdefizit entsteht. Infolgedessen ergibt sich möglicherweise eine größere Bandbreite von Werten (z.B. Bandbreite für Gewinnaufschläge zwischen 0,5 % und 13 %) als bei vollständiger Vorlage der relevanten Informationen (z.B. Bandbreite für Gewinnaufschläge zwischen 4 % und 8 %). Wird nun aus dieser großen Bandbreite schematisch der für das Unternehmen günstigste Wert gewählt (z.B. 0,5 %), kann das Unternehmen besser gestellt werden als bei pflichtgemäßer Mitwirkung. Hier hätte sich auf Grund der besseren Informationslage möglicherweise nur eine geringere Bandbreite ergeben, aus der auszuwählen gewesen wäre (günstigster Wert 4 %). 3 Vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 322.1 m.w.N.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
von sog. „Ausreißerwerten“ eingeengt werden. Dies soll entweder durch Sicherheitszuschläge bzw. -abschläge1 oder durch die mathematisch-statistische Bandbreitenverengung (Rz. 8.159) nach den VWG-Verfahren geschehen. Anschließend soll aus der eingeengten Bandbreite ein Wert ausgewählt und angesetzt werden. Dabei bleibt allerdings offen, nach welchen Kriterien diese Auswahl erfolgen soll. Zu dieser Auffassung ist Folgendes anzumerken: Wenn ein Wert innerhalb einer Bandbreite existiert, dem die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit beizumessen ist, so ist es vor dem Hintergrund der in § 162 Abs. 3 Satz 2 AO vorgesehenen Ermessensmöglichkeit („kann“) vertretbar, auf diesen Wert abzustellen. Dies entspricht auch den allgemeinen Schätzungsgrundsätzen zu § 162 Abs. 1 AO. Die Schwierigkeit zu beurteilen, welchem Wert die größte Wahrscheinlichkeit beizumessen ist, sowie die diesbezügliche Kritik bleiben zwar bestehen.2 Mit dieser Vorgehensweise wird aber sichergestellt, dass die Schätzung weder an unwahrscheinlichen „Ausreißerwerten“ ausgerichtet wird, noch sich schematisch an dem für das Unternehmen ungünstigsten Rand der Bandbreite orientiert. Beides hätte ansonsten möglicherweise schwerwiegende finanzielle Belastungen für das Unternehmen zur Folge und käme einer unzulässigen Strafbesteuerung3 gleich. Lässt sich bei mehreren Werten kein Wert mit der „größten Wahrscheinlichkeit“ ausmachen, so sollte die Finanzverwaltung eine Einengung der Bandbreite nach dem Verfahren vornehmen, auf das für die Anwendung von § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG zurückgegriffen wird (Rz. 8.160). Was die Wertauswahl bei der verbleibenden Bandbreite angeht, muss konstatiert werden, dass diese sich nach § 162 Abs. 3 Satz 2 AO nicht mehr zwangsläufig an dem für das Unternehmen günstigsten Wert der verbleibenden Bandbreite orientieren muss. Die Wertauswahl innerhalb der verengten Bandbreite steht im Ermessen der Finanzverwaltung.4 Der durch das Finanzamt angesetzte Wert muss nach den allgemeinen Schätzungsgrundsätzen lediglich in sich schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglich sein. In der Praxis wird es neben der Frage, welcher Wert aus einer Bandbreite auszuwählen ist, entscheidend darauf ankommen, wie der Umfang der Bandbreite bestimmt wird. Denn gerade bei Anwendung mathematischstatistischer Verfahren zur Einengung der Bandbreite (insbesondere „Interquartile-Range“) wirkt sich die Zahl der in die Bandbreitenbetrachtung aufgenommenen Werte direkt auf die verbleibende Bandbreite aus. Zur Abgrenzung der aufzunehmenden Werte wird man darauf abstellen müs1 So z.B. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 322.3 a.E. 2 Wird als Wert mit der größten Wahrscheinlichkeit z.B. der Wert verstanden, bei dem am ehesten eine Vergleichbarkeit der Verhältnisse gegeben ist, so wirft dies die Frage auf, ob überhaupt eine Bandbreite besteht. Lassen sich keine anderen ähnlich vergleichbaren Werte finden, wäre auf diesen Wert zurückzugreifen. Einer Bandbreitenbetrachtung bedürfte es hierzu nicht. 3 Vgl. Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 42. 4 Vgl. Bruschke, DStZ 2006, 577, der vorschlägt, auf einen Mittelwert abzustellen.
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
sen, dass die den Werten zugrunde liegenden Vergleichstransaktionen oder Vergleichsunternehmen bestimmte Vergleichbarkeitskriterien (z.B. Funktionen und Risiken, Marktumfeld usw., Rz. 8.153) einheitlich erfüllen. Ergeben sich Abstufungen in der Vergleichbarkeit, ist nur die Gruppe von Werten (bzw. möglicherweise auch nur ein Einzelwert) heranzuziehen, bei denen die Vergleichbarkeit das höhere Niveau (d.h. mehr oder qualitativ wichtigere Vergleichskriterien sind erfüllt) erreicht.1 In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass für eine Schätzung in der Praxis allenfalls eingeschränkt vergleichbare Werte (i.S.d. Definition der VWG-Verfahren) zur Verfügung stehen dürften.2 Häufig dürften jedoch auch eingeschränkt vergleichbare Werte nicht vorhanden sein, so dass dann – um überhaupt Anhaltspunkte für eine Schätzung zu finden – auf Werte mit noch geringerer Vergleichsqualität zurückgegriffen werden muss, die normalerweise für einen Vergleich ungeeignet sind (z.B. Branchendurchschnittswerte).3 Je geringer die Qualität dieser Vergleichsdaten ist, desto wahrscheinlicher ist allerdings ein „Sicherheitszuschlag“ der Finanzverwaltung, um bei der Schätzung sicherzustellen, dass das Unternehmen keinen Vorteil aus dem von ihm herbeigeführten oder zu verantwortenden Beweismangel zieht (Rz. 8.182). d) Verwendung sog. „Secret Comparables“ für eine Schätzung Berücksichtigung der Daten von Vergleichsbetrieben. Umstritten war in Bezug auf Schätzungen in Verrechnungspreisfällen bisher ferner, inwieweit die Finanzverwaltung – um Anhaltspunkte für eine Schätzung zu erhalten – auf Daten (z.B. Gewinnaufschläge oder Vertriebsmargen) zurückgreifen darf, die sie aus Betriebsprüfungen bei anderen (fremden) Unternehmen gewonnen hat. Problematisch ist insoweit, dass die Finanzverwaltung aus Gründen des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) diese Daten dem Unternehmen, das von der Schätzung betroffen ist, nicht offenlegen darf.4 Infolgedessen ist dem Unternehmen eine Überprüfung dieser Daten (z.B. auch im Hinblick auf ihre Vergleichbarkeit) nicht möglich. Im finanzgerichtlichen Verfahren und im gesamten deutschen Prozessrecht besteht der Grundsatz, dass die Beteiligten des Verfahrens alle der Gerichtsentscheidung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen kennen sollen.5 Konkret sieht § 96 Abs. 2 FGO vor, dass ein Urteil im fi1 So haben z.B. nach den VWG-Verfahren eingeschränkt vergleichbare Daten keine Bedeutung mehr, wenn eine Vergleichstransaktion oder ein Vergleichsunternehmen uneingeschränkt vergleichbar ist. 2 Andernfalls sind die Voraussetzungen für eine Schätzung in aller Regel nicht erfüllt, da auf Basis des oder der uneingeschränkt vergleichbaren Werte(s) eine Verrechnungspreisermittlung ohne Schätzung möglich wäre. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.5; Schreiber, WPg 2006, 142, der dies aus BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030 unter Abschn. II.4.b bb ableitet. 4 Deshalb wird bei solchen Daten von „Secret Comparables“ gesprochen. 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 unter Abschn. III.A.2.c bb.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
nanzgerichtlichen Verfahren nur auf Tatsachen oder Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Hiermit ist es nicht vereinbar, wenn eine finanzgerichtliche Entscheidung auf Informationen zu Vergleichsbetrieben beruht (z.B. aus anderen Steuerakten), diese aus Gründen des Steuergeheimnisses gegenüber dem klagenden Unternehmen aber nicht offengelegt werden sollen.1 Der BFH lehnt daher im Urteil vom 17.10.20012 eine Einbeziehung solcher Daten bei einer Schätzung durch das FG zu Recht ab. Etwas anderes gilt, wenn das Finanzamt dem FG eine Statistik mit anonymisierten Vergleichsdaten vorlegt, nach denen die angefochtene Schätzung bemessen wurde. Die Vergleichsstatistik mag ggf. auf Daten aus Steuerakten anderer Unternehmen basieren. Die anonymisierten Daten sind durch das Steuergeheimnis grds. nicht mehr geschützt und könnten daher im finanzgerichtlichen Verfahren verwendet werden. Durch die Anonymisierung und fehlende Kontrollmöglichkeit der Datenerhebung ist der Beweiswert einer solchen Statistik jedoch erheblich eingeschränkt.3 Anders als bei „normalen“ Datenbankinformationen (z.B. aus der Datenbank „Amadeus“) können die Vergleichsunternehmen hier aus Gründen des Steuergeheimnisses nicht namentlich benannt werden, so dass eine Überprüfung der Vergleichbarkeit durch das Unternehmen von vorneherein ausscheidet. Denkbar ist allerdings, dass das Finanzamt öffentlich zugängliche Informationen zu in Frage kommenden Vergleichsunternehmen beschafft. Dies könnten z.B. Renditekennziffern sein, die aus beim Handelsregister oder im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Jahresabschlüssen von Vergleichsunternehmen hervorgehen. Zudem muss anhand der öffentlich zugänglichen Informationen eine Beurteilung der Vergleichbarkeit möglich sein. Gegen eine Verwendung dieser Daten für eine Schätzung ist dann nichts einzuwenden.
III. Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO 1. Überblick über Regelungsinhalt und Anwendungsvoraussetzungen
8.185
Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO. Neben der Beweislastumkehr und der Möglichkeit zu einer Schätzung an dem für das Unternehmen ungünstigen Rand einer Verrechnungspreisbandbreite ist nach § 162 Abs. 4 AO ein Zuschlag vorgesehen, wenn der Steuerpflichtige seinen Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO nur unzureichend nachkommt. Der Zuschlag findet in zwei Fällen Anwendung:
1 So im Ergebnis auch Tz. 3.36 a.E. OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, unter Abschn. III.A.2.c bb. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, unter Abschn. III.A.2.c cc.
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
– Nichtvorlage von Aufzeichnungen oder Vorlage von im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen Legt ein Steuerpflichtiger Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO nicht vor oder sind die vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar, ist nach § 162 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 AO ein Zuschlag zwischen 5 % und 10 % des Korrekturbetrags nach § 162 Abs. 3 AO, mindestens aber von 5 000 Euro, festzusetzen. Die Zuschlagsfestsetzung ist damit unmittelbar an die in § 162 Abs. 3 AO verwendeten Tatbestandsmerkmale geknüpft. Der Mindestzuschlag kann auch in Fällen festgesetzt werden, in denen es bei Nichtvorlage von Aufzeichnungen bzw. bei Vorlage von im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen zu keiner Berichtigung nach § 162 Abs. 3 AO kommt.1 – Verspätete Vorlage von Aufzeichnungen Bei verspäteter Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen ist ein Zuschlag von bis zu 1 Mio. Euro, mindestens jedoch von 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung, festzusetzen. Eine verspätete Vorlage ist gegeben, wenn verwertbare Aufzeichnungen erst nach Ablauf der Frist von 60 Tagen nach Anforderung (bzw. der Frist von 30 Tagen nach Anforderung von Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen)2 vorgelegt werden. Wurde die Vorlagefrist nach § 90 Abs. 3 Satz 10 AO verlängert, tritt die Verspätung erst nach Ablauf der verlängerten Frist ein. Kein Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO bei verspäteter Erstellung von Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen. Die verspätete Erstellung von Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen löst keinen Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO aus. Soweit für die Festsetzung des Zuschlags ein Rahmen zwischen einem Mindest- und einem Höchstwert besteht, liegt es im Ermessen des Finanzamts, einen innerhalb dieses Rahmens liegenden Wert festzusetzen. Dabei soll das Finanzamt den Zweck des Zuschlags, den Steuerpflichtigen zur Erstellung und fristgerechten Vorlage von Aufzeichnungen anzuhalten, beachten und insbesondere die von dem Steuerpflichtigen gezogenen Vorteile sowie die Dauer einer Fristüberschreitung berücksichtigen.3 Als Ausnahmeklausel ist in § 162 Abs. 4 Satz 5 AO vorgesehen, dass auf die Festsetzung des Zuschlags verzichtet werden kann, wenn die unzureichende Erfüllung der Aufzeichnungspflichten entschuldbar erscheint oder wenn ein Verschulden nur geringfügig ist. § 162 Abs. 4 Satz 7 AO bestimmt ferner, dass der 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.6.3. Ein Anwendungsfall hierfür könnte gegeben sein, wenn das Unternehmen keine Aufzeichnungen vorlegt, das Finanzamt die zutreffenden Einkünfte aber ohne Schätzung ermitteln kann (z.B. durch einen inneren Preisvergleich). In diesem Fall läge keine Berichtigung auf Basis von § 162 Abs. 3 AO vor, so dass kein prozentualer Zuschlag berechnet werden kann, sondern nur der absolute Betrag festzusetzen ist, vgl. Schreiber in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 326. 2 Vgl. § 90 Abs. 3 Satz 8 und Satz 9 AO. 3 Vgl. § 162 Abs. 4 Satz 4 AO.
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8.186
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Zuschlag regelmäßig erst nach Abschluss der Außenprüfung festzusetzen ist. 2. Charakter des Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO
8.187
Steuerliche Nebenleistung. Der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO stellt eine steuerliche Nebenleistung gem. § 3 Abs. 4 AO dar. Sein Zweck besteht darin, den Steuerpflichtigen zur Erstellung und fristgerechten Vorlage der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO anzuhalten und entsprechendes Fehlverhalten zu sanktionieren. Dies kommt in § 162 Abs. 4 Satz 4 AO deutlich zum Ausdruck. Als Vorbild für den deutschen Gesetzgeber bei Einführung der Zuschläge nach § 162 Abs. 4 AO diente die USGesetzgebung, die in Sec. 1.6662-6 (d)(2)(iii) IRC ähnliche Sanktionen vorsieht.1 Auch wenn in der Literatur2 hinsichtlich § 162 Abs. 4 AO von „Strafzuschlägen“ gesprochen wird, handelt es sich bei den Zuschlägen nach § 162 Abs. 4 AO um keine „Strafe“ i.S.d. deutschen Rechts.3 Der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO entspricht als steuerliche Nebenleistung vielmehr einem Verspätungszuschlag nach § 152 AO (zur ertragsteuerlichen Behandlung vgl. Rz. 8.190).4 Da es sich um eine steuerliche Nebenleistung handelt und keine besonderen Regelungen zur verfahrensrechtlichen Behandlung vorgesehen sind, ist die Festsetzung des Zuschlags ein Verwaltungsakt nach der AO, jedoch kein Steuerbescheid.5 Dies hat zur Folge, dass eine Änderung verfahrensrechtlich nach §§ 130, 131 AO weitgehend ohne Einschränkung möglich ist, während für eine Änderung von Steuerbescheiden die engeren Voraussetzungen der §§ 164, 165 AO bzw. §§ 172 ff. AO erfüllt sein müssen. Werden z.B. in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen eine Steuerfestsetzung, bei der § 162 Abs. 3 AO angewendet wurde, verwertbare Aufzeichnungen nachträglich vorgelegt, so kann der Bescheid über die Festsetzung 1 Vgl. Hahn/Ziegler, IStR 2004, 78. 2 Z.B. Vögele/Brem, IStR 2004, 48. 3 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 72. Die Frage, ob der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO als „Strafe“ einzustufen ist, ist insoweit von Bedeutung, als nach Art. 103 Abs. 3 GG eine Tat nicht mehrmals bestraft werden darf. Wäre der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO als Strafe einzustufen, würde sich ggf. eine unzulässige Doppelbestrafung ergeben, wenn ein Steuerpflichtiger durch vorsätzlich falsch angesetzte Verrechnungspreise wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO bestraft und gleichzeitig wegen unzureichender Aufzeichnungen der zugrunde liegenden Geschäftsbeziehungen ein Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO festgesetzt würde. Hahn/Ziegler, IStR 2004, 80 f. prüfen, ob § 162 Abs. 4 AO als Strafe i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen ist und bejahen dies. Eine Prüfung, inwieweit der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO als Strafe i.S.d. deutschen Rechts anzusehen ist, nehmen sie jedoch nicht vor. Hahn/Ziegler, IStR 2004, 79 weisen insoweit lediglich darauf hin, dass das Verhältnis der EMRK zum GG noch nicht als geklärt angesehen werden kann. 4 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO § 162 AO Rz. 72. 5 So zutreffend auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.6.3.
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
des Zuschlags nach § 130 Abs. 1 AO entsprechend angepasst werden.1 Gleiches muss gelten, wenn in einem Rechtsbehelfs- oder Verständigungsverfahren eine Schätzung reduziert wird, ohne dass verwertbare Aufzeichnungen vorgelegt werden.2 Für die anders lautende Auffassung der Finanzverwaltung3 besteht zumindest insoweit keine Grundlage, als der bisher festgesetzte Zuschlag die Höchstgrenze von 10 % der korrigierten Einkünfte überschreitet. 3. Bezugsgrößen für die Festsetzung des Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO Bezugsgrößen für den Zuschlag. § 162 Abs. 4 AO sieht bestimmte Oberund Untergrenzen für die Zuschlagsfestsetzung vor. Dies wirft die Frage auf, ob die Ober- und Untergrenzen sich z.B. auf einen ganzen Betriebsprüfungszeitraum, auf Steuerart und Steuerjahr oder auf jede Geschäftsbeziehung beziehen, die unzureichend dokumentiert wurde bzw. zu der Aufzeichnungen verspätet vorgelegt wurden. Aus dem Charakter des Zuschlags als steuerliche Nebenleistung (§ 3 Abs. 4 AO) lässt sich ableiten, dass nur eine Festsetzung und Berechnung pro betroffenen Veranlagungszeitraum in Betracht kommt.4 So verhält es sich auch bei anderen in § 3 Abs. 4 AO aufgeführten steuerlichen Nebenleistungen (z.B. Zinsen, Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge, u.Ä.), bei denen die Festsetzung, die Berechnung und damit auch die Berücksichtigung etwaiger Höchst- oder Mindestbeträge5 jeweils pro Steuerart und Veranlagungszeitraum erfolgt. Ausgehend von der sich auf die einzelne Geschäftsbeziehung erstreckenden Aufzeichnungsverpflichtung ergibt sich die Bemessungsgrundlage für den Zuschlag innerhalb eines Veranlagungszeitraums aus der Summe der bei den einzelnen Geschäftsbeziehungen nach § 162 Abs. 3 AO angesetzten Mehreinkünfte. Die VWG-Verfahren gehen ebenfalls davon aus, dass die Festsetzung des Zuschlags einheitlich für jeden Veranlagungszeitraum vorzunehmen ist.6 Dabei sind ggf. Zuschläge für mehrere Pflichtverletzungen (z.B. Zuschlag wegen Nichtvorlage in Bezug auf eine Anforderung sowie Zuschlag für verspätete Vorlage von Aufzeichnungen zu einer anderen Anforderung) zu einem „Gesamtzuschlag“ pro Veranlagungszeitraum zusammenzufassen. Die Berechnungsgrundlagen sind entsprechend zu erläutern.
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.6.3 Buchst. e. 2 Vgl. Bruschke, DStZ 2006, 579. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.6.3 Buchst. e. 4 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 75. A.A. Schmidt/Gröger, FR 2003, 822, die die Höchstbeträge nur einmal pro Prüfungszeitraum ansetzen. 5 Vgl. zum Verspätungszuschlag § 152 Abs. 2 AO, zu Zinsen § 239 Abs. 2 AO, zum Zwangsgeld § 329 AO. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.6.3 Buchst. d.
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8.188
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Diese Vorgehensweise ist grds. zutreffend. Eine klare Aussage fehlt aber für Fälle, in denen Aufzeichnungen zu mehreren Geschäftsbeziehungen nicht vorgelegt wurden und denen auch verschiedene Anforderungen i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 8 AO zugrunde lagen. Dies könnte z.B. der Fall sein, wenn für das Jahr 20121 zunächst Aufzeichnungen zu bestimmten Lieferbeziehungen mit verbundenen Unternehmen (Prüfungsanfrage 1) und anschließend auch Aufzeichnungen zu bestimmten Finanzbeziehungen zu verbundenen Unternehmen (Prüfungsanfrage 2) angefordert wurden. Hier hätte klargestellt werden sollen, dass für die Anwendung der Mindestbzw. Höchstgrenzen Pflichtverletzungen eines Veranlagungszeitraums zusammenzufassen sind. Wegen der unterschiedlichen Berechnungsmethoden ist lediglich zwischen dem Zuschlag für nicht vorgelegte bzw. im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen nach § 162 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 AO und dem Zuschlag für verspätet vorgelegte Aufzeichnungen nach § 162 Abs. 4 Satz 3 AO zu differenzieren. Für das o.g. Beispiel bedeutet dies folgendes: – Wurden wegen nicht vorgelegter Aufzeichnungen zu beiden Prüfungsanfragen Mehreinkünfte von 40 000 Euro bei der Prüfungsanfrage 1 und 20 000 Euro bei der Prüfungsanfrage 2 geschätzt, so beträgt der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 AO für den Veranlagungszeitraum 2008 zwischen 5 000 Euro und 6 000 Euro. Der Mindestbetrag von 5 000 Euro ist nicht zweifach anzuwenden.2 – Wurden Aufzeichnungen zu beiden Anforderungen verspätet (Verspätung Vorlage zu Prüfungsanfrage 1: 50 Tage; Verspätung Vorlage zu Prüfungsanfrage 2: 100 Tage) vorgelegt, ist die Mindestgrenze von 100 Euro pro Tag auf die Dauer der längsten Verspätung (hier: 100 Tage) zu berechnen. Dem Umstand, dass Aufzeichnungen zu mehreren Anfragen verspätet vorgelegt wurden, kann das Finanzamt im Rahmen seiner Ermessensausübung bei der Zuschlagsfestsetzung Rechnung tragen. Die Höchstgrenze von 1 Mio. Euro darf indes nicht überschritten werden. – Wurden die Aufzeichnungen zu Prüfungsanfrage 1 verspätet (80 Tage) und die Aufzeichnungen zu Prüfungsanfrage 2 nicht vorgelegt (Schätzung Mehreinkünfte 40 000 Euro), sind die Zuschläge zusammen festzusetzen. Wird für die Verspätung der Mindestzuschlag (100 Euro pro Tag) angesetzt, ergäbe sich ein Gesamtzuschlag für 2005 von 13 000 Euro (= 100 Euro/Tag × 80 Tage + 5 000 Euro). Ungeklärt sind auch die Folgen für den Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO, wenn z.B. Aufzeichnungen zu Finanzbeziehungen mit verbundenen Unternehmen für die Jahre 2007, 2008 und 2009 angefordert und verwertbare Aufzeichnungen hierzu erst verspätet vorgelegt werden. Dabei soll weiter davon ausgegangen werden, dass in den entsprechenden Jahren die gleichen oder zumindest ähnliche Sachverhalte verwirklicht worden sind, so dass die Aufzeichnungen für alle drei Jahre weitgehend identisch sind. Hier ist es nicht gerechtfertigt, den Mindestzuschlag für die Verspätung 1 Das Wirtschaftsjahr soll dem Veranlagungszeitraum entsprechen. 2 Vgl. Cordes/Kluge, in steueranwaltsmagazin 2013, 190.
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E. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO
von 100 Euro pro Tag dreifach zu erheben.1 Ebenso muss eine Höchstgrenze von insgesamt 1 Mio. Euro greifen und nicht drei Höchstgrenzen zu jeweils 1 Mio. Euro. Besonderheiten im Hinblick auf die Gewerbesteuer. Ähnliche Fragestellungen ergeben sich für das Verhältnis zwischen dem Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO und der Gewerbesteuer. Da andere steuerliche Nebenleistungen (z.B. Verspätungszuschläge und Zwangsgelder bei Nichtabgabe von Gewerbesteuererklärungen sowie Zinsen und Säumniszuschläge) pro Steuerart und Jahr festgesetzt werden, d.h. neben der Festsetzung als Nebenleistung zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer auch eine Festsetzung von Nebenleistungen zur Gewerbesteuer erfolgt, ist fraglich, ob der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO nur zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer oder zusätzlich noch zur Gewerbesteuer festgesetzt wird. Da § 162 Abs. 4 Satz 2 AO auf die Mehreinkünfte abstellt, ist grds. eine Zuschlagsfestsetzung auch zur Gewerbesteuer denkbar, denn bei einer Schätzung nach § 162 Abs. 3 AO erhöht sich ebenfalls der Gewerbeertrag als die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage. Da nach dem Wortlaut von § 162 Abs. 4 AO der „Mehrbetrag der Einkünfte“ maßgeblich ist und durch eine Korrektur nach § 162 Abs. 3 AO nur eine Art von Einkünften, nämlich gewerbliche Einkünfte, erhöht werden, ist eine zweifache Berücksichtigung der Einkünfteerhöhung bei Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer indes nicht zulässig. Dass Einkommenbzw. Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer verschiedene Steuerarten darstellen, ändert daran nichts.
8.189
4. Ertragsteuerliche Behandlung des Zuschlags Ertragsteuerliche Behandlung des Zuschlags. Der Zuschlag nach § 3 Abs. 4 AO ist eine steuerliche Nebenleistung. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 12 EStG sind Zuschläge nach § 162 Abs. 4 AO nicht abzugsfähige Betriebsausgaben. Die Vorschrift gilt seit dem Veranlagungszeitraum 2007.2
1 Hierfür spricht auch die Verwaltungsauffassung, nach der ein Sachverhalt nicht mehrmals mit einem Zuschlag zu belegen ist; vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.6.3 Buchst. c, wobei dort ein anderes Beispiel angeführt wird (keine Doppelfestsetzung gegenüber Gesellschaft und Gesellschafter bei Personengesellschaften). 2 Vgl. Art. 20 Abs. 6 des JStG 2007, BGBl. I 2006, 2878. Die Qualifikation der Zuschläge als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben lässt erkennen, dass der Gesetzgeber den Zuschlag als betrieblich veranlasst und damit dem Grunde nach als abzugsfähig ansieht. Folglich ist es nicht ohne Aussicht auf Erfolg, bei Zuschlägen in Veranlagungszeiträumen vor 2007 auf eine steuerliche Abzugsfähigkeit zu plädieren.
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8.190
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
IV. Kritische Bewertung der Sanktionsvorschriften in § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO 8.191
Fazit zu den Sanktionsvorschriften. Die Sanktionsvorschriften in § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO werden zu Recht vielfach kritisiert. Hierzu ist zunächst das äußerst unbestimmte Tatbestandsmerkmal „im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen“ in § 162 Abs. 3 Satz 1 AO zu nennen. Wenngleich die VWG-Verfahren einige Vorgaben machen bzw. einige Beispielsfälle aufführen, bleibt ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit bestehen. So ist nicht auszuschließen, dass die Unternehmen im Zweifel einen höheren Aufwand tätigen, um die Aufzeichnungspflichten zu erfüllen bzw. Sanktionsmaßnahmen auszuschließen, als eigentlich erforderlich ist. Diese Situation mag zwar ggf. für die Finanzverwaltung von Vorteil sein, da sie auf diese Weise umfangreichere Aufzeichnungen erhält als sie eigentlich erwarten könnte. Aus Sicht der Unternehmen ist dieser Zustand allerdings nicht akzeptabel. Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland dürfen in Deutschland tätige Unternehmen nicht mit zusätzlichem administrativem Aufwand belastet werden. Wenn sich ein Unternehmen freiwillig entscheidet, umfangreichere Aufzeichnungen zu erstellen, um materiellen Verrechnungspreiskorrekturen vorzubeugen, ist dies zu begrüßen. Jedoch darf hierzu kein Zwang durch die Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale der Sanktionsvorschriften und durch deren gravierende Rechtsfolgen ausgeübt werden. Zu den einzelnen Vorschriften ist Folgendes anzumerken: – Die in § 162 Abs. 3 Satz 1 AO vorgesehene Rechtsfolge einer Beweislastumkehr bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten ist sachgerecht. Sie begründet im Ergebnis eine Schätzungsbefugnis für die Finanzverwaltung, wenn das Unternehmen seinen Aufzeichnungspflichten nicht nachgekommen ist. Jedoch kann das Unternehmen dieser Schätzung entgegentreten, indem es die notwendigen Aufzeichnungen nachholt. – Die in § 162 Abs. 3 Satz 2 AO kodifizierte Möglichkeit, bei einer Schätzung von Verrechnungspreisen eine ggf. vorhandene Preisbandbreite voll auszuschöpfen, ist deshalb noch vertretbar, weil die Ermessensausübung durch die VWG-Verfahren eingeschränkt wird. So ist nach den VWG-Verfahren vorgesehen, dass sich eine Schätzung auch unter Berücksichtigung des nach § 162 Abs. 3 Satz 2 AO zulässigen Rahmens stets an dem Wert zu orientieren hat, für dessen Richtigkeit die größte Wahrscheinlichkeit spricht. Die gesetzgeberische Entscheidung, die nach der BFH-Rechtsprechung vom 17.10.20011 entstandene Rechtslage (Orientierung an dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Rand der Bandbreite) abzuändern, kann nachvollzogen werden. Andernfalls ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Unternehmen, welches nur unzureichende Auskünfte zu seinen Verrechnungspreisen erteilt, zu Unrecht besser gestellt wird als ein Unternehmen, welches umfangreiche Auskünfte erteilt (Rz. 8.183). In der Praxis muss seitens der Fi1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
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F. Internationale Ansätze zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften
nanzverwaltung aber sichergestellt werden, dass die Betriebsprüfer die Bandbreitenregelung mit Augenmaß anwenden und nicht für unzulässige „Strafschätzungen“ missbrauchen. – Abzulehnen sind die gesetzlich in § 162 Abs. 4 AO verankerten Zuschläge nach US-amerikanischem Vorbild. Sie stellen – wie Seer zutreffend feststellt – einen Fremdkörper im deutschen Besteuerungsverfahren dar.1 Hierzu trägt insbesondere die Höhe der Zuschläge bei, die in keinem Verhältnis zu den anderen im deutschen Steuerrecht enthaltenen Sanktionszahlungen steht.2 So ist ein Verspätungszuschlag nach § 152 AO auf 25 000 Euro beschränkt. Ein Zwangsgeld darf 25 000 Euro ebenfalls nicht überschreiten, wobei aber zu berücksichtigen ist, dass das Zwangsgeld auch wiederholt festgesetzt werden kann, bis die geforderte Handlung erbracht ist. Selbst eine Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen die allgemeine Buchführungspflicht ist nach § 379 Abs. 4 AO auf 5 000 Euro beschränkt, wenn der Verstoß nicht gleichzeitig eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung darstellt. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Kritik ist es wünschenswert, dass der Gesetzgeber insbesondere die Zuschlagsregelung überdenkt und ggf. abändert. Andernfalls bleibt zu hoffen, dass die Finanzverwaltung auch im Rahmen der Tatbestandsauslegung zurückhaltend agiert und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet. So wird in dem zwar bereits einige Jahre zurückliegenden aber gleichwohl insoweit noch relevanten Monatsbericht des BMF für Juni 2005 ausgeführt, dass die Sanktionen „nur in besonderen Ausnahmefällen“ zu verhängen sind.3 Letztlich dürfen mit den Sanktionen und insbesondere den Zuschlägen nach § 162 Abs. 4 AO nur solche Unternehmen getroffen werden, die bewusst die Aufzeichnungsvorschriften missachten mit der Absicht, hieraus ungerechtfertigte Vorteile zu ziehen (sog. „Beweisverderber“).
F. Internationale Ansätze zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften für die Verrechnungspreisdokumentation I. Initiativen verschiedener multinationaler Organisationen Harmonisierungsbestrebungen. Zur Vermeidung unökonomischer Doppel- oder Mehrfacharbeiten auf Grund unterschiedlicher Dokumentationsvorschriften einzelner Staaten existieren international verschiedene Harmonisierungsbemühungen für die Verrechnungspreisdokumentation. So sind Überlegungen zur Verrechnungspreisdokumentation Gegenstand 1 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 73. 2 Vgl. Lüdicke, IStR 2003, 436; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 73. 3 Vgl. BMF, Monatsbericht Juni 2005, 63.
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8.192
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
von Kapitel V der OECD-Leitlinien. Für Europa existieren Harmonisierungsbestrebungen z.B. auf Ebene der EU.1 Auch die Anrainerstaaten des Pazifiks (USA, Japan, Australien, Kanada) haben sich auf einen gemeinsamen Dokumentationsansatz verständigt (sog. PATA-Gruppe, Pacific Association of Tax Administrators).2
II. OECD-Leitlinien 1. Empfehlung an die Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung der nationalen Dokumentationsvorschriften
8.193
Empfehlungscharakter. Auf Grund der Einführung nationaler Dokumentationsvorschriften in verschiedenen Staaten gehen auch die OECD-Leitlinien auf die Dokumentation von Verrechnungspreisen ein. Hierbei handelt es sich um Vorschläge an die OECD-Mitgliedstaaten, wie Dokumentationsvorschriften inhaltlich ausgestaltet werden können und welche Informationen von einer Verrechnungspreisdokumentation umfasst werden sollen.3 Auf Grund ihres Empfehlungscharakters sind die OECD-Leitlinien allerdings sehr abstrakt und für die praktische Umsetzung der Verrechnungspreisdokumentation im Unternehmen wenig geeignet. Ferner sind sie rechtlich weder für die Staaten noch für die Steuerpflichtigen verbindlich. Hierzu bedarf es jeweils einer Rechtsgrundlage im nationalen Recht der einzelnen Staaten. Jedoch verweisen zahlreiche Staaten im Rahmen der Konkretisierung ihrer Dokumentationsvorschriften auf Kap. V der OECD-Leitlinien bzw. lehnen sich bei der inhaltlichen Ausgestaltung hieran an.4 2. Inhalte einer Verrechnungspreisdokumentation nach der Auffassung der OECD
8.194
Interessensausgleich zwischen Unternehmen und Steuerverwaltungen. Die OECD-Leitlinien gehen – wie oben (Rz. 8.193) dargestellt – zunächst davon aus, dass spezielle Regelungen zur Dokumentation von Verrechnungspreisen einer Grundlage im nationalen Recht bedürfen. Insoweit wird auch klargestellt, dass die OECD-Leitlinien nicht zu einer über die 1 Vgl. Rat der Europäischen Union, Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 1. 2 Vgl. PATA, Pacific Association of Tax Administrators Transfer Pricing Documentation Package (PATA TPD Package), 2003, abrufbar unter: http://www. ustransferpricing.com/PATA_transferpricingpackage.pdf, Stand: 18.3.2014, TPD Package, Abschn. I. Hierauf soll im Folgenden nicht weiter eingegangen werden. Zu weiteren Informationen und Quellen vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 252 ff. 3 Vgl. Tz. 5.1 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Wilmanns in Endres, Dokumentation von Verrechnungspreisen – Brennpunkte der neuen Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, 64.
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F. Internationale Ansätze zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften
jeweiligen nationalen Bestimmungen hinausgehenden Verrechnungspreisdokumentation verpflichten.1 Grundüberlegung in den OECD-Leitlinien ist, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Unternehmen und den Interessen der Steuerverwaltungen herbeizuführen.2 Dabei ist zu berücksichtigen, dass ohne die Sachverhaltsinformation des Unternehmens eine Prüfung der Angemessenheit der Verrechnungspreise nicht möglich ist.3 So sehen es die OECD-Leitlinien zu Recht als zulässig an, wenn die Staaten die Unternehmen zur Mitwirkung bei der Prüfung von Verrechnungspreisen verpflichten (z.B. Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen zur konkreten Verrechnungspreisermittlung).4 Hinsichtlich der seitens des Steuerpflichtigen zu erstellenden Unterlagen geben die OECD-Leitlinien keinen verpflichtenden Mindestkatalog vor.5 Es werden vielmehr in nicht abschließender Aufzählung Unterlagen und Informationen beschrieben, die sich als „nützlich“, „vorteilhaft“ oder „hilfreich“ erweisen können.6 Insoweit wird die Präzisierung, in welcher Art und in welcher Form die Verrechnungspreisermittlung konkret zu dokumentieren ist, weitgehend nationalen gesetzlichen Vorschriften oder nationalen Verwaltungsanweisungen überlassen. Existieren solche nationalen Regelungen nicht, liegt die inhaltliche Ausgestaltung im Ermessen des Unternehmens. Allgemein sind nach Tz. 5.17 OECD-Leitlinien für die Verrechnungspreisanalyse und damit auch für die Verrechnungspreisdokumentation Informationen – über die an den Transaktionen beteiligten Konzernunternehmen,7 – über Art und Umfang der getätigten Geschäfte,8 – über die Verteilung der Funktionen und Risiken,9 – über unabhängige Unternehmen, die ähnliche Geschäfte tätigen, und über die konkrete Ermittlung des Verrechnungspreises10 erforderlich. Ferner werden zusätzliche Informationen benannt, die ebenfalls von Bedeutung sein können. Hierzu zählen nach den Tz. 5.17 ff. OECD-Leitlinien Informationen
1 Vgl. Tz. 5.2 OECD-Leitlinien 2010. 2 So sollen z.B. die Steuerverwaltungen nach Tz. 5.6 f. OECD-Leitlinien 2010, bei der Anforderung von Unterlagen und Aufzeichnungen beachten, dass die Beschaffung entsprechender Unterlagen und Informationen dem Steuerpflichtigen mit zumutbarem Aufwand möglich ist (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). 3 Vgl. Tz. 5.2 OECD-Leitlinien 2010. 4 Vgl. Tz. 5.2 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 5.16 OECD-Leitlinien 2010. 6 Vgl. Tz. 5.16 ff. OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. dazu auch Tz. 5.18 Buchst. a–c OECD-Leitlinien 2010. 8 Vgl. dazu auch Tz. 5.18 Buchst. d und e OECD-Leitlinien 2010. 9 Vgl. Tz. 5.23 und Tz. 5.24 OECD-Leitlinien 2010. 10 Vgl. Tz. 5.4 und Tz. 5.27 OECD-Leitlinien 2010.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
– über die Geschäftsbedingungen einer Transaktion einschließlich Informationen zum Preisbildungsprozess bei Leistungen an unabhängige Unternehmen,1 zu Geschäfts- oder Managementstrategien2 und zu durchgeführten Vorteilsausgleichen,3 – über die wirtschaftlichen Verhältnisse, worunter z.B. auch Informationen zu den Markt- und Wettbewerbsverhältnissen sowie zu dem geschäftlichen Umfeld in den Bereichen zählen, in denen das Unternehmen tätig ist,4 – über die eingesetzten Wirtschaftsgüter, – über Liefer- und Abrechnungswege und – aus dem Finanz- und Rechnungswesen (z.B. in Form von Jahresabschlüssen der Konzernunternehmen, Berichten über Herstellungskosten, Entwicklungskosten, Verwaltungskosten usw.).5 Eine erkennbare Differenzierung zwischen Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation wird nicht vorgenommen. Zur Angemessenheitsdokumentation kann nach Auffassung der OECD von den Unternehmen erwartet werden, dass die Grundlagen der Preisfestsetzung aufgezeichnet werden.6 Diese Aufzeichnungen sollen auch zeigen, dass das Unternehmen bemüht war, den Fremdvergleichsgrundsatz bei Ausgestaltung seiner gruppeninternen Leistungsbeziehungen zu beachten. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die OECD-Leitlinien für den Bereich der Kostenumlageverträge in Kapitel VIII spezielle Dokumentationsvorschriften vorsehen. Diese betreffen allerdings nur spezielle Fragestellungen im Zusammenhang mit Umlagevereinbarungen (z.B. Gegenstand der Umlage, Vorteile für die Beteiligten, Ermittlung des Umlageschlüssels).7 3. Vergleich mit den nationalen deutschen Vorschriften
8.195
Abweichende Anforderungen. Die nach deutschem Recht (§ 90 Abs. 3 AO, GAufzV) erforderlichen Informationen entsprechen größtenteils den in Kap. V der OECD-Leitlinien angegebenen Informationen. So finden sich die in § 4 GAufzV und § 5 GAufzV aufgeführten Informationen auch in Kap. V der OECD-Leitlinien wieder. Was die Formulierungen zur Angemessenheitsdokumentation in § 1 GAufzV (= die Aufzeichnungen sollen das ernsthafte Bemühen des Unternehmens erkennen lassen, fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise zu vereinbaren) angeht, weist auch diese Formulierung Ähnlichkeit mit Tz. 5.4 der OECD-Leitlinien auf. Durch die Konkretisierung der diesbezüglichen Anforderungen in den 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz. Vgl. Tz.
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5.19 OECD-Leitlinien 2010. 5.19 und Tz. 5.21 OECD-Leitlinien 2010. 5.20 OECD-Leitlinien 2010. 5.22 OECD-Leitlinien 2010. 5.25 f. OECD-Leitlinien 2010. 5.4 OECD-Leitlinien 2010. 8.40 ff. OECD-Leitlinien 2010.
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F. Internationale Ansätze zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften
VWG-Verfahren werden hierzu aber spezielle deutsche Anforderungen gesetzt. Infolgedessen wird man davon ausgehen müssen, dass eine Dokumentation, die sich inhaltlich an den OECD-Standards orientiert, zumindest im Bereich der Angemessenheitsdokumentation von den Anforderungen der deutschen Finanzverwaltung abweichen kann. Zur Vermeidung steuerlicher Risiken in Form der Anwendung von § 162 Abs. 3 AO ist allerdings zu empfehlen, eine solche Dokumentation nicht ohne weiteres in Deutschland einzusetzen, sondern an die deutschen Anforderungen anzupassen.
III. EU-Ansatz zur Harmonisierung der Verrechnungspreisdokumentation 1. Übersicht über das Konzept EU-Ansatz. Der Rat der EU hat in 2006 einen Vorschlag der EU-Kommission und des von dieser eingesetzten EU Joint Transfer-Pricing-Forums zur Vereinheitlichung der Verrechnungspreisdokumentation in Europa angenommen.1 Grundlage ist, dass trotz der OECD-Empfehlungen die Regelungen der EU-Staaten im Hinblick auf Inhalt und Aufbau einer Verrechnungspreisdokumentation teilweise erhebliche Unterschiede aufweisen.2 Den Unternehmen soll die Möglichkeit gegeben werden, innerhalb Europas den Steuerbehörden eine standardisierte Verrechnungspreisdokumentation3 vorlegen zu können.4 Verbindlich für die Mitgliedstaaten sind die Regelungen zur EU TPD allerdings nicht.5 Von ihnen geht keine direkte Rechtskraft aus, wie dies z.B. bei einer Verordnung der Fall ist. Anders als bei einer Richtlinie be1 Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 1. 2 Vgl. Mitteilung der EU-Kommission über die Tätigkeit des Gemeinsamen EUVerrechnungspreisforums im Bereich der Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der EU v. 7.11.2005 (KOM/2005/0543), abrufbar unter: http://eur-lex.europa. eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:52005DC 0543:DE:HTML, Stand: 13.3.2014, Tz. 9. 3 Die standardisierte Verrechnungspreisdokumentation wird in den offiziellen Dokumenten der EU als „EU-Verrechnungspreisdokumentation (EU TPD)“ bezeichnet. Im Folgenden soll daher die Abkürzung „EU TPD“ verwendet werden. 4 Vgl. Mitteilung der EU-Kommission über die Tätigkeit des Gemeinsamen EUVerrechnungspreisforums im Bereich der Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der EU v. 7.11.2005 (KOM/2005/0543), abrufbar unter: lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:52005DC0543:DE: HTML, Stand: 13.3.2014, Tz. 11. 5 Vgl. Mitteilung der EU-Kommission über die Tätigkeit des Gemeinsamen EUVerrechnungspreisforums im Bereich der Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der EU v. 7.11.2005 (KOM/2005/0543), abrufbar unter: lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:52005DC0543:DE: HTML, Stand:13.3.2014, Tz. 27; Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unterneh-
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
steht auch keine zwingende Verpflichtung zur Umsetzung in nationales Recht. Die Regelungen zur EU TPD haben die rechtliche Stellung einer Empfehlung, bzw. ihre Einhaltung wird als „politische Verpflichtung“ der Mitgliedstaaten gesehen.1 Dies geht u.a. darauf zurück, dass für den Bereich der direkten Steuern anders als z.B. für den Bereich der Zölle und indirekten Steuern eine Harmonisierung innerhalb der EU grds. nicht vorgesehen ist.2 Eine gewisse Verbindlichkeit kommt den Regelungen allerdings insoweit zu, als der Rat der EU die Regelungen zur EU TPD einstimmig angenommen hat. Dieser wiederum ist mit Regierungsvertretern der Mitgliedstaaten (i.d.R. Regierungschefs oder Fachminister) besetzt, so dass die jeweiligen nationalen Finanzbehörden Verrechnungspreisdokumentationen akzeptieren sollten, die den Grundsätzen der EU TPD entsprechen.3 Ein Rechtsanspruch der Unternehmen hierauf besteht allerdings nicht. Ferner sehen z.B. die deutschen Vorschriften keine Erleichterungen oder Ausnahmen von der Dokumentationsverpflichtung vor, wenn von der EU TPD Gebrauch gemacht wird.4 Die EU-Dokumentation besteht aus zwei wesentlichen Teilen:5 zum einen aus dem für alle Staaten gültigen und global gehaltenen „Master-File“ und zum anderen aus dem auf das einzelne Land ausgerichteten, detaillierteren „Country-File“. Die Inhalte sollen in den folgenden Abschnitten näher erläutert werden. Entsprechend der rechtlichen Unverbindlichkeit der EU TPD haben die Mitgliedstaaten aber die Möglichkeit, auf Basis ihrer nationalen Vorschriften auch über die EU TPD hinaus Informationen des Unternehmens zu Verrechnungspreisen anzufordern.6
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men in der Europäischen Union (EU TPD) vom 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 2. Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 2; Dagnese/Kras/Mank, IWB F. 10 Gr. 2, 1921; Beudeker/Janssen, ITPJ 2006, 236. Vgl. Schnorberger/Rosenkranz/Garcia, Intertax 2006, 306. Vgl. Mitteilung der EU-Kommission über die Tätigkeit des Gemeinsamen EUVerrechnungspreisforums im Bereich der Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der EU v. 7.11.2005 (KOM/2005/0543), abrufbar unter: lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:52005DC0543:DE: HTML, Stand: 13.3.2014, Tz. 30; Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 2. § 2 AO, der völkerrechtlichen Normen Vorrang vor nationalen Steuerrechtsnormen einräumt (insbes. im Fall der DBA), ist vorliegend nicht einschlägig, da die EU TPD nicht von den Gesetzgebungsorganen des Bundes ratifiziert wurde (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) und so kein unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden ist. Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 3, Abschn. 1 Nr. 1. Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 5, Abschn. 1 Nr. 18.
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F. Internationale Ansätze zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften
2. Inhaltliche Anforderungen der EU TPD Inhalt des Master-File. Das „Master-File“ mit standardisierten Informationen soll eine Übersicht über den Konzern und sein Verrechnungspreissystem liefern.1 Das Master-File ist für alle beteiligten EU-Mitgliedstaaten relevant und ist daher allen diesen Staaten zur Verfügung zu stellen. Das Master-File soll folgende Informationen beinhalten:2 – eine allgemeine Darstellung des Unternehmens und der Unternehmensstrategie sowie der Änderungen der Unternehmensstrategie im Vergleich zu dem vorangegangenen Jahr, – eine allgemeine Beschreibung der organisatorischen, rechtlichen und operativen Struktur der Unternehmensgruppe (einschließlich Organigramm, Verzeichnis der Konzerngesellschaften und Angaben zu den Beteiligungsverhältnissen), – eine allgemeine Angabe aller verbundenen Unternehmen, die an konzerninternen Transaktionen mit Unternehmen in der EU beteiligt sind, – eine allgemeine Darstellung der konzerninternen Transaktionen mit verbundenen Unternehmen in der EU, d.h. eine allgemeine Beschreibung der Lieferungen und Leistungen (materielle und immaterielle Vermögenswerte, Dienstleistungen, Finanzgeschäfte) sowie ihres Werts, – eine allgemeine Beschreibung der übernommenen Funktionen und Risiken sowie der diesbezüglichen Änderungen im Vergleich zum vorangegangenen Jahr, – eine Übersicht über die Eigentumsverhältnisse an immateriellen Vermögenswerten (z.B. Patente, Warenzeichen und Marken, Know-how) sowie über gezahlte oder vereinnahmte Lizenzgebühren, – eine Beschreibung der konzerninternen Verrechnungspreispolitik oder des konzerninternen Verrechnungspreissystems zur Erläuterung der Fremdüblichkeit der Verrechnungspreise des Unternehmens; dies schließt u.a. auch Informationen zu den angewandten Verrechnungspreismethoden sowie den dabei angesetzten Margen- bzw. Gewinnaufschlägen ein, – eine Übersicht zu Kostenumlageverträgen, APAs und Rulings (verbindliche Auskünfte) zu Verrechnungspreisaspekten, soweit Konzerngesellschaften in der EU betroffen sind, – eine Erklärung jedes inländischen Steuerpflichtigen, auf Anforderung innerhalb angemessener Zeit im Einklang mit den innerstaatlichen Vorschriften weitere Angaben zu machen. 1 Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 3, Abschn. 1 Nr. 4.1. 2 Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 3 f., Abschn. 1 Nr. 4.2.
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8.197
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
8.198
Inhalt des Country-File. Die landesspezifische Dokumentation ergänzt als sog. Country-File das Master-File.1 Beide zusammen bilden die Gesamtdokumentation für den jeweiligen EU- Mitgliedstaat. Das Country-File soll folgende Elemente enthalten, soweit diese nicht bereits in das Master-File aufgenommen wurden:2 – eine ausführliche Beschreibung des Unternehmens und der Unternehmensstrategie sowie der Änderungen der Unternehmensstrategie im Vergleich zum vorangegangenen Jahr, – Informationen (d.h. Beschreibung und Erläuterung) zu konzerninternen Lieferungen und Leistungen (materielle und immaterielle Vermögenswerte, Dienstleistungen, Finanzgeschäfte) der Gruppenunternehmen in dem betreffenden Land einschließlich des Werts der Leistungen, – Vergleichbarkeitsanalyse (z.B. Beschreibung von Funktionen und Risiken, eingesetzten Wirtschaftsgütern, Vertragsbedingungen, wirtschaftlichen Umständen, speziellen Unternehmensstrategien), – Erläuterungen zur Auswahl und Anwendung der Verrechnungspreismethode(n), was die Gründe für ihre Auswahl sowie konkretere Informationen zu ihrer Anwendung einschließt, – Angaben zu den internen und/oder externen Vergleichsdaten, soweit diese verfügbar sind, – Darstellung der Umsetzung und Durchführung der konzerninternen Verrechnungspreispolitik. Die für eine Prüfung der Verrechnungspreise entscheidenden Informationen (insbes. Vergleichbarkeitsanalyse, Informationen zur Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode, interne und externe Vergleichsdaten) finden sich damit in dem Country-File. Neben den oben dargestellten Inhalten sollten in das Country-File zudem Informationen aufgenommen werden können, die nach nationalen Bestimmungen über die Angaben in der EU TPD hinaus erforderlich sind. Dies sieht die EU TPD allerdings nicht explizit vor. Auf diese Weise könnte sichergestellt werden, dass den nationalen Anforderungen auch bei Verwendung der EU TPD Rechnung getragen wird. Soweit die Mitgliedstaaten auf solchen Ergänzungen bestehen, stellt dies allerdings den Sinn und Zweck der EU TPD in Frage. Denn eine Vereinheitlichung lässt sich kaum erreichen, wenn nationalen Besonderheiten gleichwohl Rechnung zu tragen ist.
1 Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 4, Abschn. 1 Nr. 5.1. 2 Vgl. Rat der Europäischen Union Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 4, Abschnitt 1, Nr. 5.2.
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F. Internationale Ansätze zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften
3. Vergleich mit den nationalen deutschen Vorschriften Übereinstimmungen und Unterschiede. Inhaltlich besteht auch zwischen den Regelungen der EU TPD und den deutschen Regelungen eine weitgehende Übereinstimmung. So sind die in § 4 GAufzV aufgeführten Informationen mit Ausnahme der Angaben zur Wertschöpfungskette und zu Wertschöpfungsbeiträgen auch Gegenstand des Master File oder des Country-File der EU TPD. Die in § 5 GAufzV für besondere Fälle vorgesehenen ergänzenden Angaben sind in den EU TPD-Regelungen nur teilweise aufgeführt. Soweit hier keine Übereinstimmung besteht (z.B. sind in der EU TPD keine besonderen Aufzeichnungen bei Preisanpassungen oder über Verlustursachen vorgesehen), muss allerdings beachtet werden, dass auch nach den deutschen Aufzeichnungsregelungen das Fehlen dieser Informationen nicht zu einer im Wesentlichen unverwertbaren Dokumentation führt (Rz. 8.90). Unterschiede bestehen indes im Bereich der Angemessenheitsdokumentation. Hier muss damit gerechnet werden, dass die deutsche Finanzverwaltung die nach der EU TPD lediglich erforderliche Erläuterung der Fremdüblichkeit der Verrechnungspreise und die Einbeziehung ohnehin vorhandener Fremdvergleichsdaten als nicht ausreichend ansehen wird.1 Infolgedessen wird man – wenn eine europaweite Dokumentation erstellt werden soll – für Deutschland im Country-File die über die Standards der EU TPD hinausgehenden Anforderungen der deutschen Finanzverwaltung an die Angemessenheitsdokumentation erfüllen müssen. Andernfalls bleibt ein nennenswertes Risiko, dass die deutsche Finanzverwaltung die vorgelegte Dokumentation ganz oder in Teilbereichen als im Wesentlichen unverwertbar ansieht.
8.199
4. Praktische Überlegungen zu einer möglichst weitgehenden Vereinheitlichung bei Anwendung der EU TPD Praxisansatz bei Anwendung der EU TPD. An einer dokumentationspflichtigen Transaktion (z.B. Lieferung von Waren eines deutschen Herstellers an eine spanische Vertriebstochtergesellschaft) sind i.d.R. verbundene Unternehmen aus zwei oder mehreren Staaten beteiligt. Eine Dokumentationserleichterung ergibt sich für solche Transaktionen daher nur, wenn auf die zwei- oder mehrfache Darstellung der Transaktion verzichtet werden kann, d.h. es muss vermieden werden, dass die Transaktion in zwei oder mehreren Country-Files in verschiedener Weise aufzuzeichnen ist. Insoweit sehen auch die Regelungen zur EU TPD die Möglichkeit vor, zusätzliche Informationen (z.B. die Vergleichbarkeitsanalyse) in das Master-File aufzunehmen.2 Auf diese Weise könnten weitere Teile der Dokumentation vereinheitlicht werden. Ferner muss nicht zwingend eine lan1 Vgl. Schnorberger/Rosenkranz/Garcia, Intertax 2006, 308 f. 2 Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 4, Nr. 7.
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8.200
Kapitel 8 Dokumentationspflichten
desspezifische Dokumentation für die komplette Tätigkeit der Unternehmensgruppe in einem Land erstellt werden, sondern es sind auch separate „Dokumentationseinheiten“ für jedes Unternehmen und jeden Tätigkeitsbereich in einem Land möglich.1 In diesem Zusammenhang ist zu überlegen, wie eine Vereinheitlichung in einer Unternehmensgruppe vorgenommen werden kann, die aus einem in einem Land ansässigen Strategieträger (bzw. Central Entrepreneur) und in anderen Ländern ansässigen funktionsausübenden Einheiten (z.B. Vertriebsgesellschaften oder Auftragsproduzenten) besteht. Solche Strukturen sind in der Praxis häufig anzutreffen. In diesen Fällen wird die Verrechnungspreisdokumentation regelmäßig in der Weise aufgebaut, dass die Angemessenheit der an die funktionsausübenden Einheiten verrechneten Preise dargelegt wird und sich daraus die Angemessenheit des Gewinns des Strategieträgers als Residualgröße ergibt (Rz. 8.102). Bezogen auf die EU TPD würde es sich insoweit anbieten, die Dokumentation der Leistungsbeziehungen mit den funktionsausübenden Einheiten in den für diese erstellten Country-Files vorzunehmen und diese jeweils so auszugestalten, dass sie auch den Dokumentationsanforderungen des Ansässigkeitsstaats des Strategieträgers entsprechen. Ein Country-File für den Ansässigkeitsstaat des Strategieträgers ist dann entbehrlich. Befänden sich z.B. der Strategieträger in Deutschland und funktionsausübende Einheiten in Portugal, Frankreich und Italien, so wären die Leistungsbeziehungen zu den funktionsausübenden Einheiten in den Country-Files für Portugal, Frankreich und Italien abzubilden. Eine zusätzliche Abbildung dieser Leistungsbeziehungen (d.h. insbesondere der Warenlieferungen) im deutschen Country-File wäre dann entbehrlich, wenn die Dokumentation in den anderen Country-Files den deutschen Anforderungen genügt. Soweit Dienstleistungen von dem deutschen Strategieträger (z.B. im Bereich der Unternehmensverwaltung) an eine Vielzahl von Tochtergesellschaften zu gleichen Konditionen erbracht werden, ist es dagegen sinnvoll, diese in der deutschen Country-File aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen so auszugestalten, dass sie auch die Anforderungen der anderen Staaten erfüllen. 5. Entscheidungskriterien für das Unternehmen zur Anwendung der EU TPD
8.201
Keine uneingeschränkte Empfehlung zur Anwendung der EU TDP. Die Anwendung der EU TPD ist für die Unternehmen freiwillig.2 Damit besteht ein Wahlrecht seitens des Unternehmens, auf die Möglichkeit der EU TPD zurückzugreifen oder nicht. Werden die Regelungen der EU TPD 1 Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 4, Nr. 8. 2 Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 5, Nr. 10.
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F. Internationale Ansätze zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften
angewendet, muss dies aber einheitlich für alle Gruppenunternehmen erfolgen, die in der EU ansässig sind,1 d.h. einzelne Gruppenunternehmen können grds. nicht ausgeklammert werden.2 Bei Ausübung des Wahlrechts ist Folgendes zu bedenken: – Die Anwendung der Regelung der EU-Dokumentation führt ggf. zu administrativen Erleichterungen und senkt damit ggf. die Befolgungskosten. – Der Steuerpflichtige soll Schutz vor Strafzuschlägen haben, wenn die EU-Dokumentation vollständig erstellt wird. – Die Finanzverwaltungen sollen im Rahmen der EU TPD auch die Verwendung von Vergleichsdaten ausländischer Unternehmen bzw. aus europäischen Datenbanken zulassen.3 – Die Regelungen der EU TPD sind – wie oben dargelegt – kein unmittelbar anwendbares Recht. Infolgedessen müssen inhaltlich jedenfalls die nationalen Vorschriften vollumfänglich erfüllt werden, wenn Sanktionen in Form von Zuschlägen o.Ä. sicher vermieden werden sollen. Dies ist praktisch möglich. Es führt allerdings zu administrativem Mehraufwand. – Das Master-File ist in allen betroffenen EU-Staaten vorzulegen. Es enthält aber Informationen, die ggf. bisher den einzelnen Finanzverwaltungen nicht zugänglich waren.4 Hierzu zählen insbesondere Daten zur Gewinnsituation der Unternehmensgruppe bzw. zur Allokation des Gewinns bei den Unternehmen der Gruppe. Hat z.B. ein Konzern aus einem EU-Mitgliedstaat in Deutschland eine Vertriebstochtergesellschaft, so besteht nach deutschem Recht i.d.R. keine Verpflichtung, Details der ausländischen Gesellschaften gegenüber der deutschen Finanzverwaltung zu dokumentieren. Die Dokumentationspflicht beschränkt sich vielmehr auf die für die Dokumentation der Vertriebsbeziehung notwendigen Daten. Bei Verwendung der EU-Dokumentation würde hingegen die deutsche Finanzverwaltung einen Überblick auch über die nicht Deutschland betreffenden Transaktionen innerhalb der Gruppe bekommen. Dies kann in der Praxis ggf. zu einer Ausdehnung der Betriebsprüfung im Bereich der Verrechnungspreise führen und ist daher unternehmensseitig häufig nicht gewünscht. 1 Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 5, Nr. 10. 2 Ausnahmemöglichkeiten bestehen in hinreichend begründeten Fällen. So können z.B. neu erworbene Unternehmen von der EU TPD ausgenommen werden, vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 5, Nr. 10. 3 Vgl. Entschließung des Rates der EU zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) v. 27.6.2006, in ABl. EU 2006/C 176, 6, Nr. 25. 4 Vgl. Schnorberger/Rosenkranz/Garcia, Intertax 2006, 311.
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Kapitel 8 Dokumentationspflichten
Da mit der EU TPD nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile einhergehen, kann keine uneingeschränkte Empfehlung zur Verwendung der EU TPD ausgesprochen werden. Eine Vereinheitlichung der Verrechnungspreisdokumentation kann ggf. auch außerhalb der EU TPD erfolgen, zumal die EU TPD mangels Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten keine Rechtssicherheit schaffen kann.
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Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung Literatur Schrifttum (Mitwirkungspflichten und Beweislast): Andresen, Neue gesetzliche Verpflichtung zur Dokumentation von Verrechnungspreisen: Handlungsbedarf für grenzüberschreitend tätige Unternehmen, RIW 2003, 489; Baumhoff, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen, IStR 2003, 1; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 1549; Böcker, Aktuelle Erfahrungen bei der Prüfung von Kostenumlageverträgen mit ausländischenverbundenen Unternehmen, StBp. 2008, 8; Braun/Hof, Die Verrechnungspreisdokumentation vor dem Hintergrund der Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, IStR 2005, 69; Brozat, Die Konkretisierung der erhöhten Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 2 AO) bei Zahlungen ins Ausland, DStR 1983, 76; Crezelius, Steuerrechtliche Verfahrensfragen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, IStR 2002, 433; Dreßler, Unbeachtlichkeit ausländischer Auskunftsverbote im deutschen Steuerrecht, StBp. 1992, 149; Eigelshoven/ Nientimp, Die Dokumentation angemessener Verrechnungspreise nach den Verwaltungsgrundsätze-Verfahren: Eine kritische Analyse, DB 2005, 1184; Englisch, Europarechtliche Einflüsse auf den Untersuchungsgrundsatz im Steuerverfahren, IStR 2009, 37; Frotscher, Mitwirkungs-, Nachweis- und Dokumentationspflichten im internationalen Steuerrecht, in Lüdicke (Hrsg.), Forum der internationalen Unternehmensbesteuerung, Bd. 23, 2002, 167; Frotscher, Verfassungsrechtliche Fragen zu den Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen und den Rechtsfolgen ihrer Verletzung, Festschrift für Franz Wassermeyer, 2005, 391; Hagen, Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten des Stpfl. bei Sachverhalten mit Auslandsbezug und Rechtsfolgen bei Pflichtverletzung, StBp. 2005, 33; Hruschka, Feststellungslast und Mitwirkungspflicht bei Auslandsbetriebsstätten, IStR 2002, 753; Kempermann, Amtsermittlung, Mitwirkungspflichten und Beweislast bei Auslandssachverhalten, FR 1990, 437; Korts/Korts, Ermittlungsmöglichkeiten deutscher Finanzbehörden bei Auslandssachverhalten, IStR 2006, 869; Ritter, Beweislast und Vermutungsregeln bei internationalen Verrechnungspreisen, DStJG Bd. 8 (1985), 91; Schnitger, Die erweiterte Mitwirkungspflicht und ihre gemeinschaftsrechtlichen Grenzen, BB 2002, 332; Schnorberger, Die Viererkette oder der Mindestumfang verwertbarer Verrechnungspreisdokumentation, DB 2009, 2010; Seer, Steuerverfahrensrechtliche Bewältigung grenzüberschreitender Sachverhalte, Festschrift für Harald Schaumburg, 2009, 151 ff.; Seer, Kodifikation von Dokumentationspflichten über die Verrechnungspreisgestaltung im multinationalen Konzern?, FR 2002, 380; Vögele/Brem, Die neue Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO – Systematik, Aufbau und Struktur der Verrechnungspreisdokumentation, IStR 2004, 48; Vögele/Vögele, Vorschriften zur Verrechnungspreisdokumentation im SteVergAbG – Erste Antworten auf wesentliche Fragen, IStR 2003, 466; Wassermeyer, Dokumentationspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen – zum 2. Entwurf einer VO zu § 90 Abs. 3 AO, DB 2003, 1535; Wehnert/Selzer, Verrechnungspreise – Grenzen der Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO, DB 2005, 1295; Wehnert u.a., Dokumentation von Verrechnungspreislisten – Ausgewählte Aspekte der Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, IStR 2005, 714 (Teil I), 749 (Teil II). Schrifttum (internationaler Informationsaustausch): Adonnino, Der Informationsaustausch zwischen den Finanzverwaltungen in Festschrift für Karl Beusch, 1993, 25 ff.; Benecke/Schnitger, Internationale Amtshilfe nach der Änderung des OECDMusterabkommens 2000, IWB F. 10 (International) Gr. 2, 1517 (1517 ff.); Carl/Klos, Die EG-Amtshilfe in Steuersachen, INF 1994, 193 (Teil I) und INF 1994, 238 (Teil II); dies. Subsidiarität der zwischenstaatlichen Amtshilfe gegenüber inner-
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Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung staatlichen Ermittlungsmöglichkeiten?, RIW 1995, 146; Carl/Klos, Geheimnisschutz bei der internationalen Amtshilfe in Steuersachen, IStR 1995, 225; Carl/ Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 1995; Czakert, Der internationale Informationsaustausch bei der Festsetzung und Beitreibung von Steuern, IStR 2010, 567; Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, 1987; Drüen, Rechtsrahmen und Rechtsfragen der multilateralen Betriebsprüfung, DStR-Beih. 41/2013, 82; Eisgruber, Praxiserfahrungen zu Joint Audits, DStR-Beih. 41/2013, 89; Fischer, Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet des zwischenstaatlichen Auskunftsverkehrs in Steuersachen, DB 1984, 738; Gabert, Die neue EU-Amtshilferichtlinie, IWB 2011, 250; Hendricks Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004; Hendricks, Zur Zulässigkeit einer Spontanauskunft an die US-amerikanische Steuerverwaltung, Anm. zum BFH-Beschl. v. 17.9.2007 – I B 30/07, IStR 2008, 33; Herlinghaus, Möglichkeiten und Grenzen des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen des Informationsaustausches, FS Herzig, 2010, 933 ff.; Höppner, Internationale steuerliche Amtshilfe – Stand und Perspektiven, Festschrift für Hans Flick, 1997, 817; Lohr, Der internationale Auskunftsverkehr im Steuerverfahren, 1993; OECD, Verbesserung des Zugangs zu Bankinformationen für Besteuerungszwecke, 2000; Pistone/Gruber, Die Möglichkeiten zur Verweigerung des Informationsaustausches nach Art. 26 OECD-MA in Lang/Schuch/Staringer (Hrsg.), Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 2011; Ritter, Internationale Steuerauskunft in rechtsstaatlicher Sicht, DStZ/A 1974, 267 und JbFfStR 1974/75, 244; Ritter, Schutzbedürftige Interessen der Steuerpflichtigen beim Internationalen Auskunftsverkehr, in K. Vogel (Hrsg.), Internationale Steuerauskunft und Verfassungsrecht, 1987, 17 ff.; Runge, Der Informationsaustausch als zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen, RIW/AWD 1979, 73; Seer, Steuerverfahrensrechtliche Bewältigung grenzüberschreitender Sachverhalte, Festschrift für Harald Schaumburg, 2009, 151 ff.; Seer, Ausbau des grenzüberschreitenden Informationsaustauschs, IWB F. 10 Gr. 2, 2067; Seer, Recent Development in Exchange of Information within the EU for Tax Matters, EC Tax Review 2013, 66; Seer/Gabert, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuersachen, StuW 2010, 2; Seer/Gabert, „Tax Information Exchange Agreements“ (TIEA) und das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz 2009 als neue Instrumente zur Bekämpfung von Steueroasen, Ubg 2010, 358; Staringer, Steuervollzug bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, DStJG Bd. 31, S. 135 ff.; Staringer, Geheimnischutz und steuerlicher Informationsaustausch, in Holoubeck/Lang (Hrsg.), Verfahren der Zusammenarbeit von Verwaltungsbehörden in Europa, 2012, 241 ff.
A. Amtsermittlungsgrundsatz und Mitwirkungspflichten 9.1
Mitwirkung. Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 AO ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt von Amts wegen. Tatsächlich bedient sie sich jedoch zur Erfüllung dieser Pflicht der Mitwirkung der Steuerpflichtigen oder anderer beteiligter Personen. Die Mitwirkungspflicht kann sich als eine Offenlegungspflicht (90 Abs. 1 Satz 2 AO), eine Beweismittelangabe- bzw. -beschaffungspflicht (90 Abs. 1 Satz 2 AO) und/oder eine Aufzeichnungsoder Dokumentationspflicht (§ 90 Abs. 3 AO) darstellen. Die Mitwirkungspflichten werden von einer Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht überlagert. Speziell bei der Aufklärung von Sachverhalten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland realisiert wurden, bestehen gem. § 90 Abs. 2 AO erweiterte Mitwirkungspflichten. Die in § 90 Abs. 1 Satz 1 AO geregelte allgemeine Mitwirkungspflicht der Steuerpflichtigen wird 1184
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Wassermeyer/Hendricks
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A. Amtsermittlungsgrundsatz und Mitwirkungspflichten
in zahlreichen Vorschriften konkretisiert (vgl. §§ 93, 94, 95, 97, 100, 135, 136, 137 ff., 140 ff., 149 ff., 200 AO, § 4 Abs. 3 S. 5 und Abs. 7 EStG, § 22 UStG). Der BFH hatte durch Urteil vom 17.10.20011 festgestellt, dass es damals an einer Gesetzesgrundlage für die Anforderung spezieller Dokumentationspflichten außerhalb der normalen Buchführung fehle. Darauf hat der Gesetzgeber in § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV vom 13.11.20032 eine entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen (zu Einzelheiten vgl. Rz. 8.6 ff.). Verpflichtete Person. Nach § 90 Abs. 1 AO sind die Beteiligten zur Mitwirkung verpflichtet. Wer Beteiligter ist, ergibt sich aus § 78 AO. Kommen mehrere Personen als Beteiligte in Betracht, so hat die zuständige Finanzbehörde im Rahmen einer Ermessensentscheidung die Person zu ermitteln, die zur Mitwirkung angehalten werden soll. Es ist auch denkbar, mehrere Personen gleichzeitig oder nacheinander zur Mitwirkung aufzufordern. Die Mitwirkung muss zwar zur Aufklärung des für die Besteuerung maßgebenden Sachverhaltes notwendig, verhältnismäßig, erfüllbar und zumutbar sein.3 Für den einzelnen Beteiligten besteht jedoch kein allgemeines Verweigerungsrecht. Die Mitwirkung kann gem. § 328 AO erzwungen werden. Die so verpflichtete Person kann allenfalls geltend machen, zur erfolgreichen Mitwirkung nicht in der Lage zu sein. Die Beteiligten müssen ggf. auch sie belastende Informationen an die Finanzbehörde weiterleiten. Grenze der Mitwirkung ist allerdings die Bezichtigung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO).
9.2
Mitwirkungspflicht und eigene Sachaufklärungspflicht der Finanzbehörde. Durch die Mitwirkungspflichten der Beteiligten wird die eigene Sachaufklärungspflicht der Finanzbehörde nicht suspendiert.4 Die Finanzbehörde hat den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Sie bedient sich dabei der in § 92 AO genannten Beweismittel. Dazu gehört auch die in §§ 111 ff. AO geregelte Rechts- und Amtshilfe. Die Finanzbehörde entscheidet auf der Grundlage freien Ermessens, welches Beweismittel sie zur Sachverhaltsaufklärung einsetzt. Dabei muss sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, d.h. sie darf nur solche Beweismittel heranziehen, die objektiv zur Sachverhaltsaufklärung geeignet sind. Die Person, die zur Sachverhaltsaufklärung in Anspruch genommen wird, muss nicht nur zur Aufklärung in der Lage sein; die entsprechende Mitwirkung muss auch zumutbar sein. Nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AO dürfen Dritte nur in Anspruch genommen werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten zu keinem Erfolg geführt hat. Dem Steuerpflichtigen bleibt
9.3
1 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 Gewnnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV) v. 13.11.2003, BGBl. I 2003, 2296 = BStBl. I 2003, 739 i.d.F. des Art. 9 des Gesetzes v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 3 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 13 und § 92 AO Rz. 5 ff. 4 Vgl. BFH v. 18.11.2008 – VIII R 24/07, BStBl. II 2009, 518; v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731.
Wassermeyer
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Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
es unbenommen, andere Beweismittel in das Verfahren einzuführen. Allerdings kann die Finanzbehörde auf die Richtigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen vertrauen, soweit diese nicht offensichtlich widersprüchlich sind. Umgekehrt begründet die in § 90 Abs. 1 Satz 1 AO geregelte allgemeine Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen noch keine Beweisführungs- und Nachweispflicht. Eine entsprechende Pflicht kann sich allerdings aus Vorschriften wie § 90 Abs. 3 AO ergeben. Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht, so schränkt dies die Pflicht der Finanzbehörde, den Sachverhalt zu erforschen, nicht ein. Die Finanzbehörde kann allerdings das Verhalten des Steuerpflichtigen beweismäßig würdigen und gem. § 162 AO schätzen, wenn sie glaubt, den Sachverhalt nicht aufklären zu können.
9.4
Sachaufklärung durch das FG. Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO trifft auch das FG die Verpflichtung, den Sachverhalt in einem Gerichtsverfahren selbst und von Amts wegen zu erforschen. Das FG ist also nicht an irgendwelche Beweisanträge gebunden. Es kann die Beteiligten gem. § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO an der Sachverhaltserforschung beteiligen. Dabei muss es die Beteiligung sowohl des Klägers als auch des Beklagten in Betracht ziehen, soweit beide gleichermaßen zur Sachaufklärung beitragen können. Dies gilt insbesondere für die Erforschung ausländischen Rechts. Ausländisches Recht ist nicht revisibles Recht, weshalb der BFH an die Feststellung ausländischen Rechts durch das FG gem. § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist. Das zuständige Finanzamt muss auch zur Sachverhaltsaufklärung durch Informationsaustausch gemäß einem DBA herangezogen werden, weil nach Art. 26 OECD-MA nur die zuständigen Behörden zum Informationsaustausch untereinander berechtigt und verpflichtet sind.
9.5
EU-rechtliche Einflüsse auf den Untersuchungsgrundsatz. Das EuGHUrt. v. 27.1.20091 belegt, dass auch das EU-Recht Einfluss auf den Untersuchungsgrundsatz nimmt. Maßgebend ist heute die EU-Amtshilferichtlinie.2 Aus ihr ergibt sich das Verbot, die Aufklärung von Auslandssachverhalten mit unverhältnismäßigen Anforderungen an den Steuerpflichtigen zu verbinden. Diskriminierungen oder Beschränkungen können dennoch aus Gründen des Art. 55 i.V.m. Art. 46 Abs. 1 EG sowie durch den ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein.3 Als zwingender Grund des Allgemeininteresses gilt insbesondere das Erfordernis einer wirksamen Steueraufsicht.4 Zulässig ist danach der Erlass besonderer Verfahrensvorschriften mit dem Ziel, den Finanzbehörden die Möglichkeit an die Hand zu geben, Auslandssachverhalte ausreichend aufzuklären. 1 EuGH v. 27.1.2009 – Rs. C-318/07 – Persche, FR 2009, 230 = IStR 2009, 171. 2 EU-AmtshilfeRL v. 25.2.2011 211/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der RL 77/799/EWG, ABl. Nr. L 64/1. 3 Vgl. EuGH v. 18.10.2012 – Rs. C-498/10 – X, IStR 2013, 26 Rz. 36; v. 19.12.2012 – Rs. C-577/10 – Kommission ./. Belgien, EuZW 2013, 234, Rz. 44; BFH v. 10.4. 2013 – I R 45/11, FR 2013, 961 = ISR 2013, 347 m. Anm. Andresen. 4 Vgl. Englisch, IStR 2009, 37 ff.; Schwenke in DStJG Bd. 33, 273 (289 ff.).
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B. Erweiterte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten
B. Erweiterte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten Besonderheit. Bei Auslandssachverhalten besteht die Besonderheit, dass Aufklärungen im Ausland durchgeführt werden müssen, jedoch die hoheitlichen Befugnisse der Finanzbehörden in der Regel an der deutschen Grenze enden. Zwar gibt es einen abkommensrechtlichen Informationsaustausch. Die Handhabung desselben ist jedoch häufig schwierig. Auch verfügen die ausländischen Finanzbehörden oft ebenso wenig über das erforderliche Tatsachenwissen, das zusätzlich unter deutsches Steuerrecht subsumiert werden muss. Es ist deshalb nachvollziehbar und dem Grunde nach nicht zu beanstanden, wenn § 90 Abs. 2 AO eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten begründet. Der Steuerpflichtige muss den Auslandssachverhalt nicht nur darlegen, sondern auch aufklären. Er muss die notwendigen Beweismittel benennen und im Inland vorlegen. Dies gilt insbesondere für im Ausland ansässige Zeugen. Sie müssen vom Steuerpflichtigen zu einem zu vereinbarenden Vernehmungstermin gestellt werden.1 § 90 Abs. 2 AO wird durch Vorschriften wie § 90 Abs. 3 AO i.V.m. der GAufzV und §§ 16 und 17 AStG ergänzt (zu Einzelheiten zu § 90 Abs. 2 AO und dem Verhältnis zu § 90 Abs. 3 AO vgl. Rz. 8.4 f.).
9.6
Tätigkeiten nahestehender Personen. Soweit die Anwendung des § 1 Abs. 4 AStG n.F. auf eine Tätigkeit abstellt, die eine nahestehende Person ausübt, können sich Nachweisprobleme und Beweislastfragen ergeben. Dazu ist § 90 Abs. 2 AO zu beachten, d.h. der Steuerpflichtige hat unter Ausschöpfung aller rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen.2 Verletzt er seine gesetzliche Mitwirkungspflicht, so kann das Finanzamt deshalb nicht „blind“ oder „automatisch“ eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG n.F. unterstellen. Vielmehr löst die Verletzung von § 90 Abs. 2 AO nur eine Reduzierung des Beweismaßes aus. Es ist auf der Grundlage des Sachverhaltes zu besteuern, für dessen Verwirklichung die größte Wahrscheinlichkeit spricht, ohne dass der Sachverhalt weiter aufgeklärt werden muss. Das FA darf seinerseits weitere tatsächliche Feststellungen treffen, die zumindest in der Form eines Anscheinsbeweises den Rückschluss auf eine bestehende Geschäftsbeziehung erlauben. Behauptet z.B. der Steuerpflichtige, einer nahestehenden Person ein Darlehen zur Errichtung eines eigen genutzten Hauses gegeben zu haben, so muss das FA den Gegenbeweis führen, dass das Darlehen vom Empfänger z.B. für gewerbliche Zwecke verwendet wurde. In diesem Sinne trägt
9.7
1 Vgl. BFH v. 26.10.1998 – I B 48/97, BFH/NV 1999, 506, unter II. 2. b aa der Gründe; v. 21.4.1995 – VIII B 133/94, BFH/NV 1995, 954; v. 29.3.2000 – X B 95/99, BFH/NV 2000, 1222; v. 12.10.2000 – VIII B 491/99, BFH/NV 2001, 463. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 822.
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Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
das Finanzamt auch die objektive Beweislast1 dafür, dass der „Vertragspartner“ eine dem Steuerpflichtigen nahestehende Person ist.
9.8
Verwaltungsgrundsätze 1983. Die Finanzverwaltung hat im BMF-Schreiben v. 23.2.19832 allgemeine Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen erlassen. In Rz. 1.4.1–1.4.4 behandelt sie allgemeine Grundsätze, die (angeblich) bei der Prüfung von Aufwendungen gegenüber nahestehenden Personen gelten sollen. Die dort vertretene Rechtsauffassung entspricht in vieler Hinsicht nicht der Rechtsprechung des BFH. So ist allgemein von einem Unternehmen die Rede, während die angesprochenen Anweisungen nur Kapitalgesellschaften betreffen. Es wird ferner der Eindruck erweckt, als könnten Aufwendungen, die ihre Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis haben, keine Betriebsausgaben sein. Das Gegenteil ist richtig.3 Der Betriebsausgabenabzug ist Voraussetzung für die sich anschließende Anwendung der Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Entsprechend liegen auch dann Betriebsausgaben vor, wenn es an einer im Voraus getroffenen und eindeutigen Vereinbarung fehlt. Das Fehlen begründet nur die Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Richtig ist, dass bei unentgeltlichen Leistungen das Fehlen einer Entgeltvereinbarung der Anwendung des § 1 nicht entgegensteht.4
9.9
Verwaltungsgrundsätze-Verfahren. Die Finanzverwaltung hat durch BMF-Schr. v. 12.4.20055 sog. Verwaltungsgrundsätze-Verfahren (VWGVerfahren) zur Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen und zwischen anderen nahestehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 AStG erlassen. Nach Tz. 7 VWG-Verfahren ersetzen dieselben die Tz. 7 und 8 des BMF-Schreibens vom 23.2.1983.6 In den VWG-Verfahren werden zunächst die Pflichten und sodann die Rechte der Finanzbehörden betont. Es wird auf die Möglichkeit hingewiesen, Unterlagen aus Steuerakten von Vergleichsunternehmen anzufordern.7 Entsprechende Informationen dürfen nur anonymisiert weitergegeben werden.8 Die Mitwirkungspflichten der Beteiligten sind in allgemeine Mitwirkungspflichten (Tz. 3.2) und erhöhte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten (Tz. 3.3) unterteilt. Tz. 3.4 regelt besondere Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten gem. § 90 Abs. 3 AO. Nach Tz. 3.5.5 VWG-Verfahren9 soll die Anforderung 1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 823. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 3 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 179; Wassermeyer, GmbHR 1998, 157 (158); Wassermeyer in FS Frotscher, 685 (699). 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.4.2. 5 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570. 6 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 7 Vgl. AEAO v. 2.1.2008 – IV A 4 - S 0062/07/0001 – DOK 2007/0605275, BStBl. I 2008, 26 Tz. 4.1 zu § 30 AO mit späteren Änderungen. 8 Vgl. auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 9 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218.
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B. Erweiterte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten
von Übersetzungen auf das notwendige Maß beschränkt bleiben. Die Vorlagepflicht soll auch Gutachten und Stellungnahmen zu Verrechnungspreisfragen erfassen, was im Schrifttum auf Bedenken stößt.1 Tz. 3.3.3 VWG-Verfahren betont, dass ein Beteiligter sich nicht darauf berufen kann, er könne bestimmte Sachverhalte nicht aufklären bzw. bestimmte Unterlagen nicht beschaffen, wenn er sich dazu die Möglichkeit hätte beschaffen bzw. einräumen lassen können. Der Beteiligte muss nach § 90 Abs. 2 Satz 2 AO alle ihm rechtlich und/oder tatsächlich zustehenden Möglichkeiten zur Sachaufklärung ausschöpfen. Grenzen. In der Praxis wird immer wieder die Frage streitig, ob der Beteiligte alle ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, den Sachverhalt aufzuklären bzw. die notwendigen Beweismittel zu beschaffen. Grundsätzlich trägt die Finanzbehörde die Beweislast für eine entsprechende Annahme. Dabei kann auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit große Bedeutung zukommen, weil er Grenzen setzt, wenn bestimmte Maßnahmen nur mit erheblichen Schwierigkeiten und Kosten durchgesetzt werden können bzw. wenn der Erfolg bestimmter Maßnahmen sehr ungewiss ist. Die von dem Beteiligten zu ergreifenden Maßnahmen müssen rechtlich durchführbar, auch im Übrigen erfüllbar und ihm zumutbar sein. Der BFH2 vertritt dazu die Auffassung, dass Strafvorschriften eines ausländischen Staates der Erfüllbarkeit von Maßnahmen nicht entgegenstehen. Richtigerweise muss danach differenziert werden, welcher Art die ausländischen Strafvorschriften sind und mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Strafe droht. Entsprechend geht auch die Finanzverwaltung in Tz. 3.3.2 VWG-Verfahren3 davon aus, dass eine Verweigerung ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann, wenn dem Beteiligten erhebliche Strafen im Ausland drohen. Die Finanzbehörde muss im Übrigen die eigenen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung im Ausland z.B. im Rahmen des DBA-Informationsaustausches ausschöpfen. Ermittlungen und damit auch Maßnahmen „ins Blaue hinein“ sind nach der Auffassung des BFH unzulässig.4
9.10
Unterlagenbeschaffung. Die Beteiligten sind verpflichtet, Unterlagen, die im Ausland aufbewahrt werden, der zuständigen inländischen Behörde zur Verfügung zu stellen. Der Grundsatz betrifft an sich die Unterlagen im Original. Häufig wird sich jedoch die Frage stellen, ob nicht die Vorlage einer Kopie (Abschrift) ausreicht, wenn die Übereinstimmung mit dem Original in anderer Weise (z.B. durch einen Zeugen oder die Erklärung eines Beraters bzw. eines Notars) nachgewiesen werden kann. Letztlich kann diese Frage nur im Einzelfall unter Berücksichtigung evtl. verbleibender Zweifel entschieden werden. Der BFH vertritt in seinem Urteil
9.11
1 Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 22; Wehner/Setzler, DB 2005, 1295. 2 BFH v. 16.4.1980 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492; v. 16.4.1986 – I R 32/84, BStBl. II 1986, 736; v. 31.5.2006 – II R 66/04, BStBl. II 2007, 49 = FR 2007, 302. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570. 4 Vgl. BFH v. 11.10.1989 – I R 101/87, BStBl. II 1990, 280; v. 25.8.2009 – I R 88, 89/07, FR 2010, 245 = BFH/NV 2009, 2047; v. 16.11.2011 – X R 18/09, BStBl. II 2012, 129 Rz. 62 ff. = FR 2012, 226 m. Anm. Kempermann.
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Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
vom 10.5.20011 die Auffassung, dass eine inländische Tochtergesellschaft regelmäßig keine Möglichkeit habe, Kalkulationsunterlagen ihrer ausländischen Muttergesellschaft zu beschaffen. Die Nichtbeschaffung löst deshalb nicht die Rechtsfolge des § 90 Abs. 2 AO aus. Der BFH weist in diesem Zusammenhang darauf hin, unabhängige Vertragspartner seien nicht bereit, ihre wechselseitig erzielten Gewinne dem jeweils anderen Vertragsteil mitzuteilen. Sie würden dies schon deshalb nicht tun, weil sie zusätzlichen Druck des anderen Geschäftspartners auf die eigenen Preise befürchteten. Sie verzichteten auch nicht auf das Geschäft, wenn der andere Vertragspartner sich weigere, Auskunft über seine Gewinne zu erteilen. Die Finanzverwaltung hat sich dieser Auffassung in Tz. 3.3.2 Buchst. b VWG-Verfahren2 angeschlossen. Was für das Verhältnis von Tochter- zu Muttergesellschaft gilt, muss auch zwischen Schwestergesellschaften gelten. Die Existenz von unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligungen kann nicht entscheidend sein. Dagegen gilt im Verhältnis zwischen einer Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft dann etwas anderes, wenn die Muttergesellschaft gesellschaftsvertraglich in der Lage ist, sich die notwendigen Unterlagen bei der Tochtergesellschaft zu beschaffen. Dies vertritt auch die Finanzverwaltung in Tz. 3.3.2 Buchst. b VWG-Verfahren3. Zu beachten sind dennoch die durch § 90 Abs. 3 AO einerseits und § 162 Abs. 3 Satz 3 AO andererseits in Kraft getretenen Gesetzesänderungen. Ausländische nahestehende Personen sind allerdings in der Regel keine „Steuerpflichtigen“ i.S.d. §§ 90 Abs. 3 und 162 Abs. 3 AO. Bezogen auf die Anwendung von § 93 Abs. 1 AO stellt sich die Frage, ob sich die Auskunftspflicht auch auf nur im Ausland ansässige Personen erstreckt. Die deutschen Finanzbehörden dürfen außerhalb der deutschen Grenzen keine hoheitlichen Befugnisse ausüben (vgl. konkret zur Anwendung auf Verrechnungspreise auch Rz. 8.5).4
9.12
§ 200 AO. Zu beachten ist auch § 200 AO, der Mitwirkungspflichten für den Bereich der Außenprüfung festlegt, die in vieler Hinsicht bereits durch § 90 AO abgedeckt sind. Nach der Neufassung des AEAO zu § 200 AO5 müssen Konzernunternehmen auf Anforderung den Prüfungsbericht des Wirtschaftsprüfers über die Konzernabschlüsse der Konzernmuttergesellschaft, die Richtlinie der Konzernmuttergesellschaft zur Erstellung des Konzernabschlusses, die konsolidierungsfähigen Einzelabschlüsse (sog. Handelsbilanzen II) der Konzernmuttergesellschaft und die Einzelabschlüsse und konsolidierungsfähigen Einzelabschlüsse (sog. Handelsbilanzen II) von in- und ausländischen Konzernunternehmen vorlegen. 1 BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, FR 2001, 694 = BFH/NV 2001, 957 (Es handelt sich um eine Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung; Hauptsacheentscheidung ist BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154). 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570. 4 Vgl. dazu Seer in Tipke/Kruse, § 93 AO Rz. 10; Roser in Beermann/Gosch, § 93 AO Rz. 15. 5 BMF v. 2.1.2008 – IV A 4 - S 0062/07/0001 – DOK 2007/0605275, BStBl. I 2008, 26.
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B. Erweiterte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten
Auch insoweit stellt sich die Frage, inwieweit ein inländisches Konzernunternehmen entweder tatsächlich über die Unterlagen verfügt oder zumindest rechtlich die Möglichkeit hat, sich die Unterlagen zu beschaffen. Insoweit müssen die zu § 90 AO geltenden Grundsätze innerhalb des § 200 AO entsprechend angewendet werden. Dies wirkt sich auch auf die Anwendung von § 162 Abs. 3 Satz 3 AO aus. Nachweisvorsorge. In Tz. 3.2.3 VWG-Verfahren vertritt die Finanzverwaltung die Auffassung, dass die nach §§ 140 ff. AO zur Führung von Büchern oder Aufzeichnungen verpflichteten Personen sicherzustellen haben, dass ihre steuerlich bedeutsamen Aufzeichnungen, Unterlagen und Daten nicht vor Ablauf der inländischen Aufbewahrungsfristen (§ 147 Abs. 3 und 4 AO) vernichtet werden. Dies gilt unabhängig davon, ob sie im Inoder Ausland verwahrt werden. Anders ausgedrückt ist auf die inländischen und nicht auf die ausländischen Aufbewahrungsfristen abzustellen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige bei Abschluss der maßgebenden Geschäftsbeziehung erkennen konnte, dass Zweifel an der Angemessenheit des vereinbarten Entgeltes bestehen könnten. Die Finanzbehörde kann allerdings nicht den Abschluss schriftlicher Vereinbarungen verlangen. Dies gilt unabhängig davon, ob das maßgebende DBA den Abschluss im Voraus getroffener, klarer und zivilrechtlich wirksamer Vereinbarungen fordert.1 Die getroffene Vereinbarung muss jedoch den Anforderungen des § 1 Abs. 1 AStG gerecht werden. Insoweit genügt auch eine nur mündlich abgeschlossene Vereinbarung, wenn ihre Existenz durch einen Urkunden- (Gesprächsnotiz) oder Zeugenbeweis belegt werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Abschluss nur mündlicher Vereinbarungen unter vergleichbaren Voraussetzungen auch zwischen fremden Dritten üblich ist. Es ist die Funktion des § 1 AStG, den Bereich der Einkünfteerzielung von dem Bereich der Einkommensverteilung abzugrenzen. Formen der Einkommensverteilung dürfen den Gewinn nicht mindern. Gerade deshalb setzt aber die Anwendung des § 1 AStG konkrete Anhaltspunkte für die Annahme einer Einkommensverteilung voraus. Solche Anhaltspunkte können nicht in nur formellen Beanstandungen bestehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Abschluss einer mündlich getroffenen Vereinbarung zeitnah dokumentiert wird.
9.13
Rechtsfolgen der Verletzung von Mitwirkungspflichten. Den Beteiligten i.S.d. § 78 AO steht grundsätzlich nicht das Recht zu, die Mitwirkung i.S.d. §§ 90 und 93 AO zu verweigern. §§ 101 bis 103 AO sind insoweit nicht einschlägig. Der Steuerpflichtige kann sich allerdings unter den Voraussetzungen des § 393 AO auf das dort genannte Auskunftsverweigerungsrecht berufen. Der Finanzbehörde stehen als Reaktion auf die Verweigerung der Mitwirkung vor allem die Rechte aus § 162 AO und aus
9.14
1 Vgl. BFH v. 9.11.2005 – I R 27/03, BStBl. II 2006, 564 = FR 2006, 503 m. Anm. Kempermann; v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324 mit Anm. Böhmer, IStR 2013, 270.
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WVP1 - D/1422
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Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
§ 1 Abs. 1 AStG, aber auch die aus §§ 328, 329 und 332 AO1 zur Verfügung. Außerdem können Zwangsmittel eingesetzt werden. Zu differenzieren ist zwischen Verletzungen der Mitwirkungspflicht aus § 90 Abs. 1 und 2 AO und der aus § 90 Abs. 3 AO i.V.m. §§ 1 ff. GAufzV. Bei einer Verletzung der Mitwirkungspflicht gem. § 90 Abs. 1 und 2 AO hat die Finanzbehörde den Sachverhalt frei zu würdigen; sie kann die Besteuerungsgrundlagen ggf. schätzen. Bei einer Verletzung der Mitwirkungspflicht aus § 90 Abs. 3 AO greifen die in § 162 Abs. 3 und 4 AO geregelten besonderen Schätzungsbefugnisse (vgl. im Einzelnen auch Rz. 8.169 ff.). Von Bedeutung kann auch das Verhältnis zwischen Verletzung der Mitwirkungspflicht und Durchführung eines Verständigungsverfahrens sein. De facto wird eine Verletzung der Mitwirkungspflicht die Bereitschaft der beteiligten Finanzbehörden beeinflussen, eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen.
C. Beweismaß, Beweislast und Schätzung 9.15
Allgemeines. Seit dem BFH-Urt. v. 17.10.20012 ist der Gesetzgeber in den §§ 90 und 162 AO sowie in § 1 AStG mehr und mehr dazu übergegangen, die Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen bei bestehenden Auslandsbeziehungen zu verschärfen. Dies drückt sich in der Schaffung von Dokumentationspflichten und erweiterten Schätzungsmöglichkeiten einerseits und umgekehrten Beweislastregelungen andererseits aus. In der Praxis ist eine zunehmende Prüfungsintensität von grenzüberschreitenden Verrechnungspreisen auszumachen. Dabei hat der Gesetzgeber keine Bedenken, insbesondere im Bereich der Betriebsstättengewinnermittlung auch fiktive Fremdvergleichsgrundsätze aufzustellen.
9.16
Beweismaß. Der in § 88 AO niedergelegte Untersuchungsgrundsatz baut auf einer Sachverhaltsermittlung von Amts wegen auf. Dies schließt nicht aus, dass ein Sachverhalt nur mit einem gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad (= Beweismaß) ermittelt werden kann. Die AO regelt nicht, welches Beweismaß bei der Besteuerung als erforderlich anzusehen ist. Jedoch belegt bereits die Existenz des § 162 AO, dass das Steuerrecht auch Sachverhalte erfasst, die nur mit einem geringeren Maß an Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können. Dies steht nicht zuletzt in einem Zusammenhang mit der Feststellung, wer dafür verantwortlich ist, dass ein Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt werden kann. Nach der im Schrifttum einheitlich vertretenen Auffassung muss der Sachverhalt im Normalfall mit einem Grad an Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass auf der Basis der Lebenserfahrung keine ernsthaften Zweifel daran bestehen, dass er sich so und nicht anders zugetragen hat. Verletzt allerdings der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten, so werden die An1 Vgl. FG Münster v. 22.8.2000 – 6 K 2712/00 AO und – 6 K 3116/00 AO, EFG 2001, 4. 2 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
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C. Beweismaß, Beweislast und Schätzung
forderungen an das Beweismaß zugunsten der Finanzbehörde gemindert.1 Jede Schätzung ist auch Ausdruck eines nicht vollständig aufgeklärten Sachverhaltes. Es gibt auch Erfahrungssätze, die unter Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten herangezogen werden und einen Anscheinsbeweis begründen können. Der Anscheinsbeweis hat jedoch nur prima-facie-Charakter. Es muss zugunsten wie zu Ungunsten des Steuerpflichtigen dargelegt werden können, dass ein bestimmter Erfahrungssatz in einem bestimmten Einzelfall nicht greift. Große Bedenken bestehen deshalb gegenüber dem BFH-Urt. v. 27.9.20122, in dem der BFH den aus der sog. Drei-Objekt-Grenze abgeleiteten Anscheinsbeweis für unwiderlegbar erklärt. Entsprechend hatte der BFH in den Jahren vor 1996 zum sog. Oderkonto bei nahen Angehörigen entschieden. Die 1. Kammer des 2. Senats des BVerfG hat diese Rechtsprechung jedoch in einem Dreierbeschluss3 als „offensichtlich verfassungswidrig“ aus den Angeln gehoben. Richtigerweise ist auch der Anscheinsbeweis nur Teil einer Gesamtwürdigung aller objektiv fassbaren Einzelkriterien. In diesem Sinne muss der Nachweis möglich sein, dass im konkreten Einzelfall von einem atypischen Geschehensablauf auszugehen ist und deshalb der Anscheinsbeweis nicht greift. Beweislast. Das Prozessrecht unterscheidet zwischen der subjektiven und der objektiven Beweislast. Unter der subjektiven Beweislast ist eine Beweisführungslast zu verstehen. Im steuerlichen Verfahrensrecht gibt es keine subjektive Beweislast.4 Es gilt vielmehr der Untersuchungsgrundsatz. Dennoch gibt es die Mitwirkungspflichten i.S.d. § 90 AO. Ihre Verletzung löst Rechtsfolgen aus, die den Regeln einer subjektiven Beweislast sehr nahe kommen. Die objektive Beweislast beinhaltet die Rechtsfolgen, die eintreten, wenn ein Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann. Der BFH5 unterscheidet insoweit zwischen Sachverhaltsfragen und der Anwendung von Rechtsfolgen. Die Mitwirkungspflichten sollen sich nur auf Sachverhaltsfragen beziehen. Die Finanzverwaltung lehnt diese Rechtsauffassung ab.6 Im Widerspruch zu dieser Ablehnung anerkennt sie allerdings, dass die Finanzbehörde über die Rechtsfolgen einer vGA ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen entscheidet. Nichts anderes hatte der BFH im Urteil vom 17.10.2011 entschieden. Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen beziehen sich immer nur auf die Verwirklichung eines bestimmten Sachverhaltes und nicht auf dessen steuerrechtliche Würdigung. Steht die Verwirklichung eines bestimmten Sachverhaltes fest, so kann dessen Würdigung der Höhe nach auch mit den Mitteln einer 1 BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 642 = FR 1989, 375; v. 9.8.1991 – III R 129/85, BStBl. II 1992, 55 = FR 1992, 198 m. Anm. Kempermann = FR 1992, 22; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; BMF, Schr. v. 12.4. 2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.4. 2 BFH v. 27.9.2012 – III R 19/11, BStBl. II 2013, 433 = FR 2013, 909. 3 BVerfG v. 7.11.1995 – 2 BvR 802/90, BStBl. II 1996, 34. = FR 1996, 18 m. Anm. Pezzer. 4 Seer in Tipke/Kruse, § 96 FGO Rz. 78. 5 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 6 BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 - 12/04, BStBl. I 2004, 270.
Wassermeyer
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1193
9.17
Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
Schätzung vorgenommen werden, wenn die die Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
9.18
Beweislastverteilung. Als Grundsatz trägt die Finanzbehörde die objektive Beweislast für alle steuerbegründenden Sachverhalte. Der Steuerpflichtige trägt dagegen die objektive Beweislast für alle Ausnahmesachverhalte. Darunter fallen insbesondere Steuerbefreiungen, Steuerermäßigungen sowie Aufwendungen, die im Rahmen der Einkünfteermittlung oder als Sonderausgaben bzw. außergewöhnliche Belastungen abgesetzt werden sollen. Der BFH1 spricht insoweit auch von einer sphärenorientierten Beweislast, was besagt, dass jeder Beteiligte in einem Rechtsstreit die Verantwortung für den Sachverhalt trägt, der seinem Herrschaftsbereich zuzuordnen ist. Der entsprechend Beteiligte ist gehalten, die seiner Sphäre zuzuordnen Tatsachen vorzutragen und unter Beweis zu stellen. Der Grundsatz der sphärenorientierten Beweislast findet in § 90 Abs. 2 und 3 AO seine Rechtsgrundlage. Insbesondere bedeutet die Einführung von Dokumentationspflichten in § 90 Abs. 3 AO und die Verschärfung der Anforderungen an eine Schätzung in § 162 Abs. 2 und 3 AO eine Veränderung der bis dahin geltenden Beweislastverteilung zu Lasten der Steuerpflichtigen. Der Steuerpflichtige muss eine ordnungsmäßige Dokumentation erstellen und vorlegen, um keiner für ihn negativen Beweislast ausgesetzt zu werden. Wird keine Dokumentation vorgelegt oder ist die vorgelegte Dokumentation unverwertbar, so werden nach § 162 Abs. 3 Satz 1 AO höhere Einkünfte vermutet. Dem Steuerpflichtigen verbleibt zwar die Möglichkeit, die Vermutung zu widerlegen. Ihn trifft damit aber eine volle Beweisführungslast (vgl. aber Rz. 8.180). Im Übrigen ist danach zu differenzieren, ob der streitige Sachverhalt eine Tatbestandsvoraussetzung oder aber nur die Höhe unstreitig erzielter Einkünfte betrifft. Bei dem Streit über die Realisierung einer bestimmten Tatbestandsvoraussetzung kommen die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung. Insoweit kann ein Fehlverhalten des Steuerpflichtigen sich auf das erforderliche Beweismaß auswirken. Bei einem Streit über die genaue Höhe erzielter Einkünfte greift zusätzlich die in § 162 AO geregelte Schätzungsmöglichkeit ein. Die Schätzung kann auch die Hinzurechnung eines Sicherheitszuschlages rechtfertigen.
9.19
Gewinnkorrekturen. Nach der Rechtsprechung vollzieht sich die Gewinnermittlung in zwei Stufen. Auf der ersten Stufe wird der Unterschiedsbetrag nach Steuerbilanzrecht ermittelt. Auf der 2. Stufe erfährt der zuvor ermittelte Unterschiedsbetrag Hinzurechnungen und Kürzungen. Zu den Hinzurechnungen gehören verdeckte Ausschüttungen, Korrekturen nach § 1 AStG, Hinzurechnungsbeträge nach §§ 10 und 15 AStG, Entnahmen, Entstrickungsgewinne nach § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG, nicht abziehbare Betriebsausgaben u.a. m. Zu den Kürzungen gehören steuerfreie Einkünfte und Einlagen. Auf der 1 Vgl. BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BFHE 156, 38 = BStBl. II1989, 462 = FR 1989, 375; v. 25.8.2009 – I R 88, 89/07, BFHE 226, 296 = BFH/NV 2009, 2047 = FR 2010, 245; v. 3.4.2013 – X B 8/12, BFH/NV 2013, 1065.
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C. Beweismaß, Beweislast und Schätzung
ersten Stufe der Gewinnermittlung ist darauf abzustellen, ob die Vermögensmehrungen oder -minderungen betrieblich veranlasst sind. Auf der 2. Stufe kommt es dagegen darauf an, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der in Betracht gezogenen Korrekturnorm erfüllt sind. Gewinn i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ist erst das auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung erzielte Endergebnis. Aus diesem Endergebnis sind alle Formen der Einkommensverteilung i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG zu eliminieren. Als Grundsatz gilt, dass die Finanzverwaltung die Beweislast für anzuwendende Korrekturnormen trägt. Unter den Voraussetzungen des § 162 Abs. 3 Satz 1 AO greifen aber auch erweiterte Schätzungsmöglichkeiten ein, die im Ergebnis eine Umkehr der Beweisführungslast beinhalten (vgl. auch Rz. 8.181 ff.). Schätzung. Die Schätzung ist in § 162 AO i.S. einer der zuständigen Finanzbehörde eingeräumten Befugnis gesetzlich geregelt. Daraus folgt, dass nur die Finanzbehörde und nicht der Steuerpflichtige zu einer Schätzung befugt sind. Ungeachtet dessen gibt es Situationen, in denen auch der Steuerpflichtige zu einer Schätzung greifen muss. Dieser Fall ist allerdings gesetzlich nicht geregelt. Die Schätzung setzt die Überzeugung des Finanzbeamten bzw. -richters voraus, dass die erklärten Besteuerungsgrundlagen unzutreffend sind und deshalb nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden können und dass die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen nicht mit ausreichender Sicherheit ermittelt werden können.1 Durch die Schätzung werden die Besteuerungsgrundlagen nicht mehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ermittelt, sondern es werden diejenigen angesetzt, für die die größte Wahrscheinlichkeit spricht (Rz. 8.182).2 Insoweit bestehen zwischen der Beweismaßreduzierung einerseits und der Schätzung andererseits deutliche Parallelen. Je weniger der Sachverhalt aufgeklärt werden kann, desto mehr arten sowohl die Sachverhaltsannahme als auch die Schätzung in einen griffweisen Ansatz von Steuerbemessungsgrundlagen aus. § 1 Abs. 3 AStG arbeitet mit gewissen Fiktionen wie Median oder Mittelwert, die unter den dort genannten Voraussetzungen das Ergebnis der Schätzung bilden. Seit Inkrafttreten des StVergAbG3 ordnet § 162 Abs. 3 Satz l AO die Beweismaßreduzierung sogar der Schätzung zu. Die Schätzung durch die Finanzbehörde ist keine Ermessensentscheidung. Sie ist gerichtlich voll nachprüfbar.4 Aus der Verweisung in § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 FGO auf § 162 AO folgt, dass das FG auch selbst schätzen darf, d.h. es darf seine eigene Schätzung an die Stelle der der Finanzbehörde setzen. Das FG darf insbesondere seine eigenen Wahrscheinlichkeitsüberlegungen an die Stelle der des Finanzamts setzen, ohne die Ermittlung der Tatbestandsvoraussetzungen bzw. die Schätzung des Finanzamts für fehlerhaft erklären zu müssen. Dies gilt auch für den Bereich des § 162 Abs. 3 AO. Das FG entscheidet nach freier 1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 867. 2 Vgl. Cordes/Kluge, Steueranwaltsmagazin 2013, 189; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 227 f. 3 StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660 = BStBl. I 2003, 321. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
Wassermeyer
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1195
9.20
Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
Beweiswürdigung. Allerdings kann der BFH die Schätzung des Finanzamts bzw. des FG nur daraufhin überprüfen, ob sie verfahrensfehlerfrei und ohne Verstöße gegen die Denkgesetze bzw. gegen Erfahrungssätze zustande gekommen ist. Der BFH darf nicht eine eigene „richtigere“ Schätzung an die Stelle der Schätzung des Finanzamts oder des FG stellen. Jede Schätzung kann, muss aber nicht die Folge einer Pflichtverletzung durch den Steuerpflichtigen sein. Eine Schätzung kommt auch dann in Betracht, wenn eine Bemessungsgrundlage objektiv nicht ermittelbar ist. Außerhalb des § 162 Abs. 3 Satz l AO dürfen stets nur die nummerischen Besteuerungsgrundlagen (= Berechnungsunterlagen für die Steuerfestsetzung) geschätzt werden, d.h. die Tatbestandsverwirklichung durch den Steuerpflichtigen i.S.d. § 38 AO muss – vorbehaltlich einer Beweismaßreduzierung – mit hinreichender Sicherheit feststehen. Ist objektiv unklar, ob der Steuerpflichtige einen bestimmten Besteuerungstatbestand realisiert hat, so kann die Realisation nicht geschätzt werden. Die Finanzbehörde kann allerdings nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung von einer Realisation durch den Steuerpflichtigen ausgehen, wenn dafür hinreichende Anhaltspunkte sprechen. Die Schätzung kann sowohl Voll- als auch Teilschätzung sein. Von einer Teilschätzung spricht man, wenn die bestehenden Unsicherheiten ausschließlich einen sachlich oder zeitlich abgegrenzten Teil der Besteuerungsgrundlagen betreffen (z.B. nicht verbuchte Einnahmen). Schätzung heißt nicht, dass sie ins Blaue gehen kann. Sie muss einerseits die Beweisrisikoverteilung beachten und sich andererseits i.d.R. an dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Fremdvergleichspreis innerhalb einer Bandbreite orientieren.1
9.21
Rahmen einer Schätzung. Für eine Schätzung ist typisch, dass es einen Schätzungsrahmen gibt, innerhalb dessen jedes Ergebnis zutreffend sein kann. Auch beim Einsatz von Datenbanken zeigt sich häufig, dass es nicht „einen“ richtigen Fremdvergleichspreis gibt, sondern dass sich die Preise in einer gewissen Bandbreite bewegen. In diesen Fällen stellt sich die Frage, zu wessen Gunsten oder Lasten die Bandbreite auszuwerten ist. Nach dem BFH-Urt. v. 17.10.20012 kommt eine Gewinnkorrektur nicht in Betracht, wenn der tatsächlich vereinbarte Preis innerhalb der Bandbreite von Fremdvergleichspreisen liegt. Liegt er außerhalb der Bandbreite, so eröffnet § 162 Abs. 3 Satz 2 AO der Finanzbehörde die Möglichkeit, die Bandbreite zu Lasten des Steuerpflichtigen auszuschöpfen, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten i.S.d. § 90 Abs. 3 AO dadurch verletzt, dass er Aufzeichnungen nicht vorlegt oder die vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind. Aus der Regelung folgt im Umkehrschluss, dass in allen anderen Fällen die Ausschöpfung einer Bandbreite nicht in Betracht kommt. Hier geht es nur um die Frage, ob ein Mittelwert angesetzt werden kann oder ob zugunsten des Steuerpflichtigen nur der unterste Wert der Bandbreite angesetzt werden kann. Diese Frage muss auch unter Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten ent1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
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D. Einzelne Beweismittel
schieden werden. Letztlich geht es darum, für welchen Wert eine größere Wahrscheinlichkeit spricht. § 1 Abs. 4 AStG a.F. Der durch das AmtshilfeRLUmsG vom 27.6.20131 ersatzlos aufgehobene § 1 Abs. 4 AStG sah als Schätzungsgrundlage alternativ eine durchschnittliche Umsatzrendite oder eine Verzinsung des für das im Unternehmen eingesetzten Kapitals vor. Die Vorschrift ergänzte den § 162 Abs. 2 AO. Sie war allerdings nur dann anzuwenden, wenn keine geeigneteren Anhaltspunkte für eine Schätzung zu erkennen waren. In der Praxis hat die Vorschrift so gut wie keine Rolle gespielt. Ihr Verhältnis zu § 162 Abs. 2 AO war objektiv unklar. Vor diesem Hintergrund ist die Aufhebung der Vorschrift unter Vereinfachungsgesichtspunkten zu begrüßen.
9.22
D. Einzelne Beweismittel I. Überblick Zentrale Beweismittel. Die Finanzbehörde bestimmt Art und Umfang ihrer Ermittlungen (§ 88 Abs. 1 S. 2 AO). Sie bedient sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält (§ 92 Abs. 1 AO). Ein numerus clausus der Beweismittel existiert im Steuerverfahrensrecht nicht (vgl. § 92 Satz 2 AO [„insbesondere“]). Zu den zentralen Beweismitteln gehören: – Auskünfte von Beteiligten (§ 93 AO, § 160 AO), – Auskünfte anderer Personen (§ 93 AO), – Auskünfte inländischer Behörden (§ 93 AO), – Auskünfte ausländischer Behörden (§ 117 Abs. 1 AO), – Angaben in Steuererklärungen (§§ 149 ff. AO), – Anzeigen des Steuerpflichtigen oder dritter Personen (vgl. z.B. §§ 137 f. AO). – vorgelegte Urkunden (vgl. § 97 AO), – Gutachten von Sachverständigen (vgl. § 96 AO). Die einzelnen Beweismittel stehen der Finanzbehörde grundsätzlich nebeneinander zur Verfügung (vgl. § 88 Abs. 1 Satz 2 AO). In bestimmten Konstellationen hat die Behörde jedoch eine gesetzliche Beweismittelreihenfolge zu beachten. So sollen andere Personen als die Beteiligten erst dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO). Entsprechendes gilt für die Vorlage von Urkunden. Auch insoweit soll sich die Finanzverwaltung im Grundsatz zunächst an den Steuerpflichtigen wenden, bevor sie dritte Personen zur Vorlage von Urkunden verpflichtet (§ 97 Abs. 1 Satz 3 AO). Im Rahmen 1 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 (1826).
Wassermeyer/Hendricks
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WVP1 - D/1422
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9.23
Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
einer Verrechnungspreisprüfung kommt naturgemäß der Verrechnungspreisdokumentation zentrale Bedeutung zu. Über sie verschafft sich die Finanzverwaltung regelmäßig einen ersten Zugang zum fraglichen Sachverhalt. Aufbauend hierauf kommt es dann zur Auswertung weiterer Beweismittel.
II. Auskünfte ausländischer Behörden im Rahmen zwischenstaatlicher Informationshilfe 9.24
Mitwirkungsunabhängiges Beweismittel. Bei den vorgenannten Beweismitteln ist die deutsche Finanzverwaltung überwiegend auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen. Erfolgt eine solche Mitwirkung (z.B. aus tatsächlichen Gründen) nicht, ist die Finanzverwaltung auf mitwirkungsunabhängige Beweismittel angewiesen, wenn sie den wirklichen Sachverhalt aufklären möchte. Beweismittel erster Wahl ist in diesem Zusammenhang oft die Inanspruchnahme internationaler Informationshilfe. Es handelt sich um einen Unterfall der zwischenstaatlichen Rechtsund Amtshilfe i.S.v. § 117 AO, bei der sich die deutsche Finanzverwaltung Erkenntnismitteln bedient, die ihr im Rahmen einer zwischenstaatlichen Unterstützung von ausländischen Finanzbehörden zur Verfügung gestellt werden.1
9.25
Ersuchenshilfe, automatische Hilfe und Spontanhilfe. In der Praxis wird internationale Informationshilfe in unterschiedlichster Form geleistet. Ausgehend von den Gründen, aus denen ein zwischenstaatliches Unterstützungsverfahren durchgeführt werden kann, wird allgemein unterschieden zwischen Ersuchenshilfe, automatischer Hilfe und Spontanhilfe. Häufig wird ein internationales Informationshilfeverfahren dadurch eingeleitet, dass die Steuerverwaltung des einen Staates im Rahmen der Durchführung eines konkreten Steuerverfahrens bei einem anderen Staat um die Übermittlung bestimmter für das Steuerverfahren erheblicher Informationen nachsucht. In einem solchen Fall wird das zwischenstaatliche Verfahren durch das „Ersuchen“ des informationsbedürftigen Staates ausgelöst. Soweit die angefragten Daten grenzüberschreitend übermittelt werden, spricht man von einer Auskunft auf Ersuchen (auch „Ersuchensauskunft“). Geht die Hilfe nicht auf ein konkretes Ersuchen zurück, wird herkömmlicherweise zwischen „automatischen Auskünften“ und „Spontanauskünften“ unterschieden. Beide Auskunftsarten trennscharf voneinander abzugrenzen ist jedoch schwierig. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sowohl automatische Auskünfte als auch Spontanauskünfte auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen basieren können, die in ihren Auskunftsvoraussetzungen verschiedenartig ausgestaltet sind und somit eine einheitliche und zugleich exakte Unterscheidung erschweren. Eine allgemein gültige, rechtsgrundlagenübergreifende Definition beider Begriffe ist dem internationalen Steuerrecht daher fremd. Vorbehaltlich 1 Hierzu ausführlich Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, passim.
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Hendricks
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D. Einzelne Beweismittel
abweichender (auf einzelne Normenkomplexe bezogener) Definitionen sind unter automatischen Auskünften grundsätzlich solche Auskünfte zu verstehen, die – unabhängig von einem Ersuchen im Einzelfall – wiederkehrend über bestimmte Fallgruppen gleichartiger Sachverhalte erteilt werden, wobei die Bestimmung der Fallgruppen gewöhnlich an konkreten materiell-rechtlich relevanten Lebenssachverhalten anknüpft. Demgegenüber sind Spontanauskünfte solche ersuchensunabhängige Auskünfte, die erteilt werden, weil die mitteilende Steuerverwaltung Anzeichen für eine fehlerhafte Steuerfestsetzung oder Steuererhebung im Empfängerstaat annimmt.1 Da letztlich sowohl Spontanauskünfte als auch automatische Auskünfte der Überprüfung der Besteuerung im Empfängerstaat dienen, handelt es sich in beiden Fällen der Sache nach um „Kontrollmitteilungen über die Grenze“.2 Überblick über die Rechtsgrundlagen. Die zwischenstaatliche informationelle Kooperation ist von einer Vielzahl unterschiedlicher Normen geprägt. Die große Anzahl der unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und das Verhältnis der einzelnen Normen zueinander werden von gemäßigten Stimmen vorsichtig als „für den Amtshilfeneuling verwirrend“ eingestuft.3 Andere konstatieren einen „unverantwortlichen Rechtswirrwarr“.4 Nach derzeitigem Stand sind sechs verschiedene Normengruppen voneinander zu unterscheiden: – Auskunftsklauseln in Doppelbesteuerungsabkommen, – Auskunftsklauseln in besonderen völkerrechtlichen Rechts- und Amtshilfeabkommen, – EU-Amtshilferichtlinie und nationale Umsetzungsbestimmungen, – EG-Zusammenarbeits-Verordnung, – Verwaltungsabkommen („administrative agreements“), – sonstige (rein nationale) Bestimmungen.
9.26
Auskunftsklauseln in Doppelbesteuerungsabkommen. Klassische Rechtsgrundlage der zwischenstaatlichen informationellen Kooperation sind die Auskunftsklauseln in DBA. Nahezu alle Abkommen verfügen über eine sog. Auskunftsklausel.5 Vorbild der DBA-Auskunftsklauseln ist i.d.R. Art. 26 OECD-MA. Während vor allem ältere Abkommen über eine sog. kleine Auskunftsklausel verfügen, enthalten neuere Abkommen i.d.R. eine sog. große Auskunftsklausel. Bei kleinen Auskunftsklauseln ist die Hilfe auf die Übermittlung von Informationen beschränkt, die der Durchführung des Abkommens selbst dienen (z.B. der richtigen im Abkommen angelegten Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte).
9.27
1 2 3 4
Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 61 f. So z.B. Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 260 und 275. So Höppner in FS Hans Flick, 1996, 817 (822). So z.B. Ritter in Vogel, Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 1996, 17 (33). 5 Keine Auskunftsklausel enthält z.B. das DBA-UDSSR, welches immer noch für einige Nachfolgestaaten gilt.
Hendricks
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Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
Der Auskunftsaustausch auf Grundlage von großen Auskunftsklauseln verfügt demgegenüber über einen doppelten Verwendungszweck: zu übermitteln sind zunächst alle Daten, die der Durchführung des Abkommens selbst dienen; darüber hinaus decken große Klauseln auch den Austausch von Daten, die für die Durchführung des rein innerstaatlichen Steuerrechts relevant sind. Eine Entwicklung ist auch in Bezug auf die von den Klauseln abgedeckten Steuerarten zu verzeichnen. Während die Informationshilfe bei älteren Klauseln üblicherweise auf die von den Abkommen geregelten Steuerarten (i.d.R. indirekte Steuern) begrenzt ist, sehen neue Abkommen einen darüber hinausgehenden Informationsaustausch vor.1
9.28
Auskunftsklauseln in besonderen völkerrechtlichen Rechts- und Amtshilfeabkommen. Informationsaustausch kann auch auf Grundlage von Auskunftsklauseln in besonderen völkerrechtlichen Rechts- und Amtshilfeabkommen erfolgen. Bei diesen Abkommen handelt es sich um völkerrechtliche Verträge, die keine materiell-rechtlichen Regelungen über die Verteilung von Besteuerungsrechten enthalten, sondern ausschließlich verfahrensrechtliche Instrumente der zwischenstaatlichen Rechtsund Amtshilfe regeln. Die Bundesrepublik Deutschland pflegt seit jeher einen Auskunftsaustausch auf Grundlage derartiger völkerrechtlicher Verträge. Aktuell sind im Verhältnis zu vier Staaten derartige Rechtsgrundlagen zu beachten (dies sind die Abkommen mit Finnland vom 29.5. 1935,2 mit Italien vom 9.6.1938,3 mit den Niederlanden vom 21.5.19994 sowie mit Österreich vom 14.5.19545). Im Verhältnis zu sog. Steueroasenstaaten haben darüber hinaus seit 2002 die sog. Tax Information Exchange Agreements (auch T.I.E.A.) nach dem Vorbild des OECD-InfAust-Musters von 20026 Bedeutung erlangt. Die Bundesrepublik Deutschland hat im Verhältnis zu 16 Staaten derartige völkerrechtliche Verträge abgeschlossen.7
9.29
EU-Amtshilferichtlinie und nationale Umsetzungsbestimmungen. Der innereuropäische Informationsaustausch wird vor allem von der Richtlinie 77/799/EWG vom 19.12.1977 und den hierzu ergangenen Änderungsrichtlinien bestimmt.8 Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaa1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Hendricks in Wassermeyer, DBA, vor Art. 1 MA-InfAust Rz. 8 m.w.N. RGBl. II 1936, 28. RGBl. II 1939, 124. BGBl. II 2001, 2. BGBl. II 1955, 833. Hierzu ausführlich Hendricks in Wassermeyer, DBA, Bd. I. Derartige Abkommen wurden geschlossen mit Andorra, Anguilla, Antiqua und Barbuda, Bahamas, Bermuda, British Virgin Islands, Gibraltar, Guernsey, der Insel Man, Jersey, den Kaiman Inseln, Liechtenstein, Monaco, San Marino, St. Vincent und Grenadinen, Turks und Calcos Inseln. Abkommen mit weiteren Staaten stehen kurz vor ihrem Inkrafttreten. 8 Richtlinie 77/799/EWG v. 19.12.1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, Amtsblatt der EG 1977 Nr. L 336, 15, zuletzt geändert durch Richlinie 2011/16/EU v. 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung, Amtsblatt der EG 2011, Nr. L 64, 1.
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Hendricks
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WVP1 - D/1422
D. Einzelne Beweismittel
ten zur gegenseitigen informationellen Unterstützung im Steuerverfahren. Sie setzt einen Mindeststandard, den alle Mitgliedstaaten zu gewährleisten haben.1 Neben der Erteilung von Ersuchensauskünften2 und ersuchensunabhängigen Auskünften3 sieht die Richtlinie die Durchführung von Simultanbetriebsprüfungen4 sowie die grenzüberschreitende Hinzuziehung zu Ermittlungshandlungen5 vor. Sie hat hohe praktische Relevanz für den innereuropäischen Informationsaustausch und entfaltet auch im Rahmen der Verrechnungspreisbesteuerung zentrale Bedeutung.6 Die deutschen Vorgaben der Richtlinie sind im EU-Amtshilfegesetz (EUAHiG) umgesetzt.7 EG-Zusammenarbeits-Verordnung. Die innereuropäische Kooperation für Zwecke der Umsatzbesteuerung basiert seit Anfang 2004 vor allem auf der EG-Zusammenarbeits-Verordnung.8 Die Verordnung regelt umfassend verschiedene Formen der gegenseitigen Unterstützung, wobei die deutsche Finanzverwaltung diese Rechtsgrundlage sowohl bei der Gewährung als auch bei der Inanspruchnahme von Informationshilfe zu beachten hat. Für Zwecke der Umsatzbesteuerung des kommerziellen innergemeinschaftlichen Handels sieht die Verordnung bereits seit Jahren ein mehrstufiges datenbankgestütztes Informationsaustauschverfahren vor.9 Im Bereich der Verrechnungspreise kommt die Rechtsgrundlage hingegen nur mittelbar zur Anwendung, wenn Erkenntnisse, die aus umsatzsteuerlichen Verfahren stammen, im Rahmen der Verrechnungspreisbesteuerung berücksichtigt werden sollen.
9.30
Verwaltungsvereinbarungen. Zur Regelung des zwischenstaatlichen Informationsaustausches hat das BMF mit den obersten Finanzbehörden verschiedener Staaten Verwaltungsvereinbarungen abgeschlossen. Diese Verwaltungsvereinbarungen stellen keine eigenständig anwendbaren Rechtsgrundlagen dar, sondern konkretisieren die Regelungen anderer Rechtsgrundlagen (z.B. die Regelungen in Auskunftsklauseln oder in der EU-Amtshilferichtlinie). Geregelt werden z.B. verfahrenstechnische Fragen (etwa der Ablauf von Kooperationen) oder bestimmte Fallgruppen, in denen Auskünfte ersuchensunabhängig erteilt werden sollen. Derartige Verwaltungsvereinbarungen sind für die Gerichte nur dann verbindlich,
9.31
1 Vgl. Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 182 ff., passim. 2 Vgl. Art. 5 ff. EU-Amtshilferichtlinie. 3 Vgl. Art. 8 ff. EU-Amtshilferichtlinie. 4 Vgl. Art. 12 f. EU-Amtshilferichtlinie. 5 Vgl. Art. 11 EU-Amtshilferichtlinie. 6 So sieht die Richtlinie die Erteilung von Spontanauskünften vor, wenn der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats Anhaltspunkte für die Vermutung einer Steuerersparnis durch künstliche Gewinnverlagerungen innerhalb eines Konzerns vorliegen (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. d EU-Amtshilferichtlinie). 7 Hierzu im Überblick: Gabert, IWB 2011, 250 ff.; ausführlich Seer in Tipke/Kruse, § 117 AO Rz. 59 ff. 8 Verordnung (EG) Nr. 1789/2003, ABl. EG 2003 Nr. L 264, 1. 9 Hierzu ausführlich Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 243 ff.
Hendricks
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Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
wenn sie auf einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (wie z.B. § 10 Abs. 1 EUAHiG) beruhen. Gehen sie darüber hinaus, sind sie für den Steuerbürger und die Gerichte unbeachtlich.1 Das BMF hat bislang mit den Steuerbehörden von insgesamt acht Staaten Verwaltungsvereinbarungen zur internationalen Informationshilfe abgeschlossen: mit der dänischen2, der niederländischen3, der französischen4, der tschechischen5, der litauischen6, der estländischen7, der lettischen8 und mit der ungarischen9 Finanzverwaltung.10
9.32
Sonstige (nationale) Bestimmungen. Neben den erwähnten völker- und europarechtlichen Normen und deren nationalen Umsetzungsbestimmungen ist auf deutscher Seite die AO zu beachten. Insbesondere § 117 AO enthält differenzierte Ausführungen zur zwischenstaatlichen Rechtsund Amtshilfe in Steuersachen. Die Vorschrift wird häufig als „Generalnorm“ der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit bezeichnet.11
9.33
Inanspruchnahme von Hilfe durch deutsche Behörden. Möchten deutsche Finanzbehörden im Rahmen der Besteuerung einer Verrechnungspreisbeziehung internationale Informationshilfe in Anspruch nehmen, haben sie insofern § 117 Abs. 1 AO zu beachten. Nach dieser Vorschrift können Finanzbehörden zwischenstaatlich Rechts- und Amtshilfe „nach Maßgabe des deutschen Rechts“ in Anspruch nehmen. Eine Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Hilfe ist folglich allein an den Vorgaben des allgemeinen nationalen Steuerverfahrensrechts zu messen. Hieraus folgt, dass auch bei Staaten um Hilfe ersucht werden kann, mit denen kein DBA oder anderes völkerrechtliches Abkommen betreffend den Informationsaustausch existiert und auch die EU-Amtshilferichtlinie nicht gilt. § 117 Abs. 1 AO begründet insoweit die Befugnis der deutschen Verwaltung, auch dann Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn der andere Staat nicht zur Hilfeleistung verpflichtet ist.12 Die Vorschrift ermächtigt also zur Inanspruchnahme freiwilliger Hilfe (sog. Kulanzhilfe). Aus § 117 Abs. 1 AO i.V.m. § 111 Abs. 1 Satz 1 AO folgt weiter, dass um zwischenstaatliche Hilfe nur dann ersucht werden darf, wenn diese Hilfe für die deutsche Besteuerung „erforderlich“ ist.13 Aus dem Merkmal der Erfor1 Ausführlich hierzu Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 207 ff. 2 BStBl. I 2005, 498. 3 BStBl. I 1997, 970. 4 BStBl. I 2004, 1184. 5 BStBl. I 2005, 904 sowie BStBl. I 2006, 487. 6 BStBl. I 2008, 1008. 7 BStBl. I 2006, 355. 8 BStBl. I 2006, 359. 9 BStBl. I 2006, 694. 10 Hierzu Seer in Tipke/Kruse, § 117 AO Rz. 74; sowie ausführlich Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 201 ff. 11 So z.B. Bilsdorfer, Forum der internationalen Besteuerung, Bd. 10, 1998, 1 (18). 12 So bereits Carl/Klos, RIW 1995, 146 (148 f.). 13 So z.B. FG Köln v. 26.2.2004 – 2 K 1993/02, EFG 2004, 1734; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.63.
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D. Einzelne Beweismittel
derlichkeit sind insofern zwei Vorgaben für ein deutsches Auskunftsersuchen abzuleiten: zunächst müssen die Informationen für das deutsche Besteuerungsverfahren rechtlich erheblich (d.h. subsumtionsrelevant) sein. Eine „voraussichtliche Erheblichkeit“ reicht insoweit nicht aus. Vielmehr ist die Subsumtionsrelevanz bereits vor Übersendung des Auskunftsersuchens ins Ausland abschließend zu klären.1 Zudem ist aus § 117 Abs. 1 AO i.V.m. § 112 Abs. 1 AO zu schließen, dass um zwischenstaatliche Hilfe nur dann ersucht werden darf, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch den inländischen Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht (Subsidiarität des Auskunftsersuchens). Die inländischen Ermittlungsmöglichkeiten müssen vorab ausgeschöpft werden.2 Ersuchen. Soll das an den anderen Staat adressierte Auskunftsersuchen seinen Zweck erfüllen, dann muss es verständlich sein. Häufig ist für das Verständnis des Ersuchens erforderlich, dass die deutschen Behörden den ausländischen Stellen bestimmte fallbezogene Hintergrundinformationen zur Verfügung stellen.3 Dies ist bei der Ausformulierung des Ersuchens zu beachten. Das Ersuchen muss unter Beachtung des Empfängerhorizontes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erläutert und begründet werden. Werden in diesem Zusammenhang personen- oder betriebsbezogene Daten ins Ausland übermittelt, so stellt dies einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Der Eingriff kann zwar über § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO gerechtfertigt werden, da er letztendlich dem deutschen Besteuerungsverfahren dient;4 im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip sind die Angaben aber auf das Notwendigste zu beschränken.5
9.34
Beweismittelfunktion und Bindungswirkung. Übermittelt eine ausländische Behörde – auf ausdrückliches deutsches Ersuchen hin oder im Rahmen einer ersuchensunabhängigen Informationshilfe – Auskünfte und Unterlagen, haben diese Daten und Dokumente Beweismittelqualität. Bei Auskünften ausländischer Behörden handelt es sich um ein eigenständiges, unbenanntes Beweismittel i.S.d. AO.6 Für übermittelte Urkunden
9.35
1 FG Köln v. 26.2.2004 – 2 K 1993/02, EFG 2004, 1734 (1736); Zöllner in Pahlke/ Koenig2, § 117 AO Rz. 4. 2 So ausdrücklich z.B. BFH v. 26.7.2007 – VI R 68/04, BStBl. II 2009, 338 (342); ebenso Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen des BMF v. 25.5.2012 – IV B 6 - S 1320/07/10004:006 – DOK 2012/0223372, BStBl. I 2012, 599 Tz. 4.1.2. 3 Schwarz in Schwarz, § 117 AO Rz. 22; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 1995, 115. 4 So bereits Runge, RIW 1979, 73 (84); ebenso z.B. Tipke in Tipke/Kruse, § 117 AO, Tz. 10; Rüsken in Klein, § 117 AO Rz. 10; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.40; Engler in V/B/E, Verrechnungspreise3, Kap. D Rz. 91; a.A. Becker, IWB F. 3 Gr. 1 (D), 1055. 5 Vgl. Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 69 und Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, 1041. 6 Vgl. auch Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 1995, 71; Söhn in H/H/Sp, § 177 AO Rz. 12.
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Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
gelten die Regelungen über den Urkundsbeweis.1 Die Auswertung der übermittelten Auskünfte und Urkunden richtet sich nach allgemeinem Steuerverfahrensrecht. Es gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung.2 Die Finanzverwaltung entscheidet nach ihrer freien, aus der Gesamtheit des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.3 Fehlt es den Auskünften und Unteranlagen an Überzeugungskraft, so sind sie für das deutsche Besteuerungsverfahren außer Acht zu lassen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die ausländische Verwaltung nicht deutlich macht, worauf die Auskünfte beruhen.4 Gleiches gilt, wenn die Ausführungen in sich nicht schlüssig sind oder wenn sie anderen überzeugenden Beweismitteln widersprechen. Im Allgemeinen wohnt behördlichen Auskünften anderer Staaten aber eine nicht unerhebliche Überzeugungskraft inne; in einem solchen Fall können sie den Verwaltungsentscheidungen des inländischen Besteuerungsverfahrens zugrunde gelegt werden. Ob es sich dabei um Pflichtauskünfte oder Kulanzauskünfte handelt, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.5
9.36
Geheimhaltung im Inland. Aus dem Ausland empfangene Daten unterliegen in jedem Fall der Geheimhaltung, d.h. die deutsche Finanzverwaltung hat die Daten vertraulich zu behandeln. Dies gilt unabhängig davon, ob die Informationen auf Ersuchen oder ersuchensunabhängig mitgeteilt wurden. Nach welchen Bestimmungen die Finanzverwaltung zur Geheimhaltung verpflichtet ist, hängt davon ab, auf welcher Rechtsgrundlage die Daten übermittelt worden sind. Nach praktisch allen Rechtsgrundlagen ist der Empfängerstaat zur Geheimhaltung der empfangenen Daten verpflichtet (sog. internationales Steuergeheimnis). Unabhängig von der Rechtsgrundlage der Hilfe unterliegen alle von deutschen Behörden im Rahmen des Besteuerungsverfahrens empfangenen Daten darüber hinaus der Verwendungsbeschränkung des § 30 AO. Die Vorschrift ist auch dann zu beachten, wenn die Daten im Wege der Kulanzhilfe ohne eine einschlägige Rechtsgrundlage erteilt wurden.6 Da die deutsche Finanzverwaltung im Rahmen der Inanspruchnahme internationaler Informationshilfe gem. § 117 AO an die Bestimmungen des deutschen Rechts gebunden ist, muss das im allgemeinen Verfahrensrecht verankerte nationale Steuergeheimnis zwingend beachtet werden.7 Aufgrund des zu beachtenden Steuergeheimnisses darf die Finanzverwaltung mit den empfangenen Daten nicht nach Belieben verfahren. Grundsätzlich kommt 1 Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 358 m.w.N. 2 Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 72; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 1995, 125. 3 Insoweit ist § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entsprechend anzuwenden, vgl. Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht21, § 21 Rz. 207. 4 Zu einem solchen Fall Loutoka, IStR 1997, 249. 5 So auch Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 79; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 1995, 125. 6 Vgl. Carl/Klos, IStR 1995, 225 (227). 7 Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 1995, 77; Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 59.
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D. Einzelne Beweismittel
nur eine Verwendung im Rahmen von Steuerverfahren und im Rahmen finanzgerichtlicher Verfahren in Betracht. Enthalten die im jeweiligen Einzelfall einschlägigen völkerrechtlichen bzw. europarechtlichen Rechtsgrundlagen engere Verwendungsbestimmungen, sind diese zu beachten.1 Rechtsschutz gegen deutsche Auskunftsersuchen. Möchte der inländische Steuerpflichtige ein deutsches Ersuchen verhindern, stellt sich die Frage, mit welchem Rechtsbehelf er die grenzüberschreitende Übermittlung des Ersuchens verhindern kann. Ist das Ersuchen nach den vorgehend dargestellten Grundsätzen rechtswidrig, gewährt § 30 Abs. 1 AO der informationsbetroffenen Person ein subjektives Recht auf Unterlassung des Ersuchens.2 Diesen Unterlassungsanspruch kann die informationsbetroffene Person im Wege der Unterlassungsklage geltend machen. Klagegegner ist die Behörde, die das Ersuchen unmittelbar ins Ausland übersenden will.3 Mit Rücksicht auf die Eilbedürftigkeit ist regelmäßig ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO zu stellen (Fall der Regelungsanordnung).4
9.37
III. Simultanbetriebsprüfungen Hintergrund und Zweck. Zur effektiveren Überprüfung grenzüberschreitender Sachverhalte sind die Steuerverwaltungen verschiedener Staaten bereits vor Jahren dazu übergegangen, Außenprüfungen aufeinander abzustimmen und die in diesem Rahmen getroffenen Feststellungen prüfungsbegleitend auszutauschen. Erste derart koordinierte Prüfungen wurden zunächst im Verhältnis zwischen der U.S.-amerikanischen und der kanadischen Steuerverwaltung bekannt. Spätestens seit den 70er Jahren werden abgestimmte Außenprüfungen auch innerhalb Europas praktiziert.5 In den letzten Jahren hat diese Art der Verwaltungskooperation an Bedeutung stark zugenommen.6 Der Sache nach handelt es sich um Außenprüfungen, die unter Koordination von Prüfungszeitraum und Prüfungsrichtung in zwei oder mehreren Staaten parallel durchgeführt werden, verbunden mit dem gleichzeitigen Austausch der dabei gewonnenen Erkenntnisse. Die „simultane Außenprüfung“ besteht insoweit aus drei 1 Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 372 ff. 2 Nach der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung ist als Grundlage für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB – in analoger Anwendung – i.V.m. § 30 AO anerkannt (vgl. nur BFH v. 29.4.1992 – I B 12/92, BStBl. II 1992, 645). Die Norm des § 30 AO begründet insoweit ein subjektives Recht, aus dem ein Unterlassungsanspruch abgeleitet werden kann (so etwa BFH v. 15.2.2006 – I B 87/05, FR 2006, 610 = IStR 2006, 351 [352]). 3 Vgl. BFH v. 21.8.1985 – I R 3/82, BStBl. II 1986, 92 = FR 1986, 77. 4 Vgl. FG Köln v. 27.4.2005 – 2 V 1095/05, EFG 2005, 1322; bestätigt durch BFH v. 15.2.2006 – I B 87/05, FR 2006, 610 = IStR 2006, 351; sowie z.B. FG Köln v. 20.12. 2006 – 2 V 4096/06, IStR 2007, 335. 5 Vgl. Flick, DB 1975, 1727 (1727). 6 Vgl. zuletzt Drüen, DStR-Beih. 2013, 82 ff.; Eisgruber, DStR-Beih. 2013, 89 ff.
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9.38
Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
Einzelelementen. Auf der einen wie auf der anderen Seite der Grenze führen die jeweils zuständigen Finanzverwaltungen in eigener Regie eigenständige Außenprüfungen durch. Parallel hierzu sozusagen als „drittes Element“ werden die gewonnenen Erkenntnisse ausgetauscht.1 Als Rechtsgrundlagen für diesen Informationsaustausch kommen die oben dargestellten allgemeinen2 Normen der internationalen Informationshilfe (Rz. 9.26 ff.) in Betracht.3 Aus Sicht der beteiligten Behörden stellt sich die Zusammenarbeit im Rahmen simultaner Außenprüfungen aus mehreren Gründen als vorteilhaft dar. Zunächst führt der prüfungsbegleitende Austausch von Informationen dazu, dass auftretende Fragen durch ein entsprechendes Ersuchen zeitnah aufgeklärt werden können. Langwierige Ermittlungsverfahren können so vermieden werden. Überdies kann ein ersuchensunabhängiger Austausch von Daten auf beiden Seiten Impulse für weitere Prüfungshandlungen geben.4
9.39
Phase behördlicher Vorabstimmung. Die Zusammenarbeit im Rahmen international koordinierter Außenprüfungen muss von allen beteiligten Dienststellen intensiv vorbereitet werden und bedarf daher einer gewissen Vorlaufzeit.5 Sie vollzieht sich i.d.R. in zwei Abschnitten. In einem ersten Schritt einigen sich die teilnehmenden Verwaltungen auf die Zusammenarbeit in einem konkreten Einzelfall. Auf Seiten der deutschen Verwaltung tritt hier in der Regel das BZSt auf, welches den Ablauf der Prüfung in Abstimmung mit der zuständigen Landesfinanzbehörde koordiniert.6 Im Rahmen einer sog. Arbeitsvereinbarung werden die zu prüfenden Unternehmen festgelegt;7 überdies werden der zeitliche und der sachliche Rahmen der Prüfung abgesteckt.8 Häufig werden auch bestimmte Prüfungsstrategien ins Auge gefasst.9 Bereits in dieser Phase artikulieren die beteiligten Stellen ihr Sachaufklärungsinteresse und verständigen sich darauf, sich sachdienliche Feststellungen wechselseitig zu übermitteln.10
1 Drüen, DStR-Beih. 2013, 82 (83 f.); Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 385 ff. 2 Mit § 12 EUAHiG sowie Art. 12 f. EG-Zusammenarbeitsverordnung existieren spezielle Rechtsgrundlagen für Simultanbetriebsprüfungen. 3 Kritisch demgegenüber Drüen, DStR-Beih. 2013, 82 (85). 4 Eisgruber, DStR-Beih. 2013, 89 f. 5 So bereits Runge, intertax 1980, 182 (183). 6 Vgl. Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch des BMF v. 25.5.2012 – IV B 6 - S 1320/07/10004:006 – 2012/0223372, BStBl. I 2012 599 (612) Tz. 7. 7 So z.B. OECD Committee on Fiscal Affairs, Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations, Tz. 4.80; Freund in Schuch/Zehetner, Verrechnungspreisgestaltung im Internationalen Steuerrecht, 347 (356). 8 Schuh, ÖStZ 1999, 97 (98 f.); Runge in Blumers/Frick/Müller, Betriebsprüfungshandbuch, C 252 und C 255; Jirousek, SWI 1994, 139 (142). 9 Vgl. Runge, intertax 1980, 182 (183); Roth, Forum der Internationalen Besteuerung Bd. 10, 1998, 51 (54). 10 Runge in Blumers/Frick/Müller, Betriebsprüfungshandbuch, C 252 und C 255.
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D. Einzelne Beweismittel
Ablauf der Prüfung und rechtlicher Rahmen. Die eigentliche Kooperation setzt mit dem Beginn der Prüfungen ein. De jure handelt es sich dabei nicht um eine Gesamtprüfung, an der Behördenbedienstete verschiedener Staaten teilnehmen;1 die einzelnen Prüfungen sind trotz ihrer organisatorischen Verklammerung verfahrensrechtlich getrennt voneinander zu beurteilen. Die nationalen Dienststellen führen die Prüfungen auf dem eigenen Territorium, in eigener Verantwortung und nach eigenem Steuerverfahrensrecht durch.2 Die Prüfung erfolgt durch rein national zusammengesetzte Prüfungsteams.3 Parallel zu den Prüfungen werden Auskunftsersuchen auf den Weg gebracht und die Dienststellen tauschen ihre Erkenntnisse aus. Dabei wird der Informationsaustausch unterschiedlich abgewickelt. I.d.R. erfolgt der Datenaustausch schriftlich oder fernmündlich. Zum Teil kommt es aber auch zu sog. Prüfertreffen, bei denen die Behördenbediensteten ihre Feststellungen im Rahmen einer persönlichen Zusammenkunft austauschen und erörtern.4 Nach Abschluss der Prüfungen finden die auf der einen oder der andern Seite der Grenze gefundenen Ergebnisse Eingang in die betroffenen Steuerverfahren. Auch hier gilt das Trennungsprinzip; die nationalen Dienststellen verwerten die eigenen Prüfungsfeststellungen und die von anderen Staaten mitgeteilten Daten in eigener Verantwortung und nach Maßgabe des eigenen Steuerverfahrensrechts.5 Auch wenn die Informationen in recht kurzen Abständen ausgetauscht werden, darf das nicht dazu führen, dass die Schutzbestimmungen der einschlägigen Rechtsgrundlagen unterlaufen werden. So darf die enge Zusammenarbeit nicht dazu führen, dass Geheimhaltungsbestimmungen weniger ernst genommen werden. Steuerpflichtige, die einer simultanen Außenprüfung unterzogen werden, sollten von einem in diesem Bereich erfahrenen Berater begleitet werden. Dieser ist dann in der Lage, auf die Einhaltung der Schutzbestimmungen zu achten.6
9.40
IV. Teilnahme deutscher Finanzbeamter an ausländischen Ermittlunghandlungen Hintergrund. Im Fall der klassischen Ersuchensauskunft wird die Hilfe nicht immer den Bedürfnissen der ersuchenden Behörde gerecht. So entspricht die Qualität der übermittelten Daten nicht immer den hieran geknüpften Erwartungen. Dies kann daran liegen, dass schon das Ersuchen 1 So auch Becker, intertax 1982, 42 (46 f.). 2 Allgemeine Meinung, vgl. nur Runge, StbKongrRep. 1987, 429 (434); Runge in Blumers/Frick/Müller, Betriebsprüfungshandbuch, C 253 und C 253; OECD Committee on Fiscal Affairs, Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations, Tz. 4.80. 3 Jirousek, SWI 1994, 139 (139). 4 Vgl. Höppner in G/K/G, Art. 26 OECD-MA Rz. 50; Jirousek, SWI 1994, 139 (143); Urtz, SWI 1996, 354 (355). 5 Drüen, DStR-Beih. 2013, 82 (83 f.); Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 385 ff. 6 Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 385 f. m.w.N.
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9.41
Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung
derart knapp oder unverständlich formuliert ist, dass es seinen Zweck nicht erfüllen kann. Zum Teil fällt es den ersuchten Staaten aber auch schwer, die gefundenen Ergebnisse vollumfänglich und ausreichend klar zu artikulieren. Überdies kommt es auch immer wieder zu Fällen, bei denen ein unmittelbarer Eindruck vom betroffenen Sachverhalt unentbehrlich erscheint. Aus diesen Gründen haben Steuerbehörden unterschiedlicher Staaten bereits vor Jahrzehnten begonnen, es Verwaltungsangehörigen eines ersuchenden Staates zu gestatten, an Ermittlungsmaßnahmen im hilfeleistenden Staat teilzunehmen. Man spricht insoweit von der „Hilfe durch Hinzuziehung zu inländischen Ermittlungshandlungen“.1 Bei dieser Form der Kooperation darf ein Steuerbeamter des informationsbedürftigen Staates bei Ermittlungshandlungen des unterstützenden Staates anwesend sein. Es handelt sich um eine Sonderform der Ersuchenshilfe. Innerhalb Europas kann sie vor allem auf die EU-Amtshilferichtlinie2 und die umsetzenden Bestimmungen sowie die EG-ZusammenarbeitsVerordnung3 gestützt werden. Aber auch im Rahmen der Informationshilfe im Verhältnis zu nicht europäischen Staaten kommt es bisweilen zu dieser Art der Kooperation.4
9.42
Ablauf der Hinzuziehung. Kommt es zur grenzüberschreitenden Hinzuziehung ausländischer Behördenbediensteter, so sieht sich der Steuerpflichtige gleichzeitig mit zwei Steuerverwaltungen konfrontiert. Da ist zunächst der Repräsentant der inländischen Steuerverwaltung. Nur er ist befugt, eigene Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen. So kann er den Steuerpflichtigen zur Vorlage von Urkunden oder zur Erteilung von Auskünften auffordern. Er ist Herr des Verfahrens und erlässt alle notwendigen Verfügungen. Daneben wird der Steuerpflichtige mit dem ausländischen Steuerbeamten konfrontiert. Er ist Repräsentant des um Hilfeleistung ersuchenden Staates. Im Rahmen der Ermittlungshandlungen nimmt der hinzugezogene Beamte lediglich eine passive Rolle ein. Seine Tätigkeit ist im Wesentlichen auf das Beobachten und die Würdigung vorgelegter Beweismittel beschränkt. Eine aktive Rolle kommt allein dem inländischen Ermittler zu. Bei seinen Ermittlungen lässt er sich jedoch vom ausländischen Finanzbeamten „über die Schulter sehen“ und gewährt ihm Zugang zu den vorgelegten Beweismitteln.5
1 Vgl. nur Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 230 ff. 2 Siehe Art. 11 EU-Amtshilferichtlinie, in Deutschland umgesetzt durch §§ 10 f. EUAHiG. 3 Vgl. Art. 11EG-Zusammenarbeitsverordnung. 4 Vgl. Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 173 ff. m.w.N. 5 Vgl. Jirousek, SWI 1998, 205 (208); Söhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 156 sowie ausführlich Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 174 f. m.w.N.
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Kapitel 10 Instrumente zur Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten Literatur Albert, DBA-Verständigungsverfahren – Probleme und Verbesserungsvorschläge, IFSt-Schrift Nr. 457, Bonn 2009; Albert, Schiedsverfahren im Internationalen Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 462, Bonn 2010; Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, Berlin 2009; Baßler, Steuerliche Gewinnabgrenzung im Europäischen Binnenmarkt, Baden-Baden 2011; Baumhoff/Puls, Mediation bei Verrechnungspreiskonflikten als alternativer Streitbeilegungsansatz?, IStR 2010, 802; Becker, Seminar J: Verfahren zur Lösung von DBA-Konflikten, IStR 2007, 592; Becker, Internationale Zusammenarbeit – Konsultation und Verständigung, IStR 2013, 167; Beiser, Verrechnungspreise im Gemeinschaftsrecht, IStR 2008, 587; Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, Heidelberg 2010; Bödefeld/Kuntschik, Verständigungs- und Schiedsverfahren nach dem EUSchiedsabkommen – Theorie und Praxis, IStR 2009, 268; Bödefeld/Kuntschik, Schiedsverfahren nach DBA, IStR 2009, 449; Bödefeld/Kuntschik, Der Überarbeitete Verhaltenskodex zur Anwendung des EU-Schiedsübereinkommen, IStR 2010, 474; Damsma, Proposed Changes to the Code of Conduct for the Arbitration Convention, ITPJ 2010, 34; Decker, Das internationale Verständigungs- und Schiedsverfahren in Steuersachen, PIStB 2002, 193; Eicker/Stockburger, Internationale Verfahren zur Beseitigung der Doppelbesteuerung – Überblick und Folgerungen für die Praxis anlässlich des rückwirkenden Wiedereintritts der EU-Schiedskonvention zum 1.11.2004, IWB 2005, F. 11 Gr. 2, 661; Eigelshoven/Wolff, Verständigungsverfahren – Praktische Erfahrungen und ungelöste Probleme, 129, in Lüdicke (Hrsg.), Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, Köln 2012; Flüchter, Seminar C: Verständigungsverfahren und die Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten, IStR 2012, 694; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, Berlin 1988; Graf, Neuerungen beim EUSchiedsübereinkommen, SteuerStud. 2005, 98; Herksen, How the Arbitration Convention lost its Lustre: the Threat of Triangular Cases, Intertax 2008, 332; Herksen/Fraser, Comparative Analysis: Arbitration Procedures for handling Tax Controversy, ITPJ 2009, 143; Herlinghaus, Gedanken zum abkommensrechtlichen Schiedsverfahren nach Art. 25 Abs. 5 OECD-MA, IStR 2010, 125; Hinnekens, Different interpretations of the European Tax Arbitration Convention, EC Tax Review 1998, 247; Hinnekens, European Arbitration Convention: thoughts on its principles, procedures and first experience, EC Tax Review 2010, 109; Ismer, Rechtswidrige Gewährung von Rechtsschutz?, IStR 2003, 394 Jirousek, Methodische Ansätze zur Konfliktvermeidung bei der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, in Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts, Festschrift für Helmut Loukota, Wien 2005; Käferböck, Das EU-Schiedsübereinkommen für Verrechnungspreisfälle, in Schuch/Zehtener, Verrechnungspreisgestaltung im Internationalen Steuerrecht, Wien 2001; Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, Göttingen 2008; Kempf/Gelsdorf, Die EU-Schiedsverfahrenskonvention im Konkurrenzverhältnis zu Doppelbesteuerungsabkommen, IStR
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten 2012, 329; Knobbe-Keuk, Die beiden Unternehmenssteuerrichtlinien, EuZW 1992, 336; Kofler, Doppelbesteuerung und EU-Recht, IStR 2011, 668; Kopf, Die Bedeutung von Verständigungsvereinbarungen für die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, in Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts, Festschrift für Helmut Loukota, Wien 2005, 253; Krabbe, Beurteilung der EUSchiedsverfahrenskonvention als Instrument zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, in Fischer (Hrsg.), Grenzüberschreitende Aktivitäten deutscher Unternehmen und EU-Recht, Köln 1997, 77; Krabbe, Das Schiedsübereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, IStR 1996, 5; Krabbe, Seminar C: Verständigungsverfahren, IStR 2002, 548; Krämer, Das neue BMF-Schreiben zum internationalen Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren, IWB 2007, F. 3 Gr. 2, 1331; Kuntschik/Bödefeld, Schiedsverfahren nach den DBA mit Großbritannien, der Schweiz und Liechtenstein, IStR 2012, 137; Kurzewitz/Endert, Möglichkeiten des Aufbaus und der Ausgestaltung eines Risikomanagementsystems für steuerliche Verrechnungspreise im Konzern, 673, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011; Lehner, Möglichkeiten zur Verbesserung des Verständigungsverfahrens auf der Grundlage des EWG-Vertrages, München 1982; Lehner, Streitbeilegung im Internationalen Steuerrecht, 665, in Kirchhof/Nieskens (Hrsg.), Festschrift für Wolfram Reiss, Köln 2008; Leising, Die Klage auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nach Art. 25 Abs. 2 OECDMA, IStR 2002, 114; Loh/Peters, Das neue Schiedsverfahren im DBA-USA, RIW 2008, 294; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, Baden-Baden 2008; Loh/Steinert, Scheitern internationale Lösungen von Verrechnungspreisen an § 175a AO, BB 2008, 2383; Lühn, Scheitern internationale Lösungen von Verrechnungspreisen an § 175a AO?, BB 2009, 412; Lühn/Siemers, Internationale Verständigungsverfahren – Vorsicht bei Steuervergehen, PIStB 2009, 161; Merz/Sajogo, Das Verfahren nach Art. 6 EU-Schiedskonvention, PIStB 2010, 239; Merz/Sajogo, Das Verständigungs- und Schiedsverfahren nach Art. 25 OECD-MA als „letzter Ausweg“, PIStB 2010, 185; Mühlhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen internationalen Steuerrecht, Berlin 1976; Nientimp/Thomsen, Das verbindliche Schiedsverfahren nach dem neuen OECD-MA, IStR 2009, 615; Niess, Internationale Verrechnungspreise: Überlegungen zur Reduzierung der steuerlichen Risiken, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Festschrift für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 301; Owens, Die Vorschläge der OECD zur Verbesserung des Verfahrens zur Beilegung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit DBA, IStR 2007, 472; Peters/Haverkamp, Verbesserte Möglichkeiten zur Beseitigung von Doppelbesteuerungen – Vergleich des Schiedsverfahrens nach Art. 25 Abs. 5 OECD-MA und des EU-Schiedsverfahrens, BB 2011, 1303; Puls/Nientimp, Das neue Schiedsverfahren nach dem DBAUSA, RIW 2006, 673; Rosenbach, Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Verständigungsvereinbarungen in der Praxis, PIStB 2004, 148; Rößler, Zur Einsicht in die Steuerakten des Finanzamts, FG Saarl. v. 4.11.1994 – 1 K 151/94, DStZ 1995, 349; Saß, Zum EG-Abkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung (Schlichtungsverfahren) im Falle einer Gewinnberichtigung bei Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen, DB 1991, 984; Schmidt, Die gesetzlichen Grundlagen von Verständigungsverfahren und Schiedssprüchen sowie deren Umsetzung nach § 175a AO, SteuerStud. 2010, 60; Schönfeld, Das neue Verständigungs- und Schiedsverfahren nach Art. 25 DBA-USA, Ubg 2008, 544; Striewe, Die verfahrensrechtliche Umsetzung internationaler Verständigungsvereinbarungen (§ 175a AO), Frankfurt/M. 2011; Teichner, Die Verständigung. Ein Versuch zu ihrer rechtssystematischen Einordnung, StuW 1965, 343; Vögele/Forster, Das EUSchiedsübereinkommen, IStR 2006, 537.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
I. Einführung Ursachen von Verrechnungspreiskonflikten. Die Ursachen von Verrechnungspreiskonflikten sind vielfältig. Auch einschlägige DBA können das Risiko von Verrechnungspreiskonflikten nicht effektiv beseitigen. Während die Vertragsstaaten den Text des jeweiligen Abkommens gemeinsam ausgehandelt haben, wenden sie das Abkommen im Grundsatz unabgestimmt und getrennt voneinander an. Eine automatische Koordinierung der Abkommensanwendung ist nicht vorgesehen, das Gebot der Rechtsanwendungs- und Entscheidungsharmonie ist verfahrensrechtlich nicht abgesichert. Aus diesem Grund besteht die Gefahr, dass die Behörden der Vertragsstaaten das jeweils einschlägige Abkommen inkongruent anwenden. Dies kann bereits auf einem divergierenden Sachverhaltsverständnis beruhen; aber auch die unterschiedliche Auslegung und Anwendung der Abkommensklauseln bringt die Gefahr von Verrechnungspreiskonflikten mit sich.1 Dabei ist vor allem die materielle Unbestimmtheit des Fremdvergleichsgrundsatzes die Hauptursache für die Entstehung von Verrechnungspreiskonflikten.2
10.1
Bedürfnis nach zwischenstaatlichen Instrumenten. Rein nationale Rechtsbehelfe sind nur bedingt geeignet, einen Verrechnungspreiskonflikt effektiv zu beseitigen. Denn auch die nationalen Gerichte wenden DBA autonom und ohne grenzüberschreitende Koordination an. Die Beschreitung des nationalen Rechtswegs kann einen Verrechnungspreiskonflikt beseitigen – zwingend ist dies jedoch nicht. Vor diesem Hintergrund sehen DBA klassischerweise ein alternatives verfahrensrechtliches Instrument zur Beseitigung von Besteuerungskonflikten vor: das zwischenstaatliche Verständigungsverfahren. Ist ein Steuerpflichtiger der Auffassung, dass Maßnahmen eines Vertragsstaats oder beider Vertragsstaaten für ihn zu einer Besteuerung führen, die dem jeweiligen Abkommen nicht entspricht, kann er bei den zuständigen Behörden die Einleitung eines zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens beantragen. Die Antragsvoraussetzungen und der Gang eines Verständigungsverfahrens sind – mit Rücksicht auf das Muster der OECD – in den meisten Abkommen in Art. 25 Abs. 1 und Art. 25 Abs. 2 geregelt (vgl. Art. 25 Abs. 1 und Abs. 2 OECD-MA). Die zwischenstaatlichen Verständigungsbemühungen stellen nach internationalem Verständnis kein echtes Rechtsbehelfsverfahren, sondern ein Verfahren eigener Art dar. Aus völkerrechtlicher Sicht ist das Verfahren als diplomatisches Streiterledigungsmittel einzuordnen, und zwar als Verhandlung i.S.v. Art. 33 Abs. 1 der UN-Charta, mit der Besonderheit, dass die im Abkommen definierten zuständigen Behörden un-
10.2
1 Vgl. nur Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 19 ff. 2 Zu den risikobegründenden Faktoren eines Verrechnungspreiskonflikts vgl. im Einzelnen Niess, FS Krawitz, 301 ff. m.w.N.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
ter Umgehung des normalen diplomatischen Verkehrs unmittelbar miteinander verhandeln können.1
10.3
Schwächen zwischenstaatlicher Verständigungsverfahren. Auch zwischenstaatliche Verständigungsverfahren bieten jedoch keine Gewähr dafür, dass ein Verrechnungspreiskonflikt zwingend bereinigt wird. Denn nach klassischen Verständigungsklauseln schulden die Vertragsstaaten lediglich das „Bemühen“, durch zwischenstaatliche Verständigung eine abkommenswidrige Besteuerung zu beseitigen (vgl. Art. 25 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA). Vor diesem Hintergrund bleiben Verständigungsverfahren nicht selten erfolglos. Zwar werden Verständigungsverfahren durch die deutsche Finanzverwaltung überdurchschnittlich ernsthaft und engagiert betrieben; trotzdem enden auch ca. 10 % der Verfahren unter deutscher Beteiligung ohne Erfolg, d.h. die gerügte abkommenswidrige Besteuerung wird nicht durch das Verständigungsverfahren beseitigt.2 Für den Fall des Scheiterns eines Verständigungsverfahrens sollen die örtlichen Steuerbehörden nach einer Anweisung des deutschen Bundesfinanzministers prüfen, ob die Doppelbesteuerung durch einseitige deutsche Billigkeitsmaßnahmen abgemildert werden kann.3 Erfahrungsgemäß sind Anträge auf entsprechende Billigkeitsmaßnahmen jedoch nicht zwingend von Erfolg gekrönt.4 Selbst wenn man eine Billigkeitsmaßnahme erreichen kann, muss man erhebliche Zeit dafür kämpfen.
10.4
Zwischenstaatliches Schiedsverfahren als geeignetes Instrument. Mit Rücksicht auf die Schwächen klassischer Verständigungsverfahren ist es sehr zu begrüßen, dass eine wachsende Zahl deutscher DBA zusätzlich zum Verständigungsverfahren die Durchführung eines Schiedsverfahrens vorsehen. Nach diesen Klauseln ist für den Fall der erfolglosen Durchführung eines Verständigungsverfahrens die Durchführung eines zwischenstaatlichen Schiedsverfahrens geboten oder jedenfalls möglich. Das Schiedsverfahren zielt auf die Bereinigung des Verrechnungspreiskonflikts durch Schiedsspruch ab.5 Sind die Vertragsstaaten im Fall des Scheiterns des Verständigungsverfahrens zur Anrufung eines Schiedsgerichts gezwungen, spricht man von einem obligatorischen Schiedsverfahren, entscheiden sie über ein solches Verfahren nach freiem Ermessen, handelt es sich um fakultative Schiedsverfahren.6 Aktuell sehen lediglich vier deutsche DBA die Durchführung obligatorischer Schiedsverfahren vor 1 Mülhausen, Das Verständigungsverfahren, 83, 117 f.; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren, 162 f.; sowie jüngst Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 3. 2 Vgl. Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 27. 3 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 8.2. 4 Statistiken über den Erfolg von Billigkeitsanträgen im Anschluss an gescheiterte Verständigungsverfahren werden nicht geführt oder jedenfalls nicht veröffentlicht. 5 Vgl. nur Herlinghaus, IStR 2010, 125 (129 f.); Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 449 (450); Nientimp/Tomson, IStR 2009, 615 (618). 6 Grundlegend hierzu Züger, Schiedsverfahren für Doppelbesteuerungsabkommen, 2001, 31 ff. und 73 ff.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
(Art. 25 Abs. 5 DBA-Österreich;1 Art. 25 Abs. 6 DBA-USA;2 Art. 26 Abs. 5 DBA-Großbritannien;3 Art. 26 Abs. 5 DBA-Schweiz)4.5 Im Verhältnis zu drei weiteren Staaten sehen die Abkommen die fakultative Durchführung eines Schiedsverfahrens vor (vgl. Art. 25a DBA-Frankreich;6 Art. 25 Abs. 6 DBA-Kanada;7 Art. 41 Abs. 5 DBA-Schweden)8.9 Für den Bereich der Verrechnungspreise können abkommensberechtigte Steuerpflichtige die Durchführung eines obligatorischen Schiedsverfahrens indes vor allem auf Grundlage des Europäischen Übereinkommens Nr. 90/436/EWG über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Fall von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (nachfolgend EU-Schiedskonvention) beanspruchen.10 Hierbei handelt es sich um ein auf Art. 293 EG-Vertrag gestütztes multilaterales völkerrechtliches Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der EU. Es hat in der Praxis mittlerweile recht große Bedeutung erlangt.11 1 Vgl. hierzu Lang/Stefaner in Wassermeyer, Art. 25 DBA-Österreich Rz. 3 ff.; Züger, Das Schiedsverfahren nach den neuen DBA Österreich-Deutschland, in Gassner/Lang/Lechner, Das neue Doppelbesteuerungsabkommen ÖsterreichDeutschland, Wien 1999; 245 ff.; Züger, Der EuGH als Schiedsgericht im neuen DBA Österreich-Deutschland, SWI 1999, 19 ff. 2 Hierzu im Einzelnen Schönfeld, Das neue Verständigungs- und Schiedsverfahren nach Art. 25 DBA-USA, Ubg 2008, 544; Loh/Peters, Das neue Schiedsverfahren im DBA-USA, RIW 2008, 294; Eimermann in Wassermeyer, Art. 25 DBAUSA Rz. 40 ff.; BMF v. 16.1.2009 – IV B 2 - S 1301 - USA/08/10001 – DOK 2009/0013814, BStBl. I 2009, 345 (Verständigungsvereinbarung über die Anwendung des Schiedsverfahrens). 3 Zu dieser Klausel vgl. Beckmann in Wassermeyer, Art. 25 DBA-Großbritannien Rz. 6; Kuntschik/Bödefeld, IStR 2012, 137. 4 Vgl. hierzu Hardt in Wassermeyer, Art. 26 DBA-Schweiz Rz. 230 ff.; Kuntschik/ Bödefeld, IStR 2012, 137. 5 In Kürze dürften auch im Verhältnis zu Lichtenstein, den Niederlanden und Luxemburg obligatorische Schiedsklauseln wirksam werden, vgl. Art. 25 Abs. 5 des am 17.11.2011 unterzeichneten DBA-Liechtenstein; Art. 25 Abs. 5 des am 12.4.2012 unterzeichneten DBA-Niederlande; Art. 24 Abs. 5 des am 23.4.2012 unterzeichneten DBA-Luxemburg. Bei allen drei Abkommen steht die Ratifizierung noch aus. 6 Vgl. hierzu Kramer in Wassermeyer, Art. 25a DBA-Frankreich Rz. 1 ff.; Lüthi in G/K/G, Art. 25a DBA-Frankreich Rz. 5. 7 Zu dieser Klausel vgl. W. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 25 DBA-Großbritannien Rz. 42; Lüthi in G/K/G, Art. 25 DBA-Kanada Rz. 5. 8 Vgl. hierzu Lüthi in G/K/G, Art. 41 DBA-Schweden Rz. 5. 9 Das DBA-Dänemark sieht demgegenüber die – fakultative – Möglichkeit vor, ein unabhängiges Gremium mit einer gutachtlichen Äußerung zu einer umstrittenen abkommensrechtlichen Fragestellung einzuholen, vgl. Art. 44 Abs. 3 DBA-Dänemark sowie Krabbe in Wassermeyer, Art. 44 DBA-Dänemark Rz. 4. 10 ABl. EG Nr. L 225, 20 ff.; sowie BGBl. II 1993, 1308, BStBl. I 1993, 818 und BGBl. II 1995, 84, BStBl. I 1995, 166. 11 Vgl. hierzu im Einzelnen Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 268; Bödefeld/Kuntschik, IStR 2010, 474; Elicker/Stockburger, IWB F. 11 EG Gr. 2, 661; Hinnekens, EC Tax Review 2010, 109; Krabbe, IStR 1996, 5; Peters/Haverkamp, BB 2011, 1303; Vögele/Forster, IStR 2006, 537; vertiefend auch die Kommentierung von Krabbe in Wassermeyer, Band I, EU-SchÜ.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
10.5
Nebeneinander verschiedener Optionen. In der Praxis kommt neben der Beschreitung des nationalen Rechtswegs regelmäßig auch der Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens in Betracht. Im Verhältnis zu Österreich, den USA, Großbritannien und der Schweiz ist nachrangig die Initiierung eines (obligatorischen) Schiedsverfahrens möglich (vgl. Rz. 10.4). Für Verrechnungspreiskonflikte kommt ein solches obligatorisches Schiedsverfahren überdies im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten auf Grundlage der vorgehend erwähnten Schiedskonvention in Betracht (vgl. Rz. 10.4.). Nachfolgend werden zunächst die Grundlagen und der Gang eines Verständigungsverfahrens auf Grundlage einer klassischen Verständigungsklausel dargestellt (hierzu nachfolgend Rz. 10.6 ff.). Mit Rücksicht auf die Bedeutung für Verrechnungspreiskonflikte folgt anschließend einer Darstellung der Verfahren auf Grundlage der Schiedskonvention (hierzu nachfolgend Rz. 10.30 ff.). Das praktische Verhältnis dieser Verfahren – auch im Vergleich zum nationalen Rechtsweg – wird im letzten Teil dieses Kapitels dargestellt (hierzu nachfolgend Rz. 10.68 ff.).
II. Verständigungsverfahren 1. Grundlagen
10.6
Rechtsgrundlagen und Durchführungsbestimmungen. Beim Verständigungsverfahren handelt es sich um ein antragsgebundenes zwischenstaatliches Verwaltungsverfahren. Rechtsgrundlage sind die jeweiligen Verständigungsklauseln der zwischen den Staaten geschlossenen DBA. Das BMF hat mit Schreiben vom 13.7.2006 ein umfangreiches Merkblatt herausgegeben, welches Einzelheiten zu Einleitung, Durchführung und Umsetzung von Verständigungsvereinbarungen enthält.1 Daneben hat auch die OECD ein sog. „Manual on Effective Mutual Agreement Procedures“ veröffentlicht, welches durch konkrete Handlungsempfehlungen die praktische Durchführung des Verfahrens vereinfachen und die Transparenz des Verfahrens erhöhen soll.2
1 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461. 2 Abrufbar unter: http://www.oecd.org/ctp/dispute/manualoneffectivemutualagre ementprocedures-index.htm sowie auf der Webseite des BZSt. Vgl. ferner die auf der Webseite der OECD hinterlegten Länderprofile sowie Statistiken zu Anzahl und Laufzeiten von Verständigungsverfahren, abrufbar unter: http://www. oecd.org/ctp/dispute/countrymapprofiles.htm. Die Deutschland betreffende Statistik ist ebenfalls auch über die Webseite des BZSt über die Rubrik „Verständigungsverfahren – links“ zu erreichen. Zur Verbesserung von Streitbeilegungsverfahren bei DBA-Sachverhalten innerhalb der EU vgl. KOM (2011) 712 endg.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
2. Ablauf eines Verständigungsverfahrens a) Überblick Verfahrensablauf im Überblick. Das Verständigungsverfahren gliedert sich in drei Phasen, wobei die letzte Phase nach überwiegender Auffassung rein fakultativer Natur ist.1 Die erste Phase ist ein rein innerstaatlicher Verfahrensabschnitt, der grundsätzlich vom Ansässigkeitsstaat abgewickelt wird.2 Dieser Abschnitt wird in Deutschland auch als Vorprüfungs- oder Abhilfeverfahren bezeichnet. Innerhalb dieser ersten Phase klärt die angerufene nationale Behörde vorab, ob dem Begehren des Steuerpflichtigen unilateral abgeholfen werden kann. Nur wenn ein innerstaatliches Tätigwerden keinen Erfolg verspricht, prüft die Behörde, ob die formellen wie auch materiellen Voraussetzungen zur Einleitung eines zwischenstaatlichen Verfahrens erfüllt sind. Im Falle eines zulässigen und begründeten Antrags geht das Verfahren dann in die zweite – zwischenstaatliche – Phase über. Erst in dieser zweiten Phase findet das eigentliche Verständigungsverfahren zwischen den beteiligten nationalen Behörden statt. Die dritte Phase betrifft die innerstaatliche Umsetzung der zwischen den Staaten erreichten Verständigung.
10.7
b) Einleitungsantrag Antragserfordernis. Das Verständigungsverfahren nach dem Vorbild von Art. 25 Abs. 1 OECD-MA ist im Gegensatz zum Konsultationsverfahren antragsgebunden (vgl. Art. 25 Abs. 3 OECD-MA). Die Antragsbefugnis besteht nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA unbeschadet der innerstaatlichen Rechtsmittel. Auch das BMF-Merkblatt geht davon aus, dass der Umstand, dass der nationale Rechtsweg noch nicht erschöpft ist, einem Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nicht entgegensteht.3 In der Praxis ist zu beachten, dass der Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens jedoch nicht den Antrag auf Erstattung ausländischer Quellensteuer ersetzt.4 Letzterer sollte daher vorab gestellt werden.5 Erst bei Ablehnung der Erstattung ist die Einleitung eines Verständigungsverfahrens anzustreben.6
10.8
Antragsteller. Als Antragsteller kommt jede Person in Betracht, die geltend machen kann, dass Maßnahmen eines Vertragsstaats oder beider Vertragsstaaten für sie zu einer Besteuerung führen oder führen werden, die dem jeweiligen Abkommen nicht entspricht (vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA). Dies setzt voraus, dass sich der Antragsteller überhaupt auf
10.9
1 So Flüchter, IStR 2012, 694 (694 f.); Engler/Elbert in V/B/E, Verrechnungspreise3, F Rz. 253; Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 71. 2 MK Nr. 7 zu Art. 25. 3 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.1.5. 4 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.1.6. 5 Krämer, IWB 2007, F. 3 Gr. 2, 1331 (1332). 6 Krämer, IWB 2007, F. 3 Gr. 2, 1331 (1332).
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
das Abkommen berufen kann (Abkommensberechtigung). Abkommensberechtigt ist nach den meisten Klauseln zum persönlichen Anwendungsbereich eines Abkommens (vgl. Art. 1 OECD-MA), wer in zumindest einem Vertragsstaat ansässig ist.1 Darüber hinaus sind auch Personen antragsberechtigt, die sich auf das Verbot der Staatsangehörigkeitsdiskriminierung berufen.2 Schließlich verweist das BMF-Merkblatt darauf, dass der Antrag zusätzlich von jeder Person gestellt werden kann, die durch die abkommenswidrige Besteuerung betroffen ist, was in der Praxis etwa bei Haftungsfällen der Fall sein kann.3
10.10
Selbstbetroffenheit. Eigentlich muss die Person im Rahmen ihres Antrags geltend machen, dass Maßnahmen eines Vertragsstaats oder beider Vertragsstaaten „für sie“ zu einer Besteuerung führen oder führen werden, die dem jeweiligen Abkommen nicht entspricht (vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA). Diese Selbstbetroffenheit wird für Verrechnungspreissachverhalte zu Recht weit verstanden. Hintergrund ist, dass bei Verrechnungspreissachverhalten zwar häufig evident ist, dass es zu einer abkommenswidrigen Besteuerung in Form von einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung gekommen ist; welcher der beiden Staaten den Fremdvergleichsgrundsatz unzutreffend angewendet hat – und damit gegen die Klauseln zur Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen verstoßen hat (Art. 9 OECD-MA) –, ist hingegen weniger evident und im Einzelfall vor Durchführung des Verständigungsverfahrens schwer zu beurteilen. Es ist jedoch nicht sachgerecht, dem Antragsteller das Risiko aufzuerlegen, dass sein Verständigungsantrag erfolglos bleibt, weil sich letztendlich herausstellt, dass nicht „seine“ Besteuerung, sondern die Besteuerung des mit ihm verbundenen Unternehmens als abkommenswidrig zu qualifizieren war. Im Rahmen einer systematischen Auslegung unter Berücksichtigung der jeweiligen Gewinnabgrenzungsklausel (Art. 9 OECD-MA) ist das Merkmal der Selbstbetroffenheit in Verrechnungspreisfällen weit zu interpretieren: Es reicht aus, wenn der Antragsteller geltend macht, dass entweder seine (inländische) Besteuerung oder die (ausländische) Besteuerung des mit ihm verbundenen Unternehmens als abkommenswidrig zu qualifizieren ist.4 Eine Selbstbetroffenheit ist in diesen Fällen also auch dann zu bejahen, wenn der Antragsteller offen lässt, welcher Staat sich abkommenswidrig verhalten hat.5
1 Ausführlich zur Abkommensberechtigung Dremel in Schönfeld/Ditz, Art. 1 OECD-MA Rz. 31 ff. 2 MK Nr. 17, 18 zu Art. 25; darauf verweisend Lehner in V/L5, Art. 25 Rz. 26. 3 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.1.2. Hierbei handelt es sich um eine nicht vom Musterabkommen vorgesehene zusätzliche nationale Möglichkeit. 4 Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 45 f. sowie Rz. 118; Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 33; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16.95. 5 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.3.1.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
Zuständige Behörde. Adressat des Antrags ist die Behörde des Staats, in dem der Antragsteller ansässig ist. Lediglich wenn eine Diskriminierung gerügt wird, ist der Antrag abweichend hiervon an die zuständige Behörde des Staats zu richten, dessen Staatsangehöriger der Steuerpflichtige ist.1 Auf nationaler Ebene hat das BMF2 die Wahrnehmung der Aufgaben für den Bereich des Verständigungsverfahrens nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG auf das BZSt in Bonn übertragen. Ungeachtet dessen behält sich das BMF in Einzelfällen vor, das Verfahren selbst zu führen.3 Der Antrag kann in Deutschland zudem bei dem für die Besteuerung des Abkommensberechtigten örtlich zuständigen Finanzamt gestellt werden.4 Dieses soll vorab zu dem Antrag Stellung nehmen und ihn dann zeitnah an das BZSt weiterleiten.5
10.11
Einhaltung der Antragsfrist. Nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA muss der Antrag innerhalb von drei Jahren nach der „ersten Mitteilung der Maßnahme“, die zu der abkommenswidrigen Besteuerung führt, gestellt werden. Der Steuerausschuss der OECD versteht die Frist von drei Jahren als Minimum, die Vertragsstaaten können folglich in ihren Abkommen auch längere Fristen vereinbaren.6 Die Drei-Jahres-Frist entspricht der regelmäßigen deutschen Abkommenspraxis. Einige wenige Abkommen sehen eine Zwei-Jahres-Frist, das DBA-USA hingegen eine Vier-Jahres-Frist vor.7 Sofern das jeweilige DBA keine Antragsfrist vorgibt, stimmt die deutsche Finanzverwaltung einer Einleitung des Verfahrens innerhalb einer Frist von vier Jahren zu.8 Unter „erster Mitteilung“ ist im Regelfall die Bekanntgabe des abkommenswidrigen Steuerbescheids zu verstehen.9 Die Frist ist gewahrt, wenn der Antrag vor Fristablauf bei der zuständigen Behörde eingeht.10 Nach Ablauf dieser Frist scheidet ein Anspruch auf Durchführung des Verständigungsverfahrens aus.
10.12
Beginn der Antragsfrist bei Verrechnungspreisfällen. Wenn die Frist mit der „ersten Mitteilung der Maßnahme“ beginnt, „die zu einer dem Ab-
10.13
1 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.1.3. 2 Die formale Zuständigkeit des BMF folgt aus der in allen deutschen DBA getroffenen Spezialzuweisung entsprechend Art. 3 Abs. 1 Buchst. f OECD-MA. Originär zuständig wäre demgegenüber das Außenministerium. Eine Übersicht zu den zuständigen Behörden der OECD-Mitgliedstaaten mit den jeweiligen Kontaktadressen findet sich auf der Webseite der OECD unter der Rubrik „country map profiles“, vgl. bereits oben Fn. 2 auf S. 1214. 3 BMF v. 29.11.2004 – IV B 6 - S 1300 - 320/04, BStBl. I 2004, 1144; BMF v. 13.7. 2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461. 4 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.1.4. 5 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.1.4. 6 Vgl. MK Nr. 20 zu Art. 25 OECD-MA. 7 Vgl. die Zusammenstellung in Anlage 2 zu BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 340/06, BStBl. I 2006, 461 (476). 8 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.1.2. 9 Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 38. 10 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.2.2 stellt klar, dass für die Fristwahrung sowohl der Eingang beim örtlich zuständigen Finanzamt als auch beim BZSt genügt.
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kommen nicht entsprechenden Besteuerung führt“, stellt sich bei Verrechnungspreisfällen die Frage, auf welche der beiden in Betracht kommenden Maßnahmen (d.h. auf welchen der beiden Staaten) abzustellen ist. Eine mögliche Abkommenswidrigkeit kann sich aus einer Erstberichtigung, aber auch aus einer fehlenden Gegenkorrektur ergeben. Auch wenn die wirtschaftliche Doppelbesteuerung und damit die Abkommenswidrigkeit durch das Zusammenspiel der einzelnen Steuerbescheide häufig evident sind, ist es oftmals schwer zu beurteilen, welcher der beiden Staaten letztendlich abkommenswidrig agiert hat (vgl. Rz. 10.10). Bei der Berechnung der Antragsfrist an die Bekanntgabe des „tatsächlich abkommenswidrigen Steuerbescheids“ anzuknüpfen, würde aus Sicht des Antragstellers nicht nur zu erheblicher Unsicherheit bei der Berechnung der Antragsfrist führen, sondern darüber hinaus in der Praxis eine Vielzahl präventiver Anträge provozieren. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass sowohl die OECD1 als auch das BMF2 in diesen Fällen auf die jüngere Maßnahme abstellen.3 Beruht die gerügte Abkommenswidrigkeit – wie in Verrechnungspreisfällen – auf dem Zusammenspiel der Besteuerung beider Staaten, so kommt es für den Fristbeginn auf die Bekanntgabe des „letzten Bescheids“ an.4
10.14
Antragsform und Antragsinhalt. Die Verständigungsklauseln selbst enthalten regelmäßig keine besonderen Formvorgaben für den zu stellenden Antrag. Der Musterkommentar geht davon aus, dass die zuständigen Behörden erforderlichenfalls besondere Verfahrensvorschriften erlassen dürfen.5 Deutschland hat von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht, so dass sich die Form nach dem Verständnis des Musterkommentars zu Art. 25 OECD-MA nach den bei nationalen „Einwendungen“ zu beachtenden Vorgaben richtet.6 Stellt man für Deutschland auf die Regeln des Rechtsbehelfsverfahrens ab, kann der Antrag dementsprechend schriftlich oder zur Niederschrift erklärt werden.7 In der Sache muss die den Antrag stellende Person der Auffassung sein, dass „Maßnahmen eines Vertragsstaates oder beider Vertragsstaaten für sie zu einer Besteuerung führen oder führen werden, die diesem Abkommen nicht entspricht“.8 Das Vorliegen einer Doppelbesteuerung muss nicht geltend gemacht werden.9 Es genügt bereits, dass die Besteuerung eines Vertragsstaats oder beider Vertragsstaaten einer Bestimmung des Abkommens unmittelbar wi1 OECD-Verrechnungspreisleitlinien, Tz. 4.49 Satz 5. 2 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.2.1. 3 Ebenso Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 87 f.; Lehner in V/L5, Art. 25 Rz. 38; Schmitz in S/K/K, Art. 25 OECD-MA Rz. 29; Becker in Haase2, Art. 25 OECD-MA Rz. 20. 4 So ausdrücklich BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.2.1. Satz 2. 5 MK Nr. 16 zu Art. 25. 6 MK Nr. 16 zu Art. 25. 7 Vgl. für das Einspruchsverfahren § 357 Abs. 1 Satz 1 AO. 8 Art. 25 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA. 9 So ausdrücklich MK Nr. 13 zu Art. 25.
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derspricht. Demzufolge kann auch dann eine abkommenswidrige Besteuerung durch einen der beiden Staaten gerügt werden, wenn der andere Staat sein Besteuerungsrecht gar nicht ausübt – beispielsweise weil dessen innerstaatliches Recht eine solche Besteuerung nicht vorsieht.1 Gleichwohl zielen in der Praxis die meisten Anträge auf die Beseitigung einer tatsächlichen Doppelbesteuerung ab. Da der Antrag nicht zwingend eine juristische Doppelbesteuerung rügen muss, kann ein solcher auch in Verrechnungspreisfällen gestellt werden.2 Ein Verständigungsverfahren kann auch im Hinblick auf eine Verletzung der Klausel über die Besteuerung von verbundenen Unternehmen (vgl. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA) beantragt werden. Auch ist es möglich, ein Verständigungsverfahren zu beantragen und dabei die Verletzung der Verpflichtung zur Gegenberichtigung (vgl. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA) zu rügen. Selbst für den Fall, dass das jeweilige Abkommen keine ausdrückliche Klausel zur Gegenberichtigung enthält, kann auf Basis der Musterkommentierung der OECD ein Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens gestellt werden.3 Denn in diesem Fall hat aufgrund der fehlenden Gegenberichtigung und hierdurch ausgelösten Doppelbesteuerung zumindest einer der beiden Staaten gegen die abkommensrechtlichen Vorgaben zur Besteuerung verbundener Unternehmen (Art. 9 Abs. 1 OECD-MA) verstoßen.4 Infolgedessen sollen sich die Staaten auch bei Fehlen einer Art. 9 Abs. 2 OECD-MA entsprechenden Vorschrift um eine Gegenberichtigung bemühen.5 Auch das BMF hat sich dieser Auffassung angeschlossen und geht demgemäß in seinem Merkblatt darauf ein, dass eine dem Abkommen nicht entsprechende Besteuerung auch dann vorliegt, wenn Einkünfte bei verbundenen Unternehmen nicht zutreffend auf der gemeinsamen Rechtsgrundlage des DBA abgegrenzt worden sind. Dies gelte nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs selbst dann, wenn Sonderklauseln im jeweiligen Abkommen fehlen.6 Der Umstand, dass die Mehrheit der von der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahr 1992 abgeschlossenen Abkommen keine Art. 9 Abs. 2 OECD-MA vergleichbare Vorschrift enthält, steht folglich der Möglichkeit eines Verständigungsverfahrens zur Herbeiführung von Gegenberichtigungen in der Praxis nicht entgegen.7 In der Praxis betreffen zahlreiche Verständigungsverfahren unter deutscher Beteiligung Verrechnungspreissachverhalte oder die Aufteilung der Unternehmensgewinne 1 Vgl. MK Nr. 13 zu Art. 25. 2 MK Nr. 10 ff. zu Art. 25. 3 OECD, Verrechnungspreisrichtlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 160 f. 4 Vgl. MK Nr. 11 zu Art. 25, wonach die „wirtschaftliche Doppelbesteuerung zumindest nicht dem Geist des Abkommens entspricht“. 5 MK Nr. 12 zu Art. 25. 6 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.3.1. Zur Geltung des Verständigungsverfahrens im Rahmen der Einkünfteabgrenzung bereits BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 Tz. 6.1.3.1. 7 Gegen die Ableitung eine Verständigung aus Art. 9 Abs. 1 OECD-MA indes Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 193.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Von den 306 in 2011 unter deutscher Beteiligung neu eingeleiteten Verständigungsverfahren betrafen 120 Verfahren Verrechnungspreisfragen oder die Betriebsstättengewinnaufteilung.1
10.15
Möglichkeit präventiver Antragstellung. Im Zeitpunkt der Antragstellung muss die gerügte abkommenswidrige Besteuerung noch nicht eingetreten sein. Es reicht aus, dass der Antragsteller rügt, dass die jeweiligen Maßnahmen zu einer abkommenswidrigen Besteuerung „führen werden“. Das Verständigungsverfahren kann demzufolge auch rein präventiv beantragt werden.2 Der Musterkommentar betont indes, dass das Risiko einer abkommenswidrigen Besteuerung in diesem Fall nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich sein muss. Entscheidend hierbei sei die Sicht des Steuerpflichtigen.3 Diese müsse jedoch auf vertretbare und glaubhafte Tatsachen gestützt werden. Die nationalen Steuerbehörden sollten die Befassung mit dem Antrag nicht allein ablehnen, wenn z.B. nach innerstaatlichen Beweisstandards eine solche Besteuerung nicht bewiesen sei.4 Vergleichsweise milde formuliert daher auch das BMF-Merkblatt, dass im Fall einer drohenden Doppelbesteuerung diese nicht nachgewiesen werden muss, es sei denn, dass das einschlägige Abkommen selbst einen entsprechenden Nachweis verlangt.5
10.16
Einzelangaben. Weitere verbindliche Inhaltsangaben sind weder nach Abkommensrecht noch von Seiten der deutschen Finanzverwaltung vorgesehen. Zur Beschleunigung des Verfahrens empfiehlt es sich jedoch, dass der Antrag bereits die folgenden Angaben enthält:6 – Name, Anschrift (Sitz), Steuernummer und örtlich zuständiges Finanzamt des Abkommensberechtigten; – detaillierte Angaben zu den für den Fall relevanten Tatsachen und Umständen; – Angaben zu den vom Antrag betroffenen Besteuerungszeiträumen; – Kopien der Steuerbescheide, des Betriebsprüfungsberichts oder vergleichbarer Dokumente, die zu der behaupteten Doppelbesteuerung geführt haben, sowie weiterer bedeutsamer Dokumente (z.B. Verträge, Anträge auf Erstattung/Ermäßigung ausländischer Quellensteuer); – detaillierte Angaben zu etwaigen außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren und etwaigen den Fall betreffenden Gerichtsurteilen im In- und Ausland; 1 Vgl. Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 27. 2 Vgl. hierzu insbesondere Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, Berlin 2009, 200 ff.; sowie Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 53 ff. 3 MK Nr. 14 zu Art. 25. 4 MK Nr. 14 zu Art. 25. 5 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.3.1. 6 Aufzählung nach BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.3.3.
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– in Fällen der Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen und bei Betriebsstätten die Angaben und Unterlagen gemäß Tz. 11.3.2 des BMF-Merkblatts; – eine Darlegung seitens des Abkommensberechtigten, inwiefern nach seiner Auffassung die Besteuerung im In- oder Ausland nicht dem Abkommen entspricht. c) Entscheidung über den Antrag Vorprüfungs- und Abhilfeverfahren. Die Prüfung der vorgenannten Zulässigkeitsvoraussetzungen erfolgt im Rahmen eines behördeninternen Vorprüfungsverfahrens. Die Behörde hat dabei vorrangig darüber zu entscheiden, ob dem Begehren bereits durch innerstaatliche Maßnahmen abgeholfen werden kann. Die entsprechende Abhilfeprüfung erfolgt von Amts wegen.1 Ferner soll bei fehlender Abhilfemöglichkeit das Verständigungsverfahren erst eingeleitet werden, wenn ein Vertragsstaat Maßnahmen, die zu einer abkommenswidrigen Besteuerung führen oder führen werden, bereits ergriffen hat oder sich eine solche Maßnahme konkret abzeichnet.2 Hierdurch soll eine größtmögliche Konzentration des Verfahrens auf die wirklich „streitigen“ Sachverhalte erreicht werden. Für den Fall, dass das BZSt die mit dem Antrag erfolgte Darlegung der abkommenswidrigen Besteuerung für begründet hält, unilateral aber nicht abhelfen möchte oder kann,3 leitet es das Verfahren ein. Sofern der Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens bereits vor Bekanntgabe des Steuerbescheids gestellt worden war, bestimmt das Merkblatt zusätzlich, dass die Steuerfestsetzung gem. § 165 AO vorläufig erfolgen kann, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung der Steuer eingetreten sind.4 Im Fall der Ablehnung der Eröffnung des Verständigungsverfahrens unterrichtet das BZSt unverzüglich den Antragsteller sowie dessen zuständige Landesfinanzverwaltung über die Entscheidung.5
10.17
Art der Entscheidung. Auch wenn u.a. der Wortlaut gegen ein behördliches Ermessen bei der Entscheidung über die Einleitung eines zwischenstaatlichen Verfahrens spricht,6 haben selbst abkommensberechtigte Personen nach überwiegender Auffassung7 keinen Anspruch auf die Einlei-
10.18
1 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.4.1. 2 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.4.2. 3 Das BMF-Merkblatt macht die Verfahrenseinleitung davon abhängig, dass „die materiellen Voraussetzungen für das Verständigungsverfahren“ vorliegen (vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.4.3). Dies bedeutet, dass der angerufene Vertragsstaat die geltend gemachten Einwendungen für begründet hält, eine unilaterale Abhilfe aber ablehnt, vgl. im Einzelnen Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 127. 4 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.4.4. 5 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.4.3. 6 Instruktiv Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 124 ff. 7 So z.B. Strobl, CDFI LXVIa (1981), 171 (174); Ismer, IStR 2003, 394 (394); Krabbe, IStR 2002, 548 (550); Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 90; Eilers in Wasser-
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
tung eines zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens. Vielmehr wird dem Steuerpflichtigen lediglich ein Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über die Einleitung des Verfahrens zugestanden.1
10.19
Rechtsschutzmöglichkeiten. Lehnt das BZSt den Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens ab, stellt sich die Frage, auf welchem Wege die Rechtmäßigkeit der behördlichen Ablehnung überprüft werden kann. Denkbar sind eine allgemeine Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 Fall 3 FGO) sowie eine Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 Fall 2 FGO). Bislang ist nicht höchstrichterlich geklärt, auf welchem prozessualen Weg der Steuerpflichtige die Verwaltung zur Durchführung eines Verständigungsverfahrens bewegen kann. Für die Klage auf Durchführung eines reaktiven Verständigungsverfahrens hat der BFH bislang offengelassen, welche der beiden Klagearten statthaft ist.2 Das FG Hamburg hält in diesen Fällen die allgemeine Leistungsklage für statthaft.3 Demgegenüber wird in der Literatur zum Teil die Verpflichtungsklage als die richtige Klageart angesehen.4 Dies ist v. a. für die Frage von Bedeutung, ob vor Klageerhebung erfolglos ein Einspruchsverfahren durchgeführt werden muss. Ein solches Einspruchsverfahren ist lediglich im Fall einer Verpflichtungsklage obligatorisch (vgl. § 44 Abs. 1 FGO). Wäre hingegen die allgemeine Leistungsklage die richtige Klageart, könnte der Steuerpflichtige auf ein Einspruchsverfahren verzichten und unmittelbar klagen. Da die Frage bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist, sollte auf ein Einspruchsverfahren aktuell nicht verzichtet werden. Dies auch insbesondere, da nach der gegenwärtigen Rechtslage das BZSt richtiger Beklagter im Verfahren ist und nicht mehr – wie noch in den bislang von der Rechtsprechung entschiedenen Verfahren – das BMF. Denn im Gegensatz zu einer Klage gegen das BMF ist ein Vorverfahren bei einer Klage gegen das BZSt nicht von Gesetzes wegen ausgeschlossen, vgl. § 348 Nr. 3 AO.5 Hält der Steuerpflichtige die Ablehnung für rechtswidrig, sollte er also gegen die Ablehnung des
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5
meyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 9a; Schmitz in S/K/K, Art. 25 OECD-MA Rz. 38; Becker in Haase2, Art. 25 OECD-MA Rz. 24; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren, 246; Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise, 225 f. m.w.N. Vgl. BFH v. 26.5.1982 – I R 16/78, BStBl. II 1982, 583 = FR 1982, 467 (586); Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 90 m.w.N. So ausdrücklich BFH v. 26.5.1982 – I R 16/78, BStBl. II 1982, 583 = FR 1982, 467. FG Hamburg v. 13.7.2000 – V 2/97, IStR 2003, 391, rkr. So z.B. Leising, IStR 2002, 114 (115 f.). Zwar handelt es sich bei dem begehrten zwischenstaatlichen Verständigungsverfahren nicht um einen Verwaltungsakt, der Voraussetzung für eine Verpflichtungsklage ist, sondern um Verwaltungsrealhandeln. Wird ein beantragtes Verwaltungsrealhandeln durch einen Verwaltungsakt abgelehnt, ist nach der nicht ganz einheitlichen Rechtsprechung eine Verpflichtungsklage statthaft (so z.B. für den Fall der abgelehnten Akteneinsicht BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, NFH/NV 1988, 319; zustimmend z.B. Rößler, DStZ 1995, 349). Oberste Bundesbehörde i.S.d. § 348 Nr. 3 AO ist vorliegend nur das BMF, bei dem BZSt handelt es sich demgegenüber um eine Bundesoberbehörde. Die Erforderlichkeit eines Vorverfahrens demgegenüber ablehnend Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 92.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
Antrags Einspruch einlegen (§ 347 Abs. 1 Nr. 1 AO).1 Der Rechtsbehelf hat allerdings nur dann Aussichten auf Erfolg, wenn es gelingt darzulegen, dass die Ablehnung ermessensfehlerhaft (z.B. aus sachwidrigen Erwägungen) erfolgt ist. War die Ablehnung ermessensfehlerhaft, wird das Gericht die Behörde zur Neubescheidung verpflichten. Ein Anspruch auf Vorabverständigung würde eine Ermessensreduzierung auf Null voraussetzen, was in aller Regel zu verneinen ist.2 d) Zwischenstaatliches Verständigungsverfahren Zwischenstaatliche Einigungsbemühungen. Das eigentliche Verständigungsverfahren beginnt damit, dass die zuständige Behörde, an die sich der Antragsteller gewandt hat, an die zuständige Behörde des anderen Staats mit dem Ziel, eine Verständigung zu erreichen, herantritt.3 Durch die Verständigung soll die abkommenswidrige Besteuerung vermieden werden (vgl. den Wortlaut von Art. Abs. 2 Satz 1 a.E. OECD-MA). Beide Behörden sind gehalten, sich um eine Verständigung zu bemühen; es besteht jedoch – schon nach dem Wortlaut der meisten Verständigungsklauseln – keine Pflicht, eine Einigung zu erreichen. Aus Art. 25 Abs. 4 OECD-MA folgt zunächst, dass die zuständigen nationalen Behörden unmittelbar miteinander verkehren können, ohne den diplomatischen Weg über das Außenministerium beschreiten zu müssen.4 Entsprechend können die zuständigen Behörden miteinander schriftlich, durch den Austausch von Abschriften, telefonisch sowie im direkten Gespräch miteinander kommunizieren.5 Der Sache nach handelt es sich bei der zwischenstaatlichen Kommunikation um Verhandlungen i.S.v. Art. 33 Abs. 1 der UN-Charta, mit der Besonderheit, dass die im Abkommen definierten zuständigen Behörden unter Umgehung des normalen diplomatischen Verkehrs unmittelbar miteinander verhandeln können.6 Keinen unmittelbaren Behördenverkehr sehen dagegen die DBA Griechenland und Israel vor. Hier sind die Behörden gezwungen, den diplomatischen Weg über die Außenministerien zu beschreiten.7 Auch das DBA Frankreich nennt zwar nicht explizit den unmittelbaren Behördenverkehr. Nach Art. 25 Abs. 4 des DBA Frankreich kann indes eine Verständigung durch „mündliche Besprechung“ herbeigeführt werden, was zumindest eine 1 Bei der Ablehnung handelt es sich auch nach Auffassung der Finanzverwaltung um einen Verwaltungsakt, vgl. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (599) Tz. 3.9. 2 Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 225 ff. 3 MK Nr. 37 Satz 1 zu Art. 25. 4 Lehner in V/L5, Art. 25 Rz. 181; Engler/Elbert in V/B/E, Verrechnungspreise3, F Rz. 255. 5 MK Nr. 58 zu Art. 25. 6 Mülhausen, Das Verständigungsverfahren, 83, 117 f.; Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren, 162 f.; sowie jüngst Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 3. 7 Vgl. Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 234.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
konkludente Ermächtigung zum unmittelbaren Behördenverkehr beinhaltet.1 Weitere Regelungen hinsichtlich des Verfahrens trifft das Musterabkommen nicht. Auch das BMF-Merkblatt verweist lediglich darauf, dass sich der konkrete Verhandlungsablauf an den Verhältnissen des Einzelfalls und dem Gebot der Zweckmäßigkeit orientiert.2
10.21
Praktischer Ablauf in Deutschland. Zuständig für die Durchführung der Verständigungen ist innerhalb des BZSt das Referat St III 1, wobei zumeist ein Referent für eine Gruppe oder einzelne bedeutende Länder zuständig ist. Mit Staaten, mit denen Deutschland intensive und umfangreiche wirtschaftliche Beziehungen unterhält, finden im Regelfall zweimal jährlich Treffen der zuständigen Delegationen statt, bei weniger intensiven Wirtschaftsbeziehungen mindestens einmal jährlich. Im Rahmen dieser Treffen werden die zu diesem Zeitpunkt anhängigen Verfahren bilateral erörtert. Dabei bemühen sich die Delegationen nicht zwingend darum, jeden Einzelfall isoliert zu erörtern und einer individuellen, abkommenskonformen Verständigungslösung zuzuführen. Häufig werden Verständigungsverfahren dadurch abgeschlossen, dass eine Vielzahl anhängiger Steuerfälle in einem „Gesamtpaket“ verhandelt und „en bloc“ zum Gegenstand einer einzelfallübergreifenden Verständigungslösung gemacht werden. Dem Vernehmen nach soll sich eine solche einzelfallübergreifende Verständigungslösung häufig nicht nach den grundsätzlich anwendbaren Abkommensklauseln, sondern – im Rahmen eines zwischenstaatlichen Gebens und Nehmens – nach dem jeweils betroffenen Steuervolumen richten (Quid-pro-quo-Lösung). In diesen Fällen steht naturgemäß nicht die abkommensrechtliche Einzelfallgerechtigkeit im Vordergrund; vielmehr ist ein solches Gesamtpaket durch fiskalische Erwägungen getrieben. Gleichwohl verweist insbesondere auch der Musterkommentar darauf, dass es eine Selbstverständlichkeit sei, dass sich die zuständigen Behörden in erster Linie an die Vorschriften ihres nationalen Steuerrechts und des Abkommens halten. Erst nachrangig sei eine von Rechtsprüfungen losgelöste Billigkeitsregelung zu suchen.3 Mit Blick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist das praktische Vorgehen der Verwaltungen auch seitens der Literatur erheblich kritisiert worden.4 In der Praxis scheitert eine inhaltliche Überprüfung der getroffenen Verständigung jedoch bereits an dem Umstand, dass das BZSt dem Steuerpflichti1 Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 191 sowie Rz. 192 ff. mit umfangreichen Nachweisen zu den einzelnen Klauseln der von Deutschland abgeschlossenen DBA. 2 Ein Überblick zu den in anderen Ländern erlassenen Richtlinien zur Durchführung des Verständigungsverfahrens findet sich bei Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 41 sowie Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 73 f. 3 MK Nr. 38 zu Art. 25. 4 So verweist etwa Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 209 darauf, dass die Art. 25 Abs. 1 und 2 OECD-MA keine Ermächtigungsgrundlage darstellen würden, die es der Finanzverwaltung erlaubten, vom Abkommens- oder innerstaatlichen Recht abzuweichen.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
gen zumeist nur das Verständigungsergebnis, nicht jedoch die tragenden Erwägungen mitteilt. Völkerrechtlicher Vertrag unter Zustimmungsvorbehalt. Können sich die betroffenen Staaten auf eine Lösung des betroffenen Steuerfalls einigen, wird der Inhalt der Einigung im Allgemeinen schriftlich fixiert.1 Nach überwiegender Ansicht handelt es sich bei einer solchen Vereinbarung um einen völkerrechtlichen Vertrag i.S.v. Art. 59 Abs. 2 GG.2 In der deutschen Verständigungspraxis wird die zwischenstaatliche Verständigungsvereinbarung in aller Regel mit einer Klausel verbunden, nach der die zwischenstaatliche Vereinbarung unter dem Vorbehalt steht, dass der Steuerpflichtige der Vereinbarung zustimmt3 und für verständigungskonforme Steuerbescheide einen Einspruchsverzicht erklärt.4 Ein entsprechender Zustimmungsvorbehalt ist Bestandteil der Vereinbarung über das Inkrafttreten der Verständigungsvereinbarung. Beide Erklärungen des Steuerpflichtigen müssen vorliegen, damit die Vereinbarung zwischenstaatliche Bindungswirkung entfaltet (hierzu Rz. 10.25).
10.22
Dauer des Verfahrens. Die Länge des Verfahrens gehört zu den im Rahmen des Verständigungsverfahrens am meisten kritisierten Aspekten.5 So können die Komplexität mancher Verfahren wie auch Divergenzen hinsichtlich Verfahren, Rechtssystem und Aufzeichnungs- sowie Buchführungspflichten zwischen den betroffenen Staaten oftmals zu einer mehrjährigen Verfahrensdauer führen.6 Die OECD empfiehlt in den MEMAP, dass ein erstes Positionspapier innerhalb von sechs Monaten nach Annahme des Antrags auf Verfahrenseinleitung erstellt werden soll. Die Antwort der beteiligten ausländischen Behörde solle dann innerhalb von sechs Monaten erfolgen und die entsprechende Einigung dann innerhalb von 24 Monaten ab Annahme des Verfahrens erreicht sein.7 Belastbares statistisches Datenmaterial hinsichtlich der tatsächlichen Dauer liegt seitens der OECD bisher nicht vor.8 Die Idealvorgabe von zwei Jahren wird
10.23
1 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 3.4. 2 So bereits Mülhausen, Das Verständigungsverfahren, 132; ebenso z.B. Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren, 176 ff. (180); Kerath, Maßstäbe zur Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, 237 f.; Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen, 237; Striewe, Die verfahrensrechtliche Umsetzung internationaler Verständigungsvereinbarungen (§ 175a AO), 136 f.; Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 156 m.w.N. 3 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 3.4. 4 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 4.2. 5 Zu weiteren Bedenken hinsichtlich der Durchführung eines Verständigungsverfahrens OECD, Verrechnungspreisrichtlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 164. 6 OECD, Verrechnungspreisrichtlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 167. 7 OECD MEMAP 3.9, MEMAP Annex 1. 8 Vgl. Annex 1 zu MEMAP. Zur Dauer von Verständigungsverfahren vgl. ua die Nachweise bei Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, 241 ff.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
in der Praxis wohl nur in der Hälfte aller Fälle eingehalten.1 Zur Beschleunigung des Verfahrens empfiehlt die OECD, vorab im Rahmen eines persönlichen Kontakts oder einer Telefonkonferenz zu klären, ob die intendierten Berichtigungen in dem anderen Staat Anlass zu Schwierigkeiten geben werden.2 e) Einbindung des Antragstellers
10.24
Stellung des Antragstellers im Verfahren. Positivrechtliche Regelungen zu der Frage, über welche Rechte der Antragsteller im Verständigungsverfahren verfügt, finden sich weder auf Abkommens- noch auf innerstaatlicher Ebene. Im Verfahren selbst ist der Antragsteller nicht direkt beteiligt. Er verfügt weder über eine Parteistellung, noch hat er einen klagbaren Anspruch auf rechtliches Gehör.3 Der Antragsteller hat dementsprechend keinen unmittelbaren Einfluss auf Ausgang oder Inhalt der Verständigung.4 Insbesondere in Verfahren über Verrechnungspreise versucht das BMF jedoch, den Steuerpflichtigen durch Information und Erörterung faktisch stärker einzubinden.5 Subjektive Rechte für den Steuerpflichtigen lassen sich aus dieser reinen Absichtserklärung indes nicht herleiten. Die Finanzverwaltung gewährt dem Steuerpflichtigen innerhalb des Verständigungsverfahrens lediglich Anhörungs- und Mitwirkungsrechte. Das Merkblatt sieht insoweit eine intendierte Ermessenentscheidung („soll“) des BZSt vor, so dass von einer Unterrichtung des Steuerpflichtigen über Stand und Fortgang des Verfahrens nur in Ausnahmefällen abgesehen werden kann.6 Der Steuerpflichtige kann ferner Anträge stellen, sich zu den für die Verständigung erheblichen Tatsachen und Rechtsfragen äußern sowie sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen.
10.25
Zustimmungserklärung und Einspruchsverzicht. Zwar ist der Steuerpflichtige in Bezug auf das zwischenstaatliche Verständigungsverfahren kein Verfahrensbeteiligter; im innerstaatlichen Besteuerungsverfahren ist er jedoch Beteiligter i.S.v. § 78 AO und als solcher zur Mitwirkung verpflichtet. Gelingt es den zuständigen Behörden, unter Zustimmungsvorbehalt eine zwischenstaatliche Verständigungsvereinbarung zu schließen, wird der Steuerpflichtige durch das BZSt schriftlich über den Abschluss und den Inhalt der Vereinbarung informiert. Er wird aufgefordert, schriftlich sein Einverständnis mit der zwischenstaatlichen Verständigungsvereinbarung zu erklären. Zudem wird er aufgefordert, zu erklären, dass 1 So Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 119. 2 OECD, Verrechnungspreisrichtlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 167. 3 Vgl. etwa BFH v. 26.5.1982 – I R 16/78, BStBl. II 1982, 583 = FR 1982, 467 (585). Die OECD betont in diesem Zusammenhang, das „Verständigungsverfahren ist kein Rechtsmittelverfahren“, so OECD, Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen, 168. 4 Decker, PIStB 2002, 193 (198). 5 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 Tz. 1.3. 6 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 3.3.1.
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schwebende innerstaatliche Rechtsbehelfsverfahren mit der Umsetzung der Verständigungsvereinbarung ihre Erledigung finden. Weiter muss er nach § 354 Abs. 1a AO auf Einsprüche gegen zukünftige1 verständigungskonforme Steuerbescheide verzichten.2 Gibt der Steuerpflichtige die geforderten Erklärungen ab, wird die Verständigungslösung zwischenstaatlich verbindlich.3 3. Innerstaatliche Umsetzung der Verständigungsvereinbarung Durchbrechung der Bestandskraft. Die Umsetzung einer zwischenstaatlich verbindlichen Verständigungsvereinbarung erfolgt nach dem Recht der beteiligten Staaten. Nach deutschem Recht kann die Verständigungsvereinbarung dabei unabhängig von der formellen Bestandskraft der jeweiligen Steuerbescheide umgesetzt werden (vgl. § 175a AO).4 Nach § 175a Satz 2 AO endet die Festsetzungsfrist insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Wirksamwerden der Verständigungsvereinbarung. Zugleich wird nach § 171 Abs. 3 AO der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt, sofern gleichzeitig mit dem Antrag auf Einleitung des Verständigungsverfahrens auch die Änderung des Steuerbescheids beantragt wird.5
10.26
Verhältnis zu innerstaatlichen Rechtsbehelfen. Insbesondere der vorgenannte Verzicht auf die Einlegung von Rechtsmitteln steht zu der Intention des jeweiligen Abkommens scheinbar in Widerspruch. Denn wie bereits ausgeführt, kann der Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens zunächst grundsätzlich parallel zu einem innerstaatlichen Rechtsbehelf gestellt werden (Rz. 10.8). Insbesondere soll der Steuerpflichtige ausweislich der OECD-Kommentierung das Verständigungsverfahren durchführen können, ohne der „üblichen Rechtsmittel“ „beraubt“ zu werden.6 Auch der Musterkommentar erkennt jedoch das Bestreben
10.27
1 Da gem. § 354 Abs. 1 Satz 1 AO eigentlich nur „nach Erlass des Verwaltungsaktes“ wirksam auf einen Einspruch verzichten kann, bestehen Zweifel, ob der im BMF-Merkblatt vorgesehene antizipierte Verzicht überhaupt wirksam ist, vgl. nur Werth in Beermann/Gosch, § 354 AO Rz. 9. § 354 Abs. 1a AO sollte dahingehend ergänzt werden, dass eine Verzichtserklärung nach dieser Vorschrift auch vor Erlass des jeweiligen Feststellungs- oder Steuerbescheids wirksam abgegeben werden kann. 2 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 4.2. 3 Grundlegend zur Frage der Bindungswirkung von Verständigungen Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 236 ff. 4 Ausführlich zur Anwendbarkeit weiterer Korrekturvorschriften zur Umsetzung zwischenstaatlicher Verständigungsvereinbarungen Striewe, Die verfahrensrechtliche Umsetzung internationaler Verständigungsvereinbarungen (§ 175a AO), 177 ff. 5 So auch BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 4.1; ebenso OFD Magdeburg v. 11.2.2005 – S 0353 - 5 - St 251, StEK AO 1977 § 175a Nr. 1; Lühn, BB 2009, 412; Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 268. 6 MK Nr. 7 zu Art. 25.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
der nationalen Behörden an, etwaigen Widersprüchen und Abweichungen zu der erzielten Verständigungslösung durch einen Rechtsmittelverzicht des Steuerpflichtigen zu begegnen.1 Es ist daher zwischen der Frage, ob das Verständigungsverfahren neben einem innerstaatlichem Rechtsbehelfsverfahren eingeleitet werden kann, und der Frage der Durchsetzung der getroffenen Vereinbarung zu trennen. Eine entsprechende Erklärung des Steuerpflichtigen bildet somit – auch nach Auffassung des Musterkommentars – den Regelfall.2 4. Kosten und Gebühren des Verständigungsverfahrens
10.28
Kosten- und Gebührenfreiheit. In Deutschland ist eine Gebührenpflicht lediglich für das APA-Verfahren angeordnet (vgl. § 178a AO), mit der Folge, dass eine Gebührenpflicht des allgemeinen Verständigungsverfahrens zu verneinen ist.3 Auch die Verständigungsklauseln nach dem Vorbild von Art. 25 OECD-MA enthalten keine Regelung zu Kosten und Gebühren. In der Folge tragen die Vertragsstaaten die ihnen durch das Verständigungsverfahren entstandenen Kosten selbst; die dem Abkommensberechtigten entstandenen Kosten werden auch dann nicht erstattet, wenn durch das Verfahren eine ursprünglich abkommenswidrige Besteuerung beseitigt wurde.4 5. Scheitern einer zwischenstaatlichen Verständigung
10.29
Optionen im Falle des Scheiterns. Da die Vertragsstaaten nach üblichen Verständigungsklauseln nicht verpflichtet sind, eine Einigung zu erzielen, kommt es vor, dass keine Einigung erzielt werden kann. Obwohl Verständigungsverfahren durch die deutsche Finanzverwaltung überdurchschnittlich ernsthaft und engagiert betrieben werden, enden auch ca. 10 % der Verfahren unter deutscher Beteiligung ohne Erfolg, d.h. die gerügte abkommenswidrige Besteuerung wird nicht durch das Verständigungsverfahren beseitigt.5 Im Idealfall besteht für den Steuerpflichtigen die Möglichkeit, im Anschluss an das gescheiterte Verständigungsverfahren ein Schiedsverfahren zu initiieren. Besteht diese Möglichkeit nicht oder wird die Durchführung eines (fakultativen) Schiedsverfahrens abgelehnt, ist zunächst zu prüfen, ob das Abkommen besondere Regeln über Konsequenzen bei Scheitern von Verständigungsverfahren enthält. Einige Protokolle zu DBA sehen vor, dass, wenn im Verständigungsverfahren keine Einigung über einen Qualifikations- oder Zurechnungskonflikt erzielt wird, eine Steueranrechnung möglich ist.6 Im Übrigen kommen 1 2 3 4 5 6
MK Nr. 45 zu Art. 25 sowie bereits Nr. 25. MK Nr. 45. Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 113. Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006 461 Tz. 9. Vgl. Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 27. Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 115, 136; Schmitz in S/K/K, Art. 25 OECD-MA Rz. 47; Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 159.
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noch innerstaatliche Möglichkeiten in Betracht, in Deutschland etwa ein Abzug der ausländischen Steuer von den Einkünften (wie Werbungskosten/Betriebsausgaben) nach § 34c Abs. 6 Satz 6 i.V.m. Abs. 3 EStG.1 Ist auch dies nicht möglich, sollen die örtlichen Behörden prüfen, ob eine Doppelbesteuerung unter den Voraussetzungen des § 163 AO unter dem Gesichtspunkt der sachlichen Unbilligkeit vermieden werden kann.2 Ein solcher Antrag ist in der Praxis nicht automatisch von Erfolg gekrönt. Die bisweilen restriktive Billigkeitspraxis wird u.a. damit begründet, dass bei einer großzügigen Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen die Gefahr bestünde, dass bei den behördlichen Verhandlungspartnern im Vertrauen auf unilaterale Billigkeitsmaßnahmen die Bereitschaft zu Konzessionen im Verständigungsverfahren zurückginge.3
III. Verfahren nach der EU-Schiedskonvention 1. Grundlagen Hintergrund und materiell-rechtliche Grundlagen. Bei der EU-Schiedskonvention handelt es sich um die wichtigste Rechtsgrundlage für die Bereinigung von Verrechnungspreiskonflikten innerhalb der Europäischen Union. Das „Übereinkommen Nr. 90/436/EWG über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen“ wurde am 23.7.1990 auf Grundlage von Art. 293 EG a.F. abgeschlossen und ist zum 1.1.1995 in Kraft getreten.4 Es handelt sich um einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der EG (nunmehr EU), der auf einen Vorschlag der Kommission aus dem Jahre 1976 für eine Richtlinie über Bestimmungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung für den Fall der Gewinnberichtigung zwischen verbundenen Unternehmen5 sowie auf das Weißbuch der Kommission über die Vollendung des Binnenmarkts von 19856 zurückgeht.7 Das Übereinkommen dient der Vermeidung sowie der Bereinigung internationaler Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Verrechnungspreise zwischen verbundenen Unternehmen sowie zwischen Betriebsstätten. Die materiell-rechtlichen Regelungen der Konvention entsprechen im Grundsatz den parallelen Gewinnabgrenzungsvorschriften in den bilateralen DBA (im Kern also den Regelungen in Art. 9 OECD-MA und
1 Vgl. Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 159. 2 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 8.2. 3 Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 136; Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 159. 4 BStBl. I 1995, 166. 5 ABl. C 301 v. 21.12.1976. 6 Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg 1985. 7 Zur Historie vgl. im Einzelnen Baßler, Steuerliche Gewinnabgrenzung im Europäischen Binnenmarkt, 291 ff.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
Art. 7 Abs. 2 OECD-MA).1 Hiernach sind die Vertragsstaaten verpflichtet, sich bei der Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen sowie zwischen Betriebsstätten am Fremdvergleichsgrundsatz zu orientieren (Art. 4 EU-Schiedskonvention).2 Besonders bedeutsam ist die Konvention vor allem wegen ihrer verfahrensrechtlichen Instrumente zur Vermeidung und Bereinigung von Besteuerungskonflikten. Kommt es zu einer abkommenswidrigen Doppelbesteuerung und wird diese nicht durch unilaterale Maßnahmen oder ein zwischenstaatliches Verständigungsverfahren beseitigt, sind die betroffenen Staaten innerhalb bestimmter Fristen zur Durchführung eines konfliktbereinigenden Schiedsverfahrens verpflichtet.
10.31
Zeitlicher und räumlicher Anwendungsbereich. Die Schiedskonvention galt zunächst für fünf Jahre vom 1.1.1995 bis zum 31.12.1999. Einige Monate vor dem Ablauf des ersten Fünfjahreszeitraums der Anwendung nahm der Rat ein Protokoll zur Änderung des Übereinkommens an, demzufolge das Schiedsübereinkommen grundsätzlich automatisch um weitere fünf Jahre verlängert wird, wenn kein Vertragsstaat Einwände erhebt. Dieses Protokoll wurde zwar rechtzeitig unterzeichnet, aber erst 2004 von den letzten der (seinerzeit fünfzehn) Mitgliedstaaten ratifiziert, weshalb die Fortsetzung der Konvention am 1.11.2004 rückwirkend zum 1.1. 2000 in Kraft trat.3 Seither gelten die Regelungen unbefristet. Neue Mitgliedstaaten sind der Konvention sukzessive4 beigetreten, so dass die Regelung auch im Verhältnis zu den letzten Beitrittsstaaten Anwendung findet. Lediglich im Verhältnis zu Kroatien steht ein Beitritt aktuell noch aus. 1 Krabbe in Wassermeyer, Art. 4 EU-SchÜ Rz. 1; Baßler, Steuerliche Gewinnabgrenzung im Europäischen Binnenmarkt, 300 f.; Alber, Schiedsverfahren im Internationalen Steuerrecht, 32 f. 2 Krabbe, IStR 1996, 5 (7); Krabbe in Wassermeyer, Vor. Art. 1 EU-SchÜ Rz. 4; Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 4 EU-SchÜ Rz. 2. 3 EU Joint Transfer Pricing Forum, Report on the re-entry into force of the arbitration convention. European Commission, Brussels, 30 May 2005, DOC. JTPF/ 019/REV5/2004/EN. 4 Übereinkommen über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden, ABl. Nr. C 26 vom 31.1.1996, 1; Übereinkommen über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zu dem Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen, ABl. Nr. C 160 v. 30.6.2005, 1; Akte über die Bedingungen des Beitritts der Bulgarischen Republik und Rumäniens und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge, ABl. Nr. L 157 v. 21.6.2005, 1 sowie Beschluss des Rates 2008/492/EG v. 23.6.2008 über den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Übereinkommen vom 23.7.1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen, ABl. Nr. C 174 v. 3.7.2008, 1. Nähere Angaben zum Ratifizierungsprozess können auf der Homepage des Rats der EU unter http://www.consili um.europa.eu/policies/agreements/search-the-agreements-database?command= details&id=297&aid= 2004119&lang=EN&doclang=EN eingesehen werden.
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Verhaltenskodex. Das Schiedsübereinkommen selbst enthält nur rudimentäre Verfahrensregeln. Die Durchführung eines Verfahrens richtet sich in der Praxis nach dem vom Verrechnungspreisforum (Joint Transfer Pricing Forum – JTPF)1 entwickelten „Verhaltenskodex für die Durchführung des Schiedsübereinkommens“.2 Dieser Verhaltenskodex ist – wie sich schon aus seiner Präambel ergibt – nicht rechtlich verbindlich, sondern hat den Charakter einer politischen Absichtserklärung und damit von „soft law“.3 Gleichwohl hat sich auch das BMF in seinem Merkblatt zum Verständigungs- und Schiedsverfahren an dem Verhaltenskodex orientiert und dessen Vorgaben für die deutsche Praxis präzisiert.4 Bei offenen Zweifelsfragen bietet sich daneben ein Rückgriff auf die Mitteilungen der EU-Kommission sowie die Sitzungsprotokolle des Verrechnungspreisforums an.5
10.32
2. Verfahrensabschnitte a) Überblick Verfahrensablauf im Überblick. Das Verfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen untergliedert sich in verschiedene Verfahrensabschnitte, die jedoch nicht alle durchlaufen werden müssen. Eine Lösung des Verrechnungspreiskonflikts kann auf jeder einzelnen Stufe bewirkt werden.6 Im Einzelnen sind folgende (sieben) Verfahrensabschnitte zu unterscheiden: 1. Unterrichtung im Rahmen des Vorverfahrens (Art. 5 EU-Schiedskonvention, vgl. Rz. 10.35); 2. Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens (Art. 6 Abs. 1 EU-Schiedskonvention, vgl. Rz. 10.36 ff.); 3. Prüfung unilateraler Abhilfe (Art. 6 Abs. 2 EU-Schiedskonvention, vgl. Rz. 10.41);
1 Beim Joint Transfer Pricing Forum handelt es sich um eine Sachverständigengruppe, die 2002 von der Europäischen Kommission eingesetzt wurde, um für die praktischen Probleme der Verrechnungspreisgestaltung innerhalb Europas pragmatische, nicht legislative Lösungen vorzuschlagen. Das Forum setzt sich aus einem Vertreter jedes Mitgliedstaates sowie Experten aus der Privatwirtschaft zusammen und wird von einem unabhängigen Vorsitzenden geleitet. Näheres zum Verrechnungspreisforum sowie den einzelnen erarbeiteten Stellungnahmen unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/taxation/company_tax/transfer_pric ing/forum/index_de.htm. 2 Überarbeiteter Verhaltenskodex zur wirksamen Durchführung des Übereinkommens über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen ABl. 2009, Nr. C 322, 1 ff. 3 Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 301; vgl. im Einzelnen Bödefeld/Kuntschik, IStR 2010, 474 (474 f.). 4 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461. 5 Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 268 (268). 6 Engler/Elbert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. F 303.
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4. Einleitung und Durchführung des zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens (Art. 6 Abs. 2 EU-Schiedskonvention, vgl. Rz. 10.42 ff.); 5. Einleitung und Durchführung des Schiedsverfahrens (Art. 7 ff. EUSchiedskonvention, vgl. Rz. 10.50 ff.); 6. Nachgeschaltete Verständigung im Einigungsverfahren (Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-Schiedskonvention, vgl. Rz. 10.59); 7. Erstarkung der Stellungnahme zum Schiedsspruch (Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 EU-Schiedskonvention, vgl. Rz. 10.60).
10.34
Drei-Phasen-Einteilung. Die vorgehend dargestellte Unterteilung in sieben einzelne Abschnitte ist in der Sache zwar zutreffend und präzise; sie lässt das Verfahren nach der EU-Schiedskonvention jedoch kompliziert und unübersichtlich erscheinen. Vor diesem Hintergrund werden die einzelnen Abschnitte in Literatur und Praxis aus Gründen der Übersichtlichkeit häufig drei unterschiedlichen Verfahrensstufen („Phasen“) zugeordnet: dem Vorverfahren (Phase I), dem Verständigungsverfahren (Phase II) und dem Schiedsverfahren (Phase III).
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Grafische Darstellung der Verfahrensstufen („Phasen“): Phase I: Vorverfahren „Anlassstaat“ unterrichtet Untermehmen unterdas Unternehmen über eine richtet den anderen geplante fremdvergleichsVertragsstaat basierende Gewinnberichtigung
Information des verbundenen Unternehmens im Ausland
Gegenberichtigung oder anderweitige Lösung des Konflikts
Prüfung der Möglichkeit einer Gegenberichtigung durch den anderen Staat und die insolvierten Unternehmen ansonsten zwingender Übergang in Phase II
Phase II: Verständigungsverfahren Maßnahme, die zur Doppelbesteuerung führt (z.B. zweiter Steuerbescheid)
Antrag auf Verfahrenseinleitung
Ablauf der Zweijahresfrist
Verständigungsverfahren
max. 3 Jahre
max. 2 Jahre
Phase III: Schiedsverfahren Konstituierung eines Beratenden Ausschusses
Abschluss der Informationssammlung
Stellungnahme des Beratenden Ausschusses
ansonsten zwingender Übergang in Phase III
Ablauf der Sechsmonatsfrist
Zweiter Einigungsversuch der Staaten
binnen sechs Monaten
Einigung und Beendigung des Verfahrens
max. sechs Monate
Staaten einigen sich auf eine Lösung
BA Stellungnahme wird verbindlicher Schiedsspruch
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
b) Vorverfahren
10.35
Unterrichtungspflicht. Der dem Verständigungs- und Schiedsverfahren vorgeschaltete Verfahrensabschnitt wird überwiegend als „Vorverfahren“ bezeichnet.1 Sobald die Finanzverwaltung eines Vertragsstaats beabsichtigt, unter Berufung auf den Fremdvergleichsgrundsatz eine Gewinnberichtigung vorzunehmen, ist sie entsprechend Art. 5 Unterabs. 1 EUSchiedskonvention gehalten, das von der Berichtigung betroffene Unternehmen rechtzeitig von der beabsichtigten Maßnahme in Kenntnis zu setzen, damit dieses Unternehmen Gelegenheit hat, die betroffenen Unternehmen in den anderen Vertragsstaaten zu informieren. Die im anderen Vertragsstaat betroffenen Unternehmen sollen hierdurch wiederum in die Lage versetzt werden, die für sie zuständigen Finanzbehörden über die bevorstehende Gewinnkorrektur („primary adjustment“) zu informieren, letztendlich zu dem Zweck, dort zur Vermeidung der Doppelbesteuerung eine Gegenberichtigung („corresponding adjustment“) zu erreichen.2 Die Berichtigungsabsicht ist im Regelfall das Ergebnis einer Außenprüfung, kann aber auch die Folge einer Prüfung im Veranlagungsverfahren sein.3 Im Rahmen des Vorverfahrens ist der jeweilige Vertragsstaat lediglich zur Unterrichtung über die beabsichtigte Gewinnkorrektur verpflichtet; kommt er seiner Unterrichtungspflicht nach, ist er nicht daran gehindert, die beabsichtigte Korrektur vorzunehmen (Art. 5 Unterabs. 2 EUSchiedskonvention).4 Das Vorverfahren zielt auf eine konsensuale Vermeidung des drohenden Verrechnungspreiskonflikts ab. Stimmen die involvierten Unternehmen und die betroffenen Vertragsstaaten der beabsichtigten Berichtigung ebenso wie der Gegenberichtigung zu, wird ein Verrechnungspreiskonflikt vermieden, und die Durchführung eines Verständigungsverfahrens (oder gar eines Schiedsverfahrens) kann unterbleiben (Art. 5 Unterabs. 3 EU-Schiedskonvention).5 Da die Konvention nicht ausdrücklich regelt, dass der andere Vertragsstaat bereits mit Rücksicht auf seine Zustimmung zur Erstberichtigung des anderen Staats selbst zur Gegenberichtigung verpflichtet ist,6 sollten die Unternehmen erst nach 1 Vgl. nur BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 10.1.; Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 278. 2 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 10.1.; Krabbe in Wassermeyer, Art. 5 EU-SchÜ Rz. 1; Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 278. 3 Krabbe in Wassermeyer, Art. 5 EU-SchÜ Rz. 2. 4 Erfolgt die Korrektur ohne die in Art. 5 EU-Schiedskonvention vorgesehene Unterrichtung, ist sie verfahrensfehlerhaft, vgl. Krabbe in Wassermeyer, Art. 5 EUSchÜ Rz. 6 f. 5 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 10.2; Krabbe in Wassermeyer, Art. 5 EU-SchÜ Rz. 8; Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 278. 6 Zum Teil wird angenommen, ein Staat, der einer Berichtigung des anderen Staats zustimmt, sei in der Folge auch zu einer entsprechenden Gegenberichtigung verpflichtet; so z.B. Hinnekens, EC Tax Rev. 1998, 247 (253); Baßler, Steuerliche Gewinnabgrenzung im Europäischen Binnenmarkt, 315; Käferböck in Schuch/Zehtener, Verrechnungspreisgestaltung im Internationalen Steuerrecht, 365 (375); ebenso Engler/Elbert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. F 304.
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Durchführung der Gegenberichtigung ihre Zustimmungserklärung abgeben.1 c) Beantragung eines Verständigungsverfahrens Antragserfordernis. Wird eine drohende oder eingetretene Doppelbesteuerung nicht bereits im Vorverfahren vermieden, kommt unter Beachtung von Art. 6 EU-Schiedskonvention die Durchführung eines Verständigungsverfahrens in Betracht. Die Durchführung eines solchen Verfahrens ist antragsgebunden. Erforderlich ist ein Antrag des betroffenen Unternehmens (vgl. Art. 6 Abs. 1 EU-Schiedskonvention). Der Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens ist bei der zuständigen Behörde des Staates zu stellen, dem das betroffene Unternehmen bzw. die betroffene Betriebsstätte zugehörig ist (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 EUSchiedskonvention). Dies ist bei Antragstellung in Deutschland das BZSt in Bonn, auf das das (eigentlich zuständige) BMF die Wahrnehmung der Aufgaben für den Bereich der Verständigungs- und Schiedsverfahren nach den DBA und der EU-Schiedskonvention übertragen hat.2
10.36
Antragsfrist. Der Fall ist der zuständigen Behörde innerhalb von drei Jahren nach der ersten „Mitteilung der Maßnahme“3 zu unterbreiten, die eine abkommenswidrige Doppelbesteuerung herbeiführt oder zukünftig herbeiführen könnte (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EU-Schiedskonvention). Was in diesem Zusammenhang unter „Mitteilung“ zu verstehen ist, wird in der Konvention nicht näher bestimmt. Das BMF vertritt die Auffassung, dass die Frist erst mit Bekanntgabe des „ersten Bescheides“ beginnt, der „zu einer Doppelbesteuerung führt“.4 Die nach Art. 5 EUSchiedskonvention erfolgte Unterrichtung über eine beabsichtigte Korrektur löst nach diesem Verständnis den Beginn der Frist noch nicht aus.5 Vielmehr kommt es auf den effektiven Eintritt der Doppelbesteuerung an, was auf Grundlage der in beiden Staaten ergangenen Bescheide zu beurteilen ist. Die Frist beginnt daher mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids, durch den die internationale Doppelbesteuerung begründet wird.6 Für die Fristwahrung ist der Eingang des Antrags bei der zuständigen Behörde maßgeblich.7 Nach Ablauf dieser Frist ist der Antrag unzu-
10.37
1 Vgl. auch Krabbe in Wassermeyer, Art. 5 EU-SchÜ Rz. 8. 2 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 1.4. und Tz. 11.1.3; Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 282. 3 Die englischsprachige Fassung lautet insoweit „the first notification of the action“. 4 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.2.1; ebenso Krabbe in Wassermeyer, Art. 5 EU-SchÜ Rz. 9. 5 So auch Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 6 EU-SchÜ Rz. 3. 6 Krabbe spricht insoweit zutreffend vom „letzten Steuerbescheid“, vgl. Krabbe, IStR 1996, 5 (8). 7 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.2.1.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
lässig;1 ein Anspruch auf Durchführung des Verständigungsverfahrens besteht dann nicht.
10.38
Verhältnis zu innerstaatlichen Rechtsbehelfen. Der Antrag kann grundsätzlich unabhängig von innerstaatlichen Rechtsbehelfen gestellt werden.2 Der Antrag ist daher unabhängig davon statthaft, ob innerstaatlich noch ein Rechtsbehelf anhängig ist oder der Rechtsweg noch nicht erschöpft ist.3 Die Frage des Verhältnisses zu innerstaatlichen Rechtsbehelfen ist von der Frage der Umsetzung einer etwaigen Verständigungsvereinbarung zu trennen. Das BMF verweist in seinem Merkblatt darauf, dass die Durchführung einer getroffenen Vereinbarung unter der Bedingung stehen kann, dass der Antragsteller antizipiert auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs verzichtet oder schwebende Rechtsbehelfsverfahren ihre Erledigung finden.4
10.39
Mindestinhalt der Antragsschrift nach dem BMF-Merkblatt. Der Antrag muss zunächst darlegen, dass die in Art. 4 EU-Schiedskonvention genannten Grundsätze für eine Gewinnberichtigung (insbesondere der Fremdvergleichsgrundsatz) nicht beachtet wurden. Das BMF-Merkblatt enthält eine Reihe von Vorgaben, die der Antragsteller bei Einreichung der Antragsschrift beachten sollte.5 Hierzu zählen: 1. Name, Anschrift (Sitz), Steuernummer und örtlich zuständiges Finanzamt des antragstellenden Unternehmens des Vertragsstaats sowie der anderen Beteiligten an den betreffenden Geschäftsvorfällen; 2. detaillierte Angaben zu den für den Fall relevanten Tatsachen und Umständen (einschließlich Einzelheiten über die Beziehungen zwischen dem Unternehmen und den anderen Beteiligten an den betreffenden Geschäftsvorfällen); 3. Angaben zu den vom Antrag betroffenen Besteuerungszeiträumen; 4. Kopien der Steuerbescheide, des Betriebsprüfungsberichts oder vergleichbarer Dokumente, die zu der behaupteten Doppelbesteuerung geführt haben; 5. detaillierte Angaben zu etwaigen außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, die das Unternehmen oder die anderen an den betreffenden Geschäftsvorfällen Beteiligten eingeleitet haben, sowie zu etwaigen den Fall betreffenden Gerichtsurteilen;
1 Krabbe in Wassermeyer, Vor. Art. 6 EU-SchÜ Rz. 9. 2 Art. 6 Abs. 1 Schiedsübereinkommen. 3 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.1.4 unter Verweis auf Tz. 2.1.5. 4 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 12.1.2, wonach Tz. 4 entsprechende Anwendung findet. Zur Rechtfertigung dieser Maßnahme vgl. bereits BT-Drucks. 12/5071, 15. 5 Vgl. im Einzelnen BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.3.2. Die genannten Vorgaben sind nahezu wörtlich dem Verhaltenskodex entnommen.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
6. eine Darlegung seitens des Unternehmens, inwiefern nach seiner Auffassung die in Art. 4 der Schiedskonvention festgelegten Grundsätze nicht beachtet wurden; 7. eine Zusage des Unternehmens, dass es so umfassend und so schnell wie möglich alle Nachfragen einer zuständigen Behörde beantworten und den zuständigen Behörden die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellen wird.1 Zur Vermeidung von Verzögerungen sollte der Antrag in dreifacher Ausführung eingereicht werden.2 Weitergehende Informationen. Über die vorgenannten Unterlagen und Angaben hinaus besteht das BZSt im Interesse einer effektiven und schnellen Bearbeitung des Antrags sowie zur Vermeidung zeitaufwendiger Rückfragen in aller Regel auf der Übermittlung weiterer Informationen. Anzugeben bzw. darzulegen sind3 1. die Steuerjahre, für die das Verständigungsverfahren eingeleitet werden soll; 2. der Verfahrensstand – Datum des/der Bp-Bericht(e) (Bp-Bericht als Ablichtung beifügen) – Datum des/der Änderungsbescheids bzw. -bescheide) – Angaben zu Rechtsbehelfs- bzw. Klageverfahren sowie Aussetzung der Vollziehung; 3. die betroffenen Unternehmen – in Deutschland betroffene(s) Unternehmen bzw. Betriebsstätte – Name(n): – Adresse(n): – ggf. gegründet oder umgewandelt, verschmolzen am – im anderen Staat/in anderen Staaten betroffene(s) Unternehmen bzw. Betriebsstätte(n) – Name(n): – Adresse(n): – ggf. gegründet am oder umgewandelt, verschmolzen am; 4. das Beteiligungsverhältnis zwischen dem/den inländischen und dem/ den ausländischen Unternehmen; 5. eine Beschreibung der Konzernstruktur und der Stellung des/der betroffenen inländischen und des/der ausländischen Unternehmen(s) im Konzern; 1 Das BZSt stellt auf seiner Internet-Homepage weiterführende Informationen zu den dem Antrag standardmäßig beizufügenden Unterlagen bereit, abrufbar unter http://www.bzst.de. 2 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.3.3. 3 Die Angaben können einem auf der Internetpräsenz des BZSt veröffentlichtem Fragebogen entnommen werden, vgl. http://www.bzst.de.
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10.40
Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
6. die wirtschaftliche Situation des Unternehmens/der Betriebsstätte in Deutschland – Gewinn-/Verlustsituation während des Korrekturzeitraums (Kopie der GuV-Rechnung und der Bilanzen beifügen), – Gewinn-/Verlustsituation vor/nach dem Korrekturzeitraum (Angaben sollten einen Überblick über einen angemessenen Zeitraum ergeben); Gewinn/Verlust Jahr(e)
Vor Verrechnungspreiskorrektur
Nach Verrechnungspreiskorrektur
7. die wirtschaftliche Situation des Unternehmens/der Betriebsstätte im Ausland (soweit bekannt) – Gewinn-/Verlustsituation während des Korrekturzeitraums, – Gewinn-/Verlustsituation vor/nach dem Korrekturzeitraum; Gewinn/Verlust
8. die Höhe der von der deutschen Bp vorgenommenen Korrekturen; Korrekturbetrag (Angabe der Währung)
9. die Art der Korrektur (vGA, Forderungen); 10. das Verrechnungspreisproblem (Angabe eines kurzen Stichworts, wie z.B. Dienstleistung im Konzern, Kostenumlage, Berechnung einer angemessenen Vergütung für das Produktions- oder Vertriebsunternehmen, Lizenzen, Zinsen etc.); 11. sowie Angaben zur Verrechnungspreisüberprüfung – Erläuterung des Unternehmensgegenstands der betroffenen Unternehmen, – Erläuterung der Geschäftsbeziehungen zwischen den betroffenen Unternehmen (Verträge beifügen), – Beziehungen zu weiteren Konzerngesellschaften, die für die Bestimmung des Verrechnungspreises von Bedeutung sind (z.B. Lieferverhältnisse Großmutter, Mutter, Tochter), – Beschreibung der Funktionen und Risiken der betroffenen Unternehmen, – Beschreibung der vom Unternehmen angewandten Verrechnungspreismethode, – Angaben, inwiefern das Verrechnungspreisproblem auch in späteren Jahren fortbesteht; 1238
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
12. im Fall von Rückfragen – Angaben, inwiefern das Verrechnungspreisproblem auch in späteren Jahren fortbesteht; 13. Anlagen – dem Bericht sind folgende Anlagen beizufügen: Kopie Bp-Bericht(e) für die betroffenen Zeiträume, Bilanzen und GuV-Rechnungen für die betroffenen Zeiträume. d) Prüfung unilateraler Abhilfe Mögliches Abhilfeverfahren. Auch ein fristgerechter, ordnungsgemäßer Antrag des Unternehmens führt nicht zwingend zur Einleitung eines zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens. Denn bevor die zuständige Behörde das Verständigungsverfahren einleitet, hat sie zu prüfen, ob sie gewillt und in der Lage ist, die gerügte Doppelbesteuerung bereits durch unilaterale Maßnahmen zu beseitigen, um so eine befriedigende Lösung herbeizuführen (Art. 6 Abs. 2 EU-Schiedskonvention). In diesen Fällen kommt es zu einer Streiterledigung im Abhilfeverfahren, ohne dass ein Verständigungsverfahren erforderlich wird.1 Wird der Antrag bei der zuständigen Behörde des Staats gestellt, in dem die Erstberichtigung erfolgt ist, so bezieht sich das mögliche Abhilfeverfahren naturgemäß auf die Überprüfung dieser Berichtigung. Wird der Antrag bei der zuständigen Behörde des anderen beteiligten Vertragsstaats gestellt, so zielt die Abhilfe regelmäßig auf die Rücknahme der Gegenberichtigung ab.2
10.41
e) Einleitung eines Verständigungsverfahrens Anspruch auf Verfahrenseinleitung. Hat das Unternehmen einen fristgerechten, ordnungsgemäßen Antrag gestellt und kommt es nicht zu einer unilateralen Abhilfe, ist die zuständige Behörde zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens verpflichtet.3 Für eine Pflicht zur Einleitung spricht bereits der Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 EU-Schiedskonvention, wonach sich die zuständige Behörde um eine Lösung im Verständigungsverfahren bemühen „wird“.4 Die Pflicht lässt sich ohne weiteres aus Art. 8 Abs. 1 EU-Schiedskonvention ableiten, wonach diese Verpflichtung in bestimmten Fällen nicht besteht.5 Da die Bestimmungen der EU-Schieds1 Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 6 EU-SchÜ Rz. 8. 2 Krabbe in Wassermeyer, Vor. Art. 6 EU-SchÜ Rz. 14. 3 So z.B. Krabbe in Wassermeyer, Vor. Art. 6 EU-SchÜ Rz. 15; Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 303; Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 268 (268 f.); Peters/ Haverkamp, BB 2011, 1303 (1306). 4 Instruktiv zur Parallele beim Verständigungsverfahren nach klassischen DBAKlauseln Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 124 ff. 5 Im Ergebnis ebenso Krabbe in Wassermeyer, Vor. Art. 6 EU-SchÜ Rz. 15; Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 303; Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 291; Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 268 (268 f.); im Ergebnis of-
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10.42
Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
konvention den Interessen der Unternehmen dienen, steht der behördlichen Verpflichtung ein entsprechender Anspruch des Antragstellers gegenüber,1 den dieser mit einer Verpflichtungs- bzw. Leistungsklage durchsetzen kann (vgl. hierzu oben Rz. 10.19).
10.43
Kein Anspruch bei „empfindlich zu bestrafendem Verstoß“. Nach Art. 8 Abs. 1 EU-Schiedskonvention besteht kein Anspruch auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens, wenn durch Gerichts- oder Verwaltungsverfahren endgültig festgestellt ist, dass eines der beteiligten Unternehmen durch Handlungen, die unter Berufung auf den Fremdvergleichsgrundsatz zu einer Gewinnberichtigung geführt haben, einen „empfindlich zu bestrafenden Verstoß“ gegen steuerliche Vorschriften begangen hat. Was unter einem „empfindlich zu bestrafenden Verstoß“ zu verstehen sein soll, ist in der EU-Schiedskonvention nicht geregelt. Die Vertragsstaaten haben ihr individuelles Verständnis in Einzelerklärungen konkretisiert. Für die Bundesrepublik Deutschland fällt hierunter „jeder Verstoß gegen die Steuergesetze, der mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder Bußgeld geahndet wird“. Neben der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) kommen damit insbesondere die leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) und die Steuergefährdung in Betracht (§ 379 AO). Dagegen fallen Zuschläge („penalties“) nach § 162 Abs. 4 AO nicht unter diese Definition.2 Ist ein behördliches oder gerichtliches Verfahren, mit dem ein empfindlich zu bestrafender Verstoß gegen steuerliche Vorschriften festgestellt werden soll,3 noch anhängig, besteht zwar die Pflicht, das Verständigungsverfahren einzuleiten; das eingeleitete Verständigungsverfahren kann jedoch von den zuständigen Behörden „ausgesetzt“ werden. Während dieser Aussetzung werden keine Verfahrenshandlungen vorgenommen; verfahrensbezogene Fristen werden für die Dauer der Aussetzung gehemmt.4
10.44
Zwang zur beschleunigten Antragsbearbeitung. Liegen die Voraussetzungen für die Einleitung des zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens vor, ist die zuständige Behörde gehalten, den Antrag des Unternehmens schnell zu bearbeiten. Denn die Möglichkeit, die gerügte Doppelbesteuerung im Rahmen eines Verständigungsverfahrens zu bereinigen, ist in zeitlicher Hinsicht begrenzt. Die Frist für eine solche Verständigungslösung läuft im Grundsatz bereits zwei Jahre nach dem Zeitpunkt ab, zu dem das betroffene Unternehmen den Fall der zuständigen Behörde vollständig unterbreitet hat (vgl. im Einzelnen Rz. 10.39 f.). Schon um keine Zeit für eine mögliche Verständigung zu verschenken, besteht ein Zwang zur beschleunigten Antragsbearbeitung.5
1 2 3 4 5
fensichtlich auch das BMF, vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.4.4. „leitet […] ein“. Ebenso Krabbe in Wassermeyer, Vor. Art. 6 EU-SchÜ Rz. 15; sowie Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 303. Krabbe in Wassermeyer, Art. 8 EU-SchÜ Rz. 2; Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 285; Peters/Haverkamp, BB 2011, 1303 (1308). Nach deutschem Verständnis also ein Straf- und Bußgeldverfahren. Vgl. im Einzelnen Krabbe in Wassermeyer, Vor. Art. 8 EU-SchÜ Rz. 8. Krabbe in Wassermeyer, Art. 7 EU-SchÜ Rz. 11.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
Einleitung des Verfahrens bei Antragstellung im Inland. Sofern der Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens im Inland gestellt wird, leitet das BZSt den Antrag unverzüglich der zuständigen obersten Landesfinanzbehörde und dem für die Besteuerung des Unternehmens örtlich zuständigen Finanzamt zu. Das Unternehmen erhält innerhalb eines Monats eine Bestätigung seines Antrags. Ferner wird eine Kopie des Antrags an die zuständigen Behörden des in dem Verfahren beteiligten Vertragsstaats gesandt.1 Das BZSt prüft dann intern, ob die zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens notwendigen Informationen vorliegen und fordert das Unternehmen gegebenenfalls innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten zur Nachreichung eventueller Unterlagen auf.2 Hiervon unbenommen bleibt die Möglichkeit des BZSt, auch während des laufenden Verfahrens weitere Unterlagen/Informationen anzufordern.3 Sofern dem Begehren des Unternehmens auf innerstaatlichem Wege abgeholfen werden kann, ergreifen die zuständigen deutschen Finanzbehörden diese Maßnahmen von Amts wegen. In diesem Fall setzt das BZSt das Unternehmen sowie die Finanzbehörden des anderen Vertragsstaats in Kenntnis.4 Wenn eine innerstaatliche Abhilfe nicht möglich ist und der Antrag zulässig und begründet ist, leitet das BZSt das Verständigungsverfahren nach Art. 6 Abs. 2 EU-Schiedskonvention ein. Die Einleitung des Verständigungsverfahrens wie auch die Benachrichtigung bei innerstaatlicher Abhilfe erfolgen spätestens vier Monate beginnend mit:5 a. dem Datum des Steuerbescheids, mit dem die Entscheidung über die Einkommenserhöhung festgesetzt oder festgestellt worden ist, oder b. dem Datum, an dem der Antrag des Unternehmens sowie die Informationen gemäß Tz. 11.3.2 und 11.4.2 Satz 1 dem BZSt vorliegen. Nachfolgend unterrichtet das BZSt das antragstellende Unternehmen über die Einleitung des Verständigungsverfahrens und teilt diesem mit, ob der Antrag fristgerecht erfolgte und an welchem Tag die Zweijahresfrist des Art. 7 Abs. 1 EU-Schiedskonvention zu laufen begonnen hat.6 Der Zweijahreszeitraum beginnt am späteren der vorgenannten Zeitpunkte.7
10.45
Einleitung des Verfahrens bei Antragstellung im Ausland. Sofern das BZSt von einem anderen Vertragsstaat über den Eingang eines Antrags auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens unterrichtet wird, prüft das BZSt zunächst die formellen Antragsvoraussetzungen und fordert die andere Behörde gegebenenfalls zur Übersendung der benötigten Unterlagen auf. Das Schreiben der ausländischen Behörde wird sowohl der zu-
10.46
1 2 3 4 5
BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.4.1. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.4.2. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.4.2. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.4.3. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.4.4 sowie Tz. 11.4.3. 6 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.4.5. 7 Überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 5 Buchst. b.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
ständigen obersten Landesfinanzbehörde als auch dem örtlich zuständigen Finanzamt zur Stellungnahme zugeleitet.1 f) Durchführung der zwischenstaatlichen Verständigung
10.47
Zwischenstaatliche Einigungsbemühungen. Wie bei den Verständigungsverfahren auf Basis von DBA (vgl. Rz. 10.20 ff.) zielt auch das Verständigungsverfahren nach der EU-Schiedskonvention darauf ab, durch zwischenstaatliche Verständigung die gerügte abkommenswidrige Doppelbesteuerung zu beseitigen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 EU-Schiedskonvention). In diesem Sinne wird die Doppelbesteuerung als beseitigt betrachtet, wenn die Gewinne nur in einem Staat zur Besteuerung herangezogen werden oder die in einem Staat auf diese Gewinne zu erhebende Steuer um den Betrag verringert wird, der dem Betrag der Steuer entspricht, die in dem anderen Staat auf sie zu erheben ist (Art. 14 EU-Schiedskonvention). Auch wenn eine dem Art. 25 Abs. 4 OECD-MA entsprechende Vorschrift fehlt, nach der die zuständigen Behörden unter Ausschluss des diplomatischen Wegs unmittelbar miteinander verkehren können, finden die Verständigungsbemühungen in der Praxis im Rahmen eines unmittelbaren Verkehrs statt. Der EU-Verhaltenskodex empfiehlt sogar regelmäßige Treffen der Behördenvertreter.2
10.48
Austausch von Positionspapieren. Die Verständigungsbemühungen beginnen mit dem Austausch sog. Positionspapiere. Die Positionspapiere beinhalten eine vollständige Beurteilung der Sach- und Rechtslage sowie einen konkreten Lösungsvorschlag. I.d.R. haben sie folgenden Inhalt:3 – Bestätigung, dass der Fall innerhalb der nach Art. 6 Abs. 1 EU-Schiedskonvention genannten Frist unterbreitet wurde; – Mitteilung über den Beginn der Zweijahresfrist nach Art. 7 Abs. 1 EUSchiedskonvention; – Darlegung des Falls durch den Antragsteller; – Beurteilung des Sachverhalts durch das BZSt, z.B. aus welchem Grund eine Doppelbesteuerung vorliegt oder wahrscheinlich eintreten könnte; – Vorschlag, wie der Fall im Hinblick auf die Beseitigung der Doppelbesteuerung gelöst werden könnte, einschließlich umfassender Erläuterung des Lösungsvorschlags; – vollständige Begründung der Steuerfestsetzung oder der Korrekturen; – Unterlagen von grundsätzlicher Bedeutung zur Darlegung des Standpunkts;
1 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.5. 2 Überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 6.4 Buchst. f. 3 Vgl. im Einzelnen BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 12.2.1.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
– Liste aller weiteren Unterlagen, die bei der Vornahme der Korrektur verwendet wurden. Einigung unter Zustimmungsvorbehalt. Im Rahmen von Verständigungsverfahren nach der EU-Schiedskonvention gelingt es den betroffenen Staaten – wohl vor allem unter dem Druck eines drohenden Schiedsverfahrens – sehr häufig, sich auf eine gemeinsame Lösung zur Beseitigung der gerügten abkommenswidrigen Besteuerung zu einigen. Gelingt eine solche Verständigung, erfolgt ihre schriftliche Niederlegung nach denselben Grundsätzen,1 die auch beim Abschluss von Verständigungen nach Verständigungsklauseln in DBA gelten (hierzu oben Rz. 10.20 ff.). Auch hier wird der Inhalt der Einigung im Allgemeinen schriftlich fixiert, wenn sich die betroffenen Staaten auf eine Lösung des betroffenen Steuerfalls einigen konnten.2 Ebenso erfolgt der schriftliche Abschluss regelmäßig unter dem Vorbehalt, dass der Steuerpflichtige der Vereinbarung zustimmt3 und für verständigungskonforme Steuerbescheide einen Einspruchsverzicht erklärt.4 Ein entsprechender Zustimmungsvorbehalt ist Bestandteil der zwischenstaatlichen Vereinbarung über das Inkrafttreten der Verständigungsvereinbarung. Beide Erklärungen des Steuerpflichtigen müssen vorliegen, damit die Vereinbarung zwischenstaatliche Bindungswirkung entfaltet (hierzu Rz. 10.25).
10.49
g) Einleitung und Durchführung des Schiedsverfahrens Anrufung des Beratenden Ausschusses nach Fristablauf. Die zuständigen Finanzbehörden sind verpflichtet, als Schiedsgericht einen Beratenden Ausschuss („advisory commission“) einzusetzen, diesem den Fall vorzulegen und dessen Stellungnahme einzuholen, wenn das Verständigungsverfahren nicht innerhalb einer Frist von zwei Jahren zu einer einvernehmlichen Beseitigung der Doppelbesteuerung geführt hat (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 EU-Schiedskonvention). Mit Ablauf der Frist sind die betroffenen Staaten völkerrechtlich verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um den Beratenden Ausschuss einzusetzen. Ein Ermessen besteht nur unter den Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 1 EU-Schiedskonvention (vgl. hierzu oben Rz. 10.43).5 Der Lauf der Zwei-Jahres-Frist beginnt mit der Unterbreitung des Falls nach Art. 6 Abs. 1 EU-Schiedskonvention (oben Rz. 10.33 ff.). Wird derselbe Fall auch der zuständigen Behörde des anderen beteiligten Vertragsstaats unterbreitet, beginnt die 1 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 12.1.2. (Verweis auf die Bestimmungen zum allgemeinen Verständigungsverfahren). 2 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 12.1.2. i.V.m. Tz. 3.4. 3 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 12.1.2. i.V.m. Tz. 3.4. 4 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 12.1.2. i.V.m. Tz. 4.2. 5 Krabbe in Wassermeyer, Vor. Art. 7 EU-SchÜ Rz. 2.
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10.50
Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
Frist mit dem zuerst gestellten Antrag.1 Nach dem EU-Verhaltenskodex2 und ihm folgend dem BMF-Merkblatt3 beginnt die Frist jedoch frühestens mit dem Ereignis, das die Drei-Jahres-Frist i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EU-Schiedskonvention ausgelöst hat (also frühestens mit Erlass4 des Steuerbescheids, der zu der gerügten Doppelbesteuerung geführt hat, vgl. hierzu Rz. 10.37).
10.51
Besonderheiten beim Lauf der Zwei-Jahres-Frist. Der Lauf der Zwei-Jahres-Frist kann durch bestimmte Umstände beeinflusst werden. So können sich die zuständigen Behörden im Einvernehmen mit den beteiligten verbundenen Unternehmen auf einen abweichenden Lauf der Frist – im Regelfall auf eine längere Laufzeit5 – einigen (Art. 7 Abs. 4 EU-Schiedskonvention). In der Praxis wird hiervon häufiger Gebrauch gemacht.6 Unter bestimmten Umständen ist bei der Zwei-Jahres-Frist auch eine Anlaufhemmung zu beachten: Wird der Fall im Rahmen eines innerstaatlichen Rechtsbehelfs bei einem nationalen Gericht anhängig gemacht, beginnt die Zwei-Jahres-Frist erst mit Rechtskraft der (letztinstanzlichen) Entscheidung zu laufen (Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 EU-Schiedskonvention).7 Schließlich wird der Lauf der Frist auch gehemmt, wenn das Verständigungsverfahren mit Rücksicht auf ein laufendes Ermittlungsverfahren nach Art. 8 Abs. 2 EU-Schiedskonvention ausgesetzt wird.8
10.52
Zusammensetzung des Ausschusses. Sofern die betroffenen Mitgliedstaaten nichts anderes vereinbaren, ergreift nach dem Verhaltenskodex der Mitgliedstaat, der die Maßnahme erlassen hat, die zu einer Doppelbesteuerung geführt hat, die Initiative zur Einsetzung des Beratenden Ausschusses und organisiert dessen Sitzungen.9 Der Beratende Ausschuss besteht grundsätzlich aus je zwei Vertretern der zuständigen Behörden, einer geraden Anzahl unabhängiger Personen10 sowie aus seinem Vorsitzenden (Art. 9 Abs. 1 EU-Schiedskonvention). Der Vorsitzende wird von den 1 2 3 4
5 6 7 8 9 10
Vgl. Krabbe in Wassermeyer, Art. 7 EU-SchÜ Rz. 5. Überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 5 Buchst. b. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 13.1.2. Die Auffassung des BMF ist insoweit nicht ganz konsistent, als es für den Beginn der Frist nach Art. 6 Abs. 1 EU-Schiedskonvention auf die „Bekanntgabe“ des Steuerbescheids ankommen soll, während für Zwecke von Art. 7 Abs. 1 auf das (hiervon zu unterscheidende) Erlassdatum abgestellt wird, vgl. BMF v. 13.7. 2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 11.2.1 sowie Tz. 13.1.2. Vgl. Krabbe in Wassermeyer, Art. 7 EU-SchÜ Rz. 18. Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 268 (269) verweisen sogar darauf, dass bisweilen selbst auf die Zustimmung des Unternehmens verzichtet würde. Vgl. hierzu Krabbe in Wassermeyer, Art. 7 EU-SchÜ Rz. 6. Vgl. Krabbe in Wassermeyer, Vor. Art. 8 EU-SchÜ Rz. 8; sowie Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 7 EU-SchÜ Rz. 4 ff. Überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 7.2 Buchst. a. Die unabhängigen Personen müssen aus einer Liste ausgewählt werden, die sämtliche von den Vertragsstaaten benannten unabhängigen Personen enthält. Zu diesem Zweck benennt jeder Vertragsstaat fünf Personen und unterrichtet hiervon den Generalsekretär des Rats der EU (vgl. Art. 9 Abs. 3 EU-Schiedskonvention). Die jeweils aktuelle Liste unabhängiger Personen ist auf der Internetseite des Rats der EU allgemein zugänglich.
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übrigen Mitgliedern des Ausschusses gewählt (Art. 9 Abs. 2 EU-Schiedskonvention). Der Beratende Ausschuss besteht demnach aus einer ungeraden Anzahl von Mitgliedern, so dass eine Mehrheitsentscheidung1 sichergestellt ist.2 Der Ausschuss wird durch ein Sekretariat unterstützt, das von dem Vertragsstaat gestellt wird, der die Einsetzung des Beratenden Ausschusses veranlasst hat, sofern die zuständigen Behörden der an dem Fall beteiligten Vertragsstaaten nichts anderes vereinbaren. Aus Gründen der Unabhängigkeit ist dieses Sekretariat dem Vorsitzenden des Beratenden Ausschusses unterstellt.3 Hinsichtlich der Einzelheiten zur Bestellung der Ausschussmitglieder wird auf Art. 9 EU-Schiedskonvention verwiesen. Sachaufklärung und Amtsermittlungsgrundsatz. Nach dem EU-Verhaltenskodex4 übermitteln die betroffenen Vertragsstaaten dem Beratenden Ausschuss vor seiner ersten Sitzung alle sachdienlichen Unterlagen und Informationen sowie vor allem sämtliche Dokumente, Berichte, Korrespondenz und Schlussfolgerungen aus dem Verständigungsverfahren. Auf diesem Wege werden dem Beratenden Ausschuss bereits zentrale Sachinformationen zur Verfügung gestellt. Das Schiedsgericht ist nicht darauf beschränkt, Sachverhaltsinformationen auszuwerten, die ihm die Vertragsstaaten und die betroffenen Unternehmen von sich aus zur Verfügung stellen. Wie aus Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EU-Schiedskonvention geschlossen werden kann, ist der Ausschuss von Amts wegen zur eigenen Sachverhaltsaufklärung berechtigt und verpflichtet.5 Nach dieser Bestimmung sind die Unternehmen verpflichtet, jeder Aufforderung des Beratenden Ausschusses nachzukommen, mit der dieser die Übermittlung von Angaben, Beweismitteln oder Schriftstücken anordnet. Einer entsprechenden Pflicht unterliegen die zuständigen Behörden der beteiligten Vertragsstaaten. Der Beratende Ausschuss kann die zuständigen Behörden der beteiligten Vertragsstaaten sogar verpflichten, Unterlagen oder Informationen zu beschaffen, die den jeweiligen Behörden bislang nicht vorliegen.6 In diesen Fällen haben die Behörden von ihren innerstaatlichen Ermittlungsbefugnissen Gebrauch zu machen.7 Die Behörden der beteiligten Vertragsstaaten sind jedoch nicht verpflichtet, Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen, die von der normalen Verwaltungspraxis abweichen (Art. 10 Abs. 1 Satz 3 Buchst. a EU-Schiedskonvention). Auch besteht keine Verpflichtung, Informationen zu erteilen, die im üblichen Verwaltungsverfahren des betroffenen Staats nicht beschafft werden können (Art. 10 1 Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EU-Schiedskonvention entscheidet der Beratende Ausschuss in der Sache durch Mehrheitsentscheidung. 2 Krabbe, IStR 1996, 5 (8); Eicker/Stockburger, IWB F. 11 EG Gr. 2, 611, 668. 3 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 13.2.2. 4 Überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 7.2 Buchst. f. 5 Zutreffend Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 305; im Erg. auch Peters/Haverkamp, BB 2011, 1303 (1310). 6 Zutreffend z.B. Baßler, Steuerliche Gewinnabgrenzung im Europäischen Binnenmarkt, 329. 7 So zutreffend Krabbe in Wassermeyer, Art. 10 EU-SchÜ Rz. 4.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
Abs. 1 Satz 3 Buchst. b EU-Schiedskonvention). Um eine effektive Sachverhaltsaufklärung zu ermöglichen, sind die betroffenen Unternehmen verpflichtet, auf Aufforderung des Beratenden Ausschusses vor diesem zu erscheinen (Art. 10 Abs. 2 Satz 2 EU-Schiedskonvention). Führen Ermittlungsmaßnahmen gegenüber den betroffenen Unternehmen nicht zu Erfolg, ermächtigt die Konvention nicht zum Einsatz von Zwangsmitteln. In diesen Fällen wird der Ausschuss im Regelfall die zuständigen Behörden der beteiligten Vertragsstaaten zur Sachverhaltsaufklärung verpflichten, damit diese von ihren innerstaatlichen Ermittlungsbefugnissen – und damit auch von ihren innerstaatlichen Zwangsmitteln – Gebrauch machen können.1
10.54
Beweislastentscheidungen. Die EU-Schiedskonvention trifft keine Regelungen zu der Frage, ob die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses auf der Grundlage von Beweislastverteilungsregeln ergehen kann. Der Umstand, dass der Ausschuss nach der Konvention innerhalb einer Frist von 6 Monaten sowohl zur Ermittlung des Sachverhaltes als auch zur Sachentscheidung in Form einer Stellungnahme verpflichtet ist, spricht dafür, dass eine Sachentscheidung trotz möglicher Aufklärungsdefizite ergehen soll, mit der Folge, dass eine Entscheidung auf Grundlage von Beweislastverteilungsregeln zulässig sein muss. Von einer solchen Beweislastentscheidung geht auch das Joint Transfer Pricing Forum aus.2 Dem ist nicht zuletzt deshalb zuzustimmen, weil auch im (sonstigen) Völkerprozessrecht der Grundsatz gilt, dass ein Verfahrensbeteiligter in Bezug auf eine Norm, auf die er sich beruft, die Folgen der Nichterweislichkeit der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen zu tragen hat.3 „Parteien“ des Schiedsverfahrens nach EU-Schiedskonvention sind die jeweils betroffenen Vertragsstaaten. Vorbehaltlich etwaiger Mitwirkungspflichtverletzungen der betroffenen Unternehmen müssen diese Vertragsstaaten die Folgen von Aufklärungsdefiziten tragen. In materiell-rechtlicher Hinsicht muss der Beratende Ausschusses seine Entscheidung auf Grundlage des Fremdvergleichsgrundsatzes treffen (vgl. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 EUSchiedskonvention). Nach Art. 4 EU-Schiedskonvention ist eine Gewinnkorrektur zulässig, wenn die betroffenen Unternehmen ihre Gewinne nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechend abgegrenzt haben. Bleibt ein Vertragsstaat vor dem Beratenden Ausschuss den Beweis schuldig, dass die betroffene Geschäftsbeziehung nicht dem Fremdvergleich entsprach, hat der Beratende Ausschuss mit Rücksicht auf die anzuwendenden Beweislastregeln eine Entscheidung zu Lasten dieses Vertrags1 Vgl. Krabbe in Wassermeyer, Art. 10 EU-SchÜ Rz. 4. 2 Vgl. Rz. 49 des Kurzberichts über die vierte Sitzung des JTPF, DOC: JTPF/ 012/2003/DE; ebenso Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 268 (272); Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 306; Peters/Haverkamp, BB 2011, 1303 (1309 f.); im Ergebnis ebenso Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 10 EU-SchÜ Rz. 9. 3 Ausführlich und grundlegend hierzu Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, 585 ff. (mit einer eingehenden Rechtsprechungsanalyse).
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staats zu treffen. Damit liegt die Beweislast bei dem Vertragsstaat, der unter Berufung auf die fehlende Fremdüblichkeit der jeweiligen Geschäftsbeziehung das Einkommen des betroffenen Unternehmens erhöht hat.1 Prozessuale Stellung des Steuerpflichtigen. Das betroffene Unternehmen ist selbst nicht „Partei“ des Schiedsverfahrens. Auch hat das Unternehmen keinen Anspruch darauf, durch Beweisanträge das Sachaufklärungsprogramm des Beratenden Ausschusses zu beeinflussen.2 Es hat lediglich die Möglichkeit, die Erhebung bestimmter Beweise anzuregen (Beweisanregung). Auf Antrag eines beteiligten Unternehmens findet vor dem Beratenden Ausschuss eine Art mündliche Verhandlung statt. Dabei hat das Unternehmen Gelegenheit, die Sach- und Rechtslage aus seiner Sicht darzustellen (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 EU-Schiedskonvention).3 Es kann sich hierbei durch einen Bevollmächtigten (z.B. Rechtsanwalt oder Steuerberater) vertreten lassen (Art. 10 Abs. 2 Satz 2 EU-Schiedskonvention). Ein darüber hinausgehendes Recht zur Teilnahme an den Ausschusssitzungen wird – auch vom Joint Transfer Pricing Forum4 – abgelehnt.5
10.55
Entscheidung in Form einer Stellungnahme. Der Beratende Ausschuss hat nach der Konvention den Auftrag, eine Stellungnahme („opinion“) abzugeben, wie die gerügte Doppelbesteuerung beseitigt werden soll (vgl. Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-Schiedskonvention). Die Äußerung des Beratenden Ausschusses erfolgt in Form einer zunächst unverbindlichen Stellungnahme. Erst wenn sich die Vertragsstaaten nicht innerhalb von 6 Monaten nach Abgabe der Stellungnahme auf eine abweichende Art der Beseitigung der Doppelbesteuerung einigen, erstarkt die Stellungnahme zu einem für die Vertragsstaaten bindenden Schiedsspruch (vgl. hierzu Rz. 10.60). In materiell-rechtlicher Hinsicht ist der Inhalt dieser Stellungnahme durch die Konvention vorbestimmt: Der Ausschuss hat seiner Beurteilung die Bestimmungen von Art. 4 EU-Schiedskonvention zugrunde zu legen (Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 2 EU-Schiedskonvention). Entscheidungsmaßstab ist also der Fremdvergleichsgrundsatz.6 Eine Entscheidung „ex aequo et bono“ unter Ausblendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist damit ausgeschlossen.7 Für die Beschlussfassung über die Stellung-
10.56
1 So bereits Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 268 (272). 2 In nationalen Gerichtsverfahren nach der FGO haben Steuerpflichtige in gewissem Umfang die Möglichkeit, das Sachaufklärungsprogramm durch geeignete Beweisanträge zu beeinflussen. vgl. hierzu Stalbold in Beermann/Gosch, § 76 FGO Rz. 26 ff. m.w.N. 3 Krabbe in Wassermeyer, Art. 10 EU-SchÜ Rz. 9. 4 Mitteilung der Kommission v. 23.4.2004, KOM(2004) 297 endgültig, 23. 5 Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 268 (269) unter Hinweis auf den völkerrechtlichen Charakter des Verfahrens; im Erg. ebenso Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 10 EU-SchÜ Rz. 5. 6 Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 311; Krabbe in Wassermeyer, Art. 11 EU-SchÜ Rz. 3; Peters/Haverkamp, BB 2011, 1303 (1309). 7 Zutreffend Krabbe in Wassermeyer, Art. 11 EU-SchÜ Rz. 3; in diesem Sinne auch Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 11 EU-SchÜ Rz. 3.
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nahme gilt das Mehrheitsprinzip. Es reicht die einfache Mehrheit aller Ausschussmitglieder (Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EU-Schiedskonvention).1
10.57
Stellungnahmefrist. Auch für die Abgabe der Stellungnahme gilt der Beschleunigungsgrundsatz. Der Beratende Ausschuss hat die Stellungnahme binnen 6 Monaten abzugeben, nachdem er „befasst worden ist“ (Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-Schiedskonvention). Die Frist wird überwiegend als Entscheidungsfrist verstanden: Unter dem Begriff „befasst“ („referred“) soll hiernach nicht jegliche Beschäftigung mit dem Streitfall zu verstehen sein, sondern Einstieg in die Sachbearbeitung. Auf Grundlage dieses Verständnisses soll die Frist nach dem überarbeiteten Verhaltenskodex2 und der deutschen Finanzverwaltung3 an dem Tag zu laufen beginnen, an dem der Ausschussvorsitzende bestätigt, dass die Ausschussmitglieder alle sachdienlichen Unterlagen und Informationen (vor allem sämtliche Dokumente, Berichte, Korrespondenz und Schlussfolgerungen aus dem Verständigungsverfahren) erhalten haben.4 Spätestens 6 Monate später hat der Ausschuss seine Stellungnahme abzugeben. Besondere Folgen für den Fall einer Fristüberschreitung sind jedoch nicht vorgesehen. Gibt der Ausschuss seine Stellungnahme erst nach Ablauf der Frist ab, so entfaltet sie dieselben Wirkungen wie eine rechtzeitig abgegebene Stellungnahme.5
10.58
Form und Bekanntgabe der Stellungnahme. Zu Form und Inhalt der Stellungnahme schweigt sich die EU-Schiedskonvention aus. Nach dem Verhaltenskodex soll die Stellungnahme Folgendes enthalten:6 a) die Namen der Mitglieder des Beratenden Ausschusses; b) den Antrag, der Folgendes beinhaltet: i) Namen und Anschriften der beteiligten Unternehmen; ii) die beteiligten zuständigen Behörden; iii) eine Beschreibung des dem streitigen Fall zugrunde liegenden Sachverhalts; iv) eine klare und eindeutige Darlegung, was der Antragsteller fordert; c) eine kurze Zusammenfassung des Verfahrens; d) die Argumente und Methoden, auf die sich die Entscheidung in der Stellungnahme stützt; e) die Stellungnahme; f) den Ort, an dem die Stellungnahme abgegeben wurde; 1 2 3 4
Vgl. Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 313. Überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 7.3 Buchst. a. Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 13.2.2. So z.B. auch Krabbe in Wassermeyer, Art. 11 EU-SchÜ Rz. 2; Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 310; in diese Richtung auch Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 268 (269). 5 Zutreffend Krabbe in Wassermeyer, Art. 11 EU-SchÜ Rz. 2. 6 Überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 7.4.; ebenso BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 13.5.3.
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g) den Zeitpunkt, zu dem die Stellungnahme abgegeben wurde; h) die Unterschriften der Mitglieder des Beratenden Ausschusses. Die eigentliche Stellungnahme (Buchst. e) sollte als Tenor eine Aussage darüber treffen, wie die Doppelbesteuerung unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes beseitigt werden soll. Der Tenor der Stellungnahme sollte deutlich machen, inwieweit die streitbefangenen Gewinne dem einen Unternehmen(steil) oder dem anderen Unternehmen(steil) zuzurechnen sind und dementsprechend von den betroffenen Vertragsstaaten besteuert werden dürfen.1 Die Bekanntgabe der vollständigen Stellungnahme erfolgt nach dem Verhaltenskodex zunächst an die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten, welche dann den beteiligten Unternehmen eine Kopie der Stellungnahme übermitteln.2 h) Einigungsverfahren Möglichkeit einer nachgeschalteten Verständigung. Die Stellungnahme führt nicht zwingend zu einer Bindung der Vertragsstaaten. Die Stellungnahme entfaltet dann keine Bindung, wenn sich die betroffenen Vertragsstaaten innerhalb von 6 Monaten auf eine von der Stellungnahme abweichende Beseitigung der Doppelbesteuerung einigen (Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-Schiedskonvention). Vor Ablauf der Frist können die Vertragsstaaten ihre zwischenstaatlichen Verständigungsbemühungen nach den Regeln über das Verständigungsverfahren (oben Rz. 10.47 f.) fortführen.3 Die Frist ist gewahrt, wenn vor Ablauf der Frist eine völkerrechtlich verbindliche Verständigungsvereinbarung zustande kommt. Die Verständigungsvereinbarung muss inhaltlich zwei Anforderungen erfüllen: Sie muss einerseits i.S.v. Art. 14 EU-Schiedskonvention für eine Beseitigung der Doppelbesteuerung sorgen; andererseits muss die Verständigung „auf Grundlage“ von Art. 4 EU-Schiedskonvention getroffen werden, also am Fremdvergleichsgrundsatz (Rz. 10.30) orientiert sein (Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 1 EU-Schiedskonvention). Da schon die Stellungnahme des Ausschusses den Fremdvergleichsgrundsatz berücksichtigen muss (Rz. 10.56), kann sich die Abweichung der nachgeschalteten Verständigungslösung im Regelfall nur daraus ergeben, dass innerhalb vorhandener Brandbreiten eine abweichende Gewinnabgrenzung vorgenommen wird. Da eine von der Stellungnahme des Ausschusses abweichende Verständigungslösung regelmäßig für einen der Vertragsstaaten mit einem Steuereinnahmeverzicht verbunden sein wird, ist das Zustandekommen einer nachgeschalteten Verständigung in der Praxis eher unwahrscheinlich.4
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Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 11 EU-SchÜ Rz. 2. Überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 7.4. Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 12 EU-SchÜ Rz. 1. Zutreffend in diesem Sinne Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 317; Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, 308.
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10.60
Bindungswirkung als Schiedsspruch. Die sechsmonatige Frist für die nachgeschaltete Verständigung beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Beratende Ausschuss seine Stellungnahme abgegeben hat. Eine Verlängerung der Frist ist ausgeschlossen.1 Kommt es innerhalb der Frist nicht zu einer zwischenstaatlichen Einigung, erstarkt die Stellungnahme zu einem für die Vertragsstaaten bindenden Schiedsspruch (Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 EU-Schiedskonvention), der dann zwingend durch Erlass entsprechender Steuerbescheide umzusetzen ist.2 Ein Rechtsmittel gegen den Schiedsspruch ist im Übereinkommen nicht vorgesehen.3 Auch die Anrufung des EuGH ist nicht möglich.4 Mit Zustimmung der beteiligten Unternehmen können die zuständigen Behörden die Veröffentlichung des Schiedsspruchs in anonymisierter oder nicht anonymisierter Form vereinbaren (Art. 12 Abs. 2 EU-Schiedskonvention). Eine Veröffentlichung ist insbesondere dann wünschenswert, wenn der Schiedsspruch über den entschiedenen Einzelfall hinaus von grundsätzlicher Bedeutung ist.5 i) Innerstaatliche Umsetzung
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Durchbrechung der Bestandskraft. Durch Art. 13 EU-Schiedskonvention ist bereits qua abkommensrechtlicher Regelung sichergestellt, dass eine Änderung der betroffenen Steuerbescheide in Folge eines Verständigungsoder Schiedsverfahrens auch dann noch möglich ist, wenn die betroffenen Steuerbescheide eigentlich bestandskräftig („endgültig“) sind. In Deutschland erfolgt die innerstaatliche Umsetzung nach Maßgabe von § 175a AO. Eine zwischenstaatliche Verständigungslösung oder eine zum Schiedsspruch erstarkte Stellungnahme können – unabhängig von der formellen Bestandskraft der jeweiligen Steuerbescheide – durch entsprechende Änderungsbescheide umgesetzt werden (vgl. § 175a AO).6 Nach § 175a Satz 2 AO endet die Festsetzungsfrist insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Wirksamwerden der Verständigungsvereinbarung.
10.62
Gerichtlich bestätigte Steuerbescheide. Die Durchführung eines Verständigungs- und Schiedsverfahrens ist im Grundsatz auch dann zugelassen, wenn die Steuerfestsetzung durch Gerichtsentscheidung bestätigt und 1 Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 12 EU-SchÜ Rz. 1. 2 Krabbe in Wassermeyer, Art. 12 EU-SchÜ Rz. 5; Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 12 EU-SchÜ Rz. 2 f.; Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 315. 3 Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 315; Krabbe in Wassermeyer, Art. 12 EU-SchÜ Rz. 5. 4 Die Regelungen der EU-Schiedskonvention wurden letztendlich nicht als EGRichtlinie, sondern als multilateraler völkerrechtlicher Vertrag ins Leben gerufen, um sie der Rechtsprechungskompetenz des EuGH zu entziehen, vgl. nur Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (337); Saß, DB 1991, 984 (984). 5 Ähnlich Krabbe in Wassermeyer, Art. 12 EU-SchÜ Rz. 7. 6 Ausführlich zur Anwendbarkeit weiterer Korrekturvorschriften zur Umsetzung zwischenstaatlicher Verständigungsvereinbarungen Striewe, Die verfahrensrechtliche Umsetzung internationaler Verständigungsvereinbarungen (§ 175a AO), 177 ff.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
hierdurch endgültig geworden ist.1 Hiervon macht allerdings Art. 7 Abs. 3 EU-Schiedskonvention für das Schiedsverfahren eine Ausnahme, soweit nach dem innerstaatlichen Recht eines Vertragsstaats eine Abweichung von Gerichtsentscheidungen nicht möglich ist. In diesen Fällen ist das Schlichtungsverfahren nur zugelassen, wenn zuvor auf das Rechtsmittel verzichtet oder es zurückgenommen worden ist. Nach dem innerstaatlichen Recht zahlreicher EU-Mitgliedstaaten dürfen ihre Finanzbehörden nicht von den Entscheidungen staatlicher Gerichte abweichen.2 Die deutsche Finanzverwaltung geht davon aus, dass eine solche Einschränkung nicht in Deutschland gilt, da gem. § 110 Abs. 2 FGO i.V.m. § 175a AO auch Steuerbescheide geändert werden könnten, deren Rechtmäßigkeit rechtskräftig gerichtlich bestätigt worden ist.3 Basierend auf diesem Verständnis können in Folge eines Verständigungs- oder Schiedsverfahrens auch Steuerbescheide geändert werden, die durch die Entscheidung eines FG oder des BFH bestätigt worden sind. j) Kosten und Gebühren Verständigungsverfahren. Für das Verständigungsverfahren enthält die EU-Schiedskonvention keine Regelung über die Kostentragung, mit der Folge, dass die Beteiligten des zwischenstaatlichen Verfahrens – also die betroffenen Vertragsstaaten – die in diesem Zusammenhang entstehenden Kosten selbst tragen. Eine nationale Gebührenregelung, nach der die Finanzbehörden ihren Aufwand (nach dem Vorbild von § 178a AO) den Steuerpflichtigen pauschal oder konkretisiert weiterbelasten, fehlt nicht nur in Deutschland; sie ist international unüblich.4 Die antragsgemäße Durchführung des Verständigungsverfahrens löst also grundsätzlich keine staatlichen Gebühren aus. Umgekehrt existiert aber auch keine Regelung, nach der die betroffenen Unternehmen entstandene eigene Kosten (z.B. die Vergütung ihres steuerlichen Beraters) erstatten lassen können.5 Im Ergebnis trägt daher jede Staat und jedes verfahrensbeteiligte Unternehmen seine Kosten – unabhängig von deren Höhe – selbst (Prinzip der Eigentragung).
10.63
Schiedsverfahren. Das Prinzip der Eigentragung gilt im Grundsatz auch für das Schiedsverfahren: das Verfahren löst weder Verfahrensgebühren aus noch besteht ein Erstattungsanspruch für entstandene eigene Kosten. Lediglich zu den Kosten des Beratenden Ausschusses enthält die EUSchiedskonvention eine Regelung: Nach Art. 11 Abs. 3 EU-Schiedskon-
10.64
1 Vgl. Krabbe in Wassermeyer, Art. 13 EU-SchÜ Rz. 2. 2 Eine derartige „Änderungssperre“ besteht in Belgien, Frankreich, Italien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik sowie in Großbritannien, vgl. die entsprechenden Erklärungen zu Art. 7 EUSchiedskonvention. 3 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 13.1.4. 4 Vgl. die Zusammenstellung zu den „user fees“ bei http://www.oecd.org/ctp/dis pute/countrymapprofiles.htm. 5 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 14.1 i.V.m. Tz. 9.; Liebchen in Schönfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 319.
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vention sind die Kosten des Verfahrens des Beratenden Ausschusses, mit Ausnahme der den verbundenen Unternehmen entstehenden Kosten, zu gleichen Teilen von den beteiligten Vertragsstaaten zu tragen. Zu diesen Kosten gehören die allgemeinen Verfahrenskosten sowie die Honorare und Auslagen der unabhängigen Personen.1 Zu den allgemeinen Verfahrenskosten zählen sämtliche Kosten, die durch die unmittelbare Tätigkeit des Ausschusses ausgelöst werden (z.B. die Kosten für Schreibkräfte und Schreibmaterial, Reisekosten und Vergütungen für Dolmetscher, unter Umständen auch die Kosten für Sachverständige).2 Nach dem überarbeiteten Verhaltenskodex beträgt das Honorar für eine unabhängige Person 1 000 Euro pro Sitzungstag des Beratenden Ausschusses; der Vorsitzende erhält ein Honorar, das 10 % über dem der anderen unabhängigen Personen liegt.3 Die genannten Honorare gelten nicht, wenn sich die Mitgliedstaaten zuvor auf eine abweichende Vergütung einigen.4 3. Durchführung multilateraler Verfahren
10.65
Zulässigkeit multilateraler Verfahren. Die Frage nach einem dem Fremdvergleich entsprechenden Verrechnungspreis lässt sich häufig nicht beantworten, ohne vor- oder nachgeschaltete Transaktionen mit zu berücksichtigen. Gerade wenn eine Geschäftsbeziehung beurteilt werden muss, die Bestandteil einer sich über mehr als zwei Staaten erstreckenden Liefer- oder Leistungskette ist, kann sich ein bilaterales Verfahren nach der EU-Schiedskonvention als untauglich herausstellen: Denn bei einer Liefer- oder Leistungskette kann die in einem Staat erfolgte Korrektur (z.B. in Folge einer Abhilfe oder aufgrund einer Entscheidung des Beratenden Ausschusses) zu einer Doppelbesteuerung im Verhältnis zu einem dritten (nicht am Verfahren beteiligten) Staat führen.5 Es liegt auf der Hand, dass es keinen Sinn macht, dieses Problem dadurch lösen zu wollen, die durch das eine – bilaterale – Verfahren begründete Doppelbesteuerung durch die anschließende Durchführung eines weiteren – bilateralen – Verfahrens zu beseitigen.6 Vielmehr ist es zweckmäßig, sämtliche Staaten und Unternehmen, deren Interessen bei der Beseitigung der Doppelbesteuerung der fraglichen Geschäftsbeziehung berührt sein könnten, möglichst früh an dem Ursprungsverfahren nach der EU-Schiedskonvention zu beteiligen. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, ob die Konvention zwingend auf die Durchführung bilateraler Verfahren beschränkt ist oder 1 Vgl. überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 7.3 Buchst. e; ebenso BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 14.2. 2 Krabbe in Wassermeyer, Art. 11 EU-SchÜ Rz. 9. 3 Vgl. überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 7.3 Buchst. f. 4 Vgl. Krabbe in Wassermeyer, Art. 11 EU-SchÜ Rz. 8. 5 Vgl. Eigelshoven/Wolff in Lüdicke, Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, 138 f. mit einem Beispielsfall. 6 Zutreffend Eigelshoven/Wolff in Lüdicke, Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, 138 f.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
ob auch mehr als zwei Staaten (und Unternehmen) beteiligt werden können. Auf den ersten Blick scheint die EU-Schiedskonvention ausschließlich auf bilaterale Verfahren zugeschnitten zu sein.1 Jedoch folgt aus Art. 6 Abs. 2 EU-Schiedskonvention, dass auch multilaterale Verfahren durchgeführt werden können. Hiernach hat sich die zuständige Behörde des angerufenen Vertragsstaates zu bemühen, „den Fall durch Verständigung mit der zuständigen Behörde eines jeden anderen Vertragsstaates“ zu regeln. Die Einleitung und Durchführung eines Verständigungsverfahrens kann daher auch multilateral erfolgen.2 Multilaterales Verfahren als Option in sog. Dreieckskonstellationen. Der überarbeitete Verhaltenskodex hält die Durchführung multilateraler Verfahren vor allem in sog. Dreieckskonstellationen für zweckmäßig. Eine solche Dreieckskonstellation wird angenommen, wenn zwei zuständige Mitgliedstaaten die Doppelbesteuerung in einem Verrechnungspreisfall in der ersten Phase des Verfahrens nicht gänzlich vermeiden können, weil ein verbundenes Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat bei einer Kette von betroffenen Geschäftsvorfällen oder kaufmännischen/finanziellen Beziehungen in einem erheblichen Umfang zu einem dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht entsprechenden Ergebnis beigetragen hat.3 Nach dem überarbeiteten Verhaltenskodex ist auch in diesen Konstellationen die Durchführung eines multilateralen Verfahrens nicht zwingend. Der Verhaltenskodex beschreibt drei Wege, das Problem zu lösen:4 – Denkbar ist zunächst die Einleitung und Durchführung eines multilateralen Verfahrens, mit der sofortigen und uneingeschränkten Beteiligung der zuständigen Behörden aller betroffenen Mitgliedstaaten. Bei dieser Variante engagieren sich die Vertreter aller beteiligten Mitgliedstaaten aktiv am (einheitlichen) Verfahren (multilaterales Einzelverfahren unter aktiver Beteiligung involvierter dritter Staaten). – Möglich ist auch die Einleitung und Durchführung eines bilateralen Verständigungsverfahrens zwischen den zwei Staaten, in denen die beiden verbundenen Unternehmen ansässig sind, deren Leistungsbeziehung nach dem Ergebnis einer zuvor durchgeführten Analyse in erheblichem Maße nicht dem Fremdvergleich entspricht. An dem zwischen diesen Staaten durchzuführenden Verfahren sind Vertreter der anderen betroffenen Vertragsstaaten als Beobachter zu beteiligen (Einzelverfahren unter passiver Beteiligung involvierter dritter Staaten). – Eine weitere Möglichkeit ist schließlich die Einleitung und Durchführung paralleler bilateraler Verständigungsverfahren zwischen den jeweils betroffenen Staaten, an welchen Vertreter der anderen involvier1 Vgl. Becker, IStR 2007, 592 (594). 2 Ebenso Bödefeld/Kuntschik, IStR 2010, 474 (475); Menck in G/K/G, Anhang C zu Art. 25 OECD-MA, Art. 6 EU-SchÜ Rz. 12; im Erg. ebenso Eigelshoven/Wolff in Lüdicke, Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, 138 f. 3 Vgl. überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 1.1. 4 Siehe überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 6.2 Buchst. b.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
ten Vertragsstaaten jeweils als Beobachter beteiligt werden (parallele bilaterale Verfahren unter passiver Beteiligung der jeweils involvierten dritten Staaten). Von den drei skizzierten Optionen präferiert der überarbeitete Verhaltenskodex für den Regelfall die erste Option, also Durchführung eines multilateralen Einzelverfahrens unter aktiver Beteiligung involvierter dritter Staaten.1 Erkennt ein Steuerpflichtiger, dass eine Dreieckskonstellation vorliegt, sollte er dem zuständigen Mitgliedstaat so früh wie möglich signalisieren, dass die Beteiligung mehrerer Mitgliedstaaten geboten sein könnte.2 4. Bewertung der EU-Schiedskonvention
10.67
Bewährte Rechtsgrundlage. Die EU-Schiedskonvention hat sich in der Praxis nachhaltig bewährt. Sie hat sich bewährt, obwohl das eigentliche Schiedsverfahren nur ganz selten eingeleitet wird. Allein die Existenz des obligatorischen Schiedsverfahrens erhöht die Bereitschaft der Vertreter der involvierten Vertragsstaaten, bereits in den vorgeschalteten Verfahrensabschnitten eine sachgerechte Lösung zur Vermeidung der gerügten Doppelbesteuerung zu finden. Um die Sache nicht vor dem Beratenden Ausschuss verhandeln zu müssen – und damit letztendlich aus der Hand zu geben – beseitigen die Staaten im Regelfall spätestens im Rahmen des Verständigungsverfahrens recht schnell die gerügte Doppelbesteuerung.
IV. Abwägung zwischen verschiedenen reaktiven Instrumenten 10.68
Überblick über die reaktiven Instrumente. Ist es zu einer Doppelbesteuerung gekommen, stehen dem Steuerpflichtigen i.d.R. verschiedene verfahrensrechtliche Instrumente zur Verfügung, mit denen er sich um die Bereinigung des Verrechnungspreiskonflikts bemühen kann. Nahezu immer besteht die Möglichkeit, von nationalen Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen. So kann in Deutschland im Anschluss an ein Einspruchsverfahren der nationale Rechtsweg vor einem FG beschritten werden. Daneben besteht im Regelfall die Option, unter Berufung auf das einschlägige DBA ein zwischenstaatliches Verständigungsverfahren zu initiieren. Für den Fall, dass das Verständigungsverfahren scheitert, sehen einige wenige der von Deutschland abgeschlossenen DBA die Durchführung eines fakultativen oder obligatorischen Schiedsverfahrens zur Beseitigung der Doppelbesteuerung vor (hierzu Rz. 10.4). Für den Bereich der Verrechnungspreise sowie der Betriebsstättengewinnabgrenzung können abkommensberechtigte Steuerpflichtige schließlich noch die Durchführung eines mehrstufigen Verfahrens nach der vorgehend dargestellten EU-Schiedskonvention beanspruchen. 1 Vgl. überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 6.2 Buchst. b a.E. 2 Überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. 2009, Nr. C 322, 1–10, Tz. 6.2 Buchst. d.
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A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
Wahlrecht zwischen DBA-Klauseln und EU-Schiedskonvention. Die dargestellten Optionen bestehen in der Praxis – soweit überhaupt einschlägig – regelmäßig nebeneinander. Dies gilt auch dann, wenn ein Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren sowohl nach dem einschlägigen DBA als auch nach der EU-Schiedskonvention beantragt werden kann. Die deutsche Finanzverwaltung geht von einem Wahlrecht aus, das es dem Steuerpflichtigen erlaubt, sich entweder auf die eine oder auf die andere Rechtsgrundlage zu beziehen.1 Auch die herrschende Literatur geht von einem Nebeneinander der verschiedenen Optionen aus.2
10.69
Vergleich der einzelnen Instrumente. Über den Einsatz der jeweiligen Instrumente ist unter Berücksichtigung ihrer Vor- und Nachteile im Einzelfall zu entscheiden. Der Vorteil eines nationalen Klageverfahrens liegt regelmäßig darin, dass der Steuerpflichtige als Kläger über starke prozessuale Mitwirkungsrechte verfügt. So bestimmt er mit seinen Sachanträgen das gerichtliche Streitprogramm; überdies kann er im Einzelfall durch Beweisanträge aktiv auf die Sachaufklärung einwirken. Für das Beschreiten des nationalen Rechtswegs kann im Einzelfall sprechen, dass insoweit die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids möglich ist. Im Fall des Obsiegens steht dem Kläger überdies ein Kostenerstattungsanspruch zu. Nachteilig kann sich hingegen auswirken, dass die Beschreitung des nationalen Rechtswegs immer nur die Besteuerung des betroffenen Staats beeinflussen kann. Das Verfahren bleibt einseitig-national. Ein anderer Staat ist an den Ausgang des Klageverfahrens nicht gebunden, mit der Folge, dass eine eingetretene Doppelbesteuerung nach Abschluss des innerstaatlichen Gerichtsverfahrens u.U. bestehen bleibt. Demgegenüber bindet eine in einem Verständigungsverfahren erreichte Verständigungslösung alle an diesem Verfahren beteiligten Staaten. Dies könnte für die regelmäßige Einleitung eines Verständigungsverfahrens sprechen. Allerdings besteht bei Verständigungsverfahren auf Basis klassischer Verständigungsklauseln kein Einigungszwang, so dass auch hier die Gefahr besteht, dass die Doppelbesteuerung nicht beseitigt wird. Überdies ist die Dauer von Verständigungsverfahren schwer prognostizierbar. Überlange Verfahren können im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden. Anders als bei Verständigungsverfahren kommt es infolge eines Schiedsverfahrens regelmäßig zur Beseitigung der Doppelbesteuerung. Auch zwingen die einschlägigen Rechtsgrundlagen die betroffenen Staaten regelmäßig in ein verfahrensrechtliches „Korsett“, welches das Verfahren in zeitlicher Hinsicht überschaubar und planbar macht. Wie beim Verständigungsverfahren löst das Schiedsverfahren im Regelfall keine staatlichen Gebühren aus. Nachteilig ist jedoch, dass auch hier die Beteiligtenstellung des Steuerpflichtigen sehr schwach ausgeprägt ist. Die Einwir-
10.70
1 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 2.1 und Tz. 11.1.1. 2 Vgl. z.B. Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 301; Krabbe in Wassermeyer, Art. 6 EU-SchÜ Rz. 6; Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 452 f.; Peters/Haverkamp, BB 2011, 1305; a.A. lediglich Kempf/Gelsdorf, IStR 2012, 333 ff.
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kungsmöglichkeiten auf Verfahrensablauf und Inhalt der schiedsgerichtlichen Entscheidung sind begrenzt.
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Abwägungskriterien für die Praxis. Im Regelfall können die dargestellten Instrumente parallel initiiert werden. So ist es möglich, parallel zu einem Einspruchs- oder Klageverfahren einen Antrag auf Durchführung eines Verständigungs- oder Schiedsverfahrens zu stellen.1 Allerdings besteht die deutsche Finanzverwaltung darauf, dass nur eines der genannten Verfahren aktiv betrieben wird. So entfaltet die deutsche Verwaltung nur dann zwischenstaatliche Verständigungsbemühungen, wenn das Einspruchsoder Klageverfahren mit Zustimmung des Steuerpflichtigen ruhend gestellt wurde. Für den Einsatz der unterschiedlichen reaktiven Instrumente sind folgende Grundsätze zu beachten: – Ist eine Aussetzung der Vollziehung gewünscht, ist – zumindest in Deutschland – ein Einspruch bzw. eine Klage unabdingbar (vgl. § 361 Abs. 1 AO). Eine Aussetzung der Vollziehung kommt auch dann in Betracht, wenn das Einspruchs- bzw. Klageverfahren mit Zustimmung des Steuerpflichtigen ruhend gestellt wurde.2 – Sind die Erfolgsaussichten eines nationalen Klageverfahrens besonders gut (bspw. weil der Steuerbescheid evident gegen gefestigte Rechtsprechung verstößt), sollte das nationale Klageverfahren aktiv betrieben werden. Denn im Fall des Obsiegens steht dem Steuerpflichtigen – anders als bei Verständigungs- oder Schiedsverfahren – ein Kostenerstattungsanspruch zu. Der Steuerpflichtige muss sich also nicht „auf eigene Kosten“ um die Beseitigung der abkommenswidrigen Besteuerung bemühen. – Ist das Ergebnis eines nationalen Klageverfahrens hingegen schwer zu prognostizieren, sollte der Steuerpflichtige im Regelfall3 das Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren aktiv betreiben, da das Ergebnis dieser Verfahren nicht einseitig bleibt, sondern in den beteiligten Vertragsstaaten Bindungswirkung entfaltet. Gerade wenn die einschlägigen Rechtsgrundlagen die Durchführung eines Schiedsverfahrens vorsehen, ist dieser Weg zu wählen. – Soweit möglich ist grundsätzlich die Einleitung eines Verfahrens nach der EU-Schiedskonvention zu empfehlen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die fragliche Geschäftsbeziehung unmittelbar oder mittelbar in mehr als zwei Staaten von Bedeutung ist; die EU-Schiedskonvention bietet insoweit den Vorteil, dass eine sachgerechte Lösung auch in einem multilateralen Verfahren angestrebt werden kann (vgl. Rz. 10.65 f.). 1 BMF, Merkblatt v. 13.7.2006, BStBl. I 2006, 461, Tz. 2.1.5. 2 Das Ruhen des Einspruchsverfahrens mit Zustimmung des Einspruchsführers erfolgt auf Grundlage von § 363 Abs. 2 Satz 1 AO. Ein Ruhen des Klageverfahrens setzt die Zustimmung von Kläger und Beklagtem voraus (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 251 Satz 1 ZPO). 3 Dies gilt freilich nicht, wenn Verständigungsverfahren im Verhältnis zum betroffenen Staat regelmäßig ohne Erfolg bleiben und eine obligatorische Schiedsklausel nicht existiert.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten Literatur Zum APA-Verfahren: Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, Berlin 2009; Baumhoff/Puls, Mediation bei Verrechnungspreiskonflikten als alternativer Streitbeilegungsansatz?, IStR 2010, 802; Borggreve, Auskünfte über Besteuerungsgrundlagen (Teil II) AO-StB 2008, 108; Dommes/Gahleitner/Steiner, APA-Verfahren in Österreich: Rechtlicher Rahmen und erster Erfahrungsbericht, SWI 2009, 56; Dworaczek, Vorabverständigungsverfahren über Verrechnungspreise: Advance Pricing Agreements – APAs, StWK 2007, Gruppe 13, 19; Eigelshoven/Wolff, Verständigungsverfahren – praktische Erfahrungen und ungelöste Probleme, in Lüdicke (Hrsg.), Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, Köln 2012, 129; Eilers, Advance Pricing Agreements (APAs) im US-amerikanischen Steuerrecht und Abkommensrecht, in Herzig (Hrsg.), Advance pricing agreements (APAs), Köln 1996, 1; Friedrich/Kuschil/Steiner, Ruling und APAs – Chancen und Risiken für die Steuerpolitik, in Bundesministerium der Finanzen/Johannes-Kepler Universität Linz (Hrsg.), Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Steuerpolitik, GS für Quantschnigg, Wien 2010, 109; Grotherr, Internationaler Vergleich der Verfahren für Advance Pricing Agreements, IWB 2005, F. 10, Gr. 2, 1823; Grotherr, Überlegungen zur Ausgestaltung von speziellen Verfahrensregelungen für Advance Pricing Agreements, IStR 2005, 350; Grotherr, Advance Pricing Agreements – Verfahren zur Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten, BB 2005, 855; Grotherr, Überlegungen zur Ausgestaltung von speziellen Verfahrensregelungen für Advance Pricing Agreements, IStR 2005, 350; Heinrich/Schmitt, Bilaterales Advance Pricing Agreement: Ein Erfahrungsbericht, DB 2006, 2428; van der Ham/Voll, Erweiterte Bindungswirkung von Vorabzusagen im Rahmen von Advance Pricing Agreements, Ubg 2013, 219; Kramer, APA – Vorabverständigungsverfahren und Vorabzusagen über Verrechnungspreise, IStR 2007, 174; Kroppen, EU – Gemeinsames Verrechnungspreisforum – Harmonisierungsbestrebungen für Verrechnungspreisvorschriften in der EU, in Ballwieser/Grewe (Hrsg.), Wirtschaftsprüfung im Wandel, Festschrift 100 Jahre Südtreu/Deloitte – 1907–2007, München 2008, 515; Kroppen/Eigelshoven, Internationale Entwicklungen bei Advance Pricing Agreements, IWB 2000, F. 10, Gr. 2, 1467; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Leising, Die Klage auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nach Art. 25 Abs. 2 OECD-MA, IStR 2002, 114; Loh/Peters, Die neuen Regelungen zu Advance Pricing Agreements im deutschen Steuerrecht, RIW 2007, 116; Loh/Steinert, Scheitern internationale Lösungen von Verrechnungspreisfragen an § 175a AO?, BB 2008, 2383; Menck, Verrechnungspreise: Internationale Vorabverständigung (APA) und Schiedsverfahren – zu einer Veranstaltung der Bundesfinanzakademie am 28.11. 2006, FR 2007, 307; Naumann, Seminar J: „Tax Rulings“ International, IStR 2011, 683; Niess, Internationale Verrechnungspreise: Überlegungen zur Reduzierung der steuerlichen Risiken, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Festschrift für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 301; Portner, Advance pricing agreements (APAs) im deutschen Steuerrecht – innerstaatliche Aspekte und Abkommensrecht, in Herzig (Hrsg.), Advance pricing agreements (APAs), Köln 1996, 13; Rodemer, Advance Pricing Agreements im US-amerikanischen und im deutschen Steuerrecht, Köln 2001; Runge, Handhabung von APAs durch die deutsche Finanzverwaltung – Mitwirkung bei ausländischen APAs, verbindliche Auskunft im Inland, in Herzig (Hrsg.), Advance Pricing Agreements (APAs), Köln 1996, 43; Rößler, Zur Einsicht in die Steuerakten des Finanzamts, DStZ 1995, 349; Schaumburg, Normative Defizite
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten und internationale Verrechnungspreise, Der Konzern 2006, 495; Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, Köln 1996; Seer, Besteuerungsverfahren im 21. Jahrhundert, FR 2012, 1000; Seer, Verrechnungspreise, Einkünfteverlagerung – Gestaltung und Abwehr, IStR 2013, 337; Strunk/Kaminski, Möglichkeiten der Verständigung über Verrechnungspreismethoden mit der deutschen Finanzverwaltung, Stbg 2007, 26; Vollert/Eikel/Sureth, Advance Pricing Agreements (APAs) als Instrument zur Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten – eine kritische Betrachtung, StuW 2013, 367. Zur verbindlichen Auskunft sowie zur verbindlichen Zusage: Bruschke, Die verbindliche Auskunft nach § 89 AO, DStZ 2007, 237; Bruschke, Verbindliche Zusagen auf Grund einer Außenprüfung, StB 2006, 297; Buciek, Bindende Erklärungen der Finanzverwaltung, DStZ 1999, 389; Dißars/Bürkle, Verordnung zu § 89 Abs. 2 AO und ergänzende Regelungen zur verbindlichen Auskunft im AO-Anwendungserlass, StB 2008, 123; Franke/von Cölln, Drum prüfe wer sich (ewig) bindet – Zur Bindungswirkung einer verbindlichen Auskunft nach § 89 AO, der neuen SteuerAuskunftsverordnung und der Änderung des AEAO, BB 2008, 584; Horst, Die verbindliche Auskunft nach § 89 Abgabenordnung, Berlin 2010; Leibner/Pump, Risiken und Nachweisprobleme für eine verbindliche Auskunft, GStB 2003, 80; Mayer, Die Zusage nach der Abgabenordnung 1977, Berlin 1991; Misera/Baum, Verbindliche Auskünfte im Besteuerungsverfahren, Ubg 2008, 221; Mösbauer, Verbindliche Zusagen im Anschluss an eine Außenprüfung, StBp. 2000, 289; Werder/Dannecker, Zweifelsfragen zur verbindlichen Auskunft, BB 2011, 2903. Zur tatsächlichen Verständigung: Bruschke, Konfliktlösung durch eine tatsächliche Verständigung mit dem Finanzamt, DStR 2010, 2611; Buciek, Bindende Erklärungen der Finanzverwaltung, DStZ 1999, 389; Englisch, Bindende „tatsächliche“ und „rechtliche“ Verständigungen zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigem, IFSt-Schrift Nr. 417, Bonn 2004; Mösbauer, Die tatsächliche Verständigung – ein vages Beweismittel-Surrogat im Besteuerungsverfahren, BB 2003, 1037; Offerhaus, Die tatsächliche Verständigung – Voraussetzungen und Wirkung, DStR 2001, 2093; Schmidt-Liebig, Tatsächliche Verständigung über Schätzungsgrundlagen, DStZ 1996, 643; Seer, Verträge, Vergleiche und sonstige Verständigungen im deutschen Steuerrecht, StuW 1995, 213; Seer, Das Rechtsinstitut der sog. tatsächlichen Verständigung im Steuerrecht, BB 1999, 78; Streck, Die „tatsächliche Verständigung“ in der Praxis, StuW 1993, 366; von Wedelstädt, Die tatsächliche Verständigung, AO-StB 2001, 190.
I. Notwendigkeit präventiver Instrumente 10.72
Schutz durch reaktive Instrumente partiell unzureichend. Nicht im Verhältnis zu allen Staaten, zu denen die deutsche Wirtschaft intensive Wirtschaftsbeziehungen unterhält, stehen belastbare Instrumente zur Bereinigung entstandener Verrechnungspreiskonflikte zur Verfügung. Die Anzahl der Staaten, bei denen sich ein Steuerpflichtiger auf den Schutz durch Schiedsverfahren verlassen kann, ist begrenzt. Im Verhältnis zu Staaten, bei denen Verständigungsklauseln zur Anwendung kommen, hängen die Möglichkeiten zur Bereinigung von Verrechnungspreiskonflikten sehr stark von der Bereitschaft des betroffenen Staates ab, entstandene Konflikte durch Erzielung einer einvernehmlichen zwischenstaatlichen Lösung zu bereinigen. Diese Bereitschaft ist in der Praxis unterschiedlich ausgeprägt. Während die Quote der unter deutscher Beteiligung abgeschlossenen Verständigungsverfahren vergleichsweise hoch 1258
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
ist, zeigen sich die Steuerbehörden einzelner anderer Staaten weniger verständigungsbereit, mit der Folge, dass eine zwischenstaatliche Verständigung weitaus häufiger scheitert. Im Verhältnis zu Nicht-DBA-Staaten existieren im Regelfall keine belastbaren Rechtsgrundlagen, auf die eine einvernehmliche zwischenstaatliche Lösung gestützt werden könnte. Gerade in Fällen, in denen der Schutz durch reaktive verfahrensrechtliche Instrumente besonders schwach ausgestaltet oder nicht vorhanden ist, stellt sich die Frage nach geeigneten verfahrensrechtlichen Instrumenten, durch die ein Verrechnungspreiskonflikt im Vorfeld, also präventiv, vermieden werden kann. Präventive Instrumente des nationalen Steuerverfahrensrechts. Im Bereich der Ertragsteuern haben sich mit der verbindlichen Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) und der verbindlichen Zusage (§§ 204 ff. AO) vor allem zwei Instrumente zur Erlangung von Planungssicherheit etabliert. Beide Instrumente zielen auf die Beseitigung rechtsfragenbezogener Unsicherheiten ab. Während verbindliche Zusagen ausschließlich während einer laufenden Außenprüfung erteilt werden, besteht die Möglichkeit einer verbindlichen Auskunft auch außerhalb einer solchen Prüfung. Daneben kann auch der Abschluss einer tatsächlichen Verständigung als Instrument der Konfliktvermeidung genutzt werden. Zwar ist die tatsächliche Verständigung grundsätzlich vergangenheitsorientiert; bei Dauersachverhalten bejaht die Rechtsprechung jedoch auch eine Bindungswirkung für zukünftige Veranlagungszeiträume, mit der Folge, dass auch die tatsächliche Verständigung als präventives Instrument genutzt werden kann.
10.73
Defizite unilateraler Instrumente. Die genannten Instrumente haben den Nachteil, dass sie Planungssicherheit jeweils nur im Verhältnis zum deutschen Fiskus bieten. Gerade im Bereich der internationalen Verrechnungspreise steht der Steuerpflichtige jedoch mehr als einer Abgabengewalt gegenüber, so dass unilaterale Instrumente nur einen begrenzten Schutz vor Verrechnungspreiskonflikten bieten können. Selbst wenn also das Steuerverfahrensrecht eines der involvierten Staaten die Möglichkeit bietet, bestimmte Tatsachen oder Rechtsfragen im Vorfeld verbindlich abzustimmen, ist der Schutz in Bezug auf Verrechnungspreisfragen wenig effektiv, da eine Bindung anderer involvierter Staaten insoweit nicht besteht. Aber auch aus Sicht der jeweiligen Steuergläubiger bergen (unabgestimmte) unilaterale Maßnahmen Gefahren, da sie vom Steuerpflichtigen dazu genutzt werden können, die (partielle) doppelte Nichtbesteuerung von Einkommen zu erreichen. Mit Rücksicht auf die Unzulänglichkeiten unilateraler Maßnahmen bestand vor dem Hintergrund der zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaftsbeziehungen das Bedürfnis übernationaler Konfliktvermeidungsinstrumente. Im Bereich der Verrechnungspreise haben sich insoweit die sog. Advance Pricing Agreements (kurz: APAs) etabliert. Seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist auch die deutsche Finanzverwaltung bereit, an derartigen Verfahren mitzuwirken.1 Durch APA-Verfahren besteht die Möglichkeit, Verrech-
10.74
1 Vgl. Runge in Herzig, Advance Pricing Agreements (APAs), 1996, 43 ff. (46 ff.).
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
nungspreiskonflikte auf bi- oder multilateraler Ebene im Vorfeld zu vermeiden (hierzu nachfolgend Rz. 10.75 ff.). In bestimmten Konstellationen kann es jedoch nach wie vor angezeigt sein, auch in Bezug auf Verrechnungspreisfragen von unilateralen Instrumenten wie der verbindlichen Auskunft, der verbindlichen Zusage (hierzu nachfolgend Rz. 10.119 ff.) oder der Möglichkeit einer tatsächlichen Verständigung (hierzu nachfolgend Rz. 10.134 ff.) Gebrauch zu machen.
II. Advance Pricing Agreements (APAs) 1. Einführung
10.75
Begriff und Inhalt eines Advance Pricing Agreements. Trotz übereinstimmender Kernelemente weichen die in den einzelnen Staaten praktizierten Advance Pricing Agreements bedingt durch unterschiedliche Rahmenbedingungen der nationalen Rechtsordnungen in gewissem Umfang voneinander ab. Aus diesem Grund existiert keine einheitliche jurisdiktionenübergreifende Begriffsdefinition. Der Sache nach handelt es sich bei Advance Pricing Agreements um zeitlich befristete Absprachen zwischen einem oder mehreren Steuerpflichtigen einerseits und den betroffenen Steuerbehörden andererseits, die auf verbindliche Abstimmungen der in einem Einzelfall maßgeblichen Methoden zur Bestimmung eines angemessenen Verrechnungspreises für einen bestimmten (i.d.R. zukünftigen)1 Zeitraum abzielen.2 Nach der Definition des BMF ist ein Advance Pricing Agreement eine Vereinbarung zwischen einem oder mehreren Steuerpflichtigen und einer oder mehreren Steuerverwaltungen, in welcher für bestimmte Geschäftsvorfälle und einen bestimmten Zeitraum eine dem Fremdvergleich entsprechende Verrechnungspreismethode sowie weitere Kriterien für die Verrechnungspreisbestimmung festgelegt werden.3 Diese Definition ist insoweit unvollständig, als Advance Pricing Agreements – auch nach dem Verständnis der deutschen Finanzverwaltung4 – ebenso für die fremdvergleichskonforme Gewinnabgrenzung zwischen einem inländischen Unternehmen und dessen ausländischer Betriebsstätte sowie zur Gewinnermittlung inländischer Betriebsstätten ausländischer Unternehmen in Betracht kommen.5 Die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte kann also ebenfalls Gegenstand eines Advance Pricing Agreements sein. Zutreffend definiert die auf APA-Verfahren abzielende Gebührenvorschrift des § 178a Abs. 1 Satz 1 AO die gebührenpflichtigen Vorabverständigungsverfahren daher als „Verständigungsverfahren nach einem Vertrag i.S.d. § 2 zur einvernehm1 Eine Rückwirkung wird ausnahmsweise praktiziert („Roll-Back“). 2 Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 317; Schaumburg, Der Konzern 2006, 495 (500) m.w.N. 3 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (595) Tz. 1.2. 4 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 Tz. 1.1. 5 Zutreffend Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 318; Gosch in Kirchhoff12, § 49 EStG Rz. 17; Hendricks in Beermann/Gosch, § 178a AO Rz. 7.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
lichen Besteuerung von noch nicht verwirklichten Geschäften eines Steuerpflichtigen mit nahe stehenden Personen i.S.v. § 1 des Außensteuergesetzes oder zur zukünftigen einvernehmlichen Gewinnaufteilung zwischen einem inländischem Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder zur Durchführung einvernehmlicher Gewinnermittlung einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens“.1 US-Praxis als Vorbild. Unstreitig handelt es sich bei Advance Pricing Agreements um ein im Grundsatz präventives Instrument zur Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten. Advance Pricing Agreements haben ihren Ursprung in den USA, wo bereits seit 1991 entsprechende Regelungen existieren.2 Die seinerzeit in den USA entwickelten Verfahrensschritte und die verwandte Terminologie haben über die Verrechnungspreisrichtlinien der OECD,3 die sie maßgeblich geprägt haben, auch in der Bundesrepublik Deutschland als Vorbild gedient und die hiesige Praxis nachhaltig beeinflusst.4 Während die deutsche Finanzverwaltung sich zunächst noch eher selten an APA-Verfahren beteiligt hat, hat sich spätestens seit Veröffentlichung des diesbezüglichen Merkblatts im Herbst 20065 eine deutsche APA-Praxis etabliert.
10.76
Internationale Verbreitung. Auch weltweit setzen sich APA-Verfahren zunehmend durch. Die Bereitschaft der nationalen Steuerverwaltung, sich an einem entsprechenden Verfahren zu beteiligen, besteht nach aktuellem Stand in den folgenden Staaten: Ägypten,6 Australien,7 Belgien,8 China,9 Dänemark,10 Finnland,11 Frank-
10.77
1 Vgl. hierzu im Einzelnen Hendricks in Beermann/Gosch, § 178a AO Rz. 6 ff. 2 Hierzu ausführlich Rodemer, Advance Pricing Agreements im US-amerikanischen und im deutschen Steuerrecht, 2001, 13 ff. 3 Ende 1999 ergänzte die OECD ihre Leitlinien um detaillierte Ausführungen betreffend den Ablauf und den inhaltlichen Aufbau zwischenstaatlicher Verständigungen. Diese wurden den bisherigen Leitlinien als eigenständiger Anhang (Anhang 3) beigefügt. Vgl. hierzu im Einzelnen Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 67 ff. 4 Vgl. Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 77 ff. 5 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 ff. 6 Abdellatif, ITPJ 2011, 289 (294). 7 Joseph, ITPJ 2011, 273; Markham, Intertax 2011, 63; Markham, Advance Pricing Agreements – Past, Present and Future, 2012; Rosenthal in Wassermeyer, Art. 23 DBA-Australien Rz. 29. 8 Vanhaute, Belgium in International Tax Planning, 2. Aufl. 2008, 196 ff. 9 Qin Ju, ITPJ 2005, 69; Chan, Intertax 2005, 46. 10 Nach den §§ 21–25 des Steuerverwaltungsgesetzes (Skatteforvaltningsloven – SFL). 11 Vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Doc JTPF/013/REV1/BACK 2011, abzurufen auf der Seite des BZSt (www.bzst.de) unter „Steuern International“, „Advance Pricing Agreements“, „JTPF APA Statistik“.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
reich,1 Großbritannien,2 Hongkong,3 Indien,4 Indonesien,5 Israel,6 Italien,7 Japan,8 Kanada,9 Kasachstan,10 Kolumbien,11 Luxemburg,12 Malaysia,13 Mexiko,14 Neuseeland,15 Niederlande,16 Norwegen,17 Österreich,18 Peru,19 Philippinen,20 Polen,21 Portugal,22 Rumänien,23 Russland,24 Schweiz,25 Singapur,26 Slowakei,27 Spanien,28 Südkorea,29 Taiwan, Thailand,30
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
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Gibert, ET 2005, 56; Gibert, ET 2006, 94 (99 f.). Hay/Norton, ITPJ 2011, 312. Richter/Cheung/Coronado, ITPJ 2012, 288. Patel/Pradhan, ITPJ 2013, 21; Lauten/Steinert, IStR 2013, 389. Garven, ITPJ 2011, 147 (148). Houlie/Tamir, ITPJ 2008, 185 (188). Patelli/Porpora, ITPJ 2005, 37. Okawara/Campbell/Gruendel, ITPJ 2004, 138; Gruendel, ITPJ 2009, 309; Preuss in Wassermeyer, Art. 25 DBA-Japan Rz. 30 ff. Markham, Intertax 2006, 393. Zhabbarov/Kulisheva, ITPJ 2010, 302 (304). Díaz Tong/Arenas Alvarado, ITPJ 2013, 43 (44). Entsprechend den Rundschreiben L.I.R. n° 164/2 v. 28.1.2011 und L.I.R. n° 164/2bis v. 8.4.2011. Seen, ITPJ 2013, 49 (53). Gemäß Art. 34-A des Bundessteuergesetzes (Código Fiscal de la Federación). Gemäß Section GC 6–14 des Income Tax Act 2007; U. Wolff in Wassermeyer, Art. 24 DBA-Neuseeland Rz. 37. Blok/van Lohuizen, ITPJ 2003, 186. Nur für Gaspreise nach § 6 Abs. 5 des Petroleumsteuergesetzes (petroleumsskatteloven). Dommes/Gahleitner/Steiner, SWI 2009, 56. Nach Art. 32-A des Einkommensteuergesetzes (Ley del Impuesto a la Renta). Vgl. Section 11 der Revenue Regulations No. 2-2013, vgl. Buurman/Schaller, IWB 2013, 868. Wojcieszyk-Kluge, IStR 2006, 176; Rzymkowska, ITPJ 2007, 116. Nach Art. 128.°-A des Körperschaftsteuergesetzes und der Verordnung (Portaria) n.° 620-A/2008. Vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Doc JTPF/013/REV1/BACK 2011 (Fn. 11, S. 1261). Stroykova/Lemetyuynen/Slavinskaya, ITPJ 2012, 237; Wellmann in Wassermeyer, DBA-Russland, Anhang Rz. 9. Hardt in Wassermeyer, Art. 26 DBA-Schweiz Rz. 219 f. Vgl. zu Details sowie zum Advance Ruling System den Internetauftritt der Finanzbehörde (www.iras.gov.sg), der unter „For companies“, „Transfer Pricing“ einige Informationen bereithält; Feinschreiber/Kent, Corporate Business Taxation Monthly, 06/2009, 35 ff. Nach § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (Zákon o dani z príjmov). Bouzas Fernández, ITPJ 2009, 223 (226). Vgl. die Seite der Finanzbehörde (www.nts.go.kr) unter „Korean taxation“, „Advance Ruling“. Ein erläuterndes Dokument ist auf der Seite der Finanzbehörde (www.rd.go.th) unter „Tax Knowledge“, „Transfer Pricing“ abzurufen.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
Tschechien,1 Türkei,2 Uganda,3 Ungarn,4 Uruguay,5 USA6 sowie Venezuela.7 Weitere Staaten erwägen die Einführung von APA-Verfahren. Hintergrund ist nicht zuletzt, dass auch die OECD APA-Verfahren tendenziell positiv gegenübersteht.8 Auch das Joint Transfer Pricing Forum9 bewertet die mit APA-Verfahren verbundenen Vorteile grundsätzlich positiv.10 Innerhalb Europas haben sich APA-Verfahren vor allem in Frankreich, Spanien, Italien, Ungarn, Tschechien, Polen, Großbritannien, Deutschland und Belgien etabliert. Typologie der APAs. In der internationalen Diskussion werden uni-, biund multilaterale APAs unterschieden.11 Während der Steuerpflichtige seine zukünftigen Verrechnungspreise bei einem unilateralen APA ausschließlich mit der Finanzverwaltung eines Staates abstimmt, tritt er bei einem bilateralen APA an die Behörden von zwei Staaten heran, die wiederum ihre verrechnungspreisbezogenen Zusagen bzw. Vereinbarungen untereinander abstimmen. Bei einem multilateralen APA geschieht dies wiederum im Verhältnis zu mehr als zwei Staaten.12
10.78
Einschlägige Rechtsgrundlagen. Besondere Rechtsgrundlagen für den Abschluss und die Umsetzung von APAs existieren in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen13 nicht. Die Suche nach geeigneten Rechtsgrundlagen
10.79
1 Vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Doc JTPF/013/REV1/BACK 2011 (Fn. 11, S. 1261). 2 Askin, Intertax 2009, 701; Bic¸er, ITPJ 2011, 211 (214). 3 Namubiru, ITPJ 2012, 374 (376). 4 Sethi, ITPJ 2007, 185. 5 Nach Art. 7 der Verordnung (Decreto) 392/009. 6 Drake/Rode/Wright, ITPJ 2005, 210; Schmid in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 733, 748 ff.; Markham, Advance Pricing Agreements – Past, Present and Future, 2012, insb. S. 27 ff.; Wolff in Wassermeyer, Art. 9 DBA-USA Rz. 198. 7 Vgl. Art. 143–167 des Einkommensteuergesetzes (Ley del Impuesto Sobre la Renta). 8 OECD, Transfer pricing guidelines for multinational enterprises and tax administrations, 2010, 168 ff., 255 ff. 9 Beim Joint Transfer Pricing Forum handelt es sich um eine Sachverständigengruppe, die 2002 von der Europäischen Kommission eingesetzt wurde, um für die praktischen Probleme der Verrechnungspreisgestaltung innerhalb Europas pragmatische, nicht legislative Lösungen vorzuschlagen. Das Forum setzt sich aus einem Vertreter jedes Mitgliedstaates sowie Experten aus der Privatwirtschaft zusammen und wird von einem unabhängigen Vorsitzenden geleitet. 10 Vgl. die Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Tätigkeit des Gemeinsamen EU-Verrechnungspreisforums v. 26.2.2007, KOM (2007) 71 final, Abschnitt 3.2 Rz. 24 ff. 11 Vgl. Rz. 4.130 der OECD-Leitlinien 2010. 12 Vgl. Lehner in DBA5, Art. 25 Rz. 321 ff.; Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 259 f. 13 § 178a AO regelt lediglich die Gebührenpflicht des zwischenstaatlichen Vorabverständigungsverfahrens.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
hat vor diesem Hintergrund nicht nur in Deutschland1 die einschlägige Literatur von Anfang an beschäftigt.2 Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen ist in Deutschland zwischen der zwischenstaatlichen Ebene einerseits und der innerstaatlichen Ebene andererseits zu unterscheiden. Rechtsgrundlage für den Abschluss einer zwischenstaatlichen Vereinbarung sind die dem Art. 25 OECD-MA entsprechenden völkerrechtlichen Verständigungsklauseln. Noch nicht vollständig geklärt ist insoweit, ob innerhalb der Art. 25 OECD-MA entsprechenden Vorschriften Abs. 1 und 2 oder Abs. 3 Satz 1 als taugliche Rechtsgrundlage herangezogen werden können.3 Die innerstaatliche Umsetzung der zwischenstaatlich getroffenen Vereinbarung basiert auf unterschiedlichen Bestimmungen. Neben § 175a AO erfolgt die Bindung des Steuerpflichtigen im Regelfall durch einen Einspruchsverzicht, den dieser auf Basis von § 354 Abs. 1a AO zu erklären hat (zu Einzelheiten siehe unten Rz. 10.103 f.). 2. Ablauf eines APA-Verfahrens a) Vorbemerkung
10.80
Besonderheiten des deutschen Verfahrens. Umfassende gesetzliche Regelungen zum Ablauf eines APA-Verfahrens existieren nicht. Die deutsche Verwaltungspraxis ist geprägt von den Vorgaben des BMF-Merkblatts v. 5.10.2006;4 das Merkblatt knüpft ersichtlich an die Darstellungen des USamerikanischen APA-Verfahrens im seinerzeitigen Schrifttum an5 sowie an die diesbezüglichen Leitlinien der OECD.6 Anders als in anderen Staaten sind in Deutschland mit Rücksicht auf das strikte steuerliche Legalitätsprinzip Steuerfolgenvereinbarungen zwischen einem Steuerpflichtigen und der zuständigen Finanzbehörde grundsätzlich unzulässig (Verbot gesetzesabweichender Steuervereinbarungen).7 Vor diesem Hintergrund weicht das in Deutschland praktizierte APA-Verfahren in seinem Ablauf und in Bezug auf die innerstaatliche Bindungswirkung von den Modellen der Staaten ab, bei denen Verträge und Vereinbarungen über die Höhe der 1 Zur Diskussion in Frankreich vgl. z.B. Gibert, ET 2006, 94 (99). 2 Vgl. die Nachweise bei Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 325. 3 Hierzu ausführlich Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 188 ff. sowie 210 ff. m.w.N. 4 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594. 5 Grundlegend insbesondere Grotherr, BB 2005, 855 ff.; Grotherr, IStR 2005, 350 ff.; zuvor bereits Eilers in Herzig, Advance pricing agreements (APAs), 1 ff.; Portner in Herzig, Advance pricing agreements (APAs), 13 ff.; Runge in Herzig, Advance pricing agreements (APAs), 43 ff. 6 OECD, Transfer pricing guidelines for multinational Enterprises and tax administrations, 1995, dort Anhang 3: Guidelines for Conducting Advance Pricing Arrangements under the mutual agreement procedure. 7 Hierzu ausführlich Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, 1996, 376 ff.; daher können zweifelhafte Rechtsfragen nach Ansicht des BFH grundsätzlich nicht Gegenstand einer bilateralen Vereinbarung zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung sein, vgl. BFH v. 31.7.1996 – XI R 78/95, BStBl. II 1996, 625 (626); v. 11.12.1984 – VIII R 131/76, BStBl. II 1985, 354 = FR 1985, 306 (357); v. 15.3.2000 – IV B 44/99, BFH/NV 2000, 1073 m.w.N.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
festzusetzenden Steuer (insbesondere über die Höhe der maßgeblichen Verrechnungspreise bzw. Verrechnungspreismethoden) geduldet oder gar explizit vorgesehen sind (so z.B. in den USA1 oder in Japan)2. Bei dem in Deutschland praktizierten APA-Verfahren kommt es ausschließlich im zwischenstaatlichen Bereich – d.h. zwischen den involvierten Steuergläubigerstaaten – zu einer Vereinbarung über die Höhe der Verrechnungspreise bzw. Verrechnungspreismethoden. Die innerstaatliche Verbindlichkeit wird hingegen nicht durch ein einheitliches Rechtsgeschäft zwischen deutscher Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem bewirkt. Sie folgt aus unterschiedlichen Akten: Während die zuständige Behörde dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer Vorabzusage eine Besteuerung zusichert, die der zwischenstaatlichen Verständigung entspricht, erklärt der Steuerpflichtige im Gegenzug einen Rechtsbehelfsverzicht, soweit Steuerbescheide bzw. Feststellungsbescheide verständigungskonform erlassen werden. Die zwischenstaatliche Vorabverständigungsvereinbarung und das auf die Vorabzusage gerichtete innerstaatliche Antragsverfahren bilden nach dem Verständnis der deutschen Finanzverwaltung dann gemeinsam das APA-Verfahren.3 Unterscheidung der Verfahrensebenen. Das BMF-Merkblatt v. 5.10.2006 unterscheidet folgerichtig zwischen dem zwischenstaatlichen Vorabverständigungsverfahren und dem innerstaatlichen Besteuerungsverfahren. Beteiligte des zwischenstaatlichen Vorabverständigungsverfahrens sind ausschließlich die „zuständigen Behörden“ der involvierten Vertragsstaaten, nicht hingegen der jeweilige Steuerpflichtige und das ihm nahe stehende Unternehmen. Beteiligte des innerstaatlichen Antragsverfahrens sind einerseits der Steuerpflichtige als Antragsteller und andererseits das Bundeszentralamt für Steuern als „zuständige Behörde“.4 Die Zuständigkeit des Bundeszentralamts für Steuern basiert im Wesentlichen darauf, dass die dem Art. 25 OECD-MA entsprechenden Verständigungsklauseln als Rechtsgrundlage für die zwischenstaatlichen Vorabverständigungsvereinbarungen gesehen werden.5 Die abkommensrechtliche Abwicklungsverantwortlichkeit liegt kraft innerstaatlicher Delegation6 beim Bundes1 Hierzu Rodemer, Advance Pricing Agreements im US-amerikanischen und deutschen Steuerrecht, 2001, 98 ff. 2 Okawara/Campbell/Gruendel, ITPJ 2004, 138; Gruendel, ITPJ 2009, 309. 3 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (595) Tz. 1.2 unter Hinweis auf Tz. 4 der OECD-Leitlinien zur Durchführung von Advance Princing Arangements; Hendricks in Beermann/Gosch, § 178a AO Rz. 13. 4 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (595) Tz. 1.2. 5 Ausführlich hierzu Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 188 ff. sowie 210 ff. m.w.N. 6 Im Regelfall wird das BMF als „zuständige Behörde“ i.S.d. Abkommens definiert (vgl. z.B. Art. 3 Abs. 1 Buchst. k DBA-Deutschland/Großbritannien v. 30.3. 2010). Um die Steuerabteilung des BMF von administrativen Aufgaben zu entlasten, wurden mit Wirkung zum 1.9.2004 die Durchführung von Verständigungsverfahren nach den DBA gem. § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG an das Bundesamt für Finanzen – seit 1.1.2006 an das Bundeszentralamt für Steuern – delegiert (BMF v. 20.6. 2011 – IV B 5 - O 1000/09/10507-04 – DOK 2011/0048553, BStBl. I 2011, 674).
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10.81
Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
zentralamt für Steuern als „zuständige[r] Behörde im Sinne der jeweiligen Verständigungsklausel“.1 Der Steuerpflichtige hat einen APA-Antrag daher beim Bundeszentralamt für Steuern zu stellen. Die Behörde ist zwar zuständig für den Abschluss der zwischenstaatlichen Vorabverständigungsvereinbarung, ist aber gehalten, den Inhalt der Vereinbarung mit den zuständigen Landesfinanzbehörden abzustimmen. Für die Erteilung der Vorabzusage sind hingegen die örtlichen Finanzbehörden der Länder zuständig. Elemente des APA-Verfahrens: zwischenstaatliche Ebene ausländischer Staat
zwischenstaatliches Vorabverständigungsverfahren
Deutschland (durch BZSt) örtliche Landesfinanzbehörde
innerstaatliche Ebene
innerstaatliches Besteuerungsverfahren Steuerpflichtiger
10.82
Verfahrensablauf im Überblick. Die in Deutschland praktizierten APAVerfahren lassen sich in insgesamt sechs Einzelphasen unterteilen. Es hat sich bewährt, dass der Steuerpflichtige vor Einreichung eines förmlichen Antrags in einem Vorgespräch (Prefiling-Meeting) Gegenstand und Inhalt eines geplanten APA-Antrags sowie dessen Erfolgsaussichten mit dem Bundeszentralamt für Steuern als der zuständigen Behörde abstimmt (Prefiling-Phase, hierzu Rz. 10.83 f.). Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem Prefiling kann der Steuerpflichtige dann einen entsprechenden APA-Antrag beim Bundeszentralamt für Steuern formell einreichen (formelle Antragstellung, hierzu Rz. 10.85 ff.). Im nächsten Schritt entscheidet dann das Bundeszentralamt für Steuern nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es ein zwischenstaatliches Vorabverständigungsverfahren er1 Vgl. nur Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 55; sowie BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (595) Tz. 2.1.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
öffnen möchte (zur Entscheidung über diesen Antrag vgl. Rz. 10.93 f.). Wird der Antrag des Steuerpflichtigen positiv beschieden, wird das zwischenstaatliche Vorabverständigungsverfahren eröffnet. Ziel des Verfahrens ist der Abschluss eines zwischenstaatlichen Advance Pricing Agreements. Der Abschluss erfolgt unter Zustimmungsvorbehalt; seine völkerrechtliche Verbindlichkeit ist von der Zustimmung des betroffenen Steuerpflichtigen und APA-Antragstellers abhängig (zum zwischenstaatlichen Vorabverständigungsverfahren vgl. Rz. 10.95 ff.). Kommt es zum Abschluss eines zwischenstaatlichen Advance Pricing Agreements, ist im nächsten Schritt die Einbindung des Steuerpflichtigen erforderlich. Durch seine Zustimmungserklärung und einen Einspruchsverzicht wird die zwischenstaatliche Vorabverständigung völkerrechtlich verbindlich. Die innerstaatliche Verbindlichkeit wird u.a. durch die Vorabzusage der Finanzbehörde abgesichert (zu dieser Phase des APA-Verfahrens s. Rz. 10.98 ff.). Das somit sowohl zwischenstaatlich als auch innerstaatlich verbindliche Advance Pricing Agreement wird anschließend in den betroffenen Staaten umgesetzt (zur Umsetzungsphase s. Rz. 10.101 f.). b) Vorgespräch („Prefiling-Meeting“) Inhalt und Ziel der Vorgespräche. Nach dem BMF-Merkblatt v. 5.10.2006 sollte ein Steuerpflichtiger beim Bundeszentralamt für Steuern im Vorfeld einer förmlichen Antragstellung zunächst um die Durchführung eines Vorgesprächs („prefiling meeting“) bitten. Gegenstand eines solchen Vorgesprächs ist die gemeinsame Erörterung, ob und inwieweit die Chance besteht, ein APA-Verfahren für die betroffenen Transaktionen erfolgreich durchzuführen. Dabei soll im Vorfeld auch besprochen werden, welchen Gegenstand und Inhalt der APA-Antrag sinnvollerweise haben sollte und welche Unterlagen im konkreten Fall erforderlich sind. Außerdem soll eine gemeinsame und unverbindliche Einschätzung erfolgen, wie viel Zeit der Abschluss eines solchen APAs erfordern dürfte. An den Vorgesprächen sind Vertreter der anderen involvierten Staaten zu beteiligen.1 Hierdurch können ungeeignete Fälle im Vorhinein ausgeschieden werden, ohne dass das eigentliche Verfahren eingeleitet und hierdurch eine Gebühr fällig wird.2
10.83
Möglichkeit anonymer Vorgespräche. Ihr Ziel, eine realistische Einschätzung der Erfolgsaussichten des beabsichtigten APA-Verfahrens zu gewährleisten, können Vorgespräche nur erreichen, wenn die steuerrelevanten Daten der fraglichen Leistungsbeziehung in erheblichem Umfang offengelegt werden. Dies bringt für den Steuerpflichtigen die Gefahr mit sich, dass die Finanzverwaltung die so gewonnenen Informationen zu seinen Lasten einsetzt, wenn ein APA-Verfahren nicht über die PrefilingPhase hinausgeht. Mit Rücksicht auf diese Gefahr ist die deutsche Fi-
10.84
1 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (596) Tz. 2.2. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 178a AO Rz. 7; Hendricks in Beermann/Gosch, § 178a AO Rz. 15.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
nanzverwaltung – ebenso wie die Behörden anderer Staaten – dazu bereit, die Vorgespräche auf anonymer Basis (d.h. ohne Nennung des betroffenen Steuerpflichtigen) durchzuführen.1 Dies macht freilich nur dann Sinn, wenn die zuständigen Beamten nicht ohnehin aufgrund der Einzigartigkeit der betroffenen Transaktionen zwingende Rückschlüsse auf den dahinterstehenden Steuerpflichtigen ziehen können. Insgesamt ist die Möglichkeit anonymisierter Prefiling-Meetings jedoch zu begrüßen.2 c) Förmliche Antragstellung
10.85
Antragsbefugnis. Erst mit der formellen Antragstellung wird das gebührenpflichtige Verwaltungsverfahren eröffnet.3 Der Antragsteller muss antragsbefugt sein. Das zwischenstaatliche Vorabverständigungsverfahren basiert auf der jeweils einschlägigen abkommensrechtlichen Verständigungsklausel. Die Befugnis, ein solches Verfahren zu initiieren, steht folglich nur Personen zu, die i.S.d. einschlägigen Klausel antragsberechtigt sind (vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA). Dies wiederum setzt voraus, dass sich der Antragsteller auf das jeweilige Abkommen berufen kann, er also zum Kreis der abkommensberechtigten Personen gehört (vgl. Art. 1 OECD-MA).4 Bei natürlichen oder juristischen Personen, die in (mindestens) einem der beiden Vertragsstaaten ansässig sind, ist dies mit Rücksicht auf ihre Steuersubjekteigenschaft unproblematisch zu bejahen.5 Personengesellschaften sind nach deutschem Steuerrecht hingegen weder einkommen- noch körperschaftsteuerpflichtig und daher als solche nicht abkommensberechtigt.6 Vielmehr werden die von ihnen erzielten Einkünfte den Gesellschaftern anteilig zugerechnet (Transparenzprinzip).7 Vor diesem Hintergrund sind Personengesellschaften aus deutscher Perspektive nicht befugt, einen Antrag auf Durchführung eines APA-Verfahrens zu stellen. Dieses Recht steht vielmehr allein den Gesellschaftern zu, soweit diese – in Abhängigkeit von ihrer Ansässigkeit – zum Kreis der abkommensberechtigten Personen zählen.8
10.86
Berechtigtes Interesse. Überdies muss der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Durchführung und dem Abschluss des APA-Verfahrens 1 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (596) Tz. 2.2. 2 Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 12.61. 3 Vgl. hierzu im Einzelnen Hendricks in Beermann/Gosch, § 178a AO Rz. 14. 4 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (596) Tz. 2.3. 5 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.171. 6 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354 (355) Tz. 2.1.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.177 ff. 7 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 – DOK 2009/0716905, BStBl. I 2010, 354 (355) Tz. 2.1.; BFH v. 20.8.2008 – I R 34/08, FR 2009, 299 = BFH/NV 2008, 2123; v. 13.2.2008 – I R 75/07, FR 2008, 1175 = BFH/NV 2008, 1395; v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510 = FR 2008, 724 m. Anm. Lohmann/Rengier; v. 23.8.2000 – I R 98/96, BStBl. II 2002, 207 = FR 2001, 267 mwN. 8 Ebenso z.B. Eigelshoven/Wolff in Lüdicke, Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, 2012, 129 (142).
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
darlegen.1 Dies ist zu bejahen, wenn der Antragsteller ein Interesse an der vorzeitigen Klärung der steuerlichen Behandlung der fraglichen Geschäftsbeziehung in den betroffen Einzelstaaten hat. Mit Rücksicht auf die mit einem APA-Verfahren verbundenen Gebühren (Rz. 10.108 ff.) ist im Regelfall davon auszugehen, dass der Antragsteller mit seiner Initiative ein berechtigtes Interesse verfolgt.2 Es reicht daher aus, wenn der Antragsteller in knapper Form darlegt, inwiefern er das Risiko einer Mehrfachbesteuerung für gegeben hält. Denn bei der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte sowie zwischen verbundenen Unternehmen ist ein solches Risiko regelmäßig zu bejahen. Ein berechtigtes Interesse ist z.B. dann zu verneinen, wenn der andere Staat die fragliche Geschäftsbeziehung ohnehin nicht besteuern wird, mit der Folge, dass die Gefahr einer doppelten Besteuerung desselben Einkommens nicht besteht. Grundsätze der Antragstellung. Durch seinen Antrag bestimmt der Antragsteller den Inhalt des Vorabverständigungsverfahrens. Er hat den Anwendungsbereich des APAs sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht exakt zu bezeichnen. Überdies hat er anzugeben, mit welchem Staat bzw. welchen Staaten eine Vorabverständigung erreicht werden soll.3 Den Umfang des Antrags kann der Antragsteller gegenständlich beschränken – etwa auf bestimmte Geschäftsvorfälle (wie Produktlinien, Unternehmen oder Unternehmensbereiche) oder Geschäfte mit bestimmten Transaktionspartnern bzw. Transaktionspartnern in bestimmten Staaten. Von Beschränkungen fordert das BMF, dass sie sachgerecht sein und begründet werden müssen; bei willkürlichen Beschränkungen besteht die Gefahr, dass der Antrag insgesamt abgelehnt wird.4
10.87
Erforderliche Angaben und Unterlagen. Der Antragsteller muss seinen Antrag umfassend erläutern und alle erforderlichen Aufzeichnungen vorlegen.5 Die Erforderlichkeit einzelner Angaben und anzuhängender Unterlagen hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Typischerweise sind gefragt:6 1. Angaben zu den betroffenen Unternehmen bzw. Betriebsstätten in Deutschland und in anderen Staaten, 2. Angabe der Steuerjahre, für die das APA gelten soll, 3. Darstellung der Beteiligungsverhältnisse zwischen in- und ausländischen Unternehmen, 4. Beschreibung der organisatorischen und operativen Konzernstruktur und der Stellung der betroffenen Unternehmen im Konzern,
10.88
1 2 3 4 5 6
BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (596) Tz. 2.3. So auch Strunk/Kaminski, Stbg 2007, 26. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (597) Tz. 3.1. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (597) Tz. 3.2. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (597) Tz. 3.1. Vgl. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (598) Tz. 3.5.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
5. Erläuterungen über die wirtschaftliche Situation der Unternehmen bzw. Betriebsstätten im In- und Ausland (dabei Darstellung der – voraussichtlichen – Gewinn-/Verlustsituation vor und im APA innerhalb eines Zeitraums von etwa 5 Jahren sowie Angaben über die steuerliche Auswirkung des APAs), 6. Beschreibung des Unternehmensgegenstands und der Geschäftsbeziehungen zwischen den betroffenen in- und ausländischen Unternehmen sowie der vorgesehenen Vertragsgestaltungen, 7. Beschreibung, welche Geschäftsbeziehungen vom APA erfasst werden und welche nicht, 8. Funktions- und Risikoanalyse, 9. Bezeichnung und Beschreibung der wesentlichen (insbesondere der immateriellen) Wirtschaftsgüter, die für die betroffenen Geschäftsbeziehungen von Bedeutung sind, 10. Darstellung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse und der gewählten Geschäftsstrategie/n, 11. Beschreibung und Bewertung der vorgesehenen Wertschöpfungsketten und der Beiträge der betroffenen Unternehmen, 12. Benennung aller offenen Steuerfragen (auch im Verhältnis zu anderen Steuerverwaltungen), die in Zusammenhang mit den Geschäftsvorfällen, die das APA umfassen soll, stehen, 13. Stichwortartige Angabe des Verrechnungspreisproblems, 14. Angaben zum geplanten Verrechnungspreissystem – Beschreibung der Funktionen, Risiken sowie des verwendeten Vermögens der betroffenen Unternehmen, – Beschreibung der vor dem beabsichtigten APA-Zeitraum angewandten Verrechnungspreismethode, – Begründung der im Rahmen des APAs vorgesehenen Beibehaltung oder Änderung der vorhandenen Verrechnungspreismethode, – Angaben zu ggf. herangezogenen Vergleichswerten von Vergleichsunternehmen oder zu sonstigen Quellen für angewandte Vergleichsdaten, 15. Anlagen – Maßgebende Verträge, – Bilanzen und GuV-Rechnungen aus dem letzten Prüfungszeitraum vor dem APA-Zeitraum, – sämtliche Dokumente, die die Anerkennung der vorgeschlagenen Verrechnungspreismethode begründen sollen.
10.89
Benennung potenzieller Gültigkeitsbedingungen („Critical Assumptions“). Ein Advance Pricing Agreement wird üblicherweise unter dem Vorbehalt bestimmter Gültigkeitsbedingungen (sog. Critical Assumptions) geschlossen. Da die Angemessenheit von Verrechnungspreisen maß1270
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
geblich von Faktoren abhängt, die naturgemäß prognostisch-unsicher bleiben, wird das Vorliegen bestimmter Bedingungen zur „Geschäftsgrundlage“ des APAs und damit zur Grundlage für die Anerkennung der vereinbarten Verrechnungshandhabung gemacht.1 Im Rahmen seines Antrags soll der Steuerpflichtige darlegen, welche Gültigkeitsbedingungen aus seiner Sicht für die Wirksamkeit der Verständigungsvereinbarung gelten sollten.2 Die Gültigkeitsbedingungen können sich auf den Steuerpflichtigen selbst beziehen (z.B. das Vorliegen eines bestimmten Umsatzvolumens); es kann sich jedoch auch um allgemeine Rahmendaten (z.B. ein bestimmtes Zinsniveau) handeln.3 Die Gültigkeitsbedingungen und der Regelungsgegenstand des APAs müssen so voneinander abhängen, dass es wahrscheinlich ist, dass Änderungen der vereinbarten Gültigkeitsbedingungen die materiellen Vereinbarungen des APAs beeinflussen bzw. in Frage stellen.4 Konkrete Art der Verrechnungspreisbestimmung. Schließlich muss aus dem Antrag hervorgehen, auf welchem Weg die Verrechnungspreise nach dem Willen des Steuerpflichtigen zukünftig bestimmt werden sollen. Dabei geht es nicht nur um die Anwendung einer bestimmten Verrechnungspreismethode; der Antrag soll auf die Festlegung der konkreten Kalkulationsgrundlagen für die erfassten Transaktionen abzielen.5 Im Regelfall ist ein detailliertes Kalkulationsschema erforderlich.6 Soweit möglich sind zeitnah erhobene Fremddaten (z.B. Preise, Bruttomargen, Kostenaufschläge) darzustellen. Aus dem Antrag muss hervorgehen, dass der vorgeschlagene Weg der Verrechnungspreisbestimmung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz in Übereinstimmung steht.7
10.90
Einreichung des Antrags. Zur Beschleunigung des Verfahrens können der inländische Steuerpflichtige und sein verbundenes Unternehmen den APA-Antrag zeitgleich beim BZSt und bei der zuständigen ausländischen Steuerbehörde stellen. Ein solches Verfahren macht nur Sinn, wenn beide Anträge inhaltsgleich und mit einer identischen Dokumentation eingereicht werden.8 Zählt Deutsch im anderen Staat nicht zu den Amtssprachen, bieten sich im Interesse einer effektiven Antragsbearbeitung zweisprachige Anträge oder einsprachige Anträge nebst Übersetzung an.9 Unabhängig von einem Parallelantrag im Ausland sind die Antragsunterlagen beim BZSt in 4-facher Ausfertigung einzureichen.10 Die bloße Ein-
10.91
1 Grotherr IStR 2005, 350 (358); Seer in Tipke/Kruse, § 178a AO Rz. 10. 2 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (598) Tz. 3.7. 3 Grotherr IStR 2005, 350 (358); Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 83. 4 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (598) Tz. 3.7. 5 Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 82; Grotherr IStR 2005, 350 (356). 6 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (597) Tz. 3.4. 7 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (597) Tz. 3.4. 8 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (600) Tz. 4.4. 9 Vgl. Heinrich/Schmitt, DB 2006, 2428 (2430). 10 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (598) Tz. 2.3.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
reichung eines Antrags auf Durchführung eines APA-Verfahrens hat keine unmittelbare Auswirkung auf das innerstaatliche Besteuerungsverfahren oder anhängige Rechtsbehelfsverfahren. Ein APA-Antrag hindert auch nicht die Durchführung oder Fortsetzung einer Außenprüfung.1 Mit Einreichung des Antrags können allerdings die in § 178a AO vorgesehenen Gebühren entstehen. Die Grundgebühr entsteht, sobald das BZSt mit der Bearbeitung des Antrags beginnt2 (vgl. hierzu Rz. 10.108 ff.).
10.92
Änderung und Rücknahme des Antrags. Bis zum rechtsgültigen Abschluss der zwischenstaatlichen Vorabverständigungsvereinbarung (Rz. 10.95 ff.) kann der Antragsteller seinen APA-Antrag mangels entgegenstehender Vorschriften jederzeit ändern. Soweit das BZSt die Bearbeitung des geänderten Antrags nicht ablehnt, wird das Verfahren auf Grundlage des geänderten Antrags durchgeführt. Die Änderung des Antrags löst eine Änderungsgebühr in Höhe von 10 000 Euro aus (vgl. § 178a Abs. 2 Satz 3 AO). Dies gilt jedoch nur, wenn die Abweichung vom Ursprungsantrag ihrer Art nach geeignet ist, bei den für die Verfahrensdurchführung zuständigen Behörden einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand herbeizuführen (z.B. bei einem Wechsel der angestrebten Verrechnungspreismethode). Marginale Änderungen und kleine Korrekturen (z.B. die Berichtigung von Schreibfehlern) stellen keine gebührenpflichtige Antragsänderung dar.3 Eine wesentliche Änderung des Antrags wird vom BZSt als Neuantrag qualifiziert.4 Die Behörde lehnt die Bearbeitung eines entsprechenden Neuantrags ab, wenn davon auszugehen ist, dass der Antragsteller das Verfahren nicht ernsthaft vorbereitet hat, nicht ernsthaft betreibt oder außerhalb des Verfahrens liegende Zwecke verfolgt (z.B. „Austesten“ der Finanzbehörden).5 Bis zum Abschluss der zwischenstaatlichen Vorabverständigungsvereinbarung kann der Antragsteller seinen APA-Antrag auch uneingeschränkt zurücknehmen. Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung endet mit der Rücknahme des Antrags automatisch das APA-Verfahren, da mit dem Antrag auch die Grundlage für das Verfahren entfalle.6
1 2 3 4 5 6
BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (596) Tz. 1.3. a.E. Hendricks in Beermann/Gosch, § 178a AO Rz. 15. Siehe Hendricks in Beermann/Gosch, § 178a AO Rz. 23. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (602) Tz. 7.1. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (602) Tz. 7.1. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (602) Tz. 7.2. Dieser Schluss ist nicht zwingend, soweit man annimmt, das Vorabverständigungsverfahren basiere auf Verständigungsklauseln nach dem Vorbild von Art. 25 Abs. 3 OECD-MA (so z.B. Rodemer, Advance Pricing Agreements im US-amerikanischen und deutschen Steuerrecht, 2001, 171). Denn eine Verständigung auf Grundlage von Verständigungsklauseln i.S.v. Art. 25 Abs. 3 OECD-MA ist auch ohne Antrag des Steuerpflichtigen möglich; vgl. nur Lüthi in G/K/G, Art. 25 OECD-MA Rz. 84.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
d) Entscheidung über den Antrag Ermessensentscheidung. Nach überwiegender Auffassung hat auch eine abkommensberechtigte Person keinen Anspruch auf die Einleitung eines zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens. Vielmehr wird dem Steuerpflichtigen lediglich ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über die Einleitung des Verfahrens zugestanden.1 Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung wird auch in Bezug auf APA-Anträge bejaht.2 Basierend hierauf kann auch der Antrag auf Durchführung eines APA-Verfahrens vom BZSt nach freiem Ermessen abgelehnt werden. Bei der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens sind das Interesse des Steuerpflichtigen an der sicheren Vermeidung einer möglichen Doppelbesteuerung und das Interesse der Verwaltung an einer einvernehmlichen Erledigung der Verrechnungspreisfrage zu berücksichtigen.3 Da der förmlichen Antragstellung grundsätzlich Vorgespräche vorgeschaltet sind, in deren Rahmen die Erwartungshaltung der Beteiligten im Vorfeld abgestimmt werden können (Rz. 10.83 f.), ist die Ablehnung eines Antrags eher unüblich. Sie kommt insbesondere in Betracht, wenn dem Antrag kein berechtigtes Interesse zugrunde liegt (Rz. 10.86) oder der Antragsteller auf der Anwendung einer Verrechnungspreismethode besteht, welche die Finanzbehörden für ungeeignet halten.4 Vor Erlass der ablehnenden Entscheidung wird dem Antragsteller regelmäßig Gelegenheit gegeben, den jeweiligen Ablehnungsgrund zu beseitigen.5
10.93
Rechtsschutzmöglichkeiten. Lehnt das BZSt den Antrag auf Einleitung eines APA-Verfahrens ab, stellt sich die Frage, auf welchem Wege die Rechtmäßigkeit der behördlichen Ablehnung überprüft werden kann. Denkbar sind eine allgemeine Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 3. Fall FGO) sowie eine Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 2. Fall FGO). Bislang ist nicht höchstrichterlich geklärt, auf welchem prozessualen Weg der Steuerpflichtige die Verwaltung zur Durchführung eines Vorabverständigungsverfahren zwingen kann. Für die Klage auf Durchführung eines reaktiven Verständigungsverfahrens hat der BFH bislang offengelassen, welche der beiden Klagearten statthaft ist.6 Das FG Hamburg hält in diesen Fällen die allgemeine Leistungsklage für statthaft.7 Demgegenüber wird in der Literatur zum Teil die Verpflichtungsklage als die richtige Klageart angesehen.8 Die Frage ist v. a. für die Frage von Bedeutung, ob vor Klageerhebung
10.94
1 Vgl. BFH v. 26.5.1982 – I R 16/78, BStBl. II 1982, 583 = FR 1982, 467 (586); Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 90 m.w.N. 2 Vgl. nur BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (599) Tz. 3.9; ausführlich hierzu Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 225 ff. 3 Vgl. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (599) Tz. 3.9. 4 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (599) Tz. 3.9 a.E. 5 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (599) Tz. 3.9. 6 So ausdrücklich BFH v. 26.5.1982 – I R 16/78, BStBl. II 1982, 583 = FR 1982, 467. 7 FG Hamburg v. 13.7.2000 – V 2/97, IStR 2003, 391, rkr. 8 So z.B. Leising, IStR 2002, 114 (115 f.). Zwar handelt es sich bei dem begehrten zwischenstaatlichen Verständigungsverfahren nicht um einen Verwaltungsakt,
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
erfolglos ein Einspruchsverfahren durchgeführt werden muss. Ein solches Klageverfahren ist lediglich im Fall einer Verpflichtungsklage obligatorisch (vgl. § 44 Abs. 1 FGO). Wäre hingegen die allgemeine Leistungsklage die richtige Klageart, könnte der Steuerpflichtige auf ein Einspruchsverfahren verzichten und unmittelbar klagen. Da die Frage bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist, sollte auf ein Einspruchsverfahren aktuell nicht verzichtet werden. Hält der Steuerpflichte die Ablehnung für rechtswidrig, sollte er also gegen die Ablehnung des Antrags Einspruch einlegen (§ 347 Abs. 1 Nr. 1 AO).1 Der Rechtsbehelf hat allerdings nur dann Aussichten auf Erfolg, wenn es gelingt darzulegen, dass die Ablehnung ermessensfehlerhaft (z.B. aus sachwidrigen Erwägungen) erfolgt ist. Ein Anspruch auf Vorabverständigung würde eine Ermessensreduzierung auf Null voraussetzen, was in aller Regel zu verneinen ist.2 e) Zwischenstaatliches Verständigungsverfahren
10.95
Eröffnung des zwischenstaatlichen Verfahrens. Die Entscheidung über die Durchführung eines APA-Verfahrens trifft das BZSt im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Landesfinanzbehörde.3 Wird der Antrag positiv beschieden, kann das eigentliche zwischenstaatliche Vorabverständigungsverfahren beginnen. Allerdings wird das zwischenstaatliche Verfahren im Regelfall erst dann eröffnet, wenn die gesetzlich vorgesehene Gebühr unanfechtbar festgesetzt worden ist und die Gebühr entrichtet wurde (§ 178a Abs. 1 Satz 4 AO). Liegen diese Voraussetzungen vor, wird das Verfahren mit der Versendung des ersten Schriftsatzes an den anderen Vertragsstaat eröffnet (§ 178a Abs. 1 Satz 2 AO).4 Zu Beginn des Vorabverständigungsverfahrens bemüht sich das BZSt, mit der ausländischen „zuständigen Behörde“ den konkreten Ablauf des Verfahrens (vor allem auch in zeitlicher Hinsicht) abzusprechen. Ziel der ersten Kontakte ist vor allem ein umfassender Informationsaustausch mit der Absicht, einen identischen Informationsstand beider Staaten sicherzustellen.5 Im Anschluss hieran analysieren die Behörden der beteiligten Staaten den zugrunde liegenden Sachverhalt getrennt voneinander und bemühen sich, eine eigene Position zu der vom Steuerpflichtigen vorgeschlagenen steuerlichen Be-
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der Voraussetzung für eine Verpflichtungsklage ist, sondern um Verwaltungsrealhandeln. Wird ein beantragtes Verwaltungsrealhandeln durch einen Verwaltungsakt abgelehnt, ist nach der nicht ganz einheitlichen Rechtsprechung jedoch die Verpflichtungsklage statthaft (so z.B. für den Fall der abgelehnten Akteneinsicht: BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, BFH/NV 1988, 319; zustimmend z.B. Rößler, DStZ 1995, 349). Bei der Ablehnung handelt es sich auch nach Auffassung der Finanzverwaltung um einen Verwaltungsakt, vgl. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (599) Tz. 3.9. Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 225 ff. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (599) Tz. 3.9. Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 178a AO Rz. 11. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (600) Tz. 4.4.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
handlung herauszuarbeiten. Im Regelfall werden getrennt voneinander Positionspapiere entworfen, die anschließend ausgetauscht werden.1 Der konkrete Inhalt der Verständigungsvereinbarung wird im Rahmen von Verständigungsgesprächen ausgehandelt. Ziel der Gespräche ist es, durch Zusammenwirken eine für alle Behörden akzeptable Verständigungsvereinbarung auszuhandeln.2 Inhalt der Verständigungsvereinbarung. In Aufbau und Inhalt erinnern verrechnungspreisbezogene zwischenstaatliche Verständigungsvereinbarungen häufig an Verträge aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis. Im Regelfall wird im Anschluss an eine kurze Präambel3 zunächst der Anwendungsbereich der Vereinbarung festgelegt. Hier werden neben dem persönlichen Anwendungsbereich4 die unter die Verständigungsvereinbarung fallenden Transaktionen5 sowie der Gültigkeitszeitraum der Vereinbarung (im Normalfall 3–5 Jahre)6 geregelt.7 In einem weiteren Abschnitt einigen sich die beteiligten Staaten dann auf die steuerliche Handhabung der betroffenen Geschäftsvorfälle. Dieser Abschnitt bildet den Kern des APAs. Hier einigen sich die Staaten auf eine bestimmte Verrechnungspreismethode und deren Grundlagen. Festgelegt wird im Regelfall nicht nur, welche klassische Methode zur Anwendung kommen soll; auch die Kalkulationsgrundlagen für die Anwendung dieser Methode8 werden einzelfallbezogen (aber abstrakt) bestimmt.9 In diesem Punkt weisen Vorabverständigungsvereinbarungen einen unterschiedlichen Detaillierungsgrad auf. Üblich ist eine Festlegung der wesentlichen preisbestimmenden Faktoren.10 Die Einigung auf einen konkreten (d.h. der Höhe nach bestimmten) Verrechnungspreis scheidet im Regelfall aus, weil eine belastbare Preisprognose für die Zukunft in aller Regel nicht möglich ist. 1 Vgl. KOM (2007) final v. 26.2.2007, Rz. 30 und Anhang C. 2 Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 225 ff. 3 In der Präambel wird häufig der dem Abschluss der Vereinbarung vorausgegangene Gang des Verfahrens dargestellt, wobei sich die Darstellung auf die wichtigsten Stationen des Verfahrens beschränkt (z.B. APA-Antrag, zwischenstaatliches Treffen etc.). 4 Die Regelung wird regelmäßig mit „Enterprises covered by the Agreement“ überschrieben. 5 Die Überschrift zu dieser Regelung lautet regelmäßig „Transactions covered by this Agreement“. 6 Die häufig genannte 5-Jahres-Dauer stellt keine absolute Grenze dar. In der Praxis werden auch APAs mit längerer Laufzeit geschlossen. 7 Die Überschrift zu dieser Regelung lautet regelmäßig „Period“. 8 Denkbar ist auch die Vereinbarung alternativ anwendbarer Methoden. Ein solches hybrides APA wurde beispielsweise bereits einmal zwischen der US-amerikanischen und der japanischen Verwaltung vereinbart, vgl. Rodemer, Advance Pricing Agreements im US-amerikanischen und im deutschen Steuerrecht, 2001, 105 m.w.N. 9 Vgl. im Einzelnen Grotherr, BB 2005, 855 (856); sowie Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 82 f. m.w.N. 10 Vgl. auch Tz. 4.124 der OECD-Leitlinien 2010.
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10.96
Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
In geeigneten Fällen ist die deutsche Finanzverwaltung bereit, die Festlegung einer Bandbreite möglicher Preise zu akzeptieren.1 Weiterer wesentlicher Bestandteil einer Vorabverständigungsvereinbarung ist die Festlegung der Gültigkeitsbedingungen („Critical Assumptions“). Festgelegt werden tatsächliche Umstände, von deren Vorliegen die involvierten Staaten die Gültigkeit der Vereinbarung abhängig machen (z.B. bestimmte Marktbedingungen, vgl. im Einzelnen Rz. 10.89). Sie bilden quasi die geschriebene „Geschäftsgrundlage“ des APAs.2 Bestandteil der Vereinbarung ist überdies die Bezugnahme auf die Verpflichtung des Steuerpflichtigen, einen jährlichen Bericht („Compliance-Report“ oder auch „Annual Report“) zu erstellen, in welchem dieser darlegt, dass der in der Vereinbarung zugrunde gelegte Sachverhalt im betreffenden Wirtschaftsjahr verwirklicht worden ist und dass auch die Gültigkeitsbedingungen eingehalten wurden.3 Verständigungsvereinbarungen unter deutscher Beteiligung enthalten zudem eine Regelung,4 nach der das Inkrafttreten der Vereinbarung von der Zustimmung des Steuerpflichtigen abhängig ist (hierzu nachfolgend Rz. 10.97), sowie eine Vertraulichkeitsklausel, nach welcher die auf Basis des APAs ausgetauschten Informationen bei den beteiligten Behörden der Geheimhaltung unterliegen. Vereinzelt enthalten APAs schließlich noch einen eigenen Abschnitt, in welchem die in der Vereinbarung verwendeten Begriffe zur Vermeidung von Auslegungskonflikten definiert werden.5
10.97
Abschluss unter Zustimmungsvorbehalt. Der Abschluss der zwischenstaatlichen Verständigungsvereinbarung erfolgt auf deutscher Seite durch das BZSt, welches die Vereinbarung im Einvernehmen mit dem jeweils beteiligten Bundesland abschließt.6 Durch den schriftlichen Abschluss der Verständigungsvereinbarung wird das APA jedoch noch nicht zwischenstaatlich verbindlich; der Abschluss erfolgt auf deutscher Seite unter dem Vorbehalt, dass der Steuerpflichtige der Vereinbarung zustimmt7 1 Vgl. nur BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (608) Anlage 1. 2 Grotherr, IStR 2005, 350 (358); Seer in Tipke/Kruse, § 178a AO Rz. 10. 3 Vgl. hierzu BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (601) Tz. 6.1. 4 Beispiel für eine entsprechende Klausel: „Entry into force – This APA will come into force, as soon as the taxpayers declare their consent in writing. The Federal Republic of Germany concludes the APA subject to the provision that, in accordance with section 354 paragraph 1a of the German Tax Code, the taxpayers declare waiver of legal remedy against complaint German tax assessments within one month of signature of the APA by the Competent Authorities. The German Competent Authority will inform the Competent Authority of [other country] of the date on which the conditions for effectiveness are fulfilled.“ 5 Vgl. z.B. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (608) Anlage 2. 6 Vgl. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (600) Tz. 4.5. 7 Auch reaktive Verständigungsvereinbarungen unter deutscher Beteiligung sind im Regelfall mit einem entsprechenden Zustimmungsvorbehalt versehen, vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 3.4.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
und für verständigungskonforme Steuerbescheide einen Einspruchsverzicht erklärt.1 Ein entsprechender Zustimmungsvorbehalt ist Bestandteil der zwischenstaatlichen Vereinbarung über das Inkrafttreten der Verständigungsvereinbarung (hierzu Rz. 10.96). Beide Erklärungen des Steuerpflichtigen müssen vorliegen, damit die Vereinbarung zwischenstaatliche Bindungswirkung entfaltet (vgl. Rz. 10.99). f) Einbindung des Steuerpflichtigen Rechtsstellung des Steuerpflichtigen. Das vorgehend beschriebene zwischenstaatliche Verständigungsverfahren basiert auf den zwischen den beteiligten Staaten einschlägigen Verständigungsklauseln (Rz. 10.79). Der Steuerpflichtige kann zwar ein solches Verfahren beantragen; er ist jedoch selbst nicht Beteiligter des Verfahrens.2 Die beteiligten Behörden verhandeln häufig nicht mit dem Steuerpflichtigen, sondern über den Steuerpflichtigen und seine Transaktionen. Das BZSt unterrichtet ihn jedoch regelmäßig über den Verfahrensstand.3 In Einzelfällen gewähren die zuständigen Behörden dem Steuerpflichtigen bzw. seinem Vertreter die Möglichkeit, an Teilen der Verständigungsgespräche persönlich teilzunehmen und seine Position zu erläutern. Im Regelfall dient eine solche Hinzuziehung zu den Gesprächen der Verfahrensbeschleunigung.4
10.98
Zustimmungserklärung und Einspruchsverzicht. Zwar ist der Steuerpflichtige in Bezug auf das zwischenstaatliche Verständigungsverfahren kein Verfahrensbeteiligter; im innerstaatlichen Besteuerungsverfahren ist er jedoch Beteiligter i.S.v. § 78 AO und als solcher zur Mitwirkung verpflichtet. Gelingt es den zuständigen Behörden, unter Zustimmungsvorbehalt ein zwischenstaatliches APA zu schließen, wird der Steuerpflichtige durch das BZSt schriftlich über den Abschluss und den Inhalt des APAs informiert. Er wird aufgefordert, schriftlich seine Zustimmung zur zwischenstaatlichen Verständigungsvereinbarung zu erklären. Weiter wird er aufgefordert, nach § 354 Abs. 1a AO auf Einsprüche gegen zukünftige5 verständigungskonforme Steuerbescheide zu verzichten.6 Er hat da-
10.99
1 So ausdrücklich BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (600) Tz. 4.5. 2 Vgl. nur Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 116; Engler/Elbert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. 413; ebenso BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 3.31. sowie BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (600) Tz. 4.5. 3 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (600) Tz. 4.5. 4 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (600) Tz. 4.5. 5 Da gem. § 354 Abs. 1 Satz 1 AO eigentlich nur „nach Erlass des Verwaltungsaktes“ wirksam auf einen Einspruch verzichten kann, bestehen Zweifel, ob der im BMF-Merkblatt vorgesehene antizipierte Verzicht überhaupt wirksam ist, vgl. nur Werth in Beermann/Gosch, § 354 AO Rz. 9. § 354 Abs. 1a AO sollte dahingehend ergänzt werden, dass eine Verzichtserklärung nach dieser Vorschrift auch vor Erlass des jeweiligen Feststellungs- oder Steuerbescheids wirksam abgegeben werden kann. 6 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (600) Tz. 4.5.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
rüber hinaus zu erklären, dass ihm bekannt ist, dass die deutschen Finanzbehörden nur dann verpflichtet sind, sich an die Vereinbarung zu halten, wenn der dem APA zugrunde liegende Sachverhalt erfüllt wird, wenn die Gültigkeitsbedingungen eingehalten werden und er den Finanzbehörden die erforderlichen Jahresberichte (hierzu Rz. 10.101) zur Verfügung stellt.1 Gibt der Steuerpflichtige die geforderten Erklärungen ab, wird das APA zwischenstaatlich verbindlich.
10.100
Verbindliche Vorabzusage. Hat der Steuerpflichtige die geforderten Erklärungen abgegeben, sichert ihm die für seine Besteuerung zuständige Landesfinanzbehörde im Rahmen einer „verbindlichen Vorabzusage“ den zukünftigen Erlass verständigungskonformer Steuerbescheide zu.2 Da es sich verfahrensrechtlich um einen Vorgang innerhalb des innerstaatlichen Besteuerungsverfahrens handelt, ist insoweit nicht das BZSt zuständig. Beteiligte dieses Verfahrens sind allein der Steuerpflichtige (Antragsteller) und die örtlich zuständige Landesfinanzbehörde (Finanzamt).3 Der erfolgreiche Abschluss des zwischenstaatlichen Vorabverständigungsverfahrens ist notwendige Voraussetzung für eine entsprechende Vorabzusage.4 Im Rahmen der Vorabzusage nimmt die zuständige Behörde auf die zwischenstaatliche Verständigungsvereinbarung Bezug und sichert den Erlass verständigungskonformer Steuerbescheide zu. Bei der Vorabzusage handelt es sich um einen Verwaltungsakt, da es sich um eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts handelt, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 118 AO).5 Allerdings stellt dieser Verwaltungsakt keine verbindliche Auskunft i.S.v. § 89 Abs. 2 AO dar. Eine verbindliche Auskunft ist nach der gesetzlichen Konzeption auf die „Beantwortung einer konkreten Rechtsfrage“6 auf Basis eines „genau bestimmten Sachverhalts“7 gerichtet. Demgegenüber sichert die Finanzbehörde im Rahmen einer Vorabzusage losgelöst von möglichen Rechtsfragen eine bestimmte steuerliche Behandlung zu. Auch muss der Sachverhalt nicht genau bestimmt sein; er muss sich lediglich im Rahmen der Vorgaben der zwischenstaatlichen Verständigungsvereinbarung halten (insbesondere müssen die Gültigkeitsbedingungen eingehalten sein).8 Da die Vorabzusage unabhängig von der Durchführung einer Außenprüfung erteilt wird, handelt es sich auch nicht um eine verbindliche Zusage i.S.d. 1 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (600) Tz. 4.5. 2 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (601) Tz. 5.1.7; Kramer, IStR 2007, 174 (176 f.). 3 So zutreffend auch BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (595) Tz. 1.2. 4 So zutreffend auch BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (595) Tz. 1.2. 5 Zutreffend Kramer, IStR 2007, 15; ebenso zu verbindlichen Auskünften nach § 89 AO nunmehr auch BFH v. 29.2.2012 – IX R 11/11, BStBl. II 2012, 651. 6 Vgl. § 89 Abs. 2 Satz 4 AO i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 5 StAuskV. 7 Vgl. § 89 Abs. 2 Satz 1 AO. 8 Vgl. auch OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2010, Tz. 4.132, die den Unterschied zu verbindlichen Auskünften deutlich herausarbeiten.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
§§ 204 ff. AO.1 Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage ist die Finanzverwaltung jedoch befugt, sich durch Vorabzusagen selbst zu binden. Dieses Vorgehen verstößt weder gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes noch gegen den Gesetzesvorbehalt.2 Im Übrigen geht auch § 178a AO von der Möglichkeit verbindlicher Äußerungen der Finanzverwaltung über die Angemessenheit von Verrechnungspreisen aus.3 Die Vorabzusagen werden regelmäßig mit einem Widerrufsvorbehalt versehen. So erfolgt beispielsweise ein Widerruf, wenn die Gültigkeitsbedingungen in wesentlichen Punkten nicht erfüllt werden (vgl. hierzu Rz. 10.89 und 10.96).4 g) Umsetzung des APA Jährliche Berichte („Compliance-Reports“). Hat der Steuerpflichtige seine Zustimmung zur Verständigungsvereinbarung erklärt, auf Rechtsbehelfe gegen verständigungskonforme Steuerbescheide verzichtet und zudem die im Merkblatt vorgesehene Vorabzusage erhalten, liegen alle Voraussetzungen vor, um das somit verbindliche APA umzusetzen. Um eine Bindung der zwischenstaatlichen Vereinbarung nicht zu gefährden, ist der Steuerpflichtige gehalten, während der Laufzeit des APA jährliche Berichte zu erstellen und vorzulegen, in denen er dokumentiert, dass der dem APA zugrunde gelegte Sachverhalt verwirklicht wurde und dass auch die Gültigkeitsbedingungen eingehalten wurden. Mit Rücksicht auf die internationale Praxis werden diese Berichte als „Compliance-Reports“ oder auch als „Annual Reports“ bezeichnet. Bei APA-Verfahren unter deutscher Beteiligung folgt die Berichtspflicht des Steuerpflichtigen nicht unmittelbar aus der zwischenstaatlichen Vereinbarung, da der Steuerpflichtige hieran nicht selbst beteiligt ist. Eine Berichtspflicht kann sich daraus ergeben, dass der Steuerpflichtige im Rahmen des APA-Verfahrens seine Bereitschaft erklärt, entsprechende Berichte zu erstellen. Soweit eine solche Erklärung nicht abgegeben wurde, handelt es sich aus Sicht des Steuerpflichtigen letztendlich um eine Obliegenheit, die er im eigenen Interesse erfüllt, wenn er an der Bindungswirkung der zwischenstaatlichen Vereinbarung interessiert ist. Denn im Regelfall machen die involvierten Staaten die Verbindlichkeit der Verständigungsvereinbarung davon abhängig, dass entsprechende Berichte vorgelegt werden. Die deutsche Finanzverwaltung verlangt, dass der Steuerpflichtige im jährlichen Bericht auf sachverhaltliche Abweichungen von der abgestimmten Handhabung hinweist und mitteilt, ob und welche Anpassungen er vorgenommen hat.5 Der Bericht sollte6 bis zum Ablauf der gesetzlichen Steu1 Zutreffend van der Ham/Voll, Ubg 2013, 219 (221). 2 Ausführlich Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 134 ff. 3 Zutreffend Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 16 und § 178a Rz. 13. 4 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (602) Tz. 6.5.2. 5 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (601) Tz. 6.5.1. 6 Da schon keine gesetzliche Pflicht zur Abgabe der Berichte besteht, existiert auch kein gesetzlich bestimmter Fälligkeitszeitpunkt.
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10.101
Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
ererklärungsfrist des betreffenden Jahres beim BZSt und gleichzeitig bei der örtlich zuständigen Landesfinanzbehörde in deutscher Sprache oder in ausländischer Sprache mit deutscher Übersetzung abgegeben werden.1
10.102
Zulässigkeit weiterer Ermittlungshandlungen. Die Überprüfung, ob nach dem Jahresbericht die Gültigkeitsbedingungen eingehalten sind, erfolgt zunächst durch das BZSt. Die Behörde entscheidet im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Landesfinanzbehörde, ob die Notwendigkeit besteht, Maßnahmen im Hinblick auf das APA zu treffen, z.B. das APA zu kündigen oder Verhandlungen mit dem anderen Staat aufzunehmen.2 Die Finanzverwaltung ist jedoch nicht auf die Prüfung der Jahresberichte beschränkt. Sie kann insoweit von allen Erkenntnismitteln Gebrauch machen (insbesondere vom Steuerpflichtigen Auskünfte und die Vorlage von Urkunden verlangen). Sie ist auch befugt, die Sachverhaltsverwirklichung und die Einhaltung der Gültigkeitsbedingungen im Rahmen einer Außenprüfung zu verifizieren.3 3. Bindungsmechanismen
10.103
Unterschiedliche Bindungsgründe. Für die Frage, auf welchem Wege die einzelnen Beteiligten an den Inhalt der Verständigungsvereinbarung gebunden sind, sind unterschiedliche Bindungsmechanismen zu beachten. Die involvierten Staaten sind auf der zwischenstaatlichen Ebene unmittelbar über die Vorabverständigungsvereinbarung hinsichtlich einer bestimmten Handhabung der geregelten Transaktionen gebunden. Eine von der Verständigungsvereinbarung abweichende Besteuerung wäre völkerrechtswidrig und würde – soweit Substrat besteuert wird, welches eigentlich dem anderen Staat zustünde – einen Beseitigungsanspruch auslösen. Dem Steuerpflichtigen gegenüber resultiert eine behördliche Verpflichtung zur verständigungskonformen Handhabung – jedenfalls in Deutschland – aus der verbindlichen Vorabzusage der Landesfinanzbehörde.4 Überdies ist die Behörde mit Rücksicht auf § 175a AO zum Erlass verständigungskonformer Steuerbescheide verpflichtet.5 Der Steuerpflichtige wiederum ist mit Rücksicht auf seinen Einspruchsverzicht gebunden. Erlässt die Finanzverwaltung verständigungskonforme Steuerbescheide, ist ein Einspruch wegen des Einspruchsverzichts unzulässig (§ 354 Abs. 1 Satz 3 AO) und daher zu verwerfen (§ 358 Satz 2 AO).
10.104
Grenzen der Bindungswirkung. Auch wenn der Steuerpflichtige einen Antrag auf Durchführung eines APA-Verfahrens gestellt hat, ist er nach Zustandekommen der zwischenstaatlichen Verständigungsvereinbarung an1 2 3 4 5
BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (601) Tz. 6.5.1. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (601) Tz. 6.2. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (601) Tz. 6.3. Zutreffend van der Ham/Voll, Ubg 2013, 219 (222). Vgl. im Einzelnen Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 236 ff.; vgl. auch BMF v. 5.10. 2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (601) Tz. 6.3 sowie Tz. 6.4.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
schließend nicht verpflichtet, den Sachverhalt zu verwirklichen, der dem APA zugrunde gelegt worden ist. Es steht ihm frei, von der Umsetzung der abgefragten Transaktionen abzusehen oder andere Transaktionen durchzuführen.1 Verzichtet der Steuerpflichtige auf die Verwirklichung des fraglichen Sachverhalts, sind sowohl die zwischenstaatliche Verständigungsvereinbarung als auch die Vorabzusage gegenstandslos und entfalten keine Bindungswirkung.2 Entsprechendes gilt, wenn die Gültigkeitsbedingungen („Critical Assumptions“) in wesentlichen Punkten nicht erfüllt werden. Die Bindungswirkung der zwischenstaatlichen Verständigungsvereinbarung ist ebenso wie die innerstaatliche Vorabzusage auf die Jahre begrenzt, in welchen die Gültigkeitsbedingungen eingehalten werden.3 Ist fraglich, ob die Gültigkeitsbedingungen eingehalten werden, stimmen sich die Behörden der betroffenen Staaten über das weitere Vorgehen ab.4 4. Rückbeziehung APA als zukunftsorientiertes Instrument. Bei APAs handelt es sich im Grundsatz um ein zukunftsorientiertes Instrument zur Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten. Sie werden im Regelfall für einen in der Zukunft liegenden Besteuerungszeitraum geschlossen. Bei APAs unter deutscher Beteiligung beginnt ihr Gültigkeitszeitraum üblicherweise mit dem Anfang des Wirtschaftsjahres, in dem der Antrag förmlich beim BZSt gestellt wird. Ein früherer Beginn wird akzeptiert, wenn zum Zeitpunkt der förmlichen Antragstellung für ein früheres Wirtschaftsjahr weder eine Steuererklärung abgegeben wurde noch die gesetzliche Frist zur Abgabe der Steuererklärung (§ 149 AO) abgelaufen war.5
10.105
Möglichkeit eines „Roll-Back“. In der Praxis sind verschiedene Staaten bereit, bereits abgelaufene Besteuerungszeiträume zum Gegenstand eines APAs zu machen. Dies gilt beispielsweise für die Behörden in Japan, den Niederlanden, Großbritannien und den USA.6 Unter bestimmten Umständen ist auch die deutsche Finanzverwaltung bereit, sich um eine zwischenstaatliche Abstimmung von Verrechnungspreisen in Bezug auf bereits abgelaufene Besteuerungszeiträume zu bemühen. Diese Bereitschaft besteht grundsätzlich nur in Bezug auf Besteuerungszeiträume, die der vereinbarten Laufzeit eines APAs unmittelbar vorangehen. Man spricht
10.106
1 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (601) Tz. 6.4. 2 Zutreffend BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (602) Tz. 6.5.1. 3 Im Einzelfall kann die innerstaatliche Vorabzusage aus Klarstellungsgründen widerrufen werden, vgl. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (602) Tz. 6.5.2. 4 Vgl. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (602) Tz. 6.5.2. 5 Zutreffend BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (599) Tz. 3.8. 6 Zur APA-Praxis der genannten Staaten vgl. die unter Rz. 10.75 ff. aufgeführten Vertiefungshinweise.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
insoweit von einem „Roll-Back“. Die deutsche Finanzverwaltung verlangt hierfür den Nachweis des Steuerpflichtigen, dass der verwirklichte Sachverhalt in den betreffenden Vorjahren dem Sachverhalt der APAJahre entspricht. Außerdem müssen für den Rückwirkungszeitraum Aufzeichnungen vorgelegt werden, die den Aufzeichnungen für den eigentlichen APA-Zeitraum entsprechen.1 Aus verfahrensrechtlicher Sicht ist zu beachten, dass die Vorjahre nach dem Verständnis der deutschen Verwaltung nicht Bestandteil des eigentlichen APA-Verfahrens werden können. Vielmehr wird die steuerliche Handhabung der fraglichen Geschäftsbeziehung für die bereits abgelaufenen Besteuerungszeiträume zum Gegenstand eines eigenständigen reaktiven Verständigungsverfahrens, welches auf Grundlage der jeweils einschlägigen Verständigungsklausel2 abgewickelt wird.3 Dieses rechtlich selbständige Verfahren wird in der Praxis der deutschen Verwaltung soweit möglich gemeinsam mit dem parallelen APA-Verfahren betrieben; da es sich nach deutschem Verständnis um ein reaktives Verständigungsverfahren i.S.d. Merkblatts v. 13.7.20064 handelt, wendet die deutsche Verwaltung die dort geregelten Grundsätze an. Folge ist z.B., dass lediglich die steuerliche Handhabung im eigentlichen APAZeitraum zum Gegenstand einer verbindlichen Vorabzusage (Rz. 10.100) wird, nicht hingegen die Behandlung im bereits abgelaufenen Besteuerungszeitraum. Das die Vorjahre betreffende Verständigungsverfahren löst keine APA-Gebühr aus. Da eine Gebühr nach § 178a Abs. 1 AO lediglich für Verständigungsverfahren zur einvernehmlichen Besteuerung von noch „nicht verwirklichten Geschäften“ bzw. zur „zukünftigen einvernehmlichen Gewinnaufteilung“ erhoben wird, ist der Gebührentatbestand ausschließlich in Bezug auf den zukunftsorientierten Teil der Verständigung (also das „eigentliche“ APA-Verfahren) erfüllt.5 5. Verlängerung
10.107
Möglichkeit der Verlängerung eines APAs. Im Grundsatz endet die Verbindlichkeit eines APAs mit Ablauf seines zwischenstaatlich vereinbarten Gültigkeitszeitraums. Auf Antrag des Steuerpflichtigen kommt die Verlängerung des ursprünglich vereinbarten Gültigkeitszeitraums in Betracht. Die deutsche Finanzverwaltung wirkt an einer solchen Verlängerung mit, wenn im Rahmen eines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags glaubhaft gemacht wird, dass der zukünftig verwirklichte Sachverhalt dem Sachverhalt entspricht, der dem aktuellen APA zugrunde ge1 Vgl. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (602) Tz. 7.3. 2 Verständigungsklauseln nach dem Vorbild von Art. 25 Abs. 1 und Abs. 2 OECDMA. 3 So ausdrücklich BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (602) Tz. 7.3. 4 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 (Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen). 5 Hendricks in Beermann/Gosch, § 178a AO, Rz. 110.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
legt wurde.1 In der Praxis empfiehlt sich, den Verlängerungsantrag bereits während der regulären Geltungsdauer des alten APAs zu stellen;2 denn juristisch handelt es sich bei der zwischenstaatlichen Verlängerungsvereinbarung um ein neues, eigenständiges APA, welches allerdings inhaltlich an die Regelungen des alten APAs anknüpft. Für sein Wirksamwerden müssen mithin alle Voraussetzungen vorliegen, die auch für den Abschluss und das Wirksamwerden des vorausgegangenen APAs erforderlich sind. Da die Regelungen des alten APAs für die Vergangenheit von allen Seiten schon einmal als angemessene und rechtmäßige Handhabung akzeptiert wurden, besteht bei unveränderten Rahmen- und Marktbedingungen die Chance, entsprechende Regelungen in einem einfachen und schnellen Verlängerungsverfahren auch für die Zukunft zur Anwendung zu bringen.3 Nach dem Verständnis der deutschen Finanzverwaltung kann im Rahmen der Verlängerungsvereinbarung eine Anpassung der alten Regelungen vorgenommen werden.4 Es besteht also kein Zwang, im Rahmen der Verlängerung den Inhalt der alten Vereinbarung unverändert fortzuschreiben. 6. Gebühren Gebührenpflicht des Vorabverständigungsverfahrens. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Staaten löst die Durchführung eines APA-Verfahrens unter Beteiligung der deutschen Finanzverwaltung Verwaltungsgebühren aus.5 § 178a Abs. 1 AO normiert die Gebührenpflicht des Vorabverständigungsverfahrens und stellt damit eine Ausnahme vom Prinzip der Gebührenfreiheit finanzbehördlichen Handelns dar.6 Gebührenpflichtig sind nach § 178a Abs. 1 Satz 1 AO Verständigungsverfahren, die auf Grundlage völkerrechtlicher Vereinbarungen i.S.v. § 2 AO durchgeführt werden und eine präventive Zielrichtung haben. Soweit daher im Rahmen eines Vorabverständigungsverfahrens auch bereits abgeschlossene Sachverhalte miteinbezogen werden (sog. „Roll-Back“), ist der Gebührentatbestand nur im Hinblick auf den zukunftsorientierten Teil der Verständigung erfüllt.
10.108
Sachliche und persönliche Gebührenpflicht. Die Gebühren werden durch die Bearbeitung des Antrags auf Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens ausgelöst. Gebührenbegründendes Tatbestandsmerkmal ist die formale Stellung des Antrags, weshalb behördliche Maßnahmen
10.109
1 So ausdrücklich BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (602) Tz. 7.4. 2 Zutreffend Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 12.76. 3 In der Praxis enthalten einige APAs Regelungen zu der Frage, auf welchem Wege eine Verlängerung initiiert werden kann. 4 So ausdrücklich BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (602) Tz. 7.4.: „ggf. mit gewissen Anpassungen“. 5 Gebührenfrei ist das Verfahren beispielsweise in Belgien, Estland, Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden und in Großbritannien. 6 Vgl. hierzu Hendricks in Beermann/Gosch, § 178a AO, Rz. 1 ff.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
vor Antragstellung (wie z.B. das Prefiling) gebührenfrei sind.1 Die vorherige Durchführung eines Prefilings ist daher auch unter Kostengesichtspunkten zu empfehlen.2 Das Gesetz unterscheidet nicht danach, ob der Antrag bei der deutschen Verwaltung oder im Ausland gestellt wird. Dies hat zur Folge, dass die Gebühren auch dann entstehen, wenn der Antrag im Ausland gestellt wird3 und die deutschen Behörden erst nach Inkenntnissetzung durch die ausländische Verwaltung mit der Bearbeitung beginnen.4 Eine parallele Gebührenpflicht im In- sowie Ausland ist daher der Regelfall. Sofern ein Antrag auf Vorabverständigung mit mehreren Staaten (multilaterales APA) gestellt wird, kommt es nach § 178a Abs. 1 Satz 3 AO zu einer Gebührenvervielfachung. Die Verständigung mit jedem einzelnen Staat wird gebührenrechtlich als eigenständiges Verfahren qualifiziert, mit der Folge, dass für jeden weiteren beteiligten Staat eine Gebühr festzusetzen und zu erheben ist. Wer die Gebühr schuldet, ist im Gesetz nicht geregelt. Mit Rücksicht auf die Antragsorientierung ist gebührenpflichtige Person jeweils der Antragsteller, so dass auch die im Ausland ansässige Person Gebührenschuldner sein kann. Die Praxis ist indes davon geprägt, dass die beteiligten Unternehmen üblicherweise im In- sowie Ausland einen Antrag stellen, so dass sich die deutsche Verwaltung regelmäßig an einen inländischen Antragsteller halten kann.
10.110
Gebührenfestsetzung. Gemäß § 38 AO i.V.m. § 178a Abs. 1 Satz 1 AO entsteht die Gebühr mit Eingang des Antrags auf Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens. Zuständig ist das BZSt, welches die Gebühr mittels Bescheids noch vor Eröffnung des zwischenstaatlichen Vorabverständigungsverfahrens festsetzt.5 Das Verständigungsverfahren gilt i.S.d. § 178a Abs. 1 Satz 2 AO als eröffnet, sobald der erste Schriftsatz an den anderen Staat versendet wird. Wird der Antrag auf Eröffnung des Verständigungsverfahrens im anderen Staat gestellt, erfolgt ein Tätigwerden auf deutscher Seite erst, sobald die Gebühr auch von deutscher Seite festgesetzt und vom Steuerpflichtigen beglichen wurde. Die Gebühr kann dementsprechend nicht durch Antragstellung im anderen Staat umgangen werden.6 Denn selbst sofern das Verständigungsverfahren im anderen Staat gebührenfrei sein sollte (wie etwa in Italien), bleibt es bei der deutschen Gebührenpflicht.
10.111
Vorleistungspflicht. Nach § 178a Abs. 1 Satz 4 AO wird das zwischenstaatliche Vorabverständigungsverfahren erst eröffnet, wenn die Gebührenfestsetzung unanfechtbar geworden ist und die Gebühr tatsächlich entrichtet wurde. Das Gesetz statuiert insoweit eine Vorleistungspflicht des Steuerpflichtigen, um das Vorabverständigungsverfahren nicht durch 1 Ebenso Seer in Tipke/Kruse, § 178a AO Rz. 7. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 178a AO Rz. 7. 3 So ausdrücklich BR-Drucks. 622/06, 138 sowie BT-Drucks. 16/2712, 80, jeweils unter Hinweis auf § 178a Abs. 1 Satz 2 AO. 4 Seer in Tipke/Kruse, § 178a AO Rz. 18. 5 § 178a Abs. 1 Satz 1 AO a.E. 6 So ausdrücklich die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung, vgl. BRDrucks. 622/06, 138.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
Gebührenstreitigkeiten zu belasten.1 Es handelt sich bei § 178a Abs. 1 Satz 4 AO um eine reine Gebührenbestimmung, deren Verletzung keine Konsequenzen etwa für die Wirksamkeit des Verständigungsverfahrens nach sich zieht. Ferner untersagt die Vorschrift keine Verfahrenshandlungen, welche dem APA-Verfahren vorgelagert sind, wie etwa die Prüfung des Antrags. In der Praxis versendet das BZSt seinen Gebührenbescheid i.d.R. zeitgleich mit der Eingangsbestätigung des Antrags, so dass die Gebührenfestsetzung bereits zu einem sehr frühen Stadium unanfechtbar werden kann. Höhe der Gebühr. § 178a Abs. 2 AO unterscheidet zwischen drei Arten von Gebühren. Zunächst entsteht eine Grundgebühr in Höhe von 20 000 Euro für die Bearbeitung des Antrags auf Durchführung eines Vorabverständigungsverfahrens. Die Durchführung eines Vorabverständigungsverfahren lohnt sich dementsprechend ausschließlich bei Geschäftsverbindungen mit hohem Transaktionsvolumen und entsprechenden Steuerrisiken. Die Grundgebühr ist nach § 178a Abs. 5 AO unabhängig davon zu entrichten, ob das Verfahren zum „Erfolg“ für den Steuerpflichtigen führt. Sie wird jedoch auch nicht negativ durch die Länge eines APA-Verfahrens beeinflusst. Aus § 178a Abs. 1 Satz 3 AO folgt, dass die Grundgebühr bei multilateralen Verständigungsverfahren für jeden beteiligten Staat anfällt. Zugunsten des Steuerpflichtigen bestimmt demgegenüber § 178a Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 AO, dass es nicht zu einer Gebührenvervielfachung kommt, wenn der Antrag eines Organträgers i.S.v. § 14 Abs. 1 KStG neben seiner eigenen Geschäftsverbindung auch die Geschäfte der Organgesellschaft mitumfasst. Beide Geschäftsbeziehungen können folglich gebührenrechtlich im selben Verfahren abgearbeitet werden. Zusätzlich kann entsprechend § 178a Abs. 2 Satz 3 AO eine Änderungsgebühr in Höhe von 10 000 Euro erhoben werden, sofern der Antragsteller seinen Antrag im laufenden Antragsverfahren, d.h. vor Entscheidung über den Antrag ändert. Gleiches gilt, wenn der Antragsteller seinen Antrag während der Laufzeit des Verständigungsverfahrens mit Folgen für den Gültigkeitszeitraum der Verständigungsvereinbarung ändert. Eine Antragsänderung liegt indes nur insoweit vor, als die Abweichung vom Ursprungsantrag geeignet ist, für die auf deutscher Seite beteiligten Behörden einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand herbeizuführen. Marginale Änderungen und Korrekturen, wie etwa die Berichtigung von Schreibfehlern sind hiervon nicht umfasst. Die Änderungsgebühr fällt nicht an, sofern der Änderungsantrag vom BZSt oder dem anderen Staat veranlasst worden ist. Anstelle der Grundgebühr kann auch eine Verlängerungsgebühr in Höhe von 15 000 Euro zu entrichten sein, sofern der Antragsteller eines bereits abgeschlossenen Verständigungsverfahrens einen Antrag auf Verlängerung der Geltungsdauer stellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung reicht es aus, dass der Sachverhalt im Wesentlichen gleich ist, eine vollständige Identität ist nicht erforderlich.2 1 Seer in Tipke/Kruse, § 178a AO Rz. 11. 2 BR-Drucks. 622/08, 138.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
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Minderung der Gebühren. Sofern die Summe der vom Vorabverständigungsverfahren betroffenen Geschäftsvorfälle unter den Schwellenwerten des § 6 Abs. 2 Satz 1 GAufZV verbleibt, sieht § 178a Abs. 3 AO eine Halbierung der Gebühren vor.1 Ferner kann das BZSt die Gebühr nach § 178a Abs. 4 AO herabsetzen, sofern ihre Entrichtung eine unbillige Härte für den Steuerpflichtigen darstellen würde und das BZSt ein besonderes Interesse der Finanzbehörden an der Durchführung des Vorabverständigungsverfahrens feststellt. Als Härtegründe kommen sowohl sachliche als auch persönliche Billigkeitsgründe in Betracht. Ein Interesse der Finanzbehörden ist insbesondere dann zu bejahen, wenn durch das Verfahren streitige Außenprüfungen oder zeit- und kostenintensive Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren vermieden werden können.2 Die Entscheidung steht im freien Ermessen des BZSt.
10.114
Korrekturmöglichkeit und Rechtsschutz. Der Gebührenbescheid sowie der Herabsetzungsbescheid nach § 178a Abs. 4 AO sind jeweils Verwaltungsakte i.S.d. Abgabenordnung. Sie unterliegen daher als sonstige Verwaltungsakte dem Korrekturregime der §§ 129–132 AO. Der Herabsetzungsbescheid kann daher etwa nach § 130 Abs. 1 Nr. 3 AO zurückgenommen werden, sofern der Steuerpflichtige den Bescheid durch unrichtige Angaben erwirkt hat. Statthafter Rechtsbehelf gegen die Festsetzung der Gebühr ist nach § 347 Abs. 1 Nr. 1 AO der Einspruch. Hat dieser keinen Erfolg, kann nach § 40 Abs. 1 Alt. 1 FGO Anfechtungsklage erhoben werden. Ist das Begehren des Steuerpflichtigen demgegenüber auf Herabsetzung der Gebühren gerichtet, ist nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Verpflichtungsklage nach § 40 Abs. 1 Alt. 2 FGO die statthafte Klageart. 7. Multilaterale APA-Verfahren
10.115
Möglichkeit multilateraler Verfahren. Oftmals sieht sich der Steuerpflichtige in Bezug auf eine bestimmte Transaktion den Steueransprüchen von mehr als zwei Staaten ausgesetzt.3 Ist das Risiko einer solchen Mehrfachbelastung desselben Einkommens besonders hoch und gewähren im konkreten Einzelfall reaktive Instrumente nur unzureichenden Schutz, bietet sich die Durchführung eines multilateralen APA-Verfahrens an. Hierbei wird die fragliche Transaktion zum Gegenstand von APA-Verständigungen, an denen die Steuerbehörden von mehr als zwei Staaten beteiligt sind. Multilaterale APA-Verfahren haben sich bereits im letzten Jahrzehnt in der internationalen Besteuerungspraxis etabliert. Pro1 Jahressumme der Entgelte für die Lieferung von Gütern oder Waren von nicht mehr als 5 Mio. Euro und Jahressumme der Vergütungen für andere Leistungen als die Lieferung von Gütern oder Waren von nicht mehr als 500 000 Euro. 2 BR-Drucks. 622/06, 139. 3 Dies ist bei Herstellerkonstellationen beispielsweise dann der Fall, wenn der Sitz des Entrepreneurs nicht lediglich einem Staat zuzuordnen ist, sondern Entrepreneur-Funktionen auf mehrere Staaten verteilt sind.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
minentester Fall eines multilateralen APA ist das APA in Sachen Airbus, an dessen Abschluss und Umsetzung sich auch die deutsche Finanzverwaltung beteiligt hat.1 Verfahrensrechtliche Einordnung. In verfahrensrechtlicher Hinsicht bestehen im Grundsatz keine Unterschiede zu unilateralen APAs. Technisch gesehen handelt es sich jedoch um mehrere bilaterale APAs, die zeitlich aufeinander abgestimmt und inhaltlich koordiniert werden.2 Rechtsgrundlage der zwischenstaatlichen Vorabverständigung ist daher jeweils die zwischen den betroffenen Staaten ausgehandelte Verständigungsklausel (Rz. 10.79). Wird ein multilaterales Vorabverständigungsverfahren beantragt, liegen mithin rechtlich mehrere Anträge auf Durchführung bilateraler Verfahren vor.3 Vor diesem Hintergrund kommt es in Deutschland nach § 178a Abs. 1 Satz 3 AO zu einer Gebührenvervielfachung, wenn ein Antrag auf Vorabverständigung mit mehreren Staaten gestellt wird. Die Vorschrift bestimmt, dass die Verständigung mit jedem beteiligten Staat gebührenrechtlich als eigenständiges Verfahren zu qualifizieren ist, mit der Folge, dass für jeden weiteren beteiligten Staat eine eigene Gebühr festzusetzen und zu entrichten ist. Die Vervielfachung der Gebühr wird damit begründet, dass sich der Verwaltungsaufwand bei Beteiligung mehrerer Staaten mindestens entsprechend vervielfache.4
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Abwicklung. Ein multilaterales APA kommt regelmäßig nur dann zustande, wenn sich die Steuerbehörden sämtlicher involvierter Staaten auf eine einheitliche Handhabung der fraglichen Transaktion einigen können. Dies kann im Regelfall nur dann gelingen, wenn die Transaktion in multilateralen Gesprächen beleuchtet und ihre steuerliche Behandlung gemeinsam ausgehandelt werden kann. Entgegen verbreiteter Auffassung ist ein umfassender, multilateraler Informationsaustausch zwischen den beteiligten Steuerbehörden rechtlich möglich.5 Zwar ist richtig, dass der Informationsaustausch im Rahmen eines Vorabverständigungsverfahrens regelmäßig auf Grundlage der jeweils einschlägigen völkerrechtlichen Auskunftsklauseln (nach dem Vorbild von Art. 26 OECD-MA) erfolgt und dass nach diesen Klauseln eine Weitergabe von Informationen an Drittstaaten regelmäßig ausscheidet;6 allerdings hat der Antragsteller die
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1 Daneben waren die Steuerverwaltungen von Frankreich, Spanien und Großbritannien beteiligt, vgl. EG-Kommission, Kurzbericht v. 31.8.2005 über die zwölfte Sitzung des gemeinsamen EU-Verrechnungspreisforums, Dok JTPF/ 012/2005/DE, Nr. 18. 2 Zutreffend Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 323; Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 259 f. 3 So auch BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (597) Tz. 3.1. 4 So BR-Drucks. 622/06, 138. 5 A.A. z.B. Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 260 m.w.N. 6 Nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 OECD-MA dürfen ausgetauschte Informationen ausschließlich Personen der jeweiligen Vertragsstaaten zugänglich gemacht werden. Eine Weitergabe an andere Personen (z.B. an Steuerbeamte dritter
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
Möglichkeit, den jeweils handelnden Behörden durch Zustimmungserklärung die Weitergabe der Informationen auch an andere Finanzbehörden zu gestatten. Der Auskunftsaustausch erfolgt in diesen Fällen auf Grundlage der Zustimmungserklärung.1 Auf diesem Wege sind dann ein effektiver Informationsaustausch und damit eine multilaterale Verständigungslösung möglich. 8. Zweckmäßigkeit eines APA-Verfahrens
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Abwägungsgesichtspunkte beim Einsatz des Instruments. Ein APA-Verfahren stellt ein Instrument dar, Verrechnungspreiskonflikte bereits im Vorfeld vergleichsweise sicher zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund stellt das Verfahren ein wichtiges Instrument der Steuerplanungssicherheit dar. Allerdings werden durch die Durchführung eines solchen Antragsverfahrens und die Erstellung der erforderlichen Jahresberichte personelle Ressourcen gebunden bzw. Beraterkosten ausgelöst. Hinzu kommen (zumindest in Deutschland) die behördlichen Gebühren für die Antragsbearbeitung. Mit Rücksicht auf diese Kosten stellt die Initiierung eines APA-Verfahrens insbesondere dann eine adäquate Lösung dar, wenn es um die Absicherung streitanfälliger Transaktionen mit nennenswertem Volumen geht. Soweit derartige Risiken nicht durch reaktive Instrumente in den Griff zu bekommen sind, kann das APA-Verfahren das Mittel der ersten Wahl sein. Dies gilt vor allem für Fallkonstellationen, bei denen für die fraglichen Transaktionen weder die EU-Schiedsverfahrenskonvention zur Anwendung kommt noch eine DBA-Schiedsklausel ausreichend Schutz bietet und im Verhältnis zum betroffenen Staat auch ein Verständigungsverfahren regelmäßig ohne Erfolg bleibt. In der Praxis bietet sich die Durchführung eines APA-Verfahrens regelmäßig auch dann an, wenn der Steuerpflichtige in Bezug auf die fraglichen Transaktionen mehr als zwei Staaten gegenübersteht. Denn erfahrungsgemäß stellt sich die Bereinigung von Verrechnungspreiskonflikten durch Inanspruchnahme reaktiver Instrumente in multilateralen Konstellationen als deutlich schwieriger dar als in schlichten bilateralen Fällen.2
Staaten) ist hiernach ausgeschlossen, vgl. nur Hendricks in Wassermeyer, Art. 26 OECD-MA Rz. 56. 1 Aus deutscher Perspektive erfolgt der Informationsaustausch in diesen Fällen nicht auf Grundlage der völkerrechtlichen Auskunftsklausel, sondern auf Basis der Zustimmung der informationsbetroffenen Person, in Deutschland auf Grundlage von § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO; hierzu ausführlich Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 288 ff. 2 Ausführlich zu den Vor- und Nachteilen des Verfahrens Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 12.101 ff. sowie Rasch/ Mank in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. IV Rz. 449 ff.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
III. Verbindliche Auskunft und verbindliche Zusage 1. Einführung Mögliche Instrumente. Die Durchführung eines APA-Verfahrens ist nicht immer möglich oder zweckmäßig. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob der Steuerpflichtige durch unilaterale Maßnahmen Planungssicherheit erreichen kann. Im Bereich der Ertragsteuern haben sich mit der verbindlichen Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) und der verbindlichen Zusage (§§ 204 ff. AO) vor allem zwei Instrumente zur Herstellung von Planungssicherheit etabliert.1 Beide Instrumente zielen auf die Beseitigung rechtsfragenbezogener Unsicherheiten ab. Während verbindliche Zusagen ausschließlich während einer laufenden Außenprüfung erteilt werden, besteht die Möglichkeit einer verbindlichen Auskunft auch außerhalb einer solchen Prüfung. Daneben kann auch der Abschluss einer tatsächlichen Verständigung als sachverhaltsbezogenes Instrument der Konfliktvermeidung genutzt werden. Zwar wirkt das von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut der tatsächlichen Verständigung grundsätzlich vergangenheitsorientiert; bei Dauersachverhalten bejaht die Rechtsprechung jedoch auch eine Bindungswirkung für zukünftige Veranlagungszeiträume, mit der Folge, dass auch die tatsächliche Verständigung als Instrument zur Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten genutzt werden kann (hierzu nachfolgend Rz. 10.137 ff.). Unilaterale Instrumente zur Herstellung von Planungssicherheit: Planungssicherheit in Bezug auf Rechtsfragen
verbindliche Zusage: rechtsfogenbezogen einseitige behördliche Zusicherung hinsichtlich der zukünftigen Handhabung eines bestimmten Sachverhaltes im Rahmen der Außenprüfung Rechtsgrundlage: §§ 204ff. AO
verbindliche Auskunft: rechtsfogenbezogen einseitige behördliche Zusicherung hinsichtlich der zukünftigen Handhabung eines bestimmten Sachverhalts Außerhalb einer Außenprüfung Rechtsgrundlage: § 89 Abs. 2 AO
Planungssicherheit in Bezug auf den Sachverhalt
tatsächliche Verständigung: sachverhaltsbezogen bindende Vereinbarung zwischen dem Stpfl. und der zuständigen Finanzbehörde hinsichtlich eines grds. abgeschlossenen (d.h. historischen Sachverhaltes Rechtsgrundlage: von der Rspr. unter Bezugnahme auf Treu und Glauben entwickeltes Rechtsinstitut
1 Daneben erteilen Finanzbehörden auch verbindliche Zolltarifauskünfte gem. Art. 12 Zollkodex sowie Lohnsteueranrufungauskünfte nach § 42e EStG. Da diesen Instrumenten im Bereich der Verrechnungspreise praktisch keine Bedeutung zukommt, wird auf eine Darstellung an dieser Stelle verzichtet.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
2. Grundlagen der verbindlichen Auskunft
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Überblick. Die verbindliche Auskunft hat im Jahr 2006 eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erhalten. Nach § 89 Abs. 2 AO können die Finanzämter und das BZSt auf Antrag verbindliche Auskünfte über die steuerliche Beurteilung genau bestimmter, noch nicht verwirklichter Sachverhalte erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht. Einzelheiten ergeben sich aus der auf § 89 Abs. 2 Satz 4 AO beruhenden Steuer-Auskunftsverordnung (StAuskV) des BMF v. 30.11.2007.1 Eine verbindliche Auskunft wird nur auf Antrag erteilt. Auskunftszuständig ist die Finanzbehörde, die im Falle der Verwirklichung des fraglichen Sachverhalts für den Steuerfall zuständig sein würde (vgl. § 89 Abs. 2 Satz 2 AO). Bei Antragstellern, für deren Besteuerung im Zeitpunkt der Antragstellung noch kein Finanzamt zuständig ist, kann nach § 89 Abs. 2 Satz 3 AO nur das BZSt verbindliche Auskünfte erteilen. Zweck der verbindlichen Auskunft ist die Herstellung von Planungs- und Entscheidungssicherheit. Eine Auskunftserteilung ist daher nur möglich, wenn der vorgetragene Sachverhalt im Wesentlichen noch nicht verwirklicht ist, also der Antragsteller noch Dispositionen treffen kann. Nach Sachverhaltsverwirklichung kann über offene Rechtsfragen nur im Rahmen des Veranlagungsverfahrens entschieden werden. Anträge auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft, bei denen die Erzielung eines steuerlichen Vorteils im Vordergrund steht (z.B. bei Steuersparmodellen), lehnt die Finanzverwaltung regelmäßig2 ab.3
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Erforderliche Angaben und Erklärungen. Der Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft ist schriftlich bei dem nach § 89 Abs. 2 Satz 2 AO zuständigen Finanzamt, in den Fällen des § 89 Abs. 2 Satz 3 AO beim BZSt zu stellen. Der Antrag muss nach § 1 StAuskV folgende Angaben und Erklärungen enthalten:4 1. Die genaue Bezeichnung des Antragstellers (Name, bei natürlichen Personen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, bei Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen Sitz oder Ort der Geschäftsleitung, soweit vorhanden: Steuernummer), 2. eine umfassende und in sich abgeschlossene Darstellung des zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht verwirklichten Sachverhalts,
1 Verordnung zur Durchführung von § 89 Abs. 2 der Abgabenordnung – (SteuerAuskunftsverordnung – StAuskV) v. 30.11.2007, BGBl. I 2007, 2783. 2 Tz. 3.5.4. zu § 89 AEAO. 3 Grundlegend zur verbindlichen Auskunft Horst, Die verbindliche Auskunft nach § 89 Abgabenordnung, 2010, passim; vgl. darüber hinaus vor allem Bruschke, DStZ 2007, 237; Buciek, DStZ 1999, 389; Dißars/Bürkle, StB 2008, 123; Franke/von Cölln, BB 2008, 584; Misera/Baum, Ubg 2008, 221; Werder/Dannecker, BB 2011, 2903 sowie die Kommentarliteratur zu § 89 AO (insbesondere Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO sowie Söhn in H/H/Sp, AO/FGO). 4 Zu Einzelheiten betreffend Form und Inhalt des Auskunftsantrags vgl. Misera/ Baum, Ubg 2008, 221 (223 f.) sowie Tz. 3.4. zu § 89 AEAO.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
3. die Darlegung des besonderen steuerlichen Interesses des Antragstellers, 4. eine ausführliche Darlegung des Rechtsproblems mit eingehender Begründung des eigenen Rechtsstandpunkts des Antragstellers, 5. die Formulierung konkreter Rechtsfragen, 6. die Erklärung, dass über den zur Beurteilung gestellten Sachverhalt bei keiner anderen der in § 89 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO genannten Finanzbehörden (Finanzämter oder BZSt) eine verbindliche Auskunft beantragt wurde, sowie 7. die Versicherung, dass alle für die Erteilung der Auskunft und für die Beurteilung erforderlichen Angaben gemacht wurden und der Wahrheit entsprechen. Zusätzlich soll der Antragsteller in seinem Antrag Angaben zum Gegenstandswert der Auskunft machen (§ 89 Abs. 4 Satz 2 AO). Grundsätzliche Gebührenpflicht. Die Angaben zum Gegenstandswert sind erforderlich, da für die Bearbeitung eines Antrags auf verbindliche Auskunft grundsätzlich eine Gebühr erhoben wird. Die Gebühr ist vom Antragsteller innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe ihrer Festsetzung zu entrichten (§ 89 Abs. 3 AO). Die Finanzbehörde kann die Entscheidung über den Auskunftsantrag bis zur Entrichtung der Gebühr zurückstellen. Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem Gegenstandswert1 der Auskunft. Sie entspricht der Höhe einer Gerichtsgebühr i.S.v. § 34 GKG (§ 89 Abs. 5 Satz 1 AO). Dies führt z.B. bei einem Gegenstandswert von 300 000 Euro zu einer Auskunftsgebühr von 2 462 Euro, bei einem Gegenstandswert von 3 000 000 Euro zu einer Auskunftsgebühr von 12 536 Euro. Die maximale Auskunftsgebühr beträgt 109 736 Euro (vgl. § 89 Abs. 5 Satz 2 AO i.V.m. § 39 Abs. 2 GKG). Beträgt der Gegenstandswert der Auskunft weniger als 10 000 Euro, wird keine Gebühr erhoben (§ 89 Abs. 5 Satz 3 AO). Ist ein Gegenstandswert nicht bestimmbar und kann er auch nicht durch Schätzung bestimmt werden, ist eine Zeitgebühr zu berechnen. Sie beträgt 50 Euro je angefangene halbe Stunde Bearbeitungszeit. Beträgt die Bearbeitungszeit weniger als zwei Stunden, wird ebenfalls keine Gebühr erhoben (vgl. § 89 Abs. 6 AO).2
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Bindungswirkung. Erteilt die Finanzbehörde auf den Antrag des Steuerpflichtigen hin die verbindliche Auskunft, ist sie im anschließenden Besteuerungsverfahren an die in der Auskunft beschriebene steuerliche Handhabung gebunden. Die Bindungswirkung wurzelt in dem Umstand,
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1 Der AEAO versteht den Gegenstandswert im Grundsatz als Differenz zwischen den Steuerbeträgen, die bei Anwendung der vom Antragsteller vorgetragenen und der entgegengesetzten Rechtsauffassung entstehen würden, vgl. im Einzelnen Tz. 4.2 zu § 89 AEAO. 2 Zur Gebührenpflicht und -höhe vgl. im Einzelnen Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 63 ff. m.w.N.
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dass eine verbindliche Auskunft als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist.1 Solange ein Verwaltungsakt nicht wegen eines besonders schweren Fehlers ausnahmsweise nichtig ist (vgl. § 124 Abs. 3 i.V.m. § 125 AO), wird er mit seiner Bekanntgabe wirksam und entfaltet Bindungswirkung gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist (vgl. § 124 Abs. 1 AO). Dieser Mechanismus greift auch bei verbindlichen Auskünften.2 Allerdings wird der Umfang der Bindungswirkung durch § 2 StAuskV konkretisiert. Hiernach ist die Auskunft nur dann bindend, wenn der später verwirklichte Sachverhalt von dem der Auskunft zugrunde gelegten Sachverhalt nicht oder nur unwesentlich abweicht (sog. Sachverhaltsidentität, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV). Darüber hinaus kann eine verbindliche Auskunft keine Bindungswirkung zulasten des Steuerpflichtigen entfalten. Denn die verbindliche Auskunft ist dann nicht bindend, wenn sie zuungunsten des Steuerpflichtigen dem geltenden Recht widerspricht (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 StAuskV). Weiter ist zu beachten, dass die Bindungswirkung einer erteilten Auskunft entfallen kann. Sie entfällt ab dem Zeitpunkt, in dem die Rechtsvorschriften, auf denen die Auskunft beruht, aufgehoben oder geändert werden (§ 2 Abs. 2 StAuskV). Schließlich kann eine verbindliche Auskunft mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden, wenn sich herausstellt, dass die erteilte Auskunft unrichtig war (§ 2 Abs. 3 StAuskV).3 3. Grundlagen der verbindlichen Zusage
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Überblick. Nach dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung ist ein Sachverhalt für jeden Veranlagungszeitraum eigenständig zu prüfen und zu würdigen. Daher ist die Finanzverwaltung auch bei unverändertem Sachverhalt nicht daran gehindert, einen im Rahmen einer Außenprüfung gewürdigten Sachverhalt in späteren Jahren anders zu bewerten.4 Durch eine verbindliche Zusage soll das Prinzip der Abschnittsbesteuerung auf Antrag des Steuerpflichtigen durchbrochen werden. Nach Erteilung der Zusage soll er sich darauf verlassen können, dass die steuerliche Handhabung der Prüfer auch für zukünftige Jahre zum Tragen kommt. Rechtsgrundlagen sind die §§ 204 ff. AO. Nach § 204 AO soll die Finanzbehörde dem Steuerpflichtigen im Anschluss an eine Außenprüfung auf Antrag verbindlich zusagen, wie ein für die Vergangenheit geprüfter und im Prüfungsbericht dargestellter Sachverhalt in Zukunft steuerrechtlich behandelt wird. Eine solche verbindliche Zusage soll jedenfalls dann erteilt werden, wenn die Kenntnis der künftigen steuerrechtlichen Behandlung für 1 Zur Verwaltungsaktsqualität verbindlicher Auskünfte vgl. eingehend BFH v. 30.4.2009 – VI R 54/07, BStBl. II 2010, 996 = FR 2010, 42 m. Anm. Bergkemper sowie BFH v. 29.2.2012 – IX R 11/11, BStBl. II 2012, 651 (dort Rz. 10). 2 Vgl. nur Söhn in H/H/Sp, § 89 AO Rz. 262. 3 Zum Inhalt und zur Reichweite der Bindungswirkung vgl. insbesondere Söhn in H/H/Sp, § 89 AO Rz. 262 ff.; Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 50 ff.; Demleitner, AO-StB 2010, 349 ff. sowie grundlegend Horst, Die verbindliche Auskunft nach § 89 Abgabenordnung, 2010, 99 ff. m.w.N. 4 Vgl. nur BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 = FR 2008, 1053.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
die geschäftlichen Maßnahmen des Steuerpflichtigen von Bedeutung ist (vgl. § 204 Halbs. 2 AO). Die verbindliche Zusage wird schriftlich erteilt und als verbindlich gekennzeichnet (§ 205 Abs. 1 AO). Sie muss eine Darstellung des zugrunde gelegten Sachverhalts enthalten, wobei insoweit auf den im Prüfungsbericht dargestellten Sachverhalt Bezug genommen werden kann (§ 205 Abs. 2 Nr. 1 AO). Weiter hat die Zusage die Entscheidung über den Antrag sowie die dafür maßgeblichen Gründe zu enthalten (§ 205 Abs. 2 Nr. 2 AO). Schließlich muss sich aus der Zusage ergeben, für welche Steuern und für welchen Zeitraum sie gilt (§ 205 Abs. 2 Nr. 3 AO). Antragsform und Antragsinhalt. Das Gesetz schreibt für den Antrag keine besondere Form vor, so dass der Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zusage auch mündlich gestellt werden kann. Aus Beweisgründen ist dem Steuerpflichtigen jedoch zu empfehlen, den Antrag schriftlich oder mindestens elektronisch zu stellen.1 Welchen Inhalt der Antrag mindestens aufweisen muss, wird unterschiedlich beurteilt. Will der Steuerpflichtige unnötige Probleme vermeiden, sollte der Antrag folgende Angaben enthalten:2 1. die klare und nötigenfalls umfassende Darstellung des Sachverhalts, der der verbindlichen Zusage zugrunde liegen soll, wobei in geeigneten Fällen auf den Prüfungsbericht verwiesen werden kann; 2. die Angabe, auf welche Steuern sich die verbindliche Auskunft beziehen soll; 3. die Darlegung des Rechtsproblems; 4. den Inhalt der begehrten verbindlichen Zusage (also die gewünschte steuerliche Handhabung), sowie 5. die Darlegung des besonderen steuerlichen Interesses.3 Zusätzlich kann der Antragsteller angeben, auf welchen Zeitraum sich die verbindliche Zusage beziehen soll (vgl. § 205 Abs. 2 Nr. 3 AO).4
10.125
Gebührenfreiheit. Im Gegensatz zur verbindlichen Auskunft löst die Erteilung einer verbindlichen Zusage keine Gebühren aus. Da bei der verbindlichen Zusage sowohl die Sachverhaltsermittlung als auch die steuerjuristische Bewertung des Sachverhalts bereits im Rahmen der Außenprüfung erfolgt ist, darf von der Finanzverwaltung erwartet werden, dass sie in Ergänzung dieser Arbeiten für sich anschließende Besteuerungszeiträume gebührenfrei eine verbindliche Zusage erteilt.5 Vor diesem Hinter-
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1 Ebenso Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 7; Schallmoser in H/H/Sp, § 204 AO Rz. 15. 2 Vgl. insbesondere Mayer, Die Zusage nach der Abgabenordnung 1977, 84 ff.; sowie Schallmoser in H/H/Sp, § 204 AO Rz. 15 unter Bezugnahme auf § 205 Abs. 2 AO. 3 Vgl. Mayer, Die Zusage nach der Abgabenordnung 1977, 1991, 89 f. und Schallmoser in H/H/Sp, § 204 AO Rz. 22. 4 Schallmoser in H/H/Sp, § 204 AO Rz. 15. 5 Ähnlich Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 15; Bruschke, StB 2006, 297 (299).
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
grund ist die Erteilung einer Zusage nach §§ 204 ff. AO auch nach Einführung einer Gebührenpflicht für verbindliche Auskünfte (Rz. 10.122) aus guten Gründen gebührenfrei geblieben.
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Bindungswirkung. Erteilt die Finanzbehörde auf Antrag des Geprüften die verbindliche Zusage, ist sie im späteren Besteuerungsverfahren an die in der Zusage beschriebene steuerliche Handhabung gebunden. Bindungsvoraussetzung ist jedoch, dass sich der später verwirklichte Sachverhalt mit dem in der verbindlichen Zusage zugrunde gelegten Sachverhalt deckt (sog. Sachverhaltsidentität, vgl. § 206 Abs. 1 AO). Jedoch ist die verbindliche Zusage nicht bindend, wenn sie zuungunsten des Antragstellers dem geltenden Recht widerspricht (§ 206 Abs. 2 AO). Zudem ist zu beachten, dass auch die Bindungswirkung einer erteilten Zusage entfallen kann. Die verbindliche Zusage tritt außer Kraft, wenn die Rechtsvorschriften, auf denen die Entscheidung beruht, geändert werden (§ 207 Abs. 1 AO).1 Darüber hinaus kann die Finanzbehörde die verbindliche Zusage mit Wirkung für die Zukunft aufheben oder ändern (§ 207 Abs. 2 AO). Eine rückwirkende Aufhebung oder Änderung der verbindlichen Zusage ist nur zulässig, falls der Steuerpflichtige zustimmt oder wenn die Voraussetzungen des § 130 AO Abs. 2 Nr. 1 oder 2 vorliegen, also die Zusage von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen wurde oder sie durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist (vgl. § 207 Abs. 3 AO).2
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Sachverhaltsdarstellung im Prüfungsbericht. In einem vielzitierten Urteil3 geht das FG Baden-Württemberg davon aus, dass eine verbindliche Zusage entgegen dem Wortlaut von § 204 AO auch dann möglich ist, wenn der geprüfte Sachverhalt nicht schon im Prüfungsbericht, sondern erst im Wortlaut des Zusageschreibens selbst dargestellt ist. Renommierte Autoren folgen dieser Auffassung.4 Allerdings ist zu beachten, dass das vorgehend zitierte Urteil des FG Baden-Württemberg durch den BFH aufgehoben wurde (leider ohne dass der BFH zu dieser Frage Stellung genommen hat).5 Eine höchstrichterliche Klärung der Frage steht mithin aus. Da zahlreiche Autoren6 unter Hinweis auf den Wortlaut von § 204 AO eine Aufnahme des auskunftsrelevanten Sachverhalts in den Prüfungsbericht fordern, sollte der Steuerpflichtige kein unnötiges Risiko eingehen. Plant er die Einholung einer verbindlichen Zusage, sollte er die 1 Zu Einzelheiten der Bindungswirkung vgl. insbesondere Seer in Tipke/Kruse, § 206 AO Rz. 1 ff. sowie Schallmoser in H/H/Sp, § 204 AO Rz. 3 ff. 2 Zum Wegfall der Bindungswirkung vgl. insbesondere Sauer in Beermann/Gosch, § 206 AO Rz. 1 ff. sowie Schallmoser in H/H/Sp, § 204 AO Rz. 6 ff. 3 FG BW v. 20.7.2000 – 3 K 67/95, EFG 2000, 1661 (1663 f.). 4 So z.B. Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 21; Schallmoser in H/H/Sp, § 204 AO Rz. 36; ebenso z.B. Bruschke, StB 2006, 297 (299). 5 BFH v. 7.8.2002 – 1 R 99/00, BStBl. II 2003, 835. 6 Vgl. nur Rüsken in Klein11, § 204 AO Rz. 10; Sauer in Beermann/Gosch, § 204 AO Rz. 18; Intemann in Pahlke/Koenig2, § 204 AO Rz. 21; Frotscher in Schwarz, AO/FGO, § 204 AO Rz. 5.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
Prüfer schon während der laufenden Prüfung darum bitten, der Sachverhalt möge Eingang in den Prüfungsbericht finden.1 4. Rechtsfragenbezug Rechtsfragenorientierung. Sowohl die verbindliche Auskunft als auch die verbindliche Zusage haben in der Praxis einen eindeutigen Rechtsfragenbezug, d.h. die Verwaltung äußert sich jeweils zu konkreten Rechtsfragen. Besonders deutlich ist dies bei der verbindlichen Auskunft. Der Steuerpflichtige hat zur Erlangung einer verbindlichen Auskunft in seinem Auskunftsantrag „konkrete Rechtsfragen“ darzulegen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 5 StAuskV). Es reicht nicht aus, allgemeine Fragen zu den bei Verwirklichung des geplanten Sachverhalts eintretenden Folgen darzulegen.2 Auch bei der Erteilung verbindlicher Zusagen verlangt die Finanzverwaltung in der Praxis3 regelmäßig die Darlegung konkreter Rechtsfragen.4 Für Verrechnungspreiskonstellationen hat dies zur Folge, dass ein Antrag auf eine verbindliche Auskunft oder eine verbindliche Zusage nur dann sinnvoll ist, wenn sich das Risiko eines Verrechnungspreiskonflikts an konkreten Rechtsfragen festmachen lässt. Resultiert ein Verrechnungspreisrisiko primär aus Unsicherheiten sachverhaltlicher Art, scheidet der Einsatz beider Instrumente aus.
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Geeignete Rechtsfragen. In zahlreichen Konstellationen lässt sich ein Verrechnungspreisrisiko an konkreten Rechtsfragen festmachen. Dies liegt beispielsweise auf der Hand, wenn es um die Frage geht, ob der Anwendungsbereich einer nationalen Korrekturbestimmung überhaupt eröffnet ist. So können Fragen zur Auslegung von § 1 Abs. 2 AStG ohne weiteres zum Gegenstand einer verbindlichen Auskunft bzw. Zusage gemacht werden, d.h. es kann abgefragt werden, ob eine Person in einer bestimmten Konstellation als nahe stehend zu qualifizieren ist. Entsprechendes gilt für Fragen zur Auslegung des Begriffs der Geschäftsbeziehung i.S.v. § 1 Abs. 4 AStG. Aber auch dann, wenn feststeht, dass der Anwendungsbereich einer nationalen Korrekturnorm grundsätzlich eröffnet ist, können sich Rechtsfragen ergeben, die zum Gegenstand einer verbindlichen Auskunft bzw. Zusage gemacht werden können. So kann beispielsweise abgefragt werden, ob ein bestimmter Produktionsschritt als „Funk-
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1 Zum Anspruch auf die Aufnahme geprüfter Sachverhalte in den Prüfungsbericht vgl. Sauer in Beermann/Gosch, § 204 AO Rz. 18. 2 Tz. 3.4.4 zu § 89 AEAO. 3 Ebenso z.B. Engler/Elbert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. F 374. 4 Bei der verbindlichen Zusage lässt sich die Fokussierung auf eine Rechtsfrage nicht aus dem Gesetz ableiten. Nach § 204 AO wird mit der Zusage die künftige „steuerliche Behandlung“ eines Sachverhalts in Aussicht gestellt. Zu den in § 205 Abs. 2 AO geregelten Antragsvoraussetzungen gehört – anders als bei der verbindlichen Zusage – nicht die Formulierung einer Rechtsfrage. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Finanzverwaltung häufig auf die Formulierung einer Rechtsfrage verzichtet und im Rahmen der Zusage allgemeiner Aussagen über steuerliche Handhabung trifft.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
tion“ i.S.v. § 1 Abs. 1 AStG zu qualifizieren ist. Auskunftsfähig sind zudem Fragen zur Anwendbarkeit der im Gesetz erwähnten Verrechnungspreismethoden (beispielsweise zur Anwendbarkeit der Kostenaufschlagsmethode auf Eigenproduktionsfälle)1. Aber auch bei Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten, die für die steuerliche Würdigung von Bedeutung sind, handelt es sich um auskunftsfähige Rechtsfragen. So kann es zweckmäßig sein, die Beurteilung einer steuerrelevanten markenrechtlichen Frage zum Gegenstand einer verbindlichen Auskunft bzw. Zusage zu machen.
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Fremdvergleichskonformität als Rechtsfrage. Sofern für den Steuerpflichtigen klar ist, dass in einem konkreten Fall eine nationale Korrekturbestimmung zur Anwendung kommt, interessiert sich der Steuerpflichtige vor allem dafür, ob ein von ihm ins Auge gefasster Verrechnungspreis als „fremdvergleichskonform“ d.h. als „angemessen“ zu qualifizieren ist. Im Regelfall wird er daran interessiert sein, zu dieser Frage eine verbindliche Auskunft bzw. Zusage zu erhalten. Aus den vorgehend beschriebenen Gründen kommt eine solche Auskunft bzw. Zusage nur dann in Betracht, wenn die Fremdvergleichskonformität eines Verrechnungspreises als Rechtsfrage zu qualifizieren ist. Gerade im Bereich der Verrechnungspreise tut sich die Praxis bei der Grenzziehung zwischen Sachverhaltsfragen und Rechtsfragen durchaus schwer. Dort, wo tatsächliche Fragen und Rechtsfragen derart ineinander übergehen, dass eine Entscheidung über die Tatfrage automatisch mit einer bestimmten steuerjuristischen Bewertung verbunden ist (sog. gemischte Fragen), ordnet der BFH2 mit Zustimmung der überwiegenden Literatur3 die Frage nach der Fremdvergleichskonformität bzw. der Angemessenheit – zumindest auch – dem Bereich der Sachverhaltswürdigung zu. So hat der BFH in seinem Urteil v. 13.8. 19974 zur Besteuerung einer möglichen vGA klargestellt, dass die Frage der Einigung über die „Angemessenheit“ einer Vergütung automatisch auch die Einigung über eine Sachverhaltsfrage darstellt, mit der Folge, dass eine solche Einigung zum Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung gemacht werden kann (hierzu Rz. 10.137). Da aber auch der BFH nicht leugnet, dass Fragen nach der Fremdvergleichskonformität bzw. der Angemessenheit eines Verrechnungspreises nicht ohne eine steuerjuristische Bewertung beantwortet werden können, sprechen gute Gründe dafür, dass es sich letztendlich auch um Fragen handelt, die zum Gegenstand einer verbindlichen Auskunft bzw. Zusage gemacht werden kön-
1 Vgl. hierzu Baumhoff/Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 589.2 m.w.N. 2 BFH v. 13.8.1997 – I R 12/97, BFH/NV 1998, 498 (499); v. 1.2.2001 – IV R 3/00, BStBl. II 2001, 520 (524) = FR 2001, 635; vgl. auch FG Saarl. v. 4.12.1998 – 1 K 184/95, EFG 1998, 686 (687) sowie v. 25.9.2002 – 1 K 127/99, EFG 2002, 1562 (1563). 3 So z.B. Buciek, DStZ 1999, 389 (396 f.); Offerhaus, DStR 2001, 2093 (2094); Mösbauer, BB 2003, 1037 (1039); Söhn in H/H/Sp, § 78 FGO Rz. 166; anders z.B. Seer, BB 1999, 78 (79) m.w.N. 4 BFH v. 13.8.1997 – I R 12/97, BFH/NV 1998, 498 (499).
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
nen.1 Dies entspricht der (nicht ganz einheitlichen) Praxis der Finanzverwaltung.2 Insbesondere gegen Ende einer laufenden Außenprüfung, bei der auch die Fremdvergleichskonformität der Verrechnungspreise intensiv geprüft wurde, sind die Prüfer häufig bereit, verbindliche Zusagen zur Angemessenheit der Verrechnungspreise zu erteilen.3 Die Abgrenzung von Sachverhalts- und Rechtsfragen stellt sich hier regelmäßig als überwindbares Hindernis dar. Der Formulierung des jeweiligen Antrags kommt hierbei zentrale Bedeutung zu.4 Ist der Steuerpflichtige (bzw. sein Berater) in der Lage, Sachverhalts- und Rechtsfragen sauber voneinander zu trennen und in einem weiteren Schritt die für den Fall maßgeblichen Rechtsfragen herauszukristallisieren, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, die begehrte Auskunft bzw. Zusage zu erhalten. 5. Behördliche Skepsis gegenüber unilateralen Maßnahmen Auskünfte und Zusagen ohne DBA-Relevanz. In Teilen der deutschen Finanzverwaltung ist die Skepsis gegenüber verrechnungspreisbezogenen verbindlichen Auskünften und Zusagen aktuell noch ausgeprägt. Dies wird getragen von dem Verständnis, bi- oder multilaterale Instrumente seien generell vorzugswürdig. Auch wird argumentiert, durch unilaterale Zusagen würden spätere Diskussionen mit anderen involvierten Finanzverwaltungen infolge der fehlenden Flexibilität erheblich erschwert.5 Vor diesem Hintergrund wird die Erteilung verrechnungspreisbezogener verbindlicher Auskünfte und Zusagen häufig abgelehnt.6 Soweit die zur Aus1 Vgl. im Einzelnen auch Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 16; Seer, BB 1999, 78 (79) m.w.N. 2 Die einschlägigen Verwaltungsanweisungen bejahen die grundsätzliche Zulässigkeit „angemessenheitsbezogener“ Auskünfte und Zusagen. Lediglich für bestimmte Konstellationen legen sie die Versagung der Auskunft bzw. Zusage nahe. So soll nach Tz. 3.5.3 AEAO zu § 89 eine verbindliche Auskunft nicht erteilt werden, wenn die Erzielung eines Steuervorteils im Vordergrund steht, beispielsweise wenn es um die „Feststellung der Grenzpunkte“ für das Handeln des ordentlichen Geschäftsleiters gehe. Für den Normalfall, bei dem es schlicht um die Vermeidung einer Doppelbesteuerung geht, schließt die Vorschrift die Erteilung einer verbindlichen Auskunft nicht aus. Ähnliches gilt für die verbindliche Zusage. Nach Tz. 5 AEAO zu § 204 kann eine zur Angemessenheit von Verrechnungspreisen beantragte Zusage bei unübersichtlichen Marktverhältnissen abgelehnt werden. Sind die Markverhältnisse nicht unübersichtlich, kommt eine „angemessenheitsbezogene“ Zusage hingegen in Frage. 3 Vereinzelt regen Prüfer alternativ den Abschluss einer tatsächlichen Verständigung an. 4 Zutreffend Rodemer, Advance Pricing Agreements im US-amerikanischen und im deutschen Steuerrecht, 2001, 189, dort Fn. 189. 5 Vgl. Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 126. 6 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 (595) Tz. 1.2. hält einseitige Instrumente nur im Einzelfall für zweckmäßig. Für die Ablehnung entsprechender Anträge spreche, dass einseitige Maßnahmen eine Doppelbesteuerung nicht zuverlässig beseitigen und sogar Besteuerungslücken verursachen könnten.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
kunft gestellten Rechtsfragen weder unmittelbar noch mittelbar für die Anwendung eines DBA relevant sind, darf die Auskunft nicht unter Hinweis auf eine fehlende Flexibilität gegenüber ausländischen Behörden abgelehnt werden. Denn eine Frage, die weder unmittelbar noch mittelbar für die Anwendung eines DBA relevant ist, kann auch nicht Gegenstand eines zwischenstaatlichen Verständigungs- oder Schiedsverfahrens werden, da diese Verfahren auf die Beseitigung einer abkommenswidrigen Besteuerung abzielen. Eine so begründete Ablehnung der Auskunft bzw. Zusage scheidet daher z.B. in Fällen aus, in denen kein DBA einschlägig ist, aber auch in Fällen, in denen es um die Beantwortung von Rechtsfragen geht, die ausschließlich für innerstaatliche Normen relevant sind.1
10.133
Auskünfte und Zusagen mit DBA-Relevanz. Betrifft der zur Auskunft gestellte Sachverhalt eine abkommensrechtliche Fragestellung, die später zum Gegenstand eines Verständigungs- oder Schiedsverfahrens werden könnte, besteht in der Tat die Gefahr, dass sich die Finanzverwaltung durch die Erteilung der verbindlichen Auskunft in ein „verfahrensrechtliches Dilemma“ begibt. Weicht die zuvor erteilte Auskunft vom Ergebnis eines späteren Verständigungs- oder Schiedsverfahrens ab, kann sich die Verwaltung nicht vollständig rechtskonform verhalten: sie muss entweder die Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft missachten oder die innerstaatliche Umsetzung der Verständigungslösung bzw. des Schiedsspruchs verweigern. Ein solches Problem kann die Finanzbehörde vermeiden, indem sie die verbindliche Auskunft mit einer Nebenbestimmung in Form einer auflösenden Bedingung versieht, nach welcher die Auskunft rückwirkend ihre Bindungswirkung verliert, wenn der Steuerpflichtige oder eine ihm nahe stehende Person in Bezug auf den fraglichen Sachverhalt ein Verständigungs- oder Schiedsverfahren beantragt.2 Eine derartige Nebenbestimmung ist zulässig, wenn auf die verbindliche Auskunft im konkreten Einzelfall kein Anspruch besteht, sie also nach pflichtgemäßem Ermessen erteilt wird.3 Denn Verwaltungsakte, auf die kein Anspruch besteht, können nach § 120 Abs. 2 AO mit einer Nebenbestimmung (z.B. mit einer Bedingung i.S.v. § 120 Abs. 2 Nr. 2 AO) ver1 Nach Bär ist es Sache des Steuerpflichtigen, zwischen den einzelnen uni- und bilateralen Instrumenten zu wählen, vgl. Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 126. 2 Eine ähnliche Lösung schlagen Engler/Elbert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. F 338 vor. Sie präferieren die Erteilung einer Auskunft „unter dem Vorbehalt, dass eine abweichende Regelung im späteren Verständigungs- oder Schiedsverfahren der Zusage vorgeht.“ Ein derartiger Vorbehalt ist im abschließenden Katalog möglicher Nebenbestimmungen des § 120 Abs. 2 AO nicht vorgesehen und daher unzulässig. Inhaltlich handelt es sich jedenfalls nicht um einen Widerrufsvorbehalt i.S.v. § 120 Abs. 2 Nr. 3 AO. 3 Nach Auffassung der Finanzverwaltung steht die Erteilung verbindlicher Auskünfte mit Rücksicht auf den Wortlaut von § 89 Abs. 2 AO („kann“) im Ermessen der auskunftszuständigen Behörde, vgl. nur Tz. 3.5.4 AEAO zu § 89; ebenso z.B. Misera/Baum, Ubg 2008, 221 (225); von Wedelstädt, DB 2006, 2368 (2369); Söhn in H/H/Sp, § 89 AO Rz. 236; enger z.B. Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 40 [im Regelfall Auskunftsanspruch].
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sehen werden.1 Dies gilt auch für verbindliche Auskünfte auf Grundlage von § 89 Abs. 2 AO, weil auch diese als Verwaltungsakte2 zu qualifizieren sind.3 Die beschriebene auflösende Bedingung ist auch nicht nach § 120 Abs. 3 AO unzulässig, weil sie dem Zweck einer verbindlichen Auskunft nicht zuwiderläuft, dem Steuerpflichtigen Planungssicherheit zu gewährleisten.4 Denn der Steuerpflichtige und die ihm nahe stehenden Personen haben es selbst in der Hand, den Eintritt der auflösenden Bedingung zu verhindern und hierdurch die Bindungswirkung der Auskunft aufrechtzuerhalten. Unterlassen sie einen Antrag auf Einleitung eines Verständigungs- bzw. Schiedsverfahrens, bleibt die Verwaltung an die erteilte verbindliche Auskunft gebunden. Entsprechendes gilt für verbindliche Zusagen nach §§ 204 ff. AO. Da auch die Erteilung verbindlicher Auskünfte grundsätzlich auf Basis eines – eingeschränkten – pflichtgemäßen Ermessens erfolgt,5 können auch diese mit einer auflösenden Bedingung versehen werden, nach welcher die Zusage rückwirkend ihre Bindungswirkung verliert, wenn der Steuerpflichtige oder eine ihm nahe stehende Person in Bezug auf den fraglichen Sachverhalt ein Verständigungs- oder Schiedsverfahren beantragt.
IV. Tatsächliche Verständigung 1. Hintergrund und Zulässigkeit Institut der tatsächlichen Verständigung. Aufgrund des Legalitätsprinzips (§ 85 AO) ist die deutsche Finanzverwaltung verpflichtet, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze festzusetzen und zu erheben. Anders als in anderen Staaten sind in Deutschland mit Rücksicht auf das strikte steuerliche Legalitätsprinzip Steuerfolgenvereinbarungen zwischen einem Steuerpflichtigen und der zuständigen Finanzbehörde im Grundsatz unzulässig (Verbot gesetzesabweichender Steuervereinbarungen).6 Nach der 1 Seer in Tipke/Kruse, § 120 AO Rz. 4; Güroff in Beermann/Gosch, § 120 AO Rz. 3 f. 2 Zur Verwaltungsaktsqualität verbindlicher Auskünfte vgl. eingehend BFH v. 30.4.2009 – VI R 54/07, BStBl. II 2010, 996 = FR 2010, 42 m. Anm. Bergkemper sowie BFH v. 29.2.2012 – IX R 11/11, BStBl. II 2012, 651 (dort Rz. 10). 3 Ebenfalls für die Zulässigkeit der Erteilung verbindlicher Auskünfte unter einer Bedingung z.B. Leibner/Pump, GStB 2003, 80 ff.; dagegen Sedemund, Festschrift für Wienand Meilicke, 2010, 669 (676 f.). 4 Mit Rücksicht auf diesen Zweck wird zu Recht die Erteilung einer verbindlichen Auskunft mit Widerrufsvorbehalt i.S.v. § 120 Abs. 2 Nr. 3 AO als unzulässig angesehen, vgl. nur Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 51; sowie Horst, Die verbindliche Auskunft nach § 89 Abgabenordnung, 2010, 95. 5 Vgl. nur Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 15; Sauer in Beermann/Gosch, § 120 AO Rz. 8. 6 Hierzu ausführlich Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, 1996, 376 ff.; daher können zweifelhafte Rechtsfragen nach Ansicht des BFH grundsätzlich nicht Gegenstand einer bilateralen Vereinbarung zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung sein, vgl. BFH v. 31.7.1996 – XI R 78/95, BStBl. II 1996, 625 (626); v. 11.12.1984 – VIII R 131/76, BStBl. II 1985, 354 (357) = FR 1985, 306 (357); v. 15.3.2000 – IV B 44/99, BFH/NV 2000, 1073 m.w.N.
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Rechtsprechung des BFH ist es jedoch erlaubt, in Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung unter bestimmten Voraussetzungen zur Förderung der Effektivität der Besteuerung und zur Sicherung des Rechtsfriedens eine bindende Einigung über den der Besteuerung zugrunde zu legenden Sachverhalt zu schließen. Derartige Vereinbarungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde werden als „tatsächliche Verständigung“ bezeichnet.1 Eine tatsächliche Verständigung kann nach ständiger Rechtsprechung des BFH in jedem Stadium des Besteuerungsverfahrens, insbesondere anlässlich einer Außenprüfung und während eines anhängigen Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelverfahrens getroffen werden.2
10.135
Möglichkeit der Zukunftsorientierung. Im Grundsatz kommt eine tatsächliche Verständigung nur für abgeschlossene (d.h. der Vergangenheit angehörende) Sachverhalte in Betracht. Bei Sachverhalten, die sich über mehrere Besteuerungszeiträume erstrecken, halten Rechtsprechung,3 Finanzverwaltung4 und Literatur5 jedoch eine auch zukunftsorientierte tatsächliche Verständigung für möglich, also eine Verständigung, die sich neben vergangenen Besteuerungszeiträumen auch auf zukünftige Besteuerungszeiträume bezieht. Praktiziert wird eine solche tatsächliche Verständigung zunächst für einheitliche Lebenssachverhalte, die sich denknotwendig auf mehrere Besteuerungszeiträume erstrecken. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung die (AfA-relevante) Nutzungsdauer eines bestimmten Wirtschaftsguts festzulegen.6 Aber auch bei Sachverhalten, bei denen sich zentrale Sachverhaltselemente gleichförmig wiederholen, wird die Zulässigkeit einer auch zukunftsorientierten tatsächlichen Verständigung bejaht. So ist es beispielsweise möglich, mit Zukunftsbindung eine tatsächliche Verständigung über die Angemessenheit einer bestimmten Vergütung zu schließen.7 Mit Rücksicht auf diese (von der Rechtsprechung anerkannte Fallgruppe) kommt auch eine zukunftsorientierte Verständigung in Verrechnungspreiskonstellationen in Betracht (hierzu vertiefend 1 BFH v. 11.12.1984 – VIII R 131/76, BStBl. II 1985, 354 = FR 1985, 306; v. 5.10. 1990 – III R 19/88, BStBl. II 1991, 45; v. 31.7.1996 – XI R 78/95, BStBl. II 1996, 625; ebenso BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831. 2 BFH v. 11.12.1984 – VIII R 131/76, BStBl. II 1985, 354 = FR 1985, 306; BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 1 m.w.N. 3 FG Saarl. v. 27.9.2006, 1 K 11/03, juris; FG Münster v. 13.12.1994 – 15 K 3237/93 E, EFG 1995, 552; in diese Richtung weist auch BFH v. 13.8.1997 – I R 12/97, BFH/NV 1998, 498 (499); offenlassend zuletzt BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 (418) = FR 2008, 1053 = BStBl. I 2009, 414 (418). 4 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 (832) Tz. 4.2. 5 Rüsken in Beermann/Gosch, § 78 AO Rz. 65 f.; Seer in Tipke/Kruse, Vor § 118 AO Rz. 12 f. m.w.N. 6 Zutreffend Seer in Tipke/Kruse, Vor § 118 AO Rz. 12. 7 Rüsken in Beermann/Gosch, § 78 AO Rz. 65 f.; Seer in Tipke/Kruse, Vor § 118 AO Rz. 12 f. m.w.N.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
Rz. 10.137). Voraussetzung ist freilich, dass die zentralen Sachverhaltselemente in den einzelnen Besteuerungsabschnitten gleich bleiben, sich also die relevanten tatsächlichen Umstände nicht entscheidend verändern. Zudem müssen die Beteiligten beim Abschluss der tatsächlichen Verständigung hinreichend klar zum Ausdruck bringen, dass die Vereinbarung auf für bestimmte zukünftige Veranlagungszeiträume Bindung entfalten soll.1 Verständigung auf rechtsanwendungsrelevante tatsächliche Umstände. Eine tatsächliche Verständigung ist im Grundsatz ausschließlich in Bezug auf Sachverhaltsfragen zulässig. Sie ist nicht zulässig zur Klärung zweifelhafter Rechtsfragen, über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen oder über die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften.2 Unschädlich ist es hingegen, wenn sich Verwaltung und Steuerpflichtiger im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung auf einen bestimmten Sachverhalt einigen und dabei gemeinsam bestimmte Rechtsfolgen vor Augen haben.3
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Möglichkeit einer verrechnungspreisbezogenen tatsächlichen Verständigung. Dort, wo tatsächliche Fragen und Rechtsfragen derart ineinander übergehen, dass eine Verständigung über die Tatfrage automatisch mit der Verständigung bzgl. einer bestimmten steuerjuristischen Bewertung verbunden ist (sog. gemischte Fragen), bejaht der BFH4 mit Zustimmung der überwiegenden Literatur5 die Möglichkeit einer tatsächlichen Verständigung. So hat der BFH in seinem Urteil v. 13.8.1997 zur Besteuerung einer möglichen vGA ausdrücklich klargestellt, dass die Frage der „Angemessenheit“ einer Vergütung zum Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung gemacht werden kann.6 Auf Basis dieser Rechtsprechung gilt es als gesichert, dass sog. gemischte Fragen, wie die „Angemessenheit einer Vergütung“ oder das „Ergebnis eines Fremdvergleichs“ zum Gegen-
10.137
1 Seer in Tipke/Kruse, Vor § 118 AO Rz. 12 m.w.N. 2 BFH v. 15.3.2000 – IV B 44/99, BFH NV 2000, 1073 m.w.N.; v. 31.3.2004 – I R 71/03, BFH/NV 2004, 1159; vgl. auch FG Bremen v. 30.3.2000 – 3 99 117 K 1, EFG 2000, 837; ebenso z.B. Offerhaus, DStR 2001, 2093 (2094); Streck, StuW 1993, 366 (369 f.). 3 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 2.2. 4 BFH v. 13.8.1997 – I R 12/97, BFH/NV 1998, 498 (499); v. 1.2.2001 – IV R 3/00, BStBl. II 2001, 520 (524) = FR 2001, 635; vgl. auch FG Saarl. v. 4.12.1998 – 1 K 184/95, EFG 1998, 686 (687); v. 25.9.2002 – 1 K 127/99, EFG 2002, 1562 (1563). 5 So z.B. Buciek, DStZ 1999, 389 (369 f.); Offerhaus, DStR 2001, 2093 (2094); Mösbauer, BB 2003, 1037 (1039); Söhn in H/H/Sp, § 78 FGO Rz. 166; noch weitergehend z.B. Seer, BB 1999, 78 (79) m.w.N. 6 BFH v. 13.8.1997 – I R 12/97, BFH/NV 1998, 498 (499): „Die Verständigung über die Angemessenheit der Geschäftsführer-Gesamtausstattung und einen als angemessen angesehenen Anteil der variablen Vergütung an dieser Gesamtausstattung stellt zwar als solche die Verständigung über eine rechtliche Beurteilung dar. Zugleich liegt darin aber die Verständigung über tatsächliche (Vor-)Fragen, nämlich zum einen die Fixierung eines bestimmten Vergütungsrahmens nach Höhe und Zusammensetzung und zum anderen die Festlegung des Anteils auf einen bestimmten Verhältniswert.“
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
stand einer wirksamen tatsächlichen Verständigung gemacht werden können.1 Dies ermöglicht auch den Abschluss tatsächlicher Verständigungen in Verrechnungspreiskonstellationen.2 Der (tatsächliche oder hypothetische) Fremdvergleich ist vor diesem Hintergrund – zulässigerweise – häufig Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung.
10.138
Fall erschwerter Sachverhaltsermittlung. Eine tatsächliche Verständigung ist nur dann zulässig, wenn sie einen Sachverhalt betrifft, der nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden kann.3 Das ist z.B. der Fall, wenn sich einzelne Sachverhaltselemente nur mit einem nicht vertretbaren Arbeits- oder Zeitaufwand ermitteln lassen.4 Die Zulässigkeit einer tatsächlichen Verständigung kann sich auch daraus ergeben, dass die Würdigung des Sachverhalts besonders streitanfällig ist und durch die tatsächliche Verständigung ein ansonsten zu erwartendes finanzgerichtliches Verfahren vermieden werden kann.5 Allerdings darf die tatsächliche Verständigung nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen, etwa weil die Vereinbarung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt.6 Führt die tatsächliche Verständigung zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis, dann entfaltet sie im Besteuerungsverfahren keine Bindungswirkung.7
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Formulierungsfragen. Geht der Impuls für eine tatsächliche Verständigung vom Steuerpflichtigen aus, hängt die Wahrscheinlichkeit, die angestrebte einvernehmliche Lösung zu erreichen, unter Umständen davon ab, ob der Steuerpflichtige (oder sein Berater) in der Lage ist, einen geeigneten Vorschlag für die Formulierung einer tatsächlichen Verständigung zu machen. Da eine Verständigung über zweifelhafte Rechtsfragen, über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen oder über die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften unzulässig ist, macht es keinen Sinn, der Finanzverwaltung eine Vereinbarung vorzuschlagen, nach der in einem bestimmten Fall „keine vGA anzunehmen“ ist oder „eine Korrektur nach 1 Buciek, DStZ 1999, 389 (369 f.); Offerhaus, DStR 2001, 2093 (2094); Söhn in H/H/Sp, § 78 FGO Rz. 166; Englisch, Bindende „tatsächliche“ und „rechtliche“ Verständigungen zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigen, 2004, 24; noch weitergehend z.B. Seer, BB 1999, 78 (79) m.w.N. 2 Zustimmend und vertiefend: Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, 2009, 143 ff. m.w.N. 3 BFH v. 11.12.1984 – VIII R 131/76, BStBl. II 1985, 354 (358) = FR 1985, 306; v. 8.10.2008 – I R 63/07, BStBl. II 2009, 121 = FR 2009, 543; ebenso BMF v. 30.7. 2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 3. 4 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 3. 5 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 3; Vogelsang in Vogelsang/Stahl, BP-Handbuch, 2008, 483. 6 BFH v. 11.12.1984 – VIII R 131/76, BStBl. II 1985, 354 (358) = FR 1985, 306; v. 31.7.1996 – XI R 78/95, BStBl. II 1996, 625; ebenso BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 8.1; in diesem Sinne auch die Literatur, vgl. z.B. von Wedelstädt, AO-StB 2001, 190 (191). 7 Exemplarisch BFH v. 25.11.2009 – V B 31/09, BFH/NV 2010, 959 m.w.N.; ebenso z.B. Bruschke, DStR 2010, 2611 (2615).
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
§ 1 AStG zu unterbleiben“ hat. Aus demselben Grund ist es eigentlich1 ausgeschlossen, eine tatsächliche Verständigung abzuschließen, in der sich die Beteiligten auf die konkrete Höhe einer vGA bzw. einer Berichtigung der Einkünfte nach § 1 AStG einigen. Gegenstand der Verständigung sind idealerweise konkrete (subsumtionsrelevante) Tatsachen.2 Dabei ist unschädlich, wenn Verwaltung und Steuerpflichtiger bei der Einigung auf diese Tatsachen gemeinsam bestimmte Rechtsfolgen vor Augen haben.3 Im Bereich der Verrechnungspreise ist es regelmäßig ohne weiteres möglich, die in Rede stehenden steuerlichen Rechtsfolgen durch Einigung auf entsprechende Tatsachen zu justieren. Dies gilt unabhängig davon, ob die Verrechnungspreise im konkreten Einzelfall im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs oder im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs zu ermitteln sind.4 Es ist jedoch dafür Sorge zu tragen, dass die ins Auge gefassten Tatsachen im konkreten Einzelfall überhaupt „subsumtionsrelevant“ sind, weil die Verständigung ansonsten „ins Leere“ ginge. Insbesondere ist das in § 1 Abs. 3 AStG niedergelegte Stufenverhältnis bei der Ermittlung der Verrechnungspreise zu beachten.5 Ist nach dem Gesetz ein tatsächlicher Fremdvergleich geboten, bietet es sich regelmäßig an, eine Einigung über den für die fragliche Transaktion angemessenen „Marktpreis“ zu schließen. Ist der Verrechnungspreis hingegen im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs zu ermitteln, sollte die tatsächliche Verständigung eine Vereinbarung darüber treffen, „welche Bedingungen in der fraglichen Situation voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen“ vereinbart hätten.6 2. Abschluss einer tatsächlichen Verständigung Abschluss einer tatsächlichen Verständigung. Für den Abschluss einer tatsächlichen Verständigung hat sich in der Praxis ein gewisses Procedere etabliert, welches an den von der Rechtsprechung entwickelten Wirksamkeitserfordernissen und Zielsetzungen orientiert ist. Die wesentlichen
1 In Einzelfällen sind Behörden auch zu reinen Rechtsfolgenvereinbarungen bereit. Hier tragen die Beteiligten jedoch das Risiko, dass die Verständigung im Streitfall vom FG als unwirksam qualifiziert wird. 2 Die Finanzverwaltung akzeptiert auch eine Einigung über Rechtsfragen, wenn es sich um Vorfragen der Steuerrechtsanwendung handelt, vgl. BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 2.3. Mit Rücksicht hierauf kann beispielsweise eine markenrechtliche Beurteilung zum Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung gemacht werden. 3 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 2.2; so bereits Streck, StuW 1993, 366 (369 f.). 4 Zu beiden Arten des Fremdvergleichs vgl. grundlegend Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 ff. 5 Hierzu Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1462 ff.). 6 Vgl. BT-Drucks. 16/4841, 85.
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10.140
Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
Verfahrensgrundsätze sind für die Verwaltung in dem BMF Schreiben v. 30.7.2008 normiert.1
10.141
Beteiligte Personen. Die beteiligten Personen müssen zunächst zu einer abschließenden Regelung befugt sein.2 Auf Seiten der Finanzverwaltung ist dies der für die Entscheidung über die jeweilige Steuerfestsetzung zuständige, d.h. der zur abschließenden Zeichnung berechtigte Amtsträger.3 Für das Finanzamt ist dies regelmäßig der Vorsteher sowie dessen ständiger Vertreter, daneben der zuständige Veranlagungssachgebietsleiter oder im Rechtsbehelfsverfahren der Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfsstelle. Die Sachgebietsleiter der Betriebsprüfungsstellen sind nur im Falle einer veranlagenden Betriebsprüfung zum Abschluss einer tatsächlichen Verständigung befugt.4 Das BMF geht davon aus, dass für den Fall, dass der für die Entscheidung zuständige Amtsträger nicht beteiligt war, dieser Mangel durch nachträgliche Zustimmung mit Wirkung gegenüber allen Beteiligten geheilt werden könne.5 Eine Vertretung bzw. die nachträgliche Zustimmung des zuständigen Amtsträgers kommt demgegenüber etwa nach Auffassung des FG Rheinland Pfalz nicht in Betracht. Denn gerade durch die persönliche Anwesenheit des Beamten solle den Beteiligten die besondere Bedeutung ihrer Erklärungen im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung vor Augen geführt werden.6 Der BFH hat diese strittige Frage bislang ausdrücklich offen gelassen.7 Steuerpflichtige sollten daher bis zur höchstrichterlichen Klärung auf der Mitwirkung des ihnen bekannten zuständigen Beamten bestehen. Auf Seiten des Steuerpflichtigen genügt die Anwesenheit des ordnungsgemäß bevollmächtigten Beraters.
1 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831. Das Schreiben unterscheidet in der insoweit maßgeblichen Tz. 5 zwischen den „formellen“ tatsächlichen Verständigungen und Fallkonstellationen, in denen eine Einigung aufgrund der nur geringen Bedeutung des Falls auch außerhalb einer tatsächlichen Verständigung herbeigeführt werden kann. Insoweit gelten erleichterte Formerfordernisse. 2 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 5.1. 3 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 5.3. Denn nur dieser besitzt die notwendige Kompetenz, eine Bindungswirkung für die Finanzverwaltung herbeizuführen, vgl. auch BFH v. 7.7.2004 – X R 24/03, BFH/NV 2004, 1563, wonach mangels Beteiligung eines für die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträgers keine Bindungswirkung eintreten konnte. 4 Apitz, StBp, 2008, 93 (95). 5 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 5.3. 6 FG Rh.-Pf. v. 21.9.2012 – 3 K 2493/10, EFG 2013, 186 unter Verweis auf BFH v. 28.7.1993 – XI R 68/92, BFH/NV 1994, 290. Zur Genehmigung einer Erklärung des Sachbearbeiters durch den Sachgebietsleiter demgegenüber FG Düss. v. 6.9. 1996 – 18 K 4217/93 E, EFG 1998, 5, zur Möglichkeit einer Genehmigung auch FG Hamburg v. 4.12.1991 – II 125/89, EFG 1992, 379. 7 Vgl. BFH v. 25.11.1997 – IX R 47/94, BFH NV 1998, 580; v. 7.7.2004 – X R 24/03, BStBl. II 2004, 975.
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B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten
Eine Vollmacht entsprechend § 80 Abs. 1 Satz 2 AO umfasst dabei auch die Befugnis zum Abschluss einer tatsächlichen Verständigung.1 Form. Eine bestimmte Form der Erklärung ist seitens der Rechtsprechung nicht zwingend vorgegeben.2 Aus Gründen der Beweis- sowie Handhabungssicherheit ist jedoch die tatsächliche Verständigung schriftlich3 festzuhalten und von den Beteiligten zu unterschreiben.4 Es genügt, dass die Ergebnisse der tatsächlichen Verständigung schriftlich festgehalten werden, Ausführungen zu den Rechtsfolgen müssen nicht aufgenommen werden.5 Auf die Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung sollte indes ausdrücklich (schriftlich) hingewiesen sein. Den Beteiligten ist abschließend jeweils ein Exemplar der Vereinbarung auszuhändigen.6
10.142
Antizipierter Verzicht auf ein Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren. In Verrechnungspreiskonstellationen bestehen auf Seiten der involvierten Behörden häufig Bedenken gegen den Abschluss einer tatsächlichen Verständigung, weil die Behördenvertreter befürchten, eine auf diesem Wege erzielte einvernehmliche Lösung könnte durch die Durchführung eines Verständigungs- oder Schiedsverfahrens ausgehebelt werden.7 Insoweit hat es sich bewährt, den Behörden für die betroffenen Sachverhalte einen antizipierten Verzicht auf die Beantragung eines Verständigungs- bzw. Schiedsverfahrens anzubieten. Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung kann eine abkommensberechtige Person erklären, dass sie einen Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nicht stellen wird. Ein derartiger Verzicht ist sowohl für das Verständigungsverfahren auf Grundlage einer abkommensrechtlichen Verständigungsklausel8 als auch für ein Verfahren nach der EU-Schiedsverfahrenskonvention9 denkbar.
10.143
1 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 5.2. 2 Buciek, DStZ 1999, 389 (397) m.w.N. 3 Auch wenn in der Praxis zumeist ein als tatsächliche Verständigung bezeichnetes Schriftstück abgefasst werden wird, kann im Einzelfall auch ein Protokoll oder Schriftwechsel genügen, wenn sich daraus der Aussteller und die Erklärenden zweifelsfrei identifizieren lassen, so Seer in Tipke/Kruse, § 85 AO Rz. 63. 4 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 5.5. 5 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 5.5. 6 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 5.5. 7 Zu beachten ist, dass die deutschen Finanzbehörden in Verrechnungspreisfragen in Fällen einer rechtlichen Bindung deutscher Finanzbehörden gegenüber einem Steuerpflichtigen gehalten sind, den beteiligten EU-Mitgliedstaat hierüber zu informieren; vgl. BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594 Tz. 2.1 a.E. 8 Vgl. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 5; ebenso z.B. Krabbe, IStR 2002, 548 (549); Krämer, IWB F. 3 Gr. 2, 1331 (1336). 9 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 12.1.2 i.V.m. Tz. 5; ebenso z.B. Krabbe in Wassermayer, DBA, Art. 6 EU-SchÜ Rz. 8; Menck in G/K/G, Art. 25 OECD-MA Rz. 9 zu Art. 5 SchÜ.
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Kapitel 10 Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten
Wird der Verzicht erklärt, ist ein späterer Einleitungsantrag nach Treu und Glauben ausgeschlossen und daher unzulässig.1 Hat ausschließlich die in Deutschland ansässige abkommensberechtigte Person eine entsprechende Verzichtserklärung abgegeben, besteht aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung das Risiko, dass der Antrag auf Verfahrenseinleitung durch die im Ausland ansässige nahe stehende Person gestellt wird. Da diese Person keinen Verzicht erklärt hat, wäre sie nicht gehindert, einen Antrag auf Verfahrenseinleitung zu stellen. Vor diesem Hintergrund besteht die deutsche Finanzverwaltung in der Praxis darauf, dass der Verzicht sowohl durch die in Deutschland ansässige Person als auch durch die im Ausland ansässige, abkommensberechtigte Person erklärt wird.2 Beide Verzichtserklärungen sind an die deutsche Finanzverwaltung zu richten. 3. Rechtsfolgen einer tatsächlichen Verständigung
10.144
Bindungsmechanismen. Bereits mit Abschluss einer wirksamen tatsächlichen Verständigung sind die Beteiligten an das Vereinbarte gebunden.3 Soweit sich die Beteiligten auf einen bestimmten Sachverhalt geeinigt haben, ist dieser der Besteuerung zugrunde zu legen.4 Legt die Finanzverwaltung bei dem Erlass des späteren Steuer- bzw. Feststellungsbescheids einen abweichenden Sachverhalt zugrunde, widerspricht dieser der tatsächlichen Verständigung und ist daher rechtswidrig und insoweit anfechtbar. Ergeht der Steuer- bzw. Feststellungsbescheid in Übereinstimmung mit der tatsächlichen Verständigung, kann der Steuerpflichtige zwar Einspruch einlegen oder den Bescheid mit einer Klage anfechten; der Rechtsbehelf ist jedoch insoweit unbegründet, da auch der Steuerpflichtige an die in der tatsächlichen Verständigung vereinbarte Sachbehandlung gebunden ist.5 Eines besonderen Rechtsbehelfsverzichts bedarf es – zumindest in Bezug auf nationale Rechtsbehelfe wie Einspruch und Klage – also nicht. Kommt die Finanzverwaltung der Umsetzung der tatsächlichen Verständigung nicht oder nicht zutreffend nach, kann sich der Steuerpflichtige im Klagewege hiergegen wehren.6
1 Krabbe, IStR 2002, 548 (549): Fall des „venire contra factum proprium“. 2 BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 Tz. 5 a.E. 3 Vgl. BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 6.1.; die neue Rechtsprechung lässt offen, ob sich die Bindung aus Treu und Glauben oder aus einem (öffentlich-rechtlichen) Vertrag ergibt, vgl. nur BFH v. 1.9.2010 – VIII R 78/06, BFH/NV 2010, 593 m.w.N. 4 BMF BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831 Tz. 6.1. 5 Vgl. nur Brandis in Tipke/Kruse, § 50 FGO Tz. 9; Söhn in H/H/Sp, § 78 AO Rz. 147; Seer, BB 1999, 78 (83). 6 Ebenso FG Hamburg v. 21.7.2006 – 6 K 91/05, EFG 2007, 79 (80); in diesem Sinne BFH v. 16.11.2000 – XI R 28/99; BStBl. II 2001, 202 (305); Söhn in H/H/Sp, § 78 AO Rz. 147a.
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Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht Literatur Dittmar, Zur Problematik der Zollwertermittlung bei miteinander verbundenen Unternehmungen, ZfZ 1981, 290; Ebert, Vorsteuerabzug bei Kostenumlagepools, NWB 2008, 931; Eggers, Ausgewählte umsatzsteuerliche Aspekte bei Konzernumlagen, IStR 2001, 308; Forster/Mühlbauer, Konzernumlagen und Kostenweiterbelastungen aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht, DStR 2002, 1470; Heidner, Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Kommissionsgeschäften, UR 2001, 517; Hundebeck, Das Ende des maßgebenden Zeitpunkts beim „getrennten Ausweis“, AW-Prax 2003, 270; Kock, Der Grundsatz der beschränkten Dispositionsfreiheit nach Art. 58 Zollkodex, RIW 1998, 55; Kofler, Einkaufsprovision im Zollwert, AWPrax 2003, 111; Lux, Zum Anspruch auf Berechtigung der Zollanmeldung, AWPrax 2003, 428; Lyons, EC Customs Law, New York 2002; Masorsky/Schoppe/ Stumpf, Verrechnungspreis und Zollwert, BB 2013, 279; Möller, Fremdvergleichsgrundsatz für die Steuer und den Zoll einheitlich anwenden, PIStB 2005, 208; Möller, Verrechnungspreis und Zollwert, Witten 2004; Philipowski, Anmerkung zu EuGH v. 27.10.2011, UR 2011, 933; Rädler, Konzernverrechnungspreise als Zollwert?, IStR 2000, 189; Reiche, Getrennter Ausweis von Zinsen und Einkaufsprovisionen im Sinne des Art. 33 Zollkodex in neuem Licht, ZfZ, 2004, 153; Schön, Die Kommission im Umsatzsteuerrecht, UR 1988, 1; Schuck/Baumunk, Die umsatzsteuerliche Behandlung von Aufwandspools vor dem Hintergrund des EuGHUrteils im Falle EDM vom 29.4.2004, BB 2005, 2105; Sherman/Jarreau/Brew, US Customs: A Practitioner’s Guide to Principles, Processes and Procedures, Chicago 2010; Slapio/Bosche, Umlageverträge bergen umsatzsteuerliche Risiken, PIStB 2005, 231; Sterzinger, Internationale Verrechnungspreise und Umsatzsteuer, DStR 2009, 1340; Thielo, Neue umsatzsteuerliche Entwicklungen bei Non-Performing Loans (NPL), BB 2007, 2487; Thoma/Böhm/Kirchhainer, Zoll und Umsatzsteuer Die rechtliche Beurteilung und praktische Abwicklung von Warenlieferungen mit Drittlandsbezug, 2. Aufl., Wiesbaden 2010; Vonderbank, Steuern für Lizenzgebühren, AW-Prax 2005, 107; Vonderbank, Zollwertrechtliche Behandlung und Bewertung von Beistellungen, ZfZ 2007, 238; Vonderbank, Die Rechtsprechung im Zollwertrecht, ZfZ 2012, 96; Witte/Henke/Kammerzell, Der modernisierte Zollkodex, München 2009.
A. Allgemeines Interaktion mit Verrechnungspreisthemen. Da verrechnungspreisrelevante Umsätze i.d.R. zwischen Unternehmen i.S.d. § 2 UStG erfolgen, haben umsatzsteuerliche Fragestellungen aufgrund der Belastungsneutralität des UStG keine übermäßige Bedeutung in verrechnungspreisrelevanter Rechtsprechung und Schrifttum eingenommen. Allerdings ist angesichts der mitunter erheblichen Transaktionsvolumina bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen einer umsatzsteuerlich und zollrechtlich korrekten Behandlung erhebliche Bedeutung beizumessen. So können bereits geringe Fehler in den Deklarations- und Nachweispflichten zu definitiven Steuer- und Zollbelastungen führen. Puls
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11.1
Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht
11.2
Zielsetzung der Darstellung. Die folgenden Ausführungen sollen daher keine abstrakt-generellen Ausführungen über umsatzsteuerrechtliche und zollrechtliche Hintergrundfragestellungen im unternehmerischen Geschäftsverkehr vermitteln. Stattdessen sollen im Rahmen eines Exkurses in beide Rechtsgebiete die für die Verrechnungspreispraxis relevantesten Fragestellungen in ihren Grundzügen beleuchtet werden. Allgemein gilt, dass für Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen – jedenfalls aus umsatzsteuerrechtlicher Perspektive – keine besonderen Vorgaben existieren; infolgedessen finden die allgemeinen Vorschriften des UStG sowie der UStDV Anwendung. Zollrechtlich wird dies insoweit abweichend beurteilt, als nur solche Transaktionswerte für die Zollabfertigung als sachgerecht anerkannt werden, die ohne Berücksichtigung des „Näheverhältnisses“ zwischen den Beteiligten bestimmt worden sind.1
11.3
Umsatzsteuer. Ausgangspunkt der Betrachtung ist im Bereich des Umsatzsteuerrechts zunächst, ob ein steuerbarer und steuerpflichtiger Umsatz vorliegt.2 Bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen unterliegen diese allerdings oftmals nicht der Umsatzsteuer. Denn bei grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Lieferungen findet regelmäßig die Steuerbefreiung gem. §§ 4 Nr. 1b i.V.m. § 6a UStG Anwendung. Bei Lieferungen in das Drittlandsgebiet gilt Ähnliches, wenn der Lieferort sich im Inland befindet und die Ware durch Befördern oder Versenden in das Drittlandsgebiet gelangt (§ 4 Nr. 1a i.V.m. § 6 UStG). Sonstige Leistungen sind im Inland nur dann steuerbar, wenn es sich um Leistungen gem. § 3a Abs. 3 UStG handelt oder es sich um sonstige Leistungen nach § 3a Abs. 2 UStG handelt, welche ein inländisches Unternehmen von einem Unternehmen aus dem Gemeinschaftsgebiet empfängt und die Reverse Charge-Regelung nach § 13b Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 5 UStG zur Anwendung gelangt.
11.4
Richtlinienkonforme Auslegung. Im Rahmen des Umsatzsteuerrechts besteht die grundsätzliche Verpflichtung der deutschen Finanzverwaltung und der finanzgerichtlichen Rechtsprechung, die Regelungen des UStG richtlinienkonform auszulegen, d.h. in Übereinstimmung mit den relevanten EG-Richtlinien zu interpretieren (insbesondere 6. Richtlinie 77/388/EWG bzw. ab 2007 RL 2006/112/EG, die sog. Mehrwertsteuersystemrichtlinie – MwStSystRL v. 28.11.2006, Abl. EU Nr. L 347, 1 einschließlich nachfolgender Änderungen). Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung ist durch Art. 4 Abs. 3 EU-Vertrag sowohl für den Gesetzgeber, die Rechtsprechung, wie auch die (Finanz-)Verwaltung verpflichtend. Im Zweifelsfall sind die deutschen Finanzgerichte (einschließlich des BFH) angehalten, eine Vorabentscheidung über die richtlinienkonforme Auslegung vom EuGH einzuholen.3 Steht eine nationale 1 Siehe grundlegend Möller, Verrechnungspreis und Zollwert; IBFD, Transfer Pricing and Customs Valuation – Two worlds to tax as one; Honisch in Müller-Eiselt/Vonderbank, EG-Zollrecht, Art. 29 ZK Rz. 553 f. 2 Thoma/Böhm/Kirchhainer, Zoll und Umsatzsteuer2, 67 f. 3 Vgl. Art. 267 AEUV.
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A. Allgemeines
Vorschrift im Widerspruch zu den Regelungsaussagen der Richtlinie, so besteht ein Anwendungsvorrang zugunsten der Richtlinie.1 Zollrecht. Bei zollrechtlich relevanten Sachverhalten ist eine der zentralen Fragestellungen die Interaktion zwischen dem (ertragsteuerlich bedeutsamen) Verrechnungspreis und dem (zollrechtlich entscheidenden) Transaktionswert.2 Sowohl nach Verwaltungsauffassung wie nach der Rechtsprechung besteht zwischen Zollwert und Verrechnungspreis zunächst kein regelungssystematischer Zusammenhang, so dass beide Werte prinzipiell unterschiedlich ermittelt werden können.3 Auch nach Auffassung des EuGH besteht für die EU-Mitgliedstaaten keine Verpflichtung, den Zollwert für andere Zwecke als die Anwendung des gemeinsamen Zolltarifs anzuerkennen.4 Für den Steuerpflichtigen ist die fehlende Abstimmung zwischen Zollwert und Verrechnungspreis in der Praxis mit erheblichen Risiken verbunden. In manchen Staaten kann es bspw. sinnvoll sein, aus (ertragsteuerlicher) Verrechnungspreissicht eine Einkünftekorrektur durch einen zu niedrigen Verrechnungspreis gleichsam „über sich ergehen zu lassen“, allerdings – zur Vermeidung drastischer Zollstrafen – stets einen angemessenen Zollwert zu deklarieren.5
11.5
Auslegung im Zollrecht und gegenwärtige Rechtsentwicklungen. Grundlage der Zollwertermittlung und Zollerhebung ist der EU-Zollkodex (ZK) sowie die Zollkodex-Durchführungsverordnung (ZK-DVO). Derzeit bildet noch der Zollkodex aus 1992/1994 die rechtliche Basis für das zollrechtliche Verfahren, einschließlich der Zollwertermittlung.6 Bereits mit der Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 sollten die zollrechtlichen Vorschriften allerdings angepasst werden und ein modernisierter Zollkodex (MZK) ins Leben gerufen werden. Die Verordnung trat am 24.6.2008 in Kraft; sie war jedoch noch nicht anwendbar, da zunächst die entsprechenden Durchführungsvorschriften in den EU-Mitgliedstaaten in Kraft zu setzen waren. Der modernisierte Zollkodex ist jedoch seit seiner Verabschiedung in 2008 bereits in großen Teilen von der Realität ein- bzw. überholt worden, so dass die EU-Kommission eine grundlegende Überarbeitung als erforderlich ansah. Überdies konnten die notwendigen Anpassungen in den IT-Systemen der nationalen Zollverwaltungen aufgrund der anhaltenden Haushalts-
11.6
1 Siehe bspw. EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-224/01 – Köbler, Slg. 2003, I-201239; s. auch BFH v. 21.4.2005 – V R 16/04, BStBl. II 2006, 96 = UR 2005, 549. 2 Dazu grundlegend Möller, Verrechnungspreis und Zollwert, 160 ff. 3 Möller, Verrechnungspreis und Zollwert, 160 ff.; sowie Möller, PIStB 2005, 208 für eine einheitliche Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes für die Steuer und den Zoll. 4 EuGH v. 24.4.1980 – Rs. C-65/79 – Chatain, EuGHE 80, 1345 sowie EuGH v. 4.12.1980 – Rs. C-54/80 – Wilner, EuGHE 1980, 3673; vgl. dazu auch Möller, Verrechnungspreis und Zollwert, 238 f. 5 Siehe z.B. Sherman/Jarreau/Brew, US Customs, 94 f.; Lyons, EC Customs Law, 104. 6 Zollkodex (ZK) v. 19.10.1992, ABl. EG Nr. L 302/1 sowie Zollkodex-DVO v. 11.10.1993, ABl. EG Nr. L 253.
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Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht
belastungen in den Mitgliedstaaten nicht zeitnah umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund ist der o.g. modernisierte Zollkodex durch die EUKommission abermals überarbeitet und zwischenzeitlich als sog. Zollkodex der Union (UZK) veröffentlicht worden.1 Der UZK ist zum 30.10. 2013 in Kraft getreten und soll nach Verabschiedung der entsprechenden Anpassungs- und Durchführungsregelungen spätestens ab dem 1.6.2016 anwendbar sein. Wie die weitere Rechtsentwicklung sich hier gestalten wird, ist momentan nur schwer abzusehen, da die entsprechenden Rechtsakte zur Herstellung der Anwendbarkeit des UZK – vor allem wegen der begrenzten Mitwirkungsmöglichkeiten des EU-Parlaments und des EU-Rats – momentan politisch in der Kritik stehen.
B. Praxisrelevante Fragen der Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen mit verbundenen Unternehmen I. Lohnveredelung an Gegenständen der Ausfuhr 11.7
Vorbemerkung. Nach der Systematik des UStG sind Ausfuhrlieferungen in das Drittlandsgebiet von der deutschen Umsatzsteuer ausgenommen (vgl. § 4 Nr. 1a i.V.m. § 6 UStG). Voraussetzung hierzu ist, dass sich der Lieferort im Inland befindet, der Gegenstand allerdings durch Befördern oder Versenden in das Drittlandsgebiet gelangt.2 Infolge der umsatzsteuerlichen Befreiung der Ausfuhrlieferungen wird im Ursprungsland der Lieferung dem Bestimmungslandprinzip der Vorzug gegeben. Infolgedessen ist eine vollständige Entlastung von der Umsatzsteuer des Ursprungslandes gegeben.3
11.8
Abweichungen zu Ausfuhrlieferungen. Im Vergleich zu Ausfuhrlieferungen bestehen allerdings mehrere zwingend zu beachtende Abweichungen. So ist die Lohnveredelung nur dann umsatzsteuerlich befreit, wenn der zu bearbeitende oder zu verarbeitende Gegenstand des Auftraggebers von dem Auftraggeber zum Zwecke der Lohnveredelung in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt oder zum Zwecke der Lohnveredelung im Gemeinschaftsgebiet erworben wurde (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 UStG).4 Ferner ist zu bedenken, dass die umsatzsteuerliche Befreiung der Ausfuhrlieferungen nur die Lieferung körperlicher Gegenstände betrifft. I.d.R. wird die 1 Sog. Zollkodex der Union (UZK), Verordnung (EU) Nr. 952/2013, ABl. EU L 269 v. 10.10.2013; siehe auch Verordnung (EU) Nr. 528/2013, ABl. EU Nr. L 165/62 zum hinausgeschobenen Inkrafttreten des den „Modernisierten Zollkodex“ nach Verordnung (EU) Nr. 450/2008, ABl. EU Nr. L 145 v. 4.6.2008 ablösenden „Zollkodex der Union“. 2 Zu Reihengeschäften s. Abschn. 6.1 Abs. 4 i.V.m. Abschn. 3.14 Abs. 14 UStAE. 3 Treiber in Sölch/Ringleb, § 4 Nr. 1 UStG Rz. 1. 4 Robisch in Bunjes11, § 7 UStG Rz. 1, 3 f.
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B. Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen m. verb. Unternehmen
grenzüberschreitende Erbringung sog. sonstiger Leistungen nicht von der Umsatzsteuer befreit. Umgekehrt unterliegen sonstige Leistungen nicht der Einfuhrumsatzsteuer. Hintergrund dessen ist, dass dem sog. Bestimmungslandprinzip bei der Erbringung sonstiger Leistungen bereits bei der Fixierung des Ortes der Leistung Geltung verschafft werden kann. Toll Manufacturing. Erschöpft sich die Tätigkeit in der reinen Erbringung einer Herstellungs- oder Veredelungsleistung durch das Unternehmen (unter Beistellung der zu ver- oder bearbeitenden Stoffe, „Toll Manufacturing“), so finden die allgemeinen Grundsätze der umsatzsteuerlichen Behandlung von Werkleistungen Anwendung. Werkleistungen werden nicht als Lieferungen, sondern als sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 UStG qualifiziert.1 Demzufolge kann keine Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung in Betracht kommen. Für den Bereich der Erwerbsbesteuerung bei Unternehmen ist zu berücksichtigen, dass nach § 3a Abs. 2 UStG der Leistungsort im übrigen Gemeinschaftsgebiet gegeben ist, wenn der Unternehmenssitz bzw. Sitzort des Unternehmens sich dort befindet. Die Werkleistung ist dann aus deutscher Perspektive nicht steuerbar. Im anderen EU-Mitgliedstaat findet § 13b Abs. 5, Abs. 1 UStG (s. Art. 196 MwStSystRL) Anwendung.
11.9
Contract Manufacturing. Abweichendes ergibt sich bei sog. Werklieferungen, die gem. § 3 Abs. 4 UStG als „Lieferungen“ zu behandeln sind.2 Hier kann die sog. Erwerbsbesteuerung nach § 1a Abs. 1 UStG zur Anwendung gelangen. Der Erwerbsbesteuerung unterliegt daher auch die Übertragung von Gegenständen, die vom Werkunternehmer in einem anderen EU-Mitgliedstaat aus eigenen Hauptstoffen („Contract Manufacturing“) hergestellt worden sind (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 1a UStG). Die Regelungen über den innergemeinschaftlichen Erwerb und die innergemeinschaftliche Lieferung gelten daher – anders als die vorstehend behandelten Werkleistungen – uneingeschränkt auch für sog. Werklieferungen.
11.10
Besonderheiten bei Ausfuhrgegenständen. Von dem o.g. Grundsatz besteht im Hinblick auf sog. Lohnverarbeitungs- bzw. Lohnveredelungsleistungen eine Besonderheit bei Lohnveredelungstätigkeiten im Hinblick auf Gegenstände der Ausfuhr. Denn gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 7 UStG ist eine Werkleistung, welche die Be- oder Verarbeitung von Stoffen durch den Werkunternehmer zum Gegenstand hat, die der Auftraggeber in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt oder dort erworben hat, als solche von der Umsatzsteuer befreit. Voraussetzung ist, dass der be- oder verarbeitete Gegenstand (der den Gegenstand der Ausfuhr bildet) nach der Erbringung der Be- oder Verarbeitung (Lohnveredelung) in das Drittlandsgebiet verbracht wird. Bei Leistungen an Nichtunternehmer bestimmt sich der Leistungsort in diesem Zusammenhang nach § 3a Abs. 3 Nr. 3
11.11
1 Abschn. 7.4 Abs. 1 UStAE. 2 So bereits BFH v. 25.3.1965 – V 253/63, BStBl. III 1965, 338; v. 3.12.1970 – V R 122/67, BStBl. II 1971, 355.
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Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht
Buchst. c UStG und bei Leistungen an Unternehmer nach § 3a Abs. 2 UStG (Sitzort des empfangenden Unternehmens, Rz. 11.3 ff.).
11.12
Wiedereinfuhr. Wird der be- oder verarbeitete Gegenstand nach der erfolgten Lohnveredelung wieder eingeführt, so unterliegt er bei der Wiedereinfuhr allerdings der Einfuhrumsatzsteuer. Bemessungsgrundlage ist dann der Werklohn (d.h. das Veredelungsentgelt, § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG i.V.m. § 11 Abs. 2 UStG).1
11.13
Umsatzsteuerliche Befreiung. Die umsatzsteuerliche Befreiung für den Tatbestand der Lohnveredelung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 7 UStG erfolgt im Grundsatz nach denselben Voraussetzungen wie für die Befreiung der Ausfuhrlieferung.2 In Versendungs- oder Beförderungsfällen durch den Werkunternehmer ist es daher nicht erforderlich, dass im Ausland ein dort ansässiger Auftraggeber vorhanden ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 UStG).3 In sog. Abholfällen, in denen die be- oder verarbeiteten Gegenstände durch den Auftraggeber befördert oder versendet werden, muss der Auftraggeber hingegen zwingend im Ausland ansässig sein.4 Dies gilt auch für das Befördern oder Versenden von Gegenständen in einen EU-Staat (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 UStG). Für die Lohnveredelung ist daher zwingend ein sog. Beleg- und Buchnachweis zu führen, § 7 Abs. 4 UStG i.V.m. §§ 12 und 13 UStDV.5
II. Kommissionsverhältnisse 11.14
Verkaufskommission. Bei der sog. Verkaufskommission wird der Kommissionär zivilrechtlich für den Kommittenten im Rahmen einer Geschäftsbesorgung dergestalt tätig, dass Waren oder Güter im eigenen Namen, jedoch für Rechnung des Kommittenten veräußert werden. Gleichwohl ist in § 3 Abs. 3 UStG geregelt, dass ausschließlich der Kommittent an den Verkaufskommissionär liefert. Hierbei wird vorausgesetzt, dass der Kommissionär im Verhältnis zum Käufer (Vertragspartei des Kommissionärs) der Liefernde ist. Insoweit korrespondiert diese Regelung mit der Vorschrift des § 3 Abs. 1 UStG, denn im Außenverhältnis „autorisiert“ der im eigenen Namen handelnde Kommissionär als Verkäufer den Käufer, über den Gegenstand zu verfügen. Nichts anderes erfolgt bei einer Lieferung nach § 3 Abs. 1 UStG, wenn der Unternehmer einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen, bspw. dem Abnehmer den Besitz an dem Gegenstand zu verschaffen.6 Wird die Kom1 2 3 4 5
Jatzke in Sölch/Ringleb, § 11 UStG Rz. 71, 74. §§ 8–13 UStDV, hierzu auch Abschn. 7.2 und 7.3 UStAE. Weymüller in Sölch/Ringleb, § 7 UStG Rz. 53, 54 f. Weymüller in Sölch/Ringleb, § 7 UStG Rz. 53, 54 f. Hierzu BFH v. 6.12.2007 – V R 59/03, BStBl. II 2009, 57 = UR 2008, 186; vgl. auch Weymüller in Sölch/Ringleb, § 7 UStG Rz. 53, 54 f. 6 Vgl. hierzu BFH v. 20.2.1986 – V R 133/75, UR 1988, 80 = BFH/NV 1986, 311; v. 25.11.1986 – V R 102/78, BStBl. II 1987, 278 = UR 1987, 141.
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B. Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen m. verb. Unternehmen
mission durch Veräußerung des Kommissionsgegenstandes ausgeführt, sind daher umsatzsteuerlich zwei Leistungsbeziehungstatbestände erfüllt: – Zum einen liegt eine Lieferung des Verkaufskommittenten (Unternehmer i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG) an den Verkaufskommissionär (Dritter i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG) vor. – Zum zweiten liegt eine Lieferung des Verkaufskommissionärs an den Käufer (Abnehmer i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG) vor. Befindet sich zu diesem Zeitpunkt das Kommissionsgut beim Verkaufskommissionär, so ist Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 7 UStG dieser Ort; es liegt zwischen dem Kommittenten und dem Verkaufskommissionär eine nichtwarenbewegte Lieferung vor.1 Gegenleistung. Die Gegenleistung für die Lieferung des Verkaufskommissionärs an den Käufer besteht im vereinbarten Kaufpreis. Im Lieferverhältnis Verkaufskommittent/Verkaufskommissionär ist die Gegenleistung in dem herauszugebenden Kaufpreis abzüglich seiner Provision und der sonstigen Aufwendungen (vgl. § 384 Abs. 2 HGB) zu erblicken.2
11.15
Zeitpunkt des Ausscheidens. Vor dem Zeitpunkt des Ausführungsgeschäfts mit dem Abnehmer (welches wie oben dargelegt der Verkaufskommissionär vornimmt) kann keine Lieferung des Verkaufskommittenten an den Verkaufskommissionär vorliegen.3 Denn der Liefergegenstand scheidet erst zu diesem Zeitpunkt aus dem Unternehmensvermögen des Verkaufskommittenten aus. Bis zu diesem Zeitpunkt liegt das wirtschaftliche Eigentum noch beim Verkaufskommittenten.4
11.16
Einkaufskommission. Bei der sog. Einkaufskommission bestehen spiegelbildlich folgende Leistungsbeziehungstatbestände: – Zum einen erfolgt eine Lieferung des Verkäufers (Dritter) an den Einkaufskommissionär. – Zum anderen erfolgt eine Lieferung des Einkaufskommissionärs an den Einkaufskommittenten. Beide Lieferungen erfolgen stets zum gleichen Zeitpunkt, selbst wenn ausnahmsweise der Kommittent nicht sofort durch ein vorweggenommenes Besitzkonstitut nach § 930 BGB mit der Besitzerlangung durch
11.17
1 Siehe z.B. Bülow in Vogel/Schwarz, § 3 UStG Rz. 186; Nieskens in Rau/Dürrwächter, § 3 UStG Rz. 2364; Frisch in Reiß/Kraeusel/Langer, § 3 UStG Rz. 363 ff. 2 Siehe Klenk/Martin in Sölch/Ringleb, § 3 UStG Rz. 413. 3 BFH v. 6.12.1979 – V R 87/72, BStBl. II 1980, 279; v. 25.11.1986 – V R 102/78, BStBl. II 1987, 278; Abschn. 3.1 Abs. 3 UStAE; Fritsch in Reiß/Kraeusel/Langer, § 3 UStG Rz. 361; s. auch Heidner, UR 2001, 517; Schön, UR 1988, 1 f. 4 Vgl. FG Köln v. 17.1.2011 – 9 K 308/10, EFG 2011, 922 zur Frage des Abzugs von Einfuhrumsatzsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG.
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Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht
den Einkaufskommissionär Eigentümer wird.1 Denn auch in diesem Fall wird der Einkaufskommittent sofort wirtschaftlicher Eigentümer.2
11.18
Kommissionär als bloße „Mittelsperson“. Bei Kommissionsleistungen ist für den Vorsteuerabzug stets zu beachten, dass bei der Verkaufskommission der Verkaufskommissionär und bei der Einkaufskommission der Einkaufskommittent letztlich der Leistungsempfänger ist. Der Kommissionär als bloße „Mittelsperson“, die nach außen für den Auftraggeber im Rechtsverkehr entweder eine Lieferung oder sonstige Leistung erbringt oder verkauft oder eine solche erwirbt bzw. einkauft und die dabei im eigenen Namen handelt, aber im Innenverhältnis für Rechnung des Auftraggebers bzw. Geschäftsherren tätig wird, wird daher wie ein Eigenhändler in die Leistungskette eingeschaltet.3
11.19
Dienstleistungskommission. Hinzuweisen ist ferner auf die Regelung des § 3 Abs. 11 UStG, die sich auf den Fall der sog. Dienstleistungskommission bezieht. Wird ein Unternehmer als Auftragnehmer in die Erbringung einer sonstigen Leistung eingeschaltet und handelt er dabei im eigenen Namen und für fremde Rechnung, so gilt diese Leistung als an ihn und von ihm erbracht (Dienstleistungskommission). Durch das Verhältnis der involvierten Parteien wird qua Gesetz eine Leistungskette fingiert.4 Diese gesetzliche Fiktion behandelt den Auftragnehmer als Leistungsempfänger und zugleich als Leistenden.5 Die Dienstleistungskommission erfasst daher Fälle des sog. Leistungseinkaufs und des sog. Leistungsverkaufs.6 Ein Leistungseinkauf ist gegeben, wenn ein von einem Auftraggeber bei der Beschaffung einer sonstigen Leistung eingeschalteter Unternehmer für Rechnung des Auftraggebers, jedoch im eigenen Namen, eine sonstige Leistung durch einen Dritten erbringen lässt. Ein Leistungsverkauf liegt hingegen vor, wenn ein von einem Auftraggeber bei der Erbringung einer sonstigen Leistung eingeschalteter Unternehmer für Rechnung des Auftraggebers im eigenen Namen eine sonstige Leistung an einen Dritten erbringt.
11.20
Gleichartigkeit der Leistungen. Die Leistungen zwischen dem Auftraggeber, dem Kommissionär und dem Dritten werden im Hinblick auf ihren Leistungsinhalt gleich behandelt. Dies bedeutet auch, dass die Leistungen zum selben Zeitpunkt erbracht werden. Die zivilrechtlich vom Auftragnehmer an den Auftraggeber erbrachte Besorgungsleistung spielt umsatzsteuerrechtlich ebenso wie beim Kommissionsgeschäft nach § 3 Abs. 3 1 Siehe EuGH v. 6.2.2003 – Rs. C-185/01 – Autolease Holland, EuGHE 2003, I-285 = UR 2003, 137; BFH v. 10.3.2003 – V R 26/80, BStBl. II 2004, 571. 2 Vgl. Birkenfeld, Umsatzsteuerhandbuch, Bd. I Rz. 790. 3 Vgl. auch BFH v. 29.1.2008 – V B 201/06, BFH/NV 2008, 827; v. 4.9.2003 – V R 10/02, BFH/NV 2004, 149; v. 7.7.2005 – V R 60/03, BFH/NV 2006, 139. 4 Abschn. 3.15 Abs. 1 Satz 2 UStAE. 5 Abschn. 3.15 Abs. 1 Satz 3 UStAE. 6 Vgl. bereits BFH v. 31.1.2002 – V R 40 u. 41/00, DStR 2002, 719; Heidner, UR 2001, 517.
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B. Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen m. verb. Unternehmen
UStG keine Rolle.1 Der Auftragnehmer erbringt im Rahmen der Dienstleistungskommission nicht noch eine weitere, umsatzsteuerlich relevante Leistung (Vermittlungsleistung).2 Transport von Gütern. Besondere Bedeutung hat die Dienstleistungskommission bspw. im Bereich des Transports von beweglichen Gütern. Wird bspw. ein im Inland ansässiges Speditionsunternehmen damit beauftragt, für ein in Frankreich ansässiges Konzernunternehmen im eigenen Namen und für Rechnung des französischen Konzernunternehmens die Beförderung von Produkten von Frankreich nach Deutschland vorzunehmen, so gilt Folgendes: Wird die Beförderungsleistung durch einen im Inland ansässigen Unternehmer bewirkt, der im Rahmen der Dienstleistungskommission von dem Speditionsunternehmen (unter-)beauftragt worden ist, so erbringt dieser Unternehmer für das Speditionsunternehmen eine in Deutschland steuerbare Beförderungsleistung (§ 3a Abs. 2 UStG). Das inländische Speditionsunternehmen hat gegenüber dem in Frankreich ansässigen Konzernunternehmen eine nach § 3a Abs. 2 UStG in Frankreich steuerbare Beförderungsleistung abzurechnen.3
11.21
III. Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter Abgrenzung zwischen Lieferung und Leistung. Bei der Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter ist zunächst zu differenzieren, ob es sich um eine Lieferung gem. § 3 Abs. 1 UStG oder eine sonstige Leistung i.S.d. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG handelt. Bereits nach dem UStG selbst ist die Gebrauchs- und Nutzungsüberlassung von Patenten, Urheberrechten, Markenzeichenrechten und ähnlichen Rechten als sonstige Leistung zu qualifizieren (vgl. § 3a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 UStG). Bei einer einheitlichen Leistung, die sowohl Lieferelemente als auch Elemente einer sonstigen Leistung enthält, soll sich die Einstufung als Lieferung oder sonstige Leistung danach richten, welche Leistungselemente aus Sicht der Vertragsparteien den maßgeblichen geschäftlichen Gehalt haben sollen.4 Lieferungen sind nach Ansicht der Finanzverwaltung demzufolge bei einem Verkauf von Standardsoftware und sog. Updates auf Datenträgern anzunehmen.5 Zum Bereich der sonstigen Leistungen soll die Überlassung von Knowhow gelten. Ebenso soll die Überlassung von nicht standardisierter Software, die speziell nach den Anforderungen des Anwenders erstellt oder auf diese angepasst worden ist, als sonstige Leistung gelten.
11.22
Ort der sonstigen Leistung. Hinzuweisen ist darauf, dass im Rahmen der Prüfung der Steuerbarkeit einer sonstigen Leistung die Regelung des § 3a
11.23
1 Martin in Sölch/Ringleb, § 3 UStG Rz. 723, 724; vgl. hierzu auch BFH v. 23.10. 2002 – V R 68/01, UR 2003, 78 = BFH/NV 2003, 272. 2 Siehe auch BFH v. 18.6.2009 – V R 30/07, DStR 2009, 2422. 3 Siehe hierzu Abschn. 3.15 Abs. 6 Bsp. 2 UStAE. 4 Abschn. 3.5 Abs. 1 UStAE. 5 Abschn. 3.5 Abs. 2 Nr. 1 UStAE.
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Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht
Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 UStG (Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von Patenten) sowie Nr. 5 (Überlassung von Know-how) zu beachten ist. Ist der Leistungsempfänger Unternehmer, so gelangt das Bestimmungslandprinzip zur Anwendung. Dies folgt bereits aus § 3a Abs. 2 UStG. Wird die Leistung an eine umsatzsteuerliche Betriebsstätte des Unternehmens erbracht, so ist der Ort der Betriebsstätte maßgeblich (§ 3a Abs. 2 S. 2 UStG).
11.24
Ausländischer Lizenzgeber. Ist ein Lizenzgeber im Ausland ansässig, so erfolgt auf Basis des Reverse-Charge-Verfahrens ein Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Lizenznehmer (§ 13b Abs. 1 Satz 1 UStG). Ein ausländischer „Lizenzgeber“ liegt auch dann vor, wenn dieser zwar in Deutschland über eine Betriebsstätte verfügt, die Leistung aber tatsächlich nicht durch die in Deutschland belegene Betriebsstätte, sondern von dem im Ausland ansässigen Unternehmen erbracht wird (siehe § 13b Abs. 7 UStG). Für die Praxis ist es daher ratsam, in Lizenzverträgen auch eine Umsatzsteuerregelung zu vereinbaren, die neben den Netto-Bemessungsgrundlagen der Lizenzgebühr ggf. den Übergang der Steuerschuldnerschaft gem. § 13b Abs. 1, 5 UStG näher regelt.
IV. Finanzierungsleistungen 11.25
Begriff. Unter den Begriff der Finanzierungsleistungen sind regelmäßig alle Kreditumsätze, Umsätze im Geschäft mit Geldforderungen, Wertpapiergeschäfte, aber auch die Gestellung von Kreditsicherheiten wie Bürgschaftsverpflichtungen oder Umsätze mit Anteilen an Gesellschaften oder Beteiligungen stiller Gesellschafter zu verstehen.1 Derartige Finanzierungsleistungen sind als sonstige Leistungen i.S.d. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG zu qualifizieren. Zu beachten ist hierbei, dass Finanzierungstransaktionen, die unter die Regelungen des § 4 Nr. 8 Buchst. a–j UStG zu subsumieren sind, umsatzsteuerfrei sind.2
11.26
Befreiungstatbestände nach § 4 Nr. 8 UStG. Obwohl sich die Befreiungstatbestände nach § 4 Nr. 8 UStG vornehmlich auf das Banken- und Kreditgewerbe beziehen, sind sie nicht branchenmäßig beschränkt. Die Anwendbarkeit des § 4 Nr. 8 UStG hängt mithin nicht davon ab, ob ein entsprechender Umsatz von einem Kredit- oder Finanzinstitut getätigt worden ist.3 Die einzelnen, innerhalb von Konzernunternehmen auftretenden Finanzierungsleistungen können im Hinblick auf ihre umsatzsteuerliche Behandlung kurz wie folgt dargestellt werden:
11.27
Bürgschaftsgewährung. Umsatzsteuerfrei gem. § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG.
1 Wäger in Sölch/Ringleb, § 4 Nr. 8 UStG Rz. 2. 2 Vgl. auch Art. 135 Abs. 1a–1g MwStSystRL (RiLi 2006/112/EG). 3 Siehe EuGH v. 19.4.2007 – Rs. C-455/05 – Velvet & Steel, EuGHE 2007, I-3227 = UR 2007, 379.
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B. Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen m. verb. Unternehmen
Factoring. Bei dem sog. unechten Factoring geht das Risiko des Zahlungsausfalls nicht auf den Empfänger der abgetretenen Forderung (Factor) über. Wirtschaftlich betrachtet verbleibt der ursprüngliche Forderungsinhaber auch weiterhin Inhaber der Forderung. Beim echten Factoring geht die Forderung hingegen auch wirtschaftlich auf den Factor über. Er trägt mithin das sog. Delkredere-Risiko.
11.28
Kreditgewährung als (un)selbständige Nebenleistung. Sowohl beim echten, als auch beim unechten Factoring ist eine steuerbare und steuerpflichtige Inkassoleistung durch den Zessionar (Factor) an den Zedenten gegeben, die nicht gem. § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG steuerbefreit ist.1 Fraglich ist allerdings, ob der Zessionar (Factor) eine einheitliche steuerpflichtige Leistung (in Gestalt der Forderungseinziehung) erbringt oder ob darüber hinaus noch eine steuerbefreite Kreditgewährung nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG vorliegen kann. Nach Auffassung des EuGH sind sowohl das unechte wie auch das echte Factoring einheitlich als eine nicht nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL befreite Leistung zu behandeln.2 Insbesondere beim echten Factoring kommt daher eine gesonderte Behandlung der (aufgrund der Delkredere-Vergütung) erfolgten Übernahme des Ausfallrisikos als eine gem. § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG steuerfreie Leistung nicht in Betracht. Darüber hinaus geht die Finanzverwaltung davon aus, dass bei Factoring-Leistungen eine etwaige Kreditgewährung durch den Factor gegenüber der Inkassoleistung lediglich von untergeordneter Bedeutung sei und daher als unselbständige Nebenleistung zu qualifizieren ist.3 Anderes soll nach Ansicht der Finanzverwaltung dann gelten, wenn der Kreditgewährung eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Dies ist bei Factoring-Sachverhalten allerdings i.d.R. anzunehmen, denn die Zahlung des Factors an den Zessionar vor Forderungsfälligkeit und Forderungseinzug hat wirtschaftlich betrachtet die Qualität einer Darlehensgewährung. Dies gilt sowohl beim echten wie auch beim unechten Factoring. Die Auffassung der Finanzverwaltung ist daher problematisch.
11.29
Verkauf bzw. Erwerb von zahlungsgestörten Forderungen. Der bloße Kauf oder Verkauf von zahlungsgestörten Forderungen („non-performing loans“), bei dem der Käufer die Einziehung übernimmt und das Risiko des Forderungsausfalls trägt, kann umsatzsteuerlich nicht in eine (nicht umsatzsteuerbefreite, echte) Factoringleistung durch den Forderungskäufer und eine zusätzliche Kreditgewährung umgedeutet werden, bei denen Entgelte in Höhe der Differenz zwischen Forderungsnennwert und dem dafür entrichteten Kaufpreis gegenüberstehen.4 Vielmehr ist – wie der
11.30
1 EuGH v. 26.6.2003 – Rs. C-305/01 – MKG, EuGHE 2003, I-6729 = BStBl. II 2004, 688 = UR 2003, 399; Abschn. 2.4 Abs. 1 UStAE; s. auch EuGH v. 27.10.2011 – Rs. C 93/10 – GFKL Financial Services, UR 2011, 933. 2 EuGH v. 27.10.2011 – Rs. C 93/10 – GFKL Financial Services, UR 2011, 933. 3 Siehe Abschn. 2.4. Abs. 4 Satz 4 UStAE. 4 Vgl. Abschn. 2.4 Abs. 1, Abs. 3 u. Abs. 6 UStAE. Siehe auch FG Hessen v. 31.5. 2007 – 6 V 1258/07, EFG 2007, 1816 = UR 2008, 190 zum Erwerb zahlungsgestör-
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Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht
EuGH in seiner neueren Rechtsprechung (Rechtssache GFKL) nunmehr unterstrichen hat – beim echten Forderungskauf davon auszugehen, dass der Forderungskäufer mit dem Ankauf der Forderung keine in den Anwendungsbereich der MwStSytRL fallenden Dienstleistungen gegen Entgelt erbringt.1 Der echte Forderungskauf ist daher wirtschaftlich nicht in eine Darlehensgewährung und eine Factoringleistung (d.h. Inkassoleistung für den Auftraggeber entsprechend der Behandlung beim echten Factoring) umzudeuten. Dieser Sichtweise scheint sich die Finanzverwaltung mittlerweile anzunähern, da zumindest anerkannt wird, dass es sich bei einem Forderungskauf ohne Übertragung des tatsächlichen Forderungseinzugs nicht um eine Factoringleistung (d.h. Inkassoleistung) im o.g. Sinn handeln kann.2 Allerdings geht die Finanzverwaltung weiterhin davon aus, dass es sich bei einem Forderungsverkauf gegen Entgelt um eine „Kreditgewährung“ des Käufers an den Verkäufer handelt, die neben der Kaufpreiszahlung für die veräußerte und abgetretene Forderung erfolgt.3 Nach Ansicht der jüngsten BFH-Rechtsprechung liegt bei dem Erwerb einer zahlungsgestörten Forderung grundsätzlich keine entgeltliche Factoring-Leistung vor. Ein Unternehmer, der eine zahlungsgestörte Forderung erwirbt, erbringt an den Forderungsverkäufer nach BFH-Ansicht auch dann grundsätzlich keine entgeltliche Leistung, wenn er diesen von der weiteren Forderungsverwaltung und Forderungsvollstreckung entlastet.4 Der BFH schließt sich damit im Ergebnis der vom EuGH in der Rechtssache GFKL vertretenen Sichtweise an.
11.31
Kritik. Nach der hier vertretenen Auffassung ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung nicht danach zu unterscheiden, ob der Forderungskäufer selbst die Einziehung der ihm abgetretenen Forderung übernimmt oder ob, wie etwa im Rahmen von sog. Asset Backed Securities-Transaktionen, bei denen der Forderungskäufer gerade nicht die Einziehung übernimmt, die Einziehung der Forderung also weiterhin vom Forderungsverkäufer wahrgenommen wird. Unzutreffend ist hierbei insbesondere die Annahme der Finanzverwaltung, dass der Forderungskauf ohne Übertragung des Forderungseinzugs durch den Käufer als sog. „True Sale“ umsatzsteuerlich als eine Kreditgewährung durch den Käufer zu behandeln ist.5 In beiden Konstellationen des reinen Forderungskaufs liegen auch keine tauschähnlichen Umsätze mit Baraufgabe gem. § 3 Abs. 12 Satz 2 UStG durch den Käufer vor.6 Vielmehr liegt beim Forderungskauf lediglich eine Leistung durch den Forderungsverkäufer vor, der als Gegenleistung die Zahlung des Kaufpreises gegenübersteht. Sind die veräußerten und abgetretenen Forderungen noch nicht fällig oder besteht ein Aus-
1 2 3 4 5 6
ter Forderungen, deren Einziehung sich wirtschaftlich auf die Verwertung der bestehenden Sicherheiten beschränkt; s. auch Thielo, BB 2007, 2487. EuGH v. 27.10.2011– Rs. C 93/10 – GFKL Financial Services, UR 2011, 933. Siehe Abschn. 2.4. Abs. 5 Satz 1 UStAE. Abschn. 2.4. Abs. 5 Satz 2 UStAE. BFH v. 4.7.2013 – V R 8/10, BFH/NV 2013, 1889. Abschn. 2.4 Abs. 5 Satz 2 UStAE. So allerdings Abschn. 2.4. Abs. 5 Satz 3 UStAE.
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B. Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen m. verb. Unternehmen
fallrisiko, wird dies ausschließlich durch Abzinsung bzw. durch einen Abschlag beim Kaufpreis berücksichtigt.1 Patronatserklärungen. Bei sog. weichen Patronatserklärungen, die ohne Rechtsbindungswillen abgegeben worden sind und aus denen Einstandsoder Ersatzverpflichtungen zivilrechtlich nicht abgeleitet werden können, handelt es sich nicht um eine steuerbare sonstige Leistung i.S.d. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG.2 Bei sog. harten Patronaten, aus denen eine rechtlich erzwingbare Einstandsverpflichtung resultiert, handelt es sich um eine sog. Sicherheit, die nach § 4 Nr. 8 Buchst. g USG von der Umsatzsteuer befreit ist, sofern sie entgeltlich erbracht worden ist.
11.32
Warenkredite. Gem. § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG sind nicht nur Geldkredite, sondern auch Warenkreditgewährungen durch Lieferanten umsatzsteuerfrei. Dies gilt nach Ansicht der Finanzverwaltung allerdings nur dann, wenn in dem zugrunde liegenden Kaufvertrag zwischen dem Entgelt für die Lieferung (d.h. dem Kaufpreis) und dem Entgelt für die Kreditgewährung differenziert werden kann.3 Dies gilt nicht bereits für Zahlungen unter Skontoabzug, da hier der Käufer nur den zivilrechtlich geschuldeten Kaufpreis begleicht, wenn er von der Skontomöglichkeit keinen Gebrauch macht.4
11.33
V. Funktionsverlagerungen Mischung aus Lieferung und Leistung. Da eine Funktionsverlagerung auf Basis des Transferpaketansatzes zum einen aus der Verlagerung einer betrieblichen Tätigkeit besteht, zum anderen jedoch auch die funktional mit der Tätigkeit verbundenen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter übertragen werden müssen, ist ein Vorgang gegeben, der Elemente einer Lieferung gem. § 3 Abs. 1 UStG sowie einer sonstigen Leistung gem. § 3 Abs. 9 UStG enthält. Demgemäß ist eine Funktion nach der Legaldefinition als eine „Zusammenfassung betrieblicher Aufgaben“ und der dazugehörigen Wirtschaftsgüter zu begreifen. Insoweit liegt ein „hinreichendes Ganzes“ vor, wie es dem Sprachgebrauch bei der sog. Geschäftsveräußerung im Ganzen nach § 1 Abs. 1a UStG entsprechen könnte.5
11.34
Geltung der allgemeinen Vorschriften. Funktionsverlagerungen sollen – so die Finanzverwaltung – umsatzsteuerlich nach den allgemeinen Vor-
11.35
1 Dazu auch Philipowski, Anmerkung zu EuGH v. 27.10.2011 – Rs. C 93/10, UR 2011, 933. 2 Vgl. auch EuGH v. 19.4.2007 – Rs. C-455/05 – Velvet & Steel, EuGHE 2007, I-3225 = UR 2007, 379. 3 Siehe Abschn. 4.8.2 Abs. 1 und Abschn. 3.11 Abs. 3 und 4 UStAE; kritisch FG Brandenburg-Berlin v. 14.6.2012 – 7 K 7320/08, EFG 2012, 1964. 4 Vgl. BFH v. 28.1.1993 – V R 43/89, BStBl. II 1993, 360 = UR 1993, 350. 5 Vgl. Abschn. 1.5 Abs. 1 Satz 2 UStAE.
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Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht
schriften des UStG zu behandeln sein.1 Danach kommt auch die Sondervorschrift über die sog. Geschäftsveräußerung im Ganzen gem. § 1 Abs. 1a UStG in Betracht. Nach § 1 Abs. 1a UStG sind Umsätze im Rahmen einer sog. Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer nicht steuerbar.
11.36
Geschäftsveräußerung im Ganzen. Wesentliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist, dass das „Unternehmen“ oder zumindest ein „gesondert geführter Betrieb“ im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übertragen wird. Ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb liegt vor, wenn er wirtschaftlich selbständig ist. Dies setzte nach bisheriger Ansicht der Finanzverwaltung voraus, dass der veräußerte Teil einen für sich „lebensfähigen Organismus“ bildete, der unabhängig von den anderen Geschäften des Unternehmens nach Art eines selbständigen Unternehmens bereits bei dem übertragenden Unternehmen betrieben wurde und nach außen hin ein selbständiges, in sich geschlossenes Wirtschaftsgebilde verkörperte.2
11.37
BFH-Rechtsprechung. Der BFH hat in seiner bisherigen Rechtsprechung unterstrichen, dass § 1 Abs. 1a UStG nicht in Anlehnung an die Vorschriften des EStG oder der AO ausgelegt werden kann, sondern streng richtlinienkonform zu interpretieren ist.3 Nach neuerer Rechtsprechung ist es für die Annahme eines „in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betriebs“ nach Maßgabe des § 1 Abs. 1a UStG nicht entscheidend, ob der veräußerte Unternehmensteil unabhängig von den anderen Geschäften des Unternehmens nach Art eines selbständigen Unternehmens betrieben worden ist.4 Dies führt im Ergebnis zu einer Ausweitung des Begriffs einer Geschäftsveräußerung im Ganzen. Die Finanzverwaltung hat sich jüngst der BFH-Auffassung angeschlossen und ihre Auffassung im UStAE entsprechend geändert.5 Entgegen der vormaligen Auffassung der Finanzverwaltung ist es nun nicht weiter erforderlich, dass der veräußerte Teil des Unternehmens bereits beim übertragenden Unternehmen einen für sich lebensfähigen Organismus gebildet hat. Dementsprechend kann auch von einer Geschäftsveräußerung im Ganzen ausgegangen werden, wenn vor der Übertragung kein organisatorisch selbständiger Unternehmensteil bestanden hat. Nicht entscheidend ist damit, dass bereits im Unternehmen, das eine Übertragung vornimmt, ein organisatorisch selbständiger Unternehmensteil vorhanden war. Daher wird für die Erfüllung des § 1 Abs. 1a UStG maßgeblich darauf abzustellen sein, dass als Unternehmensteil materielle und immaterielle Bestandteile in einem solchen Umfang übertragen oder überlassen werden, dass eine 1 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWGFunktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774 Rz. 176. 2 OFD Karlsruhe v. 28.2.2012, USt-Kartei BW § 1 Abs. 1a UStG S 7100b Karte 1. 3 BFH v. 4.7.2002 – V R 10/01, BStBl. II 2004, 662 = UR 2003, 16. 4 BFH v. 19.12.2012 – XI R 38/10, UR 2013, 494. 5 Vgl. BMF v. 11.12.2013 – IV D 2 - S 7100-b/13/10001 – DOK 2013/1145204, BStBl. I 2013, 1625.
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B. Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen m. verb. Unternehmen
selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit beim übernehmenden Unternehmen ausgeübt werden kann. Vergleich zur Funktionsverlagerung. Überträgt man diese Rechtsgedanken auf den Tatbestand der Funktionsverlagerung, so wird die Funktionsverlagerung, auch wenn sie sich nur auf einzelne betriebliche Bereiche bzw. eine einzelne betriebliche Aufgabe oder Tätigkeit konzentriert, i.d.R. die Voraussetzung des § 1 Abs. 1a UStG erfüllen können. Denn auch der Begriff der Funktion gem. § 1 Abs. 1 FVerlV ist als eine Geschäftstätigkeit zu interpretieren, die als „organischer Teil eines Unternehmens“ fungiert, ohne die Voraussetzungen eines Teilbetriebs im ertragsteuerlichen Sinn erfüllen zu müssen.1 Demzufolge handelt es sich bei einer Funktion um eine „Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben“ einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken sowie Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteile, die Gegenstand eines einheitlichen Verlagerungsvorgangs sein können.2 Die Tatsache, dass der übertragene Unternehmensteil zumindest beim übernehmenden Unternehmen ein organisch geschlossener Teil eines Gesamtbetriebs verkörpern muss, ist dabei mit dem Erfordernis nach § 1 Abs. 1a UStG des gesondert geführten Betriebs als „für sich lebensfähigen Organismus“ vergleichbar.3 Liegt daher einer Funktionsverlagerung die Übertragung von Tätigkeiten und Vermögenswerten zugrunde, die wirtschaftlich ein „hinreichendes Ganzes“4 bilden und vom funktionsaufnehmenden Unternehmen auch tatsächlich unternehmerisch genutzt werden können, so wird § 1 Abs. 1a UStG auf die Funktionsverlagerung anwendbar sein.
11.38
VI. Kostenumlagen Unternehmereigenschaft. Der Kostenpool (zu Verrechnungspreisen bei Konzern- und Kostenumlagen im Ertragssteuerrecht vgl. Rz. 6.326 ff.) als solcher kann nicht als „Unternehmer“ im umsatzsteuerlichen Sinn agieren, da er als reine „Innengesellschaft“ zu qualifizieren ist, die nicht nach außen gegenüber Dritten auftritt.5 Unternehmer i.S.d. § 2 Abs.1 UStG können jedoch die einzelnen Poolmitglieder sein, so dass zwischen den einzelnen Poolmitgliedern ein umsatzsteuerlich relevanter Leistungsaustausch denkbar ist.6
11.39
Vorliegen eines Leistungsaustauschverhältnisses. Ob im Rahmen eines Kostenpools erbrachte Tätigkeiten als umsatzsteuerbare und umsatzsteu-
11.40
1 Vgl. auch § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG. 2 Siehe Begründung zu § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV v. 12.8.2008. 3 Vgl. OFD Karlsruhe v. 28.2.2012, USt-Kartei BW § 1 Abs. 1a UStG S 7100b Karte 1. 4 Vgl. Abschn. 1.5 Abs. 1 Satz 2 UStAE. 5 Abschn. 2.1 Abs. 5 UStAE. 6 Vgl. Baumhoff in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 3.322.
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Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht
erpflichtige „Leistungen“ qualifiziert werden können, ist umstritten. Von Teilen des Schrifttums wird die Ansicht vertreten, die Tätigkeitserbringung innerhalb eines Kostenpools (als Innen-GbR) sei nicht als „echter (d.h. nicht steuerbarer) Gesellschafterbeitrag“ zu qualifizieren. Es soll vielmehr von einem umsatzsteuerlich relevanten Austausch von Leistungen auszugehen sein.1 Reine Kostenerstattungen seien insofern umsatzsteuerlich als „Entgelt“ für das Empfangen von Poolbeiträgen zu erfassen, so dass ein Leistungsaustausch (Poolbeitrag als Leistung und Kostenerstattung als Gegenleistung) im Ergebnis bejaht werden müsse.
11.41
Ansicht der Finanzverwaltung. Da sich die Finanzverwaltung bislang nicht eindeutig zur Frage des Vorliegens einer umsatzsteuerbaren Leistung bei Poolbeiträgen geäußert hat, besteht insoweit Rechtsunsicherheit. In Abschn. 1.6 Abs. 3 Satz 7 UStAE wird von Seiten der Finanzverwaltung allerdings die Ansicht vertreten, dass das gemeinschaftliche Tragen von Kosten – bspw. für den Erwerb und die Unterhaltung eines gemeinschaftlich genutzten Wirtschaftsguts – (noch) nicht zu einem Austausch von Leistung und Gegenleistung führt.2
11.42
EuGH-Rechtsprechung. In der Literatur wird ferner unter Verweis auf die jüngere EuGH-Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass innerhalb der Poolsphäre keine steuerbaren Umsätze vorliegen können.3 Nach der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache EDM soll von keinen steuerbaren Umsätzen innerhalb eines Konsortiums auszugehen sein, wenn die Konsortialteilnehmer die nach dem Konsortialvertrag festgelegten Arbeitsanteile durchführen. Lediglich dann, wenn die Arbeitsanteile darüber hinausgehen, soll von einem umsatzsteuerlich relevanten Leistungsaustausch auszugehen sein. Die Grundsätze der EuGH-Entscheidung sollen nach Literaturauffassung auch auf den Aufwandspool übertragbar sein, soweit die Poolteilnehmer entsprechend ihren vertraglichen Verpflichtungen handeln.
11.43
Keine eindeutige Anerkennung durch die Finanzverwaltung. Ob die deutsche Finanzverwaltung dieser Auffassung allerdings Folge leistet, ist unklar. In Abschn. 1.6 Abs. 8 UStAE werden zwar die Grundsätze der EDMEntscheidung des EuGH ausdrücklich anerkannt. Diese Passage enthält jedoch ausschließlich Ausführungen zur Frage des Leistungsaustauschs bei Arbeitsgemeinschaften bzw. Konsortialverbindungen des Baugewerbes. Es fehlt jedoch der ausdrückliche Hinweis, dass eine fehlende Umsatzsteuerbarkeit sich auch auf Poolbeiträge innerhalb von Kostenumlageverträgen bezieht. Insbesondere bei Sachverhalten, bei denen ein Großteil der Poolbeiträge nicht indirekt über einen Umlageschlüssel, sondern 1 Vgl. etwa Eggers, IStR 2001, 308; Forster/Mühlbauer, DStR 2002, 1470, Sterzinger, DStR 2009, 1340. 2 Siehe dazu auch BFH v. 28.11.2002 – V R 18/01, BStBl. II 2003, 443 = UR 2003, 241. 3 Vgl. EuGH v. 29.4.2004 – Rs. C-77/01 – EDM, UR 2004, 292; dazu Schuck/Baumunk, BB 2005, 2105 sowie Slapio/Bosche, PIStB 2005, 231.
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B. Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen m. verb. Unternehmen
bspw. im Rahmen eines Nachfragepools unmittelbar mit einem Poolteilnehmer abgerechnet wird, könnte aus Sicht der Finanzverwaltung ein gewichtiges Indiz für ein (steuerbares und steuerpflichtiges) Leistungsaustauschverhältnis verkörpern. Verrechnung von Umlagen an ausländische Poolteilnehmer. Wird von der Steuerbarkeit und Steuerpflichtigkeit von Poolbeiträgen ausgegangen, so liegt – bei Tätigwerden ggü. ausländischen Poolteilnehmern – der Ort der Leistungserbringung regelmäßig am Ort des Leistungsempfängers, d.h. im Ausland, soweit es sich nicht um spezifische Dienstleistungen handelt, die gem. § 3a Abs. 3 UStG am Ort der Leistung bzw. am Tätigkeitsort erbracht werden. In diesem Zusammenhang ist vom Reverse ChargeVerfahren (vgl. § 13b UStG, Art. 194, 196 MwStSystRL) Gebrauch zu machen, d.h. für die Verrechnung eines grenzüberschreitenden Umlagebetrags wäre eine Nettorechnung ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis, jedoch mit dem Hinweis auf das Reverse Charge-Verfahren (vgl. § 14a Abs. 3, 5 UStG) und der USt-ID-Nummer des entsprechenden Poolteilnehmers zu erstellen. Ferner sind die bestehenden gesetzlichen Aufzeichnungspflichten einzuhalten (allgemeine Aufzeichnungspflichten nach § 22 UStG, Erklärung der Leistungen in der Zusammenfassenden Meldung nach § 18a Abs. 4 Nr. 3 UStG).
11.44
Voraussetzung für die Anwendung des Reverse Charge-Verfahrens. Da Voraussetzung für die Anwendung des Reverse Charge-Verfahrens allerdings die Unternehmereigenschaft des Poolteilnehmers ist, wäre diese Frage – aus deutscher Sicht –unmittelbar mit den ausländischen Poolteilnehmern zu klären. Sofern Leistungen im Rahmen des Pools an eine ausländische Konzerngesellschaft erfolgen, die über keine Unternehmereigenschaft verfügt (z.B. Poolteilnehmer als reine Finanzholding), wäre eine lokale Registrierung des inländischen Leistungserbringers für umsatzsteuerliche Zwecke erforderlich und es wäre mit ausländischer Umsatzsteuer zu fakturieren. Im Ergebnis sollte dies bereits aus Praktikabilitätserwägungen vermieden werden. Innerhalb von Konzernstrukturen sollte daher in jeden Fall eine die Unternehmereigenschaft besitzende Vertragspartei als Poolteilnehmer ausgewählt werden.
11.45
Vorsteuerabzugsberechtigung. Im Hinblick auf die Vorsteuerabzugsberechtigung eines Poolteilnehmers wird in der Literatur unter Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache HE berechtigterweise argumentiert, dass ein Vorsteuerabzug zumindest anteilig zuzulassen ist.1
11.46
Verrechnung von Umlagen an rein inländische Poolteilnehmer. Wird die Steuerbarkeit und die Steuerpflichtigkeit der Poolbeiträge bejaht, so wäre
11.47
1 Siehe hierzu Ebert, NWB 2008, 931 zu der EuGH-Entscheidung v. 21.4.2005 – Rs. C-25/03 – HE, BStBl. II 2007, 23 = UR 2005, 324, wonach diese Entscheidung auf Kostenumlagepools übertragbar sei und infolgedessen der Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen ermöglicht werde. Das Einschalten sog. Fronting Cooperations und das Weiterverrechnen von Leistungen an jedes einzelne Poolmitglied soll daher überflüssig sein (vgl. auch BMF v. 1.12.2006 – IV A 5 - S 7300 - 90/06, BStBl. I 2007, 90).
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Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht
gegenüber den inländischen Poolteilnehmern unter gesondertem Ausweis von Umsatzsteuer abzurechnen, es sei denn, es liegen aufgrund einer umsatzsteuerlichen Organschaft nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG lediglich Binnenumsätze im Organkreis vor.
VII. Verrechnungspreise und Mindestbemessungsgrundlage 11.48
Allgemeines zur Bemessungsgrundlage. Grundlage der Umsatzsteuererhebung ist die sog. Bemessungsgrundlage. Diese wird i.d.R. durch das angesetzte Entgelt im Rahmen eines Leistungsaustauschverhältnisses bestimmt (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UStG). Die Regelung des § 10 Abs. 1 UStG stellt allerdings nur auf das tatsächlich entrichtete Entgelt ab. Ob dieses dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, ist unmaßgeblich.1 Allerdings wird § 10 Abs. 1 UStG durch § 10 Abs. 5 UStG ergänzt, welcher Regelungen zur sog. Mindestbemessungsgrundlage enthält. Nach § 10 Abs. 5 UStG sollen Gestaltungen unterbunden werden, auf Basis derer die Besteuerung von unentgeltlichen Wertabgaben durch die Fixierung eines unangemessen niedrigen Entgelts faktisch unterlaufen wird. Als Rechtsfolge sind bei Warenlieferungen i.d.R. mindestens die marktüblichen Einkaufspreise oder die Selbstkosten anzusetzen (s. auch § 10 Abs. 4 UStG). Bei sonstigen Leistungen müssen zumindest die entstandenen Kosten als Bemessungsgrundlage herangezogen werden, es sei denn, das vereinbarte niedrigere Entgelt ist marktüblich.2
11.49
Geltung der Mindestbemessungsgrundlage. Allerdings gilt die Regelung zur Mindestbemessungsgrundlage nur dann, wenn Umsätze der in § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG genannten Vereinigungen an ihre Anteilseigner, Gesellschafter u.a. oder diesen „nahe stehenden Personen“, Umsätze von Einzelunternehmern an ihnen „nahe stehenden Personen“ oder Umsätze von Unternehmen an ihr Personal oder dessen Angehörige auf Grundlage eines Dienstverhältnisses vorliegen. Der Begriff „nahe stehende Person“ soll sich nach Überzeugung der Finanzverwaltung hierbei auf Angehörige i.S.d. § 15 AO sowie andere Personen und Gesellschaften richten, zu denen ein Anteilseigner, Gesellschafter etc. eine enge rechtliche, wirtschaftliche oder persönliche Beziehung hat.3 Unklar ist, inwieweit der Begriff des Nahestehens nach § 1 Abs. 2 AStG herangezogen werden kann. Da es sich um einen spezifischen Begriff des AStG handelt, ist dieser auf die Regelungswirkungen des AStG beschränkt und kann nach der hier vertretenen Ansicht im Umsatzsteuerrecht keine Bedeutung haben. Gleichwohl soll nach Auffassung der Rechtsprechung ein „Näheverhältnis“ nach § 10 Abs. 5 UStG auch dann vorliegen können, wenn aneinander beteiligte
1 Siehe BFH v. 6.5.2010 – V R 15/09, BStBl. II 2011, 142 = UR 2010, 741. 2 Vgl. Abschn. 10.7 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Abschn. 10.6 Abs. 1 Satz 1–3 UStAE. Siehe auch EuGH v. 29.5.1997 – Rs. C-63/96, BStBl. II 1997, 841 = UR 1997, 301. 3 Abschn. 10.7 Abs. 1 S. 2 UStAE.
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B. Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen m. verb. Unternehmen
Gesellschaften vorhanden sind; diese sollen im Ergebnis auch als „nahe stehend“ gem. § 1 Abs. 2 AStG zu qualifizieren sein.1 Kritik. Ob diese Sichtweise vor dem Hintergrund der ratio legis zutreffend und verallgemeinerungsfähig ist, erscheint fraglich. Denn Hintergrund der Mindestbemessungsgrundlage ist in materieller Hinsicht eine Ergänzung zu §§ 3 Abs. 1b Nr. 2, 3, Abs. 9a Nr. 1 und 2 UStG (entgeltfreie Lieferungen oder sonstigen Leistungen an Arbeitnehmer oder deren Angehörige) bzw. §§ 3 Abs. 1b Nr. 1, 3, Abs. 9a Nr. 1 und 2 UStG (Fallkonstellation der unentgeltlichen Wertabgabe für Zwecke außerhalb des Unternehmens an nahe stehende Personen, Gesellschafter, Teilhaber etc.). Prinzipiell handelt es sich bei der Mindestbemessungsgrundlage um eine Ergänzung der Tatbestände einer unentgeltlichen Lieferung oder Leistungsabgabe für außerunternehmerische Ziele bzw. private Zwecke der Arbeitnehmer oder deren Angehöriger. Ziel des Gesetzes ist es – auch im Lichte einer richtlinienkonformen Auslegung – eine missbräuchliche Preisbestimmung bei Lieferungen oder sonstigen Leistungen in den außerunternehmerischen Bereich zu verhindern.2 Ferner bedürfte es im Liefer- und Leistungsverkehr zwischen Nahestehenden eines Verrechnungspreises, der nicht einmal das Selbstkostenniveau erreicht, um den Ansatz der Mindestbemessungsgrundlage überhaupt in Betracht kommen zu lassen. Aber auch dann, wenn ein Entgelt niedriger als die Selbstkosten bemessen wurde, gleichwohl noch als marktüblich gilt, kann für die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage auf Basis der EuGH-Rechtsprechung kein Raum gegeben sein.3 Zudem ist es Sinn der Regelung, die Mindestbemessungsgrundlage nur dann „greifen“ zu lassen, wenn das Entgelt niedriger als die Bemessungsgrundlage für eine unentgeltliche Wertabgabe ist und dies auf außerunternehmerische Gründe zurückzuführen ist.4 Im Rahmen von grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen Konzernunternehmen ist dies i.d.R. nicht der Fall; insoweit wird praktisch kein Sachverhalt in Frage kommen, in dem eine unentgeltliche Wertabgabe vorliegen wird. Für die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage ist daher auch bei fremdunüblichen Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Parteien kein Anwendungsraum gegeben.
1 BFH v. 18.12.1996 – XI R 12/96, BStBl. II 1997, 374 = UR 1998, 18; vgl. auch Wagner in Sölch/Ringleb, § 10 UStG Rz. 445. 2 Siehe BFH v. 7.10.2010 – V R 4/10, UR 2011, 626 = BFH/NV 2011, 930. 3 Vgl. EuGH v. 29.5.1997 – Rs. C-63/96, BStBl. II 1997, 841 = UR 1997, 301; BFH v. 8.10.1997 – XI R 8/86, BStBl. II 1997, 840 = UR 1998, 147. 4 BFH v. 7.10.2010 – V R 4/10, UR 2011, 626 = BFH/NV 2011, 930; Korn in Bunjes11, § 10 UStG Rz. 96.
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11.50
Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht
VIII. Markterschließungs- und Marktverteidigungskostenzuschüsse 11.51
Zuschüsse an Vertriebsgesellschaften. In der Verrechnungspreispraxis ist es insbesondere im Vertriebsbereich üblich, wirtschaftlich „strauchelnden“ Vertriebsgesellschaften in Phasen der Markterschließung und Marktverteidigung durch die Gewährung von Zuschüssen wirtschaftliche Unterstützung zu gewähren. Hintergrund dieser Zuschusszuwendung ist das „Offenhalten“ eines Vertriebskanals, der letztlich auch dem Zuschussgewährenden (Hersteller oder Lieferant der zu vertreibenden Güter und Waren) wirtschaftlich zugutekommt.1 Bei der Gewährung von Zuschüssen ist wie folgt zu differenzieren: – Echter nicht steuerbarer Zuschuss liegt vor, wenn der Zuschussgewährer den Zuschuss nicht im Zusammenhang mit einer Leistung des Unternehmers (Zuschussempfänger) an den Zuschussgewährer oder an einen Dritten bewilligt. Hierbei fehlt es bereits an einer Leistung des Zuschussempfängers oder an einer Verknüpfung zwischen Zuschuss und Leistung. Ein echter Zuschuss ist i.d.R. dann gegeben, wenn der Zuschuss im Interesse des Unternehmers gewährt wird, ohne eine Leistung an den Zuschussgewährer oder einen Dritten abzugelten.2 – Sog. unechter Zuschuss als Gegenleistung oder Teil einer Gegenleistung ist gegeben, wenn der Zuschussgewährer eine Leistung des Unternehmers an ihn oder einen Dritten abgelten will. Der unechte Zuschuss gehört somit zur Gegenleistung und erhöht die Bemessungsgrundlage für den Umsatz. Voraussetzung hierfür ist allerdings stets, dass (i) ein Leistungsaustauschverhältnis zwischen den Parteien besteht, (ii) ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und dem Zuschuss besteht, und (iii) der Zuschussgewährer einen Gegenstand oder einen sonstigen Vorteil erhält, auf Grund dessen er als Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung angesehen werden kann.3 – Zuschüsse können auch in Gestalt von sog. Entgeltminderungen für (von dem Zuschussgewährer an den Zuschuss empfangenden Unternehmer) erbrachte Leistungen auftreten. In der Praxis ist dies häufig in Gestalt von Werbekostenzuschüssen anzutreffen. Nach Ansicht von Rechtsprechung und Finanzverwaltung sind Zuwendungen, die ein Lieferant seinem Abnehmer für die Durchführung von Werbemaßnahmen gewährt, regelmäßig als Preisnachlass (d.h. als Minderung der Bemessungsgrundlage) zu behandeln. Dies gilt, wenn und soweit keine Verpflichtung zur Werbung besteht, der Werber die Werbung im eigenen Interesse am Erfolg der Werbemaßnahme ausführt und die Gewährung
1 Siehe BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.1. und 3.4.2. 2 Siehe BFH v. 13.11.1997 – V R 11/97, BStBl. II 1998, 169 = UR 1998, 105. 3 Vgl. Abschn. 10.2 Abs. 2 UStAE.
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X:/OSV-2/WVP-001/WVP1_11.3d – Seite 1326/1362 | 2.5.2014 | 17:1 |
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C. Zollrecht und Verrechnungspreise
des Zuschusses nicht losgelöst von der Warenlieferung, sondern mit dieser eng verknüpft ist.1
C. Zollrecht und Verrechnungspreise I. Grundlagen der Zollerhebung Allgemeines. Grundlage des Zollrechts der „Europäischen Gemeinschaft“2 bildet – wie bereits eingangs erwähnt – der ZK sowie die ZKDVO. Der ZK und die Durchführungsvorschriften verkörpern innerhalb der EU das größte harmonisierte Regelwerk.3 Nationale Rechtsvorschriften ergänzen den ZK, in Deutschland bspw. das Zollverwaltungsgesetz (ZollVG). Durch das ZollVG werden die Aufgaben und Befugnisse der deutschen Zollverwaltung geregelt. In diesem Zusammenhang beschreibt § 1 ZollVG die zentralen Aufgaben der deutschen Zollverwaltung, nämlich die Erhebung von Zöllen, Abgaben gleicher Wirkung, Agrarabgaben sowie der nationalen Verbrauchsteuern (bspw. Energiesteuern, § 1 Abs. 1 Satz 2 ZollVG). Generell gilt, dass die Zollbehörden der EU-Mitgliedstaaten in erster Linie dafür zuständig sind, grenzüberschreitende Handelstätigkeiten zu überwachen und dadurch die Handelspolitik sowie Handelsregularien der EU ggü. Drittstaaten zu schützen und ihnen ausreichende Geltung zu verschaffen. Hierbei haben die Zollbehörden im Einzelnen folgende Aufgaben wahrzunehmen: – Erzielung von Staatseinnahmen durch die Erhebung von Zöllen und Verbrauchsteuern; – Lenkung wirtschaftlicher Tätigkeiten durch die Erhebung von sog. Schutzzöllen, um bestimmte Teile der Wirtschaft vor den Folgen des Freihandels zu schützen; – Schutz vor illegalem Handel, um damit rechtliche und wirtschaftliche Interessen von in der EU ansässigen Unternehmen zu schützen; – Schutz der Umwelt sowie Gewährleistung von Sozialstandards.
11.52
Grundsatz der zollrechtlichen Wahlfreiheit. Zentraler Regelungspunkt des ZK ist zunächst der Grundsatz der sog. Wahlfreiheit. Hierdurch ist nach Art. 58 ZK gemeint, dass – sofern nichts Gegenteiliges bestimmt ist
11.53
1 BFH v. 5.8.1965 – V 144/62 U, BStBl. III 1965, 630; Abschn. 10.3 Abs. 2 Satz 4 UStAE. 2 Das Begriffsverständnis beruht noch auf der „alten“ Bezeichnung „Europäische Gemeinschaft“ nach dem Vertrag von Maastricht v. 7.2.1997. 3 Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. Nr. L 302, 1, ber. ABl. 1993 Nr. L 79, 84 und ABl. 1996 Nr. L 97, 38), zuletzt geändert durch Art. 186 ÄndVO (EG) 450/2008 v. 23.2.2008 (ABl. Nr. L 145, 1). Zum sog. modernisierten Zollkodex v. 4.6.2008 (EG-Verordnung 450/2008 – MCC) s. auch Witte/Henke/Kammerzell, Der modernisierte Zollkodex, 1 ff.
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X:/OSV-2/WVP-001/WVP1_11.3d – Seite 1327/1362 | 2.5.2014 | 17:1 |
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Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht
– Waren ungeachtet ihrer Beschaffenheit, ihrer Menge, ihres Ursprungs, ihrer Herkunft oder ihres Bestimmungsorts jederzeit unter den im ZK festgelegten Voraussetzungen eine beliebige zollrechtliche Bestimmung erhalten können.1 Damit wird dem GATT-Prinzip eines möglichst liberalen und frei ausgestalteten w