128 62 12MB
German Pages 1722 Year 2022
Wassermeyer/Baumhoff/Ditz
Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen
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Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen herausgegeben von
Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer Vorsitzender Richter am BFH a.D. Rechtsanwalt und Steuerberater, Bonn Honorarprofessor an der Universität Bonn
Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Dipl.-Kfm., Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Bonn Honorarprofessor an der Universität Siegen
Prof. Dr. Xaver Ditz Dipl.-Kfm., Steuerberater, Bonn Honorarprofessor an der Universität Trier
2. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage
2022
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Bearbeiter Dr. Sven-Eric Bärsch Dipl.-Kfm., Steuerberater, Frankfurt am Main Lehrbeauftragter an der Universität Mannheim Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Dipl.-Kfm., Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Bonn Honorarprofessor an der Universität Siegen Dr. Martin Cordes Dipl.-Kfm., Dipl.-Finanzw. und Steuerberater, Bonn Lehrbeauftragter an der Universität Siegen Prof. Dr. Xaver Ditz Dipl.-Kfm., Steuerberater, Bonn Honorarprofessor an der Universität Trier
Dr. Christian Hick Dipl.-Kfm., Steuerberater, Bonn Dr. Susann Karnath Dipl.-Vw. (Int.), Steuerberaterin, München Dr. Sven Kluge Dipl.-Kfm., Steuerberater, Bonn Dr. Andreas Leonhardt Dipl.-Kfm., Steuerberater, Bonn Dr. Daniel Licht Master of Science, Steuerberater, Bonn Dr. Daniel Liebchen Dipl.-Kfm., Steuerberater, Hamburg
Dr. Christian Engelen Master of Science, Steuerberater, Bonn
Dr. Michael Puls Rechtsanwalt und Steuerberater, Düsseldorf Lehrbeauftragter an der Universität Augsburg
Dr. Markus Greinert Dipl.-Kfm., Steuerberater, München
Dr. Carsten Quilitzsch, LL.M. Dipl.-Kfm., Steuerberater, Bonn
Dr. Lars H. Haverkamp, LL.M. (Christchurch) Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf
Dr. Rainald Vobbe Dipl.-Finanzw., Steuerberater, Fachberater für Zölle und Verbrauchsteuern, Bonn
Prof. Dr. Michael Hendricks Rechtsanwalt und Steuerberater, Bonn Honorarprofessor an der Universität Passau
Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer Vorsitzender Richter am BFH a.D., Rechtsanwalt und Steuerberater, Bonn Honorarprofessor an der Universität Bonn
Zitiervorschlag: Verfasser(in) in Wassermeyer/Baumhoff/Ditz, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2. Aufl. 2022, Rz. 1.1 ff.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-26047-7 © 2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: PMGi – Agentur für intelligente Medien GmbH, Hamm Druck und Verarbeitung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany
Vorwort zur 2. Auflage Fast zehn Jahre sind seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Handbuchs vergangen. Eine durchaus lange Zeit, in der sich politisch, wirtschaftlich und steuerrechtlich sehr viel verändert hat. Zwar hat sich der Trend der Globalisierung und Internationalisierung weiterentwickelt; ihm stehen aber eine zunehmend national ausgerichtete Politik – insbesondere der USA und China – gegenüber. Darüber hinaus haben die Corona-Krise und die damit verbundenen Restriktionen den internationalen Handel stark beeinträchtigt – und zwar im „freien“ Handel am Markt, aber auch hinsichtlich des Liefer- und Leistungsverkehrs zwischen international verbundenen Unternehmen. Schließlich muss man auch die durch das BEPS-Projekt der G20-Staaten und der OECD resultierenden Änderungen im internationalen Steuerrecht sehen. Stand früher eine steueroptimierte Gestaltungspolitik der Konzerne im Vordergrund, ist diese in den Hintergrund gerückt und wurde durch die Forderung nach Compliance und Rechtssicherheit ersetzt. In Anbetracht dieser Entwicklungen hat das Thema „Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen“ im internationalen Steuerrecht in den letzten zehn Jahren nochmals ganz deutlich an Bedeutung gewonnen. Dies zeigt sich bereits daran, dass die Thematik „internationale Verrechnungspreise“ das Thema „Nummer 1“ in Betriebsprüfungen international agierender Konzerne ist. Dies liegt auch daran, dass die Verrechnungspreisdokumentationspflichten aufgrund des BEPS-Projekts der G20-Staaten und der OECD ausgeweitet wurden, indem z.B. ein Country-by-Country Report ab einer bestimmten Größenklasse eines Konzerns verpflichtend wurde. Darüber hinaus wurden die gesetzlichen Grundlagen zur Prüfung und Korrektur von Verrechnungspreisen für konzerninterne Liefer- und Leistungsbeziehungen in vielen Staaten verschärft und an internationale Entwicklungen auf Ebene der OECD angepasst. Die Änderungen bezogen sich z.B. auf die Folgen des OECD-Papiers zu Finanzierungsbeziehungen sowie auf die Einführung des DEMPE-Konzepts zur Bestimmung und Prüfung konzerninterner Lizenzbeziehungen für die Nutzungsüberlassung immaterieller Vermögenswerte. Auch der deutsche Gesetzgeber hat umfassend auf die vorstehend dargestellten Entwicklungen reagiert. So wurden in 2016 die Dokumentationspflichten in § 90 Abs. 3 AO und dann auch die Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung reformiert und die dreigliedrigen Verrechnungspreisdokumentationspflichten, wie sie von der OECD entwickelt wurden (stamm- und landesspezifische Dokumentation sowie Country-by-Country Report), in deutsches Recht eingeführt. Darüber hinaus wurde § 1 AStG, die zentrale Korrekturnorm für Verrechnungspreise im deutschen Steuerrecht, durch das ATAD-UmsG v. 25.6.2021 und das AbzStEntModG v. 2.6.2021 grundlegend reformiert und neu gefasst. Und schließlich: Auch auf Ebene der deutschen Finanzverwaltung hat sich in den letzten zehn Jahren sehr viel getan. Die wesentliche Änderung ereignete sich am 14.7.2021, indem die alten VWG 1983 durch die VWG Verrechnungspreise 2021 ersetzt und die Verwaltungsauffassung zur Bestimmung und Prüfung internationaler Verrechnungspreise systematisiert und konsolidiert wurde. Man kann insofern durchaus von einem „historischen Ereignis“ sprechen. Neu ist in diesem Zusammenhang die internationale Ausrichtung der Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes durch die deutsche Finanzverwaltung, indem auf die OECD-Verrechnungspreisleitlinien grundsätzlich verwiesen und diese als Anlage zu den VWG Verrechnungspreise beigefügt wurden. Damit haben die OECD-Verlautbarungen zu Verrechnungspreisen noch mehr Bedeutung für die Verrechnungspreis- und Betriebsprüfungspraxis erhalten. VII
Vorwort Die vorstehend dargestellten Entwicklungen werden in der zweiten Auflage dieses Werkes dargestellt und detailliert gewürdigt. Dies gilt insbesondere für die Folgen der Reform des § 1 AStG in 2021 sowie die neuen Grundsätze der Finanzverwaltung, wie sie in den VWG 2020 und den VWG Verrechnungspreise 2021 niedergelegt sind. Gegenüber der Erstauflage haben zahlreiche jüngere Kolleginnen und Kollegen, die bereits heute zu führenden Verrechnungspreisexperten gehören, das Autorenteam ergänzt. Dazu gehören Steuerberater Dr. Sven-Eric Bärsch, Steuerberater Dr. Christian Engelen, Rechtsanwalt Dr. Lars Haverkamp, LL.M., Steuerberaterin Dr. Susann Karnath, Steuerberater Dr. Sven Kluge, Steuerberater Dr. Daniel Licht, Steuerberater Dr. Carsten Quilitzsch sowie Steuerberater Rainald Vobbe. Ihnen sowie dem bisherigen Autorenteam gebührt unser besonderer Dank, haben sie doch maßgeblich dazu beigetragen, dass das Werk in wesentlichen Teilen überarbeitet und um neue Themengebiete ergänzt werden konnte. Dies gilt z.B. für die neuen Kapitel zu den Verrechnungspreisen bei Versicherungen von Dr. Susann Karnath, zum europäischen Beihilferecht von Dr. Daniel Licht sowie zu Joint Audits von Dr. Lars Haverkamp, LL.M. Schließlich gilt unser Dank auch den Lektoren des Dr. Otto Schmidt Verlags Ass. jur. Michael Kunze, LL.M., und Mag. Jur. Jasmin Steffens. Beide haben die zweite Auflage verlagsseitig immer sehr professionell und – soweit notwendig – mit dem gewissen „Fingerspitzengefühl“ betreut. Wir wünschen uns, dass das Werk für Sie, liebe Leserinnen und Leser, in der täglichen Arbeit von Nutzen sein wird. Bereits heute können wir versprechen, dass die nächste Auflage von „Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen“ nicht wieder zehn Jahre auf sich warten lässt. Bonn, im Juli 2022 Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Prof. Dr. Xaver Ditz
VIII
Vorwort zur 1. Auflage Fragen zur Festlegung und Prüfung angemessener Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen nehmen in der internationalen Besteuerungspraxis stetig zu und haben sich zum wichtigsten Bestandteil des Internationalen Steuerrechts entwickelt. Während die Thematik früher nur im Fokus einiger wichtiger westlicher Industrieländer stand (u.a. USA, Kanada, Deutschland, Japan), verfügen heute immer mehr Länder über detaillierte Verrechnungspreisvorschriften, die eine umfassende Dokumentation konzerninterner Transaktionen vorschreiben, um den nationalen Steuerbehörden eine effiziente Prüfung dieser Materie zu ermöglichen. Die Bedeutung dieser Thematik spiegelt sich zudem in der derzeit intensiv ausgetragenen Diskussion zu BEPS-Strukturen („Base Erosion and Profit Shifting“) wider, die mittlerweile weltpolitische Bedeutung erlangt hat. So hat die OECD im Auftrag der G20 im Juli 2013 einen Aktionsplan gegen BEPS-Strukturen vorgelegt, der von den G20-Staats- und Regierungschefs anschließend verabschiedet wurde. Insbesondere die Verrechnungspreise spielen bei diesen unerwünschten Steuergestaltungen eine zentrale Rolle. Heute findet so gut wie keine steuerliche Betriebsprüfung in Deutschland bei Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen zu verbundenen Unternehmen im Ausland mehr statt, bei der die Verrechnungspreise nicht auf dem steuerlichen Prüfstand bzw. zumindest Diskussionsgegenstand sind. Insbesondere bei verrechnungspreisbedingten Gewinnkorrekturen drohen hohe Steuernachforderungen für die Unternehmen. Für die Beratungspraxis entsteht ein neuer Beratungsbereich „Audit Defense“, bei dem vor allem die Verrechnungspreise im Fokus stehen. Seit kurzem wird in Deutschland durch die Neufassung des § 1 Abs. 5 AStG die Verrechnungspreisdiskussion auch auf die grenzüberschreitende Gewinnabgrenzung von Personengesellschaften und Betriebsstätten ausgedehnt, was durch die AOA-Diskussion auf OECD-Ebene ausgelöst wurde. Ausführungen zu diesem Themenbereich sind nicht Bestandteil des vorliegenden Werks und bleiben der 2. Auflage des Betriebsstätten-Handbuchs von Wassermeyer/Andresen/Ditz vorbehalten, da bei Redaktionsschluss lediglich ein erster Entwurf des entsprechenden BMF-Schreibens vorlag. Das vorliegende Werk folgt dem im Jahre 2001 erschienenen Buch Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, nach, welches gleichzeitig die komplette Kommentierung des § 1 AStG Flick/Wassermeyer/Baumhoff darstellte. Inzwischen ist es aufgrund der Entwicklungen auf internationaler Ebene (insbesondere der OECD), auf Ebene der Gesetzgebung wie auch der Rechtsprechung an der Zeit, eine Neubearbeitung vorzulegen. Hierfür war eine völlige Neukonzeption des ursprünglichen Werkes erforderlich. Die gesamte Verrechnungspreisthematik ist nunmehr in 13 Kapiteln abgebildet, wobei es sich bei jedem Kapitel um eine geschlossene Abhandlung eines Autors bzw. Autorenteams handelt. Das führt dazu, dass thematische Überschneidungen mit anderen Kapiteln nicht ausgeschlossen werden können. Im Interesse einer jeweils in sich abgeschlossenen Abhandlung eines Kapitels wird dies in Kauf genommen. Diesem Umstand wird durch viele Querverweise Rechnung getragen. Während das 2001 erschienene Buch von Wassermeyer/Baumhoff noch durch die Zusammenarbeit von zwei Autoren, nämlich einem Juristen und einem Betriebswirt entstanden ist, hat sich für das vorliegende Werk ein ganzes Autorenteam zusammengefunden. Bei diesem IX
Vorwort Autorenteam handelt es sich allesamt um erfahrene Praktiker bzw. Hochschullehrer sowohl aus dem juristischen als auch aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Bereich, die mit der Thematik bestens vertraut sind. Dies ist insofern angezeigt, als sich die Materie der internationalen Verrechnungspreise seit jeher an der Schnittstelle zwischen Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft befindet und die praktische Ausfüllung des Fremdvergleichsgrundsatzes eher ein betriebswirtschaftliches als ein juristisches Problem darstellt. Dies ist auch ein Grund dafür, dass sich die Internationale betriebswirtschaftliche Steuerlehre so stark für dieses Thema interessiert. Der Dank der Herausgeber gilt allen Autoren, die sich neben ihrer vielfältigen praktischen Arbeit der Mühsal unterzogen haben, die einzelnen Kapitel kompetent und erschöpfend zu bearbeiten. Bei den Autoren handelt es sich allesamt um derzeitige oder ehemalige Mitglieder der Partnerschaft Flick Gocke Schaumburg. Dank gilt auch Herrn Steuerberater Dr. Andreas Pasedag für die Durchführung der Endredaktion, Herrn Diplom-Wirtschaftsjurist und Steuerberater Alexander Geißler sowie den Vertretern des Otto Schmidt Verlages, namentlich Herrn Thomas Fischer, Herrn Wolfram Starke und Herrn Michael Kunze, für ihre besondere Geduld mit den Autoren, wenn die eine oder andere Terminzusage aufgrund der vielen sonstigen Verpflichtungen der Autoren zeitlich nicht immer ganz eingehalten werden konnte. Das Buch befindet sich auf dem Rechtsstand vom 1.1.2014. Bonn, im Mai 2014 Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer Prof. Dr. Hubertus Baumhoff
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Inhaltsübersicht Ausführliche Inhaltsverzeichnisse finden Sie zu Beginn der einzelnen Kapitel.
Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Seite VII
Vorwort zur 1. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gesamtliteraturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
Kapitel 1 Einführung A. Überblick (Baumhoff/Ditz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund (Baumhoff/Ditz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
C. International-steuerrechtlicher Hintergrund (Wassermeyer/Ditz) . . . . . . . . . . . . .
11
D. Neuordnung internationaler Besteuerungsrechte im Rahmen der Säule 1 (Ditz) . .
20
Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung (Ditz/Wassermeyer) A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
B. Einkünfteabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
C. Verdeckte Gewinnausschüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
D. Verdeckte Einlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
E. § 1 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
F. Konkurrenzverhältnis der Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
G. Rechtsgrundlagen im Abkommens- und EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
165
Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung (Baumhoff/Liebchen) A. Merkmale des Fremdvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
182
B. Unabhängigkeit der Geschäftspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183 XI
Inhaltsübersicht
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Seite 186
D. Arten des Fremdvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
259
E. Tatsächlicher Fremdvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
259
F. Hypothetischer Fremdvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
262
G. Vorteilsausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
276
Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse als Ausgangspunkt der Verrechnungspreisbestimmung (Puls) A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
286
B. Funktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287
C. Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
304
D. Einfluss des Funktions- und Risikoprofils auf die Unternehmenscharakterisierung
316
E. Wertschöpfungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
320
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises A. Überblick (Baumhoff/Liebchen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
331
B. Standardmethoden (Baumhoff/Liebchen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
333
C. Gewinnorientierte Methoden (Greinert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
362
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden (Baumhoff/Liebchen) . . . . . . . . . . . . .
395
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich (Baumhoff/Liebchen) . . . . . . . . . . . . . . . .
417
Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für einzelne Bereiche des Liefer- und Leistungsaustausches A. Lieferung von Gütern und Waren (Ditz/Kluge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
477
B. Dienstleistungen (Baumhoff/Kluge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
526
C. Arbeitnehmerentsendungen (Hick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
587
XII
Inhaltsübersicht
D. Konzern- und Kostenumlagen (Baumhoff/Kluge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Seite 630
E. Finanztransaktionen (Ditz/Engelen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
674
F. Immaterielle Werte (Greinert/Leonhardt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
736
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business (Ditz/Kluge) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
835
H. Verrechnungspreise bei Versicherungen (Karnath) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
875
Kapitel 7 Funktionsverlagerungen (Ditz/Greinert) A. Gründe für Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
922
B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
924
C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
936
D. Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
963
E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3b AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
971
F. Preisanpassungsregelungen des § 1a AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1011
G. Funktionsverlagerung ins Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1018
H. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1020
I. Funktionsverlagerung und Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1039
Kapitel 8 Dokumentations- und Mitteilungspflichten (Cordes/Bärsch) A. Allgemeine nationale Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten . . . . . . . . . . . . .
1051
B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu internationalen Verrechnungspreisen
1056
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1076
D. Dokumentation bei nicht kooperativen Steuerhoheitsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . .
1137
E. Stammdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1145
F. Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO . . .
1162
G. Mitteilungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1184
H. Internationaler Harmonisierungsbedarf der nationalen Vorschriften für die Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1252 XIII
Inhaltsübersicht
Kapitel 9 Behördliche Sachaufklärung und Schätzung A. Amtsermittlungsgrundsatz und Mitwirkungspflichten (Wassermeyer/Quilitzsch) .
Seite 1266
B. Erweiterte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten (Wassermeyer/ Quilitzsch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1267
C. Beweismaß, Beweislast und Schätzung (Wassermeyer/Quilitzsch) . . . . . . . . . . . . .
1272
D. Einzelne Beweismittel (Hendricks/Quilitzsch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1276
E. Joint Audit (Haverkamp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1287
Kapitel 10 Instrumente zur Beseitigung und Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten (Hendricks) A. Reaktive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten . . . . . . . .
1314
B. Präventive Instrumente zur Beseitigung von Verrechnungspreiskonflikten . . . . . .
1372
Kapitel 11 Verrechnungspreise im Umsatzsteuer- und Zollrecht (Puls/Vobbe) A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1410
B. Praxisrelevante Fragen der Umsatzsteuer bei grenzüberschreitenden Transaktionen mit verbundenen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1414
C. Zollrecht und Verrechnungspreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1436
Kapitel 12 Verrechnungspreise und Steuerstrafrecht (Puls) A. Aufgaben und Befugnisse der Steuerfahndung im Bereich grenzüberschreitender Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1472
B. Steuerstrafrechtliche Relevanz von Verrechnungspreissachverhalten . . . . . . . . . . .
1480
C. Praxisrelevante Einzelsachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1485
D. Proaktive Möglichkeiten der Verhinderung einer Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . .
1495
XIV
Inhaltsübersicht
Kapitel 13 Verrechnungspreise und Unionsrecht (Quilitzsch) A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Seite 1506
B. Verrechnungspreiskorrektur nach § 1 AStG und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . .
1512
C. Verrechnungspreisdokumentation und Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1523
Kapitel 14 Verrechnungspreise und EU-Beihilferecht (Ditz/Licht) A. Grundlagen des EU-Beihilferechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1530
B. Vorgaben des EU-Beihilferechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1540
C. Verrechnungspreise und EU-Beihilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1550
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1589
XV
XVI
Gesamtliteraturverzeichnis Albach, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 3. Aufl., Wiesbaden 2001; Bär, Verständigungen über Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, Berlin 2009; Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen, 2. Aufl., Herne/Berlin 1996; Bärsch, Taxation of Hybrid Financial Instruments and the Remuneration Derived Therefrom in an International and Cross-border Context: Issues and Options for Reform, Berlin 2021; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln u.a. 1986; Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011; Baumhoff/Schönfeld, Doppelbesteuerungsabkommen – Nationale und internationale Entwicklungen, Köln 2012; Bellstedt, Außensteuergesetz und Verwaltungsgrundsätze zu Verrechnungspreisen, 4. Aufl., Köln 1994; Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, München; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland – Ertragsteuerliche Folgen, Strategien und Modelle, Düsseldorf 2004; Bordewin/Brandt, Kommentar zum EStG, Loseblatt, Heidelberg; Bott/Walter, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Bonn; Brezing/Krabbe/Lempenau/Mössner/Runge, Außensteuerrecht, Kommentar, Herne/Berlin 1991 (zit.: B/K/L/M/R); Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Berlin 2004; Djanani/Brähler, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Wiesbaden 2008; Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, Kommentar, Loseblatt, Stuttgart (zit.: D/P/M); Eggers, Umlagen und Verrechnungspreise für konzerninterne Dienstleistungen in der Umsatzsteuer, Köln 2005; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, Herne/Berlin 2003; Engelen, Aufsätze zum Einfluss der Corporate Governance auf Unternehmenspolitik und Rechnungslegung, Köln 2014; Erle/Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., Heidelberg 2010; Fischer, Internationaler Unternehmenskauf und -zusammenschluß im Steuerrecht, Köln 1992; Fischer, Besteuerung internationaler Konzerne, Köln 1993; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 5. Aufl., Berlin 2005; Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Köln (zit.: F/W/B/S); XVII
Literaturverzeichnis Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland – Schweiz, Kommentar, Loseblatt, Köln (zit.: F/W/K); Frotscher, Internationales Steuerrecht, 5. Aufl., München 2020; Frotscher/Geurts, Einkommensteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Freiburg; Frotscher/Drüen, Körperschaft-, Gewerbe- und Umwandlungssteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Freiburg; Fuhrmann, Außensteuerrecht, 3. Aufl., Herne 2016; Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., München 2021; Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Loseblatt, Bonn; Gosch, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 4. Aufl., München 2020; Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA, Kommentar, Loseblatt, Herne (zit.: G/K/G/K); Greinert, Die bilanzielle Behandlung von Marken, Lohmar/Köln 2002; Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne 2011; Haarmann, Grenzen der Gestaltung im Internationalen Steuerrecht, Köln 1994; Haarmann, Unternehmensstrukturen und Rechtsformen im Internationalen Steuerrecht, Köln 1996; Haase, Außensteuergesetz Doppelbesteuerungsabkommen, 3. Aufl., Heidelberg 2016; Haun/Kahle/Goebel/Reiser, AStG-Kommentar, Loseblatt, Stuttgart (zit.: H/K/G/R); Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, Köln 2004; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Köln (zit.: H/H/R); Herzig, Advance Pricing Agreements (APAs). Ein neues Instrument zur Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten?, Köln 1996; Hick, Die steuerliche Behandlung von Arbeitnehmerentsendungen ins Ausland, Köln 2004; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Loseblatt, Köln (zit.: H/H/Sp); Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 9. Aufl., München 2022; Kaminski, Steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten und deren Beurteilung bei der Verlagerung eines inländischen unternehmerischen Engagements, Baden-Baden 1996; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied 2001; Karnath, Risikoallokation im internationalen Konzern – Die Zuordnung und Vergütung von Risiken im Rahmen der Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise (veröffentlicht unter Susann Metzner), Hamburg 2016; Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, Göttingen 2008; Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 3. Aufl., München 2018; Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., Köln 2022; Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Heidelberg (zit.: K/S/M); Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 16. Aufl., München 2022; Kluge S., Verrechnungspreise in Ertragsteuern und Controlling, Berlin 2013; XVIII
Literaturverzeichnis Kluge V., Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl., München 2000; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., Köln 1993; Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz- und Know-how-Verträge, 2. Aufl., Köln 1972; Koenig, Abgabenordnung, 4. Aufl., München 2021; Korff, Verrechnungspreise für konzerninterne Dienstleistungen aus Sicht Deutschlands und der USA, Lohmar-Köln 2008; Korn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Bonn; Kraft, Außensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., München 2022; Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Loseblatt, Köln; Kuckhoff, Anforderungen an ein Dokumentationssystem für internationale Verrechnungspreise, Hamburg 1997; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, München 1997; Kuebart, Verrechnungspreise im internationalen Lizenzgeschäft, Bielefeld 1995; Kumpf, Steuerliche Verrechnungspreise in internationalen Konzernen, Frankfurt a.M. 1976; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Lademann, Einkommensteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Stuttgart; Lahodny-Karner/Schuch/Toifl/Urtz/Vetter, Die neuen Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, Wien 1996; Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, Loseblatt, Köln; Licht, EU-Beihilferecht und Unternehmensbesteuerung, Berlin 2020; Liebchen, Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften, Berlin 2008; Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, Loseblatt, Köln; Lipps, Außensteuerrecht, 3. Aufl., Baden-Baden 1997; Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt, Stuttgart (zit.: L/B/P); Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 3. Aufl., München 2017; Lüdicke/Sistermann, Unternehmenssteuerrecht, 2. Aufl., München 2018; Möller, Verrechnungspreis und Zollwert, Witten 2004; Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl., Köln 2018; Nientimp, Steuerliche Gewinnabgrenzung im internationalen Konzern, Lohmar 2002; Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, Herne/Berlin 2003; Piltz/Schaumburg, Unternehmensfinanzierung im internationalen Steuerrecht, Köln 1995; Quilitzsch, Die Hinzurechnungsbesteuerung – Eine rechtsökonomische Analyse der Regelungen in Deutschland und Japan, Baden-Baden 2012; Reith, Internationales Steuerrecht, München 2004; Runge/Ebling/Baranowski, Die Anwendung des Außensteuergesetzes, Heidelberg 1974; Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Köln 1994; Schaumburg, Steuerrecht und steuerorientierte Gestaltungen im Konzern, Köln 1998; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2020; XIX
Literaturverzeichnis Schaumburg/Piltz, Veräußerungsgewinne im Internationalen Steuerrecht, Köln 2004; Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, Köln 2010; Scheffler, Internationale betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 3. Aufl., München 2011; Schmidt, Einkommensteuergesetz,41. Aufl., München 2022; Schneider, Steuerliches Verrechnungspreis-Risikomanagement im internationalen Konzern, Dissertation, Universität Siegen 2015; Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005; Schönfeld/Ditz, DBA-Kommentar, 2. Aufl., Köln 2019; Schwarz/Pahlke, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Loseblatt, Freiburg; Strunk/Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, Loseblatt, Bonn (zit.: S/K/K); Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Loseblatt, Köln (zit.: T/K); Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Köln 2021; Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, 7. Aufl., München 2021 (zit.: V/L); Vögele/Borstell/Bernhardt, Handbuch der Verrechnungspreise, 5. Aufl., München 2020 (zit.: V/B/B); Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Kommentar, Loseblatt, München; Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl., Köln 2018 (zit.: W/A/D); Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2015 (zit.: W/R/S); Wilke/Weber, Lehrbuch Internationales Steuerrecht, 15. Aufl., Herne 2020; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, Baden-Baden 2009.
XX
Abkürzungsverzeichnis a.A.
andere(r) Ansicht
a.a.O.
am angegebenen Ort
ABl. EG
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (bis Januar 2003)
ABl. EU
Amtsblatt der Europäischen Union (ab Februar 2003)
Abs.
Absatz
Abschn.
Abschnitt
a.E.
am Ende
AEAO
Anwendungserlass zur Abgabenordnung
AEUV
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
a.F.
alte Fassung
AfA
Absetzung für Abnutzung
AfaA
Absetzung für außergewöhnliche Abnutzung
AfS
Absetzung für Substanzverringerung
AG
Aktiengesellschaft; auch „Die Aktiengesellschaft“ (Zeitschrift)
AktG
Aktiengesetz
Alt.
Alternative
a.M.
anderer Meinung
amtl.
amtlich
Anh.
Anhang
Anm.
Anmerkung
AO
Abgabenordnung
AOA
Authorised OECD Approach
APA
Advanced Pricing Agreement
Art.
Artikel
AStG
Außensteuergesetz
ATAD
Anti Tax Avoidance Directive
ATE
Auslandstätigkeitserlass
Aufl.
Auflage
AuslInvG
Auslandsinvestmentgesetz
AWD
Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (Zeitschrift)
AWV
Außenwirtschaftsverordnung
Az.
Aktenzeichen
XXI
Abkürzungsverzeichnis BAB
Betriebsabrechnungsbogen
BaFin
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
BB
Betriebs-Berater (Zeitschrift)
Bd.
Band
BdF
Bundesminister der Finanzen
BDI
Bundesverband der Deutschen Industrie
Begr.
Begründung
BEPS
Base Erosion and Profit Shifting
Beschl.
Beschluss
betr.
betreffend
BewG
Bewertungsgesetz
BFH
Bundesfinanzhof
BFHE
Entscheidungssammlung des BFH
BFH/NV
BFH/NV (Zeitschrift)
BGBl.
Bundesgesetzblatt Teil I oder II
BGH
Bundesgerichtshof
BIFD
Bulletin for International Fiscal Documentation
B/K/L/M/R
Brezing/Krabbe/Lempenau/Mössner/Runge
BMF
Bundesministerium der Finanzen
B.O.D.G.I.
Bulletin Officiel de la Générale des Impôts
Bp
Betriebsprüfung
BPA
Business-Process-Analysis
BR
Bundesrat
BR-Drucks.
Drucksachen des Bundesrates
BsGaV
Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung
BStBl.
Bundessteuerblatt Teil I, II oder III
BT
Bundestag
BT-Drucks.
Drucksachen des Bundestages
Buchst.
Buchstabe
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
bzgl.
bezüglich
BZSt
Bundeszentralamt für Steuern
bzw.
beziehungsweise
CAPM
Capital Asset Pricing Model
CbCR
Country-by-Country Reprot(ing)
CCCTB
Common Consolidated Corporate Tax Base
CDFI
Cahiers de Droit Fiscal International
XXII
Abkürzungsverzeichnis CMAA
Convention on Mutual Administrative Assistance on Tax Matters
CPM
Comparable-Profit-Method
CoGS
Cost of Goods Sold
DB
Der Betrieb (Zeitschrift)
DBA
Doppelbesteuerungsabkommen
DEMPE
Development, Enhancement, Maintenance, Protection, Exploitation (Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung des immateriellen Werts)
ders.
derselbe
d.h.
das heißt
dies.
dieselbe(n)
DIHK
Deutscher Industrie- und Handelskammertag
DIHT
Deutscher Industrie- und Handelstag
DK
Der Konzern (Zeitschrift)
D/P/M
Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer
D/P/P/M
Dötsch/Patt/Pung/Möhlenbrock, Umwandlungsteuerrecht
DStJG
Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. (Tagungsbände)
DStR
Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)
DStRE
Deutsches Steuerrecht – Entscheidungsdienst (Zeitschrift)
DStZ
Deutsche Steuerzeitung (Zeitschrift)
€
Euro
-E
(Gesetzes-) Entwurf
EAS
Express-Antwort-Service des BMF (Österreich)
EBIT
Earnings before Interest and Taxes (operativer Gewinn)
EC Tax Review
European Communities Tax Review (Zeitschrift)
EFG
Entscheidungssammlung der Finanzgerichte (Zeitschrift)
EG
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Amsterdam
EGAO
Einführungsgesetz zur Abgabenordnung
EGBGB
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
EK
Eigenkapital
Erl.
Erlass
EStB
Ertragsteuerberater (Zeitschrift)
EStDV
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung
EStG
Einkommensteuergesetz XXIII
Abkürzungsverzeichnis EStR
Einkommensteuerrichtlinien
ET
European Taxation (Zeitschrift)
et al.
et alii
EU
Europäische Union
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EuGHE
Entscheidungssammlung des EuGH
EU JTPF
EU Joint Transfer Pricing Forum
EU TDP
Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)
EWR
Europäischer Wirtschaftsraum
EWS
Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift)
f.
folgende (eine Seite)
F&E
Forschung und Entwicklung
FA
Finanzamt
FATCA
Foreign Tax Account Compliance Act
ff.
fortfolgende (mehrere Seiten)
FG
Finanzgericht oder Festgabe
FGO
Finanzgerichtsordnung
Finbeh.
Finanzbehörde
FinMin
Finanzministerium
FinVerw.
Finanzverwaltung
FKAustG
Finanzkonten-Informationsaustauschgesetz
Fn.
Fußnote
FN-IDW
IDW Fachnachrichten
FR
Finanz-Rundschau (Zeitschrift)
FRL
Fusions-Richtlinie
FS
Festschrift
FuE
Forschung und Entwicklung
FVerlV
Funktionsverlagerungsverordnung
FVG
Finanzverwaltungsgesetz
F/W/B/S
Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht
F/W/K
Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland-Schweiz
GAAT
General Agreement of Tarifs and Trade
GAufzV
Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung
GbR
Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes
XXIV
Abkürzungsverzeichnis gem.
gemäß
GewStDV
Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung
GewStG
Gewerbesteuergesetz
GewStR
Gewerbesteuer-Richtlinien
ggf.
gegebenenfalls
G/K/G/K
Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA
GKKB
Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage
Gl. A.
gleicher Ansicht
GloBE
Global Anti-Base Erosion Proposal
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbHR
GmbH-Rundschau (Zeitschrift)
GmbH-StB
GmbH-Steuerberater (Zeitschrift)
GrCH
Charta der Grundrechte der EU
GrS
Großer Senat
GRUR Int.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, international (Zeitschrift)
GS
Gedächtnisschrift
GStB
Gestaltende Steuerberatung (Zeitschrift)
GuV
Gewinn- und Verlustrechnung
Halbs.
Halbsatz
HB
Handelsbilanz
HDASt
Handbuch des Außensteuerrechts
HFR
Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift)
HGB
Handelsgesetzbuch
H/H/R
Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz
H/H/Sp
Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung
h.M.
herrschende Meinung
Hrsg.
Herausgeber
HZB
Hinzurechnungsbetrag
IAS
International Accounting Standard
IBFD
International Bureau of Fiscal Documentation
ICAP
International Compliance Assurance Programme
ICC
International Chamber of Commerce
XXV
Abkürzungsverzeichnis i.d.F.
in der Fassung
i.d.R.
in der Regel
i.d.S.
in dem Sinne
IDW
Institut der Wirtschaftsprüfer
i.e.S.
im engeren Sinne
IF
Inclusive Framework
IFA
International Fiscal Association
IFRS
International Financial Reporting Standard
i.H.v.
in Höhe von
IIR
Income Inclusion Rule
Inc.
Incorporated
INF
Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (Zeitschrift)
InfAustAbk
Informationsaustauschabkommen
Intertax
International Tax Review (Zeitschrift)
IntGA
Internationale Gewinnabgrenzung
IPO
Initial Public Offering
IRS
Internal Revenue Service
i.S.
im Sinne
ISR
Internationale Steuer-Rundschau (Zeitschrift)
IStR
Internationales Steuerrecht (Zeitschrift)
ITPJ
International Transfer Pricing Journal (Zeitschrift)
i.V.m.
in Verbindung mit
IWB
Internationale Wirtschafts-Briefe (Zeitschrift)
IZA
Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen
JbFStR
Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht
JStG
Jahressteuergesetz
jurisPR
Juris Praxisreport (Zeitschrift)
JV
Joint Venture
Kap.
Kapitel
KapGes.
Kapitalgesellschaft
KG
Kommanditgesellschaft
KGaA
Kommanditgeselschaft auf Aktien
KN
Kombinierte Nomenklatur
KöMoG
Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts
KÖSDI
Kölner Steuerdialog (Zeitschrift)
XXVI
Abkürzungsverzeichnis K/S/M
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz
KStDV
Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung
KStG
Körperschaftsteuergesetz
KStR
Körperschaftsteuer-Richtlinien
KVV
Kostenverteilungsverträge
LBO
Leveraged Buy-Out
L/B/P
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht
Lfg.
Lieferung
lit.
Litera
LLC
Limited Liability Company
LRD
Low-Risk Distributor
LSt
Lohnsteuer
Ltd.
Private Company Limited by Shares, Limited
MA
Musterabkommen
m. Anm.
mit Anmerkung(en)
MarkenG
Markengesetz
m.a.W.
mit anderen Worten
Mio.
Million(en)
MLC
Multilateral Convention
MLI
Multilaterales Instrument
MTR
Mutter-Tochter-Richtlinie
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
MwStSystRL
Mehrwertsteuersystemrichtlinie
n.F.
neue Fassung
NJW
Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)
Nr.
Nummer
nrkr.
nicht rechtskräftig
NWB
Neue Wirtschaftsbriefe (Zeitschrift)
NWC
Net-Working-Capital
OECD
Organization for Economic Cooperation and Development
OECD-MA
OECD-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen
OECD-MK
OECD-Musterkommentar XXVII
Abkürzungsverzeichnis OFD
Oberfinanzdirektion
OHG
offene Handelsgesellschaft
OR
Schweizerisches Obligationsrecht
OSS
One-Stop-Shop
o.V.
ohne Verfasser
p.a.
per annum
PartGG
Partnerschaftsgesellschaftsgesetz
PATA TPD Package
Pacific Association of Tax Administrators Transfer Pricing Documentation Package
PIStB
Praxis Internationale Steuerberatung (Zeitschrift)
plc
Public Limited Company
PLI
Profit-Level-Indicator
PSM
Profit-Split-Method
reg.
US-Regulations
REIT
Real Estate Investment Trust
Rev.
Revision
RFH
Reichsfinanzhof
R/H/N
Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz
R/H/vL
Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, Umwandlungssteuergesetz
Richtl.
Richtlinie
RIW
Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift)
rkr.
rechtskräftig
RL
Richtlinie
Rs.
Rechtssache
Rspr.
Rechtsprechung
RStBl.
Reichssteuerblatt
Rz.
Randzahl
S.
Seite
Schr.
Schreiben
SE
Societas Europea
Sec.
Section, Abschnitt
S/K/K
Strunk/Kaminski/Köhler, AStG und OECD-MA
Slg.
Amtliche Sammlung der EuGH Entscheidungen
s.o.
siehe oben
sog.
so genannt
XXVIII
Abkürzungsverzeichnis StB
Der Steuerberater (Zeitschrift)
Stbg
Die Steuerberatung (Zeitschrift)
StbJb
Steuerberater-Jahrbuch
StBp
Die steuerliche Betriebsprüfung (Zeitschrift)
StEK
Felix, Carlé, Steuererlasse in Karteiform, Loseblatt und CDROM
StGB
Strafgesetzbuch
StJ
Steuerjournal (Zeitschrift)
StPO
Strafprozessordnung
StR
Steuer-Revue (Zeitschrift)
St. Rspr.
ständige Rechtsprechung
STTR
Subject to Tax Rule
StuB
Steuern und Bilanzen (Zeitschrift)
StuW
Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift)
SWI
Steuer & Wirtschaft International (Zeitschrift)
TIEA
Tax Information Exchange Agreement
T/K
Tipke/Kruse, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung
TMTP
Tax Management Transfer Pricing (Zeitschrift)
TNI
Tax Notes International (Zeitschrift)
TNMM
Transactional Net Margin Method (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode)
TPIR
Tax Planning International Review (Zeitschrift)
Tz.
Textziffer
u.a.
unter anderem
Ubg
Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift)
UmwG
Umwandlungsgesetz
UmwStG
Umwandlungssteuergesetz
UN Manual
Practical Manual on Transfer Pricing for developing Countries (United Nations)
UR
Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift)
Urt.
Urteil
UStB
Umsatzsteuerberater (Zeitschrift)
US. Reg.
Unidet States Regulations
UStG
Umsatzsteuergesetz
UTPR
Undertaxed Profit Rule
XXIX
Abkürzungsverzeichnis v.
vom, von
VAT
Value added Tax
V/B/B
Vögele/Borstell/Bernhardt, Handbuch der Verrechnungspreise
vE
verdeckte Einlage
VEK
verwendbares Eigenkapital
Vfg.
Verfügung
VG
Verwaltungsgericht
vGA
verdeckte Gewinnausschüttung
vgl.
vergleiche
v.H.
vom Hundert
V/L
Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen
VP
Verrechnungspreise
Vorbem.
Vorbemerkung
VU
Vertriebsunternehmen
vUA
verbindliche Ursprungsauskunft
VWG
Verwaltungsgrundsätze
VWG 2020
Verwaltungsgrundsätze 2020
VWG ArbN
Verwaltungsgrundsätze Arbeitnehmerentsendung
VWG BsGa
Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung
VWG FVerl
Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung
VWG VP
Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise 2021
vwt
Der Wirtschaftstreuhänder (Zeitschrift)
VZ
Veranlagungszeitraum
vZTA
verbindliche Zolltarifauskunft
W/A/D
Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstättenhandbuch
WEG
Wohnungseigentumsgesetz
Wj
Wirtschaftsjahr
WKV
Wiener Vertragsrechtskonvention
W/M
Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht
Wpg
Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift)
W/R/S
Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht
WÜD
Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen
WÜK
Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen
WÜRV
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
XXX
Abkürzungsverzeichnis z.B.
zum Beispiel
ZfbF
Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung
ZfhF
Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung
ZfZ
Zeitschrift für Zölle und Verbauchsteuern
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht
ZiLiRL
Zins- und Lizenz-Richtlinie
ZIV
Zinsinformationsverordnung
ZK
Zollkodex
ZK-DVO
Zollkodex-Durchführungsverordnung
ZPO
Zivilprozessordnung
XXXI
XXXII
Kapitel 1 Einführung A. B. I. II.
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Betriebswirtschaftlicher Hintergrund Funktionen von Verrechnungspreisen . 1.11 Funktionsabhängige Verrechnungspreisfestlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.17 III. Ermittlung von Steuerbemessungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.19
C. International-steuerrechtlicher Hintergrund I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.20 II. Trennungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . 1.21 III. Begriffsdefinitionen . . . . . . . . . . . . . . . 1.22 IV. Steuerlich zu akzeptierende Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.28 V. Drohende Doppelbesteuerung . . . . . . 1.33 D. Neuordnung internationaler Besteuerungsrechte im Rahmen der Säule 1 . 1.34
A. Überblick Weltwirtschaftliche Bedeutung von international verbundenen Unternehmen. Nach Auffassung der OECD hat die Bedeutung multinationaler Unternehmen im Welthandel in den letzten 20 Jahren dramatisch zugenommen.1 Schätzungen zu Folge werden heute ca. 70 % des Welthandels zwischen international verbundenen Unternehmen abgewickelt.2 Tendenziell wird dieser Anteil aufgrund der zunehmenden Globalisierung und Internationalisierung der Weltwirtschaft sowie fortschreitender internationaler Unternehmenszusammenschlüsse, nicht zuletzt als Folge marktlicher Konsolidierung und Konzentration, weiter steigen. Ein wesentlicher Teil des Welthandels wird somit nicht durch angebots- und nachfrageorientierte Marktpreise, sondern durch Verrechnungspreise für konzerninterne Lieferungen und Leistungen bestimmt. In der Vergangenheit haben jedoch international tätige Unternehmensgruppen mitunter unangemessene, d.h. fremdunübliche Verrechnungspreise vereinbart, um zwischenstaatliche Steuergefälle auszunutzen und Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verlagern.3 Als Reaktion auf diese zunehmende Aushöhlung von Steuerbemessungsgrundlagen zugunsten von Niedrigsteuerländern initiierten die OECD und G20 im Jahr 2013 das Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) Projekt. Insgesamt 4 der 15 BEPS-Aktionspunkte befassen sich unmittelbar mit der Bestimmung, Prüfung und Dokumentation internationaler Verrechnungspreise: Aktionspunkt 8 beschäftigt sich mit Verrechnungspreisen in Bezug auf immaterielle Vermögenswerte, Aktionspunkt 9 mit der vertraglichen Zuordnung von Risiken, Aktionspunkt 10 mit anderen risikobehafteten Bereichen der Verrechnungspreise und Aktionspunkt 13 mit der Verrechnungspreisdokumentation und dem Country-by-Country Report.4 1 Vgl. Tz. 1 des Einführungsteils der OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen vom 20.1.2022 (OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations 2022, OECD Publishing, Paris 2022 [OECD Guidelines 2022 – OECD-Leitlinien 2022]). 2 Vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.1. 3 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 1. 4 Die Ergebnisse der Aktionspunkte 8-10 wurden in dem Bericht OECD, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, 2015, und die des Aktionspunktes 13 in OECD, Transfer Pricing
Baumhoff/Ditz | 1
1.1
Kap. 1 Rz. 1.2 | Einführung
1.2
Ökonomische Einheiten. International verbundene Unternehmen stellen ökonomische Einheiten dar, deren Aktivitäten sich auf das Hoheitsgebiet mehrerer Volkswirtschaften erstrecken. In diesen Staaten treten diese Unternehmensverbunde i.d.R. als einzelne, rechtlich selbständige Unternehmen auf. Aufgrund des sog. Trennungsprinzips ist jedoch nicht die wirtschaftliche Einheit selbst, sondern jede Verbundteileinheit (Gliedunternehmen) ein eigenständiges Steuersubjekt, das in seinem jeweiligen Domizilstaat der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. Insofern unterscheiden sich international verbundene Unternehmen von (rechtlich unselbständigen) Organisationseinheiten (Stammhaus und Betriebsstätten) der gleichsam wirtschaftlichen, aber eben auch rechtlichen Einheit eines sog. Einheitsunternehmens.
1.3
Regionale Abgrenzung der Steuerbemessungsgrundlagen. Jedes international verbundene Unternehmen hat als eigenständiges Steuersubjekt seines Ansässigkeitsstaates seine steuerliche Bemessungsgrundlage nach den dortigen Gewinnermittlungsvorschriften zu ermitteln. Neben den mit nicht verbundzugehörigen Wirtschaftseinheiten realisierten Ertrags- und Aufwandskategorien wird diese maßgeblich durch die Abrechnung der mit verbundenen Unternehmen ausgetauschten Lieferungen und Leistungen (über verbundinterne Verrechnungspreise) determiniert. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass die beteiligten nationalen Fisci von den international tätigen Unternehmen eine Verrechnungspreisgestaltung fordern, die eine sachgerechte zwischenstaatliche Abgrenzung der Steuerbemessungsgrundlagen und damit eine zutreffende Gewinnermittlung gewährleistet.
1.4
Alternativen der Ergebnisabgrenzung. Theoretisch existieren zwei Möglichkeiten, das Gesamtergebnis eines internationalen Unternehmensverbundes (bzw. Konzerns) auf die einzelnen nationalen Gliedunternehmen aufzuteilen und somit eine sachgerechte regionale Abgrenzung der Steuerbemessungsgrundlagen sicherzustellen. Die Einkünfte dieser nationalen Gliedunternehmen können entweder direkt mittels transaktionsbezogener Verrechnungspreise auf Basis von Fremdvergleichspreisen („Dealing-at-arm’s-length-Prinzip“) oder indirekt auf globaler Basis mittels einer formelhaften Aufteilung des konsolidierten Gesamtergebnisses bestimmt werden.1
1.5
Fremdvergleichsgrundsatz als internationaler Konsens. Die internationale Besteuerungspraxis hat sich für die erste Variante entschieden, die nach wie vor auf einem stabilen internationalen Konsens beruht. Insbesondere die OECD ist der festen Überzeugung, dass die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu „angemessenen Gewinnverhältnissen“ zwischen den nationalen Teileinheiten eines internationalen Konzerns führt und die wirtschaftliche Realität, in der internationale Konzerne agieren, vernünftig widerspiegelt.2 Eine Abkehr von diesem Grundsatz kann daher weder kurzfristig noch durch ein einzelnes Land allein vorgenommen werden, würde dies doch in der Besteuerungspraxis unweigerlich zu massiven Doppelbesteuerungen führen. Dieser Befund kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass transaktionsbezogen ermittelte Verrechnungspreise nicht zu einer „richtigen“ internationalen Einkünfteabgrenzung führen. Dies ist ein Nachteil, der im Zuge einer stark zunehmenden Globalisierung verbunden mit einer wachsenden Bedeutung immaterieller Vermögenswerte bei internationalen Konzerntransaktionen immer deutlicher zu Tage tritt. In der Betriebsprüfungspraxis ist eine zunehmende Abkehr von der transaktions- und preisbezogenen Verrechnungspreisprüfung mit einem Fokus auf die angemessene konzerninterne GewinnalloDocumentation and Country-by-Country Reporting, 2015, zusammengefasst. Zu einer detaillierten Darstellung der BEPS-Aktionspunkte 8-10 vgl. Groß, IStR 2016, 2033 ff. 1 Vgl. Spengel/Oestreicher, DStR 2009, 780. 2 Vgl. Tz. 1.14 OECD-Leitlinien 2022.
2 | Baumhoff/Ditz
A. Überblick | Rz. 1.6 Kap. 1
kation hin zu einer wertschöpfungsorientierten Prüfung zu vernehmen.1 Dieser Paradigmenwechsel ist insbesondere auf die Aktionspunkte 8 bis 10 sowie 13 des BEPS-Projekts zurückzuführen. Der OECD zufolge sind Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen anhand der von ihnen ausgeübten (DEMPE-)Funktionen (vgl. hierzu Kap. 6 Teil F., Rz. 6.557 ff.), wahrgenommenen Risiken und eingesetzten (immateriellen) Wirtschaftsgütern zu bemessen. Ausgangspunkt der Verrechnungspreisbestimmung und -dokumentation ist insofern eine Wertschöpfungsbeitragsanalyse, die weniger auf die formalen, vertraglichen Bedingungen als vielmehr auf die tatsächliche Wahrnehmung von Funktionen und Risiken abstellt.2 Infolgedessen verliert die rechtliche Abbildung eines Geschäftsvorfalls an Bedeutung, während der Grundsatz „Substance over Form“ in den Fokus der Bestimmung und Dokumentation von Verrechnungspreisen gerät. Der Wechsel von der transaktions- und preisbezogenen Prüfung hin zu einer wertschöpfungsorientierten Verrechnungspreisprüfung war hingegen von der OECD ausdrücklich nicht intendiert.3 International einheitliche Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Das BMF hat mit Schreiben vom 14.7.2021 neue Verwaltungsgrundsätze für Verrechnungspreise und Grundsätze für die Korrektur von Einkünften gem. § 1 AStG („VWG VP 2021“)4 veröffentlicht. Diese ersetzen insgesamt sieben Verwaltungserlasse zu Verrechnungspreisthemen, darunter auch die VWG 19835 und VWG-Verfahren 20056. Damit sind die VWG VP 2021 nun als zentrale Fundstelle im Verrechnungspreisbereich zu sehen. Mit den VWG VP 2021 wird die deutsche Verwaltungspraxis im Hinblick auf die Prüfung von Verrechnungspreisen international ausgerichtet und an die Empfehlungen der OECD angeglichen. Ein deutscher Alleingang erfolgt dabei nicht, vielmehr wird ausdrücklich auf die OECD-Richtlinien verwiesen, die dem neuen BMF-Schreiben als Anlage beigefügt sind. Die VWG VP 2021 gliedern sich in sechs Kapitel7: – Kapitel I befasst sich mit den Grundsätzen der Einkünftekorrektur. – Kapitel II legt die Bedeutung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien für die Prüfung der grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen dar. – Kapitel III enthält Leitlinien zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes und der Verrechnungspreismethoden im Allgemeinen sowie Leitlinien zu spezifischen Fragestellungen, wie der Behandlung von immateriellen Werten, Warenlieferungen, Dienstleistungen, Kostenumlagen und Finanzierungsbeziehungen im Besonderen.
1 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 63. Dazu kritisch mit einem Verweis auf die „Neiddebatte“ zwischen den Finanzbehörden Lagarden, TPI 2018, 71. 2 Vgl. Greil/Greil, StuW 2018, 185 f.; Greil/Fehling, IStR 2017, 758; Kroppen in FS Endres, 2016, 202. 3 Vgl. Tz. 5.25 OECD-Leitlinien 2022: „Die im Country-by-Country Report enthaltenen Informationen stellen für sich genommen keinen überzeugenden Nachweis dafür dar, dass Verrechnungspreise angemessen bzw. nicht angemessen sind. Sie sollen von den Steuerverwaltungen nicht genutzt werden, um Verrechnungspreisanpassungen auf der Grundlage einer globalen formelhaften Gewinnaufteilung vorzuschlagen.“ 4 BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – VWG VP 2021, BStBl. I 2021, 1098. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 Zu einem Überblick vgl. auch Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 2817 ff.; Rasch/Busch, Ubg 2021, 639 ff.; Saliger/Wargowske/Greil, IStR 2021, 571 ff.
Baumhoff/Ditz | 3
1.6
Kap. 1 Rz. 1.6 | Einführung
– Kapitel IV enthält weitere allgemeine Grundsätze im Zusammenhang mit Verrechnungspreiskorrekturen. – Kapitel V verweist auf das im Anhang beigefügte Glossar sowie auf das Glossar der OECD. – Kapitel VI führt die mit den VWP VP 2021 aufgehobenen BMF-Schreiben auf (s. Rz. 2.2).
1.7
Definition des Verrechnungspreises. Nach der Definition der OECD ist ein Verrechnungspreis „ein zu Buchführungszwecken festgelegter Preis, der verwendet wird, um Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen, die unter derselben Leitung stehen, künstlich hoch oder niedrig zu bewerten, um eine nicht spezifizierte Einkommenszahlung oder einen Kapitaltransfer zwischen diesen Unternehmen zu bewirken“.1 Für eine ausführlichere Definition des Begriffs „Verrechnungspreis“ wird auf Rz. 1.20 ff. verwiesen.
1.8
Formelhafte Gewinnzerlegung als Alternative. Als Alternative zum Fremdvergleichsgrundsatz kommt das Konzept einer Aufteilung eines konsolidierten Konzernerfolgs anhand von Schlüsselgrößen in Betracht, das theoretisch als das einzig Richtige gilt. Denkbar wäre die Umsetzung eines solchen Konzepts aber allenfalls in mehr oder weniger homogenen supranationalen Wirtschaftsräumen, wie z.B. der EU. Die OECD lehnt die globale formelhafte Gewinnaufteilung als theoretische Alternative zum Fremdvergleichsgrundsatz klar ab.2 In der EU wird dieses Konzept unter der Bezeichnung GKKB diskutiert. So hat die EU-Kommission am 16.3.2011 einen Richtlinienvorschlag über eine „Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ (GKKB) veröffentlicht; international ist als Kurzbezeichnung CCCTB – Common Consolidated Corporate Tax Base – gebräuchlich.3 Die Diskussion über die Vor- und Nachteile hierüber hat sich derzeit wieder etwas beruhigt, da einige EU-Staaten – u.a. Deutschland4 – diesem Ansatz eher kritisch gegenüberstehen, weil sie größere Steuerausfälle hierdurch befürchten. Dabei gründet sich die Kritik an der formelhaften Gewinnzerlegung von Konzerngewinnen weniger an konzeptionellen Schwächen, sondern pragmatisch eher darauf, „dass die Gewinnzuweisung relativ pauschal anhand von Schlüsselgrößen erfolgt und deswegen ebenfalls nur Näherungslösungen für die tatsächliche Erfolgslage der Gliedgesellschaften erzielt werden“.5 Das Konzept der Aufteilung eines konsolidierten Gruppenergebnisses anhand von Schlüsselgrößen macht die Bestimmung von Verrechnungspreisen für gruppeninterne Lieferungen und Leistungen und damit die Anwendung eines Fremdvergleichs grundsätzlich (d.h. unter der Voraussetzung, dass alle Staaten das System anwenden) überflüssig.6 Die globale Gewinnaufteilungsmethode ist jedoch mit nicht unerheblichen Problemen
1 Vgl. OECD, Transfer Pricing, Glossary of Statistical Terms, SNA 3.79, BPM 97. 2 Zur Begründung vgl. Tz. 1.22-Tz. 1.32 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. hierzu u.a. Kahle/Schulz, FR 2013, 49 ff.; Scheffler/Köstler, DStR 2013, 2190 ff. (Teil I.); Scheffler/Köstler, DStR 2013, 2235 ff. (Teil II.); Herzig, DB 2012, 1 ff.; Glaser, DStR 2011, 2317 ff.; Kahle/ Schulz, StuB 2011, 296 ff.; Förster/Krauß, IStR 2011, 607 ff.; Lenz/Rautenstrauch, DB 2011, 726 ff.; Marx, DStZ 2011, 547 ff.; Rautenstrauch, EWS, 2011, 161 ff.; Spengel/Oestreicher, DStR 2009, 773 ff.; Pomp/Gerten, IStR 2008, 377 ff.; von Brocke, IWB 2008, 1009 ff.; Spengel/Wendt, StuW, 2007, 297 ff. 4 Vgl. BT-Drucks. 17/5748 vom 5.5.2011, S. 2, wonach die deutsche Bundesregierung „dem vorgelegten Richtlinienvorschlag, was die Konsolidierung und dementsprechend den administrativen Teil betrifft [...], kritisch gegenüber“ steht. Eine GKKB berge für Deutschland das Risiko erheblicher, dauerhafter steuerlicher Mindereinnahmen in sich. 5 Spengel/Oestreicher, DStR 2009, 780. 6 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 65.
4 | Baumhoff/Ditz
A. Überblick | Rz. 1.9 Kap. 1
verbunden.1 Aus Sicht der betriebswirtschaftlichen Theorie betreffen diese die Unmöglichkeit, die den Gesamtgewinn des Konzerns bzw. des Unternehmens verursachenden wirtschaftlichen (Erfolgs-)Faktoren zu identifizieren, zu gewichten und in einem verursachungsgerechten Aufteilungsschlüssel zusammenzufassen. Darüber hinaus ergeben sich auch aus praktischer Sicht Bedenken, die sich insbesondere auf die Ermittlung des weltweit erzielten Gesamtgewinns und die internationale Abstimmung des Aufteilungsschlüssels beziehen. Nur bei internationaler Einigkeit über beide Größen ist eine kongruente Gewinnabgrenzung und somit die Vermeidung einer internationalen Doppelbesteuerung gewährleistet. Wenngleich die globale Gewinnaufteilungsmethode die Identifikation und Bewertung von Leistungsbeziehungen überflüssig macht, führt dieser Ansatz zu einer Vielzahl neuer Probleme. Insbesondere vor dem Hintergrund des notwendigen internationalen Harmonisierungs- und Abstimmungsbedarfs erscheint es zweifelhaft (oder sogar unmöglich), ob die globale Gewinnaufteilungsmethode sich als wirkliche Alternative zum Fremdvergleichsgrundsatz durchsetzen kann. Dabei ist zu bedenken, dass über den Fremdvergleichsgrundsatz ein weltweiter Konsens erzielt wurde, der ein sehr „wertvolles Gut“2 darstellt. Insoweit befindet sich die internationale Gewinnabgrenzung nicht mehr in der Stunde „Null“. Vielmehr hat sich der Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab für die Gewinnabgrenzung im internationalen Konzern und im internationalen Einheitsunternehmen in den Musterabkommen der OECD, der UN und den USA sowie in der deutschen Verhandlungsgrundlage3 und den weltweit abgeschlossenen DBA etabliert. Die OECD (in 2010) und der deutsche Gesetzgeber (in 2013) haben ihn sogar über den AOA explizit und uneingeschränkt auf die Betriebsstättengewinnabgrenzung übertragen, obwohl dies sicherlich nicht zwingend notwendig gewesen wäre. Die innerstaatlichen Gewinnermittlungs- und Korrekturvorschriften sind am Fremdvergleichsgrundsatz ausgerichtet. Infolgedessen würde eine Abkehr vom Status quo dazu führen, dass alle weltweit abgeschlossenen DBA neu verhandelt und die damit abgestimmten Vorschriften des innerstaatlichen Rechts geändert werden müssten. Neben den damit verbundenen Belastungen für die Steuergesetzgeber, die nationalen Finanzbehörden und die Steuerpflichtigen entstünden im Rahmen eines isolierten Methodenwechsels durch einzelne Staaten, aber auch bei einem weltweiten Übergang auf die globale Gewinnaufteilungsmethode, zwangsläufig Doppelbesteuerungen. Denn beide Methoden führen nur in Ausnahmefällen zu identischen Ergebnissen. Verständigungs- oder Schiedsverfahren könnten die Doppelbesteuerung freilich theoretisch, aber wohl nicht praktisch beseitigen. Bedeutung internationaler Verrechnungspreise in der internationalen Besteuerungspraxis. Die Festlegung und Prüfung angemessener Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen ist mittlerweile zum wichtigsten Thema in der internationalen Besteuerungspraxis avanciert. Insbesondere die sachgerechte Dokumentation (s. Kap. 8) der Verrechnungspreise ist wesentlicher Bestandteil des steuerlichen Risikomanagements4 international verbundener Unternehmen. Die steuerlichen Risiken schließen steuerstrafrechtliche Risiken mit ein (s. Kap. 12). Während diese Thematik früher nur im Fokus einiger wichtiger westlicher Industrieländer stand (u.a. USA, Kanada, Deutschland, Japan), verfügen immer mehr Länder über detaillierte Verrechnungspreisvorschriften, die eine umfassende Dokumen1 Zu einer detaillierten Analyse vgl. Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, 2000, 158 ff.; Oestreicher in Endres/Oestreicher u.a., Die internationale Unternehmensbesteuerung im Wandel, 2005, 73 (81 ff.); Rz. 1.16 ff. OECD-Leitlinien 2022. 2 Becker, IWB 1999 F. 10 Gr. 2, 1392. 3 Vgl. dazu Ditz/Bärsch/Quilitzsch, ISR 2013, 156 ff. 4 Vgl. Schneider, Steuerliches Verrechnungspreis-Risikomanagement im internationalen Konzern, PL Academic Research, Frankfurt am Main 2016.
Baumhoff/Ditz | 5
1.9
Kap. 1 Rz. 1.9 | Einführung
tation konzerninterner Transaktionen vorschreiben, um den nationalen Steuerbehörden eine effiziente Prüfung zu ermöglichen. Auch aus fiskalischer Sicht haben viele Staaten Verrechnungspreiskorrekturen bei international verbundenen Unternehmen als eine effiziente und willkommene Quelle zusätzlicher Steuereinnahmen identifiziert, die zunehmend genutzt wird. Zu den korrekturbedingten Steuermehreinnahmen kommen dann in vielen Fällen noch zusätzliche Zinsen und Strafzuschläge hinzu, so dass sich international verbundene Unternehmen zunehmend wirtschaftlichen Doppelbesteuerungen ausgesetzt sehen, die – wenn überhaupt – nur über aufwändige DBA-/EU-Schieds- oder Verständigungsverfahren (vgl. hierzu im Einzelnen Kap. 10) zu beseitigen sind. Auch im Umsatzsteuer- und Zollrecht erhalten die Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen einen immer größeren Stellenwert (s. Kap. 11). Darüber hinaus gewinnen Verrechnungspreisfragen im Zusammenhang mit dem Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV zunehmend an Bedeutung (s. Kap. 14).
1.10
Grenzen des Fremdvergleichsgrundsatzes. Obwohl ein weltweiter Konsens darüber besteht, dass die internationale Gewinnabgrenzung transaktionsbezogen auf Basis eines Fremdvergleichs durchzuführen ist, ist der Fremdvergleichsgrundsatz nicht unumstritten.1 Die dafür angeführten Gründe beziehen sich regelmäßig auf die nicht zu verleugnenden Grenzen, die einer Gewinnabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz anhaften.2 Denn die strategische Ausrichtung international agierender Unternehmen wird zunehmend von einer globalen, internationalen Unternehmenspolitik geprägt. Zentrales Motiv einer solchen globalen Unternehmensstrategie3 ist im Rahmen einer optimalen Koordination und Integration der in den unterschiedlichen Staaten ansässigen Unternehmenseinheiten (Betriebsstätten oder verbundene Unternehmen) die Realisierung von Synergieeffekten, die letztlich zu einem Wettbewerbsvorteil führen sollen.4 Es ist unmöglich, derartige Effekte als preisbildende Faktoren nach dem Fremdvergleichsgrundsatz auf den Verrechnungspreis einer einzelnen Geschäftsbeziehung zu übertragen.5 Ferner ist die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes darauf angewiesen, dass unternehmens- bzw. konzerninterne Liefer- und Leistungsbeziehungen identifiziert und bewertet werden können. Darüber hinaus muss auch „am Markt“ eine entsprechende Vergleichstransaktion bestimmt werden. In der Verrechnungspreispraxis ist es indessen in Einzelfällen schwierig, eine entsprechende Transaktion zu isolieren und diese mit einem Fremdvergleichspreis zu bewerten.6 Dies gilt insbesondere für stark integrierte Unternehmen, bei denen einzelne Leistungsbeziehungen zwischen den Unternehmenseinheiten so eng miteinander ver1 Vgl. Ditz, FR 2015, 115 ff. 2 Vgl. Wassermeyer in Endres/Oestreicher u.a., Die internationale Unternehmensbesteuerung im Wandel, 2005, 63 ff.; Oestreicher in Endres/Oestreicher u.a., Die internationale Unternehmensbesteuerung im Wandel, 2005, 73 ff.; Herzig/Teschke/Joisten, Intertax 2010, 335 f.; Schön, IStR 2011, 780 f.; Luckhaupt/Overesch/Schreiber, StuW 2012, 359 ff.; Brem, TNI 2004, 1005 ff.; Schneider, DB 2003, 53 ff.; Brauner, Intertax 2014, 615 ff.; Avi-Yonah, World Tax Journal, February 2010, 3 ff.; Avi-Yonah/Benshalom, World Tax Journal, October 2011, 371 ff. 3 Zum Begriff vgl. Kleineidam, IStR 2001, 724; Herzig, WPg 1998, 281; Li, TNI 2001, 777 f. 4 Zu nennen sind etwa Maßnahmen zur Realisierung von Skaleneffekten (z.B. durch die Nutzung von Kostendegressionen, die Erhöhung der Marktmacht gegenüber dem Beschaffungs- und Absatzmarkt, die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und Know-how etc.) und zur globalen Integration der lokalen Unternehmenseinheiten (z.B. Entwicklung einer einheitlichen Unternehmensphilosophie, Standardisierung von Strategieinhalten und von betriebswirtschaftlichen Steuerungsinstrumenten) die Zentralisierung von Funktionen. 5 Vgl. Ditz, FR 2015, 116; Kleineidam, IStR 2001, 726 f.; Oestreicher in Endres/Oestreicher u.a., Die internationale Unternehmensbesteuerung im Wandel, 2005, 76 ff. 6 So auch Oestreicher in Oestreicher/Endres u.a., Die internationale Unternehmensbesteuerung im Wandel, 2005, 74.
6 | Baumhoff/Ditz
A. Überblick | Rz. 1.10 Kap. 1
bunden sind oder zeitlich so dicht aufeinanderfolgen, dass eine isolierte Beurteilung der einzelnen Leistungsbeziehungen nicht möglich ist. Beispielsweise ist in diesem Zusammenhang auf das „Global Trading“ und das „Global Development“ zu verweisen.1 Darüber hinaus ergeben sich in der Praxis häufig in den folgenden Bereichen Schwierigkeiten: – Abgrenzung des Gesellschafteraufwands von verrechnungspflichtigen Dienstleistungen; – Abgrenzung der Nutzungsüberlassung von Konzern- und Dachmarken von der Überlassung des Firmennamens; – Abgrenzung der Übertragung bzw. Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter, wie z.B. Know-how oder einem Kundenstamm; – Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an immateriellen Wirtschaftsgütern verbunden mit der Frage, ob eine Übertragung, Nutzungsüberlassung oder Beistellung vorliegt; – Abgrenzung der Personalentsendung von der Erbringung von Dienstleistungen; – Abgrenzung der Funktionsverlagerung gegenüber der Übertragung/Nutzungsüberlassung einzelner immaterieller Wirtschaftsgüter; – Abrechnungspflicht von Garantien, Bürgschaften und Patronaten. Die Durchführung eines Fremdvergleichs hat ihren Ausgangspunkt in einem Vergleich der unternehmens- oder konzerninternen Leistungsbeziehung mit den Vereinbarungen voneinander unabhängiger Unternehmen unter vergleichbaren Bedingungen. Diese Voraussetzung der Vergleichbarkeit der Verhältnisse macht die Durchführung eines Fremdvergleichs in praxi häufig schwierig:2 – Die Anwendung der Preisvergleichsmethode scheitert oft daran, dass eine Vergleichbarkeit der Verhältnisse aufgrund der Unvollkommenheit der Märkte nicht nachgewiesen werden kann. Ein weiteres Anwendungsproblem besteht darin, dass konzernspezifische Lieferungen und Leistungen am Markt nicht erhältlich sind (z.B. Managementleistungen, Markenund Know-how-Lizenzen, Funktionsverlagerungen und Finanzierungsleistungen). – Die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode ist auf Lieferungen an Vertriebsgesellschaften beschränkt. Die Verrechnungspreispraxis zeigt, dass ein externer oder interner Betriebsvergleich zur Ermittlung der angemessenen Handelsspanne häufig an fehlenden Vergleichsdaten scheitert. – Auch bei der Kostenaufschlagsmethode ergeben sich Anwendungsprobleme. Hier stellt sich z.B. die Frage der Bestimmung der Kostenbasis (Kostenbegriff? Teil- oder Vollkosten? Zeitbezug der Kosten?) sowie des angemessenen Gewinnaufschlags. Vor allem Letzteres läuft wiederum auf die Frage der Vergleichbarkeit der Verhältnisse hinaus, wobei in der Praxis häufig Datenbankanalysen durchgeführt werden.3 Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeiten kommt der BFH in seinem Grundsatzurteil zu Verrechnungspreisen v. 17.10.20014 zutreffend zum Ergebnis, dass es den „einen“, richtigen 1 Vgl. zu Einzelheiten Portner, IStR 1995, 358 ff.; Kaminski, IStR 2001, 540 f.; Li, TNI 2001, 779; Häuselmann, IStR 2003, 141. 2 Vgl. Luckhaupt/Overesch/Schreiber, StuW 2012, 363; Vidal, Intertax 2009, 519. 3 Zu Einzelheiten vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 73 und 94 m.w.N. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 und dazu im Einzelnen Wassermeyer, DB 2001, 2465 ff.; Baumhoff, IStR 2001, 751 ff.; Kuckhoff/Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 863 ff.
Baumhoff/Ditz | 7
Kap. 1 Rz. 1.10 | Einführung
Fremdvergleichspreis nicht gibt, sondern nur Bandbreiten von Preisen bestimmt werden können. Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung führt die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes regelmäßig zu einer Bandbreite von Vergleichswerten.1
B. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund I. Funktionen von Verrechnungspreisen 1.11
Zweckorientierte Bewertung von Lieferungen und Leistungen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind unter Verrechnungspreisen Wertansätze für Güter und Dienstleistungen zu verstehen, die innerhalb einer Unternehmung oder eines Unternehmensverbundes ausgetauscht werden. Im Gegensatz zu Marktpreisen entstehen Verrechnungspreise nicht durch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage zwischen unabhängigen Vertragsparteien, die ihren jeweiligen Nutzen maximieren, sondern sind Ergebnis einer zweckorientierten Bewertung von Lieferungen und Leistungen zwischen verbundenen Unternehmenseinheiten.
1.12
Funktionen. Verrechnungspreise werden zur Erfüllung voneinander unterschiedlicher Funktionen hinsichtlich von Teilbereichen eines Organisationsverbunds herangezogen und können deshalb der jeweiligen Funktion entsprechend unterschiedlich ausfallen. Die folgenden Funktionen werden Verrechnungspreisen zugeordnet:2 – die Vereinfachung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung (Vereinfachungsfunktion), – die Wirtschaftlichkeitskontrolle von Kostenstellen (Kontrollfunktion), – die organisatorische Lenkung zur Koordination dezentraler Entscheidungen in Teilbereichen der Unternehmung (organisatorische Lenkungsfunktion), – die getrennte Erfolgsermittlung für die autonomen Teilbereiche der Unternehmung (Erfolgsermittlungsfunktion). Die vier genannten Funktionen lassen sich nicht trennscharf voneinander abgrenzen, sondern überschneiden sich teilweise. Insbesondere besteht ein Zusammenhang zwischen der organisatorischen Lenkungs- oder Koordinationsfunktion und der Erfolgsermittlungsfunktion, da z.B. Entscheidungen in Untereinheiten nicht zuletzt von den antizipierten Auswirkungen auf die Vergütung der entsprechenden Entscheidungsträger abhängen, die häufig an realisierte Erfolgsgrößen anknüpft.
1.13
Vereinfachungsfunktion. Mit der Verwendung von Verrechnungspreisen, die einheitlich über eine gewisse Periode angesetzt werden, können Schwankungen ausgeglichen werden, die sowohl beim Ansatz von Marktpreisen als auch – aus zeitlichen, markt-, mengen-, losgrößenoder beschäftigungsabhängigen Gründen – beim Ansatz von Herstellungskosten auftreten können. Der Ansatz von Standardsätzen führt dann zu mehr Transparenz sowie zu einer Beschleunigung und Vereinfachung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung.3 1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.29. 2 Vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.6; Schmalenbach, ZfhF 1908/1909, 169 f.; Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 135 ff. m.w.N. 3 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 14 f.
8 | Baumhoff/Ditz
B. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund | Rz. 1.16 Kap. 1
Kontrollfunktion. Durch den Ansatz im Vorhinein festgelegter Verrechnungspreise bei der Plankostenrechnung und der späteren Kostenkontrolle können Preisunterschiede auf der Beschaffungsseite neutralisiert werden. Spätere Soll-Ist-Abweichungen können dann ausschließlich auf Mengenabweichungen zurückgeführt werden.1
1.14
Lenkungs- oder Koordinationsfunktion. In Unternehmen bzw. Unternehmensverbünden, in denen die Wertschöpfungskette dadurch geprägt ist, dass durch unterschiedliche autonome Teilbereiche (Profit-Center, Investment-Center) bzw. Gesellschaften Leistungsbeiträge erbracht werden, kommt der Lenkungsfunktion von Verrechnungspreisen eine hohe Bedeutung zu. Da im Gegensatz zu einer kleinen, wirtschaftlich unabhängigen Unternehmung die Aufgabenerfüllung arbeitsteilig organisiert ist und einzelne Entscheidungsträger häufig nur über Teilbereiche der Organisation hinreichende Informationen haben, entsteht ein Abstimmungsund Koordinationsbedarf. Grundsätzlich kann die Koordination zentral oder dezentral erfolgen. Allerdings erfordert eine vollständig zentrale Koordination, dass alle für die zu treffenden Entscheidungen notwendigen Informationen beim verantwortlichen Entscheidungsträger zentral verfügbar sind. Demgegenüber hat eine dezentrale Koordination und Entscheidungsfindung den Vorteil, dass eine solche Informationsbündelung bei der Konzernzentrale nicht notwendig ist. Ab einer gewissen Konzerngröße wird deshalb die Delegation von Entscheidungsbefugnissen unumgänglich, weil die zentrale Informationsbereitstellung und die anschließende zentrale Verarbeitung in Entscheidungen nur durch Inkaufnahme unangemessen hoher Kosten zu erreichen ist.2 Im Rahmen einer dezentralen Koordination und Steuerung können Verrechnungspreise als Koordinationsinstrument eingesetzt werden, um eine zentrale Konzernsteuerung zu ersetzen. Verrechnungspreise führen dann zu einer Bereichskoordinierung, indem durch die Fiktion eines internen Markts für die einzelnen Leistungen der verschiedenen Teilbereiche die entscheidungsrelevanten Informationen abstrakt zu Preisen verdichtet zur Verfügung gestellt werden.3 Als Folge nehmen Konzerngesellschaften am Leistungsaustausch nur noch solange teil, wie sie sich dadurch besserstellen. Zur optimalen Ressourcenallokation sind keine vollständigen Informationen über die Auswirkungen beim jeweils anderen „Geschäftspartner“ (bzw. der verbleibenden Wertschöpfungskette) mehr erforderlich, sondern dies ergibt sich durch die jeweilige Optimierung in den einzelnen Teilbereichen. Durch die sachgerechte Festlegung von Verrechnungspreisen können damit Entscheidungen im Unternehmensverbund sowohl horizontal als auch vertikal koordiniert und auf die Unternehmensoberziele abgestimmt werden. Diese dezentrale Lenkung über Verrechnungspreise wird von Schmalenbach als „pretiale Betriebslenkung“ bezeichnet.4 Sie dient dazu, die Entscheidungen der einzelnen Bereiche auf das Oberziel der Unternehmenswertmaximierung der Gesamteinheit – etwa eines Konzerns – auszurichten. Voraussetzung ist jedoch, dass die Verrechnungspreisfestsetzung nicht dazu führt, dass die Zielerreichung einzelne Einheiten derartig zu Lasten der Zielerreichung anderer Einheiten begünstigt wird und es dadurch in der Summe zu Einbußen bei der Steigerung des Unternehmenswerts kommt.5
1.15
Erfolgsermittlungsfunktion. Im Rahmen der steuerlichen Verrechnungspreisthematik steht insbesondere die Erfolgsermittlungsfunktion im Vordergrund, da rechtlich selbständigen Ver-
1.16
1 Vgl. Schmalenbach, ZfhF 1908/1909, 169 f.; Coenenberg/Fischer/Günther, Kostenrechnung, 709; Arbeitskreis Diercks der Schmalenbach Gesellschaft, ZfB 1964, 613. 2 Vgl. Adam, ZfB 1969, 618 f.; Jaensch, DB 1972, 1301. 3 Vgl. Kluge, Verrechnungspreise in Ertragsteuern und Controlling, 232 f. 4 Vgl. Schmalenbach, Die optimale Geltungszahl, 1690. 5 Vgl. Hirshleifer, JoB 1056, 172; Schneider, ZfbF 1966, 268 f.; Albach, ZfB 1966, 792; Drumm, ZfbF 1972, 255.
Baumhoff/Ditz | 9
Kap. 1 Rz. 1.16 | Einführung
bundunternehmen ein angemessener Teil des Gewinns der gesamten Gruppe zugeordnet werden muss. Auch wenn die Erfolgsermittlungsfunktion zunächst nur auf die Zuordnung eines einwertigen Ergebnisses i.S. eines Teilbereichsgewinns zielt, knüpfen grundsätzlich weitere Funktionen an die Erfolgsermittlungsfunktion von Verrechnungspreisen an. Diese sind:1 – die getrennte Erfolgsermittlung für die autonomen Teilbereiche eines Unternehmens (Erfolgsermittlungsfunktion), – Planungs- und Entscheidungsunterstützung im Rahmen der vertikalen Integration des Konzerns (Informationsbasis für Make-or-buy-Entscheidungen zur Optimierung des Einkaufsprogramms, Informationsbasis zur Optimierung des Absatzprogramms, Ermittlung von Preisober- und Preisuntergrenzen für den Einkauf und den Vertrieb), – Planungs- und Entscheidungsunterstützung hinsichtlich der Ressourcenverteilung, – Motivations- und Anreizfunktion und – Schaffung höherer Transparenz (Vereinfachung von Abrechnungen; Wirtschaftlichkeitskontrolle und Leistungsbeurteilung). Die Ergebnisse der Erfolgsermittlungsfunktion sind damit sowohl für Entscheidungsträger übergeordneter Konzerneinheiten von Belang – was insbesondere die Planungs- und Entscheidungsunterstützung betrifft – als auch für die Entscheidungsträger der jeweiligen Einheit selbst, deren Motivation u.a. von der Sichtbarkeit der Teilbereichserfolge abhängt. Dies ist häufig auch vergütungsmäßig für Führungskräfte der Unternehmen relevant, z.B. wenn Managervergütungssysteme den Einbezug von bereichsbezogenen Erfolgsgrößen vorsehen und Tantiemen, Bonuszahlungen o. ä. an den jeweiligen Teilbereichserfolg anknüpfen.2 Hinsichtlich der vorstehend genannten betriebswirtschaftlich relevanten Funktion einer bereichsbezogenen Erfolgsermittlung besteht gegenüber der rein steuerlich relevanten Erfolgszuordnung keine Einschränkung auf rechtlich selbständige Unternehmensteile. Vielmehr kommt eine bereichsbezogene Erfolgsermittlung aus Gründen der betriebswirtschaftlichen Planungs- und Entscheidungsunterstützung, Anreizbildung, usw. für alle Unternehmenseinheiten in Betracht, die einheitliche Entscheidungsobjekte darstellen oder dem Kompetenzbereich eines Entscheidungsträgers entsprechen.
II. Funktionsabhängige Verrechnungspreisfestlegung 1.17
Funktionsbezogene Angemessenheitsbeurteilung. Angesichts der unterschiedlichen Funktionen kann die Angemessenheit eines Verrechnungspreises nicht im Allgemeinen, sondern stets nur in Bezug auf die jeweilige Funktion beurteilt werden. Dies gilt umso mehr, als die Anforderungen, die die unterschiedlichen Funktionen an die Festlegung und Ermittlung eines Verrechnungspreises stellen, sich teilweise gegenüberstehen. So ist etwa durch Verrechnungspreise nur dann eine Vereinfachung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung zu erreichen, wenn der jeweilige Verrechnungspreis an leicht zu ermittelnde Merkmalsausprägungen anknüpft. Die Koordinationsfunktion dagegen setzt eine verursachungsgerechte und damit möglichst detailgenaue Preisfestlegung voraus, um ein hinreichendes Maß an Informationen 1 Vgl. Kluge, Verrechnungspreise in Ertragsteuern und Controlling, 235; Kreuter, Verrechnungspreise, 26. 2 Vgl. Gschwend, Zielproblematik, 78; Coenenberg/Fischer/Günther, Kostenrechnung, 707; Kreuter, Verrechnungspreise, 26 f.; Trost, Koordination, 50; Lohschmidt, Verrechnungspreise, 47; Hummel, Gestaltungsparameter, 41; Dürr, Transferpreissystem, 23.
10 | Baumhoff/Ditz
C. International-steuerrechtlicher Hintergrund | Rz. 1.20 Kap. 1
über bereichsbezogene Leistungszu- und -abflüsse in den Preisen abbilden und damit unvorteilhafte Allokationsentscheidungen vermeiden zu können. Funktionsbezogene Einheitenbildung. Auch können die Organisationeinheiten, die Anknüpfungspunkt für die jeweilige Abgrenzung sind, je nach Funktion voneinander abweichen, da etwa die steuerrechtliche Erfolgsermittlungsfunktion eine Einheitenbildung nach ziviloder steuerrechtlichen Kriterien (Gesellschaften, Betriebsstätten) vornimmt, während es im Bereich der organisatorischen Lenkungsfunktion etwa auf den Kompetenzbereich der jeweiligen Leistungsträger ankommt.
1.18
III. Ermittlung von Steuerbemessungsgrundlagen Zuordnung von Steuersubstrat. Vorliegend tritt die teilbereichsbezogene Erfolgsermittlung bei rechtlich selbständigen Verbundunternehmen in den Vordergrund, weil sie nicht nur auf die interne Leistungsbeurteilung, Planungs- und Entscheidungsunterstützung o. ä. gerichtet ist, sondern auch der handels- und steuerrechtlichen Gewinnermittlung zugrunde liegt. Im fiskalischen Interesse steht das Ergebnis des einzelnen Gliedunternehmens, nämlich dass mittels der Festlegung von Verrechnungspreisen das erfolgsrechnerische Entstehen von Gewinnen bzw. die Verteilung eines erfolgsrechnerischen Konzerngewinns auf die einzelnen Konzerngesellschaften gesteuert werden kann. Da die nationalen Steuerhoheiten ein berechtigtes Interesse an der Teilhabe am grenzüberschreitend erwirtschafteten Steuersubstrat haben, stehen Verrechnungspreise stets – insbesondere in Hochsteuerländern – unter dem Verdacht, vorrangig und einseitig der verbundweiten Steuerbarwertminimierung (Minimierung der Konzernsteuerquote) zu dienen. Deshalb ist die Überprüfung ihrer Angemessenheit zunehmend ein Schwerpunktthema in den Betriebsprüfungen der Verbundunternehmen. Als vorrangig ist daher das Ziel einer rechtssicheren und im Verhältnis zu den beteiligten Fisci einheitlichen Anwendung der Gewinnabgrenzungsregeln anzusehen, um das Risiko der Doppelbesteuerung weitestgehend zu reduzieren.
1.19
C. International-steuerrechtlicher Hintergrund I. Allgemeines Grundsatz. Steuerrechtlich sind Lieferungs- und Leistungsbeziehungen zwischen verschiedenen Unternehmen grundsätzlich mit ihrem tatsächlich verwirklichten Inhalt anzuerkennen und der Gewinnermittlung der beteiligten Unternehmen zugrunde zu legen. Unter einem Unternehmen in dem so angesprochenen Sinne ist eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen, die das Steuerrecht als Einkünfteerzielungssubjekt1 behandelt und für deren Rechnung eine Betätigung i.S. des § 15 Abs. 2 oder 3 EStG ausgeübt wird. Die Betätigung muss einem oder mehreren Rechtsträgern zuzurechnen sein, die nach dem jeweils maßgebenden Steuerrecht die Eignung haben, selbständige Steuersubjekte zu sein. Das Einkünfteerzielungssubjekt muss nicht selbst Steuersubjekt sein2. Im Einzelnen kann es sich um natürliche Personen, um Personengesellschaften, um Körperschaften, um Personenvereinigungen oder um Vermögensmassen handeln. Die unter dieser Vorgabe an Lieferungs- und Leistungsbeziehungen beteiligten Unternehmen können ihren Sitz und/oder ihre Geschäftsleitung im In- oder Ausland ha1 Zum Begriff „Einkunftserzielungssubjekt“ vgl. BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751 = BFHE 141, 405, unter C.III.3.a. 2 Vgl. z.B. OHG oder KG.
Baumhoff/Ditz und Wassermeyer/Ditz | 11
1.20
Kap. 1 Rz. 1.20 | Einführung
ben. Sie können auch über in- oder ausländische Betriebsstätten verfügen, die ihrerseits in die Lieferungs- und Leistungsbeziehungen einbezogen sind. Sind die an einem Lieferungs- oder Leistungsverkehr beteiligten Unternehmen voneinander unabhängig, so nimmt jedes Unternehmen seine wirtschaftlichen Interessen wahr, was eine unangemessene Gewinnverlagerung ausschließt. Stehen sich allerdings die an den Lieferungs- und Leistungsbeziehungen beteiligten Unternehmen bzw. die hinter ihnen stehenden Personen untereinander nahe, so besteht Anlass, die vereinbarten bzw. die tatsächlich gezahlten Entgelte auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Hintergrund der Prüfung ist die Befürchtung, dass die Höhe des Entgelts durch die Nahestehensbeziehung zum Nachteil eines der beteiligten Fisci beeinflusst sein könnte. Es kann sich insbesondere um eine Gewinnverlagerung in ein Niedrigsteuerland handeln. Im Einzelnen kann die Nahestehensbeziehung tatsächlicher (gleichgerichtete Interessen), familienrechtlicher oder gesellschaftsrechtlicher Natur sein. Das Nahestehen der Unternehmen untereinander kann auch durch eine dritte Person (Gesellschafter) vermittelt werden. Rechtsgrundlage (s. Kap. 2) für die Überprüfung und ggf. für die steuerrechtliche Korrektur der vereinbarten Preise sind – die Entnahme (einschließlich § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG und § 12 KStG), – die Einlage (einschließlich § 4 Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG), – die verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) – und/oder § 1 AStG. In Sonderfällen kann es auch an der erforderlichen betrieblichen Veranlassung von Aufwendungen fehlen (§ 4 Abs. 4 EStG). Abkommensrechtlich bildet Art. 9 OECD-MA die maßgebliche Rechtsgrundlage (s. Rz. 2.222 ff.). Zusätzlich sind Art. 11 Abs. 6 und Art. 12 Abs. 4 OECD-MA zu beachten. Während das innerstaatliche deutsche Steuerrecht auf dem Veranlassungsprinzip aufbaut und zur Bestimmung der maßgebenden Veranlassung den Fremdvergleich i.S. einer widerlegbaren Vermutung heranzieht, wendet das Abkommensrecht unmittelbar den Fremdvergleichsgrundsatz an. Für beide Rechtskreise ist i.d.R. ein nach Fremdvergleichsgrundsätzen unangemessen niedriges oder hohes Entgelt bei allen beteiligten Unternehmen zu korrigieren. Sind die an den Lieferungs- und Leistungsbeziehungen beteiligten und untereinander nahestehenden Unternehmen in verschiedenen Staaten ansässig, so kommen neben dem Interesse, den Gewinn bei dem „richtigen“ Unternehmen zu erfassen, die untereinander regelmäßig konkurrierenden Besteuerungsinteressen der beteiligten Staaten hinzu. Insbesondere untereinander verbundene Unternehmen haben ein „natürliches“ Interesse, den Gewinn nach Möglichkeit in einen niedrig besteuernden Staat zu verlagern. Der in dieser Weise benachteiligte Staat hat dagegen das Interesse, die Gewinnverlagerung nach Möglichkeit zu „korrigieren“. Dazu werden auch gesetzgeberische Vorsorgemaßnahmen getroffen.
II. Trennungsprinzip 1.21
Trennungsprinzip und seine Folgen. Es entspricht internationaler Praxis, Konzerne nicht als Unternehmensgruppe, sondern – als Folge des Trennungsprinzips – jede einzelne Konzerngesellschaft für sich zu besteuern. Daraus ergibt sich inner- und zwischenstaatlich betrachtet die Gefahr, dass Gewinne zwischen einander nahestehenden Unternehmen zu Lasten der beteiligten Fisci verlagert werden. Dies eröffnet inner- und zwischenstaatlich wiederum die Notwendigkeit, Gewinnkorrekturvorschriften (s. Kap. 2) zu erlassen, denen die Aufgabe zukommt, die Gewinne von einander nahestehenden Unternehmen abzugrenzen. Zweckmäßigerweise sollten diese Gewinnkorrekturvorschriften auf einem einheitlichen Maßstab aufbauen. Außerdem bedarf es internationaler Klauseln, die die Besteuerungsrechte der beteiligten 12 | Wassermeyer/Ditz
C. International-steuerrechtlicher Hintergrund | Rz. 1.23 Kap. 1
Staaten voneinander abgrenzen. Auch insoweit ist ein international anerkannter Maßstab wünschenswert. International belegen Art. 9 OECD-MA und die ihm nachgebildeten Vorschriften der DBA, der OECD-Bericht „Verrechnungspreise und multinationale Unternehmen“ aus dem Jahre 1979, seine Ergänzung aus dem Jahr 1984, die sog. OECD-Guidelines aus dem Jahr 1995 und schließlich die OECD-Leitlinien aus dem Jahr 2022 die Heranziehung des Fremdvergleichsgrundsatzes („dealing at arm‘s length“) für Zwecke der internationalen Gewinnabgrenzung und seine internationale Anerkennung. Auf diesem Grundsatz bauen auch die EU-Schiedskonvention1, der EU-Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation2 und der EU-Verhaltenskodex zum Schiedsverfahren3 auf (s. Kap. 10). Art. 9 OECD-MA hat dabei auch die Funktion, eine abkommensrechtliche Schranke gegenüber weitergehenden Besteuerungsansprüchen der beteiligten Vertragsstaaten aufzubauen. Innerstaatlich betrachtet hat der Gesetzgeber § 1 AStG geschaffen, um den „Dealing-at-arm‘s-length-Grundsatz“ auch innerstaatlich abzusichern.4 Die deutsche Finanzverwaltung hat den OECD-Bericht 1979 im BMF-Schreiben vom 23.2.19835 umgesetzt. In dem Schreiben vertritt sie die Rechtsauffassung, dass die Fremdvergleichsmaßstäbe von Art. 9 OECD-MA und § 1 AStG deckungsgleich sind.6 Das Schreiben sollte nach 5 Jahren überarbeitet und angepasst werden.7 Tatsächlich wurde eine erste Überarbeitung erst mit dem BMF-Schreiben vom 12.4.20058 abgeschlossen. Zu erwähnen sind die Änderungen in § 90 und § 162 AO durch das StVergAbG vom 16.5.20039 sowie der Erlass der GAufzV vom 13.11.200310 (s. Kap. 8) und der FVerlV vom 12.8.200811. Mit den VWG VP 2021 vom 14.7.202112 wurden die VWG 1983 sowie alle weiteren zum Themenkomplex der internationalen Verrechnungspreise zwischen verbundenen Unternehmen ergangenen BMF-Schreiben aufgehoben und die Reform der Verrechnungspreise vorläufig abgeschlossen.
III. Begriffsdefinitionen Definition verwendeter Begriffe. Im Zusammenhang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz wird üblicherweise eine Reihe von Begriffen verwendet, deren inhaltliche Bestimmung vorangestellt werden soll. Dies gilt insbesondere für die Begriffe „Verrechnungspreis“, „Fremdvergleichspreis“ und „gemeiner Wert“.
1.22
Begriff „Verrechnungspreis“. Der Begriff „Verrechnungspreis“ ist in der Praxis des innerkonzernlichen Liefer- und Leistungsaustausches als ein Oberbegriff anzusehen. Der inner-
1.23
1 EU-Schiedskonvention v. 23.7.1990 90/436/EWG, BStBl. I 1993, 819. 2 EU-Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation v. 27.6.2006, Abl EU v. 28.7.2006 C 176/01. 3 EU-Verhaltenskodex zum Schiedsverfahren v. 27.6.2006, Abl EU v. 28.7.2006 C 176/02. 4 Regierungsbegründung zum AStRefG, BT-Drucks. VI/2883 Tz. 15 ff. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG 1983, BStBl. I 1983, 218 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG 1983, BStBl. I 1983, 218, Rz. 1.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 Vgl. hierzu Baumhoff, ISR 2013, 249 ff. 8 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 569 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 9 Steuervergünstigungsabbaugesetz v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 10 Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung v. 13.11.2003, BGBl. I 2003, 2296. 11 Funktionsverlagerungsverordnung v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680 = BStBl. I 2009, 34. 12 BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – VWG VP 2021, BStBl. I 2021, 1098.
Wassermeyer/Ditz | 13
Kap. 1 Rz. 1.23 | Einführung
konzernliche Liefer- und Leistungsaustausch lässt sich wiederum in unterschiedliche Transaktionsarten unterteilen, wie z.B. – Lieferung von Gütern und Waren (s. Kap. 6A, Rz. 6.1 ff.), – Dienstleistungen (s. Kap. 6B, Rz. 6.88 ff.), – Arbeitnehmerentsendungen (s. Kap. 6C, Rz. 6.185 ff.), – Konzern- und Kostenumlagen (s. Kap. 6D, Rz. 6.336 ff.), – Finanzierungsleistungen (s. Kap. 6E, Rz. 6.423 ff.), – Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter (s. Kap. 6F, Rz. 6.557 ff.), – Erbringung von IT-Leistungen (s. Kap. 6G, Rz. 6.675 ff.) und – Leistungsbeziehungen von Versicherungsunternehmen (s. Kap. 6H, Rz. 6.805 ff.). Je nach Art des innerkonzernlichen Liefer- und Leistungsaustausches könnte man stattdessen z.B. auch von „Warenpreis“, „Lieferpreis“, „Dienstleistungsgebühr“, „Entsendegebühr“, „Kostenumlage“, „Zins“, „Avalprovision“, „Lizenzgebühr“, „Know-how-Gebühr“, „Pachtentgelt“, „Mietzins“, „Leasinggebühr“, „Nutzungsgebühr“ oder ähnlichen Entgelten sprechen. Insofern bezieht sich der Begriff „Verrechnungspreis“ auf alle Arten von innerkonzernlichen Transaktionen. Unter dem Begriff „Verrechnungspreis“ ist steuerrechtlich der zwischen den nahestehenden Unternehmen tatsächlich vereinbarte Preis (= Entgelt) zu verstehen. Zum Preis gehört alles, was Entgeltcharakter hat. In diesem Sinne ist der Verrechnungspreis eine „Ist-Größe“. Zwar sieht § 90 Abs. 3 AO vor, dass der Steuerpflichtige dokumentiert, wie der Verrechnungspreis zustande gekommen ist. Diese Dokumentation (s. Kap. 8) ist jedoch keine begriffliche Voraussetzung für die Existenz eines Verrechnungspreises. Das Vorliegen eines Verrechnungspreises hängt nicht davon ab, ob er anhand einer der bekannten fremdvergleichskonformen klassischen Verrechnungspreismethoden (s. Kap. 5) zutreffend oder unzutreffend abgeleitet wurde oder werden kann. Für den Verrechnungspreis gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Von einem Verrechnungspreis ist allerdings auch dann zu sprechen, wenn er entweder von einem Vertragspartner „diktiert“ oder nach langwierigen Preisverhandlungen im Wege einer Einigung gefunden wurde. Der Verrechnungspreis kann zwar innerhalb von Bandbreiten oder Einigungsbereichen liegen. Er hat jedoch im Übrigen mit diesen Begriffen nichts zu tun. Der Verrechnungspreis ist auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung anzusetzen. Er liegt deshalb der Ermittlung des Unterschiedsbetrages i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG unabhängig davon zugrunde, ob er i.S. eines Fremdvergleichs angemessen ist oder nicht. Der Verrechnungspreis kann auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung „steuerrechtlichen Korrekturen“ ausgesetzt sein, deren Rechtsgrundlage in der verdeckten Gewinnausschüttung, der Entnahme, der Einlage oder in § 1 AStG liegen kann (s. Kap. 2A).
1.24
Definition des Verrechnungspreises in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG. Mit Wirkung seit dem 1.1.2008 wird der Begriff „Verrechnungspreis“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG als „andere Bedingungen, insbesondere Preise“, „die der Steuerpflichtige seiner Einkünfteermittlung zu Grunde legt“ definiert. Diese Legaldefinition wurde auch im Zuge der Reform des § 1 AStG durch das AbzStEntModG und ATADUmsG keiner Neufassung unterzogen. Daher ist diese gesetzliche Definition nach wie vor unzutreffend.1 Richtigerweise ist der Verrechnungspreis das tatsächlich vereinbarte Entgelt für eine zwischen verbundenen Unternehmen erbrachte Lieferung oder Leistung. Im Liefer- und Leistungsverkehr zwischen verbundenen Unternehmen gilt – 1 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 535.
14 | Wassermeyer/Ditz
C. International-steuerrechtlicher Hintergrund | Rz. 1.25 Kap. 1
ungeachtet eines in tatsächlicher Hinsicht ggf. bestehenden Kontrahierungszwangs – der Grundsatz der Vertragsfreiheit, der die Preisbestimmung einschließt. Der Verrechnungspreis ist deshalb stets eine „Ist-Größe“. Je nach Transaktionsgegenstand der konzerninternen Lieferoder Leistungsbeziehung kann das tatsächlich vereinbarte Entgelt und damit der Verrechnungspreis z.B. ein „Warenpreis“, ein „Lieferpreis“, eine „Lizenzgebühr“, eine „Dienstleistungsvergütung“, eine „Know-how-Gebühr“, eine „Kostenumlage“, ein „Zins“, eine „Avalprovision“ oder ein ähnliches Entgelt sein. Der Ausdruck „andere [...] Preise“ impliziert ein begriffsnotwendiges Abweichen des Verrechnungspreises von einer Bezugsgröße (hier: Fremdvergleichspreis). Dies ist unzutreffend. Ein Verrechnungspreis liegt auch vor, wenn dieser dem Fremdvergleichspreis entspricht. Insofern fehlt es allerdings an der Tatbestandsvoraussetzung für eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG; m.a.W. kommt der Fremdvergleichsgrundsatz nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG bereits auf Tatbestandsebene zum Tragen. Die begriffliche Vermengung von „Verrechnungspreis“ und „Fremdvergleichspreis“ ist in der ausufernden Konzeption des § 1 AStG angelegt. Das Grundproblem besteht darin, dass der Gesetzgeber meint, dem Steuerpflichtigen vorschreiben zu können und zu müssen, nach welchen Grundsätzen und Verfahren er Verrechnungspreise gegenüber nahestehenden Transaktionspartnern zu bestimmen hat. § 1 AStG ist allerdings keine Verhaltens-, sondern eine Einkünftekorrekturvorschrift. Der Steuerpflichtige ist insbesondere nicht verpflichtet, fremdübliche Bedingungen zu vereinbaren.1 Sanktioniert ist ein Abweichen vom Fremdvergleichspreis zu Lasten im Inland steuerpflichtiger Einkünfte, und zwar mit einer Preiskorrektur. Für die Existenz eines Verrechnungspreises ist es völlig unbeachtlich, nach welchen Grundsätzen dieser bestimmt wurde und auf welche Art und Weise die Preisvereinbarung zustande gekommen ist. Was das Zustandekommen der Preisvereinbarung anbelangt, können Verrechnungspreise Ergebnis eines Preisdiktats oder von Preisverhandlungen sein, wie sie unter fremden Dritten erfolgen. Begriff „Fremdvergleichspreis“. Unter dem Fremdvergleichspreis ist das Entgelt zu verstehen, das voneinander unabhängige Dritte für die gleiche Lieferung oder Leistung unter vergleichbaren Bedingungen vereinbart hätten. Der Fremdvergleichspreis ist nur dann von steuerrechtlicher Relevanz, wenn Leistungs- oder Lieferungsbeziehungen zwischen einander nahestehenden Personen bestehen. Der Fremdvergleichspreis hat nur einen hypothetischen Bezug zu der konkreten Geschäftsbeziehung, zu der der tatsächlich vereinbarte Verrechnungspreis gehört. Er ist für jede einzelne Leistung aufgrund der Geschäftsbeziehung zwischen den nahestehenden Personen zu ermitteln. Insoweit hat er einen individuellen Bezug, der mit dem „gewöhnlichen Geschäftsverkehr“ i.S. des § 9 Abs. 2 BewG nicht übereinstimmen muss. Dies gilt grundsätzlich auch für ungewöhnliche Verhältnisse i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG. Alle Umstände des konkreten Einzelfalles können auf die Höhe des Fremdvergleichspreises einwirken. Der „Fremdvergleichspreis“ ist eine „Soll-Größe“. Er ist der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit der Verrechnungspreis vom Fremdvergleichspreis abweicht und die Einkünfte dadurch gemindert werden. Der Fremdvergleichspreis ist zu ermitteln; er wird nicht vereinbart. Der Fremdvergleichspreis ist durch Vergleich mit dem zu ermitteln, was fremde und voneinander unabhängige Dritte unter vergleichbaren Bedingungen bei Übernahme entsprechender Funktionen und Risiken (s. Kap. 4) entweder tatsächlich vereinbart haben oder hypothetisch vereinbart hätten. Entsprechend unterscheidet man zwischen dem tatsächlichen und dem hypothetischen Fremdvergleich (s. Kap. 3). Bei dem tatsächlichen Fremdvergleich wird der Verrechnungspreis mit dem Preis verglichen, den fremde Dritte unter vergleichbaren Umständen tatsächlich vereinbart haben. Beim hypothetischen Fremdvergleich wird der Verrechnungspreis mit dem Preis verglichen, den fremde Dritte unter vergleichbaren Umständen mutmaß1 A.A. offensichtlich Greil/Wargowske, ISR 2016, 158.
Wassermeyer/Ditz | 15
1.25
Kap. 1 Rz. 1.25 | Einführung
lich vereinbart hätten. In diesem Sinne wird der hypothetische Fremdvergleich im Wege einer Simulation ermittelt. Es gibt auch gemischte Fremdvergleiche, die zu einem Teil an tatsächliche Verhältnisse und zu einem anderen Teil an eine Simulation anknüpfen. Der tatsächliche Fremdvergleich kann zu einer Bandbreite angemessener Fremdvergleichspreise führen, wenn fremde Dritte trotz vergleichbarer Verhältnisse tatsächlich unterschiedlich hohe Preise vereinbart haben. In diesem Sinne knüpft der Begriff „Bandbreite“ an tatsächlich vereinbarte Fremdvergleichspreise an. Im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs gibt es dagegen nur Einigungsbereiche. Der Einigungsbereich ist durch das gekennzeichnet, was der eine Vertragspartner mindestens gefordert hätte (Preisuntergrenze) und der andere höchstens zu zahlen bereit gewesen wäre (Preisobergrenze). Wäre der andere Vertragspartner nicht bereit gewesen, das zu zahlen, was der eine Vertragspartner mindestens gefordert hätte, so gibt es keinen Einigungsbereich. Der Fremdvergleichspreis ist steuerrechtlich von Bedeutung, wenn die Voraussetzungen einer vGA, einer Entnahme, einer Einlage oder des § 1 AStG vorliegen und die Bewertung der Gewinnverlagerung zum Fremdvergleichspreis geboten ist. In diesem Fall wird regelmäßig auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung die Differenz zwischen Fremdvergleichsund Verrechnungspreis dem Unterschiedsbetrag hinzugerechnet. Der Fremdvergleichspreis findet also regelmäßig erst auf der sog. Korrekturebene Berücksichtigung.
1.26
Definition des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG. Mit Wirkung ab dem 1.1.2008 wird zwar nicht der Begriff „Fremdvergleichspreis“, jedoch der des „Verrechnungspreises“ (s. Rz. 1.24) und des „Fremdvergleichsgrundsatzes“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG definiert. Einzelheiten zu dem Fremdvergleichsgrundsatz regelt der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 AStG (s. Kap. 3). Da die gesetzliche Regelung nur für den Bereich des § 1 Abs. 1 AStG gilt, verabschiedet sich der Gesetzgeber mit seinem Vorgehen von einem einheitlichen Fremdvergleichsgrundsatz für das gesamte innerstaatliche deutsche Steuerrecht. § 1 Abs. 1 AStG findet nur auf Geschäftsbeziehungen des Steuerpflichtigen zum Ausland mit einer ihm nahestehenden Person Anwendung. Für Geschäftsbeziehungen des Steuerpflichtigen zum Inland mit einer ihm nahestehenden Person gilt ein anderer Fremdvergleichsgrundsatz. Die gesetzliche Definition in § 1 Abs. 1 AStG ist zumindest angreifbar, weil sie nicht zwischen dem Entgelt und den übrigen Vertragsbedingungen unterscheidet. Im Fremdvergleich unterliegt es grundsätzlich der Dispositionsfreiheit der sich nahestehenden Unternehmen, ob und in welchem Umfang sie einen Leistungsaustausch wollen und tatsächlich durchführen. Der tatsächlich durchgeführte Leistungsaustausch muss als solcher hingenommen werden. Unter Fremdvergleichsgesichtspunkten kann nur das Entgelt für eine tatsächlich erbrachte Leistung für Besteuerungszwecke an das Angemessene angepasst werden. Anders ausgedrückt, wird nicht danach gefragt, ob voneinander unabhängige Dritte einen gleichartigen Leistungsaustausch dem Grunde nach, dem Umfang nach oder in seinen einzelnen Leistungsteilen nach ebenfalls so vereinbart hätten.
1.27
Verhältnis „gemeiner Wert“ zum „Fremdvergleichspreis“. Der Begriff „gemeiner Wert“ wird in § 9 BewG gesetzlich als der Wert definiert, der durch den Preis bestimmt wird, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Der gemeine Wert ist ein objektivierter Wert. Bei seiner Ermittlung gelten keine Teilwertvermutungen oder Teilwertgrenzen. Der gemeine Wert dient gleichermaßen der Bewertung einzelner Wirtschaftsgüter als auch der Bewertung von Unternehmen. Die für die Unternehmensbewertung geltenden „objektivierten“ Grundsätze sind im Standard S 1 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. festgelegt. Mit Hilfe des gemeinen Wertes können keine Nutzungen oder Dienstleistungen bewertet werden. Diese sind keine Wirtschaftsgüter und werden auch nicht veräußert. Insoweit sind die Bezugspunkte des gemeinen Wertes enger als die des Fremdvergleichspreises. Ferner löst sich der gemei16 | Wassermeyer/Ditz
C. International-steuerrechtlicher Hintergrund | Rz. 1.28 Kap. 1
ne Wert begrifflich von dem einzelnen Geschäftsvorfall. Er stellt stattdessen auf ein Entgelt ab, das „im gewöhnlichen Geschäftsverkehr“ zu erzielen wäre. Auch in diesem Punkt bestehen gewichtige Unterschiede zwischen dem Fremdvergleichspreis und dem gemeinen Wert. Beispiel: Erstellt z.B. ein Automobilhersteller einen Pkw, den er im Inland für 40.000 Euro zu verkaufen pflegt, so schließt dies nicht aus, dass er bei einem grenzüberschreitenden Verkauf nur 30.000 Euro erzielen kann. Zählt der grenzüberschreitende Verkauf nicht zum gewöhnlichen Geschäftsverkehr, so beträgt der gemeine Wert des Pkw 40.000 Euro, während der Fremdvergleichspreis jedenfalls dann nur 30.000 Euro beträgt, wenn er für die konkrete grenzüberschreitende Lieferung zu ermitteln ist.
Das Beispiel soll deutlich machen, dass die Probleme des gemeinen Wertes zum einen bei der Frage liegen, was noch und was nicht mehr zum gewöhnlichen Geschäftsverkehr zählt. Im Übrigen können auch in einem gewöhnlichen Geschäftsverkehr unterschiedliche Preise erzielt werden, wenn z.B. Handel auf verschiedenen ausländischen Märkten betrieben wird. Dann stellt sich die Frage, ob § 9 BewG zum Ansatz eines Durchschnittspreises zwingt oder ob die Vorschrift jeden Markt für sich betrachtet und in diesem Sinne verschiedene gemeine Werte kennt. Die Beachtung des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs zwingt dazu, auf die maßgebende Handelsstufe abzustellen. In der Geschäftsbeziehung zwischen Produzent und Vertreiber kommt es nicht auf den Preis an, den der Endverbraucher zahlt. Die begrifflichen Unterschiede können Verwerfungen auslösen, wenn die auf den gemeinen Wert abstellenden Regelungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG abkommensrechtlich nicht durchsetzbar sind. Umgekehrt kann in den Fällen des § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG der Ansatz des gemeinen Wertes anstelle des Fremdvergleichspreises für den Steuerpflichtigen günstiger sein. Von Bedeutung ist auch, dass durch das SEStEG1 dem § 11 Abs. 2 BewG ein Satz 3 angefügt wurde, wonach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG nicht für ertragsteuerrechtliche Zwecke gilt. Dies zeigt, dass im Ertragsteuerrecht ein Bedürfnis besteht, den Begriff „gemeiner Wert“ losgelöst von § 9 BewG auszulegen.
IV. Steuerlich zu akzeptierende Rahmenbedingungen Unternehmerische Dispositionsfreiheit und steuerrechtliche Folgen. Steuerrechtlich gesehen können (auch einander nahestehende) Unternehmen untereinander jede Art von Lieferund Leistungsaustausch vereinbaren. Sie können frei entscheiden, ob und in welchem Umfang Funktionen hier oder dort ausgeübt oder ob Risiken und Gewinnchancen übernommen bzw. verlagert werden. Es fällt in die unternehmerische Dispositionsfreiheit, ob Funktionen selbst wahrgenommen, bei einem anderen (Konzern-)Unternehmen konzentriert oder auf mehrere Unternehmen aufgeteilt werden oder ob ein Subunternehmer beauftragt wird. Die Unternehmen können auch frei entscheiden, ob anlässlich einer veränderten Funktionsverteilung Wirtschaftsgüter zu Eigentum übertragen oder lediglich zur Nutzung überlassen werden. Man muss zwischen der Leistung und der Gegenleistung unterscheiden. Die Finanzverwaltung hat alle „anderen Bedingungen“, soweit sie nur die Leistung betreffen, als Ausfluss der Dispositionsfreiheit der beteiligten Unternehmen zu akzeptieren, vor allem darf sie sich nicht als der „bessere Unternehmer“ gerieren. Im steuerrechtlichen Sinne „korrekturfähig“ ist an sich nur die Gegenleistung, d.h. der vereinbarte Verrechnungspreis als solcher, der im Rahmen des Fremdvergleichs natürlich an den tatsächlich erbrachten Leistungen zu messen ist. Auch der BFH hat in seiner älteren Rechtsprechung2 judiziert, dass Art. 9 Abs. 1 OECD-MA eine 1 SEStEG v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782 (2805). 2 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046.
Wassermeyer/Ditz | 17
1.28
Kap. 1 Rz. 1.28 | Einführung
begrenzende Sperrwirkung in der Weise zukommt, als dieser nur Verrechnungspreiskorrekturen im Hinblick auf die Angemessenheit der vereinbarten Bedingungen „der Höhe nach“ – d. h. den Verrechnungspreis i.e.S. – zulässt. Sonstige Bedingungen, die die Parteien vereinbaren – wie etwa die Frage nach der Besicherung einer Forderung – mögen den Verrechnungspreis zwar beeinflussen können; sie könnten aber nicht über eine Art. 9 OECD-MA nachgebildete Abkommensnorm korrigiert werden. Mit seinen Urteilen v. 27.2.20191 hat der BFH seine Rechtsprechung geändert und durch weitere Urt. v. 19.6.20192, v. 14.8.20193 und v. 18.12.20194 bestätigt. Danach gehört eine fehlende Darlehensbesicherung grundsätzlich zu den nicht fremdüblichen „Bedingungen“ i.S.d. § 1 AStG und des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Eine Einschränkung des Korrekturbereichs auf reine Preiskorrekturen der Höhe nach ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA, nämlich Gewinnberichtigungen am Maßstab des materiellen Fremdvergleichs auszurichten.5 Sowohl § 1 Abs. 1 AStG als auch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA beschränken damit ihren Korrekturbereich nicht auf reine Preisberichtigungen, sondern ermöglichen die Korrektur des aus einem Forderungsverzicht oder einer Teilwertabschreibung resultierenden Aufwands.6 Beispiel: Eine GmbH schließt mit ihrem Gesellschafter einen Geschäftsführungsvertrag ab, in dem sich der Gesellschafter-Geschäftsführer verpflichtet, regelmäßig 60 Stunden pro Arbeitswoche für die GmbH zu arbeiten. In diesem Fall kann das FA prüfen, ob der Vertrag tatsächlich durchgeführt wurde. Stellt das FA fest, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer tatsächlich nur 40 Stunden pro Arbeitswoche arbeitete, so kann es den abgeschlossenen Vertrag als nicht durchgeführt behandeln. Stellt das FA dagegen fest, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer tatsächlich 60 Stunden pro Arbeitswoche gearbeitet hat, dann kann es sich nicht auf den Standpunkt stellen, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nur eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden vereinbart haben würde.
1.29
Tatsächliche Durchführung. Die Finanzverwaltung kann allerdings im Rahmen der behördlichen Sachverhaltsaufklärung (s. Kap. 9) zusätzlich prüfen, ob das Vereinbarte auch tatsächlich durchgeführt wurde. Fehlt es an einer tatsächlichen Durchführung, so ist der Vertrag wirtschaftlich nicht erfüllt und deshalb der Besteuerung nicht zugrunde zu legen. Ggf. kommt dann eine Schätzung gem. § 162 AO in Betracht (s. Kap. 9). Der tatsächlich nicht durchgeführte Vertrag löst eine Vermutung dafür aus, dass das Vereinbarte nicht gewollt war bzw. dass es etwas anderes verdeckt. Die Besteuerung wird dann nach dem tatsächlich Durchgeführten vorgenommen, wobei auch das Entgelt für das tatsächlich Durchgeführte einem Fremdvergleich unterworfen werden kann. Es kann aber auch so sein, dass die tatsächliche Durchführung die Annahme einer Leistungsbeziehung ausschließt und zur Annahme einer Ausschüttung insgesamt zwingt.
1 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; Wacker, FR 2019, 455; BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440; BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443. 2 Vgl. BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/NV 2020, 183; BFH v. 19.6.2019 – I R 54/17; BFH v. 19.6.2019 – I R 32/17, BFH/NV 2020, 255. 3 Vgl. BFH v. 14.8.2019 – I R 34/18, IStR 2020, 590. 4 Vgl. BFH v. 18.12.2019 – I R 72/17, BFH/NV 2020, 1049. Gegen dieses BFH-Urteil wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Az. beim BVerfG lautet 2 BvR 2002/20. 5 Hiervon unberührt bleibt es jedoch bei der Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gegenüber dem formalen Fremdvergleich, vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 27. 6 Vgl. hierzu ausführlich Ditz in F/W/B/S, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 94 ff.; Ditz/Licht/Linnemann, ISR 2022, 101.
18 | Wassermeyer/Ditz
C. International-steuerrechtlicher Hintergrund | Rz. 1.33 Kap. 1
Unübliche sonstige Bedingungen. Die Ausführungen in Rz. 1.25 bedürfen einer Einschränkung für den Fall, dass die sonstigen Vertragsbedingungen in besonderer Weise ungewöhnlich sind. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass das vertraglich Vereinbarte durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist (formeller Fremdvergleich). Der BFH hat dies im Verhältnis zu einem beherrschenden Gesellschafter entschieden, wenn dessen Vertrag mit seiner Gesellschaft in wichtigen Punkten unklar oder unvollständig und nicht von vornherein abgeschlossen war1. Entsprechendes kann gelten, wenn nahestehende Personen bewusst zivilrechtlich unwirksame Verträge abschließen.2 Man sollte beachten, dass die Unüblichkeit der vereinbarten anderen Bedingungen nicht automatisch zur Anwendung steuerrechtlicher Korrekturnormen führt. Die Annahme der Veranlassung von Leistungen durch das Gesellschaftsverhältnis beruht vielmehr auf einer Beurteilung des Gesamtbildes des Vertrages. Man sollte allerdings auch nicht übersehen, dass die internationale Durchsetzbarkeit dieser Rechtsprechung umstritten ist.3
1.30
Missbrauch. Die Finanzverwaltung kann auch prüfen, ob das tatsächlich Vereinbarte missbräuchlich i.S. des § 42 AO war. Ist der Missbrauchsvorwurf begründet, so wird der Besteuerung der Sachverhalt zugrunde gelegt, der bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung tatsächlich hätte verwirklicht werden müssen. Der Missbrauchsvorwurf muss sich allerdings auf die individuelle Vertragsgestaltung als solche beziehen. Ihr kann nicht lediglich der vereinbarte Verrechnungspreis zugrunde gelegt werden. Dessen Korrektur unterliegt den Vorschriften der vGA, der Entnahme, der Einlage und des § 1 AStG als lex specialis gegenüber § 42 AO.
1.31
Gesamtplan. Unter einem Gesamtplan versteht man die einheitliche steuerrechtliche Beurteilung mehrerer Rechtsakte, die i.d.R. zeitlich gestreckt vereinbart und/oder realisiert werden. Der Gesamtplan drückt die wirtschaftliche Verbundenheit der einzelnen Rechtsakte aus. Sowohl die BFH-Rechtsprechung4 als auch die Finanzverwaltung stellen ggf. auf einen bestehenden Gesamtplan ab. Der Gesamtplan wird durch eine von vornherein bestehende Absicht geprägt, auf der mehrere Rechtsakte zur Erreichung eines einheitlichen Zieles aufbauen.
1.32
V. Drohende Doppelbesteuerung Drohende Doppelbesteuerung. Geht man davon aus, dass ein wesentlicher Teil der Lieferungs- und Leistungsbeziehungen in der Weltwirtschaft zwischen verbundenen Unternehmen abgewickelt wird, dann löst jede einseitige steuerrechtliche Entgeltskorrektur durch einen der beteiligten Fisci dem Grunde nach eine Doppelbesteuerung aus. Es tritt nicht nur eine steuerliche Mehrbelastung bei den beteiligten Unternehmen durch die Anwendung anderer Ermitt1 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545 = BFHE 185, 224 = FR 1998, 625; v. 23.10.1996 – I R 71/95, BStBl. II 1999, 35 = BFHE 181, 328 = FR 1997, 20 m. Anm. Pezzer. 2 Vgl. BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, BStBl. II 1999, 35 = BFHE 181, 328 = FR 1997, 20 m. Anm. Pezzer; v. 16.12.1998 – I R 96/95, BFH/NV 1999, 1125; v. 24.7.1996 – I R 115/95, BStBl. II 1997, 138 = BFHE 182, 281 = FR 1997, 109; v. 15.10.1997 – I R 19/97, BFH/NV 1998, 746. 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324; FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161; BFH v. 8.9.2010 – I R 6/ 09, FR 2011, 127 m. Anm. Prinz = BFH/NV 2011, 154, FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 190a; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Böhmer, IStR 2013, 270. 4 Vgl. BFH v. 24.11.1982 – II R 38/78, BStBl. II 1983, 429 = BFHE 138, 97; v. 6.9.2000 – IV R 18/99, BStBl. II 2001, 229 = BFHE 193, 116 = FR 2001, 75; v. 25.11.2009 – I R 72/08 Rz. 23, BStBl. II 2010, 471 = BFHE 227, 445 = FR 2010, 381 m. Anm. Wendt.
Wassermeyer/Ditz | 19
1.33
Kap. 1 Rz. 1.33 | Einführung
lungsvorschriften und den Ansatz anderer Steuersätze ein. Häufig liegt es in der Folge der angenommenen Gewinnverlagerung, dass der andere Fiskus auf Steuersubstrat verzichten soll, das er bisher als eigenes behandelt hat. Insoweit ist der andere Fiskus aufgerufen, eine sog. Gegenberichtigung durchzuführen. Die drohenden Doppelbesteuerungen können zwar durch Verständigungsverfahren (vgl. hierzu Rz. 10.6 ff.), durch die Anrufung des Beratenden Ausschusses nach der EU-Schiedskonvention, durch die Anrufung eines Schiedsgerichts auf der Grundlage eines DBA oder durch verbindliche Auskünfte (APA; s. Rz. 10.108 ff.) vermieden werden. Die Verfahren müssen jedoch im Einzelfall durchführbar sein. Sie sind häufig sehr langwierig und aufwändig. Neben den klassischen Streitbeilegungsmitteln können auch Joint Audits die Gefahr einer Doppelbesteuerung abwenden (vgl. hierzu Kap. 9E, Rz. 9.45 ff.).
D. Neuordnung internationaler Besteuerungsrechte im Rahmen der Säule 1 1.34
Probleme des bestehenden internationalen Steuersystems. Das derzeitige internationale Steuersystem basiert auf Besteuerungsgrundsätzen und -vorschriften, die in den 1920er Jahren für konventionelle Geschäftsmodelle entwickelt wurden. Nach den geltenden Vorschriften können Unternehmensgewinne nur dann in einem anderen Land besteuert werden, wenn das Unternehmen dort physisch präsent ist. Als Geschäftstätigkeiten noch ausschließlich aus Fabriken, Lagerhäusern und materiellen Wirtschaftsgütern bestanden, war eine solche Regelung sinnvoll. Die heutigen digitalen Geschäftsmodelle erfordern jedoch nur noch eine geringe oder gar keine physische Präsenz. Infolgedessen können digitale Unternehmen die Besteuerung in Ländern mit hohen Steuersätzen umgehen und ihre Steuerlast in einer Weise verringern, wie es traditionelle Unternehmen nicht können. Des Weiteren erfassen nationale Steuersysteme i.d.R. nur die inländischen, nicht aber die ausländischen Einkünfte multinationaler Unternehmen. Dies beruht auf der Annahme, dass ausländische Einkünfte dort besteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden. In digitalen Geschäftsmodellen werden Gewinne insbesondere durch immaterielle Vermögenswerte wie Marken, Patente und Urheberrechte erzielt. Da diese äußerst mobil sind, können sie nach dem Belieben der multinationalen Unternehmen steuerlich effizient zugewiesen werden.
1.35
Zwei-Säulen-Modell der OECD. Nachdem Aktionspunkt 1 des BEPS-Projekts der OECD/ G20-Staaten zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielen konnte, wurde das Inclusive Framework on BEPS (IF) – bestehend aus seinerzeit weltweit 137 Staaten1 – beauftragt, Lösungsvorschläge zu den steuerlichen Herausforderungen der Digitalisierung zu erarbeiten. Am 23.1.2019 wurde eine „Policy Note“ verabschiedet, die eine „Two-Pillar Solution“ (Zwei-Säulen-Lösung) beinhaltet.2 Die Reformvorschläge des IF wurden kontinuierlich ausgearbeitet und mündeten in einer am 8.10.2021 veröffentlichten Erklärung zur Zwei-Säulen-Lösung.3 Die Säule 1 enthält ein System zur Neuverteilung des Steuersubstrats eines kleinen Kreises hochprofitabler internationaler Großkonzerne und Säule 2 eine weltweite Mindestbesteuerung, die für alle Konzerne mit einem Jahresumsatz von über 1 Das Inclusive Framework on BEPS ist ein Zusammenschluss von Staaten, die sich zur Umsetzung der Ergebnisse des BEPS-Projekts von OECD und G20 bekannt haben. Zu Einzelheiten vgl. Kreienbaum/Fehling, IStR 2017, 929 f. 2 OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy – Policy Note, as Approved by the Inclusive Framework on BEPS on 23 January 2019. 3 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021.
20 | Wassermeyer/Ditz und Ditz
D. Neuordnung int. Besteuerungsrechte i.R.d. Säule 1 | Rz. 1.37 Kap. 1
750 Mio. Euro gelten und den staatlichen Unterbietungswettlauf bei den Unternehmenssteuersätzen mittels einer Untergrenze von 15 % stoppen soll.1 Der Implementierungsfahrplan sieht vor, dass beide Säulen bereits 2023 in Kraft treten sollen. Nach einer Schätzung des IF werden im Rahmen der Säule 1 jährlich rund 125 Mrd. US-Dollar an Konzernübergewinnen an Marktsaaten umverteilt.2 Säule 2 wird voraussichtlich rund 150 Mrd. US-Dollar pro Jahr an neuen Steuereinnahmen generieren. Zielsetzung und Kernelemente der Säule 1. Der Zweck von Säule 1 bestand ursprünglich darin, Besteuerungslücken im Bereich bestimmter digitaler Geschäftsmodelle zu schließen. Die Beschränkung auf spezifische digitale Leistungen war aber nicht konsensfähig, da sie große Abgrenzungsschwierigkeiten verursacht und den steuerpolitischen Interessen der USA widerspricht.3 Säule 1 ist nunmehr darauf gerichtet, einen Teil des Steuersubstrats, der aus den Gewinnen der ca. 100 größten und profitabelsten internationalen Konzerne resultiert, zwischen den Mitgliedstaaten des IF umzuverteilen. Das IF begründet die branchen- und technologieneutrale Neuverteilung von Überrenditen mit dem Argument, dass bestimmte Großkonzerne in besonderer Weise von der Globalisierung und Digitalisierung der Wirtschaft profitierten („winners of globalisation“) und insbesondere in der Lage seien, in anderen Ländern umfangreiche Geschäftsaktivitäten zu entfalten, ohne dort in größerem Umfang physisch präsent zu sein. Daher sei eine Reform der „alten Regeln“ des OECD-MA erforderlich, wonach sich die Besteuerungsrechte aus Betriebsstätten und ähnlichen Anknüpfungspunkten herleiten.4 Es handelt sich also um einen partiellen Paradigmenwechsel bei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen, der nicht nur einen neuen territorialen Anknüpfungspunkt der „wirtschaftlichen Präsenz“ in das Internationale Steuerrecht einführt, sondern auch den grenzüberschreitenden Konzern als wirtschaftliche Einheit begreift, deren Gewinn z.T. zwischen den „Marktstaaten“ umverteilt werden kann.5 Säule 1 besteht aus drei Hauptkomponenten:6
1.36
– einem neuen Besteuerungsrecht für Marktstaaten (Amount A), – einer fixen, dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Vergütung für bestimmte Routinetätigkeiten im Bereich Marketing und Vertrieb, die physisch in einem Marktgebiet stattfinden (Amount B) und – einem Verfahren zur Verbesserung der steuerlichen Rechtssicherheit durch wirksame Streitvermeidungs- und Streitbeilegungsmechanismen. Amount A. Das Konzept des Amount A ist die Antwort des IF auf die steuerlichen Herausforderungen, die sich aus der Digitalisierung der Wirtschaft ergeben. Mit diesem Konzept wird ein neuer Anknüpfungspunkt für Besteuerungsrechte etabliert, der unabhängig von der tatsächlichen physischen Präsenz eines Unternehmens in einem Marktstaat ist. Mangels greifbarer Präsenz im Quellenstaat muss der neue Aufteilungsmaßstab auf qualitative Kriterien
1 Für eine ausführliche Darstellung und Würdigung der Säule 1 und 2 s. Ditz/Pinkernell, ISR 2021, 449. 2 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 5. Dagegen wird das Steueraufkommen nicht beziffert. 3 Ditz/Pinkernell, ISR 2019, 382 f. 4 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 13. 5 Ditz/Pinkernell, ISR 2019, 379 f. 6 Hierzu ausführlich Ditz/Pinkernell, ISR 2021, 449.
Ditz | 21
1.37
Kap. 1 Rz. 1.37 | Einführung
verzichten und beschränkt sich stattdessen auf eine formelhafte Aufteilung bzw. Zerlegung eines Teils des Konzerngewinns. Das Aufteilungsergebnis wird als „Amount A“ bezeichnet.1
1.38
Anwendungsbereich von Amount A. Der persönliche Anwendungsbereich für die Ermittlung und Zuteilung des Amount A erfasst nur sehr große internationale Konzerne, deren Konzernumsatz 20 Mrd. Euro p.a. übersteigt und deren Bruttoumsatzrendite mehr als 10 % beträgt.2 Nach Schätzung des IF werden nur etwa 100 internationale Konzerne diese Kriterien erfüllen. Daher soll sieben Jahre nach der Umsetzung von Säule 1 geprüft werden, ob eine Absenkung des Umsatzschwellenwerts auf 10 Mrd. Euro ohne übermäßige Belastung der neu einzubeziehenden Unternehmen möglich ist. Unternehmen aus dem rohstoffproduzierenden Gewerbe und der regulierten Finanzindustrie sind vom Anwendungsbereich der Säule 1 ausgenommen.3
1.39
Besteuerungsanspruch dem Grunde nach („nexus“). Einem Marktstaat wird ein Besteuerungsrecht zuerkannt, wenn das betroffene multinationale Unternehmen mindestens 1 Mio. Euro Umsatz in diesem Land erwirtschaftet. Für kleinere Marktstaaten mit einem BIP von weniger als 40 Mrd. Euro wird der Nexus auf 250 000 Euro festgesetzt.4 Die Umsatzschwellen von 1 Mio. bzw. 250.000 Euro haben lediglich die Funktion, das Besteuerungsrecht auszulösen und stellen nicht etwa eine Mindestbemessungsgrundlage dar.
1.40
Bestimmung der einem Marktstaat zuzuordnenden Umsätze („revenue sourcing“). Die Umsätze werden dem Marktstaat zugerechnet, in dem die Waren bzw. Dienstleistungen des Konzerns tatsächlich benutzt oder verbraucht werden („revenue sourcing“ nach dem Bestimmungslandprinzip). Maßgeblich sind insoweit die endgültigen Marktstaaten, d.h., der bloße Zwischenhandel über Gesellschaften in anderen Staaten wird ausgeblendet. Die Identifizierung des eigentlichen Bestimmungslands erfordert detaillierte Vorschriften zur Feststellung des Leistungsorts („source rules“), die aber erst noch entwickelt werden müssen.5 Der Anteil jedes Staats am Gesamtumsatz des Konzerns bestimmt auch seinen Anteil am aufteilbaren Residualgewinn des Konzerns, d.h., entfallen z.B. 15 % des Konzernumsatzes auf Land A, darf Land A 15 % des aufteilbaren Residualgewinns besteuern (dies entspricht 3,375 % des gesamten Vorsteuergewinns des Konzerns). In diesem Zusammenhang werden die Unternehmen verpflichtet sein, für die Umsatzzuordnung eine verlässliche Methode zu verwenden, damit ein Mindestmaß an Richtigkeit und Stetigkeit bei der geographischen Zuordnung der Umsätze gewährleistet ist. Jedoch sollen die Unternehmen nicht gezwungen sein, jeden noch so geringfügigen Umsatz nachzuverfolgen.6
1 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 6. 2 Vorsteuergewinn geteilt durch Konzernumsatz; OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 6. 3 Unternehmen dieser Branchen benötigen i.d.R. eine Niederlassung im Förderland bzw. Marktstaat, weshalb schon nach herkömmlichen Grundsätzen eine ausreichende Besteuerung erfolgen kann; s. OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 20. 4 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 6. 5 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 6. 6 Vgl. Ditz/Pinkernell, ISR 2021, 451.
22 | Ditz
D. Neuordnung int. Besteuerungsrechte i.R.d. Säule 1 | Rz. 1.43 Kap. 1
Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlage. Die Ausgangsgröße für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage bildet der nach handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften ermittelte Gewinn (z.B. IFRS- oder US-GAAP-Konzerngewinn), an dem einige steuerlich gebotene Anpassungen vorgenommen werden. Zudem besteht die Möglichkeit eines Vortrags von Verlusten.1 Die Ableitung des aufteilbaren Residualgewinns aus dem Konzernabschluss könnte dazu führen, dass ein Mischkonzern mit unterschiedlich rentablen Konzernsparten nicht in den Anwendungsbereich von Amount A fällt, obwohl die Schwellenwerte in Bezug auf einzelne Konzernsparten erfüllt sind.2 Deshalb soll statt der Gesamtbetrachtung eine Spartenbetrachtung erfolgen („Segmentation“), wenn der Konzern in seiner Rechnungslegung Umsätze und Gewinne spartenbezogen ausweist. Erfüllt eine Sparte für sich betrachtet das Umsatzkriterium von 20 Mrd. Dollar pro Jahr und auch das Rentabilitätskriterium, würde insoweit eine Aufteilung von 25 % des Residualgewinns dieser Sparte stattfinden, auch wenn der Konzern insgesamt das Rentabilitätskriterium nicht erfüllt.3
1.41
Zuweisung der Steuerbemessungsgrundlage. Gegenstand der Zuteilung von Steuersubstrat an die beteiligten Staaten ist 25 % des den Schwellenwert von 10 % übersteigenden Konzerngewinns; umverteilbar sind somit 25 % des typisierten Residualgewinns des Konzerns. Der für die Aufteilung verfügbare Residualgewinn entspricht daher 22,5 % des Vorsteuergewinns des Konzerns.4 Dabei wird der Konzerngewinn nicht nach steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften ermittelt. Ausgangspunkt ist vielmehr der nach handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften ermittelte Gewinn (z.B. IFRS- oder US-GAAP-Konzerngewinn), an dem einige steuerlich gebotene Anpassungen vorgenommen werden. Zudem besteht die Möglichkeit eines Vortrags von Verlusten.5
1.42
Würdigung des Amount A aus deutscher Sicht. Die politische Zielsetzung des Amount A ist durchaus nachvollziehbar. Da der Amount A allerdings nicht mehr nur auf die digitale Wirtschaft anzuwenden ist, entfernt sich das IF immer weiter von der eigentlichen Zielsetzung des Aktionspunktes 1 des BEPS-Projekts. Zudem besteht eine gewisse „Willkür“ in Bezug auf die festgelegten Umsatz- und Renditegrenzen. Insgesamt ist das Konzept des Amount A steuersystematisch nicht überzeugend, da von der im BEPS-Projekt geforderten Besteuerung der tatsächlich vorhandenen Wertschöpfung im Sinne einer wirtschaftlich realen Substanz abgewichen wird. Ferner basiert das Konzept auf einer rein formelhaften Gewinnaufteilung und entfernt sich damit von einer transaktionsbezogenen Gewinnaufteilung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz. Dieses abkommensrechtlich in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA niedergelegte Besteuerungskonzept bleibt jedoch weiterhin anwendbar. Die neuen Regeln treten vielmehr neben das bereits bekannte Konzept. Hinsichtlich der rechtlichen Umsetzung des Amount A ist neben einer innerstaatlichen Umsetzung, z.B. in § 49 Abs. 1 EStG, in einer im KStG verorteten Vorschrift oder in einem eigenen Steuergesetz, auch die Etablierung einer völkerrechtlichen
1.43
1 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 6. 2 Vgl. Ditz/Pinkernell, ISR 2021, 451. 3 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 7. Die Spartenbetrachtung könnte dazu führen, dass ein Mischkonzern wie Amazon, der eine renditeschwache E-Commerce-Sparte und eine sehr profitable Cloud-Computing-Sparte hat, zumindest teilweise in den Anwendungsbereich von Amount A fällt, s. dazu das Beispiel bei Petkova/Greil, IStR 2021, 687. 4 Vgl. Ditz/Pinkernell, ISR 2021,451. 5 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 6.
Ditz | 23
Kap. 1 Rz. 1.43 | Einführung
Rechtsgrundlage für Definition des Besteuerungsrechts erforderlich. Dazu ist ein Multilateral Convention abzuschließen, das neben den existierenden DBA anzuwenden ist.1
1.44
Amount B. Bei Amount B handelt es sich um einen neuen – noch zu entwickelnden – internationalen Standard zur Bestimmung der fremdüblichen Vergütung für bestimmte Routinevertriebsgesellschaften.2 Trotz der ähnlichen Bezeichnung ist dieses Projekt des IF nicht mit dem Amount A verbunden, sondern soll einen streitanfälligen Teilbereich der Verrechnungspreisbestimmung vereinfachen und Rechtssicherheit gewährleisten. Das Ergebnis wird daher nicht nur die 100 größten Unternehmen, sondern alle grenzüberschreitend tätigen und in den Anwendungsbereich fallenden Unternehmen erfassen.3
1.45
Anwendungsbereich von Amount B. Die in den Anwendungsbereich von Amount B fallenden Marketing- und Vertriebstätigkeiten werden anhand einer Positivliste mit typischen Funktionen, Wirtschaftsgütern und Risiken, die von Routinevertriebsgesellschaften zu marktüblichen Bedingungen übernommen werden, und einer Negativliste mit denjenigen Funktionen, die nicht abgedeckt werden sollen, bestimmt.4 So fällt beispielsweise ein Unternehmen, das Waren zum Weiterverkauf erwirbt, Lagereinrichtungen besitzt oder mietet und begrenzte Markt- und Bestandsrisiken trägt, in den Anwendungsbereich von Amount B. Ein Unternehmen, das Funktionen im Zusammenhang mit der Entwicklung, der Erschaffung, der Verbesserung, dem Erhalt oder dem Schutz von immateriellen Marketingwerten ausübt, fällt hingegen nicht in den Anwendungsbereich. Darüber hinaus ist anhand quantitativer Indikatoren festzustellen, ob das Unternehmen das Profil eines routinemäßigen Vertriebshändlers aufweist oder ob es zusätzliche Funktionen ausübt und Risiken eingeht, die es aus dem Anwendungsbereich herausfallen lassen. Dies könnte beispielsweise anhand von Marketing- und Vertriebsausgaben, F&E-Kosten, Forderungsbeständen oder Wertberichtigungen auf Vorräte festgestellt werden.
1.46
Ermittlung von Amount B. Die Höhe der Routinevergütung im Bereich des Amount B ist nach wie vor offen. Methodisch soll die TNMM (s. hierzu Rz. 5.92 ff.) Anwendung finden,5 wobei die Höhe der Routinefunktion auf Basis von Benchmarkstudien in Abhängigkeit der Funktionalität, Industrie und der Region bestimmt werden könnte.6 Darüber hinaus soll es eine Escape-Klausel geben, sofern Gründe durch den Steuerpflichtigen dargelegt werden, die für eine andere Verrechnungspreismethode sprechen.7 Obwohl dem Fremdvergleichsgrundsatz Rechnung getragen werden soll, weicht der Amount B insofern von ihm ab, als nicht einzelne Geschäftsvorfälle bewertet werden, sondern allgemeingültige Vergütungssätze zur Anwendung kommen sollen.8
1 Für eine ausführliche Würdigung des Amount A s. Ditz/Pinkernell, ISR 2021,455 f. 2 S. dazu Wehnert/Dickler/Dworaczek/Kunkel, ISR 2021, 347. 3 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 7. 4 Vgl. Ditz/Pinkernell, ISR 2020, 421. 5 Inclusive Framework on BEPS, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, S. 169. 6 Inclusive Framework on BEPS, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, S. 170. 7 Inclusive Framework on BEPS, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, S. 169. 8 Vgl. Ditz/Pinkernell, ISR 2020, 421.
24 | Ditz
D. Neuordnung int. Besteuerungsrechte i.R.d. Säule 1 | Rz. 1.49 Kap. 1
Würdigung des Amount B aus deutscher Sicht. Durch die Festlegung eines internationalen Standards zur Bestimmung einer fremdüblichen Vergütung für Routinevertriebsgesellschaften soll sichergestellt werden, dass betroffene Marktstaaten kein „doppeltes“ Besteuerungssubstrat erhalten, nämlich sowohl über den Amount A als auch über die von einer möglicherweise lokal ansässigen Vertriebsgesellschaft erzielten Gewinne. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass das neue Besteuerungskonzept in die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise (hier: Lieferungen an die lokalen Vertriebsgesellschaften) eingreift.1 Fraglich ist beispielsweise, was passiert, wenn eine sehr wertschöpfungsstarke Vertriebsgesellschaft im Marktstaat höhere Gewinne erwirtschaftet als eine nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu rechtfertigende Routinevergütung. Solche wertschöpfungsstarken Vertriebsgesellschaften sind insbesondere im deutschen Mittelstand zu beobachten. Da der Amount B nicht nur auf die dem Amount A unterliegenden Großkonzerne Anwendung finden soll, ist insoweit eine Konsequenz für die Bestimmung von Verrechnungspreisen gegenüber Vertriebsgesellschaften im Allgemeinen zu erwarten.
1.47
Verbesserung der steuerlichen Rechtssicherheit. Die Erzielung von Rechtssicherheit ist dem IF ein besonderes Anliegen.2 In diesem Zusammenhang sieht Säule 1 verschiedene Maßnahmen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen vor. Steuergläubiger, denen ein Amount A zur Besteuerung zugeteilt worden ist, sollen nur solche Konzerngesellschaften als Steuerschuldner in Anspruch nehmen, die einen Anteil am Residualgewinn erwirtschaftet haben. Zugleich wird der Ansässigkeitsstaat des jeweiligen Steuerschuldners verpflichtet, eine Doppelbesteuerung des Residualgewinns durch Anwendung der Freistellungs- oder Anrechnungsmethode zu beseitigen. Ferner sollen zu erwartende Streitfragen bezüglich aller Aspekte des Amount A (z.B. verrechnungspreisbezogene Streitigkeiten) durch verbindliche Verfahren beigelegt werden. Erleichterungen gelten jedoch für bestimmte Entwicklungs- und Schwellenländer, die im Rahmen des BEPS-Aktionspunkts 14 einen Aufschub erhalten haben und nur an einer geringen Anzahl von Verständigungsverfahren beteiligt sind.3
1.48
Moratorium für Digitalsteuern. Da die Marktstaaten durch Säule 1 einen Teil der grenzüberschreitenden Geschäfte der Digitalunternehmen sowie anderer Branchen besteuern können, haben sich die Mitglieder des IF verpflichtet, bereits bestehende Digitalsteuern abzuschaffen bzw. keine neuen Digitalsteuern und ähnliche unilaterale Maßnahmen einzuführen. Das Digitalsteuermoratorium gilt ausdrücklich für alle Unternehmen, ist also nicht auf die ca. 100 größten Konzerne beschränkt, deren Residualgewinn im Rahmen von Amount A umverteilt wird.4 Im Anschluss an die Erklärung des IF vom 8.10.2021 haben sich bereits einige europäische Staaten, die unilaterale Digitalsteuern erheben und deshalb von den USA mit Strafzöllen bedroht worden waren, mit den USA auf eine Übergangslösung geeinigt.5
1.49
1 Vgl. Ditz/Pinkernell, ISR 2021, 456. 2 „Securing tax certainty is an essential element of Pillar One“; Inclusive Framework on BEPS, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, S. 174. 3 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 7. 4 OECD, Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy v. 8.10.2021, S. 7. 5 Soong Johnston, TNI 2021 (Vol. 104), 451: Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich und Spanien haben sich dazu verpflichtet, die bereits erhobenen Digitalsteuern auf die späteren Steuern auf den Amount A anzurechnen, wenn Säule 1 umgesetzt worden ist.
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Kapitel 2 Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einkünfteabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz I. Zweistufige Gewinnermittlung . . . . . II. Überblick zu den Rechtsgrundlagen . C. Verdeckte Gewinnausschüttung I. Fehlende gesetzliche Definition . . . . . II. Tatbestandsvoraussetzungen der vGA III. Bewertung der vGA . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolge der vGA . . . . . . . . . . . . . D. Verdeckte Einlage I. Begriff der verdeckten Einlage . . . . . . II. Bewertung der verdeckten Einlage . . III. Rechtsfolge der verdeckten Einlage . . E. § 1 AStG I. Wesentlicher Inhalt und Zweck . . . . . II. Reform des § 1 AStG im Jahr 2021 . . III. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG 1. Steuerpflichtiger . . . . . . . . . . . . . 2. Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einkünfteminderung . . . . . . . . . . 4. Geschäftsbeziehung . . . . . . . . . . . 5. Nahestehende Person . . . . . . . . . 6. Geschäftsbeziehung zu einer nahestehenden Person . . . . . . . . . . 7. Geschäftsbeziehung zum Ausland
2.1
2.6 2.9
IV.
2.18 2.24 2.34 2.42 2.48 2.52 2.55 2.57 2.66
F. I. II.
2.76 2.82 2.89 2.92 2.116
III.
2.144 2.145
I. II.
IV. G.
8. Einkünfteminderung aufgrund von fremdunüblichen Bedingungen oder Verrechnungspreisen . . 2.159 Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG 1. Außerbilanzielle Einkünftekorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.164 2. Anwendung des § 1 AStG auf Teilwertabschreibungen auf Forderungen aus Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.182 3. Verhältnis des § 1 AStG zum Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . 2.192 4. Verhältnis des § 1 AStG zum Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.198 Konkurrenzverhältnis der Rechtsgrundlagen Verhältnis des § 1 AStG zur verdeckten Gewinnausschüttung . . . . . . . . . . 2.199 Verhältnis des § 1 AStG zu einer verdeckten Gewinnausschüttung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG . . . . . . 2.209 Verhältnis des § 1 AStG zur verdeckten Einlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.210 Anwendung der Rechtsgrundlagen in sog. „Dreiecksfällen“ . . . . . . . . . . . . . 2.216 Rechtsgrundlagen im Abkommensund EU-Recht Art. 9 OECD-MA . . . . . . . . . . . . . . . 2.222 OECD-Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . 2.235
Literatur: Adrian, Aktuelle BFH-Rechtsprechung zur Anwendung von § 1 AStG auf Teilwertabschreibungen, StuB 2020, 477; Andresen, Unrühmliches „Ende einer Dienstfahrt“ – Verfassungswidrigkeit des BFH-Urteils I R 73/16 und Unwirksamkeit des BFH-Urteils I R 32/17, Ubg 2021, 23; Andresen/ Hartmann, Ende der Diskussion über den in Deutschland Steuersystem-fremden Price-Setting-Approach, Ubg 2021, 17; Andresen/Holtrichter, BFH-Urteil v. 27.11.2019 – „In dubio pro fisco germano“ oder „Vom Fremdvergleich zum hinkenden Rechtsfolgenvergleich“, DStR 2021, 65; Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, Die Reform des § 1 AStG – Überblick und erste kritische Würdigung, DStR 2021, 1785; Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, Die neuen Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise, DStR 2021, 2817; Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen, 2. Aufl., Herne/Berlin 2000; Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung im Steuerrecht, Berlin 2004; Bauer, Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei der Verrechnungspreisplanung und -dokumentation, DB 2008, 152; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln 1986; Baumhoff, Neue Kriterien zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise im internationalen Konzern, DStR 1987, 497; Baum-
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Kap. 2 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung hoff, Steuerliche Aspekte der Verrechnungspreispolitik gegenüber ausländischen Vertriebsunternehmen, IStR 1993, 520; Baumhoff, Die Behandlung der Kostenaufschlagsmethode im neuen OECD-Bericht zu den Verrechnungspreisen, IStR 1996, 53; Baumhoff, Plädoyer für einen einheitlichen Fremdvergleichsmaßstab im deutschen Außensteuerrecht zur Beurteilung internationaler Verrechnungspreise, in Klein/Stihl (Hrsg.), Unternehmen Steuern, FS für Hans Flick, Köln 1997, 640; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik gegenüber ausländischen Lohnfertigern, in Kleineidam (Hrsg.), Unternehmenspolitik und internationale Besteuerung, FS für Lutz Fischer, Berlin 1999, 487; Baumhoff, Die Verrechnung von Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen mit Hilfe von Konzernumlagen, IStR 2000, 696; Baumhoff, Eigenproduzent versus Lohnfertiger – Qualifikation ausländischer Produktionsstätten für Zwecke der steuerlichen Verrechnungspreisplanung, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Köln 2000, 53; Baumhoff, Beweislastverteilung, Mitwirkungspflicht und Schätzung im Zusammenhang mit internationalen Verrechnungspreisen, IStR 2001, 751; Baumhoff, Aktuelle Entwicklungen bei den internationalen Verrechnungspreisen, IStR 2003, 4; Baumhoff, Die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise bei der Existenz von Preisbandbreiten, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Franz Wassermeyer, München 2005, 347; Baumhoff, Die steuerliche Bewertung von Transferpaketen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Harald Schaumburg, Köln 2009, 541; Baumhoff, Der Einfluss der Finanzmarktkrise auf die Festlegung und Prüfung von internationalen Verrechnungspreisen, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, FS für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 21; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik bei Verlustgesellschaften, in Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 133; Baumhoff/Bodenmüller, Die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 541; Baumhoff/Ditz/Greinert, Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung, DStR 2004, 157; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 1549; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, DStR 2007, 1649; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.2008, IStR 2008, 1945; Baumhoff/Ditz/Greinert, Klärung des Begriffs „Geschäftsbeziehung“ i.S. des § 1 AStG durch das BMFSchreiben vom 12.1.2010, DStR 2010, 476; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach den Änderungen des § 1 Abs. 3 AStG durch das EU-Umsetzungsgesetz, DStR 2010, 1309; Baumhoff/Ditz/Greinert, Verrechnungspreis-Dokumentationspflichten in Deutschland, Österreich und in ausgewählten osteuropäischen Staaten, IStR 2010, Beihefter Heft 20; Baumhoff/ Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerung nach den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, Ubg 2011, 161; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreis-Ermittlung gegenüber Lohnfertigern – Anmerkungen zum Urteil des FG Münster vom 16.3.2006, IStR 2006, 789; Baumhoff/Greinert, Steuerliche Anerkennung internationaler Verrechnungspreise bei Nichteinhaltung formaler Anforderungen – Anmerkungen zum Urteil des FG Köln vom 22.8.2007, IStR 2008, 353; Baumhoff/Greinert, Angemessene Lizenzsätze bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, Ubg 2009, 544; Baumhoff/Puls, Der OECD-Diskussionsentwurf zu Verrechnungspreisaspekten von „Business Restructurings“ – Analyse und erster Vergleich mit den deutschen Funktionsverlagerungsregeln nach § 1 Abs. 3 AStG, IStR 2009, 73; Baumhoff/Sieker, Ausgewählte Verrechnungspreisprobleme im Lichte des neuen OECD-Berichts, IStR 1995, 521; BDI/Ebner Stolz, Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG, in BDI/Ebner Stolz (Hrsg.), Steuer- und Wirtschaftsrecht, 8. Aufl., Bonn 2021, Rz. 448 ff.; Becker, Der ordentliche Geschäftsleiter im deutschen und ausländischen Steuerrecht, in Knobbe/Keuk (Hrsg.), Handelsrecht und Steuerrecht, FS für Georg Döllerer, Düsseldorf 1988, 17; Bernhardt/van der Ham/Kluge, Die Expansion deutscher Unternehmen ins Ausland: Steuerliche Implikationen der Gründung von Vertriebsgesellschaften – Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen im Fall von „Vertriebsabspaltungen“, IStR 2008, 1; Böing/Renaud, Neue Verwaltungsgrundsätze für Verrechnungspreise und Grundsätze für die Korrektur von Einkünften
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Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung | Kap. 2 gem. § 1 AStG, Anm. zu BMF v. 14.7.2021 – IV B 5-S 1341/19/10017:001, GmbH-StB 2021, 348; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, Düsseldorf 2004; Bogenschütz, Gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit der unterschiedlichen Behandlung von verbundenen Unternehmen nach DBA bei der Vereinbarung von Verrechnungspreisen, DB 2006, 759; Bohr, Die Transferpaket(be)rechnung – die Quadratur des Kreises, IWB 2008, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2285; Borstell, ABC der Verrechnungspreise, in Vögele/Borstell/Engler (Hrsg.), Verrechnungspreise, 3. Aufl., München 2011, 1; Borstell, Verrechnungspreispolitik bei konzerninternen Lieferungsbeziehungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. 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Sperrwirkungs-Rechtsprechung bei Teilwertabschreibungen auf unbesicherte konzerninterne Darlehen auf, DB 2019, 1236; Busch, Das neue Nebeneinander der Korrekturvorschriften in Verrechnungspreisfällen, DB 2020, 2369; Busch, RefE eines ATAD-Umsetzungsgesetzes: Überblick über die Verrechnungspreisaspekte, DB 2020, 191; Busch, Die neuen Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise, DB 2021, 1908; Busch, Die neuen Verwaltungsgrundsatze Verrechnungspreise, DB 2021,1908; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Crüger/Wintzer, Funktionsverlagerungen ins Ausland. Aktuelle Neuerungen durch die Unternehmenssteuerreform 2008 und Gestaltungshinweise, GmbHR 2008, 306; Dempfle, Charakterisierung, Analyse und Beeinflussung der Konzernsteuerquote, Wiesbaden 2006; Dickler/Wehnert/Dworaczek, Die neuen Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise – Ausgewählte Praxisüberlegungen, IStR 2021, 806; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten: Ableitung einer rechtsformneutralen Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes im internationalen Steuerrecht, Berlin 2004; Ditz, Fremdvergleichskonforme Ermittlung eines Umlageschlüssels bei Konzernumlagen, DB 2004, 1952; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten und nationale Gewinnermittlungsvorschriften im Lichte aktueller Entwicklungen bei der OECD, IStR 2005, 43; Ditz, Übertragung von Geschäftschancen bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DStR 2006, 1625; Ditz, Praxisfall einer Verrechnungspreisprüfung und Funktionsverlagerung, IStR 2009, 421; Ditz, Praxisfall einer Funktionsverlagerung unter besonderer Berücksichtigung der VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, IStR 2011, 125; Ditz, § 1 AStG bei Teilwertabschreibungen auf Darlehen an ausländische Tochtergesellschaften?, in Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 65; Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, Unternehmensteuerrechtliche Änderungen im AStG – Ein erster Überblick über den Referentenentwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes v. 10.12.2019, DStR, 73; Ditz/Haverkamp, Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und Treaty Override des § 1 AStG, Ubg 2019, 101; Ditz/Haverkamp, Verrechnungspreiskorrekturen, Funktionsverlagerungen und die Kapitalertragsteuer, IStR 2020, 499; Ditz/Just, Besteuerung einer Produktionsverlagerung nach der Funktionsverlagerungsverordnung – Praxisfall, DB 2009, 141; Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen, ISR 2020, 275; Ditz/Schneider, Internationale Rechtsprechung zu Verrechnungspreisen, DB 2011, 779; Ditz/ Tcherveniachki, Abzugsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen – Eine Analyse des BFH-Urteils vom 14.1.2009 unter besonderer Berücksichtigung des § 1 AStG, IStR 2009, 709; Eigelshoven/Nientimp, Funktionsverlagerungen und kein Ende – Die Änderungen bei der Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach dem EU-Umsetzungsgesetz, Ubg 2010, 233; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, Herne/Berlin 2003; Endres, Reiches Ausland – Armes Inland: Steuerliche Effekte bei einer Funktionsverlagerung ins Ausland, RIW 2003, 729; Engelen, Definition immaterieller Wirtschaftsgüter, DB 2020, 251; Engelen/Quilitzsch, Darlehensverzicht in grenzüberschreitenden Dreieckskonstellationen: Gedanken zum Urteil des BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19, FR 2021, 145; Eymann, Konzernfinanzierung und Cash Pooling, DB 2020, 1633; Eymann, Quo vadis – Wann ist ein Konzerndarlehen überhaupt ein Konzerndarlehen?, DB 2021, 573; Fischer/Kleineidam/ Warnecke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 5. Aufl., Berlin 2005; Fischer/Looks/im
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Kap. 2 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung Schlaa, Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise – Aktuelle Erfahrungen mit der Betriebsprüfung und zukünftige Entwicklungen, BB 2010, 157; Förster, Die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 3 AStG – Vergleich mit den aktualisierten Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, IStR 2011, 20; Freudenberg/Ludwig, Chancen für Gestaltungen aufgrund der geänderten Vorschriften zur Funktionsverlagerung, BB 2010, 1268; Freudenberg/Peters, Steuerliche Allokation von Restrukturierungsaufwendungen im Kontext von Funktionsverlagerungen, BB 2008, 1424; Frischmuth, UntStRefG 2008 und Verrechnungspreise nach § 1 AStG n.F., IStR 2007, 485; Frischmuth, Funktionsverdoppelungen im Visier des deutschen Fiskus – Quo vadis?, IWB 2007, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2253; Frischmuth, Die Konzeption der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach dem UntStRefG 2008, StuB 2007, 386; Frischmuth, Schuldrechtliche und bilanzielle Aspekte sowie Preisanpassungen bei Funktionsverlagerungen nach dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008, StuB 2007, 459; Frischmuth, Wann genau liegt eine Funktionsverlagerung nach der FVerlV vor?, StuB 2008, 864; Frischmuth, Austausch von Funktionen im Konzern und Bewertung von Transferpaketen, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 73; Frotscher, Verfassungsrechtliche Fragen zu den Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen und den Rechtsfolgen ihrer Verletzung, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Franz Wassermeyer, München 2005; Frotscher, Grundfragen der Funktionsverlagerung, FR 2008, 49; Frotscher, § 13 Lieferungs- und Leistungsverkehr bei verbundenen Unternehmen (Verrechnungspreise), in Internationales Steuerrecht, 5. Aufl., München 2020, Rz. 1105; Fuhrmann, Die Funktionsverlagerungsverordnung, KÖSDI 2008, 16188; Geißler, Rechnungslegungsbezogene Auswirkungen nicht fremdüblicher Verrechnungspreise, DB 2021, 1699; Glahe, Vereinbarkeit von § 1 AStG mit europäischen Grundfreiheiten, IStR 2010, 870; Gläser/Zöller, Die BFH-Rechtsprechung zu unbesichert im Konzern begebenen Darlehen nach dem Beschluss des BVerfG vom 4.3.2021, FR 2021, 637, FR 2021, 628; Gosch, Über Streu- und Schachtelbesitz, in Kessler (Hrsg.), Unternehmensbesteuerung, FS für Norbert Herzig, München 2010, 63; Gosch, „Nah und verbunden“ – Zum Nahestehen und Verbundensein im Steuerrecht, ISR 2020, 333; Greil, Überblick zu aktuellen Entwicklungen im Bereich der Verrechnungspreise, IStR 2020, 927; Greil, Überblick zu aktuellen Entwicklungen im Bereich der Verrechnungspreise, IStR 2021, 960; Greil/Saliger, Änderung im Bereich der Verrechnungspreise aufgrund des ATADUmsG und des AbzStEntlModG – Reform ohne inhaltliche Neuerungen?, ISR 2021, 330; Greil/Wargowske, Aktuelles zum Fremdvergleichsgrundsatz, ISR 2020, 171; Greinert, Besonderheiten bei der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise im Fall der Übertragung und Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter, RIW 2006, 449; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, in Schaumburg/Rödder (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008, Köln 2007, 541; Greinert, Maßgebende Überschussgröße zur Bewertung eines Transferpakets bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, DB 2009, 755; Greinert, Steuerliche Besonderheiten bei der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter im Rahmen von grenzüberschreitenden Transaktionen im Konzern, Ubg 2010, 101; Greinert et al., Folgen der DEMPE-Konzeption für die steuerliche Erfolgsabgrenzung bei der Nutzung von immateriellen Werten, Ubg 2020, 523; Greinert/ Reichl, Einfluss von Besteuerungseffekten auf die Verrechnungspreisermittlung bei Funktionsverlagerungen, DB 2011, 1182; Greinert/Thiele, Steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen vor 2008, DStR 2011, 1197; Grümmer/Schreiber, Das „unbeschadete“ Verhältnis anderer Korrekturnormen zu § 1 AStG, Ubg 2021, 70; Grotherr, Neuerungen bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen durch das AbzStEntModG mit Fokus auf § 1 Abs. 3 und Abs. 3a AStG, DStZ 2021, 651; Grotherr, Wann entspricht ein anderer Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz besser als der Median?, IWB 2021, 614; Grümmer/Schreiber, Das „unbeschadete“ Verhältnis anderer Korrekturnormen zu § 1 AStG, Ubg 2021, 70; Gundel, Verrechnungspreise bei grenzüberschreitenden Lieferbeziehungen mit konzerngebundenen Vertriebsgesellschaften, in Klein/Stihl (Hrsg.), Unternehmen Steuern, FS für Hans Flick, Köln 1997, 781; Haas, Funktionsverlagerungen nach dem Erlass der Funktionsverlagerungsverordnung, Ubg 2008, 517; Haas, Funktionsverlagerung: Verhältnis zu DBAs, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung: FS für Harald Schaumburg, Köln 2009, 715; Haase, Forderungen an die künftige Steuerpolitik im deutschen internationalen Steuerrecht – O tempora, o mores, IStR 2019, 761; Haverkamp/Meinert, Die Funktionsverlagerung dem Grunde nach, Ubg 2020, 689; Häck, 1. 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Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung | Kap. 2 Höreth/Stelzer/Kummer, Aufräumarbeiten vor der Bundestagswahl?, DStZ 2021, 518; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl., München 2011; Jacobsen, Das AStG nach dem ATADUmsetzungsgesetz, DStZ 2021, 743; Jahndorf, Besteuerung der Funktionsverlagerungen, FR 2008, 101; Jenzen, Internationale Funktionsverlagerungen. Die Besteuerung von Gewinnpotenzialen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen im Konzern, NWB 2007, Fach 2, 9419; Kahle, Die Ertragbesteuerungen von Funktionsverlagerungen nach der Unternehmensteuerreform 2008, Der Konzern 2007, 647; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied/ Kriftel 2001; Kaminski, Änderungen im Bereich der internationalen Einkunftsabgrenzung durch die Unternehmensteuerreform 2008, RIW 2007, 594; Kaminski, Funktionsverlagerungen in das Inland, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 23; Kaminski, Umlagen bei konzerninternen Dienstleistungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 693; Kaminski/Strunk, Funktionsverlagerungen in und von ausländischen Betriebsstätten und Personengesellschaften: Überlegungen zur (Nicht-)Anwendbarkeit der Grundsätze zum sog. Transferpaket, DB 2008, 2501; Kaminski/Strunk, Stellungnahme zum Entwurf der „Verwaltungsgrundsätze – Funktionsverlagerungen“ des BMF vom 17.7.2009, RIW 2009, 711; Kasperzak/Nestler, Zur Berücksichtigung des TAX Amortisation Benefit bei der Fair Value-Ermittlung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS 3, DB 2007, 473; Käshammer/Bolik, Grenzüberschreitende Dreieckskonstellationen: § 1 AStG oder verdeckte Gewinnausschüttung?, NWB 2020, 3168; Klapdor, Grundsätze der Verrechnungspreisermittlung nach dem UStRefG, StuW 2008, 83; Kleineidam, Verrechnungspreise für immaterielle Wirtschaftsgüter, in Schaumburg/Baumhoff (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Köln 1994, 103; Knoll, Der Risikozuschlag in der Unternehmensbewertung: Was erscheint plausibel?, DStR 2007, 1053; Kohlhepp, Rechtsprechungsübersicht zur verdeckten Gewinnausschüttung – Entscheidungen des BFH und der FG im Zeitraum 2019/2020, DB 2021, 636; Kohlhepp, Verdeckte Gewinnausschüttungen über die Grenze, in Feldgen (Hrsg.), Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen, Bonn 2021, Rz. 3 ff.; Köhler, Verzicht auf Darlehenszinsen in grenzüberschreitenden Dreieckskonstellationen – Vorrang von § 1 Abs. 1 AStG vor § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG bei Nutzungsüberlassung?, ISR 2020, 380; Köhler, Unbesicherte Konzerndarlehen können fremdüblich sein, ISR 2022, 22; Kroppen/Nientimp, Absonderlichkeiten bei der Funktionsverlagerung, IWB 2008, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2355; Kroppen/Rasch, Die Funktionsverlagerungsverordnung, IWB 2008, Fach 3 Deutschland, Gruppe 1, 2339; Kroppen/Rasch, Funktionsverlagerung – der nächste Akt, IWB 2010, 316; Kroppen/Rasch, Anmerkungen zu den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, IWB 2010, 824; Kroppen/Rasch/Eigelshoven, Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 und der zu erwartenden Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, IWB 2007, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2201; Kuebart, Verrechnungspreise im internationalen Lizenzgeschäft, Bielefeld 1995; Kumpf, Steuerliche Verrechnungspreise in internationalen Konzernen, Frankfurt a.M., 1976; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Kurzewitz, Aufgabe des strikten Anwendungsvorrangs der Standardmethoden zur Verrechnungspreisbestimmung?, IWB 2010, 95; Kurzewitz, Die Bestimmung von Verrechnungspreisbandbreiten als Problem der internationalen Doppelbesteuerung, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 635; Lahodny-Karner, Konzernverrechnungspreise im nationalen und internationalen Steuerrecht unter besonderer Berücksichtigung der Kostenaufschlagsmethode, Wien 1988; Leonhardt, Die Behandlung immaterieller Werte nach dem aktuellen Referentenentwurf zum ATADUmsG, FR 2020, 297; Liebchen, Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften: Steuerliche Gewinnermittlung und Einkunftsabgrenzung, Berlin 2008; Looks/Freudenberg, Zukünftige Konfliktfelder zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen als Ergebnis des Entwurfs der Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, BB 2009, 2514; Looks/Scholz, Funktionsverlagerungen nach der Neufassung des § 1 Abs. 3 AStG, BB 2007, 2541; Looks/Steinert/Müller, Der Fremdvergleichsgrundsatz – Zur Frage der Maßgeblichkeit des § 1 Abs. 3 AStG für andere Berichtigungsvorschriften, BB 2009, 2348; Luckhaupt, Bestimmung von Verrechnungspreisen gemäß den OECD-TPG 2010 und § 1 Abs. 3 AStG, Ubg 2010, 646; Mack, Aktuelle Entwicklungen zum Fremdvergleichsgrundsatz im Kontext nationaler Gewinnkorrekturnormen, ISR 2020, 253; Menninger/Wellens, Valuation Standards and the German Restructuring Regulation, TMTR v. 30.6.2011; Morgenthaler, Die „isolierende Betrachtungsweise“ im internationalen Einkom-
Ditz/Wassermeyer | 31
Kap. 2 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung mensteuerrecht, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, FS für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 275; Möller, Ausfall einer unbesicherten Forderung gegen eine Tochtergesellschaft im Ausland, NWB Online 2019; Möller, Verzicht auf Darlehenszinsen über die Grenze und im Dreieck, NWB Online 2020; Müller, Die Symbiose der materiellen Korrespondenzprinzipien -Hinzurechnungsbesteuerung in Dreieckskonstellationen, ISR 2021, 241; Naumann, Im Gespräch: Besteuerung von Funktionsverlagerungen, Status: Recht 2007, 203; Naumann, Funktionsverlagerungsverordnung, in Lüdicke (Hrsg.), Besteuerung von Unternehmen im Wandel, Köln 2007, 167; Nestler, Ermittlung von Lizenzentgelten, BB 2008, 2002; Neumann, vGA und verdeckte Einlagen, 2. Aufl., Köln 2006; Nientimp, Steuerliche Gewinnabgrenzung im internationalen Konzern, Lohmar 2003; Nürnberg, Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG bei ausländischen Tochtergesellschaften, NWB Online 2020; Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, München 2000; Oestreicher, Die (reformbedürftigen) Regelungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in Fällen der Funktionsverlagerung, Ubg 2009, 80; Oestreicher, Umsetzung überarbeiteter OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 bis 2020 in deutsches Recht, 2020, 517; Oestreicher/Hundeshagen, Bewertung von Transferpaketen bei Funktionsverlagerungen, DB 2008, 1637 (Teil I) und 1693 (Teil II); Oestreicher/ Hundeshagen, Weder Wirtschaftsgut noch Unternehmen – die Bewertung von Transferpaketen anlässlich der grenzüberschreitenden Verlagerung von Unternehmensfunktionen, IStR 2009, 146; Oestreicher/Wilke, Die Einzelbewertung des Firmenwerts – Verrechnungspreise in Fällen einer Funktionsverlagerung nach dem Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften, Ubg 2010, 225; Pohl, Ergänzung der Funktionsverlagerungsregelung durch das Gesetz zur Umsetzung steuerrechtlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften, IStR 2010, 357; Puls, Funktionsverlagerungsbesteuerung: Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche als „Transferpaket“-Ersatz nach § 8 FVerlV, IStR 2010, 89; Quilitzsch, Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG bei gewinnmindernder Abschreibung auf unbesicherte Konzerndarlehen, ISR 2021, 1; Raupach/Pohl/Ditz (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, Herne/Berlin 2010; Rasch, Die Reform des § 1 AStG – Ergänzende Anmerkungen zu Greil/Saliger, ISR 2021, 330 ff.; Rasch, Die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise, IWB 2021, 654; Rasch, Neue Verrechnungspreisregelungen in § 1 AStG und § 89a AO, IWB 2021, 441; Rasch/Busch, Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise 2021 – Analyse der Finanztransaktionen und des DEMPE-Konzepts in der praktischen Anwendung, Ubg 2021, 639; Rasch/Schmidtke, Routinefunktionen, Gewinnverlagerungen und das Versagen des hypothetischen Fremdvergleichs, IStR 2009, 92; Richter, Geplante Änderung des § 1 AStG durch den Referentenentwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes, ISR 2020, 109; Roeder, Ökonomische Aspekte des hypothetischen Fremdvergleichs, Ubg 2008, 202; Saliger/Wargowske/Greil, Die neuen Verwaltungsgrundsatze Verrechnungspreise, IStR 2021, 571-576; Schaden/Käshammer, Besteuerung von durch Finanzierungsgesellschaften vergebenen Konzerndarlehen, IStR 2022, 1; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Köln 2017; Schaumburg, Normative Defizite und internationale Verrechnungspreise, Der Konzern 2006, 495; Schaumburg, Anpassungsklausel, IStR 2009, 877; Scheipers/ Linn, Einkünfteberichtigung nach § 1 Abs. 1 AStG bei Nutzungsüberlassungen im Konzern – Auswirkungen des EuGH-Urteils SGI, IStR 2010, 469; Schmid, Das grenzüberschreitende Konzerndarlehen im Lichte der neuen BFH-Rechtsprechung, FR 2020, 453; Schneider, Wider Marktpreise als Verrechnungspreise in der Besteuerung internationaler Konzerne, DB 2003, 53; Schnitger, § 1 Abs. 1 AStG als neue „Allzweckwaffe“ für Verrechnungspreiskorrekturen? – Anmerkungen zum Urteil des BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), IStR 2020, 821; Schnitger/Schäfer, Überraschende Verwaltungsauffassung des Abzugs konzerninterner Darlehenszinsen, DStR 2021, 848; Schnorberger/Etzig, Verrechnungspreise in der Praxis nach dem ATAD-UmsG – Anmerkungen zum Referentenentwurf vom 24.3.2020, BB 2020, 1630; Schönfeld, Neues zum DBA-Schachtelprivileg oder: Was bleibt von § 8 Nr. 5 GewStG und § 8b Abs. 5 KStG bei grenzüberschreitenden Dividenden?, IStR 2010, 658; Schönfeld, Aktuelle Entwicklungen im Verhältnis von § 1 AStG und EU-Recht anhand von Fallbeispielen, IStR 2011, 219; Schreiber, Funktionsverlagerungen im Konzern – Neue Rechtsgrundlagen durch die Unternehmensteuerreform 2008, Ubg 2008, 433; Schumann, Aktuelle Gesetzgebung im Internationalen Steuerrecht zum Ende der 19. Legislaturperiode: ATADUmsG, AbzStEntModG und StAbwG, ISR 2021, 283; Schwenke, Funktionsverlagerung: neue Gesetzeslage, in Lüdicke (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, Köln 2008, 115; Schwenke, Funktionsverlagerung über die Grenze – Verrechnungspreise und Funktionsausgliederung, in Piltz/Günkel, Steuerberater-Jahrbuch
32 | Ditz/Wassermeyer
A. Allgemeines | Rz. 2.1 Kap. 2 2007/2008, Köln 2008, 137; Schwenke, Unbesicherte Darlehen, ISR 2022, 28; Stadler/Johann/Rosenberg/Placke, Rechtsentwicklungen 2021: Rechtsentwicklungen im Steuerrecht 2021, DB Beilage 2021, Nr. 03, 5; Stangl/Hageböke, Neues zur Anwendung des DBA-Schachtelprivilegs – Anmerkungen zum BFH-Urteil vom 23.6.2010 – I R 71/09, Ubg 2010, 651; Staudacher/Groß, OECD veröffentlicht überarbeitete Verrechnungspreisgrundsätze 2010, SIW 2010, 461; Stein/Schwarz, Verrechnungspreise immaterieller Werte im Lichte des DEMPE-Konzepts, DB 2021, 1292; Steiner/Ullmann, Nachweis wirtschaftlicher Gründe im Rahmen des § 1 Abs. 1 AStG bei grenzüberschreitenden konzerninternen Finanzierungsleistungen, DStZ 2021, 698; Strahl, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerung nach der Unternehmensteuerreform 2008, KÖSDI 2008, 15861; Steiner/Ullmann, Nachweis wirtschaftlicher Gründe im Rahmen des § 1 Abs. 1 AStG bei grenzüberschreitenden konzerninternen Finanzierungsleistungen (§ 1 Abs. 1 AStG), DStZ 2021, 698; Tcherveniachki/Haverkamp, Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG bei gewinnmindernder Ausbuchung sowie Teilwertabschreibung einer unbesicherten Forderung zwischen Konzerngesellschaften, Ubg 2019, 555; Ungemach, Neueste Entwicklungen in der Rechtsprechung zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von Verlusten aus unbesicherten Darlehen an ausländische Tochtergesellschaften, DStZ 2021, 475; Vögele/Raab, Rechtsquellen und Normengruppen zur Einkunftsabgrenzung – Nationales Recht, in Vögele/Borstell/Bernhardt (Hrsg.), Verrechnungspreise, 5. Aufl., München 2020, 263; Vögele, Bewertung von Transferpaketen bei der Funktionsverlagerung, DStR 2010, 418; Wassermeyer, Sind Verrechnungspreise justitiabel?, in Schaumburg (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Köln 1994, 123; Wassermeyer, Streitfragen bei der Bilanzierung verdeckter Gewinnausschüttungen, in Schön (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Brigitte Knobbe-Keuk, Köln 1997, 541; Wassermeyer, Veranlassung und Fremdvergleich, in Kirchhof/Jakob/Beermann (Hrsg.), Steuerrechtsprechung, Steuergesetz, Steuerreform, FS für Klaus Offerhaus, Köln 1999, 405; Wassermeyer, Das System der zweistufigen Gewinnermittlung in der Rechtsprechung des BFH, in Kirchhof (Hrsg.), Steuer- und Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl, FS für Arndt Raupach, Köln 2006, 565; Wassermeyer, Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, 535; Wassermeyer, Funktionsverlagerung – Statement, FR 2008, 67; Wassermeyer, Der Ansatz verdeckter Gewinnausschüttungen innerhalb und außerhalb der Steuerbilanz, DB 2010, 1959; Wassermeyer, Der abkommensrechtliche Einkünftebegriff, IStR 2010, 324; Weber-Grellet, Entwicklungen im Bereich der verdeckten Gewinnausschüttung, DStZ 1998, 357; Weiss, Zum Verhältnis des § 1 Abs. 1 AStG zu anderen Korrekturnormen – Zugleich Besprechung des BFH-Urteils v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), ISR 2020, 373; Wellens, Fremdvergleichsgrundsatz nach OECD und nach deutschem Recht – Gleichzeitig Vorstellung des Diskussionsentwurfs der OECD hinsichtlich der Überarbeitung der Kapitel I und III der OECD-Verrechnungspreisrichtlinie, IStR 2010, 153; Werra, Verrechnungspreise bei der Restrukturierung internationaler Unternehmensgruppen, IStR 2009, 81; Wilmanns et al., Kommentierung des BMF-Referentenentwurfs des ATAD-Umsetzungsgesetzes – Fokus Verrechnungspreise, IStR 2020, 162; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen 2009: Die steuerliche Behandlung von Verrechnungspreisen, insbesondere bei Funktionsverlagerungen, nach der Unternehmensteuerreform 2008, Baden-Baden 2009; Zech, Funktionsverlagerung auf einen Eigenproduzenten und auf ein Routineunternehmen, IStR 2011, 131; Woelk/Zimmermann/Wargowske/Greil, Die Behandlung von immateriellen Werten – Neuerungen bei der steuerlichen Gewinnabgrenzung aufgrund des § 1 Abs.3c AStG?, IStR 2021, 909.
A. Allgemeines Deutsches Steuerrecht. Die Problematik einer sachgerechten Einkünfteabgrenzung durch Festlegung angemessener Verrechnungspreise ist auf der Grundlage des deutschen Steuerrechts zu beurteilen. Dies folgt aus der Überlegung, dass hier nur die Steuerfolgen analysiert werden können und sollen, die sich auf der Grundlage des deutschen Steuerrechts in Deutschland ergeben. Das deutsche Steuerrecht regelt Fragen der Gewinnermittlung im Wesentlichen im eigenen innerstaatlichen Steuerrecht, wozu vor allem die §§ 4–7i EStG, §§ 8, 11 und 12 KStG sowie § 1 AStG gehören. Die von Deutschland abgeschlossenen DBA regeln die GeDitz/Wassermeyer | 33
2.1
Kap. 2 Rz. 2.1 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
winnermittlung als solche grundsätzlich nicht.1 Sie enthalten regelmäßig den Art. 7 Abs. 1, 9 Abs. 1, 10 Abs. 6 und 12 Abs. 4 OECD-MA nachgebildete Vorschriften, die unter bestimmten Voraussetzungen die nach innerstaatlichem Steuerrecht bestehenden Gewinnkorrekturmöglichkeiten umfangmäßig beschränken (vgl. Rz. 2.225 ff.). Sie sollen nur insoweit durchgeführt werden können, als sie dem Fremdvergleich entsprechen.2 Allerdings können sich Korrekturmöglichkeiten auch aus dem Völkerrecht und insbesondere aus dem EU-Recht3 ergeben. Darauf wird gesondert einzugehen sein (vgl. Rz. 2.222 ff. sowie Kap.10 und 13). Die Frage der Einkünfteabgrenzung stellt sich immer, wenn im Inland steuerbare Einkünfte erzielt werden. Die Frage ist deshalb losgelöst von allen Formen der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht zu beurteilen (vgl. Rz. 2.76 und 2.80). Auch gelten bei einer Einkommenoder Körperschaftsteuerpflicht die gleichen Grundsätze.
2.2
Verwaltungsgrundsätze der Finanzverwaltung. Um die im innerstaatlichen deutschen Steuerrecht geltenden Gewinnkorrekturgrundsätze zu vereinheitlichen, hat die deutsche Finanzverwaltung sog. Verwaltungsgrundsätze herausgegeben, die laufend fortgeschrieben werden. Im Einzelnen handelt es sich – um die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise (VWG VP 2021),4 – um die Verwaltungsgrundsätze 2020 (VWG 2020),5 – um die Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung (VWG FVerl),6 – um die Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa),7 und – um die Verwaltungsgrundsätze Arbeitnehmerentsendung (VWG ArbN).8 Ergänzend kann auf das Anwendungsschreiben zum AStG,9 auf das Merkblatt zur Amtshilfe,10 auf das Merkblatt zum Verständigungs- und Schiedsverfahren,11 auf das Merkblatt APA,12 auf die Grundsätze bei der Anwendung der DBA auf Personengesellschaften13 und auf den Umwandlungssteuererlass14 hingewiesen werden. Die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise v. 14.7.202115 ersetzen die fast vierzig Jahren gültigen „Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen“ v. 23.2.1983 (VWG
1 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 37. 2 Vgl. Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 4, 14 ff.; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 1 ff. 3 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 18 m.w.N. 4 BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – VWG VP 2021, BStBl. I 2021, 1098, mit dem diverse BMF-Schreiben mit Bezug zu Verrechnungspreisen aufgehoben wurden. 5 BMF v. 3.12.2020 – IV B 5 - S 1341/19/10018 :001 – VWG 2020, BStBl. I 2020, 1325. 6 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG FVerl, BStBl. I 2010, 774. 7 BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – VWG BsGa, BStBl. I 2017, 182. 8 BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 – 20/01 – VWG ArbN, BStBl. I 2001, 796. 9 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, bei dem die Textziffer 1 durch die VWG VP 2021, Rz. 6.1 aufgehoben wurde. 10 BMF v. 29.5.2019 – IV B 6-S 1320/07/10004 :008, BStBl. I 2019, 480. 11 BMF v. 10.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004 :007, BStBl. I 2021, 1495. 12 BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 – 38/06, BStBl. I 2006, 594. 13 BMF v. 26.9.2014 – IV B 5-S 1300/09/10003, BStBl I 2014, 1258. 14 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314. 15 BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001, BStBl. I 2021, 1098.
34 | Ditz/Wassermeyer
A. Allgemeines | Rz. 2.3 Kap. 2
1983).1 Darüber hinaus wurden durch die VWG Verrechnungspreise alle weiteren zum Themenkomplex der internationalen Verrechnungspreise zwischen verbundenen Unternehmen ergangenen BMF-Schreiben aufgehoben. Dazu gehören:2 – die VWG-Verfahren v. 12.4.2005,3 – das BMF-Schreiben v. 29.3.2011 zur Anwendung des § 1 AStG auf Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen,4 – der „Glossar Verrechnungspreise“ v. 19.5.2014,5 – das BMF-Schreiben zur Markennutzung im Konzern v. 7.4.2017,6 – das BMF-Schreiben zu Umlageverträgen v. 5.7.20187 sowie – das BMF-Schreiben v. 6.12.2018 zur Anwendung des EuGH-Urteils in der Rs. Hornbach Baumarkt.8 VWG Verrechnungspreise v. 14.7.2021 als zentrale Verwaltungsanweisung. Die VWG VP 2021, die auf alle noch offenen Fälle und damit auch in bereits laufenden Betriebsprüfungen anzuwenden sind,9 stellen damit die konsolidierte und infolgedessen zentrale Verwaltungsanweisung für die Anwendung der Rechtsgrundlagen zur Bestimmung und Prüfung von Verrechnungspreisen zwischen international verbundenen Unternehmen dar.10 Im Kern regeln sie Einzelheiten zur Anwendung der Einkünftekorrekturvorschriften sowie zur Anwendung der von der OECD empfohlenen Verrechnungspreismethoden im Allgemeinen sowie in Bezug auf einzelne gruppeninterne Geschäftsbeziehungen (immaterielle Werte, Warenlieferungen, Dienstleistungen, Kostenumlagen und Finanzierungsbeziehungen) im Speziellen. Die Veröffentlichung der VWG Verrechnungspreise war überfällig, mussten doch die bisherigen Verwaltungsanweisungen an die Änderungen des § 1 AStG durch das AbzStEntModG v. 2.6.202111 und das ATADUmsG v. 25.6.202112, an die zwischenzeitlich ergangene EuGH- und BFH-Rechtsprechung sowie – und dies vor allem – an die internationalen Entwicklungen auf Ebene der OECD angepasst werden. Deutlich wird das Ziel des BMF, die deutsche Verwaltungspraxis im Hinblick auf die Prüfung von Verrechnungspreisen international auszurichten und an die Empfehlungen der OECD anzugleichen. Ein deutscher Alleingang erfolgt nicht;
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218. Vgl. BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001, BStBl. I 2021, 1098, Rz. 6.1. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570. Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004, BStBl. I 2011, 277. Vgl. BMF v. 19.5.2014 – IV B 5 - S 1341/07/10006-01, BStBl. I 2014, 838. Vgl. BMF v. 7.4.2017 – IV B 5 - S 1341/16/10003, BStBl. I 2017, 701. Vgl. BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003, BStBl. I 2018, 743. Vgl. BMF v. 6.12.2018 – IV B 5 - S 1341/11/10004-09, BStBl. I 2018, 1305. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 6.3. Zu einer Kommentierung der VWG Verrechnungspreise vgl. auch Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 2817 ff.; Saliger/Wargowske/Greil, IStR 2021, 571 ff.; Dickler/Wehnert/Dworaczik, IStR 2021, 806 ff.; Rasch/Busch, Ubg 2021, 639 ff. 11 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259; Rasch, IWB 2021, 441 ff.; Greil, IStR 2021, 960 ff.; Greil/Saliger, ISR 2021, 330 ff. 12 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. Siehe dazu im Einzelnen Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 ff.
Ditz/Wassermeyer | 35
2.3
Kap. 2 Rz. 2.3 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
vielmehr wird ausdrücklich auf die OECD-Verrechnungspreisleitlinien1 verwiesen, die als Anlage dem neuen BMF-Schreiben beigefügt sind. Diese Entwicklung ist ausdrücklich zu begrüßen. So ist nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung künftig sicherzustellen, „dass eine international einheitliche Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes erfolgt und hierdurch eine Doppelbesteuerung sowie (doppelte) Nichtbesteuerung vermieden werden“.2 Dies führt auch zu der für die Praxis sehr bedeutsamen Aussage, dass der Fremdvergleichsgrundsatz „im In- und Outboundfall einheitlich anzuwenden“ ist.3 Die VWG Verrechnungspreise konsolidieren die Verwaltungsanweisungen zur internationalen Einkünfteabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen. Gültig bleiben lediglich die VWG Funktionsverlagerung,4 die VWG Arbeitnehmerentsendung5 sowie die VWG 2020,6 die Einzelheiten zu den Dokumentations- und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen regeln.7 Darüber hinaus sind die Verwaltungsanweisungen zur Betriebsstättengewinnermittlung8 weiterhin anwendbar; sie werden durch die VWG Verrechnungspreise nicht geändert.
2.4
Allgemeine Gewinnkorrekturgrundsätze. Das Steuerrecht knüpft in den Grenzen einer nicht missbräuchlichen Vertragsgestaltung (§ 42 AO, vgl. Rz. 1.31 und 2.19) an das zivilrechtlich Vereinbarte an, soweit es nur tatsächlich durchgeführt wird (vgl. Rz. 1.29). Dabei anerkennt das Steuerrecht den Grundsatz der unternehmerischen Dispositionsfreiheit (vgl. Rz. 7.3). Entsprechend unterliegt es der Freiheit der beteiligten Unternehmen zu vereinbaren, welche Funktionen von welchem Unternehmen (Unternehmensteil) wahrgenommen werden. Es ist die freie Entscheidung der Unternehmen, ob Funktionen übertragen, konzentriert, ausgegliedert oder aufgeteilt werden, wo eine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird, ob Subunternehmer eingeschaltet werden und ob anlässlich einer Funktionsverlagerung Wirtschaftsgüter übertragen, überführt oder nur zur Nutzung überlassen werden (zu Einzelheiten vgl. Rz. 2.17 und 7.3). Allerdings müssen Unternehmen unter dem Gesichtspunkt des Fremdvergleichs angemessene Entgeltkonsequenzen aus der tatsächlich praktizierten Funktionsverteilung ziehen. Für jede Vermögensübertragung, jede Nutzungsüberlassung, jede Überführung eines Wirtschaftsgutes und jede Dienstleistung, die ein Unternehmen zugunsten eines anderen verbundenen Unternehmens (Unternehmensteils) erbringt, muss steuerrechtlich gesehen ein angemessenes Entgelt angesetzt werden. Insoweit haben die Finanzbehörden ein Prüfungsrecht. Sie können i.d.R. ein vereinbartes Entgelt nur für Besteuerungszwecke „korrigieren“, falls es unter dem Gesichtspunkt des Fremdvergleichs unangemessen ist. Dies gilt gleichermaßen für ein unangemessen hohes als auch für ein unangemessen niedriges Entgelt. Jede Entgeltkorrektur bedarf allerdings einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage. Diese sind die verdeckte Gewinnausschüttung (vgl. Rz. 2.18 ff.), die verdeckte Einlage (vgl. Rz. 2.48 ff.) sowie § 1 AStG (vgl. Rz. 2.57 ff.). Darüber hinaus ist die Sperrwirkung der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildeten Abkommensnorm zu beachten, soweit zwischen den Vertragsstaaten, in denen die internatio1 OECD, Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administration. Im Folgenden werden die Leitlinien in ihrer Gesamtheit immer als „OECD-Leitlinien 2022“ zitiert. Zu den inhaltlichen Änderungen der OECD-Leitlinien 2022 gegenüber den OECD-Leitlinien 2017 s. Rz. 2.235 ff. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.1. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.3. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – VWG FVerl, BStBl. I 2010, 774. 5 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 5 - S 1341 – 20/01 – VWG ArbN, BStBl. I 2001, 796. 6 Vgl. BMF v. 3.12.2020, IV B 5 - S 1341/19/10018 :001 – VWG 2020, BStBl. I 2020, 1325. 7 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen, FR 2021, 457 ff. zu den Einzelheiten der VWG 2020. 8 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – VWG BsGa, BStBl. I 2017, 182; BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/19/10010 :003, BStBl. I 2020, 84.
36 | Ditz/Wassermeyer
A. Allgemeines | Rz. 2.5 Kap. 2
nal verbundenen Unternehmen ansässig sind, ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen wurde (vgl. Rz. 2.225 ff.). Verlagerung von Tätigkeiten und Besteuerung von Funktionsverlagerungen. Gewinne können dadurch verlagert werden, dass bestimmte Leistungen zwischen nahestehenden Unternehmen unentgeltlich erbracht werden oder im Rahmen entsprechender konkreter Leistungsbeziehungen die Entgelte unangemessen hoch oder unangemessen niedrig vereinbart werden. Eine andere Form der Gewinnverlagerung ist die, dass Funktionen, die bisher von einem Unternehmen im Inland wahrgenommen wurden, auf ein nahestehendes anderes Unternehmen im Ausland mit der Folge übertragen werden, dass die Gewinne künftig dort anfallen. Allerdings löste die Verlagerung von Aufgaben, die nur aus Tätigkeiten bestehen, auf ein anderes verbundenes Unternehmen bislang – d.h. bis einschl. des VZ 2021 – für sich genommen noch keine „Entgeltspflicht“ aus. Erst dann, wenn die anderweitige Wahrnehmung von Aufgaben auch zur Übertragung, Überführung oder Nutzungsüberlassung von (immateriellen) Wirtschaftsgütern führte, stellte sich für diese Vorgänge die Frage nach der Verrechnung eines angemessenen Entgelts. Insoweit war danach zu differenzieren, ob das Eigentum von Wirtschaftsgütern übertragen wird, ob die Wirtschaftsgüter zur bloßen Nutzung überlassen wurden, ob sie lediglich in einen anderen Unternehmensteil überführt wurden oder ob Dienstleistungen für ein anderes verbundenes Unternehmen (Unternehmensteil) erbracht wurden. Das steuerrechtlich anzusetzende angemessene Entgelt musste stets der Form der tatsächlichen Funktionsverlagerung entsprechen. Ab dem VZ 2022 wurde durch das AbzStEntModG v. 2.6.20211 die bisher in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG umgesetzte Funktionsverlagerungsbesteuerung in § 1 Abs. 3b AStG verschoben und dahingehend neu gefasst, dass für eine Funktionsverlagerung künftig nur noch Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile (bislang: „und“) verlagert werden müssen. Dies bedeutet konkret, dass auch die Verlagerung einer Tätigkeit dann den Tatbestand der Funktionsverlagerung erfüllt, wenn mit der Tätigkeit konkrete sonstige Vorteile auf ein nahestehendes Unternehmen verlagert werden.2 Ferner wurde das sog. DEMPE-Konzept zur Verrechenbarkeit eines angemessenen Entgelts für immaterielle Werte in § 1 Abs. 3c AStG eingeführt. Konkret wird geregelt, dass die Feststellung des (wirtschaftlichen) Eigentums oder der Inhaberschaft an einem immateriellen Wert (nur) der Ausgangspunkt einer Verrechnungspreisbestimmung und -prüfung im Zusammenhang mit immateriellen Werten ist. Vielmehr soll es für einen Anspruch auf die aus einem immateriellen Wert resultierenden Erträge auf die diesbezüglichen DEMPE-Funktionen ankommen. Diese sind die Entwicklung (Development) oder Erschaffung, die Verbesserung (Enhancement), der Erhalt (Maintenance), der Schutz (Protection) oder jedweder Art der Verwertung (Exploitation) (Rz. 6.565 ff.). Werden die DEMPE-Funktionen nicht von dem (wirtschaftlichen) Eigentümer ausgeübt, so hat dieser die nahestehenden Personen entsprechend der von ihnen erbrachten Leistungen bzw. ausgeübten Funktionen zu vergüten.3
1 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 2 Vgl. zu Einzelheiten Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 (1788 f.); a.A. Greil/Saliger, ISR 2021, 330 (333), wonach „grundsätzlich der Anwendungsbereich nicht ausgeweitet“ werden sollte. 3 Vgl. BT-Drucks. 19/27632, 75; siehe auch Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 (1790); Rasch/Busch, Ubg 2021, 639 ff.; Woelk/Zimmermann/Wargowske/Greil, IStR 2021, 909 f.; Grotherr, DStZ 2021, 864 ff.
Ditz/Wassermeyer | 37
2.5
Kap. 2 Rz. 2.6 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
B. Einkünfteabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz I. Zweistufige Gewinnermittlung 2.6
Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG. Das deutsche innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht baut auf einem Trennungsprinzip auf, d.h., der Gewinn ist für jedes Unternehmen (Betrieb) getrennt zu ermitteln. Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben werden dem Unternehmen zugeordnet, durch dessen Tätigkeit die Einnahmen und/oder Aufwendungen veranlasst wurden. Lieferungs- und Leistungsbeziehungen werden zwischen verschiedenen Unternehmen steuerrechtlich anerkannt, soweit sie vertraglich existent sind und tatsächlich erbracht werden. Das Trennungsprinzip gilt auch im Abkommensrecht, weil sich die Gewinnermittlung fast ausschließlich nach dem innerstaatlichen Recht der beteiligten Staaten richtet. Im deutschen Steuerrecht ist § 4 Abs. 1 EStG die Grundnorm der Gewinnermittlung. Nach der Rechtsprechung des I. Senats des BFH1 ist § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, der auf den § 8 Abs. 1 KStG verweist, i.S. einer zweistufigen Gewinnermittlung zu interpretieren. Richtigerweise gehören jedoch Korrekturen außerhalb der Steuerbilanz zum selbstverständlichen Alltag der steuerrechtlichen Gewinnermittlung.2 Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG „ist der Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen“. Unter dem Betriebsvermögen wird dabei das Eigenkapital verstanden.3 Auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung ist deshalb der sog. Unterschiedsbetrag auf bilanzieller Basis zu ermitteln. Er entspricht dem Steuerbilanzgewinn,4 wenn man auf der ersten Stufe den Gewinn durch Bilanzierung ermittelt und bei der Gewinnermittlung – wie es der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG gebietet – alle Einlagen und alle Entnahmen erfolgswirksam ansetzt. Soweit man auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung Einlagen und Entnahmen erfolgsneutral behandelt, ergeben sich betragsmäßige Unterschiede, die sich jedoch auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung wieder ausgleichen, weil die Hinzurechnungen und Kürzungen dort eine erfolgswirksame Behandlung auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung voraussetzen.
2.7
Hinzurechnungen und Kürzungen der zweiten Stufe der Gewinnermittlung. Auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung erfährt der Unterschiedsbetrag Hinzurechnungen und Kürzungen, wie sie rechtssystematisch aus §§ 8 und 9 GewStG bekannt sind, auch wenn sich letztere auf einer anderen Ebene („nach“ der Gewinnebene) vollziehen. Die zweite Stufe der Gewinnermittlung vollzieht sich außerhalb von Handels- und Steuerbilanz. Sie ist auch bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG bzw. nach Durchschnittssätzen (§ 5a EStG) zu beachten. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG erwähnt insoweit nur die hinzuzurechnenden Entnahmen und die den Unterschiedsbetrag mindernden Einlagen. Die Gesetzesformulierung ist jedoch unvollständig. Hinzuzurechnen sind u.a. außerdem alle nicht abziehbaren Betriebsausgaben, vGA, Korrekturbeträge nach § 1 und/oder § 10 Abs. 2 AStG sowie das Einkommen einer Organgesellschaft. Der Unterschiedsbetrag ist andererseits vor allem um steuerfreie Einkünfte (Einnahmen) sowie um Forderungen auf Gewinnabführungen eines Organträgers zu mindern. 1 Vgl. BFH v. 5.6.2002 – I R 69/01, BStBl. II 2003, 329 = BFHE 199, 315; BFH v. 10.7.2002 – I R 37/ 01, BStBl. II 2003, 418 = BFHE 199, 536. = FR 2003, 185. 2 Vgl. Wassermeyer, DB 2010, 1959; Wassermeyer in FS Frotscher, 685. 3 Vgl. BFH v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632 = BFHE 192, 339 = FR 2000, 1126 m. Anm. Kempermann unter II.1. 4 Vgl. aber Reiß, StuW 2003, 21 (24); der Unterschied wird vom BMF nicht beachtet, vgl. BMF v. 28.5.2002 – IV A 2 - S 2742 – 32/02, BStBl. I 2002, 659.
38 | Ditz/Wassermeyer
B. Fremdvergleichsgrundsatz | Rz. 2.8 Kap. 2
Einlagen und Entnahmen lösen nur dann Korrekturen außerhalb der Steuerbilanz aus, wenn sie innerhalb der Steuerbilanz erfolgswirksam angesetzt wurden. Auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung fasst das Steuerrecht das Eigenkapital unter dem einheitlichen Betriebsvermögensbegriff zusammen. Für die steuerrechtliche Gewinnermittlung ist die Unterscheidung zwischen Nennkapital und verwendbarem Eigenkapital ohne Bedeutung. Deshalb vollzieht sich die Umwandlung von Nennkapital in verwendbares Eigenkapital und umgekehrt stets erfolgsneutral. Eine solche Umwandlung kann für sich genommen keine Korrektur außerhalb der Steuerbilanz auslösen. Einzelheiten einer zweistufigen Gewinnermittlung. Auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung wird der Unterschiedsbetrag i.d.R. durch Bilanzierung ermittelt. Hier gilt der in § 5 Abs. 1 EStG verankerte Maßgeblichkeitsgrundsatz und vor allem das Veranlassungsprinzip. Ausnahmsweise kann der Unterschiedsbetrag auch nach § 4 Abs. 3 EStG oder nach Durchschnittssätzen (§ 5a EStG) zu ermitteln sein. Fragen der Gewinnrealisierung entscheiden sich auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung, Fragen der Verwirklichung von Ersatzrealisationstatbeständen dagegen auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung. Die zweite Stufe der Gewinnermittlung wird häufig als Korrekturebene bezeichnet. Es wird zwar nicht der Unterschiedsbetrag als solcher korrigiert. Er erfährt jedoch Hinzurechnungen und Kürzungen, um als Endergebnis den Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (= § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) betragsmäßig zu berechnen. Auf der zweiten Stufe wird kein Bilanzrecht mehr angewendet. Es ist deshalb auch verfehlt, auf der zweiten Stufe mit dem Wirtschaftsgutbegriff zu argumentieren, was § 1 und § 10 Abs. 2 AStG deutlich belegen. Im Regelfall besteht ein Bedürfnis für eine Korrektur auf der zweiten Stufe nur dann, wenn zuvor der Unterschiedsbetrag auf der ersten Stufe gemindert bzw. seine (an sich gebotene) Mehrung verhindert wurde. Dies ist insoweit von Bedeutung, als gewisse Vermögenszu- und -abgänge (Einlagen, Entnahmen) technisch gesehen schon auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung erfolgsneutral angesetzt werden können. Dann besteht für eine zusätzliche Korrektur auf der zweiten Stufe kein Bedürfnis mehr. § 1 AStG zählt allerdings insoweit nicht zum Regelfall, weil die Vorschrift eine verhinderte Vermögensmehrung regelt, die ihrerseits keine Minderung des Unterschiedsbetrages auf der ersten Stufe um einen betrieblich veranlassten Aufwand voraussetzt. Unscharf ist es, wenn sowohl der BFH als auch die KStR eine Einkommensminderung als Voraussetzung der vGA fordern. Es gibt auch steuerfreie vGA, die wegen ihrer Steuerfreiheit nicht das Einkommen mindern. Richtigerweise sollte deshalb nur von einer Minderung des Unterschiedsbetrages i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG gesprochen werden. Das Endergebnis der Hinzurechnungen und Kürzungen ist nicht der Steuerbilanzgewinn und auch kein Jahresüberschuss im steuerrechtlichen Sinne, sondern der Gewinn i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG, wie er in den Einkommensteuer- bzw. Körperschaftsteuerbescheid eingeht und gem. § 7 GewStG Bemessungsgrundlage für den Gewerbeertrag ist. Das nachfolgend abgebildete Berechnungsschema der zweistufigen Gewinnermittlung1 illustriert, in welcher Reihenfolge die verschiedenen Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen, nach denen der Gewinn ermittelt wird. Das Berechnungsschema ist mit den Schemata in R 2 Abs. 1 EStR und in R 7 Abs. 1 KStR vergleichbar und stellt sich wie folgt dar:
1 Vgl. zu dessen Entwicklung BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366 = BFHE 175, 347 = FR 1994, 833; Wassermeyer, GmbHR 1998, 157 (159); Wassermeyer, IStR 2001, 633 (634); insoweit zustimmend Reiß, StuW 2003, 21 (26).
Ditz/Wassermeyer | 39
2.8
Kap. 2 Rz. 2.8 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung Schema der zweistufigen Gewinnermittlung 1. Stufe Betriebsvermögen (= Eigenkapital) am Schluss des Wirtschaftsjahres – Betriebsvermögen (= Eigenkapital) am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres = Unterschiedsbetrag (Gewinn/Verlust 1. Stufe) 2. Stufe Unterschiedsbetrag (= Gewinn/Verlust 1. Stufe) + Entnahmen – Einlagen + verdeckte Gewinnausschüttungen – verdeckte Einlagen + Korrekturbetrag nach § 1 AStG + nicht abziehbare Betriebsausgaben + nicht berücksichtigungsfähige negative Einkünfte mit Auslandsbezug (§ 2a EStG) –/+ Gegenberichtigungen1 – steuerfreie Einkünfte/Einnahmen = Gewinn i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (Gewinn/Verlust 2. Stufe)
II. Überblick zu den Rechtsgrundlagen 2.9
Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab der internationalen Gewinnabgrenzung. Die Gewinnabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen und die damit in einem Zusammenhang stehende Problematik der Bestimmung internationaler Verrechnungspreise stehen traditionell im Fokus der internationalen Finanzbehörden. Die internationale Gewinnabgrenzung hat sich daher zu einem „der“ Themen in Betriebsprüfungen international agierender Unternehmen entwickelt. Dies nicht zuletzt auch deswegen, weil die internationalen Fisci befürchten, dass durch unangemessene Verrechnungspreise Unternehmensgewinne in Staaten mit geringeren Steuersätzen verlagert und infolgedessen die steuerliche Bemessungsgrundlage des inländischen Steuerpflichtigen unangemessen reduziert wird.2 Vor diesem Hintergrund hat sich mit dem Fremdvergleichsgrundsatz („arm’s length principle“) ein international anerkannter Maßstab zur Bestimmung und Dokumentation von Verrechnungspreisen herausgebildet. Der Fremdvergleichsgrundsatz dient als Maßstab zur Prüfung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen zwischen international verbundenen Unternehmen, indem geprüft wird, ob die Preise so festgelegt wurden, wie dies fremde Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen für eine vergleichbare Geschäftsbeziehung getan hätten. Der Fremdvergleichsgrundsatz dient als Abgrenzungsmaßstab zwischen der gesellschaftsrechtlichen Sphäre und der betrieblichen Sphäre eines verbundenen Unternehmens. 1 Die Verquickung von Gegenberichtigungen mit dem Einbuchen einer Verbindlichkeit wie geschehen in dem Erlass des FinMin. Bad.-Württ. (v. 31.7.1995 – S 1300/20, IStR 1995, 539 Tz. III. = IWB F. 3 Deutschland Gr. 2, 303 m. Anm. Baranowski) ist deshalb irreführend, weil eine Gegenberichtigung eine außerbilanzielle Korrektur auslöst. Lediglich die sog. Sekundärberichtigungen lösen bilanzielle Korrekturen aus. 2 Vgl. dazu Kubata, IStR 2021, 949 ff.
40 | Ditz/Wassermeyer
B. Fremdvergleichsgrundsatz | Rz. 2.11 Kap. 2
Rechtsgrundlagen des innerstaatlichen Rechts. Der Fremdvergleich als Maßstab zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise ist im deutschen innerstaatlichen Recht als Korrekturmaßstab von Verrechnungspreisen in den folgenden Rechtsgrundlagen niedergelegt:1
2.10
– vGA gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (vgl. Rz. 2.18 ff.) – verdeckte Einlage gem. § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG (vgl. Rz. 2.48 ff.) und – § 1 AStG (vgl. Rz. 2.57 ff.). Die vorstehend genannten Rechtsgrundlagen verfolgen das Ziel, unangemessene Verrechnungspreise, d.h. Verrechnungspreise, die dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht genügen, in Bezug auf Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen zu korrigieren. Ihre Anwendung ist an unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft, welche davon abhängen, in welche „Richtung“ eine Geschäftsbeziehung zwischen verbundenen Unternehmen erfolgt (z.B. von einer Mutter- an ihre Tochtergesellschaft oder umgekehrt von der Tochter- an die Muttergesellschaft), um welche Art der Leistung es sich handelt (z.B. Übertragung eines Wirtschaftsguts vs. Erbringung einer Dienstleistung) und ob durch die unangemessenen Verrechnungspreise im Inland eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögenserhöhung ausgelöst wird. Von den Rechtsgrundlagen der Verrechnungspreiskorrektur im Hinblick auf Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen zu differenzieren ist die Gewinnabgrenzung im internationalen Einheitsunternehmen, d.h. zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Hier greifen die Entstrickungsnormen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, des § 12 Abs. 1 KStG und des § 16 Abs. 3a EStG. Darüber hinaus ist der in § 1 Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 5 AStG niedergelegte „Authorized OECD Approach“ sowie die dazu ergangene Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BSGaV) zu beachten. Die Betriebsstättengewinnabgrenzung ist nicht Gegenstand dieses Werkes, stattdessen ist auf das von Wassermeyer, Andresen und Ditz herausgegebene Betriebsstätten-Handbuch zu verweisen.2 § 1 AStG als zentrale Korrekturnorm. Noch 2003 wurde festgestellt, dass etwa 95 % der Einkünftekorrekturen auf Basis einer vGA, verdeckte Einlage oder Entnahme vorgenommen wurden und „überflüssigerweise“ § 1 AStG zu einer eigenständigen Korrekturvorschrift ausgestaltet worden sei.3 Spätestens seit der Reform des § 1 AStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 20084 hat sich dieses Bild geändert; § 1 AStG hat sich mittlerweile – sogar in Bezug auf die internationale Betriebsstättengewinnermittlung5 – zu „der“ grundlegenden Einkünftekorrekturvorschrift im internationalen Steuerrecht entwickelt. Nachdem im Jahr 2008 in § 1 Abs. 3 AStG die Verrechnungspreismethoden definiert,6 die Funktionsverlagerungsbesteuerung eingeführt7 und um eine Preisanpassungsklausel ergänzt wurden, wurde – nach weiteren Ergänzungen der Vorschrift durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.20138 und das Zoll-
1 2 3 4 5
Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.1. Vgl. Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch2 (W/A/D). Vgl. Wassermeyer in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 2003, 1 (9 f.). Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. Vgl. § 1 Abs. 4 und 5 AStG i.d.F. Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. Siehe dazu Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917 ff.; Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 6.115 f.; Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.1 ff. 6 Zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 ff. 7 Zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 ff. 8 Einführung des Authorized OECD Approach durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809.
Ditz/Wassermeyer | 41
2.11
Kap. 2 Rz. 2.11 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
kodex-Anpassungsgesetz v. 22.12.20141 – eine weitere, bedeutende Reform der Vorschrift vorgenommen. Hintergrund – so die Gesetzesbegründung2 – ist das Ziel, § 1 AStG international an den OECD-Verrechnungspreisleitlinien auszurichten, um „klare Regelungen zur Bestimmung und Prüfung von Fremdvergleichspreisen“ zu schaffen. Dabei dürfe der Fremdvergleichsgrundsatz „nicht als starres Konzept verstanden“ werden, sondern es sei eine „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ angezeigt, und der Fremdvergleichsgrundsatz sei „vom Einzelfall abhängig“ anzuwenden. Dazu hatte bereits am 10.12.2019 das BMF einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATADUmsG) vorgelegt.3 Danach gab es weitere Gesetzesentwürfe, wobei die Reform des § 1 AStG schlussendlich auf zwei Gesetzgebungsverfahren – nämlich das AbzStEntModG v. 2.6.20214 und das ATADUmsG v. 25.6.20215 – aufgeteilt wurde. Während die Grundnorm des § 1 Abs. 1 AStG – bis auf rein formale Änderungen – unverändert blieb, kam es in Abs. 2 der Vorschrift zu einer (erneuten)6 Ausweitung des Begriffs der nahestehenden Person zur Vermeidung von Umgehungen. Darüber hinaus wurde der Abs. 3 des § 1 AStG durch vier neue Absätze ersetzt (vgl. dazu im Einzelnen Rz. 2.66 ff.). Die neuen Vorschriften enthalten Regelungen zur Bestimmung von Fremdvergleichspreisen und der Methodenwahl (Abs. 3), zur Bestimmung von Bandbreiten beim tatsächlichen und von Einigungsbereichen beim hypothetischen Fremdvergleich (Abs. 3a), zu Funktionsverlagerungen (Abs. 3b) sowie – und das ist neu – zur Anwendung des DEMPE-Konzepts bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen im Zusammenhang mit immateriellen Werten. Schließlich wird die bisher in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG verortete Preisanpassungsklausel in einen neuen § 1a AStG ausgegliedert und im Hinblick auf den Anpassungszeitraum (sieben statt zehn Jahre), der Definition der erheblichen Abweichung und den Ausschlussgründen für Preisanpassungen geändert. Die Änderungen sind erstmalig ab dem VZ 2022 anwendbar.7 Eine Ausnahme gilt für § 1 Abs. 2 AStG n.F. für Zwecke des § 4k Abs. 6 EStG, wonach eine rückwirkende Anwendung ab dem VZ 2020 vorgesehen ist.8
2.12
Konkurrenzverhältnis. Versteht man die vGA, die verdeckte Einlage und § 1 AStG einerseits als Einkünfteermittlungsvorschriften und andererseits als Korrekturnormen, die darauf abzielen, die Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG zutreffend zu ermitteln, dann ist ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Normen denkbar, auch wenn sie sich teilweise tatbestandsmäßig ausschließen. Abgesehen von § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 4 AStG enthalten die Steuergesetze keine 1 Anpassung der Definition der Geschäftsbeziehung nach § 1 Abs. 4 AStG durch das Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2417. 2 Vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuer und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG), BT-Drucks. 19/27632, 68. 3 Vgl. dazu Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73 ff.; Rasch, IWB 2020, 296 ff.; Oestreicher, IStR 2020, 517 ff. und 575 ff.; Schnorberger/Etzig, BB 2020, 1630 ff.; Busch, DB 2020, 1961 ff.; Wilmanns/Heidecke/Lappe/Nolden, IStR 2020, 162; Stein/Schwarz/Burger, IStR 2020, 83 ff.; Richter, ISR 2020, 109. 4 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 5 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 6 § 1 Abs. 2 AStG wurde bereits durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 und das Zollkodex-Anpassungsgesetz v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2417 geändert. 7 § 21 Abs. 1 AStG n.F. 8 § 21 Abs. 2 AStG n.F.
42 | Ditz/Wassermeyer
B. Fremdvergleichsgrundsatz | Rz. 2.13 Kap. 2
gesetzliche Regelung des Konkurrenzverhältnisses. Dieses bestimmt sich aus der Natur der Korrekturvorschriften. Danach lässt sich als Grundsatz festhalten, dass sich die Rechtsfolgen der Vorschriften in dem Sinne überlagern, dass keine Korrektur – wenn auch auf der Grundlage verschiedener Vorschriften – doppelt angesetzt werden darf.1 Es findet stets die aus der Sicht des Fiskus weitergehende Rechtsfolge Anwendung (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG, „Wertauffüllerklausel“). Dies entspricht – entgegen der Rechtsprechung des BFH v. 27.11.20192 – der Auffassung der Finanzverwaltung, die in den Verwaltungsgrundsätzen Verrechnungspreise ausführt, dass die Einkünftekorrekturvorschrift des § 1 AStG grundsätzlich „zusätzlich“ bzw. „ergänzend“ zu den übrigen Korrekturvorschriften zur Anwendung kommen soll.3 In besonderen Fällen könne – so die Finanzverwaltung – § 1 AStG auch anstelle anderer Korrekturnormen anzuwenden sein.4 Manche bezeichnen das Überlagern der Rechtsfolgen als Idealkonkurrenz. Ein Konkurrenzverhältnis ist vor allem zwischen der vGA, der verdeckten Einlage einerseits und § 1 AStG andererseits denkbar. Es kommen jedoch Konkurrenzen auch zu den Vorschriften der DBA, zu § 4 Abs. 1 EStG und zu §§ 7 ff. AStG in Betracht. Dabei sollte zusätzlich beachtet werden, dass vGA die Eignung haben können, eine Kapitalertragsteuerpflicht auszulösen.5 Dem § 1 AStG und der verdeckten Einlage kommt eine derartige Eignung nicht zu. § 8b KStG und § 4h EStG machen deutlich, dass auch die Abgrenzung zu nicht abziehbaren Betriebsausgaben zu beachten ist. Einzelheiten zum Konkurrenzverhältnis zwischen vGA, verdeckter Einlage und § 1 AStG sind in der Rz. 2.199 ff. dargestellt. Unterschiedliche Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Nach Rz. 17 der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 1 AStG6 im Jahr 1972 fehlte es an einem umfassenden Rechtsmaßstab für eine Regulierung des Gesamtbereichs der internationalen Gewinnverschiebungen. § 1 AStG sollte eine solche Regelung für die Gewinnberichtigung bei international verbundenen Unternehmen beinhalten (Anwendung des Maßstabes des Fremdvergleichs = Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz). In diesem Sinne ist § 1 AStG Ausdruck der Vorstellung des deutschen Gesetzgebers, dass sich die Besteuerung an einem allgemein geltenden (einheitlichen) Fremdvergleichsgrundsatz ausrichten sollte, der zumindest der vGA und dem § 1 AStG zugrunde liegt. In diesem Sinne sollte der Fremdvergleichsgrundsatz zumindest bei der vGA und im § 1 AStG einheitlich praktiziert werden. Unterschiede konnten in den Rechtsfolgen eintreten, weil § 1 AStG auch „Zuwendungen“ des Gesellschafters an seine Gesellschaft erfasst. Die Annahme eines einheitlichen Fremdvergleichsgrundsatzes hatte den Vorteil, dass zumindest insoweit inländische, ausländische und grenzüberschreitende Sachverhalte einheitlich behandelt wurden. Diese Einheitlichkeit hat der deutsche Gesetzgeber durch das UntStRefG 20087 mit Wirkung ab dem 1.1.2008 aufgegeben (vgl. auch Rz. 2.29, 2.45 und 2.201). Er hat in § 1 AStG Regeln normiert, die über das hinausgehen, was bisher unter dem Fremdvergleichsgrundsatz verstanden wurde. Die Tatsache, dass die gesetzliche Regelung nur im § 1 AStG angelegt ist, spricht dafür, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers der in dieser Weise erweiterte Fremdvergleichsgrundsatz nur auf Geschäftsbeziehungen zum Ausland, jedoch vor allem nicht auf rein inländische Sachverhalte Anwendung finden soll. Damit bestehen im deutschen Steuerrecht zwei inhaltlich verschiedene Fremdvergleichsgrundsätze. § 1 AStG ist 1 Vgl. Wassermeyer, IStR 2001, 633. 2 Vgl. BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.1 ff. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.3. 5 Vgl. Ditz/Haverkamp, IStR 2020, 499 (500 ff.). 6 BT-Drucks. VI/2883. 7 UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912 = BStBl. I 2007, 630.
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2.13
Kap. 2 Rz. 2.13 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
daher immer neben der vGA zu prüfen. Es kann Korrekturen nach § 1 AStG geben, die jedoch keine Kapitalertragsteuerpflicht auslösen, weil nicht gleichzeitig die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erfüllt sind. Auch der BFH stellt klar, dass vor Einführung des § 1 Abs. 3 AStG i.d.F. des UntStRefG 20081 der Fremdvergleich im Rahmen des § 1 Abs. 1 AStG demjenigen zur Prüfung der gesellschaftlichen Veranlassung der vGA nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG entsprochen hat.2 Daraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass auch nach Auffassung des BFH mit der geänderten Rechtslage ab 2008 in § 1 Abs. 3 AStG unterschiedliche Maßstäbe zur Anwendung und Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 AStG und der vGA gelten. Im entschiedenen Sachverhalt war dies entscheidungsunerheblich, da über die Streitjahre 2002 und 2003 zu entscheiden war.
2.14
Einheitliche Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes in In- und Outboundfällen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist der Fremdvergleichsgrundsatz „als solcher [...] im In- und Outboundfall einheitlich anzuwenden.“3 Diese Aussage ist grundsätzlich zu begrüßen, sollte doch die Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes unabhängig davon sein, ob die zu betrachtende Geschäftsbeziehung zwischen einer ausländischen Mutter- mit ihrer inländischen Tochtergesellschaft oder zwischen einer inländischen Mutter- mit ihrer ausländischen Tochtergesellschaft realisiert wird. Eine solche Differenzierung kennt auch die OECD in ihren Verrechnungspreisleitlinien nicht. Wie in der vorstehenden Rz. 2.13 dargestellt, ist aufgrund der besonderen Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 AStG nicht sichergestellt, dass dessen Auslegung nach § 1 AStG derjenigen der vGA entspricht. Vor diesem Hintergrund kann die Aussage in Rz. 3.3 VWG Verrechnungspreise nicht überzeugen; denn sie ist nicht durch die Rechtsgrundlagen im innerstaatlichen Recht gedeckt.
2.15
Fremdvergleichsgrundsatz bei der Betriebsstättengewinnabgrenzung. Durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.20134 wurde der Authorized OECD Approach in innerstaatliches Recht transformiert und infolgedessen der Anwendungsbereich des § 1 AStG auf Betriebsstättenfälle ausgeweitet.5 Einzelheiten der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei der Betriebsstättengewinnabgrenzung sind in der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung v. 13.10.2015 geregelt. Im Übrigen interpretiert die Finanzverwaltung den Authorized OECD Approach in den VWG Betriebsstättengewinnaufteilung v. 22.12.2016.6 Durch die vorstehend dargestellte Entwicklung hat sich § 1 AStG auch im Rahmen der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte als zentrale Norm etabliert. Allerdings ist auch die Gewinnabgrenzung im international agierenden Einheitsunternehmen durch das Nebeneinander von zahlreichen, nicht aufeinander abgestimmten Rechtsgrundlagen geprägt. Denn neben § 1 AStG sind im Hinblick auf die Überführung und Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern zwischen Stammhaus und Betriebsstätte auch die Entstrickungsregeln gem. § 4 Abs. 1 Satz 3-5 EStG, § 12 Abs. 1 KStG sowie § 16 Abs. 3a EStG zu beachten. Da sich dieses Werk auf die Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen i.S. rechtlich selbständiger Konzerngesellschaften („nahestehende Personen“) bezieht, werden Einzelheiten der Gewinnabgrenzung
1 UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912 = BStBl. I 2007, 630. 2 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini/Greil/Böing/ Rasch, Rz. 23. 3 VWG VP 2021, Rz. 3.3. 4 Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie und zur Änderung steuerlicher Vorschriften v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 5 Zu Einzelheiten vgl. Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 6.26 ff. 6 BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – VWG BsGa, BStBl. I 2017, 182.
44 | Ditz/Wassermeyer
B. Fremdvergleichsgrundsatz | Rz. 2.17 Kap. 2
zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht erörtert. Stattdessen wird insoweit auf das Betriebsstätten-Handbuch verwiesen.1 Art. 9 OECD-MA als abkommensrechtliche Gewinnkorrekturvorschrift. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA bzw. präziser die dieser Vorschrift nachgebildete konkrete Abkommensnorm erlaubt es den Vertragsstaaten, Gewinnkorrekturen zwischen verbundenen Unternehmen und in den Vertragsstaaten ansässigen Unternehmen vorzunehmen, soweit zwischen diesen Verrechnungspreise vereinbart werden, welche dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht genügen. Auch bei Art. 9 Abs. 1 OECD-MA handelt es sich infolgedessen um eine Einkünftekorrekturvorschrift, welche auf dem Grundsatz des Fremdvergleichs basiert.2 Die Vorschrift qualifiziert als Erlaubnisnorm für die Vertragsstaaten, Gewinnkorrekturen durchzuführen; sie ist keine eigenständige Korrekturvorschrift. Vielmehr bedarf es einer solchen im innerstaatlichen Recht, nach welcher die entsprechende Gewinnkorrektur vorgenommen wird. Dies sind nach dem deutschen innerstaatlichen Recht die vGA, die verdeckte Einlage und § 1 AStG.3 Nimmt ein Vertragsstaat eine Gewinnkorrektur auf Basis einer innerstaatlichen Rechtsgrundlage vor, ist diese hinsichtlich ihrer Tatbestandsvoraussetzungen und in Bezug auf die Einkünftekorrektur der Höhe nach am Fremdvergleichsgrundsatz des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA zu messen. Ist dies nicht der Fall, entfaltet Art. 9 Abs. 1 eine Sperrwirkung gegenüber innerstaatlichem Recht.4 Die Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA greift z.B. dann, wenn eine Verrechnungspreiskorrektur aufgrund rein formaler Kriterien (z.B. vGA aufgrund formeller vertraglicher Mängel) nach innerstaatlichen Korrekturvorschriften vorgenommen wird.5 Einzelheiten dazu sind in Rz. 2.41 dargestellt.
2.16
Relevanz des tatsächlich realisierten Sachverhalts. Den vorstehend im Überblick dargestellten Rechtsgrundlagen ist gemeinsam, dass Gegenstand der Anwendung des Fremdvergleichs die zwischen verbundenen Unternehmen (bzw. nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG) realisierten, tatsächlichen Geschäftsbeziehungen sind.6 Diese dürfen nicht durch einen hypothetischen Sachverhalt ersetzt oder umgedeutet werden. Die Finanzverwaltung hat den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt anzuerkennen und zu prüfen. Dieser darf nicht auf das Denkmodell eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters umgedeutet werden. Denn der Gesellschafter ist frei, die funktionale Untergliederung der Unternehmensgruppe und die von den verbundenen Unternehmen ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter selbst festzulegen. Dieser Grundsatz der unternehmerischen Dispositionsfreiheit wird auch von der Rechtsprechung des BFH betont7 und gilt nur dann nicht, wenn ein Missbrauchsfall vorliegt (vgl. auch Rz. 7.3). Insofern ist es zutreffend, wenn Rz. 3.2 VWG VP auf die „tatsächlichen Verhältnisse nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt“ und
2.17
1 Vgl. Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch2. 2 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 2; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 28. 3 Vgl. zu Einzelheiten Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 19 ff. 4 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 27; Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 150 f.; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.292; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 188; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 20. 5 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 26 m.w.N. 6 So zutreffend VWG VP 2021, Rz. 3.2. 7 Vgl. BFH v. 18.12.1996 – I R 26/95, FR 1997, 386.
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Kap. 2 Rz. 2.17 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
infolgedessen auf die „tatsächlich durchgeführte Geschäftsbeziehung“ abstellt. In einem gewissen Widerspruch stehen dazu allerdings die Ausführungen in Rz. 3.8 VWG VP. Danach sollen für die Durchführung des Fremdvergleichs die „realistischerweise zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen“ einzubeziehen sein. Damit kann indessen ein Eingriff in die unternehmerische Dispositionsfreiheit nicht gerechtfertigt werden.1 Allein im Hinblick auf Missbrauchsfälle und in Anwendung des § 42 AO kann von dem tatsächlich realisierten Sachverhalt – der tatsächlich realisierten Geschäftsbeziehung – abgewichen werden. Aus Rz. 3.8 VWG VP kann daher nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass zwischen nahestehenden Personen (international verbundener Unternehmen) tatsächlich realisierte Geschäftsbeziehungen in Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes „umgedeutet“ oder neu interpretiert werden dürfen (vgl. Rz. 7.3).
C. Verdeckte Gewinnausschüttung I. Fehlende gesetzliche Definition 2.18
Unbestimmter Rechtsbegriff. Der Begriff „vGA“ wird sowohl in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als auch in § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG verwendet. Er wird jedoch in beiden Vorschriften nicht definiert. Die Verwendung desselben Begriffes in den beiden Vorschriften ist deshalb kritisch zu beurteilen, weil § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG eine Form der Einkommensverwendung durch eine Körperschaft regelt, während der Regelungsgegenstand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG eine Einnahme des Gesellschafters ist, die an den Tatbestandsmerkmalen des § 8 Abs. 1 EStG gemessen werden muss. Auch wenn beides eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis voraussetzt und insoweit ein Sachzusammenhang besteht, handelt es sich doch um zwei grundverschiedene Tatbestände, die richtigerweise mit unterschiedlichen Begriffen hätten umschrieben werden sollen. Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ein sonstiger Bezug ist, was man von der vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht behaupten kann. Die verfehlte Vorgehensweise des Gesetzgebers birgt die Gefahr in sich, dass man versucht ist, die Begriffe einheitlich auszulegen, was zwangsläufig zu Fehleinschätzungen führen muss. Es ist die Aufgabe vor allem der Rechtsprechung, unbestimmte Rechtsbegriffe orientiert am Gesetzeszweck fallgruppenbildend und fallvergleichend zu konkretisieren. Seit seinem Urteil v. 1.2.19892 versteht der BFH unter einer vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG bei einer Kapitalgesellschaft die Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist und sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG auswirkt. Die Unterschiedsbetragsminderung muss die Eignung haben, beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen.3 Anders ausgedrückt versteht § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG die vGA primär als eine Form der Einkommensverwendung, die zwar gleichzeitig alle Voraussetzungen einer Betriebsausgabe bzw. einer verhinderten Betriebseinnahme erfüllt, jedoch wegen ihres daneben bestehenden Einkommensverwendungscharakters den Gewinn einer Körperschaft nicht mindern soll. 1 Vgl. auch VWG VP 2021, Rz. 3.32. 2 BFH v. 1.2.1989 – I R 73/85, BStBl. II 1989, 522 = BFHE 156, 155 (156) = FR 1989, 340; zuletzt: BFH v. 13.3.2019 – I R 66/16, BFH/NV 2019, 1360; siehe auch R 8.5 Abs. 1 Satz 1 KStR. 3 BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131 = BFHE 200, 197 = FR 2003, 132; BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190 = BFHE 209, 199; BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961 = BFHE 218, 523 = FR 2007, 1160 m. Anm. Orth; BFH v. 15.2.2012 – I R 19/11, BFHE 236, 452 = FR 2012, 690 m. Anm. Pezzer; H 8.5 Abs. 1 „Zuflusseignung/Vorteilsgeneigtheit“ KStH.
46 | Ditz/Wassermeyer
C. Verdeckte Gewinnausschüttung | Rz. 2.20 Kap. 2
Nichtanerkennung zivilrechtlicher Verträge. Will man die vGA in ihrer Zielsetzung zutreffend einordnen, so muss man sie von den Möglichkeiten abgrenzen, abgeschlossene Verträge steuerrechtlich nicht anzuerkennen. Insoweit gilt als Grundsatz, dass Verträge zwischen untereinander fremden Dritten steuerrechtlich anerkannt werden müssen, wenn sie nur tatsächlich durchgeführt wurden. Grundsätzlich ist also auf das tatsächlich Durchgeführte und nicht auf das zivilrechtlich (formal) Vereinbarte abzustellen. Die Rechtsprechung verlangt allerdings bei Verträgen zwischen einem beherrschenden Gesellschafter und der von ihm beherrschten Gesellschaft, dass dieselben von vornherein, klar, zivilrechtlich wirksam vereinbart und tatsächlich durchgeführt werden (formale Angemessenheit).1 Hier handelt es sich jedoch genau genommen um ein Mixtum zwischen wirtschaftlicher Betrachtungsweise und Beweislastverteilung. Gerade weil der beherrschende Gesellschafter die freie Wahl hat, seiner Gesellschaft entweder auf gesellschaftsrechtlicher oder auf schuldrechtliche Ebene gegenüber zu treten, soll er sich rechtzeitig entscheiden und dies aus Gründen der Beweislast nach außen hin kundtun. Dies steht im Abkommensfall in einem gewissen Gegensatz zur Sperrwirkung von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildeten DBA Regelungen bei rein formaler Unangemessenheit (vgl. hierzu Rz. 2.228 f.).2
2.19
Korrespondenzprinzip. Zwischen einer vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und einer solchen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG besteht ein formelles Korrespondenzprinzip, wie es in § 8b Abs. 1 Satz 2 und § 32a KStG gesetzlich verankert wurde. Beide Formen der vGA setzen im Kern bei demselben Sachverhalt an; sie müssen deshalb jedoch tatbestandsmäßig nicht deckungsgleich sein. Die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG hat nur die Rechtsfolgen bei der ausschüttenden Gesellschaft und die vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG nur die bei dem durch die Ausschüttung begünstigten Gesellschafter im Auge. Die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG setzt eine sog. Unterschiedsbetragsminderung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei der ausschüttenden Kapitalgesellschaft und die vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG im Regelfall den Zufluss (§ 11 Abs. 1 EStG) eines Beteiligungsertrages (= Einnahme i.S.d. § 8 Abs. 1 EStG) beim Gesellschafter voraus. Ist der Gesellschafter ein bilanzierender Kaufmann und hält er seine Beteiligung in einem Betriebsvermögen, so kann etwas anderes gelten. In vielen Sachverhalten treten die Rechtsfolgen der beiden Vorschriften mehr oder weniger zeitgleich ein. Dies gilt immer dann, wenn der Zeitpunkt des Abflusses der vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG mit dem Zeitpunkt der Unterschiedsbetragsminderung zusammen fällt. Beide Zeitpunkte können allerdings auseinanderfallen. Dies gilt z.B., wenn die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG aus der Zusage einer unangemessen hohen Pension gegenüber einem Gesellschafter besteht. Die Pensionszusage führt dann in der Steuerbilanz nur zu einer Rückstellung, die den Unterschiedsbetrag mindert; die Minderung löst jedoch noch keinen Abfluss bei der Gesellschaft und entsprechend keinen Zufluss bei dem Gesellschafter aus. Der Abfluss tritt erst nach dem Pensionsfall, d.h. unter Umständen Jahre später ein. Entsprechend später liegt auch der Zuflusszeitpunkt beim Gesellschafter. Die Tatbestände des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG werden dann in unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen verwirklicht. Verstirbt der Empfänger der Pensionszusage vorzeitig, so kann dies einen Zufluss bei ihm sogar ausschließen. Kapitalertragsteuer entsteht erst im Zeitpunkt des Zuflusses beim Gläubiger (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG). Deshalb ist es im Grundsatz richtig, die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und eine solche i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG getrennt voneinander zu prüfen. Unbeschadet dessen setzt die vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 KStG eine entwe-
2.20
1 Vgl. BFH v. 28.10.1987 – VIII R 78/89, BStBl. II 1993, 301 = BFHE 169, 442; siehe auch R 8.5 Abs. 2 KStR. 2 Vgl. dazu Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 26 m.w.N.
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Kap. 2 Rz. 2.20 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
der vorher oder zumindest zeitgleich realisierte vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG voraus. Der vGA i.S.d. 8 Abs. 3 Satz 2 KStG muss jedoch keine vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG nachfolgen. Man spricht dann von einer nicht abgeflossenen vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Bei diesen Aussagen muss man allerdings berücksichtigen, dass ein in Deutschland ansässiger Gesellschafter eine vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auch von einer ausländischen Kapitalgesellschaft erzielen kann, die ihrerseits in Deutschland gar nicht steuerpflichtig ist, weshalb auf ihre Einkommensermittlung auch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG keine Anwendung findet. Wenn die entsprechenden Sachverhalte dennoch in das hier besprochene formelle Korrespondenzprinzip einbezogen werden, dann wird insoweit eine fiktive Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auf einen an sich in Deutschland nicht steuerbaren Sachverhalt unterstellt. Ebenso kann eine Kapitalgesellschaft bei ihr steuerfreie Einkommensteile verdeckt ausschütten. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten kann das eingeschränkte Korrespondenzprinzip eine Hilfe sein, um bei Verträgen zwischen einander nahestehenden Unternehmen zu ermitteln, welchem Unternehmen die Ausschüttung als Einkommensverwendung und welcher Person sie als Einkünfteerzielung steuerrechtlich zuzurechnen ist. Der Beteiligungsertrag kann immer nur einem Gesellschafter zugerechnet werden.
2.21
Einkommens-, Gewinn- oder Unterschiedsbetragskorrektur. Nimmt man die Gesetzesformulierung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG wörtlich, so beinhaltet die Vorschrift das Verbot einer Einkommensminderung. Man muss die Formulierung vor dem Hintergrund verstehen, dass auch Vermögensmassen, die keinen Gewinn erzielen, Ausschüttungen tätigen können, die jedoch die Einkünfte nicht mindern dürfen. Das Verbot einer Einkommensminderung besagt nichts darüber, auf welcher Stufe der Einkommensermittlung es ansetzt. Die Frage hat große Bedeutung für die GewSt. Diese bemisst sich nach dem Gewerbeertrag, der sich wiederum aus dem nach den Vorschriften des EStG und des KStG zu ermittelnden Gewinn aus dem Gewerbebetrieb und den Hinzurechnungen und Kürzungen i.S.d. §§ 8 und 9 GewStG zusammensetzt. Sollte deshalb die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht bereits innerhalb der Gewinnermittlung ansetzen, so könnte sie auf den Gewerbeertrag nicht durchschlagen. Tatsache ist jedoch, dass die Rechtsprechung schon immer die Rechtsfolge der vGA auf den Gewerbeertrag hat durchschlagen lassen. Sie hat § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als eine Gewinn- und nicht als eine Einkommensermittlungsvorschrift im engeren Sinne behandelt.
2.22
Betriebsausgabe und vGA. Nach der BFH-Rechtsprechung hat eine Kapitalgesellschaft keine außerbetriebliche (private) Sphäre.1 Daraus folgt zwingend, dass alle Aufwendungen einer Kapitalgesellschaft durch deren Existenz veranlasst und in diesem Sinne deren Betriebsausgaben sind. An sich gilt dies auch für sog. „offene Ausschüttungen“. Für diese hat sich jedoch insbesondere handelsbilanziell die Auffassung durchgesetzt, dass der Ausschüttungs- den potenziellen Betriebsausgabencharakter verdrängt. Dies ist insoweit zutreffend, als offene Ausschüttungen i.d.R. erst nach dem Bilanzstichtag beschlossen werden. Am Bilanzstichtag ist noch keine Ausschüttung gegeben. „Offene Ausschüttungen“ sind deshalb keine Betriebsausgaben. VGA sind dagegen vor allem handelsrechtliche Betriebsausgaben bzw. verhinderte Betriebseinnahmen, die jedoch kraft ausdrücklichen steuerrechtlichen Gesetzesbefehls den Gewinn nicht mindern dürfen. Entsprechend mindern vGA auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung den Unterschiedsbetrag und sind deshalb auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung außerhalb der Steuerbilanz dem Unterschiedsbetrag wieder zuzurechnen.2 Die 1 BFH v. 4.12.1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123 = FR 1997, 311 = DB 1997, 707; BFH v. 8.7.1998 – I R 123/97, BFHE 186, 540; BFH v. 8.8.2001 – I R 106/99, BFHE 196, 173 = BStBl. II 2003, 487; BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961 = BFHE 218, 523. 2 Vgl. Wassermeyer, DB 2010, 1959.
48 | Ditz/Wassermeyer
C. Verdeckte Gewinnausschüttung | Rz. 2.24 Kap. 2
Aufgabe der zweiten Stufe der Gewinnermittlung ist es, den Unterschiedsbetragsminderungseffekt auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung zu neutralisieren. Entsprechend setzt die Gewinnkorrektur nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG stets voraus, dass eine Unterschiedsbetragsminderung eintritt. Fehlt es an einer solchen, so kann die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht zum Tragen kommen. Gerade deshalb kommt der zutreffenden Ermittlung des Unterschiedsbetrages große Bedeutung zu. Übliche Verrechnungspreiskorrekturen durch eine vGA. In der Verrechnungspreispraxis ist die vGA die grundlegende Korrekturvorschrift für unangemessene Verrechnungspreise, die zwischen einer im Ausland ansässigen Muttergesellschaft und ihrer inländischen Tochtergesellschaft vereinbart werden. Dies betrifft also i.d.R. den Inbound-Sachverhalt, d.h. Geschäftsbeziehungen, bei denen eine Leistung vom inländischen Steuerpflichtigen empfangen oder von diesem abgegeben wird.1 Dies ist dann der Fall, wenn die ausländische Muttergesellschaft an ihre inländische Tochtergesellschaft eine Lieferung oder Leistung zu einem unangemessen hohen Verrechnungspreis abrechnet.2 Betroffen sein kann aber auch der umgekehrte Fall, wonach die inländische Tochtergesellschaft an ihre ausländische Muttergesellschaft die Lieferung oder Leistung zu einem unangemessen geringen Entgelt abrechnet. Im Übrigen kann aber auch der Outbound-Sachverhalt zu einer vGA führen. Dies betrifft z.B. eine Lieferung oder Leistung einer inländischen Muttergesellschaft zu einem unangemessen hohen Verrechnungspreis an ihre ausländische Tochtergesellschaft. In diesem Fall wird allerdings mehr die ausländische Finanzverwaltung an einer Verrechnungspreisprüfung und -korrektur Interesse haben. Dies gilt auch für den umgekehrten Fall, wenn eine ausländische Tochtergesellschaft an ihre inländische Muttergesellschaft zu einem unangemessen niedrigen Preis eine Lieferung oder Leistung erbringt.
2.23
II. Tatbestandsvoraussetzungen der vGA Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung. Tatbestandsvoraussetzung der vGA ist zunächst eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung auf Ebene der Körperschaft, die sich auf den bilanziellen Unterschiedsbetrag i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG auswirkt. Mithin erfordert die vGA eine Auswirkung auf den steuerbilanziellen Gewinn der ersten Stufe der Gewinnermittlung. Eine Vermögensminderung mit Auswirkung auf den Unterschiedsbetrag in der Steuerbilanz liegt vor, wenn sich ein Aktivposten vermindert oder ein Passivposten begründet oder sich erhöht.3 Ein unangemessen hohes Entgelt wird innerhalb der Unterschiedsbetragsermittlung erfolgswirksam angesetzt. Anschließend wird außerhalb der Unterschiedsbetragsermittlung der erfolgswirksame Ansatz rückgängig gemacht (außerbilanzielle Korrektur). Entspricht die vGA einer bestimmten Unterschiedsbetragsminderung, so kann ihr Vorliegen nur dann richtig beurteilt werden, wenn man den Unterschiedsbetrag exakt ermittelt. Eine verhinderte Vermögensmehrung liegt vor, wenn sich aus der Perspektive des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ein steuerbilanzielles Ereignis ereignet, das einen Aktivposten nicht erhöht oder ein Passivposten nicht vermindert.4 Während sich die Vermögensminderung aufwandswirksam in der Steuerbilanz widerspiegelt, ist die verhinderte Vermögensmehrung gerade durch ihre fehlende Auswirkung
1 2 3 4
Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2. Vgl. auch VWG VP 2021, Rz. 1.4 Beispiel (vGA). Vgl. Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 198 ff. Vgl. Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 210 ff.
Ditz/Wassermeyer | 49
2.24
Kap. 2 Rz. 2.24 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
auf die Steuerbilanz gekennzeichnet.1 Sie geht insofern nicht in die Unterschiedsbetragsermittlung ein. Die verhinderte Vermögensmehrung stellt einen nicht entstandenen Gewinn dar und wird von Gosch zutreffend als „negative Größe des Gewinnverzichts“ bezeichnet.2 Es handelt sich um eine Gewinnkorrektur außerhalb der Unterschiedsbetragsermittlung.
2.25
Einkauf zu einem unangemessen hohen Preis. Erwirbt eine GmbH von ihrem Gesellschafter ein Wirtschaftsgut zu einem unangemessen hohen Preis, ist das Wirtschaftsgut bei der GmbH nur mit seinen angemessenen Anschaffungskosten zu aktivieren. Die Rechtsfolge der vGA setzt auch hier gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung an. Auf Ebene der ersten Stufe der Gewinnermittlung ist zu entscheiden, wie sich dort der unangemessen hohe Teil des Kaufpreises auswirkt. Er muss dort als Betriebsausgabe abgesetzt werden, die den Unterschiedsbetrag mindert. Der Ansatz der Betriebsausgabe folgt aus der Überlegung, dass die GmbH keine Privatsphäre hat und deshalb alle Aufwendungen, für die keine Aktivierungspflicht besteht, Betriebsausgaben sein müssen. Die dadurch eintretende Gewinnminderung wird durch den Ansatz eines gleich hohen Betrages als vGA wieder neutralisiert. Im Grundsatz gilt, dass der Abfluss einer vGA ohne vorherige bzw. gleichzeitige Unterschiedsbetragskorrektur nicht denkbar ist. Dies folgt aus dem Wechselspiel zwischen der ersten und der zweiten Stufe der Gewinnermittlung (vgl. Rz. 2.6 ff.). Bei dieser Aussage ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Unterschiedsbetragskorrektur gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG sich auch im Bereich steuerfreier Einkünfte vollziehen kann, die bekanntlich nicht in das zu versteuernde Einkommen eingehen. Außerdem können auch ausländische Kapitalgesellschaften, die in Deutschland gar nicht steuerpflichtig sind, an einen inländischen Gesellschafter verdeckt ausschütten. Der Begriff „Unterschiedsbetragskorrektur“ ist deshalb hypothetisch zu verstehen. Es wird fiktiv unterstellt, dass die ausschüttende Gesellschaft ihren Gewinn nach deutschem Steuerrecht ermittelt. Beispiel: Eine inländische GmbH unterhält im Ausland eine Betriebsstätte. Für Zwecke der ausländischen Betriebsstätte erwirbt die GmbH von ihrem inländischen Gesellschafter einen Pkw zu einem unangemessen hohen Preis. Der Pkw wird als Wirtschaftsgut der ausländischen Betriebsstätte zugeordnet. Die Betriebsstätteneinkünfte sind aufgrund eines DBA im Inland steuerfrei. Die Steuerfreiheit umfasst auch den Mehrgewinn, der sich aus der Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ergibt.
Das Beispiel belegt, dass die vGA auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung logisch vor der Ausklammerung steuerfreier Einkünfte (Einnahmen) ansetzt.
2.26
Beteiligungserwerbe im Konzern. Die steuerrechtliche Behandlung von Beteiligungserwerben innerhalb desselben Konzerns zu einem unangemessen hohen oder niedrigen Kaufpreis soll an zwei Beispielen dargestellt werden. Beispiel: Eine Muttergesellschaft (M) verkauft ihre an der Tochtergesellschaft (T1) gehaltene Beteiligung zu einem unangemessen hohen Kaufpreis an ihre andere Tochtergesellschaft (T). Der tatsächlich gezahlte Kaufpreis beträgt 300; angemessen sind lediglich 100. Lösung: In diesem Fall hat die T einen Aufwand von 300, der auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung i.H.v. 100 als Anschaffungskosten auf die Beteiligung an T1 und i.H.v. 200 als sofort abziehbare Betriebsausgabe zu behandeln ist. Der Mehrbetrag von 200 ist nicht mehr durch den Erwerb der Beteiligung, sondern durch die Absicht einer vGA veranlasst. Die entsprechende Unterschiedsbetragsminderung 1 Vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.28. 2 Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 253.
50 | Ditz/Wassermeyer
C. Verdeckte Gewinnausschüttung | Rz. 2.28 Kap. 2 i.H.v. 200 ist bei T auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung durch den Ansatz einer vGA i.H.v. 200 zu neutralisieren, weshalb der Vorgang letztlich erfolgsneutral zu behandeln ist. Die M erzielt einen Beteiligungsveräußerungsgewinn oder -verlust i.H.v. 100 abzgl. des bisherigen Buchwerts der Beteiligung. Insoweit findet § 8b Abs. 2 KStG Anwendung. M erzielt außerdem einen Beteiligungsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, auf den § 8b Abs. 1 und 3 KStG Anwendung findet. Beispiel: Eine Tochtergesellschaft (T) hält eine Beteiligung an der Enkelgesellschaft (E), die sie zu einem unangemessen niedrigen Kaufpreis an die Muttergesellschaft (M) verkauft. Der tatsächlich vereinbarte Kaufpreis soll 100 und der angemessene Kaufpreis 300 betragen. Lösung: Aus der Sicht der T handelt es sich um eine vGA in der Form einer verhinderten Vermögensmehrung. Auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung wird der Beteiligungsveräußerungsgewinn der T auf der Basis des tatsächlich gezahlten Kaufpreises (100) ermittelt. Dadurch wird der Unterschiedsbetrag um 200 zu niedrig ausgewiesen. Diese Unterschiedsbetragsminderung wird durch die Hinzurechnung einer vGA auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung wieder neutralisiert. Im Endergebnis wird T steuerrechtlich so behandelt, als habe sie von M einen Kaufpreis von 300 erhalten und davon 200 an M wieder ausgeschüttet. M erzielt ihrerseits einen Beteiligungsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, auf den § 8b Abs. 1 und 3 KStG Anwendung findet. M wird nach Maßgabe des Beschlusses des Großen Senats des BFH v. 26.10.19871 steuerrechtlich so behandelt, als habe sie diesen Beteiligungsertrag dazu verwendet, um an die T einen angemessenen Kaufpreis von 300 zu zahlen. Der Betrag von 200 stellt deshalb einerseits eine Einnahme bei T dar, die als verwendet gilt und insoweit Anschaffungskosten auf die Beteiligung an E auslöst. Die Beteiligung an E ist deshalb von M mit 300 zu aktivieren. Wichtig ist, dass sowohl die Einnahme als auch die zusätzlichen Anschaffungskosten von jeweils 200 auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung zu erfassen sind.
Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis. Die Unterschiedsbetragsminderung muss durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sein. Die entsprechende Prüfung ist regelmäßig das Kernproblem der vGA. Unter Veranlassung ist insoweit der auslösende Moment für eine bestimmte Vorteilszuwendung zu verstehen, der nur im Rahmen einer wertenden Betrachtungsweise unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles bestimmt werden kann. Die Rechtsprechung bedient sich in der Regel des Fremdvergleichs als eines Hilfskriteriums der Veranlassung.2 Dabei geht sie von dem widerlegbaren Vermutungssatz aus, dass ein Verhalten, das dem Fremdvergleich entspricht, nicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Weicht das Verhalten allerdings von dem ab, was ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter getan hätte, so wird eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis widerlegbar vermutet. Man kann auch sagen, dass je mehr ein Verhalten vom Fremdvergleich abweicht, desto eher eine Vermutung für die Annahme einer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis spricht.
2.27
Begriff „Gesellschaftsverhältnis“. Der Begriff „Gesellschaftsverhältnis“ muss für die Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG nicht einheitlich verstanden werden. Dennoch ist unter einem Gesellschaftsverhältnis i.S. beider Vorschriften ein solches an einer Kapitalgesellschaft, an einer Genossenschaft sowie an bergbautreibenden Vereinigungen zu verstehen, die die Rechte einer juristischen Person haben. Letztere werden hier nur der Vollständigkeit halber deshalb erwähnt, weil der Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG sie noch umfasst. Tatsächlich gibt es sie nicht mehr. Der sich am deutschen Zivil-
2.28
1 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = BFHE 151, 523 = FR 1988, 160. 2 Vgl. Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 228 ff.
Ditz/Wassermeyer | 51
Kap. 2 Rz. 2.28 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
recht orientierende Begriff „Gesellschaftsverhältnis“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Gesellschaftsverhältnis auch an einem ausländischen Rechtsträger bestehen kann. Der ausländische Rechtsträger muss allerdings im Bereich des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG vom Typus her einer deutschen Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft entsprechen. Speziell für den Bereich des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG geht zumindest die Rechtsprechung davon aus, dass der Gesellschaftsbegriff weit zu fassen ist und z.B. auch Vereine umfasst.1
2.29
Bedeutung des Fremdvergleichs für die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis. Die Rechtsprechung beurteilt die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis seit dem BFH-Urteil v. 16.3.19672 anhand eines Vergleichs zwischen dem tatsächlichen Geschehensablauf und dem hypothetischen Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters.3 Weicht der tatsächliche Geschehensablauf von dem ab, was ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter mutmaßlich unter vergleichbaren Voraussetzungen getan hätte, so wird die Veranlassung der Unterschiedsbetragsminderung durch das Gesellschaftsverhältnis widerlegbar vermutet. Dem Steuerpflichtigen wird anheimgestellt darzulegen, dass sein Verhalten entgegen dem Vermuteten auf „good business-reasons“ beruhte. Gelingt der entsprechende Nachweis, so wird von dem Ansatz einer vGA abgesehen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist zur Prüfung der Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis nicht nur die Sicht des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters der Kapitalgesellschaft, sondern auch dessen Vertragspartner (z.B. der Gesellschafter) einzubeziehen.4 Zutreffend geht der BFH davon aus, dass der Maßstab der Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters der Kapitalgesellschaft nicht für alle Fälle als Beurteilungsmaßstab ausreicht. Vielmehr ist es geboten, den durchzuführenden Fremdvergleich neben der Sicht der Kapitalgesellschaft auch aus Sicht des Vertragspartners (z.B. Gesellschafters) zu berücksichtigen. Dies ist auch die Auffassung der Finanzverwaltung.5 Auch wenn ein Dritter einer für die Gesellschaft vorteilhaften Vereinbarung nicht zugestimmt hätte, kann deren Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis liegen. Im Ergebnis kann es nicht nur auf die Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters der Kapitalgesellschaft ankommen, erforderlich ist auch die Einbeziehung des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters des Vertragspartners. Es wird damit von dem Konzept des „doppelten ordentlichen Geschäftsleiters“ zur Konkretisierung des Fremdvergleichs für die Prüfung einer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis gesprochen. Dieser Leitgedanke des Fremdvergleichsgrundsatzes ist gesetzlich auch in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG niedergelegt. Danach ist bei der Anwendung des Fremdvergleichs davon auszugehen, „dass die voneinander unabhängigen Dritten [...] nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln.“ Ausweislich der Gesetzesbegründung ist dies notwendig, „da andernfalls das Zustandekommen marktkonformer Verrech-
1 Vgl. Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 1201 m.w.N. 2 Vgl. BFH v. 16.3.1967 – I 261/63, BStBl. III 1967, 626. S. ferner z.B. BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131; BFH v. 28.6.2006 – I R 108/05, BFH/NV 2007, 107. 3 So auch VWG VP 2021, Rz. 3.1. 4 So erstmals BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204. Mittlerweile ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH v. 6.12.1995 – I R 88/94, BStBl. II 1996, 383; BFH v. 19.5.1998 – I R 36/97, BStBl. II 1998, 689; BFH v. 27.3.2001 – I R 27/99, BStBl. II 2002, 111; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BFH v. 24.4.2002 – I R 18/01, BStBl. II 2002, 670; BFH v. 28.1.2004 – I R 87/02, BFH/NV 2004, 736; BFH v. 6.4.2005 – I R 15/04, BStBl. II 2006, 196; BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658; BFH v. 21.8.2007 – I R 27/07, HFR 2008, 367; BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961; BFH v. 17.2.2010 I R 97/08, BFH/NV 2010, 1307. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.1.
52 | Ditz/Wassermeyer
C. Verdeckte Gewinnausschüttung | Rz. 2.31 Kap. 2
nungspreise nicht erreicht werden kann.“1 Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist sowohl im Anwendungsbereich der vGA als auch im Hinblick auf § 1 Abs. 1 AStG „stets“ auf die „Denkfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ abzustellen.2 Dabei sei – so Rz. 3.1 VWG VP – auf die dem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter verfügbaren und ihm zugänglichen Daten abzustellen. Formaler Fremdvergleich. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH wird eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis auch indiziert, wenn es bei einem beherrschenden Gesellschafter an einer klaren und von vornherein abgeschlossenen Vereinbarung darüber fehlt, ob und in welcher Höhe ein Entgelt von der Kapitalgesellschaft gezahlt werden soll.3 Eine vGA wird infolgedessen selbst bei einem angemessenen Leistungsentgelt angenommen, wenn der Leistungsinhalt und -umfang nicht von vornherein klar und eindeutig zwischen den Vertragsparteien (z.B. Kapitalgesellschaft einerseits und Gesellschafter andererseits) vereinbart worden sind. Hintergrund der Berücksichtigung solcher formalen Anforderungen ist, dass nach Auffassung des BFH bei einem beherrschenden Gesellschafter eher „Möglichkeiten zur Gewinnmanipulation“4 bestehen. Daher seien bei einem beherrschenden Gesellschafter strengere Anforderungen zu stellen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung formaler Kriterien bei der internationalen Gewinnabgrenzung ungeeignet ist.5 Denn auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes soll ein Verrechnungspreis ermittelt werden, der für beide Vertragsparteien akzeptabel und infolgedessen angemessen ist. Ist ein Doppelbesteuerungsabkommen einschlägig, das eine Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildete Vorschrift enthält, entfaltet diese eine Sperrwirkung. Es kann in diesem Fall zwar eine vGA vorliegen, allerdings ohne das Recht, eine Gewinnkorrektur gem. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA auszulösen (vgl. Rz. 2.228).6
2.30
Nahestehende Person. Eine vGA kann auch vorliegen, wenn die Unterschiedsbetragsminderung die Eignung hat, den Vermögensvorteil einer dem Gesellschafter nahestehenden Person zuzuwenden. Dies setzt allerdings die Feststellung voraus, dass die beabsichtigte Vermögenszuwendung ihre Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis hat, d.h. nicht im eigenen Interesse der Gesellschaft liegt.7 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Leistung im Interesse des Gesellschafters liegen muss. I.d.R. muss er mit der Leistung einverstanden sein. Zwischen dem Gesellschafter und der nahestehenden Person muss eine Beziehung bestehen, die den Schluss zulässt, sie habe die Vorteilszuwendung der Kapitalgesellschaft an den Dritten beeinflusst. Die Beziehung kann familienrechtlicher, persönlicher (Lebensgemeinschaft), gesellschaftsrechtlicher (unmittelbare oder mittelbare Beteiligung), rechtlicher (insbesondere
2.31
1 BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.193007, 142. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.1. 3 Vgl. z.B. BFH v. 11.2.1997 – I R 43/96, BFH/NV 1997, 806; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545; BFH v. 28.6.2002 – X R 68/99, BStBl. 2002, 699. Siehe zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit auch BFH v. 27.7.2009 – I B 45/09, BFH/NV 2009, 2005. 4 BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545. 5 So explizit auch BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046. 6 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11 – BStBl. II 2013, 1046; FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 197/ 10, IStR 2012, 190 f.; FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161 (rkr.); Ditz in Schönfeld/ Ditz2, Art. 9 OECD-MA Rz. 26; Rasch in G/K/G/K, Art. 9 OECD-MA Rz. 21 f. 7 Vgl. BFH v. 22.2.1989 – I R 9/85, BStBl. II 1989, 631 = BFHE 156, 428 = FR 1989, 562; BFH v. 18.12.1996 – I R 139/94, BStBl. II 1997, 301 = BFHE 182, 184 = FR 1997, 350.
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Kap. 2 Rz. 2.31 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
schuldrechtlicher) oder auch nur tatsächlicher Natur (z.B. Freundschaft) sein.1 Ideelle Interessen reichen aus. Dem Dritten muss der Vermögensvorteil durch die Körperschaft im Interesse des Anteilseigners zugewendet werden.2 Die Zuwendung löst bei der ausschüttenden Gesellschaft die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG aus, d.h., der Gewinn der ausschüttenden Gesellschaft darf nicht um die Zuwendung gemindert werden. Andererseits wird die Zuwendung an die nahestehende Person dem Gesellschafter als eigene Einnahme i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG zugerechnet. Deshalb muss jedoch die Zuwendung als solche keinen Vermögensvorteil des Gesellschafters darstellen.3 Es genügt ein immaterielles Interesse des Gesellschafters. Wichtig ist die Erkenntnis, dass der Begriff der nahestehenden Person im Bereich der vGA nicht mit dem des § 1 Abs. 2 AStG identisch ist. Die Begriffe weichen wesentlich voneinander ab.4 Wichtig ist ferner, dass bei einer vGA innerhalb einer Beteiligungskette (z.B. von einer Enkel- an ihre Muttergesellschaft) der Gedanke des Nahestehens nur in dem Sinne durchschlägt, dass der Beteiligungsertrag zunächst der Tochtergesellschaft zugerechnet und anschließend von ihr als an die Muttergesellschaft ausgeschüttet behandelt wird. Anders ausgedrückt werden mehrfache vGA angenommen, was jedenfalls dann bedenklich ist, wenn das Vermögen der zwischengeschalteten Tochtergesellschaft nicht berührt wird.5 Bei vGA zwischen Schwestergesellschaften wird der Beteiligungsertrag der gemeinsamen Muttergesellschaft zugerechnet (sog. „Dreiecksverhältnis“).6 Einzelheiten dazu werden in Rz. 2.216 dargestellt.
2.32
Begriff „Vorteilsgeneigtheit“. In seinem Urteil v. 7.8.2002 hat der BFH7 erstmalig als weitere Tatbestandsvoraussetzung einer vGA gefordert, dass die Unterschiedsbetragsminderung die Eignung haben müsse, bei dem betroffenen Gesellschafter einen sonstigen Bezug i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen. Die Entscheidung betraf Beiträge für eine Rückdeckungsversicherung, die eine GmbH abgeschlossen hatte, um die Pensionsverbindlichkeit gegenüber ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer abzudecken. Der BFH behandelte die Differenz zwischen den Beiträgen und der zu aktivierenden Forderung auf die Lebensversicherung als betrieblichen Aufwand, der keine vGA auslöste. Die Rechtsprechung dient der Abgrenzung zwischen einer vGA und sonstigen Schäden, die der Gesellschafter-Geschäftsführer seiner GmbH z.B. aufgrund falscher Entscheidungen oder sonstiger Schädigungshandlungen zufügen kann. Sie bedeutet auch, dass nicht jeder Schaden, den ein Gesellschafter-Geschäftsführer seiner GmbH zufügt, zwangsläufig eine vGA ist. Die Vorteilsgeneigtheit der Unterschiedsbetragsminderung heißt nicht, dass ein Zufluss des Vorteils i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG beim Gesellschafter Voraussetzung ist, um die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG anwenden zu können. Es reicht aus, dass die Unterschiedsbetragsminderung dem betroffenen Gesellschafter künftig zufließen könnte. Der Zufluss kann sich in mehreren Teilbeträgen vollziehen, was das Beispiel einer unangemessen hohen Pensionszusage belegt. Unschädlich für die Annahme einer vGA ist auch, wenn es zu dem Zufluss nicht mehr kommt, weil der Gesellschafter vor Eintritt des Pensionsfalles verstirbt. Dies schließt die Vorteilsgeneigtheit der Unterschiedsbetragsminderung nicht aus.
1 Vgl. BFH v. 18.12.1996 – I R 139/94, BStBl. II 19971, 301 = BFHE 182, 184 = FR 1997, 350; BFH v. 8.10.2008 – I R 61/07, BStBl. II 2011, 62 = BFHE 223, 131 = FR 2009, 583 m. Anm. Pezzer. 2 Vgl. Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG Teil C Rz. 158; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 170. 3 Vgl. BFH v. 25.5.2004 – VIII R 4/01, BFHE 207, 103 = FR 2005, 199 = BFH/NV 2005, 105. 4 Zur nahestehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.9 ff. 5 Vgl. Wassermeyer, DStJG 30 (2007), 257 ff. (268). 6 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = BFHE 151, 523 = FR 1988, 160. 7 BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131 = BFHE 200, 197 = FR 2003, 132.
54 | Ditz/Wassermeyer
C. Verdeckte Gewinnausschüttung | Rz. 2.33 Kap. 2
Weitere Entscheidungen. Der BFH hat an dem Erfordernis der Vorteilsgeneigtheit in weiteren Entscheidungen1 festgehalten. Er hat die Vorteilsgeneigtheit allerdings überwiegend bejaht. Dies gilt für die Zusage einer sog. Nur-Pension,2 für die Tätigkeit eines Betriebes gewerblicher Art für den Hoheitsbetrieb der Trägerkörperschaft ohne Deckung der Vollkosten,3 für die Übernahme der Kosten anlässlich des Geburtstages des Geschäftsführers, der zugleich mittelbarer Gesellschafter ist, durch eine GmbH.4 Dies kann auch im Falle einer bloßen Wertberichtigung einer Forderung gegenüber dem Gesellschafter zu bejahen sein.5 An der Vorteilsgeneigtheit fehlt es dagegen, wenn eine irische Kapitalgesellschaft freiwillig in Irland eine höhere Körperschaftsteuer zahlt, um eine Hinzurechnungsbesteuerung bei ihrem im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafter zu vermeiden.6 Die Frage der Vorteilsgeneigtheit bei vGA in Gestalt einer verhinderten Vermögensmehrung ist derweilen beim BFH anhängig.7 In seinem Urteil v. 17.11.20048 hat der BFH die Auffassung vertreten, dass die Frage, ob eine Kapitalgesellschaft ein Verlustgeschäft im eigenen Gewinninteresse oder im Interesse der Gesellschafter durchgeführt hat, nach den Kriterien zu prüfen sei, die zur Abgrenzung zwischen Einkunftserzielung und „Liebhaberei“ entwickelt worden seien. Erwerbe und unterhalte eine GmbH ein Einfamilienhaus, das an den Gesellschafter-Geschäftsführer zu dessen privater Nutzung vermietet werde, so müsse die angemessene Miete nach den Grundsätzen der Kostenmiete zzgl. eines angemessenen Gewinnzuschlags bemessen werden. Vorteile der GmbH aus der Inanspruchnahme begünstigter Aufwendungen nach § 82i EStDV 1990 seien nicht einzubeziehen. Ähnlich hat der BFH durch Urteil v. 21.6.20139 bezogen auf die unentgeltliche Überlassung eines Ferienhauses in Spanien durch eine ausländische Kapitalgesellschaft zugunsten ihres inländischen Gesellschafters entschieden. Nach der Auffassung des BFH löst das Unterhalten eines strukturell dauerdefizitären Betriebs gewerblicher Art durch eine Gebietskörperschaft ohne Verlustausgleich und angemessenen Gewinnaufschlag durch die Trägerkörperschaft eine vGA aus.10
1 BFH v. 28.1.2004 – I R 87/02, BFHE 205, 181 = BFH/NV 2004, 736; BFH v. 14.7.2004 – I R 16/03, BStBl. II 2004, 1010 = BFHE 207, 147 = FR 2004, 1281; BFH v. 14.7.2004 – I R 57/03, BFHE 206, 431 = FR 2004, 1277 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2004, 1603; BFH v. 17.11.2004 – I R 56/03, BFHE 208, 519 = FR 2005, 589 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2005, 793; BFH v. 25.1.2005 – I R 8/ 04, BStBl. II 2006, 190 = BFHE 209, 199; BFH v. 9.11.2005 – I R 89/04, BStBl. II 2008, 523 = BFHE 211, 287 = FR 2006, 173 m. Anm. Pezzer; BFH v. 3.5.2006 – I R 124/04, BFHE 214, 80 = BFH/NV 2006, 1729 = FR 2006, 889 m. Anm. Hans; BFH v. 18.3.2009 – I R 63/08, BFH/NV 2009, 1842; BFH v. 15.2.2012 – I R 19/11, BFH/NV 2012, 885; BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771. 2 BFH v. 9.11.2005 – I R 89/04, BStBl. II 2008, 523 = BFHE 211, 287 = FR 2006, 173 m. Anm. Pezzer. 3 BFH v. 28.1.2004 – I R 87/02, BFHE 205, 181 = BFH/NV 2004, 736. 4 BFH v. 14.7.2004 – I R 57/03, BFHE 206, 431 = FR 2004, 1277 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2004, 1603. 5 BFH v. 14.7.2004 – I R 16/03, BStBl. II 2004, 1010 = BFHE 207, 147 = FR 2004, 1281. 6 BFH v. 3.5.2006 – I R 124/04, BFHE 214, 80 = BFH/NV 2006, 1729 = FR 2006, 889 m. Anm. Hans. 7 Az. I R 2/21; vorgehend: FG Schleswig-Holstein v. 17.12.2020 – 1 K 16/19, EFG 2021, 578. 8 BFH v. 17.11.2004 – I R 56/03, BFHE 208, 519 = BFH/NV 2005, 793 = FR 2005, 589 m. Anm. Pezzer. 9 BFH v. 21.6.2013 – I R 109-111/10, IStR 2013, 834. 10 BFH v. 14.7.2004 – I R 9/03, BFHE 207, 142 = FR 2005, 146 und BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961 = FR 2007, 1160 m. Anm. Orth.
Ditz/Wassermeyer | 55
2.33
Kap. 2 Rz. 2.34 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
III. Bewertung der vGA 2.34
Bewertung mit dem Fremdvergleichspreis. Die vGA ist der Höhe nach mit dem Fremdvergleichspreis zu bewerten, d.h. mit dem Betrag, um den das tatsächlich vereinbarte Entgelt von dem Preis abweicht, den fremde Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten.1 Infolgedessen ist die vGA ein Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlich vereinbarten Entgelt und dem Fremdvergleichspreis. Auch der BFH sieht in dem Fremdvergleichspreis den Bewertungsmaßstab einer vGA, sodass der Fremdvergleichsgrundsatz dem Grunde nach zur Beurteilung einer Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis als auch der Höhe nach eine Rolle spielt. Die vGA stimmt der Höhe nach mit der Unterschiedsbetragsminderung oder verhinderten Unterschiedsbetragsmehrung, die gesellschaftsrechtlich veranlasst ist, überein.2 In seiner älteren Rechtsprechung hat der BFH noch die Auffassung vertreten, dass bei der Hingabe von Wirtschaftsgütern grundsätzlich die vGA mit dem gemeinen Wert der Wirtschaftsgüter zu bewerten sei.3 § 9 Abs. 2 BewG definiert den gemeinen Wert als den Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei der Veräußerung zu erzielen wäre, wobei alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen und ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse nicht zu berücksichtigen sind. Die Nichtberücksichtigung ungewöhnlicher oder persönlicher Verhältnisse ist indessen mit einem Fremdvergleich nicht zu vereinbaren. Daher hat bereits die ältere Rechtsprechung des BFH zur Ermittlung des gemeinen Werts einer vGA festgestellt, dass auch ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind und damit den Wertmaßstab des gemeinen Werts in Richtung eines Fremdvergleichspreises interpretiert.4
2.35
Bestimmung des Fremdvergleichspreises. Nach der Rechtsprechung des BFH ist der fremdvergleichskonforme Verrechnungspreis zur Bewertung einer vGA vorrangig nach den transaktionsbezogenen Standardmethoden zu bestimmen.5 Dies sind die Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 5.5 ff.), die Wiederverkaufspreismethode (vgl. Rz. 5.15 ff.) und die Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 5.39 ff.). Im gerichtlichen Verfahren ist es grundsätzlich die Sache des FG, die im Einzelfall geeignetste Methode zu ermitteln. Dies ist diejenige, mit der der Fremdvergleichspreis im konkreten Einzelfall mit der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit seiner Richtigkeit ermittelt werden kann.6 Wenngleich die Standardmethoden der Verrechnungspreisbestimmung gleichberechtigt nebeneinanderstehen, lässt der BFH eine Präferenz in seiner Rechtsprechung für die Preisvergleichsmethode erkennen. Denn bei dieser handele es sich um die „Grundmethode zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise, weil sie unmittelbar zur Feststellung des Vergleichspreises führt“.7 Die Preisvergleichsmethode sei – so der BFH – auch dann anzuwenden, wenn der Marktpreis im jeweiligen Einzelfall zu einer un-
1 Vgl. etwa BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini/Greil/ Böing/Rasch. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BFH v. 23.2.2005 – I R 70/04, BStBl. II 2005, 884; BFH v. 22.12.2010 – I R 47/10, BFH/NV 2011, 1019. 3 Vgl. BFH v. 27.11.1974 – I R 250/72, BStBl. II 1975, 306. 4 Vgl. BFH v. 27.11.1974 – I R 250/72, BStBl. II 1975, 306. 5 Vgl. zuletzt BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini/Greil/ Böing/Rasch, Rz. 27; s. auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 6 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini/Greil/Böing/ Rasch, Rz. 31 m.w.N. 7 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini/Greil/Böing/Rasch, Rz. 35; BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658.
56 | Ditz/Wassermeyer
C. Verdeckte Gewinnausschüttung | Rz. 2.37 Kap. 2
gewöhnlich hohen Gewinnmarge führt.1 Soweit ersichtlich, hat der BFH zu den transaktionsbezogenen Gewinnmethoden – namentlich der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode sowie der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode – bislang noch nicht geurteilt. Anwendung einer Bandbreitenbetrachtung. Bereits in seinem grundlegenden Urteil zur Korrektur von Verrechnungspreisen nach einer vGA hat der BFH zutreffend festgestellt, dass es den einen, richtigen Verrechnungspreis i.S. einer exakt bestimmbaren Größe nicht geben kann.2 Dies entspricht mittlerweile der ständigen Rechtsprechung des BFH, wonach die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Wege einer Schätzung nur zu einer Bandbreite angemessener Fremdvergleichspreise führen kann (vgl. Rz. 2.37).3 Dies entspricht auch der Auffassung der Finanzverwaltung.4 Für Zwecke der konkreten Bestimmung der Höhe einer vGA hat sich die Finanzverwaltung an dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Rand der Bandbreite zu orientieren.5 Infolgedessen kann der Steuerpflichtige jeden Wert innerhalb der Bandbreite auswählen, da letztlich alle Werte innerhalb der Bandbreite einem Fremdvergleich entsprechen. Die Korrektur einer vGA hat sich dann allerdings am für den Steuerpflichtigen günstigsten Ende der Bandbreite zu orientieren. Es ist in diesen Fällen aber zu prüfen, ob sich nicht aus § 1 AStG eine weitergehende Korrektur ergibt (vgl. Rz. 2.199 ff.). Diese Auffassung vertritt jedenfalls die Finanzverwaltung unter Verweis auf § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG.6
2.36
Beispiel: Die im Ausland ansässige M AG liefert an ihre in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft, die T GmbH, Waren zu einem Preis von 100. Über die Preisvergleichsmethode kann eine Bandbreite fremdüblicher Preise für diese Waren von 50 bis 70 bestimmt werden. Infolgedessen liegt bei dem tatsächlich zum Ansatz gebrachten Preis i.H.v. 100 eine vGA vor, wobei auf dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Rand der Bandbreite (hier: 70) zu korrigieren ist. Die Einkünftekorrektur nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG beträgt demnach 30. Da allerdings der von der T GmbH zum Ansatz gebrachte Preis von 100 außerhalb der fremdüblichen Bandbreite liegt, erfolgt nach Auffassung der Finanzverwaltung eine weitergehende Berichtigung nach § 1 AStG auf den Median der Bandbreite (§ 1 Abs. 3a Satz 4 AStG). Die weitergehende Berichtigung erfolgt damit nach der Rechtsgrundlage des § 1 Abs. 1 AStG und nicht nach einer vGA.
Bestimmung des Fremdvergleichspreises durch Schätzung. Der Fremdvergleichspreis ist unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu bestimmen. Nach Auffassung des BFH ist dazu eine Schätzung gem. § 162 Abs. 1 AO notwendig.7 Dies ist insofern sachgerecht, als es den einen, richtigen Fremdvergleichspreis nicht geben kann. Vielmehr ist regelmäßig eine Bandbreite von fremdüblichen Preisen gegeben, innerhalb derer zur Berechnung der vGA von dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Vergleichspreis auszugehen ist.8 Die Entscheidung darüber, wie der Fremdvergleich im Einzelfall durchzuführen und anzu-
1 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini/Greil/Böing/ Rasch, Rz. 37. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 3 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini/Greil/Böing/ Rasch, Rz. 26. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.29. 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.4 Beispiel (vGA). 7 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini/Greil/Böing/ Rasch, Rz. 26. 8 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini/Greil/Böing/Rasch, Rz. 26.
Ditz/Wassermeyer | 57
2.37
Kap. 2 Rz. 2.37 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
wenden ist, ist eine Tatsachenfrage und obliegt grundsätzlich dem Finanzgericht.1 Die vom Finanzgericht durchgeführte Würdigung kann im Revisionsverfahren nur daraufhin geprüft werden, ob sie in verfahrensfehlerhafter Weise zustande gekommen ist und ob sie gegen die Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt. Ist dies nicht der Fall, muss sie auch dann Bestand haben, wenn sich aus den vom Finanzgericht vorgefundenen tatsächlichen Umständen gleichermaßen andere Beträge hätten ableiten lassen.2
2.38
Umfang der vGA. Von der Bewertung ist die Höhe bzw. der Umfang der vGA zu unterscheiden. Ist die gesellschaftsrechtlich veranlasste Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung in einem fremdunüblichen Entgelt begründet, besteht die vGA in der Differenz aus dem fremdunüblichen und dem fremdüblichen Entgelt der Geschäftsbeziehung („partielle vGA“ bzw. vGA der Höhe nach).3 Wird die gesamte Geschäftsbeziehung dem Grunde nach hinterfragt, da es z.B. an dem formalen Erfordernis einer zivilrechtlich wirksamen, klaren, eindeutigen und im Voraus abgeschlossenen Vereinbarung mangelt, ist die betreffende Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung im vollen Umfang als vGA anzusehen („totale vGA“ bzw. vGA dem Grunde nach).4 Hierbei kommt es auf die materielle Angemessenheit der Höhe nach nicht an. Mithin kann eine (totale) vGA dem Grunde nach auch dann vorliegen, wenn das Entgelt der Höhe nach angemessen ist.5 Es ist zu begrüßen, dass diese ältere Rechtsprechung fortentwickelt wurde und seit dem BFH-Urteil v. 17.10.2001 durch den BFH klargestellt ist, dass der Bewertungsmaßstab der vGA der Fremdvergleich ist.6 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings die mögliche Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA (vgl. Rz. 2.225 ff.).
2.39
Selbstkosten zzgl. Gewinnaufschlag. Lassen sich die Leistungen bzw. deren gemeiner Wert nicht mehr feststellen, so setzt der BFH die vGA mit den Selbstkosten der Vorteilskörperschaft (i.d.R. Personalkosten) zzgl. eines angemessenen Gewinnaufschlags an.7 Dies hat zur Folge, dass in der Betriebsprüfungspraxis bereits dann eine vGA angenommen werden kann, wenn die Selbstkosten der leistenden Gesellschaft nicht (zzgl. Gewinnaufschlag) gedeckt werden. Diese Handhabe lässt allerdings den Fremdvergleichsgrundsatz, an dem sich die vGA der Höhe nach zu orientieren hat, oftmals außer Acht. Wird der anzusetzende Preis nach den Selbstkosten zzgl. eines Gewinnaufschlags bestimmt, muss dies nach dem Maßstab des Fremdvergleichs auch sachgerecht und angemessen sein.8 Zwar geht die Forderung nach einer Abdeckung der Vollkosten zzgl. eines Gewinnaufschlags grundsätzlich auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurück, weil ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter immer bestrebt sein wird, die Kosten seiner Lieferung oder Leistung in vollem Umfang zu decken und zudem noch einen Gewinn zu erwirtschaften. Allerdings ist in der Rspr. anerkannt, dass in 1 Vgl. BFH v. 27.2.2003 – I R 46/01, BStBl. II 2004, 132; BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini/Greil/Böing/Rasch. 2 Vgl. BFH 4.6.2003 – I R 42/02, BStBl. II 2004, 136; BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini/Greil/Böing/Rasch, Rz. 26. 3 Vgl. BFH v. 5.10.1994 – I R 50/94, BStBl. II 1995, 549; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 381. 4 Vgl. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 381; Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 392. 5 Vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.35. 6 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; Baumhoff/Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.34; Kraft in Kraft, AStG2, § 1 AStG Rz. 29; H 8.6 „Fremdvergleich von Preisen bei Handel zwischen verbundenen Unternehmen“, EStH. 7 Vgl. BFH v. 6.4.1977 – I R 250/72, BStBl. II 1977, 569; Baumhoff/Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.36; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 383; Rengers in Brandis/Heuermann, § 8 KStG Rz. 408. 8 Vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.36.
58 | Ditz/Wassermeyer
C. Verdeckte Gewinnausschüttung | Rz. 2.41 Kap. 2
bestimmten Fällen die Kostenbasis auch auf Grundlage der Teilkosten bestimmt wird (z.B. auf Basis einer Deckungsbeitragsrechnung), wenn dies betriebswirtschaftlich sinnvoll ist und auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter auf die Deckung der vollen Selbstkosten einer Lieferung/Leistung verzichten und sich stattdessen mit einem „cost less“-Preis begnügen würde. So widerspricht es nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Geschäftsführung, wenn z.B. zur Erschließung neuer bzw. Erweiterung bestehender Absatzmöglichkeiten oder bei vorübergehender Unterbeschäftigung zur Ausnutzung freier Kapazitäten kurzfristig jeder Preis akzeptiert wird, der über den Einzelkosten liegt. Ebenso ist es mit dem Fremdvergleich vereinbar, zur Schaffung eines vollumfänglichen Sortiments auch solche Produkte in eine Produktpalette aufzunehmen, mit denen sich nicht die Vollkosten, jedoch zumindest die variablen Kosten decken lassen. Vor diesem Hintergrund ist die in der Betriebsprüfungspraxis verbreitete Vorgehensweise, auch bei Lieferungen und Leistungen durch Strategieträger eine vGA bereits dann anzunehmen, wenn die Selbstkosten nicht abgedeckt werden, nicht sachgerecht. Vielmehr muss in diesem Fall der Fremdvergleichspreis anhand einer geeigneten Verrechnungspreismethode bestimmt werden, um feststellen zu können, ob eine im Gesellschaftsverhältnis begründete Unterschiedsbetragsminderung oder verhinderte Unterschiedsbetragsmehrung überhaupt gegeben ist (vGA dem Grunde nach) und mit welchem Betrag diese anzusetzen ist (vGA der Höhe nach). Umsatzsteuer. Die auf die vGA entfallende Umsatzsteuer ist grundsätzlich einzubeziehen, sodass die vGA auf den Bruttobetrag anzuwenden ist.1 § 10 Nr. 2 KStG, wonach die Umsatzsteuer bei der ausschüttenden Kapitalgesellschaft zu den nichtabzugsfähigen Ausgaben gehört und dem Einkommen außerbilanziell hinzuzurechnen ist, findet insoweit keine Anwendung.2 Dies ist sachgerecht, weil in diesem Fall die USt bereits im Rahmen der vGA hinzugerechnet wurde, sodass es der weiteren Hinzurechnung nach § 10 Nr. 2 KStG nicht bedarf. Dies bedeutet konkret, dass § 10 Nr. 2 KStG hinter die Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zurücktritt. Dies gilt unabhängig davon, ob die tatsächlich anfallende USt niedriger ist, als sie es bei Zugrundelegung des Fremdgeschäfts zum gemeinen Wert wäre.3
2.40
Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA bzw. die dieser Vorschrift nachgebildete, konkrete Abkommensnorm ist eine Erlaubnisnorm der Vertragsstaaten, Gewinnkorrekturen im Hinblick auf fremdunübliche Verrechnungspreise durchzuführen. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA ist keine eigenständige Korrekturvorschrift; vielmehr bedarf es einer Regelung im innerstaatlichen Recht, die zu einer entsprechenden Verrechnungspreiskorrektur berechtigt (vGA, verdeckte Einlage oder § 1 AStG).4 Allerdings ist eine Gewinnkorrektur nach einer vGA, einer verdeckten Einlage oder gem. § 1 AStG hinsichtlich ihrer Tatbestandsvoraussetzungen und der Einkünftekorrektur der Höhe nach am Fremdvergleichsgrundsatz des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA zu messen. Orientiert sich die innerstaatliche Korrekturvorschrift an anderen Grundsätzen als dem in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA niedergelegten Fremdvergleich, entfaltet Art. 9 Abs. 1 OECD-MA eine Sperrwirkung gegenüber innerstaatlichem Recht.5 Die Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA kommt insbesondere zum Tra-
2.41
1 Vgl. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 384. 2 Vgl. R 8.6 KStR. 3 Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 384; Baumhoff/Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.37. 4 Vgl. zu Einzelheiten Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 19 ff. m.w.N. 5 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 27; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.292; Ditz/Haverkamp, Ubg 2019, 101.
Ditz/Wassermeyer | 59
Kap. 2 Rz. 2.41 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
gen, wenn eine verdeckte Gewinnausschüttung bei einem beherrschenden Gesellschafter allein auf rein formalen Beanstandungen beruht. So geht auch der BFH davon aus, dass Art. 9 Abs. 1 OECD-MA keine spezifischen formalen Anforderungen enthält, wie sie bei einem beherrschenden Gesellschafter durch den BFH im Fall einer vGA zur Anwendung kommen.1 Formale Anforderungen sind im Hinblick auf die Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes dem Art. 9 Abs. 1 OECD-MA fremd. Vielmehr ist auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes ein Verrechnungspreis zu bestimmen, der für beide Vertragsstaaten akzeptabel ist.2
IV. Rechtsfolge der vGA 2.42
Gewinnkorrektur. Die vGA kann eine doppelte Rechtsfolge auslösen. Zum einen ergibt sich auf der Ebene der ausschüttenden Gesellschaft eine Hinzurechnung gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, d.h. eine Gewinnerhöhung, die i.d.R. die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer erhöht. Die Hinzurechnung kann allerdings auch in den Bereich steuerfreier Einkünfte fallen. Dies gilt z.B. dann, wenn die vGA sich im Bereich steuerfreier ausländischer Betriebsstätteneinkünfte vollzieht, weil ein Wirtschaftsgut des Betriebsstättenvermögens zu einem unangemessen niedrigen Preis an einen Gesellschafter veräußert wird. Ist auf die ausschüttende Gesellschaft entweder § 8 Abs. 2 KStG anzuwenden oder erzielt sie gewerbliche Einkünfte i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG, dann hat die Hinzurechnung gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG grundsätzlich die Eignung, auf die Gewerbesteuer durchzuschlagen. Dies setzt allerdings voraus, dass sie sich auf die Höhe inländischer Betriebsstätteneinkünfte auswirkt.
2.43
Beteiligungsertrag und Kapitalertragsteuer. Die vGA kann sich gleichzeitig als Beteiligungsertrag eines Gesellschafters i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auswirken. Der Beteiligungsertrag kann seinerseits der Einkommen-, Körperschaft- und/oder Gewerbesteuer unterliegen. Fließt dieser dem Betriebsvermögen eines Gesellschafters zu, findet § 8b Abs. 1 KStG bei Körperschaften und § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG bei natürlichen Personen grundsätzlich Anwendung. Fließt der Beteiligungsertrag einem Gesellschafter zu, der die Anteile an der Gesellschaft im Privatvermögen hält, unterliegt dieser der Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 1 EStG, sofern ein Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG auf Anwendung von § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG nicht bzw. nicht rechtzeitig gestellt wird. Die vGA ist dann als steuerpflichtiger Kapitalertrag gem. § 32d Abs. 3 Satz 1 EStG in der Einkommensteuererklärung des Gesellschafters anzugeben.3 Aufgrund der Qualifikation als Beteiligungsertrag des Gesellschafters i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG hat die Gesellschaft grundsätzlich Kapitalertragsteuer auf die vGA für den Gesellschafter einzubehalten und abzuführen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1-3 EStG). Diese kann, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte oder auf die nach § 3 Nr. 40 EStG oder § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz bleibenden Bezüge entfällt nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer angerechnet werden, wenn keine Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist. In praxi werden vGA – z.B. Einkünftekorrekturen im Zusammenhang mit Verrechnungspreisen – typischerweise anlässlich einer Außenprüfung festgestellt, für die im Auszahlungszeitpunkt von der Gesellschaft keine Kapitalertragsteuer für den Gesellschafter einbehalten und abgeführt wurde. Die Finanzverwaltung hat für diese Fälle entschieden, dass von einer Nacherhebung der Kapitalertragsteuer Abstand genommen werden kann, wenn deren Versteuerung
1 Vgl. BFH v. 9.11.2005 – I R 27/03, BStBl. II 2006, 564. 2 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 26. 3 Vgl. Levedag in Schmidt41, § 20 EStG Rz. 52.
60 | Ditz/Wassermeyer
C. Verdeckte Gewinnausschüttung | Rz. 2.44 Kap. 2
im Inland zweifelsfrei feststeht.1 Demgegenüber wird in grenzüberschreitenden Fällen die Kapitalertragsteuer erhoben, sofern keine Freistellungsbescheinigung i.S.d. § 50d Abs. 2 EStG vorliegt. § 43 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 4 EStG sind zu beachten. Ein Beteiligungsertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG setzt den Abfluss bei der ausschüttenden Kapitalgesellschaft voraus. Abfluss und Zufluss können unmittelbar einander nachfolgen. Der Zufluss i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG beim Gesellschafter kann sich entweder zeitgleich mit der Unterschiedsbetragsminderung bei der ausschüttenden Gesellschaft oder aber nach der Unterschiedsbetragsminderung vollziehen. Er kann nicht zeitlich vor der Unterschiedsbetragsminderung liegen. Soweit der Gesellschafter seine Beteiligungserträge im Rahmen eines Betriebsvermögens erzielt und seinen Gewinn durch Bilanzierung ermittelt, kann der entsprechende Zufluss vor dem Abfluss bei der Kapitalgesellschaft liegen. Im Einzelfall sind die Sonderregelungen des § 44 Abs. 2 EStG zu beachten. Korrektur durch eine vGA in Inbound-Fällen. Die Rechtsgrundlage für die Korrektur von Verrechnungspreisen, die nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz genügen, ist bei sog. „Inbound“-Fällen, d.h. Fällen einer im Inland ansässigen Tochtergesellschaft eines ausländischen Konzerns, in der Regel die vGA. Diese darf gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG das Einkommen der im Inland ansässigen Tochter-Kapitalgesellschaft nicht mindern. Neben der (außerbilanziellen) Einkünfteerhöhung ist eine Rechtsfolge der vGA, dass sie der Kapitalertragsteuer unterliegt. Dies gilt auch bei Verrechnungspreiskorrekturen, sodass neben der Nachzahlung mit Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und der Gewerbesteuer – soweit keine Freistellungsbescheinigung gem. § 50d Abs. 2 EStG vorliegt – eine weitere Belastung i.H.v. 25 % Kapitalertragsteuer entsteht. Dies führt im Ergebnis zu einer gesamten Steuerbelastung der Verrechnungspreiskorrektur von über 55 %, die – gerade bei höheren Verrechnungspreiskorrekturen – zu einem Liquiditätsengpass führen kann. Die Kapitalertragsteuer des (inländischen) Schuldners der Kapitalerträge (inländische Tochtergesellschaft) wird durch die Finanzverwaltung üblicherweise mittels eines Nachforderungsbescheides geltend gemacht,2 der ein die Entrichtungsschuld betreffender Steuerbescheid i.S.v. §§ 167 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 AO ist.3 Ein Haftungsbescheid gem. § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG wird indessen in der Regel durch das zuständige Finanzamt nicht erlassen. Auf diese Weise soll die strenge Akzessorietät der Haftung für eine fremde Steuerschuld umgangen werden. Die Pflicht zum Abzug der Kapitalertragsteuer kann sich nur ergeben, wenn die Rechtsgrundlage der Einkünftekorrektur eine vGA ist. Korrekturtatbestände, die in § 1 AStG als weitere Verrechnungspreiskorrekturvorschrift geregelt sind, können indessen nur von einer vGA erfasst werden, wenn sie sich an der der vGA immanenten Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes ausrichten. Dies gilt beispielsweise nicht für die Hellseherklausel des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG, die Verpflichtung zur Korrektur auf den Median gem. § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG, die Aufteilung des Einigungsbereiches nach der Mittelwertlösung gem. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG, die Preisanpassungsverpflichtung gem. § 1 Abs. 3 Satz 11 ff. AStG sowie die Funktionsverlagerungsbesteuerung gem. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG.4 Zwar lässt § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG eine „weitergehende Berichtigung als die an1 Vgl. OFD Münster v. 7.11.2007 – S 2408 a – 1 – St 22 – 31, FR 2008, 47. 2 OFD Düsseldorf v. 20.9.2001 – S 2303 – 70 – St 122 – K, FR 2001, 1191; OFD München v. 18.12.2001 – S 0339, NWB IAAAA-82378; OFD Stuttgart v. 7.1.2003 – S 0339 A – 13 – St 44, DStR 2003, 208, 209; OFD Münster v. 7.11.2007 – S 2408 a – 1 – St 22 – 31, NWB WAAAC62894. 3 Lindberg in Brandis/Heuermann, EStG, 150. EL November 2019, § 44 Rz. 35; Levedag in Schmidt, EStG41, § 44 EStG Rz.15. 4 Vgl. Gosch in Gosch, KStG4, § 8 Rz. 300 ff.; Gosch, ISR 2018, 289 (297); Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 28.
Ditz/Wassermeyer | 61
2.44
Kap. 2 Rz. 2.44 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
deren Vorschriften“ (gemeint ist im Wesentlichen die vGA und die verdeckte Einlage) zu, allerdings stellt sich dann die Frage, ob der über die vGA hinausgehende Betrag Gegenstand einer vGA sein kann und infolgedessen der Kapitalertragsteuer unterliegt. Dies ist zu verneinen. Praxisfall: Die im Inland ansässige Tochtergesellschaft D GmbH gehört zu einer multinational tätigen Unternehmensgruppe, deren Obergesellschaft, die M Inc., in den USA ansässig ist. Die Anteile an der D GmbH hält die M Inc. indirekt über eine niederländische Zwischenholding, die H B.V. Zu der Unternehmensgruppe gehört außerdem die Tochtergesellschaft CH AG, die in der Schweiz ansässig ist. Aus Anlass einer Reorganisation der Leistungs- und Lieferkette im Konzernverbund verlagert die D GmbH ihre Produktion auf die CH AG. Diese Funktionsverlagerung wird im Rahmen der Steuererklärung offengelegt und ein entsprechender Transferpaketwert versteuert, der zuvor mittels Wertgutachten durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ermittelt wurde. In der Betriebsprüfung kommt die Finanzverwaltung im Inland zu dem Ergebnis, dass der Transferpaketwert zu niedrig sei und stellt eine vGA (im Dreieck) nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG der D GmbH an die H B.V. fest. Da die D GmbH im relevanten Bp-Zeitraum nicht über eine Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 2 EStG verfügt, wird zunächst Kapitalertragsteuer bei der D GmbH als Entrichtungsschuldner der Kapitalertragsteuer i.S.v. § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG erhoben.1 Für diese Kapitalertragsteuer kann die D GmbH nach § 50d Abs. 1 Satz 3 EStG auf amtlichem Vordruck die Erstattung beim BZSt beantragen. Während also die Kapitalertragsteuer bei der D GmbH nacherhoben wird, kommt eine Erstattung grundsätzlich nur an die H B.V. in Betracht. In der Praxis wird die H B.V. die Forderung an die D GmbH abtreten und diese zur Antragstellung bevollmächtigen. Abweichend vom Sinn und Zweck und der allgemeinen Systematik des Quellensteuereinbehalts trägt die D GmbH das volle Erstattungsrisiko.
2.45
Konkurrenzverhältnis zu § 1 AStG. Während sich die vGA und die verdeckte Einlage gegenseitig ausschließen, kann es zur Überschneidung der jeweiligen Regelungsbereiche mit § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG kommen. Beispielsweise besteht bei Vermögensverlagerungen von einer inländischen Tochtergesellschaft auf ihre ausländische Mutter- oder eine Schwestergesellschaft durch eine Funktionsverlagerung Regelungskonkurrenz zwischen § 1 AStG und der vGA. Gesetzessystematisch wird dieses Konkurrenzverhältnis in § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG aufgelöst. Danach sind weitergehende Berichtigungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG neben den Rechtsfolgen der anderen Einkünftekorrekturnorm durchzuführen, wenn die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu weitergehenden Berichtigungen führt (vgl. Rz. 2.199 ff.).2 Dies bedeutet, dass die Rechtsfolgen des § 1 AStG neben die Rechtsfolgen anderer Korrekturnormen treten (sog. „Wertauffüller“3). Neben der Einkünftekorrektur nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG kommt § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG i.d.R. nur dann zur Anwendung, wenn die Verrechnungspreiskorrektur nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG dem Grunde oder der Höhe nach weiter geht als nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn auf Rechtsfolgenseite der Fremdvergleichspreis gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG höher ist als der ermittelte gemeine Wert entsprechend § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG i.V.m. § 9 BewG.4 Im Ergebnis finden also die vGA nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und die Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG nebeneinander (parallel) Anwendung, sodass es der Finanzverwaltung grundsätzlich unbenommen ist, Verrechnungspreiskorrekturen auf die Grundsätze der vGA zu stützen. Aber: Der in § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 1 2 3 4
Die VWG FVerl sind in diesem Zusammenhang unklar, vgl. VWG FVerl, Rz. 176. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.4, Beispiel (verdeckte Gewinnausschüttung). Baumhoff/Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.83. I.d.R. unwahrscheinlich, siehe Vögele/Raab in V/B/B, Verrechnungspreise5, Kap. A Rz. 359 m.w.N.; für eine Übersicht des unterschiedlichen Regelungsrahmens vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.82; Vögele/Raab in V/B/B, Verrechnungspreise5, Kap. A Rz. 360 „keine Normenkonkurrenz“.
62 | Ditz/Wassermeyer
C. Verdeckte Gewinnausschüttung | Rz. 2.46 Kap. 2
AStG niedergelegte und im Detail beschriebene Fremdvergleichsgrundsatz muss nicht notwendigerweise der durch die Rechtsprechung entwickelten Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters zur Prüfung der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung als notwendige Tatbestandsvoraussetzung der vGA entsprechen (vgl. Rz. 2.201).1 Die Unterschiede werden insbesondere bei einer Funktionsverlagerung offensichtlich. Beispiel einer Funktionsverlagerung. Die Voraussetzungen einer Funktionslagerung sowie die mit ihr im Zusammenhang stehende Bewertung eines Einigungsbereichs auf der Grundlage eines Transferpakets ist gesetzlich in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG definiert. Die Vorschrift wurde durch das UntStRefG 20082 in § 1 AStG aufgenommen und auf Grundlage der Ermächtigung gem. § 1 Abs. 5 AStG a.F.3 durch die FVerlV konkretisiert. Danach soll das im Rahmen der Funktionsverlagerung übergehende Transferpaket als Ganzes unter Berücksichtigung des mit der Funktion verbundenen Gewinnpotenzials zu bewerten sein. Damit sind bei Funktionsverlagerungen auf eine ausländische nahestehende Person die aus der Unternehmensbewertung bekannten Bewertungsverfahren (Ertragswertverfahren) anzuwenden, wobei der Grundsatz der Einzelbewertung der übergehenden Wirtschaftsgüter aufgegeben wurde. Vielmehr hält der Gesetzgeber eine Gesamtbewertung für erforderlich, weil – so die Gesetzesbegründung – „der Preis für die einzelnen übertragenen Wirtschaftsgüter den Wert der Funktion regelmäßig nicht angemessen widerspiegelt.“4 Dem Gesetzgeber geht es folglich um die Erfassung eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts. Ob diese Vorgehensweise der Realisierung eines Transferpakets aufgrund einer Funktionsverlagerung dem Fremdvergleichsgrundsatz und den OECD-Leitlinien 2022 entspricht, ist umstritten.5 Die Rechtsprechung des BFH zur vGA kennt die Funktionsverlagerung nicht. Vielmehr hat sich hier die sog. Geschäftschancenlehre herausgebildet, wonach der gesellschaftsrechtlich veranlasste Entzug einer konkreten Geschäftschance eine vGA auslösen kann.6 Die konkrete Definition der Funktion bzw. der Funktionsverlagerung (wie in § 1 FVerlV definiert) ist der Geschäftschancenlehre genauso fremd wie die sehr spezielle Bewertung des Transferpakets nach einer Gesamtbewertung aus Sicht des funktionsabgebenden und des funktionsaufnehmenden verbundenen Unternehmens.7 Während § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG eine Gesamtbewertung über ein Transferpaket gesetzlich definiert, sieht die vGA eine Einzelbewertung der übergehenden Vermögenswerte vor.8 Im Ergebnis kommt eine Korrektur einer Funktionsverlagerung als vGA mit den Folgen einer Transferpaketbewertung nicht in Betracht. Dazu fehlt es schlicht an einer Rechtsgrundlage, da die Definition und Bewertung einer Funktionsverlagerung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und der FVerlV nicht in die vGA „hineingetragen“ werden kann. Vielmehr kann eine Korrektur über eine vGA nur an den einzelnen übertragenen Wirtschaftsgütern ansetzen, die jeweils einzeln mit ihrem Fremdvergleichspreis („gemeiner Wert“) zu bewerten sind. Die Kapitalertragsteuer auf die vGA kann sich infolgedessen nicht auf den Transferpaketwert insgesamt, sondern nur auf die Summe der Einzelwerte der übertragenen Wirtschaftsgüter bezie1 Zum Grundproblem vgl. auch Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 187 und 301; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 28; VWG VP 2021, Rz 23. 2 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 3 Nunmehr § 1 Abs. 6 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 4 BR-Drucks. 220/07, 144. 5 Dies verneinen Gosch in Gosch, KStG4, § 8 Rz. 313a, 370 und 850a; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz 134 ff. 6 Vgl. Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 1220 ff.; Gosch in Gosch, KStG4, § 8 Rz. 850a ff.; Ditz, DStR 2006, 1625 ff. 7 Vgl. dazu §§ 3 ff. FVerlV. 8 Vgl. Wulf, DB 2007, 2280; Frotscher, FR 2008, 49 (53).
Ditz/Wassermeyer | 63
2.46
Kap. 2 Rz. 2.46 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
hen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG. Führt danach die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes (gemeint ist wohl der Fremdvergleichsgrundsatz gem. § 1 AStG) zu weitergehenden Berichtigungen als andere Vorschriften (z.B. vGA), sind die weitergehenden Berichtigungen nach § 1 AStG neben den Rechtsfolgen der anderen Vorschriften durchzuführen. Typischer Anwendungsfall ist insoweit, wenn der Fremdvergleichswert gem. § 1 AStG über den gemeinen Wert als Bewertungsmaßstab einer vGA hinausgeht (vgl. Rz. 2.204).1 Infolgedessen tritt die „schärfste Rechtsfolge“ für den Steuerpflichtigen ein.2 Dies gilt indessen nicht für die Kapitalertragsteuer. Die Festsetzung von Kapitalertragsteuer stellt keine weitergehende Berichtigung dar, die sich aus der Anwendung des Fremdvergleichs ergibt. Vielmehr ist sie quasi „Rechtsreflex“ aus der primären Verrechnungspreiskorrektur, soweit die Rechtsgrundlage eine vGA ist. Die Kapitalertragsteuer beschränkt sich unzweifelhaft auf die vGA als Fiktion eines Kapitalertrags i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG. Es besteht schon deshalb kein Konkurrenzverhältnis in sachlicher Hinsicht. Auch in personeller Hinsicht ist eine solche Konkurrenz auszuschließen, weil die Regelungen auf unterschiedliche Steuerpflichtige abstellen.3 Dieses Ergebnis wird im Übrigen durch Rz. 176 VWG FVerl bestätigt, in der die Festsetzung von Kapitalertragsteuer nur in den Fällen erlaubt ist, in denen „gesonderte Verrechnungspreise entsprechend § 4 Abs. 1 FVerlV“ angesetzt werden. Im Umkehrschluss sollte die Festsetzung von Kapitalertragsteuer auch aus Sicht des BMF bei einer Transferpaketbewertung unzulässig sein.
2.47
Gegenberichtigung. Die vGA kann eine Gegenberichtigung i.S.d. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA bei einem anderen nahestehenden Unternehmen auslösen.4 Zahlt z.B. eine inländische Tochterkapitalgesellschaft einen unangemessen hohen Preis für Produktlieferungen ihrer ausländischen Mutterkapitalgesellschaft, die der deutsche Fiskus korrigiert, so kann die Korrektur eine Gegenberichtigung bei der Muttergesellschaft auslösen. Bei ihr sind die erzielten Einnahmen in der unangemessenen Höhe als Beteiligungserträge zu erfassen, die möglicherweise steuerfrei sind. Lehnt der Staat der Mutterkapitalgesellschaft eine Gegenberichtigung ab, so kann ein Verständigungsverfahren nach dem maßgeblichen DBA, ein Verfahren nach der EU-Schiedskonvention, nach der EU-Streitbeilegungsrichtlinie oder aber ein Schiedsverfahren nach einem DBA eingeleitet werden (vgl. Rz. 10.6 ff. und 10.30 ff.).
D. Verdeckte Einlage I. Begriff der verdeckten Einlage 2.48
Wertzuführungen zu einem Betriebsvermögen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG, der über § 8 Abs. 1 KStG auf Personen i.S.d. § 1 KStG entsprechende Anwendung findet, sind Einlagen alle Wirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige dem Betrieb zuführt. Diese Definition ist insoweit widersinnig, als unter einer Einlage nur die sich in einer bestimmten Form vollziehende Zuführung eines Wirtschaftsgutes in ein Betriebsvermögen zu verstehen ist. Wirtschaftsgüter sind Gegenstand der Einlage. Deshalb ist die Einlage als solche jedoch kein Wirtschaftsgut. Auch ist es unerheblich, welche Person das Wirtschaftsgut dem Betrieb zuführt. Man kann
1 Siehe auch VWG VP 2021, Rz. 1.3 und 1.4, Beispiel (verdeckte Gewinnausschüttung). 2 Vgl. nur Kraft in Kraft, AStG2, § 1 Rz. 157. 3 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 Rz. 450 (Stand: November 2015). 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 4.6.
64 | Ditz/Wassermeyer
D. Verdeckte Einlage | Rz. 2.50 Kap. 2
Einlagen schlicht als die Vermögenszuführung in einen Betrieb durch den Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person unter einer bestimmten Veranlassungsvoraussetzung definieren. Entsprechend ist von einer offenen Einlage in das Vermögen einer Kapitalgesellschaft auszugehen, wenn dieser Vermögen von einem Gesellschafter in Erfüllung einer gesellschaftsrechtlichen Verpflichtung zugeführt wird. Die Vermögenszuführung kann sich gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten vollziehen. Definition der verdeckten Einlage. Es kann sich aber auch um eine Einlage in die Kapitalrücklage ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten handeln. Von einer verdeckten Einlage spricht man, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der Kapitalgesellschaft einen einlagefähigen Vermögensvorteil außerhalb einer gesellschaftsrechtlichen Verpflichtung, jedoch durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst zuführt.1 Erfasst werden damit durch die verdeckte Einlage Zuwendungen des Gesellschafters an „seine“ Kapitalgesellschaft, ohne dass er hierfür Gesellschaftsrechte i.S. einer wertadäquaten Gegenleistung erhält.2 Infolgedessen werden in der Verrechnungspreispraxis durch verdeckte Einlagen i.d.R. Fälle korrigiert, in welchen eine im Inland ansässige Muttergesellschaft Wirtschaftsgüter zu einem unangemessen geringen Verrechnungspreis an ihre ausländische Tochtergesellschaft liefert oder überträgt. Im Kern der Korrektur nach einer verdeckten Einlage steht damit der sog. Outbound-Sachverhalt, wonach eine Geschäftsbeziehung im Hinblick auf die Übertragung eines Wirtschaftsguts von einem inländischen Steuerpflichtigen auf seine ausländische Tochteroder Enkelgesellschaft vorliegt.3
2.49
Beispiel: Die im Inland ansässige M GmbH liefert an ihre im Ausland ansässigen Tochtergesellschaft Waren zu einem Preis von 100. Die nach der Preisvergleichsmethode festgestellte Bandbreite fremdüblicher Preise liegt zwischen 120 und 150. Infolgedessen werden die Waren unter ihrem Fremdvergleichspreis und infolgedessen zu einem unangemessenen Verrechnungspreis an die ausländische Tochtergesellschaft veräußert. Mithin liegt eine verdeckte Einlage vor.
Notwendigkeit eines einlagefähigen Wirtschaftsguts. Gegenstand der verdeckten Einlage müssen Wirtschaftsgüter sein, die in wirtschaftlichem Eigentum des einlegenden Gesellschafters stehen und die die Eignung besitzen, zu dem Betriebsvermögen gehören zu können, in das sie eingelegt werden sollen. Der einlegende Gesellschafter muss also dem Empfänger der verdeckten Einlage (Tochtergesellschaft) das wirtschaftliche Eigentum an dem Wirtschaftsgut vermitteln. Der Große Senat des BFH hat ausdrücklich entschieden, dass Gegenstand einer (verdeckten) Einlage grundsätzlich nur sein kann, „was auch Bestandteil des Vermögensvergleichs nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG sein kann. Hierzu zählen nur Wirtschaftsgüter, die in eine Bilanz aufgenommen werden können.“4 Dies ist z.B. gegeben, wenn Wirtschaftsgüter zu einem unangemessen geringen Entgelt durch den Gesellschafter an die Gesellschaft (Tochtergesellschaft) geliefert oder übertragen werden. Erfasst von der verdeckten Einlage werden
1 Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1198, 308 = BFHE 183, 187 = FR 1997, 723; BFH v. 7.7.1992 – VIII R 24/90, BStBl. II 1993, 333 = BFHE 168, 551 = FR 1992, 751; BFH v. 27.5.2009 – I R 53/078, BFHE 226, 500 m.w.N.; BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/ 16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann, Rz. 32. 2 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673, Rz. 40: „Eine verdeckte Einlage ist gegeben, wenn der Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person aus Gründen, die im Gesellschaftsverhältnis wurzeln, eine Einlage erbringt, ohne eine wertadäquate Gegenleistung zu erhalten.“ 3 Zur Definition des Outbound-Sachverhalts vgl. VWG VP 2021, Anlage 2. 4 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348.
Ditz/Wassermeyer | 65
2.50
Kap. 2 Rz. 2.50 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
auch (werthaltige) Forderungsverzichte.1 Hingegen kann weder die Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts noch die Erbringung von Dienstleistungen des Gesellschafters an die Gesellschaft Gegenstand einer verdeckten Einlage sein.2 In diesen Fällen ist vielmehr § 1 Abs. 1 AStG als Rechtsgrundlage einschlägig.
2.51
Prüfung der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung nach einem Fremdvergleich. Eine verdeckte Einlage liegt nur vor, wenn das Gesellschaftsverhältnis ursächlich für die Vermögensmehrung bei der (Tochter-)Gesellschaft ist. Die Voraussetzung ist erfüllt, wenn ein Nichtgesellschafter bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns den Vermögensvorteil der Gesellschaft nicht eingeräumt hätte.3 Damit ist die gesellschaftsrechtliche Veranlassung auch bei der verdeckten Einlage – wie bei der vGA (Rz. 2.27) – durch einen Fremdvergleich zu prüfen. Der im Zusammenhang mit der Prüfung einer Verursachung durch das Gesellschaftsverhältnis im Zusammenhang mit einer verdecken Einlage durchzuführende Fremdvergleich entspricht demjenigen bei der vGA. So bezieht sich auch der BFH ausdrücklich auf die Rechtsprechung zur vGA.4
II. Bewertung der verdeckten Einlage 2.52
Ansatz des Teilwerts. § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG regelt die Bewertung von Einlagen. Die Vorschrift ist auf körperschaftsteuerpflichtige Rechtsträger wegen § 8 Abs. 1 KStG entsprechend anzuwenden. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Halbs. 1 EStG sind Wirtschaftsgüter, die dem Betriebsvermögen zugeführt werden, grundsätzlich mit dem Teilwert zu bewerten. Liegen die in § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Halbs. 2 Buchst. a und b EStG alternativ genannten Voraussetzungen vor, so sind die eingelegten Wirtschaftsgüter mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bewerten.5 Für diesen Fall präzisieren § 6 Abs. 1 Nr. 5 Sätze 2 und 3 EStG, wie der nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Halbs. 2 EStG maßgebende Wert zu ermitteln ist. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG ist in den Fällen des § 4 Abs. 1 Satz 7 Halbs. 2 EStG statt des Teilwertes der gemeine Wert anzusetzen. Einlagen können auch bei der Eröffnung eines Betriebes getätigt werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 6 EStG).
2.53
Teilwert entspricht nicht Fremdvergleichspreis. Der Teilwert als Bewertungsmaßstab der verdeckten Einlage entspricht nicht dem Fremdvergleichspreis. Der Teilwert ist gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführt (Going-Concern-Prinzip des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB). Damit entspricht der Teilwert dem Wert, den das einzelne Wirtschaftsgut als Teil des gesamten Betriebs (wirtschaftliche Einheit) hat. Der Teilwert ist im Wege der Schätzung zu bestimmen, wobei auch im Hinblick auf die Bewertung einer verdeckten Einlage die vom BFH entwickelten Teilwertvermutungen Anwendung finden. Der Teilwert enthält keine Gewinnkomponente, sodass er sich vom Fremdvergleichspreis eines Wirtschaftsguts unterscheidet. Soll 1 Vgl. zu Einzelheiten BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann, Rz. 30 ff.; Neumann in R/H/N, § 8 KStG Rz. 1388 ff. 2 Vgl. etwa BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 20.9.1990 – IV R 300/84, BStBl. II 1991, 82; BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312; BFH v. 17.10.2001 – I R 97/00, BFH/NV 2002, 240; BFH v. 19.5.2005 – IV R 3/04, BFH/NV 2005, 1784. 3 Vgl. BFH v. 24.3.1987 – I R 202/83, BStBl. II 1987, 705; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348. 4 Vgl. BFH v. 19.2.1970 – I R 24/67, BStBl. II 1970, 442; Weber-Grellet, DB 1998, 1537. 5 Vgl. auch BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 49.
66 | Ditz/Wassermeyer
D. Verdeckte Einlage | Rz. 2.56 Kap. 2
eine solche korrigiert werden, ist dafür die „Wertauffüllerregel“ des § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG notwendig, d.h., ergänzend zur verdeckten Einlage, die mit dem Teilwert zu bewerten ist, ist § 1 Abs. 1 AStG einschlägig. „Einlage“ von Verbindlichkeiten. Wirtschaftlich betrachtet ist es zumindest denkbar, Verbindlichkeiten in ein Betriebsvermögen zu überführen. Allerdings ist die betriebliche Veranlassung der Verbindlichkeit nach Maßgabe des Beschlusses des Großen Senats des BFH v. 4.7.19901 genau zu prüfen. Ist die Überführung steuerrechtlich anzuerkennen, dann löst sie eine Minderung des Eigenkapitals aus. So gesehen handelt es sich eher um eine Entnahme von Eigenkapital. Werden Verbindlichkeiten in das Vermögen eines körperschaftsteuerpflichtigen Rechtsträgers „eingelegt“, so kann dies als vGA zu beurteilen sein. Der Anwendung von Entnahmegrundsätzen entspricht es, dass das Handelsrecht den Begriff des Vermögensgegenstandes nur auf Wirtschaftsgüter des Aktivvermögens bezieht. Handelsrechtlich gibt es keine „negativen Wirtschaftsgüter“.
2.54
III. Rechtsfolge der verdeckten Einlage Ebene des Gesellschafters (Muttergesellschaft). Bei dem im Inland ansässigen Gesellschafter (inländische Muttergesellschaft) sind die Anschaffungskosten der Beteiligung an der ausländischen Tochtergesellschaft um den Teilwert der verdeckten Einlage zu erhöhen. Die verdeckte Einlage führt infolgedessen zu einer Gewinnrealisierung auf Ebene der Muttergesellschaft in Höhe der Differenz zwischen dem Teilwert und dem Buchwert des verdeckt eingelegten Wirtschaftsguts. Nach § 6 Abs. 6 Satz 3 EStG kommt es dann nicht zu einer Gewinnrealisierung, wenn das verdeckt eingelegte Wirtschaftsgut innerhalb von drei Jahren vor seiner Übertragung auf die Tochtergesellschaft von der Muttergesellschaft angeschafft oder hergestellt wurde.2 Dass sich insofern keine Gewinnrealisierung ergibt, wird ergänzend zur verdeckten Einlage § 1 Abs. 1 AStG hinsichtlich einer Verrechnungspreiskorrektur einschlägig sein (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG).
2.55
Ebene der vorteilsempfangenden Gesellschaft (Tochtergesellschaft). Nach § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG ist die verdeckte Einlage auf Ebene der Gesellschaft (Tochtergesellschaft) „neutral“, indem sie das Einkommen der Körperschaft nicht erhöht. Die durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens oder den Wegfall oder die Minderung eines Passivpostens eingetretene und sich im bilanziellen Unterschiedsbetrag i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG niederschlagende Vermögensmehrung ist im Rahmen der Gewinnermittlung außerbilanziell auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe (vgl. Rz. 2.7 f.) zu kürzen. Bewertungsmaßstab ist der Teilwert, soweit dem nicht § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG entgegensteht. Danach ist die verdeckte Einlage auf Ebene der die Einlage empfangenden Kapitalgesellschaft steuerpflichtig, wenn sie das Einkommen des Gesellschafters gemindert hat. Diese Rechtsfolgen ergeben sich, wenn die Tochtergesellschaft im Inland ansässig ist. Sollte die Tochtergesellschaft im Ausland ansässig sein, ist das dortige Steuerrecht zu beachten.
2.56
1 BFH v. 4.7.1990 – GrS 2-3/88, BStBl. II 1990, 817 = BFHE 161, 290 = FR 1990, 708. 2 Vgl. § 6 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 655.
Ditz/Wassermeyer | 67
Kap. 2 Rz. 2.57 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
E. § 1 AStG I. Wesentlicher Inhalt und Zweck 2.57
Gegenstand der Vorschrift. § 1 AStG bildet den ersten Teil des AStG. Die Vorschrift steht selbständig neben dem zweiten bis siebten Teil des AStG. Sie hat zu diesen Teilen keinen unmittelbaren Bezug, wenn man davon absieht, dass sich die Frage nach ihrer Anwendung auch innerhalb der erweiterten beschränkten Steuerpflicht und innerhalb der Hinzurechnungsbesteuerung stellen kann.1 Gegenstand des § 1 AStG sind (nur) Einkünfte, die aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland erzielt werden.2 Tatbestandsvoraussetzung des § 1 AStG ist, dass in den Geschäftsbeziehungen zum Ausland Bedingungen vereinbart sind, die von denen abweichen, die untereinander fremde Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten (Fremdvergleichsgrundsatz), und dadurch die im Inland für Besteuerungszwecke maßgeblichen Einkünfte gemindert werden. § 1 AStG ist mittlerweile „die“ zentrale Verrechnungspreiskorrekturvorschrift im deutschen Steuerrecht (vgl. Rz. 2.11).
2.58
Rechtsfolge der Vorschrift. Rechtsfolge des § 1 AStG ist eine nur steuerrechtlich wirkende Korrektur des aus der einzelnen Geschäftsbeziehung zum Ausland erzielten Entgelts, d.h., die Korrektur greift nicht in die zivilrechtlich bestehenden Beziehungen ein, sondern sie erhöht lediglich die steuerrechtliche Bemessungsgrundlage.3 Die ggf. vorzunehmende Korrektur orientiert sich am Fremdvergleichspreis. Damit gehört das sich aus dem Fremdvergleich ergebende angemessene Entgelt sowohl zu den Tatbestandsvoraussetzungen als auch zur Rechtsfolge der Vorschrift.
2.59
Einkünftekorrekturvorschrift. § 1 AStG ist eine Einkünftekorrekturvorschrift.4 Dabei sollte allerdings aus terminologischen Gründen beachtet werden, dass nach § 2 Abs. 2 EStG unter „Einkünfte“ der sich durch die Korrektur ergebende Endbetrag i.S. eines für einen bestimmten Zeitraum ermittelten Nettobetrages zu verstehen ist. Richtigerweise werden deshalb nicht die Einkünfte (Gewinn) korrigiert, sondern es wird einem vorläufig ermittelten Einkünftebetrag ein Korrekturbetrag hinzugerechnet.5 Die Rechtsfolge des § 1 AStG setzt eine Minderung des vorläufig ermittelten Einkünftebetrages voraus. Dabei erfasst der vorläufig ermittelte Einkünftebetrag auch steuerfreie Einkünfte.
2.60
Erfassung von Einkünften aller Art und Fiktionstheorie. § 1 AStG zielt nicht speziell auf die Korrektur von Gewinnen ab, sondern ist auf Einkünfte aller Art anwendbar. Die Einkünfte können durch Bilanzierung, durch Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 bzw. gem. §§ 8 und 9 EStG oder nach Durchschnittssätzen zu ermitteln sein. Die zu korrigierenden Einkünfte werden unter Anwendung des § 1 AStG fiktiv erhöht. § 1 AStG lehnt sich gedanklich an die Fiktionstheorie an, ohne sie jedoch zu übernehmen. Die Einkünfteerhöhung tritt dadurch ein, dass ein bestimmtes Entgelt nur für Zwecke der steuerrechtlichen Bemessungsgrundlage in angemessener Höhe und damit höher als tatsächlich vereinbart angesetzt wird.
1 Vgl. zum Verhältnis der Einkünfteabgrenzung (vGA, verdeckte Einlage und § 1 AStG) zur Hinzurechnungsbesteuerung auch Ditz/Wassermeyer in F/W/B/S, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 57 ff. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 109. 3 So die mittlerweile aufgehobenen VWG 1983, vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Rz. 1.1.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. Überschrift zu § 1 AStG: „Berichtigung von Einkünften“. 5 Vgl. Wassermeyer, IStR 2001, 633.
68 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.63 Kap. 2
Hinzurechnung außerhalb der Steuerbilanz. Die entsprechende Hinzurechnung vollzieht sich nicht innerhalb, sondern außerhalb der Steuerbilanz.1 Es werden also weder zivilrechtliche Forderungen oder Verbindlichkeiten jeweils in angemessener Höhe noch eine Ausschüttung oder Einlage fingiert. § 1 AStG muss zusätzlich unter dem Gesichtspunkt einer Entstrickungsbesteuerung verstanden werden. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass keine stillen Reserven unversteuert ins Ausland verlagert und der inländischen Besteuerung entzogen werden. Insoweit ist allerdings zu beachten, dass es z.B. § 8b Abs. 2 KStG zulässt, dass Beteiligungen von unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Personen steuerfrei ins Ausland veräußert und damit stille Reserven der inländischen Besteuerung entzogen werden.
2.61
Einseitig fiskalistische Wirkung. § 1 AStG steht neben § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (vGA) und § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG (Einlage bzw. Entnahme), weshalb das Konkurrenzverhältnis von Bedeutung ist. § 1 AStG ist eine einseitig fiskalisch wirkende Vorschrift, weil ihre Rechtsfolge nur eine Erhöhung, jedoch keine Minderung der vereinbarten Einkünfte gestattet.2 An sich ist heute die Ausgestaltung des § 1 AStG zu einer zweiseitigen Gewinnkorrekturvorschrift zumindest für den Fall des Art. 9 Abs. 2 OECD-MA geboten, dass im Ausland eine Gewinnerhöhung wegen Dienstleistungen, Nutzungsüberlassungen oder Funktionsverlagerungen nach Deutschland vorgenommen wird, die eine Gegenberichtigung in Deutschland erfordert. Deutschland hat seinen Vorbehalt gegen Art. 9 Abs. 2 OECD-MA aufgegeben, weshalb es verpflichtet ist, eine innerstaatliche Gegenberichtigungsvorschrift zu erlassen. Der deutsche Gesetzgeber ist insoweit seinen international übernommenen Pflichten bisher nicht nachgekommen. Er hätte darüber hinaus berücksichtigen sollen, dass außersteuerrechtliche Gesichtspunkte auf das Entgelt von Geschäftsbeziehungen einwirken und einen unangemessen hohen inländischen Gewinn bewirken können, weshalb es eine Frage der Anwendung des richtigen Prinzips ist, eine Gewinnberichtigung auch in diesen Fällen vorzunehmen.
2.62
Eine den Art. 9 Abs. 1 OECD-MA ausfüllende Gewinnkorrekturvorschrift. Nach Rz. 15 ff. der Regierungsbegründung zur Einführung des AStG3 im Jahr 1972 sollte in das innerstaatliche deutsche Steuerrecht eine den Art. 9 Abs. 1 OECD-MA ausfüllende Gewinnkorrekturvorschrift eingefügt werden. Dadurch sollte der „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz“ auch innerstaatlich abgesichert werden.4 Das Ziel, Art. 9 Abs. 1 OECD-MA durch § 1 AStG in innerstaatliches Recht umzusetzen, geht auch aus der Begründung des AbzStEntModG v. 2.6.20215, durch das § 1 AStG grundlegend reformiert wurde (vgl. Rz. 2.66 ff.), explizit hervor. Danach enthält § 1 AStG den „international weit verbreitenden Standard zur internationalen Gewinnabgrenzung zwischen Staaten: den Fremdvergleichsgrundsatz.“6 Dieser sei „Rechtsmaßstab für eine Regulierung des Gesamtbereichs der internationalen Gewinnabgrenzung“, gemeint ist damit wohl, dass § 1 AStG sowohl die internationale Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen (rechtlich selbständigen nahestehenden Personen) als auch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte regelt. § 1 ist infolgedessen – so die Gesetzesbegründung – „Umsetzungsnorm für Art. 9 Abs. 1 OECD-MA“. Daraus folgt auch, dass § 1 AStG „inter-
2.63
1 2 3 4
Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 406. Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.160. BT-Drucks. VI/2883. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Rz. l. l.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 6 BT-Drucks. 19/26732, 67.
Ditz/Wassermeyer | 69
Kap. 2 Rz. 2.63 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
national auszurichten“ sei, um eine international einheitliche Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes sicherzustellen. Damit soll Rechtssicherheit erreicht und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung gewährleistet werden.1
2.64
Vermeidung einer unangemessenen Gewinnverlagerung sowie Sicherstellung einer Besteuerung von Gewinnen am Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit. Ziel des § 1 AStG ist es, dass Unternehmensgewinne dort besteuert werden, wo sie wirtschaftlich entstehen.2 Ausweislich der Gesetzesbegründung zum AbzStEntModG v. 2.6.2021 ist der Fremdvergleichsgrundsatz damit Ausdruck des Territorialitätsprinzips und dient dem Veranlassungsgrundsatz. Es soll eine „zwischenstaatlich faire Verteilung von Besteuerungsrechten“ an Unternehmensgewinnen sichergestellt werden. § 1 AStG ist damit auch eine Vorschrift, die Steuerumgehung oder -missbrauch verhindern soll. Es soll auch „der Verlagerung von im Inland wirtschaftlich erzielten Einkünften ins Ausland“ entgegnet werden. Diese Zielsetzung geht auch auf die BEPS-Aktionspunkte der G20/OECD zurück. Denn die OECD hat im Rahmen des BEPSProjekts Verrechnungspreissachverhalte als wesentliche Ursache für Gewinnverlagerung in niedrig besteuerte Staaten identifiziert.3 Daher überraschte es nicht, dass sich zahlreiche Aktionspunkte, die am 5.10.2015 durch die OECD/G20-Staaten veröffentlicht wurden, mit Verrechnungspreisthemen beschäftigen. Dies betrifft konkret die Aktionspunkte 8-104 und 135. Im Kern geht es darum, dass durch die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zur Ermittlung angemessener Verrechnungspreise der durch eine multinationale Unternehmensgruppe erwirtschaftete Gewinn dort besteuert werden soll, wo die tatsächliche Wertschöpfung erbracht wird.6 Dies soll durch § 1 AStG – insbesondere nach seiner Reform durch das AbzStEntModG v. 2.6.20217 sichergestellt werden. Dazu – so die Gesetzesbegründung – soll durch den Fremdvergleich das „Hinwegdenken des Nahestehens und einer aus dem Nahestehen etwaig resultierende Beeinflussung auf den Geschäftsvorfall“ gewährleistet werden. Dies dürfe aber nicht so weit gehen, „dass sich die Beurteilung lediglich danach richtet, wie fiktiv unabhängige Unternehmen den maßgebenden Geschäftsvorfall getätigt haben.“8 Vielmehr sollten auch „spezifische Besonderheiten“ i.S.v. „Umständen, die nicht vereinbart werden können“, einer Unternehmensgruppe in die Würdigung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz einfließen.
2.65
§ 1 AStG als grundlegende Einkünftekorrekturvorschrift im internationalen Steuerrecht. Noch 2003 wurde festgestellt, dass etwa 95 % der Einkünftekorrekturen auf Basis einer vGA, verdeckten Einlage oder Entnahme vorgenommen wurden und „überflüssigerweise“ § 1 AStG zu einer eigenständigen Korrekturvorschrift ausgestaltet worden sei.9 Spätestens seit der Re1 2 3 4 5 6 7 8 9
BT-Drucks. 19/26732, 68. BT-Drucks. 19/26732, 67. Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 63. OECD, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8-10, 2015 Final Report; s. dazu im Einzelnen Groß, IStR 2016, 233 ff.; Greil/Fehling, IStR 2017, 757 (758 f.). Vgl. OECD, Guidance on Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, Action 13, 2015 Final Reports. Siehe dazu mit Einzelheiten Heider, Das Country-by-Country Reporting und seine innerstaatliche Umsetzung, 2020, 54 ff. Vgl. BT-Drucks. 19/26732, 67. Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer v. 5.1.2021, 74. Vgl. Wassermeyer in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 2003, 1 (9 f.).
70 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.66 Kap. 2
form des § 1 AStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 20081 hat sich dieses Bild geändert; § 1 AStG hat sich mittlerweile – auch in Bezug auf die internationale Betriebsstättengewinnermittlung2 – zu „der“ grundlegenden Einkünftekorrekturvorschrift im internationalen Steuerrecht entwickelt (vgl. Rz. 2.11). Nachdem im Jahr 2008 in § 1 Abs. 3 AStG die Verrechnungspreismethoden definiert,3 die Funktionsverlagerungsbesteuerung eingeführt4 und um eine Preisanpassungsklausel ergänzt wurden, wurde die Vorschrift – nach weiteren Ergänzungen der Vorschrift durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.20135 und das Zollkodex-Anpassungsgesetz v. 22.12.20146 – mit dem AbzStEntModG v. 2.6.20217 und dem ATADUmsG v. 25.6.20218 grundlegend reformiert.9
II. Reform des § 1 AStG im Jahr 2021 Hintergrund und Ziele der Reform des § 1 AStG. § 1 AStG wurde durch das AbzStEntModG v. 2.6.202110 und dem ATADUmsG v. 25.6.202111 grundlegend reformiert. Ausweislich der Gesetzesbegründung12 – verfolgt die Reform das Ziel, § 1 AStG international an den OECD-Verrechnungspreisleitlinien auszurichten, um „klare Regelungen zur Bestimmung und Prüfung von Fremdvergleichspreisen“ zu schaffen. Dabei dürfe der Fremdvergleichsgrundsatz „nicht als starres Konzept verstanden“ werden, sondern es sei eine „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ angezeigt, und der Fremdvergleichsgrundsatz sei „vom Einzelfall abhängig“ anzuwenden. Dazu hatte das BMF bereits am 10.12.2019 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATADUmsG) vorgelegt.13 Danach gab es weitere Gesetzesentwürfe, wobei die Reform des § 1 AStG schlussendlich auf zwei Gesetz-
1 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 2 Vgl. § 1 Abs. 4 und 5 AStG i.d.F. Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. Siehe dazu Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917 ff. 3 Zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 ff. 4 Zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 ff. 5 Einführung des Authorized OECD Approach durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. Vgl. hierzu Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917 ff. 6 Anpassung der Definition der Geschäftsbeziehung nach § 1 Abs. 4 AStG durch das Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2417. Vgl. zu Einzelheiten Ditz/Quilitzsch, DStR 2015, 545 ff. 7 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 8 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtline (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 9 Vgl. zur Reform des § 1 AStG Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 ff.; Greil/Saliger, ISR 2021, 330 ff.; Rasch, ISR 2021, 336 ff.; Greil, IStR 2021, 960 ff. 10 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 11 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtline (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 12 BT-Drucks. 19/27632, 68. 13 Vgl. dazu Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73 ff.; Rasch, IWB 2020, 296 ff.; Oestreicher, IStR 2020, 517 ff. und 575 ff.; Schnorberger/Etzig, BB 2020, 1630 ff.; Busch, DB 2020, 1961 ff.; Wilmanns/Heidecke/Lappe/Nolden, IStR 2020, 162; Stein/Schwarz/Burger, IStR 2020, 83 ff.; Richter, ISR 2020, 109.
Ditz/Wassermeyer | 71
2.66
Kap. 2 Rz. 2.66 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
gebungsverfahren – nämlich das AbzStEntModG v. 2.6.20211 und das ATADUmsG v. 25.6.20212 – aufgeteilt wurde. Während die Grundnorm des § 1 Abs. 1 AStG – bis auf rein formale Änderungen – unverändert bleibt, kommt es in Abs. 2 der Vorschrift zu einer (erneuten)3 Ausweitung des Begriffs der nahestehenden Person zur Vermeidung von Umgehungen. Darüber hinaus wird der Abs. 3 des § 1 AStG durch vier neue Absätze ersetzt. Die neuen Vorschriften enthalten Regelungen zur Bestimmung von Fremdvergleichspreisen und der Methodenwahl (Abs. 3), zur Bestimmung von Bandbreiten beim tatsächlichen und von Einigungsbereichen beim hypothetischen Fremdvergleich (Abs. 3a), zu Funktionsverlagerungen (Abs. 3b) sowie – und das ist neu – zur Anwendung des DEMPE-Konzepts bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen im Zusammenhang mit immateriellen Werten. Schließlich wird die bisher in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG verortete Preisanpassungsklausel in einen neuen § 1a AStG ausgegliedert und im Hinblick auf den Anpassungszeitraum (sieben statt zehn Jahre), der Definition der erheblichen Abweichung und den Ausschlussgründen für Preisanpassungen geändert. Durch die Reform des § 1 AStG wurde inhaltlich deutlich weniger wirklich neu gefasst, als der neue Wortlaut vermuten lässt. Es bleibt dabei, dass die Funktions- und Risikoanalyse die Basis für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bildet. Auch die explizit geregelte Bandbreitenbetrachtung und der Ex-ante-Ansatz sind nicht neu. Kritisch zu sehen ist allerdings die (nochmalige) Ausweitung der nahestehenden Person in § 1 Abs. 2 AStG sowie die fehlende praktische Anweisung zum DEMPE-Ansatz.
2.67
Zeitlicher Anwendungsbereich der neuen Regelungen des § 1 AStG. Die Änderungen sind erstmalig ab dem VZ 2022 anwendbar.4 Eine Ausnahme gilt für § 1 Abs. 2 AStG n.F. für Zwecke des § 4k Abs. 6 EStG, wonach eine rückwirkende Anwendung ab dem VZ 2020 vorgesehen ist.5
2.68
Grundnorm des § 1 Abs. 1 AStG bleibt unverändert. Die Grundnorm des § 1 Abs. 1 AStG wurde durch die Reform nicht geändert. Es gab lediglich rein redaktionelle Anpassungen, die für die Auslegung der Vorschrift unbedeutend sind. Unverändert sind auch § 1 Abs. 4 und 5 AStG geblieben. Die Definition der Geschäftsbeziehung wurde damit genauso wenig geändert wie die Regelungen zur Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten nach dem „Authorized OECD Approach“ gem. § 1 Abs. 5 AStG.
2.69
Definition der nahestehenden Person. Im Kern bleibt es bei der Definition der nahestehenden Person über eine wesentliche Beteiligung von mindestens 25 % (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AStG). Neu ist indessen, dass gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AStG ein Anspruch auf mindestens ein Viertel des Gewinns oder des Liquidationserlöses an einer Person ausreichen soll, um ein Nahestehen zu begründen. Insoweit wird der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 AStG i.S.d. Mindestanforderung nach Art. 2 Abs. 4 Buchst. a ATAD6 erweitert. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll dies der Vermeidung von „Steuerumgehungen“ durch 1 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 2 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtline (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 3 § 1 Abs. 2 AStG wurde bereits durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 und das Zollkodex-Anpassungsgesetz v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2417 geändert. 4 § 21 Abs. 1 AStG n.F. 5 § 21 Abs. 2 AStG n.F. 6 RL 2016/1164/EU v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes, ABl. 2016 Nr. L 193/ 1, Anti Tax Avoidance Directive (ATAD I).
72 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.70 Kap. 2
die Ausgabe von mit Mehrfachstimmrechten ausgestatteten oder stimmrechtslosen Anteilen, den Abschluss von Stimmbindungsverträgen oder vergleichbaren Vorgängen dienen.1 Bedeutung hat dies vor allem für das Betriebsausgagenabzugsverbot bei Steuerungsinkongruenzen (§ 4k Abs. 6 EStG) sowie für die Hinzurechnungsbesteuerung, bei der nach der Reform des § 7 Abs. 1 AStG (Beherrschungskonzept) auch nahestehende Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG einzubeziehen sind (§ 7 Abs. 3 AStG). § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AStG erweitert die Definition der nahestehenden Person auf Fälle, in denen eine dritte Person sowohl gegenüber der Person als auch gegenüber dem Steuerpflichtigen Anspruch auf mindestens ein Viertel des Gewinns oder des Liquidationserlöses hat. Infolgedessen findet das neue Konzept des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AStG auch bei „Dreiecksfällen“ Anwendung. Die neue Nr. 4 in § 1 Abs. 2 AStG entspricht inhaltlich der bisherigen Nr. 3. Allerdings weist die Gesetzesbegründung darauf hin, dass von einem „eigenen Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen“ bei Beteiligungen „an Netzwerken und deren Organisationseinheiten“ auszugehen sei. Infolgedessen können rechtlich selbständige Unternehmen, die Mitglieder an einem globalen Netzwerk, das durch eine enge strategische und fachliche Vernetzung gekennzeichnet ist, nahestehende Personen sein.2 Der Hintergrund dieser Interpretation in der Gesetzesbegründung erschließt sich aus der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des AbzStEntModG v. 5.2.2021.3 Darin wurde ein klarstellender Hinweis zur Einordnung von Netzwerkgesellschaften und deren Organisationseinheiten als nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG gefordert, da „hohe Zahlungen in internationale Netzwerke“ als Betriebsausgaben erfasst werden und „Zahlungsströme häufig in Steueroasen“ erfolgen. Zur Auslegung des Begriffs „Netzwerk“ könne – so die damalige Begründung in der Stellungnahme des Bundesrates v. 5.3.2021 – auf § 319b Abs. 1 Satz 3 HGB verwiesen werden4, wonach ein Netzwerk dann vorliegt, wenn Personen bei ihrer Berufsausübung zur Verfolgung gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen für eine gewisse Dauer zusammenwirken. Im Fokus würden damit international tätige Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Anwaltskanzleien stehen. Deren pauschale Einordnung als „nahestehend“ ist indessen nicht sachgerecht, sondern (weiterhin) an den Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG zu messen, also dem eigenen Interesse eines Steuerpflichtigen an der Erzielung der Einkünfte eines anderen. Fremdvergleichspreis und Funktions- und Risikoanalyse. § 1 Abs. 3 AStG n.F. konkretisiert den Fremdvergleichsgrundsatz. Danach ist der Fremdvergleichspreis (verstanden als der dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Verrechnungspreis) anhand der „tatsächlichen Verhältnisse“5 zu bestimmen. Ausgangspunkt der Bestimmung des Fremdvergleichspreises ist damit – und das ist nicht neu – eine Funktions- und Risikoanalyse. Diese basiert grundsätzlich auf den zwischen den nahestehenden Personen getroffenen Vereinbarungen, aber nur dann, wenn sie dem tatsächlichen Verhalten entsprechen.6 Deutlich wird hier die Entwicklung zu einer „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ durch das Abstellen auf das faktische „Leben“ gruppeninterner Verträge. Das Ergebnis der Funktions- und Risikoanalyse bildet das Fundament für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse, d.h. dem Vergleich der Geschäftsbeziehung zwischen nahestehenden Personen und 1 BT-Drucks. 19/28652, 46. 2 BT-Drucks. 19/28652, 46; s. auch VWG VP 2021, Rz. 1.14. 3 Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (AbzStEntModG), BR-Drucks. 50/21 v. 5.3.2021, Art. 4 (§ 1 Abs. 2 AStG). 4 So auch VWG VP 2021, Rz. 1.14. 5 § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG. 6 BT-Drucks. 19/27632, 70; Tz. 1.42 ff. OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Wassermeyer | 73
2.70
Kap. 2 Rz. 2.70 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
einem (vergleichbaren) Geschäftsvorfall zwischen voneinander unabhängigen Dritten. In diesem Zusammenhang ist es begrüßenswert, dass die Gesetzesbegründung auf die Grenzen des Fremdvergleichsgrundsatzes1 eingeht: „Allein die Feststellung, dass keine vergleichbaren Geschäftsvorfälle festgestellt oder nachgewiesen werden können, führt für sich gesehen nicht dazu, dass ein Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz vorliegt.“2 So zeigt die Betriebsprüfungspraxis, dass die Grenzen der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes häufig zulasten des Steuerpflichtigen ausgelegt werden (z.B. im Hinblick auf die Anwendung angemessener Lizenzgebühren). Dies ist nicht sachgerecht, liegt die Beweislast hinsichtlich der Unangemessenheit doch bei der Finanzverwaltung. Kann ein Fremdvergleich nicht geführt werden, sei – so die Gesetzesbegründung – der Verrechnungspreis durch „Nachdenken“ zu bestimmen. Dies läuft auf die Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs gem. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG hinaus. Alternativ können Anpassungsrechnungen i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG durchgeführt werden, deren Bestimmung in der Praxis indessen häufig nicht unproblematisch ist. Nach § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG ist der Fremdvergleichsgrundsatz nach den „Verhältnissen zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Geschäftsvorfalls“ anzuwenden. Diese gesetzliche Fixierung der Ex-ante-Betrachtung entspricht der bisherigen Verrechnungspreispraxis und bedeutet nicht, dass nach der Reform des § 1 AStG der sog. „Price Setting Approach“ vorgeschrieben wird. Vielmehr ist auch zukünftig der international anerkannte „Price Outcome Approach“ anwendbar.3 Dies wurde auch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens durch die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion v. 19.3.2020 bestätigt.4 Nach § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG ist der Fremdvergleichspreis nach der im jeweiligen Einzelfall am besten geeigneten Verrechnungspreismethode zu bestimmen. Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass unter den Verrechnungspreismethoden (Standardmethoden und gewinnorientierte Methoden) keine Hierarchie besteht, wäre unzutreffend.
2.71
Bandbreitenbetrachtung gem. § 1 Abs. 3a AStG. § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG regelt, dass die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes regelmäßig nicht dazu führt, dass ein einziger Wert ermittelt wird. Stattdessen führt die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu einer Bandbreite von Werten. Dies ist sachgerecht, da es den richtigen Verrechnungspreis i.S. einer mathematisch genau fixierbaren Größe nicht geben kann, sondern allenfalls eine Bandbreite angemessener Preise ermittelbar ist.5 Dieser Gedanke lag bereits dem § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG in der bisherigen Fassung zugrunde.6 Die Bandbreite ist gem. § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG einzuengen. Geben die der Bandbreite zugrundeliegenden Werte selbst gar keinen Anhaltspunkt für eine bestimmte Einengung der Bandbreite und verbleibt eine Mindestanzahl von Werten, die die Anwendung mathematisch-statistischer Verfahren zur Einengung von Bandbreiten sinnvoll zulassen, ist gem. § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG die Interquartilsmethode zur Einengung zu verwenden. Demnach sind die Vergleichswerte der Größe nach anzuordnen und das Viertel der kleinsten und das Viertel der größten Werte aus der Bandbreite von Werten zu eliminieren, sodass der maßgebliche Interquartilsabstand die mittleren 50 % der Verteilung umfasst. Liegt der vom Steuerpflichtigen für seine Einkünfteermittlung verwendete Wert innerhalb der Bandbreite von Werten i.S.d. § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG, scheidet ein Einkünftekor1 Vgl. dazu im Einzelnen Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 64. 2 BT-Drucks. 19/27632, 70. 3 Vgl. auch Rasch, IWB 2021, 441 (446); Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73 (74); Busch, DB 2020, 191 (192). 4 Vgl. die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag, BT-Drucks. 19/18585, 4, wonach „ein ‚price setting approach‘ ... nicht beabsichtigt ist“. 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 6 So auch Tz. 1.13 und 3.55 OECD-Leitlinien 2022.
74 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.74 Kap. 2
rektur nach § 1 AStG aus. Entsprechendes gilt im Fall der Anwendung der eingeengten Bandbreite von Werten i.S.d. § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG. Liegt der tatsächlich verwendete Wert bzw. Preis hingegen außerhalb der (eingeengten) Bandbreite, ist der Medianwert für die Ermittlung des Korrekturbetrages maßgeblich, sofern der Steuerpflichtige nichts Gegenteiliges glaubhaft macht. Einengung beim hypothetischen Fremdvergleich gem. § 1 Abs. 3a AStG. Können keine Vergleichswerte festgestellt werden, ist für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises gem. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG ein hypothetischer Fremdvergleich durchzuführen. Aus der Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs resultieren Grenzpreise des Leistenden und des jeweiligen Leistungsempfängers. Diese bilden, wie schon nach der alten Rechtslage, einen Einigungsbereich aus Mindestpreis des Leistenden und Höchstpreis des Leistungsempfängers (§ 1 Abs. 3a Satz 5 AStG). Macht der Steuerpflichtige glaubhaft, dass (irgend-)ein Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, dann ist dieser Wert maßgeblich.
2.72
Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 3b AStG. § 1 Abs. 3b AStG regelt die bislang aus § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG bekannte Funktionsverlagerungsbesteuerung. Jedoch wurde dessen Wortlaut einerseits modifiziert, andererseits um zusätzliche Regelungen ergänzt, die bislang Gegenstand der FVerlV waren. So wird der bisherige Abs. 3 Satz 9 des § 1 AStG dahingehend neu gefasst, dass für eine Funktionsverlagerung künftig nur noch Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile (bislang: „und“) verlagert werden. Dem Wortlaut nach müssen im Rahmen einer Funktionsverlagerung künftig also nicht mehr zwingend Wirtschaftsgüter mitübertragen oder mitüberlassen werden.1 Nach der Gesetzesbegründung soll mit dieser Regelung allerdings keine Änderung des bisherigen Verständnisses verbunden sein.2 Dieser Einschätzung kann indes nicht gefolgt werden. Denn die derzeitige „und“-Verknüpfung ist so auszulegen, dass die Übertragung oder Nutzungsüberlassung sowohl von Wirtschaftsgütern als auch von sonstigen Vorteilen notwendig ist, um eine Funktionsverlagerung zu begründen. Schließlich wurden zwei Öffnungsklauseln aufgenommen, anhand derer sich die sonst einschlägige Transferpaketbewertung vermeiden lässt. Zum einen betrifft dies die vormals in § 1 Abs. 3 Satz 10 Alt. 1 AStG a.F. enthaltene Escape-Klausel in § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG, wonach anstelle einer Gesamtbewertung auch eine Bestimmung von Einzelverrechnungspreisen für die Bestandteile des Transferpakets möglich ist, sofern keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren. Zum anderen gesetzlich normiert wurde nunmehr die aus § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV schon bekannte Vorschrift in § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG. Hiernach kann eine Transferpaketbewertung zugunsten eines Ansatzes von Einzelverrechnungspreisen unterbleiben, wenn eine nach der Kostenaufschlagsmethode vergütete Funktion verlagert wurde, die ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausgeübt wird.
2.73
Definition immaterieller Werte und DEMPE-Konzept. Der gänzlich neue § 1 Abs. 3c AStG enthält grundlegende Aussagen zur Vergütungspflicht von Transaktionen im Zusammenhang mit immateriellen Werten, eine Definition immaterieller Werte sowie die Einführung des sog. DEMPE-Konzepts. Nach der Gesetzesbegründung ist § 1 Abs. 3c AStG am Konsens auf OECD-Ebene, insbes. an Kap. VI der OECD-Leitlinien 2022 orientiert. Gleichwohl soll – durchaus überraschend – hiermit keine Neuerung bzw. keine neue Behandlung von immateriellen Werten verbunden sein, da die durch die OECD propagierte wirtschaftliche Betrach-
2.74
1 So auch Rasch, IWB 2021, 441 (450). 2 Vgl. BT-Drucks. 19/27632, 74.
Ditz/Wassermeyer | 75
Kap. 2 Rz. 2.74 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
tungsweise seither der deutsch-steuerlichen Verrechnungspreisprüfung zugrunde zu legen sei.1 Mit § 1 Abs. 3c Satz 2 AStG wird erstmals eine gesetzliche Definition immaterieller Werte eingeführt. Hierunter sind Vermögenswerte zu verstehen, 1. die weder materielle Wirtschaftsgüter oder Beteiligungen noch Finanzanlagen sind, 2. die Gegenstand eines Geschäftsvorfalls sein können, ohne einzeln übertragbar sein zu müssen, und 3. die einer Person eine tatsächliche oder rechtliche Position über diesen Vermögenswert vermitteln können. Dies ist erkennbar der OECD-Definition entlehnt, ohne mit dieser identisch zu sein.2 Darüber hinaus bildet die Feststellung des Eigentums oder der Inhaberschaft an einem immateriellen Wert (nur) den Ausgangspunkt für die Verrechnungspreisbestimmung und -prüfung im Zusammenhang mit immateriellen Werten. Dabei soll es für einen Anspruch auf die aus einem immateriellen Wert resultierenden Erträge auf die diesbezüglichen DEMPE-Funktionen ankommen. Diese sind die Entwicklung (Development) oder Erschaffung, die Verbesserung (Enhancement), der Erhalt (Maintenance), der Schutz (Protection) oder jedweder Art der Verwertung (Exploitation).3 Schließlich soll die Finanzierungsfunktion im Zusammenhang mit einem immateriellen Wert lediglich zu einer angemessenen (Finanzierungs-)Vergütung, nicht aber zu Erträgen aus dem immateriellen Wert berechtigen. Entgegen der Gesetzesbegründung ist davon auszugehen, dass die Einführung des DEMPE-Konzepts eine wesentliche Neuerung darstellt und eine neue Behandlung immaterieller Werte bedeuten wird.4 Wie konkret die DEMPE-Analyse durchzuführen ist und die hierbei gewonnenen Erkenntnisse in eine angemessene Vergütung der DEMPE-Funktionen überzuleiten sind, lassen der Gesetzeswortlaut und die Gesetzesbegründung allerdings offen.
2.75
Preisanpassungsklausel gem. § 1a AStG. Die bisherigen Sätze 11 und 12 des § 1 Abs. 3 AStG – die sog. Preisanpassungsklausel – finden sich nunmehr in § 1a AStG wieder, sind dort aber modifiziert und erweitert worden. So wie bereits bislang, schreibt auch § 1a AStG eine Preisanpassung vor, sofern wesentliche immaterielle Werte oder Vorteile übertragen oder Funktionsverlagerungen verwirklicht wurden. Die Anwendung der Preisanpassungsklausel steht auch nach der Reform unter dem Vorbehalt, dass der Steuerpflichtige auf die vertragliche Vereinbarung einer solchen Klausel tatsächlich verzichtet hat. Neu hingegen ist die – i.S.d. Gesetzesklarheit erfreuliche – Definition dessen, was unter einer erheblichen Gewinnabweichung i.S.d. Vorschrift zu verstehen ist. Eine solche soll vorliegen, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Fremdvergleichspreis um mehr als 20 % von dem ursprünglich vereinbarten Verrechnungspreis abweicht (§ 1a Satz 3 AStG). Weiterhin wird der hierfür maßgebliche Beobachtungszeitraum auf sieben Jahre (bislang zehn Jahre) verkürzt. Wird eine Gewinnabweichung in dem so verstandenen Sinne verwirklicht, zieht dies im achten Jahr nach Geschäftsabschluss eine Preisanpassung nach sich, d.h. eine einmalige Einkünftekorrektur. Schließlich wurden drei Ausnahmen normiert, aufgrund derer der Steuerpflichtige eine Verrechnungspreisanpassung – auch beim Fehlen einer vertraglich geschlossenen Preisanpassungsklausel – vermeiden kann. So steht dem Steuerpflichtigen künftig die Möglichkeit offen, glaubhaft zu machen, dass die tatsächliche Entwicklung auf im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses nicht vorhersehbaren Umständen basiert (§ 1a Satz 6 Nr. 1 AStG). Alternativ kann er geltend machen, dass die im Zusammenhang mit der Preisbestimmung bestehenden Unsicherheiten angemessen berücksichtigt wurden (§ 1a Satz 6 Nr. 2 AStG).
1 Vgl. BT-Drucks. 19/27632, 74. 2 Vgl. Tz. 6.6., 6.8. OECD-Leitlinien 2022, wonach die OECD ausdrücklich Abstand vom Kriterium der Einzelübertragbarkeit nimmt. Siehe auch Engelen, DB 2020, 251 (255); Koch, IStR 2015, 199. 3 Siehe zum DEMPE-Konzept ausführlich Kap. 6 F, Rz. 6.557 ff. 4 Vgl. BT-Drucks. 19/27632, 74.
76 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.77 Kap. 2
Schließlich wird – angelehnt an die schon bislang in § 9 FVerlV geregelte Vorschrift – von einer Anpassung abgesehen, wenn eine umsatz- oder gewinnabhängige Lizenzgebühr vereinbart wurde (§ 1a Satz 6 Nr. 3 AStG).
III. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG 1. Steuerpflichtiger Begriff „Steuerpflichtiger“. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG wirkt sich die Rechtsfolge der Vorschrift auf Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus. Der Begriff „Steuerpflichtiger“ ist objektiv unklar. Man kann ihn in einem auf § 1 EStG und § 1 KStG aufbauenden materiellen Sinne oder aber in einem auf § 33 AO aufbauenden verfahrensrechtlichen Sinne verstehen. § 33 AO enthält eine beispielhafte Aufzählung, die deutlich über den in § 1 EStG und § 1 KStG angesprochenen Personenkreis hinausgeht. Die Tatsache, dass § 1 AStG die Minderung von bei einem Steuerpflichtigen anzusetzenden Einkünften voraussetzt, spricht dafür, dass unter den Begriff nur Personen fallen, bei denen die Einkünfte steuerrechtlich anzusetzen sind.
2.76
Ertragsteuerpflicht und Erfassung von Personengesellschaften/Mitunternehmerschaften. Da § 1 AStG nur Einkünfteminderungen aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland erfasst, bezieht sich der Begriff „Steuerpflichtiger“ nur auf Personen, die selbst einer Ertragsteuerpflicht in Deutschland unterliegen.1 Dies bestätigt der Gesetzgeber, wenn er im AmtshilfeRLUmsG2 § 1 Abs. 1 AStG um einen Satz 2 ergänzt, wonach Steuerpflichtige i.S.d. § 1 AStG auch Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften sind. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine Fiktion, die i.S. einer Ausdehnung des Begriffs über seinen an sich engeren Inhalt hinaus zu verstehen ist. Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften können zwar Einkünfteerzielungssubjekte sein. Sie sind aber nicht mit den von ihnen erzielten Einkünften steuerpflichtig, weshalb bei ihnen keine geminderten Einkünfte angesetzt werden können.3 Unter den Begriff „Steuerpflichtiger“ fallen ohne Berücksichtigung von § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG natürliche Personen i.S.d. § 1 EStG sowie Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen i.S.d. § 1 KStG. Der Begriff umfasst gleichermaßen unbeschränkt wie beschränkt (vgl. Rz. 2.1) steuerpflichtige Personen. Personen, die nur der Gewerbesteuerpflicht i.S.d. § 2 GewStG unterliegen, fallen dagegen nicht unter den Begriff i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG. Dies belegt einerseits § 2 GewStG, der von „Steuergegenstand“ und nicht von „Steuerpflicht“ spricht. Dies folgt aber auch aus der Überlegung, dass § 7 GewStG an den nach den Vorschriften des EStG und des KStG ermittelten Gewinn anknüpft. Das GewStG enthält keine eigenständigen Gewinnkorrekturvorschriften. Deshalb sind Steuerpflichtige i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nicht die Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften, sondern nur die Personengesellschafter und Mitunternehmer mit ihren im Inland steuerpflichtigen Einkünften. Die anteiligen Einkünfte der Personengesellschafter und Mitunternehmer sind unter Anwendung des § 1 AStG zu ermitteln. Zu beachten ist aber der durch das AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab dem VZ 2013 eingeführte Satz 2 in § 1 Abs. 1 AStG.4 Danach ist Steuerpflichtiger „auch eine Personengesellschaft oder eine Mitunternehmerschaft“. Die Vorschrift betrifft insbesondere Sachverhalte, in denen eine inländische Personengesellschaft oder Mitunterneh-
2.77
1 Vgl. Nientimp in Fuhrmann2, § 1 AStG Rz. 49; Hofacker in Haase3, § 1 AStG Rz. 56; Kaligin in Lademann, § 1 AStG Rz. 19. 2 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 (1826). 3 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321 = BFHE 185, 24 = FR 1998, 487. 4 Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz (AmtshilfeRLUmsG) v. 29.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. Siehe dazu im Einzelnen Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917 ff.
Ditz/Wassermeyer | 77
Kap. 2 Rz. 2.77 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
merschaft an einer ausländischen nahestehende Person (z.B. Tochter-Kapitalgesellschaft) beteiligt ist und zwischen beiden Gesellschaften zulasten der inländischen Personengesellschaft unangemessene Verrechnungspreise vereinbart werden. Hier ist – zumindest für VZ ab 2013 – unzweifelhaft, dass der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AStG eröffnet ist. Der BFH geht in seinem Urteil v. 27.2.20191 für das Streitjahr 2007 davon aus, dass im entschiedenen Sachverhalt im Hinblick auf Forderungen aus Lieferungen und Leistungen einer inländischen KG an ihre in China ansässige Tochtergesellschaft § 1 Abs.1 AStG einschlägig sein kann. Die Frage, ob die Vorschrift bei Personengesellschaften überhaupt anwendbar ist, wurde im Urteil nicht diskutiert. Dies überrascht insofern, als der BFH in seiner Entscheidung v. 17.12.1997 davon ausgegangen ist, dass eine Personengesellschaft nicht Steuerpflichtiger i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG (auch dieser Sachverhalt betraf die alte Rechtslage) sein kann.2
2.78
Sinn des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG. Es stellt sich die Frage, welche materielle Rechtsänderung durch die Einfügung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG ab dem Veranlagungszeitraum 2013 eingetreten ist. Nach der hier vertretenen Auffassung bedeutet die Gesetzesergänzung eine fiktive Ausweitung des Begriffs „Steuerpflichtiger“. Auch der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG in dem in Rz. 2.76 dargelegten Sinne auszulegen ist. Es macht bezogen auf die Anwendung von § 1 AStG einen Unterschied, ob man die Mitunternehmer (Personengesellschafter) oder die Mitunternehmerschaft (Personengesellschaft) als Steuerpflichtigen versteht. Das folgende Beispiel mag dies verdeutlichen: Beispiel: Die unbeschränkt stpfl. A und B sind zu 75 % bzw. 25 % an der A OHG beteiligt. Die A OHG unterhält Geschäftsbeziehungen zu dem Steuerausländer X, der nur dem A nahesteht. Vor 2013 konnte nur der Gewinnanteil des A, nicht aber auch der des B gem. § 1 AStG korrigiert werden. Ab 2013 gilt die Personengesellschaft selbst als Steuerpflichtiger, wenn ein Nahestehen ihr gegenüber festgestellt wird. Die Rechtsfolge des § 1 AStG löst eine Korrektur des gesamten von der Personengesellschaft erzielten Gewinns aus. In dem Beispielsfall kommt es bei Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG nur darauf an, ob der Steuerausländer X auch der A OHG nahesteht. Die Tatsache, dass der X dem A nahesteht, bedeutet nicht zugleich, dass er auch der A OHG nahesteht.
2.79
Unterschiedliche Rechtsfolgen. Das Beispiel sollte deutlich machen, dass sich einerseits die Einkünfteminderung seit 2013 auch auf Personengesellschaften beziehen kann, die selbst nicht steuerpflichtig sind. Die Einkünfteminderung kann also bei einer Person eintreten, die nur Einkünfteerzielungssubjekt ist. Andererseits ist ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Sätzen 1 und 2 entstanden. Es sind Fälle denkbar, in denen die Voraussetzungen des Satzes 1, nicht jedoch die des Satzes 2 erfüllt sind, und umgekehrt. Auch der Umfang der Einkünftekorrektur ist nach den Sätzen 1 und 2 ein jeweils anderer. Im Ergebnis wird man die Sätze 1 und 2 als selbständige Rechtsgrundlagen für eine Einkünftekorrektur verstehen müssen, die unabhängig voneinander in einem ggf. unterschiedlichen Umfang anzuwenden sind. Dies gilt auch dann, wenn man an eine inländische Mitunternehmerschaft denkt, an der eine im Ausland unbeschränkt steuerpflichtige Person beteiligt ist. Bei einer ausländischen Mitunternehmerschaft, an der eine im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Person beteiligt ist, wird es in der Regel an einer Geschäftsbeziehung zum Ausland fehlen. Allerdings darf die gleichzeitige Anwendung der Sätze 1 und 2 nicht zu einer doppelten Einkünftekorrektur führen. Außerdem fällt auf, dass Gemeinschaften (Erbengemeinschaft, Gesamthandsgemeinschaft) nicht von § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG erfasst werden, soweit sie keine Mitunternehmerschaften darstellen.
1 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440. 2 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321.
78 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.83 Kap. 2
Beschränkt steuerpflichtige Personen, Zwischengesellschaften. Auch beschränkt steuerpflichtige Personen können Steuerpflichtige i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG sein.1 Dies gilt unbeschadet der Frage, ob sie im Inland eine Betriebsstätte oder eine feste Einrichtung unterhalten oder ob sie andere inländische Einkünfte erzielen. Allerdings ist bei beschränkt steuerpflichtigen Personen stets die Frage zu problematisieren, ob sie Geschäftsbeziehungen zum Ausland unterhalten. Dies erfordert eine Minderung der im Inland steuerpflichtigen Einkünfte. Das Unterhalten von Geschäftsbeziehungen zum Inland reicht für die Anwendung des § 1 AStG nicht aus. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Rz. 2.145 ff. verwiesen. Den beschränkt steuerpflichtigen Personen stehen sowohl die erweitert beschränkt als auch die gem. § 1 Abs. 3 und § 1a EStG fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtigen gleich. Dagegen sind Zwischengesellschaften keine Steuerpflichtigen i.S.d. § 1 AStG. Etwas anderes gilt nur dann, wenn und soweit die Zwischengesellschaft selbst beschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist. Ausländische Mitunternehmerschaften können grundsätzlich unter § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG fallen. Allerdings wird es bei den im Ausland lebenden Personen häufig an Geschäftsbeziehungen zum Ausland fehlen.
2.80
Persönlich haftender Gesellschafter einer KGaA. § 1 AStG findet auch auf die Ermittlung des Gewinnanteils eines persönlichen haftenden Gesellschafters einer KGaA gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG entsprechende Anwendung, obwohl der persönlich haftende Gesellschafter einer KGaA kein Unternehmen betreibt.2 Steuerpflichtige sind insoweit sowohl die KGaA als auch der persönlich haftende Gesellschafter. Es reicht aus, wenn der Geschäftspartner einem von beiden nahesteht.
2.81
2. Einkünfte Begriff „Einkünfte“. An sich sind unter „Einkünfte“ alle i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG zu verstehen, d.h., es kommt für die Anwendung des § 1 AStG weder auf die Einkunftsart noch auf die Einkunftsermittlung (Bilanzierung, Überschussrechnung, Durchschnittssätze) an.3 Es ist weder erforderlich noch schädlich, wenn der Steuerpflichtige Einkünfte kraft Rechtsform erzielt.4 Jedoch versteht sich der Einkünftebegriff i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG als ein Nettobetrag, der sich auf Vermögenszugänge und -abgänge innerhalb eines Kalender- bzw. Wirtschaftsjahres bezieht. Der Einkünftebegriff des § 1 AStG bezieht sich dagegen auf das Bruttoentgelt aus einem einzelnen Geschäftsvorfall. Das Bruttoentgelt muss erfolgswirksam zu erfassen sein, weil andernfalls eine Einkünfteminderung nicht denkbar ist. Insoweit enthält der Einkünftebegriff des § 1 AStG abweichende Besonderheiten, die jedoch mit denen der vGA, der Einlage und der Entnahme vergleichbar sind.
2.82
Erfolgsneutrale Vorgänge und Anwendung auf Einkünfte vor Anwendung des § 1 AStG. Unter den Einkünftebegriff des § 1 AStG fallen keine Vermögenszugänge und -abgänge, die bei der Einkünfteermittlung erfolgsneutral anzusetzen sind. Dazu gehören z.B. die Auszahlung oder Rückzahlung von Darlehen, Einlagen u.a.m. Problematisch ist die Antwort auf die Frage, ob sich der Einkünftebegriff auf die Einkünfte vor oder nach Anwendung von anderen Einkünftekorrekturvorschriften bezieht. Geht man von der Einkünftedefinition des § 2 Abs. 1 EStG aus, so fällt auch jede Einkünfteerhöhung aufgrund einer Einkünftekorrekturvorschrift
2.83
1 Vgl. Nientimp in Fuhrmann2, § 1 AStG Rz. 49; Hofacker in Haase3, § 1 AStG Rz. 59; Kaligin in Lademann, § 1 AStG Rz. 19. 2 Vgl. Wassermeyer, Ubg 2011, 47; Wassermeyer in FS Streck, 2011, 259. 3 Vgl. Wassermeyer, IStR 2010, 324. 4 Vgl. § 15 Abs. 3 EStG und § 8 Abs. 2 KStG.
Ditz/Wassermeyer | 79
Kap. 2 Rz. 2.83 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
unter den Einkünftebegriff.1 Der Logik der Sache nach kann sich der Einkünftebegriff des § 1 AStG jedoch nur auf den Betrag vor Anwendung dieser Vorschrift beziehen. Es ist gerade die Funktion des § 1 AStG, eine vorher eingetretene Minderung des (vorläufigen) Einkünftebetrages auszugleichen. Dies belegt die Formulierung „unbeschadet anderer Vorschriften“. Danach soll § 1 AStG nur dann und nur insoweit Anwendung finden, als die Einkünfte nicht schon nach anderen Vorschriften zu korrigieren sind (vgl. Rz. 2.202 ff.). Unter Einkünften ist deshalb ein vorläufig ermittelter Nettobetrag zu verstehen, der sich aufgrund der erfolgswirksam anzusetzenden Entgelte aus einzelnen Geschäftsvorfällen nach Anwendung der Einkünfteermittlungsvorschriften unter Einbeziehung von Einkünftekorrekturvorschriften, jedoch vor Anwendung des § 1 AStG ergibt.
2.84
Fehlende Einkunftserzielungsabsicht. Gewährt ein unbeschränkt Steuerpflichtiger einer ihm nahestehenden und im Ausland lebenden Person ein zinsloses Darlehen, das die nahestehende Person im Ausland zur Einkünfteerzielung i.S.d. §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG einsetzt, so fehlt es in der Person des unbeschränkt Steuerpflichtigen schon dem Grunde nach an einer Einkünfteerzielungsabsicht im steuerrechtlichen Sinne und damit an einem einkommensteuerrechtlich relevanten Tatbestand jedenfalls dann, wenn das Darlehen keiner vom Steuerpflichtigen betrieblich und mit Gewinnerzielungsabsicht im Übrigen ausgeübten Tätigkeit zugeordnet werden kann. Es fragt sich, ob in einem solchen Fall § 1 AStG anwendbar ist, wenn man eine Verwendung des Darlehensbetrages durch den Darlehensnehmer im Rahmen von Einkünften i.S.d. §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG unterstellt. Die Bejahung dieser Frage setzt voraus, dass man unter den Einkünften, die mit Einkünfteerzielungsabsicht erzielt werden, den auch nach § 1 AStG korrigierten Betrag versteht. Dies steht einerseits mit dem Erfordernis einer Einkünfteminderung nicht in Einklang. Andererseits ist es schon deshalb widersinnig, weil der Steuerpflichtige im Zweifel gerade nicht die Absicht hat, einen Korrekturbetrag nach § 1 AStG zu erzielen. Bei wortgetreuer Auslegung deckt deshalb § 1 AStG diesen Fall nicht ab.2 § 1 AStG ist eben nur Einkünftekorrekturvorschrift. Die Vorschrift greift nicht in den Einkünfteerzielungstatbestand ein, sondern setzt einen solchen voraus. Ob ein Einkünfteerzielungstatbestand verwirklicht wurde, beurteilt sich ausschließlich nach § 2 Abs. 1 EStG i.V.m. § 38 AO. Danach setzen alle Einkünfteerzielungstatbestände die Absicht der Einkünfteerzielung voraus. Fehlt es an einer solchen Absicht, so fehlt es an einer Einkünfteerzielung im steuerrechtlichen Sinne. Damit ist eine Minderung der Einkünfte i.S.d. § 1 AStG ausgeschlossen. Dieses Ergebnis ergibt auch Sinn, wenn man sich vorstellt, dass ein im Inland lebender Vater seinen beiden einmal im Inland und einmal im Ausland lebenden Kindern gleich hohe zinslose Darlehen gewährt. Es wäre eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn man eine Einkünftekorrektur nur bei der Darlehensgewährung über die Grenze durchführen und den reinen Inlandsfall nicht besteuern wollte. Allerdings ist eine Einkünfteerzielungsabsicht zu bejahen, wenn das Darlehen nur zu unangemessen niedrigen Zinsen vergeben wird. Die Bejahung schließt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht aus. Ist die Darlehenshingabe Teil einer anderen Tätigkeit, die mit Einkünfteerzielungsabsicht ausgeübt wird, so reicht auch dies zur Anwendung von § 1 AStG aus.
2.85
Betriebliche Darlehensgewährungen. Die Rechtslage ist anders zu beurteilen, wenn eine inländische Muttergesellschaft ihrer ausländischen Tochtergesellschaft oder eine inländische OHG ihrem ausländischen Mitunternehmer ein zinsloses Darlehen gewährt. In diesem Fall bezieht sich die Einkünfteerzielungsabsicht nicht isoliert auf das einzelne Darlehen, sondern
1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 104, 401. 2 Vgl. Wassermeyer, DB 1991, 695.
80 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.89 Kap. 2
auf die ausgeübte unternehmerische Tätigkeit insgesamt. Entsprechend schließt die Unentgeltlichkeit der Darlehensüberlassung nicht automatisch die Annahme einer Einkünfteerzielungsabsicht aus. Bei einer unbeschränkt steuerpflichtigen Mutterkapitalgesellschaft wird man sogar wegen § 8 Abs. 2 KStG auf die Prüfung einer Gewinnerzielungsabsicht verzichten müssen. Dafür spricht auch der Rechtsgedanke des § 14 AO. Es ist kein Grund dafür erkennbar, die Kapitalgesellschaft in Bezug auf die Gewinnerzielungsabsicht anders als einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu behandeln. Entsprechendes gilt, wenn die zinslose Darlehensgewährung Teil einer betrieblichen Tätigkeit ist. Steuerfreie Einkünfte. Unklar ist ferner, ob § 1 AStG auch auf steuerfreie Einkünfte anzuwenden ist. Zu denken ist z.B. an den Fall einer inländischen Kapitalgesellschaft, die ihrer ausländischen Tochtergesellschaft die Beteiligung an einer anderen ausländischen Gesellschaft zu einem unangemessen niedrigen Preis verkauft. Die Anwendung des § 1 AStG löst (höhere) steuerfreie Einkünfte i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG aus, was mit Rücksicht auf die Bemessung der 5 % i.S.d. § 8b Abs. 5 KStG von Interesse sein kann. Bei sinngemäßer Auslegung ist § 1 Abs. 1 AStG auch auf steuerfreie Einkünfte anzuwenden, soweit sie steuerrechtliche Bedeutung haben.1 Dafür spricht die Verwendung des Gewinnbegriffes in § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG. Die Frage kann insbesondere im Bereich des Progressionsvorbehaltes relevant werden. Im Übrigen ist es eine Frage der Rechtsfolge des § 1 AStG und des Rechtsgrundes der angeordneten Einkünftekorrektur, ob auch der Korrekturbetrag unter § 8b Abs. 2 KStG fällt oder nicht. In Rz. 21 des BMF-Schreibens v. 28.4.20032 bejaht die Finanzverwaltung die hier interessierende Rechtsfrage. Der BFH tendiert offenbar zu der gleichen Auffassung.3
2.86
Steuerarten. Der Einkünftebegriff des § 1 AStG besagt unmittelbar nichts darüber, im Rahmen welcher Steuerarten § 1 AStG Anwendung findet. Insoweit gilt, dass § 1 AStG überall dort Anwendung findet, wo Einkünfte (nicht das Entgelt!) als Bemessungsgrundlage zu ermitteln sind. Dies gilt für die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuer. Mittelbar kann sich die Rechtsfolge des § 1 AStG auch auf die Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag auswirken. Keine Auswirkung ergibt sich für die VSt, die ErbSt, die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens und die USt.
2.87
Einkünfte aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland. § 1 AStG gilt nur für Einkünfte aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland. Der Begriff ist nicht mit dem der ausländischen Einkünfte i.S.d. § 34d EStG identisch. Der Begriff der Geschäftsbeziehungen wird unter Rz. 2.92 ff. und der Begriff „zum Ausland“ unter Rz. 2.145 ff. näher erläutert.
2.88
3. Einkünfteminderung Begriff. Das in § 1 Abs. 1 AStG enthaltene Erfordernis einer Einkünfteminderung ist systematisch betrachtet widersinnig. Nach der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG sind unter „Einkünfte“ je nach Einkunftsart entweder der Gewinn i.S.d. §§ 4–7k EStG oder der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten i.S.d. §§ 8–9a EStG zu verstehen. Sowohl der Gewinn i.S.d. §§ 4–7k EStG als auch der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten i.S.d. §§ 8–9a EStG sind zwangsläufig „steuerpflichtig“, d.h., es handelt sich um Beträge nach Anwendung sämtlicher Korrekturvorschriften eingeschlossen § 1 AStG, die 1 Vgl. auch Kraft in Kraft2, § 1 AStG, Rz. 68. 2 BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a – 7/03, BStBl. I 2003, 292, Rz. 21. 3 Vgl. BFH v. 6.7.2000 – I B 34/00, BStBl. II 2002, 490 = BFHE 102, 307 = FR 2000, 1135 m. Anm. Kempermann.
Ditz/Wassermeyer | 81
2.89
Kap. 2 Rz. 2.89 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
auch um sämtliche steuerfreie Einkünfteteile bereits gemindert sind. In diesem Sinne können die „Einkünfte“ gar nicht mehr gemindert sein. Gemindert wird lediglich ein ohne Anwendung des § 1 AStG ermittelter (vorläufiger) Einkünftebetrag. In diesem Sinne ist § 1 AStG teleologisch reduziert auszulegen. Entsprechend ist von einer Einkünfteminderung auszugehen, wenn der (vorläufige) Einkünftebetrag nicht dem entspricht, der sich auf der Grundlage des in § 1 AStG vorgeschriebenen Fremdvergleichs hätte ergeben müssen.
2.90
Erfasste Einkunftsarten und Einkunftsermittlungsgrundsätze. Das Erfordernis einer Minderung von Einkünften kann sich in jeder Einkunftsart innerhalb des § 2 Abs. 1 EStG vollziehen. Eine Einschränkung ergibt sich nur durch den Hinweis auf §§ 13, 15, 18 und 21 EStG, der sich jedoch gleichermaßen auf Steuerpflichtige wie auch auf die ihnen nahestehende Personen bezieht. Für jede Einkunftsart ist die Einkunftsminderung getrennt festzustellen. Dabei ist von einer Erfassung aller Geschäftsvorfälle entsprechend den steuerrechtlichen Einkunftsermittlungsgrundsätzen auszugehen (Vermögensvergleich, Überschussrechnung, Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen). Fehler in der Buchführung des Steuerpflichtigen bzw. in seinen Aufzeichnungen sind vor der Feststellung einer Einkünfteminderung zu berichtigen. Es müssen ggf. auch die allgemeinen Grundsätze der Bilanzberichtigung beachtet werden. Dazu gehört, dass der Unternehmer im Zeitpunkt der Bilanzerstellung ausreichende Erkenntnismöglichkeiten über die zum Bilanzstichtag objektiv bestehenden Verhältnisse bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung hätte haben müssen.1 Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, liegt keine Einkünfteminderung i.S.d. § 1 AStG vor. Vielmehr ist der Vermögenszugang erst zu einem späteren Bilanzstichtag erfolgsmäßig zu erfassen, was im Bereich des § 1 AStG zu akzeptieren ist. Zu beachten ist ferner, dass ein steuerrechtlich anzuerkennender Vorteilsausgleich die Annahme einer Einkünfteminderung ausschließen kann (vgl. Rz. 3.163 ff.).2
2.91
Grundsatz der geschäftsvorfallbezogenen Einzelerfassung. Eine andere Frage ist die, ob sich der Ausdruck „Minderung von Einkünften“ auf die Einkünfte aus einem einzelnen Geschäftsvorfall oder aber auf die addierten bzw. saldierten Einkünfte aus einer bestimmten Geschäftsbeziehung während eines Wirtschaftsjahres bezieht. Bei seiner Rechtsprechung zur vGA geht der BFH von ersterer Betrachtungsweise aus,3 d.h., er befürwortet eine geschäftsvorfallbezogene Einkünftekorrektur (zur Möglichkeit der Zusammenfassung von Geschäftsfällen vgl. Rz. 2.107). Dies schließt nicht aus, dass rechtstechnisch betrachtet die Einkünftekorrektur durch Hinzurechnung auf den vorläufig ermittelten Einkünftebetrag vollzogen wird. Für § 1 AStG kann nichts anderes gelten.4 Der Ausdruck „Einkünfte“ kann sich zwar gleichermaßen auf die aus einem einzelnen Geschäftsvorfall als auch auf die aus der Gesamtheit der Geschäftsbeziehungen als auch auf bestimmte Geschäftsbeziehungen eines Wirtschaftsjahres beziehen. Dem Rechtsgedanken nach soll jedoch eine einzelne Gewinnverlagerung geschäftsvorfallbezogen korrigiert werden.5 Sie besteht aus einem unangemessenen Aufwand oder aus nicht erzielten Einnahmen. Die Gewinnkorrektur setzt deshalb gedanklich bei dem konkreten Aufwand bzw. bei der nicht erzielten Einnahme an. Dies ist auch der Grund dafür, weshalb 1 Vgl. BFH v. 5.4.2006 – I R 46/04, BStBl. II 2006, 688 = BFHE 213, 326 = FR 2006, 828; BFH v. 10.6.2010 – IV R 66/07, BFH/NV 2011, 211. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 149 ff. 3 Vgl. BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBl. II 1993, 801 = BFHE 172, 51 unter II.4.a; BFH v. 6.7.2000 – I B 34/00, BStBl. II 2002, 490 = BFHE 102, 307 = FR 2000, 1135 m. Anm. Kempermann; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = BFHE 197, 68 = FR 2002, 154. 4 Vgl. Nientimp in Fuhrmann2, § 1 AStG Rz. 51; Kaligin in Lademann, § 1 AStG Rz. 22; Pohl in Brandis/Heuermann, § 1 AStG Rz. 44, 45. 5 Vgl. BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBI. II 1993, 801 = BFHE 172, 51 unter II.4.a.
82 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.93 Kap. 2
sich die Anwendung der DBA auf den einzelnen Geschäftsvorfall bezieht. § 1 AStG und die vGA können insoweit nicht unterschiedlich behandelt werden, weil sie andernfalls auf unterschiedliche Sachverhalte anzuwenden wären, was es aus Gründen der Rechtsfolgenkonkurrenz zu vermeiden gilt. Auch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA bezieht sich auf die Einkünftekorrektur in Bezug auf eine konkrete Geschäftsbeziehung („kaufmännische oder finanzielle Beziehung“).1
4. Geschäftsbeziehung Begriff. Der Ausdruck „Geschäftsbeziehung“ erfährt in § 1 Abs. 4 AStG eine gesetzliche Definition.2 Er setzt sich aus den Wortteilen „Geschäft“ und „Beziehung“ zusammen. Der Ausdruck „Geschäft“ ist unter Einbeziehung von Begriffen wie Geschäftsführer, geschäftlich, Geschäftsträger und Geschäftsordnung als eine in der Regel nachhaltig ausgeübte Tätigkeit auszulegen, die auf die Erzielung von Erlösen angelegt ist. Steuerrechtlich betrachtet drückt die Geschäftsbeziehung etwas aus, was die Eignung hat, sich auf die Höhe von Einkünften auszuwirken. Insoweit steht eine private Veranlassung bzw. eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis in einem Gegensatz zur Geschäftsbeziehung, weil beides schon nach anderen Vorschriften die Höhe der steuerpflichtigen Einkünfte nicht beeinflussen soll. Der Ausdruck „Beziehung“ drückt ein Verhältnis i.S. eines Bezuges aus. Neben Geschäftsbeziehungen gibt es z.B. Rechts- oder Liebesbeziehungen. Der Begriff setzt unbeschadet der Regelungen in § 1 Abs. 4 und 5 AStG immer mindestens zwei Personen voraus, zwischen denen die Beziehung besteht. Dies kann, muss aber nicht i.S. einer Abhängigkeit der beiden Personen untereinander zu verstehen sein. Die eine der beiden Personen muss dem Steuerpflichtigen nahestehen. Die andere Person kann der Steuerpflichtige selbst sein. Dies ist jedoch nicht notwendige Voraussetzung. Die Beziehung kann eine vertragliche, eine gesetzliche oder eine tatsächliche sein. Zu beachten ist allerdings, dass gesetzliche und tatsächliche Beziehungen nur gesetzliche Ansprüche auslösen, die z.B. innerhalb der Steuerbilanz anzusetzen und deshalb einer Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG nicht mehr zugänglich sind. Das Schwergewicht des § 1 AStG liegt daher bei den vertraglichen Beziehungen. § 1 AStG verlangt nur, dass der Steuerpflichtige Einkünfte aus der Geschäftsbeziehung erzielt. Diese Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn er an einer Personengesellschaft beteiligt ist, die ihrerseits die Geschäftsbeziehungen zu der nahestehenden Person unterhält. In diesem Falle war dann, wenn ein Nahestehen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG nur im Verhältnis zu einem Mitunternehmer und nicht auch im Verhältnis zu der Mitunternehmerschaft bestand, vor der Gesetzesänderung durch das AmtsHilfeRLUmsG nur der Gewinnanteil des Gesellschafters unter Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zu ermitteln, für den ein Nahestehen zu der an der Geschäftsbeziehung beteiligten Person festgestellt werden konnte. Seit dem Inkrafttreten des AmtshilfeRLUmsG ist die Rechtslage eine andere (vgl. Rz. 2.98 ff.).
2.92
Überblick über die Änderungen der Definition der Geschäftsbeziehung. Der Begriff „Geschäftsbeziehung“ wurde erstmalig 1992 gesetzlich definiert, ohne eine wesentliche Rechtssicherheit i.S. einer klaren Begriffsabgrenzung zu erreichen (vgl. Rz. 2.95). Die Situation wurde erst durch das StVergAbG v. 16.5.20033 verbessert, indem auf eine „schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist“, abgestellt wurde (vgl. Rz. 2.96). Zutreffend ist, dass die schuldrechtliche und damit betriebliche Sphäre von der gesellschaftlichen Ebene abzugrenzen ist. Eine Geschäftsbeziehung kann sich nur auf die betriebliche
2.93
1 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz.52. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 124. 3 Steuervergünstigungsabbaugesetz v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660.
Ditz/Wassermeyer | 83
Kap. 2 Rz. 2.93 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
Sphäre beziehen, da nur sie einem Fremdvergleich zugänglich ist; dies gilt nicht für das Verhältnis zwischen Gesellschafter und seiner Gesellschaft. Allerdings sollte es nach der Begründung des StVergAbG v. 16.5.2003 für eine Geschäftsbeziehung ohne Bedeutung sein, ob sie betrieblich oder durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist bzw. inwieweit ihr auch gesellschaftliche Interessen zugrunde liegen. Eine solche Interpretation ist indessen abzulehnen (vgl. Rz. 2.96 ff.). Mit dem AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.20131 wurde schließlich die Geschäftsbeziehung 2013 nochmals neu definiert; diese Definition gilt bis heute. Sie bezieht sich auf „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle)“ und ist aufgrund ihres sehr weiten Wortlauts unklar und mit deutlichen Rechtsunsicherheiten behaftet (vgl. Rz. 2.98 ff.).
2.94
Rechtslage bis 1991 einschließlich. Der Begriff „Geschäftsbeziehung“ war bis einschließlich 1991 in § 1 AStG gesetzlich nicht definiert. Der BFH ging in seinem Urteil v. 30.5.1990 – I R 97/882 davon aus, dass der Begriff unter Veranlassungsgesichtspunkten auszulegen sei. Danach sind alle Beziehungen, die ausschließlich durch ein Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, keine Geschäftsbeziehungen. Diese Sichtweise entsprach einerseits der Rechtsprechung zu Zahlungen einer Kapitalgesellschaft auf eine Bürgschaft, die zugunsten eines Gesellschafters versprochen war.3 Sie wurde andererseits von der Finanzverwaltung in Rz. 4.4.1 des BMFSchreibens v. 23.2.19834, das mittlerweile aufgehoben ist,5 übernommen. Sie sollte verhindern, dass die Inanspruchnahme der Kapitalgesellschaft aus derartigen Beziehungen abziehbare Betriebsausgaben auslöste.
2.95
Rechtslage ab 1992. Dem Gesetzgeber war diese Sichtweise zu eng. Er fügte durch Art. 17 Nr. 1 StAndG 19926 dem § 1 AStG einen Abs. 4 an und regelte dort die „Geschäftsbeziehung“ gesetzlich. Die neue Fassung von § 1 Abs. 4 AStG trat am 28.2.1992 in Kraft. Nach § 21 Abs. 4 Satz 2 AStG war die Vorschrift erstmals auf die für den Veranlagungszeitraum 1992 zu erhebende ESt oder KSt sowie auf die für den Erhebungszeitraum 1992 festzusetzende GewSt anzuwenden. Allerdings beinhaltete § 21 Abs. 4 Satz 2 AStG eine rückwirkende Gesetzesänderung, die erst im StOG v. 13.9.19937 eingefügt wurde. Nach § 1 Abs. 4 AStG sollte eine Geschäftsbeziehung anzunehmen sein, wenn die den Einkünften zugrunde liegende Beziehung entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden sind oder wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. Im Ergebnis war damit nichts gewonnen. Die Formulierung schloss nicht aus, dass der BFH an seiner o.g. Rechtsprechung festhielt und alle privat bzw. durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Ereignisse aus dem Anwendungsbereich des § 1 AStG ausklammerte, weil sie schon nach allgemeinen Grundsätzen die Einkünfte nicht mindern durften. Die Problematik wird deutlich, wenn man sich den Fall vorstellt, dass eine ausländische Konzernmuttergesellschaft, die auch die Beteiligungen an deutschen Tochtergesellschaften hält, eine Unternehmensgruppe erwirbt und den Kaufpreis durch ein Bankenkonsortium fremdfinanziert. Das Bankenkonsortium verlangt, dass alle Tochtergesellschaften ihr Vermögen zur Sicherung der Kaufpreisschuld übereignen. Unterstellt man, dass die entsprechenden Sicherungsübereignungen seitens der deutschen Tochtergesellschaften aus1 2 3 4 5 6 7
Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567. Vgl. BFH v. 19.3.1975 – I R 173/73, BStBl. II 1975, 614 = BFHE 115, 359. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG 1983, BStBl. I 1983, 218, Rz. 4.4.1. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 6.1. Vgl. StÄndG 1992 v. 25.2.1992, BGBl. I 1992, 297 = BStBl. I 1992, 146. Vgl. StOG v. 13.9.1993, BGBl. I 1993, 1569 = BStBl. I 1993, 774.
84 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.96 Kap. 2
schließlich durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, so stellt sich die Frage, ob die Konzernmuttergesellschaft dafür den Tochtergesellschaften eine Avalprovision hätte versprechen müssen, die im Fall des Nichtversprechens eine Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG auslöst. Die logische Folge einer Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1 AStG ist, dass die Inanspruchnahme des Vermögens der Tochtergesellschaften durch das Bankenkonsortium einen Betriebsausgabenabzug bei den Tochtergesellschaften auslöst. Diese Konsequenz wollte die Rechtsprechung und die Finanzverwaltung in Rz. 4.4.1 des BMF-Schreibens v. 23.2.19831 vermeiden. Der BFH hält jedenfalls eine Veranlassung ausschließlich durch das Gesellschaftsverhältnis für denkbar, was ggf. eine Geschäftsbeziehung ausschließt. Steuervergünstigungsabbaugesetz. Im StVergAbG v. 16.5.20032 wurde § 1 Abs. 4 AStG noch einmal geändert. Nunmehr ist Geschäftsbeziehung i.S.d. Abs. 1 und 2 jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist und die – wie bisher – entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden ist oder im Falle eines ausländischen Nahestehenden dann anzuwenden wäre, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. Die Änderung ist die Reaktion des Gesetzgebers auf das BFH-Urteil v. 29.11.2000 – I R 85/99.3 Das Urteil liegt auf der Linie der o.g. Rechtsprechung (vgl. Rz. 2.94). Zu dem Urteil hat die Finanzverwaltung ein Nichtanwendungsschreiben4 erlassen. Nach der Gesetzesbegründung5 soll eine schuldrechtliche Beziehung auch dann Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 1 und 2 AStG sein, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Infolgedessen soll es für das Bestehen einer Geschäftsbeziehung ohne Bedeutung sein, ob sie nur betrieblich oder auch durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist bzw. inwieweit ihr auch gesellschaftliche Interessen zugrunde liegen.6 Folglich sind nach der Gesetzesbegründung verbindliche Kreditgarantien, zinslose oder zinsbegünstigte Darlehen sowie die unentgeltliche oder teilentgeltliche Gewährung anderer Leistungen einer inländischen Mutter- an ihre ausländische Tochtergesellschaft als Geschäftsbeziehung zu qualifizieren, und zwar unabhängig davon, ob sie fehlendes Eigenkapital der Tochtergesellschaft ersetzt oder die wirtschaftliche Betätigung dieser Gesellschaft stärken sollen.7 Die Änderung der Definition der Geschäftsbeziehung durch das StVergAbG v. 16.5.20038 bedeutete einen Systembruch. Die Auslegung der Einkünftekorrekturvorschriften wird von dem Veranlassungsgrundsatz geprägt. § 1 Abs. 4 AStG verlässt nunmehr diesen Grundsatz und orientiert sich am Zivilrecht. Es wird die Möglichkeit eröffnet, der Sache nach schuldrechtliche Beziehungen mit dem Ziel in den Gesellschaftsvertrag zu verlagern, die Anwendung von § 1 AStG auszuschließen. Es bleibt unberücksichtigt, dass eine „private Veranlassung“ nicht zwangsläufig schuldrechtlicher Natur sein muss. Umgekehrt hat die Annahme schuldrechtlicher Beziehungen zur Folge, dass die Inanspruchnahme aus Bürgschaften und vergleichbaren Sicherheiten immer Betriebsausgaben auslöst. Es drängt sich der Eindruck auf, als habe der Gesetzgeber die Konsequenzen seiner Vorgehensweise nicht voll durchschaut. Die Gesetzesänderung ist ab dem Veranlagungszeit1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Rz. 4.4.1. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660 = BStBl. I 2003, 321. 3 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720 = FR 2001, 604 = BFHE 194, 53. 4 BMF v. 17.10.2002 – IV B 4 - S 1341 – 14/02, BStBl. I 2002, 1025. 5 Vgl. BT-Drucks. 15/119. 6 Vgl. Begründung zur Neufassung des § 1 Abs. 4 AStG, BT-Drucks. 15/119, 53. Vgl. dazu auch BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 43 f. 7 Vgl. BT-Drucks. 15/119, 53; Rödder/Schumacher, DStR 2003, 817. 8 StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660.
Ditz/Wassermeyer | 85
2.96
Kap. 2 Rz. 2.96 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
raum 2003 anzuwenden (§ 21 Abs. 11 AStG). Der Systembruch wird deutlich, wenn man an den Fall denkt, dass ein Steuerinländer an zwei Kapitalgesellschaften (T und T1) beherrschend beteiligt ist, die ihrerseits Geschäftsbeziehungen unterhalten, die unter fremden Dritten unüblich sind. In diesem Fall wird dem Steuerpflichtigen als Gesellschafter ein Beteiligungsertrag zugerechnet, der jedoch nicht aus der Geschäftsbeziehung zwischen T und T1, sondern aus der gesellschaftsrechtlichen Beziehung zu der den Vorteil gewährenden Kapitalgesellschaft stammt. Es ist zwar zweifelhaft, ob dieser Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis „eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung“ i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG zugrunde liegt. Nach der hier vertretenen Rechtsauffassung löst jedoch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG das Problem. Die Annahme einer vGA und die sich daraus ergebende Einkünftekorrektur schließt die Annahme einer Einkünfteminderung i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG aus. Damit scheidet die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG aus. Der BFH folgt indessen dieser Auffassung nicht, sondern folgt der Begründung zum StVergAbG v. 16.5.20031, wonach es für das Bestehen einer Geschäftsbeziehung keine Bedeutung hat, ob sie betrieblich oder gesellschaftsrechtlich veranlasst ist.2 Infolgedessen schließt – so der BFH in seinem Urteil v. 9.6.20213 – eine verdeckte Einlage den Tatbestand der Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 AStG nicht aus. Daher sei von einer Geschäftsbeziehung nur dann nicht auszugehen, wenn die entsprechende Abrede in den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen getroffen ist und darüber hinaus zu einer Änderung der Gesellschafterstellung führt. Die bloße Aufnahme der Abrede in den Gesellschaftsvertrag könne bereits deshalb nicht genügen, weil sie das Merkmal der Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG in das Belieben der Beteiligten stellen würde.4
2.97
Unternehmenssteuerreformgesetz 2008. Im UntStRG v. 14.8.20075 wurde der Regelungsinhalt des bisherigen § 1 Abs. 4 AStG in den Abs. 5 verlagert, ohne dass der Inhalt im Übrigen geändert worden wäre.6 Damit verlagert sich das Problem aber nur hin zur „Einkünfteminderung“. Dies mag der Fall verdeutlichen, dass eine inländische Muttergesellschaft Produkte, die einen gemeinen Wert von 100 haben, an ihre ausländische Tochtergesellschaft zu einem Preis von 50 liefert. Eine entsprechende Vereinbarung ist einerseits eine schuldrechtliche Beziehung. Die Erfüllung der schuldrechtlichen Beziehung löst aber auch eine unter § 12 Abs. 1 KStG zu subsumierende Entnahme bei der Muttergesellschaft7 und eine Einlage bei der Tochtergesellschaft aus. In Höhe der Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem nach § 12 Abs. 1 KStG anzusetzenden gemeinen Wert tritt einerseits Gewinnrealisierung ein und fallen andererseits Anschaffungskosten auf die Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft an, was die Annahme einer Einkünfteminderung ausschließt. Damit entfällt die Anwendung von § 1 AStG. Man muss das Gesagte unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz zwischen den Rechtsfolgen aus § 1 Abs. 1 AStG einerseits und §§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG bzw. 12 Abs. 1 KStG andererseits sehen. § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG finden immer vorrangige Anwendung, weil § 1 Abs. 1 AStG nur zum Zuge kommt, wenn sich ohne die Anwendung der Vorschrift eine Einkünfteminderung ergibt. 1 Steuervergünstigungsabbaugesetz v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 2 Vgl. BT-Drucks. 15/119, 53; BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann, Rz. 16; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 45. 3 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 44. 4 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 46. 5 UntStRG v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912 = BStBl. I 2007. 6 Zu Einzelheiten der Änderungen im Hinblick auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise unter Berücksichtigung des § 1 AStG vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 ff. 7 Vgl. BFH v. 20.7.2005 – X R 22/02, BStBl. II 2006, 457 = BFHE 210, 345.
86 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.99 Kap. 2
Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz. Im AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.20131 wird der bisherige § 1 Abs. 4 AStG ersatzlos aufgehoben. Dadurch wird aus § 1 Abs. 5 AStG wieder Abs. 4. Allerdings erfährt § 1 Abs. 4 AStG wesentliche Änderungen. Nunmehr wird der Begriff „Geschäftsbeziehung“ als „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle)“ definiert, denen keine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung zugrunde liegt und die – wie bisher – Teil einer Tätigkeit sind, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG usw. anzuwenden sind. Es wird also der Begriff „Geschäftsbeziehung“ durch den des „Geschäftsvorfalls“ ersetzt. Auch wenn man dies vor dem Hintergrund des neuen § 1 Abs. 5 AStG, mit dem der „Authorized OECD Approach“ in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde, sehen muss, so ist mit der Gesetzesänderung kein Hauch von mehr Klarheit oder Rechtssicherheit verbunden. Aus der „Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist“ wird nunmehr „ein Geschäftsvorfall, dem keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt“. Die Formulierung „zugrunde liegt“ deutet einen Schritt in Richtung der Anwendung des Veranlassungsprinzips an. Die Tendenz des Gesetzgebers geht dennoch offensichtlich dahin, den Begriff weit auszulegen, indem der Bezug zur „schuldrechtlichen Beziehung“ aufgegeben und stattdessen nur noch ein „wirtschaftlicher Vorgang“ vorausgesetzt wird.2
2.98
Unklarer Begriff des „wirtschaftlichen Vorgangs“. Insbesondere der Begriff „wirtschaftliche Vorgänge“ ist unklar. Denn weder der Begriff „wirtschaftlicher Vorgang“ noch „Geschäftsvorfälle“ sind geeignet, eine Geschäftsbeziehung zu definieren. Damit ergeben sich Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Frage, was konkret unter einer Geschäftsbeziehung zu verstehen ist. Letztlich sind in der wirtschaftlichen Realität auch vGA oder alle anderen Formen der Einkommensverwendung „wirtschaftliche Vorgänge“ und damit möglicherweise Geschäftsbeziehung. Dies kann allerdings im Hinblick auf die Ermittlung und Dokumentation angemessener Verrechnungspreise nicht sachgerecht sein, da hier – auch nach internationalen Grundsätzen – die betrieblich veranlasste Leistungsbeziehung von einem durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Vorgang streng zu trennen ist. Infolgedessen steht die sehr weite Definition der Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG nicht im Einklang mit Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Denn dieser bezieht sich ausdrücklich auf „kaufmännische oder finanzielle Beziehungen“, welche nach Auffassung der OECD eine nicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Beziehung voraussetzt.3 Auch die Gründung einer Kapital- oder Personengesellschaft ist zweifelsfrei ein wirtschaftlicher Vorgang. Das Schwergewicht der Abgrenzung liegt deshalb bei dem sich anschließenden Relativsatz, wonach dem „wirtschaftlichen Vorgang“ keine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung zugrunde liegen darf.4 Um die Problematik dieser Formulierung zu erkennen, muss man nur an die Einlage von Bargeld durch einen Gesellschafter in das Vermögen seiner Kapitalgesellschaft denken. Diese Einlage ist zunächst einmal ein tatsächlicher Vorgang, dem zweifellos eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegen kann, aber nicht zugrunde liegen muss. Es ergibt aber wenig Sinn, die Korrekturmöglichkeit nach § 1 AStG davon abhängig zu machen, ob eine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung gewählt wurde oder nicht. Im Gegenteil besteht sogar die Gefahr, dass künftig vieles in eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung gekleidet wird, was vor dem Jahr 2013 außerhalb des Gesellschaftsvertrages geregelt wurde. Hingewiesen sei z.B. auf das BFH-Urteil v. 2.10.1984,5 in dem der BFH die Zahlung des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft zwecks Freistellung
2.99
1 2 3 4 5
AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 (1826). Kritisch auch Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917 (1918). Vgl. zu Einzelheiten Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 52 ff. Kritisch auch Gosch, ISR 2018, 289 (293). Vgl. BFH v. 2.10.1984 – VIII R 36/83, BStBl. II 1985, 320 = BFHE 143, 228 = FR 1985, 273.
Ditz/Wassermeyer | 87
Kap. 2 Rz. 2.99 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
von einer übernommenen Bürgschaft als verdeckte Einlage und damit als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung qualifiziert hat.
2.100
Weite Auslegung durch die VWG Verrechnungspreise 2021. Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung ist die Geschäftsbeziehung weit definiert. Maßgebend sei eine „wirtschaftliche Betrachtung“. Es komme nicht darauf an, ob ein angemessenes, ein unangemessenes oder kein Entgelt vereinbart worden ist.1 Zwar erkennt die Finanzverwaltung an, dass gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen keine Geschäftsbeziehungen sind; allerdings soll die rein formale Aufnahme eines Geschäftsvorfalls in den Gesellschaftsvertrag nicht dazu führen, dass eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung vorliegt. Vielmehr muss die Vereinbarung zu einer rechtlichen Änderung der Gesellschafterstellung führen.2 Die bloße Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag könne bereits deswegen nicht genügen, weil sie das Merkmal der Geschäftsbeziehungen und damit den Tatbestand des § 1 Abs. 4 AStG in das Belieben der Beteiligten stellen würde. Dies entspricht der Auffassung des BFH.3 Entscheidend ist letztlich, ob der Geschäftsvorfall unter Heranziehung des für die nahestehende Person geltenden Gesellschaftsrechts auf einer gesellschaftsvertraglichen Abrede beruht, die mit einer Änderung der materiellen Gesellschafterstellung verbunden ist.4 Die Finanzverwaltung geht sogar so weit, dass die Übertragung von Stimmrechten eine Geschäftsbeziehung darstellen kann, wenn mit ihr ein wirtschaftlicher Vorteil einhergeht, der unter fremden Dritten vergütet werden würde.5 Dies wird in den VWG Verrechnungspreise anhand des folgenden Beispiels erläutert: Beispiel: Die A GmbH ist an der im Ausland ansässigen B Corp. zu 6 % und an der im Ausland ansässigen C Corp. zu 30 % beteiligt. Die C Corp. wiederum ist zu 24 % an der B. Corp. beteiligt. Die C Corp. benötigt zur Erzielung bestimmter steuerlicher und wirtschaftlicher Vorteile eine Sperrminorität der Stimmrechte an der B. Corp. Die C. Corp. könnte sich daher mit der A GmbH zu einem Aktionärspool zusammenschließen und einen Stimmbindungsvertrag abschließen.
Wie hier die Geschäftsbeziehung konkret aussehen soll und was die Rechtsfolgen sind, lässt die Rz. 1.21 VWG Verrechnungspreise indessen offen. U.E. ist in diesen Fällen eine Geschäftsbeziehung abzulehnen.
2.101
Bedingungen einer Geschäftsbeziehung. Ferner wird in Rz. 1.22 VWG VP 2021 darauf hingewiesen, dass fremdunübliche Bedingungen, die im Rahmen einer Geschäftsbeziehung vereinbart werden, zu einer Korrektur nach § 1 AStG führen können. Dies betrifft bspw. die Vertragslaufzeit, die Zahlungsmodalität, die Durchführungsbedingungen, Rabatte oder Boni, Preisanpassungsklauseln, Sicherheiten sowie Vertragsänderungs- und Vertragskündigungsmöglichkeiten. Allein die Fremdunüblichkeit einer einzelnen Bedingung führt indessen nicht dazu, dass die Geschäftsbeziehung als solche fremdunüblich qualifiziert. Es bedarf vielmehr – und das ist zutreffend – der Würdigung aller Gesamtumstände.6 Nicht zu den nach § 1 Abs. 1 AStG zu korrigierenden Bedingungen gehören jedoch nach Ansicht der Finanzverwaltung Umstände, die nicht von den einander nahestehenden Personen vereinbart werden kön1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.16. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.19. 3 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 64 mit Verweis auf BFH v. 5.11.2003 – X R 55/99, BStBl. II 2004, 706 zur Auslegung von Willenserklärungen; a.A. Günkel/ Lieber, IStR 2004, 229 (231). 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.20. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.21. 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.22.
88 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.102 Kap. 2
nen.1 Diese Bedingungen, zu denen z.B. die gesetzlichen Rahmenbedingungen oder Gegebenheiten des Marktes gehören, sind als gegeben hinzunehmen und allein „ihre Auswirkungen auf den Preis [...] zu beachten“.2 Geschäftsbeziehung und Gesellschaftsverhältnis. Ein zentrales Problem innerhalb des Ausdrucks „Geschäftsbeziehung“ besteht darin, ob alles, was durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, aus dem Begriff „Geschäftsbeziehung“ ausscheidet, oder ob sich der Inhalt des Begriffs „Geschäftsbeziehung“ nur nach der ausgewählten äußeren Form bestimmt. Der Gesetzgeber versucht, dies durch die Umformulierung des § 1 Abs. 4 AStG zu unterlaufen. Gewährt z.B. ein Gesellschafter seiner Gesellschaft ein zinsloses Darlehen, so kann man die Zinslosigkeit durchaus als einen echten Gesellschafterbeitrag verstehen. Ist der Gesellschafter frei, seine Gesellschaft mit Eigen- und/oder Fremdkapital auszustatten, so muss er auch eine Mischform wählen und Fremdkapital zinslos zur Verfügung stellen können. Der Fremdkapital überlassende Gesellschafter darf insoweit nicht anders behandelt werden als derjenige, der seiner Gesellschaft verspricht, die Geschäftsführertätigkeit unentgeltlich zu erbringen. Die Frage geht dahin, ob sich § 1 AStG über diese Fremdvergleichsüberlegungen hinwegsetzt oder ob die Vorschrift nur innerhalb dieser Fremdvergleichsüberlegungen anwendbar ist.3 Insoweit ist davon auszugehen, dass jedenfalls die Finanzverwaltung die Vereinbarung eines Darlehensvertrages als Geschäftsbeziehung behandelt, auf die § 1 AStG anzuwenden ist. Sie wird nicht anerkennen, dass der Fremdvergleich hier an Grenzen stößt, weil eine Mischform von Kapitalüberlassung gewählt wurde, die sich in ihrem Kern als Gesellschafterbeitrag darstellt. Der Gesellschafter will seiner Gesellschaft kein Kapital auf Dauer, sondern nur solches auf Zeit zur Verfügung stellen. Er wählt die Darlehensbeziehung nur deshalb, weil die andere Möglichkeit (Kapitalerhöhung und spätere Kapitalherabsetzung), die ihm das Zivilrecht zur Verfügung stellt, zu kompliziert erscheint. Die Behandlung der Darlehensbeziehung als Geschäftsbeziehung müsste eigentlich zur Folge haben, dass der Ausfall der Darlehensforderung als Verlust geltend gemacht werden kann. § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG steht insoweit in einem denkgesetzlichen Widerspruch zu § 1 AStG. Auch der BFH verfolgt in seiner aktuellen Rechtsprechung eine weite Auslegung der Geschäftsbeziehung. Danach habe es keine Bedeutung für das Bestehen einer Geschäftsbeziehung, ob sie betrieblich oder gesellschaftsrechtlich veranlasst ist.4 Infolgedessen sollen auch unentgeltliche oder teilentgeltliche Leistungen einer inländischen Kapitalgesellschaft an ihre ausländische Tochtergesellschaft von der Geschäftsbeziehung erfasst werden, und zwar unabhängig davon, ob sie fehlendes Eigenkapital der Tochtergesellschaft ersetzen oder die wirtschaftliche Betätigung der Gesellschaft stärken sollen. Auch die bloße Aufnahme einer Abrede in den Gesellschaftsvertrag kann damit nicht genügen, eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG zu vermeiden.5 Vielmehr setze die Formulierung „gesellschaftsvertragliche Vereinbarung“ in § 1 Abs. 4 AStG voraus, dass es auch zu einer Änderung der Gesellschafterstellung (i.S. z.B. einer Änderung der Beteiligungshöhe oder der Beteiligungsrechte) kommt. Der BFH folgt damit der Auffassung der Finanzverwaltung, die letztlich dazu führen kann, dass auch gesellschaftlich veranlasste Vorgänge von dem Begriff der Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG und infolgedessen von einer Prüfung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz erfasst werden. Dies ist deswegen fraglich, weil gerade solche Vorgänge – wie die Praxis zeigt – nicht von einem Fremdvergleichsgrundsatz erfasst werden kön1 2 3 4
Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.23. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.23. Vgl. Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 732. Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 45 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 15/119, 53. 5 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 46.
Ditz/Wassermeyer | 89
2.102
Kap. 2 Rz. 2.102 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
nen. Darüber hinaus ergeben sich europarechtliche Implikationen. Wichtig ist indessen, dass das BFH-Urteil v. 9.6.20211 zur Definition der Geschäftsbeziehung gem. § 1 Abs. 4 AStG i.d.F. StVergAbG v. 16.5.20032 ergangen ist. Da sich § 1 Abs. 4 Nr. 1 AStG i.d.F. AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.20033 auch auf den Begriff einer „gesellschaftsrechtlichen Vereinbarung“ bezieht, spricht vieles dafür, dass nach Ansicht des BFH diese Interpretation auch für die neue Rechtslage ab 2013 gültig ist. Entschieden wurde dies indessen noch nicht.
2.103
Europarechtliche Implikationen. Die Ausweitung des Begriffs der Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 AStG im Hinblick auf eine Erfassung auch von gesellschaftsrechtlich veranlassten Vorgängen hat Konsequenzen für die europarechtliche Einordnung des § 1 AStG. Die aus dem Europarecht folgende Sperrwirkung des Anwendungsbereichs des Fremdvergleichsgrundsatzes auf betrieblich veranlasste Vorgänge ist in Rz. 13.21 ff. dargestellt.
2.104
Dreiecksbeziehung. Der Steuerpflichtige muss seine Einkünfte aus einer Geschäftsbeziehung erzielen. Daran fehlt es, wenn als Grundlage für die Einkünfteerzielung nur ein Gesellschaftsverhältnis in Betracht kommt. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Steuerpflichtige an zwei Kapitalgesellschaften (T und Tl) beherrschend beteiligt ist, die ihrerseits untereinander Geschäftsbeziehungen unterhalten, die unter fremden Dritten unüblich sind. In diesem Fall wird dem Steuerpflichtigen als Gesellschafter ein Beteiligungsertrag zugerechnet, der jedoch nicht aus der Geschäftsbeziehung zwischen T und Tl, sondern nur aus der gesellschaftsrechtlichen Beziehung zu der den Vorteil gewährenden Kapitalgesellschaft stammt. I.d.R. löst die Vorteilsgewährung bei dem Gesellschafter eine vGA i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aus. Ob der daraus resultierende Vorteilsverbrauch beim Steuerpflichtigen nach § 1 Abs. 1 AStG zu korrigieren ist, ist umstritten. § 1 AStG setzt voraus, dass die Einkünfte des Steuerpflichtigen „aus Geschäftsbeziehungen“ gemindert werden. Der Steuerpflichtige unterhält jedoch keine Geschäftsbeziehung zu T und TI; diese werden vielmehr direkt zwischen den beiden Schwestergesellschaften unterhalten. Beim Steuerpflichtigen liegt ein reines Beteiligungsverhältnis vor, das nicht Gegenstand einer Korrektur nach § 1 AStG sein kann. Einzelheiten zur Dreiecksbeziehung sind in Rz. 2.216 ff. dargestellt.
2.105
Beteiligungsähnliche Beziehungen. Es gibt beteiligungsähnliche Beziehungen wie die stille Gesellschaft, das partiarische Darlehen, Genussrechte, Optionen und anderes mehr (Swap, Wandelanleihe, Wertpapierleihe), für die sich die Frage stellt, ob sie Gegenstand einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG sein können. Dafür spricht, dass es sich bei den beteiligungsähnlichen Beziehungen um schuldrechtliche Beziehungen handelt. Sind die weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 und 4 AStG (insbesondere hinsichtlich des Nahestehens und der Erzielung von Einkünften, die unter §§ 13, 15, 18 und 21 EStG zu subsummieren sind) erfüllt, kann damit der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AStG erfüllt werden. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu sehen, dass durch das ATADUmsG v. 25.6.20214 mit Wirkung ab dem VZ 2022 die Definition der nahestehenden Person insoweit ergänzt wurde, dass gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d AStG n.F. auch ein Anspruch auf mindestens ein Viertel des Gewinns oder des Liquidationserlöses an einer Person ausreichen soll, um ein Nahestehen zu begründen (vgl. Rz. 2.131). Insofern besteht ein Widerspruch dahingehend, dass z.B. ein Genussrecht, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AStG erfüllt, zu einem 1 2 3 4
Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28. Steuervergünstigungsabbaugesetz v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035.
90 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.107 Kap. 2
Nahestehen führt, die schuldrechtliche Vereinbarung (Genussrecht) aber auch Gegenstand einer Einkünftekorrektur sein kann. Hier zeigt sich sehr gut, wie die überzogene Ausweitung sowohl des Tatbestands der nahestehenden Person als auch der Geschäftsbeziehung durch den Gesetzgeber zu dem absurden Ergebnis führt, dass der Grund des Nahestehens (Gewinnbeteiligung über ein Genussrecht) die Voraussetzungen einer Geschäftsbeziehung (schuldrechtliche Beziehung) erfüllen kann, und infolgedessen § 1 Abs. 1 AStG einschlägig ist. Das Beispiel zeigt, dass der Gesetzgeber die eigentlich angebrachte und sowohl europarechtlich (Rz. 13.22 f.) wie auch abkommensrechtlich (Rz. 2.232) notwendige Abgrenzung zwischen gesellschaftlicher und betrieblicher Sphäre nicht (mehr) vornimmt, sondern beides aus rein fiskalistischen Zwecken vermengt. Unklarer Anwendungsbereich des § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG. Nach § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG ist für den Fall, dass einem Geschäftsvorfall keine schuldrechtliche Vereinbarung zugrunde liegt, davon auszugehen, dass voneinander unabhängige ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter eine schuldrechtliche Vereinbarung getroffen hätten oder eine bestehende Rechtsposition geltend machen würden, die der Besteuerung zugrunde zu legen ist, es sei denn, der Steuerpflichtige macht im Einzelfall etwas anderes glaubhaft. Die Vorschrift wurde mit Wirkung für die VZ ab 20131 durch das AmtshilfeRLUmsG v. 29.6.20132 eingeführt. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist völlig offen.3 Weder gibt die Gesetzesbegründung praxistaugliche Hinweise, noch ist die Vorschrift in sich konsistent. So ist insbesondere nicht verständlich, warum voneinander unabhängige ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter schuldrechtliche Vereinbarungen treffen würden, wenn sie einer Geschäftsbeziehung gar nicht zugrunde liegen. Dies ist Tatbestandsvoraussetzung der Vorschrift. Schließlich ist die (nicht verständliche) Vorschrift mit einer Beweislastumkehr zulasten des Steuerpflichtigen verbunden und verstößt damit gegen den allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz, dass die Finanzverwaltung die Beweislast für Einkünftekorrekturen trägt.
2.106
Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen. Der Wortlaut des § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG stellt ausdrücklich auf „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle)“ ab und sieht damit dem Grunde nach die Möglichkeit einer Zusammenfassung von mehreren Einzelvorgängen vor. So heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG i.d.F. des JStG 2013, dass es „nach dem Fremdvergleichsgrundsatz notwendig sein [kann], den Preis für einen Geschäftsvorfall unter Einbeziehung anderer Geschäftsvorfälle zu bestimmen (z.B. unter Einbeziehung von Geschäftsvorfällen aus anderen Wirtschaftsjahren), wenn voneinander unabhängige ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter unter vergleichbaren Umständen ebenso verfahren wären“4. Neben der in der Gesetzesbegründung beispielhaft genannten Einbeziehung von Geschäftsvorfällen aus anderen Wirtschaftsjahren sollen auch Geschäftsvorfälle des gleichen Wirtschaftsjahrs zusammengefasst werden, sofern dies dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.5 Hierauf aufbauend stellt das BMF klar, dass eine Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen (d.h. Gruppenbildung) grundsätzlich zulässig ist.6 Insbesondere Anwendung finden soll eine solche Gruppenbildung für eng miteinander verbundene oder eng aufeinander folgende Geschäftsvorfälle, für die eine Beurteilung des einzelnen Geschäftsvorfalls nicht möglich bzw. nicht sachgerecht wäre. Hervorgehoben werden
2.107
1 2 3 4 5 6
Vgl. § 21 Abs. 20 Satz 3 AStG. Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz (AmtshilfeRLUmsG) v. 29.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. Vgl. auch Richter/Heyd, Ubg 2013, 418 (419). BT-Drucks. 302/12, 103. Vgl. auch Wassermeyer/Leonhardt in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2731. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.23.
Ditz/Wassermeyer | 91
Kap. 2 Rz. 2.107 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
insbesondere langfristige Verträge von Warenlieferungen und Dienstleistungen sowie die Palettenbetrachtung bei eng miteinander verbundenen Produkten. Begrüßenswert sind die Ausführungen des BMF insbesondere deshalb, weil auch die OECD die Zusammenfassung von Vor- und Nachteilen mehrerer Teilleistungen im Rahmen von Paketgeschäften für zulässig erachtet. Diesbezüglich wird in Tz. 3.11 OECD-Leitlinien 2022 ausdrücklich hervorgehoben, dass es häufig Geschäfte gibt, die so eng miteinander verbunden sind, dass bei separater Betrachtung eine Angemessenheitsbeurteilung nicht möglich ist. Dies gilt gleichermaßen im Rahmen der Verrechnung einer Konzernumlage, die ebenso ursächlich/wirtschaftlich miteinander zusammenhängen, sodass deren Zusammenfassung dem Verhalten des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters entspricht. Es ist sicherzustellen, dass hinsichtlich der Gesamtheit der zusammengefassten Einzelvorgänge ein angemessener Gesamtpreis bestimmt wird. Eine Gruppierung von Transaktionen soll außerdem in Fällen gestattet sein, in denen Unternehmen ein bestimmtes Portfolio an Produkten anbieten, welches insgesamt fremdüblich profitabel ist, wenngleich einige der darin enthaltenen Produkte Verluste oder lediglich geringe Gewinne generieren. Dies bedeutet aber nicht, dass für diese bei einem Steuerpflichtigen zusammengefassten Geschäftsvorfälle immer eine einheitliche Verrechnungspreismethode anzuwenden ist. Zudem ist es nach Ansicht des BMF nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz in Einklang zu bringen, wenn bei Anwendung des Portfolioansatzes auf Ebene der Unternehmensgruppe ein Steuerpflichtiger eine fremdunübliche Vergütung nur erhält, um einem anderen Unternehmen dieser Unternehmensgruppe Vorteile zu verschaffen. Schließlich wird die Paketbetrachtung adressiert, wonach für ein „Paket“ ein Gesamtpreis vereinbart werden kann, sofern verlässliche Fremdvergleichsdaten für das Gesamtpaket vorliegen.1 Von praktischer Bedeutung dürfte die Akzeptanz der Paketbetrachtung bspw. im Rahmen von Franchisekonzepten sein, bei denen neben immateriellen Wirtschaftsgütern Dienstleistungen zur Nutzung bereitgestellt werden (Leistungsbündel).2
2.108
Personengesellschaft, Betriebsstätte. Für die Rechtslage bis zum Veranlagungszeitraum 2012 einschließlich gilt, dass zwischen dem Stammhaus und seiner Betriebsstätte bzw. zwischen Betriebsstätten desselben Stammhauses keine Geschäftsbeziehungen bestehen. Es fehlte an einer Geschäftsbeziehung zu einer dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person. Eine solche Geschäftsbeziehung setzt mindestens zwei selbständige Rechtsträger voraus, weshalb sie nicht zwischen unselbständigen Teilen desselben Unternehmens bestehen kann. Dies war auch die Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben v. 14.5.20043. § 1 AStG ist deshalb bis 2012 auf den gesamten Bereich der Betriebsstättengewinnermittlung nicht anwendbar. Dies gilt unabhängig davon, ob das Stammhaus im Inland und die Betriebsstätte im Ausland oder aber das Stammhaus im Ausland und die Betriebsstätte im Inland gelegen waren, selbst wenn zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ein Lieferungs- oder Leistungsverkehr stattfand. § 1 AStG war auch auf die „Beziehungen“ zwischen mehreren Unternehmen (Betrieben) desselben Steuerpflichtigen unanwendbar, weil auch insoweit keine Geschäftsbeziehungen bestehen. Demgegenüber werden die Gesellschaften und ihre Gesellschafter als verschiedene Personen behandelt, weshalb Geschäftsbeziehungen zwischen ihnen grundsätzlich denkbar sind. Die Gesellschaft kann auch eine Personengesellschaft sein. Eine Beziehung kann auch zwischen zwei Personengesellschaften bestehen, an denen jeweils dieselben Gesellschafter beteiligt sind. Allerdings war in diesem Fall bis 2012 einschließlich zu berücksichtigen, dass „Steuerpflichtiger“ nur die Gesellschafter der Personengesellschaft sein konnten. Jedoch ist der Ge-
1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.24. 2 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 2817 (2819). 3 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.3.
92 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.110 Kap. 2
winnanteil der Personengesellschafter, die dem Partner der Geschäftsbeziehung nahestehen, unter Anwendung des § 1 AStG zu ermitteln. Insoweit müssen sich die Gesellschafter, die die Nahestehensvoraussetzung erfüllen, die Beziehungen der Personengesellschaft zurechnen lassen. Sondervergütungen i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG können zwar auf Geschäftsbeziehungen beruhen. Sie können jedoch keine Einkünfteminderung auslösen, weil sie dem Gewinn der Mitunternehmerschaft wieder hinzuzurechnen sind. Eine Beziehung besteht auch, wenn die Betriebsstätte des Unternehmers A eine Vereinbarung mit der Betriebsstätte oder dem Stammhaus des Unternehmers B abschließt. Die Unternehmen müssen sich das Handeln ihrer Betriebsstätten als Beziehung zurechnen lassen. Ob deshalb eine Beziehung „zum Ausland“ besteht, ist eine andere Frage (vgl. Rz. 2.134 ff.). Ab dem Veranlagungszeitraum 2013 ist einerseits § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG zu beachten, wonach jede Personengesellschaft sowohl „Steuerpflichtiger“ als auch „nahestehende Person“ ist. Außerdem ist § 1 Abs. 5 AStG n.F. zu beachten, wonach der Begriff „Geschäftsbeziehung“ fiktiv auch im gesamten Bereich der Betriebsstättengewinnermittlung entsprechende Anwendung findet. Insoweit ergibt sich insbesondere eine Rechtsfolgenkonkurrenz zu § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG sowie zu § 12 Abs. 1 KStG, weil diese Vorschriften möglicherweise anders auszulegen sind. Man muss die Rechtsfolgenkonkurrenz insbesondere unter dem Gesichtspunkt der in § 1 Abs. 1 AStG geforderten Einkünfteminderung sehen. Beziehung und Tätigkeit. Wann die den Einkünften zugrunde liegende Beziehung Teil einer Tätigkeit des Steuerpflichtigen bzw. der nahestehenden Person ist, ist unter Zurückstellung allgemeiner, sich aus dem Sprachgebrauch ergebender Bedenken nach allgemeinen Veranlassungsgrundsätzen zu bestimmen. I.d.R. ist die Beziehung eine Rechtsbeziehung; sie kann allerdings auch eine tatsächliche sein. Als Rechtsbeziehung kann sie allen denkbaren Rechtsgebieten zuzuordnen sein. I.d.R. muss die Beziehung „abgeschlossen“ werden. Hierin kann man eine Tätigkeit sehen. Aus der Beziehung erzielt der Steuerpflichtige oder die nahestehende Person Einnahmen, die für den jeweils anderen Vertragspartner Aufwendungen darstellen. In derartigen Fällen ist darauf abzustellen, ob die Einnahmen oder die Aufwendungen in einem Veranlassungszusammenhang zu dem Abschluss der Beziehung stehen, weshalb die Zuordnung der Einnahmen oder Aufwendungen zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung auf Seiten des Steuerpflichtigen oder der ihm nahestehenden Person zugleich die Zuordnung der Tätigkeit zu diesen Einkunftsarten indiziert. Stets ist zu fordern, dass die die Einkünfte auslösende Tätigkeit insgesamt nachhaltig und mit Einkünfteerzielungsabsicht ausgeübt wird. Soweit die Einkünfteerzielung im Einzelfall auf keine Tätigkeit zurückzuführen ist (z.B. weil die Einkunftsquelle aus einer geerbten Beteiligung an einer Personengesellschaft besteht, innerhalb derer der Steuerpflichtige bzw. die nahestehende Person nicht tätig werden), stellt sich die Frage, ob man sich im Interesse einer „vernünftigen“ Gesetzesauslegung über den an sich unsinnigen Gesetzeswortlaut hinwegsetzen darf oder ob der Rechtsanwender an das gebunden ist, was der Gesetzgeber formuliert hat. Diese Frage, die vermutlich im ersteren Sinne beantwortet werden wird, kann nur von einem Gericht entschieden werden.
2.109
Subsumtion der Tätigkeit unter §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG. Die Beziehung muss einer bestimmten Tätigkeit des Steuerpflichtigen oder der nahestehenden Person zugeordnet werden können, um die Rechtsfolge des § 1 AStG auszulösen. Die Tätigkeit ist den Einkünften zuzuordnen, die der Steuerpflichtige oder die nahestehende Person erzielt. Für die jeweiligen Einkünfte ist die maßgebliche Einkunftsart zu bestimmen. Die Zuordnung richtet sich nach Veranlassungsgesichtspunkten. Aus der Sicht des Steuerpflichtigen ist eine Zuordnung der Tätigkeit zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung schädlich. Unschädlich ist dagegen die Zu-
2.110
Ditz/Wassermeyer | 93
Kap. 2 Rz. 2.110 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
ordnung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, zu den sonstigen Einkünften und zum gesamten Bereich der Einkommensverwendung. Die Zuordnung zu einem unschädlichen Bereich des Steuerpflichtigen schließt jedoch die gleichzeitige Zuordnung zu einem schädlichen Bereich der nahestehenden Person und umgekehrt nicht aus. Letztere Zuordnung genügt für die Annahme von Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG. So ist z.B. das Anstellungsverhältnis eines Steuerinländers zu einer ihm nahestehenden, gewerblich tätigen ausländischen Kapitalgesellschaft nach dem Sprachgebrauch keine Geschäftsbeziehung aus der Sicht des Steuerinländers (= Einkünfte i.S.d. § 19 EStG), wohl aber eine solche aus der Sicht der ausländischen Kapitalgesellschaft (= Einkünfte i.S.d. § 15 EStG). Letzteres reicht für die Anwendung des § 1 Abs. 4 AStG beim Steuerpflichtigen aus. Entsprechendes gilt, wenn der Steuerinländer der nahestehenden Person ein Darlehen aus seinem Privatvermögen gewährt und die nahestehende Person dieses Darlehen verwendet, um Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen. Wird dagegen das gleiche Darlehen zum Bau eines privat genutzten Einfamilienhauses oder zum Erwerb einer Yacht (u.a. m.) verwendet, so ist keine Geschäftsbeziehung anzunehmen. Entsprechendes gilt, wenn der Steuerpflichtige ein Wirtschaftsgut unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 EStG „unter Preis“ an einen ihm nahestehenden Steuerausländer veräußert. Allerdings ist zu beachten, dass die nahestehende Person im Inland nicht persönlich steuerpflichtig sein muss. In diesem Fall ist die Zuordnung der Geschäftsbeziehung zu bestimmten Einkünften unter der fiktiven Annahme vorzunehmen, dass sie im Inland ausgeübt wird. Das Gesetz unterstellt, dass die Ausübung der Tätigkeit im Inland immer im Inland sachlich steuerpflichtige Einkünfte auslöst. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn ein Steuerausländer vom Inland aus z.B. ein im Ausland belegenes Grundstück verwaltet. Das Gesetz fingiert nicht die unbeschränkte Steuerpflicht der nahestehenden Person. Bedeutung hat dies bezogen auf § 8 Abs. 2 KStG. Diese Vorschrift findet auf beschränkt steuerpflichtige Personen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1–3 KStG keine Anwendung. Betreibt aber eine ausländische Kapitalgesellschaft nur Vermögensverwaltung, so erzielt sie Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG und keine i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG. Dies schließt die Anwendung von § 1 Abs. 4 AStG i.d.R. aus. Eine ausländische Kapitalgesellschaft kann auch neben Einkünften aus § 15 Abs. 2 EStG solche z.B. i.S.d. § 20 EStG erzielen. Ggf. muss die Geschäftsbeziehung einer der in Betracht kommenden Einkunftsarten zugeordnet werden.
2.111
Anwendung im Falle eines ausländischen Nahestehenden, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. Wird der Steuerpflichtige im Inland nicht nach §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG besteuert, so führt eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG zu einer ausländischen nahestehenden Person nur dann zu einer potenziellen Einkünftekorrektur, wenn die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG auf die nahestehende Person bei einer Ausübung der Tätigkeit im Inland anzuwenden wäre. Seit dem Veranlagungszeitraum 2003 bezieht sich die hypothetische Anwendung des § 13, des § 15, des § 18 oder des § 21 EStG insoweit auf ausländische nahestehende Personen. Der Begriff „ausländisch“ bedarf der Erläuterung. Nach dem Sinnzusammenhang ist die nahestehende Person dann eine ausländische, wenn sie im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist. Auf die Ansässigkeit nach einem DBA kann es nicht ankommen, weshalb Geschäftsbeziehungen zu doppelt ansässigen Personen, die ihren Lebensmittelpunkt im Ausland haben, keine Anwendung des § 1 AStG auslösen müssen. Besteht eine entsprechende schuldrechtliche Beziehung zu einer ausländischen nahestehenden Person und wird der Steuerpflichtige im Inland nicht nach §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG besteuert, so ist die Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG nur dann steuerrechtlich relevant, wenn bei einer Ausübung der Tätigkeit im Inland §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG auf die nahestehende Person anzuwenden wären. Hier irritiert der Ausdruck „Tätigkeit“. Er suggeriert, dass nach §§ 13, 15, 18 und 21 EStG Tätigkeiten besteuert werden. Dies trifft für die Tatbestände der §§ 13, 15 94 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.114 Kap. 2
und 18 EStG zu. Ausweislich § 24 Nr. 2 EStG werden jedoch im Bereich des § 21 EStG Einkünfte aus einem Rechtsverhältnis besteuert, weshalb die Formulierung des § 1 Abs. 4 AStG insoweit ins Leere läuft. Hervorzuheben ist, dass § 1 Abs. 4 AStG z.B. nicht auf den Verwertungstatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG Bezug nimmt. § 1 Abs. 4 AStG greift auch nicht ein, wenn z.B. Anteile an ausländischen Kapitalgesellschaften oder ausländisches Grundvermögen unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG durch Vertragsabschluss im Inland veräußert werden. § 13, § 15, § 18 oder § 21 EStG wird nicht angewendet, wenn die jeweiligen Einkünfte aufgrund eines DBA in Deutschland steuerfrei zu stellen sind. Dies gilt auch dann, wenn ein Besteuerungsrecht Deutschlands im Falle der hypothetischen Tätigkeitsausübung im Inland bestünde. Die DBA stellen nicht auf die hypothetische Tätigkeitsausübung, sondern auf die tatsächliche Besteuerung der erzielten Einkünfte ab. Die Nichtanwendung des § 13, des § 15, des § 18 oder des § 21 EStG aufgrund eines DBA ist deshalb unabhängig davon, ob ein deutsches Besteuerungsrecht bestünde, wenn die Tätigkeit im Inland ausgeübt würde. Geschäftsbeziehung nur wegen der Anwendung von § 8 Abs. 2 KStG. Man kann darüber streiten, inwieweit der Rechtsgedanke des § 8 Abs. 2 KStG in dem hier besprochenen Problembereich anzuwenden ist. Ist der Steuerpflichtige ein inländischer Gewerbebetrieb kraft Rechtsform, so ist die von ihm zu einer nahestehenden Person geknüpfte Rechtsbeziehung immer eine Geschäftsbeziehung. Ist umgekehrt der Steuerpflichtige eine natürliche Person und die nahestehende Person eine Kapitalgesellschaft, so ist der BFH-Beschl. v. 30.8.19891 zu beachten. Danach fallen ausländische Kapitalgesellschaften ohne Sitz und Geschäftsleitung im Inland nicht unter § 8 Abs. 2 KStG. In diesem Fall ist darauf abzustellen, ob die ausländische Kapitalgesellschaft eine gewerbliche Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG ausübt.
2.112
Zuordnung der Beziehung nach deutschem Steuerrecht. Die Zuordnung der Beziehung zu einer bestimmten Einkunftsart richtet sich ausschließlich nach deutschem Steuerrecht. Das ausländische (Steuer-)Recht kann allenfalls indiziell herangezogen werden. Die Tatsache, dass § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG fiktiv auf eine Tätigkeitsausübung im Inland abstellt, bedeutet nicht, dass die nahestehende Person fiktiv als Steuerinländer zu behandeln sei. Es bedeutet nur, dass es für die Zuordnung zu einer bestimmten Einkunftsart unerheblich sein soll, ob die Tätigkeit im In- oder Ausland ausgeübt wurde.
2.113
Geschäftsbeziehung und Einkünfteminderung. Bei der Auslegung des § 1 Abs. 4 AStG ist zu bedenken, dass die Vorschrift nur dann Anwendung findet, wenn die Geschäftsbeziehung zum Ausland die Eignung hat, eine Einkünfteminderung auszulösen. Daran fehlt es immer, wenn bereits aufgrund anderer Vorschriften eine Einkünftekorrektur nach Fremdvergleichsgesichtspunkten vorzunehmen ist. Zu welchen Verwerfungen dies führen kann, mag das folgende aus der Praxis abgeleitete Beispiel verdeutlichen.
2.114
Beispiel: Einer inländischen Mutterkapitalgesellschaft ist eine Tochterkapitalgesellschaft in Österreich und dieser wiederum eine Enkelkapitalgesellschaft in der Ukraine nachgeschaltet. Die Enkelgesellschaft ist unzureichend mit Eigenkapital ausgestattet. Die inländische Muttergesellschaft entsendet deshalb Personal zur Enkelgesellschaft, ohne dafür ein angemessenes Entgelt zu erhalten, um die Enkelgesellschaft in die Lage zu versetzen, ihren Aufgaben nachzugehen. Die zuständige Betriebsprüfung möchte eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 677 BGB) der Muttergesellschaft gegenüber ihrer österreichischen Tochtergesellschaft annehmen und auf dieser Grundlage eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG durchführen, die auf dem Beteiligungskonto zu aktivieren ist. 1 BFH v. 30.8.1989 – I B 39/89, BFH/NV 1990, 161.
Ditz/Wassermeyer | 95
Kap. 2 Rz. 2.114 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
Problematisch ist bereits der Hinweis auf §§ 677 ff. BGB, weil eine grenzüberschreitende Geschäftsbeziehung zur Diskussion steht, auf die die Anwendung deutschen Zivilrechts nicht selbstverständlich ist. Selbst wenn man die entsprechenden Bedenken zurückstellt, führt die Anwendung der §§ 677 ff. BGB ggf. zu gesetzlichen Ansprüchen, die in der Steuerbilanz anzusetzen sind. Dies schließt eine Einkünftekorrektur aus. Die Aktivierung gesetzlicher Ansprüche setzt auch Kenntnisse des Unternehmers über die Existenz dieser Ansprüche voraus, ohne dass im Falle fehlender Kenntnisse von einer Einkünfteminderung ausgegangen werden könnte. Es kommt hinzu, dass § 683 BGB nur einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen der Muttergesellschaft vorsieht. Diese gesetzliche Regelung kann nicht mit Hilfe des § 1 AStG in ihr Gegenteil verkehrt werden. Es ist auch fragwürdig, weshalb die Hilfestellung durch die Muttergesellschaft eine Geschäftsführung zugunsten der Tochtergesellschaft sein soll. Schließlich geht es auch um die Frage, ob mit Hilfe des § 1 AStG der Grundsatz der Nichteinlagefähigkeit von Dienstleistungen und Nutzungen unterlaufen werden kann. Eine andere Frage ist die, ob nicht eine Geschäftsbeziehung der Muttergesellschaft zu ihrer Enkelgesellschaft besteht, die eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG auszulösen geeignet ist.
2.115
Behandlung von Akquisitionsaufwendungen im Rahmen des mittelbaren Erwerbs von Beteiligungen. Im Rahmen von mehrstufigen Konzernstrukturen stellt sich die Frage nach der Behandlung von Akquisitionsaufwendungen, welche die in Deutschland ansässige Konzernobergesellschaft trägt, die Beteiligung aber durch eine im Ausland ansässige, nachgeordnete Konzerngesellschaft erworben wird. Beispiel: Die in Deutschland ansässige M AG hält 100 % an der in Österreich ansässigen Holding GmbH. Die Holding GmbH erwirbt 100 % der Anteile an der ebenfalls in Österreich ansässigen T GmbH. Die Aufwendungen, welche im Rahmen des Beteiligungserwerbs anfallen (z.B. für die Durchführung einer Due Diligence und Beratungsaufwendungen für die Erstellung des Kaufvertrags) werden durch die deutsche M AG getragen. Die Betriebsprüfung möchte die entsprechenden Akquisitionsaufwendungen auf Ebene der M AG nicht als Betriebsausgabe anerkennen, sondern stattdessen im Wege der verdeckten Einlage oder nach § 1 AStG korrigieren. Beides ist indessen nicht sachgerecht. Eine Korrektur im Wege der verdeckten Einlage ist nicht sachgerecht. Der BFH vertritt zutreffend die Auffassung, dass Dienstleistungen, die durch einen Dritten an eine Konzerngesellschaft erbracht werden, jedoch von der Muttergesellschaft in Auftrag gegeben und bezahlt worden sind, mangels Bilanzierungsfähigkeit nicht zu einer verdeckten Einlage führen können.1 Vielmehr handelt es sich um einen Erfolgsbeitrag der Muttergesellschaft, der regelmäßig zu einem Gewinn der Tochtergesellschaft infolge ersparter Aufwendungen führt. Auch eine Korrektur nach § 1 Abs. 1 AStG kommt nicht in Betracht, da es an einer Geschäftsbeziehung zwischen der M AG und der Holding GmbH fehlt. Die Vertragsbeziehung besteht zwischen der M AG und den beauftragten Beratern. Die Übernahme der Beratungsaufwendungen durch die M AG basiert auf ihrer Gesellschafterstellung der nachgeordneten Holding GmbH. Damit kommt die gesellschaftsrechtliche Beitragspflicht der Konzernobergesellschaft zum Ausdruck. Die Beratungsleistungen dienen dazu, den Erwerb einer Beteiligung durch eine nachgeordnete Konzerngesellschaft zu ermöglichen und insoweit die weitere Beteiligungskette zu stärken. Damit handelt es sich bei der Übernahme der Beratungsaufwendungen um eine typische Gesellschafterleistung. Eine Korrektur sollte auch aus europarechtlichen Gründen ausscheiden, da – sollte tatsächlich gegen den Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen werden – wirtschaftliche Gründe durch die Kostentragung der M AG als Konzernobergesellschaft angeführt werden können.
1 Vgl. BFH v. 14.3.1989 – I R 8/85, BStBl. II 1989, 633; BFH v. 19.5.2005 – IV R 3/04, BFH/NV 2005, 1784.
96 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.117 Kap. 2
5. Nahestehende Person Begriff. § 1 Abs. 1 AStG erfordert eine Geschäftsbeziehung zu einer dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person. Unter den Begriff „Person“ fällt jede, die die Eignung hat, Vereinbarungen zu treffen, die Gegenstand einer Gewinnverlagerung sein können. Insoweit sind an die nahestehende Person die gleichen Anforderungen wie an den Steuerpflichtigen zu stellen (vgl. Rz. 2.78 ff.). Die nahestehende Person muss nicht notwendigerweise rechtsfähig und/ oder geschäftsfähig sein. Sie kann ihrerseits beschränkt oder unbeschränkt steuerpflichtig sein. Sie muss jedoch nicht notwendigerweise im Inland einer persönlichen Steuerpflicht unterliegen. Welche Personen dem Steuerpflichtigen nahestehen, bestimmt § 1 Abs. 2 AStG in der Form einer gesetzlichen Definition. Bei der Auslegung ist zu beachten, dass die Ausdrücke „nahestehende Personen“ und „voneinander unabhängige Dritte“ bzw. „fremde Dritte“ sich wechselseitig ausschließen, weshalb es in Grenzbereichen zulässig ist, den Ausdruck „nahestehende Person“ im Umkehrschluss aus dem Ausdruck „voneinander unabhängige Dritte“ abzuleiten und umgekehrt.
2.116
Definition der nahestehenden Person bis 2021. § 1 Abs. 2 AStG regelt, was unter einer nahestehenden Person zu verstehen ist, zu der die Geschäftsbeziehung bestehen muss. Bis 2021 hatte § 1 Abs. 2 AStG folgenden Regelungsinhalt:
2.117
– Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG a.F. liegt ein „Nahestehen“ bei einem Beteiligungsverhältnis von mindestens einem Viertel (unmittelbar oder mittelbar) oder bei einem beherrschenden Einfluss vor. – Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 a.F. AStG ist von einem „Nahestehen“ auch auszugehen, wenn eine dritte Person sowohl an der betroffenen Gesellschaft als auch an den Steuerpflichtigen wesentlich beteiligt ist oder einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Typischer Anwendungsfall des § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG a.F. sind Schwestergesellschaften. – Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG a.F. kommt es zu einem Nahestehen, wenn eine Person oder der Steuerpflichtige bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung imstande ist, auf den Steuerpflichtigen oder die Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat.
Ditz/Wassermeyer | 97
Kap. 2 Rz. 2.118 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
2.118
Definition der nahestehenden Person ab 2022. Durch das ATADUmsG v. 25.6.20211 wurde die Definition der Geschäftsbeziehung gem. § 1 Abs. 2 AStG mit Wirkung ab dem VZ 20222 neu strukturiert und ergänzt. Hintergrund der Änderungen ist die Anpassung der Definition der nahestehenden Person an die Vorgaben des Art. 2 Abs. 4 ATAD.3 Konkret ergeben sich hinsichtlich der Definition der nahestehenden Person folgende Änderungen: – § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG entspricht im Wesentlichen der bisherigen Fassung, sodass weiterhin auf das Erfordernis einer wesentlichen Beteiligung abgestellt wird. Der sachliche Anwendungsbereich wird jedoch entsprechend Art. 2 Abs. 4 Buchst. a ATAD erweitert. Danach setzt die Mindestbeteiligung i.H.v. 25 % eine Beteiligung am gezeichneten Kapital, den Mitgliedschafts-, Beteiligungs- oder Stimmrechten oder dem Gesamtvermögen voraus. Darüber hinaus soll auch ein Anspruch auf mindestens 25 % des Gewinns oder Liquidationserlöses ausreichen, um ein Nahestehen zu begründen. Dies ist neu. Ausweislich der Gesetzesbegründung dient die Erweiterung der Vermeidung von Steuerumgehungen durch die Ausgabe von mit Mehrfachstimmrechten ausgestatteten oder stimmrechtslosen Anteilen, den Abschluss von Stimmrechtsverträgen oder vergleichbaren Vorgängen.4 – § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG entspricht inhaltlich der bisherigen Nr. 1, 2. und 4. Alt. des § 1 Abs. 2 AStG. Inhaltliche Änderungen ergaben sich keine. – § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG erweitert die in der Nr. 1 des § 1 Abs. 2 AStG vorgenommene tatbestandliche Erweiterung auch auf sog. Dreiecksfälle, in denen eine dritte Person sowohl an dem Steuerpflichtigen als auch an dessen Geschäftspartner zu mehr als einem Viertel beteiligt ist. Dabei entspricht § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a und c AStG inhaltlich der bisher geltenden Nr. 2. – § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG entspricht inhaltlich der bisherigen Nr. 3 des § 1 Abs. 2 AStG. Insoweit wurde der Wortlaut der Vorschrift nicht geändert. Allerdings weist die Gesetzesbegründung5 darauf hin, dass von einem eigenen Interesse an der Erzielung von Einkünften des anderen auch bei allen Beteiligten an Netzwerken und deren Organisationseinheiten auszugehen sei. Infolgedessen können auch Unternehmen in einem globalen Netzwerk, die sich insbesondere durch eine enge strategische und fachliche Vernetzung dieses Netzwerkes ausweisen, als nahestehende Personen gelten.6 Fremde, voneinander unabhängige Franchiseunternehmen sollen davon aber nicht erfasst werden.7 Im Kern bleibt es damit bei der bisherigen Definition der nahestehenden Person, insbesondere über eine wesentliche Beteiligung von mindestens 25 % (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AStG). Neu ist indessen, dass auch ein Anspruch auf mindestens ein Viertel des Gewinns oder des Liquidationserlö-
1 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 2 Vgl. § 21 Abs. 2 AStG. Für Zwecke der Anwendung des § 4k EStG sind die Änderungen bereits für den VZ 2020 anzuwenden. 3 RL 2016/1164/EU v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes, ABl. 2016 Nr. L 193/ 1, Anti Tax Avoidance Directive (ATAD I). 4 Vgl. BT-Drucks. 19/28652, 46. 5 Vgl. BT-Drucks. 19/28652, 46. 6 Dazu krit. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 (1786). 7 So BT-Drucks. 19/28652, 46.
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E. § 1 AStG | Rz. 2.120 Kap. 2
ses an einer Person ausreichen soll, um ein Nahestehen zu begründen. Insoweit wird der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 AStG i.S.d. Mindestanforderung nach Art. 2 Abs. 4 Buchst. a ATAD1 erweitert.2
Auslegungskriterien. Bei der Auslegung des § 1 Abs. 2 AStG ist zwischen einem Nahestehen aufgrund einer Beteiligung, einem Beherrschungsverhältnis bzw. dem Anspruch auf Gewinn oder Liquidationserlös einerseits und einem solchen aufgrund besonderer Einflussnahmemöglichkeiten bzw. partieller Interessenidentität andererseits zu unterscheiden. Das Nahestehen aufgrund einer Beteiligung bzw. eines Beherrschungsverhältnisses sowie des Anspruchs auf Gewinn bzw. Liquidationserlös unterwirft alle bestehenden Geschäftsbeziehungen der Rechtsfolge des § 1 AStG. Beruht dagegen das Nahestehen auf besonderen Einflussnahmemöglichkeiten bzw. auf einer Interessenidentität, dann muss die Einflussnahmemöglichkeit bzw. die Interessenidentität bezüglich der konkreten Geschäftsbeziehung bestehen, um die Rechtsfolge des § 1 AStG auszulösen.3
2.119
Das Nahestehen von mindestens zwei Personen. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG setzt außerhalb des § 1 Abs. 5 AStG (Betriebsstättengewinnabgrenzung) das Nahestehen von mindestens zwei Personen voraus. Das entsprechende Nahestehen steht im Gegensatz zu der Beziehung zwischen fremden Unternehmen. Beide Begriffe schließen sich wechselseitig aus, wes-
2.120
1 RL 2016/1164/EU v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes, ABl. 2016 L 193, 1, Anti Tax Avoidance Directive (ATAD I). 2 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 (1786). 3 Vgl. Vögele/Raab in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. A 215.
Ditz/Wassermeyer | 99
Kap. 2 Rz. 2.120 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
halb im Umkehrschluss von dem einen auf das andere rückgeschlossen werden kann. Die Personen, die einander potenziell nahestehen, können natürliche oder juristische, in- oder ausländische, rechtsfähige oder nicht rechtsfähige, geschäftsfähige oder nicht geschäftsfähige sein.1 Es kann sich auch um eine oder mehrere Körperschaften oder Vermögensmassen handeln. Die Personen können innerhalb von Gemeinschaften (Erbengemeinschaft, Gesamthandsgemeinschaft) auftreten. In diesem Fall kommt es nicht auf das Nahestehen zu der Gemeinschaft, sondern nur auf das zu der einzelnen Person an. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Gemeinschaft keine Mitunternehmerschaft ist und deshalb § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG keine Anwendung findet. Es müssen nicht beide Personen im Inland potenziell steuerpflichtig sein.2 Sie können umgekehrt beide, jedoch muss mindestens eine von ihnen unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig sein. Welcher Steuerpflicht sie in einem ausländischen Staat unterliegen, ist irrelevant. Bei Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften ist zu beachten, dass sie „Steuerpflichtiger“ i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG sein können.3 Sie sind Personen und können auch eine dem Steuerpflichtigen (= Gesellschafter) nahestehende Person sein.
2.121
Einflussnahme. Das Einander-Nahestehen zweier Personen drückt im Übrigen nur eine zwischen ihnen bestehende unmittelbare oder mittelbare Beziehung aus, die die Eignung hat, Einfluss auf Geschäftsbeziehungen zwischen ihnen zu nehmen, weshalb innerhalb derselben Bedingungen vereinbart sein können, die denen nicht entsprechen, die fremde Dritte untereinander vereinbart hätten. Dabei ist zwischen solchen Einflussnahmemöglichkeiten zu unterscheiden, die auch zwischen fremden Dritten, und solchen, die nur zu nahestehenden Personen bestehen können. Daraus folgt letztlich, dass von einer bestimmten Art von Einflussnahmemöglichkeiten auf das Nahestehen rückgeschlossen wird. In diesem Sinne kann das Nahestehen durch Ehe, Verwandtschaft, eine eheähnliche Lebensbeziehung oder auch durch bloße Freundschaft begründet werden.4 Die Schwierigkeit besteht darin, dass nicht jede Ehe, Verwandtschaft oder Freundschaft zwangsläufig ein Nahestehen begründet. Die Eheleute oder Verwandten können untereinander derart verfeindet sein, dass sie sich schon deshalb nur wie zwischen fremden Dritten üblich behandeln. Auch eine Freundschaft zwingt nicht immer zu dem Schluss, dass die befreundeten Personen bei Einkünfteverlagerungen zusammenwirken. Es gilt deshalb, das Nahestehen nicht an einem bestimmten „äußeren Mantel“ der Beziehung auszurichten, sondern jede individuelle Beziehung dahin zu überprüfen, ob konkrete Anhaltspunkte für Einflussnahmemöglichkeiten sprechen, die außerhalb der zwischen fremden Dritten üblichen Geschäftsbeziehungen liegen. In vielen Fällen ist ein tatsächliches Nahestehen nicht nachweisbar. Die Praxis orientiert sich an Ehe, Verwandtschaft, Lebensgemeinschaft und Beteiligungen, um den Betroffenen im Einzelfall die Möglichkeit zu eröffnen, die Vermutung des Nahestehens zu widerlegen.
2.122
Keine Deckungsgleichheit zur nahestehenden Person i.S.d. vGA und verdeckten Einlage. Während der Gesetzgeber im Bereich der vGA, der verdeckten Einlage und der Entnahme den Begriff des Nahestehens gesetzlich nicht geregelt hat und deshalb dort der Begriff seinem Sinngehalt entsprechend in einem weiten Sinne auszulegen ist, enthält § 1 Abs. 2 AStG ausschließlich für Zwecke der Anwendung des Abs. 1 eine abschließende gesetzliche Definition, die den an sich weiten Begriff einerseits einschränkt und andererseits auszudehnen versucht, indem unter bestimmten Voraussetzungen ein Nahestehen ohne Möglichkeit des Gegenbewei1 2 3 4
Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.9. A.A. Brezing in B/K/L/M/R, § 1 AStG Rz. 223. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.9; Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 113 ff. So noch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Rz. 1.3.2.1. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
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E. § 1 AStG | Rz. 2.125 Kap. 2
ses „unterstellt“ wird. Dies ist auch der Grund, weshalb der BFH im Urteil v. 19.1.19941 entschieden hat, dass die Regelung in § 1 Abs. 2 AStG nicht mit dem deckungsgleich sei, was der BFH zum Nahestehen im Bereich der vGA geurteilt habe. Unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an Kapitalgesellschaften gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG. Eine besondere Form des Nahestehens ist die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft. Ihr wird in § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG die beherrschende Einflussnahmemöglichkeit gleichgestellt. Beide Alternativen beherrschen die Definition der nahestehenden Person. Der Gesetzgeber sah insoweit ein Bedürfnis, den Umfang der Beteiligung gesetzlich zu regeln, ab dem ein Nahestehen anzunehmen ist. Er hat die Grenze bei genau 25 % gezogen. Jede Beteiligung von 25 % und mehr führt zu einem Nahestehen. Der Steuerpflichtige kann nicht einwenden, dass er tatsächlich keine Einflussnahmemöglichkeiten gehabt habe, selbst wenn er „nur“ eine Minderheitsbeteiligung von 25 % hält. Er kann seine „Verteidigung“ nur darauf konzentrieren, dass die tatsächlich getroffenen Vereinbarungen dem Fremdvergleich entsprechen. Immer dann, wenn es an einer Beteiligung fehlt (z.B. im Verhältnis zwischen Stifter und Stiftung oder in dem zwischen einem Verein und seinen Mitgliedern), steht das Problem der Einflussnahmemöglichkeit im Raum. Auf die Bedeutung mittelbarer Beteiligungen (z.B. zwischen Schwestergesellschaften) ist besonders hinzuweisen.
2.123
Beteiligungen an Personen- und Kapitalgesellschaften. Ist ein Steuerinländer oder -ausländer sowohl an einer inländischen Personengesellschaft als auch an einer ausländischen Kapitalgesellschaft wesentlich beteiligt, dann steht der Gesellschafter (selbst) seiner Kapitalgesellschaft mit der Folge nahe, dass sein Gewinnanteil bei der Personengesellschaft unter Anwendung des § 1 AStG zu ermitteln ist. Entscheidend ist insoweit, dass die Einkünfte i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG aus dem Gewinnanteil bei der Personengesellschaft bestehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Dies entspricht dem BFH-Urteil v. 30.5.19902.
2.124
Nahestehen gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AStG. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG definiert als wesentliche Beteiligung eine unmittelbare oder mittelbare von mindestens einem Viertel (= 25 %). Insoweit handelt es sich um eine gesetzliche Definition (per Klammerzusatz), die auch für die Auslegung des § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AStG verbindlich ist.3 Beteiligungsobjekte können sowohl Körperschaften als auch andere Personenvereinigungen (Personengesellschaften) sein, deren Rechtsnatur eine vermögensmäßige Beteiligung ihrer Mitglieder (Gesellschafter) im konkreten Einzelfall vermittelt.4 Aus der Sicht des deutschen Rechts kommen als beteiligungsfähige Körperschaften die Kapitalgesellschaften i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, die Genossenschaften i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 KStG und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 3 KStG in Betracht. Nicht in Betracht kommen Stiftungen, Anstalten, Zweckvermögen, Gebietskörperschaften und die große Mehrheit der Vereine. Der Rechtsträger, an dem die wesentliche Beteiligung besteht, kann seinen Sitz und/oder seine Geschäftsleitung im Inoder Ausland haben. Er kann nach in- oder ausländischem Recht errichtet worden sein. Bei ausländischen Rechtsgebilden wird zweckmäßigerweise im Wege des Rechtsvergleichs mit Körperschaften des deutschen Rechts ermittelt, ob sie beteiligungsfähig sind. Nach einer weit verbreiteten Auffassung soll an einer Personengesellschaft keine Beteiligung zu mindestens einem Viertel möglich sein, weil die Personengesellschaft keine eigene Rechtspersönlichkeit
2.125
1 2 3 4
BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = BFHE 174, 61 = FR 1994, 367. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 513. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.9.
Ditz/Wassermeyer | 101
Kap. 2 Rz. 2.125 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
besitze.1 Diese Auffassung ist indes heute überholt. Die h.M. geht von der sog. Rechtssubjektivität der Gesamthand aus.2 Deshalb ist eine Beteiligung an einer Personengesellschaft auch i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG ohne weiteres möglich.3 Allerdings kommt als mögliche Korrekturvorschrift aus Konkurrenzgründen weniger § 1 AStG als vielmehr die Einlage und die Entnahme in Betracht. Für die atypisch stille Gesellschaft gilt Entsprechendes. Die typisch stille Gesellschaft begründet dagegen nur eine schuldrechtliche Forderung und keine vermögensmäßige Beteiligung.4
2.126
Beteiligung zu mindestens 25 %. Die maßgebliche Beteiligung beträgt mindestens 25 %. Sie ist losgelöst von der in § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG geregelten „wesentlichen Beteiligung“ zu ermitteln. Letztere betrug ursprünglich mehr als 25 %, ab dem 1.1.1999 mindestens 10 % und ab dem 1.1.2001 nur noch 1 %. Die Form der Beteiligung wurde durch das ATADUmsG v. 25.6.20215 präzisiert. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AStG muss die Beteiligung zu mindestens 25 % unmittelbar oder mittelbar an dem gezeichneten Kapital, den Mitgliedschaftsrechten, den Beteiligungsrechten, den Stimmrechten oder dem Gesellschaftsvermögen bestehen. Bis zur Neufassung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AStG erfolgte eine solche Präzisierung nicht. Eigene Anteile, die die nahestehende Person an sich selbst hält, sind nicht mitzurechnen.6 Im Übrigen sind dem Steuerpflichtigen die Anteile zuzurechnen, die er als wirtschaftlicher Eigentümer hält. Ist zwischen den Steuerpflichtigen und die nahestehende Person eine Mitunternehmerschaft zwischengeschaltet, so ist dem Steuerpflichtigen die Beteiligung an der nahestehenden Person nur entsprechend seiner Beteiligung an der Mitunternehmerschaft anteilig zuzurechnen. Zusätzlich ist § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG zu beachten. Für die Ermittlung der Höhe der Beteiligung ist es unerheblich, ob der Steuerpflichtige seinen Einlageverpflichtungen nachgekommen ist.
2.127
Mittelbare Beteiligung. Als wesentliche Beteiligung genügt auch eine mittelbare zu mindestens 25 %. Die mittelbare Beteiligung kann insbesondere durch andere Kapitalgesellschaften, aber auch durch Personengesellschaften vermittelt werden, an denen der Steuerpflichtige unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist. Dem Steuerpflichtigen sind mittelbar gehaltene Beteiligungen in dem Umfang zuzurechnen, der dem Verhältnis der mittelbaren oder unmittelbaren Beteiligung der Person an der vermittelnden Gesellschaft zur Gesamtheit der Beteiligungen an der vermittelnden Gesellschaft entspricht. Unmittelbare und mittelbare Beteiligungen eines Steuerpflichtigen sind für die Beurteilung, ob ein Nahestehen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG vorliegt, zusammenzurechnen.7 Beispiel: A ist an der inländischen A GmbH zu 40 % beteiligt, die ihrerseits an der ausländischen Y SA zu 80 % beteiligt ist. Die Y SA ist an der ausländischen X AG zu 50 % beteiligt. A ist mittelbar an der Y SA zu (40 % von 80 % =) 32 % und an der ausländischen X AG (40 % von 80 % von 50 % = 16 %) beteiligt.
So Vögele/Raab in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. A 208. Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht3, § 8 III Nr. 2 m.w.N. So auch VWG VP 2021, Rz. 1.9. A.A. Flick/Wassermeyer, FR 1974, 545 (549). Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtline (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 6 Vgl. BFH v. 18.4.1989 – VIII R 329/84, BFH/NV 1990, 27. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.11.
1 2 3 4 5
102 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.131 Kap. 2
Ansässigkeit im In- oder Ausland. Die die mittelbare Beteiligung vermittelnde Kapital- oder Personengesellschaft kann im Inland ansässig und hier unbeschränkt steuerpflichtig sein. Sie kann ebenso im Ausland ansässig sein.
2.128
Beispiel: Der unbeschränkt steuerpflichtige A ist an der A GmbH zu 100 % (Altern. 50 %) beteiligt. Die A GmbH ist ihrerseits an der B GmbH zu 25 % (Altern. 50 %) beteiligt. Die B GmbH ist an der ausländischen C GmbH zu 100 % beteiligt. Es bestehen Geschäftsbeziehungen zwischen A und der C GmbH. A ist in beiden Alternativen an der C GmbH mittelbar zu einem Viertel beteiligt. Es ist unerheblich, ob die A GmbH und/oder die B GmbH im In- oder Ausland ansässig sind.
Zusammenrechnung unmittelbarer und mittelbarer Beteiligungen. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG muss die Beteiligung zu mindestens einem Viertel entweder unmittelbar oder mittelbar bestehen. Bestehen mittelbare und unmittelbare Beteiligungen an einer Gesellschaft nebeneinander, ist es im Schrifttum umstritten, ob solche Beteilungen zusammenzurechnen sind. So wird einerseits vertreten, dass aufgrund des Gesetzeswortlautes „oder“ mittelbare und unmittelbare Beteiligungen nicht zusammenzurechnen seien.1 Dies soll auch bei Vorliegen mehrerer mittelbarer Beteiligungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der betroffenen Person gelten. Gleichwohl muss man sehen, dass die Formulierung „mindestens zu einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt (wesentlich beteiligt)“ nicht auf eine Trennung zwischen den verschiedenen Beteiligungssträngen abzielt. Vielmehr werden damit die diversen potenziellen Beteiligungsformen aufgezählt.2 Die Einkünftekorrektur nach § 1 AStG stellt auf einen fehlenden Interessengegensatz zwischen dem Steuerpflichtigen und der nahestehenden Person ab. Dieser fehlt bei einer 100%igen Tochtergesellschaft ebenso wie bei einer Gesellschaft, an der der Steuerpflichtige unmittelbar 20 % hält und die restlichen Anteile i.H.v. 80 % über vier zwischengeschaltete Kapitalgesellschaften zu je 20 % lediglich mittelbar hält. Eine Umgehung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AStG wäre durch eine Aufteilung der Anteile auf verschiedene Tochtergesellschaften demnach problemlos möglich. Dies entspricht jedoch nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes.3 Dass mittelbare und unmittelbare Beteiligungen zusammenzurechnen sind, entspricht auch der Auffassung der Finanzverwaltung.4
2.129
Beteiligung über eine Innengesellschaft. Ist ein Steuerpflichtiger über eine sog. Innengesellschaft an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, so stellt sich die Frage, ob jeder Innengesellschafter mittelbar an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist oder ob nur der Gesellschafter unmittelbar beteiligt ist, der die Beteiligung formell im eigenen Vermögen hält. Für eine nicht gewerblich tätige Innengesellschaft ist die Frage eindeutig in letzterem Sinne zu beantworten. Entsprechendes sollte für den „stillen Gesellschafter“ einer atypisch stillen Gesellschaft gelten, wenn die Beteiligung im Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäftes liegt. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG ist auch in diesem Fall zu beachten.
2.130
Anspruch auf Gewinn oder Liquidationserlös. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AStG kann ein Nahestehen auch dadurch begründet werden, dass die Person an dem Steuerpflichtigen oder der Steuerpflichtige an der Person Anspruch auf mindestens ein Viertel des Gewinns oder des Liquidationserlöses hat. Insoweit wird der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 AStG
2.131
1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG, Rz. 518 f.; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 329; Hofacker in Haase3, § 1 AStG Rz. 106. 2 Vgl. Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 171. 3 Vgl. Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 171; Pohl in Brandis/Heuermann, § 1 AStG Rz. 61; Kaligin in Lademann, § 1 Rz. 32. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.11.
Ditz/Wassermeyer | 103
Kap. 2 Rz. 2.131 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
i.S.d. Mindestanforderung nach Art. 2 Abs. 4 Buchst. a ATAD1 erweitert. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll dies der Vermeidung von „Steuerumgehungen“ durch die Ausgabe von mit Mehrfachstimmrechten ausgestatteten oder stimmrechtslosen Anteilen, den Abschluss von Stimmbindungsverträgen oder vergleichbaren Vorgängen dienen.2 Bedeutung hat dies vor allem für das neue Betriebsausgagenabzugsverbot bei Steuerungsinkongruenzen (§ 4k Abs. 6 EStG) sowie für die Hinzurechnungsbesteuerung, bei der nach der Reform des § 7 Abs. 1 AStG (Beherrschungskonzept) auch nahestehende Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG einzubeziehen sind (§ 7 Abs. 3 AStG). Der Wortlaut der Neuregelung bezieht sich ausdrücklich auf einen „Anspruch“ auf den Gewinn oder Liquidationserlös. Ob ein solcher tatsächlich entsteht, ist unerheblich. Durch das Wort „hat“ wird weiter deutlich, dass der entsprechende Vertrag wirksam und durchsetzbar sein muss. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AStG ist eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung nicht notwendig, sondern es reicht allein der Anspruch auf Gewinn- oder Liquidationserlösbeteiligung. Daher kann theoretisch ein Darlehensvertrag mit einem Gewinnanspruch von mindestens 25 % ein Nahestehen auslösen. Dies führt allerdings zu dem nicht sachgerechten Ergebnis, dass der aus einer solchen Geschäftsbeziehung resultierende Gewinnanspruch ein Nahestehen begründen kann, und dieser dann über einem Fremdvergleich gem. § 1 Abs. 1 AStG hinsichtlich seiner Angemessenheit zu prüfen ist. Dies führt zu einem Zirkelschluss, der nicht sachgerecht sein kann (vgl. auch Rz. 2.105 ff.).
2.132
Beherrschender Einfluss – Definition. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG wird das Nahestehen einer Person gegenüber dem Steuerpflichtigen dadurch begründet, dass sie auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Insoweit entspricht der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG dem des § 17 Abs. 1 AktG. Dies wurde auch vom Gesetzgeber so gesehen,3 weshalb zur Auslegung der Vorschrift auf § 17 Abs. 1 AktG 1965 beispielhaft zurückgegriffen werden kann. Dennoch ist unklar, was unter dem Begriff zu verstehen sein soll. Die Finanzverwaltung vertritt in Rz. 1.10 der VWG VP 2021 die Auffassung, der beherrschende Einfluss könne rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein oder auf dem Zusammenwirken beider beruhen. Auch natürliche Personen könnten unter einem beherrschenden Einfluss stehen. Das Nahestehen wird nach Auffassung der Finanzverwaltung bereits durch die Möglichkeit begründet, einen beherrschenden Einfluss auszuüben.4 In erster Linie wird man an Fälle denken müssen, in denen dem Steuerpflichtigen oder der nahestehenden Person ein beherrschender Einfluss in der Form eines entsprechenden Stimmrechtes, d.h. aufgrund struktureller Gegebenheiten zusteht.5 Dem entspricht es, dass z.B. auch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA (Stichwort: Kontrolle) das Innehaben von Stimmrechten an einer Körperschaft der Beteiligung am gezeichneten Kapital gleichstellt.6 In jedem Fall setzt ein potenziell beherrschender Einfluss eine strukturelle Grundlage voraus. Ein nur faktisch bestehender Einfluss genügt nicht. So wird der Einfluss eines Kreditgebers i.d.R. nur ein faktischer sein. Ein (stiller) Teilhaber (Inhaber beteiligungsähnlicher Rechte) kann dagegen unter Umständen einen rechtlichen Einfluss aufgrund seiner Teilhaberposition ausüben. Seine Rechte müssen allerdings nicht nur mit denen eines wesentlich beteiligten Gesellschafters vergleichbar sein, sondern außerdem die Be1 RL 2016/1164/EU v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes, ABl. 2016 Nr. L 193/ 1, Anti Tax Avoidance Directive (ATAD I). 2 BT-Drucks. 19/28652, 46. 3 BT-Drucks. VI/2883, 23 Nr. 50. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.10. 5 Vgl. Vögele/Raab in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. A 212. 6 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 48.
104 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.135 Kap. 2
herrschungsvoraussetzungen erfüllen.1 Im Übrigen sollte der Begriff wegen seiner Unbestimmtheit eher eng ausgelegt werden. Für die Zurechnung von Einflussnahmemöglichkeiten z.B. aufgrund einer Treuhandschaft gilt vorrangig § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO, ohne dass es dort auf einen beherrschenden Einfluss ankäme. Ein beherrschender Einfluss setzt nicht voraus, dass der beherrschenden Person Zwangsmittel zur Verfügung stehen. Es reicht aus, dass sich die beherrschte Person vernünftigerweise dem beherrschenden Einfluss nicht entziehen wird. Umgekehrt liegt kein beherrschender Einfluss vor, wenn derselbe nur mit Hilfe eines Dritten durchgesetzt werden kann und die Mitwirkung des Dritten nicht sicher ist. Wann ist ein Einfluss ein beherrschender? Die Frage, wann ein Einfluss ein beherrschender ist, ist einmal nach dem Sprachgebrauch und zum anderen nach dem Zusammenhang zu beurteilen, in dem die Vorschrift steht. „Beherrschender Einfluss“ drückt nach dem Sprachgebrauch ein absolutes Abhängigkeitsverhältnis aus, wie es üblicherweise in einem Beherrschungsvertrag vereinbart zu werden pflegt. Gegenstand des Abhängigkeitsverhältnisses müssen die zwischen fremden Dritten untereinander üblicherweise zu vereinbarenden Geschäftsbeziehungen sein, d.h., die beherrschende Person muss ihren beherrschenden Einfluss gerade auf diese Bedingungen ausüben können. Der beherrschten Person darf insoweit kein wesentlicher eigener Entscheidungsspielraum mehr verbleiben. Bezogen auf die Stimmrechte setzt dies nicht nur solche von mindestens mehr als 50 % voraus, sondern die Stimmrechte müssen auch die Möglichkeit vermitteln, unmittelbar auf die Vereinbarung von Geschäftsbeziehungen Einfluss zu nehmen. Die 50 %-Grenze entspricht dem § 7 Abs. 2 AStG einerseits und der BFH-Rechtsprechung zur vGA gegenüber einem beherrschenden Gesellschafter andererseits. Sollte die Satzung der beherrschten Person eine qualifiziertere Mehrheit verlangen, wird ein Beherrschungsverhältnis erst bei Erreichen derselben angenommen werden können. Die Tatsache, dass § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG eine wesentliche Beteiligung schon bei einer solchen von 25 % annimmt, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Die Differenzierung entspricht der unterschiedlichen Auslegung der Ausdrücke „wesentlich“ und „beherrschend“. Das zusätzliche Erfordernis einer beherrschenden Einflussnahme auf die Geschäftsbeziehungen entspricht dem § 7 Abs. 4 AStG. So gesehen genügt eine Mehrheitsbeteiligung bei den Stimmrechten allein noch nicht für die Annahme eines beherrschenden Einflusses.2
2.133
Beherrschte Person. Grundsätzlich kann jede Person beherrscht sein. Dies gilt auch für natürliche Personen und Personengesellschaften.3 Die Auffassung, Personengesellschaften seien keine eigenständigen Rechtsträger, entspricht nicht mehr der im Gesellschaftsrecht herrschenden Auffassung.4 Gegenüber natürlichen Personen wird die Annahme eines beherrschenden Einflusses eher die Ausnahme sein. Es wird regelmäßig an einer strukturellen Grundlage fehlen. Dies gilt auch für die Beziehung zwischen Eheleuten untereinander und zwischen Eltern und Kindern. Eltern üben nicht schon dann einen beherrschenden Einfluss auf ihre Kinder aus, wenn letztere minderjährig sind und von den Eltern gesetzlich vertreten werden.
2.134
Nahestehen gem. § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AStG. Zwar erwähnt § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AStG nicht ausdrücklich unmittelbare und mittelbare wesentliche Beteiligungen. Der Ausdruck „wesentliche Beteiligung“ wird jedoch in § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AStG in diesem Sinne gesetzlich definiert. § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AStG verwendet die gesetzliche Definition und ist deshalb i.S.v. unmittelbaren und mittelbaren wesentlichen Beteiligungen zu verstehen.
2.135
1 2 3 4
Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 522. Vgl. Brezing in B/K/L/M/R, § 1 AStG Rz. 237. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.10; Vögele/Raab in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. A 213. Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht3, § 8 III Nr. 2.
Ditz/Wassermeyer | 105
Kap. 2 Rz. 2.136 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
2.136
Anspruch auf Gewinn oder Liquidationserlös nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AStG. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AStG ist dem Steuerpflichtigen eine Person nahestehend, wenn eine dritte Person sowohl gegenüber der Person als auch gegenüber dem Steuerpflichtigen Anspruch auf mindestens ein Viertel des Gewinns oder des Liquidationserlöses hat. Infolgedessen findet das neue Konzept des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AStG auch bei „Dreiecksfällen“ Anwendung.1
2.137
Beherrschender Einfluss nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c AStG. Betroffen sind vor allem Geschäftsbeziehungen zwischen Schwestergesellschaften. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c AStG begründet auch der Fall ein Nahestehen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Person, dass ein Dritter sowohl an dem Steuerpflichtigen als auch an der Person wesentlich beteiligt ist oder auf beide Personen einen beherrschenden Einfluss ausübt. Die dritte Person kann ihrerseits eine natürliche oder juristische sein. Sie kann Körperschaft, Vermögensmasse, Personengesellschaft oder eine Gemeinschaft sein. Sie kann im Inland oder im Ausland ansässig sein. Sie muss nicht im Inland steuerpflichtig sein. In der Praxis sind Fälle des § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c AStG eher selten.
2.138
Nahestehen gem. § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG a.F. wurde mit dem ATADUmsG v. 25.6.20212 wortgleich in die Nr. 4 verschoben.3 Nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG i.d.F. des ATADUmsG soll das Nahestehen gegenüber dem Steuerpflichtigen auch durch das Imstandesein einer Person oder des Steuerpflichtigen begründet werden, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auf den Steuerpflichtigen oder die Person auszuüben. Zu dem Gesetzestatbestand ist kritisch anzumerken, dass er in fast 50 Jahren Geltung des § 1 AStG kaum praktische Wirkung entfaltet hat. Die Vorschrift ist Ausdruck des Bemühens des Gesetzgebers, jede auch nur theoretisch denkbare Form des Nahestehens erfassen zu wollen. Damit schießt der Gesetzgeber über das vernünftigerweise Gebotene weit hinaus.
2.139
Geschäftsfremde Einflussnahmemöglichkeit. Die Regelung ist wenig klar und kaum nachvollziehbar. In Abgrenzung von § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AStG stellt Nr. 4 nur auf Einflussnahmemöglichkeiten zwischen dem Steuerpflichtigen und der potenziell nahestehenden Person und umgekehrt ab. Die Einflussnahmemöglichkeiten Dritter auf den Steuerpflichtigen und die potenziell nahestehende Person sind innerhalb der Nr. 4 ohne Bedeutung. § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG stellt allerdings nur auf Einflussnahmemöglichkeiten und nicht auf eine tatsächliche Einflussnahme ab. Auch genügt innerhalb der Nr. 4 an sich jede Einflussnahmemöglichkeit. Es muss sich nicht – wie in Nr. 1 und 2 – um eine beherrschende handeln. Dennoch wird man aus dem Vergleich der Nr. 4 zu den Nr. 1 bis 3 folgern müssen, dass eine Einflussnahmemöglichkeit i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG von einem besonderen Gewicht sein muss. Die geschäftsfremde Einflussnahmemöglichkeit muss in ihrer Wirkung die Geschäftsbeziehung betreffen, die Gegenstand des Fremdvergleichs ist.4 Sie muss jedoch ihren eigentlichen Entstehungsgrund außerhalb dieser Geschäftsbeziehung haben. Unklar ist, ob der Entstehungsgrund in einer anderen Geschäftsbeziehung bestehen kann5 oder ob er gewissermaßen nicht1 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 (1786). 2 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtline (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 3 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 (1786). 4 Vgl. noch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Rz. 1.3.2.6 Satz 1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 So wohl Debatin, DStZ/A 1972, 265 (268).
106 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.141 Kap. 2
geschäftlicher (= außerbetrieblicher) Natur sein muss.1 Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG ist jede Einflussnahmemöglichkeit auf eine Geschäftsbeziehung in Betracht zu ziehen, die ihren Entstehungsgrund außerhalb „dieser“ Geschäftsbeziehung hat. Danach kann die Einflussnahmemöglichkeit auch durch eine andere Geschäftsbeziehung begründet sein (z.B. Marktbindungsvertrag, Konkurrenzausschlussabsprache, Vertriebsbindung). Dies führt allerdings zu der im Einzelfall schwierigen Abgrenzungsfrage, wann eine Einflussnahmemöglichkeit durch „diese“ und wann sie durch eine andere Geschäftsbeziehung begründet ist. Die Einflussnahmemöglichkeit muss jedenfalls schon bei Abschluss der Geschäftsbeziehung bestanden haben, die der Grund für die Einkünfteminderung ist. Fälle einer Marktbeherrschung können ein Monopol oder ein Oligopol sein. Derartige Einflussnahmemöglichkeiten sind aber durch den Markt begründet und in diesem Sinne „betrieblicher Natur“, weshalb sie eine Gewinnkorrektur gerade nicht rechtfertigen.2 Die bestehenden Unklarheiten zwingen letztlich dazu, die verwendeten Begriffe eng auszulegen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung müssen die nahestehenden Personen oder der Steuerpflichtige dazu imstande sein („tatsächlich“), einen allgemeinen außerhalb der Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auf den jeweils anderen auszuüben. Es muss demnach die Möglichkeit bestehen, dass bei der Gestaltung der jeweiligen Geschäftsbeziehungen aufgrund des Einflusses kein für die fremdübliche Aushandlung von deren Bedingungen genügender Interessengegensatz besteht.3 Was dies genau bedeutet und in welchen Fällen diese Voraussetzungen erfüllt sein sollen, lässt die Finanzverwaltung indessen offen. Eigenes Interesse an der Einkünfteerzielung durch den anderen. Das Nahestehen des Steuerpflichtigen zu einer Person kann gem. § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG auch dadurch vermittelt werden, dass entweder der Steuerpflichtige ein eigenes Interesse an der Einkünfteerzielung der Person oder die Person ein eigenes Interesse an der Einkünfteerzielung des Steuerpflichtigen hat. Die Regelung hatte vor 1972 im deutschen Steuerrecht kein Vorbild. Sie ist eine abschließende, die auf eine Ausdehnung des Ausdrucks „Nahestehen“ zielt. Die Vorschrift trägt die Gefahr in sich, den Ausdruck „Nahestehen“ ausufern zu lassen. Sie steht nicht mit Art. 9 OECD-MA in Einklang, weshalb sie im Verhältnis zu DBA-Staaten nur eingeschränkt durchsetzbar ist. Sie hat in der Praxis sehr wenig Bedeutung. Zu Auslegungszwecken ist insbesondere das BFH-Urteil v. 19.1.19944 zu beachten. Nach Ansicht der Finanzverwaltung kann das eigene Interesse an der Erzielung der Einkünfte eines anderen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 4, 2. Alt. AStG sowohl wirtschaftlicher als auch persönlicher Natur sein.5
2.140
Eigenes Interesse.6 Das in § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG geforderte „eigene Interesse“ muss sich auf die Einkünfteerzielung des jeweils anderen beziehen. Insoweit enthält das Gesetz eine positive Aussage. Das Interesse muss zugleich außerhalb der Geschäftsbeziehung liegen, aus der die geminderten Einkünfte des Steuerpflichtigen fließen.7 Insoweit enthält das Gesetz eine negative Aussage. Aus dem Vergleich zwischen den Nrn. 1 bis 4 untereinander wird man folgern müssen, dass nicht jedes irgendwie geartete Allgemeininteresse, sondern nur ein solches von besonderem Gewicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG erfüllt. Es reicht nicht
2.141
1 2 3 4 5 6
So Brezing in B/K/L/M/R, § 1 AStG Rz. 240. Vgl. Vögele/Raab in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. A 216. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.12. BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = BFHE 174, 61 = FR 1994, 367. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.13 mit Verweis auf BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1993, 725. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Rz. 1.3.2.7. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 506.
Ditz/Wassermeyer | 107
Kap. 2 Rz. 2.141 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
aus, dass der Steuerpflichtige dem anderen „wohlgesonnen“ ist und ihm „Gewinne“ und „Reichtum“ wünscht. Andererseits hat der BFH es in seinem Urteil v. 19.1.19941 abgelehnt, unter § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG nur wirtschaftliche Interessen zu subsumieren. Er hat aus dem Vergleich zu Nr. 1 bis 3 gefolgert, dass die Interessen i.S.d. Nr. 3 auch persönliche sein können. Persönliche Interessen sind insbesondere in einem Familienverbund denkbar. Deshalb begründet jedoch nicht jede familiäre Beziehung zwangsläufig ein Nahestehen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG. Es muss die Absicht einer mittelbaren Vermögensverlagerung zwischen den nahestehenden Personen und ein daran bestehendes eigenes Interesse hinzukommen.2 Ein entsprechendes Interesse wird unter Umständen zu bejahen sein, wenn ein im Inland wohnender Familienvater Vermögen auf seine im Ausland lebenden Kinder überträgt, um es der in eigener Person potenziell anfallenden deutschen Einkommen- und Erbschaftsteuer zu entziehen.3 Zu beachten ist allerdings, dass aus der Verfolgung von Fremdinteressen nicht immer auf das Fehlen von Eigeninteressen rückgeschlossen werden darf.4 § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG verlangt ein eigenes Interesse an der Einkünfteerzielung des anderen. Ein Fremdinteresse genügt nicht. I. d.R. wird deshalb zwischen dem Steuerpflichtigen und der Person eine besondere Interessengemeinschaft oder zumindest eine zusätzliche Rechtsbeziehung (z.B. Unterhaltspflicht) bestehen müssen, aufgrund derer die Fremdinteressen zu eigenen werden. Der BFH leitet aus dem Bericht des Finanzausschusses des Bundestages5 ab, dass das Interesse sich speziell auf die Erzielung der zur Berichtigung anstehenden Einkünfte erstrecken muss. Es genügt deshalb kein Interesse, das sich nur auf die Einkünfteerzielung allgemein erstreckt. Das Interesse an der Einkünfteerzielung des jeweils anderen muss nachgewiesen werden. Die Beweislast trifft das Finanzamt.
2.142
Interesse des Steuerpflichtigen bzw. der Person an der Einkünfteerzielung des jeweils anderen. Der Steuerpflichtige muss ein außerhalb der Geschäftsbeziehung liegendes Eigeninteresse daran haben, dass die andere Person die ins Ausland verlagerten Einkünfte erzielt. Dieser Fall ist unschwer nachvollziehbar. Es wird ein Eigeninteresse des Steuerpflichtigen an der Gewinnverlagerung ins Ausland verlangt. Dieses ist regelmäßig gegeben, wenn der Steuerpflichtige an der Person beteiligt ist, die im Ausland die verlagerten Einkünfte erzielt. Die Voraussetzung ist auch dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige mit Hilfe der Gewinnverlagerung ins Ausland eigene außerbetriebliche Verbindlichkeiten erfüllt. Schwer vorstellbar ist dagegen der umgekehrte Fall, dass die potenziell nahestehende Person ein Eigeninteresse an der Einkünfteerzielung durch den Steuerpflichtigen haben soll. Dazu ist festzuhalten, dass der Steuerpflichtige nicht immer Einkünfte erzielen muss. Daran fehlt es z.B., wenn er eine Leistung unentgeltlich erbringt.6 Es kommt hinzu, dass die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG weniger durch die Einkünfteerzielung als vielmehr durch die Einkünfteminderung ausgelöst wird.7 Die Einkünfteminderung besteht i.d.R. aus nicht erzielten Einnahmen. Eigentlich müsste man deshalb ein Eigeninteresse der potenziell nahestehenden Person an der Nichterzielung von Einnahmen durch den Steuerpflichtigen verlangen. Dies widerspricht jedoch dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG. Auch bliebe unklar, warum der Gesetzgeber dann nicht gleich auf das Eigeninteresse der Person an der Einkünfteverlagerung ins Ausland abgestellt hat. 1 BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = BFHE 174, 61 = FR 1994, 367. 2 Vgl. Pohl in Brandis/Heuermann, § 1 AStG Rz. 67; Vögele/Raab in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. A 217. 3 Vgl. Offerhaus, FR 1971, 425 (426). 4 Vgl. Brezing in Brezing/Krabbe/Lempenau/Mössner/Runge, § 1 AStG Rz. 246. 5 BT-Drucks. VI/3537, 3. 6 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 105. 7 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 149 ff.
108 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.144 Kap. 2
Umgekehrt macht es wiederum keinen Sinn, auf ein Eigeninteresse der potenziell nahestehenden Person an der Erzielung der geminderten Einkünfte abzustellen. Es besteht deshalb der Eindruck, als ob diese Alternative des § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG vom Gesetzgeber nicht richtig durchdacht wurde. Es fragt sich, ob es überhaupt einen Sachverhalt gibt, der unter die Vorschrift subsumiert werden kann. Die Tatsache, dass es seit Inkrafttreten des AStG noch keinen einschlägigen Fall gegeben hat, belegt eher, dass die Vorschrift eine Leerformel ist. Beteiligung an Netzwerken und pyramidale Organisationsstrukturen. Die Begründung1 zum ATADUmsG v. 25.6.20212 weist darauf hin, dass von einem „eigenen Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen“ bei Beteiligungen „an Netzwerken und deren Organisationseinheiten“ auszugehen sei. Infolgedessen können rechtlich selbständige Unternehmen, die Mitglieder an einem globalen Netzwerk, das durch eine enge strategische und fachliche Vernetzung gekennzeichnet ist, nahestehende Personen sein.3 Der Hintergrund dieser Interpretation in der Gesetzesbegründung erschließt sich aus der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des AbzStEntModG v. 5.2.2021.4. Darin wurde ein klarstellender Hinweis zur Einordnung von Netzwerkgesellschaften und deren Organisationseinheiten als nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG gefordert, da „hohe Zahlungen in internationale Netzwerke“ als Betriebsausgaben erfasst werden und „Zahlungsströme häufig in Steueroasen“ erfolgen. Zur Auslegung des Begriffs „Netzwerk“ könne – so die damalige Begründung in der Stellungnahme des Bundesrates v. 5.3.2021 – auf § 319b Abs. 1 Satz 3 HGB verwiesen werden, wonach ein Netzwerk dann vorliegt, wenn Personen bei ihrer Berufsausübung zur Verfolgung gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen für eine gewisse Dauer zusammenwirken. Diesen Ansatz des eigenen Interesses an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat die Finanzverwaltung in Rz. 1.14 der VWG VP 2021 übernommen. Im Fokus würden damit internationale Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, internationale Anwaltskanzleien sowie – zumindest nach Auffassung der Finanzverwaltung5 – internationale Sportverbände („pyramidale Organisationsstrukturen“) stehen. Deren pauschale Einordnung als „nahestehend“ ist indessen nicht sachgerecht, sondern (weiterhin) an den Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG zu messen, also dem eigenen Interesse eines Steuerpflichtigen an der Erzielung der Einkünfte eines anderen.6
2.143
6. Geschäftsbeziehung zu einer nahestehenden Person Nur schuldrechtliche Vereinbarungen. Die die Einkünfteminderung auslösende Geschäftsbeziehung muss schuldrechtlicher Natur (zur ausufernden Interpretation vgl. aber Rz. 2.99 ff.) sein und speziell zu einer dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person bestehen. Anders ausgedrückt muss eine schuldrechtliche Vereinbarung mit der dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person bestehen, die dem Fremdvergleich nicht entspricht und deshalb eine Einkünfteminderung auslöst. Es muss nicht der Steuerpflichtige selbst die Geschäftsbeziehung zu der ihm nahestehenden Person unterhalten. Er muss allerdings mit den Einkünften aus der Ge1 BT-Drucks. 19/28652, 46. 2 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtline (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 3 BT-Drucks. 19/28652, 46. 4 Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz), BR-Drucks. 50/21 v. 5.3.2021, Art. 4 (§ 1 Abs.2 AStG). 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.15. 6 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 (1786).
Ditz/Wassermeyer | 109
2.144
Kap. 2 Rz. 2.144 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
schäftsbeziehung im Inland steuerpflichtig sein. Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen zu der nahestehenden Person wie z.B. Geschäftsführung ohne Auftrag, unerlaubte Handlung oder ungerechtfertigte Bereicherung sind ungeeignet, um die Rechtsfolge aus § 1 AStG auszulösen. Bei gesetzlichen Schuldverhältnissen stellt sich nur innerhalb der Steuerbilanz die Frage, welcher Anspruch in welcher Höhe zu aktivieren ist. Ggf. ist der tatsächlich aktivierte Anspruch zu berichtigen.
7. Geschäftsbeziehung zum Ausland 2.145
Einkünfteverlagerung ins Ausland. § 1 Abs. 1 AStG verlangt Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus dessen Geschäftsbeziehungen zum Ausland. Der Ausdruck „zum Ausland“ wird in § 1 Abs. 1 AStG nicht näher definiert. Er ist deshalb entsprechend dem Zweck der Vorschrift auszulegen. § 1 AStG soll Einkünfteverlagerungen ins Ausland verhindern.1 Daraus folgt, dass einerseits eine Minderung der im Inland steuerpflichtigen Einkünfte eintreten und der damit korrespondierende Vorteil im Ausland anfallen muss. Tritt die Einkünfteminderung im Ausland ein und fällt der damit korrespondierende Vorteil im Inland an, so liegt eine Geschäftsbeziehung vom Ausland ins Inland vor. Der Begriff ist deshalb weniger unter geographischen Gesichtspunkten als vielmehr unter dem eines vorrangigen Besteuerungsrechtes eines ausländischen Staates zu beurteilen.2 Nach Auffassung des BFH ist indessen eine korrespondierende Gewinnminderung im Ausland für die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG nicht notwendig. Zwar solle die Vorschrift „vordringlich Fälle der Gewinnverlagerung in das Ausland“3 erfassen, dies sei aber „von einer korrespondierenden Anpassung der Besteuerung im Ausland unabhängig“.4 Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Norm. Die Notwendigkeit, dass die inländische Einkünfteminderung mit einer Gewinnverlagerung über die Grenze einhergeht, sei dem Wortlaut indessen nicht zu entnehmen.5 Darüber hinaus diene § 1 AStG „der Erfassung des zutreffenden Inlandsgewinns“6, sodass die Vorschrift z.B. auch auf Teilwertabschreibungen auf Forderungen aus nicht besicherten Gesellschafterdarlehen anzuwenden ist (zu Einzelheiten Rz. 2.182 ff.). Diese Argumentation des BFH unter Verweis auf die Gesetzesbegründung aus 1972 ist indessen nicht überzeugend (vgl. zu Einzelheiten Rz. 2.163 und 2.189).
2.146
Steuerpflicht des korrespondierenden Vorteils im Inland. Problematisch sind die Fälle, in denen der im Ausland anfallende korrespondierende Vorteil dennoch im Inland steuerpflichtig ist. Für diesen Fall fragt es sich, ob die den Vorteil im Ausland erzielende nahestehende Person einen Bezug zum Ausland haben muss, der es ausschließt, die auf sie verlagerten Einkünfte im Inland zu besteuern. Eine Geschäftsbeziehung setzt alternativ voraus, dass die schuldrechtliche Beziehung beim Steuerpflichtigen Teil einer Tätigkeit ist, auf die § 13, § 15, § 18 oder § 21 EStG anzuwenden ist oder dass sie bei einem ausländischen Nahestehenden Teil einer Tätigkeit ist, auf die § 13, § 15, § 18 oder § 21 EStG anzuwenden wäre, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass keine Geschäftsbeziehung anzunehmen ist, wenn ein Steuerinländer einem ihm nahestehenden Steuer1 Vgl. BT-Drucks. 6/2883, Teil B Buchst. a Rz. 15 ff.; BT-Drucks. 16/4841, 84; Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (113); Köhler, DStR 2020, 829 (840); Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 709 (713). 2 Vgl. Vögele/Raab in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. A 201; Pohl in Brandis/Heuermann, § 1 AStG Rz. 32; Nientimp in Fuhrmann2, § 1 AStG Rz. 56, 57; Kraft in Kraft, § 1 AStG Rz. 71 ff. 3 BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 18. 4 BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 18. 5 BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 17; Schwenke, ISR 2022, 28 (29). 6 Vgl. dazu auch Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (71).
110 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.148 Kap. 2
ausländer ein zinsloses Darlehen gewährt, das dieser im Inland als Teil einer Tätigkeit einsetzt, auf die § 13, § 15, § 18 oder § 21 EStG anzuwenden ist. Damit werden ein weiteres Mal vergleichbare in- und ausländische Sachverhalte im Inland ungleich besteuert. Problematisch ist das Abstellen auf die Besteuerung beim Leistungsempfänger aber auch dann, wenn der Steuerpflichtige keinen Einfluss auf die Verwendung seiner Leistung hat. Gibt z.B. ein Steuerinländer einer inländischen GmbH, an der er zu 30 % beteiligt ist, ein zinsloses Darlehen, und verwendet die GmbH das Darlehen für Zwecke ihrer ausländischen Betriebsstätte, dann mag sich de facto eine Gewinnverlagerung in den ausländischen Betriebsstättenstaat ergeben. Dennoch ist nicht sicher, dass der Steuerinländer diese Verlagerung beabsichtigt hat. Die Besteuerung des Steuerinländers hängt von dem Verhalten einer anderen Person ab, auf die er nicht immer den nötigen Einfluss hat. Es kommt hinzu, dass die Betriebsstätteneinkünfte unter den Voraussetzungen eines DBA-Aktivitätsvorbehaltes im Inland steuerpflichtig sein können. Es wäre eigenartig, wenn § 1 AStG nur auf ausländische aktive und nicht auf ausländische passive Einkünfte Anwendung finden könnte. Ausland, nicht Inland. Die Geschäftsbeziehung muss „zum Ausland“ bestehen. Eine Geschäftsbeziehung „zum Inland“ oder von dem einen ausländischen Staat zu einem anderen genügt nicht. Die Geschäftsbeziehung muss als solche eine grenzüberschreitende sein. Daran fehlt es, wenn beide Vertragspartner der Geschäftsbeziehung im Inland ansässig sind und der Leistungsempfänger die Leistung lediglich im Ausland nutzt oder verwendet. Gewährt z.B. der Steuerpflichtige einer ihm nahestehenden, jedoch im Inland ansässigen Person ein Darlehen, das der Darlehensnehmer für seine ausländische Betriebsstätte verwendet, so vollzieht sich die Geschäftsbeziehung im Inland.1 Die Darlehensnutzung innerhalb der Betriebsstätte ist nicht Gegenstand der Geschäftsbeziehung. Nur dann, wenn die Vertragspartner vereinbaren, dass das Darlehen für die ausländische Betriebsstätte gewährt wird, kann etwas anderes gelten. Entscheidend ist dann, ob sich die aus der Geschäftsbeziehung zu erwartende Einkünfteminderung im Inland auswirkt, ob also der bei der nahestehenden Person anfallende Vermögensvorteil im Inland nicht besteuert werden kann. Tritt die Einkünfteminderung beim Steuerpflichtigen nur im Ausland ein, so ist das Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt. Die Tatsache, dass die im Inland an sich steuerfreien Einkünfte des Steuerpflichtigen oder der nahestehenden Person dennoch im Progressionsvorbehalt gem. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG zu erfassen sein können, reicht allerdings aus, um eine Einkünfteverlagerung ins Ausland nur für Zwecke des Progressionsvorbehaltes anzunehmen. Im Einzelnen sind folgende Beispielsfälle besonders zu beachten:
2.147
Doppelansässigkeit des Steuerpflichtigen.
2.148
Beispiel: A, ein pensionierter Beamter, lebt hauptsächlich in Großbritannien. Er hat einen Zweitwohnsitz in Deutschland. Er gewährt seinem im Ausland lebenden Sohn S für dessen Einzelunternehmen ein niedrig verzinsliches Darlehen. Außerdem erzielt A Einkünfte aus der Vermietung einer im Inland belegenen Wohnung.
A hat seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Großbritannien. Dort muss er deshalb auch seine Darlehenszinsen versteuern. Es stellt sich nur die Frage, ob § 1 AStG innerhalb des Progressionsvorbehaltes für die Vermietungseinkünfte anzuwenden ist. Dies ist zu verneinen, weil die Geschäftsbeziehung zu S nur im Ausland besteht.
1 Vgl. BFH v. 28.4.2004 – I R 5/02, BStBl. II 2005, 516; a.A. BMF v. 22.7.2005 – IV B 4 - S 1341 – 4/ 05, BStBl. I 2005, 818; VWG VP 2021, Rz. 1.17 (Beispiel 1).
Ditz/Wassermeyer | 111
Kap. 2 Rz. 2.149 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
2.149
Doppelansässigkeit der nahestehenden Person. Beispiel: A, ein pensionierter Beamter, ist im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Er gewährt seinem im Ausland lebenden Sohn S für dessen Einzelunternehmen ein niedrig verzinsliches Darlehen. S ist alternativ in einem DBA-Staat bzw. in einem Nicht-DBA-Staat ansässig. Er besitzt im Inland einen Zweitwohnsitz und ist deshalb hier unbeschränkt steuerpflichtig.1
Nach § 1 Abs. 4 AStG ist der Darlehensvertrag eine Geschäftsbeziehung, weil er auf Seiten des S in den Bereich dessen Einkünfte aus Gewerbebetrieb fällt. Solange S seinen ersten Wohnsitz in einem DBA-Staat hat und deshalb dort ansässig ist, besteht die Geschäftsbeziehung des A zum Ausland, weil S mit seinen Unternehmensgewinnen im Inland nicht steuerpflichtig ist. Die Frage geht dahin, ob etwas anderes dann gilt, wenn S mit seinen gewerblichen Einkünften der inländischen Besteuerung unterliegt. Insoweit ist sicherlich zu fordern, dass die Geschäftsbeziehung eine grenzüberschreitende ist. Diese Voraussetzung ist in dem Beispielsfall erfüllt, weil das Darlehen für Zwecke des Einzelunternehmens von S gewährt wird. Die weitere Frage geht dahin, ob die Besteuerung des Geschäftspartners im Inland nicht der Anwendung des § 1 AStG entgegensteht. Mit Rücksicht auf die folgenden Beispielsfälle ist dies unbeschadet der Tatsache zu bejahen, dass die anfallende (höhere) ausländische Steuer gem. § 34c EStG im Inland anrechenbar ist.
2.150
Ausländische Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen. Beispiel: A ist im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Er hat ein Einzelunternehmen geerbt, das in einem DBA-Staat (Altern.: Nicht-DBA-Staat) belegen ist. Das Einzelunternehmen hat einer anderen im Ausland ansässigen Person ein niedrig verzinsliches Darlehen gewährt. Die andere Person steht dem A nahe.
Solange sich das Einzelunternehmen in einem DBA-Staat befindet und deshalb Deutschland kein Besteuerungsrecht auf die gewerblichen Einkünfte zusteht, ist keine Geschäftsbeziehung zum Ausland mangels Möglichkeit einer Gewinnverlagerung vom Inland ins Ausland gegeben. Problematisch wird es jedoch, wenn das einschlägige DBA die Steuerbefreiung im Inland nur unter Aktivitätsvorbehalt gewährt und das Darlehen dem passiven Bereich zuzuordnen ist. Problematisch ist auch, wenn das Einzelunternehmen in einem Nicht-DBA-Staat betrieben wird. Für beide Fälle ist mit Rücksicht auf den Gedanken des vorrangigen ausländischen Besteuerungsrechts eine Geschäftsbeziehung zum Ausland anzunehmen. Dennoch ist mit dem Einwand zu rechnen, es liege nur eine Geschäftsbeziehung im Ausland vor. Problematisch ist ferner der Fall, dass ein unbeschränkt Steuerpflichtiger einen schuldrechtlichen Nutzungsüberlassungsvertrag z.B. mit seiner inländischen Kapitalgesellschaft abschließt und es der Entscheidung der inländischen Kapitalgesellschaft vorbehalten bleibt, ob das überlassene Wirtschaftsgut (Geld) im inländischen Stammhaus oder in einer ausländischen Betriebsstätte genutzt wird. In diesem Zusammenhang kann von Bedeutung sein, dass § 1 Abs. 4 AStG die Geschäftsbeziehung als Teil einer Tätigkeit umschreibt, die im Ausland vorgenommen wird. Teil einer Tätigkeit kann aber nur die Darlehenshingabe und nicht die Nutzungsüberlassung sein. Vollzieht sich die Darlehenshingabe im Inland, so ist eine Geschäftsbeziehung zum Inland anzunehmen.2
1 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.3. 2 Vgl. BFH v. 28.4.2004 – I R 5/02, BStBl. II 2005, 516 = BFHE 206, 116; a.A. BMF v. 22.7.2005 – IV B 4 - S 1341 – 4/05, BStBl. I 2005, 818; VWG VP 2021, Rz. 1.17.
112 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.154 Kap. 2
Inländische Betriebsstätte einer beschränkt steuerpflichtigen nahestehenden Person.
2.151
Beispiel: Der unbeschränkt steuerpflichtige A betreibt im Inland eine Privatbank. Er gewährt dem nur im Ausland ansässigen B, der ihm nahesteht, ein niedrig verzinsliches Darlehen. B verwendet dieses Darlehen für Zwecke seiner im Inland belegenen Betriebsstätte.
In diesem Fall fehlt es an einer Geschäftsbeziehung zum Ausland.1 Die Geschäftsbeziehung besteht nur im Inland. Dies gilt unbeschadet der Ansässigkeit des B im Ausland jedenfalls dann, wenn das Darlehen für Zwecke seiner inländischen Betriebsstätte gewährt wird. Das Darlehen wird nicht grenzüberschreitend gewährt. In Deutschland soll derselbe Vorteil nicht zweimal besteuert werden. Ausländische Betriebsstätte einer unbeschränkt steuerpflichtigen nahestehenden Person in einem DBA-Staat bzw. in einem Nicht-DBA-Staat.
2.152
Beispiel: Die nahestehende Person kann auch unbeschränkt steuerpflichtig sein. Unterhält sie im Ausland eine Betriebsstätte und besteht die Geschäftsbeziehung des Steuerpflichtigen speziell zu dieser Betriebsstätte, so ist darauf abzustellen, ob der Betriebsstättengewinn im Inland besteuert werden kann oder nicht. Dies ist der Fall, wenn entweder kein DBA mit dem Betriebsstättenstaat besteht oder wenn das bestehende DBA für den konkreten Einzelfall die Anwendung der Anrechnungsmethode vorschreibt.2 Die Tatsache, dass in beiden Fällen eine Steuerermäßigung in der Form der Anrechnung der Steuern des Betriebsstättenstaates auf die inländische Steuer gewährt wird, steht der Annahme einer Geschäftsbeziehung zum Inland nicht entgegen. Sollte die ausländische Betriebsstättenstaatsteuer höher sein als die inländische, so muss dennoch eine Geschäftsbeziehung zum Inland angenommen werden. Die Geschäftsbeziehung zum Inland hängt nicht davon ab, ob im Inland eine Ertragsteuer von mindestens 1 Euro erhoben wird.
Beteiligung eines Steuerausländers an inländischer Personengesellschaft.
2.153
Beispiel: Der Steuerausländer A ist an einer inländischen KG beteiligt, die im Inland eine Privatbank betreibt. Die inländische KG gewährt einer unbeschränkt stpfl. GmbH, an der A beherrschend beteiligt ist, ein niedrig verzinsliches Darlehen.
Auch in diesem Fall fehlt es an einer Geschäftsbeziehung zum Ausland. Die Geschäftsbeziehung besteht von der „inländischen“ KG zu der inländischen GmbH, d.h. im Inland. Der durch das Gesellschaftsverhältnis begründete Auslandsbezug reicht nicht aus, um auch eine Geschäftsbeziehung zum Ausland anzunehmen. Inländische Betriebsstätte eines Steuerausländers und ausländische Betriebsstätte eines Steuerinländers. Beispiel: Der Steuerausländer A verfügt über eine inländische Betriebsstätte. Im Rahmen seiner Betriebsstättentätigkeit schließt er mit der ausländischen Betriebsstätte des unbeschränkt steuerpflichtigen B einen Vertrag, aufgrund dessen A dem B Leistungen gegen ein unangemessen niedriges Entgelt erbringt. A und B stehen einander nahe. Die Betriebsstätte des B befindet sich in einem DBA-Staat.
1 A.A. Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 680. 2 Z.B. aufgrund einer Aktivitätsklausel oder aufgrund des § 20 Abs. 2 AStG.
Ditz/Wassermeyer | 113
2.154
Kap. 2 Rz. 2.154 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
In diesem Fall besteht eine Geschäftsbeziehung zum Ausland jedenfalls dann, wenn die Geschäftsbeziehung den beiden Betriebsstätten zuzuordnen ist. Es ist irrelevant, dass A nur beschränkt steuerpflichtig ist. Auch beschränkt Steuerpflichtige fallen unter den Begriff des „Steuerpflichtigen“ i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG. Es ist unerheblich, dass der Geschäftspartner B unbeschränkt steuerpflichtig ist. Die Beziehung „zum Ausland“ wird nicht durch die persönliche Steuerpflicht der nahestehenden Person begründet. Entscheidend ist vielmehr, ob einerseits die in Deutschland zu versteuernden Einkünfte des Steuerpflichtigen gemindert wurden und andererseits der damit korrespondierende Vorteil der nahestehenden Person nur im Ausland zu besteuern ist. Letztere Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Vorteil einer ausländischen DBA-Betriebsstätte zuzurechnen ist, für die Deutschland kein Besteuerungsrecht hat. Außerdem muss die Zuordnung der Geschäftsbeziehung zu den beiden Betriebsstätten zur Vertragsgrundlage gehören. Die Rechtslage wäre allerdings dann eine andere, wenn die Betriebsstätte des B sich in einem Nicht-DBA-Staat befände.
2.155
Geschäftsbeziehung zu einer Zwischengesellschaft. Beispiel 1: Der unbeschränkt stpfl. A unterhält im Inland einen Gewerbebetrieb, der mit einer ausländischen Zwischengesellschaft einen Vertrag abschließt, aufgrund dessen die Zwischengesellschaft verbilligte Dienstleistungen erhält. A ist an der Zwischengesellschaft mehrheitlich beteiligt.1
Es besteht eine Geschäftsbeziehung zum Ausland. Dennoch droht eine Doppelbesteuerung insoweit, als die Zwischengesellschaft Aufwendungen erspart und deshalb einen aus der Sicht des Fremdvergleichs zu hohen Gewinn ausweist. Soweit der zu hohe Gewinn der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegt, hat A Anspruch auf einen Billigkeitserlass der doppelt erhobenen Steuern. Rz. 1.7 f. der VWG VP 2021 sollten sinngemäße Anwendung finden. Beispiel 2: Eine inländische Muttergesellschaft gewährt ihrer ausländischen Enkelgesellschaft ein Darlehen zu einem unüblich niedrigen Zins. Die Enkelgesellschaft ist zugleich Zwischengesellschaft i.S.d. §§ 7 ff. AStG., die niedrig besteuerte Einkünfte aus passivem Erwerb erzielt. Die Einkünfte aus passivem Erwerb der ausländischen Enkelgesellschaft werden der inländischen Tochtergesellschaft hinzugerechnet, die an der Enkelgesellschaft zu 100 % beteiligt ist.
Das Beispiel 2 ist dem BFH-Urteil v. 19.3.20022 nachgebildet. Der BFH hat § 1 AStG bezogen auf die inländische Muttergesellschaft für anwendbar erklärt. Zugleich hat er ausgesprochen, dass die hinzuzurechnenden Zwischeneinkünfte um den Betrag zu mindern seien, der bei der Muttergesellschaft hinzugerechnet werde. Seine Vorgehensweise ist insoweit nicht unbedenklich, als die in § 1 AStG verwendeten Worte „unbeschadet anderer Vorschriften“ eigentlich die einzige Rechtsgrundlage für eine sog. Gegenkorrektur enthalten.
2.156
In- und ausländische Betriebsstätten zweier beschränkt Steuerpflichtiger. Beispiel: A und B sind einander nahestehende Steuerausländer. A unterhält im Inland eine Betriebsstätte. Im Rahmen seiner Betriebsstätte schließt er mit dem nur im Ausland gewerblich tätigen B einen Vertrag, aufgrund dessen A dem B Dienstleistungen zu einem unangemessen niedrigen Preis erbringt.3
1 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.3. 2 BFH v. 19.3.2002 – I R 4/01, BStBl. II 2002, 644 = BFHE 198, 499 = FR 2002, 1058. 3 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.3.
114 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.159 Kap. 2
Es ist von einer Geschäftsbeziehung zum Ausland auszugehen, weil der inländische Betriebsstättengewinn von A (Steuerpflichtiger) zu Lasten des ausländischen Betriebsstättengewinns von B (nahestehende Person) gemindert wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Vertragspartner die Geschäftsbeziehung einvernehmlich den genannten Betriebsstätten zuordnen. Deutschland kann den erhöhten ausländischen Betriebsstättengewinn nicht besteuern. Inländische Gesellschafter einer ausländischen Personengesellschaft.
2.157
Beispiel: Die unbeschränkt steuerpflichtigen A und B sind an einer ausländischen Personengesellschaft beteiligt, die ihrerseits Geschäftsbeziehungen zu anderen in- und ausländischen Personen unterhält, aufgrund derer der Gewinn der Personengesellschaft gemindert wird. A und B einerseits und die „anderen Personen“ andererseits stehen einander nahe.
In diesem Fall fehlt es an Geschäftsbeziehungen zum Ausland jedenfalls dann, wenn die Personengesellschaft in einem DBA-Staat ansässig sein sollte und deshalb Deutschland kein Besteuerungsrecht für die Gewinnanteile von A und B zusteht. Dagegen muss dann, wenn die Personengesellschaft in einem Nicht-DBA Staat ansässig sein sollte, von einer Geschäftsbeziehung von A und B zum Ausland ausgegangen werden. Zwar sieht § 1 AStG als Rechtsfolge nicht vor, nur die Gewinnanteile von A und B um die nicht erzielten anteiligen Einnahmen zu erhöhen. Mit Hilfe des § 1 AStG kann aber der Gewinn der Personengesellschaft erhöht werden, was sich aus deutscher Sicht in einer Erhöhung der Gewinnanteile von A und B niederschlägt. Immerhin muss in diesem Fall mit dem Einwand gerechnet werden, die Geschäftsbeziehungen bestünden nicht zum Ausland, sondern zum Inland bzw. im Ausland. Inländische und ausländische Personengesellschaften mit identischem Gesellschafterkreis.
2.158
Beispiel: Die inländische Personengesellschaft A schließt mit der ausländischen Personengesellschaft B einen Vertrag ab, aufgrund dessen die A an B verbilligte Dienstleistungen erbringt. An A und B sind dieselben unbeschränkt stpfl. Gesellschafter ausschließlich beteiligt.
Solange die Personengesellschaft B ihre Geschäftsleitungsbetriebsstätte in einem DBA-Staat hat und Deutschland deshalb kein Besteuerungsrecht auf die Gewinnanteile der Gesellschafter zusteht, ist von einer Geschäftsbeziehung zum Ausland auszugehen. Problematisch wird die Rechtslage nur, wenn die Personengesellschaft ihre Geschäftsleitungsbetriebsstätte in einem Nicht-DBA-Staat haben sollte. Dann besteht für eine Doppelbesteuerung der Gesellschafter von A und B kein Rechtfertigungsgrund.
8. Einkünfteminderung aufgrund von fremdunüblichen Bedingungen oder Verrechnungspreisen Fremdvergleichsgrundsatz als Einkünftekorrekturmaßstab. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG sind Einkünfte aus Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen zu berichtigen, sofern die Einkünfte dadurch gemindert werden, dass Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise) zugrunde gelegt worden sind, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten. Voraussetzung für eine Einkünftekorrektur nach dieser Vorschrift ist damit, dass die Bedingungen (insbesondere Verrechnungspreise), die die Einkünfte gemindert haben, nicht „fremdüblich“ sind, d.h. einem Fremdvergleichsgrundsatz nicht standhalten. Der Fremdvergleichsgrundsatz ist infolgedessen einerseits Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG,
Ditz/Wassermeyer | 115
2.159
Kap. 2 Rz. 2.159 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
andererseits aber auch Bewertungsmaßstab auf der Rechtsfolgenseite, nämlich zur Bewertung der Einkünftekorrektur der Höhe nach durch den Ansatz eines Fremdvergleichspreises.
2.160
Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 Abs. 3 AStG a.F. und § 1 Abs. 3 bis 3c AStG n.F. Während die gesetzlichen Vorschriften zur vGA (Rz. 2.18 ff.) und zur verdeckten Einlage (Rz. 2.48 ff.) den Fremdvergleichsgrundsatz zur Prüfung der gesellschaftlichen Veranlassung nicht definieren, enthält § 1 AStG als einzige Einkünftekorrekturvorschrift im deutschen Steuerrecht eine detaillierte Definition, was unter einem „Fremdvergleich“ konkret zu verstehen ist. Bereits durch das UntStRG v. 14.8.20071 wurde § 1 AStG um einen Abs. 3 ergänzt, der die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes beschreibt und – z.B. hinsichtlich der anzuwendenden Verrechnungspreismethoden und der Arten des Fremdvergleichs – konkretisiert.2 Mit dem AbzStEntModG v. 2.6.20213 wurde die Konkretisierung des Fremdvergleichs mit Wirkung ab dem Veranlassungszeitraum 20224 systematisiert und an die internationalen Entwicklungen auf Ebene der OECD – insbesondere an die OECD-Verrechnungspreisleitlinien – angepasst.5 § 1 Abs. 3 AStG beschreibt Einzelheiten der Bestimmung von Verrechnungspreisen (Fremdvergleichspreisen) nach dem Fremdvergleichsgrundsatz unter Berücksichtigung einer Funktions- und Risikoanalyse sowie einer Vergleichbarkeitsanalyse (vgl. Rz. 2.70). Die Vorschrift wird durch § 1 Abs. 3a AStG ergänzt, der die Bestimmung von Verrechnungspreisbandbreiten, ihre Einengung und die Auswahl eines Wertes innerhalb der Bandbreite regelt (vgl. Rz. 2.71). § 1 Abs. 3b AStG widmet sich der Besteuerung von Funktionsverlagerungen (vgl. Rz. 2.73 und Rz. 7.11 ff.) und § 1 Abs. 3c AStG beschreibt Einzelheiten der Bestimmung von Verrechnungspreisen i.Z.m. immateriellen Werten (vgl. Rz. 2.74). Allen Regelungen ist gemein, dass § 1 AStG an den international gültigen Verrechnungspreisgrundsätzen der OECD auszurichten ist.6
2.161
Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise). Die Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG setzt die Vereinbarung von Bedingungen, insbesondere Verrechnungspreisen, die nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, voraus. Im Kern geht es darum, Einkünfteminderungen aufgrund unangemessener Verrechnungspreise, die also nicht fremdüblich sind, zu korrigieren. Durch den Zusatz „insbesondere Preise (Verrechnungspreise)“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG kommt zum Ausdruck, dass die „Verrechnungspreiskorrektur“ der Hauptanwendungsfall der Vorschrift ist; diese bezieht sich regelmäßig auf die Korrektur eines unangemessenen Verrechnungspreises „der Höhe nach“. Dies entspricht dem Sinn und Zweck des § 1 AStG, Gewinnverlagerungen in das Ausland zu verhindern.7 Nach Ansicht des BFH in seiner neueren Rechtsprechung8 ist der Begriff „Bedingungen“ i.S.d. § 1 Abs. 1 AStG weiter als nur „Verrechnungspreise“ zu verstehen. Infolgedessen ist der Anwendungsbereich des § 1
1 Unternehmensteuerreformgesetz v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 2 Vgl. zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 ff. 3 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 4 § 21 Abs. 1 AStG. 5 Zu einem Überblick vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 ff.; Rasch, IWB 2021, 441 ff.; Greil/Saliger, ISR 2021, 339 ff. 6 Vgl. BT-Drucks. 19/27632, 68; Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 (1785). 7 Auch nach dem BFH-Urteil v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 18 sollen durch § 1 AStG „vordringlich Fälle der Gewinnverlagerung in das Ausland von der Norm erfasst werden“. 8 Noch offenlassend vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261, Rz. 15.
116 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.162 Kap. 2
Abs. 1 AStG auch eröffnet, wenn – unabhängig von der Preisabrede – Bedingungen einer Geschäftsbeziehung als fremdunüblich einzuordnen sind. Dies gelte – so der BFH zu Darlehensbeziehungen – neben den Vereinbarungen über die Laufzeit, Art und Weise der Rückzahlung sowie Höhe und Zahlungszeitpunkt der Zinsen auch für Vereinbarungen über die zu stellenden Sicherheiten.1 Entsprechend hat der BFH – bereits zur Rechtslage bis einschließlich dem Veranlagungszeitraum 2007 – die fehlende Besicherung eines Darlehens als „Bedingung“ i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. gesehen, welche der steuerlichen Anerkennung einer Teilwertabschreibung entgegensteht. Diese Rechtsprechung ist zur Rechtslage vor 2008 ergangen.2 Sie sollte erst recht nach Ergänzung des Wortlauts des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG durch das UntStRefG 20083 mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2008 gelten, wenn nicht mehr nur auf „Bedingungen“, sondern auf „Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise)“ abgestellt wird. So weist auch die Gesetzesbegründung darauf hin, dass die so vollzogene Änderung des Wortlauts des § 1 Abs.1 Satz1 AStG klarstellender Natur sei.4 Eine weite Auslegung der „Bedingung“ in dem Sinne, dass sie nicht nur unangemessene Verrechnungspreise erfasst, nimmt auch die Finanzverwaltung vor.5 So gehören zu den „Bedingungen“ auch „Vertragslaufzeiten, (Rück-)Zahlungsmodalitäten, Durchführungsbedingungen, Rabatte oder Boni, Preisanpassungsklauseln, Sicherheiten sowie Vertragsänderungs- und Vertragskündigungsmöglichkeiten“. Sind derartige Bedingungen fremdunüblich, unterfalle dies „dem Berichtigungsbefehl von § 1 AStG“6. Allein die Fremdunüblichkeit einzelner Bedingungen führt aber nicht dazu, dass die Geschäftsbeziehung als solche insgesamt als fremdunüblich zu qualifizieren ist. Vielmehr bedarf es einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Nicht zu den „Bedingungen“ i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG gehören indessen Umstände, die durch den Steuerpflichtigen oder die ihm nahestehende Person nicht vereinbart werden können. Dies gilt beispielsweise für gesetzliche Rahmenbedingungen sowie Marktgegebenheiten.7 Kausale Verknüpfung zwischen Bedingung und Einkünfteminderung („dadurch“). Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG ergibt sich, dass die dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht genügenden Bedingungen kausal für die eingetretene Einkünfteminderung sein müssen („dadurch gemindert [...], dass“).8 Die Einkünfteminderung muss sich also – damit § 1 Abs. 1 AStG einschlägig ist – „aus der Geschäftsbeziehung“ ergeben. Diese „Kausalvorgabe“ ist nach der Rechtsprechung des BFH i.S. eines weit verstandenen Veranlassungszusammenhangs auszulegen.9 Es sind also die Ursachen der Einkünfteminderung zu analysieren und „wertend zu selektieren“ und so zu prüfen, ob die Einkünfteminderung durch die Vereinbarung fremdunüblicher Bedingungen (vgl. zum Begriff Rz. 2.101) veranlasst ist. In Bezug auf die Korrektur von Teilwertabschreibungen auf Forderungen aus Gesellschafterdarlehen gem. § 1 Abs. 1 AStG schlussfolgert der BFH in diesem Zusammenhang, dass „vorrangig auf den Sicherungsverzicht abzustellen“ sei und infolgedessen im Rahmen der vorzunehmenden Veranlassungsprüfung der Sicherungsverzicht beim Abschluss der Darlehensverträge mit der Tochtergesell1 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 21; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 29. 2 Dazu kritisch Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (111). 3 Unternehmensteuerreformgesetz v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 4 Vgl. BT-Drucks. 16/4841, 85. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.22. 6 VWG VP 2021, Rz. 1.22. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.23. 8 Vgl. auch Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (112). 9 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 23; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, Rz. 24; Schwenke, ISR 2022, 28 (29).
Ditz/Wassermeyer | 117
2.162
Kap. 2 Rz. 2.162 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
schaft ein „auslösendes Moment“ darstellt.1 Einzelheiten zur Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG auf Teilwertabschreibungen auf Forderungen aus Gesellschafterdarlehen werden in Rz. 2.182 ff. dargestellt.
2.163
Gewinnverlagerung über die Grenze. Im Kern soll § 1 Abs. 1 AStG Gewinnverlagerungen in das Ausland verhindern, d.h., der entsprechenden Einkünfteminderung steht eine korrespondierende Einkünfteerhöhung bei der im Ausland ansässigen nahestehenden Person, zu der die Geschäftsbeziehung besteht, gegenüber. Dies ist typischerweise bei der Vereinbarung unangemessener, d.h. nicht einem Fremdvergleich standhaltender Verrechnungspreise für konzerninterne Liefer- und Leistungsverhältnisse der Fall. Die „Gewinnverlagerung“ setzt schon dem Wortlaut nach voraus, dass einerseits eine Minderung der im Inland steuerpflichtigen Einkünfte und andererseits eine damit korrespondierende Erhöhung der steuerpflichtigen Einkünfte auf Ebene der dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person im Ausland eintreten muss.2 Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass eine Gewinnverlagerung über die Grenze in diesem Verständnis für die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG notwendig ist, lehnt der BFH indessen ab. So diene die Vorschrift ausweislich der Gesetzesbegründung3 der „Erfassung des zutreffenden Inlandsgewinns“, was nicht notwendigerweise eine korrespondierende Einkünfteerhöhung im Ausland voraussetzt.4 Infolgedessen entspricht es – so der BFH – dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 1 AStG, die Vorschrift auch auf Teilwertabschreibungen auf Forderungen aus Gesellschafterdarlehen, die nicht besichert sind, anzuwenden. Diese Argumentation des BFH ist indessen nicht überzeugend. In der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 1 Abs. 1 AStG heißt es wörtlich: „Da die Regelungen dieses Absatzes [gemeint ist § 1 Abs. 1 AStG] der Erfassung des zutreffenden Inlandsgewinns dienen, können sie nicht von einer korrespondierenden Anpassung der Besteuerung im Ausland abhängig gemacht werden. Soweit hier international steuerliche Erschwernisse auftreten, bietet das Verständigungsverfahren der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Grundlage und Rahmen für eine Abstimmung mit den ausländischen Steuerverwaltungen.“5 Die Gesetzesbegründung will also zum Ausdruck bringen, dass eine Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1 AStG auch dann möglich sein soll, wenn im Ausland die (Verrechnungspreis-)Korrektur nicht korrespondierend vorgenommen wird und es infolgedessen zu einer Doppelbesteuerung kommt. Gemeint ist also der Fall einer Gewinnverlagerung ins Ausland, die mangels Gegenberichtigung im Ausland zu einer Doppelbesteuerung führt. Dies wird durch Rz. 48 der Gesetzesbegründung bekräftigt, wo ausdrücklich von der Verlagerung von Gewinnen ins Ausland gesprochen wird.6 Im Ergebnis ist daher fraglich, ob die Argumentation des BFH mit dem Verweis auf die „Erfassung des zutreffenden Inlandsgewinns“ tatsächlich trägt, da in der Gesetzesbegründung
1 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, Rz. 25; a.A. Gosch, Arbeitsbuch 72. Steuerrechtliche Jahrestagung Unternehmen 2021 der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V., 376 (379); Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (112). 2 Vgl. Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (113). 3 Vgl. BT-Drucks. VI/2883, 23. 4 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, Rz. 18; Schwenke, ISR 2022, 28 (29); Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (71). 5 BT-Drucks. VI/2883, 23, Rz. 49. 6 Vgl. BT-Drucks. VI/2883, 23, Rz. 48.: „So zeigt die Erfahrung, dass innerhalb international verflochtener Unternehmenskreise nicht selten z.B. für Lieferungen ins Ausland ein zu geringes Entgelt und für Lieferungen aus dem Ausland ein zu hohes Entgelt gefordert wird und damit die Gewinne aus der deutschen Besteuerung ins Ausland verlagert werden.“
118 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.166 Kap. 2
ein anderer Kontext gemeint ist.1 Dies bestätigt auch eine Auswertung der Literatur zur damaligen Einführung des § 1 Abs. 1 AStG 1972.2
IV. Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG 1. Außerbilanzielle Einkünftekorrektur Einkünfteerhöhung. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG bewirkt eine außerbilanzielle Erhöhung der Einkünfte (Nettobetrag) durch den Austausch der unangemessenen Bedingungen der Geschäftsbeziehung gegen angemessene.3 Dies schließt nicht aus, die Erhöhung des Nettobetrages gedanklich dadurch zu vollziehen, dass man die Einnahmen (Bruttobetrag) erhöht und alsdann die erhöhten Einnahmen in die Einkünfte eingehen lässt. Dennoch geht § 1 AStG bei wörtlicher Auslegung von einer Erhöhung erst des Nettobetrages aus. Dies schließt indes nicht aus, dass § 1 AStG seinem Rechtsgedanken nach bei dem Entgelt für eine erbrachte Leistung konzeptionell ansetzt. Die unangemessene Bedingung besteht i.d.R. aus einem unangemessen hohen oder niedrigen Entgelt; die Vorschrift kann sich aber auch – zumindest nach Auffassung des BFH – z.B. auf Teilwertabschreibungen beziehen (zu Einzelheiten vgl. Rz. 2.182 ff.). Mit Hilfe des § 1 AStG kann eine teilweise unentgeltliche Geschäftsbeziehung zum Ausland nur für Besteuerungszwecke fiktiv als eine voll entgeltliche behandelt werden. Es kann jedoch nicht eine anders geartete Beziehung in eine Geschäftsbeziehung umgedeutet werden.4 Dem steht nicht entgegen, dass § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auch dann Anwendung findet, wenn eine Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil vollunentgeltlich zuwendet. Der Tatbestand des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist insoweit weiter als der des § 1 AStG. Letzterer setzt Einkünfte aus einer Geschäftsbeziehung voraus, ersterer nicht.
2.164
System der zweistufigen Gewinnermittlung. Will man die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG rechtssystematisch zutreffend einordnen, so muss man die Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG als eine auf einem System der zweistufigen Gewinnermittlung aufbauende verstehen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG „ist der Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen“. Unter dem Betriebsvermögen wird dabei das Eigenkapital verstanden. Auf das Schaubild in Rz. 2.8 wird hingewiesen.
2.165
Wesensmerkmale der beiden Stufen. Bezogen auf die Gewinnermittlung durch Bilanzierung unterteilt sich das Schaubild in Rz. 2.8 in zwei Stufen. Auf der ersten Stufe wird der Unterschiedsbetrag ermittelt. Hier wird i.d.R. Bilanzrecht angewendet. Dabei gilt der in § 5 Abs. 1 EStG verankerte Maßgeblichkeitsgrundsatz. Es kommt ggf. auf den Wirtschaftsgutbegriff und die betriebliche Veranlassung von Aufwendungen an. Wichtig ist, dass der Unterschiedsbetrag nicht mit dem Steuerbilanzgewinn identisch sein muss. Dies hängt letztlich davon ab, wie man den Unterschiedsbetrag definiert. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG wird er als Unterschied zwischen zwei Eigenkapitalbeständen bestimmt. Auf der zweiten Stufe wird aus dem
2.166
1 Vgl. Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (113); Wassermeyer, DB 2006, 296 (299); Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 709 (713); Becker, DStR 2009, 1796 (1798); Prinz/Scholz, FR 2011, 925 (925 f.); a.A. Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (71); Schwenke, ISR 2022, 28 (29). 2 Vgl. Telkamp, StuW 1972, 97 (100); Baranowski, IWB Information Gruppe 1 1972, 809 (810); Vogel, DB 1972, 1402 (1402); Debatin, DStZ 1972, 265 (268). 3 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 12 und 37. 4 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 402.
Ditz/Wassermeyer | 119
Kap. 2 Rz. 2.166 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
Unterschiedsbetrag der Gewinn abgeleitet. Dem Unterschiedsbetrag werden bestimmte Beträge hinzugerechnet. Andere Beträge werden vom Unterschiedsbetrag abgesetzt. Zu den Beträgen, die hinzuzurechnen sind, gehört der Betrag nach § 1 Abs. 1 AStG. Dabei ist allerdings zu beachten, dass § 1 Abs. 1 AStG wiederum eine Einkünfteminderung voraussetzt. Eine solche ist nur dann gegeben, wenn der „Gewinn“ vor Anwendung von § 1 AStG nicht dem Fremdvergleich entspricht. § 1 AStG beinhaltet deshalb die letzte steuerrechtlich mögliche Einkünftekorrektur. Das Endergebnis der Hinzurechnungen und Kürzungen ist nicht der Steuerbilanzgewinn und auch kein Jahresüberschuss im steuerrechtlichen Sinne, sondern der Gewinn i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG, wie er als Teil des zu versteuernden Einkommens in den ESt- bzw. KSt-Bescheid eingeht und gem. § 7 GewStG Bemessungsgrundlage für den Gewerbeertrag ist. Man muss ferner beachten, dass der nach § 1 AStG zu korrigierende Einkünftebetrag ein Nettobetrag ist, der sich aus dem Saldo aller erfolgswirksamen Vermögenszuund -abgänge eines Kalender- bzw. Wirtschaftsjahres ergibt. Der Korrekturbetrag nach § 1 AStG bezieht sich dagegen auf einzelne Geschäftsvorfälle, die bei der Unterschiedsbetragsermittlung nur mit einem unangemessen niedrigen Betrag berücksichtigt wurden. Beides ist kein Widerspruch in sich. Auch für Einlagen, Entnahmen und vGA gilt, dass sie sich auf einzelne Vorgänge beziehen und dass sie dennoch eine Korrektur des (vorläufigen) Jahresergebnisses nach sich ziehen. Schließlich ist zu beachten, dass sowohl der Gewinn als auch Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG durch Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG bzw. nach §§ 8 und 9 EStG ermittelt werden können. In diesen Fällen fehlt es an einem Unterschiedsbetrag. Dennoch verbleibt es bei einer zweistufigen Einkünfteermittlung. Man muss gedanklich an die Stelle der Unterschiedsbetragsermittlung die Ermittlung eines vorläufigen Überschusses der Einnahmen über die Betriebsausgaben/Werbungskosten setzen. Es wird der vorläufige Überschussbetrag korrigiert.
2.167
§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ist unvollständig. Die Unvollständigkeit des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG beruht einmal darauf, dass die Vorschrift im Körperschaftsteuerrecht nur mittelbar über § 8 Abs. 1 KStG anzuwenden ist. Im EStG bedarf z.B. die vGA keiner unmittelbaren Erwähnung. Zum anderen sind im Steuerrecht neue Tatbestände geschaffen worden, ohne dass der Gesetzgeber sie immer gleichzeitig an den Wortlaut von § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG angepasst hätte. Dies gilt z.B. für § 1 AStG. Darüber hinaus regelt der deutsche Gesetzgeber bestimmte Steuerbefreiungen nur in den DBA, ohne ihre Anbindung an das innerstaatliche Recht gesetzlich zu regeln. Wichtig ist, dass auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung kein Bilanzrecht angewendet wird. Die Hinzurechnungen und Kürzungen vollziehen sich außerhalb von Handelsund Steuerbilanz (vgl. Rz. 2.5). Für die Hinzurechnungen und Kürzungen kommt es nicht darauf an, ob sie Wirtschaftsgutqualität haben. Es können auch fiktive Beträge hinzugerechnet werden, die tatsächlich gar nicht existieren. Richtigerweise müssen auf der zweiten Stufe die in Rz. 2.5 genannten Hinzurechnungen und Kürzungen berücksichtigt werden.
2.168
Sollgewinn. Die Rechtsfolge speziell des § 1 Abs. 1 AStG besteht in der Ermittlung eines Korrekturbetrages, der dem vorläufig ermittelten Einkünftebetrag auf der zweiten Stufe der Einkünfteermittlung außerhalb der Handels- und Steuerbilanz1 als letzter Betrag hinzuzurechnen ist. Insoweit entsteht in Höhe des Korrekturbetrages ein partieller „Sollgewinn“.2 Der Höhe nach besteht der Korrekturbetrag aus der Differenz zwischen den der Einkünfteermittlung tatsächlich zugrunde liegenden Verrechnungspreisen bzw. Bedingungen einer Geschäftsbeziehung und dem Fremdvergleichspreis bzw. Bedingungen einer Geschäftsbeziehung, die einem
1 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 12. 2 Vgl. Pohl in Brandis/Heuermann, § 1 AStG Rz. 48 ff.
120 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.169 Kap. 2
Fremdvergleich standhalten. Letzteres führt z.B. dazu, dass auf Forderungen aus unbesicherten Gesellschafterdarlehen vorgenommene Teilwertabschreibungen außerbilanziell nach § 1 Abs. 1 AStG hinzugerechnet werden können.1 Der „Sollgewinn“ entsteht in dem Wirtschaftsjahr, in dem der Unterschiedsbetrag des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG durch die Vereinbarung fremdunüblicher Bedingungen in Bezug auf Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen (z.B. unangemessen niedrige Verrechnungspreise) gemindert wurde.2 Dies gilt auch dann, wenn eine Minderung des Unterschiedsbetrages als Folge einer Bilanzberichtigung eintritt. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG ist eine zwingende, d.h., das Abweichen von dem zwischen fremden Dritten üblichen Verhalten zwingt zu einer Gewinnkorrektur; es wird nicht etwa nur eine Veranlassung durch die Nahestehensbeziehung widerlegbar vermutet. Dies widerspricht nicht der Rechtsprechung des BVerfG zum sog. Oderkonto,3 weil die Gewinnkorrektur durch Gesetz vorgeschrieben ist. Allerdings ist seit dem Veranlagungszeitraum 2003 § 162 Abs. 3 Satz 1 AO zu beachten. Es ist dem Wortlaut des § 1 AStG insgesamt und seinem Zweck zu entnehmen, wie die Einkünftekorrektur durchzuführen ist. Danach sind nur „die Einkünfte“ anderweitig anzusetzen. Die Vorschrift fingiert weder Einnahmen (Betriebseinnahmen, Erlöse) noch Forderungen noch eine Verwendung des Einkünfteerhöhungsbetrages auf die Beteiligung. Nach § 1 Abs. 4 AStG können die geminderten Einkünfte des Steuerpflichtigen auch solche z.B. i.S.d. §§ 20 oder 21 EStG (Einkünfte aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung) sein. Einkünfte i.S.d. §§ 20 und 21 EStG werden gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG in der Form des Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten, d.h. nicht durch Vermögensvergleich ermittelt. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG muss deshalb auch bei Überschussrechnungen i.S.v. § 4 Abs. 3 oder § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG vollzogen werden können. Sie kann nicht ausschließlich bilanzieller Art sein. Schließlich ist § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG zu beachten. Danach können der Steuerpflichtige und eine andere Person auch dann einander nahestehen, wenn keinerlei Beteiligung besteht. Die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG muss auch in einem solchen Fall durchgeführt werden können. Es kann deshalb keine Lösung in Betracht gezogen werden, die nur dann durchführbar ist, wenn zwischen dem Steuerpflichtigen und der nahestehenden Person eine Beteiligung besteht. Aus dem Gesagten folgt, dass der Korrekturbetrag stets die zu berichtigenden Einkünfte erhöht und Teil derselben ist. Er ist der Einkunftsart zuzuordnen, für die die Einkünfteminderung festzustellen ist. Rechtsfolgemäßig teilt der Korrekturbetrag das Besteuerungsschicksal der übrigen Einkünfte. Sind dieselben steuerfrei, so gilt die Steuerfreiheit auch für den Korrekturbetrag. Berichtigung innerhalb oder außerhalb der Bilanz. Es entspricht heute sowohl der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum als auch der Rechtsprechung4 als auch der Verwaltungsauffassung5, dass eine nach § 1 Abs. 1 AStG gebotene Gewinnkorrektur außerhalb der Handels- und Steuerbilanz vorzunehmen ist. Dies gilt sinngemäß auch für eine Einkünfteermittlung nach § 4 Abs. 3 bzw. nach §§ 8, 9 EStG. Die herrschende Meinung steht allein mit Wortlaut und Zweck des § 1 AStG in Einklang.6 Dies folgt bereits aus § 1 Abs. 4 AStG. Nach dieser Vorschrift können auch die Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung zu berichtigen sein. Diese Einkünfte werden jedoch nicht durch Vermögensvergleich ermittelt. Damit fehlt es an einer Bilanz, innerhalb derer die 1 2 3 4
Vgl. nur BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 m.w.N. = ISR 2022, 22, 28. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 4.2. Vgl. BVerfG v. 7.11.1995 – 2 BvR 802/90, BStBl. II 1996, 34 = FR 1996, 18 m. Anm. Pezzer. Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/ 17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 12. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.4. 6 Vgl. Baranowski in FS Flick, 615 (628).
Ditz/Wassermeyer | 121
2.169
Kap. 2 Rz. 2.169 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
Korrektur vorgenommen werden könnte. Es steht also weniger die Frage der bilanziellen oder außerbilanziellen Korrektur zur Diskussion als die, ob der Korrekturbetrag gleichzeitig die Anschaffungskosten auf die Beteiligung erhöht. Die steuerrechtlichen Auswirkungen zeigen sich bei einer Teilwertabschreibung auf die Beteiligung bzw. bei der Ermittlung eines Beteiligungsveräußerungsgewinnes oder -verlustes. Wer für eine Hinzuaktivierung des Korrekturbetrages auf dem Beteiligungskonto eintritt, der muss auf § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG verwiesen werden. Danach kann das Nahestehen einer Person gegenüber dem Steuerpflichtigen auch durch bestimmte Einflussnahmemöglichkeiten bzw. durch bestimmte Interessenlagen begründet werden. Das Nahestehen setzt also keine Beteiligung voraus. Einflussnahmemöglichkeiten oder Interessenlagen bilden jedoch kein Wirtschaftsgut, auf dessen Anschaffungskosten der Korrekturbetrag hinzuaktiviert werden könnte. Eine Aktivierung des Korrekturbetrages ist in diesen Fällen denkgesetzlich ausgeschlossen. Versteht man deshalb die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG als eine einheitliche, die sich auf alle Formen des Nahestehens gleichermaßen erstreckt, dann ist die Forderung nach einer Korrektur innerhalb der Steuerbilanz bzw. nach einer Hinzuaktivierung auf dem Beteiligungskonto undurchführbar.
2.170
Bewertung mit dem Fremdvergleichspreis. Soweit der Korrektur gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG unangemessene Verrechnungspreise zugrunde liegen, ergibt sich die Korrektur der Höhe nach aus der Differenz zwischen dem tatsächlich vereinbarten Verrechnungspreis und dem Fremdvergleichspreis. Der Fremdvergleichspreis ist nach den in § 1 Abs. 3 bis 3c AStG dargestellten Grundsätzen zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu bestimmen. Soweit sich die Einkünftekorrektur auf Tatbestände bezieht, die nicht Verrechnungspreise für eine Geschäftsbeziehung zu einer nahestehenden Person betreffen, ist die Korrektur der Höhe nach aus der durch die Vereinbarung fremdunüblicher Bedingungen eingetretenen Einkünfteminderung zu bestimmen. Infolgedessen ist nach Auffassung des BFH z.B. bei Teilwertabschreibungen auf Forderungen aus unbesicherten Gesellschafterdarlehen die vorgenommene Teilwertabschreibung außerbilanziell hinzuzurechnen, wenn die fehlende Besicherung des Darlehens einem Fremdvergleich nicht standhält. Ob dies der Fall ist, ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände für jeden Einzelfall zu prüfen.1
2.171
Einkünfteberichtigung der Höhe nach. Der Höhe nach muss der Betrag, um den die Einkünfte anderweitig anzusetzen sind, der eingetretenen Einkünfteminderung entsprechen. Dies führt zu einem doppelten Fremdvergleich. Zunächst ist innerhalb der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG zu ermitteln, ob die eingetretene Einkünfteminderung auf vereinbarten Bedingungen von Geschäftsbeziehungen zum Ausland zwischen dem Steuerpflichtigen und einer ihm nahestehenden Person beruhen, die dem Fremdvergleich nicht entsprechen. In diesem Bereich ist die betragsmäßig exakte Ermittlung der eingetretenen Einkünfteminderung noch entbehrlich. Sie muss jedoch nachgeholt werden, wenn die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG zur Anwendung gelangt. Dann muss die eingetretene Einkünfteminderung betragsmäßig genau ermittelt werden. Der BFH hat Entsprechendes für die vGA entschieden.2 Ist der Fremdvergleichspreis bekannt, so kann die Eingriffskorrektur genau ermittelt werden, weshalb für eine Schätzung kein Raum besteht. Ist der Fremdvergleichspreis nicht bekannt, muss die Einkünftekorrektur durch Schätzung ermittelt werden. Schätzungsgrundlage ist § 162 Abs. 1 Satz 1 AO.
1 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, Rz. 55; Schwenke, ISR 2022, 28 (29 f.). 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = BFHE 197, 68 = FR 2002, 154.
122 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.176 Kap. 2
Unterschiedliche Korrekturmaßstäbe. Während § 1 AStG rechtsfolgemäßig eine Einkünftekorrektur in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlich vereinbarten Preis und dem Fremdvergleichspreis vorschreibt, sehen die Rechtsfolgen der Entnahme (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) und der Einlage (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG) im Regelfall eine Bewertung mit dem Teilwert und die der Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG, § 12 KStG) eine solche mit dem gemeinen Wert vor. Dies wirft die Frage auf, ob der Fremdvergleichspreis, der Teilwert und der gemeine Wert stets einander entsprechen oder ob es für den Steuerpflichtigen auch rechtsfolgemäßig einen Unterschied macht, welche Gewinnkorrekturvorschrift Anwendung findet. Während für den Fremdvergleichspreis und den gemeinen Wert i.d.R. Deckungsgleichheit bestehen wird, sind Unterschiede vor allem zwischen dem Fremdvergleichspreis und dem Teilwert denkbar. Dies macht der BFH-Beschluss v. 17.12.1997 deutlich.1 Dort ging es um die Frage, zu welcher Gewinnkorrektur eine von einem inländischen Unternehmen (AG & Co. KG) hergestellte und an eine ausländische nahestehende Person gelieferte Hühnerfarm führt. Zieht man als Rechtsgrundlage die Entnahme heran, so war die Hühnerfarm nach damaliger Rechtslage mit ihrem Teilwert zu bewerten, was bei einem produzierenden Unternehmen zu einer Bewertung mit den eigenen Herstellungskosten (= Wiederbeschaffungswert) führt. Die so ermittelten Herstellungskosten enthalten keinen Gewinnaufschlag. Der Ansatz des Fremdvergleichspreises gem. § 1 AStG führt dagegen zur Berücksichtigung des Gewinnaufschlages. Der Steuerpflichtige stand sich deshalb bei der Annahme einer Entnahme günstiger. Die steuerrechtliche Ungleichbehandlung von Entnahmen und den Tatbeständen des § 1 AStG bzw. von Inlands- und Auslandssachverhalten lässt eine Verletzung des EUV befürchten (vgl. Rz. 2.158). Durch § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG und § 12 Abs. 1 KStG werden die Unterschiede allerdings relativiert.
2.172
Anwendung des § 1 AStG in Dreiecksverhältnissen. Zur Anwendung des § 1 AStG in sog. Dreieckverhältnissen wird auf Rz. 2.216 ff. verwiesen.
2.173
Anwendung von DBA. Der Anwendung der Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG darf nicht die Sperrwirkung einer DBA-Berichtigungsklausel entgegenstehen. Einzelheiten sind in Rz. 2.225 ff. dargestellt.
2.174
Mögliche Verletzung des EU-Vertrages. § 1 AStG ist nur in den Schranken des EU-Rechts anzuwenden. Einzelheiten sind in Rz. 13.13 ff. dargestellt.
2.175
Anrechnung ausländischer Steuern. Die Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1 AStG auf Seiten des Steuerpflichtigen entspricht einer tatsächlich erzielten Einkünftevermehrung auf Seiten der nahestehenden Person. I.d.R. muss die nahestehende Person auf die von ihr tatsächlich erzielten Einkünfte (ausländische) Steuern zahlen. Diese ausländischen Steuern sind bei dem Steuerpflichtigen nicht anrechnungsfähig.2 Es fehlt an der Identität des Steuersubjektes. Ist die nahestehende Person eine Kapitalgesellschaft, so kann sie ihren (Mehr-)Gewinn an die Gesellschafter ausschütten. Die Ausschüttung unterliegt bei den Gesellschaftern den normalen Rechtsfolgen. Eine auf die Ausschüttung im Ausland erhobene Quellensteuer kann i.d.R. entweder nach dem einschlägigen DBA oder nach § 34c Abs. 1 EStG angerechnet werden. Auch insoweit ist eine Kürzung der anrechenbaren ausländischen Steuer rechtlich ausgeschlossen. Ist die nahestehende Person eine Personengesellschaft, an der der Steuerinländer beteiligt ist, so fällt bei ihm ein höherer Gewinnanteil an, in dem allerdings die Einkünftekorrektur (anteilig) enthalten ist.
2.176
1 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321 = BFHE 185, 24 = FR 1998, 487. 2 So auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Rz. 5.4 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
Ditz/Wassermeyer | 123
Kap. 2 Rz. 2.177 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
2.177
Steuerfreie Einkünftekorrektur. Soweit ein DBA den Gewinnanteil steuerfrei stellt, gilt i.d.R. Entsprechendes für den Korrekturbetrag.1 Es ist allerdings für Zwecke des Progressionsvorbehaltes (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG) zu entscheiden, ob der Gegenwert des Korrekturbetrages in die Bemessungsgrundlage eingehen darf. Diese Frage ist zu bejahen. Allerdings stellt sich zusätzlich die Frage, ob die Steuerbefreiung im Inland nicht Indiz für das Fehlen einer Geschäftsbeziehung zum Ausland ist (vgl. Rz. 2.134). Bejahendenfalls fehlt es an einer Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 AStG, weshalb dessen Rechtsfolge insgesamt unanwendbar ist. Sieht das maßgebliche DBA im Inland keine Steuerbefreiung, sondern nur eine Steueranrechnung vor, so stellt sich im Grundsatz die gleiche Rechtsfrage nunmehr allerdings in Bezug auf den Ansatz des Gewinnanteils. Insoweit kann es auch an Geschäftsbeziehungen zum Ausland fehlen. Fehlt es nicht an einer Geschäftsbeziehung zum Ausland und ist auch nicht die Rechtsfolge einer Entnahme vorrangig anzuwenden, dann kommt es zu einer Doppelbesteuerung des Korrekturbetrages einmal innerhalb des Gewinnanteils des Steuerpflichtigen bei der ausländischen Gesellschaft und zum anderen innerhalb dessen inländischer Einkünften. In diesem Fall muss dem Steuerpflichtigen ein Anspruch auf eine sachliche Billigkeitsentscheidung dahin eingeräumt werden, dass der Gewinn nur einmal besteuert wird.2 Es ist dann konsequent, dass der Steuerpflichtige nur seine auf den geminderten Gewinnanteil entfallende ausländische Steuer anrechnen darf. In keinem Fall geht es an, einerseits den (erhöhten) Gewinnanteil zu versteuern und andererseits die Anrechnung der vollen auf ihn entfallenden ausländischen Steuer zu versagen.
2.178
Rückgängigmachung der Einkünfteminderung durch eine Ausgleichszahlung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sollen Vorgänge, die zu einer lediglich auf § 1 AStG zu stützende Berichtigung führen und die durch Ausgleichszahlungen ausgeglichen werden, außerhalb der Bilanz mit dem zu Zwecken der Berichtigung vorgenommenen Zuschlag zu verrechnen sein.3 Im Klartext bedeutet dies, dass die Finanzverwaltung die Möglichkeit einräumt, eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG rückgängig zu machen. Dies widerspricht dem Grundsatz, dass ein einmal realisierter Besteuerungssachverhalt nicht mit steuerrechtlicher Wirkung rückgängig gemacht werden kann, es sei denn, es besteht insoweit eine ausdrückliche Gesetzesgrundlage. Zwar zitiert die Finanzverwaltung das BFH-Urteil v. 30.5.1990.4 Den Entscheidungen ist aber die von der Finanzverwaltung eingeräumte Möglichkeit nicht zu entnehmen. Es liegt in der Logik der Verwaltungsanweisung, dass die zivilrechtlich wirksame Vereinbarung einer Ausgleichsforderung des Steuerpflichtigen gegen die nahestehende Person ausreicht, um die Rechtsfolge von Rz. 4.3 Buchst. d VWG VP eintreten zu lassen. Ein tatsächlicher Zahlungsausgleich muss innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des berichtigten Steuerbescheides tatsächlich durchgeführt werden. Die Verwaltungsanweisung hat im Übrigen Billigkeitscharakter. Sie kann nur im Wege einer Verpflichtungsklage und nicht durch teleologisch reduzierte Auslegung von § 1 AStG durchgesetzt werden. Der BFH hat allerdings die Übernahme von Kosten einer ausländischen Tochtergesellschaft durch ihre inländische Muttergesellschaft als Einlage i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG beurteilt und nicht unter § 1 Abs. 1 AStG subsumiert.
1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 420. 2 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567; BFH v. 5.4.1995 – I R 81/ 94, BStBl. II 1995, 629 = BFHE 177, 437. 3 VWG VP 2021, Rz. 4.3 Buchst. d. 4 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567; s. auch: BFH v. 5.4.1995 – I R 81/94, BStBl. II 1995, 629 = BFHE 177, 437 = FR 1995, 711.
124 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.180 Kap. 2
Beteiligungsveräußerung nach Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1 AStG. Zweckmäßigerweise sind die Korrekturbeträge gem. § 1 Abs. 1 AStG als Erinnerungsposten außerhalb der Bilanz festzuhalten. Gem. Rz. 4.4 VWG Verrechnungspreise sind sie im Falle einer Veräußerung der Beteiligung an der nahestehenden Person bzw. im Falle der Liquidation der nahestehenden Person in die Ermittlung des Veräußerungs- oder Liquidationsgewinnes in der Weise mit einzubeziehen, dass der Veräußerungs- bzw. Liquidationsgewinn des Steuerpflichtigen, dem gegenüber die Rechtsfolge aus § 1 Abs. 1 AStG angewendet wurde, um den Erinnerungsposten gemindert wird. Die Minderung ist außerhalb der Gewinnermittlung nach § 16 Abs. 2 EStG bzw. nach § 17 Abs. 2 EStG vorzunehmen. Zeitlich gesehen ist sie zusammen mit dem Veräußerungsgewinn oder -verlust anzusetzen. Sie kann auch zu einem Negativbetrag führen bzw. einen solchen erhöhen, der im Wege des Verlustausgleichs gem. § 2 Abs. 1 EStG bzw. eines Verlustvor- oder -rücktrags zu berücksichtigen ist. Die Minderung ist auch dann vorzunehmen, wenn der Veräußerungs- oder Liquidationsgewinn nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei sein sollte. Der BFH1 sieht in der Vorgängerregelung (Rz. 8.3.2 des BMF-Schreibens v. 23.2.1983) eine sachliche Billigkeitsmaßnahme, die schon deshalb geboten sei, weil § 1 AStG keine Doppelbesteuerungen auslösen wolle. Problematisch ist die Ausdehnung des Rechtsgedankens auf den Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolger des Steuerpflichtigen, dem gegenüber die Rechtsfolge aus § 1 Abs. 1 AStG angewendet wurde. Richtigerweise muss der Gesamtoder Einzelrechtsnachfolger des Steuerpflichtigen dessen Rechte jedenfalls dann geltend machen können, wenn und soweit er zur Fortführung der Anschaffungskosten des Steuerpflichtigen steuerrechtlich verpflichtet ist.2
2.179
Problemfälle. Problematisch sind die beiden folgenden Fälle: Besteht im Inland eine Personengesellschaft, an der ein Steuerinländer beteiligt ist, und wurde der Gewinnanteil des Steuerinländers gem. § 1 AStG korrigiert, so stellt sich bei einem Verkauf des Gesellschaftsanteils an der Personengesellschaft durch den Steuerpflichtigen die Frage, ob nicht der nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG erzielte Gewinn um den Korrekturbetrag zu mindern ist. Die Frage ist zu bejahen, weil der Verkauf des Anteils an einer Personengesellschaft steuerlich wie der anteilige Verkauf der Wirtschaftsgüter zu behandeln ist, die das Gesellschaftsvermögen der Personengesellschaft bilden. Dies gilt auch dann, wenn der Anteil an einer Personengesellschaft „aufgeteilt“ und nur ein Teil desselben verkauft wird bzw. wenn – wie im Beschluss des BFHGS v. 18.10.19993 – ein Einzelunternehmen in eine Personengesellschaft gegen Zuzahlung an den einbringenden Einzelunternehmer eingebracht wird. Problematisch ist ferner der Fall, dass der Steuerinländer, bei dem eine Korrektur nach § 1 AStG vorgenommen wird, nur mittelbar an der ausländischen Gesellschaft beteiligt ist, zu der er die zu korrigierenden Geschäftsbeziehungen zum Ausland unterhält.
2.180
Beispiel: Der unbeschränkt steuerpflichtige A ist zu 100 % an der inländischen A GmbH beteiligt, die ihrerseits eine 100 %-Beteiligung an der ausländischen X SA hält. A gewährt der X SA ein unangemessen niedrig verzinsliches Darlehen. Das Finanzamt korrigiert die Zinseinkünfte des A um die Differenz zwischen angemessenen und tatsächlich gezahlten Zinsen. Setzt der Korrekturbetrag bei der Beteiligung des A an der A GmbH oder bei der Beteiligung der A GmbH bei der X SA an?
1 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567; BFH v. 5.4.1995 – I R 81/ 94, BStBl. II 1995, 629 = BFHE 177, 437 = FR 1995, 711; BFH v. 6.7.2000 – I B 34/00, BFHE 192, 307 = FR 2000, 1135 m. Anm. Kempermann. 2 Vgl. zu Einzelheiten in Bezug auf den Merkposten Schmitt, IStR 2021, 552 ff. 3 Vgl. BFH v. 18.10.1999 – GrS 2/98, BStBl. II 2000, 123 = BFHE 189, 465.
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Kap. 2 Rz. 2.180 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung Lösung: Hier stellt sich die Frage, ob der Korrekturbetrag beim Steuerinländer zu bilden ist und ob er dessen Gewinn aus einer Veräußerung der von ihm unmittelbar gehaltenen Beteiligung mindert, oder ob der Korrekturbetrag bei der zwischengeschalteten Gesellschaft zu bilden ist, die die unmittelbare Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft hält (wobei die zwischengeschaltete Gesellschaft auch eine inländische sein kann), oder ob ein Korrekturbetrag sowohl bei der Gesellschaft, bei der die Korrektur nach § 1 AStG vorgenommen wird, als auch bei allen nach- und der ausländischen Gesellschaft vorgeschalteten Gesellschaften anzusetzen ist (wobei die zwischengeschalteten Gesellschaften wiederum auch ausländische sein können). Richtigerweise will die in Rz. 4.4 VWG Verrechnungspreise enthaltene Regelung eine Doppelbesteuerung vermeiden, die nur bei der Person eintreten kann, bei der der Korrekturbetrag nach § 1 AStG einkünfteerhöhend angesetzt wird. Deshalb kann nur die erste der in Betracht gezogenen Alternativen richtig sein. Zu korrigieren ist der Gewinn aus der Veräußerung der von dem Steuerinländer unmittelbar gehaltenen Beteiligung, soweit an ihr mittelbar die Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft hängt, die die Korrektur nach § 1 AStG ausgelöst hat.
2.181
Keine Teilwertabschreibung auf Korrekturbetrag. Da die Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG außerhalb der Steuerbilanz vorzunehmen ist, erhöht sie nicht die Anschaffungskosten auf die Beteiligung. Damit kann der Korrekturbetrag nicht Gegenstand einer Teilwertabschreibung sein.1 Vielmehr ist die in Rz. 4.4 VWG Verrechnungspreise vorgesehene Minderung des Veräußerungs- bzw. Liquidationsgewinnes um den Korrekturbetrag gedanklich als eine gebotene sachliche Billigkeitsmaßnahme zu verstehen, die der Vermeidung der Doppelbesteuerung dient und gerade deshalb erst in dem Augenblick vorzunehmen ist, in dem eine Doppelbesteuerung tatsächlich droht. Beispiel: Eine inländische Muttergesellschaft ist an ihrer ausländischen Tochtergesellschaft beteiligt. Der Buchwert der Anteile beträgt am 1.1.2011 300.000 Euro. Die Muttergesellschaft überlässt der Tochtergesellschaft im Jahr 01 ein zinsloses Darlehen i.H.v. 1 Mio. Euro. Das Finanzamt erhöht den Gewinn der Muttergesellschaft für das Jahr 01 um 5 % von 1 Mio. Euro = 50 000 Euro. Zum 31.12.2013 sinkt der Teilwert der Beteiligung auf 200.000 Euro. Kann die Muttergesellschaft eine Teilwertabschreibung i.H.v. 150.000 Euro oder nur i.H.v. 100.000 Euro vornehmen? Lösung: Richtigerweise kann sie nur eine Teilwertabschreibung von 100.000 Euro vornehmen, weil der Korrekturbetrag nicht auf dem Beteiligungskonto zu aktivieren ist.
2. Anwendung des § 1 AStG auf Teilwertabschreibungen auf Forderungen aus Gesellschafterdarlehen 2.182
Anwendung des § 1 bei Teilwertabschreibungen von Gesellschafterdarlehen und Forderungsverzichten. Während der BFH in seiner bisherigen und nunmehr überholten Rspr. die Frage der Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG bei Teilwertabschreibungen auf (unbesicherte) Gesellschafterdarlehen und entsprechende Forderungsverzichte nicht prüfen musste, da er von der Sperrwirkung der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildeten Abkommensnorm ausging (vgl. Rz. 2.190),2 geht der I. Senat des BFH in seiner neueren und mittlerweile ständigen
1 Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567. 2 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261 und dazu Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; Ditz/Engelen/Quilitzsch, Ubg 2016, 513 f.
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E. § 1 AStG | Rz. 2.182 Kap. 2
Rspr. davon aus, dass § 1 in diesen Fällen einschlägig sei.1 Da bei Gesellschafterdarlehen regelmäßig die Voraussetzungen einer nahestehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 2 (Rz. 2.116 ff.) und – z.B. in Form eines Darlehensvertrags oder Liefer- und Leistungsbeziehungen – die Voraussetzungen einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 (Rz. 2.92 ff.) erfüllt sind, geht die wesentliche Frage zur Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 1 Satz 1 dahin, ob die Einkünfte eines Steuerpflichtigen „durch die Vereinbarung fremdunüblicher Bedingungen gemindert worden sind“. In diesem Zusammenhang ist ein kausaler Zusammenhang zwischen der Einkünfteminderung und der Vereinbarung anderer als fremdüblicher Bedingungen notwendig (Rz. 2.162).2 Darauf aufbauend lässt sich darstellen, dass die Teilwertabschreibung einer Darlehensforderung mit den Darlehenskonditionen nichts gemein hat, weil entscheidend für die Zulässigkeit einer Teilwertabschreibung nicht die Darlehenskonditionen sind. Es kommt vielmehr allein auf die Frage an, ob die fragliche Forderung voraussichtlich dauernd in ihrem Wert gemindert ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG). In seiner neuen Rspr. (vgl. dazu Rz. 2.183) hat der BFH hierauf jedoch nicht abgestellt, sondern das Veranlassungsprinzip als Maßstab herangezogen und eine Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen der fehlenden Besicherung einerseits sowie der eingetretenen Einkünfteminderung andererseits bejaht.3 So sei nicht auf eine (naturwissenschaftliche) Kausalität, sondern das Prinzip der wertenden Selektion der Aufwandsursachen abzustellen. Dies führt dazu, dass erst der Sicherungsverzicht bei Abschluss der Darlehensverträge der Gesellschafterin mit ihrer Tochtergesellschaft die Voraussetzungen dafür schafft, dass es zu einer Einkünfteminderung kommen kann. Infolgedessen sei – so der BFH in seinem Urteil v. 9.6.2021 – der Sicherungsverzicht das „auslösende Moment“ für die Einkünfteminderung.4 Diese Aufassung ist nicht überzeugend, denn eine Teilwertabschreibung auf Darlehensforderungen bzw. der aus einem Forderungsverzicht resultierende Aufwand hat mit den Darlehenskonditionen nichts gemein. Denn entscheidend für die Zulässigkeit einer Teilwertabschreibung sind nicht die Darlehenskonditionen, sondern allein die Frage, ob die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG erfüllt sind.5 Die Werthaltigkeit einer Darlehensforderung richtet sich aber ausschließlich nach der wirtschaftlichen Situation und insbesondere der Bonität des Darlehensschuldners.6 Die Zulässigkeit einer Teilwertabschreibung beruht nicht auf der Frage, ob der in Rede stehenden Forderung fremdübliche Bedingungen zugrunde liegen. Denn auch Darlehensforderungen, denen eine fremdübliche Verzinsung zugrunde liegt, können bspw. bei Eintritt von Krise und Konkurs beim Darlehensschuldner dauernd in ihrem Wert gemindert sein und damit zur Vornahme von Teilwertabschreibungen berechtigen. Somit fehlt der für eine Korrektur nach § 1 erforderliche kausale Zusammenhang zwischen den fremdunüblichen Bedingungen und der Einkünfteminderung. Als Bedingung einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 können – zumindest zum Veranlagungszeitraum 2007 (zur zeitlichen Bedeutung der Rspr. vgl. Rz. 2.191) – vielmehr ausschließlich Preise, d.h. Verrechnungspreise, angesehen werden. Dies ist im Kontext von Darlehensbeziehungen deren Konditionierung, d.h. die vereinbarte Verzinsung der Darlehen, nicht aber deren Substanz. Infolgedessen kann – entgegen der Auffassung des BFH7 – weder 1 Vgl. nur BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 19 ff.; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28. 2 Vgl. Ditz/Engelen/Quilitzsch, Ubg 2016, 513 (517). 3 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 23; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 24. 4 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673, Rz. 25; Schwenke, ISR 2022, 28 (29). 5 So auch Gosch, DStR 2019, 2441 (2448). 6 Vgl. Schindler in Kirchhof/Seer21, § 6 EStG Rz. 136; Bärsch/Engelen, DB 2016, 191 (194 f.). 7 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 21; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 24 f.
Ditz/Wassermeyer | 127
Kap. 2 Rz. 2.182 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
in der Besicherung noch in dem Unterlassen einer Besicherung eine Bedingung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 gesehen werden. Dies bestätigt letztlich die Ergänzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 durch das UntStRefG 2008 v. 14.8.20071, wonach nicht mehr nur auf Bedingungen, sondern auf „Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechungspreise)“ abzustellen ist.2
2.183
Geänderte Rspr. des BFH. Der Nichtanwendungserlass v. 30.3.20163 hat dazu geführt, dass trotz der eigentlich beständigen Rspr. des BFH zur Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECDMA die Korrektur von Teilwertabschreibungen auf grenzüberschreitende Gesellschafterdarlehen umstritten blieb.4 Mit seinen Urteilen v. 27.2.20195 hat der BFH seine Rspr. geändert und durch weitere Urteile6 bestätigt. Danach gehört eine fehlende Darlehensbesicherung grundsätzlich zu den nicht fremdüblichen „Bedingungen“ i.S.d. § 1 AStG und des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Eine Einschränkung des Korrekturbereichs auf reine Preiskorrekturen der Höhe nach ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA, nämlich Gewinnberichtigungen am Maßstab des materiellen Fremdvergleichs auszurichten.7 Sowohl § 1 Abs. 1 AStG als auch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA beschränken damit ihren Korrekturbereich nicht auf reine Preisberichtigungen, sondern ermöglichen die Korrektur des aus einem Forderungsverzicht oder einer Teilwertabschreibung resultierenden Aufwands. Im Einzelnen liegen der Änderung der Rspr. die folgenden Sachverhalte zugrunde: BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16:8 Eine im Inland ansässige Organgesellschaft (Tochtergesellschaft der Klägerin), die A GmbH, war zu 99,98 % an einer in Belgien ansässigen Tochtergesellschaft beteiligt. Die A GmbH führte für die B N.V. ein Verrechnungskonto, das mit 6 % verzinst und nicht besichert war. Am 30.9.2005 vereinbarten die A GmbH und die B N.V. einen Forderungsverzicht gegen Besserungsschein. Der Betrag entsprach dem nach Ansicht der Vertragsbeteiligten wertlosen Teil der Forderungen aus dem Verrechnungskonto der A GmbH gegenüber der B N.V. Der aus der gewinnmindernden Ausbuchung der Forderung bei der A GmbH resultierende Aufwand sollte – so die Ansicht des Finanzamts – nach § 1 Abs. 1 AStG außerbilanziell hinzugerechnet werden. Der I. Senat des BFH bestätigte – entgegen sei1 2 3 4
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7 8
Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. Vgl. dazu Ditz/Engelen/Quilitzsch, Ubg 2016, 513 (517). Vgl. BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455. Vgl. FG Düsseldorf v. 10.11.2015 – 6 K 2095/13 K, EFG 2017, 553 (Rev. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394) und dazu Engelen, ISR 2017, 322 ff.; FG Baden-Württemberg v. 12.1.2017 – 3 K 2647/15, EFG 2017, 635 (Rev. BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/NV 2020, 183) und dazu Engelen, ISR 2017, 322; FG Köln v. 17.5.2017 – 9 K 1361/14, EFG 2017, 1738 (Rev. BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440); FG Münster v. 18.5.2017 – 3 K 2872/14 G, F, juris (Rev. BFH v. 18.12.2019 – I R 72/17, juris) und dazu Bärsch/Engelen, ISR 2017, 281; FG Düsseldorf v. 27.6.2017 – 6 K 896/17 K G, EFG 2017, 1332 (Rev. BFH v. 19.6.2019 – I R 54/17, juris) und dazu Bärsch/Engelen, ISR 2017, 339; FG Baden-Württemberg v. 23.11.2017 – 3 K 2804/15, EFG 2018, 269 (Rev. BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443); FG Münster v. 19.12.2017 – 10 K 3329/13 K, G, F (rkr.), EFG 2018, 667. Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; Wacker, FR 2019, 449 (455); BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440; BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443. Vgl. BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/NV 2020, 183; BFH v. 19.6.2019 – I R 54/17, juris; BFH v. 19.6.2019 – I R 32/17, BFH/NV 2020, 255; BFH v. 14.8.2019 – I R 34/18, juris; BFH v. 18.12.2019 – I R 72/17, juris; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28; BFH v. 19.2.2020 – I R 19/17, BStBl. II 2021, 223. Hiervon unberührt bleibt es jedoch bei der Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gegenüber dem formalen Fremdvergleich, vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 27. Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; Vorinstanz: FG Düsseldorf v. 10.11.2015 – 6 K 2095/13 K, EFG 2017, 553.
128 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.183 Kap. 2
ner bisherigen Rspr. (vgl. Rz. 2.190) – die Auffassung der FinVerw. Die Entscheidung v. 27.2.2017 mit dem Az. I R 73/16 ist insofern als grundlegende „Leitentscheidung“1 zu verstehen (zu den einzelnen Grundsätzen der Entscheidung vgl. Rz. 2.184), an der sich die nachfolgend dargestellten Urteile des I. Senats des BFH orientieren und auf diese Grundlagenentscheidung verweisen. Gegen das BFH-Urteil v. 27.2.2019 hat die inländische GmbH Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das BVerfG hat mit Beschluss v. 4.3.20212 das Urteil aufgehoben und die Sache an den BFH zurückverwiesen.3 Das BVerfG rügt insbesondere die mangelnde Auseinandersetzung mit Unionsrecht, insbesondere dem EuGH-Urteil in der Rs. „HornbachBaumarkt“ v. 31.5.20184. In diesem Urteil hat der EuGH entschieden, dass dem Steuerpflichtigen vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit eine Exkulpationsmöglichkeit zusteht, die er durch den Nachweis wirtschaftlicher Gründe aus der Gesellschafterstellung erbringen kann. Dies umfasst nicht nur sanierungsbedingte, sondern auch sanierungsunabhängige wirtschaftliche Gründe für die Teilwertabschreibung.5 Darüber hinaus weist das BVerfG darauf hin, dass die Vereinbarkeit des BFH-Urteils mit dem Gleichheitssatz i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots zumindest zweifelhaft ist. Mit Blick auf die unverständliche Urteilsserie des BFH war abzusehen, dass das BVerfG dem BFH (unions-)rechtliche Leitplanken aufzeigt.6 BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17:7 Eine inländische KG, an der die A GmbH zu 10 % und als Kommanditisten natürliche Personen beteiligt waren, war alleinige Gesellschafterin einer in China ansässigen Tochtergesellschaft (A Ltd.). Die KG lieferte Waren an die A Ltd., die bei ihr zu Forderungen aus Lieferungen und Leistungen führten. Diese waren unbesichert und wurden nicht verzinst. Am 20.12.2007 verzichtete die KG gegen Besserungsschein teilweise auf ihre Forderungen (aus Lieferungen und Leistungen) und buchte sie gewinnmindernd aus. Per 30.6.2008 wurden die verbleibenden Forderungen wertberichtigt und am 6.12.2018 schließlich ein Forderungsverzicht erklärt. Der I. Senat des BFH verweist in seiner Begründung zu diesem Urteil im Wesentlichen auf die Urteilsgründe der Entscheidung v. 27.2.2019 mit dem Az. I R 73/16. In der Sache wurde der Fall an das zuständige FG Köln zurückverwiesen hinsichtlich der Sachverhaltsfrage, ob die Gewinnminderungen, die auf der Forderungsausbuchung und -abschreibung beruhen, gem. § 1 AStG außerbilanziell zu korrigieren sind. Nach Zurückverweisung durch den BFH wurde die Klage im 2. Rechtsgang beim FG zurückgenommen. Das Verfahren wurde eingestellt und die Kosten der Klägerin auferlegt (Beschluss vom 18.8.2020 7 K 2413/19 -nicht dokumentiert). BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17:8 Die Klägerin, eine inländische GmbH, war mit 50 % an einer in Österreich ansässigen A GmbH beteiligt. Die übrigen 50 % wurden von einer natürlichen, in Österreich ansässigen und der Klägerin nicht nahestehenden Person gehalten. Die inländische GmbH gewährte der A GmbH mehrere Darlehen, die mit 5,5 % verzinst wurden. Zur 1 2 3 4 5 6
Vgl. Wacker, FR 2019, 449 (450). BVerfG, Beschl. v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/19, FR 2021, 637. Der Rechtsstreit wird nun unter dem Az. I R 15/21 (I R 73/16) geführt. EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, Ubg 2018, 403. Vgl. Steiner/Ullmann, DStZ 2021, 698 (705). Vgl. zur Einordnung des BVerfG-Urteils und Kritik an der BFH-Rechtsprechung vgl. Andresen, Ubg 2021, 237 ff.; Kraft, NWB 2021, 1288 ff.; Gläser/Zöller, FR 2021, 628 ff.; Steiner/Ullmann, DStZ 2021, 698 ff. 7 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440; Vorinstanz: FG Köln v. 17.5.2017 – 9 K 1361/14, DStRE 2018, 1251. 8 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443; Vorinstanz: FG Baden-Württemberg v. 23.11.2017 – 3 K 2804/15, EFG 2018, 269.
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Kap. 2 Rz. 2.183 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
Sicherheit wurden jeweils unterschiedliche Maschinen der A GmbH übereignet. Darüber hinaus übernahm die inländische GmbH eine Bürgschaft für ein Darlehen einer österreichischen Bank an die A GmbH. Nachdem die A GmbH 2002 das Darlehen teilweise getilgt hatte, blieben Tilgungen 2003 aus, und die inländische GmbH nahm per 31.12.2003 Teilwertabschreibungen auf die Forderungen aus den Darlehen vor. Nachdem über das Vermögen der A GmbH am 7.12.2004 das Konkursverfahren eröffnet wurde, wurde die inländische GmbH (Klägerin) von der Bank aus dem Bürgschaftsvertrag in Anspruch genommen. Infolgedessen bildete die inländische GmbH per 31.12.2004 eine Rückstellung für Verbindlichkeiten aus der erwarteten Inanspruchnahme aus der Bürgschaft. Das zuständige Finanzamt korrigierte den aus der Teilwertabschreibung und den aus der Inanspruchnahme der Bürgschaft gebildeten Rückstellung resultierenden Aufwand gem. § 1 AStG. Der BFH verweist in seiner Begründung im Wesentlichen auf sein Urteil v. 27.2.2019 mit dem Az. I R 73/16. Im Übrigen wird der Fall an das FG zurückverwiesen, um festzustellen, ob die Darlehens- und Bürgschaftsverhältnisse fremdüblich waren. BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17:1 Die Klägerin, eine inländische GmbH, war mit 50 % an einer in der Schweiz ansässigen A S.A. beteiligt. Die restlichen Anteile an der A S.A. hielt die ebenfalls in der Schweiz ansässige B S.A. (50 %). Zum 31.12.2001 war das Eigenkapital der A S.A. aufgebraucht. Daraufhin gewährte die inländische GmbH (Klägerin) sowie die weitere Gesellschafterin, die B S.A., der A S.A. ein Darlehen. Sicherheiten wurden keine gewährt; die Darlehen wurden mit einem Zinssatz nach den Vorgaben der Eidgenössischen Steuerverwaltung verzinst. 2002 erwirtschaftete die A S.A. einen Verlust und war per 31.12.2002 überschuldet. Im Jahr 2003 verkaufte die inländische GmbH (Klägerin) ihre Beteiligung an der A S.A. an die B S.A. für einen symbolischen Kaufpreis von 2 CHF und verzichtete unwiderruflich auf die Rückzahlung des Darlehens zzgl. der fälligen Zinsen. Das zuständige Finanzamt neutralisierte den aus dem Forderungsverzicht entstandenen Aufwand nach § 1 Abs. 1 AStG. Diese Korrektur wurde durch den BFH im Ergebnis bestätigt und der Fall – ebenfalls unter Verweis auf das BFH-Urteil v. 27.2.2019 (I R 73/16) – „durchentschieden“. BFH v. 19.6.2019 – I R 54/17:2 Die Klägerin, eine inländische GmbH, hielt 100 % der Anteile an ihrer in Großbritannien ansässigen Tochtergesellschaft, der M Ltd. Die GmbH gewährte ihrer Tochtergesellschaft einen Kontokorrentkredit, der mit 6,5 % p.a. verzinst wurde. Per 30.6.2007 (Ende des abweichenden Wirtschaftsjahrs) übertrug die Klägerin ihre Geschäftsanteile an der M Ltd. unentgeltlich auf ihre Anteilseigner und buchte die Beteiligung gewinnmindernd aus. Ferner wurden die Forderungen aus dem Kontokorrentkredit gewinnmindernd ausgebucht und durch das zuständige Finanzamt nach § 1 Abs. 1 AStG außerbilanziell korrigiert. Auch in diesem Fall hat der I. Senat des BFH – unter Verweis auf sein Urteil v. 27.2.2019 (I R 73/16) – die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG bestätigt und den Fall „durchentschieden“. BFH v. 19.6.2019 – I R 32/17:3 Die Klägerin, eine inländische Kapitalgesellschaft, war im Streitjahr 2005 mittel- und unmittelbar an in Frankreich und in den USA ansässigen Gesellschaften beteiligt. Sie gewährte diesen Gesellschaften überwiegend festverzinsliche Darlehen. In einem Fall wurde statt eines festen Zinssatzes eine jährliche Beteiligung i.H.v. 12,5 % am 1 Vgl. BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/NV 2020, 183; Vorinstanz: FG Baden-Württemberg v. 12.1.2017 – 3 K 2647/15, EFG 2017, 635. 2 Vgl. BFH v. 19.6.2019 – I R 54/17, juris; Vorinstanz: FG Düsseldorf v. 27.6.2017 – 6 K 896/17 K, G, EFG 2017, 1332. 3 Vgl. BFH v. 19.6.2019 – I R 32/17, BFH/NV 2020, 255; Vorinstanz: FG Köln v. 22.2.2017 – 13 K 493/12.
130 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.183 Kap. 2
Bilanzgewinn der ausländischen Konzerngesellschaft, begrenzt durch einen Höchstbetrag i.H.v. 25 % des Darlehensvolumens, vereinbart. Sicherheiten wurden weder im Fall der festverzinslichen Darlehen noch bei dem variablen Darlehen vereinbart. Per 31.12.2005 schrieb die inländische Kapitalgesellschaft die aus dem Darlehen resultierenden Forderungen gewinnmindernd ab. Die FinVerw. korrigierte diesen Aufwand außerbilanziell nach § 1 AStG. Nach dem BFH-Beschl. v. 3.3.20211 ist das BFH-Urt. v. 9.6.2019 (I R 32/17) unwirksam; es wurde jedenfalls klarstellend aufgehoben. Grund dafür ist, dass die Unterschriften der bei der Entscheidungsfindung mitwirkenden Richter nicht den Text des Urteils abdecken, das den Beteiligten zugestellt worden ist. Die Unterschriften der Richter unter einem Urteil müssen stets einen Text decken, der dem Beratungsergebnis entsprechend verfasst und den Unterschreibenden zur Gänze bekannt war.2 Fehlt es daran, enthält das zugestellte Urteil einen Verfahrensmangel. Im Zuge des Unterschriftenumlaufs ist vom Berichterstatter des Verfahrens ein Textvorschlag erarbeitet und dem Urteilsentwurf beigefügt worden. Dieser Vorschlag bezieht sich auf die Möglichkeit einer „Risikokompensation“ im Rahmen des streiterheblichen Fremdvergleichs bei gewinnabhängiger Verzinsung eines partiarischen Darlehens, die einen gewichtigen Unterschied zu dem bisher vom Senat entschiedenen Festverzinsungsfällen ausmachen könnte. Dieser Textvorschlag ist im Senat „umgelaufen“ und von den Unterschriften der mitwirkenden Richter gedeckt gewesen. Er hat allerdings nicht Eingang in das den Beteiligten zugestellte Urteil gefunden. Dies geht auf eine von dem damaligen Senatsvorsitzenden veranlasste Änderung des Urteilsentwurfs zurück, der den übrigen am Urteil mitwirkenden Richtern nach der Unterschriftsleistung nicht mehr zur Kenntnis gebracht worden ist. Die Unterschriften dieser Richter decken daher nicht den Text des Urteils ab, da es den Beteiligten zugestellt worden ist. Infolgedessen gilt das BFH-Urt. v. 19.6.2019 (I R 32/17) als nicht ergangen. Die mündliche Verhandlung wurde wieder eröffnet. Der BFH hat dann den Fall neu mit seinem Urt. v. 9.6.20213 entschieden (s.u.). BFH v. 14.8.2019 – I R 34/18:4 Eine inländische OHG, an der ausländische juristische Personen beteiligt waren, war Alleingesellschafterin einer in Italien ansässigen Kapitalgesellschaft (A S.R.L.). Die OHG hatte eine nicht besicherte Forderung aus einem Kontokorrentkredit gegenüber der A S.R.L. Die Forderung wurde in den Streitjahren (2003 und 2004) mit Zinssätzen zwischen 3,13 % und 4,57 % verzinst. Zum 31.12.2002 verzichtete die OHG gegen Besserungsschein auf einen Teil ihrer Forderungen. Bis Ende 2004 stieg der Wert der Forderung wieder an. Die OHG verzichtete sodann erneut gegen Besserungsschein auf einen Teil der Forderungen. Das zuständige Finanzamt korrigierte die Gewinnminderungen aus den Forderungsverzichten außerbilanziell nach § 1 Abs. 1 AStG. Wie auch in dem vorstehend dargestellten Urteil bestätigte der I. Senat des BFH diese Rechtsauffassung der FinVerw., im Wesentlichen unter Verweis auf das Urteil v. 27.2.2019 (I R 73/16). Gegen das BFH-Urteil v. 14.8.2019 wurde Verfassungsbeschwerde erhoben, die nun beim BVerfG unter dem Az. 2 BvR 1079/20 anhängig ist. BFH v. 14.8.2019 – I R 21/18:5 Eine im Inland ansässige GmbH (R GmbH) gewährte ihrer in Frankreich ansässigen Tochtergesellschaft, der T S.A.R.L., ein Darlehen mit einem Zinssatz von 6 %. Das Darlehen war nicht besichert; Rückzahlungszeitpunkt und Tilgungsraten waren
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Vgl. BFH v. 3.3.2021 – I R 32/17, BFH/NV 2021, 644. Vgl. BGH v. 10.1.1978 – 2 StR 654/77, BGHSt 27, 334. Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28. Vgl. BFH v. 14.8.2019 – I R 34/18, IStR 2020, 590; Vorinstanz: FG Hessen v. 29.8.2018 – 2 K 1744/ 16, DStRE 2019, 1188. 5 Vgl. BFH v. 14.8.2019 – I R 21/18, BFH/NV 2020, 759.
Ditz/Wassermeyer | 131
Kap. 2 Rz. 2.183 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
nicht festgelegt und sollten erst zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt werden. Zum 31.12.2005 und zum 31.12.2006 nahm die R GmbH Teilwertabschreibungen auf die Forderungen aus dem Gesellschafterdarlehen vor. Das zuständige Finanzamt neutralisierte die aus den Teilwertabschreibungen resultierenden Gewinnminderungen außerbilanziell nach § 1 Abs. 1 AStG. Unter Verweis auf die Grundsatzentscheidung v. 27.2.20191 bestätigt der BFH die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG aufgrund der fehlenden Vereinbarung einer Besicherung des Gesellschafterdarlehens und der damit verbundenen Fremdunüblichkeit. Die Sache wurde an das zuständige FG zurückverwiesen, um die erforderlichen Feststellungen der betrieblichen Veranlassung des Darlehens und zum Fremdvergleich zu ermöglichen.2 BFH v. 18.12.2019 – I R 72/17:3 Eine inländische KG, an der im Streitjahr 2005 neben der nicht vermögensmäßig beteiligten Komplementärin zwei natürliche Personen (C und D) zu jeweils 50 % als Kommanditisten beteiligt waren, hat ein kurzfristiges Darlehen an die in Polen ansässige E Sp. z o.o. gewährt. Gesellschafter der E Sp. z o.o. waren C und D. Aufgrund der negativen Geschäftsentwicklung der polnischen Gesellschaft hat die KG ihre Darlehensforderungen abgeschrieben. Das zuständige Finanzamt korrigierte die Teilwertabschreibung nach § 1 Abs. 1 AStG außerbilanziell. Dieses Vorgehen wurde durch den I. Senat des BFH – wieder unter Verweis auf sein Grundsatzurteil v. 27.2.2019 (I R 73/16) – bestätigt. Gegen die Entscheidung des BFH v. 18.12.2019 wurde Verfassungsbeschwerde erhoben. Das Az. beim BVerfG lautet 2 BvR 2002/20. BFH v. 19.2.2020 – I R 19/17:4 Die Klägerin, eine inländische KG, an der zwei in Deutschland ansässige GmbHs als Komplementärin und als alleinige Kommanditistin beteiligt waren, gewährte ihrer in der Türkei ansässigen Tochtergesellschaft, der T Ltd., mit Vertrag vom 21.5.2010 ein Darlehen mit einer Verzinsung von 6 %. Das Darlehen hatte eine Laufzeit von 24 Monaten und verlängerte sich um jeweils 12 Monate, wenn keine Kündigung erfolgte. Eine Sicherheit wurde nicht vereinbart. Zum 31.12.2011 wurde die Darlehensforderung der KG teilwertberichtigt. Das Finanzamt korrigierte sie aufgrund der fehlenden Besicherung außerbilanziell gem. § 1 Abs. 1 AStG. Unter Verweis auf die Grundsatzentscheidung v. 27.2.20195 bestätigt der BFH die Auffassung des zuständigen Finanzamts (Beklagte). Ob § 8b Abs. 3 Satz 4 einschlägig ist, ließ der BFH offen.6 BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17:7 Dem BFH-Urt. liegt der Sachverhalt des Urt. v. 19.6.20198 zugrunde (s.o.). Aufgrund eines unheilbaren Verfahrensfehlers wurde dieses Urteil aufgehoben und eine erneute Entscheidung getroffen. In dem Urt. v. 9.6.2021 bestätigt der I. Senat ausdrücklich seine Rechtsprechung zur Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG auf Forderungsausfälle und Teilwertabschreibungen auf Forderungen aus Gesellschafterdarlehen, die nicht besichert sind. Bestätigt wird insofern, dass eine fehlende Darlehensbesicherung eine „Bedingung“ i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG darstellen kann und die Anwendung der Vorschrift in diesen Fällen sowohl durch ihren Sinn und Zweck als auch den Wortlaut – hier ging es insbesondere
1 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394. 2 Vgl. BFH v. 14.8.2019 – I R 21/18, BFH/NV 2020, 759, Rz. 31. 3 Vgl. BFH v. 18.12.2019 – I R 72/17, juris; Vorinstanz: FG Münster v. 18.5.2017 – 3 K 2872/14 G, F, juris. 4 Vgl. BFH v. 19.2.2020 – I R 19/17, BStBl. II 2021, 223. 5 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394. 6 Vgl. BFH v. 19.2.2020 – I R 19/17, BStBl. II 2021, 223, Rz. 25. 7 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28. 8 Vgl. BFH v. 19.6.2019 – I R 32/17, BFH/NV 2020, 255.
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E. § 1 AStG | Rz. 2.184 Kap. 2
um das Tatbestandsmerkmal „dadurch“ als Kausalvorgabe (Rz. 2.162) – gedeckt ist.1 Neu ist in diesem Urteil, dass es sich bei der Darlehensbesicherung nur um eine der Bedingungen eines Darlehens handelt, welche im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zur Fremdüblichkeit zu berücksichtigen ist. Ein unbesichertes Darlehen kann daher nicht „per se“ als fremdunüblich qualifiziert werden; vielmehr sind die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dies entspricht auch der Auffassung der Finanzverwaltung.2 Für die Prüfung der Fremdüblichkeit müsse es sich bei den „fremden Dritten“ nicht um „klassische Banken“ handeln. Soweit die bisherigen Entscheidungen so verstanden worden seien, sei dies eine „Fehlinterpretation“.3 Zudem sei auch nicht immer von einer Vollbesicherung auszugehen.4 Und: Neu ist auch, dass der BFH nunmehr anerkennt, dass bis zu einem gewissen Grad eine Austauschfunktion zwischen Sicherheiten einerseits und einer Risikokompensation in Form eines höheren Zinssatzes andererseits bestehen kann.5 Grundsätze der neuen BFH-Rspr. In den vorstehend dargestellten Urteilen hat der BFH seine bisherige Rspr.6 (vgl. Rz. 2.190) zu der Frage, ob Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen nach Maßgabe von § 1 AStG und der einschlägigen, Art. 9 OECD-MA nachgebildeten Abkommensnorm korrigiert werden können, geändert und neue Grundsätze aufgestellt. Die Grundsätze können wie folgt zusammengefasst werden: – Im Rahmen der Kapitalüberlassung zwischen verbundenen Unternehmen ist in einem ersten Schritt zu untersuchen, ob das zugeführte Kapital aus steuerlicher Sicht als Eigen- oder Fremdkapital anzusehen ist. Der Annahme von Fremdkapital und demnach der steuerlichen Anerkennung einer Darlehensforderung ist vorausgesetzt, dass die Beteiligten – i.S. einer ernstlichen Abrede – von der Überlassung von Kapital auf Zeit ausgegangen sind und bei objektiver Würdigung davon ausgehen konnten, dass der Darlehensvertrag durchgeführt wird, insbesondere also das Darlehen zurückgezahlt wird. – Im Zusammenhang mit der fehlenden Besicherung eines Darlehens unterscheidet der BFH zwischen „Konzernüblichkeit“ und „Fremdüblichkeit“. Nach seiner Einschätzung mag es zwar durchaus konzernüblich sein, zwischen verbundenen Unternehmen auf eine Besicherung von Darlehen zu verzichten. Eine solche Abrede steht hingegen nicht im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz, weil ein fremder Dritter die Darlehensgewährung von der Einräumung werthaltiger (bank- und marktüblicher) Sicherheiten abhängig gemacht hätte. – Der sog. Konzernrückhalt (vgl. auch Rz. 2.187) bringt lediglich die Üblichkeit zum Ausdruck, innerhalb eines Konzernverbunds Darlehen zu vergeben, ohne diese wie unter Fremden abzusichern. Im Rahmen der vorzunehmenden Differenzierung zwischen Eigenund Fremdkapital (siehe oben) ist er deshalb geeignet, trotz des Fehlens einer Besicherung das Vorliegen einer ernsthaften Kreditabrede zu tragen.7 Er ist jedoch nicht mit einer solchen Kreditbesicherung gleichzusetzen. Er kann eine solche Sicherheit deshalb weder erset-
1 Vgl. Schwenke, ISR 2022, 28 (29). 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.22. 3 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 33 mit Verweis auf Kraft, Ubg 2019, 605 mit Verweis auf Wacker, FR 2019, 449 und Wacker in Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff, Territorialität und Personalität, FS Moris Lehner, 2019, 247. 4 Vgl. hierzu auch BVerfG, Beschl. v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/19, FR 2021, 637, Rz. 48 f. 5 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 34. 6 Vgl. BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261. 7 Vgl. Wacker, FR 2019, 449 (453).
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2.184
Kap. 2 Rz. 2.184 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
zen, noch schließt er aus, dass eine Darlehensforderung zwischen verbundenen Unternehmen wertlos sein kann.1 – Die (fehlende) Besicherung einer Darlehensforderung stellt eine „Bedingung“ i.S.v. § 1 Abs. 1 AStG dar. Die fehlende Besicherung kann ferner die Ursache für die auf Ebene des Darlehensgebers eintretende Einkünfteminderung (aus der Ausbuchung der Darlehensforderung) sein. Denn i.S. einer – wegen des Veranlassungsprinzips gebotenen – wertenden Betrachtung sei nicht auf die (fehlende) Bonität des Darlehensschuldners, sondern vorrangig auf den Verzicht der Besicherung abzustellen. – Art. 9 Abs. 1 OECD-MA ist in seiner Wirkung nicht auf reine Preisberichtigungen beschränkt, sondern er ermöglicht auch die Neutralisierung der gewinnmindernden Ausbuchung einer Darlehensforderung oder einer Teilwertabschreibung hierauf. Die Vorschrift entfaltet deshalb keine Sperrwirkung gegenüber § 1 AStG und hindert dessen Anwendung folgerichtig nicht.2 – Die europarechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV und hierbei insbesondere die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Hornbach-Baumarkt3 stehen der aufgrund von § 1 AStG vorgenommenen Einkünftekorrektur nicht entgegen. Nach Einschätzung des BFH sind in Bezug auf Substanzverluste aus Darlehensverhältnissen etwaige wirtschaftliche Gründe, die in der Gesellschafterstellung des Darlehensgebers begründet liegen, nicht geeignet, die Wahrung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu verdrängen (zu Einzelheiten vgl. Rz. 13.24 ff.).
2.185
Prüfungsreihenfolge nach neuer BFH-Rspr. In seiner neuen Rspr.4 hat der BFH folgende Prüfungsreihenfolge hinsichtlich der steuerlichen Anerkennung von Aufwand aus der Teilwertabschreibung auf Forderungen aus Gesellschafterdarlehen sowie entsprechenden Forderungsverzichten definiert: 1. Liegt tatsächlich Fremdkapital vor, oder ist das Darlehen in eine Einlage von Eigenkapital durch die Muttergesellschaft umzuqualifizieren (Ernsthaftigkeitsprüfung; Konkurrenz zur verdeckten Einlage)? 2. Ist der Tatbestand des § 1 Abs. 1 AStG erfüllt (Fremdüblichkeitsprüfung)? 3. Verändert sich der Prüfungsmaßstab durch die Rspr.-Grundsätze zum Konzernrückhalt? 4. Greift die abkommensrechtliche Sperrwirkung einer Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschrift? 5. Bestehen europarechtliche Beschränkungen?
1 Änderung der Rspr., entgegen BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573. 2 Änderung der Rspr., entgegen BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261. 3 Vgl. EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366 – Hornbach-Baumarkt. 4 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440; BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443; BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/ NV 2020, 183; BFH v. 19.6.2019 – I R 54/17, juris; BFH v. 19.6.2019 – I R 32/17, BFH/NV 2020, 255; BFH v. 14.8.2019 – I R 34/18, juris; BFH v. 18.12.2019 – I R 72/17; BFH/NV 2020, 1049; BFH v. 14.8.2019 – I R 21/18, BFH/NV 2020, 759; BFH v. 19.2.2020 – I R 19/17, BStBl. II 2021, 223; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28.
134 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.186 Kap. 2
Besicherung als „Bedingung“ gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG. Nach seinem Leiturteil v. 27.2.20191 (vgl. Rz. 2.183) weiche die Nichtbesicherung einer Forderung „vom Fremdüblichen ab, weil ein fremder Gläubiger die Darlehensgewährung [...] von der Einräumung werthaltiger Sicherungsrechte abhängig gemacht hätte.“2 Insofern entsteht der Eindruck, dass die Nichtbesicherung einer Forderung nach Auffassung des BFH per se fremdunüblich sei;3 dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, indem der BFH das „Marktübliche“ mit dem „Banküblichen“ gleichsetzt.4 Diese pauschale Aussage wird jedoch in den weiteren ergangenen Urteilen relativiert. So heißt es in einer der am 5.9.2019 veröffentlichten Entscheidungen, dass zum Begriff der Bedingung „im gewöhnlichen Geschäftsverkehr [bei Zahlungsforderungen aus Lieferverhältnissen] üblicherweise auch Vereinbarungen über ggf. zu stellende Sicherheiten zu rechnen“ sind.5 Obwohl in dem dort streitigen Sachverhalt – ebenso wie in dem unter I R 73/16 entschiedenen Fall – Sicherheiten fehlten, ließ der BFH zudem offen, ob dies dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht oder nicht. Vielmehr verwies er darauf, dass Feststellungen durch das FG, „ob die fehlende Besicherung der Zahlungsforderung [...] dem entspricht, was ein fremder, nicht durch ein Gesellschaftsverhältnis mit der Abnehmerin verbundener Lieferant (ex ante) im konkreten Lieferverhältnis [...] vereinbart hätte“ unterblieben sind.6 Ganz ähnlich verhält es sich auch in der weiteren Entscheidung v. 27.2.2019.7 Dort waren besicherte Darlehensforderungen sowie eine unbesicherte Regressforderung aus einem Bürgschaftsversprechen gegenständlich. Der BFH führt diesbezüglich ebenfalls aus, dass zum Begriff der Bedingung i.S.v. § 1 Abs. 1 AStG „im gewöhnlichen Geschäftsverkehr [...] üblicherweise auch Vereinbarungen über die zu stellenden Sicherheiten rechnen“8. Ferner seien, „zu der Frage, ob die Besicherung der Rückzahlungsforderung aus dem Darlehen mit den sicherungsübereigneten Maschinen und die fehlende Besicherung der Bürgen-Regressforderung – auch unter Berücksichtigung des österreichischen Rechts – dem entsprechen, was ein fremder, nicht durch ein Gesellschaftsverhältnis mit der A-GmbH verbundener Darlehensgeber bzw. Bürge (ex ante) vereinbart hätte“, keine Feststellungen durch das vorinstanzliche FG getroffen worden.9 Anders als zuvor wurden beide Verfahren deshalb nicht „durchentschieden“, sondern zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an die FG zurückverwiesen.10 Deutlich wird hierdurch, dass (1) es dem BFH für die Frage nach der Anwendbarkeit von § 1 AStG entscheidend auf die Frage ankommt, ob anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls der Fremdvergleichsgrundsatz gewahrt wurde oder nicht, und (2) eine fehlende Besicherung nicht (mehr) in jedem Fall dem Fremdvergleichsgrundsatz
1 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394. 2 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 22. 3 Vgl. dazu auch Gosch, DStR 2019, 2441 (2443); Tcherveniachki/Haverkamp, Ubg 2019, 555 (558 f.); Kahlenberg/Kempelmann/Rieck, DB 2019, 1752 (1754). 4 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 22. 5 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440, Rz. 13 [Hervorhebungen durch den Verfasser]. 6 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440, Rz. 14 [Hervorhebungen durch den Verfasser]. 7 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443. 8 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443, Rz. 12 [Hervorhebungen durch den Verfasser]. 9 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443, Rz. 13 [Hervorhebungen durch den Verfasser]. 10 Vergleichbar auch BFH v. 19.6.2019 – I R 32/17, BFH/NV 2020, 255, Rz. 13: „Zu der Frage, ob die fehlende Besicherung der Darlehensrückzahlungsforderung dem entspricht, was fremde, nicht mit den nachgeordneten Gesellschaften verbundene Darlehensgeber (ex ante) vereinbart hätten, hat das FG keine Feststellungen getroffen.“
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2.186
Kap. 2 Rz. 2.186 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
widerspricht; stattdessen lässt es der BFH einzelfallbezogen zu, auch bei einer gänzlich fehlenden Forderungsbesicherung von einer Korrektur nach § 1 AStG abzusehen. Dies zu überprüfen, ist Sache der Finanzgerichte. Maßgebend sollen stets die Verhältnisse im Zeitpunkt der Darlehensgewährung sein (ex ante). Dabei muss allerdings immer gelten, dass sich die fehlende Besicherung nicht per se als fremdunüblich qualifiziert. Dies wird durch das BFH-Urteil v. 9.6.20211 bestätigt. Darin macht der BFH deutlich, dass es sich bei der Besicherung des Darlehens nur um eine der relevanten Bedingungen handelt, welche im Rahmen der einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu beachten ist. Ob die fehlende Besicherung fremdunüblich ist, ist in Bezug auf den Einzelfall unter Berücksichtigung des Verhaltens fremder Dritter – z.B. durch Berücksichtigung der Ertragssituation der Tochtergesellschaft – zu prüfen.2 Aus einer fehlenden Besicherung eines Gesellschafterdarlehens kann daher nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass dies „automatisch“ zu einem Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz führt.3 Ferner stellt der BFH nunmehr klar, dass bei einem Fremdvergleich nicht immer auf „klassische Banken“ und infolgedessen auf ein bankübliches Verhalten abzustellen ist. Soweit dies aus den zuvor ergangenen Urteilen (insbesondere aus der Leitentscheidung vom 27.2.20194) abgeleitet wurde, bezeichnet dies der BFH als Fehlinterpretation. Es wird auch deutlich, dass eine Besicherung nicht immer „banküblich“ sein muss und auch nicht immer von einer Vollbesicherung ausgegangen werden darf.
2.187
Rückhalt im Konzern als Sicherheit? Nach der nunmehr geänderten Rspr. des I. Senats des BFH können faktische Sicherheiten zur Besicherung einer Darlehensforderung im Rahmen der Fremdunüblichkeitsprüfung keine Berücksichtigung finden.5 Infolgedessen könne auch der Rückhalt im Konzern ohne Hinzutreten einer rechtlichen Verpflichtung, für die Rückzahlung des Darlehens einzustehen, nicht als (faktische) Besicherung eines Gesellschafterdarlehens fungieren. Denn der Rückhalt im Konzern beschreibe „lediglich den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung und [...] [bringe] die Üblichkeit zum Ausdruck, innerhalb eines Konzerns Kreditansprüche nicht wie unter Fremden abzusichern [...]“6Der BFH sieht zwar, dass die aus dem Konzernrückhalt entstehende tatsächliche Sicherheit „konzernüblich“ sei; dies bedeute jedoch nicht, dass ein „fremdübliches“ Vorgehen vorliege.7 Mit anderen Worten: Nach der neuen Rspr. des BFH können Gesellschafterdarlehen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft (oder nachgeordneten Gesellschaften) nur dann fremdüblich i.S.d. § 1 AStG ausgestaltet sein, wenn sie rechtlich (z.B. durch eine Garantie, Patronatserklärung, Bürgschaft) abgesichert sind oder über einen Fremdvergleich nachgewiesen werden kann, dass auch fremde Dritte unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls auf eine Besicherung verzichtet hätten. Der BFH geht in seinem Leiturteil v. 27.2.2019 noch weiter, indem er das „Marktübliche“ mit dem „Banküblichen“ gleichsetzt.8 Diese Auffas1 2 3 4 5
Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28. Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673, Rz. 55; Schwenke, ISR 2022, 28 (29 f.). So wohl auch VWG VP 2021, Rz. 1.22. Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394. Vgl. dazu BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 31; Schwenke in FG Baumhoff, 337 (342 ff.); Steiner/Ullmann, DStR 2019, 2385 (2390); Kahlenberg/Kempelmann/ Rieck, DB 2019, 1752 (1758); Tcherveniachki/Haverkamp, Ubg 2019, 555 (560); Brugger, DK 2022, 5 (7). 6 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 13. 7 Zur Unterscheidung zwischen „konzernüblich“ und „fremdüblich“ vgl. auch Wacker, FR 2019, 449 (452). 8 Vgl. BFH v. 27.2.20119 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 22.
136 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.187 Kap. 2
sung wurde im nachfolgenden Urteil indessen relativiert; mit Urteil v. 9.6.20211 wurde dann sogar klargestellt, dass es sich insoweit um eine „Fehlinterpretation“ gehandelt habe2 (vgl. Rz. 2.183). Mit seiner neuen Rspr. weicht der I. Senat des BFH von seiner früheren, gefestigten Rspr. ab, wonach bei Gesellschafterdarlehen (z.B. einer Mutter- an ihre Tochtergesellschaft) auf die Vereinbarung tatsächlicher Sicherheiten verzichtet werden kann, sofern sich eine Besicherung der Darlehensforderung aus dem Rückhalt im Konzern ergibt.3 Die neue Positionierung des I. Senats des BFH im Hinblick auf die Nichtanerkennung des Rückhalts im Konzern als faktische Sicherheit geht an der wirtschaftlichen und rechtlichen Realität eines Konzerns – insbesondere auch unter Berücksichtigung des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG – vorbei.4 Denn die Muttergesellschaft beherrscht – zumindest bei Beteiligungen von mehr als 50 % – „ihre“ Tochtergesellschaft und hat damit einen unmittelbaren Einfluss auf ihre Geschäfts- und Finanzierungspolitik. Gerade daraus ergibt sich ein wesentlicher Unterschied zu einer Finanzierungsbeziehung zwischen fremden Dritten, d.h. unverbundenen Unternehmen. Daraufhin hatte der BFH (zutreffend) bereits in seinem Urteil v. 21.12.19945 entschieden, dass im Hinblick auf Darlehensforderungen zwischen Konzerngesellschaften die Besicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs in den Einflussmöglichkeiten des beherrschenden Gesellschafters liege. Diese Konzeption hat der BFH nunmehr aufgegeben und geht damit über die Tatsache hinweg, dass aufgrund der Beteiligungsstrukturen im Konzern andere Bedingungen vorherrschen, als dies bei einer Finanzierung zwischen unabhängigen Marktteilnehmern der Fall ist. Der Vergleich mit dem „Banküblichen“6 kann daher nicht überzeugen. Auch bei Anwendung des Fremdvergleichs kann über die Konzernstrukturen als maßgebliches Vergleichbarkeitskriterium nicht hinweggegangen werden.7 Infolgedessen kann die These, dass die „Konzernüblichkeit“ die „Fremdüblichkeit“ nicht beeinflussen kann, nicht zutreffend sein. Dies zeigen die Verlautbarungen der OECD, wonach der Rückhalt im Konzern im Rahmen der Fremdvergleichsprüfung zu berücksichtigen ist.8 Die Position des BFH entspricht daher nicht internationalen Grundsätzen. Dies zeigt auch Tz. 1.121 OECD-Leitlinien 2022, wonach von der Finanzverwaltung „alles getan werden [soll], um den Preis für den tatsächlichen Geschäftsvorfall zu bestimmen, wie nach dem Fremdvergleichsgrundsatz sachgerecht abgegrenzt wurde.“ Insoweit sollte die Finanzverwaltung „den tatsächlichen Geschäftsvorfall nicht unberücksichtigt lassen oder durch andere Geschäftsvorfälle ersetzen, es sei denn, [...] [bestimmte Ausnahmefälle] seien gegeben.“9 Ein derartiger Ausnahmefall liegt vor, „wenn die in Bezug auf den Geschäftsvorfall getroffenen Vereinbarungen, die in ihrer Gesamtheit gesehen, von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen [...] getroffen hätten, und somit die Bestimmungen eines Preises verhindert wird, der für beide Seiten [...] annehmbare wäre.“10 Bezug nehmend auf die Besiche1 2 3 4 5 6 7 8
9 10
Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22. Vgl. auch Schwenke, ISR 2022, 28 (30). Vgl. BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258. So auch Gosch, DStR 2019, 2441 (2443). Auch Schwenke in FG Baumhoff, 337 (343) konstatiert: „Im Ergebnis verbleibt in dieser Hinsicht ein gewisser Widerspruch zur oben wiedergegebenen älteren Rechtsprechung des BFH.“ Vgl. BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, BFHE 176, 571, FR 1995, 476. Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 22. A.A. Greil, JbFStR 2018/2019, 943 (968). Vgl. Tz. 6.30 OECD-Leitlinien 2022, wonach Synergieeffekte, zu denen auch „zufällige [...] Vorteile [zählen], die nur aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Konzern entstehen [...]“ zu einer Verbesserung der Kreditmöglichkeit führen und letztlich „einen Effekt auf die Bestimmung der fremdüblichen Bedingungen für konzerninterne Geschäftsvorfälle haben [...].“ Tz. 1.121 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.122 OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Wassermeyer | 137
Kap. 2 Rz. 2.187 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
rung eines Gesellschafterdarlehens folgt daraus, dass nach den OECD-Leitlinien 2022 eine Korrektur der Besicherung (und somit die Gewinnminderung des Darlehensstamms) nur möglich ist, wenn die fehlende Besicherung nicht durch einen Risikoaufschlag auf den Zinssatz kompensiert wurde.1 Im Ergebnis kann die geänderte Rspr. des BFH nicht nur inhaltlich nicht überzeugen,2 sondern sie stellt international agierende Konzerne vor die praktische Herausforderung, die vom BFH in seiner neuen Rspr. aufgestellten Grundsätze zu erfüllen. Dies wird in der Praxis schlichtweg unmöglich sein, da die Gewährung von Sicherheiten innerhalb eines Konzerns nicht üblich ist und häufig schlichtweg keine Sicherheiten bei der Tochtergesellschaft vorhanden sind (z.B. typischerweise bei lokalen Vertriebs- und Produktionsgesellschaften).
2.188
Risikokompensation im Zins. Zunächst in der neuen Rspr. des BFH unberücksichtigt blieb der Aspekt, dass aus einem Darlehen resultierende Risiken – u.a. auch das Bonitäts- und Forderungsausfallrisiko – im Rahmen der Vergütung für die Kapitalüberlassung (d.h. im Rahmen der Bestimmung des Zinses der Höhe nach) nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu berücksichtigen sind. Je höher das Bonitäts- und Forderungsausfallrisiko, desto höher ist der fremdübliche Zins.3 Die Bonität des Schuldners und sein Rating sind infolgedessen für die Bestimmung eines angemessenen Zinssatzes bei einer Konzernfinanzierung als vergütungsbestimmende Parameter zu berücksichtigen. Selbst wenn mit der neuen Rspr. des BFH der Konzernrückhalt als Sicherheit zu negieren ist, stellt sich die Frage, ob nicht bestehende Ausfallrisiken über einen Risikozuschlag auf den Zinssatz Berücksichtigung finden müssen. Dies entspricht dem Verhalten unabhängiger Unternehmen, wonach aus der Position des Darlehensschuldners resultierende Risiken im Zinssatz Niederschlag finden müssen. Unzweifelhaft entspricht dies einem Fremdvergleich, sodass hieraus folgt, dass nicht bestehende Sicherheiten über einen höheren Zinssatz kompensiert werden. Mit anderen Worten: In diesen Fällen setzt der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AStG an der Angemessenheit des Zinssatzes an mit der Folge, dass – einen angemessenen Zinssatz unterstellt – Verluste aus dem Forderungsstamm unzweifelhaft anerkannt werden müssen. Wurde dieser Aspekt im Rahmen der jüngeren Rechtsprechung zunächst nicht diskutiert, bestätigt der BFH in seinem Urteil v. 9.6.2021, dass ein Zusammenhang zwischen Sicherheiten einerseits und Höhe des Zinssatzes andererseits bestehen kann. Maßgeblich ist auch hier der Fremdvergleichsgrundsatz und die Frage, ob ein fremder Dritter durch einen „Zinszuschlag“ die Nichtbesicherung des Darlehens und das damit verbundene erhöhte Risiko kompensieren würde. Dies ist nach Ansicht des BFH unter Berücksichtigung des „Marktes“ zu prüfen. Wie der Nachweis konkret zu führen ist, bleibt offen. Der BFH weist aber darauf hin, dass die Gewährung unbesicherter Darlehen durch fremde Dritte an die Konzernobergesellschaft allein nicht ausreicht. Es ist also ein „Markt“ zu ermitteln, um die Korrektur der Teilwertabschreibung gem. § 1 Abs. 1 AStG zu verhindern.4
1 Vgl. Steiner/Ullmann, DStR 2019, 2385 (2391). 2 Zur Kritik vgl. auch Gosch, DStR 2019, 2441 (2443 f.); Tcherveniachki/Haverkamp, Ubg 2019, 555 (557 ff.); Steiner/Ullmann, DStR 2019, 2385 (2389 ff.); Kahlenberg/Kempelmann/Rieck, DB 2019, 1752 (1753 f.); Kraft/Hohage, FR 2019, 1115 (1118 ff.); Stein/Schwarz, Ubg 2019, 403 (405 ff.); Gebel, DStR 2019, 1896 (1898 ff.); a.A. Wacker, FR 2019, 449 (452 ff.); Wacker in FS Lehner, 247 (253 ff.). 3 Vgl. dazu Schilling/von der Heydt, DB 2019, 2760 ff. 4 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, Rz. 36; Schwenke, ISR 2021, 28 (30).
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E. § 1 AStG | Rz. 2.189 Kap. 2
Nichtbeachtung von Sinn und Zweck des § 1 Abs. 1 AStG und weitere Unzulänglichkeit der neuen Rspr. Seit seiner Einführung verfolgt § 1 AStG das Ziel der Sicherung des deutschen Steueraufkommens.1 Bei der Auslegung von § 1 AStG ist dieser Wille des Gesetzgebers aus Sicht der Klägerin zu berücksichtigen.2 Eine Gewinnverlagerung in diesem Sinne setzt jedoch voraus, dass einerseits eine Minderung der im Inland steuerpflichtigen Einkünfte und andererseits eine damit korrespondierende Erhöhung der steuerpflichtigen Einkünfte auf Ebene der dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person im Ausland eintritt.3 In Bezug auf Teilwertabschreibungen gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG auf Forderungen aus Gesellschafterdarlehen sind zwar Aufwendungen entstanden, die ihr zu versteuerndes Einkommen minderten. Dem steht indessen – weder bilanziell noch im Rahmen der Gewinnermittlung – ein korrespondierender Ertrag bei der ausländischen Tochtergesellschaft gegenüber.4 Der BFH weist in seinem Urteil v. 9.6.2021 zwar darauf hin, dass „vordringlich Fälle der Gewinnverlagerung in das Ausland“ von der Norm erfasst werden5, allerdings sei ausweislich der Gesetzesbegründung der „zutreffende Inlandsgewinn“ zu erfassen, ohne dass dies einen korrespondierenden Ertrag im Ausland notwendig mache. Ob dies indessen der historische Wille des Gesetzgebers war, ist fraglich (vgl. zu Einzelheiten Rz. 2.163). Aus diesem Grund ist der Auffassung des FG Düsseldorf6 uneingeschränkt zuzustimmen, dass sich – wegen des sonst resultierenden Widerspruchs zum Sinn und Zweck der Norm – die Anwendungen des § 1 AStG im Zusammenhang mit Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen verbietet. Schließlich ergeben sich durch die neue Rechtsauffassung des BFH folgende Fragen und Unzulänglichkeiten: – Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG ist für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes davon auszugehen, dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung kennen und nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln. Es wird damit unterstellt, dass die Muttergesellschaft sämtliche wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen und Gegebenheiten der Tochtergesellschaft und ihres Betriebs kennt. Spricht dies nicht dafür, den Rückhalt im Konzern als faktische Sicherheit anzuerkennen? – Die Feststellungslast für Korrekturen nach § 1 Abs. 1 AStG liegt bei der Finanzverwaltung. Dies ergibt sich aus dem Amtsermittlungsgrundsatz nach § 88 Abs. 1 Satz 1, § 199 Abs. 1 AO. Es ist Aufgabe der Finanzverwaltung darzulegen und ggf. zu beweisen, dass alle Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands erfüllt sind.7 Auf diesen Aspekt der Beweislastverteilung im Besteuerungsverfahren geht der BFH in seiner neuen Rspr. nicht ein. Ent-
1 BT-Drucks. VI/2883, Teil B Buchst. a, Rz. 15 ff.; BT-Drucks. 16/4841, 84. 2 Vgl. Wassermeyer, DB 2006, 296 (299); Tcherveniachki/Haverkamp, Ubg 2019, 555 (558). 3 Vgl. Ditz/Engelen/Quilitzsch, Ubg 2016, 513 (516); Ditz/Qulitzsch, ISR 2014, 109 (113); Prinz/ Scholz, FR 2011, 925 (925 f.); Wassermeyer, DB 2006, 296 (299); Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 709 (713); Becker, DStR 2009, 1796 (1798); Schmidt, NWB Beilage 2/2011, 14; a.A. Schwenke, ISR 2022, 28 (29); Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (71). 4 Vgl. Gosch, DStR 2019, 2441 (2448); Gebel, DStR 2019, 1896 (1899); Prinz/Scholz, FR 2011, 925 (926); Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (113); Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 709 (712); Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 18 ff.; Becker, DStR 2009, 1796 (1798); Teschke/Langkau/Sundheimer, DStR 2011, 2021 (2022). 5 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 18. 6 Vgl. FG Düsseldorf v. 28.3.2014 – 6 K 4087/11 F, EFG 2014, 1275. 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570 Tz. 2.1, 3.4.2020 Buchst. a und 4.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021); Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 30; Schwedhelm in Streck8, § 8 Rz. 275 m.w.N.
Ditz/Wassermeyer | 139
2.189
Kap. 2 Rz. 2.189 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
scheidend wäre hier die Frage, ob nicht die Finanzverwaltung (als Beklagte) den Beweis für die Fremdunüblichkeit führen muss. – Was passiert bei einer Wertaufholung der Forderung nach ihrer Teilwertabschreibung? Wenn die Teilwertabschreibung auf die Forderung des Gesellschafterdarlehens gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG außerbilanziell korrigiert wird, muss auch der aus der Wertaufholung resultierende Ertrag steuerlich „neutralisiert“ werden. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG kann für diese „Ertragsneutralisierung“ nicht dienen, da er nur zugunsten der Finanzverwaltung wirkt. Die Ertragsneutralisierung kann dann wohl nur über eine Billigkeitsmaßnahme gerechtfertigt werden. Auch dieses Vorgehen zeigt die dogmatische Problematik einer Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG im Zusammenhang mit Teilwertabschreibungen. Dies gilt insbesondere auch für die Frage der Kausalität der Einkünfteminderung und einem Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz (dazu ausführlich Rz. 2.162). – Dem Sachverhalt des BFH-Urteils v. 27.2.2019 mit dem Az. I R 51/17 lag eine Teilwertabschreibung auf eine Forderung aus Lieferungen und Leistungen zugrunde (vgl. zu Einzelheiten Rz. 2.183). Die Einbuchung der Forderung aus Lieferungen und Leistungen hatte eine volle Gewinnrealisierung zur Folge (entgegen der Einbuchung einer Darlehensforderung, die grundsätzlich erfolgsneutral erfolgt). Mit dem Versagen der Abzugsfähigkeit der Teilwertabschreibung auf die Forderung aus Lieferungen und Leistungen stellt sich die Frage, ob dies im Einklang mit einer Besteuerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit steht. Während der Ertrag voll realisiert und versteuert wird, ist der Ausfall des Vermögensstamms steuerlich nicht abzugsfähig. – Entgegen seiner üblichen Spruchpraxis setzt sich der I. Senat des BFH nicht mit den im Schrifttum zur Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG und der Sperrwirkung des Art. 9 OECDMA artikulierten abweichenden Meinungen1 auseinander. Gerade bei einer Änderung der Rspr. in wesentlichen Fragen wäre dies sicherlich sehr wünschenswert gewesen. – Für die Praxis verbleiben nach der neuen Rspr. Unsicherheiten. Der „Praktiker“ steht vor schier unlöslichen Aufgaben, weil die Besicherung konzerninterner Darlehensverhältnisse international nicht üblich ist. Der BFH sollte die Praxis „nicht aus dem Auge verlieren“.
2.190
Keine Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA nachgebildeten Abkommensnorm. Nach der bisherigen Rspr. des BFH sperrte die Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildete Abkommensnorm Korrekturen, die sich nicht auf den Verrechnungspreis der Höhe nach beziehen (zu Einzelheiten vgl. Rz. 2.225 f.). Diese gerade vor vier bis fünf Jahren durch den I. Senat des BFH entwickelte und überzeugende Auffassung2 wurde durch den BFH erstmalig in seinem Urteil v. 27.2.2019 (vgl. Rz. 2.183) und in weiteren Urteilen aufgegeben.3. So heißt es im Leitsatz des Grundsatzurteils v. 27.2.2019 (I R 73/16): „Art. 9 Abs. 1 OECD-MA [...] beschränkt den Korrekturbereich des § 1 Abs. 1 AStG nicht auf sog. Preisberichtigungen, sondern ermöglicht auch die Neutralisierung der gewinnmindernden Ausbuchung einer Darlehensforderung oder Teil-
1 Vgl. etwa Gosch, ISR 2018, 289 ff. m.w.N.; Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 709 (712 f.); Prinz/ Scholz, FR 2011, 925 (926); Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (111 ff. m.w.N.). 2 Vgl. zu Einzelheiten Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 20 ff. m.w.N. 3 BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440; BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443; BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/NV 2020, 183; BFH v. 19.6.2019 – I R 54/17, juris; BFH v. 19.6.2019 – I R 32/17, BFH/NV 2020, 255; BFH v. 14.8.2019 – I R 34/18, IStR 2020, 590; BFH v. 14.8.2019 – I R 21/18, BFH/NV 2020, 259; BFH v. 18.12.2019 – I R 72/17, juris; BFH v. 19.2.2020 – I R 19/17, BStBl. II 2021, 223.
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E. § 1 AStG | Rz. 2.191 Kap. 2
wertabschreibung hierauf [...].“ Zur Begründung dieser „Kehrtwende“ in seiner Rspr. verweist der I. Senat des BFH auf den „Wortlaut des [völkerrechtlichen] Vertrags und die ‚gewöhnliche Bedeutung‘ der verwendeten Ausdrücke.“1 Die daran anschließende Subsumtion ist indessen weder nachvollziehbar begründet noch überzeugend; sie ist auch nicht geeignet, den Leser der Urteile von der in diesem Punkt wesentlichen Änderung der Rspr. zu überzeugen.2 Der Sinn und Zweck der Art. 9 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschriften besteht in der Bestimmung des Fremdvergleichsgrundsatzes als Korrekturmaßstab für Verrechnungspreise zwischen international verbunden Unternehmen – auch zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung.3 Die Vorschrift bezieht sich damit auf die Korrektur des Verrechnungspreises der Höhe nach und nicht auf die aus dem Fremdvergleichsgrundsatz möglicherweise abzuleitenden Bedingungen für eine Geschäftsbeziehung.4 Derartige Bedingungen sind aber in der Würdigung des Verrechnungspreises der Höhe nach zu berücksichtigen und können nicht per se eine Einkünftekorrektur dem Grunde nach zur Folge haben. Dies hatte der BFH in seinem Urteil v. 17.12.20145 überzeugend abgeleitet.6 Warum der BFH nunmehr aufgrund der „hierfür sprechenden besseren Sachgründe“7 von dieser Linie so kurze Zeit später abweicht, ist – auch aus Gründen des Vertrauens in die BFH-Rspr.8 – nicht nachvollziehbar. Aber: Auch nach „erneuter Überprüfung“ wird an der fehlenden Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECDMA festgehalten. Denn der abkommensrechtliche Fremdvergleichsgrundsatz „will gerade nicht eine sachlich gebotene Berichtigung von Einkünften für bestimmte Fälle verbieten“.9 Richtig überzeugend ist diese Argumentation indessen nicht. Zeitliche Bedeutung der neuen Rspr. und Relevanz bei Personengesellschaften. Soweit der darlehensgebende Gesellschafter eine Kapitalgesellschaft (GmbH, AG oder SE) ist, ist die Bedeutung der Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG auf Teilwertabschreibungen auf die daraus resultierende Forderung auf Zeiträume bis 2007 begrenzt. Denn ab dem VZ 2008 findet § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG auf Wertverluste im Zusammenhang mit Gesellschafterdarlehen Anwendung. Etwas anderes gilt für Einzelunternehmer oder Personengesellschaften, an denen natürliche Personen beteiligt sind. Hier ist – mangels einer § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG korrespondierenden Vorschrift – § 1 AStG prinzipiell weiterhin zu prüfen. Sofern eine Korrektur nach § 1 AStG verneint wird, ist in einem nächsten Schritt – für ab 2015 beginnende Wirtschaftsjahre10 – zu prüfen, ob der aus der Teilwertabschreibung auf die Forderung aus dem Gesellschafterdarlehen bzw. auf den Aufwand aus dem Verzicht einer Forderung § 3c Abs. 2 Satz 2 ff. EStG Anwendung findet. Infolgedessen wäre der entsprechende Aufwand nur zu 60 % mit steuerlicher Wirkung abziehbar. § 3c Abs. 2 EStG findet dann keine Anwendung, wenn ein Escape durch Drittvergleich nach § 3c Abs. 2 Satz 3 EStG geführt werden kann.
1 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394. 2 Kritisch auch Gosch, DStR 2019, 2441 (2447); Gebel, DStR 2019, 1896 (1899); a.A. Wacker, FR 2019, 449 (455); Maetz, IStR 2019, 481 (486 f.). 3 Vgl. zu Einzelheiten Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 2 f. m.w.N. 4 Vgl. Gosch, DStR 2019, 2441 (2447); Tcherveniachki/Haverkamp, Ubg 2019, 555 (560). 5 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261. 6 Vgl. auch Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 21. 7 Wacker, FR 2019, 449 (455). 8 Vgl. Gebel, DStR 2019, 1896 (1900). 9 BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 27. 10 Vgl. § 52 Abs. 5 Satz 2 EStG.
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Kap. 2 Rz. 2.192 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
3. Verhältnis des § 1 AStG zum Abkommensrecht 2.192
Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Nimmt die FinVerw. eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG vor, ist diese – den Abkommensfall unterstellt – sowohl hinsichtlich ihrer Tatbestandsvoraussetzungen als auch in Bezug auf die Einkünftekorrektur der Höhe nach am Fremdvergleichsgrundsatz des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA zu messen. Orientiert sich hingegen das innerstaatliche Recht (z.B. gem. § 1 AStG) an anderen Grundsätzen als einem Fremdvergleich, entfaltet Art. 9 Abs. 1 OECD-MA eine Sperrwirkung gegenüber innerstaatlichem Recht.1 Dies gilt im Grundsatz auch nach der neueren Rspr. des BFH.2 Die Sperrwirkung der Vorschrift folgt bereits aus ihrem Wortlaut, nach der die Vertragsstaaten Einkünftekorrekturen nur in den Schranken des Fremdvergleichsgrundsatzes vornehmen „dürfen“. Im Übrigen lässt sich der Sinn und Zweck der Vorschrift nicht mit einem lediglich deklaratorischen Charakter realisieren.3 Denn Art. 9 Abs. 1 OECD-MA soll gewährleisten, dass entsprechende Gewinnkorrekturen in den Vertragsstaaten nach einem einheitlichen Korrekturmaßstab durchgeführt werden. Im Ergebnis soll der Fremdvergleichsgrundsatz sicherstellen, dass Gewinne dort besteuert werden, wo sie von ihrer Wertschöpfung her tatsächlich entstanden sind. Dies ist nur erreichbar, wenn beide Vertragsstaaten die Gewinnabgrenzung verbindlich an einem einheitlichen Maßstab ausrichten. Eine lediglich deklaratorische Auslegung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA würde daher der ihm zugedachten Zielsetzung einer Vermeidung der (wirtschaftlichen) Doppelbesteuerung zuwiderlaufen.4 Daher macht eine Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach nationalem Recht unter Berücksichtigung der sog. Lex-foriKlausel des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA keinen Sinn.5 Vielmehr stellt sich die Frage, inwieweit der in § 1 AStG niedergelegte und in seinem Abs. 3 bis 3c konkretisierte Fremdvergleich mit dem in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA definierten Fremdvergleichsgrundsatz übereinstimmt. Dies ist bei den folgenden Regelungen zu verneinen:6 – Das sog. Transparenzprinzip des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG geht davon aus, dass sich Marktpreise unter vollständiger Information bilden. Der Gesetzgeber geht damit – insbesondere bei Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs – von einer Figur des „allwissenden ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (Hellseher)“7 aus, welcher gerade nicht im allgemeinen Geschäftsverkehr vorliegen kann. Hier ist die Entstehung und Vereinbarung von Marktpreisen vielmehr durch Informationsasymmetrien gekennzeichnet, welche letztlich zu Preisbandbreiten führen. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG widerspricht daher geradezu
1 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 27; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 20 f.; Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 150 f.; Schaumburg/ Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.292; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 188; Haas in FS Schaumburg, 715 (730 f.). Siehe ausführlich zur Sperrwirkung Gosch in FS Crezelius, 2018, 735 ff.; Ditz/Haverkamp, Ubg 2019, 101. 2 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 27. 3 So jedoch Höppner, StBp 1981, 58; Weber in Institut für Steuern und Finanzen, Bonn 1981, Brief 204, 14; Flockermann, DStR 1982, 339 (341); Menck, FR 1994, 69 (72). 4 Vgl. Haas in FS Schaumburg, 715 (731). 5 Dies offenlassend BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 29. 6 Vgl. auch Liebchen in F/W/K, Art. 9 DBA-Schweiz Rz. 21; Rasch in G/K/G/K, Art. 9 OECD-MA Rz. 30; Gosch, ISR 2018, 289 (297). 7 Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 300a.
142 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.192 Kap. 2
dem „fremdüblichen“ Marktgeschehen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorschrift – entgegen der Auffassung der FinVerw.1 – durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht gedeckt.2 – Sofern der vom Stpfl. festgesetzte Verrechnungspreis außerhalb der ermittelten Bandbreite liegt, soll eine Korrektur des Verrechnungspreises gem. § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG a.F. bzw. § 1 Abs. 3a Satz 4 AStG n.F. auf den Median der ermittelten Bandbreite erfolgen. Die Korrektur auf den Median steht einerseits nicht im Einklang mit der st. Rspr. des BFH, wonach bei Verrechnungspreiskorrekturen der für den Stpfl. günstigste Wert der Verrechnungspreisbandbreite heranzuziehen ist.3 Ferner ist sie nicht mit der Bandbreitenbetrachtung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA vereinbar.4 – Hinsichtlich der Aufteilung des Einigungsbereichs ordnet § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F. bzw. § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG n.F. an, dass der Mittelwert zugrunde zu legen ist, soweit kein anderer Wert glaubhaft gemacht wird.5 Auch diese Vorgehensweise steht nicht im Einklang mit dem Fremdvergleichsverständnis des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA, denn hier ist grundsätzlich auf eine Bandbreitenbetrachtung abzustellen, und jeder Wert innerhalb des ermittelten Einigungsbereichs ist als angemessen anzusehen. – Nach h.M. stehen die Regelungen der Funktionsverlagerungsbesteuerung gem. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a.F. bzw. § 1 Abs. 3b AStG n.F. – insbesondere im Hinblick auf die Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs und die Bewertung eines „Transferpaketes“6 – nicht im Einklang mit Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und den Vorgaben der OECD-Leitlinien 2022.7 Denn nach Auffassung der OECD ist nur in (absoluten) Ausnahmefällen ein Transferpaket zu bewerten (sog. „Going Concern“).8 Ferner führt die Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs verbunden mit dem Ansatz des Mittelwerts im Einigungsbereich dazu, dass wesentliche im Ausland realisierte Standortvorteile und Synergieeffekte einer deutschen Besteuerung unterworfen werden.9 Das Konzept einer Einigungsbereich-Betrachtung ist den OECD-Leitlinien 2022 indessen fremd. – Schließlich sind auch die Regelungen zur Preisanpassungsklausel in § 1 Abs. 3 Sätze 11 ff. AStG a.F. bzw. § 1a AStG n.F. nicht durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gedeckt.10 Diese rechtfertigen eine Einkünftekorrektur für die Übertragung wesentlicher immaterieller Wirt1 Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.2. Der hier vorgenommene Verweis auf Tz. 9.81 u. Tz. 9.85 OECD-Leitlinien 2022 hält einer näheren Überprüfung nicht stand. 2 Kritisch auch Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 300a; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 23; Kroppen/Nientimp, IWB F. 3, Gr. 1, 2355 (2359); Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 31.1. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BFH v. 9.7.2003 – I R 100/02, BFH/NV 2003, 1666; BFH v. 5.6.2003 – I R 24/02, BStBl. II 2004, 136. 4 Vgl. auch Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2022; Baumhoff in FS Wassermeyer, 347 (361 f.). 5 Vgl. dazu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1465). 6 Vgl. dazu im Einzelnen FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680; BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/1003 – DOK 2010/0598886 – VWG FVerl, BStBl. I 2010, 774. 7 Vgl. IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 747 (749); Haas in FS Schaumburg, 715 (732 ff.); Baumhoff/Puls, IStR 2009, 73 (79 f.); Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1945 (1952); a.A. Förster, IStR 2011, 20 ff.; Becker in Haase3, Art. 9 OECD-MA Rz. 12. 8 Vgl. Tz. 9.68 OECD-Leitlinien 2022. 9 Vgl. dazu im Einzelnen Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1945 (1952). 10 A.A. Becker in Haase3, Art. 9 OECD-MA Rz. 13. Soweit sich die Finanzverwaltung in den VWG FVerl, Tz. 2.9 zur Rechtfertigung ihrer Position auf Tz. 3.72 f. u. Tz. 9.88 OECD-Leitlinien 2022 beruft, geht dieser Verweis fehl. Kritisch im Übrigen auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 31.1.
Ditz/Wassermeyer | 143
Kap. 2 Rz. 2.192 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
schaftsgüter mit der Fiktion von Unsicherheiten zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, wenn die spätere Gewinnentwicklung erheblich von den Budgetwerten abweicht und zuvor keine vertragliche Preisanpassungsklausel vereinbart wurde. Eine solche Fiktion ist jedoch insofern nicht sachgerecht, als Verrechnungspreise – wie Preise gegenüber fremden Dritten – im Vorhinein festzulegen sind.1 Wie jeglichen unternehmerischen Entscheidungen sind den Verrechnungspreisfestsetzungen Unsicherheiten über die zukünftigen Entwicklungen immanent, da die Entscheidungen nur auf den zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Informationen beruhen können. Eine Fiktion von (weiteren) Unsicherheiten rechtfertigt insofern keinesfalls eine Einkünftekorrektur.2 In der Praxis ist der Abschluss von Preisanpassungsklauseln zwischen fremden Dritten daher auch eher die Ausnahme.3 Insbesondere wäre ein Anpassungszeitraum von zehn bzw. sieben Jahren ungewöhnlich lang, da es kaum möglich sein wird, zum Ende dieses Zeitraums die Einkunftsströme sachgerecht dem ursprünglich erworbenen immateriellen Wirtschaftsgut bzw. der Funktion zuzuordnen. Ferner widerspricht die Regelung auch der Transparenzklausel des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG, die gerade besagt, dass den Transaktionspartnern alle wesentlichen Umstände bekannt sind, m.a.W. Unsicherheiten gerade nicht bestehen.4
2.193
Keine Abkommensüberschreibungen durch § 1 Abs. 1 AStG. Wohl getrieben durch die Entscheidung des BVerfG v. 15.12.20155 vertritt die FinVerw. im Nichtanwendungserlass v. 30.3.20166 die Auffassung, dass kein Konflikt zwischen § 1 AStG und Art. 9 Abs. 1 OECDMA besteht.7 Dies ergäbe sich schon aus dem in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG verwandten Wortlaut, wonach die Norm „unbeschadet anderer Vorschriften“ Anwendung findet; zu solchen „Vorschriften“ zählen – so die FinVerw. – auch die Doppelbesteuerungsabkommen. Diese Auslegung steht jedoch im offensichtlichen Widerspruch zu dem bei Einführung von § 1 AStG zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers. Denn in der Gesetzesbegründung zur Einführung des AStG heißt es, dass § 1 Abs. 1 den Fremdvergleichsgrundsatz festlegt und „Vorschriften, in denen dieses Ziel bereits seinen Ausdruck gefunden hat, [...] von Absatz 1 unberührt [bleiben].“8 Mit diesen „Vorschriften“ werden jedoch zweifelsfrei nur die Korrekturinstrumente der verdeckten Einlage und der verdeckten Gewinnausschüttung, nicht jedoch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA in Bezug genommen. Dies zeigt sich in aller Deutlichkeit nochmals in der Begründung zum UntStRefG 2008, wo der Gesetzgeber ausführt, es werde „ausdrücklich klargestellt, dass Berichtungen nach Satz 1 andere Regelungen (vor allem verdeckte Gewinnausschüttung, verdeckte Einlage, Entnahme, Einlage), [...] ergänzen.“9 Es wird dort – dem Charakter des § 1 AStG folgend – lediglich ein Rangverhältnis zu anderen Korrekturvorschriften, nicht jedoch zu sämtlichen Vorschriften des deutschen Steuerrechts normiert. Dass § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG auch abkommensüberschreibend und unbeschadet von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA 1 Vgl. BFH v. 6.2.1980 – I R 50/76, BStBl. II 1980, 477; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021); Tz. 3.1.2.1; Tz. 1.12, 3.68 OECD-Leitlinien 2022; s. auch Rz. 7.130; Runge, IStR 1995, 505 (508). 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1655). 3 Vgl. Schwaiger, SWI 2011, 420 (423); Ebering, IStR 2011, 418 (419 f.). 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1654); Scholz, IStR 2007, 521 (524); Wassermeyer, FR 2008, 67 (68); Greil, IStR 2009, 567 (569). 5 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 = FR 2016, 326. Siehe auch Gosch, DB 2016, Heft 15, M 5, der eine Inflation des Treaty Overriding erwartet. 6 Vgl. BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455. 7 So auch Groß, IStR 2016, 233 (240). 8 BT-Drucks. VI/2883, 23. 9 BT-Drucks. 16/4841, 85.
144 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.194 Kap. 2
zur Anwendung gelangen soll, kann den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden. Denn mangels einer von ihm ausgehenden Self-executing-Wirkung1 qualifiziert sich Art. 9 Abs. 1 OECD-MA – anders als bspw. die Institute der verdeckten Gewinnausschüttung oder verdeckten Einlage – nicht als Einkünftekorrekturvorschrift. Somit entzieht sich Art. 9 Abs. 1 OECD-MA per se der Rangfolgeregelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG.2 Die gesetzgeberische Idee, § 1 Abs. 1 AStG um einen Satz 5 zu ergänzen, um das Verhältnis zu Art. 9 Abs. 1 OECD-MA „klarzustellen“, wurde letztlich aufgegeben.3 Beschränkung der Korrektur auf Verrechnungspreise der Höhe nach nach der älteren BFH-Rechtsprechung. In seiner älteren Rspr. hat der BFH – anknüpfend an seine Entscheidung v. 11.10.20124 – entschieden, dass Art. 9 Abs. 1 OECD-MA – als Ausprägung der abkommensrechtlichen Schrankenwirkung – eine begrenzende Sperrwirkung in der Weise zukommt, als dieser nur Verrechnungspreiskorrekturen im Hinblick auf die Angemessenheit der vereinbarten Bedingungen „der Höhe nach“ zulässt (zur neueren Rspr. des BFH vgl. Rz. 2.183).5 Tragende Erwägung war, „dass in den maßgeblichen Vergleichsmaßstab des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nur diejenigen (Sachverhalts-)Umstände einbezogen sind, welche sich auf die besagten ‚wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen‘ auswirken, also die Angemessenheit (Höhe) des Vereinbarten berühren; eine Gewinnkorrektur, die sich nicht nur auf die Angemessenheit (Höhe) des Vereinbarten erstreckt, sondern [...] gleichermaßen auf dessen ‚Grund‘ (Üblichkeit der Konditionen, Ernsthaftigkeit), ist den Vergleichsmaßstäben des ‚dealing at arm’s length‘ als Gegenstand der Angemessenheitsprüfung fremd.“6 Daraus folgt, dass die Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildeten Abkommensnormen nur die Angemessenheit der Höhe des Vereinbarten – also den Verrechnungspreis – berühren. Vereinbarte Bedingungen mögen insoweit zwar geeignet sein, den Verrechnungspreis zu beeinflussen. Einer Überprüfung und Korrektur nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MA kann aber stets nur der Verrechnungspreis unterfallen, nicht jedoch die Bedingung als solche.7 Somit ermöglicht Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht die Korrektur einer Abschreibung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG, die auf den Teilwert der Forderung auf Rückzahlung der Darlehensvaluta und auf Zinsrückstände vorzunehmen ist, wenn die inländische Muttergesellschaft das Darlehen ihrer ausländischen Tochtergesellschaft in fremdunüblicher Weise unbesichert begeben hat. Der BFH erteilte damit zunächst der überzogenen Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG durch das BMF-Schr. v. 29.3.20118 eine deutliche Absage. Bestätigt wurde diese Auffassung durch das BFH-Urteil v. 24.6.2015.9 Im Kern seiner Begründung verwies der BFH auf die mittlerweile von ihm schon mehrfach10 zum Ausdruck ge-
1 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261, Rz. 18; BFH v. 11.10.2011 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046, Rz. 9; Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 148 ff.; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 188; Becker in Haase3, Art. 9 OECD-MA Rz. 8; Habammer, IStR 2016, 525. 2 Vgl. dazu kritisch auch Gosch, ISR 2018, 289 (294 ff.). 3 Vgl. zu Einzelheiten Mössner in Lüdicke, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 46, 2018, 49 ff. 4 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046. 5 Vgl. dazu auch Gosch, ISR 2018, 289 (290). 6 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261 unter II.2.b)ccc). 7 Vgl. Gosch, BFH/PR 2015, 173 (174); Gosch, ISR 2018, 289 (290 f.): Ditz/Haverkamp, Ubg 2019, 101. 8 BMF v. 29.3.2011 – IV B5 – S 1341/09 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277. 9 BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; Vorinstanz: FG Düsseldorf v. 28.3.2014 – 6 K 4087/11 F, EFG 2014, 1275. 10 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; BFH v. 24.3.2015 – I B 103/03, BFH/NV 2015, 1009; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261.
Ditz/Wassermeyer | 145
2.194
Kap. 2 Rz. 2.194 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
brachte Sperrwirkung von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Zudem hatte der BFH die Grundsatzfrage geklärt, wonach der Rückhalt im Konzern entgegen der Auffassung der FinVerw. nicht so gedeutet werden kann, dass er bereits dem Grunde nach einer Teilwertabschreibung von Darlehensforderungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG entgegensteht.1 Diese Rspr. des BFH ist indessen mittlerweile überholt (vgl. Rz. 2.183 ff.).
2.195
Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung. Die FinVerw. hat mit einem Nichtanwendungserlass v. 30.3.20162 auf die BFH-Urteile v. 17.12.2014 und v. 24.6.2015 reagiert. Danach sind die Grundsätze dieser Urteile über die entschiedenen Einzelfälle hinaus nicht anzuwenden, soweit der BFH eine Sperrwirkung der inhaltlich Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildeten Abkommensnormen gegenüber § 1 AStG angenommen hat. Dies wird wie folgt begründet:3 – Der Wortlaut des Gesetzes und der Wille der vertragschließenden Parteien der DBA ließen die Auslegung, die der BFH seinen Urteilen zugrunde legt, nicht zu. So gelte nach dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA, dass bei fremdunüblichen Bedingungen die Gewinne korrigiert werden dürfen. Eine Beschränkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA ausschließlich auf (Verrechnungs-)Preiskorrekturen, nicht aber eine Korrektur sonstiger Bedingungen könne aus dem Wortlaut abgeleitet werden. Vielmehr habe Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gerade eine Gewinnberichtigung und keine Preisberichtigung zum Gegenstand. – Eine historische Auslegung des § 1 AStG zeige, dass der Gesetzgeber damit das deutsche Steuerrecht an den Standard des internationalen Steuerrechts habe angleichen wollen. Dazu habe er Art. 9 Abs. 1 OECD-MA in § 1 AStG umgesetzt und konkretisiert. Einen Widerspruch zwischen Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und § 1 AStG habe der Gesetzgeber nicht gesehen und nicht schaffen wollen. Der BFH hingegen habe einen solchen Widerspruch konstruiert. – Die Auslegung des BFH in seiner alten Rspr. widerspreche auch Sinn und Zweck sowohl von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA als auch § 1 AStG. Eine Beschränkung der Korrektur auf den jeweiligen Verrechnungspreis sei sinnwidrig, da die Bedingungen eines Geschäftsvorfalls so gestaltet sein könnten, dass allein die Korrektur des Verrechnungspreises nicht geeignet sei und nicht ausreiche, um ein fremdübliches Ergebnis zu erzielen. – Die Einkünfte des Stpfl. sind nach § 1 Abs. 1 AStG „unbeschadet anderer Vorschriften“ entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz anzusetzen. DBA würden aber durch Zustimmungsgesetz zu „einfachem“ nationalen Recht. Damit bestehe die Korrekturmöglichkeit des § 1 AStG auch ungeachtet der DBA, d.h., es sei also ein „treaty override“ anzunehmen.
2.196
Kritische Würdigung des Nichtanwendungserlasses. Die FinVerw. geht davon aus, Wortlaut und Wille der vertragschließenden Parteien der DBA ließen die den Urteilen des BFH zugrunde liegende Auslegung nicht zu.4 Dem ist i.S. des BFH5 entgegenzuhalten, dass Art. 9 1 Vgl. Greinert/Metzner, DK 2015, 427; Roser, GmbHR 2015, 1111; Engelen/Luckhaupt/Quilitzsch, ISR 2015, 374. 2 Vgl. BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455. 3 Zu einer kritischen Würdigung des BMF-Schr. vgl. Puls/Schmidtke/Tränka, IStR 2016, 759 ff.; Greil/Wargowske, ISR 2016, 157 ff.; Ditz/Engelen/Quilitzsch, ISR 2016, 513 ff. 4 Zu einer kritischen Würdigung vgl. auch Gosch, ISR 2018, 289 (291 f.). 5 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; BFH v. 24.3.2015 – I B 103/03, BFH/NV 2015, 1009; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258.
146 | Ditz/Wassermeyer
E. § 1 AStG | Rz. 2.196 Kap. 2
Abs. 1 OECD-MA aus Sicht der Vertragsstaaten nur als Erlaubnisnorm verstanden werden kann.1 Gleichzeitig besteht eine begrenzende Sperrwirkung, die nur Verrechnungspreiskorrekturen „der Höhe nach“ zulässt. Dass die „Wirkungen innerstaatlicher Vorschriften [...] durch die Geltung des Fremdvergleichsgrundsatzes, den Deutschland in seinen DBA – entsprechend Art. 9 – niedergelegt hat, ggf. begrenzt [werden]“,2 entspricht schließlich auch der Auffassung der FinVerw.3 Darüber hinaus ist bei Auslegung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA zu berücksichtigen, dass im Rahmen der internationalen Gewinnabgrenzung die zwischen verbundenen Unternehmen vereinbarten tatsächlichen Geschäftsbeziehungen anzuerkennen sind.4 Dementsprechend ist eine Einkünftekorrektur, die auf einer Negierung oder Umqualifikation der tatsächlich vereinbarten Geschäftsbeziehungen und der diesen zugrunde liegenden Bedingungen aufbaut, auch bei Zugrundelegung der Ausführungen im BMF-Schr. v. 30.3.20165 unter Art. 9 Abs. 1 OECD-MA unzulässig, z.B. sind konzerninterne Darlehensverhältnisse – in den Grenzen des § 42 AO – als solche anzuerkennen und steuerlich zu würdigen. Im Rahmen von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA kann demnach die Frage, ob ein fremder Dritter anstelle des Gesellschafters ein unbesichertes Darlehen in dieser Form überhaupt gewährt hätte, vollkommen dahinstehen. Denn die Vorschrift lässt es gerade nicht zu, die tatsächliche Geschäftsbeziehung (bspw. ein unbesichertes Darlehen) mit einem fiktiv fremdüblichen Szenario (bspw. einem besicherten Darlehen) zu vergleichen und aus diesem Vergleich die steuerlichen Konsequenzen (bspw. Notwendigkeit vs. fehlende Notwendigkeit zur Vornahme einer Teilwertabschreibung) für eine Gewinnkorrektur anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes abzuleiten. Stattdessen sind dann aufbauend auf die anzuerkennende, tatsächlich vereinbarte Geschäftsbeziehung in einem zweiten Denkschritt (nur) die dafür zum Ansatz zu bringenden, fremdüblichen Verrechnungspreise zu bestimmen und die tatsächlich vereinbarten Verrechnungspreise ggf. zu korrigieren. Es können allein die tatsächlich vereinbarten Geschäftsbeziehungen zum Anlass genommen werden, die insoweit zum Ansatz gebrachten Verrechnungspreise infrage zu stellen. Denn: Die „Bedingungen“, unter denen die Geschäftsbeziehungen vereinbart wurden, bilden stets nur die Grundlage für die Überprüfung der Verrechnungspreise.6 Und: Nur der Verrechnungspreis kann einer Korrektur unterfallen, die Bedingungen (bspw. die Darlehenskonditionen) hingegen nicht.7 Bei einer konzerninternen Darlehensbeziehung betrifft dies bspw. allein die Frage nach der angemessenen Höhe der Zinsen. So stellt auch der BFH fest: „Es bleibt indessen dabei, dass sich die Vereinbarungskonditionen vor dem Grundsatz des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA angelegten Prüfmaßstabs nur insofern auswirken, als deren ‚Qualität‘ die Zinshöhe im Fremdvergleich ‚nach oben‘ oder ‚nach unten‘ beeinflusst.“8
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Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 19. Vgl. VWG FVerl, Rz. 2; ebenso OFD Frankfurt, Vfg. v. 18.12.2015, IStR 2016, 436. So auch Greil/Wargowske, ISR 2016, 157. Vgl. Tz. 1.64 u. Tz. 9.168 OECD-Leitlinien 2022; Baumhoff/Puls, IStR 2009, 73 (76 f.); Werra, IStR 2009, 81 (82); Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (113); Art. 9 Rz. 1 OECD-MK; VWG FVerl, Rz. 146; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218, Rz. 2.1.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). Vgl. BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455. Vgl. Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 50 f. Vgl. Gosch, BFH/PR 2015, 173; Ditz/Haverkamp, Ubg 2019, 101. Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261.
Ditz/Wassermeyer | 147
Kap. 2 Rz. 2.197 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
2.197
Änderung der Rechtsprechung mit Urteil v. 27.2.2019. Mit seinem Urteil v. 27.2.2019 (Leiturteil)1 hat der BFH seine Rechtsprechung geändert und entschieden, dass das Tatbestandsmerkmal der „vereinbarten Bedingungen“ in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA im Falle der Gewährung von Darlehen nicht allein auf den vereinbarten Zinssatz i.S. einer Verrechnungspreiskorrektur der Höhe nach beschränkt ist. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA sperrt infolgedessen nicht eine Einkünftekorrektur gem. § 1 Abs. 1 AStG im Hinblick auf eine Teilwertabschreibung auf Forderungen auf nicht besicherte Gesellschafterdarlehen. Einzelheiten werden in Rz. 2.183 ff. dargestellt. Der BFH interpretiert damit auch den abkommensrechtlich in Art. 9 Abs. 1 OECDMA verorteten Fremdvergleichsgrundsatz – vergleichbar zu § 1 Abs. 1 AStG (Rz. 2.186) – so, dass er auch Einkünftekorrekturen dem Grunde nach ermöglicht.
4. Verhältnis des § 1 AStG zum Europarecht 2.198
Verletzung von Europarecht. § 1 AStG ist in den Schranken des Europarechts anzuwenden. Einzelheiten sind in Rz. 13.13 ff. dargestellt.
F. Konkurrenzverhältnis der Rechtsgrundlagen I. Verhältnis des § 1 AStG zur verdeckten Gewinnausschüttung 2.199
Unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen. Das Verhältnis von § 1 AStG zur vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist ein überaus vielschichtiges. Zum einen bestehen zwischen § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und § 1 AStG unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen. Während die Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG einen Steuerpflichtigen voraussetzt, der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. § 1 KStG ist, kann § 1 AStG auf jede Person anzuwenden sein, die im Inland steuerpflichtige Einkünfte erzielt. Insoweit ist § 1 AStG die weitere Vorschrift, die allenfalls dann hinter § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zurücktritt, wenn auch dessen Voraussetzungen gegeben sind. Sowohl § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG2 als auch § 1 AStG setzen eine Minderung der Einkünfte voraus (vgl. Rz. 2.24, 2.89 und 2.159). § 1 AStG fordert allerdings die Minderung von Einkünften aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG enthält dagegen keine vergleichbare Einschränkung. Insoweit ist der Tatbestand des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG der weitere. Wegen § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG verdrängt der speziellere § 1 AStG dennoch nicht den weiteren § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG.3 Es ist aber die „Wertauffüllerklausel“ des § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG zu beachten. Ergeben sich demnach aus der Anwendung des § 1 AStG gegenüber der vGA oder der verdeckten Einlage weitergehende Rechtsfolgen, sind die weitergehenden Berichtigungen neben den Rechtsfolgen der vGA oder verdeckten Einlage vorzunehmen.4
1 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; bestätigt durch BFH v. 27.2.2019 – I R 51/ 17, BStBl. II 2020, 440; BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443; BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/NV 2020, 183; BFH v. 19.6.2019 – I R 54/17, juris; BFH v. 19.6.2019 – I R 32/17, BFH/ NV 2020, 255; BFH v. 14.8.2019 – I R 34/18, IStR 2020, 590; BFH v. 14.8.2019 – I R 21/18, BFH/ NV 2020, 259; BFH v. 18.12.2019 – I R 72/17, juris; BFH v. 19.2.2020 – I R 19/17, BStBl. II 2021, 223; BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28. 2 Vgl. die Definition der vGA in BFH v. 18.12.1996 – I R 139/94, BStBl. II 1997, 301 = BFHE 182, 184 = FR 1997, 350. 3 A.A. Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 760. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.4.
148 | Ditz/Wassermeyer
F. Konkurrenzverhältnis der Rechtsgrundlagen | Rz. 2.201 Kap. 2
Veranlassung der Minderung des Unterschiedsbetrages durch das Gesellschaftsverhältnis. Nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG muss die Minderung des Unterschiedsbetrages i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG durch das Verhältnis zu einem Gesellschafter bzw. durch ein beteiligungsähnliches Rechtsverhältnis veranlasst sein. § 1 AStG verlangt dagegen nicht notwendigerweise ein Gesellschafts- bzw. ein beteiligungsähnliches Rechtsverhältnis. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AStG reicht die Möglichkeit einer beherrschenden bzw. begründeten Einflussnahme1 bzw. das eigene Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen2 aus (Rz. 2.132 ff.). Ferner wurde durch das ATADUmsG3 das Begriffsverständnis der nahestehenden Person erweitert. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AStG führt auch ein Anspruch auf mindestens ein Viertel des Gewinns oder des Liquidationserlöses zu einem Nahestehen. § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AStG erweitert die Definition der nahestehenden Person auf Fälle, in denen eine dritte Person sowohl gegenüber der Person als auch gegenüber dem Steuerpflichtigen Anspruch auf mindestens ein Viertel des Gewinns oder des Liquidationserlöses hat. Infolgedessen findet das neue Konzept des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AStG auch bei „Dreiecksfällen“ Anwendung.4 Die Regelungen zeigen, dass § 1 AStG in diesem Bereich weiter als § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG gefasst ist. Umgekehrt kann nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG jedes unmittelbare oder mittelbare Gesellschafts- oder beteiligungsähnliche Rechtsverhältnis eine Veranlassung i.S.d. Vorschrift begründen. Dies gilt auch für Minderheits- bzw. Minibeteiligungen. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG setzt demgegenüber eine wesentliche Beteiligung von mindestens einem Viertel voraus. Insoweit enthält § 1 AStG die engere Tatbestandsvoraussetzung.
2.200
Anwendung eines Fremdvergleichs und seine unterschiedliche Auslegung. Schließlich geht die Frage dahin, ob die die jeweilige Einkunftskorrektur auslösenden Maßstäbe des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und des § 1 AStG die gleichen sind. Insoweit ist festzuhalten, dass § 1 AStG den anzuwendenden Maßstab ausdrücklich regelt. Danach kommt es darauf an, ob der Steuerpflichtige und die ihm nahestehende Person innerhalb der Geschäftsbeziehungen zum Ausland Bedingungen vereinbaren, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten. Dies entspricht dem sog. „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz“. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nennt dagegen den ihn beherrschenden Maßstab nicht. Die Vorschrift enthält einen unbestimmten Rechtsbegriff, den auszulegen die Aufgabe von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft ist. Der BFH hat seit seinem Urteil v. 16.3.19675 auf den Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters abgestellt. Diese Sichtweise berücksichtigt gewissermaßen nur die Interessen der (potenziell ausschüttenden) Gesellschaft und nicht auch die ihres Geschäftspartners (Gesellschafter, nahestehende Person). Insoweit sind der Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters und der „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz“ nicht deckungsgleich.6 Dennoch ist der BFH um die Annahme einer Deckungsgleichheit bemüht, indem er den „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatz“ als auch für die vGA verbindlich behandelt und den Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters
2.201
1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 848. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 855. 3 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtline (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 4 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 (1786). 5 BFH v. 16.3.1967 – I 261/63, BStBl. III 1967, 626 = BFHE 89, 208. 6 Vgl. Baumhoff in FS Flick, 1997, 637 ff.
Ditz/Wassermeyer | 149
Kap. 2 Rz. 2.201 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
als einen Unterfall des „Dealing-at-arm’s-length-Grundsatzes“ zu erklären versucht.1 Im Ergebnis bedeutet dies, dass sowohl die vGA als auch § 1 AStG vom „Dealing-at-arm’s-lengthGrundsatz“ geprägt sind. Beide Rechtsinstitute dienen gleichermaßen der Einkunftsabgrenzung wie auch ggf. der Realisierung stiller Reserven (Beispiel: Verkauf eines Wirtschaftsgutes zu einem unangemessen niedrigen Preis an den Gesellschafter). Durch beide Rechtsinstitute werden unangemessene Bedingungen einer Geschäftsbeziehung nur für steuerrechtliche Zwecke durch angemessene ersetzt. Als Bemessungsgrundlage wird ein Betrag angesetzt, der sich aufgrund von angemessenen Bedingungen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz ergibt. Insoweit handelt es sich um einen partiellen „Sollertrag“.2 Je nachdem, wie man die o.g. Maßstabsfrage innerhalb der vGA letztlich beantwortet,3 könnten sich tatbestandsmäßige Unterschiede zwischen § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und § 1 AStG ergeben, die ggf. § 1 AStG als die Vorschrift mit den weitergehenden Korrekturmöglichkeiten erscheinen lassen. Der Gesetzgeber hat allerdings mit dem UntStRefG 20084 die Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 AStG in seinem Abs. 3 konkretisiert. Ist davon auszugehen, dass bis 2007 die Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes für Zwecke der vGA und des § 1 Abs. 1 AStG einheitlich war, kam es damit ab 2008 zu einem „Bruch“ (vgl. Rz. 2.45 und 2.199).5 Die Abweichungen der Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes wurden durch die Reform des § 1 AStG durch das AbzStEntModG v. 2.6.20216 bestätigt (vgl. dazu Rz. 2.66 ff.). Abweichungen in der Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes im Vergleich zur vGA können sich demnach durch die Anwendung der „Hellseherklausel“ in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG, der Einengung von Bandbreiten bzw. eines Einigungsbereiches gem. § 1 Abs. 3a AStG, der Besteuerung von Funktionsverlagerungen gem. § 1 Abs. 3b AStG, der Anwendung des DEMPE-Konzepts gem. § 1 Abs. 3c AStG und der Preisanpassungsklausel gem. § 1a AStG ergeben. Diese Vorschriften gelten allein im Anwendungsbereich des § 1 AStG und nicht bei der vGA (s. auch Rz. 2.13 ff.).
2.202
Auswirkungen des Wortlauts „unbeschadet anderer Vorschriften“. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG ist die Vorschrift „unbeschadet anderer Vorschriften“ anzuwenden. Was dies bedeutet, ist umstritten. Im Einzelnen werden folgende Auffassungen vertreten:7 – Die Anwendung von § 1 AStG scheidet aus, wenn andere Berichtigungsnormen anwendbar sind (vGA, verdeckte Einlage). Dies gilt auch dann, wenn diese Normen einen niedrigeren Korrekturbetrag als § 1 AStG bestimmen. Dies hätte z.B. bei einer unentgeltlichen Übertragung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen Mutter- auf ihre ausländische Tochtergesellschaft zur Folge, dass (nur) eine verdeckte Einlage vorliegt, die mit dem Teilwert zu bewerten ist.
1 Vgl. BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = BFHE 178, 203 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann; v. 6.12.1995 – I R 88/94, BStBl. II 1996, 383 = BFHE 179, 322 = FR 1996, 393; Wassermeyer, Stbg 1996, 481 (483); Wassermeyer in Schaumburg, Kölner Konzernrechtstage, Rz. 655 ff. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 83.1 und 106.2; BFH v. 2.2.1994 – I R 78/92, BStBl. II 1994, 479 = BFHE 173, 412 = FR 1994, 364. 3 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 99, 111, und Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 144 ff. 4 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 5 Vgl. auch BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch, Rz. 23. 6 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 7 Vgl. Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (71 f.).
150 | Ditz/Wassermeyer
F. Konkurrenzverhältnis der Rechtsgrundlagen | Rz. 2.202 Kap. 2
– § 1 AStG findet nur dann subsidiär Anwendung, wenn die andere Norm entweder keine Korrektur vorsieht oder einen niedrigeren Korrekturmaßstab als den Fremdvergleichspreis bestimmt. In diesem Fall hätte § 1 AStG letztlich eine „Auffüllfunktion“ hinsichtlich der Differenz zwischen dem Korrekturmaßstab der anderen Korrekturvorschrift (z.B. Teilwert der verdeckten Einlage und dem Fremdvergleichspreis). Diese Auffassung entspricht der h.M. der Literatur und ist insofern sachgerecht, als aufgrund des Wortlauts „unbeschadet anderer Vorschriften“ die vGA und die verdeckte Einlage § 1 Abs.1 AStG vorgehen, jedoch § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG zu einer weitergehenden Berichtigung gegenüber der vGA und verdeckten Einlage auf der Rechtsfolgeseite führen kann.1 – Aus dem Wortlaut „unbeschadet“ anderer Vorschriften“ folgt kein Rangverhältnis zwischen den Einkünftekorrekturnormen, insbesondere auch nicht zwischen der vGA und § 1 AStG. Infolgedessen ergibt sich kein Vorrang des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, sondern beide Vorschriften „überlagern einander“. Der Rechtsanwender soll ein Wahlrecht haben, welche Vorschrift vorrangig anwendbar ist.2 Zutreffend allein ist es, den Wortlaut „unbeschadet anderer Vorschriften“ des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG in dem Sinne zu interpretieren, dass die anderen Einkünftekorrekturvorschriften (vGA und verdeckte Einlage) der Vorschrift grundsätzlich vorgehen. § 1 AStG tritt damit gegenüber anderen Einkünftekorrekturvorschriften zurück und ist subsidiär zu ihnen. Die Begründung des BFH zur Ableitung eines Wahlrechts kann nicht überzeugen (vgl. Rz. 2.205).3 In diesem Zusammenhang ist allerdings der Zusammenhang zur Wertauffüllerregelung des § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG zu sehen. Zwar haben die vGA und die verdeckte Einlage grundsätzlich Vorrang, bleiben ihre Rechtswirkungen aber hinter den Rechtswirkungen des § 1 AStG zurück, greift ergänzend § 1 AStG. Insofern kann es in einem Sachverhalt zu einer Anwendung einer vGA und einer ergänzenden Anwendung des § 1 AStG kommen.4 Beispiel: Die M AG, Österreich, liefert an ihre Tochtergesellschaft, die T GmbH, Deutschland, Waren zum Preis von 10 Mio. Euro. Die Bandbreite fremdüblicher Preise für diese Waren wird mit 5 bis 7 Mio. Euro festgestellt; der Median der Bandbreite beträgt 6 Mio. Euro, der gemeine Wert 7 Mio. Euro. Die Waren wurden bei der T GmbH unmittelbar weiterveräußert, sodass innerbilanzielle Anpassungen nicht vorgenommen werden. Lösung: Auf Ebene der T GmbH ist die Einkünftekorrektur als vGA nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG vorzunehmen. Diese ist mit dem gemeinen Wert zu bewerten. Mithin erfolgt eine außerbilanzielle Korrektur um 3 Mio. Euro. Darüber hinaus sind die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG erfüllt, aus der sich weitergehende Berichtigungen neben der vGA ergeben. Da der Steuerpflichtige einen Wert außerhalb der fremdüblichen Bandbreite gezahlt hat (hier: 10 Mio. Euro) und annahmegemäß keinen angemessenen Wert innerhalb der Bandbreite glaubhaft machen kann, ist eine weitere Korrektur auf den Median der fremdüblichen Bandbreite nach § 1 Abs. 3a Satz 4 AStG zulässig. Mithin beträgt die weitergehende Korrektur nach § 1 AStG i.H.v. 1 Mio. Euro.5 1 Vgl. zur h.M. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 662; Kraft in Kraft, AStG2, § 1 Rz. 20; Kaminski in S/K/K, AStG/DBA, § 1 AStG Rz. 14; Hofacker in Haase, AStG/DBA, § 1 AStG Rz. 46. 2 Vgl. BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann, Rz. 42 ff. 3 Vgl. dazu Engelen/Quilitzsch, FR 2021, 145 (146 f.); Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (74 ff.); Andresen/Holtrichter, DStR 2021, 65 ff.; Köhler, ISR 2020, 380 (381 ff.); Schnitger, IStR 2020, 821 (824 ff.). 4 So zutreffend auch VWG VP 2021, Rz. 1.3 und 1.4. 5 Beispiel in Anlehnung an VWG VP 2021, Rz. 1.4, dort: Beispiel (verdeckte Gewinnausschüttung).
Ditz/Wassermeyer | 151
Kap. 2 Rz. 2.203 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
2.203
Auffassung der Finanzverwaltung. Rz. 1.3 der VWG VP 2021 stellt zunächst fest, dass die Einkünftekorrekturvorschriften (vGA, verdeckte Einlage und § 1 AStG) grundsätzlich voneinander unabhängig und nebeneinander anwendbar sind. Dies ist zutreffend. Was das daraus folgende Konkurrenzverhältnis betrifft, führt die Finanzverwaltung ihre bisherige Auffassung fort: Aus dem Wortlaut „unbeschadet anderer Vorschriften“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG folgt kein Wahlrecht für die Anwendung der Vorschrift; vielmehr ergänzt § 1 AStG die vGA und verdeckte Einlage, sofern sich im Einzelfall aus § 1 AStG weitergehende Berichtigungen neben den Rechtsfolgen der anderen Vorschriften ergeben (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG).1 Die Finanzverwaltung folgt damit ausdrücklich nicht der neueren Rechtsprechung des BFH, wonach sich aus § 1 Abs. 1 AStG kein Vorrang der vGA (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) ergebe.2 Nach Auffassung des BFH „überlagern“ sich vielmehr beide Korrekturvorschriften, sodass der Rechtsanwender ein Wahlrecht habe, welche Vorschrift vorrangig Anwendung finden soll. Diese Auffassung des BFH wurde im Schrifttum – auch von Vertretern der Finanzverwaltung – zu Recht kritisiert, und es ist sehr zu befürworten, dass die Finanzverwaltung ihrer Linie treu bleibt und die Entscheidung des BFH v. 27.11.2019 nicht anwendet.3 Allerdings – und das ist neu – soll ausschließlich § 1 AStG Anwendung finden, wenn sich in Dreiecksverhältnissen die anzunehmende vGA und der daraus resultierende Vorteilsverbrauch auf Ebene der (inländischen) Muttergesellschaft neutralisieren. Dies zeigt das folgende Beispiel zum Nutzungsvorteil im Dreiecksfall:4 Beispiel: Die in Deutschland ansässige M GmbH hält 100 % der Anteile an der ebenfalls in Deutschland ansässigen T1 GmbH sowie an der im Ausland ansässigen T2 Ltd. Die T1 GmbH und die T2 Ltd. sind Schwestergesellschaften. Die T1 GmbH gewährt der T2 Ltd. ein zinsloses Darlehen, der fremdübliche Zins beträgt indessen 5 % p.a. Dies führt zu einer vGA der T1 GmbH an ihre Muttergesellschaft. Auf Ebene der M GmbH entsteht – mangels verdeckter Einlage in die T2 Ltd. – ein Vorteilsverbrauch, da von der M GmbH kein einlagefähiger Vermögensvorteil in die T2 Ltd. eingelegt wird.5 Außerbilanziell ist das Einkommen der M GmbH um die steuerfreie vGA gem. § 8b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 KStG zu kürzen. Mangels verdeckter Einlage erfolgt keine korrespondierende Einkünfteerhöhung, vielmehr ist ein Vorteilsverbrauch als Aufwand zu erfassen, der letztlich die Einkünfteerhöhung aufgrund der vGA bei der T1 GmbH neutralisiert. In diesem Fall ist – so Rz. 1.4 VWG Verrechnungspreise – § 1 AStG gegenüber § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auf Ebene der T1 GmbH vorrangig anzuwenden, sodass es aufgrund der Geschäftsbeziehung zwischen der T1 GmbH und der T2 Ltd. (Darlehen) zu einer Korrektur gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG in Höhe des fremdüblichen Zinssatzes von 5 % p.a. kommt. Infolgedessen vermeidet die Finanzverwaltung die in der Literatur kritisch diskutierte Frage der Anwendung des § 1 AStG auf den Vorteilsverbrauch bei der M GmbH.6 Korrigiert wird nach § 1 AStG vielmehr die direkte Geschäftsbeziehung zwischen der T1 GmbH und der T2 Ltd. Eine solche Interpretation des Konkurrenzverhältnisses zwischen vGA und § 1 AStG ist nicht zwingend, da auf Ebene der T1 GmbH grundsätzlich die Korrektur über eine vGA vorgeht. Die Argumentation über die Sicherstellung der Erfassung des zutreffenden Inlandsgewinns7 setzt insofern eine legaleinheitenübergreifende Interpretation des § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG voraus. Ob dies sachgerecht ist, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. 1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.4. 2 Vgl. BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann. 3 Zur Kritik an der Entscheidung vgl. Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (74 ff.); Engelen/Quilitzsch, FR 2021, 145 (147 ff.); Andresen/Holtrichter, DStR 2021, 65 ff.; Köhler, ISR 2020, 380 (381 ff.); Schnitger, IStR 2020, 821 (824 ff.). 4 Beispiel in Anlehnung an VWG VP 2021, Rz. 1.4, dort: Beispiel (Nutzungsvorteil). 5 Zu den Folgen im Einzelnen vgl. auch Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (72 ff.); Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.56 ff. 6 Vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.62. 7 So VWG VP 2021, Rz. 1.3.
152 | Ditz/Wassermeyer
F. Konkurrenzverhältnis der Rechtsgrundlagen | Rz. 2.205 Kap. 2
Wertauffüllerregel des § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG. Es ist nicht überzeugend, wenn nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG die Rechtsfolge nur „unbeschadet anderer Vorschriften“ eintreten soll, während § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG ausdrücklich die vorrangige Gewinnkorrektur nach Fremdvergleichsgrundsätzen vorschreibt, wenn diese zu einer weitergehenden Berichtigung führt („Wertauffüllerfunktion“). Beide Regelungen widersprechen einander, wenn man § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG dahin versteht, dass die anderen Vorschriften vorrangig Anwendung finden sollen.1 Umgekehrt ist eine der beiden Regelungen überflüssig, wenn sie beide in dem Sinne zu verstehen sein sollten, dass die Rechtsfolge des § 1 AStG auch dann anzuwenden ist, wenn sich eine zusätzliche Berichtigungsmöglichkeit nach einer anderen Vorschrift ergibt. Der Gesetzgeber hätte gut daran getan, die Worte „unbeschadet anderer Vorschriften“ in Satz 1 ersatzlos zu streichen. Entscheidend sollte jedoch sein, dass § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG erst durch UntStRefG 20082 eingefügt worden ist. Nach der Gesetzesbegründung3 soll die Vorschrift der Klarstellung dienen, dass andere Vorschriften Berichtigungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nicht verdrängen. Damit hat der Gesetzgeber das Konkurrenzverhältnis, das der BFH in seinem Beschluss v. 17.12.19974 als „offen“ angesehen hat, gesetzlich geregelt.
2.204
Urteil des BFH v. 27.11.2019. Der BFH hat in seinem Urt. v. 27.11.20195 mit einer neuen Auslegung von „unbeschadet anderer Vorschriften“ i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG überrascht. Es ergebe sich aus dieser Formulierung „kein Vorrang des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG“. Und weiter: „Beide Vorschriften [§ 1 AStG und § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, Anm. des Verf.] überlagern einander vielmehr in dem Sinne, dass sich eine Gewinnkorrektur nach der einen Vorschrift erübrigt, wenn sie bereits nach der anderen vollzogen wurde. Soweit die Rechtsfolgen der beiden Vorschriften nicht voneinander abweichen, kann der Rechtsanwender wählen, welche von ihnen er vorrangig prüft.“6 Der BFH folgt damit nicht dem langjährigen und weitgehend unbestrittenen Rechtsverständnis der Vorrangstellung der vGA gegenüber § 1 AStG, wie es durch die Rechtsprechung, die Finanzverwaltung und das Schrifttum allgemein anerkannt wurde.7 Der I. Senat des BFH hält auch nicht an seinem Urt. v. 9.11.19888 fest, wonach § 1 AStG „nicht zum Zuge [kommt], soweit nach anderen Vorschriften die Einkünfte zu korrigieren sind.“9 Der BFH begründet seine Interpretation von „unbeschadet anderer Vorschriften“ unter Verweis auf das „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ des BMJ. Danach kann durch „unbeschadet“ zum Ausdruck gebracht werden, dass „neben der jeweiligen Vorschrift weitere Rechtsnormen“ anwendbar sein sollen. Als Beispiel wird das Nebeneinander des öffentlichen und des Zivilrechts genannt. Daraus folgt jedoch nicht unmittelbar das Rechtsverständnis des
2.205
1 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 662; Kraft in Kraft, AStG2, § 1 Rz. 20; Kaminski in S/K/K, AStG/DBA, § 1 AStG Rz. 14; Hofacker in Haase3, AStG/DBA, § 1 AStG Rz. 46; a.A. BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann, Rz. 42 ff. 2 UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912, BStBl. I 2007, 630. 3 BT-Drucks. 16/4841 zu Art. 7 Nr. 1 Buchst. a Satz 3. 4 BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321 = BFHE 185, 24 = FR 1998, 487 mit Anm. Wassermeyer, IStR 1998, 243 und Kaminski, SteuerStud. 1998, 505. 5 Vgl. BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann. 6 BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann, Rz. 42. 7 Vgl. nur Kraft in Kraft, AStG2, § 1 Rz. 20. S. ferner Andresen/Holtrichter, DStR 2021, 65 (69). 8 Vgl. BFH v. 9.11.1988 – I R 335/83, BStBl. II 1989, 510. 9 BFH v. 9.11.1988 – I R 335/83, BStBl. II 1989, 510.
Ditz/Wassermeyer | 153
Kap. 2 Rz. 2.205 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
BFH.1 Es ist unbestritten, dass die vGA und § 1 AStG in einem Konkurrenzverhältnis stehen und zwar hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen (vgl. aber Rz. 2.199) sowie Rechtsfolgen (vgl. aber Rz. 2.201). Unzweifelhaft dürfen beide Vorschriften auch nicht nebeneinander Anwendung finden, da dies zu einer doppelten Korrektur führen würde. Stattdessen hat die h.M. den Wortlaut bislang so verstanden, dass er ein Vorrangverhältnis zugunsten der vGA festschreibt. Dies zeigt auch die Einführung des § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG durch das UntStRefG 20082 (vgl. Rz. 2.45 und 2.204). Soweit der BFH aus der Gesetzesbegründung eine andere Interpretation herauslesen möchte, ist dies nicht überzeugend. So heißt es in der Gesetzesbegründung: „Es wird ausdrücklich dargestellt, dass Berichtigungen nach Satz 1 andere Regelungen (vor allem verdeckte Gewinnausschüttungen, verdeckte Einlage, Entnahme, Einlage), die unverändert grundsätzlich Vorrang haben, ergänzen, soweit die Rechtswirkungen des Abs. 1 über die Rechtswirkungen der anderen Vorschriften hinausgehen.“3 Der Gesetzgeber stellt damit explizit klar, dass die vGA Vorrang vor § 1 AStG hat und dies unverändert auch vor Inkrafttreten des UntStRefG 2008 gilt. Daraus eine Gleichberechtigung der Vorschriften (vGA und § 1 AStG) abzuleiten, ist verfehlt.4 „Unbeschadet anderer Vorschriften“ ist vielmehr so zu interpretieren, dass nur § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG einschlägig ist, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 AStG erfüllt sind. § 1 AStG greift subsidiär, und zwar über die Wertauffüllerklausel gem. § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG, soweit seine Rechtsfolgen weitergehen als diejenigen der vGA. Der BFH lässt auch offen, wer der „Rechtsanwender“, der das Wahlrecht innehat, sein soll.5 Folgerichtig lehnt die Finanzverwaltung ein solches Wahlrecht ab.6
2.206
Unterschiedliche Rechtsfolgen. Schließlich muss das Konkurrenzverhältnis auch aus der Sicht der Rechtsfolgen beider Vorschriften gesehen werden. Insoweit hat sich in der Praxis die Auffassung des BFH durchgesetzt, dass die Rechtsfolgen außerhalb der Steuerbilanz anzusetzen sind (Rz. 2.8).7 Speziell § 1 AStG fingiert keine Einnahmen, sondern die Erhöhung von Einkünften.8 Schon diese Tatsache belegt, dass die Vorschrift keine Forderung begründet. Im Übrigen fehlt dem Korrekturbetrag einerseits die Eignung, Wirtschaftsgut sein zu können. Auch setzt die Anwendung des § 1 AStG keine Steuerbilanz voraus. Die Vorschrift ist z.B. ebenso auf das Ergebnis einer Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 oder nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG anwendbar. Gerade deshalb muss ihre Rechtsfolge losgelöst von steuerbilanzrechtlichen Überlegungen eingreifen. Dies geschieht in den einschlägigen Fällen durch Korrektur des Bilanzgewinnes außerhalb der Steuerbilanz bzw. durch Korrektur des Ergebnisses einer Überschussrechnung außerhalb derselben. Es kommt hinzu, dass in den Fällen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG eine Korrektur innerhalb der Steuerbilanz jedenfalls dann unmöglich ist, wenn das Nahestehen nicht durch eine Beteiligung vermittelt wird. Es fehlt dann an der Möglichkeit, den Korrekturbetrag auf dem Beteiligungskonto gegenzubuchen. Sollte die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG innerhalb der Steuerbilanz eingreifen, so würde sie begrifflich den 1 2 3 4 5 6 7
8
Kritisch auch Andresen/Holrichter, DStR 2021, 65 (70); Engelen/Quilitzsch, FR 2021, 145 (147). Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. BT-Drucks. 16/4841, 85. Vgl. auch Köhler, ISR 2020, 380 (382); Schnitger, IStR 2020, 821 (825); Busch, DB 2020, 2369 (2370). Kritisch auch Engelen/Quilitzsch, FR 2021, 145 (148). Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.3. Vgl. BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875 = BFHE 160, 567; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Rz. 8.1.1 Buchst. c (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021); Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 811; Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 770; Pohl in Brandis/Heuermann, § 1 AStG Rz. 49. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 12.
154 | Ditz/Wassermeyer
F. Konkurrenzverhältnis der Rechtsgrundlagen | Rz. 2.207 Kap. 2
Eintritt einer Einkünfteminderung verhindern. Sie wäre dann der Rechtsfolge des § 1 AStG logisch vorrangig. Der BFH versteht indes auch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als eine Einkünftekorrekturvorschrift, die außerhalb der Steuerbilanz ansetzt.1 Von diesem Standpunkt ausgehend, setzen die Rechtsfolgen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG einerseits und des § 1 AStG andererseits auf derselben Ebene an. Es ergeben sich insoweit keine weiteren Konkurrenzprobleme. Die z.B. von Reiß2 vertretene gegenteilige Auffassung muss dagegen das Konkurrenzverhältnis zwangsläufig anders sehen. Problematisch ist die Aussage, § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG sei nicht auf „reine“ Auslandssachverhalte anwendbar.3 Denkt man an eine ausländische Kapitalgesellschaft, die einer anderen ausländischen Schwestergesellschaft einen Vermögensvorteil zuwendet, so ist das Gegenteil richtig, wenn die gemeinsame Muttergesellschaft eine inländische ist. Richtig ist allerdings, dass § 1 AStG auf „reine“ Auslandssachverhalte unanwendbar ist. Die Vorschrift setzt Geschäftsbeziehungen „zum Ausland“ voraus. Geschäftsbeziehungen „im Ausland“ reichen nicht aus (vgl. Rz. 2.145 ff.). Voneinander abweichende Rechtsfolgen. Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AStG ergibt sich, dass diese Vorschrift in der Nähe der Fiktionstheorie steht, ohne mit ihr konzeptionell übereinzustimmen.4 Anders ausgedrückt wird mit Hilfe der Vorschrift ein unangemessenes Entgelt innerhalb der Geschäftsbeziehung durch ein angemessenes ersetzt. Das Entgelt wird nur für steuerrechtliche Zwecke auf ein angemessenes korrigiert. Dies geschieht durch den Ansatz eines Korrekturbetrages außerhalb der Handels- und der Steuerbilanz.5 Der Ansatz außerhalb der Steuerbilanz ist jedoch nur eine Frage der technischen Durchführung einer Hinzurechnung zum Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG. Für § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG geht die Frage dahin, ob die Vorschrift in gleicher Weise den Ansatz eines angemessenen Entgeltes für einen bestimmten Geschäftsvorfall vorschreibt oder ob sich die Unterschiedsbetragskorrektur aus einem anderen Rechtsgrund erklärt.6 Rättig/Protzen7 erörtern in ähnlicher Weise mit Blick auf den BFH-Beschl. v. 6.7.20008 die Frage, ob die dort angesprochene vGA als Veräußerungsgewinn oder als anderweitige Gewinnerhöhung anzusetzen sei. Sie bejahen Ersteres.9 Ähnlich sieht der BFH in den Fällen einer verhinderten Vermögensmehrung die vGA nicht in der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an einem Wirtschaftsgut des Gesellschaftsvermögens, sondern in dem Verzicht auf die Forderung eines angemessenen Entgelts.10 Der Realisationsgrund für die anzunehmende Gewinnerhöhung liegt in der Annahme einer Einkommensverwendung. Während also § 1 AStG eine Korrektur des Entgeltes gebietet und sich damit auf die Einkünfteerzielung bezieht, geht § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG von einer Form der Einkommensverwendung aus. Da i.d.R. erzielte Gewinne ausgeschüttet werden, lässt sich daraus ein logischer Vorrang des § 1 AStG vor dem § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ableiten, der aller-
1 Vgl. BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366 = BFHE 175, 347 = FR 1994, 833; Wassermeyer in Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, 1997, 541. 2 Reiß, StuW 1996, 337. 3 Vgl. Vögele/Raab in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. A 360. 4 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 5. 5 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 811; BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366 = BFHE 175, 347 = FR 1994, 833; Wassermeyer, GmbHR 2002, l (4). 6 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 82. 7 Rättig/Protzen, GmbHR 2001, 495 ff. Fn. 30. 8 BFH v. 6.7.2000 – I B 34/00, BStBl. II 2002, 490 = BFHE 102, 307. = FR 2000, 1135 m. Anm. Kempermann. 9 Vgl. auch Wassermeyer, GmbHR 2002, l. 10 Vgl. BFH v. 20.1.1993 – I R 55/92, BStBl. II 1993, 376 = BFHE 170, 241 = FR 1993, 373; Wassermeyer, GmbHR 1998, 157 (160 unter 4.); Wassermeyer in FS Welf Müller, 2001, 397 (400).
Ditz/Wassermeyer | 155
2.207
Kap. 2 Rz. 2.207 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
dings durch den in § 1 Abs. 1 AStG enthaltenen Vorbehalt anderer Vorschriften auf den Kopf gestellt wird.
2.208
Materiell-rechtliche Unterschiede zwischen § 1 AStG und § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Ein wesentlicher materiell-rechtlicher Unterschied zwischen § 1 AStG und § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG besteht darin, dass § 1 AStG zwingend eine Geschäftsbeziehung erfordert, ohne die eine Korrektur nicht möglich ist,1 während § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auch dann Anwendung findet, wenn eine bestimmte Vorteilszuwendung nicht als Geschäftsbeziehung (sondern z.B. als Schenkung) qualifiziert werden kann.2 Ferner schreibt § 1 AStG für jedes Abweichen der Geschäftsbeziehungen zum Ausland zwischen nahestehenden Personen vom Fremdvergleich die Einkünftekorrektur zwingend vor. Innerhalb der vGA führt dagegen das Abweichen des tatsächlich Vereinbarten vom Fremdvergleich nur zu einer widerlegbaren Vermutung ihrer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis.3 Entsprechendes gilt seit 2003 bei Anwendung des § 162 Abs. 3 Satz 1 AO im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten i.S.d. § 90 Abs. 3 AO. Als einschlägiger Fall kann auf das BFH-Urteil v. 7.8.20024 verwiesen werden. Den Steuerpflichtigen trifft im Bereich des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und des § 162 Abs. 3 Satz 1 AO eine Darlegungslast, deren Verletzung eine Beweismaßreduzierung zugunsten der Finanzverwaltung auslösen kann. Der Steuerpflichtige kann insbesondere darlegen, dass das tatsächlich Vereinbarte eine Fehlmaßnahme war, die keine Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis hatte. Innerhalb des § 1 AStG ist ein solcher Nachweis nicht möglich, was allerdings innerhalb der EU zu Diskriminierungen gegenüber vergleichbaren Inlandssachverhalten führt (vgl. Rz. 13.13 ff.).
II. Verhältnis des § 1 AStG zu einer verdeckten Gewinnausschüttung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG 2.209
Bedeutung für die Kapitalertragsteuer. § 1 AStG setzt eine Minderung von Einkünften voraus, die zu korrigieren die Rechtsfolge der Vorschrift ist. Außerdem müssen die geminderten Einkünfte solche aus Geschäftsbeziehungen zum Ausland sein. Einem Gesellschaftsverhältnis fehlt jedoch die Eignung, eine solche Geschäftsbeziehung zu sein.5 Die vGA fließt im Übrigen dem Gesellschafter nicht als eine Folge der Minderung von Einkünften, sondern als die Zuwendung eines tatsächlich bei der Körperschaft abgeflossenen Vermögensvorteils zu. Dies gilt auch für den Fall einer Vorteilsgewährung zwischen zwei Schwestergesellschaften6 bzw. einer solchen durch eine Enkelgesellschaft unmittelbar an ihre Muttergesellschaft. Daraus folgt, dass dem § 1 AStG die Eignung fehlt, „fiktive“ Beteiligungserträge zu begründen oder zu erhöhen. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG bildet einen eigenständigen Besteuerungstatbestand, innerhalb dessen § 1 AStG keine Anwendung finden kann. Einzelheiten sind in Rz. 2.45 f. dargestellt.
1 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Anm. 894. 2 Vgl. BFH v. 30.1.2013 – II R 6/12, FR 2013, 557 m. Anm. Keß = DStR 2013, 649. 3 Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 810; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = BFHE 197, 68; Wassermeyer, StbJb. 1998/99, 157 (164); Wassermeyer, DB 2001, 2465 (2466). 4 BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, FR 2003, 132 = BFH/NV 2003, 124; BMF v. 20.5.2003 – IV A 2 - S 2742 – 26/03, DStR 2003, 939. 5 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 224; BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 1.4.2. 6 Vgl. Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen2, Rz. 763 ff.
156 | Ditz/Wassermeyer
F. Konkurrenzverhältnis der Rechtsgrundlagen | Rz. 2.212 Kap. 2
III. Verhältnis des § 1 AStG zur verdeckten Einlage Offene Einlage. Bei der Beurteilung des Verhältnisses zwischen § 1 AStG und einer Einlage sollte zwischen offenen und verdeckten Einlagen unterschieden werden. Die offene Einlage beruht immer auf dem Gesellschaftsverhältnis. Ihr Kennzeichen ist, dass sie in keinem Zusammenhang mit einer neben dem Gesellschaftsverhältnis bestehenden Geschäftsbeziehung steht. Dies gilt gleichermaßen für Einlagen gegen und ohne Gewährung von Gesellschaftsrechten. Es macht auch keinen Unterschied, ob die Einlage aus der Sicht des einlegenden Gesellschafters oder der empfangenden Gesellschaft zu beurteilen ist. So gesehen scheidet die Anwendung des § 1 AStG tatbestandsmäßig immer aus, wenn eine offene Einlage gegeben ist.1 Dies gilt auch deshalb, weil die offene Einlage nach den allgemeinen Einkunftsermittlungsvorschriften zu beurteilen ist, was keinen Raum für die Anwendung einer Einkünftekorrekturvorschrift lässt.
2.210
Verdeckte Einlage. Für die verdeckte Einlage gilt nichts anderes, wenn man sie aus der Sicht der Gesellschaft sieht, in deren Vermögen etwas eingelegt wird. Das Wesen der verdeckten Einlage besteht in einer Vermögensmehrung der Gesellschaft, für die die Gefahr besteht, dass sie den Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG erhöht, obwohl die Vermögensmehrung eben nicht von der Gesellschaft erwirtschaftet, sondern vom Gesellschafter zugewendet wurde.2 Selbst wenn man jedoch die Einlage auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung „gewinnerhöhend“ behandelt, um die Rechtsfolge des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG erst auf der zweiten Stufe eingreifen zu lassen, so kann die Einlage niemals eine Minderung der Einkünfte bewirken.3 Dies gilt selbst dann, wenn Gegenstand der Einlage kein Wirtschaftsgut, sondern eine (teilweise) unentgeltliche Nutzungsüberlassung oder Dienstleistung ist. Aus der Sicht der die Einlage empfangenden Gesellschaft sind stets nur die Rechtsfolgen der Einlage anzusetzen. Für die Anwendung des § 1 AStG ist schon tatbestandsmäßig kein Raum.
2.211
Steuerrechtliche Beurteilung aus Sicht des einlegenden Gesellschafters. Das eigentliche Konkurrenzproblem zwischen § 1 AStG und einer Einlage stellt sich, wenn eine verdeckte Einlage aus der Sicht des einlegenden Gesellschafters steuerrechtlich zu beurteilen ist. In diesem Fall begründet das Rechtsgeschäft, das die Einlage verdecken soll, die für die Anwendung des § 1 AStG an sich erforderliche Geschäftsbeziehung. Auch liegt es in der Natur der verdeckten Einlage, dass der einlegende Gesellschafter nicht das Entgelt erhält, was ein fremder Dritter erhalten hätte, der die die Einlage bildende Lieferung oder Leistung auf der Grundlage einer Geschäftsbeziehung erbracht hätte. Es fehlt also nicht an einer Minderung von Einkünften. Dennoch gehen die Zielsetzungen der verdeckten Einlage und des § 1 AStG diametral auseinander. § 5 Abs. 6 EStG gebietet es, verdeckte Einlagen auch beim Gesellschafter als Leistungen zu behandeln, die auf der Basis des bestehenden Gesellschaftsverhältnisses erbracht werden. § 1 AStG will dagegen die Einlage wie eine Leistung auf der Grundlage einer Geschäftsbeziehung behandeln. § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG stellt klar, dass die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG Vorrang hat. Wenn deshalb § 5 Abs. 6 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG gebietet, die verdeckte Einlage beim einlegenden Gesellschafter als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung zu behandeln, so schließt dies die Annahme einer Geschäftsbeziehung und damit einer Minderung der Einkünfte aus einer Geschäftsbeziehung nicht aus. Denn aus einer Geschäftsbeziehung i.S.d § 1 Abs. 4 AStG sind nur solche Geschäftsvorfälle auszuklammern, die einen formal-rechtlichen Niederschlag im Gesellschaftsvertrag gefunden und zusätzlich zu
2.212
1 Vgl. Cortez in W/S/G, Vorbemerkungen zu § 1 AStG Rz. 31 ff. 2 Vgl. R 8.9 Abs. 1 EStR. 3 Vgl. Woerner, BB 1983, 845; Wassermeyer, BB 1984, 1501.
Ditz/Wassermeyer | 157
Kap. 2 Rz. 2.212 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
einer materiell-rechtlichen Änderung der Organisationsstruktur der Gesellschaft geführt haben.1 Es stellt sich allerdings EU-rechtlich die Frage, ob eine (unterstellte) Gewinnverlagerung ins Ausland anders als eine solche ins Inland besteuert werden darf (vgl. Rz. 13.13 ff.).2
2.213
System der 2-stufigen Gewinnermittlung. Der Meinungsstreit berührt letztlich auch das System der 2-stufigen Gewinnermittlung und das Verhältnis der beiden Stufen der Gewinnermittlung zueinander.3 Das folgende Beispiel mag dies deutlich machen.4 Beispiel: Die inländische Muttergesellschaft M ist zu 100 % an einer ausländischen Tochtergesellschaft T beteiligt. Die M übernimmt gegenüber einem Gläubiger G Kosten i.H.v. 100, für die die T der Schuldner war und die wirtschaftlich zu tragen die Sache der T gewesen wäre. Subsumiert man diesen Sachverhalt unter die einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften, so ist von einer Einlage der M in das Vermögen der T i.H.v. 100 auszugehen.5 Die Einlage ist bei M auf dem Beteiligungskonto für T zu aktivieren. Die Annahme einer Einlage schließt die Anwendung des § 1 AStG aus, weil es an einer Minderung der Einkünfte fehlt, wie sie § 1 Abs. 1 AStG voraussetzt. Das Besondere des Sachverhaltes ist, dass sich die Aktivierung auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung vollzieht. Eine Korrektur auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung setzt aber immer eine Minderung des Unterschiedsbetrages i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG voraus, an der es fehlt, wenn die übernommenen Kosten auf der ersten Stufe der Gewinnermittlung zu aktivieren sind. Dies gilt unbeschadet der Überlegung, ob in der Kostenübernahme eine schuldrechtliche Beziehung zwischen M und T zu sehen ist. Letztlich schließt also die Aktivierung auf dem Beteiligungskonto die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 AStG aus, ohne dass das Steuerrecht auf den schuldrechtlichen Charakter der Kostenübernahme abstellen würde. Umgekehrt schließt die schuldrechtliche Beziehung die Annahme einer Einlage nicht aus.
2.214
Keine verdeckte Nutzungseinlage. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Gesellschafter (teilweise) unentgeltliche Nutzungen oder Dienstleistungen gegenüber seiner Gesellschaft erbringt. Diese sind nicht einlagefähig.6 Damit fallen sie nicht unter § 5 Abs. 6 EStG. § 1 AStG bleibt anwendbar, auch wenn es auf den ersten Blick widersinnig erscheinen mag, die verdeckte Einlage von Wirtschaftsgütern anders als die von Nutzungsvorteilen zu versteuern. Dies gilt zumal dann, wenn der Nutzungsvorteil innerhalb der Gesellschaft noch einmal als Teil des Gewinns besteuert wird, wie es nach deutschem innerstaatlichen Steuerrecht vorgesehen ist. Die Kritiker dieser Rechtsprechung weisen vor allem darauf hin, dass der ursprüngliche und der nachträgliche Verzicht auf ein Entgelt wirtschaftlich dasselbe seien.7 Außerdem will man speziell die Nutzungsüberlassung wie ein immaterielles Wirtschaftsgut behandeln.8 Dem ist jedoch der Große Senat des BFH nicht gefolgt.9 1 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673, Rz. 43 = ISR 2022, 22, 28; Pohl in Brandis/Heuermann, EStG/KStG/GewStG, AStG § 1 Rz. 188 f.; Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, AStG § 1 Rz. 1464; Kraft in Kraft, AStG2, § 1 Rz. 631; a.A. Günkel/Lieber, IStR 2004, 229 (231). 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 96. 3 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 807 ff. 4 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 254, 913. 5 Vgl. BFH v. 5.6.2003 – I B 168/02, IStR 2003, 738. 6 RFH v. 6.2.1929 – VI A 520/28, RStBl. 1929, 271; BFH v. 4.8.1959 – I 4/59 S, BStBl. III 1959, 374 = BFHE 69, 299; v. 8.1.1969 – I R 26/67, BStBl. II 1969, 268 = BFHE 95, l; BFH v. 26.9.1969 – VI R 64/67, BStBl. II 1970, 177 = BFHE 97, 347; BFH v. 3.2.1971 – I R 22/68, BStBl. II 1971, 408 = BFHE 101, 364; BFH v. 14.3.1989 – I R 8/85, BStBl. II 1989, 633 = BFHE 156, 452 = FR 1989, 464; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = BFHE 151, 523, = FR 1988, 160. 7 Vgl. Gocke, FR 1984, 606 (607); Döllerer, DStR 1984, 383 (387). 8 Vgl. Gocke, FR 1984, 606 (607); Bordewin, DStZ/A 1985, 11 (13). 9 Vgl. BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348.
158 | Ditz/Wassermeyer
F. Konkurrenzverhältnis der Rechtsgrundlagen | Rz. 2.215 Kap. 2
§ 1 AStG oder Einlage. Für Leistungen, die eine inländische Muttergesellschaft an ihre ausländische Tochtergesellschaft unentgeltlich oder teilunentgeltlich erbringt, stellt sich stets die Frage, ob eine Gewinnkorrektur nach § 1 AStG oder nach Einlagegrundsätzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG) vorrangig vorzunehmen ist. Insoweit sind die Einlagegrundsätze vorrangig anzuwenden, wenn die Vorteilszuwendung in einem einlagefähigen Wirtschaftsgut besteht. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG „unbeschadet anderer Vorschriften“ (vgl. dazu Rz. 2.202 ff.). Ob § 1 AStG anzuwenden ist, wenn die Vorteilszuwendung aus Dienstleistungen oder Nutzungsüberlassungen besteht, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab.1 Dazu folgende Beispiele: Beispiel 1: Die M AG mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland hält alle Anteile an der T, einer Tochterkapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Frankreich. Die M AG ist ein Bauunternehmen. Die T erweitert zurzeit ihr Geschäftsgebäude. Die M AG stellt der T unentgeltlich (teilunentgeltlich) Zement und Ziegelsteine zur Verfügung. Lösung: Zement und Ziegelsteine sind einlagefähige Wirtschaftsgüter. Deshalb liegen eine Entnahme und eine Einlage vor. Die Anwendung des § 1 AStG ist ausgeschlossen, weil die Rechtsfolge des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG eine Einkünfteminderung ausschließt. Die Entnahme ist gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Beispiel 2: Sachverhalt wie Beispiel 1, jedoch überlässt die M AG der T einen Bautrupp zur Durchführung von Umbauarbeiten. Lösung: Die M AG erbringt eine Dienstleistung. Die Dienstleistung ist an sich nicht einlagefähig. Dies schließt nicht aus, dass aus der Sicht der M AG eine Leistungsentnahme anzusetzen ist, die mit dem Teilwert zu bewerten ist. Nach der Rechtsprechung des BFH ist der Teilwert mit den Selbstkosten (= Lohnkosten ohne Gewinnaufschlag) der M AG zu bewerten.2 Es greift jedoch zusätzlich § 1 Abs. 1 AStG. Die Vorschrift löst den Ansatz eines Fremdvergleichspreises aus (einschließlich Gewinnaufschlag). Die Vorschrift geht der Annahme einer Leistungsentnahme vor. Beispiel 3: Sachverhalt wie Beispiel 2, jedoch beauftragt die M AG ein fremdes Unternehmen, bei der T die Umbauarbeiten vorzunehmen. Die M AG handelt im eigenen Namen und für eigene Rechnung. Eine Weiterberechnung an T erfolgt nicht. Lösung: Auch in diesem Fall besteht die Vorteilszuwendung der M AG in einer Leistung, weshalb die Ausführungen zu Beispiel 2 entsprechend gelten. Es spricht vieles für eine Anwendung des § 1 AStG, außer der Aufwand wäre im wesentlichen Interesse der M AG als Muttergesellschaft. Dann würde Gesellschafteraufwand vorliegen.3 Beispiel 4: Sachverhalt wie Beispiel 3, jedoch erteilt die T den Auftrag zu den Umbauarbeiten dem fremden Unternehmen. Die M AG begleicht die Schuld der T ohne Weiterberechnung. 1 Vgl. zum grundsätzlichen Verhältnis des § 1 AStG zur verdeckten Einlage auch BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, Rz. 41 ff. 2 Vgl. BFH v. 9.7.1987 – IV R 87/85, FR 1987, 528 = BStBl. II 1988, 342 = BFHE 150, 345. 3 Vgl. dazu auch Ditz/Tcherveniachki, DB 2011, 2676 (2680 f.).
Ditz/Wassermeyer | 159
2.215
Kap. 2 Rz. 2.215 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung Lösung: Die Befreiung von einer Schuld ist wie eine Geldeinlage zu behandeln.1 Beispiel 5: Die inländische M AG überlässt ihrer ausländischen Tochtergesellschaft T den Angestellten A, der bei der T die Leitung eines bestimmten Produktbereiches übernimmt. A bleibt Arbeitnehmer der M AG. T erstattet die Gehalts- und Gehaltsnebenkosten nicht an M AG. Lösung: Wie Beispiel Nr. 2. Beispiel 6: Sachverhalt wie Beispiel 5, jedoch wird A Arbeitnehmer der T. Sein Arbeitsverhältnis zur M AG ruht. T zahlt das Gehalt. Die M AG zahlt jedoch weiterhin die Sozialversicherungsbeiträge auf das Gehalt des A, ohne von T Erstattung zu verlangen. Lösung: Es ist aus der Sicht von T festzustellen, ob das von ihr an A gezahlte Gehalt angemessen ist und ob die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge durch die M AG ausschließlich in deren Interesse liegt. Ggf. liegt weder eine Entnahme noch ein Tatbestand des § 1 AStG vor. Verneinendenfalls muss die Lösung dem Beispiel Nr. 2 entsprechen.2 Beispiel 7: Die inländische M AG gewährt ihrer ausländischen Tochtergesellschaft T ein zinsloses Darlehen. Die Zinslosigkeit ist im Darlehensvertrag festgeschrieben. Lösung: Es liegt eine Nutzungsüberlassung vor, deren Teilwert 0 Euro beträgt. Die Finanzverwaltung wird außerdem § 1 AStG anwenden und ein Entgelt in Höhe angemessener Zinsen ansetzen. Sollte die T innerhalb der EU/EWR ansässig sein, so steht eine Verletzung von Grundfreiheiten zur Diskussion, weil Vorteilsgewährungen an in- und ausländische Tochtergesellschaften unterschiedlich besteuert werden. Beispiel 8: Die inländische M AG gewährt ihrer ausländischen Tochtergesellschaft ein verzinsliches Darlehen. Sie verzichtet jedoch jeweils zum Jahresende rückwirkend auf die angefallenen und noch nicht gezahlten Zinsen. Lösung: In Höhe der vereinbarten Jahreszinsen ist ein Zufluss und eine sich anschließende Einlage anzunehmen, die die Anwendung des § 1 AStG ausschließt, sofern man angemessene Zinsen unterstellt. Von einer verdeckten Einlage kann indessen nur dann ausgegangen werden, wenn sich der Verzicht auf werthaltige Zinsforderungen bezieht. Dazu ist der Teilwert der erlassenen Zinsforderungen zu bestimmen. Falls die Zinsforderungen wertlos sind, ist die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG zu prüfen. Nach Ansicht des BFH geht die Frage in diesem Zusammenhang dahin, ob die entsprechenden Forderungen nicht besichert hätten werden müssen. So kann in der fehlenden Besicherung einer Zinsforderung eine „Bedingung“ i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG gesehen werden, deren fremdunübliche Ausgestaltung den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AStG eröffnet.3
1 Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = BFHE 183, 187 = FR 1997, 723. 2 Vgl. OFD Koblenz v. 21.8.1995 – S 1341 A – St 34 1, Wpg 1995, 675. 3 Vgl. zu Einzelheiten BFH vom 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann, Rz. 30 ff. und 38.
160 | Ditz/Wassermeyer
F. Konkurrenzverhältnis der Rechtsgrundlagen | Rz. 2.215 Kap. 2 Beispiel 9: Die inländische M AG gewährt ihrer ausländischen Tochtergesellschaft ein Darlehen in ausländischer Währung. Die ausländische Währung wird gegenüber dem Euro abgewertet. Deshalb nimmt die M AG auf die Darlehensforderung eine Teilwertabschreibung vor. Lösung: Die Teilwertabschreibung löst eine nach § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG nicht abziehbare Betriebsausgabe aus. Die Regelung geht dem § 1 AStG vor, schließt allerdings nicht die Prüfung der Angemessenheit der vereinbarten Zinsen der Höhe nach aus. Ggf. kommt insoweit eine Gewinnkorrektur nach § 1 AStG in Betracht. Nach Auffassung der neueren Rechtsprechung des BFH ist § 1 Abs. 1 AStG auch auf Teilwertabschreibungen in Bezug auf Forderungen aus nicht besicherten Gesellschafterdarlehen anwendbar. Einzelheiten werden in Rz. 2.182 ff. dargestellt. Beispiel 10: Die inländische X GmbH erhält von ihrem im Ausland ansässigen Gesellschafter X eine Maschine. X stellt dafür nur den eigenen Buchwert in Rechnung. Der Fremdvergleichspreis liegt deutlich über dem Buchwert. Lösung: Es liegt eine partielle Sacheinlage vor, die mit dem Teilwert zu bewerten ist. Die Anwendung von § 1 AStG ist schon deshalb ausgeschlossen, weil bei der X GmbH keine Minderung der Einkünfte eingetreten ist. Beispiel 11: Sachverhalt wie Beispiel 10, jedoch wendet X der X GmbH ein zinsloses Darlehen zu. Lösung: Es liegt keine Einlage vor.1 Die Anwendung von § 1 AStG ist in Ermangelung einer Minderung der Einkünfte bei der X GmbH ausgeschlossen. Beispiel 12: Die M AG, Deutschland, hält sämtliche Anteile an der T1 GmbH, Deutschland, und der T2 s.r.o., Tschechien. Die T1 GmbH übertragt der T2 s.r.o. unentgeltlich eine Maschine. Deren gemeiner Wert beträgt 10 Mio. Euro. Dieser entspricht dem Teilwert und dem Fremdvergleichspreis. Lösung: Da es sich im vorliegenden Fall um ein einlagefähiges Wirtschaftsgut (Maschine) handelt, kommt die vom BFH entwickelte Dreieckstheorie zur Anwendung: Im ersten Schritt liegt eine vGA der T1 GmbH an die alleinige Gesellschafterin, M AG, vor. Mithin wird das Einkommen der T1 GmbH außerbilanziell, d.h. auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung, um 10 Mio. Euro erhöht (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG). Auf Ebene der M AG stellt die vGA einen sonstigen Bezug i.S.d. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG dar, der als Ertrag zu erfassen ist. Außerbilanziell wir der vGA-Ertrag der M AG allerdings nach § 8b Abs. 1 und Abs. 5 KStG um 9,5 Mio. Euro gemindert. Da die Maschine steuerlich von der M AG in die T2 GmbH eingelegt wird, erhöhen sich nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG die Anschaffungskosten der M AG an der T2 s.r.o. um 10 Mio. Euro. Unterstellt, die T2 s.r.o. wäre im Inland steuerlich ansässig, wäre der Ertrag aus der Einlage außerbilanziell gem. § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG zu mindern und das steuerliche Einlagekonto nach § 27 KStG in entsprechender Höhe zu mindern.2
1 Vgl. BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = BFHE 151 523 = FR 1988, 160. 2 Beispiel in Anlehnung an VWG VP 20211098, Rz. 1.4, Beispiel (einlagefähiges Wirtschaftsgut).
Ditz/Wassermeyer | 161
Kap. 2 Rz. 2.216 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
IV. Anwendung der Rechtsgrundlagen in sog. „Dreiecksfällen“ 2.216
Dreieckstheorie des BFH. Werden zwischen Schwestergesellschaften unangemessene Verrechnungspreise für eine Lieferung oder Leistung vereinbart, findet zu deren Korrektur die sog. Dreieckstheorie Anwendung, nach der hinsichtlich der Einkünftekorrektur zwei Vorgänge zu differenzieren sind. In einem ersten Schritt liegt eine vGA der vorteilsgewährenden Tochtergesellschaft T1 an ihre Muttergesellschaft (M) vor. Dies gilt insofern, als § 1 Abs. 1 AStG „unbeschadet anderer Vorschriften“ anzuwenden ist und infolgedessen die Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung bei T1 aufgrund ihrer gesellschaftlichen Veranlassung eine vGA auslöst; § 1 AStG ist nicht anwendbar (vgl. Rz. 2.202 ff.). In einem zweiten Schritt wird der von der Muttergesellschaft über die vGA erhaltene Vorteil an die Tochtergesellschaft T2 weitergegeben. Rechtsgrundlage ist dafür – die Übertragung eines vermögenswerten Vorteils vorausgesetzt – eine verdeckte Einlage.1 Die Korrektur der zwischen T1 und T2 vereinbarten, nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz genügenden Verrechnungspreise richtet sich folglich nach den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen zwischen T1 und T2, nämlich über ihre gemeinsame Muttergesellschaft. Der Vorteil gelangt über eine vGA von T1 zu M, die diesen an die begünstigte T2 weitergibt (verdeckte Einlage).2 Diese Betrachtungsweise gilt auch, wenn eine der Gesellschaften (z.B. die Muttergesellschaft oder T2) im Ausland ansässig ist. Beispiel: Die in Deutschland ansässige Muttergesellschaft (M) ist an der T1 GmbH, ebenfalls in Deutschland ansässig, und der T2 Ltd., ansässig in Großbritannien, beteiligt. Die T1 liefert an T2 Waren zu (unangemessenen) Verrechnungspreisen, die unter den Produktionskosten der T1 liegen. Infolgedessen wird in einem ersten Schritt eine vGA der T1 an M ausgelöst. In einem zweiten Schritt erfolgt eine verdeckte Einlage der M in die T2. § 1 AStG findet bei T1 keine Anwendung, da die Vorschrift „unbeschadet anderer Vorschriften“ greift und infolgedessen eine vGA vorgeht.
2.217
vGA der Tochtergesellschaft T1 an die Muttergesellschaft. Wie in der vorstehenden Rz. 2.216 dargestellt, löst die Lieferung oder Leistung der T1 an ihre Schwestergesellschaft, die T2, zu nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz genügenden Verrechnungspreisen eine vGA an die gemeinsame Muttergesellschaft aus. Die vGA greift unabhängig davon, ob es sich um eine Vorteilsgewährung i.S. eines einlagefähigen Wirtschaftsguts oder einer nicht einlagefähigen Nutzungsgewährung oder Dienstleistung handeln. Hintergrund ist, dass die Muttergesellschaft keine eigenen Mittel aufwenden muss, um eine entsprechende, begünstigte Leistung als Gesellschafterbeitrag gegenüber ihrer Tochtergesellschaft T2 zu erbringen.3 Die Vorteilsgewährung ist damit im Gesellschaftsverhältnis zur gemeinsamen Muttergesellschaft veranlasst.4 Durch die vGA, die außerbilanziell bei T1 hinzuzurechnen ist, wird eine zusätzliche Steuerbelastung bei T1 mit Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer ausgelöst. Auf Ebene der Muttergesellschaft liegt ein Beteiligungsertrag gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG vor, der, wenn die Muttergesellschaft eine Kapitalgesellschaft ist, bei ihr gem. § 8b Abs. 1 KStG steuerbefreit ist. Sollte T1 im Ausland ansässig sein, gilt dies allerdings nur, wenn auf 1 Vgl. BFH v. 19.5.1982 – I R 102/79, BStBl. II 1982, 632; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 28.1.1992 – VIII R 207/85, BStBl. II 1992, 605; BFH v. 12.12.2000 – VIII R 62/ 93, BStBl. II 2001, 234; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.56 ff. 2 Vgl. BFH v. 6.12.1995 – I R 40/96, BStBl. II 1997, 118. 3 So BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988,348. 4 Vgl. BFH v. 22.2.1989 – I R 9/85, BStBl. II 1989, 631; BFH v. 18.12.1996 – I R 139/94, BStBl. II 1997, 301.
162 | Ditz/Wassermeyer
F. Konkurrenzverhältnis der Rechtsgrundlagen | Rz. 2.219 Kap. 2
ihrer Ebene die vGA das Einkommen nicht gemindert hat (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG). Nach § 8b Abs. 5 KStG sind bei der Muttergesellschaft 5 % der vGA als nicht abzugsfähige Betriebsausgabe zu behandeln. Im Ergebnis sind damit (nur) 95 % der vGA von der Körperschaftsteuer freigestellt. Dies gilt aufgrund des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs gem. § 9 Nr. 7 GewStG auch für die Gewerbesteuer. Verdeckte Einlage der Muttergesellschaft in T2. Wird ein einlagefähiges Wirtschaftsgut von der Tochtergesellschaft T1 an ihre Schwestergesellschaft T2 übertragen (verkauft), liegt neben der vGA der T1 an die Muttergesellschaft auch eine verdeckte Einlage der Muttergesellschaft in T2 vor. Infolgedessen ist bei der Muttergesellschaft der Teilwert der verdeckten Einlage als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung an der T2 zu aktivieren (§ 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG). Auf Ebene der Muttergesellschaft ist die verdeckte Einlage zwar grundsätzlich gewinnrealisierend, der Zuschreibung auf die Beteiligung an T2 steht jedoch der Verbrauch des entsprechenden Vorteils, der über die vGA bei der Muttergesellschaft „angekommen“ ist, entgegen. Bei T2 ist das erhaltene Wirtschaftsgut mit seinem Teilwert zu aktivieren (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG), wobei die daraus resultierende Vermögensmehrung – deutsches Recht unterstellt – außerbilanziell zu korrigieren (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG) und als Zugang auf dem steuerlichen Einlagekonto (§ 27 KStG) zu erfassen ist. Die verdeckte Einlage wird – nach dem Korrespondenzprinzip – bei T2 aber nur dann steuerneutral behandelt, wenn die vGA bei T1 das Einkommen nicht gemindert hat (§ 8 Abs. 3 Satz 4 KStG). Ist die T2 im Ausland ansässig, ist freilich das in ihrem Ansässigkeitsstaat gültige Steuerrecht zu beachten. Im Ergebnis führt das „Zusammenspiel“ zwischen vGA der T1 an M und die anschließende verdeckte Einlage der M in T2 dazu, dass die aus den unangemessenen Verrechnungspreisen resultierende Gewinnverlagerung korrigiert wird (Einkünfteerhöhung bei T1 und korrespondierende Aktivierung des Wirtschaftsguts bei T2 mit anschließender AfA bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens oder Wareneinsatz bei Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens). Die vorstehend dargestellten Zusammenhänge einer Einkünftekorrektur zwischen zwei Schwestergesellschaften auf der Grundlage einer vGA und einer verdeckten Einlage werden – in Bezug auf einen Forderungsverzicht der T1 gegenüber T2 – durch das BFH-Urt. v. 27.11.2019 bestätigt.1 Ein Konkurrenzverhältnis der Vorschriften über die Bewertung der verdeckten Einlage zu § 1 Abs. 1 AStG ergibt sich nicht.2 Dies wird auch von der Finanzverwaltung in den VWG Verrechnungspreise anerkannt.3
2.218
Keine verdeckte Einlage in T2 bei Nutzungen und Leistungen. Erbringt die T1 zu unangemessenen Verrechnungspreisen Leistungen oder Nutzungen (z.B. Darlehensgewährung zu einem unangemessenen Zins) an ihre Schwestergesellschaft T2, ergibt sich ebenfalls eine vGA an M (vgl. Rz. 2.217). Der über die vGA bei der Muttergesellschaft entstehende Vorteil kann aber nicht Gegenstand einer verdeckten Einlage sein, da eine Leistung bzw. Nutzung und kein einlagefähiger Vorteil vorliegt (vgl. Rz. 2.50). Auf Ebene der Muttergesellschaft steht der fiktiven Einnahme über die vGA damit ein Vorteilsverbrauch gegenüber, der mangels verdeckter Einlage nicht an die Tochtergesellschaft T2 weitergegeben werden kann. Der Vorteil wird damit „verbraucht“, welcher der T2 zugewendet wird.4 Der bei M entstehende Vorteilsverbrauch ist in vollem Umfang steuerlich abzugsfähig; § 3c Abs. 1 EStG kommt nicht zur Anwendung (§ 8b Abs. 5 KStG). Im Ergebnis steht der Einkünfteerhöhung durch die vGA bei der T1 ein
2.219
1 Vgl. BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann, Rz. 30 ff. 2 Vgl. auch Schnitger, IStR 2020, 821 (823). 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.4 Beispiel (einlagefähiges Wirtschaftsgut). 4 Vgl. BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348.
Ditz/Wassermeyer | 163
Kap. 2 Rz. 2.219 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
Vorteilsverbrauch und damit ein Betriebsausgabenabzug in gleicher Höhe bei der Muttergesellschaft gegenüber. Der Vorteilsverbrauch und die damit verbundene Einkünfteminderung bei der Muttergesellschaft kann nicht nach § 1 AStG korrigiert werden, da die Muttergesellschaft keine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG zu der T2 unterhält. Damit sind die Anwendungsvoraussetzungen des § 1 AStG bei der Muttergesellschaft nicht erfüllt. Die Tatsache, dass die Einkommenserhöhung (vGA) bei der T1 durch den Vorteilsverbrauch auf Ebene der Muttergesellschaft egalisiert wird, wird von Vertretern der Finanzverwaltung (nachvollziehbar) kritisiert.1
2.220
Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind die Einkünftekorrekturvorschriften (vGA, verdeckte Einlage und § 1 AStG) grundsätzlich „voneinander unabhängig und nebeneinander anwendbar“.2 Es ergebe sich kein Wahlrecht für die Anwendung des § 1 AStG oder einer daneben anwendbaren anderen Einkünftekorrekturnorm.3 Ist allerdings die Erfassung des „zutreffenden Inlandsgewinns“ (dazu kritisch Rz. 2.163) durch das Zusammenspiel zwischen vGA und verdeckter Einlage nicht sichergestellt, soll „ausschließlich § 1 AStG“ Anwendung finden. Ein solcher Fall sei insbesondere dann gegeben, wenn ein aus einer Korrektur nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG resultierender Vorteilsverbrauch im Inland zu berücksichtigen ist.4 Die Finanzverwaltung erkennt damit die Folgen der Dreieckstheorie (Rz. 2.216) nur an, wenn die vGA der T1 an ihre Muttergesellschaft durch eine verdeckte Einlage der Muttergesellschaft in T2 „kompensiert“ wird. Ist dies nicht der Fall, wie regelmäßig bei unangemessenen Verrechnungspreisen für Dienstleistungen oder Nutzungen zwischen T1 und T2, soll § 1 AStG in Bezug auf die Geschäftsbeziehung zwischen T1 und T2 einschlägig sein. Eine solche Interpretation – legaleinheitenübergreifend – ist indessen durch den Wortlaut des § 1 AStG („unbeschadet anderer Vorschriften“) nicht gedeckt. Auch die Zusammenfassung der Einkünftekorrekturkonsequenzen auf den Ebenen der Tochtergesellschaft T1 und der Muttergesellschaft i.S. einer „Sicherstellung einer zutreffenden Erfassung des Inlandsgewinns“ ist zu weitgehend. Letztlich ist die Interpretation von der Zielsetzung geleitet, im Falle von unangemessenen Verrechnungspreisen zwischen zwei Schwestergesellschaften nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu korrigieren.5 Dieses Ziel ist nachvollziehbar und sachgerecht, wird allerdings durch den Wortlaut der einschlägigen Einkünftekorrekturvorschriften nicht gedeckt. Denn: § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG ist nur „unbeschadet anderer Vorschriften“ anwendbar. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer vGA erfüllt, geht sie dem § 1 AStG vor. Es liegt vielmehr am Gesetzgeber, in § 1 Abs. 1 AStG das derzeit bestehende Widerspruchverhältnis zwischen seinem Satz 1 („unbeschadet anderer Vorschriften“) und seinem Satz 4 („Wertauffüllerregel“) aufzulösen (vgl. Rz. 2.204). Es ergibt keinen Sinn, § 1 AStG subsidiär zur vGA und zur verdeckten Einlage anzuwenden, um dann über § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG die weitergehenden Berichtigungen gem. § 1 AStG durchzuführen. Letztlich führt gerade dieser Widerspruch im Wortlaut des § 1 Abs. 1 AStG zu der aus Sicht der Finanzverwaltung nicht akzeptablen Neutralisierung von Einkünftekorrekturen im Wege der Dreieckstheorie, soweit keine einlagefähigen Wirtschaftsgüter Gegenstand der Korrektur sind. Dieses Widerspruchsverhältnis über die Notwendigkeit der Besteuerung des „zutreffenden Inlandsgewinns“ als Sinn und Zweck des § 1 AStG aufzulösen, ist jedoch durch den Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt und daher abzulehnen. 1 Vgl. Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (73 ff.). 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.3. 3 Gl.A. Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (77); a.A. BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.3. 5 So auch Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 ff.
164 | Ditz/Wassermeyer
G. Rechtsgrundlagen im Abkommens- und EU-Recht | Rz. 2.222 Kap. 2
Urteil des BFH v. 27.11.2019. Die vorstehend dargestellte Position der Finanzverwaltung wird (wohl) durch das BFH-Urt. v. 27.11.2019 gestützt.1 In diesem umstrittenen2 Urt. stellt der BFH zwar zunächst fest, dass „unbeschadet anderer Vorschriften“ keinen Vorrang der vGA vor § 1 Abs. 1 AStG bedeute, sondern dass der Rechtsanwender ein Wahlrecht zwischen beiden Vorschriften habe, soweit sich deren Rechtsfolgen nicht voneinander unterscheiden.3 Allerdings solle § 1 Abs. 1 AStG der „Erfassung des zutreffenden Inlandsgewinns dienen“.4 Dies bedeute im entschiedenen Sachverhalt („Dreiecksfall“ zwischen einer deutschen GmbH (T1) und ihrer in Tschechien ansässigen Schwestergesellschaft (T2), deren Anteile jeweils über eine deutsche Muttergesellschaft gehalten werden5), dass der „zutreffende Inlandsgewinn“ nur durch eine Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG erreicht werde. Der BFH setzt sich über die Dreieckstheorie hinweg und wendet § 1 Abs. 1 AStG direkt auf die zwischen den beiden Schwestergesellschaften (T1 und T2) bestehende Geschäftsbeziehung an. Eine solche „Verdrängung der vGA“ durch § 1 Abs. 1 AStG ist indessen durch den Gesetzeswortlaut („unbeschadet anderer Vorschriften“) nicht gedeckt. Es stellt sich auch die Frage, wie mit den unionsrechtlichen Problemen des § 1 Abs. 1 AStG in diesem Fall umzugehen ist. Scheidet eine Anwendung der Vorschrift aufgrund des Unionsrechts aus, soll dann wieder die vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG „aufleben“? Überzeugend ist dies nicht. Vielmehr ist der Gesetzgeber aufgefordert, für die Dreiecksfälle eine rechtssichere und für die Praxis verlässliche Korrekturnorm zu bilden. Die mit der Dreieckstheorie verbundenen Probleme werden auch in Verständigungsverfahren offensichtlich. Diese beziehen sich z.B. auf die Sekundärkorrektur der Kapitalertragsteuer sowie die verfahrensrechtliche Umsetzung von Verständigungsvereinbarungen in Organschaftsverhältnissen.
2.221
G. Rechtsgrundlagen im Abkommens- und EU-Recht I. Art. 9 OECD-MA Regelungen zur internationalen Gewinnabgrenzung. Art. 9 OECD-MA regelt die internationale Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen, die, ebenso wie die damit in einem unmittelbaren Zusammenhang stehende Thematik der internationalen Verrechnungspreise, immer mehr im Fokus der deutschen und internationalen Finanzbehörden stehen.6 Die internationale Einkünfteabgrenzung hat sich daher in den vergangenen Jahren zu einem der zentralen Themen in Betriebsprüfungen international agierender Unternehmen entwickelt.7 Eine wesentliche Ursache für diese Entwicklung ist die Befürchtung der Fisci, dass 1 Grümmer/Schreiber, Ubg 2021, 70 (77): „Der BFH hat mit seiner Entscheidung die Verbreitung eines Steuersparmodells verhindert.“ 2 Vgl. Köhler, ISR 2020, 380 ff.; Schnitger, IStR 2020, 821 ff.; Engelen/Quilitzsch, FR 2020, 1106 ff.; Andresen/Holtrichter, DStR 2021, 65 ff. 3 Vgl. BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann, Rz. 42. 4 Vgl. BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19 (I R 14/16), I R 40/19, I R 14/16, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann, Rz. 44 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. VI/2883, 23, Rz. 49. Dazu krit. Rz. 2.163. 5 Die Besonderheit in dem Sachverhalt ist, dass zwischen der Muttergesellschaft und der deutschen GmbH (T1) eine Organschaft bestand. 6 Vgl. auch das Ergebnis einer empirischen Untersuchung unter mehr als 300 Unternehmen, Ditz/ Bärsch/Kluge, IStR 2015, 819 (821). 7 Vgl. Einführung Tz. 1 ff. OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Wassermeyer | 165
2.222
Kap. 2 Rz. 2.222 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
Unternehmensgewinne1 in ausländische Staaten verlagert werden und daher die steuerliche Bemessungsgrundlage des im Inland ansässigen verbundenen Unternehmens unangemessen reduziert wird. Vor diesem Hintergrund hat sich – nicht zuletzt aufgrund des Wirkens der OECD2 und der Vorgaben des OECD-MA – mit dem Fremdvergleichsgrundsatz (sog. „arm’s length principle“) ein von den internationalen Finanzbehörden anerkannter Maßstab zur Ermittlung und Dokumentation von Verrechnungspreisen herausgebildet. Nach dem in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA definierten Fremdvergleichsgrundsatz3 sind Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen so zu bemessen, wie sie zwischen voneinander unabhängigen Unternehmen unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen für eine entsprechende Lieferung oder Leistung vereinbart worden wären. Die (durchaus berechtigte) Sorge der internationalen Finanzbehörden, dass durch unangemessene, d.h. fremdunübliche Verrechnungspreise, Gewinne in Staaten mit geringer Steuerbelastung „verlagert“ werden, hat die OECD veranlasst, sich im Rahmen des BEPS-Projekts ausführlich mit der internationalen Gewinnabgrenzung und der Bestimmung von Verrechnungspreisen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz auseinanderzusetzen.4 So hat die OECD bereits in ihrem BEPS-Bericht aus 2013 die Ursache in „Base Erosion and Profit Shifting“ im Wesentlichen in einer der wirtschaftlichen Wertschöpfung nicht entsprechenden Bestimmung von Verrechnungspreisen gesehen; dies gilt insbesondere in den Bereichen der immateriellen Vermögenswerte und der Finanzierungsbeziehungen.5 Infolgedessen überraschte es nicht, dass 4 der 15 BEPS-Aktionspunkte der OECD unmittelbar die Bestimmung, Prüfung und Dokumentation internationaler Verrechnungspreise betreffen: Aktionspunkt 8 beschäftigt sich mit den Verrechnungspreisen in Bezug auf immaterielle Vermögenswerte, Aktionspunkt 9 mit der vertraglichen Zuordnung von Risiken, Aktionspunkt 10 mit anderen risikobehafteten Bereichen der Verrechnungspreise und Aktionspunkt 13 mit der Verrechnungspreisdokumentation und dem Country-by-Country Report.6 Aus den genannten Aktionspunkten der OECD ergeben sich zahlreiche, teilweise grundlegende Anpassungen der OECD-Verrechnungspreisleitlinien.7
2.223
Art. 9 Abs. 1 OECD-MA als Gewinnkorrekturvorschrift. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA erlaubt es den Vertragsstaaten, Gewinnkorrekturen zwischen verbundenen und in den Vertragsstaaten ansässigen Unternehmen vorzunehmen, soweit zwischen diesen Verrechnungspreise vereinbart werden, welche einem Fremdvergleich nicht genügen. Bei Art. 9 Abs. 1 OECD-MA handelt es sich folglich um eine Gewinnkorrekturvorschrift,8 welche auf dem Grundsatz des
1 Zum Begriff vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 7 OECD-MA (2008) Rz. 50 ff. 2 Vgl. etwa OECD, Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises und Tax Administrations, Paris 2022. 3 Vgl. etwa BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; belegt mit Nichtanwendungserlass v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455. 4 Vgl. zu Einzelheiten Groß, IStR 2016, 233 ff.; Greil/Fehling, IStR 2017, 757 (758 f.). 5 Vgl. OECD, Addressing Base Erosion and Profit Shifting, 2013, 6 und 48. 6 Das Ergebnis der Aktionspunkte 8–10 wurde in dem Bericht OECD, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, 2015, und der Aktionspunkt 13 in OECD, Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting, 2015, zusammengefasst. Zu einer detaillierten Darstellung der BEPS-Aktionspunkte 8–10 vgl. Groß, IStR 2016, 2033 ff. 7 Zu Einzelheiten vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 36 und 63. 8 Das Abkommensrecht greift grundsätzlich nicht in die – den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts (vgl. nur §§ 5 ff. EStG) vorbehaltene – Gewinnermittlung ein. Zu Einzelheiten vgl. Ditz, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Diss., Berlin 2004, 37 ff.
166 | Ditz/Wassermeyer
G. Rechtsgrundlagen im Abkommens- und EU-Recht | Rz. 2.224 Kap. 2
Fremdvergleichs basiert.1 Der Begriff „Gewinn“ umfasst auch Verluste, welche aufgrund nicht fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise zu hoch ausgewiesen wurden.2 Die Vorschrift verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele: Einerseits sollen die Vertragsstaaten durch eine am Fremdvergleichsgrundsatz ausgerichtete Ermittlung von Verrechnungspreisen vor einer Verlagerung von Besteuerungssubstrat in den anderen Vertragsstaat geschützt werden.3 Denn insofern besteht die Befürchtung, dass durch eine gezielte Gestaltung der Verrechnungspreismethodik Gewinne in den Vertragsstaat verlagert werden, welcher über einen geringeren Ertragsteuertarif verfügt. Andererseits sollen durch die Regelungen des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA die Finanzbehörden der Vertragsstaaten gehindert werden, unbegründete bzw. willkürliche Gewinnkorrekturen durchzuführen.4 Insoweit schützt die Vorschrift nicht nur die Finanzbehörden, sondern aufgrund seiner Sperrwirkung5 auch den Steuerpflichtigen.6
Keine Self-Executing-Wirkung. Nach der ständigen Rspr. des BFH7, der Auffassung der Finanzverwaltung8 und der h.M. der Literatur9 bildet Art. 9 OECD-MA eine Erlaubnisnorm für die Vertragsstaaten, Gewinnkorrekturen durchzuführen. Infolgedessen ist Art. 9 OECD-MA damit keine eigenständige Korrekturvorschrift; vielmehr bedarf es einer Regelung im innerstaatlichen Recht, nach welcher die entsprechende Gewinnkorrektur vorgenommen wird. Eine Gewinnkorrektur setzt damit eine entsprechende Rechtsgrundlage im innerstaatlichen Recht voraus. Anderenfalls würden abkommensrechtlich Steueransprüche begründet oder erweitert, was mit dem Schrankenrechtscharakter der DBA unvereinbar wäre. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entfaltet daher keine Self-Executing-Wirkung, sondern räumt den Vertragsstaaten lediglich die Möglichkeit zu Gewinnkorrekturen auf Basis eines Fremdvergleichs ein. Die früher vertretene, entgegenstehende Auffassung, wonach Art. 9 Abs. 1 OECD-MA eine eigenständige, unmittelbar anwendbare Rechtsgrundlage für eine Gewinnkorrektur darstellt, ist mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht vereinbar und kann daher heute als überholt angesehen werden.10 Im Gegensatz zu Art. 9 Abs. 1 OECD-MA kommt Art. 9 Abs. 2 OECD-MA Self-Executing-Wirkung zu.11 1 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 28; BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455. Vgl. dazu auch Ditz/Engelen/Quilitzsch, Ubg 2016, 513 ff. 2 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 140. 3 So auch das Verständnis der deutschen Finanzverwaltung im BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 6.1.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Unklar BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83, BStBl. I 1983, 218, Rz. 1.2.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 20 ff. 6 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 27; BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455. 7 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046 = ISR 2013, 54 mit Anm. Ditz; BFH v. 21.1.1981 – I R 153/77, BStBl. II 1981, 517; BFH v. 12.3.1980 – I R 186/76, BStBl. II 1980, 531. 8 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 6.1.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 9 Vgl. etwa Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.291; Schwenke/ Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 148 ff.; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 188; Becker in Haase3, Art. 9 OECD-MA Rz. 8; Liebchen in F/W/K, Art. 9 Rz. 16. 10 So noch Bellstedt, Die Besteuerung international verflochtener Gesellschaften, 431; Menck, DStZ/ A 1972, 68. 11 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 148.
Ditz/Wassermeyer | 167
2.224
Kap. 2 Rz. 2.225 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
2.225
Sperrwirkung gegenüber innerstaatlichem Recht. Soweit ein Vertragsstaat eine Gewinnkorrektur auf Basis einer innerstaatlichen Rechtsgrundlage vornimmt (nach deutschem Verständnis: vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, vE i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 und 8 EStG, Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 bis 3 EStG und Einkünftekorrektur gem. § 1 AStG), ist diese sowohl hinsichtlich ihrer Tatbestandsvoraussetzungen als auch in Bezug auf die Einkünftekorrektur der Höhe nach am Fremdvergleichsgrundsatz des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA zu messen. Es darf insoweit kein anderer Maßstab Anwendung finden.1 Orientiert sich hingegen das innerstaatliche Recht an anderen Grundsätzen als einem Fremdvergleich, entfaltet Art. 9 Abs. 1 OECDMA eine Sperrwirkung gegenüber innerstaatlichem Recht.2 Dies gilt im Grundsatz auch nach der neueren Rechtsprechung des BFH (vgl. dazu Rz. 2.190).3 Die Sperrwirkung der Vorschrift folgt bereits aus ihrem Wortlaut, nach der die Vertragsstaaten Einkünftekorrekturen nur in den Schranken des Fremdvergleichsgrundsatzes vornehmen „dürfen“. Im Übrigen lässt sich der Sinn und Zweck der Vorschrift nicht mit einem lediglich deklaratorischen Charakter realisieren.4 Denn Art. 9 Abs. 1 OECD-MA soll gewährleisten, dass entsprechende Gewinnkorrekturen in den Vertragsstaaten nach einem einheitlichen Korrekturmaßstab durchgeführt werden. Im Ergebnis soll der Fremdvergleichsgrundsatz sicherstellen, dass Gewinne dort besteuert werden, wo sie von ihrer Wertschöpfung her tatsächlich entstanden sind. Dies ist nur erreichbar, wenn beide Vertragsstaaten die Gewinnabgrenzung verbindlich an einem einheitlichen Maßstab ausrichten. Eine lediglich deklaratorische Auslegung des Art. 9 Abs. 1 OECDMA würde daher der ihm zugedachten Zielsetzung einer Vermeidung der (wirtschaftlichen) Doppelbesteuerung5 zuwiderlaufen.6 Daher macht eine Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach nationalem Recht unter Berücksichtigung der sog. lex-fori-Klausel des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA keinen Sinn.7
2.226
Beschränkung der Korrektur auf Verrechnungspreise der Höhe nach. In seiner älteren Rechtsprechung hat der BFH – anknüpfend an seine Entscheidung v. 11.10.20128 – entschieden, dass Art. 9 Abs. 1 OECD-MA – als Ausprägung der abkommensrechtlichen Schrankenwirkung – eine begrenzende Sperrwirkung in der Weise zukommt, als dieser nur Verrechnungspreiskorrekturen im Hinblick auf die Angemessenheit der vereinbarten Bedingungen „der Höhe nach“ zulässt (zur neueren Rechtsprechung des BFH vgl. Rz. 2.183 und 2.227).9 Tragende Erwägung war, „dass in den maßgeblichen Vergleichsmaßstab des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nur diejenigen (Sachverhalts-)Umstände einbezogen sind, welche sich auf die besagten ‚wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen‘ auswirken, also die Angemessenheit (Höhe) des Vereinbarten berühren; eine Gewinnkorrektur, die sich nicht nur auf die Ange-
1 Vgl. Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 150. 2 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046 = ISR 2013, 54 mit Anm. Ditz; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 27; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 20 f.; Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 150 f.; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.292; Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 188; Haas in FS Schaumburg, 715 (730 f.). Siehe ausführlich zur Sperrwirkung Gosch in FS Crezelius, 2018, 735 ff.; Ditz/Haverkamp, Ubg 2019, 101. 3 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 27. 4 So jedoch Höppner, StBp 1981, 58; Weber in Institut für Steuern und Finanzen, Bonn 1981, Brief 204, 14; Flockermann, DStR 1982, 339 (341); Menck, FR 1994, 69 (72). 5 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 3. 6 Vgl. Haas in FS Schaumburg, 715 (731). 7 Dies offenlassend BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 29. 8 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046. 9 Vgl. dazu auch Gosch, ISR 2018, 289 (290).
168 | Ditz/Wassermeyer
G. Rechtsgrundlagen im Abkommens- und EU-Recht | Rz. 2.227 Kap. 2
messenheit (Höhe) des Vereinbarten erstreckt, sondern [...] gleichermaßen auf dessen ‚Grund‘ (Üblichkeit der Konditionen, Ernsthaftigkeit), ist den Vergleichsmaßstäben des ‚dealing at arm’s length‘ als Gegenstand der Angemessenheitsprüfung fremd.“1 Daraus folgt, dass die Art. 9 Abs. 1 nachgebildeten Abkommensnormen nur die Angemessenheit der Höhe des Vereinbarten – also den Verrechnungspreis – berühren. Vereinbarte Bedingungen mögen insoweit zwar geeignet sein, den Verrechnungspreis zu beeinflussen. Einer Überprüfung und Korrektur nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MA kann aber stets nur der Verrechnungspreis unterfallen, nicht jedoch die Bedingung als solche.2 Somit ermöglicht Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht die Korrektur einer Abschreibung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG, die auf den Teilwert der Forderung auf Rückzahlung der Darlehensvaluta und auf Zinsrückstände vorzunehmen ist, wenn die inländische Muttergesellschaft das Darlehen ihrer ausländischen Tochtergesellschaft in fremdunüblicher Weise unbesichert begeben hat. Der BFH erteilte damit der überzogenen Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG durch das BMF-Schr. v. 29.3.20113 zunächst eine Absage. Bestätigt wurde diese Auffassung durch das BFH-Urteil v. 24.6.2015.4 Im Kern seiner Begründung verwies der BFH auf die mittlerweile von ihm schon mehrfach5 zum Ausdruck gebrachte Sperrwirkung von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Zudem hatte der BFH die Grundsatzfrage geklärt, wonach der Rückhalt im Konzern entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung nicht so gedeutet werden kann, als er bereits dem Grunde nach einer Teilwertabschreibung von Darlehensforderungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG entgegensteht.6 Geänderte Rechtsprechung des BFH. Der Nichtanwendungserlass vom 30.3.20167 (vgl. Rz. 2.196) hat dazu geführt, dass trotz der bislang beständigen Rechtsprechung des BFH zur Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 die Korrektur von Teilwertabschreibungen auf grenzüberschreitende Gesellschafterdarlehen umstritten blieb.8 Für VZ ab 2008 geht es hier um die Frage der Anwendung des § 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG;9 für VZ vor 2008 wendet die Finanzverwaltung regelmäßig § 1 Abs. 1 AStG an. Mit seinem Urteil v. 27.2.2019 hat der BFH seine Rechtsprechung geändert (vgl. zu Einzelheiten Rz. 2.183 ff.).10 Danach gehört auch eine fehlende Darlehensbesicherung grundsätzlich zu den nicht fremdüblichen „Bedingungen“ i.S.d. § 1 AStG und des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Eine Einschränkung des Korrekturbereichs 1 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261, Rz. II.2.b)ccc). 2 Vgl. Gosch, BFH/PR 2015, 173 (174); Gosch, ISR 2018, 289 (290 f.); Ditz/Haverkamp, Ubg 2019, 101. 3 BMF v. 29.3.2011 – IV B5 – S 1341/09 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277. 4 BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; Vorinstanz: FG Düsseldorf v. 28.3.2014 – 6 K 4087/11 F, EFG 2014, 1275. 5 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; BFH v. 24.3.2015 – I B 103/03, BFH/NV 2015, 1009; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261. 6 Vgl. Greinert/Metzner, DK 2015, 427; Roser, GmbHR 2015, 1111; Engelen/Luckhaupt/Quilitzsch, ISR 2015, 374. 7 Vgl. BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07 – DOK 2016/0291611, BStBl. I 2016, 455. 8 Vgl. FG Düsseldorf v. 10.11.2015 – 6 K 2095/13 K, EFG 2017, 553 – Rev. BFH I R 73/16 und dazu Engelen, ISR 2017, 322 ff.; FG BW v. 12.1.2017 – 3 K 2647/15, EFG 2017, 635 – Rev. BFH I R 5/17 und dazu Engelen, ISR 2017, 322; FG Köln v. 17.5.2017 – 9 K 1361/14, EFG 2017, 1738 – Rev. BFH I R 51/17; FG Münster v. 18.5.2017 – 3 K 2872/14 G, F, juris – Rev. BFH I R 72/17 und dazu Bärsch/Engelen, ISR 2017, 281; FG Düsseldorf v. 27.6.2017 – 6 K 896/17 K G, EFG 2017, 1332 – Rev. BFH I R 54/17 und dazu Bärsch/Engelen, ISR 2017, 339; FG BW v. 23.11.2017 – 3 K 2804/15, EFG 2018, 269 – Rev. BFH I R 81/17; FG Münster v. 19.12.2017 – 10 K 3329/13 K, G F, EFG 2018, 667, rkr. 9 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 32. 10 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; Wacker, FR 2019, 449 (455).
Ditz/Wassermeyer | 169
2.227
Kap. 2 Rz. 2.227 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
auf reine Preiskorrekturen der Höhe nach ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA, nämlich Gewinnberichtigungen am Maßstab des materiellen Fremdvergleichs auszurichten.1 Sowohl § 1 Abs. 1 AStG als auch Art. 9 Abs. 1 OECDMA beschränken damit ihren Korrekturbereich nicht auf reine Preisberichtigungen, sondern ermöglichen auch die Korrektur des aus einem Forderungsverzicht oder einer Teilwertabschreibung resultierenden Aufwands (vgl. Rz. 2.186 und 2.190).
2.228
Verhältnis zur vGA. Der Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA kommt im Zusammenhang mit beherrschenden Gesellschaftern Bedeutung zu, wenn eine Einkünftekorrektur auf Basis einer vGA auf rein formalen Beanstandungen beruht. So wird es in ständiger Rspr. des BFH2 als Indiz für eine vGA an den beherrschenden Gesellschafter gewertet, wenn es an einer klaren, im Voraus getroffenen Vereinbarung fehlt, die zivilrechtlich wirksam ist und auch tatsächlich durchgeführt wird. Die zusätzliche Berücksichtigung solcher formalen Anforderungen beruht darauf, dass bei einem beherrschenden Gesellschafter strengere Anforderungen zu stellen seien, weil eher „Möglichkeiten zur Gewinnmanipulation“3 bestünden. Hingegen ist für die Anwendung von Art. 9 OECD-MA maßgebend, dass „kaufmännische oder finanzielle Beziehungen“ bestehen. Dabei sah es der BFH in seinem Urteil v. 9.11.2005 noch als fraglich an, „ob sich aus abkommensrechtlicher Sicht ohne Weiteres vermuten lässt, dass es an einer solchen Beziehung fehle, wenn keine klaren und eindeutigen Abmachungen zu Grunde liegen.“4 Der BFH hat in seinem Urteil vom 9.11.2005 diese Frage ausdrücklich offengelassen. In seiner Rechtsprechung geht der BFH explizit davon aus, dass Art. 9 OECD-MA keine spezifischen formalen Anforderungen enthält, wie sie bei einem beherrschenden Gesellschafter durch den BFH im Fall einer vGA zur Anwendung kommen.5 Dass formale Anforderungen bei der Anwendung von Art. 9 OECD-MA keine Rolle spielen, lässt sich im Übrigen auch aus Art. 9 Rz. 4 OECD-MK ableiten. Ferner findet sich an keiner Stelle der OECD-Leitlinien 2022 ein Hinweis darauf, dass formale Anforderungen für die Verrechnungspreisermittlung und -prüfung von Bedeutung sein sollen. Vielmehr existieren in Kapitel VII der OECD-Leitlinien 2022 sogar Ausführungen, anhand derer deutlich wird, dass klare und im Voraus getroffene Vereinbarungen möglich, aber nicht erforderlich sind. So heißt es dort etwa in Tz. 7.20, dass im Rahmen einer Verrechnungspreisprüfung „a tax administration will meet to identify what arrangements, if any, have actually been put in place“. Demnach sind für die Verrechnungspreisprüfung getroffene Vereinbarungen heranzuziehen, aber nur, wenn solche tatsächlich im Voraus bereits abgeschlossen wurden. Damit wird deutlich, dass klare und im Voraus getroffene Vereinbarungen nach Ansicht der OECD zwischen verbundenen Unternehmen nicht zwingend notwendig sind.
2.229
Formaler Fremdvergleich nach Art. 9 OECD-MA. Ohnehin ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung formaler Kriterien bei der internationalen Gewinnabgrenzung ungeeignet ist.6
1 Hiervon unberührt bleibt es jedoch bei der Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 gegenüber dem formalen Fremdvergleich, vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 27. 2 Vgl. etwa BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545; BFH v. 27.3.2001 – I R 27/99, BStBl. II 2002, 111; BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, BStBl. II 2013, 186. 3 BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545. 4 BFH v. 9.11.2005 – I R 27/03, BStBl. II 2006, 564. 5 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046 = ISR 2013, 54 mit Anm. Ditz; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 27. S. ferner Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 190; Wacker, FR 2019, 449 (455); Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.295; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 27; Rasch in G/K/G/K, Art. 9 Rz. 21. 6 So auch BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046 = ISR 2013, 54 mit Anm. Ditz.
170 | Ditz/Wassermeyer
G. Rechtsgrundlagen im Abkommens- und EU-Recht | Rz. 2.231 Kap. 2
Denn auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes soll ein Verrechnungspreis ermittelt werden, der für beide Vertragsstaaten akzeptabel ist.1 Infolgedessen ist auch ein Rückgriff auf innerstaatliche Vorschriften, die den Fremdvergleichsgrundsatz interpretieren, nach der lex-foriRegel des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA nicht sachgerecht.2 Wenn (zusätzlich) formale Anforderungen maßgebend wären, könnte es zu Verrechnungspreisberichtigungen kommen, obwohl i.S.d. Fremdvergleichsgrundsatzes angemessene Verrechnungspreise vorliegen. Eine solche Berichtigung würde der andere Vertragsstaat allerdings nicht hinnehmen, käme es dadurch doch zu einer Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz. Insoweit ist offensichtlich, dass formale Anforderungen nicht mit Art. 9 OECD-MA im Einklang stehen. Im Ergebnis spielen daher bei der Anwendung des Art. 9 OECD-MA – im Gegensatz zur vGA – formale Anforderungen keine Rolle. Dies bedeutet, dass bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen mit einem beherrschenden Gesellschafter zwar eine vGA vorliegen kann, allerdings ohne das Recht, eine Gewinnkorrektur gem. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA auszulösen. Im Hinblick auf die formale Dimension des Fremdvergleichs bei der vGA wird damit die Sperrwirkung des Art. 9 OECD-MA offensichtlich.3 Im Übrigen erkennt auch die Finanzverwaltung an, dass Leistungen an den beherrschenden Gesellschafter ohne vorherige, klare und eindeutige Vereinbarung „von Art. 9 OECD-MA nicht erfasst werden.“4 Fremdvergleichsgrundsatz als Korrekturmaßstab. Bei Art. 9 Abs. 1 OECD-MA handelt es sich um eine Gewinnkorrekturvorschrift (vgl. Rz. 2.223). Sie erlaubt es den Vertragsstaaten, Gewinnkorrekturen im Hinblick auf unangemessene Verrechnungspreise zwischen verbundenen Unternehmen vorzunehmen. In diesem Zusammenhang definiert Art. 9 Abs. 1 OECDMA zunächst den Begriff der verbundenen Unternehmen. Darüber hinaus bestimmt die Vorschrift den Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab, auf Basis dessen die Angemessenheit von Verrechnungspreisen zu prüfen ist.5 Der Fremdvergleichsgrundsatz dient einerseits als Tatbestandsvoraussetzung für eine Gewinnkorrektur. Denn sind zwischen den verbundenen Unternehmen vereinbarte Bedingungen nicht fremdvergleichskonform, kann ein Vertragsstaat eine Gewinnkorrektur – auf Basis seiner innerstaatlichen Einkünftekorrekturvorschriften (vgl. Rz. 2.224) – durchführen. Andererseits fungiert der Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab der Ermittlung der Gewinnkorrektur der Höhe nach, nämlich als Unterschiedsbetrag zwischen dem (unangemessenen) Verrechnungspreis und dem Fremdvergleichspreis.6 Eine weitergehende Gewinnkorrektur ist abkommensrechtlich nicht zulässig.
2.230
Auswirkungen des BEPS-Projekts der G20/OECD. Wenngleich Verrechnungspreissachverhalte im Rahmen des BEPS-Projekts der OECD und der G20-Staaten als wesentliche Ursache für Gewinnverlagerungen in niedrig besteuerten Staaten identifiziert wurden, hat die OECD am Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab der Bestimmung angemessener Verrechnungs-
2.231
1 Vgl. Eigelshoven/Nientimp, DB 2003, 2307 (2309); Eicker/Röhrbein, WPg 2006 1355 (1357 f.); Kroppen/Rasch, ITPJ 2004, 26 (28 f.). 2 Offenlassend BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 29. 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046 = ISR 2013, 54 mit Anm. Ditz sowie die Vorinstanz des FG Hamburg vom 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190 f.; FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161 (rkr.); Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353 ff.; Strunk/Kaminski, Stbg 2008, 211; Rasch in G/K/G/K, Art. 9 Rz. 21 f. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 6.1.1. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 28. 6 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 5.
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Kap. 2 Rz. 2.231 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
preise festgehalten und Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht angepasst.1 Gleichwohl wurden die Verrechnungspreis-Leitlinien in der Fassung 2017 wesentlich überarbeitet, indem insbesondere die Erkenntnisse der BEPS-Aktionspunkte 8–10 und 13 aufgenommen wurden.2 Die Anpassungen der OECD-Leitlinien 2017, die in den OECD-Leitlinien 2022 unverändert bleiben, sollen insbesondere sicherstellen, dass Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen an den durch sie ausgeübten Funktionen, wahrgenommenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgütern (insbesondere immaterielle Vermögenswerte) ausgerichtet wird. Ausgangspunkt der Verrechnungspreisbestimmung und -dokumentation ist insofern eine Wertschöpfungsbeitragsanalyse, die weniger auf die formalen, vertraglichen Bedingungen als vielmehr auf die tatsächliche Wahrnehmung von Funktionen und Risiken abstellt.3 Infolgedessen verliert die rechtliche Abbildung eines Geschäftsvorfalls an Bedeutung, während der Grundsatz „Substance over Form“ mehr im Mittelpunkt der Bestimmung und Dokumentation von Verrechnungspreisen steht. Darüber hinaus hat sich die OECD ausführlich mit der Behandlung von immateriellen Vermögenswerten beschäftigt; denn diese können ganz besonders für Gewinnverlagerungen in Niedrigsteuerstaaten und aggressive Steuergestaltungen genutzt werden. Vor diesem Hintergrund hat die OECD eine allgemeine Definition des immateriellen Vermögenswerts („Intangible“) geschaffen und darüber hinaus mit den DEMPEFunktionen (Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung des immateriellen Vermögenswerts) eine Regelung für die Zuordnung von Gewinnen bei immateriellen Vermögenswerten geschaffen.4 Außerdem hat sich die OECD in Bezug auf schwer bewertbare immaterielle Vermögenwerte Preisanpassungen geöffnet.5 Mit Bericht aus Juni 2018 hat die OECD die Anwendung der Profit-Split-Methode6 konkretisiert und weiterentwickelt. Der Bericht ersetzt das entsprechende Kapitel in den OECD-Leitlinien 2017 und wurde unverändert in die OECD-Leitlinien 2022 übernommen. Nunmehr sollen auch die aus der Verwertung eines immateriellen Vermögenswerts entstandenen Gewinne der Verrechnungspreisbestimmung zu Grunde gelegt werden.7 Schließlich müssen die Konsequenzen der geänderten Verrechnungspreisdokumentationsvorschriften (Master File und Local File)8 sowie die Einführung des Country-by-Country Reporting gesehen werden. Vor allem Letzteres hat beträchtliche Auswirkungen auf die Positionierung und Argumentation der Finanzbehörden in Betriebsprüfungen. Bereits jetzt zeigt sich, dass die angemessene Gewinnallokation im Gesamtkonzern immer mehr in die Diskussion mit den Betriebsprüfern rückt. Die Frage geht meistens dahin, ob die involvierten verbundenen Unternehmen eine ihren wahrgenommenen Funktionen und Risiken sowie eingesetzten (immateriellen) Vermögenswerten angemessene Umsatzrendite erwirtschaften. Vor diesem Hintergrund hat das BEPS-Projekt auch dazu geführt, dass die Verrechnungspreisprüfung in praxi immer mehr gewinnorientiert er-
1 Vgl. Greil/Greil, StuW 2018, 184 (185). 2 Vgl. zu Einzelheiten auch Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 36. 3 Vgl. Greil/Greil, StuW 2018, 184 (185 f.); Greil/Fehling, IStR 2017, 757 (758); Kroppen in FS Endres, 2016, 199 (202); Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 120. 4 Vgl. dazu OECD, Abschlussbericht zu den BEPS-Aktionspunkten 8–10, Rz. 6.32 ff.; Naumann/ Groß, IStR 2014, 906 (909). 5 Vgl. OECD, Abschlussbericht zu den BEPS-Aktionspunkten 8–10, Rz. 6.186 ff.; OECD, Guidance for Tax Administrations on the Application of the Approach to Hard-to-Value Intangibles (2018); Groß, IStR 2016, 233 (237). 6 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 97 f. 7 OECD, Revised Guidance on the Application of the Transactional Profit Split Method; vgl. dazu Rasch in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VI Rz. 14 ff. 8 Für das deutsche Recht vgl. insoweit § 90 Abs. 3 AO.
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G. Rechtsgrundlagen im Abkommens- und EU-Recht | Rz. 2.233 Kap. 2
folgt.1 Auch insoweit erfolgt immer mehr eine wertschöpfungsorientierte, anstatt einer transaktions- und preisbezogenen Prüfung mit einem Fokus auf die angemessene Gewinnallokation im Konzern. Dies war indessen von der OECD explizit nicht beabsichtigt.2 Gewinnkorrekturen in Bezug auf eine Geschäftsbeziehung. Weitere Tatbestandsvoraussetzung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA sind „kaufmännische oder finanzielle Beziehungen“ zwischen den verbundenen Unternehmen. Daraus folgt zunächst, dass sich auf Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gestützte Gewinnkorrekturen konkret auf die zwischen den verbundenen Unternehmen bestehenden Geschäftsbeziehungen und die in diesem Zusammenhang vereinbarten Bedingungen (d.h. Verrechnungspreise)3 beziehen müssen. Gewinnkorrekturen, die sich – losgelöst von den konkreten Geschäftsbeziehungen – rein auf die Einkünftehöhe des entsprechenden verbundenen Unternehmens beziehen, sind durch die Vorschrift nicht gedeckt. Dies gilt beispielsweise für Gewinnkorrekturen, die auf Basis eines Gewinnvergleichs ihren Ausgangspunkt allein in der Höhe der Einkünfte des verbundenen Unternehmens haben.4
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Beispiel: Die im Staat A ansässige Muttergesellschaft vertreibt die von ihr hergestellten Produkte im Staat B durch eine Tochter-Kapitalgesellschaft, an welcher sie mit 100 % beteiligt ist. Die Vertriebsgesellschaft handelt neben den Produkten ihrer Muttergesellschaft mit von ihr selbst eingekauften Waren und erbringt darüber hinaus an ihre Kunden diverse Dienstleistungen (z.B. Montage- und Aftersales-Dienstleistungen). Die Betriebsprüfung im Staat B vertritt die Auffassung, dass die Umsatzrendite (auf EBIT-Basis) der Vertriebsgesellschaft mit 4 % zu niedrig sei und stattdessen eine Umsatzrendite von 8 % angemessen sei. Daraufhin nimmt die Finanzverwaltung des Staates B eine Gewinnkorrektur in Höhe von 4 % des Umsatzes auf Basis einer vGA vor. Eine solche Gewinnkorrektur ist durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht gedeckt, weil sie sich nicht konkret auf die im Verhältnis zwischen der Mutter- und ihrer Vertriebsgesellschaft vereinbarten Preise, sondern nur auf die Höhe der Gewinne der im Staat B ansässigen Vertriebsgesellschaft bezieht. Folglich hat Staat B gem. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA kein Recht, eine entsprechende Korrektur vorzunehmen (Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA; vgl. Rz. 2.225).
Schuldrechtliche Beziehung. Unter kaufmännische oder finanzielle Beziehungen fallen sämtliche schuldrechtliche Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen den verbundenen Unternehmen.5 Dazu gehören insbesondere: – Waren- und Produktlieferungen, – Veräußerung von materiellen und immateriellen Vermögenswerten, – Nutzungsüberlassung (Miete, Pacht und Lizenz) von materiellen und immateriellen Vermögenswerten, – Erbringung von Dienstleistungen,
1 Dazu kritisch mit einem Verweis auf die „Neiddebatte“ zwischen den Finanzbehörden Lagarden, TPI 2018, 63 (71). 2 Vgl. Tz. 5.25 OECD-Leitlinien 2022: „Die im Country-by-Country Report enthaltenen Informationen stellen für sich genommen keinen überzeugenden Nachweis dafür dar, dass Verrechnungspreise angemessen bzw. nicht angemessen sind. Sie sollen von den Steuerverwaltungen nicht genutzt werden, um Verrechnungspreisanpassungen auf der Grundlage einer globalen formelhaften Gewinnaufteilung vorzuschlagen.“ 3 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 59. 4 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 99. 5 Vgl. auch BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261.
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Kap. 2 Rz. 2.233 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
– Kostenumlagen, – Gewährung von Darlehen, Bürgschaft, Garantien, – Personalentsendung. Typischerweise betreffen die kaufmännischen Beziehungen den gesamten Lieferungs- und Leistungsverkehr sowie die Konzernumlagen.1 Die finanziellen Beziehungen umfassen insbesondere Darlehens- und darlehensähnliche Verhältnisse sowie schuldrechtliche Ansprüche (z.B. auf den Kaufpreis, die Miete und andere Entgelte). Sie beschränken sich also nicht nur auf den Kapitalverkehr im engeren Sinne. Hinsichtlich der begrifflichen Abgrenzung der kaufmännischen und finanziellen Beziehungen bestand demnach bis zum VZ 2012 eine Parallele zur Definition der Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 5 AStG a.F. Nach dieser Vorschrift war eine Geschäftsbeziehung „jede den Einkünften zu Grunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist [...]“. Diese Fassung der Definition der Geschäftsbeziehung wurde durch das StVergAbG v. 16.5.20032 mit Wirkung ab dem VZ 2003 eingeführt; sie stellt klar, dass eine nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs zu würdigende Geschäftsbeziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und einem ihm nahe Stehenden immer dann anzunehmen ist, wenn es sich – wie bei den kaufmännischen und finanziellen Beziehungen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA – um eine auf schuldrechtlichen Vereinbarungen beruhende Beziehung handelt.3 Da folglich auch die Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG a.F. auf einen schuldrechtlichen Leistungstausch ausgerichtet war, konnte ihre inhaltliche Präzisierung für Zwecke der Auslegung der kaufmännischen und finanziellen Beziehungen herangezogen werden.4
2.234
Gegenberichtigungsnorm des Art. 9 Abs. 2 OECD-MA. Nimmt ein Vertragsstaat eine Gewinnkorrektur gem. Art. 9 Abs. 1 vor, führt dies in der Regel zu einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung von Unternehmensgewinnen. Beispiel: Die in Deutschland ansässige A GmbH hält 100 % der Anteile an der in der Schweiz ansässigen B AG. Die A GmbH erbringt auf Basis eines schriftlichen Vertrages Dienstleistungen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Marketing und IT an die B AG. Nach einer Betriebsprüfung bei der A GmbH korrigiert die deutsche Finanzverwaltung die aus ihrer Sicht unangemessene Dienstleistungsgebühr, welche die A GmbH gegenüber der B AG im Jahr 2010 abgerechnet hat, von 500 000 Euro auf 2 Mio. Euro (sog. Erstberichtigung). Infolge der Einkünftekorrektur durch die deutsche Finanzverwaltung werden bei der A GmbH 1,5 Mio. Euro zusätzlich der Körperschaftsteuer, dem Solidaritätszuschlag und der Gewerbesteuer unterworfen. Da die auf Basis der Einkünftekorrektur entstehende (zusätzliche) Dienstleistungsgebühr im Rahmen der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage der B AG in der Schweiz keine Berücksichtigung fand, kommt es zu einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung von Unternehmensgewinnen.
Eine solche wirtschaftliche Doppelbesteuerung kann nur durch eine korrespondierende Gegenberichtigung durch die Finanzverwaltung des anderen Vertragsstaates (hier: Schweiz) vermieden werden.5 Dies ist die Zielsetzung des Art. 9 Abs. 2 OECD-MA. Denn diese Vorschrift 1 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 101 ff. 2 Vgl. Steuervergünstigungsabbaugesetz v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 3 Zu Einzelheiten vgl. BMF v. 12.1.2010 – IV B 5 - S 1341/07/10009, BStBl. I 2010, 34; Baumhoff/ Ditz/Greinert, DStR 2010, 476 ff. m.w.N. 4 Gl.A. Becker in Haase3, Art. 9 OECD-MA Rz. 20; a.A. Kaminski in S/K/K, Art. 9 OECD-MA Rz. 32.2. 5 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 4.
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G. Rechtsgrundlagen im Abkommens- und EU-Recht | Rz. 2.236 Kap. 2
sieht im Hinblick auf eine Gewinnerhöhung aufgrund einer Verrechnungspreiskorrektur durch einen Staat eine entsprechende Gewinnminderung durch den anderen Staat vor. Damit enthält – im Gegensatz zu den übrigen Verteilungsnormen des OECD-MA – Art. 9 Abs. 2 OECD-MA eine eigene Regelung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und nimmt damit eine Sonderstellung innerhalb der Verteilungsnormen ein.1 Eine korrespondierende Gewinnberichtigung setzt allerdings voraus, dass der andere Vertragsstaat die Auffassung des die Erstberichtigung durchführenden Vertragsstaates teilt, dass eine Gewinnkorrektur auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes durchzuführen ist (vgl. Art. 9 Rz. 5 OECD-MK). Sind die Voraussetzungen einer Gegenberichtigung gegeben, so ist der andere Vertragsstaat verpflichtet, eine entsprechende Änderung vorzunehmen.2
II. OECD-Leitlinien Anwendung der OECD-Leitlinien durch die Finanzverwaltung. Ein zentrales Anliegen der VWG Verrechnungspreise ist die international einheitliche Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Infolgedessen „orientiert sich die deutsche Finanzverwaltung im Rahmen des geltenden innerstaatlichen Rechts grundsätzlich an den OECD-Leitlinien“,3 und zwar unabhängig davon, ob ein DBA-Fall oder ein Nicht-DBA-Fall vorliegt. Infolgedessen werden in der Verrechnungspreispraxis Sachverhalte in Betriebsprüfungen immer mehr anhand der OECDLeitlinien gewürdigt und diskutiert. Was die zeitliche Anwendung der OECD-Leitlinien betrifft, verfolgt die Finanzverwaltung eine dynamische Auslegung. Der Fremdvergleichsgrundsatz sei ein „ökonomisches Prinzip mit genügend Flexibilität, um auf aktuelle Entwicklungen einzugehen, ohne dass dies gesetzliche Maßnahmen erfordere“.4 Daher erfolgt die Überarbeitung der OECD-Leitlinien im Rahmen der Auslegungsmöglichkeiten des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Der BFH verfolgt indessen in seiner Rspr. eine staatliche Auslegung, und auch im Schrifttum wird eine dynamische Anwendung der OECD-Leitlinien kritisch gesehen (vgl. Rz. 2.240).5
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Definition des Fremdvergleichs in den OECD-Leitlinien. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA normiert als Maßstab der Angemessenheit von Verrechnungspreisen für grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen den Fremdvergleichsgrundsatz. Danach ist ein Entgelt für eine gruppeninterne Lieferung oder Leistung unangemessen, wenn es dem zwischen fremden Dritten vereinbarten Wert nicht entspricht. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA enthält indessen keine weitere Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Vielmehr handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Inhalt durch Auslegung zu bestimmen ist. Da der OECD-MK zu Art. 9 den Fremdvergleichsgrundsatz nur ansatzweise erläutert, erfolgt eine detaillierte Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2022 (kurz: OECD-Leitlinien 2022). Nach umfangreichen Vorarbeiten und intensiven Diskussionen mit den nationalen Finanzbehörden der OECDMitgliedstaaten konnte die OECD im Jahr 1995 den ersten Teil der „Verrechnungspreis-Leitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen“6 vorlegen und insofern den
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Vgl. Lang, IStR 2002, 610 f. Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 147. VWG VP 2021, Rz. 2.2. VWG VP 2021, Rz. 2.3. Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 39; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.76. 6 OECD, Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises und Tax Administrations, Paris 1995.
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Kap. 2 Rz. 2.236 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
Verrechnungspreisbericht der OECD aus 1979 ersetzen.1 Teil II der Leitlinien, der sich mit immateriellen Wirtschaftsgütern und Dienstleistungen beschäftigt, wurde im März 1996 verabschiedet. Die Leitlinien zu den Kostenumlagen kamen im Juni 1997 hinzu. Im Jahr 2010 erfolgte schließlich eine umfangreiche Überarbeitung der Kapitel I bis III der OECD-Leitlinien.2 Zudem wurden in einem neuen Kapitel Regelungen zu „Business Restructurings“ aufgenommen.3 Im Übrigen ergaben sich umfangreiche Änderungen der OECD-Leitlinien durch die Abschlussberichte zu den Aktionspunkten 8–10 und 13 des BEPS-Projekts der OECD und der G20-Staaten. Diese beziehen sich auf das Kapitel VI zu den immateriellen Vermögenswerten,4 auf das Kapitel V zu den Verrechnungspreisdokumentationen und dem Country-byCountry Reporting5, auf die Kapitel VII und VIII zu dem Risikokontrollkonzept sowie Folgeänderungen in Kapitel IX6. Sämtliche Änderungen wurden am 10.7.2017 als neue OECDLeitlinien 2017 veröffentlicht. Die OECD-Leitlinien umfassen IX Kapitel, die sich intensiv mit den Methoden zur Ermittlung von Verrechnungspreisen, der Vermeidung und Bewältigung von Verrechnungspreisstreitigkeiten sowie Dokumentations- und Nachweispflichten auseinandersetzen. Dabei legen die OECD-Leitlinien ausdrücklich den Fremdvergleichsgrundsatz als grundlegende Maxime der Verrechnungspreisermittlung und -prüfung fest. Als normative Grundlage wird explizit auf Art. 9 Abs. 1 verwiesen.7 Infolgedessen gilt der Grundsatz des Fremdvergleichs als tragender Maßstab für die internationale Verrechnungspreisermittlung und sollte nach Übereinkunft der OECD-Mitgliedstaaten sowohl von den internationalen Unternehmen als auch von den Steuerverwaltungen einheitlich angewendet werden.8
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Neue OECD-Leitlinien 2022. Am 20.1.2022 hat die OECD ihre neuen VerrechnungspreisLeitlinien veröffentlicht. Insgesamt ergeben sich – wie bereits das Vorwort der OECD-Leitlinien 2022 zeigt – gegenüber der Version aus 2017 nur wenige Änderungen. Diese beziehen sich insbesondere auf die Ergänzung um die Berichte zu den Finanztransaktionen aus 20209 und zum Profit Split aus 201810 sowie die ergänzenden Hinweise für die Hard-to-Value Intangibles aus 2018.11 Im Einzelnen ergaben sich die folgenden Änderungen:12 – Glossary: Der Abschnitt „Residual Profit“ wurde neu gefasst. Darüber hinaus gab es sprachliche Anpassungen, z.B. wurde „combined profits“ durch „relevant profits“ sowie „stages“ durch „categories“ ersetzt. Des Weiteren ersetzt „based upon the relative value of 1 Vgl. hierzu Werra, IStR 1995, 457 ff. und 511 ff.; Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 517 ff.; Becker, IWB F.10 Gr. 2, 1067 ff.; Runge, IStR 1995, 505 ff. 2 Vgl. dazu Förster, IStR 2011, 20; die offizielle deutsche Übersetzung der Verrechnungspreisleitlinien ist abgedruckt in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise. 3 Vgl. hierzu Baumhoff/Puls, IStR 2009, 73. 4 Vgl. OECD, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8–10, 2015 Final Reports. S. dazu im Einzelnen Groß, IStR 2016, 233 ff.; Greil/Fehling, IStR 2017, 757 (758 f.). 5 Vgl. zu Einzelheiten Ditz/Quilitzsch, DStR 2014, 128; Benz/Böhmer, IStR 2015, 381; Rasch/Mank/ Tomson, IStR 2015, 424; Bärsch/Engelen/Färber, DB 2016, 972. 6 Vgl. dazu im Einzelnen Rasch, ISR 2017, 377 ff. 7 Vgl. Tz. 1.6 OECD- Leitlinien 2022. 8 Vgl. Tz. 1.1 OECD- Leitlinien 2022; zu den Grenzen der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 64. 9 Vgl. OECD, Verrechnungspreisleitlinien zu Finanztransaktionen, Februar 2020. 10 Vgl. OECD, Überarbeitete Leitlinien zur Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode, Juni 2018. 11 Vgl. OECD, Guidance for Tax Administrations on the Application of the Approach to Hard-toValue Intangibles, June 2018. 12 Vgl. auch Heidecke/Sauer/Dortmann/Naumann, ISR 2022, 77.
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the contributions made by each [...]“ (OECD-Leitlinien 2022) die Formulierung in den OECD-Leitlinien 2017 „based upon the relative value of the functions performed (taking into account assets used and risks assumed) by each [...]“. – Tz. 1.107 – 1.126 OECD-Leitlinien 2022: Es wurden Hinweise aus dem Report zu Finanztransaktionen zum risikolosen Zins aufgenommen. – Tz. 1.127 – 1.193 OECD-Leitlinien 2022: Es handelt sich um eine reine Verschiebung bei der Nummerierung durch die Aufnahme der Nummern aus dem Report zu den Finanztransaktionen. – Tz. 2.114 – 2.151 OECD-Leitlinien 2022: Es gab inhaltliche Abweichungen aufgrund der Einarbeitung des Reports zum Profit Split. – Tz. 2.114 – 2.183 OECD-Leitlinien 2022: Es wurden neue Rz. zu Unique und valuable functions (Tz. 2.130 OECD-Leitlinien 2022) sowie zur Contribution analysis (Tz. 2.150 OECD-Leitlinien 2022) eingeführt. Die Residual analysis wird in Tz. 2.152 OECD-Leitlinien 2022 zu Beginn unter der „Glossary“ eingeführt. – Tz. 2.184 – 2.187 OECD-Leitlinien 2022: Es handelt es sich um eine reine Verschiebung bei der Nummerierung der Tz. – Tz. 3.1 – 3.83 OECD-Leitlinien 2022: In der Tz. 3.21 OECD-Leitlinien 2022 ersetzt „relevant profits“ den bisherigen Ausdruck „combined profits“. – Tz. 5.1 – 5.62 OECD-Leitlinien 2022: Es gibt Änderungen in der Tz. 5.10, 5.45 und 5.48 OECD-Leitlinien 2022, die aber ohne wesentliche inhaltliche Änderungen sind. – Tz. 6.148 – 6.212 OECD-Leitlinien 2022: In der Tz. 6.148 OECD-Leitlinien 2022 ersetzt „relevant“ (2022) „combined“ (2017).
Bindungswirkung der OECD-Leitlinien. Durch die am 27.9.1961 erfolgte Ratifizierung der OECD-Konvention hat die Bundesrepublik Deutschland bestätigt, dass sie die Regelungen der OECD anerkennt. Diese reichen von bloßen „Erklärungen“ bis zu „bindenden Entscheidungen“.1 Sowohl der OECD-MK als auch die OECD-Leitlinien haben in diesem Zusammenhang den Status einer „Empfehlung“.2 Eine Empfehlung entfaltet nach Art. 18 Buchst. b der Verfahrensregeln der OECD vom 30.9.1961 keine rechtliche Bindungswirkung für die Vertragsstaaten. Sie ist lediglich den Mitgliedstaaten zur Prüfung vorzulegen, damit sie deren Durchführung veranlassen können, falls sie es für angebracht halten. Insofern sind der OECD-MK und die OECD-Leitlinien streng von dem in innerstaatliches Recht transformierten DBA abzugrenzen. Beide Rechtsquellen sind als Interpretationshilfen anzusehen, die lediglich eine Empfehlung einer internationalen Organisation (OECD) darstellen.3 Weder der OECD-MK noch die OECDLeitlinien sind zu einem Zeitpunkt Gegenstand parlamentarischer Beratungen gewesen.4
1 Vgl. Art. 5 Buchst. a der OECD-Konvention i.V.m. Art. 18 Buchst. a Unterabs. i der OECD-Verfahrensregeln v. 30.9.1961. 2 Vgl. Art. 5 lit. b der OECD-Konvention i.V.m. Art. 18 Buchst. b der OECD-Verfahrensregeln v. 30.9.1961; Greil/Greil, StuW 2018, 184 (189). Siehe insoweit auch die Empfehlung des OECD-Rates v. 10.10.1997 (OECD/C (97) 195/final): „Recommendation of Council concerning the Model Tax Convention on Income and on Capital“. 3 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, vor Art. 1 OECD-MA Rz. 34; Pohl, RIW 2012, 677 (678); Greil/Greil, StuW 2018, 184 (189). 4 Vgl. Waldhoff, StbJb 2005/2006, 161 (176).
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Kap. 2 Rz. 2.238 | Rechtsgrundlagen zur Einkünfteabgrenzung
Folglich kommt beiden Rechtsquellen keine normative Wirkung zu.1 Weiterhin ist zu beachten, dass die Mitglieder des OECD-Rates und des OECD-Finanzausschusses, welche die Änderungen des OECD-MK und der OECD-Leitlinien beschließen, von der Exekutive der OECD-Mitgliedstaaten entsandt werden. Den Mitgliedern dieser Organisation ist keine Kompetenz zur Rechtssetzung mit Wirkung in den Mitgliedstaaten der OECD übertragen worden; insbesondere Art. 23 oder 24 GG sind in keiner Variante anwendbar.2 Infolgedessen verbietet es schon der Grundsatz der Gewaltenteilung, dass die Mitglieder des OECD-Rates und des OECD-Finanzausschusses die nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht transformierten DBA mittels fortlaufender Modifikation des OECD-MK und der OECD-Leitlinien abändern.3 Weder dem OECD-MK noch den OECD-Leitlinien kommt damit eine normative Wirkung zu.4
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Selbstbindung der Finanzverwaltung. Der OECD-MK und die OECD-Leitlinien können unter Berücksichtigung der Auslegungsregeln des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.5.19695 zur Auslegung eines DBA herangezogen werden, da sie zu den primären Auslegungshilfen i.S.v. Art. 31 Abs. 4 WVK zählen.6 Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, wenn die Rspr. bei Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf Verrechnungspreise die OECD-Leitlinien als Auslegungshilfe heranzieht.7 Ferner verweist auch die Finanzverwaltung in ihren VWG Verrechnungspreise explizit darauf, dass die Rechtsgrundlagen des innerstaatlichen Rechts unter Berücksichtigung der OECD-Leitlinien zu interpretieren sind.8 Infolgedessen sind die OECD-Leitlinien den VWG VP 2021 als Anlage beigefügt. Dies dokumentiert die wesentliche Bedeutung der OECD-Leitlinien für die Verrechnungspreispraxis, z.B. in Betriebsprüfungen.
2.240
Zeitliche Anwendung der OECD-Leitlinien. Hinsichtlich der Frage, welche Fassung der OECD-Leitlinien für die Auslegung der Art. 9 nachgebildeten Abkommensnorm heranzuziehen ist, verfolgt die OECD im Hinblick auf die Anwendung des OECD-MK eine dynamische Auslegung. Danach soll auch ein neugefasster OECD-MK zur Auslegung bereits bestehender DBA herangezogen werden, der den übereinstimmenden Willen der OECD-Mitgliedsstaaten widerspiegelt.9 Vor diesem Hintergrund kann auch im Hinblick auf die Anwendung der OECD-Leitlinien zur Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach Art. 9 Abs. 1 OECDMA davon ausgegangen werden, dass nach Ansicht der OECD die Art. 9 OECD-MA nachgebildete Abkommensnorm unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen OECD-Leitlinien auszulegen ist. Auch die deutsche Finanzverwaltung folgt dieser Auffassung.10 Wenngleich eine solche Auslegung eines DBA auf Basis der jeweils aktuellsten Version der OECD-Leitlinien unter praktischen Gesichtspunkten durchaus sinnvoll sein kann, folgt der BFH dieser Auffassung nicht. Die Rspr. geht vielmehr davon aus, dass zur Auslegung eines DBA immer die
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Vgl. auch Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.76. Vgl. Waldhoff, StbJb 2005/2006, 161 (175). Vgl. auch Schnitger, IStR 2002, 407 (408). Zu Einzelheiten vgl. auch Greil/Greil, StuW 2018, 184 (191 ff.). Vgl. WÜRV v. 23.5.1969, BGBl. II 1985, 927. Vgl. Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.76; Wassermeyer in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 44; Lehner in V/L7, Grundlagen des Abkommensrechts Rz. 126 f.; Ditz, IStR 2005, 37 (41); Lang in Gassner/Lang/Lechner, Aktuelle Entwicklungen im internationalen Steuerrecht, 18. Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 170. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.1 ff. Vgl. Rz. 33–35 Einleitung OECD-MK. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.3.
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G. Rechtsgrundlagen im Abkommens- und EU-Recht | Rz. 2.240 Kap. 2
Fassung des OECD-MK heranzuziehen ist, welche im Zeitpunkt des Abschlusses des DBA gültig war.1 Der BFH begründet seine Ansicht damit, dass lediglich Art. 31 Abs. 3 WVK für die Berücksichtigung von neuen Versionen des OECD-MK sprechen könnte. Art. 31 Abs. 3 Buchst. a WVK setzt hingegen eine spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsstaaten voraus. Gerade eine solche liegt indessen beim OECD-MK nicht vor, da dieser nicht von den Vertragsstaaten selbst, sondern von den Finanzbehörden der Vertragsstaaten entwickelt wird.2 Art. 31 Abs. 3 Buchst. a WVK ist folglich kein taugliches Mittel zur Berücksichtigung späterer Kommentarversionen bei der Auslegung von bereits bestehenden Abkommen. Im Übrigen scheint auch Art. 31 Abs. 3 Buchst. b WVK nicht geeignet, eine dynamische Auslegung des OECD-MK zu rechtfertigen.3 Damit ist der Auffassung des BFH zu folgen, wonach die Version des OECD-MK als Hilfe für die Auslegung eines konkreten DBA heranzuziehen ist, welche beim Abschluss des entsprechenden DBA galt. Neueren Versionen des OECD-MK kann nur dann eine Bedeutung zukommen, wenn sie zur Klarstellung dienen oder weitergehende Erläuterungen enthalten. Diese zum OECD-MK vom BFH abgeleiteten Grundsätze gelten korrespondierend auch für die OECD-Leitlinien. Denn auch diesen kommt ein Status einer „Empfehlung“ zu (vgl. Rz. 2.238). Mithin können die OECD-Leitlinien 2022 daher nur im Hinblick auf die nach ihrem Erscheinen abgeschlossenen Abkommen Anwendung finden. Dies gilt auch für die umfangreichen Anpassungen des OECD-MK und der OECD-Leitlinien nach dem BEPS-Projekt der OECD und der G20-Staaten (vgl. Rz. 2.236). Mit anderen Worten: Der OECD-MK und die OECD-Leitlinien 2022 sind nur für die Auslegung solcher DBA heranzuziehen, die nach dem 20.1.2022 durch ein Umsetzungsgesetz beschlossen wurden. Dies gilt freilich auch für Anpassungen der DBA, dann jedoch nur in Bezug auf die tatsächlich angepassten Vorschriften.4
1 Zuletzt BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16, DStR 2018, 2681, Rz. 16 m.w.N. (Bestätigung der st.Rspr.). Dazu kritisch Pohl, RIW 2012, 677 (678 f.). 2 A.A. Wichmann, FR 2011, 1082 (1083). 3 Kritisch auch Lang, IStR 2001, 536 (537) m.w.N. 4 Vgl. auch Greil/Greil, StuW 2018, 184 (196).
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Kapitel 3 Der Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung A. Merkmale des Fremdvergleichs . . . . B. Unabhängigkeit der Geschäftspartner I. Tatsächliche Unabhängigkeit . . . . . . II. Fiktive Unabhängigkeit . . . . . . . . . . C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse I. Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grad der Vergleichbarkeit . . . . . . . . 1. OECD-Leitlinien . . . . . . . . . . . . . 2. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . III. Vergleichbarkeitsanalyse 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . 2. „Good-practise“-Verfahren nach den OECD-Leitlinien . . . . . . . . . 3. Analyseverfahren nach dem UNManual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bestimmungsfaktoren der Vergleichbarkeit 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . 2. Produkteigenschaften von Waren und Dienstleistungen . . . . . . . . . 3. Funktions- und Risikoanalyse a) Begriff und Gegenstand . . . b) Funktionen . . . . . . . . . . . . . c) Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eingesetzte Produktionsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unternehmenscharakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vergleichbarkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse . . . . . . . . . . . . 5. Besondere Geschäftsstrategien . . 6. Standortvorteile und andere lokale Marktbedingungen . . . . . . . . . . .
3.1
3.2 3.4
V.
3.8 3.12 3.13 3.15 3.20 3.22 3.33 3.35 3.37
VI. D. E. F. I. II. III.
3.41 3.44 3.52 3.65 3.67 3.69 3.78 3.83
G. I. II. III.
7. Qualifizierte und eingearbeitete Belegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Synergieeffekte . . . . . . . . . . . . . . Zeitliche Aspekte der Vergleichbarkeitsprüfung 1. Price-setting- und Outcome-testing-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unsicherheiten und Preisanpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrjahresanalysen . . . . . . . . . . 4. Jahresendanpassungen/Year-EndAdjustments . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichbarkeitsanpassungen . . . . Arten des Fremdvergleichs . . . . . . . Tatsächlicher Fremdvergleich . . . . . Hypothetischer Fremdvergleich Ordentlicher Geschäftsleiter als Kriterium des hypothetischen Fremdvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Doppelter“ ordentlicher Geschäftsleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der hypothetische Fremdvergleich gem. § 1 Abs. 3 Satz 7 und Abs. 3a Sätze 5 f. AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutsch-steuerliche „Konkretisierungen“ des Fremdvergleichsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungen zur Einigungsbereichsbetrachtung . . . . . . . . . . Vorteilsausgleich Rechtsgrundlage und Begriff . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . Vorteilsausgleich und Palettenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.88 3.92
3.99 3.103 3.108 3.112 3.114 3.125 3.128
3.134 3.145 3.155 3.156 3.160 3.163 3.167 3.173
Literatur: Bärsch/Luckhaupt/Schulz, Bestimmung angemessener Verrechnungspreise im Zusammenhang mit immateriellen Vermögenswerten, Ubg 2014, 37; Bauer, Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei der Verrechnungspreisplanung und -dokumentation, DB 2008, 152; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln u.a. 1986; Baumhoff, Der Einfluss der Finanzmarktkrise auf die Festlegung und Prüfung von internationalen Verrechnungspreisen, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Festschrift für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 21; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik bei Verlustgesellschaften, in Baum-
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Kap. 3 Rz. 3.1 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung hoff/Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 133; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Lohnfertigern – Anmerkungen zum Urteil des FG Münster vom 16.3.2006, IStR 2006, 789; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl., Köln 2018, Rz. 4.97 ff.; Bittner/ Jann, Anpassungsrechnungen bei der Verrechnungspreisanalyse, IWB 2010, 449; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Ditz/Liebchen, Bewertung von Transferpaketen im Rahmen von Funktionsverlagerungen, DB 2012, 1470; Dorner/Dawid, Erhöhung der Vergleichbarkeit von Profitabilitätskennzahlen durch Anpassungsrechnungen, IWB F. 10 Gr. 2, 1549; Eigelshoven/Ebering, Das Fremdvergleichsprinzip neu interpretiert: Das „Practical Manual on Transfer Pricing for Developing Countries“ der Vereinten Nationen, IStR 2014, 16; Engler, Änderung von Verrechnungspreisen in der Rezession, IStR 2009, 685; Fiehler, Vergütungsformen von funktions- und risikoarmen Vertriebsgesellschaften, IStR 2007, 464; Fischer/Looks/im Schlaa, Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise – Aktuelle Erfahrungen mit der Betriebsprüfung und zukünftige Entwicklungen, BB 2010, 157; Förster, Die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 3 AStG – Vergleich mit den aktualisierten Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, IStR 2011, 20; Fris/Gonnet, The State of the Art in Comparability for Transfer Pricing, ITPJ 2010, 99; Gommers/Reyneveld/Lund, Pan-European comparables searches: enhancing comparability using comparability adjustments, ITPJ 2008, 126; Katz, Comparability Issues: Additional Difficulties in Latin American Transfer Pricing Analysis, ITPJ 2010, 417; Kolb, Datenbankanalysen zu internationalen Verrechnungspreisen – Erfahrungen aus der Betriebsprüfung, IWB 2009, Fach 3 Gruppe 1, 2391; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Liebchen in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland – Schweiz, Art. 9 Anm. 48 ff.; Lorenzen/Feldtkeller, Konfliktpotential durch zunehmende Bedeutung der BRIC-Staaten, IWB 2012, 452; Macho/Perneki, Verrechnungspreise: Benchmarking mittels Datenbankstudien – Fluch oder Segen?, SWI 2011, 294; Naumann, Seminar E: Gewinnaufteilungsmethoden und der Fremdvergleichsgrundsatz, IStR 2013, 616; Rasch, Jahresendanpassungen: Möglichkeiten und Grenzen für „year end adjustments“ in Verrechnungspreissystemen, ISR 2013, 431; Reyneveld/Gommers/Lund, Pan-European Comparables Searches – Analysing the Search Criteria, ITPJ 2007, 79; Tucha, Der Einsatz von Unternehmensdatenbanken im Rahmen von Verrechnungspreisanalysen – Möglichkeiten und Grenzen, IStR 2002, 745.
A. Merkmale des Fremdvergleichs 3.1
Dominante Merkmale des Fremdvergleichs. Der Fremdvergleich als Instrument zur Ermittlung eines quantitativen Vergleichsmaßstabes (sog. Fremdpreis oder Fremdvergleichspreis) fordert eine Verrechnung konzerninterner Lieferungen und Leistungen zu Preisen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart haben oder vereinbart hätten.1 Als die zwei dominanten Merkmale des Fremdvergleichs sind dabei die Unabhängigkeit der Geschäftspartner (Unternehmen) und die Vergleichbarkeit der Verhältnisse anzusehen. Das erste Merkmal steht für den Wortbestandteil „Fremd-“, das zweite Merkmal für den Wortbestandteil „-vergleich“. Die Wahl des Verfahrens zur Ermittlung von Vergleichstatbeständen bei der Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen ist allein davon abhängig, wie sich im konkreten Einzelfall die beiden charakteristischen Merkmale des Fremdvergleichs – Unabhängigkeit der Geschäftspartner einerseits, Vergleichbarkeit der Verhältnisse andererseits – darstellen.
1 Siehe im Einzelnen auch VWG VP 2021, Rz. 3.1 ff.
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B. Unabhängigkeit der Geschäftspartner | Rz. 3.4 Kap. 3
B. Unabhängigkeit der Geschäftspartner I. Tatsächliche Unabhängigkeit Unterscheidung zwischen tatsächlicher und fiktiver Unabhängigkeit. Im Rahmen des Merkmals der Unabhängigkeit der Geschäftspartner ist zwischen tatsächlicher und fiktiver Unabhängigkeit zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist im Hinblick auf die Technik eines vorzunehmenden Fremdvergleichs, insbesondere bei Anwendung der Standardmethoden (Rz. 5.5 ff.), erforderlich. Sind zwei Geschäftspartner nach der nachfolgend dargestellten Definition als tatsächlich unabhängig anzusehen, so erübrigt sich die Zugrundelegung einer fiktiven Unabhängigkeit. Die fiktive Unabhängigkeit ist daher nur im Fall des Nicht-Vorhandenseins von Geschäften zwischen tatsächlich Unabhängigen von Bedeutung.
3.2
Abgrenzung zum Begriff der „nahestehenden“ Person. Die Rechtsnormen des deutschen Steuerrechts zur Einkunftsabgrenzung, die einen Fremdvergleich fordern (Rz. 2.1 ff.), enthalten keine Anhaltspunkte zur Bestimmung des Begriffs des unabhängigen Dritten. Auch die VWG VP erläutern in Rz. 1.9 ff. in Anlehnung an § 1 Abs. 2 AStG lediglich den Begriff der „nahestehenden“ Person als Tatbestandsvoraussetzung einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG.1 Es stellt sich daher die Frage, ob Geschäftsbeziehungen zwischen Personen bzw. Unternehmen, die nicht als „nahestehende“ Personen qualifiziert werden können, als solche zwischen unabhängigen Dritten anzusehen sind.
3.3
Gegen die Annahme einer komplementären Beziehung zwischen dem Begriff der „nahestehenden Person“ und dem des „unabhängigen Dritten“ sprechen die unterschiedlichen Zwecksetzungen dieser beiden Begriffskategorien.2 Daher sollte von einer tatsächlichen Unabhängigkeit der Unternehmen immer nur dann ausgegangen werden, wenn weder dem leistungserbringenden Unternehmen noch dem leistungsempfangenden Unternehmen Mittel zur Verfügung stehen, die geeignet sind, „in allen wesentlichen Punkten von unternehmenspolitischer Bedeutung auf die Geschäftsführung eines anderen Unternehmens – auch gegen dessen Widerstand – einzuwirken“.3 Von einer Unabhängigkeit der Unternehmen ist somit immer dann auszugehen, wenn eine Einflussnahme auf das Entscheidungsverhalten der einzelnen Geschäftspartner, die über den aus der Geschäftsbeziehung selbst entstehenden Einfluss hinausgeht, ausgeschlossen ist.4
II. Fiktive Unabhängigkeit „Fiktive Unabhängigkeit“ als Hilfsmaßstab. Durch die Verwendung des Konjunktivs in der Formulierung „die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten“ gibt der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 AStG einen Hinweis darauf, dass bei einem Fremdvergleich nicht nur die unter vergleichbaren Verhältnissen zustande gekommenen Preise zwischen tatsächlich unabhängigen Unternehmen als Vergleichsmaßstäbe verwendet werden dürfen, sondern dass im Fall des Nicht-Vorhandenseins von vergleichbaren Geschäften zwischen tatsächlich Unabhängigen dafür ersatzweise auch eine fiktive Unabhängigkeit zugrunde gelegt werden kann. Das setzt jedoch voraus, dass Klarheit darüber besteht,
1 2 3 4
Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.9 ff. Vgl. Kumpf, Steuerliche Verrechnungspreise in internationalen Konzernen, 144. Uecker, Der Vorteils-Nachteils-Ausgleich beim Abhängigkeitsbericht, 26. Siehe auch Becker in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, V Anm. zu Tz. 1.3.2.6.
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3.4
Kap. 3 Rz. 3.4 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
auf welche Unternehmensbereiche und in welchem Ausmaß der Hilfsmaßstab der „fiktiven Unabhängigkeit“ anzuwenden ist.
3.5
Konkretisierung durch Eliminierung aktiver und passiver Konzerneffekte. Eine Möglichkeit besteht darin, unter einem fiktiv unabhängigen Unternehmen ein völlig aus der Konzernstruktur herausgelöstes Unternehmen zu verstehen. Um den „effektiven“ Gewinn dieses fiktiv selbständigen Unternehmens ermitteln zu können, müssen alle gewinnrelevanten Einflüsse, die auf die Konzernzugehörigkeit bzw. Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund zurückzuführen sind, als nicht erwünschte Gewinnmanipulationen eliminiert werden.1 Dazu gehören sowohl passive als auch aktive Konzerneffekte. Zu den passiven Konzerneffekten zählt man solche Vorteile, die allein aus der Konzernzugehörigkeit bzw. Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund resultieren und sich beispielsweise in erhöhter Kreditwürdigkeit, verbilligter Einkaufsmöglichkeit, Risikostreuung und verbesserten Absatzmöglichkeiten niederschlagen. Als aktive Konzerneffekte bezeichnet man alle Eingriffe der Spitzeneinheit in den Betriebsablauf der Einzelgesellschaften, wie Entscheidungen über die künftige Absatz-, Beschaffungs-, Produktions-, Investitions-, Finanz-, Forschungs- und Entwicklungs-, Personal- und Sozialpolitik oder gar über Betriebsstilllegungen. Die Durchführung einer so verstandenen Einkünfteabgrenzung erfordert die völlige gedankliche Ausgliederung des einzelnen Unternehmens aus der wirtschaftlichen Einheit „Gesamtunternehmen“. Der Besteuerung wird damit – abweichend von der wirtschaftlichen Realität – ein fiktiver Erfolg zugrunde gelegt, den einzelne Unternehmen zwar bei Verfolgung der eigenen Zielvorstellung erzielt hätten, aber aufgrund der Konzernzugehörigkeit bzw. Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund und der dispositiven Eingriffe der Muttergesellschaft nicht erzielt haben.2 Diese Betrachtungsweise widerspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Gestalt des Prinzips der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit, da als Steuerbemessungsgrundlage hierbei kein tatsächlich erzieltes Ergebnis dient, sondern eine vom tatsächlichen Einkommen regelmäßig abweichende fiktive Größe. Letztlich führt die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zwar immer zu einer Sollgewinnbesteuerung, indem der tatsächlich ermittelte Gewinn mit einem Sollgewinn verglichen wird, den der Steuerpflichtige erzielt hätte, wenn die von ihm mit nahestehenden Personen getroffenen Vereinbarungen dem Fremdvergleich entsprechen würden. Der Fremdvergleichsgrundsatz soll allerdings lediglich Gewinnverlagerungen vermeiden und nicht etwa dazu führen, dass fiktive Tatbestände zur Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage herangezogen werden. Der BFH3 spricht konsequenterweise auch nur von einem „partiellen“ Sollgewinn, der durch den Fremdvergleich besteuert wird: „Der partielle Sollgewinn ist derjenige, den sie erzielt hätten, wenn keine Gewinnverlagerung zugunsten des Gesellschafters stattgefunden hätte.“4
3.6
Verlagerungsneutrale Verrechnungspreise. Eine andere Möglichkeit der Konkretisierung der Unabhängigkeitsfiktion des Fremdvergleichs geht von der Erkenntnis aus, dass der Gesamtgewinn des Unternehmensverbundes auf das Zusammenwirken aller Einzelgesellschaften zurückzuführen ist, zu dem diese – entsprechend ihrem Anteil an Leistungserstellung und 1 Vgl. Moxter, ZfbF 1961, 643; Kußmaul, RIW 1987, 681; siehe ferner Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, 33. 2 Vgl. Bergsteiner, Gewinnverlagerungen, 34. 3 BFH v. 2.2.1994 – I R 78/91, BStBl. II 1994, 479. 4 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wassermeyer, DB 2001, 2466; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 216.
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B. Unabhängigkeit der Geschäftspartner | Rz. 3.7 Kap. 3
-verwertung – ihren Beitrag, den sog. Gliedgewinn, leisten. Dabei sollen nicht die auf die Konzernverbundenheit zurückzuführenden Einflüsse der Gewinnentstehung eliminiert werden, sondern nur solche Eingriffe, die den Gewinnausweis manipulieren, m.a.W. durch die „Verschiebungen zwischen den Gewinnen der Gliedunternehmen bewirkt werden“.1 Solche buchtechnischen Gewinnverschiebungen, die zwar den jeweiligen Gewinn des einzelnen Gliedunternehmens verfälschen, sich jedoch nicht auf den Gewinn des Gesamtunternehmens auswirken, werden insbesondere hervorgerufen durch den Ansatz unangemessener Verrechnungspreise für den konzerninternen Liefer- und Leistungsaustausch. Die Folge einer solchen Verrechnungspreispolitik besteht darin, dass ein Gewinn nicht bei derjenigen Unternehmenseinheit ausgewiesen wird, die ihn tatsächlich erwirtschaftet hat. Geht man davon aus, dass entsprechend einer solchen Betrachtungsweise der Gewinn nicht unter der Annahme einer völligen Herauslösung der Unternehmenseinheit aus der Konzernstruktur errechnet werden soll, sondern danach, welchen effektiven Beitrag die Einzelgesellschaft zum Gesamtgewinn leistete, so kommt dem Unabhängigkeitsbegriff nur die Bedeutung eines die Abrechnung konzerninterner Leistungen objektivierenden Elements zu.2 Eine solche Betrachtungsweise richtet ihr Augenmerk ausschließlich auf „verlagerungsneutrale“ Verrechnungspreise, die alle übrigen Maßnahmen innerhalb des Gesamtunternehmens, wie z.B. den organisatorischen Aufbau oder die funktionale Gliederung einer Unternehmensgruppe, trotz ihres Einflusses auf die Gewinnentstehung unberücksichtigt lässt.3 Autonome Entscheidungsträger. Unter einem fiktiv unabhängigen Unternehmen ist ein nicht aufgrund von Beteiligungsrechten anderer beeinflusstes fiktives Vergleichsunternehmen zu verstehen, das seine unternehmenspolitischen und betrieblichen Entscheidungen nur nach Maßgabe seiner originären Zielfunktion trifft. Dabei wird unterstellt, dass deren unternehmerisches Entscheidungsfeld mit dem des zu betrachtenden abhängigen Unternehmens identisch ist. Es wird somit davon ausgegangen, dass das abhängige Unternehmen zum Zeitpunkt der Festlegung angemessener Verrechnungspreise aus dem Konzern ausscheidet und unter Unabhängigkeit entscheidet. Dieses fiktiv, ex-nunc-unabhängige Vergleichsunternehmen hat damit zwar das gleiche Entscheidungsfeld wie das abhängige Unternehmen. Die Einzelentscheidungen über Art, Umfang und Bewertung des Leistungsaustausches werden aber nicht determiniert durch die Zielfunktion des Gesamtunternehmens, sondern allein durch die Vorteilhaftigkeitsüberlegungen nunmehr autonomer Entscheidungsträger.4
1 Moxter, ZfbF 1961, 643. 2 Vgl. Klein, ZfB 1982, 157. 3 Zum Konzept der „verlagerungsneutralen“ Verrechnungspreise vgl. auch BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573; Baumhoff, DStR 1987, 497; Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 139; Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 110; Klein, BB 1995, 226 f.; Rödder, StbJb 1997/98, 117; Schnorberger/Waldens, IStR 2001, 39; a.A. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 127. 4 Dazu – aufgrund der fehlenden Berücksichtigung der „strategischen Rente“ – kritisch Kleineidam, IStR 2001, 726 ff. Siehe ferner Schneider, DB 2003, 54 ff.
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3.7
Kap. 3 Rz. 3.8 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse I. Vorüberlegung 3.8
Gleiche oder vergleichbare Verhältnisse. Neben der Unabhängigkeit der Geschäftspartner besteht das zweite Merkmal des Fremdvergleichs in der Notwendigkeit einer Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Dazu gehört sowohl die Betrachtung der einzelnen Leistung bzw. des einzelnen Geschäfts als auch die Berücksichtigung aller Umstände, die auf das einzelne Geschäft einwirken können. Letztlich hat damit die Durchführung eines Fremdvergleichs ihren Ausgangspunkt in einem Vergleich der konzerninternen Leistungsbeziehung mit potenziellen Referenztransaktionen unabhängiger Unternehmen im Hinblick darauf, ob diese unter gleichen oder zumindest vergleichbaren Verhältnissen zustande gekommen sind.
3.9
Keine Beschränkung auf den hypothetischen Fremdvergleich. Die Formulierung des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG könnte angesichts der Verwendung des Konjunktivs („vereinbart hätten“) eine Beschränkung nur auf den hypothetischen Fremdvergleich implizieren.1 Hiergegen spricht allerdings der systematische Zusammenhang, der zwischen § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG und § 1 Abs. 3 Sätze 1 und 3-7 AStG besteht. Zwar wird dort nur auf eine „Geschäftsbeziehung i.S. des Absatzes 1 Satz 1“ Bezug genommen, die Ausdrücke „Fremdvergleichspreise“, „Vergleichbarkeit (...) mit Geschäftsvorfällen zwischen voneinander unabhängigen Dritten“, „Verfügbarkeit von Werten zu vergleichbaren Geschäftsvorfällen voneinander unabhängiger Dritter“, „der zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfälle zwischen voneinander unabhängigen Dritten“ und „Vergleichswerte“ stehen jedoch im Kontext des tatsächlichen Fremdvergleichs. Insofern ist es u.E. zweifelsfrei, dass der Fremdvergleichsgrundsatz für den hypothetischen wie für den tatsächlichen Fremdvergleich gleichermaßen gilt. Diese Feststellung erstreckt sich allerdings nicht auf die durch den Gesetzgeber vorgenommene Konkretisierung in Gestalt der Informationstransparenz, die § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes vorgibt (Rz. 3.157 ff.), sie hat – wenn überhaupt – allenfalls Berechtigung im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs.2 Gleiches gilt für die Rechtsfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters in ihrer verdoppelten Ausprägung, die im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs verfehlt ist. Anderenfalls stellt sich die Frage, ob etwa im Rahmen eines äußeren Preisvergleichs abgeleitete Vergleichspreise für Referenztransaktionen nur deshalb auszuscheiden sind, weil das Handeln der Transaktionspartner dem Sorgfaltsmaßstab offenkundig nicht genügt. Die Vergleichbarkeit der Verhältnisse ist nach alledem auch und gerade bei Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs von entscheidender Bedeutung.
3.10
Eignung der Vergleichsobjekte und Identität. Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Ermittlung geeigneter Vergleichsobjekte muss die Erkenntnis sein, dass zwei voneinander unabhängige Geschäftsvorfälle nur unter der Prämisse des vollkommenen Marktes als absolut deckungsgleich zu qualifizieren sind und nur dann zwingend zu einem gleichen Ergebnis (Preis) führen, das außerdem als mathematisch exakt und ökonomisch als objektiv richtig zu werten ist. Aufgrund der Unvollkommenheit der Märkte, der unendlichen Vielgestaltigkeit autonomer unternehmerischer Verhaltensweisen und verschiedenster ökonomischer Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren ist jedoch ein exaktes Ergebnis i.S. einer mathematisch genau
1 Vgl. Kaminski, RIW 2007, 594; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 81; Wellens, IStR 2010, 155. 2 Vgl. hierzu Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 546; Wassermeyer, DB 2007, 536.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.12 Kap. 3
fixierbaren Größe in aller Regel nicht denkbar.1 So betont Tz. 1.13 OECD-Leitlinien2 zu Recht, dass die Verrechnungspreisgestaltung keine exakte Wissenschaft sein kann, sondern zwangsläufig mit gewissen Unsicherheitsfaktoren behaftet sein muss. Ferner unterstreicht Tz. 3.55 OECD-Leitlinien, dass die Anwendung des Fremdvergleichs stets nur auf eine Annäherung der Vergleichbarkeitsfaktoren gerichtet sein kann.3 Im Übrigen kann es auch nach Einschätzung des BFH den einen, „richtigen“ Verrechnungspreis nicht geben, sondern lediglich eine „Bandbreite“ von Preisen ermittelt werden.4 Dies entspricht zudem der Auffassung des deutschen Gesetzgebers5 und der Finanzverwaltung6. Preis- oder Wertbandbreiten. Die Möglichkeit der Existenz von Preis- oder Wertbandbreiten sowohl bei Vornahme eines tatsächlichen Fremdvergleichs als auch bei Anwendung der Standardmethoden wird in § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG ausdrücklich klargestellt („Die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes führt regelmäßig zu einer Bandbreite von Werten“). Erfasst sind sowohl die Fälle der Preisbandbreite, d.h. der Feststellung mehrerer Vergleichspreise bei Anwendung der Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff.), als auch Fälle der Wertbandbreite. Wertbandbreiten entstehen methodenspezifisch bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.), wenn mehrere Handelsspannen ermittelt werden können, und bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.), wenn mehrere Gewinnaufschläge ermittelt werden können (Rz. 5.166). Gleiches gilt, wenn – bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) (Rz. 5.92 ff.) – die Nettomarge mittels tatsächlichen Fremdvergleichs, d.h. durch äußeren oder inneren Betriebsvergleich (Rz. 3.130 f.), ermittelt und jeweils mehrere Vergleichswerte abgeleitet werden (können).
3.11
II. Grad der Vergleichbarkeit Vergleichbarkeit setzt im Unterschied zur Identität nicht voraus, dass die zu vergleichenden Verhältnisse absolut deckungsgleich sind; dennoch ist eine annähernde Gleichheit durch Übereinstimmung der Vergleichsobjekte in ihren wesentlichen Merkmalen erforderlich. Allerdings hat die Verrechnungspreispraxis – insbesondere im Rahmen der Datenbankanalyse7 – gezeigt, dass an das Kriterium der Vergleichbarkeit mangels Vergleichsmerkmalen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen. So ist es in praxi i.d.R. nicht unproblematisch, geeignete Vergleichsunternehmen und Vergleichstransaktionen zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund hat es sich als sinnvoll erwiesen, die Vergleichsfaktoren auf die wesentlichen preisund gewinndeterminierenden Faktoren zu reduzieren8. Dazu gehören insbesondere neben den von den Konzerneinheiten ausgeübten Funktionen die von ihnen getragenen Risiken sowie die von ihnen eingesetzten Produktionsmittel.
1 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Wassermeyer, 347 ff. 2 Vgl. Tz. 1.13 OECD-Leitlinien 2022, ferner Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2022 sowie hierzu Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 53. 3 Vgl. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; Baumhoff, IStR 2001, 752; Wassermeyer, WPg 2005, 15. 5 § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG; s.a. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 80. 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.29. 7 Vgl. zum Einsatz von Datenbanken auch Baumhoff, IStR 2003, 3 f.; Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34; Tucha, IStR 2002, 175; Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937; kritisch Kolb, IWB Fach 3 Gruppe 1, 2391 ff.; Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160. 8 Vgl. Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1939; Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 136.
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3.12
Kap. 3 Rz. 3.13 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
1. OECD-Leitlinien 3.13
Relativ gleiche Zuverlässigkeit/verhältnismäßig gleicher Vergleichbarkeitsgrad. Die OECD-Leitlinien stellen zunächst fest, dass es viele Situationen geben wird, bei denen die Anwendung der am besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind.1 Allerdings können erhebliche Abweichungen zwischen den Punkten innerhalb dieser Fremdvergleichsbandbreite nach Auffassung der OECD darauf hindeuten, dass die für die Bestimmung dieser Punkte verwendeten Daten nicht so zuverlässig sind wie solche Daten, die für andere Punkte innerhalb der Bandbreite herangezogen wurden.2 Ebenso kann sich die Abweichung aus Vergleichsdaten erklären, die eine Anpassung erfordern. In diesen Fällen empfehlen die OECD-Leitlinien eine weitergehende Analyse der Werte dieser Bandbreite daraufhin, inwieweit sie überhaupt als Vergleichswerte für eine Fremdvergleichsbandbreite geeignet sind.3 Insofern kommen sowohl die Nichtberücksichtigung bestimmter Werte, ggf. die Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen als auch die unveränderte Berücksichtigung für die Fremdvergleichsbandbreite in Betracht. Den OECD-Leitlinien kann nicht entnommen werden, dass erhebliche Abweichungen zwischen einzelnen Werten der Bandbreite die fehlende Vergleichbarkeit (Vergleichbarkeitsdefizite) und/oder Zuverlässigkeit indizieren. Lediglich ihre ungeprüfte Einbeziehung in die Bandbreite sollte den Grundsätzen der OECD-Leitlinien nicht entsprechen. Insofern sind auch die Ausführungen in Tz. 3.63 der OECD-Leitlinien von Bedeutung, wonach extreme Werte nicht allein deshalb ausgeschlossen werden können, weil sie in auffälliger Weise von anderen Vergleichswerten abweichen.4 Ohne konkrete Anhaltspunkte für bestehende Vergleichbarkeitsdefizite sind auch extreme Vergleichswerte zu berücksichtigen. Die OECD-Leitlinien nennen in diesem Zusammenhang verlustbringende Geschäftsvorfälle bzw. defizitäre Unternehmen, die im Hinblick auf ihre Einbeziehung in die Vergleichbarkeitsanalyse einer weitergehenden Überprüfung daraufhin zu unterziehen sind, ob sie den Vergleichbarkeitsanforderungen konkret genügen.5 Ausdrücklich lehnen die OECD-Leitlinien einen Ausschluss nur aufgrund der Verlustentstehung ab, wobei Gleiches auch für Vergleichswerte gilt, die ungewöhnlich hohe Gewinne ausweisen.6 Bei relativ gleichem Grad von Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit der Vergleichswerte sehen die OECD-Leitlinien keine Einengung der Wert- oder Preisbandbreite vor.7 Die konkreten Anforderungen an den Grad der Vergleichbarkeit bleiben allerdings völlig offen.
3.14
Unterschiedliche Vergleichbarkeitsgrade. Offenkundig gehen die OECD-Leitlinien davon aus, dass nur in Ausnahmefällen („in einigen Fällen“) nicht alle untersuchten Vergleichstransaktionen einen verhältnismäßig gleichen Grad an Vergleichbarkeit aufweisen. Tz. 3.55 („viele Situationen [...], bei denen die Anwendung der am besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind“)8 und 3.56 („einige Fälle“)9 OECD-Leitlinien verdeutlichen, dass die Auffassung der deutschen Finanzver1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.59 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.59 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.63 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. hierzu auch Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 245. Vgl. Tz. 3.65 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.65 und 3.66 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. auch Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 96. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 3.56 OECD-Leitlinien 2022.
188 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.16 Kap. 3
waltung von einer allenfalls „eingeschränkten Vergleichbarkeit“ und dem regelmäßigen Vorliegen von Vergleichbarkeitsdefiziten nicht auf die OECD-Leitlinien gestützt werden kann. Ob in der Praxis das Verbleiben von Vergleichbarkeitsdefiziten den „wahrscheinlicheren“ Fall darstellt,1 ist eben ganz entscheidend von den Anforderungen abhängig, die an einen relativ hohen Grad der Vergleichbarkeit gestellt werden. Bereits die Feststellung von Vergleichstransaktionen, die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen als andere und deshalb ausgeschlossen werden sollten,2 ist jedenfalls schon angesichts der inhaltlichen Unbestimmtheit problematisch.
2. Nationales Recht Aufgabe der Unterscheidung zwischen „uneingeschränkter“ und „eingeschränkter“ Vergleichbarkeit. § 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AStG a.F. haben zwischen „uneingeschränkter“ und „eingeschränkter“ Vergleichbarkeit unterschieden und hierbei die seinerzeitige Verwaltungspraxis in Tz. 3.4.12.7 VWG-Verfahren3 übernommen, ohne diese Begriffe allerdings gesetzlich zu definieren.4 Der Steuerpflichtige hatte bei der Feststellung methodenspezifische Vergleichswerte aus Vergleichstransaktionen einzuschätzen, ob noch uneingeschränkte Vergleichbarkeit gegeben war oder ob nur noch eingeschränkte Vergleichbarkeit oder gar Unvergleichbarkeit vorlag. Während bei Unvergleichbarkeit die entsprechenden Vergleichswerte zu verwerfen waren, konnten uneingeschränkt und eingeschränkt vergleichbare Vergleichswerte grundsätzlich für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises herangezogen werden. Die Unterscheidung war von Bedeutung für die Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten (Rz. 5.169 ff.). Während Fremdvergleichsbandbreiten uneingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte durch den Steuerpflichtigen in vollem Umfang ausgeschöpft werden konnten, waren Fremdvergleichsbandbreiten lediglich eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte einzuengen, regelmäßig mittels der Methode der Interquartilsbandbreite (Rz. 5.179 ff.). Mit der Neufassung von § 1 Abs. 3 und 3a AStG durch das AbzStEntModG5 ist diese Unterscheidung entfallen
3.15
Übernahme des OECD-Konzepts. Nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG sind Unterschiede zwischen den Verhältnissen der zum Vergleich herangezogenen Vergleichstransaktionen und den Verhältnissen der zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsbeziehung, „die die Anwendung der Verrechnungspreismethode beeinflussen können“, durch sachgerechte Anpassungen zu beseitigen. Allerdings sind nicht jedwede Unterschiede anzupassen. Auch § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG fordert im Hinblick auf Vergleichbarkeitsanpassungen ebenso wie die Finanzverwaltung keine uneingeschränkte Vergleichbarkeit oder Identität. Vielmehr bedeutet vergleichbar sein, „dass keiner der Unterschiede (sofern vorhanden) zwischen den im Rahmen der Methode verglichenen Gegebenheiten die untersuchten Bedingungen beeinflussen kann, oder dass hinreichend genaue Anpassungen erfolgen können, um die Auswirkung dieser Unterschiede auszuschließen“.6 Hierbei geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass es sich „um eventuell zwischen den Geschäfts-
3.16
1 So jedenfalls Förster, IStR 2011, 22. 2 Vgl. Tz. 3.56 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. zur Bezugnahme auf Tz. 3.4.12.7 VWG-Verfahren BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 143. 5 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abszugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 6 BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79; Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 189
Kap. 3 Rz. 3.16 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
vorfällen bestehende erhebliche Unterschiede“ handeln muss.1 Vor diesem Hintergrund ist der Normwortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG zwar insofern hinreichend bestimmt, dass nur methodenspezifische und -relevante Unterschiede Gegenstand von Anpassungsrechnungen sein können, hinsichtlich des vor Anpassungsrechnungen bestehenden Ausmaßes der Unterschiede in den Vergleichbarkeitsfaktoren ist die gesetzliche Regelung allerdings unbestimmt. Hier hat der Gesetzgeber bezogen auf § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG jedoch die Zwecksetzung von Anpassungsrechnung dahingehend klar zum Ausdruck gebracht, dass „Anpassungen, (...) zur Herstellung der Vergleichbarkeit erforderlich sein können, um eventuell zwischen den Geschäftsvorfällen bestehende erhebliche Unterschiede zu beseitigen.“2 Für die Vornahme von Anpassungsrechnungen kommt es deshalb u.a. auf die „Wesentlichkeit des Unterschieds“ an.3 Vergleichbarkeitsanpassungen sollen schließlich nur dann in Betracht gezogen werden, „wenn dadurch die Vergleichbarkeit erhöht wird“ (§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG). Ausweislich der Gesetzesbegründung müssen Vergleichbarkeitsanpassungen die Verlässlichkeit der Ergebnisse erhöhen.4
3.17
Gleich geeignete und gleich zuverlässige Vergleichswerte/gleicher Grad an Vergleichbarkeit. Bezogen auf die Regelung des § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG bezieht sich der Gesetzgeber ausdrücklich auf Tz. 3.55 OECD-Leitlinien und führt wortgleich wie folgt aus: „Da die Verrechnungspreisbestimmung nicht exakt und eindeutig sein kann (...), wird es auch viele Situationen geben, bei denen die Anwendung der am besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle mehr oder minder gleich zuverlässig sind“; wobei die Gesetzesbegründung ausdrücklich auf einen in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F. für Fälle der uneingeschränkten Vergleichbarkeit von Vergleichswerten bereits angelegten Gedanken Bezug nimmt.5 Dies verwundert insofern, als die Verrechnungspreispraxis bezogen auf das Vorliegen einer uneingeschränkten Vergleichbarkeit von Vergleichswerten dadurch geprägt war, dass es zu der Frage, ob die Voraussetzungen einer „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“6 in dem konkreten Sachverhalt vorliegen, häufig Streit gab. Deutlich wird dies auch anhand der Ausführungen von Vertretern der Finanzverwaltung, die „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“ mit „Identität von Funktionen, Risiken, eingesetzten WG, vertraglichen Vereinbarungen, Marktverhältnissen (z.B. Marktgröße, Wettbewerbsintensität, Verhandlungsmacht, staatliche Regulierungen) und Geschäftsstrategien“ gleichgesetzt und ferner infrage gestellt haben, „ob es eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit überhaupt geben“ könne.7 Offensichtlich geht der Gesetzgeber auch für die Altfassung des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG nicht davon aus, dass es sich um Ausnahmefälle handelt. In diesen Fällen gleich geeigneter und gleich zuverlässiger Vergleichswerte kommt eine Einengung der Fremdvergleichsbandbreite nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG jedenfalls nicht in Betracht. Entsprechend den Grundsätzen der OECD-Leitlinien sind Fremdvergleichsbandbreiten dann einzuengen, wenn nach Vergleichbarkeitsanpassungen Unterschiede in der Vergleichbarkeit verbleiben (§ 1 Abs. 3a Satz 2 AStG). Die Gesetzesbegründung bezieht sich hier auf Tz. 3.56 OECD-Leitlinien, dass „in einigen Fällen“ nicht alle Vergleichstransaktionen einen gleichen Grad an Vergleichbarkeit aufweisen.
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BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 78. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 78. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 80. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Tz. 3.4.12.5 Rz. 220. S. a. Förster, IStR 2011, 22.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.19 Kap. 3
Geringerer/unterschiedlicher Grad an Vergleichbarkeit. Während § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG von einem gleichen Vergleichbarkeitsgrad der Vergleichstransaktionen ausgeht, in denen die Fremdvergleichsbandbreite nicht einzuengen ist, sondern vollständig ausgeschöpft werden kann, betrifft § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG die Fälle, in denen der Vergleichbarkeitsgrad unterschiedlich ist. Entsprechend den Empfehlungen der OECD-Leitlinien sollen in den Fällen des § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG gewissermaßen vorab die Vergleichstransaktionen und die aus diesen festgestellten Vergleichswerte ausgesondert werden, die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen als andere.1 Allerdings ist gesetzlich nicht bestimmt, welche Anforderungen an einen relativ hohen Grad der Vergleichbarkeit, an einen gleichen Grad der Vergleichbarkeit und an einen geringen bzw. geringeren Grad der Vergleichbarkeit zu stellen sind. Bereits die Feststellung von Vergleichstransaktionen, die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen als andere und deshalb ausgeschlossen werden sollten, ist jedenfalls schon angesichts der inhaltlichen Unbestimmtheit problematisch.
3.18
Unvergleichbarkeit. Gesetzlich nicht geregelt ist, in welchen Fällen Unvergleichbarkeit gegeben ist und die entsprechenden Vergleichswerte nicht zu berücksichtigen sind. Nach Rz. 3.22 der VWG VP soll eine Vergleichbarkeit nicht gegeben sein, „wenn Geschäftsbedingungen oder Umstände eines zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfalls, die eine nicht unwesentliche Auswirkung auf den Preis oder den Gewinn haben, sich so erheblich voneinander unterscheiden, dass die Unterschiede durch Anpassungsrechnungen nicht beseitigt werden können“.2 Diese Verwaltungsauffassung verwundert angesichts des Begriffsverständnisses von einer Vergleichbarkeitsanalyse, wie es dem Glossar zu den VWG VP als Anlage 1 beigefügten OECD-Leitlinien zu entnehmen ist. Dort ist die Vergleichbarkeitsanalyse wie folgt definiert: „Vergleich eines konzerninternen Geschäftsvorfalls mit einem Fremdgeschäftsvorfall oder Fremdgeschäftsvorfällen. Konzerninterne Geschäftsvorfälle sind mit Fremdgeschäftsvorfällen vergleichbar, wenn keiner der Unterschiede zwischen den Geschäftsvorfällen den mit der Methode untersuchten Aspekt (z.B. Preis oder Marge) wesentlich beeinflussen kann oder wenn hinreichend genaue Anpassungen vorgenommen werden können, um wesentliche Auswirkungen dieser Unterschiede zu beseitigen.“3 Ferner stellt der Gesetzgeber bezogen auf § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG auf „zwischen den Geschäftsvorfällen bestehende erhebliche Unterschiede“ ab.4 Insofern sind jedenfalls die gesetzlich angelegten methodenspezifischen und -relevanten Unterschiede5 nicht gleichbedeutend mit einer Preis- oder Gewinnauswirkung, auf die die Finanzverwaltung die Unvergleichbarkeit stützen will. Auch was das Ausmaß der Auswirkung betrifft, ist jedenfalls „nicht unwesentlich“ gleichbedeutend mit „wesentlich“.
3.19
Unvergleichbarkeit soll nach Verwaltungsauffassung insbesondere vorliegen, wenn (i) spezielle, besonders wertvolle immaterielle Werte oder Rechte daran Gegenstand der Geschäftsbeziehung sind oder (ii) sich die maßgeblichen Funktionen oder Risiken im Rahmen von Geschäftsbeziehungen erheblich unterscheiden.6 Ferner soll eine Vergleichbarkeit nicht gegeben sein, wenn für einen zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfall die für die Beurtei-
1 2 3 4 5
Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 80. VWG VP 2021, Rz. 3.22. Glossar zu den OECD-Leitlinien, Stichw. „Vergleichbarkeitsanalyse“. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 78. Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG sowie BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 78 („erhebliche Unterschiede“) und 79 („Wesentlichkeit des Unterschieds). 6 VWG VP 2021, Rz. 3.22. So bereits BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. b (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
Baumhoff/Liebchen | 191
Kap. 3 Rz. 3.19 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
lung seiner Vergleichbarkeit relevanten Daten so lückenhaft, unüberprüfbar oder im Hinblick auf ihre Qualität so unzuverlässig sind, dass ihnen keine Aussagekraft beigemessen werden kann.1
III. Vergleichbarkeitsanalyse 1. Vorbemerkung 3.20
Gegenstand der Vergleichbarkeitsanalyse. Die OECD-Leitlinien enthalten in Tz. 3.1 ff. umfangreiche Empfehlungen zur Durchführung von Vergleichbarkeitsanalysen, die an die Darstellungen zu den Vergleichbarkeitsfaktoren in Tz. 1.33 ff. der OECD-Leitlinien2 anknüpfen. Im Hinblick auf den konkreten Gegenstand des Vergleichs stellen die OECD-Leitlinien klar, dass sich die Vergleichbarkeitsanalyse nicht in der Suche nach Vergleichswerten erschöpft, sondern sich auf beide Elemente des Vergleichs erstreckt, nämlich den zu prüfenden konzerninternen Geschäftsvorfall ebenso wie die Fremdgeschäftsvorfälle.3 Hierbei knüpft die Identifikation potenziell vergleichbarer Fremdgeschäftsvorfälle an die vorhergehende Analyse des konzerninternen Geschäftsvorfalls im Hinblick auf die relevanten Vergleichbarkeitsfaktoren (Rz. 3.35 ff.) an. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass nach dem Glossar zu den OECD-Leitlinien Vergleichbarkeit bedeutet, dass „keiner der Unterschiede zwischen den Geschäftsvorfällen den mit der Methode untersuchten Aspekt (z.B. Preis oder Marge) wesentlich beeinflussen kann oder wenn hinreichend genaue Anpassungen vorgenommen werden können, um wesentliche Auswirkungen dieser Unterschiede zu beseitigen.“4 Dementsprechend wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.5 Methodisch empfehlen die OECD-Leitlinien im Hinblick auf die einzelnen Schritte der Vergleichbarkeitsanalyse (Vorabanalyse der Bedingungen des konzerninternen Geschäftsvorfalls, Auswahl der Verrechnungspreismethode, Identifikation potenziell vergleichbarer Fremdgeschäftsvorfälle, Beurteilung der Fremdvergleichskonformität) ein einheitliches Vorgehen, bei dem der gesamte analytische Prozess eine gewisse Kontinuität dergestalt aufweist, dass eine konstante Beziehung zwischen den einzelnen Schritten der Vergleichbarkeitsanalyse hergestellt wird.6
3.21
Zwecksetzung der Vergleichbarkeitsanalyse. Der im Hinblick auf das Verständnis von Vergleichbarkeit i.S. der OECD-Leitlinien hergestellte methodenspezifische Zusammenhang verdeutlicht sich in der Zwecksetzung der Vergleichbarkeitsanalyse: Die Auswahl und Anwendung der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse bezweckt stets die Identifizierung der verlässlichsten Vergleichswerte.7 Insofern kommt der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode die zentrale Funktion im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse zu.
1 2 3 4 5
VWG VP 2021, Rz. 3.22. Vgl. Tz. 1.33 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.1 ff. OECD-Leitlinien 2022. Glossar zu den OECD-Leitlinien 2022, Stichw. „Vergleichbarkeitsanalyse“. Vgl. Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022. Siehe auch § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG u. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 79. 6 Vgl. Tz. 3.1 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Tz. 3.2 OECD-Leitlinien 2022.
192 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.23 Kap. 3
2. „Good-practise“-Verfahren nach den OECD-Leitlinien Typisches Verfahren als „good practise“. Die OECD-Leitlinien erläutern in Tz. 3.4 ff. ein mögliches typisches Verfahren zur Durchführung einer Vergleichbarkeitsanalyse, das als „good practise“ angesehen wird.1 Hierbei handelt es sich allerdings nicht um ein obligatorisches Analyseverfahren. Die OECD-Leitlinien heben ausdrücklich hervor, dass jedes Verfahren zur Durchführung einer Vergleichbarkeitsanalyse zulässig ist, das zu verlässlichen Ergebnissen führt.2 Die Wahl des konkret zur Anwendung kommenden Analyseverfahrens wird nach Auffassung der OECD ausschließlich von der Verlässlichkeit seiner Ergebnisse bestimmt. Dementsprechend garantiert die Durchführung des als „good practise“ angesehenen typischen Verfahrens nicht, dass das Ergebnis stets fremdvergleichskonform ist. Ebenso wenig schließt die Durchführung eines anderen Verfahrens aus, dass dessen Ergebnis dem Fremdvergleich entspricht.3 Vor diesem Hintergrund ist der Steuerpflichtige in der Verfahrenswahl und -ausgestaltung frei. Er muss insbesondere nicht glaubhaft machen, dass das von ihm seiner Vergleichbarkeitsanalyse zugrunde gelegte Verfahren einem Fremdvergleich besser Rechnung trägt als ein anderes Verfahren.
3.22
Verfahrensschritte. Im Einzelnen sehen die OECD-Leitlinien neun Schritte im Rahmen der Durchführung einer Vergleichbarkeitsanalyse vor. Die einzelnen Schritte sind:4
3.23
1. Schritt: Festlegung der erfassten Jahre. 2. Schritt: Breitgefächerte Analyse der für den Steuerpflichtigen geltenden Umstände. 3. Schritt: Den bzw. die untersuchten konzerninternen Geschäftsvorfälle verstehen, insbesondere auf der Basis einer Funktionsanalyse, um (sofern nötig) das untersuchte Unternehmen, die jeweils am besten geeignete Verrechnungspreismethode und den zu prüfenden Finanzindikator (im Fall einer geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethode) auszuwählen sowie die signifikanten Vergleichbarkeitsfaktoren zu identifizieren, die berücksichtigt werden sollen. 4. Schritt: Überprüfung der internen Vergleichswerte (falls vorhanden). 5. Schritt: Bestimmung der verfügbaren Informationsquellen über externe Vergleichswerte, wo derartige Größen benötigt werden, unter Berücksichtigung ihrer relativen Zuverlässigkeit. 6. Schritt: Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode und, je nach Methode, Bestimmung des relevanten Finanzindikators (z.B. Bestimmung des relevanten Nettogewinnindikators im Fall der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode). 7. Schritt: Identifizierung potenzieller Vergleichswerte: Bestimmung der wichtigsten Merkmale, die von jedem Geschäftsvorfall zwischen unabhängigen Unternehmen erfüllt sein müssen, um als potenziell vergleichbar betrachtet werden zu können, auf der Basis der im 3. Schritt identifizierten relevanten Faktoren und entsprechend den Vergleichbarkeitsfaktoren. 8. Schritt: Bestimmung und Durchführung der Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit (sofern angemessen). 9. Schritt: Interpretation und Verwendung der gesammelten Daten, Ermittlung der fremdüblichen Vergütung.
1 2 3 4
Vgl. Tz. 3.4 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.4 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.4 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.4 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 193
Kap. 3 Rz. 3.24 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.24
Verfahrensablauf. Die OECD-Leitlinien gehen nach Tz. 3.5 davon aus, dass der Prozess nicht linear abläuft, sondern einzelne Verfahrensschritte ggf. mehrfach durchgeführt werden müssen, bis ein befriedigendes Ergebnis erzielt wird, wobei insbesondere die Verfahrensschritte 5– 7 (Bestimmung verfügbarer Informationsquellen; Identifizierung potentieller Vergleichswerte; Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen) angesprochen werden.1 Beispielhaft wird dies an der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode deutlich, die in mehreren Verfahrensschritten angesprochen wird (vgl. Rz. 5.138 ff.). So wird im Schritt 4 herausgestellt, dass das Verständnis des untersuchten konzerninternen Geschäftsvorfalls auf Grundlage der Funktions- und Risikoanalyse für Zwecke der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode erforderlich ist. Im Schritt 6 wird die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode nach der Evaluation etwaiger interner und/oder externer Vergleichswerte (Schritte 4 und 5) und vor der Identifizierung potenzieller Vergleichswerte (Schritt 7) angesiedelt.2
3.25
Verfahrensschritte 1 und 2. Nach Festlegung der für die Vergleichswerte relevanten Jahre (Schritt 1) erfolgt im Schritt 2 zunächst eine umfangreiche Analyse des wirtschaftlichen Umfelds des Steuerpflichtigen. Diese soll dazu dienen, die Umstände, unter denen der zu beurteilende konzerninterne Geschäftsvorfall zustande gekommen ist, besser zu verstehen.3 Die Analyse des wirtschaftlichen Umfelds weist vor diesem Hintergrund keinen konkreten Geschäftsvorfallbezug auf oder steht mit einzelnen Geschäftsvorfällen im Zusammenhang. Vielmehr ist sie darauf gerichtet, den Einfluss der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse auf die Vergleichbarkeit der jeweiligen Vergleichsobjekte zu bestimmen (vgl. Rz. 4.26 ff.). In diese Analyse fließen neben der Branche, der Wettbewerbssituation, den wirtschaftlichen und regulatorischen Faktoren sämtliche Umstände ein, die die wirtschaftliche Betätigung des Steuerpflichtigen betreffen und dadurch u.U. bei der Beurteilung der Fremdüblichkeit der Abrechnung des konzerninternen Geschäftsvorfalls von Bedeutung sein könnten. Entsprechende Bezüge bestehen für Zwecke der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV in § 4 Abs. 1 Buchst. a Unterbuchst. ee GAufzV in der dort vorgesehenen Darstellung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, die für die Besteuerung von Bedeutung sind (Rz. 8.96 ff.).
3.26
Verfahrensschritt 3. In einem dritten Schritt sollen die zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsvorfälle eingehend untersucht werden. Dabei sollen alle relevanten Vergleichbarkeitsfaktoren (Rz. 3.35 ff.) identifiziert werden, die die Auswahl des Vergleichsunternehmens, der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode, relevante Vergleichsgrößen, etwaige Anpassungen und (bei Wahl einer geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethode) auch den zu prüfenden Finanzindikator betreffen.4 Im Hinblick auf die Beurteilung einer Vergleichbarkeit des konzerninternen Geschäftsvorfalls mit Fremdgeschäftsvorfällen und die methodenspezifisch unterschiedliche Relevanz einzelner Vergleichbarkeitsfaktoren kommt bereits für die Beurteilung der relevanten Vergleichbarkeitsfaktoren der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode eine gewisse Bedeutung zu. Nach der Konzeption der OECD-Leitlinien bestimmt sich die Vergleichbarkeit bezogen auf die konkrete Verrechnungspreismethode.5 Dementsprechend wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den vergliche1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 3.5 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.2 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.7 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.8 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Glossar zu den OECD-Leitlinien 2022, Stichw. „Vergleichbarkeitsanalyse“; Tz. 3.47 OECDLeitlinien 2022.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.27 Kap. 3
nen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.1 Bekanntlich wird die Vergleichbarkeit im Rahmen der Preisvergleichsmethode stark von Unterschieden in den relevanten Produkteigenschaften beeinflusst, während den Produkteigenschaften im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode eine geringere Bedeutung jedenfalls dann zukommt, wenn die Produktunterschiede nicht die Vergleichbarkeit der ausgeübten Vertriebsfunktionen erheblich beeinflussen.2 Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogen Nettomargenmethode ist die Vergleichbarkeit der Nettomargen dagegen durch Funktionsunterschiede und die Andersartigkeit der Leistung weniger beeinträchtigt.3 Sind mehrere Geschäftsvorfälle zu beurteilen, stellt sich ferner die Frage, ob die Vergleichbarkeitsanalyse geschäftsvorfallbezogen oder für mehrere Geschäftsvorfälle zusammen durchzuführen ist. Grundsätzlich gehen die OECD-Leitlinien von einem Transaktionsbezug auch im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse aus. Sog. „Paketgeschäfte“ sind nur dann der Angemessenheitsbeurteilung und damit auch der Vergleichbarkeitsanalyse zugrunde zu legen, wenn die Geschäfte so eng miteinander verbunden sind, dass bei separater Betrachtung eine Angemessenheitsbeurteilung unmöglich ist.4 Als Beispiele werden Langzeitverträge über Warenlieferungen oder Dienstleistungen, Rechte zur Benutzung immaterieller Wirtschaftsgüter und die Bewertung einer Gruppe verwandter Produkte (i.S. einer Produktlinie oder -palette), sofern es unpraktisch wäre, für jedes einzelne Produkt oder jeden einzelnen Geschäftsvorfall einen gesonderten Preis festzulegen, genannt. Ferner werden auch zwischen fremden Dritten Produkte mit einer niedrigeren Gewinnmarge oder verlustbringend verkauft, wenn das vertriebene Produkt den Verkauf eines (gewinnbringenden) Folgeproduktes nach sich zieht, wobei die OECD-Leitlinien beispielhaft auf Geräte und Verbrauchsmaterial des monopolistischen Zubehörmarktes wie Kaffeemaschinen und Kaffeekapseln oder Drucker und Druckerpatronen erwähnen.5 Die OECD-Leitlinien sehen in einer solchen Palettenbetrachtung eine Geschäftsstrategie, die im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse zu berücksichtigen ist (vgl. ferner hierzu Rz. 3.173 f.).6 Verfahrensschritt 4. In den Schritten 4 und 5 werden sowohl interne als auch externe Vergleichswerte ermittelt. Zwar ist im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse die Identifikation interner Vergleichswerte der Identifikation externer Vergleichswerte vorgelagert (Rz. 3.28). Hieraus ist jedoch nicht zu schließen, dass die OECD-Leitlinien internen Vergleichswerten einen generellen Vorrang vor externen Vergleichswerten einräumen. Vielmehr gehen die OECD-Leitlinien davon aus, dass für den konkreten Einzelfall zu bestimmen ist, ob interne oder externe Vergleichswerte zu einem verlässlicheren Ergebnis führen.7 Die OECD-Leitlinien verweisen in diesem Zusammenhang beispielhaft auf Mengenunterscheide als ein in Betracht kommender Unterschied in der Vergleichbarkeit der Produkteigenschaften, der im Rahmen des inneren Betriebsvergleichs die Vergleichbarkeit (wesentlich) beeinflussen und entspre-
1 Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. auch Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 50; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 165. 3 Vgl. Tz. 2.68 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 3.9 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 3.10 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 3.10 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Tz. 3.27 f. OECD-Leitlinien 2022.
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3.27
Kap. 3 Rz. 3.27 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
chende Vergleichbarkeitsanpassungen (Rz. 3.115 ff.) erforderlich machen kann.1 Ferner ist zu berücksichtigen, dass die verbundexternen Referenztransaktionen, die zur Ermittlung interner Vergleichswerte herangezogen werden, ein Mindestvolumen aufweisen müssen, um ihre objektivierende Wirkung i.S. einer Marktentstehung entfalten zu können. Anderenfalls muss man sich gegebenenfalls des Verdachts erwehren, die verbundexternen Geschäfte allein zum Zwecke der Verrechnungspreisrechtfertigung abgeschlossen zu haben.2 Diese Anforderung lässt sich auch aus der Rechtsprechung des BFH ableiten, der die Voraussetzungen eines betriebsinternen Fremdvergleichs nicht als gegeben ansah, wenn die Referenztransaktionen lediglich 5 % des Gesamtumsatzes ausmachen.3 Das EU-JTPF empfiehlt in seinem Bericht zur Nutzung von Vergleichswerten in der EU, auf den Rz. 3.18 der VWG VP 2021 im Rahmen der verwaltungsseitigen Grundsätze für die Vergleichbarkeitsanalyse besonders hinweist, dass (i) potenzielle interne Vergleichswerte vorrangig vor externen Vergleichswerten zu untersuchen sind und dass (ii) auch Vergleichswerte aus Vergleichstransaktionen zwischen anderen Gesellschaften der Unternehmensgruppe und fremden Dritten als „interne Vergleichswerte“ i.S.v. Tz. 3.24 der OECD-Leitlinien qualifiziert werden sollten.4
3.28
Verfahrensschritt 5. Für die Bestimmung externer Vergleichswerte im fünften Schritt gehen die OECD-Leitlinien zunächst davon aus, dass die Existenz verlässlicher interner Vergleichswerte die Ermittlung externer Vergleichswerte entbehrlich machen kann.5 Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der in der Praxis relevanten Bestimmung externer Vergleichswerte mittels Datenbankanalysen erörtern die OECD-Leitlinien in Tz. 3.30 bis 3.34. Bei Datenbankanalysen werden verrechnungspreisdeterminierende Faktoren (z.B. Gewinnmargen, Renditekennziffern, Profitabilitätskennziffern etc.) aus einer Datenbank6 mit wirtschaftlichen Kennziffern von privaten und börsennotierten Unternehmen abgeleitet. Die OECD-Leitlinien führen in diesem Zusammenhang aus, dass die Verwendung kommerzieller Datenbanken eine gebräuchliche und in Abhängigkeit von dem konkreten Einzelfall die verlässlichste Informationsquelle zur Feststellung externer Vergleichswerte sei; zudem werden praktische Gesichtspunkte und Kostengesichtspunkte angeführt.7 Zu Problemen führt in diesem Zusammenhang vor allem die Sicherstellung einer hinreichenden Vergleichbarkeit zwischen dem zu beurteilenden Konzernunternehmen und dem unabhängigen Vergleichsunternehmen. So kann es sich als außerordentlich schwierig erweisen, eine angemessene Anzahl von Vergleichsunternehmen zu identifizieren. Nur wenn sichergestellt ist, dass die mittels der Datenbank identifizierten Vergleichsunternehmen hinsichtlich ihrer ausgeübten Funktionen und ihrer getrage-
1 Vgl. Tz. 3.28 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 567 Fn. 83; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 688 f.; Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung, 148. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 sowie hierzu Baumhoff, IStR 2001, 751 ff. 4 Vgl. EU-JTPF, Bericht zur Nutzung von Vergleichswerten in der EU („Report on the use of comparables in the EU“), October 2016, DOC:JTPF/007/2016/FINAL/EN, Empfehlung Nr. 3, Buchst. a und c. 5 Vgl. Tz. 3.29 OECD-Leitlinien 2022. 6 Siehe zu den hauptsächlich in Deutschland zum Einsatz kommenden Datenbanken und deren Merkmalen ausführlich Vögele/Crüger in V/B/B, Verrechnungspreise5, H Rz. 19 ff. Zur Eignung von Datenbanken für die Verrechnungspreisanalyse vgl. auch Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937 ff.; Oestreicher, StuW 2006, 243 ff.; Oestreicher, IStR 2005, 134 ff.; Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 95 ff.; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34 ff.; Wahl/Preisser, IStR 2008, 51 ff. 7 Vgl. Tz. 3.30 OECD-Leitlinien 2022.
196 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.28 Kap. 3
nen Risiken sowie der diesen Funktionen und Risiken immanenten Geschäftsbeziehungen mit dem zu beurteilenden Konzernunternehmen vergleichbar sind, kann eine solche Ermittlung der Verrechnungspreise überzeugen. Die OECD-Leitlinien empfehlen für die Auswahl potenzieller Vergleichsunternehmen die Konzentration auf vergleichsweise wenige, dafür aber vergleichbare Unternehmen anstelle vieler eher weniger vergleichbarer Unternehmen sowie die Überprüfung der Auswahl potenzieller Vergleichsunternehmen an Hand weiterer Informationsquellen.1 Angesichts der Probleme bei der Identifikation geeigneter Vergleichsunternehmen und Vergleichstransaktionen hat es sich ferner als sinnvoll erwiesen, die Vergleichsfaktoren auf die wesentlichen preis- und gewinndeterminierenden Faktoren zu reduzieren.2 Dazu gehören insbesondere neben den von den Konzerneinheiten ausgeübten Funktionen die von ihnen getragenen Risiken sowie die von ihnen eingesetzten Produktionsmittel. Der BFH hat grundsätzlich keine Bedenken gegen die Verwendung solcher mittels Datenbanken ermittelter Vergleichsdaten („comparables“).3 Dies gilt unabhängig davon, ob die Daten allgemein zugänglich sind oder nicht. Vor diesem Hintergrund darf sowohl die Finanzverwaltung als auch der Steuerpflichtige Datenbanken aufbauen und verwenden, selbst wenn die entsprechenden Daten nicht allgemein zugänglich sind. Der Beweiswert der aus anonymisierten Datenbanken ermittelten Vergleichsdaten ist allerdings nach Ansicht des BFH davon abhängig, ob die verwendete Datenbank Mindestanforderungen an die Qualität der Datenerfassung genügt.4 Die OECD-Leitlinien sehen die Verwendung sog. „secret comparables“ deutlich kritischer, indem die Verwendung solcher Vergleichswerte als unfair und unbillig angesehen wird.5 Der von den OECD-Leitlinien im Rahmen der Herstellung von Waffengleichheit angeregten Transparenz gegenüber dem Steuerpflichtigen im Rahmen der gesetzlichen Vertraulichkeitserfordernisse steht für deutsch-steuerliche Zwecke das Steuergeheimnis (§ 30 AO) entgegen. Insofern beschränken sich die Rechte des Steuerpflichtigen auf die gerichtliche Überprüfbarkeit. Für deutsch-steuerliche Zwecke ist ferner zu berücksichtigen, dass die deutsche Finanzverwaltung an einen datenbankgestützten Fremdvergleich erhebliche Anforderungen knüpft und dass Datenbank- sowie Benchmark-Analysen zudem erhöhten Dokumentationsanforderungen insbesondere im Hinblick auf die Prüfbarkeit unterliegen.6 Ein weiteres Problem bei der Verwendung von Datenbankanalysen im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Referenztransaktionen resultiert aus der Realität gesamtwirtschaftlicher oder branchenspezifischer Instabilität, die den Beweiswert der Informationen aus Datenbanken erheblich beeinträchtigt. Üblicherweise wird einer Datenbankanalyse ein Beobachtungszeitraum von drei bis fünf Jahren zugrunde gelegt. Sind die in diesem Zeitraum vorherrschenden Markt- und Wettbewerbsverhältnisse nicht mit denen vergleichbar, die der zu bepreisenden verbundinternen Transaktion zugrunde liegen (z.B. in Zeiten der Finanzmarktkrise und der ihr nachfolgenden Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009), sind die gewonnen Daten nicht verwend- bzw. verwertbar. Dies deshalb, weil die ermittelten Vergleichsdaten nicht auf vergleichbare Verhältnisse zurückgehen.7 Insofern bedarf es der Identifikation von Vergleichsdaten, die ebendiese Vergleichbarkeit aufweisen. Hier dürfte allerdings die Datenbasis (noch) 1 2 3 4
Vgl. Tz. 3.33 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1939; Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 136. Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. Allerdings ist diese Forderung des BFH weitestgehend unbestimmt; vgl. hierzu Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 217. 5 Vgl. Tz. 3.36 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. § 4 Abs. 3 GAufzV; VWG 2020, Rz. 53. Siehe ferner Ruhmer-Krell/Weidlich, IWB 2020, 542; Dawid et al., ISR 2017, 320 f.; Schnorberger/Haverkamp/Etzig, BB 2017, 1117. 7 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 38; siehe ferner Engler, IStR 2009, 685 ff.
Baumhoff/Liebchen | 197
Kap. 3 Rz. 3.28 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
als unzureichend zu bezeichnen sein. Dieser Umstand wird die Datenbankanalyse zukünftig vor die Herausforderung stellen, auch die Volatilität der ermittelten Vergleichsdaten zu dokumentieren.1 Dies wird zwangsläufig die Ausdehnung des Beobachtungszeitraums erfordern, um Rezessions- wie Wachstumsphasen in dem Datensatz zu berücksichtigen.2 Entsprechende Besonderheiten hinsichtlich der Vergleichbarkeit der gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse stellen sich bezogen auf die COVID-19-Pandemie und die Verrechnungspreisbestimmung unter Rückgriff auf Vor-Pandemie-Jahre. Die OECD hat hierzu am 18.12.2020 Grundsätze zu verrechnungspreisbezogenen Implikationen der COVID-19-Pandemie mit folgenden Empfehlungen und Grundsätzen für Zwecke der Vergleichbarkeitsanalyse veröffentlicht:3 – Historische Vergleichsdaten können nur sehr eingeschränkt für die Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise in der COVID-19-Krise herangezogen werden und es sind deshalb Anpassungsrechnungen durchzuführen; allerdings bedürfen langfristige Verträge ggf. keiner Anpassung (Tz. 9 f.). – Als mögliche Datenquellen für zeitnahe Informationen, die i.R. der Vergleichbarkeitsanalyse herangezogen werden können, werden unternehmensinterne Kennzahlen (z.B. Umsatz, Auslastung) sowie makroökonomische Größen und Industriekennzahlen angeführt, wobei sich z.B. mittels statistischer Verfahren Zusammenhänge zwischen einzelnen Indikatoren und bestimmten Kennziffern des geprüften Unternehmens (Tested Party) quantifizieren lassen (Tz. 11). Insgesamt fehlen allerdings konkrete Hinweise zur Nutzung der Quellen und Anwendung der Verfahren. – Nach Auffassung der OECD kann der Vergleich von Budgetzahlen mit den tatsächlichen erzielten Ergebnissen nützliche Erkenntnisse zur Abschätzung der spezifischen Einflüsse der COVID-19-Pandemie auf die Umsatzerlöse, Kosten oder Margen liefern (Umsatzrückgang und/oder Kostensteigerungen), wobei für die sachgerechte Bestimmung möglicher pandemiebezogener Auswirkungen auf die Verrechnungspreise die vertraglichen Bestimmungen und die von den Vertragspartnern jeweils übernommenen Risiken zu berücksichtigen sind. Die entsprechende Analyse sollte eine detaillierte Untersuchung der Gewinne oder Verluste mit einer Darstellung der COVID-19-bedingten Abweichungen (ggf. inkl. einer Varianzanalyse bezogen auf Vorjahre), eine detaillierte Analyse der Ergebnissituation, die ohne die COVID-19-Pandemie eingetreten wäre, eine Begründung und Nachweise für pandemiebedingte Umsatzrückgänge/Kostensteigerungen sowie Nachweise zu staatlichen Unterstützungsleistungen enthalten (vgl. Tz. 12 und 13). – Tz. 14 bis 17 der OECD-Empfehlungen betreffen das Problem, dass historische Vergleichsdaten unter anderen Markt-, Wettbewerbs- und allgemeinen volkswirtschaftlichen Bedingungen zustande gekommen sind, als sie in den Zeiten der COVID-19-Pandemie vorherrschen. Es wird empfohlen, historische Finanzkennzahlen zur Bestimmung von Verrechnungspreisen in der COVID-19-Pandemie anzupassen.4 1 Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 38. 2 Vgl. Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160. 3 Vgl. OECD v. 18.12.2020, Guidance on the transfer pricing implications of the COVID-19 pandemic, Tz. 9-33. 4 Rz. 49 u. 73 der VWG 2020 lassen demgegenüber nur die Berücksichtigung nachträglich bekannt gewordener Vergleichsdaten zu, die sich allerdings auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bzw. – bei Dauersachverhalten – auf den Beginn des betreffenden Geschäftsjahres beziehen müssen, vgl. VWG 2020, Rz. 49 u. 73.
198 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.29 Kap. 3
– Für die Reaktion auf die zeitlich verzögerte Verfügbarkeit von Finanzkennzahlen, die auf COVID-19-Bedingungen zurückgehen, und entsprechende Informationsdefizite nennen die OECD-Empfehlungen im Wesentlichen drei praktische Ansätze: (i) eine vernünftige kaufmännische Beurteilung; (ii) die nachträgliche (ex-post) Festlegung der während der COVID-19-Pandemie anzuwendenden Verrechnungspreise unter Anwendung des Outcome Testing Approach erst in den Folgejahren;1 (iii) die Anwendung mehrere Verrechnungspreismethoden (vgl. Tz. 18–24). – Pauschale Analogien zu anderen Krisen (insb. Finanzkrise 2008/2009) und ein Rückgriff auf entsprechende Vergleichswerte werden abgelehnt (Tz. 25). – Hinsichtlich des Zeitbezugs von Vergleichswerten empfiehlt die OECD in Tz. 26–29, dass für die Bestimmung und Überprüfung von Verrechnungspreisen klar zwischen Jahren zu trennen ist, die von der COVID-19-Pandemie stark betroffen bzw. nicht betroffen sind, wobei eine ausdrückliche Abkehr von Mehrjahresanalysen und -daten nicht erfolgt. Ferner sollen Anpassungen bei der Vergleichbarkeitsanalyse im Hinblick auf unterschiedlich starke staatliche Eingriffe berücksichtigt werden. Dies erschwert jedenfalls die Bestimmung von Vergleichswerten mittels Datenbankanalysen bzw. macht diese unmöglich, weil jeweils staatliche und regionale Eingriffe nicht in dem nur veröffentlichte Finanzkennzahlen umfassenden Datenbestand enthalten sind. – In Tz. 30 wird – wiederrum im Hinblick auf Informationsdefizite über Vergleichswerte, die zu Pandemiezeiten entstanden sind – vorgeschlagen, das Problem fehlender Vergleichsdaten für das Geschäftsjahr 2020 durch eine auf einen späteren Zeitpunkt zu verschiebende Preisanpassung zu lösen, wobei auf die hiermit verbundenen Probleme (insb. auch zollrechtliche und umsatzsteuerliche Implikationen) hingewiesen wird.2 – Hinsichtlich der Berücksichtigung von Verlustunternehmen bei der Vergleichsbarkeitsanalyse sollte nach Auffassung der OECD kein Ausschluss nur aufgrund der Verlustsituation erfolgen (Tz. 31–33). Verfahrensschritt 6. Im sechsten Verfahrensschritt sehen die OECD-Leitlinien die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode und – methodenspezifisch bei einseitigen Verrechnungspreismethoden – die Bestimmung des relevanten Finanzindikators (Kostenaufschlag i.R. der Kostenaufschlagsmethode, Handelsspanne i.R. der Wiederverkaufspreismethode, Nettogewinnindikator i.R. der geschäftsvorfallbezogen Nettomargenmethode) vor.3 Die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode ist vor der Evaluation etwaiger interner und/oder externer Vergleichswerte (Schritte 4 und 5) und vor der Identifizierung potentieller Vergleichswerte (Schritt 7) angesiedelt. Angesichts des methodenspezifischen Verständnisses der OECD-Leitlinien von Vergleichbarkeit4 verwundert es, dass die Analyse von etwaigen Vergleichswerten im Rahmen eines innerbetrieblichen Fremdvergleichs („interne Vergleichswerte“) im Schritt 4 der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode vorgelagert ist. Offenkundig gehen die OECD-Leitlinien wie selbstverständlich 1 Die nachträgliche (ex-post) Festlegung der während der COVID-19-Pandemie anzuwendenden Verrechnungspreise mag zwar praktisch nachvollziehbar sein, sie ist jedoch nach § 1 AStG ohne Rechtsgrundlage. 2 Für deutsch-steuerliche Zwecke wird sich zudem die in den meisten Fällen wohl fehlende Vereinbarung in 2020 über eine solche Preisanpassung in Folgejahren als problematisch erweisen. 3 Vgl. Tz. 3.18 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Glossar zu den OECD-Leitlinien, Stichw. „Vergleichbarkeitsanalyse“; Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 199
3.29
Kap. 3 Rz. 3.29 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
von der Anwendung eines inneren Preisvergleichs aus, in dessen Rahmen etwaige betriebsindividuelle Vergleichspreise ggf. identifiziert werden können. Richtigerweise können allerdings auch Handelsspannen im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode und Gewinnaufschläge im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode durch inneren Betriebsvergleich abgeleitet werden (vgl. Rz. 5.18 und 5.69). Insofern ist die Identifizierung interner wie externer Vergleichswerte von der konkreten Verrechnungspreismethode abhängig. Die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode sollte vor diesem Hintergrund auch der Identifizierung interner Vergleichswerte vorgelagert sein.1 Entsprechend problematisch ist, dass die OECD-Leitlinien die Bestimmung verfügbarer Informationsquellen über externe Vergleichswerte (Schritt 5) und die Identifikation der signifikanten Vergleichbarkeitsfaktoren (Schritt 3) vor die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode stellen. Richtigerweise bestimmen nur die Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren die Vergleichbarkeit, die einen wesentlichen Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben. Die Anforderungen an die erforderlichen Informationen unterscheiden sich dementsprechend in Abhängigkeit von der konkreten Verrechnungspreismethode. Auch vor diesem Hintergrund sollte die Auswahl einer konkreten Verrechnungspreismethode vorrangig sein. Die OECD-Leitlinien gehen allerdings von einem rollierenden Prozess aus, der ggf. die mehrfache Durchführung einzelner Verfahrensschritte erfordert (Rz. 3.24).2
3.30
Verfahrensschritt 7. Bei Durchführung des siebten Schrittes unterscheiden die OECD-Leitlinien zwischen einem additiven und einem deduktiven Ansatz zur Identifikation von potenziellen Vergleichswerten.3 Die Verfahren stehen dem Grunde nach gleichberechtigt nebeneinander. In Abhängigkeit von dem konkret zu untersuchenden Einzelfall kann jedoch der eine Ansatz gegenüber dem anderen vorzugswürdig sein. Es können auch beide Ansätze nebeneinander zur Anwendung kommen.4 Bei Anwendung des additiven Ansatzes wird zunächst eine Liste von in Frage kommenden Vergleichsunternehmen erstellt, die möglicherweise vergleichbare Transaktionen ausführen. Im Anschluss daran werden entsprechende Informationen zu den Geschäftsvorfällen dieser potenziellen Vergleichsunternehmen gesammelt, um die Vergleichbarkeit anhand der festgelegten Vergleichbarkeitskriterien zu bestätigen. Die OECD-Leitlinien empfehlen in diesem Zusammenhang, dass das Verfahren aus Gründen der Nachvollziehbarkeit transparent und systematisch sein sollte.5 Zweckmäßig ist der additive Ansatz dann, wenn Kenntnisse von mehreren Dritten vorhanden sind, die an mit dem untersuchten Geschäftsvorfall vergleichbaren Geschäftsvorfällen beteiligt sind. Dies dürfte in der Praxis jedoch selten der Fall sein. Der deduktive Ansatz geht von einem Portfolio an Unternehmen aus, die in der gleichen Branche tätig sind und – jedenfalls im Wesentlichen – vergleichbare Funktionen ausüben.6 Die in dem ersten Schritt relativ breite Auswahl von Unternehmen wird im Anschluss daran durch quantitative und qualitative Kriterien verfeinert. Hierzu listen die OECD-Leitlinien beispielhaft folgende Kriterien auf:7
1 Vgl. auch Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 19 und 20. 2 Vgl. Tz. 3.5 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 3.40 ff. OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 3.45 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 3.41 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 3.42 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Tz. 3.43 OECD-Leitlinien 2022.
200 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.32 Kap. 3
– Größenkriterien (z.B. Umsatz, Kapital, Arbeitnehmer); – Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter; – Bedeutung von Exportumsätzen; – Lagerbestände; – Phase des Unternehmens (Gründung; Insolvenz; Liquidation). Der Vorteil des deduktiven Ansatzes ist die leichte Nachvollziehbarkeit sowie die Reproduzierbarkeit, die dem Adressaten eine Überprüfung des Verfahrens ermöglichen. Verfahrensschritt 8. Der achte Verfahrensschritt betrifft die Vornahme ggf. erforderlicher Vergleichbarkeitsanpassungen zur Herstellung oder Erhöhung der Vergleichbarkeit (Rz. 3.115 ff.).1 Nach Auffassung der OECD wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.2 Ferner gehen die OECD-Leitlinien davon aus, dass „im Allgemeinen durch die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nur eine Annäherung an jene Bedingungen erzielt wird, die zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wären“.3 Vor diesem Hintergrund sind Vergleichbarkeitsanpassungen von der Zwecksetzung her stets nur dann in Betracht zu ziehen, wenn sie die Verlässlichkeit der Ergebnisse erhöhen.4 Sie sollen ferner nur Unterschiede betreffen, die erhebliche Auswirkungen auf den Vergleich und dessen Verlässlichkeit haben werden.5 Die Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen findet ihre Grenzen in der rechnerischen „Scheingenauigkeit“. Die OECD-Leitlinien weisen ausdrücklich darauf hin, dass zahlreiche und komplizierte Anpassungen den falschen Eindruck vermitteln können, dass das Ergebnis der Suche nach Vergleichswerten „wissenschaftlich“, verlässlich und sachlich richtig sei.6
3.31
Verfahrensschritt 9. In letzten Schritt werden die ermittelten Vergleichswerte mit dem Ziel ausgewertet, den nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs anzusetzenden Preis, den Fremdvergleichspreis, zu bestimmen. Regelmäßig wird die Anwendung der vorgenannten Verfahrensschritte nicht zur Ableitung nur eines Vergleichswertes oder Vergleichspreises führen, sondern es können mehrere Vergleichswerte oder -preise abgeleitet werden. Die OECD-Leitlinien führen in Tz. 3.55 zu dieser Realität der Verrechnungspreispraxis wie folgt aus: „Da jedoch die Verrechnungspreisgestaltung keine exakte Wissenschaft ist, wird es auch viele Situationen geben, bei denen die Anwendung der besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind“.7 Die Existenz von Fremdvergleichsbandbreiten macht weitergehende Untersuchungen und ggf. die Einengung der Fremdvergleichsbandbreite erforderlich (Rz. 5.169 ff.).
3.32
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Tz. 3.50 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.50 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 201
Kap. 3 Rz. 3.33 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3. Analyseverfahren nach dem UN-Manual 3.33
Zwecksetzung des UN-Manual. Nach Auffassung der Entwicklungs- und Schwellenländer benachteiligt die Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S. von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA (entsprechend: Art. 9 Abs. 1 UN-MA) insbesondere durch die OECD-Leitlinien diese Länder gegenüber Industriestaaten, wobei insbesondere angeführt wird, dass die in den Entwicklungs- und Schwellenländern bestehenden Kostenvorteile und die Stärke dieser Absatzmärkte nicht hinreichend berücksichtigt würden.1 Vor diesem Hintergrund wurde durch die UN das sog. „Practical Manual on Transfer Pricing for Developing Countries“ (nachfolgend „UN-Manual“) durch eine Vielzahl von Vertretern von OECD- und Nicht-OECD-Ländern erstellt, abgestimmt, in der ersten Fassung 2013 und mittlerweile in der dritten Fassung 2021 veröffentlicht. Mit dem UN-Manual soll der Fremdvergleichsgrundsatz i.S. von Art. 9 Abs. 1 UN-MA durch eigene praxisorientierte Richtlinien unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Erfahrungen von Entwicklungs- und Schwellenländern ausgelegt werden. Mit dem UN-Manual sollen vornehmlich den Gesetzgebern und Finanzverwaltungen von Schwellenländern eine Anleitung und Hilfestellung zur Umsetzung der normativen und administrativen Aspekte des Fremdvergleichsgrundsatzes gegeben werden.2
3.34
Darstellung des Analyseverfahrens. Im Kapitel 3 erläutert das UN-Manual unter Abschnitt 3.2 und 3.3 ebenso wie die OECD-Leitlinien ein typisches Verfahren zur Durchführung der Vergleichbarkeitsanalyse und diskutiert in Abschn. 3.4 besondere Aspekte der Vergleichbarkeit. Dieses Analyseverfahren hat insgesamt 8 Schritte, die z.T. weitergehend untergliedert sind, wobei nach dem UN-Manual wie auch nach dem Analyseverfahren der OECDLeitlinien (Rz. 3.23)3 die einzelnen Verfahrensschritte nicht linear, sondern einzelne Verfahrensschritte ggf. mehrfach durchgeführt werden müssen, bis ein befriedigendes Ergebnis erzielt wird.4 Die Verfahrensschritte sind im Einzelnen: 1. Schritt: Verstehen der wesentlichen wirtschaftlichen Bedingungen der Branche, der Geschäftstätigkeit des Steuerpflichtigen und der Geschäftsbeziehungen mit verbundenen Unternehmen, wobei in diesem Schritt – allgemeine Informationen über den Steuerpflichtigen zu sammeln sind, – die Geschäftsvorfälle zu analysieren sind und – die Beurteilung zu treffen ist, ob die Vergleichbarkeitsanalyse für einzelne Geschäftsvorfälle oder für mehrere zusammenhängende Paketgeschäfte vorzunehmen ist. 2. Schritt: Untersuchung der Vergleichbarkeitsfaktoren des zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsvorfalls, wobei insbesondere auf – die Produkteigenschaften der Waren und Dienstleistungen, – die Vertragsbedingungen, – die Durchführung der Funktions- und Risikoanalyse, – das wirtschaftliche Umfeld und – die Geschäftsstrategien der Vertragsparteien – hingewiesen wird.
1 2 3 4
Vgl. Eigelshoven/Ebering, IStR 2014, 16. Siehe hierzu auch Lorenzen/Feldtkeller, IWB 2012, 452. Vgl. UN-Manual 2013, Vorwort. Vgl. Tz. 3.5 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.2 UN-Manual 2021.
202 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.35 Kap. 3
3. Schritt: Auswahl des/der untersuchten Unternehmen(s). 4. Schritt: Ermittlung interner und externer Vergleichswerte. 5. Schritt: Bestimmung und Durchführung der Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit (sofern geeignet). 6. Schritt: Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode. 7. Schritt: Bestimmung des Fremdvergleichspreises oder -gewinns. 8. Schritt: Dokumentation der Vergleichbarkeitsanalyse und Überwachung.
IV. Bestimmungsfaktoren der Vergleichbarkeit 1. Vorbemerkung Kriterienkatalog. Die Vergleichbarkeitsprüfung setzt die Existenz eines Kriterienkatalogs voraus, anhand dessen zu beurteilen ist, ob und inwieweit die gesetzliche Forderung nach gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen erfüllt ist. Aus der Rspr.1, den OECD-Leitlinien2 und den Verlautbarungen der Finanzverwaltung3 lassen sich brauchbare Hinweise für die Ausgestaltung eines Kriterienkataloges für die Vergleichbarkeit der Verhältnisse bei der Ermittlung von Fremdpreisen ableiten. Danach ist eine Vergleichbarkeit immer dann gegeben, wenn sich die Vergleichstatbestände nach ihrer Art, ihren Merkmalen, ihrem Umfang und den maßgeblichen Markt- bzw. Branchenverhältnissen entsprechen. Konkretisiert man diese eher allgemeine Feststellung, so sind in Anlehnung an Rz. 3.19 VWG VP 2021 sowie Tz. 1.36 ff. und 1.42 ff. OECD-Leitlinien insbesondere folgende Faktoren für die Vergleichbarkeitsprüfung heranzuziehen:4 – die Produkteigenschaften übertragener oder überlassener Vermögenswerte oder erbrachter Dienstleistungen; – die von den einzelnen am Geschäftsvorfall beteiligten Unternehmen ausgeübten Funktionen unter Berücksichtigung der genutzten Vermögenswerte und übernommenen Risiken, einschließlich (i) der Zusammenhänge zwischen diesen Funktionen und der allgemeinen Wertschöpfung der multinationalen Unternehmensgruppe, der die Beteiligten angehören, (ii) der Begleitumstände des Geschäftsvorfalls und (iii) der branchenüblichen Gepflogenheiten (Funktions- und Risikoanalyse); – die vertraglichen Bedingungen, die dem Geschäftsvorfall zugrunde liegen, soweit diese dem tatsächlichen Verhalten der an dem jeweiligen Geschäftsvorfall Beteiligten entsprechen; – die wirtschaftlichen Verhältnisse der an dem Geschäftsvorfall Beteiligten und die Verhältnisse des für den Geschäftsvorfall relevanten Marktes, einschließlich Standortvorteilen sowie der rechtlichen Rahmenbedingungen und – die von den an dem Geschäftsvorfall Beteiligten verfolgten Geschäftsstrategien. 1 Vgl. BFH v. 1.2.1967 – I 220/64, BStBl. III 1967, 497; siehe ferner BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 und BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 2 Vgl. Tz. 1.38–1.63 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.19. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.19 sowie Anlage 2 zu den VWG VP, Stichwort „Verhältnisse“; Tz. 1.36 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 203
3.35
Kap. 3 Rz. 3.36 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.36
Weitere Bestimmungsfaktoren der Vergleichbarkeit. Nach Tz. 1.159–1.193 der OECD-Leitlinien sind ferner folgende Bestimmungsfaktoren in die Vergleichbarkeitsanalyse einzubeziehen:1 1. Standortvorteile und andere lokale Marktbedingungen, 2. die qualifizierte und eingearbeitete Belegschaft; 3. Synergieeffekte.
2. Produkteigenschaften von Waren und Dienstleistungen 3.37
Art, Menge, Qualität. Es handelt sich um eine Selbstverständlichkeit und bedarf daher auch keiner näheren Erläuterung, wenn festgestellt wird, dass Art, Menge und Qualität einer Lieferung oder Leistung letztlich den zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbarten Preis bestimmen.2 Daher ist ein zwischen fremden Dritten vereinbarter Preis nur dann als Fremdpreis tauglich, wenn es sich bei dem Geschäft zwischen verbundenen Unternehmen um eine gleiche oder zumindest ähnliche Lieferung oder Leistung handelt bzw. sich ergebende Unterschiede durch einfache Anpassungsrechnungen quantifizieren und eliminieren lassen.
3.38
Vergleichbarkeit im Lieferbereich. Die Vergleichbarkeit im Lieferbereich selbst stellt die Grundvoraussetzung für die Durchführung eines Vergleichs dar. Handelt es sich um vertretbare Waren, wie z.B. Rohöl, Walzstahl einer bestimmten Qualitätskategorie oder Orangensaftkonzentrat einer bestimmten Klassifikation, so ist eine Vergleichbarkeit der Liefer- und Leistungsgegenstände relativ problemlos festzustellen, da die Liefergegenstände physisch gleich sind. Vorstehend genannte Beispiele stellen allerdings eher die Ausnahme dar. Im Lieferbereich hängt die Vergleichbarkeit entscheidend von Art, Qualität, Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Liefervolumen der zu vergleichenden Gegenstände ab; vielfach spielen Nebenleistungen wie Kundendienst, Lieferbereitschaft, Ersatzteilwesen oder Garantiezusagen eine die Vergleichbarkeit beeinflussende Rolle.
3.39
Vergleichbarkeit im Dienstleistungsbereich. Im Dienstleistungsbereich stellen der Spezialisierungsgrad und die fachliche Qualifikation des Leistungserbringers leistungsdeterminierende Faktoren dar, die sich einer genauen Erfassung und Quantifizierung entziehen. Ein zusätzliches Problem besteht im Dienstleistungsbereich darin, dass die meisten Dienstleistungsarten nicht standardisierbar sind, sondern auf die individuellen betrieblichen Gegebenheiten und Erfordernisse des leistungsempfangenden Unternehmens ausgerichtet sein müssen. Diese Problematik wird besonders deutlich am Beispiel von Beratungsleistungen, wo sich Art und Qualität der Dienstleistung überwiegend an den Branchenkenntnissen, dem Bekanntheitsgrad, der Berufserfahrung, der Leistungsbereitschaft und der Arbeitseffizienz des Beratenden orientieren. Auch sind die besonderen, oft langjährigen Geschäftsbeziehungen zwischen Lieferanten und Abnehmer preisbeeinflussend.3
3.40
Vergleichbarkeit im Bereich immaterieller Werte. Bei den immateriellen Werten hängt die Vergleichbarkeit insbesondere von der Art des Geschäfts (z.B. Lizenzvergabe oder Verkauf), der Art des immateriellen Vermögenswertes (z.B. Patent, Marke oder Know-how), der Dauer
1 Vgl. Tz. 1.159-1.193 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 1.127 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. BFH v. 16.4.1981 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492.
204 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.42 Kap. 3
und dem Grad des Schutzes sowie den prognostizierten Erträgen aus der Nutzung des Vermögenswertes ab.1
3. Funktions- und Risikoanalyse a) Begriff und Gegenstand Begriffsverständnis. Eine Prüfung der Vergleichbarkeit der Verhältnisse setzt insbesondere eine Analyse der ausgeübten Funktionen voraus, die ein Unternehmen innerhalb des Verbundes tatsächlich wahrnimmt. Von dieser Funktionsanalyse sprechen sowohl Tz. 1.51 OECD-Leitlinien als auch § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG. Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG ist bezogen auf die tatsächlichen Verhältnisse, die dem jeweiligen Geschäftsvorfall zugrunde liegen, zu berücksichtigen, „von welcher an dem Geschäftsvorfall beteiligten Person welche Funktionen in Bezug auf den jeweiligen Geschäftsvorfall ausgeübt, welche Risken diesbezüglich jeweils übernommen und welche Vermögenswerte eingesetzt werden (Funktions- und Risikoanalyse)“. Nach Tz. 1.51 der OECD-Leitlinien besteht die Zwecksetzung der Funktionsanalyse darin, „die von dem am Geschäftsvorfall beteiligten Unternehmen wahrgenommenen wirtschaftlich signifikanten Tätigkeiten und Aufgaben, genutzten oder bereitgestellten Vermögenswerte und übernommenen Risiken zu identifizieren“. Hierbei kommt es (i) auf die tatsächliche Tätigkeitsausübung bzw. Aufgabenerfüllung an, umfassen (ii) die Tätigkeiten und Fähigkeiten die Entscheidungsfindung, einschließlich Entscheidungen in Bezug auf die Geschäftsstrategie und Risiken, sowie ist (iii) ein Verständnis von der Wertschöpfung in der Unternehmensgruppe, dem Zusammenwirken der von den verbundenen Unternehmen ausgeübten Funktionen mit dem Rest der Unternehmensgruppe sowie den jeweils geleisteten Wertschöpfungsbeiträgen zu erlangen.2 Die Funktionsanalyse ist damit letztlich integraler Bestandteil einer „Funktions- und Risikoanalyse“, wie sie auch in § 4 Nr. 3 GAufzV begrifflich verwandt wird. Nach Rz. 3.19 Buchst. b) und dem Glossar der VWG VP sind im Rahmen einer Funktions- und Risikoanalyse „die ausgeübten Funktionen der an dem Geschäftsvorfall Beteiligten unter Berücksichtigung der verwendeten Vermögenswerte und der übernommenen Risiken, einschließlich der Zusammenhänge zwischen diesen Funktionen und der allgemeinen Wertschöpfung der multinationalen Unternehmensgruppe, der Begleitumstände des Geschäftsvorfalls und der branchenüblichen Gepflogenheiten“, zu untersuchen.3 Das Begriffsverständnis der VWG VP entspricht damit demjenigen der OECD-Leitlinien.
3.41
Gesetzliche Verpflichtung im Rahmen der Dokumentationspflichten. Von einer generellen Verpflichtung zur Vornahme einer Funktions- und Risikoanalyse geht offenkundig § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG aus, wenn er die zutreffende, nämlich mit dem Fremdvergleich vereinbare Ermittlung von Verrechnungspreisen zu regeln beabsichtigt. Ein solcher Regelungsgegenstand kann aber angesichts von § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG keinen Bestand haben. Denn dieser sanktioniert nicht die Ermittlung eines Verrechnungspreises, sondern dessen Abweichen vom Fremdvergleichspreis und dies insbesondere nur dann, wenn sich hierdurch eine Minderung der Einkünfte eingestellt hat. Vor diesem Hintergrund unterliegen unangemessen hohe Verrechnungspreise jedenfalls keiner Einkünftekorrektur nach § 1 AStG, obgleich sie mit dem Fremdvergleich unvereinbar sind. Hier ist die Unterscheidung zwischen Verrechnungspreis und
3.42
1 Vgl. Tz. 1.127 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 1.51 Sätze 3 ff. OECD-Leitlinien 2022. 3 VWG VP 2021, Rz. 3.19 Buchst. b sowie Anlage 2 zu den VWG VP, Stichwort „Verhältnisse“, Buchst. b.
Baumhoff/Liebchen | 205
Kap. 3 Rz. 3.42 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Fremdvergleichspreis grundlegend,1 wenngleich § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG jedenfalls nur noch dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Verrechnungspreise mit Fremdvergleichspreisen gleichsetzt. Eine rechtliche Verpflichtung zur Durchführung einer Funktions- und Risikoanalyse kann nach alledem nicht aus § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG erwachsen. Sie kann sich allenfalls aus § 90 Abs. 3 Satz 2 AO i.V.m. § 1 Abs. 1 und 3 sowie § 4 Nr. 3 GAufzV ergeben,2 wenngleich man auch hier wird feststellen müssen, dass lediglich die Dokumentation, nicht aber die Vornahme einer Funktions- und Risikoanalyse geregelt ist.
3.43
Instrument zur Sachverhaltsermittlung, -würdigung und -dokumentation. Dessen unbenommen spielt die Funktionsanalyse für die praktische Beurteilung internationaler Verrechnungspreise sowohl national wie auch international eine zentrale Rolle. Sie ist tragender Bestandteil jeder Vergleichbarkeitsanalyse und hat in der Praxis eine herausragende Bedeutung, um dokumentieren zu können, welche Konzerngesellschaften welche Funktionen, welche Risiken und welche Chancen übernehmen. Auch die OECD-Leitlinien bekennen sich ausdrücklich zur Funktionsanalyse.3 Grundlage dieser Betrachtungsweise ist die Erkenntnis, dass der von einem Geschäftspartner geforderte Preis umso höher ist, je mehr Funktionen und Risiken von diesem übernommen werden bzw. je höher seine eingesetzten Mittel im Rahmen der zu beurteilenden Geschäftsbeziehung sind.4 Nach Rz. 3.7 der VWG VP sind die „einem Unternehmen zugeordneten Funktionen, Risiken und eingesetzten Vermögenswerte (...) ein Maßstab für die Wertigkeit der Tätigkeit im Rahmen der Gesamttätigkeit der multinationalen Unternehmensgruppe“. Durch die VWG VP5 zieht sie sich wie ein „roter Faden“. Bei der Funktionsund Risikoanalyse handelt es sich allerdings um keine eigenständige Preismethode, sondern um ein Instrument zur Sachverhaltsermittlung, -würdigung und -dokumentation. b) Funktionen
3.44
Funktionsbegriff nach § 1 Abs. 1 FVerlV. Der Begriff der „Funktion“ ist in § 1 Abs. 1 FVerlV definiert. Hiernach ist eine Funktion „eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden. Sie ist ein organischer Teil eines Unternehmens, ohne dass ein Teilbetrieb im steuerlichen Sinn vorliegen muss.“ Die Verwendung der Begriffsdefinition in der FVerlV, deren Regelungsgegenstand „die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes in Fällen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen“ ist, lässt Zweifel daran aufkommen, ob diese Begriffsdefinition auch für Zwecke der Funktions- und Risikoanalyse maßgeblich ist. § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG verwendet jedenfalls für Zwecke der Funktionsanalyse denselben Begriff wie § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG für den Tatbestand der Funktionsverlagerung. Dies spricht für identische Begriffsmerkmale, wenngleich beide Regelungen von unterschiedlichen Zwecksetzungen getragen sind. Während die Funktionsanalyse, u.a. auf Grundlage der ausgeübten Funktionen, letztlich darauf gerichtet ist, den Anteil des jeweiligen Verbundunternehmens an der Gesamtwertschöpfung (Wertschöpfungsbeitrag) und die wertreibenden Aktivitäten zu identifizieren und dementsprechend zu vergüten,6 beabsichtigt der Gesetzgeber mittels der Besteuerung von Funktionsverlagerun1 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 536. 2 Vgl. hierzu auch Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 88 ff. 3 Vgl. Tz. 1.51 ff. OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 216. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.5 ff., 3.19, 3.20, 3.35, 3.53, 3.89, 3.98 f., Glossar. 6 Vgl. Vögele/Vögele in V/B/B, Verrechnungspreise5, D Rz. 125.
206 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.47 Kap. 3
gen die „Sicherung des deutschen Steueraufkommens“ sowie „die Besteuerung in Deutschland geschaffener Werte“1 nicht zuletzt durch Erfassung geschäftswertbildender Faktoren (vgl. hierzu Rz. 7.37 ff. und 7.103 ff.). Beiden Zwecksetzungen ist gemein, dass sie sich an der Wertschöpfung ausrichten. Allerdings ist die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nicht auf den Beitrag an einer tatsächlich realisierten Wertschöpfung gerichtet, sondern auf die Erfassung eines Wertschöpfungspotenzials. Begriffsbildung. An dieser Stelle soll darauf verzichtet werden, den Funktionsbegriff in dem speziell auf Funktionsverlagerungen zugeschnittenen Begriffsverständnis zu diskutieren (Rz. 7.29 ff.). Für Zwecke der Funktionsanalyse soll es vorliegend ausreichen, auf die den sog. betriebswirtschaftlichen Hauptfunktionen
3.45
– Produktion (ausgeübt als Eigenproduzent oder Lohnfertiger, Rz. 6.7 ff.), – Vertrieb (ausgeübt als Eigenhändler, Kommissionär oder Handelsvertreter, Rz. 6.49 ff.), – Dienstleistung, – Finanzierung sowie – Forschung und Entwicklung zugrunde liegende Begriffsbildung zurückzugreifen, die einschließlich ihrer Kombinationen, z.B. in Form von sog. Profitcenter, im Folgenden erfasst werden sollen. Maßgeblichkeit der tatsächlichen Funktionsverteilung. Eine Funktionsanalyse ist auf der Grundlage derjenigen Funktionsverteilung vorzunehmen, wie sie sich im Konzern tatsächlich darstellt. Das bedeutet, dass die Funktionen der einzelnen nahe stehenden Unternehmen so zu beachten sind, wie sie zwischen den verbundenen Unternehmen wahrgenommen werden, wobei es auf den wirtschaftlichen Gehalt der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit des Unternehmens ankommt.2 Letztlich ist die Konzernleitung frei, den organisatorischen Aufbau und die funktionale Untergliederung jeder Unternehmensgruppe nach ihrem Ermessen zu gestalten.3 Entscheidet sie sich z.B. für einen Produzenten in Irland und eine Vertriebsgesellschaft in Deutschland oder einen Kommissionär in Frankreich, so muss die Finanzverwaltung diese Entscheidung hinnehmen. Sie kann nicht die tatsächliche Aufgabenverteilung im Konzern – von Missbrauchsfällen i.S. des § 42 AO abgesehen – durch eine fiktiv neue Organisationsstruktur bzw. Aufgabenverteilung ersetzen. Vielmehr ist jede Unternehmensgruppe im organisatorischen Aufbau und in der funktionalen Gliederung ihrer Tätigkeitsbereiche frei. Die Finanzverwaltung kann hierbei lediglich überprüfen, ob die Preise für den Liefer- und Leistungsaustausch innerhalb dieser vorgefundenen Aufgaben- bzw. Funktionsverteilung sachgerecht festgesetzt wurden.
3.46
Dispositionsfreiheit im Unternehmensverbund. Auch wenn seit der Umsetzung der Ergebnisse des BEPS-Projekts in den OECD-Leitlinien eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Empfehlungen zur Nicht-Anerkennung von Geschäftsvorfällen festzustellen ist,4 halten die OECD-Leitlinien an dem Grundsatz fest, dass der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt
3.47
1 2 3 4
BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 144. Vgl. Puls in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 570. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.32. Vgl. Rasch, ISR 2015, 313; Greinert/Metzner, Ubg 2015, 67; Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 7 u. 66 ff.
Baumhoff/Liebchen | 207
Kap. 3 Rz. 3.47 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
steuerlich anzuerkennen ist.1 Allerdings wird nicht an die formale vertragliche Gestaltung angeknüpft, wenn diese nicht mit dem Verhalten der Parteien und den wesentlichen wirtschaftlichen Eigenschaften übereinstimmt und damit nicht die wirtschaftliche Realität widerspiegelt.2 Insofern ist der wirtschaftliche Gehalt der tatsächlich verwirklichten Geschäftsbeziehung und nicht deren äußere Form maßgeblich.3 In dieser Hinsicht sollen nach Auffassung der OECD die wirtschaftlich relevanten Eigenschaften einer Geschäftsbeziehung unter Berücksichtigung der Risikoallokation nach den Grundsätzen zur Risikoanalyse und -allokation bestimmt und der Verrechnungspreisbestimmung zu Grunde gelegt werden (Rz. 3.54 ff.).4 Die OECD-Leitlinien sprechen in diesem Zusammenhang von der „tatsächlichen Substanz der wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zwischen den Parteien“5. Umqualifizierungen der tatsächlich getätigten Geschäfte „durch andere Geschäfte“ sind danach grundsätzlich unzulässig.6 Sie sind auf „außergewöhnliche Umstände“ beschränkt.7 Diese ausdrückliche Anerkennung der Dispositionsfreiheit im Unternehmensverbund gehört zu den tragenden Grundsätzen der OECD-Leitlinien.8 Hiernach soll sich die Finanzverwaltung nicht als der „bessere Kaufmann“ gerieren können. Vielmehr beschränkt sich die Umdeutung der Verbunddisposition auf außergewöhnliche Fälle.9 Die OECD-Leitlinien verdeutlichen und unterstreichen den Ausnahmecharakter in Tz. 1.142–1.145 sowie anhand von Beispielen in Tz. 1.146–1.148.10 Unverändert ist die ökonomische Sinnhaftigkeit einer verbundinternen Funktions- und Aufgabenverteilung nicht vor dem Hintergrund zu hinterfragen, dass sie zwischen unverbundenen Unternehmen so nicht vorstellbar wäre.11 Denn die Tatsache, dass ein verbundinterner Lieferungs- und Leistungsaustausch zwischen unverbundenen Marktteilnehmern nicht identifizierbar ist, impliziert nicht dessen Unvereinbarkeit mit dem Arm’s-Length-Grundsatz.12
3.48
Außergewöhnliche Umstände nach Tz. 1.142 ff. OECD-Leitlinien. Tz. 1.124 OECD-Leitlinien verdeutlicht die außergewöhnlichen Umstände, unter denen ausnahmsweise eine Umqualifizierung der Geschäftsbeziehung in Betracht kommt, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass jede Umqualifizierung umstritten und die Ursache für eine Doppelbesteuerung sein kann. Insbesondere sind allein die Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Fremdvergleichspreises kein Grund für die Umqualifizierung. Ebenso berechtigt der Umstand, dass es sich um eine konzernspezifische Geschäftsbeziehung handelt, die so zwischen fremden Dritten nicht festzustellen ist, nicht zu einer Umqualifizierung. Eine Geschäftsbeziehung kann nur dann
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Vgl. Tz. 1.141 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.140 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.142 f. OECD-Leitlinien 2022; VWG FVerl, Rz. 146. Vgl. 1.140 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.140 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 517 ff.; Becker in G/K/G/K, Art. 9 OECD-MA Rz. 104 ff.; Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 66 ff. Tz. 1.141 OECD-Leitlinien 2022; VWG FVerl, Rz. 146. Vgl. auch Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 118 u. 213; Baumhoff/Puls, IStR 2009, 76 f.; Werra, IStR 2009, 82. Vgl. auch Tz. 1.141 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.142-1.148 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.142 OECD-Leitlinien. Siehe hierzu auch 9.35 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.11, 1.142 und 9.35 OECD-Leitlinien 2022. So zutreffend auch Rz. 147 der VWG-Funktionsverlagerung; vgl. VWG FVerl, Rz. 147.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.50 Kap. 3
nicht anerkannt und erforderlichenfalls durch eine andere Geschäftsbeziehung ersetzt werden, wenn die getroffenen Vereinbarungen in ihrer Gesamtheit von dem abweichen, was fremde Dritte unter vergleichbaren Umständen und bei kaufmännisch vernünftigem Verhalten vereinbart hätten, und hierdurch die Bestimmung eines für beide Parteien akzeptablen Preises unter Berücksichtigung der Perspektiven beider Geschäftspartner und der ihnen realistischerweise zum Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen verhindert wird. Ferner soll berücksichtigt werden, ob sich die Unternehmensgruppe als Gesamtheit auf Vorsteuerbasis durch diese Vereinbarung verschlechtert. Insofern werden eine fehlende kaufmännische Vernunft und eine allein steuerliche Motivation für diese Vereinbarung angenommen. Die von den OECD-Leitlinien als Kernfrage angesehene Prüfung, ob die tatsächliche Geschäftsbeziehung die kaufmännische Sinnhaftigkeit von Vereinbarungen aufweist, die unverbundene Geschäftspartner unter vergleichbaren wirtschaftlichen Umständen treffen würden,1 macht zweifelsohne die Geschäftsbeziehung dem Grunde nach einem Fremdvergleich zugänglich. Dies birgt die Gefahr, dass sich der ausgewiesene Ausnahme- zum Regelfall wandelt. Insofern ist die Klarstellung, dass die Nichtanerkennung einer kaufmännisch vernünftigen Vereinbarung keine geeignete Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes darstellt,2 nur bedingt geeignet, die in der Prüfungspraxis zu erwartenden Meinungsverschiedenheiten zur kaufmännischen Vernunft der getroffenen Vereinbarungen einzudämmen. Von Bedeutung ist hier, dass es nach deutsch-steuerlichen Beweislastgrundsätzen Sache der Finanzverwaltung sein wird, den Fremdvergleich zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung zu führen und die fehlende kaufmännische Sinnhaftigkeit nachzuweisen, und zwar für konzernspezifische Transaktionen ungeachtet nicht beobachtbarer Geschäftsvorfälle zwischen fremden Dritten. Kaufmännische Vernunft und verfügbare Handlungsalternativen. Eine inhaltliche Präzisierung dessen, was „kaufmännische Sinnhaftigkeit“ bzw. „kaufmännische Vernunft“ („commercial rationality“) konkret ausmacht, erfolgt lediglich anhand von Beispielen. Nach Auffassung der OECD soll sie allerdings von den realistischerweise vorhandenen Handlungsalternativen („eindeutig günstigere Handlungsalternative“) abhängig gemacht werden können.3 Im Schrifttum wird der den beteiligten Finanzverwaltungen eingeräumte Beurteilungsspielraum kritisch gesehen. Letztlich birgt er die Gefahr, dass die Finanzverwaltung die „kaufmännische Vernunft“ vor dem Hintergrund ex post gewonnener Erkenntnisse reflektiert und diese dem Steuerpflichtigen entgegenhält. Dies widerspräche dem Grundsatz der Ex-ante-Betrachtung4 und wäre deshalb grundsätzlich abzulehnen.
3.49
Funktionsverteilung nicht Gegenstand einer Angemessenheitsprüfung. Die Funktionsverteilung innerhalb eines Konzerns ist nicht Gegenstand einer Verrechnungspreisprüfung. Maßgebend ist die Aufgabenverteilung, die aufgrund der autonomen Entscheidung der Konzernleitung über die Arbeitsteilung und Aufgabenverteilung im Konzern vorgenommen wurde,5 wobei es auf den wirtschaftlichen Gehalt der tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten ankommt.6 Letztlich ist nur zu analysieren, welche Eigenschaft das Unternehmen und die ihm von der Konzernleitung zugewiesene Funktion erfüllt, etwa als ein „Entrepreneur“ (Rz. 3.68) mit der
3.50
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Vgl. Tz. 1.143 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.143 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.142 OECD-Leitlinien 2022; Baumhoff/Puls, IStR 2009, 77; Werra, IStR 2009, 83. VWG VP 2021, Rz. 3.49. Siehe auch VWG VP 2021, 1098 Rz. 3.32. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.2.
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Kap. 3 Rz. 3.50 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Übernahme aller aus der Tätigkeit stammenden Risiken und Gewinnchancen, als Teilnehmer bzw. Handlungsbeauftragter eines (weniger risikobehaftenden) Interessenpools oder als „verlängerte Werkbank“ bzw. Lohnhersteller des Auftraggebers i.S. eines „Routineunternehmens“ (Rz. 3.68).
3.51
VWG-Funktionsverlagerung. Die deutsche Finanzverwaltung hat in den VWG-Funktionsverlagerung1 erstmals ihre Auffassung zur unternehmerischen Dispositionsfreiheit geäußert. Im Einklang mit den OECD-Leitlinien2 anerkennt sie die unternehmerische Freiheit darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Funktionen ausgeübt, Risiken und Gewinnchancen übernommen und welche Ressourcen eingesetzt werden. Ausdrücklich formulieren die VWG-Funktionsverlagerung ihr Regelungsziel unter „Respektierung der unternehmerischen Dispositionsfreiheit“.3 Die unternehmerische Dispositionsfreiheit erstreckt sich auf Entscheidungen darüber, ob Funktionen selbst wahrgenommen, bei einem anderen verbundenen Unternehmen konzentriert, auf mehre Unternehmen aufgeteilt oder mit ihrer Ausübung Subunternehmer beauftragt werden. Die konkrete Disposition des Unternehmens ist grundsätzlich aus den abgeschlossenen Verträgen abzuleiten. Zutreffend werden in Rz. 97 der VWGFunktionsverlagerung4 formale Anforderungen („in Form von im Voraus abgeschlossenen, klaren und eindeutigen [möglichst schriftlichen] Verträgen“) der Nachweis- bzw. Beweisvorsorge zugeordnet. Ihr Fehlen erhöht die Darlegungslast des Steuerpflichtigen im Rahmen der erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO über den abgeschlossenen Vertrag als solchen und dessen Inhalt.5 Im Übrigen folgt die deutsche Finanzverwaltung uneingeschränkt den OECD-Leitlinien, indem sie die Anerkennung der unternehmerischen Disposition als Regelfall setzt und eine Abweichung hiervon an die in Rz. 3.48 benannten Ausnahmefälle knüpft.6 c) Risiken
3.52
Wesentliche Risikoarten. Eine Prüfung der Vergleichbarkeit der Verhältnisse setzt im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse außerdem eine Analyse der von den verbundenen Unternehmen übernommenen Risiken voraus (Risikoanalyse). Zu unterscheiden sind in diesem Zusammenhang insbesondere:7 – Marktrisiken, wie z.B. Produktions-, Beschaffungs- und Absatzschwankungen, – Verlustrisiken, die durch Eigentum und Gebrauch von Wirtschaftsgütern (z.B. Maschinen) entstehen können, – Vorratsrisiken, verstanden als das Risiko der fehlenden Vermarktung oder Verderblichkeit von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie unfertigen und fertigen Erzeugnissen, – Gewährleistungsrisiken, resultierend aus Produkthaftpflichtrisiken und Qualitäts- bzw. Garantiezusagen,
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Vgl. VWG FVerl, Rz. 145 ff. Vgl. Tz. 9.34 OECD-Leitlinien 2022. VWG FVerl, Rz. 145 ff. Vgl. VWG FVerl, Rz. 97. Vgl. VWG FVerl, Rz. 145 ff. Vgl. VWG FVerl, Rz. 145 u. 148. Vgl. u.a. Tz. 1.46 OECD-Leitlinien 2022; VWG FVerl, Rz. 204; Ditz, IStR 2002, 214; Vögele/Borck, IStR 2002, 176; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 302 f.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.53 Kap. 3
– Forschungs- und Entwicklungsrisiken aufgrund vergeblicher bzw. ergebnisloser F&E-Aktivitäten, – Wechselkursrisiken aufgrund von Kursschwankungen zwischen dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und dem der Vertragserfüllung, – Kreditrisiken, bedingt durch mögliche Forderungsausfälle, – Zinsrisiken aufgrund sich veränderbarer Zinssätze, – Auslastungsrisiken i.S. eines Leerkostenrisikos aufgrund nicht ausgelasteter sachlicher und personeller Kapazitäten. Definition von Risiko und Kategorisierung nach Quellen der Unsicherheit. Die OECDLeitlinien definieren in Tz. 1.71 den für Verrechnungspreiszwecke relevanten Begriff des Risikos. Hiernach wird Risiko als die Auswirkung von Unsicherheit auf die Unternehmensziele verstanden und umfasst nicht nur einen möglichen Schadensfall als negatives Risiko, sondern auch Chancen.1 Diese Begriffsdefinition entspricht dem betriebswirtschaftlichen Begriffsverständnis.2 Die OECD-Leitlinien nehmen ferner eine Kategorisierung der Risiken vor, wobei für Zwecke eine Verrechnungspreisanalyse eine Kategorisierung nach den verschiedenen Quellen der Unsicherheit als sachgerecht angesehen wird. Ferner wird innerhalb dieser Kategorien eine Unterscheidung zwischen internen und externen Risiken vorgenommen, wobei den vom Unternehmen nicht beeinflussbaren externen Risiken ein besonderer Stellenwert bei der Verrechnungspreisanalyse zugebilligt wird, weil die Fähigkeit eines Unternehmens, externen Risiken zu begegnen, zu Wettbewerbsvorteilen und nachhaltigen Renditen führen kann. Im Einzelnen sehen die OECD-Leitlinien folgende Kategorisierung vor:3 – Strategische Risiken oder Marktrisiken, die durch das wirtschaftliche Umfeld, politische oder regulatorische Maßnahmen, Wettbewerb, technischen Fortschritt, soziale Veränderungen oder Umweltveränderungen größtenteils extern verursacht werden (z.B. Marktentwicklungen, (geographisch) neue Märkte, Konzentration von Entwicklungsaufwendungen); – Infrastrukturrisiken oder operative Risiken, welche u.a. die mit der Ausübung der Geschäftstätigkeit verbundenen Unsicherheiten betreffen und sich auf die operative Effektivität der Unternehmensprozesse auswirken (z.B. Verkehrsanbindung des Unternehmens, Zuverlässigkeit der Outsourcing-Partner, Zuverlässigkeit des IT-Systems, Disponibilität von Produktionsmaterial, Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter, Rechtzeitigkeit von Produkteinführungen, Nachfragedeckung, Einhaltung von Produktionsstandards); – Finanzrisiken, die sich auf das Liquiditätsmanagement des Unternehmens sowie dessen Finanzkraft und Kreditwürdigkeit auswirken (z.B. extern bedingte wirtschaftliche Schocks oder Kreditkrisen, durch Investitionsentscheidungen oder Kreditbedingungen intern verursachte Risiken); – Transaktionsrisiken, die sich bei der Lieferung von Waren oder Dienstleistungen insbesondere aus der Preisgestaltung und den Fälligkeitsbedingungen ergeben können; – Gefahrenrisiken, vor allem externe Vorkommnisse wie Unfälle oder Naturkatastrophen, deren Schäden nur teilweise durch Versicherungen abgedeckt werden.
1 Vgl. Tz. 1.71 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. auch Greinert/Metzner, Ubg 2015, 63 m.w.N. 3 Vgl. Tz. 1.72 OECD-Leitlinien 2022.
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3.53
Kap. 3 Rz. 3.53 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Im Hinblick auf diese Kategorisierung bleibt unklar, welche Bedeutung einer solchen Differenzierung für die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise zukommen soll.1 Jedenfalls nehmen Tz. 1.100 ff. der OECD-Leitlinien für die Bestimmung von Verrechnungspreisen unter Berücksichtigung der Konsequenzen der Risikoverteilung auf diese Kategorien nicht Bezug.2
3.54
Sechsstufiges Verfahren zur Risikoanalyse. Die OECD-Leitlinien empfehlen für die Analyse der ökonomisch signifikanten Risiken der Geschäftsbeziehung folgendes sechsstufige Verfahren:3 1. Identifikation der wirtschaftlich erheblichen Risiken und ihre Spezifikation. 2. Feststellung der vertraglichen Verteilung spezifischer, wirtschaftlich erheblicher Risiken nach den Bedingungen der Geschäftsbeziehung. 3. Feststellung auf Basis einer Funktionsanalyse, wie sich die Vertragspartner im Zusammenhang mit der Übernahme und dem Management spezifischer, wirtschaftlich erheblicher Risiken verhalten, insbesondere: (i) Welche(s) Unternehmen üben (übt) Kontrollfunktionen und Risikominderungsfunktionen aus? (ii) Welche(s) Unternehmen begegnen (begegnet) positiven oder negativen Auswirkungen von Risikoergebnissen? (iii) Welche(s) Unternehmen haben (hat) die Finanzkraft, das betreffende Risiko zu tragen? 4. Interpretation der Informationen zur Übernahme und dem Management von Risiken der Schritte 2 und 3 und Überprüfung der vertraglichen Risikoverteilung mit dem tatsächlichen Verhalten der Vertragspartner (Konsistenzprüfung) durch Untersuchung, (i) ob die vertraglichen Bestimmungen tatsächlich durchgeführt werden und (ii) ob das Unternehmen, das das betreffende Risiko übernimmt, dieses auch kontrolliert und über die finanziellen Möglichkeiten („financial capacity“) verfügt, dieses Risiko zu tragen. 5. Sofern das betreffende Unternehmen, das das jeweilige Risiko vertraglich trägt, dieses nicht kontrollieren kann oder nicht über die erforderlichen finanziellen Möglichkeiten verfügt, ist das betreffende Risiko dem Unternehmen der Unternehmensgruppe zuzuordnen, das den höchsten Grad an Kontrolle über das Risiko ausübt und – kumulativ – über die erforderliche Finanzkraft verfügt. 6. Konkrete Verrechnungspreisbestimmung unter Berücksichtigung der finanziellen und anderen Auswirkungen der Risikoübernahme und eines geeigneten Ausgleichs für die Ausübung von Risikomanagementfunktion.
3.55
Maßgeblichkeit der tatsächlichen Risikoverteilung. Tz. 1.57 der OECD-Leitlinien führt aus, dass Risiken jeder Geschäftstätigkeit innewohnen und dass die Feststellung der getragenen Risiken wie die Feststellung der ausgeübten Funktionen und der eingesetzten Wirtschaftsgüter integraler Bestandteil der Feststellung der wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen der Geschäftsbeziehung(en) zwischen den verbundenen Unternehmen ist.4 Ferner wird darauf 1 Vgl. auch Greinert/Metzner, Ubg 2015, 63 m.w.N. 2 Vgl. Tz. 1.100 ff. OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 1.60 OECD-Leitlinien 2022 sowie im Einzelnen zu den Schritten Tz. 1.71 ff. OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 1.57 OECD-Leitlinien 2022.
212 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.56 Kap. 3
hingewiesen, dass die mit einer Geschäftschance verbundenen Risiken das Gewinnpotenzial aus dieser Geschäftschance beeinflussen und dass die Risikoverteilung über die Verrechnungspreisbestimmung die Verteilung von Gewinnen oder Verlusten aus der Geschäftsbeziehung zwischen den verbundenen Unternehmen beeinflusst.1 Diese Empfehlungen beschränken sich allerdings auf allgemeine Aussagen zur Bedeutung der Risikoanalyse für die Verrechnungspreisbestimmung. Ferner ist es unmittelbar auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurückzuführen, dass die Übernahme wirtschaftlicher Risiken nicht unentgeltlich erfolgt, sondern üblicherweise mit erhöhten Renditeerwartungen einhergeht.2 Hierbei ist entscheidend, dass nach dem Ex-ante-Grundsatz nur die erwartete Mehrrendite maßgeblich ist. Ob sich diese ex post auch tatsächlich einstellt, ist demgegenüber unbeachtlich.3 Feststellung der Risikoverteilung. Angesichts der rechtlichen Selbständigkeit der Transaktionspartner werden Risiken regelmäßig vertraglich geregelt. Ausgangspunkt einer jeden Risikoanalyse müssen deshalb die vertraglichen Bestimmungen sein, die den vorgenommenen Transaktionen zugrunde liegen. Wenn die OECD-Leitlinien hierzu feststellen, dass es einer „good practice“ verbundener Unternehmen entspräche, ihre Entscheidung über die Allokation bedeutsamer Risiken schriftlich und im Vorhinein zu dokumentieren,4 kann hierin keine Hinwendung zu formalen Fremdvergleichsgesichtspunkten – wie sie im Rahmen der vGA bei beherrschenden Gesellschaftern nach innerstaatlichem deutschem Steuerrecht zum Tragen kommen5 – erblickt werden. Vielmehr stellen die vertraglichen Vereinbarungen über die Verteilung der Risiken nur eine Erkenntnisquelle dar. Daneben kann sich die Risikoverteilung aus anderen schriftlichen Verträgen, aus schriftlicher Korrespondenz und anderweitiger (nichtschriftlicher) Kommunikation, dem allgemeinen Handelsbrauch sowie dem speziellen Unternehmensbrauch zwischen den verbundenen Unternehmen ergeben.6 Fehlen derartige schriftliche Vereinbarungen kann die Risikoverteilung aus der tatsächlichen Durchführung der vertraglichen Beziehungen und ökonomischen Prinzipien – zu diesen rechnen auch Handelsbräuche7 – abgeleitet werden. Was die deutsche Verwaltungsauffassung anbelangt, ordnet diese die Erfüllung formaler Anforderungen der Nachweis- und Beweisvorsorge zu (Rz. 3.51).8 Auch das sechsstufige Verfahren der Risikoanalyse nach Tz. 1.71 der OECD-Leitlinien (Rz. 3.54) stellt im Ausgangspunkt auf die vertragliche Risikoverteilung ab. Hiernach ist im Anschluss an die Identifikation der wirtschaftlich erheblichen Risiken in einem zweiten Schritt die vertragliche Risikoverteilung festzustellen, wobei sich die Übernahme von Risiken aus ausdrücklichen vertraglichen Bestimmungen oder implizit ergeben kann.9 Beispielhaft wird für eine ausdrückliche vertragliche Risikoverteilung darauf hingewiesen, dass ein Ver1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Tz. 1.58 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.56 u. 9.19 OECD-Leitlinien 2022. Siehe hierzu auch VWG FVerl, Rz. 13. So wohl auch Tz. 9.19 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.56 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. BFH v. 11.2.1997 – I R 43/96, BFH/NV 1997, 806; v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545; v. 28.6.2002 – IX R 68/99, BStBl. II 2002, 699; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit BFH v. 27.7.2009 – I B 45/09, BFH/NV 2009, 2005. Vgl. hierzu auch Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 84 ff. Vgl. Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. I Rz. 86. Vgl. VWG FVerl, Rz. 97. Vgl. Tz. 1.77 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 213
3.56
Kap. 3 Rz. 3.56 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
triebsunternehmen gemäß gesonderter Vereinbarung das Forderungsausfall-, das Vorratsund das Kreditrisiko aus Umsätzen mit unverbundenen Unternehmen übernehmen könne. Eine implizite Risikoverteilung läge etwa im Falle einer Pauschalvergütung vor, über die implizit Auswirkungen bestimmter Risiken, einschließlich unvorhergesehener Gewinne und Verluste, der anderen Vertragspartei zugeordnet würden.1 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass für die vertragliche Risikoverteilung der Ex-ante-Grundsatz gilt, d.h. die im Vorhinein getroffene vertragliche Risikoverteilung; ausdrücklich wird eine ex post durch die Finanzverwaltung vorgenommene Umverteilung als ungeeignet abgelehnt.2 Fehlen vertragliche Vereinbarungen über die Verteilung von Risiken, entfällt die Feststellung der vertraglichen Risikoverteilung naturgemäß mit der Folge, dass für die Risikoanalyse allein das tatsächliche Verhalten der Vertragsparteien (vgl. dazu Rz. 3.58 ff.) maßgeblich sein kann.
3.57
Maßgeblichkeit der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse. Ungeachtet etwaiger vertraglicher Vereinbarungen muss eine – wie auch immer vorgenommene – Risikoverteilung mit den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen übereinstimmen, so wie sie sich angesichts der tatsächlichen Durchführung der Geschäftsbeziehung darstellen.3 Insofern ist keine rein rechtliche (nämlich vertragsgemäße), sondern eine wirtschaftliche Betrachtungsweise für die Feststellung der „wahren“ Risikoallokation zwischen den verbundenen Parteien maßgeblich. Die VWG VP4 stellen in diesem Zusammenhang auf den „wirtschaftlichen Gehalt“ der Geschäftsbeziehung ab, die OECD-Leitlinien5 auf die „kaufmännische Vernunft“.6 Dem steht auch die Dispositionsfreiheit der Konzernleitung über die Verteilung der Risiken im Unternehmensverbund nicht entgegen, denn diese kommt gerade in der Ausgestaltung der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse zum Ausdruck und nicht etwa in hiervon abweichenden vertraglichen Bestimmungen. Der BFH hat zur Risikoanalyse bei konzerninternen Darlehensverhältnissen ausdrücklich festgestellt, dass deren Ausgangspunkt das sich aus dem abgeschlossenen Vertrag ergebende Leistungsgefüge ist und für die Angemessenheit des Entgelts für die Kapitalüberlassung ausschließlich das Verhältnis der Parteien des Darlehensvertrags maßgebend ist.7 Der BFH lehnt m.a.W. einen – gewissermaßen – konzernweiten Fremdvergleich für die Feststellung der „wahren“ Risikoallokation nach ihrem „wirtschaftlichen Gehalt“ ausdrücklich ab (vgl. dazu Rz. 3.64).
3.58
Tatsächliches Verhalten als Korrektiv. Auf die Feststellung der tatsächlichen wirtschaftlichen Risikoverteilung zwischen den verbundenen Unternehmen ist auch die Überprüfung der vertraglichen Risikoverteilung nach dem tatsächlichen Verhalten der verbundenen Unternehmen gerichtet.8 Das tatsächliche Verhalten verbundener Vertragspartner ist in Bezug auf Risiken naturgemäß erst dann beobachtbar und feststellbar, wenn sich das betreffende Risiko realisiert.9 Dies ist in zeitlicher Hinsicht insofern problematisch, als – bei tatsächlichem späterem 1 2 3 4 5 6
Vgl. Tz. 1.77 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.78 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 9.13 ff. OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.2. VWG VP 2021, Rz. 3.2. Tz. 1.142 ff. OECD-Leitlinien 2022; zu Beispielen vgl. ferner Tz. 1.89 ff. OECD-Leitlinien 2022. Dergleichen regeln Sec. 1.482-1(d)(3)(ii)(B)(1) f. US-Regs. sowie Tz. 2.71 und 2.72 des australischen TR 97/20, vgl. hierzu Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 95 u. 96. 7 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch. 8 Vgl. auch Rasch, ISR 2015, 310 f. 9 Vgl. Rasch, ISR 2015, 312; Kroppen/Rasch, IWB 2015, 833; Greinert/Metzner, Ubg 2015, 63.
214 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.59 Kap. 3
Eintritt des Risikos – die Übernahme wesentlicher wirtschaftlicher Risiken der Verrechnungspreisbestimmung zu einem früheren Zeitpunkt zugrunde zu legen ist. Bei Nichteintritt des Risikos wird ein entsprechendes Verhalten zu keinem Zeitpunkt feststellbar sein. Vor diesem Hintergrund sehen die OECD-Leitlinien Hilfskriterien vor, die das tatsächliche Verhalten in Bezug auf Risiken abbilden sollen. Diese betreffen zum einem die Risikokontrolle und -steuerung und zum anderen die Finanzkraft i.S. einer finanziellen Tragfähigkeit. Beide Kriterien sind in Tz. 1.82 ff. der OECD-Leitlinien für die Überprüfung der Fremdüblichkeit der Risikoverteilung bei konzerninternen Geschäftsvorfällen ausführlich dargestellt.1 Hiernach soll sich das tatsächliche Verhalten anhand der Ausübung der Risikokontrollfunktion und anhand der finanziellen Fähigkeit zur Übernahme der betreffenden Risiken bestimmen. Hierzu soll im Rahmen einer Funktionsanalyse festgestellt werden, – welche(s) Unternehmen Kontrollfunktionen und Risikominderungsfunktionen ausüben (ausübt)? – welche(s) Unternehmen positiven oder negativen Auswirkungen von Risikoergebnissen begegnen (begegnet)? – welche(s) Unternehmen die Finanzkraft haben (hat), das betreffende Risiko zu tragen.2 Risikokontrolle. Was die Risikokontrolle anbelangt, bedienen sich die OECD-Leitlinien des Erfahrungssatzes, dass unverbundene Transaktionspartner nur solche Risiken tragen, die sie kontrollieren können. Hierbei soll „Kontrolle“ als die Fähigkeit zur Entscheidung darüber verstanden werden, die infrage stehenden Risiken zu übernehmen und das ob und wie ihrer Kontrolle zu bestimmen.3 Die Wahrnehmung von Risikokontrollfunktionen erfordert stets – die Fähigkeit, Entscheidungen über die Übernahme, Nichtübernahme oder Verringerung einer risikobehafteten (unternehmerischen) Chance zu treffen und diese Entscheidungsfunktion auch tatsächlich auszuüben; – die Fähigkeit, Entscheidungen über die Art und Weise der Reaktion auf die mit den unternehmerischen Chancen verbundenen Risiken zu treffen und diese Entscheidungsfunktion auch tatsächlich auszuüben.4 Entscheidend ist demgegenüber nicht, welche Partei die Risikoüberwachung im Tagesgeschäft vornimmt,5 sondern wer deren Ergebnisse bewertet und aus diesen Entscheidungs- bzw. Handlungsbedarfe abzuleiten und umzusetzen berufen ist. Wird die Risikoüberwachung im Tagesgeschäft ausgegliedert, erfordert die Ausübung der Kontrollfunktion die Fähigkeit, Zielvorgaben für die ausgelagerten Tätigkeiten zu machen, über die Vergabe der Risikoüberwachungsfunktionen an den Dienstleister zu entscheiden, die Erreichung der Zielvorgaben zu überprüfen, über die Anpassung oder Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Dienstleister zu entscheiden und diese Entscheidungsfunktionen auch tatsächlich auszuüben.6
1 2 3 4
Vgl. Tz. 1.82 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.82 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.67 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.65 OECD-Leitlinien 2022; Bsp. In Tz. 1.63 OECD-Leitlinien 2022; Tz. 6.63 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 1.65 OECD-Leitlinien 2022 sowie die Beispiele in Tz. 1.69 f. OECD-Leitlinien. Siehe hierzu auch Werra, IStR 2009, 83 f. 6 Vgl. Tz. 1.65, 6.63 u. 8.15 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.5.
Baumhoff/Liebchen | 215
3.59
Kap. 3 Rz. 3.59 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Die Ausübung von Kontrollfunktionen erfordert nach Auffassung der OECD zwingend ein entsprechendes Verständnis von dem zu kontrollierenden Risiko und dementsprechende Kompetenzen und Erfahrungen der Entscheidungsträger im Bereich des jeweiligen Risikos sowie den Zugang zu den entscheidungsrelevanten Informationen, um etwaige Auswirkungen ihrer Entscheidung auf das Unternehmen nachvollziehen zu können.1 Eine tatsächliche Ausübung der Entscheidungsfunktion soll hingegen nicht vorliegen, wenn sich das betreffende Unternehmen auf das bloße Formalisieren von Entscheidungsergebnissen (z.B. Billigung getroffener Entscheidungen, Unterzeichnung von entscheidungsumsetzenden Dokumenten) oder auf das Erlassen einer Richtlinie zum Umgang mit unternehmerischen Risiken beschränkt.2 Insofern ist neben der Entscheidungskompetenz stets auch die tatsächliche Ausübung der Entscheidungsbefugnisse bezogen auf das konkrete Risiko für die Ausübung der Kontrollfunktion erforderlich.
3.60
Finanzkraft und Risikotragfähigkeit. Neben der Entscheidungskompetenz und der tatsächlichen Ausübung der Entscheidungsbefugnisse bezogen auf das konkrete, wirtschaftlich erhebliche Risiko muss das betreffende Unternehmen nach Auffassung der OECD ferner die finanzielle Fähigkeit besitzen, das betreffende Risiko tragen zu können. Diese finanzielle Risikotragfähigkeit bezieht sich nach Auffassung der OECD auf den Zugang zu den Finanzmitteln zur Übernahme oder Aufgabe des betreffenden Risikos, zur Finanzierung der risikominimierenden Funktionen bei deren Auslagerung auf andere Unternehmen und zur Übernahme des finanziellen Aufwands im Falle des Risikoeintritts.3 Als Finanzierungsmöglichkeiten kommen alle realistischerweise zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen zur Beschaffung zusätzlicher Liquidität in Betracht, um die voraussichtlichen Kosten im eintretenden Risikofall zu decken. Die Überprüfung der finanziellen Risikotragfähigkeit soll hierbei auf „Stand-alone-Basis“ erfolgen. Dies entspricht der BFH-Rspr.4
3.61
Vertragliche Risikodisposition und tatsächliches Verhalten. Das nach der Risikokontrollfunktion (Rz. 3.59) und der finanziellen Risikotragfähigkeit (Rz. 3.60) bezogen auf das konkrete, wirtschaftlich erhebliche Risiko bestimmte tatsächliche Verhalten soll nach Überprüfung der tatsächlichen Durchführung der vertraglichen Risikoverteilung dieser im Rahmen einer Konsistenzprüfung gegenübergestellt werden.5 Stimmt die vertragliche Risikodisposition mit dem tatsächlichen Verhalten überein, besteht auch unter Fremdvergleichsgesichtspunkten naturgemäß kein Anlass für eine steuerliche Umqualifizierung der (vertraglichen) Risikoverteilung. Entscheidend sind die Abweichungsfälle. Nach Auffassung der OECD bildet das tatsächliche Verhalten unter Fremdvergleichsgesichtspunkten die tatsächliche Risikoverteilung ab, die unter Verrechnungspreisgesichtspunkten als maßgeblich zugrunde zu legen sein soll.6 Hat ein Unternehmen nicht die Fähigkeit, das betreffende wirtschaftlich erhebliche Risiko zu kontrollieren, und verfügt es nicht über die finanziellen Mittel, das betreffende Risiko zu tragen, dann soll dieses Risiko nach Auffassung der OECD dem Unternehmen zugeordnet werden, das die beiden risikobezogenen Kriterien (Kontrolle und Finanzkraft) erfüllt.7 Kön1 2 3 4
Vgl. Tz. 1.66 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.6. Vgl. Tz. 1.66 und Tz. 1.76 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.64 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch. 5 Vgl. Tz. 1.86 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 1.88 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Tz. 1.98 OECD-Leitlinien 2022.
216 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.64 Kap. 3
nen – in Fällen geteilter Kontrollfunktionen – mehrere Unternehmen festgestellt werden, die das betreffende Risiko sowohl kontrollieren als auch finanziell tragen können, soll das Risiko dem Unternehmen zugeordnet werden, das die meiste Kontrolle ausübt.1 Das andere oder die anderen Unternehmen, die Kontrollfunktionen ausüben, ohne dass ihnen das betreffende Risiko zuzuordnen ist, sind für diese Funktionsausübung angemessen zu vergüten.2 Das Risikokontrollkonzept der OECD-Leilinien zur Feststellung der Konzerngesellschaft, die bezogen auf die Risikokontrolle über die entsprechenden Entscheidungskompetenzen verfügt und diese auch tatsächliche ausübt, bzw. – bei geteilten Kontrollfunktionen – die die meiste Kontrolle ausübt, birgt zweifelsohne das Risiko des Auseinanderfallens von rechtlicher (für Bilanzierungs-, Rechtsverfolgungs- und Schadensersatzzwecke) und steuerlicher Zuordnung.3 Problematisch ist in diesem Zusammenhang zum einen, dass Fremdvergleichsgesichtspunkte fingiert werden und die Beurteilung nicht davon abhängig gemacht wird, wie fremde Dritte das betreffende Risiko kontrollieren (würden).4 Zum anderen löst sich das Risikokontrollkonzept vom Transaktionsbezug, weil als risikokontrollierende Konzerngesellschaften auch solche in Betracht kommen, die nicht an der Geschäftsbeziehung beteiligt sind.5 Verrechnungspreisbestimmung und weitere Implikationen. Die nach dem sechsstufigen Ansatz der OECD zu bestimmende maßgebliche Risikoverteilung ist neben den anderen Vergleichsbarkeitsfaktoren der Verrechnungspreis- bzw. Fremdvergleichspreisbestimmung für die betreffende Geschäftsbeziehung zugrunde zu legen. Dies bedeutet, dass die höhere Renditeerwartung für die Risikoübernahme gewissermaßen als Risikokomponente in den Verrechnungspreis für die konkrete Liefer- oder Leistungsbeziehung eingeht.6
3.62
Von dieser Feststellung der Risikoverteilung – dem eigentlichen Kern der Risikoanalyse – zu trennen ist die Frage, ob aus dieser Disposition auch die konkreten verrechnungspreisbezogenen Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Fraglich ist, ob sie als „kaufmännische und finanzielle Beziehungen“ i.S.v. Art. 9 Buchst. b zu akzeptieren und der Bestimmung eines mit dem Fremdvergleich zu vereinbarenden Verrechnungspreises zugrunde zu legen sind. Die OECDLeitlinien 1995/96 haben hier noch in Tz. 1.27 – ebenso wie Tz. 1.49 OECD-Leitlinien 2010 – lediglich angedeutet, dass Fremdvergleichserwägungen eine bestimmte Risikoallokation tragen. Keine Versagung des Betriebsausgabenabzugs. Ein weiterer Aspekt der Nichtanerkennung einer Verbunddisposition über die Risikoverteilung wäre im Falle ihrer verwaltungsseitigen Umdeutung darin zu sehen, dass die Realisierung der infrage stehenden Risiken den Betriebsausgabenabzug auf den Prüfstand stellen würde. Was im Inland ansässige Verbundunternehmen anbelangt, fehlt dem deutschen Steuerrecht eine Rechtsgrundlage dafür, den Betriebsausgabenabzug aufgrund einer nicht fremdvergleichskonformen Risikozuordnung zu versagen. Die Einkünftekorrekturvorschrift des § 1 AStG vermittelt ebendiese nicht.
3.63
Konzernweiter Fremdvergleich und vertragliche Risikoverteilung – VWG VP und BFH-Urteil v. 18.5.2021 (I R 4/17). Grundsätzlich folgt die Finanzverwaltung auch bei Anwendung des Risikokontrollkonzepts einer transaktionsbezogenen Beurteilung, wobei allerdings der Zusammenhang zwischen der vertraglichen Risikoverteilung (Rz. 3.56 f.) und deren Überprüfung durch das
3.64
1 2 3 4 5 6
Vgl. Tz. 1.98 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.98 u. Tz. 1.105 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2015, 835. Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2015, 835. Vgl. hierzu auch Tz. 1.105 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. hierzu Tz. 1.117 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 217
Kap. 3 Rz. 3.64 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
tatsächliche Verhalten (Rz. 3.58 ff.) in den VWG VP deutlich zu kurz kommt. In Rz. 3.6 stellen die VWG VP zwar zutreffend fest, dass sich auch die Anwendung der Grundsätze des Risikokontrollkonzepts auf die „an dem Geschäftsvorfall Beteiligten (insbesondere Unternehmen)“ beziehen. Allerdings sind insbesondere die verwaltungsseitigen Grundsätze zu konzerninternen Finanzierungsbeziehungen gerade dadurch geprägt, dass sich die Ausübung der Risikokontrollfunktion (en) von der vertraglichen Risikoverteilung löst und deshalb – jedenfalls im Grundsatz – von funktions- und risikoarmen Finanzierungsdienstleistungen auszugehen sein soll, die mittels einer kostenbasierten Dienstleistungsvergütung zu verrechnen seien.1 Die vorstehenden Grundsätze hat der BFH in seinem Urteil vom 18.5.2021 im Rahmen eines obiter dictum verworfen.2 Nach Auffassung des BFH entbehrt ein – gewissermaßen – konzernweiter Fremdvergleich, nach dem eine Finanzierungsgesellschaft bzw. ein Cash-Pool-Leader nur dann als wirklicher Darlehensgeber einzuordnen ist und nicht lediglich eine risikoarme Finanzierungsdienstleistung erbringt, wenn sie und nicht faktisch die Muttergesellschaft bzw. Unternehmensgruppe die mit dem Darlehen verbundenen Risiken (Kreditausfall-, Refinanzierungs- und Zinsänderungsrisiko) tatsächlich trägt und in der Lage ist, die mit den Finanzierungen verbundenen Tätigkeiten und die damit einhergehenden Aufgaben des Risikomanagements selbstbestimmt wahrzunehmen, für die Bestimmung des für die konkrete Finanzierungsbeziehung angemessenen Zinssatzes einer Grundlage. Der BFH hat hierzu ausdrücklich festgestellt, dass Ausgangspunkt für die Risikoanalyse bei konzerninternen Darlehensverhältnissen das sich aus dem abgeschlossenen Vertrag ergebende Leistungsgefüge ist und für die Angemessenheit des Entgelts für die Kapitalüberlassung ausschließlich das Verhältnis der Parteien des Darlehensvertrags maßgebend ist.3 d) Eingesetzte Produktionsmittel
3.65
Neben den ausgeübten Funktionen und den getragenen Risiken der Konzerneinheiten sind im Rahmen der Funktionsanalyse die eingesetzten Produktionsmittel zu identifizieren. Dazu gehören die folgenden Wirtschaftsgüter4: – Sachmittel, wie z.B. Grund und Boden, Gebäude, technische Anlagen und Maschinen, Betriebs- und Geschäftsausstattung, – Finanzielle Mittel, wie z.B. die Liquiditätsausstattung, Ausleihungen, Wertpapiere, kurzfristige Forderungen, – Immaterielle Vermögenswerte, wie z.B. Patente, Know-how, Markenrechte, Urheberrechte, Kundenstamm, Herstellungsverfahren, Stellung und Image des Unternehmens am Markt, – Humane Vermögenswerte, wie z.B. Ausbildungsstand, Alter und Struktur des Mitarbeiterstammes, Unternehmenszugehörigkeit, Berufserfahrung. Eine Funktions- und Risikoanalyse erschöpft sich allerdings nicht in der Erfassung der ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten Mitteln. Vielmehr ist der relative Einfluss dieser Faktoren auf das Ergebnis der einzelnen Geschäftsbeziehungen zu würdigen. Auf dieses Ergebnis können die einzelnen Faktoren also mehr oder minder, ggf. sogar gar keinen Einfluss haben. 1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.92, 3.94 u. 3.98. 2 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch. 3 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch. 4 Vgl. Tz. 1.44 OECD-Leitlinien 2022.
218 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.68 Kap. 3
Gewichtung nach relativem Einfluss. Dieser relative Einfluss der einzelnen Chancen, Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter auf die verbundinternen Transaktionen wird in der Verrechnungspreispraxis – vornehmlich im Rahmen der Sachverhaltsdokumentation – mittels eines sog. „Star Charts“ oder alternativ mittels einer Funktionsanalysematrix, die auf kardinalen Ausprägungsgraden (0–5 oder 0–10) beruht, analysiert und dargestellt1. Allerdings beschränkt sich diese wertende Gegenüberstellung regelmäßig auf überschaubare Verhältnisse, mit zunehmendem Komplexitätsgrad nimmt ihre Eignung hingegen ab.2 Ferner ist zu berücksichtigen, dass die relative Bedeutung der einzelnen Faktoren naturgemäß auf subjektive Einschätzungen zurückgehen muss, die insofern den Mangel fehlender Objektivierbarkeit zwangsläufig in sich tragen.
3.66
e) Unternehmenscharakterisierung Referenzunternehmen/Referenztransaktionen. Die Funktions- und Risikoanalyse ist zwingender Bestandteil der Vergleichbarkeitsanalyse. Sie schafft die Voraussetzung dafür, ein potenzielles Referenzunternehmen bzw. eine geeignete Referenztransaktion zwischen unabhängigen Dritten zu ermitteln, bei dem bzw. bei der eine vergleichbare Verteilung von Funktionen und Risiken vorzufinden ist. Die Abrechnungsformen der potenziellen Referenzunternehmen bzw. die identifizierten Referenztransaktionen selbst werden dann zur Ableitung eines fremdvergleichskonformen Verrechnungspreises für die zu bewertende konzerninterne Leistungsbeziehung herangezogen.
3.67
Klassifizierung nach Unternehmenstypen und Wertschöpfungsbeiträgen. In der Verrechnungspreispraxis bietet es sich an, bezüglich der Werthaltigkeit von Wertschöpfungsbeiträgen, die die Transaktionspartner i.R. konzerninterner Transaktionen erbringen, zwischen Routinewertschöpfungsbeiträgen einerseits sowie einzigartigen und werthaltigen Wertschöpfungsbeiträgen andererseits zu unterscheiden. Sie bilden gewissermaßen die beiden Enden der Werthaltigkeit von Wertschöpfungsbeiträgen ab. Hierbei sind Routinewertschöpfungsbeiträge nicht gleichbedeutend mit geringer Wertschöpfung, dies insbesondere bezogen auf sog. Routinedienstleistungen mit geringer Wertschöpfung, für die nach den OECD-Leitlinien3 und den VWG VP4 ein vereinfachter Ansatz für die Verrechnungspreisbestimmung zulässig ist. Während Routinewertschöpfungsbeiträge durch Routineunternehmen erbracht werden, erbringen Strategieträger bzw. Entrepreneure einzigartige und werthaltige (Nicht-Routine-) Wertschöpfungsbeiträge. Aus dieser Dichotomie sich lassen für Verrechnungspreiszwecke bestimmte Grundsätze ableiten, die von der Anwendung eine konkreten (Regel-) Verrechnungspreismethode (z.B. – vorbehaltlich verfügbarere Vergleichspreise – der Kostenaufschlagsmethode5 oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode für die Verrechnungspreisbestimmung bezogen auf Routinewertschöpfungsbeiträge) bis zur Fremdunüblichkeit von Dauerverlustsituationen bei nicht als Strategieträger zu qualifizierenden Unternehmen6 reichen. Die
3.68
1 Vgl. hierzu Ernst & Young, Verrechnungspreise – Dokumentationsmanagement nach den neuen Mitwirkungspflichten, Teil C Tz. 161; Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 173 ff.; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 105 ff. 2 Vgl. hierzu auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 173. 3 Vgl. Tz. 7.43 ff. OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.74 ff. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.72, 3.74, 3.92 u. 3.98. 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.31 ff.
Baumhoff/Liebchen | 219
Kap. 3 Rz. 3.68 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
VWG VP unterscheiden die folgenden beiden „Unternehmensformen“ als Ergebnis einer – transaktionsbezogenen – Funktions- und Risikoanalyse: – Routineunternehmen ist ein Unternehmen, das als Ergebnis einer Funktions- und Risikoanalyse für den jeweiligen Geschäftsvorfall allein oder zusammen mit anderen nahestehenden Personen (a) die Routinefunktionen ausübt, (b) nur in geringem Umfang Vermögenswerte einsetzt und (c) nur geringe Risiken trägt.1 Routineunternehmen i.d.S. sind etwa der Lohnfertiger (Rz. 6.7 ff.) oder der sog. Low-Risk-Distributor (Rz. 6.51 ff. und 6.60 ff.). Routineunternehmen erzielen bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf geringe, aber stabile Gewinne. Nach Verwaltungsauffassung hat jedes Unternehmen, auch wenn es nur Routinefunktionen ausübt, die Chance und das Risiko, aufgrund der eigenen Geschäftstätigkeit in einem bestimmten Rahmen bessere oder schlechtere Ergebnisse zu erzielen.2 – Strategieträger ist ein Unternehmen, das als Ergebnis einer Funktions- und Risikoanalyse für den jeweiligen Geschäftsvorfall allein oder zusammen mit anderen nahestehenden Personen (a) die wesentlichen Funktionen ausübt, (b) die wesentlichen materiellen Wirtschaftsgüter und immateriellen Werte einsetzt und (c) die wesentlichen Risiken übernimmt.3 Dem Strategieträger gebührt – ggf. zusammen mit anderen als Strategieträger qualifizierenden Verbundunternehmen – der Residualgewinn oder -verlust.
4. Vergleichbarkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse 3.69
Vergleichbarkeit der allgemeinen Marktverhältnisse. Eine Vergleichbarkeit der allgemeinen Marktverhältnisse, in denen die Lieferungen oder Leistungen erstellt, genutzt, verbraucht oder veräußert werden, ist immer dann gewährleistet, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gleich oder ähnlich sind. Nach Tz. 1.130 der OECD-Leitlinien gehören zu den wirtschaftlichen Verhältnissen, die für die Vergleichbarkeit der Märkte, d.h. der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, relevant sein können:4 – die geografische Lage, – die Wettbewerbsintensität auf den Märkten und die jeweilige Wettbewerbsposition der Käufer und der Verkäufer, die Möglichkeit (das Risiko) des Eintritts neuer Marktteilnehmen und Konkurrenzprodukte (Substitutionsrisiko); – die Größe der Märkte und die Marktstufe, Kaufkraft der Konsumenten, Produktionskosten einschließlich der Kosten für Grund und Boden, Arbeit und Kapital, Transportkosten, – Art und Umfang der staatlichen Regulierung des Marktes (z.B. Preiskontrollen, Zinskontrollen, Subventionen für bestimmte Branchen, Devisenkontrollen, Anti-Dumping Abgaben, wechselkurspolitische Maßnahmen)5, – Konjunktur- oder Produktlebenszyklen,6 – Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls.
1 2 3 4 5 6
Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2 (Glossar), Stichw. „Routineunternehmen“. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.43. Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2 (Glossar), Stichw. „Strategieträger“. Vgl. Tz. 1.130 OECD-Leitlinien 2022. Siehe auch Tz. 1.152 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.131 OECD-Leitlinien 2022.
220 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.72 Kap. 3
Relevanter Markt. Die Vergleichbarkeit der Marktbedingungen bestimmt sich hierbei nicht in räumlicher Hinsicht bzw. nach einer räumlichen Abgrenzung, sondern es ist derjenige Markt der jeweils maßgebliche Markt, der bei einer vergleichbaren Geschäftsbeziehung zwischen fremden Dritten die Geschäftsbeziehungen prägen würde.1 Dementsprechend ist der relevante Markt in geographischer Hinsicht i.d.R. ein regionaler Markt, wenn innerhalb dieses Marktes bezogen auf die konkrete Transaktion ähnliche Marktbedingungen vorherrschen (z.B. der europäische oder nordamerikanische Markt).2
3.70
Konkurrenz- bzw. Wettbewerbsverhältnisse. Es sind die konkreten Konkurrenz- bzw. Wettbewerbsverhältnisse zu beachten, wobei man je nach Anzahl von Anbietern und Nachfragern verschiedene Marktformen (Monopol, Oligopol, Polypol) bzw. Marktsituationen (Anbietermarkt, Nachfragermarkt) unterscheidet.3 Ferner sind Wettbewerbsverhältnisse durch Marktregulierung zu beachten (vgl. Rz. 3.74). Der sog. relevante Markt, der die Preisfindung zwischen Fremden entscheidend beeinflusst, kann nicht nur von Branche zu Branche, sondern auch von Gegenstand zu Gegenstand der einzelnen Lieferung oder Leistung wechseln. So kann der Hersteller eines bestimmten Gutes oder einer bestimmten Ware auf dem Markt Alleinanbieter (Monopolist) sein, z.B. weil er als einziger über ein bestimmtes Produktionspatent verfügt, hinsichtlich anderer Waren und Güter kann er hingegen einem erheblichen Wettbewerbsdruck ausgesetzt sein. Es bedarf keiner weiteren Erwähnung, dass er im ersten Fall höhere Preisvorstellungen am Markt durchsetzen kann als im letzteren. Auch können sich im Zeitablauf Veränderungen am relevanten Markt ergeben, etwa weil bisherige Wettbewerber vom Markt verschwunden sind bzw. neue hinzutreten.
3.71
Wettbewerbsbedingungen auf relevanten Vergleichsmärkten. Ein Marktvergleich setzt außerdem voraus, dass die zu vergleichenden Geschäftspartner gleiche oder annähernd gleiche Wettbewerbsbedingungen vorfinden. Entsprechendes gilt für die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die im Wesentlichen durch saisonale und regional abweichende Konjunkturverläufe bestimmt werden. Hierbei kommen im Hinblick auf die Glättung konjunktureller und branchenspezifischer Marktzyklen und von Produktlebenszyklen Mehrjahresanalysen in Betracht (vgl. Rz. 3.108 ff.).4 Ausgeschlossen als Vergleichsmaßstab sind somit sogenannte abgeschlossene Sondermärkte, wo sich die Verhältnisse vom relevanten Vergleichsmarkt unterscheiden.5 Entscheidend für die Ableitung der Fremdpreise sind die Markt- und Preisverhältnisse auf den relevanten Vergleichsmärkten. Als relevante Vergleichsmärkte können auch Schattenmärkte oder sog. „graue Märkte“ in Betracht kommen, wenn der Zugang zum „offiziellen“ Markt versperrt ist, sei es durch behördliche oder private Preisvorgaben bzw. -regulierungen oder künstliche preisbeeinflussende Mengenverknappungen, und die Marktverhältnisse vergleichbar sind. Eine einzelne bzw. direkte Einflussnahme auf Preise und Mengen wird allerdings nur in der Marktform des Monopols oder – dazu im vergleichsweise eingeschränkten Umfang – der des Oligopols denkbar sein. In diesem besonderen Fall ist der „offizielle Markt“ als Sondermarkt und der Schattenmarkt als der relevante Vergleichsmarkt anzusehen, weil nur der Schattenmarkt für fremde Dritte zugänglich ist.
3.72
1 Vgl. Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. I Rz. 233. 2 Vgl. Tz. 1.132 OECD-Leitlinien und hierzu Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 239. 3 Vgl. Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, M Rz. 84 und 117 ff. 4 Vgl. Tz. 1.133 und 3.77 OECD-Leitlinien 2022. 5 Siehe auch Tz. 1.152 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 221
Kap. 3 Rz. 3.73 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.73
Ausmaß von Schattenmärkten. Das Ausmaß von Schattenmärkten oder „grauen Märkten“ hängt entscheidend vom Umfang der Preis- und/oder Mengenbeeinflussungen und der Intensität der Kontrolle bei Preisvorgaben ab. Es ist davon auszugehen, dass bei für die Nachfrageseite einschneidenden Preis- und Mengenvorgaben und einer entsprechenden strengen Überwachung solcher Vorgaben der Schattenmarkt oder „graue Markt“ den Umfang des „offiziellen“ Marktes übersteigen wird. Eine solche Marktentwicklung war während der sog. „Ölkrise“ gegen Ende der 70er Jahre zu beobachten, wo das Preisniveau der Spotmärkte sich von dem der offiziellen Ölmärkte deutlich unterschied, da vielen Nachfragern der Zugang zu bestimmten staatlichen Märkten, die durch Mengen- und Preisreglementierungen gekennzeichnet waren, versperrt war.
3.74
Preisrelevante staatliche Maßnahmen/Regulierte Märkte. Staatliche Maßnahmen wie behördliche Preisregulierungen und ähnlich preisbeeinflussende Faktoren in Form devisenoder kartellrechtlicher Vorschriften können die Vergleichbarkeit ebenfalls beeinträchtigen.1. Tz. 1.152 OECD-Leitlinien nennt als weitere Beispiele für preisrelevante staatliche Maßnahmen „Preiskontrollen (sogar Preiskürzungen), Zinssatzkontrollen, Preiskontrollen in Bezug auf Dienstleistungs- oder Verwaltungsvergütungen und Lizenzgebühren, Subventionen für bestimmte Branchen, Devisenkontrollen, Anti-Dumpingabgaben oder die Wechselkurspolitik“.2 Weitere staatliche Maßnahmen sind z.B. kartellrechtliche, patentrechtliche oder haftungsrechtliche Vorschriften, steuerliche Vorschriften und Zollvorschriften, Transferbeschränkungen (z.B. für Waffen und Kriegsgerät), Exportbeschränkungen z.B. für Technologien, Importkontingentierung für Waren und sonstige Mengenbeschränkungen.3 Die Maßnahmen können sich auf bestimmte Waren beziehen, wie z.B. der Import von Waren, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Sie können sich zudem auf bestimmte Länder beschränken, wie z.B. der Import bestimmter Eisen- und Stahlwaren aus Russland in Mitgliedstaaten der EU. Ferner können regulatorische Maßnahmen bestimmte Branchen betreffen, wie z.B. die Pharmabranche im Hinblick auf Preisregulierungen. Protektionistische staatliche Maßnahmen sind vielfach im Rahmen von Devisenkontrollen vorzufinden, wie dies etwa noch in Argentinien im Hinblick auf Importkontingente mit entsprechenden Exportverpflichtungen der Fall ist. Vorstehende staatliche, preisrelevante Maßnahmen haben lediglich Beispielcharakter, der Katalog ist keineswegs vollständig. Sie können den Markt und damit auch den Wettbewerb beeinflussen und müssen insbesondere bei Anwendung der Standardmethoden außer Betracht gelassen werden, sofern die zu beurteilende verbundwirtschaftliche Liefer- oder Leistungsbeziehung solchen preisrelevanten Maßnahmen nicht unterliegt.
3.75
Gewinnminderungen auf Grund von Preisregulierungen. In Tz. 1.153 OECD-Leitlinien werden die Auswirkungen von Preisregulierungen, die regelmäßig den Endkundenpreis betreffen, auf die Preisbestimmung vorgelagerter Handelsstufen erörtert.4 Zwar gehen die OECD-Leitlinien grundsätzlich davon aus, dass es dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht entspricht, wenn die Verluste aus staatlichen Preisregulierungen ausschließlich von dem Vertriebsunternehmen getragen werden, wobei dies insbesondere für Dauerverluste gilt.5 Im Ergebnis neigt die OECD allerdings zu der Auffassung, dass der Staat, in dem solche Preiskontrollen gelten, entsprechende Gewinnminderungen zulasten seines Steueraufkommens aner1 Vgl. Tz. 1.152 OECD-Leitlinien 2022. 2 Tz. 1.152 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. z.B. Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 311 m.w.N. 4 Vgl. Tz. 1.153 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 1.149 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.31 ff.
222 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.76 Kap. 3
kennen sollte.1 M.a.W. sind entsprechende Gewinnminderungen von dem Unternehmen zu tragen, das diesen Preiskontrollen ausgesetzt ist. Diese vielfach in der Pharmabranche geltenden Preisregulierungen führen dazu, dass deutsche Produktionsmuttergesellschaften derartige Verrechnungspreiskonzessionen machen, dass nicht einmal mehr die anteiligen Forschungskosten abgedeckt werden.2 In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass auch deutsche Produktionsgesellschaften – nicht zuletzt zur Vermeidung strafrechtlicher Sanktionen – die ausländischen Preisvorschriften zu beachten haben. Ferner können die ausländischen Vertriebsgesellschaften, die zwar die „Primärlast“ der regulierungsbedingten Verluste bzw. Preisminderungen tragen müssen, nicht in eine Dauerverlustsituation gedrängt werden.3 Daher ist eine inländische Produktionsmuttergesellschaft oft nur vor die Wahl gestellt, entweder die regulierungsbedingten Verluste ganz oder teilweise hinzunehmen oder den Markt aufzugeben.4 Eine Marktaufgabe ist jedoch aufgrund marketing- bzw. marktstrategischer Überlegungen (z.B. Marktpräsenz in bestimmten Regionen wie z.B. in Europa) oft nicht möglich. Dann bleibt nur die andere Alternative übrig, Verluste ausländischer Vertriebsgesellschaften (zunächst bzw. vorübergehend) bewusst hinzunehmen, um diese danach in bestimmten Abständen von der inländischen Muttergesellschaft auf gesellschaftsrechtlicher Ebene (z.B. durch offene oder verdeckte Einlagen) zu übernehmen.5 Devisentransferbeschränkungen bzw. -verbote in Entwicklungs- und Schwellenländern. Verbundene Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern unterliegen für bestimmte Arten von Lieferungen und Leistungen oft bestimmten Devisentransferbeschränkungen bzw. -verboten. Diese Beschränkungen bzw. Verbote betreffen insbesondere Vergütungen für Lizenzen und Beratungsleistungen (technische Dienstleistungen) sowie für Darlehen durch dort ansässige Tochtergesellschaften an ihre inländische Muttergesellschaft bzw. andere verbundene Unternehmen. Solche Zahlungsbeschränkungen bzw. -verbote schließen i.d.R. eine Vergleichbarkeit der Verhältnisse aus, sofern entsprechende Zahlungen an verbundene oder fremde Unternehmen mit Sitz im gleichen Land oder an fremde Unternehmen mit Sitz im Ausland gestattet sind.6 Das Geschäft wird dominiert durch die Besonderheit der Zahlungsbeschränkung bzw. des -verbots, die es bei entsprechenden Geschäftsbeziehungen zwischen Fremden eben nicht gibt. Vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob und nach welchen Grundsätzen der Fremdvergleichsgrundsatz anwendbar ist. Beispielhaft wird in diesem Zusammenhang auf die Verrechnungspreisgrundsätze sowie Abzugs- und Auszahlungsbeschränkungen nach dem nationalen Steuerrecht Brasiliens Bezug genommen, die für deutsche Unternehmen wegen ihres wirtschaftlichen Engagements in diesem BRIC-Staat einerseits und wegen des fehlenden Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und Brasilien7 andererseits von erheblicher praktischer Bedeutung sind. In Brasilien sind z.B. für die Bestimmung von Lieferverrechnungspreisen feste Gewinnmargen vorgeschrieben, die mit einer Verrechnungspreisbestimmung nach dem Fremdvergleichsgrund-
1 Vgl. Tz. 1.153 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Dahnke in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 146. 3 Vgl. Moebus/Zitzelsberger in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 148. 4 Vgl. Zitzelsberger in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, S. 148. 5 So der Vorschlag von Dahnke in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 148; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Tz. 243 ff. 6 Vgl. Tz. 1.154 OECD-Leitlinien 2022; Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 320 ff. 7 Vgl. hierzu auch BMF v. 6.1.2006 – IV B 3 - S 1301 – BRA – 77/05, BStBl. I 2006, S. 83.
Baumhoff/Liebchen | 223
3.76
Kap. 3 Rz. 3.76 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
satz vielfach nicht zu vereinbaren sind.1 Ferner sind Lizenzgebühren und bestimmte Managementvergütungen auf einen Abzugssatz i.H.v. 1 %–5 % der Nettoeinkünfte aus dem Verkauf des hergestellten oder weiterverkauften Produkts beschränkt, wobei darüber hinausgehende Lizenzverpflichtungen weder als Betriebsausgaben abgezogen noch ins Ausland überwiesen werden dürfen.2 Die Betriebsprüfungspraxis zeigt hier, dass insbesondere deutsche Konzerne mit Produktionsgesellschaften in Brasilien zunehmend Verrechnungspreiskorrekturen in Deutschland ausgesetzt sind. Insbesondere werden Lizenzvereinbarungen aufgegriffen, deren Lizenzsatz im Einklang mit den regulatorischen Vorgaben in Brasilien bestimmt wurde, aber den nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung angemessenen Lizenzsatz unterschreitet. Hierbei überschreiten die in Betriebsprüfungen geforderten Lizenzsätze regelmäßig die nach brasilianischem Recht höchstzulässigen Lizenzsätze. Die Frage geht in diesem Zusammenhang dahin, ob der Fremdvergleich überhaupt denkbar ist, da fremde Unternehmen normalerweise keine Geschäfte abschließen würden, die Zahlungsbeschränkungen oder -verboten unterliegen,3 oder ob regulatorische Vorgaben des betreffenden Staates als relevante Marktbedingungen in die Beurteilung der Vergleichbarkeit der Verhältnisse einzubeziehen sind. M. a.W. kommt es darauf an, ob der Fremdvergleich unter Einbeziehung dieser Sonderbedingungen durchzuführen ist, weil er im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Verhältnisse auf die konkreten (preisbeeinflussenden) Bedingungen abstellt. Soweit es Einkünftekorrekturen nach den Grundsätzen des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG anbelangt, ist der Vergleichstatbestand nicht unter Zugrundelegung fiktiver Marktverhältnisse, sondern auf Grundlage der für die zu beurteilende Geschäftsbeziehung relevanten und deshalb anhand konkreter Marktbedingungen zu bestimmen. Soweit § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG durch Verwendung des Konjunktivs („vereinbart hätten“) die Beschränkung auf einen hypothetischen Fremdvergleich impliziert, bezieht sich dies allenfalls auf Bedingungen, die vergleichbare Geschäftsbeziehungen nicht aufweisen, nicht jedoch auf „erdachte“ Bedingungen (vgl. Rz. 3.135).4 Nichts anderes ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG, wonach das Handeln der verbundenen Transaktionspartner nach dem Sorgfaltsmaßstab ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter zu bestimmen ist. Ebendieser Sorgfaltsmaßstab zwingt die Beachtung sämtlicher gesetzlichen Regelungen – einschließlich regulatorischer Beschränkungen – auf. Vor diesem Hintergrund liegt für Vergleichswerte, die unter anderen Marktbedingungen zustande gekommen sind, „Unvergleichbarkeit“ vor, weil die betreffenden regulatorischen Bedingungen als wesentliche preisdeterminierende Faktoren zu qualifizieren sind und diesbezüglich bestehende Unterschiede auch durch Anpassungsrechnungen nicht eliminiert werden können.5 Auch soweit nach § 1 Abs. 3 Satz 7 und Abs. 3a Sätze 5 f. AStG die Bestimmung des angemessenen Lizenzsatzes durch hypothetischen Fremdvergleich erfolgt, sind die individuellen Preisgrenzen von Lizenzgeber und Lizenznehmer unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben und damit auch des regulatorischen Umfelds zu bestimmen, wodurch jeweils bestehende Freiheitsgrade in der individuellen unternehmerischen Entscheidung auf Basis der jeweiligen unternehmerischen Zielvorstellung beschränkt werden. Insofern können die individuellen Grenzpreise (Höchstpreis des Lizenznehmers; Mindestpreis des Lizenzgebers) den gesetzlich höchstzulässigen Lizenzsatz nicht überschreiten. Gleiches gilt, sofern „realistischerweise verfügbare und eindeutig vorteilhaftere Handlungs-
1 Vgl. z.B. Dagnese, IWB 2013, 257; siehe auch UN-Manual, Tz. 10.2.1.3. 2 Vgl. Dagnese, Verrechnungspreise und die Aufzeichnungspflicht im brasilianischen und deutschen Steuerrecht, 73 f. 3 Ebenso Tz. 1.154 OECD-Leitlinien 2022. 4 Zur Berücksichtigung „tatsächlichen Fremdverhaltens“ im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs vgl. auch VWG FVerl, Rz. 65. 5 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.78 Kap. 3
alternativen“ für die Bestimmung der jeweiligen Preisgrenze zu berücksichtigen sind (Rz. 5.188). Vor diesem Hintergrund liegen die Voraussetzungen einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nicht vor. Auch im Hinblick auf Einkünftekorrekturen nach den Grundsätzen einer verdeckten Gewinnausschüttung fehlt es in diesem Zusammenhang an einer durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten verhinderten Vermögensmehrung. Verschiedene Handelsstufen. Der Einfluss der „Marktstufe“ auf die Vergleichbarkeit hat insbesondere beim Austausch von Gütern und Waren besondere Bedeutung. Hier ist gegebenenfalls zwischen Produzenten, Groß-, Zwischen- und Einzelhändlern zu unterscheiden. Dagegen ist es für weite Bereiche des Dienstleistungsmarktes unüblich, zwischen verschiedenen Handelsstufen zu unterscheiden, weil Dienstleistungen aufgrund ihrer Unstofflichkeit, Nicht-Speicherbarkeit und Abnehmerbezogenheit grundsätzlich nicht mehrmals weiterveräußert werden können. Oft kann die Grenze zwischen den einzelnen Marktstufen nicht eindeutig gezogen werden.1 Ferner verliert die Abgrenzung zwischen Großhändler und Einzelhändler durch moderne Absatzsysteme insbesondere im Bereich des E-Business (Rz. 6.675 ff.) weiter an Konturen.2 Letztlich geht es bei der Abgrenzung von Handelsstufen um die Identifizierung homogener Teilmärkte, die sich nach geographischen, zeitlichen, personellen, verwendungsbezogenen, mengenbezogenen und leistungsbezogenen Segmentierungskriterien definieren lassen.
3.77
5. Besondere Geschäftsstrategien Unternehmerische Zielvorstellung und Geschäftsstrategien. Weitere, die Vergleichbarkeit der Verhältnisse möglicherweise beeinträchtigende Einflussfaktoren sind die konkrete unternehmerische Zielvorstellung, die speziellen betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die Geschäftsstrategien der am Leistungsaustausch beteiligten Unternehmen. Unterstellt man den Entscheidungsträgern unabhängiger Unternehmen langfristig die Absicht der Gewinnerzielung bzw. Gewinnmaximierung, so kann diese Zielvorstellung in einer kurzfristigen Betrachtung vorübergehend anderen Zielsetzungen weichen. Die Ursachen für das temporäre Abweichen von einer rein gewinnorientierten Unternehmenspolitik können z.B. in Beschäftigungsgradschwankungen oder Maßnahmen der Markterschließung, der Marktsicherung und der Markterweiterung liegen und kurzfristig zu einem vollständigen oder begrenzten Verzicht auf Gewinn oder volle Kostendeckung führen. Die OECD-Leitlinien sprechen in diesem Zusammenhang von besonderen „Geschäftsstrategien“.3 Treten z.B. bei einer Produktionsgesellschaft infolge konjunktureller oder saisonaler Schwankungen zeitweise Überkapazitäten auf, kann diese zur Auslastung der Kapazitäten bzw. Aufrechterhaltung der Beschäftigung gezwungen sein, vorübergehend Bedingungen zu akzeptieren, die lediglich die Einzelbzw. variablen Kosten decken, um wenigstens einen gewissen Deckungsbeitrag zu erzielen.4 Umgekehrt kann bei Überbeschäftigung durch Nutzung günstiger Marktsituationen zeitweilig ein vergleichsweise höherer Preis gefordert und durchgesetzt werden, um den Deckungsbeitrag zu maximieren. Zum anderen kann die Absicht zur Schaffung oder Erweiterung des Abnehmerkreises die Notwendigkeit mit sich bringen, neben diversen anderen Maßnahmen des Marketing-Mix
1 Vgl. Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, M Rz. 180, die auf die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung Großhandel/Endverbraucher bei sog. Cash & Carry-Märkten hinweisen. 2 Vgl. Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, M Rz. 183. 3 Vgl. Tz. 1.14 ff. OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. hierzu im Einzelnen Baumhoff, IStR 1996, 55 sowie Tz. 2.57 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 225
3.78
Kap. 3 Rz. 3.78 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
auch die Preispolitik gezielt einzusetzen. Dieser Aspekt ist insofern von besonderer Relevanz, als die Gewinnung neuer Abnehmer vielfach mit der Errichtung dauerhafter Geschäftsbeziehungen gleichzusetzen ist. In der Erwartung, neu geschaffene Geschäftsbeziehungen auf Dauer gewinnbringend zu nutzen, könnte ein Unternehmen bereit sein, zeitlich begrenzte Preiskonzessionen hinzunehmen. Solche Geschäftsstrategien sind in erster Linie für die Beurteilung von Verrechnungspreisen gegenüber Vertriebsgesellschaften relevant. Insbesondere in der Gründungs- und Anlaufphase, aber auch während der Einführung neuer Produkte und Produktlinien erwirtschaften Vertriebsgesellschaften oft beachtliche Verluste bzw. Mindererlöse. Diese resultieren zum einen aus den Kosten für den Aufbau einer Innen- und Vertriebsorganisation, zum anderen aus temporär günstigen Endabgabepreisen (sog. „Kampfpreisen“).1 Darüber hinaus führen zeitweise überdurchschnittlich hohe Marketingaufwendungen und sonstige Verkaufsförderungsmaßnahmen zu Renditen, die vorübergehend unter denen des Branchendurchschnitts liegen können.
3.79
Werbe- und Markterschließungsaufwendungen. Für die Beantwortung der Frage, welches Konzernunternehmen die Werbe- und Markterschließungsaufwendungen zu tragen hat, führen die OECD-Leitlinien aus, dass die Markterschließungsstrategie entweder durch den Produzenten selbst oder aber durch den Vertreiber, der getrennt vom Produzenten agiert, umgesetzt und die daraus entstehenden Kosten von beiden getragen werden könnten.2 Ferner ist als weiterer Gesichtspunkt zu berücksichtigen, ob die Beziehung zwischen den Vertragspartnern der Geschäftsbeziehung konsistent zu der Allokation der Markterschließungskosten ist. Diese, für die Praxis wenig hilfreiche Feststellung wird allerdings durch den Hinweis präzisiert, dass z.B. bei Fremdgeschäften eine konzernunabhängige Gesellschaft, die lediglich als „Sales Agent“ mit keinem oder nur geringem Vermarktungsrisiko handle, üblicherweise nicht die Kosten einer Markteroberungsstrategie zu tragen habe.3 Preisrelevant sei darüber hinaus, ob eine Konzerngesellschaft Markterschließungsmaßnahmen auf ihr eigenes Risiko hin entfalte und den Wert eines Produkts durch eine Marke oder einen Firmennamen steigere oder den Firmenwert in Verbindung mit dem Produkt steigere.
Damit stellt auch die OECD hinsichtlich der Frage der Aufteilung von Markterschließungskosten letztlich darauf ab, welche Funktionen, welches Risiko und welches Interesse die an der Umsetzung der Markterschließungsmaßnahmen beteiligten Konzerngesellschaften übernommen haben und welche Konzerngesellschaft hierdurch einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt (sog. „benefit test“). Diese Auffassung deckt sich im Wesentlichen mit der Auffassung der deutschen Finanzverwaltung, die feststellt, dass für die Frage der steuerlichen Einkunftsabgrenzung insbesondere auf die Funktionen der beteiligten verbundenen Unternehmen abzustellen ist. Erhöht sich durch Werbemaßnahmen der Vertriebsgesellschaft nicht nur der Absatz der Vertriebsgesellschaft selbst, sondern auch das Absatzvolumen der inländischen Produktionsgesellschaft, erfolgen die Werbemaßnahmen der ausländischen Vertriebsgesellschaft somit nicht nur in deren Interesse, sondern auch zum Vorteil der inländischen Konzerneinheit. Infolgedessen sind die Werbekosten der ausländischen Vertriebsgesellschaft auch durch die inländische Produktionsgesellschaft betrieblich veranlasst4 und somit anteilig dieser zuzuordnen. Dementsprechend sind die Kosten der Werbung „angemessen aufzuteilen“. Dies gilt grundsätzlich auch für Kosten der Markterschließung, die (erhöhte) Kosten für die Einfüh-
1 2 3 4
Vgl. hierzu auch Baumhoff, IStR 1993, 520 ff. Vgl. Tz. 1.137 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.137 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. § 4 Abs. 4 EStG.
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.80 Kap. 3
rung neuer Produkte (z.B. aufgrund einer aggressiven Niedrigpreispolitik oder einer besonderen Werbekampagne) betreffen. Denn auch bezogen auf eine Kampfpreispolitik ist davon auszugehen, dass diese sowohl im Interesse der Produktions- als auch im Interesse der Vertriebsgesellschaft erfolgt und damit eine Kostenaufteilung vorzunehmen ist.1 Allerdings fordert die Finanzverwaltung in Rz. 3.33 der VWG VP 2021, dass nicht als Strategieträger zu qualifizierende Unternehmen im Regelfall keine länger andauernde Verlustperiode hinnehmen, ohne einen angemessenen Totalgewinn innerhalb eines bestimmten überschaubaren Kalkulationszeitraums zu erwarten. Die Finanzverwaltung verbindet mit der Nichterzielung eines angemessenen Gesamtgewinns innerhalb von fünf Wirtschaftsjahren im Umkehrschluss die Konsequenzen, dass (a) die Verrechnungspreise unangemessen sind, (b) Geschäftsvorfälle nicht identifiziert und bepreist wurden, oder (c) Aufwendungen durch Interessen anderer Gruppenmitglieder mitverursacht sind (zum Beispiel Markenwerbung, Statthalterfunktion in einem bestimmten Markt).2 Diese Grundsätze sind deutlich überschießend. Rz. 3.33 und 3.35 der VWG VP 2021 verdeutlichen in ihrer Gesamtschau, dass die Finanzverwaltung offensichtlich davon ausgeht, dass Unternehmen, die nicht als Strategieträger zu qualifizieren sind, stets Routineunternehmen seien. Dies ist unzutreffend. Das Ergebnis einer Funktions- und Risikoanalyse muss nicht darauf hinauslaufen, dass die Transaktionspartner einem dieser Unternehmenstypen zuzuordnen sind. Für Unternehmen, die weder Routineunternehmen noch Strategieträger sind, kannten die VWG-Verfahren bisher die Kategorie des sog. Mittel- oder Hybridunternehmens,3 die es ungeachtet der aufgehobenen VWG-Verfahren in der Verrechnungspreispraxis weiterhin gibt. Die Verwaltungsauffassung ist nur für Routineunternehmen zutreffend und nur auf diese bezieht sich die in Rz. 3.33 VWG VP 2021 angeführte Verweisstelle auf Tz. 3.64 OECD-Leitlinien. Denn nach den OECD-Leitlinien besteht lediglich bezogen auf Routine-Vertriebsunternehmen die Empfehlung, dass Markterschließungskosten durch die Produktionsgesellschaft zu tragen sind.4 Verlustsituationen bei Markterschließungsmaßnahmen. Sowohl die Finanzverwaltung als auch die OECD-Leitlinien teilen damit die Auffassung des BFH in seinem Urteil v. 17.2.1993 (sog. „Aquavit-Urteil“),5 wonach ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter eines Vertriebsunternehmens nur dann ein neues Produkt am Markt einführen und vertreiben werde, wenn er daraus bei vorsichtiger und vorheriger kaufmännischer Prognose innerhalb eines überschaubaren Zeitraums und unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Marktentwicklung einen angemessenen Gesamtgewinn erwarten könne. Allerdings soll nach den Urteilen des BFH v. 17.2.19936 und 17.10.20017 eine mögliche Verlustphase der Vertriebsgesellschaft – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalls – bei neu eingeführten Produkten drei Jahre nicht überschreiten, „erst recht“ nicht beim Weitervertrieb von bereits vorher auf dem Markt eingeführten Produkten. Die in der Literatur8 kriti1 Vgl. Tz. 1.137 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.33. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. c (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. Tz. 1.137 OECD-Leitlinien 2022; Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, M Rz. 394. 5 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457; dazu kritisch Becker, IWB Fach 3 Gruppe 1, 1339; Sieker, BB 1993, 2424; Baumhoff, IStR 1993, 520. 6 BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457. 7 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 8 Vgl. Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 521; Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I Rz. 285 ff.; Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, M Rz. 405.
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3.80
Kap. 3 Rz. 3.80 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
sierte starre Dreijahresfrist ist allerdings als widerlegbare Vermutung zu verstehen, sodass es dem Steuerpflichtigen freisteht darzulegen, dass die Verlustursachen nicht in unangemessenen Verrechnungspreisen, sondern vielmehr in sonstigen betrieblichen Gründen (z.B. Fehlmaßnahmen, nicht vorhersehbaren Ereignissen) zu suchen sind und rechtzeitig Anpassungsmaßnahmen ergriffen wurden. Insofern ist hier eine Analyse der Verlustursachen erforderlich. Dies gilt auch und insbesondere beim Ausweis von Dauerverlusten. Vor diesem Hintergrund ist zu begrüßen, dass die VWG VP keine Jahresfrist benennen, sondern unspezifiziert von einer „länger andauernde(n) Verlustperiode“ sprechen.1 Die Anerkennung von Anlaufverlusten wird zudem von der Erzielung eines „angemessenen“ Totalgewinns innerhalb eines – vom BFH nicht näher quantifizierten – überschaubaren Kalkulationszeitraums abhängig gemacht. Das heißt, die nach der Anlaufphase entstehenden Gewinne müssen die Anlaufverluste mehr als kompensieren. Die Höhe dieser „Überkompensation“ soll mindestens der angemessenen Verzinsung des zugeführten Eigenkapitals (einschließlich Zinseszins und Risikozuschlags) entsprechen. Dementsprechend ist für den Fall, dass beim Vertreiber die Kosten einschließlich Markterschließungskosten die Erlöse übersteigen, davon auszugehen, dass der Produzent bzw. der Lieferant durch reduzierte Lieferverrechnungspreise oder Zuschüsse (Markterschließungs- bzw. Werbekostenzuschüsse) die Verlustsituation beseitigt bzw. überkompensiert. Außerdem und unabhängig davon hat nach Auffassung des BFH die Vertriebsgesellschaft die Markterschließungskosten dann nicht zu übernehmen, wenn die Kosten branchenüblich vom Hersteller oder Lieferanten getragen werden.2 Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Markterschließungsmaßnahmen im alleinigen oder ganz überwiegend im betrieblichen Interesse des Produzenten liegen bzw. ein Markeninhaber ein Interesse am Aufbau seiner Marke in einem bestimmten Markt hat.
3.81
Verlustfreistellung nur bei Routinevertriebsunternehmen. Allerdings ist diese Rspr. nur vor dem Hintergrund der klassischen Verrechnungspreislehre zu verstehen und zutreffend. Sie ist nur sachgerecht für den Fall, dass der Vertreiber nicht als „Entrepreneur“ fungiert, d.h. allenfalls als „Mischunternehmen“ oder gar nur als „Routineunternehmen“, also Kommissionär oder einfacher Low-Risk-Distributor.3 Agiert das Vertriebsunternehmen hingegen als „Entrepreneur“ bzw. „Strategieträger“, gebührt ihm – ggf. zusammen mit anderen, als Strategieträger qualifizierenden Verbundunternehmen – der Residualgewinn oder -verlust, der nach Abgeltung der Funktionsvergütung für das Produktionsunternehmen verbleibt. Nach den Grundsätzen der zitierten Rspr. muss in diesem Fall die Verlustfreistellung und die Forderung nach einer Überkompensation auf das Produktionsunternehmen „durchschlagen“. Wird dieses als Unternehmen mit Routinefunktionen (z.B. Lohnfertiger oder Auftragsfertiger) qualifiziert, weist es bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf in Ansehung seiner reduzierten Chancen und Risiken regelmäßig moderate bzw. geringe, aber relativ stabile Gewinne aus. Wird dieser Forderung mittels eines kostenorientierten (Dienstleistungs-)Entgelts Rechnung getragen, scheidet die Zuordnung von Markterschließungs- und Werbekosten schon aus diesem Grund aus.
3.82
Weitere Aspekte besonderer Geschäftsstrategien. Die OECD-Leitlinien sehen auch in der sog. Palettenbetrachtung (vgl. hierzu Rz. 3.173 f.) eine Geschäftsstrategie, die darauf gerichtet ist, bestimmte Produkte mit einer niedrigeren Gewinnmarge oder verlustbringend zu verkaufen, wenn das vertriebene Produkt den Verkauf eines (gewinnbringenden) Folgeproduktes 1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.33. 2 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457. 3 Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 35 ff.; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 2011, 145.
228 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.85 Kap. 3
nach sich zieht, wobei die OECD-Leitlinien beispielhaft Geräte und Verbrauchsmaterial des monopolistischen Zubehörmarktes wie Kaffeemaschinen und Kaffeekapseln oder Drucker und Druckerpatronen erwähnen.1 Geschäftsstrategien können ferner darauf gerichtet sein, Standortvorteile (vgl. Rz. 3.83 ff.) oder Synergieeffekte (vgl. Rz. 3.92 ff.) zu erzielen und sind vor diesem Hintergrund im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse zu berücksichtigen.2
6. Standortvorteile und andere lokale Marktbedingungen Erweiterung der Vergleichbarkeitsfaktoren. Die OECD-Leitlinien haben sich im Zusammenhang mit den in Kapitel IX eingeführten Grundsätzen zu Business Restructurings erstmals zur Behandlung von Standortvorteilen geäußert.3 Beispielhaft benennen die OECD-Leitlinien als Standortvorteile niedrige Arbeits- und Immobilienkosten, die bei höheren, durch die Verlagerung bedingten Kosten (z.B. Schließungskosten, Infrastrukturkosten am neuen Standort, Transportkosten, Ausbildungskosten für lokale Arbeitskräfte) insgesamt zu (kostenorientierten) Standortvorteilen führen können.4 Tz. 1.159 ff. OECD-Leitlinien enthalten umfangreiche Erläuterungen zum Einfluss von Standortvorteilen und anderen lokalen Marktbedingungen auf die Vergleichbarkeit der Verhältnisse.5
3.83
Standortvorteile und Anpassungsrechnungen. Im Hinblick auf Standortvorteile führt Tz. 1.164 der OECD-Leitlinien aus, dass einige Eigenschaften des relevanten Marktes auf Standortvorteile hindeuten könnten, während andere Eigenschaften eher Bedenken an der Vergleichbarkeit hervorrufen, ohne unmittelbar mit Standortvorteilen zusammenzuhängen. Zu letzteren Eigenschaften des relevanten Marktes gehören etwa die Größe des geografischen Marktes, auf dem die Lieferungen und Leistungen erfolgen, die Kaufkraft und die Konsumpräferenzen der (privaten) Haushalte, ob es sich um einen Wachstumsmarkt oder um einen zurückgehenden Markt handelt, die Wettbewerbsintensität auf diesem Markt und vergleichbare Faktoren mit Einfluss auf die Preise und Margen auf diesem Markt.6 Während eine Berücksichtigung dieser konkreten Markteigenschaften in der Vergleichbarkeitsanalyse eine Selbstverständlichkeit ist, gehen die OECD-Leitlinien auch für die Standortfaktoren, die zu Standortvorteilen oder -nachteilen führen können (z.B. die relative Verfügbarkeit lokaler Infrastruktur, die relative Verfügbarkeit von ausgebildeten Arbeitskräften, die Nähe zu lukrativen Märkten), davon aus, dass sie in der Vergleichbarkeitsanalyse berücksichtigt werden sollten.7 Hierbei soll diesen Standortfaktoren vorrangig durch Vergleichbarkeitsanpassungen Rechnung getragen werden, wenn diese Anpassungen verlässlich sind und die Vergleichbarkeit erhöhen.
3.84
Tatsächlicher Fremdvergleich und Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Die OECD-Leitlinien gehen davon aus, dass der Rückgriff auf Vergleichswerte vergleichbarer Geschäftsvorfälle zwischen fremden Dritten auf diesem geografischen Markt den verlässlichsten Ansatz dafür bietet, ob für die konkreten Markteigenschaften besondere Anpassungen erforderlich sind oder nicht. Können solche Vergleichswerte identifiziert werden, sollen nach Auffassung der OECD keine besonderen Anpassungen im Hinblick auf die konkreten Markteigenschaften, ein-
3.85
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Tz. 3.10 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.179 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 9.126–9.131 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 9.126 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.159 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.164 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.164 OECD-Leitlinien 2022.
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Kap. 3 Rz. 3.85 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
schließlich Standortvorteilen und -nachteilen, erforderlich sein.1 Der Auffassung der OECD ist insofern zuzustimmen, als die Ableitung von z.B. konkreten Preisen vergleichbarer Fremdgeschäftsvorfälle, die unter denselben Marktbedingungen und -eigenschaften zustande gekommen sind, mittels tatsächlichen Fremdvergleichs die Fremdüblichkeit indiziert und jedwede darüber hinausgehende Anpassung auch mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht zu vereinbaren wäre (vgl. auch Rz. 5.205 ff.).
In der Praxis sollte allerdings gerade die Vergleichbarkeit der Fremdgeschäftsvorfälle das Hauptproblem darstellen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die konkrete Funktions- und Risikoverteilung zwischen den Parteien der Vergleichstransaktionen, über die entsprechende Informationen regelmäßig nicht verfügbar sein sollten. Gleiches gilt für die erforderliche Referenz, auf die sich die Beurteilung vorteilhafter oder nachteiliger Standortfaktoren letztlich bezieht. Neben den konkreten Markteigenschaften und Standortfaktoren des Marktes, auf dem die Leistungserstellung erfolgt, erfordert eine konkrete Referenz auch die Einbeziehung der Markteigenschaften und Standortfaktoren des jeweiligen Auftraggebers. Insofern müssen vergleichbare Fremdgeschäftsvorfälle dieselben Marktbezüge aufweisen. Ferner steht die Vergleichbarkeit der Verhältnisse bei Technologie- und Know-how-Beistellungen des Auftraggebers im Rahmen von konzerninternen Transaktionen stets in Frage (vgl. Rz. 5.205 ff.). Wir gehen deshalb davon aus, dass die Identifizierbarkeit konkreter Vergleichspreise oder -werte für die konzerninternen Geschäftsvorfälle, bei denen Standortvorteile und deren Aufteilung in Rede stehen, aufgrund der spezifischen Ausgestaltung dieser Geschäftsbeziehungen eher die Ausnahme sein sollte.
3.86
Vergleichbarkeitsanpassungen. Für Situationen, in denen verlässliche lokale Vergleichswerte vernünftigerweise nicht festgestellt werden können, empfehlen die OECD-Leitlinien für die Bestimmung angemessener Vergleichbarkeitsanpassungen folgende Vorgehensweise im Hinblick auf die Berücksichtigung von Standortvorteilen: 1. es ist festzustellen, ob ein Standortvorteil oder -nachteil besteht; 2. die Zunahme oder Abnahme von Einkünften, Kosten oder Gewinnen gegenüber auf anderen Märkten bestimmten Vergleichswerten, die den Vor- oder Nachteilen des lokalen Marktes zuzuschreiben ist, ist betragsmäßig zu ermitteln; 3. es ist festzustellen, in welchem Umfang Vor- oder Nachteile lokaler Marktmerkmale an unabhängige Kunden oder Zulieferer weitergegeben werden; 4. für Fälle, in denen Gewinne und Belastungen existieren, die lokalen Marktmerkmalen zuordenbar sind und nicht vollständig an unabhängige Kunden oder Zulieferer weitergegeben werden, ist die Methode zu bestimmen, nach der unabhängige Unternehmen, die unter vergleichbaren Umständen tätig sind, solche Nettovorteile oder -nachteile unter sich aufteilen würden.2 Die Vorstellungen der OECD haben für sich, dass sie eine theoretische Vorgehensweise aufzeigen, nach der Standortvorteile in die Vergleichbarkeitsanalyse einbezogen werden könnten. Allerdings sollte mit Ausnahme der Feststellung konkreter Standortvorteile oder -nachteile in der Praxis keiner dieser Schritte tatsächlich umsetzbar sein. Schon die Allokation bestimmter Veränderungen von Ergebniszahlen auf Standortvorteile oder -nachteile nach objektiven Gesichtspunkten sollte in der Praxis mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, erfordert sie doch die Kenntnis und Abgrenzbarkeit von Ergebniswirkungen, die auf andere Einflussfaktoren, wie z.B. Synergieeffekte, zurückzuführen sind. In welchem Umfang Gewinne oder 1 Vgl. Tz. 1.165 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 1.166 OECD-Leitlinien 2022.
230 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.87 Kap. 3
Belastungen aus den lokalen Marktgegebenheiten zwischen fremden Dritten weitergegeben werden, würde die Kenntnis über deren Höhe und die Isolierbarkeit aus ggf. feststellbaren Vergleichspreisen und -werten voraussetzen. Für beides fehlen gegenwärtig entsprechende Vergleichsdaten, auf deren Grundlage – methodisch mittels tatsächlichen Fremdvergleichs – entsprechende Feststellungen getroffen werden könnten. Auch würde dieses Verfahren erfordern, dass die Kalkulationsgrundlagen der an den Fremdgeschäftsvorfällen beteiligten Unternehmen offengelegt und zugänglich gemacht werden, was praktisch kaum vorstellbar ist. Man wird letztlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass Standortvorteile und -nachteile nicht mittels eines tatsächlichen Fremdvergleichs aufgeteilt und zugeordnet werden können. Insofern verbliebe als Formel für die Berücksichtigung von Standortvorteilen im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse lediglich, die Methode zu bestimmen, nach der fremde Dritte unter ähnlichen Rahmenbedingungen Standortvorteile aufteilen würden. Welche Methoden hierfür konkret in Betracht kommen, lassen die OECD-Leitlinien allerdings offen. Berücksichtigung von Standortvorteilen nach dem UN-Manual. Die Berücksichtigung von Standortvorteilen bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen wird auch im sog. UN-Manual1 ausführlich diskutiert. Mit dem UN-Manual sollen vornehmlich den Gesetzgebern und Finanzverwaltungen von Schwellenländern eine Anleitung und Hilfestellung zur Umsetzung der normativen und administrativen Aspekte des Fremdvergleichsgrundsatzes gegeben werden. Als Standortvorteile versteht das UN-Manual den ökonomischen Nutzen, der sich aus der Ausübung der Geschäftstätigkeit an einem bestimmten/spezifischen Standort ergibt (z.B. Marktnähe, Kundenstamm, Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitnehmer, Lohnkostenvorteile, etc.), wobei dem betreffenden Standort auf Basis volkswirtschaftlicher Überlegungen eine sog. „Standortrente“ (sog. „Location Rent“) zugesprochen wird.2 Speziell im China-Kapitel des UN-Manuals 2021 werden Hinweise zur Berücksichtigung von Standortvorteilen gegeben.3 Hiernach hat sich aus der Prüfung von Verrechnungspreissachverhalten in China herausgestellt, dass in Schwellenländern häufig keine Fremdvergleichswerte (z.B. aus Datenbanken) verfügbar sind und Datenbankstudien mit überregionalem geographischem Fokus (z.B. PanAsiatische Studien) häufig lediglich Fremdvergleichswerte aus Industrieländern (z.B. Japan), seltener jedoch aus Entwicklungsländern (z.B. Vietnam) enthalten.4 China geht deshalb davon aus, dass die bestehenden erheblichen Unterschiede der wirtschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Schwellenländern regelmäßig Anpassungsrechnungen erforderlich machen, um eine – jedenfalls eingeschränkte – Vergleichbarkeit herzustellen.5 Gegenstand dieser Anpassungen sind sog. „lokale Standortvorteile“ („location specific advantages“), aufgrund derer sog. „lokale Kostenvorteile“ („location savings“)6 bzw. sog. „Marktprämien“ („market premium“)7 realisiert werden können.8 Die Berücksichtigung dieser lokalen 1 Practical Manual on Transfer Pricing for developing Countries 2021, abrufbar unter https://www. un.org/development/desa/financing/sites/www.un.org.development.desa.financing/files/2021-04/ TP_2021_final_web%20 %281 %29.pdf. 2 Vgl. UN Manual 2021, Tz. 3.4.5.6 ff. 3 Vgl. UN Manual 2021, 2.20.8 ff. 4 Vgl. UN Manual 2021, Tz. 2.20.6. 5 Vgl. UN Manual 2021, Tz. 2.20.7. 6 Kostenvorteile können sich beispielhaft durch günstigere Lohnkosten, Vermeidung von Transportkosten, etc. ergeben, vgl. UN Manual 2021, Tz. 2.20.8. 7 Die Marktprämie bezeichnet alle Umstände, die die Erwirtschaftung von Umsatz bzw. Gewinn im Vergleich zu anderen Ländern positiv beeinflussen, vgl. UN Manual 2021, Tz. 2.20.9. 8 Vgl. UN Manual 2021, Tz. 2.20.8.
Baumhoff/Liebchen | 231
3.87
Kap. 3 Rz. 3.87 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Standortvorteile wird in der chinesischen Verrechnungspreisprüfung mittels eines vierstufigen Prüfverfahrens vorgenommen:1 1. Prüfung, ob lokale Standortvorteile vorliegen, 2. Prüfung, ob lokale Standortvorteile den Gewinn erhöhen, 3. Quantifizierung/Bewertung des zusätzlichen Gewinns, welcher durch den Standortvorteil generiert wird, 4. Festlegung der Verrechnungspreismethode, um den zusätzlichen Gewinn zuzuordnen. Anhand des Beispiels zur Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bei Auftragsforschungsleistungen für ausländische Strategieträger wird deutlich, wie die Berücksichtigung und Zuordnung von Standortvorteilen erfolgen soll.2 Sollte demnach aus einer Verrechnungspreisstudie ersichtlich sein, dass ein angemessener Gewinnaufschlag auf Vollkosten in Industriestaaten 8 % beträgt, ist dieser Gewinnaufschlag (prozentual) auch auf die eingesparten Kosten anzuwenden. Die Bestimmung des angemessenen Gewinnaufschlags wird wie folgt erläutert: Angemessener Gewinnaufschlag in Industriestaaten:
8%
Kosten im Industriestaat:
150
Kosten in China:
100
Angemessener Gewinn in China:
12 (= 8 % × 150)
Angemessener Gewinnaufschlag in China:
12 % (= 12/100)
Im Ergebnis wird der Gewinnaufschlag fiktiv auch auf die Kostenvorteile angewendet, die durch die Lohnfertigung in China entstehen und der daraus resultierende Mehrgewinn in einen höheren Gewinnaufschlagssatz umgesetzt. Der Standortvorteil geringerer Kosten i.H.v. 50 Geldeinheiten wird damit z.T. (i.H.v. 4 Geldeinheiten) dem Auftragsforscher und i.Ü. dem Strategieträger (i.H.v. 46 Geldeinheiten) zugewiesen. Diese Anpassungsrechnung stellt einen pragmatischen Ansatz dar, der sich aus dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht ableiten lässt.3
7. Qualifizierte und eingearbeitete Belegschaft 3.88
Isolierung des Wertschöpfungsbeitrags geschäftswertbildender Faktoren? Nach Auffassung der OECD-Leitlinien soll der Einfluss einer einzigartig qualifizierten und eingearbeiteten Belegschaft auf die Fremdvergleichspreise der durch diese Arbeitnehmer erbrachten Dienstleistungen oder die Effizienz bei der Erbringung von Dienstleistungen und der Produktion von Waren bei der Vergleichbarkeitsanalyse grundsätzlich Berücksichtigung finden.4 Hierbei gehen der OECD-Leitlinien davon aus, dass Vergleichbarkeitsanpassungen deren Einfluss auf die Fremdvergleichspreise reflektieren müssten, wenn der Nutzen oder die Beeinträchtigung der Leistungserbringung durch die eingesetzte Belegschaft gegenüber entsprechenden Vergleichstransaktionen bestimmbar ist. Die Bestimmbarkeit wie die Quantifizierbarkeit würden voraussetzen, dass der Wertschöpfungsbeitrag isolierbar wäre und dass unter den Marktteilnehmern im Hinblick auf Vergleichstransaktionen Kenntnis über die jeweils eingesetzte Belegschaft, deren jeweilige „Güte“ und Bewertung i.S. von Zu- oder Abschlägen besteht. Dies ist 1 2 3 4
Vgl. UN Manual 2021, Tz. 2.20.10. Vgl. UN Manual 2021, Tz. 2.20.15. So auch Eigelshoven/Ebering, IStR 2014, 18. Vgl. Tz. 1.172 OECD-Leitlinien 2022.
232 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.90 Kap. 3
allerdings in der Praxis mangels Verfügbarkeit entsprechender Daten nicht der Fall. Immaterielle Vorteile aus einer gut ausgebildeten und eingearbeiteten Belegschaft gehen vielmehr als geschäftswertbildende Faktoren – neben weiteren geschäftswertbildenden Faktoren (z.B. gute Verkehrsanbindungen, gute Beziehungen zu Genehmigungsbehörden, bestehende Konzessionen oder Zertifizierungen) – im Geschäfts- und Firmenwert auf, der einer Einzelbewertung nicht zugänglich ist, und das bezogen auf das gesamte Unternehmen oder auf organisatorisch geschlossene Teilbereiche eines Unternehmens mit Teilbetriebsqualität. Wenn die Bewertung einzelner geschäftswertbildender Faktoren schon im Hinblick auf die Isolierung und Zuordenbarkeit von Aufwendungen und Erträgen bezogen auf das Gesamtunternehmen theoretisch wie praktisch nicht möglich ist, bleibt völlig offen, wie dies auf Basis einzelner Geschäftsvorfälle und damit transaktionsbezogen erfolgen soll. Es ist der OECD zwar darin zuzustimmen, dass eine (einzigartig) qualifizierte und eingearbeitete Belegschaft zweifelsohne einen Erfolgsfaktor für die unternehmerische Leistungserstellung darstellt. Allerdings sollte die Berücksichtigung im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse mittels Anpassungsrechnungen eine eher theoretische Fragestellung sein. Übertragung im Rahmen von „Business Restructurings“. Wird im Rahmen von Restrukturierungen oder Funktionsverlagerungen eine bestehende Belegschaft als Bestandteil der Transaktion zwischen verbundenen Transaktionspartnern übertragen, soll nach Auffassung der OECD geprüft werden, ob für das aufnehmende Unternehmen mit der Übernahme der eingearbeiteten Belegschaft ein Vorteil oder Nachteil verbunden ist und dies durch Anpassungsrechnungen bezogen auf den Preis, der nur im Hinblick auf die übertragenen Wirtschaftsgüter als Fremdvergleichspreis anzusehen wäre, Berücksichtigung finden.1 In diesem Zusammenhang können Vorteile etwa in ersparten Kosten für die Anwerbung und Ausbildung neuer Arbeitskräfte bestehen. Als Nachteile erwähnen die OECD-Leitlinien Beschränkungen des aufnehmenden Unternehmens in der Strukturierung der Geschäftsabläufe und die Begründung potenzieller zukünftiger Verpflichtungen bei Beendigung der Arbeitsverhältnisse.2 In diesem Zusammenhang wären etwa auch Belastungen aus übernommenen Sozialstandards und höheren Lohn- und Gehaltskosten zu nennen. Ob solche Vor- oder Nachteile separat zu erfassen sind, ist nach Auffassung der OECD davon abhängig, nach welchen Grundsätzen bzw. nach welcher Verrechnungspreismethode die Preisbestimmung für die gesamte Transaktion erfolgt. Anpassungsrechnungen sollten nur dann in Betracht kommen, wenn und soweit Einzelverrechnungspreise bestimmt werden (können) und entsprechende Vor- oder Nachteile quantifizierbar sind. Demgegenüber kommt in Fällen einer Preisbestimmung mittels ertragswertbasierter Bewertungsverfahren eine darüber hinausgehende Berücksichtigung einzelner Voroder Nachteile aus der Übernahme einer bestehenden Belegschaft nicht in Betracht.
3.89
Abgrenzung insb. zur konzerninternen Arbeitnehmerentsendung (Rz. 6.185). Zutreffend stellen die OECD-Empfehlungen klar, dass in typischen Fällen konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen separate Ausgleichszahlungen nicht sachgerecht sind.3 Vielmehr ist lediglich die für die Arbeitsnehmerentsendung fremdvergleichskonforme Vergütung erforderlich. Dies entspricht den Grundsätzen zur Abgrenzung von Personalentsendungen im Konzern von Funktionsverlagerungen nach deutschem Steuerrecht (vgl. Rz. 7.83 f.). Durch normale Personalentsendungsfälle im Konzern geht regelmäßig keine Funktion i.S. eines organischen Teils des Unternehmens über, sodass die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung nicht
3.90
1 Vgl. Tz. 1.173 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. TZ. 1.173 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 1.174 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 233
Kap. 3 Rz. 3.90 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
vorliegen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung1 sind deshalb lediglich die für die entsandten Arbeitnehmer angefallenen Kosten zu verrechnen. Liegen die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung hingegen nicht vor, weil die Arbeitnehmer in Erfüllung einer Dienstleistungsverpflichtung des entsendenden Unternehmens tätig werden,2 ist diese Dienstleistung regelmäßig nach der Kostenaufschlagsmethode zu verrechnen. Allerdings ist die Rückausnahme des § 1 Abs. 7 Satz 1 Alt. 2 FVErlV dann zu beachten, wenn die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung nicht erfüllt sind und die Dienstleistungen des entsendenden Unternehmens Teil einer Funktionsverlagerung sind.
3.91
Abgrenzung zum Know-how-Transfer. Nach den Empfehlungen der OECD-Leitlinien sind zudem Fälle gesondert zu analysieren, in denen aus der Entsendung oder Übertragung einer eingearbeiteten Belegschaft die Übertragung von Know-how resultiert.3 Das hierzu angeführte Beispiel zur Abschmelzung eines Eigenforschers zum Auftragsforscher verdeutlicht, dass ein Know-how-Transfer nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen in Betracht kommt und nicht den Regelfall darstellt.4 In dem dargestellten Fall wären für deutsch-steuerliche Zwecke die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung i.S. von § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG erfüllt, so dass auf Basis des übergehenden Transferpakets eine Funktionsverlagerungsbesteuerung erfolgen würde (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 7.83). In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass der OECD-Steuerausschuss alternativ sowohl die einmalige Ausgleichszahlung als auch laufende Ausgleichszahlungen als Bestandteil der Vergütungen für die Auftragsforschungsund Auftragsentwicklungsleistungen als mit dem Fremdvergleich vereinbar ansieht.5 Letztere Alternative entspricht den Regelungen zur Lizenzierung von Transferpaketen anstelle einer Einmalbesteuerung nach § 4 Abs. 2 FVerlV jedenfalls dann, wenn das wirtschaftliche Eigentum an dem Transferpaket und dessen Bestandteilen nicht auf das übernehmende Unternehmen übergeht (vgl. hierzu Rz. 7.94).
8. Synergieeffekte 3.92
Einfluss auf die Vergleichbarkeitsanalyse. Nach Auffassung der OECD sollen auch Synergieeffekte im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse Berücksichtigung finden und Gegenstand von Vergleichbarkeitsanpassungen sein können.6 Beispielhaft nennen die OECD-Leitlinien die Bündelung von Einkaufsmacht, Skaleneffekte, die Zusammenführung und Integration von Computer- und Kommunikationssystemen, integriertes Management, die Vermeidung von Doppel- und Mehrfacharbeit sowie die Steigerung der Kreditaufnahmemöglichkeit.7 Der OECD-Steuerausschuss begründet die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Synergieeffekten im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse mit den Vorteilen, die verbundene Unternehmen durch Wechselwirkungen und Synergien unter den Mitgliedern des betreffenden Unternehmensverbundes haben können, die unverbundenen Unternehmen in vergleichbarer Situation nicht zugänglich sind. Neben vorteilhaften Synergieeffekten sind nachteilige Verbundeffekte in die Vergleichbarkeitsanalyse einzubeziehen, wobei die OECD beispielhaft auf den Aufbau oder die Zunahme bürokratischer Strukturen und Hindernisse sowie die zwingende Verwen1 2 3 4
BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 – 20/01 – VWG ArbN, BStBl. I 2001, 769. Vgl. VWG ArbN, Tz. 2.1 Abs. 2. Vgl. Tz. 1.175 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.176 OECD-Leitlinien 2022 mit Verweis auf das Bsp. 23 im Anhang zu Kap. VI der OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Bsp. 23 im Anhang zu Kap. VI der OECD-Leitlinien 2022, Tz. 85. 6 Vgl. Tz. 1.177 ff. OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Tz. 1.177 OECD-Leitlinien 2022.
234 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.94 Kap. 3
dung einheitlicher Computer- und Kommunikationssysteme, die für bestimmte Geschäftsbereiche ineffizient sind, verweist.1 Abgrenzung zu passiven Konzerneffekten/Rückhalt im Konzern. Der Steuerausschuss der OECD hält ungeachtet seiner Empfehlungen zur Einbeziehung und Anpassung von Synergieeffekten daran fest, dass passive Konzerneffekte, d.h. Vorteile ebenso wie Nachteile, die sich bei völliger Passivität der Konzernleitung allein aus der Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund ergeben, nicht verrechenbar sind.2 Die Empfehlungen der OECD nehmen ausdrücklich Bezug auf Tz. 7.13 der OECD-Leitlinien. Hiernach ist die reine Konzernzugehörigkeit in Form einer rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Eingliederung in den Unternehmensverbund bei völliger Passivität der Spitzeneinheit von aktiven Handlungen, d.h. dem aktiven Tätigwerden, der Spitzeneinheit oder einer anderen beauftragten Konzerngesellschaft abzugrenzen und insofern zwischen passiven (d.h. nicht verrechenbaren) und aktiven (d.h. verrechenbaren) Konzerneffekten zu unterscheiden (Rz. 6.138).3 Für die Vergleichbarkeitsanalyse bedeutet dies, dass passive Konzerneffekte bzw. Synergieeffekte weder gesondert verrechnet noch den jeweiligen Verbundeinheiten gesondert zugeordnet werden dürfen.4
3.93
Beschränkung auf Synergieeffekte aus aktiven Handlungen. In die Vergleichbarkeitsanalyse einzubeziehen und ggf. anzupassen sind vor diesem Hintergrund ausschließlich die Synergieeffekte, die aus spezifischen aktiven Handlungen der Konzernspitze herrühren und die einen wesentlichen, eindeutig feststellbaren strukturellen Marktvorteil oder -nachteil gegenüber solchen Marktteilnehmern zum Gegenstand haben, die an vergleichbaren Geschäftsvorfällen beteiligt sind.5 Nach den Empfehlungen der OECD können die Existenz struktureller Vor- oder Nachteile, die Natur und Quelle positiver wie negativer Synergieeffekte als auch die Feststellung darüber, ob diese Vor- oder Nachteile aus bewusst abgestimmten Handlungen des Konzerns hervorgegangen sind, nur auf Basis einer sorgfältigen Funktions- und Vergleichbarkeitsanalyse bestimmt werden. Der OECD-Steuerausschuss geht hier davon aus, dass Vergleichbarkeitsanpassungen am ehesten gerechtfertigt sind, wenn ein bestimmter struktureller Vorteil oder der Nutzen oder die Belastung aus Synergien eindeutig identifiziert und einer bestimmten konzerninternen Maßnahme zugeordnet werden kann.6 Beispielhaft verweisen die Empfehlungen der OECD auf die Zentralisierung des konzernweiten Einkaufs in einer Einkaufsgesellschaft, um durch die Bündelung von Einkaufsmacht Mengenrabatte zu erlangen (Rz. 3.96).7 Gleiches soll gelten, wenn die Einkaufskonditionen zentral durch die Konzernspitze oder eine regionale Spitzeneinheit ausgehandelt werden und alle Konzerngesellschaften zu diesen (Rabatt-)Konditionen bei dem betreffenden Lieferanten einkaufen können (siehe aber Rz. 3.97). An einer solchen zielgerichteten konzerninternen Maßnahme fehlt es hingegen, wenn Zulieferer einzelnen Konzerngesellschaften nur deshalb Sonderkonditionen einräumen, weil sie weiteres Geschäft von anderen Mitgliedern dieses Unternehmensverbunds lediglich erwarten.8
3.94
1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Tz. 1.177 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.178 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 7.13 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.178 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.179 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.179 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.180 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.180 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 235
Kap. 3 Rz. 3.95 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.95
Feststellung und Aufteilung von Synergieeffekten. Die OECD-Leitlinien gehen davon aus, dass nur unter bestimmten Umständen („In some circumstances“) die Entstehung von Synergievorteilen oder -nachteilen auf besondere abgestimmte Handlungen des Unternehmensverbunds zurückgeführt werden können.1 Wenn ein wesentlicher Vorteil oder Nachteil auf konkrete abgestimmte Handlungen im Unternehmensverbund zurückgeführt werden kann, empfehlen die OECD-Leitlinien folgende weitere Vorgehensweise im Hinblick auf die Berücksichtigung von Synergieeffekten: 1. Feststellung der Art des Vorteils oder Nachteils; 2. betragsmäßige Bestimmung des Umfangs des verschafften Vor- oder Nachteils; 3. Feststellungen darüber, wie dieser Vor- oder Nachteil zwischen den verbundenen Unternehmen aufgeteilt werden sollte.2 Im Hinblick auf die Allokation entsprechender Vor- oder Nachteile gehen die OECD-Leitlinien von einer Aufteilung zwischen den Mitgliedern des Unternehmensverbunds nach dem jeweiligen Beitrag zur Entstehung des betreffenden Synergieeffekts aus. Hierzu werden beispielhaft Einkaufsvorteile bzw. Skaleneffekte angeführt, die auf die Bündelung ihrer Einkaufsaktivitäten zurückgehen (vgl. auch Rz. 3.96 f.).3 Was den Aufteilungsmaßstab nach Maßgabe des Beitrags zur Realisierung der betreffenden Synergieeffekte anbelangt, mag die Empfehlung der OECD nachvollziehbar sein, zumal sie zu einer vermeintlich verursachungsgerechten Allokation von Vor- oder Nachteilen aus Konzernsynergien führt. Zudem weist dieser Aufteilungsmaßstab Parallelen zur Aufteilung des Gesamtgewinns nach der sog. Beitragsmethode (Rz. 5.130) bzw. des Residualgewinns nach der sog. Residualgewinnmethode (Rz. 5.131) bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (Rz. 5.123 ff.) auf. Das wesentliche Problem sollte allerdings darin bestehen, die tatsächlich auf Konzernsynergien zurückgehenden Vorteile von den Vorteilen abzugrenzen, die auf Wertschöpfungsbeiträge einzelner Konzerngesellschaften zurückgehen, und letztere aus der Allokation auszunehmen.
3.96
„Anpassungsrechnungen“ bei Einkaufsdienstleistungen. Nach welchen Grundsätzen Voroder Nachteile aus Verbundsynergien im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse angepasst werden können, verdeutlichen ein Beispiel zu Einkaufsgesellschaften4 und ein Beispiel zur zentralen Verhandlung von Einkaufskonditionen durch eine Konzerngesellschaft5. Was die Erbringung von Einkaufsdienstleistungen in Gestalt der zentralen Aushandlung von Bezugspreisen und Rabattkonditionen durch eine Konzerngesellschaft zum Nutzen und im Interesse anderer Konzerngesellschaften anbelangt, geht die OECD von koordinierenden Dienstleistungen aus, die nach dem Fremdvergleichsgrundsatz abzurechnen sind. Die entsprechenden Einkaufsvorteile können von den Verbundgesellschaften, in deren Interesse die Bezugspreise und Rabatte ausgehandelt wurden, unmittelbar entsprechend ihren jeweiligen Einkäufen in Anspruch genommen werden, ohne dass es etwaiger (weiterer) Anpassungen bedarf.6 Die Auffassung der OECD ist zweifelsohne zutreffend. Allerdings handelt es sich nicht um bestimmte Vergleichbarkeitsanpassungen im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse, sondern letztlich um die Abrechnung von (Einkaufs-)Dienstleistungen. Letztlich handelt es sich bei den Konzerngesell-
1 2 3 4 5 6
Vgl. Tz. 1.179 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.181 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.182 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.188 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.189 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.189 OECD-Leitlinien 2022.
236 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.97 Kap. 3
schaften, zu deren Nutzen und in deren Interesse die Bezugspreise ausgehandelt werden, um Mitglieder eines sog. Nachfragepools, die bezogen auf den Einkauf von Waren und Dienstleistungen gleichgerichtete wirtschaftliche Interessen haben, d.h. die in Gestalt bestimmter Einkaufskonditionen bestehenden Leistungen des Pools in wirtschaftlich gleicher Weise nutzen (vgl. im Einzelnen hierzu Rz. 6.351 ff.). Die zentrale Aushandlung von Bezugspreisen und Rabattkonditionen durch ein außerhalb des Pools stehendes verbundenes Unternehmen stellt eine Dienstleistung an den Pool dar, die der poolexterne Leistungserbringer dieser Leistungen zu Fremdpreisen abzurechnen hat (vgl. im Einzelnen hierzu Rz. 6.357). Im Hinblick auf die Aufteilung der Einkaufsvorteile entsprechend der Inanspruchnahme bestimmter Einkaufs- und Rabattkonditionen verdeutlicht die OECD die Rückführung ihrer Auffassung auf das Poolkonzept beispielhaft für den Fall, dass die gruppenweit realisierten Einkaufsvorteile nur bestimmten Konzerngesellschaften gutgebracht werden.1 Hiernach steht es nicht im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz, wenn eine zentrale Dienstleistungsgesellschaft, die neben der zentralen Einkaufskoordination auch die Abwicklung der Bestellungen übernimmt, auf Basis bestimmter Bezugsmengen einzelner Konzerngesellschaften Mengenrabatte aushandelt und diese Einkaufskonditionen nicht entsprechend den (geplanten und) tatsächlichen Einkaufsmengen, sondern – abweichend von dem Beitrag der Einzelgesellschaften zur Erzielung des Einkaufsvorteils – den gesamten Rabatt nur für die Bestellung einer Konzerngesellschaft in Anspruch nimmt.2 „Anpassungsrechnungen“ bei Konzerneinkaufsgesellschaften. Im Hinblick auf eine zentrale Konzerneinkaufsgesellschaft, die unter Bündelung des gruppenweiten Einkaufsvolumens entsprechende Einkaufsvorteile erzielt, die Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung einkauft und diese an Konzerngesellschaften weiterverkauft, will die OECD den Fremdvergleichspreis für den Weiterverkauf nach denselben Grundsätzen wie bei Einkaufsdienstleistungen bestimmen, wobei die OECD davon ausgeht dass die zentrale Einkaufsgesellschaft Dienstleistungen in Gestalt der Koordinierung von Einkaufsaktivitäten erbringt.3 Die Handelsspanne soll hierbei kostenorientiert bestimmt werden, wobei die Empfehlung der OECD ausdrücklich auf die Kostenaufschlagsmethode Bezug nimmt, d.h. die Bestimmung anhand der für die Funktionsausübung entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags (vgl. Rz. 5.39 ff.).4 Gleichermaßen sollte die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode mit kostenbasiertem Nettogewinnindikator (vgl. Rz. 5.92 ff.) in Betracht kommen. Beide Verrechnungspreismethoden führen dazu, dass die Ausübung der Einkaufsfunktion mit einem kostenorientierten Entgelt abgegolten wird und die hiernach verbleibenden Einkaufsvorteile den konzerninternen Abnehmern zugutekommen. Sollte man in dem Konzernbezugspreis einen Marktpreis sehen, der mittels der Abgeltung der Ausübung einer Routinefunktion angepasst wird, mögen die Darstellungen der OECD als Anpassungsrechnung im Hinblick auf Synergieeffekte verstanden werden können. De facto handelt es sich um eine dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Ermittlung von Lieferverrechnungspreisen. Eine andere Frage ist allerdings, ob die Ausübung der Einkaufsfunktion tatsächlich als Routinefunktion bzw. die Einkaufsgesellschaft als Routineunternehmen einzustufen ist. Dies würde voraussetzen, dass die Einkaufsgesellschaft marktgängige Dienstleistungen erbringt oder lediglich einfache Einkaufsfunktionen übernimmt, keine unternehmerischen Risiken trägt und nur in geringem
1 2 3 4
Vgl. Tz. 1.190 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.193 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.188 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.188 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 237
3.97
Kap. 3 Rz. 3.97 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Umfang Wirtschaftsgüter einsetzt.1 Durch die Anwendung einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode wird dem Routineunternehmen ein geringer, aber stabiler Standardgewinn zugewiesen. Die Empfehlungen der OECD problematisieren die Frage nach der Einordnung der Einkaufsgesellschaft als Routineunternehmen nicht, sondern unterstellen lediglich, dass die Erlangung besonderer Einkaufskonditionen lediglich auf die Bündelung der Einkaufsmacht des Konzerns zurückgeht. Überträgt man die Eigenschaften und Anforderungen einer absatzmarktseitigen risikoarmen Vertriebsgesellschaft (low risk distributor) auf eine beschaffungsmarktseitige Einkaufsgesellschaft, darf diese Einkaufsgesellschaft jedenfalls keine wesentlichen Risiken tragen, d.h. es muss sich um eine risikoarme Einkaufsgesellschaft (low risk purchaser) handeln. Sofern die Einkaufsgesellschaft gegenüber Zulieferern Abnahmeverpflichtungen eingeht, die nicht durch entsprechende Abnahmegarantien von den konzerninternen Abnehmern abgedeckt sind, trägt die Einkaufsgesellschaft wesentliche unternehmerische Risiken, was die Einordnung als Routineunternehmen ausschließt. Gleiches gilt, wenn die Gewährung bestimmter Einkaufskonditionen an das Erreichen bestimmter Umsatzstufen geknüpft ist und die konzerninterne Einkaufsgesellschaft auf Basis von Planbezugsmengen bestimmte Rabatte an die konzerninternen Abnehmer weiterreicht, ohne entsprechende Rückvergütungsansprüche abzusichern. In diesem Fall trägt die Einkaufsgesellschaft ein Preisänderungsrisiko, das ein wesentliches unternehmerisches Risiko darstellt. Auch sollte die Vorfinanzierung von Jahresendboni durch die Einkaufsgesellschaft einer Qualifikation als Routineunternehmen entgegenstehen. In diesen Fällen werden Bonuszahlungen nicht nach der Zahlung durch den Lieferanten über Rückvergütungen auf Basis der jeweiligen Ist-Abnahmemengen an die konzerninternen Abnehmer weitergegeben, sondern bereits in den Lieferverrechnungspreis einkalkuliert. Ferner darf es sich nicht um erfolgskritische Funktionen handeln, die von der Einkaufsgesellschaft ausgeübt werden. Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn die entsprechenden Einkaufsvorteile nicht ausschließlich auf entsprechende Mengeneffekte zurückgehen, sondern z.B. durch geschicktes Ausnutzen schwankender Rohstoffpreise oder Verhandlungsgeschick der Einkaufsgesellschaft entstanden sind.2 Diese Beispiele mögen deutlich machen, dass der konkreten Funktions- und Risikoverteilung zwischen der Konzerneinkaufsgesellschaft und den konzerninternen Abnehmern entscheidende Bedeutung dafür zukommt, ob die Abgeltung der von der Einkaufsgesellschaft ausgeübten Funktionen, der von dieser getragenen Risiken und der eingesetzten Wirtschaftsgüter durch eine bloße Routinevergütung einem Fremdvergleich standhält. Etwaige Anpassungsrechnungen müssen geeignet sein, den betreffenden Unterschied zu identifizieren und zu quantifizieren. Eine Quantifizierbarkeit und eine hinreichend genaue Anpassung sollten nur dann sichergestellt sein, wenn die Unterschiede auf Basis von Marktdaten quantifiziert werden können oder wenn es sich um die Ausübung von Routinefunktionen handelt. Dagegen kommen für Mittel- oder Hybridunternehmen Anpassungen im Hinblick auf eine ihrem Funktionsund Risikoprofil entsprechende Vergütung nicht in Betracht.
3.98
Anpassungsrechnungen bei Kreditkonditionen. Die Abgrenzung zwischen aktiven und passiven Konzerneffekten verdeutlichen die Empfehlungen der OECD auch anhand des Zugangs zu bestimmten Kreditkonditionen.3 Werden einer Konzerngesellschaft allein aufgrund der reinen Konzernzugehörigkeit in Form einer rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Ein-
1 Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2 (Glossar), Stichw. „Routineunternehmen“. 2 Vgl. auch Bärsch/Luckhaupt/Schulz, Ubg 2014, 41. 3 Vgl. Tz. 1.184 ff. OECD-Leitlinien 2022.
238 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.98 Kap. 3
gliederung in den Unternehmensverbund bei völliger Passivität der Spitzeneinheit Kreditkonditionen eingeräumt, die sie auf Basis ihrer Kreditwürdigkeit als Einzelgesellschaft nicht hätte erlangen können, dann ist die Erhöhung der Kreditwürdigkeit als passiver Konzerneffekt nicht verrechenbar.1 Diese Auffassung entspricht dem vorherrschenden Verständnis, nach dem die Erhöhung der Kreditwürdigkeit Bestandteil des sog. Rückhalts im Konzern ist, der einer Verrechnung dem Grunde nach nicht zugänglich ist (vgl. Rz. 6.139).2 Insofern ist es auch nur konsequent, wenn nach Auffassung der OECD diese Synergieeffekte keine Vergleichbarkeitsanpassungen im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse erfordern.3 Für konzerninterne Darlehensbeziehungen ist ferner von Bedeutung, dass ein entsprechender Vergleichszinssatz unter Einbeziehung der erhöhten Kreditwürdigkeit (als Bestandteil des Rückhalts im Konzern) als Referenz im Rahmen der Preisvergleichsmethode in Betracht kommt.4 Bekanntlich vertritt die deutsche Finanzverwaltung im Hinblick auf die Einbeziehung des Konzernrückhalts bei konzerninternen Darlehensbeziehungen die Auffassung, dass dieser lediglich den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung beschreibt, keine rechtlich durchsetzbare Sicherheit darstellt und dieser auch nicht gleichstellt ist und sich auf die Bonität des Darlehensnehmers auswirkt.5 Nach Rechtsprechung des BFH ist ein nicht durch rechtlich bindende Einstandsverpflichtungen anderer Konzernunternehmen verfestigter Konzernrückhalt nur zu berücksichtigen, falls ein konzernfremder Darlehensgeber der Konzerngesellschaft dadurch eine Kreditwürdigkeit zuordnen würde, die die „Stand alone“-Bonität der Gesellschaft übersteigt.6
Sofern die Erlangung bestimmten Kreditkonditionen auf aktive Handlungen einer Konzerngesellschaft z.B. in Gestalt spezieller Garantiezusagen (z.B. Bürgschafts- oder „harte“ Patronatserklärungen) zugunsten bestimmter Konzerngesellschaften zwecks Erhöhung der Kreditwürdigkeit beruht, geht Tz. 7.13 OECD-Leitlinien7 von einer verrechenbaren und verrechnungspflichtigen konzerninternen Dienstleistung aus.8 Im Hinblick auf die Bestimmung der Avalvergütung führen die Empfehlungen der OECD aus, dass sie sich nach dem Vorteil bestimmen muss, den der konzerninterne Darlehensgeber aus der Erhöhung der Kreditwürdigkeit hat.9 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass eine partielle Berücksichtigung des Rückhalts im Konzern, auf dessen Basis die Bonität der Tochtergesellschaft ohne entsprechende Garantie bestimmt wurde, die Referenz für die Ermittlung des (Zins-)Vorteils darstellt.10 Insofern kann die Vorteilsbestimmung nicht fiktiv auf die Bonität zurückgreifen, die der jeweilige konzerninterne Darlehensnehmer als nicht verbundzugehörige Einzelgesellschaft hätte, sondern auf den Vorteil, der ausschließlich durch die Garantie erlangt wird. Diese Auffassung ist insofern sachgerecht, als der Rückgriff auf ein Einzelrating z.T. passive Konzerneffekte einbeziehen und verrechnen würde (vgl. ausführlich auch Rz. 6.521 ff.). Vor diesem Hintergrund mag man Vergleichbarkeitsanpassungen im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse im Hinblick auf Synergieeffekte darin sehen, dass die tatsächliche Kreditwürdigkeit, d.h. ggf. unter Einbeziehung der Erhöhung der Kreditwürdigkeit durch partielle Berücksichtigung des Rückhalts im Konzern, zu bestimmen ist.
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Vgl. Tz. 1.186 OECD-Leitlinien 2022. Siehe VWG VP 2021, Rz. 3.71. Vgl. Tz. 1.186 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.185 f. OECD-Leitlinien 2022. Siehe auch VWG VP 2021, Rz. 3.94. Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch. Vgl. Tz. 7.13 OECD-Leitlinien 2022. Siehe auch VWG VP 2021, Rz. 3.96. Vgl. Tz. 1.187 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.187 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 239
Kap. 3 Rz. 3.99 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
V. Zeitliche Aspekte der Vergleichbarkeitsprüfung 1. Price-setting- und Outcome-testing-Ansatz 3.99
Unterschiedliche Ansätze. Die OECD-Leitlinien unterscheiden Zeitfragen der Vergleichbarkeit im Hinblick auf den Ursprungs-, den Erhebungs- und den Erstellungszeitpunkt der Informationen über Vergleichbarkeitsfaktoren.1 Was den Ursprungszeitpunkt der Vergleichstransaktionen und der Informationen über deren Bedingungen anbelangt, stellt Tz. 3.68 OECD-Leitlinien auf den Idealzustand ab, wonach die Bedingungen solcher Fremdgeschäftsvorfälle die verlässlichsten Informationen für eine Vergleichbarkeitsanalyse darstellen, die zum selben Zeitpunkt wie der zu beurteilende Geschäftsvorfall zwischen den verbundenen Transaktionspartnern begonnen oder durchgeführt wurden („zeitgleiche Fremdgeschäftsvorfälle“).2 Dieser Idealzustand würde es allerdings erfordern, dass Informationen über die wesentlichen Vergleichbarkeitsfaktoren in einer gewissen Zeitnähe zu ihrem Ursprung auch verfügbar wären. Wenn Tz. 3.68 OECD-Leitlinien in diesem Zusammenhang von einer möglicherweise nur eingeschränkten Datenverfügbarkeit spricht („Availability of information [...] may however be limited in practice“)3, bildet diese vage Aussage die Realität der Verrechnungspreispraxis allenfalls unzulänglich ab. Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass wesentliche Informationen über Vergleichbarkeitsfaktoren zum Zeitpunkt der Transaktion zwischen den verbundenen Transaktionspartnern – wenn überhaupt – nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung verfügbar sind, sieht man einmal von gesamtwirtschaftlichen und branchenspezifischen Rahmenbedingungen ab. Für die Verrechnungspreisbestimmung entscheidend sind die unterschiedlichen Konzepte, die die OECD-Leitlinien als Zeitfragen hinsichtlich des Zeitpunkts der Datenerhebung diskutieren.4 Im Grundsatz geht es um die Frage, ob für die fremdvergleichskonforme Bepreisung konzerninterner Transaktionen auf Informationen über vergleichbare Transaktionen zwischen unverbundenen Transaktionspartnern zurückzugreifen ist bzw. zurückgegriffen werden kann, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses verfügbar waren oder ob auch solche Informationen einzubeziehen sind, die erst nachträglich verfügbar werden bzw. die Vergleichstransaktionen betreffen, die gleichzeitig oder später erfolgt sind. Die OECD-Leitlinien unterscheiden in diesem Zusammenhang zwei Konzepte: den sog. „Ex-ante“-Ansatz bzw. „Arm’s-length-pricesetting“-Ansatz und den „Ex-post“-Ansatz bzw. „Arm’s-length-outcome-testing“-Ansatz.
3.100
„Ex-ante“-Ansatz („Arm’s-length-price-setting“-Ansatz). Nach dem sog. „Arm’s-lengthprice-setting“-Ansatz werden für die Verrechnungspreisbestimmung nur solche Informationen zugrunde gelegt, die zum Zeitpunkt der Preissetzung verfügbar waren; die OECD-Leitlinien sprechen in diesem Zusammenhang von Informationen, die zu diesem Zeitpunkt „vernünftigerweise zugänglich“ sind.5 Im Nachhinein mögen durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, welche Informationen wem zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar waren oder hätten verfügbar gewesen sein müssen. Wie jede unternehmerische Preiskalkulation und jede unternehmerische Planung geht der Informations- und Kenntnisstand über die wesentlichen preisbestimmenden Einflussfaktoren vergleichbarer Geschäftsvorfälle auf vergangenheitsbezogene Daten zurück und berücksichtigt
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Vgl. Tz. 3.67 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.68 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 3.68 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.69 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.69 OECD-Leitlinien 2022; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 143 f.
240 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.102 Kap. 3
Veränderungen, die zwischen dem Ursprungzeitpunkt der betreffenden Daten und dem Zeitpunkt der Preisfestsetzung eingetreten sind. Insofern ist die Feststellung der OECD-Leitlinien im Hinblick auf die Berücksichtigung wirtschaftlicher Veränderungen und Marktveränderungen gerechtfertigt und entspricht ordnungsmäßiger Unternehmensplanung.1 Entscheidend ist, dass in die Verrechnungspreisbestimmung nur die Informationen eingehen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung bekannt waren. Der Ex-ante-Ansatz beruht darauf, dass der Fremdvergleichsgrundsatz zum Zeitpunkt der Durchführung der Geschäftsbeziehung – „ex ante“ – beachtet wird. Später eintretende Entwicklungen berühren die Vereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz ebenso wenig wie das erst nach Abschluss der Geschäftsbeziehung Bekanntwerden von Informationen über preisbestimmende Einflussfaktoren, die ihren Ursprung vor dem Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung haben (siehe hierzu aber Rz. 3.103). „Ex-post“-Ansatz („Arm’s-length-outcome-testing“-Ansatz). Nach dem sog. „Arm’slength-outcome-testing“-Ansatz bestimmt sich die Übereinstimmung der Verrechnungspreisbestimmung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht zum Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäftsbeziehung, sondern zu einem späteren Zeitpunkt nach Abschluss oder während der Durchführung der Geschäftsbeziehung, d.h. im Nachhinein. Hierbei verprobt der Steuerpflichtige das tatsächlich auf Grundlage des vereinbarten Verrechnungspreises eingetretene Ergebnis aus der Geschäftsbeziehung daraufhin, ob dieses im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz steht.2 Die OECD-Leitlinien gehen davon aus, dass eine solche Überprüfung mit der Erstellung der Steuererklärung zum Jahresende erfolgt.3 Im Rahmen des „Arm’slength-outcome-testing“-Ansatzes kommt es ausschließlich auf die materielle Angemessenheit, d.h. auf die Höhe der Vergütung an, unabhängig davon, wie diese konkret hergestellt wurde.
3.101
Zeitbezüge der deutschen VP-Grundsätze. Mit § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG wurde durch das AbzStEntModG4 erstmals eine der Rspr.5 und Verwaltungspraxis entsprechende gesetzliche Regelung eingeführt. Hiernach ist für die Durchführung des Fremdvergleichs und die Bestimmung von dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Verrechnungspreisen auf „die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Geschäftsvorfalls“ abzustellen. Maßgeblich ist damit der „Ex-ante“- oder „Arm’s-length-price-setting“-Ansatz. Der Verrechnungspreisbestimmung sind damit nur die zum Zeitpunkt der Vereinbarung des betreffenden Geschäftsvorfalls vorhandenen und vorhersehbaren Informationen zugrunde zu legen. Ausweislich der Gesetzesbegründung dürfen sich Informationen, die zu diesem Zeitpunkt objektiv nicht hätten berücksichtigt werden können, nicht auf den Fremdvergleichspreis und damit auf den Soll-Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG auswirken.6 Dessen ungeachtet, konzedieren sowohl die VWG VP7 als auch die VWG 20208, dass nachträglich bekannt gewordene externe Vergleichswerte durch den Steuerpflichtigen berücksichtigt werden können, soweit sich diese auf den
3.102
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Vgl. Tz. 3.69 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.70 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.70 OECD-Leitlinien 2022. Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abszugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. Vgl. BFH v. 9.3.1983 – I R 182/78, BStBl. II 1983, 744. Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 78. VWG VP 2021, Rz. 3.38. Vgl. VWG 2020, Rz. 49.
Baumhoff/Liebchen | 241
Kap. 3 Rz. 3.102 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Zeitpunkt der Vereinbarung des Geschäftsvorfalls beziehen. Entsprechendes behält sich die Finanzverwaltung für die Verprobung nach anderen Verrechnungspreismethoden vor.1 Nach Rz. 3.39 VWG VP 2021 sind bei Verträgen mit längerer Laufzeit, d.h. z.B. bei Dauerschuldverhältnissen, Kündigungs- und Änderungsmöglichkeiten für den maßgeblichen Zeitbezug von Bedeutung, wenn aufgrund rechtlich bestehender Änderungs- oder Kündigungsmöglichkeiten sowie realistisch verfügbarer und wirtschaftlich vorteilhafterer Handlungsalternativen ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter zu einem bestimmten Zeitpunkt die vertragliche Vereinbarung entweder geändert oder einer neue, wirtschaftlich vorteilhaftere Geschäftsbeziehung eingegangen wäre.
2. Unsicherheiten und Preisanpassungen 3.103
Preisvereinbarung unter Unsicherheit. Preisvereinbarungen zwischen verbundenen Unternehmen erfolgen ebenso wie Preisvereinbarungen zwischen unverbundenen Transaktionspartnern unter Unsicherheit. Tz. 3.72 der OECD-Leitlinien behandelt die Frage, ob und nach welchen Grundsätzen unvorhersehbare Ereignisse in der Vergleichbarkeitsanalyse Berücksichtigung finden müssen, wobei dieser Frage bei hoher Unsicherheit der Bewertung besondere Bedeutung beigemessen wird.2 Der besondere Hinweis darauf, dass die Bewertung zum Zeitpunkt der Vergleichbarkeitsanalyse „höchst unsicher“ war, impliziert, dass nicht jedwedes Bestehen von Unsicherheiten die Vergleichbarkeit beeinflusst und deshalb Berücksichtigung in der Vergleichbarkeitsanalyse finden sollte. Tz. 3.73 OECD-Leitlinien führt dementsprechend aus, dass das bloße Vorhandensein von Unsicherheiten keine nachträglichen Anpassungen erforderlich macht.3 Insofern gehen die OECD-Leitlinien im Grundsatz davon aus, dass Bewertungsunsicherheiten wie Prognoserisiken zugunsten wie zulasten des jeweiligen Transaktionspartners gehen und – wie bei unverbundenen Transaktionspartnern – keine nachträglichen Preisanpassungen nur deshalb rechtfertigten, weil diese im Konzernverbund – und zwar aufgrund der Verbundenheit der Transaktionspartner – vermeintlich einfacher durchsetzbar wären. Es ist gerade die Funktion des Fremdvergleichsgrundsatzes, den fehlenden Interessengegensatz aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit der Transaktionspartner zu überwinden. Zu Besonderheiten bei schwer bewertbaren immateriellen Werten wird auf Rz. 3.107 verwiesen.
3.104
Maßgeblichkeit des Fremdvergleichsgrundsatzes. Wenig aufschlussreich empfehlen die OECD-Leilinien für die Berücksichtigung unvorhersehbarer Ereignisse eine Orientierung daran, wie fremde Dritte unter vergleichbaren Umständen gehandelt hätten, um die Bewertungsunsicherheiten bei der Preisvereinbarung für den betreffenden Geschäftsvorfall zu berücksichtigen. Mithin soll es sich nach dem Fremdvergleichsgrundsatz bestimmen, ob und mit welchen Maßnahmen unverbundene Transaktionspartner „hohen“ Bewertungsunsicherheiten Rechnung tragen bzw. getragen hätten. Die OECD-Leitlinien führen hierzu in Tz. 3.73 wie folgt aus: „The main question is to determine whether the valuation was sufficiently uncertain at the outset that the parties at arm’s length would have required a price adjustment mechanism, or whether the change in value was so fundamental a development that it would have led to a renegotiation of the transaction.“4 Mithin wird gerade die Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel selbst einem Fremdvergleich anheimgestellt, ohne für dessen Durchführung konkrete Vorgaben zu machen oder gar das Ergebnis vorwegzunehmen.
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Vgl. VWG 2020, Rz. 73. Vgl. Tz. 3.72 OECD-Leilinien 2022. Vgl. Tz. 3.73 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 3.73 OECD-Leitlinien 2022.
242 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.105 Kap. 3
„Pacta sunt servanda“ und Fremdvergleichsgrundsatz. Eine andere Frage ist, ob die alternative Möglichkeit der Neuverhandlung wesentlicher Vertragsbestimmungen, hier insbesondere des vereinbarten Preises, einem Fremdvergleich überhaupt zugänglich ist. Die OECD-Leitlinien wollen diese Frage in Fällen, in denen eine Wertveränderung eine (derart) grundlegende Entwicklung darstellt, nach dem Fremdvergleichsgrundsatz beantworten. Richtigerweise müssen fremde Dritte auch die rechtlichen Möglichkeiten haben, eine solche Nachverhandlung durchzusetzen. Nach dem Grundsatz der Vertragstreue („pacta sunt servanda“) sind die Parteien zivilrechtlich an den von ihnen geschlossenen Vertrag gebunden, es sei denn, es wurden vertragliche Vorbehalte vereinbart oder ein Festhalten an dem Vertrag ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, insbesondere bei Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage, nicht mehr zumutbar.1 Ob eine schwerwiegende Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt, bestimmt sich nach Treu und Glauben oder – entsprechend der Rechtswahl – nach § 313 BGB bzw. der vergleichbaren Regelung ausländischen Zivilrechts. Diese Rechtsfrage ist einem Fremdvergleich grundsätzlich nicht zugänglich. Sie ist im konkreten Einzelfall entsprechend der zivilrechtlichen Rechtsprechung zu beantworten und nach allgemeinen Beweislastregeln von demjenigen nachzuweisen, der für sich das Vorliegen der Voraussetzungen in Anspruch nimmt. Erst wenn feststeht, dass die Neu- oder Nachverhandlung wesentlicher Vertragsbestimmungen zivilrechtlich durchsetzbar ist, können Fremdvergleichsgesichtspunkte darüber Aufschluss geben, ob fremde Dritte unter vergleichbaren Umständen Nachverhandlungen geführt hätten.2 Hierfür kann es durchaus von Bedeutung sein, ob aufgrund von Interessen an anderweitigen Lieferungs- und Leistungsbeziehungen im konkreten Einzelfall ein Festhalten an der unveränderten Preisvereinbarung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar ist.3 Liegen demgegenüber die zivilrechtlichen Voraussetzungen für eine Nachverhandlung nicht vor, entspricht es gerade dem Fremdvergleichsgrundsatz, dass sich diejenige Vertragspartei, zu deren Lasten sich Nachverhandlungen auswirken würden, auf den Grundsatz der Vertragstreue beruft und entsprechende Ansprüche durchsetzt. Jedes andere Verhalten ließe sich allenfalls durch die Verbundenheit der Transaktionspartner erklären und würde deshalb zu einem Ergebnis führen, das mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht zu vereinbaren wäre. Die deutsche Finanzverwaltung will dagegen in Rz. 195 der VWG-Funktionsverlagerung die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vorliegen, mittels des Fremdvergleichsgrundsatzes und unter Einbeziehung der gesetzlichen Fiktion des § 1a Satz 1 AStG (bzw. der vorhergehenden Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG a.F.) beantworten. So heißt es in Rz. 195 der VWG-Funktionsverlagerung wie folgt: „Weichen die prognostizierten Gewinne erheblich von den tatsächlich realisierten Gewinnen ab, ist davon auszugehen, dass sich fremde Dritte mit Erfolg auf eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB hätten berufen können“.4 Die Finanzverwaltung versucht hier eine Umkehr der Beweislast auf Tatbestandsebene einzuführen, um letztlich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, den auf das Verhalten fremder Dritter reduzierten Soll-Vergleichstatbestand zur Anwendung zu bringen. Diese Auffassung ist ohne Rechtsgrundlage und lässt sich nicht auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurückführen (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 7.20).
1 Zu den zivilrechtlichen Möglichkeiten nachträglicher Preisanpassungen siehe Engler, IStR 2009, 686 f. 2 Auf ebendiesen Überlegungen sollte auch Rz. 3.39 VWG VP 2021 aufsetzen, wenn dort auf die Referenz des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters abgestellt wird. 3 Dies sollte auch der Auff. der Finanzverwaltung entsprechen, vgl. in diesem Zusammenhang das durch die VWG VP 2021 aufgeh. BMF, Schr. v. 29.3.2011 – VI B 5 – S 1341/09/1004, BStBl. I 2011, 277 Tz. 17 und 19. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 195.
Baumhoff/Liebchen | 243
3.105
Kap. 3 Rz. 3.106 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.106
Zeitpunkt des Bestehens von Unsicherheiten. Die entscheidende Frage für den Umgang mit Unsicherheiten bei der Verrechnungspreisbestimmung besteht darin, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem hohe Unsicherheiten bei der Bewertung bestanden haben müssen. Tz. 3.72 und 3.73 OECD-Leitlinien deuten mit der Verwendung der Begriffe „zu Beginn“, „zum Zeitpunkt der Untersuchung [...] nicht vorhersehbar waren“ und „von vornherein“ darauf hin, dass es nicht auf Informationen ankommen kann, die sich erst im Nachhinein durch das Abweichen der tatsächlichen von der prognostizierten Entwicklung einstellen. Vielmehr ist auf die Informationen abzustellen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Geschäftsvorfalls bzw. zum früheren Zeitpunkt der Vergleichbarkeitsanalyse verfügbar waren. Dies ergibt sich zudem zwingend daraus, dass die Diskussion um die Berücksichtigung unvorhersehbarer Ereignisse nur vor dem Hintergrund des zeitlichen Konzepts des „Price-setting-Ansatzes“ Sinn macht, nach dem auf die zum Zeitpunkt der Preissetzung verfügbaren Informationen zurückgegriffen wird (Rz. 3.100), während nach dem „Outcome-testing-Ansatz“ auch ex-post verfügbare Informationen herangezogen werden (Rz. 3.101).1 Nach allgemeinen Beweislastregeln muss das Ex-ante-Bestehen von hohen Bewertungsunsicherheiten auf Basis der zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses verfügbaren Informationen von demjenigen nachgewiesen werden, der dieses für sich in Anspruch nehmen will. Demgegenüber regelt § 1a Satz 1 AStG die Frage des Bestehens von Unsicherheiten zum Zeitpunkt des Abschlusses einer Geschäftsbeziehung mittels einer „wiederlegbaren Vermutung“ für Fälle, in denen wesentliche immaterielle Werte und Vorteile Gegenstand der Geschäftsbeziehung sind (Rz. 5.226 ff.); dies gilt insbesondere für Funktionsverlagerungen (Rz. 7.142 ff.). Hiernach wird bei einer erheblichen Abweichung der tatsächlichen späteren Gewinnentwicklung von der ursprünglich erwarteten Gewinnentwicklung widerlegbar vermutet, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses erhebliche Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden haben. Der entscheidende Unterschied zwischen der Auffassung der OECD und § 1a Satz 1 AStG besteht in der Beweislastverteilung. Während die OECD von einer Beweislast der Finanzverwaltung ausgeht,2 ist innerstaatlich mittels einer widerlegbaren Vermutung eine Beweislastumkehr zulasten des Steuerpflichtigen geregelt.3 Andererseits beschränken sich die gesetzlichen Regelungen zur Berücksichtigung erheblicher Bewertungsunsicherheiten faktisch auf die Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs, womit deren Berücksichtigung in allen Fällen ausgeschlossen ist, in denen die Vergleichbarkeitsanalyse im Hinblick auf die Anwendung der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode durchgeführt wird (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG). Insofern scheinen die Überlegungen der OECD-Leitlinien weitreichender, da sie von einer Übertragbarkeit der Grundsätze zu immateriellen Werten auf alle Arten von Geschäftsvorfällen ausgehen, bei denen Bewertungsunsicherheiten bestehen.4
3.107
Preisanpassungsmechanismen bei schwer bewertbaren iWG. Die OECD-Leitlinien führen im Zusammenhang mit schwer bewertbaren immateriellen Wirtschaftsgütern aus, dass die Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu bestimmen sein soll.5 Ausdrücklich erkennen die OECD-Leitlinien an, dass es fremdvergleichskonform sein kann, bei einer Transaktion mit immateriellen Werten die Risiken künftiger Ent-
1 Vgl. auch Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 273 f. 2 Vgl. hierzu auch Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 278 f. 3 Vgl. auch VWG FVerl, Rz. 141. 4 Vgl. Tz. 3.73 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 6.181, 6.183 u. 6.185 OECD-Leitlinien 2022.
244 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.107 Kap. 3
wicklungen vollständig auf einen der Vertragspartner zu übertragen.1 Diese Aussage relativieren die OECD-Leitlinien im Zusammenhang mit Lizenzgebühren dahingehend, dass in Fällen, in denen die späteren Entwicklungen die fundamentalen, für die Bewertung ausschlaggebenden Annahmen ändern würden, auch unabhängige Dritte möglicherweise Preise nachverhandeln würden, sofern dies zum beiderseitigen Vorteil wäre.2 Dies setzt – auch unter Fremdvergleichsgesichtspunkten – allerdings zwingend voraus, dass diese Handlungsalternativen gesetzlich und/oder vertraglich tatsächlich bestehen. Das Kernproblem dieser Auffassung sollte allerdings darin bestehen, dass zukünftige Veränderungen nur in Ausnahmefällen zum Vorteil beider Vertragspartner sind und deshalb auch das Festhalten der Vertragspartei, zu dessen Vorteil die unvorhergesehenen Entwicklungen sind, unter Fremdvergleichsgesichtspunkten zu beurteilen ist. Deutlich kritischer ist die Öffnung der OECD-Leitlinien zu ex post gewonnenen Erkenntnissen als Indiz für die Beurteilung der Fremdüblichkeit der Transaktion zu sehen,3 wobei die relevanten Fallgruppen völlig unklar sind und die Gefahr der fiskalisch motivierten Einseitigkeit auf der Hand liegt.4 Dem Steuerpflichtigen wird letztlich aufgezwungen, die Voraussetzungen zu erfüllen, unter denen ex post gewonnene Informationen für die betreffenden Transaktion nicht zulässig sind. Nach Tz. 6.193 der OECD-Leitlinien muss hierfür mindestens eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Der Steuerpflichtige kumulativ (i) die seinen Prognosen zugrunde liegenden Informationen einschließlich der Behandlung von Risiken offenlegt und die Angemessenheit der Berücksichtigung vernünftigerweise vorhersehbarer Ereignisse und unterstellter Eintrittswahrscheinlichkeiten darlegt sowie (ii) glaubhaft machen kann, dass wesentliche Abweichungen zwischen Prognosen und tatsächlichen Ergebnissen auf unvorhersehbare Entwicklungen oder das Eintreten vorhersehbarer Szenarien, deren Wahrscheinlichkeit nicht wesentlich falsch eingeschätzt wurde, zurückzuführen sind. 2. Die vertragliche Verteilung spezifischer, wirtschaftlich erheblicher Risiken nach den Bedingungen der Geschäftsbeziehung wird festgestellt. 3. Die Transaktion ist Gegenstand eines bi- oder multilateralen Vorabverständigungsverfahrens zwischen den Ländern des Übertragenden und des Übernehmenden für den betreffenden Zeitraum. 4. Wesentliche Abweichungen zwischen den Prognosen und den tatsächlichen Ergebnissen führen zu keiner Abweichung von mehr als 20 % des vereinbarten Verrechnungspreises zum Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls. 5. Innerhalb einer fünfjährigen Verwertung des immateriellen Werts treten keine Abweichungen zwischen den tatsächlichen Ergebnissen und den ursprünglichen Prognosen um mehr als 20 % der ursprünglichen Prognosen für diesen Zeitraum ein.
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Vgl. Tz. 6.184 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.184 f. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.186 ff. OECD-Leitlinien 2022. Siehe hierzu ausführlich Engelen, IStR 2016, 146.
Baumhoff/Liebchen | 245
Kap. 3 Rz. 3.108 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3. Mehrjahresanalysen 3.108
Einbeziehung von Vergleichswerten mehrerer (Vor-)Jahre. Tz. 3.75 bis 3.79 OECD-Leitlinien behandeln die Einbeziehung von Daten mehrerer Jahre in die Vergleichbarkeitsanalyse. In der Verrechnungspreispraxis werden Vergleichbarkeitsanalysen vielfach auf mehrere Jahre bezogen, um die Verlässlichkeit der abgeleiteten methodenspezifischen Vergleichswerte zu erhöhen. Weder nach den OECD-Leitlinien noch nach den VWG VP ist eine solche Mehrjahresanalyse jedoch zwingend vorgegeben. Nach Tz. 3.75 OECD-Leitlinien sind Mehrjahresanalysen zwar hilfreich, jedoch kein systematisches Erfordernis.1 Vielmehr ist nach den OECDLeitlinien bezogen auf den jeweiligen Einzelfall darüber zu entscheiden, ob durch die Verwendung von Mehrjahresdaten der Wert der Vergleichbarkeitsanalyse und damit die Verlässlichkeit der Ergebnisse erhöht werden. Dementsprechend sind nach Rz. 3.21 VWG VP 2021 Mehrjahresanalyen und die Verwendung von Durchschnittswerten, die aus Vergleichswerten mehrerer Vorjahre bestimmt wurden, zulässig, wenn dies zu einer besseren Qualität der Vergleichswerte führt als die Betrachtung von Vergleichswerten nur eines Wirtschaftsjahres. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Vergleichbarkeitsanalysen unter Verwendung von Daten lediglich einzelner Wirtschaftsjahre für die Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen nicht ausreichend seien bzw. deren Verwertbarkeit für Zwecke der Angemessenheitsdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV per se beeinträchtigt wäre.2 Richtigerweise müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch eine Mehrjahresanalyse die Zuverlässigkeit der Vergleichbarkeitsanalyse erhöht wird.3 Regelmäßig ist die Durchführung von Mehrjahresanalysen darauf gerichtet, Einmal- und Sondereffekte, wie z.B. besondere Verlustoder Gewinnsituationen, zu identifizieren und zu eliminieren und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des konkreten Geschäftsvorfalls (z.B. Produktlebens- und Konjunkturzyklen) zu verstehen.4
3.109
Kein maßgeblicher Mehrjahreszeitraum. Weder die OECD-Leitlinien noch die VWG VP regeln Grundsätze, nach denen eine Mehrjahresanalyse durchgeführt werden kann. Tz. 3.75 OECD-Leitlinien weist in diesem Zusammenhang sogar ausdrücklich darauf hin, dass es nicht zweckmäßig sei, hinsichtlich der von einer Mehrjahresanalyse abzudeckenden Anzahl von Jahren verbindliche Leitlinien zu bestimmen.5 In der Verrechnungspreispraxis wird zum einen darauf hingewiesen, dass sich Zeiträume von drei bis fünf aufeinanderfolgenden Jahren als aussagefähig erwiesen hätten.6 Zum anderen werden für die mittels Mehrjahresanalysen bezweckte Glättung konjunktureller und branchenspezifischer Marktzyklen ein Dreijahreszeitraum als Regelfall und in Fällen längerer Marktzyklen ein Fünfjahreszeitraum als begründungsbedürftiger Ausnahmefall angeführt.7 Schließlich wird für Deutschland eine Orientierung an konkreten Betriebsprüfungszeiträumen von drei bis vier Jahren festgestellt,8 wobei diese Praxis weniger einer ökonomischen Rechtfertigung im Hinblick auf konkrete Markt-, Branchen- und Produktlebenszyklen als vielmehr dem Umstand geschuldet sein sollte, dass 1 Vgl. Tz. 3.75 OECD-Leitlinien 2022. 2 A.A. Kolb, IWB Fach 3 Gruppe 9, 2395. 3 So wohl auch VWG VP 2021, Rz. 3.21, wenngleich der Hinweis auf das Prinzip der Abschnittsbesteuerung für Zwecke der Vergleichbarkeitsanalyse an der Sache vorbeigeht. 4 Vgl. Tz. 3.76 f. OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.21. 5 Vgl. Tz. 3.75 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Kolb, IWB Fach 3 Gruppe 9, 2395. 7 Vgl. Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. III Rz. 282. 8 Vgl. Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. III Rz. 286.
246 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.110 Kap. 3
Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV in Deutschland vielfach für Betriebsprüfungszwecke erstellt werden. Anhaltspunkte für Beobachtungszeiträume von drei bis fünf Jahren können auch der Rechtsprechung des BFH in den Urteilen vom v. 17.2.19931 und 17.10.20012 zur Anerkennung von Anlaufverlusten bei Vertriebsgesellschaften entnommen werden, die von der Erzielung eines „angemessenen“ Totalgewinns innerhalb eines – vom BFH nicht näher quantifizierten – überschaubaren Kalkulationszeitraums abhängig gemacht wird, wobei dieser Kalkulationszeitraum in der Literatur mit fünf Jahren3 angenommen wird. Ferner bestehen im Hinblick auf die mittels Mehrjahresanalysen intendierte angemessene Berücksichtigung von konjunkturellen Einflüssen, Produktlebenszyklen, Risiken, besonderen Kosteneinflüssen und Geschäftsstrategien Bezüge zur Bestimmung des Kapitalisierungszeitraums bei Bewertungen von Unternehmen, immateriellen Werten und Transferpaketen im Rahmen von Funktionsverlagerungen nach anerkannten ertragswertbasierten Bewertungsverfahren. Im Zusammenhang mit der Bewertung von Transferpaketen nach ertragswertbasierten Bewertungsverfahren wird abweichend von dem nach § 6 FVerlV vorgegebenen unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum ein zeitlich begrenzter Kapitalisierungszeitraum von drei bis fünf Jahren mit der Berücksichtigung zeitlicher Aspekte wie Produktlebenszyklen, technische Entwicklungen, Absatzmarktänderungen, Bedarfswandlungen am Markt etc. begründet (vgl. Rz. 7.106 ff.).4 Schließlich weisen Beobachtungszeiträume von drei bis fünf Jahren eine gewisse internationale Üblichkeit auf.5 Die Empfehlungen des EU-JTPF, auf die sich Rz. 3.21 der VWG VP 2021 ausdrücklich bezieht, beruht dementsprechend darauf, dass der maßgebliche Mehrjahreszeitraum zwar von den Umständen des Einzelfalls abhängt, oftmals drei bis fünf Jahre beträgt und mindestens drei Jahre umfassen sollte.6 Glättung von Marktzyklen und gesamtwirtschaftliche Einflüsse. Die Durchführung von Mehrjahresanalysen ist darauf gerichtet, die Verlässlichkeit der Vergleichbarkeitsanalyse für die Ableitung zuverlässiger und verwertbarer Vergleichswerte zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund müssen die konkret in die Mehrjahresanalyse einbezogenen Jahre eine gewisse Stabilität gesamtwirtschaftlicher und branchenspezifischer Rahmenbedingungen aufweisen, die die Vergleichbarkeit der Fremdvergleichswerte nicht per se beeinträchtigt. Für den konkreten Beobachtungszeitraum muss insofern sichergestellt sein, dass die in diesem Zeitraum vorherrschenden Markt- und Wettbewerbsverhältnisse mit denen vergleichbar sind, die der zu bepreisenden verbundinternen Transaktion zugrunde liegen, oder dass die auf außergewöhnliche Effekte zurückgehenden Unterschiede durch die Mehrjahresanalyse identifiziert und eliminiert werden können. Diese Vergleichbarkeit besteht jedenfalls nicht bei Instabilität der gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie in Zeiten der Finanzmarktkrise und der nachfolgenden Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 vorherrschte, die – regional begrenzt – von einer Staatsschuldenkrise begleitet wird, deren (Folge-)Wirkungen bis in die Gegenwart andauern. Für die Vergleichswerte dieser Jahre ist fraglich, ob sie auf vergleichbare Verhältnisse zurückgehen und deshalb verwend- bzw. verwertbar sind.7 Insofern bedarf es der Identifikation von Vergleichsdaten, die ebendiese Vergleichbarkeit aufweisen. Hier dürfte allerdings die Daten1 2 3 4
BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. Vgl. Wassermeyer, WPg 2002, 16. Vgl. Ditz, DStR 2006, 1628; Finsterwalder, IStR 2004, 767; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1951; Vögele, DStR 2010, 422. 5 Vgl. Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 117. 6 Vgl. EU-JTPF, Bericht zur Nutzung von Vergleichswerten in der EU („Report on the use of comparables in the EU“), October 2016, DOC:JTPF/007/2016/FINAL/EN, Empfehlung 6, Buchst. h. 7 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 38; siehe ferner Engler, IStR 2009, 685 ff.
Baumhoff/Liebchen | 247
3.110
Kap. 3 Rz. 3.110 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
basis (noch) als unzureichend zu bezeichnen sein. Dieser Umstand wird insbesondere die Datenbankanalyse zukünftig vor die Herausforderung stellen, auch die Volatilität der ermittelten Vergleichsdaten zu dokumentieren.1 Dies wird zwangsläufig die Ausdehnung des Beobachtungszeitraums erfordern, um Rezessions- wie Wachstumsphase in dem Datensatz zu berücksichtigen.2 Gleiches gilt für die Jahre der COVID-19-Pandemie sowohl hinsichtlich der Frage, ob unter anderen gesamtwirtschaftlichen Bedingungen in Vorjahren zustande gekommene Referenzwerte bezogen auf konzerninterne Transaktionen in Pandemiezeiten herangezogen werden können, als auch hinsichtlich der in nachfolgenden Nicht-Pandemie-Jahren relevanten Frage, ob unter den gesamtwirtschaftlichen Bedingungen in Pandemie-Jahren zustande gekommene Vergleichswerte bezogen auf konzerninterne Transaktionen in Nicht-Pandemiezeiten herangezogen werden können (vgl. Rz. 3.28).
3.111
Mehrjahresanalyse und Durchschnittsbildung. Im Rahmen von Mehrjahresanalysen werden in der Verrechnungspreispraxis zumeist Durchschnittsbetrachtungen angestellt und diese Mehrjahresdurchschnitte als Vergleichswerte zugrunde gelegt. Tz. 3.79 der OECD-Leitlinien weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Verwendung von Mehrjahresdaten nicht zwingend die Bildung mehrjähriger Durchschnittswerte bedingt.3 Die Auffassung der OECD-Leitlinien ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Vergleichswerte, die den Vergleichbarkeitsanforderungen nicht genügen oder deren Zuverlässigkeit in Frage steht, grundsätzlich aus der Vergleichbarkeitsanalyse auszuscheiden sind (vgl. Rz. 5.171 f.). Sie finden auch über eine Durchschnittsbildung keine Berücksichtigung. Ebenso geht die deutsche Finanzverwaltung davon aus, dass die Zulässigkeit von Mehrjahresanalysen nicht die Anerkennung von Durchschnittsbetrachtungen in jedem Fall impliziert.4 Die OECD-Leitlinien stellen allerdings auch fest, dass Vergleichswerte mehrerer Jahre und Mehrjahresdurchschnittswerte in vielen Fällen die Zuverlässigkeit von Preisoder Wertbandbreiten verbessern können. Hier geht allerdings die Frage dahin, ob diese Feststellung die zutreffende Bestimmung von Fremdvergleichsbandbreiten selbst oder die Auswahl eines bestimmten Werts innerhalb dieser Fremdvergleichsbandbreite betrifft. Nach Tz. 3.62 der OECD-Leitlinien wird jedenfalls die Verwendung gewichteter Durchschnittswerte als ein statistisches Mittel mit zentraler Tendenz angeführt, um das Fehlerrisiko durch unbekannte oder verbliebene nicht quantifizierbare Vergleichbarkeitsmängel zu minimieren.5 Eine andere Frage ist, nach welchen Grundsätzen Mehrjahresdurchschnittswerte zu ermitteln sind, d.h. als ungewichteter oder gewichteter Durchschnittswert. Konkrete Anhaltspunkte lassen sich weder den OECD-Leitlinien noch den VWG VP entnehmen. Im Hinblick auf die Zielsetzung von Mehrjahresanalysen, Sondereffekte aufgrund von Marktzyklen zu identifizieren und zu eliminieren, um so die Zuverlässigkeit der Vergleichbarkeitsanalyse zu erhöhen, muss die konkrete Ausgestaltung der Durchschnittswertbildung als ungewichteter oder gewichteter Durchschnitt (einschließlich der konkreten Gewichtungsfaktoren) dieser Zielsetzung Rechnung tragen. Insofern kommen beide Arten der Durchschnittswertbildung grundsätzlich in Betracht. Gewichtete Durchschnittswerte, die regelmäßig mit einer stärkeren Gewichtung zeitnäherer Vergleichswerte gebildet werden, vermitteln jedenfalls dann eine bloße Scheingenauigkeit, wenn die mit dieser Wertbildung implizierte Entwicklung mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt. 1 2 3 4 5
Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 38. Vgl. Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160. Vgl. Tz. 3.79 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 3.79 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.21 unter Verweis auf EU-JTPF, Bericht zur Nutzung von Vergleichswerten in der EU („Report on the use of comparables in the EU“), October 2016, DOC:JTPF/007/2016/FINAL/EN, Empfehlung 6, Buchst. e)-i).
248 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.112 Kap. 3
4. Jahresendanpassungen/Year-End-Adjustments Plan-Ist-Abweichungen und Jahresendanpassungen. In der Verrechnungspreispraxis werden die Verrechnungspreise für gleichartige Lieferungen und Leistungen üblicherweise im Rahmen des jährlichen Budgetprozesses auf Planbasis bestimmt und unterjährig abgerechnet. Entsprechend dem Ex-ante-Ansatz erfolgt die Preissetzung mithin im Vorhinein auf Basis der zum Zeitpunkt der Budgetierung vorhandenen Informationen. Dies entspricht – wie im Verhältnis zu unverbundenen Transaktionspartnern – ordnungsmäßiger Preiskalkulation und führt im Ergebnis zu einer für das Budgetjahr geltenden Preisliste. In Abhängigkeit von der konkreten Verrechnungspreismethode, die für die Bestimmung der Verrechnungspreise der betreffenden Lieferungen oder Leistungen angewandt wurde, geht die Anwendung von Planzahlen mit Mengen-, Preis- oder Kostenabweichungsrisiken einher, die sich aufgrund des Prognosecharakters zugunsten der einen Vertragspartei und – vice versa – zulasten der anderen Vertragspartei auswirken können. Im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode betrifft dies etwa die Abweichung der Plan- von den Istkosten, wobei die Plankosten und das Gewinnelement auf Basis der Planmengen durch die vorkalkulierten Verrechnungspreise abgedeckt werden. Gleiches gilt bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode, wenn die Handelsspanne unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bestimmt wird, wobei sowohl die Kostenerstattungskomponente als auch das Gewinnelement auf Planbasis kalkuliert werden (vgl. Rz. 5.26 ff.). Was die Bestimmung des Gewinnelements anbelangt, kommen sowohl eine umsatzabhängige Gewinnkomponente als auch eine kostenabhängige Gewinnkomponente in Betracht. Ersteres entspricht im Ergebnis der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Letzteres kommt im Verhältnis zu Routinevertriebsgesellschaften in Dauerverlustsituationen zur Anwendung, um sicherzustellen, dass das Routineunternehmen einen geringen, aber stabilen Gewinn erwirtschaftet, d.h. insbesondere von Verlusten freigestellt wird. Um sicherzustellen, dass die Funktions- und Risikoverteilung auf Basis der konkreten Verbunddisposition durch die Verrechnungspreisbestimmung abgebildet wird, werden vertraglich regelmäßig Vereinbarungen getroffen, nach denen entweder die Preisbestimmung generell auf Basis von Istkosten und Istmengen erfolgt oder aber Plan-Ist-Abweichungen innerhalb einer bestimmten Bandbreite (z.B. 10 %-Korridor) zugunsten wie zulasten der jeweiligen Vertragspartei gehen und außerhalb dieser Bandbreite zu entsprechenden Anpassungen auf Basis der Istzahlen führen. Ist vertraglich die Verrechnungspreisbestimmung auf Basis von Ist-Zahlen vereinbart, trägt im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode der konzerninterne Dienstleister oder Lieferant und im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode der konzerninterne Abnehmer keine Mengen- oder Preisrisiken. De facto erhält er eine Gewinngarantie von seinem konzerninternen Transaktionspartner. In diesen Fällen werden die Verrechnungspreise – vertragsgemäß – erst bei Kenntnis der entsprechenden Istkosten, -mengen und -absatzpreise endgültig festgelegt, wobei der für die betreffende Verrechnungspreismethode relevante Finanzindikator (Gewinnaufschlagssatz i.R. der Kostenaufschlagsmethode, Provisionssatz bei umsatzabhängiger Kalkulation des Gewinnelements i.R. der Wiederverkaufspreismethode) im Vorhinein bestimmt wurde. Die unterjährigen Abrechnungen haben bei dieser Vorgehensweise Vorauszahlungscharakter. Entsprechendes gilt in Fällen, in denen eine Abrechnung auf Istbasis bei PlanIst-Abweichungen außerhalb einer bestimmen Bandbreite vereinbart ist und entsprechende Abweichungen eintreten. Da Plan-Ist-Abweichungen innerhalb der vereinbarten Bandbreite von Plan-Ist-Abweichungen zugunsten wie zulasten des konzerninternen Dienstleisters oder Lieferanten im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode bzw. des konzerninternen Abnehmers im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode gehen, trägt dieser ein begrenztes Mengen- und Preisrisiko.
Baumhoff/Liebchen | 249
3.112
Kap. 3 Rz. 3.112 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Sowohl die Risikofreistellung als auch die Risikobegrenzung kommen im Zusammenhang mit sog. Routineunternehmen zur Anwendung, die ex definitione nur geringe Risiken tragen und im gewöhnlichen Geschäftsverlauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne erzielen (Rz. 3.68).1 Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird regelmäßig eine im Vorhinein auf Basis einer Vergleichbarkeitsanalyse bestimmte Nettomarge fest vereinbart und der Preiskalkulation im Rahmen des Budgetprozesses zugrunde gelegt. Abweichungen der Plankosten, -mengen und -absatzpreise von den entsprechenden Istgrößen können zu Abweichungen der tatsächlichen von der angestrebten Nettomarge führen, was entsprechende Anpassungen notwendig macht (Rz. 5.120 ff.).
3.113
Nachträgliche Preisanpassungen nach den VWG VP. Nach Rz. 3.41 der VWG VP 2021 sollten die tatsächliche Entwicklung der zugrundeliegenden Plandaten und Renditekennziffern unterjährig, d.h. nicht nur – wie in der Verrechnungspreispraxis üblich – zum Jahresende, abgeglichen werden (Soll-Ist-Vergleich), um rechtzeitig auf einen geänderten Geschäftsverlauf regieren zu können; zumindest der Soll-Ist-Vergleich zum Jahresende ist verwaltungsseitig zwingend. Liegt das tatsächliche Ergebnis außerhalb der Bandbreite angemessener Ergebnisse, die sich unter Anwendung der ex-ante bestimmten Vergleichswerte (z.B. Nettomargen, Gewinnaufschlagssätze) ergeben, soll insofern eine nachträgliche Anpassung des Ergebnisses vorgenommen werden.2 Die Finanzverwaltung gibt damit – jedenfalls im Grundsatz – ihre erheblichen Vorbehalte ggü. Jahresendanpassungen ebenso wie die restriktiven Anforderungen an deren steuerliche Anerkennung auf. Nach Tz. 3.4.12.8 VWG-Verfahren wurden nachträgliche Preisermittlungen steuerlich nur anerkannt, „wenn im Vorhinein sowohl das Leistungsverhältnis als auch alle Preisbestimmungsfaktoren vereinbart wurden.“3 Zwar wollte die Finanzverwaltung eine nachträgliche Preisfestlegung bzw. -anpassung ausnahmsweise auch dann anerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diese auch zwischen fremden Dritten in vergleichbaren Fällen vorgenommen worden wäre; allerdings wurde dies mit der beispielhaften Benennung von Preisanpassungen oder -vereinbarungen, die kurzfristig nach erfolgter Lieferung oder Leistung erfolgen, auf Fälle beschränkt, die die in der Praxis relevanten Anwendungsfälle nicht betrafen. Ferner musste die „nachträgliche Preisberechnung auf eine bei Vertragsschluss vorliegende und festgestellte Ungewissheit über eine oder mehrere Preiskomponenten zurückzuführen sein, jedoch nicht auf das bei einem Beteiligten entstehende Ergebnis“.4 In Tz. 3.4.20 Buchst. e VWG-Verfahren hieß es hierzu ausdrücklich wie folgt „Vom Steuerpflichtigen vorgenommene Ergebnisanpassungen für die Vergangenheit, die nicht auf im Vorhinein abgeschlossenen Vereinbarungen [...] beruhen, sind steuerlich nicht anzuerkennen. Dies gilt insbesondere für rückwirkende ‚Preisanpassungen’ durch nachträgliche Zahlungen oder Gutschriften/Belastungen, die das Ergebnis eines Unternehmens [...] den Nettorenditekennzahlen von Vergleichsunternehmen anpassen“.5 Dies wurde damit begründet, dass fremde Dritte dem Grunde nach keine Gewinnanpassungen, sondern lediglich Preisanpassungen verein-
1 Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2 (Glossar), Stichw. „Routineunternehmen“. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.42. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.8 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.8. Satz 4 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.20 Buchst. e (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
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C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.114 Kap. 3
baren und dem Zeitpunkt nach entsprechende Anpassungen mit Wirkung für die Zukunft vornehmen.1 Die nunmehr nach den VWG VP zwingende nachträgliche Anpassung auf einen Wert innerhalb der Bandbreite soll allerdings nicht dergestalt erfolgen, dass eine Anpassung stets auf den für den Steuerpflichtigen günstigsten Rand der maßgeblichen Bandbreite vorgenommen wird. Nach Verwaltungsauffassung deuten Jahresendanpassungen durch „das stetige Abstellen auf den obersten oder untersten Wert einer Bandbreite angemessener Ergebnisse“ grundsätzlich auf fremdunübliche (Vertrags-) Bedingungen hin.2 Für die im Einzelfall durch fremdunübliche Bedingungen veranlassten Einkunftsminderungen geht die Finanzverwaltung davon aus, dass diese nach § 1 AStG korrekturfähig sind.3 Nach Auffassung der Finanzverwaltung sollte mittels Jahresendanpassungen im Zusammenhang mit der Verwendung Plandaten bei der Verrechnungspreisbestimmung „bei einer vorsichtigen Gewinnprognose ein mittlerer Wert innerhalb einer Bandbreite für die jeweilige Renditekennziffer erreicht werden.“4 Dies wird ausdrücklich auch auf folgende Fremdvergleichsüberlegung zurückgeführt („daher“): „Bei Geschäftsvorfällen zwischen voneinander unabhängigen Unternehmen hat jedes Unternehmen, auch wenn es nur Routinefunktionen ausübt, die Chance und das Risiko, aufgrund der eigenen Geschäftstätigkeit in einem bestimmten Rahmen bessere oder schlechtere Ergebnisse zu erzielen“.5
VI. Vergleichbarkeitsanpassungen Vergleichbarkeitsanpassungen nach den OECD-Leitlinien. Die OECD-Leitlinien behandeln Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit ausführlich in Tz. 3.47 ff.6 Daneben werden Vergleichbarkeitsanpassungen allgemein z.B. in Tz. 1.39, 1.40 und 1.126 OECD-Leitlinien angesprochen. So heißt es in Tz. 1.40 OECD-Leitlinien z.B.: „Wenn Unterschiede zwischen den zu vergleichenden Sachverhalten auftreten, welche den Vergleich wesentlich beeinflussen können, müssen soweit möglich Anpassungen vorgenommen werden, um die Zuverlässigkeit des Vergleichs zu verbessern“.7 Im Hinblick auf die konkrete Durchführung von Vergleichbarkeitsanpassungen behandeln Tz. 1.130 OECD-Leitlinien Anpassungsrechnungen bei unterschiedlichen Marktbedingungen, Tz. 1.159 ff. OECD-Leitlinien Anpassungsrechnungen im Zusammenhang mit Standortvorteilen und anderen lokalen Marktbedingungen (vgl. Rz. 3.83 ff.), Tz. 1.152 ff. OECD-Leitlinien Anpassungsrechnungen bei (der Übernahme) einer qualifizierten und eingearbeiteten Belegschaft (vgl. Rz. 3.88 ff.), Tz. 1.177 ff. OECD-Leitlinien Anpassungsrechnungen bei Synergieeffekten (vgl. Rz. 3.92 ff.), Tz. 2.15 ff. Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Preisvergleichsmethode, Tz. 2.29, Tz. 2.32, Tz. 2.34 und Tz. 2.41 Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode, Tz. 2.47 ff. Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode, Tz. 2.80 ff., Tz. 2.104 und Tz. 2.111 Anpassungsrechnungen bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Die Darstellungen zu Vergleichbarkeitsanpassungen und zu den Erfordernissen der Genauigkeit und Verlässlichkeit in den OECD-Leitlinien beziehen sich sowohl auf die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Allgemeinen als auch auf die Anwendung jeder einzelnen Verrechnungspreismethode im Besonderen.8 1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Rasch, ISR 2013, 434. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.44. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.22. VWG VP 2021, Rz. 3.43. VWG VP 2021, Rz. 3.43. Vgl. Tz. 3.47 ff. OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.40 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 251
3.114
Kap. 3 Rz. 3.115 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.115
Vergleichbarkeitsanpassungen im deutschen Steuerrecht. Innerhalb der gesetzlichen Regelungen nimmt § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG auf sog. Vergleichbarkeitsanpassungen Bezug. Nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG sind „Unterschiede zwischen den Verhältnissen der zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfälle zwischen voneinander unabhängigen Dritten und dem zu untersuchenden Geschäftsvorfall zugrunde liegenden Verhältnissen, die die Anwendung der Verrechnungspreismethode beeinflussen können, durch sachgerechte Anpassungen zu beseitigen“. Dies gilt nur, (i) sofern dies möglich ist und (ii), wenn dadurch die Vergleichbarkeit erhöht wird. Allerdings sind nicht jedwede Unterschiede anzupassen. Auch § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG fordert im Hinblick auf Vergleichbarkeitsanpassungen ebenso wie die Finanzverwaltung keine uneingeschränkte Vergleichbarkeit oder Identität. Vielmehr bedeutet vergleichbar sein, „dass keiner der Unterschiede (sofern vorhanden) zwischen den im Rahmen der Methode verglichenen Gegebenheiten die untersuchten Bedingungen beeinflussen kann, oder dass hinreichend genaue Anpassungen erfolgen können, um die Auswirkung dieser Unterschiede auszuschließen.1 Hierbei geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass es sich „um eventuell zwischen den Geschäftsvorfällen bestehende erhebliche Unterschiede“ handeln muss.2 Vor diesem Hintergrund ist der Normwortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG zwar insofern hinreichend bestimmt, dass nur methodenspezifische und -relevante Unterschiede Gegenstand von Anpassungsrechnungen sein können, hinsichtlich des vor Anpassungsrechnungen bestehenden Ausmaßes der Unterschiede in den Vergleichbarkeitsfaktoren ist die gesetzliche Regelung allerdings unbestimmt. Hier hat der Gesetzgeber bezogen auf § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG jedoch die Zwecksetzung von Anpassungsrechnung dahingehend klar zum Ausdruck gebracht, dass „Anpassungen, (...) zur Herstellung der Vergleichbarkeit erforderlich sein können, um eventuell zwischen den Geschäftsvorfällen bestehende erhebliche Unterschiede zu beseitigen.“3 Für die Vornahme von Anpassungsrechnungen kommt es deshalb u.a. auf die „Wesentlichkeit des Unterschieds“ an.4 Vergleichbarkeitsanpassungen sollen schließlich nur dann in Betracht gezogen werden, „wenn dadurch die Vergleichbarkeit erhöht wird“ (§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG). Ausweislich der Gesetzesbegründung müssen Vergleichbarkeitsanpassungen die Verlässlichkeit der Ergebnisse erhöhen.5 Im Hinblick darauf, welche Vergleichbarkeitsanpassungen „sachgerecht“ sind, wird man richtigerweise davon ausgehen müssen, dass sich diese Anforderungen auf die Vergleichbarkeit als solche und zudem bezogen auf eine konkrete Verrechnungspreismethode beziehen, nicht jedoch auf die Art und den Umfang konkreter Anpassungen. Die Verwendung von „sachgerecht“ impliziert vielmehr einen gewissen Beurteilungsspielraum für eine bezogen auf den konkreten Einzelfall zu entscheidende Sachgerechtigkeit konkreter Anpassungsrechnungen.6 Weder die VWG VP noch die VWG 2020 enthalten bezogen auf Vergleichbarkeitsanpassungen weitergehende Konkretisierungen, sodass entsprechend der gesetzlichen Regelung, deren auf Tz. 3.47 OECD-Leitlinien gestützte Begründung sowie der Verweise in Rz. 3.9 und 3.18 VWG VP7 die Grundsätze der OECD-Leitlinien anzuwenden sind.
3.116
Zwecksetzung von Vergleichbarkeitsanpassungen. Nach Auffassung der OECD wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das 1 2 3 4 5 6
BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79; Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 78. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 78. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79. Vgl. Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. III Rz. 181. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 u. 3.18.
252 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.118 Kap. 3
Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.1 Ferner gehen die OECDLeitlinien davon aus, dass (i) Vergleichbarkeitsanpassungen nur für Unterschiede angemessen sind, die erhebliche Auswirkungen auf den Vergleich haben werden, (ii) unweigerlich „einige“ Unterschiede zwischen den Vergleichstransaktionen und der zu beurteilenden Transaktionen bestehen sowie (iii), dass ein Vergleich trotz eines nicht angepassten Unterschieds angemessen sein kann, wenn der Unterschied keine erheblichen Auswirkungen auf die Verlässlichkeit des Vergleichs hat.2 Vor diesem Hintergrund sind Vergleichbarkeitsanpassungen von der Zwecksetzung her stets nur dann in Betracht zu ziehen, wenn sie die Verlässlichkeit der Ergebnisse erhöhen.3 Sie sollen ferner nur Unterschiede betreffen, die erhebliche Auswirkungen auf den Vergleich und dessen Verlässlichkeit haben werden.4 Die OECD-Leitlinien führen vor diesem Hintergrund ausdrücklich aus, dass die Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen dem Grunde und der Art nach stets bezogen auf den konkreten Einzelfall eine Ermessensfrage darstellt, die unter Kosten- und Nutzengesichtspunkten und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beantworten ist.5 Insofern kann es eine generelle Verpflichtung zur Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen nicht geben. Im Hinblick auf den Umfang und den Aufwand konkreter Anpassungsrechnungen gehen die OECD-Leitlinien zudem davon aus, dass die Notwendigkeit zahlreicher oder substanzieller Anpassungen wesentlicher Vergleichbarkeitsfaktoren die nicht bestehende hinreichende Vergleichbarkeit implizieren kann.6 In diesem Zusammenhang können zahlreiche und komplizierte Anpassungen den Eindruck vermitteln, dass das Ergebnis der Suche nach Vergleichswerten „wissenschaftlich“, verlässlich und sachlich richtig sei.7 Insofern finden Vergleichbarkeitsanpassungen stets ihre Grenzen in der Herstellung einer rechnerischen „Scheingenauigkeit“. Verlässlichkeit von Anpassungsrechnungen. Durch Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen soll grundsätzlich die Zuverlässigkeit der Ergebnisse der Vergleichbarkeitsanalyse erhöht werden. Sie sind unmittelbar auf den Vergleich als solchen gerichtet, wobei jede konkrete Anpassungsrechnung für sich die Herstellung der Vergleichbarkeit zum Ziel haben muss. Die OECD-Leitlinien stellen vor diesem Hintergrund fest, dass es keine Arten von Anpassungsrechnungen gibt, die „routinemäßig“ durchzuführen und im Hinblick auf die Verlässlichkeit als „unzweifelhaft“ anzusehen sind.8 Ebenso wenig sind an bestimmte Anpassungsrechnungen höhere Anforderungen zu stellen als ihre Eignung, die Verlässlichkeit des Vergleichs zu erhöhen bzw. die Vergleichbarkeit zu verbessern.9 Insofern stehen letztlich alle in diesem Sinne geeigneten Anpassungsrechnungen gleichberechtigt nebeneinander.
3.117
Dokumentation und Überprüfung von Vergleichbarkeitsanpassungen. Die OECD-Leitlinien gehen davon aus, dass über die Vornahme von Anpassungsrechnungen und ihre Begründung Transparenz im Rahmen der Dokumentationsanforderungen erforderlich ist, wobei die konkreten Aufzeichnungen u.a. von der Verfügbarkeit von Erklärungen für vorgenommene Anpassungen, den Gründen für diese Anpassungen, der Berechnungsmethode, der konkreten
3.118
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.51 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.50 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022; vgl. Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 179. Vgl. Tz. 3.51 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.53 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.53 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 253
Kap. 3 Rz. 3.118 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Auswirkung auf die Ergebnisse für jedes Vergleichsunternehmen und dem Nachweis über die Verbesserung der Vergleichbarkeit durch die betreffende Anpassungsrechnung abhängen sollen.1 Inhaltlich sind diese Anforderungen wenig konkret. Auch die deutschen Regelungen über erforderliche Aufzeichnungen im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation enthalten keine Anhaltspunkte über inhaltliche Anforderungen an die Aufzeichnung von Anpassungsrechnungen. Als Mindestanforderungen an entsprechende Aufzeichnungen wird man davon ausgehen müssen, dass Informationen über die Begründung und die Berechnung konkreter Anpassungen sowie deren Auswirkungen auf die Vergleichbarkeitsanalyse erforderlich sind.2
3.119
Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Preisvergleichsmethode. Entscheidend ist für die Anwendung der Preisvergleichsmethode, ob etwaige Unterschiede in den Eigenschaften und der Beschaffenheit des Transaktionsgegenstands ebenso wie in den Marktbedingungen erhebliche Preisauswirkungen haben. Bekanntlich ist die Vergleichbarkeitsanalyse bei der Preisvergleichsmethode auf produktbezogene Differenzierungen, Transaktions- und Marktbedingungen gerichtet.3 Die OECD-Leitlinien beschränken ihre beispielhaften Anpassungen im Zusammenhang mit der Preisvergleichsmethode auf die Anpassung unterschiedlicher Lieferbedingungen in Tz. 2.25 und unterschiedlicher Liefermengen in Tz. 2.26.4 Tz. 2.25 OECDLeitlinien spricht Anpassungen bei unterschiedlichen Vertragsbedingungen beispielhaft für Unterschiede in den Lieferbedingungen zwischen der zu untersuchenden Geschäftsbeziehung und der Vergleichstransaktion an („frei Haus“ gegenüber „ab Werk“).5 Die Unterschiede in den Lieferbedingungen bestehen im Ort der Lieferung und im Zeitpunkt des Gefahrübergangs. Der unterschiedliche Ort der Lieferung betrifft den Transport zwischen diesen beiden Orten. Für diesbezügliche Transportdienstleistungen können regelmäßig Marktpreise festgestellt werden. Der unterschiedliche Zeitpunkt des Gefahrübergangs ist demgegenüber im Wesentlichen mit den Risiken der Verschlechterung oder des zufälligen Untergangs der Waren während des Transports verbunden. Diese Risiken können zu marktüblichen Konditionen versichert werden, so dass die entsprechende Versicherungsprämie für Anpassungen herangezogen werden kann. Vergleichbare Marktpreise lassen sich für andere Vertragsbedingungen, z.B. für die Übernahme von Zollgebühren oder für Lagerdienstleistungen, identifizieren und entsprechend anpassen.6 Ferner kommen im Hinblick auf unterschiedliche Vertragsbedingungen Anpassungen für unterschiedliche Zahlungsbedingungen in Betracht, wobei regelmäßig auf Marktkonditionen für kurzfristige Finanzierungen abgestellt wird.7 Eine weitergehende Anpassung im Hinblick auf die aus dem Finanzierungsverhältnis selbst herrührenden Risiken (z.B. Delkredererisiko) erfolgt üblicherweise nicht.8
1 Vgl. Tz. 3.53 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. auch Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 202. 3 Vgl. Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. II Rz. 5; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, S. 144 ff. 4 Vgl. Tz. 2.25 und 2.26 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 2.25 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. auch Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 84. 7 Vgl. z.B. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, 1997, Rz. 98; Dawid/Dorner, IWB F. 10 Gr. 2, 1549. 8 Vgl. zu Anhaltspunkten für entsprechende Berichtigungen Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 84.
254 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.119 Kap. 3
In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass der Rückgriff auf Marktpreise und damit die Quantifizierung und Anpassung bestehender Unterschiede auf der Grundlage eines tatsächlichen Fremdvergleichs zwar für sich in Anspruch nehmen kann, unter Anwendung der Preisvergleichsmethode im Hinblick auf eine Herstellung bzw. Verbesserung der Vergleichbarkeit vorgenommen zu werden. Allerdings setzt eine solche Vorgehensweise voraus, dass diese Nebenleistungen in vollem Umfang Preisbestandteil festgestellter Vergleichspreise sind bzw. werden. Können dagegen entsprechende Nebenleistungen nicht in vollem Umfang an die Kunden weitergegeben werden, werden den Anpassungsrechnungen Preiseffekte zugrunde gelegt, die sich tatsächlich in den Vergleichspreisen nicht widerspiegeln.1 Dies führt bei Kürzungen von zu Marktpreisen bewerteten Nebenleistungen bei der zu untersuchenden konzerninternen Geschäftsbeziehung tendenziell zu einer Unterbewertung der eigentlichen Wertschöpfung und bei entsprechenden Hinzurechnungen – vice versa – zu einer Überbewertung der eigentlichen Wertschöpfung. Vor diesem Hintergrund sollten bei Vornahme entsprechender Anpassungen auch die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse einbezogen werden, um Anhaltspunkte dafür zu bestimmen, ob ein entsprechender Wettbewerbs- bzw. Margendruck auf z.B. branchenübliche Mischkalkulationen hindeutet. Die OECD-Leitlinien behandeln in Tz. 2.26 zudem die Anpassungen von Mengenunterschieden zwischen der zu untersuchenden konzerninternen Geschäftsbeziehung und entsprechenden Vergleichstransaktionen. Die OECD-Leitlinien empfehlen in diesem Fall Anpassungen „um die üblichen Mengenrabatte“ bei Geschäftsvorfällen mit gleichartigen Produkten auf dem maßgeblichen Markt.2 Die OECD-Leitlinien gehen mithin davon aus, Mengenrabatte ließen sich durch tatsächlichen Fremdvergleich auf Basis externer Vergleichsdaten bestimmen. Dies sollte in der Praxis allerdings eher der Ausnahmefall sein. Der Regelfall sollte vielmehr darin bestehen, dass – mittels internen Betriebsvergleichs – konzerninterne Rabatt- oder Bonusstaffeln angewendet werden, um die entsprechenden Preiseffekte zu quantifizieren und anzupassen. Ferner werden in der Praxis vielfach auf Basis der individuellen Kostenstrukturen die Kostendegressionseffekte abgeschätzt, die sich bei unterschiedlichen Liefermengen an unverbundene Transaktionspartner einstellen würden, und auf dieser Grundlage die entsprechenden Anpassungen vorgenommen.3 Vor diesem Hintergrund ist auch zu berücksichtigen, dass der Umfang und die Komplexität von Anpassungsrechnungen die Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode insgesamt in Frage stellen kann.4 Was den Anwendungsbereich der Preisvergleichsmethode anbelangt, hat der BFH in seinem Urteil vom 6.4.20055 gefordert, dass die Preise „auf zumindest im Wesentlichen identischen Leistungsbeziehungen beruhen“ müssen und dies in seinem Urteil vom 18.5.20216 nochmals bestätigt. Zwar ist diese Forderung nach einer Identität der Leistungsbeziehungen, d.h. Deckungsgleichheit, zu weitgehend. Die Auffassung des BFH belegt gleichwohl, wie nahe der Vergleichstatbestand im Rahmen des durch die Preisvergleichsmethode vorzunehmenden Ist-Ist-Vergleichs an der zu bewertenden Transaktion liegen muss. Im Zweifel kommt es auf die Unwesentlichkeit der verbleibenden Unterschiede im Hinblick auf die Preisauswirkung an. 1 Vgl. hierzu auch Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 86. 2 Vgl. Tz. 2.26 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. hierzu auch Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 89. 4 Vgl. hierzu auch Ditz/Liebchen, DB 2012, 1469. 5 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658. 6 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = DB 2021, 2604 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger.
Baumhoff/Liebchen | 255
Kap. 3 Rz. 3.120 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.120
Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode. Im Zusammenhang mit der Wiederverkaufspreismethode verweisen die OECD-Leitlinien in Tz. 2.34 auf die Anpassung der Funktionsunterschiede, die die Handelsspanne erheblich beeinflussen.1 Für Vertriebsunternehmen, für die die Wiederverkaufspreismethode die Regelmethode darstellt (Rz. 5.31), bestehen solche Unterschiede zwischen der zu untersuchenden konzerninternen Geschäftsbeziehung und Vergleichstransaktionen in dem Umfang der Lagerhaltung und entsprechenden Risiken, den Vertragsbedingungen, den Vertriebsstrategien, der Markt- bzw. Handelsstufe, Währungsrisiken u.a.2 In der Verrechnungspreispraxis werden Auswirkungen auf die Bruttomarge (insbesondere aber auf die Nettomarge) durch Unterschiede in der Lagerhaltung und in den vertraglich vereinbarten Zahlungszielen üblicherweise durch Kapitalanpassungsrechnungen korrigiert, bei denen Unterschieden im Nettoumlaufvermögen (Net Working Capital) Rechnung getragen wird.3
3.121
Anpassungsrechnungen bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode. Die OECD-Leitlinien verweisen im Hinblick auf Vergleichbarkeitsanpassungen bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zunächst auf die entsprechenden Grundsätze bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode, weil – vglb. der Wiederverkaufspreismethode – Funktionsunterschiede (z.B. Umfang der Lagerhaltung und entsprechenden Risiken, Vertragsbedingungen, Geschäftsstrategien) eine stärkere Auswirkung auf den Kostenaufschlag haben als geringe Unterschiede der Produkteigenschaften.4 Daneben kommt allerdings im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode der zugrunde gelegten Kostenbasis eine erhebliche Bedeutung für den Gewinnaufschlag und damit für das Gewinnelement zu, das sich methodenimmanent durch Anwendung eines Gewinnaufschlagssatzes auf ebendiese Kostenbasis ergibt. In diesem Zusammenhang verweisen die OECD-Leitlinien in Tz. 2.48 OECD-Leitlinien darauf, dass Effizienzunterschiede, die nicht durch hinreichend zuverlässige Anpassungsrechnungen eliminiert werden können, die Zuverlässigkeit der Kostenaufschlagsmethode insgesamt beeinträchtigen können.5 Diese Erläuterungen gehen darauf zurück, dass Unwirtschaftlichkeiten im Leistungserstellungsprozess im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode jedenfalls dann auf den Abnehmer abgewälzt werden, wenn Istkosten verrechnet werden (Rz. 5.54). Dagegen gehen bei Verwendung von Plankosten sowohl Unwirtschaftlichkeiten als auch Kostenvorteile zulasten wie zugunsten des Unternehmens, in dessen Verantwortungsbereich die Abweichung fällt (Rz. 5.58). Vor diesem Hintergrund kommt dem Zeitbezug der Kosten eine entscheidende Bedeutung zu (Rz. 5.51 ff.). Daneben kommt der Kostenbasis insgesamt als wesentlicher Vergleichbarkeitsfaktor im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse entscheidende Bedeutung zu. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Gewinnaufschlagssatz durch äußeren Betriebsvergleich bestimmt wird, während eine fehlerhaft bestimmte Kostenbasis bei Ableitung des Gewinnaufschlagssatzes durch inneren Betriebsvergleich das Gewinnelement bei Geschäftsbeziehungen mit unabhängigen wie abhängigen Transaktionspartnern gleichermaßen beeinflusst.6 Hinsichtlich erforderlicher Anpassungen der Kostenbasis verweisen die OECD-Leitlinien beispielhaft auf die
1 Vgl. Tz. 2.34 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. hierzu auch Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 134. 3 Vgl. Scholz, IStR 2004, 209; Dorner/Dawin, IWB Fach 10 Grupe 2, 1563; Bittner/Jann, IWB 2010, 449. 4 Vgl. Tz. 2.47 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 2.48 OECD-Leitlinien 2022, s. auch Tz. 2.50 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. hierzu auch Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 213.
256 | Baumhoff/Liebchen
C. Vergleichbarkeit der Verhältnisse | Rz. 3.123 Kap. 3
Verwendung eigener Produktionsanlagen gegenüber der Verwendung geleaster Produktionsanlagen durch das Vergleichsunternehmen, die wie andere Unterschiede in der Finanzierungsstruktur und den Finanzierungskosten (z.B. Eigenlager gegenüber Fremdlager) in der Praxis durch Kapitalanpassungsrechnungen angepasst werden. Im Zusammenhang mit Anpassungen der Kostenbasis kommt in der Praxis ferner den Kosten Bedeutung zu, mit denen keine oder eine geringere Wertschöpfung verbunden ist. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus denkbar, dass kein bzw. nur ein geringer Gewinnaufschlag verrechnet werden darf, wenn es sich um sog. „durchlaufende Kosten“ handelt, also ein Unternehmen für ein anderes in Vorlage tritt. Dies entspricht der Auffassung der Finanzverwaltung, dass in Fällen der Lohn- und Auftragsfertigung Materialbeistellungen nicht in die Kostenbasis mit einzubeziehen sind.1 Anpassungsrechnungen bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM). Im Zusammenhang mit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode weisen die OECD-Leitlinien auf die Anpassung der Nettomargen auf Basis des NetWorking-Capital (NWC) hin.2 Der Bedeutung einer entsprechenden Anpassung auf Basis des NWC wird durch ein ausführliches Beispiel im Anhang der OECD-Leitlinien Nachdruck verliehen.3 Einzelheiten hierzu werden ausführlich unter Rz. 5.109 ff. dargestellt.
3.122
Anpassungen im Hinblick auf gesamtwirtschaftliche Verhältnisse (z.B. Krisensituationen). Die Bestimmung externer Vergleichswerte mittels Datenbankanalyse führt dann zu nicht verwend- bzw. verwertbaren Ergebnissen, wenn die betreffenden Daten nicht unter vergleichbaren Markt- und Wettbewerbsverhältnissen zustande gekommen sind (vgl. Rz. 3.70 ff.). Dies ist etwa im Hinblick auf Vergleichswerte der Jahre der Finanz- und Wirtschaftskrise (insbesondere 2008 und 2009) – jedenfalls bezogen auf Industriestaaten – und die Jahre der COVID-19-Pandemie (siehe hierzu Rz. 3.28) der Fall. Mangels entsprechender Datenqualität können Anpassungen regelmäßig nicht datenbankgestützt vorgenommen werden. Im Hinblick auf die Berücksichtigung ökonomischer Krisen wird folgende Vorgehensweise vorgeschlagen:
3.123
– Verwendung der zeitlich jüngsten Vergleichswerte, einschließlich der Ergebnisse aus Zwischenabschlüssen und Prognosen, wobei eine entsprechende Datenqualität regelmäßig nur für börsennotierte Unternehmen verfügbar ist; – Verwendung alternativer Beobachtungszeiträume, wobei gewichtete Durchschnittswerte zur Glättung marktzyklischer Entwicklungen zu bilden sind (z.B. Verwendung von Daten aus den Jahren 2010–2012 anstelle von Daten aus den Jahren 2007–2009); – Durchführung geeigneter Anpassungen der beobachteten Finanzkennzahlen an das Niveau der Vergleichswerte durch – Regressionsanalyse4 auf Basis eines systematischen Zusammenhangs zwischen den Änderungen der Umsatz- und der Ergebniszahlen im Beobachtungszeitraum, wobei die Zuverlässigkeit dieser Vorgehensweise stark von der Anzahl der Beobachtungen und der Zuverlässigkeit der zugrunde liegenden Daten abhängt;
1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 207; Zech, IStR 2011, 135. 2 Vgl. Tz. 3.49 OECD-Leitlinien 2022. Zur NWC-Anpassung sowie anderen Arten von Anpassungsrechnungen vgl. Gommers/Reyneveld/Lund, ITPJ 2008, 126 ff. 3 Vgl. OECD-Leitlinien 2022, Annex zu Kapitel III. 4 Zu Vergleichbarkeitsanpassungen durch Regressionsanalysen vgl. z.B. Curtis/Ruhashyankiko, TMTR 2005, 22, Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1938; Oesteicher/Duensing, IStR 2005, 141.
Baumhoff/Liebchen | 257
Kap. 3 Rz. 3.123 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
– Analyse der Kostenstrukturen bestehend aus der Beurteilung des Niveaus der variablen und fixen Kosten der Vergleichsunternehmen und der Beurteilung des Einflusses von Umsatzrückgängen auf die Nettogewinne der Vergleichsunternehmen, wobei die wesentlichen Probleme dieses Ansatzes in der fehlenden Datenqualität insb. im Hinblick auf die Aufteilung des jeweiligen Kostenblocks der identifizierten Vergleichsunternehmen in fixe und variable Kosten bestehen sollte.1 Die Verwendung von Regressionsanalysen und Analysen der Kostenstrukturen für Zwecke von Vergleichbarkeitsanpassungen setzt neben einer entsprechenden Datenqualität, wobei jedenfalls die Annahme vergleichbarer Kostenstrukturen bei fehlender Datenqualität problematisch ist,2 eine hinreichende Zuverlässigkeit der identifizierten Einflussfaktoren im Hinblick auf die gesamtwirtschaftlichen Umstände der zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsbeziehung voraus.
3.124
Anpassungsrechnungen im Hinblick auf Marktunterschiede. Für die Anpassung einzelwirtschaftlicher (mikroökonomischer) Unterschiede zwischen den zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsbeziehungen und entsprechenden Vergleichstransaktionen werden im Schrifttum Anpassungen auf Basis der jeweiligen Marktrendite vorgeschlagen.3 Hierzu sind für den konkreten Markt der zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsbeziehung und das jeweilige Marktumfeld der identifizierten Vergleichsunternehmen sowohl der jeweilige risikolose Zinssatz als auch der jeweilige Risikozuschlag zu bestimmen, wobei die Bestimmung des Risikozuschlags auf Basis des vergleichbaren Funktions- und Risikoprofils erfolgt. Diese Anpassungsrechnungen beruhen mithin auf der Überlegung, dass sich Unterschiede in den Nettomargen vergleichbarer Unternehmen, die in unterschiedlichen Märkten agieren, auf (renditebezogene) Marktunterschiede zurückführen lassen und dass die Marktunterschiede anhand der unterschiedlichen Marktrenditen quantifiziert und angepasst werden können. Bei einem marktunabhängigen risikolosen Zinssatz reflektiert der Unterschied der Risikozuschläge das konkrete Marktrisiko, das bei vergleichbaren Tätigkeiten zusätzlich vergütet werden muss. In Abhängigkeit davon, ob die zu beurteilende konzerninterne Geschäftsbeziehung oder die entsprechenden Vergleichstransaktionen den höheren Marktrisiken ausgesetzt ist, ist die operative Ergebnisgröße (i.d.R. der Gewinn vor Zinsen und Ertragsteuern [EBIT]) durch Ab- oder Zuschläge anzupassen, wobei der entsprechende Mehr-/Mindergewinn durch Anwendung des Risikozuschlags auf das eingesetzte Kapital bestimmt wird.4 Bei mehreren Vergleichswerten empfiehlt es sich bei entsprechender Datenqualität, die jeweiligen länderbezogenen Risiken der Vergleichswerte an die relevanten Marktbedingungen der zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsbeziehung anzupassen. Die Vornahme dieser Anpassungsrechnung setzt die Bestimmbarkeit der jeweiligen Marktrisikoprämien voraus, was insbesondere bei Entwicklungsund Schwellenländern problematisch ist.
1 Vgl. Fris/Gonnet, ITPJ 2010, 104. 2 Einen zwingenden Zusammenhang zwischen der zutreffenden Auswahl von Vergleichsunternehmen und „mehr oder weniger“ vergleichbaren Kostenstrukturen besteht u.E. jedenfalls nicht, a.A. Fris/Gonnet, ITPJ 2010, 104. 3 Vgl. Fris/Gonnet, ITPJ 2010, 105. 4 Im Einzelnen siehe hierzu Fris/Gonnet, ITPJ 2010, 105 m.w.N.
258 | Baumhoff/Liebchen
E. Tatsächlicher Fremdvergleich | Rz. 3.129 Kap. 3
D. Arten des Fremdvergleichs Unterschiedliche methodische Ansätze. Die Beantwortung der Frage, ob im zu beurteilenden Einzelfall von einer tatsächlichen oder fiktiven Unabhängigkeit der Geschäftspartner und von einer direkten oder indirekten bzw. uneingeschränkten oder eingeschränkten Vergleichbarkeit der Verhältnisse ausgegangen werden muss, bestimmt die Wahl des Verfahrens zur Ermittlung geeigneter Vergleichstatbestände. Für die sachgerechte Bemessung oder Beurteilung von Verrechnungspreisen ist daher zwischen zwei unterschiedlichen methodischen Ansätzen zu differenzieren, nämlich dem tatsächlichen und dem hypothetischen Fremdvergleich.
3.125
Tatsächlicher Fremdvergleich. Voraussetzung für den tatsächlichen Fremdvergleich (Fremdvergleich i.e.S.), bei dem es sich um einen „Ist-Ist“-Vergleich unter Verwendung tatsächlich feststellbarer Marktdaten handelt, ist sowohl eine tatsächliche Unabhängigkeit der Geschäftspartner als auch eine (direkte oder indirekte) Vergleichbarkeit der Verhältnisse.
3.126
Hypothetischer Fremdvergleich. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist die Durchführung eines Fremdvergleichs dennoch nicht ausgeschlossen. In einem solchen Fall lässt sich auf den hypothetischen Fremdvergleich (Fremdvergleich i.w.S.) ausweichen, wobei es sich um einen „Ist-Soll“-Vergleich auf der Basis betriebsinterner Werte über Kosten und Leistungen handelt.1
3.127
E. Tatsächlicher Fremdvergleich „Klassischer“ Fall des Fremdvergleichs. Der tatsächliche Fremdvergleich,2 der allgemein als der „klassische“ Fall des Fremdvergleichs betrachtet wird, ist nach Ansicht der OECD „die direkteste und verlässlichste Methode für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes“3 und daher idealerweise für die Beurteilung sämtlicher konzerninternen Liefer- und Leistungsentgelte geeignet. Zur Ermittlung eines quantitativen Vergleichsmaßstabes orientiert sich der tatsächliche Fremdvergleich an tatsächlich feststellbaren Vereinbarungen, die zwischen gesellschaftsrechtlich nicht verbundenen Unternehmen unter vergleichbaren Verhältnissen zur maßgeblichen Zeit getroffen worden sind.
3.128
Identität der Vergleichbarkeitsfaktoren als Idealfall. Im Idealfall besteht der einzige Unterschied zwischen Ausgangstatbestand und Vergleichstatbestand im Merkmal gesellschaftsrechtlicher Unabhängigkeit der Geschäftspartner, während alle übrigen, den Leistungstransfer beeinflussenden Faktoren, absolut identisch sind. Grundsätzlich sollte die Ermittlung des Vergleichstatbestandes zeitgleich mit dem festgestellten Ausgangstatbestand erfolgen. Außerdem ist bei einem tatsächlichen Fremdvergleich zu beachten, dass die verwendbaren Vergleichstatbestände repräsentativ sein müssen und daher nur dann zu Vergleichszwecken herangezogen werden dürfen, wenn sie über ein bestimmtes „Mindestvolumen“ verfügen.4
3.129
1 Vgl. Scheffler, Die Berichtigung von Einkünften nach § 1 AStG durch Schätzung, 85. 2 Mithin wird auch von einem „konkreten Fremdvergleich“ gesprochen, vgl. Wassermeyer, IStR 2001, 636; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.304; Kraft in Kraft, AStG2, § 1 AStG Rz. 132; Schwenke/Greil in Wassermeyer, DBA, Art. 9 Rz. 101. 3 Tz. 2.15 OECD-Leitlinien 2022; vgl. auch BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 4 Vgl. BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 – 12/04, BStBl. I 2004, 270 Tz. zu 3 (aufgeh. durch BMF v. 23.4.2010 – IV A 6 – O 1000/09/10095, BStBl. I 2010, 391 für ab dem 1.1.2009 verwirklichte Tatbestände); BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171.
Baumhoff/Liebchen | 259
Kap. 3 Rz. 3.130 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.130
Innerbetrieblicher Fremdvergleich. Ein innerbetrieblicher Vergleich1 ist immer dann möglich, wenn ein bestimmtes Konzernunternehmen die gleiche Lieferung bzw. Leistung sowohl mit verbundenen als auch mit unverbundenen Geschäftspartnern austauscht. Als Vergleichstatbestand dient dabei das unbeeinflusste Geschäft eines Mitglieds des Unternehmensverbundes mit einem gesellschaftsrechtlich unabhängigen Leistungserbringer bzw. -empfänger. Sind die Voraussetzungen für einen innerbetrieblichen Vergleich gegeben, weil das betrachtete verbundene Unternehmen die gleiche Leistung unter vergleichbaren Bedingungen sowohl für ein verbundenes als auch für ein nicht verbundenes Unternehmen erbringt, bzw. sowohl von einem verbundenen als auch von einem unverbundenen Unternehmen erhält, so stellt diese Art des tatsächlichen Fremdvergleichs die theoretisch exaktere und in der Durchführung zweckmäßigste Verfahrensweise dar. Die besondere Eignung des innerbetrieblichen Vergleichs ergibt sich dabei aus der Einbeziehung des verbundenen Unternehmens in den Vergleichstatbestand. Dies ist insofern vorteilhaft, als sowohl die Möglichkeit einer Beachtung der Konzernzugehörigkeit durch Berücksichtigung innerbetrieblicher Einflussfaktoren als auch die einer relativ problemlosen Ermittlung der relevanten Vergleichsdaten aus den Unterlagen des betreffenden Konzernunternehmens besteht. Das EU-JTPF empfiehlt in seinem Bericht zur Nutzung von Vergleichswerten in der EU, auf den Rz. 3.18 der VWG VP 2021 im Rahmen der verwaltungsseitigen Grundsätze für die Vergleichbarkeitsanalyse besonders hinweist, dass (i) potenzielle interne Vergleichswerte vorrangig vor externen Vergleichswerten zu untersuchen sind und dass (ii) auch Vergleichswerte aus Vergleichstransaktionen zwischen anderen Gesellschaften der Unternehmensgruppe und fremden Dritten als „interne Vergleichswerte“ i.S.v. Tz. 3.24 der OECD-Leitlinien qualifiziert werden sollten.2
3.131
Zwischenbetrieblicher Fremdvergleich. Fehlen die Voraussetzungen für einen innerbetrieblichen Vergleich, so ist zu prüfen, ob ein tatsächlicher Fremdvergleich in Form eines zwischenbetrieblichen Vergleichs möglich ist.3 Als Vergleichstatbestände dienen dabei Vereinbarungen, die zwischen zwei unabhängigen Geschäftspartnern, wovon keiner dem betrachteten Unternehmensverbund angehört, für vergleichbare Leistungen unter vergleichbaren Bedingungen festgelegt wurden. Der Unterschied zum innerbetrieblichen Vergleich liegt somit darin, dass der Ursprung der zugrunde zu legenden Vereinbarungen außerhalb des Einflussbereichs des Unternehmensverbundes liegt. Vergleichstatbestände, die durch einen zwischenbetrieblichen Vergleich ermittelt werden, unterliegen insofern am wenigsten der Vermutung der Unangemessenheit, als sie durch das Zusammenwirken der Marktkräfte zustande gekommen sind, daher frei von innerbetrieblichen Einflüssen sind und somit als besonders objektiv angesehen werden müssen.
3.132
Grenzen des tatsächlichen Fremdvergleichs. Allerdings sind sowohl dem innerbetrieblichen wie dem zwischenbetrieblichen Vergleich in der praktischen Durchführung sehr enge Grenzen gesetzt. Das Hauptproblem besteht darin, geeignete „unabhängige“ Vergleichsobjekte zu finden, deren Abweichungen zum Ausgangstatbestand so gering sind, dass eine Vergleichbarkeit der Vergleichsobjekte gewährleistet ist. Dies ist jedoch in einer Vielzahl von Fällen nicht
1 Im Schrifttum wird auch von einem „betriebsinternen Fremdvergleich“ gesprochen, vgl. Kuckhoff/ Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 24. 2 Vgl. EU-JTPF, Bericht zur Nutzung von Vergleichswerten in der EU („Report on the use of comparables in the EU“), October 2016, DOC:JTPF/007/2016/FINAL/EN Empfehlung Nr. 3, Buchst. a und c. 3 Im Schrifttum wird diese Art des Fremdvergleichs auch als „betriebsexterner Fremdvergleich“ bezeichnet, vgl. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 24.
260 | Baumhoff/Liebchen
E. Tatsächlicher Fremdvergleich | Rz. 3.133 Kap. 3
möglich, da einerseits nicht alle die Vergleichbarkeit bestimmenden Einflussfaktoren übereinstimmen und andererseits vergleichbare Transaktionen entweder nur in dem betrachteten oder nur innerhalb anderer Konzerne, aber nicht zwischen fremden Dritten ausgetauscht werden. Im ersten Fall scheitert somit ein tatsächlicher Fremdvergleich aufgrund mangelnder Vergleichbarkeit der Verhältnisse, im zweiten Fall aufgrund fehlender gesellschaftsrechtlicher Unabhängigkeit der Geschäftspartner. Bedeutung von Datenbankanalysen. Die dargestellten Probleme des tatsächlichen Fremdvergleichs zeigen sich insbesondere im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung über eine Datenbankanalyse. Bei dieser werden verrechnungspreisdeterminierende Faktoren (z.B. Gewinnmargen, Renditekennziffern, Profitabilitätskennziffern etc.) aus einer Datenbank abgeleitet, die wirtschaftliche Kennziffern von privaten und börsennotierten Unternehmen enthält.1 Zu Problemen führt in diesem Zusammenhang vor allem die Sicherstellung einer hinreichenden Vergleichbarkeit zwischen dem zu beurteilenden Konzernunternehmen und dem unabhängigen Vergleichsunternehmen. So kann es sich als außerordentlich schwierig erweisen, eine angemessene Anzahl von Vergleichsunternehmen zu identifizieren. Nur wenn sichergestellt ist, dass die mittels der Datenbank identifizierten Vergleichsunternehmen hinsichtlich ihrer ausgeübten Funktionen und ihrer getragenen Risiken sowie der diesen Funktionen und Risiken immanenten Geschäftsbeziehungen mit dem zu beurteilenden Konzernunternehmen vergleichbar sind, kann eine solche Ermittlung der Verrechnungspreise überzeugen. Angesichts der Probleme bei der Identifikation geeigneter Vergleichsunternehmen und Vergleichstransaktionen hat es sich als sinnvoll erwiesen, die Vergleichsfaktoren auf die wesentlichen preis- und gewinndeterminierenden Faktoren zu reduzieren.2 Dazu gehören insbesondere neben den von den Konzerneinheiten ausgeübten Funktionen die von ihnen getragenen Risiken sowie die von ihnen eingesetzten Produktionsmittel. Der BFH hat grundsätzlich keine Bedenken gegen die Verwendung solcher mittels Datenbanken ermittelter Vergleichsdaten („comparables“).3 Dies gilt unabhängig davon, ob die Daten allgemein zugänglich sind oder nicht. Vor diesem Hintergrund darf sowohl die Finanzverwaltung als auch der Steuerpflichtige Datenbanken aufbauen und verwenden, selbst wenn die entsprechenden Daten nicht allgemein zugänglich sind. Der Beweiswert der aus anonymisierten Datenbanken ermittelten Vergleichsdaten ist allerdings nach Ansicht des BFH davon abhängig, ob die verwendete Datenbank Mindestanforderungen an die Qualität der Datenerfassung genügt.4 Für deutsch-steuerliche Zwecke ist ferner zu berücksichtigen, dass die deutsche Finanzverwaltung an einen datenbankgestützten Fremdvergleich erhebliche Anforderungen knüpft und dass Datenbank- sowie Benchmark-Analysen zudem erhöhten Dokumentationsanforderungen insbesondere im Hinblick auf die Prüfbarkeit unterliegen.5
1 Siehe zu den hauptsächlich in Deutschland zum Einsatz kommenden Datenbanken und deren Merkmalen ausführlich Vögele/Crüger in V/B/B, Verrechnungspreise5, H Rz. 19 ff. Zur Eignung von Datenbanken für die Verrechnungspreisanalyse vgl. auch Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937 ff.; Oestreicher, StuW 2006, 243 ff.; Oestreicher, IStR 2005, 134 ff.; Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 95 ff.; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34 ff.; Wahl/Preisser, IStR 2008, 51 ff. 2 Vgl. Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1939; Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 136. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 4 Allerdings ist diese Forderung des BFH weitestgehend unbestimmt; vgl. hierzu Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 217. 5 Vgl. § 4 Abs. 3 GAufzV; VWG 2020, Rz. 53. Siehe ferner Ruhmer-Krell/Weidlich, IWB 2020, 542; Dawid et al., ISR 2017, 320 f.; Schnorberger/Haverkamp/Etzig, BB 2017, 1117.
Baumhoff/Liebchen | 261
3.133
Kap. 3 Rz. 3.133 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Ein weiteres Problem bei der Verwendung von Datenbankanalysen im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Referenztransaktionen resultiert aus der Realität gesamtwirtschaftlicher oder branchenspezifischer Instabilität, die den Beweiswert der Informationen aus Datenbanken erheblich beeinträchtigt. Üblicherweise wird einer Datenbankanalyse ein Beobachtungszeitraum von drei bis fünf Jahren zugrunde gelegt. Sind die in diesem Zeitraum vorherrschenden Markt- und Wettbewerbsverhältnisse nicht mit denen vergleichbar, die der zu bepreisenden verbundinternen Transaktion zugrunde liegen (z.B. in Zeiten der Finanzmarktkrise und der ihr nachfolgenden Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009), sind die gewonnen Daten nicht verwend- bzw. verwertbar. Dies deshalb, weil die ermittelten Vergleichsdaten nicht auf vergleichbare Verhältnisse zurückgehen.1 Insofern bedarf es der Identifikation von Vergleichsdaten, die ebendiese Vergleichbarkeit aufweisen. Hier dürfte allerdings die Datenbasis (noch) als unzureichend zu bezeichnen sein. Dieser Umstand wird die Datenbankanalyse zukünftig vor die Herausforderung stellen, auch die Volatilität der ermittelten Vergleichsdaten zu dokumentieren.2 Dies wird zwangsläufig die Ausdehnung des Beobachtungszeitraums erfordern, um Rezessions- wie Wachstumsphasen in dem Datensatz zu berücksichtigen.3
F. Hypothetischer Fremdvergleich I. Ordentlicher Geschäftsleiter als Kriterium des hypothetischen Fremdvergleichs 3.134
Simulation des Preisbildungsprozesses. Unumstritten ist, dass einem tatsächlichen Fremdvergleich grundsätzlich Vorrang vor anderen Vergleichsverfahren einzuräumen ist.4 Ein tatsächlicher Fremdvergleich erweist sich allerdings immer dann als nicht durchführbar, wenn es an einer effektiven Vergleichsmöglichkeit zwischen unabhängigen Vergleichspartnern fehlt. In diesem Fall besteht die Möglichkeit und Notwendigkeit, auf Hilfs- und Simulationsverfahren zurückzugreifen. Dabei handelt es sich um einen hypothetischen Fremdvergleich, der, basierend auf der Fiktion gesellschaftsrechtlicher Unabhängigkeit der Vertragspartner, eine Simulation des Preisbildungsprozesses5 vornimmt.
3.135
Konkrete Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Die Ermittlung fiktiver Vergleichstatbestände durch Simulation des Preisbildungsprozesses muss auf der Grundlage der Daten des realen Ausgangstatbestandes erfolgen, wobei durch die Unabhängigkeitsfiktion lediglich solche Einflüsse auf die Preisfestlegung zu eliminieren sind, die auf die Verflechtung der Unternehmen
1 2 3 4
Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 38; siehe ferner Engler, IStR 2009, 685 ff. Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 38. Vgl. Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160. Vgl. Tz. 2.15 OECD-Leitlinien 2022; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.308; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.164; Liebchen in F/W/K, DBA-Schweiz, Art. 9 Rz. 107; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 60; differenzierend Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 190 ff. Dagegen macht nach Auffassung des BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171, die nachhaltige Erwirtschaftung von Verlusten bei einer inländischen Tochter-Vertriebsgesellschaft die Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs „obsolet“. 5 Vgl. dazu auch Kleineidam in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 105 ff.
262 | Baumhoff/Liebchen
F. Hypothetischer Fremdvergleich | Rz. 3.138 Kap. 3
zurückzuführen sind.1 Dies hat für die praktische Ausgestaltung des hypothetischen Fremdvergleichs zur Folge, dass das Ergebnis der Preissimulation entscheidend geprägt sein muss von den konkreten Marktverhältnissen, den Handelsbräuchen und Marktgepflogenheiten, der Unternehmensstruktur, den Funktionen und den Risiken des Unternehmens innerhalb des Gesamtverbundes sowie der Kostensituation der jeweiligen Vertragspartner. Die deutsche Finanzverwaltung spricht in diesem Zusammenhang von der Berücksichtigung „tatsächlichen Fremdverhaltens“ im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs.2 Objektivierender Bezugspunkt. Erweist sich ein hypothetischer Fremdvergleich als notwendig, so bedarf es zu dessen Durchführung eines objektiven Bezugspunktes. Die ständige Rspr. des BFH3 zur vGA und verdeckten Einlage hat hierfür auf die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters bzw. eines ordentlichen Kaufmanns (im Folgenden kurz: ordentlicher Geschäftsleiter) verwiesen, um beurteilen zu können, ob ein Verrechnungspreis als sachgerecht anzusehen ist, also mit dem Preis übereinstimmt, den unabhängige Dritte in einer vergleichbaren Situation vereinbart hätten (vgl. auch Rz. 2.27 ff.).
3.136
Die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters einer unabhängigen Gesellschaft ist als der Maßstab des hypothetischen Fremdvergleichs anzusehen und daher immer dann anwendbar, wenn ein objektiver Wert i.S. eines Marktpreises als Vergleichsmaßstab nicht zur Verfügung steht. Ursprung des Sorgfaltsmaßstabs. Bei diesem Sorgfaltsmaßstab handelt es sich um ein Kriterium des deutschen Handelsrechts, das die BFH-Rspr. in das Steuerrecht übernommen hat und das in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG seine gesetzliche Grundlage hat. Hiernach ist bei der Anwendung des Fremdvergleichs davon auszugehen, „dass die voneinander unabhängigen Dritten [...] nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln.“ Es dient den VWG VP4, den VWG-Arbeitnehmerentsendung5, den VWG-Funktionsverlagerung6, den VWG-BsGa7 und den VWG 20208 als zentrales Angemessenheitskriterium.
3.137
Wassermeyer betont, dass es sich bei dem Maßstab des ordentlichen Geschäftsführers um eine „Erfindung Döllerers“ handele, der den Maßstab aus den §§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG abgeleitet habe, obwohl beide Vorschriften mit einer vGA im steuerlichen Sinne nichts zu tun hätten. Genau genommen sei dieser Maßstab ohne jede Rechtsgrundlage.9 Dennoch erwächst die besondere Relevanz dieser Rechtsfigur als Objektivitätskriterium des deutschen Steuerrechts aus ihrer zentralen Stellung innerhalb der beiden dominanten Abgrenzungsregelungen, der vGA und der verdeckten Einlage, und nunmehr auch in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG. Bezüge in den OECD-Leitlinien. Geht man davon aus, dass man mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters nicht über einen punktmäßig vorgegebenen Maßstab verfügt, son1 Vgl. auch BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = DB 2021, 2604 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 65. 3 Vgl. erstmals BFH v. 16.3.1967 – I 261/63, BStBl. III 1967, 626. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.1, 3.39, 3.51 u. 3.91. 5 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.1, 3.1.1 u. 3.1.2. 6 Vgl. VWG FVerl, Rz. 30, 96, 193. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 140 f., 219, 225 f., 237, 241, 260 und 276. 8 Vgl. VWG 2020, Rz. 14. 9 Vgl. Wassermeyer in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 126; Wassermeyer, DB 1994, 1107. Siehe hierzu auch Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 300 ff.
Baumhoff/Liebchen | 263
3.138
Kap. 3 Rz. 3.138 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
dern dass dem Geschäftsleiter unter Berücksichtigung seiner unternehmerischen Zielfunktion ein gewisser Spielraum kaufmännischen Ermessens eingeräumt werden muss, der sich im Einzelfall aus Art, Funktion, Marktsituation und Größe der betreffenden Unternehmen ergibt,1 so muss man konzedieren, dass dieser Maßstab für viele Situationen der internationalen Einkünfteabgrenzung ein geeignetes Abgrenzungskriterium darstellt. Auch die OECD-Leitlinien haben die besondere Eignung des Maßstabs erkannt, indem sie in Kap. V zur Nachweisführung bei Verrechnungspreisprüfungen von „den Grundsätzen einer gewissenhaften Geschäftsleitung“ bzw. „des gewissenhaften Geschäftsleiters“ sprechen.2 Die OECD-Leitlinien beziehen sich ferner im Zusammenhang mit Restrukturierungen und dem Ausnahmecharakter von Umdeutungen der konkreten Verbunddisposition auf die „kaufmännische Sinnhaftigkeit“ („commercially rational manner“) bzw. „vernünftige geschäftliche Gründe“ („sound business reasons“) der Verbundorganisation.3 Im Hinblick auf die Anerkennung der vollständig umschriebenen Geschäftsbeziehungen nehmen die OECD-Leitlinien ebenso auf die kaufmännische Sinnhaftigkeit“ („commercially rational manner“) bzw. auf „kaufmännisch vernünftig“ („commercially rational“) Bezug.4 Inhaltlich sollte diese Abgrenzung dem Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsleiters entsprechen.
3.139
Notwendigkeit der inhaltlichen Konkretisierung. Eine „Internationalisierung“ der Rechtsfigur des ordentlichen Geschäftsleiters wird allgemein begrüßt und als „Retter“ des Arm’sLength-Tests in solchen konzernspezifischen Situationen angesehen, „bei denen mangels vergleichbarer unbeeinflusster Transaktionen nur noch ein hypothetischer Fremdvergleich möglich ist“.5 Die erweiterte Verwendungsmöglichkeit des ordentlichen Geschäftsleiters zur Konkretisierung des Fremdvergleichs resultiert aus der Flexibilität seines Angemessenheitskriteriums, welches allerdings für die praktische Anwendung einer zusätzlichen Präzisierung bedarf. Hierbei ergibt sich das zentrale Problem der Entwicklung sachgerechter Kriterien zur Bestimmung der Interventionspunkte bzw. Toleranzgrenzen von Entscheidungsspielräumen, innerhalb derer die Entscheidungen als – aus steuerlicher Sicht – akzeptabel anzusehen sind.
3.140
Entscheidungen über absatz- und beschaffungswirtschaftliche Preisgrenzen. Geht man von der Überlegung aus, dass es grundsätzlich dem rationalen Verhalten eines ordentlichen Geschäftsleiters widerspricht, Entgelte zu akzeptieren, die entweder zu einem völlig oder teilweise unentgeltlichen Liefer- oder Leistungstransfer führen oder über den Aufwand hinausgehen, der entstünde, wenn bestimmte Leistungen durch den eigenen Betrieb oder fremde Dritte erbracht werden würden, so erhält das Problem der Begrenzung von Entscheidungsspielräumen eher eine ökonomische als eine rechtliche Dimension. Dieser Umstand macht die einem betriebswirtschaftlichen Kalkül unterziehbare Entscheidungssituation deutlich, die durch Entscheidungen über absatz- und beschaffungswirtschaftliche Preisgrenzen gekennzeichnet ist. Diese Preisgrenzen determinieren das Ausmaß von Ermessensspielräumen. Der Gesetzgeber hat diese Überlegung in § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG und § 1 Abs. 3a Sätze 5 und 6 AStG konsequent mit der Einigungsbereichsbetrachtung umgesetzt, wobei er vom „Mindestpreis des Leistenden“ und vom „Höchstpreis des Leistungsempfängers“ spricht. 1 Vgl. BFH v. 10.1.1973 – I R 119/70, BStBl. II 1973, 322; BFH v. 16.4.1980 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492. 2 Vgl. Tz. 5.4, 5.6, 5.11 u. 8.41 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 9.35 ff. und 9.58 f. OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 1.142 OECD-Leitlinien 2022; ebenso Tz. 1.144, 9.35, 10.7 OECD-Leitlinien 2022 bzw. zu „commercially irrational“ Tz. 1.146, 1.148 u. 9.109 OECD-Leitlinien 2022. 5 Lahodny-Karner, Konzernverrechnungspreise im nationalen und internationalen Steuerrecht, 60; jedoch kritisch Kleineidam, IStR 2001, 726 f.
264 | Baumhoff/Liebchen
F. Hypothetischer Fremdvergleich | Rz. 3.143 Kap. 3
Ausrichtung an Gewinnerzielung bzw. Gewinnmaximierung. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist der ordentliche Geschäftsleiter als Träger betriebswirtschaftlicher Entscheidungen anzusehen, der das erwerbswirtschaftliche Prinzip in Form der „Gewinnmaximierung“ als oberste Maxime seines unternehmerischen Handelns zu respektieren hat. So verlangen die VWG VP von der Rechtsfigur des ordentlichen Geschäftsleiters die strikte Beachtung des erwerbswirtschaftlichen Prinzips.1 Im Übrigen ist auch nach Auffassung der Rspr. das Verhalten des ordentlichen Geschäftsleiters an der betriebswirtschaftlichen Zielsetzung der Gewinnerzielung bzw. Gewinnmaximierung auszurichten.2
3.141
Indizwirkung konträrer Zielsysteme. Betrachtet man die Eliminierung der Einflussnahme des Gesellschafters bzw. einer ihm nahe stehenden Person auf die unternehmerischen Zielsetzungen der Kapitalgesellschaft als die Hauptabsicht des Fremdvergleichs, so lassen andere, dem Gewinnstreben entgegengesetzte Zielsysteme grundsätzlich eine nicht erwünschte gesellschaftsrechtlich bedingte Einflussnahme vermuten, die bei der Ermittlung hypothetischer Vergleichstatbestände nicht berücksichtigt werden darf.3 Lediglich in begründeten Ausnahmefällen sind andere, vom Gewinnstreben abweichende Zielsetzungen bei der Konstruktion hypothetischer Lösungsansätze möglich.
3.142
Temporär vom Gewinnstreben abweichende Zielsetzung. Wenngleich das Gewinnstreben als oberste, langfristige und während der gesamten Lebensdauer eines Unternehmens gültige Maxime zu betrachten ist, so kann dennoch ein vorübergehendes Abweichen hiervon zugunsten einer anderen Zielsetzung im Rahmen einer kurzfristigen Betrachtung betriebswirtschaftlich durchaus sinnvoll sein. Dies gilt bspw. bei der Neueinführung von Produkten oder der Markterschließung bzw. der Marktverteidigung/-sicherung, wo entsprechende Maßnahmen häufig zu erhöhten Kosten bzw. zu Mindererlösen führen (vgl. Rz. 3.78 ff.). Dabei bestimmt sich die Dauer solcher Maßnahmen ausschließlich nach Vorteilhaftigkeitserwägungen eines rational handelnden Entscheidungsträgers in Gestalt des ordentlichen Geschäftsleiters, der diese nur dann realisiert, wenn er aufgrund unternehmerischer Planungsergebnisse davon ausgehen kann, dass sich die Kosten bzw. Mindererlöse solcher Maßnahmen im Planungszeitraum durch daraus entstehende zusätzliche Erlöse mindestens kompensieren.
3.143
In diesem Zusammenhang geht die Rspr. davon aus, dass eine Verlustphase – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalls – sowohl bei neu eingeführten als auch bei bereits auf dem Markt etablierten Produkten drei Jahre nicht überschreiten sollte.4 Die Dreijahresfrist ist allerdings als widerlegbare Vermutung zu verstehen (Rz. 3.80), sodass es dem Steuerpflichtigen freisteht, darzulegen, dass die Verlustursachen nicht in unangemessenen Verrechnungspreisen, sondern vielmehr in sonstigen betrieblichen Gründen (z.B. Fehlmaßnahmen, nicht vorhersehbaren Ereignissen) zu suchen sind und rechtzeitig Anpassungsmaßnahmen ergriffen wurden.5 Die Anerkennung von Anlaufverlusten wird zudem von der Erzielung eines „angemessenen Totalgewinns“ innerhalb eines – vom BFH nicht näher quantifizierten – überschaubaren Kalkulationszeitraumes abhängig gemacht. Die Höhe dieser „Überkompensation“
1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.1, 3.31, 3.39, 3.51 u. 3.91. 2 Vgl. BFH v. 16.4.1980 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492; v. 28.6.1989 – I R 9/85, BStBl. II 1989, 854; v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; v. 15.5.2002 – I R 92/00, BFH/NV 2002, 1538; v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658. 3 Vgl. etwa BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 4 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457; v. 17.10.2001 – I R 103/00, IStR 2001, 745. 5 Diese Anforderungen spiegeln sich auch in den Aufzeichnungspflichten nach § 5 S. 2 Nr. 5 GAufzV wider.
Baumhoff/Liebchen | 265
Kap. 3 Rz. 3.143 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
soll mindestens der angemessenen Verzinsung des zugeführten Eigenkapitals (einschl. Zinseszins und Risikozuschlag) entsprechen.1 Dem entsprechen die Grundsätze der VWG VP.2
3.144
„Make-or-Buy“-Kalkül. Bei beschaffungswirtschaftlichen Entscheidungsprozessen sieht sich ein ordentlicher Geschäftsleiter als Entscheidungsträger grundsätzlich den Handlungsalternativen Eigenfertigung oder Fremdbezug gegenüber.3 Im Rahmen absatzwirtschaftlicher Entscheidungen ist die Wahl zwischen alternativen Abnehmern erforderlich. Die Anzahl der Handlungsalternativen orientiert sich dabei an der Menge potenzieller Leistungserbringer bzw. -empfänger. Ein ordentlicher Geschäftsleiter wird aus den zum Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Handlungsalternativen diejenige auswählen, die nach seiner Einschätzung für das von ihm vertretene Unternehmen langfristig den größten Nutzen bringt. Abzustellen ist damit auf die Vorteilhaftigkeitserwägungen eines autonomen Entscheidungsträgers. Da für die Bestimmung von Ermessensspielräumen, innerhalb derer die Entscheidungen eines Geschäftsleiters als akzeptabel anzusehen sind, operationale und allgemein verbindliche Normen fehlen, muss auf die Grundregeln ordnungsmäßiger Unternehmensführung als Verhaltensmaßstab zurückgegriffen werden. Mithin sind die Entscheidungen eines ordentlichen Geschäftsleiters steuerlich anzuerkennen, solange er sich im Rahmen des ihm einzuräumenden Ermessensspielraumes bewegt und dadurch seiner Sorgfaltspflicht genügt. Dies gilt auch dann, wenn sich in zwei vergleichbaren Fällen ein ordentlicher Geschäftsleiter anders entscheidet als ein anderer. Ein ordentlicher Geschäftsleiter hat sein Entscheidungsverhalten ausschließlich am Ziel des von ihm geleiteten Unternehmens zu orientieren. Das hat zur Folge, dass er auch dann keine nachteiligen Geschäfte für „sein“ Unternehmen abschließen darf, wenn seine Handlungsweise für andere verbundene Unternehmen möglicherweise vorteilhaft sein sollte.4
II. „Doppelter“ ordentlicher Geschäftsleiter 3.145
Einbeziehung des Vertragspartners. Will man das Kriterium des ordentlichen Geschäftsleiters im Interesse eines einheitlichen Fremdvergleichs im deutschen internationalen Steuerrecht sachgerecht anwenden, so kommt man nicht umhin, auch den Vertragspartner in das Kriterium miteinzubeziehen.5 Der BFH hat diese Notwendigkeit erkannt und unter Änderung seiner ständigen Rspr. zur vGA im Urteil v. 17.5.19956 die Einbeziehung des Vertragspartners in den Fremdvergleich vorgenommen. Der BFH führt hierzu aus:
1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 – 12/ 04, BStBl. I 2004, 270. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.31 ff. 3 Vgl. Baumhoff, IStR 2000, 696. 4 So ausdrücklich BFH v. 1.8.1984 – I R 99/80, BStBl. II 1985, 18. 5 Vgl. Wassermeyer, DB 1994, 1109; Wassermeyer, IStR 2001, 636; siehe auch Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 360 ff. 6 Vgl. BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204. Siehe ferner BFH v. 6.12.1995 – I R 88/94, BStBl. II 1996, 383; v. 19.5.1998 – I R 36/97, BStBl. II 1998, 689; v. 27.3.2001 – I R 27/99, BStBl. II 2002, 111; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; v. 24.4.2002 – I R 18/01, BStBl. II 2002, 670; v. 28.1.2004 – I R 87/02, BFH/NV 2004, 736; v. 6.4.2005 – I R 15/04, BStBl. II 2006, 196; v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658; v. 21.8.2007 – I R 27/07, HFR 2008, 367; v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961; v. 5.3.2008 – I R 45/07, BFH/NV 2008, 1534; v. 17.2.2010 – I R 97/08, BFH/NV 2010, 1307.
266 | Baumhoff/Liebchen
F. Hypothetischer Fremdvergleich | Rz. 3.147 Kap. 3
„Der Maßstab der Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ist jedoch nicht für alle Fälle als Beurteilungsmaßstab geeignet. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass der gebotene Fremdvergleich nur aus der Sicht der Kapitalgesellschaft gesehen wird. Der ordentliche und gewissenhafte Gesellschafter wird grundsätzlich jeder Vereinbarung zustimmen, die für die Kapitalgesellschaft vorteilhaft ist. Dabei kann der Vorteil auch darin liegen, dass eine Verbindlichkeit der Gesellschaft nicht sofort erfüllt werden muss und damit der Gesellschaft Liquidität erhält. Der Fremdvergleich erfordert auch die Einbeziehung des Vertragspartners. Auch wenn ein Dritter einer für die Gesellschaft vorteilhaften Vereinbarung nicht zugestimmt hätte, kann deren Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis liegen. So gesehen ist der Maßstab des Handelns eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nur ein Teilaspekt des Fremdvergleichs.“ Damit hat der BFH den von der Betriebswirtschaftslehre nahezu zehn Jahre zuvor entwickelten Vorschlag1 zur Verdopplung der Rechtsfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters aufgenommen und seiner nunmehr ständigen Rspr. zugrunde gelegt. Verdopplung der Rechtsfigur. Es kann also nicht auf die Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsleiters nur des einen Unternehmens ankommen, erforderlich ist auch die Einbeziehung des ordentlichen Geschäftsleiters des im anderen Staat ansässigen Unternehmens. Der ordentliche Geschäftsleiter ist damit gewissermaßen zu „verdoppeln“, wenn man der im Wirtschaftsleben an sich selbstverständlichen Tatsache Rechnung tragen will, dass Verträge notwendigerweise von mindestens zwei Rechtssubjekten ausgehandelt und abgeschlossen werden. Denn es darf nicht übersehen werden, dass beim Liefer- und Leistungsverkehr zwischen international verbundenen Unternehmen auch aufseiten der ausländischen Gesellschaft ein Geschäftsleiter beteiligt ist, der mit der gebotenen Sorgfalt die Interessen seines Unternehmens zu vertreten hat und den Erwartungen „seines“ Fiskus gerecht werden muss (Rz. 3.149).
3.146
Gesetzlicher Maßstab für den Fremdvergleich. Der Gesetzgeber hat die Sinnhaftigkeit des „doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ erkannt und diese Rechtsfigur beinahe 25 Jahre nach ihrer „Geburt“ als Leitgedanken des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG verankert.2 Hiernach ist bei der Anwendung des Fremdvergleichs davon auszugehen, „dass die voneinander unabhängigen Dritten [...] nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln.“ Zu der Zwecksetzung heißt es in der Regierungsbegründung ausdrücklich: „da anderenfalls das Zustandekommen marktkonformer Verrechnungspreise nicht erreicht werden kann“.3 Dies verdeutlicht bereits hinreichend, dass die Rechtsfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters in ihrer verdoppelten Ausprägung auf den hypothetischen Fremdvergleich zugeschnitten ist und besser in § 1 Abs. 3 AStG hätte verankert werden sollen. Im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs ist sie hingegen verfehlt (Rz. 3.9). Für den hypothetischen Fremdvergleich erkennt der Gesetzgeber allerdings zutreffend, dass – bezogen auf die Ermittlung angemessener Verrechnungspreise – erst die Kombination zweier Fremdvergleichswerte (Preisunter-/Preisobergrenze) zwei kontrahierende ordentlicher Geschäftsleiter (Käufer/Verkäufer) zu einem Fremdvergleichspreis führt. Nach welchem Maßstab ihr Handeln zu beurteilen ist, bringt die Gesetzesbegründung zweifelsfrei zum Ausdruck: „nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen“.4
3.147
1 2 3 4
Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 139 ff. Siehe hierzu grundlegend Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 139 ff. BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 142. BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 144.
Baumhoff/Liebchen | 267
Kap. 3 Rz. 3.148 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
3.148
Normverhalten/Soll-Vergleichstatbestand. In diesem Zusammenhang kann das Verhalten „unabhängiger Dritter“, soweit ein tatsächlicher Fremdvergleich (Rz. 3.128 ff.) mangels Existenz uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbarer Vergleichsdaten scheitert, durch das Normverhalten der ordentlichen Geschäftsleiter im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs konkretisiert werden. Die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters erfährt dadurch als objektivierender Bezugspunkt eine eigenständige Bedeutung, was „letzten Endes auf eine Angemessenheitsprüfung nach betriebswirtschaftlichen Kriterien“ hinausläuft.1 Dieser Maßstab erweist sich jedoch nicht allein als Ergänzungskriterium eines hypothetischen, sondern auch als neutraler Bezugspunkt bei einem tatsächlichen Fremdvergleich und somit auch für die Auslegung des § 1 AStG insgesamt als geeignet.2 Denn ein ordentlicher Geschäftsleiter würde mit einem gesellschaftsrechtlich verbundenen Geschäftspartner dasselbe Geschäft zu genau den gleichen Bedingungen abschließen, wie er dies mit einem fremden Dritten tun würde bzw. wie dies fremde Dritte untereinander tun würden. Wenn also ein Geschäftsleiter mit einem verbundenen Unternehmen ein Geschäft „at arm’s length“ abschließt und durchführt, so verhält er sich damit ordentlich und gewissenhaft.
3.149
Berücksichtigung der individuellen Entscheidungssituation. Gegenüber dem tatsächlichen Fremdvergleich bietet das Kriterium des ordentlichen Geschäftsleiters die Möglichkeit einer zusätzlichen inhaltlichen Präzisierung, indem hiermit der individuellen Entscheidungssituation des Entscheidungsträgers im Unternehmen und damit auch in größerem Umfang der Funktion des einzelnen Unternehmens im gesamten Unternehmensverbund Rechnung getragen werden kann. Darüber hinaus ist es dem tatsächlichen Fremdvergleich in den Bereichen überlegen, in denen aufgrund konzernspezifischer Besonderheiten ein vergleichbares Fremdverhalten nicht mehr denkbar ist.3 Eine „Verdopplung“ der Rechtsfigur des ordentlichen Geschäftsleiters eröffnet im Übrigen die Möglichkeit einer international einheitlichen Anwendung des Fremdvergleichs und der „Internationalisierung“ dieser Rechtsfigur.4 Es stehen sich damit zwei ordentliche Geschäftsleiter sowohl aufseiten des anbietenden als auch des nachfragenden Unternehmens gegenüber, die aufgrund ihrer unternehmerischen Zielsetzung und Ergebnisverantwortung bestrebt sind, die für die von ihnen vertretenen Gesellschaften jeweils günstigsten Bedingungen zu vereinbaren. Durch die „Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters“ wird der in der Literatur vermisste natürliche Interessengegensatz der Geschäftspartner, der wie bei voneinander unabhängigen Unternehmen für marktkonforme, ausgewogene Preise sorgt, geschaffen. Darüber hinaus lässt die Etablierung eines zweiten Entscheidungsträgers das Kriterium des ordentlichen Geschäftsleiters insofern realitätsnaher und praktikabler erscheinen, als durch das Vorhandensein voneinander unabhängiger Anbieter und Nachfrager einer Grundbedingung von Preisbildungsprozessen Rechnung getragen und damit erst die Akzeptanz eines Preises durch beide Seiten ermöglicht wird.
1 Vgl. Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 107 ff.; Roeder, Ubg 2008, 204 f.; VWG FVerl, Rz. 149. 2 Vgl. etwa bereits BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.1., wonach dem Fremdvergleich „die verkehrsübliche Sorgfalt ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter gegenüber Fremden“ zugrunde zu legen ist. 3 Dagegen kritisch Kleineidam, IStR 2001, 726 f.; Bauer, IStR 2006, 320 ff. 4 Vgl. Lahodny-Karner, Konzernverrechnungspreise im nationalen und internationalen Steuerrecht, 61; Wassermeyer, IStR 2001, 636; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.179; Liebchen in F/W/K, DBA-Schweiz, Art. 9 Rz. 122.
268 | Baumhoff/Liebchen
F. Hypothetischer Fremdvergleich | Rz. 3.152 Kap. 3
Ermittlung individueller Grenzpreise und Handlungsalternativen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stehen sich nach dieser Betrachtungsweise zwei voneinander unabhängige Entscheidungsträger mit individuellen Zielfunktionen gegenüber, die nur dann zu einem Ergebnis gelangen können, wenn ihre Interessen in angemessener Weise gewahrt werden. Damit gilt für die Herstellung eines Interessenausgleichs als Grundvoraussetzung, dass beide Seiten den Bedingungen eines Transfers nur dann zustimmen können, wenn sich diese – zumindest langfristig – nicht negativ auf das Betriebsergebnis der von ihnen vertretenen Unternehmen auswirken. Um dies beurteilen zu können, ist eine vorherige Festlegung der individuellen Entscheidungssituationen der Geschäftspartner durch Ermittlung der individuellen Preisgrenzen (Rz. 5.197 ff.) sowie der Handlungsalternativen (Rz. 5.203 und 5.207) erforderlich, die sowohl dem Anbieter als auch dem Nachfrager neben dem zu beurteilenden Liefer- bzw. Leistungstransfer offenstehen.1
3.150
Einigungsbereichsbetrachtung. Dabei kann es bei rationalem Verhalten unabhängiger Entscheidungsträger nur dann zu einer Einigung kommen, wenn die Preisobergrenze des Nachfragers über der Preisuntergrenze des Anbieters liegt, m.a.W. wenn ein Einigungsbereich besteht. Mithin bildet dieser Einigungsbereich das Preisband (sog. „Bandbreitenbetrachtung“2), innerhalb dessen der angemessene Verrechnungspreis liegen muss. Dieses Preisband wird determiniert durch die Preisuntergrenze aus Sicht des leistungserbringenden Unternehmens und die Preisobergrenze aus Sicht des leistungsempfangenden Unternehmens (Rz. 3.160 und 5.1978 ff.).
3.151
Langfristige und kurzfristige Preisuntergrenze. Die Preisuntergrenze ist dabei definiert als dasjenige Entgelt, das das leistungserbringende Unternehmen von einem fremden Dritten mindestens für die Leistung fordern würde. Ist der Leistungsempfänger nicht bereit, dieses Entgelt zu vergüten, wird der ordentliche Geschäftsleiter des Unternehmens nicht bereit sein, die Leistung zu erbringen. Betriebswirtschaftlich ist zwischen der lang- und der kurzfristigen Preisuntergrenze zu unterscheiden.3
3.152
Langfristige Preisuntergrenzen stellen Preis-Mindesthöhen dar, die selbst dann die Existenz des Unternehmens nicht gefährden, wenn diese auf Dauer beibehalten werden (müssen). Da langfristig marktwirtschaftlich geführte Unternehmen nur funktionsfähig sein können, wenn mindestens die gesamten Kosten (Vollkosten) und ein Mindestgewinn für die Verzinsung des eingesetzten Kapitals durch die Erlöse gedeckt werden, bilden die gesamten Durchschnittskosten pro Leistungseinheit (Einzelkosten zuzüglich anteiliger Gemeinkosten) die langfristige Preisuntergrenze, wobei die Normalverzinsung des Kapitals als Kostenbestandteil anzusehen ist (sog. kalkulatorische Eigenkapitalzinsen). Ein zu Vollkosten kalkulierter Selbstkostenpreis wird bisweilen auch als „natürliche“ Preisuntergrenze bezeichnet.
Der langfristigen Preisuntergrenze steht die kurzfristige Preisuntergrenze gegenüber, die nur für begrenzte Zeit und nur in Ausnahmefällen, z.B. bei einer konjunkturell bedingten (vorüber1 Zum betriebswirtschaftlichen Entscheidungsprozess bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen im Rahmen der sog. „Bandbreitenbetrachtung“ vgl. auch Kleineidam/Baumhoff/Seutter, DB 1986, 238 ff.; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 139 u. 236 ff.; Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 103 ff.; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.179 ff.; Liebchen in F/ W/K, DBA-Schweiz, Art. 9 Rz. 133 ff.; Roeder, Ubg 2008, 205 f.; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464 f.; Baumhoff in FS Krawitz, 24 ff. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; Tz. 3.55 ff. OECD-Leitlinien 2022; Baumhoff in FS Wassermeyer, 347 ff. 3 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 25 ff. m.w.N.
Baumhoff/Liebchen | 269
Kap. 3 Rz. 3.152 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
gehenden) Unterbeschäftigung bzw. betrieblichen Sondersituationen (etwa Rezession), realisierbar ist. Demnach kann es für ein leistungserbringendes Unternehmen betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, vorübergehend (z.B. in Krisensituationen) eine Preiskalkulation auf Teilkostenbasis zu realisieren, also auf die Deckung der gesamten Selbstkosten zu verzichten. Dabei müssen jedoch die variablen Kosten einer Lieferung oder Leistung die absolute Preisuntergrenze darstellen, deren Unterschreiten im Normalfall betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Anderenfalls wäre infolge des Ressourcenverzehrs das Überleben des jeweiligen Unternehmens nicht gewährleistet.
3.153
Preisobergrenze. Demgegenüber wird als Preisobergrenze der Preis verstanden, den der ordentliche Geschäftsleiter des leistungsempfangenden Unternehmens maximal zu zahlen bereit ist. Übersteigt der Preis diese Grenze, wird er auf die Inanspruchnahme der Leistung verzichten. Die Höhe der Preisobergrenze kann nur unter konkreter Bezugnahme auf die einem unabhängigen Entscheidungsträger alternativ zur Verfügung stehenden Beschaffungsmöglichkeiten bestimmt werden. Dabei lässt sich grundsätzlich unterscheiden zwischen – dem (internen) Bezug der Lieferung/Leistung bei einem verbundenen Unternehmen, – der Eigenerstellung des Produkts/der Leistung sowie – dem (externen) Bezug des Produkts/der Leistung bei einem unabhängigen Unternehmen. Welche der drei Alternativen im Einzelfall realisierbar ist, hängt von der Art der betreffenden Lieferung/Leistung sowie den damit einhergehenden Eigenerstellungs- und Fremdbezugsmöglichkeiten des Empfängers ab. Sind mehrere Alternativen realisierbar, so ergeben sich daraus verschiedene Ansatzpunkte der Preisobergrenzen-Bestimmung, wobei ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter die Festsetzung seiner Preisobergrenze an der Alternative orientieren wird, die seiner Zielsetzung am ehesten entspricht.
3.154
Positiver/negativer Einigungsbereich. Liegt ein Einigungsbereich vor, d.h., die Preisobergrenze des Leistungsempfängers liegt über der Preisuntergrenze des Leistungserbringers, sind grundsätzlich sämtliche Preise innerhalb dieser Bandbreite als fremdvergleichskonform anzusehen. Liegt dagegen kein Einigungsbereich vor, weil es einem oder beiden Vertragspartnern nicht möglich ist, den individuellen Grenzpreis, bei dem Entscheidungsindifferenz vorliegt, zu erzielen, wird zwischen unabhängigen Unternehmen keine Transaktion zustande kommen. Denn mindestens einer der Beteiligten müsste einen – unter Fremden nicht akzeptablen – Gewinnentgang in Kauf nehmen, was mit dem Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht zu vereinbaren wäre. In diesem Fall ist ein Fremdvergleich weder in seiner tatsächlichen noch in seiner hypothetischen Form durchführbar, obwohl aufgrund des faktischen Kontrahierungszwangs zwischen den Konzernunternehmen die Notwendigkeit der Festsetzung eines Verrechnungspreises besteht (Rz. 5.234 ff.).
III. Der hypothetische Fremdvergleich gem. § 1 Abs. 3 Satz 7 und Abs. 3a Sätze 5 f. AStG 3.155
Kodifizierung des hypothetischen Fremdvergleichs. Der hypothetische Fremdvergleich ist gesetzlich in § 1 Abs. 3 Satz 7 und Abs. 3a Sätze 5 und 6 AStG geregelt. Er kommt nachrangig dann zum Tragen, wenn mittels eines tatsächlichen Fremdvergleichs keine Vergleichswerte festgestellt werden können (Rz. 5.146 ff.). In diesem Fall ist „für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises ein hypothetischer Fremdvergleich [...] durchzuführen.“1 1 § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG.
270 | Baumhoff/Liebchen
F. Hypothetischer Fremdvergleich | Rz. 3.157 Kap. 3
1. Deutsch-steuerliche „Konkretisierungen“ des Fremdvergleichsgrundsatzes Doppelter ordentlicher Geschäftsleiter. Für die Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs sind die Konkretisierungen des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG zu beachten, die der Gesetzgeber für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes vorgibt. Zum einen soll davon auszugehen sein, „dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung kennen“, zum anderen davon, dass sie „nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln“. Während die Ausrichtung an der Referenzfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters in seiner verdoppelten Ausprägung im Einklang mit der Rspr. des BFH zur vGA steht (Rz. 3.145 ff.) und sich als unabdingbar für die Simulation von Preisbildungsprozessen erweist, ist die Fiktion vollständiger Transparenz zwischen den beteiligten Transaktionspartnern national wie international eine Novität und eben nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar, da miteinander kontrahierende fremde Dritte eben nicht die volle Transparenz über die Entscheidungssituation ihres Gegenübers haben.
3.156
Transparenzfiktion. Die Fiktion der vollständigen Information und Markttransparenz legt der Verrechnungspreisermittlung volkswirtschaftliche Modellannahmen zugrunde, die die vereinfachte Abbildung und Erklärung komplexer Marktmechanismen bezwecken, ohne dass sie mit der Realität irgendetwas gemein hätten.1 Zwischen unabhängigen Dritten jedenfalls herrschen regelmäßig unvollkommene Informationen vor. Nur unter dieser asymmetrischen Informationsverteilung lassen sich empirisch beobachtbare betriebswirtschaftliche Entscheidungen – und damit auch Preisentscheidungen – überhaupt erklären2. Anderenfalls gäbe es auch nur einen Preis, nämlich den sog. „Gleichgewichtspreis“3.
3.157
Ausweislich der Gesetzesbegründung zielt die Annahme vollständiger Information auf die „Vermeidung willkürlicher Ergebnisse im Verhältnis der nahestehenden Personen“4, um sicherzustellen „dass nicht jeder beliebige Fremdvergleich, der auch unter irregulären Umständen (z.B. wegen mangelhafter Information oder Qualifikation) zustande gekommen sein kann, zu berücksichtigen ist.“ Sie soll „insbesondere für den hypothetischen Fremdvergleich wichtig“ sein. Einerseits impliziert die Verwendung „insbesondere“, dass die Transparenzklausel auch auf den tatsächlichen Fremdvergleich zur Anwendung kommen könnte, womit der international anerkannte Grundsatz des Fremdvergleichs verlassen wird.5 Andererseits verkennt der Gesetzgeber die Zielsetzung des § 1 AStG, mittels des Fremdvergleichsgrundsatzes den fehlenden Interessengegensatz aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit der Transaktionspartner zu überwinden,6 und konterkariert diese, indem er Informationen fordert, die nur unter Nutzung der gesellschaftsrechtlichen Stellung der Muttergesellschaft zu erlangen sind.7 1 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 545 f. Zu der Abwesenheit der Bedingungen eines vollkommenen Marktes und den deshalb erklärbaren Ursachen für die Entstehung von Preisbandbreiten vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 348 f. 2 Vgl. Selchert/Greinert, Einführung in die Betriebswirtschaftslehre8, 15 ff.; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 546. 3 Siehe hierzu Stiglitz/Walsh, Mikroökonomie4, 83 ff. 4 BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 142 f. 5 Insofern wird schon aus diesem Grunde einer restriktiven Auslegung i.S. einer Anwendbarkeit allenfalls auf den hypothetischen Fremdvergleich das Wort geredet, vgl. Greinert in Schaumburg/ Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 546 f.; wohl auch Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 273. 6 Vgl. BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573; v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = DB 2021, 2604 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger. 7 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 276.
Baumhoff/Liebchen | 271
Kap. 3 Rz. 3.157 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Dem Vernehmen nach geht die Finanzverwaltung im Hinblick auf die Anwendung der Transparenzklausel zudem von einer Beschränkung auf bestimmte Verrechnungspreismethoden aus, wobei vollständige Markttransparenz lediglich bei Anwendung einer zweiseitigen Verrechnungspreismethode (geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode, Rz. 5.123 ff.) zu unterstellen sein soll, nicht hingegen bei Anwendung einer einseitigen Verrechnungspreismethode (Standardmethoden, Rz. 5.5 ff., und die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode, Rz. 5.92 ff.). Ferner ist die ertragswertorientierte Bewertung, so wie sie in § 1 Abs. 3 Sätze 7 und Abs. 3a Sätze 5 und 6 AStG geregelt ist, zweiseitig, weil sie aus der Perspektive des Leistenden (Rz. 5.199 ff.) wie auch aus derjenigen des Leistungsempfängers (Rz. 5.202 ff.) vorzunehmen ist.
3.158
Transparenzfiktion und Fremdvergleichsgrundsatz. Die Finanzverwaltung geht offenkundig von einer Vereinbarkeit der Transparenzfiktion mit dem internationalen Fremdvergleichsgrundsatz des Art. 9 OECD-MA und der ihm nachgebildeten Bestimmungen der deutschen DBA aus. So belegen die VWG-Funktionsverlagerung ihre Aussage in Rz. 149, dass insbesondere „zur Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs [...] Informationstransparenz unterstellt werden“ müsse, mit Verweis auf die Tz. 9.81 und 9.85 OECD-Leitlinien.1 Einer näheren Überprüfung hält diese vermeintliche Legitimation allerdings nicht stand. Denn dort wird – wie umfassend zu Geschäftsbeziehungen unter Einbeziehung von immateriellen Werten2, aber auch für Dienstleistungen3 vorgesehen – „lediglich“ explizit darauf hingewiesen, dass bei der Bestimmung von Fremdvergleichspreisen für Rechte an immateriellen Werten die Sichtweisen sowohl des Käufers wie des Verkäufers zu berücksichtigen sind.4 Dieses Gebot der Berücksichtigung der Interessen beider Transaktionspartner entspricht der Referenzfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters.5 Diese Referenzfigur würde jedoch lediglich seine eigenen alternativen Handlungsmöglichen kalkülisieren und nur ausnahmsweise – im Falle besonderer und unter marktlichen Gegebenheiten gewonnener Informationen über die erwarteten Vorteile des Kontrahenten – anstreben, diese in die Preisfindung einzubeziehen.6 Allerdings ist den Ausführungen der OECD nicht ansatzweise zu entnehmen, dass international von einer vollständigen Kenntnis über die Handlungsalternativen der konzernverbundenen Transaktionspartner auszugehen sei. Ebenso wenig vermag der Begründungsansatz der VWG-Funktionsverlagerung zu überzeugen, dass erst mittels vollständiger Information der Verhandlungsspielraum der Parteien festgestellt werden könne und die Bestimmung betriebswirtschaftlich sachgerechter Verrechnungspreise entsprechend dem hypothetischen Fremdvergleich ermöglicht würde und deshalb insgesamt eine Vereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz gegeben sei.7 Diese vermeintlichen Ermittlungsdefizite vermögen diese realitätsferne Annahme freilich nicht zu rechtfertigen. Vielmehr bedürfte auch die Informationstransparenz selbst einer aus dem Fremdvergleichsgrundsatz abzuleitenden Rechtfertigung.8 Gänzlich außerhalb jedweder Rechtsgrundlage ist schließlich die Vorstellung, 1 2 3 4 5
VWG FVerl, Rz. 149. Vgl. Tz. 6.112, 6.113, 6.139 und 6.157 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 7.29 f. und 7.51 OECD-Leitlinien 2022. Siehe nunmehr 9.12, 9.59 f., 9.66 f. u. 9.93 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Wenzel in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VI Rz. 581 ff. 6 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 269. 7 Vgl. VWG FVerl, Rz. 149; siehe zur Notwendigkeit für eine „sinnvolle Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes“ auch Hruschka in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 17. 8 Vgl. zur „Lebenswirklichkeit“ in internationalen Konzernen auch Roeder, Ubg 2008, 205.
272 | Baumhoff/Liebchen
F. Hypothetischer Fremdvergleich | Rz. 3.160 Kap. 3
dass – i.S. einer Konzerninformationstransparenz – auch sämtliche Umstände heranzuziehen sind, die bei der Konzernzentrale bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen.1 Keine übergeordnete Transparenzinstanz. Man mag das fiskalische Interesse nachvollziehen können, gewissermaßen als übergeordnete Instanz die zu Entscheidungswerten verdichteten Handlungsalternativen und deren jeweiligen Bewertungen beider an der Transaktion beteiligter Parteien zu erhalten, um einen idealtypischen hypothetischen Fremdvergleich durchführen zu können. Allerdings fehlt es auch in der wirtschaftlichen Realität an einer „übergeordneten Transparenzinstanz“.2 Wollte man diese in der Konzernleitung erblicken,3 wäre (auch) der hypothetische Fremdvergleich in Gestalt der Simulation eines Preisbildungsprozesses ad absurdum geführt und durch ein Preisdiktat zu ersetzen, mithin einer auferlegten Bedingung, die sich weder mit § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG noch mit Art. 9 OECD-MA und Art. 4 EU-Schiedskonvention vereinbaren ließe. Insofern ist den realen Marktverhältnissen Rechnung zu tragen, die auch und gerade infolge asymmetrischer Informationsverteilung eine marktliche Preisentstehung ermöglichen. Insbesondere bietet die fehlende Informationstransparenz den Erklärungsansatz für die Entstehung von Preisbandbreiten.4 Da von dieser Realität im Übrigen auch § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG ausgeht, ist schon innerhalb der Regelungen des § 1 AStG die Vereinbarkeit mit der Transparenzklausel fraglich. Mit dem international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz, wie er in Art. 9 OECD-MA und Art. 4 EU-Schiedskonvention verankert ist, ist diese Fiktion der vollständigen Information und Marktransparenz jedenfalls unvereinbar.5
3.159
2. Regelungen zur Einigungsbereichsbetrachtung Bestimmung des Einigungsbereichs. Im Hinblick auf die Simulation des Preisbildungsprozesses gibt § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG vor, dass der hypothetische Fremdvergleich „unter Beachtung des Absatzes 1 Satz 3 aus Sicht des Leistenden und des jeweiligen Leistungsempfängers anhand ökonomisch anerkannter Bewertungsmethoden durchzuführen“ ist. Der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass der hypothetische Fremdvergleich zwar auf dessen Kern, nämlich ökonomisch fundiertes Nachdenken zurückgeführt wird, letztlich jedoch unverändert auf die Anwendung ökonomisch anerkannter Bewertungsmethoden begrenzt wird.6 Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG sind solche „ökonomisch anerkannte Bewertungsmethoden“ insbesondere Ertragswert- und Discounted-Cashflow-Methoden, die auf innerbetrieblichen Planrechnungen beruhen.7 Insofern ist ungeachtet dessen, dass weder § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG noch § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG mit § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG a.F. vergleichbare Anforderungen an die Grenzpreisermittlung enthält, die Ermittlung eines Ertragswerts erforderlich. So wird nach der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG die Anwendung
1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 149; zu Recht kritisch Kroppen/Rasch, IWB 2010, 840. 2 Vgl. hierzu ausführlich Frischmuth in FS Schaumburg, 657 ff. 3 Offenkundig geht die Auslegung der Finanzverwaltung zu § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG i.S. einer Konzerninformationstransparenz in diese Richtung, vgl. VWG FVerl, Tz. 149. 4 Vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 348 f. 5 Gl.A. Wassermeyer, DB 2007, 536; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 546; Kaminski, RIW 2007, 595; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 275; Kroppen/Nientimp, IWB Fach 3 Gruppe 1, 2359; Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 107; Kroppen in FS Schaumburg, 868 f.; Frischmuth, IStR 2007, 488; Frischmuth in FS Schaumburg, 656 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.163; Borstell in V/B/ B, Verrechnungspreise3, U Rz. 445. 6 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79. 7 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79.
Baumhoff/Liebchen | 273
3.160
Kap. 3 Rz. 3.160 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
von auf Einkünften beruhenden Bewertungsmethoden, vor allem solchen, die auf der Berechnung des abgezinsten Werts prognostizierter zukünftiger Einnahmeströme bzw. Cashflows basieren, als „hilfreich“ erachtet.1 Die gesetzlichen Regelungen beschränken sich mithin auf die ertragswertbasierte Bestimmung der Preisgrenzen, wobei es jedenfalls methodisch nicht im hypothetischen Fremdvergleich angelegt ist und auch für die Simulation eines Preisbildungsprozesses durch Einigungsbereichsbetrachtung nicht erforderlich wäre, Grenzpreise nur durch Anwendung umfangreicher Bewertungsverfahren zu bestimmen. Jede nicht-ertragswertbasierte Ableitung von Grenzpreisen zur Bestimmung von Soll-Vergleichstatbeständen mag zwar methodisch auch auf einem hypothetischen Fremdvergleich basieren, sie ist gesetzlich jedoch nicht geregelt. Ebenso fraglich ist, ob die Berücksichtigung alternativer Handlungsmöglichkeiten bei der Bestimmung des jeweiligen Grenzpreises stets auch eine ertragswertbasierte Bewertung der betreffenden Handlungsalternativen aufzwingt (vgl. hierzu Rz. 5.200, 5.203 und 5.207). Offenkundig geht der Gesetzgeber ferner – wie selbstverständlich – davon aus, dass die individuellen Preisgrenzen der Kontrahenten stets einen Einigungsbereich markieren. Dies ist allerdings nicht zwingend, denn ein Einigungsbereich setzt denklogisch voraus, dass die Preisobergrenze die Preisuntergrenze übersteigt. Mithin entsteht ein Einigungsbereich dann nicht, wenn die individuellen Preisgrenzen der Kontrahenten identisch sind oder die Preisobergrenze des Leistungsempfängers unter der Preisuntergrenze des Leistenden liegt.2 Die Realität negativer Einigungsbereiche haben sowohl der Gesetzgeber3 als auch die Finanzverwaltung erst mit den jüngsten gesetzlichen Änderungen durch das AbzStEntModG4 und den verwaltungsseitigen Äußerungen in den VWG VP5 erkannt und sich hierzu geäußert. Auf die Ausführung in Rz. 5.234 ff. wird verwiesen.
3.161
Aufteilung von Einigungsbereichen. Zu der Frage, wie ein ermittelter Einigungsbereich zwischen den Verhandlungspartnern aufzuteilen ist, trifft § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG – wie bereits zuvor § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F. – eine gesetzliche Regelung. Hiernach „ist der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen, wenn der Steuerpflichtige nicht glaubhaft macht, dass ein anderer Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht“. Wenn also nichts anderes glaubhaft gemacht wird, ist zunächst auf den Mittelwert abzustellen. Für einen abweichenden Wertansatz muss der Steuerpflichtige glaubhaft machen, dass ein anderer Wert als der Mittelwert dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Hierbei erfordert die Glaubhaftmachung ein herabgesetztes Beweismaß. Der Steuerpflichtige muss darlegen, dass für die behauptete Tatsache – der behauptete Wert entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz – „eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben ist“; d.h., das Bestehen der behaupteten Tatsache „wahrscheinlicher ist als ihr Nichtbestehen“6. Fraglich ist, wie diese tautologische Glaubhaftmachung mittels Wahrscheinlichkeiten in praxi bewerkstelligt werden kann. Der Gesetzgeber führt für die Glaubhaftmachung eines bestimmten Werts innerhalb des Einigungsbereichs die für Zwecke des § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, d.h. die i.R. der Vergleichbarkeitsanalyse u.a. heranzuziehenden Vergleichbarkeitsfaktoren, relevanten rechtlichen und wirtschaftlichen
1 2 3 4
Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79. Siehe auch Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 554. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 81. Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abszugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.17. 6 VWG FVerl, Rz. 40.
274 | Baumhoff/Liebchen
F. Hypothetischer Fremdvergleich | Rz. 3.162 Kap. 3
Gesichtspunkte an.1 Zu den rechtlichen Gesichtspunkten sollen u.a. die vertraglichen Bedingungen eines Geschäftsvorfalls, soweit diese mit dem tatsächlichen Verhalten einander nahestehender Vertragspartner übereinstimmen, sowie insbesondere nicht abdingbare zivilrechtliche Gegebenheiten gehören.2 Zu den in wirtschaftlicher Hinsicht relevanten Aspekten sollen neben den ausgeübten Funktionen, kontrollierten Risiken und eingesetzten Vermögenswerten insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten und die Verhältnisse des für den Geschäftsvorfall relevanten Marktes, einschließlich Standortvorteilen sowie aller rechtlichen Rahmenbedingungen und Begleitumstände, die von den Beteiligten verfolgten Geschäftsstrategien sowie die Eigenschaften übertragener oder überlassener Vermögenswerte oder erbrachter Dienstleistungen gehören.3 Nach Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung4 bleibt für die Glaubhaftmachung eines anderen Werts als des Mittelwerts die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit der Transaktionspartner unberücksichtigt. Demgegenüber können als Kriterien für einen dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Wert die jeweiligen Marktpositionen, das jeweilige mit der Transaktion verbundene Interesse, die Kapitalausstattung und Ertragslage der Kontrahenten, die Entstehung von Synergieeffekten und Standortvorteilen herangezogen werden. Ferner sind – unter Verweis auf die Auffassung der OECD5 – die Handlungsalternativen der Parteien zu beachten. Wichtig wird hier sein, dass die unternehmensseitig angelegten Kriterien bereits bei der Erfüllung der Dokumentationspflichten hinreichend dargelegt werden6 (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 5.219 ff.). Nachträgliche Preisanpassungen. Für Fälle, in denen – neben Funktionsverlagerungen – der hypothetische Fremdvergleich zur Anwendung kommt, „wesentliche immaterielle Werte [...] Gegenstand einer Geschäftsbeziehung sind“ und die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnerwartung abweicht, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, besteht gem. § 1a Satz 1 AStG die widerlegbare Vermutung, „dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten.“ Diese gesetzliche Fiktion wird flankiert durch die Regelung des § 1a Satz 2 AStG: „Wurde eine solche Regelung nicht vereinbart und tritt bezogen auf die ersten sieben Jahre nach Geschäftsabschluss eine erhebliche Abweichung im Sinne des Satzes 1 ein, ist für eine deshalb vorzunehmende Berichtigung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 ein angemessener Anpassungsbetrag auf den Verrechnungspreis im achten Jahr nach Geschäftsabschluss der Besteuerung zugrunde zu legen.“ Hiernach kommt eine einmalige nachträgliche gesetzliche Preisanpassung nach Ablauf von sieben Jahren in Betracht, wenn keine (fremdvergleichskonforme) Preisanpassungsklausel individualvertraglich vereinbart wurde. Dies gilt ungeachtet dessen, ob die ursprüngliche Verrechnungspreisbestimmung im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben zur Aufteilung des (ursprünglichen) Einigungsbereichs steht, d.h. insbesondere unter Beachtung der hälftigen Teilung des Einigungsbereichs erfolgte. Wenn tatsächlich ein kürzerer Zeitraum vereinbart wird (z.B. 5 Jahre), muss dieser Zeitraum gelten. Insofern liegt auch mit der Festlegung des Anpassungszeitraums ein steuerliches Gestaltungsinstrument vor (vgl. zur gesetzlichen Preisanpassungsklausel im Einzelnen Rz. 5.226 ff.). 1 2 3 4 5 6
Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 77 f. Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 77. Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 77. Vgl. VWG FVerl, Rz. 128. Vgl. Tz. 1.34 u. 9.27 ff. OECD-Leitlinien 2022. Zur Dokumentation von Funktionsverlagerungen s. auch Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.578 ff., insb. 4.580; Borstell in V/B/B, Verrechnungspreise5, Q Rz. 755 ff.
Baumhoff/Liebchen | 275
3.162
Kap. 3 Rz. 3.162 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Die VWG-Funktionsverlagerung führen in Rz. 135 die (zwingende) Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel ausdrücklich auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurück. Hiernach „vereinbaren ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter Preisanpassungsklauseln, wenn die Wertbestimmung [...] zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist.“1 Vor dem Hintergrund der entsprechenden Ausführungen in den OECD-Leitlinien2 zur Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist diese Auffassung zweifelhaft, da die Notwendigkeit der Vereinbarung einer solchen Preisanpassungsklausel selbst nach Fremdvergleichsgesichtspunkten zu beantworten ist (vgl. Rz. 3.103 ff.).
G. Vorteilsausgleich I. Rechtsgrundlage und Begriff 3.163
Rechtsgrundlage. Als Rechtsgrundlage für einen Vorteilsausgleich kommt zunächst § 1 AStG in Betracht, der als einzige Einkünftekorrekturvorschrift den Fremdvergleichsgrundsatz ausdrücklich erwähnt und konkretisiert. Allerdings ist in § 1 AStG vom Vorteilsausgleich unmittelbar keine Rede. Der steuerrechtliche Einfluss eines Vorteilsausgleichs auf die Rechtsfolge des § 1 AStG ergibt sich unmittelbar aus dem Veranlassungsprinzip, das durch den Fremdvergleich konkretisiert wird. Die Inkaufnahme eines Nachteils muss durch einen anderweitigen Vorteil veranlasst sein. Die entsprechende Veranlassung setzt voraus, dass sich Vor- und Nachteil annähernd ausgleichen bzw. dass der Vorteil höher als der Nachteil ausfällt. Der Vorteilsausgleich erfordert eine innere Verknüpfung zwischen den betreffenden Geschäftsbeziehungen. Die innere Verknüpfung ergibt sich aus dem Veranlassungsprinzip, in das auch § 1 AStG eingebettet ist. Innerhalb des § 1 AStG ist unter dem Fremdvergleich der Fremdvergleich i.S. von „dealing at arm’s length“ zu verstehen. Da ein fremder Dritter betriebswirtschaftlich vernünftig handelt, wenn er einen Vermögensnachteil in Kauf nimmt, um einen anderweitigen (zumindest gleich hohen) Vermögensvorteil zu erzielen, muss sich auch der Steuerpflichtige in der Beurteilung seiner Beziehung zu einer ihm nahestehenden Person auf diesen Grundsatz berufen können. Vor diesem Hintergrund besteht die Rechtsgrundlage des Vorteilsausgleichs unmittelbar im Fremdvergleichsgrundsatz selbst, wie ihn § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG definiert und § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG mit dem Handeln ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter als Sollvergleichstatbestand konkretisiert. Insofern fehlt es bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Vorteilsausgleichs an einem Abweichen der vertraglich vereinbarten Bedingungen vom Fremdvergleichsgrundsatz, auf die eine Minderung im Inland steuerpflichtiger Einkünfte für eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG zurückgehen muss („dadurch [...] dass“). Der Vorteilsausgleich muss im Bereich der vGA, der verdeckten Einlage, der Entnahme und des § 1 AStG einheitlich behandelt werden. Der Vorteilsausgleich muss unter zwei unterschiedlichen Aspekten gesehen werden. Er kann zum einen Gegenstand der zwischen verbundenen Unternehmen tatsächlich bestehenden Geschäftsbeziehungen sein. Insoweit stellt sich die Frage, ob der Vorteilsausgleich die Annahme einer Einkünfteminderung für Zwecke von § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG (vgl. Rz. 2.57 ff.) oder einer Minderung des bilanziellen Unterschiedsbetrags für Zwecke einer vGA (vgl. Rz. 2.18 ff.) ausschließt. Daneben kann sich jedoch auch innerhalb eines tatsächlichen oder hypothetischen Fremdvergleichs die Frage stellen, ob entweder tatsächlich existierende oder aber gedachte ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter einen bestimmten Vorteilsausgleich akzeptiert hätten. 1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 135. 2 Vgl. Tz. 3.73 OECD-Leitlinien 2022.
276 | Baumhoff/Liebchen
G. Vorteilsausgleich | Rz. 3.166 Kap. 3
Begriff. Grundsätzlich sind konzerninterne Liefer- und Leistungsbeziehungen einzeln nach dem Prinzip des „dealing at arm’s length“ zu erfassen und mit einem angemessenen Verrechnungspreis zu bewerten (Grundsatz der Einzelbewertung). Allerdings ist es auch zwischen unabhängigen Dritten bei dauerhaften und umfangreichen Geschäftsbeziehungen durchaus üblich, Vorteile aus einem Einzelgeschäft mit Nachteilen aus einem anderen zu kompensieren. Hierbei wird von einem Vorteilsausgleich gesprochen.
3.164
Unter einem Vorteilsausgleich versteht man den kalkulatorischen Ausgleich von Vorteilen des einen Geschäfts mit Nachteilen eines anderen, wobei begrifflich zwischen den Geschäften kein personeller, sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang bestehen muss. Insoweit knüpft der Vorteilsausgleich an den wechselseitigen Leistungsbeziehungen zwischen zwei Vertragspartnern (hier: zwei Konzernunternehmen) an. Dabei erbringen die beiden Vertragspartner ihre jeweiligen Leistungen gegenüber dem anderen entweder zu einem – isoliert gesehen – unangemessen hohen oder niedrigen Entgelt, wobei sich die unangemessenen Beträge der Höhe nach entweder voll oder teilweise decken. Außerdem ist der Fall denkbar, dass der eine Vertragspartner dem anderen mehrere Leistungen erbringt, von denen er für die eine ein unangemessen hohes und für die andere ein unangemessen niedriges Entgelt fordert. Auch in diesem Fall können sich Vor- und Nachteile aus den Leistungsbeziehungen ganz oder teilweise ausgleichen. Kalkulatorischer Ausgleich. Wirtschaftlich betrachtet erfolgt beim Vorteilsausgleich eine Saldierung vorteilhafter mit nachteiligen Geschäften. Es werden bei bestimmten Einzeltransaktionen bewusst Gewinneinbußen in Kauf genommen, um, wie z.B. im Wege eines absatzwirtschaftlichen Verbundes, diese mit besonders gewinnträchtigen Geschäften zu kompensieren (sog. kalkulatorischer Ausgleich). Derartige Konstellationen treten innerhalb eines internationalen Unternehmensverbunds insbesondere im Zusammenhang mit wechselseitigen Leistungsbeziehungen zwischen den verbundenen Unternehmen auf. So kann z.B. die Zahlung einer überhöhten Beratungsgebühr an die Muttergesellschaft durch eine zu niedrige Lizenzgebühr zugunsten der Tochtergesellschaft ausgeglichen werden, ohne dass daraus einem der Geschäftspartner wirtschaftliche Nachteile entstehen. Daher kann es nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der Einzelerfassung internationaler Liefer- und Leistungstransfers angesehen werden, einen solchen Ausgleich vor- und nachteiliger Geschäfte auch zwischen international verbundenen Unternehmen zuzulassen und unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich anzuerkennen. Die besondere steuerliche Relevanz einer solchen Saldierung von Einzelgeschäften wird daraus ersichtlich, dass sowohl die OECD-Leitlinien1 als auch die VWG VP2 den Vorteilsausgleich in einem gesonderten Abschnitt diskutieren.
3.165
Angemessenheit beim Vorteilsausgleich. Ein Vorteilsausgleich ist in zwei Schritten zu prüfen. Zunächst wird für die im Wege des Vorteilsausgleichs zu verrechnende Leistung und Gegenleistung isoliert festgestellt, ob und inwieweit die vereinbarten Entgelte angemessen bzw. unangemessen sind. Ist die Angemessenheit oder Unangemessenheit eines Leistungsentgelts festgestellt, so schließt sich in einem zweiten Schritt die Prüfung an, ob und inwieweit sich für den einzelnen Vertragspartner die aus einem unangemessenen Entgelt ergebenden Vor- oder Nachteile durch andere Nach- oder Vorteile ausgleichen bzw. ob ein an sich angemessenes Entgelt mit Rücksicht auf weitere Leistungsbeziehungen als unangemessen zu behandeln ist. Aufgrund eines Vorteilsausgleichs kann sich deshalb sowohl die Angemessenheit eines (isoliert gesehen) unangemessenen Verrechnungspreises als auch die Unangemessenheit eines
3.166
1 Vgl. Tz. 3.13 ff. OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.25 ff.
Baumhoff/Liebchen | 277
Kap. 3 Rz. 3.166 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
(isoliert gesehen) angemessenen Verrechnungspreises ergeben. Er beinhaltet stets die Kompensation wirtschaftlich selbständiger Geschäfte. Er ist deshalb von Teilleistungen innerhalb eines wirtschaftlich einheitlichen Geschäftes abzugrenzen. Bei dem wirtschaftlich einheitlichen Geschäft besteht stets ein personeller, sachlicher und zeitlicher Zusammenhang, der zu einer Gesamtschau von Leistungen und Gegenleistungen zwingt. Ferner sind im Vorfeld der Vorteilsausgleichsproblematik zivilrechtliche Ansprüche aus der Vorteilszuwendung zu prüfen. Diese Prüfung sollte vor Durchführung des zweiten Schritts vorgenommen werden. Allerdings kann kein Vorteilsausgleich angenommen werden, soweit ein verbundenes Unternehmen seinem konzerninternen Vertragspartner mit Rücksicht auf langjährige Geschäftsbeziehungen einen Vorzugspreis einräumt, der einem fremden Dritten nicht gewährt worden wäre.
II. Voraussetzungen 3.167
Steuerliche Anerkennung. Rechtsprechung1 wie Finanzverwaltung erkennen den Vorteilsausgleich grundsätzlich an. Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung2 setzt die steuerliche Anerkennung eines Vorteilsausgleichs jedoch voraus, dass 1. die Geschäfte in einem inneren Zusammenhang zueinanderstehen, 2. die Vor- und Nachteile bei den einzelnen Geschäftsvorfällen quantifiziert werden können und 3. die Vorteilsverrechnung bewusst vereinbart war oder zur Geschäftsgrundlage des nachteiligen Geschäfts gehörte. Ob die erste Forderung nach einem „inneren Zusammenhang“ zwischen Geschäft und Gegengeschäft wirklich gerechtfertigt ist, ist fraglich. Die Rechtsgrundlage des Vorteilsausgleichs legitimiert eine solche Forderung nicht. Der Ausdruck „innerer Zusammenhang“ ist im Übrigen unklar. Die Finanzverwaltung versteht ihn unverändert in Rz. 3.25 der VWG VP 2021 i.S.v. wirtschaftlich einheitlichen Geschäften. Danach müssen Leistung und Gegenleistung so miteinander verknüpft sein, dass sie wirtschaftlich als ein einheitliches Geschäft anzusehen sind. Die VWG VP verknüpfen die bisher gesondert geforderte Fremdüblichkeit mit diesen Anforderungen an den inneren Zusammenhang.3 Eine solche Forderung widerspricht jedoch geradezu dem Grundgedanken des Vorteilsausgleichs, der sich gerade nicht auf wirtschaftlich einheitliche, sondern auf wirtschaftlich verschiedene Geschäfte bezieht (Rz. 3.165) und steht im Gegensatz zur betriebswirtschaftlichen Realität, in der voneinander unabhängige Dritte einen Vorteilsausgleich nicht nur innerhalb wirtschaftlich einheitlicher Geschäfte akzeptieren. Anzuerkennen sind dagegen die beiden weiteren Voraussetzungen nach der Quantifizierbarkeit der Vor- und Nachteile und der Kompensationsabsicht der Vertragspartner. Beide Forderungen lassen sich unmittelbar aus dem Fremdvergleich ableiten. Ein fremder Dritter wird einen Nachteil nur in Kauf nehmen, wenn er von vornherein mit seinem Ausgleich durch einen anderweitigen Vorteil hinreichend sicher rechnen kann. Eine solche Prognose setzt die Quantifizierbarkeit der Vor- und Nachteile von vornherein voraus. Außerdem muss zwischen Vor- und Nachteil eine „do ut des“-Absicht bestehen. Verbundene Unternehmen müssen des1 Vgl. etwa FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2248/02 rkr., EFG 2006, 1562. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.26. Siehe dazu auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.173 ff. mit einer Abgrenzung des Vorteilsaugleichs im Rahmen der vGA vom Vorteilsausgleich im Rahmen von § 1 AStG; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 613 f.; Gundel in FS Flick, 790 f. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.26.
278 | Baumhoff/Liebchen
G. Vorteilsausgleich | Rz. 3.169 Kap. 3
halb das Vorhandensein ihrer Kompensationsabsicht im Zeitpunkt des Abschlusses des nachteiligen Geschäfts nachweisen. Zweckmäßigerweise wird die Kompensationsabsicht in eine schriftliche Vereinbarung aufgenommen. Dies ist allerdings keine Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung des Vorteilsausgleichs. Die Existenz einer Kompensationsabsicht kann auch in anderer Weise nachgewiesen werden. Der Fremdvergleich rechtfertigt schließlich auch die Forderung nach einem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem vorteilhaften und dem nachteilhaften Geschäft. Ein fremder Dritter würde einem nachteiligen Geschäft nur zustimmen, wenn er mit dem Abschluss des vorteilhaften Geschäftes sicher rechnen kann. Dies ist nur der Fall, wenn er einigermaßen konkret damit rechnen kann. Dies setzt einen gewissen zeitlichen Zusammenhang zwischen den beiden Geschäften voraus. Deshalb kann aber nicht ein Ausgleich innerhalb desselben Wirtschaftsjahres gefordert werden.1 Vorteilsausgleich nach den OECD-Leitlinien vs. VWG VP. Der OECD-Steuerausschuss betont, dass eine konzerninterne Vereinbarung über einen Vorteilsausgleich keinesfalls die Forderung nach der Fremdvergleichbarkeit der Verrechnungspreise aufheben kann.2 In diesem Zusammenhang wird dem Steuerpflichtigen empfohlen, eine Dokumentations- und Nachweisvorsorge derart zu treffen, dass dieser Vorteils-/Nachteilsausgleich im Zeitpunkt der Vereinbarung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz in Einklang stand. Vorausgesetzt wird also auch hier eine Kompensationsabsicht zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses, wobei lediglich gefordert wird, dass sich die einander gewährten Vorteile „bis zu einem bestimmten Grad“ ausgleichen. Das setzt jedoch voraus, dass man sich über die Höhe der wechselseitig gewährten Vorteile bewusst ist und diese auch im Einzelnen quantifizieren kann. Vergleicht man den Forderungskatalog der OECD-Leitlinien zum Vorteilsausgleich mit demjenigen der VWG VP, so zeigt sich, dass die OECD-Leitlinien lediglich voraussetzen, dass
3.168
– ein Ausgleich auch zwischen Fremden denkbar sein muss und – die Vor- und Nachteile quantifizierbar sind. Demgegenüber fordern die VWG VP3 zusätzlich, dass – die Geschäfte in einem inneren Zusammenhang stehen und – die Vorteilsverrechnung vereinbart gewesen ist oder zur Geschäftsgrundlage des nachteiligen Geschäfts gehört hat. Dieser Versuch der VWG VP, den Vorteilsausgleich unter enge zeitliche und sachliche Grenzen zu stellen, wird somit von den OECD-Leitlinien nicht gedeckt. Das Erfordernis klarer und von vornherein abgeschlossener Vereinbarungen. Die Forderung der VWG VP nach einer im Voraus getroffenen Vereinbarung über einen Vorteilsausgleich steht – formal – im Einklang mit der Rspr. des BFH.4 Der BFH hat in seiner Rechtsprechung zur vGA5 einen Vorteilsausgleich nur zugelassen, wenn er als solcher von vornherein und klar vereinbart war. Diese Rechtsprechung gilt allerdings nur für Vorteilsausgleichsvereinbarungen, die zwischen zwei verbundenen Unternehmen tatsächlich geschlossen werden. Im Verhältnis zu beherrschenden Gesellschaftern hat der BFH gefordert, dass sich
1 2 3 4 5
So jedoch VWG VP 2021, Rz. 3.28. Vgl. Tz. 3.15 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.26. Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; H 8.5 KStH 2015 „Vorteilsausgleich“. Vgl. BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704.
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3.169
Kap. 3 Rz. 3.169 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
aus den im Voraus getroffenen klaren und eindeutigen Vereinbarungen der synallagmatische Charakter von Leistung und Gegenleistung ergeben muss.1 Allerdings kommt dem Fehlen einer klaren, von vornherein abgeschlossenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung nach dem Beschluss des BVerfG v. 7.11.19952 keine absolute, sondern lediglich indizielle Wirkung zu. Sie ist mithin ein Beweisanzeichen. Formale Mängel bewirken eine Beweismaßreduzierung zulasten des Steuerpflichtigen, indem die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis widerlegbar vermutet wird. Es ist dann an dem Steuerpflichtigen darzulegen, dass sein abweichendes Verhalten durch „good business reasons“ bedingt war. Insofern mögen auch Fremdvergleichsgesichtspunkte angeführt werden können, die auf vergleichbare und ebenso nicht hinreichend klare Vereinbarungen zwischen fremden Dritten abzielen.3 Vor diesem Hintergrund hat auch der BFH seine Rechtsprechung zur vGA bei beherrschenden Gesellschaftern gelockert.4 Danach ist das Fehlen einer Vereinbarung nur noch indiziell darauf hin zu überprüfen, ob es den Rückschluss auf eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis zulässt. Man sollte allerdings die überschießende Tendenz erkennen, die in der o.g. BFH-Rechtsprechung zum Vorteilsausgleich enthalten ist. Streng genommen geht es nur um den „Do-utdes“-Zusammenhang zwischen Vor- und Nachteil. Dieser Zusammenhang kann zwar mit Hilfe einer bereits getroffenen Vereinbarung nachgewiesen werden. Eine solche Vereinbarung ist aber nicht notwendige Voraussetzung für einen „do ut des“-Zusammenhang. Es reicht aus, wenn ein Steuerpflichtiger einen Nachteil nur deshalb in Kauf nimmt, weil er davon überzeugt ist, „dafür“ einen anderweitigen Vorteil zu erhalten. Auch die VWG VP 2021 lassen in Rz. 3.26 zu, dass die Vorteilsverrechnung „nur“ zur Geschäftsgrundlage des nachteiligen Geschäftes gehörte, d.h. nicht ausdrücklich vereinbart war. Nach Rz. 3.28 der VWG VP 2021 soll bis zum Ende des Wirtschaftsjahres, in dem der Nachteil übernommen wird, bestimmt sein, wann und durch welche Vorteile der Nachteil ausgeglichen wird. Richtigerweise besteht für eine solche zeitliche Begrenzung keine Rechtsgrundlage. Vielmehr geht es letztlich darum, ob der Steuerpflichtige schlüssig darlegen kann, dass er tatsächlich den Nachteil in Erwartung eines bestimmten Vorteils übernommen hat. Je unbestimmter der erwartete Vorteil ist und je weiter er zeitlich gesehen vom Nachteil entfernt eintreten soll, desto weniger würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter sich auf einen Ausgleich einlassen. Umgekehrt kommt jedoch ein Vorteilsausgleich z.B. dann in Betracht, wenn ein Steuerpflichtiger zunächst einen außergewöhnlichen Vorteil erzielt hat und anschließend glaubt, seinem Geschäftspartner im Gegenzug ausnahmsweise eine Vorzugsbedingung einräumen zu müssen. Innerhalb eines hypothetischen Vorteilsausgleichs zwischen zwei gedachten unabhängigen Geschäftspartnern ist keine von vornherein abgeschlossene Vereinbarung denkbar. In diesem Zusammenhang ist zudem von Bedeutung, dass die Finanzverwaltung formalen Gesichtspunkten eine geringere Bedeutung beizumessen scheint. So ist nach Rz. 97 der VWGFunktionsverlagerung die konkrete Disposition über die wahrgenommenen Funktionen zwar grundsätzlich aus abgeschlossenen Verträgen abzuleiten. Die formalen Anforderungen („in Form von im Voraus abgeschlossenen, klaren und eindeutigen [möglichst schriftlichen] Verträ-
1 Vgl. BFH v. 19.7.1994 – I B 13/94n. v.; FG München v. 24.10.2013 – 11 K 1190/11, juris. 2 BVerfG v. 7.11.1995 – 2 BvR 802/90, BStBl. II 1996, 34. 3 Vgl. Bogenschütz, BB 2006, 759; Eigelshoven/Nientimp, DB 2003, 2308 f.; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 354. 4 Vgl. BFH v. 11.2.1997 – I R 43/96, BFH/NV 1997, 806; v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545; v. 28.6.2002 – IX R 68/99, BStBl. II 2002, 699; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit BFH v. 27.7.2009 – I B 45/09, BFH/NV 2009, 2005.
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G. Vorteilsausgleich | Rz. 3.171 Kap. 3
gen“) werden jedoch – zutreffend – der Nachweis- bzw. Beweisvorsorge zugeordnet.1 Ihr Fehlen erhöht die Darlegungslast des Steuerpflichtigen im Rahmen der erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO über den abgeschlossenen Vertrag als solchen und dessen Inhalt.2 Abkommensrechtliche Sperrwirkung gegen formale Beanstandungen. Im Hinblick auf die abkommensrechtliche Gewinnkorrekturvorschrift des Art. 9 OECD-MA ist jedoch zu beachten, dass die ihr entsprechenden Vorschriften des jeweiligen DBA nicht auf diesen formalen Aspekt abstellen. Der BFH hat mit Urteil vom 11.10.20123 – wie bereits zuvor das FG Köln mit rechtskräftigem Urteil vom 22.8.20074 – entschieden, dass es aufgrund der Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden Regelung des Art. 6 DBA-Niederlande nicht auf die formalen Anforderungen des Fremdvergleichs ankommt. Für den im Rahmen des abkommensrechtlich nach den Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen durchzuführenden Fremdvergleich kommt es allein auf die materielle (Un-)Angemessenheit an; die Sonderbedingungen für beherrschende Gesellschafter scheiden dagegen abkommensrechtlich aus. Aufgrund dieser abkommenrsechtlichen Sperrwirkung steht der steuerlichen Anerkennung eines Vorteilsausgleichs mithin allein das Fehlen im Voraus getroffener klarer und eindeutiger Vereinbarungen nicht entgegen. Die Rspr. des BFH zu Teilwertabschreibungen und der Korrekturfähigkeit von Einkünfteminderungen infolge fremdunüblicher Bedingungen nach § 1 AStG, denen gegenüber die Art. 9 OECD-MA entsprechenden Vorschriften der deutschen DBA nach Auffassung des BFH keine Sperrwirkung entfalten,5 betreffen die vorgenannten rein formalen Anforderungen nicht.6
3.170
Vorteilsausgleich im Konzern. Umstritten ist die Frage, ob neben einem „bilateralen“ Vorteilsausgleich zwischen zwei verbundenen Unternehmen auch ein Vorteilsausgleich zwischen mehreren Gesellschaften des Unternehmensverbundes steuerlich anzuerkennen ist (sog. Vorteilsausgleich im Konzern). Die VWG VP beziehen hierzu in Rz. 3.25 dahingehend Stellung, dass der Steuerpflichtige „von dieser nahestehenden Person im Rahmen der in Betracht stehenden Geschäftsbeziehung im Gegenzug Vorteile erhält“ sowie in Rz. 3.27 dahingehend, dass im Falle der Entstehung eines Verlusts oder eines unangemessen niedrigen Gewinns aus einem Geschäftsvorfall, „dieser Nachteil nur anzuerkennen [ist], wenn er durch einen anderen Geschäftsvorfall mit demselben Vertragspartner ausgeglichen wird“. Ebenso gehen auch die OECD-Leitlinien nur von einem bilateralen Vorteilsausgleich aus.7 Dies entspricht im Übrigen der Rspr. des BFH, nach welcher ein Vorteilsausgleich nur innerhalb eines zweiseitigen
3.171
1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 97. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 145 ff. 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324. Siehe hierzu auch Gosch, BFH/PR 2013, 88; Andresen/Immenkötter/Frohn, DB 2013, 534; Schnorberger/Becker, IStR 2013, 109. 4 Vgl. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161, rkr.; Schaumburg, Internationales Steuerecht4, Rz. 21.143 m.w.N., Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Rasch, IWB F. 3a Gr. 1, 1103; Strunk/Kaminski, Stbg 2008, 211; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 704 f. 5 Vgl. grundlegend BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443. Seitdem stand. Rspr., zuletzt BFH v. 19.2.2020 – I R 19/17, BStBl. II 2021, 223. 6 Zum Fortbestand der BFH-Rspr. zur Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden Abkommensvorschriften gegenüber Einkünftekorrekturen nach vGA-Grds. wegen den formalen Sonderbedingungen bei beherrschenden Gesellschaftern siehe BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394. 7 Vgl. Tz. 3.13 OECD-Leitlinien 2022.
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Kap. 3 Rz. 3.171 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
Verhältnisses möglich sein soll.1 Ferner deutet der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG in diese Richtung.2 Sieht man jedoch die theoretische Rechtfertigung des Vorteilsausgleichs im Grundsatz des Fremdvergleichs, bleibt für eine Ablehnung des Vorteilsausgleichs im Konzern kein Raum. Rechtssystematische Argumente lassen sich insbesondere auch aus der Rspr. zu Gewinnverlagerungen zwischen Schwestergesellschaften ableiten (Rz. 2.31 und Rz. 2.209). Wenn Gewinnverlagerungen zwischen Schwestergesellschaften steuerlich unter Einbeziehung des gemeinsamen Gesellschafters abzuwickeln sind, ist auch ein Vorteilsausgleich unter Einbeziehung des Gesellschafters anzuerkennen. Darüber hinaus wäre auch ein ordentlicher Geschäftsleiter bereit, einen Nachteil von einem verbundenen Unternehmen hinzunehmen, wenn er im Verhältnis zu einem anderen verbundenen Unternehmen mit einem entsprechenden Vorteil rechnen kann. Allerdings ist es schwieriger, die Vor- und Nachteile zu quantifizieren, wenn mehrere Personen an dem zu verrechnenden Leistungsaustausch beteiligt sind. Ferner lässt sich die Kompensationsabsicht umso schwieriger feststellen, je mehr Personen Vor- und Nachteile untereinander verrechnen wollen. Darüber hinaus muss sich für alle beteiligten Konzernunternehmen ein Ausgleich ihrer Vor- und Nachteile ergeben. Deshalb ist der Vorteilsausgleich innerhalb einer Gruppe von verbundenen Unternehmen nur schwer durchführbar. An seinen Nachweis sind – insbesondere vor dem Hintergrund der Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO (Rz. 8.1 ff.) – hohe Anforderungen zu stellen.
3.172
Kein fiktiver Vorteilsausgleich mehr. Die deutsche Finanzverwaltung ließ einige Jahre lang bei der Erbringung von „technologischen Dienstleistungen“ deutscher Muttergesellschaften gegenüber Tochtergesellschaften in Entwicklungsländern in bestimmten Fällen einen sog. „fiktiven Vorteilsausgleich“ zu.3 Sofern der Abschluss von Lizenz- und Dienstleistungsverträgen im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft verboten war, devisenrechtliche Transferverbote einer Entgeltzahlung entgegenstanden oder in diesem Zusammenhang eine „exzessive Besteuerung“ bzw. eine Versagung des Betriebsausgabenabzugs drohte, sollte sich die Außenprüfung auf eine globale Prüfung des Waren- und Leistungsverkehrs beschränken. Faktisch wurde damit, sofern die o.g. Voraussetzungen vorlagen, im Interesse einer Sicherung der Wettbewerbsposition deutscher Unternehmen in Entwicklungsländern auf die Zahlung von Vergütungen für technische und administrative Beratungsleistungen und für die Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern (z.B. Patenten, Marken, Know-how) verzichtet. Allerdings waren Löhne und sonstige Kosten von entsandtem oder durch die ausländische Tochtergesellschaft unmittelbar eingestelltem Personal von dieser Regelung ausgenommen. Die vorgenannten Grundsätze gehen dem Vernehmen nach auf einen gemeinsamen Beschluss der Außensteuerreferenten des Bundes und der Länder Ende der 1970er Jahre zurück. Sie wurden für die Prüfung „technologischer Dienstleistungen“, d.h. für die Prüfung von Vergütungen für technische und administrative Beratungsleistungen und für die Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern (z.B. Lizenzen für Patente, Marken, Know-how), bundeseinheitlich angewandt.4 Mit Verfügung vom 4.3.2010 wurde diese Verfügung ersatzlos gestri-
1 Vgl. BFH v. 1.8.1984 – I R 99/80, BStBl. II 1985, 18; gl.A. Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.176. 2 So auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.176. 3 Vgl. OFD Koblenz, Vfg. v. 10.8.1995, WPg 1995, 674. Siehe hierzu auch Böcker in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 179. 4 Vgl. nur Rupp in D/P/M, IntGA, Rz. 947 (Stand: August 2014).
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G. Vorteilsausgleich | Rz. 3.174 Kap. 3
chen,1 sodass ab dem Jahr 2011 davon ausgegangen werden muss, dass diese Grundsätze durch die Finanzverwaltung nicht mehr angewendet werden. Gleichwohl deuten Äußerungen von Vertretern der Finanzverwaltung darauf hin, dass diese Verwaltungspraxis auch auf spätere Jahre angewendet wurde bzw. noch heute wird.2
III. Vorteilsausgleich und Palettenbetrachtung Vor- und Nachteile aus Lieferungs- und Leistungspaketen. Vom „echten“ Vorteilsausgleich zu unterscheiden ist die Saldierung von Vor- und Nachteilen aus Lieferungs- und Leistungspaketen bzw. einzelnen Teilleistungen. Hierbei wird im Rahmen einer Angemessenheitsbeurteilung nicht isoliert auf den einzelnen Produktpreis oder die einzelne Dienstleistung abgestellt, vielmehr wird eine gesamte Produktpalette bzw. eine Gruppe gleichartiger oder verwandter Produkte bzw. Leistungen analysiert. Die Angemessenheitsprüfung bezieht sich damit auf eine Gesamtanalyse i.S. einer Saldobetrachtung; auf die Angemessenheit des Produkteinzelpreises bzw. der einzelnen Leistungsgebühr kommt es insoweit nicht an.
3.173
In der Praxis der steuerlichen Verrechnungspreisprüfung hat sich für eine derartige Saldierung unangemessen niedriger mit unangemessen hohen Produkteinzelpreisen bzw. Leistungsgebühren der Begriff der „Palettenbetrachtung“3 herausgebildet, wofür die Finanzverwaltung die strengen Regeln der VWG VP (Rz. 3.167) zum Vorteilsausgleich nicht anwendet. Somit muss zunächst nicht jeder einzelne Produktpreis oder jede einzelne Gebühr beim konzerninternen Lieferungs- und Leistungsaustausch einem Fremdvergleich standhalten. Vielmehr muss sichergestellt sein, dass hinsichtlich der zu analysierenden Produktpalette bzw. des Leistungsbündels ein angemessener Gesamtpreis vereinbart wurde. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass auch unter fremden Dritten aus marktspezifischen Erwägungen vielfach Mischkalkulationen i.S. eines kalkulatorischen Ausgleichs vorgenommen werden, um Preisnachteile bei Einzelprodukten und -leistungen mit anderen Preisvorteilen zu verrechnen. „Paketgeschäfte“ nach den OECD-Leitlinien. Die OECD diskutiert die Zusammenfassung von Vor- und Nachteilen mehrerer Teilleistungen unter dem Stichwort „Paketgeschäfte“.4 In Tz. 3.9 OECD-Leitlinien wird zutreffend darauf hingewiesen, dass es häufig Geschäfte gibt, die so eng miteinander verbunden sind, dass bei separater Betrachtung eine Angemessenheitsbeurteilung unmöglich ist.5 Als Beispiele werden Langzeitverträge über Warenlieferungen oder Dienstleistungen, Rechte zur Benutzung immaterieller Wirtschaftsgüter und die Bewertung einer Gruppe verwandter Produkte (i.S. einer Produktlinie oder -palette), sofern es unpraktisch wäre, für jedes einzelne Produkt oder jeden einzelnen Geschäftsvorfall einen gesonderten Preis festzulegen, genannt. Derartige Geschäfte, die in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, können nach Auffassung der OECD zusammen bewertet werden, wenn es sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise hierbei um die Verrechnung von Vor1 Vgl. OFD Koblenz, Vfg. v. 4.3.2010 – S 1341A – St 33 3, vgl. IDW, Praktiker-Handbuch Außensteuerrecht 2016, Bd. 1, S. 1425 Fn. 1. 2 Vgl. nur Rupp in D/P/M, IntGA, Rz. 947 (Stand: August 2014). 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.23; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141 f.; Baumhoff, IStR 1994, 593; Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 521 f.; Kroppen/Tausch, IWB Fach Gruppe 2, 354 ff.; kritisch Kleineidam, IStR 2001, 728. Zur Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen instruktiv auch Bauer, DB 2008, 152 ff.; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 147 f. 4 So nunmehr auch VWG VP 2021, Rz. 3.24. 5 Vgl. Tz. 3.9 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 283
3.174
Kap. 3 Rz. 3.174 | Fremdvergleich als Instrument internationaler Einkünfteabgrenzung
und Nachteilen mehrerer Teilleistungen handelt.1 Solche Teilleistungskombinationen sind auch zwischen Fremden denkbar und in vielen Geschäftszweigen üblich. So können die Lizenzierung von Herstellungs-Know-how und die Überlassung wesentlicher Komponenten jeweils als Teilleistung bzw. -lieferung betrachtet werden, die erst zusammengefasst als einheitliches Geschäft anzusehen sind und daher nur über einen Gesamtpreis verrechnet werden können. Die OECD-Leitlinien weisen in Tz. 3.12 zu Recht auf die praktischen Schwierigkeiten hin, die dadurch entstehen können, dass die Besteuerung der verschiedenen Teilelemente eines Gesamtgeschäfts nach nationalem Recht oder auf Basis der DBA differiert.2 Als Beispiel werden Lizenzgebühren angeführt, die Gegenstand einer Quellenbesteuerung sind, während Leasinggebühren i.d.R. ohne Quellensteuer vereinnahmt werden. Insofern kann unter diesem Aspekt ggf. dennoch eine Aufteilung der Gesamtgeschäfte in mehrere Teilgeschäfte geboten sein.3
1 Zu einem Beispiel aus der Pharmaindustrie vgl. Kroppen/Rasch, IWB Fach 5 Gruppe 2, 355. Siehe auch Bauer, DB 2008, 157. 2 Vgl. Tz. 3.12 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 611 f. Siehe hierzu auch Bauer, DB 2008, 157.
284 | Baumhoff/Liebchen
Kapitel 4 Funktions- und Risikoanalyse als Ausgangspunkt der Verrechnungspreisbestimmung A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 B. Funktionsanalyse I. Begriff und Bestimmungsfaktoren des Funktionsprofils . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 II. Differenzierung zwischen quantitativer und qualitativer Funktionsanalyse 1. Identifikation von betrieblichen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12 2. Abgrenzung von Haupt- und Hilfsfunktionen/Gewichtung von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.16 III. Grundformen betrieblicher Funktionen 1. Produktionsbezogene Funktionen 4.21 2. Absatz- und vertriebsbezogene Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.23 IV. Funktionen im Zusammenhang mit Dienstleistungserbringungen . . . . . . . 4.26 V. Funktions- und Risikoanalyse im Bereich digitaler Geschäftsmodelle . . . . . 4.30 VI. Verlagerung von Funktionen . . . . . . . . 4.33 VII. Funktions- und Risikoanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation . . . 4.35 C. Risikoanalyse I. Einfluss des Risikoprofils auf die Verrechnungspreisbestimmung . . . . . . . . 4.37
II. Identifikation von betrieblichen Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundformen betrieblicher Risiken . . IV. Risiken bei E-Commerce- und OnlineVertriebs-Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . V. Verlagerung von Risiken . . . . . . . . . . . VI. Risikoanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . . . . . . . . D. Einfluss des Funktions- und Risikoprofils auf die Unternehmenscharakterisierung I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigenschaft als Strategieführer (Entrepreneur) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unternehmen mit sog. „Routine“Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Wertschöpfungsanalyse I. Identifizierung von Werttreibern und Wertbegrenzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wertschöpfungsanalyse bei ProfitSplit-Modellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Darstellung der Wertschöpfungsanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation IV. Abgrenzung zur DEMPE-Analyse/ Funktionen und Risiken bei immateriellen Vermögenswerten . . . . . . . . . .
4.45 4.51 4.54 4.56 4.58
4.60 4.62 4.63
4.68 4.71 4.73 4.75
Literatur: Baulig, Begriff und Problematik der Erfassung der betrieblichen Wertschöpfung, München 2011; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln 1986; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik gegenüber ausländischen Lohnfertigern, in Kleineidam (Hrsg.), Unternehmenspolitik und Internationale Besteuerung, Festschrift für Lutz Fischer, Berlin 1999, 487; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 1549; Bärsch/Luckhaupt/Schulz, Bestimmung angemessener Verrechnungspreise im Zusammenhang mit immateriellen Vermögenswerten, Ubg 2014, 40; Ditz/Puls, Internationale Verrechnungspreise in der COVID-19-Krise, IWB 2021, 501; Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 26. Aufl., Stuttgart 2021; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei Internationalen Verrechnungspreisen, Düsseldorf 2009; Eisele, Value-at-Risk-basiertes Risikomanagement in Banken, Wiesbaden 2004; Fiehler, Vergütungsformen von funktions- und risikoarmen Vertriebsgesellschaften, IStR, 2007, S. 465; Götze/Henselmann/Mikus, Risikomanagement, Heidelberg 2013; Greinert/Metzner, Die Bedeutung von Risiken bei der Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise – Diskussionsentwurf der OECD zu den Maßnahmen 8, 9 und 10 des BEPS-Aktionsplans, Ubg 2014, 40; Grotherr, Zweifelsfragen und Problembereiche aus der Anwendung des Risikokontrollansatzes bei der Verrechnungspreisanalyse, FR 2021, 1097; Grotherr, Neuerungen bei immateriellen Ver-
Puls | 285
Kap. 4 Rz. 4.1 | Funktions- und Risikoanalyse mögenswerten: Anzeigepflicht, DEMPE-Funktionskonzept und Preisanpassungsklausel, DStZ 2021, 864; Grotherr, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung: Anzeigepflicht, Besteuerungsgrundzüge und Neuerungen bei den Verrechnungspreisvorschriften, DStZ 2022, 35; Grotherr, Zweifelsfragen bei der Anwendung und den Rechtsfolgen des DEMPE-Funktionskonzepts (§ 1 Abs. 3c AStG) bei immateriellen Werten, Ubg 2021, 618; Heidecke, Transfer Pricing-Analysen im Lichte der Corona-Pandemie, IWB 2021, 292; Hüsgens, Balanced Scorecard und Ursache-Wirkungsbeziehungen, Wiesbaden 2008; Kuckhoff/Schreiber, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung aus Sicht der Betriebsprüfung, IStR 1999, 326; Lachnit/Müller, Bilanzanalyse, 2. Aufl., Wiesbaden 2017; Markowitz, Portfolio Selection, Journal of Finance 1952, 77; Porter, Globaler Wettbewerb – Strategien der neuen Internationalisierung, Wiesbaden 1989; Puls, Funktionsverlagerungsbesteuerung: Schadenersatz-, Entschädigungsund Ausgleichsansprüche als „Transferpaket“-Ersatz nach § 8 FVerlV, IStR 2010, 89; Puls/Heravi, DEMPE-Funktionen und wirtschaftliches Eigentum an immateriellen Werten – Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung, IStR 2018, 721; Reijers, Design and Control of Workflow Processes – Business Process Management, Berlin Heidelberg 2003; Richter, Die Bedeutung der Funktions- und Risikoanalyse im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung gem. §§ 7 ff. AStG; ISR 2019, 336; Schön, Konzerninterne Risikoallokation und internationales Steuerrecht, StuW 2015, 69; Schuster/Steiner/Ullmann, Funktionale Zuordnung nach DEMPE: Diskussion einer Einordnung und DEMPE-Schwelle, DB 2022, 148; Treidler/Grothe, Die bedrohlichen Implikationen des § 1 Abs. 3 GAufzV für die Verrechnungspreispraxis, IStR 2018, 194; Tucha/Brem, Dokumentation von Verrechnungspreisen: zur Strukturierung der Angemessenheitsanalyse, IStR 2006, 499; Träger, Organisation, München 2017; Wellens/van der Ham, Charakterisierung von Geschäftseinheiten im Transfer Pricing-Umfeld, DB 2012, 1534; Woelk/Zimmermann/Wargowske/Greil, Die Behandlung von immateriellen Werten – Neuerungen bei der steuerlichen Gewinnabgrenzung aufgrund des § 1 Abs. 3c AStG?, IStR 2021, 909; Wolke, Risikomanagement, 3. Aufl., München 2016; Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa, 4. Aufl., München 2017.
A. Allgemeines 4.1
Hintergrund der Funktions- und Risikobetrachtung. Im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen ist die Identifikation der von verbundenen Unternehmen wahrgenommenen Funktionen und eingegangenen Risiken von entscheidender Bedeutung. Sowohl die OECD-Leitlinien 2022 als auch die bisherigen Verlautbarungen der deutschen Finanzverwaltung1 erkennen die zentrale Stellung der Funktions- und Risikoanalyse bei der Beurteilung der Fremdvergleichskonformität der angesetzten Verrechnungspreise seit jeher ausdrücklich an. Dahinter steht die Erkenntnis, dass unverbundene Unternehmen, die sich aus rechtsgeschäftlichen Kontakten ergebenden Chancen und Risiken bei der Vergütungsbestimmung grundsätzlich berücksichtigen würden.2
4.2
Reflex der Funktionen und Risiken auf das Vergütungsniveau. In funktionierenden Märkten wird der „ordentlich und gewissenhaft handelnde Geschäftsleiter“ daher in aller Regel versucht sein, die im Rahmen der vorgenommenen Geschäftsvorfälle eingegangenen unternehmerische Risiken durch einen risikoadäquaten Vergütungsansatz (Verrechnungspreis) zu kompensieren, um in Fällen einer Materialisierung bestimmter Transaktionsrisiken noch eine angemessene Gesamtrendite erwirtschaften zu können. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Übernahme von mehr bzw. intensiveren betrieblichen Funktionen aufgrund des da1 Siehe BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 sowie BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 (beide Schreiben mittlerweile aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Siehe auch Tz. 1.2, 1.38 OECD-Leitlinien 2022.
286 | Puls
B. Funktionsanalyse | Rz. 4.4 Kap. 4
mit verbundenen Einsatzes materieller wie immaterieller Wirtschaftsgüter sowie aufgrund der eingegangenen wirtschaftlichen Risiken dem Unternehmen im Verhältnis zu anderen Marktteilnehmern regelmäßig eine verbesserte Markt- und Wettbewerbsstellung einräumt, die in einer Fremdvergleichssituation von einem „ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter“ zur maximierenden Gewinnerzielung ausgenutzt werden würde. In diesem Zusammenhang kann die Funktions- und Risikoanalyse Aufschluss über das Aufweisen von erforderlicher wirtschaftlicher Substanz der Transaktionsbeteiligten geben, indem sie die von einer Transaktionspartei verwendeten materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter bzw. Vermögenswerte näher beleuchtet.1 Der Einfluss des Funktions- und Risikoprofils auf die Preisbestimmung ist daher auch auf Geschäftsvorfälle zwischen verbundenen Unternehmen zu übertragen. Allgemein untergliedert sich die Funktions- und Risikoanalyse als Ganzes in die Untersuchungsbereiche der – ausgeübten betrieblichen Funktionen, – eingegangenen bzw. übernommenen (wirtschaftlich relevanten) Risiken sowie – die zur Funktionserfüllung eingesetzten materiellen wie immateriellen Wirtschaftsgüter. Gegenstand. Thematik der nachfolgenden Betrachtungen ist vor diesem Hintergrund, was unter diesen Teilelementen der Funktions- und Risikoanalyse im Einzelnen zu verstehen ist.
4.3
B. Funktionsanalyse I. Begriff und Bestimmungsfaktoren des Funktionsprofils Allgemeines. Unter dem Begriff „Funktionsanalyse“ sind allgemein diejenigen Untersuchungsschritte zu verstehen, die darauf gerichtet sind, die von einem verbundenen Unternehmen ausgeübten Tätigkeiten, übernommenen Zuständigkeiten und Kompetenzen zu ermitteln. Bereits die (mittlerweile von der Finanzverwaltung durch das BMF-Schreiben vom 14.7.20212 aufgegebenen) VWG 1983 haben übersichtsartig verschiedene Faktoren aufgezählt, die im Rahmen der Verrechnungspreisbestimmung zwischen verbundenen Unternehmen auf Ebene der Funktionsanalyse zu berücksichtigen sind; dies sind insbesondere folgende Gesichtspunkte:3 – die Struktur, Organisation, Aufgabenteilung und Risikoverteilung innerhalb eines Unternehmensverbunds, – die Zurechnung von Wirtschaftsgütern auf die einzelnen verbundenen Unternehmen, – die Zuordnung der betrieblichen Aufgaben (bspw. Herstellung, Montage, Forschung und Entwicklung, verwaltungsbezogene Leistungen, Absatz, sonstige Dienstleistungen) sowie – die „Eigenschaft“ der verbundenen Unternehmen, in welcher sie die ihnen zugeordneten betrieblichen Aufgaben wahrnehmen (bspw. Eigenhändler, Auftragsfertiger etc.).
1 Hierzu Richter, ISR 2019, 336 f. im Zusammenhang mit dem „Substanztest“ nach § 8 Abs. 2 AStG. 2 VWG VP 2021. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.3. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
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4.4
Kap. 4 Rz. 4.5 | Funktions- und Risikoanalyse
4.5
Einbettung in die sog. Vergleichbarkeitsanalyse. Interessant an dieser beispielhaften Aufzählung ist, dass sowohl die OECD als auch die deutsche Finanzverwaltung die Betrachtung von ausgeübten Funktionen begrüßenswerterweise in einen wirtschaftlichen Kontext eingebettet wissen möchten.1 Insofern ist die Analyse von ausgeübten betrieblichen Funktionen stets vor dem Hintergrund der unternehmerischen Gesamtzielsetzung sowie der Aufgabenverteilung und Organisation eines Unternehmensverbundes zu betrachten. Wie im Folgenden noch aufzuzeigen sein wird, hat diese Betrachtung entscheidenden Einfluss auf die quantitative wie qualitative Gewichtung von betrieblichen Funktionen und damit auch auf das Ergebnis der Funktionsanalyse. Auch nach OECD-Auffassung steht die Vergleichbarkeitsanalyse im Zentrum des Fremdvergleichsgrundsatzes, denn der Fremdvergleichsgrundsatz basiert letztlich auf dem Vergleich der Bedingungen eines konzerninternen Geschäftsvorfalls mit denjenigen Bedingungen, die voneinander unabhängige Unternehmen vereinbart hätten.2 In diesem Zusammenhang sind zwei Perspektiven einzunehmen: Zum einen sind die kaufmännischen und finanziellen Beziehungen zwischen den verbundenen Unternehmen sowie die Bedingungen und die wirtschaftlichen Begleitumstände dieser Beziehungen zu identifizieren. Zum anderen sind die Bedingungen und wirtschaftlich relevanten Umstände im Hinblick auf den nämlichen Geschäftsvorfall mit den Bedingungen und wirtschaftlich relevanten Umständen entsprechender Geschäftsvorfälle zwischen unabhängigen Unternehmen zu vergleichen. Nach OECD-Auffassung sind die wirtschaftlich relevanten Merkmale bzw. Vergleichsfaktoren, welche den o.g. kaufmännischen und finanziellen Beziehungen zwischen verbundenen Unternehmen zugrunde liegen, verkürzt in folgende Hauptkategorien einzuteilen:3 – vertragliche Bedingungen des jeweiligen Geschäftsvorfalls (auf Basis von IntercompanyVerträgen), – die von den an dem jeweiligen Geschäftsvorfall beteiligten verbundenen Unternehmen ausgeübten Funktionen, die genutzten Vermögenswerte sowie die übernommenen Risiken (einschließlich der Zusammenhänge zwischen diesen Funktionen und der Wertschöpfung des Gesamtkonzerns), – die Eigenschaften übertragener materieller/immaterieller Wirtschaftsgüter oder der geleisteten Dienste, – die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten und des Markts, auf dem sie tätig sind sowie – die von den Beteiligten verfolgten Geschäftsstrategien.
Dieses Gedankengut hat der Gesetzgeber noch einmal ausdrücklich in die novellierte Fassung des § 1 Abs. 3 Satz 5 und 6 AStG aufgenommen: Auch hier soll der Fremdvergleichspreis grundsätzlich nach der im Hinblick auf die Vergleichbarkeitsanalyse und die Verfügbarkeit von Werten zu vergleichbaren Geschäftsvorfällen voneinander unabhängiger Dritter am besten geeigneten Verrechnungspreismethode zu bestimmen sein. Unterschiede zwischen den Verhältnissen der zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfälle (d.h. zwischen voneinander unabhängigen Dritten sowie dem zu untersuchenden Geschäftsvorfall) und zugrunde liegenden Verhältnissen, welche die Anwendung der Verrechnungspreismethode beeinflussen können, sollen – soweit dies möglich ist – durch sachgerechte Anpassungen eliminiert werden. 1 VWG VP 2021, Rz. 3.19 Buchst. b unter Verweis auf Tz. 1.51 ff. der OECD-Leitlinien 2022; vgl. auch Eigelshoven in Vogel/Lehner7, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 99. 2 Tz. 1.33 OECD-Leitlinien 2022. 3 Siehe auch VWG VP 2021, Rz. 3.19 unter Verweis auf die OECD-Leitlinien 2022.
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B. Funktionsanalyse | Rz. 4.6 Kap. 4
Die Vergleichsanalyse nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG ist bereits terminologisch von der Funktions- und Risikoanalyse zu trennen, denn sie bildet gewissermaßen den sog. Mittelpunkt des Fremdvergleichsgrundsatzes.1 Die Vergleichbarkeitsanalyse ist auf die unmittelbare Simulation des Ergebnisses einer Preisbildung am Markt gerichtet; nach dem Gesetzeswortlaut sind die tatsächlichen Verhältnisse des jeweiligen Geschäftsvorfalls sowie die Ergebnisse der Funktions- und Risikoanalyse als „Maßstab für die Feststellung der Vergleichbarkeit des zu untersuchenden Geschäftsvorfalls zwischen voneinander unabhängigen Dritten“ hierfür heranzuziehen.2 Hierbei ist die Vergleichbarkeit zwischen (marktbezogenen) Fremddaten und den Bedingungen des grenzüberschreitenden Geschäftsvorfalls mit Nahestehenden bestmöglich herzustellen. Begriff der Funktions- und Risikoanalyse in § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG (in der Fassung ab VZ 2022). In § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG n.F. wird der Begriff der „Funktions- und Risikoanalyse“ nunmehr einheitlich legal definiert, indem er eine Analyse der ausgeübten Funktionen, der eingesetzten Wirtschaftsgüter und der übernommenen Risiken umfassen soll. In § 1 Abs. 3 Satz1 AStG a.F. war lediglich der Begriff der „Funktionsanalyse“ enthalten, wonach – auf Basis des OECD-Verständnisses in den Leitlinien 2010 und 2017 – allerdings auch mit einer Funktionswahrnehmung inhärente Risiken gemeint waren. Nach dem neuen Gesetzeswortlaut soll hierbei berücksichtigt werden, von welcher an dem Geschäftsvorfall beteiligten Personen (i) welche Funktionen in Bezug auf den jeweiligen Geschäftsvorfall ausgeübt werden, (ii) welche Risiken diesbezüglich jeweils übernommen und (iii) welche Vermögenswerte hierfür eingesetzt werden. Jene Verhältnisse sollen nach dem Gesetz den Maßstab für die Feststellung der Vergleichbarkeit des zu untersuchenden Geschäftsvorfalls mit Geschäftsvorfällen zwischen voneinander unabhängigen Dritten (Vergleichbarkeitsanalyse nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG) bilden. Abzustellen soll hierbei auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Geschäftsvorfalls sein (§ 1 Abs. 3 Satz 4 AStG).3 Zielrichtung ist es hierbei nach der Diktion des Gesetzes, die Funktions- und Risikoanalyse vor dem Hintergrund etwaiger (sachgerechter) Anpassungsrechnungen zu betrachten, die – wie oben bereits aufgezeigt – erforderlich sind, um eine Vergleichbarkeit von Fremdvergleichswerten zur Ermittlung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise für grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen herstellen zu können. Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG n.F. erweckt damit den Eindruck, eine Funktionsanalyse sei ausschließlich zum Zwecke der Ermittlung eines sachgerechten „Vergleichsmaßstabs“ notwendig, damit Fremdvergleichswerte auf Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen als tauglicher Vergleichsmaßstab überhaupt angewendet werden können. Diese Einengung – obwohl sie auch in den OECD-Leitlinien 2022 vorgenommen zu werden scheint – ist indes missverständlich, denn die Funktions- und Risikoanalyse bildet einen wesentlichen Ausgangspunkt für die Bestimmung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise. Sie ist damit mehr als ein Instrument zur Herstellung einer Vergleichbarkeit von Fremdvergleichsdaten. Denn je höher die Intensität und die Qualität der übernommenen Funktionen und der eingegangenen Risiken einer Partei sind, desto höher muss bereits aus kaufmännischen Gesichtspunkten ihr tendenzieller Vergütungsanspruch sein. Dies wird nunmehr dadurch explizit deutlich, dass in den OECD-Leitlinien 2022 eine Verbindung zwischen dem Funktions-
1 Siehe Tz. 1.33 OECD-Leitlinien 2022. 2 Zu den Auswirkungen auf die Vergleichbarkeit bei Verrechnungspreissachverhalten infolge der Covid19-Pandemie siehe aktuell Heidecke, IWB 2021, 292; Ditz/Puls, IWB 2020, 501. 3 Siehe auch VWG VP 2021, Rz. 3.38 f.
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4.6
Kap. 4 Rz. 4.6 | Funktions- und Risikoanalyse
und Risikoprofil eines Unternehmens und seiner Positionierung in der Gesamtwertschöpfungskette eines multinationalen Konzerns gezogen wird.1 Dies entspricht auch der von der Finanzverwaltung im Rahmen der VWG Verrechnungspreise dargelegten Ansicht, wonach die einem Unternehmen zugeordneten Funktionen, Risiken und eingesetzten Vermögenswerte einen Maßstab für die Wertigkeit der Tätigkeit im Rahmen der Gesamttätigkeit der multinationalen Unternehmensgruppe verkörpern sollen.2 Der Begriff der „Vermögenswerte“ beinhaltet sämtliche materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, geht aber noch darüber hinaus: So können vermutlich auch immaterielle Werte, die keine Wirtschaftsgutqualität aufweisen, im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse (mit-)analysiert werden.
4.7
Funktions- und Risikoanalyse in den neuen VWG Verrechnungspreisen 2021. Die VWG VP 2021 erwähnen die Funktions- und Risikoanalyse nur am Rande. In Rz. 3.5 wird auf die Durchführung einer Funktions- und Risikoanalyse nach § 1 Abs. 3 AStG verwiesen; in Rz. 3.20 Buchst. c wird die Funktions- und Risikoanalyse im Rahmen der Fragestellung nach der Vergleichbarkeitsanalyse verwendet. Weitergehende Erläuterungen zur Art der Durchführung und der Auswirkungen auf die Unternehmenscharakterisierung sind nicht vorhanden. Damit verbunden ist wohl auch die Tatsache, dass die Finanzverwaltung mittlerweile den Begriff des sog. „Mittelunternehmens“ nach den VWG-Verfahren 2005 aufgegeben hat und insoweit bei der Unternehmenscharakterisierung – OECD-konform nur noch von einem „Entrepreneur“ oder einem „Routineunternehmen“ ausgeht.
4.8
Darstellung in den OECD-Leitlinien 2022. Die OECD-Leitlinien 2022 verwenden in Kapitel I zunächst ausschließlich den Begriff der „Funktionsanalyse“. Diese soll der Erforschung der Frage dienen, ob konzerninterne und Fremdgeschäfte oder verbundene und nicht verbundene Unternehmen „vergleichbar“ sind.3 Nach den Leitlinien der OECD zielt die Funktionsanalyse darauf ab, die von den am Geschäftsvorfall beteiligten, verbundenen Unternehmen wahrgenommenen, wirtschaftlich signifikanten Tätigkeiten und Aufgaben, genutzten und bereitgestellten Vermögenswerte sowie die übernommenen Risiken zu identifizieren. Die Analyse soll sich hierbei darauf ausrichten, was die Beteiligten „tatsächlich tun“ sowie die auf die von ihnen zur Verfügung gestellten Fähigkeiten; insoweit spielen auch die Struktur und die Organisation des multinationalen Konzerns eine große Rolle.4 Zugleich weisen die OECD-Leitlinien 2022 darauf hin, dass eine Funktionsanalyse unvollständig ist, wenn die von jeder Partei übernommenen „wesentlichen Risiken“ nicht berücksichtigt werden. Hintergrund dessen ist, dass auch in einer Fremdvergleichssituation die Übernahme und Aufteilung von Risiken zwischen den Transaktionsparteien die Geschäftsbedingungen beeinflussen.5 Da die Übernahme bestimmter Funktionen nach OECD-Überzeugung bis zu einem gewissen Grad mit der Übernahme bestimmter Risiken korreliert, ist die Risikoanalyse nach OECD-Auffassung zugleich integraler Bestandteil der Funktionsanalyse. Insoweit ist die Begriffsdefinition zwischen dem AStG („Funktions- und Risikoanalyse“) und den OECDLeitlinien 2022 („Funktionsanalyse“, die unter Einbeziehung der Risikoprofile erfolgen soll) semantisch abweichend; inhaltlich ist jedoch im Ergebnis das Gleiche gemeint.
1 2 3 4 5
Siehe bspw. Tz. 1.36 und Tz. 1.51 Satz 6 OECD-Leitlinien 2022. VWG VP 2021, Rz. 3.7 Satz 1. Tz. 1.51 Satz 2 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.51 Satz 3 f. OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.56 OECD-Leitlinien 2022.
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B. Funktionsanalyse | Rz. 4.12 Kap. 4
Maßgeblichkeit des wirtschaftlichen Gehalts. Zu betonen ist – wie bereits oben angedeutet – , dass es stets auf den wirtschaftlichen Gehalt der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit des verbundenen Unternehmens ankommt:1 In diesem Zusammenhang soll nach neuerer OECDAuffassung auch darauf abzustellen sein, wie innerhalb eines multinationalen Konzerns integrierte Funktionen quasi zusammenwirken. So können bspw. zwischen den aufgeteilten Funktionen erhebliche Interaktionen bestehen: Die Aufteilung der Logistik- bzw. Lagerhaltungs-, Marketing- und Vertriebsfunktionen auf verschiedene Konzerneinheiten kann bspw. ein bestimmtes Koordinierungspotential erfordern, um ein effektives Zusammenspiel der verschiedenen Tätigkeiten zu gewährleisten. Bei der Funktionsanalyse ist es daher nach OECD-Ansicht bei aufgeteilten Tätigkeiten wichtig zu ermitteln, ob und inwieweit diese Tätigkeiten voneinander abhängig sind und wie eine diesbezügliche Orchestrierung der Tätigkeiten im multinationalen Konzern erfolgt.2
4.9
Analyse der Risiken in kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen. Integraler Bestandteil einer Funktionsanalyse soll nach den OECD-Leitlinien 2022 auch die Fragestellung sein, welche Partei im Rahmen eines Geschäftsvorfalls wesentliche Risiken übernimmt, da dies wesentlichen Einfluss auf die Preise und sonstigen Bedingungen zwischen verbundenen Unternehmen hat. Insoweit formuliert hier die OECD das Postulat eines „risk and reward“-Prinzips: Denn auf dem freien Markt steht der Übernahme eines erhöhten Risikos in der Regel auch ein höherer erwarteter Ertrag gegenüber.3 Die Höhe und die Übernahme eines Risikos sind vor diesem Hintergrund wirtschaftlich relevante Merkmale, die elementarer Bestandteil der Verrechnungspreisanalyse in Gänze sind.
4.10
Maßgeblichkeit der Risikokontrolle in tatsächlicher Hinsicht sowie finanzielle Tragfähigkeit. Nach Ansicht der OECD sowie der deutschen Finanzverwaltung ist insbesondere der Gedanke, welche Partei mehr (bzw. in besserem Maße) Kontrolle über ein Risiko (bzw. ein sich noch nicht materialisiertes Risikopotential) ausüben kann, für die Prüfung des wirtschaftlichen Gehalts einer behaupteten Risikoallokation relevant.4 Es soll daher vornehmlich zu analysieren sein, welche an dem Geschäftsvorfall Beteiligten die personellen Ressourcen sowie die tatsächliche Möglichkeit zur Kontrolle von Risiken und die finanziellen Mittel zur Tragung von Risiken haben.5 Zudem ist die finanzielle Tragfähigkeit bei der Risikomaterialisierung mitentscheidend; Einzelheiten zur Risikoanalyse sind in Rz. 4.37 ff. dargestellt.
4.11
II. Differenzierung zwischen quantitativer und qualitativer Funktionsanalyse 1. Identifikation von betrieblichen Funktionen Funktionsbegriff. Der Begriff der „Funktion“ ist in jüngerer Vergangenheit insbesondere durch die Diskussion über die sog. Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3b AStG n.F. (vgl. hierzu Rz. 7.12 ff.) in den Betrachtungsfokus gerückt. Allgemein wird unter einer Funktion ein bestimmter betrieblicher Tätigkeitsbereich verstanden, der organisatorisch abgrenzbar und infolgedessen selbständig identifizierbar ist. § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV versteht unter dem Begriff „Funktion“ eine „Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfas-
1 Vgl. auch BFH v. 30.7.1965 – VI 288/63 U, BStBl. III 1965, 613; BFH v. 26.2.1970 – I R 42/68, BStBl. II 1970, 419; v. 15.1.1974 – VIII R 63/68, BStBl. II 1974, 606. 2 Tz. 1.55 OECD-Leitlinien 2022. 3 Tz. 1.56 Satz 2 OECD-Leitlinien 2022; siehe auch Schön, StuW 2015, 69 (72 f.). 4 VWG VP 2021, Rz. 3.5 Satz 2. 5 Siehe dazu auch Tz. 1.65 OECD-Leitlinien 2022.
Puls | 291
4.12
Kap. 4 Rz. 4.12 | Funktions- und Risikoanalyse
sung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden.“ (Rz. 7.29).
4.13
Analyseschritte. Um die von einem Unternehmen ausgeübten Funktionen und deren Relevanz für die Gesamtwertschöpfung festzustellen sowie im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation beschreiben und begreiflich machen zu können, ist eine umfassende Untersuchung der von einem Unternehmen übernommenen Zuständigkeiten sowie der damit zusammenhängenden ausgeübten betrieblichen Tätigkeiten erforderlich. Die Funktionsanalyse ist daher – einfach ausgedrückt – zunächst nicht mehr als eine spezifische Sachverhaltsanalyse. Hierbei ist zwischen einer Gesamt- und einer Einzelfunktionsanalyse zu unterscheiden.
4.14
Gesamtfunktionsanalyse. Die Gesamtfunktionsanalyse untersucht sämtliche von einem Unternehmen ausgeübte Funktionen (bspw. Produktion, Vertrieb, Logistik, Forschung und Entwicklung, Marketing etc.) und ihre wirtschaftliche Bedeutung für die Geschäftsbeziehungen zu anderen verbundenen Unternehmen („macro-level analysis“). Sie orientiert sich im Regelfall an dem funktionalen Konzernaufbau, in welchem Konzernunternehmen systematisch in bestimmte Verantwortungsbereiche organisiert sind. In diesem Zusammenhang wird auch die rechtliche bzw. steuerkategorische Organisationsform des Unternehmens berücksichtigt (bspw. selbständiges Rechtssubjekt oder lediglich rechtlich unselbständige Betriebsstätte), da die mit der Ausübung verschiedener Funktionen verbundenen Entscheidungskompetenzen für die qualitative Gewichtung dieser Funktion bei der Unternehmenscharakterisierung relevant sind.1 Ferner lassen sich aus diesen Feststellungen Rückschlüsse auf das Vorhandensein von Marktchancen und Marktrisiken des Unternehmens ziehen. Dies gilt insbesondere bei mehrstufigen Lieferungs- und Leistungsbeziehungen im Konzern. Die Resultate einer Gesamtfunktionsanalyse sind daher insbesondere im Hinblick auf die oben angesprochene Unternehmenscharakterisierung als „Entrepreneur“ oder als „Routineunternehmen“ von großer Bedeutung, welche darüber mitentscheidet, welche Verrechnungspreismethode zur Anwendung gelangen darf. Insoweit hat die Gesamtfunktionsanalyse (wie letztlich auch die Einzelfunktionsanalyse) auch zu berücksichtigen, welche wirtschaftlichen Risiken bei der Funktionsausübung vorhanden sind und welche wesentlichen (materiellen und immateriellen), erfolgsrelevanten Wirtschaftsgüter im Rahmen der Funktionsausübung zum Einsatz gelangen. Die Gesamtfunktionsanalyse – in Tz. 7 der Anlage zu § 5 GAufzV auch „zusammenfassende Funktionsanalyse“ genannt – dient gewissermaßen dazu, einen ersten Überblick über die Verteilung der wesentlichen (und damit für die Unternehmensgesamtwertschöpfung wichtigen) sog. „Schlüsselfunktionen“ zu vermitteln. In der Praxis ist dies u.a. der Haupteinstieg der Finanzverwaltung in die Begutachtung eines Verrechnungspreissystems im Rahmen von steuerlichen Betriebsprüfungen.
4.15
Einzelfunktionsanalyse bei spezifischen Geschäftsvorfällen. Im Rahmen einer Einzelfunktionsanalyse werden spezifische Zuständigkeiten und Tätigkeitswahrnehmungen des Unternehmens im Rahmen eines einzelnen Geschäftsvorfalls untersucht. Der neue Gesetzeswortlaut in § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG sieht vor, dass die Funktionen und Risiken der „an dem Geschäftsvorfall beteiligten Personen“ analysiert werden sollen; dies bedeutet, dass nach dem Wortlaut eine konkrete Einzelfunktionsanalyse erforderlich ist. Allerdings ist darauf zu achten, wie die einzelnen Funktionen in der Gesamtwertschöpfung eines multinationalen Konzerns eingebettet sind.2 1 Tz. 1.51 Satz 6 OECD-Leitlinien 2022. 2 Siehe Tz. 1.51 Satz 7 und Tz. 1.55 OECD-Leitlinien 2022.
292 | Puls
B. Funktionsanalyse | Rz. 4.17 Kap. 4
Die Einzelfunktionsanalyse weist daher im Verhältnis zu der Gesamtfunktionsanalyse ein höheres Maß an Granularität auf („micro-level analysis“), indem sie die Verteilung der Zuständigkeiten und der Tätigkeitserbringungen einschließlich der Verwendung (vorwiegend) immaterieller Wirtschaftsgüter (Patente, Markenrechte, Gebrauchs- und Geschmacksmuster, Prozess-Know-how etc.) verbundener Unternehmen transaktionsbezogen untersucht und infolgedessen inhaltlich auf die Gesamtfunktionsanalyse aufbaut. Eine Einzelfunktionsanalyse ist insbesondere dann von erheblicher Bedeutung, wenn Geschäftsvorfälle zwischen verbundenen Unternehmen gegeben sind, die in enger Wechselbeziehung stehen und bei denen nicht ohne weiteres geklärt werden kann, welcher relative Wert den von den jeweiligen Parteien ausgeübten Funktionen beigemessen werden muss. Typischerweise wird daher eine Einzelfunktionsanalyse im Rahmen von Geschäftsvorfällen zwischen verbundenen Unternehmen durchgeführt, die auf Basis eines Profit-Splits (Rz. 5.123 ff.) vergütet werden.
2. Abgrenzung von Haupt- und Hilfsfunktionen/Gewichtung von Funktionen Delegationsfähigkeit als Abgrenzungskriterium. Wie im Folgenden noch näher gezeigt werden wird, lassen sich betriebliche Funktionen qualitativ in Haupt- und Hilfsfunktionen untergliedern. Hauptfunktionen sind solche betrieblichen Tätigkeiten und Aufgaben, die für den Wertschöpfungsprozess erfolgsmäßig den (relativ) wichtigsten Anteil beisteuern. Sie kennzeichnen sich nach Ansicht der Finanzverwaltung insbesondere durch ihre Einbindung bestimmter, vornehmlich immaterieller Wirtschaftsgüter (Rz. 6.557 ff.) und ihre „Quasi-Unersetzlichkeit“. Hilfsfunktionen sind demgegenüber durch ihren „Routine-Charakter“ geprägt. Sie kennzeichnen sich dadurch, dass sie jederzeit an andere Leistungserbringer am Markt delegiert werden könnten; sie sind „outsourcingfähig“. Ferner sind sie in der Regel nur in geringem Umfang durch den Einsatz von immateriellen Wirtschaftsgütern geprägt.1
4.16
Abgrenzung auf Basis von funktionsspezifischen Margen. Bei der Abgrenzung zwischen Haupt- und Hilfscharakter sind zunächst die Erkenntnisse, sog. „Balanced-Scorecard-Systeme“ in Erwägung zu ziehen, die darauf aufbauen, welche Ergebniskennzahlen als Schlüsselindikatoren aus einer bestimmten Funktionsausübung resultieren.2 Hilfsfunktionen, d.h. solche Funktionen, die qualitativ nicht als entscheidend für die Erreichung unternehmensstrategischer Ziele gelten, können demnach im Grundsatz lediglich fix (bspw. unter gedanklicher Anwendung der Kostenaufschlagsmethode) vergütet werden. In der Praxis kann sich ein derartiger Ansatz allerdings als problematisch erweisen, da den jeweiligen Funktionen bestimmte operative Margen zugeordnet werden müssen, welche die Bedeutung der Funktionen im Gesamtwertschöpfungsprozess eines Unternehmens angemessen reflektieren. Da die in Datenbanken erhältlichen Informationen über die Profitabilität unabhängiger Unternehmen regelmäßig keine Untergliederung in einzelne Tätigkeitssegmente der Vergleichsunternehmen beinhalten, ist es praktisch kaum möglich, den ausgeübten Funktionen (einschließlich der übernommenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter) eine individuelle „Marge“ zuzuordnen. Im Übrigen würde ein derartiger Ansatz auf eine retrograde Funktionswertbestimmung hinauslaufen, da auf Basis der erwirtschafteten Marge die ökonomische Bedeutung der Funktion im Gesamtwertschöpfungsprozess bestimmt werden müsste; dies erscheint problematisch und im Ergebnis nicht zutreffend.
4.17
1 Vgl. Grotherr, DStZ 2022, 35 (49) unter Verweis auf die „alten“ VWG Verfahren, BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.2010.2 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. dazu Hüsgens, Balanced Scorecard und Ursache-Wirkungsbeziehungen, 19 ff.
Puls | 293
Kap. 4 Rz. 4.18 | Funktions- und Risikoanalyse
4.18
Praktischer Analyseansatz. Es empfiehlt sich daher, auf Basis einer quantitativen und qualitativen Analyse den „Wert“ einer Funktion im Gesamtwertschöpfungsgefüge zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sind folgende grundlegenden Untersuchungsschritte vorzunehmen: – Erfassung der einzelnen, in der Funktion angesiedelten Unternehmenstätigkeiten und Allokation dieser auf die involvierten Unternehmenseinheiten; – Ermittlung der Kosten, die durch die Funktionsausübung entstehen (auf Basis der unternehmensinternen Kostenrechnung); – Ermittlung der eingesetzten materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter zur Funktionsausübung; – Ermittlung des im Rahmen der Funktionsausübung erforderlichen Personals (z.B. als Know-how-Träger). Hierbei kann gewissermaßen „top down“ vorgegangen werden, indem von einer Gesamtfunktionsanalyse auf die Analyse der jeweiligen Einzelfunktionen geschlossen und diese näher untersucht und erläutert werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, welche gesetzlichen Rechte und Pflichten für die einzelnen Beteiligten bei ihrer jeweiligen Funktionsausübung bestehen.1 Dieser Gesichtspunkt ist auch für die Risikoanalyse von signifikanter Bedeutung, insbesondere bei der Frage nach der Risikokontrolle, denn hier bestehen bspw. aus Sicht der Konzernmuttergesellschaft in der Regel gesellschaftsrechtliche Risikoüberwachungs- und Risikokontrollpflichten, die für die Frage der Risikoallokation in einem sehr dezidierten Licht betrachtet werden müssen (siehe Rz. 4.37 ff.). Darüber hinaus sind bei der Analyse der tatsächlichen Beiträge, Fähigkeiten und sonstigen Eigenschaften der Beteiligten die ihnen „realistischer Weise zur Verfügung stehenden“ Handlungsoptionen zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass bei der Identifizierung der wirtschaftlich relevanten Merkmale der kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen auch zu untersuchen ist, welche Handlungsoptionen bei der Funktionsausübung bestanden haben und ob unabhängige Dritte ähnliche Fähigkeiten in potenziell vergleichbaren Vereinbarungen berücksichtigt hätten.2 Diesbezüglich können sich Auswirkungen auf die Frage des Risikomanagements ergeben, bspw. wenn ein Beteiligter durch das konzerninterne Poolen von Risikopositionen Effizienzgewinne erzielen kann, zumal derartige Fallkonstellationen nicht zwangsläufig zwischen fremden Dritten vorhanden sein müssen.
4.19
Indizwirkung der Analyse. Die Resultate der einzelnen Analysefelder vermitteln in der Gesamtschau ein Bild darüber, welche Stellung und welche wertschöpfungsbezogene Bedeutung die Funktionen im Unternehmen haben. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass von den einzelnen Analysefeldern nur eine indikative Wertung ausgehen kann, da bspw. eine kostenintensive Funktionsausübung gleichwohl nur unerhebliche Bedeutung für die Gesamtwertschöpfung haben kann (bspw. lohnintensive Sortimentierung von Vertriebsprodukten). Das Gesamtergebnis dieser Analyse hat – wie im Folgenden noch aufgezeigt wird – erheblichen Einfluss auf die Charakterisierung des Unternehmens als „Strategieführer“ oder „Routineunternehmen“.
1 Tz. 1.51 Satz 8 OECD-Leitlinien 2022. 2 Tz. 1.52 und 1.53 OECD-Leitlinien 2022.
294 | Puls
B. Funktionsanalyse | Rz. 4.20 Kap. 4
Business-Process-Analysis (BPA). Ein neuerer, mittlerweile in der Praxis vollständig etablierter Ansatz – insbesondere in der betriebswirtschaftlichen Unternehmensberatung – geht dorthin, die Funktionsanalyse aus der Perspektive einer Untersuchung der Leistungserstellungsprozesse im Konzern zu begreifen. In diesem Zusammenhang werden alle in einem Unternehmen bzw. Konzern stattfindenden Leistungserstellungsprozesse zunächst inventarisiert und auf Basis einer „Top-Down-Analyse“ auf einzelne Makroprozesse (bspw. Produkt-F&E, Einkauf von Rohstoffen, Produktion, Vertrieb) sowie damit verbundene Tätigkeiten heruntergebrochen. Ziel dessen ist, sämtliche Prozesse der Wertschöpfung in einem Unternehmen möglichst „feinkörnig“ zu erfassen, um sodann die individuellen Leistungserstellungsprozesse einem einzelnen Unternehmen bzw. Unternehmensteil zuordnen zu können.1 Am Ende einer derartigen Analyse steht i.d.R. ein umfassendes Bild der gesamtunternehmensbezogenen Wertschöpfung, die insbesondere aus betriebswirtschaftlicher Sicht Rückschlüsse auf die einzelnen Wertschöpfungsbeiträge der Beteiligten zulässt. Ein derartiger Analyseansatz ist insbesondere im Rahmen von Gestaltungs- und Strukturierungsprojekten von Bedeutung, in denen sich zwar die rechtliche Organisation eines Gesamtunternehmens bzw. Konzerns ändert, jedoch nicht die Art und Zuordnung der ausgeübten Funktionen. Ferner können durch eine BPA vor dem Hintergrund einer konzernweiten Risikosteuerung Erkenntnisse für bestimmte Risikosteuerungsmaßnahmen gewonnen werden. Aus Sicht der deutschen Verrechnungspreisdokumentationsvorschriften kann ein umfassender Analyseansatz – so wie ihn die BPA darbietet – jedoch bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht gefordert werden. Ferner ist hier eindeutig geregelt, dass – auf der Funktionsanalyse aufbauend – nur die Wertschöpfungsbeiträge des Steuerpflichtigen darzustellen sind und nicht diejenigen der gesamten Unternehmensgruppe bzw. des Konzerns (vgl. § 90 Abs. 3 AO i.V.m. § 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV). BPA und RACI-Analyse. Ergänzt werden kann die BPA durch eine sog. „RACI-Analyse“, in der die jeweiligen Verantwortungsgrade der mit einer Funktionsausübung betrauten Beteiligten eruiert werden, so dass im Ergebnis ein genaueres Bild über die jeweilige Funktionstiefe entstehen kann. RACI bedeutet hierbei (i) „Responsible“, d.h. Funktionsverantwortlichkeit i.S. der Durchführungsverantwortung, (ii) „Accountable“, d.h. rechenschaftspflichtig und die Verantwortung in einem rechtlichen und wirtschaftlichen Sinn tragend, (iii) „Consulted“, d.h. an der Funktionsausübung dahingehend beteiligt, dass die Partei Informationen hierzu bereithält oder geben kann und schließlich (iv) „Informed“, d.h. eine Partei, die (lediglich) Auskünfte über die Funktionsausübung erhält bzw. diese beanspruchen kann.2 Hierbei sind methodisch zunächst – die einzelnen Komponenten des Geschäftsvorfalls auf Basis der Transaktionsschritte und -prozesse zu bestimmen und zu zerlegen, – sodann die Bedeutung dieser Transaktionsschritte und -prozesse sowie der eingesetzten Wirtschaftsgüter und immateriellen Werte im Hinblick auf die Gesamtwertschöpfung zu bestimmen und – letztlich eine Verteilung des Ergebnisanteils in Anbetracht des relativen Anteils der Partei an der Gesamtwertschöpfung vorzunehmen. Weitere Einzelheiten hierzu sind in Rz. 4.72 enthalten.
1 Vgl. Reijers, Design and Control of Workflow Processes – Business Process Management, 4 ff. 2 Siehe Träger, Organisation: Grundlagen der Organisationslehre, Vahlen 2017, 89.
Puls | 295
4.20
Kap. 4 Rz. 4.21 | Funktions- und Risikoanalyse
III. Grundformen betrieblicher Funktionen 1. Produktionsbezogene Funktionen 4.21
Allgemeines. Die Analyse produktionsbezogener Funktionen ist im Hinblick auf die Abgrenzung von sog. Eigenfertigern und Auftrags- bzw. Lohnfertigern besonders relevant. Die Frage, wie eine Produktionsfunktion konzernintern organisiert ist und welche Unternehmen in Produktionstätigkeiten involviert sind, ist zunächst eine Frage der unternehmerischen Dispositionsfreiheit.1 Die Auslagerung von Produktionsfunktionen tritt in aller Regel bei Unternehmen mit einer größeren Produktionstiefe in Erscheinung, wo mehrere, mitunter technisch anspruchsvolle Komponenten durch spezialisierte Zulieferungen endgefertigt werden. Jedoch können auch Lohnkostenvorteile bei verhältnismäßig einfachen Produktionstätigkeiten zu einem Einschalten von Auftrags- bzw. Lohnfertigungsunternehmen führen (bspw. in der Bekleidungsherstellung).
4.22
Produktionstypen. Die Unterscheidung bestimmter Produktionstypen ist für die Auswahl der geeigneten Verrechnungspreismethode entscheidend. So werden Lohnfertigungstätigkeiten regelmäßig auf Basis der Kostenaufschlagsmethode vergütet (Rz. 5.40).2 Sog. Eigenfertiger (Fully-Fledged Producer) kennzeichnen sich regelmäßig dadurch, dass sämtliche mit der Vorbereitung, der eigentlichen Durchführung und der Nachbereitung der Produktionstätigkeit verbundene Aktivitäten und Entscheidungskompetenzen (Beschaffung der Rohstoffe, eigentliche Produktion, Qualitätssicherung, Verpackung, Transport, Lagerhaltung etc.) durch das Unternehmen auf eigene Rechnung, durch den Einsatz eigener (ggf. auch lizenzierter) Wirtschaftsgüter und auf eigenes Kostenrisiko wahrgenommen werden. Der Lohnfertiger (TollManufacturer) hingegen ist durch eine geringere Funktions- und auch Risikotiefe gekennzeichnet. Seine Tätigkeiten beschränken sich auf die bloße Erbringung einer Produktionsdienstleistung an beigestellten Rohstoffen oder Vorprodukten, ohne dass er die mit der Produktion verknüpften wirtschaftlichen Risiken tragen müsste (Rohstoffbeschaffungsrisiko, Leerkostenrisiko, Absatzrisiko, allgemeines Marktrisiko etc.). Der Auftragsfertiger (Contract-Manufacturer) hat hingegen gegenüber dem Lohnfertiger ein angereichertes Funktions- und Risikoprofil. Auch er erbringt letztlich eine reine Dienstleistung in Gestalt der Ausübung einer Produktionstätigkeit, gleichwohl beschafft er die Rohstoffe oder zu bearbeitenden Vorprodukte selbst, erhält hierfür im Gegenzug aber Abnahmegarantien durch seinen Auftraggeber nach Vollendung der Fertigungstätigkeiten. Mitunter erbringen Auftragsfertiger auch Forschungs- und Entwicklungsleistungen zur Produkt- oder Fertigungsverfahrensoptimierung.3 Eine verbindliche Definition der Begriffe „Eigenproduzent“ sowie „Auftrags- bzw. Lohnfertiger“ mit einer abschließenden Anzahl von Tatbestandsmerkmalen existiert jedoch nicht, so dass die Begriffe als „Typusbegriffe“ einzustufen sind, die im übertragenen Sinne als „Anschauungsbilder“ fungieren, denen mithin Sachverhalte und Erscheinungsformen als „entsprechend“ oder „sinnähnlich“ zugeordnet werden. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Begriff des Eigenproduzenten oder des Lohn- bzw. Auftragsfertigers nicht von dem Vorhandensein bestimmter, abschließender Tatbestandsmerkmale abhängig ist. Gleichwohl ist das Vorhandensein bestimmter zentraler Funktionen und Risiken (bspw. das Absatzrisiko) für die Kategorisierung als Eigen- oder Lohn- bzw. Auftragsfertiger von ausschlaggebender Bedeutung.
1 Siehe Tz. 9.4, 9.27 f. OECD-Leitlinien 2022; VWG FVerl, Rz. 145. 2 Tz. 2.59, 7.40 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Baumhoff in Kleineidam, FS Fischer, 491; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 326.
296 | Puls
B. Funktionsanalyse | Rz. 4.24 Kap. 4
2. Absatz- und vertriebsbezogene Funktionen Ausgangspunkt. Betriebliche Funktionen im Absatz- und Vertriebsbereich sind aus Verrechnungspreissicht von signifikanter Bedeutung, weil bereits zivilrechtlich verschiedene Vertriebsformen (Eigenhändler, d.h. Kauf oder Verkauf im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, Kommissionär, d.h. Kauf oder Verkauf im eigenen Namen, jedoch auf fremde Rechnung, Handelsvertreter, d.h. Kauf oder Verkauf auf fremden Namen und fremde Rechnung, Handelsmakler, d.h. bloße Vermittlung von Handelsgeschäften) existieren, die – aufgrund ihrer strukturellen Besonderheiten – entscheidenden Einfluss auf die Unternehmenscharakterisierung haben. Die Analyse von Funktionen im Absatz- und Vertriebsbereich ist daher u.a. von der bereits aus zivilrechtlicher Perspektive gewählten Vertriebsform abhängig (Rz. 6.55 ff.). Innerhalb der vorgenannten Vertriebsformen hängt die Ausgestaltung des Funktions- und Risikoprofils ferner davon ab, in welchem Marktumfeld und auf welcher Handelsstufe (Großhandel, Zwischenhandel, Einzelhandel) sich der Vertreiber befindet. Allgemein können bei der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise im Rahmen von Waren- oder Güterlieferungen zwischen verbundenen Unternehmen u.a. folgende Schlüsselparameter Berücksichtigung finden, die zwischen fremden Dritten bei der Preisbildung regelmäßig bedacht würden:
4.23
– Gleichartigkeit der vertriebenen Güter oder Waren (Beschaffenheit, Qualität, Innovationsgehalt etc.); – Vertriebsmengen; – Markt- und Wettbewerbsverhältnisse; – Handelsstufe; – Liefervereinbarungen (Haftungsverhältnisse, Zahlungsziele, Rabatte, Skonti, Gefahrentragung, Gewährleistung etc.). Handelsstufen und Vertriebsstrukturierung. Um die mit einer Vertriebstätigkeit verbundenen Funktionen und Risiken besser nachvollziehen zu können, ist zunächst eine Betrachtung der jeweiligen strukturellen Positionierung des Vertreibers innerhalb eines Marktes durchzuführen. Im Einzelnen sind folgende Betriebsformen zu unterscheiden: – Großhandel. Ist das Vertriebsunternehmen im Bereich Großhandel tätig, so erfolgt die Vertriebstätigkeit vornehmlich gegenüber anderen gewerblichen Abnehmern („B2B“), was insbesondere Auswirkungen auf die Bedeutung von Marken und Markenartikeln im Rahmen dieser Handelsstufe hat. Denn bei Geschäftsbeziehungen im Unternehmenskundensegment ist der Absatzförderungsnutzen aus der Verwendung einer Marke oder Warenbezeichnung i.d.R. von untergeordneter Bedeutung.1 Der Grund hierfür liegt darin, dass sog. „B2B-Geschäfte“ regelmäßig zwischen professionellen Einkaufsabteilungen abgewickelt werden, bei denen ein bestimmtes Markenimage als subjektives Kaufentscheidungskriterium ausgeblendet wird, es sei denn, es kommt gerade auf den Erwerb eines bestimmten Markenartikels (bspw. mit einer bestimmten technischen Qualität) an, der als solcher für den Weiterverkauf im Endkundensegment bestimmt ist. Vertriebsunternehmen, die innerhalb der Marktstufe „Großhandel“ angesiedelt sind, werden vornehmlich in der Rechtsform eines Eigenhändlers organisiert, da diese Betriebsform bereits aus zivilrechtlicher Sicht für eine klare Strukturierung der Vertriebsaufgaben und rechtliche Abschirmung der
1 Vgl. hierzu FG Rh.-Pf. v. 14.12.1998 – 5 K 2821/96, IStR 1999, 537; aufgehoben durch BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246.
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4.24
Kap. 4 Rz. 4.24 | Funktions- und Risikoanalyse
Verantwortlichkeiten Sorge trägt und demzufolge einem klaren Funktions- und Risikoprofil dienlich ist. Anzutreffen sind jedoch auch Großhandelstätigkeiten, die auf Kommissionärsbasis erfolgen. Ferner besteht gerade im B2B-Bereich eine sehr transparente Marktlandschaft, so dass der Kundenstamm als Wertschöpfungsfaktor i.d.R. keine große Bedeutung besitzt.1 – Zwischenhandel. Vertriebstätigkeiten im Zwischenhandel erfolgen desgleichen regelmäßig im Unternehmenskundenbereich. Im Hinblick auf die konzerninterne Strukturierung von Vertriebstätigkeiten sorgen Zwischenhändler für einen optimierten Marktzugang, indem sie lokal Marktpräsenz zeigen können, sich aufgrund ihrer (zivilrechtlichen) Eigenschaft als Eigenhändler jedoch in gezielter Weise weitere Vertriebspartner im Endkundengeschäft aussuchen. Zwischenhändler kennzeichnen sich regelmäßig durch ein vergleichsweise „schlankes“ Funktionsprofil, welches Auswirkungen auf die Unternehmenscharakterisierung hat (s. dazu im Folgenden Rz. 4.59 ff.). Ihre Aufgabe ist vornehmlich darauf gerichtet, die konzerninterne Absatzorganisation zu optimieren, ohne Endkundenkontakt aufzubauen. Zwischenhändler dienen innerhalb der konzerninternen Vertriebsstruktur daher u.a. der Verbesserung der logistischen Vertriebsvoraussetzungen für den Endkundenvertrieb. Auch bei ihnen ist die ökonomische Bedeutung des Kundenstamms i.d.R. von untergeordneter Bedeutung. – Einzelhandel. Der Vertrieb von Gütern und Waren im Bereich des Einzelhandels umfasst typischerweise das Endkunden- bzw. Verbrauchergeschäft („B2C“). Der Vertrieb auf dieser Marktstufe kennzeichnet sich dadurch, dass die Vertriebstätigkeit sich an eine Vielzahl von (potenziellen) Abnehmern richtet. Einzelhandelstätigkeiten können sowohl in der Eigenschaft als Eigenhändler, Kommissionär wie auch als Handelsvertreter betrieben werden.
4.25
Rechtliche Organisation des Vertriebs/Aktivitäten. Innerhalb des gegebenen Marktumfelds und der jeweiligen Handels- bzw. Marktstufe kommen verschiedene Eigenschaften eines Vertriebsunternehmens in Betracht. Hierbei sind folgende rechtliche Organisationsformen zu unterscheiden, die mit entsprechenden Aktivitätsprofilen verbunden sind: – Eigenhändler („Fully-Fledged Distributor“): Kundenakquisition, Lagerhaltung, Sortimentierung, Bereitstellung und Dispatching, Administrationstätigkeiten, Markterschließung, Marktpflege, Werbung/Marketing, Marktanalyse im Hinblick auf Festlegung der Preis- und Geschäftspolitik, Forderungsbeitreibung, After-Sales-Services und Gewährleistung. – Eigenhändler mit eingeschränktem Funktionsprofil („Low-Risk Distributor“ (LRD), der im Grunde kommissionärsähnlich tätig wird): Kundenakquisition, ggf. Lagerhaltung, Sortimentierung, Bereitstellung und Dispatching, Administrationstätigkeiten, ggf. Werbung, Forderungsbeitreibung, ggf. After-Sales-Services. – Kommissionär/Kommissionsagent: Kundenakquisition, Administrationstätigkeiten, Werbung, ggf. Marktpflege, ggf. Forderungsbeitreibung (vgl. § 394 HGB), ggf. After-Sales-Services.
1 Vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 220; s. auch OLG Hamm v. 6.3.1986 – 18 U 73/85, NJW-RR 1988, 550 zur Frage eines Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB bei transparenten Absatzmärkten, in denen die Anbieter und Nachfrager marktbekannt sind.
298 | Puls
B. Funktionsanalyse | Rz. 4.28 Kap. 4
– Handelsvertreter: Kundenakquisition, Administrationstätigkeiten, ggf. Werbung, ggf. Forderungsbeitreibung (vgl. §§ 86b, 87 Abs. 4 HGB). – Handelsmakler: Vermittlung von Kunden zum Zwecke des Geschäftsabschlusses, Administrationstätigkeiten, ggf. Werbung.
IV. Funktionen im Zusammenhang mit Dienstleistungserbringungen Allgemeines. Funktionen im Bereich der Erbringung von Dienstleistungen können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Die konkrete Organisationsform einer Dienstleistungserbringung hängt dabei in erster Linie von dem Leistungsgegenstand und dem angestrebten Leistungserfolg ab. In diesem Zusammenhang entscheidet sich auch, ob und in welcher Hinsicht materielle wie immaterielle Wirtschaftsgüter zur Leistungserbringung eingesetzt werden müssen. So sind z.B. Verwaltungsleistungen, die von einem verbundenen Unternehmen ausgeübt werden, als sog. Routine-Leistungen zu betrachten, die ohne den – oder durch einen geringfügigen – Einsatz werthaltiger immaterieller Wirtschaftsgüter erfolgen. Art und Umfang sowie die damit einhergehende Funktionstiefe entscheiden auch über den jeweiligen Vergütungsansatz (Rz. 4.29).1
4.26
Erscheinungsformen und Dienstleistungsfunktionen. Abzugrenzen ist die Dienstleistungserbringung zunächst von anderen Leistungsverhältnissen, bspw. Miet- oder Pachtverhältnissen, bei denen Hauptgegenstand die Überlassung eines Wirtschaftsguts zur Nutzung ist. Gegenstand einer Dienstleistungstätigkeit ist die Erbringung einer schuldrechtlich vereinbarten Tätigkeit, die für den Auftraggeber einen wirtschaftlichen Nutzen ergeben soll. Dienstleistungen können sich auf unterschiedliche Leistungsinhalte beziehen, so u.a.
4.27
– gewerbliche Dienstleistungen (z.B. Auftragsforschung, Logistik, Verwaltungsleistungen etc.); – technische Dienstleistungen (z.B. technische Planung, Engineering etc.); – sonstige Dienstleistungen (z.B. freiberufliche Leistungen, Beratungsleistungen)2. Dienstleistungsfunktionen. Diesbezüglich kann der Erbringer einer Dienstleistungstätigkeit folgende Funktionen ausüben: – Planungs- und Vorbereitungsleistungen; – Bereitschaftsleistungen („Stand-by“); – Durchführung/Abwicklung der eigentlichen Dienstleistung; – Überwachung und Dokumentation der Leistungserbringung; – Nachbereitung/„After-Sales“. Wichtig ist hierbei die sog. OECD-Definition der „Low Value Adding Services“ (LVAS – konzerninterne Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung) zu berücksichtigen. Derartige Tätigkeiten verkörpern nach OECD-Ansicht wenig wertschöpfende Tätigkeiten; ihre Ausübung verkörpert damit in der Regel keinen substantiellen Beitrag zur Unternehmensgesamtwertschöpfung. Sie weisen mithin (i) nur einen unterstützenden Charakter auf, (ii) sind nicht Teil
1 Tz. 7.43 ff., 7.49 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 21 ff.
Puls | 299
4.28
Kap. 4 Rz. 4.28 | Funktions- und Risikoanalyse
des Kerngeschäfts, (iii) erfordern nicht die Nutzung von einzigartigen und wertvollen immateriellen Werten und führen auch nicht zur Entstehung solcher sowie (iv) sind nicht mit der Übernahme oder Kontrolle wesentlicher oder signifikanter Risiken durch die Dienstleistungserbringung verbunden und führen auch nicht zur Entstehung solcher.1 Beispielhaft werden von der OECD folgende diesbezügliche Tätigkeiten aufgezählt:2 – Rechnungswesensbezogene Aktivitäten und Tätigkeiten im Bereich der Revision; – Forderungsverwaltung; – Aufgaben des Personalwesens; – IT-Dienstleistungen und juristische Dienstleistungen (einschließlich der Anmeldung und des Schutzes immaterieller Wirtschaftsgüter); – Aufgaben im Bereich der allgemeinen Verwaltungs- und Bürodienstleistungen. Ausdrücklich nicht zu den „LVAS“ sollen nach Ansicht der Finanzverwaltung Tätigkeiten in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Herstellung und Produktion sowie Verkauf, Marketing und Vertrieb gehören.3
4.29
Einsatz materieller/immaterieller Wirtschaftsgüter. Entscheidend für die „Verrechnungspreisrelevanz“ einer Dienstleistung ist im Regelfall die Verwendung von materiellen wie immateriellen Wirtschaftsgütern zur Erreichung des Leistungsgegenstands. In diesem Zusammenhang gilt, dass je intensiver der Einsatz von (im-)materiellen Wirtschaftsgütern für die Erbringung der Dienstleistung ist, desto größer muss die entsprechende Reflexwirkung auf den Vergütungsansatz sein. Insbesondere die Verwendung immaterieller Wirtschaftsgüter zur Dienstleistungserbringung beinhaltet aus Verrechnungspreissicht besondere Folgewirkungen für die Funktionstiefe des Leistungserbringers, so dass bspw. die von der OECD (und auch der deutschen Finanzverwaltung) regelmäßig favorisierte Kostenaufschlagsmethode für die Vergütung von Dienstleistungen nicht immer zu einer sachgerechten Reflektion der ausgeübten Funktionen im Hinblick auf ein fremdvergleichskonformes Vergütungsniveau des Leistungserbringers führt (Rz. 6.166). Im Grunde geht es hier um die Abgrenzung von Routinefunktionen gegenüber Funktionen, deren Ausübung für die Gesamtwertschöpfung des Leistungsempfängers eine zentralere Bedeutung haben. Beispielhaft hierfür sind Dienstleistungen in der Verwaltung von Vermögen (Asset-Management), bei denen der Asset-Manager neben der Anlageplanung auch die laufende Anlageportfolio-Überwachung und ggf. auch die erforderlichen Anlageentscheidungen nach eigenem Ermessen tätigt. Eine derartige Dienstleistungserbringung ist in hohem Maße durch den Einsatz eines entsprechenden Beratungs- und Markt-Know-hows geprägt, so dass eine ausschließliche Routinevergütung nach Maßgabe eines klassischen Cost-Plus-Ansatzes keine adäquate Reflektion der ausgeübten Funktionen und ihrer Funktionstiefe im Gesamtwertschöpfungsprozess gewährleisten würde.4 Denkbar wäre hier, die Basisfunktionen auf Grundlage der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) und alle weiteren, stärker wertschöpfungsrelevanten Tätigkeiten auf Grundlage eines Profit-Splits (Rz. 5.123 ff.) (wertschöpfungsbezogene Aufteilung des Residualgewinns) zu vergüten.
1 2 3 4
Tz. 7.45 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 7.49 OECD-Leitlinien 2022. VWG VP 2021, Rz. 3.77 unter Verweis auf Tz. 7.47 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 7.46, 7.47 OECD-Leitlinien 2022; siehe auch hierzu sog. Combined-Profit-Modelle, OECD-Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Tz. 166, 168, 175 und 177.
300 | Puls
B. Funktionsanalyse | Rz. 4.32 Kap. 4
V. Funktions- und Risikoanalyse im Bereich digitaler Geschäftsmodelle Lokalisierung der Funktionsausübung. Besondere Fragestellungen ergeben sich bei der Ausübung von Funktionen im Bereich E-Commerce, die sich vornehmlich auf die Tätigkeitsbereiche Vertrieb und Dienstleistungen beziehen (Rz. 6.675 ff.). Werden bspw. Software-Produkte zum Herunterladen aus dem Internet bereitgestellt (Software as a Service) („SaaS“), so liegt darin eine automatisierte Funktion, die – sofern das Download-Produkt einmal auf dem Download-Server platziert ist und nur bei Software-Updates aktualisiert werden muss – keine weitere Tätigkeit des Anbieters erfordert. In einer derartigen Sachverhaltskonstellation stößt die (klassische) Funktionsanalyse an ihre Grenzen, da sich die eigentlichen Funktionsbeiträge aufgrund des Zwischenschaltens beliebiger Angebotsplattformen in Gestalt von (virtuellen) Internetadressen und (physischen), örtlich nahezu beliebig anzusiedelnden Server-Stationen nicht genau identifizieren und gewichten lassen.
4.30
Reale und virtuell vorhandene Funktionen. Entscheidend ist bei derartigen Sachverhaltskonstellationen, welche ausgeübten Funktionen für das Anbieten derartig automatisierter Tätigkeiten konstitutiv wirken, d.h. die automatisierten Tätigkeiten erst ermöglichen. Die Funktionsanalyse bei virtuellen Unternehmenstätigkeiten hat vor diesem Hintergrund in besonderem Maße wertschöpfungsbezogen zu erfolgen. Das OECD-Diskussionspapier zum Thema E-Commerce und Verrechnungspreise noch aus dem Jahr 2005 scheint in dieser Frage tendenziell eine wertschöpfungsbezogene Betrachtungsweise zu favorisieren, verkörpert allerdings aufgrund seines Alters nicht mehr den aktuellen Stand der Diskussion.1
4.31
Besonderheiten digitaler Geschäftsmodelle. Im Hinblick auf die Fragestellung, ob und ggf. inwieweit sich eine Funktions- und Risikoanalyse bei sog. digitalen Geschäftsmodellen von derjenigen bei „tradierten“ (d.h. analogen) Geschäftsmodellen unterscheidet, wird weder von der OECD noch von der deutschen Finanzverwaltung beantwortet. Gegenwärtig dreht sich die Diskussion vorwiegend um die grundsätzlichen Fragestellungen zur Besteuerung der Digitalwirtschaft („OECD Pillar 1“), die hier nicht näher betrachtet werden kann.2 Wesentliche Kennzeichnung von digitalen Geschäftsmodellen ist zum einen der hohe Grad an Automatisierung der Unternehmenskernfunktionen sowie eine hohe Vernetzung aller Unternehmensprozesse, auch ggü. dem Markt (d.h. ggü. Zulieferern und Kunden). Im Vordergrund dieser Geschäftsmodelle steht ferner auch die datenbezogene Wertschöpfung. Hierbei ist insbesondere wichtig ausfindig zu machen, wo die entscheidenden Werttreiber ansässig sind: Diese sind regelmäßig in erster Linie die sog. „Significant People Functions“ (SPF) sowie die dazugehörigen eingesetzten immateriellen Vermögenswerte (Software, Prozess-Know how, Algorithmen etc.), die für das digitale Geschäftsmodell kernwerttreibend sind. Im Rahmen einer Funktionsund Risikoanalyse eines entsprechenden Unternehmens ist daher u.a. besonderes Augenmerk darauf zu legen, wie die SPF die digitalen Geschäftsprozesse beeinflussen und fortentwickeln: So kann bspw. der in § 6 BsGaV niederlegte Gedanke einer Zuordnung von immateriellen Werten bei Betriebsstättensachverhalten auch im Hinblick auf die Frage nach der Funktionsund Risikoanalyse bei digitalen Geschäftsmodellen Anhaltspunkt für die Funktionstiefe und damit für die Wertschöpfungsrelevanz sein: Denn bspw. die Fragestellungen nach der Schaffung einer bestimmten Softwarearchitektur und deren Wartung, Verbesserung und ggf. Anpassung (vgl. dazu den DEMPE-Ansatz, Rz. 6.565 ff.) an technologische oder marktbedingte Entwicklungen sind in der Regel mit einem „human impact“ in Gestalt entsprechender „SPF“
4.32
1 OECD Tax Policy Study E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, Tz. 11, 199. 2 Siehe OECD Bericht v. 20.12.2021, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules; abrufbar unter www.oecd.org/tax.
Puls | 301
Kap. 4 Rz. 4.32 | Funktions- und Risikoanalyse
verbunden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit dieser Funktion die ausschließliche Bedeutung im Rahmen eines digitalen Geschäftsmodells zukommen kann. Digitale Geschäftsmodelle in ihren unterschiedlichen Ausprägungen (z.B. Online-Vertrieb, Medien-Streaming, Cloud Servicing, Remote-Software- und Hardware-Wartungen etc.) sind in ihrer Gesamtheit sehr komplex, so dass sie in der Regel nicht auf einen singulären Werttreiber reduziert werden können; sie bestehen aus einer Vielzahl von (wichtigen) Funktionen und eingesetzten immateriellen Vermögenswerten. Zu berücksichtigen ist auch, dass die OECD und die deutsche Finanzverwaltung bei personalfunktionslosen Betriebsstätten – d.h. im Hinblick auf eine automatisierte, ggf. digital organisierte Unternehmenstätigkeit – ein Abweichen vom Grundmaßstab einer sich an den SPF orientierenden Zuordnung von Wirtschaftsgütern zulassen wollen.1 Auch die Frage nach der Risikozuordnung bedarf daher einer sehr differenzierten Betrachtungsweise. Hierbei sollten die tradierten Grundsätze der Funktions- und Risikoanalyse Anwendung finden, jedoch immer unter Berücksichtigung spezifischer Merkmale digitaler Geschäftsmodelle. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang u.a. betont, dass aufgrund des Fehlens eines unmittelbaren Personaleinsatzes die vertragliche Zuordnung von Funktionen und Risiken bei der Funktions- und Risikoanalyse bei digitalen Geschäftsmodellen eine zentrale Bedeutung einnehmen müsse.2
VI. Verlagerung von Funktionen 4.33
Auswirkungen auf das Funktionsprofil. Die (steuerlich relevante) Verlagerung von Funktionen i.S.d. § 1 Abs. 3b AStG (in der Fassung ab VZ 2020) hat selbstredend Auswirkungen auf die Funktions- und Risikoausstattung eines Unternehmens (vgl. grds. zu Funktionsverlagerungen Rz. 7.1 ff.). Werden Funktionen verlagert, so hat dies – je nach Intensität und Bedeutsamkeit der verlagerten Funktionen für die Gesamtwertschöpfung – spiegelbildliche Auswirkungen auf die Unternehmenscharakterisierung und infolgedessen auf die Verrechnungspreisbestimmung. Insoweit ist es von besonderer Bedeutung, dass geprüft wird, ob durch die Funktionsverlagerung die noch verbleibenden Funktionen in ihrer Bedeutung und ihrem Funktionswert für die Gesamtwertschöpfung eines Unternehmens verändert, ggf. geschmälert wurden.
4.34
Einfluss auf das Funktionsprofil bei Nichtvorliegen einer Funktionsverlagerung nach § 1 Abs. 3b AStG (in der Fassung ab VZ 2022). Auch wenn mangels Transfers von Gewinnpotenzial keine tatbestandliche Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3b AStG n.F. gegeben ist, kann sich die Veränderung von Funktionsprofilen auf die Verrechnungspreisbestimmung auswirken.3 Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn – innerhalb einer Unternehmensgruppe organisationsrechtliche Aufgaben neu zugeteilt werden, ohne (materielle oder immaterielle) Wirtschaftsgüter zu übertragen oder zu überlassen oder – Personal innerhalb der Unternehmensgruppe entsandt oder versetzt wird, ohne dass in diesem Zusammenhang wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter mit übergehen. 1 Dazu BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03; BStBl. I 2017 S. 182; ergänzt durch BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/19/10010 :003, BStBl. I 2020, 84 unter Verweis auf den OECDBetriebsstättenbericht 2010, Tz. 65, 77. 2 Siehe Grotherr, FR 2021, 1097 (1107). 3 Zu den Neuerungen bei der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3b AStG allgemein Grotherr, DStZ 2022, 35 f.
302 | Puls
B. Funktionsanalyse | Rz. 4.35 Kap. 4
Denn durch die Veränderung der Organisationsstruktur kann u.U. die Funktionstiefe oder die Fähigkeit, maßgeblichen Einfluss auf die Risikokontrolle einer Funktion auszuüben, betroffen sein. Dies kann u.U. signifikanten Einfluss auf die Positionierung einer Funktion innerhalb der Unternehmensgesamtwertschöpfungskette haben. Sicherstellung der Funktions- und Risikoadäquanz. In derartigen Fällen ist gleichwohl sicherzustellen, dass die angewendete Verrechnungspreismethode und die damit erzielten Vergütungen (immer noch) als funktions- und risikoadäquat betrachtet werden können. Insbesondere die OECD-Leitlinien 2022 zählen bei der sog. Funktionsänderung zahlreiche Beispiele auf, die durch einen erheblichen Einfluss auf das Funktions- und Risikoprofil des betreffenden Unternehmens gekennzeichnet sind, bspw. die Umwandlung von Eigenhändlern in sog. risikoarme Vertriebsunternehmen, die Umwandlung von Eigenproduzenten in Auftragsfertiger oder die Zentralisierung von Funktionen in regionalen bzw. zentralen Konzerneinheiten mit einer entsprechenden Verringerung des dezentral ausgeübten Funktionsspektrums (z.B. in den Bereichen Beschaffung, Vertriebsunterstützung und Lieferkettenlogistik).1 Derartige Funktionsänderungen bzw. Funktionsabschmelzungen haben erhebliche Auswirkungen auf das Funktions- und Risikoprofil der betroffenen Konzernunternehmen und bedürfen einer entsprechenden Analyse, die bereits vor dem Hintergrund der sodann anzuwendenden Verrechnungspreismethodik erforderlich ist.
VII. Funktions- und Risikoanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation Verpflichtungen nach der GAufzV. Nach § 4 Abs. Nr. 3 GAufzV ist der Steuerpflichtige dazu angehalten, in der Verrechnungspreisdokumentation (landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation, „Local File“) auch eine Funktions- und Risikoanalyse durchzuführen, um die wirtschaftlichen sowie organisatorischen Begleitumstände und Rahmenbedingungen von Geschäftsvorfällen mit verbundenen Parteien erläutern zu können (vgl. grds. zur Verrechnungspreisdokumentation Rz. 8.1 ff.). Hierzu gehört eine Darstellung von Informationen der im Rahmen der Geschäftsbeziehungen ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken zu Beginn eines Prüfungszeitraums sowie über die Veränderungen dieser Funktionen und Risiken innerhalb des Prüfungszeitraums. Ferner müssen die eingesetzten wesentlichen Vermögenswerte dargelegt werden, ebenso die vertraglichen Grundlagen der eingegangenen Geschäftsbeziehungen, die Geschäftsstrategie(n) sowie die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, die für das Sachverhaltsverständnis notwendig sind. Dies erinnert an die eingangs erfolgten Ausführungen zur Vergleichsbarkeitsanalyse aus OECD-Perspektive. Zielsetzung der Verrechnungspreisdokumentation ist es daher auch, der Finanzverwaltung die Grundlagen der Vergleichbarkeit der Bedingungen und Preise von grenzüberschreitenden konzerninternen Geschäftsvorfällen mit denjenigen, die sich zwischen fremden Dritten ereignen, darzulegen. Ferner ist nach der Anlage zu § 5 GAufzV (dort Tz. 7) eine sog. zusammenfassende Funktionsanalyse im Rahmen der Stammdokumentation („Master File“) anzufertigen (siehe oben Rz. 4.14). In dieser zusammenfassenden Funktionsanalyse sind die Hauptbeiträge der einzelnen Konzerneinheiten zur Wertschöpfung zu beschreiben (sog. Schlüsselfunktionen), ebenso wie die wichtigen übernommenen Risiken sowie die wichtigen genutzten (materiellen wie immateriellen) Vermögenswerte.
1 Vgl. Tz. 9.15 f., 9.23 OECD-Leitlinien 2022.
Puls | 303
4.35
Kap. 4 Rz. 4.36 | Funktions- und Risikoanalyse
4.36
Art der Darstellung. Zulässig ist die Darstellung der Funktions- (wie auch der Risiko-) Verteilung auf Grundlage eines sog. „Star-Charts“, einer Matrixdarstellung, aus der übersichtsartig die einzelnen wahrgenommenen Funktionen sowie die entsprechenden Risiken ersichtlich werden. Im Hinblick auf die Praxis ist allerdings anzuraten, die Funktionsbeiträge sowie Funktionswerte der Transaktionsparteien weitergehend zu erläutern, da die Erkenntnisse aus der Funktions- (wie auch der Risiko-) Analyse regelmäßig besondere Bedeutung für die Anerkennung der gewählten Verrechnungspreismethode haben.
C. Risikoanalyse I. Einfluss des Risikoprofils auf die Verrechnungspreisbestimmung 4.37
Grundsätze. Ähnlich wie das Vorhandensein von Funktionen und der mit ihnen verbundenen Möglichkeiten, durch Ausübung der Funktion einen Beitrag zur Wertschöpfung eines Unternehmens zu leisten, haben auch die wirtschaftlichen Risiken Einfluss auf die Wertschöpfungsmöglichkeiten. Mit der Ausübung einer betrieblichen Funktion ist – ökonomisch betrachtet – neben einer entsprechenden, dahinterstehenden Chance eines Wertzuwachses auch das „Risiko“ eines Wertverlustes verbunden (bspw. Absatzrisiken im Vertriebsbereich). Durch die Verhinderung der Materialisierung eines wirtschaftlichen Risikos wird spiegelbildlich ein positiver Beitrag zur Wertschöpfung erzielt, der für die Wertentwicklung eines Unternehmens zu berücksichtigen ist.1 Vor diesem Hintergrund hat – wie sich zeigen wird – die OECD den Bereich der Analyse von Risiken durch den sog. „Control-Over-Risk“-Ansatz auf Basis der aktuellen OECD-Leitlinien 2022 erheblich gestärkt. Die Ausübung einer Funktion sowie die Betrachtung des mit der Funktionsausübung implizierten Risikos sind daher stets gemeinsam zu betrachten. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Risiken automatisch den vorhandenen Funktionen folgen müssen.2
4.38
Vorliegen eines Risikos. Klärungsbedürftig ist zunächst die Frage, wann von einem Risiko im eigentlichen Sinne ausgegangen werden kann. Abzugrenzen ist der Begriff des „Risikos“ vom allgemeineren Begriff der „Unsicherheit“. Ein Risiko ist immer dann gegeben, wenn eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ereignisses gegeben ist, welches sich nachteilig auf Vermögenspositionen des Steuerpflichtigen auswirken kann.3 Aus ökonomischer Perspektive handelt es sich bei einem Risiko mithin um eine – aufgrund fehlender Informationen bestehende – Unsicherheit über den Eintritt eines nachteiligen Ereignisses und der dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigung unternehmerischer Zielsetzungen.4 Der Risikobegriff ist damit auch aus steuerlicher Sicht ein Produkt aus Schadenseintrittswahrscheinlichkeit und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgewirkungen. Wichtig ist diese Erkenntnis im Hinblick auf entsprechende Risikoeinschätzungen im Rahmen von Risikomanagementsystemen, deren Umsetzbarkeit wiederum Einfluss auf die Margenkalkulation eines Unternehmens hat.
1 Siehe zur Frage der konzerninternen Risikoallokation im internationalen Steuerrecht allgemein auch Schön, StuW 2015, 69 f. 2 Siehe auch Wellens/van der Ham, DB 2012, 1534. 3 Vgl. grundlegend Mikus in Götze/Henselmann/Mikus, Risikomanagement, 2001, 5 f. 4 Vgl. abermals Mikus in Götze/Henselmann/Mikus, Risikomanagement, 2001, 5, 7 f.
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C. Risikoanalyse | Rz. 4.41 Kap. 4
Abgrenzung zwischen Risikoart und -umfang. Im Rahmen der Risikoanalyse ist zunächst festzustellen, welches Risiko einer bestimmten Funktionsausübung zuzuordnen ist. In einem zweiten Schritt ist festzustellen, wie hoch die Eintrittswahrscheinlichkeit anzusehen ist und welche wirtschaftlichen Nachteile durch die Materialisierung des Risikos eintreten können. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, die einzelnen Risiken funktionsbezogen zu betrachten, da im Rahmen der Risikoanalyse weniger das Gesamtunternehmerrisiko im Vordergrund steht als die spezifischen Risikopositionen, die mit der Ausübung jeder betrieblichen Funktion konkret verbunden sind.
4.39
Risikoexposition/Risikosteuerung. Ausgangspunkt einer Risikoanalyse ist zunächst die Frage nach der Risikoexposition. Daran schließt sich die Untersuchung der Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos bzw. die Darstellung auf Basis eines Risikomaßes (z.B. Value-at-Risk im Finanzbereich) an. Im Hinblick auf das Produktportfolio eines Unternehmens bedeutet dies z.B., dass Portfoliowertschwankungen aufgrund von Nachfrage- und Preisentwicklungen einer bestimmten Intensität unterliegen müssen, die statistisch durch die Kennzahl der Varianz erfasst wird. In diesem Zusammenhang wird im Hinblick auf die Messung und Aggregation verschiedener Risiken vor allem im Finanzsektor auf Portfolioebene der sog. „Value-at-Risk-Ansatz“ (VaR) angewandt, wonach Aussagen über die möglichen wirtschaftlichen Veränderungen von Vermögenspositionen eines Unternehmens bei einem normalen Marktverlauf getroffen werden können. Darüber hinaus bestehen eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten einer quantitativen Risikomessung, u.a. Maximalverlust- oder Kennzahlen-basierte Risikomessungsansätze. Für das Unternehmen bedeutet dies, dass es geeignete Maßnahmen der Risikopolitik treffen muss, d.h. es ist festzulegen, welche Risiken eingegangen werden dürfen und welchen Umfang diese Risiken letztlich haben dürfen (strategische Steuerung der Risikoausmaße). In diesem Zusammenhang spielen eine Reihe unterschiedlicher Faktoren eine Rolle, wie z.B. die Eigenkapitalausstattung des Unternehmens, die Ertragsstärke, die Einschätzung künftiger Marktentwicklungen, jedoch auch das Festlegen von bestimmten Verlustobergrenzen (die z.B. letztlich dazu führen, dass die Produktion und der Vertrieb bestimmter Produkte eingestellt wird).1 Es ist ausschließlich Aufgabe der Unternehmensleitung, die Eckpfeiler dieser strategisch motivierten Risikosteuerung vorzunehmen; die Finanzverwaltung darf diese aus der unternehmerischen Dispositionsfreiheit folgende Einschätzung nicht anzweifeln. Entsprechende Entscheidungen zur Risikosteuerung (und zur Risikoaufteilung bzw. Risikoallokation innerhalb grenzüberschreitend tätiger Konzernunternehmen) sind daher grundsätzlich von der Finanzverwaltung anzuerkennen.
4.40
Rolle des Risikos in den OECD-Leitlinien 2022. Nach Auffassung der OECD ist der Aspekt der Risikokontrollmöglichkeit bei der Überprüfung einer vom Steuerpflichtigen behaupteten Risikoaufteilung im grenzüberschreitend tätigen Konzern von besonderer Relevanz.
4.41
Den Kern bildet hierbei – auch nach Ansicht der deutschen Finanzverwaltung – der Risikokontrollansatz („control-over-risk“), wonach eine Zuordnung von Risiken auf Grundlage von (Personal-)Funktionen zur Kontrolle der Risiken erfolgt. Des Weiteren sind die finanziellen Mittel zur Übernahme von Risiken betrachtungsentscheidend. Kontrolle wird dabei von der OECD wie folgt definiert: Es muss sich um die Fähigkeit handeln, darüber zu entscheiden, Risiken einzugehen und Risiken zu „managen“; jene Entscheidungsfunktionen müssen auch tatsächlich ausgeübt werden.2 Vor diesem Hintergrund muss mithin analysiert werden, welche 1 Vgl. hierzu am Beispiel von Energiehandelsmärkten Lintzel/Borchert in Zenke/Schäfer, Energiehandel in Europa2, Kap. 3 § 13 Rz. 12 f. 2 Tz. 1.61, 1.65 f. OECD-Leitlinien 2022.
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Kap. 4 Rz. 4.41 | Funktions- und Risikoanalyse
an dem Geschäftsvorfall beteiligten Parteien über die personellen Ressourcen sowie die tatsächliche Möglichkeit zur Kontrolle von Risiken und die finanziellen Mittel zur Tragung von Risiken verfügen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Entscheidungsträger die notwendigen Erfahrungen und Kompetenzen haben und über eine ausreichende Informationsbasis verfügen (siehe dazu im Folgenden).1 Eine Zurechnung eines Risikos kann nach OECD-Auffassung mithin dann erfolgen, wenn eine Risikokontrolle durch die Ausführung von sog. Risikomanagementfunktionen erfolgt.2 Die deutsche Finanzverwaltung schließt daraus, dass (i) die vorgenannte Risikomanagementfunktion sowie (ii) die finanzielle Tragfähigkeit eines materialisierten Risikos gemeinsam bei einer Transaktionspartei liegen müssten, um eine entspreche Risikoallokation rechtfertigen zu können.3 Im Hinblick auf die Fähigkeit zur finanziellen Tragung sich materialisierender Risiken gilt, dass die risikotragende Partei Zugang zu entsprechenden Finanzmitteln haben muss, so dass sie entsprechende Risikomitigierungsmaßnahmen durchführen und ein sich materialisierendes Risiko auch tatsächlich tragen kann.4 Nach Ansicht der OECD sollen hierbei die eigenen Vermögenswerte sowie die Möglichkeiten zu weiterem Zugang zu Finanzmitteln (z.B. Darlehen) entscheidend sein. Sofern konzernintern diesbezüglich eine Finanzierungsunterstützung erfolgt („intra-group funding“), so soll dies nicht dazu führen, dass eine Delegation des „finanzierten Risikos“ an die finanzierungsunterstützende Partei (z.B. Konzernmuttergesellschaft) erfolgt. Wird die Fähigkeit zur Tragung des Risikos allerdings nur durch das „intra-group funding“ ermöglicht, so soll nach OECD-Ansicht eine weitere Analyse erfolgen, die ggf. zu einer Umqualifizierung (siehe dazu Schritt 5 des OECD-Prüfungsschemas unten) führen kann. Ob und inwieweit der (abstrakte) Konzernrückhalt im Zusammenhang mit einem konkreten „intra-group funding“ zur Finanzierung der Risikotragungsfähigkeit eine Rolle spielt, wird in den OECD-Leitlinien 2022 nicht näher erläutert. Insoweit wird es vermutlich darauf ankommen, ob das Konzernunternehmen, welches über die finanzielle Risikotragungsfähigkeit verfügen soll, erst durch den Konzernrückhalt zur wirtschaftlichen Risikotragung befähigt wird; dies setzt allerdings in der Regel voraus, dass insoweit konkrete, zivilrechtlich durchsetzbare Unterstützungsmaßnahmen (z.B. in Gestalt einer Garantie oder eines harten Patronats durch die Konzernmuttergesellschaft) erfolgen. Ein nur abstrakt bestehender, allgemeiner Konzernrückhalt kann daher u.U. keinen Einfluss auf die Analyse der finanziellen Risikotragungsfähigkeit haben.
4.42
Prüfungsschema der OECD. Wie oben bereits erwähnt, hat die OECD ein sehr dezidiertes Prüfungsschema im Hinblick auf die Fragestellung nach der Allokation von Risiken auf verbundene Unternehmen im Rahmen ihrer grenzüberschreitenden Geschäftsvorfälle entwickelt:5 1. Schritt – Identifizierung der wirtschaftlich signifikanten Risiken: In Kapitel I.D.1.2.1.1 der OECD-Leitlinien 2022 werden verschiedene Risiken beschrieben, die häufig für die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise relevant sein können. Dabei unterstellt die OECD grundsätzlich eine positive Korrelation zwischen einer Risikoübernahme und der erwarteten Rendite aus einem grenzüberschreitenden Geschäftsvorfall zwischen Konzernunternehmen. Dies ist jedoch nicht pauschal bei jedem Risikotyp anzunehmen, es ist viel1 2 3 4 5
VWG VP 2021, Rz. 3.5 und 3.6. Tz. 1.56, 1.61 OECD-Leitlinien 2022. VWG VP 2021, Rz. 3.5. Tz. 1.64 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.64 ff. OECD-Leitlinien 2022.
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C. Risikoanalyse | Rz. 4.42 Kap. 4
mehr eine Unterscheidung zwischen sog. systematischen und sog. unsystematischen Risiken (versicherungsfähig und damit diversifizierbar) vorzunehmen. Während für sog. unsystematische Risiken höchstens eine Vergütung in Höhe der Versicherungsprämie anzunehmen ist, sind systematische Risiken darüber hinaus entsprechend ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und finanzieller Auswirkungen bei Materialisierung im Rahmen der Vergütungsbemessung zu berücksichtigen. 2. Schritt – Bestimmung der vertraglichen Verteilung der identifizierten Risiken: In Schritt 2 (Kapitel I.D.1.2.1.2 der OECD-Leitlinien 2022) werden die vertraglichen Bedingungen für die Risikoallokation identifiziert, hierfür sind insbesondere schriftliche Vereinbarungen (Intercompany-Verträge) oder – falls schriftliche Verträge nicht vorhanden sind – das tatsächliche Verhalten der betroffenen Parteien relevant. Jene vertragliche Risikoverteilung soll durch die folgenden Prüfungsschritte einer Analyse unterzogen werden, ob die Risikozuordnung auch der tatsächlichen Funktionsausübung und der Entscheidungsbefugnisse der Parteien im Hinblick auf die betreffenden Risiken entspricht. 3. Schritt – Durchführung einer Funktionsanalyse bezüglich der identifizierten Risiken, insbesondere Bestimmung der Parteien, welche die Steuerung und Kontrolle der Risiken übernehmen, die damit verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen tragen und über die finanzielle Kapazität zur Tragung der Risiken verfügen (vgl. OECD-Leitlinien 2022, Kapitel I.D.1.2.1.3): In diesem Zusammenhang ist vor allem ausschlaggebend, welche Konzerneinheit im Rahmen eines Risikomanagements in der Lage ist, die für den Geschäftsvorfall signifikanten Risiken zu kontrollieren und über Risikosteuerungsmaßnahmen zu entscheiden.
Die OECD-Leitlinien 2022 definieren den Begriff des „Risikomanagements“ mithin als Funktion, welche im Hinblick auf eine bestimmte Transaktion die erforderliche Risikoeinschätzung vornimmt und im Falle eintretender Risiken Gegenmaßnahmen einleitet. Ein tatbestandliches Risikomanagement soll daher nach OECD-Ansicht zum einen die personelle Fähigkeit sowie auch die tatsächliche Durchführung von risikorelevanten Unternehmensentscheidungen beinhalten.1 Das Risikomanagement besteht nach OECD-Auffassung aus den folgenden drei Komponenten: – Entscheidungsbefugnis über die Annahme oder Ablehnung risikobehafteter Geschäftschancen; – Entscheidungsbefugnis, ob und wie auf eingetretene Risiken reagiert werden soll; – Fähigkeit zur Vornahme risikomindernder Maßnahmen; die bloße Erarbeitung von bloßen Richtlinien zur Risikominimierung soll dabei nicht relevant sein.2 Der Begriff des Risikomanagements ist daher nicht gleichzusetzen mit der Frage nach der Tragung eines sich materialisierenden Risikos. Dies ist insoweit von Bedeutung, als Risikomanagementtätigkeiten in Gestalt entsprechender betrieblicher Funktionen vor allem im sog. Tagesgeschäft auch „outgesourct“ werden können.3 Gleichwohl müssen die maßgeblichen Entscheidungen (z.B. strategische Risikopositionierung) als Bestandteil der Risikokontrolle vom outsourcenden Konzernunternehmen selbst ausgeübt werden.4 Im Hinblick auf die Fähigkeit zur Risikokontrolle ist nach OECD-Auffassung erforderlich, dass entsprechende fachliche 1 2 3 4
Vgl. Tz. 1.92 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.76 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.63 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.93 OECD-Leitlinien 2022.
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Kap. 4 Rz. 4.42 | Funktions- und Risikoanalyse
Kompetenz und entsprechende Erfahrung („competence and experience“) bei dem risikokontrollausübenden Personal vorhanden sein muss; jenes Personal muss Zugang zu entsprechenden Informationen haben und dazu imstande sein, diese Informationen zu analysieren und auszuwerten.1 Erfolgt ein entsprechendes Outsourcing, so führt dies nicht eo ipso dazu, dass das outgesourcte Risikomanagement keine Konsequenzen mehr für die outsourcende Partei haben kann, d.h. hierdurch kann die sog. Risikokontrollfunktion der outsourcenden Partei nicht verneint werden, solange die outsourcende Partei die Letztentscheidungsbefugnis im Hinblick auf risikorelevante Entscheidungen hat.2 Ist ein Risiko nicht beeinflussbar (und mithin nicht steuerbar), so wird dadurch eine entsprechende Risikokontrollfunktion nicht hinfällig: Ausreichend ist nach OECD-Ansicht insoweit, dass die entsprechende Kontrollfähigkeit und Entscheidungsbefugnis dem Grunde nach bestanden hat.3 Insoweit besteht auch kein zwingender Grund, in tatsächlicher Hinsicht Tätigkeiten zur Risikomitigierung vorzunehmen; es ist ausreichend, wenn ein Risiko beobachtet und ggf. auf entsprechende Mitigierungsmaßnahmen bewusst verzichtet wird; dies obliegt in Gänze der unternehmerischen Dispositionsfreiheit.4 4. Schritt – Abgleich der vertraglichen Risikoverteilung (aus Schritt 2) mit der tatsächlichen Funktionsverteilung im Hinblick auf die Risiken (aus 3. Schritt): Soweit die tatsächliche Funktionsverteilung mit der vertraglichen Allokation der Risiken übereinstimmt und die risikotragende Partei auch die finanziellen Ressourcen (Kapazität zur Risikotragung im Falle einer Materialisierung) zur Risikotragung hat, ist die Risikoverteilung der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise zugrunde zu legen (vgl. Kapitel I.D.1.2.1.4 der OECD-Leitlinien 2022). Die dann noch folgenden Schritte 5 und 6 sind mithin nur relevant, wenn eine Partei keine Kontrolle über Risiken ausübt oder über keine finanziellen Ressourcen zur tatsächlichen Risikotragung verfügt: 5. Schritt – Sollte die schriftliche Vereinbarung von dem tatsächlichen Verhalten der Transaktionsparteien, insbesondere von der Fähigkeit einer Partei zur Risikotragung abweichen, kann nach OECD-Auffassung für steuerliche Zwecke eine Umqualifizierung der vertraglichen Risikoverteilung im Einklang mit den tatsächlichen Umständen vorgenommen werden (vgl. Kapitel I.D.1.2.1.5 der OECD-Leitlinien 2022). Diese Form der Re-Charakterisierung von konzerninternen Geschäftsvorfällen im Hinblick auf ihre vertraglich vereinbarten Risikokomponenten wird von der Literatur teilweise sehr kritisch betrachtet; insoweit wird angeführt, dass hierdurch latent eine Abkehr der Zuordnung von Verrechnungspreisergebnissen an das rechtliche bzw. wirtschaftliche Eigentum stattfinde.5 Insoweit wird auch die Frage aufgeworfen, ob hierfür – im Hinblick auf das deutsche Steuerrecht – eine ausreichende Rechtsgrundlage für derartige Umqualifizierungen vorliege.6 Die deutsche Finanzverwaltung dürfte sich auf den Standpunkt stellen, dass die Rechtsgrundlage in § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG zu erblicken ist, wonach die Zuordnung von Risiken dem Fremdvergleich zu entsprechen hat. Gleichwohl ist die in der Literatur geäußerte Kritik nicht unberechtigt, da zu befürchten ist, dass sich die Finanzverwaltung in der Praxis zuweilen als der „bessere Unternehmer“ positionieren könnte, 1 2 3 4 5 6
Tz. 1.66 S. 2 f. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. dazu Tz. 1.61, 1.65 Satz 3 f. OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.71 OECD-Leitlinien 2022. Siehe Grotherr, FR 2021, 1097 (1102) unter Verweis auf Tz. 1.71 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Bärsch/Luckhaupt/Schulz, Ubg 2014, 40; Greinert/Metzner, Ubg 2014, 60. Ausdrücklich Grotherr, FR 2021, 1097 (1098).
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C. Risikoanalyse | Rz. 4.43 Kap. 4
der Risiken – abweichend von vertraglichen Vereinbarungen – so zuordnet, dass diese zu fiskalisch möglichst ertragreichen Ergebnissen führen (insbesondere in Fällen, in denen keine Kontrolle über ein Risiko ausgeübt werden kann).1 6. Schritt – Nachdem unter Schritt 5 eine entsprechende Umqualifizierung des Geschäftsvorfalls vorgenommen wurde, ist in einem weiteren Schritt für den dergestalt umqualifizierten Geschäftsvorfall ein angemessener Verrechnungspreis unter Berücksichtigung der tatsächlichen Risikoverteilung zwischen den Parteien zu ermitteln (vgl. Kapitel I.D.1.2.1.6 der OECD-Leitlinien 2022). Folgerungen für die Praxis. Die oben dargestellte Risikoanalyse aus OECD-Perspektive erfordert eine dezidierte Untersuchung der Risikokontroll- und Risikosteuerungsmöglichkeiten im grenzüberschreitenden Konzern, da der Control-Over-Risk-Ansatz nach den OECD-Leitlinien 2022 auf jedwede grenzüberschreitende Transaktion (z.B. Warenlieferung, Dienstleistung, konzerninterne Finanzierung, Lizenzgewährung etc.) im Konzern Anwendung findet. Insbesondere ist hierbei relevant, welche Personalfunktionen im Bereich der Risikoidentifikation und Risikosteuerung auf Ebene welcher Konzerneinheiten angesiedelt sind. Problematisch sind Tätigkeiten im Bereich der Risikosteuerung, wenn diese im Schnittstellenbereich zwischen der operativen Geschäftssteuerung und der Überwachung der operativen Tätigkeiten aus Gesellschafterperspektive („shareholder view“) erfolgen. Denn die Risikoübernahme steht betriebswirtschaftlich – wie oben dargelegt – in Korrelation zu der Renditeerwartung an einen Geschäftsvorfall; die Risikozurechnung anhand der Kontrolle und Einflussnahmemöglichkeit entscheidet daher u.a. über die Ertragsberechtigung an dem aus einem Geschäftsvorfall resultierenden Ergebnis. Die Risikokontrolle und -steuerung in den nachstehenden Bereichen ist – in der Regel – Ausfluss der Gesellschafterkontrolle und kann daher ggf. nicht im Zusammenhang mit der operativen Risikosteuerung des Kerngeschäfts eines Unternehmens im Sinne der Tz. 1.61 ff. der OECD-Leitlinien 2022 stehen: – Strategisches Risiko oder Marktrisiko: Externe Risiken, die durch das wirtschaftliche Umfeld, politische und regulatorische Ereignisse, den Wettbewerb, den technologischen Fortschritt oder soziale und ökologische Veränderungen verursacht werden (die Beurteilung solcher Unsicherheitsfaktoren kann ausschlaggebend für die Definition der Produkte und Märkte sein, die das Unternehmen anvisiert, sowie für die Fähigkeiten, die es benötigt, einschließlich Investitionen in immaterielle Werte und materielle Wirtschaftsgüter sowie in die Talente seiner Mitarbeiter); – Infrastrukturrisiko bzw. innerbetriebliches Prozessrisiko: Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Geschäftsdurchführung (d.h. Effektivität der Prozesse und Abläufe); Gesamtunternehmensbezogene Risiken: Z.B. Risiken in Bezug auf die Fähigkeit des Gesamtunternehmens, die Liquidität, Cashflows, die finanzielle Leistungsfähigkeit und die Kreditwürdigkeit zu steuern (entsprechende Unsicherheiten können extern bedingt sein, bspw. durch konjunkturell adverse Entwicklungen und wirtschaftliche Krisen; sie können aber auch intern motiviert sein, z.B. als Folge von Infrastruktur- oder operationellen Risiken); – Unfall- und Katastrophenrisiken: Wirtschaftlich ungünstige externe Ereignisse, die Schäden oder Verluste verursachen können, einschließlich Unfälle und Naturkatastrophen.
1 Siehe Grotherr, FR 2021, 1097 (1109).
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4.43
Kap. 4 Rz. 4.43 | Funktions- und Risikoanalyse
In diesem Zusammenhang ist grundsätzlich zu bedenken, dass gesellschaftsrechtliche Verpflichtungen zum Unterhalten eines entsprechenden gesellschafterbezogenen Risikomanagements (als Ausfluss der Gesellschafterstellung) bestehen. Das Vorhandensein eines entsprechenden Risikomanagements zur Prävention und Abwehr sog. Bestandsrisiken ist bspw. gesellschaftsrechtlich nach Maßgabe der §§ 91, 93 AktG verpflichtend, es dürfte in seinen Grundprinzipien jedoch für alle Gesellschaftsrechtsformen gelten. Das gesellschaftsrechtlich gebotene Tätigwerden einer Konzerneinheit kann daher ggf. nicht zu einer Zuordnung der Risikokontrollfunktion im Sinne der Tz. 1.61 ff. der OECD-Leitlinien 2022 führen; es kann sich hierbei um eine reine „Gesellschafter- bzw. Organfunktion“ handeln, nicht um eine – nach den OECD-Leitlinien 2022 jedoch erforderliche – „Unternehmerfunktion“ im Bereich der Risikokontrolle. Handelt eine Konzerneinheit (regelmäßig die Konzernmuttergesellschaft) mithin im Rahmen ihrer gesellschaftsrechtlichen Organisationspflicht, so liegt in der Regel kein operationelles Risikomanagement – das aus steuerlicher Verrechnungspreissicht auch nach den OECD-Leitlinien 2022 entscheidend ist – vor.1 Vor diesem Hintergrund ist jeder Einzelfall gerade im grenzüberschreitend tätigen Konzern genau zu analysieren und zu bewerten.
4.44
Folgen einer steuerlich anzuerkennenden Risikoallokation. Ist die gegebene Risikoallokation für steuerliche Zwecke anzuerkennen, weil sie als solche fremdvergleichskonform erscheint, so sollen sich nach OECD-Auffassung grundsätzlich folgende Konsequenzen ergeben: – Die risikotragende Partei hat den Aufwand des Risikomanagements oder der Risikominimierung (z.B. durch Hedging-Maßnahmen oder durch entrichtete Versicherungsprämien) sowie den Gesamtaufwand aus einer Risikomaterialisierung (z.B. wertlos gewordenes Lagerinventar) zu tragen.2 – Die risikotragende Partei hat grundsätzlich einen Anspruch auf eine höhere Rendite.3 – Entscheidend ist nach OECD-Ansicht allerdings stets, dass ein Risiko von einer wirtschaftlich signifikanten Bedeutung ist und im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Auswirkungen, seine Eintrittswahrscheinlichkeit, seine Vorhersehbarkeit sowie seine etwaige Steuerbarkeit identifizierbar ist.4
II. Identifikation von betrieblichen Risiken 4.45
Abgrenzung. Die einem Unternehmen bei der Ausübung seiner Tätigkeit begegnenden Risiken lassen sich grob in zwei Unterformen kategorisieren. Zum einen ist dies die Gruppe der originär betrieblichen Risiken, d.h. solcher Risiken, die aus der Tätigkeitsausübung selbst resultieren (bspw. Produktstrategierisiko, Finanzierungsrisiko, Personalauswahlrisiko etc.). Die andere Risikogruppe besteht aus solchen Risiken, die sich aus dem Tätigkeitsrahmen ergeben und damit mittelbar auf das Risikoprofil eines Unternehmens Einfluss nehmen (bspw. allgemeines Marktrisiko, Wettbewerbsrisiko, regulatorisches Risiko etc.). Die Unterteilung in diese beiden Unterkategorien ist für die Fragestellung von Bedeutung, welche Risikobeherrschungs- oder Risikominimierungsstrategien ein Unternehmen entwickeln und umsetzen kann. Dieser Umstand ist für die Berücksichtigung einer „Risikoprämie“ (d.h. eines Risikozuoder -abschlags) innerhalb der zu erwirtschaftenden operativen Marge entscheidend. 1 2 3 4
Tz. 1.76 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.62 u. 1.63 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.59 u. 1.60 Nr. 3 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 1.73 OECD-Leitlinien 2022.
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C. Risikoanalyse | Rz. 4.48 Kap. 4
Wechselwirkung zwischen Risiko- und Verrechnungspreismethodik. Ausgehend von dem kaufmännischen Gewinnmaximierungsprinzip wird ein ordentlicher und gewissenhaft handelnder Geschäftsleiter eines Unternehmens („hypothetischer Fremdvergleich“) regelmäßig nur dann unternehmerische Risiken eingehen, wenn sich die Risiken übersteigende „Gewinnchancen“ ergeben. In diesem Zusammenhang wird der ordentlich und gewissenhaft handelnde Geschäftsleiter zugleich versuchen, offene Risikopositionen durch entsprechende Sicherungsgeschäfte zu schließen, wenn unklar ist, ob die gegebenen „Gewinnchancen“ die vorhandenen Risiken bei Vornahme eines Geschäfts übersteigen. Relevant ist diese Untersuchung im Hinblick auf die Frage, ob zusätzlich zu einem Geschäftsvorfall im Einzelfall gesonderte Risikovergütungen erforderlich sind.1
4.46
OECD-Standpunkt. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Sichtweise der OECD zu der Frage, inwieweit die Allokation von Risiken mit der Wahl der Verrechnungspreismethode korreliert. Anerkannt zu sein scheint nach OECD-Auffassung seit jeher, dass die Wahl der Kostenaufschlagsmethode oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) tendenziell in einem „low-risk“-Verrechnungspreisumfeld („low risk environment“) erfolgen muss. In Tz. 9.53 der OECD-Verrechnungspreisleitleitlinien 2017 wird dieser Gedanke noch einmal dadurch bekräftigt, dass derjenige Teil eines Geschäftsvorfalls zwischen verbundenen Unternehmen, der „less complex“ ist und relativ einfacher aus Verrechnungspreisperspektive beurteilt werden kann, im Zentrum der Betrachtung stehen muss. Hierdurch wird der Weg zu der Wahl einer angemessenen Verrechnungspreismethode geebnet, indem der weniger „komplexe“ Teil des Geschäftsvorfalls – der auf Basis der Funktions- und Risikoanalyse identifiziert worden ist – relativ einfacher an Renditen unabhängiger Unternehmen gemessen werden kann, die ihrerseits vergleichbare (d.h. weniger komplexe) Geschäftsvorfälle vornehmen. Entscheidend ist aus OECD-Perspektive allerdings, dass hierbei berücksichtigt wird, wie fremde Dritte etwaige Risiken in ihre Preisbildung einbeziehen würden.2 Darüber hinaus gilt der in den OECD-Leitlinien 2022 niedergelegte Grundsatz, dass die Wahl der sachgerechten Verrechnungspreismethode stets in Abhängigkeit zur Funktions- und Risikoanalyse der Transaktionsparteien erfolgen muss.3
4.47
Risikostrukturierung im Konzern. Im Rahmen der Risikoanalyse ist auch zu bedenken, welcher Systemansatz zur Risikostrukturierung innerhalb einer Unternehmensgruppe implementiert worden ist. Werden unternehmerische Hauptrisiken bei einem Konzernunternehmen gebündelt, so hat dies wiederum Ausstrahlungswirkung auf dessen Unternehmenscharakterisierung. Insoweit ist auch von Interesse, wie sich eine Risikobündelung auf die dahinter liegenden Gewinnchancen auswirkt. Die Entscheidung, wie unternehmerische Risiken im Konzern strukturiert werden sollen, ist eine unternehmerisch-strategische Entscheidung der Geschäftsleitung, die von der Finanzverwaltung grundsätzlich anzuerkennen ist. In diesem Zusammenhang ist auf die bereits oben angesprochene Differenzierung zwischen der Kontrolle und Steuerung sog. operationeller Risiken sowie der Risikokontrolle/-steuerung aus der Gesellschafterstellung – insbesondere im Hinblick auf sog. Bestandsrisiken der jeweiligen Konzerneinheit – zurückzukommen. Ein derartiges, aus strategischer Konzernsicht erfolgendes Risikomanagement ist auch regelmäßig Aufgabe des Gesellschafters; ihm obliegt es, die einzelnen Stränge eines konzernweiten Managements operationeller Risiken dergestalt zu überwachen und ggf. einzusteuern, dass hieraus keine Bestandsrisiken für das Gesamtunternehmen resultieren.
4.48
1 Siehe auch Puls, IStR 2010, 89. 2 Tz. 1.81 OECD-Leitlinien 2022. 3 Tz. 2.2. OECD-Leitlinien 2022.
Puls | 311
Kap. 4 Rz. 4.49 | Funktions- und Risikoanalyse
4.49
Risikobündelung. Verfügt bspw. ein Unternehmen über entsprechendes Personal und Knowhow zur Durchführung entsprechender Risikomanagementtätigkeiten, so kann auf Ebene dieses Unternehmens eine Risikobündelung – bspw. auf Grundlage bestimmter Vertragsregelungen, welche die Risiken diesem Unternehmen zuordnen – betriebswirtschaftlich zweckmäßig erscheinen lassen.1 Beispielhaft hierfür sind sog. „Central-Entrepreneur-Modelle“ zu nennen, bei denen die Vertriebseinheiten funktions- und risikoschwach aufgestellt sind, während die Hauptrisiken des Vertriebs – wie bspw. allgemeines Marktrisiko, Absatzrisiko, Produktstrategierisiko, Gewährleistungsrisiko, Währungsrisiko etc. – bei einer zentralen Einheit gebündelt werden, welche diese Risiken durch geeignete Maßnahmen (bspw. Masseneffekte bei der Produktbeschaffung, Währungsswaps etc.) minimieren kann. Erklärt sich ein Konzernunternehmen zur Risikoübernahme bereit, so wird es dies nur unter Berücksichtigung der Risikoeintrittswahrscheinlichkeit und infolgedessen unter Gewährung einer angemessenen Risikoprämie (Kompensationsgedanke) tun. Denn das risikoübernehmende Unternehmen muss seinerseits Risikovorsorge treffen, etwa in Gestalt einer bestimmten Kapitalausstattung, eines bestimmten Risikomanagement-Know-hows und des Beherrschens bestimmter Sicherungstechniken wie bspw. Hedging-Aktivitäten, Risikoabsicherung durch Optionsgeschäfte, Währungsoder Zinsswaps etc. Hierbei gilt grundsätzlich, dass von der Unternehmensleitung getroffene kaufmännischen Entscheidungen zur Risikoallokation von der Finanzverwaltung nicht ohne weiteres bestritten werden können und daher zu akzeptieren sind.2
4.50
Ermittlung einer Risikoprämie. Die Bestimmung einer Entlohnung für die Übernahme von Risiken (Risikoprämie) hängt in erster Linie von der Art des Grundgeschäfts und der damit verbundenen Risiken ab, die wirtschaftlich abgesichert werden sollen. Möglich ist insoweit zunächst, auf die aus einem weitgehend risikolosen Kapitaleinsatz (bspw. Bundesschatzbrief) resultierende Marge abzustellen und diese mit der aus dem zu untersuchenden Kapitaleinsatz resultierenden Marge zu vergleichen. Aus dieser Differenz ist ableitbar, ob und inwieweit das risikoübernehmende Unternehmen eine Risikoprämie für die Übernahme des Risikos verlangen kann. Ein anderer, vornehmlich in der „Financial Industry“ gewählter Ansatz geht dahin, Marktrisiken auf Basis des sog. „Value-at-Risk-Ansatzes“ (VaR) abzuschätzen (Rz. 4.40). Der VaR-Ansatz schätzt den höchstmöglichen, aus gegebenen Risiken resultierenden Verlustbetrag für eine bestimmte zukünftige Periode ab. Darauf aufbauend kann das risikoübernehmende Unternehmen die Risikopositionen limitieren und den Kapitaleinsatz risikoadäquat im Unternehmen steuern.3 Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine ermittelte Risikoprämie separat zu einer Transaktion zwischen nahestehenden Personen verrechnet werden sollte; vielmehr muss die Risikoprämie in der Regel Einzug in die Kalkulation einer fremdvergleichskonformen Vergütung für den besagten grenzüberschreitenden Geschäftsvorfall zwischen Nahestehenden finden.
III. Grundformen betrieblicher Risiken 4.51
Allgemeines. Im Rahmen der Ausübung von Produktions-, Vertriebs- und Dienstleistungsfunktionen sind insbesondere die nachfolgend aufgeführten Risiken bei der Risikoanalyse zu untersuchen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob und inwieweit das risikoübernehmende Unternehmen zu einer tatsächlichen Risikotragung in der Lage ist. Im Zusammenhang mit 1 Vgl. dazu auch die Grundlagen der sog. Portfoliotheorie von Markowitz, Portfolio Selection, Journal of Finance 1952, 77. 2 Vgl. Tz. 9.34 f. OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Eisele, Value-at-Risk-basiertes Risikomanagement in Banken, 87 ff.; Wolke, Risikomanagement2, 27, 31 f., 34 f.
312 | Puls
C. Risikoanalyse | Rz. 4.54 Kap. 4
der Untersuchung der übernommenen Risiken ist daher auch zu hinterfragen, welche Materialisierungswahrscheinlichkeit mit einem bestimmten Risiko verbunden ist. Abhängigkeit von Organisationsform und zivilrechtlicher Haftung. Die Antwort auf diese Fragestellung hängt u.a. davon ab, welche Risiken mit der Organisationsform des Unternehmens verbunden sind und welche zivilrechtliche Haftung hieraus resultieren kann. So wird bspw. ein Produktionsunternehmen, das in der Organisationsform eines Lohnfertigers tätig wird, nicht mit Produktstrategierisiken oder Absatzrisiken konfrontiert sein.
4.52
Übersicht. Die nachfolgende Übersicht beinhaltet die im Rahmen der jeweiligen Funktionsausübung in den Bereichen Produktion, Vertrieb und Dienstleistung grundsätzlich in Erwägung zu ziehenden funktionstypischen Risiken. Inwieweit diese Risiken sich bei der jeweiligen unternehmerischen Organisationsform materialisieren können, ist im Einzelnen den Ausführungen in Kap. 6 zu entnehmen.
4.53
Produktion
Vertrieb
Dienstleistung
Allgemeines Markt- u. Wettbewerbsrisiko
+
+
+
Produktstrategierisiko
+
(+)
Produktrisiko
+
(+)
Schlechtleistungsrisiko Technisches Fehlinvestitionsrisiko
+ +
Vertriebsstrategierisiko
+
Lagerhaltungsrisiko
+
+
Forderungsausfallrisiko
+
+
Gewährleistungsrisiko
+
+
Währungsrisiko
+
+
Regulatorisches Risiko
+
+
Umwelthaftungsrisiko
+
(+) + + + (+)
Auslastungsrisiko
+
(+)
Transportrisiko
+
+
+
Know-how-Verlustrisiko
+
(+)
+
Liquiditätsrisiko
+
+
+
IV. Risiken bei E-Commerce- und Online-Vertriebs-Tätigkeiten Besondere Fallsituation. Bei unternehmerischen Aktivitäten, die über das Internet abgewickelt werden, ist der Frage nach der Risikoanalyse aus einem anderen Blickwinkel nachzugehen. Virtuelle Unternehmenstätigkeiten sind u.a. dadurch geprägt, dass für die eigentliche Tätigkeitsausführung – bspw. Vertrieb von Softwareprodukten über das Internet (SaaS) – kein unmittelbarer Personaleinsatz erforderlich ist. Im Bereich des vorgenannten Vertriebsbeispiels in Rz. 5.30 erfolgt die Vertriebstätigkeit weitgehend automatisiert über Serveraktivitäten. Ein Personaleinsatz ist i.d.R. lediglich zu Kontroll- und Wartungszwecken notwendig. Bei der Frage nach der Risikoallokation in diesem Bereich ist daher u.a. die vertragliche Allokation von Risiken in besonderer Weise zu berücksichtigen. Puls | 313
4.54
Kap. 4 Rz. 4.55 | Funktions- und Risikoanalyse
4.55
Folgen für das Risikoprofil. Die Automatisierung der Vertriebstätigkeit hat wiederum Folgewirkungen auf die „Risikolandschaft“ eines Unternehmens. Beschränken sich die Tätigkeiten auf das reine „Transaction-Processing“ (Aufrechterhalten der Serververbindung, Anmeldung und Registrierungsüberwachung des Kunden etc.), so sind sämtliche humanbezogene Vertriebsrisiken eines Unternehmens – wie bspw. Qualitätsmängel im Vertrieb, Verlust von Vertriebs-Know-how etc. – im Rahmen der Analyse des Risikoprofils nicht relevant. Da der Online-Vertrieb zudem im Regelfall über Vorkassenzahlungen (bspw. über Kreditkartenanbieter) vollzogen wird, ergeben sich in der Regel keine Auswirkungen auf das Forderungsausfallrisiko.1 Als Risikopositionen, die von Bedeutung sind, verbleiben sonach lediglich allgemeine Markt- und Absatzrisiken, das Risiko des Anbietens von wenig nachgefragten (weil z.B. technisch nicht mehr aktuellen) Produkten, ggf. das Währungsrisiko sowie ein technologiebezogenes Risiko (bspw. Einsatz fehlerhafter Hard- und Software).
V. Verlagerung von Risiken 4.56
Verlagerung im Rahmen von Funktionsveränderungen („Business Restructurings“). Verlagerungen von Risiken können bspw. im Rahmen einer nach § 1 Abs. 3b AStG n.F. tatbestandlichen Funktionsverlagerung erfolgen (vgl. zu Funktionsverlagerungen Kap. 7). Werden bestimmte betriebliche Funktionen auf ein anderes verbundenes Unternehmen transferiert, so geht dies regelmäßig mit einer entsprechenden Übertragung der insoweit bestehenden (wirtschaftlichen) Risiken, die aus der Funktionsausübung folgen, einher (vgl. § 1 Abs. 3 FVerlV zum Begriff des „Transferpakets“). Werden Risiken verlagert, so geht dies in der Regel Hand in Hand mit der Verlagerung von Gewinnpotenzial; denn kein ordentlich und gewissenhaft handelnder Geschäftsleiter würde die Übernahme von Risiken tolerieren, wenn nicht gleichzeitig ein korrelierendes Gewinnpotenzial mit dem Risikotransfer verbunden wäre.2 Spiegelbildlich kann die Abgabe von Risiken dadurch motiviert sein (in der Regel durch eine sog. Funktionsabschmelzung), dass das abgebende Unternehmen eine Begrenzung bestimmter Ergebnisvolatilitäten erreichen möchte und ein entsprechendes Ertragspotenzial gegen eine geringere, jedoch stabile Ergebnissituation „eintauschen“ möchte.3 Eine Verlagerung von Risiken kann aber auch außerhalb von Funktionsverlagerungen erfolgen, bspw. durch das Anpassen von vertraglichen Regelungen, die bei Schlechtleistung zivilrechtlich in bestimmte Haftungstatbestände münden können. Ein Risikotransfer kann daher immer dann in Betracht gezogen werden, wenn eine Bündelung von Risiken ökonomische Vorteile bescheren kann, etwa durch eine optimierte Risikomanagementorganisation oder das Erzielen von Risikoarbitrage. Werden Risiken außerhalb von Funktionsverlagerungstatbeständen (bspw. durch Vertragsänderungen) transferiert, so ist auf Grundlage des Fremdvergleichsgrundsatzes allerdings zu berücksichtigen, dass ein ordentlich und gewissenhaft handelnder Geschäftsleiter einer Risikoübernahme i.d.R. nur bei entsprechender Kompensation zustimmen würde; dies setzt regelmäßig die Messbarkeit bzw. die Bewertbarkeit eines Risikos bzw. des Materialisierungseffekts voraus. Werden bspw. aufgrund von abgeänderten vertraglichen Regelungen Lager- oder Transportrisiken auf den Abnehmer delegiert, indem die Frachtbestimmungen eines Liefervertrags modifiziert werden, so würde in einer Fremdvergleichssituation eine Anpassung des Preises dahingehend erfolgen, dass das Aufwenden einer eigenen Risikoprämie zur Absicherung der übernommenen Risiken in angemessener Weise Nie1 Vgl. auch OECD Tax Policy Study E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, Tz. 52 ff. 2 Tz. 9.44 f. OECD-Leitlinien 2022. 3 Tz. 9.47 OECD-Leitlinien 2022.
314 | Puls
C. Risikoanalyse | Rz. 4.59 Kap. 4
derschlag in der Kalkulation des Abnehmers finden muss. Hierbei sind auch die jeweiligen Vertragslaufzeiten zu berücksichtigen, in denen sich ggf. getätigte Investitionen für die Transaktionsparteien amortisieren müssen. Generell gilt hierbei, dass die Übernahme von Risiken nicht kompensationslos erfolgen darf; als Äquivalent muss der risikoübernehmenden Partei ein erhöhter Ergebnisanteil oder sonst wie ein wirtschaftlicher Ausgleich zustehen. Risikokontrolle und Risikotragungsfähigkeit. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die o.g. Grundsätze der Risikozuordnung (siehe Kapitel D.1.2.1 der OECD-Leitlinien 2022) auch im Rahmen von Funktionsveränderungen gelten sollen.1 Wenn bspw. die Risikokontrolle in Bezug auf das Tagesgeschäft auf ein anderes Unternehmen outgesourct worden ist, das outsourcende Unternehmen aber gleichwohl die Leitlinien der Risikobeobachtung und Risikoadministrierung vorgibt und sich die wesentlichen Risikomanagemententscheidungen vorbehält, kann dies die Annahme rechtfertigen, dass das outsourcende Unternehmen immer noch als „Risikoträger“ zu qualifizieren ist; entscheidend ist hierbei in der Regel die diesbezügliche Letztentscheidungsbefugnis.2
4.57
VI. Risikoanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation Keine Darstellungsvorgaben. § 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV spricht lediglich von einer „Funktions- und Risikoanalyse“. Wie eine Analyse der Risiken letztlich erfolgen soll und wie eine wirtschaftliche Gewichtung der Risiken hinsichtlich ihres Einflusses auf die Verrechnungspreisermittlung durchgeführt werden kann, ist in das Ermessen des Steuerpflichtigen gestellt. Dem Steuerpflichtigen ist es hierbei gestattet, die Darstellung der (Funktionen und) Risiken auf Grundlage eines „Star-Charts“ darzulegen. In der Praxis empfiehlt es sich jedoch, nicht nur eine überblicksartige Einschätzung der (übernommenen Funktionen und) eingegangenen Risiken vorzunehmen, sondern eine tiefergehende, erläuternde Darstellung der Risiken (sowie auch der Funktionen) durchzuführen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die eingegangenen Risiken (neben den ausgeübten Funktionen) wesenskennzeichnend für die Unternehmenscharakterisierung – und mithin die Wahl der Verrechnungspreismethode – sind, ist eine eingehende Darstellung aus Praktikersicht – auch angesichts möglicher Diskussionen in einer steuerlichen Außenprüfung – sehr empfehlenswert. Näheres hierzu wird in Kap. 8 ausgeführt.
4.58
Dokumentarischer Erkenntniswert. Das Ergebnis der in der Verrechnungspreisdokumentation enthaltenen Risikoanalyse ist mithin darauf gerichtet, folgenden Erkenntniswert zu schaffen:
4.59
– Beantwortung der Frage nach der Unternehmenscharakterisierung (Routineunternehmen bzw. Strategieführer); – Beantwortung der Frage, welche Verrechnungspreismethode vor diesem Hintergrund am sachgerechtesten erscheint; – Beantwortung der Frage, welcher Anteil der Gesamtwertschöpfung dem Unternehmen zukommen muss und ob dieser Anteil in der erzielten Marge des Unternehmens angemessen reflektiert wird.
1 Siehe Tz. 9.43 OECD-Leitlinien 2022. 2 Tz. 1.93 OECD-Leitlinien 2022, siehe auch Grotherr, FR 2021, 1097 (1109).
Puls | 315
Kap. 4 Rz. 4.59 | Funktions- und Risikoanalyse
Allgemein gilt, dass die Analyse der Zuordnung von Risiken – vor dem Hintergrund des dezidierten OECD-Ansatzes und der vielfältigen Erwähnung des Themas in den VWG 2021 – erheblich an struktureller Bedeutung für die Praxis der Verrechnungspreisermittlung gewonnen hat. Insoweit dürfte eine qualitativ profunde Dokumentation im Bereich der Risikoallokation für die steuerliche Verteidigungsfähigkeit von Verrechnungspreissystemen in der Praxis künftig noch größere Bedeutung einnehmen.
D. Einfluss des Funktions- und Risikoprofils auf die Unternehmenscharakterisierung I. Grundlagen 4.60
Konsistenz zwischen Unternehmenstyp und Ergebniserwirtschaftung. Sind ausgeübte Funktionen, übernommene Risiken sowie eingesetzte (materielle und immaterielle) Wirtschaftsgüter identifiziert und lokalisiert worden, so lassen sich darauf aufbauend bestimmte Unternehmenstypen ausmachen. Hintergrund dieser Klassifizierung in sog. Unternehmenstypen ist letztlich die Frage, ob das von einem verbundenen Unternehmen mit einem bestimmten Funktions- und Risikoprofil erwirtschaftete Ergebnis in Einklang mit den ausgeübten Funktionen, der Funktionstiefe und dem wirtschaftlichen Wert der Funktionen, den übernommenen Risiken und ihrer (wirtschaftlichen) Tragweite im Fall der Risikomaterialisierung sowie den eingesetzten Wirtschaftsgütern steht („Quasi-Verprobung“ auf Basis des aggregierten Nettoergebnisses). Den OECD-Leitlinien 2022 folgend soll – wie oben bereits dargelegt – das Ergebnis aus Geschäftsvorfällen mit verbundenen Unternehmen daher mit der Quantität und der Qualität der ausgeübten Funktionen, eingegangenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgütern der beteiligten Transaktionsparteien korrelieren.
4.61
Zweitypige Unterscheidung. International anerkannt ist eine Zweiteilung der Unternehmenstypen in sog. Routineunternehmen und sog. Strategieführer (Entrepreneure).1 Die bis zur Aufgabe der VWG-Verfahren aus 2005 von der deutschen Finanzverwaltung vertretene Ansicht, es gebe noch eine gewissermaßen „hybride“ Form2, ein sog. Mittelunternehmen, das zwischen dem Strategieführer und dem Routineunternehmen angesiedelt sein sollte, wurde mittlerweile aufgegeben. Durch den Unternehmenstyp des Mittelunternehmens sollte der Anwendungsbereich der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode im Ergebnis signifikant beschränkt werden.
II. Eigenschaft als Strategieführer (Entrepreneur) 4.62
Strategieführer. Als Strategieführer wird ein Unternehmen in einem Gesamtunternehmen bzw. Konzern bezeichnet, welches die wesentlichen, für die Gesamtwertschöpfung ausschlaggebenden Funktionen ausübt, entsprechende wirtschaftliche Risiken übernimmt und in größerem Umfang (immaterielle) Wirtschaftsgüter einsetzt. Durch sein ausgeprägtes Funktions- und Risikoprofil tragen die Tätigkeiten des Strategieführers maßgeblich zur Materialisierung von Gewinnchancen bei. Die Strategieführereigenschaft kennzeichnet sich innerhalb einer Unternehmensgruppe regelmäßig dadurch, dass der Strategieführer die wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter in seinem Eigentum bzw. seinen Verfügungsrechten hält. Zu1 Siehe hierzu auch Wellens/van der Ham, DB 2012, 1534. 2 Vgl. auch Tucha/Brem, IStR 2006, 499.
316 | Puls
D. Einfluss auf die Unternehmenscharakterisierung | Rz. 4.64 Kap. 4
gleich sind regelmäßig die maßgeblichen Entscheidungsträger im Konzern auf Ebene des Strategieführers angesiedelt.1 Typische Tätigkeitsbeispiele für Strategieführer sind bspw. die Bestimmung des Produktsortiments, die Festlegung der Markt- und Preisstrategie, Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten (keine Auftragsforschung), die zentrale Kundengewinnung und strategische Werbe- bzw. Marketingaktivitäten.
III. Unternehmen mit sog. „Routine“-Funktionen Allgemeines. Routineunternehmen kennzeichnen sich dadurch, dass sie technisch wie organisatorisch einfache Funktionen ausüben und dementsprechend lediglich geringe wirtschaftliche Risiken tragen. Im Gegenzug erwirtschaften Routineunternehmen geringere, jedoch stabile Gewinne. Der Einsatz von (immateriellen) Wirtschaftsgütern und Know-how ist im Vergleich zum Strategieführer stark eingeschränkt. Tätigkeitsbeispiele für das „Routineunternehmen“ sind Lohn- bzw. Auftragsfertigungstätigkeiten, Erbringung einfacher Dienstleistungen (z.B. unternehmensinterne Verwaltungsdienstleistungen), Lagerhaltung, Kundenbetreuung, sog. Low-Risk-Vertriebstätigkeiten (einschließlich Kommissionärstätigkeiten) ohne strategischen Einfluss auf Produkt-, Preis- oder Marketingentscheidungen.
4.63
Rolle immaterieller Wirtschaftsgüter bei Routineunternehmen. Routineunternehmen können auch dann vorliegen, wenn diese Unternehmen über eigene (immaterielle) Wirtschaftsgüter verfügen. Die Finanzverwaltung hatte diese Sichtweise in den mittlerweile aufgehobenen VWG-Verfahren 2005 dahingehend eingeschränkt, dass Routineunternehmen „nur in geringem Umfang“ Wirtschaftsgüter einsetzen dürfen.2 Diese Wertung ergab sich nach Auffassung der Finanzverwaltung bereits spiegelbildlich aus der Feststellung, dass Entrepreneure über die (für die Durchführung der Geschäftstätigkeiten) wesentlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter verfügen müssten. Kennzeichnend für die Stellung eines Routineunternehmens ist daher letztlich die „Austauschbarkeit“ des Unternehmens in der Gesamtwertschöpfungskette. Grundsätzlich ist die Annahme sachgerecht, dass Routineunternehmen in aller Regel durch ein geringes Maß an eigenen – vor allen Dingen immateriellen – Wirtschaftsgütern gekennzeichnet sind. Dies darf jedoch nicht zu der Vorstellung verleiten, dass ein Unternehmen über keinerlei (immaterielle) Wirtschaftsgüter, die für seine Unternehmenstätigkeiten von Bedeutung sind, verfügen darf, ohne seinen Status als Routineunternehmen einzubüßen. Beispielhaft ist hier die Tätigkeit als sog. „Low-Risk Distributor“ (LRD) zu erwähnen, der selbstverständlich über einen – zivilrechtlich – eigenen Kundenstamm verfügen muss, da er – obgleich risikolimitiert – im eigenen Namen und für eigene Rechnung handelt. Das Wirtschaftsgut „Kundenstamm“ kann für den LRD hierbei auch von großer Bedeutung sein, denn ohne einen eigenen Kundenstamm könnte der LRD die Vertriebstätigkeit bereits nicht im eigenen Namen ausüben. Entscheidend für den Status als Routineunternehmen müssen daher stets die wirtschaftlichen Risiken sein, die für das Unternehmen aus der Gesamttätigkeit resultieren. Sind diese bei einem LRD nur kommissionärsähnlich ausgeprägt, da der LRD als Vertreiber von wesentlichen wirtschaftlichen Risiken ausgenommen ist, so ist das Unternehmen als Routineunternehmen zu qualifizieren. Entscheidend für den Status als Routineunternehmen ist daher vornehmlich das Risikoprofil des Unternehmens. Die Ausstattung mit materiellen bzw. immateriellen Wirtschaftsgütern ist demgegenüber nachrangig und kann nur indizielle Bedeutung haben.
4.64
1 Tucha/Brem, IStR 2006, 499. 2 Ehemals BMF, Schr. v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
Puls | 317
Kap. 4 Rz. 4.65 | Funktions- und Risikoanalyse
4.65
Low Risk Distributor als häufiger Praxisstreitpunkt. Eine mögliche Ausgestaltungsform einer Vertriebsgesellschaft ist – wie bereits oben anskizziert – der „Low-Risk Distributor“ (LRD), der sich als Routinevertriebsunternehmen charakterisieren lässt. Der LRD handelt im eigenen Namen und auf eigene Rechnung wie ein Eigenhändler, übernimmt jedoch weniger Funktionen und Risiken als dieser. Die geringere Funktions- und Risikoübernahme kann u.a. durch die Einbindung in eine sog. „Prinzipalstruktur“ organisatorisch umgesetzt werden, bei der es lediglich einen funktionsstarken und risikoexponierten Strategieführer innerhalb einer Unternehmensgruppe gibt. Durch eine schuldrechtliche Vereinbarung übernimmt der Strategieführer einen Großteil derjenigen Funktionen und Risiken für die LRD-Gesellschaft, die für einen „klassischen“ (d.h. voll risikoexponierten) Voll-Eigenhändler („Fully-Fledged Distributor“) typisch sind.1 Die LRD-Gesellschaft erwirbt – wie bereits oben anskizziert – als Eigenhändler im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Ware, wobei das Eigentum an dieser typischerweise nur für eine logische Sekunde bei der LRD-Gesellschaft verbleibt, bevor die Übereignung an den Kunden erfolgt:2 Dies wird bspw. dadurch ermöglicht, dass die Ware erst nach Bestellung des Kunden vom Lieferanten bzw. Strategieführer angefordert wird. Durch diese organisatorische Ausgestaltung sowie die schuldrechtliche Vereinbarung mit dem Strategieführer weisen LRD-Gesellschaften ein geringes Funktions- und Risikoprofil auf. Das Markt- und Absatzrisiko für Waren wird durch die o.g. Bestellung der Waren „on demand“ (d.h. erst nach dem Vertragsabschluss mit einem Kunden) zugunsten der LRD-Gesellschaft minimiert; es ist im Grunde wirtschaftlich nur kommissionärsähnlich ausgeprägt. Ferner kann durch geringe Liefermengen und ein (kostenfreies) Rückgaberecht nicht veräußerbarer Waren an den Strategieführer jenes Risiko weiter beseitigt bzw. reduziert werden.
4.66
Funktionen, Risiken sowie immaterielle Wirtschaftsgüter. Im Einzelnen sind einer LRDGesellschaft typischerweise im Vergleich zu einem o.g. Eigenhändler („Fully-Fledged Distributor“) mit vollem Funktions- und Risikoprofil die nachfolgend tabellarisch aufgeführten Funktionen, Risiken sowie immateriellen Wirtschaftsgüter zuzuordnen: Funktionen
Routinevertriebsunternehmen („Low-Risk Distributor“)
Voll-Eigenhändler („Fully-Fledged Distributor (full risk taker)“)
Markterschließung/Geschäftspolitik
-
+
Bestimmung der lokalen Vertriebsstrategie
(+)
+
Bestimmung der lokalen Sortimentsgestaltung
(+)
+
Bestimmung der lokalen Marketingstrategie
(+)
+
Werbung
+
+
1 Elbert/von Jesche in V/B/B, Verrechnungspreise5, Kap. N Rz. 608; Fiehler, Vergütungsformen von funktions- und risikoarmen Vertriebsgesellschaften, IStR, 2007, 465. 2 Siehe Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Teil II: Geschäftsvorfallbezogene Standardmethoden, 22. EL, April 2016, Rz. 106; Fiehler, Vergütungsformen von funktions- und risikoarmen Vertriebsgesellschaften, IStR, 2007, 465.
318 | Puls
D. Einfluss auf die Unternehmenscharakterisierung | Rz. 4.67 Kap. 4 Lagerhaltung/Management der Distributionslogistik
(+)
+
Kundenakquise
+
+
Vertragsverhandlungen mit Externen
(+)
+
Marktanalyse/Preispolitik
-
+
Inkasso
(+)
+
Kundendienst/After Sales Service
(+)
+
Innendienst (Bearbeitung von Auftragseingängen, Gewährleistungsfällen, etc.)
+
+
Risiken
Routinevertriebsunternehmen („Low-Risk Distributor“)
Voll-Eigenhändler („FullyFledged Distributor (full risk taker)“)
Lagerrisiko
-
(+)
Transportrisiko
-
+
Absatzrisiko/Marktentwicklung
nur kommissionärsähnlich
+
Forderungsausfallrisiko
nur kommissionärsähnlich
+
Gewährleistungsrisiko/Produkthaftung
-
+
Währungsrisiken
-
+
Immaterielle Vermögenswerte
Routinevertriebsunternehmen („Low-Risk Distributor“)
Voll-Eigenhändler („FullyFledged Distributor (full risk taker)“)
Markenpflege
-
(+)
Lokaler Kundenstamm
(+)
(+)
Vertriebs-Know-how
(+)
+
Erkenntnisse aus Marketingund Werbemaßnahmen
(+)
+
Legende: „-“
Keine Zuständigkeit bzw. Verantwortlichkeit
„(+)“
Gering ausgeprägte Zuständigkeit bzw. Verantwortlichkeit
„+“
Vollumfängliche Zuständigkeit bzw. Verantwortlichkeit
Praxishinweise. Im Rahmen von steuerlichen Außenprüfungen wird gerade in sog. Outbound-Fällen, in den deutsche Konzernmütter ausländische Vertriebsgesellschaften unterhalten, von Seiten der deutschen Finanzverwaltung regelmäßig die Ansicht vertreten, jene VerPuls | 319
4.67
Kap. 4 Rz. 4.67 | Funktions- und Risikoanalyse
triebsgesellschaften seien nur „low-risk“ und dürften nur eine geringe operative Marge verdienen (in der Regel TNMM-basiert); das „Gewinnresiduum“ stünde der inländischen Konzernmutter zu. Jene Auffassung wird in der Praxis häufig vorschnell getroffen und entbehrt in einer Vielzahl von Fällen einer tatsächlichen Grundlage. Entscheidend ist stets die genaue Analyse und Betrachtung der vertriebsseitig ausgeübten Funktionen sowie übernommenen Risiken. Kein (!) Routinevertriebsunternehmen besteht bereits bspw. bei Vorliegen folgender Eigenheiten einer Vertriebsfunktion: – Der lokale Vertrieb verkörpert eine Schlüsselfunktion gegenüber dem Abnehmer, da die käuferseitig geäußerten technischen Anforderungen an ein Produkt maßgeblich über den Vertriebserfolg entscheiden. – Die von der lokalen Vertriebsgesellschaft angebotenen Produkte werden in der Regel in eine sog. System- bzw. Produktlösung eingebettet; hierbei steht weniger der Verkauf eines einzelnen Produkts als vielmehr die Integration der Vertriebsprodukte in einen technischen Lösungsprozess im Vordergrund. – Das Anforderungsprofil an das Vertriebspersonal auf Ebene der lokalen Vertriebsgesellschaft geht über den „tüchtigen Verkäufertypen“ hinaus. Das Vertriebspersonal verfügt über einschlägiges technisches Know-how und ebensolche Branchenkenntnisse, um das Produktanforderungsprofil des Kunden nachvollziehen zu können; erst hierdurch lassen sich überhaupt sachgerechte Produktangebote unterbreiten. – Die Vertriebstätigkeit ist im Grunde als technische Projektbetreuung zu verstehen und nicht als standardisierter Einzelproduktverkauf. Geht die Vertriebstätigkeit als solche mit einem speziellen Know-how Einsatz einher, d.h. ist der Vertrieb nicht größtenteils durch beliebig reproduzierbare Standardprozesse gekennzeichnet, sondern werden bspw. Vertriebsprodukte im Rahmen der Erarbeitung von individuellen Produkt- bzw. Systemlösungen verwendet, liegt in der Regel – bereits aufgrund der Funktionsausprägung der Vertriebstätigkeit – keine Routineaktivität vor. Wie bereits oben angesprochen, sind in diesem Zusammenhang auch noch die vertriebsseitig zu tragenden Risiken in die Analyse und Bewertung einzubeziehen. Liegen markt-, absatz- und preisbezogene Risiken bei der lokalen Vertriebsgesellschaft, so spricht auch dies regelmäßig gegen ihre Charakterisierung als „Routine“.
E. Wertschöpfungsanalyse I. Identifizierung von Werttreibern und Wertbegrenzern 4.68
Allgemeines. Ausgeübte Funktionen, übernommene Risiken sowie eingesetzte Wirtschaftsgüter besitzen eine Reflexwirkung auf den Erfolgsbeitrag, den ein Unternehmen zur Wertschöpfung leisten kann. Nach tradierter Ansicht der Finanzverwaltung ist der Wertschöpfungsbeitrag infolgedessen als Differenz zwischen dem Marktpreis (Preisreferenz) einer Leistung und den vom Leistungserbringer bezogenen bzw. aufgewendeten Vorleistungen zu qualifizieren.1 Als Wertschöpfungskette wird demgemäß die strukturierte Aneinanderreihung von verschiedenen Leistungserbringungsstufen (als Prozesselemente) innerhalb einer Unter-
1 Ehemals BMF, Schr. v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.2011.5 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
320 | Puls
E. Wertschöpfungsanalyse | Rz. 4.70 Kap. 4
nehmensgruppe bezeichnet.1 Erkenntnisziel der Betrachtung der Wertschöpfung eines Unternehmens innerhalb einer Wertschöpfungskette soll sein, ob die Entlohnung eines verbundenen Unternehmens – gemessen an seinem Beitrag zur Wertschöpfungskette und damit zur Gesamtwertschöpfung einer Unternehmensgruppe – als angemessen betrachtet werden kann. Erforderlich ist daher – vor dem Hintergrund der gesamten Wertschöpfungskette – eine Gewichtung der ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken des Unternehmens vorzunehmen. Damit dient die Analyse der Wertschöpfung innerhalb eines Konzerns ebenfalls als Plausibilisierungs- bzw. Verprobungsinstrument, indem gefragt wird, ob die Gesamtentlohnung eines verbundenen Unternehmens in einer Fremdvergleichssituation sich auf einem ähnlichen Vergütungsniveau befinden würde. Angesichts der Tatsache, dass Angaben und Überlegungen zur Wertschöpfungsverteilung innerhalb einer Unternehmensgruppe häufig auch von der subjektiven Einschätzung des Betrachters abhängen,2 sind Wertungen der relativen „Wichtigkeit“ eines Wertschöpfungsbeitrags im Rahmen der Gesamtwertschöpfung kritisch zu hinterfragen, da diese Gewichtung nicht immer auf Grundlage von objektiven Sachverhaltselementen gestützt und plausibilisiert werden kann. Primäre und sekundäre Wertschöpfungsbeiträge. Namentlich Schreiber weist darauf hin, dass die deutsche Finanzverwaltung im Rahmen der Analyse von Wertschöpfungsbeiträgen sich an der Unterteilung in sog. primäre und unterstützende Kategorien orientiert.3 Primäre Wertschöpfungsbeiträge sind auf sämtliche Unternehmenstätigkeiten gerichtet, welche bspw. die Produktion von Waren und Gütern oder die Erbringung von Dienstleistungen umfassen, mithin gezielt produktiven Charakter in Gestalt unmittelbarer, für einen Leistungsempfänger greifbarer Leistungsresultate vermitteln. Unterstützende Wertschöpfungsbeiträge sind demgegenüber darauf gerichtet, die o.g. Produktivtätigkeiten erst zu ermöglichen bzw. die damit verbundene Leistungserbringung aufrechtzuerhalten.
4.69
Wertschöpfungsanalyse anhand von Unternehmenskennzahlen. Weitergehend ist eine Analyse und Gewichtung der Wertschöpfungsbeiträge auch anhand bestimmter Unternehmenskennzahlen möglich. So kommt – neben weiteren Ansätzen zur Beleuchtung der Arbeits- und Kapitalproduktivität und der damit einhergehenden Wertschöpfungsquote – insbesondere eine Analyse auf Basis der Erfolgsverteilung in der Unternehmensgruppe in Betracht.4 Demzufolge kann der Wertschöpfungsanteil im Rahmen einer Wertschöpfungsrechnung folgendermaßen bestimmt werden: „Produktionswert“ abzgl. „Vorleistungen“ = „Wertschöpfung“ nach Maßgabe einer Entstehungsrechnung.5 Ähnlich wie die handelsrechtliche Gewinn- und Verlustrechnung besteht nämlich auch die Wertschöpfungsrechnung aus einer Erfolgsermittlungs- und Erfolgsverteilungsrechnung. Charakteristisch für die Wertschöpfungsrechnung ist – im Gegensatz zu der handelsrechtlichen Gewinn- und Verlustrechnung – jedoch eine „ausgedehntere“ Interpretation des Erfolgsbegriffs. Beispielhaft lässt sich dies für die Ausübung von Produktionstätigkeiten illustrieren. Realgüterwirtschaftlich ist die Wertschöpfung als der in einer bestimmten Periode erwirtschaftete Produktionsbeitrag zu begreifen, der im Rahmen des betrieblichen Leistungserstellungs- und Leistungsverwertungspro-
4.70
1 Vgl. nur Baulig, Begriff und Problematik der Erfassung der betrieblichen Wertschöpfung, 67 f.; Lachnit, Bilanzanalyse, 255 ff. 2 Vgl. Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei Internationalen Verrechnungspreisen, 113. 3 Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 177 unter Verweis auf Porter, Globaler Wettbewerb – Strategien der neuen Internationalisierung, 22. 4 Vgl. Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 1158. 5 Coenenberg/Haller/Schultze, Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 1158; Baulig, Begriff und Problematik der Erfassung der betrieblichen Wertschöpfung, 20 ff.
Puls | 321
Kap. 4 Rz. 4.70 | Funktions- und Risikoanalyse
zesses den bereits von anderen Unternehmen empfangenen Vorleistungen hinzugefügt wird. Die Wertschöpfung ergibt sich infolgedessen aus der Differenz des gesamten Produktionswerts und der empfangenen Vorleistungen eines Unternehmens.
II. Wertschöpfungsanalyse bei Profit-Split-Modellen 4.71
Grundgedanke. Anhaltspunkte für das Erbringen von Wertschöpfungsbeiträgen sind in erster Linie der Funktions- und Risikoanalyse eines Unternehmens als (steuer-)rechtliche Einheit eines Konzerns zu entnehmen. Sind jedoch Unternehmenstätigkeiten funktional so stark miteinander verwoben, dass auf Basis einer Einzelunternehmensbetrachtung keine präzise, den wirtschaftlichen Umständen entsprechende sachgerechte Ermittlung der ausgeübten Funktionen und eingegangenen Risiken möglich und durchführbar ist, kann zur weiteren Funktionsund Risikoabgrenzung (und mithin zur Analyse der jeweiligen Wertschöpfungsbeiträge) eine Gesamtwertschöpfungsanalyse erforderlich werden. Im Rahmen dieser Gesamtwertschöpfungsanalyse ist der relative Wert der ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken wirtschaftlich zu analysieren, um letztlich bestimmen zu können, welche Vergütung in Anbetracht des Funktions- und Risikoprofils eines Unternehmens – im Verhältnis zu seinen verbundenen Transaktionsparteien – als angemessen gelten kann (Plausibilisierungsgedanke).
4.72
Vorgehensweise im Überblick. Eine derartige Analyse der Wertschöpfung ist regelmäßig in Fällen sog. Profit-Split-Modelle bei Anwendung des sog. Residualgewinnaufteilungsansatzes erforderlich (Rz. 5.123 ff.), so dass folgende Analyseschritte vorgenommen werden müssen:1 – Zerlegung und Bestimmung der einzelnen Komponenten eines Geschäftsvorfalls mit verbundenen Parteien auf Basis der einzelnen Transaktionsschritte und -prozesse; – Bestimmung der Bedeutung dieser Transaktionsschritte und -prozesse sowie der eingesetzten Wirtschaftsgüter im Hinblick auf die Unternehmensgesamtwertschöpfung (relativer Wert); – ggf. Bestimmung einer Basisvergütung für bestimmte, in diesem Zusammenhang vorgenommene Routine-Aktivitäten („unterstützende Wertschöpfung“, s. Rz. 5.131); – Verteilung des Anteils an der Gesamtwertschöpfung auf die einzelnen beteiligten Unternehmen einer Unternehmensgruppe bzw. eines Konzerns sowie Zuweisung des entsprechenden Gewinnanteils (bzw. Verlustanteils) als Residuum. Konkrete Umsetzung auf Basis einer sog. „Business Process-Analyse“ (BPA). Die o.g. Gedanken können bspw. im Rahmen eines Profit-Split-Modells weiter konkretisiert werden: Hierbei werden anhand einer sog. „Business Process-Analyse“ (BPA) die einzelnen Wertbeiträge der Parteien inventarisiert und anschließend im Lichte ihrer Wertschöpfung bewertet. Hierbei sind methodisch zunächst: – die einzelnen Komponenten des Geschäftsvorfalls auf Basis der Transaktionsschritte und -prozesse zu bestimmen und zu zerlegen; – sodann die Bedeutung dieser Transaktionsschritte und -prozesse sowie der eingesetzten Wirtschaftsgüter und immateriellen Werte im Hinblick auf die Gesamtwertschöpfung zu bestimmen; 1 Siehe dazu auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 179 f.
322 | Puls
E. Wertschöpfungsanalyse | Rz. 4.72 Kap. 4
– letztlich eine Verteilung des Gewinns bzw. Verlusts in Anbetracht des relativen Anteils der Partei an der Gesamtwertschöpfung vorzunehmen. Zu diesem Zweck sind folgende Analyseschritte zu unternehmen: –1
– Identifikation sog. „Mega Processes“, die zusammenfassend die übergeordnete Aktivitätskette der Transaktionsparteien darstellen
–2
– Identifikation von sog. „Major Processes“, die entsprechende Hauptaktivitäten der Transaktionsparteien reflektieren
–3
– Bestimmung der auf Basis des Geschäftsmodells der Unternehmensgruppe maßgeblichen Werttreiber im Rahmen der Projektrealisierung
–4
– Durchführung einer sog. „gewichteten RACI-Analyse“ zur Darstellung der innerbetrieblichen Verantwortung im Rahmen der Projektrealisierung (sog. „RACI-Matrix“, s.u.)
–5
– Durchführung einer relativen Aktivitätsgewichtung auf Basis der identifizierten Major Processes („Relative Function/Process Weights“)
–6
– Bestimmung eines auf Basis des relativen Funktionswerts abgeleiteten Wertbeitrags („Contribution per Entity per Function“)
–7
– Bestimmung des daraus resultierenden Gewinn- bzw. Verlustanteils unter Berücksichtigung der RACI-Verantwortlichkeiten (s.u.)
RACI-Analyse. Die Durchführung einer sog. „RACI-Analyse“ zielt – wie bereits oben anskizziert – auf die Identifikation von Verantwortlichkeiten innerhalb betrieblicher Abläufe ab.1 Sie ist im Rahmen einer BPA von Bedeutung, weil sie eine balanciertere Gewichtung der verschiedenen Wertbeiträge der Parteien durch das jeweilige Ausfüllen von tätigkeitsbezogenen Verantwortlichkeiten ermöglicht. Die RACI-Analyse erlaubt damit eine unmittelbare Korrelation zwischen personalisierter Funktionsausübung und Zurechnung eines relativen Wertbeitrags. Infolgedessen können auf Basis einer RACI-Analyse verschiedene „Grade“ einer Involvierung der Transaktionsparteien dargestellt werden. Bei der RACI-Analyse sind insgesamt vier Verantwortungsstufen gegeben, die von den involvierten Parteien wahrgenommen werden können: – (R) Responsible: Partei mit der Durchführungsverantwortung, d.h. welche für die operative Funktionsausübung verantwortlich ist – z.B. bewertet mit dem Gewichtungsfaktor „4“; – (A) Accountable: Partei mit der Kosten- und Gesamtverantwortung und welche die jeweiligen funktionsspezifischen Risiken managt; durch diese Partei erfolgt im Hinblick auf die eigentliche operative Tätigkeitsausübung (d.h. hinsichtlich eines Major Processes) eine Unterbeauftragung bzw. Delegation – z.B. bewertet mit dem abgestuften Gewichtungsfaktor „3“; – (C) Consulted: Partei, welche weder eine Durchführungs- noch eine Kosten- bzw. Gesamtverantwortung trägt, allerdings über wichtige Informationen und Kenntnisse für die Funktionsausübung verfügt – z.B. bewertet mit dem abgestuften Gewichtungsfaktor „2“; – (I) Informed: Partei mit einem Informationsrecht über den Verlauf bzw. das Ergebnis einer operativen Tätigkeitsausübung (d.h. hinsichtlich eines Major Processes); – z.B. bewertet mit dem abgestuften Gewichtungsfaktor „1“. 1 Bach/Brehm/Buchholz/Petry, Wertschöpfungsorientierte Organisation – Architekturen, Prozesse, Strukturen, 2012, 207 f.; desgleichen Stein/Schwarz/Holinski, DStR 2017, 118 (122 f.).
Puls | 323
Kap. 4 Rz. 4.72 | Funktions- und Risikoanalyse
Auf Basis einer RACI-Analyse ist mithin eine strukturierte und detaillierte Untersuchung der wesentlichen Aktivitäten und Sub-Aktivitäten innerhalb eines betrieblichen Prozesses möglich. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der Verteilung der Durchführung und Verantwortung der Aktivitäten der Transaktionsparteien. Die im Rahmen der RACI-Analyse erhaltenen Erkenntnisse sind in einem Folgeschritt mit den Erkenntnissen aus einer Gewichtung der jeweiligen Werttreiber in Zusammenhang mit den Major Processes zu bringen (siehe oben Schritt 5 in der Tabelle („Relative Function/Process Weights“)). Als relevante Werttreiber können bspw. im Rahmen eines technischen Fertigungsprojekts (i) das Produkt- und Konzept Know-how, (ii) das Projektmanagement, (iii) der Einsatz von Testsystemen, (iv) die Verarbeitung von Prozessdaten, (v) der Einsatz der Steuerungssoftware sowie (vi) das projektspezifische Customizing identifiziert worden. Jene Werttreiber sind mit einem bestimmten Bewertungsfaktor im Lichte der einzelnen Major Processes zueinander gewichtet worden. Hieraus resultiert abschließend eine bestimmte relative Funktions- bzw. Prozessgewichtung („Relative Processes Weight“). Im nächsten Schritt sind (siehe Schritt 6 in der o.g. Tabelle „Contribution per Entity per Function“) die aus der RACI-Analyse gewonnenen Erkenntnisse aus den projektspezifischen Verantwortlichkeiten der Transaktionsparteien mit den Analyseergebnissen des relativen Werts der Major Processes im Lichte der o.g. identifizierten Werttreiber verkettet worden. Hieraus resultiert ein – auf die involvierten Transaktionsparteien – bezogener relativer Gesamtwert der Funktionsbeiträge („Total Contribution“). Als letzter Schritt ist – ausgehend von dem Wert der Funktionsbeiträge der Transaktionsparteien – eine kombinierte Betrachtung mit den relativen Gewichtungen der von den Parteien ausgeübten Funktionen bzw. betrieblichen Prozessen („Relative Processes Weights“, siehe oben) vorzunehmen. Auf Basis dessen ist schließlich ein sog. „Total Share of Profit/Loss“ zwischen den beteiligten Parteien zu ermitteln.
III. Darstellung der Wertschöpfungsanalyse in der Verrechnungspreisdokumentation 4.73
Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GAufzV.1 Die GAufzV verpflichtet den Steuerpflichtigen, im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und eine Darstellung seines Wertschöpfungsbeitrags im Verhältnis zu nahestehenden Personen, mit denen Geschäftsbeziehungen bestehen, vorzunehmen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GAufzV („Darstellung des Wertschöpfungsbeitrags des Steuerpflichtigen ...“) ist der Steuerpflichtige jedoch ausschließlich verpflichtet, seinen eigenen Wertschöpfungsbeitrag darzustellen und zu umschreiben. Für eine weitergehende Dokumentationsverpflichtung, die auch auf die Darstellung und Umschreibung der Wertschöpfungsbeiträge weiterer Konzerngesellschaften gerichtet ist, besteht keine Rechtsgrundlage.2 Auch die in § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GAufzV enthaltene Verpflichtung zur „Beschreibung der Wertschöpfungskette“ bedeutet nicht, dass der Steuerpflichtige dazu angehalten ist, eine detaillierte Darstellung der jeweiligen Wertschöpfungsbeiträge aller in eine Geschäfts-
1 Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV) v. 12.7.2017, BGBl. I 2017, 2367. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 34.
324 | Puls
E. Wertschöpfungsanalyse | Rz. 4.74 Kap. 4
beziehung involvierten (ausländischen) nahestehenden Personen vorzunehmen. Die Verpflichtung zur Beschreibung der Wertschöpfungskette bedeutet lediglich, dass der Steuerpflichtige darzulegen hat, welche Parteien in die Geschäftsbeziehungen involviert sind und welche Aufgaben durch diese Parteien im Rahmen der bestehenden vertraglichen Beziehungen zur Leistungserbringung wahrgenommen worden sind. Diese Sichtweise wird auch durch die in der Begründung der GAufzV 2003 enthaltenen Aussagen bestätigt, wonach – so wörtlich – „die Beschreibung der Wertschöpfungskette wichtige Hinweise darauf geben kann, ob der Steuerpflichtige entsprechend seinem Wertschöpfungsbeitrag den im Fremdvergleich angemessenen Anteil am Ertrag erwirtschaftet hat“.1 Darstellung des Wertschöpfungsbeitrags „im Verhältnis zu nahestehenden Personen“. Auch die Tatsache, dass der Steuerpflichtige nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GAufzV zur Darstellung des Wertschöpfungsbeitrags „im Verhältnis zu nahestehenden Personen“ verpflichtet ist, beinhaltet keine Verpflichtung zu einer quantitativen oder qualitativen Umschreibung der Wertschöpfungsbeiträge weiterer Konzerngesellschaften. Die Forderung des Verordnungsgebers, den eigenen Wertschöpfungsbeitrag „im Verhältnis zu nahestehenden Personen“ darzustellen, soll es der Finanzverwaltung lediglich ermöglichen, die vom Steuerpflichtigen übernommenen Funktionen, Risiken und das daraus entstehende Wertschöpfungspotenzial im Einzelnen festzustellen und zu bewerten. Insoweit bedeutet die Verpflichtung, den eigenen Wertschöpfungsbeitrag des Steuerpflichtigen „im Verhältnis zu nahestehenden Personen“ darzustellen, dass erkennbar werden soll, ob und inwieweit das Funktions- und Risikoprofil des Steuerpflichtigen mit demjenigen der nahestehenden Personen übereinstimmt oder ggf. davon abweicht und inwieweit sich die Übereinstimmungen oder Abweichungen auf die Verrechnungspreisbildung niederschlagen müssen. Es ist jedoch in diesem Zusammenhang nicht Aufgabe des Steuerpflichtigen, Wertschöpfungsbeiträge der übrigen (in- und ausländischen) nahestehenden Personen detailliert zu analysieren, darzulegen oder gar abschließend auf Gesamtunternehmensebene zu gewichten. Insoweit unterscheidet der Verordnungsgeber bewusst zwischen der Dokumentationsaufgabe gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a GAufzV, wonach Informationen über das Funktions- und Risikoprofil des Steuerpflichtigen und der nahestehenden Personen darzulegen sind, und der Dokumentationsaufgabe des Steuerpflichtigen gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GAufzV, die sich neben der allgemeinen Beschreibung der Wertschöpfungskette lediglich auf die Beschreibung des eigenen Wertschöpfungsbeitrags des Steuerpflichtigen bezieht (vgl. Kap. 8). Ziff. 7 in der Anlage zu § 5 GAufzV (Umfang der Stammdokumentation) bestätigt dies schlussendlich, indem eine sog. zusammenfassende Funktionsanalyse erfolgen soll, welche die Hauptbeiträge beschreibt, die von einzelnen Konzernunternehmen zur Wertschöpfung geleistet werden. Nach § 1 Abs. 3 Satz 4 GAufzV gilt in diesem Zusammenhang zur Erfüllung der Dokumentationspflichten im Übrigen Folgendes: Hat der Steuerpflichtige die von ihm und den ihm nahestehenden Personen ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten wesentlichen Vermögenswerte in ihrer Bedeutung für einen Geschäftsvorfall gewichtet – so wie dies bspw. im Rahmen der o.g. BPA-Analyse der Fall sein kann –, so muss diese Gewichtung inhaltlich widerspruchsfrei sein. Nach der GAufzV müssen in solchen Fällen für jede am Geschäftsvorfall beteiligte Partei die ausgeübten Funktionen, das Ausmaß der tatsächlich übernommenen Risiken und die Höhe der tatsächlich eingesetzten wesentlichen Vermögenswerte quantitativ nachvollziehbar dargestellt werden.2
1 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 13 zu Buchst. b. 2 Kritisch Treidler/Grothe, IStR 2018, 194 (195).
Puls | 325
4.74
Kap. 4 Rz. 4.75 | Funktions- und Risikoanalyse
IV. Abgrenzung zur DEMPE-Analyse/Funktionen und Risiken bei immateriellen Vermögenswerten 4.75
Funktionsanalyse vs. „DEMPE-Analyse“. Die OECD hat im Rahmen ihres „Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) Projekts“ in Aktionspunkt 8 bis 10 „Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation“ das sog. DEMPE-Konzept entwickelt. Jenes Konzept ist in Tz. 6.32 ff. der OECD-Leitlinien 2022 verankert. Zielsetzung der OECD ist in diesem Zusammenhang die stärkere Herstellung eines wirtschaftlichen Bezugs der Entwicklung und Nutzung von immateriellen Vermögenswerten zu einem daraus resultierenden wirtschaftlichen „Fruchtziehungsrecht“ gewesen. Nach dem DEMPE-Konzept ist die Zuordnung von Erträgen aus immateriellen Vermögenswerten mithin derjenigen rechtlichen Einheit zuzurechnen, die das sog. funktionale Eigentum innehat. In Zukunft soll daher der Fokus der Fremdvergleichsanalyse weniger auf das zivilrechtliche, sondern vielmehr auf das sog. funktionale Eigentum im Sinne einer wertschöpfungs- und risikoorientierten Erfolgszurechnung gerichtet sein. Das DEMPE-Konzept wirkt daher über Art. 9 OECD-MA auf die Fragestellung einer möglichen (innerstaatlichen) Einkünftekorrektur infolge einer nicht-fremdvergleichskonformen Erfolgszurechnung ein und hat mithin unmittelbare Bedeutung aus steuerlicher Verrechnungspreissicht (siehe nunmehr auch § 1 Abs. 3c AStG ab VZ 2022, s.u.). Der Startpunkt für die Verrechnungspreisanalyse im Hinblick auf „intangible related transactions“ bildet die rechtliche Vertragsgrundlage, gefolgt von einer wertschöpfungsbezogenen Beitragsanalyse (sog. Wirtschaftlichkeitsanalyse).1 Die anschließende Wirtschaftlichkeitsanalyse hingegen hat eine Untersuchung der Beiträge der verschiedenen an der Entwicklung und Verwertung eines immateriellen Wertes beteiligter Konzerngesellschaften zum Gegenstand. Hierbei werden etwaige Differenzen zwischen dem rechtlichen und dem wirtschaftlichen Eigentum identifiziert. In einer wertschöpfungsbeitragsorientierten Analyse erfolgt die Identifizierung derjenigen Konzerngesellschaften, die in Bezug auf die (i) Entwicklung, (ii) Verbesserung, (iii) Erhaltung, (iv) den Schutz und (v) die Verwertung immaterieller Werte die maßgeblichen Funktionen ausüben und die damit zusammenhängenden Risiken tragen. Hierdurch entsteht auf Seiten des entsprechend handelnden Konzernunternehmens sog. funktionales Eigentum. Die Grundsätze des sog. wirtschaftlichen Eigentums nach § 39 AO werden hierdurch nicht berührt.2 In § 1 Abs. 3c AStG ist das o.g. DEMPE-Konzept der OECD nunmehr gesetzlich verankert. Dies soll nach Ansicht der Finanzverwaltung deklaratorisch zu verstehen sein, da die Grundsätze des DEMPE-Konzepts auf alle offenen Besteuerungsfälle Anwendung finden sollen.3
4.76
Einzelheiten der DEMPE-spezifischen Funktions- und Risikoanalyse. Kernelement der DEMPE-Analyse sind die insoweit ausgebübten Funktionen und eingegangenen Risiken der Parteien: Im Rahmen der Funktionsanalyse sind laut OECD die o.g. zentralen Funktionen „Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung sowie Schutz und Verwertung“ zu berücksichtigen. Keine „Funktion“ im tatbestandlichen Sinn stellt nach Ansicht der OECD die reine Beschaffungs- und Bereitstellungsfunktion finanzieller Mittel dar. Vielmehr ist die reine Finanzierung von IP-Entwicklungstätigkeiten durch eine angemessene und fremdvergleichskonforme Kapitalverzinsung abzugelten, sodass eine Konzerneinheit, die lediglich finanzielle Mittel bereitstellt (z.B. ohne weitergehende operative Tätigkeiten im Bereich der IP-Entwicklung aus1 Tz. 6.32 ff. OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Puls/Heravi, IStR 2018, 721; vgl. jüngst auch Schuster/Steiner/Ullmann, DB 2022, 148. 3 Siehe BMF v. 14.7.2021, a.a.O., Rz. 3.53 u. 6.3.; siehe auch Grotherr, DStZ 2021, 864; Grotherr, Ubg 2021, 618; siehe auch Woelk/Zimmermann/Wargowske/Greil, IStR 2021, 909.
326 | Puls
E. Wertschöpfungsanalyse | Rz. 4.77 Kap. 4
zuüben) und die damit einhergehenden finanziellen Risiken trägt, lediglich eine risikoadjustierte Vergütung für die Kapitalüberlassung erwarten kann. Die Funktionsanalyse wird in einem Folgeschritt durch eine Risikozuweisung ergänzt. Maßgeblich ist hier die Fragestellung, ob die funktionsausübende Konzerngesellschaft auch in der Lage ist, die mit der Funktionsausübung verbundenen Risiken zu tragen. Hierbei ist zu beachten, dass eine erhöhte Risikotragung in der Regel mit einer höheren Renditeerwartung einhergeht. Nach Ansicht der OECD bildet – wie oben bereits aufgezeigt – der sog. „Risk-ControlApproach“ den zentralen Ausgangspunkt für die Risikoanalyse.1 Hierdurch soll die rein vertragliche Zuweisung von Risiken zu Konzerngesellschaften verhindert werden, ohne dass die betreffende Konzerngesellschaft die personellen Ressourcen und die tatsächlichen (Einfluss-/ Interventions-)Möglichkeiten zur Kontrolle der jeweilig identifizierten Risiken und der finanziellen Mittel hinsichtlich der Risikotragung (im Fall der Risikomaterialisierung) innehat. Sofern eine Konzerngesellschaft nicht alle DEMPE-Funktionen selbst ausübt, sondern an andere Konzerngesellschaften delegiert, so sind diese hierfür im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz in angemessener Weise für die Funktionsausübung zu vergüten. Die OECDLeitlinien 2022 führen hierzu allgemein aus, dass das Outsourcing von DEMPE-Funktionen gewissermaßen ohne eine „Gefährdung“ des Anspruchs auf den Residualgewinn nur dann erfolgen kann, wenn die outsourcende Konzerngesellschaft die Kontrolle über die ausgelagerten Funktionen beibehält und infolgedessen die Fähigkeit zur Kontrolle der mit den DEMPEFunktionen verbundenen Risiken erhalten bleibt.2 Für die Praxis dürfte dies bedeuten, dass zumindest die Letztentscheidungsbefugnis im Hinblick auf alle wesentlichen Steuerungs- und Kontrolltätigkeiten nicht delegiert werden darf. Schematischer Überblick über DEMPE-relevante Analyseschritte. Zusammenfassend können die von der OECD im Rahmen der aktualisierten OECD-Leitlinien 2022 angeführten Prüfungsschritte für die Analyse konzerninterner Transaktionen im Zusammenhang mit immateriellen Vermögenswerten wie folgt dargestellt werden:3 Sachverhaltsanalyse – Identifikation der immateriellen Vermögenswerte und der mit den DEMPE-Funktionen verbundenen Risiken; – Identifikation der vertraglichen Vereinbarungen und sonstigen rechtlichen Umstände, insbesondere der vertraglichen Risikoallokation zwischen den Transaktionspartnern; – Identifikation aller Transaktionspartner und der von diesen ausgeübten DEMPE-Funktionen, eingesetzten Vermögenswerte und übernommenen Risiken. Sog. Abweichungsanalyse – Prüfung der Übereinstimmung zwischen vertraglichen Regelungen und deren Durchführung sowie Untersuchung der Frage, ob risikotragende Parteien die Risiken auch tatsächlich kontrollieren und die finanziellen Kapazitäten zur Risikoübernahme (im Fall der Risikomaterialisierung) besitzen; – Beschreibung der tatsächlichen Ausübung der DEMPE-Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken. 1 Tz. 1.61 f. OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 6.54 OECD-Leitlinien 2022. 3 Siehe zu den einzelnen Schritten Tz. 6.34 OECD-Leitlinien 2022.
Puls | 327
4.77
Kap. 4 Rz. 4.77 | Funktions- und Risikoanalyse
Sog. Anpassungsanalyse – Bestimmung einer fremdüblichen Vergütung für die Beiträge der Transaktionspartner hinsichtlich der ausgeübten Funktionen, eingesetzten Vermögenswerte und der übernommenen Risiken. Die Beweis- bzw. Darlegungslast hinsichtlich der Identifizierung, Analyse sowie der Bestimmung einer fremdvergleichskonformen Bestimmung der Erträge obliegt vor diesem Hintergrund dem Steuerpflichtigen nur insoweit, als die o.g. Punkte Gegenstand der Dokumentationspflichten des Steuerpflichtigen nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 (Funktions- und Risikoanalyse im Rahmen des Local Files) und Abs. 2 GAufzV sowie § 5 GAufzV (Anlage – Stammdokumentation, dort Tz. 2, 5, 7, 9 bis 13) sein können.
328 | Puls
Kapitel 5 Methoden zur Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Standardmethoden I. Preisvergleichsmethode 1. Vorgehensweise der Preisvergleichsmethode . . . . . . . . . . . . . . 2. Innerer Preisvergleich . . . . . . . . . 3. Äußerer Preisvergleich . . . . . . . . 4. Anwendungsvoraussetzungen . . II. Wiederverkaufspreismethode 1. Vorgehensweise der Wiederverkaufspreismethode . . . . . . . . . . . 2. Ermittlung der marktüblichen Handelsspanne . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereiche . . . . . . . . . III. Kostenaufschlagsmethode 1. Vorgehensweise der Kostenaufschlagsmethode . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereiche . . . . . . . . . 3. Ermittlung der Kostenbasis a) Anzuwendender Kostenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Relevante Kostenarten . . . . . c) Zeitbezug der Kosten . . . . . . d) Sachumfang der Kosten . . . . 4. Gewinnaufschlag . . . . . . . . . . . . . 5. Nachteile der Kostenaufschlagsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kombination der Standardmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Gewinnorientierte Methoden I. Grundlagen und Rechtsentwicklung II. Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßgebende Nettomarge . . . . . . 3. Anpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Quantitative Ermittlung . . . . . . . III. Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßgebende Gewinngröße . . . . . 3. Methoden der Gewinnaufteilung IV. Gewinnvergleichsmethode . . . . . . . .
5.1
5.5 5.8 5.11 5.13 5.15 5.17 5.31 5.39 5.40 5.42 5.45 5.51 5.64 5.69 5.80 5.81 5.82 5.92 5.101 5.109 5.113 5.123 5.127 5.129 5.136
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden I. Auffassung der OECD . . . . . . . . . . . 5.138 II. Regelungen des § 1 AStG 1. § 1 AStG i.d.F. des UntStRefG 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.146 2. § 1 AStG i.d.F. des AbzStEntModG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.147 III. Rechtsprechung des BFH . . . . . . . . . 5.151 IV. Auffassung der Finanzverwaltung 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . 5.152 2. VWG-Funktionsverlagerung . . . 5.154 3. VWG 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.157 4. VWG VP 2021 . . . . . . . . . . . . . . 5.159 E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich I. Begriffsabgrenzung . . . . . . . . . . . . . 5.163 II. Preis- und Wertbandbreiten 1. Ursachen für die Entstehung a) Volkswirtschaftliche Erklärung: Unvollkommenheit von Märkten . . . . . . . . . . . . . . . . 5.166 b) Voraussetzungen nach § 1 Abs. 3 Satz 5 f. AStG und § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG . . . . . . 5.168 2. Einengung von Bandbreiten a) OECD-Leitlinien . . . . . . . . . 5.169 b) Rechtsprechung des BFH . . 5.173 d) Gesetzliche Regelung . . . . . . 5.176 c) Auffassung der deutschen Finanzverwaltung . . . . . . . . . . 5.183 3. Verrechnungspreisbestimmung . 5.185 4. Einkünftekorrekturen und Fremdvergleichsbandbreiten a) Keine verbleibenden Unterschiede in der Vergleichbarkeit (§ 1 Abs. 3a Satz 1 AStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.187 b) Verbleibende Unterschiede in der Vergleichbarkeit (§ 1 Abs. 3a Satz 2 AStG) . . . . . . 5.190 c) Schätzung bei Verletzung der Mitwirkungspflichten . . . . . 5.192
Baumhoff u.a. | 329
Kap. 5 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung III. Einigungsbereich 1. Bestimmung der Preisgrenzen a) Vorbemerkungen . . . . . . . . b) Preisgrenze des Leistungserbringers . . . . . . . . . . . . . . c) Preisgrenze des Leistungsempfängers . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmungsfaktoren des Einigungsbereichs a) Vorbemerkungen . . . . . . . . b) Standortvorteile, Synergieeffekte und alternative Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . c) Berücksichtigung von Steuereffekten aa) Periodische Besteuerungseffekte . . . . . . . . . bb) Aperiodische Besteuerungseffekte . . . . . . . . .
5.197 5.199 5.202 5.204 5.205
5.208 5.210
3. Aufteilung des Einigungsbereichs a) Betriebswirtschaftliche Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . 5.214 b) Auffassung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.217 c) Gesetzliche Regelung . . . . . 5.219 4. Nachträgliche Verrechnungspreiskorrekturen a) Unzutreffender Einigungsbereich/Verrechnungspreisansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.223 b) Preisanpassungsklausel . . . 5.226 5. Sonderproblem: Negativer Einigungsbereich a) Begriffsbildung und -abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.234 b) Verrechnungspreisbestimmung bei negativen Einigungsbereichen . . . . . . . . . . 5.238
Literatur: Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung, 2004, 148; Baumhoff/ Ditz/Greinert, Angemessenheit von Verrechnungspreisen gegenüber inländischen Vertriebsgesellschaften – Anmerkungen zum BFH-Urteil vom 6.4.2005, I R 22/04, IStR 2005, 592; Baumhoff in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Festschrift für Krawitz, Wiesbaden 2010, 21; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 133; Baumhoff in Gocke/Gosch/M. Lang (Hrsg.), Festschrift für Wassermeyer, München 2009, 355; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerecht international tätiger Unternehmen, Köln 2018, Rz. 4.209 ff.; David/Hülshorst in Seer/Lüdicke/Rasch (Hrsg.), Festschrift für Heinz-Klaus Kroppen, Köln 2020, 119 ff.; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 2005, 688 f.; Freidank, Kostenrechnung8, München 2007; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied/Kriftel, 2001; Kilger/Pampel/Viskas, Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung12, Wiesbaden 2007; Kolb, Datenbankanalysen zu internationalen Verrechnungspreisen – Erfahrungen aus der Betriebsprüfung, IWB 2009, Fach 3 Gruppe 1, 2391; Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch (Hrsg.), Handbuch internationale Verrechnungspreise, Köln 2016, OECD-Kap. II, Anm. 1 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, München 2016, 563 ff.; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 2009; Liebchen in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 9 Anm. 152 ff.; Oestreicher/Duensing, Eignung von Unternehmensdatenbanken zur Bestimmung der Verrechnungspreise an deutsche Vertriebsunternehmen, IStR 2005, 134; Schreiber in Kroppen/ Rasch (Hrsg.), Handbuch internationale Verrechnungspreise, Köln 2013, VerwGr. Verf. Anm. 1; Schreiber in Rödder/Wassermeyer/Ditz (Hrsg.), Freundesgabe für Hubertus Baumhoff, Köln 2019, 313 ff.; Tucha, Der Einsatz von Unternehmensdatenbanken im Rahmen von Verrechnungspreisanalysen – Möglichkeiten und Grenzen, IStR 2002, 745; Vögele/Raab/Braukmann in Vögele/Borstell/ Bernhardt (Hrsg.); Verrechnungspreise, 5. Aufl., München 2020, C Rz. 50 ff.; Schwenke/Greil in Wassermeyer, DBA, Art. 9 Rz. 288 ff.
330 | Baumhoff/Liebchen
A. Überblick | Rz. 5.3 Kap. 5
A. Überblick Standardmethoden. Die Konkretisierung des Fremdvergleichs der Höhe nach erfolgt durch sog. Verrechnungspreismethoden. Zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise kommen zunächst grundsätzlich die drei national wie international anerkannten und gebräuchlichen geschäftsvorfallbezogenen Standardmethoden in Betracht, nämlich
5.1
– die Preisvergleichsmethode, – die Wiederverkaufspreismethode und – die Kostenaufschlagsmethode. Gewinnorientierte Methoden. Daneben können zur Ermittlung des Fremdvergleichspreises nach § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG als weitere geeignete Verrechnungspreismethoden nach den VWG VP1, den VWG 20202 sowie den OECD-Leitlinien3 die sog. gewinnorientierten Methoden herangezogen werden. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG ist der Fremdvergleichspreis grundsätzlich nach der im Hinblick auf die Vergleichbarkeitsanalyse und die Verfügbarkeit von Werten zu vergleichbaren Geschäftsvorfällen voneinander unabhängiger Dritter am besten geeigneten Verrechnungspreismethode zu bestimmen. Ausweislich der Begründung zum Regierungsentwurf des Abzugssteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes4 will der Gesetzgeber umfänglich auf die OECD-Leitlinien Bezug nehmen, und zwar neben der grundsätzlichen Anwendbarkeit sämtlicher anerkannter Verrechnungspreismethoden insbesondere hinsichtlich der Auswahl der anzuwendenden Methode auf das Konzept der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“.5 Gegenüber § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 AStG a.F. ergeben sich hinsichtlich der grundsätzlichen Anforderung, dass eine Verrechnungspreismethode für die Preisbestimmung in Bezug auf den konkreten Geschäftsvorfall geeignet sein muss, keine Unterschiede.
5.2
Zunächst sind die geschäftsvorfallbezogenen von den nicht-geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden zu unterscheiden. Als mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar werden national6 wie international7 nur die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden angesehen, nämlich die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM) und die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split-Method). Sie untersuchen die Gewinne aus verbundinternen Geschäftsvorfällen und vergleichen diese mit Gewinnen voneinander unabhängiger Unternehmen aus vergleichbaren Geschäftsvorfällen. Globale Gewinnaufteilungsmethode. Dagegen ist die globale Gewinnaufteilungsmethode, bei der ein konsolidierter (Konzern-)Gewinn aller Konzerneinheiten ermittelt und anhand bestimmter Schlüsselgrößen (z.B. das eingesetzte Vermögen, die Lohnsumme oder der Umsatz) auf die nationalen Konzerngesellschaften aufgeteilt wird, nach Auffassung der OECD nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar. Sie wird von der OECD kategorisch abge1 2 3 4
Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 Buchst. d) u. e); Rz. 3.10 und 3.11. Vgl. VWG 2020, Rz. 14, 45 f. u. 71. Vgl. Tz. 2.1 u. 2.62 ff. OECD-Leitlinien 2022. Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, S. 1259. 5 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 78 f. 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 Satz 2 Buchst. d) u. e). 7 Vgl. Tz. 2.6 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 331
5.3
Kap. 5 Rz. 5.3 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
lehnt und als „nicht realistische Alternative zum Fremdvergleichsgrundsatz“1 angesehen. Insofern steht sie nicht im Einklang mit Art. 9 OECD-MA. Die strikte Ablehnung der globalen formelhaften Gewinnaufteilungsmethode durch die OECD ist insbesondere auch im Hinblick auf die Bemühungen der EU zur Schaffung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB; „Common Consolidated Corporate Tax Base“ = CCCTB) als ausgesprochen bemerkenswert anzusehen. Diese haben bekanntlich nach 10-jährigen Vorarbeiten zur Veröffentlichung eines Richtlinienentwurfs der Europäischen Kommission am 16.3.2011 geführt, der auf eine Option zur GKKB abstellt.2 Am 25.10.2016 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Neuauflage der GKKB vorgelegt, die in zwei Stufen implementiert und für die größten Unternehmensgruppen in der EU verpflichtend werden soll.3 Bis heute ist offen, inwieweit die Vorschläge der Europäischen Kommission unter den Mitgliedstaaten konsensfähig sind.4 Angesichts der aktuellen Vorschläge der OECD/G20 zur Besteuerung der Digitalwirtschaft5 und der dort vorgesehenen und auf einer Differenzierung zwischen Residual- und Routinegewinn basierenden Quellenbesteuerung in den Marktstaaten ist jedenfalls mehr als fraglich, ob die GKKB (ggf. in modifizierter Form) überhaupt noch umsetzbar ist.6
5.4
Gewinnvergleichsmethode. Nach Auffassung der OECD ist auch die Gewinnvergleichsmethode (Comparable-Profits-Method) mangels Transaktionsbezugs nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar.7 Hierbei geht die OECD davon aus, dass die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Allgemeinen auf einem transaktionsbezogenen Vergleich ba1 Tz. 1.21 OECD-Leitlinien 2022. 2 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), KOM (2011), 121/4. Siehe hierzu Lenz/ Rautenstrauch, DB 2011, 726; Scheffler/Krebs, DStR 2011, Beihefter zu Heft 22, 13; Förster/Krauß, IStR 2011, 607. 3 Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), COM (2016) 683 final; Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage, COM (2016) 685 final; siehe auch Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 25.10.2016. 4 Vgl. dazu auch Spengel/Stutzenberger, IStR 2018, 37 ff.; Haase/Nürnberg, Ubg 2018, 29 ff. 5 S. u.a. OECD v. 14.10.2020, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/beba0634-en; OECD v. 8.10.2021, Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing, Paris, https://www.oecd.org/tax/beps/ brochure-two-pillar-solution-to-address-the-tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-of-theeconomy-october-2021.pdf; OECD v. 20.12.2021, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two), OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing, Paris, https://www.oecd.org/tax/beps/tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economy-global-anti-base-erosion-model-rules-pillartwo.pdf; OECD v. 14.3.2022, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Commentary to the Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two), OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing, Paris, https://www.oecd.org/tax/beps/tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economy-global-anti-base-erosion-model-rules-pillartwo-commentary.pdf; EU-Kommission v. 22.12.2021, EU-Richtlinienvorschlag zur globalen Mindestbesteuerung („Pillar II“), https://ec.europa.eu/taxation_customs/system/files/2021-12/ COM_2021_823_1_EN_ACT_part1_v11.pdf. 6 Vgl. auch Ditz/Pinkernell, ISR 2019, 385. 7 Vgl. Tz. 2.62 OECD-Leitlinien 2022.
332 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.5 Kap. 5
siert.1 Kann dieser Transaktionsbezug jedoch dadurch hergestellt werden, dass die Betriebsgewinne einzelnen Geschäftsvorfällen zuordenbar sind, und besteht deshalb eine Vergleichbarkeit mit Fremdgeschäften, genügt auch die Gewinnvergleichsmethode den Anforderungen an eine Vergleichbarkeitsanalyse i.S.d. OECD-Leitlinien.2 Insofern akzeptieren auch die OECD-Leitlinien die Gewinnvergleichsmethode als eine mit dem Fremdvergleich vereinbare Methode.3 Dies sollte nunmehr auch der Auffassung der deutschen Finanzverwaltung entsprechen, sodass der bisherige pauschale Angang, dass die Gewinnvergleichsmethode stets nicht zu fremdvergleichskonformen Ergebnissen führt und diese Methode deshalb abgelehnt wurde, überholt ist.4 Dagegen wird die Gewinnvergleichsmethode etwa in Großbritannien, Japan, Frankreich und den Niederlanden nicht als eigenständige Verrechnungspreismethode anerkannt.5 Dessen ungeachtet ist in der Betriebsprüfungspraxis immer wieder festzustellen, dass es gerade gesamtunternehmensbezogene Renditevergleiche sind, die methodisch auf die Gewinnvergleichsmethode zurückgehen, mittels derer die Unangemessenheit von Verrechnungspreisen behauptet wird.
B. Standardmethoden I. Preisvergleichsmethode 1. Vorgehensweise der Preisvergleichsmethode Form des tatsächlichen Fremdvergleichs. Die Preisvergleichsmethode6 orientiert sich zur Bestimmung von Verrechnungsentgelten an Preisen, die bei vergleichbaren Geschäften zwischen Fremden am Markt vereinbart werden (Marktpreise). Damit ist sie die einzige Methode, die zur Ermittlung von Vergleichstatbeständen einem tatsächlichen Fremdvergleich standhält. Entsprechend der Unterteilung des tatsächlichen Fremdvergleichs in einen innerbetrieblichen und einen zwischenbetrieblichen Vergleich lässt sich bei Anwendung der Preisvergleichsmethode zwischen einem – inneren Preisvergleich (betriebsindividuelle Preise) und einem – äußeren Preisvergleich (markt- oder branchenübliche Preise) unterscheiden. Wichtigste Voraussetzung für die Anwendung der Preisvergleichsmethode ist eine direkte Vergleichbarkeit oder zumindest indirekte Vergleichbarkeit (indirekter Preisvergleich) der Verhältnisse, wovon immer dann auszugehen ist, wenn sowohl die Art und Ausgestaltung der Vergleichsobjekte als auch die Nebenbedingungen des Vergleichsgeschäfts mit dem zu beurteilenden Geschäft in allen wesentlichen Einzelheiten übereinstimmen oder abweichende Merkmale durch Korrekturen eliminiert werden können (s. Rz. 3.113 ff.).
1 Vgl. Tz. 2.63 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. hierzu auch Vögele/Raab/Braukmann in V/B/B, Verrechnungspreise5, C Rz. 371 f.; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 2009, 56. 3 Vgl. Tz. 2.62 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 Satz 1 i.V.m. Tz. 2.62 OECD-Leitlinien. 5 Siehe Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 2009, 56 m.w.N. 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 Satz 2 Buchst. a); Tz. 2.14 ff. OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 333
5.5
Kap. 5 Rz. 5.6 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
5.6
Identität der Leistungsbeziehungen? Demgegenüber verlangt der BFH in seinem Urteil vom 6.4.2005,1 dass die Preise „auf zumindest im Wesentlichen identischen Leistungsbeziehungen beruhen“. Dies hat der BFH in seinem Urteil vom 18.5.20212 nochmals bestätigt. Mit der Forderung nach einer Identität der Leistungsbeziehungen werden zu hohe Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Verhältnisse gestellt. Vergleichbarkeit bedeutet nämlich keine Identität, also Deckungsgleichheit der Verhältnisse. Vielmehr ist Vergleichbarkeit bereits dann gegeben, wenn die Vergleichsobjekte ähnlich mit Bezug auf ihre wesentlichen Merkmale sind. Bereits bisher forderten § 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AStG sowie die Finanzverwaltung keine uneingeschränkte Vergleichbarkeit, vielmehr reichte unter bestimmten Umständen auch eine eingeschränkte Vergleichbarkeit.3 Zwar hat der Gesetzgeber mit dem Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz4 die bisherige Unterscheidung zwischen uneingeschränkter und eingeschränkter Vergleichbarkeit formal aufgegeben. Mittels § 1 Abs. 3 Sätze 3 ff. AStG wird allerdings das Konzept der OECD-Leitlinien zur Vergleichbarkeitsanalyse5 umfassend in das nationale Recht übernommen. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG liegt zugrunde, dass die Vergleichbarkeit bezogen auf die konkrete Verrechnungspreismethode zu beurteilen ist und dass nur solche Unterschiede zwischen den zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfällen und dem zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsvorfall beachtlich sind, die die Anwendbarkeit der konkreten Verrechnungspreismethode beeinflussen können.6 Die deutsche Finanzverwaltung geht in Rz. 3.22 VWG VP 2021 zwar – grundsätzlich im Einklang mit den OECD-Leitlinien – davon aus, dass eine Vergleichbarkeit nicht gegeben sei, wenn sich Geschäftsbedingungen oder Umstände eines zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfalls so erheblich voneinander unterscheiden, dass die Unterschiede durch Anpassungsrechnungen nicht beseitigt werden können.7 Allerdings werden (i) als relevante „Geschäftsbedingungen oder Umstände eines zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfalls“ solche verstanden, die sich auf den Preis oder Gewinn auswirken, und (ii) das Ausmaß der Auswirkungen auf jede „nicht unwesentliche Auswirkung“ bezogen.8 Nach dem Verständnis der OECD-Leitlinien bezieht sich die Vergleichbarkeit demgegenüber auf die konkrete Verrechnungspreismethode. So heißt es in Tz. 3.47 OECD-Leitlinien „Vergleichbar sein heißt (...) dass keiner der Unterschiede (soweit vorhanden) zwischen den im Rahmen der Methode verglichenen Gegebenheiten die untersuchten Bedingungen beeinflussen kann oder dass hinreichende Anpassungen erfolgen können, um die Auswirkungen dieser Unterschiede anzupassen.“ Dementsprechend wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben. Nur bei der Preisvergleichsmethode ist das Vergleichsobjekt der Preis, während die Anknüpfung an eine unspezifizierte „Gewinn“-Größe für keine Verrechnungspreismethode (unmittelbar) rele-
1 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 2 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = DB 2021, 2604 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.7 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021); Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1555 f. 4 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, S. 1259. 5 Vgl. Tz. 3.1 ff. OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. auch BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 79. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.22 Satz 1. 8 VWG VP 2021, Rz. 3.22 Satz 1.
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B. Standardmethoden | Rz. 5.7 Kap. 5
vant ist. Was das Ausmaß der Auswirkungen auf relevante Vergleichsobjekte betrifft, gehen die OECD-Leitlinien auch nicht von einer „nicht unwesentlichen“, sondern von einer „wesentlichen“ Auswirkung aus.1 Vergleichbarkeitsanpassungen sind schließlich nur dann in Betracht zu ziehen, wenn die Verlässlichkeit der Ergebnisse im Hinblick auf die Vergleichbarkeit hiernach relevanter Unterschiede erhöht wird. Nach der Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen verbleibende Unterschiede in der Vergleichbarkeit führen nach § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG dazu, dass die Fremdvergleichsbandbreite einzuengen ist und für die Bestimmung des Verrechnungspreises und die Beurteilung seiner Angemessenheit die eingeengte Fremdvergleichsbandbreite maßgeblich ist (§ 1 Abs. 3a Satz 4 AStG). Dementsprechend hat der BFH mit seinem Urteil vom 18.5.2021 die Preisvergleichsmethode als „Grundmethode zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise“ gestärkt und eine zumindest eingeschränkte Vergleichbarkeit der Preise des in Rede stehenden Geschäfts und des Vergleichsgeschäfts für die Anwendung der Preisvergleichsmethode als hinreichend angesehen, wenn Unterschiede in der Vergleichbarkeit im Rahmen einer Schätzung quantifiziert und durch Anpassungsrechnungen eliminiert werden können.2 Preisbandbreiten. Lassen sich mit Hilfe der Preisvergleichsmethode im Einzelfall mehrere, unterschiedliche Vergleichspreise ermitteln, bilden diese ein Preisband. Die Existenz derartiger „Preisbänder“ erwähnt § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG ausdrücklich („Die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes führt regelmäßig zu einer Bandbreite von Werten.“). Sie ist ferner sowohl von der deutschen Finanzverwaltung3 und der Rechtsprechung4 als auch von der OECD5 anerkannt. Zu der sich daraus zwangsläufig ergebenden Frage, welcher Wert innerhalb dieser Bandbreite im Einzelfall konkret anzusetzen ist, hat der BFH festgestellt, dass sich die Finanzverwaltung im Regelfall an der für den Steuerpflichtigen günstigeren Ober- oder Untergrenze der Bandbreite von möglichen Fremdvergleichspreisen zu orientieren habe.6 Dieser Vorgehensweise liegt die zutreffende Überlegung zugrunde, dass innerhalb der maßgeblichen Bandbreite von Fremdvergleichspreisen letztlich jeder Wert dem Fremdvergleich entspricht und insoweit eine Rechtsgrundlage für eine Einkünftekorrektur fehlt. Allerdings ist diese Rechtsprechung legislativ eingeschränkt. Sie hatte bisher nur insofern noch Bestand, als die Preisbandbreite auf uneingeschränkt vergleichbare Referenztransaktionen zurückgeht; in diesem Fall konnte der Steuerpflichtige jeden beliebigen Wert aus der Bandbreite wählen.7 Waren demgegenüber die Vergleichsdaten allenfalls eingeschränkt vergleichbar, war die Bandbreite gem. § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG a.F. einzuengen. Fraglich ist, ob auch in Fällen der bisher bekann-
1 Vgl. nur Glossar der OECD-Leitlinien 2022 [„Vergleichbarkeitsanalyse (Comparability analysis“)]. 2 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch. Die Vorinstanz hatte die Ableitung von Konzernfinanzierungszinssätzen sowohl mittels äußeren als auch mittels inneren Preisvergleichs insbesondere deshalb abgelehnt, weil nicht im Wesentlichen identische Leistungsbeziehungen vorliegen, vgl. FG Münster v. 7.12.2016 – 13 K 4037/ 13 K,F, EFG 2017, 334; siehe hierzu auch z.B. Stein/Schwarz/Nientimp, DB 2017, 1169; Ditz/Engelen, Ubg 2017, 440; Schnorberger/Haverkamp, ISR 2017, 151; Bärsch, IStR 2017, 629. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.29. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. Tz. 3.55 ff. OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; ausführlich hierzu Baumhoff in FS Wassermeyer, 355 ff. m.w.N. Siehe hierzu auch BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 7 § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F.
Baumhoff/Liebchen | 335
5.7
Kap. 5 Rz. 5.7 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
ten sog. „uneingeschränkten Vergleichbarkeit“ Fremdvergleichsbandbreiten nicht einzuengen sind. Nach § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG ist eine Bandbreite von Vergleichswerten einzuengen, wenn nach der Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen Unterschiede in der Vergleichbarkeit verbleiben.1 Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass umfänglich auf die Grundsätze der OECD-Leitlinien Bezug genommen wird,2 wobei allerdings die in Tz. 3.55 und 3.56 OECD-Leitlinien3 angelegte Beschränkung auf Ausnahmefälle, in denen die Fremdvergleichsbandbreite Werte beinhalte, die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen, in der Gesetzesbegründung nur unzutreffend wiedergegeben wird. Gleiches gilt für den Fall, dass die Vergleichswerte einen relativ gleichen Grad an Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit aufweisen; denn insofern kommt eine Einengung der Fremdvergleichsbandbreite nicht in Betracht. Die deutsche Finanzverwaltung ist bisher jedenfalls regelmäßig dann, wenn eine Unvergleichbarkeit der Vergleichswerte im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs ausgeschlossen werden kann, von einer nur eingeschränkten Vergleichbarkeit ausgegangen und sieht dementsprechend nur eine eingeengte Preis- oder Wertbandbreite als zulässig an.4 Dies sollte mit den OECD-Leitlinien jedenfalls insofern nicht zu vereinbaren sein, als das Verbleiben von Vergleichbarkeitsdefiziten gerade nicht als Regelfall konzipiert ist. Bezogen auf die deutsche Finanzverwaltung zeigt die Betriebsprüfungspraxis, dass regelmäßig und zwar ohne begründete Auseinandersetzung mit den Vergleichswerten einerseits und etwaigen Unterschieden zwischen den Vergleichswerten im Hinblick auf deren Bedeutung für die konkrete Verrechnungspreismethode andererseits von einer lediglich eingeschränkten Vergleichbarkeit ausgegangen wurde und wohl zukünftig von verbleibenden Unterschieden in der Vergleichbarkeit gem. § 1 Aba. 3a Satz 1 AStG ausgegangen wird, sodass (i) die Fremdvergleichsbandbreite einzuengen ist und (ii) eine sog. Mediankorrektur nach § 1 Abs. 3a Satz 4 AStG bei Wertansätzen außerhalb der eingeengten Bandbreite jedenfalls dann droht, wenn der Steuerpflichtige nicht glaubhaft macht, dass ein anderer Wert – wohl nur innerhalb der eingeengten Bandbreite – dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht (Rz. 5.188 f.).
2. Innerer Preisvergleich 5.8
Innerer Preisvergleich. Ein innerer Preisvergleich setzt voraus, dass ein Konzernunternehmen die gleiche Lieferung oder Leistung unter vergleichbaren Verhältnissen sowohl gegenüber verbundenen wie auch unverbundenen Unternehmen erbringt bzw. sowohl von verbundenen wie auch unverbundenen Unternehmen erhält. Damit erweist sich der innere Preisvergleich immer dann als besonders geeignet, wenn ein internationaler Unternehmensverbund über organisatorisch und rechtlich selbständige Unternehmen verfügt, die sowohl zu verbundenen wie unverbundenen Unternehmen Geschäftsbeziehungen mit einem vergleichbaren Lieferoder Leistungsprogramm unterhalten.
5.9
Vergleich marktentstandener Preise. Trotz der Tatsache, dass ein verbundenes Unternehmen an der als Vergleichsobjekt fungierenden Transaktion als Vertragspartner beteiligt ist, besitzen die über einen inneren Preisvergleich ermittelten Verrechnungspreise den Charakter markt-
1 2 3 4
Vgl. auch VWG VP 2021, Rz. 3.29 Satz 2. Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 79. Vgl. Tz. 3.55 und 3.56 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. z.B. Förster, IStR 2011, 22; wohl auch Schreiber in Rödder/Wassermeyer/Ditz (Hrsg.), Freundesgabe für Hubertus Baumhoff, Köln 2019, 326 f., wobei die in Bezug genommenen Empfehlungen in Tz. 3.59 OECD-Leitlinien 2022 die (zwingende) Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten nicht tragen.
336 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.11 Kap. 5
entstandener Preise, da die Entscheidungsträger beider beteiligter Unternehmen jeweils ihre eigenen erwerbswirtschaftlichen Ziele verfolgen und somit zwischen diesen ein „natürlicher“ Interessengegensatz besteht. Diese Feststellung gilt jedenfalls solange, als es sich um ein unbeeinflusstes, marktentstandenes Geschäft („Bona-fide-Geschäft“) handelt. Dies setzt allerdings voraus, dass ein verbundenes Unternehmen bewusst keine ungewöhnlichen, wirtschaftlich nicht plausiblen Bedingungen akzeptiert. Wäre dies der Fall, so liegt die Vermutung nahe, dass die unüblichen Bedingungen im Hinblick auf die Schaffung einer geeigneten Vergleichsbasis für konzerninterne Leistungsbeziehungen eingegangen wurden. Dies würde letztlich zu einer missbräuchlichen Anwendung der Preisvergleichsmethode führen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings das BFH-Urteil v. 28.6.2002, nach dem Mängel eines Vertrages unter Angehörigen nicht ohne weiteres auf eine private Veranlassung hindeuten, wenn die durch den Steuerpflichtigen mit fremden Dritten abgeschlossenen Verträge ebenfalls derartige Mängel aufweisen. Überträgt man diese Aussage auf die Anwendung des Fremdvergleichs im Rahmen der internationalen Gewinnabgrenzung, könnten auch von einem ordentlichen Geschäftsleiter nicht akzeptierte Vereinbarungen, soweit sie tatsächlich gegenüber fremden Dritten getroffen werden, als Vergleichsmaßstab im Rahmen der Preisvergleichsmethode fungieren. Ein tatsächlicher Preisvergleich wäre somit selbst in den Fällen maßgeblich, in denen der daraus abgeleitete Verrechnungspreis einem hypothetischen Fremdvergleich (Rz. 3.134 ff.) nicht standhält. Mindestvolumen verbundexterner Referenztransaktionen. Damit die mittels inneren Preisvergleichs abgeleiteten Preise ihre objektivierende Wirkung i.S. marktentstandener Preise entfalten können, ist ferner ein Mindestvolumen verbundexterner Referenztransaktionen erforderlich. Anderenfalls muss man sich gegebenenfalls des Verdachts erwehren, die verbundexternen Geschäfte allein zum Zwecke der Verrechnungspreisrechtfertigung abgeschlossen zu haben.1 Diese Anforderung lässt sich auch aus der Rechtsprechung des BFH ableiten, der die Voraussetzungen eines betriebsinternen Fremdvergleichs nicht als gegeben ansah, wenn die Referenztransaktionen lediglich 5 % des Gesamtumsatzes ausmachen.2
5.10
3. Äußerer Preisvergleich Allgemeines. Der äußere Preisvergleich stellt im Rahmen eines zwischenbetrieblichen Vergleichs auf den Liefer- und Leistungsverkehr zwischen unverbundenen Unternehmen, z.B. der gleichen Branche, ab. Der Unterschied zum inneren Preisvergleich besteht darin, dass am Zustandekommen des Vergleichsgeschäfts kein verbundenes Unternehmen beteiligt war. Der äußere Preisvergleich kommt insbesondere für homogene Liefergegenstände, standardisierte, marktgängige Dienstleistungen sowie für normierte oder an Warenbörsen gehandelte Waren in Betracht, also für marktgängige, branchenübliche Lieferungen und Leistungen, die gleichartig und gleichwertig sind. Entsprechende Vergleichspreise lassen sich ableiten aus Börsenoder Marktnotierungen, branchenüblichen Abschlüssen, Preisübersichten von Verbänden und amtlichen Stellen sowie aus Honorar- und Gebührentabellen.3
1 Vgl. Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 688 f.; Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung, 148. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 sowie hierzu Baumhoff, IStR 2001, 751 ff. 3 Zur Heranziehung von Gebührenordnungen für konzerninterne Dienstleistungen vgl. BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBl. II 1993, 801.
Baumhoff/Liebchen | 337
5.11
Kap. 5 Rz. 5.12 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
5.12
Anonymisierte Vergleichsdaten. Zur Durchführung eines äußeren Preisvergleichs ist auch die Heranziehung von Datenbanken, wie etwa die Lizenzkartei des Bundeszentralamts für Steuern, denkbar. So ist nach Auffassung des BFH v. 17.10.2001 die Verwertung von anonymisierten Vergleichsdaten (sog. „Secret Comparables“) zur Durchführung eines äußeren Preisvergleichs grundsätzlich zulässig.1 Dies gilt unabhängig davon, ob die Daten allgemein zugänglich sind oder nicht. Vor diesem Hintergrund darf sowohl die Finanzverwaltung als auch der Steuerpflichtige Datenbanken aufbauen und verwenden, selbst wenn die entsprechenden Daten nicht allgemein zugänglich sind. Der Beweiswert der aus anonymisierten Datenbanken ermittelten Vergleichsdaten ist allerdings nach Ansicht des BFH davon abhängig, ob die verwendete Datenbank qualitativen Mindestanforderungen genügt. Deshalb steht es den Finanzgerichten offen, Rückfragen über die Zusammenstellung und Ableitung der anonymisierten Vergleichsdaten zu stellen. Sollten diese aus Gründen des Steuergeheimnisses oder aus anderen Gründen nicht beantwortet werden können, geht dies zu Lasten des Beweiswertes der angeführten Vergleichsdaten. Ferner knüpft die Finanzverwaltung an einen datenbankgestützten Fremdvergleich erhebliche Anforderungen und Datenbank- sowie BenchmarkAnalysen unterliegen zudem erhöhten Dokumentationsanforderungen insbesondere im Hinblick auf die Prüfbarkeit.2
4. Anwendungsvoraussetzungen 5.13
Umfangreiche Anwendungsvoraussetzungen. Die Anwendung der Preisvergleichsmethode, die in der Literatur allgemein als das ideale Verfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen angesehen wird, stößt in der Praxis häufig auf schwerwiegende Probleme. Trotz der Existenz von markt- oder branchenüblichen Preisen für bestimmte Lieferungen und Leistungen scheitert ein Preisvergleich häufig auf Grund der Tatsache, dass die zuvor diskutierten umfangreichen Anwendungsvoraussetzungen, die sich aus dem Postulat der Vergleichbarkeit der Verhältnisse ergeben, infolge der Unvollkommenheit der Märkte im konkreten Einzelfall meistens entweder nicht erfüllt sind oder sich die Einflüsse abweichender Transaktionsbedingungen bei potentiellen Vergleichstatbeständen nicht eliminieren lassen.3 Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass bei vergleichbaren Geschäftsbeziehungen zwischen fremden Dritten entsprechende Vergleichspreise vielfach nicht zur Verfügung stehen bzw. nicht feststellbar sind, ganz abgesehen von dem großen Bereich nicht marktüblicher und marktfähiger konzernspezifischer Lieferungen und Leistungen, für die externe Märkte und somit verwertbare Vergleichstransaktionen völlig fehlen.
5.14
Grenzen der Anwendung der Preisvergleichsmethode. Daher kann die Preisvergleichsmethode für die Ermittlung und Beurteilung von Verrechnungspreisen allenfalls als begrenzt verwendbar angesehen werden, da sie nur in speziellen Fällen, in denen sämtliche Anwendungsvoraussetzungen erfüllt sind, konkrete Anhaltspunkte für die Entgeltbemessung liefern kann. Dies ist insbesondere bei Geschäftsvorfällen mit Rohstoffen („Commodity Transactions“) der Fall, für die die die Preisvergleichsmethode grundsätzlich eine geeignete Verrechnungspreismethode ist und – ggf. nach Vornahme hinreichend genauer Vergleichbarkeitsanpassungen im 1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; Kuckhoff/Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 1871 ff. 2 Vgl. § 4 Abs. 3 GAufzV; VWG 2020, Rz. 53. Siehe ferner Ruhmer-Krell/Weidlich, IWB 2020, 542; Dawid et al., ISR 2017, 320 f.; Schnorberger/Haverkamp/Etzig, BB 2017, 1117. 3 Zur Notwendigkeit und Durchführung entsprechender Anpassungsrechnungen vgl. Scholz/Ackermann/Schmitt, IWB F. 3 Gr. 1, 1779 ff.; Dawid/Dorner, IWB F. 10 Gr. 2, 1549 ff.; Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1944.
338 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.16 Kap. 5
Hinblick auf die betriebswirtschaftlich relevanten Geschäftsbedingungen – notierte Preise für die Verrechnungspreisbestimmung herangezogen werden können.1 Ferner ist nach Rspr. des BFH die Preisvergleichsmethode für die Ermittlung fremdüblicher Darlehenszinsen grundsätzlich geeignet, weil das Objekt der Leistung (Überlassung von Geld für einen bestimmten Zeitraum) im Kern homogen und objektiv vergleichbar ist und es für die Annahme und Vergabe von Krediten zahlreiche Märkte mit verfügbaren Informationen und Analysen gibt.2 Der BFH hat in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich festgestellt, dass Ausgangspunkt für die Risikoanalyse bei konzerninternen Darlehensverhältnissen das sich aus dem abgeschlossenen Vertrag ergebende Leistungsgefüge ist und für die Angemessenheit des Entgelts für die Kapitalüberlassung ausschließlich das Verhältnis der Parteien des Darlehensvertrags maßgebend ist.3
II. Wiederverkaufspreismethode 1. Vorgehensweise der Wiederverkaufspreismethode Retrograde Preisbestimmung. Die Wiederverkaufspreismethode,4 auch Absatzpreismethode genannt, ist grundsätzlich anwendbar, wenn ein verbundenes Unternehmen einem anderen verbundenen Unternehmen Lieferungen oder Leistungen erbringt bzw. von diesem empfängt und diese Lieferungen oder Leistungen danach an fremde Dritte weiterveräußert werden. Dabei wird der Marktpreis aus dem Wiederverkauf (Wiederverkaufspreis) retrograd um eine Spanne, deren Höhe sich an den ausgeübten Funktionen und den übernommenen Risiken des Wiederverkäufers orientiert, gekürzt, um so zu dem Einkaufspreis des wiederverkaufenden Unternehmens (der gleichzeitig der Verkaufspreis des Verkäufers an den Wiederverkäufer ist) zu gelangen. Der Marktpreis bei Wiederverkauf der Lieferung oder Leistung an fremde Dritte bildet damit die Ausgangsbasis der Wiederverkaufspreismethode. Der angemessene Verrechnungspreis wird also auf retrogradem Weg durch Subtraktion bestimmt:
5.15
Marktpreis bei Wiederverkauf an Dritte ./.
marktübliche Handelsspanne des Wiederverkäufers
=
angemessener Verrechnungspreis
Anwendungsbereich. Diese Art der Ermittlung des angemessenen Verrechnungspreises rechtfertigt daher auch die Bezeichnung „Marktpreis-Minus-Methode“ für die Wiederverkaufspreismethode. Die Methode eignet sich besonders für die Bestimmung von Verrechnungspreisen gegenüber Vertriebsunternehmen.5 Vorherrschend ist sie beispielsweise bei den Pharmaunternehmen,6 nicht zuletzt um staatlichen Preisregulierungsvorschriften im Gesundheitswesen Rechnung zu tragen.7 Sie kann auch dann angewandt werden, wenn eine Ware oder 1 Vgl. Tz. 2.18 ff. OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch, unter Hinweis auf Tz. 10.90 OECD-Leitlinien 2022. Die entsprechenden Grundsätze in den VWG VP 2021 zu Finanzierungsbeziehungen (insb. Rz. 3.92, 3.94 f. und 3.98) sollten deshalb überholt sein, vgl. zu den Grds. der FinVerw VWG VP 2021, Rz. 3.88 ff. 3 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 Satz 2 Buchst. b); Tz. 2.27 ff. OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. auch Tz. 2.27 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Moebus in Schaumburg, Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 138; Andresen, IStR 2004, 355; Bauer, IStR 2006, 320. 7 Vgl. Andresen, IStR 2004, 355.
Baumhoff/Liebchen | 339
5.16
Kap. 5 Rz. 5.16 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
ggf. auch Leistung über eine ganze Kette Nahestehender läuft, so dass u.U. von dem Marktpreis bei Wiederverkauf an Fremde über alle Stufen jeweils um eine Stufe zurückgerechnet wird.1
2. Ermittlung der marktüblichen Handelsspanne 5.17
Ermittlung durch tatsächlichen oder hypothetischen Fremdvergleich. Während der mit dem unabhängigen Käufer tatsächlich vereinbarte Preis einen objektivierten Wert und somit ein „Datum“ darstellt, besteht die Schwierigkeit der Wiederverkaufspreismethode in der Bestimmung der „marktüblichen“ Handelsspanne.2 Zur Bestimmung der Handelsspanne kann zunächst auf einen tatsächlichen Fremdvergleich zurückgegriffen werden. Dies setzt eine uneingeschränkte, jedenfalls aber eine eingeschränkte Vergleichbarkeit der Referenztransaktionen voraus (Rz. 3.15 ff.). Während bei der Preisvergleichsmethode vergleichbare Preise heranzuziehen sind, kommt es bei der Wiederverkaufspreismethode auf vergleichbare Handelsspannen an.
5.18
Geeignete Vergleichsobjekte. Dazu ist es erforderlich, branchenzugehörige, unabhängige Vergleichsunternehmen der gleichen Handelsstufe als Vergleichsobjekte zu identifizieren. Eine derartige Ermittlung der marktüblichen Handelsspanne würde – in Anlehnung an den sog. „äußeren Preisvergleich“ (Rz. 5.11 f.) – im Wege des äußeren Margenvergleichs erfolgen, also durch Heranziehung der Handelsspanne solcher Zwischenhändler, die sowohl von Fremden erwerben als auch an Fremde weiterverkaufen. Dies kann etwa mittels einer Datenbankanalyse geschehen (Rz. 3.28 und 3.133). Hierbei kommt Unterschieden in den Produkteigenschaften eine im Vergleich zur Preisvergleichsmethode geringere Bedeutung zu.3 Allerdings gilt dies nur insofern, als die Produktunterschiede nicht die Vergleichbarkeit der ausgeübten Vertriebsfunktionen erheblich beeinflussen.4 Bei der Ermittlung der angemessenen Handelsspanne kommt vielmehr der Vergleichbarkeit der ausgeübten Funktionen und der getragenen Risiken des Wiederverkäufers sowie der Geschäftsbedingungen der größere Stellenwert zu.5
5.19
Datenbankanalyse. Die Ableitung fremdüblicher Handelsspannen mittels Datenbankanalyse erfordert Informationen über transaktionsbezogene Bruttomargen bei Fremdgeschäften, die ausgeübten Funktionen und die getragenen Risiken des externen Wiederverkäufers, die Vertragsbedingungen, die Kostenstruktur und -situation der Unternehmen (auf Grundlage von Informationen über Kostenrechnungssysteme, angewandte Rechnungslegungsstandards, Ausübung bilanzieller Wahlrechte etc.), die Marktstrukturen und Geschäftsstrategien.6 Hierbei sind transaktionsbezogene Bruttomargen bzw. Handelsspannen regelmäßig äußerst sensible Informationen, die fremden Dritten üblicherweise nicht zugänglich gemacht werden, weil aus ihnen Rückschlüsse auf die Gewinnsituation des betreffenden Unternehmens und die Konzessionsbereitschaft bei Preisverhandlungen gezogen werden können. Gleiches gilt selbstver-
1 2 3 4
Vgl. Tz. 2.39 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.28 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. 2.29 f. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.31 OECD-Leitlinien 2022; Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.25 Rz. 117; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 165. 5 Vgl. hierzu Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 164 ff. 6 Siehe hierzu vergleichende Übersicht bei Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 406.
340 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.20 Kap. 5
ständlich uneingeschränkt auch für Informationen über die Kostenstruktur und -situation des betreffenden Unternehmens. Insofern greift die Verrechnungspreispraxis vornehmlich auf Unternehmensdatenbanken zurück, die allerdings ausschließlich publizitätspflichtige Jahresabschlussdaten enthalten, aus denen standardisierte, unternehmensbezogene Bilanz- und GuV-Kennzahlen abgeleitet werden können. Diese Daten der externen Rechnungslegung weisen keinen Transaktionsbezug auf und sind deshalb für Vergleichbarkeitsanalysen nur bedingt geeignet. Dies gilt selbst dann, wenn aufgrund einer Verpflichtung zur Segmentberichterstattung Daten für abgrenzbare Teileinheiten diversifizierter Unternehmen verfügbar sind. Denn die Datenqualität beschränkt sich hier bestenfalls auf einzelne Produktgruppen. Ferner enthalten Unternehmensdatenbanken keine Informationen über das jeweilige Funktions- und Risikoprofil und die jeweiligen Geschäftsbedingungen. Vor diesem Hintergrund können allenfalls Daten von Unternehmen einigermaßen verlässlich herangezogen werden, die ein relativ homogenes Produkt- bzw. Leistungsprogramm aufweisen oder nur wenige Funktionen ausüben und lediglich in geringem Umfang Kapital und Wirtschaftsgüter einsetzen. Nur in solchen Fällen wird es in der Praxis möglich sein, Unternehmenskennzahlen potenziell vergleichbarer Unternehmen auf einzelne Transaktionen herunterzubrechen.1 Dies allerdings beschränkt den Margenvergleich von Bruttomargen letztlich auf Routineunternehmen.2 Es verbleibt auch hier die mangelnde Kenntnis über die konkrete Bilanzierungspraxis. Wie Kaminski zu Recht ausführt, impliziert die Verwendung unternehmensbezogener Daten einen umfassenden Vorteilsausgleich (Rz. 3.163 ff.) bzw. eine Palettenbetrachtung (Rz. 3.173 f.) über das gesamte Produkt- und Leistungsprogramm des betreffenden Unternehmens.3 Innerer Margenvergleich. Analog zum sog. „inneren Preisvergleich“ ist daneben auch eine Ermittlung der marktüblichen Handelsspanne über den inneren Betriebsvergleich denkbar. Dies betrifft bspw. Fälle, in denen ein konzernzugehöriger Wiederverkäufer bestimmte Lieferungen oder Leistungen gleichermaßen sowohl an fremde Dritte als auch an verbundene Unternehmen verkauft. Allerdings muss es sich beim Vergleichsgeschäft auch hier um ein sog. „Bona-fide-Geschäft“ handeln (Rz. 5.9).4 Sofern die Bestimmung der marktüblichen Handelsspanne sowohl über einen inneren als auch über einen äußeren Betriebsvergleich möglich ist, sollte dem inneren Betriebsvergleich der Vorzug gegeben werden. Dies deshalb, weil hierbei das verbundene Unternehmen in den Vergleichstatbestand einbezogen wird, innerbetriebliche Einflussfaktoren Berücksichtigung finden und die relevanten Vergleichsdaten aus dem Rechnungswesen des betreffenden Konzernunternehmens in der Regel unmittelbar entnommen werden können. Der „innere Margenvergleich“ dürfte sich gegenüber dem „äußeren Margenvergleich“ auch als der praktikablere Weg darstellen, da viele international tätige Unternehmen insbesondere ihre Absatzaktivitäten oft sowohl über verbundene als auch über freie Vertreiber abwickeln. Für den Fall, dass die marktübliche Handelsspanne nicht über den „inneren Margenvergleich“ bestimmbar ist und stattdessen auf einen „äußeren Margenvergleich“ übergegangen werden muss, besteht das zur Datenbankanalyse dargestellte Problem unzureichender Datenqualität. 1 Vgl. Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 143; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 408. 2 Vgl. Fiehler, IStR 2007, 468. Siehe zur Eignung von Benchmarkstudien bei funktionsschwachen Unternehmen Kolb, IWB, F. 3 Deutschland Gr. 1, 2392; Scholz, BB 2011, 1516; Schwarz et al., Ubg 2017, 149; Bollermann/Crößmann/Tusche, IWB 2020, 525 ff. 3 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 450. 4 Vgl. dazu auch BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 – 12/04, BStBl. I 2004, 270 (aufgeh. durch BMF v. 23.4.2010 – IV A 6 – O 1000/09/10095 – DOK 2010/0197416, BStBl. I 2010, 391 für ab dem 1.1.2009 verwirklichte Tatbestände).
Baumhoff/Liebchen | 341
5.20
Kap. 5 Rz. 5.21 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
5.21
Auswahl geeigneter Vergleichsobjekte. Die Skepsis gegenüber Margenvergleichen gilt umso mehr, als die Unterstellung gleicher Handelsspannen die Gefahr einer Zuweisung normativ bestimmter Gewinnanteile beinhaltet, zumal der Gewinn in der Realität vor allem durch unternehmerisches Geschick und die jeweiligen Marktgegebenheiten determiniert wird.1 Bei der Auswahl geeigneter Vergleichsobjekte ist im Interesse der Vergleichbarkeit der Verhältnisse darauf zu achten, dass die Vergleichsunternehmen die gleiche Stellung wie die verbundenen Unternehmen zueinander haben, über vergleichbare Geschäftsbeziehungen verfügen, dabei ein vergleichbares unternehmerisches Risiko tragen und dass sowohl der Zeitpunkt oder Zeitraum der zu vergleichenden Geschäfte als auch die Konditionen zumindest annähernd gleich sind. Deshalb ist auch im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode eine Funktions- und Risikoanalyse durchzuführen (Rz. 4.4 ff.). Die Handelsspanne ist dabei vom Umfang der durch den Vertreiber übernommenen Funktionen und Risiken und der eingesetzten Mittel (z.B. Lagergebäude, Verkaufsräume etc.) abhängig. Insoweit geht ein höherer Funktionsumfang (z.B. bei einem Eigenhändler) gegenüber einem geringeren (z.B. bei einem Kommissionär bzw. Handelsvertreter) regelmäßig mit einer höheren Handelsspanne einher (Rz. 6.65).
5.22
Komponenten der „marktüblichen Handelsspanne“ des Wiederverkäufers. Komponenten der „marktüblichen Handelsspanne“ des Wiederverkäufers sind dessen Kosten, die Risikoprämie und der Gewinnaufschlag. Diese drei Komponenten sind für sich nicht gesondert zu bewerten, sondern stehen zueinander in einem inneren Zusammenhang. Bei dieser marktüblichen Handelsspanne handelt es sich also um eine Brutto- bzw. Rohgewinnspanne und nicht etwa um eine aus dem Betriebsergebnis resultierende Nettogewinnmarge.2 Die Kosten des Vertriebes, z.B. die Vertriebs- und Verwaltungskosten (nicht jedoch die Bezugskosten, für die ja der angemessene Verrechnungspreis zu bestimmen ist), sind also auch Bestandteil der „marktüblichen Handelsspanne“.
5.23
Risikoprämie und Gewinnaufschlag. Die ebenfalls zur „marktüblichen Handelsspanne“ zählenden Komponenten „Risikoprämie“ und „Gewinnaufschlag“ sind in ihrer Höhe voneinander abhängig und daher zusammen zu bestimmen. Die OECD-Leitlinien betonen, dass in den Fällen, in denen der konzerninterne Wiederverkäufer beim konzerninternen Geschäft „keine erhebliche Geschäftstätigkeit“ entfaltet, in Anbetracht der wahrgenommenen Funktionen nur von einer geringen Handelsspanne auszugehen sei.3 Erbringt ein Wiederverkäufer minimale Leistungen, beispielsweise als Telefonvermittler oder Transportagent, so hat er dadurch relativ geringe Kosten bei geringem wirtschaftlichen Risiko. Diese Funktionen rechtfertigen dann nur einen entsprechend geringen Risiko- und Gewinnaufschlag.
5.24
Risikoübernahme. Übernimmt dagegen der Absatzmittler das volle Risiko eines Eigenhändlers (einschl. des vollen Eigentümerrisikos) sowie die volle Verantwortung und die Risiken für Werbung, Marketing, Vertrieb (einschl. Markterschließungsaufwendungen) bei gleichzeitiger Übernahme der Kosten für Umfüllung, Verpackung, Transport, Kundendienst- und Garantieleistungen, Finanzierung, Lagerhaltung etc., so rechtfertigt dies einen vergleichsweise hohen Gewinnaufschlag.4 Vorstehende Beispiele sind Extremfälle und sollen nur die Breite der Spannweite von möglichen Funktions- und Risikoverteilungen im Konzern illustrieren. Konkret zu beurteilende Einzelfälle werden i.d.R. zwischen den Extrempunkten des Spannweitenbereichs angesiedelt sein. 1 2 3 4
Vgl. Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 75; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 449. Ebenso Vögele/Raab/Braukmann in V/B/B, Verrechnungspreise5, D Rz. 158. Vgl. Tz. 2.37 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.37 OECD-Leitlinien 2022.
342 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.29 Kap. 5
Besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen. Ein weiterer bedeutsamer Faktor für die Bestimmung einer angemessenen Handelsspanne ist die Frage, ob der Absatzmittler über besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen verfügt und/oder im Besitz von besonderen immateriellen Wirtschaftsgütern (Markenrechte, Exklusivrechte) ist.1 Tz. 2.40 OECDLeitlinien weist darauf hin, dass z.B. der Wert eines Exklusivrechtes von geographischen Geltungsbereichen, der Existenz von Substitutionswaren und deren relativer Wettbewerbsfähigkeit abhängt. Auch solche Faktoren sollten sich in der Höhe der marktüblichen Handelsspanne widerspiegeln.
5.25
Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs. Ist die Ermittlung der „marktüblichen Handelsspanne“ nicht im Wege eines tatsächlichen Fremdvergleichs möglich, ist sie subsidiär nach Maßgabe eines hypothetischen Fremdvergleichs zu ermitteln. Dazu ist es erforderlich, die Kosten – insbesondere in Form der Vertriebs- und allgemeinen Verwaltungskosten – der Vertriebsgesellschaft im Vorhinein als Plankosten (Rz. 5.57 ff.) zu bestimmen und diese um einen angemessenen Gewinnaufschlag zu erhöhen. Dies setzt freilich voraus, dass die Kosten – unter Berücksichtigung der erwarteten Umsätze – budgetiert werden. Die Reichweite der Budgetphase sollte dabei an den im betrachteten Konzernverbund üblichen Zeithorizont der Planungsrechnung angepasst werden. Erfahrungsgemäß ist hier eine jährliche Festlegung bzw. Prüfung der Handelsspanne und somit eine einjährige Budgetphase sinnvoll.
5.26
Kombination von Wiederverkaufs- und Kostenaufschlagsmethode. Im Ergebnis bedeutet die Ermittlung der Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft mittels eines hypothetischen Fremdvergleichs die Kombination von Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode. Eine solche Vorgehensweise wird sowohl von der deutschen Finanzverwaltung2 und Rechtsprechung3 als auch von den OECD-Leitlinien4 ausdrücklich für zulässig erachtet. Im Übrigen trägt sie der Forderung Rechnung, dass eine Vertriebsgesellschaft im Grundsatz – ggf. nach möglichen temporären Anlaufverlusten – einen angemessenen Gewinn erwirtschaften soll (Rz. 3.80 f. und Rz. 6.46). Denn letztlich wird durch die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode der spezifischen Kostensituation der Vertriebsgesellschaft Rechnung getragen, so dass nur bei Abweichung der Soll- von den Istkosten eine temporäre Verlustsituation entstehen kann.
5.27
Kostenabweichungen. Ergeben sich nach Ablauf der Budgetphase im Rahmen eines Soll-IstVergleiches Kostenabweichungen, die der Wiederverkäufer zu vertreten hat, so ist eine Änderung bzw. Anpassung der vorher auf Plandaten festgelegten „marktüblichen Handelsspanne“ ausgeschlossen. Anderenfalls würde dem konzerninternen Wiederverkäufer quasi eine „Gewinngarantie“ gegeben, da er über die ihm eingeräumte Handelsspanne stets eine volle Kostendeckung zzgl. eines Risiko- und Gewinnaufschlags erzielen würde.
5.28
Berücksichtigung von Verlusten. Aber auch bei Festlegung der „marktüblichen Handelsspanne“ im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs ist es keinesfalls auszuschließen, dass dem Vertreiber aus der Produktvermarktung Verluste entstehen.5 Dies ist einerseits damit zu begründen, dass auch fremde Vertreiber – insbesondere in schlechten Markt- und Kon-
5.29
1 Vgl. Tz. 2.38 ff. OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 Satz 1 i.V.m. Tz. 2.37 OECD-Leitlinien 2022; siehe auch VWG VP 2021, Rz. 3.31 ff. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 4 Vgl. Tz. 2.37 OECD-Leitlinien 2022. 5 Gleicher Ansicht Vögele/Raab/Braukmann in V/B/B, Verrechnungspreise5, D Rz. 158.
Baumhoff/Liebchen | 343
Kap. 5 Rz. 5.29 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
junktursituationen – Verluste erwirtschaften können. Zum anderen kann ein Vertreiber über eine derart negative Verwaltungs- und Vertriebskostenstruktur verfügen (z.B. einen zu aufwendigen Außendienst), dass diese nur von ihm zu vertretenden überhöhten Kosten den Risiko- und Gewinnzuschlag überkompensieren. Ein weiteres Argument kann darin bestehen, dass aufgrund schlechter Markt- und Absatzsituation der Hersteller – temporär – bereits auf eine volle Herstellkostendeckung verzichtet und an den Vertreiber seine Produkte zu Teilkosten abgibt, vom Vertreiber jedoch im Gegenzuge erwartet, dass dieser sich an der schlechten Markt- und Absatzsituation in angemessener Form, d.h. durch ganzen oder teilweisen Verzicht auf seine Handelsspanne ebenfalls temporär beteiligt. Eine solche „temporäre Verlustteilung“ entspricht in jedem Fall dem Fremdvergleichsgrundsatz,1 denn es sind durchaus Fälle denkbar, in denen nicht nur der Produzent oder der Vertreiber aus einer Transaktion Verluste erwirtschaftet, sondern der Konzern als Ganzes.
5.30
Verluste bei Lieferungen an verbundene Eigenhändler. Soweit die Anwendungsvoraussetzungen der Preisvergleichsmethode nicht erfüllt sind, ist nach der Rechtsprechung des BFH der Verrechnungspreis für Lieferungen an als Eigenhändler organisierte Vertriebsgesellschaften „regelmäßig“ nach der Wiederverkaufspreismethode zu ermitteln.2 Im Rahmen der Anwendung der Wiederverkaufspreismethode ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die nationalen Fisci bei Vertriebsgesellschaften keine nachhaltigen Verluste akzeptieren.3 Sowohl nach den OECD-Leitlinien4 als auch nach der Rechtsprechung des BFH5 und der Auffassung der Finanzverwaltung würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter eines Vertriebsunternehmens nur dann ein neues Produkt am Markt einführen und vertreiben, wenn er daraus bei vorsichtiger und vorheriger kaufmännischer Prognose innerhalb eines überschaubaren Zeitraums und unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Marktentwicklung einen angemessenen Gesamtgewinn erwarten könne. Hierbei soll nach den Urteilen des BFH vom 17.2.19936 und 17.10.20017 eine mögliche Verlustphase der Vertriebsgesellschaft – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalls – bei neu eingeführten Produkten drei Jahre nicht überschreiten, „erst recht“ nicht beim Weitervertrieb von bereits vorher auf dem Markt eingeführten Produkten. Ferner wird die Anerkennung von Anlaufverlusten zudem von der Erzielung eines „angemessenen“ Totalgewinns innerhalb eines – vom BFH nicht näher quantifizierten – überschaubaren Kalkulationszeitraums abhängig gemacht.8 Das heißt, die nach der Anlaufphase entstehenden Gewinne müssen die Anlaufverluste mehr als kompensieren. Die Höhe dieser „Überkompensation“ soll mindestens der angemessenen Verzinsung des zugeführten Eigenkapitals (einschließlich Zinseszins und Risikozuschlags) entsprechen.
1 So auch Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 560. Siehe ferner OECD v. 18.12.2020, Guidance on the transfer pricing implications of the COVID-19 pandemic, Tz. 39 unter Hinweis auf Tz. 3.64 OECD-Leitlinien 2022 und die Möglichkeit, dass Konzerngesellschaften, die einfache oder mit geringen Risiken verbundene Funktionen ausüben, unter Fremdvergleichsgesichtspunkten jedenfalls kurzfristig Verluste erleiden können. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 3 Siehe auch VWG VP 2021, Rz. 3.31 ff. 4 Vgl. Tz. 1.129 ff. OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 6 BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375. 7 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 8 Nach Wassermeyer umfasst dieser Zeitraum fünf Jahre, vgl. Wassermeyer, WPg 2002, 16. Siehe auch VWG VP 2021, Rz. 3.33.
344 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.33 Kap. 5
3. Anwendungsbereiche Anwendung auf Eigenhändler-Vertriebsgesellschaften. Hauptanwendungsbereich der Wiederverkaufspreismethode ist die Verrechnungspreisermittlung im Zusammenhang mit Vertriebsgesellschaften. Entsprechend dem in § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG für die Auswahl der Verrechnungspreismethode geregelten OECD-Konzept1 der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ kommt zwar stets die Verrechnungspreismethode zur Anwendung, die für den konkreten Sachverhalt die am besten geeignete Methode ist. Dies unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine sog. geschäftsvorfallbezogene Standardmethode oder um eine sog. geschäftsvorfallbezogene Gewinnmethode handelt. Sind allerdings nach der Vergleichbarkeitsprüfung und nach der Informationsverfügbarkeit eine geschäftsvorfallbezogene Standardmethode und eine geschäftsvorfallbezogene gleich geeignet und nebeneinander gleich zuverlässig anwendbar, ist nach den OECD-Leitlinien die geschäftsvorfallbezogene Standardmethode vorrangig anzuwenden.2 Ferner hat die Preisvergleichsmethode bei gleicher Eignung und gleich zuverlässiger Anwendbarkeit stets Vorrang vor jeder anderen Verrechnungspreismethode.3 Die auch nach der Rechtsprechung des BFH4 zu präferierende Preisvergleichsmethode ist jedoch mangels Vorliegens der Anwendungsvoraussetzungen regelmäßig nicht anwendbar (Rz. 5.13 ff.). Dementsprechend sieht der BFH bei Lieferungen an eine Vertriebsgesellschaft, die als Eigenhändler zu qualifizieren ist, „regelmäßig“ die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode vor.5 Dies entspricht der Auffassung sowohl der deutschen Finanzverwaltung6 als auch der OECD.7 Die „marktübliche Handelsspanne“ kann dabei mittels eines tatsächlichen oder – mangels Vergleichsobjekten – subsidiär über einen hypothetischen Fremdvergleich, d.h. anhand der Kostenaufschlagsmethode, ermittelt werden.
5.31
Veredelungstätigkeiten. Wird die Lieferung oder Leistung vor dem Weiterverkauf bearbeitet, weiterentwickelt oder in anderer Weise verändert, muss diese verändernde Tätigkeit im Rahmen der Handelsspanne erfasst und bewertet werden. Solche Veränderungen, die häufig unter dem Begriff „Veredelungstätigkeiten“ zusammengefasst werden, dürfen allerdings nicht so weit reichen, dass dadurch eine Lieferung oder Leistung in eine andere übergeht und infolgedessen die ursprüngliche Identität verliert. Wäre dies der Fall, so würden die Anwendungsvoraussetzungen für die Wiederverkaufspreismethode nicht mehr erfüllt sein.
5.32
Vertriebs- und Verarbeitungskonzerngesellschaften. Übt das unabhängige, für die Ermittlung der Handelsspanne als Vergleichsobjekt dienende Unternehmen keine vergleichbare verändernde Tätigkeit aus, so dass nicht auf eine einheitliche Gesamtspanne zurückgegriffen werden kann, muss diese verändernde Tätigkeit mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) bewertet werden. Die „marktübliche Handelsspanne“ ist insoweit um die Kosten der Veränderungs- oder Veredelungstätigkeiten zu korrigieren. Je aufwendiger und komplizierter diese Veränderungs- oder Veredelungstätigkeiten des Absatzmittlers sind, desto umfangreicher sind die entsprechenden (kosten-)rechnerischen Anpassungen.
5.33
1 Vgl. Tz. 2.2 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2022; so auch die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG, vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 79. 4 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 Satz 1 i.V.m. Tz. 2.27 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Tz. 2.27 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 345
Kap. 5 Rz. 5.34 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
5.34
Veränderungen der Märkte. Liegt zwischen An- und Verkauf der Lieferung oder Leistung durch den Wiederverkäufer ein längerer Zeitraum, so sind im Rahmen einer möglichen Korrekturrechnung insbesondere die Veränderungen der Märkte und der Wechselkurse rechnerisch zu berücksichtigen.1 Darüber hinaus kann sich der Wert einer Lieferung oder Leistung durch den Gebrauch einer Marke erheblich verändern. Dieser Umstand muss in der Korrekturrechnung ebenso Berücksichtigung finden wie mögliche geografische Beschränkungen bei der Erteilung von Wiederverkaufsrechten.2
5.35
Wiederverkaufspreismethode bei Dienstleistungen. Die Wiederverkaufspreismethode eignet sich insbesondere für den Bereich der Lieferung von Gütern und Waren, sofern diese auf der Ebene des Absatzmarktes keine oder nur geringfügigen Veränderungen in Form von Beund Verarbeitung erfahren. Das ist normalerweise bei Lieferungen an Vertriebsunternehmen der Fall. Umstritten ist hingegen die Eignung der Wiederverkaufspreismethode zur Bestimmung von Dienstleistungsentgelten (Rz. 6.161). Die Eignung der Wiederverkaufspreismethode wird insbesondere von der älteren Literaturmeinung infrage gestellt, weil Dienstleistungen in der Regel einen sehr individuellen Charakter besäßen und daher nicht weiterveräußerbar seien.3 Die heute vorherrschende Auffassung hält dagegen den generellen Ausschluss der Wiederverkaufspreismethode für den Dienstleistungssektor nicht für gerechtfertigt.4 Als Beispiele werden dabei Unterlizenzverträge für die Nutzung immaterieller Werte, die Weitervermietung von Wirtschaftsgütern (sog. „Sub-Leasing“), die Weiterveräußerung von Software sowie die Existenz von Handelsstufen im Versicherungs- und Transportgewerbe genannt.
5.36
Beschränkung auf den Bereich marktgängiger Dienstleistungen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass sich die Anwendungsmöglichkeiten der Wiederverkaufspreismethode zur Bestimmung von Dienstleistungsentgelten zwangsläufig auf den Bereich der marktgängigen Dienstleistungen beschränken müssen, weil diese Methode ex definitione ihren Ausgangspunkt in dem Preis findet, den das verbundene Unternehmen von einem unabhängigen Käufer für die Dienstleistungserbringung am Markt tatsächlich realisiert. Für alle übrigen Dienstleistungen, wie z.B. die, die zwar marktfähig, aber (doch) nicht zwischen Fremden ausgetauscht worden sind, oder solche, die aufgrund ihrer Beschaffenheit ausschließlich im Unternehmensverbund und nicht zwischen Fremden ausgetauscht werden können (sog. konzernspezifische Dienstleistungen), erweist sich diese Methode als ungeeignet. Die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode setzt außerdem voraus, dass das wiederverkaufende Unternehmen gegenüber dem mit ihm verbundenen leistungserbringenden Unternehmen als Käufer der Leistung auftritt, also zwischen leistungserbringendem und leistungswiederverkaufendem Unternehmen eine unmittelbare Rechtsbeziehung, z.B. durch Abschluss eines Kaufvertrages zustande kommt. Erst im Anschluss daran kann das wiederverkaufende Unternehmen die betreffende Leistung an fremde Dritte weiterverkaufen.
1 Ebenso Tz. 2.36 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 2.40 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Kumpf, Steuerliche Verrechnungspreise im internationalen Konzern, 262; Schmitz, Methoden zur Ermittlung von Arm’s-Length-Preisen, 113; Hoffmann, RIW 1977, 10 (12); aber auch Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 118. 4 Vgl. Elbert/Gotsis in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 211 ff.; Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Rz. 153; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 230; Korff, IStR 2008, 46 f.; Fiehler, IStR 2007, 467 f.
346 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.38 Kap. 5
Von der Wiederverkaufspreismethode ausgeschlossen bleiben danach alle Vermittlungsleistungen, bei denen das zwischengeschaltete verbundene Unternehmen nur als Makler, Treuhänder oder Vermittler und nicht als Käufer bzw. Wiederverkäufer fungiert. In diesen Fällen wird nämlich keine Dienstleistung „weiterverkauft“. Vielmehr erbringt das zwischengeschaltete verbundene Unternehmen eine – von der vermittelten Dienstleistung zu unterscheidende – Vermittlungsleistung, die ihrerseits mit einem fremdvergleichskonformen Leistungsentgelt zu vergüten ist (Rz. 5.37 f.). Unterscheidung zwischen Kauf/Verkauf und Vermittlung. Bei Vermittlungsleistungen innerhalb eines Unternehmensverbundes dürfte eine Verrechnung dem Grunde nach (Rz. 6.117 ff.) allerdings nur dann möglich sein, wenn die Vergabe von Vermittlungsaufträgen an nahestehende Unternehmen betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheint. Sofern eine Verrechnung dem Grunde nach gerechtfertigt erscheint, könnte sich das Entgelt für diese Vermittlungsleistung an einer branchenüblichen Maklergebühr oder den durch die Vermittlung entstandenen Kosten orientieren. Eine Unterscheidung zwischen Kauf bzw. Verkauf und Vermittlung einer Dienstleistung ist insofern erforderlich, als ein Kauf und anschließender Wiederverkauf – im Gegensatz zum Sachleistungsbereich – wegen der Immaterialität, der fehlenden Möglichkeit der Vorratsproduktion bzw. Lagerhaltung, der Produktion und Verwertung „uno actu“ sowie der Auftrags-, Objekt- und Abnehmerorientierung einer Dienstleistung grundsätzlich ausgeschlossen ist. Eine wichtige Ausnahme hierzu bildet allerdings die Möglichkeit der Speicherung von Dienstleistungen auf geeignete Trägermedien, was bei marktgängiger Software oder bestimmten Gutachten der Fall sein kann. Besteht die Möglichkeit der Speicherung einer Dienstleistung auf einem geeigneten Trägermedium, werden die wesensprägenden Eigenschaften von Dienstleistungen, nämlich die Simultanität von Leistungserbringung und -verwertung und die Immaterialität, zu einem gewissen Grad überwunden und hierdurch der Zugang zur Wiederverkaufspreismethode eröffnet.1 Abgesehen von solchen Sonderfällen scheidet die Wiederverkaufspreismethode für die Fremdpreisermittlung von Dienstleistungen aus. Das gilt auch für Transport- und Versicherungsleistungen, wobei es sich u.a. aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Lagerhaltung bzw. Speicherung sowie der typischen Endabnehmerorientierung um Dienstleistungen handelt, die nicht von einem „Zwischenhändler“ gekauft und anschließend weiterverkauft, sondern allenfalls vermittelt werden können.
5.37
Subleasing, Unterlizenzverträge. Beim Subleasing und bei Unterlizenzverträgen, also Überlassungsleistungen, die oft als Beispiele für die Verwendung der Wiederverkaufspreismethode im Dienstleistungsbereich herangezogen werden, handelt es sich um Leistungen aus dem Bereich der Nutzungsüberlassung von Patenten, Know-how oder anderen immateriellen Werten sowie der Nutzungsüberlassung körperlicher Gegenstände (Miete, Pacht, Leasing) und nicht um Dienstleistungen. In diesen Bereichen der Lizenzgebühren sowie Miet- und Pachtzinsen bzw. Leasinggebühren kann die Wiederverkaufspreismethode ebenfalls in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen So ist für den Bereich der Unterlizenzen eine solche Methodenanwendung durchaus denkbar. Vergibt ein Konzernunternehmen, welches von einem verbundenen Unternehmen eine Hauptlizenz erhalten hat, die entsprechende Unterlizenz an einen fremden Dritten, so könnte, unter Einbeziehung der Wiederverkaufspreismethode, die Angemessenheit der Hauptlizenz nach der Höhe der Unterlizenz beurteilt werden.2 Gleiches gilt
5.38
1 Vgl. hierzu auch Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 230 f. 2 Vgl. Kroppen/Rasch in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VGr, Anm. zu Tz. 5.2.3.; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreisemethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 294 f.
Baumhoff/Liebchen | 347
Kap. 5 Rz. 5.38 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
für den Bereich von Mieten, Pacht und Leasing, wo im Falle des Abschlusses von Untermietoder -pachtverträgen bzw. Subleasingverträgen mit fremden Dritten die Angemessenheit von Miet- und Pachtzinsen bzw. Leasinggebühren im Unternehmensverbund ebenfalls mit Hilfe der Wiederverkaufspreismethode festgestellt werden kann.
III. Kostenaufschlagsmethode 1. Vorgehensweise der Kostenaufschlagsmethode 5.39
Funktionsweise: Selbstkosten zzgl. Gewinnaufschlag. Bei der Kostenaufschlagsmethode1 wird der Verrechnungspreis dadurch bestimmt, dass zunächst die Selbstkosten des liefernden/leistenden Unternehmens ermittelt und diese anschließend um einen angemessenen Gewinnaufschlag erhöht werden. Die Ermittlung der Kosten soll dabei anhand von Kalkulationsmethoden erfolgen, die der Liefernde oder Leistende auch bei seiner Preispolitik gegenüber Fremden zugrunde legt bzw. die betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entsprechen. Anwendung findet die Kostenaufschlagsmethode insbesondere in den Fällen, in denen für die ausgetauschten Lieferungen oder Leistungen keine Marktpreise als Vergleichsmaßstäbe zur Verfügung stehen, etwa weil – es sich um nicht marktfähige, konzernspezifische Güter oder Dienstleistungen handelt, – vorliegende Marktpreise nicht repräsentativ bzw. auf Grund einer fehlenden Vergleichbarkeit der Verhältnisse nicht brauchbar sind, – tatsächlich vereinbarte Marktpreise nicht feststellbar bzw. nachweisbar sind oder – gewisse Lieferungen oder Leistungen – wie auch unter fremden Dritten – nach der Kostenaufschlagsmethode abgerechnet werden müssen, wie z.B. Spezialaufträge.
2. Anwendungsbereiche 5.40
Zumeist „Ultima Ratio“. Sind die Anwendungsvoraussetzungen sowohl für die Preisvergleichs- als auch für die Wiederverkaufspreismethode nicht erfüllt, was bei der Fülle und Verschiedenartigkeit der in einem internationalen Unternehmensverbund ausgetauschten Güter und Dienstleistungen oft der Fall ist, kommt der Kostenaufschlagsmethode in der Praxis letztlich die Rolle der „Ultima Ratio“ zu. Vor diesem Hintergrund gilt sie insbesondere im Bereich der konzerninternen Dienstleistungen (z.B. in Form von Verwaltungsleistungen oder der Lohnfertigung und Auftragsforschung) sowie bei der konzerninternen Lieferung von Halbfertigfabrikaten als Regelmethode. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist die Kostenaufschlagsmethode insbesondere anzuwenden, wenn das betreffende Unternehmen „Routinefunktionen“ ausübt und nur geringe Risiken trägt.2
5.41
Ermittlung eines hypothetischen Vergleichspreises. Da die Kostenaufschlagsmethode die Ermittlung eines hypothetischen Vergleichspreises zum Ziel hat, stellt sie die praktische Ausgestaltung des hypothetischen Fremdvergleichs dar, als dessen Maßstab und neutraler Bezugspunkt die Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsleiters fungiert (Rz. 3.134 ff.). Dieser entscheidet im Einzelfall über die Ordnungsmäßigkeit und Sinnhaftigkeit der zugrunde zu legenden Kalkulationsmethoden. Wenn der Gewinnaufschlag mittels eines tatsächlichen Fremdvergleichs bestimmt wird, stellt dies eine Kombination aus tatsächlichem und hypothetischem 1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 Satz 2 Buchst. c; Tz. 2.45 ff. OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. BR-Drucks. 352/08 v. 23.5.2008, 16; VWG Fverl Rz. 66.
348 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.43 Kap. 5
Fremdvergleich dar. Die besonderen Schwierigkeiten der Kostenaufschlagsmethode liegen dabei in der Ermittlung der Selbstkosten, die u.a. als Bezugsbasis für den Gewinnaufschlag dienen, sowie in der Bestimmung des Gewinnaufschlags selbst.
3. Ermittlung der Kostenbasis a) Anzuwendender Kostenbegriff Wertmäßiger Kostenbetriff. Die Kostenermittlung bei der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ist generell an betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu orientieren und erlaubt deshalb die Zugrundelegung des betriebswirtschaftlichen Kostenbegriffs. Dieser definiert Kosten als den in Geld bewerteten leistungsbedingten Güterverzehr eines Betriebs. Dabei richtet sich die inhaltliche Konkretisierung des Kostenbegriffs an der Zwecksetzung des Rechnungswesens aus. Vor diesem Hintergrund lässt sich die in der betriebswirtschaftlichen Kostentheorie umfänglich diskutierte Frage, ob zur Entstehung von Kosten eine Ausgabe erforderlich ist (pagatorischer Kostenbegriff) oder ob zu den Kosten auch kalkulatorische Kostenarten, wie z.B. kalkulatorische Eigenkapitalzinsen oder kalkulatorische Abschreibungen (also Kosten, die nicht zu Ausgaben geführt haben oder führen) zählen, zugunsten des wertmäßigen Kostenbegriffs beantworten. Denn nur dieser Kostenbegriff erfasst den Produktionsfaktorverbrauch streng produkt- bzw. leistungsbezogen und erweist sich daher für die Ermittlung eines Kosten-Preises als besonders geeignet. Dies beruht auf der Erkenntnis, dass bei langfristiger Betrachtung mindestens die gesamten Durchschnittskosten pro Leistungseinheit gedeckt sein müssen und somit die langfristige Preisuntergrenze bilden. Dabei sind die Normalverzinsung des gesamten zur Leistungserstellung eingesetzten Kapitals (kalkulatorische Zinsen) sowie der Unternehmerlohn (kalkulatorischer Unternehmerlohn) als Kostenbestandteile einzubeziehen.
5.42
Andere Kostenbegriffe. Auch wenn somit die Verwendung des wertmäßigen Kostenbegriffs im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode als besonders geeignet erscheint, die Verwendung anderer Kostenbegriffe (z.B. des pagatorischen Kostenbegriffs) ebenfalls zulässig.1 Insoweit ist dem allgemeinen Ermessensspielraum des ordentlichen Geschäftsleiters Rechnung zu tragen, der ggf. auch gegenüber fremden Dritten keine kalkulatorischen Kosten in die Ermittlung seiner Absatzpreise einbezieht. Allerdings sollte dabei berücksichtigt werden, dass in der ganz überwiegenden Zahl der heute praktizierten Kostenrechnungssysteme der wertmäßige Kostenbegriff Anwendung findet.2 Darüber hinaus weisen die OECD-Leitlinien3 zutreffend auf die Schwierigkeiten hin, die dadurch entstehen können, dass in den einzelnen Ansässigkeitsstaaten der Konzerngesellschaften bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode unterschiedliche Kostenbegriffe verwendet werden können. Dies könne zu unterschiedlichen Kostenbasen führen, die als Bemessungsgrundlage für den angemessenen Gewinnaufschlag dienen. Vor diesem Hintergrund wäre eine einheitliche Anwendung des wertmäßigen Kostenbegriffs zweckmäßig. Alternativ dazu ist denkbar, soweit kalkulatorische Kosten in die Kostenbasis eingegangen sind, eine Korrektur über die Bemessung des Gewinnaufschlags vorzunehmen.4
5.43
1 Gl.A. Vögele/Raab/Braukmann in V/B/B, Verrechnungspreise5, C Rz. 279 ff.; Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.46 Rz. 222; Tucha, IStR 2002, 749. 2 So auch Lahodny-Karner in Schuch, Die neuen Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, 51. 3 Vgl. Tz. 2.50 und 2.52 OECD-Leitlinien 2022. 4 Zum Verhältnis der Kostenbasis zum Gewinnaufschlag vgl. auch Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, 495, mit einem Bsp.
Baumhoff/Liebchen | 349
Kap. 5 Rz. 5.44 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
5.44
Anwendbarkeit des verwendeten Kostenrechnungssystems. Die zur Ermittlung der Kostenbasis erforderlichen Daten liefert das Kostenrechnungssystem des Unternehmens. Grundsätzlich ist die Wahl der Kalkulationsmethode eine freie unternehmerische Entscheidung. Es muss jedoch gesichert sein, dass das angewandte Kalkulationsverfahren betriebswirtschaftlichen Erfordernissen entspricht. Werden bestimmte Kalkulationsmethoden konsequent sowohl gegenüber verbundenen als auch fremden Unternehmen angewendet und entsprechen sie betriebswirtschaftlichen Grundsätzen, können sie grundsätzlich als zweckmäßig und angemessen angesehen werden. b) Relevante Kostenarten
5.45
Allgemeines. Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines betrieblichen Kostenrechnungssystems ist die Existenz einer Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung.
5.46
Kostenartenrechnung. Unter der Kostenartenrechnung1 versteht man den Teilbereich der Kostenrechnung, der zur mengenmäßigen Erfassung, Abgrenzung und Bewertung anfallender Kosten dient und gleichzeitig die Grundlage für die Verrechnung der Kosten auf Kostenstellen und Kostenträger bildet. Daher muss die Kostenartenrechnung auf die Kostenrechnungsziele, die zusammen mit der Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung angestrebt werden, ausgerichtet sein. In der Kostenartenrechnung erfolgt die auf dem Verursachungsprinzip beruhende Unterscheidung zwischen Einzel- und Gemeinkosten. Diese auf ein Produkt oder eine Dienstleistung bezogene Betrachtungsweise qualifiziert diejenigen Kosten als Einzelkosten, die sich direkt einem Kostenträger bzw. einer Kostenstelle zurechnen lassen (direkte Kosten). Diese Einzelkosten werden unmittelbar aus der Kostenartenrechnung ohne Verrechnung über die Kostenstellen dem Kostenträger zugeordnet. Die Gemeinkosten sind dagegen nicht dem einzelnen, als Kalkulationsobjekt fungierenden Produkt oder der einzelnen Dienstleistung direkt, sondern nur indirekt zuzurechnen (indirekte Kosten). Bei Anwendung der Vollkostenrechnung werden diese indirekten Kosten über einzelne Kostenstellen geleitet und mit Hilfe von Schlüsselgrößen auf einzelne Kostenträger verteilt.2
5.47
Kostenarten nach den OECD-Leitlinien. Die OECD-Leitlinien unterscheiden im Rahmen der Ermittlung der relevanten Kostenbasis zwischen drei verschiedenen Kostenarten, nämlich den direkten Kosten, den indirekten Kosten und den allgemeinen Verwaltungskosten („Operating Expenses“).3 Im Ergebnis stellen damit auch die OECD-Leitlinien auf eine Unterscheidung zwischen Einzel- und Gemeinkosten ab. Allerdings sei der Gewinnaufschlag nur auf der Basis der direkten und indirekten Kosten vorzunehmen.
5.48
„Operating Expenses“. Die „Operating Expenses“, zu denen diejenigen Kosten zählen, die das Unternehmen als Ganzes betreffen, wie z.B. Überwachungs-, Geschäftsführungs- und allgemeine Verwaltungskosten, sollen nach Auffassung der OECD indessen nicht in die Kostenbasis einbezogen werden, wenngleich diese Kosten nach betriebswirtschaftlichem Kostenrechnungsverständnis den indirekten Kosten zuzurechnen sind.4 Zwar verkennen die OECD-Leitlinien nicht die Schwierigkeiten einer Abgrenzung zwischen den einzelnen Kostenarten. Sie gehen aber davon aus, dass Teile dieser Kosten bereits Gewinnelemente enthalten können und sich in der Höhe der „Operating Expenses“ bereits die Effizienz eines Unternehmens widerspiegelt. 1 2 3 4
Dazu im Einzelnen vgl. auch Freidank, Kostenrechnung8, 95 ff. Zum Verfahren s. Freidank, Kostenrechnung8, 139 ff. Vgl. Tz. 2.53 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.53 OECD-Leitlinien 2022.
350 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.52 Kap. 5
Kostenkategorien. Unabhängig davon, dass sich Effizienzunterschiede zwischen einzelnen Unternehmen auch bei den übrigen (direkten und indirekten) Kosten zeigen können, ist die Frage, welche Kostenkategorie im Einzelnen vorliegt, abhängig von der Art des konzerninternen Liefer- und Leistungsaustausches. So können bei Warenlieferungen Verwaltungskosten zu den „Operating Expenses“ zählen, während diese im Rahmen einer Dienstleistungserbringung den indirekten oder gar den direkten Kosten zuzuordnen sind. Die Dreiteilung zwischen direkten, indirekten und „Operating Expenses“ ist also liefer- und leistungsabhängig und im Ergebnis willkürlich. Vor diesem Hintergrund ist sie für die praktische Verrechnungspreisermittlung ungeeignet, da bestimmte Kostenkategorien nicht oder nur wahlweise einbezogen werden.1
5.49
Eliminierung von „Operating Expenses“. Vielmehr erinnert die Eliminierung von „Operating Expenses“ aus der Kostenbasis an die Definition der steuerlichen Herstellungskosten.2 Danach müssen zwar die Materialeinzelkosten, Materialgemeinkosten, Fertigungseinzelkosten, Fertigungsgemeinkosten, Sonderkosten der Fertigung und die Abschreibungen, soweit durch die Herstellung bedingt, in die Herstellungskosten einbezogen werden (Pflichtbestandteile), während allgemeine Verwaltungs- und ähnliche Kosten nicht einbezogen werden brauchen (Wahlrecht) und Vertriebskosten nicht einbezogen werden dürfen (Verbot). Eine solche Orientierung an den steuerlichen Herstellungskosten verkennt allerdings, dass die steuerlichen Herstellungskosten bei der Verrechnungspreisermittlung keine Rolle spielen können und nur die kalkulatorischen Herstellungskosten in die Kostenbasis einbezogen werden dürfen, weil nur die Selbstkosten Grundlage für die Kalkulation von Absatzpreisen gegenüber fremden Dritten sein können und damit allein dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechen. Die steuerlichen Herstellungskosten dienen anderen Rechnungszwecken, z.B. der Vorratsbewertung oder der Ermittlung der Höhe der aktivierten Eigenleistungen, nicht aber als Basis für die Preispolitik gegenüber Fremden. Die Notwendigkeit einer ausschließlichen Orientierung an den betriebswirtschaftlichen Elementen dieser Methode zeigt sich insbesondere auch daran, dass kalkulatorischen Kosten in der Regel einen Inflationsausgleich beinhalten (z.B. Abschreibungen auf der Basis von Wiederbeschaffungskosten),3 während die steuerlichen Herstellungskosten auf der Basis von Istkosten (Rz. 5.52 ff.) zu ermitteln sind.
5.50
c) Zeitbezug der Kosten Allgemeines. Von der Frage der Ermittlung der Kostenarten zu unterscheiden ist die Frage des Zeitbezugs der zu verrechnenden Kosten. In diesem Zusammenhang wird allgemein zwischen Ist-, Normal- und Plankosten unterschieden. Für welche Kalkulationsmethodik sich der Steuerpflichtige entscheidet, steht dabei in seinem freien Ermessen, objektiviert durch das Verhalten eines ordentlichen Geschäftsleiters. Auch die OECD-Leitlinien bestimmen ausdrücklich, dass der Zeitbezug der Kosten auf der Basis von Ist-, Normal- oder Plankosten erfolgen kann.4
5.51
Istkostenrechnung. Bei der Istkostenrechnung, die auf einer Vergangenheitsrechnung beruht, werden alle tatsächlich angefallenen Kosten in die Kostenbasis der Kostenaufschlagsmethode einbezogen. Die Istkosten sind definiert als die mit Istpreisen bewerteten Istver-
5.52
1 Vgl. Baumhoff, IStR 1996, 54; Werra, IStR 1995, 461; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, 93. 2 Vgl. R 6.3 EStR. 3 Vgl. Freidank, Kostenrechnung8, 110 ff. 4 Vgl. Tz. 2.58 sowie ausdrücklich zur TNMM mit kostenbasiertem Nettogewinnindikator Tz. 2.101 f. OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 351
Kap. 5 Rz. 5.52 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
brauchsmengen der Produktionsfaktoren. Hauptzielsetzung der Istkostenrechnung ist die Nachkalkulation der betrieblichen Aufträge und Leistungen.1
5.53
Mängel der Istkostenrechnung. Den Vorteilen der Istkostenrechnung, die vergleichsweise einfache Kostenermittlung und Nachprüfbarkeit der ermittelten Ergebnisse sowie die daraus resultierende Einengung des Manipulationsspielraums, stehen allerdings schwerwiegende Mängel gegenüber. Der entscheidende Nachteil ist die Auswirkung aller zufallsbedingten Kostenschwankungen auf die Höhe der Selbstkosten.2 Solche Schwankungen können beispielsweise durch Preis- und Beschäftigungsgradänderungen oder bei unterschiedlichem Mengenverbrauch einzelner Inputfaktoren eintreten. Als praktischer Nachteil der Istkostenrechnung wird ferner die Tatsache angesehen, dass die so ermittelten Selbstkosten erst eine gewisse Zeit nach einer Transaktion festgestellt werden können.3 Die OECD-Leitlinien schlagen insoweit vor, diesen Nachteil durch Korrekturzuschläge oder -abschläge im Rahmen der Festlegung des Gewinnaufschlags zu eliminieren, ohne allerdings zu erläutern, wie diese Berichtigungen quantitativ ermittelt werden sollen.4 Überdies findet man den begrüßungswerten Vorschlag, die angeführten Nachteile durch Verwendung der Normalkostenrechnung zu vermeiden.5
5.54
Eliminierung von unwirtschaftlichen Einflussfaktoren. Darüber hinaus erfolgt im Rahmen der Verrechnung von Istkosten keine Eliminierung von Einflussfaktoren, die auf Unwirtschaftlichkeiten beim Leistungserstellungsprozess zurückzuführen sind.6 Während solche Unwirtschaftlichkeiten bei Zugrundelegung von Marktpreisen regelmäßig vom Produzenten bzw. Leistungserbringer zu tragen sind, werden sie bei der Verwendung der Kostenaufschlagsmethode auf der Basis von Istkosten über den Verrechnungspreis auf den Abnehmer abgewälzt. Prinzipiell das Gleiche gilt für den umgekehrten Fall einer besonders günstigen Kostensituation beim Produzenten oder Leistungserbringer, wobei die Vorteile nicht diesem, sondern dem Abnehmer zugutekommen. Somit würde bei Anwendung der Istkostenrechnung der Preis umso höher (niedriger) ausfallen, je unwirtschaftlicher (wirtschaftlicher) produziert wird. Dies steht im Widerspruch zum Grundsatz des Fremdvergleichs, da unter fremden Dritten derjenige wirtschaftliche Vor- und Nachteile in Anspruch nehmen kann bzw. zu vertreten hat, der sie verursacht.7 M.a.W. wird eine ineffiziente Leistungserstellung vom Markt regelmäßig nicht honoriert.
5.55
Normalkostenrechnung. Die Normalkostenrechnung verwendet keine effektiv angefallenen, sondern „normale“, d.h. durchschnittliche Istkosten vergangener Perioden. Die Aufgabe der Normalkostenrechnung besteht somit darin, die periodischen Schwankungen der Kostenarten zu nivellieren und auszugleichen (d.h. zu „normalisieren“). Es existieren verschiedene Varianten der Normalkostenrechnung, die daraus resultieren, dass die Durchschnittsbildung (Normalisierung der Kosten) für die Preise und/oder die Verbrauchsmengen der Produktionsfak1 Vgl. Kilger/Pampel/Vikas, Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung12, 44. 2 Vgl. auch Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, 96. 3 Vgl. Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. II Tz. 2.52 Rz. 248. 4 Vgl. Tz. 2.50 und 2.59 OECD-Leitlinien 2022 sowie hierzu Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.42 Rz. 206; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 572 f. 5 Vgl. Tz. 2.55 OECD-Leitlinien 2022. 6 So auch Tz. 2.58 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Tz. 2.48 u. 2.51 OECD-Leitlinien 2022; Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 316.
352 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.59 Kap. 5
toren erfolgen kann.1 Die „normalisierten“ Kosten können durch sog. aktualisierte Mittelwerte, die die veränderten gegenwärtigen und zukünftigen Kosteneinflussgrößen erfassen, korrigiert werden. Insofern kann die Normalkostenrechnung auch die zu erwartenden Kostenentwicklungen berücksichtigen. Sollkostenrechnung. Eine Variante der Normalkostenrechnung, bei der eine Durchschnittsbildung korrigiert durch aktualisierte Mittelwerte nur für die Preise, nicht aber für die Verbrauchsmengen erfolgt, wird auch als Sollkostenrechnung bezeichnet.2 Diese Kosten sind definiert als die mit Plan-(Normal)preisen bewerteten Istverbrauchsmengen der Produktionsfaktoren. Damit wird ex ante nur die Wertkomponente festgelegt, während die Mengenkomponente offenbleibt und erst durch den tatsächlichen Mengenverbrauch der eingesetzten Produktionsfaktoren bestimmt wird.
5.56
Plankostenrechnung. Im Gegensatz zur Ist- und Normalkostenrechnung basiert die Plankostenrechnung ausschließlich auf zukunftsorientierten Größen (Prognosekosten, erwartete Kosten). Bei den Plankosten handelt es sich somit um Kostenvorgaben mit Soll-Charakter, die unter vorheriger Festlegung eines bestimmten Beschäftigungsgrades und Produktionsverfahrens, einer bestimmten Auftragszusammensetzung sowie weiterer Plandaten auf der Grundlage technischer und ökonomischer Verbrauchsstudien bzw. Beobachtungen unter der Prämisse rationalen Wirtschaftens festgelegt werden.3 Obwohl die Plankostenrechnung ein entsprechend entwickeltes Rechnungswesen und die Verwendung – mitunter aufwendiger – Prognosemethoden voraussetzt, erweist sie sich zur Bestimmung von Verrechnungspreisen auf der Basis der Kostenaufschlagsmethode aus zwei Gründen als besonders geeignet.4
5.57
Vorzüge der Plankostenrechnung. Zum einen erlaubt die Verwendung von Plankosten die Unterstellung einer gewissen Wirtschaftlichkeit bei der betrieblichen Leistungserstellung, was dazu führt, dass – wie beim Leistungsaustausch zwischen unabhängigen Geschäftspartnern üblich – sowohl Unwirtschaftlichkeiten als auch Kostenvorteile zu Lasten wie zugunsten des Unternehmens gehen, in dessen Verantwortungsbereich die Abweichung fällt. Auf Grund der teilweisen Glättung von Zufallsschwankungen der Kosten gilt dies in eingeschränktem Maße auch für die Normalkostenrechnung. Dennoch lässt sich nicht völlig verhindern, dass unrentabel arbeitende Unternehmen mitunter auch überhöhte Plan- oder Normalkostenwerte ansetzen.
5.58
Soll-Ist-Vergleich. Zum anderen berücksichtigt alleine das System der Plankostenrechnung den Grundsatz der „Ex-ante“-Betrachtung (Rz. 3.100), wonach einem Fremdvergleich nur die Verhältnisse und Informationen zugrunde zu legen sind, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannt waren bzw. sich abzeichneten.5 Da ein Unternehmer bzw. ein ordentli-
5.59
1 Vgl. insofern die Unterscheidung zwischen starren und flexiblen Verfahren der Normalkostenrechnung bei Kilger/Pampel/Vikas, Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung12, 47 ff. 2 Vgl. Kilger/Pampel/Vikas, Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung12, 594 f.; Rickards, Kostensteuerung kompakt, 180 f. 3 Zu den Entwicklungsformen der Plankostenrechnung im Einzelnen vgl. Kilger/Pampel/Vikas, Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung12, 51 ff. 4 Gl.A. Klein/Nohl/Zschiegner/Klein, Konzernrechnungslegung und Konzernverrechnungspreise, 111; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 573; Weber, Technologietransfer im internationalen Konzern, 159. 5 § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG; BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 78. Siehe hierzu auch BMF v. 7.4.2017 – IV B 5-S 1341/16/10003, BStBl. I 2017, 701 Tz. 7; VWG 2020, Rz. 49 und 73.
Baumhoff/Liebchen | 353
Kap. 5 Rz. 5.59 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
cher Geschäftsleiter zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die tatsächlich für die Leistungserstellung anfallenden Istkosten nicht kennen kann, muss insoweit von den erwarteten Kosten, also den Plankosten ausgegangen werden. Die Verwendung von Istkosten würde hingegen als Verstoß gegen das allgemein anerkannte Verbot der Retrospektive bei der Festlegung und Überprüfung von Verrechnungspreisen anzusehen sein. Ferner ist die Verwendung von Normal- und Plankosten dem Verdacht ausgesetzt, objektiv schwer kontrollierbare Manipulationen bei der Kostenfestsetzung zu bewirken.1 Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Möglichkeit, wenn auch nicht in gleichem Umfang, grundsätzlich auch bei Anwendung der Istkostenrechnung besteht. Außerdem stellt die Kostenkontrolle einen wesentlichen Bestandteil der Plankostenrechnung dar. Diese erfolgt durch eine Gegenüberstellung der geplanten mit den tatsächlichen Kosten und einer anschließenden Ermittlung und Analyse der Abweichungen zwischen Plan- und Istkosten. Da die Plankostenrechnung eine Vor- und eine Nachrechnung enthält, lässt sich mit Hilfe der Abweichungsanalyse die Manipulationsgefahr in hinreichendem Umfang begrenzen.2 So fordert auch die deutsche Finanzverwaltung für die Verwendung von Planrechnungen bei der Verrechnungspreisbestimmung, dass entweder (i) unterjährig die tatsächliche Entwicklung der zugrundeliegenden Plandaten und Renditekennziffern im Rahmen eines Soll-Ist-Vergleichs abgeglichen werden sollte, jedenfalls aber (ii) zum Abschluss eines Wirtschaftsjahres ein Vergleich der Panrechnung mit dem tatsächlichen Ergebnis durchzuführen und eine nachträgliche Anpassung des Ergebnisses vorzunehmen ist, wenn das tatsächliche Ergebnis außerhalb der Bandbreite angemessener Ergebnisse für die jeweilige Renditekennziffer liegt.3
5.60
Angemessene Toleranzgrenzen. Becker schlägt in diesem Zusammenhang vor, im Rahmen der Abweichungsanalyse angemessene Toleranzgrenzen festzulegen, wobei eine Schwankungsbreite von plus/minus 5 % angemessen sei.4 Dieser Auffassung ist aus Kontroll- und Praktikabilitätsgesichtspunkten grundsätzlich zuzustimmen. Überschreiten die Istkosten die vorgeschlagene Toleranzgrenze, so ist eine Soll-Ist-Analyse durchzuführen. Stellt sich dabei heraus, dass die Plankosten im Rahmen der „Ex-ante“-Betrachtung unter Verwendung aller verfügbaren Daten korrekt berechnet wurden und dass Manipulationen im Rahmen dieser Kostenbestimmung ausgeschlossen werden können, sind die Plankosten den Istkosten nach wie vor vorzuziehen. Dies entspricht dem Verbot der Retrospektive bei der Festlegung und Überprüfung von Verrechnungspreisen.
5.61
Schätzung von Plandaten und Planverbrauchsmengen. In der praktischen Handhabung wird die für die Anwendung der Plankostenrechnung unabdingbare Prognoserechnung und Budgetierung nicht unproblematisch sein. Dies gilt – neben der Schätzung der Kosten selbst – insbesondere für die Ermittlung der voraussichtlichen Produktionsmengen, die maßgeblich die Aufteilung der Fixkosten auf die Kostenträger und somit die Quantifizierung der Stückkosten determinieren.5 Insoweit können einer Anwendung der Plankostenrechnung durchaus 1 Vgl. etwa Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.52 Rz. 249. 2 Im Übrigen wird auch im Rahmen der Plankostenrechnung in der Regel Dokumentationserfordernissen Rechnung getragen (z.B. mittels einer Abstimmung mit der Finanzbuchhaltung), vgl. Lorson/Schweitzer in Küting, Saarbrücker Handbuch der Betriebswirtschaftlichen Beratung4, Rz. 1249 ff. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.41 f. 4 Vgl. Becker, IWB F. 3 Gr. 1, 593. 5 In der Verrechnungspreispraxis werden insoweit die Plandaten häufig aus Erfahrungswerten der Vergangenheit abgeleitet. Zur Abschätzung von Risiken vgl. etwa Vögele/Borck, IStR 2002, 176 ff.
354 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.64 Kap. 5
praktische Schwierigkeiten entgegenstehen. Da jedoch die Heranziehung der Istkostenrechnung auf Grund des Verbots der Retrospektive aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen ist, wird mitunter das Herbeiführen einer Kompromisslösung erforderlich sein. Normalkostenrechnung als Kompromisslösung. Als eine solche Kompromisslösung kann die Normalkostenrechnung fungieren, die es erlaubt, ex ante lediglich die Wertkomponente der Kosten festzulegen, während sich die Mengenkomponente ex post am tatsächlich eingetretenen Mengenverbrauch orientiert.
5.62
Istkostenrechnung als Ausnahmefall. In der Literatur1 wird für den Fall, dass die anfallenden Kosten wegen der Individualität der entsprechenden Lieferungen und Leistungen weder normiert noch hinreichend sicher geplant werden können (z.B. bei Einzel- und Spezialanfertigungen, konzernspezifischen Dienstleistungen und Forschungsleistungen), als einzig zielführendes System die Istkostenrechnung angesehen.
5.63
d) Sachumfang der Kosten Vollkostenrechnung. Im Rahmen der Bestimmung des Sachumfangs der verrechenbaren Kosten wird allgemein zwischen Voll- und Teilkosten unterschieden. Die deutsche Finanzverwaltung geht im Zusammenhang mit der Kostenaufschlagsmethode grundsätzlich von Vollkosten aus.2 Die Vollkostenrechnung beruht auf der Erkenntnis, dass ein Unternehmen auf Dauer nur dann bestehen kann, wenn die erzielten Preise sämtliche Kosten decken. Ausgangspunkt einer auf Vollkosten basierenden Verrechnungspreisgestaltung sind somit die durch die Kostenträgerstückrechnung zu ermittelnden Selbstkosten. Da das Problem der verursachungsgerechten Zuordnung der echten Gemeinkosten nach wie vor als unlösbar gilt, wird hierbei bewusst in Kauf genommen, dass zur Ermittlung der Selbstkosten einer Leistungseinheit eine im Grunde willkürliche Zurechnung der echten Gemeinkosten notwendig ist. Hieraus resultiert die Forderung, möglichst alle Kosten weitgehend als Einzelkosten zu erfassen, soweit diese den einzelnen Leistungen zugerechnet werden können, während dies für die Gemeinkosten nur indirekt über die Kostenstellenrechnung möglich ist.3 Bei der Einteilung eines Unternehmens in Kostenstellen ist u.a. zu beachten, dass sich für alle Kostenstellen geeignete Bezugsgrößen (Maßgrößen der Kostenverursachung) finden lassen. Dabei sollte die Bezugsgröße möglichst eine direkte Beziehung zum Kostenträger aufweisen.4 Die Verteilung der Gemeinkosten in der Kostenstellenrechnung erfolgt mit Hilfe des tabellarisch aufgebauten Betriebsabrechnungsbogens (BAB). Dabei werden die Gemeinkosten im Rahmen der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung anhand von Bezugs- oder Schlüsselgrößen auf sog. Haupt- bzw. Endkostenstellen verteilt. Danach erfolgt die Festlegung der Gemeinkosten einer jeden Endkostenstelle mit den dort angefallenen Einzelkosten.5 Daran anschließend werden in der Kostenträgerrechnung die Gemeinkosten mit Hilfe der zuvor ermittelten Gemeinkostenzuschlagssätze den der einzelnen betrieblichen Leistung (Kostenträger) bereits zugeordneten Einzelkosten hinzugerechnet. 1 Vgl. Lahodny-Karner, Konzernverrechnungspreise im nationalen und internationalen Steuerrecht, 116; Weber, Technologietransfer im internationalen Konzern, 159 jeweils m.w.N. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.72 u. 3.78. 3 Vgl. auch Vögele/Scholz/Hoffmann, IStR 2001, 94 ff. 4 Dies wird insbesondere durch die Prozesskostenrechnung gewährleistet. Vgl. dazu Ditz, DB 2004, 1952 ff.; Ditz, Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 335 ff. 5 Insoweit werden sog. Zuschlagsätze ermittelt, zur Vorgehensweise vgl. Lorson/Schweitzer in Küting, Saarbrücker Handbuch der Betriebswirtschaftlichen Beratung4, Rz. 1197 ff.
Baumhoff/Liebchen | 355
5.64
Kap. 5 Rz. 5.65 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
5.65
Mängel der Vollkostenrechnung. Der jeder Vollkostenrechnung immanente Mangel, trotz Anwendung noch so verfeinerter Erfassungsmethoden und Verrechnungsmodi keine absolut willkürfreie und verursachungsgerechte Gemeinkostenschlüsselung vornehmen zu können, wird bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen auf Vollkostenbasis besonders deutlich. Die Existenz nicht eindeutiger Kriterien der Kostenstellen- und Bezugsgrößenbildung, unterschiedlicher Möglichkeiten der Aufschlüsselung der Gemeinkosten sowie alternativer Kalkulationsverfahren eröffnen dem Kalkulierenden Möglichkeiten der Verrechnungspreisgestaltung durch zielorientierte Kostenverrechnung. Dieser elementare Mangel ist auch nicht durch eine generelle Festlegung bestimmter Verteilungsschlüssel, Zuschlagsbasen und Kalkulationsverfahren zu beseitigen, da hierbei die Gefahr besteht, dass ihre Verwendung in bestimmten Fällen auf Grund mangelnder Flexibilität zu unangemessenen Verrechnungspreisen führt. Vielmehr muss die Bestimmung dieser Kosteneinflussgrößen einzelfallbezogen unter Berücksichtigung der Art des zu bewertenden Gutes bzw. der zu bewertenden Leistung, der Liefer- bzw. Leistungshäufigkeit, der Zusammensetzung des Lieferungs- und Leistungsprogramms, der Organisation des Rechnungswesens sowie der Organisationsstruktur des Unternehmens bzw. der Unternehmensbereiche erfolgen.
5.66
Kostenschlüsselung nach Ersatzkriterien. Da letztlich zwingende Zuordnungskriterien fehlen, verbleibt nur die Möglichkeit, die Kosten nach Ersatzkriterien zu schlüsseln, mit denen sie mehr oder weniger stark korrelieren. Um mögliche Manipulationsspielräume einzuschränken, sind bei der Kalkulation von Leistungen an verbundene wie unverbundene Unternehmen prinzipiell einheitliche Verteilungsmodi anzuwenden. Wird ausschließlich an verbundene Unternehmen geleistet, sind die für den Einzelfall geeignetsten Verfahren heranzuziehen, wobei deren konkrete Eignung anhand betriebswirtschaftlicher Grundsätze zu beurteilen ist. Als Prüfungs- und Beurteilungsmaßstab ist dabei das Verhalten eines ordentlichen Geschäftsleiters heranzuziehen (Rz. 3.133 ff.).1
5.67
Teilkostenrechnung. Die der Kostenermittlung zugrunde zu legenden Kalkulationsmethoden sind an der Preispolitik gegenüber Fremden bzw. an betriebswirtschaftlichen Grundsätzen auszurichten. Damit wird grundsätzlich auch die Teilkostenrechnung für all jene Fälle zugelassen, in denen es für einen ordentlichen Geschäftsleiter unter Berücksichtigung seines Zielsystems sinnvoll ist, auf die Deckung der vollen Selbstkosten einer Lieferung/Leistung zu verzichten und sich stattdessen mit einem „Cost-less“-Preis zu begnügen.2 Die Teilkostenrechnung ist ein betriebswirtschaftlich anerkanntes Instrument zur Fundierung preispolitischer Entscheidungen, deren Anwendung immer dann mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs in Einklang steht, wenn dies in vergleichbaren Situationen auch zwischen oder gegenüber unabhängigen Geschäftspartnern praktiziert wird. Daher würde es den Grundsätzen ordnungsmäßiger Geschäftsführung nicht widersprechen, wenn beispielsweise zur Erschließung neuer bzw. Erweiterung bestehender Absatzmöglichkeiten oder bei vorübergehender Unterbeschäftigung zur Ausnutzung freier Kapazitäten kurzfristig jeder Preis akzeptiert wird, der über den Einzelkosten 1 Zur vglb. Problematik eines fremdvergleichskonformen Umlageschlüssels bei Umlageverträgen s. Ditz, DB 2004, 1951 ff. 2 Ähnlich Becker in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 2.1.6. und 2.2.4. VWG 1983; Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.51 Rz. 244 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 572 f.; Vögele/Raab/Braukmann in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. C 316 ff.; Nientimp, Gewinnabgrenzung in internationalen Konzernen, 165; Scholz, BNA, 04/a, 8; Baumhoff in FS Krawitz, 29 f.; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 139 ff.; Ditz/Puls, IWB 2020, 501; Ditz/Quilitzsch, DB 2020, 972.
356 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.69 Kap. 5
liegt. Ebenso ist es mit dem Fremdvergleich vereinbar, zur Schaffung eines vollumfänglichen Sortiments auch solche Produkte in eine Produktpalette aufzunehmen, mit denen sich nicht die Vollkosten, jedoch zumindest die variablen Kosten decken lassen.1 Denn ein solcher kalkulatorischer Ausgleich i.R. einer Palettenbetrachtung ist jedenfalls zwischen unverbundenen Marktteilnehmern nicht unüblich.2 Allerdings kann eine Verrechnungspreisbestimmung auf Teilkostenbasis (z.B. auf Grundlage einer Deckungsbeitragsrechnung) nur dann zur Anwendung kommen, wenn eine Vollkostendeckung nicht möglich3 oder vorübergehend betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll ist.4 Letztlich müssen demnach betriebswirtschaftliche Gründe für die Preisfestsetzung auf der Grundlage einer Teilkostenrechnung vorliegen. Fehlen diese, kommt steuerlich ausschließlich eine Preisermittlung auf Vollkostenbasis in Betracht. Teilkostenrechnung in bestimmten Marktsituationen. Die OECD-Leitlinien eröffnen explizit die Möglichkeit, in bestimmten Marktsituationen auf eine Teilkostenrechnung überzugehen.5 Zwar erwähnen die OECD-Leitlinien in diesem Zusammenhang lediglich die Teilkostenrechnung bei der Markterschließung, doch dürfte unbestritten sein, dass auch Preiskonzessionen zur Ausnutzung freier Kapazitäten einen nicht die Vollkosten deckenden Preis rechtfertigen, um die Leerkosten eines Unternehmens möglichst niedrig zu halten.6 Weitere Gründe für Preiskonzessionen können in Liquiditätsengpässen oder hohen Lagerbeständen liegen.
5.68
4. Gewinnaufschlag Unternehmens- und branchenübliche Gewinnaufschläge. Neben der Ermittlung der Kostenbasis liegt das zentrale Problem der Kostenaufschlagsmethode in der Bestimmung eines angemessenen Gewinnaufschlags. Es besteht jedoch weder dem Grunde nach noch der Höhe nach Einigkeit darüber, nach welchen Grundsätzen die Angemessenheit des Gewinnaufschlags zu beurteilen ist. Die OECD-Leitlinien sehen einen Gewinnaufschlag vor, „den derselbe Lieferant bei vergleichbaren Fremdgeschäftsvorfällen erzielt“.7 Abgestellt wird somit auf einen innerbetrieblichen Vergleich (Rz. 3.130), also auf betriebsübliche Gewinnaufschläge. Daneben lässt die OECD eine Ermittlung des Gewinnaufschlags nach Maßgabe eines zwischenbetrieblichen Vergleichs (Rz. 3.131) zu, wonach die Gewinnmarge zugrunde zu legen ist, die ein unabhängiges Unternehmen bei vergleichbaren Geschäften erzielt.8 Dabei ist jedoch zu beachten, dass auch die Kostenbasis vergleichbar sein muss.9 Insoweit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ggf. bereits in der Kostenbasis gewinnwirksame Bestandteile10 enthalten sind, deren Verrechnung sich auf die Höhe des Gewinnaufschlags auswirkt.11 1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 593. 2 Vgl. Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141 f.; Baumhoff, IStR 1994, 593; Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 521 f.; Kaminski/Strunk, IWB F. 3 Gr. 1, 1837; Kroppen/Rasch, IWB F. 5 Gr. 2, 354; Bauer, DB 2008, 156 f.; Baumhoff in Baumhoff/ Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 147 f. 3 Z.B. auf Grund zu geringer Absatzpreise. 4 Z.B. bei Markteintritt, Marktverteidigung, Marktanteilsausweitung, aber auch in Phasen gesamtwirtschaftlicher oder branchenbezogener Krisen. Vgl. hierzu etwa Baumhoff in FS Krawitz, 21 ff. 5 Vgl. Tz. 2.57 und 1.114 ff. OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. auch Nientimp, Gewinnabgrenzung in internationalen Konzernen, 165 m.w.N. 7 Tz. 2.46 OECD-Leitlinien 2022. 8 Vgl. Tz. 2.46 ff. OECD-Leitlinien 2022. 9 Vgl. Tz. 2.50 OECD-Leitlinien 2022. 10 Z.B. durch die Verrechnung kalkulatorischer Kosten, vgl. Oestreicher, IStR 2000, 764 ff.; Baumhoff/ Greinert, IStR 2006, 791. 11 Vgl. Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleich, 101.
Baumhoff/Liebchen | 357
5.69
Kap. 5 Rz. 5.70 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
5.70
Steuerlicher Gewinnerzielungszwang. Hinsichtlich der Verrechnung eines Gewinnaufschlags dem Grunde nach wurde im Schrifttum vereinzelt die Ansicht vertreten, es bestehe für Dienstleistungen, die nicht zum eigentlichen Geschäftsgegenstand eines Unternehmens zählen, kein steuerlicher Gewinnerzielungszwang, sondern nur die Verpflichtung zur Weiterbelastung der Selbstkosten. Begründet wird diese Ansicht damit, solche Leistungen „dienender Art“ würden aus Kosten- und Qualitätsgründen zentral zum Nutzen aller Gruppenmitglieder erbracht. Hiermit sei keine unmittelbare Gewinnerzielungsabsicht verbunden, sondern vielmehr eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der Unternehmensgruppe zu möglichst niedrigen Kosten, womit ein Selbstkostenpreis zu rechtfertigen sei.
5.71
Kein Verzicht auf Gewinnelement. Die Forderung nach einem Verzicht auf die Einbeziehung eines Gewinnelements bei der Einzelverrechnung bestimmter Dienstleistungen ist jedoch – außerhalb der Poolumlage (Rz. 6.351 ff.) – mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs unvereinbar, da ein gewinnzielorientierter Unternehmer bzw. ordentlicher Geschäftsleiter i.d.R. keine Leistung – auch keine Nebenleistung – erbringen würde, ohne damit eine Gewinnerwartung zu verbinden (Rz. 6.76). Abgesehen davon, dass die Feststellung, ob eine Dienstleistung für das leistungserbringende bzw. -empfangende Unternehmen einen wesentlichen Bestandteil seiner Geschäftstätigkeit darstellt, oft sehr schwierig ist, ist nicht einsichtig, warum bestimmte Dienstleistungen, die wie alle übrigen Lieferungen und Leistungen zur Erzielung des Gesamtgewinns eines Unternehmens beitragen, nur zu Selbstkosten abgerechnet werden sollen. Tritt ein Unternehmen gegenüber einem anderen – mit welcher Art verrechenbarer Dienstleistungen auch immer – als Dienstleistungsunternehmen auf, so ist die Verrechnung von Selbstkosten ohne Gewinnaufschlag zwischen Fremden unter normalen Umständen nicht vorstellbar. Durch den Verzicht auf das Gewinnelement würde der Gewinn einseitig dem leistungsempfangenden Unternehmen zugeschlagen, was eine ungerechtfertigte Gewinnverlagerung bedeuten würde, die durch den Grundsatz des Fremdvergleichs eben gerade vermieden werden soll. Infolgedessen ist die Berücksichtigung eines Gewinnaufschlages im Rahmen der Einzelabrechnung von Dienstleistungen zwingend.
5.72
Kein internationaler Konsens. Für die deutsche Verrechnungspreispraxis kommt in Übereinstimmung mit den OECD-Vorgaben eine reine Kostenverrechnung selbst dann nicht in Betracht, wenn die Leistungsgegenstände keine Kern- bzw. Hauptfunktion(en) des leistungserbringenden Unternehmens darstellen. In der Frage einer reinen Kostenverrechnung besteht jedoch international keinesfalls Konsens. So ist etwa in den USA, Japan und in den Niederlanden bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine reine Kostenverrechnung ohne Gewinnaufschlag zulässig.1
5.73
Allenfalls temporärer Verzicht. Von der letztlich auf dem Fremdvergleich basierenden Forderung nach einem Gewinnaufschlag dem Grunde nach zu unterscheiden sind Rahmenbedingungen, die einen temporären Verzicht auf einen Gewinnaufschlag rechtfertigen können. Hierbei handelt es sich um die Frage des Gewinnaufschlags der Höhe nach, die im Folgenden behandelt wird.
5.74
Ermittlung des angemessenen Gewinnaufschlags. Zur Festlegung der angemessenen Gewinnkomponente der Höhe nach existieren in der Literatur und seitens der Rechtsprechung mehrere Vorschläge.2 Diese reichen vom inneren oder äußeren Betriebsvergleich über die Ei1 Vgl. hierzu Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 212 ff. m.w.N. 2 Vgl. zu einem Überblick Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.40 Rz. 191 ff.
358 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.76 Kap. 5
genkapitalrendite des betroffenen Unternehmens, die Preisbildungsvorschriften für öffentliche Aufträge bis hin zu festen, in Prozentsätzen anzugebenden Aufschlägen. Betriebsübliche Gewinnaufschläge, die sich durch einen inneren Betriebsvergleich ermitteln lassen, orientieren sich an Gewinnspannen, die von dem betreffenden Konzernunternehmen mit fremden Dritten erzielt werden. Als Vergleichsmaßstab sollen dabei möglichst Transaktionen herangezogen werden, die unter vergleichbaren Umständen vorgenommen wurden. Stehen vergleichbare Gewinnspannen nicht zur Verfügung, weil das liefernde/leistende Unternehmen keine oder keine vergleichbaren Geschäftsbeziehungen zu Fremden unterhält, so ist auf branchenübliche Gewinnaufschläge abzustellen, die sich durch einen äußeren Betriebsvergleich bestimmen lassen. Dabei wird auf Gewinnspannen Bezug genommen, die zwischen Unternehmen der gleichen Branche bei vergleichbaren Geschäften erzielt werden. Zu deren Ermittlung kann insbesondere auf Datenbanken zurückgegriffen werden (Rz. 3.28 und 3.133).1 Allerdings zeigt die Verrechnungspreispraxis, dass der Einsatz von Datenbanken nicht unproblematisch ist.2 Lassen sich indessen auch mit dieser Methodik keine Vergleichswerte identifizieren, besteht ferner die Möglichkeit, einen „normalisierten“ Gewinnaufschlag anhand der durchschnittlichen Branchenrendite heranzuziehen.3 Mindestansatz einer Kapitalmarktrendite. Ein anderer Vorschlag geht dahin, den Gewinnaufschlag so zu bemessen, dass zusammen mit den kalkulatorischen Eigenkapitalzinsen mindestens eine Eigenkapitalrendite in Höhe der Kapitalmarktrendite erwirtschaftet wird.4 Dies beruht auf der Überlegung, dass fremde Dritte eine unternehmerische Funktion nur dann ausüben würden, wenn die erzielbaren Erlöse langfristig eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals gewährleisten.5 Somit dürfte die Kapitalmarktrendite nur als Untergrenze der Eigenkapitalrendite in Frage kommen, da eine Kapitalmarktanlage, verglichen mit der Geldanlage in einem Unternehmen, ein wesentlich geringeres Kapitalausfallrisiko bedeutet. Folgerichtig wird deshalb auf eine Eigenkapitalrendite abgehoben, die eine Risikozuschlagskomponente beinhaltet.6
5.75
Aussagen der Rechtsprechung. Die deutsche Finanzrechtsprechung hat sich in mehreren Entscheidungen zur Angemessenheit von Gewinnaufschlägen geäußert. So beurteilte der BFH7 einen Gewinnaufschlag von 10 % bis 15 % „nicht als unangemessen“, ohne allerdings näher zu begründen, worauf er diese Feststellung stützt. Das FG Saarland hat in seinem rechtskräftigen Urt. v. 18.12.1996 – allerdings wiederum unbegründet – entschieden, dass ein Reingewinnzuschlag i.H.v. 5 % auf keine Bedenken stoße.8 Diese Quantifizierung des Gewinnaufschlags steht im Einklang mit dem BFH-Urteil v. 12.3.1980, nach dem ein Reingewinn von
5.76
1 Vgl. Vögele/Juchens, IStR 2000, 713 ff.; Tucha, IStR 2002, 745 ff.; Baumhoff, IStR 2003, 3 f. Zum Einsatz von Datenbanken allgemein vgl. auch Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34.; Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937 ff. 2 Siehe auch Kolb, IWB F. 3 Gr. 1, 2391 ff.; Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160; Baumhoff in FS Krawitz, 37 ff. 3 Vgl. Klein/Nohl/Zschiegner/Klein, Konzernrechnungslegung und Konzernverrechnungspreise, 113. 4 Vgl. Scholz, IStR 2004, 209 ff.; Taetzner, IStR 2004, 726 ff. 5 Vgl. in diesem Zusammenhang auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, wonach eine Vertriebsgesellschaft innerhalb eines überschaubaren Kalkulationszeitraums einen angemessenen Totalgewinn erwirtschaften soll. Dessen Höhe kann sich nach Ansicht des BFH „als Untergrenze an einer angemessenen Verzinsung des zugeführten Eigenkapital orientieren“. 6 Vgl. Elbert/Gotsis in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 241 f.; Fiehler, IStR 2007, 469 f. 7 Vgl. BFH v. 2.2.1960 – I 194/59, BB 1960, 731. 8 Vgl. FG Saarland v. 18.12.1996 – 1 K 257/94, EFG 1997, 485.
Baumhoff/Liebchen | 359
Kap. 5 Rz. 5.76 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
3 % bis 5 % des wirtschaftlichen Umsatzes die Annahme einer vGA nicht rechtfertige.1 Das FG Baden-Württemberg führt in seinem Urteil v. 2.5.20032 aus, dass neben der Deckung der Kosten noch ein „bescheidener Rohgewinn“ verbleiben müsse, ohne diesen allerdings zu quantifizieren.3 Das FG Münster hat schließlich in seinem rechtskräftigen Urteil vom 16.3.2006 judiziert, dass ein Kostenaufschlag von 30 % bis 70 % auf die reinen Lohnkosten sich in einem Bereich bewegt, der „betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entspricht“ und „jedenfalls nicht zu hoch angesetzt sein dürfte“.4
5.77
Gewinnaufschlag bei Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung. Die OECD hat im Rahmen der Maßnahme 10 des BEPS-Programms eine vereinfachte Ermittlung fremdvergleichskonformer Dienstleistungsvergütungen eingeführt, die auf der modifizierten Kostenaufschlagsmethode basiert und insbesondere einen lediglich geringen Gewinnaufschlag von 5 % vorsieht.5 Allerdings umfassen die Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung insbesondere FuE-Dienstleistungen, Produktions- sowie Vertriebsdienstleistungen nicht. Ein vergleichbarer Ansatz wurde für die EU vom EU-JTPF entwickelt, der einen Gewinnaufschlag zwischen 3 % und 10 %, oftmals 5 % vorsieht.6 Die deutsche Finanzverwaltung wendet die OECD-Grundsätze zu (Routine-) Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung unmittelbar an.7
5.78
Verrechnungspreispraxis. In der Verrechnungspreispraxis hat sich indessen ein Gewinnaufschlag i.H.v. 5 % bis 10 % auf die Selbstkosten (d.h. die nach den Grundsätzen der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung ermittelten Vollkosten) als in der Regel zweckmäßig erwiesen. Dieser wird – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – auch von der deutschen Finanzverwaltung akzeptiert8 und ist durchaus als international üblich anzusehen.9 Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der beabsichtigten Einführung von deutsch-steuerlichen Verrechnungspreisgrundsätzen für Finanztransaktionen im Zusammenhang mit der Verrechnungspreisbestimmung für konzerninterne Routinefinanzierungsfunktionen es nicht als abwegig ansieht, dass sich das Gewinnelement zwischen 5 % und 10 % bewegt, wobei nicht wertschöpfende Finanzierungskosten nicht in die Kostenbasis einzubeziehen seien.10 Die Finanzverwaltung hat diese Nichtbeanstandungsgrenze in Rz. 3.98 der VWG VP 2021 aufgenommen. Gleichwohl darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass es sich 1 Vgl. BFH v. 12.3.1980 – I R 186/76, BStBl. II 1980, 531 = FR 1980, 360. 2 FG Baden-Württemberg v. 22.5.2003 – 3 K 143/98, DStRE 2004, 965. 3 Zur methodisch vertretbaren Vorgehensweise der Ableitung der Handelsspanne mittels der Kostenaufschlagsmethode vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 593. 4 FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2248/02, FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562. 5 Vgl. Tz. 7.61 OECD-Leitlinien 2022; siehe hierzu z.B. Elbert/Münch, IStR 2015, 341 ff.; Ackermann/Greil, IWB 2015, 3 f.; Hüning/Hewera/Geyik, IWB 2016, 298 ff. 6 EU-JTPF, Leitlinien zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise5, 485 ff. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.74 ff. 8 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99 – Betriebsstätten-VWG, BStBl. I 1999, 1122, Tz. 3.1.2; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122, Tz. 1.7.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 327; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150; Zech, IStR 2011, 135. 9 Vgl. Casley, The Basic Framework of the Cost-Plus Method, ITPJ March/April 1999, 38. 10 Vgl. zur beabsichtigten (aber nicht umgesetzten) Einführung deutsch-steuerlicher Verrechnungspreisgrundsätze zu konzerninternen Finanztransaktionen durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz in § 1 Abs. 3d und 3e AStG-E BR-Drucks. 50/1/21 v. 22.2.2021, S. 29.
360 | Baumhoff/Liebchen
B. Standardmethoden | Rz. 5.80 Kap. 5
bei dieser Richtgröße um einen rein pragmatischen Ansatz handelt, der sich einer betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung entzieht. Insofern ist bei der Festlegung des Gewinnaufschlags immer den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen, d.h. es sind insbesondere die von dem verbundenen Unternehmen ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Produktionsmittel zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus denkbar, dass kein bzw. nur ein geringer Gewinnaufschlag verrechnet werden darf, wenn es sich um sog. „durchlaufende Kosten“ handelt, also ein Unternehmen für eine andere in Vorlage tritt. Dies entspricht der Auffassung der Finanzverwaltung, dass in Fällen der Lohn- und Auftragsfertigung Materialbeistellungen nicht in die Kostenbasis mit einzubeziehen sind.1 Temporärer Verzicht in Krisensituationen. Ferner ist die Zuordnung eines sicheren Gewinns mittels eines Standardgewinnaufschlages etwa in Krisenzeiten fraglich. Können in Krisenzeiten unternehmens- und branchenübliche Gewinnspannen konzernweit nicht dargestellt, sondern nur Verluste in Grenzen gehalten werden, steht auch für Routineunternehmen die Erzielbarkeit eines sicheren Gewinns zur Diskussion. Es ist durchaus denkbar, dass bei konjunkturellen Nachfrage- und Preisrückgängen, die dem gesamten Konzern bzw. der gesamten Branche keine Gewinnerzielung mehr ermöglichen, kein bzw. allenfalls ein nur sehr geringer Gewinnaufschlag verrechnet wird. Dies ist auch mit der deutschen Verwaltungsauffassung vereinbar.2 Allerdings ist bei Routineunternehmen die Deckung der Selbstkosten auf Vollkostenbasis zwingend, da diese Unternehmenskategorie gerade dadurch gekennzeichnet ist, weder Marktchancen wahrzunehmen, noch Marktrisiken zu tragen. Insofern sollten ein „Costless“-Preis und damit der Ausweis von Verlusten bei Routineunternehmen ausscheiden.3
5.79
5. Nachteile der Kostenaufschlagsmethode Zuordnung eines Garantiegewinns. Ein wesentlicher Nachteil der Kostenaufschlagsmethode besteht darin, dass dem leistungserbringenden Unternehmen auf Grund der Verwendung „normalisierter“ Gewinnaufschläge ein garantierter Gewinn zugeordnet wird. Insoweit wird verkannt, dass der einer Lieferung resp. Leistung zuzuordnende Gewinn nicht nur durch unternehmensinterne Faktoren, wie die Kosten der leistungserbringenden Unternehmung, sondern auch durch den am Markt erzielbaren Preis determiniert wird. Es fehlt somit die Einbeziehung der Nachfrageverhältnisse, d.h. die Entscheidungssituation des Abnehmers. Dieser Nachteil der Kostenaufschlagsmethode kann durch die Berücksichtigung des Vertragspartners im Rahmen der Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters kompensiert werden.4 Dabei wird neben der Kostensituation des leistungserbringenden Unternehmens die spezifische Entscheidungssituation des leistungsempfangenden Unternehmens berücksichtigt und insoweit der natürliche Interessengegensatz zweier – unabhängiger – Vertragspartner für Zwecke der Verrechnungspreisermittlung nachgebildet (Rz. 3.143 ff.). 1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 207; Zech, IStR 2011, 135; Weber, StBp 2019, 181. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.35 u. 3.43. Siehe auch Baumhoff in FS Krawitz, 32 f., Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 139 ff. 3 So wohl auch Engler, IStR 2009, 687. Dagegen hält Scholz die Vereinbarung eines Preises unterhalb der Selbstkosten für zulässig, vgl. Scholz, BNA, 04/a, 8. Siehe ferner OECD, Guidance on the transfer pricing implications of the COVID-19 pandemic, Tz. 40 und 41, wobei die OECD im auf Verluste im Zusammenhang mit der COVID 19-Pandemie den Verzicht auf ein Gewinnelement bis hin zu einer Verlustteilhabe nur dann konzedieren, wenn die entsprechenden Marktrisiken, insb. Absatzmengenrisiken, auch tatsächlich von dem (funktions- und risikoreduzierten) Routineunternehmen getragen werden, und zwar bereits zeitlich vor Materialisierung dieser Risiken. 4 Vgl. Baumhoff, DStR 1987, 499.
Baumhoff/Liebchen | 361
5.80
Kap. 5 Rz. 5.81 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
6. Kombination der Standardmethoden 5.81
Zulässigkeit. Weder die VWG VP noch die OECD-Leitlinien betrachten die drei Standardmethoden als die einzigen Instrumente einer Verrechnungspreisbestimmung. Vielmehr wird zutreffend festgestellt, dass es auf Grund der Komplexität des Geschäftslebens oder des Bemühens, den gegebenen Marktverhältnissen hinreichend Rechnung zu tragen, zu praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung der Standardmethoden kommen kann.1 Deshalb wird ausdrücklich gestattet, die Standardmethoden erforderlichenfalls zu kombinieren bzw. durch zusätzliche Elemente und Berechnungen zu ergänzen.2 So kann bspw. nach Auffassung des BFH im Rahmen der Ermittlung von Verrechnungspreisen bei einer Vertriebsgesellschaft die Wiederverkaufspreismethode – insbesondere zur Vermeidung einer nachhaltigen Verlustsituation der Vertriebsgesellschaft – um die Kostenaufschlagsmethode ergänzt werden, um die Handelsmarge der Vertriebsgesellschaft zu ermitteln (Rz. 5.26 f.).3 Diese Vorgehensweise hat sich auch in der Verrechnungspreispraxis durchgesetzt, da in diesem Zusammenhang häufig ein tatsächlicher Fremdvergleich an den fehlenden Vergleichsdaten scheitert.
C. Gewinnorientierte Methoden I. Grundlagen und Rechtsentwicklung 5.82
Zulässigkeit gewinnorientierter Methoden. Im Hinblick auf die Zulässigkeit gewinnorientierter Methoden für die Verrechnungspreisermittlung hat sich in den letzten Jahren eine deutliche Veränderung ergeben. Insbesondere Diskussionen auf Ebene der OECD, die schließlich zu einer Neufassung der Kapitel I bis III der OECD-Leitlinien geführt haben, bewirkten eine Aufwertung der gewinnorientierten Methoden gegenüber den klassischen Methoden.4 Damit wurde die grundsätzliche Nachrangigkeit der gewinnorientierten Methoden mittlerweile aufgegeben.
5.83
Arten gewinnorientierter Methoden. Die OECD-Leitlinien5 unterscheiden mit Bezug auf gewinnorientierte Methoden im Einzelnen zwischen – der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (Transactional Net Margin Method – TNMM, Rz. 5.92 ff.), – der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (Profit Split Method – PSM, Rz. 5.123 ff.) und – der globalen Gewinnvergleichsmethode (Comparable Profit Method – CPM, Rz. 5.136 f.). Die dritte Alternative (globale Gewinnvergleichsmethode) unterscheidet sich von den ersten beiden Alternativen (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode) dadurch, dass die Ermittlung von Vergleichswerten nicht geschäftsvorfallbezogen erfolgt. Demgegenüber werden die Verrechnungspreise bei An1 Vgl. Tz. 2.18 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; VWG VP 2021, Rz. 3.10. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; wohl auch BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030 und hierzu Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 593. 4 Vgl. auch Naumann, IStR 2013, 616. 5 Vgl. Tz. 2.62 OECD-Leitlinien 2022.
362 | Baumhoff/Liebchen und Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.85 Kap. 5
wendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode und der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode – zumindest theoretisch – geschäftsvorfallbezogen ermittelt; beide Methoden werden daher unter dem Stichwort „Transactional profit methods“ in den OECD-Leitlinien zusammengefasst.1 Nach international anerkannter Auffassung stehen geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs im Einklang und können unter den nachfolgend beschriebenen Voraussetzungen angewendet werden.2 Darüber hinaus ist gemäß OECD-Leitlinien die Anwendung anderer gewinnorientierter Verrechnungspreismethoden, etwa der globalen Gewinnvergleichsmethode, zulässig, sofern diese Methoden im Einklang mit den in den OECD-Leitlinien genannten Anforderungen stehen.3 Geschäftsvorfallbezogene Gewinnmethoden in den VWG. Die deutsche Finanzverwaltung wollte in der Vergangenheit die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden nur sehr eingeschränkt anwenden. Gemäß Tz. 2.4.5. VWG 1983 sollten diese nur in Fällen der Schätzung oder Verprobung zur Anwendung kommen. Ein solch restriktiver Anwendungsbereich wurde von der deutschen Finanzverwaltung damit begründet, dass die klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung ausreichend seien. Diese Auffassung wurde in einer Presseerklärung des BMF v. 13.7.1995 nochmals ausdrücklich bestätigt.4
5.84
Gleichwohl war die Betriebsprüfungspraxis aufgrund der offenkundigen Nachteile der klassischen Methoden häufig gezwungen, auf die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden zurückzugreifen.5 Zudem wurde bereits in Tz. 2.4.5. VWG 19836 auf die Möglichkeit hingewiesen, selbst außerhalb von Fällen der Schätzung oder Verprobung – also „eigenständig“ – Einkünfte des Steuerpflichtigen mit Hilfe des Gewinnvergleichs oder der Gewinnaufteilung zu korrigieren, „wenn die Anwendung der Standardmethoden wegen besonderer Umstände [...] nicht zu sachgerechten Ergebnissen führen würde“. Ebenfalls erlaubt Tz. 2.4.6. VWG 19837 in „besonderen Fällen“ die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden. Auch in Tz. 5.2.3. VWG 1983 wird für den Fall, dass zur Ableitung von Lizenzgebühren die Preisvergleichsmethode keine Anwendung findet, auf den „Betriebsgewinn“ des Lizenznehmers abgestellt. Mit diesen Regelungen haben sich also bereits die VWG 1983 für die Zulässigkeit und eigenständige Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden ausgesprochen, allerdings unter sehr restriktiven Bedingungen. Sie waren quasi als die Methoden „des letzten Auswegs“ anzusehen.8 Neujustierung durch die VWG-Verfahren. Durch die in 2005 veröffentlichten VWG-Verfahren wurden die restriktiven Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden deutlich relativiert. So wird der Einsatz der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode und der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode 1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Kapitel II, Teil III OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.63 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.62 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. die Stellungnahme des BMF zum neuen Verrechnungspreisbericht des OECD-Rates, IStR 1995, 384 ff.; dies nochmals bestätigend Runge, IStR 1995, 505. Vgl. insbesondere Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 118 ff.; Hoffmann, IStR 1999, 69 ff. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.5 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.6 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). Vgl. Menck, StBp 1996, 154 ff.
Greinert | 363
5.85
Kap. 5 Rz. 5.85 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
seitdem ausdrücklich zugelassen. Dabei erfolgt die Klarstellung durch die VWG-Verfahren, dass die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode u.a. dann zur Verrechnungspreisermittlung herangezogen werden kann, „wenn die Standardmethoden [...] nicht angewandt werden können“.1 Eine vergleichbare Formulierung findet sich zur geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode. Auch diese darf „herangezogen werden, wenn sich die Standardmethoden nicht oder nicht verlässlich anwenden lassen.“2 Mit diesen Regelungen wird also nicht mehr – wie in den VWG 1983 – nur auf „besondere Umstände“3 oder „besondere Fälle“4 abgestellt. Vielmehr wird die eigenständige Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden eingeräumt.5 Voraussetzung dafür bleibt freilich, dass es unter Anwendung der klassischen (Standard-)Methoden nicht gelingt, fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise zu ermitteln. Damit wird zugleich das Rangverhältnis der Methoden untereinander geregelt: Vorrangig kommen die klassischen Methoden, nur nachrangig die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden zur Anwendung. Sowohl die VWG 1983 als auch die VWG-Verfahren wurden durch die im Juli 2021 veröffentlichten VWG VP6 aufgehoben. Rz. 3.9 VWG VP 2021 führt zwar die in Deutschland zulässigen Verrechnungspreismethoden auf, allerdings enthalten die VWG VP keine Äußerungen hinsichtlich des Anwendungsvorrangs. Die VWG VP 2021 verweisen aber in Rz. 2.1 auf die Regelungen der OECD Leitlinien, so dass die dort vertretene Sichtweise auch aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung zugrunde zu legen ist.7 Demnach ist nunmehr der Maßstab der am besten geeigneten Methode (Rz. 5.89) („the most appropriate method“)8 anzuwenden.
5.86
Neufassung von § 1 Abs. 3 AStG. Im Rahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 20089 wurde u.a. § 1 AStG neu gefasst. Neben den speziellen Regelungen zu Funktionsverlagerungen wurden auch die allgemeinen Vorschriften zur Verrechnungspreisermittlung grundlegend überarbeitet.10 § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG normiert demnach, dass der „Verrechnungspreis vorrangig nach der Preisvergleichsmethode, der Wiederverkaufspreismethode oder der Kostenaufschlagsmethode zu bestimmen [ist], wenn Fremdvergleichspreise ermittelt werden können, die [...] für diese Methoden uneingeschränkt vergleichbar sind“. Demnach wird den klassischen Methoden der Vorrang gegeben, wenn uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichspreise vorliegen. Bekanntlich stellt jedoch die uneingeschränkte Vergleichbarkeit eher den Ausnahmefall dar. Die durch einen tatsächlichen Fremdvergleich abgeleiteten Werte sind meist nur als eingeschränkt vergleichbar zu qualifizieren. Für diesen Fall regelt § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG, „einge-
1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b, 1. Spiegelstrich (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. c (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.5 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.6 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1551. 6 BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – VWG VP, BStBl. I 2021, 1098. 7 Vgl. Saliger/Wargowske/Greil, IStR 2021, 573. 8 Vgl. Tz. 2.2 OECD-Leitlinien 2022. 9 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (UntStRefG 2008) v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 10 Gesamtüberblick zu den Neuregelungen: Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 ff.
364 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.86 Kap. 5
schränkt vergleichbare Werte [...] der Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode zugrunde zu legen“. Bei eingeschränkter Vergleichbarkeit wird also nur noch auf eine „geeignete Verrechnungspreismethode“ abgestellt. Ein Vorrang der klassischen Methoden gegenüber den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden wird nicht mehr ausdrücklich im Gesetz genannt. Hier ist nun fraglich, ob nur eine unpräzise Gesetzesformulierung vorliegt und – wie bei der uneingeschränkten Vergleichbarkeit – von einem grundsätzlichen Vorrang der klassischen Methoden auszugehen ist. Hierfür könnte sprechen, dass die einschlägigen BMFSchreiben (insbesondere VWG-Verfahren) nicht geändert wurden und demnach immer noch ein genereller Vorrang der klassischen Methoden besteht. Denkbar ist jedoch auch, dass der Gesetzgeber bei eingeschränkter Vergleichbarkeit von einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis absehen und der inzwischen dominanten Bedeutung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden1 Rechnung tragen wollte. Insbesondere die folgenden Argumente lassen sich dafür anführen: – In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es zu § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG: „Soweit uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte feststellbar sind, stellt die Regelung den Vorrang der klassischen Methoden fest.“2 Aufgrund der Formulierung „soweit“ lässt sich ableiten, dass der Vorrang nur bei uneingeschränkter Vergleichbarkeit gelten soll. – In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es zu § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG: Der Steuerpflichtige muss „eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte (z.B. Preise, Bruttomargen, Kostenaufschlagsätze, Provisionssätze) für die Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode“3 verwenden. Die in dem Klammerausdruck aufgeführten Fremdvergleichswerte werden gleichrangig, ohne irgendeine Abstufung genannt. Dabei sind Provisionssätze der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode zuzuordnen. Diese stehen also auf einer Stufe wie Preise (= Preisvergleichsmethode), Bruttomargen (= Wiederverkaufspreismethode) und Kostenaufschlagsätze (= Kostenaufschlagsmethode). – Das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 wurde Mitte 2007 verabschiedet. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete die OECD bereits an der Neufassung der Kapitel I bis III der OECDLeitlinien. Ergebnis dieser Neufassung war, dass der grundsätzliche Vorrang der klassischen Methoden gegenüber den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden aufgegeben wurde (Rz. 5.138 ff.). Möglicherweise hat die deutsche Regierung die damaligen Entwicklungen bereits im Gesetz vorweggenommen. Durch das im Jahr 2021 verabschiedete Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz (AbzStEntModG) wurde § 1 AStG grundlegend neu gefasst und stärker an den OECD-Leitlinien ausgerichtet. Die Neufassung des § 1 Abs. 3 AStG enthält unter anderem Vorschriften zur Methodenwahl. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG ist der „Fremdvergleichspreis [...] grundsätzlich nach der im Hinblick auf die Vergleichbarkeitsanalyse und die Verfügbarkeit von Werten zu vergleichbaren Geschäftsvorfällen voneinander unabhängiger Dritter am besten geeigneten Verrechnungspreismethode zu bestimmen“. Hiermit erfolgt ein Gleichlauf von § 1 AStG mit dem zwischenzeitlich durch die OECD-Leitlinien erarbeiteten Maßstab der am besten geeigneten
1 Vgl. Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 81; auch Naumann, IStR 2013, 616: bei 80 % der einfachen Fälle findet die TNMM Anwendung. 2 Abgedruckt in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 298. 3 Abgedruckt in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 298.
Greinert | 365
Kap. 5 Rz. 5.86 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Methode (Rz. 5.89) („the most appropriate method“)1. Auch wenn mit diesem Maßstab nicht mehr ausdrücklich der Vorrang einzelner Methoden gegenüber anderen Methoden geregelt wird, bedeutet dies nicht, dass die Methodenhierarchie grundsätzlich abgelegt wurde.2 So heißt es in der Gesetzesbegründung3 unter Bezugnahme auf Tz. 2.3 der OECD-Leitlinien: „In Situationen, in denen die Preisvergleichsmethode und eine andere Verrechnungspreismethode gleichermaßen zuverlässig Anwendung finden können, ist die Preisvergleichsmethode vorzuziehen“ (Rz. 5.89 ff.).
5.87
OECD-Leitlinien 1995. Am 22.7.2010 wurden die OECD-Leitlinien grundlegend überarbeitet. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die OECD-Leitlinien 1995 einschlägig. Diese behandelten im Kapitel II die bekannten klassischen Methoden und im Kapitel III die sog. „Other Methods“, zu denen insbesondere die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode) gehörten. In mehreren Textziffern der OECD-Leitlinien 1995 wurde ausdrücklich festgehalten, dass sich Fremdvergleichspreise am besten mit den klassischen Methoden ermitteln lassen.4 Gleichwohl wird konzediert, dass sich die klassischen Methoden zumindest in manchen Fällen nicht eignen (sog. „cases of last resort“). In solchen Fällen können dagegen die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden herangezogen werden.5 Entsprechend wurden sie als „methods of last resort“ bezeichnet. Letztlich wird damit das bekannte Vorrang-Nachrang-Verhältnis zwischen klassischen Methoden und geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden dargestellt.
5.88
Neufassung Kapitel I bis III OECD-Leitlinien 2010. Zur Fortentwicklung der OECD-Leitlinien hat die Working Party No. 6 des OECD Committee on Fiscal Affairs die Projekte „Comparability“6 und „Profit-Methods“7 mit dem Ziel einer Überarbeitung der OECD-Leitlinien 1995 gestartet. Im Rahmen dieser mehrjährigen Projekte wurde deutlich, dass der Anwendungsvorrang der klassischen Methoden gegenüber den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden als nicht mehr praktikabel zu erachten ist. Die Projekte wurden erfolgreich abgeschlossen und die Kapitel I bis III der OECD-Leitlinien 2010 neu gefasst.8 Dabei kam es auch zu einer Neustrukturierung der einzelnen Kapitel. Die Verrechnungspreismethoden werden in Kapitel II der OECD-Leitlinien 2010 erläutert, wobei sich die Ausführungen zu den bekannten klassischen Methoden im 2. Teil und zu den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden (geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode) im 3. Teil finden. Im Juli 2017 wurde eine aktualisierte Ausgabe der OECD-Leitlinien veröffentlicht. Die OECD-Leitlinien 2017 enthalten keine nennenswerten Änderungen hinsichtlich der Methodenhierarchie. Entsprechendes gilt für die im Januar 2022 veröffentlichten OECD-Leitlinien 2022. 1 2 3 4 5 6
Vgl. Tz. 2.2 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785. Vgl. Gesetzesbegründung zum AbzStEntModG, BT-Drucks. 19/27632, 72. Vgl. Tz. 2.49 und 3.49 OECD-Leitlinien 1995. Vgl. Tz. 3.50 OECD-Leitlinien 1995. Vgl. OECD, Invitation to Comment on Issues in Relation to Comparability, April 2003, www. oecd.org. Hierzu Przysuski, TNI 2006, 189. 7 Vgl. OECD, Invitation to Comment on Transactional Profit Methods, February 2006, www.oecd. org. Hierzu Förster/Naumann, DB 2006, 1129; Przysuski, TNI 2006, 725. 8 Zu dem Entwurf vom 9.9.2009 vgl. Förster, IStR 2009, 720; Kurzewitz, IWB 2010, 95; Wellens, IStR 2010, 153; Rasch/Feistle, IWB 2009, 982; Oosterhoff, ITPJ 2010, 3. Zu der verabschiedeten Fassung vom 22.7.2010 vgl. Verlinden et al., ITPJ 2010, 336.
366 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.91 Kap. 5
Am besten geeignete Methode. Mit der Zusammenfassung der klassischen Methoden und der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden in einem Kapitel soll auch nach außen deutlich werden, dass das traditionelle Vorrang-Nachrang-Verhältnis zwischen diesen Methoden nicht mehr unverändert gilt. Für die Verwendung einer Verrechnungspreismethode gilt vielmehr nun der Grundsatz, die am besten geeignete Methode („the most appropriate method“) für den jeweiligen Geschäftsvorfall heranzuziehen.1 Die OECD-Leitlinien nennen mehrere Kriterien, anhand derer bestimmt werden soll, welche Methode als am besten geeignet einzustufen ist, z.B.
5.89
– Stärken und Schwächen der Verrechnungspreismethoden; – Eignung der Verrechnungspreismethoden im Hinblick auf die jeweilige Art des Geschäftsvorfalls; – Verfügbarkeit von zuverlässigen Informationen zur Anwendung der Verrechnungspreismethoden; – Ausmaß der Vergleichbarkeit einschließlich der Möglichkeit, Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit vorzunehmen. Dabei machen die OECD-Leitlinien auch deutlich, dass zahlreiche Fälle denkbar sind, in denen die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden als „most appropriate“ einzustufen sind.2 So eignet sich die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode insbesondere dann, wenn ein Unternehmen über wertvolle immaterielle Wirtschaftsgüter verfügt oder wenn stark integrierte Prozesse vorliegen. Die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode mag als geeigneter gegenüber der Wiederverkaufspreismethode einzustufen sein, wenn sich funktionale Unterschiede zwischen Transaktionen hauptsächlich in den operativen Aufwendungen widerspiegeln. Mit dieser Betonung der Eignung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden zur Ableitung angemessener Verrechnungspreise kommt es zu einer deutlichen Aufwertung dieser Methoden gegenüber den klassischen Methoden. Gleiche Eignung. Eher theoretisch muten die Ausführungen in den OECD-Leitlinien zu dem Fall an, dass mehrere Verrechnungspreismethoden als gleich geeignet einzustufen sind.3 Nur für diesen speziellen Fall sollen noch Vorrang-Nachrang-Verhältnisse gelten, und zwar in der Weise, dass
5.90
– die klassischen Methoden den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden vorgehen; – die Preisvergleichsmethode allen anderen Methoden vorgeht. Die praktische Bedeutung dieser Regelung dürfte zu vernachlässigen sein, da eine gleiche Eignung von unterschiedlichen Verrechnungspreismethoden nur schwer vorstellbar ist. Gleichwohl ist zu begrüßen, dass nochmals der absolute Vorrang der Preisvergleichsmethode gegenüber allen anderen Verrechnungspreismethoden deutlich gemacht wurde. Dieser Vorrang steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH.4 Prüfung und Verwendung mehrerer Methoden. Der Selektionsprozess zur Auswahl der am besten geeigneten Methode erweckt den Eindruck, der Steuerpflichtige müsse zunächst alle Verrechnungspreismethoden im Detail auf ihre Eignung im Hinblick auf den jeweiligen Ge-
1 2 3 4
Vgl. Tz. 2.2 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. insbesondere BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030.
Greinert | 367
5.91
Kap. 5 Rz. 5.91 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
schäftsvorfall prüfen und erst dann die am besten geeignete Methode auswählen. Zutreffend wird in den OECD-Leitlinien klargestellt, dass eine so aufwendige Vorgehensweise vom Steuerpflichtigen nicht erwartet werden kann.1 Stattdessen wird empfohlen, im Rahmen der Dokumentation die Auswahl der am besten geeigneten Methode nachvollziehbar darzulegen. Insofern liegt sicherlich eine Abweichung von der US-amerikanischen „Best-Method-Rule“ vor, bei welcher der Steuerpflichtige letztlich die Anwendbarkeit sämtlicher Verrechnungspreismethoden im Detail analysieren muss.2 Ebenfalls bleibt es bei der auch schon bislang üblichen Anforderung, nur eine einzige Verrechnungspreismethode tatsächlich anzuwenden. Es kann vom Steuerpflichtigen nicht erwartet werden, den Verrechnungspreis anhand mehrerer Methoden zu berechnen. Vielmehr machen die OECD-Leitlinien deutlich,3 dass allenfalls in „schwierigen Fällen“, bei denen gegen jede Verrechnungspreismethode begründete Zweifel bestehen, eine Kombination von mehreren Verrechnungspreismethoden zu einem geeigneten Ergebnis führen kann (vgl. Rz. 5.143, 5.172). Anhand der gewählten Formulierung wird jedenfalls klar, dass die Kombination mehrerer Verrechnungspreismethoden auf besondere Ausnahmefälle beschränkt sein soll.
II. Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode 1. Überblick 5.92
Allgemeines. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (Transactional Net Margin Method – TNMM) wird zur Ableitung angemessener Verrechnungspreise auf den Nettogewinn im Verhältnis zu einer definierten Bezugsbasis, z.B. Umsatz, Kosten oder Vermögen, abgestellt (nachfolgend „Nettomarge“). Die Nettomarge, die ein Unternehmen aus einer Geschäftsbeziehung mit einer nahestehenden Person gemäß dem Fremdvergleichsgrundsatz erwirtschaften kann, wird demnach aus solchen Nettomargen abgeleitet, die das Unternehmen mit fremden Dritten (innerer Betriebsvergleich – „Internal Comparables“) oder die fremde Dritte bei vergleichbaren Geschäften untereinander (äußerer Betriebsvergleich – „External Comparables“) erzielt haben.4 Letztlich arbeitet diese Methode mit „Sollgewinnen“, die an die angemessene Handelsspanne bei der Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.17 ff.) oder den angemessenen Gewinnaufschlag bei der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.69 ff.) erinnern.
5.93
Geschäftsvorfallbezogenheit. Entscheidend für die Anerkennung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode durch die OECD und die deutsche Finanzverwaltung als Methode zur Ableitung angemessener Verrechnungspreise ist – wie der Methodenname erwarten lässt – die Geschäftsvorfallbezogenheit. Die Internal oder External Comparables sollen also aus vergleichbaren Geschäftsvorfällen abgeleitet werden. Gerade was die External Comparables anbelangt, ist es jedoch meist nicht möglich, auf nur einen vergleichbaren Geschäftsvorfall abzustellen. Vielmehr werden zur Ermittlung der External Comparables mehrere Geschäftsvorfälle gruppiert und zusammengefasst. Basierend auf dem Gedanken der Gruppierung stellen z.B. die aus den Jahresabschlüssen dieser Unternehmen ableitbaren Nettomargen dann die Nettomargen für eine Art von zusammengefassten Geschäftsvorfällen dar. Mit einer solchen
1 Vgl. Tz. 2.8 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 257; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 586; Kurzewitz, IWB 2010, 104 f.; Verlinden et al., ITPJ 2010, 337. 3 Vgl. Tz. 2.12 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 2.64 OECD-Leitlinien 2022.
368 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.94 Kap. 5
Gruppierung und Zusammenfassung soll jedenfalls der Anforderung der Geschäftsvorfallbezogenheit entsprochen werden. Die Geschäftsvorfallbezogenheit ist sicherlich das Ideal bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Die OECD-Leitlinien erkennen allerdings die dabei bestehenden Praxisprobleme an.1 So wird ausdrücklich konzediert, dass es häufig an öffentlich verfügbaren Informationen über die mit einzelnen (gruppierten und zusammengefassten) Geschäftsvorfällen erzielten Nettomargen fehlt. Wichtig ist jedoch die von der OECD aus diesem Praxisproblem gezogene Schlussfolgerung: Wenn es nicht gelingt, Nettomargen einzelner Geschäftsvorfälle zu ermitteln, so wird nicht die Anwendbarkeit der Methode in Frage gestellt. Vielmehr wird zugestanden, stattdessen auf die Nettomargen der Vergleichsunternehmen als Ganzes Bezug zu nehmen, wenn das Funktionsprofil des Vergleichsunternehmens mit dem Funktionsprofil des untersuchten Unternehmens abgestimmt ist. Es ist dabei sicherzustellen, dass insgesamt hinreichende Vergleichbarkeit vorliegt, ggf. unter Durchführung von Anpassungsrechnungen.2 Mit dieser Anforderung haben sich die OECD-Leitlinien bisher wesentlich von den (inzwischen aufgehobenen) deutschen VWG-Verfahren unterschieden. Während nach bisheriger deutscher Verwaltungsauffassung die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode nur bei Routinefunktionen gelten sollte, weil hier im Rahmen der Gruppierung und Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen die gewünschte Geschäftsvorfallbezogenheit erreicht werden kann,3 gehen die OECD-Leitlinien zutreffend darüber hinaus. Hier wird die Anforderung der Geschäftsvorfallbezogenheit im Zweifelsfall gelockert und das Kriterium der Vergleichbarkeit in den Vordergrund gestellt. Ziel muss es nach Auffassung der OECD-Leitlinien sein, möglichst zuverlässige Vergleichswerte für den untersuchten Geschäftsvorfall zu finden, auch wenn diese Vergleichswerte nicht geschäftsvorfallbezogen ermittelt werden können.4 Diese unterschiedliche Auffassung der deutschen Finanzverwaltung im Vergleich zu den OECD-Leitlinien mag im Zeitablauf begründet liegen. Die hier beschriebene OECD-Auffassung findet sich in dieser Klarheit auch erst in den 2010 überarbeiteten OECD-Leitlinien, die das Ergebnis der mehrjährigen Projekte „Comparability“ and „Profit Methods“ darstellen (Rz. 5.88). Insofern reflektieren die OECD-Leitlinien eher als die 2005 veröffentlichten deutschen VWG-Verfahren die sich bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ergebenden Probleme und zeigen praktikable Lösungsansätze auf. Durch die Einführung der VWG VP im Jahr 2021 und dem dort enthaltenen Verweis auf die OECD-Leitlinien5 wurde diese unterschiedliche Auffassung aufgehoben und die von der OECD vertretene Sichtweise durch die deutsche Finanzverwaltung übernommen. Vorteile. Der wesentliche Vorteil der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ist darin zu sehen, dass sich bei der Verwendung von Nettomargen Funktionsunterschiede bei den Vergleichs-Geschäftsvorfällen („Internal“ oder „External Comparables“) weniger stark auswirken als bei der Verwendung von Bruttomargen.6 Hintergrund dieser Überlegung ist die Tatsache, dass Funktionsunterschiede insbesondere einen Einfluss auf die operativen Kosten und
1 Vgl. Tz. 2.109 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 2.109 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b, 2. Spiegelstrich (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. Tz. 2.109 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.1. 6 Vgl. Tz. 2.68 OECD-Leitlinien 2022.
Greinert | 369
5.94
Kap. 5 Rz. 5.94 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
damit auf die Höhe der Bruttomargen haben, während trotz dieser Funktionsunterschiede die Nettomargen weitgehend vergleichbar bleiben.1
Dies kann an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Vertriebsunternehmen 1 (VU 1) und Vertriebsunternehmen 2 (VU 2) sind gemäß der durchgeführten Funktionsanalyse vergleichbar. Der einzige Unterschied besteht darin, dass VU 1 die Transportkosten vom Hersteller zum Kunden trägt, während bei VU 2 die Transportkosten vom Hersteller übernommen werden. Es ergibt sich folgende Gewinnund Verlustrechnung für beide Vertriebsunternehmen: VU 1
VU 2
Umsatzerlöse
100
100
Wareneinsatz
70
75
Bruttomarge
30
25
Transportkosten
5
0
Sonstige operative Kosten
20
20
Nettomarge
5
5
Da VU 1 die Transportkosten tragen muss, erhält die Gesellschaft die von ihr vertriebenen Produkte zu einem niedrigeren Preis vom Hersteller (70 statt 75). Die Bruttomarge beträgt daher 30 statt 25. Würde für die Ableitung einer angemessenen Bruttomarge für VU 2 nun auf die Ergebnisse von VU 1 Bezug genommen (= 30), erhielte die Gesellschaft eine zu hohe Bruttomarge, da sie mit den Kosten für den Transport nicht belastet ist. Gerade wenn es sich bei den Werten von VU 1 um External Comparables handelt, ist es für den Außenstehenden meist nicht feststellbar, wie die Kostentragung im konkreten Geschäftsvorfall vereinbart wurde. Eine Anpassungsrechnung zur Eliminierung der Transportkosten ist mangels vorhandener Informationen dann nicht möglich. Wird zur Verrechnungspreisermittlung dagegen auf die Nettomarge Bezug genommen, so kann der für VU 1 festgestellte Wert (= 5) auch für VU 2 herangezogen werden. Basierend auf einer Nettomarge i.H.v. 5 ließe sich ein fremdvergleichskonformer Verrechnungspreis für VU 2 ermitteln; eine Verzerrung durch die unterschiedliche Höhe der operativen Kosten findet nicht statt.
5.95
Betrachtung nur einer Vertragspartei. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode müssen Vergleichswerte (Internal oder External Comparables) nur für eine an der Geschäftsbeziehung beteiligte Vertragspartei ermittelt werden.2 Dies ist insbesondere dann vorteilhaft, wenn die andere Vertragspartei komplexere Strukturen oder eine Vielzahl von anderen Transaktionen mit nahestehenden Unternehmen aufweist. Dies entbindet jedoch nicht von der Aufgabe, eine Funktionsanalyse für beide an dem jeweiligen Geschäftsvorfall beteiligten Vertragsparteien vorzunehmen, weil erst auf Basis dieser Funktionsanalyse eine Unternehmenscharakterisierung und darauf aufbauend die Auswahl der geeigneten Verrechnungspreismethode vorgenommen werden kann.
5.96
Problem der Sollgewinnbesteuerung. Für die Ermittlung von Verrechnungspreisen bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird auf die Nettomargen von Vergleichsunternehmen Bezug genommen. Deren Nettomargen stellen dann Sollgewinne für das betreffende Unternehmen dar. Dessen Umfeldbedingungen, Marktposition und -strategie, operative Effizienz, Funktionsprofil usw. mag jedoch gegenüber den Vergleichsunterneh-
1 Scheffler, Besteuerung der grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit2, 337 stellt allerdings zu Recht die Frage, inwieweit sich Funktionsunterschiede auch auf die Höhe der Nettomarge auswirken. 2 Vgl. Tz. 2.69 OECD-Leitlinien 2022.
370 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.98 Kap. 5
men negativ oder positiv abweichen, so dass es bei schlichter Übertragung der Nettomargen der Vergleichsunternehmen zu einer Sollgewinnbesteuerung kommen könnte. Die OECD-Leitlinien erkennen dieses Problem und stellen unmissverständlich fest, dass es dem Grundsatz des Fremdvergleichs nicht entspricht, solche Sollgewinne zu besteuern und damit eine Über- oder Unterbesteuerung auszulösen.1 Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es gerade die Aufgabe der Vergleichbarkeitsanalyse2 ist, solche Unterschiede im Hinblick auf Umfeldbedingungen, Marktposition und -strategie, operative Effizienz, Funktionsprofil usw. aufzudecken und die ggf. erforderlichen Anpassungen vorzunehmen.3 Insofern ist der Aussage von Sieker zuzustimmen, wonach die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode „mit dem Grad der Vergleichbarkeit des verbundenen Unternehmens in allen gewinnbeeinflussenden Merkmalen mit den zum Vergleich herangezogenen konzernfreien Unternehmen [...] steht und fällt“.4 Keine Relevanz der Gewinnsituation bei Preisverhandlungen. Ein grundlegendes methodisches Problem der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ist darin zu sehen, dass sich diese Methode nicht an dem Preisbildungsprozess zwischen fremden Dritten orientiert. Grundsätzlich werden die Preise für Produkte und Dienstleistungen zwischen fremden Dritten nicht unter expliziter Bezugnahme auf die Nettogewinne der einen Vertragspartei bestimmt. Zum einen ist es den kontrahierenden Vertragsparteien meist unbekannt, ob und welchen Gewinn die jeweils andere Partei aus der Geschäftsbeziehung erzielt. Zum anderen ist dies für die Vertragsparteien von nur geringem Interesse, weil Rechtsansprüche auf einen Anteil am Gewinn des anderen ohnehin nicht existieren. Fremde Dritte orientieren sich bei ihren Preisverhandlungen an Marktpreisen, ihren eigenen Kosten oder ähnlichen Größen, nicht jedoch ausschließlich am Gewinn der anderen Vertragspartei. Diese Einwendungen sind zwar berechtigt. Gleichwohl sind bei einer Vielzahl von Transaktionen weder Marktpreise bekannt, noch eignet sich aufgrund der Unternehmenscharakterisierung eine kostenorientierte Ableitung der Verrechnungspreise. In diesen Fällen ist es vertretbar, gegenüber der anderen Vertragspartei einen solchen Verrechnungspreis festzulegen, durch den diese in der Lage sein sollte, eine marktübliche Nettomarge zu erzielen.
5.97
Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Die generelle Voraussetzung für die Anwendung von durch tatsächlichen Fremdvergleich ermittelten Comparables ist die Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Dies gilt gleichermaßen für die klassischen Methoden wie für die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode. Dabei lässt sich als generelle Aussage feststellen, dass die Anforderung an die Vergleichbarkeit bei der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode geringer ausfällt als bei der Preisvergleichsmethode oder der Wiederverkaufspreismethode.5 So führen bereits Produktunterschiede (z.B. abweichende Größe, abweichendes Gewicht, abweichende Verpackung – bei gleichem funktionalem Nutzen) zu einer Beeinträchtigung bei Anwendung der Preisvergleichsmethode. Solche Produktunterschiede wirken sich aber – wenn überhaupt – wesentlich geringer im Hinblick auf die Bruttomarge oder Nettomarge einer Vertriebsgesellschaft aus. Bestehen Unterschiede bezüglich des Funktionsumfangs einer Vertriebsgesellschaft, wird dadurch die Nettomarge ebenfalls wesentlich geringer als die Bruttomarge beeinflusst (Rz. 5.94).
5.98
1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 2.7 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.33 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.72 OECD-Leitlinien 2022. Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 260. Vgl. Tz. 2.75 OECD-Leitlinien 2022; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 86.
Greinert | 371
Kap. 5 Rz. 5.99 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
5.99
Relevante Unterschiede. Die geringere Beeinflussung der Nettomarge durch Produkt- und Funktionsunterschiede im Vergleich zu Preisen oder zur Bruttomarge darf jedoch nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, die als Comparables identifizierten Nettomargen ließen sich ohne weiteres für die Verrechnungspreisermittlung übernehmen. Auch die Nettomargen von Vergleichsunternehmen werden von zahlreichen Einflussfaktoren beeinflusst. So führen die OECD-Leitlinien exemplarisch die Wettbewerbsposition, Führungseffizienz, individuelle Strategie, Kosteneffizienz und Auslastung des Unternehmens, Bedrohung durch neue Produkte und Anbieter usw. an, wobei jeder dieser Faktoren wiederum durch zahlreiche andere Faktoren beeinflusst wird.1 Diese Aufzählung von Einflussfaktoren auf die Nettomarge ließe sich sicherlich noch deutlich erweitern.2 Gleichwohl muss das grundsätzliche Problem bei der Ableitung von Comparables berücksichtigt werden: Typischerweise liegen nur sehr begrenzte Informationen vor, welche dieser Einflussfaktoren im jeweiligen Sachverhalt überhaupt wesentlich und wie die Ausprägungen dieser Einflussfaktoren im jeweiligen Vergleichsfall sind. Die mangelnde Verfügbarkeit solcher Informationen stellt das eigentliche Hauptproblem dar, für das es auch keine überzeugende Lösung gibt.3 Die OECD behilft sich mit der schlichten Feststellung, dass die Auswahl von Vergleichswerten und die Durchführung von Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit einer gewissen Flexibilität und eines guten Urteilsvermögens bedürfen.4 Im Zuge der COVID-19 Pandemie hat die OECD im Dezember 2020 Leitlinien hinsichtlich der Implikationen der Corona-Krise auf Verrechnungspreise veröffentlicht.5 Hintergrund ist, dass sich die durch die COVID-19 Pandemie bedingten Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch auf die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auswirken. Aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit der Informationen und aufgrund der zahlreichen nicht beobachtbaren Einflussfaktoren der Vergleichsunternehmen wird die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode erschwert. Die OECD empfiehlt daher die Verwendung interner Vergleichsdaten sowie die Dokumentation des Verhaltens Dritter.
5.100
Beweislast. Diese Hilflosigkeit selbst der OECD vor dem Auswahl- und Anpassungsproblem hat jedenfalls folgende Schlussfolgerung im Hinblick auf die Beweislast: Unterschiedliche subjektive Einschätzungen von einerseits dem Steuerpflichtigen und andererseits der Finanzverwaltung im Hinblick auf die durchgeführte Auswahl und etwaige Anpassung von Vergleichsunternehmen dürfen nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen, soweit er einen nachvollziehbaren Entscheidungsprozess gewählt hat. Die mit der Prüfung befasste Finanzverwaltung ist sicherlich nicht der bessere Unternehmer, der seine Einschätzungen über die des Steuerpflichtigen setzen darf. Für eine Infragestellung der herangezogenen Vergleichswerte reichen etwaige festgestellte Mängel in der Begründung des Steuerpflichtigen nicht aus. Werden im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse Informationen aus Datenbanken herangezogen, muss der in der Datenbank vorgenommene Suchprozess für die Finanzverwaltung nachvollziehbar
1 Vgl. Tz. 2.77 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. z.B. die Aufzählung von Vögele/Raab/Braukmann in Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, Kapitel C: Verrechnungspreismethoden Rz. 390. 3 So auch Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 136 f.; Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 97. 4 Vgl. Tz. 2.74 und 2.80 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Guidance on the transfer pricing implications of the COIVD-19 pandemic, December 2020, abrufbar unter: https://read.oecd-ilibrary.org/view/?ref= 1059_1059931-t94e20hrqo&title= Guidance-on-the-transfer-pricing-implications-of-the-COVID-19-pandemic (zuletzt abgerufen am 9.6.2022).
372 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.103 Kap. 5
und überprüfbar sein. Diese muss sogar dazu imstande sein, auf Basis der vom Steuerpflichtigen genutzten Daten Alternativrechnungen durchzuführen.1
2. Maßgebende Nettomarge Ermittlung der Nettomarge. Für die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ist zum einen die Nettomarge und zum anderen die Bezugsgröße zu bestimmen, auf welche die Nettomarge bezogen wird (sog. Profit-Level-Indicator – PLI). Was die Nettomarge anbelangt, so sind nur diejenigen Gewinne zu erfassen, die im direkten oder indirekten Zusammenhang mit der jeweiligen Transaktion stehen. Dabei dürfen auch nur die Gewinne erfasst werden, die operativer Natur sind.2
5.101
Zusammenhang. Mit Bezug auf den erforderlichen direkten oder indirekten Zusammenhang der Nettomargen mit der jeweiligen Transaktion3 ist es auf Ebene des Unternehmens zweckmäßig, ein hinreichend detailliertes Rechnungswesen zu etablieren, anhand dessen es möglich ist, die der zu untersuchenden Geschäftsbeziehung zuzuordnenden Nettomargen zu ermitteln. Für eine solche Segmentierung der Ergebnisse bestehen keine spezifischen steuerlichen Anforderungen. Vielmehr gelten für die Zuordnung von Erlösen und Aufwendungen auf einzelne bzw. gruppierte Geschäftsvorfälle die allgemeinen betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse, die in jedem Lehrbuch zur Kosten- und Erlösrechnung ausreichend dargestellt sind. Die Segmentierung von Ergebnissen ist jedoch nicht nur auf Ebene des Unternehmens, das die Verrechnungspreise ermitteln muss, sondern möglicherweise auch auf Ebene der Comparables erforderlich.4 Wenn z.B. Comparables für den Vertrieb von Robotern gesucht werden und es wird ein Vergleichsunternehmen identifiziert, das Roboter vertreibt, zugleich aber auch erhebliche Einnahmen aus der Vermietung von Gebäuden erzielt, so interessieren bei diesem potentiellen Vergleichsunternehmen nur die Nettomargen aus dem Vertrieb der Roboter. In einem solchen Fall wäre es sicherlich nicht vertretbar, auf die Nettomarge des Gesamtunternehmens abzustellen. Um das Unternehmen als Vergleichsunternehmen einbeziehen zu können, bedarf es also einer Segmentierung seiner Ergebnisse. Es hängt dann von den öffentlich verfügbaren Informationen ab, inwieweit eine solche Segmentierung möglich ist und die Werte als Comparables herangezogen werden können.
5.102
Operativer Gewinn. Die Nettomarge soll nur diejenigen Gewinnbestandteile enthalten, die operativer Natur sind.5 Im Allgemeinen wird daher auf die Ergebnisgröße EBIT – „Earnings Before Interest and Taxes“, also den Gewinn vor Zinsen und Ertragsteuern abgestellt. Zudem sollen auch diejenigen Ergebniskomponenten nicht berücksichtigt werden, die auf einmaligen oder außerordentlichen Einflüssen beruhen. Bei der vorstehend beschriebenen Ableitung handelt es sich allerdings lediglich um eine allgemeine Vorgehensweise. Im Einzelfall mag es erforderlich sein zu diskutieren, wie der operative Gewinn konkret definiert wird. So kann es zweckmäßig sein, das Zinsergebnis bei der Ermittlung des operativen Gewinns zu berücksichtigen, wenn es um finanzielle Transaktionen geht6 oder wenn es eine vorteilhafte Finanzierung erlaubt, geringere Preise für die angebotenen Produkte zu verlangen.7 Auch die (Nicht-)
5.103
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. VWG 2020, Rz. 53. Vgl. Tz. 2.83 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.84 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.85 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.86 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.89 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.87 OECD-Leitlinien 2022.
Greinert | 373
Kap. 5 Rz. 5.103 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Erfassung von Währungsverlusten und Währungsgewinnen hängt vom Funktions- und Risikoprofil im Hinblick auf die untersuchte Transaktion ab.1 Darauf wird auch explizit von den VWG VP hingewiesen.2 Vielfach sind diese vertiefenden Überlegungen allerdings vergebens, weil die veröffentlichten Informationen – gerade bei External Comparables – überschaubar sind und z.B. die außerordentlichen Ergebnisse oder Währungsverluste nicht gesondert ausgewiesen und erläutert werden. In diesem Zusammenhang ist auch das Problem von Bilanzierungsunterschieden zwischen den zu vergleichenden Unternehmen zu nennen. Exemplarisch führen die OECD-Leitlinien die Aufwandsarten Abschreibungen auf materielle Wirtschaftsgüter, Abschreibungen auf den Geschäftswert und immaterielle Wirtschaftsgüter, Pensionskosten und Aktienoptionen auf.3 Zu denken ist aber auch an die Vorratsbewertung und die Rückstellungsbildung. Solche Bilanzierungsunterschiede können sich erheblich auf die Höhe der Nettomargen auswirken. Soweit die verfügbaren Informationen Anpassungsrechnungen erlauben, sollten diese zur Herstellung der Vergleichbarkeit durchgeführt werden. Die praktische Erfahrung zeigt jedoch, dass nur im Ausnahmefall eine Anpassung zur Verbesserung der Vergleichbarkeit möglich ist.
5.104
Profit-Level-Indicator. Um die vorstehend ermittelte Nettomarge für Vergleichszwecke heranziehen zu können, ist es erforderlich, die Nettomarge auf eine Bezugsgröße, den sog. Profit-Level-Indicator – PLI, zu beziehen. Im Wesentlichen kommen dabei die PLI „Umsatzerlöse“, „Kosten“ und „Vermögen“ zur Anwendung. Die Auswahl des geeigneten PLI soll sich daran orientieren, welcher Indikator den Wert („value“) der von dem Steuerpflichtigen ausgeübten Funktion unter Berücksichtigung der dabei getragenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter am besten repräsentiert.4 Dabei sollen auch nur solche PLI herangezogen werden, die sich zuverlässig sowohl bei dem Steuerpflichtigen als auch bei den ausgewählten Vergleichsunternehmen ermitteln lassen. Insofern sind die PLI faktisch auf solche Werte beschränkt, die sich aus den veröffentlichten Jahresabschlüssen ableiten lassen.5
5.105
Umsatzerlöse als PLI. Der wichtigste Anwendungsbereich für Umsatzerlöse als PLI sind Vertriebsaktivitäten. Es werden also die im Zusammenhang mit dem (gruppierten und zusammengefassten) Geschäftsvorfall Vertrieb erzielten Nettomargen ins Verhältnis zu den Umsatzerlösen aus dem Vertrieb der von nahestehenden Unternehmen bezogenen Produkte gesetzt.6 Dabei ist es wichtig, auf die Umsatzerlöse und nicht auf die Einkaufspreise für die vertriebenen Produkte abzustellen, da die Umsatzerlöse gegenüber fremden Dritten erzielt werden und damit die erforderliche Objektivität aufweisen. Demgegenüber kommen die Einkaufspreise aus Geschäftsvorfällen mit nahestehenden Unternehmen zustande. Für die Einkaufspreise soll gerade ermittelt werden, ob sie dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. Mangels Objektivität scheiden sie als Bezugsbasis aus.7 Bei den gegenüber fremden Dritten realisierten Umsatzerlösen ist zu entscheiden, ob die Bruttoumsatzerlöse oder die um Rabatte, Boni und Skonti geminderten Nettoumsatzerlöse heranzuziehen sind. Die Antwort hierauf hängt primär davon ab, welche Informationen über die Vergleichsunternehmen verfügbar sind. Sofern gemäß dem angewandten Rechnungs-
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Vgl. Tz. 2.88 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.11. Vgl. Tz. 2.90 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.93 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.105 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.93 und 2.96 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.94 OECD-Leitlinien 2022.
374 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.106 Kap. 5
legungsstandard die in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesenen Umsatzerlöse als Nettoumsatzerlöse verstanden werden (also z.B. nach dem deutschen Handelsgesetzbuch – § 277 Abs. 1 HGB), sollten diese verwendet werden. Entscheidend ist dann, dass auch bei dem Steuerpflichtigen auf die Nettoumsatzerlöse abgestellt wird, also eine vergleichbare Bezugsbasis verwendet wird.1 Sollten dagegen Rabatte, Boni und Skonti als Aufwendungen behandelt und insofern Bruttoumsatzerlöse in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen werden, sollte zunächst versucht werden, anhand der vorliegenden Informationen eine Umrechnung auf die Nettoumsatzerlöse vorzunehmen, da die Nettoumsatzerlöse einen besseren Indikator für die eigentliche Vertriebsleistung darstellen. Gelingt eine solche Umrechnung auf die Nettoumsatzerlöse allerdings nicht, gilt auch hier der Grundsatz, dass auf eine vergleichbare Bezugsbasis – und damit auf die Bruttoumsatzerlöse – abzustellen ist. Kosten als PLI. Der wichtigste Anwendungsbereich für Kosten als PLI sind Dienstleistungen und Produktionsaktivitäten. Es werden also die durch die Erbringung der Dienstleistungen oder Produktionsaktivitäten erzielten Nettomargen ins Verhältnis zu den für die Leistungserbringung angefallenen Kosten gesetzt. Was den Sachumfang der Kosten anbelangt, so gilt Vergleichbares wie im Hinblick auf die Nettomarge (Rz. 5.102 f.): Es dürfen nur die Kosten herangezogen werden, die in direktem oder indirektem Zusammenhang mit der Leistungserbringung stehen. Dabei sind auch nur die operativen Kosten zu berücksichtigen.2 Im Hinblick auf den zeitlichen Bezug der Kosten wird zwischen Plan-, Ist- und Normalkosten unterschieden. Die im Zusammenhang mit der Kostenaufschlagsmethode gemachten Ausführungen zum zeitlichen Bezug gelten hier entsprechend (Rz. 5.51 ff.). Auch ansonsten ist bei Verwendung der Kosten als PLI eine große Vergleichbarkeit von geschäftsvorfallbezogener Nettomargenmethode und Kostenaufschlagsmethode gegeben.3 Im Zusammenhang mit Kosten als PLI ist die Frage zu diskutieren, ob auch solche Kosten denkbar sind, die zwischen fremden Dritten nicht mit einem Gewinnaufschlag versehen würden. Insbesondere wenn es um die Vergütung von Einkaufsaktivitäten geht, wird häufig die Frage diskutiert, ob auch die Kosten für die eingekauften Waren in die Kostenbasis einzubeziehen sind. Die OECD-Leitlinien stellen zutreffend fest, dass keine allgemeingültige Aussage hierzu möglich ist.4 Es ist auch nicht vertretbar, allein zwischen externen Kosten (also z.B. den Kosten für die eingekauften Waren) und internen Kosten (also z.B. den Kosten für die Mitarbeiter der Einkaufsabteilung) zu differenzieren. Entscheidend ist vielmehr das tatsächliche Verhalten fremder Dritter. Dabei ist auch hier besonderer Wert auf eine Funktions- und Risikoanalyse zu legen. Es muss identifiziert werden, ob die Einkaufsaktivitäten eher in der Funktion eines Mittlers oder aber eines Eigenhändlers durchgeführt werden.5 Diese Charakterisierung hat entscheidenden Einfluss auf die Frage, welche Kostenarten im Einzelfall zu berücksichtigen sind.
1 Vgl. Tz. 2.97 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 2.98 OECD-Leitlinien 2022. 3 Zum Zusammenhang zwischen der Kostenaufschlagsmethode und der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode bei Verwendung der Kosten als PLI vgl. Haugen, ITPJ 2005, 224 ff. Der wesentliche Unterschied ist dabei im Umfang der Kostenbasis zu sehen. Während bei der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode stets die Vollkosten zum Ansatz kommen (Nettogewinn), ist es bei der Kostenaufschlagsmethode möglich, nur die Herstellungskosten (Cost Of Goods Sold – COGS) als Basis zu verwenden, dagegen die Verwaltungs- und Vertriebskosten (Operating Expenses) außen vor zu lassen. 4 Vgl. Tz. 2.99 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 7.34 OECD-Leitlinien 2022.
Greinert | 375
5.106
Kap. 5 Rz. 5.107 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
5.107
Vermögen als PLI. Der wichtigste Anwendungsbereich für Vermögen als PLI sind vermögens- bzw. kapitalintensive Aktivitäten, z.B. eine anlagenintensive Fertigung von Produkten. Es werden also die durch die Erbringung dieser Aktivitäten erzielten Nettomargen ins Verhältnis zu dem für die Leistungserbringung eingesetzten Vermögen bzw. Kapital gesetzt. Was den Sachumfang des Vermögens anbelangt, so gilt Vergleichbares wie im Hinblick auf die Nettomarge (Rz. 5.102 f.): Es darf nur das Vermögen herangezogen werden, das in direktem oder indirektem Zusammenhang mit der Leistungserbringung steht. Dabei ist auch nur das operative Vermögen zu berücksichtigen, also Anlagevermögen und Nettoumlaufvermögen. Beteiligungen an anderen Unternehmen sowie Bankguthaben und Geldbestände sollen dagegen nicht einbezogen werden.1 Im Hinblick auf die Bewertung des Vermögens kommen Markt- oder Buchwerte in Betracht.2 Marktwerte haben zwar methodischen Vorrang, scheiden allerdings meist aus, weil es gerade für External Comparables nicht möglich ist oder extrem kostenintensiv wäre, die Marktwerte des eingesetzten Vermögens zu ermitteln. Daher kommen überwiegend Buchwerte zum Ansatz. Bei Buchwerten kann allerdings die Höhe des Vermögens wesentlich durch Bilanzierungsunterschiede zwischen den einbezogenen Unternehmen beeinflusst sein (Rz. 5.103), z.B. wegen Unterschieden bei der Abschreibungsdauer, der Abschreibungsmethode oder der Aktivierung selbstgeschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter. Soweit es auf Basis veröffentlichter Informationen möglich ist, sollten Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit des eingesetzten Vermögens vorgenommen werden.
5.108
Berry-Ratio als PLI. Das nach Charles Berry benannte „Berry-Ratio“3 ist definiert als Quotient aus Bruttomarge (Gross Profit) und operativen Kosten.4 Ein Berry-Ratio größer als 1 besagt, dass die aus dem untersuchten Geschäftsvorfall erzielte Bruttomarge höher als die operativen Kosten ist, mithin ein Gewinn aus dem Geschäftsvorfall resultiert. Demgegenüber genügt bei einem Berry-Ratio kleiner als 1 die Bruttomarge nicht, um die operativen Kosten vollständig zu decken; aus dem Geschäftsvorfall resultiert also ein Verlust. Aufgrund der Bezugnahme auf die operativen Kosten (als Nennergröße) ist das Berry-Ratio vom Prinzip her vergleichbar mit der Kostenaufschlagsmethode und der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode unter Anwendung der Kosten als PLI.5 Insofern gelten die zur Kostenaufschlagsmethode und zu Kosten als PLI gemachten Anmerkungen hier entsprechend (Rz. 5.106). Voraussetzung für die Anwendung des Berry-Ratios ist also vor allem, dass die Wertschaffung des untersuchten Geschäftsvorfalls eher durch die operativen Kosten des Unternehmens als durch den realisierten Umsatz wiedergegeben wird.6 Die OECD-Leitlinien sehen die Verwendung des Berry-Ratios insbesondere bei intermediären Aktivitäten als geeignet an, wenn also ein Unternehmen von nahestehenden Unternehmen Produkte einkauft und diese an andere nahestehende Unternehmen weiterverkauft.7 In diesem Fall kommen weder die Einkaufspreise noch die Umsatzerlöse als PLI in Betracht, da beide Werte durch das Nahestehen-Verhältnis beeinflusst sein können. Die operativen Kosten des Unternehmens mit den intermediären Aktivitäten sollten dagegen weitgehend unbeeinflusst durch das Nahestehen-Verhältnis sein und sich daher als Bezugsbasis eignen. 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Tz. 2.103 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.104 OECD-Leitlinien 2022. Zur Historie des Berry Ratios vgl. Przysuski/Lalapet, TNI 2005, 764. Vgl. Tz. 2.106 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Przysuski/Lalapet, TNI 2005, 765. Vgl. Tz. 2.107 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.108 OECD-Leitlinien 2022.
376 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.110 Kap. 5
3. Anpassungen Anpassungsrechnungen. Die OECD-Leitlinien weisen darauf hin, dass im Rahmen einer Vergleichsanalyse zur Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise Anpassungsrechnungen bezüglich der Finanzdaten der Vergleichsunternehmen durchzuführen sind, soweit dies zu einer höheren Vergleichbarkeit führt.1 Auf eine Anpassung kann nach Auffassung der OECD-Leitlinien hingegen verzichtet werden, wenn die jeweiligen Unterschiede nicht wesentlich, die Qualität der vorliegenden Informationen nicht zuverlässig bzw. ausreichend oder die Methoden zur Durchführung der Anpassungen fraglich sind.2 Bei dieser Forderung nach Anpassungsrechnungen handelt es sich zwar um eine generelle Anforderung zur Herstellung der Vergleichbarkeit. Aufgrund der Bedeutung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode in der Unternehmenspraxis kommen solche Anpassungsrechnungen jedoch meist bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode zum Einsatz. Zudem verweisen die OECD-Leitlinien im Hinblick auf die Ermittlung der einzelnen Komponenten der Nettomarge und des PLI mehrfach auf Anpassungsrechnungen.
5.109
Net-Working-Capital-Anpassung. Insbesondere weisen die OECD-Leitlinien auf die Anpassung der Nettomargen auf Basis des Net-Working-Capital (NWC) hin.3 Der Bedeutung einer entsprechenden Anpassung auf Basis des NWC wird durch ein ausführliches Beispiel im Anhang der OECD-Leitlinien Nachdruck verliehen.4 Dabei wird das NWC als Summe der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen plus Vorräte abzgl. der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen verstanden. Begründung für die Anpassung ist, dass das NWC eine implizite Finanzierungsfunktion im Unternehmen ausübt. Offensichtlich wird der Effekt, wenn zwei vergleichbare Transaktionen betrachtet werden, wobei der einzige Unterschied darin besteht, dass bei Transaktion 1 ein Zahlungsziel von 120 Tagen, bei Transaktion 2 dagegen ein Zahlungsziel von 30 Tagen gegenüber den Kunden gewährt wird. Bei Transaktion 1 ist es wegen des längeren Zahlungsziels ceteris paribus erforderlich, zusätzliche Darlehen zur Finanzierung des 90 Tage längeren Zahlungsziels aufzunehmen. Ein höherer Zinsaufwand bei Transaktion 1 ist die Folge. Wenn nun Transaktion 2 als Vergleichstransaktion herangezogen und dabei eine Nettomarge (= EBIT) bezogen auf den PLI Umsatz i.H.v. z.B. 5,0 % ermittelt wird, so ist zu klären, inwieweit diese Nettomarge von 5,0 % auf Transaktion 1 (als zu untersuchende Transaktion) übertragen werden kann. Wegen des um 90 Tage längeren Zahlungsziels und des dadurch höheren Zinsaufwands wäre es bei Transaktion 1 erforderlich, eine höhere Nettomarge als 5,0 % zu erzielen. Nur die entsprechend erhöhte Nettomarge erlaubt es, den zusätzlichen Zinsaufwand zu finanzieren.
5.110
Gemäß dem im Anhang der OECD-Leitlinien dargestellten Beispiel ist das Verhältnis von NWC zum Umsatz der jeweiligen Transaktionen die ausschlaggebende Kenngröße für die Anpassung. Unterscheiden sich die Werte, findet eine Anpassung der Nettomargen der Vergleichstransaktionen statt. Sie errechnet sich aus der Differenz des NWC/Umsatz der zu untersuchenden Transaktion und NWC/Umsatz der Vergleichstransaktionen, multipliziert mit einem angemessenen Zinssatz. Wenn z.B. das NWC des zu untersuchenden Unternehmens höher als das der Vergleichsunternehmen ausfällt, wäre die relevante Nettomarge der Vergleichsunternehmen entsprechend zu erhöhen et vice versa. Was die Ableitung des Zinssatzes
1 Vgl. Tz. 3.47 und 3.53 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 3.50 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 3.49 OECD-Leitlinien 2022. Zur NWC-Anpassung sowie anderen Arten von Anpassungsrechnungen vgl. Gommers/Reyneveld/Lund, ITPJ 2008, 126 ff. 4 Vgl. OECD-Leitlinien 2022, Annex zu Kapitel III.
Greinert | 377
Kap. 5 Rz. 5.110 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
anbelangt, so ist zunächst zu ermitteln, ob der zusätzliche Finanzierungsbedarf durch Eigenkapital oder Fremdkapital gedeckt wird. Die entsprechenden Zinssätze für Eigenkapital (ggf. abgeleitet aus dem Capital Asset Pricing Model – CAPM) oder Fremdkapital (ggf. abgeleitet aus dem üblichen Zinssatz für entsprechende Darlehen) sind dann heranzuziehen. Sollte ein negatives NWC vorliegen (die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen übertreffen die Summe der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und der Vorräte), ist dagegen eher der Zinssatz für die Anlage von Überschussliquidität relevant.1
5.111
Keine Notwendigkeit einer generellen NWC-Anpassung. Die OECD-Leitlinien stellen selbst klar, dass eine NWC-Anpassung weder routinemäßig noch verpflichtend erfolgen muss. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu diskutieren, ob eine solche NWC-Anpassung tatsächlich zu einer Erhöhung der Vergleichbarkeit beiträgt.2 Jedenfalls spricht eine ganze Reihe von Argumenten gegen die Notwendigkeit einer generellen NWC-Anpassung. So ist zunächst zu bedenken, dass das NWC ausschließlich auf Bilanzposten basiert. Eine Bilanz wird grundsätzlich zeitpunktbezogen erstellt.3 Damit stellt das NWC immer nur eine Momentaufnahme dar. Hingegen wird die für die Vergleichsanalyse herangezogene Kennzahl der Nettomarge aus Posten der Gewinn- und Verlustrechnung ermittelt. Im Unterschied zur Bilanz ist die GuV zeitraumbezogen.4 Dementsprechend nimmt bei einer Anpassungsrechnung auf Basis des NWC eine zeitpunktbezogene Kennzahl Einfluss auf die zeitraumbezogene Nettomarge. Berücksichtigt man dabei, dass Unternehmen aufgrund bilanzpolitischer Zielsetzungen Ansatzund Bewertungswahlrechte zum Bilanzstichtag unterschiedlich ausüben, werden die Vorbehalte der Verwendung der stichtagsbezogenen Größe NWC deutlich.5 Auch die Anwendung unterschiedlicher Rechnungslegungsstandards bei den Vergleichsunternehmen führt zu Problemen bei der Anpassungsrechnung, weil unterschiedliche Rechnungslegungsstandards vergleichbare Sachverhalte teilweise abweichend behandeln. Dies gilt insbesondere für die Umsatz- und Gewinnrealisierung, die direkten Einfluss auf die Höhe der Forderungen aus Lieferung und Leistung und somit auf das NWC zum jeweiligen Stichtag nimmt. Dementsprechend weisen die OECD-Leitlinien explizit darauf hin, dass aus einer Anpassung bei unterschiedlichen Rechnungslegungsstandards Ergebnisse resultieren können, die nicht zu einer höheren Vergleichbarkeit der Unternehmen führen.6 Ferner ist zu bedenken, dass die in den OECD-Leitlinien dargestellte NWC-Anpassungsrechnung ausschließlich auf kalkulatorische Zinseffekte abstellt.7 Andere Auswirkungen werden nicht berücksichtigt, obwohl ein abweichendes NWC die Nettomarge eines Unternehmens auf verschiedenen Ebenen beeinflussen kann. Beispielsweise versetzen hohe Vorräte ein Unternehmen in die Lage, Kunden kurzfristig und schnell zu bedienen. Dies schafft einen Vorteil 1 Vgl. OECD-Leitlinien 2022, Annex zu Kapitel III, Tz. 8, 2. Spiegelstrich. 2 Vgl. Tz. 3.49 OECD-Leitlinien 2022. 3 Im Rahmen des HGB ist dieser Grundsatz in § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB kodifiziert, den aber auch andere Rechnungslegungssysteme kennen. Im Fall der IFRS beispielsweise ist der Grundsatz des sog. Stichtagsprinzips in IAS 10 geregelt. Vgl. Lübbig/Kühnel in Beck’sches IFRS-Handbuch3, § 2 Rz. 25. 4 Im Rahmen des HGB ist dieser Grundsatz in § 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB kodifiziert, den aber auch andere Rechnungslegungssysteme kennen. So kennen sowohl die US-GAAP als auch die IFRS das sog. Periodisierungsprinzip unter der Bezeichnung „accrual principle“. Vgl. Ballwieser in Münchner Kommentar zum HGB, Bd. 43, § 252 Rz. 82. 5 Vgl. OECD-Leitlinien 2022, Annex zu Kapitel III, Tz. 8, 1. Spiegelstrich. 6 Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. OECD-Leitlinien 2022, Annex zu Kapitel III, Tz. 2 ff.
378 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.112 Kap. 5
am Markt gegenüber Konkurrenten, die längere Lieferzeiten benötigen mit der Folge höherer Umsätze und Ergebnisse. Dem steht allerdings auch ein entsprechendes Lagerrisiko gegenüber, die Vorräte nicht oder nur zu reduzierten Preisen absetzen zu können. Auch insoweit kann sich ein abweichendes NWC auf die Höhe der Nettomarge auswirken. Somit wird die eindimensionale Betrachtungsweise im Hinblick auf ausschließlich kalkulatorische Zinsen dem Einfluss eines abweichenden NWC nicht vollständig gerecht.1 Es ist also im jeweiligen Einzelfall zu analysieren, welche Effekte aus einem unterschiedlich hohen NWC konkret zu erwarten sind. Jedenfalls sollte es vermieden werden, durch eine Anpassungsrechnung nur eine Scheingenauigkeit zu erzeugen, die jedoch der Vergleichbarkeit der Geschäftsvorfälle letztlich nicht dient.2 EU als einheitlicher Markt. Im Zusammenhang mit Anpassungsrechnungen ist auch die Frage zu erörtern, inwieweit bei der Bezugnahme auf Vergleichs-Nettomargen ausländischer Unternehmen Anpassungen vorzunehmen sind. Sofern es sich um Länder der Europäischen Union handelt, ist grundsätzlich keine Anpassung erforderlich. Die Vergleichbarkeit der Verhältnisse innerhalb der Europäischen Union wurde – jedenfalls für die damaligen 15 Länder, die bereits vor der Osterweiterung Mitglieder der Europäischen Union waren – durch eingehende Analysen festgestellt. Demnach sind die Marktbedingungen hinreichend vergleichbar, so dass die Mitgliedsländer als ein Gesamtmarkt betrachtet werden können.3 Daher wird es auch als zulässig erachtet, im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs auf die Nettomargen europäischer Vergleichswerte abzustellen; eine rein nationale Betrachtungsweise wird dagegen als nicht erforderlich angesehen. Mit der Fragestellung der Einheitlichkeit des Europäischen Markts hat sich auch das von der EU-Kommission eingesetzte EU Joint Transfer Pricing Forum4 auseinandergesetzt. Die Ergebnisse dieses Forums wurden in einer „Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 27. Juni 2006 zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD)“5 umgesetzt. Dort wird in Rz. 25 klargestellt, dass europäische Vergleichswerte herangezogen werden können und eine rein nationale Betrachtungsweise nicht erforderlich ist. Diese Sichtweise wird im Grundsatz auch von der deutschen Finanzverwaltung geteilt. Gemäß Rupp (als Vertreter der Finanzverwaltung) ist „davon auszugehen, dass eine Begrenzung auf deutsche Daten nicht erforderlich ist, sondern dass auch europäische Daten zur Ermittlung eines Fremdvergleichs herangezogen werden können“.6 Die OECD-Leitlinien erkennen ebenfalls an, dass eine rein länderbezogene Betrachtungsweise nicht erforderlich ist. So wird es als nicht zulässig erachtet, Vergleichswerte zu verwerfen, nur weil sie nicht aus dem jeweils zu untersuchenden Land stammen. Stattdessen kommt es bei der Einbeziehung von Vergleichswerten auf die Vergleichbarkeit der Marktbedingungen
1 Vgl. Dorner/Dawid, IWB 2002, F. 10 Gr. 2, 1565 f. 2 Vgl. Tz. 3.52 OECD-Leitlinien 2022; ebenfalls kritisch zu generellen Anpassungen: Kolb, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2396; Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 141. 3 Vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Is Europe One Market? A Transfer Pricing Economic Analysis of Pan-European Comparables Sets, JTPF/007/BACK/2004/EN; Reyneveld/Gommers/Lund, ITPJ 2007, 79 ff.; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 86. 4 In den VWG VP bekennt sich die deutsche Finanzverwaltung zu den Verlautbarungen des EU Joint Transfer Pricing Forum, vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.5. 5 ABl. EU, C 176/01 v. 28.7.2006. 6 Rupp in D/J/P/W, IntGA Rz. 514.
Greinert | 379
5.112
Kap. 5 Rz. 5.112 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
zwischen den jeweiligen Ländern an.1 Zur Vergleichbarkeit der Marktbedingungen innerhalb der Europäischen Union kann auf die vorstehend genannten Analysen Bezug genommen werden. Entwicklungs- und Schwellenländer. Die Durchführung einer sachgerechten Vergleichsanalyse erweist sich bei konzerninternen Transaktionen mit Entwicklungs- und Schwellenländern als besonders schwierig.2 Hauptgrund hierfür sind die fehlenden Daten von unverbundenen Unternehmen, die erforderlich sind, um im Rahmen des externen Fremdvergleichs angemessene Nettomargen ermitteln zu können. Deswegen wird oft auf Gewinnmargen in anderen Staaten bzw. Regionen ausgewichen. Diese Vorgehensweise erfordert aber zwangsläufig Anpassungsrechnungen, um die länderspezifischen Marktbedingungen adäquat abzubilden. Auch die OECD hat sich dem Problem der fehlenden Fremdvergleichsdaten für Entwicklungs- und Schwellenländer in ihrem Arbeitspapier „Transfer Pricing Comparability Data and Developing Countries“ angenommen.3 Darin werden die folgenden Lösungsansätze erläutert: (1) Ausweitung der Datengrundlage für Vergleichsunternehmen, (2) effektivere Nutzung von existierenden Datenquellen für Vergleichsunternehmen, (3) Ansätze bei fehlenden Vergleichsdaten (z.B. Gewinnaufteilungsmethode, Wertschöpfungsbeitragsanalyse) und (4) Nutzung von APAs und MAPs.4 In Rz. 19 bis 21 des Entwurfs geht die OECD dabei auch auf die Verwendung von Vergleichsunternehmen aus anderen Ländern als dem der zu untersuchenden Unternehmenseinheit unter Vornahme von länderspezifischen Anpassungen ein. Diese Überlegungen haben mittlerweile auch Eingang in die OECD-Leitlinien gefunden.5 Jedoch wurden bisher noch keine Ansätze für die konkrete Durchführung der Berechnungen veröffentlicht. Eigelshoven/Totzek stellen in diesem Zusammenhang einen Ansatz zur Anpassungsrechnung für Länder- und Inflationsrisiken vor.6 Ihre Ausführungen basieren auf der allgemeinen Erkenntnis, dass sich die Übernahme von Risiken in einer höheren erwarteten Rendite niederschlägt.7 Zur Vornahme einer solchen Anpassungsrechnung ist zunächst die Quantifizierung der Länder- und Inflationsrisiken erforderlich. Dafür verwenden sie Staatsanleihen als Referenzgröße und begründen diese Wahl damit, dass diese Anlageform in zahlreichen Ländern unter vergleichbaren Bedingungen eingegangen werden kann und keinen spezifischen Risiken unterliegt. Vielmehr wird das Ausfallrisiko von Staatsanleihen durch die Bonität und die wirtschaftliche Entwicklung des ausgebenden Staats determiniert. Auf Basis der so ermittelten Differenzen in den Renditen der Staatsanleihen erfolgen die länderspezifischen Anpassungen mit Bezug auf die für andere Länder ermittelten Fremdvergleichswerte. Diesem Ansatz ist beizupflichten, denn im Rahmen dessen finden Markt- und Kapitalmarktdaten Berücksichtigung bei der Ermittlung von Fremdvergleichswerten.
1 Vgl. Tz. 3.35 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Borstell/Hülster in Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, Kapitel M Rz. 98; Eigelshoven/Totzek, IStR 2015, 540 f.; Bittner/Totzek, ISR 2014, 221 f.; Schnell/Braun/Köse, IWB 2014, 440; Wehnert/Dräger, ISR 2013, 109 f.; Wehnert/Dräger, ISR 2013, 109 f. 3 Vgl. OECD, Transfer Pricing Comparability Data and Developing Countries, Diskussionsentwurf, März 2014. 4 Vgl. OECD, Transfer Pricing Comparability Data and Developing Countries, Diskussionsentwurf, März 2014, S. 1; kritisch zu den einzelnen Ansätzen vgl. Bittner/Totzek, ISR 2014, 221 ff. 5 Vgl. Tz. 1.139 ff. OECD-Leitlinien idF des Abschlussberichts zu den Maßnahmen 8–10 des BEPSAktionsplans v. 5.10.2015. 6 Vgl. Eigelshoven/Totzek, IstR 2015, 540 ff. 7 Vgl. ua. Hull, Risikomanagement5, S. 19; Pindyck/Rubinfeld, Mikroökonomie7, S. 245.
380 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.114 Kap. 5
4. Quantitative Ermittlung Mehrjahresanalysen. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode finden sich in der Praxis meist Mehrjahresanalysen bei der Ableitung vergleichbarer Nettomargen. Allerdings werden solche Mehrjahresanalysen weder von den OECD-Leitlinien noch den VWG-VP zwingend vorgeschrieben. Vielmehr wird mit den Formulierungen „ist es häufig nützlich“1 oder „kann es ... zweckmäßig sein“2 auf die zwar generelle Vorteilhaftigkeit einer Mehrjahresanalyse abgestellt, wobei jedoch im konkreten Einzelfall begründete Abweichungen möglich sind. Grundsätzlich werden Mehrjahresanalysen durchgeführt, um außergewöhnliche Effekte (z.B. einmalige Verluste oder bilanzpolitisch motivierte hohe Gewinne in einem Jahr) identifizieren und ggf. im Rahmen einer Durchschnittsbildung eliminieren zu können. Zudem hilft eine Mehrjahresanalyse beim Verständnis der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Geschäften (z.B. Konjunkturzyklen).3 Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht sinnvoll, eine generelle Vorgabe im Hinblick auf die Anzahl der einzubeziehenden Jahre zu machen, sondern dies abhängig vom jeweiligen Sachverhalt zu entscheiden.4 Als allgemeiner Erfahrungswert kann zumindest auf Beobachtungszeiträume von drei bis fünf Jahren hingewiesen werden.5
5.113
Durchschnittsbetrachtung. Basierend auf einer Mehrjahresanalyse werden meist Durchschnittsbetrachtungen angestellt. Eine solche Durchschnittsbetrachtung wird zwar wiederum als nicht zwingend sowohl von den OECD-Leitlinien als auch den VWG-VP angesehen,6 gleichwohl wird konzediert, dass aufgrund einer Durchschnittsbetrachtung die Zuverlässigkeit einer durch tatsächlichen Fremdvergleich ermittelten Bandbreite verbessert werden kann. Nicht geregelt ist, wie die Durchschnittsbetrachtung im Einzelnen erfolgen soll. Der Durchschnitt kann nämlich ungewichtet oder gewichtet ermittelt werden. Anhand folgenden Beispiels wird deutlich, dass sich die Ergebnisse dann durchaus unterscheiden können:
5.114
Vergleichsunternehmen
EBIT (in 1.000 EUR) 2008
2007
2006
Op. Revenue (in 1.000 EUR)
Net Margin
2005
2008
2007
2006
2005
2008
2007
Average
2006
2005
Average
Weighted Average
A
346
227
142
344
14.819
15.790
15.486
14.544
2,3 %
1,4 %
0,9 %
2,4 %
1,8 %
1,7 %
B
115
106
85
146
6.254
6.025
5.439
5.692
1,8 %
1,8 %
1,6 %
2,6 %
1,9 %
1,9 %
C
81
70
47
45
1.177
1.212
1.002
902
6,8 %
5,7 %
4,7 %
4,9 %
5,6 %
5,6 %
D
180
116
108
101
2.000
2.015
1.473
1.281
9,0 %
5,7 %
7,3 %
7,8 %
7,5 %
7,4 %
E
117
122
125
117
1.530
1.744
1.629
1.580
7,6 %
7,0 %
7,7 %
7,4 %
7,4 %
7,4 %
F
18
20
26
15
1.103
1.250
1.067
994
1,6 %
1,6 %
2,4 %
1,5 %
1,8 %
1,8 %
G
9
246
151
221
1.380
1.920
2.017
1.901
0,7 %
12,8 %
7,5 %
11,6 %
8,1 %
8,7 %
H
166
204
270
67
1.540
1.371
1.113
910
10,7 %
14,9 %
24,3 %
7,3 %
14,3 %
14,3 %
I
213
181
73
32
2.742
2.565
2.106
1.699
7,8 %
7,1 %
3,4 %
1,9 %
5,0 %
5,5 %
J
50
43
11
9
1.546
1.108
578
399
3,2 %
3,8 %
1,8 %
2,3 %
2,8 %
3,1 %
1 Tz. 3.75 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.21 (vormals: BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.9). 3 Vgl. Tz. 3.77 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 3.75 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Kolb, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2395; so auch: Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 117. 6 Vgl. Tz. 3.79 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.21 (vormals: BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.9).
Greinert | 381
Kap. 5 Rz. 5.114 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Es lässt sich keine eindeutige Antwort auf die Frage finden, ob der ungewichtete oder gewichtete Durchschnitt als Vergleichsgröße heranzuziehen ist. In dem in Tz. 3.4.12.5 Buchst. d VWG-Verfahren gebildeten Beispiel wurde jedenfalls auf den ungewichteten Durchschnitt abgestellt. Auch international finden sich häufig ungewichtete Durchschnitte. Somit wird die Nettomarge jedes Jahres als ein Einzelereignis betrachtet. Es gibt jedoch auch gute Gründe, den gewichteten Durchschnitt heranzuziehen. Wenn in dem obigen Beispiel die relevante Frage ist, wie viel EBIT auf einen Euro des Umsatzes für die Gesamtperiode 2005 bis 2008 entfällt, so muss der gewichtete Durchschnitt gebildet werden. Der Unterschied besteht also darin, ob eine Periode (hier 2005 bis 2008) als eine Einheit betrachtet wird (= gewichteter Durchschnitt) oder ob mehrere Einzelereignisse einer Periode herangezogen werden (= ungewichteter Durchschnitt).
5.115
Bandbreite. Bei der Ermittlung von Vergleichswerten im Wege des tatsächlichen Fremdvergleichs ergibt sich regelmäßig eine Bandbreite von Preisen, Aufschlagsätzen oder Margen. Dass bei vergleichbaren Leistungen unterschiedliche Preise, Aufschlagsätze oder Margen realisiert werden, erklärt sich insbesondere durch die Unvollkommenheit der Märkte. Mangelndes rationales Verhalten der Marktteilnehmer, eine eingeschränkte Markttransparenz, Beschränkungen beim Marktzutritt, Transaktionskosten usw. führen dazu, dass die Modellbedingungen des vollkommenen Markts nicht gegeben sind und insofern kein einheitlicher Preis für eine vergleichbare Leistung am Markt vorzufinden ist.1 Dass es „den ‚einen‘ angeblich richtigen Fremdvergleichspreis“2 nicht gibt, sondern dass bei Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs meist Bandbreiten vorliegen, wird auch von den Finanzbehörden anerkannt.3 Steuerlich ist zu klären, welchen Wert der Steuerpflichtige aus der identifizierten Bandbreite für seine Verrechnungspreisermittlung heranziehen soll.
5.116
Uneingeschränkte Vergleichbarkeit. Die Auswahl des Werts aus einer Bandbreite hängt davon ab, ob die durch den tatsächlichen Fremdvergleich ermittelten Werte als uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbar qualifiziert werden. Wenn mehrere Fremdvergleichswerte identifiziert werden und diese uneingeschränkt vergleichbar sind, ist aus § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG im Umkehrschluss ableitbar, dass die so ermittelte Bandbreite von dem Steuerpflichtigen vollumfänglich ausgeschöpft werden kann. Der Steuerpflichtige darf also den aus seiner Sicht vorteilhaftesten Wert als Verrechnungspreis ansetzen. Diese Regelung stellt allerdings auch eine Selbstverständlichkeit dar: Wenn der Steuerpflichtige darlegen kann, dass solche Preise, Aufschlagsätze oder Margen auch von fremden Dritten bei vergleichbaren Verhältnissen erzielt wurden, ist deren Ansatz als Verrechnungspreis ein der (wirtschaftlichen) Logik folgender Schritt. Die Möglichkeit, die gesamte ermittelte Bandbreite bei uneingeschränkter Vergleichbarkeit auszuschöpfen, wird auch von der OECD anerkannt und sollte damit internationale Gültigkeit haben.4
5.117
Eingeschränkte Vergleichbarkeit. Für den Fall, dass die durch einen tatsächlichen Fremdvergleich ermittelten Werte nur eingeschränkt vergleichbar sind – wobei die Konkretisierung der eingeschränkten Vergleichbarkeit im Zweifelsfall strittig sein mag –, verlangt der deutsche Gesetzgeber, die sich ergebende Bandbreite einzuengen.5 Wie eine solche Einengung vorzuneh1 Vgl. Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Rz. 203f.; Baumhoff in FS Wassermeyer, 348 ff. 2 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 3 Vgl. § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG; Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 3.60 OECD-Leitlinien 2022. 5 § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG.
382 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.118 Kap. 5
men ist, lässt sich nunmehr direkt aus dem Gesetz entnehmen. So heißt es in § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG: „Bieten diese Werte selbst keine Anhaltspunkte für eine bestimmte Einengung, so bleiben aus dieser Bandbreite das Viertel der kleinsten und das Viertel der größten Werte unberücksichtigt“. Mit dem ersten Satzteil ist gemäß der Gesetzesbegründung gemeint, dass zunächst „die Fremdvergleichsgeschäftsvorfälle auszuschließen (sind), die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen als andere (Tz. 3.56 OECD-Verrechnungspreisleitlinien)“.1 Die verbleibenden Werte sind dann nach der Methode der „Interquartile Range“ einzuengen. Einengung durch „Interquartile Range“. Durch Anwendung der Methode der „Interquartile Range“ bleibt sowohl das untere als auch das obere Viertel der Werte der ermittelten Bandbreite bei der Verrechnungspreisbildung unberücksichtigt. Für diese Vorgehensweise fehlt es allerdings an einer tragfähigen ökonomischen Begründung.2 So wurden die Mängel dieser Methode bereits ausführlich in der Literatur3 dargelegt. Nicht nur, dass es sich um eine willkürliche, durch nichts zu begründende pauschale Einengung der Bandbreite um 50 % handelt, ohne dass auf das jeweilige Ausmaß der fehlenden Vergleichbarkeit eingegangen wird. Es liegt zudem kein anerkanntes statistisches Verfahren vor, das auf die Identifikation und Eliminierung von Ausreißerwerten gerichtet ist. Ferner dürfte die bei dem Verfahren unterstellte statistische Normalverteilung der Fremdvergleichswerte wohl eher eine Annahme als eine Tatsache sein. Aufgrund dieser Vorbehalte ist der von Scholz/Crüger gezogenen Schlussfolgerung zuzustimmen, dass es sich bei der Methode der „Interquartile Range“ letztlich um einen „Daumenregel“4 handelt, mit der solche Unternehmen ausgesondert werden sollen, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer nicht ausreichenden Vergleichbarkeit zu hoch ist. Trotz dieser Vorbehalte ist festzustellen, dass die Methode der „Interquartile Range“ in der Praxis dominiert. Letztlich beruht dies wohl darauf, dass die Anwendung der „Interquartile Range“ im US-amerikanischen Steuerrecht ausdrücklich vorgesehen ist5 und dadurch eine faktische Bedeutung erlangt hat. Dem hat sich der deutsche Gesetzgeber mit dem AbzStEntMoG nunmehr angeschlossen und normiert in § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG deren Anwendung. Naturgemäß stellt sich die Frage, ob die Einengung im Fall der eingeschränkten Vergleichbarkeit zwingend anhand der Methode der „Interquartile Range“ zu erfolgen hat. Vor der Umsetzung des AbzStEntMoG galt gesetzlich nur die allgemeine Anforderung, die Bandbreite einzuengen. Wie diese Einengung erfolgen konnte, regelten die VWG-Verfahren. Dabei wurden u.a. mathematische Verfahren genannt.6 Diese Bezugnahme auf mathematische Verfahren steht im Einklang mit den OECD-Leitlinien, welche die Anwendung von „statistical tools“ regeln.7 Die OECD-Leitlinien haben sich also nicht spezifisch auf die Methode der „Interquartile Range“ festgelegt, sondern haben mit „statistical tools“ einen allgemeineren Ansatz gewählt. Dies ist zu begrüßen, da damit den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen werden kann und im Übrigen die Kritikpunkte an der Methode der „Interquartile Range“ vermieden werden können. So wurden in der Literatur bereits Verfahren diskutiert, die sich besser ma-
1 Gesetzesbegründung zum AbzStEntModG, BT-Drucks. 19/27632, 73. 2 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1788. 3 Vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 362 ff.; Werra, IStR 2005, 21; Finsterwalder, DStR 2005, 769; Steuerfachausschuss des IDW, FN-IDW 2004, 787 f. 4 Scholz/Crüger, RIW 2005, 37. 5 Vgl. Sec. 482 IRC und die dazu ergangenen Regulations. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. d (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2022.
Greinert | 383
5.118
Kap. 5 Rz. 5.118 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
thematisch begründen lassen.1 Solche Verfahren finden offenbar auch bereits Anwendung in der Unternehmenspraxis.2 Insofern sollten auch nach neuem Recht andere mathematische Verfahren zum Ansatz kommen können,3 um eine identifizierte Bandbreite so einzuengen, dass dem Fremdvergleichsgrundsatz bestmöglich Rechnung getragen wird.
5.119
Median als relevanter Verrechnungspreis? Wenn eingeschränkte Vergleichbarkeit vorliegt und eine Einengung vorgenommen wurde, kann der Steuerpflichtige den für ihn günstigsten Wert aus der eingeengten Bandbreite als Verrechnungspreis wählen. Sofern der vom Steuerpflichtigen angesetzte Verrechnungspreis allerdings außerhalb der eingeengten Bandbreite liegt, ist gem. § 1 Abs. 3a Satz 4 AStG im Fall der Korrektur des Verrechnungspreises grundsätzlich der Median maßgeblich. Gegen den Ansatz des Medians im Rahmen der Ermittlung von Verrechnungspreisen lassen sich bereits aus statistischer Perspektive grundsätzliche Vorbehalte anbringen.4 Davon abgesehen ist es auch rein steuerlich nicht gerechtfertigt, auf einen fixierten Punkt der Bandbreite abzustellen. Gemäß der generellen Regelung in § 1 Abs. 3a Satz 2, 3 AStG steht dem Steuerpflichtigen die gesamte (eingeengte) Bandbreite zur Verfügung. Diese Regelung muss auch gelten, wenn ein zunächst außerhalb der Bandbreite festgelegter Preis später angepasst wird, weil jeder Preis innerhalb der (eingeengten) Bandbreite als angemessen zu betrachten ist. Dies wird auch ausdrücklich für den Fall der Verrechnungspreiskorrektur durch die OECD-Leitlinien anerkannt mit der Begründung „that any point in the range satisfies the arm’s length principle“.5 Nur für den besonderen Einzelfall, dass erhebliche Unsicherheiten im Hinblick auf die Vergleichbarkeit verbleiben, kann die Orientierung an einem mittleren Wert (Median, Mittelwert oder gewichteter Mittelwert) vertretbar sein.6 Diese Regelung, die nur auf besondere Einzelfälle Bezug nimmt und zugleich klarstellt, dass eine Orientierung an einem mittleren Wert geeignet sein kann, ist auch nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund der Kritik an der bislang ausschließlichen Ausrichtung auf den Median ist es zu begrüßen, dass der Gesetzgeber durch das AbzStEntMoG nunmehr geregelt hat, dass der Median nur dann zur Anwendung kommt, „wenn der Steuerpflichtige nicht glaubhaft macht, dass ein anderer Wert innerhalb der Bandbreite dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht“. Damit kann der Steuerpflichtige im konkreten Fall glaubhaft machen, dass ein anderer Wert als der Median anzusetzen ist.7
5.120
Year-End-Adjustments. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird im Vorhinein vereinbart, dass die eine Vertragspartei eine definierte Nettomarge mit dem betrachteten Geschäftsvorfall realisieren soll, wobei die Nettomarge aus Internal oder External Comparables abgeleitet wird und insofern fremdvergleichskonform ist. Diese definierte Nettomarge stellt die Grundlage für die Preiskalkulationen dar. Am Ende eines Geschäftsjahrs stellt sich allerdings häufig heraus, dass aufgrund von Preisschwankungen, Kostenänderungen,
1 Beispiele für ein solches begründetes Verfahren zur Eliminierung von Ausreißerwerten finden sich bei Baumhoff in FS Wassermeyer, 366 ff.; Ziehr, Einkünftezurechnung im internationalen Einheitsunternehmen, 290. 2 Vgl. Kolb, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2401. 3 Vgl. Busch, DB 2021, 1908. 4 Vgl. im Einzelnen Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 551 f. so auch: Baumhoff/Kluge/Liebchen, IStR 2014, 515; Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, Außensteuerrecht, § 1 AStG, Rz. 996; Kahle/Schulz, StuB 2016, 14. 5 Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785; Greil/Saliger, ISR 2021, 330; Grotherr, IWB 2021, 614.
384 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.121 Kap. 5
abweichenden Kapazitätsauslastungen usw. die angestrebte Nettomarge tatsächlich nicht realisiert werden konnte. Es ist dann zu klären, inwieweit Preisanpassungen für z.B. die gelieferten Produkte zwischen den nahestehenden Unternehmen möglich sind, um dadurch sicherzustellen, dass die ursprünglich angestrebte – und fremdvergleichskonforme – Nettomarge tatsächlich erzielt wird.1 Solche Preisanpassungen werden üblicherweise als Year-End-Adjustments bezeichnet. Deutsche Finanzverwaltung zu Year-End-Adjustments. Die deutsche Finanzverwaltung vertrat zur Zulässigkeit von Year-End-Adjustments bislang eine sehr restriktive Auffassung. So hieß es in Tz. 3.4.12.8 VWG -Verfahren: „Eine nachträgliche Preisberechnung muss auf eine bei Vertragsabschluss vorliegende und festgestellte Ungewissheit über eine oder mehrere Preiskomponenten zurückzuführen sein [...], jedoch nicht auf das bei einem Beteiligten entstehende Ergebnis.“ Eine Preisanpassung zur Sicherstellung einer fremdvergleichskonformen Nettomarge soll demnach nicht möglich sein. Dies wurde auch in Tz. 3.4.20 Buchst. e VWG-Verfahren nochmals betont: „Vom Steuerpflichtigen vorgenommene Ergebnisanpassungen für die Vergangenheit, die nicht auf im Vorhinein abgeschlossenen Vereinbarungen [...] beruhen, sind steuerlich nicht anzuerkennen. Dies gilt insbesondere für rückwirkende ‚Preisanpassungen‛ durch nachträgliche Zahlungen oder Gutschriften/Belastungen, die das Ergebnis eines Unternehmens [...] den Nettorenditekennzahlen von Vergleichsunternehmen anpassen.“ Auch in den VWG 2020 wurde die weitere Anwendung der in den VWG-Verfahren festgelegten Vorschriften hinsichtlich nachträglicher Preisanpassungen betont.2 Mit Veröffentlichung der VWG VP im Jahr 2021 wurden allerdings die Regelungen der VWG-Verfahren aufgehoben. Das BMF hat eine Kehrtwende3 in der Weise vorgenommen, dass Year-End-Adjustments nun grundsätzlich zulässig sind. So muss die „tatsächliche Entwicklung der zugrundeliegenden Plandaten und Renditekennziffern unterjährig (...) abgeglichen werden (Soll-Ist-Vergleich), um rechtzeitig auf einen geänderten Geschäftsverlauf reagieren zu können. Wird unterjährig kein Soll-Ist-Vergleich durchgeführt, ist zumindest zum Abschluss des Wirtschaftsjahres ein Vergleich der Planrechnung mit dem tatsächlichen Ergebnis durchzuführen. Liegt das tatsächliche Ergebnis außerhalb der Bandbreite angemessener Ergebnisse für die jeweilige Renditekennziffer, ist insoweit eine nachträgliche Anpassung des Ergebnisses vorzunehmen.“4 Insofern wird hier in erfreulicher Klarheit zum Ausdruck gebracht, dass Year-End-Adjustments durchzuführen sind.5 Dieser Wandel in der Auffassung der Finanzverwaltung ist ausdrücklich zu begrüßen, da Year-End-Adjustments zukünftig besser zu verteidigen sind.6 Vor Einführung der VWG VP wurde die restriktive Auffassung der Finanzverwaltung hinsichtlich der Zulässigkeit von YearEnd-Adjustments mehrfach kritisiert, da diese unter vorheriger Vereinbarung von Preisanpassungsklauseln auch unter fremden Dritten üblich sind. So wird z.B. unter fremden Dritten vereinbart, dass der Verkaufspreis um x Euro sinkt, wenn die Absatzmenge insgesamt y Einheiten übersteigt, dass sich eine Lizenzrate auf a % reduziert bei einem Umsatz unter Nutzung des jeweiligen immateriellen Wirtschaftsguts von b Euro oder dass ein Bonus i.H.v. m % bei 1 Kritisch zu Preisanpassungen, die nicht aufgrund verfehlter eigener Nettomarge, sondern aufgrund schlechter Marge des Geschäftspartners gewährt werden, vgl. BFH v. 14.8.1974 – I R 168/ 72, BStBl. II 1975, 123. 2 Vgl. VWG 2020, Rz. 91 Buchst. g. 3 Vgl. Renz/Roeder, IWB 2021, 804. 4 VWG VP 2021, Rz. 3.41 f. 5 Vgl. Grotherr, NWB 2021, 3054. 6 Vgl. Heidecke, ISR 2021, 380.
Greinert | 385
5.121
Kap. 5 Rz. 5.121 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
einem Gesamtumsatz von n Euro vergütet wird. Ferner machte auch Schreiber als Vertreter der Finanzverwaltung deutlich: „Die Ausführungen in den VerwGr-Verfahren zu nachträglichen, datenbankgestützten Nettomargenanpassungen enthalten gravierende Widersprüche. [...] Es erscheint sachgerecht, wenn nachträgliche Nettogewinnanpassungen auf vergleichbare Unternehmen, die im Vorhinein eindeutig vereinbart worden sind, steuerlich anerkannt werden“.1 Dem kann nur zugestimmt werden.2 Anders gelingt es häufig nicht, fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise in einem internationalen Konzern umzusetzen. Mit der Neuregelung in den VWG VP besteht für internationale Konzerne nunmehr die Möglichkeit – und wohl auch die Pflicht, Year-End-Adjustments durchzuführen.
5.122
OECD-Leitlinien zu Year-End-Adjustments. Im Rahmen der Neufassung der OECD-Leitlinien und den vorgehenden Konsultationen wurden auch ausführlich sog. „Timing Issues“ diskutiert, die sich u.a. mit der Frage der Year-End-Adjustments auseinandergesetzt haben. Das Ergebnis dieser umfassenden Diskussionen ist allerdings ernüchternd. So wird dargestellt, dass einige Länder der OECD den „Arm’s-Length-Price-setting-Approach“ verfolgen, also darauf abstellen, dass bei der ursprünglichen Preisfestsetzung ein fremdvergleichskonformer Preis zum Ansatz kommt (Ex-ante-Basis).3 Andere Länder wenden dagegen den „Arm’sLength-Outcome-testing-Approach“ an, nehmen also darauf Bezug, inwieweit die tatsächlich realisierte Nettomarge im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz steht (Ex-post-Basis).4 Bei letzterem „Approach“ werden also Year-End-Adjustments anerkannt, um damit auf Expost-Basis eine fremdvergleichskonforme Nettomarge ausweisen zu können. Die OECD-Leitlinien scheuen sich allerdings, für einen dieser beiden „Approaches“ klar Stellung zu nehmen. Vielmehr wird nur deutlich gemacht, dass Verrechnungspreisprobleme entstehen können, wenn beide an einer Transaktion beteiligten Länder einen unterschiedlichen „Approach“ verfolgen. Dieser Konflikt ist freilich offenkundig und hätte nicht gesondert erwähnt werden müssen. Wünschenswert wäre vielmehr gewesen, dass die OECD-Mitgliedsländer zu einer einheitlichen Auffassung gefunden hätten anstatt den Steuerpflichtigen zusätzliche Doppelbesteuerungsrisiken aufzuerlegen. Dass es sich hierbei um ein für die Unternehmenspraxis bedeutendes Problem handelt, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass die OECD am 6.6.2012 – also nicht einmal zwei Jahre nach Veröffentlichung der überarbeiteten OECD-Leitlinien 2010 – einen „Request for Comments“ zu „Timing Issues Relating to Transfer Pricing“ startete.5 Demnach sollten Fragen zur Berechtigung der Ex-ante-Basis bzw. der Ex-post-Basis erneut grundlegend diskutiert und Lösungswege zur Verhinderung einer Doppelbesteuerung aufgezeigt werden. Die Vorschläge wurden im November 2012 in einer öffentlichen Anhörung kontrovers diskutiert, ohne dass eine Einigung erzielt werden konnte. Im Frühjahr 2013 wurde der Reformversuch der OECD schließlich ergebnislos abgebrochen. So enthalten die OECDLeitlinien derzeit weiterhin lediglich die allgemeine Aufforderung an die Fiski der jeweils beteiligten Länder, im Rahmen von Verständigungsverfahren die Doppelbesteuerungseffekte zu beseitigen, die aus Year-End-Adjustments resultieren.6 Aus dieser Aufforderung kann allerdings positiv geschlossen werden, dass Year-End-Adjustments von den OECD-Leitlinien als vertretbar angesehen werden und eine Doppelbesteuerung nicht begründen dürfen. 1 Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 237.6. 2 So auch Bickenbach/Rubart, IWB 2012, 92 f.; Schwaiger, SWI 2011, 425. 3 Vgl. Tz. 3.69 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 3.70 OECD-Leitlinien 2022. 5 Abrufbar unter http://www.oecd.org/tax/transfer-pricing/50519380.pdf (zuletzt abgerufen am 9.6.2022). 6 Vgl. Tz. 3.71 OECD-Leitlinien 2022.
386 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.123 Kap. 5
In den Leitlinien zu den Implikationen der Corona-Krise auf Verrechnungspreise räumt die OECD die Möglichkeit ein, dass die Länder ihre Verrechnungspreise anhand des Outcometesting-Approaches ermitteln oder Year-End-Adjustments vornehmen.1 Empfehlungen des EU JTPF. Auch das EU Joint Transfer Pricing Forum (EU JTPF) hat sich mit der Anwendung von Year-End-Adjustments auseinandergesetzt. Basierend auf einer Umfrage unter den einzelnen Mitgliedsstaaten wurden Empfehlungen zur einheitlichen Anerkennung von Year-End-Adjustments abgeleitet.2 So sollen diese von den Finanzverwaltungen akzeptiert werden, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: – Der Steuerpflichtige hat vor Ausführung der Transaktion ernsthaft versucht, ein fremdübliches Ergebnis herbeizuführen. Dieses ernsthafte Bemühen wird in der Regel in der Verrechnungspreisdokumentation des Steuerpflichtigen beschrieben. – Der Steuerpflichtige nimmt die nachträgliche Preisanpassung symmetrisch in beiden beteiligten Mitgliedsstaaten vor. – Er wendet denselben Ansatz konsistent dauerhaft an. – Die nachträgliche Preisanpassung wird vor Abgabe der Steuererklärung durchgeführt. – Der Steuerpflichtige kann erklären, weshalb die budgetierten Zahlen nicht mit den tatsächlich erzielten Ergebnissen übereinstimmen, falls dies von mindestens einem der beteiligten Mitgliedsstaaten gefordert wird. Für den Fall, dass das tatsächlich erzielte Ergebnis außerhalb der der Preissetzung zugrunde gelegten Bandbreite fremdüblicher Verrechnungspreise liegt, sind Year-End-Adjustments nach Auffassung des EU JTPF somit möglich. Dabei soll auf den angemessensten Punkt innerhalb der Bandbreite angepasst werden. Insgesamt stellen die Regelungen nachvollziehbare und für den Steuerpflichtigen umsetzbare Bedingungen dar, die zum Großteil bereits bisher durch die Erfüllung der allgemeinen Dokumentationsvorschriften abgedeckt sind. So sind auch gem. § 4 Abs. 2 Nr. 4 GAufzV nachträgliche Preisanpassungen und die Gründe dafür aufzuzeichnen. Zwar hat es das EU JTPF leider versäumt, eine praktikable und konkrete Lösung hinsichtlich des Punkts der Bandbreite, auf den angepasst werden soll, anzubieten. Die Empfehlungen des EU JTPF sind jedoch im Ganzen sehr zu begrüßen, da sie eine Lücke der OECD-Leitlinien schließen und das Risiko einer Doppelbesteuerung auf europäischer Ebene durch Anwendung verschiedener Ansätze verringern.3
III. Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode 1. Überblick Allgemeines. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode („Profit Split Method“ – PSM) wird zunächst der Gewinn aus einer Transaktion ermittelt, an der mindestens zwei nahestehende Unternehmen beteiligt sind. Dieser Gewinn wird dann in einer wirtschaftlich begründeten Weise aufgeteilt und den beteiligten nahestehenden Unter-
1 Vgl. Tz. 22 f. und 30 Guidance on the transfer pricing implications of the COIVD-19 pandemic. 2 Vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Report on Compensating Adjustments (EU JTPF Compensating Adjustments), January 2014, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/taxation_customs/system/ files/2016-09/jtpf_009_final_2013_en.pdf (zuletzt abgerufen am 9.6.2022). 3 Vgl. Greinert/Metzner, DB 2014, 622 ff.
Greinert | 387
5.123
Kap. 5 Rz. 5.123 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
nehmen zugeordnet.1 Die Transaktionsbezogenheit dieser Methode wird dadurch deutlich, dass nur der gemeinsam erzielte Gewinn aus einem einzelnen, ganz bestimmten Geschäftsvorfall Gegenstand der Aufteilung ist. Dabei ist es – wie auch bei der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode – möglich, gleichartige Geschäfte zu einem Geschäft zu gruppieren und zusammenzufassen (Rz. 5.93). Zur konkreten Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode enthielten lange weder Gesetz noch Verwaltungsvorschriften spezifische Regelungen. Vielmehr wurde lediglich in den VWG-Verfahren auf die Ausführungen in Tz. 3.5 ff. OECD-Leitlinien 1995 (jetzt Tz. 2.114 ff. OECD-Leitlinien 2022) verwiesen.2 Die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode blieb Gegenstand von Diskussionen. In den Jahren 2016 und 2017 legte die OECD Diskussionsentwürfe hinsichtlich der Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode vor und lud zu öffentlichen Konsultationen ein. Die im Juni 2018 veröffentlichten überarbeiteten Leitlinien zur Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode enthalten erstmals Konkretisierungen zur Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode und ersetzen Kapitel II, Teil III, Abschnitt C der bisher bestehenden OECD-Leitlinien 2017.3 Auch das EU JTPF veröffentlichte im März 2019 ergänzende und unterstützende Erläuterungen zu den von der OECD veröffentlichten überarbeiteten Leitlinien zur Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode.4
5.124
Anwendungsbereiche. Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode ist eine sog. zweiseitige Methode, bei der für die Ableitung angemessener Verrechnungspreise beide an einer Transaktion beteiligten nahestehenden Unternehmen betrachtet werden.5 Diese zweiseitige Betrachtungsweise lässt sich durch die aus der BFH-Rechtsprechung abgeleitete Denkfigur des „doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ rechtfertigen,6 die mittlerweile auch in das Außensteuergesetz aufgenommen wurde.7 Im Unterschied zur geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode handelt es sich bei der Wiederverkaufspreismethode, der Kostenaufschlagsmethode und der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode nur um sog. einseitige Methoden, weil bei diesen auf die Verhältnisse eines an einer Transaktion beteiligten Unternehmens für die Ableitung angemessener Verrechnungspreise abgestellt wird, z.B. die Bruttomarge des Eigenhändlers, die Kosten des Dienstleisters oder die Nettomarge des Kommissionärs. Die (Gewinn-)Situation des anderen an der Transaktion beteiligten Unternehmens bleibt dagegen außen vor. Aufgrund der zweiseitigen Betrachtung bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode eignet sich diese Methode insbesondere bei hoch integrierten Geschäftstätigkeiten.8 Ebenso soll die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode beim 1 Vgl. Tz. 2.114 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. c (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Überarbeitete OECD-Leitlinien zur Anwendung der Gewinnaufteilungsmethode 2018. 4 Vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Report on the application of the profit split method within the EU, March 2019, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/taxation_customs/system/files/2019-03/ report_on_the_application_of_the_profit_split_method_within_the_eu_en.pdf (zuletzt abgerufen am 9.6.2022). 5 Vgl. Tz. 2.119 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann sowie grundlegend zum doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter: Baumhoff, Dienstleistungen, 139 ff. 7 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG. 8 Vgl. Tz. 2.133 OECD-Leitlinien 2022.
388 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.126 Kap. 5
Einsatz einzigartiger und hoch rentierlicher immaterieller Wirtschaftsgüter oder bei sonstigen besonders wertvollen Beiträgen einer Partei zum Zuge kommen.1 In diesen Fällen stehen nämlich meist überhaupt keine verlässlichen durch tatsächlichen Fremdvergleich ableitbaren Vergleichswerte über angemessene Preise oder Margen zur Verfügung. Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode ermöglicht somit in den Fällen, in denen durch tatsächlichen Fremdvergleich ermittelte Werte als Vergleichsmaßstäbe nicht zur Verfügung stehen, dennoch eine dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechende Verrechnungspreisermittlung vorzunehmen. Durch die zweiseitige Betrachtung ist auch die erforderliche Flexibilität gegeben, um die individuellen Beiträge der beteiligten nahestehenden Unternehmen für die Verrechnungspreisermittlung zu berücksichtigen.2 Im Umkehrschluss ist die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode daher grundsätzlich nicht anwendbar, wenn ein nahestehendes Unternehmen lediglich einfache Beiträge (insbesondere als Routineunternehmen) im Rahmen einer Transaktion erbringt und insofern verlässliche Vergleichswerte zur Verfügung stehen. Aufteilung von Ergebnissen. Die Begriffe geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode bzw. „Profit“ Split Method lassen zwar zunächst erwarten, dass es hierbei nur um die Aufteilung von Gewinnen geht. Dies trifft allerdings nicht zu. Vielmehr soll die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode auch in Verlustfällen zur Anwendung kommen und den einzelnen nahestehenden Personen dann entsprechende Anteile am Verlust zuweisen.3 Insofern wäre der Begriff „Ergebnisaufteilungsmethode“ sicherlich treffender für diese Methode gewesen.
5.125
Uneinheitliche Rechnungslegungsvorschriften. Die Frage der Angemessenheit der Verrechnungspreise ist insbesondere bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen von Bedeutung. Wenn aber die an einer Transaktion beteiligten Unternehmen in unterschiedlichen Ländern ansässig sind, kommt bei der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode das Problem zum Tragen, dass es keine weltweit einheitlichen Rechnungslegungsvorschriften gibt.4 Vielmehr hat jedes Land seine eigenen Vorschriften, auch wenn z.B. innerhalb der Europäischen Union gewisse Harmonisierungen bereits erfolgt sind. Aufgrund unterschiedlicher Rechnungslegungsvorschriften können – bei gleichen realwirtschaftlichen Gegebenheiten – die ausgewiesenen Gewinne in den einzelnen Ländern abweichen. Dies stellt insofern ein Problem dar, als bei der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode im ersten Schritt die Gewinne der beteiligten nahestehenden Unternehmen zusammengerechnet werden. Unterschiedlich ermittelte Größen werden also zu einer einheitlichen Basis zusammengefügt. Angesichts dieses Problems wird vorgeschlagen, Anpassungen in der Gewinnermittlung vorzunehmen und damit die bestehenden Unterschiede weitgehend zu eliminieren.5 Diese Forderung ist zwar theoretisch richtig, für die Praxis allerdings untauglich, da die Vielzahl der Unterschiede in der Rechnungslegung und die im Zeitablauf gegenläufigen Effekte eine so hohe Komplexität erzeugen, dass solche Anpassungen für die praktische Handhabung im Normalfall zu aufwendig sind. Vielfach wird daher auf umfassende Anpassungen verzichtet. Dies lässt sich zumindest insoweit rechtfertigen, als die meisten Unterschiede in der Rechnungslegung nur zeitliche Unterschiede in der Gewinnentstehung verursachen (z.B. unterschiedlich lange
5.126
1 2 3 4
Vgl. Tz. 2.119 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.121 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.115 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. hierzu Vögele/Raab/Braukmann in Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, Kapitel C Rz. 468. 5 Vgl. Tz. 2.123 und 2.156 f. OECD-Leitlinien 2022.
Greinert | 389
Kap. 5 Rz. 5.126 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Nutzungsdauern, abweichende Abschreibungsmethoden, divergierende Anforderungen an die Rückstellungsbildung, abweichender Umfang der Herstellungskosten). Im Zeitablauf gleichen sich somit die Unterschiede wieder aus. Diese Begründung für einen Verzicht auf spezifische Anpassungen ist jedoch nur dann stichhaltig, wenn die Gewinnermittlung im Zeitablauf auch konsistent durchgeführt wird.1 Alternativ ist es auch möglich, die Unterschiede in den einzelnen Rechnungslegungssystemen dadurch zu relativieren, dass statt auf Größen des externen Rechnungswesens auf konzerneinheitliche Größen des internen Rechnungswesens abgestellt wird.2 Diese Größen orientieren sich eher an betriebswirtschaftlichen Anforderungen, die weltweite Gültigkeit besitzen und insofern einheitlich abgegrenzt sind.
2. Maßgebende Gewinngröße 5.127
Allgemeines. Der zwischen den nahestehenden Unternehmen aufzuteilende Gewinn ist grundsätzlich als operativer Gewinn zu verstehen.3 Im Allgemeinen wird daher auf die Ergebnisgröße EBIT – „Earnings Before Interest and Taxes“, also den Gewinn vor Zinsen und Ertragsteuern – abgestellt (Rz. 5.103 ff.). Allerdings konzedieren die OECD-Leitlinien, dass es in begründeten Einzelfällen auch möglich ist, stattdessen den Bruttogewinn gemeinsam zu ermitteln und auf die beteiligten nahestehenden Unternehmen aufzuteilen.4 Der Bruttogewinn wird insbesondere dann als maßgebende Größe für die Gewinnaufteilung herangezogen, wenn die Zuordnung der operativen Kosten der beteiligten Unternehmen zu der untersuchten Transaktion zu große Schwierigkeiten bereitet. In diesem Fall muss dann jedes Unternehmen von dem so zugeordneten Bruttogewinn die eigenen operativen Kosten decken. Für den Grundfall der Verwendung des operativen Gewinns (EBIT) ist das praktische Problem darin zu sehen, aus dem gesamten operativen Gewinn des Unternehmens denjenigen operativen Gewinn der betreffenden Transaktion zu isolieren.5 Dabei hängt der zusätzliche Aufwand für die Ermittlung des operativen Gewinns einer Transaktion insbesondere davon ab, wie umfassend die betreffende Transaktion bereits gruppiert und zusammengefasst wurde. Wenn etwa eine so umfassende Gruppierung vorgenommen wurde, dass die zu untersuchende Transaktion mit einem Geschäftsbereich oder einem Profit-Center übereinstimmt, wofür ohnehin separierte Ergebnisse periodisch ermittelt werden, kann auf bereits nach objektivierten Maßstäben ermittelte Ergebnisse unmittelbar Bezug genommen werden. Ansonsten muss durch individuelle Zuordnungen und Schlüsselungen der relevante operative Gewinn einer Transaktion abgegrenzt werden. Bei solchen individuellen Berechnungen besteht naturgemäß eine höhere Subjektivität, als es bei periodischen Berichten der Fall ist. In diesem Zusammenhang kommt es auch auf die bereits vorhandene Differenziertheit und Flexibilität des Rechnungswesens des Unternehmens an, in welchem Ausmaß zusätzlicher Aufwand für die Isolierung des operativen Gewinns anfällt.
5.128
Plan- oder Ist-Gewinne. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode ist zu klären, ob die ursprünglich geplanten Gewinne („Ex-ante“-Betrachtung) oder die tatsächlich realisierten Gewinne („Ex-post“-Betrachtung) aus der zugrunde liegenden Transaktion für die Gewinnaufteilung heranzuziehen sind. Diese Frage lässt sich allerdings nicht allgemeingültig beantworten. Entsprechend wird auch in den OECD-Leitlinien dar1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 2.155 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.156 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.162 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.162 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.154, 2.157 OECD-Leitlinien 2022. Siehe auch: Greinert, RIW 2006, 454.
390 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.130 Kap. 5
gestellt, dass in Abhängigkeit von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls die Verwendung von Plan- oder Ist-Gewinnen in der Praxis feststellbar ist.1 Letztlich lassen sich für die Verwendung sowohl der Plan- als auch der Ist-Gewinne überzeugende Gründe mit Bezug auf den Grundsatz des Fremdvergleichs anführen. Die überarbeiteten OECD-Leitlinien zur Anwendung der Gewinnaufteilungsmethode verweisen auf die Analyse der Risikotragung.2 Insofern kann auch auf die bereits im Zusammenhang mit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode geführte Diskussion verwiesen werden (Rz. 5.120 ff.).
3. Methoden der Gewinnaufteilung Allgemeines. Als Aufteilungsmaßstab der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode fungieren die von den nahestehenden Unternehmen ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter, die mittels einer Funktionsanalyse zu erfassen sind. Insoweit soll eine geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilung erreicht werden, wie sie zwischen unabhängigen Unternehmen bei vergleichbaren Funktionen, Risiken und Wirtschaftsgütern entstanden wäre. Eine solche geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilung entspricht zwar nicht unmittelbar dem Grundsatz des Fremdvergleichs, weil fremde Dritte normalerweise keine Gewinne untereinander aufteilen, sondern Preise miteinander vereinbaren.3 Gleichwohl kann trotz fehlender Vergleichsmaßstäbe des Markts eine Verrechnungspreissimulation auf der Grundlage eines Fremdvergleichs durchgeführt werden. Dabei ist wesentlich, dass die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode die Entscheidungssituation des „doppelten“ ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters berücksichtigt.4 Dadurch wird auch vermieden, dass einem an der Transaktion beteiligten nahestehenden Unternehmen ein unangemessen hoher oder unangemessen niedriger Gewinnanteil zugeordnet wird.5
5.129
In der Literatur werden unterschiedliche Ansätze für die Gewinnaufteilung genannt, und zwar die Beitragsmethode (Contribution Analysis), die Restgewinnmethode (Residual Analysis oder Residual Profit Split Method), die Methode des eingesetzten Kapitals (Capital Employed Method) und die Methode der vergleichbaren Gewinnaufteilung (Comparable Profit Split Method).6 Die OECD-Leitlinien erläutern – vermutlich wegen ihrer Bedeutung – allerdings nur die beiden zuerst genannten Methoden, weisen jedoch auch ausdrücklich darauf hin, dass weitere Methoden zur Gewinnaufteilung bestehen und ebenfalls sachgerecht sein können.7 Laut der OECD existiert auch bzgl. dieser Methoden keine Methodenhierarchie. Vielmehr soll anhand des Einzelfalls die am besten geeignete Methode ausgewählt werden.8 Beitragsmethode. Nach der Beitragsmethode (Contribution Analysis) wird der Gesamtgewinn aus einer Transaktion ermittelt und zwischen den nahestehenden Unternehmen im Verhältnis ihrer Leistungsbeiträge aufgeteilt. Der Umfang der Leistungsbeiträge wird mit Hilfe der Funktionsanalyse festgelegt, wobei der Wert einer Leistung möglichst anhand der 1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Tz. 2.158 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.158 bis Tz. 2.161 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Greinert, RIW 2006, 454. Vgl. zum doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter BFH v. 17.5.1995 – I R 147/ 93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann. Vgl. Tz. 2.121 f. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 DBA, Rz. 97; Eigelshoven in V/L7, Art. 9 OECD-MA Rz. 88; Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, 69 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 583 f. Vgl. Tz. 2.149 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Dawid in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Teil II, Rz. 510.
Greinert | 391
5.130
Kap. 5 Rz. 5.130 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
von fremden Dritten vorgenommenen Aufteilung anhand von Vergleichsdaten bestimmt werden soll. Sofern diese nicht verfügbar sind, ist die Aufteilung anhand des anteiligen Wertes der von jeder Partei ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken sowie eingesetzten Wirtschaftsgüter zu ermitteln.1
5.131
Residualgewinnmethode. Nach der Residualgewinnmethode (Residual Analysis) wird der erzielte Gesamtgewinn in zwei Stufen aufgeteilt.2 Auf der ersten Stufe wird jedem an der Transaktion beteiligten Unternehmen eine „Normalrendite“ für die von ihm ausgeführten Routinefunktionen zugestanden (= Funktionsgewinn). Dabei bietet es sich an, die Ableitung der Normalrenditen anhand der bekannten klassischen Methoden oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode vorzunehmen, dabei also durch tatsächlichen Fremdvergleich abgeleitete Werte heranzuziehen. Der nach Subtraktion des Funktionsgewinns verbleibende Gewinn oder Verlust (der sog. „Residualgewinn“) wird dann auf der zweiten Stufe unter Berücksichtigung der individuellen Beiträge der nahestehenden Unternehmen, z.B. des Einsatzes bedeutender Patente, Know-how oder Marken verteilt. Wichtig ist dabei, dass hierbei nicht die Gesamtbeiträge der beteiligten Unternehmen, die zum Teil bereits durch die Zuweisung einer Normalrendite vergütet worden sind, sondern ausschließlich die Beiträge der beteiligten Unternehmen im Hinblick auf den verbleibenden Rest, also die einzigartigen und wertvollen (unique and valueable) Beiträge berücksichtigt werden.
5.132
Gewinnaufteilung durch tatsächlichen Fremdvergleich. Bei der Beitragsmethode, der Residualgewinnmethode oder auch anderen geeigneten Methoden ist es erforderlich, den zutreffend isolierten (Residual-)Gewinn auf die beteiligten nahestehenden Unternehmen aufzuteilen. Auch für diese Aufgabe gilt das allgemeine Stufenverhältnis, wonach die Aufteilung primär auf Basis von durch den tatsächlichen Fremdvergleich abgeleiteten Werten vorzunehmen ist. Erst subsidiär sind durch hypothetischen Fremdvergleich ermittelte Werte für die Aufteilung heranzuziehen. Bei der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode besteht allerdings das Problem, dass der tatsächliche Fremdvergleich nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen kann. Die OECD-Leitlinien nennen zwar einige Beispiele, anhand derer Verteilungsschlüssel marktorientiert abgeleitet werden können, z.B. Joint-Venture-Verträge, Verträge über Entwicklungsprojekte in der Pharma-, Öl- und Gasindustrie oder Verträge über Co-Marketing in der Unterhaltungsindustrie.3 Die in diesen Verträgen enthaltenen Aufteilungsschlüssel sind allerdings stets auf das individuelle Projekt abgestimmt und lassen nicht immer einen verallgemeinerungsfähigen Rückschluss auf eine zwischen fremden Dritten übliche Gewinnaufteilung zu.
5.133
Gewinnaufteilung durch hypothetischen Fremdvergleich. Sofern es nicht gelingt, durch tatsächlichen Fremdvergleich eine fremdvergleichskonforme Gewinnaufteilung vorzunehmen, ist subsidiär der hypothetische Fremdvergleich vorzunehmen. Dabei sind zunächst die von den nahestehenden Unternehmen ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter anhand einer Funktionsanalyse zu ermitteln. Auf Basis einer solchen Funktionsanalyse lässt sich eine Wertschöpfungsbeitragsanalyse erstellen, anhand derer die Beiträge der nahestehenden Unternehmen deutlich werden.4
1 Vgl. Tz. 2.150 OECD-Leitlinien 2022. So auch: Vögele/Raab/Braukmann in Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, Kapitel C: Verrechnungspreismethoden Rz. 457. 2 Vgl. Tz. 2.152 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 2.167 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 2.168 OECD-Leitlinien 2022.
392 | Greinert
C. Gewinnorientierte Methoden | Rz. 5.135 Kap. 5
Verteilungsschlüssel. Für die praktische Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode ist es erforderlich, einen oder mehrere Verteilungsschlüssel für die Gewinnaufteilung auszuwählen. Dabei sollen solche Verteilungsschlüssel ausgewählt werden, die stark mit der Gewinnentstehung korrelieren.1 Als Verteilungsschlüssel kommen insbesondere vermögens- bzw. kapitalorientierte Schlüssel (z.B. eingesetztes Vermögen oder eingesetzte immaterielle Wirtschaftsgüter), kostenorientierte Schlüssel (z.B. geleistete Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen oder geleistete Werbeaufwendungen) oder mitarbeiterorientierte Schlüssel (z.B. Anzahl der eingesetzten Mitarbeiter mit wertvollen Beiträgen oder geleistete Arbeitsstunden) zur Anwendung. Die Aufzählung der Aufteilungsfaktoren ist allerdings nicht abschließend.2 Wenn sich z.B. die Gewinnentstehung für die untersuchte Transaktion primär durch die Höhe der geleisteten Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der beteiligten nahestehenden Unternehmen erklären lässt, so wären entsprechend die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen als Schlüssel für die Gewinnverteilung heranzuziehen. Die Verwendung solcher kostenorientierte Schlüssel ist allerdings nicht unproblematisch. Tatsächlich beruht eine Gewinnaufteilung und damit Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode meist auf dem Einsatz wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter, die für die Gewinnentstehung als ursächlich angesehen werden können. Die für die Schaffung dieser immateriellen Wirtschaftsgüter angefallenen Kosten stehen allerdings nicht zwingend in einem proportionalen Verhältnis zu dem aus den immateriellen Wirtschaftsgütern resultierenden Nutzen (vgl. etwa Rz. 6.646 ff. zur Gewinnaufteilung bei der Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern mit Hilfe der Knoppe-Formel oder der Goldscheider-Rule).3 Daher schränken die OECD-Leitlinien den Einsatz kostenorientierter Schlüssel zu Recht ein, auch wenn deren Vorteil in der einfachen Anwendbarkeit zu sehen ist.4 Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die angefallenen Kosten zwar nicht unbedingt den Wert der relevanten immateriellen Wirtschaftsgüter erklären, allerdings die angefallenen (relativen) Kosten die relativen Beiträge der beteiligten Unternehmen zur Schaffung der immateriellen Wirtschaftsgüter wiedergeben und insofern für die Gewinnaufteilung geeignet sind.5
5.134
Häufig lässt sich die Gewinnentstehung nicht nur auf einen einzigen Einflussfaktor zurückführen. In diesem Fall ist es zweckmäßig, mehrere Verteilungsschlüssel auszuwählen, anhand derer die Ursachen für die Gewinnentstehung möglichst umfassend widergespiegelt werden. Je nach Bedeutung der einzelnen Verteilungsschlüssel bedarf es auch ihrer Gewichtung.6 Subjektivität der Auswahl. In der Auswahl und Gewichtung der Verteilungsschlüssel ist auch das eigentliche Problem der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode zu sehen. Die Auswahl des Verteilungsschlüssels soll laut überarbeiteter OECD-Leitlinien möglichst objektiv sein, der Nachweis der Angemessenheit erfolgt möglichst durch Fremdvergleichsdaten und/oder interne Daten.7 Angesichts der Schwierigkeit der Ermittlung von Fremdvergleichsdaten ist die Auswahl und Gewichtung der Verteilungsschlüssel stark von subjektiven Beurteilungen des Anwenders abhängig. Anstelle einer durch tatsächlichen Fremdvergleich abgeleiteten Gewinnaufteilung tritt das subjektive Urteil des jeweiligen Anwenders. Insofern ist
1 Vgl. Tz. 2.169 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 2.169 ff. OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Baumhoff/Greinert, Ubg 2009, 544; Greinert, Ubg 2010, 104. Vgl. hierzu auch: Koch, IStR 2016, 881. 4 Vgl. Tz. 2.181 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 2.171 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 2.170 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Tz. 2.166 OECD-Leitlinien 2022.
Greinert | 393
5.135
Kap. 5 Rz. 5.135 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Sieker zuzustimmen, dass ein „reiner Zufall“ vorliegt, wenn in einem Einzelfall zwei Anwender nebeneinander zu einer identischen Gewinnaufteilung kommen.1 Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode ist damit recht streitanfällig, weil einerseits Steuerpflichtiger und Finanzverwaltung und andererseits die Finanzverwaltungen der beteiligten Länder untereinander zu jeweils abweichenden Gewinnaufteilungen und damit angemessenen Verrechnungspreisen kommen können. Um solche Konflikte zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren, ist es für den Steuerpflichtigen zweckmäßig, im Rahmen der ohnehin zu erstellenden Verrechnungspreisdokumentation (Rz. 8.10 ff.) eingehend die eigenen Überlegungen und betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge darzustellen, um damit die Gewinnaufteilung möglichst intersubjektiv nachvollziehbar auszugestalten.2
IV. Gewinnvergleichsmethode 5.136
Überblick. In ihrer Anwendung ähnelt die (globale) Gewinnvergleichsmethode (Comparable Profit Method – CPM) der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Sowohl bei der Gewinnvergleichsmethode als auch bei der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird zur Ableitung angemessener Verrechnungspreise auf den Nettogewinn im Verhältnis zu einer definierten Bezugsbasis, z.B. Umsatz, Kosten oder Vermögen, abgestellt (nachfolgend „Nettomarge“). Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Methoden besteht allerdings in der Aggregation von Geschäftsvorfällen. Während bei der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode der einzelne (gruppierte und zusammengefasste) Geschäftsvorfall betrachtet wird, wird bei der Gewinnvergleichsmethode die Anforderung der Geschäftsvorfallbezogenheit nicht notwendigerweise beachtet. Vielmehr wird z.B. der Gesamtgewinn eines Unternehmens oder der Gewinn einer Unternehmensdivision für die Ableitung von Verrechnungspreisen herangezogen.3
5.137
Bedeutung der Geschäftsvorfallbezogenheit. Die deutsche Finanzverwaltung möchte die Gewinnvergleichsmethode nicht als geeignete Verrechnungspreismethode anerkennen. So war die globale Gewinnvergleichsmethode in den VWG-Verfahren noch unter Tz. 3.4.10.3 Buchst. d aufgeführt, deren Anwendung wurde aber durch die deutsche Finanzverwaltung versagt, da nach ihrer Auffassung die Gewinnvergleichsmethode „nicht zu fremdvergleichskonformen Ergebnissen“4 führt. Mit dieser strikten Auffassung unterschied sich die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung allerdings von den OECD-Leitlinien. So relativieren die OECD-Leitlinien die Anforderung der Geschäftsvorfallbezogenheit. Stattdessen wird das Kriterium der Vergleichbarkeit in den Vordergrund gestellt. Ziel muss es nach Auffassung der OECD-Leitlinien sein, möglichst zuverlässige Vergleichswerte für den untersuchten Geschäftsvorfall zu finden, auch wenn diese Vergleichswerte nicht geschäftsvorfallbezogen ermittelt werden können (Rz. 5.93).5 Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die OECD-Leitlinien die Gewinnvergleichsmethode nicht generell ablehnen. Vielmehr wird ausdrücklich die Anwendung der Gewinnvergleichsmethode anerkannt, soweit die Methode im Einklang mit den übrigen Anforderungen der OECD-Leitlinien – insbesondere im Hinblick auf Vergleichbarkeit – steht.6 Diese
1 2 3 4
So zutreffend Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 267. Vgl. Scheffler, Besteuerung der grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit2, 336. Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA, Rz. 99. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. d (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. Tz. 2.62 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 2.62 OECD-Leitlinien 2022.
394 | Greinert
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden | Rz. 5.138 Kap. 5
Klarstellung und damit Relativierung der bisherigen restriktiven Auffassung der deutschen Finanzverwaltung durch die OECD-Leitlinien ist von hoher praktischer Bedeutung, weil die Gewinnvergleichsmethode eine in den USA anerkannte Verrechnungspreismethode darstellt. Mit Bezug auf die OECD-Leitlinien war es der deutschen Finanzverwaltung nicht mehr generell möglich, mit Verweis auf die Regelungen in den VWG-Verfahren die Anerkennung der Gewinnvergleichsmethode zu versagen. Vielmehr musste die deutsche Finanzverwaltung die Anwendung der Gewinnvergleichsmethode anerkennen – zumindest gegenüber Staaten, die eine der Art. 9 OECD-MA nachgebildete Vorschrift in dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland enthalten –, soweit die übrigen Anforderungen der OECD-Leitlinien erfüllt sind. Da die neuen VWG VP generell auf die Regelungen der OECD-Leitlinien verweisen,1 dürften sich damit die Diskussionen über die Anwendbarkeit der Gewinnvergleichsmethode deutlich reduzieren.
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden Literatur: Ahmadov, The „Most Appropriate Method“ as the New OECD Transfer Pricing Standard: Has the Hierarchy of Methods Been Completely Eliminated?, ITPC 2011, 184; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl., Köln 2018, Rz. 4.306 ff.; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Förster, Der Entwurf zur Aktualisierung der Kapitel I und III der OECD-Verrechnungspreisleitlinien, IStR 2009, 720; Förster, Die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 3 AStG – Vergleich mit den aktualisierten Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, IStR 2011, 20; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 2009; Kurzewitz, Aufgabe des strikten Anwendungsvorrangs der Standardmethoden zur Verrechnungspreisbestimmung?, IWB 2010, 95; Liebchen in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 9 Rz. 249 ff.; Luckhaupt, Bestimmung von Verrechnungspreisen gemäß den OECD-TPG 2010 und § 1 Abs. 3 AStG, Ubg 2010, 646; Naumann, Seminar E: Gewinnaufteilungsmethoden und der Fremdvergleichsgrundsatz, IStR 2013, 616; Rasch/Festle, OECD-Entwurf der überarbeiteten Verrechnungspreisrichtlinien, IWB 2009, 983; Roeder, Immaterielle Wirtschaftsgüter: Diskussionsentwurf zur Überarbeitung des Kapitels VI der OECD-Verrechnungspreisleitlinien – Ausgewählte Aspekte aus deutscher Sicht, ISR 2012, 70; Staudacher/Groß, OECD veröffentlicht überarbeitete Verrechnungspreisgrundsätze 2010, SIW 2010, 461; Wassermeyer, Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, 535; Wellens, Fremdvergleichsgrundsatz nach OECD und nach deutschem Recht – Gleichzeitig Vorstellung des Diskussionsentwurfs der OECD hinsichtlich der Überarbeitung der Kapitel I und III der OECD-Verrechnungspreisrichtlinie, IStR 2010, 153.
I. Auffassung der OECD Aufgabe des strengen Hierarchieverhältnisses. Die Bedeutung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden hat in der Praxis der Festlegung und Prüfung internationaler Verrechnungspreise in den letzten Jahren erheblich zugenommen. So werden nach den Erfahrungen der deutschen Finanzverwaltung 80 % der „einfachen Fälle“ („einfache“ Vertriebsgesellschaften, Produktionsgesellschaften oder Dienstleistungsgesellschaften) von vornherein nach dieser Methode abgerechnet.2 Ferner werden bei Abschluss von Advance Pricing Agreements unter
1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.1. 2 Vgl. Naumann, IStR 2013, 616.
Greinert und Baumhoff/Liebchen | 395
5.138
Kap. 5 Rz. 5.138 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Beteiligung der USA zunehmend gewinnorientierte Methoden vereinbart.1 Bereits mit den OECD-Leitlinien 2010 wurden vor diesem Hintergrund das strenge Hierarchieverhältnis in der Methodenrangfolge und der Ausnahmecharakter der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden („Profit-Split“/„TNMM“) als „methods of last resort“ aufgegeben.2
5.139
Ansatz der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“. Statt einer strengen Methodenhierarchie kommt bezogen auf die einzelne Transaktion die „am besten geeignete Verrechnungspreismethode“ („most appropriate method“) zum Tragen.3 Konzeptionell geht dieser Ansatz erkennbar auf die sog. „Best-Method-Rule“ der US-amerikanischen Verrechnungspreis-Richtlinien zurück.4 Er erfordert eine Abwägung der Stärken und Schwächen der einzelnen Verrechnungspreismethoden, die insbesondere an folgenden Kriterien auszurichten ist:5 – die Eignung der Methode im Hinblick auf den wirtschaftlichen Gehalt der konzerninternen Transaktion, wie er sich insbesondere nach der Funktionsanalyse darstellt, – die Verfügbarkeit hinreichend verlässlicher Daten (insbesondere Fremdvergleichsdaten) im Hinblick auf die jeweilige Verrechnungspreismethode, – der Grad der Vergleichbarkeit von konzerninterner Transaktion und Vergleichstransaktionen, einschließlich der Zuverlässigkeit von Anpassungsrechnungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit.
5.140
Methodenrangfolge bei gleicher Eignung und gleich zuverlässiger Anwendbarkeit. Sind nach dieser Vergleichbarkeitsprüfung und nach der Informationsverfügbarkeit eine Standardmethode und eine geschäftsvorfallbezogene Gewinnmethode nebeneinander gleich zuverlässig anwendbar, ist nach den OECD-Leitlinien die geschäftsvorfallbezogene Standardmethode vorrangig anzuwenden.6 Allerdings überzeugt die angeführte Begründung nicht, denn der Marktbezug – i.S. eines Vergleichs mit marktentstandenen Preisen – der Standardmethoden kann jedenfalls für die Kostenaufschlagsmethode nicht und für die Wiederverkaufspreismethode nur mit Einschränkungen festgestellt werden. Dagegen ist es international konsensfähig, dass die Preisvergleichsmethode gegenüber jeder anderen Verrechnungspreismethode vorrangig ist, wenn diese nebeneinander gleich zuverlässig anwendbar sind.7 Sie verkörpert letztlich das Urbild des Fremdvergleichs, indem sie marktentstandene Preise als Referenzpreise für konzerninterne Lieferungen und Leistungen nimmt.8
5.141
Evaluation alternativer Verrechnungspreismethoden. Die methodische Bezugnahme auf die „Best-Method-Rule“ nach den US-amerikanischen Verrechnungspreisvorschriften wirft die Frage auf, ob der Steuerpflichtige gehalten sein soll, seine Verrechnungspreise nach mehreren oder gar allen zulässigen Verrechnungspreismethoden zu ermitteln und die Nichteignung al1 Vgl. auch Kurzewitz, IWB 2010, 95. 2 Zu der Revision der OECD-Leitlinien 2010 vgl. Förster, IStR 2009, 720; Förster, IStR 2011, 20; Rasch/Feistle, IWB 2009, 982; Kurzewitz, IWB 2010, 95; Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.4 Rz. 21 ff.; Staudacher/Groß, SWI 2010, 461; Luckhaupt, Ubg 2010, 646. 3 Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. ausführlich Kurzewitz, IWB 2010, 104 f.; Ahmadov, ITPJ 2011, 184 ff. 5 Vgl. Tz. 2.2 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2022. 8 Gemäß BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch „Grundmethode zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise“.
396 | Baumhoff/Liebchen
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden | Rz. 5.143 Kap. 5
ternativer Methoden bzw. die Besteignung der gewählten Methode nachzuweisen und zu dokumentieren. Zwar hat auch nach US-amerikanischen Verrechnungspreisgrundsätzen1 formal ein Nachweis über die Nichtwandwendbarkeit anderer Methoden nicht zu erfolgen. Faktisch ist es zur Vermeidung von Strafzuschlägen aber erforderlich, die Verrechnungspreise stets nach allen zulässigen Methoden zu berechnen, für die Daten über die Vergleichbarkeit verfügbar sind, und nach der „Best-Method-Rule“ zu analysieren, welche Methode die zuverlässigsten Ergebnisse bereitstellt.2 Die OECD-Leitlinien folgen diesem Ansatz ausdrücklich nicht. Tz. 2.12 OECD-Leitlinien stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Selektion der für den jeweiligen Einzelfall am besten geeigneten Methode nicht bedeutet, dass alle Verrechnungspreismethoden eingehend zu analysieren oder für die Auswahl der am besten geeigneten Methode getestet werden sollen.3 Der Steuerpflichtige soll vielmehr i.S. einer „Best Practice“ in der Lage sein, die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode und der Vergleichsgrößen zu belegen, wobei dies anhand eines standardisierten Suchprozesses erfolgen kann, wie ihn die OECDLeitlinien in Tz. 3.4 als „typisches Verfahren“ beispielhaft beschreiben (Rz. 3.22 ff.).4 Nachweis der Besteignung nur für „sonstige Methoden“. Ferner nehmen die OECD-Leitlinien in Tz. 2.9 eine klare Abgrenzung zwischen den nach den OECD-Leitlinien zulässigen Verrechnungspreismethoden und „sonstigen Methoden“ im Hinblick auf die Anforderungen an den Auswahlprozess vor, die dem Steuerpflichtigen abverlangt werden können.5 Zwar konzedieren die OECD-Leitlinien die Anwendbarkeit auch solcher Verrechnungspreismethoden, die in den OECD-Leitlinien nicht behandelt werden (sog. „sonstige Methoden“), sofern sie dem Fremdvergleichsgrundsatz genügen. Allerdings haben die nach den OECD-Leitlinien zulässigen Methoden uneingeschränkten Vorrang. Deshalb soll der Steuerpflichtige bei der Verwendung einer sonstigen Methode darlegen, warum die von der OECD anerkannten Methoden als weniger geeignet oder in dem konkreten Fall als nicht anwendbar angesehen werden und warum davon ausgegangen wird, dass die gewählte sonstige Methode eine bessere Lösung bereitstellt. Vor diesem Hintergrund wäre der Steuerpflichtige wohl gehalten, die Verrechnungspreise auch nach den anerkannten Methoden zu ermitteln.
5.142
Keine Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden. Tz. 2.12 OECD-Leitlinien hält überdies an der wesentlichen Erkenntnis fest, dass der Fremdvergleichsgrundsatz die Anwendung von mehr als einer Verrechnungspreismethode nicht verlangt.6 Der Steuerpflichtige ist deshalb weder verpflichtet noch gehalten, seine jeweiligen Verrechnungspreise nach mehr als einer Verrechnungspreismethode zu bestimmen (Rz. 5.175).
5.143
Der Steuerpflichtige kann jedoch auch ohne eine bestehende Verpflichtung – und damit freiwillig – mehrere Verrechnungspreismethoden anwenden, entweder um deren Zweckmäßigkeit für den betreffenden Geschäftsvorfall zu untersuchen oder aber um seinen Verrechnungspreisansatz zu verproben oder zu plausibilisieren. Die OECD-Leitlinien sprechen in diesem Zusammenhang von einem flexiblen Ansatz, der es in schwierigen Fällen erlauben würde, die
1 § 1.482-1 (c) (1) Satz 3 US-Regs. 2 Vgl. hierzu Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 79; Ahmadov, ITPJ 2011, 195 f. 3 Vgl. Tz. 2.8 u. 2.12 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 2.8 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 2.9 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 2.12 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 397
Kap. 5 Rz. 5.143 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Beweiskraft verschiedener Methoden gemeinsam zu nutzen.1 Hierbei werden als „schwierige Fälle“ solche Fälle verstanden, „in denen keine Methode für sich allein schlüssig ist“. Dass auch die Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden allein mit dem Ziel erfolgt, ein fremdvergleichskonformes Ergebnis zu erlangen, ist eine Selbstverständlichkeit. Deshalb ist ein solcher flexibler Ansatz vornehmlich von Praktikabilitätserwägungen getragen, und zwar aus der Sicht des bzw. der Steuerpflichtigen einerseits und der betroffenen Finanzverwaltung(en) andererseits.2 Diesem flexiblen Ansatz kommt m.E. vornehmlich bei kooperativen Verfahren zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung Bedeutung zu, wie etwa im Rahmen der Aushandlung von Advance Pricing Agreements.3 Keinesfalls kann nur mit dem Hinweis, die gewählte Verrechnungspreismethode sei für sich genommen nicht schlüssig, dem Steuerpflichtigen die dezidierte Anwendung weiterer Verrechnungspreismethoden abverlangt werden.4 Der Anwendung einer oder mehrerer weiterer Verrechnungspreismethoden kommt für die Plausibilisierung und Verprobung des Verrechnungspreisansatzes insbesondere im Zusammenhang mit Preis- bzw. Wertbandbreiten Bedeutung zu (vgl. hierzu Rz. 5.175). Die sich bei der Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden regelmäßig ergebenden methodenspezifischen Bandbreiten können zur Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten herangezogen werden, wobei insbesondere den Werten im Überschneidungsbereich dieser Bandbreiten eine gewisse Beweiskraft zukommen kann. Idealerweise liegt der als angemessen anzusehende Verrechnungspreis in diesem Bereich. Fraglich ist allerdings, ob dieser Überschneidungsbereich eine genauere Bandbreite darstellt bzw. ob die maßgebliche Bandbreite nur für den Überschneidungsbereich zutreffend ermittelt ist. Richtigerweise wird man davon ausgehen müssen, dass die methodenspezifische Bandbreite durch die jeweilige andere methodenspezifische Bandbreite – und vice versa – eingeengt wird. Dies berührt die Eignung der jeweiligen methodenspezifischen Bandbreite nicht, zutreffend ermittelt und deshalb maßgeblich zu sein. M.a.W. kann dort, wo Preis- und Wertbandbreiten einzuengen sind, u.a. die Verprobung mittels einer weiteren Verrechnungspreismethode sachgerecht sein. Die OECD-Leitlinien weisen in Tz. 3.58 zwar darauf hin, dass sich eine Bandbreite von Werten dann ergeben könne, wenn für die Bestimmung des Verrechnungspreises für einen Geschäftsvorfall mehr als eine Verrechnungspreismethode angewendet wird. Richtigerweise entstehen in diesen Fall jedoch – regelmäßig – mehrere methodenspezifische Bandbreiten. Nach dem Rangfolgekonzept der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“5 kommt die Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden nebeneinander nur dann in Betracht, wenn sie nach der Vergleichbarkeitsanalyse und der Informationsverfügbarkeit gleich zuverlässig anwendbar sind. Hierbei gehen die OECD-Leitlinien bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit einer geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethode und einer Standardmethode von einem Vorrang der Standardmethoden und bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode neben jeder anderen Verrechnungspreismethode vom Vorrang der Preisvergleichs-
1 Vgl. Tz. 2.12 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 2.12 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. zu Advance Pricing Agreements Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 13.50 ff.; Liebchen in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 OECD-MA Rz. 506 ff. 4 So wohl im Ergebnis auch Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Tz. 2.11 Rz. 39. 5 Tz. 2.2 OECD-Leitlinien 2022.
398 | Baumhoff/Liebchen
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden | Rz. 5.144 Kap. 5
methode aus (Rz. 5.140).1 Im Zusammenhang mit Fremdvergleichsbandbreiten formulieren die OECD-Leitlinien als Anforderung an das Anwenden mehrerer Verrechnungspreismethoden, dass die betreffenden Methoden „einen ähnlichen Grad an Vergleichbarkeit“ liefern müssen.2 Dies sollte inhaltlich keinen Widerspruch zu den Anforderungen der gleichen Eignung und der gleich zuverlässigen Anwendbarkeit darstellen. Auch wenn methodenspezifische Bandbreiten regelmäßig voneinander abweichen werden, kann nach Auffassung der OECD jede einzelne Bandbreite für sich genommen für die Bestimmung einer fremdvergleichskonformen Bandbreite und damit letztlich für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises genutzt werden.3 Methodenwahl als Gegenstand der Vergleichbarkeitsanalyse. Die Prüfung der in Rz. 5.143 genannten Kriterien basiert auf einer umfangreichen Vergleichbarkeitsanalyse, die an die Funktions- und Risikoanalyse anknüpft (vgl. Rz. 4.4 ff. und 3.43 ff.). In der beispielhaften Darstellung eines „typischen Verfahrens“ für die Vergleichbarkeitsanalyse in Tz. 3.4 ff. OECDLeitlinien ist die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode in mehreren Schritten angesprochen (Rz. 3.22 ff.).4 So wird im Schritt 4 herausgestellt, dass das Verständnis des untersuchten konzerninternen Geschäftsvorfalls auf der Grundlage der Funktions- und Risikoanalyse für Zwecke der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode erforderlich ist. Im Schritt 6 wird die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode nach der Evaluation etwaiger interner und/oder externer Vergleichswerte (Schritte 4 und 5) und vor der Identifizierung potenzieller Vergleichswerte (Schritt 7) angesiedelt. Die bestehenden Zusammenhänge werden in Tz. 3.2 OECD-Leitlinien ausdrücklich herausgestellt, wonach die Auswahl und Anwendung der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse stets die Identifizierung der verlässlichsten Vergleichswerte bezweckt.5 Nach dem Verständnis der OECD-Leitlinien bezieht sich die Vergleichbarkeit auf die konkrete Verrechnungspreismethode. So heißt es in Tz. 3.47 OECD-Leitlinien „Vergleichbar sein heißt (...) dass keiner der Unterschiede (soweit vorhanden) zwischen den im Rahmen der Methode verglichenen Gegebenheiten die untersuchten Bedingungen beeinflussen kann oder dass hinreichende Anpassungen erfolgen können, um die Auswirkungen dieser Unterschiede anzupassen.“6 Dementsprechend wird die Vergleichbarkeit nur von den Unterschieden in den verglichenen Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren beeinträchtigt, die einen (wesentlichen) Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben.7 Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass die Analyse von etwaigen Vergleichswerten im Rahmen eines innerbetrieblichen Fremdvergleichs („interne Vergleichswerte“) im Schritt 4 der Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode vorgelagert ist. Offenkundig gehen die OECD-Leitlinien wie selbstverständlich von der Anwendung eines inneren Preisvergleichs aus, in dessen Rahmen etwaige betriebsindividuelle Vergleichspreise ggf. identifiziert werden können. Richtigerweise können allerdings auch Handelsspannen im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode und Gewinnaufschläge im Rahmen der
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.58 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.58 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.4 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.2 OECD-Leitlinien 2022. Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. auch Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022. Siehe auch § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG u. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 79.
Baumhoff/Liebchen | 399
5.144
Kap. 5 Rz. 5.144 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Kostenaufschlagsmethode durch inneren Betriebsvergleich abgeleitet werden (vgl. Rz. 5.20 und 5.69). Insofern ist die Identifizierung interner wie externer Vergleichswerte von der konkreten Verrechnungspreismethode abhängig. Die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode sollte vor diesem Hintergrund auch der Identifizierung interner Vergleichswerte vorgelagert sein.1 Entsprechend problematisch ist, dass die OECD-Leitlinien die Bestimmung verfügbarer Informationsquellen über externe Vergleichswerte (Schritt 5) und die Identifikation der signifikanten Vergleichbarkeitsfaktoren (Schritt 3) vor die Auswahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode stellen. Richtigerweise bestimmen nur die Geschäftsbedingungen und sonstigen Vergleichbarkeitsfaktoren die Vergleichbarkeit, die einen wesentlichen Einfluss auf das Vergleichsobjekt der konkreten Verrechnungspreismethode haben. Die Anforderungen an die erforderlichen Informationen unterscheiden sich dementsprechend in Abhängigkeit von der konkreten Verrechnungspreismethode. Auch vor diesem Hintergrund sollte die Auswahl einer konkreten Verrechnungspreismethode vorrangig sein. Die OECD-Leitlinien gehen nach Tz. 3.5 davon aus, dass der Prozess nicht linear abläuft, sondern einzelne Verfahrensschritte ggf. mehrfach durchgeführt werden müssen, bis ein befriedigendes Ergebnis erzielt wird, wobei insbesondere die Verfahrensschritte 5–7 (Bestimmung verfügbarer Informationsquellen; Identifizierung potenzieller Vergleichswerte; Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen) angesprochen werden.2
5.145
Finanzmathematische Bewertungsverfahren und Verrechnungspreismethoden. Die OECD/G20 äußerten sich in den Abschlussberichten zu den Maßnahmen Nr. 8–10 des BEPSProjekts v. 5.10.2015 im Zusammenhang mit der Bestimmung von Fremdvergleichspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter erstmals umfassend zur Nutzung finanzmathematischer Bewertungsverfahren für die Ableitung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise.3 Diesen lagen die Vorarbeiten der OECD im Zusammenhang mit der Überarbeitung des Kapitels VI der OECD-Leitlinien zugrunde.4 Diese Ergebnisse haben in Tz. 2.175 und Tz. 6.153 ff. Eingang in die OECD-Leitlinien gefunden. Demnach können in Fällen, in denen verlässliche Vergleichspreise im Rahmen der Preisvergleichsmethode nicht festgestellt werden können, die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode sowie anerkannte finanzmathematische Bewertungsverfahren zur Ableitung von Fremdvergleichspreisen herangezogen werden.5 Hierbei gehen die OECD-Leitlinien davon aus, dass Bewertungsverfahren sowohl als Bestandteil einer der Standardmethoden (Rz. 5.5 ff.) und der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden (Rz. 5.92 ff. und Rz. 5.123 ff.) als auch selbstständig angewendet werden können („as a tool that can usefully applied in identfying the arm’s length price“).6 Insofern stellen auch nach den
1 Vgl. auch Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 21. 2 Vgl. Tz. 3.5 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 6.153 ff. OECD-Leitlinien 2022. 4 OECD, überarbeiteter Diskussionsentwurf v. 30.7.2013, „Revised Discussion Draft on Transfer Pricing aspects on Intangibles“, abrufbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/reviseddiscussion-draft-intangibles.pdf. Zur vorhergehenden Entwurfsfassung vgl. OECD, Diskussionsentwurf v. 6.6.2012, „Revision of the special considerations for intangibles in chapter VI of the OECD Transfer Pricing Guidelines and related provisions, abrufbar unter: http://www.oecd.org/ ctp/transfer-pricing/50526258.pdf. 5 Vgl. Tz. 6.148 ff. und 6.153 ff. OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 6.153 OECD-Leitlinien 2022.
400 | Baumhoff/Liebchen
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden | Rz. 5.146 Kap. 5
Empfehlungen der OECD-Leitlinien Bewertungsmethoden keine eigenständige(n) Methode (n) zur Verrechnungspreisbestimmung dar; sie sind insbesondere keine eigenständigen Verrechnungspreismethoden.1 Die VWG VP erwähnen den Rückgriff auf ökonomisch anerkannte Bewertungsmethoden demgegenüber nur im Zusammenhang mit der Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs, nicht hingegen im Zusammenhang mit der Anwendung von Verrechnungspreismethoden.2
II. Regelungen des § 1 AStG 1. § 1 AStG i.d.F. des UntStRefG 2008 Kein abschließendes Rangfolgeverhältnis. Ein Rangfolgeverhältnis der Verrechnungspreismethoden ist im innerstaatlichen Recht gesetzlich nicht (abschließend) geregelt. Der Wortlaut des letztmals für den VZ 20213 anzuwendenden § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F.4 könnte zwar implizieren, der Gesetzgeber hätte zum einen den Vorrang der Standardmethoden grundsätzlich geregelt und diese zum anderen gleichberechtigt nebeneinandergestellt. Einer näheren Überprüfung hält diese Vermutung allerdings nicht stand. Denn § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F. hat kein gesetzliches Stufenverhältnis zwischen den Standardmethoden aufgestellt, sondern den uneingeschränkten Vorrang des tatsächlichen Fremdvergleichs vor dem hypothetischen Fremdvergleich geregelt. Hierzu hatte sich der Gesetzgeber eines Stufenverhältnisses bedient, das sich grafisch wie folgt darstellen lässt:5
Stufe 1
tatsächlicher Fremdvergleich uneingeschränkt vergleichbare Werte
Stufe 2
tatsächlicher Fremdvergleich eingeschränkt vergleichbare Werte
Stufe 3
hypothetischer Fremdvergleich Ermittlung eines (hypothetischen) Einigungsbereichs
Auf der 1. Stufe sollte stets ein tatsächlicher Fremdvergleich durchgeführt werden. Die Anwendung der 1. Stufe setzte allerdings uneingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte voraus. Scheiterte die Anwendung der 1. Stufe an dieser Voraussetzung, so sollte auf der 2. Stufe ein tatsächlicher Fremdvergleich auf der Basis eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte durchgeführt werden. Waren auch keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte feststellbar, so sollte auf der 3. Stufe ein hypothetischer Fremdvergleich durchgeführt werden, für den ein hypothetischer Einigungsbereich zu ermitteln war.
1 So zutreffend Maier in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. VI Rz. 796. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.13-3.16. 3 Vgl. § 21 Abs. 25 AStG i.d.F. des AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 4 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (UntStRefG 2008) v. 14.8.2007, BStBl. I 2007, 1912. 5 Vgl. hierzu Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1462).
Baumhoff/Liebchen | 401
5.146
Kap. 5 Rz. 5.147 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
2. § 1 AStG i.d.F. des AbzStEntModG 5.147
Übernahme des OECD- Ansatzes der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“. Nach § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG1 ist der Fremdvergleichspreis grundsätzlich nach der im Hinblick auf die Vergleichbarkeitsanalyse und die Verfügbarkeit von Werten zu vergleichbaren Geschäftsvorfällen voneinander unabhängiger Dritter am besten geeigneten Verrechnungspreismethode zu bestimmen. Hierdurch wird der OECD-Ansatz der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ für die Auswahl der anzuwendenden Verrechnungspreismethode in das innerstaatliche Recht übernommen. Die bisher jedenfalls in Fällen der eingeschränkten Vergleichbarkeit nach dem Gesetzeswortlaut § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG a.F. weitergehende Fassung, dass „jede geeignete Verrechnungspreismethode“ der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde gelegt werden konnte und damit geeignete Verrechnungspreismethoden gleichrangig nebeneinander anwendbar waren, wird nunmehr auf den OECD-Ansatz zurückgeführt. In der Praxis war dieser Unterschied nicht von Bedeutung, da auch nach dem OECD-Ansatz für die Feststellung der Besteignung einer bestimmten Verrechnungspreismethode der Steuerpflichtige ausdrücklich nicht gehalten ist, jede infrage kommende Verrechnungspreismethode eingehend zu analysieren oder für die Auswahl der am besten geeigneten Methode zu testen.2
5.148
Kriterien für das Auswahlverfahren. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll das Auswahlverfahren für die Feststellung der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode – unter entsprechender Bezugnahme auf Tz. 2.2. OECD-Leitlinien3 – den Vor- und Nachteilen der anerkannten Verrechnungspreismethoden, der Angemessenheit der herangezogenen Methode angesichts der Art des konzerninternen Geschäftsvorfalls, die im Einzelnen durch eine Funktionsanalyse bestimmt wird, der Verfügbarkeit zuverlässiger Informationen (insbesondere zu vergleichbaren Fremdgeschäftsvorfällen), die zur Anwendung der ausgewählten Methode und/oder Methoden notwendig sind, sowie dem Grad der Vergleichbarkeit von konzerninternen Geschäftsvorfällen und Fremdgeschäftsvorfällen Rechnung tragen.4 Dies schließt die Zuverlässigkeit der Anpassungen, die zur Herstellung der Vergleichbarkeit erforderlich sein können, um erhebliche Unterschiede zu beseitigen, mit ein. Die Gesetzesbegründung verweist darüber hinaus nicht auf Tz. 2.8 OECD-Leitlinien, wonach der Steuerpflichtige ausdrücklich nicht gehalten ist, jede infrage kommende Verrechnungspreismethode eingehend zu analysieren oder für die Auswahl der am besten geeigneten Methode zu testen.5 Dessen ungeachtet, enthält weder der Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG eine entsprechende Verpflichtung, noch lässt sich der Gesetzesbegründung ein hierauf gerichteter Wille des Gesetzgebers entnehmen. Insofern ist davon auszugehen, dass auch in dieser Hinsicht umfassend auf den OECD-Ansatz Bezug genommen wird. Dies bestätigt auch die Verwaltungsauffassung in Rz. 45 der VWG 2020, wobei zu berücksichtigen ist, dass die VWG erlassen wurden, bevor der OECD-Ansatz der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ für die Auswahl der anzuwendenden Verrechnungspreismethode im innerstaatliche Recht geregelt wurde, und dies erst für VZ ab 2022. Hiernach ist der Steuerpflichtige verpflichtet aufzuzeichnen, weshalb er die von ihm jeweils angewandte Verrechnungspreismethode für die am besten geeignete Methode hält; zu einer Verprobung seiner Ergebnisse nach anderen Methoden ist der Steuerpflichtige hingegen nicht verpflichtet. 1 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abszugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 2 Tz. 2.8 OECD-Leitlinien 2022. 3 Tz. 2.2 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 78. 5 Tz. 2.8 OECD-Leitlinien 2022.
402 | Baumhoff/Liebchen
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden | Rz. 5.150 Kap. 5
Methodenvorrang bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit mehrerer Methoden. Nach dem Konzept der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ kommt die Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden nebeneinander nur dann in Betracht, wenn sie nach der Vergleichbarkeitsanalyse und der Informationsverfügbarkeit gleich zuverlässig anwendbar sind. Für diesen Fall ist gesetzlich nicht geregelt, ob eine bestimmte Verrechnungspreismethode vorrangig anzuwenden sein soll. Allerdings bezieht sich die Gesetzesbegrünung umfänglich auf Tz. 2.3 der OECD-Leitlinien, und zwar darauf, dass (i) die geschäftsvorfallbezogenen Standardmethoden als Methoden gelten, mit denen sich am unmittelbarsten feststellen lässt, ob die kaufmännischen und finanziellen Beziehungen zwischen verbundenen Unternehmen fremdvergleichskonform sind, und dass (ii) in Situationen, in denen die Preisvergleichsmethode und einer andere Verrechnungspreismethode gleich zuverlässig Anwendung finden können, die Preisvergleichsmethode vorzuziehen ist.1 Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber das Auswahlkonzept der OECD-Leitlinien umfassend in das innerstaatliche Recht übernehmen wollte. Bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit einer geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethode und einer Standardmethode hat deshalb stets die Standardmethode Vorrang; bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode neben jeder anderen Verrechnungspreismethode hat stets die Preisvergleichsmethode Vorrang (vgl. Rz. 5.143).2 Dies ist neben der vom Steuerpflichtigen zu treffenden Auswahl der von ihm anzuwendenden Verrechnungspreismethode insbesondere deshalb von Bedeutung, weil die Finanzverwaltung in Rz. 46 der VWG 2020 für sich in Anspruch nimmt, die „richtige Verrechnungspreismethode“ selbst auszuwählen, und zwar diejenige, die sich als geeignetste Methode erweist. Hiernach kämen, jedenfalls nach Verwaltungsauffassung, Einkünftekorrekturen in Betracht, wenn die Finanzbehörde bei ihrer Prüfung eine andere Methode als der Steuerpflichtige verwendet und wenn die Ergebnisse der Alternativmethode wahrscheinlicher sind.3
5.149
Hypothetischer Fremdvergleich bei nicht feststellbaren (methodenspezifischen) Vergleichswerten. Nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG ist für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises ein hypothetischer Fremdvergleich unter Beachtung von § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG aus Sicht des Leistenden und des jeweiligen Leistungsempfängers anhand ökonomisch anerkannter Bewertungsmethoden durchzuführen, wenn keine Vergleichswerte festgestellt werden können. Mithin kommt die Verrechnungspreisbestimmung mittels Durchführung eines hypothetischen Fremdvergleichs erst nachrangig dann in Betracht, wenn nach keiner geeigneten Verrechnungspreismethode zuverlässige Vergleichswerte bestimmt werden können.4 In folgenden Fällen geht die deutsche Finanzverwaltung von einer Verrechnungspreisbestimmung mittels hypothetischen Fremdvergleichs aus:
5.150
– wenn immaterielle Werte oder Rechte Gegenstand eines Geschäftsvorfalls sind, – wenn Verrechnungspreise i.R. einer Funktionsverlagerung zu bestimmen sind, – wenn bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode keine Vergleichswerte für die Ermittlung von Werten bestimmt werden können.5
1 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 79. 2 Siehe zum Vorrang der Preisvergleichsmethode als „Grundmethode zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise“ auch BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 3 Vgl. VWG 2020, Rz. 46. 4 VWG VP 2021, Rz. 3.12 Satz 1. 5 VWG VP 2021, Rz. 3.12 Satz 2.
Baumhoff/Liebchen | 403
Kap. 5 Rz. 5.150 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Diese nachrangige Anwendung unterscheidet sich grundsätzlich nicht von dem bisher in § 1 Abs. 3 AStG a.F. angelegten Stufenverhältnis (Rz. 5.146). Ebenso bestehen keine Unterschiede dahingehend, dass der in § 1 Abs. 3 Satz 7 und Abs. 3a Satz 5 AStG konkret gesetzlich geregelte hypothetische Fremdvergleich nicht jede Bestimmung von Soll-Vergleichstatbeständen durch „ökonomisches Nachdenken“1 erfasst, sondern nur eine solche, die bezogen auf den Leistenden und den Leistungsempfänger durch Anwendung ökonomisch anerkannter Bewertungsverfahren erfolgt. Zwar ist der hypothetische Fremdvergleich von seiner Grundkonzeption ein Denkmodell, bei dem gemessen am Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auf Seiten des leistungserbringenden wie auf Seiten des leistungsempfangenden Unternehmens (doppelter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, Rz. 3.145 ff.) Soll-Vergleichstatbestände für beide Kontrahenten durch Nachdenken ermittelt werden und ein Preisbildungsprozess simuliert wird (Rz. 3.134 ff.).2 Nach welchen Grundsätzen die Preisgrenzen als Soll-Vergleichstatbestände konkret zu bestimmen sind, ist gesetzlich jedoch lediglich für den hypothetischen Fremdvergleich in Gestalt der sog. Einigungsbereichsbetrachtung geregelt (ausdrücklich nur noch in § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG). Jede andere Bestimmung von Soll-Vergleichstatbeständen für einen Soll-Ist-Vergleich mag zwar konzeptionell einen hypothetischen Fremdvergleich darstellen. Es ist jedoch kein hypothetischer Fremdvergleich im Sinne der gesetzlichen Regelungen in § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG. Die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden – geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (Rz. 5.92 ff.) und geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split-Method, Rz. 5.123 ff.) – basiert vor diesem Hintergrund nicht auf dem gesetzlich geregelten hypothetischen Fremdvergleich i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG.3 Eine andere Frage ist, ob die Anwendung finanzmathematischer Bewertungsverfahren im Rahmen einer zweiseitigen Bewertung letztlich für sich genommen eine Verrechnungspreismethode darstellt. Die Überlegungen der OECD im Zusammenhang mit der Bestimmung von Fremdvergleichspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter gehen jedenfalls in diese Richtung (Rz. 5.145). Im innerstaatlichen Recht ist die Verrechnungspreisbestimmung auf der Grundlage ökonomisch anerkannter Bewertungsmethoden i.R. eines hypothetischen Fremdvergleichs hingegen nicht als Bestandteil der Anwendung einer konkreten Verrechnungspreismethode konzipiert. Die Finanzverwaltung stellt Bewertungstechniken im Zusammenhang mit der Verrechnungspreisbestimmung ausschließlich in den Kontext des hypothetischen Fremdvergleichs.4
III. Rechtsprechung des BFH 5.151
Kein Rangverhältnis. Nach der Rechtsprechung des BFH, die allerdings vor der gesetzlichen Einführung des Stufenverhältnisses in § 1 Abs. 3 AStG und der Übernahme des OECD- Ansatz der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ ergangen und auf ein Rangfolgeverhältnis innerhalb der Standardmethoden beschränkt ist, war die Methode heranzuziehen, „mit der der Fremdvergleichspreis im konkreten Einzelfall mit der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit seiner 1 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 79. 2 Vgl. grundlegend Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 109 ff. Siehe auch Wassermeyer in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 126; Wassermeyer, DB 1994, 1107; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 128. 3 VWG VP 2021, Rz. 3.12 Satz 2 Buchst. c. 4 VWG VP 2021, Rz. 3.12 ff., wobei Abschn. B des Kap. III der VWG VP mit „Verrechnungspreismethoden und Bewertungstechniken“ überschrieben ist, ohne dass diese im Zusammenhang mit Verrechnungspreismethoden erörtert würden.
404 | Baumhoff/Liebchen
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden | Rz. 5.151 Kap. 5
Richtigkeit ermittelt werden kann“.1 Die Rechtsprechung des BFH weist insofern ein gewisse Nähe zu dem nunmehr gesetzlich geregelten OECD-Ansatz der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ auf, als – jedenfalls für die Auswahl einer Standardmethode – „die im Einzelfall zur Überprüfung des tatsächlich vereinbarten Verrechnungspreises geeignetste Methode zu bestimmen“ ist.2 Mit der h.M.3 hat der BFH die Standardmethoden als vorrangig und im Grundsatz als gleichberechtigt nebeneinander anwendbar angesehen.4 Dem BFH-Urt. v. 6.4.20055 kann ferner entnommen werden, dass der BFH der Anwendung der Preisvergleichsmethode einen gewissen Vorrang vor der Anwendung der anderen Standardmethoden einräumen will. Diese Rspr. hat der BFH mit seinem Urteil v. 18.5.2021 bestätigt und die Preisvergleichsmethode als „Grundmethode zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise“ eingeordnet.6 In einem weiteren Urteil vom selben Tag hat der BFH (i) auf diese Rspr. Bezug genommen und (ii) Konkretisierungen zu der Frage vorgenommen, welcher konkrete Markt den zutreffenden Maßstab für die Feststellung von Vergleichspreisen darstellt sowie (iii) festgestellt, dass erforderliche Anpassungen von Vergleichspreisen (Im Urteilssachverhalt eines Zinszuschlags zur Kompensation eines höheren Ausfallrisikos unbesicherter Nachrangdarlehen) auf ebendiesem maßgeblichen Markt zu bestimmen sind.7 Auf letztere Grundsätze nimmt der BFH auch in seinem Urteil v. 9.6.2021 Bezug.8 Der Vorrang der Preisvergleichsmethode ist bei Vorliegen der methodenspezifischen Voraussetzungen auch sachgerecht und entspricht dem in § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG geregelten Konzept der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ jedenfalls dann, wenn neben jeder anderen Verrechnungspreismethode die Preisvergleichsmethode gleich zuverlässig anwendbar ist (vgl. Rz. 5.140 u. Rz. 5.149). Da die Preisvergleichsmethode als einzige Verrechnungspreismethode auf marktentstandene, d.h. direkt am Markt beobachtbare Preise für uneingeschränkt, jedenfalls aber eingeschränkt vergleichbare Referenztransaktionen abstellt, basiert sie auf einem tatsächlichen Fremdvergleich und stellt gewissermaßen auch dessen „Urbild“ dar. Der BFH verlangte allerdings für die Anwendung der Preisvergleichsmethode, dass die Preise „auf zumindest im Wesentlichen identischen Leistungsbeziehungen beruhen“9, was den Anwendungsbereich der Preisvergleichsmethode erheblich einschränkt. Mit der Forderung nach einer Identität der Leistungsbeziehungen werden jedoch zu hohe Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Verhältnisse gestellt. Vergleichbarkeit bedeutet nämlich keine Identität, also Deckungsgleichheit der Verhältnisse. Vielmehr ist Vergleichbarkeit bereits dann gegeben, wenn die Vergleichsobjekte ähnlich mit Bezug auf ihre wesentlichen Merkmale sind. Auch § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG fordert im Hinblick auf Vergleichbarkeitsanpassungen ebenso wie die Finanzverwaltung keine uneingeschränkte Vergleichbarkeit oder Identität. Vielmehr bedeutet 1 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. Siehe auch BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 2 BFH v. 18.8.1960 – IV 299/58 U, BStBl. III 1960, 451; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1551. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 592. 6 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 7 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = DB 2021, 2604 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger. 8 Vgl. BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, BFHE 273, 475 = DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22 m. Anm. Köhler und Anm. Schwenke. 9 BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030.
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Kap. 5 Rz. 5.151 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
vergleichbar sein, „dass keiner der Unterschiede (sofern vorhanden) zwischen den im Rahmen der Methode verglichenen Gegebenheiten die untersuchten Bedingungen beeinflussen kann, oder dass hinreichend genaue Anpassungen erfolgen können, um die Auswirkung dieser Unterschiede auszuschließen.1 Hierbei geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass es sich „um eventuell zwischen den Geschäftsvorfällen bestehende erhebliche Unterschiede“ handeln muss.2
Mit Urteil vom 18.5.2021 hat der BFH die Preisvergleichsmethode als „Grundmethode zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise“ allerdings gestärkt und eine zumindest eingeschränkte Vergleichbarkeit der Preise des in Rede stehenden Geschäfts und des Vergleichsgeschäfts für die Anwendung der Preisvergleichsmethode als hinreichend angesehen, wenn Unterschiede in der Vergleichbarkeit im Rahmen einer Schätzung quantifiziert und durch Anpassungsrechnungen eliminiert werden können.3 Dessen ungeachtet, sollte die strenge Anforderung an die Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode, dass im Wesentlichen identische Leistungsbeziehungen gegeben sein müssen, noch der Rechtsauffassung des BFH entsprechen.4
IV. Auffassung der Finanzverwaltung 1. Vorbemerkung 5.152
Neuordnung der verrechnungspreisbezogenen VWG durch VWG 2020 und VWG VP 2021. Mit den VWG 2020 vom 3.12.20205 wurden wesentliche verfahrensrechtliche Verwaltungsgrundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen in Bezug auf Mitwirkungspflichten sowie die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen und Zuschlägen, die bis dato in den VWG-Verfahren6 geregelt waren, in ein neues BMF-Schreiben ausgelagert und z.T. neu geregelt. Bestimmte Grundsätze in den VWG-Verfahren galten neben den VWG 2020 weiter.7 Mit den VWG VP vom 14.7.20218 wurden die verrechnungspreisbezogenen VWG grundlegend neu geordnet und folgende VWG und sonstigen verrechnungspreisbezogenen BMF-Schreiben – ohne Übergangsregelung – aufgehoben:9 – VWG 198310, – VWG-Verfahren11,
1 BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79; Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022. 2 BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 78. 3 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 4 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = DB 2021, 2604 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger. 5 Vgl. BMF v. 3.12.2020 – IV B 5-S 1341/19/10018:001, 2020/1174240 – VWG 2020, BStBl. II 2020, 1325, Rz. 91. 6 BMF v. 14.7.2021 – IV B 5-S 1341/19/10017:001, 2021/0770780 – VWG VP 2021, BStBl. I 2021, 1098. 7 Vgl. BMF v. 3.12.2020 – IV B 5-S 1341/19/10018:001, 2020/1174240 – VWG 2020, BStBl. II 2020, 1325 Rz. 91 betr. Tz. 1, 2, 3.4.2010.2, 3.4.2010.3, 3.4.2012.5, 3.4.2012.7, 3.4.2012.8, 3.4.2012.9, 5-7 VWG-Verfahren. 8 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 9 Vgl. BMF v. 14.7.2021 – IV B 5-S 1341/19/10017:001, 2021/0770780 – VWG VP 2021, BStBl. I 2021, 1098 Rz. 3.12 Satz 2. 10 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218. 11 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden | Rz. 5.153 Kap. 5
– BMF-Schreiben betr. „Anwendung des § 1 AStG auf Fälle von Teilwertabschreibungen und anderen Wertminderungen auf Darlehen an verbundene ausländische Unternehmen“1, – BMF-Schreiben betr. „Glossar ‚Verrechnungspreise“2, – BMF-Schreiben betr. „Namensnutzung im Konzern“3, – BMF-Schreiben betr. „Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen“4, – BMF-Schreiben betr. „Wirtschaftliche Gründe, die den Abschluss eines Geschäfts unter nicht „fremdüblichen Bedingungen“ rechtfertigen – EuGH-Urteil vom 31.5.2018 in der Rechtssache C-382/16“5, – Tz. 1 AEAStG6. Folgende verrechnungspreisbezogene BMF-Schreiben bleiben hiernach neben den VWG VP 2021 und den VWG 2020 weiterhin anwendbar: – VWG-Arbeitnehmerentsendung7, – VWG-Funktionsverlagerung8. Ferner betreffen die VWG VP die Betriebsstättengewinnaufteilung nach § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV9 nicht; die entsprechenden VWG BsGa10 und das BMF-Schreiben v. 17.12.2019 zu Betriebsstätten ohne Personalfunktionen11 gelten deshalb unverändert fort.12 Zeitlicher Anwendungsbereich. Die VWG 2020 enthalten keine Regelungen zum zeitlichen Anwendungsbereich; sie wurden am 30.12.2020 im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Soweit die Verwaltungsgrundsätze, die offensichtlich parallel zum Gesetzgebungsverfahren mit gesetzlichen Neuregelungen und Änderungen in § 1 AStG formuliert wurden, sich auf diese Änderungen durch das AbzStEntModG13 beziehen, sind sie bis zum VZ 2022 ohne Rechtsgrund1 2 3 4 5 6 7 8 9
10 11 12 13
BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004, BStBl. I 2011, 277. BMF v. 19.5.2014 – IV B 5 - S 1341/07/10006-01, BStBl. I 2014, 838. BMF v. 4.4.2017 – IV B 5 - S 1341/16/10003, BStBl. I 2017, 701. BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0:003, BStBl. I 2018, 743. BMF v. 6.12.2018 – IV B 5 - S 1341/11/10004-09, BStBl. I 2018, 1305. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 – 11/04 – AEAStG, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3 (aufgeh. durch Rz. 6.2 VWG VP 2021). BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 – S 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG FVerl, BStBl. I 2010, 774. Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Absatz 5 des Außensteuergesetzes (Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV) v. 18.10.2014, BGBl. I 2014, 1603; zuletzt geändert durch Art. 7 Absatz 21 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/2034 über die Beaufsichtigung von Wertpapierinstituten v. 12.5.2021, BGBl. I 2021, 990. BMF v. 13.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571 – VWG BsGa, BStBl. I 2017, 182. BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/19/10010-03 – DOK 2019/1018207, BStBl. I 2020, 84. Vgl. auch VWG VP 2021, Rz. 1.2. Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abszugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259.
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5.153
Kap. 5 Rz. 5.153 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
lage.1 Dies betrifft insb. auch die Methodenanwendung und -auswahl nach der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“. Die VWG VP sind auf alle offenen Fälle anzuwenden.2 Die Finanzverwaltung meint dies damit begründen zu können, dass (i) in die Rspr. des BFH die Annahme „hineininterpretiert“ wird,3 dass für Zwecke der Auslegung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden Regelungen der einzelnen deutschen DBA relevante Frage, ob diese wie jede andere abkommensrechtliche Bestimmung nach ständiger Rspr. des BFH4 statisch oder aber dynamisch auszulegen ist, für die Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes nicht entscheidungserheblich sei, und dass (ii) die Empfehlungen der OECD-Leitlinien nicht jeweils eine neue Interpretation des Art. 9 OECD-MA darstellen würden.5 Beide Hinweise gehen an der Sache vorbei. Seit dem UntStRefG 20086 hat der Gesetzgeber diverse innerstaatliche Konkretisierungen des Fremdvergleichsgrundsatzes in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG und § 1 Abs. 3 AStG a.F. geregelt und diese gesetzlichen Regelungen i.R. des AbzStEntModG7 in § 1 Abs. 3 AStG und § 1a AStG z.T. neu gefasst und geändert. Der Steueranspruch (§ 38 AO) bestimmt sich jeweils nach diesen gesetzlichen Regelungen. Im Hinblick auf die erst mit dem durch das AbzStEntModG8 eingeführten und geänderten Regelungen fehlt der hierauf gerichteten Verwaltungsauffassung für VZ vor 20229 eine Rechtsgrundlage. Soweit in den Gesetzgebungsverfahren zum ATADUmsG10 und zum AbzStEntModG11 insb. die deutsch-steuerlichen Verrechnungspreisgrundsätze zu Finanztransaktionen nicht durchgesetzt werden konnten und offensichtlich der Gesetzgeber weder ein dem Kap. X der OECD-Leitlinien entsprechendes noch ein deutsch-steuerlich engeres Verständnis regeln wollte, sind die entsprechenden Verwaltungsgrundsätze in Rn. 3.90 ff. der VWG VP12 – auch für VZ ab 2022 – ohne Rechtsgrundlage.13 Im Übrigen sollte letztere auch im Hinblick auf die BFH-Rspr. überholt sein.14 1 Vgl. § 21 Abs. 25 AStG. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 6.3. 3 Rz. 2.3 VWG VP 2021 verweist hier auf eine dem BFH-Urteil v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171, zugrunde gelegte Annahme. 4 Vgl. BFH v. 23.9.2008 – I R 57/07, BFH/NV 2009, 390; v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BStBl. II 2012, 106; v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760; v. 16.1.2014 – I R 30/12, BStBl. II 2014, 721; v. 15.4.2015 – I R 73/13, BFH/NV 2015, 1674; v. 10.6.2015 – I R 79/13, BStBl. II 2016, 326; v. 12.10.2016 – I R 92/12, v. 11.7.2018 – I R 44/16, BFH/NV 2019, 149; v. 8.12.2010 – I R 92/09, BStBl. II 2011, 488; v. 21.8.2015 – I R 63/13, BFH/NV 2016, 36 jeweils m.w.N. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.3. 6 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (UntStRefG 2008) v. 14.8.2007, BStBl. I 2007, 1912. 7 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abszugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 8 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abszugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 9 Vgl. § 21 Abs. 25 AStG. 10 Der in den RefE eines ATADUmsG vom 10.12.2019 und 24.3.2020 vorgeschlagene § 1a AStG, der sich ausschließlich Finanzierungsbeziehungen widmen sollte, war im Kabinettsbeschluss vom 26.3.2021 (BR-Drucks. 245/21) nicht mehr enthalten. 11 Die vom Bundesrat am 7.5.2021 angeregten § 1 Abs. 3d und 3e AStG (BR-Drucks. 245/1/21 S. 15) sind vom Bundestag nicht aufgegriffen worden. 12 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.90 ff. 13 Siehe hierzu auch Busch, DB 2021, 1909. 14 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch (hier insbesondere die Erwägungen im obiter dictum).
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden | Rz. 5.154 Kap. 5
Was den Rechtsstatus und die Bindungswirkung der OECD-Leitlinien betrifft, haben diese wie der OECD-MK weder völkerrechtlich noch für das innerstaatliche deutsche Steuerrecht einen rechtsverbindlichen Status. Insbesondere handelt es sich nicht um völkerrechtliche Verträge.1 Sie sind – wie das OECD-MA auch – vielmehr Gegenstand mehrerer Empfehlungen des Ministerrates der OECD an die Mitgliedstaaten mit der Aufforderung, die Kommentierungen bei der Auslegung von DBA zu beachten.2 Derartige Empfehlungen als Instrumente i.S.v. Art. 5 lit. b OECD-Statut sind rechtlich unverbindlich.3 Sie verpflichten die Mitgliedstaaten allenfalls zur Prüfung der empfohlenen Maßnahmen daraufhin, ob sie diese für angebracht („opportune“) erachten.4 Der völkerrechtliche Status des OECD-MK und der OECDLeitlinien kann deshalb jedenfalls nicht höher sein als derjenige der diese autorisierenden Empfehlung.5 Eine andere Frage ist, ob sich der Gesetzgeber für gesetzliche Regelungen bestimmte Empfehlungen der OECD-Leitlinien zu Eigen gemacht hat, wie dies i.R. des AbzStEntModG6 bezogen auf § 1 Abs. 3 Sätze 1–6, Abs. 3c und §1a Satz 3 AStG der Fall ist. Eine wiederum andere Frage ist, ob der BFH zur Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes tatsächlich auf konkrete Empfehlungen der OECD-Leitlinien zurückgreift, wie dies erstmals im Urteil des BFH v. 18.5.2021 erfolgt ist.7 Vertreter der Finanzverwaltung möchten hierin eine Bestätigung der Verwaltungsauffassung in Rz. 2.3 der VWG VP 2021 erblicken.8 Es ist zu bezweifeln, dass der BFH dies tatsächlich im Blick hatte. Insbesondere besteht keine rechtliche Bindungswirkung an neuere OECD-Erkenntnisse, zumal (i) nicht sämtliche Empfehlungen der OECD-Leitlinien international und allgemein anerkannte betriebswirtschaftliche Beurteilungen darstellen und (ii) der Gesetzgeber sich gerade nicht darauf beschränkt hat, sämtliche Empfehlungen der OECD-Leitlinien zu Gegenstand der innerstaatlichen Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zu machen.
2. VWG-Funktionsverlagerung Vorrangigkeit des tatsächlichen Fremdvergleichs. Weder die FVerlV noch die VWG-Funktionsverlagerung enthalten konkrete Aussagen zur Anwendung und zu einem Rangfolgeverhältnis der Verrechnungspreismethoden. Dies liegt im Wesentlichen darin begründet, dass in der ursprünglichen Fassung der Regelungen zum Transferpaket in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG i.d.F. des UntStRefG 2008 lediglich isoliert auf § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG Bezug genommen wurde, was 1 Vgl. nur Vogel, SWI 2000, 107. 2 Vgl. z.B. die Empfehlung v. 23.10.1997, C(97)195/Final; zur Autorisierung OECD-MK, Einl., Nr. 36.1. 3 Ward et al., The Interpretation of Income Tax Treaties with Particular Reference tot he Commentaries on the OECD-Model, Ontario/Amsterdam 2005, S. 7 sprechen von „moral force“; Vetter in Lahodny-Karner ed al., Die neuen Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, Wien 1996, S. 18 von einer Form der „Hoffnung auf allgemeine Anerkennung“; Engelen, Interpretation of Tax Treaties under International Law, Amsterdam 2004, S. 453 von „some kind of international ‚soft‛ law“. 4 Art. 18 Buchst. b OECD-Verfahrensordnung. 5 Vgl. Vogel, BIFD 2000, 613. 6 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abszugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 7 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 Rz. 35, 39, 43 f., 52 u. 57 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 8 Vgl. Saliger, ISR 2022, 31 („Demnach handelt es sich bei der Prüfung von Verrechnungspreisen im Lichte neuerer OECD-Erkenntnisse nicht um eine Frage von dynamischer oder statischer Abkommensauslegung, sondern vielmehr um die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes anhand international und allgemein anerkannter betriebswirtschaftlicher Beurteilungen.“).
Baumhoff/Liebchen | 409
5.154
Kap. 5 Rz. 5.154 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
die Anwendung nur des hypothetischen Fremdvergleichs implizierte. Richtigerweise ist die Verrechnungspreisbestimmung für Transferpakete im Rahmen von Funktionsverlagerungen an dieselben Grundsätze verwiesen, wie sie für „normale“ Transaktionsgegenstände vorgegeben sind. Dies ist bis einschließlich dem VZ 2021 das Stufenverhältnis zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich, das § 1 Abs. 3 Sätze 1–5 AStG a.F. vorgibt (Rz. 5.146). Insofern setzte § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG i.d.F. des EU-Vorgaben-Gesetzes1 tatbestandlich zutreffend den eröffneten Anwendungsbereich des hypothetischen Fremdvergleichs voraus, „weil für das Transferpaket als Ganzes keine zumindest eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte vorliegen.“ Diese Tatsache wurde bereits durch § 2 Abs. 1 Satz 1 FVerlV ausdrücklich bestätigt. Durch das AbzStEntModG2 und die Neufassung der Regelungen zu Funktionsverlagerungen in § 1 Abs. 3b AStG für VZ ab 20223 ergeben sich in dieser Hinsicht keine Änderungen. Gemäß § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG ist der hypothetische Fremdvergleich i.S. des § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG nur anzuwenden, „weil für die Verlagerung der Funktion als Ganzes (Transferpaket) keine Vergleichsdaten festgestellt werden können“.
5.155
Unzulässige Einschränkung auf die Standardmethoden. Die VWG-Funktionsverlagerung beschränken den Vorrang des tatsächlichen Fremdvergleichs vor dem hypothetischen Fremdvergleich unzulässigerweise auf die Anwendung der Standardmethoden, indem sie ihre Auffassung unter die Überschrift „Standardmethoden zur Bestimmung des Verrechnungspreises“ stellen. Sie beziehen sich richtigerweise auch auf § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG a.F. und damit auf die 2. Stufe des Rangfolgeverhältnisses zwischen tatsächlichem und hypothetischem Fremdvergleich.4 Für die Verrechnungspreisbestimmung mittels eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte konnte jedoch jede geeignete Verrechnungspreismethode angewendet werden, ohne dass zwischen mehreren geeigneten Verrechnungspreismethoden ein Vorrangverhältnis geregelt war. Vielmehr standen nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG a.F. mehrere geeignete Verrechnungspreismethoden gleichrangig nebeneinander. Nichts anderes ergibt sich im Hinblick auf den Vorrang der geschäftsvorfallbezogenen Standardmethoden und der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden vor dem hypothetischen Fremdvergleich aus der gesetzlichen Neuregelung in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG, nach der stets die am besten geeignete Verrechnungspreismethode auszuwählen ist.
5.156
Abgeltung von Routinefunktionen nach der Kostenaufschlagsmethode? § 2 Abs. 2 FVerlV enthält eine speziell auf Routineunternehmen zugeschnittene Regelung, die unter bestimmten Voraussetzungen zu der gesetzlichen Vermutung führt, dass mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden und deshalb der Anwendungsbereich der Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Alt. 1 AStG a.F. eröffnet ist. Diese gesetzliche Vermutung besteht auch nach § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG unverändert fort (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 7.125 ff.). Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV ist allerdings u.a. darauf beschränkt, dass für die Verrechnungspreisermittlung die Kostenaufschlagsmethode zur Anwendung kommt. Die VWG-Funktionsverlagerung dehnen den Anwendungsbereich auf die zulässigerweise zur Anwendung kommende kostenbasierte, geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und die Vergütung mittels einer das 1 Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften v. 8.4.2010, BGBl. I 2010, 386. 2 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abszugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 3 § 21 Abs. 25 AStG. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 61.
410 | Baumhoff/Liebchen
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden | Rz. 5.157 Kap. 5
niedrigere Risiko berücksichtigenden Provision aus.1 Voraussetzung ist neben der exklusiven Funktionsausübung, dass diese Verrechnungspreisermittlung zu vergleichbaren Ergebnissen führt. Die Festlegung auf bestimmte Verrechnungspreismethoden wirft die Frage nach der Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Regelungen in § 1 Abs. 3 AStG auf, d.h. bis VZ 2021 mit dem in § 1 Abs. 3 Sätze 1-5 AStG a.F. angelegten Stufenverhältnis und ab VZ 2022 mit dem in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG geregelten Konzept für die Methodenanwendung und -auswahl, nach dem die am besten geeignete Verrechnungspreismethode anzuwenden ist. Der Verordnungsgeber ging in der Verordnungsbegründung zu § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV unter Hinweis auf Tz. 3.4.10.2 Buchst. a der VWG-Verfahren demgegenüber offenkundig („ist vor allem anzuwenden“) von einer zwingenden Anwendung der Kostenaufschlagsmethode auf die Abgeltung der Ausübung von Routinefunktionen aus.2 Dies entspricht jedoch weder der Rechtslage vor Einführung des Rangfolgeverhältnisses in § 1 Abs. 3 AStG a.F. auf Grundlage der Rechtsprechung des BFH (Rz. 5.151). Noch viel weniger lässt sich ein solcher Vorrang § 1 Abs. 3 AStG entnehmen (Rz. 5.146 und 5.147 ff.). Insofern ist jedenfalls und vor allem die Preisvergleichsmethode in Betracht zu ziehen, wenn mittels eines inneren (Rz. 5.8 ff.) oder äußeren Preisvergleichs (Rz. 5.11 f.) uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte identifiziert werden können. Sie ist m.E. zwingend vom Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV erfasst.3 Gleiches gilt i.Ü. für die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode unter Anwendung eines kostenbasierten Nettogewinnindikators.4 Insofern kann § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV und der Verordnungsbegründung nicht entnommen werden, dass die Verrechnungspreisbestimmung für Routinefunktionen zwingend nach der Kostenaufschlagsmethode zu erfolgen habe. Gleiches gilt für die Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung im Hinblick auf die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode, die zudem darauf beschränkt ist, dass diese Verrechnungspreismethode „zulässigerweise“ angewendet wird, was die Beurteilung der „Zulässigkeit“ impliziert, die nunmehr allerdings nach der geänderten Verwaltungsauffassung in Rz. 3.9–3.11 VWG VP5 und den entsprechenden Empfehlungen in den OECD-Leitlinien zu beurteilen ist (vgl. Rz. 5.159 f.). Richtigerweise ist die Verrechnungspreisbestimmung für die Ausübung von Routinefunktionen jedenfalls dann jeder geeigneten Verrechnungspreismethode zugänglich und die am besten geeignete Verrechnungspreismethode anzuwenden, wenn zuverlässig methodenspezifische Vergleichswerte bestimmt werden können.
3. VWG 2020 Auswahl der „richtigen“ Verrechnungspreismethode. Die VWG 2020 regeln zwar grundsätzlich Verwaltungsanweisungen für Zwecke der Einkunftsabgrenzung nur in Bezug auf Mitwirkungspflichten sowie die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen und Zuschlägen. Sie enthalten jedoch auch eine durchaus beachtliche Verwaltungsauffassung zur Methodenauswahl durch die Finanzbehörde, und zwar außerhalb der Plausibilisierung der nach einer Verrechnungspreismethode bestimmten Ergebnisse durch die Anwendung einer anderen Verrechnungspreismethode (vgl. hierzu Rz. 5.172). Nach Rz. 45 der VWG 2020 soll der Steuerpflichti-
1 2 3 4 5
Vgl. VWG FVerl, Rz. 67. Vgl. BR-Drucks. 352/08 v. 23.5.2008, 16. Gl.A. im Ergebnis Ditz/Just, DB 2009, 142. Vgl. Tz. 2.82 u. 2.98 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9-3.11 und Anlage 1, Tz. 2.62 ff., insb. 2.74 ff. OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 411
5.157
Kap. 5 Rz. 5.157 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
ge u.a. verpflichtet sein aufzuzeichnen, weshalb er die von ihm angewandte Verrechnungspreismethode für „die am besten geeignete Methode“ hält.1 Diese Verpflichtung wird aus § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d GAufzV abgeleitet („daher“), nach der allerdings „lediglich“ die Auswahl und die Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode zu begründen ist. Offensichtlich wurde die Verwaltungsauffassung im Vorgriff auf die gesetzliche Neuregelung in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG formuliert; sie ist deshalb für VZ vor 20222 ohne Rechtsgrundlage. Da der Steuerpflichtige auch nach Verwaltungsauffassung nicht zur Verprobung seiner Ergebnisse nach anderen Methoden verpflichtet sein soll,3 wird diesem Unterschied jedenfalls dann keine große praktische Bedeutung zukommen, wenn aus der fehlenden Aufzeichnung über die Gründe des Steuerpflichtigen, weshalb die angewandte Verrechnungspreismethode auch „die am besten geeignete Methode“ sein soll, im konkreten Einzelfall nicht die Verwertbarkeit der angemessenheitsbezogenen Aufzeichnungen angezweifelt wird. Beachtlicher ist hingegen die Auffassung der Finanzverwaltung in Rz. 46 der VWG 2020, nach der die Finanzbehörden die „richtige Verrechnungspreismethode“ selbst auswählen.4 Dies soll die Verrechnungspreismethode sein, die sich als „geeignetste“ Methode erweist. Letztlich stehen sich im Hinblick auf das internationalen und deutsch-steuerlichen Verrechnungspreisgrundsätzen für die Methodenanwendung und -auswahl entsprechende Konzept der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ zwei Superlative gegenüber, wobei sich der verwaltungsseitige Superlativ auf die Eignung selbst und der gesetzlich in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG angelegte Superlativ auf die Güte der Eignung bezieht. Nur letzterer ist maßgeblich. Entscheidend ist, dass das Konzept der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ das Nebeneinander von zwei und mehr Verrechnungspreismethoden, die gleich zuverlässig anwendbar sind, ausdrücklich zulässt und auch der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG zugrunde liegt (Rz. 5.140 und Rz. 5.149).5 Insofern kann etwa i.R. einer Betriebsprüfung die vom Steuerpflichtigen tatsächlich angewandte Verrechnungspreismethode nicht mit dem Hinweis verworfen werden, die Alternativmethode sei die geeignetste Methode. Dies erst recht nicht, wenn die Alternativmethode eine geschäftsvorfallbezogene Gewinnmethode ist, die eine Standardmethode verdrängen soll (vgl. Rz. 5.149). Offensichtlich will die Finanzverwaltung den in der Prüfungspraxis festzustellenden Einzelfällen, in denen – insbesondere bei der Festlegung konzerninterner Zinssätze – der Steuerpflichtige die Preisvergleichsmethode angewendet hat und die verwaltungsseitig zwingende Prüfung nach ebendieser Methode zwischen den Beteiligten streitig ist,6 mit einer entsprechenden Verwaltungsanweisung begegnen.
5.158
Einkünftekorrektur bei „wahrscheinlicheren“ Ergebnissen der Alternativmethode. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sollen in Fällen, in denen die Finanzbehörde eine andere als die vom Steuerpflichtigen tatsächliche angewandte Verrechnungspreismethode für die „geeignetste“ Verrechnungspreismethode hält, eine Einkünfteberichtigung dann in Betracht kommen, „wenn die Ergebnisse der Alternativmethode wahrscheinlicher sind“.7 Ferner soll der Steuerpflichtige verpflichtet sein, die hierfür erforderlichen Informationen der Finanzbehörde vorzulegen. Für die entsprechenden Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten besteht hingegen keine Rechtsgrundlage, weil der Steuerpflichtige nur für die von ihm tatsächlich angewandte 1 2 3 4 5 6
Vgl. VWG 2020, Rz. 45. Vgl. § 21 Abs. 25 AStG. Vgl. VWG 2020, Rz. 45. Vgl. VWG 2020, Rz. 46. Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 79. Vgl. z.B. Urteilssachverhalt des BFH-Urteils v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = DB 2021, 2604 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger. 7 VWG 2020, Rz. 46.
412 | Baumhoff/Liebchen
D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden | Rz. 5.159 Kap. 5
Verrechnungspreismethode (methodenspezifische) Vergleichswerte zu ermitteln und Aufzeichnungen zu erstellen hat. Was überdies Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf Verrechnungspreisergebnisse betrifft, die nach unterschiedlichen, gleich zuverlässig anwendbaren Verrechnungspreismethoden bestimmt wurden, hat jedenfalls nach dem in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG angelegten Konzept der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ nur der Vorrang der Standardmetthoden gegenüber den geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden und derjenige der Preisvergleichsmethode gegenüber jeder anderen Verrechnungspreismethode Bedeutung. I.Ü. lässt sich auf eine verwaltungsseitig behauptete höhere Wahrscheinlichkeit von Verrechnungspreisergebnissen keine Einkünfteberichtigung stützen. Ferner kommt einem möglichen Überschneidungsbereich der jeweils mittels eingeengter methodenspezifischer Bandbreiten – bezogen auf die vom Steuerpflichtigen angewandte Verrechnungspreismethode und die von der Finanzbehörde zugrunde gelegte Alternativmethode – bestimmten Fremdvergleichspreise eine gewisse Beweiskraft zu.1 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Methode zur Einengung methodenspezifisch bestimmter (Fremdvergleichs)Preisbandbreiten nicht in § 1 Abs. 3a Sätze 2 und 3 AStG angelegt ist.
4. VWG VP 2021 Aufgabe des eingeschränkten Anwendungsbereichs der TNMM. Nach den VWG-Verfahren waren die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode wie die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode zwar grundsätzlich anerkannt,2 sie kamen allerdings nur subsidiär zu den Standardmethoden zur Anwendung.3 Der Anwendungsbereich der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wurde ferner auf Unternehmen mit Routinefunktionen beschränkt. Zusätzlich wurde er davon abhängig gemacht, dass der Nachweis über die Vergleichbarkeit der Vergleichsunternehmen geführt wird und dass besondere, tatsächlich entstandene Gewinne oder Verluste des betreffenden Unternehmens, die sich trotz Vergleichbarkeit nicht in den Renditekennziffern der Vergleichsunternehmen niederschlagen, Berücksichtigung finden.4 Schließlich sollte die Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode nicht für die Kategorie der sog. Mittelunternehmen gelten, wobei allerdings die Verrechnungspreisermittlung aufgrund von Planrechnungen und unter Bestimmung der Gewinnkomponente auf Basis von Renditeziffern funktional (zumindest eingeschränkt) vergleichbarer Unternehmen in dem betreffenden Geschäftsbereich letztlich auf diese Methode hinauslief (Rz. 6.168). Durch die VWG VP wurden diese einschränkenden Bestimmungen, die nach den VWG 2020 weiterhin galten5, aufgegeben (Rz. 5.152). Die Unvereinbarkeit dieser überholten Verwaltungsauffassung war nach der Änderung des § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG durch das AbzStEntModG6 – 1 Allerdings ist dieser Überschneidungsbereich nach Verwaltungsauffassung nicht zwangsläufig als steuerlich maßgebende Bandbreite anzusehen, vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. c. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b u. c (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b und c (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. VWG 2020, Rz. 91. 6 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259.
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5.159
Kap. 5 Rz. 5.159 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
jedenfalls für VZ ab 2022 – zwingend, denn hiernach ist der Fremdvergleichspreis grundsätzlich nach der im Hinblick auf die Vergleichbarkeitsanalyse und die Verfügbarkeit von Werten zu vergleichbaren Geschäftsvorfällen voneinander unabhängiger Dritter am besten geeigneten Verrechnungspreismethode zu bestimmen. Insofern stehen die deutschen (gesetzlichen) Verrechnungspreisgrundsätze im Einklang mit den international anerkannten Verrechnungspreisgrundsätzen, wobei der OECD-Ansatz der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ gerade darauf gerichtet war, der zunehmenden praktischen Bedeutung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode Rechnung zu tragen. Die gleichrangige Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode entsprach auch schon bisher den Praxiserfahrungen der deutschen Finanzverwaltung, nach denen 80 % der „einfachen Fälle“ („einfache“ Vertriebsgesellschaften, Produktionsgesellschaften oder Dienstleistungsgesellschaften) von vornherein nach dieser Methode abgerechnet werden.1 Entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG, jedenfalls für VZ ab 2022, ist grundsätzlich die „am besten geeignete Verrechnungspreismethode“ anzuwenden.2 Ferner enthält Rz. 3.11 der VWG VP – jedenfalls für den Regelfall – die erfreuliche Klarstellung, dass nicht-operative Erträge und Aufwendungen bei der Bestimmung von Nettogewinnindikatoren im Rahmen der geschäftsvorfallbezogenen Nettomarkenmethode nicht zu berücksichtigen sind.3 Die Prüfungspraxis zeigt, dass ein diesbezüglicher Hinweis auch für den zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsvorfall hilfreich gewesen wäre.
5.160
Kostenaufschlagsmethode als Regelmethode für konzerninterne Dienstleistungen. Nach Rn. 3.72 VWG VP sollen für verrechenbare konzerninterne Dienstleistungen Verrechnungspreise (VWG VP: „Fremdvergleichspreise“) „grundsätzlich nach Kostenaufschlagsmethode unter Einbeziehung aller hierfür notwendigen direkten und indirekten Kosten“ bestimmt werden.4 Zutreffend wird dieser Grundsatz dahingehend eingeschränkt, dass er nur dann gilt, wenn die Preisvergleichsmethode nicht die geeignetste Methode ist,5 sodass insofern die Verwaltungsauffassung im Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG Rechnung trägt (vgl. Rz. 5.147 ff.). Auch wenn die Kostenaufschlagsmethode und daneben die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode bei Anwendung eines kostenbasierten Nettogewinnindikators in der Verrechnungspreispraxis in den Hauptanwendungsfällen die am besten geeignetste Verrechnungspreismethode für die Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise darstellen werden,6 trägt der verwaltungsseitige Grundsatz der Vielfältigkeit konzerninterner Dienstleistungen hinsichtlich (i) konzernspezifischer Leistungsgegenstände, (ii) der konkreten konzernspezifischen Bedingungen der Leistungserstellung und (iii) des Umstands, dass gerade bei Dienstleistungskonzernen auch die Marktleistung eine Dienstleistung darstellt, nur sehr eingeschränkt Rechnung. So ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass auch im Dienstleistungsbereich die Wiederverkaufspreismethode in Einzelfällen die am besten geeignete Verrechnungspreismethode sein kann.7 Ferner kommt die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode bei – auch und gerade im Dienstleistungsbereich gegebenen – stark integrierten Wertschöpfungsprozessen und bei sonstigen einzigartigen und werthaltigen Wertschöpfungsbeiträgen der Transaktionspartner in Betracht. Dies betrifft im Rahmen konzerninterner 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Naumann, IStR 2013, 616. Vgl. auch VWG VP 2021, Rz. 3.20, 3.23 u. 3.53. Vgl. auch VWG VP 2021, Rz. 3.11. VWG VP 2021, Rz. 3.72. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.72 Satz 1 letzter Hs. Vgl. Liebchen in F/W/K, DBA Deutschland-Schweiz, Art. 9 Rz. 386 ff. Vgl. Liebchen in F/W/K, DBA Deutschland-Schweiz, Art. 9 Anm. 383 ff.
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D. Rangfolge der Verrechnungspreismethoden | Rz. 5.161 Kap. 5
Dienstleistungen insb. den Bereich des sog. „Global Development“.1 Überdies ist bei internationalen Dienstleistungskonzernen der Leistungserstellungsprozess ebenso von wechselseitigen Transaktionen geprägt wie die Produktion von Gütern und Waren. Im Rahmen der erforderlichen Funktions- und Risikoanalyse und der hiernach vorzunehmenden transaktionsbezogenen Unternehmenscharakterisierung können mehrere Strategieträger bzw. Entrepreneure bestehen, deren jeweiliger Erfolgsbeitrag nur durch Gewinnaufteilung bestimmt werden kann. Gleiches gilt auch in Fällen, in denen die konkrete Marktleistung, z.B. im Falle der Lohnfertigung oder Auftragsentwicklung, zwar in einer Dienstleistung besteht, die für Verrechnungspreiszwecke als Routinedienstleistung behandelt würde, die Leistungserstellung jedoch durch mehrere Konzerngesellschaften erfolgt. In diesem Fall führt die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode regelmäßig nicht zu einem die jeweiligen Wertschöpfungsbeiträge der konzerninternen Transaktionspartner reflektierenden Verrechnungspreisergebnis, sondern dazu, dass auf den (Haupt-) Dienstleister Gewinnchancen und Verlustrisiken allokiert werden. Kostenaufschlagsmethode als vermeintliche Regelmethode für Finanzierungsgesellschaften und Cash-Pool-Leader. Die vorgenannten Grundsätze zur Verrechnungspreisbestimmung mittels der Kostenaufschlagsmethode gelten nach Verwaltungsauffassung auch für Finanzierungsdienstleistungen und Versicherungs- und Rückversicherungsdienstleistungen.2 Überdies beinhalten Rz. 3.88 ff. und insb. Rz. 3.90 ff. VWG VP3 erstmals umfassende verwaltungsseitige Äußerungen zu Finanztransaktionen, die zwar im Ausgangspunkt die Anwendung der entsprechenden Grundsätze des Kapitels X der OECD-Leitlinien statuieren,4 i.Ü. jedoch diejenigen Regelungen über eine Verwaltungsanweisung einführen wollen, die in den Gesetzgebungsverfahren zum ATADUmsG5 und zum AbzStEntModG6 nicht durchgesetzt werden konnten, d.h. der Gesetzgeber weder ein dem Kap. X der OECD-Leitlinien entsprechendes noch ein deutsch-steuerlich engeres Verständnis regeln wollte. Nach Rz. 3.91 VWG VP sind Finanzierungsdienstleistungen konzerninterner Finanzierungsgesellschaften jedenfalls dann mit einer risikolosen Rendite zu vergüten und diese nach der Kostenaufschlagsmethode zu bestimmen, wenn die Finanzierungsgesellschaft nicht über die Fähigkeit und die Befugnis verfügt, das Risiko von Investitionen in einen finanziellen Vermögenswert zu kontrollieren oder es zu tragen.7 In einem gewissen Widerspruch zu Rz. 3.72 VWG VP, nach dem für Finanzierungsdienstleistungen dieselben Grundsätze wie für sonstige Konzerndienstleistungen anzuwenden sein sollen und hiernach in die Kostenbasis sämtliche für die Dienstleistungserbringung notwendigen direkten und indirekten Kosten einzubeziehen sind,8 soll das kostenbasierte Entgelt für konzerninterne Finanzierungsgesellschaften lediglich „auf der Grundlage der nachgewiesenen und direkt zurechenbaren Betriebskosten“ bestimmt werden, wobei „Refinanzierungskos-
1 Vgl. dazu Kaminski, IStR 2001, 540 f.; Fischer/Looks/Reese, IStR 2008, 254 ff.; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 340 ff. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.72 Satz 2. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.90 ff. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.88. 5 Der in den RefE eines ATADUmsG vom 10.12.2019 und 24.3.2020 vorgeschlagene § 1a AStG, der sich ausschließlich Finanzierungsbeziehungen widmen sollte, war im Kabinettsbeschluss vom 26.3.2021 (BR-Drucks. 245/21) nicht mehr enthalten. 6 Die vom Bundesrat am 7.5.2021 angeregten § 1 Abs. 3d und 3e AStG (BR-Drucks. 245/1/21 S. 15) sind vom Bundestag nicht aufgegriffen worden. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.91. 8 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.72.
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5.161
Kap. 5 Rz. 5.161 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
ten (...) grundsätzlich nicht in die Kostenbasis einzubeziehen“ sein sollen.1 Dementsprechend sollen Cash-Pool-Leader grundsätzlich nur eine funktions- und risikoarme Dienstleistung erbringen und die Vergütung des Cash-Pool-Leader im Regelfall im Regelfall auf Basis einer kostenorientierten Methode bestimmt werden, wobei ein Kostenaufschlag auf die direkt zuzurechnenden Kosten zwischen fünf Prozent und zehn Prozent nicht beanstandet wird.2 Sowohl für Finanzierungsdienstleistungen im Allgemeinen als auch für Leistungen eines Cash-PoolLeaders im Speziellen werden verwaltungsseitige Regel-Ausnahme-Verhältnisse geregelt, die weder gesetzlich bestehen, noch in den entsprechenden Grundsätzen des Kapitels X der OECD-Leitlinien angelegt sind. Insofern mag die Finanzverwaltung bezogen auf die rudimentären Öffnungen zu abweichenden Funktions- und Risikoprofilen „im konkreten Einzelfall“3 von einer Beweislastumkehr ausgehen, die allerdings mangels Rechtsgrundlage nicht besteht. Die vorstehenden Grundsätze hat der BFH in seinem Urteil vom 18.5.2021 im Rahmen eines obiter dictum verworfen.4 Nach Auffassung des BFH entbehrt ein – gewissermaßen – konzernweiter Fremdvergleich, nach dem eine Finanzierungsgesellschaft bzw. ein Cash-PoolLeader nur dann als wirklicher Darlehensgeber einzuordnen ist und nicht lediglich eine risikoarme Finanzierungsdienstleistung erbringt, wenn sie und nicht faktisch die Muttergesellschaft bzw. Unternehmensgruppe die mit dem Darlehen verbundenen Risiken (Kreditausfall-, Refinanzierungs- und Zinsänderungsrisiko) tatsächlich trägt und in der Lage ist, die mit den Finanzierungen verbundenen Tätigkeiten und die damit einhergehenden Aufgaben des Risikomanagements selbstbestimmt wahrzunehmen, für die Bestimmung des für die konkrete Finanzierungsbeziehung angemessenen Zinssatzes einer Grundlage. Der BFH hat hierzu ausdrücklich festgestellt, dass Ausgangspunkt für die Risikoanalyse bei konzerninternen Darlehensverhältnissen das sich aus dem abgeschlossenen Vertrag ergebende Leistungsgefüge ist und für die Angemessenheit des Entgelts für die Kapitalüberlassung ausschließlich das Verhältnis der Parteien des Darlehensvertrags maßgebend ist.5
5.162
Einführung des OECD-Ansatzes für LVS. Mit den Rz. 3.74–3.77 der VWG-VP werden die Ergebnisse der Maßnahme 10 zum BEPS-Projekt der OECD/G20 und die dementsprechenden Empfehlungen in Tz. 7.43 ff. der OECD-Leitlinien zu Routinedienstleistungen mit geringer Wertschöpfung auf den Verwaltungswege deutsch-steuerlich umgesetzt. Für solche Routinedienstleistungen mit geringer Wertschöpfung wird (i) die Verrechnungspreisbestimmung mittels der Kostenaufschlagsmethode und (ii) ein Gewinnaufschlagssatz von 5 % als fremdüblich – und damit verwaltungsseitig nicht zu beanstanden – angesehen.6 Daneben begrüßungswert wäre es gewesen, wenn verwaltungsseitig der Kern dieses vereinfachten Ansatzes auch klargestellt worden wäre, nämlich dass der Steuerpflichtige für diese Routinedienstleistungen keine die Angemessenheit des Gewinnelements unterlegenden Vergleichswerte zu bestimmen hat.7 Die Prüfungspraxis zeigt in diesem Zusammenhang zudem, dass z.T. punktuelle Ist-Ergebnisse i.H. eines Ist-Gewinnaufschlagssatzes von „genau 5,0%“ gefordert werden, ohne dass hierfür eine Rechtsgrundlage besteht oder diese Forderung in dem OECD-Ansatz und in den
1 2 3 4
Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.92. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.98. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.89; 3.92 Satz 1 erster Halbs.; 3.98 Satz 1 letzter Halbs. Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 5 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.74. 7 Vgl. im Einzelnen Tz. 7.52 ff. OECD-Leitlinien 2022.
416 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.162 Kap. 5
diesen Ansatz übernehmenden VWG VP angelegt wäre. Richtigerweise gelten in diesem Zusammenhang keine anderen Grundsätze als sie in Rz. 3.41 ff. der VWG VP1 angelegt sind (vgl. Rz. 3.113 u. Rz. 5.184), wobei im Mittel ein Gewinnelement von 5 % anzustreben ist. I.Ü. betrifft der OECD-Ansatz zu Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung die Realität von Plan-Ist-Abweichungen bei der Verrechnungspreisbestimmung auf der Grundlage von Plandaten nicht (vgl. Rz. 3.112). Was Routinedienstleistungen mit geringer Wertschöpfung in sachlicher Hinsicht betrifft, folgt die deutsche Finanzverwaltung dem Ansatz der OECD-Leitlinien2 und verbreitert diesen nicht mit Blick auf den Ansatz des EU-JTPF3.
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich Literatur: Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln u.a. 1986; Baumhoff, Die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise bei der Existenz von Preisbandbreiten, in Gocke/Gosch/ Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer, München 2005, 347; Baumhoff, Die steuerliche Bewertung von Transferpaketen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, 541; Baumhoff, Verrechnungspreise, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaftsstrukturen im Internationalen Steuerrecht, Köln 2010, 75; Baumhoff, Der Einfluss der Finanzmarktkrise auf die Festlegung und Prüfung von internationalen Verrechnungspreisen, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Festschrift für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 21; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik bei Verlustgesellschaften, in Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 133; Baumhoff, Praxisprobleme bei der Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, WPg 2012, 396; Baumhoff/Bodenmüller, Die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 541; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Lohnfertigern – Anmerkungen zum Urteil des FG Münster vom 16.3.2006, IStR 2006, 789; Baumhoff/Greinert, Angemessene Lizenzsätze bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, Ubg 2009, 544; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl., Köln 2018, Rz. 4.318 ff.; Betten/ Rotondaro, The Concept of an Arm’s Length Range, ITPJ 1998, 174; von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, Köln 2011; von Bredow, Funktionsverlagerung: Lock-in-Effekt statt Steuervorteil bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, ISR 2012, 138; Ditz/Liebchen, Bewertung von Transferpaketen im Rahmen von Funktionsverlagerungen, DB 2012, 1469; Förster, Die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 3 AStG – Vergleich mit den aktualisierten Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, IStR 2011, 20; Gosch, ISR 2018, 289; Greinert, Maßgebende Überschussgröße zur Bewertung eines Transferpakets bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, DB 2009, 755; Greinert, Steuerliche Besonderheiten bei der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter im Rahmen von grenzüberschreitenden Transaktionen im Konzern, Ubg 2010, 101; Greinert/Reichl, Einfluss von Besteuerungseffekten auf die Verrechnungspreisermittlung bei Funktionsverlagerungen, DB 2011, 1182; Greinert/Thiele, Steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen vor 2008, DStR 2011, 1197; Grotherr, Wann entspricht ein anderer Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz besser als der Median, IWB 2021, 614; Herbert/Luckhaupt, Bestimmung von Verrechnungspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter – zum Diskussionsentwurf der OECD, Ubg 2012, 672; Kur-
1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.41 ff. 2 Vgl. Tz. 7.47 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.77. Kritisch hierzu Rasch, IWB 2021, 660 f. 3 Vgl. KOM(2011) 16 endg., Anlage 1.
Baumhoff/Liebchen | 417
Kap. 5 Rz. 5.162 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung zewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Kurzewitz, Die Bestimmung von Verrechnungspreisbandbreiten als Problem der internationalen Doppelbesteuerung, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 635; Liebchen in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 9 Rz. 261 ff.; Luckhaupt, Bestimmung von Verrechnungspreisen gemäß den OECD-TPG 2010 und § 1 Abs. 3 AStG, Ubg 2010, 646; Luckhaupt, Fragwürdige Vorgaben der Finanzverwaltung bei der Grenzpreisermittlung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DStR 2012, 1571; Menninger/Wellens, Valuation Standards and the German Restructuring Regulation, TMTR v. 30.6.2011; Menninger/Wellens, Grundsätzliche Bewertungsfragen im Zusammenhang mit der Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 3 AStG, DB 2012, 10; Oestreicher, Die (reformbedürftigen) Regelungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in Fällen der Funktionsverlagerung, Ubg 2009, 80; Oestreicher/Hundeshagen, Bewertung von Transferpaketen bei Funktionsverlagerungen, DB 2008, 1637 (Teil I) und 1693 (Teil II); Oestreicher/Hundeshagen, Weder Wirtschaftsgut noch Unternehmen – die Bewertung von Transferpaketen anlässlich der grenzüberschreitenden Verlagerung von Unternehmensfunktionen, IStR 2009, 146; Oestreicher/Wilke, Die Einzelbewertung des Firmenwerts – Verrechnungspreise in Fällen einer Funktionsverlagerung nach dem Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften, Ubg 2010, 225; Piehler, Kontraktgestaltung bei M&A-Transaktionen, Wiesbaden 2007; Rasch, Die Bestimmung fremdvergleichskonformer Lizenzen – oder: die Quadratur des Kreises, ISR 2013, 31; Roeder, Ökonomische Aspekte des hypothetischen Fremdvergleichs, Ubg 2008, 202; Roeder, Immaterielle Wirtschaftsgüter: Diskussionsentwurf zur Überarbeitung des Kapitels VI der OECD-Verrechnungspreisleitlinien – Ausgewählte Aspekte aus deutscher Sicht, ISR 2012, 70; Schierenbeck, Beteiligungsentscheidungen, Berlin 1973; Schreiber in Seer/Lüdicke/Rasch (Hrsg.), Festschrift für Heinz-Klaus Kroppen, Köln 2020, 385 ff.
I. Begriffsabgrenzung 5.163
Preis- und Wertbandbreiten. Preisbandbreiten entstehen im Rahmen des tatsächlichen Fremdvergleichs, d.h. bei Anwendung der Preisvergleichsmethode, durch die Zusammenstellung marktentstandener, also direkt am Markt beobachtbarer Preise für uneingeschränkt bzw. eingeschränkt vergleichbare Referenztransaktionen. Von Wertbandbreiten spricht man, wenn – bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) der Gewinnaufschlag bzw. Mark-up, – bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.) die Handelsspanne bzw. Bruttomarge und – bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) (Rz. 5.92 ff.) die Nettomarge mittels tatsächlichen Fremdvergleichs, d.h. durch äußeren oder inneren Betriebsvergleich (Rz. 3.130 f.), ermittelt und jeweils mehrere Vergleichswerte abgeleitet werden (können). In diesem Fall bilden die Vergleichswerte – im Rahmen der jeweiligen Verrechnungspreismethode – eine Wertbandbreite. Die Existenz von Preis- und Wertbandbreiten ist als Realität der Verrechnungspreispraxis anerkannt. Die OECD-Leitlinien gehen in Tz. 3.55 sogar vom Regelfall aus. So wird ausgeführt: „Da jedoch die Verrechnungspreisgestaltung keine exakte Wissenschaft ist, wird es auch viele Situationen geben, bei denen die Anwendung der besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind“.1
1 Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2022.
418 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.164 Kap. 5
Auch der deutsche Gesetzgeber erwähnt in § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG ausdrücklich Wertbandbreiten bei der Anwendung der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode („Die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes führt regelmäßig zu einer Bandbreite von Werten“). Ebenso entspricht es der allgemeinen Auffassung1 sowie der Rechtsprechung des BFH, dass es den „richtigen Verrechnungspreis“ im Sinne eines mathematisch exakt fixierbaren Werts nicht geben, sondern allenfalls eine Bandbreite angemessener Preise bestimmt werden kann.2 Die Finanzverwaltung hat überdies bereits (weit) vor der gesetzlichen Regelung in § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG (sowie zuvor § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F.) sowohl in den VWG 19833 als auch in den VWG-Verfahren4 Preis- und Wertbandbreiten ausdrücklich anerkannt. Preis- und Wertbandbreiten (Fremdvergleichsbandbreiten, „arm’s-length range“) werden schließlich auch international überwiegend akzeptiert.5 Einigungsbereich. In der Verrechnungspreispraxis ist der Idealfall des tatsächlichen Fremdvergleichs häufig die Ausnahme. Stattdessen werden Verrechnungspreise mittels des hypothetischen Fremdvergleichs ermittelt. Der hypothetische Fremdvergleich ist für die Ermittlung des Fremdvergleichspreises anzuwenden, wenn keine Vergleichswerte festgestellt werden können. Nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG ist in diesem Fall „für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises ein hypothetischen Fremdvergleich [...] durchzuführen“. Hierbei handelt es sich um die Simulation eines Preisbildungsprozesses, der sich sowohl aufseiten des Leistungsempfängers als auch aufseiten des Leistungserbringers der objektivierenden Referenzfigur des „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ bedient (sog. Theorie des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, vgl. Rz. 3.145 ff.). Dabei kann es bei rationalem Verhalten unabhängiger Entscheidungsträger nur dann zu einer Einigung kommen, wenn die Preisobergrenze des Nachfragers über der Preisuntergrenze des Anbieters liegt, m.a.W. wenn ein Einigungsbereich besteht. Mithin bildet dieser Einigungsbereich das Preisband (sog. „Bandbreitenbetrachtung“6), innerhalb dessen der angemessene Verrechnungspreis liegen muss. Dieses Preisband wird determiniert durch die Preisuntergrenze aus Sicht des leistungserbringenden Unternehmens und der Preisobergrenze aus Sicht des leistungsempfangenden Unternehmens. Vom Wortsinn her ist ein Einigungsbereich mithin der Bereich, innerhalb dessen die Möglichkeit einer Einigung zwischen den Transaktionspartnern besteht. Betriebswirtschaftlich markiert er den Bereich, in dem jeder Vertragspartner seinen jeweiligen Grenzpreis, bei dem Entscheidungsindifferenz gegenüber alternativen Handlungsmöglichkeiten vorliegt, auch durchsetzen kann und sich somit bei jedem Wert innerhalb des Einigungsbereichs gegenüber seiner äußersten Konzessionsbereitschaft in Gestalt seiner jeweiligen Preisgrenze verbessert. 1 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 16. 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658. = FR 2005, 1030; siehe auch BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 80. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.8. und Tz. 2.1.9. Bsp. 1. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. a. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Siehe hierzu den Ländervergleich (USA, Niederlande, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Japan) von Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 86 ff.; Kurzewitz in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 635 ff. 6 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; Tz. 3.55 ff. OECD-Leitlinien 2022; Baumhoff in FS Wassermeyer, 347 ff.
Baumhoff/Liebchen | 419
5.164
Kap. 5 Rz. 5.164 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Der Begriff Einigungsbereich ist gleichbedeutend mit den Begriffen Verhandlungsbereich (-spielraum), Kontraktbereich (-raum) und Arbitriumbereich.1 Von einem nichtnegativen Einigungsbereich wird gesprochen, wenn mindestens eine Möglichkeit der Einigung existiert, wobei in diesem Fall die Grenzpreise der Transaktionspartner identisch sind und sich der Einigungsbereich auf diesen Wert verengt; anderenfalls wird von einem negativen Einigungsbereich gesprochen.2 Ein positiver Einigungsbereich liegt demgegenüber vor, wenn der Einigungsbereich mindestens eine Möglichkeit zur Einigung enthält.
5.165
Abgrenzung zu den sog. Zinsurteilen. Der BFH hatte in seinen sog. „Zinsurteilen“ zu konzerninternen Darlehensbeziehungen entschieden, dass die banküblichen Habenzinsen als Untergrenze und die banküblichen Sollzinsen als Obergrenze für angemessene Zinsen zu beachten sind, wobei sich „im Zweifel“ Darlehensgläubiger und Darlehensschuldner die Spanne zwischen bankenüblichen Haben- und Schuldzinsen teilen sollen.3 Dem steht auch das BFHUrteil v. 17.10.2001 nicht entgegen, mit dem grundsätzlich der Mittelwertmethode die Rechtfertigung abgesprochen wurde. Denn der BFH konzedierte den Ansatz des Mittelwertes zutreffenderweise dann, „wenn er aus Fremdvergleichswerten abgeleitet werden kann“4. Auf einen solchen, wenngleich pauschalen Fremdvergleich geht der Erfahrungssatz zurück, dass sich – im Zweifel – Darlehensgläubiger und -schuldner die Spanne zwischen banküblichen Habenund Schuldzinsen teilen (vgl. auch Rz. 6.455).5 Diese Rechtsprechung des BFH wird zumeist mit der Aufteilung einer „Zinsbandbreite“ gleichgesetzt, die allerdings mit der Preisbandbreite im hier verstandenen Sinne nichts gemein hat, sondern der Differenz zwischen einem Soll- und einem Habenzins entspricht. Eine Zinsbandbreite entsteht im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs durch die Zusammenstellung marktentstandener, d.h. direkt am Markt beobachtbarer Preise für uneingeschränkt, jedenfalls aber eingeschränkt vergleichbare Referenztransaktionen (Rz. 6.454). Zwar sind bankübliche Soll- wie Habenzinssätze letztlich Marktdaten. Allerdings liegen die Vergleichbarkeitsvoraussetzungen schon deshalb nicht vor, weil für Darlehensvergaben nur der Sollzinssatz maßgeblich ist, soweit keine überschüssige Liquidität beim Darlehensgeber besteht. Insofern basiert diese Rechtsprechung methodisch auf dem hypothetischen Fremdvergleich, wobei als Preisobergrenze der darlehensnehmenden Konzerngesellschaft der bankenübliche Sollzinssatz, der letztlich die bewertete Handlungsalternative Darlehensaufnahme als Bankenfinanzierung darstellt, und als Preisuntergrenze der darlehensgebenden Konzerngesellschaft der bankenübliche Habenzinssatz, der die bewertete Handlungsalternative Kapitalanlage zu banküblichen Konditionen darstellt, zugrundgelegt werden. Auf die Aufteilung des zwischen diesen Preisgrenzen bestehenden Einigungsbereichs beziehen sich die Rechtsprechungsgrundsätze der sog. „Zinsurteile“. Im Hinblick auf die Preisgrenzen ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese zwar theoretisch durch den banküblichen Habenzinssatz (Darlehensgeber) und den banküblichen Sollzinssatz (Darlehensnehmer) verkörpert werden können. Dies aber nur 1 Vgl. grundlegend Matschke, Funktionale Unternehmensbewertung, Bd. II, Der Arbitriumwert der Unternehmung; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 249 ff. 2 Vgl. auch Piehler, Kontraktgestaltung bei M&A-Transaktionen, 5. 3 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; v. 22.10.2003 – I R 36/03, FR 2004, 462. Eine Abgrenzung zu dieser Rspr. hat der BFH in seinen jüngsten „Zinsurteilen“ v. 18.5.2021 nicht vorgenommen, vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch; v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = DB 2021, 2604 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger. 4 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. hierzu Baumhoff in FS Wassermeyer, 353 f.; Buciek, JbFStR 2008/2009, 795 f.
420 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.167 Kap. 5
dann, wenn sie mit der günstigsten alternativen Kapitalanlagemöglichkeit des Darlehensgebers und der günstigsten alternativen Kapitalaufnahmemöglichkeit des Darlehensnehmers korrespondieren.1 Es kommt letztlich auf die zu Entscheidungswerten verdichteten Handlungsalternativen beider Kontrahenten an, die jeweils an der Referenzfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu verproben sind (Rz. 3.133 ff.).2
II. Preis- und Wertbandbreiten 1. Ursachen für die Entstehung a) Volkswirtschaftliche Erklärung: Unvollkommenheit von Märkten Bedingungen des vollkommenen Marktes. Zur Klärung der Frage, welcher Wert innerhalb einer Bandbreite konkret als angemessener Verrechnungspreis heranzuziehen ist, müssen zunächst die Ursachen identifiziert werden, die zum Entstehen von Preis- und Wertbandbreiten führen. Hierzu bietet es sich an, zunächst auf das volkswirtschaftliche Modell des vollkommenen Marktes abzustellen, der dadurch gekennzeichnet ist, dass für ein Gut im Marktgleichgewicht von Angebot und Nachfrage nur ein Preis existiert. Ein vollkommener Markt wird u.a. durch folgende Merkmale charakterisiert:
5.166
– rationales Verhalten der Marktteilnehmer, – Abwesenheit persönlicher, zeitlicher, räumlicher und sachlicher Präferenzen, – Homogenität der gehandelten Güter, – vollständige Markttransparenz, – alle Anbieter und Nachfrager haben nur sehr kleine Marktanteile (atomistische Angebotsund Nachfragestruktur), – freier Marktzutritt/Offenheit des Marktes, – unendlich schnelle Reaktionsgeschwindigkeit und – keine Transaktionskosten bei der Durchführung von Anpassungsprozessen.3 Liegen diese Voraussetzungen vor, bildet sich im Marktgleichgewicht von Angebot und Nachfrage ein einheitlicher Preis für das betreffende Gut, der Gleichgewichtspreis. Arbitragemöglichkeiten kann es auf einem vollkommenen Markt folglich nicht geben. Alle Anbieter und Nachfrager haben nur die Möglichkeit, als Mengenanpasser zu reagieren. Marktunvollkommenheiten in der Realität. Allerdings handelt es sich bei den Bedingungen des vollkommenen Marktes um Annahmen eines für Theoriezwecke entwickelten volkswirtschaftlichen Modells. In der Realität sind diese Bedingungen vollständig nie und auch jede 1 Der Rückgriff auf Marktdaten stellt den hypothetischen Fremdvergleich gerade nicht infrage, sondern verschafft die Referenz für das ökonomisch adäquate Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auf der jeweiligen Vertragsseite. Der neuerdings – u.E. zu Unrecht – eingeleitete Abgesang auf den hypothetischen Fremdvergleich gründet letztlich auf einem falschen Verständnis dessen, was den tatsächlichen Fremdvergleich inhaltlich ausmacht; infrage gestellt etwa von Wellens, IStR 2010, 155. 2 Vgl. hierzu auch Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.175 ff.; Liebchen in F/W/K, DBA Deutschland-Schweiz, Art. 9 Rz. 118 ff. 3 Vgl. Aberle, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik2, 27 f.; Fischbach/Wollenberg, Volkswirtschaftslehre 113, 275; Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre6, 156 f.
Baumhoff/Liebchen | 421
5.167
Kap. 5 Rz. 5.167 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
einzelne Bedingung ist regelmäßig für sich genommen nicht gegeben. Sofern jedoch nur eine Bedingung nicht erfüllt ist, liegt bereits ein unvollkommener Markt vor. Herrscht beispielsweise keine vollständige Information und Markttransparenz, kann der Anbieter seine Informationsvorteile nutzen und abweichende Preise für das gleiche Produkt gegenüber unterschiedlichen Nachfragern durchsetzen. Insbesondere beim Austausch von Waren und Leistungen, deren Preise nicht in öffentlich zugänglichen Preislisten verzeichnet sind, ist es der Regelfall, dass die Anbieter unterschiedliche Preise für die gleichen Waren bzw. die gleiche Leistung verlangen (Beispiele: allgemeine Versicherungstarife, Handytarife). Bei der Preisfestlegung kann es dabei auf die ökonomische Bedeutung des Nachfragers, seine Zahlungsbereitschaft, seine Marktmacht, seine Bereitschaft zur langfristigen Abnahme, die Möglichkeit zur Ausnutzung von Informationsasymmetrien oder Ähnliches ankommen. Gleiches lässt sich für jedes andere Merkmal des vollkommenen Marktes ableiten. So können auch persönliche und sachliche Präferenzen eines Nachfragers dazu führen, dass ein höherer Preis im Verhältnis zu neutralen Nachfragern durchgesetzt werden kann. Hierbei kann weder der eine noch der andere Preis als „der richtige“ Preis für die Ware oder Leistung bezeichnet werden. Vielmehr kann nur der Schluss gezogen werden, dass es für ein betreffendes Gut eine Bandbreite angemessener Preise gibt. Letztlich kann aufgrund der Unvollkommenheit der Märkte (z.B. mangelnde Homogenität der ausgetauschten Güter, persönliche und/oder sachliche Präferenzen, asymmetrische Informationsverteilung), der unendlichen Vielgestaltigkeit autonomer unternehmerischer Verhaltensweisen sowie unterschiedlicher ökonomischer Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren ein mathematisch genau fixierbarer Preis nicht abgeleitet werden. b) Voraussetzungen nach § 1 Abs. 3 Satz 5 f. AStG und § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG
5.168
Gesetzlich angelegte Voraussetzungen. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 5 f. AStG können Preis- oder Wertbandbreiten entstehen, wenn eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist: – Bei Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs in Gestalt der Preisvergleichsmethode können mehrere Preise ermittelt werden, selbst wenn hierbei sachgerechte Anpassungen bezogen auf „Unterschiede zwischen den Verhältnissen der zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfälle zwischen voneinander unabhängigen Dritten und den dem zu untersuchenden Geschäftsvorfall zugrunde liegenden Verhältnissen“ vorzunehmen sind und hierdurch die die Preisvergleichsmethode beeinflussenden Unterschiede zur Herstellung der Vergleichbarkeit beseitigt werden können. – Bei Anwendung der Wiederverkaufspreis- oder Kostenaufschlagsmethode können mehrere Werte (Handelsspannen bei der Wiederverkaufspreismethode und Gewinnaufschläge bei der Kostenaufschlagsmethode) ermittelt werden, selbst wenn hierbei sachgerechte Anpassungen bezogen auf „Unterschiede zwischen den Verhältnissen der zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfälle zwischen voneinander unabhängigen Dritten und den dem zu untersuchenden Geschäftsvorfall zugrunde liegenden Verhältnissen“ vorzunehmen sind und hierdurch die die jeweilige Methode beeinflussenden Unterschiede zur Herstellung der Vergleichbarkeit beseitigt werden können. – Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode können mehrere Werte (Nettomargen) ermittelt werden, selbst wenn hierbei sachgerechte Anpassungen be422 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.169 Kap. 5
zogen auf „Unterschiede zwischen den Verhältnissen der zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfälle zwischen voneinander unabhängigen Dritten und den dem zu untersuchenden Geschäftsvorfall zugrunde liegenden Verhältnissen“ vorzunehmen sind und hierdurch die die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode beeinflussenden Unterschiede zur Herstellung der Vergleichbarkeit beseitigt werden können. – In den Fällen, in denen wegen des Einsatzes einzigartiger immaterieller Werte oder sonstiger einzigartiger und werthaltiger (Wertschöpfungs-) Beiträge beider Transaktionspartner für Zwecke der Verrechnungspreisbestimmung sowohl die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode als am besten geeignete Verrechnungspreismethode1 als auch deutsch-steuerlich die Durchführung eines hypothetischen Fremdvergleichs gemäß § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG in Betracht kommt,2 beruht die Verrechnungspreisbestimmung nur dann auf der Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode als der am besten geeignete Verrechnungspreismethode gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG, wenn für die Gewinnaufteilung Vergleichswerte festgestellt werden können. Dementsprechend kann bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode eine Wertbandbreite entstehen, wenn mehrere Werte (Gewinnaufteilungen) ermittelt werden können, selbst wenn hierbei sachgerechte Anpassungen bezogen auf „Unterschiede zwischen den Verhältnissen der zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfälle zwischen voneinander unabhängigen Dritten und den dem zu untersuchenden Geschäftsvorfall zugrunde liegenden Verhältnissen“ vorzunehmen sind und hierdurch die die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode beeinflussenden Unterschiede zur Herstellung der Vergleichbarkeit beseitigt werden können. Dies sollte allerdings in der Praxis der Ausnahmefall sein, weil die Einzigartigkeit von immateriellen Werten und Wertschöpfungsbeiträgen die Existenz von Vergleichstransaktionen denklogisch ausschließt.
2. Einengung von Bandbreiten a) OECD-Leitlinien Relativ gleiche Zuverlässigkeit/verhältnismäßig gleicher Vergleichbarkeitsgrad. Die OECD-Leitlinien stellen zunächst fest, dass es viele Situationen geben wird, bei denen die Anwendung der am besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind.3 Allerdings können erhebliche Abweichungen zwischen den Punkten innerhalb dieser Fremdvergleichsbandbreite nach Auffassung der OECD darauf hindeuten, dass die für die Bestimmung dieser Punkte verwendeten Daten nicht so zuverlässig sind wie solche Daten, die für andere Punkte innerhalb der Bandbreite herangezogen wurden.4 Ebenso kann sich die Abweichung aus Vergleichsdaten erklären, die eine Anpassung erfordern. In diesen Fällen empfehlen die OECD-Leitlinien eine weitergehende Analyse der Werte dieser Bandbreite daraufhin, inwieweit sie überhaupt als Vergleichswerte für eine Fremdvergleichsbandbreite geeignet sind.5 Insofern kommen sowohl die Nichtberücksichtigung bestimmter Werte, ggf. die Vornahme von Vergleichbarkeitsanpassungen als auch die unveränderte Berücksichtigung für die Fremdvergleichsbandbreite in Betracht. Den OECD-Leitlinien kann nicht entnommen werden, dass erhebliche Abweichungen zwischen 1 Vgl. Tz. 2.119, 2.126 u. 2.130 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – VWG BsGa, BStBl. I 2017, 182 Rz. 99; VWG VP 2021, Rz. 3.12, 3.59. 3 Vgl. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 3.59 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 3.59 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 423
5.169
Kap. 5 Rz. 5.169 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
einzelnen Werten der Bandbreite die fehlende Vergleichbarkeit (Vergleichbarkeitsdefizite) und/oder Zuverlässigkeit indizieren. Lediglich ihre ungeprüfte Einbeziehung in die Bandbreite sollte den Grundsätzen der OECD-Leitlinien nicht entsprechen. Insofern sind auch die Ausführungen in Tz. 3.63 der OECD-Leitlinien von Bedeutung, wonach extreme Werte nicht allein deshalb ausgeschlossen werden können, weil sie in auffälliger Weise von anderen Vergleichswerten abweichen.1 Ohne konkrete Anhaltspunkte für bestehende Vergleichbarkeitsdefizite sind auch extreme Vergleichswerte zu berücksichtigen. Die OECD-Leitlinien nennen in diesem Zusammenhang verlustbringende Geschäftsvorfälle bzw. defizitäre Unternehmen, die im Hinblick auf ihre Einbeziehung in die Vergleichbarkeitsanalyse einer weitergehende Überprüfung daraufhin zu unterziehen sind, ob sie den Vergleichbarkeitsanforderungen konkret genügen.2 Ausdrücklich lehnen die OECD-Leitlinien einen Ausschluss nur aufgrund der Verlustentstehung ab, wobei Gleiches auch für Vergleichswerte gilt, die ungewöhnlich hohe Gewinne ausweisen.3 Bei relativ gleichem Grad von Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit der Vergleichswerte sehen die OECD-Leitlinien keine Einengung der Wert- oder Preisbandbreite vor.4 Die konkreten Anforderungen an den Grad der Vergleichbarkeit bleiben allerdings völlig offen.
5.170
Unterschiedliche Vergleichbarkeitsgrade. Offenkundig gehen die OECD-Leitlinien davon aus, dass nur in Ausnahmefällen („in einigen Fällen“) nicht alle untersuchten Vergleichstransaktionen einen verhältnismäßig gleichen Grad an Vergleichbarkeit aufweisen. Tz. 3.55 („viele Situationen [...], bei denen die Anwendung der am besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle relativ gleich zuverlässig sind“)5 und 3.56 („einige Fälle“)6 OECD-Leitlinien verdeutlichen, dass die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung von einer allenfalls „eingeschränkten Vergleichbarkeit“ und dem regelmäßigen Vorliegen von Vergleichbarkeitsdefiziten nicht auf die OECD-Leitlinien gestützt werden kann. Ob in der Praxis das Verbleiben von Vergleichbarkeitsdefiziten den „wahrscheinlicheren“ Fall darstellt,7 ist eben ganz entscheidend von den Anforderungen abhängig, die an einen relativ hohen Grad der Vergleichbarkeit gestellt werden. Bereits die Feststellung von Vergleichstransaktionen, die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen als andere und deshalb ausgeschlossen werden sollten,8 ist jedenfalls schon angesichts der inhaltlichen Unbestimmtheit problematisch.
5.171
Bandbreiteneinengung bei Vergleichbarkeitsdefiziten. Im Falle verbleibender Vergleichbarkeitsmängel, die nicht identifiziert oder quantifiziert werden können und deshalb nicht angepasst sind, empfehlen die OECD-Leitlinien bei einer „beträchtlichen Zahl solcher Beobachtungen“ innerhalb der Bandbreite deren Einengung mittels statistischer Verfahren, die am Mittelwert orientiert sind.9 Vergleichbarkeitsmängel liegen nach Auffassung der OECD vor, wenn die Bandbreite Werte enthält, die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen. Aller-
1 Vgl. Tz. 3.63 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. hierzu auch Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 245. 2 Vgl. Tz. 3.65 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 3.65 und 3.66 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. auch Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 96. 5 Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2022. 6 Tz. 3.56 OECD-Leitlinien 2022. 7 So jedenfalls Förster, IStR 2011, 22. 8 Vgl. Tz. 3.56 OECD-Leitlinien 2022. 9 Vgl. Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2022.
424 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.172 Kap. 5
dings bedeutet Vergleichbarkeit nicht Identität. Die Anwendung des Fremdvergleichs kann stets nur auf eine Annäherung der Vergleichbarkeitsfaktoren gerichtet sein.1 Dementsprechend ist das Verbleiben von Unterschieden jeder Vergleichbarkeitsanalyse immanent. Die OECD-Leitlinien geben keine konkreten Verfahren für die Einengung von Preis- oder Wertbandbreiten vor, sondern beschränken sich auf die Feststellung, dass statistische Verfahren mit zentraler Tendenz dabei helfen können, die Verlässlichkeit der Analyse zu verbessern. Als solche statistischen Verfahren werden beispielhaft die Interquartilsbandbreite (Rz. 5.179 ff.), aber auch andere Perzentile genannt. Man wird hieraus schließen können, dass diese Ansätze mit den OECD-Leitlinien im Einklang stehen. Allerdings sind diese Ansätze zur Einengung von Preis- oder Wertbandbreiten weder exklusiv noch vorrangig anzuwenden. Vielmehr wird man den Vorgaben der OECD-Leitlinien lediglich entnehmen können, dass sowohl die Einengung von Preis- oder Wertbandbreiten selbst als auch die hierfür in Betracht kommenden Verfahren geeignet sein müssen, die Verlässlichkeit der Vergleichbarkeitsanalyse zu verbessern.2 Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden. Tz. 3.58 der OECD-Leitlinien weist darauf hin, dass sich eine Bandbreite von Werten auch dann ergeben könne, wenn für die Bestimmung des Verrechnungspreises für einen Geschäftsvorfall mehr als eine Verrechnungspreismethode angewendet wird. Richtigerweise entstehen in diesen Fall jedoch – regelmäßig – mehrere methodenspezifische Bandbreiten. Nach dem Rangfolgekonzept der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“3 kommt die Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden nebeneinander nur dann in Betracht, wenn sie nach der Vergleichbarkeitsanalyse und der Informationsverfügbarkeit gleich zuverlässig anwendbar sind. Hierbei gehen die OECD-Leitlinien bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit einer geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethode (Rz. 5.82 ff.) und einer Standardmethode (Rz. 5.5 ff.) von einem Vorrang der Standardmethoden und bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode neben jeder anderen Verrechnungspreismethode vom Vorrang der Preisvergleichsmethode aus (vgl. Rz. 5.140 u. Rz. 5.149).4 Im Zusammenhang mit Fremdvergleichsbandbreiten formulieren die OECD-Leitlinien als Anforderung an das Anwenden mehrerer Verrechnungspreismethoden, dass die betreffenden Methoden „einen ähnlichen Grad an Vergleichbarkeit“ liefen müssen.5 Dies sollte inhaltlich keinen Widerspruch zu den Anforderungen der gleichen Eignung und der gleich zuverlässigen Anwendbarkeit darstellen. Auch wenn methodenspezifische Bandbreiten regelmäßig voneinander abweichen werden, kann nach Auffassung der OECD jede einzelne Bandbreite für sich genommen für die Bestimmung einer fremdvergleichskonformen Bandbreite und damit letztlich für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises genutzt werden.6 Dies steht im Einklang mit den Anforderungen des Fremdvergleichsgrundsatzes, der die Anwendung von mehr als einer Verrechnungspreismethode nicht verlangt.7 Dementsprechend ist der Steuerpflichtige weder verpflichtet noch gehalten, seine jeweiligen Verrechnungspreise nach mehr als einer Verrechnungspreismethode zu bestimmen (Rz. 5.141). Dies entspricht der Auffassung der deutschen 1 Vgl. Tz. 3.55 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. auch Dawid/Renaud in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. III Rz. 217. 3 Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 3.58 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 3.58 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Tz. 2.12 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Liebchen | 425
5.172
Kap. 5 Rz. 5.172 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Finanzverwaltung in den VWG 20201, wonach der Steuerpflichtige zur Verprobung seiner Ergebnisse nach anderen Verrechnungspreismethoden nicht verpflichtet ist; ebenso wenig muss der Steuerpflichtige begründen, warum er andere Verrechnungspreismethoden als die seiner Verrechnungspreisbestimmung zugrunde gelegte Verrechnungspreismethode für weniger geeignet hält.2 Der Steuerpflichtige kann jedoch auch ohne eine bestehende Verpflichtung – und damit freiwillig – mehrere Verrechnungspreismethoden anwenden, entweder um deren Zweckmäßigkeit für den betreffenden Geschäftsvorfall zu untersuchen oder aber um seinen Verrechnungspreisansatz zu verproben oder zu plausibilisieren. Die OECD-Leitlinien sprechen in diesem Zusammenhang von einem flexiblen Ansatz, der es in schwierigen Fällen erlauben würde, die Beweiskraft verschiedener Methoden gemeinsam zu nutzen.3 Hierbei werden als „schwierige Fälle“ solche Fälle verstanden, „in denen keine Methode für sich allein schlüssig ist“. Dass auch die Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden allein mit dem Ziel erfolgt, ein fremdvergleichskonformes Ergebnis zu erlangen, ist eine Selbstverständlichkeit. Deshalb ist ein solcher flexibler Ansatz vornehmlich von Praktikabilitätserwägungen getragen, und zwar aus der Sicht des bzw. der Steuerpflichtigen einerseits und der betroffenen Finanzverwaltung(en) andererseits.4 Diesem flexiblen Ansatz kommt u.E. vornehmlich bei kooperativen Verfahren zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung Bedeutung zu, wie etwa im Rahmen der Aushandlung von Advance Pricing Agreements.5 Keinesfalls kann nur mit dem Hinweis, die gewählte Verrechnungspreismethode sei für sich genommen nicht schlüssig, dem Steuerpflichtigen die dezidierte Anwendung weiterer Verrechnungspreismethoden abverlangt werden.6 Die sich bei der Anwendung mehrerer Verrechnungspreismethoden regelmäßig ergebenden methodenspezifischen Bandbreiten können zur Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten herangezogen werden, wobei insbesondere den Werten im Überschneidungsbereich dieser Bandbreiten eine gewisse Beweiskraft zukommen kann. Idealerweise liegt der als angemessen anzusehende Verrechnungspreis in diesem Bereich. Fraglich ist allerdings, ob dieser Überschneidungsbereich eine genauere Bandbreite darstellt bzw. ob die maßgebliche Bandbreite nur für den Überschneidungsbereich zutreffend ermittelt ist. Richtigerweise wird man davon ausgehen müssen, dass die methodenspezifische Bandbreite durch die jeweilige andere methodenspezifische Bandbreite – und vice versa – eingeengt wird. Dies berührt die Eignung der jeweiligen methodenspezifischen Bandbreite nicht, zutreffend ermittelt und deshalb maßgeblich zu sein. M.a.W. kann dort, wo Preis- und Wertbandbreiten einzuengen sind, u.a. die Verprobung mittels einer weiteren Verrechnungspreismethode sachgerecht sein. b) Rechtsprechung des BFH
5.173
Ausschöpfen der „maßgebenden“ Bandbreite. Der BFH hat sich zur Frage, ob eine bestehende Preis- oder Wertbandbreite einzuengen ist, bisher nicht ausdrücklich geäußert. In seinem Grundsatzurteil vom 17.10.20017 kam der BFH einerseits zu der Erkenntnis, dass es den 1 2 3 4 5
Vgl. VWG 2020, Rz. 45. § 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV; § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d GAufzV. Vgl. Tz. 2.12 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.12 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. zu Advance Pricing Agreements Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 13.50 ff.; Liebchen in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 OECD-MA Rz. 506 ff. 6 Sowohl im Ergebnis auch Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 43. 7 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
426 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.176 Kap. 5
richtigen Verrechnungspreis im Sinne einer mathematisch genau fixierbaren Größe nicht geben kann, sondern allenfalls eine Bandbreite angemessener Preise bestimmbar ist. Zur letztlich entscheidenden Frage, wie der Verrechnungspreis innerhalb einer bestimmten Preisbandbreite konkret festzulegen ist, hat der BFH jedoch ausgeführt, dass sich der Steuerpflichtige bei einer im Wege des tatsächlichen Fremdvergleichs ermittelten Bandbreite an dem für ihn günstigen Rand der Bandbreite orientieren kann. Hierzu führt der BFH ferner wie folgt aus: „Dies entspricht der Überlegung, dass innerhalb der letztlich maßgebenden Bandbreite jeder Preis dem Fremdvergleich entspricht“.1 Der BFH beruft sich mithin auf den Fremdvergleichsgrundsatz. Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des BFH v. 18.5.2021.2 Lediglich Ausscheiden von Ausreißerwerten. Zwar hat der BFH mit dem Hinweis auf die letztlich „maßgebende Bandbreite“ ebenso wie dadurch, dass im Urteilssachverhalt tatsächlich auf eine „eingeschränkte Bandbreite angemessener Verrechnungspreise“ abgestellt wurde, im Ergebnis auch die Möglichkeit der Einengung von Bandbreiten eröffnet. Hierbei handelt es sich jedoch um solche Einengungen, die sich lediglich darauf beschränken, Ausreißer zu eliminieren oder Besonderheiten einzelner Vergleichstransaktionen zu korrigieren. Dies ist auch grundsätzlich mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar, da die Vergleichbarkeit der Verhältnisse und ggf. die Vornahme sachgerechter Anpassungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit Voraussetzungen für die zutreffende Identifizierung von Vergleichswerten oder -preisen und deren Zusammenstellung zu einer Wert- oder Preisbandbreite sind.
5.174
Verprobung mittels einer anderen Verrechnungspreismethode. In seinem Urteil vom 17.10.2001 hat der BFH angedeutet, dass es nach dem Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters geboten sein kann, eine sich nach der Wiederverkaufspreismethode ergebende Bandbreite nicht vollständig auszuschöpfen, sondern dass die Kostenaufschlagsmethode dazu dienen kann, die sich nach der Wiederverkaufspreisemethode ergebende Bandbreite entsprechend dem im Einzelfall Gebotenen einzuschränken und zu begrenzen.3 Auch im Urteil vom 6.4.2005 hat der BFH die Preisvergleichs- anhand der Wiederverkaufspreismethode verprobt.4 Ferner hat das FG Saarland in seinem Urteil vom 18.12.1996 festgestellt, dass die Kostenaufschlagsmethode zu Verprobungszwecken herangezogen werden kann, wenn Zweifel an der Vergleichbarkeit im Rahmen der Preisvergleichsmethode bestehen.5 Vor diesem Hintergrund entspricht es einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung, dass die Ergebnisse einer Verrechnungspreismethode mittels einer anderen Verrechnungspreismethode verprobt werden können.6
5.175
d) Gesetzliche Regelung Anpassungsnotwendigkeit und Beseitigung von methodenrelevanten Unterschieden. Nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG sind Unterschiede zwischen den Verhältnissen der zum Vergleich herangezogenen Vergleichstransaktionen und den Verhältnissen der zu beurteilenden konzerninternen Geschäftsbeziehung, „die die Anwendung der Verrechnungspreismethode beeinflussen 1 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. Vgl. Kleineidam/Baumhoff/ Seutter, DB 1986, 233. 2 Siehe BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. I 2004, 171 = FR 2002, 154. 4 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 5 Vgl. FG Saarland v. 18.12.1996 – 1 K 257/94, EFG 1997, 485. 6 Insoweit zutreffend auch VWG 2020, Rz. 46.
Baumhoff/Liebchen | 427
5.176
Kap. 5 Rz. 5.176 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
können“, durch sachgerechte Anpassungen zu beseitigen. Allerdings sind nicht jedwede Unterschiede anzupassen. Auch § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG fordert im Hinblick auf Vergleichbarkeitsanpassungen ebenso wie die Finanzverwaltung keine uneingeschränkte Vergleichbarkeit oder Identität. Vielmehr bedeutet vergleichbar sein, „dass keiner der Unterschiede (sofern vorhanden) zwischen den im Rahmen der Methode verglichenen Gegebenheiten die untersuchten Bedingungen beeinflussen kann, oder dass hinreichend genaue Anpassungen erfolgen können, um die Auswirkung dieser Unterschiede auszuschließen.1 Hierbei geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass es sich „um eventuell zwischen den Geschäftsvorfällen bestehende erhebliche Unterschiede“ handeln muss.2 Vor diesem Hintergrund ist der Normwortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG zwar insofern hinreichend bestimmt, dass nur methodenspezifische und -relevante Unterschiede Gegenstand von Anpassungsrechnungen sein können, hinsichtlich des vor Anpassungsrechnungen bestehenden Ausmaßes der Unterschiede in den Vergleichbarkeitsfaktoren ist die gesetzliche Regelung allerdings unbestimmt. Hier hat der Gesetzgeber bezogen auf § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG jedoch die Zwecksetzung von Anpassungsrechnung dahingehend klar zum Ausdruck gebracht, dass „Anpassungen, (...) zur Herstellung der Vergleichbarkeit erforderlich sein können, um eventuell zwischen den Geschäftsvorfällen bestehende erhebliche Unterschiede zu beseitigen.“3 Für die Vornahme von Anpassungsrechnungen kommt es deshalb u.a. auf die „Wesentlichkeit des Unterschieds“ an.4 Vergleichbarkeitsanpassungen sollen schließlich nur dann in Betracht gezogen werden, „wenn dadurch die Vergleichbarkeit erhöht wird“ (§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG). Ausweislich der Gesetzesbegründung müssen Vergleichbarkeitsanpassungen die Verlässlichkeit der Ergebnisse erhöhen.5
5.177
Bandbreiteneinengung bei verbleibenden Unterschieden in der Vergleichbarkeit. Wertund Preisbandbreiten sind nach § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG einzuengen, wenn nach Vornahme von Anpassungsrechnungen gem. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG Unterschiede in der Vergleichbarkeit verbleiben. Der Gesetzgeber bezieht sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf Tz. 3.55 OECD-Leitlinien und führt wortgleich wie folgt aus: „Da die Verrechnungspreisbestimmung nicht exakt und eindeutig sein kann (...), wird es auch viele Situationen geben, bei denen die Anwendung der am besten geeigneten Methode bzw. Methoden eine Bandbreite von Werten ergibt, von denen alle mehr oder minder gleich zuverlässig sind“; wobei die Gesetzesbegründung ausdrücklich auf einen in § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F. für Fälle der uneingeschränkten Vergleichbarkeit von Vergleichswerten bereits angelegten Gedanken Bezug nimmt.6 Dies verwundert insofern, als die Verrechnungspreispraxis bezogen auf das Vorliegen einer uneingeschränkten Vergleichbarkeit von Vergleichswerten dadurch geprägt war, dass es zu der Frage, ob die Voraussetzungen einer „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“7 in dem konkreten Sachverhalt vorliegen, häufig Streit gab. Deutlich wird dies auch anhand der Ausführungen von Vertretern der Finanzverwaltung, die „uneingeschränkte Vergleichbarkeit“ mit „Identität von Funktionen, Risiken, eingesetzten WG, vertraglichen Vereinbarungen, Marktverhältnissen (z.B. Marktgröße, Wettbewerbsintensität, Verhandlungsmacht, staatliche Regulierungen) und Geschäftsstrategien“ gleichgesetzt und ferner infrage gestellt haben, „ob es eine uneingeschränkte
1 2 3 4 5 6 7
BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79; Tz. 3.47 OECD-Leitlinien 2022. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 78. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 78. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 80. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
428 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.180 Kap. 5
Vergleichbarkeit überhaupt geben“ könne.1 Offensichtlich geht der Gesetzgeber auch für die Altfassung des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG nicht davon aus, dass es sich um Ausnahmefälle handelt. In diesen Fällen gleich geeigneter und gleich zuverlässiger Vergleichswerte kommt eine Einengung der Fremdvergleichsbandbreite nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG jedenfalls nicht in Betracht. Entsprechend den Grundsätzen der OECD-Leitlinien sind Fremdvergleichsbandbreiten dann einzuengen, wenn nach Vergleichbarkeitsanpassungen Unterschiede in der Vergleichbarkeit verbleiben (§ 1 Abs. 3a Satz 2 AStG). Die Gesetzesbegründung bezieht sich hier auf Tz. 3.56 OECD-Leitlinien, dass „in einigen Fällen“ nicht alle Vergleichstransaktionen einen gleichen Grad an Vergleichbarkeit aufweisen. Ausscheiden von Fremdgeschäftsvorfällen mit geringerem Grad an Vergleichbarkeit. Während § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG von einem gleichen Vergleichbarkeitsgrad der Vergleichstransaktionen ausgeht, in denen die Fremdvergleichsbandbreite nicht einzuengen ist, sondern vollständig ausgeschöpft werden kann, betrifft § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG die Fälle, in denen der Vergleichbarkeitsgrad unterschiedlich ist. Entsprechend den Empfehlungen der OECD-Leitlinien sollen in den Fällen des § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG gewissermaßen vorab die Vergleichstransaktionen und die aus diesen festgestellten Vergleichswerte ausgesondert werden, die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen als andere.2 Allerdings ist gesetzlich nicht bestimmt, welche Anforderungen an einen relativ hohen Grad der Vergleichbarkeit, an einen gleichen Grad der Vergleichbarkeit und an einen geringen bzw. geringeren Grad der Vergleichbarkeit zu stellen sind. Bereits die Feststellung von Vergleichstransaktionen, die einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit aufweisen als andere und deshalb ausgeschlossen werden sollten, ist jedenfalls schon angesichts der inhaltlichen Unbestimmtheit problematisch.
5.178
Gesetzliche Festlegung auf die Methode der Interquartilsbandbreite in § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG. Die nach dem Ausschluss von Vergleichstransaktionen mit geringerem Vergleichbarkeitsgrad verbleibenden Vergleichswerte sind nach § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG einzuengen. Hierbei soll zunächst geprüft werden, ob die Werte der Fremdvergleichsbandbreite Anhaltspunkte für eine bestimmte Einengung liefern. Welche Anhaltspunkte dies konkret sein sollen oder können, ist gesetzlich nicht bestimmt. Auch lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen, welche Anhaltspunkte auf welche Verfahren der Bandbreiteneinengung hindeuten sollen. Jedenfalls deuten extreme Werte innerhalb der Fremdvergleichsbandbreite, d.h. solche Werte, die in auffälliger Weise von anderen Vergleichswerten abweichen, nicht auf ein bestimmtes, auf den Ausschluss dieser Extremwerte gerichtetes Verfahren hin. Die OECD-Leitlinien stellen hierzu in Tz. 3.63 ausdrücklich fest, dass ohne konkrete Anhaltspunkte für bestehende Vergleichbarkeitsdefizite auch extreme Vergleichswerte zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 5.169). Für den praktischen Regelfall wird man davon ausgehen müssen, dass Fremdvergleichsbandbreiten nach der gesetzlich vorgegebenen Methode der „Interquartile Range“ einzuengen sind.3 Ausweislich der Gesetzesbegründung soll durch Anwendung dieser Methode die Verlässlichkeit der Analyse verbessert werden.4
5.179
Methode der „Interquartile Range“. Die Anwendung der Methode der „Interquartile Range“ hat ihren Ursprung im US-amerikanischen Steuerrecht. Sie ist dort wie folgt definiert: „[T]he interquartile range is the range from the 25th to the 75th percentile of the results derived from
5.180
1 Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Tz. 3.4.12.5 Rz. 220. 2 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 80. 3 § 1 Abs. 3a Satz 3 letzter Hs. AStG. 4 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 80.
Baumhoff/Liebchen | 429
Kap. 5 Rz. 5.180 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
the uncontrolled comparables“.1 Bei dieser Methode bleiben sowohl das untere Viertel (unteres Quartil) als auch das obere Viertel (oberes Quartil) der Werte der ermittelten Bandbreite unberücksichtigt. Hierbei zielt diese Methode darauf, statistische Ausreißer zu eliminieren. Für diese Methode fehlt es allerdings an einer tragfähigen ökonomischen Begründung. In der Literatur wurden die Mängel dieser Methode hinreichend diskutiert.2 Nicht nur, dass es sich um eine letztlich willkürliche, durch nichts zu begründende pauschale Einengung der Bandbreite um 50 % der Werte handelt, ohne dass auf das jeweilige Ausmaß der fehlenden Vergleichbarkeit eingegangen wird. Es liegt zudem kein anerkanntes statistisches Verfahren vor, das auf die Identifikation und Eliminierung von Ausreißerwerten gerichtet ist. Ein solches existiert schon deshalb nicht, weil in der Statistik bereits der Begriff des „Ausreißers“ bzw. „Outlier“ inhaltlich unbestimmt ist. In der Statistik wird zwischen „Extremwerten“, „Ausreißern“ und „Irrläufern“ unterschieden.3 Hierbei werden als „Extremwerte“ die beiden Randwerte der geordneten Merkmalswerte bezeichnet, also der größte und der kleinste Wert. Dagegen stammen „Irrläufer“ aus anderen Verteilungen. Als „Ausreißer“ werden schließlich die Werte bezeichnet, die mit der Masse der übrigen Werte unvereinbar erscheinen, wobei es kein allgemeingültiges objektives Kriterium gibt, anhand dessen eindeutig entschieden wird, ob ein Wert ein Ausreißer ist oder nicht.4 Vielmehr besteht Ermessensspielraum. Ausreißer sind hiernach gerade nicht notwendigerweise ausschließlich falsche oder ungenau erfasste Werte, sondern u.U. auch Werte, die richtig und genau, aber erwartungswidrig sind.5 Vor diesem Hintergrund kann ungeachtet der Vollständigkeit der ermittelten Vergleichswerte, was in der Verrechnungspreispraxis und den hier bestehenden Problemen in der Ermittlung von „Comparables“ eher die Ausnahme sein sollte, und der Verteilung der ermittelten Vergleichswerte kein statistisches Verfahren Allgemeingültigkeit beanspruchen. Ferner ist festzustellen, dass in der Statistik von Ausreißern gerade keine Rede ist, wenn sich die Werte unterhalb des 25 %-Quartils und oberhalb des 75 %-Quartils ziemlich gleichmäßig über den jeweiligen Wertebereich verteilen.6
5.181
Verteilung der Vergleichswerte. Die Methode der „Interquartile Range“ unterstellt eine statistische Normalverteilung der Werte einer Bandbreite. Dies sollte für die Fremdvergleichswerte einer Bandbreite wohl eher eine Annahme als eine Tatsache sein. Tatsächlich lassen sich die im Rahmen einer Vergleichbarkeitsanalyse ermittelten Vergleichswerte keiner statistischen Verteilungsart (z.B. Normalverteilung, t-Verteilung, F-Verteilung) zuordnen. Aufgrund dieser Vorbehalte ist der von Scholz/Crüger gezogenen Schlussfolgerung zuzustimmen, dass es sich bei der Methode der „Interquartile Range“ letztlich um einen „Daumenregel“7 handelt, mit der solche Vergleichswerte ausgesondert werden sollen, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer nicht ausreichenden Vergleichbarkeit zu hoch ist.
1 § 1.482-1 (e) (2) (iii) (C) US-Regs. 2 Vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 362 ff.; Werra, IStR 2005, 21; Finsterwalder, DStR 2005, 769; Steuerfachausschuss des IDW, FN-IDW 2004, 787 f. 3 Vgl. Barnett/Lewis, Outliers in Statistical Data3, 8 ff. 4 Vgl. Barnett/Lewis, Outliers in Statistical Data3, 7; Buttler, Ein einfaches Verfahren zur Identifikation von Ausreißern bei multivariaten Daten, Diskussionspapiere Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Statistik und Ökonometrie, No. 09/1996, 4. 5 Vgl. Schendra, Datenqualität mit SPSS, 165. 6 Vgl. Buttler, Ein einfaches Verfahren zur Identifikation von Ausreißern bei multivariaten Daten, Diskussionspapiere Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Statistik und Ökonometrie, No. 09/1996, 8. 7 Scholz/Crüger, RIW 2005, 37.
430 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.184 Kap. 5
Unzulässigkeit anderer statistischer Verfahren. Die OECD-Leitlinien enthalten mit dem Begriff „statistical tools“1 eine allgemeine Formulierung. Nach den OECD-Leitlinien ist einerseits eine Bandbreiteneinengung nur dann vorzunehmen, wenn die Bandbreite eine „beträchtliche Zahl“ von Beobachtungen mit Vergleichbarkeitsdefiziten aufweist. Andererseits halten die OECD-Leitlinien jedes statistische Instrument mit zentraler Tendenz für die Einschränkung von Bandbreiten für geeignet, wobei beispielhaft „die Interquartilsbandbreite oder andere Perzentile“ benannt werden (Rz. 5.171).2 Nach § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG sind andere Perzentile nicht zulässig. Gleiches gilt für sonstige „mathematische Verfahren“3, die bisher nach den VWG-Verfahren zur Einengung von Bandbreiten herangezogen werden konnten, wobei als statistische Instrumente mit zentraler Tendenz, d.h. Instrumente zur Beschreibung der Verteilung um den Mittelwert, insbesondere die Variationsbreite, die Varianz oder die Standardabweichung in Betracht kamen.4 Dass die verbleibenden Werte der Bandbreite auf ein bestimmtes (statistisches) Verfahren zur Einengung hindeuten und insofern nach § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG dieses Verfahren und nicht die Methode der Interquartilsbandbreite anzuwenden ist, sollte theoretisch wie praktisch den Ausnahmefall bilden. Will der Steuerpflichtige ein anderes Verfahren als das gesetzliche Regelverfahren zur Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten verwenden, hat er die entsprechende Tatbestandsvoraussetzung, d.h. nach den verbleibenden Werten der Bandbreite bestehende Anhaltspunkte für ebendieses Verfahren zur Einengung, nachzuweisen; dies sollte nur im Ausnahmefall gelingen.
5.182
c) Auffassung der deutschen Finanzverwaltung Keine verwaltungsseitigen Konkretisierungen zur Einengung von Bandbreiten. Durch die Zusammenführung und Konsolidierung der verrechnungspreisbezogenen VWG (vgl. Rz. 5.152 f.) fehlen jedwede verwaltungsseitigen Konkretisierungen zur Einengung von Fremdvergleichsbandbreiten sowie zu Verprobungs- und Kontrollrechnungen mittels anderer Methoden.5 Dies gilt insbesondere für das Berechnungsbeispiel zur exakten Bestimmung der Interquartilsbandbreite der VWG-Verfahren6, das ersatzlos entfallen ist. Die VWG VP beschränken sich stattdessen unter der Überschrift „Bandbreitenbetrachtung“ auf eine Wiedergabe der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG und der Gesetzesbegründung.7
5.183
Besonderheiten bei der Verrechnungspreisbestimmung mittels innerbetrieblicher Plandaten. Unverändert ist auch nach den VWG VP die Verrechnungspreisbestimmung unter Berücksichtigung innerbetrieblicher Plandaten und vorsichtiger Gewinnprognosen (Planrechnungen) zulässig.8 Es wird insofern der Verrechnungspreispraxis Rechnung getragen, nach der Verrechnungspreise für gleichartige Lieferungen und Leistungen üblicherweise im Rahmen des jährlichen Budgetprozesses auf Planbasis bestimmt und unterjährig abgerechnet werden. Entsprechend dem Ex-ante-Ansatz erfolgt die Preissetzung mithin im Vorhinein auf Basis der zum Zeitpunkt der
5.184
1 Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 3.57 OECD-Leitlinien 2022. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. d (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. zu den Begriffen Bamberg/Baur/Krapp, Statistik17, 20 ff. 5 Vgl. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.5 Buchst. b und c (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. d (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.29 f. 8 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.41.
Baumhoff/Liebchen | 431
Kap. 5 Rz. 5.184 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Budgetierung vorhandenen Informationen. Dies entspricht – wie im Verhältnis zu unverbundenen Transaktionspartnern – ordnungsmäßiger Preiskalkulation und führt im Ergebnis zu einer für das Budgetjahr geltenden Preisliste. Hinsichtlich der Verwendung von Plandaten für die Verrechnungspreisbestimmung unter Zugrundelegung von ex-ante bestimmten Vergleichswerten konnte der Steuerpflichtige bisher jeden Wert innerhalb der maßgeblichen Bandbreite (vollständige Bandbreite gem. § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG oder eingeengte Bandbreite gem. § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG) zugrunde legen. Gemäß Rz. 3.43 VWG VP sollte mit den festgesetzten Verrechnungspreisen und den prognostizierten Plandaten bei einer vorsichtigen Gewinnprognose ein mittlerer Wert innerhalb der Bandbreite erreicht werden.1 Diese Verwaltungsauffassung wird damit begründet, dass (i) Planrechnungen fremdübliches Verhalten widerspiegeln sollen, (ii) Planrechnungen als Element der Vergleichbarkeitsanalyse dazu beitragen sollen, die Bedingungen zu identifizieren, die bei Preisvereinbarungen unter voneinander unabhängigen Unternehmen zustande kommen würden, sowie (iii) dass bei Geschäftsvorfällen zwischen voneinander unabhängigen Unternehmen jedes Unternehmen, auch wenn es nur Routinefunktionen ausübt, die Chance und das Risiko hat, aufgrund der eigenen Geschäftstätigkeit in einem bestimmten Rahmen bessere oder schlechtere Ergebnisse zu erzielen.2 Eine Rechtsgrundlage für die Einengung der maßgeblichen Bandbreite auf „einen mittleren Wert“ besteht hingegen nicht. Nach Rz. 3.41 der VWG VP sollten die tatsächliche Entwicklung der zugrundeliegenden Plandaten und Renditekennziffern unterjährig, d.h. nicht nur – wie in der Verrechnungspreispraxis üblich – zum Jahresende, abgeglichen werden (Soll-Ist-Vergleich), um rechtzeitig auf einen geänderten Geschäftsverlauf regieren zu können; zumindest der Soll-Ist-Vergleich zum Jahresende ist verwaltungsseitig zwingend.3 Liegt das tatsächliche Ergebnis außerhalb der Bandbreite angemessener Ergebnisse, die sich unter Anwendung der ex-ante bestimmten Vergleichswerte (z.B. Nettomargen, Gewinnaufschlagssätze) ergeben, soll insofern eine nachträgliche Anpassung des Ergebnisses vorgenommen werden.4 Die Finanzverwaltung gibt damit – jedenfalls im Grundsatz – ihre erheblichen Vorbehalte ggü. Jahresendanpassungen ebenso wie die restriktiven Anforderungen an deren steuerliche Anerkennung auf. Nach Tz. 3.4.12.8 VWG-Verfahren wurden nachträgliche Preisermittlungen steuerlich nur anerkannt, „wenn im Vorhinein sowohl das Leistungsverhältnis als auch alle Preisbestimmungsfaktoren vereinbart wurden.“5 Zwar wollte die Finanzverwaltung eine nachträgliche Preisfestlegung bzw. -anpassung ausnahmsweise auch dann anerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diese auch zwischen fremden Dritten in vergleichbaren Fällen vorgenommen worden wäre; allerdings wurde dies mit der beispielhaften Benennung von Preisanpassungen oder -vereinbarungen, die kurzfristig nach erfolgter Lieferung oder Leistung erfolgen, auf Fälle beschränkt, die die in der Praxis relevanten Anwendungsfälle nicht betrafen. Ferner musste die „nachträgliche Preisberechnung auf eine bei Vertragsschluss vorliegende und festgestellte Ungewissheit über eine oder mehrere Preiskomponenten zurückzuführen sein, jedoch nicht auf das bei einem Beteiligten entstehende Ergebnis“.6 In Tz. 3.4.20 Buchst. e VWG-Verfahren hieß es hierzu ausdrücklich wie folgt „Vom Steuerpflichtigen vorgenommene Ergebnisanpassungen für die Vergangenheit, die nicht auf im Vorhinein abgeschlossenen Vereinbarungen [...] beruhen, sind steuerlich nicht anzuerkennen. Dies 1 2 3 4 5
Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.43. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.43. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.41. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.42. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.8 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.8. Satz 4 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
432 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.188 Kap. 5
gilt insbesondere für rückwirkende ‚Preisanpassungen’ durch nachträgliche Zahlungen oder Gutschriften/Belastungen, die das Ergebnis eines Unternehmens [...] den Nettorenditekennzahlen von Vergleichsunternehmen anpassen“.1 Dies wurde damit begründet, dass fremde Dritte dem Grunde nach keine Gewinnanpassungen, sondern lediglich Preisanpassungen vereinbaren und dem Zeitpunkt nach entsprechende Anpassungen mit Wirkung für die Zukunft vornehmen.2 Die nunmehr nach den VWG VP zwingende nachträgliche Anpassung auf einen Wert innerhalb der Bandbreite soll allerdings nicht dergestalt erfolgen, dass eine Anpassung stets auf den für den Steuerpflichtigen günstigsten Rand der maßgeblichen Bandbreite vorgenommen wird. Nach Verwaltungsauffassung deuten Jahresendanpassungen durch „das stetige Abstellen auf den obersten oder untersten Wert einer Bandbreite angemessener Ergebnisse“ grundsätzlich auf fremdunübliche (Vertrags-) Bedingungen hin.3 Für die im Einzelfall durch fremdunübliche Bedingungen veranlassten Einkunftsminderungen geht die Finanzverwaltung davon aus, dass diese nach § 1 AStG korrekturfähig sind.4
3. Verrechnungspreisbestimmung Keine (verbleibenden) Unterschiede in der Vergleichbarkeit. Bei relativ gleicher Zuverlässigkeit und verhältnismäßig gleichem Vergleichbarkeitsgrad der Fremdvergleichswerte kann der Steuerpflichtige gem. § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG grundsätzlich die Preis- oder Wertbandbreite vollständig ausschöpfen und den Preis oder Wert an dem für ihn günstigsten Rand seiner Verrechnungspreisbestimmung zugrunde legen (Rz. 5.179 f.).
5.185
Verbleibende Unterschiede in der Vergleichbarkeit. Bei verbleibenden Unterschieden in der Vergleichbarkeit kann der Steuerpflichtige lediglich die eingeengte Fremdvergleichsbandbreite ausnutzen, wobei der Verrechnungspreisbestimmung jeder Preis oder Wert zugrunde gelegt werden kann. Allerdings liegt das Problem bei der Verrechnungspreisbestimmung nicht in der Auswahl eines Wertes innerhalb einer eingeengten Bandbreite, sondern in der Bestimmung der eingeengten und damit steuerlich maßgeblichen Preis- oder Wertbandbreite selbst.
5.186
4. Einkünftekorrekturen und Fremdvergleichsbandbreiten a) Keine verbleibenden Unterschiede in der Vergleichbarkeit (§ 1 Abs. 3a Satz 1 AStG) Wertansatz innerhalb der Bandbreite. Da der Steuerpflichtige bei verhältnismäßig gleichem Grad der Vergleichbarkeit der Fremdvergleichswerte die – nicht eingeengte – Fremdvergleichsbandbreite vollständig ausschöpfen kann, scheidet eine Einkünftekorrektur aus, wenn der Verrechnungspreisbestimmung ein Preis bzw. Wert innerhalb der Bandbreite zugrunde gelegt wurde. Dies ist auch denklogisch eine Selbstverständlichkeit, kann doch der Steuerpflichtige darlegen, dass solche Preise auch von fremden Dritten unter gleichen oder vergleichbaren Bedingungen vereinbart wurden bzw. worden wären.
5.187
Wertansatz außerhalb der Bandbreite. Hat der Steuerpflichtige seiner Verrechnungspreisbestimmung einen Vergleichspreis oder -wert zugrunde gelegt, der außerhalb der für § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG maßgeblichen, d.h. der nicht eingeengten Bandbreite liegt, ist nach § 1
5.188
1 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.20 Buchst. e (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. Rasch, ISR 2013, 434. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.44. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.22.
Baumhoff/Liebchen | 433
Kap. 5 Rz. 5.188 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Abs. 3a Satz 4 AStG der Einkünftekorrektur der Median zugrunde zu legen. Dieser statistische Begriff ist nicht gleichbedeutend mit dem Mittelwert oder dem Durchschnitt, sondern er ist als Lageparameter „durch die Eigenschaft definiert, dass mindestens 50 % aller Merkmalswerte kleiner oder gleich [...] und mindestens 50 % aller Merkmalswerte auch größer oder gleich“ diesem Wert sind.1 Wie jeder andere Lageparameter soll er möglichst gut beschreiben, „wo das gesamte Datenmaterial auf der Merkmalsachse lokalisiert ist“.2 Gegen den Ansatz des Medians bestehen statistische Vorbehalte grundsätzlicher Art im Hinblick auf die eingeschränkte Aussagefähigkeit des Medians im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung. Jeder, der schon einmal Verrechnungspreise durch Anwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs ermittelt hat, ist sich bewusst, dass die Erhebung der Vergleichsgrößen nicht mit anderen statistischen Fragestellungen vergleichbar ist. So gelingt es meist nicht, eine größere Anzahl an Vergleichsgrößen zu ermitteln. Zudem lassen sich die Vergleichsgrößen keiner statistischen Verteilungsart (z.B. Normalverteilung, t-Verteilung, F-Verteilung) zuordnen, was allerdings für die Aussagekraft statistischer Größen bedeutsam ist. Ferner ist kaum sicherzustellen, dass die Vergleichsgrößen vollständig erhoben werden. Wenn bei einem so unbefriedigenden statistischen Ausgangsmaterial dennoch statistische Größen zur Anwendung kommen, geben die so ermittelten Werte nichts anderes als eine Scheingenauigkeit wieder. Dass der deutsche Gesetzgeber gleichwohl vorschreibt, einen so ermittelten Wert als Verrechnungspreis anzusetzen, ist erstaunlich.
5.189
Glaubhaftmachung eines anderen Wertansatzes durch den Steuerpflichtigen. Gegenüber der bisherigen Rechtslage zur sog. Mediankorrektur (§ 1 Abs. 3 Satz 4 AStG a.F.) räumt § 1 Abs. 3a Satz 4 AStG dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit ein, glaubhaft zu machen, dass ein anderer Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz (besser) entspricht.3 Der Gesetzgeber meint, dass trotz dieser Nachweismöglichkeit keine inhaltliche Änderung erfolgt sei.4 Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3a Satz 4 AStG ist es erforderlich, dass der Steuerpflichtige einen anderen, dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Wert „glaubhaft“ macht. Hierbei erfordert die Glaubhaftmachung ein herabgesetztes Beweismaß. Der Steuerpflichtige muss darlegen, dass für die behauptete Tatsache „eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben ist“; d.h., das Bestehen der behaupteten Tatsache „wahrscheinlicher ist als ihr Nichtbestehen“.5 Ausweislich der Gesetzesbegründung muss der Steuerpflichtige Argumente dafür vorbringen, dass (i) seine konzerninternen Geschäftsbeziehungen dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dass (ii) das Ergebnis in der Bandbreite fremdüblicher Werte liegt.6 Dies fördert zugleich das Grundproblem der Exkulpationsmöglichkeit des Steuerpflichtigen zu Tage: Finanzverwaltung und Steuerpflichtiger erachten unterschiedliche Fremdvergleichsbandbreiten für maßgeblich und der Steuerpflichtige muss die Tatbestandsvoraussetzung für die Mediankorrektur nach § 1 Abs. 3a Satz 4 AStG erschüttern, d.h. eine Fremdvergleichsbandbreite „glaubhaft“ machen, innerhalb derer sein Verrechnungspreisergebnis liegt. Dies kann ihm mit Erfolg nur dann gelingen, wenn z.B. bei der Einengung mittels der Methode der Interquartilsbandbreite – abweichend vom überholten Berechnungsbeispiel in den VWG-Verfahren7 – mittels z.B. der Excel-Funktion die Bandbreite so vergrößert wird,8 dass das Verrechnungspreisergebnis innerBamberg/Baur/Krapp, Statistik17, 16. Bamberg/Baur/Krapp, Statistik17, 16. Siehe hierzu auch Grotherr, IWB 2021, 614. Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 80. VWG FVerl, Rz. 40. Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 80. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. d (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 8 Vgl. hierzu z.B. Busch, DB 2021, 1912.
1 2 3 4 5 6 7
434 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.190 Kap. 5
halb der hiernach eingeengten Bandbreite liegt. Ferner eröffnen die VWG 20201 und die VWG VP2 hinsichtlich des zeitlichen Bezugs von Vergleichswerten das Wahlrecht, entweder Vergleichswerte zugrunde zu legen, die bereits zum Beginn des Wirtschaftsjahres bekannt waren, oder aber solche, die nachträglich bekannt gewordene sind, soweit sich diese auf den Zeitpunkt der Vereinbarung des Geschäftsvorfalls beziehen. Die gesetzliche Regelung steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH, die dem Steuerpflichtigen konzediert, die Preisbandbreite zu seinen Gunsten vollständig auszuschöpfen und dementsprechend den Verrechnungspreis an dem für ihn günstigsten Rand zu wählen.3 Hierbei hat sich der BFH ausdrücklich auf den Fremdvergleichsgrundsatz abgestützt. Die Begründung des Medianwertes mit rein fiskalischer Argumentation i.R. der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes überzeugt jedenfalls nicht.4 Letztlich wollten Gesetzgeber und Finanzverwaltung mit der Einkünftekorrektur auf den Median der Preis- oder Wertbandbreite jedwedem Anreiz vorbeugen, dass der Steuerpflichtige im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung gezielt einen Preis oder Wert außerhalb der Preisoder Wertbandbreite zugrunde legt und gleichwohl – und das nur im Aufgriffsfall – einer Einkünftekorrektur auf den günstigsten Rand der Preis- oder Wertbandbreite ausgesetzt ist. Dies allerdings würde voraussetzen, dass – erst recht bei gleicher Zuverlässigkeit und verhältnismäßig gleichem Vergleichbarkeitsgrad der Fremdvergleichswerte – in der Betriebsprüfung kein Streit über die zutreffende Ermittlung der Fremdvergleichsbandbreite aufkommt. In der Verrechnungspreispraxis sollte die fehlende Streitbefangenheit eher die Ausnahme als die Regel darstellen. Ferner steht die gesetzliche Vorgabe des § 1 Abs. 3a Satz 4 AStG im Widerspruch zu § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG, der als Programmsatz dieser Einkünftekorrekturvorschrift eine Einkünftekorrektur der Höhe nach nur auf den Fremdvergleichspreis zulässt. Offenkundig soll der dem vertraglich vereinbarten Verrechnungspreis gegenüberzustellende „zutreffende“ Fremdvergleichspreis davon abhängen, ob der Steuerpflichtige seiner Verrechnungspreisbestimmung die gesetzlichen Vorgaben bereits zugrunde legt und diese beachtet oder nicht, wobei im letzteren Fall eine Verrechnungspreisbestimmung außerhalb der Preis- oder Wertbandbreite sanktioniert ist. Dies kann nicht richtig sein und hat insbesondere keine Rechtfertigung im Fremdvergleichsgrundsatz. I.Ü. wird ausweislich der Gesetzesbegründung die Mediankorrektur maßgeblich auf das Argument der Missbrauchsvermeidung gestützt. Wie der BFH i.R. eines obiter dictum zu seinem Urteil vom 18.5.2021 zutreffend festgestellt hat, ist ein solches Argument für die Durchführung eines Fremdvergleichs ungeeignet und darf die individuelle, geschäftsvorfallbezogene Fremdvergleichsprüfung nicht überlagern.5 b) Verbleibende Unterschiede in der Vergleichbarkeit (§ 1 Abs. 3a Satz 2 AStG) Wertansatz innerhalb der eingeengten Bandbreite. Verbleiben nach Vornahme von Anpassungsrechnungen gem. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG Unterschiede in der Vergleichbarkeit der Vergleichswerte, kann der Steuerpflichtige lediglich die eingeengte Preis- oder Wertbandbreite ausschöpfen. Die Verrechnungspreispraxis zeigt hier, dass die deutsche Finanzverwaltung re1 2 3 4 5
Vgl. VWG 2020, Rz. 49. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.22. Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. Zur Begründung zuletzt BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 80. Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch.
Baumhoff/Liebchen | 435
5.190
Kap. 5 Rz. 5.190 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
gelmäßig dann, wenn eine Unvergleichbarkeit der Vergleichswerte im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs ausgeschlossen werden kann, von verbleibenden Vergleichbarkeitsdefiziten ausgeht und dementsprechend nur eine eingeengte Preis- oder Wertbandbreite als zulässig ansieht. Dies sollte mit den OECD-Leitlinien jedenfalls insofern nicht zu vereinbaren sein, als das Verbleiben von Vergleichbarkeitsdefiziten gerade nicht als der Regelfall konzipiert ist (vgl. Rz. 5.169 ff.). Auf ebendiese nimmt die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3a Sätze 1 und 2 AStG jedoch umfassend Bezug (vgl. Rz. 5.176 f.).
5.191
Wertansatz außerhalb der eingeengten Bandbreite. Hat der Steuerpflichtige seiner Verrechnungspreisbestimmung einen Vergleichspreis oder -wert zugrunde gelegt, der außerhalb der nach § 1 Abs. 3a Satz 2 und 3 AStG maßgeblichen eingeengten Preis- oder Wertbandbreite liegt, ist nach § 1 Abs. 3a Satz 4 AStG eine Einkünftekorrektur auf den Median vorzunehmen. Problematisch an dieser Einkünftekorrektur ist zum einen, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG Einkünftekorrekturen nur in dem Umfang zulässt, wie der vereinbarte Verrechnungspreis von dem Fremdvergleichspreis abweicht. Markiert jedoch die eingeengte Preis- oder Wertbandbreite – auch nach Maßgabe der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG – den Bereich von Vergleichswerten, die mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar sind, kann eine Einkünftekorrektur auf den Median nicht aus dem Fremdvergleichsgrundsatz abgeleitet werden (Rz. 5.189). Es kann nicht angehen, dass unterschiedliche Fremdvergleichspreise einer Einkünftekorrektur nach § 1 AStG in Abhängigkeit davon zugrunde gelegt werden, ob der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Verrechnungspreis – ggf. zufällig – innerhalb oder außerhalb einer zulässigen Bandbreite liegt. Der Steuerpflichtige, dessen Verrechnungspreis nur geringfügig außerhalb der zulässigen Bandbreite liegt, wird also im Verhältnis zu einem anderen Steuerpflichtigen, dessen Verrechnungspreis nur geringfügig innerhalb der zulässigen Bandbreite liegt, extrem ungleich behandelt. Er wird einer Strafbesteuerung unterworfen. Wie dargestellt, räumt § 1 Abs. 3a Satz 4 AStG dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit ein, glaubhaft zu machen, dass ein anderer Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Im Einzelnen wird auf Rz. 5.189 verwiesen. c) Schätzung bei Verletzung der Mitwirkungspflichten
5.192
Verletzung der Dokumentationspflichten. Kommt der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO nicht nach, indem – er die in § 90 Abs. 3 AO bzw. der GAufzV vorgeschriebenen Aufzeichnungen über einen Geschäftsvorfall (Rz. 8.10 ff.) nicht vorlegt, – die von ihm über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind oder – Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 8 AO nicht zeitnah erstellt wurden, wird gem. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO widerlegbar vermutet, dass die inländischen Einkünfte aus den entsprechenden Geschäftsbeziehungen zum Ausland höher sind als die bislang erklärten.1 Letztlich wird damit unterstellt, dass die vom Steuerpflichtigen erklärten Einkünfte nicht auf der Grundlage eines Fremdvergleichs ermittelt wurden. Mithin liegt es dann – aufgrund der „Widerlegbarkeit“ dieser Vermutung – beim Steuerpflichtigen, die Angemessenheit der von
1 Zu den Sanktionen des § 162 Abs. 3 u. 4 AO vgl. auch VWG 2020, Rz. 80.
436 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.194 Kap. 5
ihm festgesetzten Verrechnungspreise nachzuweisen. Dies wird ihm jedoch nur dann mit Erfolg gelingen, wenn er dem FA die zugrunde liegenden Geschäftsbeziehungen und die entsprechende Verrechnungspreisermittlung in dem Umfang glaubhaft vortragen kann, wie er sie in einer ordnungsgemäßen Dokumentation i.S.d. § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV hätte erläutern müssen. Umkehr der Beweislast. Im Ergebnis führt die Vorschrift des § 162 Abs. 3 AO zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen, welche im Widerspruch zu den allgemeinen verfahrensrechtlichen Beweislastregeln einerseits und dem Amtsermittlungsgrundsatz andererseits steht.1 Nach § 88 Abs. 1 AO ist prinzipiell die Finanzbehörde verpflichtet, „von Amts wegen“ den Sachverhalt zu ermitteln. Daneben hat der Steuerpflichtige bestimmte Mitwirkungspflichten – insbesondere gem. § 90 Abs. 1 und 2 AO – zu erfüllen. Kommt er diesen nicht nach und ist der Sachverhalt nicht anderweitig aufklärbar, kann prinzipiell – zum Nachteil des Steuerpflichtigen – von einem Sachverhalt ausgegangen werden, für den die größte Wahrscheinlichkeit spricht.2 Im Gegensatz zu diesen allgemeinen Grundsätzen des Verfahrensrechts kommt es nach § 162 Abs. 3 i.V.m. § 90 Abs. 3 AO nicht mehr darauf an, ob der Sachverhalt ggf. anderweitig aufklärbar ist bzw. ob eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die Verrechnungspreise dem Prinzip des „dealing at arm’s length“ entsprechen. Vielmehr wird gesetzlich – wenngleich durch den Steuerpflichtigen widerlegbar – ein Verstoß gegen den Grundsatz des Fremdvergleichs vermutet.3
5.193
Verletzung der Mitwirkungspflichten ausländischer Nahestehender. Nach § 162 Abs. 3 Satz 3 AO greifen (selbst) bei der Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen, d.h. bei Erfüllung der Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV, dieselben Sanktionen wie bei der Nichtvorlage oder der Vorlage im Wesentlichen unverwertbarer Aufzeichnungen, wenn
5.194
– Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Einkünfte des Steuerpflichtigen bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten, und – diese Zweifel deshalb nicht ausgeräumt werden können, weil eine ausländische nahe stehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 AO nicht erfüllt. § 162 Abs. 3 Satz 3 AO ist darauf gerichtet, die Anwendung der im Regelfall geltenden Schätzungsgrundsätze davon abhängig zu machen, dass die Finanzverwaltung die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen mit Unterlagen eines ausländischen Rechtsträgers abgleichen kann.4 Im Kern geht es darum, dass die deutsche Finanzverwaltung die Angaben des Steuerpflichtigen insbesondere bezogen auf die Angemessenheitsdokumentation anhand der entsprechenden Unterlagen insbesondere des verbundenen Transaktionspartners, aber auch anderer Verbund-
1 Vgl. Moebus, BB 2003, 1413; Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2010, Beihefter zu Heft 20/2010, 39. 2 Sog. Beweismaßreduktion auf die größtmögliche Wahrscheinlichkeit, vgl. grundlegend BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 2, 4 u. 7; Seer, BB 1999, 79. 3 Vgl. VWG 2020, Rz. 80; a.A. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, FR 2001, 694 = DStR 2001, 985, nach dem aus einer fehlenden Verrechnungspreisdokumentation nicht die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass die festgesetzten Verrechnungspreise einem Fremdvergleich nicht genügen. 4 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zu § 162 Abs. 3 Satz 3 AO, BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 141; Buciek in Gosch, § 162 AO Rz. 191.
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Kap. 5 Rz. 5.194 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
gesellschaften überprüfen möchte, hierzu jedoch nur sehr eingeschränkte rechtliche Möglichkeiten hat. So haben insbesondere deutsche Tochtergesellschaften vielfach keinen Zugang zu den Geschäftsunterlagen ihrer ausländischen Muttergesellschaft.1 Auch die Verpflichtung zur Beweisvorsorge (§ 90 Abs. 2 Satz 4 AO) beschränkt sich auf die Gestaltung der „eigenen“ Verhältnisse des Steuerpflichtigen, was insbesondere bezüglich etwaiger Vorteile aus Transaktionen zwischen Schwestergesellschaften, die bei der Muttergesellschaft oder anderen Verbundgesellschaften „vermutet“ werden, aber auch bei zeitlich nachgelagerten Transaktionen des ausländischen Transaktionspartners mit fremden Dritten nicht vorliegt, weil es sich diesbezüglich um die Gestaltung „fremder“ Verhältnisse handelt, für die der Steuerpflichtige Beweisvorsorge naturgemäß nicht treffen kann. Mit § 162 Abs. 3 Satz 3 AO sollen insbesondere ausländische Muttergesellschaften „motiviert“ werden, ihrer deutschen Tochtergesellschaft – auch ohne rechtliche Grundlage – angeforderte Unterlagen zur Verfügung zu stellen, um bei diesen Sanktionen auszuschließen. So zeigt die Betriebsprüfungspraxis, dass Auskunfts- und Vorlageverlangen regelmäßig nicht an die betreffende ausländische Konzerngesellschaft gerichtet werden, sondern an den inländischen Steuerpflichtigen unter Hinweis auf § 162 Abs. 3 Satz 3 AO. Insofern entscheidet diese Regelung nicht nur über die Zurechnung mangelnder Mitwirkung verbundener ausländischer Gesellschaften,2 sondern fungiert vornehmlich als „Druckmittel“ gegenüber dem Steuerpflichtigen. Dies ist ausweislich der Gesetzesbegründung auch beabsichtigt. Dort heißt es wie folgt: „Da entsprechende Durchsetzungsschwierigkeiten gegenüber einem inländischen Mitwirkungspflichtigen nicht bestehen, ist die Regelung ein notwendiger Beitrag zur Gleichbehandlung, denn die Belastung des Steuerpflichtigen durch die entsprechend erhöhte Steuer hat zum Zweck, Druck auf ausländische Anteilseigner bzw. Eigentümer auszuüben, die Mitwirkungs- und Auskunftspflichten zu erfüllen“.3 Um die Rechtsfolgen des § 162 Abs. 3 Satz 3 AO auszulösen, müssen zunächst Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einkünfte des Steuerpflichtigen bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten. Worin diese Anhaltspunkte konkret bestehen müssen, ist gesetzlich nicht geregelt. Sie müssen jedenfalls eine konkrete Grundlage haben und dürfen sich nicht in Spekulationen oder allgemeinen Erwägungen des Inhalts erschöpfen, dass der Zugriff auf Unterlagen der ausländischen nahe stehenden Person die Überprüfungsmöglichkeit der deutschen Finanzbehörden stets verbessern würde.4 In der Praxis sollten solche Anhaltspunkte regelmäßig daran festgemacht werden, dass die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse erheblich von den Annahmen abweicht, die der Steuerpflichtige in seinen Aufzeichnungen erwartet hat.5 Hierbei sollten vornehmlich Abweichungen der tatsächlich erzielten Gewinne von den prognostizierten Gewinnen etwa im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen und der Übertragung oder Überlassung immaterieller Werte von Bedeutung sein, da diese der Bestimmung des Veräußerungspreises bzw. der Lizenzgebühr zugrunde gelegt wurden. Allerdings handelt es sich bei der Prognose zukünftig erwarteter Gewinne stets um unsicherheitsbehaftete Schätzungen zukünftiger Verhältnisse. Es kann nicht angehen, dass Prognoseirrtümer, die sich zugunsten wie zu Lasten des inländischen Steuerpflichtigen auswirken können, zum Anlass genommen werden, daraus
1 Vgl. dazu auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 71b. 3 Begründung des Regierungsentwurfs zu § 162 Abs. 3 Satz 3 AO, BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 141. 4 Vgl. Buciek in Gosch, § 162 AO Rz. 221. 5 Vgl. Buciek in Gosch, § 162 AO Rz. 221.
438 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.195 Kap. 5
für Zwecke des § 162 Abs. 3 Satz 3 AO belastbare Anhaltspunkte abzuleiten. Gleiche Prognoserisiken trägt i.Ü. der verbundene ausländische Transaktionspartner. Dies gilt umso mehr, als dies letztlich die Gefahr birgt, dass dem Steuerpflichtigen ex post gewonnene Erkenntnisse in Gestalt eines „Perfect Hindsight“ entgegenhalten werden, was mit dem für die Verrechnungspreisbestimmung maßgeblichen Grundsatz der Ex-ante-Betrachtung (Rz. 3.100) unvereinbar und deshalb grundsätzlich abzulehnen wäre. Ferner muss die ausländische nahestehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 AO verletzt haben und diese Pflichtverletzung muss ursächlich dafür sein („deswegen nicht [...], weil“), dass bestehende Zweifel nicht ausgeräumt werden können. Die Verletzung der benannten Pflichten erfordert denklogisch zunächst, dass solche Pflichten überhaupt bestehen. Was die erweiterten Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO anbelangt, treffen den in Deutschland weder unbeschränkt noch beschränkt steuerpflichtigen verbundenen ausländischen Transaktionspartner keine originären Mitwirkungspflichten gegenüber dem deutschen Fiskus.1 Er ist nicht Beteiligter i.S.d. § 78 AO.2 Auch kann die deutsche Finanzbehörde kein Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 AO an den verbundenen ausländischen Transaktionspartner richten, da ein solches Auskunftsersuchen als Verwaltungsakt nicht an ein ausländisches Staatsgebiet gerichtet werden kann; anderenfalls werden die territorialen Geltungsgrenzen deutscher Rechtsnormen und damit Völkerrecht verletzt.3 Allenfalls können deutsche Finanzbehörden benötigte Informationen ausländischer Gesellschaften im Rahmen des zwischenstaatlichen Informationsaustausches über Auskunftsersuchen an die jeweilige ausländische Finanzbehörde auf Basis der in deutsches Rechts transformierten EU-Amtshilfe-Richtlinie4 oder der Art. 26 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen des jeweiligen DBA erlangen.5 Allerdings handelt es sich hierbei um Auskunftsersuchen, die gerade nicht auf der Grundlage von § 93 Abs. 1 AO erfolgen und deshalb nicht an die ausländische nahestehende Person, sondern an die jeweilige ausländische Finanzbehörde gerichtet werden. Auch insofern bestehen mithin keine Pflichten des ausländischen verbundenen Transaktionspartners, die verletzt werden könnten. Vor diesem Hintergrund entspricht es der einhelligen Auffassung im Schrifttum, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 162 Abs. 3 Satz 3 AO nicht vorliegen können und diese Regelung deshalb leer läuft.6 Schätzung zu Lasten des Steuerpflichtigen. Kann der Steuerpflichtige aufgrund einer fehlenden oder im Wesentlichen unverwertbaren Verrechnungspreisdokumentation die Vermutung der Unangemessenheit seiner Verrechnungspreise nicht entkräften, ist das FA berechtigt, die Einkünfte aus den entsprechenden Geschäftsvorfällen zu schätzen. Können im Rahmen dieser 1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1467; Seer in Tipke/Kruse, § 90 Rz. 45; Buciek in Gosch, § 162 AO Rz. 229; IDW, IDW-Fn. 2007, 207; Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB F. 3 Deutschland Gr. 1, 2228; Wulf, DB 2007, 2285; Sinz/Kubaile, IStR 2009, 403. 2 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 90 Rz. 45; s. auch BMF v. 25.1.2006 – IV B 1 - S 1320 – 11/06, BStBl. I 2006, 26 Tz. 5.2. 3 Vgl. Buciek in Gosch, § 162 AO Rz. 229; Wulf, DB 2007, 2285. 4 Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG; umgesetzt durch EU-Amtshilfegesetz v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 5 Vgl. Übersicht bei Engelschalk in V/L7, Art. 26 OECD-MA Rz. 58 sowie ferner Czakert in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 26 OECD-MA Rz. 94 ff. 6 Vgl. Buciek in Gosch, § 162 AO Rz. 229; Rasch in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. IV Rz. 51 u. 62; Wulf, DB 2007, 2285; Sinz/Kubaile, IStR 2009, 403.
Baumhoff/Liebchen | 439
5.195
Kap. 5 Rz. 5.195 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Schätzung die Einkünfte nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, z.B. in Form einer Bandbreite von Vergleichspreisen, ermittelt werden, kann das FA diesen Rahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausschöpfen1. Dazu ist es allerdings nicht verpflichtet, vielmehr liegt es in seinem Schätzungsermessen, welchen Wert es im Rahmen der Bandbreite wählt. Die gleiche Rechtsfolge der Schätzung zu Lasten des Steuerpflichtigen soll bei mangelnder Mitwirkung einer ausländischen nahestehenden Person zum Tragen kommen, wobei allerdings die Tatbestandsvoraussetzungen des § 162 Abs. 3 Satz 3 AO regelmäßig nicht vorliegen. Hat die Finanzverwaltung eine Preis- oder Wertbandbreite im Wege der Schätzung ermittelt, stellt sich die Folgefrage, ob das Schätzungsermessen angesichts der Regelungen in § 1 Abs. 3a AStG reduziert wird.2 Praktische Bedeutung kommt hierbei insbesondere den Fällen des § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG zu, in denen die Fremdvergleichsbandbreite regelmäßig mittels der Methode der Interquartilsbandbreite nach § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG einzuengen ist. Liegt der Verrechnungspreisansatz des Steuerpflichtigen innerhalb dieser eingeengten Bandbreite, kommt eine Einkünftekorrektur nicht in Betracht. Ein Ausschöpfen auch des unteren oder oberen Quartils sollte jedenfalls ausscheiden, zumal die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass sich durch die Verkürzung einer Bandbreite Ausreißerwerte am zuverlässigsten eliminieren ließen. Nichts anderes kann für Schätzungen nach § 162 Abs. 3 Satz 2 AO gelten. Sollte der vom Steuerpflichtigen angesetzte Verrechnungspreis außerhalb der eingeengten Bandbreite liegen, ist nach § 1 Abs. 3a Satz 4 AO nur der Ansatz des Medians zulässig. Auch insofern sollte sich das Ermessen der Finanzverwaltung auf null reduzieren. Nur wenn von diesen allgemeinen Grundsätzen nicht abgewichen wird, dürfte § 162 Abs. 3 Satz 2 AO mit Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht vereinbar sein.3
5.196
Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Diese Vorgehensweise kann im Einzelfall zu einem Verstoß gegen die Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildete DBA-Norm führen, da abkommensrechtlich nur bei tatsächlich unangemessenen Verrechnungspreisen eine Einkünftekorrektur möglich ist. So haben der BFH mit Urteil vom 11.10.20124 – im Einklang mit der vorinstanzlichen Entscheidung der FG Hamburg vom 31.10.20115 – und das FG Köln mit rechtskräftigem Urteil vom 22.8.20076 konkret zu den formalen Sonderbedingungen entschieden, denen beherrschende Gesellschafter im Rahmen einer Einkünftekorrektur auf Grundlage einer vGA (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) unterliegen, dass die Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Abkommensbestimmungen keine formalen Anforderungen beinhalten und deshalb gegenüber rein formalen Beanstandungen eine Sperrwirkung entfalten (vgl. konkret im Bereich 1 Vgl. § 162 Abs. 3 Satz 2 AO. Auch insoweit ist fraglich, ob diese Vorgehensweise abkommensrechtlich gedeckt ist. Ebenfalls kritisch Moebus, BB 2003, 1413; Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2010, Beihefter zu Heft 20/2010, 39. 2 Vgl. auch Ebert/Wellmann in V/B/B, Verrechnungspreise5, E Rz. 129. Zur Orientierung am Mittelwert der Bandbreite vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 70. 3 Vgl. hierzu auch Buciek in Gosch, § 162 AO Rz. 213. 4 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324. Siehe hierzu auch Gosch, BFH/PR 2013, 88; Andresen/Immenkötter/Frohn, DB 2013, 534; Schnorberger/Becker, IStR 2013, 109. 5 Vgl. FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190 f. Siehe hierzu auch Rasch, IWB 2012, 198 ff. 6 Vgl. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161; Schaumburg, Internationales Steuerecht4, Rz. 21.143 m.w.N.; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.94; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Rasch, IWB F. 3a Gr. 1, 1103; Strunk/Kaminski, Stbg 2008, 211; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 704 f.
440 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.197 Kap. 5
der Konzern- und Kostenumlagen Rz. 6.336 ff.). Um ebensolche formale Anforderungen handelt es sich auch bei den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV. Auch aufgrund der Nichtvorlage entsprechender Aufzeichnungen, der Vorlage im Wesentlichen nicht verwertbarer Aufzeichnungen und der nicht zeitnahen Dokumentation außergewöhnlicher Geschäftsvorfälle lassen sich abkommensrechtlich Einkünftekorrekturen nur in dem Umfang durchsetzen, als nach dem Fremdvergleichsgrundsatz unangemessene Verrechnungspreise abgerechnet wurden. Strafschätzungen durch Ausschöpfen von Fremdvergleichsbandbreiten zu Lasten des Steuerpflichtigen sollten deshalb wegen der Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht durchsetzbar sein. Die Rspr. des BFH zu Teilwertabschreibungen und der Korrekturfähigkeit von Einkünfteminderungen infolge fremdunüblicher Bedingungen nach § 1 AStG, denen gegenüber die Art. 9 OECD-MA entsprechenden Vorschriften der deutschen DBA nach Auffassung des BFH keine Sperrwirkung entfalten,1 betreffen die vorgenannten rein formalen Anforderungen nicht.2
III. Einigungsbereich 1. Bestimmung der Preisgrenzen a) Vorbemerkungen Gesetzliche Beschränkung auf eine ertragswertbasierte Bewertung. Der hypothetische Fremdvergleich ist von seiner Grundkonzeption ein Denkmodell, bei dem gemessen am Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auf Seiten des leistungserbringenden wie auf Seiten des leistungsempfangenden Unternehmens (doppelter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, Rz. 3.145 ff.) Soll-Vergleichstatbestände für beide Kontrahenten durch Nachdenken ermittelt werden und ein Preisbildungsprozess simuliert wird (Rz. 3.134 ff.).3 Nach welchen Grundsätzen die Preisgrenzen als Soll-Vergleichstatbestände konkret zu bestimmen sind, ist gesetzlich lediglich für den hypothetischen Fremdvergleich in Gestalt der sog. Einigungsbereichsbetrachtung geregelt. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG bestimmt, dass der hypothetische Fremdvergleich „unter Beachtung des Absatzes 1 Satz 3 aus Sicht des Leistenden und des jeweiligen Leistungsempfängers anhand ökonomisch anerkannter Bewertungsmethoden durchzuführen“ ist. Der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass der hypothetische Fremdvergleich zwar auf dessen Kern, nämlich ökonomisch fundiertes Nachdenken zurückgeführt wird, letztlich jedoch unverändert auf die Anwendung ökonomisch anerkannter Bewertungsmethoden begrenzt wird.4 Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG sind solche „ökonomisch anerkannte Bewertungsmethoden“ insbesondere Ertragswert- und Discounted-Cashflow-Methoden, die auf innerbetrieblichen Planrechnungen beruhen.5 Insofern ist ungeachtet dessen, dass weder § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG noch § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG mit § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG a.F. vergleichbare Anforderungen an die Grenzpreis1 Vgl. grundlegend BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443. Seitdem stand. Rspr., zuletzt BFH v. 19.2.2020 – I R 19/17, BStBl. II 2021, 223. 2 Zum Fortbestand der BFH-Rspr. zur Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden Abkommensvorschriften gegenüber Einkünftekorrekturen nach vGA-Grds. wegen den formalen Sonderbedingungen bei beherrschenden Gesellschaftern siehe BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394. 3 Vgl. grundlegend Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 109 ff. Siehe auch Wassermeyer in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 126; Wassermeyer, DB 1994, 1107; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 128. 4 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79. 5 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79.
Baumhoff/Liebchen | 441
5.197
Kap. 5 Rz. 5.197 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
ermittlung enthält, die Ermittlung eines Ertragswerts erforderlich. So wird nach der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG die Anwendung von auf Einkünften beruhenden Bewertungsmethoden, vor allem solchen, die auf der Berechnung des abgezinsten Werts prognostizierter zukünftiger Einnahmeströme bzw. Cashflows basieren, als „hilfreich“ erachtet.1 Die Ermittlung des Ertragswerts hat aus zweierlei Perspektiven zu erfolgen, nämlich aus Sicht des Leistenden wie auch aus derjenigen des Leistungsempfängers (§ 1 Abs. 3 Satz 7 AStG). Hierbei treten dieselben Aspekte in den Vordergrund, die die Unternehmensbewertung prägen:2 – Isolierung und Prognose der künftigen, zurechenbaren Gewinne, – Ermittlung der Nutzungsdauer und – Ableitung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes. Fraglich ist, ob diese durchaus aufwendige Vorgehensweise für jedwede Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs – auch im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit – gerechtfertigt ist. U.E. ist dies nur dann der Fall, wenn zu erwarten ist, dass die Preisobergrenze des Empfängers und die Preisuntergrenze des Leistenden wesentlich voneinander abweichen. Solche Abweichungen können insbesondere auf Synergieeffekte, Standortvorteile und strategische Überlegungen zurückgehen und sind wohl am ehesten bei Funktionsverlagerungen i.S.v. § 1 Abs. 3b AStG relevant. Offenkundig ist der Anwendungsbereich des hypothetischen Fremdvergleichs exklusiv auf diese zugeschnitten, obgleich er stets dann zur Anwendung kommt, wenn für einzelne Transaktionsgegenstände mittels eines tatsächlichen Fremdvergleichs keine Vergleichswerte festgestellt werden können.
5.198
Konkrete Regelungen nur für Funktionsverlagerungen. Die Grenzpreisermittlung aus Sicht des Leistungserbringers wie aus Sicht des Leistungsempfängers ist durch die Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.20083 und durch die VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.20104 lediglich für Funktionsverlagerungen umfassend geregelt (vgl. zu Funktionsverlagerungen grds. Kap. 7). Für die Verrechnungspreisermittlung außerhalb von Funktionsverlagerungsfällen gelten die allgemeinen Regelungen des § 1 Abs. 3 Satz 5, Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3a Sätze 5 und 6 AStG. Nach welchen Grundsätzen die Preisgrenzen des Einigungsbereichs konkret zu ermitteln sind, ist bisher nicht näher bestimmt. Die Verordnungsermächtigung des BMF in § 1 Abs. 6 AStG, die Einzelheiten zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.d. § 1 Abs. 1, 3 bis 3c und 5 AStG im Rahmen einer Rechtsverordnung zu konkretisieren, wurde bisher durch Erlass der FVerlV nur für die „Einkunftsabgrenzung zwischen nahe stehenden Personen in Fällen von grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen“ ausgeübt. Außerhalb von Funktionsverlagerungen fehlen dagegen vereinheitlichende Regelungen zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes.
1 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, 79. 2 Vgl. IDW S 5 i.d.F. 2010, WPg Supplement 3/2010, 109 Tz. 24 ff. sowie hierzu Greinert, DB 2004, 2116 f.; Greinert, Ubg 2010, 102 ff. 3 Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes in Fällen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen (Funktionsverlagerungsverordnung – FVerlV) v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. 4 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG-Funktionsverlagerung, BStBl. I 2010, 774.
442 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.200 Kap. 5
Da ungeachtet des konkreten Bewertungsobjekts (Einzelwirtschaftsgut oder Transferpaket) die Ableitung von Fremdvergleichspreisen durch einen hypothetischen Fremdvergleich einheitlich in § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG gesetzlich geregelt ist (vgl. auch Verweis in § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG), sind im Hinblick auf die konkrete Umsetzung der Einigungsbereichsbetrachtung dieselben Grundsätze anzuwenden, wie sie in der FVerlV und den VWG-Funktionsverlagerung für Fälle der Funktionsverlagerung geregelt sind. Im Folgenden wird deshalb auf diese Regelungen Bezug genommen. b) Preisgrenze des Leistungserbringers Grenzpreisermittlung in Abhängigkeit von der Ergebnissituation. Der Einigungsbereich wird nach § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG von dem Mindestpreis des Leistungserbringers und von dem Höchstpreis des Leistungsempfängers begrenzt. Beide Preisgrenzen sind anhand ökonomisch anerkannter Bewertungsmethoden zu bestimmen (§ 1 Abs. 3 Satz 7 AStG). § 7 Abs. 1 FVerlV sieht vor, dass für die Ermittlung der Preisgrenze des Leistungserbringers zwischen Gewinnfällen einerseits sowie Verlustfällen und Liquidationsfällen andererseits zu unterscheiden ist.
5.199
Mindestpreis in Gewinnfällen. Falls im Fall der Funktionsverlagerung das verlagernde Unternehmen aus der verlagerten Funktion zukünftige Gewinne zu erwarten hatte, ergibt sich nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FVerlV der Mindestpreis des verlagernden Unternehmens aus dem Ausgleich für den Wegfall oder die Minderung des Gewinnpotentials zzgl. gegebenenfalls anfallender Schließungskosten. Die VWG-Funktionsverlagerung gehen in Rz. 116 davon aus, dass ohne diesen Ausgleich die Funktionsverlagerung aus der Sicht des verlagernden Unternehmens nicht sinnvoll sei.1 § 7 Abs. 1 Satz 2 FVerlV konkretisiert für die Bestimmung des Mindestpreises die Einbeziehung alternativer Handlungsmöglichkeiten nach § 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV dahingehend, dass die tatsächlich bestehenden Handlungsmöglichkeiten des verlagernden Unternehmens zu berücksichtigen sind, ohne die unternehmerische Dispositionsfreiheit des verlagernden Unternehmens einzuschränken.
5.200
Nach dieser zutreffenden Auffassung wird zwar die tatsächlich verwirklichte Geschäftsbeziehung unter Anerkennung der unternehmerischen Dispositionsfreiheit steuerlich zugrunde gelegt (vgl. Rz. 6.155),2 die Preisgrenze des Leistungserbringers allerdings nicht von dem Ertragswert des Gegenstands der Geschäftsbeziehung (Transaktionsgegenstands) bestimmt, sondern von dem Ertragspotential der letztlich günstigsten, d.h. vorteilhaftesten, alternativen Handlungsmöglichkeit (Rz. 5.207). Stellt die tatsächlich verwirklichte Geschäftsbeziehung die günstigste Handlungsalternative des Leistungserbringers dar, ist auch das Gewinnpotential des Bewertungsobjekts zugrunde zu legen. Im Übrigen bestimmt das Ertragspotential der günstigsten Handlungsalternative die Ermittlung der Preisgrenze des Leistungserbringers, was zwangsläufig zu betragsmäßigen Abweichungen führen wird. Im Einklang mit den OECD-Leitlinien3 stellt die deutsche Finanzverwaltung auf „realistischerweise verfügbare und eindeutig vorteilhaftere Handlungsalternativen“ ab, die allerdings auf Grundlage der Transparenzfiktion des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG zu ermitteln sein sollen.4 Da nach Auffassung der Finanzverwaltung die Nachweispflicht für das Bestehen und die Bewer-
1 2 3 4
Vgl. VWG FVerl, Rz. 116. Vgl. zur unternehmerischen Dispositionsfreiheit auch VWG FVerl, Rz. 145 ff. Vgl. Tz. 6.59 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. VWG FVerl, Rz. 117 und 96.
Baumhoff/Liebchen | 443
Kap. 5 Rz. 5.200 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
tung einer eindeutig günstigeren Handlungsalternative derjenige trägt, der diese Handlungsalternative für sich in Anspruch nimmt (vgl. Rz. 5.207),1 wird für die Bestimmung des Mindestpreises des Leistungserbringers als Preisuntergrenze des Einigungsbereichs eine von dem Ertragspotential des konkreten Transaktionsgegenstands abweichende Bewertung aufgrund einer eindeutig günstigeren Handlungsalternative durch die Finanzverwaltung nachzuweisen sein.
5.201
Mindestpreis in Verlustfällen. Für Fälle der Verlagerung einer Funktion, aus der dauerhaft Verluste erwartet werden, bestimmt sich nach § 7 Abs. 3 Satz 1 FVerlV der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens aus den zu erwartenden Verlusten oder den eventuell anfallenden Schließungskosten, wobei der niedrigere absolute Betrag maßgeblich ist. Die Verordnungsbegründung2 und die VWG-Funktionsverlagerung3 führen die Maßgeblichkeit des am wenigsten belastenden Betrags unmittelbar auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurück, wonach von den alternativen Handlungsmöglichkeiten, die verlustbehaftete Funktion fortzuführen oder zu schließen, diejenige gewählt würde, die betriebswirtschaftlich am wenigsten nachteilig ist. Die Preisgrenze des Leistungserbringers wäre in diesem Fall negativ (vgl. auch Rz. 5.235).4 § 7 Abs. 3 Satz 2 FVerlV führt überdies aus, dass eine Entgeltvereinbarung dem Fremdvergleich entsprechen kann, bei der die Schließungskosten nur zum Teil abgedeckt werden, oder dass Ausgleichszahlungen an das übernehmende Unternehmen für die Übernahme der Verlustquelle geleistet werden.5 Was diese Fälle anbelangt, stellen sowohl die nur anteilige Abdeckung etwaiger Schließungskosten als auch etwaige Ausgleichszahlungen letztlich Ergebnisse dar, die sich innerhalb eines bestehenden Einigungsbereichs abspielen. Insofern kommt es auf den Höchstpreis des Leistungsempfängers an, wobei ungeachtet des Vorzeichens dieser Preisgrenze der Einigungsbereich auch negative Werte umfasst, die mit der Folge Ergebnis des hypothetischen Fremdvergleichs sein können, dass der Leistungserbringer an den Leistungsempfänger Ausgleichszahlungen zu leisten hat, sich gleichwohl aber besserstellt, als er ohne Übertragung stünde. Nach § 7 Abs. 5 FVerlV ist in den Verlustfällen des § 7 Abs. 3 FVerlV mit einem Mindestpreis von null oder einem negativen Mindestpreis stets zu prüfen, ob ein fremder Dritter im Einzelfall bereit wäre, einen Preis für die Übernahme der Funktion zu bezahlen. Fraglich ist hier allerdings vor dem Hintergrund der Zweiseitigkeit des hypothetischen Fremdvergleichs in Gestalt der Einigungsbereichsbetrachtung, ob diese Prüfung losgelöst von den Grundsätzen ansetzen soll, die – in Abhängigkeit von der Preisgrenze des Leistungsempfängers – für die Aufteilung des Einigungsbereichs (vgl. Rz. 5.214 ff.) gelten sollen. Letztlich hat der Leistungsempfänger (das übernehmende Unternehmen) für die Übernahme der Funktion ein Entgelt zu bezahlen, wenn der anzusetzende Wert im Einigungsbereich größer null ist. Dies bestimmt sich auf Grundlage von § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG, wonach der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen ist, wenn der Steuerpflichtige nicht glaubhaft macht, dass ein anderer Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. (vgl. Rz. 5.220 ff.). Dagegen meint die Finanzverwaltung, den Fremdvergleichsgrundsatz neuerlich mit der Argumentation bemühen zu können und zu müssen, fremde Dritte würden auch für die Übernah1 2 3 4
Vgl. VWG FVerl, Rz. 96. Vgl. BR-Drucks. 325/08, 22. Vgl. VWG FVerl, Rz. 121. Vgl. hierzu im Einzelnen Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 165.1; Bodenmüller/Hülster, IStR 2010, 654 ff. 5 Vgl. hierzu Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 165.2 m.w.N.
444 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.203 Kap. 5
me einer Verlustfunktion ein Entgelt bezahlen, wenn sie sich hierdurch ein Gewinnpotential erschließen, auf das sie anderenfalls keinen Zugriff haben.1 Dies kann schon deshalb nicht überzeugen, weil § 7 Abs. 5 FVerlV die Preisfindung ausdrücklich denselben Rechtsgrundsätzen unterstellt.2 c) Preisgrenze des Leistungsempfängers Beschränkung auf allg. Ermittlungsformel. Anders als für die Bestimmung des Mindestpreises des Leistungserbringers beschränken sich die Regelungen über die Ermittlung des Höchstpreises des Leistungsempfängers in § 7 Abs. 4 FVerlV in Fällen der Funktionsverlagerung auf die allgemeine Ermittlungsformel, dass sich diese Preisgrenze regelmäßig nach dem Gewinnpotential des übernehmenden Unternehmens aus der übernommenen Funktion bestimmt. Auch für die Ermittlung des Höchstpreises des Leistungsempfängers sind dessen tatsächlich bestehende alternative Handlungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (§ 7 Abs. 4 Satz 2 FVerlV).
5.202
Berücksichtigung alternativer Handlungsmöglichkeiten. Bei der Bestimmung der Obergrenze wird der Steuerpflichtige nachzuweisen haben, dass die aus seiner Sicht günstigste alternative Handlungsmöglichkeit zu einer niedrigen Preisgrenze führt, wenn er dieses für sich in Anspruch nehmen will (vgl. Rz. 5.207). Im Hinblick auf die Bewertung dieser konkreten, realistischen und eindeutig vorteilhafteren Handlungsalternative ist von Bedeutung, dass die steuerlichen Auswirkungen nicht nachzuweisen, sondern lediglich glaubhaft zu machen sind.3 Hierbei erfordert die Glaubhaftmachung ein herabgesetztes Beweismaß. Der Steuerpflichtige muss darlegen, dass für die behauptete Tatsache „eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben ist“; d.h., das Bestehen der behaupteten Tatsache „wahrscheinlicher ist als ihr Nichtbestehen“4.
5.203
Trotz des reduzierten Beweismaßes sollte der Steuerpflichtige sowohl im Hinblick auf die Existenz etwaiger Handlungsalternativen als auch für deren Bewertung Vorsorge durch Erstellung oder Aufbereitung entsprechender Aufzeichnungen treffen. Was die Bewertung betrifft, gelten dieselben Bewertungsgrundsätze für die Ermittlung des jeweiligen Gewinnpotentials alternativer Handlungsmöglichkeiten wie für die Bewertung von Transferpaketen oder Einzelwirtschaftsgütern im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs. Insofern ist es durchaus vorstellbar, dass eine allein steuerliche Vorteilhaftigkeit z.B. aus fehlenden Abschreibungsmöglichkeiten bei Realisierung einer anderen Handlungsalternative unter sonst gleichen Parametern herrührt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man der Auffassung der Finanzverwaltung folgt, dass abschreibungsbedingte Steuervorteile bei der Ermittlung der Preisgrenze des Leistungsempfängers zu berücksichtigen sind (Rz. 5.210 ff.).5
1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 127; kritisch zu Recht Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 167. 2 Vgl. zur Auswirkung auf die Verhandlungsposition des verlagernden Unternehmens, wenn eine Funktion rechtlich oder tatsächlich nicht mehr wahrgenommen werden kann oder aber dauerdefizitär ausgeübt werden müsste, Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 167; Bodenmüller/Hülster, IStR 610, 667 f. 3 Vgl. VWG FVerl, Rz. 96. 4 VWG FVerl, Rz. 40. 5 Vgl. VWG FVerl, Rz. 125.
Baumhoff/Liebchen | 445
Kap. 5 Rz. 5.204 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
2. Bestimmungsfaktoren des Einigungsbereichs a) Vorbemerkungen
5.204
Bestimmung durch Standortvorteile und Synergieeffekte. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV sind die jeweiligen Gewinnpotentiale des Transferpakets auf der Grundlage einer Funktionsanalyse vor und nach der Funktionsverlagerung unter Berücksichtigung tatsächlich bestehender Handlungsmöglichkeiten zu ermitteln und beinhalten auch Standortvorteile oder -nachteile und Synergieeffekte. Aus der Begründung zu § 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV lässt sich zudem ableiten, dass der Verordnungsgeber davon ausgeht, dass der Einigungsbereich vornehmlich durch Standortvorteile bzw. -nachteile sowie zu erwartende Synergieeffekte bestimmt wird.1 b) Standortvorteile, Synergieeffekte und alternative Handlungsmöglichkeiten
5.205
Standortvorteile. Unter Standortvorteilen versteht man gemeinhin diejenigen Vorteile, die sich aus der Ausübung unternehmerischer Aktivitäten an bestimmten Standorten ergeben, wobei die alternativen Standorte die jeweilige Referenz darstellen. Hierbei sind es insbesondere die gestaltbaren Standortfaktoren, über die der internationale Standortwettbewerb geführt wird, da die natürlichen Standortfaktoren naturgegeben und somit kaum gestaltbar sind.2 Die gestaltbaren Standortvorteile sind durchaus mannigfaltig und reichen von günstigen Faktorkosten über günstige gesetzliche und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen bis hin zur sozialen, humanen und sachlichen Infrastruktur.3 Die VWG-Funktionsverlagerung benennen als Standortvorteile beispielhaft Unterschiede bei Lohn- und Materialkosten, Finanzierungskonditionen, die Qualität der Infrastruktur oder die Zuverlässigkeit und die Qualifizierung des Personals und der Materiallieferungen.4 Auch können Steuerbelastungsunterschiede und Investitionshilfen Standortvorteile und -nachteile begründen, ohne dass die Erzielung von Steuervorteilen oder die Inanspruchnahme anderer Investitionsanreize bereits die Annahme eines steuerlichen Missbrauchs rechtfertigen würde.5 Standortvor- wie -nachteile, z.B. höhere Logistik- und Koordinierungskosten, bestimmen den jeweiligen Grenzpreis der Transaktionspartner.6
5.206
Synergieeffekte. Unter Synergieeffekten versteht man gemeinhin integrative Verbundeffekte, die ausschließlich aus der wirtschaftlichen Einbindung von Teileinheiten in einen Unternehmensverbund entstehen (auch als „passive Konzerneffekte“ bezeichnet). Vor der Realisierung handelt es sich um Synergiepotentiale bzw. Wertsteigerungspotentiale. IDW S 1 definiert Synergien als „Veränderung[en] der finanziellen Überschüsse, die durch den wirtschaftlichen Verbund zweier oder mehrerer Unternehmen entstehen“.7 Zu unterscheiden sind zum einen interne von externen Synergieeffekten. Unter internen Synergieeffekten versteht man solche Verbundwirkungen, die das zu bewertende Unternehmen bereits aus seiner bestehenden Verbundorganisation realisiert. Externe Verbundeffekte sind demgegenüber Verbundeffekte, die 1 Vgl. BR-Drucks. 352/08 v. 23.5.2008, 18. 2 Vgl. zur Unterscheidung zwischen natürlichen und gestaltbaren Standortfaktoren Smekal in Theurl/Smekal, Globalisierung, 2001, 267 ff. 3 Vgl. Smekal in Theurl/Smekal, Globalisierung, 2001, 268. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 93. 5 Vgl. VWG FVerl, Rz. 93 unter Hinweis auf – nunmehr – Tz. 1.159 ff. u. 9.126 ff. OECD-Leitlinien 2022. 6 Zum (isolierten) Einfluss von Steuervorteilen in Fällen von Funktionsverlagerungen s. etwa von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 2011, 189 ff. 7 IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2008, 271 Tz. 33.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.207 Kap. 5
durch die Neukonfiguration der Verbundorganisation infolge der wirtschaftlichen Einbindung neuer bzw. des Zusammenwirkens mit neuen Teileinheiten entstehen.1 Ferner sind unechte von echten Synergieeffekten abzugrenzen. IDW S 1 konkretisiert unechte Synergieeffekten als solche Synergieeffekte, „die sich ohne Durchführung der dem Bewertungsanlass zugrunde liegenden Maßnahme realisieren lassen“.2 Für transaktionsinduzierte Bewertungen sind dies mithin solche Verbundeffekte, die „ohne [...] Veräußerung realisierbar sind“.3 Echte Synergieeffekte sind dagegen unternehmensübergreifende externe Verbundeffekte, die „sich erst mit Durchführung der dem Bewertungsanlass zugrunde liegenden Maßnahme“4 einstellen. In der Betriebswirtschaftslehre werden folgende Synergieformen unterschieden: – erlössteigernde Verkaufssynergien (sales synergy), – kostensenkende Produktionssynergie (operating synergy), – Investitionssynergien (investment synergy), – Management-Synergien (management synergy).5 Alternative Handlungsmöglichkeiten. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stehen sich bei Preisbildungsprozessen zwei voneinander unabhängige Entscheidungsträger mit individuellen Zielfunktionen gegenüber, die nur dann zu einem Ergebnis gelangen können, wenn ihre Interessen in angemessener Weise gewahrt werden. Damit gilt für die Herstellung eines Interessenausgleichs als Grundvoraussetzung, dass beide Seiten den Bedingungen eines Transfers nur dann zustimmen können, wenn sich diese – zumindest langfristig – nicht negativ auf das Betriebsergebnis der von ihnen vertretenen Unternehmen auswirken. Um dies beurteilen zu können, ist eine vorherige Festlegung der individuellen Entscheidungssituationen der Geschäftspartner durch Ermittlung der individuellen Preisgrenzen sowie der Handlungsalternativen erforderlich, die sowohl dem Anbieter als auch dem Nachfrager neben dem zu beurteilenden Liefer- bzw. Leistungstransfer offenstehen.6 Rationales Verhalten unterstellt, würde jeder der unabhängigen Entscheidungsträger seinen Grenzpreis nach der letztlich günstigsten, d.h. vorteilhaftesten, alternativen Handlungsmöglichkeit ermitteln. Dies erfordert, dass die Handlungsalternativen zu identifizieren und zu bewerten sind. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV und § 7 Abs. 1 Satz 2 FVerlV sollen für die Bewertung von Transferpaketen bei Funktionsverlagerungen die jeweiligen Handlungsalternativen sowohl bei der Ermittlung der Gewinnpotentiale als auch bei der Ermittlung des jeweiligen Grenzpreises berücksichtigt werden. Im Hinblick auf die Berücksichtigung alternativer Handlungsmöglichkeiten führen die VWG-Funktionsverlagerung in Rz. 96 aus, dass für den anzustellenden 1 Vgl. auch Franke, Synergien in der Rechtsprechung und Rechnungslegung, 2009, 38. 2 IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2008, 271 Tz. 34. 3 IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2008, 271 Tz. 51; vgl. auch Franke, Synergien in der Rechtsprechung und Rechnungslegung, 2009, 38. 4 IDW S 1 i.d.F. 2008, FN-IDW 2008, 271 Tz. 50; vgl. Franke, Synergien in der Rechtsprechung und Rechnungslegung, 2009, 38. 5 Vgl. Böcker, Synergieeffekte und Integration bei Mergers & Acquisitions, 2011, 15. 6 Zum betriebswirtschaftlichen Entscheidungsprozess bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen im Rahmen der sog. „Bandbreitenbetrachtung“ vgl. auch Kleineidam/Baumhoff/Seutter, DB 1986, 238 ff.; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 139 u. 236 ff.; Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 103 ff.; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.179 ff.; Liebchen in F/ W/K, DBA Deutschland – Schweiz, Art. 9 Rz. 133 ff.; Roeder, Ubg 2008, 205 f.; Baumhoff/Ditz/ Greinert, DStR 2007, 1464 f.; Baumhoff in FS Krawitz, 24 ff.
Baumhoff/Liebchen | 447
5.207
Kap. 5 Rz. 5.207 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Fremdvergleich die rechtliche und wirtschaftliche Position der Vertragspartner zu berücksichtigen sei.1 Bestehen etwa für das übernehmende Unternehmen konkrete, realistische und eindeutig vorteilhaftere Handlungsmöglichkeiten, so wird ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter versuchen, aus diesen bestehenden Handlungsmöglichkeiten einen Verhandlungsvorteil abzuleiten und diesen in die Preisverhandlungen zu seinen Gunsten einzubringen.2 Demgegenüber wird ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter des übertragenden Unternehmens nicht bereit sein, einen wirtschaftlichen Vorteil ganz oder teilweise unentgeltlich abzugeben, wenn z.B. konkret die Möglichkeit bestünde, einen höheren Preis für die Abgabe der Funktion zu erzielen; er würde vielmehr versuchen, ein optimales Ergebnis für das von ihm vertretene, verlagernde Unternehmen zu erreichen. Diese Aussagen der Finanzverwaltung stellen letztlich zutreffende Konkretisierungen des Fremdvergleichsgrundsatzes dar. Ferner wirkt sich die Berücksichtigung alternativer Handlungsmöglichkeiten nach zutreffender Auffassung der Finanzverwaltung ausschließlich auf die Ermittlung der jeweiligen Grenzpreise aus. So heißt es in Rz. 117 der VWG-Funktionsverlagerung, dass realistischerweise verfügbare und eindeutig vorteilhaftere Handlungsalternativen bei der Bestimmung des Mindestpreises (des verlagernden Unternehmens) berücksichtigt werden müssen, was zutreffend mit deren Einfluss auf diesen Grenzpreis begründet wird.3 Gleiches gilt konsequenterweise für die Ermittlung des Höchstpreises, d.h. für den Grenzpreis des übernehmenden bzw. leistungsempfangenden Unternehmens.4 Überdies soll es nach Rz. 93 der VWG-Funktionsverlagerung für die Zurechnung von Standortvorteilen darauf ankommen, „welches Unternehmen diese Vorteile/Nachteile in den fiktiven Preisverhandlungen in Anspruch nehmen könnte bzw. tragen müsste“, was letztlich von den – sich aus objektiven Umständen ergebenden – „konkreten Handlungsalternativen“ und der „jeweiligen Verhandlungsstärke“ abhängen soll.5 Insofern ist nach deutscher Verwaltungsauffassung ausgeschlossen, dass die tatsächlich verwirklichte Geschäftsbeziehung mit dem Hinweis auf eine andere, eindeutig vorteilhaftere Handlungsalternative nicht anerkannt wird.6 Vielmehr ist die tatsächlich verwirklichte Geschäftsbeziehung grundsätzlich steuerlich anzuerkennen.7 Insbesondere bedeutet dies auch, dass eine bestimmte Funktions- und Risikoverteilung zwischen verbundenen Transaktionspartnern nicht mit Hinweis auf etwaige eindeutig vorteilhaftere Handlungsalternativen durch eine andere Funktions- und Risikoverteilung ersetzt werden kann. Die verrechnungspreisbezogenen Konsequenzen können jeweils nur bezogen auf den jeweiligen Vertragspartner gezogen werden, der die betreffende Handlungsalternative zu berücksichtigen und zu bewerten hat. Hierbei beschränken sich diese Konsequenzen auf die Auswirkung der betreffenden Handlungsalternative auf die jeweilige Preisgrenze und führen ggf. zu einem neuen Einigungsbereich. § 1 Abs. 3a AStG enthält keine § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG a.F. vergleichbare Regelung, nach der bei einem unzutreffenden Einigungsbereich dann auf eine nachträgliche Einkünftekorrektur verzichtet werden kann, wenn der zugrunde gelegte Verrechnungspreis innerhalb dieses neuen Einigungsbereichs liegt. Insofern verbleibt dem Steuerpflichtigen nach § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG in diesem Fall nur glaubhaft zu machen, dass der betreffende Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht (§ 1 Abs. 3a Satz 6 AStG). 1 2 3 4 5 6
Vgl. VWG FVerl, Rz. 94 und Rz. 121 ff. Vgl. VWG FVerl, Rz. 96. Vgl. VWG FVerl, Rz. 117. Vgl. VWG FVerl, Rz. 126. VWG FVerl, Rz. 93 und Rz. 121 ff. Zu vergleichbaren Überlegungen im Rahmen von Betriebsprüfungen s. etwa Kroppen in Kroppen/ Rasch, Handbuch internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 136. 7 Vgl. Tz. 1.64 OECD-Leitlinien 2022; VWG FVerl, Rz. 146.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.207 Kap. 5
Die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung zur Berücksichtigung eindeutig vorteilhafterer Handlungsalternativen steht insofern im Einklang mit den OECD-Leitlinien, als auch nach Tz. 9.27–9.31 der OECD-Leitlinien die realistischerweise zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen im Rahmen der Vergleichbarkeitsanalyse zu untersuchen und einzubeziehen sind. Hierbei gehen die OECD-Leitlinien zutreffend davon aus, dass die Berücksichtigung verfügbarer Handlungsalternativen die Perspektive des jeweiligen Vertragspartners betrifft und davon auszugehen ist, dass fremde Dritte keine Handlungsalternative realisieren, bei der sie sich schlechter stellen als bei ihrer nächstbesten Handlungsalternative.1 Von erheblicher praktischer Bedeutung ist, wer die Existenz entsprechender alternativer Handlungsmöglichkeiten nachzuweisen und deren Bewertung vorzunehmen hat. Nach den OECD-Leitlinien soll der Steuerpflichtige nicht gehalten sein, alle möglichen Hypothesen über realistischerweise zur Verfügung stehende Alternativen anzustellen und zu dokumentieren, sondern es soll (nur) eine eindeutig attraktivere Alternative dann in die Vergleichbarkeitsanalyse einbezogen werden, wenn diese realistischerweise zur Verfügung gestanden hätte.2 Dies deutet darauf hin, dass sich eine bestimmte Handlungsalternative unter rationalen Entscheidern schon gewissermaßen aufdrängen muss. Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung kommen hierbei allgemeine Beweislastregeln zum Tragen. Hiernach hat derjenige die Voraussetzungen für das Vorliegen von konkreten, realistischen und eindeutig vorteilhafteren Handlungsalternativen nachzuweisen und die sich aus diesen Handlungsalternativen ergebenden steuerlichen Auswirkungen glaubhaft zu machen, der sich zu seinen Gunsten auf diese beruft.3 In diesem Zusammenhang sind in der Praxis ferner die zeitlichen Aspekte von Bedeutung. Die OECD-Leitlinien diskutieren als Zeitfragen im Hinblick auf die Datenerhebung den „Arm’s-Length-Price-Setting“-Ansatz einerseits und den „Arm’s-Length-Outcome-Testing“-Ansatz andererseits (vgl. Rz. 3.99 ff.).4 Ungeachtet der unterschiedlichen Konzepte für Zwecke der Verrechnungspreisbestimmung muss für mögliche Handlungsalternativen und deren Bewertung in zeitlicher Hinsicht auf die Informationen abgestellt werden, die in der konkreten Entscheidungssituation zur Verfügung gestanden haben. Hierbei ist bereits der Zeitpunkt der Entscheidung über die Realisierung einer bestimmten verbundinternen Transaktion anstelle einer anderen alternativen Handlungsmöglichkeit als spätester Zeitpunkt der Informationsverfügbarkeit problematisch, weil die Entscheidung auf Grundlage bewerteter Handlungsalternativen erfolgt und die Bewertung verschiedener Handlungsalternativen einen Prozess darstellt, der für sich genommen Zeit in Anspruch nimmt. Insofern kommen Handlungsmöglichkeiten nicht in Betracht, die in der vorgelagerten Entscheidungssituation über die Einbeziehung und Berücksichtigung alternativer Handlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung gestanden haben.5 Gleiches gilt für bewertungsrelevante Informationen zu bestehenden Handlungsalternativen, die zeitlich erst nach dem Bewertungsprozess, jedenfalls aber nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Realisierung einer bestimmten Handlungsalternative bekannt geworden sind.
1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 1.38 u. 9.27 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 9.31 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. VWG FVerl, Rz. 96. Vgl. Tz. 3.69 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. zum sog. „Vorentscheidungsproblem“ auch Laux/Gillenkirch/Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie8, 536 ff.
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Kap. 5 Rz. 5.207 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Denklogisch ausgeschlossen ist es, dass sich eine bestimmte Handlungsalternative erst nachträglich zu einer eindeutig vorteilhafteren Handlungsalternative „wandelt“. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Fremdvergleichsgrundsatz, auf den die OECD-Leitlinien das Konzept der realistischerweise zur Verfügung stehenden Handlungsalternative zurückführen. Ferner stellen § 3 Abs. 2 Satz 1 und § 7 Abs. 1 Satz 2 FVerlV auf „tatsächlich bestehende“ und nicht auf erst nachträglich entstehende Handlungsmöglichkeiten ab. In zeitlicher Hinsicht wird in der Praxis deshalb von Bedeutung sein, auf welchen Zeitpunkt die Informationen zurückgehen, mittels derer das Vorliegen und die Bewertung einer konkreten, realistischen und eindeutig vorteilhafteren Handlungsalternative nachgewiesen wird. c) Berücksichtigung von Steuereffekten aa) Periodische Besteuerungseffekte
5.208
Regelungen für Funktionsverlagerungen maßgeblich. Neben Standortvorteilen, Synergieeffekten und alternativen Handlungsmöglichkeiten bestimmen Steuereffekte die Grenzpreise der Kontrahenten und damit die Einigungsbereichsgrenzen. Entscheidungsrelevant sind jeweils nur die Nettozuflüsse nach Ertragsteuern. Die Berücksichtigung von Steuereffekten bei der Ermittlung des jeweiligen Grenzpreises der Transaktionspartner im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs ist gesetzlich nicht geregelt. Wie insgesamt für die Umsetzung des hypothetischen Fremdvergleichs in Gestalt der Einigungsbereichsbetrachtung bestehen konkrete Regelungen lediglich für Funktionsverlagerungen. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass im Hinblick auf die Berücksichtigung von Steuereffekten für Einzeltransaktionen bzw. die Einzelbewertung einerseits und Funktionsverlagerungen bzw. die Transferpaketbewertung andererseits verschiedene Grundsätze zur Anwendung kommen (Rz. 5.199 ff.). Die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG verweist ausdrücklich darauf, dass auch Steuereffekte zu berücksichtigen sind, weil diese bewertungsrelevant seien.1
5.209
Beschränkung auf periodische Besteuerungseffekte auf Unternehmensebene. Gemäß § 1 Abs. 4 FVerlV ist bei der Ermittlung des funktionsbezogenen Gewinnpotentials im Rahmen der Bewertung von Transferpaketen in Fällen von Funktionsverlagerungen auf die „jeweils zu erwartenden Reingewinne nach Steuern (Barwert)“ abzustellen. Dies impliziert zunächst eine Beschränkung auf periodische Steuereffekte bezogen auf die zukünftig erwarteten Reingewinne. Für sich genommen steht dies im Einklang mit § 3 Abs. 1 FVerlV, wonach der Wert des Transferpakets „in Übereinstimmung mit den Gewinnen stehen [muss], die zum Zeitpunkt der Verlagerung aus der Ausübung der Funktion erwartet werden können“.2 Die VWG-Funktionsverlagerung beschränken sich typisierend auf die Steuern des Unternehmens.3 Allerdings wird dem Steuerpflichtigen das Wahlrecht eingeräumt, die persönliche Steuerbelastung der Gesellschafter zu berücksichtigen und damit ein finanzmathematisch exaktes Ergebnis zu berechnen, wobei in diesem Fall bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes bzgl. der Steuerbelastung entsprechend zu verfahren ist.4 Offenkundig bezieht die Finanzverwaltung dieses Wahlrecht auf die entsprechende Regelung des IDW S 1, wonach die Nettozuflüsse „unter Berücksichtigung der [...] Ertragsteuern des Unternehmens und grund1 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 79. 2 Vgl. auch Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 95; Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 168; Greinert/ Reichl, DB 2011, 1184; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.537. 3 Vgl. VWG FVerl, Rz. 34. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 36.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.210 Kap. 5
sätzlich der aufgrund des Eigentums am Unternehmen entstehenden persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigner zu ermitteln“ sind.1 Zweifelsohne ist die explizite Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern und damit der wertrelevanten steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner in dem Bewertungskalkül bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts stets sachgerecht.2 Für die Verrechnungspreisermittlung im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs entspricht die Einbeziehung der persönlichen Ertragsteuern jedoch weder den gesetzlichen Vorgaben, noch lässt sie sich methodisch mit der Simulation eines Preisbildungsprozesses und der für diesen relevanten Entscheidungsträger vereinbaren. Die Einigungsbereichsbetrachtung im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs ist unter Beachtung des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG durchzuführen. Hiernach ist für die Anwendung des Fremdvergleichs insbesondere davon auszugehen, dass die voneinander unabhängigen Dritten nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln. Mit der Bezugnahme auf die Rechtsfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters sowohl aufseiten des verlagernden wie aufseiten des übernehmenden Unternehmens (sog. doppelter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter; Rz. 3.145 ff.) ist die Grenzpreisermittlung (Mindestpreis des Leistenden, Höchstpreis des Leistungsempfängers) auf die Gesellschaftsebene eingeengt und festgelegt. Die maßgeblichen Entscheidungswerte sind deshalb diejenigen auf Gesellschaftsebene und nicht diejenigen auf Gesellschafterebene.3 Der zwingende Verzicht auf die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner von Kapitalgesellschaften folgt unmittelbar auch aus § 1 Abs. 4 FVerlV, nach dem bei der Bewertung die Perspektiven des verlagernden und des übernehmenden Unternehmens maßgebend sind. Vor diesem Hintergrund ist für das in Rz. 34 der VWG-Funktionsverlagerung eingeräumte Wahlrecht eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich und eine Berücksichtigung von periodischen Steuereffekten auch der Gesellschafter abzulehnen (vgl. auch Rz. 7.113).4 bb) Aperiodische Besteuerungseffekte Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung. Neben periodischen Besteuerungseffekten will die Finanzverwaltung auch aperiodische Besteuerungseffekte in die Ermittlung des jeweiligen Grenzpreises des Leistungserbringers und des Leistungsempfängers einbeziehen. Die Finanzverwaltung macht sich hierbei eine vereinzelt im Schrifttum vertretene Auffassung zu eigen,5 ohne diese allerdings zu begründen oder aus den gesetzlichen Vorgaben abzuleiten. So heißt es in Rz. 118 der VWG-Funktionsverlagerung denkbar knapp: „Für die Berechnung des Mindestpreises des verlagernden Unternehmens ist auch dessen Steuerbelastung auf den Ertrag aus der Veräußerung von Bestandteilen des Transferpakets der verlagerten Funktion zu berücksichtigen.“6 Bei der Ermittlung der Preisgrenze des Leistenden soll mithin die Steuerbelastung auf den jeweiligen Ertrag aus der Veräußerung einbezogen werden (sog. Exit-Tax bzw. Tax-Gross-up). Zu der Ermittlung der Preisgrenze des übernehmenden Unter1 IDW S 1, FN-IDW 2008, 271 Tz. 28. 2 Vgl. IDW S 1, FN-IDW 2008, 271 Tz. 43 f. u. 46 f. 3 Vgl. auch Greinert/Reichl, DB 2011, 1183; für die Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter Kasperzak/Nestler, Bewertung von immateriellem Vermögen, 136. 4 Vgl. auch Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 748; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.534 f. 5 Vgl. Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1698 f.; Heining, Funktionsverlagerungen ins Ausland, 127 ff.; Oestreicher/Wilcke, DB 2010, 1714 f. 6 VWG FVerl, Rz. 118.
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5.210
Kap. 5 Rz. 5.210 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
nehmens (Höchstpreis) führen die VWG-Funktionsverlagerung in Rz. 125 aus, „dass auch die steuerlichen Auswirkungen der Aufwendungen für den Erwerb von Bestandteilen des Transferpakets der verlagerten Funktion (Abschreibungen auf erworbene Wirtschaftsgüter) zu berücksichtigen“1 seien. Die Finanzverwaltung will also die Besteuerungseffekte des durch die Funktionsverlagerungsbesteuerung erst entstehenden Abschreibungspotentials (sog. Tax-Amortization-Benefit [TAB]) in die Ermittlung des Höchstpreises einbeziehen. Die Berücksichtigung einer Exit-Tax und eines TAB ist weder Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens zum Unternehmensteuerreformgesetz gewesen, noch kann sie der Begründung des Verordnungsgebers zur FVerlV2 entnommen werden3. Das BMF hat diese Beurteilung der Finanzverwaltung auch erst seiner endgültigen Fassung der VWG-Funktionsverlagerung zugrunde gelegt. Hierbei mutet es schon befremdlich an, dass die Finanzverwaltung ihre Auffassung im Wesentlichen anhand eines Beispiels darbringt.4 Beide Vorgaben der Finanzverwaltung bewirken, dass sich die Preisgrenzen deutlich erhöhen und es durch diese Art einer wertmäßigen „Parallelverschiebung nach oben“ zu einer Steigerung des innerhalb des Einigungsbereichs ansetzbaren Werts z.B. für die Übertragung eines immateriellen Einzelwirtschaftsguts kommt.5 Überdies führt die Barwertermittlung zu einer Einengung des Einigungsbereichs, weil die zeitlich später anfallenden abschreibungsbedingten Entlastungseffekte regelmäßig hinter dem Barwerteffekt der Exit-Tax zurückbleiben.6
5.211
Nationale und internationale Bewertungsgrundsätze. Wie bereits dargestellt, kann aus den gesetzlichen Vorgaben lediglich die Berücksichtigung laufender Besteuerungseffekte der Gewinnpotenziale entnommen werden (Rz. 5.209).7 Ebenso wenig sieht IDW S 1, auf den die VWG-Funktionsverlagerung ansonsten für Zwecke der Bewertung von Transferpaketen verweisen,8 die Berücksichtigung einer Exit-Tax oder eines TAB vor. Nach IDW S 5 steht es im Bewertungsermessen, diese Besteuerungseffekte beim kapitalwertorientierten Verfahren in die Bewertung einzubeziehen.9 Im Übrigen sind entgegen den gesetzlichen Vorgaben für den hypothetischen Fremdvergleich in Gestalt der Einigungsbereichsbetrachtung nach IDW S 5 die Modalitäten des Bewertungsverfahrens zwischen den Parteien frei verhandelbar.10 Die VWG-Funktionsverlagerung können zur Rechtfertigung nicht auf die international konsensfähige Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes für die Verrechnungspreisermittlung nach den OECD-Leitlinien zurückgreifen. Zwar können nach den OECD-Leitlinien immaterielle Wirtschaftsgüter auch anhand eines Grenzpreiskonzepts bewertet werden, ohne dass jedoch die Berücksichtigung einer Exit-Tax oder eines TAB vorgesehen wäre.11 Auch die Aussagen in Tz. 6.178 der OECD-Leitlinien12 stellen keinen allgemeinen internationalen Konsens 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
VWG FVerl, Rz. 125. FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. Abgedruckt in F/W/B/S, § 1 AStG, Anhang 1, V. Vgl. hierzu BMVWG FVerl, Anlage Beispiel 1, Abwandlung C. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 168; Greinert/Reichl, DB 2011, 1183. Vgl. hierzu auch Greinert/Reichl, DB 2011, 1185. Auch die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG ist in dieser Hinsicht nicht konkreter, sondern verweist allgemein auf die Einbeziehung von Steuereffekten, vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 79. Vgl. z.B. VWG FVerl, Rz. 30, 31, 34, 35, 63, 87 ff., 104, 108. Vgl. IDW S 5 i.d.F. 2010, WPg Supplement 3/2010, 109 Tz. 45 ff. Vgl. IDW S 5 i.d.F. 2010, WPg Supplement 3/2010, 109 Tz. 53. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 168. Vgl. Tz. 6.178 OECD-Leitlinien 2022.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.213 Kap. 5
zur zwingenden Berücksichtigung einer Exit Tax und eines TAB bei der Bewertung dar, sondern sie beziehen sich auf die Formulierung von Bewertungsannahmen für die Anwendung ertragswertorientierter Bewertungsverfahren und stellen keine Auslegung oder Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes dar. Eine Fremdüblichkeit ergibt sich auch nicht aus der Bewertung im Rahmen der Übertragung einer Unternehmenstätigkeit bei Unternehmensrestrukturierungen. Hier kann sich die Bewertungsmethodik an derjenigen orientieren, die für Unternehmenskäufe verwendet wird.1 Praxisberichte aus der Transaktionspraxis belegen allerdings, dass insbesondere bei Unternehmensbewertungen im Rahmen von Unternehmenskäufen die Exit-Tax und der TAB keine oder eine nur untergeordnete Rolle spielen.2 In der Realität von Unternehmenstransaktionen werden solche Steuerwirkungen regelmäßig nicht vergütet.3 Insofern lässt sich aus dem abstrakten Fremdvergleich die Berücksichtigung der Exit-Tax und des TAB nicht als fremdüblich ableiten. Aus dem Fremdvergleich lässt sich stattdessen ableiten, dass die Berücksichtigung dieser Besteuerungseffekte fremdunüblich ist. Da der hypothetische Fremdvergleich darauf gerichtet ist, einen (Verrechnungs-)Preis zu ermitteln, der zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbart werden könnte, muss er auch an marktkonformen und realistischen Bedingungen ansetzen. Keine spezifische innerstaatliche Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Aus der gesetzlichen Ausrichtung des hypothetischen Fremdvergleichs am Handeln zweier ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter (§ 1 Abs. 1 Satz 3 AStG) ergibt sich nicht, dass die von § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG gesetzlich verankerte Simulation eines Preisbildungsprozesses die Ermittlung eines nur hypothetischen und theoretisch richtigen Verrechnungspreises zum Ziel hat. Vielmehr muss dieser Verrechnungspreis auch praktisch darstellbar sein. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Fremdvergleichsgrundsatz (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG). Im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs bedeutet dies, dass möglichst umfassend Fremdvergleichswerte und Fremdvergleichsverhalten zu erfassen sind, wie die VWG-Funktionsverlagerung in Rz. 65 zutreffend feststellen.4
5.212
Die Berücksichtigung einer Exit-Tax oder eines TAB ist gesetzlich auch nicht als besondere Bedingung geregelt, die der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 AStG zwingend zugrunde zu legen ist, wie dies etwa für die gesetzliche Fiktion einer vollständigen Information und Markttransparenz der Fall ist (§ 1 Abs. 1 Satz 3 AStG). Nur speziell für diese gesetzlichen Konkretisierungen ist nicht auszuschließen, dass sie der Anwendung des Fremdvergleichs nach § 1 AStG zugrunde zu legen sind, obgleich sie mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbar sind. Mangels einer konkreten gesetzlichen Regelung bedarf die Einbeziehung der Exit-Tax und des TAB in das Bewertungskalkül daher dann zumindest einer Rechtfertigung aus dem Fremdvergleich. Die Berücksichtigung dieser Besteuerungseffekte bei der Bewertung von Transferpaketen lässt sich aus marktüblichen Transaktionsbedingungen jedoch nicht ableiten. Sie steht vielmehr im Widerspruch zu Fremdüblichem. Unvereinbarkeit mit der Transparenzfiktion. Die Berücksichtigung einer Exit-Tax und eines TAB widerspricht auch der in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG verankerten Fiktion einer vollständigen Information und Markttransparenz (Rz. 3.157 ff.). Legt man diese volkswirtschaftliche Mo1 Vgl. Tz. 9.69 OECD-Leitlinien 2022; Baumhoff/Puls, IStR 2009, 79. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 168 f.; Kasperzak/Nestler, DB 2007, 474; Menninger/Wellens, TMTR v. 30.6.2011, 4. 3 Vgl. Menninger/Wellens, TMTR v. 30.6.2011, 4. 4 Vgl. z.B. VWG FVerl, Rz. 65.
Baumhoff/Liebchen | 453
5.213
Kap. 5 Rz. 5.213 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
dellannahme isoliert zugrunde, würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter des übernehmenden Unternehmens in Kenntnis aller für die Transaktion entscheidungsrelevanten Informationen wahrscheinlich auf die Nichtberücksichtigung beider zu seinen Ungunsten einfließenden Steuerwirkungen drängen.1 Jedenfalls aber würde er seine zukünftigen abschreibungsbedingten Entlastungswirkungen nicht mit einpreisen, da sich seine Zahlungsbereitschaft bei vollständiger Information nicht erhöhen dürfte. Bei Transparenz über die Transaktionsbedingungen wäre überdies nicht begründbar, wieso abschreibungsbedingte Steuerentlastungseffekte wider bessere Kenntnis zu hoch kalkuliert werden. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter des übernehmenden Unternehmens würde allenfalls Entlastungseffekte auf Grundlage des für das Transferpaket anzusetzenden Verrechnungspreises berücksichtigen, nicht jedoch auf Grundlage des Grenzpreises seiner Konzessionsbereitschaft.
3. Aufteilung des Einigungsbereichs a) Betriebswirtschaftliche Lösungsansätze
5.214
Betriebswirtschaftliche Sicht zur Aufteilung von Einigungsbereichen. Da sich der Gesetzgeber mit der Einführung des hypothetischen Fremdvergleichs in Gestalt der sog. Einigungsbereichsbetrachtung die Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre zu eigen macht, erscheint es sinnvoll, zunächst die betriebswirtschaftlichen Lösungsansätze zu vergegenwärtigen. In der Betriebswirtschaftslehre werden Fragestellungen zur Aufteilung von Einigungsbereichen u.a. im Zusammenhang mit der Unternehmensbewertung diskutiert und dies insbesondere im Zusammenhang mit der Preisfindung bei M&A-Transaktionen. Zwei Lösungsansätze werden hier präferiert: – die Verhandlungslösung und – die Arbitriumwertlösung i.S. einer Schiedsrichterlösung.
5.215
Verhandlungslösung. Bei der Verhandlungslösung wird davon ausgegangen, dass jede Partei unter Beachtung der eigenen und gegnerischen Verhandlungssituation bestrebt sein wird, im Verhandlungsprozess einen möglichst großen Teil des Einigungsbereichs für sich zu beanspruchen. Die Aufteilung des Einigungsbereichs wird hierbei bestimmt durch die Verhandlungsstärke, die wiederum von der wirtschaftlichen Machtstellung (durch z.B. finanzielle Ressourcen oder vorhandene bzw. verfügbare Informationen) abhängt, die Verhandlungsstrategie, die Verhandlungstaktik, Informationen über die Entscheidungssituation des Verhandlungspartners und das Verhandlungsgeschick sowie die Konzessionsbereitschaft der Vertragsparteien. Da diese Einflussfaktoren im internationalen Unternehmensverbund nahezu beliebig dem einen oder anderen Verhandlungspartner zugeordnet werden können, scheidet die Verhandlungslösung für eine (Verrechnungs-)Preisfindung innerhalb von Einigungsbereichen aus. Gleichwohl will die Finanzverwaltung nach Rz. 93 der VWG-Funktionsverlagerung für die Zurechnung von Standortvorteilen darauf abstellen, „welches Unternehmen diese Vorteile/ Nachteile in den fiktiven Preisverhandlungen in Anspruch nehmen könnte bzw. tragen müsste“, was letztlich von den – sich aus objektiven Umständen ergebenden – „konkreten Handlungsalternativen“ und der „jeweiligen Verhandlungsstärke“ abhängen soll.2 Außerdem sind diese Überlegungen nicht mit der gesetzlichen Fiktion der vollständigen Information und Markttransparenz nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG zu vereinbaren, die letztlich zu gleichen Verhandlungsstärken führen muss.
1 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1186. 2 VWG FVerl, Rz. 93 und 121 ff.
454 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.218 Kap. 5
Schiedsrichter- bzw. Arbitriumwertlösung. Im Unterschied zur Verhandlungslösung geht die Schiedsrichter- bzw. Arbitriumwertlösung1 von gleicher Verhandlungsstärke und symmetrischen Verhandlungspositionen beider Transaktionspartner sowie der Kenntnis über die jeweilige Preisgrenze des Kontrahenten aus. Unter diesen Voraussetzungen soll die Möglichkeit bestehen, einen objektiven, gerechten und neutralen Kompromisswert zu finden. Der so ermittelte Wert soll also die Interessen der Beteiligten nach Ansicht eines unparteiischen Vermittlers in angemessener Weise wahren. Dies führt meist dazu, dass der Einigungsbereich zu gleichen Teilen auf die Beteiligten aufgeteilt wird („salomonische Mitte“ = Mittelwert). Letztlich handelt es sich dabei aber um einen rein pragmatischen Ansatz. Dass dagegen berechtigte Vorbehalte – insbesondere bei einer ausschließlich konzerninternen Beschaffungsmöglichkeit – bestehen, ist jedoch offenkundig.
5.216
b) Auffassung der Rechtsprechung Zinsurteile des BFH. Nach Auffassung des BFH in seinen sog. „Zinsurteilen“ sind bei der Festlegung konzerninterner Zinssätze für die Verrechnung von Finanzierungsleistungen die banküblichen Habenzinsen als Untergrenze und die banküblichen Sollzinsen als Obergrenze für angemessene Zinsen zu beachten, wobei sich „im Zweifel“ Darlehensgläubiger und Darlehensschuldner die Spanne zwischen bankenüblichen Haben- und Schuldzinsen teilen sollen.2 Da diese Rechtsprechung konzeptionell auf dem hypothetischen Fremdvergleich beruht (Rz. 3.134 ff.), ging der BFH bereits in seinen Zinsurteilen von einer hälftigen Teilung des Einigungsbereichs aus.
5.217
Aufteilung von Standortvorteilen. In der Verrechnungspreispraxis wird die Vergütung eines Lohnfertigers regelmäßig nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt (Rz. 6.31 ff.). Die undifferenzierte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode führt jedoch dazu, dass der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn jedenfalls dann unzutreffend zugeordnet wird, wenn die Standortvorteile nicht bei der Bemessung des Gewinnaufschlags berücksichtigt werden, sondern – wie regelmäßig – ein Standardgewinnaufschlag auf die durch die Standortvorteile niedrigere Kostenbasis angesetzt wird (Rz. 6.36 ff.). In diesem Fall kommt der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn größtenteils dem Auftraggeber zugute. Letztlich würden dadurch die Standortvorteile vollständig ins Inland übertragen und dort der Besteuerung zugeführt.
5.218
Eine solche Zuordnung der Standortvorteile ist allerdings nicht sachgerecht und entspricht auch nicht dem Grundsatz des Fremdvergleichs. Denn Standortvorteile entstehen aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Staates. Somit sollte das grundsätzliche Besteuerungsrecht der daraus resultierenden Gewinne auch dem betreffenden Staat zustehen (Rz. 6.36 ff.). Das FG Münster hat in seinem rechtskräftigen Urteil v. 16.3.20063 erstmals zur Aufteilung von Standortvorteilen bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen gegenüber Lohnfertigern entschieden (vgl. auch Rz. 6.38) Das FG Münster hat hier die Rechtsauffassung vertreten, dass die durch Kostenvorteile entstandenen Standortvorteile nicht vollständig vom inländischen
1 Vgl. grundlegend Matschke, Funktionale Unternehmensbewertung, Bd. II, Der Arbitriumwert der Unternehmung. 2 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; v. 22.10.2003 – I R 36/03, FR 2004, 462. 3 FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562.
Baumhoff/Liebchen | 455
Kap. 5 Rz. 5.218 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Auftraggeber absorbiert werden können. Stattdessen ist der Lohnfertiger an diesen Standortvorteilen zu beteiligen. Dies entspricht der h.M. in der Literatur, wonach die durch die niedrigeren Kosten im Ausland resultierenden Standortvorteile zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger aufzuteilen sind.1 Selbst Vertreter der Finanzverwaltung sehen eine Aufteilung als erforderlich an. So formulieren Kuckhoff/Schreiber, dass durch eine undifferenzierte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode „die Standortvorteile über den Verrechnungspreis seitens der inländischen Muttergesellschaft oder des inländischen Abnehmers nahezu völlig abgeschöpft [würden], was betriebswirtschaftlich und damit auch steuerlich nicht zu rechtfertigen ist“.2 Nach der Literaturauffassung ist es daher unstreitig, dass Standortvorteile zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger grundsätzlich aufzuteilen sind. Fraglich ist allerdings, nach welchen Grundsätzen diese Aufteilung zu erfolgen hat. In der Verrechnungspreispraxis wird diese Aufteilung von Standortvorteilen auf Basis eines hypothetischen Fremdvergleichs vorgenommen. Mittels der Referenzfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters sowohl aufseiten des Lohnfertigers als auch aufseiten des Auftraggebers („doppelter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter“, Rz. 3.145 ff.) ist eine am Fremdvergleich orientierte Aufteilung abzuleiten. Methodisch sind hierzu der Mindestpreis des Lohnfertigers (Preisuntergrenze) und der Höchstpreis des Auftraggebers (Preisobergrenze) zu bestimmen.3 Hierbei bezieht sich die Preisobergrenze des Auftraggebers auf die Handlungsalternative Eigenfertigung und umfasst die dementsprechenden Kosten. Die Preisuntergrenze des Lohnfertigers markieren die Kosten des jeweiligen Auftrags zzgl. eines Standardgewinnaufschlags. Da bei den hier zur Diskussion stehenden Auslagerungen von Produktionsaufgaben die Preisobergrenze üblicherweise die Preisuntergrenze überschreitet, liegt ein Einigungsbereich vor. Grundsätzlich dürften alle Preise innerhalb dieses Einigungsbereichs als angemessen anzusehen sein, da jeder dieser Preise auch zwischen fremden Dritten vereinbart werden könnte. Das FG Münster hat konkret bei einer hälftigen Teilung des Kostenvorteils keinen Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz gesehen.4 In aller Deutlichkeit wird in dem Urteil zudem ausgeführt, dass es für die Aufteilung von Standortvorteilen nicht auf die wirtschaftliche Machtstellung zwischen nahe stehenden Unternehmen ankommen kann. Vielmehr ist gemäß dem Grundsatz des Fremdvergleichs darauf abzustellen, wie unabhängige Parteien die Preise vereinbart hätten. Die Finanzverwaltung wendet dieses Urteil indes nicht allgemein an.5 Nach Zech entspricht es vielmehr der Auffassung der Finanzverwaltung, dass der Standortvorteil vollständig im Inland vereinnahmt wird.6 Diese Auffassung dürfte allerdings angesichts der Qualifikation der 1 Vgl. Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791; Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 319; Wassermeyer, StbJb. 1997/98, 163; Rödder, StbJb. 1997/98, 122; Kroppen in Kroppen/ Rasch, Handbuch internationale Verrechnungspreise, Rz. W 59; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 363; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 363; Dreßler in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Podiumsdiskussion, 98. 2 Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 217; vgl. auch Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 319. 3 Vgl. hierzu Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791. 4 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562; s. hierzu ausführlich Baumhoff/ Greinert, IStR 2006, 792 f. 5 Vgl. Rupp in Haufe Steueroffice Kanzlei-Edition, Haufe-Index 2061149, Tz. 2.4; Zech, IStR 2011, 134. 6 Vgl. Zech, IStR 2011, 133.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.220 Kap. 5
Funktionsabspaltung auf einen Lohnfertiger als Funktionsverlagerung nicht mehr begründbar sein (Rz. 7.161 ff.).1 Die VWG-Funktionsverlagerung äußern sich zwar wiederholt zu Standortvorteilen,2 bleiben allerdings im Hinblick auf ihre Aufteilung letztlich unbestimmt. Nach Rz. 93 der VWG-Funktionsverlagerung soll es für die Zurechnung von Standortvorteilen darauf ankommen, „welches Unternehmen diese Vorteile/Nachteile in den fiktiven Preisverhandlungen in Anspruch nehmen könnte bzw. tragen müsste“, was letztlich von den – sich aus objektiven Umständen ergebenden – „konkreten Handlungsalternativen“ und der „jeweiligen Verhandlungsstärke“ abhängen soll.3 Diese Überlegungen erinnern an die sog. Verhandlungslösung, die allerdings wegen ihrer Abhängigkeit von Einflussfaktoren, die zwischen nahe stehenden Unternehmen beliebig dem einen oder dem anderen Verhandlungspartner zugeordnet werden können, für die Aufteilung von Einigungsbereichen ungeeignet ist (Rz. 5.215). Außerdem stehen diese Überlegungen im Widerspruch zur Fiktion der vollständigen Information und Markttransparenz nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG, die letztlich zu gleichen Verhandlungsstärken führen muss. c) Gesetzliche Regelung Hälftige Teilung des Einigungsbereichs. § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG enthält – wie bereits zuvor § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG – eine gesetzliche Regelung zur Aufteilung eines Einigungsbereichs. Hiernach „ist der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen, wenn der Steuerpflichtige nicht glaubhaft macht, dass ein anderer Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht“. Wenn also nichts anderes glaubhaft gemacht wird, ist zunächst auf den Mittelwert abzustellen. Eine solche hälftige Teilung des Einigungsbereichs ist zunächst nicht abwegig, zumal sie betriebswirtschaftlich der sog. Arbitriumwertlösung entspricht.4 Auch die sog. Zinsurteile des BFH (Rz. 5.165)5 machen einen entsprechenden Lösungsvorschlag. In gleicher Weise geht die Rspr. zur Aufteilung von Standortvorteilen bei einem Lohnfertiger (Rz. 5.218)6 davon aus, dass Auftraggeber und Lohnfertiger den sich durch die Standortvorteile ergebenden Einigungsbereich hälftig teilen.
5.219
Widerlegbare Vermutung. Allerdings handelt es sich bei der hälftigen Teilung des Einigungsbereichs um eine widerlegbare Vermutung. Der Steuerpflichtige muss hierzu glaubhaft machen, dass ein anderer Wert als der Mittelwert dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Hierbei erfordert die Glaubhaftmachung ein herabgesetztes Beweismaß. Der Steuerpflichtige muss darlegen, dass für die behauptete Tatsache – der behauptete Wert entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz – „eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben ist“; d.h., das Bestehen der behaupteten Tatsache „wahrscheinlicher ist als ihr Nichtbestehen“7.
5.220
Fraglich ist, wie diese tautologische Glaubhaftmachung in praxi bewerkstelligt werden kann. Denn innerhalb des Einigungsbereichs entspricht jeder Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz, weil jeder dieser Werte – und zwar mit der gleichen Wahrscheinlichkeit – auch zwischen
1 2 3 4 5
So zutreffend Zech, IStR 2011, 133 f. Vgl. VWG FVerl, Rz. 76, 85, 93, 123, 128, 155, 168. VWG FVerl, Rz. 93 und 121 ff. Vgl. hierzu Baumhoff in FS Wassermeyer, 351 m.w.N. Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; v. 22.10.2003 – I R 36/03, FR 2004, 462 = DStRE 2004, 304. 6 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562; ausführlich hierzu Baumhoff/ Greinert, IStR 2006, 789. 7 VWG FVerl, Rz. 40.
Baumhoff/Liebchen | 457
Kap. 5 Rz. 5.220 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
fremden Dritten (hypothetisch) vereinbart werden könnte. Der Gesetzgeber führt für die Glaubhaftmachung eines bestimmten Werts innerhalb des Einigungsbereichs die für Zwecke des § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, d.h. die i.R. der Vergleichbarkeitsanalyse u.a. heranzuziehenden Vergleichbarkeitsfaktoren, relevanten rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte an.1 Zu den rechtlichen Gesichtspunkten sollen u.a. die vertraglichen Bedingungen eines Geschäftsvorfalls, soweit diese mit dem tatsächlichen Verhalten einander nahestehender Vertragspartner übereinstimmen, sowie insbesondere nicht abdingbare, zivilrechtliche Gegebenheiten gehören.2 Zu den in wirtschaftlicher Hinsicht relevanten Aspekten sollen neben den ausgeübten Funktionen, kontrollierten Risiken und eingesetzten Vermögenswerten insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten und die Verhältnisse des für den Geschäftsvorfall relevanten Marktes, einschließlich Standortvorteilen sowie aller rechtlichen Rahmenbedingungen und Begleitumstände, die von den Beteiligten verfolgten Geschäftsstrategien sowie die Eigenschaften übertragener oder überlassener Vermögenswerte oder erbrachter Dienstleistungen gehören.3 Nach Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung4 bleibt für die Glaubhaftmachung eines anderen Werts als des Mittelwerts die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit der Transaktionspartner unberücksichtigt. Demgegenüber können als Kriterien die jeweiligen Marktpositionen, das jeweilige mit der Transaktion verbundene Interesse, die Kapitalausstattung und Ertragslage der Kontrahenten, die Entstehung von Synergieeffekten und Standortvorteilen herangezogen werden. Ferner sind – unter Verweis auf die Auffassung der OECD5 – die Handlungsalternativen der Parteien zu beachten. Wichtig wird hier sein, dass die unternehmensseitig angelegten Kriterien bereits bei der Erfüllung der Dokumentationspflichten hinreichend dargelegt werden.6
5.221
Gesetzliche Änderung durch die Neufassung i.R. des AbzStEntModG. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG entspricht diese Regelung „inhaltlich dem bisher geltenden § 1 Abs. 3 Satz 7“.7 Dies verwundert insofern, als der Gesetzgeber tatsächlich den Gesetzeswortlaut geändert hat, und lässt es fraglich erscheinen, ob nicht tatsächlich § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG gegenüber der Vorfassung eine inhaltlich geänderte Regelung aufweist. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F. lautete wie folgt: „Es ist der Preis im Einigungsbereich der Einkünfteermittlung zugrunde zu legen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht; wird kein anderer Wert glaubhaft gemacht, ist der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen.“ Abgesehen davon, dass der Gesetzgeber mit den neu gefassten Regelungen in § 1 Abs. 3, Abs. 3a und Abs. 3b AStG durch das AbzStEntModG8 durchgehend stärker den Charakter von § 1 AStG als Einkünftekorrekturvorschrift und nicht als Einkünfte- bzw. Gewinnermittlungsvorschrift zum Ausdruck bringt, unterscheiden sich § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG und § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F. offensichtlich in den folgenden drei Punkten: (i) die widerlegbare gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F. bezog sich darauf, dass der Mittel1 2 3 4 5 6
Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 77 f. Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 77. Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 77. Vgl. VWG FVerl, Rz. 128. Vgl. Tz. 1.34 u. 8.59 ff. OECD-Leitlinien 2022. Zur Dokumentation von Funktionsverlagerungen s. auch Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.578 ff., insb. 4.580; Borstell/Wehnert in V/B/ B, Verrechnungspreise5, Q Rz. 749 ff. 7 BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 81. 8 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259.
458 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.222 Kap. 5
wert des Einigungsbereichs der Preis (nicht der Wert) ist, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht; (ii) war der Gegenbeweis zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des Mittelwertansatzes nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F. nicht auf den Steuerpflichtigen beschränkt, sondern stand z.B. auch der Finanzbehörde offen; (iii) die nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F. glaubhaft zu machende Tatsache bezog sich auf einen vom Mittelwert abweichenden Wertansatz innerhalb der Einigungsbereichs, „der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht“, während § 1 Abs. 3a Satz 7 AStG nur eine Entsprechung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz hinreichen lässt. Auch wenn zu begrüßen ist, dass der Gesetzgeber von einer Glaubhaftmachung mittels Wahrscheinlichkeiten – verstanden als Häufung einer (beobachtbaren) Ausprägung – im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs Abstand genommen hat, weil eine größere Häufung einer Ausprägung ebenso wie der hypothetische Fremdvergleich selbst einem Denkprozess entspringen mussten und deshalb die entsprechende Glaubhaftmachung durch nichts zu begründen war,1 fehlt der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG im Hinblick auf die glaubhaft zu machenden Umstände ein Maßstab. Dies kann nicht der Fremdvergleichsgrundsatz selbst sein, denn dessen Anwendung ist mit der Grenzpreisbestimmung und der Abgrenzung des Einigungsbereichs abgeschlossen. Dies bedeutet dann aber, dass sich kein konkreter Wert innerhalb des Einigungsbereichs auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurückführen lässt. Wahlrecht für einen abweichenden Wertansatz. Vor dem Hintergrund der Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 AStG ist fraglich, ob der Steuerpflichtige verpflichtet ist, einen Wert innerhalb des Einigungsbereichs „glaubhaft“ zu machen. Geht man – wie hier vertreten – von einer widerlegbaren Vermutung der hälftigen Teilung aus, wird – rationales Verhalten unterstellt – die Glaubhaftmachung eines anderen Werts innerhalb des Einigungsbereichs nur dann anzustreben sein, wenn hierdurch eine für den Steuerpflichtigen günstigere Aufteilung des Einigungsbereichs erreicht werden kann. Auch lässt sich der Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung kein Hinweis darauf entnehmen, dass verwaltungsseitig von einer diesbezüglichen Verpflichtung ausgegangen wird. Gegen eine solche Verpflichtung spricht das Beispiel in Rz. 128 der VWG-Funktionsverlagerung, wenn von einer „insoweit [...] abweichenden Aufteilung des Einigungsbereichs“ im Zusammenhang mit der Glaubhaftmachung eines anderen Wertansatzes die Rede ist.2 Dies impliziert grundsätzlich eine gesetzliche – allerdings widerlegbare – Aufteilung von Einigungsbereichen. Demgegenüber vertritt Zech die Auffassung, dass es Sache des Steuerpflichtigen sei, im Rahmen der Dokumentation glaubhaft zu machen, dass kein anderer Wert angesetzt werden kann.3 Eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen soll sich – bezogen auf die vorgehende Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F. – aus dem „Zusammenspiel von § 90 Abs. 3 AO und § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 AStG“ ergeben.4 Hiernach soll der Steuerpflichtige gehalten sein, bei ihm vorliegenden Erkenntnissen, nach denen ein höherer Wert als der Mittelwert zum Ansatz kommt, eben diesen Wert zugrunde zu legen. Ferner geht Zech von einer Verpflichtung des Steuerpflichtigen aus, die Unmöglichkeit einer anderweitigen Wertfindung wiederum glaubhaft zu machen.5 Insofern käme es hierfür auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit an.
1 Vgl. hierzu ausführlich Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 556; Greinert, Ubg 2010, 106; Kroppen in FS Schaumburg, 872. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 128. 3 Vgl. Zech, IStR 2011, 136. 4 Vgl. Zech, IStR 2011, 136. 5 Vgl. Zech, IStR 2011, 136.
Baumhoff/Liebchen | 459
5.222
Kap. 5 Rz. 5.222 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Was letztere Verpflichtung anbelangt, entbehrt sie einer rechtlichen Grundlage. Gegenstand der Glaubhaftmachung i.S.v. § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG (und ebenso bezogen auf § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 AStG a.F.) sind der Wert selbst, nicht hingegen die Möglichkeiten dessen Ermittlung. Es würde schier Unmögliches verlangt, sollte dem Steuerpflichtigen – basierend auf einem Denkmodell – eine Darlegungspflicht erwachsen (Rz. 5.220). Insofern bleibt festzustellen, dass der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, einen Wert innerhalb des Einigungsbereichs glaubhaft zu machen. Er kann vielmehr den gesetzlichen Wertansatz „in Kauf nehmen“.
4. Nachträgliche Verrechnungspreiskorrekturen a) Unzutreffender Einigungsbereich/Verrechnungspreisansatz
5.223
Zutreffender Einigungsbereich/zutreffender Verrechnungspreisansatz. Hat der Steuerpflichtige den Einigungsbereich zutreffend ermittelt, seiner Verrechnungspreisermittlung allerdings einen anderen als den Mittelwert zugrunde gelegt, ist es nach den gesetzlichen Vorgaben Sache des Steuerpflichtigen, glaubhaft zu machen, dass dieser Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Hierzu wurde bereits dargelegt, dass in praxi die Glaubhaftmachung schon theoretisch erheblichen Bedenken begegnet, weil jeder Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht und grundsätzlich auch gleich wahrscheinlich ist (vgl. Rz. 5.221). Der Steuerpflichtige wird deshalb nicht umhinkommen, seinen Wertansatz unter Rückgriff auf die in den VWG-Funktionsverlagerung genannten Kriterien für einen dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der größten Wahrscheinlichkeit entsprechenden Wert (jeweilige Marktposition, das jeweilige mit der Transaktion verbundene Interesse, die Kapitalausstattung und Ertragslage der Kontrahenten, die Handlungsalternativen der Parteien) zu begründen.1 Ferner können die Kriterien der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, die der Gesetzgeber auch für die Glaubhaftmachung eines auf Mittelwert abweichenden Wertansatzes im Einigungsbereich für beachtlich hält,2 geeignet sein, die Verhandlungspositionen sowie einen bestimmten Wert als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses zu begründen. Diese Überlegungen sollten bereits die Verrechnungspreisbestimmung leiten und zudem dokumentiert werden. Da die Glaubhaftmachung ein herabgesetztes Beweismaß erfordert, ist bei einer plausiblen Begründung der Wertfindung grundsätzlich keine Verrechnungspreiskorrektur zulässig.
5.224
Zutreffender Einigungsbereich/unzutreffender Verrechnungspreisansatz. Geht die Verrechnungspreisbestimmung zwar auf einen zutreffend ermittelten Einigungsbereich zurück, wurde der Wertansatz aber an dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Rand des Einigungsbereichs festgelegt, entspricht der Verrechnungspreisansatz nicht den gesetzlichen Vorgaben, die – allerdings widerlegbar – von einer hälftigen Teilung des Einigungsbereichs zwischen den Transaktionspartnern ausgehen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die vollständige Vereinnahmung der Standortvorteile und Synergieeffekte nur durch einen der Transaktionspartner als mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar abgeleitet werden kann, was allenfalls in Ausnahmefällen gelingen sollte.
5.225
Unzutreffender Einigungsbereich. Die nachträgliche Korrektur des angesetzten Verrechnungspreises richtet sich ausnahmslos nach § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG. Eine § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG a.F. vergleichbare Regelung, nach der die Finanzverwaltung in dem Fall, dass sich der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Einigungsbereich nachträglich als unzutreffend he1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 128. 2 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 78.
460 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.227 Kap. 5
rausstellt, auf eine Einkünfteberichtigung verzichten konnte, wenn der vom Steuerpflichtigen zugrunde gelegte Wert innerhalb des zutreffenden Einigungsbereichs liegt, ist für VZ ab 2022 entfallen. Insofern ist in der Prüfungspraxis zu erwarten, dass vermehrt Grenzpreisermittlung mit der Absicht aufgegriffen werden, entweder den Einigungsbereich durch Anhebung der Preisuntergrenze einzuengen oder aber Grenzpreise zu erhöhen. Beides hätte Einfluss auf den Mittelwert. Selbst wenn sich der Wertansatz des Steuerpflichtigen innerhalb eines als zutreffend ermittelt angesehenen Einigungsbereichs befinden sollte, wird er glaubhaft machen müssen, dass dieser Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. b) Preisanpassungsklausel Gesetzliche Preisanpassungsklausel. Zivilrechtlich sind die Parteien zwar grundsätzlich an den von ihnen geschlossenen Vertrag gebunden, es sei denn, es wurden vertragliche Vorbehalte vereinbart oder ein Festhalten an dem Vertrag ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, insbesondere bei Wegfall der Geschäftsgrundlage, nicht mehr zumutbar.1 Für Fälle, in denen – neben Funktionsverlagerungen – der hypothetische Fremdvergleich zur Anwendung kommt, „wesentliche immaterielle Werte [...] Gegenstand einer Geschäftsbeziehung sind“ und die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnerwartung abweicht, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, besteht allerdings gem. § 1a Satz 1 AStG die widerlegbare Vermutung, „dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten.“ Diese gesetzliche Fiktion wird flankiert durch die Regelung des § 1a Satz 2 AStG: „Wurde eine solche Regelung nicht vereinbart und tritt bezogen auf die ersten sieben Jahre nach Geschäftsabschluss eine erhebliche Abweichung im Sinne des Satzes 1 ein, ist für eine deshalb vorzunehmende Berichtigung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 ein angemessener Anpassungsbetrag auf den Verrechnungspreis im achten Jahr nach Geschäftsabschluss der Besteuerung zugrunde zu legen.“ Hiernach kommt eine einmalige nachträgliche gesetzliche Preisanpassung nach Ablauf von sieben Jahren in Betracht, wenn keine (fremdvergleichskonforme) Preisanpassungsklausel individualvertraglich vereinbart wurde. Dies gilt ungeachtet dessen, ob die ursprüngliche Verrechnungspreisbestimmung im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben zur Aufteilung des (ursprünglichen) Einigungsbereichs steht, d.h. insbesondere unter Beachtung der hälftigen Teilung des Einigungsbereichs erfolgte (Rz. 5.219 ff.). Wenn tatsächlich ein kürzerer Zeitraum vereinbart wird (z.B. 5 Jahre), muss dieser Zeitraum gelten. Insofern liegt auch mit der Festlegung des Anpassungszeitraums ein steuerliches Gestaltungsinstrument vor.
5.226
Wesentlichkeitskriterium. Nachträgliche Preisanpassungen durch die Finanzbehörden kommen nur in Betracht, wenn sich die Transaktion auf wesentliche immaterielle Werte oder Vorteile bezieht. Im Hinblick auf das Wesentlichkeitskriterium gibt das Gesetz allerdings keine inhaltlichen Anforderungen vor. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 1a Satz 1 AStG sind immaterielle Werte im Rahmen einer Funktionsverlagerung wesentlich, wenn sie für die verlagerte Funktion erforderlich sind (qualitativer Maßstab) und ihr Fremdvergleichspreis insgesamt mehr als 25 % der Summe der Einzelpreise aller Wirtschaftsgüter und Vorteile des Transferpakets beträgt (quantitativer Maßstab) (Rz. 7.130).2 Der Gesetzgeber verweist mithin für Fälle der Funktionsverlagerung auf § 1 Abs. 5 FVerlV. Bisher war für Zwecke der Alt-
5.227
1 Zu den zivilrechtlichen Möglichkeiten nachträglicher Preisanpassungen s. Engler, IStR 2009, 686 f. 2 Vgl. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 84; s.a. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.204 u. 4.560 ff.
Baumhoff/Liebchen | 461
Kap. 5 Rz. 5.227 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
regelung in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG a.F. unklar, ob diese Definition auch für die Einzelübertragung immaterieller Wirtschaftsgüter beachtlich ist, zumal sich § 1 Abs. 5 FVerlV auf „§ 1 Abs. 3 Satz 10 erste Alternative des Außensteuergesetzes“ beschränkt und die FVerlV im Übrigen nur Funktionsverlagerungen – nunmehr – i.S.v. § 1 Abs. 3b AStG betrifft. Die Finanzverwaltung schien jedenfalls hiervon auszugehen, wenn sie für die insofern vergleichbare EscapeKlausel des § 10 Abs. 3 Satz 10 Alt. 3 AStG a.F. bezogen auf ein einzelnes immaterielles Wirtschaftsgut von einer sinngemäßen Anwendung dieses Wesentlichkeitskriteriums spricht.1 Ausweislich der Gesetzesbegründung versteht der Gesetzgeber allerdings in sonstigen Fällen das Wesentlichkeitskriterium wie folgt: „Ansonsten sind immaterielle Werte insbesondere dann wesentlich, wenn sie für das betreffende Geschäftsmodell bzw. im Rahmen des Wertschöpfungsprozesses einen maßgebenden Werttreiber darstellen“.2 Der Gesetzgeber verwendet mit den Begriffen „Geschäftsmodell“, „Wertschöpfungsprozess“ und „Werttreiber“ gesetzlich nicht definierte Begriffe, sodass im Hinblick auf das Bestimmtheitserfordernis der gesetzlichen Regelung vieles fraglich bleibt. Man wird aus der Verwendung von „für das betreffende Geschäftsmodell“ und „im Rahmen des Wertschöpfungsprozesses“ wohl ableiten müssen, dass dem Gesetzgeber eine jeweils auf den konkreten Einzelfall bezogene Beurteilung der Wesentlichkeit eines immateriellen Wertes vorschwebt. Fraglich ist allerdings, ob der Gesetzgeber der in der Verrechnungspreispraxis bei sog. Wertschöpfungsbeitragsanalysen und Geschäftsprozessanalysen relevanten Feststellung der wesentlichen Werttreiber („Key Value Drivers“) für den Erfolg oder Misserfolg z.B. eines Geschäftssegments, auf die bezogen (Wertschöpfungs-) Beiträge der jeweils ausgeübten Funktionen oder aber von Geschäftsprozessen bestimmt werden,3 eine für Zwecke des § 1a AStG relevante Bedeutung beimessen will. Die Betriebsprüfungspraxis zeigt jedenfalls, dass z.B. Marken und Technologien stets als wesentliche immaterielle Werte angesehen werden, obgleich sie in einer Vielzahl von Fällen keine wesentlichen Werttreiber eines bestimmten Geschäftssegments sind.
5.228
Eingeschränkte Zulässigkeit von Korrekturen zugunsten des Steuerpflichtigen. § 1a Satz 2 AStG regelt eine eigenständige Einkünftekorrektur aufgrund des Fehlens einer die zukünftige Gewinnentwicklung berücksichtigenden Anpassungsregelung, die allerdings mit der Folge in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG „eingebettet“ ist, dass sie nur zu Lasten des Steuerpflichtigen erfolgen kann. Diese gesetzliche Konzeption ist nicht sachgerecht. Dies schon deshalb nicht, weil jede vertragliche Anpassungsregelung zu einer Anpassung des ursprünglich vereinbarten Kaufpreises führt. Diese nachträgliche Kaufpreisanpassung ist als ein steuerlich auf den Transaktionszeitpunkt rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AStG zu qualifizieren. Sie betrifft folglich das Wirtschaftsjahr, in dem sich der Geschäftsvorfall ereignete. Demgegenüber soll die (einmalige) gesetzliche Preisanpassung nach § 1a Satz 2 AStG im achten Jahr nach Geschäftsabschluss erfolgen, das dem Wirtschaftsjahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist. Wenn der Gesetzgeber qua Fiktion die Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel unter bestimmten Voraussetzungen auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurückführt und die fehlende Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen für die finale Preisfindung mangels individualvertraglicher Preisanpassungsklausel mit einer gesetzlichen Anpassungsregelung „sanktioniert“, muss insgesamt auch ein Ergebnis hergestellt werden, das dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Da § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nur Einkünftekorrekturen zulässt, die Anpassung nach § 1a Satz 2 AStG die Bepreisung derselben Geschäftsbeziehung betrifft und sich die erforderliche Kausalität zwischen den vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichenden, vertraglich vereinbarten Bedingungen 1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 75. 2 BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 84. 3 Vgl. hierzu z.B. Vögele/Dettmann/Peters in V/B/B, Verrechnungspreise5, H Rz. 491 ff.
462 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.231 Kap. 5
und der Minderung im Inland steuerpflichtiger Einkünfte („dadurch [...] dass“) genau hierauf bezieht, sind grundsätzlich auch nachträgliche Preisanpassungen zugunsten des Steuerpflichtigen zulässig (vgl. auch Rz. 7.144). Allerdings ist dies nur dann und in dem Umfang möglich, wie der ursprüngliche Verrechnungspreisansatz bereits einer Einkünftekorrektur unterlegen hat. Eine Preisanpassung, die insgesamt zu einer Einkünftekorrektur zugunsten des Steuerpflichtigen führt, kann dagegen nicht auf § 1 AStG gestützt werden. Beschränkung auf erhebliche Abweichungen. Eine gesetzliche Preisanpassung nach § 1a Satz 2 AStG setzt eine „erhebliche Abweichung“ zwischen der tatsächlichen späteren Gewinnentwicklung und der Gewinnerwartung, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, voraus. Nach § 1a Satz 3 AStG liegt eine erhebliche Abweichung vor, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Fremdvergleichspreis um mehr als 20 % von diesem Verrechnungspreis abweicht, wobei bei der Bestimmung des unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Fremdvergleichspreises dieselben Grundsätze anzuwenden sind (§ 1a Satz 4 AStG). Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich der zutreffende Fremdvergleichspreis unter Anwendung des § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG ergibt, d.h. nach der widerlegbaren gesetzlichen Vermutung des Mittelwertansatzes. Hinsichtlich der Erheblichkeitsschwelle nimmt § 1a Satz 3 AStG die entsprechende Empfehlung in Tz. 6.193 der OECD-Leitlinien auf.1 § 1a Satz 4 AStG macht deutlich, dass nur die seinerzeitige Gewinnerwartung durch die tatsächliche Gewinnermittlung ersetzt werden soll, d.h. i.Ü. dasselbe Bewertungsverfahren und dieselben Bewertungsannahmen zugrunde zu legen sind.2
5.229
Beschränkung auf Übertragungsfälle. Immaterielle Wirtschaftsgüter sind sowohl dann Gegenstand einer Geschäftsbeziehung, wenn sie übertragen werden, als auch dann, wenn an ihnen ein Nutzungsrecht (Lizenz) eingeräumt wurde. § 1a Satz 6 Nr. 3 AStG nimmt die Regelung für die Lizenzierung immaterieller Werte auf. Hiernach erfolgt eine Anpassung nicht, wenn „im Hinblick auf immaterielle Werte und Vorteile Lizenzvereinbarungen getroffen werden, die die zu zahlende Lizenz vom Umsatz des Lizenznehmers abhängig machen oder für die Höhe der Lizenz Umsatz und Gewinn berücksichtigen“. Diese Einschränkung ist auch sachgerecht, weil der Lizenzgeber bei einer umsatz- bzw. gewinnabhängigen Lizenzgebühr an jedweder Änderung – bzw. im Fall gestaffelter Lizenzsätze bei Über-/Unterschreiten der jeweiligen Grenzwerte – der Bezugsgröße partizipiert. Dies gilt bei umsatzabhängigen Lizenzgebühren allerdings ohne Berücksichtigung einer günstigeren Kostenentwicklung.3 Außerhalb von Funktionsverlagerungen (vgl. Rz. 7.142 ff.) erstreckt sich der Anwendungsbereich deshalb auf die Einzelübertragung wesentlicher immaterieller Werte. Zu berücksichtigen ist hier, dass (wesentliche) immaterielle Werte „Gegenstand einer Geschäftsbeziehung“ sein müssen, wobei der Begriff der Geschäftsbeziehung abschließend in § 1 Abs. 4 AStG gesetzlich definiert ist. So stellt etwa die Übertragung immaterieller Werte im Wege gesellschaftsrechtlicher Sacheinlagen im Zuge der Sachgründung oder einer Sachkapitalerhöhung keine Geschäftsbeziehung i.S.v. § 1 Abs. 4 AStG dar, weil diesen „wirtschaftlichen Vorgängen“ eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt.
5.230
Doppelte Berücksichtigung von Prognoserisiken. Die gesetzliche Vermutung stützt sich ausdrücklich darauf, dass „zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarungen bestanden.“ Üblicherweise tragen fremde Dritte diesem Risiko jedoch nicht durch eine Anpassungsklausel, sondern durch die explizite Berücksichtigung des
5.231
1 Vgl. auch BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 84. 2 Vgl. auch BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 85. 3 Vgl. Schaumburg, IStR 2009, 878.
Baumhoff/Liebchen | 463
Kap. 5 Rz. 5.231 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
Risikos im Bewertungskalkül Rechnung.1 Nach dem IDW S 5 erfolgt dies konkret durch Berücksichtigung des Risikos entweder im Kapitalisierungszinssatz (Risikozuschlagsmethode) oder durch Anpassung der erwarteten Erträge (Sicherheitsäquivalent).2 Diesem Bewertungsstandard folgt auch die Finanzverwaltung, wenn von der Funktionsverlagerung vor allem immaterielle Wirtschaftsgüter betroffen sind.3 Angesichts der in § 5 FVerlV geforderten Anwendung der Risikozuschlagsmethode wird mithin die zum Übertragungs-/Bewertungsstichtag vorhandene Unsicherheit doppelt berücksichtigt, was nicht sachgerecht sein kann.4 Insofern ist zu begrüßen, dass nach § 1a Satz 6 Nr. 2 AStG eine Anpassung insbesondere dann nicht erfolgt, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass er bei der Bestimmung des Verrechnungspreises die aus den künftigen Entwicklung resultierenden Unsicherheiten angemessen berücksichtigt hat. Ausweislich der Gesetzesbegründung bezieht sich der Nachweis darauf, dass „etwaige mit der Zukunftsbetrachtung inhärente Unsicherheiten ökonomisch plausibel im Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung berücksichtigt“ wurden, was insbesondere „durch fremdübliche Risikozuschläge oder Risikoabschläge“ erfolgen kann.5
5.232
Glaubhaftmachung unvorhersehbarer Umstände. Eine Anpassung kommt nach § 1a Satz 6 Nr. 1 AStG nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass die tatsächliche Entwicklung auf Umständen basiert, die zum Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls nicht vorhersehbar waren. Der Gesetzgeber nimmt hierdurch eine Ausnahmeregelung aus Tz. 6.193 der OECD-Leitlinien auf, bei der ex-post gewonnene Informationen nicht als Indizienbeweis dafür herangezogen werden können, dass das Fehlen einer Preisanpassungsklausel fremdunüblich ist. Die VWG-Funktionsverlagerung haben in Rz. 141 die Begründung einer tatsächlichen Gewinnentwicklung durch unvorhergesehene Ereignisse beispielhaft dafür angeführt, die gesetzliche Vermutung in § 1a Satz 1 AStG (bzw. § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG a.F.) zu widerlegen.6 § 1a Satz 6 AStG macht mit „insbesondere“ deutlich, dass die Sachverhalte, bei denen eine Anpassung nicht erfolgt, nicht abschließend aufgeführt sind. Insofern sollte die gesetzliche Vermutung des § 1a Satz 1 AStG auch dann mit der Folge widerlegt werden, dass die gesetzliche Preisanpassung nicht erfolgt, wenn u.a. aufgrund langjähriger stabiler Ergebnisse tatsächlich keine wesentlichen Unsicherheiten bestanden7 oder dass eine erhebliche Abweichung der Gewinnentwicklung auf die Wirkung der Eintrittswahrscheinlichkeit vorhersehbarer Ergebnisse zurückzuführen ist, wobei diese Eintrittswahrscheinlichkeit im Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls nicht deutlich überschätzt oder unterschätzt wurde.8
5.233
Bestimmung des Anpassungsbetrags. Gemäß § 1a Satz 2 AStG ist einmalig ein angemessener Anpassungsbetrag auf den ursprünglichen Verrechnungspreis im achten Jahr nach Geschäftsabschluss der Besteuerung zugrunde zu legen. Was unter einem angemessenen Anpassungsbetrag zu verstehen ist, definiert § 1a Satz 5 AStG. Hiernach ist die Anpassung des Verrechnungspreises angemessen, wenn die dem Unterschiedsbetrag zwischen dem Verrechnungspreis und dem unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffenden Fremdvergleichspreis entspricht. Dies entspricht inhaltlich § 11 Satz 1 FVerlV.
1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107. Vgl. IDW S 5 i.d.F. 2010, WPg Supplement 3/2010, 109 Tz. 27. Vgl. VWG FVerl, Rz. 89. Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107. BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 85. Vgl. VWG FVerl, Rz. 141. Vgl. VWG FVerl, Rz. 141. Tz. 6.193 Satz 1 i) 2. OECD-Leitlinien 2022.
464 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.236 Kap. 5
5. Sonderproblem: Negativer Einigungsbereich a) Begriffsbildung und -abgrenzung Preisuntergrenze überschreitet Preisobergrenze. Von einem negativen Einigungsbereich bzw. Kontraktbereich spricht man, wenn die Preisgrenze des leistenden Unternehmens die Preisgrenze des leistungsempfangenden Unternehmens überschreitet. In diesem Fall liegt begriffslogisch kein Einigungsbereich vor, weil es einem oder beiden Vertragspartner nicht möglich ist, den individuellen Grenzpreis, bei dem Entscheidungsindifferenz vorliegt, zu erzielen. Zwischen unabhängigen Unternehmen würde in diesem Fall keine Transaktion zustande kommen. Denn mindestens einer der Beteiligten müsste einen – unter Fremden nicht akzeptablen – Gewinnentgang in Kauf nehmen, was mit dem Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht zu vereinbaren wäre. In diesem Fall ist ein Fremdvergleich weder in seiner tatsächlichen noch in seiner hypothetischen Form durchführbar, obwohl aufgrund des faktischen Kontrahierungszwangs zwischen den Konzernunternehmen die Notwendigkeit der Festsetzung eines Verrechnungspreises besteht.
5.234
Abgrenzung zu negativen Preisgrenzen. Begrifflich abzugrenzen sind Fälle, in denen beide Preisgrenzen negativ sind, die Preisobergrenze des leistungsempfangenden Unternehmens aber die Preisuntergrenze des leistenden Unternehmens überschreitet, ein Einigungsbereich mithin gegeben ist. Eine solche Situation kann sich etwa im Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung dann einstellen, wenn eine Verlustfunktion verlagert wird und es auch dem funktionsaufnehmenden Unternehmen nicht möglich ist, mit dieser Funktion Gewinne zu erwirtschaften. Hier besteht für Verrechnungspreiszwecke die Fragestellung darin, die vom verlagernden Unternehmen zu leistende Kompensationszahlung für die Übernahme der Verlustquelle zu bestimmen. Sie beantwortet sich – im Hinblick auf die Preisbestimmung – grundsätzlich nach denselben Regeln wie bei der Übertragung von profitablen Funktionen. Allerdings wird über die Bestimmung eines Preises innerhalb des Einigungsbereichs die Kompensationszahlung so bestimmt, dass keiner der Kontrahenten sich gegenüber seinen die jeweilige Preisgrenze bestimmenden alternativen Handlungsmöglichkeiten verschlechtert. Während das verlagernde Unternehmen seine Verlustquelle gegen eine solche Kompensationszahlung überträgt, die hinter seinen erwarteten Verlusten aus der fortgeführten Funktionsausübung – regelmäßig – zurückbleibt, wird das übernehmende Unternehmen qua Kompensationszahlung so gestellt, dass die erwarteten Verluste aus der Übernahme der Verlustfunktion mindestens ausgeglichen werden. Was die Aufteilung des Einigungsbereichs anbelangt, muss im Zusammenhang mit Verlustquellen berücksichtigt werden, dass eine bloße Verlustfreistellung des übernehmenden Unternehmens dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht genügt. Als weiterer Aspekt muss mit einbezogen werden, dass aus Sicht des übernehmenden Unternehmens auch die Ausübung defizitärer Funktionen nicht unentgeltlich erfolgt, sondern eine Funktionsvergütung erfordert, die die Kompensationszahlung erhöht. Dagegen findet das Prognoserisiko bereits bei der Kalkulation der jeweiligen Preisgrenze Berücksichtigung, wobei dies allerdings – jedenfalls wenn die Transparenzfiktion des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG „konsequent“ angewendet wird – mit umgekehrten Vorzeichen erfolgt (Zuschläge beim übertragenden und Abschläge beim übernehmenden Unternehmen).
5.235
Gesetzliche Regelungen. Im Hinblick auf die Simulation des Preisbildungsprozesses regelt § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG, dass „regelmäßig aus dem Mindestpreis des Leistenden und dem Höchstpreis des Leistungsempfängers ein Einigungsbereich“ ergibt. Die Gesetzesbegründung weist zutreffend darauf hin, dass „bei einem unterstellten rationalen Verhalten unabhängiger Entscheidungsträger eine Einigung nur dann zustande kommt, wenn die Preisobergrenze des Nachfragers über der Preisuntergrenze des Anbieters liegt“, und thematisiert erstmals die Realität
5.236
Baumhoff/Liebchen | 465
Kap. 5 Rz. 5.236 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
eines sog. negativen Einigungsbereichs.1 In diesen Fällen soll allerdings lediglich zu prüfen sein, ob die Ursachen in einem weiteren Geschäftsvorfall oder in weiteren Geschäftsvorfällen begründet liegen und dementsprechend insbesondere der Höchstpreis des Leistungsempfängers falsch ermittelt wurde.2 Dass die Preisgrenzen entsprechend den gesetzlichen und verwaltungsseitigen Vorgaben jeweils richtig ermittelt wurden und sich dieses Phänomen gleichwohl einstellt bzw. einstellen kann, zieht der Gesetzgeber nicht in Betracht. Vergleichbares verdeutlicht auch die Regelung des § 10 Satz 3 FVerlV im Zusammenhang mit nachträglichen Preisanpassungen aufgrund einer erheblichen Abweichung der tatsächlichen Gewinnentwicklung von der ursprünglich erwarteten und der Verrechnungspreisentwicklung zugrunde gelegten Gewinnentwicklung. Hiernach ist eine Abweichung auch dann erheblich, wenn der auf Grundlage der tatsächlichen Gewinnentwicklungen bestimmte Höchstpreis des Leistungsempfängers niedriger ist als der ursprüngliche Mindestpreis des Leistungserbringers, mithin ein Einigungsbereich nicht mehr vorliegt. Ausweislich der Verordnungsbegründung zu § 10 Satz 3 FVerlV geht der Verordnungsgeber offenkundig von einem sich erst nachträglich einstellenden Phänomen aufgrund „ungünstiger“ Gewinnentwicklung aus.3
5.237
Realität negativer Einigungsbereich. Die Vorstellung des Gesetzgebers ist insofern gerechtfertigt, als sich die Preisgrenzen auch tatsächlich – bezogen auf den Einigungsbereich – so einstellen, dass der Grenzpreis des Leistungsempfängers den Grenzpreis des Leistungserbringers übersteigt. Da die jeweilige Grenzpreisermittlung allerdings autonom erfolgt, ergeben sich vielfach Fallgestaltungen, in denen sich dieses idealtypische Verhältnis der Preisgrenzen zueinander nicht einstellt. Dies kann zum einen darin begründet sein, dass die jeweiligen Erwartungen über die zukünftigen Erträge des Transaktionsgegenstands einschließlich der Berücksichtigung der jeweiligen Handlungsalternativen voneinander abweichen, was unter fremden Dritten üblicherweise auf eine asymmetrische Informationsverteilung zu Lasten des Käufers zurückzuführen ist. Für die Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs ist jedoch kraft gesetzlicher Fiktion des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG von vollständiger Information und Markttransparenz und damit von einem einheitlichen Kenntnisstand über alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung und insbesondere über die jeweiligen Handlungsalternativen der verbundenen Kontrahenten auszugehen. Gesetzgeber wie Finanzverwaltung gehen von einer „begriffslogischen“ Verknüpfung der Transparenzfiktion mit der Referenzfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters aus. Die Entstehung negativer Einigungsbereiche wird ferner insbesondere dadurch „begünstigt“, dass nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung neben der laufenden Steuerbelastung aperiodische Steuerwirkungen bei der Ermittlung der jeweiligen Preisgrenze berücksichtigt werden müssen (Rz. 5.210 ff.), was angesichts des Barwerteffekts der Exit-Tax bzw. des TaxGross-up schon erheblicher Synergien und Standortvorteile bedarf, um aus Sicht des Erwerbers zu einem Grenzpreis zu führen, der oberhalb des Mindestpreises des übertragenden Unternehmens liegt.
1 BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 81. 2 BR-Drucks. 50/21 v. 22.1.2021, S. 81. 3 Vgl. BR-Drucks. 325/08, 26.
466 | Baumhoff/Liebchen
E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.240 Kap. 5
b) Verrechnungspreisbestimmung bei negativen Einigungsbereichen Aufteilung negativer Einigungsbereiche/Wertfindung. In der Transaktionspraxis wird in Fällen eines negativen Einigungsbereichs unter Marktbedingungen die Konzessionsbereitschaft ausschließlich auf Seiten des Veräußerers festgemacht. Eine Transaktion kommt nur dann zustande, wenn der Veräußerer sein Anspruchsniveau im Hinblick auf den Preis einseitig variiert.1 Hierbei ist allerdings fraglich, ob Kompensationsobjekte bestehen, die den Veräußerer dazu bewegen, sein Preisanspruchsniveau einseitig nach unten anzupassen. Im Wesentlichen werden solche Konzessionsüberlegungen auf die spezifische Entscheidungssituation des Veräußerers zurückzuführen sein, die – mangels Erfolgswirkung – keinen Einfluss auf seine individuelle Grenzpreisbestimmung haben. Dies gilt vornehmlich in Fällen, in denen es sich auf Seiten des Veräußerers um Unternehmensträger oder Unternehmensträgergruppen handelt, die ihr wirtschaftliches Engagement dauerhaft beenden wollen.
5.238
Auffassung der Finanzverwaltung. Die VWG VP äußern sich in Rz. 3.17 erstmals zum negativen Einigungsbereich und nehmen die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG auf, dass in diesem Fall zu prüfen ist, ob die Ursache hierfür in einer weiteren Geschäftsbeziehung begründet ist.2 Für den Fall, dass solche Gründe nicht festgestellt werden können, soll die Differenz zwischen den am Geschäftsvorfall beteiligten Unternehmen aufzuteilen sein.3 Dies bedeutet letztlich nichts anderes als den negativen Einigungsbereich gleichmäßig, d.h. bei zwei Transaktionspartnern hälftig, aufzuteilen, wie dies § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG als widerlegbare gesetzliche Vermutung für das tatsächliche Bestehen eines Einigungsbereichs vorsieht. Die Finanzverwaltung verweist zur Begründung auf den Bericht des EU-JTPF über den Einsatz von Methoden zur wirtschaftlichen Bewertung von Verrechnungspreisen4, konkret auf Tz. 28 dieses Berichts. Dort behandelt ist allerdings der Sachverhalt eines positiven Einigungsbereichs, bei dem der Grenzpreis des Leistungsempfängers den Grenzpreis des Leistenden überschreitet, sowie ferner der Hinweis, dass einige EU-Mitgliedstaaten in Fällen, in denen es nicht möglich ist, einen bestimmten Wert innerhalb des Einigungsbereichs z.B. durch Analyse der Verhandlungsmacht zu bestimmen, den Mittelwert als Rückfallposition zugrunde legen.5 Für die hälftige bzw. gleichmäßig Aufteilung eines negativen Einigungsbereichs gibt die Darstellung des EU-JTPF nichts her. Die Finanzverwaltung hätte sich genauso gut auf § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG beziehen können (s. aber Rz. 5.240).
5.239
Aufteilungsregel „im Einigungsbereich“ nicht anwendbar. In der Betriebsprüfungspraxis sieht man sich vor diesem Hintergrund regelmäßig mit Wertermittlungen konfrontiert, bei denen ungeachtet des Verhältnisses der jeweiligen Preisgrenzen zueinander die gesetzlichen Regelungen über die Verrechnungspreisbestimmung bei Existenz eines Einigungsbereichs zur Anwendung gebracht werden. Dies gilt, obgleich diese Bestimmungen den fraglichen Sachverhalt nicht regeln und sich ihr Anwendungsbereich auf die Preis- bzw. Wertbestimmung „im Einigungsbereich“ beschränkt. § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG kann weder unmittelbar noch über einen Analogieschluss angewandt werden. Ferner verkennt diese rein analytische Vorgehensweise das Wesen eines Einigungsbereichs und die Rechtfertigung seiner Aufteilung zwischen
5.240
1 2 3 4
So bereits Schierenbeck, Beteiligungsentscheidungen, 157 f. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.17. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.17. EU-JTPF v. 22.6.2017, Report on the use of economic valuation techniques in transfer pricing, Tz. 28, abgedr. in Schreiber/Nientimp (Hrsg.), Verrechnungspreise10, S. 949 ff. 5 EU-JTPF v. 22.6.2017, Report on the use of economic valuation techniques in transfer pricing, abgedr. in Schreiber/Nientimp (Hrsg.), Verrechnungspreise10, S. 949 ff.
Baumhoff/Liebchen | 467
Kap. 5 Rz. 5.240 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
den beiden Transaktionspartnern: Die Einigungsbereichsbetrachtung basiert auf der Simulation eines Preisbildungsprozesses, bei dem durch die Bestimmung der individuellen Preisgrenzen ein Verhandlungsrahmen nur dann abgesteckt wird, wenn die Preisgrenze des leistungserbringenden Unternehmens unter der Preisgrenze des leistungsempfangenden Unternehmens liegt. Dieser Verhandlungsrahmen ist dadurch gekennzeichnet, dass sich beide Transaktionspartner bei jedem Wert innerhalb dieses Einigungsbereichs gleich oder besserstellen, als sie auf Grundlage ihrer individuellen Grenzpreisermittlung unter Berücksichtigung ihrer individuellen Handlungsalternativen stehen würden. Der Einigungsbereich steckt mithin den „gemeinsamen Gewinn“ der Kontrahenten ab.1 Deshalb entspricht jede Preisfindung innerhalb des Einigungsbereichs auch dem Fremdvergleichsgrundsatz. Vergleichbare Überlegungen können nicht angestellt werden, wenn eine Verbesserung für keinen der Transaktionspartner möglich ist. Eine Verlustteilung entzieht sich damit regelmäßig einem Fremdvergleich, da es unter fremden Dritten regelmäßig nicht üblich ist, Verlustquellen zu übernehmen oder sich anteilig an Verlustquellen eines anderen zu beteiligen. Gänzlich abwegig sind die Überlegungen, auf die die Rechtfertigung des Mittelwertansatzes bzw. der hälftigen Teilung von Einigungsbereichen zurückgeführt werden (Rz. 5.219 ff. und 5.221). Dies entspricht in Fällen der Verlagerung von Verlustfunktionen den Regelungen in § 7 Abs. 3 FVerlV und der Sichtweise der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung (vgl. auch Rz. 5.201).
5.241
Verlustteilung nach den VWG 1983? Die VWG 1983 versuchten diese Problematik dadurch zu lösen, dass sie in Fällen, in denen „Geschäftsbeziehungen [...] zwischen Fremden [...] nicht oder nur mit einem wesentlich anderen wirtschaftlichen Gehalt zustande gekommen wären [...], eine angemessene Aufteilung der Einkünfte aus den Geschäftsbeziehungen“ vorsehen, und zwar so, „wie sie ordentliche Geschäftsleiter vereinbart hätten“.2 Da der Einkünftebegriff sowohl positive wie auch negative Einkünfte umfasst, wird mit dieser Regelung auch die Möglichkeit einer Aufteilung von Verlusten aus einzelnen Geschäftsbeziehungen abgedeckt.3 Die Frage geht allerdings dahin, nach welchen Grundsätzen diese Aufteilung dann zu erfolgen hätte. Der Rückgriff auf die Referenzfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gibt zwar einen Hinweis darauf, dass sich die Verlustteilung nach dem – nunmehr – in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG geregelten Verhaltensmaßstab richtet, auf dessen Grundlage der Fremdvergleichsgrundsatz nach innerstaatlichem Recht anzuwenden ist. In praxi hilft dies allerdings nicht weiter, weil weder die Verlustteilung noch die (unentgeltliche) Übernahme von Verlustquellen unter fremden Dritten üblich sind. Diese Frage entzieht sich deshalb grundsätzlich einem Fremdvergleich.
5.242
Verlustteilung bei nachträglicher Preisanpassung nach § 11 Satz 3 FVerlV. Eine konkrete Regelung im Zusammenhang mit negativen Einigungsbereichen besteht lediglich für Fälle einer nachträglichen Preisanpassung nach § 1a Satz 2 AStG, in denen eine erhebliche Abweichung der tatsächlichen von der ursprünglich erwarteten Gewinnentwicklung dazu führt, dass der Höchstpreis des Leistungsempfängers den (ursprünglichen) Mindestpreis des Leistungserbringers unterschreitet. In diesem Fall wird zwar formal eine angemessene Anpassung nicht als Unterschiedsbetrag zweier Verrechnungspreise ermittelt, nämlich des ursprünglichen 1 Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung2, 18. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.6 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Ebenso Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 253 ff.; Becker in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 2.4.6. VWG 1983.
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E. Preisbandbreiten und Einigungsbereich | Rz. 5.243 Kap. 5
Verrechnungspreises und des zutreffenden neuen Verrechnungspreises. Statt des zutreffenden neuen Verrechnungspreises ist der Unterschiedsbetragsermittlung der „Mittelwert zwischen dem ursprünglichen Mindestpreis des verlagernden Unternehmens und dem neuen Höchstbetrag des Unternehmens“ zugrunde zu legen. Die VWG-Funktionsverlagerung führen in Rz. 143 hierzu weiter aus, dass dieser Wert niedriger als der ursprüngliche Mindestpreis und höher als der neue Höchstpreis sei.1 Auch wenn dieser „Wert“ nicht als Verrechnungspreis bezeichnet wird, liegt seiner Bestimmung zum einen der Mittelwertansatz des § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG zugrunde, allerdings unwiderlegbar. Zum anderen beschränkt sich die Rechtsfolge des § 1a Satz 2 AStG auf eine (gesetzliche) Preisanpassung des ursprünglichen Verrechnungspreises aufgrund eines sich nach der tatsächlichen Gewinnentwicklung ergebenden neuen Verrechnungspreises. Insofern ist die durchaus feinsinnige Unterscheidung zwischen dem zutreffenden neuen Verrechnungspreis (i.S.d. § 11 Satz 1 FVerlV) und dem diesen umschreibenden Wertansatz (i.S.d. § 11 Satz 3 FVerlV) materiell ohne Bedeutung (vgl. aber Rz. 5.228 und 5.233). Im Ergebnis wird der negative Einigungsbereich und damit der Verlust zwischen den Transaktionspartnern hälftig geteilt (vgl. hierzu Rz. 5.240). Interessen anderer Konzerngesellschaften/Einigungsbereichsermittlung. Im Zusammenhang mit negativen Einigungsbereichen muss sich der Steuerpflichtige in der Betriebsprüfungspraxis mit der Argumentation auseinandersetzen, dass nicht vorteilhafte Transaktionen, die insgesamt zu einem Verlust der beteiligten Transaktionspartner führen, bei rationalem Verhalten nicht durchgeführt würden. Insofern wird entweder die zutreffende Ermittlung der betreffenden Preisgrenzen angezweifelt oder es werden Vorteile auf Ebene eines oder mehrerer anderer Konzernunternehmen vermutet. Vergleichbare Überlegungen werden in der Beratungspraxis von Roeder angestellt, der ausgehend von der Prämisse, dass eine rational handelnde Konzernleitung eine Maximierung des Konzernergebnisses anstrebt, keine Geschäftsbeziehung zuließe, die planmäßig zu einer Verringerung des Gesamtgewinns aller an der Transaktion beteiligten Konzernunternehmen führt.2 Insofern sei in Fällen, in denen kein Einigungsbereich ermittelt werden könne, der Kreis der einzubeziehenden verbundenen Transaktionspartner unvollständig bestimmt und um dasjenige bzw. diejenigen Konzernunternehmen zu erweitern, welche von der betreffenden Transaktion Gewinnsteigerungen erwarten, wobei davon auszugehen sei, dass diese Gewinnsteigerung den kumulierten Gewinnentgang kompensiert. Auf dieser Grundlage soll der hypothetische Fremdvergleich für alle „betroffenen“ Konzernunternehmen ausgeweitet und ein (!) zutreffender Einigungsbereich ermittelt werden. Diese Überlegungen haben für sich, dass sie die ökonomische Sinnhaftigkeit bzw. Rationalität, bezogen auf alle relevanten Konzernunternehmen, zu ergründen suchen. Fraglich ist allerdings zum einen, ob erwartete Gewinnsteigerungen stets bei Konzernunternehmen eintreten, die auch Beteiligte der betreffenden Transaktion sind. Zum anderen geht der hypothetische Fremdvergleich in Gestalt der Einigungsbereichsbetrachtung auf die Simulation eines Preisbildungsprozesses zurück und ist darauf gerichtet, für die betreffende Transaktion bzw. den betreffenden Geschäftsvorfall den Preis zu ermitteln, der dem Fremdvergleich entspricht. Dies impliziert, dass der hypothetische Fremdvergleich ein zweiseitiger ist, der eine Berücksichtigung von mehr als zwei Transaktionspartnern nicht zulässt. Vielmehr sind die jeweils zwischen den einzelnen Konzernunternehmen bestehenden Geschäftsbeziehungen zu identifizieren und einzeln zu bepreisen, d.h. der hypothetische Fremdvergleich ist bezogen auf mehrere Geschäftsvorfälle jeweils gesondert anzuwenden. Dieser Geschäftsvorfallbezug ist nach den in1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 143. 2 Vgl. Roeder, Ubg 2008, 206.
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5.243
Kap. 5 Rz. 5.243 | Methoden zur Verrechnungspreisermittlung
nerstaatlichen wie nach den international anerkannten Verrechnungspreisgrundsätzen zwingend. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG ist der Fremdvergleichspreis bezogen auf die jeweilige Geschäftsbeziehung zu ermitteln (sog. „geschäftsvorfallbezogene Betrachtung“ bzw. „Transaktionsbezug“). Sind die Vorteile bei anderen Gruppenunternehmen mithin nicht auf die betreffende Transaktion zurückzuführen, kommt eine Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs zur Bestimmung des Verrechnungspreises für diese Geschäftsbeziehung nicht in Betracht. Ob z.B. im Zusammenhang mit einer betriebswirtschaftlich erforderlichen Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Produktion, Vertrieb etc. innerhalb der Unternehmensgruppe bei sog. Entrepreneur- oder Strategieträgermodellen insgesamt Vor- oder Nachteile erzielt werden können, lässt keine Rückschlüsse für die Bepreisung der zweiseitigen Geschäftsbeziehung zwischen den Transaktionspartnern zu. Für diese Frage entscheidend ist, ob die betreffenden Vorteile aus dieser zweiseitigen Transaktion herrühren, für die der Verrechnungspreis zu bestimmen ist. Für außerhalb bestehender Geschäftsbeziehungen zwischen einem inländischen Steuerpflichtigen und einem ausländischen Nahestehenden liegende Vorteile kommt eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG jedenfalls nicht in Betracht. Insbesondere können anderweitig erwartete Zentralisierungsvorteile nicht auf eine „fremde“ Geschäftsbeziehung bezogen werden, an der der inländische Steuerpflichtige nicht beteiligt ist, und über die Verrechnungspreisbestimmung für diese Geschäftsbeziehung gewissermaßen abgeschöpft werden. Insofern kann die Ausweitung des hypothetischen Fremdvergleichs auch auf andere Konzernunternehmen keine Lösung bereitstellen, um bei einem negativen Einigungsbereich einen Verrechnungspreis für eine Transaktion mittels außerhalb der betreffenden Transaktion liegender Umstände zu bestimmen. Auch deutet die Rspr. des BFH in diese Richtung, wenn im Urteil v. 18.5.2021 ausdrücklich festgestellt wird, dass für die Verrechnungspreisbestimmung ausschließlich das sich aus dem abgeschlossenen Vertrag ergebende Leistungsgefüge und das Verhältnis der Parteien der konkreten vertraglichen Beziehung maßgebend ist.1 Der BFH hat i.R. eines obiter dictum sowohl einen konzernweiten Fremdvergleich als auch die Eignung des Arguments der Missbrauchsvermeidung für die Überlagerung der individuellen, geschäftsvorfallbezogenen Fremdvergleichsprüfung ausdrücklich abgelehnt.2
1 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 2 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = DB 2021, 2531 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch.
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Kapitel 6 Verrechnungspreisbestimmung für einzelne Bereiche des Lieferund Leistungsaustausches A. Lieferung von Gütern und Waren I. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . II. Lieferungen von Produktionsgesellschaften 1. Funktionsanalyse im Rahmen der Produktion a) Eigenproduzent vs. Lohnfertiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionen des Lohnfertigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Risiken des Lohnfertigers . . d) Eingesetzte Wirtschaftsgüter des Lohnfertigers . . . . . . . . . e) Zwingende Merkmale eines Lohnfertigers . . . . . . . . . . . . 2. Verrechnungspreisermittlung bei einem Lohnfertiger a) Anwendung der Preisvergleichsmethode . . . . . . . . . . b) Anwendung der Kostenaufschlagsmethode . . . . . . . . . . 3. Anlaufverluste des Lohnfertigers 4. Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenproduzenten . . . . . III. Lieferungen an Vertriebsgesellschaften 1. Funktionsanalyse im Rahmen des Vertriebs . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermittlung von Verrechnungspreisen a) Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenhändler . . . . b) Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenhändler (Low-Risk-Distributor) . . . . c) Verrechnungspreisermittlung bei einem Kommissionär . . d) Verrechnungspreisermittlung bei einem Handelsvertreter . 3. Aufteilung von Markterschließungs-, Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten a) Begriffsabgrenzungen . . . . . b) Aufteilung von Markterschließungskosten . . . . . .
6.1
6.7 6.11 6.17 6.21
B. I. II. III.
6.25
6.30 6.31 6.45 6.47
6.49
6.55 6.60 6.63 6.65
6.66
IV.
c) Verlustsituationen bei Markterschließungsmaßnahmen . 6.76 d) Aufteilung von Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten . . . . . . . . . . . . . 6.80 e) Aufteilung von Werbekosten 6.81 4. Zuordnung von Währungsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.84 Dienstleistungen Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.88 Erscheinungsformen von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.89 Dienstleistungsbegriff 1. Abgrenzung zu anderen Leistungsbereichen . . . . . . . . . . . . . 6.94 2. Assistenz-, Management-, Kontroll- und Regieleistungen . . . . 6.97 3. Klassifizierung nach den OECDLeitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.104 4. Bezeichnungen und Klassifizierungen in den VWG 1983 . . . . 6.105 5. Bezeichnungen und Klassifizierungen in den VWG Verrechnungspreise 2021 . . . . . . . . . . . 6.109 6. Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung (Low Value-Adding Services) . . . . . . . . . . . . . . 6.114 Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 6.117 2. Abgrenzungskriterium der betrieblichen Veranlassung . . . . . . 6.118 3. Ergänzende Hilfskriterien . . . . . 6.120 4. Verrechenbare und nicht verrechenbare Dienstleistungen a) Gesellschafteraufwand/Stewardship-Expenses . . . . . . . . 6.125 b) Beispiele für nicht verrechenbare Dienstleistungen . . . . . 6.127 c) Beispiele für verrechenbare Dienstleistungen . . . . . . . . . 6.128 d) Mischleistungen und Aufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.129
6.71
Baumhoff/Ditz u.a. | 471
Kap. 6 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
V.
VI.
C. I.
e) Übersicht zu verrechenbaren/ nicht verrechenbaren Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . 6.132 5. Problembereiche der Dienstleistungsverrechnung a) Schwierigkeit der eindeutigen Beurteilung . . . . . . . . . . . . . 6.133 b) Leistungsbereitschaft auf Abruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.134 c) Rückhalt im Konzern . . . . . 6.139 d) Koordinierung und Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.146 e) Revision . . . . . . . . . . . . . . . . 6.149 Dienstleistungsverrechnung der Höhe nach 1. Formen der Dienstleistungsverrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.151 2. Einzelverrechnung mittels der Verrechnungspreismethoden a) Voraussetzungen . . . . . . . . . 6.156 b) Standardmethoden aa) Preisvergleichsmethode 6.157 bb) Wiederverkaufspreismethode . . . . . . . . . . . . 6.161 cc) Kostenaufschlagsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.164 c) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnmethoden aa) Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM) . . . . . . . . . . . 6.167 bb) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split) . . . . 6.169 Spezielle Konzerndienstleistungen 1. Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.170 2. Auftragsforschung und -entwicklung a) Begriffsabgrenzungen aa) Forschung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.171 bb) Grundlagen- und angewandte Forschung . . . . 6.174 b) Organisation der Forschungsund Entwicklungsaktivitäten 6.176 c) Verrechnungspreisermittlung bei Auftragsforschern . . . . . 6.181 Arbeitnehmerentsendungen Grenzüberschreitender Einsatz von Arbeitnehmern in internationalen Konzernen 1. Zielsetzung und Ausgestaltung von Arbeitnehmerentsendungen 6.185
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II.
III.
IV. V.
VI.
VII.
2. Ausgestaltung konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen . . 6.188 Verwaltungsgrundsätze Arbeitnehmerentsendungen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.190 2. Abgrenzung des Anwendungsbereichs der VWG-Arbeitnehmerentsendung a) Persönlicher Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung . . . . . . . . . . 6.193 b) Überblick über den sachlichen Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.195 Arbeitnehmerentsendungen i.S.d. VWG-Arbeitnehmerentsendung 1. Abgrenzung des Anwendungsbereichs a) Aufnehmende Konzerneinheit als arbeitsrechtlicher bzw. wirtschaftlicher Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.197 b) Einzelheiten des wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriffs . . 6.201 c) Aufteilung des originären Aufwands der Entsendung . 6.207 2. Nicht von den Verwaltungsgrundsätzen erfasste Entsendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.209 Ermittlung des Gesamtaufwands einer Arbeitnehmerentsendung . . . 6.213 Beurteilungskriterien im Rahmen der Einkunftsabgrenzung 1. Betriebliche Veranlassung entsendungsbedingter Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.216 2. Ermittlung der Interessenlage einer Entsendung a) Vermutungen hinsichtlich der Interessenlage . . . . . . . . 6.222 b) Kriterien für die Beurteilung der Interessenlage . . . . . . . . 6.226 Auswirkungen der Aufwandszuordnung für die Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.231 Einkunftsabgrenzung dem Grunde nach verlangt Ermittlung der Interessenlage der Entsendung 1. Entsendungen im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.234
Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch | Kap. 6 2. Im Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft stehende Entsendungen . . . . . . . . . . . . . . 6.237 3. Im Interesse der aufnehmenden und der entsendenden Konzerngesellschaft stehende Entsendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.240 4. Sonderfälle a) Entsendungen zu Aus- und Fortbildungszwecken . . . . . . 6.242 b) Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 6.245 VIII. Einkunftsabgrenzung der Höhe nach 1. Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung . . . . . . . . . . . . . 6.248 2. Zielsetzung der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach . . . . . . . . . 6.251 3. Ermittlung des angemessenen Entsendungsaufwands durch betriebsinternen Fremdvergleich . 6.256 4. Ermittlung des angemessenen Entsendungsaufwands durch betriebsexternen Fremdvergleich . 6.263 5. Ermittlung der angemessenen Höhe des Entsendungsaufwands durch einen hypothetischen Fremdvergleich . . . . . . . . . . . . . 6.267 6. Entsendungsaufwand übersteigt das bei Beschäftigung eines Arbeitnehmers des lokalen Arbeitsmarktes anfallende Entgelt a) Entsendung erfolgt dem Grunde nach im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 6.271 b) Entsendung erfolgt dem Grunde nach im Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.275 c) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . 6.276 IX. Rechtsgrundlagen einer Gewinnkorrektur und Korrekturmaßstab 1. Aufwand der Entsendung als Gegenstand der Einkünftekorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.279 2. Ermittlung eines einheitlichen Aufteilungsmaßstabes . . . . . . . . 6.282 3. Inanspruchnahme eines Vorteilsausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.285 X. Korrektur einer nicht dem Fremdvergleich entsprechenden Zuord-
nung der Aufwendungen der Entsendung 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.287 2. Fallgruppe I: Nicht fremdübliche Übernahme von Entsendungsaufwand durch eine in- bzw. ausländische Tochtergesellschaft . . 6.289 3. Fallgruppe II: Keine angemessene Weiterbelastung von Entsendungsaufwand an die ausländische Tochtergesellschaft . . . . . 6.292 XI. Know-how-Transfer und Funktionsverlagerung im Zusammenhang mit Entsendungen 1. Know-how-Transfer a) Erscheinungsformen des Know-how im Zusammenhang mit Entsendungen . . . 6.297 b) An den Arbeitnehmer gebundenes Know-how . . . . . . . . . 6.301 c) Sonderfall der Überlassung bzw. Übertragung körperlicher Unterlagen . . . . . . . . . 6.304 d) Voraussetzungen für einen Know-how-Transfer von der aufnehmenden an die entsendende Gesellschaft . . . . . . . . 6.305 2. Arbeitnehmerentsendung und Funktionsverlagerung a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 6.306 b) Arbeitnehmerentsendungen in rein zeitlichem Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung . . . . . . . . . 6.308 c) Arbeitnehmerentsendungen als wirtschaftlicher Teil einer Funktionsverlagerung . . . . . 6.309 d) Funktionsverlagerung als Folge einer Arbeitnehmerentsendung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.313 XII. Nachweis-, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei Arbeitnehmerentsendungen 1. Nachweis- und Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.315 2. Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO im Rahmen von Arbeitnehmerentsendungen a) Keine Geschäftsbeziehung bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen . . . . . . . . . . . 6.319
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Kap. 6 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
D. I. II. III.
E. I.
b) Gegenstand der Aufzeichnungsverpflichtungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . 6.323 c) Art und Gegenstand der Arbeitnehmerentsendung (Sachverhaltsdokumentation) aa) Überblick . . . . . . . . . . . 6.325 bb) Vertragliche Grundlagen der Entsendung und Schriftverkehr . . . . . . . . 6.327 cc) Höhe und Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung sowie Art und Umfang der Tätigkeit . . 6.329 d) Angemessenheitsdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.333 Konzern- und Kostenumlagen Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.336 Konzernumlagen nach dem Leistungsaustauschkonzept . . . . . . . . . 6.345 Konzernumlagen nach dem Poolkonzept (Poolumlage) 1. Poolmitglieder . . . . . . . . . . . . . 6.351 2. Leistungen an den Umlagepool durch selbständige Dienstleistungsgesellschaft . . . . . . . . . . . . 6.357 3. Innengesellschaft der Poolmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.358 4. Standort des Pools . . . . . . . . . . 6.359 5. Beitrag der Poolmitglieder . . . . 6.361 6. Ermittlung der Kostenbasis . . . 6.362 7. Berücksichtigung eines Gewinnaufschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.371 8. Umlageschlüssel . . . . . . . . . . . . 6.374 9. Abrechnungsmodalitäten . . . . . 6.391 10. Veränderungen im Bestand der Poolmitglieder . . . . . . . . . . . . . 6.394 11. Umlagevertrag und Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.400 12. Vertragsanpassungen an veränderte Verhältnisse . . . . . . . . . 6.407 13. Laufzeit und Kündigung von Umlageverträgen . . . . . . . . . . . 6.411 14. Steuerliche Besonderheiten bei Kostenumlagen . . . . . . . . . . . . . 6.414 15. Vorteilsausgleich bei Kostenumlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.419 16. Konzernspezifische Umlagesysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.420 Finanztransaktionen Erscheinungsformen von Finanztransaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.423
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II. Verrechnung von Finanztransaktionen dem Grunde nach 1. Notwendigkeit einer schuldrechtlichen Leistungsbeziehung . . . . 6.426 2. Voraussetzungen „steuerrechtlichen“ Fremdkapitals . . . . . . . 6.429 3. Bedeutung von Sicherheiten bei gruppeninternen Finanztransaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.437 4. Formale Anforderungen an die Vereinbarung gruppeninterner Finanztransaktionen . . . . . . . . 6.439 III. Ermittlung fremdüblicher Zinssätze 1. Maßgebende Verhältnisse . . . . 6.441 2. Verrechnungspreismethoden . . 6.444 3. Bandbreitenbetrachtung und Perspektive von Darlehensgeber und Darlehensnehmer . . . . . . . 6.453 4. Berücksichtigung der Kreditwürdigkeit und der Konzernzugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.458 5. Fremdwährungsdarlehen . . . . . 6.464 6. Zinslosigkeit bzw. niedrige Verzinsung aus betrieblichen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.469 7. Verzinsung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen . . 6.473 IV. Einschaltung von Finanzierungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.475 V. Teilwertabschreibungen und Forderungsverzichte auf Gesellschafterdarlehen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.484 2. Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG bei Kapitalgesellschaften a) Rechtslage bis zum Veranlagungszeitraum 2007 . . . . . . 6.486 b) Rechtslage ab dem Veranlagungszeitraum 2008 . . . . . . 6.489 3. Anwendung des § 3c EStG bei natürlichen Personen a) Rechtslage bis zum Veranlagungszeitraum 2015 . . . . . . 6.496 b) Rechtslage ab dem Veranlagungszeitraum 2015 . . . . . . 6.499 4. Behandlung von Forderungsverzichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.500 VI. Garantien, Bürgschaften und Patronatserklärungen 1. Zivilrechtliche Grundlagen . . . 6.505 2. Verrechnung dem Grunde nach 6.512 3. Verrechnung der Höhe nach . . 6.521
Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch | Kap. 6 VII. Sonstige Finanztransaktionen 1. Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.528 2. Cash- und Devisenmanagement 6.535 3. Eigenversicherer . . . . . . . . . . . . 6.549 F. Immaterielle Werte I. Grundlagen 1. Hintergrund der Bedeutung von immateriellen Werten a) Überblick und aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . 6.557 b) Einkünftezurechnung nach dem DEMPE-Konzept der OECD . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.565 2. Begriffsbestimmungen für immaterielle Wirtschaftsgüter . . . . . . 6.568 3. Deutsch-steuerliche Sonderregelungen für immaterielle Werte a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . 6.571 b) DEMPE-Funktionen, verbundene Risiken und eingesetzte Wirtschaftsgüter . . . . . . . . . 6.576 c) Einzelschritte der DEMPEAnalyse . . . . . . . . . . . . . . . . 6.582 d) Auswirkungen von Veränderungen bei der Ausübung der DEMPE-Funktionen . . . . . . 6.588 e) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . 6.593 4. Abgrenzung der Übertragung von der Nutzungsüberlassung eines immateriellen Wirtschaftsguts a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . 6.595 b) Maßgebender Eigentumsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.596 c) Gegenüberstellung der unterschiedlichen Besteuerungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.603 II. Nutzungsüberlassung immaterieller Werte 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . 6.605 2. Arten von Lizenzgebühren . . . . 6.606 3. Steuerliche Abzugsfähigkeit konzerninterner Lizenzentgelte a) Internationale Maßnahmen gegen Lizenzboxen . . . . . . . . 6.608 b) Die Lizenzschranke des § 4j EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.610 c) Überblick ausgewählter Problemfelder der Neuregelung 6.614 4. Sonderfälle der Lizenzierung
III.
IV. V.
VI. G. I.
II. III. IV.
a) Lizenzierung des Firmennamens und Markenüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.622 b) Lizenzierung bei gleichzeitigem Leistungsaustausch . . . 6.627 c) Lizenzierung von Vorratsoder Sperrpatenten . . . . . . . 6.628 d) Lizenzierung von Leistungsbündeln . . . . . . . . . . . . . . . . 6.629 e) Lizenzierung bei gleichzeitiger Erbringung von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . 6.630 Methoden zur Berechnung einer angemessenen Lizenzgebühr für die Nutzungsüberlassung 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . 6.631 2. Klassische Methoden a) Preisvergleichsmethode . . . . 6.632 b) Wiederverkaufspreismethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.641 c) Kostenaufschlagsmethode . . 6.642 3. Gewinnorientierte Methoden a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . 6.644 b) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode aa) Überblick . . . . . . . . . . . 6.645 bb) Methoden der Gewinnaufteilung . . . . . . . . . . . 6.646 Bewertung eines immateriellen Werts im Rahmen der Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.652 Notwendigkeit von Preisanpassungen 1. Nationale Preisanpassungsregel des § 1a AStG . . . . . . . . . . . . . . 6.656 2. Vorgaben der OECD zu Preisanpassungsklauseln . . . . . . . . . . 6.666 Auftragsforschung . . . . . . . . . . . . . 6.670 Verrechnungspreise im Bereich des e-Business Einleitung 1. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien . 6.675 2. Begriffsabgrenzungen . . . . . . . . 6.678 Bedeutung des Fremdvergleichsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.680 Internationale Entwicklungen . . . . 6.683 Vertrieb im Wege des E-Commerce 1. Verrechnungspreisermittlung beim Offline-Handel . . . . . . . . . 6.684 2. Verrechnungspreisermittlung beim Online-Handel
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Kap. 6 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
V.
VI.
VII.
VIII.
a) Modelle des Online-Handels 6.688 b) E-Commerce Vertriebsgesellschaft als Eigenhändler . . . . 6.691 c) E-Commerce Gesellschaft als Vertriebsdienstleister . . . . . 6.701 Konzernweite Intranet-Systeme 1. Begriff des Intranets . . . . . . . . . 6.711 2. Leistungsverrechnung dem Grunde nach a) Allgemeine Voraussetzungen 6.713 b) Bereitstellung des IntranetSystems . . . . . . . . . . . . . . . . 6.717 c) Verrechnung des Wissenstransfers . . . . . . . . . . . . . . . 6.722 3. Leistungsverrechnung der Höhe nach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.733 IT-Dienstleistungen im Wege des Cloud-Computing 1. Begriff und Arten des CloudComputing . . . . . . . . . . . . . . . . 6.743 2. Verrechnungspreisermittlungen beim Cloud-Computing . . . . . . 6.748 Global-Trading 1. Begriff und Strukturen des Global-Trading . . . . . . . . . . . . . . . . 6.756 2. Funktions- und Risikoanalyse . 6.758 3. Verrechnungspreisermittlung beim Global-Trading . . . . . . . . 6.761 Änderungsvorschläge der OECD 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . 6.768 2. Pillar One a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . 6.769 b) Anwendungsbereich für die Amount A-Umverteilung . . 6.774 c) Bemessungsgrundlage für Amount A . . . . . . . . . . . . . . 6.777 d) Umverteilungsmechanismus für Amount A . . . . . . . . . . . 6.779 e) Streitbeilegungsmechanismen („Tax Certainty“) . . . . . . . . 6.782 f) Amount B . . . . . . . . . . . . . . 6.785 g) Deklarationspflichten . . . . . 6.787 3. Pillar Two (Globale Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen) a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . 6.789 b) Anwendungsbereich . . . . . . 6.791 c) Bestimmung der maßgeblichen Erträge oder Verluste 6.794 d) Effektivbesteuerung („Jurisdictional Blending“) . . . . . . 6.797 e) Erhebungsformen der „Top up Tax“ . . . . . . . . . . . . . . . . 6.801
476 | Baumhoff/Ditz u.a.
H. Verrechnungspreise bei Versicherungen I. Grundlagen 1. Versicherungsunternehmen . . . 6.805 2. Versicherungsbetriebsstätten a) Hintergrund der Spezialvorschriften für Versicherungsbetriebsstätten . . . . . . . . . . . 6.809 b) Zweistufiger Ansatz der Gewinnaufteilung . . . . . . . . . . 6.813 II. Fiktion der Betriebsstätte als eigenständiges und unabhängiges Unternehmen 1. Zuordnung von Funktionen und Risiken zur Betriebsstätte a) Funktionen und Risiken von Versicherungsunternehmen aa) Typische Funktionen . . 6.817 bb) Risiken von Versicherungsunternehmen . . . 6.819 b) Unternehmerische Risikoübernahmefunktion . . . . . . 6.820 aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . 6.822 bb) Rückversicherungsgeschäft . . . . . . . . . . . . . 6.823 cc) Inländische Niederlassung . . . . . . . . . . . . . . . 6.825 dd) Hauptbevollmächtigter einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte 6.828 ee) Eigenes Personal . . . . . 6.831 c) Aufteilung von Funktionen 6.832 d) Zuordnung von Versicherungsverträgen und -risiken 6.835 2. Zuordnung von Vermögenswerten und Ermittlung des Dotationskapitals a) Modifizierte Kapitalaufteilungsmethode aa) Überblick über die Methode . . . . . . . . . . . . . . 6.836 bb) Ermittlung der aufzuteilenden Vermögenswerte 6.839 cc) Allokationsschlüssel . . . 6.842 dd) Ermittlung des Dotationskapitals . . . . . . . . . . 6.844 b) Fremdvergleichsmethode . . 6.849 c) Mindestkapitalausstattungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . 6.853 d) Unterjährige Anpassung des Dotationskapitals . . . . . . . . 6.857 3. Zuordnung von Einkünften aus Vermögenswerten . . . . . . . . . . . 6.859
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.1 Kap. 6 III. Besonderheiten bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Versicherungsunternehmen 1. Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen bei Versicherungsbetriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . 6.863 2. Vergleichbarkeitsanalyse . . . . . . 6.869
3. Verrechnungspreisermittlung für typische Leistungsbeziehungen von Versicherungsunternehmen a) Zeichnungsprozess . . . . . . . 6.870 b) Risikomanagement und Rückversicherung . . . . . . . . 6.873 c) Asset Management . . . . . . . 6.876 d) Produktmanagement und Produktentwicklung . . . . . . 6.877 e) Marketing und Vertrieb . . . 6.878
A. Lieferung von Gütern und Waren Literatur: Bär/Hollmann, Vertriebsgesellschaft: Verrechnungspreise bei Vertriebsgesellschaften, ISR 2015, 179; Baumhoff, Aktuelle Entwicklungen bei den internationalen Verrechnungspreisen, IStR 2003, 1; Baumhoff, Internationale Verrechnungspreise – Die „Palettenbetrachtung“, eine Weiterentwicklung des Vorteilsausgleichs?, IStR 1994, 593; Baumhoff/Ditz/Greinert, Angemessenheit von Verrechnungspreisen gegenüber inländischen Vertriebsgesellschaften, IStR 2005, 592; Baumhoff/Ditz/ Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf den Ermittlungen internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, DStR 2007, 1649; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Lohnfertigern, IStR 2006, 789; Baumhoff/Greinert/Ditz, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 1549; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, Düsseldorf 2004; Bollermann/ Crößmann/Hörner, Probleme der Verrechnungspreisbestimmung auf Basis der transaktionalen Nettomargen-Methode, IWB 2019, 618; Dahnke, Podiumsdiskussion in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1994, 14; Ditz, Anmerkung zu BFH vom 11.10.2012, ISR 2013, 54; Ditz/Just, Die Besteuerung einer Produktionsverlagerung nach der Funktionsverlagerungsverordnung – Praxisbeispiel, DB 2009, 141; Freudenberg/Stein/Weskamp, Die Vertriebsfunktion in der Post BEPS Welt – Eine Analyse aus Sicht der Beraterpraxis, Ubg 2016, 603; Heurung/Löckener/ Paczkowski, Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung: Implementierung in eine konzerninterne Verrechnungspreisrichtlinien anhand steuerrechtlicher Unternehmenscharakteristika, IStR 2018, 371; Kuckhoff/Schreiber, Ist die Prüfung von Verrechnungspreisen noch sinnvoll?, IWB 2002, Fach 3 Gruppe 1, 1863; Oestreicher, Die Bedeutung von Datenbankinformationen bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen, StuW 2006, 243; Oestreicher/Vormoor, Verrechnungspreisanalyse mit Hilfe von Unternehmensdatenbanken – Vergleichbarkeit und Datenlage, IStR 2004, 95; Rasch/Rettinger, Aktuelle Fragen der Verrechnungspreisdokumentation: Unternehmenscharakterisierung und Methodenwahl in den Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, BB 2007, 353; Rehkugler/Vögele, Quantitative Verfahren der Prüfung von Verrechnungspreisen – Perspektiven und offene Fragen, BB 2002, 1937; Wassermeyer, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats des BFH, WPg 2002, 10; Wassermeyer, Verdeckte Gewinnausschüttung: Veranlassung, Fremdvergleich und Beweis Risikoverteilung, DB 2001, 2465.
I. Allgemeine Grundsätze Regelungen der Finanzverwaltung und der OECD. Wenngleich im Zusammenhang mit der zunehmenden Internationalisierung und Globalisierung der Wirtschaft eine „wachsende Entmaterialisierung“ konzerninterner Transaktionen zu konstatieren ist,1 nimmt der Bereich der 1 Vgl. etwa Herzig, WPg 1998, 285; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 370 ff.; Krüger, DStZ 2019, 660.
Ditz/Kluge | 477
6.1
Kap. 6 Rz. 6.1 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Lieferung von Gütern und Waren innerhalb des konzerninternen Lieferungs- und Leistungsaustausches weiterhin eine vergleichsweise große Bedeutung ein. So widmeten bereits die VWG 1983 diesem Bereich einen eigenen Abschnitt,1 in welchem die Funktionsanalyse und die Anwendung der klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (Rz. 5.5 ff.) bei konzerninternen Lieferungen konkretisiert werden. Durch das BMF-Schreiben v. 14.7.2021 („VWG VP 2021“) wurden die VWG 1983 sowie die VWG-Verfahren aufgehoben. In den VWG VP 2021 finden sich nunmehr nur noch zwei Textziffern, die auf das Zusammenspiel von Warenlieferungen mit Dienstleistungen bzw. der Nutzung immaterieller Werte eingehen. Hintergrund ist, dass die VWG VP 2021 darauf verweisen, dass die Regelungen der OECDLeitlinien anzuwenden sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen DBA oder Nicht-DBA-Fall bzw. einen Inbound- oder Outbound-Fall handelt.2 Ferner adressieren die VWG-Funktionsverlagerung3 mit besonderen Aspekten bestimmter Funktionsverlagerungen Themen des Produktions- und Lieferbereichs. Die OECD-Leitlinien enthalten hingegen keine gesonderten Ausführungen zu konzerninternen Lieferverhältnissen. Allerdings wird hier insbesondere auf diesen Bereich im Rahmen der Darstellungen zum Fremdvergleichsgrundsatz (Kapitel I OECD-Leitlinien 2022), zu den klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (Kapitel II OECD-Leitlinien 2022) und zu den „BusinessRestructurings“ (Kapitel IX OECD-Leitlinien 2022) eingegangen.
6.2
Grundsatz des Fremdvergleichs. „Geschäftsbeziehungen zwischen einem Steuerpflichtigen und einer ihm nahestehenden Person sind steuerlich danach zu beurteilen, ob sich die Beteiligten wie voneinander unabhängige Dritte verhalten haben oder verhalten (Fremdvergleich). Zugrunde zu legen ist die verkehrsübliche Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gegenüber Fremden.“4 Die deutsche Finanzverwaltung erkennt den Fremdvergleichsgrundsatz auch für die Lieferung von Gütern und Waren an. Die angemessene Höhe der Vergütung richtet sich dabei jeweils nach der Denkfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters.5 Zugrunde zu legen ist die tatsächlich durchgeführte Geschäftsbeziehung nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt.6 Dazu ist in einem ersten Schritt eine Funktions- und Risikoanalyse unter Beachtung des Risikokontrollansatzes durchzuführen. Für die Prüfung der Vergleichbarkeit ist eine Vergleichbarkeitsanalyse im Einklang mit den Regelungen in Kap. III der OECD-Leitlinien durchzuführen.7 Dabei können grundsätzlich die klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung sowie die transaktionsbezogenen Gewinnmethoden Anwendung finden, wobei nach Neufassung des § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG auf die am besten geeignete Verrechnungspreismethode abzustellen ist. Diese ist insbesondere nach einer Vergleichbarkeitsanalyse auszuwählen. Unterschiede zwischen den Verhältnissen der zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfälle zwischen voneinander unabhängigen Dritten und den dem zu untersuchenden Geschäftsvorfall zugrunde liegenden Verhältnissen, die die Anwendung der Verrechnungspreismethode beeinflussen
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.1 f. und Rz. 3.3. 3 Vgl. VWG FVerl, Rz. 201–215. 4 VWG VP 2021, Rz. 3.1. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.1. 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.2. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.18 f.
478 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.3 Kap. 6
können, sind durch sachgerechte Anpassungen zu beseitigen, sofern dies möglich ist; dies gilt nur, wenn dadurch die Vergleichbarkeit erhöht wird.1 Für die Vergleichbarkeitsprüfung sind alle Faktoren heranzuziehen, die sich auf die Preisgestaltung auswirken können. Dies sind in Anlehnung an die OECD-Leitlinien auch nach Auffassung des BMF folgende Vergleichbarkeitsfaktoren:2 – Vertragliche Bedingungen, die dem Geschäftsvorfall zugrunde liegen; – im Rahmen des Geschäftsvorfalls von den Vertragsparteien ausgeübte Funktionen unter Berücksichtigung der genutzten Vermögenswerte und übernommenen Risiken (Funktionsund Risikoanalyse); – Eigenschaften des übertragenen Wirtschaftsguts oder der geleisteten Dienste; – Wirtschaftliche Verhältnisse der Beteiligten und des Markts; – die von den Beteiligten verfolgten Geschäftsstrategien. Auch wenn sie nicht mehr anwendbar sind, geben die VWG 1983 weitere konkretere Hinweise zur Vergleichbarkeit bei Warenlieferungen. Nach dem Kriterienkatalog der Tz. 3.1.2.1. VWG 1983 sind insbesondere folgende Faktoren preisdeterminierend: – die besondere Art, Beschaffenheit und Qualität sowie der Innovationsgehalt der gelieferten Güter und Waren, – die Verhältnisse des Marktes, in dem die Güter oder Waren benutzt, verbraucht, bearbeitet oder an Fremde veräußert werden, – die Funktionen und die Handelsstufen, die von den beteiligten Unternehmen tatsächlich wahrgenommen werden, – die Liefervereinbarungen, insbesondere über Haftungsverhältnisse, Zahlungsfristen, Rabatte, Skonti, Gefahrentragung, Gewährleistungen etc., – bei langfristigen Lieferbeziehungen die damit verbundenen Vorteile und Risiken, – besondere Wettbewerbsbedingungen. Berücksichtigung von Neben-, Zusatz- und Serviceleistungen. Schließlich sind im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung bei Lieferbeziehungen die von den Vertragsparteien wahrgenommenen Neben-, Zusatz- und Serviceleistungen sowie mögliche Materialbeistellungen zu berücksichtigen.3 Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an Finanzierungsleistungen oder an administrative und technische Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit der Warenlieferung erbracht werden. Im Einzelnen kann es sich um folgende Leistungen handeln:4 – technische Beratung, – Projektausarbeitung, – Kaufberatung, 1 2 3 4
Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.19. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.62. Vgl. Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. M 75.
Ditz/Kluge | 479
6.3
Kap. 6 Rz. 6.3 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– Musterversand bzw. Lieferung zur Probe, – Bestelldienst und Zustellung, – Installation und Montage, – Kundenschulung in Form von Dokumentationen, Betriebsanleitungen und Ausbildungsgesprächen, – Instandsetzung und Instandhaltung (inkl. Ersatzteilversorgung), – Sonderverpackungen, – Umtauschrechte, Garantieleistungen und Gewährleistungen, – Bereitstellen eines Recyclingsystems sowie Rücknahmegarantien und – sonstige Dienstleistungen.
6.4
Ansatz eines Gesamtentgelts. Nebenleistungen, die im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Warenlieferung stehen, werden häufig auch zwischen unabhängigen Dritten im Rahmen eines Gesamtentgelts vergütet. Vor diesem Hintergrund verstößt es nicht gegen den Grundsatz der Einzelverrechnung, wenn sie zusammen mit der innerkonzernlichen Warenlieferung verrechnet werden. In diesen Fällen kann die Preisvergleichsmethode unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Anwendungsvoraussetzungen herangezogen werden. Ist die Preisvergleichsmethode (z.B. mangels vergleichbarer Markttransaktionen) nicht anwendbar, kann der Verrechnungspreis für die zusammen zu bewertenden Haupt- und Nebenleistungen entweder mit der Wiederverkaufspreis- oder der Kostenaufschlagsmethode (andere klassische Verrechnungspreismethoden) bzw. nachrangig mit der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode oder der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (als zulässige gewinnorientierte Verrechnungspreismethoden) ermittelt werden. Nicht ausgeschlossen ist außerdem, dass die einzelnen Leistungen anhand unterschiedlicher Verrechnungspreismethoden bewertet werden (z.B. die Hauptleistung mit Hilfe der Preisvergleichs- und die Nebenleistung mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode) und die einzelnen Preisbestandteile dann zu einem (Gesamt-)Verrechnungspreis zusammengefasst werden.
6.5
Notwendige Anpassungsrechnungen. Werden Neben-, Zusatz- oder Serviceleistungen im Zusammenhang mit Güter- oder Warenlieferungen erbracht, so kann es zur Herstellung der Vergleichbarkeit der Verhältnisse erforderlich sein, diese Leistungen zu definieren, zu quantifizieren und anschließend durch Zu- oder Abschläge bei der bestehenden Vergleichstransaktion zu eliminieren. Sowohl die Finanzverwaltung1 als auch die OECD2 weisen auf diese Korrekturmöglichkeit zur Herstellung der Vergleichbarkeit ausdrücklich hin.3 Bei Anwendung der Preisvergleichsmethode erfolgt diese Anpassungsrechnung in Form einfacher Preiszuschläge oder -abschläge, bei der Kostenaufschlagsmethode entweder durch Verwendung anderer Kostenwerte bzw. kalkulatorischer Kostenelemente und/oder durch Verwendung höherer bzw. niedrigerer Gewinnaufschlagssätze. Bei der Wiederverkaufspreismethode lassen sich derartige Abweichungen entweder durch Zu- oder Abschläge beim Wiederverkaufspreis (Marktpreis) und/oder durch Verwendung höherer bzw. niedrigerer Rohgewinnmargen (Handelsspannen) beim Vertreiber erfassen. Bei der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode 1 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG; VWG VP 2021, Rz. 3.23 und Tz. 3.62. 2 Vgl. Tz. 1.40 OECD-Leitlinien 2022. 3 Zur Durchführung entsprechender Anpassungsrechnungen vgl. auch Scholz/Ackermann/Schmitt, IWB F. 2 Gr. 1, 1779 ff.; Rehkugel/Vögele, BB 2002, 1944.
480 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.7 Kap. 6
können die Unterschiede entweder bei der Wahl der einschlägigen Marge als Bezugsbasis bzw. bei der Höhe der Marge reflektiert werden. Noch breitere Anpassungsmöglichkeiten bietet die Anwendung der transaktionsbezogenen (Rest-)Gewinnaufteilungsmethode. Hier ist die Anpassung entweder bei Bestimmung der Funktionsgewinne oder beim Aufteilungsfaktor möglich, wenn sich die Unterschiede eher in den Elementen widerspiegeln, die im Aufteilungsfaktor berücksichtigt werden. Vorteilsausgleich und Palettenbetrachtung. Von einem zusammengefassten Entgelt für Haupt- und Nebenleistungen inhaltlich und begrifflich zu trennen ist die Frage eines Vorteilsausgleichs,1 der eine Saldierung vorteilhafter und nachteiliger Geschäfte zum Inhalt hat (Rz. 6.419). Allenfalls der Gedanke der sog. „Palettenbetrachtung“ (Rz. 3.173) kann bei der Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen für Leistungsbündel eine gewisse Rolle spielen. Im Rahmen der „Palettenbetrachtung“ hat sich in der Verrechnungspreispraxis eine Saldierung unangemessen niedriger mit unangemessen hohen Produkteinzelpreisen bzw. Leistungsgebühren herausgebildet.2 Im Rahmen der „Palettenbetrachtung“ muss lediglich sichergestellt sein, dass hinsichtlich der zu analysierenden Produktpalette bzw. des Leistungsbündels insgesamt ein angemessener Gesamtpreis vereinbart wurde. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass auch unter fremden Dritten aus marktspezifischen Erwägungen heraus vielfach Mischkalkulationen im Sinne eines kalkulatorischen Ausgleichs vorgenommen werden, um Preisnachteile bei Einzelprodukten und Leistungen mit anderen Preisvorteilen zu verrechnen. Die OECD diskutiert diese Zusammenfassung von Vor- und Nachteilen mehrerer Teilleistungen unter dem Stichwort „Portfolioansatz“.3 Dabei weist die OECD zutreffend darauf hin, dass es häufig Geschäfte gibt, die so eng miteinander verbunden sind, dass bei separater Betrachtung eine Angemessenheitsbetrachtung nicht möglich ist.4 Letztlich ist es notwendig, für das Leistungsbündel einen in Summe angemessenen Verrechnungspreis zu bestimmen, was in diesen Fällen als Bündel einfacher als die Bestimmung vieler angemessener Einzelverrechnungspreise wäre. So geht auch die Schaffung der Transferpaketbetrachtung für Funktionsverlagerung diesen Weg, dass in diesem Fall die Bewertung des Transferpaketes im Ganzen einfacher als die Bestimmung einzelner Verrechnungspreise für Teile eines Transferpaketes ist.
6.6
II. Lieferungen von Produktionsgesellschaften 1. Funktionsanalyse im Rahmen der Produktion a) Eigenproduzent vs. Lohnfertiger Funktionsanalyse als Ausgangspunkt. Bei Lieferbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen ist im Rahmen einer Funktionsanalyse zunächst zu klären, wie die jeweilige Produktionsgesellschaft zu qualifizieren ist (vgl. zur Funktions- und Risikoanalyse grds. Kap. 4). Dabei sind die folgenden Grundformen denkbar: 1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.25 bis 3.28. 2 Zur „Palettenbetrachtung“ vgl. auch VWG VP 2021, Rz. 3.23 und Tz. 3.62; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141 f.; Baumhoff, IStR 1994, 593; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 139; krit. Kleineidam, IStR 2001, 728. 3 Vgl. Tz. 3.9–3.12 OECD-Leitlinien 2022, vgl. hierzu ausführlich Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 139; Eigelshoven/Ebering in Kroppen/Rasch, Handbuch der Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 100, 244 ff. 4 Vgl. auch Tz. 3.9 OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Kluge | 481
6.7
Kap. 6 Rz. 6.7 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– Produktion durch einen Eigenproduzenten, – Produktion durch einen Lohnfertiger, – Produktion durch ein verbundenes Unternehmen, dessen Funktionen zwischen diesen beiden Polen liegen (z.B. Auftragsfertiger). Der Einordnung eines produzierenden verbundenen Unternehmens in die Kategorien Eigenproduzent oder Lohnfertiger kommt im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung eine große Bedeutung zu. Während die Eigenproduktion die Übernahme eigener Marktchancen und Marktrisiken impliziert, ist die Lohnfertigung als nur eingeschränkte Funktionsausübung in Form einer Dienstleistung anzusehen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass fremde Lohnfertiger neben der Ausführung eines vorgegebenen Fertigungsschritts häufig eine Reihe weiterer Funktionen übernehmen. Das einem Lohnfertiger zugestandene Entgelt (Rz. 6.30 ff.) wird dementsprechend zwischen fremden Dritten vom Umfang der ausgeübten Funktionen, der getragenen Risiken und der eingesetzten (immateriellen) Wirtschaftsgüter abhängen. Übernimmt ein Lohnfertiger immer mehr Funktionen und Risiken, wird irgendwann ein Punkt erreicht sein, ab dem er zum Eigenproduzenten wird, also nicht mehr nur ein Entgelt für eine übernommene Dienstleistung erhält, sondern die vollen Chancen und Risiken der Produktion innehat. Zur Abgrenzung zwischen Eigenproduktion und Lohnfertigung sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und der Übergang fließend.1 Mitunter wird neben dem Eigen- und Lohnfertiger auch der sog. Auftragsfertiger unterschieden. Er unterscheidet sich vom Lohnfertiger dadurch, dass er Roh- und Zwischenmaterialien im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erwirbt und in der Produktion einsetzt, während diese bei einem reinen Lohnfertiger im Wesentlichen vom Auftraggeber beigestellt werden.2 Der Auftragsfertiger erbringt dementsprechend nicht eine reine Dienstleistung, sondern ist zivilrechtlich eher als Werksleistung zu charakterisieren, da er in der Regel ein fertig gestelltes Werk schuldet.
6.8
Auffassung der Finanzverwaltung und der OECD. Im Rahmen der Einordnung einer Produktionsgesellschaft als Eigenproduzent oder Lohnfertiger bestand bisher das Problem, dass es keine verbindliche Definition für einen Lohnfertiger gab, da sich die VWG 19833 und die OECD-Leitlinien4 in einer beispielhaften Darstellung von Lohnfertigungsverhältnissen erschöpfen und die VWG-Verfahren lediglich eine Qualifikation als „Routinefunktion“ vornehmen.5 So gehen die VWG 1983 auf die „verlängerte Werkbank“ in Tz. 3.1.3. Bsp. 3 anhand eines Beispiel-Szenarios ein:6
1 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, 100; Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 789 (789 f.). 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 205. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Bsp. 3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. Tz. 2.60 und Tz. 7.40 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). Zur Definition des Routineunternehmens vgl. auch Rz. 3.67 sowie Baumhoff/Greinert/Ditz, DStR 2005, 1549 (1551 ff.); Brem/Tucha, IStR 2006, 500; Rasch/Rettinger, BB 2007, 353 (354 f.); Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 93; s. auch Baumhoff/ Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.338. 6 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Bsp. 3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
482 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.9 Kap. 6
„Ein Unternehmen lagert spezielle Teile seiner Fertigung auf eine ausländische Tochtergesellschaft aus. Die Produktion und der Vertrieb durch die ausländische Gesellschaft erfolgen in enger Anbindung an den Betrieb des inländischen Unternehmens. Die Produktion wird von der Muttergesellschaft langfristig abgenommen. Die Tochtergesellschaft mit ihrer eingeschränkten Produktionsbreite wäre als unabhängiges Unternehmen auf Dauer nicht lebensfähig. Unter Fremden wäre die Produktion in Lohnfertigung übertragen worden (vgl. auch Tz. 2.1.2.). Dementsprechend kann der Verrechnungspreis durch die Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden.“ Die OECD-Leitlinien 2022 enthalten in Tz. 2.60 ein ähnliches Beispiel: „Gesellschaft C im Staat D ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Gesellschaft E mit Sitz in Staat F. Im Vergleich zu Staat F sind die Löhne in Staat D sehr niedrig. Die Gesellschaft C montiert Fernsehgeräte auf Kosten und Gefahr der Gesellschaft E. Die Gesellschaft E liefert alle notwendigen Bestandteile, Know-how usw. Die Gesellschaft E garantiert den Kauf des montierten Produkts für den Fall, dass die Fernsehgeräte einem bestimmten Qualitätsstandard nicht genügen. Nach der Qualitätsprüfung werden die Fernsehgeräte – auch auf Kosten und Gefahr der Gesellschaft E – zu den Vertriebszentren gebracht, die die Gesellschaft in mehreren Staaten unterhält. Die Funktion der Gesellschaft C kann kostentechnisch als reine Auftragsfertigungsfunktion bezeichnet werden. Die Risiken, die die Gesellschaft C tragen könnte, sind mögliche Abweichungen von der vereinbarten Qualität und Menge. Die Basis für die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bilden alle Kosten, die mit der Montagetätigkeit im Zusammenhang stehen.“ Eine weitere einschlägige Darstellung zu Lohnfertigungsverhältnissen enthalten die OECDLeitlinien in Tz. 7.40: „The activities can take a variety of forms including what is commonly referred to as contract manufacturing. In some cases of contract manufacturing the producer may operate under extensive instruction from the counterparty about what to produce, in what quantity and of what quality. In some cases, raw materials or components may be made available to the producer by the counterparty. The production company may be assured that its entire output will be purchased, assuming quality requirements are met. In such a case the production company could be considered as performing a low-risk service to the counterparty, and the cost plus method could be the most appropriate transfer pricing method, subject to the principles in Chapter II. “ Im Ergebnis ließ sich aus den vorstehenden Beispielen der Finanzverwaltung und der OECD lediglich entnehmen, dass ein Lohnfertiger mit Bezug auf die Produktion nur wenige Funktionen übernimmt, geringe Risiken trägt und in einem geringen Umfang eigene Wirtschaftsgüter einsetzt. Was dies indessen konkret bedeutet, blieb offen. Begriffsdefinition nach den VWG-Funktionsverlagerung. Dem Mangel fehlender Abgrenzungskriterien, nach denen die Einordnung als Lohnfertiger zwingend ist, begegnen nunmehr die VWG-Funktionsverlagerung, die sowohl für den Lohnfertiger als auch für den Eigenhändler verwaltungsseitig abgestimmte Begriffscharakteristika enthalten. Nach Rz. 204 der VWG-Funktionsverlagerung sind typische Merkmale eines Lohnfertigers, „dass er auf vertraglicher Grundlage oder tatsächlicher Übung – keine Produktionsrisiken (z.B. Qualitätsrisiko, Auslastungsrisiko, Absatzrisiko, Lagerrisiko usw.) trägt, – die Produkte nicht selbst entwickelt und kein Eigentum an den für die Produktion erforderlichen immateriellen Wirtschaftsgütern besitzt oder erwirbt, Ditz/Kluge | 483
6.9
Kap. 6 Rz. 6.9 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– keine Vermarktungsfunktionen wahrnimmt und keine Marktrisiken trägt, – über keine entsprechenden Entscheidungskompetenzen verfügt und – die notwendigen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, aber auch ganz oder teilweise die Produktionsanlagen vom Auftraggeber erhält (Beistellung).“1
6.10
Begriffsdefinition im Schrifttum. Mit dieser Begriffsbildung entspricht die Finanzverwaltung der im Schrifttum2 vorgenommenen. Hiernach ist die idealtypische Ausprägung eines Lohnfertigers gekennzeichnet durch – Beschränkung der Produktion auf einzelne Teile, einzelne Bearbeitungsschritte oder Großserienprodukte; – keine oder geringe unternehmerische Dispositionsfreiheiten; vielmehr bestimmt der Auftraggeber über die Produktpolitik und die Fertigungsschritte des Lohnfertigers; – keine eigene Forschung und Entwicklung und kein Eigentum an den maßgeblichen immateriellen Vermögenswerten; vielmehr wird die Technologie vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt; – nur eingeschränkte eigene Beschaffungsfunktion; Rohstoffe werden – zumindest teilweise – durch den Auftraggeber beigestellt; – geringe Lagerhaltung, da häufig „Just-in-Time“-Konzeption; – kein eigener Vertrieb. b) Funktionen des Lohnfertigers
6.11
Kriterien der Literatur. Für jedwede Qualifikation einer Produktionsgesellschaft ist es erforderlich, eine Funktions- und Risikoanalyse durchzuführen (vgl. grds. zur Funktions- und Risikoanalyse Kap. 4). In diesem Zusammenhang wurden in der Literatur Kriterien erarbeitet, bei denen mit Bezug auf ausgeübte Funktionen, getragene Risiken und eingesetzte Wirtschaftsgüter innerhalb der Produktion dargestellt wird, bei welchen Ausprägungen dieser Funktionen, Risiken und Wirtschaftsgüter von einem Lohnfertiger oder einem Eigenproduzenten auszugehen ist. Somit beurteilt sich die Qualifikation eines Unternehmens grundsätzlich nach dem Ergebnis der Funktionsanalyse. Letztlich determiniert diese auch die Vergleichstransaktion zur Beurteilung des Fremdverhaltens.3 Nachfolgend werden die von einem Lohnfertiger typischerweise ausgeübten Funktionen dargestellt (Rz. 4.21 f.):
6.12
Forschungs- und Entwicklungsfunktionen. Ein ganz wesentliches Merkmal eines Lohnfertigers ist, dass er das herzustellende Produkt nicht selbst entwickelt (hat) bzw. die Entwicklung durch Fremde nicht selbst beauftragt hat. Vielmehr liegen das Produktmanagement, die Entscheidungskompetenz über den Forschungs- und Entwicklungsprozess und neue Produkte 1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 204. 2 Vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.338; Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 557 f.; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 104; Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 318. 3 Vgl. auch Baumhoff/Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.336; Eigelshoven/Retzer in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I, Zu Tz. 1.51 Rz. 111 ff.
484 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.15 Kap. 6
sowie die Anpassung bestehender Produkte an geänderte Marktbedingungen beim Auftraggeber.1 Lediglich die Übernahme der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung steht nicht im Widerspruch zu einem typischen Lohnfertigungsverhältnis. So ist insbesondere denkbar, dass der Lohnfertiger im Hinblick auf die Optimierung seines Produktionsprozesses eigene Forschung und Entwicklung betreibt. Beschaffungsfunktionen. Idealtypisch werden dem Lohnfertiger die Vorprodukte oder Rohstoffe, die zur Herstellung des Produktes notwendig sind, vom Auftraggeber beigestellt bzw. kommissionsweise überlassen.2 Es steht indessen nicht im Widerspruch zu einem Lohnfertigungsverhältnis, wenn der Lohnfertiger (gegebenenfalls teilweise) die Beschaffung der Vorprodukte oder Rohstoffe im eigenen Namen und auf eigene Rechnung selbst übernimmt. In manchen Branchen ist dies sogar üblich, weil die Produktionsunternehmen ihr Vorratsrisiko auch auf ihre Zulieferer (Lohnfertiger) übertragen wollen. Häufig wählt dabei aber der Auftraggeber die Lieferanten aus und gibt diese dem Lohnfertiger vor. Werden die Vorprodukte und Rohstoffe von dem Produktionsunternehmen selbst beschafft, wird nicht mehr von einer Lohn-, sondern von einer Auftragsfertigung gesprochen.3 Zivilrechtliche Folge der Auftragsfertigung ist, dass das Produktionsunternehmen keine Dienstleistungen erbringt; vielmehr werden die vom Auftragsfertiger hergestellten Produkte an den Auftraggeber geliefert. Dies hat insbesondere Auswirkungen auf die umsatzsteuerliche Würdigung der Lieferungen bzw. Leistungen des Lohnfertigers (Verschaffung der Verfügungsmacht auf Basis einer Lieferung gem. § 3 Abs. 1 UStG anstatt Erbringung einer sonstigen Leistung gem. § 3 Abs. 9 UStG).
6.13
Herstellungsfunktion. Charakteristisch für ein Lohnfertigungsverhältnis ist überdies, dass sich die Produktion des Lohnfertigers auf einzelne Teile, einzelne Bearbeitungsschritte oder Großserienprodukte beschränkt.4 Ferner ist die Produktion großer Stückzahlen eines bestimmten Produktes für einen Lohnfertiger typisch. Der Herstellungsvorgang wird dabei in enger Anbindung an den Betrieb des Auftraggebers und genau nach dessen Vorgaben durchgeführt.5 Es ist jedoch auch denkbar, dass der Auftraggeber dem Lohnfertiger lediglich die Spezifikationen der gewünschten Komponenten überlässt. Das Fertigungsverfahren sowie das Qualitätskontrollverfahren werden in aller Regel vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt. Es kann sich insoweit aber auch um reine Routineverfahren handeln, die der Lohnfertiger selbst durchführt. Die Produktionsplanung und die Mengendisposition werden in Lohnfertigungsverhältnissen regelmäßig vom Auftraggeber übernommen. In vielen Branchen ist es aber auch nicht unüblich, dass der Lohnfertiger (innerhalb der vom Kunden vorgegebenen Bestellmengen) die Produktionsplanung selbst durchführt. Letztlich bestimmt allerdings der Auftraggeber über den Auslastungsgrad der Produktionsmittel des Lohnfertigers.
6.14
Lagerfunktion. Im Regelfall werden dem Lohnfertiger die Vorprodukte oder Rohstoffe durch den Auftraggeber beigestellt, so dass der Lohnfertiger zwar grundsätzlich eine Lagerfunktion ausüben kann, aber dennoch kein Lagerrisiko trägt. Diesem ist der Auftraggeber ausgesetzt, der rechtlicher und wirtschaftlicher Eigentümer der Fertigprodukte wird und der in diese ein-
6.15
1 Siehe auch VWG FVerl, Rz. 204. 2 Vgl. Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 518; Ditz/Just, DB 2009, 142; FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562 (rkr.). 3 Vgl. auch Engler/Wellmann in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. N 536 ff. 4 Vgl. Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 518; Ditz/Just, DB 2009, 141. 5 Vgl. Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150.
Ditz/Kluge | 485
Kap. 6 Rz. 6.15 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
gehenden Vorprodukte und Rohstoffe bleibt.1 Oftmals übt der Lohnfertiger auch deshalb keine Lagerfunktion aus, weil er nach der „Just-in-Time-Konzeption“ die von ihm hergestellten Produkte unmittelbar an den Auftraggeber oder dessen Kunden ausliefert. Soweit der Lohnfertiger die Vorprodukt- und Rohstoffbeschaffung selbst übernimmt, verfügt er regelmäßig über ein entsprechendes Lager. Die Unterhaltung eines solchen Lagers steht der Qualifikation als Lohnfertigung grundsätzlich nicht entgegen. Dies gilt im Übrigen auch für ein Warenausgangslager. Die Lagerhaltung von Vorprodukten, Rohstoffen und/oder Fertigprodukten erhöht den Funktions- und Risikoumfang des Lohnfertigers. Dies rechtfertigt einen dementsprechend höheren Gewinnaufschlag (Rz. 6.44).
6.16
Vertriebs- und Verwaltungsfunktionen. Da dem Lohnfertiger regelmäßig die Abnahme seiner Leistungen bzw. die Abnahme seiner Produkte vom Auftraggeber garantiert wird, muss er kaum Vertriebsanstrengungen unternehmen.2 Er verfügt deshalb über keine eigene Vertriebsorganisation. Auch die Verwaltung des Lohnfertigers nimmt regelmäßig nur einen geringen Funktionsumfang mit keinem großen Stellenwert ein.3 c) Risiken des Lohnfertigers
6.17
Absatzrisiko. Kennzeichnend für einen Lohnfertiger ist, dass er keine wesentlichen unternehmerischen Risiken trägt (vgl. zu den Grundformen betrieblicher Risiken Rz. 4.53). Dies wird sowohl von der Finanzverwaltung4 als auch vom FG Münster in seinem Urteil v. 16.3.20065 herausgestellt. Insbesondere das Preis- und Absatzrisiko nimmt bei einem Lohnfertiger regelmäßig einen nur geringen Umfang ein.6 Ob hierbei jedoch die Abnahme aller Produkte garantiert werden muss oder ob die faktische Abnahme des überwiegenden Teils der Produktion ausreicht, ist umstritten. So wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass allein der Umstand der ausschließlichen Produktabnahme durch den Auftraggeber noch nicht die Annahme eines Lohnfertigungsverhältnisses rechtfertige.7 U.E. sollte die Begrenzung einer Abnahmeverpflichtung für die Annahme eines Lohnfertigungsverhältnisses unproblematisch sein, wenn die vertraglich oder faktisch garantierte Abnahmemenge ausreicht, die Kosten des Lohnfertigers (Fixkosten sowie variable Kosten) zu decken. Denn unter diesen Umständen sind die mit der Herstellung verbundenen Risiken des Lohnfertigers begrenzt und mit einer vollständigen Abnahmeverpflichtung vergleichbar.8 Infolgedessen werden die Preise bei einer weitreichenden Abnahmeverpflichtung geringer sein, als bei einer eingeschränkten oder
1 Voraussetzung ist jedoch, dass der Lohnfertiger die Rohstoffe und Vorprodukte sachgemäß (ggf. nach Vorgaben des Auftraggebers) lagert und hierbei die notwendige Sorgfalt an den Tag legt. Ansonsten wären zivilrechtliche Ansprüche des Auftraggebers gegen den Lohnfertiger zu prüfen. 2 Vgl. auch FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562 (rkr.); Ditz/Just, DB 2009, 142; Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 790. 3 Vgl. Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 557 f. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 204. 5 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562 (rkr.); FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16, EFG 2020, 764 (nrkr., Az. des BFH I R 54/19); Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 789. 6 Vgl. VWG FVerl, Rz. 204, so auch schon BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Bsp. 3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021); Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150; Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 517; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 104. 7 Vgl. Rödder, StbJb. 1997/98, 121; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 214. 8 So auch Elbert/von Jesche in V/B/B, Verrechungspreise5, Rz. N 554.
486 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.21 Kap. 6
nur faktischen Abnahmeverpflichtung.1 Bezieht sich hingegen die Abnahmeverpflichtung nur auf einen Teil der Produktion des Lohnfertigers und werden (umfangreiche) Lieferungen an Dritte oder an den Auftraggeber ohne Abnahmeverpflichtung erbracht, dann spricht dies für ein eigenes Preis- bzw. Absatzrisiko des Lohnfertigers. Dies setzt aber auch voraus, dass der Lohnfertiger für den Vertrieb an Dritte auch eine entsprechende Vertriebsfunktion ausübt und entsprechendes Vertriebspersonal vorhält. Beschaffungsrisiko. Idealtypisch trägt der Lohnfertiger kein Beschaffungsrisiko. Denn die zur Herstellung seiner Produkte notwendigen Vorprodukte und/oder Rohstoffe werden üblicherweise von seinem Auftraggeber (kostenlos) beigestellt. Ein gewisses Beschaffungsrisiko kann sich allerdings ergeben, wenn der Lohnfertiger die Vorprodukte und/oder Rohstoffe (gegebenenfalls auch teilweise) selbst beschafft. Ein solches Beschaffungsrisiko spricht grundsätzlich nicht gegen die Einordnung eines Produktionsunternehmens als Lohnfertiger. Insbesondere ist von keiner Übernahme des Beschaffungsrisikos auszugehen, wenn die Verrechnungspreise entsprechend variabel berechnet werden, dass etwaige Preisschwankungen der Rohstoffe an den Auftraggeber weitergereicht werden. Sollte dieses Beschaffungsrisiko jedoch erheblich sein, wird keine typische Lohnfertigung mehr angenommen werden können.
6.18
Lagerrisiko. Da dem Lohnfertiger die Vorprodukte bzw. Rohstoffe üblicherweise vom Auftraggeber beigestellt werden bzw. er im Rahmen einer „Just-in-Time-Konzeption“ produziert, ergibt sich für ihn generell kein bzw. ein nur sehr geringes Lagerrisiko. Ein solches besteht nur dann in einem größeren Maße, wenn der Lohnfertiger ausnahmsweise für die Vorprodukt- und/oder Rohstoffbeschaffung selbst verantwortlich ist. Sollte dies der Fall sein, spricht dies für einen funktionsstarken Lohnfertiger (auch Auftragsfertiger) bzw. bei erheblichen Lagerrisiken für die Einordnung des Produktionsunternehmens als Eigenproduzent.
6.19
Produkthaftungsrisiko. Gewährleistungs- bzw. Produkthaftungsrisiken treffen den Lohnfertiger nur insoweit, als der entsprechende Schaden durch ihn verursacht wird. Dies betrifft z.B. das Risiko, dass die vom Lohnfertiger hergestellten Produkte den vereinbarten Qualitätsstandard nicht entsprechen. Diese Risiken können von Bedeutung sein, wenn z.B. ganze Produktionsserien Qualitätsmängel aufweisen und damit unbrauchbar sind. Aus den Qualitätsmängeln entstehende Kosten sind grundsätzlich vom Lohnfertiger zu tragen, wenn sie durch diesen verursacht wurden.
6.20
d) Eingesetzte Wirtschaftsgüter des Lohnfertigers Produktionsanlagen. Typischerweise beschafft der Lohnfertiger keine eigenen Produktionsanlagen und mietet diese auch nicht vom Auftraggeber. Vielmehr werden ihm die Anlagen vom Auftraggeber über die Laufzeit des Lohnfertigungsvertrages beigestellt.2 Das zivilrechtliche und wirtschaftliche Eigentum an den Produktionsanlagen verbleibt in diesem Fall beim Auftraggeber und geht nicht auf den Lohnfertiger über. Die Beistellung der Produktionsanlagen erfolgt üblicherweise ohne Verrechnung eines Entgelts. Es gibt allerdings auch Lohnfertiger, die über einen Grundbestand an Produktionsanlagen selbst verfügen. Ist dies der Fall, besteht grundsätzlich kein Widerspruch zur Einordnung der Produktionsgesellschaft als Lohnfertiger. Vielmehr ist dann – wenn die anderen Voraussetzungen eines Lohnfertigers erfüllt sind – von einem funktionsstarken Lohnfertiger auszugehen. Dies ist im Rahmen der Bemessung des Gewinnaufschlags zu berücksichtigen; außerdem gehen entsprechende Ab1 Vgl. auch BFH v. 16.4.1980 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492. 2 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562 (rkr.).
Ditz/Kluge | 487
6.21
Kap. 6 Rz. 6.21 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
schreibungen bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode in die Bemessungsgrundlage (Kostenbasis) für den Gewinnaufschlag ein. Eine typische Ausgestaltungsvariante liegt auch vor, wenn der Auftraggeber die Beschaffung der Produktionsanlagen durch den Lohnfertiger durch Eigen- oder Fremdkapital finanziert und über die entsprechende Auslastungsgarantie die Auslastung der Produktionsanlagen absichert. Die Produktionsanlagen finden sich dann zwar im zivilrechtlichen Eigentum des Lohnfertigers, werden aber im Wesentlichen für die Produktion für den Auftraggeber genutzt. Mitunter finden sich in derartigen Gestaltungen auch Exklusivitätsvereinbarungen, dass die entsprechenden Produktionsanlagen nur für Produktionszwecke für den Auftraggeber und nicht für andere Kunden genutzt werden dürfen (bzw. ansonsten eine Kostenseparierung zu erfolgen hat).
6.22
Immaterielle Wirtschaftsgüter. Neben dem Funktions- und Risikoprofil erfolgt die Unternehmenscharakterisierung im Allgemeinen und für Produktionsunternehmen im Speziellen nach Art und Qualität der eingesetzten Wirtschaftsgüter. Den Lohnfertiger kennzeichnet hier, dass nicht er es ist, der die für die Fertigung wesentlichen materiellen, insbesondere aber produkt- und marktbezogenen immateriellen Wirtschaftsgüter (Patente, produktspezifisches Know-how und Marken) einsetzt. Vielmehr befinden sich die zur Herstellung der Produkte notwendigen immateriellen Wirtschaftsgüter im Eigentum des Auftraggebers und werden dem Lohnfertiger (kostenlos) beigestellt.1 Die Verrechnungspreispraxis zeigt allerdings, dass Lohnfertiger durchaus auch über eigenes Know-how verfügen können. Dieses Know-how bezieht sich dann allerdings i.d.R. auf den Fertigungsprozess.
6.23
Kapitalausstattung des Lohnfertigers. Aus der Tatsache, dass der Lohnfertiger nur geringe Risiken trägt, eingeschränkte Funktionen ausübt und typischerweise kein Eigentum an den Produktionsanlagen erwirbt, folgt, dass er i.d.R. auch nur relativ geringe finanzielle Mittel benötigt. Eine umfassendere Kapitalausstattung ist nur dann nötig, wenn der Lohnfertiger die Produktionsanlagen im eigenen Eigentum hat und finanzieren muss.
6.24
Personaleinsatz des Lohnfertigers. Die Anstellung von Personal im Hinblick auf die Ausübung seiner Produktionsfunktion ist typische alleinige Aufgabe des Lohnfertigers. Nur in Ausnahmefällen behält sich der Auftraggeber vor, in die Personalpolitik des Lohnfertigers einzugreifen. Die entsprechenden Personalkosten sind daher auch durch den Lohnfertiger zu tragen und über den Verrechnungspreis abzudecken. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass der Auftraggeber – insbesondere zur Planung, Koordinierung und Kontrolle des Herstellungsprozesses – eigenes Personal in die Produktionsstätte des Lohnfertigers auf eigene Kosten entsendet. Häufig ist dies im Rahmen des Qualitätsmanagements anzutreffen. Sollte dies der Fall sein, ist zu prüfen, ob der Auftraggeber ggf. im Ansässigkeitsstaat des Lohnfertigers eine Betriebsstätte begründet.2 e) Zwingende Merkmale eines Lohnfertigers
6.25
Unternehmen zwischen Lohnfertiger und Eigenproduzent. Nur bei nahezu vollständiger Erfüllung der oben dargestellten Merkmale ist davon auszugehen, dass das verbundene Produktionsunternehmen als ein Lohnfertiger zu qualifizieren ist. In Abhängigkeit von der Aus-
1 Vgl. Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 314; Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 790; Ditz/Just, DB 2009, 141. 2 Zu Einzelheiten vgl. Puls in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 2.72, 2.99.
488 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.27 Kap. 6
gestaltung der einzelnen Merkmale kann dabei auch eine Zwischenform zwischen Lohnfertiger und Eigenproduzenten vorliegen, die keiner der beiden Grundformen vollständig entspricht. Solche Zwischenformen kommen in der Praxis sogar sehr häufig vor. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das dem Lohnfertiger zugestandene Entgelt vom Umfang der von ihm wahrgenommenen Funktionen, den von ihm getragenen Risiken sowie den von ihm eingesetzten Wirtschaftsgütern abhängt. Infolgedessen wird die einem Lohnfertiger zuzuordnende Gewinnmarge umso höher sein, je mehr Funktionen und Risiken der Lohnfertiger übernimmt. Übernimmt ein Lohnfertiger immer mehr Funktionen und Risiken und setzt er immer mehr Mittel ein, so wird irgendwann ein Punkt erreicht sein, ab dem er zum eigenständigen Produktionsunternehmen wird und mithin als Eigenproduzent zu qualifizieren sein wird. In diesen Fällen liegt die besondere praktische Schwierigkeit darin, den Zeitpunkt auszumachen, ab dem ein Lohnfertiger zum Eigenproduzenten wird. Denn ab diesem Zeitpunkt sind insbesondere die im Rahmen der Auftragsfertigung unentgeltlichen Beistellungen von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern (Know-how, Produktionsverfahren, Maschinen etc.) sowie etwaige Leistungs- und Materialbeistellungen durch den Auftraggeber mit einem dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Entgelt abzurechnen.1 Ferner können Funktionseinschränkungen des Auftraggebers zugunsten des nunmehrigen Eigenproduzenten als Funktionsverlagerung qualifizieren und dementsprechende verrechnungspreisbezogene Konsequenzen auslösen.2 Praktische Probleme entstehen damit insbesondere dann, wenn sich ein verbundenes Produktionsunternehmen auf Grund der ihm zugewiesenen Funktionen nicht eindeutig den „Polen“ Eigenproduzent oder Lohnfertiger zuordnen lässt, sondern zwischen diesen beiden Extrempunkten liegt (z.B. Auftragsfertiger). Maßgebende Voraussetzungen eines Lohnfertigers. Lohnfertigungsverhältnisse können eine Vielzahl von Ausprägungen annehmen. Allerdings existieren eine Reihe von Voraussetzungen, die für die Qualifikation eines Produktionsunternehmens als Lohnfertiger maßgebend sind.3 Maßgebende Voraussetzungen eines typischen Lohnfertigers sind, dass er
6.26
– kein bzw. nur ein geringes Absatzrisiko trägt, weil der Auftraggeber die Produktion ganz bzw. größtenteils abnimmt, – die Produkte bzw. Teile nicht selbst entwickelt und kein Eigentum an den wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgütern hat, – Anweisungen vom Auftraggeber erhält, welche Fertigungsschritte er wie auszuführen hat, und – nur geringe Risiken trägt und nur geringe Mittel einsetzt. Indizienwirkung der übrigen Kriterien. Die übrigen vorstehend dargestellten Kriterien sind allenfalls als Indizien heranzuziehen. Erfüllt ein verbundenes Produktionsunternehmen alle vier in Rz. 6.26 genannten Voraussetzungen nicht, handelt es sich eindeutig nicht um ein Lohnfertigungsverhältnis. Erfüllt es dagegen alle vier Kriterien, liegt ein Lohnfertigungsverhältnis vor. In allen übrigen Fällen ist im Einzelfall zu entscheiden, welcher Aspekt überwiegt. Bei dieser Entscheidung ist der Schwerpunkt auf die (faktische oder rechtliche) Abnahmegarantie und damit auf das Absatzrisiko des Lohnfertigers zu legen. Weiteres entscheidendes
1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 208. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 68 sowie Rz. 208 f. 3 Vgl. Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 318; Baumhoff in Schaumburg/ Piltz, Internationale Einkünfteabgrenzung, 93.
Ditz/Kluge | 489
6.27
Kap. 6 Rz. 6.27 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Kriterium ist die Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern zum Produktionsunternehmen. Verfügt das Produktionsunternehmen über die zur Herstellung und den Vertrieb der Produkte notwendigen immateriellen Wirtschaftsgüter, spricht dies gegen dessen Einordnung als Lohnfertiger.
6.28
Begriffsdefinition des Eigenproduzenten. Im Gegensatz zum Lohnfertiger verfügt der Eigenproduzent über die volle Dispositionsbefugnis der Produktion. In der Regel ist er daher auch als „Entrepreneur“ resp. „Strategieträger“ in Bezug auf das entsprechende Produkt bzw. die entsprechende Produktgruppe anzusehen. Denn der Eigenproduzent bestimmt die wesentlichen strategischen und betriebswirtschaftlichen Entscheidungen1 und trägt infolgedessen alle Marktchancen und Marktrisiken der betrachteten Produktgruppe.2 Nach Rz. 201 der VWG-Funktionsverlagerung sind wesentliche Merkmale eines Eigenproduzenten, dass das Unternehmen – die Produktionsfunktionen (z.B. Fertigung, Produktentwicklung, Produktauswahl, Einkauf, Lagerhaltung, Forschung und Entwicklung usw.) sowie die Vermarktungsfunktionen (z.B. Werbung, Vertrieb usw.) ausübt, – über die entsprechenden Entscheidungskompetenzen verfügt, – regelmäßig im Besitz der wesentlichen Betriebsgrundlagen (materielle und insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter) ist und – die mit der Ausübung der Funktionen verbundenen Chancen und Risiken (z.B. Marktrisiko, Qualitätsrisiko, Absatzrisiko usw.) trägt.
6.29
Möglichkeiten zur Ausgestaltung der Produktionsfunktion. Die nachfolgende Tabelle fasst die typischen Funktionen des Lohnfertigers einerseits und des Eigenproduzenten andererseits zusammen:3 Lohnfertiger
Eigenproduzent
Forschung, Forschungsrisiko
–
+
Produktionsmanagement
–
+
Entwicklungskompetenz
–
+
Fertigungsvorbereitende Funktionen
–
+
Eigentumserwerb an Vorprodukten, Rohstoffen
Produktanpassungen
+/–
+
Rohstoff- und Vorproduktlager
+/–
+
Fertigungsfunktionen Produktionsplanung, Mengendisposition
–
+
Eigentum an Produktionsanlagen
+/–
+
Eigentum an Patenten, Know-how
–
+
1 Wie z.B. die Produkt- und Distributionspolitik sowie übergeordnete Aspekte der Preis- und Kommunikationspolitik. 2 Vgl. dazu Borstell in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung3, 530; Baumhoff, IStR 2003, 5 f.; Heurung/Löckener/Paczkowski, IStR 2018, 374. 3 Vgl. Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 47 m.w.N.; Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung3, 557 f.
490 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.30 Kap. 6 Disposition über Fertigungsverfahren
–
+
Qualitätskontrolle
–
+
(Halb)Fertigproduktlager, Lagerrisiko Produkthaftung
–
+
+/–
+
–
+
+/–
+
–
+
+/–
+
Nachgelagerte Funktionen Absatzmengenrisiko, Absatzpreisrisiko Garantieleistungen Administrative Funktionen Eigentum an Warenzeichen, Marken Verwaltungsaktivitäten
2. Verrechnungspreisermittlung bei einem Lohnfertiger a) Anwendung der Preisvergleichsmethode Vorrang der Preisvergleichsmethode. Für den Fall des Lohnfertigungsverhältnisses enthielten die aufgehobenen VWG 1983 im Hinblick auf die anzuwendende Verrechnungspreismethode bislang den Hinweis, dass der Verrechnungspreis durch die Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden „kann“.1 In diesem Zusammenhang fällt zunächst auf, dass die Regelung ein fakultatives „kann“, nicht dagegen ein zwingendes „muss“ oder ein vorziehenswürdiges „soll“ enthält. Auch wenn diese explizite Darlegung der Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG VP 2021 fehlt, bleibt sie insofern schlüssig, als auch bei einem Lohnfertigungsverhältnis neben der Kostenaufschlagsmethode die anderen klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (vgl. Kap. 5) zur Anwendung kommen können und die jeweils am besten geeignete Verrechnungspreismethode zur Anwendung zu kommen hat. Nach Auffassung der deutschen Rspr. stehen nämlich die klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode) zwar grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und aus der neueren Gesetzesformulierung ist kein Rangverhältnis zwischen den klassischen und den gewinnorientierten Methoden erkennbar.2 Gleichwohl liefert die Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff.) auf der Grundlage eines tatsächlichen Fremdvergleichs die verlässlichsten Vergleichspreise, weil bei Existenz von zwischen fremden Dritten vereinbarten Preisen das Heranziehen weiterer Preisermittlungsmethoden überflüssig wäre. Daher sollte vorrangig die Preisvergleichsmethode zur Anwendung kommen.3 Dies entspricht im Übrigen auch dem Stufenverhältnis des § 1 Abs. 3 Satz 1, 2 AStG a.F., wonach der tatsächliche Fremdvergleich in Form der Preisvergleichsmethode vorrangig gegenüber den gewinnorientierten Methoden bzw. dem hypothetischen Fremdver1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Bsp. 3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 ff. = FR 2002, 154; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1551; § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG. 3 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 71; Bärsch, IStR 2017, 630. Nach dem mit den OECD-Leitlinien für die Methodenwahl eingeführten Konzept der „geeignetsten Methode“ haben die Standardmethoden nur dann Vorrang vor den transaktionsbezogenen Gewinnmethoden, wenn eine Standard- und eine Gewinnmethode „gleichermaßen zuverlässig“ angewendet werden kann. Bei gleichermaßen zuverlässiger Anwendbarkeit dominiert die Preisvergleichsmethode alle anderen Verrechnungspreismethoden. Vgl. hierzu auch Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Kluge | 491
6.30
Kap. 6 Rz. 6.30 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
gleich anzuwenden ist.1 Die Neuregelung in § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG stellt nach der im Hinblick auf die Vergleichbarkeitsanalyse und die Verfügbarkeit von Werten zu vergleichbaren Geschäftsvorfällen voneinander unabhängiger Dritter am besten geeigneten Verrechnungspreismethode ab. Auch insofern ist von einem Vorrang der Preisvergleichsmethode auszugehen, wenn diese Voraussetzungen – insbesondere die Datenverfügbarkeit – erfüllt sind. Auch durch das BFH-Urteil v. 6.4.2005 wird der grundsätzliche Vorrang der Preisvergleichsmethode2 bestätigt: „[...] deshalb ist, wenn sich für eine bestimmte Leistung im Geschäftsverkehr des betreffenden Unternehmens mit Dritten (‚interner‘ Preisvergleich) oder im allgemeinen Geschäftsverkehr (‚äußerer‘ Preisvergleich) ein bestimmter Preis als üblich feststellen lässt, für Zwecke der Besteuerung auf diesen Preis abzustellen“. Dabei kann der durch einen Preisvergleich ermittelte Betrag nur bei Vergleichbarkeit der Verhältnisse als Verrechnungspreis angesetzt werden (Rz. 6.56). Sofern allerdings eine Vergleichbarkeit der Verhältnisse vorliegt, mithin die Preisvergleichsmethode also anwendbar ist, verlangt die BFH-Rspr. auch die zwingende Anwendung der Preisvergleichsmethode. Insofern ist auch bei einem Lohnfertigungsverhältnis zunächst zu prüfen, ob primär die Preisvergleichsmethode Anwendung finden kann. Dass die Preisvergleichsmethode grundsätzlich auch bei Lohnfertigern in Betracht kommt, dürfte unstrittig sein, denn oftmals übernehmen auch unabhängige Lohnfertiger in Osteuropa und Asien Produktionsaufträge.3 Wenn anhand solcher Vergleichstransaktionen marktübliche Preise ermittelt werden können, sind diese als Verrechnungspreise zugrunde zu legen. b) Anwendung der Kostenaufschlagsmethode
6.31
Kostenaufschlagsmethode als Regelmethode. Sollte die Preisvergleichsmethode im Einzelfall nicht anwendbar sein, so ist bei Lohnfertigungsverhältnissen vornehmlich auf die Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) abzustellen. Hierauf stellte Tz. 3.1.3. Bsp. 3 VWG 19834 ab, auch wenn es in den neuen VWG VP 2021 an einer derartigen expliziten Detaillierung fehlt. Nichts anderes ergibt sich aber auf Basis der OECD-Leitlinien, da diese in Tz. 2.60 auch von der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ausgehen. Ferner wird die vom Lohnfertiger ausgeübte Leistung von der OECD eher als Dienstleistung angesehen, die mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode zu verrechnen ist.5 Da in der Verrechnungspreispraxis häufig die Preisvergleichsmethode an fehlenden Vergleichstransaktionen mit hinreichender Erfüllung der Vergleichbarkeitskriterien scheitert, stellt die Kostenaufschlagsmethode bei Lohnfertigungsverhältnissen die Regelmethode dar.6 Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ist insofern sachgerecht, als man z.B. bei „Make-or-Buy“-Entscheidungen im Rahmen des „Outsourcings“ zwischen fremden Dritten üblicherweise auf Kostenvergleichsrechnungen abstellt.
6.32
Kostenaufschlagsmethode nicht zwingend. Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ist aber nicht zwingend, da die am besten geeignete Methode anzuwenden ist (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG). Es gibt auch Fälle, in denen selbst bei Lohnfertigungsverhältnissen die Preisvergleichs1 Vgl. zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1462. 2 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 592. 3 Vgl. auch Wolff in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, 96 f. 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.3. Bsp. 3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. Tz. 7.40 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562 (rkr.); Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 327; Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 314; Baumhoff in Schaumburg/Piltz, Internationale Einkünfteabgrenzung, 95; Ditz/Just, DB 2009, 142.
492 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.34 Kap. 6
methode (Rz. 6.30) oder die Wiederverkaufspreismethode zur Anwendung kommen kann. So ist etwa die Preisvergleichsmethode im Sinne eines internen Preisvergleichs in Betracht zu ziehen, wenn ein Lohnfertiger neben verbundenen Auftraggebern für eine Produktion auch an unabhängige Abnehmer liefert. Um dies ausführen zu können, muss der Lohnfertiger aber über alle notwendigen (im-)materiellen Wirtschaftsgüter zur Produktion der Produkte verfügen und dürfte aus der Produktion gegenüber Dritten nur geringe Risiken tragen. Demgegenüber ist die Wiederverkaufspreismethode bei Lohnfertigungsverhältnissen einschlägig, wenn z.B. der Auftraggeber die vom Lohnfertiger gelieferten Produkte ohne besondere Beund Weiterverarbeitung und ohne besondere Absatzanstrengungen weiterveräußert. In diesem Fall spricht allerdings vieles dafür, dass das Produktionsunternehmen nicht als Lohnfertiger, sondern als Eigenproduzent zu qualifizieren ist. Sachumfang der Kosten. Im Rahmen der Bestimmung des Sachumfangs der verrechenbaren Kosten wird allgemein zwischen Voll- und Teilkosten unterschieden (Rz. 5.64 ff.). Bei Lohnfertigungsverhältnissen kommt im Ergebnis nur die Verrechnung von Vollkosten in Frage, wobei durchaus auch Teilkosten für die Kostenbasis angewendet werden können, wenn durch die Aufschlagssätze sichergestellt wird, dass eine Deckung von Vollkosten erreicht werden sollte. Grund hierfür ist, dass Teilkosten typischerweise nur im Zusammenhang mit Verrechnungspreisen gegenüber Vertriebsunternehmen (Markteroberungs-, Marktverteidigungs- und Markterschließungskosten) bzw. bei voll ausgestatteten Produktionsunternehmen (Ausfüllen von Überkapazitäten) in Betracht kommen (Rz. 5.68). Bei Lohnfertigungsverhältnissen ist hingegen der Auftraggeber für die Kapazitätsauslastung des Lohnfertigers verantwortlich, der die gesamte bzw. nahezu die gesamte Produktion des Lohnherstellers auf Grund eines Dauerschuldverhältnisses mittel- und langfristig übernimmt. Da der Auftraggeber alle wirtschaftlichen Risiken der Produktion trägt, unterliegt er auch dem Kostenrisiko einschließlich des Auslastungsrisikos. Insofern kann nicht das Kostenrisiko (auch nicht das Leerkostenrisiko) beim Lohnfertiger verbleiben, da es im Regelfall allein in der Sphäre des Auftraggebers liegt, ob und in welcher Höhe der Lohnfertiger ausgelastet ist (Rz. 6.14).
6.33
Anwendung des betriebswirtschaftlichen Kostenbegriffs. Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode fußt auf betriebswirtschaftlichen Grundsätzen. Unstreitig ist daher, dass der betriebswirtschaftliche Kostenbegriff Anwendung findet. Bei Anwendung des betriebswirtschaftlichen Kostenbegriffs ist unter Kosten der entgeltbewertete leistungsbedingte Güterverzehr eines Betriebs zu verstehen. Damit wird klargestellt, dass die Kosten nicht den in der handels- bzw. steuerrechtlich relevanten Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesenen Aufwendungen entsprechen müssen. Vielmehr kann auch der wertmäßige Kostenbegriff zur Anwendung kommen, wonach neben den pagatorischen Kosten (Aufwendungen) auch kalkulatorische Kosten einzubeziehen sind. Dabei sind die folgenden Arten kalkulatorischer Kosten zu unterscheiden (Rz. 5.42):
6.34
– kalkulatorische Abschreibungen (Abschreibungen bezogen auf die Wiederbeschaffungskosten des Sachanlagevermögens unter Ansatz der betriebswirtschaftlichen Nutzungsdauern), – kalkulatorische Zinsen (angemessene Verzinsung des gebundenen Kapitals), – kalkulatorische Wagniskosten (insbesondere für Anlagenwagnisse, Vorratswagnisse und Forderungswagnisse), – kalkulatorischer Unternehmerlohn und – kalkulatorische Miete.
Ditz/Kluge | 493
Kap. 6 Rz. 6.35 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.35
Zeitbezug der Kosten. Die OECD-Leitlinien bestimmen, dass der Zeitbezug der Kosten auf Basis von Ist-, Normal- oder Plankosten erfolgen kann.1 Die Vollkosten können grundsätzlich auf Basis vergangenheitsbezogener Ist- oder Normalkosten oder mit Hilfe von Plankosten ermittelt werden. Für welche Kalkulationsmethodik sich der Steuerpflichtige entscheidet, steht dabei grundsätzlich in seinem freien Ermessen. Die best-method-rule in § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG kann aber so ausgelegt werden, dass sich ein fremder Dritter an der Kalkulationsmethodik orientieren würde, für die die besten Daten zur Verfügung stehen, damit jeweils die beste Methode zur Anwendung kommt. In der Verrechnungspreispraxis hat sich die Verwendung von Plankosten als besonders geeignet erwiesen.2 Zum einen erlaubt die Verwendung von Plankosten die Unterstellung einer gewissen Wirtschaftlichkeit bei der betrieblichen Leistungserstellung, was dazu führt, dass – wie beim Leistungsaustausch zwischen unabhängigen Geschäftspartnern üblich – Unwirtschaftlichkeiten sowie Kostenvorteile zu Lasten oder zugunsten des Unternehmens gehen, das sie verursacht. Zum anderen berücksichtigt allein die Plankostenrechnung den Grundsatz der „Ex-ante“-Betrachtung, wonach einem Fremdvergleich nur die Verhältnisse und Informationen zugrunde zu legen sind, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannt waren bzw. sich abzeichneten (Rz. 5.59).3 Da ein Unternehmer bzw. ein ordentlicher Geschäftsleiter zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die tatsächlich für die Leistungserstellung anfallenden Istkosten nicht kennen kann, muss insoweit von den erwarteten Kosten, also den Plankosten, ausgegangen werden. Im Übrigen entspricht die Verwendung von Plan- bzw. Normalkosten auch sog. „Outsourcing“-Vereinbarungen zwischen fremden Dritten, in welchen der Preis von vornherein anhand eines Kostenrahmens des Leistenden festgelegt wird, so dass Effizienzfortschritte und Preisabweichungen dem Lohnfertiger zugute kommen, er aber auch entsprechende Nachteile zu tragen hat.4 Schließlich ermöglicht der Ansatz von Plankosten die Aufteilung der i.d.R. bei dem ausländischen Lohnfertiger entstehenden Standortvorteile (insbesondere in Form von Kostenvorteilen oder Subventionen [Rz. 6.36]). Es sind in der Praxis aber auch verschiedene Mechanismen anzutreffen, die zu einer Nachverrechnung führen, damit die Verrechnung eher den angefallenen Istkosten entspricht. Entsprechende Nachverrechnungen sollten zuvor vereinbart werden, wobei genau zu formulieren ist, welche Abweichungen einer Nachverrechnung zugrunde gelegt werden sollen.
6.36
Notwendigkeit der Aufteilung von Standortvorteilen. Standortvorteile werden meist durch niedrigere Produktionskosten des Lohnfertigers auf Grund eines niedrigeren Lohnniveaus, geringerer Sozialabgaben, niedrigerer Energiekosten usw. im Ausland realisiert. Die günstigere Kostensituation führt ceteris paribus zu einem Mehrgewinn im Vergleich zur reinen Inlandsproduktion ohne Einschaltung des jeweiligen Lohnfertigers. Der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn wird indessen bei einer undifferenzierten Anwendung der Kostenaufschlagsmethode nicht zutreffend berücksichtigt.5 Denn wird lediglich ein Standardgewinnaufschlag auf die durch die Standortvorteile niedrigere Kostenbasis angesetzt (vgl. zur Ermittlung des Gewinnaufschlags Rz. 6.41 ff.), kommt der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn größtenteils dem Auftraggeber zu. Letztlich würden dadurch die Standortvorteile ins Inland zum Auftraggeber übertragen und dort der Besteuerung zugeführt. Eine solche Zu1 Vgl. Tz. 2.101 OECD-Leitlinien 2022; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 112. 2 Vgl. Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 316; Baumhoff in Schaumburg/ Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, 75; Ditz/Just, DB 2009, 142. 3 Vgl. auch § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG. 4 Vgl. Leitner, IWB F. 5 Österreich Gr. 2, 396. 5 So z.B. auch Dreßler in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, 98.
494 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.37 Kap. 6
ordnung von Standortvorteilen ist allerdings nicht sachgerecht und entspricht auch nicht dem Grundsatz des Fremdvergleichs. Denn Standortvorteile entstehen auf Grund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Staates. Somit sollte das grundsätzliche Besteuerungsrecht der daraus resultierenden Gewinne auch dem betreffenden Staat zustehen. Besonders deutlich wird dies bei Gewährung von Steuervergünstigungen, Investitionszuschüssen oder vergleichbaren staatlichen Subventionen. In diesen Fällen schränkt die ausländische Steuerhoheit ihr Besteuerungsrecht zur Förderung der heimischen Wirtschaft gezielt ein. Vor diesem Hintergrund kann es dann nicht gerechtfertigt sein, wenn das Inland durch eine undifferenzierte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode mit einem Standardgewinnaufschlag die im Ausland erhöhten Gewinne auf Grund von Standortvorteilen abschöpft und der deutschen Besteuerung unterwirft.1 Aus diesen Überlegungen rechtfertigt sich im Übrigen auch die sog. fiktive Steueranrechnung, die bei Zugeständnissen solcher Art an inländische Steuerpflichtige zum Tragen kommt und in einer Reihe deutscher DBA verankert ist.2 Auf Grund dieser Sachlage sind nach h.M. in der Literatur die durch die niedrigeren Kosten im Ausland resultierenden Standortvorteile zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger aufzuteilen.3 Selbst Vertreter der Finanzverwaltung sehen eine Aufteilung als erforderlich an. So formulieren Kuckhoff/ Schreiber, dass durch eine undifferenzierte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode „die Standortvorteile über den Verrechnungspreis seitens der inländischen Muttergesellschaft oder des inländischen Abnehmers nahezu völlig abgeschöpft [würden], was betriebswirtschaftlich und damit auch steuerlich nicht zu rechtfertigen [sei].“4 Nach der Literaturauffassung ist es daher unstreitig, dass Standortvorteile zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger grundsätzlich aufzuteilen sind. Fraglich ist allerdings, wie in der Praxis eine fremdübliche Aufteilung abgeleitet werden kann. Vorgehen zur Aufteilung von Standortvorteilen. Bei der Frage der Aufteilung eines Standortvorteils zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger handelt es sich regelmäßig nicht um einen tatsächlichen Fremdvergleich. Häufiger ist im Wege eines hypothetischen Fremdvergleichs anhand der Denkfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters in seiner verdoppelten Ausprägung im Rahmen einer Preissimulation zu klären, wie fremde Dritte einen Standortvorteil aufteilen würden.5 Dies läuft letztlich auf die Ermittlung eines Einigungsbereichs i.S.d. § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG (§ 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG a.F.) hinaus, wonach zur Ermittlung eines Verrechnungspreises ein Einigungsbereich im Sinne eines Mindestpreises des Leistenden (hier: des Lohnfertigers) und eines Höchstpreises des Leistungsempfängers (hier: des Auftraggebers) zu ermitteln ist.6 So umfasst die Preisobergrenze des Auftraggebers die Kosten des jeweiligen Auftrags bei Eigenerstellung, während die Preisunter-
1 Vgl. auch Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch internationale Verrechnungspreise, OECDKap. IX, Teil 2, E, Rz. 396 f. 2 Vgl. hierzu Übersicht bei Ismer in V/L7, OECD-MA 2017 Art. 23A, Art. 23B Rz. 191. 3 Vgl. Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791; Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 319; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 106; Kroppen/Rasch in Kroppen/ Rasch, Handbuch internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. IX, Teil 2, E, Rz. 396 ff.; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 363. 4 Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 217; vgl. auch Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 319. 5 Eine Ableitung anhand eines tatsächlichen Fremdvergleichs wäre aber möglich, wenn entsprechende Aufträge auch an fremde Dritte vergeben werden und bei Kenntnis deren Kostensituation aus dem verhandelten Preisen auf die Aufteilung des sich ergebenden Kostenvorteils zurückgeschlossen werden kann. 6 Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1464 f.).
Ditz/Kluge | 495
6.37
Kap. 6 Rz. 6.37 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
grenze des Lohnfertigers die Kosten des jeweiligen Auftrags umfasst. Da bei den hier zur Diskussion stehenden Auslagerungen von Produktionsaufgaben die Preisobergrenze üblicherweise die Preisuntergrenze übersteigt, liegt ein Einigungsbereich vor. Grundsätzlich dürften alle Preise innerhalb dieses Einigungsbereiches als angemessen anzusehen sein, da jeder dieser Preise auch zwischen fremden Dritten vereinbart werden könnte. § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG (§ 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F.) sieht hinsichtlich der Frage, wie ein ermittelter Einigungsbereich zwischen den Verhandlungspartnern aufzuteilen ist, vor, dass der Preis im Einigungsbereich der Einkünfteermittlung zugrunde zu legen ist, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht; wird kein anderer Wert glaubhaft gemacht, ist der Mittelwert des Einigungsbereiches zugrunde zu legen. Da die Aufteilung der Standortvorteile mittels einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung nur schwerlich möglich ist,1 wird in praxi von einer hälftigen Aufteilung des Einigungsbereiches, d.h. von einer hälftigen Aufteilung der Standortvorteile, auszugehen sein. Dies läuft auf eine Arbitriumwertlösung hinaus, welche letztlich als rein pragmatischer Ansatz zu verstehen ist.2
Bei einer solchen Ableitung des Aufteilungsfaktors sind im Besonderen auch die Ergebnisse einer Wettbewerbs- und Industrieanalyse zu berücksichtigen. Würden im jeweiligen Markt fremde Dritte Lohnfertiger den Standortvorteil mehrheitlich an den Auftraggeber abgeben, ist diese Abgabe des Vorteils auch bei der Verrechnungspreisfestsetzung zu berücksichtigen. In diesen Fällen handelt es sich jedoch im engeren Sinne nicht um eine Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs, sondern vielmehr in Form der Angebote durch dritte Lohnfertiger um tatsächliche Fremdvergleiche, deren Ergebnisse eine (ggf. einzuengende) Bandbreite bilden. Ähnlich kommentieren auch die OECD-Leitlinien 2022 die Thematik.3 Demnach ist zunächst der Umfang der Standortvorteile („Location Savings“) zu bestimmen und anhand eines tatsächlichen Fremdvergleichs bzw. anhand der jeweiligen Funktionen, Risiken, eingesetzter Wirtschaftsgüter und realistisch verfügbarer Optionen der Transaktionspartner die Aufteilung abzuleiten. Beispielhaft zeigen sie auf, dass eine Zuordnung des Vorteils zum Auftraggeber dann wahrscheinlich ist, wenn der Lohnfertiger keine immateriellen Wirtschaftsgüter einsetzt, nur geringe Funktionen ausübt und deshalb die Fertigung auch von vielen fremden Dritten zu günstigeren Konditionen ausgeübt werden kann. Ist die Ausübung der Lohnfertigung hingegen nicht durch fremde Dritte möglich, weil diese nicht über entsprechende Ressourcenausstattungen verfügen und die Aufträge demnach nicht an Dritte vergeben werden können, ist ein wesentlicher Anteil des Standortvorteils dem Lohnfertiger zuzuordnen.
6.38
Urteil des FG Münster v. 16.3.2006. Die hälftige Aufteilung von Standortvorteilen wurde durch das rechtskräftige Urteil des FG Münster v. 16.3.20064 bestätigt (Rz. 6.183). Dem Urteil lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem es um die Auslagerung von Produktionsfunktionen an ein in Polen angesiedeltes verbundenes Unternehmen ging, das als reiner Lohnfertiger agierte. Konkret ging es um die Herstellung von Kreuzverbindern für den Fensterbau. Das FG Münster machte in seiner Urteilsbegründung zutreffend deutlich, dass der durch die Produktion im Ausland entstandene Kostenvorteil nicht vollständig dem inländischen Auftraggeber zuzuordnen ist, sondern auch dem Lohnfertiger zusteht. Konkret hat das FG Münster bei einer hälftigen Teilung des Kostenvorteils keinen Verstoß gegen den Grundsatz des Fremdvergleichs gesehen. Dies wird schließlich damit begründet, dass der Auftraggeber mit der Sorgfalt eines ordentlichen Ge-
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Vgl. dazu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1465. Vgl. Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 792. Vgl. Tz. 1.140–1.143 und 9.126–9.131 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562.
496 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.40 Kap. 6
schäftsleiters gehandelt hat, weil die Herstellungskosten zur Produktion der entsprechenden Teile in Deutschland wesentlich höher gewesen wären. Damit wurden die vorstehend dargestellten Grundsätze einer Aufteilung von Standortvorteilen durch das FG Münster bestätigt. Mit dem Urteil wird damit in bemerkenswerter Klarheit herausgestellt, dass ein durch Kostenvorteile entstandener Standortvorteil vom Auftraggeber nicht vollständig absorbiert werden kann, sondern ebenfalls dem herstellenden Unternehmen (Lohnfertiger) zugutekommt. Berücksichtigung von Standortvorteilen nach Auffassung der UN. Seitens der UN wurde daher das sog. „Practical Manual on Transfer Pricing for developing Countries“ (nachfolgend „UN Manual“) durch eine Vielzahl von Vertretern von OECD- und Nicht-OECD-Ländern erstellt und abgestimmt.1 Ziel des UN Manual ist es, eine Anleitung und Hilfestellung zur Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu geben. Es richtet sich somit insbesondere an die Gesetzgeber und Finanzverwaltungen von Schwellenländern. Es soll dabei auch eine Auslegungshilfe insbesondere für Sachverhalte sein, die vor allem Schwellenländer betreffen. Ausführlich werden dabei auch die Wirkungen von Standortvorteilen (sog. „Location Specific Advantages“) auf die Verrechnungspreisfestsetzung diskutiert.2 Als Standortvorteil wird der ökonomische Nutzen betrachtet, welcher sich aus der Ausübung der Geschäftstätigkeit an einem bestimmten/spezifischen Standort ergibt (z.B. Lohnkostenvorteile, Rohstoffkostenvorteile, Transportkostenvorteile, Mietkostenvorteile, Steuerbefreiungen etc.). Dem Standort wird – in Anlehnung an die Volkswirtschaftslehre – eine sog. „Standortmarge“ (sog. „Location Rent“) zugesprochen. Das UN Manual erkennt dabei an, dass eine entsprechende positive Standortmarge jedoch z.B. durch höhere Transportkosten oder höhere Kosten der Qualitätskontrolle gegenläufig (in Teilen) kompensiert werden kann. Nicht ausgeschlossen wird dabei, dass die Standortmarge auch negativ sein kann.
6.39
Auffassung Chinas. Im Unterschied zu den allgemeinen Kapiteln des UN Manual, die insbesondere den Gesetzgebern und der Finanzverwaltung in Schwellenländern Hilfestellung bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes geben sollen, gibt Abschnitt D.2 des UN Manual die Erfahrungen Chinas wider, welches bereits seit Ende der 1990er Jahre Verrechnungspreissachverhalte intensiv prüft.3 Demnach ist nach Auffassung Chinas zu beobachten, dass in Schwellenländern häufig keine Fremdvergleichswerte (z.B. aus Datenbanken) verfügbar sind. Aus diesem Grund werden in der Praxis häufig Fremdvergleichswerte ausländischer Gesellschaften genutzt.4 Datenbankstudien mit überregionalem geographischem Fokus (z.B. Pan-Asiatische Studien) enthalten jedoch häufig Fremdvergleichswerte aus Industrieländern (z.B. Japan), seltener jedoch aus Entwicklungsländern (z.B. Vietnam).5 Die wirtschaftlichen Unterschiede in diesen Ländern sind häufig so groß, dass die Fremdvergleichswerte nicht uneingeschränkt vergleichbar sind. Es sind vielmehr Anpassungsrechnungen notwendig, um eine (eingeschränkte) Vergleichbarkeit herzustellen.6 Weiterhin geht China davon aus, dass es sog. „lokale Standortvorteile“ („location specific advantages“) gibt, welche in sog. „lokalen Kostenvorteilen“ („location savings“)7 bzw. sog. „Marktprämien“ („market premium“)8
6.40
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. zur ursprünglichen Version Wehnert/Dräger, ISR 2013, 106 ff. Vgl. UN Manual, Tz. B.2.3.2.51.–B.2.3.2.61.; D.2.4.4. Vgl. UN Manual, Tz. D.2.1.6. Vgl. UN Manual, Tz. D.2.4.1., D.2.4.3.1. Vgl. UN Manual, D.2.4.3.5. Vgl. UN Manual, Tz. D.2.4.3.4. Kostenvorteile können sich beispielhaft durch günstigere Lohnkosten, Vermeidung von Transportkosten, etc. ergeben, vgl. UN Manual, Tz. D.2.4.4.3. 8 Die Marktprämie bezeichnet alle Umstände, die die Erwirtschaftung von Umsatz bzw. Gewinn im Vergleich zu anderen Ländern positiv beeinflussen, vgl. UN Manual, Tz. D.2.4.4.4.
Ditz/Kluge | 497
Kap. 6 Rz. 6.40 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
bestehen.1 Nach Auffassung Chinas ist eine vierstufige Prüfungsweise zur Berücksichtigung dieser lokalen Standortvorteile notwendig:2 1. Prüfung, ob lokale Standortvorteile vorliegen, 2. Prüfung, ob lokale Standortvorteile den Gewinn erhöhen, 3. Quantifizierung/Bewertung des zusätzlichen Gewinns, welcher durch den Standortvorteil generiert wird, 4. Festlegung der Verrechnungspreismethode, um den zusätzlichen Gewinn zuzuordnen.
Mit Bezug zur Forschungs- und Entwicklungstätigkeit, die in Schwellenländern häufig von sog. „Auftragsforschern“ für ausländische Strategieträger und unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ausgeübt wird, zeigt China beispielhaft die Wirkung lokaler Kostenvorteile auf.3 Sollte demnach aus einer Verrechnungspreisstudie ersichtlich sein, dass ein angemessener Gewinnaufschlag auf Vollkosten in Industriestaaten 8 % beträgt, ist dieser Gewinnaufschlag (prozentual) auch auf die eingesparten Kosten anzuwenden, wie folgendes Beispiel zeigt: Angemessener Gewinnaufschlag in Industriestaaten:
8%
Kosten im Industriestaat:
150
Kosten in China:
100
Angemessener Gewinn in China:
12 (= 8 % × 150)
Angemessener Gewinnaufschlag in China:
12 % (= 12/100)
Im Ergebnis hat der Strategieträger einen höheren prozentualen Gewinnaufschlag i.H.v. 12 % an den chinesischen Auftragsforscher zu entrichten, da China den Gewinnaufschlag fiktiv auf die Kostenbasis von Industriestaaten anwendet, um eine Vergleichbarkeit herzustellen. Gleichwohl hat auch der Strategieträger einen Vorteil. Denn er profitiert von der Einsparung der Kosten, i.H.v. 50 Geldeinheiten, so dass bei ihm im Gesamtergebnis ein Vorteil von 46 Geldeinheiten (50 Geldeinheiten ./. 4 Geldeinheiten des höheren Gewinnaufschlags) verbleibt.
6.41
Methoden zur Ermittlung des Gewinnaufschlags. Zur Ermittlung des Gewinnaufschlags des Lohnfertigers kann auf die allgemeinen Grundsätze der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zurückgegriffen werden (Rz. 5.39 ff.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es den einen „richtigen“ Gewinnaufschlag nicht gibt. Vielmehr kann allenfalls – bezogen auf den Einzelfall – eine Bandbreite angemessener Gewinnaufschläge ermittelt werden, die sich an den vom Lohnfertiger ausgeübten Funktionen, den von ihm getragenen Risiken und den von ihm eingesetzten Wirtschaftsgütern ausrichtet. Zur Festlegung eines angemessenen Gewinnaufschlags existieren im Schrifttum und seitens der Rspr. mehrere methodische Ansätze. Diese betreffen im Wesentlichen – einen inneren Betriebsvergleich (sog. betriebsübliche Gewinnaufschläge), – einen äußeren Betriebsvergleich (sog. branchenübliche Gewinnaufschläge), – die angemessene Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals sowie – pauschale, in Prozentsätzen festgelegte Aufschlagssätze. 1 Vgl. UN Manual, Tz. D.2.4.41. 2 Vgl. UN Manual, Tz. D.2.4.4.5. 3 Vgl. UN Manual, Tz. D.2.4.4.9.
498 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.44 Kap. 6
Innerer und äußerer Betriebsvergleich. Die Ermittlung betriebsüblicher Gewinnaufschläge mittels eines inneren Betriebsvergleichs orientiert sich an Gewinnspannen, die vom Lohnfertiger mit fremden Dritten erzielt werden. Als Vergleichsmaßstab sollen dabei möglichst Transaktionen herangezogen werden, die unter vergleichbaren Umständen vorgenommen werden. Dies setzt aber voraus, dass auch fremde Dritte den Lohnfertiger entsprechend beauftragen, d.h. gemäß vergleichbaren Funktions- und Risikoprofil die zu produzierenden Produkte und Mengen vorgeben, materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter beistellen und die Vertragsbeziehung für den Lohnfertiger risikolos bzw. zumindest risikoarm ausgestalten. Stehen vergleichbare Gewinnspannen nicht zur Verfügung, weil der Lohnfertiger keine vergleichbaren Geschäftsbeziehungen zu fremden Dritten unterhält, so ist auf branchenübliche Gewinnaufschläge abzustellen. Diese lassen sich durch einen äußeren Betriebsvergleich bestimmen. Dabei wird auf Gewinnspannen Bezug genommen, die Unternehmen der gleichen Branche bei vergleichbaren Geschäften untereinander erzielen. Zu deren Ermittlung wird häufig auf Datenbanken zurückgegriffen.1 Die Verrechnungspreispraxis zeigt allerdings, dass die Anwendung von Datenbankanalysen im Produktionsbereich zur Ableitung angemessener Gewinnaufschläge bei Lohnfertigern nicht unproblematisch ist.2 Die Anwendung entsprechender Datenbankstudien hat sich dennoch zum Standard in der Verrechnungspreispraxis entwickelt, weil andere Datengrundlagen häufig fehlen. Dennoch ist bei den Vergleichswerten der Datenbankstudien häufig nur von einer eingeschränkten Vergleichbarkeit auszugehen, da regelmäßig nicht eruiert werden kann, in welchen Fällen es sich um reine Lohnfertigungsfälle (in Abgrenzung zu Auftrags- bzw. Eigenfertigungsfällen) handelt, bei denen der Auftraggeber die (im-)materiellen Wirtschaftsgüter beistellt und den Lohnfertiger risikolos stellt.
6.42
Angemessene Eigenkapitalrendite. Ein anderer Vorschlag geht dahin, den Gewinnaufschlag so zu bemessen, dass durch den Lohnfertiger mindestens eine Eigenkapitalrendite in Höhe der Kapitalmarktrendite erwirtschaftet wird.3 Die Ableitung eines angemessenen Gewinnaufschlags aus der Eigenkapitalrendite beruht auf der Überlegung, dass fremde Dritte eine unternehmerische Funktion nur dann ausüben würden, wenn die erzielbaren Erträge langfristig eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals gewährleisten. Allerdings kommt die Kapitalmarktrendite nur als Untergrenze der Eigenkapitalrendite in Frage, da eine Kapitalmarktanlage (z.B. Anleihe oder Festgeld) gegenüber einer Investition in einem Unternehmen ein wesentlich geringeres Kapitalausfallrisiko aufweist. Im Übrigen können durch die Verwendung einer Eigenkapitalrendite ggf. bestehende Standortvorteile des ausländischen Lohnfertigers nicht im Rahmen des Gewinnaufschlags berücksichtigt werden (Rz. 6.36). Vor diesem Hintergrund wird in der Verrechnungspreispraxis die Ermittlung des Gewinnaufschlags auf Basis einer angemessenen Kapitalmarktrendite häufig nur zu Verprobungszwecken herangezogen. Denn hierzu muss in etwa abgewogen werden, dass das Risiko der Investition in den Kapitalmarkt in etwa vergleichbar mit der Investition in den Lohnfertiger wäre. Unter der Voraussetzung, dass beide Investitionen einem gleichen Risikoprofil unterliegen, weil bspw. auch der Lohnfertiger vertraglich entsprechend risikofrei gestellt wird, wäre ein entsprechender Vergleich sachgerecht.
6.43
Auffassung der Finanzverwaltung. In der Verrechnungspreispraxis akzeptiert die deutsche Finanzverwaltung im Rahmen der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bei Lohnfertigern häufig lediglich Gewinnaufschläge i.H.v. bis zu 5 bis 10 % auf die Selbstkosten (d.h. die
6.44
1 Vgl. zum Einsatz von Datenbanken auch Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34; Tucha, IStR 2002, 175; Rehkugler/Vögele, BB 2002, 1937. 2 Krit. auch Kolb, IWB F. 3 Gr. 1, 2391 ff.; Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 160. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 – 12/04, BStBl. I 2004, 270; Scholz, IStR 2004, 209.
Ditz/Kluge | 499
Kap. 6 Rz. 6.44 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nach den Grundsätzen der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung ermittelten Vollkosten), wobei auch diese Bandbreite eher auf älteren Erfahrungen beruht, die in entsprechenden Literaturquellen wiedergegeben sind.1 Diese Bandbreite von Gewinnaufschlägen ist indessen angesichts der möglichen Ausprägungsformen von Lohnfertigungsverhältnissen zu unflexibel und zu eng bemessen. Je mehr Funktionen vom Lohnfertiger wahrgenommen werden, je mehr wirtschaftliche Risiken er übernimmt und je höher seine eingesetzten Mittel sind, desto höher muss auch seine Marge sein. Seine Wertschöpfungsquote muss sich letztlich in dem ihm unter Fremdvergleichsgesichtspunkten zuzugestehenden Gewinn – gleich nach welcher Methode der Verrechnungspreis ermittelt wird – widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund können selbstverständlich auch Gewinnaufschläge von mehr als 10 % Anwendung finden.2 Besonders funktions- und risikoarme Gesellschaften könnten unter Fremdvergleichsgesichtspunkten aber auch niedriger zu vergüten sein. Daher kann es sich bei der von der Finanzverwaltung vorgesehenen Richtgröße eines Gewinnaufschlags i.H.v. 5 bis 10 % allenfalls um einen rein pragmatischen Ansatz handeln. Insofern ist bei der Festlegung des Gewinnaufschlags immer den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen, d.h. es sind insbesondere die von dem Lohnfertiger ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Produktionsmittel zu berücksichtigen. Ferner ist zu prüfen, ob über den Gewinnaufschlag dem Lohnfertiger Anteile an den Standortvorteilen zuzuordnen sind (Rz. 6.36).
3. Anlaufverluste des Lohnfertigers 6.45
Übernahme von Anlaufverlusten durch den Auftraggeber. Nach Tz. 3.5 VWG 19833 waren sog. „Anlaufkosten“ grundsätzlich von der neu gegründeten Gesellschaft zu tragen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob diese in den VWG VP 2021 nicht mehr enthaltene Sichtweise der Finanzverwaltung auch auf verbundene Lohnfertigungsunternehmen anzuwenden ist. Zwar entstehen einem Lohnfertiger auf Grund seines eingeschränkten unternehmerischen Funktions- und Risikoprofils i.d.R. keine besonderen Kosten des Aufbaus einer Innenbzw. Außenorganisation. Allerdings erwachsen Lohnfertigern nicht selten auf Grund anfänglich geringer Stückzahlen und folglich einer geringen Auslastung produktionsbezogene Anlaufkosten in Gestalt sog. Leerkosten, die häufig zu Anlaufverlusten führen können. Tz. 3.5 VWG 1983 war u.E. auf solche Anlaufverluste des Lohnfertigers nicht anzuwenden. Denn dieser Regelung lag offensichtlich der Gedanke eines vollumfänglich ausgestatteten, d.h. mit eigenen Marktchancen und -risiken versehenen Eigenproduzenten zugrunde. Bei einem Lohnfertiger handelt es sich dagegen um ein Routineunternehmen mit geringen unternehmerischen Risiken. Die Regelung der Tz. 3.5 VWG 1983 sollte daher nicht auf Fälle der Lohnfertigung angewendet werden, sondern nur auf den umgekehrten Fall des Eigenproduzenten. Ist daher ein verbundenes Produktionsunternehmen als Lohnfertiger zu qualifizieren, sind die bei ihm entstehenden Anlaufverluste grundsätzlich vom Auftraggeber zu tragen.4 Diese Würdigung
1 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 327; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99 – Betriebsstätten-VWG, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1.2; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWGUmlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.7. 2 So auch Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 317. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.5 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 327; Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen4, Rz. 4.348; Baumhoff in FS Krawitz, 31; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 105; Ditz/Just, DB 2009, 142.
500 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.47 Kap. 6
wird auch durch die OECD-Leitlinien1 gestützt. Zwar werden Anlaufkosten von den OECDLeitlinien nur sehr knapp angesprochen, zur Behandlung der Anlaufkosten im Rahmen der TNMM nehmen die OECD-Leitlinien jedoch kurz Stellung. Bei Anwendung der TNMM sei jeweils im Einzelfall zu entscheiden, ob die Anlaufkosten in die Bestimmung des Nettogewinnindikators einzubeziehen seien oder nicht. Dabei sei sowohl denkbar, dass die Gesellschaft die Anlaufkosten trage, die die Funktion ausübe, als auch, dass ein Teil der Kosten oder sämtliche Kosten mit oder ohne Kostenaufschlag in Rechnung gestellt würden. Maßgeblich sei insoweit, wie unabhängige Unternehmen verfahren würden. Übertragen auf Lohnfertiger wird somit die Kostentragung durch den Auftraggeber bestätigt, denn auch zwischen fremden Dritten würden diese Kosten dem Auftraggeber zugeordnet werden. Dies folgte auch aus den VWG-Verfahren, wonach einem Lohnfertiger als Routineunternehmen „bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“2 zuzuordnen sind. Würde der Lohnfertiger hingegen solche Anlaufverluste tragen, wäre es ihm ggf. nicht möglich, über die Totalperiode einen Gewinn auszuweisen. Ihm würde somit die Möglichkeit genommen, kurz- und mittelfristig einen angemessenen Lohnfertigergewinn zu erzielen.3 Diese Grundsätze gelten prinzipiell auch in Bezug auf Schließungskosten sowie in Zeiten eines konjunkturellen Nachfrage- oder Preisrückgangs (z.B. Wirtschaftskrise), wobei hier allerdings ein temporärer Gewinnverzicht prinzipiell denkbar ist.4 Implikationen des BFH-Urteils v. 17.10.2001. Die Zuordnung von Anlaufverlusten in Lohnfertigungsverhältnissen zum Auftraggeber kann im Übrigen auch aus der Rspr. des BFH zur Nichtanerkennung von nachhaltigen Verlustsituationen bei Vertriebsgesellschaften abgeleitet werden. So hat der BFH mit Urteil v. 17.10.2001 entschieden, dass eine Vertriebsgesellschaft „innerhalb eines überschaubaren Kalkulationszeitraums mit einem angemessenen Totalgewinn rechnen“5 muss. Zwar wurde dieser Grundsatz zu als Eigenhändler organisierten Vertriebsgesellschaften judiziert. Bei Lohnfertigungsverhältnissen kann indessen nichts anderes gelten, weil auch der Lohnfertiger – vergleichbar zur Vertriebsgesellschaft des Sachverhalts v. 17.10.2001 – als Routineunternehmen zu qualifizieren ist. Im Produktionsbereich kann daher für funktions- und risikoschwache Unternehmen nichts anderes gelten als im Vertriebsbereich. Denn auch der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter eines Lohnfertigers würde auf Dauer keine Produkte in einer Lohnfertigung herstellen, wenn er aus seiner Tätigkeit keinen angemessenen Totalgewinn erzielen kann. Verlustphasen des Lohnfertigers dürfen im Übrigen auch nicht dazu führen, dass ihm die von ihm erwirtschafteten Standortvorteile „genommen“ werden (Rz. 6.36).
6.46
4. Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenproduzenten Eigenproduzent als Strategieträger. Im Gegensatz zum Lohnfertiger hat der Eigenproduzent die volle Dispositionsbefugnis über die Produktion inne (Rz. 6.28). In der Regel ist er daher auch als „Entrepreneur“ bzw. „Strategieträger“ in Bezug auf das entsprechende Produkt bzw.
1 Tz. 2.91 OECD-Leitlinien 2022. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021); Bollermann/Crößmann/Hörner, IWB 2019, 621. 3 Auch nach Ansicht von Schreiber in Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, 316, ist dem Lohnfertiger „regelmäßig ein – wenn auch geringer – Gewinn (Funktionsnutzen) zuzuweisen.“ Siehe ferner Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 327. 4 Vgl. Baumhoff in FS Krawitz, 32 f. 5 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 170 = FR 2002, 154.
Ditz/Kluge | 501
6.47
Kap. 6 Rz. 6.47 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
die entsprechende Produktgruppe anzusehen.1 Der Strategieträger ist dadurch gekennzeichnet, dass er im Hinblick auf die entsprechenden Produkte bzw. die entsprechende Produktgruppe die betriebswirtschaftlich wesentlichen Entscheidungen trifft, über die zur Herstellung und den Vertrieb der entsprechenden Produkte notwendigen immateriellen Wirtschaftsgüter verfügt (insbesondere Patente, Know-how, Marken und Kundenstamm) und die wesentlichen Markt-, Preis- und Absatzrisiken trägt (Rz. 6.28).2 Folge der Einordnung des Eigenproduzenten als „Entrepreneur“ bzw. „Strategieträger“ ist, dass ihm der konzerninterne Residualgewinn bzw. -verlust zuzuordnen ist. Die Zuordnung eines geringen Standardgewinnes – wie beim Lohnfertiger – ist insoweit nicht möglich.
6.48
Methodenwahl bei Eigenproduzenten. Liefert ein verbundenes Produktionsunternehmen an einen Eigenproduzenten, spricht vieles dafür, dass dieses als Lohn- bzw. Auftragsfertiger oder als Mittelunternehmen zu qualifizieren ist. In diesem Fall sind die entsprechenden Verrechnungspreise vorrangig nach der Preisvergleichsmethode und, falls diese nicht angewendet werden kann, nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln (Rz. 6.32). Liefert der Eigenproduzent an verbundene Vertriebsgesellschaften, welche die Produkte am Markt vertreiben, bietet sich zur Ermittlung der Verrechnungspreise hingegen die Wiederverkaufspreismethode (Rz. 6.57) oder die TNMM (Rz. 6.59) an. Insofern ist bei einem Eigenproduzenten die Methodenwahl nicht auf die Kostenaufschlagsmethode beschränkt, sondern es kommen primär die Preisvergleichs- und die Wiederverkaufspreismethode bzw. die TNMM zur Anwendung. Werden dem Eigenproduzenten für dessen Produktion von einem anderen verbundenen Unternehmen materielle oder immaterielle Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlassen, ist hierfür nach Maßgabe des Fremdvergleichs ein Kaufpreis (bei Kauf bzw. Übertragung) bzw. eine Lizenzgebühr oder Miete (bei Nutzungsüberlassung) zu verrechnen.
III. Lieferungen an Vertriebsgesellschaften 1. Funktionsanalyse im Rahmen des Vertriebs 6.49
Grundformen des Vertriebs. Für die Wahrnehmung von Vertriebsfunktionen3 kommen grundsätzlich die folgenden Formen in Betracht (Rz. 4.25):4 – Eigenhändler (Vertrieb im eigenen Namen und auf eigene Rechnung), – Kommissionär (Vertrieb im eigenen Namen und auf fremde Rechnung), – Handelsvertreter (Tätigkeit im fremden Namen und auf fremde Rechnung).
6.50
Eigenhändler als „Fully-fledged Distributor“. Der Eigenhändler übt im Grundmodell die volle Vertriebsfunktion aus (sog. „Fully-fledged Distributor“). Dabei erwirbt er von dem konzerninternen oder -externen Lieferanten (z.B. verbundene Produktionsgesellschaft) das Eigentum an der Ware und verkauft diese im eigenen Namen und auf eigene Rechnung an seine 1 Vgl. dazu BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021); Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 107 f. 2 Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2 „Strategieträger“; Baumhoff, IStR 2003, 4; Baumhoff in FS Krawitz, 28 f. 3 Zur Gewinnabgrenzung im Rahmen des Vertriebs über das Internet vgl. Pinkernell/Ditz, FR 2001, 1271; Ditz, IStR 2002, 210. 4 Vgl. Prinz, FR 1997, 519; Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 560; VWG FVerl, VWG FVerl Rz. 210 ff.; Freudenberg/Stein/Weskamp, Ubg 2016, 603.
502 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.52 Kap. 6
Kunden. Damit trägt er sowohl die Lager- und Absatzrisiken des Vertriebs als auch das Risiko des zufälligen Untergangs des Produktes vor dem Verkauf der Ware.1 Ferner verfügt er über weitgehende Dispositionsbefugnisse hinsichtlich der Ausgestaltung seiner Vertriebspolitik. Diese betreffen bspw. die Bestimmung der Preispolitik, die Auswahl von lokalen Vertriebspartnern sowie die Durchführung eigener Werbekampagnen bzw. eigener Marktforschung. Die durch den Eigenhändler übernommenen Risiken korrespondieren i.d.R. mit den durch ihn ausgeübten Funktionen.2 So ist davon auszugehen, dass er neben den Vorrats-, Gewährleistungs- und Auslastungsrisiken des Vertriebs auch das Forderungsausfallrisiko sowie das Risiko fehlgeschlagener Geschäftsstrategien zu verantworten hat. Ein wesentliches Risiko des Eigenhändlers ist dabei das Risiko zurückgehender Umsätze, die bei gleichbleibenden Fixkosten zu Verlustrisiken führen können.
Eigenhändler als „Low-Risk-Distributor“. Neben dem in vorstehender Rz. 6.50 dargestellten „Fully-fledged Distributor“ existiert mit dem „Low-Risk-Distributor“ ein weiteres Eigenhändlermodell. Diese Variante des Eigenhändlermodells unterscheidet sich hinsichtlich des Umfangs der vom Eigenhändler übernommen Funktionen und Risiken, wobei der Funktions- und Risikoumfang des „Low-Risk-Distributor“ wesentlich geringer ist als der des „Fully-fledged Distributor“.3 Der „Low-Risk-Distributor“ ist dadurch gekennzeichnet, dass er nur geringe vertriebstypische Funktionen ausübt (neben der Akquisition und Auftragsbearbeitung erfolgt z.B. keine Lagerhaltung, keine Warenverteilung, kein Kundendienst, keine Marktforschung und kein Marketing; ferner fehlt die Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Preispolitik) und folglich auch über keine wesentlichen unternehmerischen Risiken verfügt. Darüber hinaus ist er häufig nicht Eigentümer des Kundenstamms und folglich als sog. Routineunternehmen einzustufen (Rz. 4.63 f.)4. Einzelheiten des Funktions- und Risikoprofils der unterschiedlichen Ausprägungsformen des Eigenhändlermodells werden tabellarisch in Rz. 6.54 dargestellt.
6.51
Kommissionär. Im Gegensatz zum Eigenhändler wird der Kommissionär5 nach dem gesetzlichen Grundmodell des § 383 HGB kein Eigentümer der Kommissionsgüter.6 Vom Eigenhändler unterscheidet sich der Kommissionär infolgedessen in seinem reduzierten Funktionsumfang. Dieser resultiert insbesondere daraus, dass der Kommissionär zwar nach außen im eigenen Namen auftritt, im Innenverhältnis jedoch auf Rechnung des Prinzipals tätig wird. Vor diesem Hintergrund beschränkt sich der Funktionsumfang des Kommissionärs auf die Akquisition der Kunden, die Auftragsbearbeitung sowie ggf. auf die Durchführung des Kundendienstes, der regionalen Werbung und des Inkassos. Letztlich trägt er damit im Vergleich zum Eigenhändler (verstanden als „Fully-fledged Distributor“) ein geringeres Vertriebsrisiko, so dass ihm ein entsprechend geringerer Vertriebsgewinn zusteht. Mithin ist damit der Kommissionär als Routineunternehmen zu qualifizieren.7 Der Kommissionär begründete bislang keine Vertreterbetriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA. Dies führte laut der OECD bzw. den G20-Staaten zu speziell aufgesetzten Kommissionärsstrukturen zur Vermeidung von
6.52
1 Vgl. auch Wassermeyer in FS Schaumburg, 972 f. 2 Siehe zu dieser Implikation auch Tz. 1.58 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. US Transfer Pricing Guidelines, Rz. 2530.20; Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 560 f.; Fiehler, IStR 2007, 464 (465 f.). 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1552 f.). 5 Zur Funktionsabschmelzung von einem Eigenhändler auf einen Kommissionär vgl. Baumhoff in Schaumburg/Piltz, Internationale Einkünfteabgrenzung, 101 f.; Ditz in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 163 ff.; Kroppen, IWB F. 3 Gr. 2, 745 ff. 6 Vgl. Wassermeyer in FS Schaumburg, 973. 7 Vgl. Bär/Hollmann, ISR 2015, 180.
Ditz/Kluge | 503
Kap. 6 Rz. 6.52 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Betriebsstätten und damit einhergehend zu Gewinnverlagerungen.1 Daher wurde Art. 5 OECD-MA entsprechend überarbeitet. Nunmehr reicht es für die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte aus, wenn eine Person „gewöhnlich Verträge schließt oder gewöhnlich die führende Rolle beim Abschluss von Verträgen einnimmt, die regelmäßig ohne weitere wesentliche Änderung durch das Unternehmen [den Kommittenten] geschlossen werden“ und diese Verträge die „Übertragung des Eigentums an oder zur Gewährung des Nutzungsrechts für Vermögen“ des Kommittenten oder die „Erbringung von Dienstleistungen“ durch den Kommittenten zum Gegenstand haben.2 Gleichwohl ist im Einzelfall zu prüfen, inwiefern die entsprechenden Änderungen im einschlägigen DBA bereits umgesetzt wurden.
6.53
Handelsvertreter. Als Handelsvertreter ist nach seiner gesetzlichen Definition gem. § 84 Abs. 1 HGB derjenige zu verstehen, der als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Er agiert somit sowohl in fremdem Namen als auch für fremde Rechnung. Im Ergebnis erbringt der Handelsvertreter eine Vermittlungsleistung und wird nicht Vertragspartei des zwischen seinem Prinzipal und dem Endkunden zustande kommenden Vertrags. Im Rahmen der Ausübung der Vertriebsfunktion ist damit der Handelsvertreter die funktionsschwächste und risikoärmste Alternative, da er neben der Akquisition von Kunden und der Auftragsbearbeitung keine zusätzlichen Funktionen ausübt. Der Handelsvertreter kann u.U. eine Vertreterbetriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA seines Prinzipals begründen.3
6.54
Tabellarische Zusammenfassung der Funktions- und Risikoanalyse im Vertriebsbereich. Die von einer Vertriebsgesellschaft in dem jeweiligen Vertriebsmodell wahrgenommenen Funktionen und Risiken lassen sich tabellarisch wie folgt zusammenfassen:4 Fully-fledged Distributor
Low-RiskDistributor
Kommissionär
Handelsvertreter
Akquisition
+
+
+
+
Auftragsbearbeitung
+
+
+
+
Lagerhaltung
+
+/–
–
–
Warenverteilung
+
+/–
–
–
Preispolitik
+
+/–
–
–
Kundendienst
+
+/–
+/–
+/–
Inkasso
+
+
+/–
–
Marktforschung
+
–
–
–
Marketing
+
–
–
–
Werbung
+
+/–
+
+
Auswahl von lokalen Vertriebspartnern
+
–
–
–
1 OECD/G20, Base Erosion and Profit Shifting Project – Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, 15. 2 Dazu ausführlich Bendlinger, IStR 2016, 914; Puls in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 2.219 ff. 3 Ausführlich zur Vertreterbetriebsstätte Puls in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 2.204 ff. 4 Vgl. Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 560 f.
504 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.56 Kap. 6 Vorratsrisiko
+
–
–
–
Gewährleistungsrisiko
+
–
–
–
Kreditrisiko
+
+/–
+/–
–
Wechselkursrisiko
+/–
+/–
–
–
Auslastungsrisiko
+
+/–
+
+
Risiko fehlgeschlagener Geschäftsstrategien (z.B. Markteroberung)
+
–
–
–
2. Ermittlung von Verrechnungspreisen a) Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenhändler Allgemeine Grundsätze. Der Eigenhändler erwirbt grundsätzlich Eigentum an den von ihm vertriebenen Produkten.1 Als (Roh-)Ergebnis steht ihm die gesamte Differenz zwischen seinem Einkaufs- und seinem Verkaufspreis zu. Der Verrechnungspreis wird im Falle des Eigenhändlermodells nach der Preisvergleichsmethode unter Berücksichtigung der Handelsstufe, nach der Wiederverkaufspreismethode oder nach der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode, d.h. TNMM (Rz. 5.92), ermittelt. Die Höhe der angemessenen EBIT-Marge des Eigenhändlers ist dabei vom Umfang der von ihm übernommenen Funktionen und Risiken sowie von weiteren Faktoren (z.B. Existenz von Hersteller- oder Handelsmarken, Marktverhältnisse im lokalen Markt, Kostensituation der Vertriebsgesellschaft, Vertriebsbedingungen) abhängig. Im Vergleich zum Kommissionär und zum Handelsvertreter erzielt der Eigenhändler auf Grund seines größeren Funktions- und Risikoumfangs tendenziell auch ein höheres Ergebnis. Dabei ist allerdings zwischen dem „Fully-fledged Distributor“ und dem „Low-RiskDistributor“ zu unterscheiden: Da der „Fully-fledged Distributor“ über ein wesentlich höheres Funktions- und Risikoprofil verfügt als der „Low-Risk-Distributor“, ist ihm eine entsprechend höhere EBIT-Marge zuzuordnen (Rz. 6.60).
6.55
Vorrang der Preisvergleichsmethode. Aus der Begründung zum BFH-Urteil v. 6.4.20052 wird deutlich, dass der BFH im Rahmen der Ermittlung von Verrechnungspreisen für Lieferungen an Vertriebsgesellschaften die Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff.) präferiert. Dies entspricht im Übrigen dem Stufenverhältnis des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F., wonach der tatsächliche Fremdvergleich vorrangig gegenüber dem hypothetischen Fremdvergleich anzuwenden ist (Rz. 3.155).3 Dies sollte u.E. auch nach der neuen Regelung in § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG gelten, wenn entsprechende Preisvergleichsdaten ermittelbar sind. Die Anwendung der Preisvergleichsmethode kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn die zwischen fremden Dritten identifizierten Preise unter vergleichbaren Bedingungen zustande gekommen sind. Dabei ist jedoch fraglich, ob die Anforderung der Vergleichbarkeit – wie durch den BFH im Urteil v. 6.4.2005 postuliert – so weit gehen kann, dass die Preise „auf zumindest im Wesentlichen identischen Leistungsbeziehungen beruhen“ müssen.4 Mit der Forderung nach einer Identität der
6.56
1 Insoweit besteht im Eigenhändlermodell kein Risiko, dass die Vertriebsgesellschaft eine Vertreterbetriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA des Lieferanten begründet, vgl. Prinz, FR 1997, 520. 2 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030; Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2005, 592. 3 Vgl. zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1462. 4 BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030.
Ditz/Kluge | 505
Kap. 6 Rz. 6.56 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Leistungsbeziehungen werden zu hohe Anforderungen an die Vergleichbarkeit der Verhältnisse gestellt. Vergleichbarkeit bedeutet nämlich keine Identität, also Deckungsgleichheit der Verhältnisse.1 Vielmehr ist Vergleichbarkeit bereits dann gegeben, wenn die Vergleichsobjekte ähnlich in Bezug auf ihre wesentlichen Merkmale sind (Rz. 3.12). Auch die Finanzverwaltung forderte bislang keine uneingeschränkte Vergleichbarkeit, vielmehr reicht unter bestimmten Umständen auch eine eingeschränkte Vergleichbarkeit.2 Auch wenn diese Unterscheidung sich im aktuellen BMF-Schreiben nicht mehr findet, lässt sich wohl auch aus der neuen Regelung in § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG herauslesen, dass keine Identität der Leistungsbeziehungen notwendig ist. Vielmehr muss eine Vergleichbarkeit durch Anpassungen hergestellt werden können. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der BFH in seinem Urteil v. 6.4.2005 auch die Ertragssituation der Vertriebsgesellschaft als Vergleichbarkeitskriterium bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen gegenüber Vertriebsgesellschaften ansieht.3 Unter Zugrundelegung dieser Überlegungen ist die Preisvergleichsmethode gegenüber Vertriebsgesellschaften dann nicht anwendbar, wenn sich entweder im Rahmen eines inneren oder eines äußeren Preisvergleichs die Ertrags- und Renditesituationen der zu vergleichenden Vertriebsgesellschaften unterscheiden. Bei diesem Kriterium ergeben sich in der Verrechnungspreispraxis allerdings regelmäßig erhebliche Probleme bei der Umsetzung. So muss insbesondere bekannt sein, wie hoch die produktbezogenen Gewinne bei den zum Vergleich herangezogenen Vertriebsgesellschaften ausfallen. Solche Informationen liegen allerdings nur im Ausnahmefall durch Datenbank- oder Jahresabschlussanalysen vor. Vor diesem Hintergrund kommt der Preisvergleichsmethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen bei als Eigenhändler organisierten Vertriebsgesellschaften nur eine sehr untergeordnete Bedeutung zu.
6.57
Wiederverkaufspreismethode als Regelmethode. Soweit die Anwendungsvoraussetzungen der Preisvergleichsmethode nicht erfüllt sind, ist nach der Rspr. des BFH der Verrechnungspreis für Lieferungen an als Eigenhändler organisierte Vertriebsgesellschaften „regelmäßig“ nach der Wiederverkaufspreismethode zu ermitteln (vgl. grds. zur Wiederverkaufspreismethode Rz. 5.15 ff.).4 Im Rahmen seines Urteils v. 17.10.2001 hat der BFH detailliert zur Anwendung der Wiederverkaufspreismethode Stellung genommen. Danach ist in diesem Zusammenhang Folgendes zu beachten:5 – Im Rahmen der Wiederverkaufspreismethode ist die Handelsspanne idealerweise durch einen tatsächlichen Fremdvergleich zu bestimmen. – Ein interner Fremdvergleich ist zur Bestimmung der Handelsspanne nur dann anzuerkennen, wenn die zu vergleichenden Geschäftsbeziehungen einen vergleichbaren Umfang annehmen.6 – Ein externer Fremdvergleich kann zur Ermittlung der Handelsspanne auch mit Hilfe von Datenbanken erfolgen. Weichen die von den Vergleichsunternehmen übernommenen Funktionen und Risiken von dem Funktions- und Risikoprofil der verbundenen Vertriebs1 Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 67. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.7 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021); Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1555 f.). 3 Vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, dazu Baumhoff, IStR 2001, 751 ff.; Kuckhoff/Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 863 ff.; Kaminski/Strunk, IWB F. 3 Gr. 1, 1831 ff.; Kroppen/Rasch/Roeder, IWB F. 3 Gr. 1, 1787; Wassermeyer, DB 2001, 2465 ff.; Wassermeyer, WPg 2001, 13 ff.; Wehnert/Stalberg, IStR 2002, 141 ff. 6 Vgl. dazu auch BMF v. 26.2.2004 – IV B 4 - S 1300 – 12/04, BStBl. I 2004, 270.
506 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.58 Kap. 6
gesellschaft ab, können diese Abweichungen evtl. durch Anpassungsrechnungen berücksichtigt werden. Die Anpassungsrechnungen dürfen allerdings nicht nur dem Grunde nach begründet und der Höhe nach „griffweise geschätzt“ werden; sie sind vielmehr auch der Höhe nach nachvollziehbar zu begründen. – Die Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft kann auch mittels eines hypothetischen Fremdvergleichs im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden. Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode soll in diesem Zusammenhang verhindern, dass die Vertriebsgesellschaft nachhaltig Verluste erwirtschaftet. – Eine unabhängige Vertriebsgesellschaft wird auf Dauer keine Produkte vertreiben, mit denen sie nur Verluste erzielt. Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung bei Vertriebsgesellschaften zwingend sicherzustellen, dass sie auf Dauer Gewinne erwirtschaften können. Die Verlustphase einer Vertriebsgesellschaft soll dabei – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalls – einen Zeitraum von drei Jahren nicht überschreiten. Ist dies dennoch der Fall, wird widerlegbar vermutet, dass gegenüber der Vertriebsgesellschaft unangemessene Verrechnungspreise verrechnet wurden. Insoweit wurde durch den BFH in seinem Urteil v. 17.10.20011 das sog. „Aquavit“-Urteil des BFH v. 17.2.19932 bestätigt. – Unter Berücksichtigung des hypothetischen Fremdvergleichs soll eine Vertriebsgesellschaft spätestens „innerhalb eines angemessenen kalkulatorischen Zeitraums“ einen „angemessenen Totalgewinn“ erzielen. Als entsprechender Zeitraum wird dabei in der Literatur eine Periode von fünf Jahren genannt.3 Diese „Verprobung“ kann sogar dazu führen, dass der tatsächliche Fremdvergleich „obsolet“ wird bzw. nur noch der Bestimmung der Obergrenze der anzusetzenden Bandbreite angemessener Verrechnungspreise dienen kann. – Als Untergrenze der angemessenen Rendite einer Vertriebsgesellschaft soll eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitals der Vertriebsgesellschaft (einschließlich Zinseszinsen und Risikozuschlag) fungieren. – Für Zwecke von Verrechnungspreiskorrekturen ist die für den Steuerpflichtigen günstigere Ober- und Untergrenze der Bandbreite fremdüblicher Margen maßgeblich. Eine Rechtsgrundlage für eine Korrektur auf den Median oder den Mittelwert der Bandbreite existiert nicht. Vielmehr entspricht innerhalb der Bandbreite jeder Verrechnungspreis dem Fremdvergleich. Diese Grundsätze wurden indessen durch die Neufassung des § 1 Abs. 3 AStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 legislativ überholt.4 – Zwar ist das BFH-Urteil v. 17.10.2001 zur Frage der Verrechnungspreisermittlung von Lieferungen an eine inländische Vertriebsgesellschaft ergangen. Da allerdings die Argumentation lediglich auf einer Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes fußt, ist davon auszugehen, dass diese Grundsätze auch bei ausländischen Vertriebsgesellschaften anzuwenden sind. Anwendung der Kostenaufschlagsmethode in Ausnahmefällen. Wenngleich der BFH in seinem Urteil v. 17.10.20015 judiziert hat, dass Verrechnungspreise für Produktlieferungen an eine als Eigenhändler organisierte Vertriebsgesellschaft „regelmäßig“ anhand der Wiederverkaufspreismethode zu ermitteln sind, kann dies nicht bedeuten, dass nur die Wiederverkaufs1 2 3 4 5
Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457. Vgl. Wassermeyer, WPg 2002, 16. Vgl. zu Einzelheiten Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1462 f.). Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
Ditz/Kluge | 507
6.58
Kap. 6 Rz. 6.58 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
preismethode bei Vertriebsgesellschaften anzuwenden ist. Vielmehr ist auch denkbar, dass die Verrechnungspreise für Produktlieferungen an einen Eigenhändler anhand der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) ermittelt werden. Dies kann insbesondere in den Fällen in Betracht kommen, in denen die Produkt-, Preis- und Marktstrategie von der Vertriebsgesellschaft vorgegeben wird und die Produktionsgesellschaft – ähnlich einem Lohnfertiger – die Produkte nach den Vorgaben der Vertriebsgesellschaft herstellt. Bei einer solchen innerkonzernlichen Verteilung von Aufgaben, Verantwortungsbereichen und Entscheidungskompetenzen ist die Vertriebsgesellschaft als Strategieträger bzw. Entrepreneur zu qualifizieren, so dass die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode für die Bewertung von Lieferungen an die Vertriebsgesellschaft sachgerecht ist.1 Dies gilt auf Grund der Strategieträgerschaft der Vertriebsgesellschaft unabhängig davon, ob die (liefernde) Produktionsgesellschaft als Lohnfertiger oder als Eigenproduzent anzusehen ist. Dem größeren Funktionsumfang des Eigenproduzenten ist in diesem Fall bei der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode durch einen im Vergleich zum Lohnfertiger höheren Gewinnaufschlag Rechnung zu tragen.2 Im Übrigen kann die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für Produktlieferungen an Vertriebsgesellschaften dann zum Tragen kommen, wenn die Wiederverkaufspreismethode aus praktischen Gründen nicht anwendbar ist. Vertreibt etwa eine Vertriebsgesellschaft ihre (identischen) Produkte über verschiedene Vertriebskanäle zu sehr unterschiedlichen Preisen, lässt sich ein Wiederverkaufspreis gegebenenfalls nicht verlässlich ermitteln. Typischerweise bestehen solche „Unzulänglichkeiten“ bezogen auf den Anwendungsbereich der Wiederverkaufspreismethode in den Branchen der Medizintechnik und der Pharmaindustrie.3 Werden z.B. medizintechnische Produkte von der Vertriebsgesellschaft zu sehr unterschiedlichen Preisen an Apotheken, Krankenhäuser und im Großhandel vertrieben, ist die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode problematisch, da der Wiederverkaufspreis für das jeweilige Produkt nur schwerlich ermittelt werden kann. Auch in diesen Fällen ist eine Anwendung der Kostenaufschlagsmethode denkbar.
6.59
Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Nach ehemaliger Ansicht der Finanzverwaltung soll die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (Rz. 5.92 ff.) auf Unternehmen, die mehr als Routinefunktionen ausüben, jedoch nicht als Entrepreneur zu qualifizieren sind (sog. Mittelunternehmen), nicht anwendbar sein (Rz. 4.65 ff.).4 Auf welche Funktionen bzw. auf welchen Funktionsumfang sich die Mittelunternehmen indessen konkret erstrecken, ließ die Finanzverwaltung offen. Durch die Aufhebung der VWGVerfahren durch die VWG VP 2021 hat diese explizite Ablehnung nicht mehr Bestand. Vielmehr wäre nach § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG die TNMM der Wiederverkaufspreismethode sogar vorzuziehen, wenn sie den wirtschaftlichen Verhältnissen der Geschäftsbeziehung besser gerecht wird bzw. hierfür verlässlichere Fremdvergleichsdaten ermittelbar sind. Die insoweit überholte Auffassung der Finanzverwaltung war auch deshalb bedauerlich, als auch die Betriebswirtschaftslehre einen derartigen Unternehmenstyp – im Gegensatz zum Strategieträger (erfolgskritische Funktionen) und Routinefunktionen (nicht erfolgskritische
1 Vgl. auch Bodenmüller, Steuerplanung von Funktionsverlagerungen ins Ausland, 440 f.; Borstell in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung3, 535; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 111; Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 171 ff.; wohl a.A. Isensee, IStR 2001, 696. 2 So auch Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 441. 3 Vgl. hierzu etwa das Beispiel bei Bauer, DB 2008, 157. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Abs. 3 und 3.4.2010.2 Buchst. c.
508 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.59 Kap. 6
Funktionen)1 – nicht kennt. Aus dem Gesamtzusammenhang der Tz. 3.4.10.2 VWG-Verfahren2 ließ sich jedoch ableiten, dass die Finanzverwaltung insbesondere Vertriebsgesellschaften, die als Eigenhändler strukturiert sind und über einen für einen „Fully-fledged Distributor“ typischen Funktions- und Risikoumfang (Rz. 6.50) verfügen, als Mittelunternehmen ansehen will. Bei Mittelunternehmen waren nach damaliger Auffassung der Finanzverwaltung – soweit die Preisvergleichsmethode keine Anwendung finden kann – die Verrechnungspreise auf Grund von „Planrechnungen“ zu ermitteln.3 Eine Rechtsgrundlage für diese sehr einschränkende Vorgehensweise der Finanzverwaltung war indessen nicht ersichtlich. Zwar ist eine Ableitung von Verrechnungspreisen anhand von Planrechnungen in bestimmten Fällen sinnvoll (z.B. bei Anwendung der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode), jedoch fehlte es an einer Rechtsgrundlage, weshalb die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode nur bei Routine- und nicht auch bei Mittelunternehmen zur Anwendung kommen kann. Ähnliches galt auch für die in Tz. 3.4.12.6 VWG-Verfahren4 detailliert beschriebene Ermittlung von Verrechnungspreisen anhand von Planrechnungen. Danach konnte die Gewinnkomponente von Verrechnungspreisen u.a. auf Basis von „Renditeziffern funktional (zumindest eingeschränkt) vergleichbarer Unternehmen in dem betreffenden Geschäftsbereich“5 bestimmt werden. Dies lief de facto auf die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode hinaus, die gerade in Tz. 3.4.10.2 Buchst. c und 3.4.2010.3 Abs. 3 VWGVerfahren6 für Mittelunternehmen ausgeschlossen wurde.7 Letztlich blieb auf Grund dieses Widerspruchs offen, ob die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode bei als „Fully-fledged Distributor“ organisierten Vertriebsgesellschaften anwendbar war oder nicht. Diese Frage ist u.E. jedoch zu bejahen, da die Ermittlung von Gewinnmargen mittels der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode bei Vertriebsgesellschaften gängige Verrechnungspreispraxis ist. Zumal insbesondere in DBA-Fällen auch die BFH-Rechtsprechung8 gilt, wonach ein fremdüblicher Verrechnungspreis i.S.d. Art. 9 OECD-MA zu bestimmen ist und letztlich andere formale Aspekte (d.h. in diesem Fall die konkrete Berechnung) unbeachtlich bleiben. Wesentlich ist, dass ein fremdüblicher Verrechnungspreis bestimmt wurde. Dies kann auch mit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode erfolgen, wenn sie in den konkreten Umständen des Einzelfalls zu einem fremdüblichen Ergebnis führt. Die OECD hat mit den OECD-Leitlinien den Ausnahmestatus der transaktionsbezogenen Gewinnmethoden aufgegeben.9 Wenn die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode – wie für den vorgetragenen Sachverhalt10 – die geeignetste Methode darstellt („most appropriate method“ – „best method“), kommt sie zur Anwendung.11 1 Vgl. Klein, IStR 1995, 547. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. Buchst. c (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6. Buchst. b Abs. 4 1. Spiegelstrich (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Abs. 3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 Kritisch auch Dawid in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. II Rz. 2.58 Anm. 281 ff. 8 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046. 9 Vgl. Tz. 2.4 OECD-Leitlinien 2022. 10 Siehe ferner die modifizierten Beispiele in Tz. 2.111 ff. OECD-Leitlinien 2022. 11 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG; Tz. 2.2 und 2.62 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. zur Entwurfsfassung Kurzewitz, IWB 2010, 102; Rasch/Feistle, IWB 2009, 982; Dawid in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 2.58 Anm. 285.
Ditz/Kluge | 509
Kap. 6 Rz. 6.60 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
b) Verrechnungspreisermittlung bei einem Eigenhändler (Low-Risk-Distributor)
6.60
Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode als Regelmethode. Vertriebsgesellschaften, die als Low-Risk-Distributor organisiert sind, sind als sog. Routineunternehmen zu qualifizieren. Infolgedessen ist die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode in Low-Risk-Distributor-Modellen zulässig, wenn – etwa im Rahmen einer Datenbankstudie – entsprechende Fremdvergleichswerte ermittelbar sind (vgl. grds. zur geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode Rz. 5.92 ff.). In der Verrechnungspreispraxis ist die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode mittlerweile die Regelmethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen bei Low-Risk-Distributoren. Dies ist insofern sachgerecht, als der LowRisk-Distributor nur sehr geringe Markt- und Absatzrisiken trägt und i.d.R. über keine zur Leistungserbringung notwendigen wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter verfügt. Daher wird dem Low-Risk-Distributor über die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode eine relativ geringe, jedoch stabile Gewinnmarge zugeordnet.1 Zur Regelmethode hat sich die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode in diesem Fall entwickelt, weil durch betriebsexternen Fremdvergleich anhand von Benchmarking-Studien sehr häufig Fremdvergleichswerte ermittelt werden können. Sie ist der Wiederverkaufspreismethode in der Anwendung deshalb überlegen, weil die Datenbanken zwar häufig die Finanzdaten zur Berechnung von Nettoumsatzrenditen beinhalten, aber (deutlich) seltener die notwendigen Finanzdaten zur Berechnung einer Handelsspanne zur Anwendung der Wiederverkaufspreismethode.
6.61
Methodische Vorgehensweise der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode bei Vertriebsgesellschaften. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode werden die Verrechnungspreise für Lieferungen an die als Low-Risk-Distributor organisierte Vertriebsgesellschaft unter Berücksichtigung angemessener Nettomargen ermittelt. Nettomargen sind dabei zu verstehen als das betriebliche Ergebnis aus einer Transaktion (i.d.R. EBIT), das in Bezug zu einer geeigneten Größe (i.d.R. Umsatzerlöse) gesetzt wird. Für die Verrechnungspreisermittlung werden die anzusetzenden Nettomargen anhand der Nettomargen abgeleitet, die von unabhängigen Unternehmen mit vergleichbarem Funktions- und Risikoprofil bei vergleichbaren Geschäften ermittelt werden. Typischerweise geschieht dies mittels einer Datenbankstudie.2 Auf Basis des sich hieraus ergebenden Margenkorridors werden am Jahresbeginn vorläufige Verrechnungspreise festgesetzt. Sofern die – sich bei Anwendung der vorläufigen Verrechnungspreise ergebende – tatsächliche Rendite (i.d.R. EBIT/Umsatzerlöse) am Ende des Jahres außerhalb des Zielkorridors liegt, erfolgt eine nachträgliche Korrektur der Verrechnungspreise durch Ausgleichszahlungen (sog. „Adjustment-Payments“).3 Die Ausgleichszahlungen können dabei sowohl in Form von Erstattungen (tatsächliche Rendite des Low-Risk-Distributor liegt unterhalb des Zielkorridors) als auch in Form von Rückzahlungen (tatsächliche Rendite des Low-Risk-Distributors liegt oberhalb des Zielkorridors) geleistet werden. In der Verrechnungspreispraxis läuft dabei die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode bei einem Low-Risk-Distributor häufig auf eine modifizierte Anwendung der Wiederverkaufspreismethode hinaus. Der besondere Vorteil der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ist dabei darin zu sehen, dass diese Methode auf eine Nettomarge abstellt, die sich bspw. aus einer Datenbankstudie ableiten lässt. Anpassungsrech1 Vgl. Ditz in Raupach/Pohl/Ditz, Praxis des internationalen Steuerrechts 2010, 5. 2 Vgl. dazu Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134; Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 95; Oestreicher, StuW 2006, 243; Wahl/Preisser, IStR 2008, 51; krit. Kolb, IWB F. 3 Gr. 1, 2391. Zu einem Anwendungsbeispiel vgl. Ditz in Raupach/Pohl/Ditz, Praxis des internationalen Steuerrechts 2010, 1 ff. 3 Dagegen pragmatisch auf ex-post-Margen abstellend Dawid in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. II Rz. 2.68 Anm. 343.
510 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.62 Kap. 6
nungen in Bezug auf die Kostenbasis – wie sie bei der Wiederverkaufspreismethode i.d.R. erforderlich sind – müssen nicht durchgeführt werden. Ein weiterer Vorteil ist darin zu sehen, dass bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode eine Zusammenfassung einzelner Transaktionen erfolgen kann. Dies setzt indessen voraus, dass die einzelnen Geschäftsvorfälle wirtschaftlich vergleichbar sind und dass der Low-Risk-Distributor in Bezug auf die betrachteten Transaktionen gleichartige Funktionen ausübt. Diese sog. Palettenbetrachtung ist auch von der OECD anerkannt. So sieht Tz. 3.9 OECD-Leitlinien vor, dass Geschäfte, die eng miteinander verbunden sind oder eng aufeinander folgen, nicht auf Basis jedes einzelnen Geschäfts beurteilt werden müssen. Dies betrifft z.B. sog. „range of closely-linked products (e.g. in a product line)“.1 Derartige Geschäfte sollen unter Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode „gemeinsam“ beurteilt werden, so dass nicht jede einzelne Transaktion einem Fremdvergleich standhalten muss. Vielmehr ist sicherzustellen, dass für die betrachtete Produktpalette ein angemessener Gesamtpreis vereinbart wird. Auswirkungen von Verlustsituationen des Strategieträgers. Wenngleich dem Low-Risk-Distributor im Rahmen der Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode „regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“2 zuzuordnen sind, kann es bei Verlustsituationen des Strategieträgers notwendig sein, die Gewinnmarge des Low-Risk-Distributors (nach unten) zu korrigieren. Dies soll anhand des folgenden Beispiels dargestellt werden: Beispiel: Die in Frankreich ansässige F-S.A. stellt im Bereich der Automobil-Zulieferer-Industrie Lenksäulen her. Die Lenksäulen werden am Stammsitz der F-S.A. in Paris entwickelt, hergestellt und u.a. über die in Deutschland ansässige T-GmbH vertrieben. Der bereits im Jahr 2006 abgeschlossene Vertriebsvertrag sieht vor, dass die T-GmbH als Low-Risk-Distributor die von der F-S.A. hergestellten Lenksäulen an die deutschen Automobilhersteller vertreibt. Im Zusammenhang mit dem Vertrieb der Lenksäulen verfügt die T-GmbH über 20 Mitarbeiter, die die Vermarktung der Lenksäulen in Deutschland übernehmen und dabei insbesondere vor Ort bei den Automobilherstellern entwickeln und abstimmen. Ferner verfügt die T-GmbH über den für eine Vertriebsgesellschaft typischen Verwaltungsapparat (Auftragskalkulation und Abwicklung, Fakturierung, Rechnungswesen, Personal). Die Verrechnungspreise für die Lieferungen der Lenksäulen von der F-S.A. an die T-GmbH werden – wie im Vertriebsvertrag im Einzelnen geregelt – auf Basis der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode bestimmt. In diesem Zusammenhang wurde 2006 eine Datenbankanalyse durchgeführt, die im Hinblick auf die angemessene Vertriebsmarge der T-GmbH zu folgendem Ergebnis kam (Umsatzrendite auf EBIT-Basis): Obergrenze
12,8 %
2. Quartil
6,4 %
Median
5,3 %
1. Quartil
3,2 %
Untergrenze
1,6 %
Auf Grund der Wirtschaftskrise und des erheblichen Absatzeinbruchs in der Automobilindustrie erwartet die F-S.A. für 2009 einen Verlust i.H.v. mehr als 50 Mio Euro. Auch für das Wirtschaftsjahr 2010 wird mit keinem wesentlich besseren Ergebnis gerechnet. Vor diesem Hintergrund soll der TGmbH im Rahmen der Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode im Wirt-
1 Tz. 3.9 Bsp. c) OECD-Leitlinien 2022. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
Ditz/Kluge | 511
6.62
Kap. 6 Rz. 6.62 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch schaftsjahr – statt der im Vertrag vorgesehenen Nettorendite von 5,0 % – keine Nettorendite zugestanden werden. Durch eine – im Vertrag vorgesehene – Ausgleichszahlung an die F-S.A. soll vielmehr bei der T-GmbH für 2009 eine Nettorendite von 0 % ausgewiesen werden. Lösung: Die T-GmbH ist auf Grund ihres Funktions- und Risikoprofils als Routineunternehmen zu qualifizieren. Infolgedessen ist die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode grundsätzlich sachgerecht, zumal eingeschränkt vergleichbare Vergleichsunternehmen zur Ableitung einer Nettorendite im Rahmen einer Datenbankstudie ermittelt werden können.1 Die Verlustsituation der F-S.A. in 2009 kann indessen nicht ohne Auswirkungen auf die Nettomarge der T-GmbH sein. Denn auch fremde Dritte würden in Zeiten einer Absatz- und Wirtschaftskrise in Verhandlungen treten, um über die Preise neu zu verhandeln. Zwar wurde ein Vertriebsvertrag mit einer festen Nettomarge bis in das Jahr 2011 abgeschlossen. Allerdings sollte hier die (erhebliche) Verlustsituation bei der F-S.A. ein Grund sein, um die Gewinnmarge der T-GmbH für 2009 anzupassen. Dies war auch durch die VWG-Verfahren gedeckt: Denn in Tz. 3.4.10.2 Buchst. a VWG-Verfahren2 wurde davon gesprochen, dass Routineunternehmen „regelmäßig“ und „relativ“ stabile Gewinne zuzuordnen sind. Im Übrigen steht auch die schriftliche Fixierung einer Nettorendite von 5 % im Vertriebsvertrag einer Reduktion der Nettorendite auf Null nicht entgegen. Denn Art. 9 DBA Deutschland/Frankreich entfaltet eine Sperrwirkung gegenüber § 8 Abs. 3 KStG (vGA) in den Fällen, in denen die Einkünftekorrektur (hier: Nichtanerkennung der reduzierten Nettorendite von 0 % statt 5 %) nach nationalem Recht auf rein formale Beanstandungen gestützt wird.3 Im Ergebnis kann daher die Nettomarge der T-GmbH für 2009 auf 0 % reduziert werden. Im Rahmen einer schriftlichen Vereinbarung als Ergänzung zum bestehenden Vertriebsvertrag könnte daher mit der F-S.A. vereinbart werden, dass in der Zeit nach der Rezession bei entsprechend höheren Gewinnen der F-S.A. entsprechend höhere Nettomargen gezahlt werden (z.B. ab 2011). Dies würde zu einem interperiodischen Vorteilsausgleich führen, wie er auch von der Finanzverwaltung anerkannt wird.4 Die Anpassung der Nettomarge der T-GmbH kann im Übrigen auch dadurch gerechtfertigt werden, dass die in der Datenbankstudie aus 2005 verwendeten „Comparables“ in den Jahren der Wirtschaftskrise nicht vergleichbar sind.5 Denn die in der Datenbankanalyse zugrunde gelegten Wirtschaftsjahre waren durch andere Markt- und Wirtschaftsverhältnisse geprägt, als sie 2009 vorhanden waren. Vor diesen Hintergrund enthält die Datenbankanalyse von 2005 „Comparables“ mit zu hohen Nettorenditen, die – auf Grund anderer Markt- und Wirtschaftsverhältnisse – für das Jahr 2009 zur Ableitung einer angemessenen Nettomarge der T-GmbH nicht geeignet sind. Vor diesem Hintergrund ist denkbar, eine neue Datenbankanalyse durchzuführen, die eine Bandbreite von Nettomargen ermittelt, die von unabhängigen Vertriebsunternehmen in vergleichbaren Rezessionsperioden – z.B. in den Jahren 2000 und 2001 – erwirtschaftet wurden.6 Insoweit würde sichergestellt, dass für die Ermittlung (und spätere Überprüfung durch die Finanzverwaltung) der Margen für das Jahr 2009 nicht auf die Durchschnittswerte der Jahre 2003 bis 2005 zurückgegriffen wird; denn insoweit handelt es sich um Wachstumsjahre. Alternativ ist denkbar, Anpassungsrechnungen auf Basis der bestehenden Datenbankanalyse durchzuführen. Z.B. sind Anpassungsrechnungen im Hinblick auf die Berücksichtigung von Umsatzrückgängen und deren Auswirkungen auf die Nettomargen möglich.7 Darüber hinaus wäre denkbar, die Datenbankstudie um Verlustunternehmen, die üblicherweise aus den „Comparables“ herausgenommen werden, zu ergänzen. Schließlich sollte es auch möglich sein, die Datenbankstudie von dem üblichen Zeitrahmen von drei Jahren auf eine längere Periode auszuweiten, so dass auch Rezessionsphasen berücksichtigt werden.
1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549 (1551 ff.). 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz; FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/ 03, EFG 2008, 161 (rkr.); Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 20 f. m.w.N. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.28. 5 Vgl. auch Baumhoff in FS Krawitz, 38. 6 Vgl. auch Engler, IStR 2009, 687. 7 Zur Zulässigkeit von solchen Anpassungsrechnungen vgl. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG.
512 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.65 Kap. 6
c) Verrechnungspreisermittlung bei einem Kommissionär Kosten- oder umsatzbezogene Kommissionärsprovision. Der Kommissionär erwirbt im Gegensatz zum Eigenhändler kein Eigentum an den von ihm vertriebenen Produkten (zur Funktions- und Risikoanalyse vgl. Rz. 6.52 und 6.54). Vielmehr erbringt er gegenüber dem Kommittenten eine reine Dienstleistung in Form einer Vermittlungsleistung. Damit ist er gegenüber dem Eigenhändler in Form eines Fully-fledged Distributors wesentlich geringeren unternehmerischen Risiken ausgesetzt, da er z.B. kein Markt- und Absatzrisiko, kein Lager- und Transportrisiko und kein Forderungsausfallrisiko trägt. Dies spiegelt sich in der einem Kommissionär zuzuordnenden Gewinnmarge insoweit wider, als ihm als Routineunternehmen eine geringe, aber relativ stabile Marge zuzuordnen ist.
6.63
Provisionsbandbreiten. Die Vergütung für die (Vermittlungs-)Dienstleistung des Kommissionärs kann auf Basis einer umsatzabhängigen Kommission ermittelt werden.1 Dies läuft auf eine Anwendung der Preisvergleichsmethode hinaus, wobei die branchenabhängig zwischen fremden Dritten vereinbarten Kommissionärsprovisionen als Vergleichsmaßstab herangezogen werden können. In diesem Zusammenhang existieren keine allgemeingültigen Provisionssätze. In vielen Fällen erhält der Kommissionär allerdings eine Provision zwischen 3 % und 7 % vom Umsatz, wenn daneben kein Kostenersatz vereinbart wird. Bei einem zusätzlichen Kostenersatz kommt häufig eine Provisionsbandbreite zwischen 0,5 % und 5 % zur Anwendung. Da die Ermittlung angemessener Kommissionärsprovisionen in der Verrechnungspreispraxis – mangels Vergleichstransaktionen – auf Basis der Preisvergleichsmethode oftmals nicht möglich ist, kommt zur Ermittlung der Kommissionärsprovision häufig die Kostenaufschlagsmethode zur Anwendung. Dies ist insofern sachgerecht, als es sich bei der Kostenaufschlagsmethode um die Regelmethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für Dienstleistungen handelt und der Kommissionär eine vertriebsbezogene Dienstleistung erbringt (Kostenaufschlagsmethode bei Dienstleistungen Rz. 6.164 ff.). Da der Kommissionär lediglich eine Routinefunktion ausübt, wird in der Verrechnungspreispraxis in Kommissionärsfällen i.d.R. ein vergleichsweise niedriger Gewinnaufschlag angewandt.
6.64
d) Verrechnungspreisermittlung bei einem Handelsvertreter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode. Der Handelsvertreter erwirbt – wie der Kommissionär – kein Eigentum an den durch ihn vertriebenen Produkten. Vielmehr erbringt er eine (Vermittlungs-)Dienstleistung, indem er die Produkte des Prinzipals in dessen Namen und auf dessen Rechnung vertreibt. Infolge seines limitierten Funktions- und Risikoumfangs (Rz. 6.53 und 6.54) ist auch der Handelsvertreter als Routineunternehmen einzustufen. Über die Kostenaufschlagsmethode (Rz 5.39 ff.) wird ihm dabei ein weitgehend risikoloser Gewinn zugeordnet, der auf Grund des geringen Umfangs der vom Handelsvertreter übernommenen Funktionen und Risiken im Vergleich zur Handelsspanne des Eigenhändlers und zur Kommission des Kommissionärs am geringsten ist. Alternativ zur Anwendung der Kostenaufschlagsmethode kann eine umsatzabhängige Provision des Handelsvertreters auch auf Basis der Preisvergleichsmethode ermittelt werden. In der Verrechnungspreispraxis kommt allerdings der Anwendung der Preisvergleichsmethode in diesem Zusammenhang eine nur untergeordnete Bedeutung zu, da sich i.d.R. entsprechende branchenspezifische Handelsvertreterprovisionen am Markt nicht ermitteln lassen.
1 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, 87 f.; Isensee, IStR 2001, 695 f.
Ditz/Kluge | 513
6.65
Kap. 6 Rz. 6.66 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
3. Aufteilung von Markterschließungs-, Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten a) Begriffsabgrenzungen
6.66
Überblick. Die VWG 19831 enthielten noch besondere Ausführungen zu den Markterschließungs-, Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten. Auch wenn das BMF-Schreiben durch die VWG VP 2021 aufgehoben wurde2, so sollten die Grundsätze insofern weiter beachtet werden, wie sie auf ökonomischen Prinzipien beruhen und damit als preisbeeinflussend anzusehen sind. Die Erschließung, Ausweitungen und Verteidigungen von Absatzmärkten kann eine vorübergehende Verrechnungspreispolitik erforderlich machen, die sich von derjenigen bei „normalen“ Marktverhältnissen wesentlich unterscheidet. Solche „besonderen Wettbewerbssituationen“3 wurden grundsätzlich auch von der deutschen Finanzverwaltung anerkannt. Neben der Frage der Ermittlung angemessener Verrechnungspreise stellt sich im Rahmen der Markteinführung, Marktausweitung und Marktverteidigung insbesondere die Frage, durch welches verbundene Unternehmen (Produktions- oder Vertriebsgesellschaft) die im Zusammenhang mit diesen besonderen „Geschäftsstrategien“4 entstehenden Kosten zu tragen oder ob diese aufzuteilen sind. Die Finanzverwaltung widmete diesem Themenbereich in den VWG 1983 eigene Abschnitte „Kosten der Werbung“5, „Kosten der Markterschließung“6 und „Anlaufkosten“7, die in der Verrechnungspreispraxis von erheblicher Bedeutung sind. Bereits die Stellung dieser Regelungen der Finanzverwaltung in Tz. 3. VWG 1983 („Warenlieferungen und Dienstleistungen“)8 machte deutlich, dass sie nicht nur im Verhältnis zwischen Produktions- und Vertriebsunternehmen anzuwenden sind, sondern auch bei Handels- und Dienstleistungsunternehmen. Der Begriff „Produkt“ in Tz. 3.4.1. VWG 1983 war daher weit auszulegen.
6.67
Anlaufkosten. Tz. 3.5. VWG 19839 behandelte die Berücksichtigung von sog. „Anlaufkosten“. Anlaufkosten entstehen, wenn eine Gesellschaft neu gegründet oder eine bestehende Gesellschaft erweitert oder wesentlich umorganisiert wird. Es handelt sich dabei um die typischen Kosten einer Vertriebsgesellschaft, die durch Aufbau ihrer Vertriebstätigkeit verursacht werden (z.B. Aufbau eines Vertriebsaußendienstes, einer Auftragsabwicklung, eines Lagers, eines EDV-Systems, einer Verwaltung). Wird eine bestehende Gesellschaft erweitert oder umorganisiert, waren unter Anlaufkosten interne und externe Reorganisations- und Beratungskosten
1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 6.1. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.1.2.1. Nr. 6 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Tz. 1.114-118 OECD-Leitlinien 2022. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 6 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.5 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 8 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 9 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.5 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
514 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.68 Kap. 6
zu verstehen, wobei auch Sozialplankosten und Kosten für Unternehmensberater von den Anlaufkosten erfasst wurden. Die Anlaufkosten waren grundsätzlich Betriebsausgaben der Vertriebsgesellschaft, die aus ihrer Handelsspanne (verstanden als Rohgewinnmarge) zu decken sind. So vertrat auch die Finanzverwaltung die Auffassung, dass Anlaufkosten grundsätzlich von der neu gegründeten, erweiterten oder umorganisierten Gesellschaft zu tragen sind.1 Kosten der Markterschließung. Bei den Kosten der Markterschließung handelte es sich um Kosten, die im Zusammenhang mit der Einführung von Produkten in einem bislang nicht bearbeiteten Markt oder im Zusammenhang mit der Einführung neuer Produkte in bereits bestehenden Märkten entstehen. Zu diesen Kosten zählten etwa Kosten des Aufbaus eines Vertriebsaußendienstes (auch entsprechende Personalkosten), Kosten für eine bestimmte Werbekampagne, um allgemeine Marketing- und Promotionkosten oder sonstige Kosten (z.B. Kosten für den Aufbau eines Showrooms). Diese Kosten waren – im Gegensatz zu Anlaufkosten (Rz. 6.67) – nicht nur auf die Gründungsphase einer Gesellschaft beschränkt, sondern konnten jederzeit bei der Einführung neuer Produkte entstehen. Im Zusammenhang mit diesen Kosten stellte sich die Frage, ob sie auf Basis eines Fremdvergleichs nicht (ggf. teilweise) von der Produktionsgesellschaft zu tragen wären. Erhöhten sich z.B. auf Grund von Markterschließungsmaßnahmen einer Vertriebsgesellschaft – der Absatz einer Produktions- oder Zwischenhandelsgesellschaft, welche die Vertriebsgesellschaft beliefert, – die Lizenzeinnahmen einer Patent- bzw. Markenverwertungsgesellschaft oder – die Lizenzeinnahmen einer konzerninternen F&E-Gesellschaft,
so profitierten diese von den Markterschließungsnahmen der Vertriebsgesellschaft und waren folglich an den Markterschließungskosten der Vertriebsgesellschaft zu beteiligen. Dies galt insbesondere für den Fall, in dem die Vertriebsgesellschaft auf Betreiben der o.g. Gesellschaften Markterschließungsmaßnahmen durchführte und daher die entsprechenden Kosten auch von diesen Unternehmen zu verantworten waren. Würden die entsprechenden Kosten nicht durch die ebenfalls profitierende, liefernde Konzerngesellschaft (ggf. teilweise) getragen werden, wären die erhöhten Markterschließungskosten durch eine höhere Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft zu berücksichtigen. Letztlich hätte damit die liefernde Konzerngesellschaft über verminderte Verrechnungspreise für Produktlieferungen an die Vertriebsgesellschaft die Markterschließungskosten getragen. Dieser Grundsatz wird durch das Urteil des FG Hessen v. 17.10.19882 bestätigt. Danach muss eine Vertriebsgesellschaft vom Hersteller eine Hochgewinnspanne zugebilligt bekommen, „die die üblichen anfallenden Kosten deckt und zumindest einen bescheidenen Gewinn ermöglicht“.3 Dieser Grundsatz wird auch durch die Rspr. des BFH zur Ermittlung von Verrechnungspreisen bei Vertriebsgesellschaften untermauert.4
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.5 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. FG Hessen v. 17.10.1988 – IV 293/82, EFG 1989, 200. 3 Zu dieser Entscheidung kritisch Bellstedt, IWB 1989/12 F. 2, 429; Kroppen/Günkel, JbFSt 1995/ 1996, 194 ff. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; BFH v. 17.2.1993 – I R 3/ 92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030.
Ditz/Kluge | 515
6.68
Kap. 6 Rz. 6.69 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.69
Kosten der Marktausweitung und Marktverteidigung. Nach Tz. 3.4.3. VWG 19831 waren Kosten und Erlösminderungen, die dadurch entstehen, dass ein Vertriebsunternehmen durch Kampfpreise oder ähnliche Mittel seinen Marktanteil wesentlich erhöhen oder verteidigen will, grundsätzlich vom Hersteller zu tragen. Angesprochen waren insoweit Kosten für die Marktausweitung und -verteidigung, wobei die Finanzverwaltung insoweit offen ließ, was unter „Kampfpreise oder ähnliche Mittel“ zu verstehen ist. Der Begriff „Kampfpreis“ war weder rechtlich definiert, noch existierte dafür eine betriebswirtschaftliche Definition. Mit Borstell2 kann von Kampfpreisen dann gesprochen werden, wenn eine Vertriebsgesellschaft über eine Niedrigpreispolitik aggressiv ihren Marktanteil ausweiten oder verteidigen will. Dabei sollte die Gewährung üblicher Rabatte für das Vorliegen von Kampfpreisen nicht ausreichen. Ferner musste die entsprechende Preissenkung konkret auf eine Erhöhung des Marktanteils oder seine Verteidigung ausgerichtet sein, d.h. die Vertriebsgesellschaft musste ihre Niedrigpreispolitik am Markt aggressiv betreiben. Nach Ansicht der Finanzverwaltung konnten Kampfpreise immer nur dann vorliegen, wenn eine Vertriebsgesellschaft ihren Marktanteil „wesentlich erhöhen“ wollte. Eine Niedrigpreispolitik im Hinblick auf eine „übliche“ Erhöhung des Marktanteils war daher nach dem Wortlaut der Tz. 3.4.3. VWG 1983 von dem Begriff des „Kampfpreises“ nicht erfasst. U.E. sollte der Begriff des Kampfpreises für eine aggressive Niedrigpreispolitik stehen. Neben dem Begriff des Kampfpreises war auch der in Tz. 3.4.3. VWG 1983 verwandte Begriff der „ähnlichen Mittel“ zur Erhöhung des Marktanteils oder dessen Verteidigung völlig unklar. Letztlich waren darunter alle Maßnahmen, die nicht eine Niedrigpreispolitik sind, zu verstehen, um einen Marktanteil im Wesentlichen zu erhöhen oder zu verteidigen. Dies konnte z.B. folgende Maßnahmen betreffen:3 – kostenlose Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Lieferung von Produkten an die Kunden (z.B. After-Sales-Services, technische oder kaufmännische Beratung, kulante Bearbeitung von Gewährleistungsfällen), – kostenlose Lieferung von Ersatzteilen, – kostenlose Schulung für Mitarbeiter, – Ausgabe von Geschenken im Zusammenhang mit Produktlieferungen an die Kunden, – Gewinnspiele.
6.70
Kosten der Werbung. Sowohl im Rahmen der Erschließung von Märkten als auch im Zusammenhang mit der Ausweitung und Verteidigung von Marktanteilen können erhöhte Marketing- und Werbekosten bei der Vertriebsgesellschaft entstehen. Die VWG 1983 enthielten in Tz. 3.3.4 eine eigenständige Regelung für „Kosten der Werbung“. Danach waren „Kosten einer Werbemaßnahme“ grundsätzlich von demjenigen nahestehenden Unternehmen zu tragen, für dessen Aufgabenbereich die Maßnahme durchgeführt wurde. Soweit Werbemaßnahmen zum Aufgabenbereich der Produktions- als auch der Vertriebsgesellschaft gehörten, konnten die entsprechenden Werbekosten aufgeteilt werden.5 Was in diesem Zusammenhang allerdings un1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. M 419. 3 Vgl. auch Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. M 420. 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
516 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.72 Kap. 6
ter Werbekosten zu verstehen war und wie sie gegenüber den Markterschließungskosten bzw. den Kosten der Marktausweitung und -verteidigung abzugrenzen sind, ließ die Finanzverwaltung offen. U.E. werden i.d.R. in den Markterschließungs-, Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten Werbekosten enthalten sein. In diesen Fällen bestand grundsätzlich nach Tz. 3.3.2. VWG 1983 die Möglichkeit, die entsprechenden Aufwendungen aufzuteilen. b) Aufteilung von Markterschließungskosten Grundsätzliche Überlegungen. Eine schematische Antwort auf die Frage, welches Unternehmen (Produktions- oder Vertriebsgesellschaft) Markterschließungskosten zu tragen hat, lässt sich nicht geben. Liegen die Markterschließungsmaßnahmen im Interesse sowohl der Produktions- als auch der Vertriebsgesellschaft, sind die entsprechenden Kosten von beiden Unternehmen zu tragen. Hinsichtlich des Aufteilungsmaßstabs besteht dabei ein Ermessensspielraum des Steuerpflichtigen. Steht z.B. im Rahmen von Markterschließungsaktivitäten die Aufwertung bzw. Steigerung des Bekanntheitsgrades einer Marke im Vordergrund, sind die entsprechenden Kosten im Wesentlichen vom Markeninhaber zu tragen. Dies gilt auch, wenn durch eine Expansionsstrategie des Produzenten (bzw. des Strategieträgers) der Absatz in bestimmten Märkten gezielt gesteigert werden soll. Auch in diesen Fällen hat die Produktionsgesellschaft ein maßgebliches Interesse an den Markterschließungsmaßnahmen, da durch diese der Absatz und damit der Deckungsbeitrag der Produktionsgesellschaft gesteigert werden. Eine Kostenbeteiligung der Vertriebsgesellschaft ist allerdings insofern sachgerecht, als diese an den Ertragschancen und Risiken der Markterschließungsmaßnahmen entsprechend ihrer Kostenbeteiligung partizipiert. Allerdings wird man mit steigendem Funktions- und Risikoprofil einer Vertriebsgesellschaft davon ausgehen müssen, dass diese auf Grund der Übernahme zusätzlicher Funktionen und Risiken im Rahmen der Anwendung der Wiederverkaufspreismethode eine höhere Handelsspanne erwartet. Da sich diese Handelsspanne aus den Komponenten Kosten, Risikoprämie und Gewinnaufschlag zusammensetzt (Rz. 5.15 ff.), müssten sich hiermit auch die von der Vertriebsgesellschaft anteilig übernommenen Markterschließungskosten abdecken lassen. Vor diesem Hintergrund geht es aus Sicht der Vertriebsgesellschaft nicht so sehr um die Frage, ob und mit welchem Anteil sie sich an den Markterschließungskosten zu beteiligen hat, sondern vielmehr darum, ob die der Vertriebsgesellschaft zugestandene Handelsspanne auf Dauer ausreichend die von ihr übernommenen Kosten (einschließlich der Markterschließungskosten) und Risiken abdeckt. Agiert die Vertriebsgesellschaft indessen als Low-Risk-Distributor, Kommissionär oder Handelsvertreter, sind die Markterschließungskosten auf Grund des geringen Risikoprofils dieser Vertriebsformen grundsätzlich von der Produktionsgesellschaft bzw. dem Lieferanten (z.B. auch einem Handelsunternehmen) zu tragen. Risikoschwache Vertriebsgesellschaften müssen sich daher i.d.R. nicht an den Markterschließungskosten beteiligen.1 In allen übrigen Fällen liegt es allerdings im gemeinsamen Interesse der Produktions- und Vertriebsgesellschaft, den Absatz (und damit Umsatz) ihrer Produkte durch geeignete Maßnahmen zu fördern bzw. zu sichern, mit der Folge, dass sich beide Unternehmen – je nach Grad des betrieblichen Interesses und der unternehmerischen Chancen und Risiken – an den Markterschließungskosten zu beteiligen haben.
6.71
Auffassung der OECD. Die OECD-Leitlinien führen im Hinblick auf die Frage, welche Konzerngesellschaft die Markterschließungskosten zu tragen hat, aus, dass die Markterschließungsstrategie entweder durch den Produzenten selbst oder aber durch den Vertreiber, der
6.72
1 So auch zutreffend Tz. 1.117 OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Kluge | 517
Kap. 6 Rz. 6.72 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
getrennt vom Produzenten agiert, umgesetzt und die daraus entstehenden Kosten von beiden getragen werden könnten.1 Ferner ist als weiterer Gesichtspunkt zu berücksichtigen, ob die Beziehung zwischen den Vertragspartnern der Geschäftsbeziehung konsistent zu der Allokation der Markterschließungskosten ist. Diese, für die Praxis wenig hilfreiche Feststellung wird allerdings konkretisiert durch den Hinweis, dass z.B. bei Fremdgeschäften eine konzernunabhängige Gesellschaft, die lediglich als „Sales-Agent“ mit keinem oder nur geringem Vermarktungsrisiko handle, üblicherweise nicht die Kosten einer Markteroberungsstrategie zu tragen habe.2 Preisrelevant sei darüber hinaus, ob eine Konzerngesellschaft Markterschließungsmaßnahmen auf ihr eigenes Risiko hin entfalte und den Wert eines Produkts durch eine Marke oder einen Firmennamen steigere oder den Firmenwert in Verbindung mit dem Produkt steigere. Damit stellt auch die OECD hinsichtlich der Frage der Aufteilung von Markterschließungskosten letztlich darauf ab, welche Funktionen, welches Risiko und welches Interesse die an der Umsetzung der Markterschließungsmaßnahmen beteiligten Konzerngesellschaften übernommen haben und welche Konzerngesellschaft hierdurch einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt (sog. „Benefit-Test“). Diese Auffassung dürfte mit Verweis auf die Anwendung der OECD-Leitlinien jetzt auch durch die deutsche Finanzverwaltung adaptiert werden.3
6.73
Aufteilungsgrundsätze der Finanzverwaltung. Nach ehemaliger Auffassung der Finanzverwaltung wurden unter fremden Dritten die Markterschließungskosten von einem Vertreiber nur insoweit getragen, als diesem aus der Geschäftsbeziehung ein angemessener Betriebsgewinn verblieb.4 Damit waren nach Ansicht der Finanzverwaltung Markterschließungskosten grundsätzlich vom Produzenten zu tragen, und zwar unabhängig davon, welche Funktionen und Risiken die Vertriebsgesellschaft tatsächlich wahrnahm. Dies bedeutete mit anderen Worten für die Vertriebsgesellschaft eine dauerhafte Verlustfreistellung. Eine solche entspricht indessen u.E. nicht dem Verhalten unabhängiger Dritter.5 Denn ein Produkt am Markt erfolgreich einzuführen, ist grundsätzlich im betrieblichen Interesse sowohl des Produzenten als auch des Vertreibers. Insbesondere lässt sich am Markt sogar feststellen, dass Handelsunternehmen für lukrative Produkte die Markteinführung selbst übernehmen, die entsprechenden Kosten tragen und dabei sogar (zunächst) Verluste akzeptieren. Die Auffassung der Finanzverwaltung entsprach im Übrigen nicht den Vorgaben der OECD-Leitlinien, wonach Markteinführungskosten zwischen Produktions- und Vertriebsgesellschaft grundsätzlich aufzuteilen sind (Rz. 6.72). Im Übrigen stellt auch die Rspr. des BFH in Bezug auf Markterschließungskosten auf eine branchenübliche Kostenaufteilung ab. Denn nach Auffassung des BFH „würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter keine Vermögensminderung [...] wegen des Aufwands der Markteinführung [...] hinnehmen, wenn üblicherweise dieser Aufwand von Dritten – insbesondere vom Hersteller oder Lieferanten – getragen wird“.6 Im Ergebnis erkennt damit der BFH das beiderseitige betriebliche Interesse des Produzenten einerseits und des Vertreibers andererseits an der Markteinführung eines Produkts an. Mittlerweile finden sich hierzu nur noch vereinzelt Hinweise in den VWG VP 2021 im Abschnitt zu Verlusten.7 Demnach 1 2 3 4
Vgl. Tz. 1.117 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 1.117 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.1. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Gl.A. Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. M 396. 6 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; Baumhoff, IStR 1993, 520; zustimmend Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. M 397 f. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.31-3.37.
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A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.75 Kap. 6
sollte ein unabhängiges (nicht als Strategieträger agierendes) Unternehmen dann keine Dauerverluste erwirtschaften, wenn es nicht innerhalb eines überschaubaren Zeitraums einen Totalgewinn erwirtschaften kann.1 Technik der Aufteilung von Markterschließungskosten. Nach ehemaliger Ansicht der Finanzverwaltung wurden Markterschließungskosten unter Fremden derart aufgeteilt, dass
6.74
– das Vertriebsunternehmen diese Kosten oder Erlösminderungen trägt und ihm dafür Lieferpreise eingeräumt werden, durch die es nach dem Einführungszeitraum seine Gewinnausfälle in überschaubarer Zeit ausgleichen kann, oder – der Produzent diese Kosten oder Erlösminderungen trägt und nach dem Einführungszeitraum seine Gewinnausfälle in überschaubarer Zeit durch höhere Lieferpreise ausgleichen kann.2 Tz. 3.4.2. VWG 19833 regelte damit nicht die Frage, welches Unternehmen (Produktions- oder Vertriebsgesellschaft) nach dem Fremdvergleichsgrundsatz Markterschließungskosten zu tragen hatte, sondern beschrieb zutreffend4 zwei Vorgehensweisen, um Markterschließungskosten zwischen Produzenten bzw. Lieferanten und Vertreibern zu verrechnen. Im Rahmen der ersten Alternative der Berücksichtigung von Markterschließungskosten trägt die Vertriebsgesellschaft die entsprechenden Kosten bzw. Erlösminderungen und bekommt dafür geminderte Verrechnungspreise eingeräumt. Dies läuft in der Verrechnungspreispraxis bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode regelmäßig auf eine höhere Handelsspanne, die auch im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden kann (Rz. 6.58), hinaus. Die zweite Alternative sieht eine unmittelbare Tragung der Markterschließungskosten (ggf. teilweise) durch den Produzenten bzw. Lieferanten vor. In der praktischen Umsetzung bedeutet dies, dass der Produzent bzw. Lieferant Markterschließungskostenzuschüsse an den Vertreiber leistet, d.h. bestimmte Kosten, die durch die Markteinführung des Produkts entstehen, bezuschusst. Diese Kosten stellen auf Ebene des Produzenten bzw. Lieferanten auf Grund seines eigenen betrieblichen Interesses an der Markterschließung Betriebsausgaben i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG dar. Formale Voraussetzungen. Tz. 3.4.2. VWG 1983 beschrieb im Übrigen auch die formalen Voraussetzungen, unter denen die Finanzverwaltung die Übernahme von Markterschließungskosten durch die Produktionsgesellschaft akzeptierte. Danach war eine Aufteilung von Markterschließungskosten über geminderte Verrechnungspreise5 oder Markterschließungskostenzuschüsse6 möglich, wenn entsprechende Rentabilitätsberechnungen im Vorhinein erstellt und vertraglich abgesichert wurden. Auf Grund der Einschränkung „in aller Regel“7 waren allerdings Ausnahmen von diesen formalen Anforderungen denkbar. Begründete Ausnah1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.33. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. auch Baumhoff, IStR 1993, 520. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2. Buchst. A (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2. Buchst. b (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
Ditz/Kluge | 519
6.75
Kap. 6 Rz. 6.75 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
mefälle waren demnach anzuerkennen. Dies bezieht sich sowohl auf die Erstellung von Rentabilitätsberechnungen als auch auf den Abschluss eines Vertrages im Vorhinein. Dies ist auch insofern sachgerecht, als es abkommensrechtlich gem. Art. 9 OECD-MA nicht auf die strengen formalen Anforderungen der Rspr. des BFH zu vGA bei beherrschenden Gesellschaftern1 ankommen kann.2 c) Verlustsituationen bei Markterschließungsmaßnahmen
6.76
Rechtsprechung des BFH. Nach der Rspr. des BFH darf eine verbundene Vertriebsgesellschaft keine Produkte mit nachhaltigen Verlusten vertreiben. Die Verlustphase soll dabei – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalls – bei neu eingeführten Produkten drei Jahre nicht überschreiten.3 Der BFH begründet dies mit der Feststellung, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer eines Vertriebsunternehmens nur dann ein neues Produkt am Markt einführen und vertreiben werde, wenn er daraus bei vorsichtiger und vorheriger kaufmännischer Prognose innerhalb eines überschaubaren Zeitraums und unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Marktentwicklung einen angemessenen Gesamtgewinn erwarten könne. Damit soll – unter Berücksichtigung des hypothetischen Fremdvergleichs – eine Vertriebsgesellschaft spätestens „innerhalb eines angemessenen kalkulatorischen Zeitraums“ einen „angemessenen Totalgewinn“ erzielen.4 Als entsprechender Zeitraum wird dabei in der Literatur eine Periode von fünf Jahren genannt.5 Damit geht der BFH inzidenter davon aus, dass für den Fall, in dem beim Vertreiber die Kosten einschließlich Markterschließungskosten die Erlöse übersteigen, der Produzent bzw. der Lieferant durch reduzierte Lieferverrechnungspreise oder Zuschüsse (Markterschließungs- bzw. Werbekostenzuschüsse) die Verlustsituation beseitigt bzw. überkompensiert. Außerdem und unabhängig davon hat nach Auffassung des BFH die Vertriebsgesellschaft die Markterschließungskosten dann nicht zu übernehmen, wenn die Kosten branchenüblich vom Hersteller oder Lieferanten getragen werden.6 Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Markterschließungsmaßnahmen im alleinigen oder ganz überwiegend im betrieblichen Interesse des Produzenten liegen bzw. ein Markeninhaber Interesse am Aufbau seiner Marke in einem bestimmten Markt hat.
6.77
Akzeptable Verlustperiode nach VWG 1983. Die VWG 1983 sprachen im Hinblick auf eine akzeptable Verlustperiode einer Vertriebsgesellschaft in Folge von Markterschließungsmaßnahmen von einer „überschaubaren Zeit“7 und vermieden damit eine konkrete Zeitangabe. Dies ist insofern sachgerecht, als je nach Branche (z.B. Investitions- vs. Konsumgüter), Produktlebenszyklus (kurzlebig vs. langlebig) oder der Marktstellung des Produzenten und des Vertreibers unterschiedlich lange Markteinführungsphasen zum Tragen kommen können. Eine generelle Normierung macht insoweit betriebswirtschaftlich keinen Sinn und entbehrte 1 Vgl. insoweit etwa BFH v. 31.5.1995 – I R 64/94, BStBl. II 1996, 246 = FR 1996, 72 m. Anm. Pezzer; v. 17.9.1992 – I R 89-98/91, BStBl. II 1993, 141 = FR 1993, 18; R 36 Abs. 2 KStR 2006. 2 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz; FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/ 03, EFG 2008, 161 (rkr.) und dazu Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353 ff.; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 20 f. m.w.N. 3 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. Wassermeyer, WPg 2002, 16. 6 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375. 7 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.2. Buchst. a und b (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
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A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.78 Kap. 6
zudem jeglicher Rechtsgrundlage.1 Demgegenüber hat der BFH in seinem „Aquavit“-Urteil v. 17.2.19932 judiziert, dass die „Verlustphase der Anlaufzeit [...] – abgesehen von besonderen Umständen im Einzelfall – einen Zeitraum von drei Jahren nicht übersteigen“ sollte. Eine solche zeitliche Limitierung, die sowohl die VWG 1983 als auch die OECD-Leitlinien bewusst vermeiden, ist zu Recht in der Literatur kritisiert worden, da sie zu schematisch und letztlich willkürlich ist und je nach Marktsituation die erforderliche Flexibilität vermissen lässt.3 Die akzeptable Verlustperiode einer Vertriebsgesellschaft sollte damit keinen starren zeitlichen Beschränkungen unterworfen werden, die den wirtschaftlichen Realitäten und Notwendigkeiten zuwider laufen, sondern auf die geschäftlichen Beziehungen zur Vertriebsgesellschaft insgesamt abstellen, um die Frage eines „angemessenen Zeitrahmens“ einzelfallbezogen entscheiden zu können. Vor diesem Hintergrund ist die Relativierung der Drei-Jahres-Frist des Aquavit-Urteils durch das BFH-Urteil v. 17.10.20014 zu begrüßen.5 In diesem Urteil hat der BFH klargestellt, dass er die Drei-Jahres-Frist nicht als Dauer versteht, innerhalb derer die Vertriebsgesellschaft betriebswirtschaftlich gesehen längstens Verluste erzielen kann. Vielmehr versteht er eine Verlusterzielung über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren als einen so ungewöhnlichen Vorgang, dass es Sache des Steuerpflichtigen ist, darzulegen, weshalb in seinem konkreten Fall die Verlusterzielung über drei Jahre hinaus noch auf einem ordentlichen und gewissenhaften kaufmännischen Verhalten beruht. Der Steuerpflichtige kann in diesem Bereich z.B. auf außerordentliche Entwicklungen und nicht vorhergesehene Risiken verweisen. Ist sein Vortrag schlüssig und glaubhaft, so kann die Verlustphase verlängert werden. Kriterium kann auch sein, ob der Steuerpflichtige mit Anpassungsmaßnahmen zeitnah auf nicht vorhergesehene Entwicklungen reagiert hat. Damit löst die Drei-Jahres-Frist nur eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast aus. Der Fremdvergleich hat nur eine widerlegbare Vermutung zur Folge. Akzeptable Verlustperiode nach VWG VP 2021. Die VWG VP 2021 enthalten auch Konkretisierungen zur Anerkennung von Verlusten.6 Für nicht als Strategieträger agierende Unternehmen dürften demnach keine andauernden Verlustperioden eintreten. Offenbar soll durch die Negativabgrenzung diese Regelung auch für Unternehmen gelten, die mehr als Routinefunktionen ausüben, aber nicht als Strategieträger qualifizieren. Diese Unternehmen sollen innerhalb eines überschaubaren Kalkulationszeitraums einen angemessenen Totalgewinn erwirtschaften. Dabei wird unterstellt, dass die Verrechnungspreise unangemessen sind oder Geschäftsvorfälle nicht identifiziert und bepreist wurden oder Aufwendungen durch andere Gruppengesellschaften mit verursacht wurden, wenn nicht innerhalb von fünf Jahren ein angemessener Gesamtgewinn erwirtschaftet wird. Die dann vorzunehmende Korrektur soll sich nach einem Aufwendungsersatz zzgl. Gewinnaufschlag richten.7 Der Zeitraum kann aufgrund besonderer Umstände (z.B. Geschäftsmodelle mit hohen Anfangsinvestitionen oder nicht beeinflussbare Marktbedingungen) auch länger als fünf Jahre sein. Sollte zum Zeitpunkt der Prü1 Gl.A. Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. M 403. 2 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375. 3 Vgl. Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 521; Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. I, Rz.288 ff.; wohl auch Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 279; Schreiber, IStR 1994, 317, der einen Zeitraum von fünf bis acht Jahren für angemessen hält; s. ferner Dahnke, IStR 1996, 583, der je nach Wirtschaftszweig, Aktivitäten und Standort Zeiträume von einem bis zu zehn Jahre als angemessen ansieht. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 5 Vgl. Baumhoff, IStR 2001, 753; Wassermeyer, WPg 2002, 16; Wehnert/Stalberg, IStR 2002, 143. 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.31–3.37. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.31–3.33.
Ditz/Kluge | 521
6.78
Kap. 6 Rz. 6.78 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
fung noch ungewiss sein, ob ein angemessener Totalgewinn erzielt wird, sollen entsprechende Steuerbescheide mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen werden.1
6.79
Ex-ante-Rentabilitätsberechnung. Der BFH2 erwartet für den Fall der Übernahme von Markterschließungskosten durch die Vertriebsgesellschaft eine Ex-ante-Rentabilitätsberechnung. Daraus soll hervorgehen, dass bei der Vertriebsgesellschaft ggf. nach dreijährigen bzw. zeitlich überschaubaren Anlaufverlusten eine Gewinnphase eintritt, die es ihr erlaubt, in der Totalperiode einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften (Rz. 6.46). Sofern die entsprechende Prognoserechnung plausibel ist und eine Gewinnsituation voraussagt, kommt es auf die tatsächlich eingetretenen Verhältnisse nicht mehr an, selbst wenn sich ex post der erwartete Ausgleich erst später oder überhaupt nicht einstellen sollte. Hinsichtlich der Form solcher betriebswirtschaftlichen Prognoserechnungen lassen sich keine allgemein gültigen Aussagen treffen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht reichen allgemeine Planungsrechnungen, die im Rahmen der generellen Unternehmensplanungen erstellt werden, aus. Exakte Dokumentationen, etwa vergleichbar mit umfassenden ertragswertorientierten Unternehmensbewertungen, können nicht gefordert werden. Vielmehr reichen Unterlagen der unternehmensinternen Kosten- bzw. Erfolgsrechnungen aus. Darüber hinaus können auch Protokolle, Schriftverkehr, Hausmitteilungen oder sonstige Notizen als zusätzliches Dokumentationsmaterial herangezogen werden. Keinesfalls müssen solche Prognosen und Rentabilitätsberechnungen verbunden mit Vorteils- oder Nachteilsmaßnahmen vertraglich abgesichert werden (Rz. 6.75). Dafür gibt es auch keine Rechtsgrundlage. Hier genügt ein tatsächlich vorgenommener faktischer Ausgleich im Sinne einer Palettenbetrachtung (Rz. 3.173). Vor diesem Hintergrund muss sich die Prognoserechnung auf die Erfolgssituation der Vertriebsgesellschaft insgesamt beziehen und nicht etwa auf ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Produktgruppe. Diese können auch dauerhaft defizitär vertrieben werden (z.B., wenn es sich um Komplementär- oder Kuppelprodukte handelt), sofern andere Produkte bzw. Produktgruppen diese auf Grund ihrer positiven Deckungsbeiträge alimentieren bzw. überkompensieren.3 Denn der BFH spricht in seiner Rspr. lediglich von einem „Gesamtgewinn“4 und einem „Totalgewinn“5 und nicht etwa von einem einzelnen Produkterfolg. d) Aufteilung von Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten
6.80
Regelung der Tz. 3.4.3. VWG 1983 unzutreffend. Nach Tz. 3.4.3. VWG 1983 waren Kosten und Erlösminderungen, die dadurch entstehen, dass eine Vertriebsgesellschaft durch Kampfpreise oder ähnliche Mittel ihren Marktanteil wesentlich erhöhen oder verteidigen will, „grundsätzlich vom Hersteller zu tragen“. Die Finanzverwaltung ging folglich davon aus, dass Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten (Rz. 6.69) durch den Produzenten bzw. Lieferanten zu tragen sind. Diese Auffassung war indessen abzulehnen, da sie nicht im Einklang mit einer veranlassungsgerechten Zuordnung von Marktausweitungs- bzw. Marktverteidigungskosten stand.6 Sie verkannte, dass sowohl der Produzent bzw. der Lieferant als auch der Vertreiber an Maßnahmen zur Marktausweitung bzw. Marktverteidigung ein betriebliches Interesse haben und folglich durch einen entsprechend höheren Absatz bzw. Um1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.31–3.34. 2 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375. 3 Dies war auch durch die Finanzverwaltung anerkannt, vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.13 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375. 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 6 Gl.A. Borstell/Hülster in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. M 423 f.
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A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.81 Kap. 6
satz einen betrieblichen Nutzen haben. Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten sind also grundsätzlich dem Verantwortungsbereich sowohl der Produktions- als auch der Vertriebsgesellschaft zuzuordnen, so dass auch in diesem Zusammenhang grundsätzlich von einer Aufteilung der entsprechenden Kosten zwischen beiden Unternehmen auszugehen ist. Damit gelten auch für Marktausweitungs- und Marktverteidigungskosten die Grundsätze, wie sie bereits in Rz. 6.71 für die Aufteilung von Markterschließungskosten dargestellt werden. Danach hat dasjenige verbundene Unternehmen die Marktausweitungs- bzw. Marktverteidigungskosten zu tragen, dem auch später der entsprechende Gewinn aus dem Erfolg dieser Maßnahmen zusteht.1 Dies kann sowohl der Produzent bzw. der Lieferant als auch der Vertreiber sein. Im Übrigen ist auch eine Aufteilung der Kosten denkbar, wobei der Aufteilungsmaßstab im Ermessen des Steuerpflichtigen liegt.2 Lediglich bei Vertriebsgesellschaften, die als Routineunternehmen zu qualifizieren sind (insbesondere Low-Risk-Distributor [Rz. 6.51], Kommissionär [Rz. 6.52] und Handelsvertreter [Rz. 6.53]), besteht insofern kein Ermessensspielraum, als bei diesen Vertriebsformen entsprechende Kosten prinzipiell durch den Produzenten bzw. den Lieferanten zu tragen sind. Allenfalls bei diesen Unternehmenstypen kann daher die Regelung der Tz. 3.4.3. VWG 1983 überzeugen. e) Aufteilung von Werbekosten
Ehemalige Auffassung der Finanzverwaltung in Tz. 3.3.3. VWG 1983. Markterschließungs-, Markterweiterungs- und Marktverteidigungsmaßnahmen sind i.d.R. mit spezifischen Marketingmaßnahmen bzw. Werbeaktionen verbunden. Aber auch außerhalb von Markterschließungs-, Markterweiterungs- und Marktverteidigungsmaßnahmen gehört die Werbung – insbesondere im Konsumgüterbereich – zu den üblichen Marketingaktivitäten. Die VWG 1983 behandelten die Kosten der Werbung in einer eigenständigen Tz. 3.3. und erlaubten eine ebenso praktikable wie flexible Handhabung dieser Kosten. Danach konnten Kosten der Werbung, die im betrieblichen Interesse und damit zum betrieblichen Nutzen von mehreren verbundenen Unternehmen durchgeführt werden, zwischen diesen Unternehmen unter Berücksichtigung des jeweiligen betrieblichen Interesses verteilt werden.3 Die Aufteilung konnte dabei in Form entsprechender Verrechnungsverträge erfolgen, wozu grundsätzlich auch Kostenumlageverträge zählen.4 Ansonsten sind die Kosten einer Werbemaßnahme von dem Unternehmen zu tragen, „für dessen Aufgabenbereich durch diese Maßnahmen geworben wird“.5 Ist z.B. ein verbundenes Unternehmen Eigentümerin einer Marke, die über spezielle Werbemaßnahmen gefördert werden soll, so war zumindest der überwiegende Teil der entsprechenden Werbekosten von diesem Unternehmen als Markeninhaber zu tragen. Das galt auch dann, wenn der Markeninhaber eine Vertriebsgesellschaft ist. Lagen die Werbemaßnahmen indessen im betrieblichen Interesse sowohl des Produzenten bzw. des Lieferanten als auch des Vertreibers, waren die Maßnahmen bei beiden betrieblich veranlasst und folglich die entsprechenden Werbekosten zwischen beiden aufzuteilen. Die Werbekosten stellen dann bei beiden Gesellschaften steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG dar. Der Aufteilungs1 Vgl. auch Tz. 1.117 OECD-Leitlinien 2022. 2 Gl.A. Fey in Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Verrechnungspreise, Rz. 48, unter der Voraussetzung, dass bei dem Vertriebsunternehmen ein Gewinn verbleibt. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3.3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
Ditz/Kluge | 523
6.81
Kap. 6 Rz. 6.81 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
maßstab muss dabei die betrieblichen Interessen beider Unternehmen an den Werbemaßnahmen widerspiegeln, wobei dem Steuerpflichtigen insoweit ein gewisser Ermessensspielraum zuzubilligen ist. Auch wenn die VWG 1983 durch die VWG VP 2021 aufgehoben wurden1 und neue konkrete Hinweise fehlen, sollte sich an der Anwendbarkeit dieser ökonomischen Grundprinzipien nichts ändern.
6.82
Branchenüblichkeit. Ein weiteres Kriterium für die Zuordnung von Werbekosten ist deren Branchenüblichkeit. Dies hat der BFH in seinem sog. „Werbekosten“-Urteil v. 1.2.19762, welches den Pharmabereich betraf, ausdrücklich festgestellt. Auch in seinem sog. „Aquavit“-Urteil v. 17.2.1993 (Rz. 6.76)3 stellt der BFH auf die Branchenüblichkeit ab, indem er darlegt, dass der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter einer Vertriebsgesellschaft Werbeaufwendungen nicht tragen würde, wenn diese üblicherweise vom Hersteller oder Lieferanten getragen werden. Oft wird die Aufteilung von Werbekosten auch nach dem Kriterium der regionalen Wirkung der Werbung vorgenommen.4 Danach wird regionale Werbung oftmals von der Vertriebsgesellschaft getragen, während das strategische Marketing bzw. überregionale Werbung vom Produzenten bzw. Strategieträger übernommen wird. Insbesondere wenn die Werbemaßnahmen einer internationalen Konzernmarke dienen bzw. sich die Werbekampagnen nicht nur auf den Absatz eines bestimmten Produkts beziehen, sondern auf das gesamte Konzernimage abzielen, muss sich der Produzent bzw. Strategieträger an den entsprechenden Kosten beteiligen.
6.83
Ausreichende Handelsspanne. Letztlich gilt auch für den Bereich der Werbekosten, dass – soweit diese von der Vertriebsgesellschaft getragen werden – gesichert werden muss, dass im Falle der Anwendung der Wiederverkaufspreismethode die Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft dazu ausreicht, sämtliche Kosten (einschließlich der Werbekosten) zzgl. Nettomarge zu decken. Auch die OECD folgt dieser Grundüberlegung, wenn sie in Tz. 1.117 OECD-Leitlinien5 feststellt, dass die Tatsache, dass eine Vertriebsgesellschaft Marktentwicklungsaktivitäten auf eigenes Risiko übernimmt und damit den marktbezogenen Wert der Produkte oder den mit den Produkten verbundenen Geschäfts- oder Firmenwert („Goodwill“) erhöht, in der Funktionsanalyse berücksichtigt werden sollte.
4. Zuordnung von Währungsrisiken 6.84
Grundsatz der Vertragsfreiheit. Ein wesentliches Risiko bei Warenlieferungen zwischen international verbundenen Unternehmungen stellen Währungsschwankungen dar. Dabei besteht insbesondere ein Umrechnungsrisiko dann, wenn ein verbundenes Unternehmen (z.B. Vertriebsgesellschaft) Waren in fremder Währung erwirbt, um diese dann auf dem heimischen Markt in lokaler Währung zu verkaufen.6 Eine Aufwertung der fakturierten Währung kann dann zur Folge haben, dass bei gleichbleibenden Umsatzerlösen (in lokaler Währung) die Wareneinstandspreise für die bezogenen Waren steigen, so dass die Vertriebsgesellschaft durch Währungsschwankungen in eine Verlustsituation kommen kann. Im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Lieferungen von Waren stellt sich folglich die Frage, in wel1 2 3 4 5 6
Vgl. VWG VP 2021, Rz. 6.1. Vgl. BFH v. 1.2.1967 – I 220/64, BStBl. II 1967, 995. Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375. Vgl. auch Günkel, IWB F. 3 Deutschland Gr. 1, 959 f. Vgl. Tz. 1.117 OECD-Leitlinien 2022. Zur Beschreibung der Währungsrisiken vgl. auch Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 297.
524 | Ditz/Kluge
A. Lieferung von Gütern und Waren | Rz. 6.86 Kap. 6
cher Währung fakturiert werden soll. Weder die Finanzverwaltung noch die OECD stellen Grundsätze dafür bereit, welche Gesellschaft (Produzent bzw. Lieferant oder Vertreiber) das Währungsrisiko bei grenzüberschreitenden Lieferbeziehungen zu tragen hat. Eine allgemein gültige Regelung existiert damit nicht; auch die Praxis ist insoweit uneinheitlich.1 Dies ist insofern nicht überraschend, als die Vereinbarung der Währung nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit zwischen den verbundenen Unternehmen frei gewählt werden kann. Letztlich sind der Produzent bzw. Lieferant einerseits und der Vertreiber andererseits damit in ihrer Entscheidung frei, welche Gesellschaft das Währungsrisiko trägt.2 Um Verlustsituationen auf Grund von Währungsschwankungen bei Vertriebsgesellschaften zu vermeiden (s. auch Rz. 6.76), werden in der Verrechnungspreispraxis allerdings Vertriebsgesellschaften häufig in deren Landeswährung beliefert. Dies gilt insbesondere für funktionsschwache Vertriebsgesellschaften (Low-Risk-Distributor, Kommissionär und Handelsvertreter), die als Routineunternehmen keine wesentlichen unternehmerischen Risiken tragen. Ein Grundsatz, dass diese in ihrer Landeswährung beliefert werden müssen, existiert allerdings nicht. Es ist jedoch darauf zu achten, dass ein einmal gewähltes Verfahren konstant praktiziert und nicht willkürlich verändert wird, zumal sich dann auch die Frage stellen würde, ob eine Risikoänderung zu vergüten wäre.3 Soll eine bestehende Regelung (z.B. Fakturierung in Landeswährung der Vertriebsgesellschaft) umgestellt werden (z.B. Fakturierung in der Währung des Produzenten bzw. Lieferanten), ist dies im Rahmen der Anwendung der Wiederverkaufspreismethode bei der Bemessung der Handelsspanne zu berücksichtigen. Die Übernahme von Währungsrisiken hat dabei zur Folge, dass die Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft tendenziell höher ist, als wenn diese Risiken durch die Vertriebsgesellschaft nicht getragen werden. Handhabung gegenüber fremden Dritten. Ein Indikator für die Zuordnung von Währungsrisiken kann die Fakturierung gegenüber fremden Dritten sein. Sofern z.B. eine Produktionsgesellschaft bei Exporten in ausländische Staaten sowohl an verbundene Unternehmen als auch an externe Dritte liefert, wird häufig eine einheitliche Fakturierungspraxis angewandt werden. Allerdings gilt auch hier der Grundsatz der Vertragsfreiheit, wonach individuell mit jedem Abnehmer eine andere Währungsabrede getroffen werden kann. Dies gilt insbesondere in solchen Fällen, wenn ausländische und verbundene Abnehmer eine solche Machtstellung haben, dass sie die Währung, in welcher fakturiert wird, autonom bestimmen können. Ferner sind Fälle denkbar, in denen die Übertragung des Währungsrisikos auf den Vertragspartner dessen Wettbewerbsfähigkeit zu stark einschränken würde.4
6.85
Wechselkurssicherungsmaßnahmen. Auch im Hinblick auf die Frage der Übernahme von Währungsrisiken ist nach dem Grundmodell des hypothetischen Fremdvergleichs das Verhalten des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang kann allerdings keinesfalls von einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter gefordert werden, dass er sich gegenüber Währungsrisiken (z.B. durch geeignete Wechselkurssicherungsmaßnahmen) absichert. Vielmehr handelt es sich bei dieser Entscheidung um eine unternehmerische Entscheidung, die alleine im Ermessensspielraum des Steuerpflichtigen liegt. Sie ist damit abhängig von der individuellen Risikoneigung und Ein-
6.86
1 Vgl. etwa Gundel in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 178 f.; Treptow in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 181. 2 So wohl auch Fey in Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Verrechnungspreise, Rz. 45. 3 So auch Dreissig/Treptow/Kleine in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 179 ff. 4 Vgl. hierzu auch Gundel in FS Flick, 789 f.
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Kap. 6 Rz. 6.86 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
schätzung und entzieht sich einer Überprüfung durch die Finanzverwaltung. Dies gilt umso mehr, als mit der Entscheidung für Kurssicherungsmaßnahmen auch auf die Chance einer Realisierung von Währungsgewinnen verzichtet wird. Im Rahmen der Fakturierung in ausländischen Währungen werden Währungsschwankungen in gewissen Bandbreiten als selbstverständlich unterstellt und sind im Rahmen der Bestimmung der (Liefer-)Verrechnungspreise zu berücksichtigen. Sofern sich allerdings außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Wechselkursänderungen ergeben, die das normale und im Rahmen der Verrechnungspreisermittlung berücksichtigte Maß übersteigen, muss dieser Umstand bei der Preisfestsetzung Berücksichtigung finden. Denn auch fremde Dritte würden bei derartig außergewöhnlichen Wechselkursänderungen Preisanpassungen vornehmen. Ob eine solche Vertragsanpassung indessen erforderlich ist, kann erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung festgestellt werden, da sich Währungsschwankungen auch kurzfristig wieder umkehren können.
6.87
Risikoprämie und Berücksichtigung von Wagniskosten. Die Zuordnung von Währungsrisiken ist im Rahmen der Bestimmung des Verrechnungspreises für die entsprechende Lieferung zu berücksichtigen. Im Ergebnis hat damit die Vertriebsgesellschaft, soweit sie ein entsprechendes Währungsrisiko trägt, hierfür über den Verrechnungspreis eine entsprechende Risikoprämie zu erhalten. Dies wird in der Verrechnungspreispraxis im Rahmen der Ermittlung der Handelsspanne der Vertriebsgesellschaft i.d.R. über entsprechende Wagniskosten berücksichtigt. Dabei können die Kosten einer externen Kurssicherung einen gewissen Anhaltspunkt für die Höhe einer angemessenen Prämie bieten. Ermittelt z.B. eine inländische Produktionsgesellschaft den Verrechnungspreis für Warenlieferungen an ihre nicht in der EU ansässige Vertriebsgesellschaft nach der Wiederverkaufspreismethode und wird dabei in Euro fakturiert, so trägt die ausländische Vertriebsgesellschaft das Währungsrisiko. In diesem Fall muss die anzusetzende Handelsspanne so bemessen sein, dass das (normale) Währungsrisiko über die Handelsspanne abgedeckt wird.1 Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass sich durch die Fakturierung in fremder Währung auch Währungschancen ergeben. Die Verrechnungspreispraxis zeigt dabei, dass die entsprechenden Wagniskosten auch Null betragen können.
B. Dienstleistungen Literatur: Ball, BFH: Namensnutzung im Konzern, BB 2016, 1376; Bärsch/Erb, Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise bei der Übertragung von Marken – Die Markenbewertung im Blickwinkel aktueller internationaler Entwicklungen, DStR 2018, 629; Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, Köln u.a. 1986; Baumhoff, Die steuerliche Bewertung von Transferpaketen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, 541; Baumhoff, Der Einfluss der Finanzmarktkrise auf die Festlegung und Prüfung von internationalen Verrechnungspreisen, in Baumhoff/Dücker/Köhler (Hrsg.), Besteuerung, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Festschrift für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010, 21; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik bei Verlustgesellschaften, in Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 133; Baumhoff, Praxisprobleme bei der Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, WPg 2012, 396; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Lohnfertigern – Anmerkungen zum Urteil des FG Münster vom 16.3.2006, IStR 2006, 789; Baumhoff/Kluge, Abgrenzung des nicht verrechenbaren Firmennamens von einer ver1 Zur quantitativen Bestimmung von Währungsrisiken vgl. auch McKee/Patton/Kapoor, IStR 1996, 251.
526 | Ditz/Kluge und Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Kap. 6 rechenbaren Markennutzung – Anmerkungen zum BFH-Urteil vom 21.01.2016 – I R 22/14 zur Anwendung des § 1 Abs. 4 AStG a.F., Ubg 2016, 338; Baumhoff/Kluge, Der Einfluss des „Rückhalts im Konzern“ auf die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise, Festschrift für Heinz-Klaus Kroppen, Köln 2020, 105; Böhmer, Namensnutzung im Konzern, ISR 2016, 235; Ditz/Bärsch, Unentgeltliche Namennutzung im Konzern keine Geschäftsbeziehung i.S.d § 1 Abs. 4 AStG a.F., Anmerkung zum BFH Urteil v. 21.1.2016, IStR 2016, 505; Ditz/Bärsch/Kluge/Eberenz/Kreuzer/Müller, Verrechnungspreise im Spannungsfeld zwischen betriebswirtschaftlicher Steuerung und steuerrechtlichen Anforderungen – Ergebnisse einer empirischen Analyse, DB 2015, 2592; Ditz/Bärsch/Kluge, Verrechnungspreise in der Unternehmenspraxis – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung IStR 2015, 819; Ditz/Bärsch/Kluge, Verrechnungspreise in der Unternehmenspraxis – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung in den Zeiten von BEPS und zunehmender Digitalisierung, IStR 2019, 299; Ditz/ Eberenz/Bärsch/Kluge/Müller/Palmer/Schröder, Internationale Verrechnungspreise – Eine empirische Analyse in Zeiten von BEPS und zunehmender Digitalisierung, DB 2019, 1044; Ditz/Liebchen, Teilwertabschreibungen und Forderungsverzicht auf Gesellschafterdarlehen – Praxisfall zum BMF-Schreiben vom 29.3.2011, IStR 2012, 97; Ditz/Quilitzsch, Keine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG bei Teilwertabschreibungen auf Darlehnsforderungen gegen ausländische Tochtergesellschaften – Anmerkung zum Urteil des FG Düsseldorf v. 28.3.2014 – 6 K 4087/11 F (§ 1 AStG), ISR 2014, 293; Durst, The OECD’s Discussion Draft on Transfer Pricing for Intangibles, TNI 2012, 447; Eberenz/Ditz/ Bärsch/Kluge/Müller/Schröder/Palmer, Transferpreisstudie 2018 – Transferpreise zwischen Unternehmenssteuerung, BEPS und Digitalisierung; Engler, Änderung von Verrechnungspreisen in der Rezession, IStR 2009, 685; Fiehler, Vergütungsformen von funktions- und risikoarmen Vertriebsgesellschaften, IStR 2007, 464; Finsterwalder, Bemessung von Verrechnungspreisen bei grenzüberschreitenden Know-how-Überlassungen im Konzern, IStR 2006, 355; Gosch, Dealing at arm’s length (Art. 9 Abs. 1 DBA USA 1989) ermöglicht nicht die Korrektur einer Abschreibung auf den Teilwert einer Forderung auf Darlehensrückzahlung wegen fehlender Besicherung, BFH/PR 2015, 173; Greil, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen – BMF-Schr. v. 5.7.2018, ISR 2019, 299; Greil/Wargowske, Rückhalt im Konzern – Ein Kurzüberblick und Versuch einer Definition, IStR 2016, 272; Greil/Wargowske, Namensnutzung in multinationalen Unternehmensgruppen, IStR 2017, 12; Herbig, Steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung im internationalen Vergleich, Stuttgart 2009; Hüning/Hewera/Geyik, BEPS-Aktionspunkt 10: Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung – Werden diese bald nur noch durch den vereinfachten Ansatz vergütet?, IWB 8/2016, 298; Kaeser, Generalthema 1: Besteuerung grenzüberschreitender Dienstleistungen, IStR 2012, 674; Kaeser, Seminar F: UN Matters – UN and OECD Differences in Model, TP etc.: Fokus auf technischen Dienstleistungen, IStR 2014, 708; Kaminski, Seminar C: Kostenaufteilungspraktiken bei der internationalen Entwicklung immaterieller Wirtschaftsgüter, IStR 2001, 539; Kluge/Bestelmeyer, Regelungen zu Umlageverträgen durch das neue BMF-Schreiben, IWB 2018, 892; Kluge, Verrechnungspreise für Datennutzungen, in Rödder/Wassermeyer/Ditz (Hrsg.), Internationale Einkünfteabgrenzung – Freundesgabe für Hubertus Baumhoff, Köln 2019, S. 191; Korff, Verrechnungspreise für konzerninterne Dienstleistungen aus Sicht Deutschlands und der USA, Lohmar 2008; Korff, Dienstleistungsverrechnung zwischen deutsch-US-amerikanischen Konzernunternehmen, IStR 2008, 44; Krüger, Die verrechnungspreisrechtliche Problematik der Werthaltigkeit von Dachmarken, IStR 2015, 650; Krüger, Die Grundsätze der Markennutzung im Konzern – die (scheinbare) Kontinuität in der Rechtsprechung des BFH, IStR 2016, 945; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Lieber, Anmerkung zu FG Münster, Urt. v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 – (Berichtigung gem. § 1 Abs. 1 AStG: Aufteilung von Standortvorteilen bei Lohnfertigern), IWB 2006, 1189; Mehta, Formulating an IntraGroup Management Fee Policy: An Analysis from a Transfer Pricing and International Tax Perspective, ITPJ 2005, 253; Naumann/Groß, Verrechnungspreisaspekte immaterieller Werte – der OECD-Bericht zu Maßnahme 8 des PEPS Action Plan, IStR 2014, 906; Nientimp/Stein/Worm, Gesellschafterdarlehn – Maßstäbe des Fremdvergleichs für die Zinsbestimmung, IStR 2016, 781; Nürnberg, Der Rückhalt im Konzern: Terminus ohne gesetzliche Grundlage auf Definitionssuche, DStR 2019, 1901; Oestreicher/Endres, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen in zehn Fällen – Zugleich eine Stellungnahme zum Entwurf der Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, IStR 2009, Beih. zu Heft 20, 3; Prinz/Scholz, § 1 AStG und darlehensbezogene Teilwertabschreibungen: kreativer, aber
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Kap. 6 Rz. 6.88 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch rechtsfehlerhafter Versuch der Finanzverwaltung zur Rettung der Wirkung des § 8b Abs. 3 KStG für Altfälle (§ 1 AStG, § 8b Abs. 3 KStG), FR 2011, 925; Puls/Heravi, Kostenumlagesysteme im grenzüberschreitenden Konzern pre- und post-BEPS – Erste praxisbezogene Anmerkungen zum BMF-Schreiben vom 5.7.2018, 507; Rasch/Fischer, Die neuen Final und Temporary US-Regulations zu konzerninternen Dienstleistungen, DB 2007, 878; Rasch/Mank, Namensnutzung im Konzern, ISR 2018, 73; Roser, Teilwertabschreibungen und andere Wertminderungen – das BMF als kreativer Ersatzgesetzgeber, GmbHR 2011, 841; Schmidtke/Rasch, Routinefunktionen, Gewinnverlagerungen und das Versagen des hypothetischen Fremdvergleichs, IStR 2009, 92; Schoppe/Voltmer-Darmanyan, Konzerndienstleistungsverträge in der (steuerlichen) Praxis, BB 2012, 1251; Scholz, Verrechnungspreisbestimmung bei funktionsschwachen Unternehmen, BB 2011, 1515; Scholz/Köhler, Konzernrückhalt und Nachrangigkeit in der konzerninternen Finanzierung, DStR 2018, 15; Spengel/Elschner, Steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung – Empirische Befunde, internationaler Vergleich und Reformansätze für Deutschland, ZfB 2010, Special Issue 2, 1; Spengel/Herbold, Steuerliche Anreize zur Förderung von Forschung und Entwicklung in Deutschland, Ubg 2009, 343; Steiner/Ullmann, Neuausrichtung des Fremdvergleichsmaßstabs bei grenzüberschreitenden konzerninternen Gesellschafterdarlehen, DStR 2019, 2385; Stuffer/Reichl, Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen über die Grenze – Aktuelle Entwicklungen im EU-Verrechnungspreisforum, IStR 2010, 685; Wacker, Ausfall grenzüberschreitender Konzerndarlehen – Neuorientierung der BFH-Rechtsprechung, FR 2019, 449; Wendel, Verrechnungspreise: Berücksichtigung von Standortvorteilen bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode, JbFfSt 2011/2012, 860.
I. Vorbemerkung 6.88
Weltweite „Transfer-Pricing“-Umfrage. Verrechnungspreise für konzerninterne Dienstleistungen stehen im Fokus der nationalen Fisci. Im Rahmen einer weltweiten „Transfer-Pricing“-Umfrage wurden 877 multinational operierende Unternehmen aus 25 Staaten1 zu ihren Erfahrungen und Prognosen für die steuerliche Behandlung von gruppeninternen grenzüberschreitenden Transaktionen befragt. Hiernach stellen mit Abstand konzerninterne Dienstleistungen den Prüfungsschwerpunkt der jeweiligen Betriebsprüfungen dar. Nach dieser Studie aus dem Jahr 2010 wurde in 66 % aller Prüfungsfälle die Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen untersucht, wobei der Anteil gegenüber dem Jahr 2007 um 20 % angestiegen ist.2 Aus Sicht der international agierenden Konzerne werden von allen Transaktionsarten zwei Dienstleistungskategorien als besonders anfällig für eine Überprüfung durch die jeweilige Finanzverwaltung eingeschätzt, nämlich die administrativen und kaufmännischen Dienstleitungen einerseits und die technischen Dienstleistungen andererseits. Die zusammen von Horváth & Partners mit Flick Gocke Schaumburg durchgeführten Studien in 20183 und 20214 haben die Gründe für die Prüfungsintensität weiter untersucht. Gemäß der empirischen Untersuchung aus dem Jahr 2018 verwendete die Mehrzahl der Studienteilnehmer die Kostenaufschlagsmethode (71 %) und die Preisvergleichsmethode (13 %) zur Er1 Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, China, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Schweden, Schweiz, Spanien, Südafrika, Südkorea, USA. 2 Vgl. Ernst & Young, 2010 Global Transfer Pricing Survey, 14; auch in einer empirischen Studie aus 2018 gaben 48 % der befragten Unternehmen – im Jahr 2015 waren es „nur“ 37 % – an, dass die Vergütung von Dienstleistungen Konflikte bei Betriebsprüfungen auslöse, vgl. Ditz/Bärsch/Kluge, IStR 2019, 302. 3 Vgl. Horváth & Partners und Flick Gocke Schaumburg, Transferpreisstudie 2018, Transferpreisstudie 2018 – Transferpreise zwischen Unternehmenssteuerung, BEPS und Digitalisierung. 4 Vgl. Horváth & Partners und Flick Gocke Schaumburg, Verrechnungspreisstudie 2020, Konzerninterne Dienstleistungen – Empirische Erkenntnisse zu Transferpreis- und Steuerungsaspekten.
528 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.89 Kap. 6
mittlung eines angemessenen Verrechnungspreises bei Dienstleistungen. Das hohe Prüfungsrisiko liegt im Wesentlichen darin begründet, dass in einer Vielzahl der Fälle konzerninterner Dienstleistungstransfers kein tatsächlicher Fremdvergleich möglich ist. Dies hat zur Folge, dass – von einigen Ausnahmefällen abgesehen – insbesondere die Preisvergleichsmethode zur Ermittlung angemessener Verrechnungspreise für Dienstleistungen ausscheidet. So verwundert es nicht, dass nach der o.g. Umfrage die kostenorientierten Methoden (Kostenaufschlagsmethode, TNMM) mit 63 % die Ermittlung von Verrechnungspreisen im Dienstleistungsbereich dominieren, wobei die Kostenaufschlagsmethode immer noch die meistgenutzte Verrechnungspreismethode für die (Einzel-)Abrechnung von Dienstleistungen ist (vgl. Rz. 6.151 ff.). Gegenstand der Prüfung ist danach aber nicht nur der fremdübliche Gewinnaufschlag, d.h. im engeren Sinne die Ableitung einer fremdüblichen Höhe und rechnerische Richtigkeit der Anwendung des Gewinnaufschlags, sondern insbesondere die Bestimmung der Kostenbasis. Denn gerade bei der Bestimmung der zutreffenden Kostenbasis zu verrechnender Dienstleistungen bestehen in der Praxis Abgrenzungsschwierigkeiten.1
II. Erscheinungsformen von Dienstleistungen Verschiedene Erscheinungsformen. Dienstleistungen zwischen international verbundenen Unternehmen besitzen eine beachtliche Fülle von Erscheinungsformen. Art und Umfang ihrer Erbringung sind sowohl vom Geschäftszweig als auch der organisatorischen Struktur der international verbundenen Unternehmen abhängig. Bei dezentraler Organisationsstruktur erbringen die einzelnen Unternehmen die benötigten Dienstleistungen entweder selbst oder sie bedienen sich verbundexterner Leistungserbringer. Die Aufgaben der Muttergesellschaft beschränken sich insoweit auf die Überwachung ihrer Tochtergesellschaft in ihrer Eigenschaft als Anteilseignerin.2 Demgegenüber werden in zentralisierten oder integrierten Konzernen3 von der Muttergesellschaft oder von einer speziellen Dienstleistungsgesellschaft Dienstleistungen von zentraler Stelle aus an die einzelnen Konzerngesellschaften erbracht. Diese umfassen insbesondere den Bereich der Administration, der EDV sowie der Forschung und Entwicklung (im Rahmen der Auftragsforschung). Hauptziel einer solchen Konzernorganisation ist die Realisierung von Synergieeffekten.4 Der Dienstleistungsaustausch im internationalen Unternehmensverbund kann grundsätzlich zwischen sämtlichen Unternehmenseinheiten stattfinden, wobei es unerheblich ist, ob die Muttergesellschaft, die Tochtergesellschaft oder eine Gemeinschaftseinrichtung (Interessen-Pool) als Leistungserbringer fungiert. Leistungsempfänger können einzelne, mehrere oder alle verbundenen Unternehmen zusammen sein. Kategorisiert man konzerninterne Dienstleistungen nach ihrem Leistungsobjekt, sind administrative bzw. kaufmännische Dienstleistungen und Finanzdienstleistungen5 (Rz. 6.423 ff.), industrielle und technische Dienstleistungen sowie Dienstleistungen im Bereich der Forschung und Entwicklung zu unterscheiden.
1 Vgl. Horváth & Partners und Flick Gocke Schaumburg, Verrechnungspreisstudie 2020, Konzerninterne Dienstleistungen – Empirische Erkenntnisse zu Transferpreis- und Steuerungsaspekten, S. 13. 2 Vgl. Tz. 7.4 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. dazu Kleineidam, IStR 2001, 724 f. m.w.N. 4 Vgl. Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 285 f. 5 Kritisch zur Qualifikation von Darlehensgewährungen als Finanzdienstleistungen Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 195.
Baumhoff/Kluge | 529
6.89
Kap. 6 Rz. 6.90 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.90
Administrative und kaufmännische Dienstleistungen. Insbesondere den administrativen und kaufmännischen Dienstleistungen kommt bei international verbundenen Unternehmen ein hoher Stellenwert zu, weil sie alle qualifizierten Planungs-, Informations-, Verwaltungs-, Koordinations- sowie Kontrollaktivitäten eines Unternehmens umfassen. Das Spektrum von administrativen und kaufmännischen Dienstleistungen, die zwischen international verbundenen Unternehmen ausgetauscht werden können, reicht von – allgemeiner Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung, – Buchführungs- und Revisionsaufgaben, – Überwachungs- und Kontrollaufgaben (z.B. Qualitätskontrollen), – Marketing- und Marktforschungsleistungen, – Beschaffungs- und Absatzleistungen, – Dienstleistungen im Organisations- und Finanzbereich, – Dienstleistungen im Personalbereich (z.B. Personalbedarfsplanung, Einstellung und Ausbildung), – EDV-Dienstleistungen, – Produktions-, Investitions-, Absatz- und Lagerhaltungsplanung, – Planung, Koordination und Kontrolle von Rechnungs- und Berichtswesen, FuE-Aktivitäten, des Leistungsprogramms, der Werbung und der Marktuntersuchungen bis hin – zur kompletten oder bereichsbezogenen Wahrnehmung von Verwaltungs- und Managementfunktionen der Tochtergesellschaften.
6.91
Industrielle und technische Dienstleistungen. Demgegenüber betreffen industrielle und technische Dienstleistungen Inputfaktoren zur Produktion von materiellen Gütern. Sie umfassen insbesondere die Lohnfertigung (Rz. 6.11 ff.), Architektur-, Ingenieurleistungen, technische Prüfungen und Gutachten, Instandhaltungen sowie Reparatur- und Montageleistungen.1 Daneben gehören zu den technischen Dienstleistungen IT-Dienstleistungen, die im Rahmen der industriellen Dienstleistungsproduktion Infrastrukturdienstleistungen (z.B. Bereitstellung von Rechen-, Kommunikations- und Netzwerkressourcen), IT-Arbeitsplatzdienstleistungen (z.B. E-Mail-Leistungen, Druckdienstleistungen), Geschäftsprozessdienstleistungen (z.B. die IT-gestützte Abwicklung von Buchhaltungs-, Personalmanagement- oder Einkaufsprozessen) und Unterstützungs- und Wartungsdienstleistungen (z.B. Help-Desk-Dienstleistungen) umfassen.2 Schließlich rechnen Engineering-Dienstleistungen zu den technischen Dienstleistungen. Sie umfassen Dienstleistungen i.R. des Basis-Engineering (Entwurfsplanung/Anlagenspezifikation), d.h. die gesamte technische Dokumentation für das Layout einer Maschine oder Anlage (z.B. Erstellung von Zeichnungen, Listen mit technischen Daten, verbale Beschreibungen) und für die Projektabwicklung, des Detail-Engineering (Ausführungsplanung), d.h. die Gesamtheit aller ingenieurtechnischen Fachplanungsaufgaben zur bild1 Zur Begriffsabgrenzung im Einzelnen vgl. Joos in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 860 f.; Kaeser, IStR 2014, 709 f., verweist darauf, dass ein übereinstimmendes Verständnis für den Begriff der „technischen Dienstleistungen“ fehle. Es gebe nur Definitionen, die eine Bandbreite von „eher breit“ bis zu „scheinbar präzise und eng“ abdecken würde. 2 Vgl. Zarnekow, Produktionsmanagement von IT-Dienstleistungen: Grundlagen, Aufgaben und Prozesse, 11 ff.
530 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.95 Kap. 6
lichen, verbalen und zahlenmäßigen Beschreibung jedes einzelnen Details der Maschine oder Anlage, sowie des Montage-Engineering, d.h. Zeichnungen und andere Dokumentationen mit technischen Einzelanweisungen in Bezug auf die Montage.
Dienstleistungen im Bereich FuE. Im Bereich der Forschung und Entwicklung können Dienstleistungen das gesamte Spektrum von FuE-Aktivitäten betreffen. Dienstleistungen im Bereich der Forschung und Entwicklung beziehen sich insbesondere auf die sog. Auftragsforschung und -entwicklung (Rz. 6.178). Diese liegt vor, wenn ein Konzernunternehmen einem verbundenen Unternehmen einen Einzelforschungsauftrag erteilt, nach welchem spezielle Aufgabenstellungen des Auftraggebers zu lösen sind, die diesem später ausschließlich und uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Der Forschungsauftrag kann sich dabei auf die Grundlagenforschung wie auch auf die angewandte Forschung und Entwicklung beziehen (Rz. 6.174).
6.92
Marktgängige und konzernspezifische Dienstleistungen. Bestimmte Dienstleistungen (z.B. Rechts-, Steuer-, Unternehmensberatung, Rechnungswesen, Marketing oder Marktforschung) entsprechen denen, die spezialisierte unabhängige Dienstleistungsunternehmen (fremde Dritte) ebenfalls erbringen könnten (sog. marktgängige Dienstleistungen).1 Für diesen Bereich marktgängiger Dienstleistungen geht die Finanzverwaltung davon aus, dass konzerninterne Dienstleister regelmäßig Routinefunktionen ausüben.2 Andere Dienstleistungen sind dahingegen unternehmensspezifischer Natur, so dass sie nur innerhalb eines Unternehmensverbundes und nicht von außen stehenden Dritten erbracht werden können (sog. konzernspezifische Dienstleistungen). Hierbei handelt es sich i.d.R. um Leistungen, die die Konzernspitze aus ökonomischen und organisatorischen Gründen für die ihr unterstellten Konzerngesellschaften wahrnimmt. So sind bestimmte Fachabteilungen des Dienstleistungsbereichs der Muttergesellschaften – vor allem bei geschäftsführenden Holding-Gesellschaften – sowohl für das eigene Unternehmen als auch für die Tochtergesellschaften tätig, weil diesen Töchtern entsprechende Abteilungen fehlen bzw. diese nicht oder nur unzureichend in der Lage sind, diese Leistungen zu erbringen.
6.93
III. Dienstleistungsbegriff 1. Abgrenzung zu anderen Leistungsbereichen Abgrenzungsproblematik. Eine Abgrenzung des Dienstleistungsbereichs vom Bereich der Güter- und Warenlieferungen (Maschinen, Anlagen, Halb- und Fertigerzeugnisse, Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe), der Nutzungsüberlassungen materieller Wirtschaftsgüter (Miete, Pacht, Leasing) und des Kapitalverkehrs (Darlehen und sonstige schuldrechtliche Finanzierungsleistungen) ist aufgrund der unterschiedlichen Charakteristika dieser Leistungsbereiche relativ problemlos. Weitaus problematischer hingegen ist eine Abgrenzung zum Bereich der immateriellen Wirtschaftsgüter, der den gesamten Technologiesektor, die Gruppe der gewerblichen Schutzrechte (Patente, Gebrauchs- und Geschmacksmuster, Marken- und Urheberrechte) und die sog. „Know-how“-Nutzungen umfasst.
6.94
Abgrenzung zur Know-how-Überlassung. Insbesondere die inhaltliche bzw. begriffliche Trennung der Know-how-Verträge von den Dienstleistungsverträgen ist insofern problematisch, als die meisten Know-how-Verträge zugleich Dienstleistungselemente aufweisen. So beinhalten die meisten Know-how-Verträge die Erbringung von Dienstleistungen in Form
6.95
1 Vgl. Tz. 7.2 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.76.
Baumhoff/Kluge | 531
Kap. 6 Rz. 6.95 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
von Beratungsleistungen.1 Insofern kann es sehr schwierig sein festzustellen, wo die Grenze zwischen der Übertragung oder Lizenzierung immaterieller Vermögenswerte und der Erbringung von Dienstleistungen verläuft.2 In der Praxis werden Know-how-Verträge zur Überlassung oder Nutzung gesetzlich nicht geschützten Spezialwissens über gewerblich-technische Erfahrungen abgeschlossen, wie z.B. Produktionsverfahren, Konstruktionen und nicht patentierte Erfindungen. Dieses Spezialwissen wird im Allgemeinen im Wege praktischer Erprobung gewonnen und durch praktische Beratung, technische Hilfe und Mitarbeiter-Schulung einem anderen zur Verfügung gestellt. Tz. 6.99 OECD-Leitlinien 2022 betont, dass diese Dienstleistungskomponenten ggf. getrennt berechnet werden sollten, und zwar entsprechend den für die Dienstleistungsverrechnung vorgesehenen Verfahren und Methoden.3 Insofern müssen Kriterien für eine Abgrenzung dieser beiden Entgeltkategorien entwickelt werden. Ist bei solchen „gemischten Verträgen“ der Stellenwert der praktischen Beratung und Schulung im Rahmen der Übertragung des Know-how an den Abnehmer höher als der des weiterzugebenden Spezialwissens, bzw. ist die Beratungs- und Schulungsleistung für den Leistungsempfänger von größerer Bedeutung als das Know-how selbst, so handelt es sich um die Erbringung einer Dienstleistung und nicht um eine Know-how-Übertragung. Dient die Beratung hingegen lediglich der Erläuterung der Unterlagen und Aufzeichnungen, die die zu übermittelnden Kenntnisse und Erfahrungen betreffen, so wird man diesen Vorgang nicht als eine eigenständige Dienstleistung qualifizieren können. Letztlich ist also die Abgrenzung nach dem Schwerpunkt des Vertragsinhalts bzw. der Wissensvermittlung vorzunehmen bzw. auf den Grad des Interesses des Abnehmers an den einzelnen Leistungskomponenten abzustellen. Die OECD stellt ferner in Tz. 6.10 OECD-Leitlinien 2022 zur Berücksichtigung von Intangibles bei der Festlegung von Verrechnungspreisen heraus, dass nicht jedwedes immaterielle Wirtschaftsgut eine gesonderte Vergütung erfordert. Dies sei etwa der Fall, wenn ein Unternehmen Dienstleistungen unter Einsatz von nicht einzigartigem Know-how erbringt und andere Unternehmen vergleichbare Dienstleistungsunternehmen unter Einsatz von vergleichbarem Know-how erbringen. In diesem Fall ist es Sache der Vergleichbarkeitsanalyse für Zwecke der Bemessung einer fremdvergleichskonformen Dienstleistungsgebühr, den Einsatz vergleichbarer immaterieller Wirtschaftsgüter im Vergleichstatbestand zu berücksichtigen. Eine gesonderte Lizenzgebühr für die Know-how-Überlassung kommt insofern nicht in Betracht.4
6.96
Unterschiedliche abkommensrechtliche Behandlung. Die Erbringung von Dienstleistungen ist gegenüber der Überlassung von Know-how auch deshalb abzugrenzen, weil abkommensrechtlich unterschiedliche Besteuerungsfolgen insbesondere bezogen auf das Quellenbesteuerungsrecht des Sitzstaates des Dienstleistungsempfängers bzw. Lizenznehmers zum Tragen kommen.5 So fassen einige DBA mit Entwicklungsländern Vergütungen für bestimmte Dienstleistungen unter den Lizenzgebührenartikel,6 wobei vornehmlich technische Dienstleistungen betroffen sind.7 Während in diesen Fällen der Begriff „technisch“ regelmäßig definiert 1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 7.3 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 7.3 f. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.99 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.10 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. hierzu Tz. 6.13 f. OECD-Leitlinien 2022; Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 86 f. 6 Vgl. z.B. Art. 12 Abs. 1 DBA-Indien, Art. 12 Abs. 1 DBA-Indonesien, Art. 12 Abs. 1 DBA-Jamaika; Art. 12 Abs. 1 DBA-Vietnam; siehe ferner Übersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L7, Art. 12 OECDMA Rz. 79. 7 Vgl. hierzu auch Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 264; Kaeser, IStR 2012, 674 f.
532 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.98 Kap. 6
wird, bleibt der Dienstleistungsbegriff ausnahmslos ohne eigenständige abkommensrechtliche Begriffsdefinition. Insofern ist über den jeweiligen Anwendestaatsvorbehalt der Art. 3 Abs. 2 OECD-MA entsprechenden Bestimmung auf das Begriffsverständnis des innerstaatlichen Rechts des jeweiligen Anwendestaates zurückzugreifen, wobei es aus deutscher Sicht vor allem darauf ankommt, dass die Tätigkeit als solche geschuldet ist.1 Die DBA, die Vergütungen für technische Dienstleistungen und die Know-how-Überlassung gleichermaßen unter den Lizenzgebührenartikel einordnen, sehen regelmäßig – abweichend von Art. 12 Abs. 1 OECDMA – ein der Höhe nach beschränktes Quellenbesteuerungsrecht vor.2 Der Unterscheidung dieser „Lizenzgegenstände“ im Hinblick auf das Quellenbesteuerungsrecht kommt insofern nur dann praktische Bedeutung zu, wenn unterschiedliche Quellensteuerhöchstsätze vereinbart sind.3 Bezieht ein DBA hingegen – wie Art. 12 Abs. 1 OECD-MA – technische Dienstleistungen nicht in den Anwendungsbereich des Lizenzgebührenartikels ein bzw. sind andere Dienstleistungen betroffen, kommt ein nach dem jeweiligen DBA dem Quellenstaat – regelmäßig auf Bruttobasis der Vergütungen – zugestandenes Quellenbesteuerungsrecht4 nur dann zum Tragen, wenn die Schwelle zur Know-how-Überlassung überschritten ist.5 Im Übrigen können aufgrund des Wohnsitzstaatsprinzips des Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 OECD-MA die Dienstleistungsvergütungen nur im Wohnsitzstaat des Dienstleistungserbringers besteuert werden. Ein Besteuerungsrecht des Quellenstaates besteht nur dann, wenn die in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. Satz 2 OECD-MA gesetzte Intensitätsschwelle überschritten wird, weil der Dienstleistungserbringer im Tätigkeitsstaat eine sog. Dienstleistungsbetriebsstätte unterhält.6
2. Assistenz-, Management-, Kontroll- und Regieleistungen Überholte Dreiteilung. In der historischen Entwicklung wurde insbesondere aufgrund des hohen Unbestimmtheitsgrads und der mangelnden Aussagefähigkeit des Begriffs „Konzernumlagen“ versucht, den innerkonzernlichen Dienstleistungsaustausch in folgende drei Teilbereiche zu klassifizieren, um hieraus allgemeingültige Aussagen zu Entgeltfähigkeit und -pflicht abzuleiten:7
6.97
– Assistenzleistungen, – Managementleistungen sowie – Kontrollleistungen. Assistenzleistungen. Unter Assistenzleistungen sind hierbei definitionsgemäß Tätigkeiten der Obergesellschaft zu verstehen, die ihrer Art nach auch von einem unabhängigen Dienstleistungsunternehmen erbracht werden können. Zum Bereich der Assistenzleistungen zählen beispielsweise Werbemaßnahmen, Markt- und Produktforschung, Beratung in Steuer-, Rechts-,
1 2 3 4 5 6
Vgl. auch Kaeser, IStR 2012, 674. Vgl. Übersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 29. So z.B. Art. 12 Abs. 1 DBA-Indonesien; Art. 12 Abs. 1 DBA-Vietnam. Vgl. Übersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 29. Vgl. hierzu Nr. 11.1 ff. OECD-MK zu Art. 12 OECD-MA. Vgl. hierzu z.B. Ditz/Quillitzsch, FR 2012, 493 ff.; Kaeser, IStR 2012, 676 f.; zu Art. 5 Abs. 3 Buchst. b des rückwirkend zum 1.1.2011 anzuwendenden DBA-Türkei (BGBl. II 2012, 526) siehe etwa Müller-Gatermann in Lüdicke, Praxis und Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, Köln 2012, 32; Endres/Freiling, PIStB 2012, 161. 7 Vgl. Felix, StuW 1964, Sp. 23; sowie hierzu Schlagheck, StBp. 2000, 84.
Baumhoff/Kluge | 533
6.98
Kap. 6 Rz. 6.98 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Finanz-, Marketing-, EDV-, Patent-, Bau- und Ingenieurangelegenheiten, Auftrags- bzw. Zweckforschung, die Überlassung von Immaterialgüterrechten und Erfahrungen, das Anfertigen von Fachgutachten bis hin zur Bereitstellung von EDV-Kapazität und Inkassostellen. Es handelt sich also um die Erbringung marktgängiger Dienstleistungen, wobei der Leistende zugleich Gesellschafter des Leistungsempfängers ist. Dennoch übernimmt die Obergesellschaft hierbei nicht die Funktion eines Gesellschafters, sondern die eines Dienstleistungsunternehmens, dem unternehmerische Teilfunktionen aus dem Aufgabenbereich des Leistungsempfängers übertragen werden. Die Obergesellschaft „assistiert“ hierbei quasi der Tochtergesellschaft, ohne in deren Entscheidungskompetenz einzugreifen. Ebenso wie das die Leistung empfangende Konzernunternehmen einen unabhängigen Dritten mit der Erbringung der Dienstleistung beauftragen könnte, kann es auch die zur Dienstleistungserbringung befähigte Obergesellschaft damit betrauen. Da einem fremden Dritten die Dienstleistung marktgerecht zu vergüten wäre, muss dementsprechend auch der die Leistung erbringenden Obergesellschaft ein marktübliches Entgelt gezahlt werden.1
6.99
Managementleistungen. Als Managementleistungen werden die Tätigkeiten bezeichnet, durch die die Obergesellschaft in den Entscheidungsprozess des abhängigen Unternehmens eingreift. Standardfall hierfür ist die Wahrnehmung der Geschäftsführungsfunktion sowie die teilweise oder völlige Planung und Durchführung von unternehmerischen Entscheidungen der Konzernspitze für die Tochtergesellschaften. Hierzu zählen insbesondere die Gestaltung des Produktions- und Absatzprogramms, die Festlegung der Investitionspolitik und der Finanzplanung, die Auftragssteuerung sowie die Personalpolitik. Durch diese Art von Leistungen beteiligt sich die Konzernspitze am Management einer verbundenen Unternehmung, indem sie die Geschäftsführung mit dem dazugehörigen Beratungs- und Verwaltungsstab der die Leistung empfangenden Unternehmung ganz oder teilweise entlastet. Es erfolgt praktisch eine Aufteilung der Aufgaben der Unternehmensführung und -politik auf zwei Gesellschaften. Diese Managementleistungen wurden früher als höchst unternehmensspezifische Leistungen angesehen, die im Gegensatz zu den Assistenzleistungen nicht von einem unabhängigen Beratungs- bzw. Dienstleistungsunternehmen erbracht werden können. Demzufolge ging man von nicht marktgängigen Leistungen aus, die sich einem Fremdvergleich grundsätzlich entziehen würden und mangels Marktpreisen lediglich auf der Grundlage der Kosten der leistungserbringenden Konzerngesellschaft zzgl. eines Gewinnaufschlags abzurechnen seien. Insbesondere die Abgrenzung der Assistenzleistungen von den Managementleistungen, die sich letztlich nach der (fehlenden) Marktgängigkeit der jeweiligen Dienstleistungen entscheidet, lässt sich seit geraumer Zeit mit der Realität der Leistungsgegenstände unabhängiger Dienstleistungsunternehmen nicht mehr vereinbaren. Ein überwiegender Teil der ex definitione zum Bereich der Managementleistungen zählenden Aufgaben wird heute von spezialisierten Unternehmens- und Managementberatern angeboten, wobei neben einer detaillierten Investitions-, Finanz-, Absatz-, Produktions- und Personalplanung selbst Krisenmanagementbzw. Geschäftsführungsfunktionen übernommen werden. Häufig werden dabei Dauerberatungsverträge abgeschlossen, so dass eine Management-Dienstleistung vor dem Hintergrund unternehmensindividueller Vorgänge auch ohne die Eingliederung des Leistenden in die Unternehmung von einem fremden Dritten erbracht werden kann. Daher muss davon ausgegangen werden, dass jedwede Dienstleistung am Markt angeboten und deshalb grundsätzlich auch vom Markt bezogen werden kann. Die Marktgängigkeit von Dienstleistungen ist deshalb kein taugliches Abgrenzungskriterium.
1 Vgl. auch Elbert/Gotsis in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 37.
534 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.102 Kap. 6
Kontrollleistungen. Kontrollleistungen beinhalten alle Maßnahmen, die die Muttergesellschaft zur Wahrnehmung von Überwachungs- und Kontrollfunktionen in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin gegenüber den Tochtergesellschaften trifft. Diese Kontrollleistungen unterscheiden sich von den Assistenzleistungen dadurch, dass die Konzernspitze hiermit ihre Mitgliedschaftsrechte ausübt, während der Unterschied zu den Managementleistungen darin besteht, dass es bei Kontrollleistungen nicht um Betriebsleitung, sondern um Betriebskontrolle geht. Leistungen dieser Art gehören zum Aufgabenbereich der Muttergesellschaft und erfolgen nur in deren Interesse, wobei die abhängige Tochtergesellschaft keinen Vorteil erlangt, sondern lediglich Gegenstand der Kontrolle ist. Ein Leistungsaustausch findet demnach nicht statt, so dass die Kosten solcher Kontrollleistungen den Tochtergesellschaften nicht berechnet werden dürfen.1 Allerdings kann nicht jede Leistung, deren Zwecksetzung die Unternehmenskontrolle darstellt, der Gesellschafterebene zugeordnet werden. Kontrollleistungen beinhalten auch solche Leistungen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie zwar der Muttergesellschaft die Möglichkeit der Überwachung und Kontrolle der Tochtergesellschaften geben, darüber hinaus aber auch im Interesse der Tochtergesellschaften liegen können, und diese möglicherweise von diesen Kontrollleistungen ebenfalls profitieren. In solchen Fällen, zu denen beispielsweise die Tätigkeit des Controllers, Wirtschaftsprüfers oder Innenrevisors zählt, ersparen sich die Tochtergesellschaften eigene notwendige Kontrollmaßnahmen und erlangen somit einen Vorteil, der den Tochtergesellschaften in Rechnung zu stellen ist und bei diesen eine abzugsfähige Betriebsausgabe darstellt (Rz. 6.118).
6.100
Bei allgemeinen Planungs- und Koordinierungsleistungen (Rz. 6.146 ff.) sowie dem sog. „Rückhalt im Konzern“ (Rz. 6.139 ff.) ist eine Zuordnung in die drei Leistungskategorien besonders problematisch. Umgekehrt ist eine Weiterbelastung von Assistenz- bzw. Managementkosten ebenfalls nicht uneingeschränkt zulässig, da bestimmte Leistungen, sofern sie von der Konzernspitze erbracht werden, dem Erscheinungsbild nach zwar Management- bzw. Assistenzleistungen darstellen, aber dennoch ausschließlich bei der Muttergesellschaft betrieblich veranlasst sind. Es handelt sich hierbei um Leistungen, die die Konzernspitze in Eigen- oder Gesellschafterfunktion erbringt, im Gegensatz zu den „typischen“ weiterbelastbaren Assistenz- oder Managementleistungen, bei denen es sich um die Wahrnehmung einer sog. Fremdoder Dienstleistungsfunktion handelt. Gemäß der bisweilen noch heute anzutreffenden Dreiteilung der Dienstleistungen bilden Assistenz- und Managementleistungen bei Erfüllung einer Eigen- oder Gesellschafterfunktion mit den nicht weiterbelastbaren Kontrollleistungen eine Einheit, obwohl die Leistungsinhalte völlig unterschiedlich sind.
6.101
Dreiteilung des Dienstleistungsaustauschs. Zu der traditionellen Dreiteilung des Dienstleistungsaustausches lässt sich zusammenfassend folgendes feststellen: Bei bestimmten Arten von Dienstleistungen, die innerhalb eines internationalen Unternehmensverbundes ausgetauscht werden, können bei Verwendung dieser Terminologie aufgrund der Begriffsinhalte
6.102
– Managementleistungen dem Bereich der Assistenzleistungen, – Kontrollleistungen dem Bereich der Assistenz- und Managementleistungen und umgekehrt, – Assistenz- und Managementleistungen dem Bereich der Kontrollleistungen zugeordnet werden. Angesichts dieser groben begrifflichen Unschärfe ist eine Verwendung der dargestellten Dreiteilung zur Ordnung und Strukturierung des zu untersuchenden komplexen Sachverhalts ungeeignet. 1 Vgl. BFH v. 19.3.1969 – I R 31/67, BStBl. II 1969, 498.
Baumhoff/Kluge | 535
Kap. 6 Rz. 6.103 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.103
Regieleistungen/-kosten. Vergleichbar ungeeignet für die Kategorisierung des konzerninternen Dienstleistungsaustausches im Hinblick auf eine Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach ist der Begriff „Regieleistungen“ bzw. „Regiekosten“. Zum einen wird der Begriff „Regieleistungen“ den wirtschaftlichen Realitäten insofern nicht gerecht, als er einseitig nur den Leistungsfluss von der Muttergesellschaft zur Tochtergesellschaft erfasst, nicht jedoch die auch in umgekehrter Richtung zu erbringenden Dienstleistungen von der Tochtergesellschaft zur Muttergesellschaft einerseits und zwischen den einzelnen Tochtergesellschaften untereinander andererseits. Zum anderen erfasst der Ausdruck „Regie“ längst nicht alle Dienstleistungen, die innerhalb eines internationalen Unternehmensverbundes ausgetauscht werden können, sondern nur solche Leistungen, die üblicherweise von einer Konzernmuttergesellschaft für Tochtergesellschaften erbracht werden, wie z.B. Aufgaben der allgemeinen Konzernverwaltung, die Betreuung und Wahrnehmung des Weisungsrechts über die unternehmerischen Aktivitäten der Tochtergesellschaften oder die Festlegung der Konzernpolitik. Der Ausdruck „Regieleistungen“ kennzeichnet somit beispielsweise nicht solche Dienstleistungen, die die einzelnen Gliedunternehmen selbst erbringen könnten, die aber aus organisatorischen Zweckmäßigkeitserwägungen von der Obergesellschaft erbracht werden, oder diejenigen Dienstleistungen, die auch von unabhängigen Dienstleistungsunternehmen übernommen werden könnten. Wie unscharf und irreführend der Begriff „Regieleistungen“ zur Bezeichnung des Dienstleistungsaustausches ist, zeigt auch der Leitsatz einer Entscheidung des BFH vom 19.3.19691, der „Regiekosten“ mit Kontrollkosten gleichsetzt, obwohl Einigkeit darüber besteht, dass der Ausdruck „Regieleistungen“ auch für solche Leistungen steht, deren Abzugsfähigkeit unumstritten ist.
6.104
Zweiteilung. Zur Kennzeichnung und zur Klassifizierung der zwischen international verbundenen Unternehmen ausgetauschten Dienstleistungen wird eine Zweiteilung in gesellschaftsund schuldrechtliche Dienstleistungsbeziehungen vorgenommen.2 Dabei unterscheiden die OECD-Leitlinien zwischen
3. Klassifizierung nach den OECD-Leitlinien
– nicht verrechenbaren Tätigkeiten, welche die Muttergesellschaft in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin erbringt („shareholder activity“ bzw. sog. „Gesellschafteraufwand“), und – verrechenbaren Tätigkeiten, die eindeutig zum Vorteil eines oder mehrerer verbundener Unternehmen erbracht werden. – Eine zusätzliche dritte Kategorie, sog. „Mischleistungen“, erwähnen die OECD-Leitlinien zwar nicht; sie sind jedoch – allerdings in Abhängigkeit von Inhalt und Reichweite der nicht verrechenbaren Dienstleistungen („Gesellschafteraufwand“) – in der deutschen Verrechnungspreispraxis als Realität und typische Kompromissfälle in Betriebsprüfungen nicht wegzudenken (Rz. 6.129 ff.). Bei diesen Mischleistungen handelt es sich um Dienstleistungen, die sowohl im Interesse der Muttergesellschaft bzw. des Gesamtkonzerns als auch im Interesse einer oder mehrerer Konzerngesellschaften erbracht werden.3 Aufgrund der Notwendigkeit der Zuordnung solcher Dienstleistungen entweder zur gesellschaftsrechtlichen oder schuldrechtlichen Sphäre entsteht die Schwierigkeit, darüber zu entschei-
1 BFH v. 19.3.1969 – I R 31/67, BStBl. II 1969, 497. 2 So ausdrücklich Tz. 7.9 und Tz. 7.10 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.6 Rz. 38 m.w.N.
536 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.106 Kap. 6
den, welchem Unternehmen die Dienstleistungen Vorteile gebracht haben bzw. in welchem Verhältnis der Vorteil auf die beteiligten Unternehmen entfällt.1 Infolgedessen ist eine Aufteilung in einen verrechenbaren und einen nicht verrechenbaren Teil vorzunehmen.
4. Bezeichnungen und Klassifizierungen in den VWG 1983 Bezeichnungen und Klassifizierungen in den zwischenzeitlich aufgehobenen VWG 1983. Die VWG 1983 bedienen sich keines einheitlichen Dienstleistungsbegriffs, sondern behandeln die Dienstleistungen je nach Erscheinungsform unter mehreren, voneinander unabhängigen Gliederungspunkten. Dabei wird unterschieden zwischen:
6.105
– gewerblichen Dienstleistungen,2 – Dienstleistungen im Bereich der Forschung und Entwicklung (FuE)3 und – verwaltungsbezogenen Leistungen,4 wobei Dienstleistungen aus dem Bereich der Forschung und Entwicklung sowie verwaltungsbezogene Dienstleistungen als Sonderbereiche gewerblicher Dienstleistungen angesehen werden.5 Trotz dieser Unterscheidung existiert jedoch keine exakte Beschreibung dieser verschiedenen Dienstleistungsarten. Dies war früher insofern von Nachteil, als nur diejenigen Dienstleistungen, die als FuE- bzw. verwaltungsbezogene Dienstleistungen klassifiziert wurden, im Wege der Kostenumlage verrechnet werden durften,6 sofern die dafür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt waren. Zu Umlagen nach dem Kosten- und Poolkonzept sei auf Abschnitt D verwiesen (Rz. 6.336 ff.). Typischerweise marktgängige Dienstleistungen. Aus den zuvor genannten Formulierungen in den VWG 1983 lässt sich schließen, dass es sich bei (typischen) gewerblichen Dienstleistungen um marktgängige Dienstleistungen handelt, die auch von unabhängigen Dienstleistungsunternehmen erbracht werden können. In den VWG 1983 wird der Begriff der gewerblichen Dienstleistungen inhaltlich ebenso wenig konkretisiert wie der der FuE-Dienstleistungen. Auch findet sich keine begriffliche Abgrenzung der FuE-Dienstleistungen von den Leistungen des Technologiebereichs, die zur Leistungskategorie der immateriellen Wirtschaftsgüter zählen. Trotz der dargestellten Schwierigkeiten einer begrifflichen Abgrenzung dieser beiden Leistungskategorien muss der gesamte Bereich der Auftragsforschung bzw. -entwicklung (Rz. 6.178) als eine Dienstleistung des FuE-Bereichs angesehen werden. Auch der gesamte Bereich der Lohn- bzw. Auftragsfertigung (Rz. 6.7 ff.) muss als Dienstleistung bezeichnet werden.7 1 Vgl. Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.6 Rz. 38. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 5 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.2.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 6 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.1.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 Vgl. Tz. 7.40 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Kluge | 537
6.106
Kap. 6 Rz. 6.107 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.107
Dienstleistungen und Routineunternehmen. Als Routineunternehmen wird nach Anlage 2 der VWG VP 20211 ein Unternehmen qualifiziert, das lediglich Routinefunktionen ausübt, nur in geringem Umfang Wirtschaftsgüter einsetzt und nur geringe Risiken trägt. Als Routinefunktionen werden beispielhaft die Erbringung konzerninterner, marktgängiger Dienstleistungen und einfache Vertriebsfunktionen angesehen. Routineunternehmen i.d.S. sind etwa der Auftragsfertiger, der Lohnfertiger (Rz. 6.7 ff.), der Kommissionär (Rz. 6.52) oder der sog. Low-Risk-Distributor (Rz. 6.51). Das Funktionsprofil eines Routineunternehmens beschränkt sich regelmäßig auf die (konkrete) Funktions- bzw. Tätigkeitsausübung. Eigene Marktchancen und -risiken nimmt es nicht wahr. Die für die Geschäftsbeziehung wesentlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter werden nicht durch das Routineunternehmen eingesetzt, sondern durch den Auftraggeber – i.d.R. kostenlos – beigestellt. Insofern kennzeichnen das Risikoprofil eines Routineunternehmens lediglich die mit der Funktionsausübung verbundenen Risiken (vgl. etwa Rz. 4.63 f.). Die eingeschränkte Funktionsausübung des Routineunternehmens ist grundsätzlich – ausgenommen der als Eigenhändler zu qualifizierende LowRisk-Distributor – als Dienstleistung an den Auftraggeber anzusehen. Für diese wird in der Verrechnungspreispraxis i.d.R. ein – nach der Kostenaufschlagsmethode oder geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode ermitteltes – kostenorientiertes Entgelt verrechnet. Angesichts dessen vertrat die Finanzverwaltung die u.E. zutreffende Auffassung, dass Routineunternehmen „bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“ erzielen (Rz. 6.45).2 Von Verlusten werden Routineunternehmen – bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf – durch den Auftraggeber freigehalten, was durch die kostenorientierte Entgeltsbemessung gewährleistet ist.3
6.108
Der Begriff der „verwaltungsbezogenen Leistungen“. Der Begriff der „verwaltungsbezogenen Leistungen“ wurde in Tz. 6.1. VWG 1983 inhaltlich näher umschrieben. Hierunter wurde die Wahrnehmung von Aufgaben der Verwaltung, des Managements, der Kontrolle, der Beratung und von ähnlichen Aufgaben verstanden.4 Kroppen/Rasch5 sehen in dieser Aufzählung die traditionelle Dreiteilung des konzerninternen Dienstleistungsaustausches bestätigt, obwohl hier vier Leistungsbereiche angegeben sind (Verwaltung, Management, Kontrolle, Beratung), und andere Dienstleistungsarten, wie typische gewerbliche und F+E-Dienstleistungen, die nach der traditionellen Dreiteilung den Assistenzleistungen zugeordnet werden müssten, ex definitione nicht zu den verwaltungsbezogenen Leistungen zählen. Es stellte sich die Frage, ob eine begriffliche Trennung zwischen (typischen) gewerblichen Dienstleistungen einerseits und F+E- bzw. verwaltungsbezogenen Dienstleistungen andererseits überhaupt möglich und darüber hinaus auch sinnvoll ist. Geht man davon aus, dass bestimmte Dienstleistungen, wie z.B. Beratungsleistungen, Werbemaßnahmen und Produktforschung, die Hauptfunktion vieler spezialisierter Dienstleistungsunternehmen darstellen und nach der Begriffsverwendung der (aufgehobenen) Verwaltungsgrundsätze einerseits als (typische) gewerbliche, andererseits auch als FuE- bzw. verwaltungsbezogene Dienstleistungen angesehen werden können, so wird 1 Vgl. BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – VWG Verrechnungspreise, BStBl. I 2021, 1098. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Siehe zu einem infrage kommenden temporären Gewinnverzicht in Phasen gesamtwirtschaftlicher oder branchenbezogener Krisen aber auch Baumhoff in FS Krawitz, 32 f. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. Kroppen/Rasch in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Rz. zu Tz. 6.1. VWG.
538 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.111 Kap. 6
deutlich, dass die Markierung einer klaren Trennungslinie zwischen diesen Dienstleistungsarten unmöglich ist, weil die Begriffe nicht überschneidungsfrei definiert sind. Dies wurde beispielsweise in Tz. 3.3.1. VWG 1983 sehr deutlich, wonach Werbemaßnahmen sowohl als gewerbliche als auch als verwaltungsbezogene Dienstleistungen verrechnet werden können.1
Da diese Leistungen ex definitione Gegenstand des Dienstleistungsaustausches zwischen Fremden sind und aufgrund ihrer Transparenz und hohen Standardisierbarkeit i.d.R. eindeutig abgrenzbar und messbar sind, kommt hierfür in der überwiegenden Zahl der Fälle ohnehin nur die Einzelabrechnung in Frage (Rz. 6.156 ff.). In Anlehnung an die OECD-Leitlinien (bzw. die diesen zeitlich vorgelagerten OECD-Berichte) gliederten die VWG 1983 doch letztlich trotz der dargestellten begrifflichen Schwierigkeiten den Dienstleistungsaustausch in die zwei Bereiche der gesellschafts- und der schuldrechtlichen Leistungsbeziehungen2 und gaben damit die traditionelle Dreiteilung der Dienstleistungen in Management-, Kontroll- und Assistenzleistungen (Rz. 6.97 ff.) auf. Auch sollte die in den VWG 1983 vorgenommene begriffliche Trennung der Dienstleistungen im Konzern zwischen gewerblichen, FuE- und verwaltungsbezogenen Dienstleistungen wegen der zuvor angeführten Nachteile nicht aufrechterhalten werden. Stattdessen sollte analog der Vorgehensweise der OECD-Leitlinien3 nur noch unterschieden werden zwischen nicht entgeltpflichtigen Dienstleistungen, die vor dem Hintergrund gesellschaftsrechtlicher Beziehungen erbracht werden, und solchen Leistungen, die schuldrechtlichen Charakter besitzen und deshalb dem Leistungsempfänger in Rechnung zu stellen und bei diesem abzugsfähig sind. Hierzu ist eine Prüfung der Verrechnung dem Grunde nach erforderlich. Danach ist im Rahmen der Verrechnung der Höhe nach festzustellen, welches Entgelt im Einzelfall angemessen ist.
5. Bezeichnungen und Klassifizierungen in den VWG Verrechnungspreise 2021 Aufhebung der VWG 1983. Durch die neuen VWG VP 20214 wurden die bisher anzuwendenden VWG 19835 sowie VWG Verfahren6 aufgehoben.
6.109
Überblick über die Regelungen in den VWG VP 2021. Die neuen VWG VP 2021 stellen in ihrer gesamten Diktion ganz wesentlich auf die Anwendung der OECD-Leitlinien in ihrer jeweils jüngst geltenden Form ab.7 Es finden sich nur wenig ergänzende Hinweise.
6.110
Benefit test. Mit Verweis auf den Benefit test oder die OECD-Leitlinien 2022 wird von der deutschen Finanzverwaltung eine Dienstleistung nur dann als entgeltfähig eingestuft, wenn8
6.111
– ein unabhängiger Dritter als Leistender dazu bereit wäre, diese Dienstleistung gegen Entgelt zu erbringen, und ein unabhängiger Dritter bereit wäre, eine Vergütung für diese Dienstleistung zu zahlen, oder
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.3.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.1., 6.2.1. und 6. 3.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Vgl. Tz. 7.9 und Tz. 7.10 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – VWG VP 2021, BStBl. I 2021, 1098. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.3 und Tz. 3.64. 8 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.65.
Baumhoff/Kluge | 539
Kap. 6 Rz. 6.111 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– ein unabhängiger Dritter im eigenen Unternehmen die Dienstleistung als Eigenleistung erbringen würde. Ähnlich wie bei den OECD-Leitlinien wird damit darauf abgestellt, dass ein Nutzen vorliegen muss, weil nur dann ein unabhängiger Dritter hierfür ein Entgelt entrichten würde bzw. sonst eigene Ressourcen aufwendet, um die Dienstleistung als Eigenleistung zu erbringen. Dabei wird unterstellt, dass die Vermittlung einer Dienstleistung eine eigenständige Dienstleistung darstellt.1
6.112
Gesellschafteraufwand. Gesellschafteraufwand ist nach den VWG VP 2021 nicht entgeltfähig.2 Dabei soll es sich um Aufwand handeln, der aufgrund der Stellung oder der Pflichten einer kapital- oder vermögensmäßigen Beteiligung verursacht ist. Dies soll insbesondere die Tätigkeiten oder Leistungen3 – des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder vergleichbarer ausländischer Leitungs- oder Kontrollgremien; – im Zusammenhang mit Gesellschafterversammlungen, der Ausgabe von Anteilen am Kapital und der Börsennotierung des Gesellschafters; – im Zusammenhang mit der rechtlichen Organisation der multinationalen Unternehmensgruppe als solcher; – im Zusammenhang mit dem Schutz und der Verwaltung der Beteiligungen einschließlich Führungs- und Kontrolltätigkeiten; – im Zusammenhang mit der Unternehmensgruppenführung betreffen.
6.113
Leistungen im Interesse des Gesellschafters. Leistungen im Interesse des Gesellschafters sind vom Gesellschafter gegenüber dem Leistungserbringer fremdüblich zu vergüten.4 Betroffen sind hiervon mehrere Fallkonstellationen. Erbringt ein Unternehmen Leistungen, die als Gesellschafteraufwand zu qualifizieren sind, gegenüber einer weiteren Gruppengesellschaft (z.B. Schwestergesellschaft), dürften diese Aufwendungen vom Gesellschafter gegenüber dem Leistungserbringer fremdüblich als Dienstleistung zu vergüten sein. Dies kann beispielsweise Fälle der internen Revision betreffen, wenn diese vom Gesellschafter auf eine Tochtergesellschaft ausgelagert wurde, die im Auftrage des Gesellschafters die Prüfung bei anderen Gruppenunternehmen vornimmt. Wesentlich ist bei dieser Fallkonstellation, dass diese Leistung sonst vom Gesellschafter (z.B. aufgrund rechtlicher Pflichten) selbst auszuüben wäre, so dass ein Nutzen (Benefit) für den Gesellschafter durch die Ausübung durch den Leistungserbringenden entsteht. Neben der Erbringung von Leistungen, die beim Gesellschafter als Gesellschafteraufwand zu qualifizieren sind, sind von dieser Regelung auch Fälle betroffen, in denen es sich um ganz normale Dienstleistungen handelt, die beim Gesellschafter nicht als Gesellschafteraufwand qualifizieren müssen. Erbringt eine Tochtergesellschaft (z.B. ein Shared Servicecenter) an ihren Gesellschafter Leistungen im Bereich der Buchführung, liegt ebenfalls eine verrechenbare Dienstleistung vor. Ähnliches gilt aber auch, wenn die Tochtergesellschaft Leistungen im Bereich der Entwicklung an den Gesellschafter in Form einer Auftragsentwicklung erbringt. 1 2 3 4
Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.66. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.69. VWG VP 2021, Rz. 3.69. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.70.
540 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.114 Kap. 6
Hierbei handelt es sich letztlich um normale Dienstleistungen, für die es keiner besonderen Erwähnung in den VWG VP 2021 bedürfte, da diese bereits durch Anwendung des Benefit Tests von der leistungserbringenden Gesellschaft an den Gesellschafter zu verrechnen sind.
6. Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung (Low Value-Adding Services) Definition und Abgrenzung. Eine nicht nach konkreten Leistungsgegenständen abgrenzbare Dienstleistungskategorie der verrechenbaren, d.h. auf schuldrechtlichen Leistungsaustauschbeziehungen basierenden Dienstleistungen stellen die Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung (Low Value-Adding Services – LVAS) dar. Hierbei handelt es sich um Dienstleitungen, die ein oder mehrere Unternehmen an andere Unternehmen desselben Unternehmensverbunds erbringen und die – lediglich unterstützender Natur sind, – nicht zum Kerngeschäft des Unternehmensverbundes gehören (nicht Gegenstand der Haupttätigkeit der multinationalen Unternehmensgruppe im Außenverhältnis zu Dritten ist), – nicht den Einsatz einzigartiger und wertvoller immaterieller Wirtschaftsgüter erfordern oder zur Schaffung solcher Wirtschaftsgüter führen, und – die nicht die Übernahme oder Kontrolle substanzieller und signifikanter Risiken einbeziehen oder zur Entstehung solcher Risiken führen.1 Die Abgrenzung konzerninterner Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung von konzerninternen Dienstleistungen mit nicht nur geringer Wertschöpfung ist erforderlich, weil die OECD-Leitlinien 2022 in Tz. 7.61 sowie die VWG VP 2021 in Rz. 3.74 eine vereinfachte Ermittlung fremdvergleichskonformer Dienstleistungsvergütungen vorsehen, nach der bei allen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung unabhängig von den Dienstleistungskategorien derselbe Gewinnaufschlag i.H.v. 5 % angewendet wird.2 Ein vergleichbarer Ansatz wurde für die EU vom EU-JTPF entwickelt.3 Dieser vereinfachende Ansatz hat den Vorteil, dass hiermit nicht wesentliche Geschäftsbeziehungen vereinfacht abgerechnet werden können, auch wenn durch die Vereinfachung eine gewisse Ungenauigkeit verursacht wird. Durch die Einschränkung, dass es sich nur um Leistungen von unterstützender Natur handeln darf, die nicht zum Kerngeschäft gehörten, wird aber sichergestellt, dass keine wesentlichen Abweichungen vorliegen können. Ungeachtet des Vorliegens von Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung soll der vereinfachte Ansatz dann nicht zum Tragen kommen, wenn die betreffenden Dienstleistungen auch an unverbundene Dienstleistungsempfänger erbracht werden. In diesem Fall geht die OECD davon aus, dass im Rahmen eines internen Preisvergleichs verlässliche Vergleichswerte zur Bestimmung einer fremdvergleichskonformen Dienstleistungsvergütung festgestellt werden können.4
1 Vgl. Tz. 7.45 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.75. 2 Vgl. Tz. 7.61 OECD-Leitlinien 2022, siehe hierzu z.B. Elbert/Münch, IStR 2015, 341 ff.; Ackermann/Greil, IWB 2015, 3 f.; Hüning/Hewera/Geyik, IWB 2016, 298 ff. 3 EU-JTPF, Leitlinien zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung, abgedruckt in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise5, S. 485 ff. 4 Vgl. Tz. 7.46 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Kluge | 541
6.114
Kap. 6 Rz. 6.115 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.115
Keine Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung. Folgende Dienstleistungen sollen nach Auffassung des EU-JTPF keine der Anwendung des vereinfachten Ansatzes zugänglichen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung sein: – Dienstleistungen, die die Haupttätigkeit des Unternehmensverbunds betreffen; – FuE-Dienstleistungen (z.B. Auftragsforschung oder -entwicklung); – Fertigungs- und Produktionsdienstleistungen (z.B. Lohnfertigung); – Verkaufs-, Marketing- und Vertriebsdienstleistungen (z.B. Dienstleistungen eines Kommissionärs oder Handelsvertreters); – Dienstleistungen im Zusammenhang mit Finanztransaktionen; – die Gewinnung, Förderung oder die Be- und Verarbeitung von Bodenschätzen; – Versicherungs- und Rückversicherungsdienstleistungen; – Dienstleistungen von Führungskräften.1 Die VWG VP 2021 führen hingegen nur drei Kategorien von Leistungen aus, die nicht als Routineleistungen mit geringer Wertschöpfung qualifizieren. Hierbei handelt es sich um:2 – Forschung und Entwicklung; – Herstellung und Produktion; – Verkauf, Marketing und Vertrieb.
6.116
Beispielhafte Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung. Die OECD-Leitlinien nennen beispielhaft folgende Konzerndienstleistungen mit geringer Wertschöpfung: – Rechnungslegungs- und Prüfungsdienstleistungen, Buchhaltung; – Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Debitoren- und Kreditorenbuchhaltung; – Personaldienstleistungen; – Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Überwachung und Zusammenstellung von Daten entsprechend den regulatorischen Anforderungen an das Unternehmen; – Dienstleistungen im Bereich der Informationstechnologie; – Unterstützungsdienstleistungen in den Bereichen interne und externe Unternehmenskommunikation und Public Relations; – rechtliche und steuerliche Beratungsdienstleistungen; – allgemeine administrative Dienstleistungen unterstützender Art.3
1 Vgl. Tz. 7.47 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.77. 3 Vgl. Tz. 7.49 OECD-Leitlinien 2022. Die detailliertere Aufstellung des EU-JTPF geht deutlich über den Anwendungsbereich der OECD hinaus, vgl. EU-JTPF, Leitlinien zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung, Anhang 1 abgedruckt in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise5, S. 485 ff. (503 ff.).
542 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.118 Kap. 6
Die VWG VP 2021 nennen beispielhaft folgende Konzerndienstleistungen mit geringer Wertschöpfung: – Dienstleistungen im Bereich des Rechnungswesens (u.a. Buchhaltung); – Erfüllung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen (z.B. Erstellung der Steuererklärungen); – Aufgaben des Personalwesens (u.a. Personaleinstellungen).1
IV. Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach 1. Allgemeines Leistungsaustausch bei Dienstleistungen. Nach der zuvor vorgenommenen Klassifizierung des Dienstleistungsaustausches in gesellschafts- und schuldrechtliche Leistungsbeziehungen ist im Folgenden zunächst zu prüfen, ob eine Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach überhaupt gerechtfertigt bzw. notwendig ist, oder ob die Leistungen der Obergesellschaft ihren Rechtsgrund in „einer kapital- oder vermögensmäßigen Beteiligung“2 haben, ein echter Leistungsaustausch im betrieblichen Bereich also gar nicht stattgefunden hat. Eine Prüfung der Verrechnung von Dienstleistungen dem Grunde nach ist somit immer dann erforderlich, wenn eine Gesellschaft in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin am Leistungsaustausch beteiligt ist, oder wenn eine andere Gesellschaft im Unternehmensverbund Gesellschafteraufgaben im Auftrag der Obergesellschaft wahrnimmt. Eine Verrechnung von Dienstleistungen kommt nur in Betracht, soweit ein echter Dienstleistungsaustausch im betrieblichen Bereich vorliegt und damit eine schuldrechtliche Beziehung zwischen leistendem und dem die Leistung empfangenden Verbundunternehmen besteht.
6.117
Gleichzeitig stellt sich dabei die Frage nach der Höhe des Verrechnungspreises für diese Leistung. Hierfür kommt je nach Art der Leistung sowie der Anzahl und Funktion der am Leistungsaustausch beteiligten Konzernunternehmen grundsätzlich die Verrechnungsform der Einzelverrechnung (Rz. 6.342 ff.) in Betracht, und zwar in Gestalt der direkten und der indirekten Methode. Die Kostenumlage (Rz. 6.339 ff.) stellte demgegenüber nach dem Verständnis der VWG-Umlage 1999 und auch der VWG-Umlage 2018 – im Gegensatz zu Tz. 7. der VWG 1983 – gemäß dem dort verwendeten „Poolkonzept“ immer einen innerbetrieblichen Vorgang auf gesellschaftsvertraglicher Ebene dar, so dass ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch nicht stattfindet (Rz. 6.358). Diese Abgrenzung findet sich in den VWG VP 2021 hingegen nicht mehr.3
2. Abgrenzungskriterium der betrieblichen Veranlassung Gesellschaftsrechtliche vs. schuldrechtliche Veranlassung. Erbringt eine Muttergesellschaft gegenüber ihren Tochtergesellschaften Dienstleistungen, ist zunächst zu prüfen, ob die Leistungen auf gesellschaftsrechtlicher oder schuldrechtlicher Basis erbracht werden. Eine Verrechnung von Dienstleistungen dem Grunde nach ist insoweit erforderlich, als ein echter Dienstleistungsaustausch auf schuldrechtlicher Basis vorliegt, der zumindest mittelbar geeignet ist, die betrieblichen Interessen des dienstleistungsempfangenden Konzernunternehmens zu fördern. Demgegenüber scheidet die Verrechnung eines Entgelts aus, wenn die Leistung ihre Rechtsgrundlage in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen der beteiligten Unterneh1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.76. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.69. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.81–3.86.
Baumhoff/Kluge | 543
6.118
Kap. 6 Rz. 6.118 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
men findet und somit die Interessen des leistenden Konzernunternehmens (Muttergesellschaft) im Vordergrund der Leistungserbringung stehen.1 Mit der Frage der Verrechenbarkeit von Dienstleistungen geht die Frage nach der steuerlichen Abzugsfähigkeit der durch die Dienstleistung verursachten Aufwendungen bei der leistungsempfangenden Konzernunternehmung einher. Der Prüfung der Verrechenbarkeit der Dienstleistung aus Sicht der leistenden Konzerngesellschaft und der Abzugsfähigkeit der entsprechenden Aufwendungen als Betriebsausgaben aus Sicht der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft sind dabei einheitliche Kriterien zugrunde zu legen. Mithin ist diese Fragestellung unter Fremdvergleichsgesichtspunkten („dealing at arm’s length“) danach zu beurteilen, ob die Dienstleistung unter vergleichbaren Verhältnissen auch unter fremden Dritten vereinbart und vergütet worden wäre2 bzw. ob ein ordentlicher Geschäftsleiter die Leistungserbringung als Eigenleistung veranlasst oder die Leistung gegen Entgelt angenommen hätte.
6.119
Betriebliche Veranlassung. Der Grundsatz des Fremdvergleichs konkretisiert sich in diesem Zusammenhang – nach deutschem Steuerrecht – in der Frage, ob eine betriebliche Veranlassung i.S. des § 4 Abs. 4 EStG gegeben ist. Liegt eine solche vor, sind die beim Leistungsempfänger für die Inanspruchnahme der Dienstleistung entstehenden Aufwendungen als Betriebsausgaben steuerlich abzugsfähig. Angesichts des systematisch – jedenfalls innerhalb einer Rechtsordnung – zwingenden Gleichlaufs3 der Abgrenzungskriterien beim leistungsempfangenden wie beim leistungserbringenden Unternehmen ist die betriebliche Veranlassung als das maßgebliche Abgrenzungskriterium für die Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach anzusehen.4 Infolgedessen ist die zu beurteilende Dienstleistung aus Sicht des leistenden Konzernunternehmens zu verrechnen und hier als Einnahme/Ertrag zu erfassen. Denn wenn eine Leistung beim Leistungsempfänger betrieblich veranlasst ist, ist sie aus der Sicht des Leistenden verrechnungsfähig und nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs auch verrechnungspflichtig. Ist die Leistung hingegen beim Leistungsempfänger nicht betrieblich veranlasst, muss deren betriebliche Veranlassung entweder beim Leistenden selbst oder bei seinem Auftraggeber gegeben sein, so dass der entsprechende Aufwand bei diesen abzugsfähig ist. Aufwendungen gelten bei einem verbundenen Unternehmen als betrieblich veranlasst, wenn sie in einem objektiven Zusammenhang mit dessen Betrieb stehen.5 Bei einer Vielzahl von Leistungen ist allerdings ein direkter, objektiver Zusammenhang mit dem Betrieb des Leistungsempfängers nicht erkennbar, so dass es an einer unmittelbaren betrieblichen Veranlassung fehlt. Folglich ist eine zweifelsfreie Zuordnung von Aufwendungen bestimmter Leistungen zur gesellschafts- oder schuldrechtlichen Sphäre nicht immer möglich. Die betriebliche Veranlassung kann jedoch nicht nur i.S. einer kausalen Notwendigkeit verstanden werden. Daher gelten nicht nur solche Aufwendungen als betrieblich veranlasst, die unmittelbar, d.h. 1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.69. 2 Vgl. Tz. 7.6, 7.14 u. 7.29 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.65; Greil/Greil in Kroppen/ Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.6 Rz. 36; Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.212. 3 Vgl. etwa auch § 160 Abs. 1 AO. 4 Vgl. Kroppen/Rasch in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, V Anm. zu Tz. 1.4.1, 6.1 u. 6.3 VWG; Greil/Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.6 Rz. 38; Elbert/Gotsis in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 57; Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.212; Kurzewitz, Die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 204 f. 5 Vgl. BFH v. 21.11.1983 – GrS 2/82, BStBl. II 1984, 160 = FR 1984, 177; Stapperfend in H/H/R, § 4 EStG Rz. 791.
544 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.120 Kap. 6
objektiv für jeden erkennbar, durch den Betrieb verursacht wurden, sondern auch solche, die nur mittelbar mit dem Betrieb zusammenhängen. In solchen Fällen kommt es entscheidend auf die subjektiven Erwägungen des Steuerpflichtigen an,1 d.h. der Steuerpflichtige muss mit den entsprechenden Aufwendungen den Betrieb subjektiv fördern wollen.
Im Ergebnis wird damit die Qualifizierung von Aufwendungen als Betriebsausgabe bei nur mittelbarer betrieblicher Veranlassung allein durch die subjektive Zweckbestimmung des ordentlichen Geschäftsleiters (Rz. 3.136) bestimmt. Er beurteilt letztlich im Rahmen seines Entscheidungsspielraums die betriebliche Veranlassung bestimmter Aufwendungen, wobei diese Aufwendungen nicht unmittelbar der betrieblichen Nutzenerzielung dienen müssen. Vielmehr reicht bereits die Möglichkeit aus, dass die Aufwendungen zukünftig, wenn auch nur mittelbar, dem Unternehmen einen diesen Aufwendungen entsprechenden wirtschaftlichen Vorteil bringen können bzw. dazu geeignet sind, die Geschäftstätigkeit der Unternehmung zu fördern.
3. Ergänzende Hilfskriterien Indizien der betrieblichen Veranlassung. Angesichts der offensichtlich bestehenden Unschärfen in Verständnis und Anwendung des Veranlassungszusammenhangs2 stellt die Finanzverwaltung indizielle Hilfskriterien zur Konkretisierung der betrieblichen Veranlassung als Kriterium der Verrechenbarkeit von Dienstleistungen im Konzern zur Verfügung.3 Hiernach ist eine Dienstleistung verrechenbar (und entgeltpflichtig), wenn sie – ein unabhängiger Dritter als Leistender dazu bereit wäre, diese Dienstleistung gegen Entgelt zu erbringen, und ein unabhängiger Dritter bereit wäre, eine Vergütung für diese Dienstleistung zu entrichten, oder – ein unabhängiger Dritter im eigenen Unternehmen die Dienstleistung als Eigenleistung erbringen würde. Eine ähnliche Konkretisierung der betrieblichen Veranlassung als Maßstab der Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach nimmt die OECD im Rahmen des sog. „Benefit-Test“ vor. Nach diesem sind Dienstleistungen grundsätzlich verrechenbar, wenn beim leistungsempfangenden Unternehmen ein Nutzen oder Vorteil entstanden ist bzw. wenn dieser zum Zeitpunkt der Dienstleistungserbringung zu erwarten war.4 Darüber hinaus wird darauf abgestellt, ob ein unabhängiges Unternehmen für die betreffenden Dienstleistungen ein Entgelt entrichtet oder die Dienstleistung selbst durchgeführt hätte.5 Die Abgrenzungskriterien des Nutzens, Vorteils bzw. Interesses sind schließlich nur dann als solche geeignet, wenn entsprechend dem allgemein anerkannten Grundsatz der Ex-ante-Betrachtung6 auf den erwarteten Vorteil und nicht auf den tatsächlich realisierten Vorteil abgestellt wird.7 Hiervon ist auszugehen, 1 Vgl. Stapperfend in H/H/R, § 4 EStG Rz. 791, 813. 2 Vgl. hierzu etwa Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung im Steuerrecht, 61 ff. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.65. 4 Vgl. Tz. 7.6 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 7.2 u. Tz. 7.8 OECD-Leitlinien 2022; siehe auch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/ 83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 6 Vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.421; vgl. dazu im Allgemeinen Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 741 und 1132. 7 Vgl. BMF v. 7.4.2017 – IV B 5 - S 1341/16/10003, BStBl. I 2017, 701, Rz. 7; siehe insoweit auch das zwischenzeitlich aufgehobene Schreiben des BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWGUmlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1.
Baumhoff/Kluge | 545
6.120
Kap. 6 Rz. 6.120 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
wenn im Zeitpunkt der Erbringung der Dienstleistungen eine Förderung der Geschäftstätigkeit der leistungsempfangenden Konzernunternehmung vernünftigerweise erwartet werden kann. Die Dienstleistung ist in diesem Fall auch dann verrechenbar, wenn sich der mögliche und erwartete Vorteil später nicht einstellt bzw. sich aus der Dienstleistung sogar ein Nachteil ergibt. Es erstaunt, dass eine Entgeltfähigkeit bei der ersten Alternative auch voraussetzen soll, dass ein fremder Dritter bereit wäre, diese Leistung zu erbringen. In einer engen Auslegung könnte dies bedeuten, dass keine Verrechnungspflicht anzunehmen wäre, wenn diese Leistung nicht am Markt angeboten wird bzw. am Markt bezogen werden kann. Eine derartige Auslegung würde aber nicht berücksichtigen, dass ein fremder Dritter immer bei der Möglichkeit der Gewinnerzielung bereit wäre, die Dienstleistung anzubieten. Insofern scheint es sich eher um einen Definitionsbestandteil zu handeln, dem in der Praxis wenig Bedeutung beizumessen ist, wenn Dienstleistungen gegen Entgelt erbracht werden.
6.121
Konkretisierung und Quantifizierung der Leistungsbereiche. Oft lässt sich im Bereich der Verwaltung, des Managements, der Kontrolle, der Beratung oder ähnlicher Aufgaben nur ein Leistungsfluss feststellen, innerhalb dessen die Einzelleistung kaum mehr nachzuweisen ist. Vielfach dürfte es sogar schwierig sein, überhaupt einen oder mehrere Leistungsnutzer eindeutig zu identifizieren. In Fällen, in denen sich Art und Umfang einer Dienstleistung nicht exakt abgrenzen bzw. von anderen Leistungsbereichen isolieren lassen, bleibt nur die Möglichkeit, die für eine Verrechnung erforderliche Konkretisierung und Quantifizierung sukzessive zu erreichen. Eine solche Vorgehensweise, die zwar theoretisch durchaus denkbar, in der praktischen Durchführung allerdings besonders aufwendig, langwierig und schwerfällig ist, setzt folgende Maßnahmen voraus: 1. Beschreibung, Konkretisierung und Definition der betreffenden Dienstleistung. 2. Bestimmung des Konzernbereichs bzw. der Konzerngesellschaft und der Kostenstelle, die mit der Erbringung dieser Leistung beauftragt ist. Sind mehrere Bereiche damit beschäftigt, so ist deren Zusammenwirken zu analysieren und deren Teilleistung festzulegen. 3. Aufzeichnungen über die zur Leistungserstellung beanspruchten Kapazitäten (z.B. Stunden- bzw. Tagesaufzeichnungen) sowie aller benötigten Einsatzfaktoren. 4. Bestimmung der Mengenkomponente der Dienstleistung durch Multiplikation der beanspruchten Kapazitäten und Einsatzfaktoren mit den entsprechenden Bezugseinheiten und deren Zusammenfassung. Im Einzelfall können jedoch auch theoretische Lösungsansätze trotz systematischer Analyse aufgrund fehlender inhaltlicher, körperlicher und technischer Erfassbarkeit der Leistung keine eindeutige und exakte Abgrenzung und Messung von Dienstleistungen garantieren. Dies gilt insbesondere für die Wahrnehmung von Managementfunktionen, die zwar zweifelsfrei im Interesse der die Leistung empfangenden Unternehmung erbracht werden, für die jedoch oft eine genaue Messung und Abgrenzung von Einzelleistungen entweder überhaupt nicht oder nur mit großen Kosten und technischen Schwierigkeiten durchführbar sein wird. Angesichts der geschilderten Schwierigkeiten wird daher vielfach zu Recht verlangt, die Anforderungen nach eindeutiger Abgrenzbarkeit und Messbarkeit nicht zu hoch zu stellen, und diese in besonderen Fällen bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn es gelingt, die Dienstleistung angemessen zu konkretisieren, zu schätzen, einen Leistungsfluss durch Einzelbelege nachzuweisen, zumindest aber plausibel bzw. glaubhaft zu machen. Neben der Anwendung solcher Schätzund Näherungslösungen sollte allerdings nicht die Möglichkeit übersehen werden, statt auf 546 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.123 Kap. 6
Einzelleistungen auf ganze Leistungsbereiche abzustellen, und so die Forderung nach eindeutiger Abgrenzbarkeit und Messbarkeit zu erfüllen. Dieser Alternative kommt im Rahmen der Einzelverrechnung die indirekte Methode (als besondere Form der Konzernumlage auf der Basis des „Leistungsaustauschkonzepts“, Rz. 6.342) insofern in hohem Maße entgegen, als sie gerade in Fällen, in denen sich Schwierigkeiten bei einer Leistungsabgrenzung ergeben, als indirekte (pauschale) Verrechnungsform anstelle direkt (einzeln) berechneter Leistungsentgelte zu einer Lösung verhelfen soll (Rz. 6.342). Leistungen, die als Eigenleistung erbracht würden. Die VWG VP 2021 machen die Verrechenbarkeit einer Dienstleistung auch davon abhängig, ob das empfangende Unternehmen sie sonst als Eigenleistung erbringen würde.1 Dies entspricht im Wesentlichen den OECDLeitlinien 2022, die in Tz. 7.6, 7.23 und 7.25 ebenfalls fordern, dass eine verrechenbare Dienstleistung zum Nutzen, im Interesse oder zum Vorteil der die Leistung empfangenden Konzerngesellschaft erbracht wird.2 Grundsätzlich lassen sich die Merkmale „Interesse/Vorteil/ Nutzen“ synonym verwenden, da es im Grunde das Gleiche bedeutet, wenn man fordert, eine entgeltpflichtige bzw. -fähige Dienstleistung müsse zum Nutzen, im Interesse, zum Vorteil der empfangenden Konzerngesellschaft erbracht werden oder sie müsse ihr dienen, zumal diese Kriterien lediglich als Indizien für die betriebliche Veranlassung einer Leistung fungieren sollen.3
6.122
Zu erwartender Vorteil oder Nutzen des Leistungsempfängers. Bei den Kriterien Vorteil oder Nutzen, die als inhaltlich deckungsgleich angesehen werden und dem – u.a. in den OECD-Leitlinien 2022 verwendeten – Begriff „benefit“ entsprechen,4 handelt es sich um international bekannte und gebräuchliche Abgrenzungsmerkmale. Die gedankliche Verbindung zum Kriterium „Interesse“ besteht insofern, als grundsätzlich alle Leistungen, von denen sich ein Leistungsempfänger einen Vorteil verspricht, gleichzeitig auch in dessen Interesse erbracht werden. Nach allgemein anerkannter Auffassung erweist sich das Kriterium „Vorteil“ allerdings nur dann als geeignetes Abgrenzungsmerkmal, wenn, entsprechend dem Grundsatz der „Ex-ante“-Betrachtung (Rz. 3.100), statt auf einen tatsächlich realisierten Vorteil auf einen zu erwartenden Vorteil abgestellt wird. Hiervon wird immer dann auszugehen sein, wenn durch die Dienstleistung eine Förderung der Geschäftstätigkeit der die Leistung empfangenden Unternehmung erwartet werden kann, bzw. wenn zum Zeitpunkt der Erbringung der Dienstleistungen vernünftigerweise zu erwarten war, dass sie dem betreffenden Unternehmen dienen würden, selbst wenn sich der mögliche und erwartete Vorteil später doch nicht eingestellt oder sich daraus sogar ein Nachteil ergeben hat. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass selbst ein so verstandener Vorteilsbegriff mit dem Betriebsausgabenbegriff des § 4 Abs. 4 EStG nicht vollkommen identisch ist und zu Anwendungsproblemen führen kann. So können z.B. Kontrolltätigkeiten, die eine Obergesellschaft eindeutig in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin bei ihren Untergesellschaften ausführt, durchaus für die Untergesellschaften von Vorteil sein, obwohl solche Tätigkeiten ausschließlich bei der Spitzeneinheit betrieblich veranlasst und deshalb nicht verrechenbar sind. Daneben stellt sich bei Verwendung des Vorteilsbegriffs als Abgrenzungskriterium, insbesondere in Fällen, in denen die Leistungen eindeutig zum Vorteil mehrerer Konzernunternehmen erbracht werden, die Problematik der Erfassung, Quantifizierung und Zurechnung des zu erwartenden Vorteils. Will man dies anhand
6.123
1 VWG VP 2021, Rz. 3.65. 2 Vgl. Tz. 7.6, 7.23 und 7.25 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. auch Elbert/Gotsis in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 68; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 689. 4 Vgl. z.B. Tz. 7.4, 7.12 f., 7.25 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Kluge | 547
Kap. 6 Rz. 6.123 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
der (tatsächlich) ersparten Aufwendungen der die Leistung empfangenden Unternehmen feststellen, so scheitert diese Lösung in all den Fällen, in denen sich das Ergebnis der betreffenden Leistung als Fehlmaßnahme und damit als Ursache zusätzlicher Aufwendungen herausstellt. Berücksichtigt man allerdings neben der Möglichkeit einer Vorteilserzielung zusätzlich die betrieblichen Notwendigkeiten, Verantwortlichkeiten, Funktionen und die Ergebnisse der am Leistungsaustausch beteiligten Unternehmen sowie das gesamte Spektrum der Leistungsbeziehungen, so lassen sich die genannten Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Kriterien beträchtlich vermindern und eindeutigere Aussagen über die Verrechenbarkeit dem Grunde nach machen.
6.124
Ersparte Kosten beim Leistungsempfänger. Bislang war in den VWG 1983 ausgeführt, dass Dienstleistungen dann anzunehmen waren, wenn hierdurch Kosten erspart werden würden.1 Die Eignung des Kriteriums der ersparten Kosten2 als Abgrenzungsmerkmal erschien aus mehreren Gründen problematisch. Grundsätzlich gilt, dass Dienstleistungen, die beim Leistungsempfänger Tätigkeiten ersetzen und deshalb dort zu ersparten eigenen Aufwendungen führen, immer zu dessen Vorteil und somit in dessen Interesse erbracht werden. Insofern ist festzustellen, dass es sich bei der Forderung, die Leistung müsse zu erspartem Aufwand geführt haben, nur um eine andere Formulierung des Grundsatzes handelt, dem leistungsempfangenden Unternehmen müsse durch die Leistung ein Nutzen erwachsen.3 Dieser logische Zusammenhang zwischen Kostenersparnis einerseits und Vorteil bzw. Interesse andererseits gilt jedoch nicht gleichermaßen im umgekehrten Fall. Dienstleistungen können nämlich auch dann zum Vorteil bzw. im Interesse des leistungsempfangenden Unternehmens erbracht werden, wenn sie bei diesem nicht zu ersparten eigenen Aufwendungen, sondern zu höheren Erträgen führen. Die Diskrepanz zwischen den beiden Kriterien wird außerdem an den unterschiedlichen Betrachtungszeitpunkten deutlich. Wie bereits festgestellt, gilt bei der Prüfung, ob die Aufwendungen für eine Leistung betrieblich veranlasst sind oder zum Vorteil des Leistungsempfängers führen, grundsätzlich die „Ex-ante“-Betrachtung (Rz. 6.120). Demgegenüber ist das Kriterium „Kostenersparnis“ sowohl im Rahmen einer „Ex-ante“- als auch im Rahmen einer „Ex-post“-Betrachtung anwendbar. Bei einer „Ex-post“-Betrachtung wird erst nach Erbringung der Dienstleistung objektiv festgestellt, ob hierdurch beim Leistungsempfänger tatsächlich eine Ersparnis eingetreten ist. Ausgeschlossen bleiben hierbei somit alle durch die Leistung hervorgerufenen Fehlmaßnahmen, die trotz erwarteter Vorteile statt zu ersparten zu erhöhten Aufwendungen geführt haben. Hier wird deutlich, dass dem Merkmal „Kostenersparnis“ zur Feststellung der betrieblichen Veranlassung einer Leistung lediglich untergeordnete Bedeutung zukommt und es keinesfalls als alleiniges Indiz für die Beurteilung des „objektiv Erforderlichen“ in Frage kommt. Dies gilt umso mehr, als eine betriebliche Veranlassung nicht unbedingt eine Leistungsanforderung voraussetzt, sondern stattdessen auch aus den zivilrechtlichen Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag – jedoch im mutmaßlichen Interesse des Geschäftsherrn – und den Grundsätzen ungerechtfertigter Bereicherung abgeleitet werden kann. Dies wird auch von der Finanzverwaltung nicht (mehr) bestritten. Es kommt vielmehr letztlich darauf an, ob die Leistung tatsächlich erbracht wurde.4 Selbst, wenn das leistungsempfangende Unternehmen deshalb keine eigenen Aufwendungen erspart, weil 1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 So Kumpf, Steuerliche Verrechnungspreise im internationalen Konzern, 245. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
548 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.126 Kap. 6
ein und dieselbe Dienstleistung mehrfach – z.B. durch ein fremdes oder das leistungsempfangende Unternehmen selbst – erbracht wird, kann dies nicht zu einer generellen Versagung der Verrechenbarkeit der betreffenden Leistung führen. Zwar wird man im Allgemeinen die Abzugsfähigkeit eines Dienstleistungsentgelts bestreiten müssen, wenn die Dienstleistung eines Konzernunternehmens an ein anderes Konzernunternehmen zur einer „Duplizierung“1 führt, z.B. weil sich das leistungsempfangende Unternehmen diese Leistung selbst erbracht oder von einem fremden Dritten bezogen hat. Dennoch kann in bestimmten Ausnahmefällen z.B. die doppelte oder sogar mehrfache Erbringung einer Beratungsleistung zur Erhöhung der Entscheidungssicherheit des leistungsempfangenden Konzernunternehmens beitragen (z.B. bei Erhebung einer zweiten Rechtsmeinung in derselben Angelegenheit, „Second Legal Opinion“), was zu einem unmittelbaren Vorteil führt, damit in deren betrieblichem Interesse liegt und so letztlich als betrieblich veranlasst angesehen werden muss.2 Die Doppelverrechnung ist demnach dann angebracht, wenn durch die mehrfache Leistungserbringung eine Absicherung der ursprünglichen Leistung erfolgt. So werden Second Legal Opinions insbesondere in kritischen Rechtsfragen eingeholt, um die zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen auf eine solidere Basis zu stellen und alle Aspekte beleuchtet zu haben. Diese Logik ist aber nicht auf den Rechtsbereich beschränkt, sondern gilt letztlich immer dann, wenn durch eine „zweite Meinung“ die Ergebnisse einer ersten Dienstleistung überprüft bzw. abgesichert werden sollen.
4. Verrechenbare und nicht verrechenbare Dienstleistungen a) Gesellschafteraufwand/Stewardship-Expenses Gesellschaftertätigkeiten. Verwendet man die betriebliche Veranlassung als das Hauptkriterium für die Verrechenbarkeit von Leistungen, sind letztlich alle Maßnahmen, die eine Muttergesellschaft trifft, um ihre Rechte als Gesellschafterin gegenüber ihrer Tochtergesellschaft wahrzunehmen bzw. um deren Tätigkeit zu überwachen, unzweifelhaft bei der Muttergesellschaft betrieblich veranlasst. Infolgedessen sind die daraus resultierenden Aufwendungen nur bei der Muttergesellschaft als Betriebsausgaben abzugsfähig. Die OECD spricht in diesem Fall zutreffend von „Gesellschaftertätigkeiten“.3 Der entsprechende Aufwand ist im Rahmen der Gesellschaftereigenschaft der Muttergesellschaft regelmäßig nicht verrechenbar, da er bei einer gesellschaftsrechtlichen Unabhängigkeit der Tochtergesellschaft nicht erforderlich wäre und ihm daher kein echter Leistungsaustausch zugrunde liegt.4 Vielmehr verfolgt die Muttergesellschaft in diesem Zusammenhang ihre eigenen Interessen, um die zielkonforme Führung ihrer Tochtergesellschaft einschließlich ihrer Verwaltung und Kontrolle zu gewährleisten.
6.125
Qualifikationskonflikte. Bis zur Aufhebung der VWG 1983 gingen die Auffassungen der deutschen Finanzverwaltung und die der OECD in ihrem Verständnis vom Umfang des Gesellschafteraufwands auseinander. Die deutsche Finanzverwaltung zählte explizit zum nicht verrechenbaren Gesellschafteraufwand bestimmte zentrale Management- und Kontrolltätigkeiten, weil sie aufgrund ihres Charakters nur von der Konzernleitung vorgenommen werden können und deshalb bei dieser betrieblich veranlasst sind.5 Die OECD – und mit ihr eine Rei-
6.126
1 2 3 4 5
So Tz. 7.11 OECD-Leitlinien 2022. So ausdrücklich Tz. 7.11 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 7.9 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 7.9 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
Baumhoff/Kluge | 549
Kap. 6 Rz. 6.126 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
he wesentlicher Industriestaaten, z.B. Japan, Großbritannien und Frankreich1 – reduziert den nicht verrechnungsfähigen Gesellschafteraufwand auf diejenigen Aktivitäten, die mit dem Erwerb und der Verwaltung der Beteiligungen im Zusammenhang stehen, d.h. die im ausschließlichen Beteiligungsinteresse der Muttergesellschaft ausgeführt werden, und den Rückhalt im Konzern.2 Nach Tz. 7.10 der OECD-Leitlinien 2022 zählen etwa die hierunter fallende Tätigkeit des Vorstands, die Produktions- und Investitionssteuerung, die Revision sowie die Planung und Koordinierung zu den Leistungskategorien, die einer Verrechnung grundsätzlich zugänglich sind.3 Durch die VWG VP 2021 wurde dieser Widerspruch aufgehoben, da das Verständnis der OECD-Leitlinien in ihrer jeweils jüngsten Fassung zugrunde gelegt wird.4 b) Beispiele für nicht verrechenbare Dienstleistungen
6.127
Nicht verrechenbare Dienstleistungen. Zu den gesellschaftsrechtlich veranlassten und somit nicht verrechenbaren Dienstleistungskategorien gehörten nach den VWG 1983 insbesondere:5 – Die Leitung und Organisation des Konzerns, die Festlegung der Konzernpolitik sowie die Finanzplanung für den Gesamtkonzern: Hierzu zählen Aufwendungen im Rahmen der dispositiven Tätigkeit des Konzern-Vorstandes, des Konzern-Aufsichtsrates sowie der Gesellschafterversammlung der Konzernspitze. Ferner betreffen sie Leistungen im Zusammenhang mit der Festlegung von Unternehmenszielen und der Unternehmenspolitik einschließlich der Erarbeitung zielorientierter Konzeptionen und Strategien, wie z.B. die rechtliche Organisation des Konzerns, die Unternehmens- und Bereichsdiversifizierung, Maßnahmen zur Risikostreuung, die Gründung neuer Gesellschaften oder eine Kapitalbedarfsplanung für den Gesamtkonzern. – Die Planung von Investitions-, Produktions-, Forschungs- und Absatzmaßnahmen im Gesamtkonzernbereich sowie deren zentrale Koordination: Solche Aufgaben können aufgrund ihres Charakters nur von der Konzernspitze bearbeitet werden und erfolgen ausschließlich im Interesse der Gesamtunternehmung. Eine umfassende Unternehmensplanung und vollständige Integration aller Leistungs- und Unternehmensbereiche sind Bestandteil einer effektiven Unternehmensführung und unabdingbar zur Nutzung möglicher Synergieeffekte im Konzern. – Die Dokumentation der Konzernergebnisse sowie alle Kontrollmaßnahmen zur Überwachung der Aktivitäten der Untergesellschaften: Bei diesen typischen Aufgaben der Konzernspitze geht es im Einzelnen um die Einführung und Überwachung eines einheitlichen Rechnungs- und Berichtswesens, die Konsolidierung des Konzernergebnisses, die Aufstellung einer Weltbilanz und deren Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer. Zu den 1 Vgl. Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 201 m.w.N. 2 Vgl. Tz. 7.9 OECD-Leitlinien 2022. 3 Siehe hierzu etwa Greil/Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.10 Rz. 49 ff.; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 205 f. m.w.N. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.1, 2.3 und 3.69. 5 Vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.423; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 779; Elbert/Gotsis in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 113; BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
550 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.127 Kap. 6
Kontrollmaßnahmen zählt man die Überwachung der Geschäftsführung der Tochtergesellschaften einschließlich der Analyse und Kontrolle ihres Rechnungswesens, die Innenrevision durch konzerneigene oder fremde Prüfer sowie Informationsbesuche von Vertretern der Konzernspitze bei den Untergesellschaften. – Der sog. Rückhalt im Konzern: Für die Vorteile, die einer Tochtergesellschaft aus der reinen Konzernzugehörigkeit in Form der rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Eingliederung in den Unternehmensverbund bei völliger Passivität1 der Konzern-Spitzeneinheit erwachsen, darf kein Dienstleistungsentgelt verrechnet werden. Hierzu zählen bspw. die erhöhte Kreditwürdigkeit, verbilligte Einkaufsmöglichkeiten, die Risikostreuung, das Recht auf Führung des Konzernnamens (Rz. 6.139) sowie günstigere Absatzmöglichkeiten, die einer Konzerngesellschaft im Rahmen ihrer bloßen Zugehörigkeit zum Konzern zur Verfügung stehen.2 Mangels schuldrechtlichen Leistungsaustausches sind Aufwendungen, die in diesem Zusammenhang stehen, nicht verrechenbar. Davon zu unterscheiden sind allerdings Vorteile einer Tochtergesellschaft, die aus unmittelbaren aktiven Handlungen der Muttergesellschaft bzw. Konzernspitze resultieren (z.B. Marketing-Kampagnen, zentralisierter Einkauf, Cash-Pooling [Rz. 6.537 ff.] etc.).3 Hierbei handelt es sich um abgrenzbare Einzelleistungen, die nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs zu verrechnen sind (Rz. 6.136). Auch in den VWG VP 2021 findet sich eine – nicht abschließende – Auflistung des nicht verrechenbaren Gesellschafteraufwands, da die Aufzählung nur „insbesondere“ Beispiele für den Gesellschafteraufwand umfasst. Hierzu zählen Tätigkeiten oder Leistungen:4 – des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder vergleichbarer ausländischer Leistungs- oder Kontrollgremien; – im Zusammenhang mit Gesellschafterversammlungen, der Ausgabe von Anteilen am Kapital und der Börsennotierung des Gesellschafters; – im Zusammenhang mit der rechtlichen Organisation der multinationalen Unternehmensgruppe als solcher; – im Zusammenhang mit dem Schutz und der Verwaltung der Beteiligungen einschließlich Führungs- und Kontrolltätigkeiten; – im Zusammenhang mit der Unternehmensgruppenführung. Die Aufzählung ähnelt damit stark der Aufzählung in den VWG 1983, wobei der Rückhalt im Konzern und die Produktions- und Investitionssteuerung im Gesamtkonzern nicht mehr explizit genannt werden.
1 Vgl. Baumhoff/Kluge in Seer/Lüdicke/Rasch, Globalisiertes Steuerrecht – Anspruch und Verantwortung, Festschrift für Heinz-Klaus Kroppen, 2020, S. 105 ff. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2 Bsp. 1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Vgl. auch Tz. 7.13 OECD-Leitlinien 2022 mit einer Unterscheidung zwischen aktiven (verrechenbaren) und passiven (nicht verrechenbaren) Konzerneffekten. 4 VWG VP 2021, Rz. 3.69.
Baumhoff/Kluge | 551
Kap. 6 Rz. 6.128 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
c) Beispiele für verrechenbare Dienstleistungen
6.128
Verrechenbare Dienstleistungen. Den nicht verrechenbaren Dienstleistungen steht die Gruppe der eindeutig beim Leistungsempfänger betrieblich veranlassten und damit verrechenbaren Leistungen gegenüber. Hierzu zählen insbesondere die folgenden Dienstleistungen:1 – Gewerbliche Dienstleistungen: Hierunter fallen marktgängige Leistungen, z.B. Leistungen im Bereich des Transportwesens, der Informations- und Nachrichtenübermittlung, der Instandhaltung, der Reinigung und der Bewachung. – Unterstützungs- und Beratungsleistungen in wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Angelegenheiten: Dazu gehören etwa Beratungsleistungen im Bereich der EDV, des Rechnungswesens, des Marketings sowie die zeitlich begrenzte Überlassung von Arbeitskräften im Rahmen einer Dienst- oder Werkleistungsverpflichtung.2 – Geschäftsführungs- und Managementleistungen: Hierbei handelt es sich um Aufgaben, die von der Tochtergesellschaft selbst – z.B. im Rahmen ihrer Geschäftsführungsorgane – erfüllt werden müssten, jedoch von der Obergesellschaft mit dem Ziel erbracht werden, die Tochtergesellschaft zu entlasten oder deren Organe zu ergänzen oder zu ersetzen. Dazu gehören z.B. die konkrete Investitions- und Finanzplanung, die Festlegung des Produktionsprogramms, die Personal- und Beschaffungspolitik, die Erstellung von Marketingkonzepten etc. – Aus- und Fortbildungsleistungen: Hierunter fallen Leistungen der Betreuung, Aus- und Fortbildung von Personal. – Überwachungs- und Kontrollleistungen: Solche Leistungen sind nur dann verrechenbar, wenn sie in den Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich der Tochtergesellschaft fallen und insoweit eigene Kosten vermieden werden. Dies betrifft bspw. die Kontrolle der Produktqualität, der Arbeitsproduktivität, die Erstellung von Rentabilitätsrechnungen, die Einrichtung und Überwachung eines unternehmensspezifischen internen Kontrollsystems etc., sofern diese im Auftrag und im Interesse der Tochtergesellschaft durchgeführt werden. – Spezielle Forschungsleistungen: Dazu gehört insbesondere die Auftragsforschung (Rz. 6.178) sowie die Durchführung von Markt- und Verbraucheranalysen. – Leistungsbereitschaft auf Abruf: Grundsätzlich ist eine innerkonzernliche Dienstleistung nur verrechenbar, wenn sie tatsächlich erbracht wird. Dies schließt indessen nicht aus, dass die Verfügbarkeit einer Dienstleistung i.S. einer Bereitschaftsleistung – zusätzlich zur tatsächlichen Leistungserbringung – verrechnet wird. Voraussetzung einer Verrechnung ist allerdings, dass die Leistungsbereitschaft in angemessenem Umfang innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes tatsächlich abgerufen wird und auch ein unabhängiges Unternehmen ein Entgelt für die „auf Abruf“ zur Verfügung stehende Dienstleistung entrichten würde3 (Rz. 6.134 f.).
1 Tz. 7.2, 7.8, 7.14 u. 7.16 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. VWG ArbN, Tz. 2.1 Abs. 2. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.67 f.; Tz. 7.16 OECD-Leitlinien 2022; Stock/Kaminski, DB 1997, 1054; Baumhoff/Liebchen in Mössner u. a, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.424; Greil/Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.16 Rz. 81.
552 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.131 Kap. 6
d) Mischleistungen und Aufteilung Aufteilungsgrundsatz. Den beiden Gruppen der nicht verrechenbaren bzw. verrechenbaren Dienstleistungen stehen – obwohl sie in den OECD-Leitlinien 2022 nicht ausdrücklich erwähnt werden – die sog. Mischleistungen gegenüber. Bei den Mischleistungen handelt es sich um Dienstleistungen, die sowohl im Interesse der Muttergesellschaft bzw. des Gesamtkonzerns als auch im Interesse einer oder mehrerer Konzerngesellschaften erbracht werden.1 Aufgrund der Notwendigkeit der Zuordnung solcher Dienstleistungen entweder zur gesellschaftsrechtlichen oder schuldrechtlichen Sphäre entsteht die Schwierigkeit, darüber zu entscheiden, welchem Unternehmen die Dienstleistungen Vorteile gebracht haben bzw. in welchem Verhältnis der Vorteil auf die beteiligten Unternehmen entfällt.2 Infolgedessen ist eine Aufteilung in einen verrechenbaren und einen nicht verrechenbaren Teil vorzunehmen. Dies entspricht den Empfehlungen des EU-JTPF zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung, wonach bei Mischleistungen ausdrücklich von einer Kostenaufteilung ausgegangen wird.3
6.129
Keine Verrechnung als Ausnahme. Angesichts der Individualität und Vielfalt konzerninterner Dienstleistungen erweist sich die betriebliche Veranlassung (Rz. 6.119) im Rahmen von Mischleistungen häufig als zu undifferenziert, um eine zweifelsfreie Trennung zwischen verrechenbaren und nicht verrechenbaren Dienstleistungen zu ermöglichen. Auch die OECDLeitlinien betonen, dass die Erzielung eines mittelbaren, indirekten, kaum greifbaren oder „nebenbei entstehenden“ Vorteils die Verrechnung einer Dienstleistung nicht rechtfertige.4 Diese Feststellung erscheint allerdings insofern zu pauschal, als bereits festgestellt wurde, dass bei nur mittelbarer betrieblicher Veranlassung die subjektive Zweckbestimmung eines ordentlichen Geschäftsleiters im Rahmen seines Ermessensspielraums darüber entscheidet, ob er eine Leistung als durch seinen Betrieb veranlasst und für diesen geeignet ansieht oder nicht (Rz. 6.119). Daher sollte eine Verrechnung bei mittelbarer oder unbedeutender Vorteilszuwendung nur für den Fall ausgeschlossen bleiben, in dem auch ein ordentlicher Geschäftsleiter solche Vorteile als nicht entgeltfähig betrachten würde.5 In der Praxis der steuerlichen Betriebsprüfung stellen diese Mischleistungen, die letztlich eine Aufteilung in verrechenbaren und nicht verrechenbaren Aufwand erfordern, die typischen Kompromissfälle dar.
6.130
Praktische Bedeutung. Angesichts des international unterschiedlichen Verständnisses vom Umfang des Gesellschafteraufwands wird zwangsläufig sowohl das Vorliegen sog. Mischleistungen als auch die praktische Bedeutung einer Aufteilung international uneinheitlich beurteilt. In Deutschland ist der nicht verrechenbare Gesellschafteraufwand durchaus weit gefasst und bezieht insbesondere zentrale Management- und Kontrolltätigkeiten ein, da sie aufgrund ihres Charakters nur von der Konzernspitze wahrgenommen werden können und deshalb ausschließlich dort betrieblich verlasst sind (Rz. 6.126). Naturgemäß bestehen deshalb größere Überschneidungsbereiche zu verrechenbaren Dienstleistungen. Demgegenüber ist der Bereich des Gesellschafteraufwands in den OECD-Leitlinien und nach den Verrechnungspreisgrund-
6.131
1 Vgl. Greil/Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.6 Rz. 41 m.w.N. 2 Vgl. Greil/Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.6 Rz. 41. 3 Vgl. KOM (2011) 16 endgültig, Rz. 47. 4 Vgl. Tz. 7.12 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner/Baumhoff, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.427; ähnlich Greil/Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.6 Rz. 41.
Baumhoff/Kluge | 553
Kap. 6 Rz. 6.131 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
sätzen wesentlicher Industriestaaten deutlich eingeengt (Rz. 6.125). Zumeist schließt ein konkreter, quantifizierbarer Nutzen in Gestalt eines wirtschaftlichen oder kommerziellen Werts, den die Leistung erwarten lässt, das Vorliegen von Gesellschafteraufwand aus und führt zu einer Verrechnungspflicht. Praktisch sind Mischleistungen deshalb kaum von Bedeutung.1 e) Übersicht zu verrechenbaren/nicht verrechenbaren Dienstleistungen
6.132
Leistungskategorien. Die folgende Aufstellung nimmt eine Kategorisierung von Leistungen in verrechenbar („ja“) und nicht verrechenbar („nein“) vor. Die Aufstellung ist idealtypisch und sollte hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf den Einzelfall geprüft werden.2 ja
nein
1. Konzernleitung a)
Vorstand, Geschäftsführung, Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung der Muttergesellschaft (Rz. 3.69 Buchst. a VWG VP 2021)
x
b)
Rechtliche Organisation des Gesamtkonzerns (Rz. 3.69 Buchst. c VWG VP 2021)
x
c)
Produktions- und Investitionssteuerung im Gesamtkonzern (Rz. 3.69 Buchst. e VWG VP 2021)
x
e)
Schutz und Verwaltung der Beteiligungen (Rz. 3.69 Buchst. d VWG VP 2021)
x
f)
Konzernführung und Führungsaufgaben nachgeordneter Unternehmen, die die Konzernspitze an sich gezogen hat
g)
Zentrale Planung und Koordination der Investitions-, Produktions-, Finanz- und Absatzplanung des Gesamtkonzerns (Rz. 3.69 Buchst. e VWG VP 2021)
x
h)
Gründung von Tochtergesellschaften oder Erwerb von Beteiligungen (Rz. 3.69 Buchst. c VWG VP 2021)
x
i)
Kapitalerhöhung (Rz. 3.69 Buchst. b VWG VP 2021)
x
x
x
2. Koordination und allgemeines Management a)
Horizontale Koordination von konkreten Maßnahmen zwischen Tochtergesellschaften, z.B. Produktion und Verkauf
x
b)
Vertikale Koordination zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften (Kostenteilung)
x
x
c)
Unterstützung der Tochtergesellschaften gegenüber Behörden zur Erlangung erforderlicher Genehmigungen, z.B. für Export-, Devisentransfer- oder Aufenthaltsgenehmigungen, etwa bei Gesellschaftsgründungen
x
x
x
(x)
3. Kosten für Unterstützung im Personalbereich a)
Einrichtung und Durchführung von (Management-) Trainingsprogrammen (ggf. nein, falls Vorstand/Geschäftsführer)
1 Vgl. Elbert/Gotsis in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 83. 2 Vgl. auch Übersichten bei Elbert/Gotsis in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 113; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 696. Hier bereits angepasst auf die Regelungen der VWG VP 2021.
554 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.132 Kap. 6 ja b)
Unterstützung bei der Auswahl und Einstellung von (leitenden) Angestellten
x
c)
Entwicklung von Richtlinien für die Entlohnung
x
d)
Beratung betreffend Personalpolitik und Personalverwaltung
x
nein
4. Kosten für Finanz- und Rechnungswesen a)
Übernahme von Buchhaltungsarbeiten
b)
Konzernbuchhaltung, -budgetierung, -finanzierung
x
c)
Konzernabschluss, Holdingabschluss
d)
Deutscher Teilkonzernabschluss
x
e)
Erarbeitung von Rechnungslegungsgrundsätzen
(x)
f)
Unterstützung bei Erstellung des Budgets
x
g)
Einführung eines neuen EDV-Systems
x
h)
Unterstützung bei der Finanzplanung, Kreditaufnahme
x
i)
Interne Revision (ja, wenn Ersatz für eigene Revision)
(x)
j)
Konzernweite Führungs- und Reporting-Systeme für Sparten-/Unternehmensbereichsorganisationen
x
k)
Unterstützung bei der Kostenrechnung
x
l)
Unterstützung bei der Inventur
x
m)
Erstellung von Kosten- und Preisanalysen
x
n)
Rechnungserstellung oder Factoring
x
x x x (x) x
5. Kosten für Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung a)
Entwicklung von Verträgen
x
b)
Beratung in allgemeinen rechtlichen Fragen, z.B. Exportgenehmigung, Kundeninsolvenz, Versicherungsfragen etc.
x
c)
Gründung der Tochtergesellschaft sowie Kapitalerhöhung/-herabsetzung, Liquidation, Verschmelzung, Formwechsel oder Spaltung
x
d)
Unterstützung der Tochter-/Schwestergesellschaft beim Erwerb, Verkauf oder der Reorganisation von Beteiligungen
x
e)
Patentanmeldungen, Markenschutz etc. (ja, wenn Eintragung auf Tochtergesellschaft)
(x)
x
f)
Kartellrechtliche Verfahren
x
(x)
g)
Beratung beim Abschluss von Versicherungen
x
h)
Steuerliche Beratung
x
i)
Unternehmensberatung und -bewertung
x
j)
Betriebswirtschaftliche Untersuchungen
x
(x)
6. Kosten für Produktion a)
Errichtung einer neuen Produktionsstätte einschließlich Planung des Produktionsprozesses und Durchführung (ja, bei operativer Errichtung)
x
(x)
b)
Unterstützung bei der Planung neuer Produktionsanlagen (anders ggf. bei Neugründung)
x
(x)
Baumhoff/Kluge | 555
Kap. 6 Rz. 6.132 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch ja c)
Unterstützung bei der Produktplanung im Hinblick auf Wettbewerb und Kundenakzeptanz
x
nein
d)
Technische Einweisung in Produktionsprozesse
x
e)
Unterstützung bei technischen Problemen einschließlich Rufbereitschaft
x
f)
Bau- oder Ingenieurleistungen (anders bei Neugründung)
x
(x)
g)
Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität (anders, wenn nur Kontrolle)
x
(x)
h)
Assistenz bei der Entwicklung von Qualitätskontrollen und Testverfahren
x
i)
Überwachende Qualitätskontrolle
(x)
j)
Wartung, Reinigung, Überholung, Reparatur
x
k)
Unterstützung beim Erwerb von Rohstoffen
x
l)
Auftragsfertigung, Lohnveredelung
x
m)
Auftragsverpackung
x
x
7. Kosten für Marketing und Vertrieb a)
Strategische Gesamtplanung der Gruppe
b)
Informationen über Markt- und Produktentwicklungen
x
x
c)
Marktstudien, z.B. für Exportmärkte
x
d)
Unterstützung bei der Werbung (Einstellung von Werbefilmen, Prospekten, Beratung etc.)
x
e)
Entwurf von Etiketten, Gebrauchsanweisungen, Übersetzungen
x
f)
Preisstudien betreffend Wettbewerbsprodukte und die Preisfestsetzung
x
g)
Unterstützung bei Verkaufsproblemen
x
h)
Beratung und Schulung betreffend Verkaufstechniken
x
i)
Öffentlichkeitsarbeit/Konzernöffentlichkeitsarbeit
x
(x)
j)
Bildung einer Corporate Identity
x
(x)
k)
Veranstaltung von Messen/Ausstellungen
x
l)
Transport
x
m)
Lagerhaltung
x
n)
Vermittlung von Kunden
x
o)
Vermittlung als Handelsvertreter oder Kommissionär
x
8. Kosten für Forschung und Entwicklung a)
Grundlagenforschung
x
b)
Spezielle Produktforschung, Neuentwicklung, Anwendungsforschung
x
c)
Weiterentwicklung, Produkt- oder Verfahrensalternativen
x
d)
Unterstützung von Laborkontrollen
x
e)
Auftragsforschung
x
556 | Baumhoff/Kluge
(x)
B. Dienstleistungen | Rz. 6.135 Kap. 6 ja
nein
9. Nutzungsüberlassung, Darlehensgewährung und sonstige Leistungen a)
Nutzung des Konzernnamens (Rz. 3.49 VWG VP 2021)
x
b)
Rückhalt im Konzern (Rz. 3.71 VWG VP 2021)
x
c)
Überlassung materieller Wirtschaftsgüter
x
d)
Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter
x
e)
Überlassung finanzieller Mittel
x
f)
Übernahme von Bürgschaften oder Zahlungsgarantien
x
g)
Sonstige Finanzdienstleistungen
x
5. Problembereiche der Dienstleistungsverrechnung a) Schwierigkeit der eindeutigen Beurteilung Uneindeutige Leistungsarten. In der Praxis der Dienstleistungserbringung im Konzern wird oft über Leistungsarten und deren Verrechenbarkeit diskutiert, die aufgrund ihrer Konzernspezifizität eine eindeutige Beurteilung hinsichtlich ihrer Verrechenbarkeit nicht zulassen. Hierzu werden exemplarisch im Folgenden vier Leistungsbereiche dargestellt.
6.133
b) Leistungsbereitschaft auf Abruf Gesonderte Dienstleistung. Dienstleistungen im Konzern sind gem. Rz. 3.67 f. VWG VP 2021 grundsätzlich nur dann verrechenbar, wenn sie zuvor auch tatsächlich erbracht wurden. Das bloße Angebot einer Dienstleistungserbringung reicht also nicht aus, da unter Fremden i.d.R. nur tatsächlich abgenommene Leistungen entgolten werden.1 Diese grundsätzlich einleuchtende und zutreffende Feststellung schließt allerdings nicht aus, dass eine „Leistungsbereitschaft auf Abruf“, also die „Verfügbarkeit“ einer Dienstleistung i.S. einer Bereitschaftsleistung (sog. On-Call-Services/Optionswert) ebenfalls eine gesondert verrechenbare Dienstleistung darstellen kann, zusätzlich zur Verrechnung einer tatsächlich erbrachten Dienstleistung.2 Hierbei werden von der Muttergesellschaft oder einem Dienstleistungszentrum im Konzern Personal, Anlagen usw. zu dem Zweck vorgehalten, einer Konzernunternehmung auf Abruf jederzeit Unterstützung und Beratung in finanziellen, administrativen, technischen, rechtlichen oder steuerlichen Fragen gewähren zu können.3
6.134
Voraussetzungen für die Verrechenbarkeit. Eine solche Leistungsbereitschaft ist allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen verrechenbar. Zunächst muss man davon ausgehen können, dass auch ein unabhängiges Unternehmen unter vergleichbaren Verhältnissen ein Entgelt für diese „auf Abruf“ zur Verfügung stehende Dienstleistung zahlen würde, um deren Verfügbarkeit im Bedarfsfall zu gewährleisten. Das ist z.B. dann nicht der Fall, wenn diese Dienstleistung unverzüglich von anderen Quellen bezogen werden könnte, ohne dass eine Vereinbarung über eine Leistungsbereitschaft abgeschlossen werden müsste.4 Gleiches gilt, wenn der Bedarf an solchen Dienstleistungen gering ist oder der mit der Leistungsbereitschaft
6.135
1 2 3 4
VWG VP 2021, Rz. 3.67. Vgl. insoweit Tz. 7.16 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.68. Vgl. Tz. 7.16 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 7.17 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.68.
Baumhoff/Kluge | 557
Kap. 6 Rz. 6.135 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
verbundene Vorteil nicht nennenswert ist.1 Die OECD-Leitlinien 2022 nennen in Tz. 7.16 als Beispiel für verrechenbare Bereitschaftsleistungen unter Fremden das Anwaltsbüro, das von einem unabhängigen Unternehmen eine jährliche Bereitstellungsgebühr erhält und sich so den Anspruch auf Rechtsberatung und Prozessvertretung im Streitfall sichert (sog. „Annual Retainer Fee“); oder ein Dienstleistungsvertrag für die bevorzugte Behandlung bei Reparaturen im Computernetz bei Störfällen. Gleiches gilt für die sog. redundante Rechner- bzw. Serverkapazität für den Fall, dass der eigene Rechner oder Server ausfällt. Neben dem Recht auf jederzeitige Inanspruchnahme der Dienstleistung gilt als wichtigste Voraussetzung für eine Verrechenbarkeit, dass die Leistungsbereitschaft in angemessenem Umfang innerhalb eines überschaubaren Zeitraums auch tatsächlich abgerufen wird.2 Somit bleibt eine Verrechenbarkeit für all die Fälle ausgeschlossen, in denen die Leistungen nicht oder nur äußerst selten in Anspruch genommen werden,3 da der Vorteil für den Leistungsempfänger dann i.d.R. nicht nennenswert ist.
6.136
Maßgeblichkeit des Fremdvergleichs. Da sich Umfang und Bedeutung der abgerufenen Dienstleistungen von Jahr zu Jahr ändern können, ist bei der Beurteilung i.d.R. von einem schwankenden Leistungsfluss auszugehen.4 Unklar ist der genaue Zeitraum, innerhalb dessen die Leistungen abgerufen werden sollen. Während Einigkeit darüber besteht, dass der Leistungsfluss über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg beobachtet werden muss,5 lehnen Stock/Kaminski einen Vorschlag aus der Literatur, hierfür den „Betriebsprüfungszeitraum, mindestens aber vier Jahre“ heranzuziehen,6 mit der Begründung ab, dass eine solche Interpretation weder im Gesetz noch in den VWG irgendeine Stütze fände. Entscheidend ist, dass die Leistungen innerhalb des mehrjährigen Zeitraums auch tatsächlich abgerufen werden.7 Nach zutreffender Auffassung von Greil ist für die Verrechenbarkeit dem Grunde nach allein der Fremdvergleich ohne Bindung an starre zeitliche Fristen maßgeblich.8 Dies entspricht im Ausgangspunkt der Auffassung der OECD-Leitlinien. Ein geringer Bedarf oder die Nichtabnahme über einen bestimmten Zeitraum sind dann unbeachtlich, wenn die angebotene Leistungsbereitschaft Versicherungscharakter hat und der Schaden bei Verzug der Leistungsbereitstellung unverhältnismäßig groß wäre, wie dies z.B. bei der sog. redundanten Serverkapazität der Fall ist.9 Es ist jedoch insbesondere dann, wenn die entsprechenden Dienstleitungen über einen mehrjährigen Zeitraum nicht oder allenfalls in marginalem Umfang abgerufen werden, Sache des Steuerpflichtigen darzulegen, dass auch fremde Dritte allein die Leistungsbereitschaft vergütet hätten.
6.137
Perspektive des konzerninternen Dienstleisters. Dagegen will das EU-JTPF für konzerninterne Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung – allerdings für die Verrechnung der Höhe nach – in dem Fall, dass Dienstleistungen in einem Jahr nicht in Anspruch genommen werden, für das Folgejahr darauf abstellen, „wie hoch der Leistungserbringer das Risiko ein-
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Vgl. Tz. 7.17 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.68. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.68. So Tz. 7.17 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.68. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.67. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.67. Vgl. Stock/Kaminski, DB 1997, 1054. So ausdrücklich VWG VP 2021, Rz. 3.67. Vgl. Greil/Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.17 Rz. 87. 9 Vgl. Greil/Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.17 Rz. 87; siehe auch Elbert/Gotsis in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 107.
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B. Dienstleistungen | Rz. 6.139 Kap. 6
schätzt und welche Risikobereitschaft der Dienstleistungserbringer hat“. Grundsätzlich ist die Perspektive des Leistungserbringers für die Verrechnung dem Grunde nach unbeachtlich. Dem Leistungsempfänger muss – wie bei jeder anderen Dienstleistungsverrechnung – aus der Leistungsbereitstellung ein Nutzen erwachsen, d.h. diese gesonderte Dienstleistung muss entweder einen Vorteil erwarten lassen oder eigene Aufwendungen ersparen (Rz. 6.123 f.). Anderenfalls ist unter fremden Dritten eine Dienstleistungsgebühr nicht vorstellbar. In der Praxis ist diese Fragestellung vornehmlich dann relevant, wenn die Leistungsbereitschaft auf marktgängige Leistungen gerichtet ist, die jederzeit vom Markt bezogen werden können. Grundsätzlich ist die Interessenslage des konzerninternen Dienstleisters ebenso wie dessen Risikoneigung nicht von Bedeutung. Es sollte davon auszugehen sein, dass seine Verfügbarkeit und Leistungsbereitschaft zu den Grundinteressen bezogen auf die Leistungserbringung gehören. Speziell für konzerninterne Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung ist überdies davon auszugehen, dass der konzerninterne Dienstleister als Routineunternehmen einzuordnen ist. Dementsprechend muss gewährleistet sein, dass der Dienstleister bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne erzielt. Von Verlusten werden Routineunternehmen – bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf – durch den Auftraggeber freigehalten, was durch die kostenorientierte Entgeltsbemessung gewährleistet ist.1 Hiermit verträgt sich die Auffassung des EU-JTPF nicht, dass der Risikobereitschaft des konzerninternen Dienstleisters irgendeine Bedeutung zukäme.
Verrechnung der Höhe nach. Speziell für die Leistungsbereitschaft auf Abruf stellen sich für die Verrechnung der Höhe nach spezifische Fragen, die letztlich darauf zurückzuführen sind, dass zwischen der Leistungsbereitschaft und der tatsächlich abgerufen und in Anspruch genommenen Dienstleistung ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang besteht. Grundsätzlich ist nicht nur für die Verrechnung dem Grunde nach, sondern auch für die Verrechnung der Höhe nach strikt zwischen Leistungsbereitstellungen und den Dienstleistungen zu unterscheiden, die konkret abgerufen werden, d.h. auf deren Erbringung die Bereitstellung letztlich gerichtet ist. Es handelt sich jeweils um gesonderte Dienstleistungen, für die ein fremdvergleichskonformer Verrechnungspreis zu bestimmen ist. Dies sollte der Auffassung der OECD entsprechen.2 Demgegenüber hält es das EU-JTPF für möglich, dass die Infrastrukturkosten vollständig zzgl. einer „Handelsspanne“ bereits für die Abrufleistungen weiterbelastet werden können, dafür aber die Inanspruchnahme der vereinbarten Dienstleistungen dem potenziellen Leistungsempfänger nicht berechnet wird.3 Dies ist unzutreffend. Über eine Stand-by-Charge können grundsätzlich nicht sämtliche Kosten bereits weiterbelastet werden. Der überwiegende Teil der Selbstkosten des Leistungserbringers muss entsprechend dem Umfang der tatsächlichen Inanspruchnahme belastet werden, während die Abrufleistung grds. von allen potenziellen Leistungsempfängern in Anspruch genommen wird und dementsprechend zu verrechnen ist (Umlagefall).4
6.138
c) Rückhalt im Konzern Begriffsverständnis. Die Dauerdiskussion, ob der sog. „Rückhalt im Konzern“ eine verrechenbare Leistung darstellt, ist allein auf die uneinheitliche und unpräzise Definition dieses Begriffs zurückzuführen. Bedient man sich einer engeren, betriebswirtschaftlich orientierten
1 Siehe zu einem infrage kommenden temporären Gewinnverzicht in Phasen gesamtwirtschaftlicher oder branchenbezogener Krisen aber auch Baumhoff in FS Krawitz, 32 f. 2 Vgl. Tz. 7.16 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. KOM (2011) 16 endgültig, Rz. 92. 4 Elbert/Gotsis in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 105 ff.
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6.139
Kap. 6 Rz. 6.139 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Begriffsdefinition, so setzt man den Rückhalt im Konzern mit der sog. passiven Konzernwirkung (Konzerneffekte) gleich.1 Hierunter werden alle Vor- und Nachteile verstanden, die sich bei völliger Passivität der Konzernleitung allein aus der Zugehörigkeit zum Unternehmensverbund ergeben. Hierzu zählt man z.B. eine erhöhte Kreditwürdigkeit, verbilligte Einkaufsmöglichkeiten, Risikostreuung, das Recht auf Führung des Konzernnamens oder günstigere Absatzmöglichkeiten.2 Aufgrund der Erkenntnis, dass der Gesamtgewinn eines Konzerns auf das Zusammenwirken aller Konzerngesellschaften zurückzuführen ist, die entsprechend ihrem Anteil an Leistungserstellung und -verwertung ihren Gewinnbeitrag leisten, ist eine Verrechnung der passiven Konzerneffekte schon deshalb unzulässig, weil als Steuerbemessungsgrundlage nur der tatsächlich erwirtschaftete Erfolg der einzelnen Konzernunternehmung angesehen werden darf, bei Verrechnung der Konzerneffekte hingegen alle auf die Verbundenheit zurückzuführenden Einflüsse eliminiert würden und der Besteuerung damit ein fiktiver Erfolg zugrunde gelegt würde. Daneben müsste eine Verrechnung des Konzernrückhalts sowohl aufgrund mangelnder Erfassbarkeit und Quantifizierbarkeit als auch wegen des Fehlens eines Leistungsaustausches scheitern, zumal der Konzernrückhalt keine eigenständige Leistung eines bestimmten Unternehmens darstellt. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass jedes Konzernmitglied im Allgemeinen so viel zum Konzernrückhalt beiträgt, wie es andererseits vom Rückhalt profitiert, so dass unabhängig von den übrigen Gründen schon deshalb eine gegenseitige Berechnung entfallen sollte.3
6.140
Abgrenzung zu aktiven Konzerneffekten und Handlungen. Von den passiven Konzerneffekten sind aktive Konzerneffekte ebenso abzugrenzen wie aktive Handlungen der Konzernleitung bzw. Spitzeneinheit. Die Forderung einiger Autoren, eine Verrechenbarkeit des Konzernrückhalts nicht generell abzulehnen, sondern stattdessen darüber im Einzelfall zu befinden,4 ist die Konsequenz einer Begriffsausweitung. Entgegen den ursprünglich festgelegten Prämissen, unter dem Konzernrückhalt allein die reine Konzernzugehörigkeit in Form einer rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Eingliederung in den Unternehmensverbund bei völliger Passivität der Spitzeneinheit zu verstehen, werden hierunter oftmals (aktive) Leistungen zusammengefasst, für die diese Definition nicht zutrifft. Dies ist letztlich als Ursache des Meinungsstreits über die Verrechenbarkeit des Rückhalts im Konzern anzusehen. Hierbei versteht man unter aktiven Konzerneffekten alle Eingriffe der Spitzeneinheit in den Betriebsablauf der Einzelgesellschaften, wie Entscheidungen über die künftige Absatz-, Beschaffungs-, Produktions-, Investitions-, Finanz-, Forschungs- und Entwicklungs-, Personal- und Sozial1 So wohl auch BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443; v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394 = FR 2019, 526; v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440; v. 18.5.2021 – I R 4/17, Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch; v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28, nach dem es sich bei dem Konzernrückhalt um einen Topos handelt, der lediglich den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung beschreibt und deswegen hinsichtlich der konzerninternen Darlehensvergabe nicht zur Fremdüblichkeit einer mangelnden Besicherung führt. Vgl. auch VWG VP 2021, Anlage 2 „Rückhalt in der multinationalen Unternehmensgruppe (Konzernrückhalt)“. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.2. Bsp. 1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021); Nientimp/Stein/Worm, IStR 2016, 782; Steiner/Ullmann, DStR 2019, 2390; Scholz/Köhler, DStR 2018, 18. 3 Vgl. Neubauer, JbFSt 1974/1975, 280 f.; Greil/Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.13 Rz. 68 m.w.N. 4 Vgl. Kroppen/Rasch in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz 6.3.2. VWG.
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B. Dienstleistungen | Rz. 6.141 Kap. 6
politik oder gar über Betriebsstilllegungen. Dagegen können sich aktive Handlungen der Konzernspitze auf das gesamte Spektrum konzerninterner Dienstleistungen und Nutzungsüberlassungen erstrecken. So sind z.B. weltweite Marketing- und PR-Kampagnen einer Konzernobergesellschaft sowie ein einheitlicher Internetauftritt, die den einzelnen Konzernunternehmen eigene Werbeaufwendungen ersparen, als verrechenbare Dienstleistungen anzusehen, weil sie auf aktiven Handlungen einer Konzerngesellschaft beruhen1 und zum Vorteil der einzelnen Konzerngesellschaften erbracht werden. Gleiches kann ggf. gelten für spezielle Garantiezusagen (z.B. Bürgschafts- oder „harte“ Patronatserklärungen) zugunsten bestimmter Konzerngesellschaften zwecks Erhöhung der Kreditwürdigkeit,2 das Recht auf Benutzung von Konzernmarken, Rückgriffmöglichkeiten auf Know-how und Patente, die Bereitschaft bestimmter Spezialabteilungen, rechtliche, finanzielle oder technische Probleme (auf Abruf) zu lösen (Rz. 6.128), oder die Beratung bei der Beschaffung von Gütern und Leistungen. Hierbei handelt es sich um eindeutig abgrenzbare und verrechenbare Einzelleistungen, die allein schon aufgrund der Notwendigkeit des aktiven Tätigwerdens der Spitzeneinheit oder einer anderen beauftragten Konzerngesellschaft ex definitione nicht zum Konzernrückhalt zählen können und daher anderen Leistungsbereichen zuzuordnen sind. Auch die OECD-Leitlinien 2022 unterscheiden in Tz. 7.13 ausdrücklich zwischen passiven (d.h. nicht verrechenbaren) und aktiven (d.h. verrechenbaren) Konzerneffekten. Einbeziehung des Rechts auf Führung des Firmennamens. Die Finanzverwaltung hat das Recht, den Firmennamen der Spitzeneinheit zu führen, bislang ausdrücklich in das Begriffsverständnis vom „Rückhalt im Konzern“ einbezogen.3 Dementsprechend wurde die Einräumung dieses Rechts generell als nicht entgeltfähig angesehen. Diese Rechtsauffassung hat die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 7.4.20174 jedoch teilweise revidiert. Entgegen der BFH-Rechtsprechung sei die Namensnutzung nur dann nicht zu entgelten, wenn sich aus der Namensnutzung kein wirtschaftlicher Vorteil ergebe. Korrespondierend sei eine Verrechnung vorzunehmen, wenn ein ausschließliches Recht zur Namensnutzung bestehe und der Name einen Wert habe, der unter unabhängigen Dritten vergütet würde.5 Mit den VWG VP 2021 erfolgte eine weitergehende Klarstellung durch die deutsche Finanzverwaltung. Die Überlassung eines immateriellen Werts ist demnach dann zu vergüten, wenn hiermit eine finanzielle Auswirkung für den Übernehmer, Nutzenden bzw. Übertragenden oder Überlassenden verbunden ist.6 Zum einen wird damit auf die Sicht des Nutzenden abgestellt, wenn dieser wohl positive finanzielle Auswirkungen zu erwarten hat (ex-ante). Bei negativen finanziellen Auswirkungen wäre ein solcher wohl nicht bereit, ein Entgelt zu zahlen. Ergänzend wird aber auch die Sichtweise des Überlassenden berücksichtigt, der wohl ein Entgelt verlangen würde, wenn die Überlassung bei ihm mit finanziellen Einbußen verbunden wäre. Bei Erhöhung seiner finanziellen Einnahmen wäre eine Verrechnung grundsätzlich auszuschließen, es sei denn, dass eine Erhöhung auch beim Nutzenden eintreten würde. Die Verleihung eines Firmennamens ist die Aufgabe bzw. Pflicht des Gründers (Gesellschafters) und gehört damit zur „Grundausstattung“ der neu gegründeten Gesellschaft. Sie ist durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und kann deshalb nicht Gegenstand von zusätzlichen schuldrechtlichen Verträgen sein. Etwas anderes kann sich allerdings ergeben, wenn der 1 2 3 4 5 6
Vgl. Tz. 7.13 und weitere Beispiele bei Tz. 1.160 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 7.13 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. auch Greil/Wargowske, IStR 2017, 17. BMF v. 7.4.2017 – IV B 5 - S 1341/16/10003, BStBl. I 2017, 701. Vgl. dazu kritisch Stein/Schwarz, BB 2017, 1566; Rasch/Mank, ISR 2018, 73. VWG VP 2021, Rz. 3.48.
Baumhoff/Kluge | 561
6.141
Kap. 6 Rz. 6.141 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Firmenname auch als Marke für die Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen genutzt wird, mithin also firmennamensgleiche Marken zur Nutzung überlassen werden. In diesem Fall sind nach der BFH-Rechtsprechung Marken und Markenrechte als produkt- und dienstleistungsidentifizierende Kennzeichnungen einerseits und Firmen- bzw. Unternehmensbezeichnungen als besondere Bezeichnungen des Geschäftsbetriebs andererseits strikt voneinander zu trennen.1
Die Firma ist der Name des Kaufmanns, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt.2 Dagegen wird die vom Firmenträger gewählte Schreibweise oder sonstige grafische Gestaltung der Firma nicht Firmenbestandteil, auf dessen Eintragung er einen Anspruch hätte.3 Die Firma ist mit dem Handelsgeschäft derart verknüpft, dass sie nur zusammen mit dem Handelsgeschäft veräußert werden kann, für welches sie geführt wird.4 Ferner genießt die Firma sowohl öffentlich-rechtlichen als auch privatrechtlichen Schutz.5 Im Gegensatz dazu können als Marke alle Zeichen geschützt werden, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Eine Marke kann neben Wörtern auch grafische Gestaltungen, Farben etc. beinhalten.6 Markenschutz entsteht insbesondere durch die „Eintragung eines Zeichens als Marke in das vom Patentamt geführte Register.“7 Der Markenschutz gewährt dem Inhaber der Marke das Recht, jeden Dritten von der Nutzung der Marke auszuschließen.8 Firma und Marke haben damit zwar gemeinsam, dass beide in ein Register einzutragen sind und dem Inhaber ermöglichen, andere von der Nutzung auszuschließen. Sie unterscheiden sich aber hinsichtlich ihrer Funktion und ihrer Inhalte. Daher sind sie unabhängig voneinander verwertbar und aufgrund dessen sowohl rechtlich als auch hinsichtlich ihrer steuerlichen Verrechenbarkeit unterschiedlich zu behandeln.9 Möchte demnach eine Muttergesellschaft ihrer Tochtergesellschaft ermöglichen, sowohl den Konzernnamen zu führen als auch die gleichlautende Konzernmarke zu nutzen, handelt es sich um zwei rechtlich zu trennende Vorgänge. Die Zuweisung der Firma ist auf der Ebene des gesellschaftsrechtlichen Gründungsaktes anzusiedeln. Eine Vergütung für die Zuweisung der Firma kommt nicht in Betracht. Da es sich um einen Akt der „Dotation“ handelt, kann für Bestandteile eines bekannten Konzernnamens nichts anderes gelten als für jede andere Firma. Die Gewährung von Nutzungsrechten an der Marke erfolgt demgegenüber auf schuldrechtlicher Ebene. Die Überlassung von (werthaltigen) immateriellen Wirtschaftsgütern zur Nutzung ist zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften grundsätzlich als entgeltfähiger Vorgang anzusehen, der mittels einer Fremdvergleichslizenz zu verrechnen ist. Dies gilt auch dann, wenn die Firma des Lizenznehmers der Markenbezeichnung entspricht, da der Inhaber einer Firma nicht ohne weiteres zur Nutzung einer gleichlautenden Marke berechtigt ist. 1 Vgl. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246; BFH v. 21.1.2016 – I R 22/ 14, BStBl. II 2017, 336 = IStR 2016, 508 m. Anm. Ditz/Bärsch; zu diesem Urteil vgl. auch Krüger, IStR 2016, 951; Böhmer, ISR 2016, 235; Ball, BB 2016,1379; Rasch/Mank, ISR 2018, 73. 2 Vgl. § 17 Abs. 1 HGB. Die Anforderungen an eine ordnungsmäßige Firma sind insbesondere in §§ 18, 19 u. 30 HGB geregelt. 3 Vgl. KG Berlin v. 23.5.2000 – 1 W 247/99, BB 2000, 1957. 4 Vgl. § 23 HGB. 5 Vgl. § 37 Abs. 1 u. Abs. 2 HGB, §§ 12, 823 u. 826 BGB, § 1 UWG sowie § 15 MarkenG. 6 Vgl. § 3 Abs. 1 MarkenG; Krüger, IStR 2015,651. 7 § 4 Nr. 1 MarkenG. 8 Vgl. § 14 Abs. 1 MarkenG. 9 Vgl. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246; zu diesem Urteil vgl. auch Lahodny-Karner/Furherr, SWI 2001, 301; Borstell/Wehnert, IStR 2001, 127; BFH v. 21.1.2016 – I R 22/14, BStBl. II 2017, 336 = IStR 2016, 508 m. Anm. Ditz/Bärsch.
562 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.142 Kap. 6
Soweit eine überlassene Marke werthaltig ist, kann sie einem verbundenen Unternehmen unter den gleichen Umständen wie einem fremden Dritten überlassen werden. Eine Werthaltigkeit ist grundsätzlich dann gegeben, wenn die Konzernmarke entsprechend den Voraussetzungen des § 4 Nr. 1–3 MarkenG entweder rechtlich wirksam eingetragen oder in den beteiligten Verkehrskreisen bzw. „notorisch“ bekannt ist.1 Sind Firmenname und Markenname identisch, so hat das Namensrecht gegenüber dem Markenrecht zumindest teilweise zurückzutreten.2 Daher ist der in der Literatur und dem – durch das BFH-Urteil v. 9.8.2000 revidierten – Urteil des FG Rh.-Pf. v. 14.12.19983 vertretenen Auffassung, wonach die Frage der Entgeltfähigkeit davon abhängig sei, ob das Schwergewicht auf der Firmenbezeichnung oder der Markenrechtsüberlassung liege, keine Bedeutung beizumessen.4 Vielmehr ist dieser Umstand allenfalls für die Bestimmung der Höhe des Lizenzentgelts relevant.5 Hinsichtlich der Frage, ob ein Lizenzentgelt für eine Markenüberlassung – auch bei gleichzeitiger Identität mit dem Firmennamen – dem Grunde nach zu verrechnen ist, ist letztlich darauf abzustellen, ob die mit der Einräumung des Nutzungsrechts „verbundenen besonderen und marktfähigen Schutzrechte geeignet sind, zur Absatzförderung beizutragen“6. Es reicht somit bereits die Möglichkeit aus, mit der Benutzung einer Marke absatzwirtschaftliche Vorteile zu erzielen, unabhängig davon, ob die Benutzung der Marke „tatsächlich zu einer Absatzsteigerung und/oder zu einer Erhöhung des einschlägigen Marktanteils geführt hat.“7 Entscheidend ist somit die sog. ex-ante-Betrachtung, wonach zum Zeitpunkt des Abschlusses eines Lizenzvertrages mit markenbedingten absatzwirtschaftlichen Vorteilen gerechnet werden konnte.8 BMF-Schreiben vom 29.3.2011. Mit Schreiben vom 29.3.20119 hat das BMF zur Anwendung von § 1 AStG auf Teilwertabschreibungen und Forderungsverzichte auf Konzerndarlehen an ausländische Tochterkapitalgesellschaften Stellung genommen und die bis dahin bereits in Betriebsprüfungen vertretene Rechtsauffassung „offiziell“ bestätigt.10 Die Finanzverwaltung glaubt u.a. der früheren Rechtsprechung des BFH Rechnung zu tragen, wonach die fehlende Besicherung konzerninterner Darlehen aufgrund einer bestehenden Konzernbeziehung unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar war. Konkret hatte der BFH die Fremdüblichkeit der fehlenden Besicherung eines von einem beherrschenden Gesellschafter ausgereichten Darlehens auf die Einflussnahmemöglichkeiten des beherrschen-
1 Siehe zur Werthaltigkeit einer Marke auch Brändel, Verrechnungspreise bei grenzüberschreitender Lizenzierung von Marken im Konzern, 55 ff. und Krüger, IStR 2015, 650 ff. 2 Vgl. § 23 MarkenG. 3 Vgl. FG Rh.-Pf. v. 14.12.1998 – 5 K 2821/96, EFG 1999, 499. 4 So ausdrücklich BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246; Baumhoff, IStR 1999, 534. 5 Hinsichtlich der wertdeterminierenden Faktoren einer Markenlizenz stellt der BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246 insbesondere darauf ab, wer den Wert der Marke geschaffen und wer die Aufwendungen für deren Begründung und Erhalt (z.B. Marketingaufwendungen) getragen hat. Zur Markenwertmessung im Allgemeinen vgl. Rohnke, DB 1992, 1941 f.; Stein/Ortmann, BB 1996, 788 f.; Havenstein/Heiden, BB 2003, 1275 f.; Brändel, Verrechnungspreise bei grenzüberschreitender Lizenzierung von Marken im Konzern, 76 ff. m.w.N. 6 BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. 7 BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. 8 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.49. 9 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277. 10 Siehe hierzu im Einzelnen Baumhoff/Kluge in FS Kroppen, 106; Ditz/Liebchen, IStR 2012, 97 ff.
Baumhoff/Kluge | 563
6.142
Kap. 6 Rz. 6.142 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
den Gesellschafters und auf dessen gesellschaftsrechtlich bestehende Möglichkeit gestützt, für die Rückzahlung des Darlehens Sorge tragen zu können.1 Demgegenüber begreift die Finanzverwaltung die Konzernbeziehung als ein Quasi-Sicherungsverhältnis, das zwischen der Konzernobergesellschaft und einer Tochtergesellschaft begründet werden kann. Sie fasst dies begrifflich unter den „Rückhalt im Konzern“. Dies geht letztlich auf eine von Vertretern der Finanzverwaltung vorgenommene Trennung von Sicherungs- und Darlehensverhältnis zurück, wonach die Konzernobergesellschaft gegenüber ihrer darlehensnehmenden Tochtergesellschaft sowohl als Sicherungs- wie auch als Darlehensgeber auftreten können soll, nämlich durch „Gewährung“ des Rückhalts im Konzern.2 Vom bestehenden Rückhalt im Konzern soll nach dem BMF-Schreiben auszugehen sein, „solange der beherrschende Gesellschafter die Zahlungsfähigkeit der Tochtergesellschaft (Darlehensnehmer) gegenüber fremden Dritten (im Außenverhältnis) tatsächlich sicherstellt bzw. solange die Tochtergesellschaft ihre Verpflichtungen im Außenverhältnis erfüllt“.3 Ferner geht die Finanzverwaltung davon aus, dass der Rückhalt im Konzern als faktische Sicherheit nachträglich entfallen kann, und zwar bei fortbestehender konzerninterner Einbindung des Darlehensnehmers. Dies soll etwa dann vorliegen, wenn der beherrschende Gesellschafter nicht mehr dafür sorgt, dass der Darlehensnehmer seine Außenverpflichtungen gegenüber fremden Dritten erfüllt.4 Gleiches soll gelten, wenn der beherrschende Gesellschafter gegenüber einem fremden Dritten, der im Vertrauen auf den Rückhalt im Konzern einer nahe stehenden Gesellschaft Darlehen ohne tatsächliche Sicherheit gewährt hat, diesen Rückhalt im Konzern tatsächlich nicht gewährt hat.5 Schließlich will die Finanzverwaltung einen funktionsfähigen Rückhalt im Konzern auch dann nicht mehr annehmen, wenn die wirtschaftliche Situation des beherrschenden Gesellschafters bzw. des Konzerns insgesamt erkennen lässt, dass auf Grund des Rückhalts im Konzern keine Zahlungen geleistet würden bzw. geleistet werden könnten.6 Der BFH hat die Auffassung der Finanzverwaltung zunächst durch das Urteil v. 17.12.20147 insofern bestätigt, als der Konzernrückhalt für sich genommen eine ausreichende Sicherheit für die Prüfung der Fremdüblichkeit des Zinssatzes darstellt. Ferner hat der BFH angedeutet, dass eine Teilwertabschreibung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG auch davon abhängen kann, ob ein Konzernrückhalt bei Darlehensbegebung zunächst bestanden, ein solcher später – im Zeitpunkt der Abschreibungen – jedoch entfallen ist.8 Allerdings ist diese Rspr. nicht dahin zu verstehen, dass der Konzernrückhalt überhaupt eine „immerwährende“ Sicherheit darstellen könnte; vielmehr sollten lediglich die Kreditbedingungen festgelegt werden.9 Insofern spreche 1 Vgl. BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, BFHE 176, 571 = FR 1995, 476; v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482. 2 Vgl. auch Eisgruber in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, Köln 2011, 162. 3 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 11. 4 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 15, 1. Spiegelstrich. 5 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 15, 2. Spiegelstrich. 6 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277 Rz. 15, 3. Spiegelstrich. 7 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261. Siehe hierzu Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 294 ff. 8 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261. 9 Vgl. Gosch, BFH/PR 2015, 173 ff.
564 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.143 Kap. 6
die tatsächliche Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit der Tochtergesellschaft im Außenverhältnis gerade dafür, dass die gegenüber der Muttergesellschaft bestehende Verbindlichkeit nicht zurückgeführt werden kann.1 Eine Teilwertabschreibung wegen dauernder Wertminderung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG ist in diesem Fall zwingend. Im Urteil v. 24.6.20152 stellte der BFH sodann klar, dass der Konzernrückhalt keinen Rückschluss auf die Werthaltigkeit eines Darlehens zulässt. Unter Verweis auf das Urteil v. 29.10.19973 wies der BFH außerdem darauf hin, dass die sicherungsfreie konzerninterne Darlehensgewährung aufgrund des Rückhalts im Konzern fremdvergleichsgerecht sein kann.4 Ob der Verweis auf das Urteil v. 29.10.1997 insoweit trägt, erscheint jedoch fraglich. Denn in besagtem Urteil wurde lediglich festgestellt, dass die sicherungsfreie Darlehensgewährung fremdüblich sein kann, „wenn der fremde Gläubiger aus tatsächlichen Gründen die Möglichkeit hat, auf den Darlehensschuldner Einfluß zu nehmen und für die Darlehensrückzahlung Sorge zu tragen“.5 Eine Fremdvergleichskonformität der sicherungsfreien konzerninternen Darlehensgewährung allein aufgrund des Rückhalts im Konzern lässt sich daraus nur schwerlich ableiten. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch das Urteil v. 27.2.20196 und die diesem Urteil nachgehenden Urteile7 wenig verwunderlich, in denen die Aussagen des Urteils v. 24.6.2015 teilweise revidiert wurden.8 Die Nichtbesicherung eines konzerninternen Darlehens sei grundsätzlich fremdunüblich. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem „Topos des sog. Konzernrückhalts“. Denn aus dem Konzernrückhalt resultiere keine Einstandspflicht. An den Urteilen v. 24.6.2015 und v. 29.10.1997 werde insoweit nicht festgehalten. Ob das Urteil v. 29.10.1997 überhaupt im Widerspruch zum Urteil v. 27.2.2019 steht, kann dahinstehen. Jedenfalls eignet sich der Konzernrückhalt allein, nach nunmehr zutreffender Ansicht des BFH, nicht zur Rechtfertigung einer fehlenden Besicherung konzerninterner Darlehen.9 Aktuelles Begriffsverständnisses der Finanzverwaltung. Durch die VWG VP 2021 wird von der deutschen Finanzverwaltung das Begriffsverständnis lediglich als Auszug der jüngeren BFH-Rechtsprechung wiedergegeben. Danach beschreibt der Topos des Konzernrückhalts „lediglich den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung“.10 Auch dies ist im Einzelfall jeweils auslegungsbedürftig. Die deutsche Finanzverwaltung konkretisiert insofern, dass Vorteile, die sich aus der Zugehörigkeit zur multinationalen Unternehmensgruppe ergeben, nicht vergütungsfähig sind.11 1 2 3 4 5 6
7 8 9 10 11
So auch Gosch, BFH/PR 2015, 175. BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258. BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482. Vgl. dazu auch Baumhoff/Kluge in FS Kroppen, 107. BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394 = FR 2019, 526. Das Urteil wurde zwischenzeitlich vom BVerfG aufgehoben und an den BFH zurückverwiesen, da der BFH mangels Vorlage an den EuGH das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt hat, BVerfG v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/ 19, FR 2021, 637. Das Verfahren ist jetzt unter dem Az. I R 15/21 (I R 73/16) anhängig. Vgl. etwa BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/NV 2020, 183; BFH v. 19.6.2019 – I R 54/17, IStR 2020, 230; v. 18.5.2021 – I R 4/17, Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch; v. 9.6.2021 – I R 32/17, DB 2021, 2673 = ISR 2022, 22, 28. Dazu ausführlich Wacker, FR 2019, 449. Vgl. dazu auch Baumhoff/Kluge in FS Kroppen, 108. Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2 „Rückhalt in der multinationalen Unternehmensgruppe (Konzernrückhalt)“. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.71.
Baumhoff/Kluge | 565
6.143
Kap. 6 Rz. 6.144 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.144
Eigener Definitionsvorschlag. Die vorstehenden Ausführungen lassen sich in folgendem Definitionsvorschlag zusammenfassen: „Unter dem Rückhalt im Konzern sind alle Vorteile zu verstehen, die sich bei der Gesellschaft automatisch und dementsprechend passiv durch die Eingliederung der Gesellschaft in einen Konzern ergeben, ohne dass hierfür neben der Umsetzung rein gesellschaftsrechtlicher Handlungen bzw. Verpflichtungen weitere aktive Handlungen durch den Gesellschafter bzw. die Konzernmutter notwendig wären oder die Gesellschaft immaterielle Wirtschaftsgüter der Konzernmutter nutzt.“1 Die Voraussetzung des „Eintritts von Vorteilen bei der Gesellschaft“ ist notwendig, da anderenfalls bereits von Vornherein keine Verrechnungspflicht bestehen kann. Die Vorteile müssen sich außerdem passiv durch die gesellschaftsrechtliche Eingliederung in den Konzern ergeben. Gesellschaftsrechtliche Handlungen sind grundsätzlich nicht verrechenbar.2 Solange sich die Vorteile bei der Gesellschaft daher automatisch und ohne Leistungsaustausch ergeben, sollte eine Verrechnungspflicht ausscheiden. Durch das Definitionsmerkmal der aktiven Handlungen wird unterstellt, dass verrechnungspflichtige Vorteile bei der Gesellschaft nur durch aktive Handlungen des Gesellschafters eintreten können. Aktive Handlungen können bspw. die Erbringung einer Leistung (z.B. Managementdienstleistungen) oder eine Bürgschaftsübernahme sein. Diese Handlungen können nicht unter den Rückhalt im Konzern subsumiert werden. Ein fremder Dritter würde keine aktiven Handlungen vornehmen und damit Kosten tragen, wenn diese nicht verrechnet werden könnten. Davon abweichend begründen aktive Handlungen zur „Umsetzung rein gesellschaftsrechtlicher Handlungen bzw. Verpflichtungen“ keine Verrechnungspflicht, soweit sie keinen Nutzen bei der Gesellschaft stiften. Die Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter ist grundsätzlich zu vergüten, wenn diese dazu geeignet sind, beim Nutzenden einen wirtschaftlichen Vorteil zu stiften. Es ist insofern eine Negativabgrenzung notwendig, weil ein nicht verrechnungspflichtiger Konzernrückhalt nicht dazu führen darf, dass eine Gesellschaft unentgeltlich die immateriellen Wirtschaftsgüter der Muttergesellschaft einsetzen kann.
6.145
Auswirkungen auf die Verrechnungspreisfestsetzung. Der obige Definitionsvorschlag zeitigt Konsequenzen für die Festsetzung von Verrechnungspreisen in unterschiedlichsten Sachverhaltskonstellationen. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich aber aus Gründen der Übersichtlichkeit auf konzerninterne Lieferbeziehungen.3 Im Rahmen von Lieferbeziehungen ergeben sich Vorteile beim jeweiligen Lieferanten häufig dadurch, dass dem Abnehmer der konzerninterne Lieferant bereits vorgegeben wird. Aufwendige Ausschreibungen und Angebotsverfahren zur Lieferantenauswahl sind daher nicht notwendig. Sowohl beim Lieferanten als auch beim Abnehmer werden somit Kosten eingespart. Nach dem Definitionsvorschlag sind diese Vorteile zumindest insoweit nicht gegenüber der Konzernmutter separat zu vergüten, als diese keine aktiven Handlungen vornimmt. Demnach würde die konzernübliche Akzeptanz eines vereinfachten Angebots- und Vertragsabschlussverfahrens keine Vergütungspflicht gegenüber der Muttergesellschaft begründen, da es an einer aktiven Handlung fehlt. Unterhält die Muttergesellschaft indessen eine Abteilung, die die entsprechenden Liefer- und Warenströme steuert, wäre diese Leistung als aktive Handlung zu vergüten.
1 Baumhoff/Kluge in FS Kroppen, 110 f. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Für eine umfassende Betrachtung möglicher Auswirkungen vgl. Baumhoff/Kluge in FS Kroppen, 112 ff.
566 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.149 Kap. 6
d) Koordinierung und Kontrolle Gesellschafteraufwand. Koordinierungsmaßnahmen der Spitzeneinheit, die mit dem Ziel durchgeführt werden, die Tätigkeiten der Konzerngesellschaften zielorientiert unter Nutzung möglichst aller Verbundeffekte zu planen und zu steuern, zählen grundsätzlich zum Interessenbereich und den Pflichten eines Gesellschafters. Die dazu notwendigen Aufwendungen sind deshalb nicht verrechenbar.1
6.146
Gemeinschaftliche Interessen. Daneben sind bei verbundenen Unternehmen auch solche Koordinierungsleistungen erforderlich, die sowohl im Interesse der Mutter- als auch der Tochtergesellschaft liegen. So erfolgt die unmittelbare Abstimmung des Lieferungs- und Leistungsaustausches zwischen der Muttergesellschaft und einer bestimmten Tochtergesellschaft (vertikale Koordination) oder zwischen zwei bestimmten Schwestergesellschaften (horizontale Koordination) im Interesse beider Gesellschaften; sie ist bei beiden Beteiligten betrieblich veranlasst und damit als verrechenbare Leistung anzusehen. Die Aufteilung des Aufwandes erfolgt nach dem Grad des Interesses an der Koordinationsleistung, der nur im Schätzwege bzw. anteilig bestimmt werden kann. Erspart sich eine Tochtergesellschaft durch Koordinierungsleistungen der Muttergesellschaft die Durchführung eigener Koordinationsaufgaben, so sind diese Leistungen der Tochtergesellschaft ebenfalls anteilig in Rechnung zu stellen.
6.147
Kontrollleistungen. Eine ähnlich differenzierende Betrachtungsweise gilt für den Bereich der Kontrollleistungen. Wie bereits festgestellt, erfolgen alle Maßnahmen, die eine Obergesellschaft zur Überwachung und Kontrolle ihrer Untergesellschaft trifft, in ihrem Interesse als Gesellschafterin (Rz. 6.127). Hier liegt kein Leistungsaustausch vor. Die Untergesellschaften sind lediglich Gegenstand der Kontrolle. Vielmehr sind die entsprechenden Aufwendungen nicht verrechenbar und nur bei der Obergesellschaft als Betriebsausgaben abzugsfähig. Diesen gesellschaftsrechtlich bedingten Leistungen stehen Kontrolltätigkeiten der Muttergesellschaft oder damit beauftragten Tochtergesellschaften (wie z.B. regionalen Konzernverwaltungsstellen) gegenüber, die gleichzeitig oder ausschließlich zum Vorteil der Tochtergesellschaft erbracht werden. In diesem Zusammenhang werden Dienstleistungen ersetzt, die die Tochtergesellschaft zur Kontrolle ihrer eigenen unternehmerischen Betätigung benötigt und daher bei dieser zu ersparten Aufwendungen führen. Solchen Kontrollleistungen, wie z.B. die Kontrolle der Produktqualität, der Arbeitsproduktivität oder der Kosten, liegt ein Leistungsaustausch zugrunde, der vom Leistungsempfänger zu vergüten und dort als Betriebsausgabe abzugsfähig ist.
6.148
e) Revision Konsolidierung und Prüfung. Zu den Kontrolltätigkeiten im weiteren Sinne zählen auch Revisionsleistungen, deren Verrechenbarkeit oft grundsätzlich bestritten wird. Dies gilt allerdings nur für Prüfungstätigkeiten der Spitzeneinheit bei den Konzerngesellschaften und die Konsolidierung der Einzelergebnisse einschließlich der damit verbundenen Prüfung durch die eigene Revisionsabteilung oder eine beauftragte Prüfungsgesellschaft. Diese Tätigkeiten sind eindeutig gesellschaftsrechtlich bedingt und erfolgen ausschließlich im Interesse der Muttergesellschaft. Allerdings können Konsolidierungsleistungen im Interesse z.B. einer Zwischengesellschaft sein, wenn durch den Konzernabschluss der Muttergesellschaft diese Gesellschaft von der Notwendigkeit der Aufstellung und Prüfung eines Teilkonzernabschlusses befreit wird. 1 Vgl. BFH v. 19.3.1969 – I R 31/67, BStBl. II 1969, 497.
Baumhoff/Kluge | 567
6.149
Kap. 6 Rz. 6.150 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.150
Eigeninteresse der Konzerngesellschaft. Daneben können Leistungen einer zentralen Revisionsabteilung auch im Interesse der Konzerngesellschaften erfolgen, weil sie dort eigene Prüfungstätigkeiten ersetzen und daher zu ersparten Aufwendungen führen. So kann z.B. eine Konzerngesellschaft aufgrund von zentralen Revisionstätigkeiten auf eine sonst notwendige Innenrevision oder Wirtschaftsprüfung ganz oder teilweise verzichten. Würden diese Revisionsleistungen nicht durch ein Konzernunternehmen erbracht, so müsste ein unabhängiger Controller oder Wirtschaftsprüfer damit beauftragt werden. Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen eine Konzerngesellschaft über keine eigene Innenrevision verfügt.1 Die entsprechenden Aufwendungen sind daher ganz oder zumindest teilweise bei der die Leistung empfangenden Konzerngesellschaft betrieblich veranlasst und somit verrechenbar.
V. Dienstleistungsverrechnung der Höhe nach 1. Formen der Dienstleistungsverrechnung 6.151
Verrechnungsformen. Wird nach Würdigung aller Umstände eine Dienstleistung nach dem Prinzip der betrieblichen Veranlassung als dem Grunde nach verrechenbar angesehen, stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage der Verrechnung der Höhe nach. In diesem Zusammenhang sind die folgenden Verrechnungsformen zu unterscheiden: – Einzelabrechnung der Dienstleistung im Rahmen eines schuldrechtlichen Leistungsaustausches zwischen den Konzerngesellschaften, – Konzernumlage in Form der – Leistungsumlage im Rahmen eines schuldrechtlichen Leistungsaustausches zwischen den Konzerngesellschaften (Leistungsaustauschkonzept), – Kosten- bzw. Poolumlage im Rahmen der Begründung eines Pools zum Leistungsempfang im gemeinsamen Interesse und auf gemeinsames Risiko der involvierten Konzerngesellschaften (Poolkonzept).
6.152
Leistungsaustauschkonzept. Während bei der Einzelabrechnung für jede einzelne, im Rahmen einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen den Konzerngesellschaften erbrachte Dienstleistung ein separates Entgelt verrechnet wird, ist im Zusammenhang mit der Konzernumlage zu differenzieren, ob zwischen den involvierten Konzerngesellschaften ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch stattfindet oder nicht.2 Erfolgt ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch, werden nach dem Leistungsaustauschkonzept von einem (zentralen) Leistungserbringer als Auftragnehmer gegenüber mehreren verbundenen Unternehmen als Auftraggeber Leistungen erbracht, z.B. indem eine spezialisierte Dienstleistungsgesellschaft im Bereich des Rechnungswesens gleichartige Leistungen an mehrere Konzerngesellschaften erbringt. Dabei wird der Verrechnungspreis der Dienstleistung an die einzelnen Auftragnehmer pauschal durch Umlage der beim Leistungserbringer entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlages mithilfe einer sachgerechten Schlüsselung bestimmt (sog. Leistungsumlage). 1 Vgl. Baranowski, JbFSt 1981/82, 161. 2 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 348; Baumhoff, IStR 2000, 693 f.; Oestreicher, IStR 2000, 760 f.; Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 892 ff.; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 ff.; Kroppen/Rasch (Hrsg.) in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Rz. 7.1 ff.; Ditz, DB 2004, 1949 f.; rechtsvergleichend siehe etwa Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 209 ff. m.w.N.
568 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.154 Kap. 6
Insofern handelt es sich bei der Leistungsumlage im Ergebnis um eine besondere Form der Verrechnungspreisermittlung auf der Grundlage einer modifizierten Kostenaufschlagsmethode mit einer einhergehenden pauschalen Kostenermittlung und -verteilung zuzüglich Gewinnaufschlag (Rz. 6.347).
Leistungsumlage statt Einzelabrechnung. Die Leistungsumlage ist eine der Einzelabrechnung gleichwertige Abrechnungsform, die insbesondere in solchen Fällen Anwendung findet, in denen die Einzelabrechnung der Dienstleistungen nicht oder – aufgrund eines hohen Verwaltungsaufwandes – zumindest nicht wirtschaftlich sinnvoll möglich ist (sog. Vereinfachungsfunktion der Leistungsumlage).1 Vor diesem Hintergrund findet nach Auffassung der OECD die Leistungsumlage insbesondere dann Anwendung, wenn „der anteilige Wert der den verschiedenen betroffenen Unternehmen erbrachten Dienstleistungen nur auf der Grundlage eines Näherungs- oder Schätzwertes berechnet werden“2 kann. Dies sei bspw. bei der zentralen Verkaufsförderung, z.B. mithilfe internationaler Messen oder bei der Werbung in der internationalen Presse, der Fall (Rz. 6.342). Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung hat eine Verrechnung auf Istkostenbasis zu erfolgen. Sofern Plankosten verwendet werden, sei spätestens zum Jahresende einen Abgleich mit den Istkosten und eine entsprechende Aufteilung vorzunehmen.3
6.153
Nach dem sog. Poolkonzept schließen sich mehrere verbundene Unternehmen zusammen, um im gemeinsamen Interesse und auf gemeinsames Risiko über einen längeren Zeitraum Leistungen zu erhalten bzw. zu erbringen.4 Zu diesen Poolkonzepten vgl. Rz. 6.351 ff. Methoden der Verrechnung. Die OECD bezeichnet die Einzelabrechnung von Dienstleistungen als direkte Methode5, die Konzernumlage nach dem Leistungsaustauschkonzept als indirekte Methode6. Daneben werden in Kap. VIII der OECD-Leitlinien 2022 die Kostenumlagen nach dem Poolkonzept erörtert. Insofern lassen die OECD-Leitlinien eine klare Trennung der drei dargestellten Abrechnungskategorien erkennen. Demgegenüber war aufgrund der missverständlichen Formulierung der Tz. 1 VWG-Umlage 19997, wonach die Einzelverrechnung sowohl nach der direkten als auch der indirekten Methode erfolgen kann,8 zunächst unklar, ob auch nach Einführung der VWG-Umlage9 die Leistungsumlage mit ihrer Vereinfachungsfunktion Anwendung finden kann. Dies wurde sowohl von der h.M. im Schrifttum10 als auch von Vertretern der deutschen Finanzverwaltung11 bejaht. 1 2 3 4 5 6 7 8
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11
Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 348; Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.78. Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.79. Vgl. BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003, BStBl. I 2018, 743 – VWG-Umlage 2018. Vgl. Tz. 7.21 f. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 7.23 f. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1. Der Wortlaut der Tz. 1 VWG-Umlage ist insofern missglückt, als entsprechend der Handhabung der OECD-Leitlinien 2022 die Einzelverrechnung von Leistungen mit der direkten Methode und die Konzernumlage nach dem Leistungsaustauschkonzept mit der indirekten Methode gleichgesetzt wurden. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122. Vgl. Oestreicher, IStR 2000, 762; Baumhoff, IStR 2000, 694; Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 894 f.; Becker, IWB F. 3 Gr. 2, 880 f.; Waldens, ITPJ 2001 No. 2, 50 f.; Freytag/Vögele, IWB F. 10 Gr. 2, 1498; Ditz, DB 2004, 1949; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 ff.; Arbeitskreis Außensteuerrecht beim Institut der Wirtschaftsprüfer in GS Krüger, 25; a.A. Vögele/ Freytag, IStR 2000, 249; Vögele, DB 2000, 297. Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 347.
Baumhoff/Kluge | 569
6.154
Kap. 6 Rz. 6.154 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Allerdings wurden von Vertretern der Finanzverwaltung1 Zweifel an diesem Verständnis geweckt. Hiernach sollte mit den VWG-Umlage 1999 eine abschließende Regelung erfolgt sein, die ab dem Jahr 2001 ausschließlich Poolumlagen zulässt. Begründet wurde diese Auffassung damit, dass Tz. 7 der VWG 1983 durch die VWG-Umlage 1999 aufgehoben wurde2 und dass bestehende Umlageverträge gem. Tz. 8 der VWG-Umlage 19993 bis zum 31.12.2000 anzupassen waren. Geschah dies nicht, wurde durch Tz. 8 auf Tz. 6 verwiesen, die bei gravierenden Mängeln von Umlageverträgen eine Versagung des Betriebsausgabenabzugs vorsah. Diese Auffassung vermochte nicht zu überzeugen. Sie war schon deshalb abzulehnen, weil Tz. 8 der VWG-Umlage 19994 sich nur auf erforderliche Anpassungen bestehender Umlageverträge bezieht, nicht jedoch auf die Kündigung bestehender Verträge über Leistungsumlagen.5 Mit Schreiben v. 5.7.20186 (VWG-Umlage 2018) wurden die VWG-Umlage 1999 zum 31.12.2018 aufgehoben.7 Die VWG-Umlage 2018 verwiesen nunmehr für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge auf Kapitel VIII der OECD-Leitlinien 2022. Die bisherige Vorgehensweise wird dadurch zwar nicht grundlegend verändert,8 sehr wohl aber hinsichtlich einzelner Aspekte weiterentwickelt9. Durch die VWG VP 2021 wurden auch die VWG-Umlage 2018 aufgehoben, wobei es jedoch bei dem Verweis auf die Anwendung des Kapitels VIII der OECD-Leitlinien (in ihrer jeweils jüngsten Fassung) blieb.10
6.155
Unternehmerische Dispositionsfreiheit. Grundsätzlich ist jede Konzernleitung bzw. jeder Gesellschafter frei, den organisatorischen Aufbau und die funktionale Untergliederung seiner Unternehmensgruppe nach freiem Ermessen zu gestalten.11 Gegenstand dieser unternehmerischen Dispositionsfreiheit ist auch die Entscheidung, ob konzerninterne Dienstleistungen in der Organisationsform des Kostenpools oder auf der Basis eines gesonderten Dienstleistungsvertrages (Leistungsumlage oder Einzelabrechnung) erbracht werden sollen. Sie ist daher als unternehmerische Entscheidung hinsichtlich der Funktions- und Risikoverteilung im Konzern von der Finanzverwaltung generell zu akzeptieren.12 Allerdings sind aus der gewählten Organisationsstruktur der zentralen Dienstleistungserbringung die entsprechenden Rückschlüsse im Hinblick auf die Verrechnung der daraus resultie1 Vgl. Böcker, StBp. 2008, 8 ff. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 7. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 8. 4 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 8. 5 Vgl. ausführlich Kaminski, SAM 2009, 175 ff.; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 703. 6 BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003, BStBl. I 2018, 743 – VWG-Umlage 2018; dazu ausführlich Kluge/Bestelmeyer, IWB 2018, 892; Puls/Heravi, Ubg 2018, 507. 7 Für Umlageverträge, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der VW-Umlage 2018 bereits bestanden, waren bis zum 31.12.2019 die VWG-Umlage 1999 maßgebend. 8 Vgl. Kluge/Bestelmeyer, IWB 2018, 892; Puls/Heravi, Ubg 2018, 507; Greil, ISR 2019, 299. 9 Vgl. Puls/Heravi, Ubg 2018, 507. 10 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.81. 11 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 324; Borstell, StbJb 2001/2002, 221; Baumhoff/Puls, IStR 2009, 76 f.; Werra, IStR 2009, 82. Siehe hierzu auch die erstmalige Äußerung der Finanzverwaltung zur unternehmerischen Dispositionsfreiheit in den VWG-Funktionsverlagerung, vgl. VWG FVerl, Rz. 145 ff. 12 Vgl. zur Akzeptanz der unternehmerischen Dispositionsfreiheit auch VWG FVerl, Rz. 145 ff.
570 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.157 Kap. 6
renden konzerninternen Leistungsflüsse zu ziehen. Entschied man sich demnach vor Einführung der VWG-Umlage 2018 für eine Leistungserbringung im gemeinsamen Interesse und im gemeinsamen Risiko der betroffenen Konzerneinheiten (Pool), konnte die Leistungsverrechnung bislang nur über eine Kostenumlage ohne Gewinnaufschlag erfolgen. Seit Einführung der VWG-Umlage 2018 und Fortführung durch die VWG VP 2021 ist auch für die Kostenumlage im Poolverfahren grundsätzlich ein fremdübliches Entgelt zu erheben, was bei dessen Bestimmung nach der Kostenaufschlagsmetode grundsätzlich einen Gewinnaufschlag umfasst.1 Wird ein Leistungsaustausch zwischen der leistungserbringenden und der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft vereinbart, ist die Leistung nach dem Grundsatz des „dealing at arm’s length“ zwingend unter Einbeziehung eines Gewinnaufschlages zu verrechnen. Dabei ist nach Auffassung der OECD der Einzelverrechnung der Dienstleistungen mittels der Standardmethoden der Vorrang gegenüber der Leistungsumlage einzuräumen, soweit die entsprechenden Leistungen zur Haupttätigkeit der leistungserbringenden Konzerngesellschaft gehören und sowohl gegenüber verbundenen wie auch unverbundenen Unternehmen erbracht werden.2 Denn für diesen Fall wird vermutet, dass eine gesonderte, d.h. auf die einzelne Leistung bezogene Preisermittlung möglich ist. Im Folgenden wird die Einzelverrechnung der im Rahmen eines schuldrechtlichen Leistungsaustausches erbrachten Dienstleistungen dargestellt. Auf Konzern- und Kostenumlagen wird gesondert eingegangen (Rz. 6.336 ff.).
2. Einzelverrechnung mittels der Verrechnungspreismethoden a) Voraussetzungen Voraussetzungen der Einzelverrechnung. Im Rahmen der Einzelabrechnung wird für jede einzelne konzerninterne Dienstleistung ein Entgelt verrechnet. Insofern wird dem Grundsatz entsprochen, nach welchem im Rahmen des Prinzips des „dealing at arm’s length“ jede einzelne Leistung gesondert zu vereinbaren und abzurechnen ist. Dies setzt voraus, dass die Dienstleistung klar definiert ist und von anderen konzerninternen Lieferungs- und Leistungsbeziehungen abgegrenzt werden kann. Insbesondere in Fällen, in denen Dienstleistungen in Form von Neben-, Zusatz- und Serviceleistungen erbracht (Rz. 6.3) bzw. zusammengefasste Entgelte für Haupt- und Nebenleistungen vereinbart werden,3 kann eine solche Abgrenzung zu praktischen Schwierigkeiten führen.
6.156
b) Standardmethoden aa) Preisvergleichsmethode Innerer Preisvergleich. Zur Bestimmung von Verrechnungspreisen für konzerninterne Dienstleistungen im Wege der Einzelabrechnung kommen grundsätzlich die drei klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung in Betracht. Dabei kann im Rahmen der Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff.) ein innerer oder ein äußerer Preisvergleich durchgeführt werden. Der innere Preisvergleich (Rz. 5.8 ff.) erweist sich immer dann als besonders geeignet, 1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.82; Puls/Heravi, Ubg 2018, 507; a.A. Hoffmann/Kuzmina/Roeder, IStR 2020, 454. 2 Vgl. Tz. 7.22 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.73 nennt in diesem Zusammenhang „z.B. Garantie-, Wartungs- oder branchenübliche Kulanzleistungen“.
Baumhoff/Kluge | 571
6.157
Kap. 6 Rz. 6.157 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
wenn ein internationaler Unternehmensverbund über organisatorisch und rechtlich selbständige Dienstleistungsgesellschaften verfügt, die sowohl zu verbundenen wie auch zu unverbundenen Unternehmen Geschäftsbeziehungen mit einem vergleichbaren Leistungsprogramm unterhalten. Zu denken ist hierbei insbesondere an konzerneigene Marketing-, FuE-, Verwaltungs-, Unternehmensberatungs- und Engineering-Gesellschaften.1 Daneben ist ein innerer Preisvergleich auch im umgekehrten Fall denkbar, indem Konzerngesellschaften bestimmte Dienstleistungen sowohl von verbundenen wie auch von unverbundenen Unternehmen empfangen. Im Gegensatz zum äußeren Preisvergleich (Rz. 6.158) erfordert der innere Preisvergleich keine Marktgängigkeit der betreffenden Dienstleistungen, sondern lässt bereits eine gewisse Marktfähigkeit hinreichen. Den objektivierenden Charakter marktentstandener Vergleichspreise vermittelt allein die Erbringung der betreffenden Dienstleistungen auch an unverbundene Dienstleistungsempfänger bzw. deren Bezug von unverbundenen Dienstleistungserbringern. Hierbei kommt es jedoch darauf an, dass die verbundexternen Referenztransaktionen ein gewisses Mindestvolumen aufweisen. Anderenfalls muss man sich gegebenenfalls des Verdachts erwehren, die verbundexternen Geschäfte allein zum Zwecke der Verrechnungspreisrechtfertigung abgeschlossen zu haben.2 Diese Anforderung lässt sich auch aus der Rechtsprechung des BFH ableiten, der die Voraussetzungen eines betriebsinternen Fremdvergleichs nicht als gegeben ansah, wenn die Referenztransaktionen lediglich 5 % des Gesamtumsatzes ausmachen.3 Unter diesen Voraussetzungen ist eine Marktpreisorientierung auch bei schlecht standardisierbaren und speziell abnehmerorientierten Dienstleistungen möglich.4
6.158
Äußerer Preisvergleich. Der äußere Preisvergleich (Rz. 5.11 f.), bei dem auf den Leistungsverkehr zwischen unabhängigen Unternehmen abgestellt wird, eignet sich indessen nur für den Bereich der marktgängigen und marktfähigen Dienstleistungen,5 da nur für diese Leistungen eine vergleichbare Referenztransaktion zwischen unabhängigen Dritten identifiziert werden kann. Dazu gehören in erster Linie die sog. gewerblichen Dienstleistungen, wie z.B. Transport-, Versicherungs-, Überwachungs-, Reinigungs-, Wartungs-, Montage-, Reparatur- und Marketingleistungen sowie Dienstleistungen im Bereich der EDV. Für den ebenfalls zu den Dienstleistungen zählenden Bereich der Auftragsforschung (Rz. 6.178) ist ebenfalls eine Marktpreisorientierung möglich. So können bspw. Vergleichsangebote von unabhängigen Forschungseinrichtungen (wie z.B. Universitätsinstitute oder FuE-Abteilungen unabhängiger Unternehmen) eingeholt werden.
6.159
Freiberufliche Dienstleistungen und Gebührenordnungen. Darüber hinaus kann ein Preisvergleich häufig im Bereich der freiberuflichen Dienstleistungen, wie z.B. der Rechts-, Steuer-, Unternehmens- und Ingenieurberatung durchgeführt werden. Als Vergleichsmaßstab fungieren dabei die am Markt realisierten Honorar- bzw. Stundensätze bzw. die einschlägigen Gebührenverordnungen der Steuerberater, Rechtsanwälte etc. Die Verwendung von Gebührenordnungen – konkret die Anwendung der Steuerberatervergütungsverordnung bei einer konzerneigenen Steuerberatungsgesellschaft – und damit die Anwendung der Preisvergleichs1 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Stock/Kaminski, IStR 1997, 451 ff. 2 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 567; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 688 f.; Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung, 148. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 sowie hierzu Baumhoff, IStR 2001, 751 ff. 4 Vgl. auch Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 224. 5 Vgl. Tz. 7.2 OECD-Leitlinien 2022.
572 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.161 Kap. 6
methode für konzerninterne Dienstleistungen hat der BFH in seinem Judikat v. 23.6.1993 expressis verbis bestätigt.1 Danach würde auch ein ordentlicher Geschäftsleiter für geleistete Steuerberatungsdienstleistungen ein an der entsprechenden Gebührenverordnung orientiertes Entgelt fordern, weil dies „standesrechtlich geboten“ sei. Der BFH betont in seinem Urteil allerdings ausdrücklich, dass eine konzerneigene Steuerabteilung nicht in vergleichbarer Weise an den Gebührenrahmen der Steuerberater gebunden ist. Insofern ist die Vergleichbarkeit der Verhältnisse eventuell nicht gegeben, was den Anwendungsbereich der Preisvergleichsmethode jedenfalls dann ausschließt, wenn die bestehenden Unterschiede nicht mittels sachgerechter Anpassungen eliminiert werden können. Für die Anwendung der Preisvergleichsmethode ist hierbei entscheidend, dass diesbezügliche Unterschiede selbst auf Grundlage eines tatsächlichen Fremdvergleichs quantifiziert und angepasst werden, sodass eine Beeinträchtigung der Vergleichbarkeit ausgeschlossen werden kann. Dagegen gefährden Anpassungen, die sich nicht auf Marktdaten stützen können, grds. die Anwendung der Preisvergleichsmethode.2 Für den Bereich konzerninterner Steuerberatungsleistungen sollte vor diesem Hintergrund die Anwendung der Preisvergleichsmethode ausscheiden. Dies macht andere Lösungsansätze erforderlich, wobei hier vornehmlich die kostenorientierte Entgeltbemessung – insb. nach der Kostenaufschlagsmethode – in Betracht kommt. Praktische Anwendungsprobleme. Die Preisvergleichsmethode stößt im Zusammenhang mit konzerninternen Dienstleistungen i.d.R. auf erhebliche praktische Anwendungsprobleme. Trotz der Existenz von markt- oder branchenüblichen Preisen für bestimmte Dienstleistungsarten scheitert ein Preisvergleich häufig an einer fehlenden Übereinstimmung der maßgeblichen Vergleichstatbestände der konzerninternen Dienstleistung einerseits und der identifizierten Referenztransaktion zwischen unabhängigen Dritten andererseits. Im Übrigen sind Anpassungsrechnungen zur Herstellung einer indirekten Vergleichbarkeit bzw. eingeschränkten Vergleichbarkeit oftmals problematisch. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass sich für den großen Bereich der konzernspezifischen Dienstleistungen (z.B. der Übernahme von Managementfunktionen, der Arbeitnehmerentsendung,3 des Cash-Poolings [Rz. 6.537 ff.] etc.) aufgrund ihrer fehlenden Marktgängigkeit i.d.R. keine geeigneten Vergleichsobjekte finden lassen. Letztlich kommt daher der Preisvergleichsmethode zur Ermittlung von konzerninternen Dienstleistungsentgelten eine untergeordnete Bedeutung zu.
6.160
bb) Wiederverkaufspreismethode Kein genereller Ausschluss. Umstritten im Rahmen der Ermittlung angemessener Dienstleistungsentgelte ist die Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.). Während nach Auffassung der Finanzverwaltung deren Anwendung im Zusammenhang mit Dienstleistungen prinzipiell ausscheidet, weil Dienstleistungen i.d.R. immaterieller Natur sind und nicht weiterveräußert werden,4 wird in Teilen des Schrifttums die Ansicht vertreten, dass ein genereller Ausschluss der Wiederverkaufspreismethode für den Bereich der konzerninternen Dienstleistungen nicht 1 Vgl. BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBl. II 1993, 801. 2 Vgl. Ditz/Liebchen, DB 2012, 1469 f. 3 Zum Problem der Umsetzung des Fremdvergleichs im Rahmen der konzerninternen Arbeitnehmerentsendung vgl. Schnorberger/Waldens, IStR 2001, 24 f.; siehe ferner Hick in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1851 ff. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.72. Die OECD-Leitlinien 2022 äußern sich nicht zur Eignung der Wiederverkaufspreismethode bei der Festsetzung konzerninterner Dienstleistungsentgelte. Insofern misst auch die OECD der Wiederverkaufspreismethode in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu.
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6.161
Kap. 6 Rz. 6.161 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
gerechtfertigt sei.1 Als Beispiele werden dabei Unterlizenzverträge für die Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter, die Weitervermietung von Wirtschaftsgütern (sog. „Sub-Leasing“), die Weiterveräußerung von Software, der Einkauf einer an den Empfänger versprochenen Dienstleistung2 sowie die Existenz von Handelsstufen im Versicherungs- und Transportgewerbe genannt (Rz. 5.35 ff.). Zwangsläufig beschränkt sich die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode zur Bestimmung von konzerninternen Dienstleistungsentgelten auf den Bereich der marktgängigen Dienstleistungen, weil sie ex definitione ihren Ausgangspunkt in dem Preis findet, den die verbundene Unternehmung von einem unabhängigen Käufer für die Dienstleistungserbringung am Markt realisiert. Dies bedeutet, dass die Wiederverkaufspreismethode dann Anwendung finden kann, wenn die Funktion darin besteht, eine bestimmte Dienstleistung wieder zu verkaufen. D.h. der „Dienstleistungserbringer“ erbringt nicht mit eigenem Personal die Dienstleistung, sondern hat diese (bzw. das Anrecht auf die Erbringung) bei dem originären Dienstleistungserbringer erworben und ist nur der „Vertreiber“ bzw. „Wiederverkäufer“ für diese eingekaufte Dienstleistung. Weiterer Anwendungsbereich der Wiederverkaufspreismethode ist der gemeinsame Einkauf von Dienstleistungen für mehrere Konzerngesellschaften. Erwirbt eine Konzerngesellschaft Dienstleistungen, die auch gegenüber anderen Konzerngesellschaften erbracht werden, und es erfolgt die Beauftragung nur durch den Einkäufer, kann die Wiederverkaufspreismethode sachgerecht zur Bepreisung der Weiterverrechnung sein. Die Handelsspanne würde dann die im Wesentlichen die Einkaufsfunktion der originär beziehenden Konzerngesellschaft vergüten. Infolgedessen erweist sich die Wiederverkaufspreismethode für Dienstleistungen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit ausschließlich im Unternehmensverbund und nicht zwischen unabhängigen Dritten ausgetauscht werden (sog. konzernspezifische Dienstleistungen), grundsätzlich als ungeeignet.
6.162
Abgrenzung zu Vermittlungsleistungen. Die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode setzt ferner voraus, dass die wiederverkaufende Konzernunternehmung gegenüber der leistungserbringenden Konzernunternehmung als „Käufer“ der Leistung auftritt; mithin zwischen der leistungserbringenden und der leistungswiederverkaufenden Konzernunternehmung eine unmittelbare Rechtsbeziehung i.S. eines Dienstleistungsverkaufs respektive Dienstleistungseinkaufs besteht. Erst im Anschluss daran kann die wiederverkaufende Unternehmung die betreffende Leistung an fremde Dritte weiterverkaufen. Von der Wiederverkaufspreismethode ausgeschossen bleiben demnach alle Vermittlungsleistungen, bei der die „zwischengeschaltete“ Konzernunternehmung nur als Makler, Treuhänder oder Vermittler und nicht als Käufer bzw. Wiederverkäufer der Dienstleistung fungiert. In diesen Fällen wird nämlich keine Dienstleistung „weiterverkauft“. Vielmehr erbringt die „zwischengeschaltete“ Konzernunternehmung eine – von der vermittelten Dienstleistung zu unterscheidende – Vermittlungsleistung, die ihrerseits mit einem fremdvergleichskonformen Leistungsentgelt (ermittelt i.d.R. nach der Kostenaufschlagsmethode)3 zu vergüten ist (Rz. 6.52 f.).
1 Vgl. Kroppen/Rasch in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGrS 1983 Anm. zu Tz. 3.2.1 u. 3.2.3 VWG; Greil/Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VII Tz. 7.31 Anm. 152; Klein/Nohl/Zschiegner, Konzernrechnungslegung und Konzernverrechnungspreise, 176; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreise zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 230. 2 Kroppen/Rasch in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGrS 1983 Anm. zu Tz. 3.2.3 VWG. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.66.
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B. Dienstleistungen | Rz. 6.165 Kap. 6
Beschränkung auf ausgewählte Fälle. Im Ergebnis ist die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode im Dienstleistungsbereich auf ausgewählte Fälle beschränkt, in denen die entsprechende Dienstleistung als Ergebnis bspw. auf einem geeigneten Trägermedium gespeichert und somit durch den Wiederverkäufer am Markt veräußert werden kann. Dies ist allerdings nur in bestimmten Einzelfällen möglich, wie z.B. bei bestimmten EDV-Dienstleistungen (Programmierung von Software) oder der Erstellung von Gutachten.1 Abgesehen von solchen Sonderfällen scheidet die Wiederverkaufspreismethode für die Verrechnungspreisermittlung von Dienstleistungen aus, soweit Dienstleistungen nicht weiterleitbar sind.
6.163
cc) Kostenaufschlagsmethode Anwendungsbereich. Aufgrund der Tatsache, dass die Preisvergleichsmethode für die Bestimmung von Dienstleistungsentgelten nur begrenzt einsetzbar ist und darüber hinaus die Wiederverkaufspreismethode nur in wenigen Fällen Anwendung finden kann, kommt der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) im Rahmen der Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen die größte Bedeutung zu.2 Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen für eine konzerninterne Dienstleistung keine Marktpreise als Vergleichsmaßstab zur Verfügung stehen, etwa weil
6.164
– es sich um nicht marktfähige, konzernspezifische Dienstleistungen handelt, – vorliegende Marktpreise aufgrund einer fehlenden Vergleichbarkeit der Verhältnisse nicht brauchbar sind, – tatsächlich vereinbarte Marktpreise nicht identifizierbar sind, – schon der Grundsatz des Fremdvergleichs bei gewissen Dienstleistungen eine Verrechnung mit der Kostenaufschlagsmethode verlangt (Rz. 5.39). Konkrete Ausgestaltung. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Kostenaufschlagsmethode im Rahmen der Ermittlung von Dienstleistungsentgelten kann auf die allgemeinen Ausführungen zur Kostenaufschlagsmethode verwiesen werden (Rz. 5.39 ff.). Von besonderer Bedeutung ist allerdings, dass im Rahmen der Einzelabrechnung von Dienstleistungen nach der Kostenaufschlagsmethode regelmäßig ein Gewinnaufschlag zu verrechnen ist. Denn der ordentliche Geschäftsleiter der leistungserbringenden Konzernunternehmung wird i.d.R.3 keine Leistung erbringen, aus welcher er sich keinen Gewinn verspricht. Allerdings ist bei der Bemessung des Dienstleistungsentgelts auch der Entscheidungssituation des Leistungsempfängers Rechnung zu tragen. Dies gilt insbesondere für dessen wirtschaftliche Handlungsalternativen im Rahmen der Eigenerstellung der Dienstleistung (sog. „Make-or-Buy“-Kalkül). Diese determinieren die Preisobergrenze des Leistungsempfängers (z.B. in Form der Kosten der Eigenerstellung einer Dienstleistung) ohne Rücksicht darauf, ob und wenn ja, in welcher Höhe der Leistende einen Gewinnaufschlag realisieren kann.4 Dies entspricht im Übrigen auch der sog. „Einigungsbereichsbetrachtung“ des § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG i.V.m. § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG.
1 Hier ist grundsätzlich auch eine Veränderung oder Ergänzung der Dienstleistung vor dem Weiterverkauf denkbar, was bei der Bestimmung der Handelsspanne zu berücksichtigen ist. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.72; Tz. 7.31 OECD-Leitlinien 2022. 3 Ausnahmen bestehen für besondere Umstände, in denen die Teilkostenrechnung Anwendung findet. 4 Vgl. Tz. 7.33 OECD-Leitlinien 2022.
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6.165
Kap. 6 Rz. 6.166 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.166
Grenzen der Kostenaufschlagsmethode. Wie jedwede transaktionsbezogene Verrechnungspreismethode bestehen die Grenzen der Kostenaufschlagsmethode in der fehlenden Vergleichbarkeit der Verhältnisse, wenn diese auch mittels Anpassungsrechnungen nicht hergestellt werden kann. Insbesondere bei individualisierten Dienstleistungen, die unter Einsatz besonders wertvoller, ggf. einzigartiger immaterieller Wirtschaftsgüter erstellt bzw. erbracht werden, ist die Kostenaufschlagsmethode regelmäßig nicht anwendbar. Gleiches gilt, wenn zwischen den Kosten der Leistungserstellung und dem Wertschöpfungsbeitrag des Dienstleisters keinerlei Zusammenhang besteht. Letzteres insb. deshalb, weil die Nachfrageverhältnisse, d.h. die Entscheidungssituation des Abnehmers nicht berücksichtigt wird. Als kostenorientierte Methode führt die Kostenaufschlagsmethode zur Allokation eines sicheren Gewinns. Dies reflektiert den Wertschöpfungsbeitrag des Dienstleistungserbringers dann nicht zutreffend, wenn wertvolle immaterielle Wirtschaftsgüter in den Leistungserstellungsprozess integriert werden und/oder nicht nur geringe Risiken getragen werden. Denn in diesen Fällen sind die Kosten kein geeigneter Maßstab für den erbrachten Wert, weil bspw. die Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter nicht mit laufenden Kosten verbunden sein muss sowie übernommene Risiken solange keine Kosten verursachen, wie sich die Risiken nicht realisieren. c) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnmethoden aa) Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM)
6.167
Zulässigkeit der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (Rz. 5.92 ff.) ist grundsätzlich eine geeignete Verrechnungspreismethode und damit eine zulässige Verrechnungspreismethode für die Bestimmung von Dienstleistungsentgelten. Ob sie die jeweils am besten geeignete Verrechnungspreismethode ist und deshalb auch vorrangig vor der Kostenaufschlagsmethode anzuwenden wäre, ist anhand einer Einzelfallprüfung zu entscheiden. Grundsätzlich dürfte die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode jedoch nur subsidiär zu den klassischen Methoden zur Anwendung kommen.
6.168
Grenzen des Anwendungsbereichs. Nach der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode wird ebenso wie nach der Kostenaufschlagsmethode das Dienstleistungsentgelt kostenorientiert bestimmt. Sie führt deshalb zur Allokation eines sicheren Gewinns und trägt hierdurch der Risikoverteilung zwischen den Transaktionspartnern nur dann hinreichend Rechnung, wenn – wie bei Unternehmen mit Routinefunktionen, aber auch ggf. bei sog. Mittel- bzw. Hybridunternehmen – nur geringe Risiken getragen werden. Erfolgt die Dienstleistungserstellung bzw. -erbringung unter Einsatz einzigartiger bzw. wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter, liegen die Anwendungsvoraussetzungen der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode regelmäßig nicht vor. Wie für die Anwendung der Standardmethoden fehlt es auch für die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode an der Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Zwar wird die Nettomarge durch Produkt- und Funktionsunterschiede im Vergleich zu Preisen oder zur Bruttomarge geringer beeinflusst, allerdings verbleiben zahlreiche relevante Einflussfaktoren, deren fehlende hinreichende Vergleichbarkeit zur Einengung des Anwendungsbereiches der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode führt. Zu diesen Einflussfaktoren gehören insbesondere Wettbewerbsposition, Führungseffizienz, individuelle Strategie, Kosteneffizienz und Auslastung des Unternehmens, Bedrohung durch neue Produkte und Anbieter usw., wobei jeder dieser Faktoren wiederum durch zahlreiche andere Faktoren beeinflusst wird. Mit dem Einsatz besonders wertvoller, einzigartiger immaterieller Wirtschaftsgüter erbringt der Dienstleister individualisierte Leistungen,1 wobei sich der Einsatz 1 Vgl. Greinert, RIW 2006, 453.
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B. Dienstleistungen | Rz. 6.171 Kap. 6
dieser immateriellen Wirtschaftsgüter sowohl auf das „Produkt“ Dienstleistung als auch auf den Leistungserstellungsprozess auswirken kann. Vergleichsmargen können hier regelmäßig nicht um den Einfluss immaterieller Wirtschaftsgüter angepasst werden.1 bb) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split)
Anwendungsbereich. Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode kommt regelmäßig bei stark integrierten Wertschöpfungsprozessen, beim Einsatz besonders wertvoller immaterieller Wirtschaftsgüter und bei sonstigen besonders wertvollen Beiträgen eines Transaktionspartners in Betracht. Dies betrifft im Rahmen konzerninterner Dienstleistungen insb. den Bereich des sog. „Global Development“.2 Überdies ist bei internationalen Dienstleistungskonzernen der Leistungserstellungsprozess ebenso von wechselseitigen Transaktionen geprägt wie die Produktion von Gütern und Waren. Im Rahmen der erforderlichen Funktions- und Risikoanalyse und der hiernach vorzunehmenden transaktionsbezogenen Unternehmenscharakterisierung können mehrere Strategieträger bzw. Entrepreneure bestehen, deren jeweiliger Erfolgsbeitrag nur durch Gewinnaufteilung bestimmt werden kann. Im Einzelnen wird auf die allgemeinen Ausführungen zur geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode verwiesen (Rz. 5.123 ff.).
6.169
VI. Spezielle Konzerndienstleistungen 1. Einordnung 6.170
Bereiche. Als spezielle Konzerndienstleistungen kommen – im Produktionsbereich die Lohn- oder Auftragsfertigung, – im Vertriebsbereich die vertragsvermittelnden Tätigkeiten eines Handelsvertreters oder Kommissionärs bzw. Disclosed oder Undisclosed Sales-Agent und – im FuE-Bereich die Auftragsforschung und -entwicklung in Betracht. Während produktions- und vertriebsbezogene Dienstleistungen gesondert betrachtet werden sollen, wird nachfolgend als spezielle Konzerndienstleistung die Auftragsforschung und -entwicklung dargestellt.
2. Auftragsforschung und -entwicklung a) Begriffsabgrenzungen aa) Forschung und Entwicklung Begriffsdefinitionen nach HGB. Durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG)3 wurde in § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB ein Aktivierungswahlrecht für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens eingeführt, das allerdings für bestimmte Vermögensgegenstände (z.B. Marken, Verlagsrechte) nicht gilt (§ 248 Abs. 2 Satz 2 HGB). In diesem Zusammenhang wurden mit § 255 Abs. 2a HGB Klarstellungen eingeführt, die der 1 Vgl. Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 241 m.w.N. 2 Vgl. dazu Kaminski, IStR 2001, 540 f.; Fischer/Looks/Reese, IStR 2008, 254 ff.; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 340 ff. 3 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102.
Baumhoff/Kluge | 577
6.171
Kap. 6 Rz. 6.171 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Ermittlung der Herstellungskosten dienen, wobei sich allerdings die Bewertung von Entwicklungskosten nach den (allgemeinen) Grundsätzen des § 255 Abs. 2 HGB bestimmt.1 Als Herstellungskosten selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände sind nur die Entwicklungskosten, nicht dagegen Forschungskosten zu aktivieren (§ 255 Abs. 2a Satz 1 HGB). Eine Aktivierung von Entwicklungskosten nach § 255 Abs. 2a Satz 4 HGB kommt nicht in Betracht, wenn Forschungs- und Entwicklungskosten nicht verlässlich voneinander unterschieden werden können. Insofern kommt dem Zeitpunkt des Übergangs von der Forschungs- zur Entwicklungsphase entscheidende Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund enthalten § 255 Abs. 2a Sätze 2 und 3 HGB handelsrechtliche Definitionen der Begriffe Forschung und Entwicklung: – Forschung ist die eigenständige und planmäßige Suche nach neuen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen oder Erfahrungen allgemeiner Art, über deren technische Verwertbarkeit und wirtschaftliche Erfolgsaussichten grundsätzlich keine Aussagen gemacht werden können (§ 255 Abs. 2a Satz 3 HGB). – Entwicklung ist die Anwendung von Forschungsergebnissen oder von anderem Wissen für die Neuentwicklung von Gütern oder Verfahren oder die Weiterentwicklung von Gütern oder Verfahren mittels wesentlicher Änderungen (§ 255 Abs. 2a Satz 2 HGB). Im Gegensatz zur Forschungsphase sind in der Entwicklungsphase die „Güter“ oder „Verfahren“ bereits konkretisierbar, wobei beide Begriffe ausweislich der Gesetzesbegründung grundsätzlich weit auszulegen sind. Sie umfassen z.B. Materialien, Produkte, geschützte Rechte oder auch ungeschütztes Know-how, Dienstleistungen, Produktions- und Herstellungsverfahren und entwickelte Systeme.2 Im Hinblick auf den kritischen Zeitpunkt des Übergangs von der Forschungs- zur Entwicklungsphase ist nach der Gesetzesbegründung bei sequentiellen Abläufen auf den Zeitpunkt abzustellen, ab dem vom systematischen Suchen zum Erproben und Testen der gewonnen Erkenntnisse und Fertigkeiten übergegangen wird.3 Die hier bestehenden Unschärfen zu der überwiegenden Praxis alternierender FuE-Prozesse hat der Gesetzgeber zwar gesehen und auf Probleme hingewiesen, die sich für die (erstmalige) Aktivierung von Entwicklungskosten ergeben können.4 Konkrete Anhaltspunkte für die Abgrenzung der Forschungs- von der Entwicklungsphase stellt die Gesetzesbegründung jedoch nicht bereit. Für alternierende FuE-Phasen wird die Aktivierung von Entwicklungskosten letztlich davon abhängen, ob in der Entwicklungsphase die Entstehung eines Vermögensgegenstands ohne weitere Forschungsergebnisse auskommt.5 Anderenfalls scheidet eine Aktivierung mangels verlässlicher Abgrenzung der Forschungs- von den Entwicklungskosten aus.6
6.172
Begriffsdefinitionen nach IAS 38. Nach IAS 38.8 ist Forschung die eigenständige und planmäßige Suche mit der Aussicht, zu neuem wissenschaftlichen oder technischen Verstehen zu gelangen. Beispielhaft benennt IAS 38.56 folgende Forschungsaktivitäten bzw. Aktivitäten der Forschungsphase: – Aktivitäten zur Erlangung neuer Erkenntnisse; – die allgemeine Suche nach, die Bewertung von und die finale Entscheidung für Anwendungen von Forschungsergebnissen und sonstigem Know-how; 1 2 3 4 5 6
Vgl. Schubert//Hutzler in Beck’scher Bilanzkommentar12, § 255 HGB Rz. 481. Vgl. BT-Drucks. 16/10067, 60 v. 30.7.2008. Vgl. BT-Drucks. 16/10067, 60 v. 30.7.2008. Vgl. BT-Drucks. 16/10067, 60 v. 30.7.2008. Vgl. Küting/Ellmann, DStR 2010, 1304. § 255 Abs. 2a Satz 4 HGB.
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B. Dienstleistungen | Rz. 6.172 Kap. 6
– die Suche nach alternativen Materialien, Geräten, Produkten, Verfahren, Systemen oder Dienstleistungen; – die Formulierung von, der Entwurf von, die Bewertung von und die finale Entscheidung über mögliche Alternativen, neue oder verbesserte Materialien, Geräte, Produkte, Verfahren, Systeme oder Dienstleistungen.1 Nach IAS 38.8 ist Entwicklung die Anwendung von Forschungsergebnissen oder von anderem Wissen auf einen Plan oder Entwurf für die Produktion von neuen oder beträchtlich verbesserten Materialien, Vorrichtungen, Produkten, Verfahren, Systemen oder Dienstleistungen, wobei – in zeitlicher Hinsicht – die Entwicklung vor der kommerziellen Produktion oder Nutzung stattfindet. Zur Konkretisierung benennt IAS 38.57 beispielhaft folgende Entwicklungsaktivitäten bzw. Aktivitäten der Entwicklungsphase: – den Entwurf, die Konstruktion und das Testen von Prototypen und Modellen vor der Aufnahme der eigentlichen Produktion oder Nutzung; – der Entwurf von Werkzeugen, Spannvorrichtungen, Gussformen und Prägestempeln unter Verwendung neuer Technologien; – der Entwurf, die Konstruktion und das Betreiben von Pilotanlagen, die von ihrer Größe her nicht geeignet sind, eine kommerzielle Produktion wirtschaftlich sinnvoll zu betreiben; – der Entwurf, die Konstruktion und das Testen einer gewählten Alternative für neue oder verbesserte Materialien, Geräte, Produkte, Verfahren, Systeme oder Dienstleistungen. Ebenso wie nach deutschem Handelsrecht sind bei der Rechnungslegung nach IFRS Forschungskosten nicht aktivierungsfähig, sondern in der Periode erfolgswirksam zu erfassen, in der sie anfallen (IAS 38.54). Insofern kommt wiederum der Abgrenzung der Forschungs- von der Entwicklungsphase und dem Zeitpunkt des Übergangs entscheidende Bedeutung zu (IAS 38.52). Können bei der Erstellung eines immateriellen Vermögensgegenstands Forschungs- und Entwicklungsphase nicht abgegrenzt werden, ist zu unterstellen, dass die gesamten Kosten für die Erstellung des Gutes in der Forschungsphase angefallen und somit aufwandswirksam zu erfassen sind (IAS 38.53). Insofern gelten nach HGB wie nach IFRS dieselben Grundsätze. Es bestehen hier dieselben Abgrenzungsprobleme wie für Zwecke des § 255 HGB, die im Kern in der Ausgestaltung der FuE-Prozesse liegen, wenn die Phasen Forschung und Entwicklung nicht sequenziell, sondern alternierend, zyklisch bzw. iterativ verlaufen.2 Für Projekte in der Entwicklungsphase besteht – im Gegensatz zum Ansatzwahlrecht nach § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB – ein Ansatzgebot, wenn nachweislich ein Vermögenswert entwickelt wird, der wahrscheinlich einen künftigen Nutzen stiften wird. Hierzu müssen die Ansatzkriterien nach IAS 38.57 kumulativ vorliegen: – die technische Realisierbarkeit der Fertigstellung des immateriellen Vermögenswertes, so dass er zur Nutzung bzw. zum Verkauf nutzbar ist; – die Absicht des Unternehmens, den immateriellen Vermögenswert fertig zu stellen und anschließend zu nutzen oder zu vermarkten;
1 Vgl. Baetge/von Keitz in Baetge et al., Rechnungslegung nach IFRS, Band 3, IAS 38 Rz. 56. 2 Vgl. hierzu z.B. Hoffmann/Lüdenbach in Hoffmann/Lüdenbach, NWB Kommentar Bilanzierung, § 255 HGB Rz. 206 ff.
Baumhoff/Kluge | 579
Kap. 6 Rz. 6.172 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– die Fähigkeit des Unternehmens, den immateriellen Vermögenswert zu nutzen oder zu vermarkten; – der Nachweis, wie mit dem immateriellen Vermögenswert wahrscheinlich ein künftiger Nutzen entstehen wird, wobei das Unternehmen u.a. zu zeigen hat, dass ein Markt für die Erzeugnisse aus dem immateriellen Vermögenswert selbst existiert bzw. – bei interner Nutzung des Vermögenswerts – worin dessen Nützlichkeit besteht; – die Verfügbarkeit von adäquaten technischen, finanziellen und sonstigen Ressourcen zur Fertigstellung der Entwicklung und zum Gebrauch bzw. zum Verkauf des immateriellen Vermögenswertes sowie – die Fähigkeit des Unternehmens, die zurechenbaren Kosten des immateriellen Vermögenswertes während der Entwicklung zuverlässig zu ermitteln.1
6.173
Steuerrechtliche Begriffsdefinitionen. Weder die VWG VP 2021 noch die OECD-Leitlinien enthalten eine Definition des Begriffs „Forschung und Entwicklung“. Im Hinblick auf die OECD-Leitlinien hat sich diese Mangellage auch nicht im Zuge der Überarbeitung des Kapitels VI geändert. Stattdessen werden beide Begriffe nebeneinander verwendet, ohne diese zu definieren.2 Im nationalen Steuerrecht fand sich in mehreren steuerlichen Sondervorschriften (so z.B. im früheren § 82d Abs. 4 EStDV, § 4 InvZulG 1982/1986, sowie im früheren § 19 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c BerlinFG) ein Verweis auf die im EStG enthaltene Legaldefinition für Forschung und Entwicklung. § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. u Satz 4 EStG beinhaltet die folgende Begriffsbestimmung im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen auf solche Wirtschaftsgüter, die der Forschung und Entwicklung dienen: „Wirtschaftsgüter dienen der Forschung oder Entwicklung, wenn sie verwendet werden aa) zur Gewinnung von neuen wissenschaftlichen oder technischen Erkenntnissen und Erfahrungen allgemeiner Art (Grundlagenforschung) oder bb) zur Neuentwicklung von Erzeugnissen oder Herstellungsverfahren oder cc) zur Weiterentwicklung von Erzeugnissen oder Herstellungsverfahren, soweit wesentliche Änderungen dieser Erzeugnisse oder Verfahren entwickelt werden.“ Darüber hinaus besteht angesichts des (fortbestehenden) steuerbilanziellen Ansatzverbotes für selbst erstellte immaterielle Wirtschaftsgüter auch keine Notwendigkeit, „Forschung“ und „Entwicklung“ bzw. Forschungs- und Entwicklungskosten voneinander abzugrenzen. Etwas anderes gilt für die Forschungszulage. Denn die Forschungszulage soll – wie der Name schon sagt – grundsätzlich nur für Forschungstätigkeiten (und die experimentelle Entwicklung) zur Anwendung gelangen. Das Forschungszulagengesetz (FZulG) verweist für die Begriffsdefinition von Grundlagenforschung, industrieller Forschung und experimenteller Entwicklung auf die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO). Nach Art. 2 Nr. 84 AGVO umfasst die Grundlagenforschung „experimentelle oder theoretische Arbeiten, die in erster Linie dem Erwerb neuen Grundlagenwissens ohne erkennbare direkte kommerzielle Anwendungsmöglichkeiten dienen“.
1 Vgl. hierzu im Einzelnen Baetge/von Keitz in Baetge et al., Rechnungslegung nach IFRS, Band 3, IAS 38 Rz. 60 ff. 2 Vgl. Kapitel VI OECD-Leitlinien 2022.
580 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.175 Kap. 6
Die industrielle Forschung wird nach Art. 2 Nr. 85 AGVO folgendermaßen definiert: „planmäßiges Forschen oder kritisches Erforschen zur Gewinnung neuer Kenntnisse und Fertigkeiten mit dem Ziel, neue Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen zu entwickeln oder wesentliche Verbesserungen bei bestehenden Produkten, Verfahren oder Dienstleistungen herbeizuführen. Hierzu zählen auch die Entwicklung von Teilen komplexer Systeme und unter Umständen auch der Bau von Prototypen in einer Laborumgebung oder in einer Umgebung mit simulierten Schnittstellen zu bestehenden Systemen wie auch von Pilotlinien, wenn dies für die industrielle Forschung und insbesondere die Validierung von technologischen Grundlagen notwendig ist“.
Die experimentelle Entwicklung wird nach Art. 2 Nr. 86 AGVO definiert als „Erwerb, Kombination, Gestaltung und Nutzung vorhandener wissenschaftlicher, technischer, wirtschaftlicher und sonstiger einschlägiger Kenntnisse und Fertigkeiten mit dem Ziel, neue oder verbesserte Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen zu entwickeln. Dazu zählen zum Beispiel auch Tätigkeiten zur Konzeption, Planung und Dokumentation neuer Produkte, Verfahren und Dienstleistungen. Die experimentelle Entwicklung kann die Entwicklung von Prototypen, Demonstrationsmaßnahmen, Pilotprojekte sowie die Erprobung und Validierung neuer oder verbesserter Produkte, Verfahren und Dienstleistungen in einem für die realen Einsatzbedingungen repräsentativen Umfeld umfassen, wenn das Hauptziel dieser Maßnahmen darin besteht, im Wesentlichen noch nicht feststehende Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen weiter zu verbessern. Die experimentelle Entwicklung kann die Entwicklung von kommerziell nutzbaren Prototypen und Pilotprojekten einschließen, wenn es sich dabei zwangsläufig um das kommerzielle Endprodukt handelt und dessen Herstellung allein für Demonstrations- und Validierungszwecke zu teuer wäre. Die experimentelle Entwicklung umfasst keine routinemäßigen oder regelmäßigen Änderungen an bestehenden Produkten, Produktionslinien, Produktionsverfahren, Dienstleistungen oder anderen laufenden betrieblichen Prozessen, selbst wenn diese Änderungen Verbesserungen darstellen sollten“. bb) Grundlagen- und angewandte Forschung Abgrenzung. Die Grenzen zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung sind nicht eindeutig markierbar. Die Grundlagenforschung steht nicht in direktem Zusammenhang zum gegenwärtigen oder künftigen Produktionsprogramm. Sie hat im Vergleich zur angewandten Forschung eine andere Zielsetzung, wie z.B. die Gewinnung von Kenntnissen und Erfahrungen auf anderen, bisher vom Konzernverbund noch nicht bearbeiteten Geschäftsfeldern. Die angewandte Forschung und Entwicklung – auch als Zweckforschung bezeichnet – beschäftigt sich demgegenüber mit der Neu- und Weiterentwicklung vorhandener Erzeugnisse (Produkte) oder Herstellungsverfahren und weist damit einen direkten Bezug zu einem bestimmten Produktprogramm oder zu einem bestimmten Kundenauftrag auf.1
6.174
Kostenumlage. Im Gegensatz zu den VWG 19832 unterschieden schon die VWG-Umlage 1999 nicht mehr zwischen den Kosten der Grundlagenforschung und denen der angewandten Forschung. Aus Sicht der Poolmitglieder mussten sich die FuE-Leistungen auf Hilfsfunktionen erstrecken,3 mit Hilfe derer die Poolmitglieder die Forschungsergebnisse in wirtschaftlich glei-
6.175
1 Vgl. hierzu Hoffmann, StBp 1982, 287. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.2.1. Nr. 3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. Abs. 2.
Baumhoff/Kluge | 581
Kap. 6 Rz. 6.175 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
cher Weise nutzen.1 Damit wurde der Kreis der Poolmitglieder auf solche Unternehmen beschränkt, die aus den Leistungen des Pools für ihre eigene Geschäftstätigkeit Vorteile erzielen können.2 Insoweit hat sich durch die VWG-Umlage 2018 i.V.m. Kapitel VII OECD-Leitlinien 2022 eine Änderung ergeben, die auch von den VWG VP 2021 fortgeführt wurde. Die jeweiligen Beiträge müssen den jeweiligen erwarteten Vorteilen der Poolmitglieder weitestgehend entsprechen, was von den angefallenen Kosten abweichen kann.3 Zu weiteren Details wird auf Kapitel D verwiesen. b) Organisation der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten
6.176
Organisation der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten können grundsätzlich ausgestaltet sein als – Eigenforschung und -entwicklung, – Auftragsforschung und -entwicklung, – Gemeinschaftsforschung und -entwicklung.4
6.177
Abgrenzung. Eigenforschung und -entwicklung liegt hiernach vor, wenn ein Verbundunternehmen (Muttergesellschaft oder spezielle FuE-Gesellschaft) in eigenem Namen und auf eigene Rechnung Forschung und Entwicklung betreibt und die hieraus resultierenden Ergebnisse, insb. daraus hervorgehende immaterielle Wirtschaftsgüter, entweder in seinem eigenen Leistungserstellungsprozess einsetzt oder aber diese an andere Verbundunternehmen – ggf. organisatorisch über eine zentrale IP-Verwertungsgesellschaft oder einen IP-Pool – lizenziert.
6.178
Begriff der Auftragsforschung/-entwicklung. Auftragsforschung im Konzern liegt vor, wenn ein Konzernunternehmen einem verbundenen Unternehmen einen Einzelforschungsauftrag dergestalt erteilt, dass gezielt spezielle Aufgabenstellungen des Auftraggebers zu lösen sind, die diesem später ausschließlich und uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Dieser Forschungsauftrag kann sich auf die Grundlagenforschung wie auch die angewandte Forschung und Entwicklung beziehen, wobei es sich sowohl um Neu- als auch um Weiterentwicklungsprojekte handeln kann.
6.179
Auftragsforschung als Dienstleistung. Die (Auftragsforschungs-)Leistungen müssen gleichwohl regelmäßig als eine Dienstleistung des forschenden Unternehmens angesehen werden. Es handelt sich nämlich um Tätigkeiten, bei denen im Gegensatz zur Lizenzvergabe ausschließlich der Auftraggeber das „Ergebnisrisiko“ trägt, da auch dann sämtliche Forschungsaufwendungen zu vergüten sind, wenn das Forschungsergebnis aus der Erkenntnis besteht, dass für das zu erforschende Problem keine Lösung existiert. Derartige Auftragsforschungsleistungen stellen Leistungen dar, die auch von fremden Dritten, wie etwa unabhängigen For-
1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 1. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 2. 3 VWG VP 2021, Rz. 3.84; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003, BStBl. I 2018, 743 – VWGUmlage 2018; Tz. 8.12 ff. OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 216; Engler/Karchur in V/B/B, Verrechnungspreise5, O Rz. 123 ff.
582 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.180 Kap. 6
schungseinrichtungen oder Universitätsinstituten, ausgeführt werden können.1 Die Vergütung des Ergebnisses des Einzelforschungsauftrags ist nicht als eine Lizenzgebühr, sondern als ein Entgelt für eine technische Dienstleistung anzusehen. Auch die OECD-Leitlinien 2022 erwähnen in Tz. 7.41 die Auftragsforschung als Beispiel für eine konzerninterne Dienstleistung.2 Die forschende Gesellschaft sei insofern i.d.R. vor einem finanziellen Risiko geschützt, als üblicherweise die Abgeltung aller Aufwendungen vereinbart werde, und zwar unabhängig vom konkreten Forschungserfolg. Der Auftraggeber sei generell Eigentümer derjenigen immateriellen Vermögenswerte, die aus der Forschungstätigkeit entstünden, weil er auch die entsprechenden Risiken übernehmen würde. In den OECD-Leitlinien wird ferner auf die typische Funktions- und Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragsforscher eingegangen, wonach der Auftraggeber das Risiko fehlgeschlagener Forschung trägt, Eigentümer der FuEErgebnisse wird und die maßgeblichen Entscheidungen trifft.3 Demgegenüber beschränkt sich der Auftragsforscher auf die Durchführung der Forschungsarbeiten, erhält ein erfolgsunabhängiges Entgelt, hat dem Auftraggeber nach vordefinierten Meilensteinen Bericht zu erstatten und trägt lediglich allgemeine Geschäftsrisiken. Aktivierung der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen. Es stellt sich die Frage, ob die an die Forschungsgesellschaft zu zahlenden Entgelte beim Auftraggeber zu aktivieren sind. Eine solche Aktivierung käme steuerlich nur dann in Betracht, wenn es sich um ein entgeltlich erworbenes immaterielles Wirtschaftsgut handeln würde.4 Handelsrechtlich besteht dagegen ein Wahlrecht für die Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens.5 Bei dem im Rahmen einer Auftragsforschung zu erteilenden Forschungsauftrag handelt es sich um einen Dienstvertrag (§ 611 BGB) bzw. um einen auf einem Dienstvertrag beruhenden Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB). Damit erhält das Forschungsunternehmen ein Entgelt für seine erbrachten Dienstleistungen, welches einen Ersatz der entstandenen Aufwendungen beinhaltet. Das Forschungsunternehmen schuldet in diesem Fall somit nicht die „Lieferung“ eines fertigen immateriellen Wirtschaftsguts, sondern lediglich die Erbringung von (Forschungs-)Dienstleistungen. Damit handelt es sich nicht um den entgeltlichen Erwerb eines immateriellen Wirtschaftsguts, so dass die Entgeltszahlungen an die Forschungsgesellschaft beim Auftraggeber nicht zu aktivieren sind, sondern dort eine sofort abzugsfähige Betriebsausgabe darstellen. Indirekt wurde diese Auffassung von der Finanzverwaltung in Tz. 1.6 der VWG-Umlage 1999 bestätigt. Danach kam bei Umlagezahlungen an einen Forschungs- bzw. Dienstleistungspool ebenfalls keine Aktivierung in Betracht.6 Von diesem Grundsatz weichen auch die OECD-Leitlinien 2022 nicht ab. Ein gemeinsamer Forschungspool ist jedoch ein Unterfall der Auftragsforschung, da mehrere Auftraggeber im Konzern im gemeinsamen Interesse und für gemeinschaftliches Risiko eine Konzernforschungseinheit mit der Erbringung von Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen beauftragen (Nachfragepool, Rz. 6.357).
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Vgl. Flick, BB 1973, 286. Vgl. Tz. 7.41 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 2.61 OECD-Leitlinien 2022; Tz. 9.26 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. § 5 Abs. 2 EStG. Vgl. § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB. Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.6.
Baumhoff/Kluge | 583
6.180
Kap. 6 Rz. 6.181 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
c) Verrechnungspreisermittlung bei Auftragsforschern
6.181
Ermittlung des Leistungsentgelts. Rz. 3.72 der VWG VP 2021 geht davon aus, dass das angemessene Leistungsentgelt bei Auftragsforschungsverhältnissen grundsätzlich mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln ist.1 Diese Aussage ist sachgerecht, da es sich bei den (Forschungs-)Dienstleistungen normalerweise um konzernspezifische Leistungen handelt, für die ermittelbare Marktpreise nicht existieren. Das schließt jedoch nicht aus, dass in bestimmten Ausnahmefällen dennoch eine Marktpreisorientierung möglich ist und damit die Anwendungsvoraussetzungen für die Preisvergleichsmethode vorliegen. Zur Ermittlung solcher Marktpreise ist z.B. das Einholen von Vergleichsangeboten oder die zeitweise Vergabe vergleichbarer Aufträge an unabhängige Forschungseinrichtungen, wie z.B. Universitätsinstitute oder FuE-Abteilungen spezialisierter unabhängiger Unternehmen, denkbar. Durch die Verwendung des Wortes „grundsätzlich“ und den möglichen Vorrang der Preisvergleichsmethode lassen die VWG VP 2021 auch diese Form der Preisermittlung zu. Dies entspricht dem in § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG verankerten Verständnis der „best method rule“, wonach der tatsächliche Fremdvergleich vorrangig zum Tragen kommt, wenn hierfür entsprechende Preisvergleichsdaten ermittelbar sind. Folglich hat die Preisvergleichsmethode Vorrang vor jeder anderen Methode, da sie als einzige Methode auf marktentstandene, d.h. direkt am Markt beobachtbare Preise für hinreichend vergleichbare Referenztransaktionen abstellt und damit auf dem tatsächlichen Fremdvergleich basiert. Ist demnach in Ausnahmefällen ein innerer Preisvergleich möglich, ist für die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode kein Raum. Dies steht im Einklang mit der Auffassung der OECD, wonach bei gleich zuverlässiger Anwendbarkeit die Preisvergleichsmethode stets jede andere klassische Methode dominiert.2
6.182
Gewinnaufschlag und Verzicht auf Gewinnelement. Bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode müssen sämtliche Kosten, also alle direkten und indirekten Kosten, verrechnet werden. Der Gewinnaufschlag dürfte sich – entsprechend der Handhabung bei Leistungen anderer Konzerndienstleistungseinheiten (Rz. 6.354) – zwischen 5 % und 10 % bewegen, zumal die Forschungsgesellschaft bei Auftragsforschungsleistungen kein Forschungsrisiko trägt. Der Ausschluss des Forschungsrisikos bedeutet allerdings nicht, dass eine selbständige Konzernforschungsgesellschaft nicht sonstigen unternehmerischen Risiken ausgesetzt ist, so dass ein Gewinnaufschlag dem Grunde nach in jedem Fall gerechtfertigt ist. Tz. 2.61 der OECD-Leitlinien 2022 ist insofern missverständlich, als dort neben der Abgeltung sämtlicher Kosten von einem „zusätzlichen Gewinnaufschlag“ die Rede ist, der zum Ausdruck bringen könne („may reflect“), wie innovativ und komplex die Forschungsarbeiten sind.3 Diese Ausführungen könnten implizieren, dass allein eine Kostenverrechnung in Betracht käme. Dies wäre unzutreffend. Jedweder Verzicht auf die Einbeziehung eines Gewinnelements bei der Einzelverrechnung bestimmter Dienstleistungen ist – außerhalb gewisser Fälle der Poolumlage (Rz. 6.339 ff.) – mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs unvereinbar, da ein gewinnzielorientierter Unternehmer bzw. ordentlicher Geschäftsleiter i.d.R. keine Leistung – auch keine Nebenleistung – erbringen würde, ohne damit eine Gewinnerwartung zu verbinden (Rz. 6.76). Tritt ein Unternehmen gegenüber einem anderen – mit welcher Art verrechenbarer Dienstleistungen auch immer – als Dienstleistungsunternehmen auf, so ist die Verrechnung von Selbstkosten ohne Gewinnaufschlag zwischen Fremden unter normalen Umständen nicht vorstellbar. Durch den Verzicht auf das Gewinnelement würde der Gewinn einseitig dem leistungsempfangenden 1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.72; VWG FVerl, Rz. 216; ebenso Tz. 2.61 und 7.41 OECD-Leitlinien 2022. Siehe auch Wendel, JbFSt 2011/2012, 861. 2 Vgl. Tz. 2.3 OECD-Leitlinien 2022; Bärsch/Erb, DStR 2018, 632. 3 Vgl. Tz. 2.61 OECD-Leitlinien 2022.
584 | Baumhoff/Kluge
B. Dienstleistungen | Rz. 6.183 Kap. 6
Unternehmen zugeschlagen, was eine ungerechtfertigte Gewinnverlagerung bedeuten würde, die durch den Grundsatz des Fremdvergleichs eben gerade vermieden werden soll. Infolgedessen ist die Berücksichtigung eines Gewinnaufschlages im Rahmen der Einzelabrechnung von Dienstleistungen zwingend. Aufteilung von Standortvorteilen des Auftragsforschers. Zu den allgemein als Standortvorteilen in Betracht kommenden Faktoren sowie zur Vorgehensweise vgl. Rz. 5.205 sowie Rz. 6.36. Die niedrigeren Kosten führen ceteris paribus zu einem Mehrgewinn im Vergleich zu reinen FuE-Aktivitäten im Inland ohne Einschaltung des jeweiligen Auftragsforschers. Speziell für FuE-Aktivitäten kommen als Standortvorteile insbesondere staatliche FuE-Förderinstrumente in Betracht, mittels derer der jeweilige Staat seine Attraktivität für FuE-Aktivitäten im Rahmen der Innovationspolitik zu steigern beabsichtigt.1 Diese können als direkte Projektförderung im Rahmen spezifischer Förderprogramme oder aber als steuerliche Förderung im Rahmen indirekter Fördermaßnahmen ausgestaltet sein.2 Der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn wird bei der undifferenzierten Anwendung der Kostenaufschlagsmethode nicht zutreffend berücksichtigt, es sei denn, der Gewinnaufschlag wird bereits entsprechend angepasst.3 Wie im Fall eines Lohnfertigers (vgl. Rz. 6.44) werden auch hier grds. seitens der Finanzverwaltung Gewinnaufschläge von 5 bis 10 % akzeptiert. Diese pauschalen Aussagen können jedoch auch bei Auftragsforschern nicht akzeptiert werden. Besonders deutlich wird dies bei FuE-bezogenen Fördermaßnahmen, mit denen gezielt – auch durch Deutschland – Standortpolitik betrieben wird, um im internationalen Wettbewerb um FuE-Aktivitäten zu bestehen und sich zu behaupten. Gleiches gilt i.Ü. bei jedweder Gewährung von Steuervergünstigungen, Investitionszuschüssen oder vergleichbaren staatlichen Subventionen. In diesen Fällen schränkt die ausländische Steuerhoheit ihr Besteuerungsrecht zur Förderung der heimischen Wirtschaft gezielt ein.4 Vor diesem Hintergrund kann es dann nicht gerechtfertigt sein, wenn das Inland durch eine undifferenzierte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode mit einem Standardgewinnaufschlag die im Ausland aufgrund von Standortvorteilen erhöhten Gewinne abschöpft und der deutschen Besteuerung unterwirft.5 Eine Aufteilung von Standortvorteilen bei Lohnfertigern wurde in der Literatur umfangreich diskutiert und ist zwischenzeitlich akzeptiert (vgl. hierzu und zur analog geltenden Vorgehensweise bei der Aufteilung ausführlich Rz. 6.36). Dieser Befund einer zwingenden Aufteilung von Standortvorteilen gilt für Standortvorteile des Auftragsforschers gleichermaßen.6 Die Rechtfertigung besteht letztlich nicht darin, dass der Auftragsforscher produktionsbezogene Dienstleistungen erbringt, sondern darin, dass bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode mit einem Standardgewinnaufschlag eine Fehlallokation der Standortvorteile beim Auftraggeber eintritt, die unter Fremdvergleichsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen ist. In1 Für einen internationalen Vergleich siehe etwa Spengel/Elschner, ZfB 2010, Special Issue 2, 1 ff.; für Deutschland etwa Spengel/Herbold, Ubg 2010, 343 ff. 2 Vgl. Kessler/Probst, DB 2017, M4. 3 So z.B. auch Dreßler in Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Podiumsdiskussion, 98. 4 Vgl. zu gesamtwirtschaftlichen Effekten einer höheren FuE-Intensität Spengel/Elschner, ZfB 2010, Special Issue 2, 2; Herbig, Steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung im internationalen Vergleich, Stuttgart 2009, 24 ff. jeweils m.w.N. zu empirischen Untersuchungen. 5 Vgl. auch Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch internationale Verrechnungspreise, OECDKap. IX, Teil 2, E, Rz. 396 f. 6 Vgl. Wendel, JbFSt 2011/2012, 860 ff.
Baumhoff/Kluge | 585
6.183
Kap. 6 Rz. 6.183 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
sofern tritt diese Fragestellung stets auf, wenn es um Routineunternehmen – wie vorliegend den Auftragsforscher – geht, dessen Dienstleistungsentgelt für die bloße Funktionsausübung kostenorientiert mittels der Kostenaufschlagsmethode ermittelt wird. In diesem Fall müssen etwaige Standortvorteile stets gesondert betrachtet werden. Soweit es Auftragsforscher in Deutschland betrifft, wird diese Auffassung auch von Vertretern der Finanzverwaltung geteilt.1 Die VWG-Funktionsverlagerung äußern sich zwar wiederholt zu Standortvorteilen,2 bleiben allerdings im Hinblick auf ihre Aufteilung letztlich unbestimmt. Nach Tz. 93 der VWG-Funktionsverlagerung soll es für die Zurechnung von Standortvorteilen darauf ankommen, „welches Unternehmen diese Vorteile/Nachteile in den fiktiven Preisverhandlungen in Anspruch nehmen könnte bzw. tragen müsste“, was letztlich von den – sich aus objektiven Umständen ergebenden – „konkreten Handlungsalternativen“ und der „jeweiligen Verhandlungsstärke“ abhängen soll.3 Die Finanzverwaltung argumentiert hier mit der Verhandlungslösung und unterstellt, dass der (inländische) Auftraggeber stärker als der (ausländische) Auftragnehmer ist. Diese Überlegungen erinnern an die sog. Schiedsrichterlösung, die allerdings wegen ihrer Abhängigkeit von Einflussfaktoren, die zwischen nahe stehenden Unternehmen beliebig dem einen oder dem anderen Verhandlungspartner zugeordnet werden können, für die Aufteilung von Einigungsbereichen ungeeignet ist.4 Außerdem stehen diese Überlegungen im Widerspruch zur Fiktion der vollständigen Information und Markttransparenz nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG, die letztlich zu gleichen Verhandlungsstärken führen muss.
6.184
(Anlauf-)Verluste des Auftragsforschers. Zur Behandlung von Anlaufverlusten kann zunächst auf die Ausführungen unter Rz. 6.45 f. verwiesen werden. Als entsprechender Zeitraum wird dabei in der Literatur eine Periode von fünf Jahren genannt.5 Allerdings muss – bei neu eingeführten Produkten – zu Beginn der Markteinführungsphase eine realistische Gewinnerwartung vorliegen, die durch eine betriebswirtschaftliche Prognoserechnung zu plausibilisieren ist. Dies schließt nicht aus, dass in bestimmten Fällen eine Fehlmaßnahme vorliegen kann, so dass sich die prognostizierte Gewinnerwartung ex-post nicht einstellt. Entscheidend ist also nur, ob eine Markterschließungsstrategie zum Zeitpunkt ihres Beginns plausible Erfolgsaussichten hatte.6 Sowohl die Auffassung der Finanzverwaltung als auch diese Rechtsprechungsgrundsätze müssen zum einen vor dem Hintergrund der klassischen Verrechnungspreislehre eines als „Entrepreneur“ bzw. Strategieträger zu qualifizierenden Vollproduzenten gesehen werden.7 Sie sind zum anderen nur zutreffend, wenn nach der konkreten Funktions- und Risikoverteilung das betreffende Unternehmen eigene Marktchancen und -risiken wahrnimmt. Beschränkt sich etwa im Rahmen der Produktionsfunktion das Funktions- und Risikoprofil des Produktionsunternehmens auf die Funktionsausübung, wie dies bei einem Lohn- oder Auftragsfertiger der Fall ist, können diese Grundsätze nicht durchgreifen. Dies gilt deshalb, weil die Funktionsverantwortung beim Auftraggeber verbleibt (vgl. im Einzelnen Rz. 6.25 ff.).
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Vgl. Wendel, JbFSt 2011/2012, 860 ff. Vgl. VWG FVerl, Rz. 76, 85, 93, 123, 128, 155, 168. VWG FVerl, Rz. 93, 121 ff. Vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 351; Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 792. Vgl. Wassermeyer, WPg 2002, 16. Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 36. Vgl. hierzu Baumhoff in FS Krawitz, 35 ff.; Baumhoff in Baumhoff/Schönfeld, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, 2011, 145.
586 | Baumhoff/Kluge
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.184 Kap. 6
Nichts anderes gilt im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragsforscher. Auch hier verantwortet der Auftraggeber die FuE-Funktion und nimmt entsprechende Marktchancen und -risiken wahr. Der Auftragsforscher hingegen ist auf die Funktionsausübung beschränkt. Insofern trägt er lediglich die mit der Funktionsausübung verbundenen Risiken, wie dies jedweder Tätigkeitsausübung eigen ist.1 Im Übrigen sind Anlaufkosten auch Kosten, die vom Auftraggeber – über die Kostenaufschlagsmethode – zu ersetzen sind (auch bei fehlgeschlagener Forschung). Als Routineunternehmen erzielt der Auftragsforscher „bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“2 (vgl. Rz. 6.45). Von Verlusten werden Routineunternehmen – bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf – durch den Auftraggeber freigehalten, was durch die kostenorientierte Entgeltsbemessung gewährleistet ist.3 Anlaufverluste können vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BFH zu Vertriebsgesellschaften allenfalls über einen kurzen Zeitraum und auch nur dann in Betracht kommen, wenn diese danach überkompensiert werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass etwaige Standortvorteile – jedenfalls hälftig (Rz. 6.183) – beim Auftragsforscher verbleiben.
C. Arbeitnehmerentsendungen Literatur: Achter, Der Arbeitgeberbegriff im Doppelbesteuerungsrecht, IStR 2003, 410; Amann, Dienstleistungen im internationalen Steuerrecht: Engineering – Management – Beratung – Lizenzverkehr, München 1998; Baranowski, Besteuerungsrecht nach Art. 15 OECD-MA und Aufwandszuordnung bei grenzüberschreitender Personalentsendung, IWB 2000, F. 3 Gr. 2, 941; Bärsch/Ditz/Engelen/ Quilitzsch, Die Reform des § 1 AStG – Überblick und erste kritische Würdigung, DStR 2021, 1785; Becker/Bohn, Doppelbesteuerungsrisiken bei Dienstleistungserbringung im Ausland, DB 2013, 1195; Ditz, Praxisfall einer Verrechnungspreisprüfung und Funktionsverlagerung, IStR 2009, 421; Ditz/ Bärsch/Engelen, Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den Verwaltungsgrundsätzen 2020, FR 2021, 457; Dubberke, Die steuerliche Behandlung von Engineering im Zusammenhang mit Großanlagenprojekten im Ausland, IStR 1998, 662; Endfellner, Der Begriff des Arbeitgebers im Sinne von Art. 15 Abs. 2 OECD-MA: Geltung der rechtlichen oder wirtschaftlichen Betrachtungsweise in Österreich, SWI 2002, 281; Förster, Steuerfragen und Dokumentationspflichten bei der Mitarbeiterentsendung aus Sicht der Unternehmen in Festschrift für Franz Wassermeyer, München 2005; Gelsheimer/Meyen, Besonderheiten von Nettolohnvereinbarungen bei internationalem Mitarbeitereinsatz, DB 2010, 2581; Görl, Steuerliche Probleme der Mitarbeiterentsendung, IStR 2002, 443; Herzig, Steuerliche und bilanzielle Probleme bei Stock Options und Stock Appreciation Rights, DB 1999, 1; Hick, Arbeitnehmerentsendungen – Hinweise für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Verlag des wissenschaftlichen Instituts der Steuerberater GmbH, Merkblatt Nr. 1726.1, Februar 2020; Hick, Geplante Verschärfung der Lohnsteuereinbehaltungsverpflichtung wirtschaftlicher Arbeitgeber i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG, DB 2019, 2100; Hick, Die steuerliche Behandlung von Arbeitnehmerentsendungen ins Ausland, Diss., Köln 2004; Höppner, Aufwendungen für abgestellte Arbeitnehmer, JbFSt 1989/1990, 148; IDW, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen in Fällen der Arbeitnehmerentsendung, IDW-FN 2000, 657; Kratzenberg, Verrechnungspflicht und –entgelt bei der Entsendung von Arbeitnehmern zu ausländischen Beteiligungsgesellschaften, StBp. 1989, 205; Krawitz/Hick, Grenzüberschreitende gewerbliche Arbeitnehmerüberlassungen im Abkommensfall nach der neueren BFH-Rechtsprechung, RIW 2003, 900; Kroppen/Rasch, Die Funk1 Vgl. Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1287; Zech, IStR 2011, 133. 2 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Siehe zu einem infrage kommenden temporären Gewinnverzicht in Phasen gesamtwirtschaftlicher oder branchenbezogener Krisen aber auch Baumhoff in FS Krawitz, 32 f.
Baumhoff/Kluge und Hick | 587
Kap. 6 Rz. 6.185 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch tionsverlagerungsverordnung, IWB 2008, F. 3 Gr. 1, 2346; Kroppen/Rasch/Roeder, Neue Verwaltungsgrundsätze des BMF zur Arbeitnehmerentsendung in IWB 2002, F. 3 Gr. 1, 1821; Kuckhoff, Auslandssachverhalte in der Betriebsprüfung, in Streck (Hrsg.), Auslandssachverhalte in der Betriebsprüfung, Bonn 1998, 57; Kuckhoff, Personalentsendung im deutschen und internationalen Steuerrecht, in Piltz/ Schaumburg (Hrsg.), Internationale Einkünfteabgrenzung, Köln 2003, 115; Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, München 1997; Kuckhoff/Schreiber, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung aus Sicht der Betriebsprüfung (Teil II), IStR 1999, 353; Kuckhoff/Schreiber, Die neuen Verwaltungsgrundsätze zur Personalentsendung im Konzern, IWB 2002, F. 3 Gr. 1, 1857; Kuebart, Verrechnungspreise im internationalen Lizenzgeschäft – Grundlagen der Ermittlung steuerlich angemessener Lizenzgebühren bei Verträgen zwischen international verbundenen Unternehmen und Entwicklung eines ganzheitlichen Preisermittlungsmodells, Diss., Bielefeld 1995; Mader, LohnsteuerAnmeldung des wirtschaftlichen Arbeitgebers bei internationaler Arbeitnehmerentsendung, BuP 2014, 41; Mastmann/Stark, Vertragsgestaltung bei Personalentsendungen ins Ausland, BB 2005, 1849; Maurer, Personaleinsatz im Ausland, München 2003; Mosbach, Grundfragen zur steuerlichen Behandlung von Mitarbeiterentsendungen, Ubg 2008, 675; Neubauer, Aktuelle Fragen aus der Praxis der Betriebsprüfung – Zur Abgrenzung der verdeckten Einlagen in ausländische Kapitalgesellschaften von den Betriebsausgaben im Gesellschafterinteresse, StBp. 1971, 250; Neyer, Steuerliche Behandlung der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung im Konzernverbund, BB 2006, 917; Rohler, Anforderungen einer Verrechnungspreisdokumentation, GmbH-StB 2013, 350; Saliger/Wagowske/Greil, Die neuen Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise, IStR 2021, 571; Schliephake, Steuerliche Gewinnabgrenzung internationaler Personengesellschaften, Diss., Bielefeld 1990; Schmidt, Der BFH zum wirtschaftlichen Arbeitgeber – Konsequenzen für die Besteuerungspraxis, IStR 2006, 78; Schnorberger/ Waldens, Einkommenszuordnung bei grenzüberschreitender Personalentsendung im Konzern, IStR 2001, 39; Schreiber, Grenzüberschreitende Personalentsendungen im Konzern, in JbFSt 2000/2001, 602; Seel, Grenzüberschreitende Arbeitnehmerentsendung – Ein Überblick über arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Fragen, MDR 2011, 5; Siegel, Personalaufwand bei Stock Options: eine Entmündigung der Aktionäre, WPg 2003, 157; Strunk/Kaminski, Internationale Arbeitnehmerentsendung: Wer ist „Experte“ im Sinne der Verwaltungsgrundsätze?, Stbg 2003, 174; Urbahns/Becker, Steuerliche Grundzüge grenzüberschreitender Personalentsendungen – Teil I und II, INF 2002, 353 u. 392; Vögele/Crüger/Schmitt, Mitarbeiterentsendung als Verrechnungspreisproblem: Neue Verwaltungsgrundsätze, DB 2002, 1185; Waldens, „Entsendungserlass“: Einkunftsabgrenzung bei Personalentsendungen ins Inland, PIStB 2002, 14; Waldens, Veranlassungsgerechte Einkunftsabgrenzung bei der Expertenentsendung, PIStB 2002, 255; Wassermeyer, Die Anwendung des § 1 AStG auf Entnahmen, IStR 1997, 657; Wassermeyer, Verdeckte Gewinnausschüttung: Veranlassung, Fremdvergleich und Beweisrisikoverteilung, DB 2001, 2465.
I. Grenzüberschreitender Einsatz von Arbeitnehmern in internationalen Konzernen 1. Zielsetzung und Ausgestaltung von Arbeitnehmerentsendungen 6.185
Internationalisierung der wirtschaftlichen Betätigung. Die zunehmende Internationalisierung der grenzüberschreitenden unternehmerischen Betätigung im Zuge des Aufbaus international tätiger Konzerne hat zwangsläufig einen wachsenden Austausch von Arbeitnehmern zwischen den Konzerngesellschaften zur Folge. In der Praxis lässt sich feststellen, dass eine zunehmende Anzahl von Arbeitnehmern von Deutschland zu ausländischen Konzerngesellschaften bzw. von ausländischen Konzerngesellschaften nach Deutschland entsandt wird. Vielschichtig sind dabei die zugrunde liegenden Zielsetzungen. In der Praxis sind folgende typische Zielsetzungen anzutreffen: Umsetzung einer einheitlichen Unternehmenspolitik im Interesse der Konzernspitze, Überwachung der Geschäftstätigkeit der Tochtergesellschaften, internationaler Erfahrungsaustausch, Beseitigung eines Mangels an qualifizierten Arbeitskräften sowie die Fortbildung von Arbeitnehmern. Darüber hinaus kann auch ein Leistungsaustausch im Rahmen eines Dienstleistungsverhältnisses in Frage kommen. 588 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.187 Kap. 6
Zwei zentrale Problemfelder aus steuerlicher Sicht. In steuerlicher Hinsicht ist zwischen zwei zentralen Problemfeldern zu unterscheiden. Aus Unternehmenssicht steht zunächst die Behandlung konzerninterner Entsendungen im Rahmen der Einkunftsabgrenzung im Vordergrund. Konkret geht es um die Frage, ob die entsendende oder die aufnehmende Konzerneinheit mit dem Aufwand der Entsendung zu belasten ist. Diese Fragestellung wird von der deutschen Finanzverwaltung verstärkt überprüft, um zu vermeiden, dass das deutsche Besteuerungssubstrat durch die Geltendmachung von Aufwendungen der Entsendung in Deutschland gemindert wird. Die Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung hat zwischen den Konzerngesellschaften unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Fremdvergleichs zu erfolgen. Dabei ist für die Durchführung des Fremdvergleichs und damit die Ermittlung der Handlungsweise fremder Dritter von Bedeutung, dass die hier betrachteten konzerninternen Arbeitnehmerentsendungen zwischen nicht verbundenen Unternehmen i.d.R. nicht vorkommen. Soweit zwischen fremden Dritten der Austausch von Arbeitskräften erfolgt, handelt es sich um Fälle des gewerblichen Arbeitnehmerverleihs.1
6.186
Versteuerung der Vergütungen aus nichtselbstständiger Arbeit. Weiterhin geht es um die steuerliche Behandlung der von dem Arbeitnehmer erzielten Vergütungen aus nichtselbständiger Tätigkeit.2 Dabei steht aus Sicht des entsandten Arbeitnehmers die Frage nach der Zuordnung des Besteuerungsrechts für die während der Entsendung erzielten Vergütungen aus nichtselbständiger Tätigkeit im Vordergrund. Zu den bei der abkommensrechtlichen Zuordnung des Besteuerungsrechts zu beachtenden Fragestellungen hat die Finanzverwaltung in dem BMF-Schreiben vom 3.5.2018 Stellung genommen.3 In Bezug auf die Versteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit geht es konkret um die Frage, ob dem Wohnsitzstaat oder dem Tätigkeitsstaat des Arbeitnehmers das Besteuerungsrecht für die Vergütungen aus nichtselbständiger Tätigkeit zusteht.4 Aus Unternehmenssicht stehen hingegen vor allem Fragestellungen im Zusammenhang mit der Durchführung des Lohnsteuerabzugs im Vordergrund. In Bezug auf die Lohnsteuer geht es dabei vor allem um die Vermeidung aus § 42d EStG resultierender Lohnsteuerhaftungstatbestände.5 Die Durchführung des Lohnsteuerabzugs wird dabei in der Praxis u.a. durch die zahlreichen Zusatzleistungen erschwert, die entsandten Arbeitnehmern zum Ausgleich persönlicher und finanzieller Belastungen im Rahmen einer Entsendung gewährt werden.
6.187
Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Fragestellungen. Im Rahmen der praktischen Abwicklung von Entsendungssachverhalten nehmen die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Fragestellung mittlerweile breiten Raum ein. Die aus der EU-Richtlinie 2018/9576 resultierenden Vorgaben haben zur Folge, dass bei der Entsendung von Mitarbeitern in EUMitgliedstaaten zu prüfen ist, welche arbeitsrechtlichen Mindeststandards – hierzu zählt auch die Vergütungshöhe des entsandten Arbeitnehmers – einzuhalten sind. Für Entsendungen ausländischer Unternehmen nach Deutschland ist zu beachten, dass Deutschland die aus der EU-Richtlinie resultierenden Vorgaben im Rahmen des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) überwiegend bereits mit Wirkung vom 30.7.2020 in Kraft gesetzt hat. Weiterhin er-
1 Zu Einzelheiten vgl. Krawitz/Hick, RIW 2003, 900 ff. 2 Für einen Überblick s. Hick, Arbeitnehmerentsendungen – Hinweise für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Verlag des wissenschaftlichen Instituts der Steuerberater GmbH, Merkblatt Nr. 1726.1, April 2022. 3 Vgl. BMF v. 3.5.2018 – IV B 2-S 1300/08/10027, BStBl. I 2018, 643. 4 Zu Einzelheiten vgl. Hick, Arbeitnehmerentsendungen, 174 ff.; Mosbach, Ubg 2008, 675 ff. 5 Vgl. hierzu auch Hick in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung3, Rz. 33.39. 6 ABl. L 173 v. 9.7.2018, 16.
Hick | 589
Kap. 6 Rz. 6.187 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
geben sich auch sozialversicherungsrechtliche Fragestellungen. Im Rahmen der Sozialversicherung bei Entsendungssachverhalten geht es im Kern um die Bestimmung des anwendbaren Rechts. Sowohl hinsichtlich der Tätigkeit bei einem inländischen Unternehmen angestellter Arbeitnehmer im Ausland als auch hinsichtlich der Inlandstätigkeit bei einem ausländischen Unternehmen beschäftigter Arbeitnehmer stellt sich die Frage, welche Rechtsordnung für die Versicherungs- und Beitragspflicht sowie für Leistungsansprüche des Beschäftigten oder seiner Angehörigen maßgeblich ist.1
2. Ausgestaltung konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen 6.188
Systematisierung konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen. In der Praxis weist die Ausgestaltung konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen vielfältige Ausprägungsformen auf. Für eine grobe Systematisierung kann zwischen sog. Outbound- und Inbound-Entsendungen unterschieden werden. Dabei zeichnen sich Outbound-Entsendungen dadurch aus, dass ein bei einem in Deutschland ansässigen Konzernunternehmen beschäftigter Arbeitnehmer zeitlich befristet bei einem ausländischen Konzernunternehmen tätig wird. Bei einer InboundEntsendung erfolgt hingegen der Einsatz bei einem ausländischen Konzernunternehmen beschäftigter Arbeitnehmer in einem inländischen Konzernunternehmen. Ein weiteres Systematisierungskriterium kann die Entsendungsrichtung bilden. Dabei kann unterschieden werden, ob die Entsendung eines bei der Konzernspitze beschäftigten Arbeitnehmers zu einer Tochtergesellschaft erfolgt, oder bei einer Tochtergesellschaft beschäftigte Arbeitnehmer für die Muttergesellschaft des Konzerns tätig werden. Anzutreffen sind zudem auch Entsendungen zwischen den Tochtergesellschaften eines Konzerns.
6.189
Unterschiedliche Vertragstypen zur Ausgestaltung konzerninterner Arbeitnehmerentsendungen. In der Praxis sind unterschiedliche vertragliche Ausgestaltungen konzerninterner Entsendungen anzutreffen. Hierfür sind v.a. die unterschiedlichen Zielsetzungen ausschlaggebend, die einer Entsendung zugrunde liegen. Auch wenn im Detail unterschiedliche Ausgestaltungsformen bestehen, kann zwischen zwei wesentlichen Vertragstypen unterschieden werden2: Der Entsendung kann ein mit der entsendenden Konzerneinheit fortbestehender Arbeitsvertrag zugrunde liegen (Ein-Vertrags-Modell). Die Besonderheiten des Auslandseinsatzes werden dann regelmäßig in einer Zusatzvereinbarung zu dem fortbestehenden Arbeitsvertrag geregelt. Im Fall längerfristiger Entsendungen erfolgt i.d.R. allerdings der Abschluss eines Arbeitsvertrages mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft.3 In der arbeitsrechtlichen Terminologie wird diese Gestaltungsform als Versetzung bezeichnet. Der bestehende Arbeitsvertrag mit der entsendenden Gesellschaft wird für die Dauer der Entsendung i.d.R. ruhend gestellt (Zwei-Vertrags-Modell). In einem sog. Stammhausbindungsvertrag werden dann die fortbestehenden Pflichten der entsendenden Konzerngesellschaft während der Entsendung geregelt.4
1 S. auch Kreitner/Weil/Schlegel in Küttner, Personalbuch 2021, Tz. 73 ff. 2 Vgl. hierzu mit entsprechenden Vertragsmustern Hümmerich/Lücke/Mauer, Arbeitsrecht, Rz. 281; Borgmann in Hümmerich/Reufels, Gestaltung von Arbeitsverträgen, Rz. 4708; Mauer, Personaleinsatz im Ausland, 2019, Rz. 471. 3 Zu den unterschiedlichen Ausgestaltungsformen vgl. Hick, Arbeitnehmerentsendungen, 14 ff.; Neyer, BB 2006, 917 (918); sowie Seel, MDR 2011, 5 (6). 4 Zu Einzelheiten der unterschiedlichen Vertragsmuster vgl. Küttner, Personalbuch, 2020, M7.
590 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.192 Kap. 6
II. Verwaltungsgrundsätze Arbeitnehmerentsendungen 1. Überblick Verwaltungsgrundsätze Arbeitnehmerentsendungen. Mit den Verwaltungsgrundsätzen Arbeitnehmerentsendungen vom 9.11.20011 („VWG-Arbeitnehmerentsendung“) hat die Finanzverwaltung erstmals in einem eigenständigen BMF-Schreiben zur Behandlung grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendungen zwischen verbundenen Unternehmen im Rahmen der Einkunftsabgrenzung Stellung genommen.
6.190
Zielsetzung der Verwaltungsgrundsätze. Die Zielsetzung der VWG-Arbeitnehmerentsendung besteht in der Aufteilung des Aufwandes einer konzerninternen Arbeitnehmerentsendung zwischen den beteiligten Konzerngesellschaften anhand des Grundsatzes des Fremdvergleichs.2 Die Ausführungen der Finanzverwaltung dienen insoweit der Konkretisierung des Grundsatzes der betrieblichen Veranlassung von Aufwendungen i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG in den Fällen einer Arbeitnehmerentsendung. Hieran hat sich auch nach dem Erlass der VWG Verrechnungspreise vom 14.7.20213 nichts geändert, die in Tz. 3.80 auf die VWG-Arbeitnehmerentsendung verweisen.4 Insoweit enthalten die VWG-Arbeitnehmerentsendung konkretisierende Hinweise der Finanzverwaltung zur betrieblichen Veranlassung des Aufwandes einer Entsendung bei der entsendenden oder der aufnehmenden Konzerngesellschaft. Das Schreiben ist allerdings weder mit den OECD-Staaten noch innerhalb der EU abgestimmt.5 Allein im Zusammenhang mit der Ermittlung eines einheitlichen Aufteilungsmaßstabes wird von der Finanzverwaltung die erforderliche Abstimmung mit der ausländischen Finanzverwaltung angesprochen.6 Insoweit ist nicht sichergestellt, dass andere Staaten eine entsprechende Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung vornehmen.
6.191
Keine Regelung zur Besteuerung der Vergütungen aus nichtselbstständiger Arbeit. Der Regelungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung ist auf die Aufteilung des Aufwandes einer Arbeitnehmerentsendung anhand des Grundsatzes des Fremdvergleichs beschränkt. Keine Aussage treffen die Verwaltungsgrundsätze hingegen zu der Zuordnung des Besteuerungsrechts der von dem entsandten Arbeitnehmer während der Entsendung erzielten Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit i.S.d. § 19 EStG. Bei Entsendungen in einen DBA-Staat kann ein Wechsel des für die Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit geltenden Besteuerungsregimes erfolgen. So steht nach Art. 15 Abs. 2 Buchst. b bzw. c OECDMA dem Tätigkeitsstaat ab dem ersten Tag der Auslandstätigkeit an das Besteuerungsrecht zu, falls die Vergütungen des Arbeitnehmers wirtschaftlich von der Konzerngesellschaft bzw. Betriebsstätte getragen werden, für die der entsandte Arbeitnehmer während seiner Auslandstätigkeit tätig wird (zu Einzelheiten vgl. Rz. 6.231). Hiermit kann – vergleichbar mit § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG7 – auch die Verpflichtung des ausländischen aufnehmenden Unternehmens zum Lohnsteuereinbehalt verbunden sein.
6.192
1 2 3 4
VWG ArbN, Tz. 2.1. Vgl. Dworaczek/Herda/von Gruchalla Wesierski in V/B/B, Verrechnungspreise5, T Tz. 20. BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017 :001 – VWG Verrechnungspreise, BStBl. I 2021, 1098. Zu einer möglichen Integration der VWG Arbeitnehmerentsendung in die VWG Verrechnungspreise s. Saliger/Wagowske/Greil, IStR 2021, 571. 5 So auch Nientimp in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGrArbN. Rz. 7. 6 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.5. 7 Zu der ab dem 1.1.2020 zu beachtenden Verschärfung des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG s. Hick, DB 2019, 2100.
Hick | 591
Kap. 6 Rz. 6.193 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
2. Abgrenzung des Anwendungsbereichs der VWG-Arbeitnehmerentsendung a) Persönlicher Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung
6.193
Grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern zwischen verbundenen Unternehmen. Für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Verwaltungsgrundsätze ist zunächst zu beachten, dass die VWG-Arbeitnehmerentsendung nach dem Wortlaut nur auf grenzüberschreitende Arbeitnehmerentsendungen zwischen verbundenen Unternehmen zur Anwendung gelangen.1 Dies bedeutet, dass entweder das aufnehmende oder das entsendende Unternehmen im Ausland ansässig sein muss. Nicht zur Anwendung gelangen die VWG-Arbeitnehmerentsendung somit auf den Austausch von Arbeitnehmern zwischen konzernzugehörigen im Inland ansässigen Unternehmen sowie auf den Austausch von Arbeitskräften zwischen fremden Dritten. Dabei dürfte einem Austausch von Arbeitskräften zwischen fremden Dritten regelmäßig eine (gewerbliche) Arbeitnehmerüberlassung zugrunde liegen. Grundsätzlich ist allerdings zu beachten, dass der aus dem BMF-Schreiben resultierende Gedanke einer Aufteilung der Aufwendungen nach dem Prinzip der betrieblichen Veranlassung i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG prinzipiell auch im Rahmen des Einsatzes von Arbeitnehmern zwischen inländischen Konzerngesellschaften von Relevanz ist.
6.194
Entsprechende Anwendung der VWG-Arbeitnehmerentsendung im Rahmen der Betriebsstättengewinnermittlung. Nach der Auffassung der Finanzverwaltung sind die VWG-Arbeitnehmerentsendung im Rahmen der Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte entsprechend anzuwenden.2 Bis zur Einführung des § 1 Abs. 5 AStG3 konnte allerdings der Grundsatz des Fremdvergleichs – gestützt auf das Veranlassungsprinzip4 des nationalen Rechts – auf Grund der rechtlichen Unselbstständigkeit der Betriebsstätte im Rahmen der Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht uneingeschränkt zur Anwendung gelangen. Somit konnte die Betriebsstätte für Zwecke der Einkunftsabgrenzung nicht mit einer rechtlich selbstständigen Tochtergesellschaft gleichgesetzt werden.5 b) Überblick über den sachlichen Anwendungsbereich der VWGArbeitnehmerentsendung
6.195
Von dem Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung erfasste Entsendungen. Inhaltlich erstreckt sich der Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung auf Entsendungen, bei denen der Arbeitnehmer mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft eine arbeitsrechtliche Vereinbarung abschließt oder die aufnehmende Konzerngesellschaft als wirtschaftlicher Arbeitgeber einzustufen ist.6 In beiden Fällen muss es sich allerdings um die Entsendung eines Arbeitnehmers i.S.d. § 19 EStG handeln. Nicht erfasst wird damit der grenzüberschreitende Einsatz von selbstständig Tätigen i.S.d. § 18 EStG, die innerhalb eines Konzerns auf Veranlassung einer Konzerngesellschaft für andere Konzerngesellschaften tätig werden.
1 Vgl. VWG ArbN, Tz. 1. 2 Vgl. VWG ArbN, Tz. 6. 3 Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (AmtshilfeRLUmsG) v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 4 Vgl. hierzu Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 76 (77); Wassermeyer, IStR 2004, 734. 5 Vgl. BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 131; v. 16.2.1996 – I R 46/95, BFH/NV 1997, 111. 6 Vgl. VWG ArbN, Tz. 2.1.
592 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.199 Kap. 6
Nicht in den Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung fallende Entsendungen. Nicht in den Anwendungsbereich des BMF-Schreibens fallen Entsendungen, denen ein Leistungsaustausch zugrunde liegt.1 Dies ist dann der Fall, wenn eine Entsendung zur Erfüllung einer Werk- bzw. Dienstleistungsverpflichtung erfolgt. In einem solchen Fall dient der Einsatz des entsandten Arbeitnehmers der Erfüllung von Leistungen, zu denen sich eine Konzerngesellschaft vertraglich verpflichtet hat. In einem solchen Fall erfüllt die Gesellschaft, für die der entsandte Arbeitnehmer tätig wird, nicht die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers.2 In einem solchen Fall besteht das Risiko, dass – durch die Tätigkeit in den Räumlichkeiten des Auftraggebers – die Voraussetzungen für die Begründung einer Betriebsstätte nach den nationalen bzw. abkommensrechtlichen Vorschriften erfüllt werden.
6.196
III. Arbeitnehmerentsendungen i.S.d. VWG-Arbeitnehmerentsendung 1. Abgrenzung des Anwendungsbereichs a) Aufnehmende Konzerneinheit als arbeitsrechtlicher bzw. wirtschaftlicher Arbeitgeber Zivilrechtliche oder wirtschaftliche Arbeitgeberstellung der aufnehmenden Konzerngesellschaft. Die VWG-Arbeitnehmerentsendung gelangen nur auf Entsendungen zur Anwendung, bei denen die aufnehmende Konzerngesellschaft die Voraussetzungen eines zivilrechtlichen oder eines wirtschaftlichen Arbeitgebers erfüllt.3 Hintergrund ist, dass durch den zivilrechtlichen bzw. wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff die Gesellschaft bestimmt wird, die im Innenverhältnis zwischen den verbundenen Unternehmen den Aufwand der Entsendung zu tragen hat.
6.197
Zivilrechtliche Arbeitgeberstellung. Die Überprüfung der zivilrechtlichen Arbeitgeberstellung der aufnehmenden Konzerngesellschaft bereitet in der Praxis i.d.R. keine Schwierigkeiten. Schließt der entsandte Arbeitnehmer im Zuge der Entsendung mit der aufnehmenden Konzerneinheit eine arbeitsvertragliche Vereinbarung ab, erfüllt die aufnehmende Konzerneinheit die Voraussetzungen eines Arbeitgebers i.S.d. Arbeitsrechts. Dies gilt unabhängig davon, ob der bereits bestehende Arbeitsvertrag weiter besteht oder in einen ruhenden Vertrag umgewandelt wird. Komplexer stellt sich in der Praxis regelmäßig die Bestimmung des wirtschaftlichen Arbeitgebers dar.
6.198
Begriff des wirtschaftlichen Arbeitgebers. Bei dem Begriff des wirtschaftlichen Arbeitgebers handelt es sich um eine aus dem Abkommensrecht stammende Begrifflichkeit, die für die Zuordnung des abkommensrechtlichen Besteuerungsrechts bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit von Relevanz ist.4 Auch wenn der Begriff des wirtschaftlichen Arbeitgebers in Art. 15 Abs. 2 Buchst. b OECD-MA nicht ausdrücklich Verwendung findet, geht die h.M. davon aus, dass der in der Vorschrift verwendete Arbeitgeberbegriff in einem „wirtschaftlichen Sinne“ zu verstehen ist.5 Insoweit verweisen die VWG-Arbeitnehmerentsendung für die
6.199
1 So auch Nientimp in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGrArbN. Rz. 11. 2 So auch BR-Drucks. 352/08, 15 zur Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerentsendungen i.S.d. VWG-Arbeitnehmerentsendung, Funktionsverlagerungen und Dienstleistungsverhältnissen. 3 Vgl. VWG ArbN, Tz. 2.1. 4 Vgl. Schmidt, IStR 2006, 78 (79); Neyer, BB 2006, 917 (918). 5 Vgl. Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 116; Endfellner, SWI 2002, 281; Achter, IStR 2003, 410 (411).
Hick | 593
Kap. 6 Rz. 6.199 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
inhaltliche Abgrenzung auch auf das BFH-Urteil v. 21.8.19851. Die Entscheidung betrifft die Zuordnung des abkommensrechtlichen Besteuerungsrechts für die von einem entsandten Arbeitnehmer erzielten Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Im Urteilsfall war streitig, ob die aufnehmende Konzerngesellschaft die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers erfüllt. Danach kommt einer Konzerngesellschaft eine wirtschaftliche Arbeitgeberstellung zu, wenn sie den Arbeitnehmer in ihren Geschäftsbetrieb integriert und zudem den Arbeitslohn des Arbeitnehmers wirtschaftlich trägt.2 Das für die Zuordnung des abkommensrechtlichen Besteuerungsrechts im Bereich der Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit maßgebliche Begriffsverständnis soll nach dem Willen der Finanzverwaltung auch für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der VWG-Arbeitnehmerentsendung gelten.3 Der Umfang der zum wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff ergangenen Rechtsprechung verdeutlicht allerdings, dass in der Praxis die Bestimmung einer wirtschaftlichen Arbeitgeberstellung häufig streitbehaftet ist.4
6.200
Abgrenzung zum lohnsteuerlichen Arbeitgeber. Abzugrenzen ist der Begriff des wirtschaftlichen Arbeitgebers von dem Arbeitgeber i.S.d. Lohnsteuerrechts (§ 1 Abs. 2 LStDV). So dient der lohnsteuerrechtliche Arbeitgeberbegriff allein der Abgrenzung der zur Durchführung des Lohnsteuerabzugs verpflichteten Person nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG. Allerdings zieht der Gesetzgeber seit 2004 den wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff nach § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG bei Inbound-Entsendungen auch für die Abgrenzung der lohnsteuerlichen Einbehaltungsverpflichtungen der aufnehmenden inländischen Konzerngesellschaft heran, falls dieser die Stellung eines wirtschaftlichen Arbeitgebers zukommt.5 Dabei kommt es für eine Einstufung als wirtschaftlicher Arbeitgeber nicht darauf an, ob das inländische aufnehmende Unternehmen tatsächlich mit den Aufwendungen des entsandten Arbeitnehmers belastet wird, wenn bei sachgerechter Anwendung des Grundsatzes des Fremdvergleichs eine Weiterbelastung hätte erfolgen müssen.6 b) Einzelheiten des wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriffs
6.201
Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers. Dem Begriff des „wirtschaftlichen Arbeitgebers“ liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Unternehmen auch dann eine als Arbeitgeber einzustufende Funktion einnehmen kann, wenn der Arbeitnehmer mit der betreffenden Konzerngesellschaft keinen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Insoweit hat der entsandte Arbeitnehmer dann zwei Arbeitgeber, einen zivilrechtlichen und einen wirtschaftlichen Arbeitgeber. Die Einstufung der aufnehmende Konzerngesellschaft im Rahmen einer
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Vgl. BFH v. 21.8.1985 – I R 63/80, BStBl. II 1986, 4. So zuletzt auch BFH v. 4.11.2021 – VI R 22/19, DB 2022, 911. So auch Kroppen/Rasch/Roeder, IWB 2002, 1821 (1824); Görl, IStR 2002, 443 (444). Vgl. BFH v. 18.5.2010 – I B 204/09, BFH/NV 2010, 1636; v. 18.12.2002 – I R 96/01, IStR 2003, 538; v. 4.9.2002 – I R 21/01, BStBl. II 2003, 307 = FR 2003, 262; v. 5.9.2001 – I R 55/00, IStR 2002, 165; v. 27.4.2000 – I B 114/99, IStR 2000, 569; v. 15.3.2000 – I R 28/99, FR 2000, 886 = IStR 2000, 408; v. 24.3.1999 – I R 64/98, FR 2000, 211 = IStR 2000, 104; v. 21.8.1985 – I R 63/80, BStBl. II 1986, 6; v. 29.1.1986 – I R 109/85, BStBl. II 1986, 443 = FR 1986, 364 sowie FG Saarland v. 25.7.2013 – 1 V 1184/13, EFG 2013 1706, rkr; FG München v. 22.4.2016 – 8 K 3290/14, rkr., DStRE 2018, 468; FG Thüringen v. 13.12.2018 – 3 K 795/16, nrkr., Az. VI R 22/19, juris. 5 Vgl. BFH v. 10.5.2006 – IX R 82/98, BStBl. II 2006, 669 = FR 2006, 833. 6 So zumindest die auf Grund der Verschärfung des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG mit Wirkung ab dem 1.1.2020 zu beachtende Rechtslage. Siehe auch Hick, DB 2019, 2100. Für die Vorjahre war dies allerdings streitig. S. hierzu FG München v. 22.4.2016 – 8 K 3290/14, rkr., DStRE 2018, 468.
594 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.203 Kap. 6
Arbeitnehmerentsendung als wirtschaftlicher Arbeitgeber ist – nach der Verwaltungsauffassung – daran geknüpft, dass sie den Arbeitnehmer in ihren Geschäftsbetrieb integriert, weisungsbefugt ist und die Vergütungen für die geleistete nichtselbständige Tätigkeit wirtschaftlich trägt.1 Wirtschaftliches Tragen der Vergütung des entsandten Arbeitnehmers. Für die Beurteilung, ob eine Konzerngesellschaft die Vergütungen des entsandten Arbeitnehmers wirtschaftlich trägt, kommt es wesentlich auf die Behandlung des Aufwandes der Entsendung im Rahmen der Einkunftsabgrenzung an. Ist im Rahmen einer konzerninternen Entsendung eine Konzerngesellschaft nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs mit dem Aufwand der Entsendung zu belasten, erfüllt die Gesellschaft die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es für ein „wirtschaftliches Tragen“ der Vergütung des entsandten Arbeitnehmers weder einer förmlichen Änderung des mit dem Arbeitnehmer abgeschlossenen Dienstvertrages noch einer im Vorhinein abgeschlossenen Verrechnungspreisabrede zwischen dem entsendenden und dem aufnehmenden Unternehmen bedarf.2 Die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers liegen insoweit nicht vor, falls eine Gesellschaft gegenüber dem entsandten Arbeitnehmer allein die Auszahlung des Arbeitslohns i.S. einer „Zahlstellenfunktion“ übernimmt.3 Wobei das Kriterium des wirtschaftlichen Tragens der Aufwendungen der Entsendung nach der Verwaltungsauffassung bereits dann erfüllt sein soll, wenn das aufnehmende Unternehmen nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs den Aufwand hätte tragen müssen. D.h. nach der Verwaltungsauffassung soll es auf eine tatsächliche Belastung des aufnehmenden Unternehmens mit den Kosten des entsandten Arbeitnehmers nicht ankommen.4
6.202
Keine Reduktion des wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriffs auf die Übernahme der Kosten der Entsendung. Der wirtschaftliche Arbeitgeberbegriff kann allerdings nicht allein auf die Übernahme der Kosten der Entsendung reduziert werden. Dies gilt unabhängig davon, ob unmittelbar die Auszahlung des Arbeitslohns durch die aufnehmende Konzerngesellschaft erfolgt, oder eine andere Konzerngesellschaft mit den Vergütungen in Vorlage tritt. Denn neben der Kostentragung setzt der wirtschaftliche Arbeitgeberbegriff auch voraus, dass der Arbeitnehmer unter der Leitung des aufnehmenden Unternehmens steht und dessen Weisungen unterworfen ist.5 Dies bedeutet für die Praxis, dass die wirtschaftliche Arbeitgeberstellung einer Konzerngesellschaft nicht allein durch die Zuordnung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung begründet werden kann. Vielmehr kommt es darauf an, ob das aufnehmende Unternehmen auch die Verantwortung bzw. das Risiko für die durch die Tätigkeit des Arbeitnehmers erzielten Ergebnisse trägt. Somit muss in einem gewissen Umfang auch eine Integration des entsandten Arbeitnehmers in das Unternehmen des wirtschaftlichen Arbeitgebers vorliegen. In der Regel dürfte es bei kurzfristigen Entsendungen an einer Integration des entsandten Arbeitnehmers in das aufnehmende Unternehmen fehlen. Andererseits kann eine Einstufung als wirtschaftlicher Arbeitgeber allein durch einen bewussten Verzicht auf die Weiterbelastung der Aufwendungen einer Arbeitnehmerentsendung auch nicht verhindert werden.
6.203
1 2 3 4 5
Vgl. VWG ArbN, Tz. 2.2. Vgl. BFH v. 23.2.2005 – I R 46/03, BStBl. II 2005, 547 = FR 2005, 951. Vgl. BFH v. 21.7.1999 – I R 71/98, FR 2000, 323 = DStR 2000, 276. Vgl. hierzu auch BMF v. 3.5.2018 – IV B 2-S 1300/08/10027, BStBl. I 2018, 643, Rz. 132. Vgl. BMF v. 3.5.2018 – IV B 2-S 1300/08/10027, BStBl. I 2018, 643, Rz. 132–133.
Hick | 595
Kap. 6 Rz. 6.204 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.204
Weitergehende Kriterien für die Bestimmung der wirtschaftlichen Arbeitgeberstellung. In der Praxis erfordert die Überprüfung der wirtschaftlichen Arbeitgeberstellung des aufnehmenden Unternehmens eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände. Häufig ist in der Praxis fraglich, ob das Kriterium der Integration des entsandten Arbeitnehmers in das aufnehmende Unternehmen erfüllt ist. Dabei kann es von Bedeutung sein, ob das aufnehmende oder das entsendende Unternehmen über die Art und Umfang der täglichen Arbeit, die Höhe der Bezüge, die Teilnahme an einer betrieblichen Altersvorsorge und den Einbezug in ein Mitarbeiterbeteiligungsprogramm entscheidet.1 Wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass sich die Stellung eines wirtschaftlichen Arbeitgebers gerade dadurch auszeichnet, dass der wirtschaftliche Arbeitgeber gegenüber dem entsandten Arbeitnehmer Rechte geltend macht, die ansonsten nur dem zivilrechtlichen Arbeitgeber zustehen.
6.205
Vermutung hinsichtlich der Arbeitgeberstellung. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass bei einer Entsendung von mehr als drei Monaten eine Integration des entsandten Arbeitnehmers in das aufnehmende Unternehmen gegeben ist.2 Um Gestaltungen im Zusammenhang mit der Frist von drei Monaten zu vermeiden, geht die Finanzverwaltung auch dann von einer Integration aus, wenn der Arbeitnehmer zwar weniger als drei Monate für das aufnehmende Unternehmen tätig wird, sich dies aber mehrfach wiederholt. Allerdings lassen die VWG-Arbeitnehmerentsendung offen, unter welchen Voraussetzungen eine dauerhafte Wiederholung der Einsatztätigkeit anzunehmen ist.
6.206
Keine wirtschaftliche Arbeitgeberstellung im Rahmen eines Leistungsaustauschs. Erfolgt die Auslandstätigkeit des Arbeitnehmers im Rahmen eines Leistungsaustauschs, kann die Konzerngesellschaft, für die der Arbeitnehmer tätig wird, nicht die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Arbeitgebers erfüllen. Die Integration des Arbeitnehmers in das Unternehmen des Auftraggebers scheitert i.d.R. bereits daran, dass der Einsatz des Arbeitnehmers der Durchführung einer in zeitlicher und sachlicher Hinsicht abgegrenzten Aufgabe dient. Weiterhin ist der Auftraggeber gegenüber dem Arbeitnehmer auch nicht weisungsbefugt. Nur soweit dies von dem mit dem Auftragnehmer bestehenden Werk- bzw. Dienstleistungsvertrag gedeckt ist, kann der Auftraggeber dem Arbeitnehmer Anweisungen erteilen. Hinzu kommt, dass der Auftraggeber die Vergütungen des Arbeitnehmers auch nicht wirtschaftlich trägt. Denn dem Auftraggeber wird für die erbrachte Werk- bzw. Dienstleistung ein Entgelt in Rechnung gestellt, dass auch eine Gewinnkomponente aufweist. Die Vergütungen des Arbeitnehmers bilden dabei lediglich einen Preisbestandteil dieses Entgelts. c) Aufteilung des originären Aufwands der Entsendung
6.207
Fremdvergleichsgrundsatz als Maßstab für die Zuordnung des Aufwandes der Entsendung. Bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen ist nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes über die Aufteilung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung zwischen den Konzerngesellschaften zu entscheiden.
6.208
Originärer Aufwand des zivilrechtlichen bzw. wirtschaftlichen Arbeitgebers. Bei dem nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs von einer Konzerngesellschaft zu tragenden Entsendungsaufwand handelt es sich um originären Aufwand des zivilrechtlichen bzw. wirtschaftlichen Arbeitgebers. Dies hat zur Folge, dass nur eine Weiterverrechnung des Aufwands der Arbeitnehmerentsendung ohne Gewinnaufschlag zulässig ist. Einer Weiterbelastung mit Ge1 Vgl. hierzu auch BMF v. 3.5.2018 – IV B 2-S 1300/08/10027, BStBl. I 2018, 643, Rz. 134. 2 Vgl. VWG ArbN, Tz. 2.2.
596 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.211 Kap. 6
winnaufschlag steht entgegen, dass einer Arbeitnehmerentsendung kein Leistungsaustausch zwischen den Konzerngesellschaften auf einer schuldrechtlichen Grundlage zugrunde liegt. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft einen Arbeitsvertrag abschließt oder die Entsendung im Rahmen des bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses erfolgt.
2. Nicht von den Verwaltungsgrundsätzen erfasste Entsendungen Entsendungen auf der Grundlage eines Werk- und Dienstvertrages. Ausgenommen von dem Anwendungsbereich der VWG-Arbeitnehmerentsendung sind Entsendungen auf der Grundlage eines zwischen der entsendenden und der aufnehmenden Konzerneinheit abgeschlossenen Werk- bzw. Dienstvertrages. In diesen Fällen bildet die Entsendung des Arbeitnehmers einen Bestandteil der gegenüber der aufnehmenden Konzerngesellschaft geschuldeten Leistung. Die entsendende Konzerngesellschaft setzt den Arbeitnehmer ein, um eine gegenüber einer anderen Konzerngesellschaft geschuldete Leistung zu erfüllen.
6.209
Abrechnung der Leistungen. Die im Zusammenhang mit der Entsendung des Arbeitnehmers anfallenden Aufwendungen bilden einen Preisbestandteil der gegenüber dem Auftraggeber abgerechneten Leistungen. Es gelten insoweit die Grundsätze für die Bestimmung von Verrechnungspreisen bei Dienstleistungsentgelten (vgl. hierzu ausführlich Rz. 6.87 ff.). Das zu verrechnende Dienstleistungsentgelt beinhaltet daher auch eine Gewinnkomponente.
6.210
Risiko einer Betriebsstättenbegründung durch das entsendende Unternehmen. Dient der Einsatz des entsandten Arbeitnehmers der Erfüllung einer Werk- bzw. Dienstleistungsverpflichtung des entsendenden Unternehmens, kann es hierdurch zu der Begründung einer Betriebsstätte durch das entsendende Unternehmen im Staat der Leistungserbringung nach den nationalen bzw. abkommensrechtlichen Vorschriften für die Begründung einer festen Geschäftseinrichtung1 kommen.
6.211
Praktisch relevant ist v.a. die Begründung einer festen Geschäftseinrichtung nach der entsprechenden Betriebsstättendefinition des nationalen Rechts bzw. des jeweiligen Länderabkommens durch die Nutzung von Räumlichkeiten des Auftraggebers (sog. Mitnutzungstatbestände). Die Relevanz der Begründung einer Betriebsstätte durch die Erfüllung eines Mitnutzungstatbestandes ist darin zu sehen, dass (entsprechend § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) ein Anknüpfungspunkt für die Besteuerung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht verwirklicht wird und hieraus die Notwendigkeit einer Betriebsstättengewinnabgrenzung resultiert.2 In Bezug auf die Zuordnung des Besteuerungsrechts für die Arbeitslohnzahlungen der eingesetzten Mitarbeiter kann die Begründung einer Betriebsstätte zudem zur Folge haben, dass dem Tätigkeitsstaat (auch im DBA-Fall) – von dem ersten Tag an – das Besteuerungsrecht für die Tätigkeitsvergütungen der zur Leistungserbringung eingesetzten Mitarbeiter zusteht. Zudem wird – entsprechend § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG – ein Anknüpfungspunkt für die Verpflichtung zum Lohnsteuereinbehalt begründet. In der Praxis besteht daher regelmäßig die Zielsetzung, die Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden. Hierzu eigenen sich entweder kurzfristige Einsätze (von weniger als sechs Monaten) oder die Vermeidung einer ständigen Verfügungsmacht über Räumlichkeiten des Auftraggebers. Neben der Begründung einer Betriebsstätte in Form einer festen Geschäftseinrichtung ist auch die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte
1 Entsprechend § 12 AO und Art. 5 OECD-MA. 2 Vgl. Becker/Bohn, DB 2013, 1195.
Hick | 597
Kap. 6 Rz. 6.211 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
denkbar.1 Tatbestandlich setzt die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte allerdings voraus, dass die Vertretung nachhaltig erfolgt. Nachhaltig ist eine Vertretung aber nur dann, wenn die Vertretung planvoll angelegt ist und auf eine gewisse Dauer erfolgt.2 Die wohl h.M. spricht sich dafür aus, dass die Vertretung über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erfolgen muss. Einzelne im Inland getätigte Geschäftsabschlüsse reichen für die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte somit nicht aus.3
6.212
Voraussetzungen einer Betriebsstättenbegründung bei Tätigkeiten in den Räumlichkeiten des Auftraggebers. Aus deutscher Sicht kann im Rahmen einer Inlandsentsendung die Begründung einer Betriebsstätte in Form einer festen Geschäftseinrichtung i.S.d. § 12 AO erfolgen, wenn dem entsendenden Unternehmen zur Ausübung seiner Tätigkeit Räumlichkeiten des Auftragnehmers zur Nutzung zur Verfügung stehen. Erforderlich ist, dass der Auftragnehmer eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über die von ihm genutzte Geschäftseinrichtung oder Anlage hat.4 Allein das bloße Tätigwerden in den Räumlichkeiten des Auftraggebers reicht allerdings nicht aus, um die erforderliche Verfügungsmacht zu begründen.5 Vielmehr müssen weitere Umstände den Schluss auf eine örtliche Verfestigung der Tätigkeit zulassen.6
IV. Ermittlung des Gesamtaufwands einer Arbeitnehmerentsendung 6.213
Gegenstand einer potenziellen Korrektur. Bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen bildet der gesamte Aufwand, der durch den entsandten Arbeitnehmer veranlasst ist, den Gegenstand einer potenziellen Gewinnkorrektur bei dem aufnehmenden bzw. entsendenden Unternehmen. Der Gesamtaufwand der Entsendung setzt sich aus allen direkten bzw. indirekten Aufwendungen zusammen, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Entsendung stehen und entweder bei dem entsendenden oder bei dem aufnehmenden Unternehmen angefallen sind.7 Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die als Aufwand der Entsendung qualifizierten Aufwendungen zu den Einkünften des Arbeitnehmers aus nichtselbstständiger Arbeit zählen.8
6.214
Direkter und indirekter Aufwand der Entsendung. Während die direkten Aufwendungen unmittelbar einer einzelnen Entsendung zugeordnet werden können, kann eine Zuordnung der indirekten Aufwendungen nur anhand eines Aufteilungsschlüssels erfolgen. Zu den indirekten Aufwendungen der Entsendung kann bspw. der Personalaufwand zählen, der für die Personalabteilung anfällt. Als Aufteilungsgröße kommt dann bspw. die Anzahl der entsandten Arbeitnehmer im Vergleich zu der Gesamtzahl der beschäftigten Arbeitnehmer in Betracht.
1 Zu Einzelheiten der Begründung einer Vertreterbetriebsstätte vgl. Heinsen in Gosch, § 13 AO Rz. 8 ff. sowie BFH v. 23.10.2018 – I R 54/16, DStR 2019, 914. 2 Vgl. Musil in H/H/Sp, § 13 AO Rz. 9. 3 Vgl. Heinsen in Gosch, § 13 AO Rz. 5. 4 Vgl. BFH v. 23.5.2002 – III R 8/00, BStBl. II 2002, 512 = FR 2002, 1321; v. 13.9.2000 – X R 174/96, BStBl. II 2001, 734 = FR 2001, 420. 5 Vgl. BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922; BFH v. 22.4.2009 – I B 196/08, BFH/NV 2009, 1588; so auch OFD Karlsruhe v. 16.9.2014, S 130.1/316-St 222, juris. 6 Vgl. BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922 = FR 2009, 192; v. 31.1.2012 – I B 110/11, juris. 7 Vgl. VWG ArbN, Tz. 2.3. 8 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IWB, F. 3 Gr. 1, 1857 (1858).
598 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.217 Kap. 6
Ermittlung des Gesamtaufwands einer Entsendung. Im Rahmen einer Entsendung abgeschlossene Vergütungsvereinbarungen zeichnen sich dadurch aus, dass neben den Gehaltszahlungen zahlreiche Zusatzleistungen und Sachbezüge gewährt werden. Zu dem Entsendungsaufwand zählen das Grundgehalt, einmalige Bezüge wie Abfindungen und Boni, Sonderzahlungen in Form von Weihnachts- und Urlaubsgeld, Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung des Arbeitnehmers, die Teilnahme an Aktienoptionsprogrammen1 sowie vom Arbeitgeber übernommene Sozialversicherungsbeiträge. Ergänzt werden diese Zahlungen durch besondere vom Arbeitgeber gewährte Zusatzleistungen wie Umzugs- und Reisebeihilfen, Auslandszulagen (Lebenshaltungskostenzuschuss, Erschwerniszulage), Erstattung von Mehraufwendungen bei doppelter Haushaltsführung, zinsfreie bzw. verbilligte Arbeitgeberdarlehen, Zuschüsse zu den Mietzahlungen, Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, Übernahme von Versicherungsbeiträgen,2 Übernahme von Steuerberatungskosten,3 Kosten für Sprachunterricht, Aufwendungen für die Unterbringung und Betreuung der Kinder des Arbeitnehmers, Übernahme von Schulgebühren im Ausland, Kosten für die Beantragung von Genehmigungen (insb. Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis). Häufig wird auch ein Steuerausgleich für eine vom deutschen Niveau abweichende Steuerbelastung gewährt, der als zusätzlicher Gehaltsaufwand den Entsendungsaufwand erhöht.
6.215
V. Beurteilungskriterien im Rahmen der Einkunftsabgrenzung 1. Betriebliche Veranlassung entsendungsbedingter Aufwendungen Betriebliche Veranlassung des Aufwands der Entsendung. Für eine inländische Konzerngesellschaft steht die steuerliche Abzugsfähigkeit des Aufwands einer Arbeitnehmerentsendung unter dem Vorbehalt der betrieblichen Veranlassung i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG.4 Die betriebliche Veranlassung ist bei Aufwendungen gegeben, die in einem objektiven Zusammenhang mit dem Betrieb stehen und subjektiv dazu geeignet sind, den Betrieb zu fördern.5 Bei konzerninternen Entsendungen sind diese beiden Kriterien allerdings regelmäßig nur bedingt aussagekräftig. Aufgrund des fehlenden Interessengegensatzes sind die beiden Kriterien gestaltbar.
6.216
Konkretisierung des Veranlassungsprinzips. Bei konzerninternen Entsendungen ist das Veranlassungsprinzip durch den Grundsatz des Fremdvergleichs zu konkretisieren.6 Hierdurch ist zu klären, bei welcher Einheit die Aufwendungen betrieblich veranlasst sind. Als Hilfskriterium im Rahmen der Prüfung der betrieblichen Veranlassung der Aufwendungen dient im Rahmen der Einkunftsabgrenzung dem Grunde nach die Feststellung, in wessen Interesse die Entsendung des Arbeitnehmers erfolgt.7 Durch die Bestimmung der Interessenlage wird die
6.217
1 Zur Ermittlung des Aufwands aus der Gewährung von Optionsrechten vgl. Herzig, DB 1999, 1 ff.; Siegel, WPg 2003, 157 ff. sowie BFH v. 25.8.2010 – I R 103/09, BStBl. II 2011, 215 = FR 2011, 231. 2 Zur Lohnsteuerpflicht von Beiträgen für eine Gruppenkrankenversicherung vgl. BFH v. 14.4.2011 – VI R 24/10, BStBl. II 2011, 767 = FR 2011, 774. 3 Wobei die Übernahme von Steuerberatungskosten durch den Arbeitgeber im Fall einer Nettolohnvereinbarung – auf Grund des eigenbetrieblichen Interesses des Arbeitgebers an der Minderung durch die Entsendung bedingter Steuerlasten – nicht zum Arbeitslohn des Arbeitnehmers zählt. S. hierzu BFH v. 9.5.2019 – VI R 28/17, BStBl. II 2019, 785 sowie Hick, FR 2019, 925. 4 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, 1997, 105. 5 Vgl. Stapperfend in H/H/R, § 4 EStG Rz. 790 ff. sowie BFH v. 19.7.2018 – IV R 14/16, BFH/NV 2018, 1336. 6 Vgl. Wassermeyer, DB 2001, 2465 (2467); Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 287. 7 Vgl. Schnorrberger/Waldens, IStR 2001, 39 (41).
Hick | 599
Kap. 6 Rz. 6.217 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
praktische Umsetzung des Kriteriums der betrieblichen Veranlassung verbessert. Festzustellen ist, ob und in welchem Umfang bei der entsendenden Konzerneinheit oder der aufnehmenden Konzerneinheit ein betriebliches Interesse an der Entsendung des Arbeitnehmers besteht.
6.218
Maßgeblichkeit des Kriteriums der Interessenlage dem Grunde und der Höhe nach. Das Kriterium der „Interessenlage“ kommt sowohl im Rahmen der Einkunftsabgrenzung dem Grunde als auch der Höhe nach zur Anwendung. Im Rahmen der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach ist die Feststellung zu treffen, ob die Höhe der Aufwendungen der Entsendung einen Schluss auf die der Entsendung zugrunde liegende Interessenlage zulassen.
6.219
Bedeutung der Interessenlage dem Grunde nach. Die Praxis zeigt, dass i.d.R. bereits anhand der Bestimmung der Interessenlage der Entsendung dem Grunde nach eine eindeutige Abgrenzung erfolgen kann, ob die Aufwendungen von der entsendenden oder der aufnehmenden Gesellschaft zu tragen sind. Allerdings ist hier zwischen Inbound- und Outboundentsendungen zu differenzieren.
6.220
Interessenlage bei Outboundentsendungen. Kann bei einer Outboundentsendung im Rahmen der Einkunftsabgrenzung dem Grunde nach die Feststellung getroffen werden, dass die Entsendung ausschließlich im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft erfolgt, ist diese auch mit dem gesamten Aufwand der Entsendung zu belasten. Vor dem Hintergrund, dass das deutsche Besteuerungssubstrat durch den Aufwand der Arbeitnehmerentsendung nicht gemindert wird, spielt die Höhe der für den entsandten Arbeitnehmer anfallenden Aufwendungen für den deutschen Fiskus dann keine entscheidende Rolle.
6.221
Erweiterter Prüfungsansatz bei Inboundentsendungen. Bei Inboundentsendungen vertritt die Finanzverwaltung hingegen einen erweiterten Prüfungsansatz. Aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung ist auch bei Arbeitnehmern, die dem Grunde nach im Interesse der inländischen Konzerngesellschaft tätig werden, die Höhe der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung von Interesse. So stellt die Finanzverwaltung in den VWG-Arbeitnehmerentsendung die Vermutung auf, dass der ordentliche Geschäftsleiter eines inländischen unabhängigen Unternehmens nur Personal beschäftigen würde, das er für seinen Betrieb benötigt, und nur den Aufwand tragen würde, der bei der Beschäftigung eines vergleichbaren Arbeitnehmers anfallen würde.1 Bei Inboundentsendungen stellt die Finanzverwaltung insoweit die widerlegbare Vermutung auf, dass die höheren Aufwendungen für einen entsandten Arbeitnehmer durch die ausländische entsendende Gesellschaft veranlasst sind. Aus systematischen Gründen ist die Sichtweise der Finanzverwaltung abzulehnen.2 Denn richtigerweise ist der Fremdvergleichsgrundsatz als solcher bei einem Inbound- und Outbound-Sachverhalt – wovon zwischenzeitlich auch die Finanzverwaltung3 ausgeht – gleichlautend auszulegen.
2. Ermittlung der Interessenlage einer Entsendung a) Vermutungen hinsichtlich der Interessenlage
6.222
Grundsätze für die Bestimmung der Interessenlage. Die durch eine Entsendung veranlassten Aufwendungen sind von der Einheit zu tragen, in deren betrieblichem Interesse die Entsendung erfolgt.4 Dabei wird unterschieden, ob die Entsendung ausschließlich im betriebli1 2 3 4
Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.1.2. So auch Dworaczek/Herda/von Gruchalla Wesierski in V/B/B, Verrechnungspreise5, T Tz. 19. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.3. Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.1. So auch schon Kratzenberg, StBp. 1989, 205.
600 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.226 Kap. 6
chen Interesse der entsendenden oder der aufnehmenden Konzerngesellschaft erfolgt. Anzutreffen sind zudem Entsendungen, denen hinsichtlich der betrieblichen Veranlassung eine gespaltene Interessenlage zugrunde liegt. Widerlegbare Vermutung der VWG-Arbeitnehmerentsendung hinsichtlich der Interessenlage. Nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung besteht, gestützt auf die BFH-Entscheidung v. 3.2.19931, die widerlegbare Vermutung, dass die Entsendung eines Arbeitnehmers regelmäßig im betrieblichen Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft erfolgt.2 Auf der Grundlage dieser Vermutung geht die Finanzverwaltung ferner davon aus, dass die aus einer Entsendung resultierenden Aufwendungen im Grundsatz durch die aufnehmende Konzerngesellschaft veranlasst sind. Auf die der Entsendung zugrunde liegende Entsendungsstruktur kommt es dabei nicht an. D.h. es kommt nicht darauf an, ob die aufnehmende Konzerngesellschaft mit dem entsandten Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag abschließt oder der Arbeitnehmer der aufnehmenden Konzerngesellschaft zur Arbeitsleistung lediglich überlassen wird.
6.223
Vermutung hinsichtlich der Interessenlage bei Inboundentsendungen. Bei Entsendungen nach Deutschland besteht insoweit eine Vermutung für die betriebliche Veranlassung des Entsendungsaufwands auf Ebene der inländischen Konzerngesellschaft.
6.224
Nachweis des wirtschaftlichen Interesses bei Outboundentsendungen. Beabsichtigt hingegen bei Auslandsentsendungen die entsendende Konzerngesellschaft den Entsendungsaufwand zu tragen, geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die inländische Gesellschaft ihr Interesse an der Entsendung nachzuweisen hat.3
6.225
b) Kriterien für die Beurteilung der Interessenlage Zusammenstellung der Kriterien für die Beurteilung der Interessenlage. In Tz. 3.3 der VWG-Arbeitnehmerentsendung hat die Finanzverwaltung die für eine Beurteilung der Interessenlage heranzuziehenden Kriterien zusammengestellt. Aus den von der Finanzverwaltung angeführten Kriterien wird ersichtlich, dass die Interessenlage durch eine Vielzahl von Merkmalen bestimmt wird. Eine inhaltliche Ordnung und Gewichtung weist die Zusammenstellung hingegen nicht auf. Auch erfolgt keine Differenzierung, ob die Kriterien im Rahmen der Einkunftsabgrenzung dem Grunde oder der Höhe nach zur Anwendung gelangen sollen. Verzichtet wurde auch auf eine Gewichtung der angeführten Kriterien. So enthält die Aufstellung Kriterien, die für die Beurteilung der Interessenlage ausschlaggebende Bedeutung entfalten. Dies gilt bspw. für die Feststellung, dass der Arbeitnehmer im gesellschaftsrechtlichen Interesse der Muttergesellschaft tätig wird. Aus einigen Kriterien können dagegen lediglich Indizien für die Beurteilung der Interessenlage abgeleitet werden. In der Praxis hat daher eine Ermittlung und Bewertung der im Einzelfall gegebenen Umstände zu erfolgen. In systematischer Hinsicht lassen sich die Kriterien wie folgt systematisieren: – funktionsbezogene Kriterien der Entsendung, – organisatorische Abwicklung der Entsendung sowie – die Höhe des Entsendungsaufwandes.
1 BFH v. 3.2.1993 – I R 80-81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336. 2 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.1.1. 3 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.1.1.
Hick | 601
6.226
Kap. 6 Rz. 6.227 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.227
Funktionsbezogene Kriterien der Entsendung. Zunächst ist zu ermitteln, welche Funktionen und Aufgaben der entsandte Arbeitnehmer im Rahmen der Entsendung übernehmen soll. Den ermittelten Funktionen sind die Eigenschaften des entsandten Arbeitnehmers gegenüberzustellen. Neben der beruflichen Ausbildung des Arbeitnehmers sind dabei auch die Sprachkenntnisse von Relevanz. In der Praxis können durch eine Funktionsanalyse regelmäßig erste Hinweise auf die der Entsendung zugrundeliegende Interessenlage gewonnen werden.
6.228
Organisatorische Abwicklung der Entsendung. Im Zusammenhang mit der organisatorischen Abwicklung der Entsendung steht zunächst die zivilrechtliche Ausgestaltung der Entsendung im Vordergrund. Dies gilt zunächst im Verhältnis zu dem entsandten Arbeitnehmer. So kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft einen Arbeitsvertrag abschließt oder die Entsendung im Rahmen des mit der entsendenden Gesellschaft fortbestehenden Arbeitsverhältnisses erfolgt. Zudem kommt es auch darauf an, ob zwischen dem entsendenden und dem aufnehmenden Unternehmen Absprachen betreffend die Übernahme der Aufwendungen der Entsendung bestehen. Daneben ist aber auch die Frage von Bedeutung, von welchem Unternehmen die Initiative für die Entsendung ausging. Auch kann es von Bedeutung sein, ob der Einsatz des Arbeitnehmers einzelprojektbezogen ist.
6.229
Höhe des Aufwands der Entsendung. Die Höhe des Entsendungsaufwandes wird für einen Vergleich mit den Aufwendungen eines auf dem lokalen Arbeitsmarkt beschäftigten Arbeitnehmers herangezogen. Aussagefähig ist diese Größe allerdings nur dann, wenn auf dem Arbeitsmarkt der aufnehmenden Gesellschaft entsprechend qualifizierte Arbeitnehmer zur Verfügung stehen.
6.230
Mangelnde Aussagefähigkeit des Anteils entsandter Arbeitnehmer im Verhältnis zur Gesamtbelegschaft. Die Aufstellung in Tz. 3.3. der VWG-Arbeitnehmerentsendung weist allerdings auch Kriterien auf, deren Aussagefähigkeit fraglich ist. So lässt bspw. der Anteil entsandter Arbeitnehmer an der Gesamtbelegschaft keine Aussage darüber zu, welche Konzerngesellschaft mit dem Aufwand einer einzelnen Entsendung zu belasten ist. Ein hoher Anteil entsandter Arbeitnehmer wird vielmehr regelmäßig darauf beruhen, dass entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte auf dem lokalen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Ein Zusammenhang zwischen den Aufwendungen für einen entsandten Arbeitnehmer und seinem Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens wird sich regelmäßig nicht in quantifizierbarer Form herstellen lassen. Ein solcher Zusammenhang ist allenfalls im Bereich der Entsendung von Geschäftsführern und leitenden Angestellten denkbar. Wobei auch in diesen Fällen eine Quantifizierung in der Praxis schwierig ist.
VI. Auswirkungen der Aufwandszuordnung für die Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit 6.231
Abkommensrechtliche Zuordnung des Besteuerungsrechts für die Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Aus der Zuordnung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung können Folgen für die Zuordnung des Besteuerungsrechts für die von dem entsandten Arbeitnehmer erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit resultieren.1 Vor diesem Hintergrund vertritt die Finanzverwaltung in dem zur abkommensrechtlichen Behandlung des Arbeitslohns nach den DBA ergangenen BMF-Schreiben v. 3.5.2018 eine den VWG-Arbeitnehmerentsendung entsprechende Auslegung des Begriffs des wirtschaftlichen Arbeit-
1 Vgl. hierzu auch Mosbach, Ubg 2008, 675 (677).
602 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.234 Kap. 6
gebers.1 Dies ist auch dadurch begründet, dass die für die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit anzuwendende Verteilungsnorm des anzuwendenden Länderabkommens häufig Art. 15 OECD-MA nachgebildet ist.2 Nach Art. 15 OECD-MA steht dem Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zu, sobald durch den zeitlichen Umfang der Tätigkeit im Tätigkeitsstaat die Grenze von 183 Tagen überschritten wird (Art. 15 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA) oder die Gehaltszahlungen das Steueraufkommen eines im Tätigkeitsstaat ansässigen wirtschaftlichen Arbeitgebers mindern (Art. 15 Abs. 2 Buchst. b und c OECD-MA).3 Unterschreitet die Dauer der Entsendung die Zeitgrenze4 von 183 Tagen, ist insoweit von Bedeutung, ob die aufnehmende Konzerngesellschaft die Stellung eines wirtschaftlichen Arbeitgebers einnimmt.5 Ist dies der Fall, steht von dem ersten Tag der Auslandstätigkeit an dem Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zu. Wirtschaftliches Tragen der Aufwendungen für entsandte Arbeitnehmer. Im Rahmen der Einkunftsabgrenzung ist die Frage zu beantworten, ob die aufnehmende Konzerngesellschaft mit dem Aufwand der Entsendung zu belasten ist. Mit der Entscheidung über die Weiterbelastung der Aufwendungen der Entsendung wird damit auch zugleich entschieden, ob die aufnehmende Konzerngesellschaft die Aufwendungen des entsandten Arbeitnehmers i.S.d. Art. 15 Abs. 2 Buchst. b OECD-MA wirtschaftlich trägt.6 So erfolgt bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen eine Weiterbelastung des Entsendungsaufwands im Wege der Einzelverrechnung. Die Verrechnung eines Gewinnaufschlags unterbleibt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das aufnehmende Unternehmen die Vergütungen an den entsandten Arbeitnehmer unmittelbar auszahlt, oder ein anderes Unternehmen zunächst in Vorlage tritt.
6.232
Kein wirtschaftliches Tragen in den Fällen eines Leistungsaustauschs. Anders gelagert ist die Situation allerdings bei Entsendungen im Rahmen eines Leistungsaustauschs. In diesem Fall bilden die für den entsandten Arbeitnehmer anfallenden Aufwendungen einen unselbstständigen Bestandteil des vereinbarten Dienst- bzw. Werklohns. Die aufnehmende Konzerngesellschaft kann daher nicht als wirtschaftlicher Arbeitgeber i.S.d. Art. 15 Abs. 2 Buchst. b OECD-MA eingestuft werden. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Belastung mit den Werk- bzw. Dienstleistungsentgelten im Rahmen einer Einzelverrechnung oder eines Kostenumlageverfahrens erfolgt. Insoweit steht dem Tätigkeitsstaat des Arbeitnehmers nur dann das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Arbeitnehmereinkünfte zu, falls die Dauer der Entsendung die Frist von 183 Tagen übersteigt.
6.233
VII. Einkunftsabgrenzung dem Grunde nach verlangt Ermittlung der Interessenlage der Entsendung 1. Entsendungen im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft Eigenes Interesse der aufnehmenden Gesellschaft an der Entsendung. Die VWG-Arbeitnehmerentsendung gehen, gestützt auf die BFH-Entscheidung v. 3.2.19937, davon aus, dass das aufnehmende Unternehmen stets ein eigenes Interesse an der Entsendung des Arbeitneh1 2 3 4
BMF v. 3.5.2018 – IV B 2-S 1300/08/10027, BStBl. I 2018, 643. Vgl. Bourseaux/Sendler in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 15 OECD-MA Rz. 7 ff. S. hierzu auch BFH v. 23.2.2005 – I R 46/03, BStBl. II 2005, 547. Zur Zählweise nach dem DBA-Frankreich vgl. BFH v. 12.10.2011 – I R 15/11, FR 2012, 738 = BFH/NV 2012, 640. 5 Vgl. BMF v. 3.5.2018 – IV B 2-S 1300/08/10027, BStBl. I 2018, 643 Rz. 128 ff. 6 Die deutsche FinVerw. geht allerdings davon aus, dass das Kriterium des wirtschaftlichen Tragens der Vergütung nicht zwingend eine Kostenweiterbelastung erfordert. S. hierzu Rz. 6.202. 7 Vgl. BFH v. 3.2.1993 – I R 80-81/91, BStBl. II 1993, 462 = FR 1993, 336.
Hick | 603
6.234
Kap. 6 Rz. 6.234 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
mers hat.1 Ein Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft an der Entsendung eines Arbeitnehmers setzt allerdings weitergehend voraus, dass die aufnehmende Gesellschaft den Arbeitnehmer zu ihrem wirtschaftlichen Vorteil in den Geschäftsbetrieb integrieren kann. Maßstab bildet insoweit die Handlungsweise eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters eines unabhängigen Unternehmens, der nur das Personal beschäftigen würde, das er tatsächlich für seine betrieblichen Zwecke benötigt. Sofern es sich bei dem entsendenden Unternehmen um eine Muttergesellschaft handelt, geht es insoweit um die Abgrenzungsfrage, ob die von dem entsandten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten im Interesse des aufnehmenden Unternehmens erfolgen, oder ob es sich vielmehr um Tätigkeiten handelt, die das entsendende Unternehmen in seinem Interesse als Gesellschafter durchführen lässt.
6.235
Qualifikation des Arbeitnehmers für die Ausübung der zugewiesenen Funktion. Weitergehend setzt eine wirtschaftlich sinnvolle Integration des Arbeitnehmers auch voraus, dass der Arbeitnehmer über die erforderliche Qualifikation für die ihm zugewiesene Stelle verfügt. In der Praxis kann ein produktiver Einsatz des Arbeitnehmers bereits an mangelnden Sprachkenntnissen scheitern. Zu beurteilen sind daher die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitnehmers. Maßgeblich ist, ob diese mit den Anforderungen übereinstimmen, die an die Position zu richten sind, die dem entsandten Arbeitnehmer bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft zukommt.
6.236
Expertenentsendung. In der Praxis tritt häufig der Fall auf, dass auf dem lokalen Arbeitsmarkt der aufnehmenden Konzerngesellschaft für bestimmte Aufgaben keine ausreichend qualifizierten Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. In diesen Fällen wird bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft ein besonderes Interesse an der Entsendung eines Arbeitnehmers bestehen, der über die benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. In den Verwaltungsgrundsätzen wird dieser Sachverhalt als „Expertenentsendung“ bezeichnet.2 Für die Finanzverwaltung ist ausschlaggebend, dass ein gleichwertig qualifizierter Arbeitnehmer auf dem lokalen Arbeitsmarkt der aufnehmenden Tochtergesellschaft nicht beschafft werden kann. Die Entsendung eines besonders befähigten Arbeitnehmers führt allerdings nicht automatisch dazu, dass eine Expertenentsendung vorliegt. In der Praxis zeichnet sich eine „Expertenentsendung“ regelmäßig dadurch aus, dass die aufnehmende Konzerngesellschaft die entsendende um die Entsendung eines entsprechend qualifizierten Arbeitnehmers ersucht.3 Häufig wird das Interesse der aufnehmenden Gesellschaft an der Entsendung eines „Experten“ auch dadurch dokumentiert, dass der Arbeitnehmer für eine einzelprojektbezogene Tätigkeit benötigt wird.
2. Im Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft stehende Entsendungen 6.237
Differenzierung zwischen im gesellschaftsrechtlichen oder im betrieblichen Interesse erfolgenden Entsendungen. Bei im Interesse der entsendenden Konzerneinheit stehenden Entsendungen kann differenziert werden, ob diese im gesellschaftsrechtlichen oder im betrieblichen Interesse erfolgen.4 Im gesellschaftsrechtlichen Interesse erfolgende Entsendungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Entsendungen vor dem Hintergrund der Gesellschafterstellung der entsendenden Gesellschaft bei der aufnehmenden erfolgen. In diesen Fällen dient die Tätigkeit des Arbeitnehmers der Verwaltung und dem Schutz der Investition der entsen1 2 3 4
Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.1.1. Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.4.1; vgl. hierzu auch Strunk/Kaminski, Stbg 2003, 174. Vgl. Baranowski, NWB 2000, F. 3 Gr. 2, (941) 949. Vgl. Kratzenberg, StBp. 1989, 205 (206).
604 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.242 Kap. 6
denden Konzerngesellschaft. Die aufnehmende Gesellschaft erlangt durch die Tätigkeit des Arbeitnehmers keinen unmittelbaren Vorteil. Gegenstand der Tätigkeit des entsandten Arbeitnehmers. Bei den von dem Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten wird es sich regelmäßig um Maßnahmen handeln, die in der Planung, Überwachung, Kontrolle und Koordination der Geschäftstätigkeit der aufnehmenden Konzerngesellschaft bestehen. Häufig ist beabsichtigt, durch die gewonnenen Informationen die unternehmerischen Entscheidungen der aufnehmenden Konzerngesellschaft zu beeinflussen. Durch das Gesellschaftsverhältnis bedingt sind auch Tätigkeiten, die der rechtlichen Organisation sowie der Produktions- und Investitionssteuerung des Gesamtkonzerns dienen.
6.238
Entsendungen im betrieblichen Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft. Entsendungen im betrieblichen Interesse der entsenden Konzerngesellschaft zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen Vorteil für das entsendende Unternehmen erwarten lassen. In diesen Fällen erbringt der Arbeitnehmer für die entsendende Gesellschaft eine konkret messbare Leistung. Bei den von dem Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten kann es sich um alle Leistungen handeln, aus denen für die entsendende Gesellschaft ein Vorteil resultiert. Dies trifft bspw. bei Entsendungen zu, die dem Zweck dienen, den Verkauf von Produkten des entsendenden Unternehmens zu unterstützen.
6.239
3. Im Interesse der aufnehmenden und der entsendenden Konzerngesellschaft stehende Entsendungen Betrieblich veranlasste Entsendungen mit gemischter Interessenlage. Eine konzerninterne Entsendung kann auch im betrieblichen Interesse sowohl der aufnehmenden als auch der entsendenden Konzerngesellschaft erfolgen.1 Dies ist bspw. der Fall, wenn der Arbeitnehmer Qualitätskontrollen bei von der aufnehmenden Konzerngesellschaft hergestellten Erzeugnissen vornimmt, die unter dem Warenzeichen der Konzern-Muttergesellschaft vertrieben werden.
6.240
Durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Entsendungen mit gemischter Interessenlage. Anzutreffen sind allerdings auch Sachverhalte, in denen eine Entsendung im gesellschaftlichen Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft und im betrieblichen Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft erfolgt. In diesen Fällen führt der entsandte Arbeitnehmer neben Tätigkeiten im betrieblichen Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft auch Planungs-, Kontroll- und Koordinationstätigkeiten durch. Deutlich wird die Interessenlage der entsendenden Konzerngesellschaft in der Praxis anhand der Berichtspflichten, die der Arbeitnehmer gegenüber der entsendenden Konzerngesellschaft zu erfüllen hat.
6.241
4. Sonderfälle a) Entsendungen zu Aus- und Fortbildungszwecken Besondere Zielsetzungen der Entsendung. Besonderheiten bei der Bestimmung der Interessenlage ergeben sich bei Entsendungen zu Ausbildungs- und Fortbildungszwecken. Bei dem entsendenden Unternehmen handelt es sich regelmäßig um die Muttergesellschaft des Konzerns, die mit der Entsendung die Zielsetzung verfolgt, die Qualifikation der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer zu verbessern.
1 Vgl. Höppner, JbFSt 1990, 148 (153).
Hick | 605
6.242
Kap. 6 Rz. 6.243 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.243
Interessenlage einer Entsendung zu Aus- und Fortbildungszwecken. Ausgehend von den aus Sicht des Mutterunternehmens mit der Entsendung verfolgten Zielsetzungen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass Entsendungen zu Aus- und Fortbildungszwecken durch das Interesse des Mutterunternehmens an der Entsendung dominiert werden.1 Für diese Wertung spricht, dass die Muttergesellschaft nach dem Abschluss der Entsendung von den gesammelten Erfahrungen und Kenntnissen der Arbeitnehmer profitieren kann.2
6.244
Kriterien für die Bestimmung der Interessenlage. Das Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass regelmäßig keine Anfrage der aufnehmenden Konzerngesellschaft vorliegen wird, einen Arbeitnehmer zu entsenden.3 Insoweit tritt der Aspekt, dass die aufnehmende Konzerngesellschaft während der Entsendung ggf. aus der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers einen Nutzen ziehen kann, hinter die Interessenlage der Muttergesellschaft an der Entsendung zurück.
6.245
Ausgestaltung von Entsendung auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens. In internationalen Konzernen werden bestimmte Führungspositionen der Tochtergesellschaft häufig mit entsandten Arbeitnehmern der Muttergesellschaft besetzt. Hierdurch soll die Entwicklung besonders qualifizierter Führungskräfte gefördert werden. In den VWG-Arbeitnehmerentsendung wird diese Form der konzerninternen Personalentwicklung als „Rotationsverfahren“ bezeichnet.4
6.246
Wesentliche Merkmale von Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass sich Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens durch folgende typische Merkmale auszeichnen:5
b) Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens
– Hinsichtlich der Entsendungsrichtung erfolgen die Entsendungen i.d.R. von der Muttergesellschaft zu den Tochtergesellschaften. – Im Regelfall nimmt der entsandte Arbeitnehmer eine Führungsposition oder technische Schlüsselfunktion im Geschäftsbetrieb der Tochtergesellschaft wahr. – In zeitlicher Hinsicht erstrecken sich die Entsendungen typischerweise über einen Zeitraum von 3–5 Jahren. – Die Tochtergesellschaft unternimmt i.d.R. keine Versuche, die Positionen mit Arbeitskräften des lokalen Arbeitsmarktes zu besetzen. Zudem unterbleiben Anstrengungen, den Bedarf mit selbst ausgebildeten Führungskräften abzudecken. Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens zeichnen sich damit dadurch aus, dass die Muttergesellschaft im Rahmen ihres Personalentwicklungsprogramms über die Besetzung bestimmter Führungspositionen der Tochtergesellschaft entscheidet.
6.247
Interessenlage einer Entsendung auf der Grundlage eines Rotationssystems. Bei Entsendungen auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die Entsendungen durch die Muttergesellschaft mitveranlasst sind. Die Mehraufwendun1 Im Ergebnis so auch BFH v. 11.4.1984 – I R 175/79, BStBl. II 1984, 535; OFD Koblenz, v. 10.8.1995 – S 1341 A – St 34 1, WPg 1995, 675. 2 Vgl. Vögele/Crüger/Schmitt, DB 2002, 1185 (1186). 3 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.4.3. 4 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.4.2. 5 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.4.2.
606 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.251 Kap. 6
gen der Entsendung sind daher durch die Muttergesellschaft zu tragen.1 Dies soll nach der Auffassung der Finanzverwaltung auch dann gelten, wenn im Rahmen eines Rotationsverfahrens die Entsendung eines Experten erfolgt. In diesen Fall ist allerdings zu prüfen, in welchem Umfang die aufnehmende Konzerngesellschaft von dem entsandten Arbeitnehmer profitiert. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Entsendung auf der Grundlage eines Rotationssystems auch dann vorliegen kann, wenn die Entsendung nicht sämtliche von der Finanzverwaltung angeführten Merkmale erfüllt. So kann eine Entsendung auf der Grundlage eines Rotationssystems – bei Erfüllung der übrigen o.g. Voraussetzungen – auch dann vorliegen, wenn die Zeitgrenze von drei Jahren unterschritten wird. Entsprechendes gilt, falls ein Arbeitnehmer für kurze Zeiträume mehrfach zu einer Tochtergesellschaft entsandt wird.
VIII. Einkunftsabgrenzung der Höhe nach 1. Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung Gegenstand der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach. Bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen ist zu klären, ob die entsendende oder die aufnehmende Konzerngesellschaft mit dem Aufwand der Arbeitnehmerentsendung zu belasten ist. Gegenstand der Einkunftsabgrenzung bilden damit die in Rz. 6.213 ff. angeführten Aufwendungen der Entsendung, die bei der entsendenden bzw. der aufnehmenden Konzerngesellschaft direkt bzw. indirekt im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerentsendung angefallen sind.
6.248
Behandlung der Aufwendungen der Entsendung als durchlaufender Posten. Fallen bei der entsendenden Konzerngesellschaft Aufwendungen für einen im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft tätigen Arbeitnehmer an, so handelt es sich bei den für den entsandten Arbeitnehmer anfallenden Aufwendungen um eine Art „durchlaufender Posten“. Das entsendende Unternehmen tritt mit den Aufwendungen lediglich in Vorlage. Originär sind die Aufwendungen für den entsandten Arbeitnehmer bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft veranlasst.
6.249
Umfang der weiterzubelastenden Aufwendungen. Der Umfang der von der entsendenden Konzerngesellschaft weiterzubelastenden Aufwendungen für einen im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft tätigen Arbeitnehmer hängt von der Ausgestaltung der Entsendung ab. Liegt der Entsendung ein mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft abgeschlossener Arbeitsvertrag zugrunde, trägt die aufnehmende Konzerngesellschaft auf der Grundlage des mit dem Arbeitnehmer abgeschlossenen Arbeitsvertrages bereits den Hauptteil des Entsendungsaufwands. Anders ist hingegen die Situation, wenn die Entsendung im Rahmen des fortbestehenden Arbeitsvertrages erfolgt. Wird der entsandte Arbeitnehmer im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft tätig, ist der Gesamtaufwand der Entsendung an die aufnehmende Konzerngesellschaft weiterzubelasten.
6.250
2. Zielsetzung der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach Beurteilung einer gesellschaftsrechtlichen Mitveranlassung anhand der Höhe der Aufwendungen. Für die Beurteilung, ob die aufnehmende oder die entsendende Konzerngesellschaft mit den Aufwendungen der Entsendung zu belasten ist, ist das Gesamtinteresse einer Entsendung zu ermitteln. Dabei geht in die Ermittlung des Gesamtinteresses – neben der Beurteilung der Interessenlage dem Grunde nach – auch die Höhe des Aufwands der Entsendung ein.
1 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.4.2.
Hick | 607
6.251
Kap. 6 Rz. 6.252 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.252
Bedeutung der Höhe des Entsendungsaufwands. Die Höhe des Entsendungsaufwands wird im Rahmen der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach herangezogen, um die Feststellung zu treffen, ob aus der Höhe der für einen entsandten Arbeitnehmer anfallenden Aufwendungen eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung bzw. Mitveranlassung der Aufwendungen abgeleitet werden kann.1 Die Einkunftsabgrenzung der Höhe nach dient damit dem Ziel, den Gesamtaufwand entsprechend der betrieblichen Veranlassung zuzuordnen.
6.253
Eingeschränkter Aussagegehalt des Aufwands der Entsendung. Im Rahmen der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein entsandter Arbeitnehmer – auf Grund der im Zusammenhang mit einer Entsendung gewährten Zusatzleistungen – regelmäßig höhere Aufwendungen verursachen wird, als ein Arbeitnehmer des lokalen Arbeitsmarktes. Dieser Umstand lässt allerdings lediglich den Schluss zu, dass ein Arbeitnehmer zu einer Entsendung nur bereit ist, falls dadurch auch finanzielle Vorteile erzielt werden können bzw. etwaige finanzielle Nachteile zumindest ausgeglichen werden. Eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung der Aufwendungen lässt sich hieraus aber nicht ableiten.
6.254
Gesamtaufwand einer Entsendung entspricht immer dem Fremdvergleich. Der Gesamtaufwand einer Arbeitnehmerentsendung ist im Rahmen der Einkunftsabgrenzung der Höhe nach nicht in Frage zu stellen.2 Der Aufwand ist in jedem Fall bei dem jeweiligen zivilrechtlichen bzw. wirtschaftlichen Arbeitgeber betrieblich veranlasst und damit als Betriebsausgabe abzugsfähig. Bei betrieblich veranlassten Aufwendungen stellt sich nicht die Frage, ob die Aufwendungen der Höhe nach angemessen sind.3 Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Arbeitnehmer um einen unabhängigen Dritten handelt, erfüllt die Höhe des Aufwandes einer Entsendung immer die Voraussetzungen eines Fremdvergleichs. Der entsandte Arbeitnehmer handelt mit dem entsendenden bzw. dem aufnehmenden Unternehmen die Konditionen der Entsendung aus. Es ist damit nicht zu prüfen, ob das dem Arbeitnehmer bewilligte Gehalt bzw. zusätzliche Gehaltsbestandteile als solche der Höhe nach angemessen sind.4 Unerheblich ist damit auch, ob der Arbeitnehmer aufgrund der entsendungsbedingten Gehaltsvereinbarung wirtschaftlich von der Entsendung profitiert. Häufig wird dies der Fall sein, da ein Arbeitnehmer regelmäßig nur bei Gewährung entsprechender Zusatzleistungen zu einer Entsendung bereit ist. Auch kommt es nicht darauf an, ob der Aufwand der Arbeitnehmerentsendung bei dem Arbeitnehmer als Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit zu versteuern ist. So kann bspw. für bestimmte Aufwandsbestandteile eine Steuerfreistellung eingreifen. Beitragsleistungen des Arbeitgebers zu einem Durchführungsweg der betrieblichen Altersvorsorge (zu einer Direktversicherung, Pensionskasse oder einem Pensionsfonds) sind bspw. in Höhe der in § 3 Nr. 63 EStG festgelegten Grenzen von der Besteuerung freigestellt.
6.255
Vorgehensweise zur Ermittlung von Vergleichstatbeständen. Durch § 1 Abs. 3 AStG wird der Fremdvergleichsgrundsatz konkretisiert. Die für einen Fremdvergleich der Höhe nach heranzuziehenden Vergleichstatbestände können durch einen tatsächlichen oder einen hypothetischen Fremdvergleich gewonnen werden (vgl. zu den Methoden im Einzelnen Rz. 3.123 ff.). Wobei der Fremdvergleichsgrundsatz bei Inlands- und Auslandsentsendungen einheitlich anzuwenden ist.5 In § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG wird ein Anwendungsvorrang für den tatsächlichen Fremdvergleich vorgeschrieben. Dies bedeutet, dass der Ermittlung des ange1 2 3 4 5
Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IWB, F. 3 Gr. 1, 1857 (1859). Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IWB, F. 3 Gr. 1, 1857 (1858); Förster, FS Wassermeyer, 2005, 377. Vgl. nur BFH v. 4.3.1986 – VIII R 188/84, BStBl. II 1986, 374 = FR 1986, 306. Vgl. Schreiber, JbFSt 2001, 602 (612). Vgl. VWG VP 2021.
608 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.258 Kap. 6
messenen Aufwandes der Entsendung nur dann ein hypothetischer Fremdvergleich zugrunde zu legen ist, falls durch einen tatsächlichen Fremdvergleich keine aussagefähigen Größen ermittelt werden können.1 Hinsichtlich der im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs anzuwendenden Verrechnungspreismethoden ist für die Bestimmung einer fremdüblichen Gehaltsbandbreite allerdings nur die Preisvergleichsmethode geeignet. Dies kommt auch in Tz. 2.4.1 der VWG-Arbeitnehmerentsendung zum Ausdruck, wonach die Angemessenheitsprüfung vorrangig anhand der Preisvergleichsmethode vorzunehmen ist.
3. Ermittlung des angemessenen Entsendungsaufwands durch betriebsinternen Fremdvergleich Zwei Ausprägungsformen der Preisvergleichsmethode. Der tatsächliche Fremdvergleich kann im Rahmen der Preisvergleichsmethode zwei Ausprägungsformen annehmen. Zu differenzieren ist zwischen einem betriebsinternen und einem betriebsexternen Fremdvergleich.
6.256
Betriebsinterner Fremdvergleich. Im Rahmen eines betriebsinternen Fremdvergleichs ist festzustellen, welche Aufwendungen der aufnehmenden Konzerngesellschaft für vergleichbare, nicht entsandte Arbeitnehmer entstehen.2 Ein solcher Vergleich setzt die Vergleichbarkeit der Verhältnisse voraus. D.h. es ist zu prüfen, ob die Eigenschaften der Stamm-Arbeitnehmer der aufnehmenden Konzerngesellschaft mit denen der entsandten Arbeitnehmer vergleichbar sind.3 Im Rahmen dieses Vergleichs ist auf die Ausbildung und die Kenntnisse bzw. Fähigkeiten der Arbeitnehmer abzustellen.4 Eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit der so gewonnenen Vergleichsfälle i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG ist dann gegeben, wenn die Vergleichsobjekte hinsichtlich der für den Vergleich herangezogenen Kriterien annähernd gleich oder doch zumindest ähnlich sind. Im Grundsatz reicht es aus, wenn der Steuerpflichtige einen Vergleichsfall präsentiert, der hinsichtlich der dem Vergleich zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse uneingeschränkt vergleichbar ist.
6.257
Eingeschränkte Vergleichbarkeit der Verhältnisse. In der Praxis ist im Rahmen des Vergleichs der Verhältnisse zu berücksichtigen, dass die entsandten Arbeitnehmer regelmäßig über konzernspezifisches Wissen und eine konzernspezifische Arbeitsmethodik verfügen. Lokal angeworbene Arbeitnehmer weisen diese Merkmale regelmäßig nicht auf. Häufig sind die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen auch erst für die Entsendung ausschlaggebend.5 Möglich ist die Durchführung eines internen Fremdvergleichs daher nur dann, wenn der konzernspezifischen Qualifikation der entsandten Arbeitnehmer eine geringe Bedeutung zukommt. Durch diese Voraussetzungen wird die Durchführbarkeit eines betriebsinternen Fremdvergleichs erschwert. Insbesondere bei einer Entsendung besonders qualifizierter Arbeitnehmer kann daher ein betriebsinterner Fremdvergleich regelmäßig nicht durchgeführt werden. Im Ansässigkeitsstaat der aufnehmenden Konzerngesellschaft mangelt es häufig an entsprechend ausgebildeten Fachkräften.6 Hierdurch wird die Gewinnung uneingeschränkt vergleichbarer Vergleichsfälle i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG für einen betriebsinternen Fremdvergleich in der Praxis erheblich erschwert. Auch ist hinsichtlich der Aussagefähigkeit der
6.258
1 2 3 4 5 6
S. auch VWG VP 2021, Rz. 3.12. Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.2.2. Vgl. Urbahns/Becker, INF 2002, 392 (395). Vgl. Schreiber, JbFSt 2001, 602 (617). Vgl. Waldens, PIStB 2002, 14. Vgl. Kroppen/Rasch/Roeder, IWB F. 3, Gr. 1, 1821 (1826); Förster, FS Wassermeyer, 2005, 380.
Hick | 609
Kap. 6 Rz. 6.258 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Preisvergleichsmethode zu berücksichtigen, dass entsandte Arbeitnehmer auf Grund der im Zusammenhang mit einer Entsendung gewährten Zusatzleistungen regelmäßig erheblich höhere Aufwendungen verursachen als auf dem lokalen Arbeitsmarkt angeworbene Arbeitnehmer.
6.259
Bandbreite der angemessenen Aufwendungen. Bei dem für den Arbeitnehmer angemessenen Aufwand einer Arbeitnehmerentsendung handelt es sich nicht um eine Punktgröße. Vielmehr wird durch einen tatsächlichen Fremdvergleich eine Bandbreite des Aufwandes ermittelt, der für einen vergleichbar qualifizierten Arbeitnehmer üblicherweise anfällt.1 In diesem Fall kommt es darauf an, ob eingeschränkt oder uneingeschränkt vergleichbare Vergleichsgrößen vorliegen.
6.260
Uneingeschränkt vergleichbare Vergleichssachverhalte. Liegen mehrere uneingeschränkt vergleichbare Vergleichssachverhalte vor, kann die ermittelte Bandbreite von dem Steuerpflichtigen in vollem Umfang ausgeschöpft werden. D.h. auch ein am oberen Ende der Bandbreite liegender Entsendungsaufwand ist noch als angemessen einzustufen.
6.261
Eingeschränkt vergleichbare Vergleichssachverhalte. Sind keine uneingeschränkt vergleichbaren Vergleichssachverhalte gegeben, sind die ermittelten Vergleichssachverhalte gemäß § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG einer „sachgerechten Anpassung“ zu unterwerfen. Hierzu ist es erforderlich, die nicht übereinstimmenden Kriterien des Vergleichssachverhalts durch entsprechende Zuund Abschläge bei der Ermittlung der Höhe des Entsendungsaufwandes zu berücksichtigen. Es kommt insoweit darauf an, ob die zur Herstellung der Vergleichbarkeit erforderliche Anpassung durch eine Erhöhung oder eine Verminderung des Entsendungsaufwands hergestellt werden kann. Dies setzt allerdings voraus, dass eine betragsmäßige Quantifizierung der nicht übereinstimmenden Kriterien des Entsendungssachverhalts erfolgen kann. Lässt sich durch die Vornahme der Anpassungen ein uneingeschränkt vergleichbarer Vergleichssachverhalt herstellen, ist dieser Vergleichssachverhalt für die Bestimmung der Höhe des angemessenen Entsendungsaufwands heranzuziehen.
6.262
Kein uneingeschränkt vergleichbarer Sachverhalt durch Anpassungen ermittelbar. Ist ein uneingeschränkt vergleichbarer Vergleichssachverhalt nicht zu ermitteln, bildet im Fall mehrerer Vergleichssachverhalte die ermittelte Höhe der Entsendungsaufwendungen eine Bandbreite. Diese Bandbreite des Entsendungsaufwands ist nach § 1 Abs. 3a AStG sachgerecht anzupassen und einzuengen.2 Dies geschieht dadurch, dass zumindest ein Ende der Bandbreite verkürzt wird. Denkbar ist zudem auch, dass beide Enden der Bandbreite verkürzt werden. Zu der konkreten Vorgehensweise äußert sich der Gesetzgeber nicht.
4. Ermittlung des angemessenen Entsendungsaufwands durch betriebsexternen Fremdvergleich 6.263
Durchführung eines betriebsexternen Fremdvergleichs. Im Rahmen eines betriebsexternen Fremdvergleichs ist festzustellen, welchen Aufwand unabhängige Unternehmen, die unter den gleichen Bedingungen wie die aufnehmende Konzerngesellschaft tätig sind, für einen vergleichbaren Arbeitnehmer tragen. In der Praxis ist allerdings die Umsetzung des betriebsexternen Fremdvergleichs nicht immer unproblematisch.
1 Vgl. Waldens, PIStB 2002, 255. 2 S. hierzu auch Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 (1788).
610 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.267 Kap. 6
Voraussetzungen eines betriebsexternen Fremdvergleichs. Die Durchführung eines betriebsexternen Fremdvergleichs setzt voraus, dass auch zwischen nicht verbundenen Unternehmen Entsendungen anzutreffen sind. Hinsichtlich der Ausgestaltung müssen diese Entsendungen mit denen zwischen verbundenen Unternehmen vergleichbar sein. Die hier betrachteten Entsendungssachverhalte sind allerdings fast ausschließlich zwischen verbundenen Unternehmen anzutreffen.1 So wird zwischen nicht verbundenen Unternehmen regelmäßig nur ein geringes Interesse bestehen, dass der Arbeitnehmer bspw. im Rahmen einer Versetzung mit einem fremden dritten Unternehmen einen Arbeitsvertrag abschließt. Auch erfolgen zwischen fremden Dritten im Regelfall keine Entsendungen, durch die die aufnehmende Konzerngesellschaft die Stellung eines wirtschaftlichen Arbeitgebers erlangt. Werden zwischen nicht verbundenen Unternehmen Arbeitnehmer ausgetauscht, so handelt es sich im Regelfall um gewerbliche Arbeitnehmerüberlassungen. In diesem Fall ist ein Verrechnungspreis für eine Dienstleistung zu ermitteln, der auch einen Gewinnaufschlag enthält.
6.264
Eingeschränkter Aussagegehalt externer Vergütungsstudien. Die Praxis zieht für die Ermittlung einer angemessenen Gehaltsbandbreite im Rahmen eines externen Fremdvergleichs regelmäßig externe Vergütungsstudien heran. Aus einer Vergütungsstudie lässt sich allerdings nur der Vergütungsaufwand ermitteln, der bei einer Festanstellung eines Arbeitnehmers mit einer vergleichbaren Funktion und Position anfallen würde. Dem Charakter einer Entsendung entsprechend ist der Einsatz eines entsandten Arbeitnehmers bei dem aufnehmenden Unternehmen allerdings bereits im Grundsatz zeitlich befristet. Vor diesem Hintergrund kann es aus Sicht des aufnehmenden Unternehmens gerechtfertigt sein, für einen entsandten Arbeitnehmer, der auf Grund seiner besonderen Kenntnisse und Erfahrungen für ein zeitlich befristetes Projekt benötigt wird, einen höheren Gehaltsaufwand zu tragen, als bei einer Festanstellung eines entsprechenden Arbeitnehmers. Zudem werden auch die im Zuge einer Entsendung anfallenden Zusatzaufwendungen für einen entsandten Arbeitnehmer in den Vergütungsstudien nicht abgebildet. Allerdings werden Vergütungsstudien in der Praxis regelmäßig herangezogen, um zumindest eine grobe Abschätzung der angemessenen Gesamtausstattung für einen entsandten Arbeitnehmer vorzunehmen.
6.265
Vergleich der für den Arbeitnehmer anfallenden Aufwendungen. Aufgrund der im Zusammenhang mit der Durchführung eines betriebsexternen Fremdvergleichs auftretenden Schwierigkeiten wird auch die Auffassung vertreten, dass zu untersuchen ist, welchen Aufwand der Arbeitnehmer vor bzw. nach der Beendigung der Entsendung verursacht.2 Dieser Vorgehensweise steht allerdings entgegen, dass entsandte Arbeitnehmer auf Grund der im Zusammenhang mit einer Entsendung gewährten zahlreichen Zusatzleistungen regelmäßig höhere Aufwendungen verursachen. Ein Hinweis für eine gesellschaftsrechtliche Mitveranlassung der Entsendung kann hieraus nicht abgeleitet werden.
6.266
5. Ermittlung der angemessenen Höhe des Entsendungsaufwands durch einen hypothetischen Fremdvergleich Voraussetzungen für die Durchführung eines hypothetischen Fremdvergleichs. Liegen die Voraussetzungen für einen tatsächlichen Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG nicht vor, ist ein hypothetischer Fremdvergleich durchzuführen (§ 1 Abs. 3 Satz 7 AStG; zu den Grundlagen des hypothetischen Fremdvergleichs vgl. Rz. 3.132 ff.). Der hypothetische Fremdvergleich basiert
1 So auch Kroppen/Rasch/Roeder, IWB, F. 3 Gr. 1, 1821 (1826). 2 Vgl. Schreiber in JbFSt 2001, 602 (615).
Hick | 611
6.267
Kap. 6 Rz. 6.267 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
auf dem Grundsatz, dass sowohl das entsendende als auch das aufnehmende Unternehmen durch einen ordentlichen Geschäftsleiter vertreten werden. Zu ermitteln ist, ob der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter eines unabhängigen aufnehmenden Unternehmens bei vergleichbaren Bedingungen den Aufwand für den entsandten Arbeitnehmer getragen hätte oder ob er eine Kostenbeteiligung des entsendenden Unternehmens eingefordert hätte.1 Die Überprüfung der Vergleichbarkeit der Verhältnisse der Arbeitnehmerentsendung hat unter Berücksichtigung der von dem Arbeitnehmer ausgeübten Funktion, der Verfügbarkeit gleichwertig qualifizierter Arbeitnehmer auf dem lokalen Arbeitsmarkt sowie der Initiative der Entsendung zu erfolgen.
6.268
Überlegungen eines ordentlichen Geschäftsleiters zur Übernahme der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung. Ein ordentlicher Geschäftsleiter wird eine Kostenbeteiligung dann in Erwägung ziehen, falls die Entsendung im Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft erfolgt. In diesen Fällen ist die Entsendung für die entsendende Einheit selbst vorteilhaft. Im Einzelfall hat daher die Prüfung zu erfolgen, welche Aufwendungen der ordentliche Geschäftsleiter getragen hätte. Verursacht ein entsandter Arbeitnehmer erheblich höhere Aufwendungen als ein am lokalen Arbeitsmarkt angeworbener Arbeitnehmer, kommt dem Handeln des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters besondere Bedeutung zu. Dieser wird im Grundsatz nur Arbeitnehmer beschäftigen und deren Aufwendungen tragen, falls durch deren Einsatz ein Nutzen für sein Unternehmen erwartet werden kann. Der Geschäftsleiter wird daher prüfen, ob trotz des für den entsandten Arbeitnehmer anfallenden Mehraufwandes dieser Nutzen noch gegeben ist. Diese Prüfung wird vor der Entsendung erfolgen. Die Zuordnung des Aufwandes wird damit nicht dadurch beeinflusst, inwieweit der erwartete Nutzen auch tatsächlich eingetreten ist.
6.269
Mehraufwand für einen entsandten Arbeitnehmer. Beurteilungsmaßstab für den hypothetischen Fremdvergleich bildet die Frage, ob der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter den Mehraufwand für einen entsandten Arbeitnehmer getragen hätte. Dieser Prüfungsansatz setzt allerdings voraus, dass zunächst der Aufwand ermittelt wird, der für die Beschäftigung eines auf dem lokalen Arbeitsmarkt angeworbenen Arbeitnehmers anfallen würde. Für den darüber hinausgehenden Aufwand ist zu prüfen, ob auch ein fremder Dritter als Geschäftsleiter den Mehraufwand getragen hätte. Maßstab für eine Gewinnkorrektur bildet insoweit der Lohn, den ein vergleichbar qualifizierter Arbeitnehmer fordern würde.
6.270
Wirtschaftlich nachweisbarer höherer Nutzen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren. Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter des aufnehmenden Unternehmens einen durch die Entsendung des Arbeitnehmers entstehenden Mehraufwand nur dann tragen wird, falls er dadurch in einem überschaubaren Zeitraum einen wirtschaftlich nachweisbar höheren Nutzen erwarten kann.2 Als überschaubar bezeichnet die Finanzverwaltung, wohl gestützt auf die Rechtsprechung des BFH v. 17.2.19933 zur Unangemessenheit der Verrechnungspreise bei einer Vertriebsgesellschaft im Fall einer Dauerverlustsituation, einen Zeitraum von drei Jahren. Diese Regelung ist in der Praxis nicht praktikabel.4 So stellt sich die Frage, wie im Einzelfall der Nachweis 1 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.2.3. 2 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.2.3. 3 BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 458. So im Ergebnis auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. 2004, 171 = FR 2002, 154 sowie v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030. 4 So auch Nientimp in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGrArbN. Rz. 31.
612 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.273 Kap. 6
geführt werden soll, dass aus der Beschäftigung eines entsandten Arbeitnehmers ein höherer Gewinn der aufnehmenden Konzerngesellschaft resultiert.1 Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Mehrzahl entsandter Arbeitnehmer in der Verwaltung bzw. in der Grundlagenforschung eingesetzt wird.2 D.h. der wirtschaftliche Beitrag zur Ergebnissituation des Gesamtunternehmens lässt sich zeitnah ohnehin nicht ermitteln.
6. Entsendungsaufwand übersteigt das bei Beschäftigung eines Arbeitnehmers des lokalen Arbeitsmarktes anfallende Entgelt a) Entsendung erfolgt dem Grunde nach im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft Überlegungen des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Erfolgt die Entsendung dem Grunde nach im Interesse der aufnehmenden Konzerngesellschaft, würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nur den Aufwand hinnehmen, der ihm für die Beschäftigung eines vergleichbar qualifizierten Arbeitnehmers unter sonst gleichen Bedingungen entstehen würde.3 Die Bereitschaft, den für einen entsandten Arbeitnehmer anfallenden Mehraufwand zu akzeptieren, wird allerdings dann bestehen, falls gleichwertig qualifizierte Arbeitskräfte auf dem lokalen Arbeitsmarkt nicht angeworben werden können.4
6.271
Sonderfall der Expertenentsendung. Insbesondere im Fall einer sog. „Expertenentsendung“ kann nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung ein höherer Gesamtaufwand für einen entsandten Arbeitnehmer gerechtfertigt sein. Dies gilt auch dann, wenn der Gesamtaufwand für den entsandten Arbeitnehmer wesentlich den Aufwand übersteigt, der bei Beschäftigung eines Arbeitnehmers mit vergleichbarer Qualifikation im Ansässigkeitsstaat der aufnehmenden Konzerngesellschaft anfallen würde. Dies gilt sowohl im Fall einer Inbound- als auch im Fall einer Outbound-Entsendung. Dabei setzt eine sog. „Expertenentsendung“ nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung voraus, dass der Arbeitnehmer über besondere Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die bspw. bei einer projektbezogenen Entsendung zum Einsatz gelangen.5 Für die praktische Anwendung der sog. „Expertenregelung“ stellt sich in der Praxis regelmäßig die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer über die in den VWG-Arbeitnehmerentsendung geforderten besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt und auf welche Weise die Dokumentation gegenüber der Finanzverwaltung zu erfolgen hat. In der Praxis hängt die Qualifikation eines Arbeitnehmers als „Experte“ zu wesentlichen Teilen von dem jeweiligen Betrachter ab. Dies hat im Ergebnis zur Folge, dass die Einstufung einer Entsendung als sog. „Expertenentsendung“ wesentlich durch subjektive Kriterien beeinflusst wird.
6.272
Nutzen der aufnehmenden Konzerngesellschaft rechtfertigt den Mehraufwand. Der Mehraufwand für den entsandten „Experten“ soll nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung dadurch gerechtfertigt sein, dass der Gesamtaufwand der Entsendung mit der tatsächlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers korrespondiert und damit auch dem Nutzen der aufnehmenden Konzerngesellschaft entspricht. Gerade im Fall einer Inbound-Entsendung wird daher ein Interesse an dem Nachweis einer sog. Expertenentsendung bestehen, um den Mehraufwand der Entsendung nicht rechtfertigen zu müssen.
6.273
1 2 3 4 5
Vgl. Kroppen/Rasch/Roeder, IWB, F. 3 Gr. 1, 1821 (1827); IDW, FN-IDW 2000, 657 (659). So auch Förster, FS Wassermeyer, 2005, 380. Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.2.3. Vgl. Kuckhoff in Kuckhoff, 57 (93); Höppner, JbFSt 1990, 155. Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.4.1.
Hick | 613
Kap. 6 Rz. 6.274 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.274
Auf den lokalen Arbeitsmarkt stehen entsprechend qualifizierte „Experten“ zur Verfügung. Stehen allerdings entsprechend qualifizierte „Experten“ auf dem lokalen Arbeitsmarkt zur Verfügung oder verfügt der entsandte Arbeitnehmer nicht über Spezialkenntnisse, ist bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft nur ein Gehalt in ortsüblicher Höhe betrieblich veranlasst. Der ordentliche Geschäftsleiter der aufnehmenden Einheit wird sich in diesem Fall für einen Arbeitnehmer entscheiden, der bei gleicher Leistung einen geringeren Aufwand verursacht. In Zweifelsfällen besteht bei diesen Sachverhalten auch ein Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft an der Entsendung. Die entsendende Konzerngesellschaft hat daher den Mehraufwand der Entsendung zu tragen.1 b) Entsendung erfolgt dem Grunde nach im Interesse der entsendenden Konzerngesellschaft
6.275
Bedeutung der Interessenlage dem Grunde nach. In diesen Fällen führt bereits die Ermittlung der Interessenlage dem Grunde nach zu dem Ergebnis, dass der Aufwand der Entsendung nicht bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft betrieblich veranlasst ist. Diese Feststellung kann dann i.d.R. auch durch die Beurteilung der Höhe des Entsendungsaufwandes gestützt werden. Die dem Arbeitnehmer gewährte Vergütung liegt regelmäßig über dem Entgelt, das für einen vergleichbar qualifizierten Arbeitnehmer üblicherweise im Ansässigkeitsstaat des aufnehmenden Unternehmens gezahlt wird.2 Der ordentliche Geschäftsleiter der aufnehmenden Konzerngesellschaft wird im Grundsatz nicht bereit sein, Aufwendungen für einen Arbeitnehmer zu tragen, aus dessen Tätigkeit kein Nutzen für die aufnehmende Konzerngesellschaft resultiert. c) Sonderfälle
6.276
Entsendungen zu Aus- und Fortbildungszwecken. Dient die Entsendung Ausbildungs- oder Fortbildungszwecken, so ist der Entsendungsaufwand, der über den für einen vergleichbaren Arbeitnehmer am lokalen Arbeitsmarkt der aufnehmenden Konzerngesellschaft hinausgeht, durch die entsendende Gesellschaft veranlasst.3 Der unangemessene Teil des Entsendungsaufwandes wird im Regelfall dafür gezahlt, dass der Arbeitnehmer im Interesse der entsendenden Gesellschaft Auslandserfahrungen sammelt.4
6.277
Entsendung auf der Grundlage eines Rotationsverfahrens. Erfolgt eine Besetzung von bestimmten Führungspositionen der aufnehmenden Konzerngesellschaft im Rahmen eines Rotationsverfahrens, so ist der Mehraufwand der Entsendung häufig dadurch veranlasst, dass der Arbeitnehmer Kontroll- und Berichtspflichten gegenüber der entsendenden Konzerngesellschaft zu erfüllen hat. Regelmäßig erfolgen die Entsendungen im Zuge der Umsetzung eines Personalentwicklungskonzeptes der entsendenden Konzerngesellschaft.
6.278
Expertenentsendung im Rahmen eines Rotationsverfahrens. Auch im Rahmen eines Rotationsverfahrens können Arbeitnehmer entsandt werden, die als sog. „Experten“ über besondere Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen. Fraglich ist, welche Einheit den aus der Entsendung resultierenden Mehraufwand zu tragen hat. Die VWG-Arbeitnehmerentsendung enthalten die 1 Vgl. Kuckhoff in Kuckhoff, 57 (93); Schreiber, JbFSt 2001, 602 (613). 2 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.1.1. 3 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.4.2 u. 3.4.3; gl. A. Schreiber, JbFSt, 2001, 613; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 357; Neubauer, StBp. 1971, 256. 4 Vgl. Schreiber, JbFSt 2001, 613.
614 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.281 Kap. 6
Regelung, dass die im Rahmen eines Rotationsverfahrens geltenden Grundsätze auch im Fall einer Expertenentsendung anzuwenden sind.1 Danach wäre der Mehraufwand von der entsendenden Konzerngesellschaft zu tragen. Dies soll auch dann gelten, falls entsprechend qualifizierte „Experten“ auf dem lokalen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Die Finanzverwaltung begründet diese Beurteilung damit, dass bei Entsendungen im Rahmen eines Rotationsverfahrens dem Grunde nach auch die entsendende Konzerngesellschaft ein betriebliches Interesse an der Entsendung des Arbeitnehmers habe.2 Aus Sicht der Finanzverwaltung kann die Belastung der aufnehmenden Konzerngesellschaft mit dem Gesamtaufwand der Entsendung nicht damit begründet werden, dass es sich um eine sog. „Expertenentsendung“ handelt. Für diese Beurteilung spricht, dass der Einsatz des besonders qualifizierten Arbeitnehmers auf der Grundlage eines Personalentwicklungskonzeptes der entsendenden Konzerngesellschaft erfolgt. Insoweit überlagert die Qualifikation einer Entsendung im Rahmen eines „Rotationsverfahrens“ die Einstufung des entsandten Arbeitnehmers als besonders qualifizierter „Experte“.
IX. Rechtsgrundlagen einer Gewinnkorrektur und Korrekturmaßstab 1. Aufwand der Entsendung als Gegenstand der Einkünftekorrektur Nicht dem Fremdvergleich entsprechende Aufteilung des Entsendungsaufwands als Gegenstand der Einkünftekorrektur. Wird im Rahmen der Prüfung der Einkunftsabgrenzung dem Grunde und der Höhe nach festgestellt, dass zwischen den verbundenen Unternehmen eine nicht dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechende Zuordnung des Aufwandes der Entsendung erfolgt ist, hat eine Korrektur zu erfolgen. Erforderlich ist daher die Durchführung eines doppelten Fremdvergleichs. Zunächst hat auf der Grundlage des Fremdvergleichs die Prüfung zu erfolgen, ob die Aufteilung des Aufwandes mit der Interessenlage der entsendenden und der aufnehmenden Konzerngesellschaft übereinstimmt. Auf die genaue Ermittlung des zu korrigierenden Betrages kann zu diesem Zeitpunkt noch verzichtet werden. Für die Anwendung der Einkünftekorrekturnormen besteht allerdings die Voraussetzung, dass der Korrekturbetrag der Höhe nach betragsmäßig genau ermittelt wird. Diese Ermittlung hat im Rahmen des Fremdvergleichs der Höhe nach zu erfolgen.
6.279
Gegenstand der Einkünftekorrektur der Höhe nach. Der Höhe nach bildet der Betrag den Gegenstand der Einkünftekorrektur, der nicht mit einer an dem Grundsatz des Fremdvergleichs ausgerichteten Aufteilung des Gesamtaufwandes der Entsendung übereinstimmt. Somit kann auch die Höhe der Einkünftekorrektur über den tatsächlich angefallenen Gesamtaufwand einer Entsendung nicht hinausgehen. Dies gilt unabhängig davon, auf welche Rechtsgrundlage eine Korrektur der Einkünfte im Einzelfall gestützt werden kann.
6.280
Ausrichtung der Höhe der Einkünftekorrektur an dem Gesamtinteresse der Entsendung. Die Höhe einer Einkünftekorrektur ist an dem ermittelten Gesamtinteresse der Entsendung auszurichten. Eine eindeutige Beurteilung ergibt sich für Sachverhalte, in denen das Gesamtinteresse der Entsendung der entsendenden oder der aufnehmenden Konzerngesellschaft zugeordnet werden kann. Der Gesamtaufwand der Entsendung ist dann von der Einheit zu tragen, durch deren Interesse die Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach veranlasst sind. Problematisch sind Entsendungssachverhalte mit einer gespaltenen Interessenlage.
6.281
1 Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.4.1; gl. A. Kuckhoff in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 115 (121); kritisch Kroppen/Rasch/Roeder, IWB, F. 3, Gr. 1, 1828. 2 A.A. Waldens, PIStB 2002, 255.
Hick | 615
Kap. 6 Rz. 6.281 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Auch in diesen Fällen ist die Aufteilung des Gesamtaufwandes der Entsendung an der Interessenlage auszurichten. Häufig wird eine Aufteilung des Aufwandes nur durch die Bestimmung eines Aufteilungsschlüssels erfolgen können, der regelmäßig auf einer Schätzung der Interessenlage beruht.
2. Ermittlung eines einheitlichen Aufteilungsmaßstabes 6.282
Einheitlicher Aufteilungsmaßstab bei einer größeren Anzahl von Entsendungen. Vor dem Hintergrund der Verwaltungsvereinfachung sehen die VWG-Arbeitnehmerentsendung vor, dass bei einer größeren Anzahl von Entsendungen die Aufteilung des Aufwandes der Entsendung nach einem einheitlichen Aufteilungsmaßstab erfolgen kann.1
6.283
Voraussetzungen für die Ermittlung eines einheitlichen Aufteilungsmaßstabes. Nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung kann nach einer Funktionsanalyse ein einheitlicher Aufteilungsmaßstab für die Aufteilung des Aufwands der Entsendung Anwendung finden, falls im Rahmen einer Außenprüfung festgestellt wird, dass die Entsendung sowohl im Interesse der entsendenden als auch der aufnehmenden Konzerngesellschaft erfolgt.2 Der ermittelte Aufteilungsmaßstab kann dann auf alle gleich gelagerten Sachverhalte im Prüfungszeitraum im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise Anwendung finden. Die VWG-Arbeitnehmerentsendung enthalten den Hinweis, dass die Abstimmung der Aufteilungsgröße mit der ausländischen Finanzverwaltung erfolgen sollte. In der Praxis ist dies auf Grund der hieraus resultierenden Aufwendungen aber nur selten der Fall. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass in jedem Verfahrensstadium, d.h. auch außerhalb einer Betriebsprüfung, mit der Finanzverwaltung der Abschluss einer tatsächlichen Verständigung hinsichtlich der Aufteilung der Entsendungsaufwendungen erfolgen kann.
6.284
Anwendung des Aufteilungsmaßstabs in über den Prüfungszeitraum hinausgehenden Wirtschaftsjahren. Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann der ermittelte Aufteilungsmaßstab i.S. einer verbindlichen Zusage auch für Wirtschaftsjahre Anwendung finden, die über den Prüfungszeitraum hinausgehen. Voraussetzung ist, dass sich die Verhältnisse nicht wesentlich ändern, die für die Festlegung des Maßstabs ausschlaggebend waren. Die Angemessenheit des Aufteilungsmaßstabs ist in regelmäßigen Abständen zu prüfen und bei Veränderung der Verhältnisse anzupassen.
3. Inanspruchnahme eines Vorteilsausgleichs 6.285
Voraussetzungen für die Durchführung eines Vorteilsausgleichs. Nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung kann ein Vorteilsausgleich auch im Rahmen der Einkunftsabgrenzung bei Arbeitnehmerentsendungen erfolgen.3 Die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus Rz. 3.25 der VWG VP 2021 (vgl. zu weiteren Einzelheiten eines Vorteilsausgleichs Rz. 3.163 ff.).4
6.286
Praktische Umsetzung eines Vorteilsausgleichs. Angesprochen ist der Fall, dass umfängliche Geschäftsbeziehungen zwischen dem aufnehmenden und dem entsendenden Unternehmen bestehen. Dies bedeutet, dass bspw. der Verzicht auf die Weiterbelastung der Aufwendungen für einen im Interesse der Tochtergesellschaft tätigen Arbeitnehmer dadurch ausgeglichen 1 2 3 4
Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.5. Vgl. VWG ArbN, Tz. 3.5. Vgl. VWG ArbN, Tz. 4.3. VWG VP 2021.
616 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.290 Kap. 6
wird, dass die Tochtergesellschaft einen überhöhten Preis für die Lieferung von Waren akzeptiert. Die Finanzverwaltung akzeptiert eine Kompensation zwischen dem nachteiligen und dem vorteilhaften Geschäft unter den eng gefassten Voraussetzungen der VWG Verrechnungspreise v. 14.7.2021.1
X. Korrektur einer nicht dem Fremdvergleich entsprechenden Zuordnung der Aufwendungen der Entsendung 1. Überblick Abgrenzung des Gegenstands der Korrektur. Entspricht die Zuordnung der Aufwendungen einer Arbeitnehmerentsendung nicht dem Fremdvergleich, hat eine Korrektur zu erfolgen. Dabei ist zu differenzieren, ob durch die nicht dem Fremdvergleich entsprechende Zuordnung des Aufwands der Entsendung eine Vorteilsgewährung der Muttergesellschaft an die Tochtergesellschaft oder im umgekehrten Fall eine Vorteilsgewährung der Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft den Gegenstand der Einkünftekorrektur bildet.
6.287
Rechtsgrundlagen der Einkünftekorrektur. Bei einer nicht angemessenen Beteiligung der Muttergesellschaft an dem bei der Tochtergesellschaft anfallenden Entsendungsaufwand ist zu prüfen, ob eine vGA vorliegt (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG).2 Wird die Tochtergesellschaft hingegen nicht in angemessenem Umfang mit den Aufwendungen der Entsendung belastet, die bei der Muttergesellschaft für den entsandten Arbeitnehmer anfallen, ist zu prüfen, ob eine Einkünftekorrektur auf die Grundsätze der verdeckten Einlage (§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Satz 3 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG) gestützt werden kann.3 Liegen die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage nicht vor, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Einkünftekorrektur nach § 1 AStG vorliegen (vgl. zu den Rechtsgrundlagen Rz. 2.57 ff., 5.146 ff. und 7.21 ff.). Handelt es sich bei der Muttergesellschaft um ein Personenunternehmen, kommt zudem auch eine Einkünftekorrektur nach Entnahmegrundsätzen (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG) in Betracht.4
6.288
2. Fallgruppe I: Nicht fremdübliche Übernahme von Entsendungsaufwand durch eine in- bzw. ausländische Tochtergesellschaft Leistungsungleichgewicht zu Lasten der Tochtergesellschaft. Trägt eine Tochtergesellschaft Aufwendungen für einen im Interesse der Muttergesellschaft tätigen Arbeitnehmer, liegt ein Leistungsungleichgewicht zugunsten der Muttergesellschaft vor. Den von der Tochtergesellschaft übernommenen Aufwendungen der Entsendung steht keine objektiv angemessene Gegenleistung gegenüber. Hinsichtlich der weiteren Rechtsfolgen ist zwischen einer Inboundund Outbound-Entsendung zu unterscheiden.
6.289
Inbound-Entsendung. Im Fall einer Inbound-Entsendung liegt eine vGA der inländischen Tochtergesellschaft an ihren Gesellschafter vor (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG). Die vGA beruht auf einer verhinderten Vermögensmehrung aufgrund der Nichtgeltendmachung einer Kostenbeteiligung der Muttergesellschaft.
6.290
1 VWG VP 2021. 2 Vgl. hierzu BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 3 Vgl. hierzu FG Hamburg v. 17.3.2021 – 2 K 172/18, GmbHR 2021 844, NZB anhängig unter I B 34/21 sowie Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 408. 4 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 409.
Hick | 617
Kap. 6 Rz. 6.291 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.291
Outbound-Entsendung. Im Fall einer Outbound-Entsendung können sich Rechtsfolgen für die inländische Muttergesellschaft nur dann ergeben, wenn nach dem Recht des Sitzstaates der Tochtergesellschaft eine Korrektur der Einkünfte der Tochtergesellschaft erfolgt. Hintergrund ist, dass sich die steuerlichen Rechtsfolgen des Leistungsungleichgewichts zu Lasten der Tochtergesellschaft allein nach dem Steuerrecht des Sitzstaates der Tochtergesellschaft bestimmen.
3. Fallgruppe II: Keine angemessene Weiterbelastung von Entsendungsaufwand an die ausländische Tochtergesellschaft 6.292
Verdeckte Einlage durch die Nichtgeltendmachung gegenüber der Tochtergesellschaft bestehender Forderungen. Übernimmt eine inländische Muttergesellschaft Aufwendungen einer Arbeitnehmerentsendung, zu deren Zahlung sich die ausländische Tochtergesellschaft gegenüber dem entsandten Arbeitnehmer vertraglich verpflichtet hat, kann der Tatbestand einer verdeckten Einlage erfüllt sein.1 Die Struktur zeichnet sich dadurch aus, dass die aufnehmende ausländische Konzerngesellschaft mit dem entsandten Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Auf der Grundlage des Arbeitsvertrages ist die Tochtergesellschaft zu Gehaltszahlungen an den in ihrem Interesse tätigen Arbeitnehmer verpflichtet. An Stelle der Tochtergesellschaft nimmt allerdings die Muttergesellschaft aus gesellschaftsrechtlichen Gründen an den Arbeitnehmer die Gehaltszahlungen vor. Hierdurch übernimmt die Muttergesellschaft Verbindlichkeiten gegenüber einem bei der Tochtergesellschaft angestellten Arbeitnehmer.2 Aus der Tilgung der Lohnschulden durch den Gesellschafter resultiert eine Vermögensmehrung der Tochtergesellschaft. Die verdeckte Einlage besteht in der Nichtgeltendmachung der Forderung der Muttergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft aus dem übernommenen Aufwand der Entsendung (hinsichtlich der weiteren Rechtsfolgen verdeckter Einlagen vgl. Rz. 2.55 f.).
6.293
Nachträglicher Verzicht auf die Geltendmachung einer Forderung. Eine verdeckte Einlage kann auch daraus resultieren, dass die Muttergesellschaft nachträglich auf die Geltendmachung einer gegenüber der Tochtergesellschaft bestehenden Forderung verzichtet. Dieser Fall kann in der Praxis dann vorliegen, wenn der aufnehmenden Tochtergesellschaft lediglich eine wirtschaftliche Arbeitgeberstellung zukommt. D.h. der Arbeitsvertrag mit dem entsandten Arbeitnehmer wird während der Entsendung fortgeführt. Betreffend den Aufwand der Entsendung wurde zwischen der Muttergesellschaft und der aufnehmenden Tochtergesellschaft eine Vereinbarung hinsichtlich der Übernahme der Aufwendungen der Entsendung durch die Tochtergesellschaft getroffen. Nachträglich verzichtet die Muttergesellschaft jedoch auf die Geltendmachung gegenüber der Tochtergesellschaft bestehender Forderungen.
6.294
Leistungsentnahme durch die Nichtweiterbelastung von Aufwendungen der Entsendung. Handelt es sich bei dem entsendenden Unternehmen um eine Personengesellschaft, kann auf Grund der Nichtweiterbelastung von Entsendungsaufwand an eine dem Gesellschafter nahe stehende Person (Schwestergesellschaft) eine Leistungsentnahme vorliegen.3 Die Vorteilsgewährung an die Schwestergesellschaft auf Grund der Nichtweiterbelastung von Aufwendungen der Entsendung stellt eine Wertabgabe in einen betriebsfremden Bereich dar. So ist der Tatbestand einer Entnahme auch dann erfüllt, wenn eine Vorteilsgewährung an eine dem 1 Vgl. Höppner, JbFSt 1990, 148 (150); Schreiber, JbFSt 2001, 602 (608). 2 Vgl. BFH v. 11.4.1984 – I R 175/79, BStBl. II 1984, 537. Im Ergebnis so auch BFH v. 29.7.1997 – VIII R 57/94, BStBl. II 1998, 653; v. 19.5.1982 – I R 102/79, BStBl. II 1982, 632 = FR 1982, 441. 3 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 324 = FR 1998, 487.
618 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.297 Kap. 6
Gesellschafter nahe stehende Person erfolgt.1 Bei einer Wertabgabe an nahe stehende Dritte im Rahmen einer unausgewogenen Geschäftsbeziehung wird gedanklich eine Entnahme des Steuerpflichtigen in sein Privatvermögen mit einer anschließenden Wertabgabe an den fremden Dritten fingiert.2 Die Wertabgabe aus dem Betrieb der Personengesellschaft kann daher nach § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG den Gesellschaftern als Entnahme zugerechnet werden. Einkünftekorrektur nach § 1 AStG. Im Grundsatz kommt eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG nur in Betracht, falls aus einer Geschäftsbeziehung (§ 1 Abs. 4 AStG) eine Minderung der Einkünfte der inländischen Konzerngesellschaft resultiert. Dabei ist zu beachten, dass sich die Frage einer Anwendung des § 1 AStG nur für Sachverhalte stellt, in denen eine Einkünftekorrektur nicht bereits auf eine verdeckte Einlage bzw. Entnahme gestützt werden kann.3 Zum Konkurrenzverhältnis des § 1 AStG zu den übrigen Korrekturnormen des innerstaatlichen Rechts wird auf die Ausführungen in Kap. 2 (Rz. 2.199 ff.) verwiesen. Erfasst werden bspw. Sachverhalte, in denen die inländische entsendende Gesellschaft für einen im Interesse der Tochtergesellschaft tätigen Arbeitnehmer auf die Weiterbelastung der Aufwendungen der Entsendung verzichtet.
6.295
Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG im Rahmen von Entsendungen. Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG ist jede schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung ist. Fraglich ist, ob von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfasste Entsendungen im Rahmen einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG erfolgen. So ist zu beachten, dass den von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen gerade kein Leistungsaustausch auf schuldrechtlicher Basis zugrunde liegt. Die Finanzverwaltung geht allerdings davon aus, dass eine Geschäftsbeziehung auch dann vorliegen kann, wenn kein Leistungsaustausch erfolgt.4 Diese Beurteilung ist fragwürdig. So fehlt es im Fall konzerninterner Entsendungen regelmäßig an einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen den Konzerngesellschaften hinsichtlich der Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung.
6.296
XI. Know-how-Transfer und Funktionsverlagerung im Zusammenhang mit Entsendungen 1. Know-how-Transfer a) Erscheinungsformen des Know-how im Zusammenhang mit Entsendungen Prüfung eines Transfers von Know-how an die aufnehmende Gesellschaft. Nach den VWG-Arbeitnehmerentsendung ist zu prüfen, ob im Rahmen einer Entsendung ein Transfer von Know-how an die aufnehmende Konzerngesellschaft erfolgt, der zur Gewinnrealisierung bei der abgebenden Konzerngesellschaft führt.5 Bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft muss ggf. ein immaterielles Wirtschaftsgut aktiviert und abgeschrieben werden. Der Hinweis in den VWG-Arbeitnehmerentsendung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der grenzüberschreitende konzerninterne Austausch von Know-how häufig als Grund für die Durchführung von Arbeitnehmerentsendungen genannt wird.6 1 Vgl. BFH v. 6.8.1985 – VIII R 280/81, BStBl. II 1986, 17 = FR 1986, 44. 2 Vgl. Schliephake, Personengesellschaften, 164. 3 Zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs zwischen § 1 AStG und § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG vgl. Wassermeyer, IStR 1997, 657. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 1.16. 5 Vgl. VWG ArbN, Tz. 4.2. 6 Vgl. Dworaczek/Herda/von Gruchalla Wesierski in V/B/B, Verrechnungspreise5, T Tz. 2.
Hick | 619
6.297
Kap. 6 Rz. 6.298 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.298
Nicht dem urheberrechtlichen Schutz unterliegende Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten. Know-how fällt in die Kategorie der immateriellen Vermögenswerte des Betriebsvermögens.1 In Anlehnung an das Urteil des BFH v. 4.3.1970 wird der Begriff für nicht dem urheberrechtlichen Schutz unterliegende Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten verwandt.2 Know-how kann seinen Ausdruck in physischen Gegenständen wie Zeichnungen, Versuchsergebnissen, Tabellen, Plänen, Formeln, Rezepten, Mustern und Arbeitsanweisungen finden. Know-how kann allerdings auch durch das Humankapital eines Spezialisten verkörpert werden.3 Als Know-how können dessen gewerbliche, technische und wissenschaftliche Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten eingestuft werden. In diesem Fall hat sich der Vermögenswert „Know-how“ nicht in Form von Zeichnungen und Plänen oder auf Datenträgern konkretisiert.4 Wird das Know-how einem Dritten vermittelt, so spart es diesem Zeit und Kosten.5 Die Qualität eines betrieblichen Vermögenswertes hat Know-how nur dann, wenn es sich um relativ geheimes Know-how handelt.6 Es muss sich daher um für Außenstehende nicht zugängliche Kenntnisse und Erfahrungen handeln. Zu beachten ist, dass regelmäßig jede Preisgabe von Know-how mit einer Reduktion von dessen Wert einhergeht.
6.299
Übertragung bzw. Überlassung von Know-how. Die VWG-Arbeitnehmerentsendung gehen nicht darauf ein, in welcher Weise der Transfer von Know-how erfolgt. In Abhängigkeit davon, ob mit dem Transfer ein Rechtsträgerwechsel einhergeht, kann zwischen der Übertragung und der Überlassung unterschieden werden. Auch wenn die Finanzverwaltung auf die Unterscheidung nicht ausdrücklich eingeht, werden von den VWG-Arbeitnehmerentsendung wohl beide Sachverhalte angesprochen. Dabei tritt im Zusammenhang mit der Überlassung von Know-how die Problematik auf, dass dieses einer zeitlich begrenzten Überlassung häufig nicht fähig ist.7 In der Praxis lässt sich die Weiterbenutzung der einmal überlassenen Kenntnisse und Erfahrungen regelmäßig nicht vermeiden.
6.300
Richtung des Know-how-Transfers. Die Finanzverwaltung spricht in den VWG-Arbeitnehmerentsendung nur den Transfer von Know-how von der entsendenden an die aufnehmende Konzerngesellschaft an.8 In Betracht zu ziehen ist aber auch, dass der Arbeitnehmer während der Entsendung spezielle Kenntnisse und Erfahrungen der aufnehmenden Konzerngesellschaft erlangt.9 b) An den Arbeitnehmer gebundenes Know-how
6.301
Überlassung von Know-how im Rahmen der Entsendung. Die Kenntnisse und besonderen Erfahrungen des Arbeitnehmers können als an den Arbeitnehmer gebundenes Know-how eingestuft werden. Eine Überlassung von Know-how im Rahmen der Entsendung eines Arbeitnehmers würde voraussetzen, dass der aufnehmenden Konzerngesellschaft im Rahmen 1 Vgl. BFH v. 3.7.1987 – III R 7/86, BStBl. II 1987, 730 = FR 1987, 477. 2 Vgl. BFH v. 4.3.1970 – I R 86/69, BStBl. II 1970, 567; v. 13.11.2002 – I R 90/01, FR 2003, 469; v. 13.2.1970 – III R 43/68, BStBl. II 1970, 373; so auch Amann, Dienstleistungen, 64; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA, Rz. 81. 3 Vgl. Kuebart, Verrechnungspreise im internationalen Lizenzgeschäft, 13. 4 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 12 OECD-MA Rz. 81. 5 Vgl. BFH v. 23.11.1988 – II R 209/82, BStBl. II 1989, 82. 6 Vgl. BFH v. 10.3.1993 – I R 116/91, BFH/NV 1993, 595. 7 Vgl. BFH v. 27.4.1977 – I R 211/74, BStBl. II 1977, 623. 8 Vgl. VWG ArbN, Tz. 4.2. 9 Vgl. IDW, FN-IDW 2000, 657 (658).
620 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.304 Kap. 6
der Entsendung ein Nutzungsrecht in Bezug auf das Know-how eingeräumt wird. Diese Voraussetzungen liegen vor, falls die aufnehmende Konzerngesellschaft zukünftig selbst Problemstellungen mit Hilfe des Know-hows lösen kann.1 Spezielle Kenntnisse und Erfahrungen des Arbeitnehmers. Verfügt der Arbeitnehmer über spezielle Kenntnisse und Erfahrungen, so stellen diese kein von dem Arbeitnehmer lösbares, selbstständig bewertbares Wirtschaftsgut dar.2 Die Mitteilung des an den Arbeitnehmer gebundenen Know-hows wird im Regelfall nur mündlich erfolgen. Dies ist bspw. im Rahmen der Ausbildung oder Schulung von Mitarbeitern der aufnehmenden Konzerngesellschaft der Fall. Wendet der Arbeitnehmer hingegen seine Kenntnisse und Erfahrungen zur Lösung einer ihm übertragenen Aufgabe an, so resultiert hieraus keine Überlassung des Know-how. Diese Beurteilung gilt auch dann, wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers bspw. in der Anfertigung eines Gutachtens besteht.3 In diesem Fall handelt es sich nicht um die Vermittlung von Erfahrungswissen, sondern um dessen Anwendung durch den „Vermittler“ selbst.4
6.302
Kein gesondert zu vergütender Transfer von Know-how. Im Ergebnis ist im Rahmen einer Entsendung kein gesondert zu verrechnender Transfer von Know-how gegeben.5 Verfügt der Arbeitnehmer über besondere Kenntnisse und Fähigkeiten, so bilden diese einen Bestandteil des von der aufnehmenden Konzerngesellschaft zu übernehmenden Aufwands der Entsendung.6 Häufig liegt einer Entsendung auch die Zielsetzung zugrunde, die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen des Arbeitnehmers zu nutzen. Diese Zielsetzung ist regelmäßig im Rahmen von „Expertenentsendungen“ gegeben.
6.303
c) Sonderfall der Überlassung bzw. Übertragung körperlicher Unterlagen Voraussetzungen einer Nutzungsüberlassung bzw. Übertragung von Know-how. Eine Nutzungsüberlassung bzw. Übertragung von Know-how im Zusammenhang mit einer Entsendung liegt vor, falls der aufnehmenden Konzerngesellschaft körperliche Unterlagen wie Datenträger, Zeichnungen oder technische Dokumentationen übergeben werden.7 In diesem Fall werden der aufnehmenden Konzerngesellschaft Nutzungs- oder Herstellungsrechte an dem mitgeteilten Know-how eingeräumt.8 Dies hat zur Folge, dass die Überlassung bzw. Übertragung von Know-how im Rahmen der Einkunftsabgrenzung einen eigenständigen Sachverhalt bildet, der getrennt von der in diesem Zusammenhang erfolgenden Entsendung des Arbeitnehmers zu beurteilen ist. Wird Know-how kostenlos oder zu einem unangemessen niedrigen Preis von der Muttergesellschaft an eine Tochtergesellschaft übertragen, hat eine Korrektur nach den Grundsätzen einer verdeckten Einlage zu erfolgen.9 Im Fall der Überlassung ist prüfen, ob eine Berichtigung des Gewinns auf § 1 AStG gestützt werden kann.
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. BFH v. 16.12.1970 – I R 44/67, BStBl. II 1971, 235. Vgl. BFH v. 10.3.1993 – I R 116/91, BFH/NV 1993, 595. Vgl. Amann, Dienstleistungen, 72. Vgl. BFH v. 16.12.1970 – I R 44/67, BStBl. II 1971, 237. Vgl. VWG ArbN, Tz. 4.2. Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 1857 (1862); Waldens, PIStB 2002, 166 (180). Vgl. BFH v. 27.4.1977 – I R 211/74, BStBl. II 1977, 623. Vgl. Amann, Dienstleistungen, 72; Dubberke, IStR 1998, 662 (664). Zur verdeckten Einlage immaterieller Wirtschaftsgüter vgl. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 106.
Hick | 621
6.304
Kap. 6 Rz. 6.305 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
d) Voraussetzungen für einen Know-how-Transfer von der aufnehmenden an die entsendende Gesellschaft
6.305
Erlangung von Kenntnissen und Erfahrungen der aufnehmenden Gesellschaft. Bei einer Entsendung zu Ausbildungs- und Fortbildungszwecken wird der Arbeitnehmer häufig als Knowhow einzustufende Kenntnisse und Erfahrungen der aufnehmenden Konzerngesellschaft erwerben. Die dem Arbeitnehmer vermittelten speziellen Kenntnisse und Erfahrungen stellen allerdings kein von diesem lösbares, selbstständig bewertbares Wirtschaftsgut dar. Im Wirtschaftsleben wird die Mitnahme und Nutzung der bei einem anderen Arbeitgeber erworbenen Kenntnisse im Allgemeinen nicht gesondert vergütet. Ein Transfer von Know-how liegt daher nur dann vor, wenn die Entsendung mit der Einräumung von Nutzungsrechten an immateriellen Wirtschaftsgütern wie Plänen, Mustern, Verfahren, Formeln oder Patenten verbunden ist.
2. Arbeitnehmerentsendung und Funktionsverlagerung a) Überblick
6.306
Keine Einstufung von Arbeitnehmerentsendungen als Funktionsverlagerung. In § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV wird klargestellt, dass konzerninterne Arbeitnehmerentsendungen als solche nicht die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllen (zu den Grundlagen von Funktionsverlagerungen vgl. Rz. 7.3 ff.). Diese Beurteilung ist sachgerecht, da im Rahmen einer Entsendung allein eine Entscheidung über die Zuordnung des Aufwandes der Entsendung bei dem zivilrechtlichen oder wirtschaftlichen Arbeitgeber zu treffen ist. Die Verlagerung einer Funktion i.S. eines organischen Teils eines Unternehmens gemäß § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ist insoweit ausgeschlossen.
6.307
Übertragung einer Funktion im Rahmen einer Entsendung. Von diesem Grundsatz begründet § 1 Abs. 7 Satz 2 Halbs. 2 FVerlV allerdings dann eine Ausnahme, wenn im Zuge der Entsendung eine Funktion mit übertragen wird. In den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung unterscheidet die Finanzverwaltung für die Anwendung von § 1 Abs. 7 Satz 2 Halbs. 2 FVerlV zwischen folgenden Fallgruppen: – Entsendungen in rein zeitlichem Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung,1 – Entsendungen, die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer tatsächlich verwirklichten Funktionsverlagerung erfolgen,2 sowie – Funktionsverlagerungen als Folge einer Arbeitnehmerentsendung.3 b) Arbeitnehmerentsendungen in rein zeitlichem Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung
6.308
Getrennte Behandlung von Funktionsverlagerung und Arbeitnehmerentsendung. Erfolgt eine Arbeitnehmerentsendung in einem rein zeitlichen, aber nicht in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung, gelten für die Verrechnung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung die allgemeinen Grundsätze. D.h. soweit der aufnehmenden Konzerngesellschaft die Stellung eines zivilrechtlichen bzw. eines wirtschaftlichen Arbeitgebers zukommt, gelten für die Verrechnung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung die VWG-Arbeitnehmerentsendung. 1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 53 u. 54. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 55. 3 Vgl. VWG FVerl, Rz. 56.
622 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.312 Kap. 6
c) Arbeitnehmerentsendungen als wirtschaftlicher Teil einer Funktionsverlagerung Erfassung von Arbeitnehmerentsendungen als Bestandteil des „Transferpakets“. Erfolgt die Entsendung von Arbeitnehmern hingegen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung, geht die Finanzverwaltung davon aus, dass das verlagernde Unternehmen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Funktionsverlagerung Dienstleistungen an das aufnehmende Unternehmen erbringt, die einen Teil des Transferpakets bilden.1
6.309
Abgrenzung zu Entsendungen in einem rein zeitlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung. Vor dem Hintergrund der Verwaltungsauffassung kommt aus Sicht der Praxis der Abgrenzung zwischen Entsendungen in einem rein zeitlichen und in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung entscheidende Bedeutung zu. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Funktionsverlagerung und der Entsendung des Arbeitnehmers soll nach der Verwaltungsauffassung dann bestehen, wenn die Entsendung des Arbeitnehmers dem Zweck dient, dem übernehmenden Unternehmen folgende Vorteile zu vermitteln: Kenntnisse des Produkt- oder Prozess-Know-hows, Kenntnisse über Forschungsprojekte, die Betriebsorganisation, persönliche Netzwerkbeziehungen zu anderen Konzernunternehmen, Markt- und Branchenkenntnisse bzw. personengebundene Aufträge im Beratungsgeschäft. Aus Sicht der Praxis kommt es insoweit darauf an, durch eine entsprechende Dokumentation gegenüber der Finanzverwaltung den Nachweis zu führen, dass eine erfolgte Entsendung nicht in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung steht. Praktisch setzt dies voraus, dass Aufzeichnungen über das Tätigkeitsfeld des entsandten Arbeitnehmers im Rahmen der Entsendung geführt werden.
6.310
Rechtsfolgen von Entsendungen im wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass es sich bei den o.g. durch den Arbeitnehmer erbrachten Leistungen um Dienstleistungen handelt, die einen Bestandteil des Transferpakets bilden.2 D.h. die VWG-Arbeitnehmerentsendung sollen für die Zuordnung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung nicht zur Anwendung gelangen. Der Aufwand der Arbeitnehmerentsendung bildet dann einen Bestandteil des Verrechnungspreises für die Verlagerung einer Funktion als Ganzes. Die Einstufung der Arbeitnehmerentsendung als Dienstleistung setzt allerdings voraus, dass die in Tz. 2.1. und Tz. 2.2. der VWG-Arbeitnehmerentsendung genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. D.h. bei der aufnehmenden Gesellschaft darf es sich weder um den zivilrechtlichen noch um einen wirtschaftlichen Arbeitgeber der entsandten Arbeitnehmer handeln.3
6.311
Ermittlung des Dienstleistungsentgelts. Nach der Verwaltungsauffassung sollen in die Ermittlung des Dienstleistungsentgelts auch wirtschaftliche Vorteile des aufnehmenden Unternehmens eingehen, die daraus resultieren, dass dem aufnehmenden Unternehmen im Zuge der Entsendung Know-how überlassen wird.4 D.h. in die Bewertung des Transferpaktes soll auch der Wert des an den Arbeitnehmer gebundenen Know-how eingehen. Nach den in Rz. 6.301 dargelegten Grundsätzen fehlt es allerdings an einer Überlassung von Know-how, wenn der Arbeitnehmer sein Erfahrungswissen zur Lösung einer ihm übertragenen Aufgabe einsetzt. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Entsendung des Arbeitnehmers im Rahmen einer Funktionsverlagerung erfolgt und der Arbeitnehmer sein Erfahrungswissen dazu einsetzt, um die verlagerten Wirtschaftsgüter bei der aufnehmenden Konzerngesellschaft wirtschaftlich effizient einzusetzen.
6.312
1 2 3 4
Vgl. VWG FVerl, Rz. 54. Vgl. BR-Drucks. 352/08, 14. Vgl. Ditz, IStR 2009, 421 (423). Vgl. VWG FVerl, Rz. 55.
Hick | 623
Kap. 6 Rz. 6.313 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
d) Funktionsverlagerung als Folge einer Arbeitnehmerentsendung
6.313
Funktionsverlagerung durch Arbeitnehmerentsendungen. Nach der Begründung zur FVerlV soll als Folge einer Arbeitnehmerentsendung eine Funktionsverlagerung vorliegen, wenn der entsandte Arbeitnehmer seinen bisherigen Zuständigkeitsbereich beibehält und infolgedessen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen werden bzw. Chancen und Risiken übergehen.1 Die Begründung zur FVerlV beschreibt einen Sachverhalt, bei dem im Zusammenhang mit einer konzerninternen Arbeitnehmerentsendung auf die aufnehmende Konzerngesellschaft ein Leistungspaket aus materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern übertragen wird, damit der entsandte Arbeitnehmer bei dem aufnehmenden Unternehmen seinen bislang ausgeübten Tätigkeiten weiterhin nachgehen kann.2 Nach § 1 Abs. 1 FVerlV handelt es sich bei einer Funktion um eine Zusammenfassung betrieblicher Aufgaben, die als organischer Teil des Unternehmens einzustufen sind. Vor diesem Hintergrund ist es in der Praxis nur schwer denkbar, dass die Tätigkeit eines einzelnen entsandten Arbeitnehmers als organischer Teil des Unternehmens eingestuft werden kann. Allein die Mitgabe materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter reicht hierfür nicht aus. Die Voraussetzungen einer Funktion i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV werden insoweit nicht erfüllt.3 Genauer zu prüfen sind in der Praxis allerdings Sachverhalte, in denen – alle Mitarbeiter einer Abteilung an ein verbundenes Unternehmen entsandt werden, – das aufnehmende Unternehmen in Folge der Entsendung die Aufgaben der Abteilung übernehmen kann und – in Folge der Entsendung auch ein Transfer von immateriellen Wirtschaftsgütern erfolgt.
6.314
Rechtsfolgen für die Verrechnung des Aufwands der Entsendung. Liegt eine Funktionslagerung als Folge einer Arbeitnehmerentsendung vor, sollen die VWG-Arbeitnehmerentsendung für die Aufteilung des Aufwands der Entsendung nicht zur Anwendung gelangen. Nach der Verwaltungsauffassung bildet in diesen Fällen der Aufwand der Entsendung einen Bestandteil des zu bewertenden Transferpakets.
XII. Nachweis-, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei Arbeitnehmerentsendungen 1. Nachweis- und Mitwirkungspflichten 6.315
Ermittlung des Sachverhalts durch die Finanzverwaltung. Im Grundsatz ist die Finanzverwaltung nach § 88 Abs. 1 AO zur Ermittlung des „Sachverhalts“ einer Arbeitnehmerentsendung von Amts wegen verpflichtet.4 Soweit die Finanzverwaltung die näheren Umstände einer Arbeitnehmerentsendung nicht abschließend aufklären kann, wird die Finanzverwaltung eine inländische Konzerngesellschaft, die als aufnehmendes oder entsendendes Unternehmen an einer Arbeitnehmerentsendung beteiligt ist, zur Mitwirkung an der Sachverhaltsermittlung auffordern.
1 2 3 4
Vgl. BR-Drucks. 352/08, 14. Vgl. VWG FVerl, Rz. 56. So im Ergebnis auch Kroppen/Rasch, IWB, F. 3 Gr. 1, 2346. Zu Einzelheiten vgl. Hahlweg in König4, § 90 AO Rz. 11 ff.
624 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.318 Kap. 6
Mitwirkungspflichten bei Arbeitnehmerentsendungen. Sofern inländische Konzerngesellschaften an einer Arbeitnehmerentsendung entweder als entsendendes oder als aufnehmendes Unternehmen beteiligt sind, resultiert aus § 90 Abs. 1 Satz 1 AO für das inländische Unternehmen die Verpflichtung, an der Ermittlung der für die Besteuerung erheblichen Tatsachen mitzuwirken.1 Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den hier behandelten Arbeitnehmerentsendungen um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt handelt, ist zudem die erweiterte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO zu beachten. Aus § 90 Abs. 2 AO resultiert für das inländische entsendende bzw. aufnehmende Unternehmen eine Sachverhaltsaufklärungsund Beweismittelbeschaffungspflicht. Im Zusammenhang mit einer Arbeitnehmerentsendung kommt neben der Erteilung von Auskünften bspw. die Vorlage des mit dem entsandten Arbeitnehmer abgeschlossenen Arbeitsvertrages, des Schriftverkehrs im Zusammenhang mit der Entsendung oder eine Tätigkeitsbeschreibung in Betracht. Die Verpflichtung zur Beweismittelbeschaffung kann sich allerdings nur auf die im Ausland bereits vorhandenen Beweismittel erstrecken. Regelmäßig wird es sich um Beweismittel handeln, die für die Ermittlung der Interessenlage herangezogen werden können. Dabei ist allerdings zur beachten, dass sich die Vorlagepflicht ausschließlich auf Sachverhaltsfeststellungen und nicht auf Sachverhaltswürdigungen in Form von Gutachten und Stellungnahmen erstreckt. Dies bedeutet, dass bspw. keine Vorlagepflicht für Verrechnungspreisgutachten besteht, die zur Angemessenheit von Vergleichsgehältern Stellung nehmen. In Bezug auf die aus § 90 Abs. 2 AO resultierenden Vorlagepflichtigen ist allerdings das Verhältnis zu § 90 Abs. 3 AO zu beachten. Die aus § 90 Abs. 3 AO resultierende Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Erstellung einer Sachverhaltsund Angemessenheitsdokumentation betreffend die Arbeitnehmerentsendung hat im Ergebnis eine vorrangige schriftliche Auskunftsverpflichtung des Steuerpflichtigen zur Folge.
6.316
Beweislastverteilung bei Arbeitnehmerentsendungen. Eine an einer Entsendung als entsendendes oder als aufnehmendes Unternehmen beteiligte inländische Konzerngesellschaft ist dazu verpflichtet, Einzelheiten der Entsendung darzulegen und unter den Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 AO auch nachzuweisen. Zudem sind die aus § 90 Abs. 3 AO resultierenden Anforderungen an die Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation zu beachten. Werden diese Verpflichtung nicht erfüllt, kann die Finanzverwaltung bei der Besteuerung des inländischen Unternehmens von dem Sachverhalt ausgehen, für den die größte Wahrscheinlichkeit spricht.2 Im Ergebnis liegt in der Praxis im Hinblick auf die aus § 90 Abs. 3 AO resultierende Verpflichtung zur Erstellung einer Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation die Verpflichtung zum Nachweis der Fremdüblichkeit der Arbeitnehmerentsendung bei dem Steuerpflichtigen.
6.317
Erfüllung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen. Kommt der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nach, liegt die Beweislast bei der Finanzverwaltung. Dies bedeutet, dass die Finanzverwaltung durch Beschaffung betriebsexterner Fremdvergleichsdaten den Nachweis führen muss, dass ein ordentlicher Geschäftsleiter eines unabhängigen Unternehmens für den entsandten Arbeitnehmer nur einen geringeren Gehaltsaufwand getragen hätte.
6.318
1 Zu Einzelheiten vgl. VWG 2020, Tz. 3.2. 2 Vgl. Hahlweg in König4, § 90 AO Rz. 43.
Hick | 625
Kap. 6 Rz. 6.319 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
2. Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO im Rahmen von Arbeitnehmerentsendungen a) Keine Geschäftsbeziehung bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen
6.319
Aufzeichnungspflicht für Entsendungen. Im Grundsatz erfasst die Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 Satz 1 AO Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG, die ein Steuerpflichtiger zum Ausland mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG unterhält (zu den Grundlagen der durch § 90 Abs. 3 AO begründeten Aufzeichnungsverpflichtungen vgl. Rz. 8.10 ff.). Ausgehend von dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 AStG ist das Kriterium einer Geschäftsbeziehung erfüllt, falls die Entsendung im Rahmen eines durch einen Dienstleistungsvertrag begründeten Leistungsaustauschs erfolgt. Die Finanzverwaltung vertritt allerdings in § 1 Abs. 1 Satz 3 GAufzV die Auffassung, dass sich die Aufzeichnungspflicht auch auf Geschäftsbeziehungen erstreckt, die keinen Leistungsaustausch zum Gegenstand haben. Ausdrücklich werden dabei Arbeitnehmerentsendungen i.S.d. VWG-Arbeitnehmerentsendung angesprochen, denen kein Leistungsaustausch zugrunde liegt.1 Diese Beurteilung ist allerdings zweifelhaft, da es bei den von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen an einem schuldrechtlich begründeten Leistungsaustausch zwischen den Konzerngesellschaften fehlt.
6.320
Zu dokumentierende Geschäftsbeziehung. Auch bei von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendungen kann sich der Gegenstand der Dokumentationsverpflichtung allerdings nur auf die Geschäftsbeziehung zwischen dem entsendenden und dem aufnehmenden Unternehmen erstrecken. Ausgenommen von der Dokumentationsverpflichtung sind die Rechtsbeziehungen des entsandten Arbeitnehmers zu dem aufnehmenden bzw. dem entsendenden Unternehmen. In Bezug auf das Verhältnis zu dem entsandten Arbeitnehmer ist die Dokumentationsverpflichtung auf die Sachverhaltsdokumentation i.S.d. § 4 Satz 1 Nr. 2 GAufZV begrenzt (siehe hierzu auch Rz. 8.69 ff.). Allerdings ist zu beachten, dass mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2011 das von unbeschränkt Steuerpflichtigen auszufüllende Formular N-AUS detaillierte Angaben zu der im Ausland ausgeübten nichtselbstständigen Tätigkeit verlangt. Neben den für die Besteuerung relevanten Angaben zum Wohnsitz werden u.a. detaillierte Angaben zum Arbeitslohn, d.h. zu dessen Zusammensetzung und zur Aufteilung verlangt.
6.321
Nachweis- und Vorlagepflichten im Rahmen von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfasster Entsendungen. In den VWG-Arbeitnehmerentsendung hat die Finanzverwaltung dargelegt, welche besonderen Nachweis- und Vorlagepflichten bei von den Verwaltungsgrundsätzen erfassten Entsendungen bestehen. Dabei ist zu beachten, dass der Erlass auf der vor der Einführung des § 90 Abs. 3 AO geltenden Rechtslage beruht.2 D.h. ausgehend von den durch § 90 Abs. 2 AO begründeten erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten bestand die Verpflichtung zur Aufklärung eines Sachverhalts mit Auslandsberührung. Aufzeichnungs- und Dokumentationsverpflichtungen konnten allerdings nicht auf die Vorschrift gestützt werden.3
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.5 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. VWG ArbN, Tz. 5. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171.
626 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.325 Kap. 6
Nachweis von Gesamtaufwand und Interessenlage der Entsendung. In Tz. 5 der VWG-Arbeitnehmerentsendung führt die Finanzverwaltung vornehmlich eine Reihe von Unterlagen auf, die darauf ausgerichtet sind, den Gesamtaufwand und die Interessenlage der Entsendung zu belegen. Eine systematische Ordnung weist die Aufstellung allerdings nicht auf. Verlangt wird eine umfassende Dokumentation der wirtschaftlichen Gegebenheiten der Entsendung.1 Insoweit sind die in Tz. 5 der VWG-Arbeitnehmerentsendung angeführten Unterlagen dazu geeignet, die nunmehr nach § 90 Abs. 3 AO bestehenden Aufzeichnungs- und Dokumentationsverpflichtungen inhaltlich auszufüllen.
6.322
b) Gegenstand der Aufzeichnungsverpflichtungen im Einzelnen Dokumentation des verwirklichten Sachverhalts. Nach § 1 Abs. 1 GAufzV muss aus den nach § 90 Abs. 3 AO zu erstellenden Aufzeichnungen hervorgehen, welcher Sachverhalt im Rahmen einer konzerninternen Arbeitnehmerentsendung verwirklicht wurde (Sachverhaltsdokumentation) und inwieweit bei der Zuordnung der Aufwendungen der Entsendung der Grundsatz des Fremdvergleichs beachtet wurde (Angemessenheitsdokumentation). In der Praxis wird die Dokumentation von Arbeitnehmerentsendungen regelmäßig nur einen Teilaspekt der von dem Unternehmen zu erstellenden Verrechnungspreisdokumentation bilden. D. h. die Dokumentation zu Arbeitnehmerentsendungen kann i.d.R. auf den Angaben (entsprechend § 4 GAufzV) aufbauen, die allgemeine Informationen über die Beteiligungsverhältnisse, den Geschäftsbetrieb, den Organisationsaufbau sowie den Gegenstand der wirtschaftlichen Tätigkeit der entsendenden und der aufnehmenden Konzerngesellschaft vermitteln.
6.323
Relevanz der Dokumentationsverpflichtung. Aus Sicht der Praxis sind die Dokumentationsverpflichtungen dann von besonderer Relevanz, wenn sich die Aufwendungen der Entsendung in Deutschland als Betriebsausgabe auswirken sollen. Dies kann bei einer Auslandsentsendung im Fall eines Verzichts auf die Weiterbelastung von Aufwendungen der Fall sein. In diesem Fall ist anhand der Dokumentation die besondere Interessenlage des entsendenden Unternehmens an der Entsendung zu belegen. Entsprechend ist im Fall einer Inlandsentsendung die Interessenlage des aufnehmenden inländischen Unternehmens und die Angemessenheit der Aufwendungen der Entsendung zu dokumentieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Aufwand für den entsandten Arbeitnehmer den Aufwand übersteigt, der bei der Beschäftigung eines auf dem lokalen Arbeitsmarkt angeworbenen Arbeitnehmers anfallen würde.
6.324
c) Art und Gegenstand der Arbeitnehmerentsendung (Sachverhaltsdokumentation) aa) Überblick Wesentliche Bereiche der Sachverhaltsdokumentation. Der wesentliche Gegenstand der Sachverhaltsdokumentation erstreckt sich auf die folgenden Bereiche: – Vertraglichen Grundlagen der Entsendung, – Angaben zur Höhe und Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung sowie – Angaben zu Art und Umfang der Tätigkeit des Arbeitnehmers.
1 Vgl. Dworaczek/Herda/von Gruchalla Wesierski in V/B/B, Verrechnungspreise5, T Tz. 41.
Hick | 627
6.325
Kap. 6 Rz. 6.326 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.326
Abhängigkeit der Sachverhaltsdokumentation von der Art der zu dokumentierenden Entsendung. In der Praxis wird die Ausgestaltung und der Umfang der Sachverhaltsdokumentation wesentlich durch die Art der zu dokumentierenden Entsendung bestimmt. So ist danach zu unterscheiden, ob Gegenstand der Dokumentation eine sog. „Routineentsendung“, eine Entsendung zu Aus- und Fortbildungszwecken oder eine Entsendung im Rahmen eines Rotationsverfahrens bildet. Weiterhin kann sich in Einzelfällen die Notwendigkeit ergeben, die Einstufung der aufnehmenden Konzerngesellschaft als wirtschaftlicher Arbeitgeber besonders zu dokumentieren. Auch kann sich in Einzelfällen die Notwendigkeit einer Abgrenzung zwischen einer von den VWG-Arbeitnehmerentsendung erfassten Entsendung und einer Entsendung im Rahmen eines Leistungsaustauschs ergeben. bb) Vertragliche Grundlagen der Entsendung und Schriftverkehr
6.327
Dokumentation der vertraglichen Grundlagen der Entsendung. Hinsichtlich der vertraglichen Grundlagen der Entsendung ist zwischen den im Innenverhältnis zwischen den Konzerngesellschaften abgeschlossenen Verträgen und den vertraglichen Beziehungen zu dem entsandten Arbeitnehmer zu unterscheiden. Gegenstand der Dokumentation bilden zunächst die Verträge, die das Verhältnis zwischen dem entsandten Arbeitnehmer und den in die Entsendung einbezogenen Konzerngesellschaften regeln.1 Von Relevanz sind an die Auslandstätigkeit angepasste Entsendungsverträge sowie ein mit der aufnehmenden Konzerngesellschaft ggf. abgeschlossener zusätzlicher Arbeitsvertrag. Weiterhin sind die vertraglichen Grundlagen zu dokumentieren, die im Innenverhältnis zwischen den Konzerngesellschaften im Zuge der Entsendung begründet wurden. Hierbei kann es sich bspw. um Vereinbarungen betreffend die Aufteilung und Übernahme der Kosten der Arbeitnehmerentsendung handeln.
6.328
Im Rahmen der Entsendung angefallener Schriftwechsel. Zu dokumentieren ist auch der Schriftverkehr, der im Zusammenhang mit der Entsendung auf der Unternehmensebene angefallen ist. Dieser soll Auskunft geben, von welcher Konzerngesellschaft die Initiative für die Entsendung ausgegangen ist. Der im Zuge einer Entsendung angefallene Schriftverkehr wird häufig auch den Schluss zulassen, ob der Einsatz des Arbeitnehmers einem Einzelprojekt dient, ob es sich um eine Expertenentsendung handelt oder der Entsendung vielmehr Ausbildungszwecke zugrunde liegen. Stellenanzeigen können hilfsweise für den Nachweis herangezogen werden, dass gleichwertig qualifizierte Arbeitnehmer auf dem lokalen Arbeitsmarkt der aufnehmenden Konzerngesellschaft nicht zur Verfügung stehen. Erfolgt die Entsendung im Rahmen eines Rotationsverfahrens, ist ein funktionsorientiertes Arbeitnehmerorganigramm vorzulegen. cc) Höhe und Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung sowie Art und Umfang der Tätigkeit
6.329
Höhe der Aufwendungen der Entsendung. Aufzuzeichnen ist weiterhin die Höhe des Gesamtaufwands der Entsendung und dessen Zusammensetzung. Die Finanzverwaltung verlangt auch Angaben zur Höhe der Lohnaufwendungen, die vor der Entsendung für den Arbeitnehmer angefallen sind. Diese Größe ist allerdings nur bedingt aussagefähig. Im Hinblick auf die im Zuge einer Entsendung gewährten zahlreichen Zusatzleistungen werden die Lohnaufwendungen für einen entsandten Arbeitnehmer das bisherige Niveau i.d.R. überschreiten.
1 So im Ergebnis auch § 1 Abs. 2 GAufzV.
628 | Hick
C. Arbeitnehmerentsendungen | Rz. 6.335 Kap. 6
Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung. In Bezug auf die Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung ist darzulegen, welcher Maßstab der Aufteilung der Aufwendungen der Entsendung auf das aufnehmende und das entsendende Unternehmen zugrunde liegt. Maßstab bildet insoweit die der Entsendung zugrunde liegende Interessenlage.
6.330
Dokumentation der Höhe von Vergleichsgehältern. Weiterhin ist die Höhe der Vergleichsgehälter von Arbeitnehmern auf dem lokalen Arbeitsmarkt der aufnehmenden Konzerngesellschaft zu dokumentieren. Dabei muss die Beschaffung der Vergleichsdaten mit vertretbarem Aufwand erfolgen können (§ 1 Abs. 3 Satz 2 GAufzV). Eine Dokumentation von Vergleichsgehältern macht allerdings nur in den Fällen Sinn, in denen vergleichbar qualifizierte Arbeitnehmer auf dem lokalen Arbeitsmarkt der aufnehmenden Konzerngesellschaft überhaupt zur Verfügung stehen. Daher kann im Fall der Entsendung eines besonders qualifizierten Arbeitnehmers die Situation eintreten, dass sich keine aussagekräftigen Vergleichsgehälter ermitteln lassen.
6.331
Nachweise über Art und Umfang der Tätigkeit des Arbeitnehmers. Weiterhin sind Art und Umfang der Tätigkeit des Arbeitnehmers darzustellen. Der Umfang der hieraus resultierenden Dokumentationsverpflichtung hängt dabei wesentlich davon ab, ob der Arbeitnehmer für einen längeren Zeitraum für das aufnehmende Unternehmen tätig wird, oder ob es sich um mehrfache kurzfristige Auslandseinsätze handelt.
6.332
d) Angemessenheitsdokumentation Gegenstand der Angemessenheitsdokumentation. Der Gegenstand der Angemessenheitsdokumentation erstreckt sich auf die Begründung, dass die Aufteilung der Aufwendungen der Arbeitnehmerentsendung unter Zugrundelegung der Interessenlage der Entsendung erfolgt ist. Aufbauend auf der Sachverhaltsdokumentation ist darzulegen, welche Interessenlage der Entsendung und der hierauf aufbauenden Übernahme der Aufwendungen der Entsendung durch die aufnehmende Konzerngesellschaft bzw. dem Verzicht auf eine Weiterbelastung der Aufwendungen zugrunde liegt.
6.333
Rechtfertigung eines höheren Gesamtaufwandes für entsandte Arbeitnehmer. Im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation kann sich zudem die Notwendigkeit ergeben, darzulegen, aus welchen Gründen ein entsandter Arbeitnehmer höhere Aufwendungen verursacht, als ein auf dem lokalen Arbeitsmarkt angeworbener Arbeitnehmer. Insbesondere bei Entsendungen nach Deutschland wird die deutsche Finanzverwaltung eine entsprechende Begründung verlangen.
6.334
Fragwürdige Forderung nach der Erstellung einer Kosten-Nutzen-Analyse. Als fragwürdig ist die Forderung der Finanzverwaltung nach der Erstellung einer Kosten-Nutzen-Analyse bezüglich des Lohnaufwandes und dem Erfolgsbeitrag des entsandten Arbeitnehmers zu beurteilen.1 Im Regelfall kann ein Zusammenhang zwischen dem Unternehmensgewinn und dem auf einen entsandten Arbeitnehmer entfallenden Erfolgsbeitrag nicht hergestellt werden. Entsprechendes gilt für Gewinnprognosen der aufnehmenden Einheit.
6.335
1 Vgl. VWG ArbN, Tz. 5.
Hick | 629
Kap. 6 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
D. Konzern- und Kostenumlagen Literatur: Arbeitskreis Außensteuerrecht beim Institut der Wirtschaftsprüfer, Verrechnungspreise und Außensteuergesetz in Strunk/Wassermeyer/Kaminski (Hrsg.), Unternehmensteuerrecht und Internationales Steuerrecht, Gedächtnisschrift für Dirk Krüger, Bonn 2006, 19 ff.; Baumhoff, Die Verrechnung von Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen mit Hilfe von Konzernumlagen, IStR 2000, 693 (Teil I), 731 (Teil II); Baumhoff/Greinert, Steuerliche Anerkennung internationaler Verrechnungspreise bei Nichteinhaltung formaler Anforderungen – Anmerkungen zum Urteil des FG Köln vom 22.8.2007, IStR 2008, 353; Becker, Commentary on Chapter VIII of the OECD Transfer Pricing Guidelines: Cost Contribution Arrangements, ITPJ 1998, 62; Becker, Cost Sharing, Die OECD-Leitlinie zu den Kostenteilungsvereinbarungen, IWB F. 10 Gr. 2, 1325; Becker, Verwaltungsbezogene Leistungen im Konzern und die neuen Verwaltungsgrundsätze zu den Umlagen, IWB F. 3 Gr. 2, 879; Bernhardt/Dadasov, Kostenumlagevereinbarungen nach BEPS in FS Kuckhoff 2018, 137; Böcker, Aktuelle Erfahrungen bei der Prüfung von Kostenumlageverträgen mit ausländischen verbundenen Unternehmen, StBp. 2008, 8; Dahnke, Kostenumlagen: Kostennachweis anhand der Unterlagen der ausländischen Dienstleistungsgesellschaften, IStR 1994, 24; Ditz, Fremdvergleichskonforme Ermittlung eines Umlageschlüssels bei Konzernumlagen, DB 2004, 1949; Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen, ISR 2020, 275; Ditz/Schneider, Internationale Rechtsprechung zu Verrechnungspreisen, DB 2011, 779; Eggers, Umlagen und Verrechnungspreise für konzerninterne Dienstleistungen in der Umsatzsteuer, Köln 2005; Endres, Kostenumlagen für das Key-Account-Management, PIStB 2005, 254; Greil/Greil, Einkünftekorrektur: Kostenumlagevereinbarungen als Instrument für die Gestaltung von Konzernaktivitäten – Steuerliche Anwendungsfragen, ISR 2015, 67; Greil, Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen – BMF-Schr. v. 5.7.2018, ISR 2019, 299; Hoffman/Kuzmina/Roeder, IStR 2020, 454; Kaminski, Umlagen bei konzerninternen Leistungen – Gestaltung von Konzernumlageverträgen unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens v. 30.12.1999, IWB F. 3 Gr. 2, 891; Kaminski, Verrechnung von Dienstleistungen mit Hilfe von Umlagen im internationalen Konzern – Zum Verständnis des BMFSchreibens vom 30.12.1999, Steueranwaltsmagazin 2009, 175; Kaminski, Umlagen bei konzerninternen Dienstleistungen in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne 2011, 693; Kaul, Kostenumlagevereinbarungen: Quo vadis Gewinnaufschlag?, IWB 2019, 205; Klink, Versicherungsteuer bei Konzernumlagen, DStR 2019, 1729; Kluge/Bestelmeyer, Regelungen zu Umlageverträgen durch das neue BMF-Schreiben, IWB 2018, 892; Kroppen/Ruhmer-Krell/Sommer, Seminar C: Kostenumlagevereinbarungen, IStR 2017, 667; Kroppen/Ham, Kostenumlagen – Requiescat in Pace? in FS Jürgen Lüdicke 2019, 421; Kuckhoff/Schreiber, Kommentierung zu Kapitel VIII der OECD-Guidelines 1995: Kostenumlagen, IStR 1998, 1; Kuckhoff/Schreiber, Die neuen Verwaltungsgrundsätze zu den Umlageverträgen, IStR 2000, 346 (Teil I), 373 (Teil II); Oser/Philippsen/Sultana, Konzernumlagen an Tochterunternehmen in der GuV einer Holding-Gesellschaft nach BilRuG, DB 2017, 1097; Oestreicher, Neufassung der Verwaltungsgrundsätze zur Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen, IStR 2000, 759; Piltz, Verrechnungspreise für Dienstleistungen – Einzelabrechnung versus Umlage in Schaumburg (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 6, Köln 1994, 66; Puls/Heravi, Kostenumlagesysteme im grenzüberschreitenden Konzern pre- und post-BEPS, Ubg 2018, 507; Rasch, Verdeckte Gewinnausschüttung wegen Nichteinhaltung formaler Anforderungen, IWB 2012, 198; Rasch, Die neuen Grundsätze zu Umlageverträgen – Transformation des Kapitels VIII OECD-Verrechnungspreisrichtlinien in nationale Verrechnungspreisregelungen (Teil 1), ISR 2018, 326; Rasch, Die neuen Grundsätze zu Umlageverträgen – Transformation des Kapitels VIII OECD-Verrechnungspreisrichtlinien in nationale Verrechnungspreisregelungen (Teil 2), ISR 2019, 144; Rasch/Fischer, Die neuen „Temporary U. S. Cost-Sharing Regulations“ – Chancen und Probleme, IWB F. 8 Gr. 2, 1533; Runge, The German View of Cost Contribution Arrangements, Intertax 1997, 81; Slapio/Bosche, Umlageverträge bergen umsatzsteuerliche Risiken, PIStB, 2005, 231; Slapio/Schmitz, Verwaltungsgrundsätze zur Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge – Überlegungen zu umsatzsteuerlichen Aspekten, IWB F. 3 Gr. 1, 671; Stock/Kaminski, Anm. zum Gewinnaufschlag bei Konzernumlagen, IStR 1998, 7; Storck, Umlagen im Bereich Forschung und Entwicklung globaler Konzerne in Burmester/Endres (Hrsg.) Außensteuerrecht, Doppel-
630 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.337 Kap. 6 besteuerungsabkommen und EU-Recht im Spannungsverhältnis, Festschrift für Helmut Debatin, München 1997, 453; Stuffer/Reichl, Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen über die Grenze: Aktuelle Entwicklungen im EU-Verrechnungspreisforum, IStR 2011, 685; Vögele, Prüfungsgrundsätze für Umlageverträge international verbundener Unternehmen, DB 2000, 297; Vögele/Freytag, Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen – Abgrenzung von Hilfs- und Hauptfunktionen, RIW 2001, 172; Vögele/Freytag, Kernbereiche der neuen Prüfungsgrundsätze zu Kostenumlagen, IStR 2000, 249; Vögele/Freytag, Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen – Wesen und Zweifelsfragen, IWB F. 10 Gr. 2, 1493; Vögele/Scholz, Nutzen-Analyse im Rahmen der neuen Kostenumlagegrundsätze: Ein methodischer Überblick, IStR 2000, 155; Vögele/Scholz, Nutzenanalyse im Rahmen eines Umlagevertrages – Ermittlung des Umlageschlüssels auf Basis geplanter Kosteneinsparungen, IStR 2000, 557; Waldburger, Cost Contribution Arrangements („CCA“) im Forschungs- und Entwicklungsbereich internationaler Konzerne – ausgewählte Aspekte aus schweizerischer Sicht in Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts, FS für Helmut Loukota, Wien 2005, 629.
I. Vorbemerkung Alternative Formen der Leistungsverrechnung. Für die Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen der Höhe nach ist von der bereits dargestellten Einzelverrechnung (Rz. 6.156) mittels der klassischen Methoden oder anderer geeigneter Verrechnungspreismethoden (z.B. der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode, Rz. 5.92 ff.) die alternative Abrechnungsform der Konzernumlage zu unterscheiden. Die Abrechnungsform der Konzernumlage ist weitergehend zu unterscheiden in
6.336
– Leistungsumlage (Konzernumlage) im Rahmen eines schuldrechtlichen Leistungsaustausches zwischen den Konzerngesellschaften (Leistungsaustauschkonzept), und – Kosten- bzw. Poolumlage im Rahmen der Begründung eines Pools zum Leistungsempfang im gemeinsamen Interesse und auf gemeinsames Risiko der involvierten Konzerngesellschaften (Poolkonzept). Abgrenzung zum Kostenfinanzierungsverfahren. Vom Kostenumlageverfahren begrifflich und sachlich zu trennen ist das sog. „Kostenfinanzierungsverfahren“. Hierbei handelt es sich um eine pauschalierte Bezuschussung (Cost-Funding) der Aktivitäten einer dienstleistungserbringenden Konzerneinheit durch die an den Dienstleistungen interessierten Konzernmitglieder. Hierbei wird der Zuschuss bzw. Beitrag auf eine vorher festgesetzte betriebswirtschaftliche Bezugsgröße (i.d.R. der Umsatz) bestimmt, wobei allerdings die beim Leistungserbringer entstandenen Kosten unberücksichtigt gelassen werden. Dieses kostenunabhängige Umlageverfahren wurde schon von den VWG-Umlage 1999 ausdrücklich abgelehnt.1 Diese Ablehnung ist insofern sachgerecht, als aufgrund der Vernachlässigung der durch die Dienstleistung bzw. das Dienstleistungsbündel beim Leistungserbringer verursachten Kosten und der Verwendung einer mehr oder weniger willkürlich ausgewählten Schlüsselgröße dem Kostenfinanzierungsverfahren allenfalls der Charakter einer groben Schätzung zukommt. Dies resultiert daraus, dass dieses Verfahren aufgrund der Vernachlässigung des Verursachungsprinzips entweder zu Über- oder Unterdeckungen der verursachten Kosten führt, so dass eine genaue Kostenerstattung mithin rein zufällig wäre. Da dieses Verfahren somit in aller Regel zu einem Leistungsungleichgewicht führt, ist es mit den Grundsätzen des Fremdvergleichs nicht zu ver-
1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1. Abs. 2 a.E.; Flick, JbFSt 1981/82, 158; Schulze, FR 1983, 92; Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 378.
Baumhoff/Kluge | 631
6.337
Kap. 6 Rz. 6.337 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
einbaren. Sachgerecht und für einen ordentlichen Geschäftsleiter akzeptabel wäre dieses Verfahren nur dann, wenn es im Einzelfall gelänge, eine Korrelation zwischen der gewählten Schlüsselgröße und den beim Leistungserbringer entstandenen Kosten nachzuweisen. Dies wiederum würde eine Ermittlung eben dieser Kosten erforderlich machen, was jedoch das gesamte Verfahren ad absurdum führte, da damit auch gleichzeitig die Voraussetzungen für das allgemein anerkannte Kostenumlageverfahren erfüllt wären.
6.338
Leistungsumlage (Konzernumlage). Während bei der Einzelabrechnung für jede einzelne, im Rahmen einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen den Konzerngesellschaften erbrachte Dienstleistung ein separates Entgelt verrechnet wird, ist im Zusammenhang mit der Konzernumlage zu differenzieren, ob zwischen den involvierten Konzerngesellschaften ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch stattfindet oder nicht.1 Ist dies der Fall, werden nach dem Leistungsaustauschkonzept von einem (zentralen) Leistungserbringer als Auftragnehmer gegenüber mehreren verbundenen Unternehmen als Auftraggeber Leistungen erbracht, z.B. indem eine spezialisierte Dienstleistungsgesellschaft im Bereich des Rechnungswesens gleichartige Leistungen an mehrere Konzerngesellschaften erbringt. Dabei wird der Verrechnungspreis der Dienstleistung an die einzelnen Auftragnehmer pauschal durch Umlage der beim Leistungserbringer entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlages mit Hilfe einer sachgerechten Schlüsselung bestimmt (sog. Leistungsumlage bzw. Konzernumlage). Insofern handelt es sich bei der Leistungsumlage im Ergebnis um eine besondere Form der Verrechnungspreisermittlung auf der Grundlage einer modifizierten Kostenaufschlagsmethode mit einer einhergehenden pauschalen Kostenermittlung und -verteilung zuzüglich Gewinnaufschlag (Rz. 6.347). Das Dienstleistungsentgelt in Gestalt der Leistungsumlage ist eine Betriebsausgabe auf Ebene des Leistungsempfängers; die in der Kostenbasis enthaltenen Aufwendungen sind und bleiben solche des (zentralen) Leistungserbringers. Nach allgemeinen Grundsätzen und ungeachtet der Abrechnungsform (Einzelabrechnung vs. Leistungsumlage) ist auf Ebene des Leistungsempfängers über die Abzugsfähigkeit des Dienstleistungsentgelts und auf Ebene des Leistungserbringers über die Abzugsfähigkeit der in die Kostenbasis eingehenden Aufwendungen zu entscheiden. Fraglich ist hier insbesondere, ob sog. „nützliche“ Aufwendungen für die Akquise, sofern sie nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben zu qualifizieren sind (bzw. sonstige Betriebsausgaben i.S.d. § 4 Abs. 5 EStG), aus der Kostenbasis auszuscheiden sind und die Leistungsumlage dementsprechend zu kürzen ist. Diese in der Praxis bisweilen vorgebrachte Vorstellung verkennt das Wesen der Leistungsumlage. Sie ist „lediglich“ eine gegenüber der Einzelverrechnung alternative Abrechnungsform. Keinesfalls sind die Aufwendungen des Leistungserbringers abgeleitete Aufwendungen des Leistungsempfängers. Das Dienstleistungsentgelt ist Gegenleistung für die erbrachten Dienstleistungen. Es wird allerdings mittels der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) der Preis ermittelt, den fremde Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten. Hierdurch wird der Fremdvergleich praktisch umgesetzt. Dem Vernehmen nach will die Finanzverwaltung einzelne Bestandteile der Kostenbasis daraufhin überprüfen, ob deren Einbeziehung dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Ebenso wie bei der Einzelverrechnung ist jedoch auch bei der Leistungsumlage die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode auf die Bestimmung
1 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 348; Baumhoff, IStR 2000, 693 f.; Oestreicher, IStR 2000, 760 f.; Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 892 ff.; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 ff.; Ditz, DB 2004, 1949 f.; rechtsvergleichend siehe etwa Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreise zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, 209 ff. m.w.N.
632 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.339 Kap. 6
des Fremdvergleichspreises gerichtet, ohne dass die Kostenbasis isoliert bzw. einzelne Kostenbestandteile einem Fremdvergleich zugänglich wären. Die Leistungsumlage ist eine der Einzelabrechnung gleichwertige Abrechnungsform, die insbesondere in solchen Fällen Anwendung findet, in denen die Einzelabrechnung der Dienstleistungen nicht oder – auf Grund eines hohen Verwaltungsaufwandes – zumindest nicht wirtschaftlich sinnvoll möglich ist (sog. Vereinfachungsfunktion der Leistungsumlage).1 Vor diesem Hintergrund findet nach Auffassung der OECD (und nunmehr auch der Finanzverwaltung) die Leistungsumlage insbesondere dann Anwendung, wenn „der anteilige Wert der den verschiedenen betroffenen Unternehmen erbrachten Dienstleistungen nur auf der Grundlage eines Näherungs- oder Schätzwertes berechnet werden“2 kann. Dies sei bspw. bei der zentralen Verkaufsförderung, z.B. mit Hilfe internationaler Messen oder bei der Werbung in der internationalen Presse, der Fall.3 Kosten- bzw. Poolumlage. Demgegenüber schließen sich nach dem sog. Poolkonzept – international auch „cost sharing“ bzw. „cost contribution“ genannt – mehrere verbundene Unternehmen zusammen, um im gemeinsamen Interesse und auf gemeinsames Risiko über einen längeren Zeitraum Leistungen zu erhalten bzw. zu erbringen.4 Die beteiligten Konzernunternehmen bilden insoweit eine Innengesellschaft (Pool), auf die sie eigene Leistungen, Leistungskomponenten oder unternehmensinterne Funktionsbereiche auslagern und gemeinsam nutzen. Die in diesem Zusammenhang entstehenden Kosten werden nunmehr in fremdüblicher Höhe (d.h. bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ebenfalls mit Gewinnaufschlag) nach einem nutzenorientierten Umlageschlüssel auf die Poolmitglieder verteilt (Rz. 6.374 ff.). Im Gegenzug können die Poolmitglieder entsprechend der Umlagevereinbarung auf die im Pool erzielten Ergebnisse zurückgreifen. Ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch zwischen den Poolmitgliedern findet dabei grundsätzlich nicht statt. Die innerhalb des Pools erbrachten Leistungen haben vielmehr den Charakter von innerbetrieblichen Leistungen.5 Die damit verbundenen Aufwendungen sind demnach als eigene originäre Aufwendungen der Poolmitglieder zu behandeln und bei diesen nach § 4 Abs. 4 EStG als Betriebsausgaben abzugsfähig.6 Dementsprechend finden die Vorschriften über nicht abzugsfähige Betriebsausgaben (z.B. § 4 Abs. 5 EStG, § 4h EStG und § 160 AO) auf Ebene des Poolmitglieds Anwendung.7 Gleiches gilt für die Abgrenzung sofort abzugsfähiger Betriebsausgaben von Anschaffungskosten, wie dies insbesondere bei der Umlage von Forschungs- und Entwicklungskosten im Konzern von Bedeutung ist. Ferner stellt der Eintritt in einen Pool nach den VWG-Funktionsverlagerung keine Funktionsverlagerung dar (Rz. 7.1 ff.).8
1 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 348. 2 Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.78. 3 Vgl. Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021; dazu im Einzelnen Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2058 f. 4 Vgl. Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.82; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/ 99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. 5 Vgl. IDW, WPg 1999, 714; Greil/Greil, ISR 2016, 69. 6 Vgl. Tz. 8.41 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; so auch bisher schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/ 99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.4. Abs. 1. 7 Vgl. auch Bonertz, DStR 2013, 428. 8 Vgl. VWG FVerl, Rz. 50.
Baumhoff/Kluge | 633
6.339
Kap. 6 Rz. 6.340 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.340
Zulässigkeit der Leistungsumlage nach den VWG. Beide Konzepte der Konzernumlage waren ursprünglich in Tz. 7 der VWG 1983 gleichermaßen geregelt. Die VWG-Umlage vom 30.12.1999 umfassten dagegen nur noch die Umlage nach dem Poolkonzept, was die Frage aufwarf, ob die auf dem Leistungsaustauschkonzept beruhende Konzernumlage noch eine zulässige Abrechnungsform darstellte. Offenkundig betrachteten die VWG-Umlage die Leistungsumlage seitdem nicht als Umlage, sondern als eine Form der Einzelverrechnung. In Tz. 1. der VWG-Umlage 1999 heißt es hierzu „Die Einzelverrechnung von Leistungen bleibt hiervon unberührt, ohne Rücksicht darauf, ob der Verrechnungspreis mit Hilfe der direkten oder indirekten Methode ermittelt wird“. Diese Form der Einzelverrechnung unter Anwendung einer indirekten Methode ließen die VWG-Umlage 1999 ausdrücklich zu, ohne sie allerdings zu regeln. In der Diktion der VWG-Umlage 1999 war demnach zu unterscheiden zwischen – der Einzelverrechnung unter Anwendung einer direkten Methode, – der Einzelverrechnung unter Anwendung einer indirekten Methode und – der Kostenumlage. Die h.M. im Schrifttum ebenso wie Vertreter der Finanzverwaltung gingen schon nach Einführung der VWG-Umlage 1999 davon aus, dass die Leistungsumlage mit ihrer Vereinfachungsfunktion auch nach Einführung der VWG-Umlage – nunmehr allerdings in Gestalt der Einzelverrechnung unter Anwendung einer indirekten Methode – weiterhin Anwendung findet. Auch sollte dies der Auffassung des BMF entsprechen. Daran hatte sich auch durch die VWG-Umlage 2018 zunächst nichts geändert. Durch die VWG VP 2021 ist nunmehr klargestellt, dass Leistungsumlagen als Konzernumlagen akzeptiert sind. In den VWG VP 2021 wird diesen ein eigener Abschnitt unter der Bezeichnung „Konzernumlage“ gewidmet. Im Ergebnis handelt es sich um Dienstleistungen, die indirekt durch eine Schlüsselung abgerechnet werden.1
6.341
Direkte oder indirekte Methode. Durch den Verweis der Tz. 7.1.1. VWG 1983 auf die Tz. 2.4.3. VWG 19832 bestand auch damals schon außerhalb der für Umlageverträge geltenden – insbesondere im Hinblick auf den fehlenden Gewinnaufschlag restriktiven – Preisermittlungsvorschriften die Möglichkeit, die „Verrechnungspreise [...] aufgrund von allgemeinen Kosten-, Kalkulations- oder ähnlichen Berechnungsvorgaben oder zentral genannten Daten“ zu ermitteln, worunter auch die „Einzelverrechnung von Leistungen mit Hilfe der indirekten Methode“3 subsumiert werden könnte. Dabei waren die Anwendungsvoraussetzungen der Buchst. a-c von Tz. 2.4.3. VWG 1983 im Einzelnen zu beachten. Nach der Diktion der VWG-Umlage 1999 konnte somit die Einzelverrechnung von Leistungen sowohl nach der direkten als auch nach der indirekten Methode erfolgen. Diese Begriffsverwendung war insofern ungenau und ungewöhnlich, als nach den OECD-Leitlinien die Einzelverrechnung von Leistungen begrifflich mit der direkten Methode gleichgesetzt wird, während die Umlage als alternative Verrechnungsform zur Einzelabrechnung den indirekten Methoden zugeordnet wird (Rz. 6.342). Dagegen ordneten die VWG-Umlage 1999 der Einzelabrechnung sowohl die Einzelverrechnung mit Hilfe der klassischen Methoden als auch mit Hilfe der Umlage
1 VWG VP 2021, Rz. 3.78. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.1.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1., sowie Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 894 f.; a.A. Vögele, DB 2000, 297.
634 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.342 Kap. 6
zu,1 sofern die Umlage auf dem Leistungsaustauschkonzept („Leistungsumlage“) erfolgte und dabei eine Vereinfachungsfunktion erfüllte. Die Umlage nach dem Poolkonzept, die ausschließlich Regelungsgegenstand der VWG-Umlage 1999 war, zählte begrifflich somit nicht zur Einzelabrechnung. Durch die Aufhebung der VWG-Umlage 1999 und den Verweis der VWG-Umlage 20182 auf die OECD-Leitlinien 2022 ist dieser Konflikt jedoch mittlerweile entfallen. Einzelverrechnung von Leistungen nach der „indirekten Methode“. Weder die VWG 1983 noch die VWG-Umlage 1999 enthielten einen Hinweis darauf, was unter der „indirekten Methode“ – insbesondere im Zusammenhang mit der „Einzelverrechnung von Leistungen“3 – zu verstehen ist. Die seit den VWG-Umlage 2018 anzuwendenden OECD-Leitlinien bezeichnen Methoden der indirekten Preisverrechnung als „Kostenzuordnungs- und Kostenaufteilungsmethoden [...], die häufig ein gewisses Maß an Schätzung oder Approximation notwendig machen“.4 Die Anwendung der indirekten Methode könne z.B. dann notwendig sein, wenn „der anteilige Wert der den verschiedenen betroffenen Unternehmen erbrachten Dienstleistungen nur auf der Grundlage eines Näherungs- oder Schätzwertes berechnet werden“5 könne. Als Beispiel werden zum einen die zentrale Verkaufsförderung z.B. mit Hilfe internationaler Messen und die Werbung in der internationalen Presse genannt. Ein anderer Fall sei dann gegeben, wenn die maßgebliche berücksichtigungsfähige Tätigkeit nur mit einem Verwaltungsaufwand erfasst und analysiert werden könne, der im Verhältnis zu den Tätigkeiten selbst unverhältnismäßig hoch sei. Für diese Fälle, in denen der Vereinfachungsgedanke im Vordergrund steht, wird die Umlage als die einzig gangbare Verrechnungsform angesehen, es sei denn, die entsprechenden Tätigkeiten und Leistungen gehören zur Haupttätigkeit des die Leistung erbringenden Unternehmens und werden sowohl für verbundene als auch für unverbundene Unternehmen erbracht.6 In diesem Zusammenhang wird der Einzelverrechnung mit Hilfe der direkten Methoden (Rz. 6.156) ein Vorrang gegenüber der Umlage eingeräumt, weil hierbei vermutet wird, dass das Konzerndienstleistungsunternehmen in der Lage ist, gesonderte Preisermittlungsgrundlagen vorzulegen. Einschränkend dazu wird aber festgestellt, dass diese Betrachtungsweise dann unzweckmäßig sein kann, wenn Dienstleistungen nur gelegentlich gegenüber fremden Dritten erbracht werden bzw. wenn diese Leistungen nur von marginaler Bedeutung sind.7 Die VWG VP 2021 sprechen davon, dass eine indirekte Abrechnung durch einen Konzernumlage nur dann möglich sein soll, „wenn eine direkte Zuordnung den beteiligten Unternehmen nur mit unverhältnismäßigem Aufwandmöglich gewesen wäre“ und verweisen auf die Regelungen der OECD.8 Es wird insofern nicht verkannt, dass die Einzelabrechnung (mit Hilfe der direkten Methoden) in der Praxis oft auf erhebliche Anwendungsschwierigkeiten stößt, was die Heranziehung anderer Methoden der Preisverrechnung notwendig macht. Dies führt nach Auffassung der OECD zwangsläufig zu einer, mit gewissen Schätzungen und Pauschalierungen behafteten
1 Ebenso Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 895; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 699 ff.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 347. 2 BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743. 3 So BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1. 4 Tz. 7.23 OECD-Leitlinien 2022. 5 Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 7.23 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Tz. 7.22, 7.23 OECD-Leitlinien 2022. 8 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.78.
Baumhoff/Kluge | 635
6.342
Kap. 6 Rz. 6.342 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Kostenzuordnung und -aufteilung. Daher will die OECD indirekte Verrechnungsmethoden akzeptieren, allerdings nur unter folgenden Bedingungen:1 – die Methode muss die kaufmännischen Aspekte des Einzelfalles berücksichtigen (insbesondere Wahl eines sachgerechten Aufteilungsschlüssels); – die Methode muss Schutzmechanismen gegen Manipulationen enthalten; – die Methode muss die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung beachten und in der Lage sein, Werte oder Kostenzuordnungen zu liefern, die mit den tatsächlichen oder erwarteten Vorteilen für den Leistungsempfänger im Einklang stehen. Zwar verkennt die OECD in diesem Zusammenhang nicht, dass die Einzelabrechnung mit Hilfe der direkten Methode den Vorteil hat, dass sich die so verrechnete Dienstleistung sowie die Grundlage der Zahlung im Hinblick auf die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes leichter überprüfen lässt;2 dennoch wird aus Praktikabilitätserwägungen die Anwendung indirekter Preisverrechnungsmethoden für solche Dienstleistungen zugelassen, bei denen die Einzelabrechnung aufgrund mangelnder Abgrenzbarkeit einzelner Leistungsbereiche oder wegen übermäßig hohen Verwaltungsaufwandes ausscheidet.3
6.343
Praktikabilitätserwägungen. Beim Dienstleistungsaustausch im Konzern muss hinsichtlich der Wahl der richtigen Verrechnungsform letztlich dem praktischen Umstand Rechnung getragen werden, dass eine eindeutige Abgrenzbarkeit und Messbarkeit der Leistung4 als Voraussetzung für eine Einzelabrechnung mit Hilfe der direkten Methode vielfach entweder unmöglich oder aufgrund des damit verbundenen Aufwands unwirtschaftlich ist.5 Das gilt zum einen insbesondere für solche Fälle, in denen anstelle einzelner Leistungen nur ein Leistungsbündel feststellbar ist, so dass sich die Schwierigkeit ergibt, überhaupt einen Leistungsfluss nachzuweisen bzw. einen oder mehrere Leistungsnutzer eindeutig zu identifizieren. Zum anderen können Dienstleistungen so vielschichtig und umfangreich sein, dass eine Einzelerfassung und -abrechnung dieser Leistungen mit einem wirtschaftlich nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand verbunden wäre6 und insoweit auf vereinfachte bzw. pauschale Verrechnungsformen zurückgegriffen werden muss. Als Beispiel hierfür lässt sich die (Dauer-)Beratungsleistung anführen, bei der der Aufwand einer Einzelabrechnung jeder einzelnen Beratungstätigkeit in keinem Verhältnis zu der bei einer Pauschalvergütung zu befürchtender Ungenauigkeit steht. In diesem Fall würde auch ein unabhängiges Unternehmen pauschal abrechnen, was die Praxis von Beratern und Beratungsfirmen beweist. Hier steht der Vereinfachungsgedanke im Vordergrund, wonach eine vereinfachte Entgeltsverrechnung vorliegt und der Leistungserbringer – wie bei der Einzelabrechnung mit Hilfe der direkten Methode auch – sein „normales“ Geschäftsrisiko trägt. Übernimmt der Leistungserbringer aber ein wirtschaftliches Risiko (im Gegensatz zu einem gemeinsamen Interessen-Pool), so steht ihm auch eine Risikoprämie in Form eines Gewinnaufschlags (Rz. 6.372) zu. Die abweichende, in den VWG-Umlage 1999 vertretene Finanzverwaltungsauffassung, wonach ein Gewinnaufschlag
1 2 3 4
Vgl. Tz. 7.23 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 7.21, 7.22 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2022. So BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. Tz. 7.22 bis 7.24 OECD-Leitlinien 2022. 6 Ebenso Tz. 7.24 OECD-Leitlinien 2022.
636 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.345 Kap. 6
aufgrund des Poolgedankens nicht zu akzeptieren sei,1 wurde durch die VWG-Umlage 2018 aufgegeben und durch die VWG VP 2021 bestätigt.2 Demnach ist bei schwankendem Leistungsfluss es nicht zu beanstanden, wenn ein Durchschnittsentgelt entrichtet wird.3 Unternehmerische Dispositionsfreiheit. Der organisatorische Aufbau und die funktionale Untergliederung von Unternehmensgruppen kann grundsätzlich von der Konzernleitung bzw. den Gesellschaftern frei gestaltet werden.4 Dies gilt auch hinsichtlich der Entscheidung, ob konzerninterne Dienstleistungen in der Organisationsform des Kostenpools oder auf der Basis eines gesonderten Dienstleistungsvertrages (Leistungsumlage oder Einzelabrechnung) erbracht werden sollen. Die Finanzverwaltung hat diese unternehmerische Entscheidung hinsichtlich der Funktions- und Risikoverteilung im Konzern zu akzeptieren.5
6.344
Sowohl bei einer Entscheidung für eine Leistungserbringung im gemeinsamen Interesse und im gemeinsamen Risiko der betroffenen Konzerneinheiten (Pool) als auch bei Vereinbarung eines Leistungsaustausches zwischen der leistungserbringenden und der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft ist grundsätzlich ein Gewinnaufschlag vorzunehmen. Die frühere Auffassung der Finanzverwaltung, wonach die Leistungserbringung im Pool ohne Gewinnaufschlag zu erfolgen hatte, wurde mit den VWG-Umlage 20186/VWG VP 20217 und dem darin enthaltenen Verweis auf die OECD-Leitlinien 2022 aufgegeben.8
II. Konzernumlagen nach dem Leistungsaustauschkonzept Schwierigkeiten der Einzelabrechnung. In der Verrechnungspraxis hat sich die Einzelabrechnung konzerninterner Dienstleistungen häufig als impraktikabel und unzweckmäßig erwiesen. Dies insbesondere in den Fällen, in denen der Vorteil und Nutzen einzelner Dienstleistungen für eine bestimmte Konzernunternehmung nur sehr vage oder nur auf Grund von Schätzungen quantifiziert werden kann (z.B. im Zusammenhang mit Management- und Marketingleistungen). Außerdem bestehen konzerninterne Dienstleistungen häufig aus einem gesamten Leistungsbündel, in dem die einzelnen Leistungskomponenten überhaupt nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand erfasst und bewertet werden können (z.B. im Bereich IT und Marketing). Auf Grund dieser praktischen Schwierigkeiten der Einzelabrechnung wird in der Verrechnungspreispraxis im Rahmen konzerninterner Dienstleistungen – insbesondere bei einer zentralisierten Leistungserbringung einer Konzernobergesellschaft an mehrere Konzernuntergesellschaften – häufig die Abrechnungsform der Konzernumlage bevorzugt.
1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.2. 2 VWG VP 2021, Rz. 3.82. 3 VWG VP 2021, Rz. 3.67. 4 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 324; Borstell, StbJb. 2001/2002, 221; Baumhoff/Puls, IStR 2009, 73 (76 f.); Werra, IStR 2009, 81 (82). Siehe hierzu auch die erstmalige Äußerung der Finanzverwaltung zur unternehmerischen Dispositionsfreiheit in den VWG-Funktionsverlagerung, vgl. VWG FVerl, Rz. 145 ff. 5 Vgl. zur Akzeptanz der unternehmerischen Dispositionsfreiheit auch VWG FVerl, Rz. 145 ff.; VWG VP 2021, Rz. 3.32. 6 BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743. 7 VWG VP 2021, Rz. 3.82. 8 Hoffmann/Kuzmina/Roeder, IStR 2020, 459.
Baumhoff/Kluge | 637
6.345
Kap. 6 Rz. 6.346 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.346
Umlagekonzept. Seit der Veröffentlichung der VWG-Umlage 1999 ist im Rahmen der Konzernumlagen zwischen dem Leistungsaustauschkonzept („Leistungsumlage“) und dem Poolkonzept („Poolumlage“) zu differenzieren (Rz. 6.336 ff.). Während Tz. 7 VWG 1983 diese beiden Konzepte noch gleichermaßen regelte,1 betrafen die VWG-Umlage 1999 nur noch die Konzernumlage auf der Grundlage des Poolkonzepts, während das Leistungsaustauschkonzept hier keine unmittelbare Berücksichtigung mehr fand. Die Leistungsumlage unter Berücksichtigung der Vereinfachungsfunktion findet ihre Legitimation vielmehr in den – weiterhin gültigen – Tz. 2.4.3. und 6.4.1. VWG 1983.2 Im Übrigen wurde in Tz. 1 VWG-Umlage 1999 expressis verbis zum Ausdruck gebracht, dass die VWG-Umlage die Leistungsverrechnung (verstanden als Einzelabrechnung) auf Basis der „indirekten Methode“ unberührt lassen. In den VWGUmlage 2018 findet sich keine gegenteilige Aussage. Daher war davon auszugehen, dass auch nach Einführung der VWG-Umlage 2018 die Leistungsumlage auf der Basis eines schuldrechtlichen Leistungsaustausches von der deutschen Finanzverwaltung als Abrechnungsform zu akzeptieren ist (Rz. 6.338), was durch die VWG VP im Jahr 20213 bestätigt wurde.
6.347
Modifizierte Kostenaufschlagsmethode. Bei der Leistungsumlage wird von einer leistungserbringenden Konzerngesellschaft gegenüber einem oder mehreren verbundenen Unternehmen eine Leistung bzw. ein Leistungsbündel erbracht (schuldrechtlicher Leistungsaustausch), wobei der Verrechnungspreis pauschal durch Umlage der beim Leistungserbringer entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags mit Hilfe eines sachgerechten Schlüssels bestimmt wird. Im Ergebnis findet somit eine modifizierte Kostenaufschlagsmethode Anwendung, im Rahmen derer – aus Gründen der Vereinfachung – die durch die Dienstleistung veranlassten Kosten gesammelt, um einen Gewinnaufschlag erhöht und sachgerecht auf die leistungsempfangenden Konzerngesellschaften verteilt werden. Hinsichtlich der Ermittlung der „Umlagemasse“, d.h. der Ermittlung der Kostenbasis und des Gewinnaufschlages, sind dabei die allgemeinen Grundsätze der Kostenaufschlagsmethode anzuwenden (Rz. 6.362 und 6.371).4 Die Verteilung dieser „Umlagemasse“ auf die leistungsempfangenden Konzernunternehmen hat einem Fremdvergleich zu genügen, d.h. es ist die Frage zu stellen, ob der ordentliche Geschäftsleiter der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft in Erwartung der zukünftigen Vorteile bzw. des zu erwartenden Nutzens aus den Leistungen bereit gewesen wäre, die vereinbarten Beiträge zu zahlen. Insofern hat sich der Umlageschlüssel am Verhältnis des erwarteten Nutzens der leistungsempfangenden Konzerngesellschaften auszurichten (Rz. 6.378).5 Nach Auffassung des BMF sind bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode die Istkosten zu verrechnen. Erfolgt vorläufig unterjährig eine Verrechnung auf Basis von Plankosten, soll bis zum Jahresende eine Überprüfung der Istkosten und entsprechende Aufteilung erfolgen.6
6.348
Umlagevertrag. Für die steuerliche Anerkennung der Leistungsumlage ist grundsätzlich der Abschluss eines schriftlichen Umlage- bzw. Dienstleistungsvertrages zwischen der leistungserbringenden Konzerneinheit einerseits und den leistungsempfangenden Konzerngesellschaf1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7 wurde durch die VWG-Umlage 1999 aufgehoben, vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 7. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.3. und 6.4.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 347. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.78. 4 Vgl. Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2078, 2088. 5 Vgl. Tz. 8.12 OECD-Leitlinien 2022; Ditz, DB 2004, 1949 f.; VWG VP 2021, Rz. 3.78. 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.79.
638 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.350 Kap. 6
ten andererseits zu empfehlen. Tz. 2.4.3. VWG 19831, in deren Anwendungsbereich die Leistungsumlage bislang fiel, sahen jedoch keine Verpflichtung zur Erstellung eines schriftlichen Vertrages. Gleiches gilt für Rz. 3.78 f. der VWG VP 2021, die ebenfalls keinen Hinweis enthalten, dass eine steuerliche Anerkennung der Konzernumlage nur bei Vorliegen eines schriftlichen Vertrags zu erfolgen hat. Allerdings sollte auch die Verrechnung von derartigen Umlagen auf der Grundlage eines schriftlichen Umlagevertrages erfolgen, da die Finanzverwaltung Zahlungen an beherrschende Gesellschafter (d.h. der deutschen Tochtergesellschaft an eine beherrschende Muttergesellschaft) grundsätzlich nur dann anerkennt, wenn hierüber im Voraus getroffene, klare und eindeutige Vereinbarungen bestehen (Rz. 6.400). Im Hinblick auf die abkommensrechtliche Gewinnkorrekturvorschrift des Art. 9 OECD-MA ist jedoch festzustellen, dass die ihr entsprechenden Vorschriften des jeweiligen DBA nicht auf diesen formalen Aspekt abstellen. Gegenüber rein formalen Beanstandungen (z.B. Vorliegen eines schriftlichen Vertrags) entfalten diese insofern eine Sperrwirkung (Rz. 6.401).2 Dies bedeutet im Klartext, dass ein schriftlicher Umlagevertrag im grenzüberschreitenden DBA-Fall nicht erforderlich ist, wenn ansonsten die materiellen Angemessenheitsanforderungen bei der Berechnung der Umlage erfüllt sind.
Umlagevertrag in der Verrechnungspreisdokumentation. Darüber hinaus ist ein schriftlicher Umlagevertrag wesentlicher Bestandteil einer nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV gesetzlich vorgeschriebenen Verrechnungspreisdokumentation, die den Steuerpflichtigen vor einer Schätzung gem. § 162 Abs. 3 AO und vor Strafzuschlägen gem. § 162 Abs. 4 AO schützt (Rz. 8.10 ff.). Zu berücksichtigen ist hier, dass der Abschluss eines Umlagevertrages einen außergewöhnlichen Geschäftsvorfall i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 3 AO i.V.m. § 3 Abs. 2 GAufzV darstellt, für den der Gesetzgeber letztlich eine sog. Vorratsdokumentation fordert.3 Aufzeichnungen sind deshalb zeitnah zu erstellen, d.h. innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahres, in dem der Umlagevertrag abgeschlossen wurde.4 Im Mittelpunkt der Dokumentation steht die Nutzenanalyse, in welcher der Steuerpflichtige im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz darzulegen hat, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter die anteiligen Kosten des – regelmäßig zugrunde liegenden – Leistungsportfolios tragen würde.5
6.349
Tatbestände des Umlagevertrags. Der Umlagevertrag sollte vor diesem Hintergrund mindestens die folgenden Tatbestände regeln:6
6.350
– Konkretisierung der zu erbringenden Dienstleistungen (Art und Umfang); – Bestimmung der leistungserbringenden und leistungsempfangenden Konzerngesellschaften (Vertragsparteien);
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.4.3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161; BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 mit Anm. Ditz; Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.295 m.w.N., Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Rasch, IWB F. 3a Gr. 1, 1103; Rasch, IWB 2012, 198; Strunk/Kaminski, Stbg 2008, 211; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 704 f. Eine Beschränkung auf Preisberichtigungen besteht nicht, BFH, Urt v. 18.12.2019 – I R 72/17, BFH/NV 2020, 1049; v. 14.8.2019 – I R 14/18, BFH/NV 2020, 755; v. 14.8.2019 – I R 34/18, BFH/NV 2020, 757. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, IStR 2007, 1461 (1466). 4 Vgl. auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. Fischer/Looks/Schlaa, BB 2010, 157 (161 f.). 6 Vgl. hierzu auch Hahn in Formularbuch Recht und Steuern6, 591 ff.; Elbert/von Jesche in V/B/B, Verrechnungspreise5, N 401 ff.
Baumhoff/Kluge | 639
Kap. 6 Rz. 6.350 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– Ermittlung und Umfang der umlagerelevanten Kosten; – Bestimmung des Gewinnaufschlages; – Bestimmung des Umlageschlüssels; – Angaben über die Abrechnungsmodalitäten (ggf. Vorauszahlungen, Endabrechnung); – Zahlungsbedingungen (z.B. Verzinsung bei Zahlungsverzug); – Dokumentationspflichten der Vertragsparteien; – Öffnungsklausel für Vertragsanpassungen (insbesondere bei langfristigen Verträgen) bzw. Zeitpunkte zur Überprüfung der Fremdüblichkeit und Anpassung des Vertrags (z.B. Aktualisierung des Gewinnaufschlags); – Laufzeit und Kündigung des Vertrages; – anwendbares Recht; – salvatorische Klausel.
III. Konzernumlagen nach dem Poolkonzept (Poolumlage) 1. Poolmitglieder 6.351
Gleichgerichtete Interessen. Gemäß Tz. 1.2 VWG-Umlage 1999 konnten an einer Poolumlage als Poolmitglieder nur solche Konzernunternehmen teilnehmen, die gleichgerichtete Interessen verfolgten, d.h. sie mussten die Leistungen in wirtschaftlich gleicher Weise nutzen.1 Dieser Grundsatz hat durch die VWG-Umlage 2018 und die VWG VP 2021 keine inhaltliche Änderung erfahren.2 Da im Rahmen des Poolkonzepts zwischen den Poolmitgliedern kein schuldrechtlicher Leistungsaustauch erfolgt, sondern vielmehr die Poolmitglieder mit der Zusammenlegung von Aktivitäten, Ressourcen oder Fähigkeiten gegenseitigen Nutzen ziehen, ist der Teilnehmerkreis zwangsläufig auf Unternehmen beschränkt, die aus den Leistungen für sich selbst Vorteile ziehen.3 Infolgedessen kommt es grundsätzlich nicht zu Leistungsflüssen zwischen den Poolmitgliedern (vgl. aber zu Ausgleichszahlungen unten Rz. 6.361); vielmehr bildet der Pool als Innengesellschaft eine Interessengemeinschaft wirtschaftlich gleichberechtigter Partner. Holdinggesellschaften dürften regelmäßig als Poolmitglieder ausscheiden, da sie üblicherweise die Leistungen des Pools nicht in wirtschaftlich gleicher Weise nutzen werden.4 Allerdings ist auch dies letztlich von den konkreten Leistungsgegenständen des Pools abhängig, auf die bezogen die Art und Weise der Nutzenziehung der (potenziellen) Poolmitglieder zu bestimmen ist.5 Eine differenzierte Betrachtung wird für Patentverwertungsgesellschaften notwendig sein. Sofern deren Hauptzweck der zentrale Schutz und die Registrierung 1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 1. 2 So auch Kluge/Bestelmeyer, IWB 2018, 897; Puls/Heravi, Ubg 2018, 507. 3 Vgl. Tz. 8.14 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.82; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; insoweit ergibt sich keine Änderung gegenüber BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 2. 4 Vgl. Baumhoff, IStR 2000, 698; Engler/Ebert in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 469; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 707. 5 Vgl. hierzu auch Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGrs. Uml Rz. 7.
640 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.353 Kap. 6
von IP ist und eine Verwertung durch andere Konzerngesellschaften erfolgt, dürften nach dem zwischenzeitlich implementierten DEMPE-Konzept dieser Gesellschaft nur bedingt Einkünfte aus der Verwertung (grds. nur aus „protection“) zuzuordnen sein. Es stellt sich daher die Fragen, ob ihr ein hinreichender Nutzen entstehen kann, um Poolmitglied zu sein. Etwas anderes gilt für Patentverwertungsgesellschaften deren unternehmerischer Hauptzweck die (fremde) Lizenzierung von Patenten ist. Diesen Gesellschaften entsteht ein hinreichender Nutzen und damit sollten diese als Poolmitglieder anzuerkennen sein. Risikokontrolle. Weitere Voraussetzungen der Poolmitgliedschaft sind die Kontrolle über die im Rahmen der Umlage übernommenen Risiken sowie die finanzielle Kapazität, um diese Risiken tragen zu können.1 Konkret setzt die Poolmitgliedschaft damit einerseits die Fähigkeit, Entscheidungen über die Annahme, Abgabe oder Ablehnung einer risikobehafteten Geschäftschance zu treffen und andererseits die Fähigkeit, Entscheidungen darüber zu treffen, ob und wie auf diese Risiken zu reagieren ist. Zusätzlich muss diese Entscheidungsfunktion auch tatsächlich ausgeübt werden. Dies bedeutet nicht, dass das Poolmitglied die laufende Risikominimierung selbst durchführen muss. Es muss aber die Ziele der Risikominderungstätigkeit festlegen können, über die Beauftragung einer anderen Person entscheiden können, beurteilen können, ob die Ziele erfüllt werden und über die Änderung oder Kündigung der Vereinbarung mit einer anderen Person entscheiden können und dies auch tatsächlich tun. Maßgebend für die Poolmitgliedschaft ist also die Risikokontroll- und Risikosteuerungsfähigkeit.2 Für die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, verweisen die OECD-Leitlinien 2022 auf Tz. 6.60 bis 6.64 der OECD-Leitlinien, die sich mit dem DEMPE-Konzept befassen.
6.352
Keine Beschränkung auf Unternehmensverbund. Die VWG-Umlage 2018 und VWG VP 2021 regeln nur die Einkünfteabgrenzung mittels Umlageverträgen und betreffen deshalb nur Unternehmen desselben Unternehmensverbunds.3 Dies bedeutet aber nicht, dass die Mitgliedschaft bei (Pool-)Umlagesystemen notwendigerweise ausschließlich verbundenen Unternehmen vorbehalten ist. Tz. 8.12 der OECD-Leitlinien 2022 geht ausdrücklich auf die Einbeziehung auch von unabhängigen Unternehmen in den Pool ein. Da der Interessengegensatz allein durch die Einbeziehung in den Pool nicht berührt wird und nur aufgrund dessen kein Nahestehen des fremden dritten Vertragspartners i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG (Rz. 2.116 ff.) begründet wird, kommen die VWG-Umlage bezogen auf den unverbundenen Vertragspartner nicht zur Anwendung.4 Dass sich auch unabhängige Unternehmen zu einem Pool zusammenschließen können, bedarf angesichts des Grundsatzes der Vertragsfreiheit keiner näheren Erläuterung.5 Derartige Zusammenschlüsse können aber als Fremdvergleichswerte für andere Poolumlagen heranzuziehen sein und sind deshalb in entsprechenden Fällen anhand der üblichen Vergleichbarkeitsanalyse zu untersuchen.
6.353
1 Vgl. Tz. 8.14 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; VWG VP 2021, Rz. 3.82 und 3.84. 2 So auch Puls/Heravi, Ubg 2018, 507. 3 BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743. 4 Vgl. auch BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.0.1 sowie BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.3.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. hierzu nur das instruktive Beispiel zur Organisation der Weihnachtsbeleuchtung in Geschäftsstraßen von Piltz in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1994, 69.
Baumhoff/Kluge | 641
Kap. 6 Rz. 6.354 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.354
Abgrenzung zu reinen Auftragnehmern. Da der Teilnehmerkreis bei Poolumlagen auf Unternehmen beschränkt ist, die aus den Leistungen für sich selbst Vorteile ziehen, stehen reine Auftragnehmer, die lediglich Leistungen im Interesse der Poolmitglieder erbringen, ohne die Ergebnisse selbst zu nutzen oder zu verwerten, außerhalb des Pools.1 Ihre Leistungen an den Pool, der in diesem Fall als sog. Nachfragepool auftritt,2 sind zu Fremdpreisen im Wege der Einzelabrechnung (z.B. mit Hilfe der Preisvergleichs- oder Kostenaufschlagsmethode) zu verrechnen.3 Gleiches gilt für Poolmitglieder, die Leistungen im Interesse des Pools bzw. anderer Poolmitglieder erbringen, ohne die Ergebnisse selbst zu nutzen oder zu verwerten (Rz. 6.357).4 Dem Nachfragepool kann ein nach Art und Umfang bestimmter Anspruch eingeräumt werden, Leistungen selbst abzurufen oder dem leistungserbringenden Unternehmen Aufträge zu erteilen.
6.355
Transferprobleme. Teilnehmer am Umlageverfahren sollten nur Gesellschaften in solchen Ländern sein, deren Steuerbehörden Umlagezahlungen auch akzeptieren. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Konzerngesellschaften in Ländern, die aufgrund steuerlicher oder devisenrechtlicher Vorschriften keine Umlagezahlungen leisten dürfen, keine Vertragspartner werden sollten. Letztlich sind die jeweils restriktivsten nationalen Anforderungen an Umlageverträge entscheidend, so dass aus steuerplanerischer Sicht eine bewusste Selektion der Unternehmen vorgenommen werden kann,5 um praktische Schwierigkeiten bei der steuerlichen Anerkennung von Umlagezahlungen in Grenzen zu halten. Auf keinen Fall dürfen die anderen Vertragsparteien mit den Kosten bzw. Umlagen belastet werden, die bestimmte Konzerngesellschaften aus steuer- oder devisenrechtlichen Gründen nicht entrichten dürfen.6 Diese Kosten müssten im Bedarfsfall von der Muttergesellschaft ausgeglichen werden.
6.356
Mitgliedschaft bei Poolleistung als Haupttätigkeit. Die VWG-Umlage 1999 beschränkten den umlagefähigen Leistungsgegenstand auf Hilfsfunktionen der Poolmitglieder. Dementsprechend schied die Mitgliedschaft derjenigen Konzernunternehmen aus, für die die im Poolzweck definierten Leistungen eine Haupttätigkeit darstellten. Eine vergleichbare Einschränkung sehen die OECD-Leitlinien 2022 nicht vor.7 Folglich können nunmehr auch solche Gesellschaften Mitglied eines Pools sein, deren Haupttätigkeit nicht der Poolleistung entspricht. In der Praxis sind diese sogar üblichere Konstellationen, weil sich bspw. häufig Gesellschaften zur gemeinsamen Forschung und Entwicklung bzw. Produktion zusammenschließen und seltener verwaltungsbezogene Leistungen als Hilfsfunktionen gepoolt erbracht werden. 1 Vgl. Tz. 8.14 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.84 Umkehrschluss; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; so auch schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 4. 2 Zu denken ist etwa an die Auftragsforschung, die eine zentrale F&E-Gesellschaft an mehrere, als Pool organisierte Konzerngesellschaften erbringt. 3 Vgl. Tz. 8.14 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl I 2018, 743; so auch schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.7. Darüber hinaus ist auch eine Leistungsumlage denkbar. 4 Vgl. Tz. 8.14 und 8.18 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWGUmlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; so auch schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/ 99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 4. 5 Vgl. Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 898; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 707. 6 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 378. 7 So auch Greil, ISR 2019, 302.
642 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.358 Kap. 6
2. Leistungen an den Umlagepool durch selbständige Dienstleistungsgesellschaft Leistungserbringung an den Umlagepool. Ein Pool kann sowohl fremde wie verbundene Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen beauftragen (Nachfragepool). Beauftragt ein Pool verbundene Unternehmen mit der Erbringung von Leistungen, so ist hinsichtlich der Verrechnung dieser Leistungen zunächst danach zu unterscheiden, ob die Leistungen von einem außerhalb oder innerhalb des Pools stehenden verbundenen Unternehmen bezogen werden. Bezieht der Pool die Leistungen von einem außerhalb des Pools stehenden verbundenen Unternehmen (sog. Nachfragepool), so hat der poolexterne Leistungserbringer diese Leistungen zu Fremdpreisen, d.h. entweder anhand der Preisvergleichsmethode oder der Kostenaufschlagsmethode (also mit Gewinnaufschlag) abzurechnen.
6.357
Gleiches gilt für den (Ausnahme-)Fall, dass die Leistungen von einem Poolmitglied erbracht werden, das die entsprechenden Ergebnisse nachweisbar und eindeutig selbst weder nutzen noch verwerten kann,1 weil der Pool unterschiedliche Leistungskategorien erbringt.2 In beiden Fällen ist der Leistungserbringer bloßer Auftragnehmer des Pools, der seine Leistungen außerhalb des Umlagevertrages erbringt.
3. Innengesellschaft der Poolmitglieder Qualifikation als Innengesellschaft. Bis zur Einführung der VWG-Umlage 2018 war unstreitig, dass die Poolmitglieder auf Grundlage der Kostenteilungsvereinbarung, vorbehaltlich einer anderweitig getroffenen Rechtsformwahl, eine Innengesellschaft in Gestalt einer BGB-Gesellschaft bilden; dies deshalb, weil die Innengesellschaft keinen Erwerbszweck verfolgte bzw. keine Gewinnerzielungsabsicht hatte.3 Bei den Umlagevereinbarungen nach dem Poolkonzept handelte es sich quasi um einen innerbetrieblichen Vorgang durch Auslagerung eigener Kosten für gemeinsame Leistungen bzw. Leistungsprojekte; ein schuldrechtlicher Leistungsaustausch zwischen verbundenen Poolpartnern fand somit nicht statt. Der Pool erbrachte gegenüber seinen Mitgliedern (gesellschaftsrechtlich/innerbetrieblich bedingte) Eigenleistungen im Gegensatz zu (schuldrechtlich bedingten) Fremdleistungen.4 Ob dieses Verständnis auch nach den VWG-Umlage 2018 noch Bestand hat, wird teilweise bezweifelt.5 Dazu wird angeführt, die Bewertung der einzelnen Beiträge zu Fremdvergleichspreisen spreche gegen eine Qualifikation als Innengesellschaft. Diese Auffassung verkennt jedoch, dass zwischen den Beteiligten weiterhin kein schuldrechtlicher Leistungsaustausch stattfindet.6 Stattdessen bestehen lediglich schuldrechtliche Ausgleichsbeziehungen.7 Letztlich ent1 Vgl. Tz. 8.18 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743 VWG VP 2021, Rz. 3.84 Umkehrschluss. 2 In diesem Fall mussten gem. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 5 die umlagerelevanten Kosten für jede Leistungskategorie gesondert ermittelt werden. 3 Vgl. Tz. 8.3 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; so auch schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1 Abs. 2; Becker, IWB F. 10 Gr. 2, 1325; Greil/Greil, ISR 2015, 69. 4 Vgl. IdW, Stellungnahme v. 30.6.1999, WPg 1999, 714. 5 So etwa Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VIII Rz. 137. 6 Elbert/von Jesche in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 456. 7 Elbert/von Jesche in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 456; Greil/Greil, ISR 2015, 69.
Baumhoff/Kluge | 643
6.358
Kap. 6 Rz. 6.358 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
hielten die VWG-Umlage 2018 und entsprechend die VWG VP 2021 nur Hinweise zu verrechnungspreisspezifischen Fragestellungen. Es fehlen in den Schreiben Hinweise zur bilanziellen Behandlung bzw. zur grundsätzlichen steuerlichen Behandlung. Da sich insoweit die steuerlichen Normen jedoch nicht wesentlich geändert haben, dürfte weiterhin von der Einschlägigkeit von den ursprünglichen Hinweisen auszugehen sein, auch wenn hieraus kein größerer Vertrauensschutz mehr erweckt wird.
4. Standort des Pools 6.359
Wahl des Poolstandorts. Grundsätzlich ist der internationale Unternehmensverbund frei in der Wahl des Poolstandorts. Regelmäßig wird der Pool in der Praxis jedoch bei einem Poolmitglied angesiedelt. Mit der Standortentscheidung verbunden ist die Rechtswahl für das Tätigwerden des Pools. Hier wird insbesondere darauf zu achten sein, dass sich auch nach der Rechtsordnung des potenziellen Domizilstaats die Rechtsnatur des Pools als Innengesellschaft, jedenfalls aber als transparentes Rechtsgebilde einstellt, denn die dortige steuerliche Einordnung als Kapitalgesellschaft würde die Poolungsfunktion letztlich obsolet machen.1 Vor diesem Hintergrund erübrigen sich regelmäßig auch konkrete Feststellungen darüber, ob es sich bei dem Domizilstaat um ein Niedrigsteuerland handelt und ob die Umlage vom Empfänger versteuert wird oder nicht. Konkreten steuerlichen Rahmenbedingungen kommt allerdings insofern Bedeutung zu, als dem Pool als Ganzem staatliche Subventionen oder Steuervergünstigungen zugestanden werden (Rz. 6.369).
6.360
Begrenzung in der Standortwahl. Die Standortwahl des Pools wird dadurch begrenzt, dass der potenzielle Standort die Erfüllung der Grundfunktionen des Pools ermöglichen muss. Dies bedeutet insbesondere, dass nach der jeweiligen Rechtsordnung die Auslagerung einzelner Leistungen, Leistungskomponenten oder unternehmensinterner Funktionsbereiche sowie die gemeinschaftliche Bereitstellung und Nutzung zulässig sein müssen. Konkrete Standortkriterien2 bestimmen sich nicht nach der Poolungsfunktion, sondern nach den konkreten Leistungskategorien des Pools. So weisen etwa Verwaltungs- und Finanzierungsleistungen eine hohe Standortelastizität, d.h. eine geringe Standortabhängigkeit auf. Dagegen benötigt etwa ein F&E-Pool individuelle infrastrukturelle Rahmenbedingen (z.B. Universitäten, Labore) und den Zugang zu (hoch-)qualifiziertem Personal. Wie auch im Übrigen bei der Standortwahl sind es vornehmlich nichtsteuerliche Kriterien, die die Entscheidung beeinflussen.3
5. Beitrag der Poolmitglieder 6.361
Bewertung zu Fremdvergleichspreisen. Seit den VWG-Umlage 2018 müssen die Beiträge der Poolmitglieder in entsprechender Anwendung der OECD-Leitlinien 2022 den erwarteten Vorteilen aus dem Pool entsprechen.4 Folglich sind die Beiträge – anders als noch nach den VWG-Umlage 1999 – grundsätzlich zu Fremdvergleichspreisen zu bewerten.5 Die VWG-Um1 Vgl. Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (721 f.). 2 Vgl. z.B. Übersicht bei Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 573. 3 Vgl. Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre5, 575; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (709). 4 Vgl. Tz. 8.12 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; VWG VP 2021, Rz. 3.82. 5 Vgl. Tz. 8.25 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; VWG VP 2021, Rz. 3.82.
644 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.361 Kap. 6
lage 2018 bewirken folglich eine Abkehr von der Verrechnung auf Kostenbasis ohne Gewinnaufschlag.1 Die Ermittlung der Fremdvergleichspreise richtet sich dabei nach den allgemeinen Grundsätzen.2 Mithin ist nach Kapitel II OECD-Leitlinien 2022 die am besten geeignete Methode zu wählen.3 Dienstleistungen werden in der Praxis regelmäßig mittels der Kostenaufschlagsmethode verrechnet,4 da Vergleichspreise vielfach nicht zur Verfügung stehen. Auch für einen Dienstleistungspool sollte daher regelmäßig die Kostenaufschlagsmethode zur Anwendung kommen.5 Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zerfällt dabei in die zwei Schritte der Ermittlung der Kostenbasis und der Ermittlung eines angemessenen Gewinnaufschlags (Rz. 5.39). Bewertung zu Kosten. Nur in Ausnahmefällen lassen die OECD-Leitlinien 2022 eine Bewertung des Beitrags des jeweiligen Poolmitglieds zu Kosten zu.6 Eine Bewertung zu Kosten komme etwa bei Kostenumlagen zu Entwicklungszwecken hinsichtlich der Beiträge in Form bereits existierender Werte in Betracht,7 nicht aber hinsichtlich der laufenden Beiträge.8 Bei nur geringen Unterschieden zwischen Wert und Kosten einer Dienstleistung könne ebenfalls auf die Kosten abgestellt werden.9 Routinedienstleistungen sollten daher zu Kosten bewertet werden können.10 Eine Bewertung zu Kosten ist weiterhin zulässig, wenn entsprechende Vereinbarungen von unabhängigen Unternehmen ebenfalls eine Verrechnung auf Kostenbasis vorsehen.11 Ausgleichszahlungen. Stimmt die Höhe der Beiträge der Poolmitglieder nicht mit den auf sie entfallenden Vorteilen überein, sehen die OECD-Leitlinien 2022 Ausgleichszahlungen vor.12 Sofern diese Ausgleichszahlungen nicht durch die Steuerpflichtigen selbst durchgeführt werden, sind nach den OECD-Leitlinien 2022 entsprechende Korrekturen durch die jeweilige Finanzverwaltung möglich.13 Hinsichtlich Kostenumlagen zu Entwicklungszwecken soll jedoch nach Auffassung der OECD von Berichtigungen auf Grundlage eines einzelnen Wirtschaftsjahres abgesehen werden, wenn die sonstigen Vorgaben zur Ausgestaltung und Dokumentation von Kostenumlagevereinbarungen eingehalten wurden.14
1 Dazu kritisch Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. VIII Rz. 148. 2 Vgl. Tz. 8.26 i.V.m. Kapiteln I bis III und VI OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 8.26 i.V.m. 2.2 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWGUmlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743. 4 Elbert/Gotsis in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 144; VWG VP 2021, Rz. 3.72. 5 So auch Puls/Heravi, Ubg 2018, 511. 6 Vgl. Tz. 8.27 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; VWG VP 2021, Rz. 3.83. 7 Vgl. Tz. 8.27 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; VWG VP 2021, Rz. 3.83. 8 Vgl. Tz. 8.28 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; VWG VP 2021, Rz. 3.83. 9 Vgl. Tz. 8.28 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; VWG VP 2021, Rz. 3.83. 10 Elbert/von Jesche in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 492. 11 Vgl. Tz. 8.28 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743. 12 Vgl. Tz. 8.34 f. OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; VWG VP 2021, Rz. 3.82. 13 Vgl. Tz. 8.36 OECD-Leitlinien 2022. 14 Vgl. Tz. 8.37 OECD-Leitlinien 2022.
Baumhoff/Kluge | 645
Kap. 6 Rz. 6.362 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6. Ermittlung der Kostenbasis 6.362
Kostenbasis. Voraussetzung für die Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen anhand der Kostenaufschlagsmethode ist die Ermittlung der Kostenbasis, welche – nach Berücksichtigung eines Gewinnaufschlags – mittels eines sachgerechten Umlageschlüssels auf die Poolmitglieder zu verteilen ist. Die VWG-Umlage 1999 definierten die Kostenbasis als „die tatsächlichen direkten und indirekten Aufwendungen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der erbrachten oder zu erbringenden Leistung stehen“.1 Nach Tz. 8.24 der OECD-Leitlinien sind „alle laufenden Wertbeiträge oder Beiträge in Form bereits zuvor existierender Werte [...] zu berücksichtigen“2. Insoweit sollten sich durch die VWG-Umlage 2018/VWG VP 2021 keine wesentlichen Änderungen ergeben.
6.363
Umlagerelevante Dienstleistungen. Mit Hilfe eines Umlagevertrages nach dem Poolkonzept können nur bestimmte Dienstleistungen abgerechnet werden.3 Voraussetzung ist, dass das leistungsempfangende Unternehmen diese Dienstleistungen tatsächlich benötigt, nutzt bzw. voraussichtlich nutzen wird, diese in seinem Interesse erbracht werden, einen Vorteil erwarten lassen (z.B. durch Ersparnis von Aufwand oder Steigerung der Erlöse)4 und ihm ein genau umschriebener Nutzungsanspruch eingeräumt wird. Insofern ist es erforderlich, die zu erbringenden Leistungen möglichst exakt und umfassend zu definieren.5 Seit Einführung der VWGUmlage 19996 können – neben F&E-Leistungen und dem Erwerb von Wirtschaftsgütern – sämtliche konzerninternen Dienstleistungen, also sowohl verwaltungsbezogene als auch sonstige Leistungen, Gegenstand einer Umlage sein. Gegenüber den ursprünglichen Regelungen zu Umlageverträgen in den VWG 1983 bedeutete dies für den Dienstleistungsbereich eine erhebliche Erweiterung des Anwendungsbereiches für Kostenumlagen, da die Umlage (neben den Aufwendungen für F&E) ursprünglich auf den Bereich der verwaltungsbezogenen Dienstleistungen beschränkt war.7 Seit Einführung der VWG-Umlage 1999 können auch Kosten einer Werbemaßnahme oder solche eines längerfristigen Werbekonzepts mittels einer Umlage verrechnet werden. Weitere Beispiele sind Kauf oder Leasing von Gebäuden oder Maschinen und Versorgung mit Management- sowie Finanzdienstleistungen.8 Die OECD-Leitlinien wollen die Kostenumlage gem. Tz. 8.3 ebenfalls auf die Bereiche „Entwicklung, Produktion oder
1 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1. Zum Terminus „Aufwendungen“ kritisch vgl. Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 901; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (712 f.); Baumhoff in F/ W/B/S, § 1 AStG Rz. 2080 f.; Baumhoff, IStR 2000, 700. 2 Tz. 8.24 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 8.6 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.82 und Rz. 3.84. BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; so auch schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 2. 4 Vgl. Tz. 8.19 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; so auch schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. Abs. 2. 5 Vgl. Tz. 8.50 lit. b OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.82 und Rz. 3.84; Elbert/von Jesche in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 473. 6 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.1. Abs. 2. 7 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.2.1. Nr. 1, aufgeh. durch BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 7. 8 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 349.
646 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.364 Kap. 6
Beschaffung von immateriellen Werten, materiellen Vermögenswerten oder Dienstleistungen“1 angewendet wissen. Aufwendungen vs. Kosten. Die VWG-Umlage 1999 stellten in Tz. 2.1. Abs. 12 für den Bereich der Poolumlagen auf die „tatsächlichen direkten und indirekten Aufwendungen“ ab, während nach der ursprünglichen Regelung der VWG 1983 die tatsächlich entstandenen Kosten nach einer anerkannten Kostenrechnungsmethode auf Vollkostenbasis (direkte und indirekte Kosten) zu erfassen und zu verteilen waren.3 Der Begriff „Kosten“ ist also durch den Begriff „Aufwand“ ersetzt worden, was grundsätzlich zur Folge gehabt hätte, dass man zwecks Ermittlung des umlagefähigen Betrags nicht mehr auf die Kostenrechnung, sondern auf die Buchführung hätte abstellen müssen.4 Dies scheint aber von der Finanzverwaltung offenbar nicht gesehen worden bzw. beabsichtigt gewesen zu sein, zumal in den VWG-Umlage 1999 keine konsequente Trennung zwischen Aufwands- und Kostenkategorien vorgenommen wurde. Zum einen wurde mit der Formulierung in Tz. 2.1. Abs. 1 VWG-Umlage 1999 „Aufwendungen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der erbrachten oder zu erbringenden Leistung stehen“5 deutlich gemacht, dass man einen Bezug zu der zu bewertenden Leistung herstellen wollte, wofür der Kostenbegriff final ist. Zum anderen sollte gem. Tz. 5.1.4. Nr. 4 VWG-Umlage 1999 eine „Auflistung des Gesamtaufwandes nach Kostenstellen“6 erfolgen, was allerdings nur mit Hilfe der Kostenrechnung und nicht der Buchführung möglich ist. Darüber hinaus sollte im Rahmen der Ermittlung des umlagerelevanten Betrages die Berücksichtigung (kalkulatorischer) Eigenkapitalzinsen möglich sein, wobei es sich nicht um (buchhalterischen) Aufwand, sondern um kostenrechnerische Elemente in Form kalkulatorischer Zusatzkosten handelt. Hinzu kommt, dass der (buchhalterische) Aufwandsbegriff auch neutralen (d.h. nicht leistungs- bzw. unternehmenstätigkeitsbezogenen sowie periodenfremden) Aufwand beinhaltet, was kostenrechnerisch nicht oder in anderer Form Berücksichtigung findet. Zusammenfassend konnte somit auch nach den VWG-Umlage 1999 für den Bereich der Ermittlung der umlagerelevanten Kosten auf die Daten der Kostenrechnung zurückgegriffen werden,7 wobei die Finanzverwaltung gem. Tz. 2.1. Abs. 1 VWG-Umlage eine Eliminierung solcher Kostenelemente forderte, die steuerrechtlich nicht als Betriebsausgaben (z.B. gem. § 160 AO oder § 4 Abs. 5 EStG) berücksichtigt werden dürfen.8 Eine Ermittlung der umlagerelevanten Kosten anhand buchhalterischer Aufwandskategorien wäre unsystematisch und praxisfern gewesen, so dass die Begründung von Kuckhoff/Schreiber9, die Verwendung des Aufwandsbegriffs würde Definitionsdefizite bei der Ermittlung der umlagerelevanten Kosten vermeiden, nicht über1 Tz. 8.3 OECD-Leitlinien 2022. 2 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1. 3 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.1.2.; aufgeh. durch BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 7. 4 Vgl. hierzu umfassend Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 901. 5 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1. 6 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 5.1.4. Nr. 4. 7 So wohl auch Greil, der die Entscheidung über die umzulegende „Verrechnungsgröße“ der unternehmerischen Dispositionsfreiheit anheim stellt, vgl. Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGrs.Uml Rz. 63. 8 Vgl. Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 901; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 717. 9 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 374.
Baumhoff/Kluge | 647
6.364
Kap. 6 Rz. 6.364 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
zeugt. Da nach den VWG-Umlage 2018 i.V.m. den OECD-Leitlinien 2022 die allgemeinen Grundsätze gelten und im Rahmen der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode auf die Kosten und nicht auf den Aufwand abgestellt wird,1 erübrigt sich die Diskussion nach den VWG-Umlage 2018.
6.365
Rechnungslegungsvorschriften des Poolstaates. Für Umlagen auf der Grundlage des Poolkonzepts („Poolumlagen“) sollten nach den VWG-Umlage 1999 die Aufwendungen grundsätzlich nach den Rechnungslegungsvorschriften des Staates ermittelt werden, in dem der Leistungserbringer bzw. der Pool tätig wurde.2 Betriebswirtschaftlich versteht man unter „Rechnungslegung“ den Nachweis über betriebliches Handeln durch quantitative Informationen mittels geordneter und nachprüfbarer Rechenwerke. Generiert werden diese Informationen im betrieblichen Rechnungswesen, wie z.B. der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung (internes Rechnungswesen). Offengelegt werden sie in komprimierter Form durch die (Handels-)Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung (externes Rechnungswesen). (Nationale) Vorschriften existierten generell nur bezüglich des externen Rechnungswesens, wenngleich sich diese nationalen Vorschriften z.B. durch Anwendung von US-GAAP oder IFRS, in einem starken Internationalisierungsprozess befinden. Insofern konnte von den VWG-Umlage 1999 nur das externe Rechnungswesen angesprochen sein, was jedoch nicht zwingend bedeutete, dass die umlagefähigen Beträge nur nach den handelsrechtlichen Vorschriften des Staates ermittelt werden mussten, in dem sich der Pool befand; vielmehr sollten die umlagefähigen Beträge auch auf der Grundlage eines im Poolstaat anerkannten Kostenrechnungssystems bestimmt werden können.3 Sofern, was in der Praxis vielfach der Fall ist, im internationalen Unternehmensverbund einheitliche interne bzw. externe Rechnungslegungsrichtlinien existieren, konnten diese nach den VWG-Umlage 1999 verwendet werden, sofern sie auch im Poolstaat angewendet werden durften. Dies entspricht i.Ü. der Rechtslage für den Eigenkapitalvergleich im Rahmen der Zinsschranke (§ 4h Abs. 2 Sätze 8 und 9 EStG) und der Auffassung der Finanzverwaltung für die Transferpaketbewertung bei Funktionsverlagerungen,4 wo auch auf unterschiedliche Rechnungslegungssysteme (z.B. IFRS, US-GAAP) Bezug genommen werden kann. Die OECD-Leitlinien 2022 sehen unter dem Stichwort „Einheitlichkeit der Rechnungslegung“ lediglich Anpassungen vor, wenn konzerninterne Geschäftsvorfälle in der Rechnungslegung anders erfasst werden als Geschäftsvorfälle mit fremden Dritten.5 Anhand der Rechnungslegungsvorschriften welchen Staates die Kostenbasis zu ermitteln ist, lässt sich indes mit den OECD-Leitlinien 2022 nicht bestimmen.6 Hierzu findet sich auch in den neuen VWG VP 2021 keine Konkretisierung.
6.366
Sachumfang und Zeitbezug der umlagerelevanten Kosten. Gemäß Tz. 2.1. VWG-Umlage 1999 waren der Umlage „die tatsächlichen direkten und indirekten Aufwendungen“ zugrunde zu legen. Hieraus wurde gefolgert, dass die Finanzverwaltung der Kostenumlage die Vollkosten auf Istkostenbasis zugrunde legen will. Dabei sollten kalkulatorische Kostenelemente, wie
1 Vgl. Tz. 8.26 i.V.m. 2.45 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWGUmlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743. 2 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1. 3 Ebenso Vögele, DB 2000, 298. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 31. 5 Vgl. Tz. 8.26 i.V.m. 2.52 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWGUmlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743. 6 Vgl. dazu auch Borstell/Dworaczek in V/B/B, Verrechnungspreise3, B Rz. 108.
648 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.368 Kap. 6
eine Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals lt. Steuerbilanz nach dem Habenzinssatz für die Währung des Tätigkeitsstaates, berücksichtigt werden.1 Durch den Ansatz „Vollkosten auf Istkostenbasis“ wurde sichergestellt, dass sämtliche Aufwendungen bzw. Kosten, also auch außerordentliche Aufwendungen bzw. ungeplant angefallene Kosten, verteilungsfähig waren, d.h. als Kostenbestandteile in die Vollkostenbasis einbezogen wurden. Dies galt selbst für den Fall, dass aufgrund unvorhersehbarer Umstände die tatsächlichen Kosten die geplanten Kosten um ein Mehrfaches überstiegen. Ein Pool stellt eine Risikogemeinschaft dar, so dass dessen Mitglieder gemeinsam über die Kostenumlage sämtliche Risiken der Pooltätigkeit tragen. Dazu gehören insbesondere das Kostenrisiko sowie das Preisabweichungsrisiko.2 Die VWGUmlage 2018 änderten an dieser Behandlung nichts; denn auch nach den OECD-Leitlinien 2022 sind im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode sowohl die direkten als auch die indirekten Kosten zu berücksichtigen.3 Dies gilt entsprechend für die VWG VP 2021, da diese nur auf die Anwendung der OECD-Leitlinien verweisen und selbst keine weitergehende Konkretisierung zum Umfang der Kosten enthalten. Kürzung von Dritteinnahmen. Gemäß Tz. 2.1. Abs. 2 VWG-Umlage 1999 waren die umlagerelevanten Kosten um Einnahmen zu kürzen, „die mit den Aufwendungen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen“.4 Diese Regelung betraf vornehmlich Kostenumlagen für Forschungsund Entwicklungsleistungen, sofern diese (oder auch Dienstleistungen) außerhalb der Gruppe der Poolmitglieder (z.B. gegenüber nicht am Umlageverfahren teilnehmenden Konzernunternehmen oder Konzernfremden) verwertet wurden. Die aus dieser Verwertung resultierenden Einnahmen, die beispielsweise auch Lizenzeinnahmen sein konnten, die aus der Lizenzierung der durch den Pool geschaffenen immateriellen Wirtschaftsgüter stammten, sollten die umlagerelevanten Kosten vermindern. Diese Regelung ist dann sachgerecht, wenn man dem Poolgedanken folgt, weil in diesem Fall die aus der „Drittverwertung“ resultierenden Einnahmen allen Poolmitgliedern anteilig (in Form reduzierter Umlagezahlungen) zugutekommen. Würde man demgegenüber nur die durch die „Drittverwertung“ dem Pool entstehenden Kosten von dessen Gesamtkosten abziehen, so kämen die aus der „Drittverwertung“ resultierenden Einnahmen allein dem Pool zugute. Dies wäre nur dann sachgerecht, wenn das aus der „Drittverwertung“ resultierende wirtschaftliche Risiko (z.B. Inkassorisiko, Währungsrisiko) allein beim Pool verbleibt. Partizipieren jedoch – wie es bei Poolumlagen der Fall ist – alle Poolmitglieder an diesem Risiko, haben auch alle (anteilig) Anspruch auf den aus diesem Geschäft resultierenden Gewinn. Der „Drittverwertung“ steht in dieser Betrachtungsweise die Erbringung „außervertraglicher Zusatzleistungen“ an ein Poolmitglied gleich, die neben dem Umlagevertrag vergütet werden. Die OECD-Leitlinien 2022 äußern sich nicht dazu, wie Einnahmen aus der Drittverwertung zu behandeln sind. Angesichts der grundsätzlichen Verrechnung zu Fremdvergleichspreisen sollte die bisher nach den VWG-Umlage 1999 vorgenommene Behandlung auch weiterhin zu einem sachgerechten Ergebnis führen.
6.367
Einbezug von nach nationalem Recht nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben. Hinsichtlich der Nichtabzugsfähigkeit von Betriebsausgaben gelten bei einem inländischen Leistungsemp-
6.368
1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 4. 2 Das Risiko liegt also nicht beim Pool, sondern (anteilig) bei dessen Mitgliedern; gl.A. Vögele/Freytag, IStR 2000, 249; Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 348. 3 Vgl. Tz. 8.26 i.V.m. 2.54 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWGUmlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743. 4 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 2.
Baumhoff/Kluge | 649
Kap. 6 Rz. 6.368 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
fänger die Vorschriften des deutschen Steuerrechts, wie § 160 AO oder § 4 Abs. 5 EStG.1 Die entsprechenden Aufwendungen müssen deshalb eindeutig abgegrenzt werden, was einen erheblichen Aufwand mit sich bringen kann.
6.369
Standortvorteile und öffentliche Subventionen (Zulagen, Zuschüsse). Die VWG-Umlage 1999 behandelten Standortvorteile, Zuschüsse und Zulagen sowie die Effekte aus steuerlichen Sondervergünstigungen, wie z.B. Sonderabschreibungen, wie normale „Dritteinnahmen“2, die die umlagerelevanten Kosten entsprechend mindern. Der Fremdvergleichswert des Beitrags eines Poolmitglieds wird durch Standortvorteile und Subventionen grundsätzlich nicht berührt.3 Folglich haben Standortvorteile und Subventionen nach den OECD-Leitlinien 2022 keine unmittelbaren Auswirkungen. Wird der Fremdvergleichswert jedoch nach den allgemeinen Grundsätzen und damit regelmäßig nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt, beeinflussen Standortvorteile und Subventionen unmittelbar (in einem zu ermittelnden Umfang4) die Kostenbasis und folglich mittelbar den Fremdvergleichswert. Stellt man – wie die OECD-Leitlinien auch – hinsichtlich der Aufteilung der Standortvorteile auf das Verhalten unabhängiger Unternehmen ab,5 so wären folgende Lösungsansätze realistisch: – Steht eine Subvention oder eine Steuervergünstigung in direktem Zusammenhang mit den Aktivitäten des Pools, ist sie sozusagen „poolspezifisch“ (z.B. staatliche Forschungskostenbeihilfen bei F&E-Aktivitäten, steuerliche Vergünstigungen aufgrund spezieller Tätigkeiten des F&E-Pools), so sollten alle Poolmitglieder daran partizipieren, da auch unabhängige Unternehmen diese Vorteile untereinander aufteilen würden.6 Gefördert werden soll in diesem Fall nicht ein bestimmtes Poolmitglied, sondern der Pool als Ganzes. – Erbringt ein Poolmitglied gegenüber dem Pool bestimmte Leistungen und werden diesem Poolmitglied Subventionen und Steuervergünstigungen unabhängig von den Aktivitäten des Pools zuteil, so fließen sie ihm wegen seiner eigenen Standortbedingungen bzw. -vorteile zu, und nicht aufgrund von Faktoren, die dem Pool zuzurechnen sind. In diesem Fall kann nur das einzelne Poolmitglied und nicht der Pool insgesamt an den Vorteilen partizipieren. Letztlich sollte es somit auf die konkrete Zielsetzung der staatlichen Subventionen bzw. Steuervergünstigungen sowie auf die Frage ankommen, wer – entweder der Pool als Ganzes oder das einzelne Poolmitglied – die Voraussetzungen für die Gewährung der Subventionen bzw. Steuervergünstigungen erfüllt.7
1 So bereits BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 1. 2 Im Ergebnis ähnlich Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, Rz. 217 sowie Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 376. 3 So auch Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VIII Rz. 147. 4 Vgl. dazu etwa Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 789. 5 Vgl. Tz. 8.26 i.V.m. 1.42 OECD-Leitlinien 2022. 6 Ebenso Kuckhoff/Schreiber, IStR 1998, 4 sowie Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 376. 7 Ähnlich Kuckhoff/Schreiber, IStR 1998, 4 sowie Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 376; Storck in FS Haas, 471; a.A. Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. VIII Rz. 147.
650 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.372 Kap. 6
Plausibilisierung der Kostenbasis. Für die Kosten- bzw. Poolumlage empfiehlt das EU-JTPF, folgende Informationen über die Kostenbasis zum Gegenstand der Prozessdokumentation zu machen:
6.370
– Gruppeninterner Prüfstandard für den Pool, z.B. Grenzen für die Wesentlichkeit oder das Beweismaß; – Erklärung der Kostenrechnungsmethode für die Zuweisung von Einzel- und Gemeinkosten sowie bei Dienstleistungszentren mit Erbringung verschiedenartiger Dienstleistungen eine Beschreibung der Behandlung dieser Kosten; – Grundlage, auf der Gesellschafteraufwand (Anteilseignerkosten) ausdrücklich aus dem Pool eliminiert wird mit ggf. gesonderter Analyse dieser Kosten; – Beschreibung und Analyse der Kostenkategorien des Pools (z.B. IT, Rechnungswesen, Personalverwaltung); – Ursprung etwaiger Gewinnaufschläge und Ermittlung von Kosten, die ohne Aufschlag zugewiesen werden; – Beschreibung und Analyse der zugewiesenen Kosten, wobei Detailangaben insbesondere dann wichtig sind, wenn weltweite Servicekosten einzelnen Gesellschaften zugeordnet werden; – Abgleich der Gesamtkosten des Pools mit den zugewiesenen Gesamtkosten, damit die zugewiesenen Kosten nicht höher sind als die Gesamtkosten.
7. Berücksichtigung eines Gewinnaufschlags Lange kein internationaler Konsens. Über die Frage, ob auf die umlegbare Kostenmasse ein Gewinnaufschlag zu erheben ist oder nicht, konnte international lange kein Konsens erzielt werden.1 Während das EU-JTPF sich in seinen Leitlinien zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung nicht zur Erhebung eines Gewinnaufschlags bei Poolumlagen äußert, lehnten die VWG-Umlage 1999 einen Gewinnaufschlag mit Hinweis auf den gemeinsamen Zweck des Pools und das fehlende unternehmerische Risiko für den Pool grundsätzlich ab.2 Demgegenüber sehen die OECD-Leitlinien 2022 nunmehr – anders als noch die OECD-Leitlinien 2010 – grundsätzlich eine Beitragsbemessung zu Fremdvergleichspreisen und damit einen Gewinnaufschlag vor, wenn die Abrechnung zutreffend anhand der Kostenaufschlagsmethode erfolgt. Auch die VWG VP 2021 fordern in Rz. 3.82 faktisch einen Gewinnaufschlag, wenn die Fremdpreise unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden. Dieser wird nur dann als entbehrlich angesehen, wenn die Kosten-Wert-Differenz marginal ist, der administrative Aufwand erheblich wäre, bzw. die Wertbeiträge betragsmäßig korrespondieren, sodass de-facto ein Vorteilsausgleich eintritt.3
6.371
Wegfall der Unterscheidung zwischen Leistungsumlage und Poolumlage. Die Ursache für die bislang unterschiedlichen Ansätze in der Frage der Verrechnung eines Gewinnaufschlages wurden mit den divergierenden Zwecksetzungen der Leistungsumlage einerseits und der Poolumlage andererseits begründet (Rz. 6.338 f.). Sieht man in der Leistungsumlage eine ge-
6.372
1 Zu einem internationalen Vergleich siehe Narraina/Neubauer/Viegener, IWB F. 10 Gr. 2, 802 ff. 2 Vgl. BMF, Schr v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 – Tz. 2.2. 3 VWG VP 2021, Rz. 3.83.
Baumhoff/Kluge | 651
Kap. 6 Rz. 6.372 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
genüber der Einzelverrechnung zwar vereinfachte, aber dennoch gleichberechtigte Form der Entgeltbestimmung, tritt die leistungserbringende Konzernunternehmung als Dienstleistungsunternehmen auf. Infolgedessen ist ihre Tätigkeit darauf gerichtet, Gewinne zu erzielen, so dass ihr nach Maßgabe des Fremdvergleichs auch ein Gewinnzuschlag zusteht.1 Demgegenüber entspricht es dem Grundsatz des Fremdvergleichs im Rahmen des Poolkonzepts, nach welchem mehrere verbundene Unternehmen als gleichberechtigte Partner bei gemeinschaftlichem Risiko einen gemeinsamen Zweck verfolgen, ausschließlich die Kosten ohne Gewinnaufschlag auf die Poolmitglieder zu verteilen. Denn der Pool übt lediglich eine Hilfsfunktion seiner Mitglieder aus und stellt insoweit eine „Non-Profit-Innengesellschaft“ dar.2 Mithin lässt sich der Verzicht auf einen Gewinnaufschlag damit rechtfertigen, dass der Pool selbst kein unternehmerisches Risiko trägt, das eine Risikoprämie in Gestalt eines Gewinnzuschlages erfordern bzw. rechtfertigen würde.3 Entgegen der vorstehenden – u.E. nach wie vor zutreffenden – Auffassung sehen die OECD-Leitlinien 2022 eine Verrechnung auf Kostenbasis nur in Ausnahmefällen vor (Rz. 3.361). Die Finanzverwaltung vollzieht folglich mit den VWG-Umlage 2018 und dem darin enthaltenen Verweis auf die OECD-Leitlinien 2022 eine Kehrtwende. Schließlich war nach den VWG-Umlage 1999 ebenfalls kein Gewinnaufschlag vorzunehmen. Im Ergebnis wird nunmehr ein Gewinnaufschlag verrechnet, wenn die Bemessung der Leistung zutreffend nach der Kostenaufschlagsmethode erfolgt.4
6.373
Gewinnaufschlag bei Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung. Von der Poolumlage zu unterscheiden ist ferner die vereinfachte Verrechnungsform für Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung (Rz. 6.114 ff.), die mit dem Abschlussbericht zu den Maßnahmen 8–10 des BEPS-Aktionsplans v. 5.10.2015 in die OECD-Leitlinien aufgenommen wurden.5 Ein vergleichbarer Ansatz wurde für die EU vom EU-JTPF entwickelt, der allerdings im Hinblick auf die erfassten Dienstleistungen deutlich über den Ansatz der OECD-Leitlinien hinausgeht.6 Nach dieser vereinfachten, optionalen Abrechnungsform, die konzeptionell auf der indirekten Methode basiert, werden die im Zusammenhang mit den betreffenden Dienstleistungen konzernweit entstandenen Kosten (z.B. Zentralabteilungen der Konzernspitze, spezielle Dienstleistungsgesellschaften, Shared Service Center) gesammelt (Cost Pool), mit einem geringfügigen Gewinnelement beaufschlagt und mittels leistungsartbezogener Umlageschlüssel den einzelnen leistungsempfangenden Konzerngesellschaften weiterbelastet. In Abgrenzung zur Poolumlage fehlt es mithin an gleichgerichteten Interessen, d.h. an einer Nutzung der betreffenden Leistungen in wirtschaftlich gleicher Weise. Vielmehr treten die einzelnen konzerninternen Leistungserbringer – regelmäßig vermittelt über die Konzernspitze als Kostensammelstelle – den Leistungsempfän-
1 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 265 f. So auch Piltz in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 66 ff.; Stock/Kaminski, IStR 1998, 9; Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 906; Kaminski/Strunk, IWB F. 3 Gr. 1, 1846; Ditz, DB 2004, 1949; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (720 f.). 2 Vgl. Raupach, StuW 1990, 400; Scheffler, ZfbF 1991, 483. 3 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 266 f. Ebenso BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.2.; IdW, Beilage zu den IDW-FN 1–2/1999, Anm. zu Tz. 7.1.6. VWG 1983; Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.218; a.A. Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 906; wohl auch Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (721 f.). 4 Ebenfalls kritisch Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECDKap. VIII Rz. 148. 5 Elbert/Münch, IStR 2015, 341 ff.; Ackermann/Greil, IWB 2015, 3 f. 6 EU-JTPF, Leitlinien zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise5, S. 485 ff.
652 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.376 Kap. 6
gern der einzelnen Leistungsart gegenüber (sog. Nachfragepool). Insoweit gelten für die Abrechnung keine anderen Grundsätze als für die Verrechnung von Leistungen, die durch poolexterne Leistungserbringer erbracht werden. Diese Leistungen sind zu Fremdpreisen abzurechnen, wobei nach der vereinfachten Verrechnungsform – basierend auf einer Modifikation der Kostenaufschlagsmethode – die Kosten um einen Gewinnaufschlag von 5 % zu erhöhen sind.1
8. Umlageschlüssel Regelungen in den VWG-Umlage 1999. Nach Tz. 3.1. Abs. 1 VWG-Umlage 1999 war der umlagefähige Aufwand auf Basis des Nutzens, den jedes Poolmitglied für sich erwartete, aufzuteilen. Hierbei war der erwartete Nutzen „anhand betriebswirtschaftlicher Grundsätze und unter Berücksichtigung aller Umstände und Entwicklungen, die vernünftigerweise im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorhersehbar sind“2, zu ermitteln. Insofern bestand auch bei Vertretern der Finanzverwaltung Einvernehmen darüber, dass vom Grundsatz her der erwartete und nicht der tatsächliche Nutzen entscheidend war.3 Allerdings ließ sich den VWG-Umlage 1999 zur konkreten Ableitung und Umsetzung eines Umlageschlüssels anhand des Kriteriums des erwarteten Nutzens nichts entnehmen.4 Stattdessen führten die VWG-Umlage 1999 lediglich mehr oder minder pauschale Aufteilungsschlüssel, wie z.B. die eingesetzten, hergestellten, verkauften oder zu erwartenden Einheiten einer Produktlinie, den Materialaufwand, die Maschinenstunden, die Anzahl der Arbeitnehmer, die Lohnsumme, die Wertschöpfung, das investierte Kapital, den Betriebsgewinn und den Umsatz auf,5 die mit Ausnahme der erwarteten Einheiten einer Produktlinie sämtlich nicht zukunftsgerichtet sind und schon deshalb keinen Bezug zum erwarteten Nutzen aufweisen.
6.374
Die VWG-Umlage 1999 sahen keinen allgemein anzuwendenden Aufteilungsschlüssel vor; vielmehr sollte die sachgerechte Schlüsselwahl einzelfallabhängig erfolgen. Sofern sich mehrere Schlüssel als gleichwertig erwiesen, sollte es im Ermessen des (ordentlichen) Geschäftsleiters liegen, welchen Schlüssel er wählt. Dies bedeutete im Umkehrschluss, dass ein Aufteilungsmodus dann als sachgerecht und angemessen zu betrachten war, wenn diesem jeder der betroffenen ordentlichen Geschäftsleiter im Hinblick auf die ihm eingeräumten Nutzungsmöglichkeiten zugestimmt hätte.6 Damit bestand bei der Auswahl des Aufteilungsschlüssels ein erheblicher Ermessensspielraum. Regelungen in den VWG Verrechnungspreise. Die VWG VP 2021 enthalten wenige Konkretisierungen. Sie verweisen in Tz. 3.81 auf die Anwendung der OECD-Leitlinien, konkret auf Kapitel VIII. Ferner führen sie aus, dass die Vergütung anhand der jeweils zu erwartenden Vorteile zu erfolgen hat.7 Insofern ist wohl eine ex-ante Betrachtung zugrunde zu legen.
6.375
Regelungen in den OECD-Leitlinien. Tz. 8.19 OECD-Leitlinien 2022 betont zutreffend, dass zur Bestimmung eines sachgerechten Aufteilungsschlüssels keine generell anwendbare Regel existiert. Der Aufteilungsschlüssel solle – idealerweise – für jeden Vertragspartner den Anteil an dessen voraussichtlichem Nutzen (z.B. in Form zusätzlichen Einkommens oder ersparter
6.376
1 Vgl. Tz. 7.61 OECD-Leitlinien 2022. 2 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1 Abs. 1 Satz 2. 3 Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 350; Böcker, StBp. 2008, 9. 4 Vgl. auch Ditz, DB 2004, 1950. 5 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.2. Abs. 2. 6 Ähnlich DIHT, Planspiel Verrechnungspreise, 1981, 28, Nr. 8. 7 VWG VP 2021, Rz. 3.82.
Baumhoff/Kluge | 653
Kap. 6 Rz. 6.376 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Kosten) widerspiegeln. Es müsse ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Aufteilungsschlüssel und dem voraussichtlichen Nutzen bestehen, wobei als mögliche Aufteilungsschlüssel neben den Umsatzerlösen z.B. auch auf die jeweils genutzten bzw. produzierten oder verkauften Stückzahlen, den Rohgewinn, das Betriebsergebnis oder die Zahl der Beschäftigten zurückgegriffen werden könne. Im Rahmen der Verwendung von Plandaten sei hinsichtlich des Kriteriums der „künftigen Vorteilserzielung“ dem Unsicherheitsfaktor Rechnung zu tragen.1 Sofern Plandaten und später erzielte Istwerte stark voneinander abweichen, müsse geprüft werden, ob die Planung vernünftig und realistisch gewesen sei; unvorhersehbare Ereignisse dürften bei diesem Soll-Ist-Vergleich jedoch nicht zu Korrekturen führen.
6.377
Bericht des EU-JTPF. Die Leitlinien des EU-JTPF zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung verweisen auf die Grundsätze der OECD-Leitlinien, allerdings auf diejenigen zur Leistungsumlage bzw. indirekten Einzelverrechnung in Tz. 7.23 und 7.24 OECD-Leitlinien. Hierbei soll Transparenz über die wesentlichen Bestimmungsfaktoren (Kostenbasis, Gewinnaufschlag, Umlageschlüssel) hergestellt werden. Tz. 51 der Leitlinien sieht es deshalb als entscheidend an, dass der Umlageschlüssel begründet werden kann, einheitlich angewendet und regelmäßig überprüft wird.2 Insofern sollte der Aufwand für die Entwicklung und Begründung eines komplexen Umlageschlüssels in keinem Missverhältnis („marginale Verbesserung“) zu einem in der Praxis leichter anzuwendenden Umlageschlüssel stehen. Das EU-JTPF rechtfertigt die Pragmatik dieses Konzepts mit der Nachvollziehbarkeit und einheitlichen Anwendbarkeit des Umlageschlüssels.3 Beispielhaft werden folgende, in der Praxis allgemein verbreitete Umlageschlüssel aufgeführt:4 – IT: Anzahl der Rechner, – ERP-Software (z.B. SAP): Anzahl der Lizenzen, – Personalwesen: Anzahl der Beschäftigten, – Sicherheitsleistungen: Anzahl der Mitarbeiter, – Managemententwicklung: Anzahl der Mitarbeiter, – Steuern, Rechnungswesen usw.: Umsatz oder Bilanzsumme, – Marketing: Umsatz, – Fuhrpark: Anzahl der Fahrzeuge.
6.378
Erwarteter vs. tatsächlicher Nutzen. Nach Auffassung der OECD5 wie auch bereits nach den VWG-Umlage 19996 ist der Umlageschlüssel grundsätzlich nach dem Verhältnis des erwarteten Nutzens eines jeden Poolmitglieds zum erwarteten Gesamtnutzen aus dem Pool7 zu be1 Vgl. Tz. 8.20 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. EU-JTPF, Guidelines on Low Value Adding Intra-group Services, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise3, 350 Rz. 51. 3 Vgl. EU-JTPF, Guidelines on Low Value Adding Intra-group Services, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise3, 350 Rz. 52. 4 Vgl. EU-JTPF, Guidelines on Low Value Adding Intra-group Services, abgedr. in Schreiber/Nientimp, Verrechnungspreise3, 350 Rz. 53. 5 Vgl. Tz. 8.21 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 – S-1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.1. 7 Dazu kritisch Ditz, DB 2004, 1952.
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D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.380 Kap. 6
stimmen. So sehen dies auch die VWG VP 2021.1 Der erwartete Nutzen ist im Rahmen einer sog. Nutzenanalyse anhand betriebswirtschaftlicher Grundsätze und unter Berücksichtigung aller Umstände, die bei Abschluss des Umlagevertrages abzusehen sind, zu ermitteln. Er konkretisiert sich i.d.R. in Form zukünftiger Kosteneinsparungen oder zukünftiger Umsatzsteigerungen aus der Poolteilnahme.2 Dabei muss ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem ermittelten Aufteilungsschlüssel und dem voraussichtlichen Nutzen der Poolmitglieder bestehen.
Allerdings lässt sich eine am erwarteten Nutzen ausgerichtete Bestimmung des Umlageschlüssels nicht aus dem Fremdvergleichsgrundsatz ableiten, denn eine solche Schlüsselung ist zwischen fremden Dritten gar nicht vorstellbar.3 Dies liegt darin begründet, dass jedes Poolmitglied im Rahmen der Verhandlungen über die Festlegung des Umlageschlüssels seinen erwarteten Nutzen und dies zudem in Kenntnis seines hiernach bemessenen Kostenanteils offenbaren müsste. Rationales Verhalten unterstellt, würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter des jeweiligen Poolmitglieds in virtuellen Preisverhandlungen seinen individuellen erwarteten Nutzen aus der Poolbildung unterbewerten, um bei gleichbleibender Inanspruchnahme der Leistungen des Pools seinen Kostenbeitrag zu „optimieren“.4 Auf Grundlage des Fremdvergleichs lässt sich stattdessen ableiten, dass sich die Kostenverteilung nach der tatsächlichen Inanspruchnahme von Poolleistungen und damit nach dem tatsächlichen Nutzen bestimmt. Umsatz als Umlageschlüssel. Als der in der Praxis am häufigsten gewählte Aufteilungsmaßstab wird der Umsatz genannt. Dies wird beispielsweise damit begründet, dass sich schwerlich ein besserer Schlüssel finden lässt5 und es dann keinen besseren Schlüssel gibt, sofern man die betroffenen Gesellschaften nicht mit unzumutbaren Abrechnungsarbeiten belasten will.6 Außerdem stelle der Umsatz eine aussagekräftige Kennzahl für die Leistungserstellung eines Konzernmitgliedes dar,7 die zudem leicht nachprüfbar sei. Ferner wird angeführt, dass die Manipulierbarkeit ausgeschlossen ist.8 Die VWG-Umlage 1999 erkannten den Umsatz ebenfalls als Aufteilungsschlüssel an.9 Somit ergibt sich durch die VWG-Umlage 2018 und die VWG VP 2021 keine Änderung, da sowohl die OECD-Leitlinien 202210 als auch die VWG-Umlage 1999 den Umsatz der Poolteilnehmer ausdrücklich als eine akzeptable Schlüsselgröße anerkennen, sofern dieser eine verursachungsgerechte und leistungsentsprechende Zuordnung der Kosten des Pools gewährleistet.
6.379
Sonstige Umlageschlüssel. Neben dem Umsatz kommen auch andere Größen in Betracht, wie der Gewinn, die Zahl der eingesetzten, hergestellten oder verkauften Einheiten, die Beschäftigtenzahl usw.11 Diese Schlüsselgrößen können entweder einzeln oder in Kombination
6.380
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
VWG VP 2021, Rz. 3.82. Vgl. dazu Vögele/Scholz, IStR 2000, 557 ff.; Ditz, DB 2004, 1951 f. Vgl. Ditz, DB 2004, 1952. Vgl. hierzu und dem aufgrund dessen bestehenden „Trittbrettfahrer“-Problem Ditz, DB 2004, 1952. So Strobl, RIW/AWD 1980, 746. So Schröder, StBp. 1981, 13. So Becker, JbFSt 1981/82, 159. Vgl. Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 724. Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.2. Abs. 2. Vgl. Tz. 8.19 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 8.19 OECD-Leitlinien 2022; so auch schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.2. Abs. 2.
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Kap. 6 Rz. 6.380 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
(sog. „Mischschlüssel“) ggf. mit unterschiedlicher Gewichtung angewendet werden. Aus der beispielhaften Aufzählung ergibt sich, dass außer dem Umsatz auch andere, für den konkreten Sachverhalt sachgerechte Schlüsselgrößen zugrunde gelegt werden können.1
6.381
Rechtsprechung zum Umlageschlüssel. Die Rechtsprechung räumt dem Steuerpflichtigen – ebenso wie die OECD-Leitlinien 2022 – bei der Auswahl des Umlageschlüssels einen erheblichen Ermessensspielraum ein und will einen Umlageschlüssel nur dann beanstanden, wenn für seine Anwendung keine sachlichen Gründe angeführt werden können.2 Grundsätzlich müsse die Wahl des angemessenen Verteilungsschlüssels „den Vereinbarungen der Beteiligten überlassen bleiben“; es sei dabei „nicht vom Standpunkt jedes einzelnen angeschlossenen Unternehmens für jedes Jahr getrennt“ auszugehen, sondern vielmehr seien „die Auswirkung des Maßstabes auf längere Sicht und unter Beachtung der Interessen aller betreuten Unternehmen“ zu analysieren.
6.382
Betriebswirtschaftliche Anforderungen an Umlageschlüssel. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht trägt die Zulässigkeit einzelner mehr oder weniger willkürlich ausgewählter Verteilungsschlüssel eher dem Gedanken der Vereinfachung Rechnung als dem Bestreben nach einer objektiven, verursachungsgerechten und leistungsentsprechenden Zuordnung der umlagerelevanten Kosten. Das liegt darin begründet, dass die Unterstellung einer Proportionalität zwischen einer Schlüsselgröße einerseits und dem unternehmensbezogenen Anteil des tatsächlichen oder voraussichtlichen Nutzens aus dem Umlagepool andererseits mitunter nicht gerechtfertigt ist, sondern allenfalls aus Praktikabilitätserwägungen herangezogen werden kann.3
6.383
Gemeinkostenverteilungsprinzipien in der betrieblichen Kostenrechnung. Betriebswirtschaftlich ist die Verteilung der umlagerelevanten Kosten auf die Poolmitglieder vergleichbar mit der Verteilung der Gemeinkosten auf Kostenträger oder -stellen und der damit verbundenen Suche nach relevanten Bezugsgrößen. Im Rahmen dieser Gemeinkostenverteilung erscheinen solche Verfahren als geeignet, die es erlauben, die Kosten nach Kriterien zu schlüsseln, mit denen sie in einem bestimmten Ausmaß korrelieren. Bei der Ermittlung dieser Kriterien ist zu berücksichtigen, dass – den Umlageverfahren i.d.R. längerfristige Dienstleistungsbeziehungen mit schwankender Nachfrage während mehrerer Verrechnungszeiträume zugrunde liegen, – die Interessen aller am Umlageverfahren teilnehmenden Unternehmen beachtet werden müssen und – die beteiligten Unternehmen aufgrund unterschiedlicher wirtschaftlicher Funktionen und Leistungsprogramme verschiedene Strukturen (z.B. hinsichtlich der Umsatz-, Lohn- oder Kapitalintensität) aufweisen. Für die Bestimmung der optimalen Schlüsselgröße sind verschiedene Kriterien entwickelt worden, deren Auswahl von dem jeweils zugrunde gelegten Kostenrechnungsprinzip abhängt. Über die Eignung dieser verschiedenen Prinzipien der Kostenverteilung bestehen im betriebswirtschaftlichen Schrifttum unterschiedliche Auffassungen. Am häufigsten werden hierbei das Kostenverursachungsprinzip, das Kostentragfähigkeitsprinzip sowie das Leistungsentsprechungsprinzip diskutiert.4 1 Vgl. auch Runge in FS Haas, 303; Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VIII Rz. 113. 2 Vgl. BFH v. 2.2.1960 – I 194/59, BB 1960, 731; Ditz, DB 2004, 1950 f. 3 Ähnlich Bähr, Gewinnermittlung ausländischer Zweigbetriebe, 133; Moxter, ZfhF 1961, 649. 4 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 269 ff.
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D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.386 Kap. 6
Bestimmung des Umlageschlüssels nach dem Kostenverursachungsprinzip. Der Grundgedanke des Kostenverursachungsprinzips, welches vielfach auch als das „Fundamentalprinzip“ der Kostenrechnung bezeichnet wird, besteht darin, dass die Kosten nur solchen Einheiten zuzuordnen sind, durch welche sie „verursacht“ worden sind. Hierbei wird unterstellt, dass die Kosten proportional zu bestimmten Bezugsgrößen verlaufen und entsprechend dieser Größen anteilig zuzuordnen sind. Diese Annahme wird als das „Proportionalitätsprinzip“ bezeichnet, welches, basierend auf dem Kostenverursachungsprinzip, als Kriterium für die Wahl des optimalen Verteilungsschlüssels dient. Nach diesem Prinzip ist für die Kostenverteilung diejenige Schlüsselgröße zu wählen, zu welcher die Kosten annähernd proportional verlaufen. Danach müsste eine Veränderung der Schlüsselgröße eine entsprechende Veränderung der zu verteilenden Kosten bewirken.
6.384
Das Kostenverursachungsprinzip kann nur für solche Kosten zu sachgerechten Ergebnissen führen, die – kausal bedingt – nicht entstehen, wenn das Bezugsobjekt nicht existiert, bzw. wegfallen, wenn dieses entfällt.1 Dieser kausale Zusammenhang besteht jedoch nur für variable Kosten, nicht dagegen für Fixkosten. Insofern ist die Kostenallokation nach dem Proportionalitätsprinzip nur bei den variablen Kosten anwendbar, während es für die Verteilung von Fixkosten keinen eineindeutigen Lösungsansatz bietet. Allerdings sind es oftmals die Fixkosten, die im Rahmen der Pooltätigkeit bedeutsam sind.2 Bestimmung des Umlageschlüssels nach dem Kostentragfähigkeitsprinzip. Das Kostentragfähigkeitsprinzip, bei dem sich die Zurechnung der umlagerelevanten Kosten auf die am Umlageverfahren teilnehmenden Unternehmen nach deren Fähigkeit richtet, Kosten zu übernehmen, ist ebenfalls abzulehnen; denn als Maßgröße für die Tragfähigkeit der umlagerelevanten Kosten werden die Gewinne der beteiligten Unternehmen angesehen. Die Anwendung dieses Prinzips würde somit bedeuten, dass ertragsschwache bzw. notleidende Poolmitglieder mit geringeren Umlagebeträgen belastet würden als die übrigen Teilnehmer. Diese Auffassung ist betriebswirtschaftlich insofern abzulehnen, als eine Kostenzurechnung nur dann sinnvoll ist, wenn sie nach Kostenentstehungsgesichtspunkten erfolgt. Da jedoch Gewinnhöhe und Kostenentstehung in keinem begründeten Zusammenhang stehen, erweist sich das Kostentragfähigkeitsprinzip zum Zwecke der Verteilung der umlagerelevanten Kosten als ungeeignet. Zudem wäre eine solche Kostenallokation im Rahmen der Pooltätigkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbar.
6.385
Bestimmung des Umlageschlüssels nach dem Leistungsentsprechungsprinzip. Das Leistungsentsprechungsprinzip stellt auf die Beziehung zwischen den umlagerelevanten Kosten und der Gesamtheit der Leistungseinheiten (Dienstleistungen) ab. Dabei erfolgt letztlich eine Verteilung der umlagerelevanten Kosten nach dem Verhältnis der Anteile an den Gesamtkosten, die auf die einzelnen Poolmitglieder entfallen. Je nach Art der zu verteilenden Kosten können dabei unterschiedliche Schlüsselgrößen zur Anwendung kommen. Je enger die Kausalität zwischen Schlüsselgröße und verrechneten Kosten ist, desto mehr eignet sich der Schlüssel. Letztlich lassen sich die alternativen Schlüsselgrößen mit Hilfe eines sog. „Variationskoeffizienten“ (= relatives Streuungsmaß) miteinander vergleichen. Dabei ist die Schlüsselgröße mit dem geringsten Variationskoeffizienten die optimale Schlüsselgröße.3
6.386
1 Vgl. auch Ditz, DB 2004, 1953. 2 Vgl. Ditz, DB 2004, 1953. 3 Zu diesem analytisch und rechnerisch aufwendigen Verfahren vgl. im Einzelnen Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 272 ff. sowie darauf abstellend Scheffler, ZfbF 1991, 485– 487.
Baumhoff/Kluge | 657
Kap. 6 Rz. 6.387 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.387
Bestimmung des Umlageschlüssels nach der Prozesskostenrechnung. Mittels der Prozesskostenrechnung werden in der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung Gemeinkosten den jeweiligen Kostenträgern zugerechnet, ohne dass auf pauschale Aufteilungsschlüssel abgestellt wird. Anstelle einer pauschalen Schlüsselung und Zuordnung zu den Kostenträgern erfolgt eine Kostenallokation indirekter Leistungsbereiche nach der tatsächlichen Inanspruchnahme der betrieblichen Ressourcen.1 Überträgt man die Grundsätze der Prozesskostenrechnung auf die Ableitung eines prozessorientierten Umlageschlüssels,2 sind zunächst die durch den Pool ausgeübten Funktionen im Rahmen einer Funktions- und Prozessanalyse zu identifizieren, zu analysieren und zu strukturieren und sodann die Kostentreiber für die Poolleistungen festzustellen. Diese Kostentreiber sind diejenigen Funktionen, für die eine direkte Abhängigkeit zum Leistungsvolumen des Pools besteht. Die Kostenentstehung wird aufgrund dessen hauptsächlich auf sie zurückgeführt. Sie fungieren als Bezugsgröße für die Allokation der angefallenen Kosten auf die Poolmitglieder, weil nach ihnen die Inanspruchnahme der betrieblichen Ressourcen und hierdurch die Kostenverursachung bemessen werden. Hierbei wird eine Proportionalität zwischen Kostentreiber und der Inanspruchnahme der Poolleistungen bzw. betrieblichen Ressourcen angenommen. Diese tatsächliche Inanspruchnahme der Poolleistungen wird durch die Prozessmenge gemessen. Insofern sind für die Poolmitglieder – idealtypisch bezogen auf jede einzelne Poolleistung – die Prozessmengen zu ermitteln. Der Umlageschlüssel bestimmt sich schließlich nach dem Verhältnis der Prozessmengen. Dem jeweiligen Poolmitglied ist sein Anteil an den indirekten, d.h. nicht direkt zuordenbaren Kosten (= für die prozessorientierte Umlage relevante Kostenbasis) zuzuordnen.
6.388
Überprüfung und Anpassung des Umlageschlüssels. Die Finanzverwaltung ging bereits in Tz. 3.3 VWG-Umlage 1999 als Konkretisierung des aus ihrer Sicht Fremdüblichen davon aus, dass fremde Dritte nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums prüfen würden, ob der tatsächlich eingetretene Nutzen dem erwarteten Nutzen entspricht, und erforderlichenfalls den Umlageschlüssel entsprechend der dann erwarteten Nutzenverhältnisse anpassen würden.3 Eine entsprechende Regelung enthalten die VWG VP 2021 in Rz. 3.86. Der Zeitpunkt der Überprüfung bei planmäßigem Verlauf, d.h. insbesondere ohne Veränderungen im Bestand der Poolmitglieder, war nach dem Grad der Ungewissheit zu bestimmen, der mit dem Poolgegenstand verbunden ist.4 Die Finanzverwaltung forderte eine Anpassung – regelmäßig durch Änderung des Verteilungsmaßstabs – bei „wesentlichen Veränderungen“.5 Fraglich war, wann eine solche „wesentliche Veränderung“ vorlag. Die OECD-Leitlinien 2022 halten in Tz. 8.20 Anpassungsklauseln für potenziell angebracht, insbesondere wenn Vorteile erst in der Zukunft realisiert werden können. Allerdings lässt sich Tz. 8.20 der OECD-Leitlinien auch entnehmen, dass nicht lediglich Prognoseirrtümer Anlass für Anpassungen geben können.6
1 Im Einzelnen hierzu Freidank, Kostenrechnung8, 367 ff. 2 Vgl. hierzu im Einzelnen Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 335 ff.; Ditz, DB 2004, 1953 ff. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.3. Satz 1. 4 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.3. Satz 2. 5 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.3. Satz 3. 6 Vgl. auch Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VIII Rz. 120.
658 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.391 Kap. 6
Notwendigkeit einer Anpassungsklausel. Ferner kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Finanzverwaltung die Notwendigkeit einer Anpassungsklausel im Umlagevertrag aus der Regelung des § 1a AStG ableitet. Die dort verankerte gesetzliche Vermutung, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Verrechnungspreisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten, beschränkt sich jedoch auf Fälle, in denen wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter Gegenstand der Geschäftsbeziehung sind.
6.389
Auch lässt sich die Notwendigkeit der vertraglichen Vereinbarung einer Anpassungsklausel nicht aus dem Fremdvergleichsgrundsatz ableiten. Dies auch dann nicht, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erhebliche Unsicherheiten im Hinblick auf die erwarteten Vorteile bzw. den erwarteten Nutzen aus der Poolbildung und dementsprechend die Kostenverteilung bestehen. Zwar führt die Finanzverwaltung die Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel ausdrücklich auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurück.1 Die OECD-Leitlinien beurteilen diese Frage hingegen selbst auf Grundlage eines Fremdvergleichs.2 Dies bedeutet, dass es nach Auffassung der OECD keineswegs Ausprägung des Fremdvergleichs ist, dass erheblichen Unsicherheiten mit vertraglichen Anpassungsmechanismen begegnet wird. Mangels gesetzlicher Beweislastumkehr ist es dann Sache der Finanzverwaltung, den entsprechenden Nachweis zu führen. Durchführung der Anpassungsvereinbarungen. Im Zusammenhang mit vertraglichen Anpassungsbestimmungen und Prüfungsrechten der Poolmitglieder ist ferner zu beachten, dass diese auch entsprechend dem vertraglich Vereinbarten durchgeführt werden müssen. Sieht etwa der Umlagevertrag vor, dass die Kostenverteilung jährlich von allen Vertragsparteien zu prüfen und ggf. zu korrigieren ist, finden diese Überprüfungen aber tatsächlich nicht statt, besteht die Gefahr, dass die Betriebsprüfung die tatsächliche Durchführung des Umlagevertrags anzweifelt.3 Gleiches gilt, wenn Änderungen des Vertrages, einschließlich der regelmäßig enthaltenen Leistungen des Pools und des Umlageschlüssels, einseitig durch die Muttergesellschaft ohne Mitwirkung aller Poolmitglieder erfolgen.4 Insofern ist nicht auszuschließen, dass die Finanzverwaltung dem Vertrag die steuerliche Anerkennung mangels tatsächlicher Durchführung versagt und die Konzernumlagen nicht zum Betriebsausgabenabzug zulässt. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Art. 9 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen der deutschen DBA nach der Rspr. des BFH5 gegenüber einer auf rein formale Anforderungen gestützten Einkünftekorrektur eine Sperrwirkung entfalten (Rz. 6.401).6
6.390
9. Abrechnungsmodalitäten Finanzierung der Poolaktivitäten über Vorauszahlungen. Geht man davon aus, dass – dem Poolgedanken folgend – die umlagerelevanten (Voll-)Kosten bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode auf Istkostenbasis abzurechnen sind (Rz. 6.366), so ist es ausreichend, wenn während des Geschäftsjahres aus abrechnungstechnischen Gründen Vorauszahlungen geleistet
1 2 3 4 5
Vgl. VWG FVerl, Rz. 135. Vgl. Tz. 3.73, 9.87 ff. sowie Tz. 6.183 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. hierzu z.B. Böcker, StBp. 2008, 8. Vgl. Böcker, StBp. 2008, 8. Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324; v. 17.12.2014 – I R 23/13, BFH/NV 2015, 626; v. 24.3.2015 – I B 103/13, BFH/ NV 2015, 1009. 6 Vgl. aber den Nichtanwendungserlass des BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07, BStBl. I 2016, 455.
Baumhoff/Kluge | 659
6.391
Kap. 6 Rz. 6.391 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
werden oder eine vorläufige Abrechnung auf Basis von Plankosten erfolgt.1 Diese Vorauszahlungen werden in der Praxis i.d.R. monatlich oder vierteljährlich geleistet. Am Ende des Geschäftsjahres werden dann die Plankosten den Istkosten gegenübergestellt, so dass etwaige Differenzen zwischen den Poolpartnern auszugleichen sind.2 Die VWG-Umlage 1999 sahen unter Tz. 3.4. ein solches Procedere ausdrücklich vor. Die OECD-Leitlinien 2022 behandeln diese Problematik unter dem Stichwort „Ausgleichszahlungen“ in den Tz. 8.34 ff. Alternativ zur Finanzierung der Poolaktivitäten über Vorauszahlungen seiner Mitglieder käme selbstverständlich auch jede andere Form der Eigen- oder Fremdfinanzierung der umlagerelevanten Kosten in Betracht.3 Im Hinblick auf eine (Anfangs-)Dotation des Pools wäre hier zu beachten, dass die Beteiligung jedes einzelnen Poolmitglieds dem zugrunde gelegten Umlageschlüssel entsprechen sollte und dass spätere Anpassungen des Umlageschlüssels Ausgleichszahlungen begründen können. Eine etwaige Fremdfinanzierung lässt sich u.E. mit dem Charakter des Pools als eine im Rechtsverkehr nicht auftretende und damit weder Rechte noch Pflichten begründende Innengesellschaft nicht vereinbaren (Rz. 6.358). Gleichwohl ist ein Pool mit Domizil in Deutschland als BGB-Gesellschaft grundsätzlich rechtsfähig, so dass eine Fremdfinanzierung rechtlich möglich wäre, dann allerdings läge keine reine Innengesellschaft mehr vor. In diesem Fall ist der Pool von etwaigen Risiken und von den Finanzierungskosten freizuhalten; letztere gehen in die umzulegende Kostenbasis ein.
6.392
Bestimmung der Währung. Weder in den Verwaltungsanweisungen noch in der Literatur, Rechtsprechung und den OECD-Richtlinien ist geklärt, in welcher Währung die Umlagen zu zahlen sind. Hierzu gibt es keine verbindlichen Regelungen, so dass es den Poolpartnern überlassen bleibt, in der Währung eines der Länder abzurechnen, in dem entweder der Leistende oder die Zahlergesellschaft ihren Sitz hat. Insofern war die bisherige Regelung in Tz. 2.1. Abs. 4 VWG-Umlage 1999, bei der kalkulatorischen Kostenart „Eigenkapitalverzinsung“ auf die Währung des Tätigkeitsstaates abzustellen, nicht sachgerecht. Vielmehr kommt es auf die Währung an, auf die sich die Poolpartner vertraglich verständigt haben. Wesentlich ist, dass der Pool von etwaigen Währungsrisiken freizuhalten ist. Die VWG VP 2021 enthalten hierzu keine Konkretisierung, sodass der Steuerpflichtige im Einklang mit den OECD-Leitlinien hier ein entsprechendes Wahlrecht hat.
6.393
Konsequenzen bei verspäteten Umlagezahlungen. Leistet ein Poolpartner zum vertraglich vereinbarten Fälligkeitszeitpunkt entweder nicht rechtzeitig seine Vorauszahlungen oder nach Rechnungsabschluss nicht rechtzeitig seine Ausgleichszahlung, so sollte eine marktübliche Verzinsung der entsprechenden Forderung erfolgen.4
10. Veränderungen im Bestand der Poolmitglieder 6.394
Eintritt und Ausscheiden von Poolmitgliedern. Umstrukturierungen im Konzern, Unternehmenszukäufe und -verkäufe sowie Änderungen der konzerninternen Funktionsverteilung können dazu führen, dass neue Mitglieder in bestehende Umlageverträge eintreten und/oder bisherige Poolmitglieder ausscheiden. Während sich für neu hinzutretende Poolmitglieder die Frage nach einer Eintrittszahlung als Abgeltung für den Ad-hoc-Zugang zu den bis zum Ein-
1 Ebenso bereits BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.4., sowie Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 374. 2 So auch Runge in FS Haas, 300. 3 Vgl. hierzu auch Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 724. 4 Gl.A. Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 724.
660 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.396 Kap. 6
tritt im Pool geschaffenen materiellen und immateriellen Vermögenswerten stellt, können im Falle des vorzeitigen Austritts Kompensationsansprüche sowohl des Ausscheidenden als auch der verbleibenden Poolmitglieder bestehen. Eintrittszahlungen. Verbundene Unternehmen, die sich nach Abschluss eines Kostenumlagevertrages erst zu einem späteren Zeitpunkt einem Kostenpool anschließen, haben nach den VWG VP 2021 i.V.m. den Tz. 8.44 ff. der OECD-Leitlinien 2022 – wie auch schon gem. Tz. 4.1. Abs. 1 VWG-Umlage 19991 – eine Eintrittszahlung (sog. „Buy-in-Payment“) zu leisten, soweit sie von den in der Vergangenheit durch den Pool entwickelten Ergebnissen ad hoc profitieren.2 Dies kann bspw. im Rahmen eines F&E-Pools der Fall sein, der bereits vor Eintritt des neuen Poolmitglieds materielle oder immaterielle Vermögenswerte bzw. Know-how entwickeln konnte, deren Zugang sich das neue Poolmitglied im Rahmen der Eintrittszahlung erkauft.3 Im Dienstleistungssektor haben Eintrittszahlungen hingegen eine nur untergeordnete Bedeutung;4 die OECD-Leitlinien 2022 lehnen – wie auch die VWG-Umlage 1999 – eine Eintrittszahlung bei verwaltungsbezogenen Leistungen sogar gänzlich ab.5 Die OECD begründet dies damit, dass Dienstleistungen nicht zur Schaffung eines Vermögenswerts oder Rechts führen, sondern vielmehr durch die Poolmitglieder „laufend“ in Anspruch genommen werden können und der Dienstleistungsempfang infolgedessen durch die – auf einen bestimmten Zeitraum bezogene – Kostenumlage vollumfänglich vergütet wird.6 Dieser Auffassung kann indessen nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Zum einen hat sich die dem Pool beitretende Konzerngesellschaft bis zum Zeitpunkt ihres Eintritts nicht an den Aufwendungen des Pools zur Schaffung der Voraussetzungen zur Erbringung der entsprechenden Dienstleistungen beteiligt. Zum anderen können auch im Dienstleistungsbereich verwertbare und „speicherbare“ Vorleistungen erbracht werden, die eine Eintrittszahlung unter Fremdvergleichsgesichtspunkten rechtfertigen.7 Zu denken ist etwa an Gutachten im Rahmen von Projektanalysen sowie die Erstellung von Vertragsentwürfen und Studien, wie z.B. Standort-, Marktoder Produktanalysen.
6.395
Höhe der Eintrittszahlungen. Als besonders schwierig erweist sich die Frage der Bewertung der Eintrittszahlung. Die Eintrittszahlung hat sich nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs am Wert der vorhandenen Projektergebnisse im Zeitpunkt des Beitritts des neuen Poolmitglieds auszurichten. Darüber hinaus hat sie den erwarteten Nutzen der beitretenden Konzerngesellschaft aus der Verwertung der vorhandenen Ergebnisse des Pools zu berücksichtigen. Dieser zukünftige Nutzen ist allerdings nur schwer quantifizierbar. In der Verrechnungspreispraxis wird daher auf die Kostenaufschlagsmethode zurückgegriffen, wobei nur solche Kosten berücksichtigungsfähig sind, die ein ordentlicher Geschäftsleiter in einer vergleichbaren
6.396
1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.1. Abs. 1. 2 VWG VP 2021, Rz. 3.85. 3 Zur Aktivierungspflicht der Eintrittszahlung vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.1. Abs. 1. 4 Gl.A. Runge in Raupach, Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen in betriebswirtschaftlicher, gesellschafts- und steuerrechtlicher Sicht, 173; Greil in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VIII Anm. 200; wohl a.A. Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 693 (726). 5 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.1. Abs. 3. 6 Vgl. Tz. 8.47 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. Baumhoff, IStR 2000, 731.
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Kap. 6 Rz. 6.396 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Situation als erforderlich ansehen würde. Bringt das beitretende Mitglied eigene Projektergebnisse in den Pool ein, die im Interesse, zum Nutzen und zum Vorteil der bisherigen Poolmitglieder sind, können die ggf. daraus resultierenden Ausgleichszahlungen an das leistende Mitglied und die von ihm ggf. zu entrichtende Eintrittszahlung miteinander verrechnet werden. Dies führt letztlich zur Verrechnung eines Spitzenausgleichs.1 Bringt der Eintretende einen annähernd gleichen Wissensstand wie die bisherigen Poolmitglieder in den Pool mit ein, scheidet dagegen ein Ausgleich aus.2
6.397
Höhe der Austrittszahlungen. Neben Eintrittszahlungen sehen die OECD-Leitlinien 2022 – wie auch schon die VWG-Umlage 1999 – in bestimmten Fällen Austrittszahlungen (sog. „Buy-out-Payment“) bei vorzeitigem Ausscheiden eines Poolmitglieds vor.3 Das ausscheidende Poolmitglied erhält eine Austrittszahlung von den verbleibenden Poolmitgliedern, wenn die bisher vom Pool entwickelten Erkenntnisse und Ergebnisse zukünftig nur oder überwiegend den verbleibenden Poolmitgliedern zugutekommen. Dies ist der Fall, wenn der Ausscheidende seine Vermögensrechte aus dem Umlagevertrag an die verbleibenden Poolmitglieder überträgt.4 Insoweit entsteht bei diesem ein einmaliger Veräußerungsgewinn, es sei denn, die entsprechenden Rechte werden an die verbleibenden Poolmitglieder lizenziert (Rz. 6.605 ff.).5
Umgekehrt sind Austrittszahlungen an die verbleibenden Poolmitglieder zu leisten, wenn der Austritt des Poolmitglieds zu einer identifizierbaren und quantifizierbaren Verminderung des Werts des dem fortgeführten Umlagevertrag zugrunde liegenden Projekts führt. Dies ist bspw. der Fall, wenn die verbleibenden Poolmitglieder vom Pool entwickelte Rechte an immateriellen Vermögenswerten bzw. halbfertigen Arbeiten oder Kenntnisse, die im Rahmen der bisherigen Poolaktivitäten geschaffen wurden, dem austretenden Poolmitglied überlassen oder abtreten. Wird die Poolaktivität als Ganzes beendet bzw. aufgelöst, stehen den Poolmitgliedern die Ergebnisse der Pooltätigkeit jeweils anteilig zu. Dieser Anteil bemisst sich an den während der Laufzeit des Umlagevertrages gezahlten Beiträgen sowie eventuell geleisteten Eintritts- oder Ausgleichszahlungen an den Pool.6
6.398
Aktivierungsfragen. Sofern Eintrittszahlungen geleistet werden, hielt die deutsche Finanzverwaltung dies in den VWG-Umlage 1999 beim beitretenden Mitglied für einen aktivierungspflichtigen Vorgang.7 Die OECD-Leitlinien 2022 greifen diese Frage nicht auf.
6.399
Neufestlegung der Aufteilungsquoten bei Wechsel der Poolpartner. Sofern ein Partner den Umlage-Pool verlassen hat, sind die Aufteilungsquoten neu festzulegen. Die Problematik der Festlegung von Ein- und Austrittsgeldern stellt sich unabhängig davon, ob der Umlagevertrag 1 Vgl. Tz. 8.45 OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 – Tz. 4.1 Abs. 1; Weber, Technologietransfer im internationalen Konzern, S. 395 ff. 2 So bereits BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.1. Abs. 1. 3 Vgl. Tz. 8.46 OECD-Leitlinien 2022; so auch schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.2; VWG VP 2021, Rz. 3.85. 4 Tz. 8.46 OECD-Leitlinien 2022; so auch schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.2. Abs. 3; Vögele/Freytag, IStR 2000, 252. 5 Vgl. IdW, WPg 1999, 716. 6 Vgl. Tz. 8.45 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.85; so auch schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.2. Abs. 4. 7 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.1. Abs. 1.
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D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.401 Kap. 6
diese Problematik im Einzelnen regelt oder nicht. Idealerweise sollten allerdings Umlageverträge detaillierte Ein- und Austrittsregelungen enthalten.1
11. Umlagevertrag und Dokumentation Formale Anforderungen an den Umlagevertrag. Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung der Poolumlage und damit für den Abzug der auf inländische Poolmitglieder umgelegten Kosten als Betriebsausgabe ist der Abschluss eines Umlagevertrages zwischen den am Pool beteiligten Unternehmen.2 Unumstritten ist, dass ein Umlagevertrag eine klare und eindeutige Festlegung der maßgeblichen Bestimmungsgrößen des Umlageverfahrens enthalten muss. Weiterhin sollte der Vertrag vor der erstmaligen Vornahme einer Umlage abgeschlossen werden. Außerdem ist ein Umlagevertrag „nach Handelsbrauch“ im Vorhinein schriftlich abzuschließen. Wird der Vertrag während eines Geschäftsjahres abgeschlossen, sollte, sofern ein entsprechender Leistungsfluss unstreitig ist, eine Rückbeziehung des Vertrages auf den Beginn des Geschäftsjahres aus Praktikabilitätserwägungen zulässig sein.3
6.400
Zumindest muss zu Jahresbeginn kein bis ins letzte Detail ausgearbeiteter Umlagevertrag vorliegen. Aufgrund der komplizierten und zeitraubenden Abstimmungsnotwendigkeiten zwischen den international ansässigen, am Vertrag beteiligten Konzernunternehmen (und der damit verbundenen Notwendigkeit einer Abstimmung des Vertrages auf sämtliche nationalen zivil-, gesellschafts-, handels- und steuerrechtlichen Anforderungen) muss es ausreichend sein, wenn zunächst nur die Rahmenbedingungen feststehen und die Details innerjährlich festgelegt werden.4 Vor dem Hintergrund der Dokumentationsanforderungen nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 GAufzV sollte der Umlagevertrag innerhalb der ersten sechs Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres vorliegen, in dem der Umlagevertrag abgeschlossen wurde. Anderenfalls verstößt der Steuerpflichtige zwar gegen die Verpflichtung zur zeitnahen Erstellung der Aufzeichnungen. Allerdings ist bei Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen nur die verspätete Vorlage nach Ablauf einer Frist von 30 Tagen nach Aufforderung durch die Finanzverwaltung (§ 90 Abs. 3 Satz 9 AO) mit einem Zuschlag sanktioniert (§ 164 Abs. 4 Satz 3 AO). Im Hinblick auf eine Verlängerung der Vorlagefrist hat die Finanzverwaltung zudem „in begründeten Einzelfällen“ einen Ermessensspielraum (§ 90 Abs. 3 Satz 10 AO); insofern tritt die Rechtsfolge einer verspäteten Vorlage erst nach Ablauf einer verlängerten Vorlagefrist ein. Schriftformerfordernis und Sperrwirkung nach Art. 9 OECD-MA. Nach Tz. 5.1.1 VWGUmlage 1999 bedurfte der Umlagevertrag für dessen Anerkennung der Schriftform, sofern dies im konkreten Fall dem „Handelsbrauch“ entsprach.5 In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Art. 9 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen der deutschen DBA gegenüber einer auf rein formale Anforderungen gestützten Einkünftekorrektur eine Sperrwirkung entfalten (Rz. 5.196). Nach dem rechtskräftigen Urteil des FG Köln vom 1 Vgl. Tz. 8.49 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 8.50 ff. OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 5.1.1. 3 Vgl. Baumhoff, IStR 2000, 696 f. 4 So auch Kaminski, IWB F. 3 Gr. 2, 897; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 705. 5 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.3.; Runge in FS Haas, 297; Dahnke, IStR 1994, 24; Höppner, StbJb. 1981/82, 433; Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 381.
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6.401
Kap. 6 Rz. 6.401 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
22.8.20071 zur Auslegung von Art. 4 DBA-Großbritannien, der Art. 9 OECD-MA inhaltlich entspricht, ist nur eine Einkünftekorrektur aufgrund (materieller) Unangemessenheit abkommensrechtlich durchsetzbar. Dem Urteilssachverhalt lag unter anderem eine vertraglich vereinbarte Kosten-Umlage zugrunde, tatsächlich wurde die Vergütung aber kostenunabhängig auf Grundlage der Umsätze bzw. Einnahmen berechnet.2 Diese pauschale Bezuschussung i.S. eines „Cost-Funding“ führt regelmäßig zu Über- und Unterdeckungen der verursachten Kosten und allenfalls zufällig zu einer genauen Kostenerstattung (Rz. 6.337). Sie ist deshalb nicht mit den Grundsätzen des Fremdvergleichs zu vereinbaren. Eine insoweit vorgenommene Einkünftekorrektur hätte die (materielle) Angemessenheit betroffen und wäre mit Art. 9 OECDMA entsprechenden Bestimmungen vereinbar gewesen. Allerdings hatte die Betriebsprüfung mangels tatsächlicher Durchführung – und damit allein aufgrund formaler Anforderungen an Verträge mit beherrschenden Gesellschaftern – die Einkünftekorrektur auch auf den – unstreitig – angemessenen Betrag erstreckt. Insoweit griff die Sperrwirkung der Art. 9 OECDMA entsprechenden Bestimmung. Mit Urteil vom 11.10.20123 hat der BFH – wiederum zu Umlagen – entschieden, dass es aufgrund der Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden Regelung des Art. 6 DBA-Niederlande nicht auf die formalen Anforderungen des Fremdvergleichs ankommt. Im Urteilssachverhalt war streitig, ob für die konzerninterne Erbringung von Dienstleistungen gegen Kostenumlage eine wirksame vorherige Vereinbarung bestand. Der BFH judizierte, dass die sog. Sonderbedingungen für beherrschende Gesellschafter im Rahmen des anzustellenden Fremdvergleichs als Korrektiv ausscheiden, weil Art. 6 DBA-Niederlande innerstaatliche Korrekturmöglichkeiten auf Fälle materieller Unangemessenheit beschränkt. Diese Rspr. zur Beschränkung des abkommensrechtlichen Fremdvergleichsgrundsatzes der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen auf die materielle Angemessenheit hat der BFH seither bestätigt.4 Die Finanzverwaltung will die o.g. Rspr. des BFH über die entschiedenen Einzelfälle hinaus dagegen nicht anwenden.5 Zwar ist die Problematik mit der Aufhebung der VWG-Umlage 1999 durch die VWG-Umlage 2018 und die VWG VP 2021 etwas entschärft worden, da die OECD-Leitlinien 2022 zumindest nicht explizit die Schriftform voraussetzen;6 die in Tz. 8.50 aufgelisteten Anforderungen verdeutlichen jedoch, dass auch die OECD-Leitlinien implizit von einer schriftlichen Vereinbarung ausgehen, bzw. eine solche erwarten. Folglich sollte die Schriftform auch weiterhin eingehalten werden.
1 Vgl. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161, rkr.; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Rasch, IWB F. 3a Gr. 1, 1103; Strunk/Kaminski, Stbg 2008, 211; Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 704 f. 2 Vgl. hierzu auch Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 356 Fn. 25. 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324. Siehe hierzu auch Gosch, BFH/PR 2013, 88; Andresen/Immenkötter/Frohn, DB 2013, 534; Schnorberger/Becker, IStR 2013, 109. Vgl. jedoch den Nichtanwendungserlass des BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07, BStBl. I 2016, 455. 4 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BFH/NV 2015, 626; v. 24.3.2015 – I B 103/13, BFH/NV 2015, 1009. 5 BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07, BStBl. I 2016, 455. 6 Vgl. Tz. 8.50 ff. OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWG-Umlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743.
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D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.403 Kap. 6
Angemessenheitsprüfung. Trotz dieser Sperrwirkung ist es allerdings erforderlich, die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Regelungen hinreichend zu konkretisieren, um eine Angemessenheitsprüfung überhaupt durchführen zu können. Insofern ist auch ein schriftlicher Kostenumlagevertrag (sog. „Cost-Allocation-Agreement“) regelmäßig nicht entbehrlich.1 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass für das jeweilige Poolkonzept eine ausreichende Dokumentation sicherzustellen ist (Rz. 6.404).
6.402
Inhalt des Umlagevertrags. Ein Umlagevertrag sollte dabei insbesondere folgende Regelungen enthalten:2
6.403
– Benennung der Poolmitglieder sowie ggf. weiterer Nutznießer aus dem Umlagevertrag; – Beschreibung von Art und Umfang der zu erbringenden Leistung(en); – Ermittlungsart und Umfang der umlagerelevanten Kosten; – Ermittlung des voraussichtlichen Nutzens für die jeweiligen Poolmitglieder; – Bestimmung des Umlageschlüssels; – Beschreibung, wie der Wert der anfänglichen und der späteren Leistungsbeiträge der Poolmitglieder ermittelt und einheitlich auf alle Poolmitglieder verrechnet wird; – Art und Umfang der Rechnungskontrolle (z.B. bei Vorauszahlungen, Zeitpunkt der Zahlungen); – Bestimmungen über die Anpassung an veränderte Verhältnisse (vertragliche Anpassungsklausel); – Vertragsdauer; – Bestimmungen über die Vertragsauflösung sowie ggf. die Voraussetzungen und Folgen des Eintritts neuer und des vorzeitigen Austritts bisheriger Poolmitglieder (Ein- und Austrittszahlungen); – Vereinbarungen über den Zugriff auf Unterlagen, welche die Ermittlung der umzulegenden Kostenmasse und des Umlageschlüssels sowie die Leistungen des Pools bzw. des leistungserbringenden Unternehmens dokumentieren; – Zuordnung der Nutzungsrechte an immateriellen Vermögenswerten im Falle eines Forschungs- und Entwicklungspools; – Berücksichtigung von Dritteinnahmen und anrechenbarer Leistungen; – Festlegung von Informations- und Prüfungsrechten bzw. -pflichten; – Sicherstellung der Dokumentationserfordernisse nach den nationalen Steuergesetzen der Ansässigkeitsstaaten der Poolmitglieder;
1 Vgl. auch Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 705. 2 Vgl. hierzu Tz. 8.50 ff. OECD-Leitlinien 2022; BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – VWGUmlageverträge 2018, BStBl. I 2018, 743; BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWGUmlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 5.1.1.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 602 ff.; Hahn in Formularbuch Recht und Steuern6, 591 ff.; Engler/Elbert in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 435 f.
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Kap. 6 Rz. 6.403 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– Steuern (Umsatz- [Rz. 6.418] und ggf. Quellensteuer1); – anwendbares Recht; – Schiedsgerichtsregelung; – salvatorische Klausel.
6.404
Dokumentationsvorgaben. Über den Kostenumlagevertrag hinaus müssen deutsche Poolmitglieder die Anforderungen an eine Verrechnungspreisdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV erfüllen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 GAufzV besteht die Aufzeichnungspflicht ausdrücklich auch für solche „Geschäftsbeziehungen, die keinen Leistungsaustausch zum Gegenstand haben“. Ausweislich der Verordnungsbegründung zur GAufzV sollte die GAufzV die in den VWG-Umlage 1999 dargestellte Rechtsauffassung nicht berühren.2 Dies konnte allerdings nur für Art und Umfang der zu erstellenden Aufzeichnungen gelten, nicht hingegen für diejenigen Rechtsfolgen, die bei Verletzung der Dokumentationspflichten eintreten. Diese Sanktionen sind in § 162 Abs. 3 und 4 AO gesetzlich geregelt (Rz. 8.241 ff.). Die Regelungen sehen insbesondere nicht vor, dass allein bei Verletzungen der Dokumentations- und anderer formaler Anforderungen der Umlagevertrag der Einkunftsabgrenzung nicht zugrunde zu legen ist. Die vormalige Verwaltungsauffassung in Tz. 5.2 VWG-Umlage 1999 war insoweit ohne Rechtsgrundlage (Rz. 6.421).
6.405
Aufzeichnungspflichten bei Umlageverträgen. Der Abschluss eines Umlagevertrags ist ein außergewöhnlicher Geschäftsvorfall i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 8 AO i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 5 GAufzV. Aufzeichnungen sind deshalb zeitnah, d.h. innerhalb von 6 Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahres zu erstellen.3 Die hiernach bei Umlageverträgen erforderliche Vorratsdokumentation erfasst allerdings ausdrücklich nur den Abschluss des Umlagevertrages, nicht dagegen dessen Änderungen. Ferner stellen Umlageverträge Dauersachverhalte dar, die bezogen auf das Wirtschaftsjahr aufzuzeichnen sind, in dem der Umlagevertrag abgeschlossen wurde.4 Spätere Veränderungen im Bestand der Poolmitglieder (Rz. 6.394 ff.) dürften für die verbleibenden Poolmitglieder jedenfalls dann eine für die Angemessenheit der Kostenumlage wesentliche Änderung darstellen, wenn – wie regelmäßig – der Umlageschlüssel angepasst wird. Auf Anforderung sind für das Wirtschaftsjahr Aufzeichnungen zu erstellen, in dem die Änderung eingetreten ist.5 Gleiches sollte für das ausscheidende Poolmitglied insbesondere auch im Hinblick auf etwaige Kompensationszahlungen gelten. Für das eintretende Poolmitglied ist dagegen ein außergewöhnlicher Geschäftsvorfall gegeben.
6.406
Erforderliche Aufzeichnungen. Neben den allgemein erforderlichen Aufzeichnungen nach § 2 GAufzV sind nach § 3 GAufzV Aufzeichnungen in besonderen Fällen zu erstellen. Zu die1 Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung unterliegen die Umlagezahlungen nicht der Quellensteuer, vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.4. Abs. 1. Die VWG VP 2021 enthalten hierzu keine konkreten Hinweise mehr. Da sich die gesetzlichen Regelungen hierzu aber nicht wesentlich verändert haben, ist wohl auch zukünftig eine derartige Auslegung angebracht. 2 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 7 f. und 14. 3 Vgl. auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.8.3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
666 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.411 Kap. 6
sen in § 3 Abs. 2 GAufzV exemplarisch aufgeführten Fällen1 gehören auch Umlagevereinbarungen. Die Erstellung hat zeitnah zur erfolgen. Als noch zeitnah erstellt gelten nach § 3 Abs. 1 S. 2 GAufzV Aufzeichnungen, die bis zu sechs Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres erstellt wurden, in dem die Umlagevereinbarung geschlossen wurde.
12. Vertragsanpassungen an veränderte Verhältnisse Notwendigkeit von Öffnungsklauseln. National wie international besteht Einigkeit darüber, dass ein Umlagevertrag sog. „Öffnungsklauseln“ enthalten muss.2 Danach muss es vertraglich möglich sein, bei sich verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Vertragsmodalitäten an die neuen Verhältnisse anzupassen.
6.407
Gründe für Vertragsanpassungen. So können neue Mitglieder dem Pool beitreten, andere ihn (z.B. durch Verkauf eines Poolmitgliedes durch die Obergesellschaft) verlassen. Auch können sich Vertragsänderungen aufgrund von (Steuer-)Rechtsänderungen in dem Staat eines Poolpartners ergeben. Poolmitglieder können ihr wirtschaftliches Betätigungsfeld neu strukturieren und deshalb auf künftige Dienstleistungen verzichten oder zusätzliche Dienstleistungen benötigen, so dass sich die aus der Poolmitgliedschaft resultierenden Vorteile zwischen den Poolpartnern verschieben können.3 Darüber hinaus kann sich eine Divergenz zwischen tatsächlich eingetretenem und erwartetem Nutzen einstellen, die erst nach Ablauf eines „angemessenen Zeitraums“ sichtbar wird.4
6.408
Art der Vertragsanpassungen. Solche Veränderungen haben insbesondere Einfluss auf den Aufteilungsschlüssel, aber auch auf die umlagerelevanten Kosten, soweit Ein- und Austrittszahlungen zu leisten sind oder Einnahmen aufgrund einer „Drittverwertung“ der Poolaktivitäten anfallen.
6.409
Zeitpunkt der Vertragsanpassungen. Grundsätzlich sollten solche Vertragsanpassungen zeitnah zu den sich verändernden Rahmenbedingungen stattfinden. Eine „laufende“ oder „unverzügliche“ Anpassung ist allerdings weder praktikabel noch zumutbar, da diese Veränderungen mit den steuerlichen Rahmenbedingungen sämtlicher Poolpartner abgestimmt werden müssen und daher jeweils ein zeitaufwendiger Abstimmungsbedarf besteht. Dazu bestimmen die jeweils strengsten nationalen Vorschriften der Poolpartner die letztlich zu vereinbarenden Vertrags- und Abrechnungsmodalitäten. Die OECD-Leitlinien 2022 enthalten hinsichtlich des Zeitpunkts der Vertragsanpassungen keine Aussage, sondern sehen lediglich eine „regelmäßige Überprüfung“ auf Anpassungsbedarf vor.
6.410
13. Laufzeit und Kündigung von Umlageverträgen Vertragsdauer. Die Vertragsdauer hängt von den zu erbringenden Dienstleistungen bzw. der Dauer des F&E-Projekts ab. Gleiches gilt für die Modalitäten der Vertragsbeendigung.
1 Vgl. auch Anhang 2 zu Kapitel V OECD-Leitlinien 2022; Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 246. 2 Vgl. Tz. 8.50 ff. OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.86; so auch bereits BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.3. 3 Vgl. Tz. 8.22 OECD-Leitlinien 2022. 4 So Tz. 8.20 OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.85 f.; so auch bereits BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 3.3.
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Kap. 6 Rz. 6.412 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.412
Grundlaufzeit und Verlängerungsoption. Um den praktischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, sollte ein Umlagevertrag normalerweise zunächst für eine Anfangsperiode von zwei bis drei Jahren abgeschlossen werden und dann eine automatische Vertragsverlängerung von jeweils einem Jahr enthalten, sofern kein Vertragspartner kündigt und der Pool keine größeren Investitionen getätigt hat1 oder längere Dauerschuldverhältnisse eingegangen ist. Die Kündigungsfrist für die Zeit nach der Anfangsperiode sollte – damit rechtzeitig Dispositionen getroffen werden können – mindestens sechs Monate betragen.
6.413
Ergebnisverwertung nach Vertragskündigung. Für den Fall, dass ein Kostenumlagevertrag beendet wird, hat jeder Vertragspartner das Recht, die bis zu diesem Zeitpunkt erzielten Ergebnisse künftig weiter zu verwerten. Verzichtet ein Partner auf dieses Recht, so kann er von den anderen (ehemaligen) Partnern angemessen entschädigt werden, sofern diese durch den Verzicht einen Vorteil erzielen2 (Rz. 6.397).
14. Steuerliche Besonderheiten bei Kostenumlagen 6.414
Steuerliche Besonderheiten der Sitzstaaten. Im Rahmen der Erhebung und Zahlung von Kostenumlagen sind die jeweiligen steuerlichen Besonderheiten der Sitzstaaten der Poolmitglieder zu beachten. Für das deutsche Steuerrecht betreffen diese sowohl die Abzugssteuern bei Zahlungen an beschränkt Steuerpflichtige als auch die Umsatzsteuer.
6.415
Steuerliche Abzugsfähigkeit von Kostenumlagen. Umlagezahlungen deutscher Poolpartner an ausländische Umlagepools besitzen aufgrund deren „betrieblicher Veranlassung“ steuerlich Betriebsausgabencharakter.3 Auf diese Tatsache weisen die OECD-Leitlinien 2022 in Tz. 8.41 implizit hin, wenn sie anordnen, dass die Zahlungen im Rahmen einer Kostenumlagevereinbarung wie eine entsprechende Zahlung außerhalb einer Kostenumlagevereinbarung zu behandeln seien. Die Poolbeiträge der einzelnen Poolpartner sind daher sofort abzugsfähige Betriebsausgaben und besitzen weder den Charakter von Lizenz- noch von Know-how-Gebühren. Wenngleich sich in vielen Fällen der Beitrag eines Poolpartners und die Gegenleistung des Pools gleichwertig und zeitgleich gegenüberstehen, kann es aber auch vorkommen, dass sich die Vorteile aus einem Umlagevertrag bei einem Poolpartner zeitlich erst viel später einstellen, als sich der geleistete Beitrag eines Partners auf dessen Ergebnis gewinnmindernd auswirkt.4 Selbst wenn also die Umlagezahlungen und die Vorteilserzielung aus der Poolteilnahme zeitlich auseinanderfallen, steht dies dem Abzug der geleisteten Zahlung als Betriebsausgabe nicht entgegen. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass der Angemessenheitsprüfung und damit auch der Beurteilung der „betrieblichen Veranlassung“ von Kostenumlagen nicht die Verhältnisse eines einzigen Jahres, sondern die einer längeren Zeitperiode zugrunde gelegt werden müssen.5 Weil Umlagezahlungen steuerlich sofort abzugsfähige Betriebsausgaben darstellen, kommt auch keine Aktivierung von Poolbeiträgen (etwa als immaterielle Wirtschaftsgüter oder als Rechnungsabgrenzungsposten) in Betracht.6 Dies resultiert auch aus dem Um1 Vgl. insoweit zu Konzernumlageverträgen Elbert/von Jesche in V/B/B, Verrechnungspreise5, N Rz. 442. 2 Vgl. Tz. 8.49 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. § 4 Abs. 4 EStG. 4 Vgl. insoweit auch Tz. 8.24 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 8.37 OECD-Leitlinien 2022. 6 So auch schon BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122, Tz. 1.6.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1998, 5 sowie IStR 2000, 378 f. zur Aktivierung von Eintrittszahlungen.
668 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.417 Kap. 6
stand, dass Beiträge für Poolumlagen letztlich die ausgelagerten eigenen Kosten für bestimmte, gemeinsam zu erbringende Leistungen bzw. Leistungsprojekte darstellen. Ggf. durch den Pool geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter sind als selbsterstellt (originär) zu qualifizieren, so dass eine Aktivierung aufgrund des fehlenden entgeltlichen Erwerbs nicht möglich ist.1 Da es sich um eigene originäre Aufwendungen der Poolmitglieder handelt, finden die Vorschriften über nicht abzugsfähige Betriebsausgaben (z.B. § 4 Abs. 5 EStG, § 4h EStG, § 4j EStG und § 160 AO) auf Ebene des jeweiligen Poolmitglieds Anwendung. Steuerabzug gem. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG. In Tz. 4.4. Abs. 1 VWG-Umlage 1999 wurde seitens der deutschen Finanzverwaltung ausdrücklich betont, dass Umlagezahlungen nicht dem (Quellen-)Steuerabzug unterliegen.2 Sofern allerdings ein ausländischer Poolpartner (und nicht der Pool selbst) einem leistungserbringenden inländischen Poolpartner immaterielle Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlässt, ist auf die entsprechende Zahlung unter den Voraussetzungen des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG Quellensteuer i.H.v. 15 % vom inländischen Poolmitglied einzubehalten und abzuführen. Selbst wenn diese Zahlung mit dem Umlagebeitrag verrechnet werden sollte, berührt dies nicht die Erhebung der Quellensteuer.3 Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass in den deutschen DBA, die abweichend vom OECD-MA ein der Höhe nach beschränktes Quellenbesteuerungsrecht für Lizenzgebühren vorsehen, regelmäßig ein geringer Quellensteuerhöchstsatz (5–10 %) geregelt ist, und dass die dem OECDMA entsprechenden deutschen DBA Deutschland kein Quellenbesteuerungsrecht zugestehen.4 Allerdings ist der Quellensteuerabzug i.H.v. 15 % ungeachtet dieser abkommensrechtlichen Beschränkungen vorzunehmen (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG). Das inländische Poolmitglied wird erst dann von seiner Verpflichtung, Quellensteuer einzubehalten und abzuführen, befreit bzw. kann den Quellensteuerabzug nach dem niedrigeren abkommensrechtlichen Quellensteuersatz vornehmen, wenn ihm auf seinen Antrag hin vom Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) eine Freistellungsbescheinigung erteilt wurde (§ 50d Abs. 2 Satz 1 EStG). Vor diesem Hintergrund sollte der Poolvertrag dementsprechende Mitwirkungs- und Minderungspflichten für die einzelnen Poolmitglieder vorsehen.
6.416
Anrechnung ausländischer Quellensteuern/Abkommensberechtigung. Werden zwischen den Poolpartnern im Rahmen von Pool-Eintritten und Pool-Austritten (Rz. 6.394) sowie im Rahmen einer „Drittverwertung“ von Poolergebnissen (Rz. 6.367) Ausgleichszahlungen an den bzw. vom Pool geleistet, so ist eine Ausgleichszahlung beim Leistenden als Aufwand und beim Empfänger als Kostenerstattung zu behandeln. Eine solche Ausgleichszahlung stellt im Regelfall keine Lizenzgebühr dar, so dass auch keine Quellensteuerpflicht begründet wird. Ausnahmen hierzu gelten nur dann, wenn der Zahlende (z.B. ein fremder Dritter) mit der Zahlung das Recht erhält, einen immateriellen Vermögenswert zu nutzen, der z.B. dem Pool gehört. Im Vordergrund dieser Überlegung steht also die Lizenzvergabe durch den Pool an Dritte. Nach den VWG-Umlage 1999 konnte die Quellensteuer, die auf Lizenzgebühren aus der Vergabe von Poolergebnissen an Dritte lastet, nur anteilig von den einzelnen Poolpartnern
6.417
1 Vgl. § 5 Abs. 2 EStG. Handelsrechtlich besteht gemäß § 248 Abs. 2 HGB ein Aktivierungswahlrecht für bestimmte selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens. 2 Ebenso Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 351; Haase, IStR 2013, 62 f. 3 Vgl. so noch ausdrücklich BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.4. Abs. 3 sowie hierzu Vögele, DB 2000, 298 und Vögele/Freytag, IStR 2000, 249/250. 4 Vgl. Übersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 29.
Baumhoff/Kluge | 669
Kap. 6 Rz. 6.417 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
geltend gemacht werden.1 Sofern ein Poolpartner, der formal die Rechte an den immateriellen Wirtschaftsgütern für den Pool wahrnimmt, die gesamte ausländische Quellensteuer im Rahmen seiner Besteuerung geltend machte, war er gegenüber den anderen Poolpartnern anteilig zum Ausgleich verpflichtet. Diese Behandlung liegt im deutschen Transparenzprinzip begründet, aufgrund dessen nicht der Pool – als BGB- und damit Personengesellschaft – subjektiv einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtig ist, sondern seine Mitglieder. Dementsprechend sind deutsche Personengesellschaften auch nicht abkommensberechtigt, d.h. sie können die Schutzwirkungen eines DBA wie etwa die Quellensteuerreduktion für Lizenzgebühren2 nicht in eigener Person beanspruchen.3 Etwas anderes soll nach Auffassung der Finanzverwaltung allerdings dann gelten, wenn der Pool sein Domizil in einem DBA-Staat hat, der Personengesellschaften intransparent behandelt, d.h. den Pool selbst der subjektiven Steuerpflicht unterwirft. Für die aus Deutschland an den Pool abfließenden Lizenzgebühren soll der Pool selbst berechtigt sein, Entlastung von deutschen Abzugssteuern zu beanspruchen.4 Die Finanzverwaltung stützt diese Behandlung ausdrücklich auf den Musterkommentar der OECD (Nr. 5 zu Art. 1 OECDMA), in den die Ergebnisse des sog. Partnership-Reports eingegangen sind,5 bzw. auf diejenigen DBA, die konkrete Regelungen zur abkommensrechtlichen Einkünftezurechnung vorsehen (bisher ausschließlich Art. 1 Abs. 7 DBA-USA).6 Zwar ist diese Auffassung grundsätzlich zu begrüßen. Man kommt jedoch nicht umhin festzustellen, dass ihr keine Rechtsgrundlage zur Seite steht. Ungeachtet der steuerlichen Behandlung im jeweiligen Domizilstaat des Pools sind es für Zwecke der deutschen Besteuerung jedenfalls die Poolmitglieder, die der beschränkten Steuerpflicht unterliegen und die – für Zwecke des § 50d Abs. 4 EStG – als Gläubiger der Lizenzgebühren anzusehen sind.7
6.418
Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Kostenumlagen. Bei Konzernumlagen nach dem Leistungsaustausch- bzw. Vereinfachungskonzept (Leistungsumlagen) ist aufgrund der schuldrechtlichen Leistungsbeziehung zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger davon auszugehen, dass die umlageerhebende Konzerneinheit umsatzsteuerlicher Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist. Problematischer hingegen ist die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft eines Pools, der seine Leistung nach dem Poolkonzept (Poolumlagen) gegenüber seinen Mitgliedern zur Verfügung stellt. Voraussetzung für die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG ist, dass der Unternehmer aktiv am Wirtschaftsleben teilnimmt und nach außen selbst als Unternehmer auftritt.8 Das kann aber bei einem Pool als Innengesellschaft9 nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Innengesellschaften, die nach außen nicht selbst als Unternehmer auftreten, sondern deren Mitglieder jeweils 1 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 4.4. Abs. 2. 2 Vgl. hierzu Übersicht bei Pöllath/Lohbeck in V/L7, Art. 12 OECD-MA Rz. 29. 3 Vgl. hierzu im Einzelnen Liebchen, Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften, 130 ff. m.w.N.; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258 – Tz. 2.1.1 und 2.1.2. 4 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258 – Tz. 2.1.2. 5 Vgl. hierzu im Einzelnen Liebchen, Beteiligungen an ausländischen Personengesellschaften, 143 ff. m.w.N. 6 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258 – Tz. 2.1.2. 7 Vgl. Wassermeyer, IStR 2011, 87. 8 Vgl. BFH v. 11.11.1965 – V 146/63 S, BStBl. III 1966, 28. 9 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.2. Abs. 2.
670 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.419 Kap. 6
im eigenen Namen für die Innengesellschaft handeln, sind mangels Auftretens nach außen umsatzsteuerlich als nicht existent anzusehen.1 Die Unternehmer sind vielmehr die an der Innengesellschaft beteiligten Personen. Es ist i.d.R. davon auszugehen, dass der Pool selbst keine Rechtsbeziehungen zu Dritten eingeht, sondern vielmehr ein Leistungsaustausch zwischen den Poolmitgliedern stattfindet. Diese Leistungen i.S.d. Umsatzsteuergesetzes sind gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG umsatzsteuerbar, wenn der Ort der Leistung2 im Inland liegt. Werden demnach Poolfunktionen im Rahmen eines Kostenpools nicht zentral durch eine Konzerngesellschaft, sondern dezentral durch alle am Pool teilnehmenden Konzerngesellschaften ausgeübt, erbringen sich die Poolmitglieder gegenseitig Leistungen im umsatzsteuerlichen Sinne. Dabei stehen den Leistungen des jeweiligen Poolmitglieds als Gegenleistung nicht nur die über die Umlage gezahlten Geldbeträge, sondern auch die Leistungen der anderen Poolmitglieder gegenüber. Infolgedessen liegen bei den Poolleistungen tauschähnliche Umsätze ggf. mit Baraufgabe i.S.d. § 3 Abs. 12 UStG vor, deren Entgelt sich nach der Vorschrift des § 10 Abs. 2 Satz 2 UStG bemisst.3 Danach gilt der Wert eines jeden Umsatzes als Entgelt für den anderen Umsatz. Soweit der Wert der Gegenleistung nicht ermittelt werden kann, ist er zu schätzen.4 Im Rahmen von in Deutschland steuerbaren und steuerpflichtigen Leistungen eines im Ausland ansässigen Poolmitglieds ist die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers gem. § 13b UStG mit dementsprechendem Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG zu beachten (Reverse-Charge-Verfahren).5 Im Hinblick auf den Vorsteuerabzug für die vom Pool bezogenen Leistungen ist jedes Poolmitglied als Leistungsempfänger anzusehen und insoweit anteilig zum Vorsteuerabzug berechtigt, als der seinem Unternehmen zugeordnete Anteil am Gegenstand seinen Miteigentumsanteil nicht übersteigt.6 Daneben sind aber auch Fälle denkbar, in denen der Pool selbst als Unternehmer auftreten kann. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Pool sog. „Dritteinnahmen“ erhält (Rz. 6.367), indem der Pool z.B. Leistungen gegen Entgelt (wie Lizenzgebühr) an poolfremde Dritte (konzernverbundene wie konzernunverbundene Unternehmen) erbringt und dabei selbständig als Pool auftritt. Insoweit tritt der Pool als Zusammenschluss an die Stelle seiner Mitglieder, so dass ihm umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft beizumessen ist. Diese Leistungen i.S.d. Umsatzsteuerrechts sind gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG umsatzsteuerbar, wenn der Ort der Leistung7 im Inland liegt. Insoweit ist auch der Pool selbst zum Vorsteuerabzug aus Leistungen berechtigt, die für das Unternehmen des Pools (Leistungserbringung gegenüber poolfremden Dritten) bezogen wurden.
15. Vorteilsausgleich bei Kostenumlagen Vorteilsausgleich. Die VWG-Umlage 1999 wollten einen Vorteilsausgleich nur innerhalb eines abgeschlossenen Umlageverfahrens zulassen8 und zwar auch nur insoweit, als dieser innerhalb einer einzelnen Leistungskategorie vorgenommen wurde. Eine solche Einschränkung
1 Vgl. BFH v. 25.7.1968 – V 150/65, BStBl. II 1968, 731; v. 27.5.1982 – V R 110-111/81, BStBl. II 1982, 678. Vgl. auch Abschn. 2.1 Abs. 5 UStAE. 2 Vgl. § 3a UStG. 3 Vgl. Eggers, IStR 2001, 311; Forster/Mühlbauer, DStR 2002, 1476. 4 Vgl. Abschn. 10.5 Abs. 1 Satz 6 UStAE. 5 Vgl. Abschn. 13b.1 UStAE. 6 Vgl. Abschn. 15.2b Abs. 1 Sätze 10 ff. UStAE. 7 Vgl. § 3a UStG. 8 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 2.1. Abs. 6.
Baumhoff/Kluge | 671
6.419
Kap. 6 Rz. 6.419 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
ist jedoch nicht sachgerecht. Sie entbehrt einer Rechtsgrundlage und verkennt, dass es sich bei der Poolumlage lediglich um eine – gegenüber der Einzelverrechnung – besondere Abrechnungsform handelt, die keinerlei Aussage zu einer Ausgleichsfähigkeit von Leistungen trifft. Diese Abrechnungsform wird gegenüber der Einzelverrechnung mithin „diskriminiert“, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund erkennbar ist. Stattdessen sollten u.E. die Grundsätze über den Vorteilsausgleich einheitlich für alle Leistungen ungeachtet der jeweiligen Abrechnungsform anzuwenden sein. Dies entspricht i.Ü. auch dem Handeln ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, die selbstverständlich den Ausgleich vorteilhafter mit nachteiligen Geschäften nicht von der konkreten Abrechnungsform abhängig machen, sondern diese – unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten – gleichwertig ihrer Kompensationsabsicht zugrunde legen. Da auch § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes diesen Verhaltensmaßstab zugrunde legt (Rz. 3.134 ff.), liegt es auf der Hand, dass diese Einschränkung mit geltendem Recht nicht zu vereinbaren ist. Somit verwundert es auch nicht, dass sich den OECD-Leitlinien 2022 keine entsprechende Einschränkung entnehmen lässt.1
16. Konzernspezifische Umlagesysteme 6.420
Keine Escape-Regelung notwendig. Die VWG-Umlage 1999 enthielten keine Escape-Regelung, die es ermöglicht hätte, einem konzernspezifischen Umlageverfahren beizutreten, das in seinen einzelnen Bestimmungen – insbesondere im Hinblick auf die Kostenerfassung und -verteilung – von den VWG-Umlage 1999 abweicht oder diese Fragen nicht regelt. Dies war deshalb für die internationale Konzernpraxis von erheblicher Bedeutung, weil Umlageverträge nicht nur für ein Land vereinbart werden, sondern den Verhältnissen und Anforderungen einer Vielzahl von Staaten gerecht werden müssen und dabei eine multinationale Einigung oft nur auf dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ erfolgen kann. Eine solche Regelung sah etwa Tz. 7.2.4 VWG 19832 vor. Hiernach wurde deutschen Unternehmen, die an einem Umlageverfahren teilnehmen wollten, auf Antrag die Möglichkeit eingeräumt, abweichend von sämtlichen in Tz. 7 VWG 1983 enthaltenen Voraussetzungen und Anforderungen „auch andere Einzelregelungen“ zu vereinbaren, „wenn dies wegen der besonderen Umstände (z.B. wegen des multilateralen Einsatzes des Umlagevertrages oder bei Fehlen einzelner die Kostenerfassung oder -verteilung regelnder Bestimmungen i.S. der Tz. 7.2.1.) sachgerecht ist und sich das Ergebnis des Umlagevertrages im Inland nicht wesentlich gegenüber dem eines den Voraussetzungen der Tz. 7.1. bis 7.2.3. entsprechenden Vertrages ändert“. Diese Regelung bot auch den zuständigen Finanzämtern die notwendige Ermächtigung, in bestimmten Fällen den Unternehmen flexible Einzelregelungen zuzugestehen und „maßgeschneiderte Lösungen“ anzuerkennen, die den unternehmensindividuellen Verhältnissen am ehesten entsprechen. Insoweit führt der Verweis auf die OECD-Leitlinien 2022 initial durch die VWG-Umlage 2018 und fortgeführt durch die VWG VP 2021 zu einer begrüßenswerten Lockerung. Denn die OECD-Leitlinien 2022 sehen zwar keine Escape-Regelung vor; da sie jedoch auch keine strikten Vorgaben, sondern vielmehr Empfehlungen3 für einen Umlagevertrag enthalten, ist ein Escape auch nicht notwendig.
1 Tz. 8.21 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 7.2.4. Nr. 1, aufgeh. durch BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 7. Wirtschaftlich vergleichbare Regelungen enthielten Tz. 6. bzw. Tz. 5.3. der Entwurfsfassungen der VWG-Umlage v. 26.4.1999 bzw. 15.9.1999. 3 Tz. 8.50 ff. OECD-Leitlinien 2022.
672 | Baumhoff/Kluge
D. Konzern- und Kostenumlagen | Rz. 6.422 Kap. 6
Keine Sanktionierung nach aktueller und bisheriger Rechtslage. Hinsichtlich der VWG-Umlage 1999 war fraglich, ob die steuerliche Anerkennung allein von der Einhaltung der strengen Nachweis- und Formvorschriften (Rz. 6.401) abhängig gemacht werden konnte. Nach Tz. 5.1.1 VWG-Umlage 1999 bedurfte der Umlagevertrag für dessen Anerkennung der Schriftform.1 Nach Tz. 5.2. VWG-Umlage 1999 war der Umlagevertrag steuerlich grundsätzlich nur dann der Einkunftsabgrenzung zugrunde zu legen, wenn die Dokumentationsanforderungen erfüllt wurden. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die Dokumentationsanforderungen seit der gesetzlichen Einführung einer Dokumentationspflicht ihre Rechtsgrundlagen in § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV haben. Die VWG-Umlage 1999 konnten insoweit nicht losgelöst von diesen als verwaltungsmäßiges Sonderrecht fortbestehen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 GAufzV a.F. bestand die Aufzeichnungspflicht ausdrücklich auch für solche „Geschäftsbeziehungen, die keinen Leistungsaustausch zum Gegenstand haben, wie [...] Poolvereinbarungen (zum Beispiel Umlageverträge)“. Ausweislich der Verordnungsbegründung zur GAufzV a.F. sollte die GAufzV a.F. die in den VWGUmlage 1999 dargestellte Rechtsauffassung nicht berühren.2 Dies konnte allerdings nur für Art und Umfang der erforderlichen Aufzeichnungen gelten, nicht hingegen für die Rechtsfolgen bei Verletzung der Dokumentationspflichten. Diese Sanktionen sind gesetzlich geregelt, nämlich in § 162 Abs. 3 und 4 AO. Der hier entscheidende § 162 Abs. 3 Satz 1 AO sieht gerade nicht vor, dass die Geschäftsbeziehung bzw. die dieser gleichgestellten Umlagevereinbarung steuerlich nicht anerkannt wird. Insofern war Tz. 5.2. VWG-Umlage 1999 ohne rechtliche Grundlage.
6.421
§ 162 Abs. 3 Satz 1 AO regelt stattdessen die widerlegbare Vermutung, dass die inländischen Einkünfte aus den entsprechenden Geschäftsbeziehungen zum Ausland höher sind als die bislang erklärten, d.h. dass gegen den Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen wurde, und zwar nur dann, wenn der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, indem – er die in § 90 Abs. 3 AO bzw. der GAufzV vorgeschriebenen Aufzeichnungen (Rz. 8.15 ff.) nicht vorlegt, – die von ihm vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind oder – Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 3 AO – hierzu gehört auch der Abschluss eines Umlagevertrags (§ 3 Abs. 2 GAufzV) – nicht zeitnah erstellt wurden. Aufgrund der „Widerlegbarkeit“ dieser Vermutung ist es an dem Steuerpflichtigen nachzuweisen, dass die Kostenumlage – insbesondere im Hinblick auf die Kostenerfassung und -verteilung – einem Fremdvergleich standhält. Auf rein formale Gesichtspunkte konnte die Finanzverwaltung jedenfalls die Ablehnung der Kostenumlage mangels Rechtsgrundlage schon nach den VWG-Umlage 1999 nicht stützen. Nach den VWG-Umlage 2018 und den VWG VP 2021 besteht diese Problematik nicht mehr, da die OECD-Leitlinien 2022 keine strikten formalen Vorgaben enthalten. Sperrwirkung nach Art. 9 OECD-MA. Schließlich ist auch in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Art. 9 OECD-MA entsprechenden Bestimmungen der deutschen DBA nach der Rspr. des BFH3 gegenüber einer auf rein formale Anforderungen gestützten Einkünf1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge 1999, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 5.1.1. 2 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 7 f. und 14. 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer = BFH/NV 2013, 324; v. 17.12.2014 – I R 23/13, BFH/NV 2015, 626; v. 24.3.2015 – I B 103/13, BFH/ NV 2015, 1009.
Baumhoff/Kluge | 673
6.422
Kap. 6 Rz. 6.422 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
tekorrektur eine Sperrwirkung entfalten (Rz. 6.401).1 Trotz dieser Sperrwirkung ist es allerdings erforderlich, die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Regelungen hinreichend zu konkretisieren, um eine Angemessenheitsprüfung überhaupt durchführen zu können. Insofern ist auch ein schriftlicher Umlagevertrag regelmäßig unverzichtbar (Rz. 6.401).2 Dies gilt bei Teilnahme an einem multilateralen Umlageverfahren schon deshalb, weil wegen der Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen die Vereinbarkeit mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nachzuweisen ist, um die Vermutung des § 162 Abs. 3 Satz 1 AO zu widerlegen (Rz. 6.421).
E. Finanztransaktionen Literatur: Ammelung/Bernhardt/Lorenzen/Ackerman, Die Vergütung von Konzernbürgschaften im Lichte des steuerlichen Fremdvergleichs, DK 2010, 404; Ammelung/Kaeser, Cash-Management-Systeme in Konzernen, DStR 2003, 655; Andresen, Einkünfteabgrenzung bei grenzüberschreitenden Finanzierungsleistungen post-BEPS in Gestalt der „Transfer Pricing Guidance on Financial Transactions“ der OECD (Teil I), IStR 2020, 442; Andresen, Einkünfteabgrenzung bei grenzüberschreitenden Finanzierungsleistungen post-BEPS in Gestalt der „Transfer Pricing Guidance on Financial Transactions“ der OECD (Teil II), IStR 2020, 494; Andresen, Finanzierungsbeziehungen im Konzern im Spannungsfeld zwischen fortentwickelter BFH-Rechtsprechung und Verlautbarungen der deutschen Finanzverwaltung, GmbHR 2022, 344; Bärsch, Bestimmung fremdüblicher Darlehenszinsen bei Finanzierungsgesellschaften, IStR 2017, 629; Bärsch/Bestelmeyer/Hafkenscheid/Knab/Kraan, Verrechnungspreise für Eigenversicherer (Captives), DB 2022, 355; Bärsch/Engelen, Aktuelle Finanzrechtsprechung zum konzerninternen Cash Pooling – Anmerkungen zum BFH v. 17.1.2018 – I R 74/15 (FR 2019, 1005) und v. 11.10.2018 – III R 37/ 17 (FR 2019, 1007), FR 2019, 990; Bärsch/Engelen, Ermittlung eines fremdüblichen Zinssatzes bei Darlehensgewährung im Konzern, IStR 2018, 122; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Ditz/Greinert, Klärung des Begriffs „Geschäftsbeziehung“ i.S. des § 1 AStG durch das BMFSchreiben vom 12.1.2010, DStR 2010, 476; Bogenschütz, Der Fremdvergleichsgrundsatz bei der Konzernfinanzierung – das nach wie vor unbekannte Wesen?, Ubg 2014, 155; Brinkmann, Garantiegebühren im Konzern: Das Urteil des Tax Court von Kanada in Sachen GE Capital Canada, IStR 2010, 501; Busch/ John/Nolden, OECD-Diskussionsentwurf zur Behandlung von Finanztransaktionen aus Verrechnungspreissicht, DB 2018, 2067; Busch/Tenberge, Ermittlung fremdüblicher Factoring-Gebühren, BB 2015, 2475; Busch/Weynandt/Röckle, Praxisrelevante Revisionsfragen zum Urteil des FG Münster zur Fremdüblichkeit von Darlehenszinsen, IStR 2017, 531; Crüger/Köhler, Avalprovisionen: Fremdvergleichskonforme Berechnung mittels Credit Default Swaps, RIW 2008, 378; Ditz, Praxisfall einer Verrechnungspreisprüfung und Funktionsverlagerung, IStR 2009, 421; Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, Unternehmensteuerrechtliche Änderungen im AStG – Ein erster Überblick über den Referentenentwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes v. 10.12.2019, DStR 2020, 73; Ditz/Engelen, Ermittlung von Darlehenszinsen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz – Anmerkungen zum Urteil des FG Münster vom 07.12.2016 – 13 K 4037/13, Ubg 2017, 440; Ditz/Engelen, Verrechnungspreise für Finanzierungsbeziehungen – Kritische Analyse der Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise vom 14.07.2021 und der Zinsurteile des BFH vom 18.05.2021 (I R 4/17 und I R 62/17), Wpg 2022, 232; Ditz/Engelen/Quilitzsch, Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen – Anmerkungen zum Nichtanwendungserlass vom 30.03.2016 betreffend die BFH-Urteile vom 17.12.2014 – I R 23/13 und vom 24.06.2015 – I R 29/14, Ubg 2016, 513; Ditz/Kluge, Einkünftekorrekturen bei Sicherheitengestellung im Konzern – Ein Betriebsprüfungsfall zu Patronatserklärungen, IWB 2013, 87; Ditz/Liebchen, Teilwertabschreibungen und Forderungsverzicht auf Gesellschafterdarlehen – Praxisfall zum BMF-Schreiben vom 29.3.2011, IStR 2012, 97; Ditz/Quilitzsch, Europarechtswidrigkeit des § 1 AStG (§ 1 AStG) – Eine kritische Würdigung des EuGH-Urteils in der Rs. Hornbach-Baumarkt, 1 Vgl. aber den Nichtanwendungserlass des BMF v. 30.3.2016 – IV B 5 - S 1341/11/10004-07, BStBl. I 2016, 455. 2 Vgl. auch Kaminski in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 705.
674 | Baumhoff/Kluge und Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Kap. 6 DB 2018, 2009; Ditz/Schneider, Internationale Rechtsprechung zu Verrechnungspreisen – Aktuelle Entwicklungen und Vergleich zur deutschen Rechtslage, DB 2011, 779; Ditz/Tcherveniachki, Abzugsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen – Eine Analyse des BFH-Urteils vom 14.1.2009 unter besonderer Berücksichtigung des § 1 AStG, IStR 2009, 709; Ditz/Tcherveniachki, Fremdübliche Verzinsung im Rahmen eines grenzüberschreitenden Cashpools, IStR 2014, 398; Ebeling/Grundmann/Nolden, Wenn schon interner Preisvergleich, dann richtig! – FG Köln v. 29.6.2017 – 10 K 771/16 (IStR 2018, 120) m.Anm. Bärsch/Engelen, IStR 2018, 581; Ebeling/Nolden/Overesch/Pflitsch/Wolff, Eignen sich Zinssätze von Anleihen für die Ermittlung fremdüblicher Zinssätze von konzerninternen Darlehen?, IStR 2018, 841; Eggert, BMF-Schreiben zur Hornbach-Entscheidung des EuGH: nicht fremdübliche Sanierungsmaßnahmen innerhalb der EU, BB 2019, 417; Engelen/Quilitzsch, Darlehenszinsverzicht in grenzüberschreitenden Dreieckskonstellationen: Gedanken zum Urteil des BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19, FR 2020, 1106, (BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19, FR 2020, 1106), FR 2021, 145; Engelen/Tcherveniachki, Die Besteuerung von Bankbetriebsstätten nach den VWG BsGa (Teil II) – Die Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung aus Sicht der Praxis, IWB 2018, 129; Engelen/Tcherveniachki, Die Besteuerung von Bankbetriebsstätten nach den VWG BsGa (Teil I) – Die Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung aus Sicht der Praxis, IWB 2018, 89; Glahe, § 1 AStG auf dem unionsrechtlichen Prüfstand – Anmerkungen zum EuGH-Urteil „Hornbach Baumarkt“, IStR 2018, 1535; Glahe, EuGHVorlage zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Gründe im Rahmen des § 1 AStG, ISR 2016, 404; Gomoluch, Ausnahme vom Abzugsverbot nach § 8b Abs. 3 Satz 4 und 5 KStG für Währungskursverluste nach § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG, GmbHR 2021, 1134; Greil/Schilling, Zwei-Stufen-Konzept bei der Ermittlung angemessener Zinssätze im Rahmen von grenzüberschreitenden konzerninternen Finanzierungen, DB 2016, 1961; Greil/Schilling, Die Ermittlung und Angemessenheitsprüfung von Zinssätzen bei grenzüberschreitenden Finanzierungen zwischen verbundenen Unternehmen, DStR 2016, 2352; Greil/Wargowske, Finanzierungstransaktionen zwischen verbundenen Unternehmen – Zwischen „Transfer pricing is dead“ und „Wonderland“, IStR 2018, 534; Kahlenberg, BMF reagiert auf die EuGH-Entscheidung in der Rs. Hornbach-Baumarkt – Alles nur ein Missverständnis?!, IStR 2019, 335; Kraft/Hentschel/Borchert, Die Besonderheiten der Besteuerung von Bankbetriebsstätten mit Einführung der BsGaV – eine praxisorientierte Fallstudienanalyse, Ubg 2016, 469; Köhler/Schaus/John, Fremdübliche Avalprovisionen: Überblick und aktuelle Entwicklungen im Rahmen der Finanzmarktkrise, RIW 2009, 533; Kunert/Eberhardt, Ist die Berichtigung von Einkünften nach § 1 AStG mit europäischem Primärrecht zu vereinbaren? – Anmerkungen zum EuGH-Urteil vom 31.5.2018 – C-382/16, StuB 2018, 622; Nientimp/Stein/Worm, Gesellschafterdarlehen – Maßstäbe des Fremdvergleichs für die Zinsbestimmung, IStR 2016, 781; Nolden/Bonekamp, Die Teilung von Haben- und Schuldzinsen im Fall von Darlehenstransaktionen zwischen nahestehenden Personen – Eine kritische Würdigung der Mittelwertmethode, ISR 2016, 348; Nolden/Ebeling, Grenzüberschreitende Konzernfinanzierungen und fremdübliche Zinssätze – Eine kritische Analyse des Zwei-Stufen-Konzepts und der pauschalen Nutzung der Konzernbonität, DK 2017, 79; Nolden/Ebeling, Sind unbesicherte Darlehensvergaben fremdüblich und können besicherte Darlehen ausfallen? – Eine empirische Analyse, IStR 2021, 10; Puls, Finanzierungsunterstützung im Konzern aus Verrechnungspreissicht, IStR 2012, 209; Rasch/Chwalek/Bühl, Zur Entscheidung des EuGH über die Vereinbarkeit von Niederlassungsfreiheit und § 1 AStG, ISR 2018, 275; Reimann, Der Zinsort bei Darlehensverhältnissen über die Grenze – Unter Berücksichtigung des Entwurfs der deutschen „Verwaltungsgrundsätze zur Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen“, BB 1981, 1145; Roglmeier, Der Fremdvergleichsgrundsatz bei der Konzernfinanzierung – Überlegungen zu ausgewählten risikobehafteten Darlehen, IStR 2018, 675; Schaden/Käshammer, Besteuerung von durch Finanzierungsgesellschaften vergebenen Darlehen – Rn. 3.92 der Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise vs. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, IStR 2022, 1; Schnell/John, Konzerninterne Cash Pools im Brennpunkt steuerlicher Betriebsprüfungen – Herausforderungen bei der Ermittlung fremdüblicher Zinsen, IWB 2015, 911; Schnorberger/Haverkamp, Verrechnungspreismethoden zur Bestimmung von Darlehenszinsen, ISR 2017, 151; Scholz/Herda, Cash-Pools in deutschen Betriebsprüfungen, IStR 2015, 472; Scholz/Kaiser, Internationale Kritik am Standardverrechnungspreismodell von Cash Pools, IStR 2013, 54; Scholz/Köhler, Konzernrückhalt und Nachrangigkeit in der konzerninternen Finanzierung, DStR 2018, 15; Schönfeld/Kahlenberg, EuGH entscheidet zu § 1 AStG und EU-Recht: Nachweis wirtschaftlicher Gründe für fremdunübliche Konditionen möglich!, IStR 2018, 498; Schreiber/Bubeck, Fremdvergleich beim internationalen Cash Pool, DB 2014, 980; Schwarz/Stein/ Lupberger, Finanztransaktionen im Lichte des deutschen Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Umset-
Ditz/Engelen | 675
Kap. 6 Rz. 6.423 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch zung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-UmsG) und der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien zu Finanztransaktionen, Ubg 2020, 117; Schwenker/Fischer, Gesellschafterdarlehen – Aspekte der Darlehensgewährung an eine Kapitalgesellschaft; FR 2010, 643; Stumpf, Factoring – ein modernes und attraktives Finanzierungsinstrument zur Liquiditätssicherung, BB 2012, 1045; Tenbusch, Die Bestimmung des fremdüblichen Zinses bei Konzerndarlehen über die Grenze – Ein Dauerthema in Betriebsprüfungen, IStR 2017, 824; Thörmer, Internationale und nationale Entwicklungen bei der Vergütung von Cash-Pooling, IStR 2020, 754; Wacker, Ausfall grenzüberschreitender Konzerndarlehen – Neuorientierung der BFH-Rechtsprechung, FR 2019, 449; Waldens, Grenzüberschreitendes Cash pooling im Spannungsfeld sich ändernder Rahmenbedingungen – Eine ertragsteuerliche Analyse, IStR 2003, 497.
I. Erscheinungsformen von Finanztransaktionen 6.423
Internationalisierung und Deregulierung von Finanztransaktionen. Die internationalen Finanzmärkte unterliegen einem stetigen und oft tiefgreifenden Wandel. Hierzu tragen neben der unablässig fortschreitenden Globalisierung der Wirtschaft (z.B. „Global Trading“1, d.h. unternehmensinternes, kontinuierliches Handelsgeschäft über verschiedene Standorte eines Unternehmens/einer Unternehmensgruppe), Art und Umfang der Regulierung (z.B. Zulassung neuer Finanzierungsinstrumente, Aufhebung oder Verschärfung von Beschränkungen des Kapitalverkehrs, Abschluss, Modifikation oder Kündigung von Handelsverträgen), Institutionalisierung (z.B. Beeinflussung des Marktes durch Pensionsfonds, Versicherungen und Private-Equity-Unternehmen) sowie finanzielle und technische Neuerungen (z.B. „Securitisation“, d.h. die Verbriefung von Forderungen und Verbindlichkeiten, um deren Handel zu ermöglichen; Tokens; Kryptowährungen2) bei. Dementsprechend unterliegen auch die finanziellen Aktivitäten international verbundener Unternehmen oft erheblichen Veränderungen. Dies wirkt sich sowohl auf die Finanztransaktionen zwischen verbundenen Unternehmen untereinander, als auch die zwischen einer Gruppe verbundener Unternehmen und externen Banken aus. Dementsprechend üben die Treasury-Abteilungen von Unternehmensgruppen und Konzernen oft komplexe Tätigkeiten aus, die zunehmend als konzerninterne Service-Center bisher durch Banken ausgeübte Finanzierungsfunktionen übernehmen. Dies dient dem Zweck, die konzerninterne Finanzierung zu optimieren, Finanzierungsrisiken zu vermeiden und neue Einnahmequellen zu erschließen. Diese konzerninterne Ausübung von Finanzierungsfunktionen wird allgemein als „In-House-Banking“ oder als „Corporate-Banking“ bezeichnet, wobei die Banken lediglich Ergänzungs- oder Ausgleichsfunktionen ausüben.
6.424
Überblick über konzerninterne Finanzierungsleistungen. Zwischen international verbundenen Unternehmen sind grundsätzlich die gleichen Finanzierungsleistungen denkbar, wie sie auch zwischen unabhängigen Unternehmen (z.B. mit Banken) vereinbart werden. Es gilt der Grundsatz der Finanzierungsfreiheit. Damit liegt es im freien Ermessen des Gesellschafters, seine Gesellschaft (z.B. Tochter- oder Enkelgesellschaft) mit Eigen- oder Fremdkapital zu finanzieren.3 Auf Basis der Finanzierungs- und Vertragsfreiheit ist international verbundenen 1 Vgl. dazu Kaminski/Strunk, IStR 1999, 221 f.; Häuselmann, IStR 2003, 139 ff. Siehe i.Z.m. der Besteuerung des Global Trading bei Bankbetriebsstätten auch Kraft/Hentschel/Borchert, Ubg 2016, 469; Engelen/Tcherveniachki, IWB 2018, 89; Engelen/Tcherveniachki, IWB 2018, 129. 2 Siehe auch von Buttlar/Omlor, ZRP 2021, 169; Omlor/Link, Handbuch: Krypto-Währungen und Token, 2021. 3 Vgl. BFH v. 8.12.1997 – GrS 1-2/95, BStBl. II 1998, 193 = FR 1998, 147; BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = FR 1992, 525. Vgl. auch Roglmeier, IStR 2018, 675 (676). Siehe aber die Auffassung des BMF (VWG VP 2021, Rz. 3.88 ff.) sowie die Empfehlungen der OECD (Tz. 10.4 OECD-Leitlinien 2022), die die Möglichkeit einer steuerlichen Umqualifizierung von Fremd- in Eigenkapital vorsehen.
676 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.425 Kap. 6
Unternehmen die Wahl und der Einsatz verschiedener Finanzierungsformen völlig freigestellt: – Gewährung langfristiger Darlehen, – Gewährung kurzfristiger Kredite, – Gewährung von Kreditlinien, – Führung kontokorrentähnlicher Verrechnungskonten, – Gewährung von Lieferantenkrediten (Einräumung von Zahlungszielen), – Gewährung von Bürgschaften, – Gewährung von Patronatserklärungen und sonstigen Garantien, – Gewährung von Genussrechten mit Fremdkapitalcharakter, – Weitergabe von Wechseln (Diskontgeschäfte), – Durchführung von Wertpapierleihgeschäften, – Dienstleistungen im Bereich der Forfaitierung, – Dienstleistungen im Bereich des Factoring, – Cash-Pooling (Cash-Management, Devisen-Management, Portfolio-Management und Forderungs-Management), – Einsatz von Finanzierungsinstrumenten (z.B. Swaps, Futures, Optionen, Termingeschäfte, Securities Lending). – Dies impliziert im Umkehrschluss, dass keine Verpflichtung besteht, bestimmte Finanzierungsformen zu wählen. Damit steht beispielsweise auch die Frage nach dem Verschuldungsgrad grundsätzlich im Ermessen des Geschäftsführers und/oder des Gesellschafters. – Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit zwischen international verbundenen Unternehmen Einflussnahmemöglichkeiten mit sich bringt, die es zwischen unabhängigen Unternehmen nicht gibt. Damit ist zwischen schuldrechtlichen Vereinbarungen und gesellschaftsrechtlich veranlassten Transaktionen zu unterscheiden. Es ist also eine Frage der steuerrechtlichen Wertung, ob von einer „Geschäftsbeziehung“ oder von einer Maßnahme auszugehen ist, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist (Rz. 6.426 f., 2.92 ff.). Verlautbarungen der OECD und der Finanzverwaltung. In der Vergangenheit wurden Finanztransaktionen trotz ihrer erheblichen Bedeutung vergleichsweise zurückhaltend durch die Finanzverwaltung,1 durch die OECD hingegen nahezu gar nicht kommentiert.2 Dies hat sich auf OECD-Ebene durch Einführung des gänzlich neuen Kap. X der OECD-Leitlinien ge-
1 Die wesentlichen Äußerungen der Finanzverwaltung waren in den inzwischen aufgehobenen VWG 1983, vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Rz. 4 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021), enthalten. 2 Vgl. hierzu allein die knappen Hinweise in Kap. VII zu konzerninternen Dienstleistungen. Der überaus praxisrelevante Bereich der Bestimmung von angemessenen Zinssätzen wurde von der OECD bislang nicht behandelt.
Ditz/Engelen | 677
6.425
Kap. 6 Rz. 6.425 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
ändert.1 So nimmt die OECD nun ausführlich zu diversen Fragen der gruppeninternen Finanztransaktionen, insbesondere der Anerkennung dem Grunde nach, der Zinsbestimmung, dem Cash Pooling, der Berücksichtigung von Finanzgarantien und der Behandlung von Eigenversicherern („Captive Insurance“) Stellung. Mit Veröffentlichung der VWG VP 2021 vom 14.7.2021 hat auch die Finanzverwaltung ihre diesbezügliche Auffassung grundlegend neu gefasst. Neben der Anerkennung von Finanztransaktionen dem Grunde nach befasst sich die Finanzverwaltung insbesondere mit der Vergütung für eine erhöhte Kreditwürdigkeit, dem Cash Pooling, sonstigen Finanztransaktionen und Eigenversicherern.
II. Verrechnung von Finanztransaktionen dem Grunde nach 1. Notwendigkeit einer schuldrechtlichen Leistungsbeziehung 6.426
Voraussetzung der Verrechnung dem Grunde nach. Bevor die Angemessenheit des Verrechnungspreises einer Finanztransaktion der Höhe nach geprüft werden kann, ist zunächst zu untersuchen, ob eine dem Grunde nach verrechenbare, schuldrechtliche Leistungsbeziehung zwischen den international verbundenen Unternehmen vorliegt oder ob die Finanztransaktion vielmehr der gesellschaftsrechtlichen Ebene zuzuordnen und somit zwischen den verbundenen Unternehmen (z.B. Mutter- und Tochtergesellschaft) nicht verrechenbar ist.2 Die Abgrenzungsfrage ist unter Veranlassungsgesichtspunkten zu beantworten. Dabei darf die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis nicht als ein aliud gegenüber einer betrieblichen Veranlassung verstanden werden. Die betriebliche Veranlassung (von Aufwendungen) stellt auf die Frage ab, ob Aufwendungen objektiv mit dem Betrieb zusammenhängen und subjektiv dem Betrieb zu dienen bestimmt sind.3 Demgegenüber ist von einer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis auszugehen, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung gegenüber einer Person, die nicht Gesellschafter ist, unter sonst gleichen Umständen nicht hingenommen hätte.4 Ausgehend von der Vorstellung, dass Rechtsträger i.S.d. § 8 Abs. 2 KStG keine Privatsphäre haben, steht die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis damit neben der betrieblichen Veranlassung. Letztlich kommt es darauf an, bei welcher Veranlassung das Schwergewicht liegt.
6.427
Erfordernis einer Geschäftsbeziehung. Die Korrektur einer Finanztransaktion nach § 1 Abs. 1 AStG setzt voraus, dass eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG vorliegt. Zu den diesbezüglichen Voraussetzungen vgl. Rz. 2.92 ff.
6.428
Verwaltungsauffassung. Die Finanzverwaltung hat mit den VWG VP 2021 ihre Grundsätze für die internationale Einkunftsabgrenzung nach dem Maßstab des Fremdvergleichs neu gefasst.5 Die Prüfung der Einkunftsabgrenzung von Finanzierungsbeziehungen – und damit auch die Verrechnung dem Grunde nach – soll sich demnach an den Grundsätzen des Kapi1 Die entsprechenden OECD-Empfehlungen wurden am 11.2.2020 als Transfer Pricing Guidance on Financial Transactions: Inclusive Framework on BEPS: Actions 4, 8-10 veröffentlicht, vgl. https://www.oecd.org/tax/beps/oecd-releases-transfer-pricing-guidance-on-financial-transactions. htm, und haben inzwischen als Kapitel X Eingang in die OECD-Leitlinien 2022 gefunden. 2 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 114. 3 Vgl. nur Drüen in Brandis/Heuermann, 159. EL Oktober 2021, § 4 EStG Rz. 556 m.V.a. BFH v. 21.11.1983 – GrS 2/82, BStBl. II 1984, 160. 4 Vgl. Micker in BeckOK KStG, Stand 1.3.2021, § 8 KStG Rz. 280 m.V.a. BFH v. 11.2.1987 – I R 177/83, BStBl. II 1987, 461. 5 Vgl. Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017:001, BStBl. I 2021, 1098 (VWG VP 2021).
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E. Finanztransaktionen | Rz. 6.431 Kap. 6
tel X der OECD-Leitlinien 2022 orientieren.1 Demnach erfordert die Prüfung, ob ein vermeintliches Darlehen tatsächlich als Darlehen zu betrachten ist, eine Analyse unter Berücksichtigung der kaufmännischen und finanziellen Beziehungen sowie der wirtschaftlich relevanten Merkmale.2
2. Voraussetzungen „steuerrechtlichen“ Fremdkapitals Wirtschaftliche Notwendigkeit. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist bei Finanztransaktion zunächst (dem Grunde nach) zu prüfen, ob es sich „steuerrechtlich um Fremdkapital“3 oder um Eigenkapital handelt. Nur bei steuerrechtlichem Fremdkapital können auch die diesbezüglichen Zinszahlungen als fremdüblich anerkannt werden. Konkret soll demnach erforderlich sein, dass die Finanzierung auch wirtschaftlich benötigt worden ist.4 Dies setzt wohl eine Prüfung aus Sicht des Zeitpunkts der Darlehensaufnahme bzw. -vergabe voraus. So würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter kein Fremdkapital am Markt aufnehmen, wenn damit nicht wenigstens eine begründete Aussicht auf eine Rendite besteht, die die Finanzierungskosten deckt. Ferner wird verlangt, dass die Verwendung des Fremdkapitals im Einklang mit dem Unternehmenszweck stehen soll. Damit will die Finanzverwaltung folglich die Mittelverwendung bzw. die (erwartete) Profitabilität der Mittelverwendung zum Maßstab für die Anerkennung eines Darlehens dem Grunde nach machen. Die Anlage auf Tagesgeldkonten oder Cash Pools soll demgegenüber regelmäßig wohl nicht dem Unternehmenszweck entsprechen.
6.429
Keine gesetzliche Grundlage. Wenngleich auch Tz. 10.13 OECD-Leitlinien 2022 eine Prüfung der Schuldenaufnahmefähigkeit vorsieht,5 ist diese neue Position der Finanzverwaltung überschießend und entbehrt einer gesetzlichen Grundlage. Die Ausführungen in Rz. 3.91 VWG VP 2021 erinnern an die durch den Referentenentwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes v. 10.12.2019 vorgesehenen, aber letztlich im ATADUmsG v. 25.6.20216 nicht umgesetzten Zinsabzugsbeschränkung gem. § 1a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG-E. Danach sollten (Zins-)Aufwendungen korrigiert werden, wenn der Steuerpflichtige nicht glaubhaft machen kann, dass (1) er den Kapitaldienst (Zins und Tilgung) für die die gesamte Laufzeit der Finanzierungsbeziehung von Anfang an hätte erbringen können, sowie (2) die Finanzierung wirtschaftlich benötigt und für den Unternehmenszweck verwendet wird.7
6.430
Keine Anerkennung der tatsächlich vereinbarten und durchgeführten Geschäftsbeziehung. Das Besondere der neuen Rz. 3.91 VWG VP ist, dass die Finanzverwaltung bei fehlender wirtschaftlicher Notwendigkeit der Finanzierung eine Korrektur der entsprechenden Zinszahlungen „dem Grund nach“ vorsieht. Es geht damit nicht um die eigentlich dem § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG immanente Korrektur von Verrechnungspreisen „der Höhe nach“. Hier stellt sich die
6.431
1 2 3 4 5
Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.88. Vgl. Tz. 10.4 ff. OECD-Leitlinien 2022. VWG VP 2021, Rz. 3.90. VWG VP 2021, Rz. 3.91. In einem Beispiel beschreibt die OECD ein mittelempfangendes Konzernunternehmen, dessen Finanzprognosen eine Bedienung der Schuld unmöglich erscheinen lassen, sodass es zu einer Umqualifizierung von Fremd- in Eigenkapital kommen soll. 6 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 7 Vgl. zu Einzelheiten Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73 (75 f.); Ditz/Engelen, Wpg 2022, 232; Schaden/Käshammer, IStR 2022, 1 (2).
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Kap. 6 Rz. 6.431 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Frage, ob dies mit Art. 9 Abs. 1 OECD-MA vereinbar ist. Der BFH hat dies – zumindest in seiner Rechtsprechung zur Korrektur von Teilwertabschreibungen von Forderungen aus Gesellschafterdarlehen gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG – bejaht.1 Darüber hinaus verstößt die Nichtanerkennung der Fremdfinanzierung dem Grunde nach gegen den auch von der OECD explizit anerkannten Grundsatz der Anerkennung der tatsächlich vereinbarten und durchgeführten Geschäftsbeziehung.2 Dies ist nicht sachgerecht, da mit der Zinsschranke gem. § 4h EStG (i.V.m. § 8a KStG) bereits eine eigene Zinsabzugsbeschränkung bei einer „Überfinanzierung“ mit Fremdkapital vorliegt. Darüber hinaus greift die Finanzverwaltung in die vom BFH bestätigte Finanzierungsfreiheit eines Unternehmens ein,3 wonach es dem Gesellschafter freisteht, seine Gesellschaft mit Eigen- oder Fremdkapital auszustatten.4 Ferner stellt sich auch die Frage, wie die wirtschaftliche Notwendigkeit eines Darlehens durch den Steuerpflichtigen dokumentiert werden kann. Konkret sollten für die wirtschaftliche Notwendigkeit eine veranlagungszeitraumübergreifende Sicht sowie eine Orientierung an den (möglicherweise nicht realisierten) Absichten des Steuerpflichtigen maßgeblich sein. Auch die Frage nach der die Finanzierungskosten deckenden Rendite sollte sich jedenfalls auf einen mittel- bis langfristigen Planungszeitraum beziehen. Eine tatsächlich gegenüber den Planungen abweichende Entwicklung muss unschädlich sein. Schließlich darf die Orientierung am Unternehmenszweck nicht etwa auf einen in der Satzung definierten Geschäftszweck beschränkt werden, sondern muss auch angrenzende, unterstützende oder aus der Tätigkeit des Steuerpflichtigen folgende Zwecksetzungen gelten lassen.
6.432
Dokumentation erforderlich. Gleichwohl stellt sich aus Sicht des Steuerpflichtigen die Herausforderung, den überschießenden Anforderungen der Finanzverwaltung durch eine entsprechende vorausschauende Dokumentation nachzukommen. Soweit daher keine betriebliche Notwendigkeit besteht, einem Unternehmen Fremdkapital zuzuführen, da es selbst über ausreichend Zahlungsüberschüsse verfügt, kann der Abzug von Zinsen als Betriebsausgaben in Zweifel gezogen werden. Denn insofern ist fraglich, ob die entsprechenden Zinsaufwendungen tatsächlich auf Ebene der Kapitalgesellschaft betrieblich veranlasst sind (§ 4 Abs. 4 EStG) oder ob eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung besteht. Denn es ist zweifelhaft, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter der Kapitalgesellschaft Fremdkapital aufnehmen würde, wenn dafür keine konkrete betriebliche Notwendigkeit besteht und insbesondere ausreichend Eigenkapital zur Verfügung steht. Beispiel: Die in den USA ansässige M Corporation hat eine 100%ige Tochtergesellschaft in Irland, die als Prinzipal für den europäischen Markt verantwortlich ist (Principal Ltd., Irland). Darüber hinaus hält die M Corporation 100 % der in Deutschland ansässigen Produktion GmbH. Die Produktion GmbH ist sehr profitabel. Die Principal Ltd. hat ihr ein Darlehen über 100 Mio. € zu einem Zinssatz von 6,5 % ausgereicht. Das Darlehen ist nicht besichert. Das aus dem Darlehen resultierende Kapital wird in den Jahren 2019 bis 2020 operativ nicht benötigt. Allerdings kann die Geschäftsführung der Produktion GmbH nachweisen, dass seit 2015 im deutschen Markt ein Akquisitionstarget gesucht wurde. Dieses wurde indessen nie gefunden. In der im Jahr 2020 beginnenden Corona-Krise dient das Darlehen als Liquiditätsreserve der Produktion GmbH. Mit der (lose) geplanten Akquisition sowie dem Umstand, dass das Kapital aus dem Darlehen als Liquiditätsreserve im Rahmen der Corona-Krise benötigt wurde, wird die wirtschaftliche Notwendigkeit des von der Principal Ltd. gewährten Darlehens dokumentiert.
1 Vgl. nur BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, Rz. 19 ff. Zu einem Überblick über die Rechtsprechung vgl. (Rz. 2.182 ff.). 2 Vgl. Tz. 1.119 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. BFH v. 8.12.1997 – GrS 1-2/95, BStBl. II 1998, 193; BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532. 4 Vgl. auch Roglmeier, IStR 2018, 675 (676).
680 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.434 Kap. 6
Abgrenzung nach Empfehlung der OECD. Die Anforderungen der Finanzverwaltung an die Anerkennung steuerrechtlichen Fremdkapitals sind durch die Empfehlungen der OECD nicht gedeckt. Demnach sollen im Rahmen der Analyse zu dem Zweck einer sachgerechten Abgrenzung einer Mittelausreichung insbesondere die nachfolgenden Merkmale von Bedeutung sein:
6.433
– Das Vorliegen bzw. Fehlen eines festen Rückzahlungstermins; – die Verpflichtung, Zinsen zu zahlen; – das Recht, Zins- und Tilgungszahlungen durchzusetzen; – der Status des Mittelgebers im Vergleich zu regulären Unternehmensgläubigern; – das Vorliegen finanzieller Covenants und Sicherheiten; – die Quelle der Zinszahlungen; – die Fähigkeit des Mittelempfängers, Darlehen bei konzernfremden Kreditinstituten aufzunehmen; – der Umfang, in dem die erhaltenen Mittel für den Erwerb von Anlagegütern genutzt werden; – sowie ein etwaiges Versäumnis des vermeintlichen Darlehensnehmers, das Darlehen zum Fälligkeitstermin zurückzuzahlen oder sich um einen Aufschub zu bemühen.1 Das Vorliegend der vorstehend genannten Kriterien indiziert hierbei, dass es sich (in voller Höhe) um Darlehen handelt, das steuerrechtlich entsprechend anzuerkennen ist. Gleichwohl lässt sich nicht der Umkehrschluss ziehen, dass bei Nichtvorliegen einzelner, ggf. sogar aller Kriterien ein Darlehen zwangsläufig (in voller Höhe) zu Eigenkapital umzuqualifizieren ist.2 Denn auch zwischen fremden Dritten werden Darlehensvereinbarungen abgeschlossen, die den vorstehenden Kriterien nicht genügen. Wirtschaftlich relevante Merkmale einer Finanztransaktion. Ferner sind nach Auffassung der OECD sowohl ein etwaiger Branchenusus als auch die wirtschaftlich relevanten Merkmale des Geschäftsvorfalls, d. h. die kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen, zu berücksichtigen. Dies schließt die Analyse der realistischerweise zur Verfügung stehenden Optionen ein.3 Konkret sind die vertraglichen Bedingungen sowie ggf. andere Dokumente und das tatsächliche Verhalten der Beteiligten in der Analyse einer Finanztransaktion einzubeziehen. Ferner ist eine Funktionsanalyse durchzuführen und darüber hinaus die wirtschaftlichen Verhältnisse und Geschäftsstrategien zu untersuchen.4 Auch die Merkmale des jeweiligen Finanzinstruments sind darzulegen. Diese betreffen bei einem Darlehen typischerweise:5 – Darlehensbetrag; – Laufzeit; – Tilgungsplan (z.B. in Annuitäten, endfällige Tilgung oder individueller Tilgungsmöglichkeiten);
1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 10.12 OECD-Leitlinien 2022. Siehe auch Roglmeier, IStR 2018, 675 (678). Vgl. Andresen, IStR 2020, 442 (447). Vgl. Tz. 10.15 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 10.22 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. auch Andresen, IStR 2020, 442 (448).
Ditz/Engelen | 681
6.434
Kap. 6 Rz. 6.434 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– Art und Zweck des Darlehens (z.B. Handelskredit, Fusion/Übernahme, Hypothek); – Vor- oder Nachrangigkeit des Darlehens; – Ansässigkeitsstaat des Darlehensnehmers; – Darlehenswährung; – Gestellung von Sicherheiten; – Existenz und Qualität einer Garantie; – Art des Zinssatzes (fest oder variabel).
6.435
Sachgerechte Abgrenzungskriterien. Die Empfehlungen der OECD mögen zwar in Teilen sperrig und umständlich scheinen, sind aber im Kern sachgerecht. So muss es bei der Prüfung „dem Grunde nach“ zunächst darauf ankommen, eine Transaktion in ihren wesentlichen Kriterien zu analysieren. Hierbei sollte – insbesondere bei Finanztransaktionen – der vertraglichen Vereinbarung eine tragende Rolle zukommen, wenn auch andere Aspekte ebenfalls ins Gewicht fallen können. Eine (zins- und damit betriebsausgabenrelevante) Darlehensgewährung sollte regelmäßig vorliegen, wenn ein Darlehensvertrag abgeschlossen wurde, in welchem die üblichen Abreden (z.B. Darlehensbetrag und Währung, Verzinsung, Laufzeit, geltendes Recht) enthalten sind. Die steuerliche Anerkennung eines Darlehensverhältnisses kann allerdings nicht daran scheitern, dass ein unvollständiger Darlehensvertrag vorliegt, in welchem einzelne Kriterien des Fremdvergleichs nicht geregelt sind (wie z.B. Verzicht auf die Vereinbarung von Sicherheiten oder detaillierte Regelungen der Tilgung des Darlehens). Auch nach Auffassung des BFH können die einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs, dem die Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen zu unterziehen sind, nicht im Sinne von absoluten Tatbestandsvoraussetzungen verstanden werden. Sie sind vielmehr indiziell zu würdigen, ob sie in ihrer Gesamtschau als Darlehensverhältnis auszulegen sind. Vor diesem Hintergrund kann auch ein unvollständiger Darlehensvertrag zwischen verbundenen Unternehmen nicht zwangsläufig in eine Zuführung von Eigenkapital umgedeutet werden.1 Im Übrigen ist eine Darlehensgewährung auch dann steuerrechtlich anzuerkennen, wenn im Einzelfall aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen die Zuführung von Gesellschaftskapital angezeigt gewesen wäre. Demnach sind auch eigenkapitalersetzende Darlehen sowohl in der Handelsals auch in der Steuerbilanz weiterhin als Fremdkapital zu passivieren und können steuerrechtlich nicht in Eigenkapital umgedeutet werden.2 Die Passivierungspflicht endet auch bei eigenkapitalersetzenden Darlehen erst dann, wenn der Gesellschafter auf das Darlehen verzichtet (Rz. 6.500) hat.3 Auch auf der Grundlage des § 42 AO kommt eine steuerrechtliche Umqualifizierung von eigenkapitalersetzenden Darlehen in Eigenkapital nicht in Betracht.4
6.436
Absicht der Gewährung eines Darlehens. Im Ergebnis kommt es neben den objektiven Gegebenheiten (insbesondere Abschluss eines Darlehensvertrages mit Rückzahlungsvereinbarung) vor allem auf die erkennbare Absicht an, einem verbundenen Unternehmen ein Darlehen zu gewähren und eben nicht (verdeckt) Eigenkapital zuzuführen. Eine solche Absicht kann auch dann gegeben sein, wenn nicht alle Kriterien eines typischen Darlehensvertrages im Einzelnen erfüllt sind. Insbesondere können auch fehlende Vereinbarungen über die Gewährung von Si1 Vgl. nur BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482; Gosch, StBp 1998, 166 f. 2 Vgl. BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = FR 1992, 525. 3 Vgl. dazu insbesondere BMF v. 2.12.2003 – IV A 2 - S 2743 – 5/03, BStBl. I 2003, 648. 4 Vgl. auch BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = FR 1992, 525.
682 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.438 Kap. 6
cherheiten oder Tilgungsmodalitäten nicht zwangsläufig dazu führen, dass eine Finanzierungsmaßnahme als Eigenkapital qualifiziert wird. Vielmehr ist auf Grund aller Indizien des Einzelfalles zu prüfen, ob das Fehlen einzelner Kriterien eines Darlehensverhältnisses einen Rückschluss auf eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis bzw. eine nicht ernstlich vereinbarte Darlehensgewährung zulässt.
3. Bedeutung von Sicherheiten bei gruppeninternen Finanztransaktionen Besicherung als Normalfall. Der BFH hat in seiner Rechtsprechung der jüngeren Vergangenheit den Eindruck erweckt, bei konzerninternen Darlehen stelle eine Nichtbesicherung bzw. eine nicht ausreichende Besicherung eine grundsätzlich fremdvergleichswidrige Bedingung dar.1 Wohl gestützt auf diese Rechtsprechung soll nach Auffassung der Finanzverwaltung bei gruppeninternen Darlehen eine Besicherung grundsätzlich fremdüblich sein.2 Eine Nichtbesicherung soll nur in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls fremdüblich sein. Konkret benannt werden in diesem Zusammenhang die nachfolgenden zu berücksichtigenden Aspekte:
6.437
– Verhalten der Unternehmensgruppe gegenüber fremden Dritten; – Wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit, d.h. Besicherung mit dem Ziel der Vereinbarung eines niedrigeren Zinssatzes; – Realistisch zur Verfügung stehende Handlungsalternativen (Sicherheit wird anderweitig benötigt und steht folglich konzernintern nicht zur Verfügung); – Vorhandensein ausreichende Vermögenswerte, was für die Erwartung einer Befriedigung der Ansprüche sprechen soll; – Darlehenssumme (bei vergleichsweise geringen Summen soll nach Auffassung des BMF eine Besicherung offenbar verzichtbar sein); – Geschäftsstrategie des Darlehensgebers (grundsätzliche Risikofreude des Darlehensgebers in seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit). M.a.W. definiert das BMF eine Besicherung als „Normalfall“. Hiervon kann zwar unter dem Gesichtspunkt des Fremdvergleichsgrundsatzes abgewichen werden; dies erfordert nach Auffassung des BMF aber offenbar besondere Umstände, die durch den Steuerpflichtigen zu dokumentieren sind. Auch unbesicherte Darlehen anzuerkennen. Dieser Auffassung ist klar zu widersprechen. Fremde Dritte vereinbaren sowohl unbesicherte und/oder nachrangige wie auch besicherte und erstrangige Darlehen. Damit steckt der Fremdvergleichsgrundsatz insoweit denkbar weite Grenzen. Folglich muss es auch dem Steuerpflichtigen freistehen, konzerninterne Darlehen mit oder ohne Besicherung, erstrangig oder nachrangig zu vergeben. Dies ergibt sich auch aus dem Grundsatz der Finanzierungsfreiheit.3 Sollte das BMF insoweit eine „Nachweispflicht“ 1 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443; BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; BFH v. 19.6.2019 – I R 5/17, BFH/ NV 2020, 183; BFH v. 19.6.2019 – I R 54/17, IStR 2020, 230; BFH v. 19.6.2019 – I R 32/17, BFH/ NV 2020, 255; BFH v. 14.8.2019 – I R 34/18, BFH/NV 2020, 757; BFH v. 14.8.2019 – I R 21/18, BFH/NV 2020, 759; BFH v. 14.8.2019 – I R 14/18, BFH/NV 2020, 755; BFH v. 18.12.2019 – I R 72/17, BFH/NV 2020, 1049. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.95. 3 Vgl. nur BFH v. 8.12.1997 – GrS 1-2/95, BStBl. II 1998, 193.
Ditz/Engelen | 683
6.438
Kap. 6 Rz. 6.438 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
des Steuerpflichtigen kodifizieren wollen, wonach ein Abweichen vom vermeintlichen „Normalfall“ besicherter Darlehen zu begründen ist, ist auch dem zu widersprechen. Ausgehend von der Dispositionsfreiheit des Steuerpflichtigen in der Frage, wie er eine gruppeninterne Darlehensvergabe ausgestaltet, ist allein die tatsächlich vereinbarte Geschäftsbeziehung zu dokumentieren. Es ist nicht ersichtlich, woraus sich eine Pflicht ergeben sollte, bei Vergabe eines gruppeninternen unbesicherten Darlehens bspw. nachzuweisen, dass dies auch gegenüber fremden Dritten entsprechend gehandhabt wird oder, warum etwa Sicherheiten nicht zur Verfügung standen. Schließlich ist die Auffassung des BMF auch nicht durch die jüngste höchstrichterliche Rechtsprechung gedeckt. So hat der BFH mit Urteil vom 18.5.2021 ausdrücklich festgestellt, „dass es einen Markt für nachrangige Kredite“ gibt, der „den zutreffenden Maßstab für einen etwaigen externen Preisvergleich“ hergibt.1 Folglich hält der BFH – auch ohne, dass im jeweiligen Einzelfall „Sonderaspekte“ gegeben und nachweisen werden – die Vereinbarung eines nachrangigen Darlehens zwischen nahe stehenden Personen für fremdüblich. Die Gewährung von Sicherheiten kann daher keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Darlehensverhältnisses zwischen verbundenen Unternehmen sein.
4. Formale Anforderungen an die Vereinbarung gruppeninterner Finanztransaktionen 6.439
Schriftliche Vereinbarung im Vorhinein. Der BFH2 und wohl auch die Finanzverwaltung3 verlangen für die Anerkennung des Betriebsausgabenabzugs für Zinsen im Rahmen der Gewährung von Darlehen oder sonstigem Fremdkapital das Vorliegen von im Vorhinein getroffenen klaren und eindeutigen Vereinbarungen. Dies gilt nicht nur für Darlehensverträge zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft, sondern allgemein für die Darlehensgewährung zwischen verbundenen Unternehmen. Selbst wenn hierzu grundsätzlich keine zivilrechtliche Verpflichtung besteht, sollte nicht zuletzt zur Erfüllung der erweiterten Mitwirkungspflichten des § 90 Abs. 2 AO und der Dokumentationspflichten des § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV ein schriftlicher Darlehensvertrag abgeschlossen werden. In Abkommensfällen ist allerdings die Rspr. der Finanzgerichte zu beachten.4 Danach entfaltet Art. 9 Abs. 1 OECD-MA (präziser: die Art. 9 OECD-MA nachgebildete, einschlägige Abkommensnorm) in den Fällen eine Sperrwirkung gegenüber § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, in denen eine Einkünftekorrektur auf rein formale Beanstandungen gestützt wird.5 Wurde vor diesem Hintergrund – auch ohne schriftlichen Darlehensvertrag – Fremdkapital gewährt, dieses fremdüblich abgerechnet und auch als solches handels- und steuerbilanziell zutreffend ausgewiesen, steht einer Einkünftekorrektur aus rein formalen Gesichtspunkten Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entgegen.6
1 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger, hier unter II. 3. b) m.V.a. Gosch, KStG4, § 8 Rz. 693a; Bärsch/Engelen, IStR 2018, 122. 2 Vgl. etwa BFH v. 3.11.1976 – I R 98/75, BStBl. II 1977, 172. 3 Auch wenn weder die VWG VP 2021, noch die VWG 2020, die formalen Voraussetzungen für eine Anerkennung von Betriebsausgaben zwischen beherrschendem Gesellschafter und Gesellschaft vorgeben, ist davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung hieran unverändert festhält. Vgl. Noch BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218, Rz. 1.4.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, ISR 2013, 54 m. Anm. Ditz; FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161; FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190. 5 Zu Einzelheiten vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 25 ff. 6 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 98.
684 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.443 Kap. 6
Keine schriftliche Vereinbarung bei Einklang mit dem Verhalten fremder Dritter. Eine Ausnahme von der allgemeinen Anforderung nach einer schriftlichen Darlehensvereinbarung im Vorhinein sollte für solche Finanztransaktionen gelten, bei denen auch fremde Dritte auf eine solche verzichten. Dies gilt jedenfalls für (ggf. für eine gewisse Zeit „stehen gelassene“) Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Vielmehr gelten die gleichen formalen Anforderungen wie bei Geschäften zwischen unabhängigen Dritten, d.h. die Angabe eines Zahlungsziels auf der Ausgangsrechnung (oder vergleichbaren Dokumenten) ist völlig ausreichend.
6.440
III. Ermittlung fremdüblicher Zinssätze 1. Maßgebende Verhältnisse Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Hat die Verrechnung von Finanztransaktionen dem Grunde nach zu erfolgen, d.h. erfolgt die Gewährung von Darlehen oder Krediten auf schuldrechtlicher und nicht gesellschaftsrechtlicher Ebene, ist in einem nächsten Schritt ein angemessener Zinssatz für die Gewährung des Darlehens oder Kredites zu ermitteln. Als Prüfungsmaßstab ist in diesem Zusammenhang der Grundsatz des Fremdvergleichs heranzuziehen. Dabei kommen zur Ermittlung fremdüblicher Zinssätze in der Verrechnungspreispraxis i.d.R. die Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff.), daneben aber auch die Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) oder die sog. „ökonomische Modellierung“ als Ausprägung des hypothetischen Fremdvergleichs (Rz. 5.26 f.) zur Anwendung.
6.441
Verhältnisse im Zeitpunkt der Kreditgewährung. Im Rahmen der Ermittlung fremdüblicher Zinssätze für die Gewährung von Darlehen oder Krediten stellt sich die Frage, welcher Zeitpunkt heranzuziehen ist. Nach dem Grundsatz der Ex-ante-Betrachtung ist regelmäßig von den Verhältnissen im Zeitpunkt der Darlehens- oder Kreditgewährung, d.h. des Vertragsabschlusses auszugehen. Hierbei sind alle (relevanten) in diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen zu berücksichtigen.1 Infolgedessen kann die Finanzverwaltung nicht im Rahmen einer (nachgelagerten) Betriebsprüfung auf Grund neuerer Erkenntnisse im Rahmen einer Expost-Betrachtung von anderen Verhältnissen am Kapitalmarkt ausgehen und darauf aufbauend Zinskorrekturen durchführen. Gleichwohl können auch nach Vertragsabschluss (z.B. im Rahmen einer Datenbankstudie) Vergleichswerte herangezogen werden, sofern diese auf Informationen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses basieren.2
6.442
Berücksichtigung von Kündigungs- und Änderungsoptionen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter i.Z.m. einem Vertragsabschluss – gerade bei längerfristigen Vereinbarungen – grundsätzlich etwaige Kündigungsund Änderungsoptionen eruieren.3 Dies darf allerdings nicht so verstanden werden, dass die Finanzverwaltung prinzipiell (Preis-)Anpassungsklauseln für längerfristige Darlehen fordern darf. Entsprechende vertragliche Regelungen sind folglich nicht zwingend. Denn auch am Ka-
6.443
1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.38 m.V.a. BFH v. 9.3.1983 – I R 182/78, BStBl. II 1983, 744. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.38. Vgl. auch das durch BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger aufgehobene Urteil des FG Köln (Urt. v. 29.6.2017 – 10 K 771/16, EFG 2017, 1812), wonach „ein im Nachhinein gefertigtes Gutachten nicht die Fremdüblichkeit des Zinssatzes beweisen“ können soll. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.39. Vgl. auch die inzwischen überholten VWG v. 23.2.1983 (BStBl. I 1983, 218, Rz. 4.2.5.) wonach zu prüfen war, ob bei mittel- oder langfristigen Krediten Schwankungen im Zinsniveau in der unter Fremden üblichen Weise Rechnung getragen ist (z.B. durch Kündigungs- oder Zinsanpassungsklauseln).
Ditz/Engelen | 685
Kap. 6 Rz. 6.443 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
pitalmarkt werden mittel- und langfristige Darlehen zu variablen oder festen Zinssätzen angeboten, wobei bei festen Zinssätzen von den Banken üblicherweise ein Aufgeld für entsprechende Zinsänderungsrisiken verlangt wird.
2. Verrechnungspreismethoden 6.444
Überholte Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung war in Anwendung der Preisvergleichsmethode „Fremdpreis der Zins, zu dem Fremde unter vergleichbaren Bedingungen den Kredit am Geld- oder Kapitalmarkt gewährt hätten.“ Dabei sei „von den Zinssätzen auszugehen, zu denen Banken unter vergleichbaren Verhältnissen Kredite gewähren (Sollzins).“1 Diese Regelung verkennt, dass die Bankfinanzierung einerseits und die Konzernfinanzierung andererseits unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen.2 Verbundene Unternehmen handeln nicht als Banken und sind daher auch nicht gehalten, den bankspezifischen Geschäftserfolg anzustreben. Während Banken das Ziel verfolgen, aus der gewerblichen Geldanlage einen Gewinn zu erwirtschaften, hat die Konzernfinanzierung die Absicht, Liquidität im Konzern aufzunehmen und weiterzuleiten, damit die einzelnen Konzerngesellschaften ihre eigene unternehmerische Zielsetzung im Interesse der gesamten Unternehmensgruppe verfolgen können.3 Bei Darlehensgewährungen im internationalen Konzern steht somit nicht der Geldanlagecharakter, sondern die Investitionsentscheidung im Vordergrund. Darüber hinaus unterliegen Banken regulatorischen Pflichten (z.B. Mindestreserve, KWG, Basel II), welche im Konzern keine Rolle spielen. Die Zinskonditionen von Banken können daher nicht alleine als Angemessenheitskriterium für Finanzierungskonditionen im internationalen Konzern herangezogen werden; vielmehr dienen sie lediglich als Anhaltspunkt für die Angemessenheit eines Zinssatzes.4
6.445
Überholte Finanzrechtsprechung. Mit Urteilen vom 7.12.20165 und vom 29.6.20176 hatte die finanzgerichtliche Rechtsprechung nahezu unerfüllbar hohe Anforderungen an die Anwendung der Preisvergleichsmethode gestellt und zugleich eine deutliche Präferenz für die Kostenaufschlagsmethode erkennen lassen. Diese Urteile sind inzwischen durch den BFH aufgehoben worden, der sich zugleich für die Preisvergleichsmethode als präferierte Regelmethode für die Bestimmung fremdüblicher Zinsen ausgesprochen hat.7 FG Münster vom 7.12.2016. Das FG Münster hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem eine niederländische Finanzierungsgesellschaft ihrer deutschen Schwestergesellschaft fortlaufend Darlehen ausgereicht hatte. Die Zinssätze waren jeweils anhand des relevanten Euribor für fünfjährige Ausleihungen zzgl. einer Marge i.H.v. 1,25 % für die Abdeckung von Kosten und Risiken bestimmt worden. Im Rahmen der Betriebsprüfung hatte die deutsche Finanzverwaltung den Betriebsausgabenabzug für die entsprechenden Zinsaufwendungen z.T. verwehrt 1 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 4.2.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 So auch BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger. 3 Vgl. auch Becker in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 4.2.1. VWG. 4 Gl.A. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 1179. 5 FG Münster v. 7.12.2016 – 13 K 4037/13, K, F, EFG 2017, 334, aufgehoben mit Urteil des BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 6 FG Köln v. 29.6.2017 – 10 K 771/16, EFG 2017, 1812, aufgehoben mit Urteil des BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger. 7 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch; BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger.
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E. Finanztransaktionen | Rz. 6.446 Kap. 6
und entsprechend verdeckte Gewinnausschüttungen erkannt. Dem hatte sich das FG Münster im Kern mit folgenden Begründungen angeschlossen:1 – Die Anwendung der Preisvergleichsmethode setze voraus, dass der zu beurteilende Preis und der als Maßstab anzulegende Fremdvergleichspreis auf zumindest im Wesentlichen identischen Leistungsbeziehungen beruhen. Vorliegend sei die Preisvergleichsmethode nicht anwendbar, weil ein interner Preisvergleich nicht möglich sei, da die gemeinsame Muttergesellschaft für die entsprechenden Darlehen gebürgt habe. Ein externer Preisvergleich sei nicht möglich, da die jeweils zugrunde liegenden Leistungsbeziehungen und Bedingungen nicht vergleichbar seien. – Die Kostenaufschlagsmethode sei vorliegend die geeignetste und anwendbare Methode. Dieses Urteil ist im Schrifttum grundsätzlich abgelehnt und umfassend kritisiert worden.2 Die Kritik adressiert insbesondere die – nach Auffassung des FG Münster – nahezu unerfüllbaren Anforderungen an die Anwendung der Preisvergleichsmethode, das Abstellen auf ein Konzernrating und die Ablehnung von Rating-Tools sowie die fragwürdige Anwendung der Kostenaufschlagsmethode durch die Betriebsprüfung und in der Folge das FG Münster. FG Köln vom 29.6.2017. In dem vor dem FG Köln3 verhandelten Fall ging es um eine u.a. durch Gesellschafterdarlehen finanzierte Akquisition. Konkret hatte die Klägerin neben diesem Gesellschafterdarlehen auch ein Bankdarlehen sowie ein Darlehen vom Verkäufer der akquirierten Gesellschaft aufgenommen. Auch hier hatte das FG Köln zweifelhafte Ausführungen zur Anwendung bzw. Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode gemacht. U.a. hatte das Finanzgericht die Verwendung des – in seinen wesentlichen Bedingungen vergleichbaren – Darlehens des Verkäufers im Rahmen des internen Preisvergleichs abgelehnt. Stattdessen – so das Finanzgericht – sei das im Gegensatz zum Gesellschafterdarlehen besicherte und auch in seinen übrigen Bedingungen nicht vergleichbare Bankdarlehen als Vergleichswert heranzuziehen. Ferner hatte das Finanzgericht im Ergebnis der (nachträglichen) Erstellung von Datenbankstudien eine Absage erteilt. Auch dieses Urteil ist im Schrifttum umfassend kritisiert worden.4 Zinsurteile des BFH vom 18.5.2021. Mit Urteilen vom 18.5.20215 hat der BFH die beiden vorgenannten finanzgerichtlichen Urteile aufgehoben und an das jeweilige Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Darin hält der BFH die folgenden für die Zinsbestimmung wesentlichen Punkte fest: – Die Preisvergleichsmethode ist die Grundmethode zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise, diese ist bei Anwendbarkeit mehrerer Verrechnungspreismethoden vorzuziehen und kommt für die Ermittlung fremdüblicher Darlehenszinssätze regelmäßig zur Anwendung.
1 Vgl. nur Ditz/Engelen, Ubg 2017, 440. 2 Vgl. nur Ditz/Engelen, Ubg 2017, 440; Bärsch, IStR 2017, 629; Tenbusch, IStR 2017, 824; Schnorberger/Haverkamp, ISR 2017, 151; Busch/Weynandt/Röckle, IStR 2017, 531. 3 FG Köln v. 29.6.2017 – 10 K 771/16, EFG 2017, 1812. 4 Vgl. nur Ebeling/Grundmann/Nolden, IStR 2018, 581; Bärsch/Engelen, IStR 2018, 122; Kahlenberg, IWB 2018, 600; Scholz/Köhler, DStR 2018, 15. 5 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch und BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger.
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6.446
Kap. 6 Rz. 6.446 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– Die Anwendung der Preisvergleichsmethode setzt grundsätzlich voraus, dass der zu beurteilende Preis einerseits und der als Maßstab anzulegende Vergleichspreis andererseits auf zumindest im Wesentlichen identischen Leistungsbeziehungen beruhen. Gleichwohl sind an die Anwendbarkeit der Preisvergleichsmethode keine unerfüllbaren Anforderungen zu stellen. Insbesondere darf der Preisvergleich nicht nur deswegen abgelehnt werden, weil das Vergleichsobjekt im Gegensatz zur zu prüfenden Darlehensbeziehung vorrangig und/ oder besichert ist. – Der BFH tritt grundsätzlich für die Verwendung eines Stand-alone Ratings ein, da „ein wirtschaftlich vernünftig handelnder, konzernfremder Darlehensgeber grundsätzlich nur diejenigen Aspekte in die Bonitätsbeurteilung seines Vertragspartners einfließen lassen würde, auf die er sich im Krisenfall tatsächlich verlassen könnte. – Die strategische Bedeutung des Darlehensnehmers für den Gesamtkonzern kann sich über die damit verbundene Erhöhung der Kreditwürdigkeit auf die Bonitätsbeurteilung des Darlehensnehmers auswirken. – Die Feststellungslast, dass der vereinbarte Zinssatz nicht fremdüblich ist, trägt die Finanzverwaltung.
6.447
Keine Methodenpräferenz der Finanzverwaltung. Ausweislich der neugefassten VWG VP macht die Finanzverwaltung keine Vorgaben, nach welcher Methode fremdübliche Zinssätze zu bestimmen sind.1 Damit ist der Steuerpflichtige in der Methodenwahl grundsätzlich frei. Durch den grundsätzlichen Verweis auf Kap. X der OECD-Leitlinien 20222 ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Finanzverwaltung insoweit der Auffassung der OECD anschließt. Demnach kommen für die Bestimmung fremdüblicher Zinssätze grundsätzlich nachfolgende Methoden in Frage: – Preisvergleichsmethode, Rz. 5.5 ff.; – Geldbeschaffungskosten („Cost of funds“, d.h. die Kostenaufschlagsmethode Rz. 5.39 ff.); – Ökonomische Modellierung (als Ausprägung des hypothetischen Fremdvergleichs, Rz. 5.26 f.). Darüber hinaus kann für die Bestimmung fremdüblicher Zinsen auch Darlehensgebühren, Credit Default Swaps (bzw. deren Spreads) sowie Bankgutachten bzw. -auskünfte eine Rolle spielen.
6.448
Berücksichtigung von Vergleichswerten. Für die meisten Finanzinstrumente – jedenfalls für Kredite verschiedenster Art – existiert eine Vielzahl von regelmäßig liquiden und unter starkem Wettbewerb stehenden Märkten. Gleichzeitig sind diese Märkte bzw. die dort vereinbarten Preise ebenso wie die zu Grunde liegenden Bedingungen typischerweise gut beobachtbar. So lassen sich beispielsweise für Anleihen verschiedener Volumina, Währungen, Laufzeiten, Rangstufen und Gläubigerbonitäten zu nahezu jedem Zeitpunkt Renditen, d.h. Zinssätze ermitteln. Ferner stellen Anleihen und Darlehen auf Basis empirischer Erkenntnisse starke Substitute dar, so dass eine hinreichende Vergleichbarkeit gegeben ist und Anleihen folglich als externe Vergleichswerte im Rahmen der Preisvergleichsmethode herangezogen werden kön1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.88 ff. Siehe aber Tenbusch, IStR 2017, 824, als Vertreter der Finanzverwaltung, der unter Verweis auf die Abgrenzung von Bankgeschäften und der konzerninternen Vergabe von Darlehen die Anwendung der Preisvergleichsmethode sowie aufgrund deren Einseitigkeit die Kostenaufschlagsmethode grundsätzlich ablehnt. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.88.
688 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.449 Kap. 6
nen.1 Damit scheinen Finanztransaktionen für die Anwendung des externen Preisvergleichs prädestiniert bzw. der externe Preisvergleich hier einfacher als bei anderen Transaktionen anwendbar zu sein.2 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass die OECD die Ableitung fremdüblicher Zinssätze aus unter Bezugnahme auf öffentlich verfügbare Daten bzw. Datenbanken nahelegt.3 Mit Blick auf konzerninterne Darlehen sind üblicherweise die nachfolgenden Bedingungen4 für die Zinsbestimmung relevant: – Bonität bzw. Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers, mglw. ausgedrückt in Form eines Bonitätsratings; dies kann den Effekt der Zugehörigkeit des Darlehensnehmers zu einem Konzern beinhalten (Rz. 6.458 ff.); – Laufzeit; – Währung bzw. Wechselkursrisiken; – Rangstufe, d.h. Vor- bzw. Nachrangigkeit; – Besicherung bzw. Existenz von Sicherheiten oder Garantien; – Darlehenscovenants; – Darlehensvolumen; – Vereinbarung eines festen oder variablen Zinssatzes; – Art des Darlehens und beabsichtigte Mittelverwendung (Darlehenszweck).
Darüber hinaus sind die im Zeitpunkt der Darlehensvergabe maßgebenden Verhältnisse (Rz. 6.442) auf den Kapitalmärkten zu berücksichtigen. Gleichwohl sind an die Vergleichbarkeit der Bedingungen bzw. Verhältnisse keine überzogenen Anforderungen zu stellen. So hält die OECD auch eine Zinsbestimmung „auf Basis der Renditen realistischer Alternativen mit vergleichbaren wirtschaftlichen Merkmalen“ für sachgerecht.5 Dementsprechend können bspw. Anleiheemissionen, Darlehen fremder Dritter, Einlagen, Wandelanleihen, Commercial Paper usw. herangezogen werden. Ggf. kann dies entsprechende Vergleichbarkeitsanpassungen erfordern. Interner Preisvergleich. Neben der Orientierung an zwischen fremden Dritten vereinbarten Zinssätzen kann auch der interne Preisvergleich zur Zinsbestimmung herangezogen werden.6 Dies setzt voraus, dass der Steuerpflichtige (oder eine nahestehende Person) Darlehen von fremden Dritten aufgenommen bzw. an solche ausgereicht hat. Auch hier sind mglw. Anpassungen wegen einer eingeschränkten Vergleichbarkeit vorzunehmen.7 Preisvergleich anhand von Bankauskünften. In der Praxis ist es verbreitet, den (internen) Preisvergleich anhand von Bankauskünften oder -angeboten zu führen, in denen in denen die Banken angeben, zu welchem Zinssatz sie dem betreffenden Unternehmen ein vergleichbares Darlehen gewähren würden (siehe auch Rz. 6.456).8 Diese Vorgehensweise wird durch die OECD grundsätzlich abge1 Vgl. Ebeling/Nolden/Overesch/Pflitsch/Wolff, IStR 2018, 841. Siehe auch BFH v. 18.5.2021 – I R 4/ 17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. A.A. wohl Tenbusch, IStR 2017, 824. 2 Vgl. Tz. 10.90 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 10.91 OECD-Leitlinien 2022. 4 Siehe auch Greil/Wargowske, IStR 2018, 534 (538). 5 Vgl. Tz. 10.93 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 10.94 OECD-Leitlinien 2022. 7 Siehe auch Greil/Schilling, DB 2016, 1961. 8 Vgl. Tz. 10.107 OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Engelen | 689
6.449
Kap. 6 Rz. 6.449 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
lehnt, da die entsprechenden Konditionen nicht auf tatsächlichen Geschäftsvorfällen basieren und mglw. auch kein wirkliches Darlehensangebot darstellen würden.1 Auch die Verrechnungspreispraxis zeigt, dass solche Bankauskünfte oftmals nicht durch die Finanzverwaltung akzeptiert werden.2 Eine grundsätzliche Ablehnung der Nutzung von Bankauskünften ist jedoch nicht sachgerecht. So können Bankauskünfte bspw. die dem Steuerpflichtigen zur Verfügung stehenden (alternativen) Finanzierungsmöglichkeiten dokumentieren.3 Ferner zeigt die praktische Erfahrung, dass die Erstellung von „Gefälligkeitsgutachten“ regelmäßig ausgeschlossen werden kann; entsprechende Angebote sollten damit einen guten Indikator für aktuell gültige Marktkonditionen darstellen.4 Im Ergebnis stellen Bankauskünfte jedenfalls ein Indiz dafür dar, zu welchen Konditionen der Steuerpflichtige sich durch Banken finanzieren könnte, und sollten demnach zum Führen eines Fremdvergleichs nicht generell abgelehnt werden. Dies gilt umso mehr, als der BFH unlängst die Anforderungen an einen (internen) Preisvergleich auf ein realistisches Maß zurückgeführt hat. Sogar denklogisch nicht vollkommen ausgeschlossene interne Preisvergleiche können demnach im Rahmen der Verrechnungspreisbestimmung nutzbar gemacht werden.5
6.450
Orientierung an den Refinanzierungskosten. Fremdübliche Zinssätze können auch basierend auf den Geldbeschaffungskosten bzw. Refinanzierungskosten („Cost of funds“) bestimmt werden. Dabei ist von den Kosten auszugehen, die dem Darlehensgeber bei der Beschaffung der auszureichenden Mittel entstehen. Darüber hinaus sind die Kosten i.Z.m. der Ausreichung des Darlehens, eine Risikoprämie sowie eine Gewinnmarge zu berücksichtigen.6 Hierbei sind regelmäßig allein die Fremdfinanzierungskosten7, u.U. auch nur solche Fremdfinanzierungskosten, die mit der zu bepreisenden Darlehensvergabe in ihren wesentlichen Bedingungen (z.B. Laufzeit, Besicherung) vergleichbar sind, einzubeziehen. Dies läuft auf eine Anwendung der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) hinaus. Die Orientierung an den Refinanzierungskosten ist indes mit verschiedenen Schwächen behaftet. So können die Refinanzierungskosten unterschiedlicher Darlehensgeber aufgrund unterschiedlicher Kostenstrukturen mglw. deutlich voneinander abweichen. Für einen fremder dritten Darlehensnehmer sind die Kostenstrukturen eines Darlehensgebers jedoch prinzipiell unerheblich; er wird sich c.p. für den günstigsten Anbieter entscheiden. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode die dem Darlehensnehmer realistisch zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen zu prüfen und zu dokumentieren.8
6.451
Kostenaufschlagsmethode bei Durchleitungskrediten sachgerecht. Demgegenüber ist die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bei Durchleitungskrediten prinzipiell sachgerecht und mglw. sogar vorzugswürdig. Dies setzt voraus, dass ein Darlehen von fremden Dritten aufgenommen und durch wenigstens einen „Intermediär“ zum letztendlichen Darlehensnehmer weitergereicht wird.9 In solchen Fällen kann das Funktions- und Risikoprofils des Intermediärs vergleichsweise gering ausgeprägt sein. Hier kann es sachgerecht sein, bei Anwen1 Vgl. Tz. 10.108 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Scholz/Wehlke in V/B/B, Verrechnungspreise5, Kap. P Rz. 114; Andresen, IStR 2020, 442 (453). 3 Vgl. Schwarz/Stein/Lupberger, Ubg 2020, 121. 4 Vgl. Busch/Nolden, DB 2018, 2067. 5 Vgl. Andresen, GmbHR 2022, 344 (348). 6 Vgl. Tz. 10.97 ff. OECD-Leitlinien 2022. 7 A.A. wohl Greil/Schilling, DStR 2016, 2352 (2355). 8 Vgl. Tz. 10.99 OECD-Leitlinien 2022. 9 Vgl. Tz. 10.100 OECD-Leitlinien 2022.
690 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.454 Kap. 6
dung der Kostenaufschlagsmethode den Gewinnaufschlag nur auf die eigenen Kosten des Intermediärs, d.h. nicht die Refinanzierungskosten selbst, die 1:1 durchzureichen sind, anzuwenden. Ökonomische Modellierung. Ein in der Praxis weit verbreiteter Ansatz zur Bestimmung fremdüblicher Zinssätze stellt die sog. ökonomische Modellierung dar.1 Hierbei wird die Zinsbestimmung fremder Dritter in der Weise repliziert, dass die wesentlichen zinstreibenden Bausteine identifiziert und hieraus ein Zinssatz errechnet wird. Typischerweise kommen ein risikofreier, währungs- und laufzeitkongruenter Basiszinssatz (z.B. Euribor, Libor), Aufschläge für verschiedene Risikokomponenten (insbesondere das darlehensnehmerspezifische Risiko, das sich aus der Bonität bzw. Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers ergibt; daneben ggf. länder- oder rechtsraumspezifische Risiken) sowie ein Gewinnelement zur Anwendung. Basiszinssätze und Aufschläge für Risikokomponenten lassen sich regelmäßig gut aus öffentlich verfügbaren Daten ableiten oder hinreichend zuverlässig approximieren. Für das Gewinnelement haben sich in der Praxis Aufschläge von zwischen 0,05 % (5 BPS) und 0,50 % (50 BPS) etabliert. Dieser Ansatz läuft auf einen hypothetischen Fremdvergleich hinaus, da der Zinssatz nach betriebswirtschaftlichen Kriterien und „durch Nachdenken“ bestimmt wird. Die ökonomische Modellierung ist damit dem Vorwurf ausgesetzt, dass es sich nicht um einen (grundsätzlich vorrangigen) tatsächlichen Fremdvergleich handelt. Der Ansatz hat gleichwohl insbesondere dann seine Berechtigung, wenn Vergleichswerte nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen sind und Refinanzierungskosten ggf. nicht sinnvoll bestimmt werden können.
6.452
3. Bandbreitenbetrachtung und Perspektive von Darlehensgeber und Darlehensnehmer Bandbreite fremdüblicher Zinssätze. Auch bei der Bestimmung fremdüblicher Zinssätze ist zu berücksichtigen, dass es regelmäßig nicht den einen, „richtigen“ Verrechnungspreis, sondern vielmehr eine Bandbreite gleichermaßen fremdüblicher Zinssätze gibt.2 So entspricht es auch der ausdrücklichen Auffassung der Finanzverwaltung, dass die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes regelmäßig zu einer Bandbreite von Vergleichswerten führt, von denen alle mehr oder minder gleich zuverlässig sind. Hierbei ist – den allgemeinen Grundsätzen (Rz. 3.11 ff.) folgend – dahingehend zu differenzieren, ob die Vergleichswerte vollständig oder lediglich eingeschränkt vergleichbar sind. Sofern keiner dieser Werte einen geringeren Grad an Vergleichbarkeit hat und deshalb auszuschließen ist, ist folglich jeder Wert für einen Vergleich geeignet.3 Damit steht es dem Steuerpflichtigen prinzipiell frei, innerhalb einer Bandbreite von Zinssätzen, denen vergleichbare Bedingungen zu Grunde liegen, einen Wert auszuwählen (Rz. 2.71). Jeder Wert innerhalb der Bandbreite ist dann als fremdüblicher Verrechnungspreis anzuerkennen.
6.453
Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters. Der Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters entsprechend ist neben der Perspektive des Darlehensgebers auch die des Darlehensnehmers zu berücksichtigen. Dies bedeutet aus Sicht des Darlehensgebers konkret, dass die bei einer Alternativanlage verfügbare Verzinsung die Untergrenze dessen darstellt, was er gegenüber dem Darlehensnehmer zu verlangen bereit ist. Umgekehrt stellen die Konditionen alternativer Finanzierungsmöglichkeiten die Obergrenze dessen dar, was der
6.454
1 Vgl. Tz. 10.104 ff. OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 10.91 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. VWG VP, Rz. 3.29.
Ditz/Engelen | 691
Kap. 6 Rz. 6.454 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Darlehensnehmer zu zahlen bereit sein sollte. Hierbei ist indes jeweils zu berücksichtigen, dass die Rahmenbedingungen der in Betracht gezogenen Alternative mit der in Rede stehenden Finanztransaktion vergleichbar und auch realistisch sein müssen.1 So darf etwa der im Rahmen einer kurzfristigen Finanzierung vereinbarte Zinssatz nicht mit dem Argument als fremdvergleichswidrig abgelehnt werden, dass der Darlehensgeber bei einer alternativen, langfristigen Geldanlage einen höheren Zinssatz hätte erzielen können. Dies gilt für alle bei der Zinsbestimmung relevanten Parameter (Rz. 6.448) entsprechend. Ferner sollten im Rahmen dieser Prüfung nur realistisch verfügbare Optionen einbezogen werden. Im Ergebnis kann die Berücksichtigung der Perspektiven von Darlehensgeber und Darlehensnehmer auf die Ermittlung eines Einigungsbereiches i.S. eines hypothetischen Fremdvergleichs gem. § 1 Abs. 3a AStG hinauslaufen (Rz. 2.72), wonach im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs durch die Simulation eines Preisbildungsprozesses der Mindestpreis des Leistenden (hier: Darlehensgeber) und der Höchstpreis des Leistungsempfängers (hier: Darlehensnehmer) zu ermitteln ist.2
6.455
Zinsurteile des BFH. Die Zinsbandbetrachtung entspricht auch der (älteren) Rspr. des BFH. So sind nach Auffassung des BFH die banküblichen Habenzinsen als Untergrenze und die banküblichen Sollzinsen als Obergrenze für angemessene Zinsen zu beachten. Nach Auffassung des BFH haben sich dabei „im Zweifel“ Darlehensgläubiger und Darlehensschuldner die Spanne zwischen banküblichen Haben- und Schuldzinsen zu teilen.3 Diese Rspr. ist nicht überzeugend, denn eine solche hälftige Teilung des Zinssatzes ist zwischen unabhängigen Dritten nicht üblich.4 Vielmehr ist alleine darauf abzustellen, zu welchen Konditionen das verbundene Unternehmen anderweitig ein Darlehen hätte aufnehmen können oder müssen.5 Damit kann als angemessener Zinssatz nur derjenige zur Anwendung kommen, welcher am Markt zum Ansatz kommen würde. Diese Zinsurteile können wohl durch die jüngere BFHRechtsprechung6 als überholt gelten.
6.456
Anwendung der Preisvergleichsmethode. Die konkreten Zinssätze als Unter- bzw. Obergrenze des Zinsbandes werden in der Verrechnungspreispraxis üblicherweise über die Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 6.448 f.) ermittelt. In diesem Zusammenhang kann zunächst ein interner Preisvergleich Anwendung finden, wobei die konzerninternen Zinssätze aus Zinssätzen abgeleitet werden, die durch das verbundene Unternehmen für Darlehen an Banken oder andere Darlehensgeber entrichtet werden bzw. die das verbundene Unternehmen für eine Geldanlage bei Banken erhält. In diesem Zusammenhang ist auch denkbar, dass entsprechende Zinssätze über Angebote externer Banken dokumentiert werden (vgl. Rz. 6.449). Sollte ein entsprechendes Angebot vorliegen, spricht dieses für die Fremdüblichkeit des darin ausgewiesenen Zinssatzes. Sollte ein interner Preisvergleich zur Ermittlung des Zinssatzes nicht möglich sein, ist eine Anwendung des externen Preisvergleichs zu prüfen. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, den Zinssatz aus den zahlreichen im Internet veröffentlichten Statistiken der Bundesbank abzuleiten. So verprobt auch die Rspr. die Marktüblichkeit der ange1 Siehe auch Nientimp/Stein/Worm, IStR 2016, 781. 2 Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464 f. 3 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725; BFH v. 22.10.2003 – I R 36/03, BStBl. II 2004, 307 = FR 2004, 462. 4 Kritisch auch Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 693; Nolden/Bonekamp, ISR 2016, 348. 5 So auch FG Berlin-Bdb. v. 9.3.2011 – 12 K 12267/07, EFG 2011, 1737, rkr.; FG Sa.-Anh. v. 21.2.2008 – 3 K 305/01, nv., rkr. 6 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch; BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger.
692 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.459 Kap. 6
wandten Zinssätze mittels dieser Statistiken.1 Darüber hinaus kann ein fremdüblicher Zinssatz im Wege des externen Preisvergleichs im Rahmen der Anwendung von Datenbanken (z.B. Bloomberg und Reuters/Deal Scan) bestimmt werden. Schließlich werden in der Verrechnungspreispraxis konzerninterne Zinssätze häufig auf Basis eines Referenzzinssatzes (z.B. Euribor, Libor) zuzüglich eines Zuschlages ermittelt. Auch diese Vorgehensweise ist sachgerecht, da sie so auch zwischen unabhängigen Unternehmen Anwendung findet. Preisvergleichs- und Kostenaufschlagsmethode bei Durchlaufkrediten. Die Frage der Refinanzierung der darlehensgebenden Gesellschaft und die entsprechend entstehenden Refinanzierungskosten haben maßgeblichen Einfluss auf die Höhe des angemessenen Zinssatzes. Insofern ist unstrittig, dass der darlehensgebenden Gesellschaft, der die Refinanzierungskosten entstehen, ein funktionsadäquater Gewinn zusteht. Hierbei wird regelmäßig darum gestritten, ob dieser Gewinn in Form eines Gewinnaufschlags bzw. eines sog. „Spreads“ bestimmt wird, oder ob der Gesellschaft lediglich ein Gewinnaufschlag auf die eigenen Kosten zusteht. In der Praxis hat es sich in diesem Zusammenhang etabliert, auf den Zinssatz der Refinanzierung einen Kostenzuschlag und einen Gewinnaufschlag zu erheben. Diese betragen in der Verrechnungspreispraxis häufig zwischen 0,1 und 0,5 %-Punkten. Bei Durchlaufkrediten, welche „eins zu eins“ an ein verbundenes Unternehmen durchgereicht werden, und bei denen der darlehensgebenden Gesellschaft keine wesentlichen Kosten entstehen, kann auf solche Gemeinkostenzuschläge und Gewinnaufschläge ggf. verzichtet werden.
6.457
4. Berücksichtigung der Kreditwürdigkeit und der Konzernzugehörigkeit Zentraler Bestimmungsfaktor des Zinssatzes. Zinssätze für Darlehen zwischen nahestehenden Personen sind nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes zu bestimmen. Dies impliziert, dass im Grundsatz alle Faktoren bei der Verrechnungspreisbestimmung zu berücksichtigen sind, die auch fremde Dritte in die Preisfindung einfließen lassen. Hier stellt das Kreditausfallrisiko zweifelsohne ein zentrales Risiko dar, dem für die Zinsbestimmung erhebliche Bedeutung zukommt.2 Das Kreditausfallrisiko wird wiederum wesentlich durch die Kreditwürdigkeit bzw. Bonität des Darlehensnehmers bestimmt.3 Hieraus folgt, dass die Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers im Regelfall ein wesentlicher Bestimmungsfaktor des Zinssatzes ist und damit auch bei der Zinsbestimmung für Darlehen zwischen nahestehende Personen Berücksichtigung finden sollte.
6.458
Vereinfachte Überprüfung zwischen Nahestehenden. Die Bedeutung von Risiken für die Zinsbestimmung sowie des Kreditausfallrisikos bzw. der Kreditwürdigkeit im Besonderen wird auch durch die OECD und damit implizit die Finanzverwaltung ausdrücklich anerkannt.4 So stellt die OECD fest, dass die Frage, zu welchen Bedingungen ein Darlehensgeber ein Darlehen vergibt, wesentlich von verschiedenen, den Darlehensnehmer betreffenden Aspekten abhängt. Dies betrifft insbesondere eine Kreditprüfung, u.a. betreffend das Unternehmen selbst, den Zweck des Darlehens, Optionen für die Strukturierung des Darlehens und die
6.459
1 Vgl. zur Thematik der vGA FG BW v. 10.11.2005 – 3 K 353/01, DStRE 2006, 845, rkr., und zur Thematik eines marktüblichen Zinses bei Arbeitgeberdarlehen BFH v. 4.5.2006 – VI R 28/05, BStBl. II 2006, 781 = FR 2006, 1039; FG Köln v. 10.3.2005 – 10 K 999/01, DStRE 2005, 1308, nrkr., Rev. Az. BFH VI R 32/05; BFH v. 4.5.2006 – VI R 32/05, nv. 2 Vgl. auch Greil/Wargowske, IStR 2018, 534 (538). 3 Vgl. Tz. 10.62 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. VWG VP, Rz. 3.88 m.V.a. Kap. X der OECD-Leitlinien 2022 sowie insbesondere Tz. 10.51 ff. OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Engelen | 693
Kap. 6 Rz. 6.459 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Quellen für die Rückzahlung des Darlehens sowie ggf. eine Analyse von Finanzkennzahlen.1 Gleichwohl muss diese Prüfung zwischen nahestehenden Personen nicht zwangsläufig in der gleichen Weise wie gegenüber fremden Dritten erfolgen. Denn nahestehende Personen werden regelmäßig über andere und weitreichendere Informationen verfügen als fremde Dritte.2 Das bedeutet konkret, dass bei Darlehen an nahestehende Personen regelmäßig keine ausdrückliche, formale Überprüfung der Kreditwürdigkeit nötig ist, wenn entsprechende Informationen bereits verfügbar sind bzw. leicht verfügbar gemacht werden können. Dies gilt aufgrund der über Kontroll- und Eigentumsrechte insbesondere für die Darlehensvergabe durch Gesellschafter bzw. gesellschaftsrechtlich übergeordneten Unternehmen an (mittelbare) Tochtergesellschaften.3
6.460
Konzernzugehörigkeit kann Sicherheit bedeuten. Ausgehend von der Rechtsprechung des BFH war über lange Zeit akzeptiert, dass die Konzernbeziehung für sich gesehen eine Sicherheit darstellt.4 Insbesondere bei einer Darlehensgewährung von der Mutter- an die Tochtergesellschaft besitzt die Muttergesellschaft nämlich kraft Gesellschafterstellung als „quasi-Sicherheit“ die Gesellschaftsanteile an der Tochtergesellschaft, die im Zweifel weitergehende Sicherungseigenschaften besitzen als andere Sicherheiten.5 Der BFH hatte damit die gesellschaftsrechtliche Beherrschung der Tochtergesellschaft als Komponente des nicht verrechenbaren „Rückhalts im Konzern“ gewertet. Dieser Auffassung war auch die Finanzverwaltung in ihrem Schreiben v. 29.3.2011 gefolgt.6 Der BFH hatte diese Auffassung zuletzt mit Urteilen vom 17.12.2014 und vom 24.6.2015 bestätigt.7 In einer vielbeachteten Rechtsprechungsänderung ausgehend von den Urteilen vom 27.2.2019 hatte der BFH jedoch erkannt, dass „der Topos des sog. Konzernrückhalts lediglich den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung [beschreibt]“, worin keine „fremdübliche (werthaltige) Besicherung [...] gesehen werden [kann]“.8 Wohl unter dem Eindruck dieser Rechtsprechung soll nach Auffassung der Finanzverwaltung der Konzernrückhalt keine rechtlich durchsetzbare Sicherheit darstellen. Diese Feststellung ist zunächst zutreffend und impliziert wohl, dass die Konzernzugehörigkeit nicht grundsätzlich oder gar in jedem Fall bei der Bestimmung der Kreditwürdigkeit ins Gewicht fallen soll. Die Konzernzugehörigkeit kann nach Einschätzung der Finanzverwaltung jedoch im Hinblick auf die subjektive Ausfallwahrscheinlichkeit des Darlehensnehmers von Bedeutung sein und damit die Kreditwürdigkeit beeinflussen. Hierbei ist auf die Stellung des Darlehensnehmers innerhalb der Unternehmensgruppe sowie dessen Bedeutung für die Unternehmensgruppe abzustellen.9 Diese Auffassung ist sachgerecht und trägt dem Gedanken des Fremdvergleichs zutreffend Rechnung. So hat auch der BFH erkannt, dass zwar ein „wirtschaftlich vernünftig handelnder, konzernfremder Darlehensgeber [...] grundsätzlich nur diejenigen Aspekte in die Bonitätsbeurteilung seines Vertragspartners einfließen lassen [würde], 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Tz. 10.53 f. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 10.55 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 10.56 OECD-Leitlinien 2022. So explizit BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482 unter II.3.d der Entscheidungsgründe. Vgl. auch Löwenstein/Maier, BB 1998, 1690. Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277, Rz. 11. Vgl. BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258. Vgl. BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443; BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440; BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.94. Siehe auch Nientimp/Stein/Worm, IStR 2016, 781.
694 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.461 Kap. 6
auf die er sich im Krisenfall tatsächlich verlassen könnte.“1 Gleichwohl kann die Konzernzugehörigkeit („passive Konzernwirkungen“) bei der Bestimmung der Kreditwürdigkeit zu berücksichtigen sein. Dies gilt etwa dann, wenn es sich bei der Darlehensnehmerin „um ein Unternehmen mit strategischer Bedeutung für den Gesamtkonzern [handelt]“, z.B., weil sie „ein wesentlicher Bestandteil der Konzernidentität oder der Zukunftsstrategie des Konzerns ist“.2 Dies entspricht auch der Auffassung der OECD.3 Damit ist die relative Bedeutung des Darlehensnehmers innerhalb der Unternehmensgruppe zu beurteilen. Je größer die Bedeutung ist, die einem Darlehensnehmer zukommt, desto wahrscheinlicher ist es aus Sicht eines (fremden Dritten) Darlehensgebers, dass der Darlehensnehmer im Krisenfall durch die Unternehmensgruppe gestützt würde. Hierbei ist nach Auffassung der OECD auf nachfolgende Aspekte4 abzustellen: – Gesetzliche Verpflichtungen (z.B. aufsichtsrechtliche Anforderungen); – Strategischer Stellenwert; – Operative Integration und Bedeutung; – Namensgleichheit; – Potenzielle Reputationseffekte; – Negative Auswirkungen auf den Gesamtkonzern; – Allgemeine Grundsatz- oder Absichtserklärungen; – Ggf. frühere Beispiele von Unterstützung und gemeinsamem Auftreten des Konzerns gegenüber fremden Dritten. Praktisch sollte dieser Effekt über entsprechende Abschläge auf die Risikoeinstufung bzw. Abschläge vom Risikoaufschlag auf den Zins zu berücksichtigen sein. Nutzung von Ratings. Für die Bestimmung der Kreditwürdigkeit bzw. Bonität eines Darlehensnehmers ist in der Praxis die Erstellung von Ratings üblich. Unter einem Rating versteht man die Einstufung der Ausfallwahrscheinlichkeit auf einer Ratingskala bzw. mittels Ratingstufen. Hierbei können neben quantitativen Faktoren auch qualitative Aspekte Berücksichtigung finden.5 Konkret werden in quantitativer Hinsicht typischerweise die Liquiditäts-, Finanz- und Ertragslage und die Kapitalstruktur berücksichtigt. Qualitative Aspekte umfassen bspw. das regulatorische Umfeld, das Unternehmens- und Wettbewerbsumfeld sowie Aspekte, die die Qualität des Unternehmens abbilden soll. Es ist zwischen Konzernratings, Unternehmensratings („Stand-alone Ratings“) und Ratings für ein spezifisches Finanzinstrument zu unterscheiden. Mit Blick auf die Darlehensvergabe zwischen nahestehenden Personen war lange umstritten, ob insoweit allein auf das Rating des Darlehensnehmers („Stand-alone Rating“) oder ein Rating der Unternehmensgruppe i.S.e. Konzernratings abzustellen ist.6 Das 1 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch. 2 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch. Siehe auch Greil/Wargowske, IStR 2018, 534 (538) mit Erläuterungen zum „Adjustedstand-alone-Rating. 3 Vgl. Tz. 10.76 ff. OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 10.79 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 10.63 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. nur Bogenschütz, Ubg 2014, 155, m.w.N.
Ditz/Engelen | 695
6.461
Kap. 6 Rz. 6.461 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
BMF hat sich ausweislich der VWG VP 2021 nicht eindeutig positioniert, in der Praxis aber häufig die Anwendung eines Konzernratings propagiert.1 Der BFH hat indes klar Stellung für die Verwendung eines „Stand-alone Ratings“ bezogen. Dies wird wesentlich damit begründet, dass der Fremdvergleich das „Wegdenken“ der Nahestehensbeziehung verlangt.2 Es ist folglich auf ein Einzelrating („Stand-alone-Rating“) abzustellen, wobei die Effekte der Konzernzugehörigkeit durchaus Berücksichtigung finden können.
6.462
Bestimmung der Kreditwürdigkeit. Konkrete Vorgaben dazu, wie die Kreditwürdigkeit eines (gruppeninternen) Darlehensnehmers zu bestimmen ist, machen weder die Finanzverwaltung noch der BFH. Dementsprechend steht es im Ermessen des Steuerpflichtigen, wie er im Rahmen der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise (Zinssätze) der Kreditwürdigkeit Rechnung trägt. Jedenfalls zulässig ist die Verwendung der Arbeitsergebnisse einer Ratingagentur wie etwa Standard & Poor’s, da es sich um eine von der Marktpraxis anerkannte und angewandte Grundlage für die Bonitätsbeurteilung von Unternehmen handelt.3 Das gilt selbst dann, wenn die von der Ratingagentur verwendeten mathematischen Algorithmen und betriebswirtschaftlichen Kennzahlen nicht öffentlich bekannt sind.4 Diesbezüglich ist jedoch zu berücksichtigen, dass es regelmäßig mit einem großen – häufig nicht angemessenen – Aufwand verbunden ist, bei externen Ratingagenturen eine Einstufung der Kreditwürdigkeit jedes Gruppenunternehmens zu beauftragen. Vor diesem Hintergrund besteht die Herausforderung darin, ein sachgerechtes Ergebnis mit überschaubarem Mittelaufwand zu erzielen. Dementsprechend haben sich in der Praxis vereinfachte Ansätze etabliert, um die Bonität eines Darlehensnehmers zu bestimmen bzw. Ratingstufen zu approximieren. So kann etwa auf Basis öffentlich verfügbarer Rating-Tools5 oder Methoden unabhängiger Ratingagenturen eine Analyse der individuellen Merkmale des Darlehensnehmers durchgeführt werden, um so das Verfahren einer Ratingagentur zu replizieren.6 Ferner können z.B. der Verschuldungsgrad, die Schuldentragfähigkeit oder ähnliche finanzielle Kennzahlen dazu genutzt werden, um datenbankgestützt eine Ratingstufe näherungsweise abzuleiten.
6.463
Gestellung von Sicherheiten. Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll eine Besicherung von Darlehen zwischen nahestehenden Personen grundsätzlich fremdüblich sein7, was wohl als – nicht sachgerechte – Anforderung an die Anerkennung dem Grunde nach zu verstehen sein soll (Rz. 6.437). Demgegenüber ist eine Besicherung gruppeninterner Darlehen vielmehr unüblich8 und wohl auch häufig unnötig (Rz. 6.459). Gleichwohl wirkt sich eine Sicherheit zweifelsohne auf die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Darlehens und damit die vom Darlehensgeber zu tragenden Risiken aus. Denn das wesentliche Risiko des Darlehensnehmers besteht
1 Vgl. bspw. die Positionierung der Finanzverwaltung im vom BFH mit Urteil v. 18.5.2021 – I R 4/ 17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch, entschiedenen Fall. Siehe auch Greil/Schilling, DB 2016, 1961; Greil/Schilling, DStR 2016, 2352, die ebenfalls die Nutzung eines Konzernratings für sachgerecht halten. Kritisch hierzu Nolden/Ebeling, DK2017, 79. 2 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger, Rz. 12. 3 Siehe auch Tz. 10.71 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch. 5 Vgl. auch Busch/John/Nolden, DB 2018, 2067 (2068), für die mangels praktikabler Alternative kein Weg an der Verwendung von Rating-Tools vorbeiführt. 6 Vgl. Tz. 10.71 ff. OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.95. 8 Vgl. Nolden/Ebeling, IStR 2021, 10, die anhand einer empirischen Analyse nachweisen, dass Fremdkapital in der Praxis nicht regelmäßig besichert wird.
696 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.466 Kap. 6
darin, dass der Darlehensnehmer seinen in den Darlehensbedingungen festgelegten Zahlungsverpflichtungen möglicherweise nicht nachkommt.1 Dieses Risiko wird durch eine Besicherung jedenfalls kompensiert. Denn für den Fall, dass der Darlehensnehmer Zins und/oder Tilgung nicht mehr erbringen kann, steht ihm die Sicherheit zur Verfügung. Hierbei wirkt sich eine Sicherheit auf den Preis, d.h. den Zinssatz aus, zu dem ein Darlehen vergeben wird. Die Betriebswirtschaftslehre bezeichnet diesen inneren Zusammenhang mit risk & return.2 Dieses Verhältnis wird auch durch die Finanzrechtsprechung anerkannt.3
5. Fremdwährungsdarlehen Grundsatz der Vertragsfreiheit. Werden Darlehen oder Kredite zwischen verbundenen Unternehmen in unterschiedlichen Währungsräumen vergeben, so spielen sowohl das Währungsrisiko als auch die eventuell anfallenden Kurssicherungskosten eine besondere Rolle. Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit liegt die Bestimmung der Darlehenswährung ausschließlich im Ermessen der Vertragsparteien. Die Darlehensvergabe kann demnach grundsätzlich in der Währung eines der beteiligten verbundenen Unternehmen erfolgen. Darüber hinaus sind selbstverständlich auch Darlehen in einer Fremdwährung denkbar, die keiner Inlandswährung der beteiligten verbundenen Unternehmen entspricht. Dies betrifft z.B. die Branchen, die prinzipiell in einer bestimmten Währung abrechnen (z.B. Ölindustrie oder Flugzeugbau in US-Dollar). Im Übrigen werden auch in Ländern mit hoher Inflation oder starken Wechselkursschwankungen Finanzierungen häufig in einer „stabilen“ Drittwährung abgewickelt. Auch dies ist von der Finanzverwaltung anzuerkennen.
6.464
Währungszinssatz. Der einem Darlehen zu Grunde gelegte Zinssatz muss grundsätzlich mit der Währung des betreffenden Darlehens korrespondieren. Man spricht insoweit von Währungsäquivalenz. Gewährt beispielsweise eine im Inland ansässige Muttergesellschaft ihrer italienischen Tochtergesellschaft ein Darlehen in US-Dollar, so ist der angemessene Zins an den Kapitalmarktverhältnissen für den US-Dollar und nicht etwa für den Euro zu bemessen. Auf den sog. Ortszins (z.B. inländischer Zinsort, ausländischer Zinsort, Zinsort des Darlehensschuldners) kommt es insoweit nicht an.4 Dies entspricht auch der Auffassung des BFH.5 Hinsichtlich der konkreten Bestimmung des Währungszinssatzes gelten die allgemeinen Grundsätze (Rz. 6.444 ff.). Als Währungsgebiet gilt insoweit nicht nur der Staat, in dem die Währung gesetzliches Zahlungsmittel ist, sondern alle weltweiten Geld- und Kapitalmärkte, auf denen die Währung gehandelt wird.
6.465
Kurssicherungsmaßnahmen. Wie die Auswahl der Währung liegt auch die Frage, ob Kurssicherungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Währungsdarlehen durchgeführt werden, im Ermessensspielraum der Vertragsparteien. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Fremdwäh-
6.466
1 Vgl. Tz. 10.57 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Engelen/Quilitzsch, FR 2021, 145 (149) m.V.a. Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 26. Aufl. 2016, 626; Perridon/Steiner/Rathgeber, Finanzwirtschaft der Unternehmung, 17. Aufl. 2017, 17; Schierenbeck/Wöhle, Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, 19. Aufl. 2016, 456 f. Siehe auch Nientimp/Stein/Worm, IStR 2016, 781. 3 Vgl. nur BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457 = ISR 2022, 30 m. Anm. Saliger, das ausdrücklich auf die „Vereinbarung eines Zinszuschlages zur Kompensation eines höheren Ausfallrisikos“ Bezug nimmt. Siehe auch Wacker, FR 2019, 449 (454), der die Möglichkeit einer „kompensatorischen Abrede“ einräumt, die mit Blick auf den Fremdvergleichsgrundsatz anzuerkennen ist. 4 Gl.A. Reimann, BB 1981, 1145. 5 Vgl. BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = FR 1994, 367.
Ditz/Engelen | 697
Kap. 6 Rz. 6.466 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
rungsgeschäfte nicht nur ein Währungsrisiko, sondern auch eine Währungschance beinhalten. Auch vor diesem Hintergrund besteht keine Pflicht zur Durchführung von Kurssicherungsmaßnahmen. Denn es obliegt der Risikoneigung und Abschätzung des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, ob er Kurssicherungsgeschäfte durchführt oder nicht. Diese (unternehmerische) Entscheidung steht dabei außerhalb einer Prüfung durch die Finanzverwaltung. Üblicherweise werden Währungsrisiken bei Währungsdarlehen im entsprechenden Währungszins berücksichtigt. Allenfalls dann, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses offensichtliche außergewöhnliche Kursrisiken erkennbar waren, ist davon auszugehen, dass sich ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter gegen diese abgesichert hätte.
6.467
Zinslosigkeit oder niedrige Verzinsung aus devisenrechtlichen Gründen. In Entwicklungsund Schwellenländern unterliegen Zins- oder Lizenzzahlungen an ausländische verbundene Unternehmen (z.B. an die inländische Muttergesellschaft) häufig Devisentransferbeschränkungen oder -verboten. Darüber hinaus sind in manchen dieser Länder Zins- und Lizenzzahlungen an ausländische verbundene Unternehmen nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig. Schließlich ist auch möglich, dass Dividendenzahlungen an eine ausländische Muttergesellschaft beschränkt bzw. faktisch ausgeschlossen sind. Gleiches gilt für die Rückzahlung von Eigenkapital etwa auf Grund einer Kapitalherabsetzung oder der Auflösung von Kapitalrücklagen. Aus diesen oder vergleichbaren Gründen kann es aus Sicht der kapitalgewährenden (Mutter-)Gesellschaft geboten sein, statt eines vollverzinslichen ein zinsbegünstigtes oder zinsloses Darlehen zu gewähren bzw. der in diesen Staaten ansässigen (Tochter-)Gesellschaft statt Eigenkapital Fremdkapital zur Verfügung zu stellen (ggf. in Form eines eigenkapitalersetzenden Darlehens).
6.468
Verzicht auf Einkünftekorrekturen durch die Finanzverwaltung. Die deutsche Finanzverwaltung trägt diesen besonderen Umständen dadurch Rechnung, dass gem. Tz. 3.93 VWG VP bei der Überprüfung eines Darlehens „von an sich gebotenen Beanstandungen abgesehen werden, wenn wegen zwingender Rechtsvorschriften im Ansässigkeitsstaat der nahestehenden Person oder aus ähnlichen Gründen, die außerhalb des Kreditverhältnisses liegen, statt einer an sich gebotenen Zuführung von Eigenkapital ein zinsloses oder zinsgünstiges Darlehen gewährt wird“. Die weitere Regelung der Tz. 3.93 VWG VP, wonach in diesen Fällen die Zinslosigkeit oder niedrige Verzinslichkeit keine Teilwertabschreibung des Darlehens begründen kann, ist indessen differenzierter zu sehen. Sofern die Teilwertabschreibung allein auf die niedrige Verzinslichkeit oder Zinslosigkeit des Darlehens gestützt wird, ist der Haltung der Finanzverwaltung zuzustimmen. Erfolgt die Teilwertabschreibung hingegen auf Grund dauerhafter fehlender Zahlungsmöglichkeiten des Darlehens (i.S. eines Darlehensausfalls) oder der dauerhaften Wertlosigkeit der Beteiligung (bei eigenkapitalersetzendem Darlehen), so muss eine Teilwertabschreibung des Darlehens möglich sein. In diesem Zusammenhang ist allerdings die Vorschrift des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG zu beachten (Rz. 6.486).
6. Zinslosigkeit bzw. niedrige Verzinsung aus betrieblichen Gründen 6.469
Auffassung der Finanzverwaltung. Neben den vorstehend genannten devisenrechtlichen oder ähnlichen Gründen kann es weitere betriebliche Gründe, die außerhalb des Kreditverhältnisses liegen, geben, ein Darlehen nicht oder nur niedrig zu verzinsen. Ausweislich der VWG VP wird dies indes durch die Finanzverwaltung nicht (mehr)1 ausdrücklich anerkannt.
1 Vgl. Tz. 4.3.2, VWG 1983 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
698 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.472 Kap. 6
Zinslose Warenkredite an Vertriebsgesellschaften. Jedes Produktions- oder Großhandelsunternehmen hat ein eigenbetriebliches Interesse daran, die von ihm hergestellten oder eingekauften Produkte (bzw. Dienstleistungen) absatzwirtschaftlich optimal zu vermarkten. Geschieht diese Vermarktung durch die Einschaltung von Vertriebsgesellschaften, so kann die Absatzförderung z.B. durch Werbekostenzuschüsse, günstigere Liefer- und Verrechnungspreise, die Übernahme von Markterschließungskosten oder durch zinslose Warenkredite oder zinslose bzw. zinsbegünstigte Darlehen erfolgen. Letztlich zielen all diese Maßnahmen darauf ab, bei der Vertriebsgesellschaft eine angemessene Vertriebsmarge sicherzustellen.1 Im Ergebnis verfolgt der Lieferant in diesen Fällen durch die Vergabe zinsloser bzw. zinsbegünstigter Warenkredite bzw. Darlehen eigene Interessen, die bei ihm betrieblich und nicht gesellschaftsrechtlich veranlasst sind. Einkünftekorrekturen – insbesondere nach § 1 AStG – scheiden daher aus. Denn der Vertriebsgesellschaft wird kein Vorteil zugewendet; vielmehr sind solche absatzwirtschaftlich bedingten Maßnahmen auch gegenüber unabhängigen Vertriebsunternehmen üblich und betriebswirtschaftlich sinnvoll.
6.470
Finanzierung von Einfuhrdepots von Vertriebsgesellschaften. Auch die Gewährung zinsloser bzw. zinsermäßigter Kredite von Produktions- und Großhandelsgesellschaften zugunsten verbundener Vertriebsgesellschaften kann betrieblich veranlasst sein. So werden in einigen Staaten Einfuhrgenehmigungen nur dann erteilt, wenn hohe Einfuhrdepots unterhalten werden. Diese Depots können entweder in einer bestimmten Mindestlagerungsmenge oder in der Hinterlegung von Liquidität bestehen. Da die Unterhaltung solcher Depots auch und insbesondere im eigenen betrieblichen Interesse der Produktions- bzw. Großhandelsgesellschaft, welche die Vertriebsgesellschaft beliefert, liegt, ist deren Finanzierung auch in deren Interesse. In diesen Fällen kann infolgedessen ein zinsloses bzw. zinsermäßigtes Darlehen ebenfalls nicht zu einer Einkünftekorrektur führen.
6.471
Weitere Fälle zinsloser bzw. zinsermäßigter Darlehen. Auch in weiteren Fallkonstellationen kann ein zinsloses oder zinsermäßigtes Darlehen betrieblich veranlasst sein. So kann eine betriebliche Veranlassung zinsloser bzw. zinsermäßigter Kredite auch bei der Vorfinanzierung verbundener Einkaufs- oder Produktionsgesellschaften für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe liegen. Ferner ist denkbar, dass eine Einkaufsgesellschaft, welche für ein im Inland ansässiges verbundenes Unternehmen Produkte einkauft, ein zinsloses bzw. zinsermäßigtes Darlehen rechtfertigt. Gleiches gilt für Produktions-, Dienstleistungs- und F&E-Gesellschaften. In diesen Fällen führt die Zinslosigkeit bzw. die Verrechnung eines ermäßigten Zinssatzes immer dann zu keinen Einkünftekorrekturen, wenn die ausländische Gesellschaft im eigenen betrieblichen Interesse für das inländische Unternehmen agiert. Insbesondere für den Fall, dass es sich bei dem ausländischen Unternehmen um ein sog. „Routineunternehmen“ handelt, sind zinslose bzw. zinsermäßigte Darlehen von der Finanzverwaltung anzuerkennen (z.B. Lohnoder Auftragsfertiger, Low-Risk Vertriebsgesellschaften).
6.472
Beispiel: Ein produzierendes Pharmaunternehmen benötigt für die Herstellung bestimmter Extrakte große Mengen Blätter besonderer Pflanzen, die auf Plantagen in Asien von verbundenen Unternehmen gezüchtet werden. Bis zu der ersten Ernte dieser Blätter vergehen fünf Jahre, so dass der Grundstückswert, die Pflanzungen sowie der Aufwuchs finanziert werden müssen. Das produzierende Pharmaunternehmen gewährt den die Plantage betreibenden verbundenen Unternehmen hierfür einen zinslosen Kredit, der mit späteren Blattlieferungen getilgt wird. 1 Vgl. auch BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030.
Ditz/Engelen | 699
Kap. 6 Rz. 6.472 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
In diesem Fall ist die Gewährung des zinslosen Darlehens beim inländischen Pharmaunternehmen betrieblich veranlasst, da es ein eigenbetriebliches Interesse an der Sicherung seiner Rohstoffbasis hat.
7. Verzinsung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 6.473
Zinslosigkeit als Ausnahmeregelung. Dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechend sind Finanztransaktionen zwischen verbundenen Unternehmen prinzipiell verzinslich zu erbringen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt u.a. dann, wenn – zum Beispiel nach Handelsbrauch – auch zwischen unabhängigen Dritten keine Zinsen verrechnet werden. Das ist z.B. bei der Abrechnung von Warenlieferungen oder Dienstleistungen innerhalb der üblichen Zahlungsziele der Fall.
6.474
Definition eines „üblichen Zahlungsziels“. Die zeitliche Dauer eines „üblichen Zahlungsziels“ bei Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ist einzelfallabhängig. So wird bei Forderungen gegenüber Inlandsschuldnern ein Zahlungsziel von zwei bis drei Monaten nicht als unüblich zu qualifizieren sein. Gegenüber Auslandsschuldnern sind dagegen Zahlungsziele von sechs Monaten und mehr nicht selten anzutreffen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass in Deutschland keine genauen zeitlichen Vorgaben im Hinblick auf die Definition eines „üblichen Zahlungsziels“ existieren und im Zweifel auch die zuvor genannten Zeiträume überschritten werden können.
IV. Einschaltung von Finanzierungsgesellschaften 6.475
Vorteile einer Finanzierungsgesellschaft. Insbesondere bei mittleren und größeren international tätigen Unternehmensgruppen sind Finanzierungsgesellschaften weit verbreitet. Die Funktionen einer Finanzierungsgesellschaft liegen im Wesentlichen in der Koordination und Bündelung der gruppeninternen Finanztransaktionen. So kann die Rolle einer Finanzierungsgesellschaft beispielsweise in der Beschaffung von Kapital auf in- und ausländischen Kapitalmärkten verbunden mit dem Zweck einer Weiterleitung der aufgenommenen Kapitalmittel an verbundene Unternehmen bestehen. Die Einschaltung von ausländischen Finanzierungsgesellschaften dient insbesondere der Nutzung bzw. Realisierung folgender nicht steuerlicher Vorteile:1 – Nutzung eines vorteilhaften regulatorischen Umfelds; – Nutzung eines vorteilhaften Arbeitsmarktes bzw. Arbeitskräfteangebots; – Räumliche Nähe zu relevanten Finanzinstitutionen; – Reduktion der Emissionskosten im Vergleich zu einer Ausgabe von Anleihen im Inland; – Vermeidung staatlicher Reglementierungen, welche auf dem inländischen Kapitalmarkt die Finanzierung behindern können; – Einsparung von Kosten im Hinblick auf die Bestellung von Sicherheiten.
Neben diesen außersteuerlichen Vorteilen kann die Etablierung einer ausländischen Finanzierungsgesellschaft mit zahlreichen steuerlichen Vor- und Nachteilen verbunden sein. Ein solcher steuerliche Vorteil einer ausländischen Finanzierungsgesellschaft besteht in der Vermeidung der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Fremdkapitalzinsen gem. § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG. Darüber hinaus bieten ausländische Finanzierungsgesellschaften die Möglichkeit, aus 1 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 1096 ff.
700 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.477 Kap. 6
der Finanzierungsfunktion resultierende Gewinne einer im Vergleich mit dem deutschen Steuerniveau geringeren Steuerbelastung zuzuführen. Dieses Ziel kann allerdings nur erreicht werden, wenn eine Anwendung der Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung gem. § 7 ff. AStG vermieden wird. Dies setzt insbesondere voraus, dass aktive Einkünfte i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG (bzw. in EU-Fällen i.S.d. § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 AStG) erwirtschaftet werden.1 Ausgestaltung der Finanzierungsgesellschaft. Die konkrete Ausgestaltung einer Finanzierungsgesellschaft liegt im Ermessen des Steuerpflichtigen bzw. des Geschäftsführers. Dies bezieht sich sowohl auf die von dieser wahrgenommenen Funktionen und Risiken sowie eingesetzten Wirtschaftsgüter als auch auf die von der Finanzierungsgesellschaft abgeschlossenen vertraglichen Vereinbarung. Ausgehend von dieser grundsätzlichen Gestaltungsfreiheit kann eine Finanzierungsgesellschaft einerseits bspw. als Agent oder Kommissionär organisiert sein. Andererseits kann die Finanzierungsgesellschaft auch im eigenen Namen auf eigene Rechnung Finanztransaktionen abschließen, d.h. bspw. Darlehen vergeben. Dies wird im Grundsatz auch durch die Finanzverwaltung anerkannt.2
6.476
Auffassung der Finanzverwaltung. Das BMF zeigt sich restriktiv in der Frage der Anerkennung von Finanzierungsgesellschaften. Verfügt eine Finanzierungsgesellschaft nicht über die Fähigkeit und die Befugnis, das Risiko von Investitionen in einen finanziellen Vermögenswert zu kontrollieren oder es zu tragen, soll ihr der Ersatz der eigenen Kosten (ohne Refinanzierungskosten, zzgl. Gewinnaufschlag) bzw. lediglich ein Entgelt bis zur Höhe einer risikolosen Rendite zustehen.3 Die VWG VP sehen damit bei Finanzierungsgesellschaften grundsätzlich die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zur Bestimmung eines angemessenen Zinssatzes vor. Dieser Gedanke ist nicht neu, war er doch bereits in § 1a Abs. 2 AStG i.d.F. des Referentenentwurfs des ATAD-Umsetzungsgesetzes vom 10.12.2019 vorgesehen.4
6.477
Beispiel:5 Die M-AG (ansässig im Inland) stattet die FinCo. (ansässig im Ausland) zu 100 Prozent mit Eigenkapital aus. Die FinCo. leitet dieses Geld, ohne die Kontrolle oder Übernahme von Risiken, an die TAG (ansässig im Inland) weiter. Das Entgelt für diese Tätigkeit beschränkt sich grundsätzlich auf die direkt zurechenbaren Betriebskosten, wie etwa den Personaleinsatz. Die Refinanzierungskosten sind begrenzt auf die risikofreie Rendite. Mithin ist es fremdunüblich, wenn die FinCo. der T-AG einen Zinssatz in Rechnung stellt, der über den risikofreien Zins hinausgeht.
Die von der Finanzverwaltung wohl vorgesehene pauschale Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bei Finanzierungsgesellschaften ist abzulehnen. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls. Auch bei der Finanzierung über Eigenkapital einer Finanzierungsgesellschaft entstehen dieser unternehmerische Risiken wie z.B. das Forderungsausfallrisiko. Dieses ist sachgerecht zu bepreisen. Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ist insofern zwingend nicht zielführend. Dies wurde jüngst durch den BFH sehr deutlich herausgestellt.6
1 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 1100 ff. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.92. Wenn die Finanzverwaltung die Vergütung einer Finanzierungsgesellschaft davon abhängig macht, ob sie über die Fähigkeit und die Befugnis verfügt, das Risiko von Investitionen in einen finanziellen Vermögenswert zu kontrollieren oder es zu tragen, impliziert dies, dass auch „funktionsstarke“ Finanzierungsgesellschaften anzuerkennen sind, die im eigenen Namen und auf eigene Rechnung tätig werden. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.92. 4 Vgl. dazu kritisch Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73 (76). 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.92. 6 Siehe auch Schaden/Käshammer, IStR 2022, 1.
Ditz/Engelen | 701
Kap. 6 Rz. 6.478 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.478
Vertragliches Leistungsgefüge entscheidend. So ist entsprechend der Grundsätze des Urteils vom 18.5.2021 (I R 4/17) der Ausgangspunkt für die Risikoanalyse im Rahmen des Fremdvergleichs das sich aus dem abgeschlossenen Vertrag ergebende Leistungsgefüge und das Verhältnis der Vertragsparteien.1 Trägt demnach der Darlehensgeber das Kreditausfallrisiko (da keine Besicherung vereinbart wurde, die dazu führen würde, das ein Teil der Kreditrisiken beim Darlehensnehmer verbleiben), liegt kein Grund dafür vor, den Darlehenszins zu reduzieren. Allenfalls könnte eine „Gebühr“ denkbar sein, die der Darlehensgeber für den finanziellen Rückhalt an die Konzernobergesellschaft (im Beispiel: M-AG) weiterleiten muss. Im Ergebnis stärkt der BFH damit die Bedeutung der vertraglichen Vereinbarung der Parteien und die Anwendung der Preisvergleichsmethode als „Regelmethode“. Dies gilt – so der BFH – auch dann, wenn der über die Preisvergleichsmethode bestimmte konzerninterne Zins „zu einer ungewöhnlich hohen Gewinnmarge“ führt.2 Damit wird der Auffassung der Finanzverwaltung in Rz. 3.92 VWG VP quasi „der Boden entzogen“. Für die Praxis bedeutet dies, dass die in Betriebsprüfungen oft bei Anwendung der Preisvergleichsmethode vorgetragene Position, die Finanzierungsgesellschaft „verdiene zu viel“, nach der BFH-Rechtsprechung nicht trägt.
6.479
Finanzierungsgesellschaft als Agent oder Kommissionär. Für den Fall, dass die Finanzierungsgesellschaft für Refinanzierungszwecke des Konzerns als Agent oder Kommissionär auftritt, steht dieser eine angemessene Provision zu, welche die von ihr ausgeübten Funktionen und die von ihr wahrgenommenen Risiken adäquat reflektiert. Die Höhe der angemessenen Provision der Finanzierungsgesellschaft ist davon abhängig, ob diese als Agent oder als Kommissionär nach außen hin als selbstständiger Kreditnehmer (also im eigenen Namen) auftritt und entsprechend haftet. So tritt der Kommissionär nach § 383 HGB handelsrechtlich im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung auf. Damit tritt er nach außen als Kreditnehmer auf und haftet entsprechend. Dieses Haftungsrisiko muss sich in seinem Provisionsanspruch entsprechend niederschlagen. Der Begriff des „Agenten“ ist rechtlich nicht (mehr) definiert. Das HGB 1900 enthielt besondere Vorschriften über die „Handelsagenten“ statt des allgemeinen Werk- und Dienstvertragsrechts, wie noch unter dem alten ADHGB. Mit dem Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs vom 6.8.19533 wurde die Bezeichnung „Handelsagent“ durch den Begriff des „Handelsvertreters“ in § 84 HGB ersetzt. Aber auch im Zusammenhang mit Kommissionsgeschäften ist vom sog. „Kommissionsagenten“ die Rede, sofern ein Kommissionär vertraglich ständig mit Geschäftsabschlüssen im eigenen Namen und für fremde Rechnung betraut ist. Die Bedeutung und der Tätigkeitsumfang des „Agenten“ sind somit rechtlich nicht eindeutig fixierbar.4 Betrachtet man vor diesem Hintergrund den Agenten als Handelsvertreter i.S.d. § 84 HGB, so tritt dieser in fremdem Namen, d.h. in offener Stellvertretung, auf, was im Vergleich zum Kommissionär zu deutlich geringeren Haftungsrisiken und damit auch zu einem entsprechend geringeren Provisionsanspruch führen muss.5
1 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch, hier unter IV. 4. a). 2 Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch, Rz. 56. 3 Vgl. Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs (Recht der Handelsvertreter) v. 6.8.1953, BGBl. I 1953, 771. 4 Vgl. auch Becker in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 4.3.3. VWG, der von dem „schillernden Begriff des Agenten“ spricht. 5 Zu den daraus folgenden Konsequenzen für die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte vgl. Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.28.
702 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.484 Kap. 6
Anwendung der Preisvergleichs- oder der Kostenaufschlagsmethode. Die als Kommissionär oder Agent organisierte Finanzierungsgesellschaft, die letztlich nicht als selbstständiger Kreditgeber funktioniert, erbringt eine (Vermittlungs-)Dienstleistung. Für diese Leistung steht ihr regelmäßig die Verrechnung einer Provision für die von ihr erbrachten Leistungen zu. Dieser Provisionsanspruch stellt eine Dienstleistungs- bzw. Vermittlungsgebühr dar, welche auf Basis der Preisvergleichsmethode (hierzu ausführlich Rz. 5.5 ff.) oder anhand der Kostenaufschlagsmethode (hierzu ausführlich Rz. 5.39 ff.) konkret bestimmt werden kann. Agiert die Finanzierungsgesellschaft als Kommissionär, ist das insoweit vorhandene Haftungsrisiko im Rahmen eines zusätzlichen Risikozuschlags zu berücksichtigen. In Ausnahmefällen – insbesondere aus Vereinfachungsgründen – kann die Vergütung der Finanzierungsgesellschaft als Kommissionär oder Agent indes auch als „Spread“ i.S. eines Aufschlagsatzes auf von ihr weiterbelastete Finanzierungskosten (insbesondere in Form von Zinsen) bestimmt werden. Der Höhe nach ist gleichwohl zu berücksichtigen, dass die absolute, von der Finanzierungsgesellschaft erzielte Vergütung sich im Rahmen des Fremdüblichen bewegt.
6.480
Finanzierungsgesellschaft als eigenständiger Kreditnehmer. Handelt die ausländische Finanzierungsgesellschaft hingegen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, d.h., nimmt sie im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Kapital auf und leitet dieses (z.B. über Darlehen) an verbundene Unternehmen weiter, so sind die entsprechenden Zinsen wie zwischen unabhängigen Dritten zu vereinbaren. Damit gelten die allgemeinen Regelungen zur Bestimmung angemessener Zinssätze (Rz. 6.444), wobei insbesondere die Besonderheiten bei sog. „Durchlaufkrediten“ zu beachten sind (Rz. 6.451).
6.481
Finanzierungsgesellschaft als bloße „Buchungsstelle“. Agiert die ausländische Finanzierungsgesellschaft lediglich als sog. „Buchungsstelle“ oder überlässt sie nur ihren Namen, steht der Gesellschaft allenfalls eine (geringe) Dienstleistungsgebühr zu. Sofern jedoch zusätzliche Leistungen erbracht werden, wie z.B. Kreditverhandlungen, Kreditverwaltung oder Kreditpflege, sind diese Leistungen als konzerninterne Dienstleistungen entgeltfähig und entgeltpflichtig.1 Insoweit ist der Finanzverwaltung zuzustimmen, dass das Entgelt in solchen Fällen regelmäßig anhand der Kostenaufschlagsmethode auf der Grundlage der nachgewiesenen und direkt zurechenbaren Betriebskosten anzusetzen ist.2
6.482
Finanzierungsunterstützung der Finanzierungsgesellschaft. Soweit die Finanzierungsgesellschaft zur Ausübung ihrer Funktionen Unterstützungsmaßnahmen in Form von Garantien, Bürgschaften oder Patronatserklärungen erhält, sind die in Rz. 6.505 dargestellten Grundsätze zu beachten.
6.483
V. Teilwertabschreibungen und Forderungsverzichte auf Gesellschafterdarlehen 1. Überblick § 8b Abs. 3 KStG und § 3c EStG im Inlandsfall. Seit Einführung des Halbeinkünfteverfahrens im Jahr 2001 war streitig, ob Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen auf Ebene des Gesellschafters abzugsfähige Betriebsausgaben darstellen oder unter § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG zu subsumieren sind, falls der Anteilseigner eine Kapitalgesellschaft ist. 1 Ebenso Becker in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Anm. zu Tz. 4.3.3. VWG. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.92.
Ditz/Engelen | 703
6.484
Kap. 6 Rz. 6.484 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Handelt es sich bei dem Anteilseigner um eine natürliche Person oder um eine Personengesellschaft mit natürlichen Personen als Gesellschafter, ist fraglich, ob § 3c Abs. 2 EStG Anwendung findet. Durch das JStG 20081 wurde mit Wirkung ab dem VZ 2008 eine Regelung in § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG geschaffen, die den Abzug von Wertminderungen auf Gesellschafterdarlehen bei Körperschaften – bis auf wenige Ausnahmen – ausschließt. Eine dieser Vorschrift vergleichbare Regelung wurde mit Wirkung ab dem VZ 2015 in § 3c Abs. 2 Satz 2 ff. EStG im Hinblick auf Gesellschafterdarlehen von natürlichen Personen bzw. von Personengesellschaften mit dem ZollkodexAnpG vom 22.12.2014 eingeführt.2
6.485
§ 1 AStG im Auslandsfall. Was den Auslandsfall betrifft, vertritt die Finanzverwaltung – insbesondere in Betriebsprüfungen – die Auffassung, dass Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen nach den Grundsätzen des § 1 AStG zu korrigieren seien. Hintergrund der Argumentation der Finanzverwaltung – die in einem inzwischen überholten BMF-Schreiben v. 29.3.2011 niedergelegt war3 – ist, dass auf Grund einer fehlenden Besicherung des Darlehens „fremdunübliche“ Bedingungen vorlägen und folglich die durch die Teilwertabschreibung resultierende Einkünfteminderung bei dem inländischen Anteilseigner und Darlehensgeber durch § 1 Abs. 1 AStG außerbilanziell zu korrigieren sei. Denn Darlehensgewährungen im Konzern seien – wie bei einer Darlehensgewährung durch eine (unabhängige) Bank – zu besichern. Diese Auffassung war im Schrifttum auf heftige und nachhaltige Kritik gestoßen.4 Nachdem der BFH sich mit Urteilen vom 17.12.20145 und 24.6.20156 unter Verweis auf die Sperrwirkung von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA einer Positionierung in dieser Frage entzogen hatte, hat er mit seiner Rechtsprechungsänderung ausgehend von den Urteilen vom 27.2.20197 für eine Anwendbarkeit von § 1 AStG entschieden. Praktische Relevanz hat diese Frage jedoch – aufgrund des zwischenzeitlich eingeführten § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG für VZ ab dem Jahr 2008 bzw. des § 3c Abs. 2 Satz 2 ff. EStG – im Wesentlichen nur noch für Altfälle.8
2. Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG bei Kapitalgesellschaften a) Rechtslage bis zum Veranlagungszeitraum 2007
6.486
BFH-Urteil v. 14.1.2009. Nach dem grundlegenden Urteil des BFH v. 14.1.2009 sind Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen keine Gewinnminderungen i.S.d. § 8b Abs. 3 KStG a.F. und somit bei der Ermittlung des Gewinns der Kapitalgesellschaft nicht hinzuzurechnen.9 Der BFH bestätigte damit die h.M. der Literatur, wonach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. nicht auf die Wertminderung von eigenkapitalersetzenden Darlehen anwendbar
1 Vgl. Jahressteuergesetz 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150. 2 Vgl. Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2417. 3 Vgl. BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/0203248, BStBl. I 2011, 277. 4 Vgl. für einen Überblick Ditz/Engelen/Quilitzsch, Ubg 2016, 513 m.w.N. 5 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261. 6 BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258. 7 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394; BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BStBl. II 2020, 443; BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BStBl. II 2020, 440. 8 Soweit nach § 3c Abs. 2 EStG der Betriebsausgabenabzug zulässig ist, d.h. zu 60 %, wäre darüber hinaus eine Anwendung von § 1 AStG zwar denkbar. Dies ist indes abzulehnen, da die Anwendung von § 3c Abs. 2 EStG die Anwendung von § 1 AStG ausschließen sollte. 9 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818; so auch die Vorinstanz des FG Nds. v. 3.4.2008 – 6 K 442/05, DStRE 2008, 1450.
704 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.487 Kap. 6
ist.1 Dies begründet der BFH zutreffend damit, dass Darlehensforderungen als eigenständige Wirtschaftsgüter neben den Anteilen i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG stehen. Die Darlehensforderung ist dabei unbeschadet ihrer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis von der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft zu unterscheiden. Da mit der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft einerseits und der Darlehensforderung andererseits zwei unterschiedliche Wirtschaftsgüter vorliegen, ist es bereits bilanziell nicht möglich, dass die Wertminderung einer Darlehensforderung zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung führen kann. Eine Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG auf insoweit erhöhte Anschaffungskosten scheidet folglich aus. Ferner besteht auch im Rahmen der (außerbilanziellen) zweiten Stufe der Gewinnermittlung kein Grund dafür, die Existenz von zwei Wirtschaftsgütern zu negieren und die Wertminderung eines Wirtschaftsguts (Darlehensforderung) einem anderen Wirtschaftsgut (Anteil an der Kapitalgesellschaft) zuzuordnen. Keine Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. Vielmehr erfasst das Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. ausschließlich einmalige Substanz- bzw. Vermögensänderungen im Zusammenhang mit Anteilen i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG, die sich aus der ertragsteuerlichen Behandlung des Anteils selbst ergeben. Zu diesen Substanz- bzw. Vermögensänderungen zählen beispielsweise Verluste aus der Veräußerung des Anteils sowie Teilwertabschreibungen auf die Anteile an der Kapitalgesellschaft. Durch den Verweis auf den „in Absatz 2 genannten Anteil“ wird der systematische Zusammenhang zu dem ebenfalls nur Substanz- und Vermögensänderungen umfassenden § 8b Abs. 2 KStG hergestellt. Laufende, nicht die Substanz der Anteile betreffende Betriebsausgaben sind demgegenüber Gegenstand des § 8b Abs. 5 KStG.2 Einer solchen Argumentation steht – so der BFH zutreffend – auch § 32a GmbHG a.F. nicht entgegen. Durch die in § 32a GmbHG a.F. geforderte Gesellschafterstellung für das Vorliegen eines eigenkapitalersetzenden Darlehens wurde zwar ein Zusammenhang zwischen dem Darlehen und der Beteiligung, jedoch nicht zwischen der Beteiligung und der Teilwertabschreibung auf das Darlehen hergestellt.3 Insoweit lehnt der BFH zutreffend die von Vertretern der Finanzverwaltung geäußerte Ansicht ab, wonach die gesellschaftliche Veranlassung des eigenkapitalersetzenden Darlehens einen Zusammenhang der Teilwertabschreibung mit den Anteilen i.S.d. § 8b Abs. 3 KStG begründen soll.4 In seinem Urteil v. 14.1.2009 bestätigt der BFH damit die Rechtsauffassung der Vorinstanz. Bereits das FG Niedersachsen hatte in seinem Urteil v. 3.4.2008 ausgeführt, dass die Auslegung des § 8b Abs. 3 KStG a.F. „nach ihrem Sinn und Zweck sowie ihrer systematischen Stellung“ dazu führe, „den Gewinnminderungsausschluss nicht auf Wertminderungen eigenkapitalersetzender Darlehen zu erstrecken“.5 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. auf die Wertminderung eigenkapitalersetzender Darlehen würde indessen zu einer gesetzlich nicht angeordneten Doppelbelastung führen, wenn einerseits Teilwertabschreibungen auf Ebene des Gesellschafters steuerlich nicht wirksam würden und andererseits der Ertrag bei einem späteren Verzicht auf die Forderungen auf Ebene der Gesellschaft zu versteuern wäre.
1 Vgl. Rödder/Stangl, DStR 2005, 355; Morlock, JbFSt 2006/2007, 616; Schmidt/Hageböke, DB 2004, 2715 ff.; Dötsch/Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 100, 123; Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 709 f.; a.A. Buchna/Sombrowski, DB 2004, 1956 ff. und 2718 ff. 2 Vgl. Rödder/Stangl, DStR 2005, 254. 3 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818, Abschn. II.2. der Gründe. 4 Vgl. Buchna/Sombrowski, DB 2004, 1958. 5 FG Nds. v. 3.4.2008 – VI K 442/05, DStRE 2008, 1451, vgl. dazu auch Hoffmann, DStR 2008, 857 ff.; Rödder/Stangl, DStR 2005, 358.
Ditz/Engelen | 705
6.487
Kap. 6 Rz. 6.488 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.488
Teilwertabschreibungen als Betriebsausgabe. Im Ergebnis sind damit Teilwertabschreibungen auf (eigenkapitalersetzende) Gesellschafterdarlehen bis inkl. VZ 2007 steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. findet insofern keine Anwendung. Dies wurde mit Veröffentlichung des BFH-Urteils v. 14.1.2009 im Bundessteuerblatt auch von der Finanzverwaltung anerkannt.1 b) Rechtslage ab dem Veranlagungszeitraum 2008
6.489
Grundlagen des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG. Mit dem JStG 20082 wurde § 8b Abs. 3 KStG neu gefasst und um eine Regelung betreffend Wertverluste von Gesellschafterdarlehen ergänzt. So unterliegen nach § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG n.F. Gewinnminderungen aus sämtlichen – und nicht nur eigenkapitalersetzenden – Darlehensforderungen sowie aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten, die für ein Darlehen hingegeben wurden, dem Abzugsverbot gem. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG, wenn – das Darlehen oder die Sicherheit von einem Gesellschafter gewährt wird und – der Gesellschafter zu mehr als 25 % unmittelbar oder mittelbar an der Kapitalgesellschaft, der das Darlehen gewährt wurde, beteiligt war oder ist (wesentlich beteiligter Gesellschafter). In der Gesetzesbegründung zum JStG 2008 wird ausgeführt, dass die Änderung des § 8b Abs. 3 KStG lediglich redaktioneller Natur sei, um klarzustellen, dass die „Gesellschafterfinanzierung durch Eigenkapital oder durch nicht fremdübliche Gewinnminderung gleichbehandelt wird“.3 Nach (zutreffender) Auffassung des BFH handelt es sich jedoch bei der Gesetzesänderung nicht um eine rein redaktionelle Klarstellung; vielmehr kam es zu einer konstitutiven Neuregelung, die nach dem Gesetzeswortlaut erstmals ab dem VZ 2008 anzuwenden ist.4 Folgerichtig schließt der BFH eine rückwirkende Anwendung des Abzugsverbots des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG auf Teilwertabschreibungen vor dem VZ 2008 aus.5
6.490
Sachlicher Anwendungsbereich. In sachlicher Hinsicht bezieht sich § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG auf Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Darlehensforderungen. Die Vorschrift erfasst damit nicht jede Gewährung von Fremdkapital, sondern nur die Hingabe von Darlehen, und zwar unabhängig davon, ob das Darlehen an eine inländische oder eine ausländische Tochtergesellschaft gewährt wird,6 oder ob das Darlehen verzinslich oder unverzinslich ist.7 Auch die Darlehenslaufzeit sowie die Form der Darlehensvergütung ist für die Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG unbeachtlich.8 Von einer „Gewinnminderung“ i.S.d. § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG ist dabei insbesondere in den folgenden Fällen auszugehen:9
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. BFH v. 19.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674. Vgl. Jahressteuergesetz 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6290, 73. Vgl. § 34 Abs. 1 KStG i.d.F. des JStG 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150. Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818, Abschn. II.2. der Gründe; so auch die Literatur Altrichter-Herzberg, GmbHR 2008, 338. Vgl. Rengers in Brandis/Heuermann, EStG, GewStG, KStG, § 8b KStG Rz. 296 m.w.N. Vgl. Rengers in Brandis/Heuermann, EStG, GewStG, KStG, § 8b KStG Rz. 296. Vgl. Winhard, FR 2010, 687; Pung in Preiser/Pung, Die Besteuerung der Personen- und Kapitalgesellschaften, 934 f. Vgl. Pung in Preiser/Pung, Die Besteuerung der Personen- und Kapitalgesellschaften, 935.
706 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.491 Kap. 6
– Teilwertabschreibung auf das Gesellschafterdarlehen, wobei die Voraussetzungen für eine Teilwertabschreibung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG erfüllt sein müssen; – Ausfall der Darlehensforderung im Rahmen einer Insolvenz der Kapitalgesellschaft oder einer insolvenzfreien Liquidation im Zeitpunkt der Löschung der Kapitalgesellschaft; – Verzicht auf die Darlehensforderung durch den Anteilseigner. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei einem Forderungsverzicht nur der nicht werthaltige Teil der Forderung in den Anwendungsbereich des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG fallen kann (Rz. 6.500).1 Denn bei einem gesellschaftsrechtlich veranlassten Forderungsverzicht liegt i.H. des werthaltigen Teils der Forderung eine verdeckte Einlage vor,2 die als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung zu erfassen ist. Kommt es dann zu einer Teilwertabschreibung auf die Beteiligung, ist diese – wie bereits nach altem Recht – nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG zu korrigieren. – Inanspruchnahme aus hingegebenen Sicherheiten (z.B. Bürgschaft, Grundschuld), wobei der besicherte Darlehensgeber auch ein anderer Anteilseigner, eine nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG oder auch ein fremder Dritter (z.B. ein Kreditinstitut) sein kann. – Nach § 8b Abs. 3 Satz 8 KStG gilt das Abzugsverbot entsprechend für Forderungen aus Rechtshandlungen, die einer Darlehensgewährung wirtschaftlich vergleichbar sind. Damit werden u.a. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen in den Anwendungsbereich einbezogen. – Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts (KöMoG)3 sind Währungskursverluste vom Anwendungsbereich ausgenommen worden und gelten folglich nicht als Gewinnminderungen im Sinne des. § 8b Abs. 3 Sätze 4 und 5 KStG. Hiermit will der Gesetzgeber „Unwuchten bei der steuerlichen Behandlung von Währungskursgewinnen und -verlusten bei Gesellschafterdarlehen“ beheben.4 Konkret waren vom Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG bislang auch Währungskursverluste im Zusammenhang mit Darlehensforderungen eines Gesellschafters, mit der Inanspruchnahme von Sicherheiten für Darlehensforderungen sowie für Währungsverluste im Zusammenhang mit Forderungen aus wirtschaftlich vergleichbaren Rechtshandlungen erfasst. Währungskursgewinne eines Gesellschafters, die dieser aus der Rückzahlung eines Fremdwährungsdarlehens realisiert, waren dagegen außerhalb des § 8b Abs. 3 Satz 8 KStG grundsätzlich steuerpflichtig, da das Fremdwährungsdarlehen nicht unter die Steuerbefreiung für Anteilsveräußerungsgewinne nach § 8b Abs. 2 KStG fällt und § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG asymmetrisch wirkt, d.h. nur auf Gewinnminderungen, nicht aber auf Gewinnerhöhungen Anwendung findet.5 Persönlicher Anwendungsbereich. § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG ist nur anwendbar, wenn der Darlehensgeber bzw. Sicherheitengeber „wesentlich“ unmittelbar oder mittelbar am Grundoder Stammkapital der darlehensnehmenden Kapitalgesellschaft „beteiligt ist oder war“. Maßgebend für die Höhe der Beteiligung ist dabei die nominelle Beteiligung am Grund- oder
1 Vgl. Letzgus, BB 2010, 92; Kleinert/Podewils, GmbHR 2009, 850; Altrichter-Herzberg, GmbHR 2008, 337 ff.; Rengers in Brandis/Heuermann, EStG, GewStG, KStG, § 8b KStG Rz. 298. 2 Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723; BFH v. 16.5.2001 – I B 143/ 00, BStBl. II 2002, 436. 3 BGBl. I 2021, 2050. 4 Vgl. BT-Drucks. 19/28656 v. 19.4.2021, S. 2, 15. 5 Vgl. BT-Drucks. 19/28656 v. 19.4.2021, S. 25. Siehe auch Gomoluch, GmbHR 2021, 1134.
Ditz/Engelen | 707
6.491
Kap. 6 Rz. 6.491 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Stammkapital, eine abweichende Stimmrechtsvereinbarung ist unerheblich.1 Die Zurechnung der Anteile an der Kapitalgesellschaft bestimmt sich nach dem wirtschaftlichen Eigentum.2 § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG greift auch dann, wenn im Zeitpunkt der Gewinnminderung eine „wesentliche Beteiligung“ nicht mehr besteht; stattdessen reicht eine solche zu irgendeinem Zeitpunkt aus. Somit kann die Vorschrift auch dann greifen, wenn die Beteiligung vor der Darlehensgewährung veräußert worden ist.3 Nach § 8b Abs. 3 Satz 5 KStG wird der Anwendungsbereich der Vorschrift auch auf dem Gesellschafter nahestehende Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG ausgeweitet. Im Ergebnis werden damit durch § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG sämtliche Darlehensbeziehungen im Konzern erfasst. Dies betrifft insbesondere Darlehen an Schwestergesellschaften sowie Upstream-Darlehen an Mutter- bzw. Konzernobergesellschaften.4 Im letzteren Fall stellt sich allerdings die Frage des Verhältnisses zur vGA, wobei nach h.M. der Literatur das Rechtsinstitut der vGA gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG einer Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG vorgeht.5
6.492
Rechtsfolge des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG. Die Rechtsfolge des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG besteht darin, dass die aus der Teilwertabschreibung resultierende Gewinnminderung außerbilanziell hinzuzurechnen ist. Nach § 8b Abs. 3 Satz 8 KStG bleiben spätere Gewinne aus der Wertaufholung in voller Höhe steuerfrei, wenn die vorangegangene Teilwertabschreibung als steuerneutral behandelt wurde. Die mit dem Gesellschafterdarlehen bzw. den entsprechenden Sicherheiten im Zusammenhang stehenden laufenden Betriebsausgaben (z.B. Refinanzierungskosten) werden indes von dem Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG nicht erfasst.
6.493
„Escape“ durch Drittvergleich. § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG gestattet dem Steuerpflichtigen im Sinne einer Beweislastumkehr den Nachweis, dass auch ein fremder Dritter bei sonst gleichen Umständen die Finanzierungsmaßnahme gewährt hätte. Gelingt ein solcher Entlastungsnachweis, bleiben die entsprechenden Gewinnminderungen aus der Teilwertabschreibung abzugsfähig. Hintergrund dieser Vorgehensweise ist, dass mit Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 8b Abs. 3 Satz 4 und 5 KStG die Vermutung einer Veranlassung der Darlehensgewährung bzw. des Stehenlassens der Forderung durch das Gesellschaftsverhältnis begründet wird.6 Die Kapitalgesellschaft hat dann die Möglichkeit, die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis mit den Mitteln eines Drittvergleichs zu widerlegen.7 Der Drittvergleich ist auf den Zeitpunkt der Gewährung bzw. des Stehenlassens der Finanzierungsmaßnahme zu führen. Konkrete Hinweise, wie der Drittvergleich zu führen ist, lässt die Gesetzesbegründung zu § 8b Abs. 3 Satz 8 KStG offen. Sie beinhaltet lediglich eine Aufzählung, wann eine Darlehensgewährung als nicht fremdüblich zu qualifizieren ist:8 – Das Darlehen ist unverzinslich. – Das Darlehen ist zwar verzinslich, es werden aber keine Sicherheiten vereinbart. – Das Darlehen ist verzinslich und es werden Sicherheiten vereinbart, aber das Darlehen wird bei Eintritt der Krise der Gesellschaft nicht zurückgefordert.
1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Fuhrmann/Strahl, DStR 2008, 125 ff.; Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 279 ff. Vgl. § 39 Abs. 2 AO. So auch Winhard, FR 2010, 687. Vgl. Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 279a. Vgl. Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 279h; Eberhard, DStR 2009, 2231 f. Vgl. Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 279b; BT-Drucks. 16/6290, 73. Vgl. Lang, NWB 2010, 3801. Vgl. BT-Drucks. 16/6290, 74.
708 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.496 Kap. 6
Berücksichtigung eigener Sicherheiten. Im Rahmen der Fremdüblichkeitsprüfung dürfen nur die eigenen Sicherungsmittel der finanzierten Gesellschaft berücksichtigt werden.1 Der Drittvergleich ist also auf stand alone-Basis zu führen.2 Vertreter der Finanzverwaltung ziehen daraus den Rückschluss, dass für die Prüfung des Fremdvergleichs nach § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG der Gedanke des „Rückhalts im Konzern“ nicht übertragbar sei.3 Der jüngsten Rechtsprechung des BFH folgend sollte die sog. „passiven Konzernwirkungen“ aber gleichwohl einzubeziehen sein.4 Siehe Rz. 6.460.
6.494
Verfassungsrechtliche Bedenken. Bei § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG handelt es sich um eine Durchbrechung des Systems des Teileinkünfteverfahrens:5 Während auf Ebene des Darlehensgebers Zinsen und Veräußerungsgewinne aus der Darlehensforderung voll steuerpflichtig sind, werden Verluste aus der Darlehensforderung nach § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG – rein fiskalisch motiviert – als nicht abzugsfähig behandelt. Im Bereich der (zu 95 % steuerfreien) Beteiligungserträge wird die Nichtabzugsfähigkeit anteilsbezogener Gewinnminderungen nachvollziehbar mit der Kehrseite der Steuerfreistellung für Dividenden und Veräußerungsgewinne begründet.6 Eine solche dogmatische Begründung ist indessen bei Gewinnminderungen (insbesondere in Form von Teilwertabschreibungen) aus Gesellschafterdarlehen nicht ersichtlich. Vielmehr sind hier die Erträge (insbesondere in Form von Zinsen) steuerpflichtig, während eine etwaige Gewinnminderung steuerlich nicht abzugsfähig ist. Im Schrifttum werden daher – vor diesem Hintergrund zutreffende – verfassungsrechtliche Zweifel an der Regelung des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG im Hinblick auf eine Besteuerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geäußert.7
6.495
3. Anwendung des § 3c EStG bei natürlichen Personen a) Rechtslage bis zum Veranlagungszeitraum 2015 Überblick. Wird die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft im Betriebsvermögen einer natürlichen Person gehalten, ist im Hinblick auf die Abzugsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auf kapitalersetzende Darlehen § 3c Abs. 2 EStG einschlägig. Nach dieser Vorschrift sind Betriebsausgaben im wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen gem. § 3 Nr. 40 EStG zu 40 % (Teileinkünfteverfahren) nicht abzugsfähig. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, dass nach der Rspr. des BFH der zu § 17 EStG entwickelte Anschaffungskostenbegriff bei kapitalersetzenden Darlehen im betrieblichen Bereich keine Anwendung findet.8 Damit erhöhen Aufwendungen aus dem Ausfall derartiger Darlehen die Anschaffungskosten der zugrunde liegenden Anteile nicht, soweit die Anteile im Betriebsvermögen des Anteilseigners gehalten werden. Im Ergebnis gilt damit außerhalb des Anwendungsbereichs von § 17 EStG der in § 255 Abs. 1 HGB sowohl für die Handels- als auch für die Steuerbilanz statuierte Anschaffungskostenbegriff.9 1 Vgl. § 8b Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 KStG. 2 Vgl. Watermeyer in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 303. EL 4/2021, § 8b KStG Rz. 116; Gosch in Gosch, KStG4, § 8b KStG Rz. 279d. 3 Vgl. Lang, NWB 2010, 3801. 4 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/ Rasch. 5 Vgl. auch Winhard, FR 2010, 692. 6 Vgl. Gosch in Gosch4, § 8b KStG Rz. 278b. 7 Vgl. Winhard, FR 2010, 693. 8 Vgl. Ott, StuB 2011, 183. 9 Vgl. BFH v. 18.12.2001 – VIII R 27/00, BStBl. II 2002, 733 = FR 2002, 522.
Ditz/Engelen | 709
6.496
Kap. 6 Rz. 6.497 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.497
Keine Anwendung des § 3c EStG. Entgegen der mit BMF-Schreiben v. 23.10.20131 überholten (alten) Auffassung der Finanzverwaltung2 sind bis zum VZ 2015 auch bei einer natürlichen Person als Anteilseigner die Grundsätze des BFH-Urteils v. 14.1.20093 zu beachten. Denn es liegen auch hier zwei selbstständige Wirtschaftsgüter in Form der Anteile an der Kapitalgesellschaft einerseits sowie der Forderung aus dem Gesellschafterdarlehen andererseits vor. Dementsprechend ist die Forderung aus dem Gesellschafterdarlehen – auch bei eigenkapitalersetzenden Darlehen – bilanziell weiterhin als Fremdkapital zu behandeln, so dass in dem Forderungsverlust kein wirtschaftlicher Zusammenhang mit Einnahmen i.S.d. § 3 Nr. 40 EStG besteht.4 Diese Auffassung wird auch durch die Ausführungen des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren zum JStG 20085 bestätigt. Danach ist für die Anwendung der Restriktionen des § 8b Abs. 3 KStG auf Wertminderungen von Darlehensforderungen natürlicher Personen eine entsprechende Änderung des § 3c Abs. 2 EStG erforderlich.6 Auch die Rspr. vertritt die Auffassung, dass das anteilige Abzugsverbot gem. § 3c Abs. 2 EStG nicht auf Wertminderungen von Darlehensforderungen des Gesellschafters gegenüber der Kapitalgesellschaft anwendbar ist.7 Dies insbesondere deswegen, weil die Anwendung des § 3c Abs. 2 EStG eine Veranlassung der Wertminderung durch die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft als Einkommensquelle voraussetzt. Die Wertminderung einer Darlehensforderung steht allerdings nicht in einem Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen gem. § 3 Nr. 40 EStG (insbesondere Dividenden- und Veräußerungsgewinne), welche aus der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft erzielt werden. Vielmehr geht die Darlehensforderung mit Zinseinnahmen einher, welche als Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht dem Halbeinkünfteverfahren (bzw. Teileinkünfteverfahren) unterliegen, sondern voll steuerpflichtig sind.8 Im Ergebnis sind folglich Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen sowie der nicht werthaltige Teil des Forderungsverzichts (Rz. 6.500) in voller Höhe abzugsfähig; der steuerwirksame Abzug wird nicht nach § 3c Abs. 2 EStG eingeschränkt.9
6.498
Personengesellschaft als Anteilseigner. Bei einer Personengesellschaft mit Kapitalgesellschaften als Mitunternehmer sind deren Gewinnanteile grundsätzlich auch unter Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu ermitteln. Zusätzlich verweist § 8b Abs. 6 KStG auf eine korrespondierende Anwendung des § 8b Abs. 1–5 KStG bei den Mitunternehmern. Soweit demnach Mitunternehmer-Kapitalgesellschaften Gewinnminderungen aus Teilwertabschreibungen auf Gesellschafterdarlehen zugerechnet werden, ist bei diesen – seit dem VZ 2008 – ebenfalls § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG einschlägig. Insoweit gelten die für Kapitalgesellschaften in Rz. 6.489 ff. dargestellten Grundsätze korrespondierend. Dies gilt im Übrigen auch für die Rechtslage bis
1 BMF v. 23.10.2013 – IV C 6 - S 2128/07/1001, BStBl. I 2013, 1269. 2 Die Finanzverwaltung ging in ihrem nunmehr überholten BMF-Schreiben v. 8.11.2010 davon aus, dass § 3c Abs. 2 EStG im Hinblick auf Teilwertabschreibungen bei Gesellschafterdarlehen einschlägig ist, wenn keine fremdüblichen Konditionen vereinbart wurden. Vgl. BMF v. 8.11.2010 – IV C 6 - S 2128/07/10001, BStBl. I 2010, 1292 Abschn. 2. 3 Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818. 4 Vgl. Eberhard, DStR 2009, 2228; Fuhrmann/Strahl, DStR 2008, 125 ff.; Schulze zur Wiesche, GmbHR 2007, 850; Schwenker/Fischer, FR 2010, 649; Neumann/Watermeyer, Ubg 2008, 759. 5 Vgl. Jahressteuergesetz 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 1350. 6 Vgl. BR-Drucks. 544/1/07, 6. 7 Vgl. BFH v. 18.4.2012 – X R 5/10, BFHE 237, 106; BFH v. 18.4.2012 – X R 7/10, BFHE 237, 119; BFH v. 28.2.2013 – IV R 49/11, BStBl. II 2013, 802. 8 Vgl. FG Düss. v. 20.1.2010 – 2 K 4581/07 F, EFG 2010, 1775, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 14/10. 9 So nunmehr auch die Finanzverwaltung in BMF v. 23.10.2013 – IV C 6 - S 2128/07/1001, BStBl. 1 2013, 1269. S. ferner Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 711; Eberhard, DStR 2009, 2228; Schwenker/ Fischer, FR 2010, 649; Neumann/Watermeyer, Ubg 2008, 758.
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E. Finanztransaktionen | Rz. 6.500 Kap. 6
2007, weshalb auch für Darlehen einer Personengesellschaft mit Kapitalgesellschaften als Mitunternehmer § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG a.F. nicht anwendbar ist. Auch insoweit sind demnach die im BFH-Urteil v. 14.1.2009 entwickelten Rechtsgrundsätze zu beachten (Rz. 6.486).1 b) Rechtslage ab dem Veranlagungszeitraum 2015
Anwendung des § 3c Abs. 2 EStG. Durch Einführung des § 3c Abs. 2 Satz 2 ff. EStG sind die vorstehend skizzierten Regelungen des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG (Rz.6.489) bei einer natürlichen Person als Anteilseigner in ähnlicher Weise anzuwenden. So soll der teilweise (40 %) Betriebsausgabenabzugsverbot auch für Betriebsvermögensminderungen oder Betriebsausgaben im Zusammenhang mit einer Darlehensforderung oder aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten, für die ein Darlehen hingegeben wurde, anzuwenden sein. Dies setzt voraus, dass der Steuerpflichtige zu mehr als 25 % an der darlehensnehmenden Körperschaft beteiligt ist oder war. Auch der Drittvergleich ist in § 3c Abs. 2 Satz 3 EStG entsprechend normiert. Schließlich soll das Abzugsverbot für eine Darlehensgewährung vergleichbare Rechtshandlungen ebenfalls Anwendung finden.
6.499
4. Behandlung von Forderungsverzichten Verdeckte Einlage auf Ebene der Gesellschaft. Bei einem Forderungsverzicht erlischt das Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner mit der Folge, dass die Verbindlichkeit beim Schuldner nicht mehr auszuweisen ist.2 Verzichtet ein Gesellschafter (z.B. Muttergesellschaft) auf seine Forderung gegenüber der Gesellschaft (z.B. Tochtergesellschaft) und liegen die Gründe für den Verzicht im Gesellschaftsverhältnis, kommt es nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH v. 9.6.19973 auf Ebene der (Tochter-)Gesellschaft in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung zu einer verdeckten Einlage in das Vermögen der (Tochter-)Gesellschaft.4 Die Erfassung des Forderungsverzichts als verdeckte Einlage setzt folglich einerseits eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung voraus, die gegeben ist, wenn ein Nichtgesellschafter der (Tochter-)Gesellschaft den Vermögensvorteil nicht zugewandt hätte. Ist der Forderungsverzicht damit beim Gesellschafterunternehmen betrieblich veranlasst, d.h. in dessen eigenem betrieblichen Interesse (Rz. 6.502), kann keine verdeckte Einlage vorliegen. Andererseits setzt die Behandlung des Forderungsverzichts als verdeckte Einlage voraus, dass die Forderung des Gesellschafters werthaltig ist. In diesem Zusammenhang gilt Folgendes:5 – Ist die Forderung werthaltig, sind nach Auffassung des BFH die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage erfüllt, so dass der aus dem Forderungsverzicht auf Ebene der Gesellschaft ausgewiesene (außerordentliche) Ertrag bei der Einkommensermittlung zu kürzen ist.6 Die verdeckte Einlage ist als Zugang beim steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG zu erfassen. – Ist die Forderung nicht werthaltig, kann nach Auffassung des BFH keine verdeckte Einlage vorliegen. Auf Ebene der (Tochter-)Gesellschaft ist der Forderungsverzicht infolgedessen als steuerpflichtiger Ertrag zu erfassen (und damit ggfs. gegen steuerliche Verluste oder Verlustvorträge zu verrechnen).
1 2 3 4 5 6
Vgl. BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818. Vgl. BFH v. 31.5.2005 – I R 35/04, BStBl. II 2006, 132 = FR 2006, 135. Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723. Vgl. auch BFH v. 31.5.2005 – I R 35/04, BStBl. II 2006, 132 = FR 2006, 135. Vgl. auch Ott, DStZ 2010, 627. Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723. Insoweit ist das Korrespondenzprinzip des § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG zu beachten.
Ditz/Engelen | 711
6.500
Kap. 6 Rz. 6.500 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Erfüllt der Forderungsverzicht auf Ebene der (Tochter-)Gesellschaft die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage, ist der handelsrechtlich in der Gewinn- und Verlustrechnung erfasste (außerordentliche) Ertrag außerbilanziell zu kürzen.1 Alternativ ist es möglich, die verdeckte Einlage unmittelbar in der Steuerbilanz erfolgsneutral auszuweisen, indem eine Gegenbuchung im Eigenkapital vorgenommen wird.2
6.501
Verdeckte Einlage auf Ebene des Gesellschafters. Auch auf Ebene des Gesellschafters (Muttergesellschaft) sind die steuerlichen Konsequenzen seines Forderungsverzichts gegenüber seiner Gesellschaft (Tochtergesellschaft) davon abhängig, ob die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage erfüllt sind. In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage, ob auf die Forderung im eigenen betrieblichen Interesse des Gesellschafters verzichtet wird (Rz. 6.502). Ist dies der Fall, kann keine verdeckte Einlage vorliegen, da diese eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung voraussetzt (Rz. 2.48 ff.). Ist die Voraussetzung einer betrieblichen Veranlassung gegeben, ist der Verzicht der Forderung auf Ebene des Gesellschafters aufwandswirksam zu erfassen. § 1 AStG sowie § 8 Abs. 3 Satz 4 ff. KStG (Rz. 2.210 ff.) sind nicht anwendbar. Ist hingegen eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung gegeben, kann nur der nicht werthaltige Teil der Forderung aufwandswirksam erfasst werden; in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung, auf welche verzichtet wurde, sind hingegen die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage erfüllt. Als Rechtsfolge der verdeckten Einlage sind bei dem Gesellschafter (Muttergesellschaft) die Anschaffungskosten der Beteiligung an der (Tochter-)Gesellschaft um den Teilwert der verdeckten Einlage zu erhöhen.3 Dabei stellt der Große Senat des BFH zur Bewertung des Forderungsverzichts auf den Betrag ab, den die (Tochter-)Gesellschaft für den Erwerb der Forderung oder für die Herbeiführung des Verzichts hätte aufwenden müssen. Dies ist der Wert, den der Gesellschafter bei Vollabwicklung der Gesellschaft noch erzielen würde.4 Für den Fall, dass der Forderungsverzicht gegenüber der (Tochter-)Gesellschaft gesellschaftsrechtlich veranlasst ist, ist auf den nicht werthaltigen Teil § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG anzuwenden (Rz. 6.489).
6.502
Betriebliche Veranlassung. Soweit der Forderungsverzicht durch den Gesellschafter (Muttergesellschaft) im eigenen betrieblichen Interesse erfolgt, sind die Voraussetzungen einer verdeckten Einlage nicht erfüllt.5 Der Aufwand des Gesellschafters aus dem Forderungsverzicht ist infolgedessen handelsrechtlich als Aufwand und steuerrechtlich als Betriebsausgabe zu erfassen. Ein betriebliches Interesse des Gesellschafters liegt insbesondere dann vor, wenn der Forderungsverzicht (auf eine Darlehensforderung oder auf Forderungen aus Lieferungen und Leistungen) zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der darlehensnehmenden (Tochter-) Gesellschaft dient, um infolgedessen einen bestehenden Liefer- und Leistungsverkehr zwischen beiden Unternehmen (weiterhin) zu gewährleisten.6 Typisches Beispiel für einen solchen Fall ist der Verzicht einer Produktions-Muttergesellschaft auf Forderungen aus Lieferungen und Leistungen gegenüber ihrer Vertriebs-Tochtergesellschaft. Ist die Vertriebs-Tochtergesellschaft in einer nachhaltigen wirtschaftlich problematischen Situation (z.B. nachhaltige Ver1 2 3 4
Vgl. § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG. Vgl. auch Wassermeyer, IStR 2001, 634. Vgl. § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG. Vgl. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = FR 1997, 723. Siehe ferner BFH v. 10.11.1998 – VIII R 6/96, BStBl. II 1999, 348 = FR 1999, 463; FG Köln v. 10.2.1999 – 10 K 862/95, EFG 1999, 547; FG Münster v. 15.6.2011 – 9 K 2731/08 K, G, F, EFG 2011, 2194. 5 Vgl. Wochinger in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG Rz. 63. 6 Vgl. auch das inzwischen überholte BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/ 0203248, BStBl. I 2011, 277, Rz. 16.
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E. Finanztransaktionen | Rz. 6.504 Kap. 6
lustsituation), wird ein Forderungsverzicht häufig notwendig sein, um eine Überschuldung der Vertriebsgesellschaft zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist der Verzicht auf Forderungen aus Lieferungen und Leistungen oder auf Darlehensforderungen der Mutter- gegenüber ihrer Vertriebs-Tochtergesellschaft in ihrem eigenen betrieblichen Interesse, da diese bei einer Insolvenz der Vertriebs-Tochtergesellschaft beispielsweise den Markt „verlieren“ würde. Damit liegt der Forderungsverzicht gegenüber der Vertriebsgesellschaft – zur Aufrechterhaltung des lokalen Vertriebskanals – im eigenen betrieblichen Interesse der Mutter-Produktionsgesellschaft. Eine verdeckte Einlage kommt damit nicht in Betracht. Dies gilt nicht nur im Verhältnis zu Vertriebsgesellschaften, sondern kann auch in Bezug auf Liefer- und Leistungsbeziehungen zu einer Einkaufs-, Produktions-, Dienstleistungs- oder F&E-Gesellschaft von Bedeutung sein. Mithin ist ein Forderungsverzicht immer dann betrieblich veranlasst, wenn die betrieblichen Funktionen des Schuldnerunternehmens im eigenen betrieblichen Interesse des Gläubigerunternehmens liegen. Keine Anwendung des § 1 AStG und des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG. Ist der Forderungsverzicht betrieblich veranlasst, kommt eine Korrektur des Forderungsverzichts nach § 1 Abs. 1 AStG nicht in Betracht.1 Denn bei einem eigenen betrieblichen Interesse des Forderungsgläubigers würde auch ein fremder Dritter (in Person des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters des Forderungsgläubigers) einen Forderungsverzicht aussprechen. Im Übrigen ist fraglich, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 AStG bzw. die durch ihn verfolgte Zwecksetzung im Hinblick auf einen Forderungsverzicht erfüllt sind (Rz. 2.182 ff.).2 Im Übrigen kann der durch einen betrieblich veranlassten Forderungsverzicht ausgelöste Aufwand auf Ebene des Gesellschafters (z.B. Muttergesellschaft) nicht nach § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG neutralisiert werden. Denn nach § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG ist die Vorschrift nicht anzuwenden, wenn ein Gegenbeweis auf Basis eines Fremdvergleichs geführt werden kann. Eine weitergehende, einschränkende Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes enthält § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG nicht. Insofern kann im Hinblick auf die Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG nichts anderes gelten, als in Bezug auf § 1 Abs. 1 AStG: Der Forderungsverzicht ist betrieblich veranlasst und infolgedessen fremdvergleichskonform. Damit greift die EscapeKlausel des § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG. Außerdem vertritt die Finanzverwaltung explizit die Auffassung, dass die Darlehensgewährung ohne Vereinbarung einer tatsächlichen Sicherheit, aber unter Berücksichtigung eines angemessenen Risikozuschlags „regelmäßig dem Fremdvergleichsgrundsatz“ entspricht.3
6.503
Werthaltigkeit einer Forderung. Auch wenn für den Forderungsverzicht eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis besteht, kann nur der werthaltige Teil der Forderung eine verdeckte Einlage begründen (Rz. 2.50). Der nicht werthaltige Teil der Forderung, auf welche verzichtet wurde, ist Aufwand bzw. Betriebsausgabe. Eine Korrektur des als Betriebsausgabe behandelten nicht werthaltigen Teils der Forderung nach § 1 AStG ist nicht sachgerecht. Denn insoweit sind die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt (Rz. 2.210 ff.).4 Ist der Forderungsgläubiger allerdings eine Kapitalgesellschaft, ist der nicht werthaltige Teil der Forderung, auf welche verzichtet wurde, gem. § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG außerbilanziell hinzuzurechnen. Die Ausnahmeregelung des § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG greift
6.504
1 Vgl. auch das inzwischen überholte BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/ 0203248, BStBl. I 2011, 277, Rz. 19. 2 Vgl. Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 711 ff.; Ditz/Liebchen, IStR 2012, 102 f. 3 Vgl. auch das inzwischen überholte BMF v. 29.3.2011 – IV B 5 - S 1341/09/10004 – DOK 2011/ 0203248, BStBl. I 2011, 277, Rz. 9. 4 Vgl. Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 711 ff.; Ditz/Liebchen, IStR 2012, 102 f.
Ditz/Engelen | 713
Kap. 6 Rz. 6.504 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
insoweit nicht. Ist Darlehensgläubiger eine natürliche Person, kommt die Anwendung des § 3c Abs. 2 EStG in Betracht (Rz. 6.499).
VI. Garantien, Bürgschaften und Patronatserklärungen 1. Zivilrechtliche Grundlagen 6.505
Überblick. Verbundene Unternehmen (z.B. ausländische Tochter- oder Enkelgesellschaften) erhalten oft nur dann Zugang zu Fremdkapital, wenn die (inländische) Konzernmuttergesellschaft oder eine Konzernfinanzierungsgesellschaft eine Sicherheit, z.B. in Form einer Garantie, Bürgschaft oder Patronatserklärung (nachfolgend insgesamt auch „Finanzgarantie“), gewährt. Ferner kann eine solche Finanzgarantie auch dazu führen, dass sich ein Unternehmen zu besseren Konditionen (insbesondere zu niedrigeren Zinssätzen) finanzieren kann, als ohne diese Finanzgarantie. Ist dies der Fall, stellt sich die Frage, ob für die Gewährung einer solchen Finanzierungsgarantie im Konzern dem Grunde nach ein Entgelt zu verrechnen ist (Rz. 6.426 ff.). Wird diese Frage bejaht, ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, wie das Entgelt (der Höhe nach) zu bestimmen ist. Die Verrechenbarkeit von Finanzierungs- und Kreditunterstützungsleistungen im internationalen Konzern steht dabei häufig im Fokus einer Prüfung durch die internationalen Finanzbehörden.1
6.506
Garantien. Zivilrechtlich ist unter einer Garantie eine einseitige Verpflichtung zu verstehen, auf Grund derer sich der Garantiegeber gegenüber dem Garantienehmer (Garantiegläubiger) verpflichtet, diesen im Garantiefall so zu stellen, als ob ein im Vorhinein avisierter Erfolg eingetreten oder ein Schadensereignis nicht eingetreten wäre.2 Damit handelt es sich bei einer Garantie um eine verschuldensunabhängige Erfüllungshaftung. Vergleichbar zu einem Bürgschaftsversprechen besteht der Zweck einer Garantie in der Sicherung eines fremden Interesses. Die Garantie ist jedoch nicht akzessorisch, d.h. sie ist nicht vom Bestehen einer Fremdverbindlichkeit abhängig.3 Für den Fall, dass die Garantie auf die Absicherung eines Zahlungsanspruchs gerichtet ist, ist ihre Zahlung infolgedessen auch dann zu leisten, wenn die Verbindlichkeit, für welche die Garantiezusage abgegeben wurde, nicht entstanden ist oder nicht mehr existiert.4 Denn anders als der Schuldner, der sich auf der Grundlage eines abstrakten Schuldversprechens (§ 780 BGB) verpflichtet, sagt der Garantiegeber nicht schlechthin die Zahlung gegenüber dem Garantienehmer zu. Eine Zahlungsverpflichtung besteht lediglich dann, wenn sich ein im zugrunde liegenden Garantieverhältnis vertraglich bestimmtes Risiko (i.d.R. ein Zahlungsausfall) realisiert.
6.507
Bürgschaften. Im Rahmen einer Bürgschaft gibt der Bürge (z.B. die inländische Muttergesellschaft) dem Gläubiger eines verbundenen Unternehmens ein Versprechen ab, für die Verbindlichkeiten des verbundenen Unternehmens (z.B. ausländische Tochtergesellschaft) einzustehen.5 Im Gegensatz zur Garantiezusage (Rz. 6.506) ist die Bürgschaft daher von dem Bestand einer Verbindlichkeit (Hauptschuld) des verbundenen Unternehmens abhängig. Infolgedessen 1 Vgl. etwa Zech, IStR 2009, 418 ff.; Ditz, IStR 2009, 421 ff.; Puls, IStR 2012, 209 ff.; Ammelung/ Bernhardt/Lorenzen/Ackerman, DK 2010, 404 ff. 2 Vgl. BGH v. 13.6.1996 – IX ZR 172/95, NJW 1996, 2569; BFH v. 18.6.2001 – II ZR 248/99, ZIP 2001, 1496; Habersack in MünchKomm-BGB, Vor § 765 Rz. 16; Horn in Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 765 Rz. 194. 3 Vgl. BGH v. 23.1.1997 – IX ZR 297/95, NJW 1997, 1435; BFH v. 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, NJW 2006, 996. 4 Vgl. Puls, IStR 2012, 209. 5 Vgl. Puls, IStR 2012, 209 f.
714 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.509 Kap. 6
handelt es sich bei Bürgschaften um akzessorische Sicherungsmittel, weil sie rechtlich von der Existenz einer Hauptschuld abhängen.1 Die Gewährung einer Bürgschaft hat regelmäßig in Schriftform zu erfolgen. Eine Ausnahme besteht lediglich dann, wenn es sich um ein kaufmännisches Handelsgeschäft handelt.2 Dies ist in Konzernfällen, z.B. im Hinblick auf die Gewährung einer Bürgschaft einer inländischen Mutter- an ihre ausländische Tochtergesellschaft, regelmäßig der Fall. Patronatserklärungen. Für den Begriff des „Patronats“ existiert keine Definition; vielmehr kann eine Patronatserklärung in sehr unterschiedlichen Formen abgegeben werden. Dabei wird gemeinhin zwischen den folgenden fünf Grundformen unterschieden:3
6.508
– Die Muttergesellschaft sagt dem Gläubiger der Tochtergesellschaft zu, für die Dauer des Kreditverhältnisses das Gesellschaftsverhältnis mit der Tochtergesellschaft beizubehalten. – Die Muttergesellschaft sagt dem Gläubiger der Tochtergesellschaft zu, für die Dauer des Kreditverhältnisses den Unternehmensvertrag mit der Tochtergesellschaft nicht zu ändern, aufzuheben oder zu kündigen. – Die Muttergesellschaft sagt dem Gläubiger der Tochtergesellschaft zu, für die Dauer des Kreditverhältnisses die Tochtergesellschaft dahin zu beeinflussen, dass diese ihren Verpflichtungen (gegenüber dem Gläubiger) nachkommen wird. – Die Muttergesellschaft sagt dem Gläubiger der Tochtergesellschaft zu, für die Dauer des Kreditverhältnisses die Tochtergesellschaft finanziell so ausgestattet zu halten, dass sie ihren Verbindlichkeiten (gegenüber dem Gläubiger) nachkommen kann. – Die Muttergesellschaft sagt dem Gläubiger der Tochtergesellschaft zu, für die Dauer des Kreditverhältnisses eine bestimmte Kapitalausstattung bei der Tochtergesellschaft aufrecht zu erhalten. Weiche und harte Patronatserklärungen. Während die beiden letztgenannten Formen als sog. „harte“ Patronatserklärungen auf die ausreichende Ausstattung der Tochtergesellschaft mit Liquidität bzw. Kapital gerichtet sind, verpflichten die drei erstgenannten Formen als sog. „weiche“ Patronatserklärungen nicht zu Zahlungen, sondern nur zu einer bestimmten Handlungs- bzw. Verhaltensweise der Muttergesellschaft. Damit ist bei Patronatserklärungen zwischen sog. weichen und sog. harten Patronatserklärungen zu unterscheiden.4 Weiche Patronatserklärungen beinhalten einen nur sehr abgeschwächten Sicherungswert, da der Patron keine rechtlich bindende Verpflichtung eingeht, für eine fremde Schuld einzustehen.5 Mithin besteht auch keine Liquiditätsausstattungspflicht zugunsten der Tochtergesellschaft, so dass es sich bei der weichen Patronatserklärung letztlich um eine reine „Good-Will-Erklärung“ handelt.6 Infolgedessen werden weiche Patronatserklärungen von Gläubigern nur in seltenen Aus-
1 Vgl. auch BGH v. 9.7.1998 – IX ZR 272/96, DStR 1998, 1609. 2 Vgl. § 343 i.V.m. § 350 HGB. 3 Vgl. IDW RH HFA 1.013, Handelsrechtliche Vermerk- und Berichterstattungspflichten bei Patronatserklärungen v. 28.2.2008, WPg Supplement 1/2008, 37 ff. und FN-IDW 3/2008, 116 ff. 4 Vgl. Wittig, WM 2003, 1981; IDW RH HFA 1.013, Handelsrechtliche Vermerk- und Berichterstattungspflichten bei Patronatserklärungen v. 28.2.2008, WPg-Supplement 1/2008, 37 ff. und FNIDW 3/2008, 116 ff. 5 Vgl. Puls, IStR 2012, 210. 6 Vgl. OLG Düss. v. 28.11.1996 – 6 U 11/95, ZIP 1997, 27; BGH v. 8.5.2006 – II ZR 94/05, NZG 2006, 543; BFH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, NJW 1992, 2093.
Ditz/Engelen | 715
6.509
Kap. 6 Rz. 6.509 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nahmefällen akzeptiert. Im Gegensatz dazu wird im Rahmen einer harten Patronatserklärung1 eine rechtlich verbindliche Verpflichtung des Patrons (z.B. Muttergesellschaft) begründet, deren Schuldner (z.B. Tochtergesellschaft) mit einer die Schuldentilgung ermöglichenden Liquidität auszustatten. Infolgedessen handelt es sich bei einer harten Patronatserklärung i.d.R. um eine bürgschaftsähnliche Pflicht zu einer (Mindest-)Kapitalausstattung der Tochtergesellschaft.2 Der wesentliche Unterschied zur Garantie und zur Bürgschaft liegt darin, dass der Patron außerhalb der Insolvenz des Hauptschuldners nicht unmittelbar zur Zahlung an den Gläubiger verpflichtet ist.3 Dies hat den Vorteil, dass der Patron frei entscheiden kann, wie er die Tochtergesellschaft mit Liquidität ausstattet. Vergleichbar zur Bürgschaft stellt die harte Patronatserklärung eine akzessorische Kreditsicherheit dar, die den rechtlichen Bestand einer Hauptforderung voraussetzt, die gesichert werden soll.4
6.510
Verbesserte Finanzierungsmöglichkeiten. Im Ergebnis können Garantien, Bürgschaften und Patronatserklärungen dazu führen, dass sich ein Darlehensnehmer zu besseren Konditionen finanzieren kann oder, dass er höhere Darlehensbeträge aufnehmen kann.5 Auch die OECD erkennt indes an, dass Garantien, Bürgschaften und Patronatserklärungen die Finanzierungsmöglichkeiten nicht zwingend verbessern. Beispielsweise kann die vermeintliche Finanzgarantie dem Darlehensnehmer keinen Nutzen bringt, sondern lediglich den Vorteil widerspiegelt, den der Garantienehmer aufgrund seiner Zugehörigkeit zum multinationalen Konzern ohnehin erlangt hätte.6 Ferner können Konzerngesellschaften (losgelöst von etwaigen Bürgschaften o.ä.) finanziell in der Weise voneinander abhängig sein, dass auch eine explizite Bürgschaft das Risiko des Bürgschaftgebers bzw. die Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers, zu dessen Gunsten die Bürgschaft ausgesprochen wird, nicht wesentlich verändert.7 Dem trägt auch die Finanzverwaltung Rechnung, wenn sie der Vergütung für eine Garantie, Bürgschaft oder Patronatserklärung voraussetzt, dass diese zu einer „nachgewiesenen erhöhten Kreditwürdigkeit“ führt.8
6.511
Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Zwar entspricht es grundsätzlich dem Fremdvergleichsgrundsatz, für die Übernahme einer Bürgschaft, Garantie oder einer Patronatserklärung eine Vergütung zu verrechnen. Die regelmäßig von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung, wonach für eine Finanzierungsunterstützung einer inländischen Mutter- an ihre ausländische Tochtergesellschaft ein „fremdvergleichsübliches Entgelt“9 bzw. für die Vorteile einer nachgewiesenen erhöhten Kreditwürdigkeit eines Unternehmens ein dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechender Verrechnungspreis anzusetzen ist,10 ist indessen nicht sachgerecht. Man muss auch steuerrechtlich anerkennen, dass es innerhalb von verbundenen Unternehmen Situationen gibt, die sich jedem Fremdvergleich entziehen und nur mit dem bestehenden Gesellschaftsverhältnis zu erklären sind. So kann sich z.B. eine Konzernmuttergesellschaft
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Zu einem Formulierungsbeispiel vgl. Ditz/Kluge, IWB 2013, 87 ff. Vgl. Fleischer, WM 1999, 666; Puls, IStR 2012, 210. Vgl. etwa BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, NJW 1992, 2093; Michalski, WM 1994, 1229. Vgl. OLG München v. 24.1.2003 – 23 U 4026/02, DB 2003, 711; Schmidt, NZG 2006, 883; s. ferner BFH v. 25.10.2006 – I R 6/05, BStBl. II 2007, 384 = FR 2007, 698; Küffner, DStR 1996, 146 ff. zur bilanziellen Behandlung. Vgl. Tz. 10.157, 10.158, 10.161 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 10.160 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 10.164 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.96. Zech, IStR 2009, 419. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.96.
716 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.513 Kap. 6
zur Sicherung von Ansprüchen Dritter dazu verpflichten, die eigene Tochtergesellschaft zu liquidieren, um mit dem so erzielten Gewinn eigene Schulden zu tilgen. Ebenso kann eine Konzernmuttergesellschaft einem Bankenkonsortium Konzernvermögen zur Sicherung übereignen, um z.B. den Kaufpreis für eine zusätzlich erworbene Unternehmensgruppe zu finanzieren. In derartigen Fällen macht es aus wirtschaftlicher Sicht keinen Unterschied, ob die Konzernmuttergesellschaft ausschließlich eigenes Vermögen zur Sicherung übereignet oder ob sie nachgeschaltete Konzerngesellschaften veranlasst, deren Vermögen zur Sicherheit zu übereignen. Dies erkennt auch die Finanzverwaltung jedenfalls in EU/EWR-Fällen unter Bezug auf die EuGH-Rechtsprechung an. So soll es sich bei einer Verpflichtungsübernahme um einen (nicht zu vergütenden) Gesellschafterbeitrag handeln, wenn ein Unternehmen erst durch die Verpflichtung der multinationalen Unternehmensgruppe oder eines Mitglieds dieser multinationalen Unternehmensgruppe gegenüber einem fremden Dritten in die Lage versetzt wird, Kapital aufnehmen zu können, und wenn ein wirtschaftlicher Grund vorliegt.1 Auch im Übrigen können die von Banken in ihrem üblichen Geschäftsverkehr angewandten Grundsätze nicht „eins zu eins“ auf verbundene Unternehmen übertragen werden. Hier sind insbesondere die gesellschaftsrechtlichen Beherrschungsverhältnisse sowie die vollkommen anderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Infolgedessen bedarf die Frage der Abrechnung von Garantien, Bürgschaften und Patronatserklärungen im internationalen Konzern dem Grunde und der Höhe nach einer differenzierten Analyse.
2. Verrechnung dem Grunde nach Geschäftsbeziehung oder ausschließliche Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis. Die Frage der Verrechnung einer angemessenen Avalvergütung („Avalprovision“) für die Gewährung der vorstehend dargestellten Finanzgarantien geht zunächst dahin, ob dem Grunde nach eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG zwischen den verbundenen Unternehmen (z.B. der Mutter- und ihrer Tochtergesellschaft) begründet wird, welche fremdüblich abzurechnen ist (Rz. 2.92 ff.). Nur wenn die Frage der Verrechnung einer solchen Gebühr dem Grunde nach bejaht wird, ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, wie die Vergütung der Höhe nach (Rz. 6.521 ff.) zu bestimmen ist. Besteht dagegen die Veranlassung ausschließlich im Gesellschaftsverhältnis, so kann einerseits keine Vergütung für das Versprechen der Sicherheitsleistung angesetzt werden. Andererseits kann im Falle der Inanspruchnahme die dann eintretende Vermögensminderung nicht als Betriebsausgabe berücksichtigt werden. Hinsichtlich der Verrechnung einer Avalvergütung dem Grunde nach ist die Geschäftsbeziehung von einem reinen Gesellschafterbeitrag, d.h. einer durch das Gesellschaftsverhältnis motivierten Beziehung, abzugrenzen.
6.512
Gesellschaftsrechtliche Veranlassung einer funktionsgerechten Kapitalausstattung. Führt erst die Finanzgarantie dazu, dass ein Unternehmen funktionsgerecht mit Kapital ausgestattet wird, ist darin regelmäßig eine Veranlassung im Gesellschafterverhältnis zu sehen und es liegt folglich keine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG vor.2 Vielmehr nimmt die die Finanzgarantie gewährende Gesellschaft ihre typischen Gesellschafterpflichten wahr. Derartige Pflichten sind Ausdruck der Konzernverbundenheit und damit der gesellschaftsrechtlichen
6.513
1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.97. 2 Vgl. Ditz in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2315 m.V.a. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720; BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123; Scholz/Wehlke in V/B/B, Verrechnungspreise5, Kap. P Rz. 15.
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Kap. 6 Rz. 6.513 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Ebene zuzuordnen.1 Dies wird im Grunde auch durch die Finanzverwaltung anerkannt. So soll es – nach Auffassung der Finanzverwaltung unter Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung i.S. Hornbach (C-382/16 v. 31.5.2018) beschränkt auf EU/EWR-Fälle – bei einer Verpflichtungsübernahme um einen Gesellschafterbeitrag handeln, wenn ein wirtschaftlicher Grund vorliegt und „in Unternehmen erst durch die Verpflichtung der multinationalen Unternehmensgruppe oder eines Mitglieds dieser multinationalen Unternehmensgruppe gegenüber einem fremden Dritten in die Lage versetzt, Kapital aufnehmen zu können“.2 Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung sollten diese Grundsätze jedoch nicht allein auf EU/EWR-Fälle beschränkt sein. So ist zwar zunächst zuzustimmen, dass der EuGH in vorgenannter Rechtssache sein Urteil auf die nur in EU-/EWR-Fällen einschlägige Niederlassungsfreiheit stützt. Dies ist aber insbesondere dem dort konkret entschiedenen Urteilsfall geschuldet. Da es sich dort nicht um einen Drittstaatenfall gehandelt hat, war eine strikte Normenbetrachtung bzw. Abgrenzung zwischen Kapital- und Niederlassungsfreiheit verzichtbar.3 Dementsprechend ist § 1 AStG in Drittstaatsfällen entsprechend zu „reduzieren“, d.h., dass der Steuerpflichtige auch dort wirtschaftliche Gründe nachweisen kann.4 Eine Begrenzung auf EU-/EWR-Fälle ist auch deshalb nicht sachgerecht, weil die wirtschaftlichen Gründe des Gesellschafters schon im Rahmen der Ermittlung des Fremdvergleichs zu berücksichtigen sind. Der Fremdvergleichsgrundsatz kennt aber keine räumliche Einschränkung, sondern gilt innerhalb und außerhalb der EU gleichermaßen.5 Führt erst die Finanzgarantie dazu, dass ein Darlehensnehmer überhaupt ein Darlehen aufnehmen kann bzw. einen höheren Darlehensbetrag aufnehmen kann, sieht auch die OECD darin eine mögliche Kapitaleinlage des Garantiegebers.6
6.514
Nutzen des Darlehensnehmers und Risikoposition des Garantiegebers. Jenseits gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen sollte eine Vergütung für die Übernahme einer Finanzgarantie nach Auffassung der Finanzverwaltung immer dann zum Ansatz zu bringen sein, wenn dies zu einer „nachgewiesenen erhöhten Kreditwürdigkeit“ führt. Die Finanzgarantie muss dem begünstigten Schuldner also einen Vorteil bzw. Nutzen bringen, d.h. eine Finanzierung überhaupt oder zu geringeren Finanzierungskosten ermöglichen. Zudem setzt die Vergütung nach Auffassung der Finanzverwaltung voraus, dass der Verpflichtete eine tatsächliche Risikoposition übernimmt.7 Dies ist im Grundsatz sachgerecht und steht im Einklang mit den Empfehlungen der OECD.8 So resultiert für eine Muttergesellschaft aus einer Finanzgarantie bspw. dann keine tatsächliche Risikoposition, wenn die Muttergesellschaft auf Grund ihrer tatsächlichen Einflussnahmemöglichkeiten bei der Tochtergesellschaft (z.B. im Wege des Rückgriffs auf die Gesellschaftsanteile an der Tochtergesellschaft) im Ergebnis schadlos zu halten. Sie
1 Auch Vertreter der Finanzverwaltung erkennen an, dass die Finanzierung eine Kernaufgabe innerhalb eines Konzerns bzw. der Konzernobergesellschaft darstellt. Vgl. Greil/Wargowske, IStR 2018, 534 (535). 2 VWG VP 2021, Rz. 3.97. 3 Vgl. Kahlenberg, IStR 2019, 335 (339); Glahe, DStR 2018, 1535 (1538). 4 Siehe nur Eggert, BB 2019, 417; Kunert/Eberhardt, StuB 2018, 623; Glahe, DStR 2018, 1538; Ditz/ Quilitzsch, DB 2018, 2013; Rasch/Chwalek/Bühl, ISR 2018, 280; Schönfeld/Kahlenberg, IStR 2018, 498; Glahe, ISR 2016, 404. 5 Vgl. Kahlenberg, IStR 2019, 335 (340). 6 Vgl. Tz. 10.161 OECD-Leitlinien 2022. Soweit die OECD eine Umqualifikation eines Teils des an den Darlehensnehmer gewährten Darlehens als Darlehen an den Garantiegeber ansieht, sollte dies durch die BFH-Rechtsprechung nicht gedeckt sein. Vgl. BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440 = Ubg 2021, 715 m. Anm. Martini, Greil, Böing/Rasch. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.96. 8 Vgl. Tz. 10.156 ff. OECD-Leitlinien 2022.
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E. Finanztransaktionen | Rz. 6.517 Kap. 6
trägt daher kein echtes Obligo, wenn sich der Wert der Geschäftsanteile auf Grund der der Bürgschaft zugrunde liegenden externen Kapitalzufuhr erhöht hat. Diese Überlegung ist auch insoweit mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs vereinbar, als dieser nur das „Wegdenken“ des Nahestehens der verbundenen Unternehmen verlangt. Das Fortbestehen aller übrigen Beziehungen wird unterstellt. Dazu gehören sowohl die Kapitalausstattung (und damit die Bestimmung der Kreditwürdigkeit) der Gesellschaft durch den Gesellschafter, die gesellschaftsvertraglichen Vorgaben, der durch den Konzernrückhalt entstehende Geschäftswert als auch eine faktisch vorhandene Sicherheit.1 Rolle der Konzernzugehörigkeit. Die in Tz. 3.96 der VWG VP niedergelegte Verwaltungsauffassung greift jedoch insoweit zu kurz, wie die Bedeutung der Konzernzugehörigkeit bei der Beurteilung von Finanzgarantien ausgeblendet wird. Wenn die vermeintliche Finanzgarantie nämlich dem Darlehensnehmer keinen Nutzen bringt, der über den Effekt der Konzernzugehörigkeit hinausgeht, wäre ein fremder Dritter nicht bereit, für diese Finanzgarantie ein Entgelt zu entrichten.2 Denn für die rein passive Konzernzugehörigkeit ist – nach Auffassung der Finanzverwaltung3 wie auch der OECD4 – keine Vergütung zu zahlen, weil es sich um nicht entgeltfähigen Gesellschafteraufwand handelt.
6.515
Faktische Unentziehbarkeit bei Verflechtung von Garantiegeber und Garantienehmer. Ferner scheidet eine Verrechenbarkeit in solchen Fällen aus, in denen zwar eine formelle (und rechtlich verbindliche) Finanzgarantie ausgesprochen wurde, es dem Garantiegeber aber aus anderen Gründen faktisch nicht möglich ist, den Darlehensnehmer im Krisenfall fallen zu lassen.5 Solches kann sich etwa aus der operativen Verflechtung von Garantiegeber und Garantienehmer oder anderen finanziellen oder rechtlichen Verbindungen ergeben.
6.516
Beispiel: Die im Inland ansässige A GmbH hat eine 100%ige Muttergesellschaft, die B S.à r.l., die im Ausland ansässig ist. Die B S.à r.l. entwickelt Softwaresysteme. Die A GmbH vertreibt ausschließlich die von der B S.à r.l. entwickelten Softwaresysteme im Inland. Um eine Neuentwicklung zu finanzieren, schließt die B GmbH einen Konsortialdarlehensvertrag ab. Hierbei machen es die Konsortialbanken zur Bedingung, dass die A GmbH (wie auch andere Tochtergesellschaften der B S.à r.l.) eine Bürgschaft zu Gunsten der B GmbH abgeben. Die von der A GmbH abgegebene Bürgschaft ist rechtlich bindend und stiftet der B S.à r.l. auch einen Nutzen, das sie der Gesellschaft eine Finanzierung zu günstigeren Konditionen ermöglicht. Vorliegend sind die A GmbH und die B S.à r.l. aber voneinander abhängig. Dadurch, dass die A GmbH ausschließlich von der B S.à r.l. entwickelte Softwaresysteme vertreibt, sind die Gesellschaften operativ in der Weise verflochten, dass es der A GmbH schaden würde, die B S.à r.l. nicht zu unterstützen. Die Bürgschaft der A GmbH kann folglich als Ausdruck des impliziten Konzernrückhalts zu verstehen sein, für den keine Vergütung zu zahlen ist.
Eigenbetriebliches Interesse des Garantiegebers. Eine Verrechenbarkeit dem Grunde nach scheidet bei Finanzgarantien auch dann aus, wenn diese in einem eigenbetrieblichen Interesse des die Finanzgarantie gewährenden Unternehmen erfolgt. Zu denken ist an die Gewährung einer Garantie durch die Produktions-Muttergesellschaft gegenüber ihrer VertriebsTochtergesellschaft, die einen Markt erschließt. Neben Vertriebsgesellschaften kann ein eige-
1 So auch BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573 = FR 1998, 482; Löwenstein/Maier, DB 1998, 1690. 2 Vgl. Tz. 10.160 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. VWG VP v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017:001, BStBl. I 2021, 1098, Rz. 3.97, 3.69. 4 Vgl. Tz. 10.163 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 10.164 OECD-Leitlinien 2022.
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6.517
Kap. 6 Rz. 6.517 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nes betriebliches Interesse auch bei Finanzierungsunterstützungsmaßnahmen an Produktions- (insbesondere Lohnfertiger), Dienstleistungs-, Einkaufs-, Finanzierungs- sowie F&E-Gesellschaften bestehen.
6.518
Finanzielle Kapazität des Garantiegebers. Die Verrechenbarkeit einer Finanzgarantie dem Grunde nach setzt nach Auffassung der OECD ferner voraus, dass der Garantiegeber über die finanzielle Kapazität verfügt, im Krisenfall seinen Verpflichtungen nachkommen zu können. Hierbei kommt es u.a. auf die Zusammenhänge zwischen den Geschäftstätigkeiten von Garantiegeber und Garantienehmer an.1
6.519
Inanspruchnahme aus Unterstützungsmaßnahmen. Für den Fall der Inanspruchnahme aus Finanzgarantien sind die insoweit verursachten Aufwendungen steuerrechtlich abzugsfähig, wenn eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis zu verneinen ist. Dies gilt selbst für den Fall, dass durch den Garantiegeber zuvor keine entsprechende Vergütung (z.B. Avalprovision o.ä.) vereinnahmt worden ist. Die Vereinnahmung einer Vergütung ist folglich keine Voraussetzung für den Betriebsausgabenabzug bei der Inanspruchnahme aus Finanzgarantien. Ein Betriebsausgabenabzug scheidet insbesondere dann aus, wenn z.B. die Muttergesellschaft auf Grund ihrer tatsächlichen Einflussnahmemöglichkeiten als Gesellschafterin kein echtes Obligo übernommen hat, das provisionsfähig wäre. Allerdings ist zu prüfen, ob – zumindest auf Ebene einer Mutter-Kapitalgesellschaft – § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG (Rz. 6.489 ff.) einem Betriebsausgabenabzug entgegensteht (außerbilanzielle Hinzurechnung der Aufwendungen).
6.520
Folgen des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG. Seit dem VZ 20082 sind nach Maßgabe des § 8b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Darlehen des wesentlich beteiligten Gesellschafters oder aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten des Gesellschafters steuerrechtlich nicht mehr berücksichtigungsfähig (Rz. 6.489 ff.). Die gesetzliche Regelung ist Ausdruck der fiktiven Annahme, dass entsprechende Darlehen und Sicherheiten stets durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind. Deshalb sollen Verluste generell steuerrechtlich unbeachtlich sein, die im Zusammenhang mit durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Darlehen oder Sicherheiten anfallen. Bei einer solchen gesetzlichen Wertung ist es zwingend, dass – wenn Verluste steuerrechtlich nicht berücksichtigt werden können – auch keine Vergütung für die Überlassung des Darlehens oder die Gewährung der Stützungsmaßnahme zu verrechnen ist. Soweit der Gesetzgeber daher entsprechende Sicherungsmaßnahmen als durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ansieht, sind steuerrechtlich für solche Stützungsmaßnahmen auch keine Vergütungen zu verrechnen (sog. Korrespondenzprinzip).3
3. Verrechnung der Höhe nach 6.521
Fremdübliche Vergütung. Die Verrechnung einer Vergütung für die Übernahme einer Finanzgarantie setzt voraus, dass die Finanzgarantie eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG darstellt, nicht gesellschaftsrechtlich motiviert ist und auch keine sonstigen Gründe (u.a. fehlender Nutzen des Darlehensnehmers, fehlende Risikoposition des Garantiegebers, Unentziehbarkeit des Garantiegebers oder Eigenbetriebliches Interesse des Garantiegebers) eine Ver-
1 Vgl. Tz. 10.166 f. OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. § 34 Abs. 1 KStG i.d.F. d. JStG 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150. Vgl. dazu auch BFH v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl. II 2009, 674 = FR 2009, 818; Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 710 m.w.N. 3 Vgl. Puls, IStR 2012, 212; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 479.
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E. Finanztransaktionen | Rz. 6.523 Kap. 6
rechnung dem Grunde nach entgegensteht. Die für die Übernahme der Finanzgarantie zu entrichtende Gebühr (Avalgebühr oder -provision) ist nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes zu bestimmen. Wie diese Gebühr konkret abzuleiten ist, lässt die Finanzverwaltung offen. Demgegenüber erteilt die OECD umfassende Empfehlungen zur Bestimmung des fremdüblichen Preises von Garantien. Diesbezüglich ist voranzustellen, dass der Steuerpflichtige auch hier in seiner Methodenwahl grundsätzlich frei ist. Anwendung der Preisvergleichsmethode. Fremdübliche Garantiegebühren können mittels der Preisvergleichsmethode bestimmt werden. Dies setzt voraus, dass interne oder externe Vergleichsdaten beobachtbar sind.1 Diesbezüglich zeigt die Betriebsprüfungspraxis, dass die Finanzverwaltung häufig auf die Gebühren abstellt, die Banken ihren Kunden in Rechnung stellen.2 Eine solche Vorgehensweise ist insofern nicht sachgerecht, als die von Banken herangezogenen Kalkulationsgrundsätze nicht für konzerninterne Garantiegebühren herangezogen werden können.3 Denn Banken müssen spezifische Faktoren (z.B. angemessene Eigenkapitalausstattung, Mindestreservekosten, Gemeinkosten, Einhaltung von KWG-Regularien, Basel II) im Rahmen ihrer Gewährung von Garantien und Bürgschaften berücksichtigen. Darüber hinaus zeigt die Praxis, dass Banken i.d.R. eine gewisse Übersicherung durch entsprechend höhere Garantievergütungen einfordern, um im Fall einer Inanspruchnahme aus der Finanzgarantie entstehende Abwicklungskosten sowie Zinsen abdecken zu können. Diese Kriterien sind im Rahmen der konzerninternen Gewährung von Finanzgarantien ohne Bedeutung. Daher können am Markt von Banken in Ansatz gebrachte Gebühren für Finanzgarantien häufig nicht zur Bestimmung konzerninterner Garantiegebühren herangezogen werden, da die zu Grunde liegenden Bedingungen nicht vergleichbar sind.4
6.522
Urteil des Tax Court of Canada v. 4.12.2009. Auch die Entscheidung des Tax Court of Canada in der Rechtssache „GE Capital Canada“ zeigt, dass die von Banken herangezogenen Gebühren und damit die Preisvergleichsmethode nicht zur Bestimmung konzerninterner Garantievergütungen geeignet sind.5 Vielmehr sind die konzernspezifischen Gegebenheiten im Rahmen der Ermittlung der Garantiegebühr zu berücksichtigen. Demnach ist – so der Tax Court of Canada – die Garantiegebühr auf Basis des Zinsvorteils („Interest Cost Savings“) zu ermitteln, welcher der Tochtergesellschaft auf Grund der bestehenden Garantie im Rahmen der Aufnahme von Fremdkapital entsteht (sog. „Yield Approach“). Der Zinsvorteil, der sich für die Tochtergesellschaft auf Grund der gewährten Garantie ergibt, stellt nach Ansicht des Gerichts einen Nutzen der Tochtergesellschaft dar, welcher die Zahlung einer Garantiegebühr rechtfertigt.6
6.523
1 2 3 4
Vgl. Tz. 10.170 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. etwa Zech, IStR 2009, 418 f. Vgl. Ditz, IStR 2009, 422; Puls, IStR 2012, 212. Gl.A. Ammelung/Bernhardt/Lorenzen/Ackerman, DK 2010, 408. Siehe auch Tz. 10.171 ff. OECDLeitlinien 2022. 5 Vgl. Tax Court of Canada v. 4.12.2009, General Electric Capital Canada Inc. vs. her Majesty the Queen, 2009, TCC 563, abrufbar unter http://www.gwb.tcc-cci.gc.ca Vgl. zu diesem Urteil auch Brinkmann, IStR 2010, 501 ff.; Ditz/Schneider, DB 2011, 779 ff.; Kamphuis, ITPJ 2010, 292 ff. 6 Die kanadische Finanzverwaltung hat am 4.1.2010 bei dem Federal Court of Appeal Revision gegen das Urteil des Tax Court of Canada eingelegt. Der Federal Court of Appeal hat die Revision mit Entscheidung v. 15.12.2010 nicht zugelassen und das Urteil des Tax Court of Canada bestätigt. Vgl. Federal Court of Appeal v. 15.12.2010, 2010 FCA 344, abrufbar unter http://decisions. fcs-caf. gz. ca.
Ditz/Engelen | 721
Kap. 6 Rz. 6.524 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.524
Zinsbasierter Ansatz („Yield Approach“). Fremdübliche Gebühren für eine Finanzgarantie können aus dem Nutzen abgeleitet werden, der dem Garantienehmer durch die Finanzgarantie entsteht. Konkret läuft dieser sog. „Yield Approach“ darauf hinaus, den Zinsvorteil aus einem Vergleich der Bonität der Tochtergesellschaft für den Fall, dass eine Garantie vorliegt („Guaranteed Debt“) mit der Bonität der Tochtergesellschaft für den Fall, dass keine Garantie vorliegt („Unguaranteed Debt“), abzuleiten.1 Auch hier ist jedoch der Effekt der Konzernzugehörigkeit des Garantienehmers zu berücksichtigen. Vergleichsmaßstab sind folglich nicht die Finanzierungskonditionen des Garantienehmers als Einzelunternehmen, sondern die Finanzierungskosten unter Berücksichtigung eines etwaigen Effekts der Konzernzugehörigkeit.2 Die mittels Yield Approach bestimmte Kostendifferenz stellt immer einen Höchstbetrag dar, der nach Maßgabe des Fremdvergleichs nicht in voller Höhe als Garantiegebühr angesetzt werden darf. Andernfalls würde nämlich der Garantienehmer durch die Garantiegebühr den vollständigen Zinskostenvorteil aus der Finanzgarantie an den Garantiegeber abführen. Dies würde aber offenkundig nicht dem Verhandlungsergebnis zwischen fremden Dritten entsprechen. Denn der Garantienehmer hätte so keinen Anreiz, dass die Finanzgarantie überhaupt abgegeben würde.3
6.525
Kostenbasierter Ansatz („Cost Approach“). Fremdübliche Garantiegebühren können auch in Orientierung an den dem Garantiegeber aus der Garantie entstehenden (kalkulatorischen) Kosten abgeleitet werden. Konkret ist hierfür das vom Garantiegeber durch die Finanzgarantie getragene Risiko zu quantifizieren. Hierfür muss eine Einschätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit des Garantienehmers (und damit dessen Bonität) sowie die Höhe der potenziellen Inanspruchnahme getroffen werden.4 Alternativ können die Kosten des Garantiegebers aus dem (zusätzlichen) Kapital sowie sonstigen Kosten (z.B. Rückversicherungskosten sowie allgemeine Verwaltungskosten) abgeleitet werden, dass für die Absicherung des aus der Finanzgarantie resultierenden Risikos erforderlich ist.5 Ist bereits die Bestimmung der Kostenbasis im Rahmen der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode kaum praktikabel, stellt sich darüber hinaus das Problem der Ermittlung eines angemessen Gewinnaufschlags. In Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes geht hier die Frage dahin, welchen Gewinnaufschlag ein fremder dritter Garantiegeber für die Erbringung der Garantieleistung in Ansatz gebracht hätte. Eine Vergleichsanalyse zur Bestimmung des Gewinnaufschlags wird hierbei bereits daran scheitern, dass die von unabhängigen Banken gewährten Garantievergütungen und die daraus erwirtschafteten Gewinnaufschläge – auf Grund der fehlenden Vergleichbarkeit der Verhältnisse – nicht geeignet sind, entsprechende fremdübliche Gewinnmargen zu bestimmen. Vor diesem Hintergrund wird die Bestimmung eines fremdüblichen Gewinnaufschlags regelmäßig scheitern. Ergänzend kommt hinzu, dass die Kostenbasis zur Bestimmung einer Avalvergütung im Wesentlichen aus kalkulatorischen Kostenbestandteilen besteht (insbesondere in Form von Wagniskosten), so dass sich die Frage stellt, ob der Ansatz eines Gewinnaufschlags überhaupt sachgerecht ist.6 Im Ergebnis sind damit der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode zur Bestimmung einer angemessenen Avalvergütung sehr enge
1 Vgl. Ditz/Schneider, DB 2011, 780; Brinkmann, IStR 2010, 501 ff. 2 Vgl. Tz. 10.174 ff. OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 10.177 OECD-Leitlinien 2022. Kritisch auch Puls, IStR 2012, 214; Ammelung/Bernhardt/ Lorenzen/Ackerman, DK 2010, 411. 4 Siehe auch Ammelung/Bernhardt/Lorenzen/Ackerman, DK 2010, 409 f. 5 Vgl. Tz. 10.178 OECD-Leitlinien 2022. 6 Dies verneint Brüninghaus, in V/B/B, Handbuch der Verrechnungspreise5, Rz. P 118.
722 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.527 Kap. 6
Grenzen gesetzt. Die Praxis zeigt, dass die Kostenaufschlagsmethode insofern von untergeordneter Bedeutung ist.1 Finanzmathematischer Ansatz. Die kostenbasierte Bestimmung von Garantiegebühren kann auch mittels eines finanzmathematischen Ansatzes erfolgen.2 So können angemessene Garantievergütungen etwa auf Basis von „Credit-Default-Swaps“ („CDS“) abgeleitet werden.3 Durch ein CDS wird das Kreditrisiko von der zugrunde liegenden Kreditbeziehung entkoppelt und das Ausfallrisiko aus einer bestimmten Kreditposition für eine festgesetzte Frist auf einen Vertragspartner (Sicherungsgeber) gegen periodische oder einmalige Vorab-Zahlung einer Risikoprämie für die Risikoübernahme transferiert. Insofern erfüllen CDS eine vergleichbare wirtschaftliche Funktion wie gruppeninterne Garantien, Bürgschaften oder harte Patronatserklärungen.4
6.526
Übliche Sätze für Garantievergütungen. Wie bereits in dargestellt, können die von Banken erhobenen Garantievergütungen häufig nicht als Vergleichsmaßstab zur Bestimmung angemessener Garantievergütungen im Konzern herangezogen werden. In der Betriebsprüfungspraxis haben sich vor diesem Hintergrund Garantiesätze (pro Jahr) von 0,125 % bis 0,25 % des tatsächlich in Anspruch genommenen Sicherungsvolumens als angemessen herausgebildet.5 Diese Garantiesätze sind insofern realistisch, als sie sich aus den üblicherweise von Banken veranschlagten Provisionssätzen unter Berücksichtigung konzernspezifischer Parameter ableiten lassen. Geht man insofern von einer am Markt üblichen Garantievergütung der Geschäftsbanken i.H.v. 1 % des Sicherungsvolumens aus und bringt die wesentlichen konzernspezifischen Faktoren zum Abzug, die bei konzerninternen Sicherungsverhältnissen zu berücksichtigen sind, so liegt die Bandbreite konzerninterner Garantieprovisionen zwischen 0,1 % und 0,4 % des Sicherungsvolumens (p.a.).6 In diesem Zusammenhang sind insbesondere die folgenden Parameter, die bei einer Gewährung von Sicherheiten im Konzern ohne Bedeutung sind, zu berücksichtigen:
6.527
– Liquiditätskosten: Bei verbundenen Unternehmen entstehen – im Gegensatz zu Geschäftsbanken – keine Liquiditätskosten zur Vorhaltung von Barreserven bzw. Finanzierungsquellen für die Absicherung von Garantien oder Bürgschaften. – Eigenkapitalkosten: Verbundene Unternehmen haben – im Gegensatz zu Geschäftsbanken – keine Vorgaben der Anteilseigner im Hinblick auf eine „Risk-free-Return“ zu beachten (Abgeltung des grundlegenden Anteilseignerrisikos). – Rückversicherungsrisiko: Den Geschäftsbanken entstehen Kosten im Rahmen der (obligatorischen) Rückversicherung von Garantien und Bürgschaften insbesondere zur Erfüllung bankaufsichtsrechtlicher Verpflichtungen sowie der Eigenkapitalausstattung (vgl. etwa §§ 10 ff. KWG i.V.m. SolV). Entsprechende Kosten entstehen bei verbundenen Unternehmen nicht.
1 Auch der Tax Court of Canada vom 4.12.2009, General Electric Capital Canada Inc. vs. her Majesty the Queen, 2009, TCC 563, abrufbar unter http://www.gwb.tcc-cci.gc.ca, stellt explizit fest, dass die Kostenaufschlagsmethode zur Bestimmung einer Avalvergütung nicht in Betracht kommt. 2 Vgl. Tz. 10.179 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Crüger/Köhler, RIW 2008, 378 ff.; Schaus/Köhler/John, RIW 2009, 533 ff. 4 Vgl. Crüger/Köhler, RIW 2008, 380; Schaus/Köhler/John, RIW 2009, 535. 5 Vgl. Ditz, IStR 2009, 422; Gundel, IStR 1994, 267; Ammelung/Sorcan, RIW 1996, 673; Oho/Behrens, IStR 1996, 316. 6 Vgl. Puls, IStR 2012, 214.
Ditz/Engelen | 723
Kap. 6 Rz. 6.528 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
VII. Sonstige Finanztransaktionen 1. Factoring 6.528
Definition des Factoring. Unter Factoring wird der Kauf von Forderungen aus Waren und Dienstleistungsgeschäften vor deren Fälligkeit gem. § 433 i.V.m. § 453 BGB verstanden.1 Das Factoring kann verschiedene Erscheinungsformen annehmen.2 Der Grundtyp, das sog. „Full-Service-Factoring“, umfasst eine Finanzierungs-, Delkredere und Dienstleistungsfunktion. Übernimmt der Käufer (d.h. die konzerninterne Factoring-Gesellschaft) die Haftung für das Ausfallrisiko (Delkrederehaftung), so liegt ein sog. echtes Factoring (auch Factoring without recourse) vor. Beim unechten Factoring (auch Factoring with recourse) bleibt das Ausfallrisiko beim Verkäufer der Forderung. Das sog. „Reverse-Factoring“ ist ein Instrument zur Einkaufsfinanzierung. Hier erfolgt durch den Kunden/Abnehmer eine Bestätigung der Forderung des Lieferanten gegenüber dem Factor. Dieser begleicht i.d.R. unmittelbar die Forderung des Lieferanten, um Rabatte bzw. Skonti zu generieren. Der Abnehmer begleicht die damit entstehende Forderung des Factors zu einem späteren Zeitpunkt.3
6.529
Ausübung einer Finanzdienstleistung. Beim Factoring handelt es sich um eine Finanzdienstleistung, bei der der Factor für den Verkäufer der Forderung (Factoringgeber) auf Basis eines gemischten Vertrages eine Finanzierungsfunktion (Ankauf und Kreditierung der Forderung), eine Dienstleistungsfunktion (Verwaltung des Forderungsbestandes) und ggfs. die Delkrederefunktion (Kreditversicherung) übernimmt. Welches Leistungsspektrum konkret vereinbart wird und welche der vorgenannten Funktionen im Vordergrund stehen, liegt im freien Ermessen der Vertragsparteien. Sowohl beim echten als auch beim unechten Factoring steht regelmäßig die Finanzierungsfunktion im Vordergrund. Diese kommt darin zum Ausdruck, dass der Factor dem Factoringgeber durch die Finanzierung der vor Fälligkeit angekauften Forderungen sofortige Liquidität verschafft. Der Factoringgeber braucht nicht auf den Eingang seiner Außenstände mit ihren oft monatelangen Zahlungszielen bis zum Fälligkeitszeitpunkt zu warten, sondern genießt eine bevorzugte Befriedigung und einen eigenständigen umsatzkongruenten Bargeldzufluss mit seiner Leistungserbringung. Im Ergebnis handelt es sich damit beim Factoring um eine Vorfinanzierung von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Dem Factoringgeber bleibt so die Aufnahme von Krediten zur Überwindung von Liquiditätsengpässen erspart, weshalb das Factoring auch in einer Substitutionsbeziehung zum Bankenkreditmarkt steht. Das gilt gleichermaßen für das unechte wie auch das echte Factoring, denn auch beim echten Factoring werden die – angekauften – Forderungen des Factoringgebers bevorschusst.4 Der Dienstleistungsfunktion kann beispielsweise dann eine herausgehobene Rolle zukommen, wenn eine Vielzahl von Rechnungen und Debitoren besteht und der Factor die Debitorenbuchhaltung, die Rechnungstellung, das Mahnwesen und die Forderungsbeitreibung übernimmt. Sofern auch die Delkrederefunktion durch den Factor übernommen wird, hängt deren Bedeutung von Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit, d.h. der Bonität der Debitoren ab.
6.530
Bestimmung einer angemessenen Factoringgebühr. Hinsichtlich der Bestimmung fremdüblicher Verrechnungspreise für Factoringleistungen existieren derzeit weder seitens des Gesetzgebers noch der Finanzverwaltung konkrete Vorgaben.5 Ferner war die Angemessenheit 1 Vgl. nur Bette in Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2. Aufl. 2009, Kap. II § 29 Rz. 1, 19. 2 Für einen Überblick vgl. Stumpf, BB 2012, 1045 (1046). 3 Vgl. Stumpf, BB 2012, 1045 (1051). 4 Vgl. auch BGH v. 23.1.1980 – VIII ZR 91/79, BGHZ 76, 126. 5 Siehe auch Busch/Tenberge, BB 2015, 2475.
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E. Finanztransaktionen | Rz. 6.533 Kap. 6
von Factoringgebühren – soweit ersichtlich – auch nicht Gegenstand der Finanzrechtsprechung. Vor diesem Hintergrund muss sich die Bestimmung der angemessenen Factoringgebühr an den allgemeinen Grundsätzen und damit an dem Umfang der von der FactoringGesellschaft (z.B. Finanzierungsgesellschaft) wahrgenommenen Funktionen und Risiken orientieren. Hierbei wird zwischen – der Finanzierungsfunktion in Form der vorzeitigen Bereitstellung von Liquidität, – der Dienstleistungsfunktion, z.B. in Form der Verwaltung, Überwachung und dem Inkasso der Forderungen sowie – der Delkrederefunktion in Form der Übernahme des Ausfallrisikos unterschieden. – Soweit die Factoring-Gesellschaft darüber hinaus wesentliche Funktionen und Risiken wahrnimmt, sind auch diese nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten. Pauschal- versus Einzelgebühr. Die angemessene Factoringgebühr wird i.d.R. als Pauschalgebühr für die einheitliche Finanzdienstleistung „Factoring“ erhoben. Die Gebühr setzt sich dabei aus den Vergütungen für die einzelnen vorstehend dargestellten Funktionen zusammen.1 Die Höhe der zum Ansatz kommenden Gebühren hängt dabei vom konkreten Funktions- und Risikoprofil des Factors ab, so bspw. der absoluten Betragshöhe, der Anzahl an Rechnungen und Debitoren, der Durchschnittshöhe der einzelnen Rechnungen und den übernommenen Risiken (so neben der Bonität der Debitoren u.a. auch Länderrisiken und Währungsrisiken).2 Die übliche Bandbreite einer Pauschalgebühr beträgt zwischen 0,2 % und 3 % des Bruttorechnungsbetrags der gefactorten Forderungen.3
6.531
Daneben kann die angemessene Factoringgebühr auch direkt bzw. einzeln den verschiedenen Funktionen zugeordnet werden, so dass die Summe dieser Einzelgebühren im Ergebnis wieder der Pauschalgebühr entspricht bzw. entsprechen sollte. Zinskomponente. Für die Zinsberechnung im Rahmen der Finanzierungsfunktion werden beim konzerninternen Factoring i.d.R. die Refinanzierungskosten zuzüglich eines Zinsaufschlages von 0,25–0,5 %-Punkten erhoben.4 Als Refinanzierungskosten können bspw. die hinsichtlich der Forderungen währungs- und laufzeitäquivalenten Referenzzinssätze (Euribor, Libor) herangezogen werden.
6.532
Dienstleistungskomponente. Das Entgelt für die Dienstleistungsfunktion wird i.d.R. – soweit die Preisvergleichsmethode nicht anwendbar ist – anhand der Kostenaufschlagsmethode (hierzu Rz. 5.39 ff.) bestimmt. Im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode ermittelt sich die Gebühr für die Dienstleistungskomponente des Factoring auf Basis der durch die entsprechenden Dienstleistungen ausgeübten Vollkosten zuzüglich eines angemessenen Gewinnaufschlags. Der Gewinnaufschlag beträgt in der Praxis i.d.R. zwischen 5 % und 10 %. Alternativ
6.533
1 Vgl. Schnorberger, RIW 1993, 911. 2 Vgl. Krüger in Krüger, Handbuch Factorringrecht, 1. Aufl. 2017, Vertragsregelungen, Rz. 178; Dolezel in V/B/B Verrechnungspreise5, Rz. X Rz. 429. 3 Vgl. Stumpf, BB 2012, 1045 (1051); Dolezel in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. X Rz. 429; Martinek/Omlor in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch5, § 102 Rz. 14; Bette in Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht2, Kap. II § 29 Rz. 26; Renner in Staub, HGB5, 4. Abschnitt, Rz. 436; Graf von Westphalen in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB5, Factoring, Rz. 5; Brink, Factoringvertrag, RWS Vertragsmuster, Rz. 55. 4 So auch Gundel, IStR 1994, 266.
Ditz/Engelen | 725
Kap. 6 Rz. 6.533 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
können die Dienstleistungen auch anhand der Forderungsumsätze bepreist werden; hier sind zwischen 0,5 und 3 % üblich.1
6.534
Delkrederekomponente. Die Gebühr für die Delkrederefunktion sollte sich am tatsächlichen Forderungsausfallrisiko orientieren. In diesem Zusammenhang lassen sich keine allgemeingültigen Grundsätze formulieren; vielmehr ist der Einzelfall zu analysieren, wobei die Branchenzugehörigkeit und die Frage, ob die Forderungen gegenüber Privat- oder Geschäftskunden bestehen, eine wesentliche Rolle spielen. Im Schrifttum werden Bandbreiten zwischen 0,2 % und 1,2 % des Forderungswertes genannt.2 Sind in den Forderungen, welche im Rahmen des Factorings verkauft werden, auch konzerninterne Forderungen aus Lieferungen und Leistungen enthalten, ist dies bei der Bepreisung der Delkrederefunktion entsprechend zu berücksichtigen. Ob insoweit überhaupt ein Entgelt angesetzt werden kann, richtet sich nach der Bonität der konzerninternen Schuldner. Denn nach inzwischen ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist im Konzernrückhalt keine fremdübliche (werthaltige) Besicherung zu sehen (Rz. 2.187).3 Die Bonität konzerninterner Schuldner ist damit bei der Bestimmung der Delkrederekomponente in entsprechender Weise zu berücksichtigen.
2. Cash- und Devisenmanagement 6.535
Zentralisierung der Finanzierungsfunktion. Auf Grund der zunehmenden Globalisierung, Deregulierung und Institutionalisierung der internationalen Finanzmärkte umfassen Finanztransaktionen zwischen international verbundenen Unternehmen mittlerweile weitaus mehr als die konzerninterne Darlehensgewährung (Rz. 6.441 ff.), die Einräumung von Lieferantenkrediten (Rz. 6.473 f.) und die Gewährung von Finanzierungsunterstützungen (Rz. 6.505 ff.). Vielmehr übernehmen konzerninterne Finanzierungsstellen bzw. konzerneigene Finanzierungsgesellschaften (Rz. 6.475 ff.) bisher den Banken vorbehaltene Finanzgeschäfte selbst, um damit zum einen die konzerninternen Funktionen zu optimieren und zum anderen neue Ertragsquellen bzw. neue Kostensenkungspotentiale zu erschließen.
6.536
Cash-Management. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang sog. CashManagement-Systeme, die i.d.R. in einem sog. „Corporate Treasury“4 organisiert sind. Durch ein solches „Corporate Treasury“ werden die Finanzierung und die Liquidität eines Konzerns zentral gesteuert.5 Dabei werden im Rahmen der konzerninternen Aufrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten (sog. „Netting“) bzw. durch die Konsolidierung der Zahlungskonten der einzelnen Konzerngesellschaften mit einem Verrechnungskonto (sog. „Pooling“) Finanzierungs- und Transaktionskosten eingespart (sog. Koordinationsgewinn) und durch die Bündelung der Nachfrage nach Fremdkapital bzw. der Erhöhung des Anlagevolumens günstigere Zinskonditionen (sog. Synergiegewinn) auf dem Kapitalmarkt ermöglicht.6 Beim CashManagement werden i.d.R. täglich die Salden der Zahlungsverkehrskonten der einzelnen KonVgl. Dolezel in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. X Rz. 429. Vgl. Stumpf, BB 2012, 1045 (1048). Vgl. nur BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394, hier unter II.4.b)aa). Das „Corporate Treasury“ wird i.d.R. als zivilrechtlich unselbstständige Betriebsabteilung geführt, kann aber auch in Form einer selbstständigen Konzernfinanzierungsgesellschaft organisiert sein. 5 Zur Begriffsabgrenzung des Cash-Managements vgl. Werdenich, Modernes Cash-Management2, 11 ff.; Ammelung/Kaeser, DStR 2003, 655 ff. 6 Vgl. nur Thörmer, IStR 2020, 754; Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmesbesteuerung8, 717.
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E. Finanztransaktionen | Rz. 6.538 Kap. 6
zerngesellschaften auf einem Sammelkonto der Konzernfinanzierungsgesellschaft konsolidiert bzw. „gepoolt“. Dadurch werden die Kontenbestände der einzelnen Konzerngesellschaften auf „Null“ gestellt bzw. ausgeglichen, so dass nur der Saldo des Sammelkontos von der zentralen Cash-Management-Gesellschaft angelegt bzw. finanziert werden muss. Durch dieses Verfahren werden bei den einzelnen Konzernmitgliedern hohe Sollzinsen (für Überziehungen) und niedrige Habenzinsen (für Guthaben) der Banken vermieden. Die aus dem Cash-Management resultierenden Vorteile müssen nach Verrechnung der entsprechenden Kosten im Grundsatz allen beteiligten Konzerngesellschaften zugutekommen. Die konkrete Aufteilung dieser Vorteile hängt von der Ausgestaltung des Cash-Managements ab. Physisches Cash-Pooling. Beim physischen Cash-Pooling werden i.d.R. bankarbeitstäglich die Salden der jeweiligen Bankkonten der am Cash-Pooling teilnehmenden verbundenen Unternehmen auf ein Zielkonto (sog. „Master-Account“) transferiert, welches im Allgemeinen bei der Muttergesellschaft oder einer Finanzierungsgesellschaft (sog. „Pool-Leader“) geführt wird. Guthaben der teilnehmenden verbundenen Unternehmen werden demzufolge auf das „Master-Account“ überwiesen, während der Kreditbedarf von verbundenen Unternehmen durch einen Geldtransfer vom „Master-Account“ gedeckt wird. Durch diese Vorgehensweise wird im Geldergebnis nur der Saldo des „Master-Account“ am Kapitalmarkt angelegt oder durch Kreditaufnahme gedeckt. Daraus ergibt sich für das jeweilige, am Cash-Pooling teilnehmende verbundene Unternehmen, dass Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber einer Bank durch Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber einem verbundenen Unternehmen, welches als „Pool-Leader“ das „Master-Account“ führt, ausgetauscht werden. Werden die Konten der teilnehmenden Konzerngesellschaften vollständig ausgeglichen, wird gemeinhin von einem sog. „Zero-Balancing“ gesprochen. Erfolgt der Ausgleich nur bis zu vereinbarten Sockelbeträgen, handelt es sich um ein sog. „Target Balancing“1 In international tätigen Konzernen stellt das physische Cash Pooling den Regelfall dar, wobei häufig die werktägliche Methode des Zero Balancing zum Einsatz kommt. Der Liquiditätsbedarf des Konzerns reduziert sich hierdurch auf einen Spitzenausgleich.
6.537
Virtuelles Cash-Pooling. Beim virtuellen Cash-Pooling (auch „Notional Cash-Pooling“ genannt)2 erfolgt keine tatsächliche Übertragung der Banksalden der einzelnen verbundenen Unternehmen auf das Masterkonto bei der Muttergesellschaft. Stattdessen werden die Salden der einzelnen Konten lediglich rechnerisch auf einem (gedachten) „Master-Account“ zusammengeführt. Auf diesem zusammengefassten „Master-Account“ ergibt sich ein Saldo, der als Grundlage für die Bestimmung der jeweiligen Soll- und Habenzinssätze dient.3 Beim virtuellen Cash Pooling kann zwischen dem Zinsoptimierungsmodell4, dem Zinskompensationsmodell5 und dem Verzichtsmodell6
6.538
1 Vgl. Waldens, IStR 2003, 497; Scholz/Kaiser, IStR 2013, 54 (55); Bärsch/Engelen, FR 2019, 990; Greil/Wargowske, IStR 2018, 534 (539). 2 Vgl. dazu auch Cahn, ZHR 2002, 280; Bärsch/Engelen, FR 2019, 990. 3 Vgl. Ammelung in Piltz/Schaumburg, Internationale Unternehmensfinanzierung, 81 ff. 4 Beim Zinsoptimierungsmodell profitieren die Cash Pool-Teilnehmer unmittelbar von günstigeren Zinskonditionen. 5 Beim Zinskompensationsmodell werden nur dem Cash Pool-Führer unmittelbar günstigere Konditionen gewährt. 6 Beim Verzichtsmodell verzichten die Cash Pool-Teilnehmer gegenüber der Bank auf Haben-Zinsen. Im Gegenzug verzichtet die Bank gegenüber den Teilnehmern auf die Erhebung von Soll-Zinsen. Dem Cash Pool-Führer werden auf den fiktiven Gesamtsaldo die marktüblichen Zinssätze berechnet.
Ditz/Engelen | 727
Kap. 6 Rz. 6.538 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
unterschieden werden.1 Das virtuelle Cash-Pooling ist als eine Art „Bankprodukt“ zu verstehen, welches durch die Verrechnung eines virtuellen Saldos höhere Haben- und niedrigere Sollzinsen ermöglicht (Zinsoptimierung). Da in der Praxis der Ausgleich von Banksalden unterschiedlicher Währungen auf Grund von Umtausch und Versicherungskosten kostspielig sein kann, werden physische und virtuelle Cash-Pooling-Systeme manchmal kombiniert von den Banken angeboten.
6.539
Finanzielle Risiken beim Cash-Pooling. Zivilrechtlich handelt es sich bei dem Ausgleich zwischen dem „Master-Account“ und den Konten der teilnehmenden verbundenen Unternehmen beim physischen Cash-Pooling (Rz. 6.537) um eine Darlehensgewährung.2 Weist z.B. das Konto eines teilnehmenden verbundenen Unternehmens einen positiven Saldo aus, welcher auf den „Master-Account“ übertragen wird, so handelt es sich um eine Darlehensgewährung von diesem verbundenen Unternehmen an den „Pool-Leader“. Ist umgekehrt ein negativer Saldo bei den teilnehmenden verbundenen Unternehmen vorhanden, erfolgt eine Darlehensgewährung durch den „Pool-Leader“ an diese verbundenen Unternehmen. Die laufenden gegenseitigen Ansprüche zwischen dem „Pool-Leader“ und den verbundenen Unternehmen verkörpern in diesem Zusammenhang ein echtes Kontokorrentverhältnis gem. § 355 HGB. Angesichts dieser durch wechselseitige Darlehensgewährungen eintretenden finanziellen Verpflichtungen innerhalb des Konzerns können folgende Risiken3 entstehen, die bei der Entscheidung, ein Cash-Pooling-System zu implementieren, bedacht werden sollten: – Übernahme von Bonitätsrisiken durch das die Liquidität abführende verbundene Unternehmen (Risiko, dass die abgeführten Mittel nicht zurückgezahlt werden können); – Entzug von Liquidität, die für Investitionen bei dem Mittel abführenden verbundenen Unternehmen benötigt wird; – Gefährdung einer eigenständigen Liquiditätsversorgung, da die Finanzierungsfunktionen auf Ebene der verbundenen Unternehmen praktisch eingestellt werden und Bankkontakte verlorengehen; – Eintreten eines sog. „Haftungsverbundes“ durch das Zurverfügungstellen von Sicherheiten bei allen am Cash-Pool-System teilnehmenden verbundenen Unternehmen. Kann eine Konzerngesellschaft ihre finanziellen Verpflichtungen nicht erfüllen, besteht das Risiko – z.B. bei einer Insolvenz –, alle weiteren Cash-Pooling-Teilnehmer in Existenzschwierigkeiten zu bringen (sog. „Domino-Effekt“).
6.540
Kapitalerhaltungsgrundsätze und insolvenzrechtliche Bestimmungen. Sofern Kapitalgesellschaften in das Cash-Pooling-System involviert werden, ist aus gesellschaftsrechtlicher Sicht sicherzustellen, dass bei einem dem Cash-Pooling immanenten Abfluss von Finanzmitteln nicht das geschützte Eigenkapital aufgezehrt wird. Denn nach § 30 GmbHG darf z.B. aus deutscher Sicht das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft nicht an die Gesellschafter ausbezahlt werden. Bei konzerninternen Cash-Pooling-Systemen führte der Kapitalerhaltungsgrundsatz in der Vergangenheit – nicht zuletzt wegen der sehr strengen Rspr. des BGH – immer wieder zu Konflikten mit der gesetzlichen Ausschüttungssperre des § 30 GmbHG. Durch eine gesetzliche Neufassung des § 30 Abs. 1 GmbHG 1 Vgl. Bärsch/Engelen, FR 2019, 990; Larisch in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung2, Kap. C. Rz. 547 ff. 2 Vgl. Berger in MünchKomm-BGB5, Vor § 488 Rz. 31 f. 3 Siehe auch Scholz/Herda, IStR 2015, 472.
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E. Finanztransaktionen | Rz. 6.541 Kap. 6
durch das MoMiG1 ist die Zulässigkeit von Cash-Pooling-Systemen jedoch ausdrücklich erweitert worden. Dem Kapitalerhaltungssystem ist nunmehr – entgegen der restriktiven Rspr. des BGH – ein an einer bilanziellen Betrachtungsweise orientiertes Haftungssystem zugrunde zu legen, weswegen es entscheidend auf die Werthaltigkeit eines Rückzahlungsanspruchs von konzerninternen Darlehen im Rahmen des Cash-Poolings ankommt. Werden daher Mittel von einem verbundenen Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH auf Grundlage des Cash-Pooling-Systems an den „Pool-Leader“ übertragen und besteht ein werthaltiger Rückzahlungsanspruch des verbundenen Unternehmens, so verstößt die Darlehensgewährung im Rahmen des Cash-Poolings nicht gegen die Eigenkapitalerhaltungsregeln. Gleichwohl ist im Einzelfall zu prüfen, ob und inwieweit eine derartige Werthaltigkeit der Rückzahlungsansprüche tatsächlich vorhanden ist. Vergleichbare Fragestellungen können sich bei verbundenen Unternehmen ergeben, die in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG organisiert sind. Würde die GmbH & Co. KG in den Cash-Pool Zahlungen leisten, müsste ausgeschlossen werden, dass eine Einlagenrückgewähr an ihre Kommanditisten entsteht. Denn die Einlagenrückgewähr führt zu einem Wiederaufleben der unmittelbaren Kommanditistenhaftung nach §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB. Ferner können auch bei verbundenen Unternehmen, die in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG oder einer GmbH organisiert sind, die Regelungen über die Gewähr und die Rückforderung von Gesellschafterdarlehen in Krisenfällen zur Anwendung gelangen. Nach der gesetzlichen Novellierung durch das MoMiG ist bei Gesellschafterdarlehen im Krisenfall ein gesetzlicher Rangrücktritt von Forderungen auf Rückgewähr des Gesellschafterdarlehens vorgesehen.2 Dies bedeutet, dass ggf. Rückgewähransprüche aus Gesellschafterdarlehen im Krisenfall nicht mehr realisiert werden können. Meldebestimmungen und behördliche Genehmigungen. Der grenzüberschreitende Transfer von Finanzmitteln im Rahmen eines Cash-Pooling-Systems unterliegt in vielen Ländern rechtlichen Meldevoraussetzungen und ggf. müssen im Vorhinein einzuholende behördliche Genehmigungen legalisiert werden. Hier ist sicherzustellen, dass etwaige Meldungen und Genehmigungserfordernisse von den an einem Cash-Pool-System teilnehmenden verbundenen Unternehmen erfüllt werden. Im Übrigen ist bei der Ausgestaltung des Cash-Pool-Vertrages – auch vor dem Hintergrund des formellen Fremdvergleichs3 – sicherzustellen, dass die nachfolgend genannten Mindestinhalte zwischen den teilnehmenden verbundenen Unternehmen schriftlich fixiert werden: – grundsätzlich eine klare, im Vorhinein getroffene, zivilrechtlich wirksame und tatsächlich durchgeführte Vereinbarung; – Bezeichnung der Vertragsparteien; – Aufzeichnung und Verbuchung aller Zahlungsvorgänge einschließlich der vereinbarten Konditionen; – Vereinbarung eines Frühwarnsystems zur Erkennung von Liquiditätsproblemen und Vereinbarung eines entsprechenden Informationsaustauschs zwischen den teilnehmenden verbundenen Unternehmen; – Bestimmung einer „Mindestbonität“ von teilnehmenden verbundenen Unternehmen; – Bestimmungen zum Eigenkapitalschutz und zum Existenzschutz; 1 Vgl. Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts v. 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2028. 2 Vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. 3 Vgl. BFH v. 17.1.2018 – I R 74/15, FR 2019, 1005; Bärsch/Engelen, FR 2019, 990 (991 ff.).
Ditz/Engelen | 729
6.541
Kap. 6 Rz. 6.541 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– eindeutige Verrechnungsabreden (ggf. Vergütungsabreden für die Tätigkeiten des „PoolLeader“); – ggf. Besicherung von Darlehensgewährungen; – Begrenzung des Haftungsverbunds; – ggf. Wahrung eines Mindestmaßes an finanzieller Eigenständigkeit der teilnehmenden verbundenen Unternehmen durch das Behalten einer bestimmten Mindestliquidität.
6.542
Devisen-Management. Das Devisen-Management beinhaltet das Devisen-Netting sowie die Devisentermingeschäfte. Hierbei stellen alle beteiligten Konzerngesellschaften dem zentralen Devisen-Management („Corporate Treasury“) ihr Devisenvolumen zur Verfügung, so dass die konzerninternen Forderungen und Verbindlichkeiten gegeneinander aufgerechnet werden können. Es verbleibt dann nur noch der zentrale Ausgleich der Spitzen, was zu Synergieeffekten u.a. in Form von geringeren Transaktionskosten und geringeren Währungsrisiken bei Fremdwährungen führt (insbesondere in Form von „ersparten“ Devisentermingeschäften).1 Letztlich führt das Devisen-Netting zu einer Art Konktokorrentverhältnis i.S.d. § 355 HGB, welches Zinsansprüche nur an den jeweiligen Saldo knüpft. Grundsätzlich ist dieser Saldo zu verzinsen, wobei auf die Ausnahme bei Lieferantenkrediten für Warenlieferungen und Dienstleistungen innerhalb der üblichen Zahlungsziele hinzuweisen ist (Rz. 6.473).
6.543
Zuordnung von Koordinations- und Synergieeffekten. Durch das Cash- und/oder DevisenManagement entstehen i.d.R. Vorteile, deren betriebswirtschaftlicher Nutzen für die beteiligten Konzerngesellschaften innerhalb der Gewinnabgrenzung nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs zu berücksichtigen ist.2 Strittig ist hierbei regelmäßig, wem innerhalb des Cash Pools die Koordinations- und Synergiegewinne zustehen.3 Hierbei stößt der Fremdvergleichsgrundsatz schon deshalb an seine Grenzen, weil Cash Pools regelmäßig nur zwischen verbundenen Unternehmen und nicht zwischen fremden Dritten existieren.4 Grundsätzlich sind die Koordinations- und Synergieeffekte in Orientierung an den relativen Wertbeiträgen der teilnehmenden Gesellschaften sowie der Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters aufzuteilen.5 Dies erfordert eine Analyse der jeweils wahrgenommenen Funktionen und Risiken. So würde sich kein Mitglied eines Cash Pools an einer Transaktion beteiligen, wenn es dadurch schlechter gestellt würde als mit seiner nächstbesten Option.6 Ferner ist hinsichtlich der Bestimmung von Verrechnungspreisen bei Cash Pools zunächst darüber zu entscheiden, welche Vergütung dem Cash Pool-Führer zusteht. Hierbei – und auch das wird durch die Finanzverwaltung anerkannt – muss sich die Bestimmung der Verrechnungspreise und damit auch die Vergütung des Cash Pool-Führers am Funktions- und Risikoprofil im jeweiligen Einzelfall orientieren.7
6.544
Koordinations- oder Vermittlerfunktionen des Cash Pool-Führers. Sofern der Cash PoolFührer lediglich Koordinations- oder Vermittlerfunktionen und damit eine funktionsarme Routinedienstleistung ausübt, sollte die Vergütung regelmäßig auf Basis der Kostenaufschlags1 Vgl. Nieß in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 61. 2 Vgl. Nieß in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 60 f. 3 Vgl. nur Thörmer, IStR 2020, 754; Schwarz/Stein/Lupberger, Ubg 2020, 117 (122); Ditz/Tchervenichachki, IStR 2014, 398; Schnell/John, IWB 2015, 911; Schreiber/Bubeck, DB 2014, 980; Scholz/Herda, IStR 2015, 472. 4 Vgl. Greil/Wargowske, IStR 2018, 534 (539). 5 So auch Vögele/Dettmann in V/B/B5, Kap. G, Tz. 224. 6 Vgl. Tz. 10.118 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.98. Siehe auch Greil/Wargowske, IStR 2018, 534 (539).
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E. Finanztransaktionen | Rz. 6.545 Kap. 6
methode bestimmt werden. Hierbei sind i.d.R. die dem Cash Pool-Führer aus seiner Funktionsausübung entstandenen Vollkosten zzgl. eines angemessenen Gewinnaufschlags auf die Cash Pool-Teilnehmer umzulegen. Als Gewinnaufschlag kommen in der Praxis typischerweise zwischen 5-10 % zur Anwendung. Dies wird durch die deutsche Finanzverwaltung ausdrücklich anerkannt.1 In Abhängigkeit vom Funktions- und Risikoprofil des Cash Pool-Führers können auch abweichende Gewinnaufschläge sachgerecht sein. Aus Gründen der Vereinfachung und Wesentlichkeit kann auch eine Pauschalvergütung des Cash Pool-Führers in Frage kommen. Die Vergütung des Cash Pool-Führers ist nach einem sachgerechten Aufteilungsschlüssel auf die Cash Pool-Teilnehmer umzulegen.2 Beispielsweise kann eine Aufteilung anhand der im Rahmen des Cash Pools in Anspruch genommenen Beträge oder auch „nach Köpfen“ erfolgen.3 Beispiel:4 Innerhalb einer international tätigen Unternehmensgruppe wird das gruppenweite Cash Pooling von der Konzernfinanzierungsgesellschaft F organisiert. Zu diesem Zweck hat die F entsprechende Rahmenverträge mit einer Geschäftsbank abgeschlossen, bei der sie das Cash Pool-Masterkonto unterhält. Die gruppeninternen Teilnehmer des Cash Pools, A, B und C haben ebenso wie die Konzernobergesellschaft D mit F eine entsprechende Cash Pool-Vereinbarung abgeschlossen. Die praktische Durchführung des Cash Pools obliegt allein der konzernfremden Bank. Diese besorgt den täglichen Ausgleich der Konten der Teilnehmer mit dem Masterkonto der F und führt entsprechende Aufzeichnungen. Die aus dem Cash Pooling resultierenden Zinsen werden durch die Bank auf dem Masterkonto gutgeschrieben bzw. belastet. Die Konzernobergesellschaft D bürgt gegenüber der Bank für die Sicherheit etwaiger Nettoverbindlichkeiten aus dem Cash Pool. Weitergehende Funktionen übt die F nicht aus.
Da die Konzernfinanzierungsgesellschaft F weder wesentliche Funktionen ausübt noch wesentliche Risiken trägt, steht ihr lediglich die Vergütung für eine funktionsarme Routinedienstleistung zu. Insbesondere nimmt die F keine bankähnlichen Funktionen und Risiken (so z.B. das Kreditrisiko) wahr. Der Koordinations- und Synergiegewinn aus dem Cash Pooling steht den Cash Pooling-Teilnehmer zu. Bankenähnliche Funktionen des Cash Pool-Führers. Sofern der Cash Pool-Führer bankähnliche Funktionen übernimmt, können ihm die Koordinations- und Synergieeffekte teilweise oder sogar ganz zustehen.5 Beispiel:6 Innerhalb einer international tätigen Unternehmensgruppe wird das gruppenweite Cash Pooling von der Konzernfinanzierungsgesellschaft F organisiert. Hierbei trägt die F die Verantwortung für die strategische Steuerung und Verwaltung der Konzernliquidität. Dies umfasst neben dem Cash Pooling die gesamte Finanzierung der Unternehmensgruppe, u.a. über Bankdarlehen, Anleiheemissionen und konzerninterne Darlehen. Im Rahmen des Cash Poolings obliegt der F die Entscheidung darüber, wie Überschüsse investiert oder Fehlbeträge gedeckt werden sollen. Die Gesellschaft bestimmt ferner die im Cash Pooling zur Anwendung kommenden Soll- und Habenzinssätze. Die F trägt folglich das aus dem Cash Pooling resultierende Zinsrisiko; die Gesellschaft trägt auch die Kredit-, Liquiditäts- und Währungsrisiken für die konzerninterne Finanzierung.
1 2 3 4 5 6
Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.98. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.99. Vgl. Greil/Wargowske, IStR 2018, 534 (539). Vgl. Tz. 10.133 ff. OECD-Leitlinien 2022. So auch Scholz/Herda, IStR 2015, 472. Vgl. Tz. 10.138 ff. OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Engelen | 731
6.545
Kap. 6 Rz. 6.545 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Die Konzernfinanzierungsgesellschaft F nimmt i.Z.m. dem Cash Pooling wesentliche Funktionen und Risiken wahr; konkret läuft ihre Tätigkeit auf eine bankähnliche Funktion hinaus. Der F stehen folglich wesentliche Teile (sogar der gesamte) des Koordinations- und Synergiegewinns zu. Hierbei ist allein zu berücksichtigen, dass sich die Cash Pool-Teilnehmer durch ihre Teilnahme nicht schlechter als bei einer Nichtteilnahme stellen dürfen.
6.546
Dokumentation empfehlenswert. Um Streitigkeiten mit den Finanzbehörden zu vermeiden, ist es empfehlenswert, die Ausgestaltung eines Cash Pools auch vertraglich zu dokumentieren und hierbei insbesondere das Funktions- und Risikoprofil des Cash Pool-Führers klar und eindeutig abzugrenzen.1 Gleichwohl wird in der Praxis häufig eine „Mischform“ vorliegen, in der Cash Pool-Führer weder ein Routineunternehmen ist, noch sein Funktions- und Risikoprofil bankenähnlich ausgestaltet ist. In diesen Fällen hat es sich in der Praxis – auch aus Vereinfachungsgründen – etabliert, den Synergiegewinn den Cash Pool-Teilnehmern, den Koordinationsgewinn hingegen dem Cash Pool-Führer zuzuteilen.
6.547
Zuordnung der Synergiegewinne zu den Cash Pool-Teilnehmern. Vor dem Hintergrund der Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters und auch aus Vereinfachungsgründen2 hat es sich in der Verrechnungspreispraxis etabliert, die Synergiegewinne, d.h. die aufgrund der Bündelung der Finanzmittelüberschüsse und -bedarfe der Cash Pool-Teilnehmer günstigeren Zinssätze, an die Cash Pool-Teilnehmer weiterzureichen.3 Dies läuft auf eine Anwendung der Preisvergleichsmethode4 hinaus und entspricht auch der Auffassung der OECD5 und der deutschen Finanzverwaltung.6 Damit erhalten die Cash Pool-Teilnehmer für ihre Einlagen bzw. Ausleihungen in den Cash Pool dieselben Zinssätze, wie sie dem Cash Pool-Führer durch Banken gewährt werden, bei denen er den Nettofinanzmittelbedarf aufnimmt bzw. den Nettofinanzmittelüberschuss anlegt. Dieses Vorgehen ist jedoch keinesfalls zwingend. So können die Cash Pool-internen Zinsen auch in der Weise bestimmt werden, dass auf die gegenüber dem Cash Pool-Führer bzw. dem Cash Pool insgesamt gewährten Zinsen ein Aufschlag auf den Sollzins bzw. ein Abschlag auf den Habenszins zur Anwendung kommt. Ferner können die Cash Pool-internen Zinsen auch losgelöst hiervon z.B. auf Basis von Referenzzinssätzen bestimmt werden.7
6.548
Zuordnung des Koordinationsgewinns zum Cash Pool-Führer. Der Koordinationsgewinn beschreibt den Gewinn, der sich aus dem Spread zwischen dem Soll- und dem Habenzins ergibt.8 Unter der Voraussetzung, dass der Soll- den Habenszins übersteigt (d.h., dass ein positiver Spread besteht)9, führt das Cash Pooling dazu, dass konzernübergreifend ein geringerer externer Kapitalbedarf besteht und dementsprechend weniger Zinsen an externe Geldgeber gezahlt werden müssen, als dies bei individueller Kapitalaufnahme und -anlage der Fall wäre. 1 So auch Thörmer, IStR 2020, 754 (760). 2 Siehe auch Greil/Wargowske, IStR 2018, 534 (539 f.), die u.a. auf verschiedene ökonomische Theorien, bspw. spieltheoretisch, oder argumentative Ansätze verweisen. Solche Ansätze gehen jedoch regelmäßig an der gelebten Verrechnungspreispraxis vorbei. 3 Siehe auch Scholz/Kaiser, IStR 2013, 54 (56), die dieses Vorgehen als Standardmodell bezeichnen. 4 Siehe auch Ditz/Tcherveniachki, IStR 2014, 398; Scholz/Kaiser, IStR 2013, 54 (56). 5 Vgl. Tz. 1.162, 10.133 ff., 10.143 OECD-Leitlinien 2022. 6 Daraus, dass der Cash Pool-Führer regelmäßig als Routineunternehmen qualifizieren soll, ergibt sich implizit, dass die Synergievorteile den Cash Pool-Teilnehmern zustehen. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.98. 7 Siehe auch Scholz/Herda, IStR 2015, 472. 8 Vgl. Ditz/Tcherveniachki, IStR 2014, 398 (401). 9 Vgl. Scholz/Kaiser, IStR 2013, 54 (56).
732 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.550 Kap. 6
In der Praxis verbleibt dieser Koordinationsgewinn häufig beim Cash Pool-Führer.1 Dies ist i.d.R. deswegen gerechtfertigt, weil der Cash Pool-Führer typischerweise die Kreditausfallrisiken trägt und es zu einer mit einer Bank vergleichbaren Risikodiversifikation kommt.2
3. Eigenversicherer Gruppeninterne Versicherungsfunktion. Unter einem Eigenversicherer ist ein Unternehmen zu verstehen, das im Wesentlichen Versicherungen für Risiken anderer Unternehmen der Unternehmensgruppe anzubieten, dem es selbst angehört.3 Die Rolle des Eigenversicherers besteht damit in der (gruppeninternen) Übernahme von Risiken bzw. Erbringung von Versicherungsleistungen. Die Finanzverwaltung hat sich in den VWG VP erstmals zur steuerlichen Behandlung von Eigenversicherern (Captive Insurance) geäußert.4 Eigenversicherer sind demnach entsprechend den am Markt zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses bestehenden Gegebenheiten sowie dem Fremdvergleichsgrundsatz unter Beachtung der Risikoübernahme, der Kapitalausstattungsanforderungen und der Synergieeffekte aufgrund der Gruppenzugehörigkeit zu vergüten.5 Während ersteres zutreffend auf den – für die Verrechnungspreisbestimmung allgemein relevanten – Zeitpunkt des Vertragsabschlusses verweist6 (Rz. 6.442) sollte letzteres so zu verstehen sein, dass die Finanzverwaltung auch hier Bezug auf die Empfehlungen der OECD nimmt. So gibt die OECD mit den Empfehlungen zu Verrechnungspreisen bei Finanztransaktionen vom 11.2.2020 und der Aufnahme eines entsprechenden neuen Kapitels X in die OECD-Leitlinien 2022 erstmals eine Hilfestellung zur Verrechnungspreisbestimmung für Finanztransaktionen und in diesem Zusammenhang auch die Behandlung von Eigenversicherern (Captives).7
6.549
Gründe für die Etablierung eines Eigenversicherers. International tätige Konzerne können mit ihren operativen Risiken auf verschiedene Weisen umgehen. Sie können das betreffende Risiko beispielsweise bei Eintritt schlicht selbst tragen und hierfür ggf. Rückstellung bilden. Alternativ kann ein Risiko – ganz oder teilweise – bei einem unabhängigen Versicherungsunternehmen abgesichert werden. Hierbei kann ein internationaler Konzern jedoch vor der Herausforderung stehen, dass aufgrund von Informationsasymmetrien gewisse Risiken entweder nur mit hohen Versicherungsprämien und/oder mit erheblichen Deckungseinschränkungen oder Ausschlüssen versichert werden. Ein Eigenversicherer kann dazu dienen, diese Probleme aus Konzernsicht zu lösen. Darüber hinaus können mittels eines Eigenversicherers die zu entrichtenden Versicherungsprämien stabil und damit planbar gehalten werden. Ferner kann hierüber Regulierungsarbitrage betrieben werden und es kann Zugang zu Rückversicherungsmärkten erlangt werden.8 Dass bei einem Eigenversicherer sowohl Versicherungsprämien, Verwaltungskosten als auch Leistungen im Schadensfall im Konzern verbleiben, macht dessen Etablierung gleichwohl nicht ökonomisch nutzlos. So bietet der Eigenversicherer durch die konzernweite Bündelung von Risiken die Möglichkeit, gezielter und mit einer stärkeren Verhandlungsposition am Rückversicherungsmarkt zu agieren und dadurch Größeneffekte
6.550
1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Ditz/Tcherveniachki, IStR 2014, 398 (401). Vgl. Ditz in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2347. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.102; Tz. 10.190 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.102. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.102. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.38. Vgl. Tz. 10.189 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Bärsch/Bestelmeyer/Hafkenscheid/Knab/Kraan, DB 2022, 355 (356).
Ditz/Engelen | 733
Kap. 6 Rz. 6.550 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
(„economies of scale“) zu realisieren. Zudem lassen sich auch Verbundeffekte („economies of scope“) generieren.1
6.551
Anerkennung dem Grunde nach. Nach Auffassung der OECD sollen hinsichtlich der Anerkennung von Eigenversicherern die allgemeinen Grundsätze zur sachgerechten Abgrenzung von Geschäftsvorfällen anzuwenden sein. Damit ein Eigenversicherer tatsächlich einer Versicherungstätigkeit nachgeht, sollen typischerweise die nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt sein:2 – Es besteht eine Diversifizierung und Bündelung von Risiken beim Eigenversicherer; – Durch die Risikodiversifizierung kommt es bei den Konzerngesellschaften zu einer Verbesserung der ökonomischen Kapitalausstattung (echter wirtschaftlicher Effekt); – Der Eigenversicherer (und etwaige Rückversicherer) unterliegen aufsichtsrechtlichen Bestimmungen (u.a. hinsichtlich des Nachweises der Risikoübernahme und der Kapitalausstattung); – Das versicherte Risiko könnte auch durch konzernfremde versichert werden; – Der Eigenversicherer verfügt über die erforderlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten; – Der Eigenversicherer hat ein echtes Verlustrisiko. Konkret ist für die Anerkennung eines Geschäftsvorfalls als Versicherungsgeschäft zu untersuchen, ob der Versicherungsgeber ein Risiko übernimmt und eine Risikodiversifizierung erzielt wurde.3 Der Eigenversicherer übernimmt ein Versicherungsrisiko dadurch, dass er im Schadensfall eine Zahlung an den Versicherungsnehmer leistet, dessen wirtschaftlicher Verlust insoweit kompensiert wird. Hierbei soll es nach Auffassung der OECD erforderlich sein, dass der Eigenversicherer auch realistischerweise in der Lage ist, den Schadensforderungen im Fall des Risikoeintritts nachzukommen. Er muss also Zugang zu Finanzmitteln haben, um diese Folgen tragen zu können. Unter einer Risikodiversifizierung ist die Bildung eines Portfolios verschiedener Risiken zu verstehen. Hierbei soll durch die Kombination nicht korrelierter, ggf. auch geografisch gestreuter Risiken ein effizienter Kapitaleinsatz erzielt werden. Soweit diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, soll – so die Auffassung der OECD – die Versicherungsleistung des Eigenversicherers dem Grunde nach nicht anzuerkennen sein und stattdessen von einer anderen Leistung (wohl einer konzerninternen Dienstleistung) auszugehen sein.4
6.552
Verrechnungspreisbestimmung der Höhe nach. Zur Verrechnungspreisbestimmung der Höhe nach erkennt die OECD verschiedene Preisbestimmungsansätze an. Diese erinnern grundsätzlich an die bekannten Verrechnungspreismethoden, tragen gleichzeitig jedoch den Besonderheiten des Versicherungsgeschäfts Rechnung. Gleichwohl zeigt sich die OECD auch für alternative Ansätze der Preisbestimmung offen, da sie auf die Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls sowie die allgemeinen Grundsätze zur Identifikation der am besten geeigneten Methode verweist.5
6.553
Bestimmung der Prämienhöhe durch Preisvergleich. Die Vergütung eines Eigenversicherers kann in Orientierung an konkreten Versicherungsprämien bestimmt werden. Hierbei kann auf vergleichbare, zwischen fremden Dritten abgeschlossene Vereinbarungen abgestellt wer1 2 3 4
Vgl. Bärsch/Bestelmeyer/Hafkenscheid/Knab/Kraan, DB 2022, 355 (356) m.w.N. Vgl. Tz. 10.199 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 10.201 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 10.208 OECD-Leitlinien 2022. Siehe auch Bärsch/Bestelmeyer/Hafkenscheid/Knab/Kraan, DB 2022, 355 (359). 5 Vgl. Tz. 10.216 OECD-Leitlinien 2022.
734 | Ditz/Engelen
E. Finanztransaktionen | Rz. 6.556 Kap. 6
den. Praktisch kann dies Vereinbarungen betreffen, die der Eigenversicherer mit konzernfremden Kunden abgeschlossen hat (interne Vergleichswerte). Alternativ können externe Vergleichswerte berücksichtigt werden, d.h. Versicherungsprämien die gänzlich ohne Bezug zum Eigenversicherer bzw. der Unternehmensgruppe, der dieser angehört, ermittelt wurden. Insgesamt läuft dieser Ansatz auf eine Anwendung der Preisvergleichsmethode unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Versicherungsgeschäfts hinaus. Hierbei ist sicherzustellen, dass die der Preisvergleichsmethode zu Grunde liegenden Voraussetzungen erfüllt sind. Konkret müssen die herangezogenen Vergleichswerte damit in ihren wesentlichen Bedingungen hinreichend vergleichbar sein. Sofern es wesentliche Abweichungen der den Vergleichswerten zu Grunde liegenden Bedingungen gibt, ist diesen durch sachgerechte Anpassungen zu begegnen. Beispielsweise können solche Abweichungen die vom Eigenversicherer (im Vergleich zu einem kommerziellen Versicherungsunternehmen) ausgeübten Funktionen betreffen.1 Bestimmung der Prämienhöhe durch versicherungsmathematische Analysen. Die vom Eigenversicherer zu verrechnenden Versicherungsprämien können durch eine versicherungsmathematische Analyse bestimmt werden. So sollte eine Versicherungsprämie typischerweise geeignet sein, die vom Versicherungsunternehmen erwarteten Verluste aufgrund von Schadensaufwendungen und weitere Kosten i.Z.m. der Erbringung der Tätigkeit zu decken und darüber hinaus ein Gewinnelement abzubilden.2 Damit kann in Orientierung an der Kostenaufschlagsmethode ein Verrechnungspreis (Versicherungsprämie) für die vom Eigenversicherer erbrachten Versicherungsleistungen bestimmt werden.
6.554
Ermittlung der Schaden-Kosten-Quote. Die Vergütung eines Eigenversicherers kann auch in der Weise bestimmt werden, dass die Schadenrentabilität sowie die Kapitalrendite des Eigenversicherers in einem zweistufigen Ansatz berücksichtig werden. Konkret können die Schadensaufwendungen und sonstigen Ausgaben mit den Prämieneinnahmen ins Verhältnis gesetzt werden.3 Hierbei kann die Schaden-Kosten-Quote unabhängiger Versicherungsunternehmen als Vergleichswert herangezogen werden. Durch Anwendung dieser „fremdüblichen“ Schaden-Kosten-Quote auf die tatsächlichen Schadensaufwendungen und sonstigen -ausgaben des Eigenversicherers können die diesen zustehenden Prämieneinnahmen bestimmt werden.
6.555
Berücksichtigung von Synergien. Die Bündelung konzernweiter Risiken bei einem Eigenversicherer kann dem Ziel dienen, Zugang zum Rückversicherungsmarkt zu erlangen und dort aufgrund des Gesamtvolumens Kosteneinsparungen zu erzielen. Die solchermaßen erzielten Vorteile können daher mglw. dem konzertierten Handeln der versicherungsnehmenden Konzerngesellschaften geschuldet sein, d.h. es werden mglw. Synergien erzielt. Vor diesem Hintergrund weist die OECD darauf hin, dass ein solches gemeinsames Handeln durch die individuelle Erwartung günstigerer Bedingungen in Form geringerer Versicherungsprämien motiviert sein. Soweit daher Synergieeffekte erzielt werden sollten diese nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes im Rahmen der Verrechnungspreisbestimmung berücksichtigt werden, so dass die versicherungsnehmenden Konzerngesellschaften hieran in Form geringerer Versicherungsprämien partizipieren.4
6.556
1 Vgl. Tz. 10.218 OECD-Leitlinien 2022. Siehe auch Bärsch/Bestelmeyer/Hafkenscheid/Knab/Kraan, DB 2022, 355 (359 f.). 2 Vgl. Tz. 10.219 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Bärsch/Bestelmeyer/Hafkenscheid/Knab/Kraan, DB 2022, 355 (360) zum Hintergrund der Schaden-Kosten-Quote. 4 Vgl. Tz. 10.222 f. OECD-Leitlinien 2022.
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Kap. 6 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
F. Immaterielle Werte Literatur: Arbeitskreis Verrechnungspreise der Schmalenbach-Gesellschaft, Immaterielle Vermögenswerte – ausgewählte Fragestellungen aus Sicht der unternehmerischen Praxis und der Wissenschaft, Ubg 2017, 537; Bärsch/Luckhaupt/Schulz, Bestimmung Verrechnungspreise im Zusammenhang mit immateriellen Vermögenswerten, Ubg 2014, 37; Bärsch/Quilitzsch/Schulz, Steuerliche Implikationen des Aktionsplans der OECD aus deutscher Sicht, ISR 2013, 358; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.2008, DStR 2008, 1945; Baumhoff/Ditz/Greinert, Klärung des Begriffs „Geschäftsbeziehung“ i.S. des § 1 AStG durch das BMF-Schreiben vom 12.1.2010, DStR 2010, 476; Baumhoff/Greinert, Angemessene Lizenzsätze bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, Ubg 2009, 544; Baums, Ergebnisabhängige Preisvereinbarungen in Unternehmenskaufverträgen („earn-outs“), DB 1993, 1273; Beermann, Das neue BMF-Schreiben zur Namensnutzung im Konzern – Pflicht zur Lizenzierung?, BB 2017, 1431; Bernhardt/van der Ham/Kluge, Die gesetzliche Preisanpassungsklausel im § 1 AStG – Bestimmung der Anpassungen der Höhe nach und weitere praktische Anwendungsprobleme, IStR 2008, 844; Bernhardt/van der Ham/Kluge, Verrechnungspreismethoden – Weitergehende Anwendungsbereiche des hypothetischen Fremdvergleichs, Ubg 2009, 244; Beuchert, Entwicklungen im Verrechnungspreissystem der USA am Beispiel der Verfahren DHL, Glaxo und Xilinx – Modell für Deutschland?, IStR 2006, 605; Beyer/Mackenstedt, Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte (IDW S 5), WPg 2008, 338; Birnbaum/Nientimp, Namensnutzung im Konzern: Was bringt das BMF-Schreiben vom 7.4.2017?, DB 2017, 1673; Böcker, Internationale Lizenzen – Verrechnung nach Grund und Höhe, in Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Internationale Einkünfteabgrenzung, Köln 2003, S. 155; Borstell/Prick, Grundsatzentscheidung zu anonymen Vergleichsdaten in der Prüfung von Verrechnungspreisen, IStR 1999, 304; Dawid/Bittner/Barth, OECD-Beispiele zur Behandlung immaterieller Wirtschaftsgüter – Fallbeispiele des OECD-Diskussionsentwurfs vom 16.9.2014, Verrechnungspreise BEPS-Aktion 8 der OECD, 33; Dawid/Schwerdt/Stumpf, Verrechnungspreise für immateriell Wirtschaftsgüter – Überblick und Einschätzung des OECD-Papiers zum BEPS-Aktionspunkt 8, IWB 2014, 910; Ditz/Pinkernell/ Quilitzsch, BEPS-Reformvorschläge zu Lizenzgebühren und Verrechnungspreisen bei immateriellen Wirtschaftsgütern aus Sicht der Beratungspraxis, IStR 2014, 45; Ditz/Quilitzsch, Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen – die Einführung einer Lizenzschranke in § 4j EStG, DStR 2017, 1561; Dürrfeld/Wingendorf, Lizenzierung von Markenrechten im Konzern, IStR 2005, 464; Eigelshoven/Ebering/Schmidtke, Streitpunkt immaterielle Wirtschaftsgüter – Der OECD Diskussionsentwurf vom 6.6.2012, IWB 2012, 487; Engelen, Ex post-Informationen und Preisanpassungsklauseln – kritische Würdigung der OECD-Ausführungen zu schwer bewertbaren immateriellen Werten, IStR 2016, 146; Engelen, Definition immaterieller Wirtschaftsgüter – Internationale Rspr. im Fall Amazon und Vergleich zu deutschen und internationalen Verrechnungspreisgrundsätzen, DB 2020, 251; Freudenberg/Holinski/von Rüden, Irrungen und Wirrungen bei der Zuordnung von Markeneigentum – Eine Annäherung an eine objektive Begriffsbestimmung, IWB 2016, 64; Freudenberg/Stein/Weskamp, Die Vertriebsfunktion in der Post BEPS Welt – Eine Analyse aus Sicht der Beraterpraxis, Ubg 2016, 603; Frotscher, Grundfragen der Funktionsverlagerung, FR 2008, 49; Greinert, Die bilanzielle Behandlung von Marken, Lohmar/Köln 2002; Greinert, Besonderheiten bei der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise im Fall der Übertragung und Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter, RIW 2006, 449; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, in Schaumburg/Rödder (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008, München 2007, S. 541; Greinert/Karnath, Valuation of intangibles in the world of BEPS, in les Nouvelles 2015, 213; Greinert/ Karnath/Siebing, Limits on Royalty Payments: How Germany Plans to Fight IP Boxes, TNI 2017, 997; Greinert/Metzner, Entwicklung des Fremdvergleichsgrundsatzes, Ubg 2014, 307; Greinert/Metzner, Die Bedeutung von Risiken bei der Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise, Ubg 2015, 60; Greinert/Overesch/Stoltenberg/Streibel/Wenisch/Wilmanns, Folgen der DEMPE-Konzeption für die steuerliche Erfolgsabgrenzung bei der Nutzung von immateriellen Werten, Ubg 2020, 523; Greinert/Siebing, Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, 99. Lieferung 10.2021, § 4j EStG; Greinert/Siebing, Jüngste Entwicklungen zu § 4j EStG angesichts BMF Schreiben v. 5.1.2022 und 6.1.2022, ISR 2022, 85; Greinert/Siebing, Latest Developments On the German License Barrier, Tax Notes International, 106/4, S. 543 ff.; Groß, Aktuelle Lizenzgebühren in Patentlizenz-, Know-how- und Compu-
736 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Kap. 6 terprogrammlizenz-Verträgen, BB 1995, 885; Groß, Aktuelle Lizenzgebühren in Patentlizenz-, Knowhow- und Computerprogrammlizenz-Verträgen: 1996/1997, BB 1998, 1321; Groß, Anpassung der Ergebnisse von Verrechnungspreisen an die Wertschöpfung – Der G20/OECD-Abschlussbericht zu den Maßnahmen 8–10 des BEPS-Aktionsplans, IStR 2016, 233; Grotherr, Zweifelsfragen bei der Anwendung und den Rechtsfolgen des DEMPE-Funktionskonzepts (§ 1 Abs. 3c AStG) bei immateriellen Werten, Ubg 2021, 618; Grümmer, Markenlizenzen und Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter, Bonner Bp-Nachrichten 2016, 13; Haarmann, Die neue Lizenzschranke nach § 4j EStG, BB 2017, Heft 22, Umschlagteil I; Haas, Funktionsverlagerungen nach dem Erlass der Funktionsverlagerungsverordnung, Ubg 2008, 517; Heil/Pupeter, Lizenzschranke – Gesetzesentwurf eines neuen § 4j EStG, BB 2017, 795; Holinski/Schwarz/Stein, Namensnutzung im Konzern – Implikationen für die Praxis durch die neue BFH-Rechtsprechung, Der Konzern 2016, 316; Jochimsen, Nutzung von Intellectual Property im Lichte des DEMPE-Funktionskonzepts, IStR 2018, 678; Jochimsen/Zinowsky/Schraud, Die Lizenzschranke nach § 4j EStG – Ein Gesellenstück des deutschen Gesetzgebers, IStR 2017, 593; Kaminski, Die Festlegung von Maßstäben zur internationalen Einkünftekorrektur durch § 1 Außensteuergesetz, StuW 2008, 337; Kaminski/Strunk, Auswirkungen des BFH-Urteils vom 17.10.2001 auf die Verrechnungspreisbestimmung, IWB 2002, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 55; Kaminski/Strunk, Stellungnahme zum Entwurf der „Verwaltungsgrundsätze–Funktionsverlagerungen“ des BMF vom 17.7.2009, RIW 2009, 706; Kleineidam, Verrechnungspreise für immaterielle Wirtschaftsgüter – Lizenzen, in Schaumburg (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Köln 1994, S. 103; Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz- und Know-how-Verträge, Köln 1972; Koch, BEPS und Intangibles oder die Grenzen des Fremdvergleichsgrundsatzes, IStR 2016, 881; Kohl/Schilling, Die Bewertung immaterieller Vermögenswerte gem. 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Lüdicke/Schnitger/Spengel, München 2016; Kroppen/Eigelshoven, Die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise mit Hilfe des externen Betriebsvergleichs, IWB 2000, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 1587; Kroppen/Rasch, Die Funktionsverlagerungsverordnung, IWB 2008, 547; Kroppen/Rasch, Funktionsverlagerung – Entwurf der Verwaltungsgrundsätze, IWB 2009, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2439; Krüger, Das „intangible“ als neuer Begriff in der Verrechnungspreisbestimmung – eine Einordnung nach Maßnahme 8 des BEPS-Aktionsplans, DStZ 2016, 64; Krüger, Immaterielle WG: Eine Einordnung zu den Ergebnissen der Final Reports zu den „hard-to-value intangibles“ (HTVI), ISR 2015, 430; Krüger, Namensnutzung im Konzern, Der Konzern 2017, 340; Kuckhoff/Schreiber, Quo vadis Fremdvergleich?, IStR 1999, 513; Leonhardt, Die Behandlung immaterieller Werte nach dem aktuellen Referentenentwurf zum ATADUmsG, FR 2020, 297; Leonhardt, Kann die deutsch-steuerliche Implementierung des DEMPE-Konzepts der OECD Gewinnrealisierungen auslösen?, IStR 2021, 628; Naumann/Groß, Verrechnungspreisaspekte immaterieller Werte – der OECD-Bericht zu Maßnahme 8 des BEPS Action Plan, IStR 2014, 906; Metzner, Risikoallokation im internationalen Konzern – Die Zuordnung und Vergütung von Risiken im Rahmen der Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise, 2016; Nientimp/Stein/Hundebeck, Immaterielle Werte in der PostBEPS-Welt: Eine ertragsteuerliche und zollrechtliche Standortanalyse, DStR 2016, 2871; Nientimp/ Stein/Schwarz/Holinski, Zuordnung und Vergütung immaterieller Werte in Betriebsstättenstrukturen, BB 2017, 407; Oestreicher, Die (reformbedürftigen) Regelungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in Fällen der Funktionsverlagerung, Ubg 2009, 80; Peter/Spohn/Hogg, Preisanpassungsklauseln bei Funktionsverlagerungen nach deutschem sowie US-amerikanischem Steuerrecht, IStR 2008, 864; Pezzer, Verdeckte Gewinnausschüttung – Lizenzgebühr für Nutzung des Konzernnamens – Anmerkung zum BFH-Urteil vom 9.8.2000 – I R 12/99, FR 2001, 248; Pinkernell, OECD-Aktionsplan gegen internationale Gewinnverlagerung und Aushöhlung der Bemessungsgrundlagen (BEPS-Projekt), FR 2013, 737; Portner, Verrechnungspreise für immaterielle Wirtschaftsgüter – Grundsätze, in Schaumburg (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, Köln 1994, S. 78; Puls/Heravi, DEMPE-Funktionen und wirtschaftliches Eigentum an immateriellen Werten – Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung, IStR 2018, 721; Rasch, Immaterielle Vermögenswerte, Risiko und Kontrolle – Plädoyer für eine restriktive Handhabung der Kriterien, ISR 2015, 310; Rasch/Busch, Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise 2021 – Analyse der Finanztransaktionen und des DEMPEKonzepts in der praktischen Anwendung, Ubg 2021, 639; Rasch/Greil, Immaterielle Vermögenswerte: BEPS Action 8 hard-to-value intangibles: Diskussionsentwurf der OECD vom 4.6.2015 – Überblick
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Kap. 6 Rz. 6.557 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch und erste Stellungnahme; Raupach, Funktionsbezogene Systeme, in Raupach (Hrsg.), Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen, Herne 1999, 143; Ritzer/Stangl/Karnath, Zur geplanten „Lizenzschranke“, Der Konzern 2017, 68; Ritzer/Stangl/Karnath, Update zur Lizenzschranke, Der Konzern 2017, 401; Roeder, Base Erosion and Profit Shifting: Immaterielle Vermögenswerte und die OECD – Zusammenfassung des Arbeitsstands des Kapitels VI und erste Analyse aus deutscher Sicht, ISR 2014, 428; Roeder, Immaterielle Wirtschaftsgüter: Diskussionsentwurf zur Überarbeitung des Kapitels VI der OECD-Verrechnungspreisleitlinien – Ausgewählte Aspekte aus deutscher Sicht, ISR 2012, 70; Roeder, Ökonomische Aspekte des hypothetischen Fremdvergleichs, Ubg 2008, 202; Schaumburg, Anpassungsklausel, IStR 2009, 877; Schmidtke, Maßnahme 8 des BEPS-Aktionsplans – Der Fremdvergleichsgrundsatz und BEPS, IStR 2015, 120; Schmidtke/Tillmann, Transfer Pricing News – Der 2. OECD Diskussionsentwurf immaterieller Wirtschaftsgüter, IWB 2013, 709; Schmitt, Die Überlassung des Konzernnamens aus Sicht der Prüfungspraxis, IStR 2017, 311; Schneider/Junior, Die Lizenzschranke – Überblick über den Regierungsentwurf zu § 4j EStG, DStR 2017, 417; Schnorberger, Unzulässigkeit gewinnvergleichender Verrechnungspreismethoden in Deutschland?, IStR 1999, 523; Scholz, Die Fremdüblichkeit einer Preisanpassungsklausel nach dem Entwurf zu § 1 Abs. 3 AStG, IStR 2007, 521; Schreiber, Funktionsverlagerungen im Konzern – Neue Rechtsgrundlagen durch die Unternehmensteuerreform 2008, Ubg 2008, 433; Stein/Schwarz/Burger, Die Besteuerung immaterieller Werte in multinationalen Unternehmensgruppen – Eine Analyse des Referentenentwurfs für ein ATAD-UmsG, IStR 2020, 83; Stein/Schwarz/Holinski, Funktionales Eigentum und Wertschöpfungsbeitragsanalysen: Steuerliche Erfolgsermittlung bei immateriellen Werten mithilfe betriebswirtschaftlicher Konzepte, DStR 2017, 118; Strunk, Grenzüberschreitende Veräußerung immaterieller Wirtschaftsgüter, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Veräußerungsgewinne im Internationalen Steuerrecht, Köln 2004, S. 57; Todecso/Harz, BEPS und Mobility – mehr als steuerliche Herausforderungen, BB 2016, 2397; van Lück, Gesetzentwurf zur Einführung einer Lizenzschranke durch § 4j EStG- Verfassungsrechtliche und europarechtliche Herausforderungen, IStR 2017, 388; Wassermeyer, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats des BFH – Inhalt und Auswirkungen, WPg 2002, 10; Wassermeyer, Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, 535; Wehnert/Stalberg, Grundsatzentscheidung des BFH zur Bestimmung von Verrechnungspreisen im internationalen Konzern, IStR 2002, 141; Welling, Die Funktionsverlagerungsbesteuerung im Lichte der OECD-Äußerungen, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS für Harald Schaumburg, Köln 2009, S. 985; Wittendorff, At Arm’s Length – BEPS Actions 8–10: Birth of a New Arm’s-Length Principle, Tax Notes International 2016, 331; Wittendorff, More black smoke from the OECD’s chimney – Third draft on intangibles, Tax Notes International 2015, 167; Zech, Funktionsverlagerung durch Zusammenlegung von Produkten und Vertrieb?, IStR 2009, 418.
I. Grundlagen 1. Hintergrund der Bedeutung von immateriellen Werten a) Überblick und aktuelle Entwicklungen
6.557
Hintergrund. Immaterielle Werte stehen im Fokus der Fisci weltweit.1 Sie können sehr hohe Werte aufweisen und für den Unternehmenserfolg maßgebend sein, gleichwohl werden selbstgeschaffene immaterielle Werte nur im Ausnahmefall bilanziert.2 Im Übrigen gelten immate1 Vgl. etwa die Begründung der Bundesregierung zur Änderung von § 1 Abs. 3 AStG im Rahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, abgedruckt in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 296. 2 Bis zur Einführung des BilMoG galt ein generelles Aktivierungsverbot für selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter gem. § 248 Abs. 2 HGB. Nunmehr ist – in Anlehnung an die internationalen Rechnungslegungsvorschriften – deren Aktivierung unter eingeschränkten Voraussetzungen möglich, vgl. Hoppen/Husemann/Schmidt, Das neue HGB-Bilanzrecht, S. 62 ff. Steuerrechtlich gilt hingegen das generelle Aktivierungsverbot für selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter unverändert fort, vgl. § 5 Abs. 2 EStG.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.558 Kap. 6
rielle Werte als besonders fungibel sowie schwer bewertbar und daher besonders geeignet für Steuerarbitrage.1 Vor diesem Hintergrund ergreifen die nationalen Finanzverwaltungen umfassende Maßnahmen, um die Besteuerung der im jeweiligen Land geschaffenen immateriellen Werte sicherzustellen. Sowohl in den Fällen der Überlassung als auch denen der Übertragung immaterieller Werte stellt sich die Frage nach der Ermittlung eines angemessenen Verrechnungspreises. Spezielle gesetzliche Vorschriften für die Verrechnungspreisermittlung immaterieller Werte existieren in vielen Ländern nicht. Zur Konkretisierung des allgemein maßgebenden Fremdvergleichsgrundsatzes für deutsch-steuerliche Zwecke kamen im Hinblick auf die – enger definierten – immateriellen Wirtschaftsgüter in der Vergangenheit insbesondere Rz. 5 VWG 1983 sowie Kapitel VI der OECD-Leitlinien 2010 in Betracht, die beide jedoch recht knapp ausgefallen waren und insofern die gebotene Tiefe der Erörterung vermissen ließen. OECD-Projekt zur Neufassung des Kapitels VI. Vor diesem Hintergrund und angesichts der zunehmenden Bedeutung von Verrechnungspreisen für immaterielle Werte hat sich die OECD im Jahr 2010 entschlossen, ein neues Projekt „on the Transfer Pricing Aspects of Intangibles“ zu starten, das zu einer grundlegenden Überarbeitung und Ergänzung von Kapitel VI der OECD-Leitlinien geführt hat.2 Die Neufassung von Kapitel VI wurde von der Working Party Nr. 6 des OECD Committee on Fiscal Affairs3 initiiert, welche am 25.11.2011 zunächst ein Scoping Paper veröffentlichte. Am 6.6.2012 wurde sodann ein entsprechender „Discussion Draft – Revision of the Special Considerations for Intangibles in Chapter VI of the OECD Transfer Pricing Guidelines and Related Provisions“4 veröffentlicht, mit dem die Öffentlichkeit zur Kommentierung aufgerufen wurde.5 Im Unterschied zu Kapitel VI der OECDLeitlinien 2010, das gerade einmal 39 Textziffern umfasst, ist der „Discussion Draft“ mit 268 Textziffern und 22 Beispielen zur Veranschaulichung ungleich umfassender und detaillierter ausgefallen.6 Nachdem zu dem ursprünglichen Entwurf eine Vielzahl öffentlicher Kommentare von Verbänden, Beratungsfirmen und Unternehmen eingegangen war, hat die OECD am 30.7.2013 einen „Revised Discussion Draft on Transfer Pricing Aspects of Intangibles“7 vorgelegt. Dieser umfasst insgesamt 330 Textziffern und 27 Beispiele. Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf hat sich hierbei eine ganze Reihe von Änderungen ergeben. Der Fokus des „Revised Discussion Drafts“ liegt u.a. auf der Analyse der globalen Wertschöpfungskette im Hinblick auf Transaktionen unter Nutzung immaterieller Werte und geht insofern inhaltlich über das anfänglich initiierte Projekt der OECD hinaus. Denn diesem lag ursprünglich nicht die Vermeidung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung zugrunde, sondern vielmehr die Konkretisierung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei immateriellen Werten, um so der Gefahr der Doppelbesteuerung wie auch der Nichtbesteuerung nachhaltig entgegenzuwirken.8 Die inhaltliche Weiterentwicklung ist jedoch als logische Fortsetzung der Arbeiten 1 Vgl. Roeder, ISR 2014, 428 (428). 2 Vgl. www.oecd.org/ctp/tp/intangibles. 3 Dieser Gruppe gehörten neben Regierungsvertretern der OECD-Mitgliedstaaten auch Delegierte aus den G20-Staaten an. 4 Abrufbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/50526258.pdf. 5 Die OECD weist darauf hin, dass es sich bei diesem Entwurf um noch kein finales, vollständig abgestimmtes Dokument handelt. Dieser Entwurf soll eher als ein „Status-Call“ verstanden werden, vgl. Martin, TNI 2012, 991. 6 Vgl. Roeder, ISR 2012, 70 (71). 7 Abrufbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/revised-discussion-draft-intangibles.pdf. 8 Vgl. Tz. 4.9 OECD Transfer Pricing and Intangibles: Scope of the OECD Project, OECD Publishing, 2011.
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Kap. 6 Rz. 6.558 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
an den OECD-Leitlinien zu sehen.1 Denn erst durch die vielfältigen Diskussionen zu diesem Themenkomplex wurde die wachsende Bedeutung immaterieller Werte im Rahmen von Konzernumstrukturierungen innerhalb einer immer stärker globalisierten, deregulierten und digitalisierten Welt deutlich und ebnete so einer diesbezüglich umfassenderen Auseinandersetzung den Weg. Auch der „Revised Discussion Draft“ wurde in der Folge erneut zur Diskussion gestellt,2 bevor am 16.9.2014 mit der „OECD Guidance on Transfer Pricing Aspects of Intangibles“3 eine Neufassung des ursprünglichen Kapitels VI der OECD-Leitlinien 2010 veröffentlicht wurde, die die G20-Finanzminister und -Notenbankchefs noch im September 2014 in Cairns/Australien sowie die G20-Staats- und -Regierungschefs im November 2014 in Brisbane/Australien billigten. Hierin hat die OECD ihren im Rahmen von Aktionspunkt 8 des „Base Erosion on Profit Shifting“ („BEPS“)-Projekts“4 vorgelegten Ansatz zu einer Zuordnung von Erträgen aus immateriellen Werten entsprechend dem Wertschöpfungsbeitrag der relevanten Funktionen grundsätzlich bestätigt.5 Obschon sich in der „OECD Guidance on Transfer Pricing Aspects of Intangibles“ seit Beginn und Überarbeitung des Themenkomplexes „immaterielle Werte“ erstmals sowohl finale Abschnitte des Kapitels VI als auch finale Ergänzungen der Kapitel I-II der OECD-Leitlinien 2010 finden, wurde auch diese „Guidance“ in Teilen nur als vorläufig deklariert. Denn angesichts der Arbeiten im Rahmen des BEPS-Projekts stand sie von Anbeginn unter dem Vorbehalt erneuter Änderungen im Jahr 2015. Im Vergleich zu den ursprünglichen „(Revised) Discussion Drafts“ ist Kapitel VI dabei in vier Abschnitte gegliedert worden. Diese beinhalten: – Identifizierung und Spezifikation immaterieller Werte, – Zuordnung von Erträgen aus immateriellen Werten, – Identifikation von Transaktionen hinsichtlich Nutzung oder Übertragung immaterieller Werte, – ergänzende Leitlinien zur Bestimmung fremdüblicher Bedingungen bei Geschäftsvorfällen mit immateriellen Werten. Hierbei wird nunmehr ausgeführt, dass nicht allein dem rechtlichen Eigentümer eines immateriellen Wirtschaftsguts das Recht auf die Erträge aus dem immateriellen Wirtschaftsgut zusteht, sondern vielmehr alle Konzerngesellschaften für ihre ausgeübten Funktionen, verwendeten oder beigesteuerten Wirtschaftsgüter und getragenen Risiken, die zum Wert des immateriellen Wirtschaftsguts beitragen sollen, entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz vergütet werden müssen.6 Das rechtliche Eigentum allein gewährt insofern nicht mehr zwingend auch das Recht am Gewinn aus der Verwertung des immateriellen Wirtschaftsguts. Maßgeblich hierfür ist vielmehr eine kombinierte Betrachtung des Eigentums und der Funktionen, Risiken und sonstigen Wirtschaftsgüter, die bei der Verwertung des immateriellen Wirtschaftsguts im
1 Vgl. Tz. 1 ff. OECD Transfer Pricing and Intangibles: Scope of the OECD Project, OECD Publishing, 2011. 2 Die zahlreichen und umfangreichen Stellungnahmen sind über die Internetseite der OECD abrufbar, vgl. insbesondere zur Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer v. 30.9.2013, IStR 20/ 2013 „Comments on the Revised Discussion Draft on Transfer Pricing Aspects of Intangibles“. 3 Abrufbar unter: http://www.dx.doi.org/10.1787/9789264219212-en. 4 Abrufbar unter: http://www.oecd.org/ctp/BEPSActionPlan.pdf. 5 Vgl. Dawid/Schwerdt/Stumpf, IWB 2014, 910 (910). 6 Vgl. Tz. 6.32 und 6.42 ff., 73 Kapitel VI OECD Guidance on Transfer Pricing Aspects of Intangibles Action 8: 2014 Deliverable.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.560 Kap. 6
Konzern Einfluss nehmen.1 Neben dieser inhaltlich weitreichenden Neuerung von Kapitel VI enthält das Schreiben auch Änderungen für die Kapitel I und II der OECD-Leitlinien 2010. Zudem sind dem Papier insgesamt 33 Beispiele für mögliche Anwendungsfälle beigefügt.2 Das BEPS-Projekt der OECD. Die OECD hat bereits am 19.7.2013 einen BEPS-Aktionsplan veröffentlicht, in dem sie Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewinnverkürzungen und Gewinnverlagerungen international tätiger Unternehmen vorschlägt.3 Hintergrund für dieses Projekt war die zunehmende Beobachtung, dass multinationale Unternehmen unter Ausnutzung bestehender Besteuerungsinkongruenzen ihre Steuerlast senken können und infolgedessen Steuermindereinnahmen und Wettbewerbsverzerrungen zulasten kleinerer und mittelständischer Unternehmen auslösen. Konkret ging es um die Gewinnverlagerung oft multinationaler Konzerne, die den Steuerwettbewerb ausnutzen und Gewinne dort anfallen lassen können, wo der Steuersatz am geringsten ist. Um dieser globalen Gestaltungspraxis nachhaltig entgegenzuwirken, rückte das BEPS-Projekt drei Zieldimensionen in den Fokus seines Aufgabenbereichs4:
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1. Kohärenz, sprich die internationale Abstimmung der Besteuerung von Unternehmenseinkünften, 2. Substanz, sprich die Wiederherstellung der vollständigen Effekte und Vorteile internationaler Standards und 3. Transparenz, sprich die Gewährleistung von Transparenz bei gleichzeitiger Förderung von erhöhter Planungssicherheit und Berechenbarkeit. Zur Umsetzung dieser Zielvorgaben hat die OECD einen Maßnahmenkatalog mit 15 Aktionspunkten entwickelt, in denen sowohl eine Auseinandersetzung mit den Ursachen des derzeitigen schädlichen Steuerwettbewerbs (race-to-the-bottom) erfolgte, als auch mögliche Gegenreaktionen auf die globalen Besteuerungsstandards multinationaler Konzerne erarbeitet wurden. Die einzelnen Aktionspunkte stellen (teils verpflichtende) konkrete Empfehlungen dar, die jedoch zu ihrem „Erfolg“ noch der zukünftigen Umsetzung durch die teilnehmenden Staaten bedürfen. Behandlung immaterieller Werte unter BEPS. Viele Maßnahmen des BEPS-Aktionsplans zielen darauf ab, spezielle steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten in bestimmten Regelungsbereichen zu identifizieren und diesbezüglich international abgestimmte Lösungen zu erarbeiten, die solchen Gestaltungen nachhaltig und wirkungsvoll entgegenwirken.5 Im Fokus des BEPS-Aktionsplans stehen dabei vor allem immaterielle Werte, die als besonders fungibel sowie schwer bewertbar und daher besonders geeignet für Steuerarbitrage gelten.6 Hintergrund hierfür ist eine missbräuchliche Anwendung der auf dem Fremdvergleichsgrundsatz basierenden Verrechnungspreisregeln in Zusammenhang mit immateriellen Werten. Denn obschon sich der Fremdvergleichsgrundsatz mit Blick auf die Beurteilung von Verrechnungspreisen 1 Vgl. Tz. 6.42 ff. Kapitel VI OECD Guidance on Transfer Pricing Aspects of Intangibles Action 8: 2014 Deliverable. 2 Ein systematischer Überblick über die Fallbeispiele findet sich in Dawid/Bittner/Barth, Verrechnungspreise BEPS-Aktion 8 der OECD, 33 ff. 3 Siehe hierzu Ritzer/Stangl Karnath, Der Konzern 2017, 68 ff.; Greinert/Karnath/Siebing, TNI 2017, 997, Pinkernell, FR 2013, 737 ff.; Bärsch/Quilitzsch/Schulz, ISR 2013, 358 ff. 4 Vgl. Schmidtke, IStR 2015, 120 (121). 5 Vgl. Naumann/Groß, IStR 2014, 906 (907). 6 Vgl. Roeder, ISR 2014, 428 (428).
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Kap. 6 Rz. 6.560 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
zwischen verbundenen Unternehmen und zur Vermeidung von Doppelbesteuerung international als praktischer und ausgewogener Standard für Steuerverwaltungen sowie Stpfl. bewährt hat, ist dieser angesichts der Betonung auf die vertragliche Zuordnung von Funktionen, Wirtschaftsgütern und Risiken zugleich zum Resonanzboden für Gestaltungen geworden. So erlauben es die auf dem Fremdvergleichsgrundsatz basierenden derzeitigen Verrechnungspreisregeln nämlich in vielen Fällen, die Einkünfte multinational tätiger Unternehmen insbesondere durch den Transfer immaterieller Werte effektiv und effizient zwischen den Steuergebieten aufzuteilen. Neben dem konzerninternen Transfer immaterieller Werte wird dieser Effekt auch durch die Zuordnung von Risiken oder Kapital innerhalb von Unternehmensgruppen, ohne dass damit auch die Zuordnung einer entsprechenden Funktionalität verbunden ist, erzielt.1 In manchen Fällen ist es multinational tätigen Unternehmen so möglich, die Verrechnungspreisregeln in einer Weise anzuwenden, die dazu führt, dass die Einkünfte im Ergebnis von den zugrunde liegenden wirtschaftlichen Tätigkeiten getrennt werden und zudem in einem Niedrigsteuerumfeld anfallen. Dabei werden oft niedrige, nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Verrechnungspreise verwendet.2 Umgekehrt werden Verluste oder auch Gewinne zur Nutzung eines Verlustvortrags in ein Hochsteuerland verlagert.3 Angesichts dieser Gestaltungspraxis beinhalten die BEPS-Aktionspunkte 8–10 Neuformulierungen diverser Kapitel der OECD-Leitlinien 2010, die darauf abzielen, die vermuteten Schwachstellen der bestehenden Verrechnungspreisstandards und des Fremdvergleichsgrundsatzes im Kontext mit immateriellen Werten zu beseitigen. Substanzsicherung und die Gewährleistung angemessener Vergütungen innerhalb konzerninterner Liefer- und Leistungsbeziehungen stehen hierbei im Vordergrund.4 Durch eine gezielte Behebung der Mängel des derzeitigen Verrechnungspreissystems soll hierzu die Verteilung von Gewinnen aus der Verwertung immaterieller Werte zwischen Konzerngesellschaften enger an die individuelle Wertschöpfung geknüpft werden.5 Aktionspunkt 8 lautet daher auch „Sicherstellung, dass die Verrechnungspreisergebnisse für immaterielle Werte mit der Wertschöpfung übereinstimmen.“ Die hierin getroffenen Regelungen beinhalten somit: – Annahme einer breiten und klar beschriebenen Definition für immaterielle Werte; – Sicherstellung, dass Gewinne, die mit der Übertragung und Nutzung von immateriellen Werten verbunden sind, sachgerecht und in Übereinstimmung mit der Wertschöpfung (und nicht davon getrennt) zugeordnet werden; – Entwicklung von Verrechnungspreisregeln oder von besonderen Maßnahmen für die Übertragung von schwer zu bewertenden immateriellen Werten („Hard-to-value Intangibles“); – Fortschreibung der Leitlinien zu Cost Contribution Arrangements.
Zu Veranschaulichungszwecken hat die OECD diese Vorgaben überdies in einem umfangreichen Anhang mit unterschiedlichen Anwendungsbeispielen aufgegriffen. Mit Aktionspunkt 8 haben die OECD/G20-Staaten insofern einen ersten Schritt hin zur Entwicklung von Regeln zur Vermeidung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung durch die Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter innerhalb eines Konzerns unternommen. Neben Aktionspunkt 8 befassen sich im Übrigen aber auch die Aktionspunkte 9–10 mit der Frage, wie sichergestellt werden kann, dass die Verrechnungspreisergebnisse in Übereinstimmung mit der Wertschöpfung stehen. 1 2 3 4 5
Vgl. Groß, IStR 2016, 233 (234). Vgl. Groß, IStR 2016, 233 (234); Schmidtke, IStR 2015, 120 (121). Vgl. Krüger, DStZ 2016, 64 (64). Vgl. Todesco/Harz, BB 2016, 2397 (2398). Vgl. Schmidtke, IStR 2015, 120 (120); Todesco/Harz, BB 2016, 2397 (2398).
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.561 Kap. 6
BEPS-Abschlussbericht der G20/OECD. Am 5.10.2015 hat die OECD insgesamt 13 G20/ OECD-Abschlussberichte zu den 15 Maßnahmen ihres BEPS-Aktionsplans vom Juni 2013 veröffentlicht. Alle 13 BEPS-Abschlussberichte wurden am 8.10.2015 in Lima/Peru durch die G20-Finanzminister entgegengenommen und am 15./16.11.2015 einstimmig durch die G20Staats- und -Regierungschefs in Antalya/Türkei gebilligt.1 Hierdurch haben die OECD- und G20-Staaten erstmals den Grundstein für einen modernen internationalen steuerrechtlichen Rahmen gelegt, indem die Gewinne zukünftig dort der Besteuerung unterworfen werden sollen, wo die wirtschaftliche Aktivität und die Wertschöpfung stattfinden.2 Ein wesentlicher Teil des Pakets entfällt dabei auf die BEPS-Aktionspunkte 8, 9 und 10 „Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation“3. Zugleich enthält der Abschlussbericht eine überarbeitete Fassung des bereits am 16.9.2014 veröffentlichten (und lediglich vorläufig ergangenen) Zwischenberichts zu BEPS-Aktionspunkt 8 mit dem Titel „OECD Guidance on Transfer Pricing Aspects of Intangibles“4. Um den hierin verankerten Zielvorgaben gerecht zu werden, mithin eine Anpassung der Ergebnisse von Verrechnungspreisen an die Wertschöpfung zu erzielen, werden durch den Abschlussbericht zu den BEPS-Aktionspunkten 8–10 entscheidende Passagen der OECD-Leitlinien 2010 teilweise oder vollständig überarbeitet bzw. ergänzt. Hierzu enthält der G20/OECD-Abschlussbericht insbesondere:5 – vollständige Revision des Kapitels I Abschn. D „Leitlinien zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes“ (insbesondere zu Fragen der Zuordnung von Risiken in einer Unternehmensgruppe und zur Nichtanerkennung von Verträgen und Geschäftsvorfällen), – Ergänzung des Kapitels II, Teil II, Abschn. B; Aufnahme von Leitlinien zu Fragen zur Anwendung der Preisvergleichsmethode i.V.m. börsennotierten Preisen im Rohstoffsektor („Cross-border Commodity Transactions“), – vollständige Revision von Kapitel VI „Verrechnungspreisaspekte immaterieller Werte“ (einschließlich Leitlinien für „Hard-to-value Intangibles“ in Abschn. D.4.). Hierdurch soll u.a. sichergestellt werden, dass – rechtliches Eigentum an einem immateriellen Wert allein, einem verbundenen Unternehmen noch keinen Anspruch auf die Erträge aus der Verwertung des immateriellen Werts vermittelt, – verbundene Unternehmen, die wichtige, wertschöpfende Funktionen bezüglich Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung eines immateriellen Werts ausüben, hierfür eine angemessene Vergütung erwarten können, – ein verbundenes Unternehmen, das Risiken in Bezug auf Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung eines immateriellen Werts übernimmt, in Übereinstimmung mit den Leitlinien in Abschn. D.1.2. des Kapitels I die Steuerung über diese Risiken ausüben und über die finanzielle Kapazität zur Risikotragung verfügen muss sowie
1 Vgl. Groß, IStR 2016, 233 (239). 2 Vgl. Tz. 22 OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung Erläuterung Abschlussberichte 2015, abrufbar unter: http://www.oecd.orf/ctp/beps-erlauterung-2015.pdf. 3 Vgl. http://www.oecd.org/tax/aligning-transfer-pricing-outcomes-with-value-creation-actions-810-2015-final-reports-9789264241244-en.htm. 4 Vgl. http://www.oecd.org/ctp/guidance-on-transfer-pricing-aspects-of-intangibles9789264219212-en.htm. 5 Vgl. Wittendorff, TNI 2016, 331 (331).
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Kap. 6 Rz. 6.561 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– der Anspruch eines Mitglieds einer multinationalen Unternehmensgruppe auf einen Anteil am Gewinn oder Verlust aus der Differenz zwischen den tatsächlich erzielten Erträgen und den erwarteten Erträgen davon abhängt, welches oder welche Unternehmen die Risiken tragen, die für diese Differenz ursächlich sind, sowie welches oder welche Unternehmen die wichtigen Funktionen bezüglich Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung des immateriellen Werts ausüben oder Beiträge zur Steuerung über die wirtschaftlich bedeutsamen Risiken leisten und außerdem festgestellt wurde, dass eine fremdübliche Vergütung ein Gewinnbeteiligungselement beinhaltet, – vollständige Revision von Kapitel VIII „Kostenumlagevereinbarungen“.
6.562
Umsetzung der BEPS-Maßnahmen. Obwohl der BEPS-Abschlussbericht die Staaten rechtlich nicht bindet, ist er dennoch steuerpolitisch bedeutsam und enthält Handlungsempfehlungen für die Steuerverwaltungen, mit deren Umsetzung zukünftig zu rechnen ist.1 Im Übrigen erklären sich die OECD- und G20-Staaten im BEPS-Abschlussbericht dazu bereit, zur Unterstützung einer wirksamen und konsistenten Umsetzung weiterhin im Rahmen des BEPS-Projekts zusammenzuarbeiten.2 Hierzu wurden bereits Initiativen gestartet, um diese Entwicklung sicherzustellen. So hat die Europäische Kommission eine Mitteilung zur fairen und effizienten Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union veröffentlicht, in der dargelegt wird, wie die BEPS-Maßnahmen im EU-Raum umgesetzt werden können.3 Vor diesem Hintergrund hat die internationale Staatenpraxis zwischenzeitlich mit der Umsetzung der empfohlenen Änderungen begonnen. So wurden bereits einige BEPS-Empfehlungen durch EURichtlinien für die europäischen Mitgliedstaaten verbindlich umgesetzt. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen v. 20.12.2016 wurden insbesondere die beiden Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie v. 8.12.2015 und v. 25.5.2016 hinsichtlich des automatischen Informationsaustauschs über Tax Rulings und der EU-einheitlichen Einführung des Country-by-Country Reporting umgesetzt. Darüber hinaus einigten sich die ECOFIN-Minister im Juni 2016 auf den Entwurf einer Richtlinie „mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts“. Die Richtlinie wird nach der englischen Bezeichnung „Anti-tax-avoidance-directive“ auch „ATAD I“4 abgekürzt und wurde im Juli 2016 im Amtsblatt der EU veröffentlicht.5 Ziel ist die europaweit einheitliche Implementierung der BEPS-Ergebnisse. Hierzu enthält sie Vorgaben zum Erlass von Missbrauchsverhinderungsvorschriften in den Bereichen Zinsabzugsbeschränkungen, Wegzugsbesteuerung (Exit Tax), allgemeine Missbrauchsvermeidungsvorschriften (General Anti-Abuse Rule, GAAR), Hinzurechnungsbesteuerung sowie hybride Gestaltungen. Anwendbar ist die Richtlinie dabei auf alle Stpfl. (einschließlich Betriebsstätten von Unternehmen aus Drittstaaten), die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Körperschaftsteuer unterliegen. Es handelt sich lediglich um eine De-minimis-Richtlinie, weshalb den Mitgliedstaaten der Erlass strengerer Regelungen grundsätzlich frei steht. Eine Umsetzung in nationales Recht sollte bis zum 31.12.2018 erfolgen. Bereits im Mai 2017 wurde die Richtlinie um weitere Anti-Hybrid-Regelungen ergänzt („Anti-tax-avoidance-directive1 Vgl. Groß, IStR 2016, 233 (234). 2 Vgl. Tz. 31 OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung Erläuterung Abschlussberichte 2015, abrufbar unter: http://www.oecd.orf/ctp/beps-erlauterung-2015.pdf. 3 Vgl. Tz. 25 OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung Erläuterung Abschlussberichte 2015, abrufbar unter: http://www.oecd.orf/ctp/beps-erlauterung-2015.pdf. 4 Teils wird auch von der sog. „Anti-BEPS-Richtlinie“ gesprochen. 5 Vgl. ABI EU 2016 Nr. L 193, 1.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.562 Kap. 6
ATAD II“)1, die von den Mitgliedstaaten – mit Ausnahme der Regelung zu umgekehrten hybriden Gestaltungen – bis zum 31.12.2019 umgesetzt werden sollten. Ziel war die substanzielle Erweiterung der „Anti-BEPS-Richtlinie“ bei den Regelungen zur Bekämpfung von hybriden Gestaltungen. Hierbei rückte insbesondere eine abgeänderte Fassung hybrider Gestaltungen unter Einbezug von Drittstaaten in den Fokus. Auch diese Vorgaben beinhalten lediglich Mindeststandards, weshalb es den Mitgliedstaaten zukünftig unbenommen bleibt, strengere Vorschriften zu erlassen bzw. beizubehalten. Die von den ATAD-Richtlinien vorgesehenen Regelungen waren in Teilen im Grundsatz bereits im deutschen Steuerrecht vorhanden, sodass seitens des deutschen Gesetzgebers zunächst keine erhöhte Umsetzungsdringlichkeit gesehen wurde. Infolge der ausbleibenden Umsetzung der verbleibenden Teile in das deutsche Steuerrecht wurden durch die EU-Kommission im Januar 2020 zwei Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.2 Die Umsetzung der beiden Richtlinien in das deutsche Steuerrecht erfolgte schließlich mit dem ATADUmsG v. 25.6.2021.3 Auch die OECD setzte die ihrerseits ausgesprochenen Handlungsempfehlungen zwischenzeitlich um. Hierzu veröffentlichte sie am 10.7.2017 eine aktualisierte Ausgabe der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017.4 Die OECD-Leitlinien 2017 spiegeln dabei im Wesentlichen eine Konsolidierung der Änderungen wider, die sich aus dem OECD/G20-BEPS-Projekt, insbesondere den Aktionspunkten 8–10, ergeben. Ungeachtet dessen bedarf ein Teil der von den OECD- und G20-Staaten beabsichtigten Revisionen jedoch Änderungen, die über Steuerabkommen – z.B. das multilaterale Instrument – umgesetzt werden müssen. Wieder andere bedürfen der Änderung von innerstaatlichem Recht5 sowie ggf. einer Abstimmung bestehender innerstaatlicher Regeln. Deutschland verfügt schon jetzt über ein im internationalen Vergleich robustes steuerliches Abwehrrecht. Beispiele hierfür sind die Zinsschranke und die Hinzurechnungsbesteuerung. Auch wenn der OECD-Abschlussbericht hierzulande zunächst kein unmittelbar anwendbares Recht darstellt,6 kommt ihm dennoch über den Eingang in die OECD-Leitlinien 2017 und den direkten Verweis durch die VWG VP 2021 auf die OECDLeitlinien 2017 (Rz. 6.564) inzwischen eine hohe Bedeutung für die Ermittlung und Dokumentation von Verrechnungspreisen zu. Zudem sind Teile seiner Ergebnisse inzwischen in unmittelbar anwendbares deutsches Recht überführt worden. So hat Deutschland bereits die BEPS-Empfehlungen, die der Stärkung der Transparenz zwischen den Steuerverwaltungen dienen, fristgerecht in nationales Recht umgesetzt. Ferner wurde mit Einführung des neuen § 4j EStG noch vor Ablauf der im BEPS-Aktionspunkt 5 vorgesehenen Übergangsfrist eine Regelung geschaffen, die die steuerliche Abzugsfähigkeit von Lizenzaufwendungen zwischen nahestehenden Personen einschränkt, sofern die korrespondierenden Einnahmen aufgrund der Anwendbarkeit von Präferenzregelungen niedrig oder gar nicht besteuert werden (vgl hierzu Rz. 6.608 ff.). Hierdurch soll innerhalb eines Übergangszeitraums eine Besteuerung für all die Fälle geschaffen werden, in denen Lizenzerträge einem Präferenzregime unterliegen, das nicht mit dem Nexus-Ansatz vereinbar ist.7 Mit dem AbzStEntModG ist zudem inzwi1 Vgl. ABI EU 2017 Nr. L 144, 1. 2 INFR(2020)0024 und INFR(2020)0027. 3 Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. 4 Vgl. OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations 2017, abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1787/tpg-2017-en. 5 Hierzu gehört der Bereich der länderbezogenen Berichterstattung des Aktionspunkts 13 (Country-by-Country Reporting). 6 Vgl. Kroppen in FS Endres, S. 203. 7 Vgl. hierzu: Jochimsen/Zinowsky/Schraud, IStR 2017, 593 ff.
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Kap. 6 Rz. 6.562 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
schen das im Rahmen des BEPS-Projekts entwickelte DEMPE-Konzept in deutsches Steuerrecht umgesetzt worden (Rz. 6.563).
6.563
Erstmalige Implementierung deutsch-steuerlicher Sonderregelungen für immaterielle Werte. Mit dem AbzStEntModG1 sind mit Wirkung zum 1.1.2022 erstmals Sonderregelungen für die Verrechnungspreisbestimmung im Zusammenhang mit immateriellen Werten implementiert worden. Dies erfolgte im Rahmen einer Reform von § 1 AStG, d.h. im Rahmen einer im Grundsatz einseitigen Einkünftekorrekturvorschrift (Rz. 6.575). Insbesondere ist hierbei das DEMPE-Konzept der OECD in deutsches Steuerrecht umgesetzt worden (Rz. 6.571 ff.), um eine Angleichung an die internationalen Besteuerungsgrundsätze, insbesondere die Ergebnisse der BEPS-Initiative zu erreichen.2 Auch wenn die Entwurfsbegründung des AbzStEntModG der Neuregelung einen lediglich klarstellenden Charakter zubilligt3, ist damit eine grundlegende Neuerung der Verrechnungspreisermittlung für immaterielle Werte verbunden (Rz. 6.594).
6.564
VWG Verrechnungspreise 2021. Am 14.7.2021 hat das BMF neue Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise (VWG VP 2021) erlassen,4 die die bisherigen verrechnungspreisbezogenen Verwaltungsanweisungen zu großen Teilen ersetzen und diese konsolidieren sollen. Insbesondere aufgehoben wurden das Schreiben zu den Grundsätzen für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen aus dem Jahr 1983 (VWG 1983)5 sowie die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren aus dem Jahr 2005,6 die bereits durch die Verwaltungsgrundsätze 2020 (VWG 2020)7 teilweise aufgehoben worden sind. Anlass der neuen Verwaltungsgrundsätze dürfte insbesondere die Reform des § 1 AStG (Rz. 6.563) und die daraus erwachsenene Notwendigkeit einer entsprechenden Anpassung der diesbezüglichen Verwaltungsanweisungen gewesen sein. Bezogen auf immaterielle Werte bedeutet dies, dass die Regelungen der Tz. 5 der VWG 1983 vollständig durch die Neuregelungen des Abschnitts F der VWG VP 2021 ersetzt werden. Inhaltlich ist damit im Wesentlichen eine Weiterentwicklung in Richtung der Berücksichtigung des DEMPE-Konzepts der OECD verbunden (Rz. 6.565 ff.). Die VWG VP 2021 verweisen explizit auf die OECD-Leitlinien, die für vollumfänglich anwendbar und durch die VWG VP 2021 lediglich um weitergehende Konkretisierungen ergänzt erklärt werden.8 Die OECD-Leitlinien 2017 sind den VWG VP 2021 zudem in einer ergänzten Version als Anlage 1 beigefügt. In der Anlage 1 sind die OECD-Leitlinien 2017 um Kapital X (Finanztransaktionen) und die überarbeiteten Leitlinien zur Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode ergänzt, die an den entsprechenden Positionen unmittelbar in das Dokument eingefügt sind. Die Ergänzungen erfolgten ausweislich des Hinweises
1 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und zur Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 2 Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 67. 3 Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 73. 4 BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/100017:001 – VWG VP 2021, BStBl. I 2021, 1098. 5 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG 1983, BStBl. I 1983, 218 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 6 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 Schallmoser 8 VWG VP 2021, Rz. 2.1 ff.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.565 Kap. 6
auf S. 1 der Anlage 1, da seitens der OECD noch keine konsolidierte Fassung der OECD-Leitlinien vorliegt. Eine solche konsolidierte Fassung ist inzwischen mit den OECD-Leitlinien 2022 veröffentlicht worden, die mithin weitgehend der Anlage 1 entsprechen. Auch wenn die VWG VP 2021 in der konkreten Verweistechnik nicht in die OECD-Leitlinien, sondern in die Anlage 1 verweisen, kann dies u.E. nicht als klarer statischer Verweis gesehen werden, da insoweit auch redaktionelle Gründe (Konsolidierung) bzw. Fragen der besseren Zugänglichkeit für den Stpfl. ausschlaggebend gewesen sein können. Zudem hält Rz. 2.3 der VWG VP 2021 zur Auslegung der Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildeten Abkommensartikel fest, dass die Frage nach einer statischen oder dynamischen Auslegung „in Bezug auf den Fremdvergleichsgrundsatz nicht entscheidungserheblich [sei]“.1 Grundsätzlich sollen die OECD-Leitlinien „auslegungsleitend“ herangezogen werden können.2 Ferner wird in den VWG VP 2021 auf die Verlautbarungen des Gemeinsamen EU-Verrechnungspreisforums (EU Joint Transfer Pricing Forum – JTPF) sowie – in Bezug auf Fälle mit Berührung von Entwicklungs- und Schwellenländern – auf das Verrechnungspreishandbuch der Vereinten Nationen für Entwicklungsländer (United Nations Practical Manual on Transfer Pricing for Developing Countries) verwiesen.3 Zumindest im Hinblick auf die DBA-Auslegung ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rspr. des BFH die Ergebnisse internationaler Abstimmungen nur insoweit geeignet sind den Willen der Vertragsparteien widerzuspiegeln, als sie zum Abschluss des jeweiligen DBA bereits existierten.4 Dies dürfte die Möglichkeit, die OECD-Leitlinien als Auslegungshilfe heranzuziehen, in vielen Fällen erheblich einschränken. Anzuwenden sein sollen die VWG VP 2021 auf alle offenen Fälle.5 Im Hinblick auf immaterielle Werte ist dies insoweit zu kritisieren, als die diesbezügliche Reform des § 1 AStG – insbesondere die Einfügung des § 1 Abs. 3c AStG – erst ab dem 1.1.2022 in Kraft tritt, sodass z.B. für die Verwaltungsvorschriften des Abschnitts F.2 („DEMPE-Funktionen“) die gesetzliche Grundlage für Fälle vor dem 1.1.2022 fehlt. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (Rz. 6.594) ist dies nicht durch die bisherige Rechtslage abgedeckt. b) Einkünftezurechnung nach dem DEMPE-Konzept der OECD Bedeutung von Rechten und Verträgen. Ein essenzieller Teil des Abschlussberichts zu den immateriellen Werten entfällt auf das Kapitel, das sich mit der Zurechnung immaterieller Werte und dem durch sie verursachten Einkommen beschäftigt. Ausgelöst durch Steuerplanungen in Zusammenhang mit immateriellen Werten in der Vergangenheit wurde im Rahmen des Aktionspunkts 8 der OECD-Initiative das sog. DEMPE-Konzept entwickelt.6 DEMPE ist die englische Abkürzung für: Development, Enhancement, Maintenance, Protection, Exploitation, also für Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung des immateriellen Werts. Kern dieses Konzepts, das sich auch in den OECD-Leitlinien wiederfindet7, 1 VWG VP 2021, Rz. 2.3. 2 Vgl. Anzinger, Schriftliche Stellungnahme für die Öffentliche Anhöhrung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags am 14.4.2021 zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung, „Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz“, 24; Grotherr, Ubg 2021, 619 f. 3 VWG VP 2021, Rz. 2.6. 4 Vgl. nur BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760 = FR 2011, 1175. 5 VWG VP 2021, Rz. 6.3. 6 Vgl. OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Actions 8–10: 2015 Final Reports, 66, Tz. 6.4 sowie 73, Tz. 6.32 ff. und 75, Tz. 6.35 ff. 7 Vgl. Tz. 6.32 ff. OECD-Leitlinien 2022.
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Kap. 6 Rz. 6.565 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
ist ein „Substance-over-Form-Ansatz“, nach welchem die Zuordnung von Erträgen aus der Verwertung immaterieller Werte zu den individuellen Wertschöpfungsbeiträgen in Bezug auf Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung, mithin vorwiegend nach wirtschaftlichen Kriterien, erfolgen soll.1 Hierzu soll erstmals auch die Kenntnis des tatsächlichen Verhaltens der Parteien bedeutsam sein, um etwaige Widersprüche zu identifizieren und Lücken in den vertraglichen Vereinbarungen zu füllen. Ausweislich der aktualisierten OECD-Leitlinien ab 2017 sollen die rechtlichen und vertraglichen Gegebenheiten, sprich die Eigentumsverhältnisse, im Rahmen der Beurteilung einer Transaktion somit seither nur noch den Ausgangspunkt der Verrechnungspreisanalyse bilden.2 Dies ist eine wesentliche Abkehr von den bis dato geltenden Prinzipien.3 Denn bislang waren rechtliche Vereinbarungen zwischen verbundenen Unternehmen grundsätzlich zu respektieren.4 Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen war eine von der zivilrechtlichen Situation abweichende Zuordnung möglich.5 Die bisherige Sichtweise ähnelte insofern der im nationalen Recht verankerten Missbrauchsdoktrin des § 42 AO, der zu Folge die vom Stpfl. gestaltete Situation in den Grenzen eines steuerlichen Missbrauchs anzuerkennen ist.6 Im Unterschied hierzu ist nunmehr jedoch entscheidend, ob die vertraglichen Regelungen zwischen den Konzerngesellschaften betreffend immaterielle Werte konsistent zu den wirtschaftlichen Wertschöpfungsbeiträgen der an der Entwicklung und Verwertung eines immateriellen Werts beteiligten Konzerngesellschaften sind.7 Ist dies nicht der Fall, kommt es zu einer Recharakterisierung der Transaktion und einer abweichenden Zuordnung. Die neuen Regeln dienen dabei insbesondere dazu festzustellen, wer das Risiko einer Transaktion trägt. Dies soll nur dann der rechtliche Eigentümer sein, wenn das entsprechende Parteiverhalten auch mit der vertraglichen Regelung übereinstimmt.8 Hierin liegt ein Paradigmenwechsel, der in der Praxis zu erheblichen Problemen führt und regelmäßig Streit über die richtige Zuordnung von Eigentum und Einkommen auslöst.
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Wertschöpfungsbeitragsanalyse als Maßstab der ertragsteuerlichen Gewinnaufteilung.9 Da die rechtlichen und vertraglichen Gegebenheiten nur noch einen „Referenzpunkt“ zur Allokation der „intangible-bezogenen“ Rendite auf die beteiligten Konzerneinheiten bilden sollen10, ist zukünftig in einem anschließenden Schritt zu prüfen, ob die vertraglichen Regelungen zwischen den Konzerngesellschaften betreffend immaterielle Werte konsistent zu den wirtschaftlichen Wertschöpfungsbeiträgen verschiedener an der Entwicklung und Verwertung eines immateriellen Wertes beteiligter Konzerngesellschaften sind.11 Für die Analyse der Wertschöpfungsbeiträge im Rahmen des DEMPE-Konzepts ist wiederum eine eigene Funktions- und Risikoanalyse erforderlich. Hierbei ist festzustellen, welche Konzerngesellschaften in Bezug auf die Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, den Schutz und die Verwertung immaterieller Werte die maßgeblichen Funktionen ausüben, die personellen und finanziellen Kapazitäten zur Übernahme und Steuerung der damit verbundenen Risiken haben und wertvolle immate1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. Stein/Schwarz/Holinski, DStR 2017, 118 (119). Vgl. Tz. 6.32, 6.43, 6.48 OECD-Leitlinien 2022; Rasch, ISR 2015, 310 (311). Vgl. Kroppen in FS Endres, S. 202. Vgl. Tz. 1.64 und 1.65 OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Greinert/Metzner, Ubg 2015, 60 (67). Vgl. Kroppen in FS Endres, S. 202. Vgl. Nientimp/Stein/Hundebeck, DStR 2016, 2871 (2871). Vgl. OECD/G20, BEPS – Actions 8–10 – 2015 Final reports, 76, Tz. 6.42 f. und 83 Tz. 6.66 f. Vgl. Tz. 6.32, 6.43, 6.48 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.35 OECD-Leitlinien 2022; Krüger, DStZ 2016, 64 (73). Vgl. Schwarz/Holinski, DStR 2017, 118 (119); Nientimp/Stein/Hundebeck, DStR 2016, 2871 (2871).
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.566 Kap. 6
rielle Werte einsetzen.1 Im Rahmen der Funktionsanalyse fokussiert sich die OECD dabei auf die Funktionen Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung. Keine zentrale Funktion kommt nach Ansicht der OECD hingegen der Beschaffung und Bereitstellung finanzieller Mittel zu, obschon diese eine maßgebliche Bedeutung im Rahmen des Innovationsprozesses haben.2 Diese sollen vielmehr nur durch eine angemessene Kapitalverzinsung vergütet werden.3 Im Übrigen enthalten die OECD-Leitlinien 2017 keine Definition der erfassten Kernfunktionen. Vielmehr umschreiben sie die genannten Funktionen lediglich mithilfe exemplarischer Tätigkeiten.4 Nicht außer Acht gelassen werden darf dabei, dass sich gerade unter dem Blickwinkel der zunehmenden Globalisierung von Forschung und Entwicklung in multinationalen Konzernen die Komplexität der DEMPE-Analyse erhöhen wird. Daher wird es zukünftig in einer Vielzahl von Fällen notwendig werden, den Innovationsprozess und die zugrunde liegenden Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten der jeweiligen Konzerngesellschaften sachgerecht zu strukturieren und deren Bedeutung für die Wertschöpfung festzustellen.5 Weiterer Aspekt der Wertschöpfungsbeitragsanalyse und zudem eng verwoben mit der Funktionsanalyse ist die Risikoanalyse, deren Kern der „Control-over-risk“-Ansatz bildet. Der englische Begriff „control-over-risk“ wird überwiegend mit „Risikokontrolle“ übersetzt, wobei das englische Wort „control“ weiter als das deutsche Wort „Kontrolle“ geht und auch das aktive Management und die Steuerung des Risikos miteinschließt.6 Daher wird nachfolgend von „Risikosteuerung“ gesprochen. Nach dem „control-over-risk“-Ansatz orientiert sich die Zuordnung von Risiken weniger an den vertraglichen Vereinbarungen als vielmehr an den tatsächlichen Gegebenheiten. Daher ist auch diesbezüglich stets die Äquivalenz zwischen vertraglichen und tatsächlichen Gegebenheiten zu kontrollieren und insofern zu prüfen, ob den Konzerngesellschaften die personellen Ressourcen sowie die tatsächliche Möglichkeit zur Steuerung von Risiken und die finanziellen Mittel zur Tragung von Risiken zukommen.7 Ergeben sich vor diesem Hintergrund Diskrepanzen zwischen vertraglicher und wertschöpfungsorientierter Aufteilung von Erträgen aus der Verwertung immaterieller Werte, ist für Verrechnungspreiszwecke immer auf die tatsächlichen Wertschöpfungsbeiträge abzustellen. Die auf das DEMPE-Konzept gründende wertschöpfungsbeitragsorientierte Erfolgszurechnung begründet somit faktisch ein „Fruchtziehungsrecht“, welches auf Ebene der beteiligten Konzerngesellschaften in Abhängigkeit vom Grad der Wertschöpfung eine Art „funktionales Eigentum“8 begründen kann. Im Ergebnis wird die Wertschöpfung pauschal entsprechend den Mitarbeitern, welche die relevanten Funktionen ausüben und die Steuerung des damit zusammenhängenden Risikos übernehmen, und entsprechend dem Kapital als Maßstab zur finanziellen Fähigkeit, Risiko zu tragen, zugeordnet. Dabei wird von der OECD unterstellt, dass die Faktoren Personal und Kapital hinreichend verlässliche Approximationen für die Wertschöpfung immaterieller Wirtschaftsgüter darstellen, ohne hierzu nähere theoretische oder empirische Untersuchungen an-
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Vgl. Tz. 6.32 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.61 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.61 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.56 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. zur Thematik der engen Verwobenheit verschiedener Verantwortlichkeiten und Tätigkeiten zwischen Konzerngesellschaften Tz. 1.55 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Greinert/Metzner, Ubg 2014, 307 (310). 7 Vgl. Tz. 1.61 OECD-Leitlinien 2022. 8 Vgl. Freudenberg/Stein/Weskamp, Ubg 2016, 603 (608); Holinski/Schwarz/Stein, Der Konzern 2016, 316 (320); Nientimp/Stein/Hundebeck, DStR 2016, 2871 (2873).
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Kap. 6 Rz. 6.566 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
zustellen oder auf den jeweiligen Einzelfall näher einzugehen.1 Speziell für Konzerne, bei denen die immateriellen Wirtschaftsgüter aus diversen betriebswirtschaftlichen Gründen zentral bei einer Gesellschaft – häufig der Muttergesellschaft – angesiedelt sind, die Entwicklungstätigkeiten jedoch dezentral im Konzern erfolgen, wird es aufgrund der Anknüpfung an den Faktor Personal für die Bestimmung der Wertschöpfung zunehmend Schwierigkeiten bereiten, die zentrale Zuordnung der immateriellen Wirtschaftsgüter i.S.v. funktionalem Eigentum zu verteidigen.2 Zusammenfassend ist festzustellen, dass insbesondere das Kriterium der Risikosteuerung die Zuordnung der Residualgewinne im Konzern bedingt.3 Während die wirtschaftlichen oder finanziellen Beziehungen bisher weitgehend als gegeben angesehen wurden und der Fremdvergleich sich nur auf die Prüfung der Angemessenheit der Vereinbarung der Höhe nach bezog, findet nun zunächst eine „Identifizierung“ und damit zugleich aber auch Prüfung dieser Beziehungen statt. Damit wird die Angemessenheitsprüfung der Verrechnungspreise auf die Sachverhaltsebene verschoben, da nicht die Fremdüblichkeit der Verrechnungspreise der Höhe nach im Vordergrund steht, sondern die Angemessenheitsprüfung dem Grunde nach. Folge des zusätzlichen, der Verrechnungspreisprüfung vorgelagerten Prüfungsschritts ist, dass eine Doppelbesteuerung weitaus wahrscheinlicher wird und der Aufwand des Stpfl. zur Dokumentation seines tatsächlichen Verhaltens ebenfalls signifikant zunimmt.4
6.567
Anwendung des DEMPE-Konzepts. Angesichts dessen ist dem bloß rechtlichen Eigentümer also nicht zwingend auch ein (wesentlicher) Wertschöpfungsbeitrag beizumessen. Gleichwohl kann der rechtliche Eigentümer rechtlicher Empfänger von Zahlungen aus der Lizenzierung immaterieller Werte sein.5 Diese sind allerdings im Anschluss auf andere Konzerngesellschaften entsprechend ihrer jeweiligen Wertschöpfungsbeiträge aufzuteilen.6 Im Ergebnis hängt damit die Höhe des dem rechtlichen Inhaber zurechenbaren Gewinns von seinen Beiträgen und denjenigen der übrigen Konzerngesellschaften in Zusammenhang mit dem immateriellen Wirtschaftsgut ab. Vereint der rechtliche Inhaber des „intangibles“ insofern nicht alle DEMPE-Funktionen auf sich, sind die von anderen Konzerngesellschaften ausgeübten Tätigkeiten von ihm fremdüblich zu vergüten. Die im Rahmen der DEMPE-Analyse abgeleiteten Wertschöpfungsbeiträge der jeweiligen Funktionen dienen dabei als Grundlage der Verrechnungspreisbestimmung.7 Damit orientiert sich die Besteuerung zwischen verbundenen Unternehmen nun stärker an dem seinerzeitigen OECD-Bericht zu „Business Restructuring“8 sowie den Grundsätzen zur Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nach dem 1 2 3 4 5
Vgl. Greinert/Metzner, Ubg 2014, 307 (312). Vgl. Arbeitskreis Verrechnungspreise der Schmalenbach-Gesellschaft, Ubg 2017, 537. Kritisch hierzu Metzner, Risikoallokation im internationalen Konzern, 137 ff. m.w.N. Vgl. Greinert/Metzner, Ubg 2015, 60 (65). Vgl. Freudenberg/Holinski/von Rüden, IWB 2016, 64 (66); Krüger, DStZ 2016, 64 (73): „Allerdings begründet das rechtliche Eigentum keinen Anspruch auf die Erträge, die eine multinationale Unternehmensgruppe aus der Verwertung eines immateriellen Werts bezieht, auch wenn diese Erträge zunächst dem rechtlichen Eigentümer zufließen.“ 6 Vgl. Tz. 6.47 und 6.54 OECD-Leitlinien 2022. Darin heißt es u.a.: „Wie vorstehend erwähnt, bedeutet allein die Feststellung, dass ein bestimmtes Konzernunternehmen der rechtliche Eigentümer von immateriellen Werten ist, nicht zwangsläufig, dass dieser rechtliche Eigentümer nach Zahlung einer Vergütung an andere Konzernunternehmen für den Beitrag, den diese in Form ausgeübter Funktionen, genutzter Vermögenswerte und übernommener Risiken geleistet haben, Anspruch auf durch die Geschäftstätigkeit erzielte Einkünfte hat.“ 7 Vgl. Nientimp/Stein/Schwarz/Holinski, BB 2017, 407 (411). 8 Vgl. OECD (2010). Report on the Transfer Pricing Aspects of Business Restructurings – Chapter IX of the Transfer Pricing Guidelines, abrufbar unter: http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/ 45689524.pdf.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.567 Kap. 6
Authorised OECD Approach („AOA“). Denn es kommt gerade nicht mehr darauf an, was vereinbart wurde und was dafür der Fremdvergleichspreis ist, sondern ob sich die Parteien fremdvergleichskonform verhalten.1 Die OECD legt ihren Vorgaben damit vor allem die Ansicht zugrunde, dass die Zuordnung von Ertragskomponenten für die Tragung von Risiko an eine Partei, die dieses Risiko nicht steuert, nicht dem Fremdvergleich entspricht, weil fremde Dritte sich so nicht verhalten würden. Denn auch am freien Markt korreliert die Übernahme von Risiken bei unterstellter Risikoaversion mit einer höheren erwarteten Rendite, welche eine angemessene Kompensation für die zu tragenden Risiken darstellt.2 In Tz. 6.34 der OECDLeitlinien seit 2017 findet sich nunmehr eine Zusammenfassung der aktuellen Prämisse einer wertschöpfungsorientierten Einkünftezurechnung. Hierzu wurde die Analyse konzerninterner Transaktionen mit immateriellen Werten in die folgenden sechs Schritte unterteilt3: Sachverhaltsanalyse: 1. Identifikation der immateriellen Werte und der mit den DEMPE-Funktionen verbundenen Risiken 2. Identifikation der vertraglichen Vereinbarungen und sonstigen rechtlichen Umstände, insbesondere der vertraglichen Risikoallokation zwischen den Transaktionspartnern 3. Identifikation aller Transaktionspartner und der von diesen ausgeübten DEMPE-Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken Abweichungsanalyse: 4. Prüfung der Übereinstimmung zwischen vertraglichen Regelungen und deren Durchführung sowie ob risikotragende Parteien die Risiken steuern und die finanziellen Kapazitäten zur Risikoübernahme besitzen 5. Beschreibung der tatsächlichen Ausübung der DEMPE-Funktionen sowie der wahrgenommenen Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken Korrektur bzw. Bestimmung fremdüblicher Vergütung: 6. Bestimmung einer fremdüblichen Vergütung für die Beiträge der Transaktionspartner hinsichtlich ausgeübter Funktionen, eingesetzter Wirtschaftsgüter und übernommener Risiken Dem Analyserahmen kommt im Ergebnis somit die Funktion einer Missbrauchsvorschrift zu, welche grundsätzlich dem Stpfl. die Beweislast aufbürdet. Bei wesentlichen Abweichungen zwischen vertraglicher Ausgestaltung und tatsächlicher Durchführung folgt insofern eine Einkommenskorrektur oder die Fingierung eines fremdüblichen Geschäftsvorfalls. Dies gilt im Übrigen auch dann, wenn der Stpfl. die geforderten Nachweise über die fremdübliche Durchführung nicht erbringen kann. Hieraus erwachsen jedoch Fragen zum Umfang des vom Stpfl. anzutretenden Beweismaßes, zumal sich auch der Abschlussbericht zu BEPS-Aktionspunkt 13 hierzu nicht explizit äußert. Dieses Fehlen weiterführender Hinweise zu Art und Umfang der Beweisvorsorge für konzerninterne Transaktionen ist vor allem unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit kritikwürdig. Denn im Ergebnis obliegt es dem Stpfl., über die definierten 1 Vgl. Kroppen in FS Endres, S. 203; vgl. inhaltlich zum AOA: Wittendorff, TNI 2015, 167 (167): „The 2010 OECD guidelines thus require that the risk allocation between associated enterprises in itself is arm`s length. By contrast, the arm’s-length principle is traditionally held only to address the pricing of a risk allocation as actually structured.“ 2 Vgl. Tz. 1.56 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Koch, IStR 2016, 881 (883).
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Kap. 6 Rz. 6.567 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Dokumentationspflichten hinaus stets auch Nachweise über die fremdübliche tatsächliche Ausführung von Transaktionen mit immateriellen Wirtschaftsgütern bereit zu stellen.
2. Begriffsbestimmungen für immaterielle Wirtschaftsgüter 6.568
Begriffsbestimmung in § 1 Abs. 3c Satz 2 AStG. § 1 Abs. 3c Satz 2 AStG enthält erstmals eine Legaldefinition des Begriffs des immateriellen Werts. Hinzuweisen ist darauf, dass damit auch in deutsch-steuerlicher Hinsicht eine Begriffserweiterung über den von der Rechtsprechung konkretisierten Begriff des immateriellen Wirtschaftsguts hinaus erfolgt, was der Begriffsweite der OECD-Definition (Rz. 6.570) entspricht. Neu ist der Begriff des immateriellen Werts im deutschen Steuerrecht freilich nicht, da er bereits im Rahmen der betriebsstättenbezogenen Gewinnermittlung/-aufteilung verwendet wird (§ 2 Abs. 6 Nr. 2 sowie § 6 BsGaV). Eine gesetzliche Definition fehlte allerdings bislang; auch die VWG BsGa umkreisen den Begriff lediglich und arbeiten mit Regelbeispielen („Patent, Marke, Know-how, Geschäftswert usw.“).1 Insoweit ist die reine Tatsache einer Definition zunächst im Sinne der Rechtssicherheit zu begrüßen. Die inhaltliche Ausgestaltung der Begriffsbestimmung ist aber gleichwohl kaum geeignet, die Rechtssicherheit zu erhöhen, denn § 1 Abs. 3c Satz 2 AStG übernimmt die sehr weitgehende und damit unklare Definition der OECD-Leitlinien 2017 (hierzu Rz. 6.570).2 Gem. § 1 Abs. 3c Satz 2 AStG umfasst der Begriff des immateriellen Werts solche „Vermögenswerte, 1. die weder materielle Wirtschaftsgüter oder Beteiligungen noch Finanzanlagen sind, 2. die Gegenstand eines Geschäftsvorfalls sein können, ohne einzeln übertragbar sein zu müssen, und 3. die einer Person eine tatsächliche oder rechtliche Position über diesen Vermögenswert vermitteln können“. Der Begriff des Vermögenswerts ist unbestimmt. Für Zwecke der BsGaV ist der Begriff als „Wirtschaftsgüter und Vorteile“ definiert (§ 2 Abs. 6 Satz 1 BsGaV).3 Da Grundlage hier wie dort die OECD-Definition ist, kann die Definition u.E. auch für Zwecke des § 1 Abs. 3c AStG herangezogen werden. Inhaltlich bringt die Definition allerdings wenig Klarheit, dann – während der Begriff des Wirtschaftsguts durch die deutsch-steuerliche Rechtsprechung inzwischen vergleichweise klare Konturen angenommen hat4 – bleibt der Ergänzungstatbestand der „Vorteile“ unbestimmt. Auch die Verordnungsbegründung zur BsGaV erschöpft sich in einer reinen Tautologie, indem sie Vorteile als solche Vermögenswerte definiert, „die keine Wirtschaftsgüter und daher nicht bilanzierungsfähig sind“.5 Die weitere Eingrenzung in § 1 Abs. 3c Satz 2 Nr. 1 AStG erfolgt durch eine Negativabgrenzung von materiellen Wirtschaftsgütern und Beteiligungen und Finanzanlagen. Dies folgt insoweit der Aufzählung in § 2 Abs. 6 Satz 2 BsGaV. 1 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.2.6 (s. Rz. 49); VWG BsGa Tz. 2.6.1 (s. Rz. 85); hierzu auch Leonhardt/ Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG, Rz. 2958. 2 Vgl. Tz. 6.6 OECD-Leitlinien 2022. 3 Hierzu Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG, Rz. 2953 ff. 4 Vgl. grundlegend: BFH v. 2.3.1970 – GrS 1/69, BStBl. II 1970, 382, ferner: Tiedchen in Herrmann/ Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG, Rz. 561; Weber-Grellet in Schmidt41, § 5 EStG Rz. 96, jeweils m.w.N. 5 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 50.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.568 Kap. 6
Ein immaterieller Wert muss ferner Gegenstand eines Geschäftsvorfalls sein können (§ 1 Abs. 3c Satz 2 Nr. 2 AStG). Die hiermit grundsätzlich verbundene Anforderung einer gewissen Abgrenzbarkeit zu anderen Wirtschaftsgütern/Werten und insbesondere zum Geschäftsoder Firmenwert wird durch die Ergänzung eingeschränkt, dass eine einzelne Übertragbarkeit nicht erforderlich sein soll. Auch insoweit geht der Begriff des immateriellen Werts daher wesentlich über die Definition des Wirtschaftsguts hinaus, die zumindest eine Abgrenzung zu anderen Wirtschaftsgütern und insbesondere zum Geschäfts- oder Firmenwert erfordert.1 Die Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 3c Satz 2 Nr. 3 AStG ist semantisch unklar. Denn es wird gefordert, dass der Vermögenswert über sich selbst eine tatsächliche oder rechtliche Position vermitteln kann. Der Sinn dieser konkreten Formulierung erschließt sich nicht. Es ist anzunehmen, dass hier darauf abgestellt werden soll, dass eine tatsächliche oder rechtliche Position im Sinne eines Verfügungsrechts oder einer faktischen Verfügungsmöglichkeit bzw. eines Abwehrrechts gegen Dritte bestehen können muss. Die Gesetzesbegründung konkretisiert dies mit Verweis auf Tz. 6.6 der OECD-Leitlinien so, dass eine Inhaberschaft oder Eigentum an dem immateriellen Wert bestehen können muss.2 Demach sind z.B. Standort- oder Synergievorteile keine immateriellen Werte, da es hier an einer Kontrollierbarkeit fehlt.3 Solche Vorteile sind allerdings im Rahmen der Bewertung anderer Transaktionen als Vergleichbarkeitsfaktoren zu berücksichtigen.4 Dies ist insoweit konsistent zur bisherigen Rechtslage.5 Die Gesetzesbegründung nennt beispielhaft die folgenden Vermögenswerte, die regelmäßig als immaterielle Werte einzuordnen seien:6 – Patente,7 – Know-how und Handelsgeheimnisse,8 – Warenzeichen, Handelsnamen und Marken,9 – vertragliche Rechte und staatliche Lizenzen,10 – Lizenzen und vergleichbare Rechte an immateriellen Werten.11 Bemerkenswert ist, dass die Entwurfsbegründung im Rahmen der beispielhaften Aufzählung denkbarer immaterieller Werte den Geschäfts- oder Firmenwert nicht nennt, obwohl dieser von den OECD-Leitlinien 2017 ausdrücklich als möglicher immaterieller Wert aufgeführt 1 Vgl. zur Definition des Wirtschaftsguts grundlegend: BFH v. 2.3.1970 – GrS 1/69, BStBl. II 1970, 382, ferner: Tiedchen in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EstG, Rz. 561; Weber-Grellet in Schmidt41, § 5 Rz. 96, jeweils m.w.N. Eine Einzelveräußerbarkeit ist demgegenüber auch nach der Rechtsprechung des BFH nicht erforderlich, vgl. z.B. BFH v. 10.8.1989 – X R 176-177/87, BStBl. II 1990, 15; s. auch Engelen, DB 2020, 251 (254). 2 Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 73 f.; Tz. 6.6 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 6.30 f. OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 74; Tz. 6.30 f. OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562; VWG FVerl, Rz. 93, 168. 6 Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 73 f. 7 Vgl. hierzu Tz. 6.19 OECD-Leitlinien 2022. 8 Vgl. hierzu Tz. 6.20 OECD-Leitlinien 2022. 9 Vgl. hierzu Tz. 6.20 ff. OECD-Leitlinien 2022. 10 Vgl. hierzu Tz. 6.24 f. OECD-Leitlinien 2022. 11 Vgl. hierzu Tz. 6.26 OECD-Leitlinien 2022.
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Kap. 6 Rz. 6.568 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
wird (Rz. 6.570).1 Im Ergebnis dürfte jedoch zumindest ein Teil des Geschäfts- oder Firmenwerts regelmäßig von der Definition des § 1 Abs. 3c Satz 2 AStG erfasst werden, unabhängig davon, dass dies solche Bereiche betreffen kann, die grundsätzlich nur im Rahmen einer Gesamtbewertung aufgedeckt bzw. bewertet werden können.2 Diese Aspekte konnten nach bisheriger Rechtslage mangels Konkretisierung als Wirtschaftsgut allenfalls im Rahmen der Funktionsverlagerungsbesteuerung als sonstige Vorteile erfasst werden, deren Wert sich auf der Grundlage einer Gesamtbewertung des Transferpakets als Residualgröße zum Gesamtwert der im Transferpaket enthaltenen Wirtschaftsgüter bestimmte (s. auch Rz. 6.594).
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Begriffsbestimmung in den OECD-Leitlinien 2010. Tz. 6.2 OECD-Leitlinien 2010 enthält ebenfalls eine Definition von immateriellen Werten. Dabei wird zwar nicht der Begriff „Intangible Asset“, sondern der eher an gewerbliche Schutzrechte anknüpfende Begriff „Intangible Property“ verwendet. Dieser umfasst jedenfalls zum einen die Rechte auf Benutzung gewerblicher Wirtschaftsgüter wie Patente, Marken, Firmennamen, Muster oder Modelle, zum anderen literarische und künstlerische Eigentumsrechte sowie geistiges Eigentum wie Know-how und Handelsgeheimnisse. Im Vordergrund der OECD-Leitlinien stehen die immateriellen Werte im Zusammenhang mit gewerblichen Aktivitäten („Commercial Intangibles“). Diese werden nochmals in die Sonderformen „Marketing Intangibles“ (Produkt- und Dienstleistungsmarken sowie Handelsnamen) und „Trade Intangibles“ unterteilt.3 Die „Marketing Intangibles“ sind absatzorientiert, während sich die „Trade Intangibles“ auf Patente, Know-how und Rechte zur Herstellung von Produkten beziehen, also produktionsorientiert sind.4
6.570
Begriffsbestimmung in den OECD-Leitlinien seit 2017. Die OECD-Leitlinien seit 2017 zeigen ein nun erheblich abweichendes Begriffsverständnis im Vergleich zu den OECD-Leitlinien 2010. Dabei gehen die hier vorgenommenen Änderungen weitgehend auf den Entwurf zur Neufassung von Kapitel VI der OECD-Leitlinien v. 30.7.2013 zurück. Offenkundig wird das abweichende Begriffsverständnis bereits an der nun verwendeten Bezeichnung „Intangibles“ statt des bislang verwendeten Ausdrucks „Intangible Property“, woraus sich ein weitergehendes Verständnis ableiten lässt. Dies wird verstärkt durch die Feststellung, dass „Intangibles“ über die für Rechnungslegungszwecke verwendeten „Intangible Assets“ hinausgehen.5 Insofern überrascht die allgemeine Definition nicht: „the word ‚intangible‘ is intended to address something which is not a physical asset or a financial asset, which is capable of being owned or controlled for use in commercial activities, and whose use or transfer would be compensated had it occurred in a transaction between independent parties in comparable circumstances“.6 Als unter diese Definition fallende Beispiele werden aufgezählt: Patente, Know-how, Marken, Vertragsrechte und Lizenzen, aber auch „Goodwill and Ongoing Concern Value“.7 Hingegen sollen Standortvorteile („Location Savings“), Gruppensynergien („Group Synergies“), Marktbedingungen („Market Specific Characteristics“) und ein eingespielter Mitarbeiterstamm („As-
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Vgl. Tz. 6.27 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. auch Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 74. Vgl. Tz. 6.3 OECD-Leitlinien 2010. Ausführlich zur Begriffsbestimmung durch die OECD-Leitlinien 2010 vgl. Roeder in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VI Rz. 1 ff. zu Tz. 6.2 OECD-Leitlinien 2010. 5 Vgl. Tz. 6.7 OECD-Leitlinien 2017; Tz. 41 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 6 Tz. 6.6 OECD-Leitlinien 2017; Tz. 40 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 7 Vgl. Tz. 6.19 ff. OECD-Leitlinien 2017; Tz. 53 ff. des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.570 Kap. 6
sembled Workforce“) nicht als „Intangibles“ verstanden werden.1 Dennoch sieht die OECD hierin, wenn auch keinen immateriellen Wert, so doch einen Vergleichbarkeitsfaktor im Rahmen der Verrechnungspreisbestimmung.2 Denn insofern ist unbestritten, dass Bedingungen eines lokalen Markts wie verfügbares Haushaltseinkommen, Größe oder relative Wettbewerbsfähigkeit eines Markts die Bestimmung von fremdüblichen Verrechnungspreisen eines Geschäftsvorgangs beeinflussen können.3 Die OECD tritt damit der Auffassung von Finanzverwaltungen im chinesischen und indischen Raum entgegen, die es für fremdüblich halten, dass ein vorteilhafter Markt im Rahmen der Vergütung für lokale Unternehmen gesondert zu berücksichtigen sei.4 Ansonsten wird ausdrücklich darauf verzichtet, eine Kategorisierung von „Intangibles“ vorzunehmen5, etwa analog zu den OECD-Leitlinien 2010 in Marketing Intangibles und Trade Intangibles. Darüber hinaus sollen auch für die Ermittlung der Fremdvergleichspreise keine anderen Kategorien wie „routine and non-routine intangibles“ oder „soft and hard intangibles“ relevant sein.6 Nichtsdestoweniger räumt die OECD ein, dass bestimmte Kategorien immaterieller Wirtschaftsgüter üblicherweise in Zusammenhang mit Verrechnungspreisen Erwähnung finden. Um diesbezüglichen Abgrenzungsfragen vorzubeugen, enthält das Glossar zu den OECD-Leitlinien 2017 daher Definitionen der Begriffe „trade intangibles“ und „marketing intangibles“, wobei letztere Definition abgeändert wurde.7 Im Ergebnis ist damit eine „Begriffsweite“ beabsichtigt.8 Denn die Substantivierung des Adjektivs „intangible“ zur Bezeichnung der „immateriellen Werte“ ist auch im englischen Sprachgebrauch nicht notwendig. Vielmehr wäre es auch im Englischen üblicher, das Adjektiv „intangible“ mit einem Substantiv zu verbinden.9 Durch ein substantiviertes Adjektiv wird also bewusst eine Begriffsabstraktion und damit eine Begriffsweite erzeugt, um einen möglichst großen Anwendungsbereich für die Erfassung immaterieller Werte zu eröffnen. In diesem Zusammenhang erscheint es im Übrigen zunächst überraschend10, dass auch „goodwill“ ausdrücklich als „intangible“ erfasst wird. Denn üblicherweise wird „goodwill“ als Residualgröße zwischen dem Gesamtunternehmenswert und der Summe der einzelnen Werte der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter eingeordnet.11 Die Residualgröße als sol-
1 Vgl. Tz. 6.30 f. OECD-Leitlinien 2017; Tz. 2 ff. und 63 f. des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 2 Vgl. Tz. 6.30 OECD-Leitlinien 2017: „Solche Merkmale können einen Effekt auf die Bestimmung der fremdüblichen Bedingungen für konzerninterne Geschäftsvorfälle haben und sollten für Verrechnungspreiszwecke als Vergleichbarkeitsfaktoren behandelt werden.“; vgl. Tz. 64 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 3 Vgl. Krüger, DStZ 2016, 64 (71). 4 Vgl. Eigelshoven/Ebering/Schmidtke, IWB 2012, 487 (488). 5 Vgl. Tz. 6.15 OECD-Leitlinien 2017; Tz. 49 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 6 Vgl. Tz. 6.15 OECD-Leitlinien 2017. 7 Vgl. Tz. 6.16 OECD-Leitlinien 2017; vgl. Tz. 50 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 8 Vgl. Greinert/Metzner, les Nouvelles 2015, 214. 9 Vgl. Krüger, DStZ 2016, 64 (69). 10 Vgl. hierzu Schmidtke, ISR 2015, 120 (122): „Der Geschäfts- oder Firmenwert kann für sich alleine genommen nicht übertragen werden, sondern nur gemeinsam mit den zugrunde liegenden geschäftswertbildenden Faktoren wie beispielsweise einer eingespielten Mitarbeiterschaft oder den Standortvorteilen […]. Konsistent wäre es deswegen gewesen, den Geschäfts- oder Firmenwert eindeutig als keinen immateriellen Wert für Verrechnungspreiszwecke zu benennen.“ 11 Vgl. z.B. BFH v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 576; BFH v. 18.2.1993 – IV R 40/92, BStBl. II 1994, 224; BFH v. 29.7.1982 – IV R 49/78, BStBl. II 1982, 650.
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Kap. 6 Rz. 6.570 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
che kann gerade nicht einzeln übertragen oder genutzt werden, sondern immer nur in Zusammenhang mit anderen Wirtschaftsgütern. Dementsprechend besteht an sich auch kein Bedürfnis dafür, den „goodwill“ zusätzlich als immaterielles Wirtschaftsgut zu qualifizieren.1 Auch dem „goodwill“ kann jedoch eine separate Bedeutung als immaterielles Wirtschaftsgut zukommen.2 Dies zeigen exemplarisch Fälle eines Unternehmenserwerbs, bei denen ein erheblicher Anteil des Kaufpreises auf den „goodwill“ entfällt. Wenn sodann im Anschluss an den Erwerb wesentliche Wirtschaftsgüter des erworbenen Unternehmens übertragen werden, gehen damit auch wesentliche Teile des „goodwill“ über. Denn dieser geht nach Auffassung der OECD durch eine Restrukturierung weder unter noch wird er zerstört.3 Nach dem Verständnis der OECD wird der „goodwill“ somit im Ergebnis immer dann zu einem immateriellen Wert, wenn er einen zusätzlichen Mehrgewinn darstellt, den ein fremder Dritter vergüten würde.4 Ungeachtet dessen ist zugleich auffällig, dass der Begriff „goodwill“ – ebenso wie schon im überarbeiteten Entwurf zu „Intangibles“ v. 30.7.20135 – sehr differenziert behandelt und diesbezüglich auf die jeweilige Kontextbedeutung abgestellt wird.6 Gleichwohl fehlt eine präzise Definition sowohl von „goodwill“ als auch von „ongoing concern value“ zu Verrechnungspreiszwecken, die jedoch gerade vor dem Hintergrund der nicht einheitlichen Definitionen für den Geschäftswert (z.B. im Handels- und Bilanzrecht, im Patentrecht, Warenzeichenrecht) wünschenswert gewesen wäre. Ebenso wenig findet sich hierin eine Definition, wann „goodwill“ oder „ongoing concern value“ ein immaterielles Wirtschaftsgut darstellen. Das Fehlen einer präzisen Definition für den Begriff „goodwill“ hat daher nach Angaben der OECD zwei Konsequenzen. Zum einen müssen der Stpfl. und die Steuerverwaltungen die im Zusammenhang mit einer Verrechnungspreisanalyse relevanten „intangibles“ spezifizieren. Zum anderen muss berücksichtigt werden, ob unabhängige Unternehmen in vergleichbaren Umständen einen Ausgleich in vergleichbarer Form vorsehen würden.7 Angesichts dessen
1 Vgl. zu dieser Ansicht auch Schmidtke/Tillmann, IWB 2013, 709 (709): „[Da Goodwill] letztlich nur in Verbindung mit anderen Wirtschaftsgütern übertragen wird, sollte in unseren Augen Goodwill lediglich als Vergleichsfaktor berücksichtigt werden.“ 2 Kroppen in FS Endres, S. 201. 3 Vgl. OECD/G20 BEPS – Actions 8–10 – 2015 Final reports, 134, Rz. 85. 4 Vgl. Krüger, DStZ 2016, 64 (70). 5 Vgl. Tz. 60 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 6 Vgl. Tz. 6.27 OECD-Leitlinien 2017: „Je nach Kontext kann der Begriff Goodwill verwendet werden, um eine Reihe verschiedener Konzepte zu bezeichnen. In einigen Rechnungslegungs- und Unternehmensbewertungszusammenhängen entspricht der Goodwill der Differenz zwischen dem Gesamtwert eines aktiven Unternehmens und der Summe der Werte aller separat ermittelbaren materiellen und immateriellen Vermögenswerte. Alternativ dazu wird der Goodwill in manchen Fällen als eine Darstellung der zukünftigen wirtschaftlichen Vorteile im Zusammenhang mit Vermögenswerten des Unternehmens beschrieben, die nicht einzeln ermittelt und gesondert ausgewiesen werden. In wieder anderen Zusammenhängen bezieht sich der Goodwill auf die erwarteten zukünftigen Geschäfte mit existierenden Kunden. Der Begriff Geschäfts- oder Firmenwert wird manchmal als Wert der zusammengefassten Vermögenswerte eines aktiven Unternehmens bezeichnet, der über die Summe der separat ermittelten Werte der einzelnen Vermögenswerte hinausgeht. Es wird allgemein anerkannt, dass Goodwill und Geschäfts- oder Firmenwert nicht von anderen Vermögenswerten des Unternehmens getrennt oder gesondert übertragen werden können.“ 7 Vgl. Tz. 6.29 OECD-Leitlinien 2017: „Da es keine einzige und genaue Definition von Goodwill gibt, ist es wesentlich, dass die Steuerpflichtigen und die Steuerverwaltungen relevante immaterielle Werte im Zusammenhang mit einer Verrechnungspreisanalyse spezifisch beschreiben und untersuchen, ob unabhängige Unternehmen unter vergleichbaren Umständen eine Vergütung für solche immateriellen Werte leisten würden.“
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.572 Kap. 6
können der „goodwill and ongoing concern value“ also insbesondere dann als immaterieller Wert angesehen werden, wenn in vergleichbaren Geschäftsvorfällen zwischen voneinander unabhängigen Dritten ein Geschäftswert als immaterieller Wert angesehen wird.
3. Deutsch-steuerliche Sonderregelungen für immaterielle Werte a) Grundsätzliches Wirtschaftliche Betrachtungsweise. Mit der Einfügung von § 1 Abs. 3c AStG n.F. tritt die sog. wirtschaftliche Betrachtungsweise weiter in den Vordergrund. Die Vorschrift setzt das DEMPE-Konzept der OECD (Rz. 6.565 ff.) in das deutsche Steuerrecht um. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass die durch die Festlegung der Verrechnungspreise determinierte Verteilung des Steuersubstrats auf die Ansässigkeitsstaaten der beteiligten verbundenen Unternehmen im Einklang mit der Verteilung der wertschöpfenden Tätigkeiten in diesen Staaten erfolgt.1 Entsprechend verringert sich die Bedeutung der zwischen den Konzernunternehmen geschlossenen schriftlichen Verträge, die künftig nur noch „Ausgangspunkt“ der Verrechnungspreisanalyse sein sollen (Substance-over-form-Ansatz, Rz. 6.573). Ausdrückliches Ziel der Reform war hierbei die Angleichung an internationale Besteuerungsgrundsätze, um über eine einheitliche Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes sowohl Doppelbesteuerungen als auch doppelte Nichtbesteuerungen zu vermeiden.2 Insbesondere soll auch eine faire Verteilung der Besteuerungsrechte auf die beteiligten Staaten erzielt werden.3 Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung soll die Neuregelung lediglich klarstellender Natur sein, denn die wirtschaftliche Betrachtungsweise sei der deutschen Verrechnungspreisprüfung „seit jeher“ zugrunde zu legen (zur Kritik hieran s. Rz. 6.594).4
6.571
Finanzielle Auswirkung der Übertragung/Überlassung als Grundvoraussetzung. Gem. § 1 Abs. 3c Satz 1 AStG ist die Übertragung oder Nutzungsüberlassung eines immateriellen Werts zu vergüten, „wenn diese auf der Grundlage einer Geschäftsbeziehung im Sinne des Absatzes 4 erfolgt und hiermit eine finanzielle Auswirkung für den Übernehmer, den Nutzenden, den Übertragenden oder den Überlassenden verbunden ist“. Das Erfordernis des Vorliegens einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG besteht schon aufgrund von § 1 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 5 Satz 1 AStG, sodass mit der erneuten Bezugnahme in § 1 Abs. 3c Satz 1 AStG keine weitere Folge verbunden ist. Die zweite Voraussetzung („finanzielle Auswirkung“) schränkt demgegenüber den Anwendungsbereich der Vorschrift ein. Die Vorschrift, deren Wortlaut durch die Verwendung der Konjunktion „oder“ zunächst auf eine finanzielle Auswirkung alternativ beim Übernehmer oder beim Übertragenden bzw. beim Nutzenden oder dem Überlassenden verweist, muss einschränkend ausgelegt werden. Denn ein Entgelt würde zwischen fremden Dritten nur dann vereinbart, wenn sowohl der Übernehmer/Nutzende eine positive Zahlungsbereitschaft hat als auch der Übertragende/Überlassende ein Entgelt fordert, sodass mithin stets eine finanzielle Auswirkung auf beiden Seiten der Transaktion vorliegen muss.5 Die Entwurfsbegründung verweist hier beispielhaft darauf, dass ein Übertragender nicht auf ein Entgelt verzichten würde, wenn der immaterielle Wert zur Generierung von Cashflows beigetragen hat und – bei Nichtübertragung – auch künftig dazu beitragen würde, dass aber zugleich auch die Bereitschaft des Übernehmenden bestehen müsse, ein Entgelt zu
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Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 67. Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 67. Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 67. Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 73. Ebenso Stein/Schwarz/Burger, IStR 2020, 83 (86 f.); a.A. Grotherr, Ubg 2021, 618 (623).
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Kap. 6 Rz. 6.572 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
entrichten.1 Eine solche Bereitschaft zur Entgeltentrichtung liege z.B. dann nicht vor, wenn Know-how bekannt ist und daher kostenlos genutzt werden könne.2 Mithin ist also auch hier dem Grunde nach zu prüfen, ob ein Vorgang zwischen fremden Dritten vergütet worden wäre.3 Demgegenüber stellen die VWG VP 2021 allein darauf ab, ob der Nutzende einen wirtschaftlichen Vorteil aus der tatsächlichen oder rechtlichen Einräumung der Nutzung erwarten könnte (Vorteilhaftigkeitsanalyse), wobei es auf den erwarteten und nicht den tatsächlich eintretenden Nutzen ankommt.4 Fraglich ist, ob das Erfordernis einer „finanziellen“ Natur der Auswirkung insoweit zu einer Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 1 Abs. 3c AStG im Vergleich zur OECD-Sichtweise führt. Denn es ist durchaus vorstellbar, dass für die Nutzung eines immateriellen Werts z.B. eine positive Zahlungsbereitschaft besteht, ohne dass dies zu einer unmittelbaren finanziellen Auswirkung führt.
6.573
Eigentum oder Inhaberschaft nicht mehr entscheidend für Ertragszuordnung. § 1 Abs. 3c Sätze 3–5 AStG sollen das DEMPE-Konzept der OECD umsetzen. Hierzu wird in § 1 Abs. 3c Satz 3 AStG zunächst festgehalten, dass die „Feststellung des Eigentums oder der Inhaberschaft an einem immateriellen Wert, einschließlich aus einem solchen abgeleiteter Rechte, [..] Ausgangspunkt für die Bestimmung [ist], welchem an dem Geschäftsvorfall beteiligten Unternehmen der Ertrag zusteht, der sich aus jedweder Art der Verwertung dieses immateriellen Werts ergibt“. Dies folgt der Systematik der OECD-Leitlinien (Rz. 6.565).5 In Abkehr von der bisherigen Rechtslage, in der Verträge zwischen verbundenen Unternehmen grundsätzlich zu beachten waren und den Rahmen für die Gewinnberechtigung bildeten (Rz. 6.565), ist damit eine weitgehende Abstraktion der Gewinnberechtigung vom (rechtlichen) Eigentum umgesetzt worden. Dies stellt eine grundlegende Neuerung im deutschen Steuerrecht dar. Nach wie vor ist aber der rechtliche Eigentümer des immateriellen Werts zu ermitteln und für Verrechnungspreiszwecke auch als solcher anzuerkennen.6 Gleiches gilt auch hinsichtlich der Vorschriften zur Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums.7 Davon unabhängig ist jedoch der „Ertrag“ aus dem immateriellen Wert – unabhängig von einer möglichen zivilrechtlichen Alleinberechtigung – nach Maßgabe der DEMPE-Funktionen/-Risiken und den eingesetzten Wirtschaftsgütern zuzuordnen (Rz. 6.574). Der „Ertrag“ umfasst hierbei neben den laufenden Erlösen auch die Erlöse aus der Veräußerung des immateriellen Werts (s. hierzu auch Rz. 6.581).8
6.574
Anknüpfung der Gewinnberechtigung an die DEMPE-Funktionen und -Risiken. Die Umsetzung des DEMPE-Konzepts i.e.S. erfolgt in § 1 Abs. 3c Satz 4 AStG: „Soweit eine dem Eigentümer oder dem Inhaber des immateriellen Werts nahestehende Person Funktionen im Zusammenhang mit der Entwicklung oder Erschaffung, der Verbesserung, dem Erhalt, dem Schutz
1 Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 73. 2 Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 73. 3 Vgl. Tz. 6.6 OECD-Leitlinien 2022; Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BTDrucks. 19/27632, 73. 4 VWG VP 2021, Rz. 3.49, mit Verweis auf BFH v. 21.1.2016 – I R 22/14, BStBl. II 2017, 336 = ISR 2016, 235. 5 Vgl. Tz. 6.32, 6.43, 6.48 OECD-Leitlinien 2022. 6 Sofern der Eigentümer nicht unmittelbar anhand vertraglicher oder rechtlicher Kriterien identifiziert werden kann, ist das rechtliche Eigentum für Verrechnungspreiszwecke derjenigen Gesellschaft zuzuordnen, die die Verwertungsentscheidungen kontrolliert und in der Lage ist, andere an der Nutzung des immateriellen Werts zu hindern, vgl. Tz. 6.40 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.54. 8 Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 74.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.575 Kap. 6
oder jedweder Art der Verwertung des immateriellen Werts ausübt, hierzu Vermögenswerte einsetzt und Risiken übernimmt, sind diese Funktionen vom Eigentümer oder Inhaber der nahestehenden Person angemessen zu vergüten.“ Satz 4 nennt also zunächst die sog. DEMPE-Funktionen (Entwicklung/Erschaffung, Verbesserung, Erhalt, Schutz und Verwertung) und stellt fest, dass diese – soweit nicht vom Eigentümer ausgeübt – von diesem „angemessen“ zu vergüten seien.1 Es ist daher eine auf den jeweiligen immateriellen Wert bezogene Funktionsund Risikoanalyse durchzuführen, um festzustellen, welche wirtschaftlichen Wertschöpfungsbeiträge die beteiligten verbundenen Unternehmen leisten bzw. geleistet haben (Rz. 6.566). Die VWG VP 2021 sowie die Gesetzesbegründung konkretisieren diese wie folgt: Es sei zu prüfen, welche verbundenen Unternehmen – in Bezug auf die fünf DEMPE-Bereiche die maßgeblichen (Personal-)Funktionen ausüben und kontrollieren (Rz. 6.576), – die personellen und finanziellen Kapazitäten zur Übernahme und Kontrolle der damit verbundenen Risiken haben (Rz. 6.578) und – in welchem Umfang sie wertvolle immaterielle Werte einsetzen (Rz. 6.579).2 Das hierzu erforderliche Personal sowie die notwendigen finanziellen Kapazitäten stehen dabei im Mittelpunkt der Zuordnung, sodass diese letztlich im Wesentlichen anhand der Mitarbeiter, die die relevanten Funktionen ausüben und die jeweiligen Risiken steuern, und entsprechend dem Kapital erfolgt.3 Die Voraussetzungen der Ausübung von DEMPE-Funktionen, der Übernahme von Risiken und des Einsatzes von Vermögenswerten müssen hierbei kumulativ vorliegen; die Konjunktion „oder“ in der Ursprungsfassung des AbzStEntModG v. 2.6.2021 ist bereits mit dem ATADUmsG v. 25.6.2021 durch die Konjunktion „und“ ersetzt worden, was die Zielsetzung des Gesetzgebers deutlich macht.4 Im Ergebnis bedeutet dies insbesondere, dass die Zuordnung von Risiken (Rz. 6.578) notwendige Tatbestandsvoraussetzung einer Zuordnung von Erträgen gem. § 1 Abs. 3c Abs. 4 AStG ist. Verankerung des DEMPE-Konzepts in § 1 AStG. Das DEMPE-Konzept ist in die Korrekturnorm des § 1 AStG eingefügt worden, deren Bedeutung für verrechnungspreisbezogene Sachverhalte damit weiter steigt. Vor dem Hintergrund der grundsätzlich asymmetrischen Rechtsfolge einer Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG, die lediglich Korrekturen zulasten des Steuerpflichtigen, nicht aber zu seinen Gunsten zulässt, und nach h.M. außerhalb der Steuerbilanz zu ziehen ist,5 stellt sich die Frage, ob § 1 AStG geeignet ist, den Anspruch des DEMPE-Konzepts als Instrument zur – gleichmäßigen – Umsetzung einer Gewinnverteilung nach Maßgabe der wirtschaftlichen Wertschöpfungsbeiträge der verbundenen Unternehmen umzusetzen. Denn, soweit Abweichungen zwischen den – grundsätzlich einzeltransaktionsbezogenen – allgemeinen Ertrags-/Aufwandzuordnungsgrundsätzen und der – auf das Gesamtergebnis abstellenden – DEMPE-konformen Gewinnverteilung besteht, ist nicht ausgeschlossen, 1 Zur Kritik an der konkreten Formulierung s. Rz. 6.581. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.53; Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 74; Tz. 6.32, 6.48 OECD-Leitlinien 2022. 3 Zur Kritik hieran vgl. Greinert/Metzner, Ubg 2014, 307. 4 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035, dort Art. 5. 5 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG, Rz. 408.
Greinert/Leonhardt | 759
6.575
Kap. 6 Rz. 6.575 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
dass auf den verschiedenen Ebenen gegenläufige, sich teilweise aufhebende Wirkungen entstehen. Dies kann schon aus Praktikabilitätsgründen nicht überzeugen. Unklar bleibt daher auch, ob die Zielvorstellung einer von Beginn an – auch unter DEMPE-Gesichtspunkten – fremdvergleichskonformen zivilrechtlichen Verrechnungspreisgestaltung zur Vermeidung von steuerlichen Korrekturen noch umsetzbar ist (s. auch Rz. 6.581). Bemerkenswert erscheint, dass § 1 Abs. 3c Satz 1 AStG – wie auch § 1 Abs. 3c Satz 4 AStG – nicht auf § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG Bezug nimmt, sondern nur bestimmt, dass eine Übertragung oder Nutzungsüberlassung eines immateriellen Werts unter bestimmten Umständen „zu vergüten“ sei. Insoweit kann die Vorschrift – zumindest auch – als eine neben der reinen Korrekturvorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG stehende eigenständige Regelung gesehen werden.1 Tatsächliche Folgen hat dies freilich nur dann, wenn § 1 Abs. 3c AStG konkretisierende Wirkung auch für die neben § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG stehenden innerstaatlichen Korrekturvorschriften entfalten sollte, d.h. insbesondere für das Rechtsinstitut der verdeckten Gewinnausschüttung und der verdeckten Einlage.2 Vor dem Hintergrund der Positionierung der Vorschrift in § 1 AStG ist dies jedoch u.E. zweifelhaft. Beschränkt man die Regelungskraft von § 1 Abs. 3c AStG demgegenüber auf Korrekturen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG, hat dies folgende Auswirkungen: § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG greift nur zulasten des Steuerpflichtigen, sodass § 1 AStG nur dann geeignet wäre, eine DEMPEkonforme Gewinnverteilung über entsprechende außerbilanzielle Korrekturen sicherzustellen, wenn dem in Deutschland steuerpflichtigen verbundenen Unternehmen ein aus DEMPE-Sicht zu geringer Gewinnanteil zugeordnet worden ist. Ist das in Deutschland steuerpflichtige Unternehmen dagegen überdotiert, bleibt es nach deutschem Steuerrecht zunächst bei dieser Zuordnung, sodass Doppelbesteuerungen auftreten, wenn der ausländische Staat auf den DEMPE-konformen Gewinn korrigiert. Das ausdrückliche Ziel der Reform des § 1 AStG, die Vermeidung von Doppelbesteuerungen über eine konsistente Umsetzung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise,3 wird damit verfehlt. In vielen Fällen sollte sich eine solche Asymmetrie allerdings über eine Gegenkorrektur auf der Grundlage Anwendung der Art. 9 Abs. 2 OECDMA entsprechenden DBA-Regelung auflösen lassen, wenn insoweit eine gleiche Auslegung erfolgt. Eine einheitliche Auslegung ist daher schon unter Konsistenzgesichtspunkten zu fordern. Dass die VWG VP 2021 eine einheitliche Anwendung der OECD-Leitlinien unabhängig davon vorsehen, ob das DBA mit einem OECD- oder einem Nicht-OECD-Staat vereinbart worden ist oder ob es gänzlich an einem anwendbaren DBA fehlt,4 ist daher zu begrüßen. Wenn es allerdings mangels eines anwendbaren DBA dem Grunde nach an einer Gegenkorrekturvorschrift fehlt, kann auch eine einheitliche Anwendung der OECD-Leitlinien die Gefahr von Doppelbesteuerungen nicht ausschließen. b) DEMPE-Funktionen, verbundene Risiken und eingesetzte Wirtschaftsgüter
6.576
Ausübung von DEMPE-Funktionen. Eine nähere Eingrenzung der von den DEMPE-Funktionen umfassten Aktivitäten oder eine entsprechende Abgrenzung zueinander enthalten weder § 1 Abs. 3c AStG, noch die Begründung hierzu, noch die VWG VP 2021. Schon insoweit bestehen daher erhebliche Schwierigkeiten bei der konkreten Umsetzung des DEMPE-Kon1 Vgl. Grotherr, Ubg 2021, 618 (622). 2 A.A. Grotherr, Ubg 2021, 618 (624), der § 1 Abs. 3c Satz 4 AStG als eigenständige Korrekturnorm einordnen will. 3 Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 74. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 2.2.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.577 Kap. 6
zepts. Sowohl die VWG VP 2021 als auch die Gesetzesbegründung verwenden jedoch den Begriff der „Personalfunktion“ (Rz. 6.574), sodass es nahe liegt, insoweit auf die für Zwecke der betriebsstättenbezogenen Gewinnaufteilung/-zuordnung kodifizierte Defition der Personalfunktionen in § 2 Abs. 3 der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung1 zurückzugreifen.2 § 2 Abs. 3 Satz 1 BsGaV definiert eine Personalfunktion als „Geschäftstätigkeit, die von eigenem Personal des Unternehmens für das Unternehmen ausgeübt wird“. Der Begriff der Geschäftstätigkeit bleibt wiederum auch in der BsGaV unbestimmt und wird lediglich durch die Regelbeispiele des § 2 Abs. 3 Satz 2 BsGaV konkretisiert (Nutzung, Anschaffung, Herstellung, Verwaltung, Veräußerung, Weiterentwicklung, Schutz, Risiko sowie Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen).3 In einem allgemeinen Sinne kann man „Geschäftstätigkeit“ als Handeln des Unternehmens im Außenverhältnis (Märkte) sowie im Innenverhältnis (Organisation und Durchführung der Unternehmensprozesse) verstehen.4 Unklar bleibt auch, wie granular die DEMPE-bezogenen Aktivitäten zu ermitteln sind. Die Zuordnung von Einzelfunktionen zu mehreren verbundenen Unternehmen ist möglich. Dies unterscheidet sich insoweit von der Zuordnung von immateriellen Werten im Rahmen der betriebsstättenbezogenen Gewinnaufteilung/-zuordnung.5 Das DEMPE-Konzept schließt das Outsourcing d.h. die Beauftragung von Dienstleistern zur Ausübung von Einzelfunktionen nicht aus, führt aber dann zu einem höheren Gewinnanspruch des Dienstleisters, wenn die verantwortliche Kontrolle über die ausgelagerten Funktionen und ihre Steuerung nicht mehr beim Auftraggeber liegt.6 Kontrolle erfordert hierbei sowohl entsprechende Fähigkeiten des eigenen Personals sowie die tatsächliche Ausübung der Kontrollfunktionen (s. auch Rz. 6.578).7 Die reine formale Entscheidung ist demgegenüber ohne Bedeutung.8 Soweit die Kontrolle von an Dienstleister ausgelagerten Einzelfunktionen bei einer anderen Konzerngesellschaft als dem rechtlichen/wirtschaftlichen Eigentümer liegt, ist dieser anderen Konzerngesellschaft ein entsprechender Gewinnanteil zuzuordnen.9 Abgrenzung der DEMPE-Funktionen. Eine genaue Definition der DEMPE-Funktionen selbst enthalten weder die OECD-Leitlinien, noch § 1 Abs. 3c AStG, noch die dazugehörigen Gesetzesmaterialien.10 Tz. 6.56 der OECD-Leitlinien 2017 beschreibt die DEMPE-Funktionen lediglich anhand von beispielhaften Aktivitäten. Auch die das DEMPE-Konzept anhand von Fallbeispielen konkretisierende Anlage zu Kap. VI der OECD-Leitlinien 2017 verweist jeweils nur allgemein auf die DEMPE-Funktionen, ohne diese inhaltlich mit Leben zu füllen. Im Re1 Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes, Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV v. 13.10.2014, BGBl. I 2014, 1603. 2 Vgl. hierzu Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG, Rz. 2933 ff. 3 Vgl. Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG, Rz. 2939. 4 Vgl. Roeder/Friedrich, BB 2015, 1055. 5 Vgl. Greinert/Overesch et al., Ubg 2020, 523 (526). 6 Vgl. Tz. 6.53 OECD-Leitlinien 2022; s. auch Greinert/Overesch et al., Ubg 2020, 523 (526). 7 Vgl. Tz. 6.53 i.V.m. Tz. 1.65 OECD-Leitlinien 2022. 8 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.2.5, Rz. 40, zu dem insoweit vergleichbaren Fall der Maßgeblichkeit von Personalfunktionen für die betriebsstättenbezogene Zuordnung von Vermögenswerten; hierzu auch Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG, Rz. 2952. 9 Vgl. Tz. 6.53 f. OECD-Leitlinien 2022. 10 Vgl. Greinert/Overesch et al., Ubg 2020, 523 (525).
Greinert/Leonhardt | 761
6.577
Kap. 6 Rz. 6.577 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
gelfall dürfte eine Abgrenzung der DEMPE-Funktionen untereinander allerdings verzichtbar sein; soll das Akronym doch denjenigen Ausschnitt aus dem Gesamtaktivitätsprofil eines Unternehmens beschreiben, der potenziell bedeutsam für die Wertschöpfung ist. Insoweit sollte je nach Einzelfall auch eine Erweiterung dieser Funktionen infrage kommen.1 Ohnehin bestehen erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den DEMPE-Funktionen selbst, da z.B. der Zeitpunkt, ab dem die „Entwicklung“ eines immateriellen Werts abgeschlossen ist und die weiteren F&E-Aktivitäten als der Verbesserungsfunktion zugehörig zu beurteilen sind, kaum zu bestimmen ist. Gleiches gilt hinsichtlich der Abgrenzung zwischen „Verbesserung“ und „Erhaltung“: Sofern man hier einen reinen Wertmaßstab zugrunde legt, kann man „Verbesserung“ als Werterhöhung und „Erhaltung“ als Vermeidung einer Wertverminderung verstehen. In Bezug auf die konkreten der Funktion zugrunde liegenden Aktivitäten besteht aber kein Unterschied, sodass ein wertbezogener Ansatz kaum zielführend ist. Insoweit können die DEMPE-Funktionen „Entwicklung“, „Verbesserung“ und „Erhaltung“ in vielen Fällen einheitlich betrachtet werden, da ihnen dieselben oder zumindest vergleichbare Aktivitäten zugrunde liegen. Beispielhafte Tätigkeiten können z.B. sein – Verantwortung für Definition und Durchführung von Blue-Sky-Forschungsprojekten, – Design, Steuerung und Überwachung der Entwicklung von immateriellen Werten einschließlich der Definition von Meilensteinen, – Entscheidungen über die Prioritätensetzung im F&E-Prozess, – Analyse von F&E-Ergebnissen, – Budgetverantwortung, – strategische Entscheidungen über z.B. Beginn, Abbruch, Fortsetzung oder Anpassung von F&E-Projekten, – operative Entwicklungstätigkeiten.2 Weniger Abgrenzungsschwierigkeiten bereitet der Bereich des „Schutzes“ von immateriellen Werten, da es hier im Wesentlichen um rechtliche Aktivitäten zur Verteidigung von Patenten, Marken etc. geht. Konkrete wertschöpfungsbezogene Aktivitäten können hier z.B. die Entscheidung über konkrete Patentierungen, die generelle Patentstrategie oder die Verteidigungsstrategie bei Patentverletzungen sein.3 Der Begriff der „Verwertung“ ist i.S. einer Entscheidung über die Verwertung zu verstehen. Grundsätzlich kann die Verwertung eines immateriellen Werts erfolgen, indem der immaterielle Wert im Rahmen der originären Geschäftstätigkeit des Unternehmens selbst genutzt, veräußert, anderen Konzerngesellschaften oder fremden Dritten zur Nutzung überlassen wird. Wertschöpfungsrelevant sind insoweit Aktivitäten wie etwa die Entscheidung über Lizenzierung oder Selbstnutzung, die Auswahl von Vertragspartnern einer Lizenzierung, Vorbereitung und Durchführung von Vertragsverhandlungen zum Verkauf bzw. zur Lizenzierung usw.
6.578
Übernahme von Risiken. Der in § 1 Abs. 3c Satz 4 AStG genannten weiteren Tatbestandsvoraussetzung der Risikoübernahme kommt eine hohe Bedeutung zu. Denn für die Übernahme von Risiken würde unter fremden Dritten stets eine höhere Rendite erwartet.4 Die Über1 2 3 4
Vgl. Grotherr, Ubg 2021, 618 (622). Vgl. Tz. 6.56 OECD-Leitlinien 2022; Stein/Schwarz/Holinski, DStR 2017, 118 (119). Vgl. Stein/Schwarz/Holinski, DStR 2017, 118 (119). Vgl. Tz. 1.56 OECD-Leitlinien 2022.
762 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.578 Kap. 6
nahme von Risiken ist hierbei nicht in einem rein zivilrechtlichen Sinne, d.h. im Hinblick auf die vertraglichen Rahmenbedingungen zu verstehen, sondern im Hinblick auf die risikobezogenen Wertschöpfungsbeiträge der verbundenen Unternehmen. Konkret bedeutet dies, dass zu analysieren ist, wer die finanziellen Kapazitäten zur Übernahme und die personellen Kapazitäten zur Kontrolle der mit den DEMPE-Funktionen verbundenen Risiken hat.1 Hierzu sind die Risiken zunächst transaktionsbezogen zu identifieren und zu kategorisieren, wobei zwischen internen und externen Risiken unterschieden werden kann.2 Bei externen Risiken, d.h. solchen Risiken, denen eine besondere Bedeutung im Zusammenhang mit den DEMPEFunktionen zukommt, die vom Unternehmen aber nicht beeinflusst werden können, kommt es insbesondere auf die Fähigkeit der Entscheidungsträger zur Risikoeinschätzung an. Interne Risiken sind dagegen solche, die durch unternehmerische Entscheidungen eingegangen werden, sodass es hier insbesondere auf die Fähigkeit zur Risikominimierung ankommt. Risiken von besonderer Bedeutung für immaterielle Werte sind häufig z.B. das Risiko von kostspieligen Fehlentwicklungen, das Risiko von Produktveralterungen oder Risiken im Hinblick auf Rechtsverletzungen.3 Finanzielle Kapazitäten zur Risikoübernahme ist im Sinne eines Zugangs zu Finanzmitteln zu verstehen, um die Kosten einer Risikominimierung sowie die Kosten zu tragen, die im Fall des Risikoeintritts anfallen.4 Insoweit sind alle Vermögenswerte und realistischerweise verfügbaren Handlungsoptionen des jeweiligen Unternehmens zur Beschaffung der erforderlichen Liquidität zu berücksichtigen. Im Rahmen der Risikoanalyse ist nach dem sog. Control-over-Risk-Ansatz (Rz. 6.566) zu prüfen, welche Personen und Abteilungen die Kontrolle und das aktive Management (Steuerung) des entsprechenden Risikos übernehmen.5 Dies hängt eng mit der Funktionsanalyse zusammen, denn es kommt auf die Qualifikation der Mitarbeiter und deren tatsächlichen Aktivitäten im Hinblick auf die Risikokontrolle/-steuerung an. Insoweit ist entscheidend, ob die mit der Risikokontrolle/-steuerung betrauten Mitarbeiter des jeweiligen Unternehmens, – über die Fähigkeit verfügen, Entscheidungen bezüglich der Annahme, Abgabe oder Ablehnung einer risikoträchtigen Geschäftschance zu treffen, und diese Entscheidungsfunktion auch ausüben, – über die Fähigkeit verfügen, zu entscheiden, ob und wie mit den mit der Geschäftschance verbundenen Risiken umgegangen wird, und diese Entscheidungsfunktion auch ausüben, – über die Fähigkeit verfügen, Maßnahmen zur Risikoverringerung/-minimierung zu treffen, und diese Funktion auch ausüben.6 Demgegenüber ist die formale Entscheidungsebene nicht von Relevanz; es kommt allein auf die materielle Fähigkeit der Risikoeinschätzung und der Fähigkeit an, daraus Entscheidungen abzuleiten.7
1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.53; Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 74; Tz. 6.32, 6.48 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Greinert/Overesch et al., Ubg 2020, 523 (527). 3 Vgl. Tz. 6.65 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 6.67 i.V.m. Tz. 1.64 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Greinert/Metzner, Ubg 2014, 307 (310). 6 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.6; Rz. 6.67 i.V.m. Tz. 1.61 OECD-Leitinlinien 2022. 7 Vgl. Greinert/Overesch et al., Ubg 2020, 523 (527).
Greinert/Leonhardt | 763
Kap. 6 Rz. 6.579 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.579
Eingesetzte Vermögenswerte. § 1 Abs. 3c Satz 4 AStG nennt ferner den Einsatz von Vermögenswerten als Tatbestandsvoraussetzung. Dies können grundsätzlich immaterielle und materielle Wirtschaftsgüter, Finanzierungsmittel usw. sein. Die VWG VP 2021 sowie die Gesetzesbegründung stellen einschränkend auf „werthaltige immaterielle Werte“ ab.1 Denkt man etwa an Submarken, die aus einer Dachmarke abgeleitet, oder Patente, die auf der Grundlage bereits bestehender Patente entwickelt wurden, kann den eingesetzten immateriellen Werten eine hohe Bedeutung für z.B. die Entwicklung eines immateriellen Werts (Submarke, neues Patent etc.) zukommen. Für materielle Wirtschaftsgüter ist dies demgegenüber im Regelfall nicht zu erwarten. Der reine Einsatz von Finanzierungsmitteln soll lediglich zu einer risikobereinigten Rendite berechtigen (s. hierzu auch Rz. 6.580).2
6.580
Keine Ertragsberechtigung durch bloße Ausübung der Finanzierungsfunktion. Ergänzend zu § 1 Abs. 3c Satz 4 AStG enthält Satz 5 schließlich eine Negativabgrenzung zur Finanzierung: „Die Finanzierung der Entwicklung oder Erschaffung, des Erhalts oder des Schutzes eines immateriellen Werts ist angemessen zu vergüten und berechtigt nicht zum Ertrag aus dem finanzierten immateriellen Wert.“ Zur Kritik an der Formulierung s. Rz. 6.581. Umgesetzt werden soll der Anspruch des OECD-Ansatzes, dass einer Gesellschaft, deren wirtschaftliche Wertschöpfungsbeiträge sich auf die reine Finanzierung eines immateriellen Werts beschränken, kein wesentlicher Gewinn zuzuordnen ist.3 Dies soll Strukturen verhindern, die durch die Ansiedlung einfacher IP-Gesellschaften in steuerlich günstigen Umgebungen geprägt sind. Dies bedeutet freilich nicht, dass der Einsatz von Finanzierungsmitteln unberücksichtigt bleibt; er ist aber i.d.R. als reine Finanzierungsfunktion zu beurteilen, sodass die bloße Beschaffung und Bereitstellung finanzieller Ressourcen lediglich zu einer risikobereinigten Rendite berechtigt,4 die in der Regel durch eine angemessene Kapitalverzinsung zu ermitteln sein dürfte.5
6.581
Kritik. Durch die Bezugnahme auf die DEMPE-Funktionen der OECD ist auch aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3c Sätze 3–5 AStG klar erkennbar, dass die Neuregelung das OECDKonzept in deutsches Steuerrecht überführen möchte. Gleichwohl scheint die konkrete Formulierung der Neuordnung wenig gelungen. Denn letztlich wird an keiner Stelle ausdrücklich festgehalten, dass der Ertrag i.S.d. Residualgewinns aus dem immateriellen Wert denjenigen verbundenen Unternehmen zuzuordnen ist, die die wesentlichen DEMPE-Funktionen ausüben. Allenfalls für den Fall eines auf die reine Finanzierung beschränkten Eigentümers/Inhabers ergibt sich dies indirekt aus der Anweisung, dass die Ausübung der (DEMPE-)Funktionen angemessen zu vergüten sei – für sich genommen ein Truismus – und die reine Finanzierung nicht „zum Ertrag“ berechtige. Im Hinblick auf die Formulierung des § 1 Abs. 3c Sätze 3–5 AStG ist auf Folgendes hinzuweisen: Satz 5 stellt die „angemessene Vergütung“ der Finanzierungsfunktion auf der einen Seite, der Vereinnahmung des „Ertrags“ auf der anderen Seite gegenüber. Dies wirft die Frage auf, ob im Rahmen der „angemessenen Vergütung“ der DEMPE-Funktionen in Satz 4 ebendieser „Ertrag“ berücksichtigt werden kann.6 Die Formulierung der Sätze 3–5 verfehlt mithin inso-
1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.53; Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 74. 2 Vgl. Tz. 6.61 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 6.59 ff. OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 6.61 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 15 des Anhangs zu Kapitel VI der OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Leonhardt, FR 2020, 297 (301).
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.582 Kap. 6
weit den Kern des DEMPE-Konzepts, als an keiner Stelle bestimmt wird, dass die angemessene Vergütung der maßgeblichen DEMPE-Funktionen aus dem „Ertrag“ selbst, d.h. letztlich dem Residualgewinn aus dem immateriellen Wert bestehen soll. Die Kernfrage, wem unter den beteiligten Unternehmen feste Routinevergütungen und wem schwankende Ertragsanteile zuzuweisen sind, bleibt im Rahmen der konkreten Formulierung des § 1 Abs. 3c Sätze 3–5 AStG ungeklärt. Unglücklich erscheint ferner auch die Verwendung des bilanzrechtlichen Begriffs „Ertrag“, da dieser allgemein nicht als Netto-, sondern als Bruttogröße definiert ist. Denn „verteilungsfähig“ ist letztlich nur das Residuum, nicht aber der gesamte Bruttoertrag. Die weitgehende Unbestimmtheit der deutsch-steuerlichen Umsetzung des DEMPE-Konzepts entspricht der wenig konkreten und maßgeblich über Beispiele erfolgenden Ausformulierung des DEMPE-Konzepts in den OECD-Leitlinien. Vor dem Hintergrund der bereits auf der Sachverhaltsebene erforderlichen Detailanalyse der tatsächlichen Verhältnisse im Hinblick auf Funktionen, Risiken und eingesetzte Wirtschaftsgüter mit Bezug auf die einzelnen immateriellen Werte ist zu erwarten, dass der Dokumentationsaufwand des Stpfl. sich erheblich erhöhen wird. Gleiches gilt für die Wahrscheinlichkeit einer Doppelbesteuerung: Zwar ist die Umsetzung eines international abgestimmten Grundkonzepts im Grundsatz zu begrüßen. Aufgrund der erheblichen Interpretationsspielräume des DEMPE-Konzepts und der unkonkreten deutsch-steuerlichen Umsetzung steigt aber die Wahrscheinlichkeit einer abweichenden Beurteilung durch die beteiligten Finanzverwaltungen sowie die diesbezüglichen Diskussionen in den jeweiligen Betriebsprüfungen erheblich an. Die Bedeutung zwischenstaatlicher Abstimmungsinstrumente wie Joint Audit (Rz. 9.45 ff.), Verständigungs-/Schiedsverfahren (Rz. 10.6 ff.) sowie APA (Rz. 10.108 ff.) nimmt damit weiter zu. Insoweit dürfte sich auch die Zielvorstellung einer weitgehenden Orientierung der zivilrechtlich im Konzern vereinbarten Verrechnungspreise an der steuerlich „richtigen“ Gewinnzuordnung zur Vermeidung von steuerlichen Korrekturen in vielen Fällen nicht mehr ohne Weiteres umsetzen lassen. Im Hinblick auf das deutsche verrechnungspreisbezogene Normengefüge ist zu erwarten, dass sich auch das Regel-Ausnahme-Verhältnis im Hinblick auf § 1 AStG als reiner Korrekturnorm weiter verschieben wird, sodass § 1 AStG ungeachtet seines zumindest im Grundsatz einseitigen Charakters (Rz. 6.575) faktisch mehr und mehr zu einer „Generalnorm“ wird. c) Einzelschritte der DEMPE-Analyse Einzelschritte zur Durchführung der DEMPE-Analyse. Konkrete Hinweise zur Durchführung der DEMPE-Analyse enthalten weder § 1 Abs. 3c AStG noch die VWG VP 2021. Die OECD-Leitlinien sehen zur wertschöpfungsorientierten Einkünftezuordnung einen mehrstufigen Analyserahmen vor (Rz. 6.567), der auch die DEMPE-Analyse im engeren Sinne umfasst. Hieraus ergeben sich folgende mögliche Analyseschritte:1 1. Identifizierung der zu untersuchenden immateriellen Werte (s. Rz. 6.583); 2. Analyse der konzerninternen Verträge einschließlich der Untersuchung der vertraglichen Funktions- und Risikozuordnung sowie der vertraglich vorgesehenen Vergütungsansätze; 3. Einordnung und Charakterisierung des immateriellen Werts in der Wertschöpfungskette und Bestimmung der mit dem immateriellen Wert verbundenen Risiken und Wettbewerbsvorteile (s. Rz. 6.583); 1 Vgl. Greinert/Overesch et al., Ubg 2020, 523 (526).
Greinert/Leonhardt | 765
6.582
Kap. 6 Rz. 6.582 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
4. Identifizierung der wesentlichen DEMPE-Funktionen, die bezogen auf den jeweiligen immateriellen Wert in der Wertschöpfungskette ausgeübt werden; 5. Bewertung und Gewichtung der DEMPE-Funktionen zueinander (s. Rz. 6.584); 6. Zuordnung der DEMPE-Funktionen zu den beteiligten Konzerngesellschaften (s. Rz. 6.585); 7. Prüfung ob und inwieweit das tatsächliche Verhalten mit der vertraglichen Rahmenstruktur in Übereinstimmung steht; 8. Abgleich der vertraglich vereinbarten Vergütungsstruktur mit den Ergebnissen der DEMPE-Analyse.
6.583
Identifikation und Einordnung der immateriellen Werte in die Wertschöpfungskette. Die für die Wertschöpfung des Unternehmens relevanten immateriellen Werte des Unternehmens müssen zunächst identifiziert und im Hinblick auf ihre relative Bedeutung für die Wertschöpfung eingeordnet werden. Da regelmäßig eine Vielzahl von immateriellen Werten im Wertschöpfungsprozess eingesetzt wird und sich die Wirkung der einzelnen immateriellen Werte zudem gegenseitig bedingt, kann dies erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Eine Strukturierung des Vorgehens kann hier z.B. anhand von mehrdimensionalen Scoring-Modellen erfolgen.1
6.584
Bewertung und Gewichtung der DEMPE-Funktionen. Die mit den fünf DEMPE-Bereichen zusammenhängenden Personalfunktionen sind in einem nächsten Schritt zu bewerten und zueinander ins Verhältnis zu setzen. Die Gesetzesbegründung und die VWG VP 2021 stellen hier auf den Begriff der „maßgeblichen Personalfunktionen“ ab,2 sodass insoweit analog auf die Definition der BsGaV sowie der VWG BsGa aus dem Kontext des verwandten Bereichs der betriebsstättenbezogenen Gewinnaufteilung/-zuordnung zurückgegriffen werden kann: Demnach sind Personalfunktionen dann nicht maßgeblich, wenn sie – bezogen auf den Betrachtungsgegenstand – – lediglich unterstützenden Charakter haben, – ausschließlich die allgemeine Geschäftspolitik des Unternehmens betreffen oder – lediglich formal durch eine Person ausgeübt werden.3 Die Bedeutung der DEMPE-Funktionen zueinander i.S. eines relativen Werts hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und ist auf der Grundlage der Wichtigkeit der jeweiligen Funktion für die Wertschöpfung des Unternehmens zu ermitteln.4 Insbesondere ist auch nicht ausgeschlossen, dass einzelne DEMPE-bezogene Personalfunktionen als Routinefunktionen einzuordnen sind und mithin keine über eine geringe (Routine-)Vergütung hinausgehende Berechtigung an den aus einem immateriellen Wert resultierenden Erträgen vermitteln können.5 In vielen Fällen wird z.B. die Schutzfunktion Routinecharakter haben, wenn sie sich etwa auf die reine 1 Vgl. z.B Stein/Schwarz, DB 2021, 1292 (1294); Schwarz/Stein, Quantitative Verrechnungspreise, 2018, 112. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.53; Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 74. 3 § 2 Abs. 5 Satz 2 BsGaV; VWG BsGa, Tz. 2.2.5, Rz. 40; vgl. auch Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG, Rz. 2952. 4 Vgl. Tz. 6.55 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Greinert/Overesch et al., Ubg 2020, 523 (527).
766 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.585 Kap. 6
Eintragung und Verlängerung von Schutzrechten beschränkt.1 Zur konkreten Bewertung und Gewichtung der DEMPE-Funktionen in Bezug auf den jeweiligen immateriellen Wert kann das allgemeine betriebswirtschaftliche Instrumentarium wie etwa die Nutzwertanalyse2 herangezogen werden. Zuordnung der DEMPE-Funktionen. Nach der Identifikation der wesentlichen DEMPEFunktionen müssen diese im nächsten Schritt den einzelnen Konzerneinheiten zugeordnet werden. In der Praxis kommt der entsprechenden Dokumentation eine erhebliche Bedeutung zu. Denn ggf. muss die tatsächliche Verteilung der entsprechenden Aktivitäten und Verantwortlichkeiten über die einzelnen Konzerneinheiten erst Jahre später nachgewiesen werden, wenn sie in dieser Form bereits nicht mehr bestehen. Über die aus organisations- und stellenbezogenen Dokumenten (z.B. Stellenbeschreibungen) abgeleiteten Informationen hinaus sollte hier idealerweise auch die Übereinstimmung mit den tatsächlichen Verhältnissen dokumentiert werden (etwa anhand von Sitzungsprotokollen und aufgabenbezogener Kommunikation), weil es insoweit stets auf die tatsächliche Funktionsausübung ankommt. Je nach Art der Organisationsstruktur des Konzerns kann die Zuordnung der DEMPE-Funktionen zu den Konzerneinheiten erhebliche Schwierigkeiten bereiten, wenn mehrere Organisationseinheiten in die wertschöpfenden Tätigkeiten in Bezug auf die immateriellen Werte eingebunden sind, wie dies z.B. häufig bei mehrdimensionalen Organisationsstrukturen der Fall ist. Hier bietet sich eine weitere Granularisierung der DEMPE-Funktionen an. Z.B. eignet sich hierzu die Zerlegung der DEMPE-Funktion in Einzelprozesse und Gewichtung in Bezug auf ihren Beitrag zur Gesamtfunktion. Ein Prozess besteht aus einer Gesamtheit logisch verknüpfter Einzelaktivitäten mit einem Anfang, einem Ende und definierten Inputs und Outputs. Im Bereich von Forschungs- und Entwicklungsprojekten kommt häufig das sog. Stage-Gate-Modell zur Anwendung.3 Eine Prozessanalyse erfolgt in der Regel mehrstufig, d.h. die identifizierten Prozesse werden in mehreren Schritten jeweils in weitere Subprozesse untergliedert, bis ein hinreichender Granuliaritätsgrad erreicht ist. Die Einzelprozesse können dann in einem zweiten Schritt den beteiligten Konzerneinheiten zugeordnet werden, wobei in der Praxis häufig auf im Unternehmen bereits vorliegende Konzepte zur Zuordnung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten zurückgegriffen werden kann. Dies ist z.B. die sog. RACI-Analyse,4 die die unterschiedlichen Formen der Prozessbeteiligung über die Bereiche „Responsible“, „Accountable“, „Consulted“ und „Informed“ erfasst. Die Responsible-Rolle verweist dabei auf die operative Durchführungsverantwortung ohne eigene wesentliche Entscheidungsbefugnis. Der Accountable-Rolle kommt die Entscheidung über die wesentlichen Aspekte des jeweiligen Prozesses zu, sie verantwortet das entsprechende Budget und managt daher auch die mit dem Prozess verbundenen Risiken. Die beiden weiteren Rollen verweisen auf eine Beteiligung von Konzerngesellschaften im Sinne eines zweiseitigen („Consulted“) bzw. einseitigen („Informed“) Informations- und Wissensaustauschs. Durch Gewichtung der Rollen und Multiplikation des Rollen- mit dem Prozessgewicht lassen sich dann die von den beteiligten Konzerngesellschaften geleisteten Wertschöpfungsbeiträge ableiten. Regelmäßig wird man hierbei der Accountable-Rolle das mit Abstand größte Gewicht zumessen.5
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Vgl. Rasch/Richter/Keppeler, ISR 2021, 75 (76); Grotherr, Ubg 2021, 618 (621). Vgl. hierzu Stein/Schwarz/Holinski, DStR 2017, 118 (124). Hierzu Stein/Schwarz/Burger, IStR 2020, 83 (87 f.). Stein/Schwarz/Holinski, DStR 2017, 122; Stein/Schwarz/Burger, IStR 2020, 83 (88). Für eine 100 %-Gewichtung und damit alleinige Berücksichtigung der Accountable-Rolle plädierend: Greinert/Overesch et al., Ubg 2020, 523 (529); a.A. Stein/Schwarz/Holinski, DStR 2017, 125.
Greinert/Leonhardt | 767
6.585
Kap. 6 Rz. 6.586 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.586
Ertragszuordnung. Die Ergebnisse der DEMPE-Analyse geben einen Hinweis auf die unter Wertschöpfungsgesichtspunkten angemessene Verteilung des mit einem immateriellen Wert verbundenen Ertragspotentials. Ferner lässt sich auf der Grundlage der DEMPE-Analyse bestimmen, wer unter den beteiligten verbundenen Unternehmen Routinefunktionen ausübt und wer – bezogen auf den jeweilien immateriellen Wert – die wesentlichen NichtroutineDEMPE-Funktionen ausübt. Eine Aussage über die anzuwendende Verrechnungspreismethode ist damit nur mittelbar verbunden, denn das DEMPE-Konzept selbst verweist auf keine bestimmte Verrechnungspreismethode.1 Allerdings kann wie folgt differenziert werden: – Konzerngesellschaften, die lediglich Routinefunktionen ausüben, haben nur Anspruch auf eine vergleichsweise geringe, aber konstante Routinevergütung (s. Rz. 5.77 ff.). Insoweit kommt hier weiterhin das übliche Instrumentarium, d.h. insbesondere die Kostenaufschlagsmethode (s. Rz. 5.39 ff.) sowie die transaktionsbezogene Nettomargenmethode (s. Rz. 5.92 ff.) zur Anwendung. Ggf. können aus dem Ergebnis der DEMPE-Analyse Rückschlüsse auf eine mittelfristig angemessene Höhe der Routinevergütung gezogen werden. – Den Konzerngesellschaften, die die wesentlichen Nichtroutinefunktionen ausüben, steht im Grundsatz das Residualergebnis aus der Verwertung des immateriellen Werts zu. Sofern dies mehrere Gesellschaften sind, kann die Anwendung der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (s. Rz. 5.123 ff.) in Frage kommen.2
6.587
Weiterleitung von Erträgen durch den wirtschaftlichen Eigentümer. Das DEMPE-Konzept sieht im Grundsatz ein zweistufiges Verfahren vor, bei dem der auf der Grundlage des zivilrechtlichen/wirtschaftlichen Eigentums vereinnahmte Ertrag ggf. in einem zweiten Schritt DEMPE-konform weitergeleitet bzw. verteilt wird. Denkbar sind hierbei – unter vielen anderen – z.B. die folgenden Konstellationen: – Der zivilrechtliche Eigentümer eines immateriellen Werts vereinnahmt hieraus Lizenzerlöse. Soweit die auf diesen Wert bezogenen DEMPE-Funktionen/-Risiken etc. von einem anderen verbundenen Unternehmen ausgeübt worden sind, wären die vereinnahmten Lizenzgebühren an dieses weiterzuleiten. – Der zivilrechtliche Eigentümer eines immateriellen Werts nutzt diesen für seine eigene Geschäftstätigkeit. Im Fall eines abweichenden funktionalen Eigentümers wäre dann ein entsprechender Gewinnanteil an diesen weiterzuleiten. Dies ähnelt insoweit zwar einer Lizenzgebühr, unterscheidet sich von dieser aber wesentlich, weil es am zivilrechtlichen Eigentum des „Gebühren-Empfängers“ bzw. einem davon unmittelbar abgeleiteten Recht fehlt.3 – Ein immaterieller Wert wird durch das Unternehmen genutzt, das auch die entsprechenden DEMPE-Funktionen ausgeübt hat, während das zivilrechtliche Eigentum bei einer anderen Person (z.B. einem zentralen IP-Hub der Gruppe) liegt. Eine zwischen dem zivilrechtlichen Eigentümer und dem nutzenden Unternehmer vereinbarte Lizenzgebühr wäre dann im zweiten Schritt durch eine entsprechende umgekehrte Ergebniszuordnung zu korrigieren oder von vorneherein durch eine geringere Lizenzgebühr zu berücksichtigen.4
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Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 74. Vgl. Greinert/Overesch et al., Ubg 2020, 523 (529); Grotherr, Ubg 2021, 618 (621). Vgl. hierzu Jochimsen, IStR 2018, 670 (673 f.). Vgl. Stein/Schwarz/Burger, IStR 2020, 83 (87).
768 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.588 Kap. 6
Insoweit fügt sich das DEMPE-Konzept grundsätzlich in die Vertragsstruktur der beteiligten Konzernunternehmen ein, als lediglich Vergütungen der Höhe nach nun im Wesentlichen hinsichtlich ihrer Bedeutung für den jeweiligen immateriellen Wert zu beurteilen sind, während es bisher allein auf die im Einzelnen ausgeübten Tätigkeiten ankam. Wie die ggf. erforderliche Weiterleitung bzw. die DEMPE-konforme „Korrektur“ konkret zu erfolgen hat, ist unklar. Verbunden ist dies mit der Frage, wie sich das DEMPE-Konzept im Übrigen in § 1 AStG einfügt (s. hierzu auch Rz. 6.575). Denn eine Korrektur nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG erfordert grundsätzlich das Vorliegen einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG. Sofern es an einer solchen Geschäftsbeziehung zwischen funktionalem und wirtschaftlichem Eigentümer fehlt, ist für eine Korrektur kein Raum. Das DEMPE-Konzept stellt ausschließlich auf die Verteilung des Gesamtertrags aus dem immateriellen Wert ab, ohne dass ein Bezug zu einer konkreten Geschäftsbeziehung zwischen dem funktionalen und dem zivilrechtlichen/wirtschaftlichen Eigentümer besteht. In der Regel dürfte zwar eine Geschäftsbeziehung bestehen (z.B. Dienstleistungsbeziehung), die insoweit als „Vehikel“ einer zutreffenden Gewinnallokation zu nutzen ist; zwingend ist dies aber nicht. Deutlich wird dies z.B., wenn man sich den Fall vor Augen führt, dass ein verbundenes Unternehmen – ohne wirtschaftlicher Eigentümer eines immateriellen Werts zu sein – wesentlich zu dessen Entwicklung beigetragen hat und daher nach dem DEMPE-Konzept (anteiligen) Anspruch auf die laufenden Erträge sowie den Veräußerungsertrag hat. Wenn Jahre später der immaterielle Wert durch den wirtschaftlichen Eigentümer veräußert wird, stellt sich die Frage, ob überhaupt eine Geschäftsbeziehung zum funktionalen Eigentümer besteht, an die die Weiterleitung des Veräußerungserlöses geknüpft werden kann. Ob hierfür die ggf. viele Jahre zurückliegende Geschäftsbeziehung im Zusammenhang mit der Entwicklung des immateriellen Werts (in der Regel Dienstleistung) genügen kann (etwa in analoger Anwendung des § 24 Nr. 2 EStG), ist u.E. zweifelhaft. Ausgeschlossen sein dürfte indes die generelle Fingierung einer Geschäftsbeziehung, weil § 1 Abs. 4 AStG hierfür keinen Raum lässt.1 d) Auswirkungen von Veränderungen bei der Ausübung der DEMPE-Funktionen DEMPE-bezogene Implikationen organisatorischer Veränderungen. In der Praxis sind häufig organisatorische Veränderungen in Bezug auf immaterielle Werte zu beobachten, ohne dass sich das zivilrechtliche Eigentum an diesen immateriellen Werten ändern muss. Dies kann z.B. die Implementierung einer konzerneinheitlichen Leitungsfunktion sein, die die Entwicklung von lokal eingetragenen und gehaltenen Marken steuert, oder die Zusammenlegung von mehreren Patentabteilungen der Gruppe zu einer einheitlichen Abteilung, die die weltweite Entwicklung und den weltweiten Schutz der Konzernpatente bestimmt. Hier stellt sich die Frage, welche konkreten steuerlichen Folgen im Hinblick auf die Gewinnzuordnung nach dem DEMPE-Konzept mit rein organisatorischen Veränderungen verbunden sind und wie die in der Vergangenheit ausgeübten DEMPE-Funktionen (z.B. Entwicklung eines Werts) ab dem Zeitpunkt der Neuordnung in der Gewinnaufteilung zu berücksichtigen sind. Fraglich ist insbesondere, ob es im Zeitpunkt der organisatorischen Veränderung aufgrund eines etwaigen Übergangs von Gewinnpotentialen zu einem einmaligen Realisierungsvorgang im Hinblick auf bestehende stille Reserven – etwa nach einem Funktionsverlagerungsgedanken – kommen kann oder ob vielmehr ein laufender anteiliger Gewinnanspruch der die DEMPE-Funktion bisher ausübenden Konzerngesellschaft fortbesteht.
1 Vgl. Leonhardt, FR 2020, 297 (302); Grotherr, Ubg 2021, 618 (630).
Greinert/Leonhardt | 769
6.588
Kap. 6 Rz. 6.588 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch Beispiel: Die französische A-SA ist Muttergesellschaft des internationalen A-Konzerns und zivilrechtliche Eigentümerin sämtlicher Patente des Konzerns, die sie überwiegend im Rahmen ihrer eigenen Forschungs- und Entwicklungsfunktion entwickelt hat. Die Patente werden den Produktionsgesellschaften des A-Konzerns sowie fremden Dritten im Lizenzwege zur Nutzung überlassen. Die A-SA beschäftigt mehrere Mitarbeiter, die sowohl den Schutz der Patente als auch lizenzierungsbezogene Aufgaben übernehmen. Im Jahr 1 erwirbt der A-Konzern die deutsche B-GmbH, einen Wettbewerber. Die B-GmbH verfügt ebenfalls über Patente, die sie in ihrer eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung entwickelt hat und die sie den Produktionsgesellschaften des A-Konzerns auf Lizenzbasis zur Nutzung überlässt. Im Jahr 3 reorganisiert der A-Konzern die Patentverwaltung. Der Schutz sämtlicher Patente der Gruppe einschließlich der Patente der B-GmbH wird nun durch die Mitarbeiter der A-SA übernommen, die künftig auch sämtliche Entscheidungen im Hinblick auf die Lizenzierung innerhalb des Konzerns treffen und zudem erstmals auch Lizenzverträge mit fremden Dritten hinsichtlich der Patente der BGmbH aushandeln, die zivilrechtlich von der B-GmbH als Patenteigentümer abgeschlossen werden. Das zivilrechtliche Eigentum an den Patenten sowie die nicht-exklusiven Lizenzverträge mit den Gruppengesellschaften bleiben unverändert. Geht man davon aus, dass die B-GmbH ab einem bestimmten Zeitpunkt keine eigenen DEMPEFunktionen im Hinblick auf ihre Patente mehr ausübt, sondern diese nun vollständig bei der A-SA liegen, stellt sich die Frage, ob unter DEMPE-Gesichtspunkten eine „Übertragung“ der Patente auf die A-SA mit der Folge einer Einmalrealisierung vorzunehmen ist oder ob die B-GmbH auch in künftigen Jahren anteilig an den Erträgen aus den Patenten partizipiert.
6.589
Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums. Das wirtschaftliche Eigentum an einem Wirtschaftsgut ist in den meisten Fällen einem einzigen Rechtsträger zuzuordnen.1 Insoweit stellt sich die Frage, ob organisatorische Veränderungen im Konzern aufgrund des DEMPE-Konzepts eine Übertragung bzw. ein „Überspringen“ des wirtschaftlichen Eigentums an einem immateriellen Wert zur Folge haben können. Zur Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums ist gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO festzustellen, ob eine vom zivilrechtlichen Eigentümer abweichende Person aufgrund einer gesicherten Rechtsposition in der Lage ist, den zivilrechtlichen Eigentümer wirtschaftlich auszuschließen, sodass sie faktisch die mit einer Wertsteigerung bzw. einem Wertverlust verbundenen Chancen und Risiken trägt (Rz. 6.598 f.).2 Das wirtschaftliche Eigentum ist nicht deckungsgleich mit dem „funktionalen“ Eigentum i.S.d. DEMPE-Konzepts, denn die beiden Zuordnungsmaßstäbe setzen schon auf unterschiedlichen Ebenen an, weil das wirtschaftliche Eigentum in erster Linie den Ausweis in der (steuer-)bilanziellen Abbildung betrifft,3 während sich die Zuordnung des funktionalen Eigentums nach dem DEMPE-Konzept auf die reine Gewinnebene beschränkt.4 Insbesondere unterscheidet sich aber das bestimmende Element: Während es für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums allein auf die zivilrechtlichen Positionen der beteiligten Personen ankommt, erfolgt die Zuordnung des funktionalen Eigentums insbesondere tätigkeitsbezogen, d.h. es ist zentral auf die jeweils handelnden Personen abzustellen (im Einzelnen Rz. 6.602). Das schließt nicht aus, dass wirtschaftliches und funktionales Eigentum bei einer Person zusammenfallen können; in vielen Fällen dürfte dies sogar der Fall sein. Abweichungen sind insbesondere dann zu erwarten, wenn im Konzern z.B. 1 Ausnahmen können sich z.B. im Fall von (zivilrechtlichem) Bruchteilseigentum ergeben. 2 Vgl. z.B. BFH v. 28.4.1977 – IV R 163/75, BStBl. II 1977, 553; BFH v. 7.11.1991 – IV R 43/90, BStBl. II 1992, 398. 3 Vgl. § 246 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. HGB. 4 Vgl. hierzu auch Leonhardt, FR 2020, 297 (300 f.).
770 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.590 Kap. 6
Zentralabteilungen bestehen, die Aufgaben in Bezug auf immaterielle Werte im Rahmen von Dienstleistungen an die jeweiligen zivilrechtlichen Eigentümer übernehmen (z.B. Steuerung der weltweiten Patententwicklung, Markenverwaltung/-schutz). Das wirtschaftliche Eigentum an einem immateriellen Wert wird ausschließlich nach den o.g. deutsch-steuerlichen, von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen bestimmt, d.h. danach, wem die mit dem immateriellen Wert verbundenen Chancen und Risiken jeweils zuzuordnen sind (Rz. 6.598, 6.602). Soweit sich durch organisatorische Veränderungen im Konzern daher Änderungen im Hinblick auf das funktionale Eigentum ergeben, hat dies auch dann keine Auswirkungen auf die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums, wenn z.B. steuerliche Korrekturen nach § 1 AStG erfolgen. Denn der funktionale Eigentümer kann den rechtlichen Eigentümer in zivilrechtlicher Hinsicht nicht dergestalt von seiner Rechtsposition verdrängen, dass dieser wirtschaftlich ausgeschlossen wird.1 Anderes kann aber dann gelten, wenn eine DEMPE-konforme Gewinnzuordnung als die steuerlich „richtige“ Gewinnverteilung zivilrechtlich durch entsprechende Verträge zwischen den verbundenen Unternehmen umgesetzt wird, d.h. die entsprechenden organisatorischen Änderungen im Konzernverbund vertragstechnisch nachvollzogen werden. Denn Chancen und Risiken in Bezug auf Wertveränderungen können dann bei einem anderen als dem zivilrechtlichen Eigentümer liegen.2 Freilich ist auch hier erforderlich, dass der rechtliche Eigentümer von der Einwirkung auf den immateriellen Wert faktisch ausgeschlossen ist.3 Fortsetzung des Beispiels aus Rz. 6.588: Das wirtschaftliche Eigentum an den Patenten der B-GmbH bleibt ungeachtet der ab Jahr 3 von der A-SA ausgeübten DEMPE-Funktionen bei der B-GmbH. Denn deren zivilrechtliche Position (insbesondere auch im Hinblick auf ihre Eigenschaft als Lizenzgeberin) bleibt weitgehend unverändert. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die neue Funktionsverteilung auch vertragstechnisch im Rahmen eines z.B. Lizenzvertrags abgebildet würde und die A-SA im Lizenzwege gegen eine feste Lizenzgebühr ein sehr langfristiges und exklusives Recht der Nutzung und Unterlizenzierung erhalten und sämtliche Lizenzverträge mit Gruppengesellschaften und fremden Dritten ihrerseits als (Unter-)Lizenzgeberin abschließen würde. Insoweit müsste die B-GmbH aber dann faktisch von der Partizipation an Chancen und Risiken ausgeschlossen sein.
Zuordnung des funktionalen Eigentums. Hinsichtlich der Folgen einer Veränderung der konkreten Funktionsausübung auf die Zuordnung des funktionalen Eigentums bleibt das OECD-Konzept unklar. Zwar soll eine zivilrechtliche Übertragung zumindest dann auch hinsichtlich des funktionalen Eigentums nachvollzogen werden, wenn die DEMPE-Funktionen nach der Übertragung durch den Erwerber ausgeübt werden.4 Insoweit wäre dann auch unter DEMPE-Gesichtspunkten ein entsprechender Einmalgewinn aus der Aufdeckung stiller Reserven zu berücksichtigen. Ob dies auch isoliert gilt, wenn das zivilrechtliche/wirtschaftliche Eigentum unverändert bleibt, und sich lediglich die Zuordnung der DEMPE-Funktionen ändert, ist zweifelhaft. Notwendig im Sinne des DEMPE-Konzepts ist es jedenfalls nicht, denn der DEMPE-Ansatz regelt ausschließlich den (anteiligen) Gewinnanspruch der beteiligten Konzernunternehmen. Die Teilbarkeit des Gewinnanspruchs ist hierbei bereits im Konzept 1 Vgl. Puls/Heravi, IStR 2018, 721 (725). 2 Dem Kriterium der Sachherrschaft i.S.v. § 854 BGB kommt demgegenüber im Bereich von immateriellen Werten mangels Körperlichkeit kaum eine Bedeutung zu. Wohl a.A. Stein/Schwarz/Burger, IStR 2020, 87. 3 Vgl. Jochimsen, IStR 2018, 670 (673). 4 Vgl. Tz. 20 ff. (Beispiel 4) des Anhang I zu Kapitel VI der OECD-Leitlinien 2022.
Greinert/Leonhardt | 771
6.590
Kap. 6 Rz. 6.590 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
angelegt, sodass die Ausübung von DEMPE-Funktionen durch andere Konzerngesellschaften lediglich deren relatives Gewicht im Rahmen der „Gewinnverteilung“ steigen lassen sollte. Darüber hinaus ist es bereits fraglich, ob der DEMPE-konforme Gewinnanspruch einem wie auch immer gearteten isolierten Übertragungsvorgang überhaupt zugänglich ist, d.h. übertragen werden kann, denn es handelt sich gerade nicht um eine zivilrechtliche Position, sondern um einen rein unter Fremdüblichkeitsgesichtspunkten bestimmten theoretischen Gewinnanspruch.1 Dies wird auch deutlich, wenn man die Konsequenzen eines solchen isolierten Übertragungsvorgangs bedenkt: Denn es müssten – nur bezogen auf die DEMPE-konforme Gewinnzuordnung – Anschaffungskosten und damit auch Abschreibungen angenommen werden, die dem Konzept jedoch fremd sind. Ferner sprechen auch Überlegungen im Hinblick auf die zeitliche Verteilung der Gewinne der Gesamtperiode gegen eine solche Entkopplung des funktionalen vom zivilrechtlichen/ wirtschaftlichen Eigentum: Bei einem nur im Rahmen des funktionalen Eigentums berücksichtigten Übertragungsvorgang wäre der übertragenden Einheit in der Regel ein Gewinn aus der Aufdeckung stiller Reserven zuzuordnen, der deutlich über dem laufenden Gesamtgewinn des jeweiligen Wirtschaftsjahrs liegt. Insoweit wären also hier Gewinne bereits im Übertragungszeitpunkt zu verteilen/zuzuordnen, die tatsächlich erst deutlich später anfallen. Dies geht deutlich über die Grundkonzeption des DEMPE-Konzepts der OECD hinaus und spricht daher ebenfalls gegen eine auf den Rahmen der DEMPE-Betrachtung beschränkte Aufdeckung stiller Reserven. Insoweit sollte es folglich durch organisatorische Veränderungen hinsichtlich der DEMPEFunktionen in der Regel nur zu einer schrittweisen Veränderung der Zuordnung, nicht aber zu sprunghaften Änderungen kommen. Mit anderen Worten wird also durch organisatorische Veränderungen im Konzern kein Gewinnanspruch übertragen, sondern der Gewinnanspruch der bisherigen Inhaber „verwässert“ lediglich im Zeitablauf dadurch, dass aufgrund der veränderten Funktionsausübung neue Ansprüche neben die bisherigen treten. Fortsetzung des Beispiels aus Rz. 6.589: Auch wenn man davon ausgeht, dass die B-GmbH keine eigenen DEMPE-Funktionen in Bezug auf die Patente mehr ausübt, wäre ihr vor dem Hintergrund der in der Vergangenheit ausgeübten DEMPE-Funktionen (insbesondere Entwicklung der Patente) gleichwohl unter DEMPE-Gesichtspunkten auch weiterhin ein (im Zeitablauf abnehmender) anteiliger Gewinnanspruch zuzuordnen.
6.591
Funktionsverlagerung. Schließlich stellt sich die Frage, ob organisatorische Veränderungen im Konzern vor dem Hintergrund des DEMPE-Konzepts zu Funktionsverlagerungen führen können. Denn wird z.B. eine neue Teilfunktion in Bezug auf DEMPE-Funktionen geschaffen, ist dieser unter DEMPE-Gesichtspunkten ein Teil des Gewinns aus dem immateriellen Wert zuzuordnen, was zumindest als Gewinnverlagerung eingeordnet werden könnte. Eine reine Verlagerung von Gewinnpotential ist jedoch nicht geeignet, eine Funktionsverlagerung zu begründen.2 Denn eine Funktionsverlagerung erfordert das Vorliegen der im Einzelnen in § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG statuierten Tatbestandsvoraussetzungen, mithin eine Übertragung „eine [r] Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken sowie der mitübertragenen oder mitüberlassenen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile“ (vgl. Rz. 7.1 ff.). Im Fall der Schaffung einer neuen Funktion fehlt es insoweit bereits an einer Übertragung. Aber auch bei z.B. der Zusammenfassung von bisher dezentral ausgeübten Teilaktivitäten in einer (neuen) 1 Insoweit bleiben die OECD-Leitlinien unklar. 2 Vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch internationale Verrechnungspreise, Band I, § 1 FVerlV, Rz. 47.
772 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.592 Kap. 6
Zentraleinheit kommt es zentral darauf an, ob hinsichtlich der jeweils einzelnen Teilaktivität das erforderliche Maß an Konkretisierbarkeit und Abgrenzbarkeit zu anderen Teilbereichen des abgebenden Unternehmens gegeben ist und im Übrigen auch die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung vorliegen. Dies unterscheidet sich insoweit nicht von der bisherigen Rechtslage. Reflexwirkungen könnten allenfalls im Hinblick auf § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV auftreten. Diese Ausnahmeregelung suspendiert die Rechtsfolge der Funktionsverlagerungsbesteuerung (Transferpaketbewertung) für Outsourcing-Fälle, in denen die verlagerte Funktion nach der Kostenaufschlagsmethode zu vergüten ist (vgl. Rz. 7.14). Soweit im Rahmen des Outsourcings einer DEMPE-Funktion dem Dienstleister allein aufgrund des DEMPE-Ansatzes mehr als eine Routinevergütung zuzuordnen ist, könnte dies ggf. zu einer abweichenden Beurteilung der Escape-Regelung führen. Fortsetzung des Beispiels aus Rz. 6.590: Ob eine Funktionsverlagerung von der B-GmbH auf die A-SA in Bezug auf die von der A-SA ausgeübten patentbezogenen Tätigkeiten vorliegt, entscheidet sich insbesondere danach, ob die im Einzelnen übertragenen Aktivitäten die Mindestanforderungen an eine Funktion1 erfüllen und ob die entsprechenden Tätigkeiten bei der B-GmbH eingeschränkt werden. Im Hinblick auf die Verhandlung von Lizenzverträgen mit fremden Dritten ist dies schon deshalb ausgeschlossen, weil entsprechende Tätigkeiten zuvor bei der B-GmbH nicht existierten. Im Hinblick auf die Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Schutz der Patente und der Lizenzierung an Gruppengesellschaften ist dies zumindest zweifelhaft. Zur Escape-Regelung des § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG s.o.
Insoweit ist daher festzuhalten, dass das DEMPE-Konzept keinen wesentlichen Einfluss auf die Begründung von Funktionsverlagerungen haben sollte.2 Sofern eine Funktionsverlagerung dem Grunde nach bejaht wird, kann deren Bewertung aber durch das DEMPE-Konzept beeinflusst werden, denn die für den Funktionswert bestimmenden Gewinnpotentiale ergeben sich letztlich auch auf der Grundlage des DEMPE-Modells. Folgen der Einführung des DEMPE-Konzepts. Die sich im Hinblick auf Veränderungen bei der Ausübung der DEMPE-Funktionen stellenden Fragen sind grundsätzlich auch für den Zeitpunkt der erstmaligen deutsch-steuerlichen Geltung des DEMPE-Konzepts relevant. Denn mit der erstmaligen Geltung des Konzepts können ggf. umfangreiche Änderungen in der steuerlichen Gewinnzuordnung der beteiligten Konzernunternehmen verbunden sein (s. auch Rz. 6.594), sodass sich auch hier die Frage stellt, ob es ggf. zu einem einmaligen Gewinnrealisierungsvorgang aufgrund einer Veränderung des künftigen Gewinnanspruchs kommt. Dass insoweit keine Sachverhaltsänderungen vorliegt, d.h. keine aktive Handlung des Steuerpflichtigen erfolgt, dürfte für sich genommen nicht ausreichen, um eine Aufdeckung stiller Reserven auszuschließen.3 Allerdings gelten die vorstehenden Überlegungen (Rz. 6.589 ff.) auch für etwaige Veränderungen der Gewinnberechtigung aufgrund der Einführung des DEMPE-Konzepts: Diese hat auch dann keine Änderung des wirtschaftlichen Eigentums an den immateriellen Werten zur Folge, wenn sich der DEMPE-konforme Gewinnanspruch der beteiligten Konzerngesellschaften 1 § 1 Abs. 1 FVerlV. 2 Vgl. Leonhardt, IStR 2021, 623 (633); a.A. wohl Grotherr, Ubg 2021, 618 (626). 3 Vgl. zur Haltung der Finanzverwaltung zu der insoweit vergleichbaren sog. passiven Entstrickung bei DBA-Änderungen BMF v. 26.10.2018 – IV B 5 - S 1348/07/10002-01, BStBl. I 2018, 1104. Im Beschluss v. 24.11.2021 hat der BFH diese Frage im Hinblick auf Betriebsstätten ausdrücklich offengelassen, vgl. BFH v. 24.11.2021 – I B 44/21 (AdV), juris.
Greinert/Leonhardt | 773
6.592
Kap. 6 Rz. 6.592 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
von der bisherigen Zuordnung unterscheidet. Denn allein die erstmalige Geltung der neuen Regelungen verändert die zivilrechtliche Position der beteiligten Konzerngesellschaften nicht (vgl. Rz. 6.589). Sofern sich aufgrund der erstmaligen Ermittlung eines nach DEMPE-Grundsätzen bestimmten Gewinnanspruchs eine Änderung in der Gewinnzuordnung zu den beteiligten Konzerngesellschaften ergibt, ist dies auch nicht geeignet, eine Funktionsverlagerung o.Ä. zu begründen (Rz. 6.591), da es einer Veränderung der Funktionen fehlt.1 Dies wird auch deutlich, wenn man sich die Zielvorstellung einer anhand der wirtschaftlichen Wertschöpfungsbeiträge bestimmten Gewinnverteilung vor Augen führt, die der Entwicklung des DEMPE-Konzepts zugrunde lag: Denkt man etwa an eine IP-Gesellschaft, deren – ihr zivilrechtlich und wirtschaftlich zuzuordnenden – Patente von anderen Konzerngesellschaften auf der Grundlage eines Auftragsentwicklungsvertrags entwickelt worden sind, wobei sich der Wertbeitrag der IP-Gesellschaft auf die reine Finanzierung beschränkte, ist zu erwarten, dass der Gewinnanspruch unter DEMPE-Gesichtspunkten künftig z.B. den entwickelnden Gesellschaften zuzuordnen ist. Mit dieser Neuzuordnung der Gewinne kann schon deshalb kein Realisierungsvorgang verbunden sein, weil dies über den Einmalgewinn letztlich zu einer Zuordnung der künftigen Gewinne zum zivilrechtlichen Eigentümer führen würden. Dies würde das DEMPE-Konzept für sämtliche Altfälle ad absurdum führen. Vielmehr ist daher zu prüfen, welche Wertbeiträge die bisher den Gewinn aus einem immateriellen Wert vereinnahmenden Konzerngesellschaften unter DEMPE-Gesichtspunkten geleistet haben und auf dieser Grundlage die künftige Zuordnung vorzunehmen. e) Sonstiges
6.593
Betriebsstättenfälle. § 1 Abs. 3c AStG ist auch für Betriebstättenfälle entsprechend anwendbar (§ 1 Abs. 5 Satz 1 AStG), d.h. das DEMPE-Konzept ist auch im Rahmen der Gewinnverteilung/-zuordnung zwischen Betriebsstätte und übrigem Unternehmen zu berücksichtigen.2 Der im Fall verbundener rechtlich selbständiger Unternehmen erforderliche Schritt der Identifizierung des zivilrechtlichen Eigentümers eines immateriellen Werts (Rz. 6.573) wird hierbei durch die Zuordnung dieses immateriellen Werts gem. § 6 BsGaV ersetzt.3 Hierzu kommt es insbesondere darauf an, wo die Personalfunktion der Schaffung oder der Anschaffung eines immateriellen Werts ausgeübt wird (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BsGaV), d.h. wo die aktive unternehmerische Entscheidung hinsichtlich der Frage getroffen wird, ob und welche Risiken im Zusammenhang mit der Schaffung oder dem Erwerb eines immateriellen Werts eingegangen werden und künftig getragen werden sollen.4 Insoweit besteht daher bereits hinsichtlich der betriebsstättenbezogenen Zuordnung des immateriellen Werts eine erhebliche Nähe zum DEMPEAnsatz, sodass Betriebsstätten, denen ein immaterieller Wert nach den Vorschriften des § 6 BsGaV zugeordnet wird, stets auch – zumindest anteilige – funktionale Eigentümer i.S.d. DEMPE-Konzepts sein dürften. Soweit DEMPE-Funktionen auch von anderen Unternehmensteilen ausgeübt werden, ist die DEMPE-konforme Vergütung im Rahmen von fiktiven Dienstleistungen oder fiktiven Nutzungsüberlassungen zu berücksichtigen.5 1 Vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch internationale Verrechnungspreise, Band I, § 1 FVerlV, Rz. 47. 2 Vgl. Grotherr, Ubg 2021, 618 (627 f.). 3 Vgl. Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG, Rz. 3041 ff. 4 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.6.1, Rz. 88. 5 Hierzu Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG, Rz. 3325.
774 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.595 Kap. 6
Anwendung der Neuregelung. Die Neuregelung des § 1 Abs. 3c AStG ist gem. § 21 Abs. 1 AStG erstmals für den Veranlagungszeitraum 2022 anzuwenden. Da die Entwurfsbegründung § 1 Abs. 3c AStG aber lediglich einen klarstellenden Charakter zubilligt1, ist zu erwarten, dass die Finanzverwaltung die Neuregelungen auch bereits für frühere Veranlagungszeiträume anwenden will.2 Dies wäre zu kritisieren. Denn die Neufassung geht über eine reine Klarstellung deutlich hinaus.3 Bisher galt im Grundsatz, dass der Residualgewinn dem zivilrechtlichen/wirtschaftlichen Eigentümer zusteht. Zwar war auch bislang eine vom zivilrechtlichen Eigentum abweichende Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums i.S.d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO möglich. Die Grundsätze des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO sind jedoch nicht deckungsgleich mit dem DEMPE-Konzept der OECD und setzen insbesondere auch auf unterschiedlichen Ebenen an (Rz. 6.589).
6.594
Die VWG VP 2021 sollen gem. Tz. 6.3 auf alle offenen Fälle angewendet werden.4 Hinsichtlich der Vorschriften zum DEMPE-Konzept (Abschnitts F.2) fehlt es jedoch für für Fälle vor dem 1.1.2022 an einer gesetzlichen Grundlage, sodass eine Anwendung insoweit ausscheidet (Rz. 6.564). Hinzuweisen ist ferner darauf, dass § 1 Abs. 3c AStG dem Grunde nach auch solche Sachverhalte erfassen dürfte, die nach bisheriger Rechtslage mangels Konkretisierung als Wirtschaftsgut allenfalls im Rahmen der Funktionsverlagerungsbesteuerung als sonstige Vorteile erfasst werden (Rz. 6.568). Der Wert solcher sonstigen Vorteile konnte bislang nur auf der Grundlage einer Gesamtbewertung des Transferpakets als Residualgröße zum Gesamtwert der im Transferpaket enthaltenen Wirtschaftsgüter abgeleitet werden.5 Auch insoweit sind daher im Zusammenhang mit der Neuregelung deutliche Abweichungen vom bisherigen Rechtsstand verbunden. Insbesondere für nicht als Wirtschaftsgüter einzuordnende immaterielle Werte bleiben zentrale Fragen offen, wie etwa im Hinblick darauf, wie das Konkurrenzverhältnis zwischen der Einzelbewertung im Rahmen des § 1 Abs. 3c AStG einerseits und der Transferpaketbewertung im Rahmen der Funktionsverlagerungsbesteuerung andererseits zu lösen ist. In Fällen von Funktionsverlagerungen dürften sich diese Fragen regelmäßig stellen; auch insofern erhöhen sich daher durch die Neuregelung die Rechtsunsicherheiten.
4. Abgrenzung der Übertragung von der Nutzungsüberlassung eines immateriellen Wirtschaftsguts a) Vorbemerkungen Abgrenzung der Übertragung von der Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter. Die Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter, also die endgültige Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums, ist von der zeitlich begrenzten Nutzungsüberlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern zu unterscheiden.6 In manchen Fällen ist aufgrund nicht eindeutig formulierter Verträge nicht erkennbar, ob es sich um eine endgültige Eigentumsübertragung oder eine zeitlich begrenzte Nutzungsüberlassung handelt, so dass der Parteiwille zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu erforschen ist. Diese Notwendigkeit besteht ebenfalls in Fällen, in 1 Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 73. 2 So argumentieren auch Vertreter der Finanzverwaltung im Schrifttum, vgl. Greil/Saliger, ISR 2021, 330 (334). 3 Vgl. Leonhardt, FR 2020, 297 (299); Rasch, ISR 2021, 336 (337). 4 VWG VP 2021, Rz. 6.3. 5 Vgl. auch Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73 (74). 6 So auch Tz. 6.87 OECD-Leitlinien 2022.
Greinert/Leonhardt | 775
6.595
Kap. 6 Rz. 6.595 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
denen im Rahmen einer Betriebsprüfung aufgedeckt wird, dass immaterielle Wirtschaftsgüter von einer nahestehenden Person genutzt wurden, ohne dass entsprechende vertragliche Regelungen vereinbart wurden. b) Maßgebender Eigentumsbegriff
6.596
Rechtliches Eigentum. Für die Klärung der Frage einer Übertragung oder Überlassung kommt es also darauf an, welcher Gesellschaft das Eigentum an den Wirtschaftsgütern zuzuordnen ist. Nach deutschem Steuerrecht sind Wirtschaftsgüter nur im ersten Prüfungsschritt dem zivilrechtlichen Eigentümer zuzuordnen.1 Insofern bietet sich zunächst die Art des Vertrags für eine Zuordnung an: Während bei einem Kaufvertrag das rechtliche Eigentum übergeht (Übertragung), verbleibt bei einem Lizenz- oder Pachtvertrag das rechtliche Eigentum bei der ursprünglichen Gesellschaft (Überlassung).
6.597
Wirtschaftliches Eigentum. Letztlich entscheidend ist jedoch der zweite Prüfungsschritt, bei dem das wirtschaftliche Eigentum zugeordnet wird. So kann sich eine vom zivilrechtlichen Eigentum abweichende Zuordnung dann ergeben, wenn ein anderer (etwa der Lizenznehmer) die tatsächliche Sachherrschaft über ein immaterielles Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den rechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf dieses wirtschaftlich ausschließen kann (wirtschaftliches Eigentum).2 Zur Klärung der Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums wird nach allgemeinem Verständnis darauf abgestellt, wer nach dem Gesamtbild der Umstände Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten des immateriellen Wirtschaftsguts trägt.3 Insofern sind insbesondere die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den beteiligten Unternehmen zu prüfen. Generell bereitet es allerdings bei immateriellen Wirtschaftsgütern meist erhebliche Schwierigkeiten, das wirtschaftliche Eigentum zuzuordnen.4
6.598
Kriterien für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums. Bei der Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums erweist es sich als nachteilig, dass diese Frage mit Bezug auf immaterielle Wirtschaftsgüter bisher weder durch die Rspr. entschieden noch durch Verwaltungsanweisungen der deutschen Finanzverwaltung konkretisiert wurde. Es verbleibt daher letztlich nur eine Bezugnahme auf die allgemeine BFH-Rspr. zum wirtschaftlichen Eigentum im Zusammenhang mit Mietkauf und Leasing sowie die hierzu seitens der Finanzverwaltung herausgegebenen BMF-Schreiben (sog. Leasing-Erlasse5). Dass sich diese BMF-Schreiben auch für immaterielle Wirtschaftsgüter eignen dürften, ergibt sich insbesondere daraus, dass die darin enthaltenen Grundsätze auch speziell für Filmrechte – also immaterielle Wirtschaftsgüter – zur Anwendung kommen.6 Wenn also ein Lizenzvertrag (oder Pachtvertrag) vereinbart wurde, kommt es unter Bezugnahme auf diese Anforderungen für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an den beteiligten immateriellen Wirtschaftsgütern vor allem auf die folgenden Kriterien an: – Laufzeit des Lizenzvertrags, – Art des Lizenzvertrags (exklusive, alleinige oder einfache Lizenz), 1 Vgl. § 39 Abs. 1 AO. 2 Vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO. 3 Vgl. nur BFH v. 28.4.1977 – IV R 163/75, BStBl. II 1977, 553; BFH v. 7.11.1991 – IV R 43/90, BStBl. II 1992, 398. 4 Vgl. Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, S. 78 ff.; Strunk in Schaumburg/Piltz, Veräußerungsgewinne im Internationalen Steuerrecht, S. 57 ff. 5 Vgl. insbesondere BMF v. 19.4.1971 – IV B/2 – S 2170 – 31/71, BStBl. I 1971, 264. 6 Vgl. den sog. „Medienerlass“, BMF v. 23.2.2001 – IV A 6 - S 2241 – 8/01, BStBl. I 2001, 175.
776 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.599 Kap. 6
– Höhe der Lizenzentgelte für die immateriellen Wirtschaftsgüter über die Laufzeit des Vertrags im Verhältnis zum Wert der immateriellen Wirtschaftsgüter, – Recht zur Einräumung von Unterlizenzen, – Übernahme von Chancen und Risiken im Hinblick auf Wertveränderungen der lizenzierten immateriellen Wirtschaftsgüter, – Übernahme der Aufgaben und Kosten im Zusammenhang mit der Erhaltung des rechtlichen Schutzes der beteiligten immateriellen Wirtschaftsgüter, – ordentliche und außerordentliche Kündigungsrechte des Lizenzgebers, – Kaufoptionsrechte des Lizenznehmers und Andienungsrechte des Lizenzgebers. Mit Bezug auf diese Kriterien lässt sich am ehesten von einer Überlassung zur Nutzung ausgehen, wenn die Dauer des Lizenzvertrags möglichst kurz ist, nur eine einfache Lizenz vereinbart wird, dem Lizenznehmer kein Recht zur Einräumung von Unterlizenzen gewährt wird, der Lizenzgeber die Risiken im Hinblick auf Wertveränderungen der lizenzierten Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile trägt, die Maßnahmen zur Erhaltung des Schutzes der beteiligten immateriellen Wirtschaftsgüter von dem Lizenzgeber übernommen werden, der Lizenzgeber über außerordentliche Kündigungsrechte verfügt und dem Lizenznehmer keine Kaufoptionsrechte eingeräumt werden. Wirtschaftliches Eigentum bei Marken – DHL-Entscheidung. Wie schwierig im Einzelfall die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums bei immateriellen Wirtschaftsgütern (hier: einer Marke) sein kann, wird nicht zuletzt aufgrund des in den USA geführten Rechtsstreits in der Sache „DHL“ deutlich.1 Die DHL Corp., USA, war weltweit rechtliche Eigentümerin der Marke „DHL“. Sie überließ der nahestehenden Gesellschaft DHL International, Hong Kong, unentgeltlich die Nutzung der Marke „DHL“ für alle Märkte außerhalb der USA. Der USamerikanische Fiskus korrigierte daraufhin die Ergebnisse der DHL Corp. in Höhe einer fiktiven Lizenzgebühr für die Überlassung der Marke. DHL klagte dagegen zunächst vor dem US Tax Court (DHL Corp. v. Commissioner, 76 T.C.M. 1122 [1998]) und schließlich vor dem US Court of Appeals als Rechtsmittelinstanz (DHL Corp. v. Commissioner, 285 F.3d 1210 [9th Cir. 2002]). Der US Court of Appeals kam – abweichend von der Vorinstanz – zu dem Ergebnis, dass das wirtschaftliche Eigentum an der Marke „DHL“ für die Märkte außerhalb der USA nicht bei der DHL Corp. (als rechtlicher Eigentümerin), sondern bei der DHL International lag. So führte das Gericht aus, dass es für die Frage des wirtschaftlichen Eigentums nicht wesentlich auf die markenrechtliche Lage ankäme. Vielmehr seien die Übernahme von Kosten und Risiken sowie die tatsächlichen Einflussnahmemöglichkeiten auf die Marke entscheidend. Was die Kosten anbelangt, so hatte die DHL Corp. im Zeitraum 1982–1992 insgesamt 150 Mio. USD für Marketingmaßnahmen innerhalb der USA und die DHL International im gleichen Zeitraum insgesamt 380 Mio. USD für Marketingmaßnahmen außerhalb der USA aufgewendet. Ferner hatte DHL International – obwohl sie nicht rechtliche Eigentümerin war – die Kosten für den Schutz der Marke außerhalb der USA selbst getragen und alle Rechtsstreitigkeiten hinsichtlich der Verletzung der Marke durch Dritte außerhalb der USA selbst geführt. Insofern habe sie auch die Risiken im Zusammenhang mit der Nutzung der Marke übernommen. Zwar ging es bei diesem Verfahren um US-amerikanisches Steuerrecht. Insofern sind die dabei maßgebenden Überlegungen nicht unmittelbar auf deutsches Steuer-
1 Vgl. hierzu o.V., TNI 2002, 375 f.; o.V., TNI 2002, 491 f.; Ackermann et al., TNI 2002, 553 f.; Przysuski/Lalapet/Swaneveld, TNI 2004, 295; Beuchert, IStR 2006, 605 ff.
Greinert/Leonhardt | 777
6.599
Kap. 6 Rz. 6.599 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
recht anwendbar. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass bei der Frage des wirtschaftlichen Eigentums – wie es die Bezeichnung schon ausdrückt – wirtschaftliche Überlegungen entscheidend sind. Solche wirtschaftlichen Überlegungen basieren freilich auf ökonomischen Prinzipien, die in einem gewissen Ausmaß auch losgelöst von der jeweiligen Rechtsordnung gelten. Insofern können die Erkenntnisse aus der „DHL“-Entscheidung auch bei der hier relevanten Frage nach dem wirtschaftlichen Eigentum an einer Marke zumindest nicht vernachlässigt werden.
6.600
Die Eigentumsfrage in den OECD-Leitlinien. Im Unterschied zu den OECD-Leitlinien 2010 beschäftigen sich die OECD-Leitlinien seit 2017 eingehend mit der Frage des Eigentums an immateriellen Wirtschaftsgütern. Allerdings diskutiert die OECD die Eigentumsfrage im Zusammenhang mit der Fragestellung, wem die Gewinne aus immateriellen Wirtschaftsgütern für Zwecke der Einkünfteabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen zuzurechnen sind.1 Für die OECD handelt es sich beim rechtlichen Eigentum nur um den Ausgangspunkt der hierbei anzustellenden Überlegungen.2 Ausdrücklich weist die OECD darauf hin, dass das rechtliche Eigentum für sich allein betrachtet keinen Anspruch auf die Gewinne aus den immateriellen Wirtschaftsgütern begründet.3 Dem rechtlichen Eigentümer stehen die „intangible related returns“ vielmehr nur dann vollständig zu, wenn er – „alle mit der Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, dem Schutz und der Verwertung des immateriellen Werts zusammenhängende Funktionen […] ausübt und kontrolliert, – alle für die Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, den Schutz und die Verwertung der immateriellen Werte erforderlichen Vermögenswerte, ein schließlich der Finanzierung, bereitstellt und alle mit der Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, dem Schutz und der Verwertung des immateriellen Werts zusammenhängende Risiken übernimmt“ (Rz. 6.565 ff.)4 Die vorstehenden Voraussetzungen müssen umfassend erfüllt sein.
6.601
Funktionales Eigentum. Sofern diese Voraussetzungen (auch) von einer anderen Gesellschaft als dem rechtlichen Eigentümer erfüllt werden, muss dies bei der Einkunftsabgrenzung berücksichtigt werden. In Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls kann dies dazu führen, dass die andere Gesellschaft nicht nur eine Routinevergütung für die von ihr erbrachten Leistungen erhält, sondern ihr auch ein Teil des Gewinns bzw. Verlusts zugordnet wird.5 Die auf das DEMPE-Konzept (s. Rz. 6.571 ff.) gründende wertschöpfungsbeitragsorientierte Erfolgszurechnung begründet somit faktisch ein „Fruchtziehungsrecht“, welches auf Ebene der beteiligten Konzerngesellschaften in Abhängigkeit vom Grad der Wertschöpfung eine Art „funktionales Eigentum“6 begründen kann.
6.602
Abgrenzung funktionalen Eigentums zu rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum. Die Zuordnung des rechtlichen und wirtschaftlichen Eigentums bestimmt sich allein nach deutsch-steuerlichen Rechtsgrundsätzen sowie der dazu ergangenen Rspr. Soweit gerade im Hinblick auf die Überlegungen der OECD zum funktionalen Eigentum die Auffassung vertre1 2 3 4 5 6
Vgl. Tz. 6.42 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.35 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.42 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.71 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.71 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Freudenberg/Stein/Weskamp, Ubg 2016, 603 (608); Holinski/Schwarz/Stein, Der Konzern 2016, 316 (320); Nientimp/Stein/Hundebeck, DStR 2016, 2871 (2873).
778 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.603 Kap. 6
ten wird, diese Grundsätze würden die steuerliche Zurechnung von immateriellen Wirtschaftsgütern betreffen und verändern können, ist diese Auffassung unzutreffend. Die OECDLeitlinien seit 2017 betreffen ausschließlich die internationale Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen. Von der Ebene der Einkunftsabgrenzung ist die Ebene der Gewinnermittlung streng zu unterscheiden.1 Die von Deutschland abgeschlossenen DBA regeln die Gewinnermittlung grundsätzlich nicht, sondern enthalten z.B. mit den Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nachgebildeten Vorschriften Bestimmungen, die unter konkreten Voraussetzungen die nach innerstaatlichem Steuerrecht bestehenden Gewinnkorrekturmöglichkeiten umfangsmäßig beschränken.2 Die Gewinnermittlung richtet sich ausschließlich nach deutschem Steuerrecht.3 Ausgangspunkt jedweder Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach §§ 5, 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die subjektbezogene Zuordnung von Wirtschaftsgütern. Diese richtet sich handelsrechtlich (bezogen auf Vermögensgegenstände, § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB) und steuerlich (§ 39 Abs. 1 Nr. 2 AO) bei Auseinanderfallen von zivilrechtlichem und wirtschaftlichem Eigentümer nach dem wirtschaftlichen Eigentum. Das u.a. hiernach ermittelte steuerliche Ergebnis begründet den Besteuerungsanspruch, der bei grenzüberschreitenden Sachverhalten durch Abkommensrecht ausgeschlossen oder beschränkt sein kann. Demgegenüber betreffen die Auslegungen des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.v. Art. 9 Abs. 1 OECD-MA durch die OECD-Leitlinien insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von immateriellen Wirtschaftsgütern die Frage, ob der (rechtliche oder wirtschaftliche) Eigentümer nach dem Fremdvergleichsgrundsatz berechtigt sein soll, die auf den immateriellen Wirtschaftsgütern beruhenden Einkünfte zu vereinnahmen. Die hierzu entwickelten wirtschaftlichen Grundsätze der OECD-Leitlinien (Zuordnung anhand der sog. DEMPE-Funktionen, Rz. 6.565) mögen Parallelen zu § 39 Abs. 1 Nr. 2 AO aufweisen. Sie bewirken jedoch lediglich, dass einem verbundenen Unternehmen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz Einkünfte aus immateriellen Wirtschaftsgütern zuzuordnen oder nicht zuzuordnen sind. Das daraus abgeleitete funktionale Eigentum regelt daher ausschließlich den nach dem Fremdvergleichsgrundsatz gerechtfertigten Vergütungsanspruch. Diese Grundsätze verändern die steuerliche Zurechnung der betreffenden Wirtschaftsgüter nach deutsch-steuerlichen Grundsätzen jedoch nicht. c) Gegenüberstellung der unterschiedlichen Besteuerungsfolgen Steuerliche Folgen bei Übertragung bzw. Überlassung. Die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an einem immateriellen Wirtschaftsgut ist als ein Veräußerungsvorgang anzusehen.4 Insofern kommt es dabei zu einer vollständigen Aufdeckung und Versteuerung der in dem übertragenen immateriellen Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven bei dem übertragenden Unternehmen, und zwar sofort. Hier ist dann eine Lizenzierung nicht mehr möglich, sondern allenfalls eine Ratenzahlung des übernehmenden Unternehmens, was das Problem der Sofortversteuerung der stillen Reserven mit entsprechendem sofortigem steuerbedingten Liquiditätsentzug beim übertragenden Unternehmen nicht löst. Betriebswirtschaftlich liegt hier dann quasi ein Mietkauf vor. Verbleibt dagegen das wirtschaftliche Eigentum bei dem Unternehmen und wird dem nahestehenden Unternehmen nur eine Nutzung des immateriellen Wirtschaftsguts gestattet, so ist dies als eine Lizenzierung zu qualifizieren. Steuerliche 1 Vgl. BFH v. 9.11.1988 – I R 335/83, BStBl. II 1989, 510. 2 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 4, 76 f. 3 Vgl. BFH v. 9.11.1988 – I R 335/83, BStBl. II 1989, 510; BFH v. 22.5.1991 – I R 32/90, BStBl. II 1992, 94; BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464. 4 Vgl. BFH v. 27.7.1988 – I R 130/84, BStBl. II 1989, 101.
Greinert/Leonhardt | 779
6.603
Kap. 6 Rz. 6.603 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Folge ist, dass das Unternehmen die Lizenzerträge versteuern muss, und zwar im Zeitablauf mit ihrer Realisierung. Es kommt dann jedoch zu keiner Übertragung des immateriellen Wirtschaftsguts, so dass sich die in ihm enthaltenen stillen Reserven erst im Zeitablauf über die Lizenzerträge auflösen.1 Ein für die Besteuerung weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Übertragung und Überlassung besteht darin, dass sich die meisten Fisci bei Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter im Wege der Lizenzierung den Einbehalt von Quellensteuer vorbehalten2, wobei die Höhe dieser Quellensteuer häufig durch DBA3 oder andere Vorschriften (insbesondere EUZins- und Lizenzgebühren-Richtlinie4) reduziert wird. Bei Erhebung von Quellensteuer besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit, die so entstehende Doppelbesteuerung durch Anrechnung oder Abzug im anderen Staat zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren.5 Bei der Abzugsmethode lässt sich die Quellensteuerbelastung jedoch nicht vollständig eliminieren, so dass eine Definitivbelastung eintritt. Selbst wenn die Anrechnungsmethode zur Anwendung kommt, können Anrechnungsüberhänge entstehen. Auch dann führt die ausländische Quellensteuer zu einer Definitivbelastung und einer Erhöhung der Steuerquote. Vor diesem Hintergrund ist es von Bedeutung festzustellen, ob eine Übertragung oder Überlassung vorliegt. Es ergeben sich jedoch nicht nur die oben dargestellten Auswirkungen im Hinblick auf den Zeitpunkt der Gewinnrealisierung und den Anfall von Quellensteuer. Vielmehr hat die Frage der Übertragung und Überlassung auch selbst Auswirkungen auf die Höhe des maßgebenden Verrechnungspreises für die immateriellen Wirtschaftsgüter (vgl. Rz. 6.652 ff.).
6.604
Wahlrecht für Nutzungsüberlassung? Angesichts der Vielzahl von Kriterien für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums und der möglicherweise entgegengesetzt wirkenden Ausprägungen bei einzelnen Kriterien kann es in der Unternehmenspraxis Probleme bereiten, das wirtschaftliche Eigentum zuzuordnen. Die Finanzverwaltung scheint sich dieser Abgrenzungsprobleme durchaus bewusst zu sein. Mit Bezug auf Funktionsverlagerungen (hierzu Rz. 7.1 ff.), bei denen es im Wesentlichen um die Erfassung immaterieller Wirtschaftsgüter geht, wurde in § 4 Abs. 2 FVerlV eine praktikable Regelung für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums aufgenommen. Demnach wird auf Antrag des Stpfl. von einer Überlassung ausgegangen, wenn die Frage der Übertragung oder Überlassung aufgrund bestehender Zweifel nicht eindeutig geklärt werden kann.6 Der Verordnungsgeber will durch dieses faktische Wahlrecht zugunsten des Stpfl. eine Sofortversteuerung („ggf. erheblicher“7) stiller Reserven (Differenz zwischen dem Fremdvergleichspreis und dem Buchwert) vermeiden, um besteuerungsbedingte unerwünschte Liquiditätsprobleme nicht aufkommen zu lassen. Dieses Wahlrecht gilt zwar formal lediglich für Funktionsverlagerungen, da es in der nur für Funktionsverlagerungen8 einschlägigen FVerlV enthalten ist. Gleichwohl sind die Abgrenzungsprobleme 1 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 570. 2 Vgl. etwa aus deutscher Perspektive § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f sowie Nr. 6 EStG, § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG. 3 Vgl. insbesondere Art. 12 OECD-MA. 4 Vgl. Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlung von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 157, 49). 5 Vgl. § 34c EStG. 6 Vgl. § 4 Abs. 2 FVerlV. 7 Begründung zu § 4 Abs. 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08. 8 Vgl. BR-Drucks. 352/08, Abschnitt „B. Lösung“.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.607 Kap. 6
und die wirtschaftlichen Folgen bei Funktionsverlagerungen einerseits und immateriellen Wirtschaftsgütern andererseits vergleichbar, so dass die Regelung des § 4 Abs. 2 FVerlV auch bei immateriellen Wirtschaftsgütern Anwendung finden sollte.
II. Nutzungsüberlassung immaterieller Werte 1. Vorbemerkungen Nutzungsüberlassung durch Lizenzverträge. Lizenzverträge sind Verträge „sui generis“, die Elemente eines Miet- oder Pachtverhältnisses aufweisen.1 Während das nationale Steuerrecht keine Einkunftsart „Lizenzeinnahmen“ kennt, sondern diese den gewerblichen Einkünften, denen aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung, zuordnet, existiert abkommensrechtlich eine eigene Einkunftsart „Lizenzgebühren“.2
6.605
2. Arten von Lizenzgebühren Arten von Lizenzgebühren. Werden Nutzungsrechte an immateriellen Werten durch einen Lizenzvertrag eingeräumt, so hat der Lizenznehmer dem Lizenzgeber hierfür eine Lizenzgebühr zu entrichten. Die Lizenzgebühr kann dabei unterschiedlich ausgestaltet werden. Am häufigsten bemisst sich die Lizenzgebühr in Abhängigkeit vom erzielten Umsatz des Lizenznehmers unter Nutzung des betreffenden immateriellen Werts (Umsatzlizenz). Vielfach anzutreffen ist auch eine sog. Stücklizenz, bei der sich die Lizenzgebühr an der Anzahl der produzierten oder abgesetzten Güter orientiert. Der Nachteil der Stücklizenz gegenüber der Umsatzlizenz besteht allerdings darin, dass bei dieser nur Mengeneffekte, nicht dagegen auch Preiseffekte berücksichtigt werden. Denkbar ist auch eine sog. Gewinnlizenz, deren Höhe sich nach dem vom Lizenznehmer erzielten Gewinn unter Nutzung des betreffenden immateriellen Werts bemisst. Bei einer an den Gewinn anknüpfenden Lizenzgebühr besteht allerdings das Problem, dass es sich beim Gewinn um eine Residualgröße handelt, auf die zahlreiche (andere) Einflussfaktoren neben dem überlassenen immateriellen Wert wirken. Umsatz-, Stückund Gewinnlizenzen lassen sich linear, progressiv und degressiv gestaffelt vereinbaren. Daneben findet man in der Unternehmenspraxis auch Pauschallizenzen (Lump-Sum-Payments oder Down-Payments), bei denen die Lizenzgebühr durch einen festen Betrag bemessen wird, der unabhängig von der Nutzung durch den Lizenznehmer ausfällt. Zudem besteht die Möglichkeit, Mindestlizenzen und Höchstlizenzen zu vereinbaren. Darüber hinaus können auch andere Lizenzarten vereinbart werden, sofern dies zivil- und kartellrechtlich zulässig ist.3
6.606
Rücklizenzen. Im Zusammenhang mit der Lizenzierung eines immateriellen Werts ist es in der Praxis nicht ungewöhnlich, dass der Lizenznehmer bei der Nutzung zusätzliche Erfahrungen sammelt und Verbesserungen vornimmt, die wiederum eigenständige immaterielle Werte darstellen können. Gelangen diese Werte – z.B. im Rahmen einer Rücklizenz – an den ursprünglichen Lizenzgeber zurück, so sind diese genauso zu verrechnen wie jede andere Nutzungsüberlassung auch (zur Anwendung des DEMPE-Konzepts s. Rz. 6.576 ff.).4 In der Praxis
6.607
1 Vgl. Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 80 f. 2 Vgl. Art. 12 OECD-MA. 3 Die Anerkennung dieser unterschiedlichen Zahlungsformen für Verrechnungspreiszwecke richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen, vgl. Tz. 197 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 4 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG 1983, BStBl. I 1983, 218, Tz. 5.1.3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
Greinert/Leonhardt | 781
Kap. 6 Rz. 6.607 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
sind demgegenüber auch Lizenzverträge üblich, wonach der Lizenznehmer die in seiner Sphäre entstandenen Erfahrungen bzw. immateriellen Werte an den Lizenzgeber ohne zusätzliches Entgelt herauszugeben hat, da in der Bemessung der Lizenzgebühr dieser Rückfluss bereits seinen Niederschlag gefunden hat. Eine gesonderte Verrechnung dieses Rückflusses findet dann also nicht statt, ebenso wenig wie in den Fällen, in denen zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer ein gegenseitiger Erfahrungsaustausch stattfindet. Hierbei wird unterstellt, dass sich die ausgetauschten Erfahrungen gleichwertig gegenüberstehen. Eine Verrechnung wäre nur dann denkbar, wenn dieser Erfahrungsaustausch deutlich ungleichgewichtig wäre.
3. Steuerliche Abzugsfähigkeit konzerninterner Lizenzentgelte a) Internationale Maßnahmen gegen Lizenzboxen
6.608
Hintergrund. Auslöser der nationalen Gesetzesneuerung in § 4j EStG zur Beschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit konzerninterner Lizenzentgelte ist das Ergebnis des BEPS-Projekts der OECD.1 Denn dieses erging gerade auch im Kontext der jüngsten internationalen Staatenpraxis, nach der zuletzt immer mehr Staaten Regelungen zur steuerlichen Begünstigung von Intellectual Property (IP) eingeführt haben. Diese werden teils als IP-, Lizenzbzw. Patentboxen bezeichnet. Solche Regelungen befinden sich in einem steuerpolitischen Spannungsverhältnis. Denn obschon es anzuerkennen ist, dass Staaten die Forschung und Entwicklung mit positiven steuerlichen Anreizen fördern (FuE-Förderung), stehen derartige Regime gleichwohl zunehmend im Verruf, zu einer steuerpolitisch kritisierten grenzüberschreitenden Gewinnverlagerung anzuregen.2 Angesichts dessen haben sich die OECD- und G20-Staaten im Rahmen des BEPS-Projekts intensiv mit dieser Entwicklung auseinander gesetzt und versucht, auch in diesem Bereich nachhaltige Lösungsansätze zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs zu entwickeln.
6.609
Überblick über BEPS-Aktionspunkt 5. Der BEPS-Aktionspunkt 5 hat eine wirksame Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz zum Ziel. Er widmet sich dabei in Kapitel 4 unter II. den Regelungen zur steuerlichen Begünstigung der Überlassung von IP. Der Fokus liegt insofern auf der Einschränkung der bestehenden Sonderregelungen einzelner Staaten zur Besteuerung bestimmter Arten von Einkünften, insbesondere Patent-, Lizenz- bzw. IP-Boxen und damit zusammenhängender Vorabzusagen, die zu Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung führen können. Dem oben beschriebenen Spannungsverhältnis entsprechend wird dabei aber nicht jede steuerliche Begünstigung der IP-Überlassung als unzulässig eingestuft. Vielmehr arbeitet der Aktionspunkt 5 detaillierte Regelungen heraus, die eine zulässige von einer unzulässigen steuerlichen Begünstigung der IPÜberlassung abgrenzen. Kern ist hierbei der sog. Nexus-Ansatz.3 Dieser greift das übergeordnete Leitmotiv des BEPS-Projekts auf, wonach zukünftig ein effektives Vorgehen gegen künstliche Gewinnverlagerungen mittels Ausrichtung der Besteuerung mehr an der „wirtschaftlichen“ Substanz beabsichtigt ist. Demnach sollen steuerliche Vorteile für Lizenzeinkünfte (z.B. in Form eines niedrigen Steuersatzes) nur zulässig sein, wenn der Lizenzgeber eine substanzielle Geschäftstätigkeit hinsichtlich des lizenzierten Rechts ausübt, d.h., wenn bei diesem die tatsächliche (immobile) Wertschöpfung von Patenten erfolgt.4 Hierdurch soll zukünftig verhindert werden, dass multinationale Unternehmen Gewinne durch Lizenzzahlungen in Staa1 2 3 4
Vgl. Greinert/Karnath/Siebing, TNI 2017, 997. Vgl. Ritzer/Stangl/Karnath, Der Konzern 2017, 68 (68). Vgl. Haarmann, BB 2017, Heft 22, Umschlagteil, I. Vgl. Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1561); Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (418).
782 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.610 Kap. 6
ten mit besonderen Präferenzregelungen verschieben, ohne dass dort Forschungs- und Entwicklungsarbeit stattfindet. Damit werden – anders als sonst beim funktionellen Substanztest (Control over Risk) – allein die Ausgaben für eigene Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zum Maßstab für die wirtschaftliche Tätigkeit. Unklar ist insofern, warum die OECD keinen einheitlichen Prüfungsmaßstab entwickelt hat, obwohl sich sowohl Aktionspunkt 5 als auch Aktionspunkte 8–10 auf die wirtschaftliche Substanz im Zusammenhang mit der Schaffung und Nutzung von IP beziehen. Dies gilt umso mehr, als beide Maßnahmen das gleiche Ziel, nämlich die Bekämpfung von Gewinnverlagerungen verfolgen.1 Zur effektiven Umsetzung dieser Vorgaben sieht Aktionspunkt 5 im Übrigen vor, dass dieser Ansatz bis zum 1.7.2021 durch nationale Gesetze der OECD-Staaten umgesetzt werden soll, indem alle bis zu diesem Zeitpunkt als schädlich eingestuften Lizenzboxregelungen abgeschafft oder an den Nexus-Ansatz angepasst werden. Daneben dürfen nach dem 30.6.2016 keine neuen Präferenzregelungen mehr eingeführt werden. Spätestens ab dem 1.7.2021 sind steuerliche Begünstigungen für IP innerhalb der OECD-Staaten dann nur noch möglich, wenn sie den erweiterten Substanzanforderungen des Nexus-Ansatzes entsprechen. b) Die Lizenzschranke des § 4j EStG Überblick über den Verlauf des deutschen Gesetzgebungsverfahrens. Im Rahmen des BEPS-Projekts stand Deutschland auf Seiten derer, die für eine vollständige Abschaffung von Lizenzboxen eintraten, während sich andere Länder für eine weitgehende Beibehaltung einsetzten.2 Infolgedessen kam es bereits am 1.7.2015 zu einer Bundesratsinitiative des Landes Hessen zur Einführung nationaler Regelungen gegen die Verlagerung von steuerpflichtigem Einkommen ins Ausland. Dieser Ansatz wurde am 19.12.2016 durch die Veröffentlichung des „Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken in Zusammenhang mit Rechteüberlassungen“ seitens des Bundesministeriums der Finanzen näher konkretisiert und löste in der Folge äußerst kritische Stellungnahmen durch die Fachöffentlichkeit und verschiedene Verbände aus. Mit dem Gesetzesentwurf vom 25.1.2017 wurde durch die deutsche Bundesregierung zeitnah der Versuch unternommen, die auf Ebene der OECD/G20 getätigten Zusagen in Bezug auf die Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken im Rahmen des BEPS-Projekts umzusetzen.3 Denn angesichts der langen Übergangsregelungen im BEPS-Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Patentboxen4 sollte noch in der 18. Legislaturperiode – quasi als nationale Abwehrmaßnahme – die Neueinführung einer sog. Lizenzschranke mittels Neueinführung des § 4j EStG beschlossen werden.5 Dieser Gesetzesentwurf enthält gegenüber dem ursprünglichen Referentenentwurf v. 19.12.2016 überwiegend lediglich redaktionelle und klarstellende Veränderungen und wurde Anfang des Jahres 2017 zunächst an den Bundesrat weitergeleitet, der den Regierungsentwurf in seiner Stellungnahme grundsätzlich begrüßte.6 Auch wenn die OECD/G20 im Rahmen der BEPS-Initiative keine Vorgaben für die Behandlung von Lizenzzahlungen als steuerliche Abzugsposten entwickelt haben, zielt der Regierungsentwurf des § 4j EStG darauf ab, die steuerliche Abzugsfähigkeit konzerninterner Lizenzaufwendungen ungeachtet bestehender DBA-Regelungen einzuschränken, soweit die Zahlungen beim Lizenz-
1 2 3 4 5 6
Vgl. Ritzer/Stangl/Karnath, Der Konzern 2017, 68 (69). Vgl. Heil/Pupeter, BB 2017, 795 (795). Vgl. BT-Drucks. 18/11233 v. 20.2.2017. Umsetzung des sog. Nexus-Ansatzes bis zum 30.6.2021. Vgl. Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (417). Vgl. BT-Drucks. 18/11531 v. 15.3.2017.
Greinert/Leonhardt | 783
6.610
Kap. 6 Rz. 6.610 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
gläubiger einem schädlichen steuerlichen Präferenzregime unterliegen.1 Ab dem 1.1.20182 sollen daher konzerninterne Lizenzgebühren nur noch abzugsfähig sein, wenn der Lizenzgeber über eine hinreichende wirtschaftliche Substanz verfügt. Kerngedanke ist hierbei, auf nationaler Ebene zu verhindern, dass multinationale Unternehmen Gewinne durch Lizenzzahlungen in Staaten mit besonderen Präferenzregelungen verschieben, ohne dass dort eigene Forschungs- und Entwicklungsarbeit stattfindet. Dies entspricht den Anforderungen des BEPSProjekts der OECD und G20, wonach Steuern demjenigen Staat zustehen sollen, in dem die der Wertschöpfung zugrundeliegende Aktivität stattfindet. Die zweite und dritte Lesung des Gesetzesentwurfs fand wie geplant am 27.4.2017 im Bundestag statt, in welcher der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen aufgrund der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses3 angenommen wurde.4 Hierbei wurde (insbesondere noch) die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, nach der die ursprünglich in § 4j Abs. 1 Satz 4 f. EStG-E vorgesehene Definition des Nexus-Ansatzes5 durch einen bloßen Verweis auf den entsprechenden BEPS-Report der OECD ersetzt werden soll, berücksichtigt. Auch wenn die Zulässigkeit derartiger dynamischer Verweisungen unter dem Blickwinkel des grundgesetzlichen Gesetzesvorbehalts stets fraglich erscheint6, hat der Bundesrat diesem Gesetz am 2.6.2017 erwartungsgemäß zugestimmt.7 Die Neuregelung der Abzugsfähigkeit von Lizenzaufwendungen durch § 4j EStG ist insofern noch vor Ablauf der Übergangsfrist wirksam zustande gekommen. Für den Übergangszeitraum bis zum 30.6.2017 soll damit § 4j EStG all die Fälle erfassen, in denen Lizenzerträge einem Präferenzregime unterliegen, das nicht mit dem Nexus-Ansatz vereinbar ist. Erstmalige Anwendung soll die Neuregelung dabei bereits auf Aufwendungen finden, die – unabhängig vom Geschäftsjahr der Gesellschaft – nach dem 31.12.2017 entstehen.8
1 Vgl. van Lück, IStR 2017, 388 (388). 2 Vgl. Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (419): „Gemäß § 52 Abs. 8a, 16a EStG-E soll die Lizenzschranke erstmals für Aufwendungen anzuwenden sein, die nach dem 31.12.2017 entstehen. Damit unterläuft die Bundesregierung bewusst den auf OECD/G20-Ebene vereinbarten – wenngleich natürlich nicht verbindlichen – Bestandsschutz für bestehende Lizenzboxen.“ 3 Vgl. BT-Drucks. 18/12128 v. 26.4.2017. 4 Vgl. BR-Drucks. 366/17 v. 12.5.2017. 5 Ursprünglich hieß es hierzu in § 4j Abs. 1 Satz 4 EStG: „Die Sätze 1 und 2 sind nicht anzuwenden, soweit sich die niedrige Besteuerung daraus ergibt, dass die Einnahmen beim Gläubiger oder dem weiteren Gläubiger einer Präferenzregelung unterliegen, die auf Rechte beschränkt ist, denen eine substanzielle Geschäftstätigkeit zugrunde liegt. Eine substanzielle Geschäftstätigkeit im Sinne des Satzes 4 liegt nicht vor, wenn der Gläubiger das Recht nicht oder nicht weit überwiegend im Rahmen seiner eigenen Geschäftstätigkeit entwickelt hat; dies gilt insbesondere, wenn das Recht erworben oder durch nahestehende Personen entwickelt worden ist. Satz 4 ist nicht anzuwenden, soweit die Präferenzregelung Einnahmen aus der Überlassung von Rechten begünstigt, die nach deutschen Recht unter das Markengesetz fallen würden.“ 6 Vgl. Brandt, DB 2017, Heft Nr. 19, M5: „Der Verweis auf den entsprechenden BEPS-Report der OECD (stellt) eine keinesfalls bessere Lösung dar, weil die OECD möglicherweise künftig durch das Forum of Harmful Tax Practices (FHTP) auf Basis der neuen Kriterien eine Einzelfallbewertung von Lizenzboxen veröffentlichen wird. Deren Verbindlichkeit wird nämlich für die Auslegung des § 4j EStG wegen der problematischen Zulässigkeit dynamischer Verweisungen – zumal auf Verlautbarungen außerparlamentarischer Institutionen – höchst fraglich sein (BVerfG, Urt. v. 21.9.2016 – 2 BvL 1/15, RS1222253)“. 7 Vgl. BR-Drucks. 366/17 v. 2.6.2017. 8 Vgl. § 52 Abs. 8a EStG.
784 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.612 Kap. 6
Stellungnahme der Finanzverwaltung mittels BMF-Schreiben v. 5.1.2022 und 6.1.2022. Mit Blick auf die aus der Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen in § 4j EStG resultierenden Rechtsunsicherheiten werden von der Fachöffentlichkeit seit Einführung der Lizenzschranke zahlreiche Diskussionen geführt. Auffällig ist, dass sich die Finanzverwaltung in diesem Kontext bislang lediglich sporadisch mittels eines BMF-Schreibens vom 19.2.20201 zu Wort gemeldet hat. Dieses betrifft jedoch ausschließlich die Prüfung einzelner Besteuerungsregime auf ihre Vereinbarkeit mit dem OECD-Modified-Nexus-Approach für den Veranlagungszeitraum 2018.2 Vor diesem Hintergrund hat die Fachöffentlichkeit die jüngst ergangenen BMF-Schreiben vom 5.1.20223 und 6.1.20224 mit Spannung erwartet. Während das BMFSchreiben vom 5.1.20225 erstmals Stellung zu Anwendungsfragen betreffend die Lizenzschranke nimmt – insbesondere auf die Reichweite der Präferenzregelung eingeht und Ausführungen zur gesetzlich nicht normierten Beweislastverteilung beinhaltet – enthält das BMFSchreiben vom 6.1.20226 eine Liste zur Vereinbarkeit einzelner Besteuerungsregime mit dem OECD-Modified-Nexus-Approach und baut insoweit auf dem bisherigen BMF-Schreiben vom 19.2.20207 auf. Diese Liste ist auf der Grundlage der von der OECD abgegebenen Einschätzungen einzelner ausländischer Präferenzregelungen erstellt worden. Bemerkenswert ist insoweit, dass die deutsche Finanzverwaltung den kantonalen Spezialgesellschaften der Schweizerischen Eidgenossenschaft ein eigenständiges Kapitel gewidmet hat. Hierin hat sie mit Blick auf die Nexus-Konformität dieser Gesellschaftstypen eine eigene Würdigung vorgenommen, die nicht auf der von der OECD abgegebenen Einschätzungen beruht.
6.611
Die Neuregelung im Überblick. Lizenzzahlungen für die Überlassung bestimmter immaterieller Wirtschaftsgüter sind im Grundsatz ab 2018 – entgegen bestehender DBA8 – nicht oder nur eingeschränkt steuerlich abzugsfähig, wenn die Einnahmen des Gläubigers einer von der Regelbesteuerung abweichenden, niedrigen Besteuerung (sog. Präferenzregelung) unterliegen. Als Gewinnermittlungsvorschrift entfaltet § 4j EStG für alle Personen Geltung, die im Inland mit Gewinneinkünften steuerpflichtig und gleichzeitig Schuldner von Lizenzzahlungen an nahestehende Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG sind. Damit werden vom persönlichen Anwendungsbereich der Norm primär nur konzerninterne Lizenzbeziehungen erfasst.9 Demgegenüber bleiben Lizenzzahlungen an fremde Dritte grundsätzlich uneingeschränkt abzugsfähig.10 In § 4j Abs. 1 Satz 2 EStG findet sich zudem eine Sonderregelung für Zwischenschaltungsfälle, um eine Umgehung der Abzugsbeschränkung durch Zwischenschaltung anderer nahestehender Gläubiger zu verhindern. Im Übrigen gelten als von der Norm erfasste Schuldner auch inländische Betriebsstätten ausländischer Stpfl., soweit sie ertragsteuerlich als Nut-
6.612
1 Vgl. BMF v. 19.2.2020 – IV C 2 - S 2144-g/17/10002, BStBl. I 2020, 238. 2 Vgl. Greinert/Siebing in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 4j EStG, Rz. 151. 3 Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100. 4 Vgl. BMF v. 6.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:005, BStBl. I 2022, 103. 5 Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 -S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100. 6 Vgl. BMF v. 6.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:005, BStBl. I 2022, 103. 7 Vgl. BMF v. 19.2.2020 – IV C 2 - S 2144-g/17/10002, BStBl. I 2020, 238. 8 Die Bestimmung „ungeachtet eines bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens“ begründet einen Treaty Override. Denn diese Regelung führt zwangsläufig zu einer von den Intentionen der DBA abweichenden Besteuerung. Allerdings ist fraglich, ob dieses Argument angesichts der Entscheidung des BVerfG aus 2015 zur jedenfalls grundsätzlichen Zulässigkeit von Treaty Overrides durchschlägt (vgl. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1). 9 Vgl. § 4j Abs. 1 Satz 1 EStG. 10 Vgl. Begründung zum Gesetzesentwurf: BT-Drucks. 18/11233 v. 20.2.2017, Abschn. B.II., 13.
Greinert/Leonhardt | 785
Kap. 6 Rz. 6.612 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
zungsberechtigte behandelt werden.1 Im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich betrifft die Abzugsbeschränkung der Lizenzschranke grundsätzlich alle Aufwendungen, die aus einer „Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung von Rechten […], von gewerblichen, technischen, wissenschaftlichen und ähnlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten“2 erwachsen. Zur Auslegung der entsprechenden Begrifflichkeit soll dabei nach der Gesetzesbegründung auf die §§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG, 73a Abs. 3 EStDV zurückgegriffen werden.3 Der sachliche Anwendungsbereich ist damit weit gefasst; so wird nicht nur die Überlassung von IP (intellectual property), also von gewerblichen Schutzrechten, der Lizenzschranke unterworfen. Vielmehr werden auch als Know-how zu bezeichnende immaterielle Wirtschaftsgüter erfasst. Allerdings fallen nur solche Lizenzzahlungen unter die Neuregelung, die für ein zeitlich begrenztes Überlassungsverhältnis getätigt werden. Zahlungen, die hingegen im Gegenzug für eine Veräußerung von Rechten getätigt werden, sind indes nicht betroffen. Insofern kommt der Abgrenzung zwischen einem Rechtskauf und einer Nutzungsüberlassung eine erhebliche Bedeutung für die Anwendung der Lizenzschranke zu.4 Im Übrigen muss im Rahmen des sachlichen Anwendungsbereichs zwischen einem qualitativem und einem quantitativem Merkmal unterschieden werden. In qualitativer Hinsicht wird eine von der Regelbesteuerung abweichende Besteuerung für Lizenzeinnahmen gefordert.5 Diese muss beim Lizenzgeber in quantitativer Hinsicht zu einer prozentualen Belastung durch Ertragsteuern von weniger als 25 % führen.6 Im Rahmen des Belastungstests werden dabei sämtliche sich auf die Besteuerung der Einnahmen auswirkende Regelungen berücksichtigt.7 In Übereinstimmung mit dem Nexus-Ansatz greift die Lizenzschranke allerdings gem. § 4j Abs. 1 Satz 4 EStG insoweit nicht ein, als die niedrige Besteuerung aufgrund einer Präferenzregel erfolgt, die auf Rechte beschränkt ist, denen eine substanzielle Geschäftstätigkeit zugrunde liegt.8
6.613
Rechtsfolge. Rechtsfolge der Lizenzschranke ist, dass die mit den niedrig besteuerten Lizenzerträgen korrespondierenden Aufwendungen steuerlich nur anteilig abziehbar sind.9 Der nicht abziehbare Teil führt zu einer außerbilanziellen Korrektur. Die Höhe des nicht abziehbaren Teils wird dabei nach der in § 4j Abs. 3 Satz 2 EStG dargestellten Formel berechnet. Diese definiert einen Vomhundertsatz, der die prozentuale Nicht-Abzugsfähigkeit der betroffenen Lizenzaufwendungen widerspiegelt. Maßstab hierfür ist die jeweilige steuerliche Belastung des Lizenzgebers. Hiernach folgt jedoch nur im Fall einer ertragsteuerlichen Belastung des Lizenzgebers in Höhe von 0 % ein vollständiges Lizenzausgabenabzugsverbot. Demgegenüber kommt es im Fall einer ertragsteuerlichen Belastung des Lizenzgebers in Höhe von mindestens 25 % zu einem vollständigen Lizenzausgabenabzug. Im Ergebnis nimmt daher im Fall einer ertragsteuerlichen Belastung des Lizenzgebers zwischen 0 % und weniger als 25 % das
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Vgl. Jochimsen/Zinowsky/Schraud, IStR 2017, 593 (594). § 4j Abs. 1 Satz 1 EStG. Vgl. Begründung zum Gesetzesentwurf: BT-Drucks. 18/11233 v. 20.2.2017, Abschn. B., 12. Vgl. Ritzer/Stangl/Karnath, Der Konzern 2017, 401 (402). Vgl. § 4j Abs. 2 Satz 1 EStG. Bekannte Staaten mit Präferenzbesteuerung für Lizenzeinkünfte sind u.a. Belgien, Liechtenstein, Luxemburg, Niederlande, die Schweiz und Ungarn. In Deutschland gibt es kein vergleichbares Präferenzsystem. Daher findet die Neuregelung keine Anwendung bei rein nationalen Sachverhalten. Vgl. § 4j Abs. 2 Satz 2 EStG. Vgl. § 4j Abs. 2 Satz 2 EStG. Eine weitere Rückausnahme ergibt sich dann, wenn für die Einnahmen aus der Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern ein Hinzurechnungsbetrag i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG anzusetzen ist (§ 4j Abs. 1 Satz 5 EStG). Vgl. § 4j Abs. 3 EStG.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.615 Kap. 6
Lizenzausgabenabzugsverbot mit abnehmender Besteuerung beim Lizenzgeber zu. Je geringer die Belastung durch Ertragsteuern auf Seiten des Lizenzgebers ist, desto höher ist also der nicht abziehbare Betrag der Lizenzaufwendungen auf Seiten des inländischen Lizenznehmers. c) Überblick ausgewählter Problemfelder der Neuregelung Unterbestimmter Rechtsbegriff. Der neue § 4j EstG wirft eine Vielzahl von Unklarheiten und rechtlichen Bedenken auf, die auch die beiden jüngsten BMF-Schreiben vom 5.1.20221 und 6.1.20222 nicht zu lösen vermögen. Insbesondere besteht ein beachtliches Spannungsverhältnis zwischen § 4j EStG und den Ergebnissen des BEPS-Aktionspunkts 5. Im Einzelnen sei auszugsweise lediglich auf folgende Problemfelder hingewiesen:
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Präferenzregelung – Regelbesteuerung. Zunächst fällt der den sachlichen Anwendungsbereich definierende unbestimmte Rechtsbegriff der „Regelbesteuerung“ auf. Unklar bleibt insofern, was als Regelbesteuerung einzuordnen und welche Abweichung hiervon unschädlich ist. Zwar erfolgen durch die Entwurfsbegründung Einschränkungen. Allein ein niedriger Steuersatz, der auch für andere Einkünfte gilt, soll hiernach nicht erfasst werden. Gleichwohl bestehen Unklarheiten, insbesondere anlässlich von Steuersystemen mit progressivem Steuertarif, verschiedenen (regionalen) Steuersätzen oder spezifischen Sonderregelungen. Bis dato haben sich lediglich die OECD und G20 dieser Problematik im Rahmen ihres „Projekts Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung“ angenommen.3 Die Prüfung erfolgt eigenen Angaben zufolge auf der Grundlage öffentlich zugänglicher Informationen und ist bis dato noch nicht abgeschlossen.4 Demgegnüber fehlt seitens des Bundesrates oder Bundestages eine entsprechende Gesetzesbegründung oder Stellungnahme, die sich mit dem (Norm-)Verständnis des Präferenzregimes i.S.d. § 4j Abs. 1 Satz 1 EstG befasst und diesbezüglich eindeutige Vorgaben macht. Anders sieht dies nur in der Begründung zum Regierungsentwurf aus. Dieser hebt insofern hervor, dass von der Regelung „Zahlungen nicht erfasst sind, die beim Empfänger aufgrund eines auch für die übrigen Einkünfte anzuwendenden Regelsteuersatzes niedrig besteuert werden.“5 Aus der gewählten Formulierung der Bundesregierung lässt sich daher ableiten, dass diese den Begriff des Präferenzregimes eng, sprich ausschließlich auf IP-Einkünfte bezogene Präferenzregime, verstanden wissen will.6 Dem schließt sich auch der bislang überwiegende Teil der Literatur an, der teils davon spricht, dass es sich bei dem Präferenzregime um ein Sondersteuerregime handeln muss und demnach ebenso wie die Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf von einem engen Normverständnis ausgeht.7 Unter Zugrundelegung dessen ist die insoweit jüngst verlautbarte abweichende Auffassung
6.615
1 Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100. 2 Vgl. BMF v. 6.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:005, BStBl. I 2022, 103. 3 Vgl. OECD/G20 „Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz – Aktionspunkt 5, Arbeitsergebnis 2014“: Kapitel 5 „Prüfung der Regelungen von Mitgliedsländern und assoziierten Ländern“, Tabelle 5.1 Nr. 12. 4 OECD/G20 „Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz – Aktionspunkt 5, Arbeitsergebnis 2014“: Kapitel 5 „Prüfung der Regelungen von Mitgliedsländern und assoziierten Ländern“, Tabelle 5.1 Nr. 12 Schlussfolgerung „Wird derzeit überprüft“. 5 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 20.2.2017, BT-Drucks. 18/112333, 13: Begründung B zu Artikel 1, zu Nummer 2, zu Absatz 1. 6 Der Gesetzesbeschluss des Bundestages v. 27.4.2017 verweist ausdrücklich auf ebendiesen Gesetzesentwurf, vgl. Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages, BR-Drucks. 366/17, „Einleitende Worte zur Entwurfsannahme“. 7 Vgl. Ritzer/Stangl/Karnath, Der Konzern 2017, 401 (402); Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1563); Benz/Böhmer, DB 2017, 206 (207).
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Kap. 6 Rz. 6.615 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
der Finanzverwaltung umso erstaunlicher.1 So stellt die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 5.1.2022 fest, dass eine Präferenzregelung nicht ausschließlich für Einnahmen aus Rechteüberlassungen gelten muss. Hierzu heißt es, dass Präferenzregelungen nicht nur auf sog. „Intellectual-Property“-(IP-)Regime wie Lizenzboxen, IP-Boxen oder Patentboxen beschränkt sind, sondern auch Einnahmen oder Einkünfte begünstigen können, die über die Einnahmen aus Rechteüberlassungen hinausgehen. Anknüpfungspunkt der Präferenzbesteuerung muss dabei nicht das Erzielen einer bestimmten Einkunftsart sein, sondern kann z.B. auch eine Einkunftsquelle, die Rechtsform sowie der Ort der Geschäftsleitung oder der Sitz des Gläubigers sein. Zwingende Voraussetzung ist jedoch, dass auch die Einnahmen aus Rechteüberlassungen von der Präferenzregelung erfasst werden. Schließlich könnten auch sog. „Tax Rulings“ zwischen ausländischen Finanzbehörden und Empfängern von Lizenzzahlungen die Voraussetzungen einer Präferenzregelung im Sinne der Lizenzschranke erfüllen.2 Dieses weite Verständnis der Finanzverwaltung geht insbesondere unter Zugrundelegung des rechtshistorischen Hintergrunds sowie des Wortlauts in § 4j Abs. 1 Satz 1 EstG fehl.3 So knüpft der Wortlaut in § 4j Abs. 1 Satz 1 EstG an die mit den (Lizenz-)Aufwendungen korrespondierenden Einnahmen des (Lizenz-)Gläubigers an. Entsprechend greift die Präferenzbesteuerung die Einkunftsquelle des (Lizenz-)Gläubigers auf.4 Überdies soll § 4j EstG in Umsetzung des Aktionspunkts 5 des BEPS-Projekts missbrauchsanfällige Steueranreize für substanzlose IP-Ansiedlungen und damit Steuersubstratverlagerungen vermeiden. Ziel ist die Sicherstellung einer fairen Besteuerung im Sinne einer Besteuerung am Ort der Wertschöpfung und die Bekämpfung nicht nexus-konformer IP-Boxen.5 Folglich kann ein allgemein gehaltenes, niedriges Besteuerungsniveau oder die regionale Steuerförderung keine Präferenzbesteuerung i.S.d. § 4j Abs. 1 Satz 1 EstG begründen.6 Gleiches gilt für die seitens der Finanzverwaltung als Anknüpfungspunkt der Präferenzbesteuerung angeführte Einkunftsquelle, Rechtsform sowie den Ort der Geschäftsleitung oder den Sitz des Gläubigers. Vielmehr muss unter Zugrundelegung des historischen Entstehungsgrunds der Lizenzschranke der Ansässigkeitsstaat des (Lizenz-)Gläubigers ein Steuerregime bereitstellen, dass (lediglich) IP-Einkünfte abweichend vom jeweils geltenden System der „Regelbesteuerung“ präferenziell erfasst.7 Diese historisch und teleologisch begründeten Grundsätze verkennt die Finanzverwaltung, wenn sie eine Regelung, die zwar nicht auf IP-Einkünfte zugeschnitten ist, diese jedoch auch begünstigt (bspw. Die Besteuerung gemischter Holdinggesellschaften in der Schweiz), sowie einzelne Abweichungen von der Regelbesteuerung im Ausland, sofern diese auf einem „Tax Ruling“ und damit nicht auf einer IP-Box beruhen, als Präferenzregelung einordnet.8 1 2 3 4 5
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Vgl. Greinert/Siebing, ISR 2022, 85 (86 f.). Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100 (100). Vgl. Frase in Korn, § 4j EStG, Rz. 27.2 (Stand: Juni 2020). Vgl. Quilitzsch in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, BeckOK, § 4j EStG, Rz. 54; Loschelder in Schmidt41, § 4j EStG, Rz. 9. Vgl. BR-Drucks. 59/17, 8; BT-Drucks. 18/11233, 12; gleiche Ansicht Max/Thiede, StB 2017, 175 (178 f.); Adrian/Tigges, StuB 2017, 228 (231); Holle/Weiss, FR 2017, 217 (221); Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (420); Greinert/Karnath/Eichenberger/Blankenstein, Tax Notes International 2018, 341; Ditz/Quilitzsch, Intertax 2017, 822; Benz/Böhmer, DB 2017, 206. Vgl. BR-Drucks. 59/17, 8; Geurts/Staccioli, IStR 2017, 514 (517); Heil/Pupeter, BB 2017, 795 (796); Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1563); Holle/Weiss, FR 2017, 217 (221); Lüdicke, DB 2017, 1482; Ritzer/Stangl/Karnath, Der Konzern 2017, 68 (71); a.A. Richter/John, ISR 2018, 109 (111 ff.); Surmann, ISR 2019, 190 (192 f.). Vgl. Geurts/Stacchioli, IStR 2017, 514 (517); Heil/Pupeter, BB 2017, 795 (796); Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1563); Grotherr, Ubg 2017, 233 (234). Vgl. Greinert/Siebing in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 4j EStG, Rz. 120; Quilitzsch in BeckOK, § 4j EStG, Rz. 55; Ritzer/Stangl/Karnath, Der Konzern 2017, 401 (402); Stacchioli in Frotscher/Geurts, § 4j EStG, Rz. 31 (Stand: Dezember 2017).
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.615 Kap. 6
Ungeachtet dessen bleibt zudem völlig offen, wie der Stpfl. ausreichenden Nachweis darüber erbringt, dass es sich um keine Präferenzregelung oder eine solche handelt, die eine substanzielle Geschäftstätigkeit i.S.d. Nexus-Ansatzes erfordert. Auch die Finanzverwaltung hat in den jüngsten BMF-Schreiben vom 5.1.20221 und 6.1.20222 in Sachen Beweislast nicht für mehr Klarheit gesorgt. Zunächst äußert die Finanzverwaltung in diesem Kontext, dass das Vorliegen einer Präferenzregelung i.S.d. § 4j Abs. 1 Satz 1 EStG mit daraus grundsätzlich resultierender Abzugsbeschränkung nach § 4j Abs. 3 EStG als steuererhöhende Tatsache der objektiven Beweislast der Finanzverwaltung unterliegt. Hierbei wird festgestellt, dass grundsätzlich von der tatsächlichen Anwendung der Präferenzregelung auf die Lizenzeinnahmen ausgegangen werden kann, soweit im Staat des Empfängers der Lizenzaufwendungen das Vorliegen einer solchen Präferenzregelung festgestellt wurde. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist es dem Steuerpflichtigen jedoch möglich, die tatsächliche Anwendung der Präferenzregelung durch entsprechende Nachweise zu widerlegen. Hierzu listet die Finanzverwaltung beispielhaft eine ganze Reihe an Unterlagen auf, mit denen ein solcher Nachweis geführt werden kann.3 Hierzu ist anzumerken, dass völlig unklar ist, wie die Finanzverwaltung ermitteln will, dass im Ausland „das Vorliegen einer Präferenzregelung festgestellt wurde“4. Eine derartige Feststellung erfolgt typischerweise nicht. Es kann daher nur vermutet werden, dass die Finanzverwaltung bei Existenz einer Präferenzregelung im Ansässigkeitsstaat des ausländischen Lizenzgebers ohne Weiteres unterstellt, dass diese angewandt wird. Auch wenn hierfür insbesondere die in diesem Kontext erfolgende Aussage der Finanzverwaltung spricht, wonach „die Anwendung der Präferenzregelung (…) vom Steuerpflichtigen jedoch durch entsprechende Nachweise widerlegt werden (kann)“5, entbehrt eine derartige Unterstellung bei Existenz einer Präferenzregelung im Ansässigkeitsstaat des ausländischen Lizenzgebers jeglicher Grundlage. Hinzukommt, dass dem Steuerpflichtigen die Vorlage der hierin genannten Unterlagen, mit denen ein solcher Nachweis geführt werden kann, regelmäßig unmöglich bzw. unzumutbar sein dürfte. Dies betrifft bereits den Grundfall des § 4j EStG, mithin die zwischen einem ausländischen Lizenzgeber und einem inländischen Lizenznehmer bestehende Vertragsbeziehung betreffend die Nutzung von Rechten. In diesem Fall würde der inländische Lizenznehmer mit einem erheblichen, teils unzumutbaren Compliance- und Prüfungsaufwand belastet, sofern er den von der Finanzverwaltung geforderten Nachweis der Regelbesteuerung erfolgreich führen wollte. Dies betrifft insbesondere die Beschaffung der Unterlagen aus der Buchführung des Gläubigers der Lizenzaufwendungen sowie den für den Veranlagungszeitraum ergangenen ausländischen Steuerbescheid nebst Berechnungsgrundlagen, gerade wenn der Gläubiger der Lizenzaufwendungen eine Mutter- oder Schwestergesellschaft ist, auf die der Schuldner der Lizenzaufwendungen keinen Einfluss ausüben kann. Im Übrigen ist nicht gesichert, dass der Steuerpflichtige diese Nachweise überhaupt erfolgreich führen kann. Dies gilt umso mehr in Inbound-Strukturen bei Ketten- und Durchleitungsfällen i.S.d. § 4j Abs. 1 Satz 2 EStG. So ist völlig offen, ob die in die Beteiligungskette „eingeschalteten“ verbundenen Unternehmen mit dem Steuerpflichtigen kooperieren und ihm Zugang zu den für die Aufklärung erforderlichen Beweismitteln verschaffen. In all diesen (wahrscheinlichen) Szenarien stünde der Steuerpflichtige solcherart vor dem „Dilemma“, dass er die seitens der Finanzverwaltung unterstellte Anwendung der Präferenzregelung im Staat des Empfängers der Lizenzaufwendungen nicht wi-
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Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100. Vgl. BMF v. 6.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:005, BStBl. I 2022, 103. Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100 (102). Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100 (102). Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100 (102).
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Kap. 6 Rz. 6.615 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
derlegen kann. Mithin auch dann dem (Teil-)Abzugsverbot des § 4j EStG unterliegt, wenn selbige Präferenzregelung tatsächlich nicht angewandt worden ist.1
6.616
Präferenzregelung – Niedrigbesteuerung. Der in § 4j Abs. 2 EStG vorgesehene Schwellenwert von 25 % ist zur Definition einer Niedrigbesteuerung deutlich zu hoch angesetzt. Er orientiert sich an der (ohnehin überkommenen) Schwelle des § 8 Abs. 3 AStG, liegt aber deutlich über diversen Regelsteuersätzen. Insbesondere in Europa liegt der durchschnittliche Regelsteuersatz bei nur 21,5 %.2 Präferenzregelungen sehen zudem häufig weit geringere Steuersätze vor. Entgegen der insoweit jüngst anderweitig verlautbarten Auffassung der Finanzverwaltung in den BMF-Schreiben vom 5.1.20223 und 6.1.20224 sollte der Schwellenwert vor diesem Hintergrund gesenkt werden.5 Insofern erschiene ein Wert von 15 % adäquater, zumal dieser mit dem deutschen Körperschaftsteuersatz in § 23 Abs. 1 KStG und einer etwaigen Quellensteuerbelastung i.S.d. § 50a EStG korrespondieren würde. Im Übrigen würde dieser Wert den Anwendungsbereich der Norm dem Grunde nach wohl nicht einschränken, da die Belastung durch Präferenzregime meist deutlich unter 15 % liegt. Bei einer Reduktion des Steuersatzes würde allerdings der prozentuale Anteil der nichtabziehbaren Ausgaben geringer. Denn die 25 %-Grenze dient auch als Grundlage für die Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Betriebsausgaben. Ungeachtet dessen besteht zugleich Handlungsbedarf hinsichtlich einer Klarstellung des hiesigen Gesetzeswortlauts. Hierzu gehört u.a. zu verdeutlichen, ob „sämtliche Regelungen“ i.S.d. § 4j Abs. 2 Satz 2 EStG auch Verlustverrechnungen (Verlustvortrag/-rücktrag) erfassen. Letzteres wäre nicht sachgerecht. Denn ansonsten könnte eine temporäre Niedrigbesteuerung aufgrund Verlustverrechnung zu einem Betriebsausgabenabzugsverbot führen. Darüber hinaus sollte klargestellt werden, dass das qualitative und quantitative Merkmal der Präferenzregelung nicht nur kumulativ, sondern auch kausal miteinander verknüpft sein muss.
6.617
IP-Regime und Sonstige Präferenzregime. Die Finanzverwaltung hat mittels BMF-Schreibens vom 6.1.20226 eine aktualisierte „Negativ-Liste“ von länderspezifischen Besteuerungsregimen, die auf ihre Vereinbarkeit mit dem Nexus-Ansatz geprüft worden sind, veröffentlicht. In Abschnitt II des BMF-Schreibens vom 6.1.20227 ist eine Liste von Präferenzregimen enthalten, die das BMF auf Grundlage der von der OECD abgegebenen Einschätzungen als nicht nexus-konform einordnet. Im Vergleich zur Vorgängerversion erweitert die hierin enthaltene Auflistung die Aufzählung nicht nexus-konformer Präferenzregelungen inhaltlich sowie um die Veranlagungszeiträume 2019 und 2020. Nach wie vor handelt es sich hierbei jedoch um eine nicht abschließende Aufzählung. Daher können weitere nicht nexus-konforme Präferenzregelungen ungeachtet dieser Aufzählung existieren. Von Rechtssicherheit kann also weiterhin nicht die Rede sein. Neu ist Kapitel II.2 „Kantonale Spezialgesellschaften der Schweizerischen Eidgenossenschaft“ des BMF-Schreibens vom 6.1.2022. Bislang bestand – auch unter Zugrundelegung des bisherigen BMF-Schreibens vom 19.2.20208 – erhebliche Rechtsunsicherheit über Zahlungen eines inländischen Lizenznehmers an einen in der Schweiz ansässigen (Lizenz-)Gläubiger, die nach 1 Vgl. Greinert/Siebing, ISR 2022, 85 (92 ff.). 2 Ungewichteter Durchschnitt ohne Deutschland, Stand 2015, vgl. Evers/Miller/Spengel, International Tax and Public Finance 2015, 502 (506). 3 Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100. 4 Vgl. BMF v. 6.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:005, BStBl. I 2022, 103. 5 Vgl. Greinert/Siebing, ISR 2022, 85 (88 f.). 6 Vgl. BMF v. 6.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:005, BStBl. I 2022, 103. 7 Vgl. BMF v. 6.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:005, BStBl. I 2022, 103. 8 Vgl. BMF v. 19.2.2020 – IV C 2 - S 2144-g/17/10002, BStBl. I 2020, 238.
790 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.617 Kap. 6
den kantonalen oder kommunalen Sonderregelungen besteuert werden und für bestimmte Unternehmenstypen zu keiner oder einer deutlich niedrigeren kantonalen und kommunalen Ertragsbesteuerung führen. Hiervon sind kantonale Spezialgesellschaften der Schweizerischen Eidgenossenschaft, mithin Verwaltungs-, Domizil- und gemischte Gesellschaften sowie Holdinggesellschaften (kantonale Spezialgesellschaften nach Art. 28 Abs. 2 bis 4 Steuerharmonisierungsgesetz – StHG Schweiz, Stand: 9.7.2019), betroffen.1 Nunmehr hat das BMF die insoweit bis dato bestehenden Rechtsunsicherheiten in für den Steuerpflichtigen nicht vorteilhafter Weise aufgelöst. Einerseits bleibt es dabei, dass die Lizenzbox im Kanton Nidwalden auch in den Veranlagungszeiträumen 2019 und 2020 als nicht nexus-konform und damit schädlich eingestuft wird. Andererseits werden kantonale Spezialgesellschaften der Schweizerischen Eidgenossenschaft, mithin Verwaltungs-, Domizil- und gemischte Gesellschaften sowie Holdinggesellschaften (kantonale Spezialgesellschaften nach Art. 28 Abs. 2 bis 4 Steuerharmonisierungsgesetz – StHG Schweiz, Stand: 9.7.2019) ausdrücklich erwähnt. Zwar betont die Finanzverwaltung, dass es sich bei diesen Unternehmenstypen unter Verweis auf die Beurteilung des Forum of Harmful Tax Practices (FHTP) um „Sonstige Regelungen“ handelt, weshalb eine Prüfung auf Nexus-Konformität durch das FHTP nicht erfolgt ist. Allerdings wird hervorgehoben, dass den kantonalen Spezialgesellschaften gemein ist, dass diese keinen bzw. nur in sehr begrenztem Umfang substanziellen Geschäftstätigkeiten in der Schweiz nachgehen dürfen. Insbesondere die für eine nexus-konforme Präferenzregelung erforderliche eigene Forschungs- und Entwicklungstätigkeit des Empfängers der Lizenzeinnahmen ist somit keine Voraussetzung für die Anwendung dieser Präferenzregelung. Vor dem Hintergrund, dass die deutsche Finanzverwaltung die Präferenzregelung nunmehr ausdrücklich weit im Sinne einer Präferenzregelung auffasst, die auch IP-Rechte umfassen kann, werden die kantonalen Spezialgesellschaften somit bis zum 31.12.2019 als nicht nexus-konform und damit schädlich eingestuft. Folglich unterliegen die in diesem Zeitraum an derartige Schweizer Unternehmenstypen (Verwaltungs-, Domizil-, und gemischte Gesellschaften sowie Holdinggesellschaften) geleisteten (Lizenz-)Aufwendungen der (Teil-)Abzugsbeschränkung des § 4j EStG. Ungeachtet dessen, dass diese Beurteilung historischen und telelogischen Grundsätzen des § 4j EStG widerspricht, beruft sich die Finanzverwaltung bei der Einstufung der Schweizer Regime nicht auf die Arbeiten der OECD, sondern nimmt eigenständig – und damit international nicht abgestimmt – die Einstufung der Schweizer Unternehmenstypen (Verwaltungs-, Domizil-, und gemischte Gesellschaften sowie Holdinggesellschaften) vor. Hinzukommt, dass eine solche Beurteilung mit Blick auf FDII nicht konsistent ist. Auch wenn FDII für „Foreign Derived Intangible Income“ steht, ist dessen Anwendungsbereich tatsächlich unabhängig von der Existenz von IP. Vor dem Hintergrund, dass die Finanzverwaltung nunmehr ausdrücklich ein weites Verständnis der Präferenzregelung zugrunde legt, verwundert, dass sie sich bislang noch nicht endgültig zu dem in den USA eingeführten FDII-Regime geäußert hat. Gleichwohl ist zu begrüßen, dass die Finanzverwaltung bezüglich der Einstufung von FDII augenscheinlich die Einschätzung des FHTP abwartet und nicht – wie bei den Schweizer Unternehmenstypen (Verwaltungs-, Domizil-, und gemischte Gesellschaften sowie Holdinggesellschaften) – ihr gegen historische Grundsätze und den Telos des § 4j EStG verstoßendes weites Verständnis der Präferenzregelung zugrunde legt. In Abschnitt III des BMF-Schreibens vom 6.1.20222 ist eine Liste an Präferenzregimen enthalten, für die eine abschließende Prüfung auf Nexus-Konformität seitens des BMF noch aussteht. Insoweit greift das (Teil-)Abzugsverbot nach § 4j EStG (noch) nicht.3 1 Vgl. Greinert/Karnath/Eichenberger/Blankenstein, Tax Notes International 2018, 341. 2 Vgl. BMF v. 6.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:005, BStBl. I 2022, 103. 3 Vgl. Greinert/Siebing, ISR 2022, 85 (91 f.).
Greinert/Leonhardt | 791
Kap. 6 Rz. 6.618 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
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Überdenken der Rechtsfolgenbestimmung. Grundsätzlich kritikwürdig mutet es an, dass eine pauschale Berechnung des Anteils der Kürzung ohne Rücksicht auf den konkreten Vorteil des Präferenzregimes gegenüber dem Regelsystem erfolgt. Durch die Anknüpfung an einen SollSteuersatz von 25 % wird es insofern oft zu einer erheblichen Überkompensation in Relation zur missbilligten Steuerbegünstigung des Lizenzgebers kommen. Im Übrigen ist die Rechtsfolge endgültig. Denn es fehlt an einer Regelung eines Vortrags des nicht abzugsfähigen Aufwands. Dementsprechend fällt ein Betriebsausgabenabzug weg und kann auch zukünftig nicht mehr nachgeholt werden. Angesichts dessen verwundert es, dass als Rechtsfolge nicht schlicht das Heraufschleusen auf ein bestimmtes Besteuerungsniveau festgeschrieben wurde.1 Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung von Lizenzgeber und -nehmer führt die derzeitige Berechnungsmethode nämlich in vielen Fällen dazu, dass der deutsche Fiskus nicht nur die tatsächliche Steuerentlastung im anderen Staat zu Gunsten Deutschlands „zurückdreht“, sondern durch übermäßige Kürzung auch darüber hinaus noch Mehreinnahmen generiert. Denn das Steuerniveau bei Greifen der Lizenzschranke kann das Regelniveau des ausländischen Staats und das Niveau der deutschen beschränkten Steuerpflicht übersteigen. Diese Mehrbelastung innerhalb der Gruppe, die einer faktischen Doppelbesteuerung gleichkommt, ergibt sich insbesondere dadurch, dass der Nenner der Kürzungsrechnung auf 25 % festgelegt wurde. Dieser Effekt würde – sofern überhaupt an dieser Berechnungsmethode festgehalten wird – zumindest abgemildert, wenn maximal der Satz der (noch legal zu definierenden) Regelbesteuerung des betreffenden Staates in die Quote einfließen oder der Schwellenwert nicht ohnehin auf angemessenere 15 % abgesenkt würde.2
6.619
Fragwürdiger Verweis auf den OECD-Abschlussbericht zu Aktionspunkt 5. Der Verweis des § 4j Abs. 1 Satz 4 EStG auf den Nexus-Ansatz des OECD-Abschlussberichts soll gemäß der Begründung der Ausschussfassung einen Gleichlauf aus Präferenzregelung im Ausland und steuerlichem Abzug im Inland erzielen und so eine von der OECD-Auslegung abweichende Auslegung eines nationalen Wortlauts durch die deutsche Verwaltung bzw. Rspr. verhindern.3 Durch diese Vorgehensweise ergeben sich nicht nur praktische, sondern auch rechtsstaatliche Bedenken. Ersteres ist vor allem dadurch bedingt, dass es nunmehr der Finanzverwaltung (und letztlich der Rspr.) obliegt, die mehrseitigen Ausführungen des OECDAbschlussberichts zu interpretieren. Zudem resultieren praktische Probleme auch aus der Frage nach der diesbezüglich zugrunde zulegenden Sprachfassung des Abschlussberichts. Rechtsstaatliche Bedenken gründen demgegenüber darauf, dass eine derartige Verweisungstechnik ein den Grundsatz der gesetzmäßigen Besteuerung verletzendes Novum im deutschen Steuerrecht darstellt.4 Ob es sich dabei um eine statische oder dynamische Verweisung handelt, kann dahin stehen. Denn beide Varianten machen die gesetzliche Rechtsfolge der Lizenzschranke tatbestandlich von den im OECD-Abschlussbericht enthaltenen Definitionen und damit von einer politischen Willenserklärung abhängig, die gerade nicht durch ein rechtsstaatliches Verfahren entstanden sind und so einer demokratischen Legitimation entbehren.5 Eine derartige 1 Sachgerecht wäre es dabei, das Besteuerungsniveau der Regelbesteuerung des Staats des Lizenzgläubigers zu verwenden. Eine Abweichung von dieser Regelbesteuerung ist ein Tatbestandsmerkmal einer Präferenzbesteuerung (d.h. ohne eine solche Abweichung findet die Lizenzschranke keine Anwendung). Dann sollte sich die Rechtsfolge auch nur auf ein Heraufschleusen auf diese Regelbesteuerung beschränken. 2 Vgl. Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (421). 3 Vgl. BT-Drucks. 18/12128 v. 26.4.2017. 4 Vgl. Jochimsen/Zinowsky/Schraud, IStR 2017, 593 (600). 5 Etwas anderes gilt für statische Verweisungen auf Normen eines anderen Normgebers. Diese sind verfassungsrechtlich unbedenklich, auch wenn sie zu Einbußen an Klarheit und Übersichtlichkeit führen können, vgl. BVerfG v. 21.9.2016 – 2 BvL 1/15, NJW 2016, 3648 m.w.N. zur st. Rspr. des BVerfG.
792 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.620 Kap. 6
Verweisung verstößt gegen das im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG fußende allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot und ist bereits aus diesem Grund als verfassungswidrig zu betrachten.1 Ebenso wenig kann angesichts der teils mangelnden Verbindlichkeit der Regelungen des OECD-Abschlussberichts ein voraussehbares und berechenbares Handeln der Verwaltung für den Bürger sowie eine Ermöglichung der Kontrolle durch die deutsche Gerichtsbarkeit gewährleistet werden. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Finanzverwaltung in den jüngsten BMF-Schreiben vom 5.1.20222 und 6.1.20223 klarstellt, dass die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 4j Abs. 1 Satz 4 EStG in Fällen, in denen die Präferenzregelung nicht dem Nexus-Ansatz entspricht, auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger selbst die Kriterien für eine substanzielle Geschäftstätigkeit erfüllt.4 Hiermit führt die Finanzverwaltung die gesetzgeberisch angelegte Schwäche der Rückausnahme des § 4j Abs. 1 Satz 4 EStG fort. Entgegen dem Telos des § 4j EStG stellt diese ausschließlich auf die rechtliche Ausgestaltung des jeweiligen IP-BoxRegimes ab. Die tatsächliche Art und Weise der Geschäftstätigkeit des (Lizenz-)Gläubigers ist hingegen unbeachtlich.5 Solcherart erfasst § 4j EStG auch Fallgestaltungen, die bei konkreter Betrachtung keinen Missbrauchscharakter i.S.d. Aktionspunktes 5 des BEPS-Projekts aufweisen.6 Dies hat „verheerende“ Konsequenzen. Lässt sich nämlich im Ansässigkeitsstaat des (Lizenz-)Gläubigers eine substanzielle Geschäftstätigkeit nachweisen, die dem Nexus-Ansatz ganz bzw. teilweise gerecht wird, wird der inländische Lizenznehmer gleichwohl durch § 4j EStG belastet, wenn das dortige Steuerregime die präferenzielle Niedrigbesteuerung nicht von ausreichender eigener Forschungs- und Entwicklungstätigkeit abhängig macht. Wenn insoweit zu Rechtfertigungszwecken angeführt wird, eine solch abstrakte Prüfung entspräche dem Regelungszweck, schädliche von unschädlichen Präferenzregimen zu trennen,7 mag dies grundsätzlich zutreffen. Allerdings wird dem inländischen Lizenznehmer bzw. dem (Lizenz-) Gläubiger nicht die Möglichkeit eingeräumt, diesen abstrakten Bereich zu verlassen und nachzuweisen, dass die konkrete Geschäftstätigkeit des (Lizenz-)Gläubigers nexus-konform ausgestaltet ist.8 Verstoß gegen höherrangiges Recht. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4j EStG erfüllt, wird den entsprechenden Lizenzausgaben ganz oder teilweise der Betriebsausgabenabzug versagt. Hieraus folgt ein Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG.9 Denn eine sachliche Rechtfertigung hierfür ist nicht ersichtlich. Zwar mag die Sicherstellung einer angemessenen Steuerwirkung der Li1 Zwar wurde vom BGH in anderer Rechtssache entschieden, dass ein Verweis auf eine unionsrechtliche Richtlinie keinen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot beinhaltet, selbst wenn diese nicht mehr gültig sein sollte (vgl. BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, NJW 2014, 1029). Dies stimmt jedoch nicht mit dem vorliegenden Fall eines Verweises auf mehrseitige Ausführungen in einem OECD-Abschlussbericht überein, zumal dieser in seiner Klarheit und Bestimmtheit nicht mit einer formellen Richtlinie vergleichbar ist. 2 Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100. 3 Vgl. BMF v. 6.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:005, BStBl. I 2022, 103. 4 Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100 (101). 5 Vgl. Adrian/Tigges, StuB 2017, 232 f.; Kußmaul/Ditzler, StB 2018, 126 (130 f.). 6 Vgl. Schnitger, IStR 2017, 214 (225). 7 Vgl. Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (422). 8 Vgl. Greinert/Siebing, ISR 2022, 85 (90 f.). 9 Bereits die ähnlich wirkende Zinsschranke des § 4h EStG wird nach dem Vorlagebeschluss des BFH als verfassungswidrig eingestuft (vgl. BFH v. 14.10.2015 – I R 20/15, BFHE 252, 44 = DStR 2016, 301).
Greinert/Leonhardt | 793
6.620
Kap. 6 Rz. 6.620 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
zenzausgaben grundsätzlich ein legitimes Ziel sein. Die hierin geregelte Sanktionierung des inländischen Lizenznehmers ist jedoch fehlerhaft.1 In dessen Sphäre liegt nämlich gar nicht das anvisierte „Problem“, sprich die „unzulässige“ Begünstigung des ausländischen nahestehenden Lizenzgebers durch eine schädliche Lizenzbox. Da es in Deutschland keine allgemeine Gruppenbesteuerung gibt2, sondern jeder Rechtsträger grundsätzlich selbst nach seinen Merkmalen besteuert wird, liegt auch in der Sanktionierung des Lizenznehmers wegen der niedrigen (Präferenz-)Besteuerung des Lizenzgebers kein sachlicher Grund, der die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips zu rechtfertigen vermag. Vielmehr finden hierdurch eine Durchbrechung des Trennungsprinzips und insofern zugleich ein Verstoß gegen das Gebot der Folgerichtigkeit statt.3 Im Übrigen erscheint die Vereinbarkeit mit Unionsrecht äußerst fraglich. Denn Aufwendungen, die in EU-Mitgliedstaaten mit schädlichen Präferenzregelungen fließen, werden schlechter behandelt als rein inländische Vergütungen. Die daraus folgende Diskriminierung grenzüberschreitender Sachverhalte – insbesondere unter dem Blickwinkel der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) bzw. der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) – ist offensichtlich. Die bekannten Rechtfertigungsgründe gegen den Eingriff in eine Grundfreiheit, mithin die Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse, die Vermeidung von Steuerumgehungen oder die Nutzung steuerlicher Vorteile durch grenzüberschreitende Gestaltungen, dürften hier nicht zur Anwendung kommen.4 Überdies erscheint die Regelung durch den „Ganz-oder-gar-nicht-Ansatz“ sowie die fehlende Möglichkeit für den Stpfl., konkrete substanzielle Geschäftstätigkeit im anderen Staat nachweisen zu können, auch nicht verhältnismäßig.
6.621
Fazit. Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass die Notwendigkeit des § 4j EStF angesichts der relativ gering erwarteten Mehreinnahmen von 30 Mio. Euro p.a.5 fraglich erscheint. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass mit § 4j EStG der international akzeptierte Bestandsschutz für vor dem 1.7.2016 geschaffene Präferenzregelungen unterlaufen wird. Infolgedessen müssen bereits bestehende Regime dieser Art erst innerhalb einer Schonfrist bis zum 30.6.2021 angepasst oder aufgehoben werden. Allerdings dürfen derartige IP-Box-Regime bis zu diesem Zeitpunkt angewandt werden, ohne dass hieraus „negative“ steuerliche Konsequenzen folgen.6 Hierüber setzt sich nicht zuletzt die Finanzverwaltung in den jüngsten BMFSchreiben vom 5.1.20227 und 6.1.20228 hinweg, indem sie das (Teil-)Abzugsverbot für die Veranlagungszeiträume 2018, 2019 und 2020 auch dann anwendet, wenn das fragliche Besteuerungsregime später ausläuft.
1 Im Übrigen kommt es hierdurch zu einer personellen Verschiebung. Denn BEPS-Aktionspunkt 5 setzt dem Lizenzgläubiger Schranken, wohingegen § 4j EStG den Lizenznehmer bestraft. 2 Eine solche allgemeine Gruppenbesteuerung gibt es auch nicht grenzüberschreitend. 3 Vgl. Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (424 f.). 4 Vgl. Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1567); van Lück, IStR 2017, 388 (391); Ditz/Pinkernell/Quilitzsch, IStR 2014, 45 (47). Dies gilt auch für die Nutzung steuerlicher Vorteile durch grenzüberschreitende Gestaltungen (vgl. EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes; EuGH v. 5.7.2012 – C-318/10, ECLI:EU:C:2012:415 – SIAT). 5 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/11233 v. 20.2.2017, Abschnitt D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand. 6 Vgl. Greinert/Siebing in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 4j EStG, Rz. 9; Quilitzsch in BeckOK, § 4j EStG, Rz. 83. 7 Vgl. BMF v. 5.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:007, BStBl. I 2022, 100. 8 Vgl. BMF v. 6.1.2022 – IV C 2 - S 2144-g/20/10002:005, BStBl. I 2022, 103.
794 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.623 Kap. 6
4. Sonderfälle der Lizenzierung a) Lizenzierung des Firmennamens und Markenüberlassung Recht auf Führen des Firmennamens. Die Finanzverwaltung lehnt die Zahlung eines Entgelts für das Recht, einen Firmennamen zu führen, ab. So heißt es in Tz. 3.55 der VWG VP: „Die bloße Nutzung eines Unternehmenskennzeichens innerhalb einer multinationalen Unternehmensgruppe ohne die Überlassung von Markenrechten oder anderen immateriellen Werten ist grundsätzlich nicht entgeltfähig.“ Begründet wird dies damit, dass die Verleihung dieses Rechts als Akt der Dotation nach den Grundsätzen des Firmenrechts anzusehen sei und damit der Tochtergesellschaft auf gesellschaftsrechtlicher und nicht auf schuldrechtlicher Basis zugewendet wurde. Auch die OECD steht der Zahlung eines Entgelts für die Nutzung eines Firmennamens kritisch gegenüber. Dies kommt bereits in ihrem überarbeiteten Entwurf zu „Intangibles“ zum Ausdruck.1 An diesem Standpunkt hält die OECD bis heute fest. Denn auch die OECD-Leitlinien 2022 bestimmen, dass bei bloßer Verwendung des Namens zur Darstellung der Gruppenzugehörigkeit grundsätzlich keine Zahlung zu leisten ist.2 Hierin wird jedoch zugleich davon ausgegangen, dass für den Fall, in dem ein Gruppenmitglied Eigentümer der Handelsmarke oder eines anderen „Intangible“ für den Gruppennamen ist, und der Gebrauch des Namens einen finanziellen Vorteil für die Gruppenmitglieder darstellt („financial benefit to members of the group“), vernünftigerweise angenommen werden muss, dass eine Zahlung für den Gebrauch des Namens fremdvergleichskonform sein würde.3 Dies konzedizert inzwischen auch die deutsche Finanzverwaltung, fordert hierfür jedoch ergänzend, dass Dritte von der Nutzung ausgeschlossen werden können müssen.4
6.622
Identität von Firma und Marke. In der Vergangenheit wurde in Literatur und Rspr. intensiv der Fall diskutiert, bei dem der Firmenname mit einer namensgleichen Konzernmarke übereinstimmt. Bei dieser Konstellation wollte die deutsche Finanzverwaltung ehedem zumindest für den Inbound-Fall die Zahlung von Lizenzgebühren für die Marke an die ausländische Muttergesellschaft nicht anerkennen, da Firmenname und Marke übereinstimmen. In dem Urteil des FG Rheinland-Pfalz v. 14.12.19985 wurde der Auffassung der Finanzverwaltung zunächst zugestimmt. Der BFH hat jedoch – der überwiegenden Auffassung in der Literatur folgend – mit dem Urteil v. 9.8.20006 das Urteil des FG Rheinland-Pfalz aufgehoben und die Zahlung von Lizenzgebühren für eine Marke anerkannt, die mit dem Firmennamen übereinstimmt. Dies wird insbesondere damit begründet, dass „Markenrechte als produktidentifizierende Kennzeichnungen einerseits und Unternehmensbezeichnungen als besondere Bezeichnungen eines Geschäftsbetriebes andererseits strikt auseinander zu halten [sind]. Beiden kommen verschiedene Inhalte zu: beide sind grundsätzlich unabhängig voneinander verwertbar und mit entsprechenden Schutzrechten ausgestattet […] Das gilt auch, wenn der Marken- und der Firmenname gleichlautend sind“7. Im Urteil v. 21.1.20168 hat der BFH erneut zu der Frage Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen eine Entgeltpflicht an eine deutsche Muttergesellschaft bei Überlassung von Markenzeichen an eine ausländische Tochtergesellschaft besteht. Dabei hält der Senat ausdrücklich an den Grundsätzen fest, die er in seinem
6.623
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Vgl. Tz. 99 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. Vgl. Tz. 6.81 ff. OECD-Leitlinien 2022; Krüger, Der Konzern 2017, 340 (343 f.). Vgl. Tz. 6.82 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.55. Vgl. FG Rh.-Pf. v. 14.12.1998 – 5 K 2821/96, juris. Vgl. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. BFH v. 21.1.2016 – I R 22/14, BStBl. II 2017, 336.
Greinert/Leonhardt | 795
Kap. 6 Rz. 6.623 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Urteil v. 9.8.2000 zur Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Zusammenhang mit der Nutzung des Konzernnamens entwickelt hat. In seinen Entscheidungsgründen äußert er insofern, dass „(f)ür die bloße Überlassung des Firmennamens durch einen Gesellschafter an die Gesellschaft als Gegenstand der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung – i.S. einer Erlaubnis, den Namen als Bestandteil des eigenen Firmennamens und damit i.S. des deutschen Handelsrechts zur Unternehmensunterscheidung (§ 18 Abs. 1 HGB) zu nutzen – […] in der Regel Lizenzentgelte steuerlich nicht zu verrechnen (sind). Nur wenn durch einen Warenzeichen-Lizenzvertrag, der ein Recht zur Benutzung des Konzernnamens und des Firmenlogos als Warenzeichen für die im Gebiet verkauften oder zum Verkauf angebotenen Produkte einräumt, ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Namensrecht und produktbezogenem Markenrecht hergestellt wird, kann die Überlassung des Markenrechts, wenn insoweit ein eigenständiger Wert festzustellen ist, im Vordergrund stehen und insoweit insgesamt (einheitlich) nach Maßgabe der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ein fremdübliches Entgelt gefordert werden.“ Dieses Urteil hat in der Literatur große Beachtung gefunden.1 Zu ihm ist zudem am 7.4.2017 ein BMF-Schreiben2 ergangen, das inzwischen in Teilen in die VWG VP 2021 überführt und im Übrigen aufgehoben worden ist.3
6.624
Entgeltlichkeit bei Markenüberlassung. Gemäß der nunmehr geklärten Rechtslage kann also Entgeltlichkeit für die Überlassung einer Marke bestehen, selbst wenn sie gleichzeitig als Firmenname fungiert. Die Entgeltlichkeit setzt freilich voraus, dass die Marke bzw. das die Marke begründende Zeichen auch hinreichend markenrechtlich geschützt ist, sei es durch Eintragung in das Markenregister, durch Verkehrsgeltung oder durch notorische Bekanntheit.4 Nur dann stehen dem Markeninhaber ein ausschließliches Nutzungsrecht sowie ein Ausschließlichkeitsrecht zu.5 Diese Rechte sind die Grundlage dafür, dass der Markeninhaber von einem Dritten dem Grunde nach ein Entgelt für die Nutzung der Marke verlangen kann. Sollten dagegen diese Rechte nicht bestehen, würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter keine Verpflichtung zur Zahlung einer Lizenzgebühr eingehen.6 Von einer Entgeltpflicht ist also nur dann auszugehen, wenn auch fremde Dritte für die Verwendung der Marke etwas zahlen würden. Wie sich schon aus dem Urteil des BFH v. 9.8.2000 ergibt, kommt es für die Entgeltlichkeit der Höhe nach darauf an, „ob die mit der Einräumung verbundenen besonderen und marktfähigen Schutzrechte geeignet sind, zur Absatzförderung beizutragen.“7 Es reicht somit bereits die Möglichkeit aus, mit der Nutzung einer Marke absatzwirtschaftliche Vorteile zu erzielen, unabhängig davon, ob die Nutzung der Marke „tatsächlich zu einer Absatzsteigerung und/oder zu einer Erhöhung des einschlägigen Marktanteils geführt hat.“8 Entscheidend ist somit auch hier die „Ex-ante-Betrachtung“, wonach zum Zeitpunkt des Abschlusses des Lizenzvertrags mit absatzwirtschaftlichen Vorteilen gerechnet werden konnte.9 Aus diesen Urteilsgrundsätzen haben Teile der Praxis quasi eine Anscheinsvermutung für die Verrechnung 1 Vgl. Krüger, Der Konzern 2017, 340 (340). 2 BMF v. 7.4.2017 – IV B 5-S 1341/16/10003 – DOK 2017/0276404, BStBl. I 2017, 701 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.55. 4 Vgl. § 4 MarkenG. 5 Vgl. § 14 MarkenG. 6 Vgl. FG München v. 28.11.2006 – 6 K 578/06, BeckRS 2006, 26022354, rkr. 7 BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. 8 BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246. 9 Der BFH sah wertbildende Faktoren in den erzielbaren Preisen für Markenartikel, dem Bekanntheitsgrad der Marke, der weltweiten oder regionalen Präsenz sowie der Exportquote des einzelnen Konzernunternehmens.
796 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.625 Kap. 6
dem Grunde nach abgeleitet. Dieser grundsätzlich unterstellten Verrechenbarkeit ist der BFH mit seinem jüngeren Urteil v. 21.1.2016 allerdings klar entgegengetreten. Danach sind die Hürden für die Anerkennung eines Lizenzentgelts deutlich höher.1 Insofern ist die Aussage, nach der der BFH in seiner neuen Entscheidung ausdrücklich an den Grundsätzen aus dem BFH-Urteil v. 9.8.2000 festhält, in einem ganz wesentlichen Merkmal zu relativieren. Denn nunmehr wird ein Lizenzentgelt erst (ausdrücklich) anerkannt, wenn sich aus Lizenzvereinbarungen zur Übernahme des Konzernnamens für den Lizenznehmer ein ökonomischer Vorteil ergibt.2 Diesen gilt es mittels eines Benefit-Tests im Rahmen einer „Ex-ante-Betrachtung“ detailliert darzulegen.3 Der BFH fordert insofern eine dezidierte Werthaltigkeitsanalyse der Markenüberlassung aus Sicht des aufnehmenden Unternehmens. Offen bleibt hierin jedoch, wie diese Analyse konkret auszusehen hat. Auch Abschnitt F.3 der VWG VP 2021 lässt eine weitergehende und praxistaugliche Präzisierung vermissen und führt lediglich einige sehr pauschale Beispiele für eine (fehlende) Entgeltfähigkeit dem Grunde nach aus: So soll eine Entgeltfähigkeit dann dem Grunde nach ausscheiden, wenn die Marke mangels rechtlichen Schutzes im Nutzungsgebiet auch ohne Nutzungsüberlassung frei genutzt werden könnte. Ferner fehlt es der Höhe nach an einem wirtschaftlichen Vorteil, wenn die Marke im Nutzungebiet unbekannt ist und zunächst mittels Marketingmaßnahmen entwickelt werden muss.4 Das – inzwischen aufgehebene – BMF-Schreiben vom 7.4.2017 enthält zudem einige Hinweise zur Anwendung des § 1 AStG für die Abgrenzung zwischen einer „bloßen“ Namensnutzung und der mit einer Namensnutzung ggf. unmittelbar verbundenen Überlassung von Marken und anderen immateriellen Werten (z.B. Know-how).5 Die VWG VP 2021 vertreten insoweit eine klare „Ex-ante-Sicht“, so dass eine Entgeltfähigkeit der Höhe nach unabhängig von tatsächlich eingetretenen Vorteilen gegeben sein kann.6 Im Ergebnis werden auch durch die VWG VP 2021 die Grundsätze des BFH-Urteils v. 9.8.2000 wieder aufgegriffen. Denn auch dieses stellt als Kriterium für eine Verrechnung explizit auf die Eignung ab, zur Absatzförderung beizutragen. Ungenannt bleibt nach wie vor, wie konkret sich der wirtschaftliche Vorteil für den Nutzenden äußern sollte, sprich welcher Einfluss hieraus auf die Absatzförderung zu verzeichnen sein muss. Grundsätzlich dürfte allerdings das Preis- oder Mengenpremium der typische Vorteil einer Markennutzung sein.7 Daher müsste es im Übrigen auch dem Fremdvergleich entsprechen, wenn ein Lizenzsatz in Abhängigkeit vom Umsatz festgelegt wird.8 Höhe des Entgelts für die Markenüberlassung. Auch zur Höhe des Entgelts für die Überlassung einer Marke äußert sich der BFH. Dabei wird es als „insbesondere“ relevant angesehen, „wer den Wert der Marke geschaffen und wer die Aufwendungen für deren Begründung und dessen Erhalt (bspw. durch Weiterentwicklung, Werbung, Marketingmaßnahmen) getragen hat.“9 Erhält also ein Lizenznehmer die Nutzungsrechte an einer Marke, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Lizenzvertrags noch relativ neu war oder die in den lokalen Markt neu
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Vgl. Schmitt, IStR 2017, 311 (311). Vgl. BFH v. 21.1.2016 – I R 22/14, BStBl. II 2017, 336, Tz. 22. Vgl. Schmitt, IStR 2017, 311 (315). Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.57. BMF v. 7.4.2017 – IV B 5-S 1341/16/10003 – DOK 2017/0276404, BStBl. I 2017, 701 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.49. Vgl. IDW S 5, Tz. 111, FN-IDW 2011, 467 ff.; FN-IDW 2015, 447 f. Vgl. Beermann, BB 2017, 1431 (1432). BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246.
Greinert/Leonhardt | 797
6.625
Kap. 6 Rz. 6.625 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
eingeführt wird, und trägt der Lizenznehmer durch eigene Aufwendungen und Leistungen zur Entstehung der Marke bei (z.B. Schaltung von Werbeanzeigen, Kostenbeteiligung an internationalen Werbefeldzügen), so kann der Lizenzgeber dem Lizenznehmer – wenn überhaupt – nur eine vergleichsweise geringe Lizenzgebühr berechnen.1 Umgekehrt können aber auch sämtliche Markensteigerungseffekte auf Bemühungen und Kosten des Lizenzgebers beruhen, mit der Folge der Verrechnung einer höheren Lizenzgebühr. Die hierbei mit Blick auf die Preisfindung bei der Verrechnung immaterieller Werte bestehenden Bewertungsschwierigkeiten werden hingegen weder von der Rspr. noch von der Finanzverwaltung hinreichend gelöst. Auch wenn die VWG VP 2021 dem Stpfl. erste Hinweise geben, welche Methoden die Finanzverwaltung im Grundsatz zur Bestimmung einer Markenlizenz akzeptieren wird2, wäre es gleichwohl wünschenswert gewesen, wenn hierin genauere Ausführungen zu den akzeptierten Methoden gemacht worden wären. Insbesondere hätten Ausführungen, inwieweit betriebswirtschaftliche Verfahren zur Markenbewertung anerkannt werden, größere Rechtssicherheit für die Stpfl. mit sich gebracht. Hinsichtlich der Frage, wem die Lizenzgebühren zustehen, sind die allgemeinen Vorschriften, d.h. insbesondere das in § 1 Abs. 3c AStG verankerte DEMPE-Konzept (Rz. 6.571) heranzuziehen. Wesentlich für die Schaffung von Marken dürften regelmäßig die Funktionen sein, die den Inhalt der Marke und ihre Unterscheidungskraft definieren und dadurch die markierten Produkte von vergleichbaren Produkten abheben.3 Dies sind etwa die Entwicklung der Markenidentität, die Festlegung der Marketingziele, die Umsetzung dieser Ziele in eine Marketingstrategie und die Steuerung und Überwachung der konkreten Marketingaktivitäten.4 Liefert ein Markeninhaber bereits markierte Produkte an ein verbundenes Unternehmen, scheidet der zusätzliche Ansatz einer Markenlizenz in der Regel aus, weil die aus der Markenbenutzung resultierenden Vorteile bereits im Rahmen des Lieferverrechnungspreises zu berücksichtigen sind.5
6.626
Geschäftsbeziehung. Allgemeine Voraussetzung für eine Entgeltpflicht ist das Vorliegen einer Geschäftsbeziehung. Diesbezüglich ist der Zeitraum vor und seit 2003 zu unterscheiden. Vor 2003 war es auch möglich, eine Marke auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage unentgeltlich zu überlassen.6 Diese Auffassung lässt sich insbesondere anhand der Entscheidungsgründe des sog. Patronatsurteils7 und der ihm nachfolgenden Urteile zur unentgeltlichen Garantie-8 und Darlehensgewährung9 fundieren. Der BFH hatte in diesen Urteilen entschieden, dass die Muttergesellschaft keine Provisionen bzw. Zinsen gegenüber ihrer Tochtergesellschaft verlangen muss, weil die Tochtergesellschaft nicht ausreichend mit Eigenkapital ausgestattet war. Die Tochtergesellschaft konnte ihre Funktionen nur durch die unentgeltliche Garantiebzw. Darlehensgewährung seitens der Muttergesellschaft erfüllen. Nach der bis einschließlich 2002 gültigen Definition war in diesen Fällen eine Geschäftsbeziehung nicht gegeben, weil die unentgeltliche Garantie- bzw. Darlehensgewährung dazu diente, fehlendes Eigenkapital der Tochtergesellschaft zu ersetzen und damit ihr wirtschaftliches Potenzial zu stärken. Diese 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Tz. 6.78 OECD-Leitlinien 2022 sowie Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 302. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.59. Vgl. Rasch/Busch, Ubg 2021, 639 (642). Vgl. Koch, IStR 2017, 766 (769); Rasch/Busch, Ubg 2021, 639 (642). Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.58. Vgl. Pezzer, FR 2001, 248. Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720. Vgl. BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123. Vgl. BFH v. 29.4.2009 – I R 88/08, juris; BFH v. 29.4.2009 – I R 26/08, BFH/NV 2009, 1648.
798 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.627 Kap. 6
Urteile, die nunmehr auch von der Finanzverwaltung anerkannt werden1, lassen sich auch auf die unentgeltliche Nutzungsüberlassung einer Marke übertragen. Durch die unentgeltliche Überlassung einer Marke kann die Muttergesellschaft ihrer Verpflichtung nachkommen, die Tochtergesellschaft mit funktionsgerechtem Kapital auszustatten.2 Aufgrund der Neufassung des § 1 Abs. 4 AStG durch das „Steuervergünstigungsabbaugesetz“3 und der Änderung der Definition von „Geschäftsbeziehung“ besteht seit dem VZ 20034 diese Möglichkeit in einer solchen Allgemeinheit allerdings nicht mehr.5 Demnach ist eine „Geschäftsbeziehung […] jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist.“6 Für das Bestehen einer Geschäftsbeziehung ist es seitdem unbedeutend, ob eine Beziehung betrieblich oder gesellschaftsrechtlich veranlasst ist. Unabhängig davon, ob eine schuldrechtliche Beziehung aufgebaut wurde, um fehlendes Eigenkapital der Tochtergesellschaft zu ersetzen und damit ihr wirtschaftliches Potenzial zu stärken, soll diese zu den Geschäftsbeziehungen i.S.v. § 1 AStG gehören. Eine Geschäftsbeziehung liegt nur dann nicht vor, wenn im Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Vereinbarung vorhanden ist.7 b) Lizenzierung bei gleichzeitigem Leistungsaustausch Lizenzierung bei gleichzeitigem Leistungsaustausch. Gemäß Tz 3.50 VWG VP 2021 ist die Verrechnung von gesonderten Nutzungsentgelten steuerlich nicht anzuerkennen, wenn die Nutzungsüberlassung im Zusammenhang mit Lieferungen oder Leistungen steht und Fremde nur ein Gesamtentgelt gezahlt hätten. Zweck dieser Regelung, die korrespondierend zu derjenigen in Tz. 3.63 VWG VP 2021 steht, ist der Ausschluss einer doppelten Verrechnung, indem in den Liefer- oder Leistungspreis die gleichzeitige Überlassung des immateriellen Werts bereits einbezogen ist und diese Überlassung daneben nochmals gesondert berechnet wird.8 Vor diesem Hintergrund ist es unüblich, bei reinen Vertriebsgesellschaften eine Lizenzgebühr für Marken, Patente usw. zu verrechnen. So hat das FG München im Hinblick auf eine Vertriebsgesellschaft entschieden, die ein Produkt zusammen mit der Marke von der produzierenden Gesellschaft erworben hat: „Das Markenprodukt hat dabei einen Kaufpreis, mit dem auch anteilig die entsprechende Marke mit abgegolten ist. Ein fremder Dritter würde bei einem solchen Kauf nicht gesondert neben der Bezahlung des Kaufpreises an den Verkäufer noch eine zusätzliche Lizenzgebühr […] bezahlen.“9 Eine abweichende Würdigung wäre jedoch dann möglich,
1 Vgl. BMF v. 12.1.2010 – IV B 5 - S 1341/07/10009 – DOK 2010/0002173, BStBl. I 2010, 34, und hierzu Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 476. 2 Zur Notwendigkeit, dass die Nutzungsüberlassung einer funktionsgerechten Kapitalausstattung dient, vgl. BFH v. 23.6.2010 – I R 37/09, BStBl. II 2010, 895 = FR 2011, 139. Ansonsten kann auch gemäß Rechtslage bis einschließlich 2002 eine Geschäftsbeziehung vorliegen. 3 Vgl. StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 4 Vgl. § 21 Abs. 11 Satz 1. 5 Dies gilt auch nach der Änderung der Definition einer Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 5 AStG a.F. durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 26.6.2013 fort. Nunmehr ist die Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 n.F. definiert. 6 § 1 Abs. 4 a.F. (i.d.F. des StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660 = BStBl. I 2003, 321. 7 Vgl. Wassermeyer/Leonhardt in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG, Rz. 2741 ff. 8 Vgl. zu den insoweit weitgehend wortgleichen Rz. 5.1.2 und Rz. 3.1.2.3 der VWG 1983 Sieker in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 302; Dürrfeld/Wingendorf, IStR 2005, 466; Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften. 9 FG München v. 28.11.2006 – 6 K 578/06, rkr., juris.
Greinert/Leonhardt | 799
6.627
Kap. 6 Rz. 6.627 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
wenn die Vertriebsgesellschaft z.B. unmarkierte Produkte von einem Unternehmen bezieht und auf diese dann eine durch einen Lizenzvertrag zur Nutzung überlassene Marke anbringt. In einem solchen Fall wäre die gesonderte Verrechnung einer Markenlizenz erforderlich. Allerdings handelt es sich dann auch nicht mehr um eine reine Vertriebsgesellschaft, sondern um eine eher in Richtung Entrepreneur/Strategieträger zu charakterisierende Gesellschaft, da diese aufgrund der Markenlizenz über wesentliche immaterielle Werte verfügt.1 c) Lizenzierung von Vorrats- oder Sperrpatenten
6.628
Vorrats- oder Sperrpatente. In der Unternehmenspraxis ist häufig der Fall anzutreffen, dass Erfindungen als Patente geschützt werden, die gleichwohl nicht selbst unternehmerisch verwendet werden. Es ist dann zu klären, ob auch für solche Patente eine Vergütung zwischen nahestehenden Unternehmen verrechnet werden kann. Die VWG 1983 sehen in Tz. 5.1.1 ausdrücklich die Entgeltfähigkeit als gegeben an, „wenn das empfangende Unternehmen das immaterielle Wirtschaftsgut nicht nutzt, aber einen wirtschaftlichen Nutzen daraus erzielt oder voraussichtlich erzielen wird (z.B. Sperrwirkung bei Vorrats- oder Sperrpatenten).“ Auch wenn die VWG 1983 durch die VWG VP 2021 aufgehoben worden sind,2 kann die vorgenannte Wertung u.E. weiterhin herangezogen werden. Sie verdeutlicht, dass es für die Frage der Verrechenbarkeit dem Grunde nach nicht auf die unmittelbare tatsächliche Nutzung ankommt, sondern darauf, ob im Fall der Nichtnutzung ein anderer wirtschaftlicher Vorteil aus der Überlassung gezogen werden kann. Solche Vorteile können darin bestehen, einen Wettbewerber von der Nutzung auszuschließen und dadurch eine höhere Preismacht zu erzielen oder um ein tatsächlich genutztes Hauptpatent wirkungsvoll durch nicht genutzte Nebenpatente abzuschirmen. Eine betriebliche Veranlassung für die Erhebung von Lizenzgebühren kann somit auch bei fehlender unmittelbarer Nutzung vorliegen. Gleiches gilt, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Lizenzvertrags mit einer voraussichtlichen Nutzung zu rechnen war, es ex post jedoch zu keiner unmittelbaren Nutzung gekommen ist. Hier kommt es allein auf die zum Entscheidungszeitpunkt verfügbaren oder zugänglichen (Prognose-)Daten an. d) Lizenzierung von Leistungsbündeln
6.629
Globallizenz vs. Einzellizenz. Im internationalen Lizenzgeschäft kommt es vor, dass ein Lizenzvertrag mehrere immaterielle Werte zusammenfasst, weil oft ganze Leistungsbündel in Anspruch genommen werden, die sich nicht ohne Weiteres voneinander trennen lassen. Sofern für diese zusammengefassten Leistungen eine einheitliche Lizenzgebühr vereinbart wird, liegt eine sog. Globallizenz vor. Dieser steht die Einzellizenz gegenüber, bei der für jeden einzelnen zur Nutzung überlassenen immateriellen Wert (z.B. Patent, Marke) eine gesonderte Lizenzgebühr geregelt wird. Bisher forderte die deutsche Finanzverwaltung in Tz. 5.2.1 der inzwischen aufgehobenen VWG 1983 ausdrücklich die grundsätzliche Verrechnung von Einzellizenzen. Globallizenzen sollten nur dann akzeptiert werden, wenn die genutzten immateriellen Werte „technisch und wirtschaftlich eine Einheit bilden“,3 wobei unklar blieb, was unter einer solchen technischen und wirtschaftlichen Einheit verstanden werden soll. Die VWG VP
1 Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2, „Strategieträger“. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 6.1. 3 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG 1983, BStBl. I 1983, 218, Tz. 5.2.1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021); hierzu auch Raupach in Raupach, Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen, 161.
800 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.630 Kap. 6
2021 enthalten diese Forderung richtigerweise nicht mehr. Denn Globallizenzverträge mit einem einheitlichen Entgelt für mehrere immaterielle Werte werden auch zwischen fremden Dritten vereinbart, wenn diese die immateriellen Werte als ein nicht voneinander trennbares Bündel ansehen, sodass die einschränkende Auffassung der deutschen Finanzverwaltung mit der Forderung einer technischen und wirtschaftlichen Einheit nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz in Übereinstimmung stand. Die OECD-Leitlinien beschreiben solche Sachverhalte unter dem Stichwort „Package-Deal“.1 Die dortigen Ausführungen entsprechen weitgehend der in Deutschland bekannten sog. „Palettenbetrachtung“2, wonach nicht jede einzelne Gebühr beim konzerninternen Lieferungs- und Leistungsaustausch einem Fremdvergleich standhalten muss, sondern lediglich sicherzustellen ist, dass hinsichtlich der zu analysierenden Produktpalette bzw. des Leistungsbündels ein angemessener Gesamtpreis vereinbart wurde. Im Hinblick auf den „Package-Deal“ heißt es jedenfalls in den OECD-Leitlinien: „Es kann Fälle geben, in denen ein Leistungspaket nicht als Ganzes beurteilt werden kann, so dass die Bestandteile des Pakets voneinander getrennt werden müssen.“3 Durch die Formulierung „es kann Fälle geben“ wird bereits deutlich, dass es nur in Ausnahmefällen erforderlich sein kann, eine Einzel- statt einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Damit wird das Regel-AusnahmeVerhältnis der OECD-Leitlinien durch die bisherige Auffassung der deutschen Finanzverwaltung in den VWG 1983 geradezu umgekehrt. Schließlich verlangen die OECD-Leitlinien sogar für die „Fälle“, in denen eine Einzelbetrachtung vorgenommen wird, eine Prüfung der Angemessenheit auf Basis der Gesamtbetrachtung: „In derartigen Fällen sollte die Steuerverwaltung nach Ermittlung der gesonderten Verrechnungspreise für die einzelnen Bestandteile dennoch prüfen, ob die Verrechnungspreisbestimmung für das Leistungspaket insgesamt dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.“4 e) Lizenzierung bei gleichzeitiger Erbringung von Dienstleistungen Gemischte Verträge. Von den vorstehend beschriebenen Globallizenzen sind die sog. „gemischten Verträge“ zu unterscheiden, bei denen neben der Überlassung von immateriellen Werten (z.B. Patent, Marke) auch die Erbringung von Dienstleistungen (z.B. technische Unterstützung oder Schulung von Mitarbeitern) vereinbart wird.5 In solchen Fällen kann es erforderlich sein, die Dienstleistungskomponenten getrennt zu berechnen, und zwar entsprechend den für die Dienstleistungsverrechnung vorgesehenen Verfahren und Methoden. Nicht zuletzt aufgrund der abkommensrechtlich unterschiedlichen Behandlung von Dienstleistungsentgelten einerseits und Lizenzgebühren andererseits6 müssen Kriterien für eine Abgrenzung dieser beiden Entgeltskategorien entwickelt werden. Andererseits betonen die OECD-Leitlinien 2017, dass es durchaus Fälle gibt, in denen die überlassenen immateriellen Werte und Dienstleistungen so eng miteinander wirtschaftlich verbunden sind, dass eine Aufteilung nur schwer möglich ist.7 Als spezifisches Beispiel werden Franchise-Vereinbarungen genannt, bei denen die überlassenen immateriellen Werte und erbrachten Dienstleistungen untrennbar zusammengehören, möglicherweise durch das Zusammenwirken der Wert der einzelnen Kom-
1 2 3 4 5 6
Vgl. Tz. 3.11 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Baumhoff, IStR 1994, 593. Vgl. Tz. 3.11 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 3.11 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.98 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Portner in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 86 f. 7 Vgl. Tz. 6.99 und 6.101 OECD-Leitlinien 2022.
Greinert/Leonhardt | 801
6.630
Kap. 6 Rz. 6.630 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
ponenten sogar gesteigert wird.1 Im Ergebnis kommt es auf die Umstände des jeweiligen Sachverhalts, die Funktions- und Risikoanalyse sowie die Verfügbarkeit von geeigneten Comparables an, ob eine Gesamtbetrachtung oder eine Betrachtung der einzelnen Komponenten zu einem nach dem Fremdvergleichsgrundsatz angemessenen Verrechnungspreis führt.2
III. Methoden zur Berechnung einer angemessenen Lizenzgebühr für die Nutzungsüberlassung 1. Vorbemerkungen 6.631
Methoden zur Ableitung des Verrechnungspreises bei immateriellen Werten. Für die Ableitung einer angemessenen Lizenzgebühr werden weder im nationalen Recht noch in den OECD-Leitlinien spezifische Verrechnungspreismethoden genannt. Auch die ab dem VZ 2022 geltende Neufassung des AStG enthält zwar neuerdings mit der Umsetzung des DEMPE-Konzepts der OECD spezielle Vorschriften im Hinblick auf die Bepreisung von Geschäftsbeziehungen, die immaterielle Werte betreffen (s. Rz. 6.571 ff.), eine Festlegung auf eine oder mehrere Verrechnungspreismethode(n) ist damit aber nicht verbunden. Daher ist an die bekannten Methoden der Verrechnungspreisermittlung anzuknüpfen, also die klassischen Methoden (Preisvergleichsmethode, Wiederverkaufspreismethode und Kostenaufschlagsmethode) und die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden (TNMM und PSM). Auch wenn keine spezifischen steuerlichen Methoden für die Ableitung angemessener Verrechnungspreise für immaterielle Werte vorliegen, haben sich allerdings diverse Institutionen mit der Frage der Bewertung bereits auseinandergesetzt. Aus deutscher Sicht sind insbesondere die Veröffentlichungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. bedeutsam. Dieses hat einen IDW-Standard zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte verabschiedet (IDW S 5).3 Mit diesem Standard sollen „vor dem Hintergrund der in Theorie und Praxis entwickelten Standpunkte die Grundsätze dar[gelegt werden], nach denen Wirtschaftsprüfer immaterielle Vermögenswerte bewerten.“4 Solche allgemeinen Grundsätze können freilich auch für die Verrechnungspreisermittlung herangezogen werden. Nach neuer Auffassung der deutschen Finanzverwaltung in den VWG VP 2021 soll der Fremdvergleichspreis für Geschäftsvorfälle, deren Gegenstand immaterielle Werte oder Rechte sind, grundsätzlich nach dem hypothetischen Fremdvergleich zu bestimmen sein (Rz. 6.640).5
2. Klassische Methoden a) Preisvergleichsmethode
6.632
Preisvergleichsmethode – Überblick. Die Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 5.5 ff.) orientiert sich an Preisen, die bei vergleichbaren Geschäften zwischen Fremden vereinbart werden. Der Preisvergleichsmethode liegt insofern die Überlegung zugrunde, dass der Wert eines immateriellen Werts aus den bei anderen Transaktionen gezahlten Preisen für vergleichbare immate1 Vgl. Tz. 6.100 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 6.102 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. IDW Standard: Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte (IDW S 5), FNIDW 2011, 467 ff.; FN-IDW 2015, 447 f. Zu diesem Standard vgl. auch Kohl/Schilling, StuB 2007, 541 ff.; Beyer/Mackenstedt, WPg 2008, 338 ff. 4 IDW S 5, Tz. 1, FN-IDW 2011, 467 ff.; FN-IDW 2015, 447 f. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.12, sowie konkret bezogen auf Markenlizenzen VWG VP 2021, Rz. 3.58.
802 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.635 Kap. 6
rielle Werte abgeleitet werden kann. Dabei wird zwischen einem äußeren und einem inneren Preisvergleich unterschieden.1 Äußerer Preisvergleich. Der äußere Preisvergleich stellt im Rahmen eines zwischenbetrieblichen Vergleichs auf Lieferungen und Leistungen zwischen unverbundenen Unternehmen der gleichen Branche ab. Trotz des grundsätzlichen Vorrangs der Preisvergleichsmethode vor den anderen Methoden (vgl. Rz. 5.11 f.) ist deren Anwendung für die Ableitung von Verrechnungspreisen für immaterielle Werte nur eingeschränkt möglich. Es ergeben sich zwei grundlegende Probleme, nämlich Beobachtbarkeit und Vergleichbarkeit.
6.633
Beobachtbarkeit. Bei immateriellen Werten besteht das Problem, dass die für deren Nutzung gezahlten Preise häufig nicht beobachtbar sind. Während die Preise für Rohstoffe oder börsennotierte Wertpapiere täglich in diversen Medien veröffentlicht werden, wird bei den Preisen für immaterielle Werte meist Stillschweigen zwischen den Vertragsparteien vereinbart. Die in IDW S 5 genannte Anforderung an einen „aktiven“ Markt ist insofern nicht gegeben. Selbst wenn sich Informationen über einzelne immaterielle Werte erheben lassen (s. Rz. 6.636 ff.), so handelt es sich meist nur um stark aggregierte Informationen.
6.634
Vergleichbarkeit. Der äußere Preisvergleich eignet sich insbesondere bei weitgehend homogenen Gütern, zwischen denen allenfalls graduelle Unterschiede bestehen, z.B. Rohstoffe oder börsennotierte Wertpapiere. Immaterielle Werte zeichnen sich allerdings gerade durch Individualität, durch Einzigartigkeit aus, durch die eine Monopolstellung geschaffen werden soll. Dies gilt gleichermaßen für produktionsorientierte (z.B. Patente) wie marketingorientierte immaterielle Werte (z.B. Marken). Eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit mit dem Bewertungsobjekt lässt sich insofern nicht herstellen. Auch wenn die allgemeinen Kriterien für eine Vergleichbarkeitsanalyse herangezogen werden (Art des Werts, ausgeübte Funktionen, getragene Risiken und eingesetzte Wirtschaftsgüter der Vertragsparteien, vereinbarte Vertragsbedingungen, wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Geschäftsstrategien der Vertragsparteien)2 und berücksichtigt wird, dass meist nur stark aggregierte Informationen im Rahmen von Datenbankanalysen für immaterielle Werte gewonnen werden können, wird deutlich, dass allenfalls von einer eingeschränkten Vergleichbarkeit ausgegangen werden kann. Ob überhaupt eine Vergleichbarkeitsanalyse im Wege eines äußeren Preisvergleichs gelingen kann, ist noch skeptischer zu beurteilen, wenn die in den OECD-Leitlinien 2022 genannten hohen Anforderungen für eine Vergleichbarkeitsanalyse bei immateriellen Werten berücksichtigt werden. So sollen im Einzelnen folgende Kriterien einbezogen werden: Exklusivität der Nutzung, Ausmaß und Dauer des rechtlichen Schutzes, geografische Reichweite, Nutzungsdauer, Phase der Entwicklung, Recht an weiteren Entwicklungen sowie Erwartungen hinsichtlich des zukünftigen Nutzens.3 Hierbei handelt es sich vielfach um Informationen, die sich im Wege einer Datenbankanalyse überhaupt nicht erheben lassen. Eine Vergleichbarkeitsanalyse wird vor dem Hintergrund dieser Anforderungen in der Regel kaum gelingen. Auch die OECD räumt ein, „immaterielle Werte können besondere Merkmale aufweisen, die die Suche nach Vergleichswerten erschweren“4. Vor diesem Hintergrund ist auch nachvollziehbar, dass IDW S 5 von einer „Analogiemethode“ spricht, anhand derer die Vergleichbarkeit geschaffen werden soll.5 Auf-
6.635
1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG 1983, BStBl. I 1983, 218, Tz. 2.2.2 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. Tz. 1.36 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 6.116 ff. OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 6.108 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. IDW S 5, Tz. 21, FN-IDW 2011, 467 ff.; FN-IDW 2015, 447 f.
Greinert/Leonhardt | 803
Kap. 6 Rz. 6.635 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
grund dieser Vorbehalte ist der äußere Preisvergleich für die Bestimmung von Verrechnungspreisen für immaterielle Werte nur begrenzt anwendbar (s. auch Rz. 6.640). Jedenfalls wird es im Normalfall nur gelingen, allenfalls eingeschränkt vergleichbare Werte abzuleiten. Vereinzelt dient die Methode des äußeren Preisvergleichs auch dazu, zunächst eine Bandbreite an üblichen Lizenzgebühren innerhalb einer Branche zu ermitteln.1
6.636
Lizenzkartei. Um über das für einen „äußeren Preisvergleich“ unabdingbare Vergleichsmaterial zu verfügen, unterhält das Bundeszentralamt für Steuern eine sog. „Lizenzkartei“2, auf die Tz. 5.2.2 der inzwischen aufgehobenen VWG 1983 indirekt hinweist. Es handelt sich hierbei um eine interne Datensammlung, in der die von der deutschen Finanzverwaltung überwiegend im Rahmen von Betriebsprüfungen zur Kenntnis gelangten Lizenzvereinbarungen zwischen fremden Dritten ausgewertet werden. Die einzelnen Lizenzgebühren werden dann dem Betriebsprüfer auf Anfrage für bestimmte Branchen mitgeteilt. Die Verwendung von Daten aus der „Lizenzkartei“ für die Prüfung von Verrechnungspreisen durch die Betriebsprüfung ist allerdings umstritten. Jedenfalls hat der BFH in seinem Urteil v. 27.10.19933 entschieden, dass mit dieser Sammlung von Fremddaten nicht gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen wird. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei nicht schrankenlos und die Weitergabe von anlässlich eines Besteuerungsverfahrens erhaltenen Erkenntnissen auf der Grundlage des § 30 Abs. 4 AO sei im vorrangigen Allgemeininteresse begründet. Der Gesetzgeber hat daraufhin durch die Einführung des § 88a AO4 eine gesetzliche Grundlage für die „Lizenzkartei“ und ähnliche Datensammlungen geschaffen. Materiell richtet sich die Kritik an der Verwendung der „Lizenzkartei“ allerdings darauf, dass die konkreten Vereinbarungen des jeweiligen Lizenzvertrags aufgrund der Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses nicht offengelegt werden können. Insofern werden die Stpfl. nur mit anonymisierten Daten konfrontiert, deren Richtigkeit aus ihrer Sicht nicht prüfbar ist. Zudem ist nicht ersichtlich, welche wirtschaftlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen die Höhe der Lizenzgebühr zwischen den fremden Dritten beeinflusst haben. Eine Analyse im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Verhältnisse kann insofern nicht gelingen. Gleichwohl hat der BFH in seinem Grundsatzurteil zu Verrechnungspreisen v. 17.10.20015 entschieden, dass die Verwendung solcher anonymer Daten grundsätzlich zulässig ist. Damit wurde die Entscheidung der Vorinstanz6 aufgehoben. Im Einzelnen führt der BFH aus: „Die Zulässigkeit der Vorlage anonymisierter Daten ist unabhängig davon, ob sie allgemein zugänglich sind oder nicht. Insbesondere darf die Finanzverwaltung Datenbanken aufbauen und verwenden, die nicht allgemein zugänglich sind. […] Allerdings muss die im Einzelfall zu verwendende Datenbank Mindestanforderungen an die Qualität der Datenerfassung erfüllen. Deshalb kann ein FG gehalten sein, Rückfragen über die Zusammenstellung und Ableitung der anony1 Vgl. Roeder in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Kap. VI Rz. 3 f. zu Tz. 6.23 OECD-Leitlinien 2010. 2 Es dürfte sich hierbei eher um eine Lizenzdatei handeln, gleichwohl ist der Ausdruck „Lizenzkartei“ für die Sammlung des BZSt noch weit verbreitet. 3 Vgl. BFH v. 27.10.1993 – I R 25/92, BStBl. II 1994, 210 = FR 1994, 199. 4 Durch das StMBG v. 21.12.1993, BGBl. I 1993, 2310. 5 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; vgl. hierzu Kaminski/ Strunk, IWB 2002, F. 3, Gr. 1, 55 ff.; Wehnert/Stalberg, IStR 2002, 141 ff. 6 Vgl. FG Düsseldorf v. 8.12.1998 – 6 K 3661/93, juris; vgl. hierzu Borstell/Prick, IStR 1999, 304 ff.; Kroppen/Eigelshoven, IWB 2000, F. 3, Gr. 1, 1587 ff.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 513 ff.; Schnorberger, IStR 1999, 523 ff.
804 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.637 Kap. 6
misierten Vergleichsdaten zu stellen. Sollten diese aus Gründen des Steuergeheimnisses oder aus anderen Gründen nicht beantwortet werden können, ginge dies zu Lasten des Beweiswertes der Vergleichsdaten.“1 Somit wird mit diesem Urteil die Verwendung der „Lizenzkartei“ zwar als zulässig angesehen.2 Allerdings dürfte die Beweiskraft solcher anonymer Daten begrenzt sein. So führt Wassermeyer unmissverständlich aus: Die Finanzverwaltung „könnte zwar anonymisierte Zahlen von Vergleichsunternehmen vorlegen. Sie müssten dann allerdings die Vergleichbarkeit der Vergleichsunternehmen mit dem jeweils geprüften belegen, was in der Praxis selten möglich ist.“3 Veröffentlichte Lizenzgebührensätze. Für eine effiziente Verrechnungspreisplanung wäre ein Zugriff der Stpfl. auf die „Lizenzkartei“ wünschenswert. Da ein solcher Zugriff allerdings nicht möglich ist, muss auf bisher veröffentlichte allgemeine Übersichten über Lizenzgebühren sowie entsprechende Äußerungen von Gerichten zurückgegriffen werden. Zur konkreten Höhe von Lizenzgebühren für einzelne Produkte oder Produktgruppen haben sich in der einschlägigen Literatur bisher insbesondere Böcker4 sowie Groß5 geäußert. Die Lizenzsätze von Böcker (als Vertreter des Bundeszentralamts für Steuern) sollen aus patentrechtlichen Arbeitskreisen6 stammen, wobei nicht auszuschließen ist, dass diese Daten mit denen der „Lizenzkartei“ weitgehend identisch sind. Die Daten von Groß basieren „auf Erfahrungen im Hinblick auf eine Beteiligung an etwa 1.400 Lizenzverträgen“7. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die folgenden Lizenzgebührenaufstellungen zwar nicht repräsentativ sind; allerdings handelt es sich auch nicht um willkürliche Größen, so dass diese Lizenzgebühren im Einzelfall zumindest eine gewisse Orientierungshilfe sein können. Tabelle 1: Höhe der Lizenzgebühren für einzelne Produkte Erzeugnis
Lizenzsätze in % vom Umsatz
Anlagen u. Maschinen für Tabakverarbeitung Autozubehör Backöfen Batteriekapazitätsbestimmung Baukeramik Baumaschinen
4 1,2–2,4 2–3 5 2–4 2,5–3
Baustoffe – Dämmfolie – Gipsspanplatten
3–5 1,2–5
– Kunststoffe für Fenster
0,35–1,5
– Raumklimatestsysteme
5–10
– Raumteiler
1 2 3 4 5 6 7
3
BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. Vgl. Kaminski/Strunk, IWB 2002, F. 3, Gr. 1, 70 f. Wassermeyer, WPg 2002, 15. Vgl. Böcker, StBp. 1991, 79 ff. Vgl. Groß, BB 1995, 885 ff., und Groß, BB 1998, 1321 ff. So Böcker, StBp. 1991, 79. Groß, BB 1998, 1321.
Greinert/Leonhardt | 805
6.637
Kap. 6 Rz. 6.637 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch Erzeugnis – Rohrmanschetten – Schalldämpfer
Lizenzsätze in % vom Umsatz 0,2 5–10
– Wärmedämmung
1
Bergbau-Ersatzteile
5–10
Bergbau-Großgeräte
3
Bergbau-Kleinteile, Zubehör
5
Bergwerkausrüstungen, Zubehör für Tragewerke
2–5
Beschläge, Kleinteile
1–2
Bioreaktoren
6
Biotechnologie – Diagnostische Produkte
5–8
– Forschungsreagenzien
1–5
– Impfstoffe
5–10
– Pflanzen, Agrarprodukte
3–5
– Therapeutische Produkte
5–10
– Tier-Gesundheit
3–6
Blasfolienextruder Chemie-Holz Chemiefasern
5–7,5 2,5–3,5 3
Chemikalien-Galvano
3–10
Chemikalien-Sprengstoffe
1,6–2
Chemikalien-Treibstoffe
2–3
Chemische Erzeugnisse für gewerbliche Zwecke
2–3
Chemische Glasfilter Chemische Schutzschichten
5 1
Chemische Grundstoffe
1–2
Chemische Silikatwerkstoffe
2–5
Chemische Trägermaterialien
2
Chemischer Schadstoffabbau durch Salze Chemische Rohstoffe
3 1–2,5
Chemische Salze
1,5
Chemische Spezialitäten
2–4
Chemisches Sol-Fett
1,5–4
Chemische Verfahrensverbesserungen
0,5
Computer-Steckkarte für Prüfung
10
Damenoberbekleidung
5
Datenverarbeitung (Baugruppen, Maschinen)
0,6–3
Decoder/Encoder
1–10
806 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.637 Kap. 6 Erzeugnis Edelstähle – hochwertig
Lizenzsätze in % vom Umsatz 1–3
Elektrochemie
5
Elektrogeräte
1–5
Elektronische Maschinenbauteile
3–11
Elektronische opt. Geräte für Kfz
1,5–3,5
Elektronische Regler
3–5
Elektronische Rohrleitungsüberwachung
5–10
Elektronische Schaltungsger. im Kfz
2–4
Elektronische Steuerung im Kfz
2–5
Extruder
5–7
Fahrzeugbau Fahrzeugheizungen Farbfernsehempfänger Farbstoffe Feinchemikalien Fernsprechtechnik
1,5–3 5 0,3–5,5 3–6 3–7 1,5–2,5
Filter – Glasfilter
2,5
Flachglas
3–6
Flockungsmittel
2–3
Fluorpolymerisate
6–15
Fördergeräte
2–3
Galvanoanlagen
≤5
Getriebe
1–3
Gipsschaumelemente
1
Halbleiterbauelemente
0,5–3,5
Halbleiterbauelemente – IC Hütteneinrichtungen und Zubehör Hüttenwerks- u. Industrieanlagen
6 2,5–8 1–5
Implantat-Chips
13
Kfz
2–5
Kfz-Teile
0,5–5
Kolbenringe
1–2
Kondensatoren
1–2
Kosmetik Kunstharze Kunstlederherstellung-Verfahren Kunststoff-Apparaturen Kunststoff-Becher
1,5–3 1–3 3 2–4 3
Greinert/Leonhardt | 807
Kap. 6 Rz. 6.637 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch Erzeugnis Kunststoff-Emballagen
Lizenzsätze in % vom Umsatz 1–2
Kunststoff – lichtsammelnd
2
Kunststoff-Profile und Folien
2,5
Kunststoff-Spezial Kunststoff-Spezialschläuche
1 3
Kunststoff- u. Gummikalander
3–5
Kunststoffe – chemisch geprägt
2–3
Kunststoffteile Kunststoffteile (Präzisions-)
1–3 2–3,5
Lager
2–3
Landmaschinen
2–6
Landw. Maschinen-Getriebe
1
Landw. Maschinen-Hydraulik
2
Landw. Maschinen-Zusatzgewichte Lenkungen Masch. Elemente Maschinenbau
4 1–3 1,5–3,5 1–7,5
– CO2-Laser
3–5
– Diagnosegerät
4–6
– Elektronenstrahlschweißgeräte – Extruder
1–5 1,6–3,2
– Flurförderung
7
– Hohlglasschneider
4
– Hydraulischer Druckpunkt
10
– Kühlvorrichtung
5
– Kugelumlaufspindel
6
– Laser/-teile
0,3–10
– Lüftungseinrichtung
2–2,5
– Mikropumpe – Module – Optik – Resonatoren – Roboter/Schweißsysteme
3 2–4 4 0,3–0,5 5–6
– Schalter
5
– Schneiddüse
5
– Speicherungssysteme
2,5–5
– Spektroskopiesystem
3,5
– Spezielle Teile
10
808 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.637 Kap. 6 Erzeugnis – Staubsammelvorrichtung
Lizenzsätze in % vom Umsatz 4
– Teile für Glaslaser
0,3–5
– Ventile
3–50
– Wechselvorrichtung – Werkstückbearbeitung Maschinenbau-Ersatzteile Maschinenbau-Gebrauchsmuster Maschinenbau-Zubehör
6 3–4 1–5 0,5–2 5
Medizinische Erzeugn. Analysegeräte
4–5
Medizinische Erzeugn. Analysemethoden
3–5
Medizinische Erzeugn. Optische Linsen
6–10
Medizinische Katheter
1–6
Mess- und Regelgeräte
2–7,5
Messverfahren
3
– Abstand
5–7
– Aerosol
7
– Akustik
5
– Anemometer
10
– Bohrhärte
5
– Faseroptik
5
– Interferometer
1
– Kamera
5
– Leckortung
2–10
– Leitfähigkeit
8
– Magnetisch
3–10
– Magnetometer
5
– Medizin
3,5–5
– Messrad
3–7,5
– Oberflächen
5
– Objektive
5
– Optoelektronik
5
– Radiosonde
8
– Radprüfungsständer
4
– Abstand
5–7
– Magnetisch
3–10
– Sensoren – Staub
5–7
– Ultraschall
2–10
Greinert/Leonhardt | 809
Kap. 6 Rz. 6.637 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch Erzeugnis
Lizenzsätze in % vom Umsatz
– Vorrichtung
5
– Wechselrichter
5
– Wirbelstrom Membran, Membranpumpe Metallschläuche Mikrowellentrockner Mikroskope Mineralölverarbeitung Mörtelmasse
3–8 1,5–5 1–3 2 3 0,2–0,7 4–6
Monoklonale Antikörper
6,5
Nachrichtentechn. Geräte
0,1–4,5
Nachrichtentechn. Nachbaulizenz
1–10
Nachrichtentechnik – Baugruppen
1–3
Nahrungsmittel
2–4
Optische Messgeräte
5
Organische niedermolekulare Massenprodukte
0,3–0,8
Organische niedermolekulare Spezialprodukte
≤1
Panzer
1,8–2,5
Papier – kunststoffbeschichtet
1,4–2
Pharma
7,5–10
– Chemische Verfahren
2–3
– Diagnostika
2–7
– Diagnostika-Testverfahren – Verfahrenserfindungen
2 0,5–5
– Zahnfüllstoffe
1,5
Pharmazeutika
5–15
Plasmareaktor
5
Polymere Massenprodukte
0,2–0,4
Polymere Spezialprodukte
≤2
Pressen – mechanische
2–5
Rundfunkempfänger
0,2–0,5
Schalter/Steckdosen
0,1–2
Schaumstoff-Formteile Schaumpartikelschweißen
1,5 0,8–2
Schiffslager
3,5–4,5
Schwarzweiß-Fernsehempfänger
0,5–0,6
Schwingungsdämpfer
2–5
Solare Energiespeicher
0,5
810 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.637 Kap. 6 Erzeugnis Solare Kollektorspeicher Solare Rollosysteme Solarkocher Spinnereimaschinen
Lizenzsätze in % vom Umsatz 5 2,5–5 1 2–5
Stähle – einfache Qualitäten
0,5–1
Stahllegierungen
1,5–4
Tankgeräte mit Elektronik
2–3
Tankgeräte und Armaturen
1–2
Tanks/Großbehälter/Silos
1–10
Textilmaschinen – Feinmechanik/Nähmaschinen
3–5
– Feuchtmessgeräte
9
– Legemaschinen
3
– Maschinensteuerung – oder deren Teile
9 0,1–10
Topographie
10
Trafosteuerung
1–8
Uhrenherstellung
2–5
Uhrenherstellung – elektron. Uhr Verpackungsbehälter-Blech Warenzeichen-Chemie
1,75–2 0,4 1
Warenzeichen-Design/Mode
6,8
Wasch- und Körperpflegemittel
2–4
Wellendichtringe
2
Werkzeuge/Werkzeugteile – Glastrennung
4
– Handhabung/Speicher
1,5–5
– Ordnungseinrichtung
4
– Positioniervorrichtung – Prüfeinrichtung – Rasenmäher Widerstände Zylinderkopfdichtungen
4 2–6 6 0,5 3
Greinert/Leonhardt | 811
Kap. 6 Rz. 6.637 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch Tabelle 2: Entwicklung der Patentlizenzsätze für bestimmte Industriezweige Industriezweig
mittlere Lizenz 1991
mittlere Lizenz 1971
Elektronikindustrie
1,5–2,0 %
3,0–3,5 %
Maschinenbau
3,0–4,0 %
5,0–7,0 %
Chemie
2,5–3,5 %
2,5–3,5 %
Sonstige Industrien
3,0–5,0 %
4,0–6,0 %
Tabelle 3: Entwicklung der durchschnittlichen Lizenzsätze von 1960 bis 1981
6.638
Zeitraum
Durchschnittslizenzsatz
1960–1968
3,76 %
1969–1971
2,72 %
1972–1978
2,75 %
1979–1981
2,46 %
Datenbanken. Neben diesen veröffentlichten und insoweit allgemein zugänglichen Daten haben sich auch mehrere Unternehmen herausgebildet, die systematisch Informationen zu immateriellen Werten sammeln und diese Informationen gegen Entgelt anbieten. Zu nennen sind hier insbesondere die Datenbanken – ktMINE, – RoyaltyStat und – RoyaltySource. Der Umfang der von den einzelnen Anbietern zur Verfügung gestellten Informationen unterscheidet sich zum Teil erheblich. Gleichwohl ist allen Datenbanken gemeinsam, dass sie einen starken US-Fokus aufweisen. Dies beruht sicherlich auch darauf, dass börsennotierte Gesellschaften in den USA zum Teil Informationen zu Lizenzverträgen veröffentlichen (vgl. hierzu insbesondere das EDGAR-System der SEC). Auf diese Informationen greifen auch die professionellen Datenbankanbieter grundsätzlich zurück.
6.639
Innerer Preisvergleich. Im Unterschied zum äußeren Preisvergleich (Rz. 5.11 f.) wird beim inneren Preisvergleich (hierzu Rz. 5.8 ff.) geprüft, ob ein Unternehmen die für nahestehende Unternehmen erbrachten Lieferungen oder Leistungen auch gegenüber nicht nahestehenden Unternehmen erbringt. Der innere Preisvergleich sucht also nach betriebsindividuellen Preisen. Der innere Preisvergleich findet in der Unternehmenspraxis zur Ermittlung angemessener Verrechnungspreise für immaterielle Werte durchaus Anwendung. So ist es z.B. denkbar, dass ein Lizenzgeber eine Marke für bestimmte Regionen auch fremden Dritten zur Verfügung stellt, wenn er diese Regionen aufgrund begrenzter eigener Ressourcen nicht bearbeiten kann oder will. Für die Anwendung dieser Methode sind gleichwohl die allgemeinen Voraussetzungen – insbesondere die Vergleichbarkeit der Verhältnisse – einschlägig. Demnach können nur dann Übertragungen oder Überlassungen gegenüber den nicht nahestehenden Unternehmen für die Verrechnungspreisermittlung herangezogen werden, wenn sie unter vergleichbaren Verhältnissen wie gegenüber den nahestehenden Unternehmen vollzogen werden. Inwieweit Vergleichbarkeit vorliegt, ist anhand der bekannten Vergleichbarkeitskriterien zu prüfen, also der Art des Werts, den ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgütern der Vertragsparteien, den vereinbarten Vertragsbedingungen, den wirtschaftli812 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.642 Kap. 6
chen Rahmenbedingungen sowie den Geschäftsstrategien der Vertragsparteien.1 Werden hierbei Unterschiede festgestellt, kann diesen durch Zu- oder Abschläge möglicherweise Rechnung getragen werden. Der wesentliche Vorteil des inneren gegenüber dem äußeren Preisvergleich ist jedoch darin zu sehen, dass die erforderlichen Informationen für eine Analyse der Vergleichbarkeit der Verhältnisse vorliegen oder zumindest beschaffbar sein sollten. Hier ist der Stpfl. nicht den üblichen informationellen Begrenzungen von Datenbanken ausgesetzt. Einschränkung der Preisvergleichsmethode durch die VWG Verrechnungspreise 2021. Gem. Tz. 3.12 VWG VP 2021 geht die Finanzverwaltung grundsätzlich davon aus, dass für immaterielle Werte keine Vergleichswerte festgestellt werden können, sodass der hypothetische Fremdvergleich des § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG anzuwenden sei. Dies bekräftigt Tz. 3.59 VWG VP 2021, derzufolge die Lizenzgebühr für die Markenüberlassung „im Regelfall“ nach dem hypothetischen Fremdvergleich zu ermitteln sei. Insoweit soll hier mithin der Beurteilung von auf immaterielle Werte bezogenen Geschäftsbeziehungen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugrunde gelegt werden. Der Auffassung der Finanzverwaltung kann in dieser Pauschalität nicht gefolgt werden.2 Auch wenn zu konzedieren ist, dass es sich bei immateriellen Werten häufig um einzigartige Werte handelt, für die keine Referenzpreise am Markt beobachtbar sind,3 ist dies keineswegs immer der Fall. Zudem liegen im Fall der Lizenzierung derselben immateriellen Werte an fremde Dritte (innerer Preisvergleich, s. Rz. 6.639) Vergleichswerte vor, die – Vergleichbarkeit der Verhältnisse vorausgesetzt – der Anwendung der Preisvergleichsmethode zugrunde gelegt werden können.
6.640
b) Wiederverkaufspreismethode
Wiederverkaufspreismethode. Die Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.) ist hauptsächlich bei Lieferungen an eine als Eigenhändlerin zu qualifizierende Vertriebsgesellschaft anzuwenden, welche die von nahestehenden Unternehmen erworbenen Güter an nicht nahestehende Abnehmer weiter veräußert.4 Eine solche Konstellation stellt in Bezug auf immaterielle Werte jedoch den Ausnahmefall dar. Allenfalls ist denkbar, dass eine Rechteverwertungsgesellschaft immaterielle Werte eines Konzerns einlizenziert oder erwirbt und diese dann zentral verwertet, z.B. durch Auslizenzierung oder Verkauf. Wenn also eine solche Rechteverwertungsgesellschaft einen immateriellen Wert im Wege der Unterlizenz an einen fremden Dritten weitergibt, kann mithilfe der Wiederverkaufspreismethode die Angemessenheit der Hauptlizenz anhand der Höhe der Unterlizenz abgeleitet werden.5 Die Rolle der Rechteverwertungsgesellschaft beschränkt sich in diesem Fall allerdings auf die einer Lizenzvermittlerin, die eine Dienstleistung in Form einer Vermittlungsleistung erbringt. Üblicherweise ist diese (konzerninterne) Dienstleistung nach der Kostenaufschlagsmethode (vgl. Rz. 5.39) abzurechnen.
6.641
c) Kostenaufschlagsmethode Kostenaufschlagsmethode. Bei der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) wird der Verrechnungspreis dadurch bestimmt, dass zunächst die Selbstkosten des leistenden Unternehmens ermittelt und anschließend um einen angemessenen Gewinnaufschlag erhöht werden. Die Ermittlung der Kosten soll dabei anhand von Kalkulationsmethoden erfolgen, die der Leistende 1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 1.36 OECD-Leitlinien 2022. So auch Busch, DB 2021, 1908 (1910). Vgl. Stein/Schwarz, DB 2021, 1292 (1294). Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. Vgl. Tz. 6.141, 6.198 OECD-Leitlinien 2022.
Greinert/Leonhardt | 813
6.642
Kap. 6 Rz. 6.642 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
auch bei seiner Preispolitik gegenüber Fremden zugrunde legt. Wenn dagegen keine Leistungen gegenüber Fremden erbracht werden, müssen die Kalkulationsmethoden den anerkannten betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entsprechen. Einer kostenorientierten Wertermittlung liegt die Überlegung zugrunde, dass ein Erwerber nicht mehr für einen immateriellen Wert zahlen würde, als er für dessen Reproduktion aufwenden müsste. Die Kostenaufschlagsmethode kann allerdings nur bei solchen immateriellen Werten angewendet werden, deren Entstehungsprozess nachvollzogen und bei denen die zugehörigen Kosten ermittelt werden können. Dagegen ist es nahezu ausgeschlossen, den Wert einer etablierten Marke kostenorientiert zu ermitteln, weil die Entstehung einer Marke auf einem lang andauernden, offenen, auf keinen Fall geradlinigen Weg erfolgt.1 So kann etwa von dem geschalteten Werbevolumen nicht auf die Stärke der Marke geschlossen werden.
6.643
Fehlende Nutzenorientierung der Kostenaufschlagsmethode. Das Hauptproblem bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode besteht allerdings darin, dass bei immateriellen Werten keine eindeutige Beziehung zwischen den angefallenen Kosten für ihre Schaffung und den aus ihnen resultierenden Nutzen besteht.2 Dabei ist etwa an besonders wertvolle immaterielle Werte zu denken, deren Wert wesentlich höher liegt als die Kosten für ihre Schaffung.3 Mangels Erfassung des Nutzens im Bewertungskalkül weist die Kostenaufschlagsmethode bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen für immaterielle Werte nur eine geringe Praxisrelevanz auf. Entsprechend rät die OECD von einem Rückgriff auf die Kostenaufschlagsmethode ab.4 Eine Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ist letztlich nur dann denkbar, wenn der zugrunde liegende immaterielle Wert als „non-unique“ zu qualifizieren ist, weil er keinen über die bloße Anwendungsmöglichkeit hinausgehenden Vorteil verspricht und durch einen entsprechenden Ressourceneinsatz vergleichbar nachgebildet werden könnte. Zu denken ist dabei insbesondere an rein intern genutzte Software, die auch von jedem anderen Sachkundigen entwickelt werden könnte.5 In einem solchen Fall, wenn auch die für die Erstellung der Software erforderlichen Aufwandsarten nachvollziehbar abgegrenzt und die erforderlichen Mannstunden zur Entwicklung recht zuverlässig ermittelt werden können, ließe sich eine kostenorientierte Bewertung der Software durchführen. Insofern ist auch die generelle Aussage in Tz. 5.2.4 der – inzwischen aufgehobenen – VWG 1983 nachvollziehbar, dass die Kosten allenfalls „als Schätzungsanhalt bei der Verprobung von Lizenzgebühren verwendet werden“ können. Somit kommt der Kostenaufschlagsmethode bei der Ermittlung angemessener Lizenzgebühren eher eine Kontrollfunktion zu.
3. Gewinnorientierte Methoden a) Grundlagen
6.644
Gewinnorientierte Methoden. Die VWG VP 2021 regeln für den Fall der mangelnden Eignung der klassischen Methoden, dass bei der Ermittlung der angemessenen Lizenzgebühr auf den Gewinn des Lizenznehmers aus der Nutzung des jeweiligen immateriellen Werts abzustellen sei. Es sei davon auszugehen, dass ein Entgelt für die Nutzung eines immateriellen Werts „von dem ordentlichen Geschäftsleiter nur bis zu der Höhe gezahlt wird, bei der für ihn ein angemessener
1 2 3 4 5
Vgl. Greinert, KoR 2003, 328 ff. Vgl. Tz. 6.142 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Böcker in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 167 f. Vgl. Tz. 6.142 f. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.143 f. OECD-Leitlinien 2022.
814 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.645 Kap. 6
Betriebsgewinn aus der Nutzung des immateriellen Werts verbleibt.“1 Bei dieser Betrachtung stehen somit die Gewinnerwartungen des Lizenznehmers im Vordergrund. Damit ist die Anwendbarkeit der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden2 gegeben, bei denen der Verrechnungspreis unter Berücksichtigung des bei einem Geschäftsvorfall realisierten Gewinns ermittelt wird. Zu diesen Methoden gehören die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (PSM, Rz. 5.123 ff.) und die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM, Rz. 5.92 ff.). Für die Ermittlung von Verrechnungspreisen bei der Übertragung oder Nutzungsüberlassung von immateriellen Werten dürfte vorwiegend die PSM in Betracht kommen. Dagegen wollte die Finanzverwaltung die Anwendung der TNMM nach der in den VWG Verfahren niedergelegten Rechtsauffassung nur bei Unternehmen mit Routinefunktionen anwenden,3 womit sie in der Regel für Unternehmen mit wesentlichen immateriellen Werten ausscheidet, weil diese gerade keine Routinefunktionen ausüben. Derzeit offen ist, ob die Finanzverwaltung diese Rechtsauffassung auch nach Aufhebung der VWG Verfahren beibehalten will. Auch die OECD äußert sich zurückhaltend zur Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode.4 b) Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode aa) Überblick Überblick über die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode. Im Rahmen der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (PSM) wird im ersten Schritt der Gesamtgewinn aus einem Geschäftsvorfall ermittelt und dieser im zweiten Schritt auf die an der Transaktion beteiligten nahestehenden Unternehmen aufgeteilt. Als Aufteilungsmaßstab der PSM fungieren die von den beteiligten nahestehenden Unternehmen ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter, die mittels einer Funktionsanalyse zu erfassen sind. Insoweit soll eine transaktionsbezogene Gewinnaufteilung erreicht werden, wie sie zwischen unabhängigen Unternehmen bei vergleichbaren Funktionen, Risiken und Wirtschaftsgütern entstanden wäre. Eine solche geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilung entspricht zwar nicht unmittelbar dem Grundsatz des Fremdvergleichs, weil fremde Dritte keine Gewinne untereinander aufteilen, sondern Preise miteinander vereinbaren. Gleichwohl kann trotz fehlender Vergleichsmaßstäbe des Markts eine Verrechnungspreissimulation auf der Grundlage eines Fremdvergleichs durchgeführt werden, die i.d.R. zu akzeptablen Ergebnissen führt. Dabei ist wesentlich, dass die PSM die Entscheidungssituation des „doppelten“ ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters berücksichtigt.5 Bei dieser Betrachtungsweise werden die Leistungen beider Geschäftspartner aus einem Geschäft beurteilt und der aus dem einzelnen Geschäft resultierende Gewinn entsprechend der jeweiligen Leistungen auf die beiden Geschäftspartner (Lizenznehmer/Lizenzgeber) verteilt. Abgebildet wird dabei sozusagen der Verhandlungsprozess zweier ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, die nur dann zu einem Verhandlungsergebnis kommen können, wenn die Preisobergrenze des Lizenznehmers über der Preisuntergrenze des Lizenzgebers liegt.6 Ist dies der Fall, so existiert ein Einigungsbereich, der zwischen den beiden Geschäftspartnern aufgeteilt werden muss. 1 VWG VP 2021, Rz. 3.51. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 Buchst. d und e. 3 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.3 Buchst. b (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 4 Vgl. Tz. 6.141 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. zum doppelten ordentlichen Geschäftsleiter BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 ff. = FR 1995, 833 sowie grundlegend Baumhoff, Dienstleistungen, 139 ff. 6 Vgl. Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 105.
Greinert/Leonhardt | 815
6.645
Kap. 6 Rz. 6.646 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
bb) Methoden der Gewinnaufteilung
6.646
Pauschale Gewinnaufteilungsmaßstäbe – Knoppe-Formel. Das Hauptproblem bei Anwendung der PSM liegt in der Ermittlung eines möglichst objektivierten Gewinnaufteilungsmaßstabs. Die wohl bekannteste Methode zur Gewinnaufteilung bildet die sog. Knoppe-Formel.1 Wenngleich sie konzeptionell angreifbar ist2, insbesondere weil es sich um eine pauschale Aufteilung ohne Berücksichtigung der Ergebnisse einer Funktionsanalyse handelt, werden in der Verrechnungspreispraxis Lizenzgebühren für immaterielle Werte oft nach dieser Formel verprobt.3 Diese Formel sieht für den Lizenzgeber eine Lizenz in Höhe von 25 % bis 331/3 % des vorkalkulierten Gewinns (ohne Berücksichtigung der Lizenzgebühr) des Lizenznehmers aus den zur Nutzung überlassenen immateriellen Werten vor. Beispiel: Eine deutsche Gesellschaft (Lizenznehmer) erwirtschaftet aus dem Einsatz einer von der ausländischen Muttergesellschaft eingeräumten Markenlizenz ein jährliches Betriebsergebnis (EBIT) vor Lizenzaufwand in Höhe von 12 Mio. Euro. Der Umsatz unter Nutzung der Markenlizenz beträgt jährlich 100 Mio. Euro. Lizenzberechnung: 25 % bis 33,3 % von 12 Mio. Euro = 3 Mio. Euro bzw. 4 Mio. Euro. Bezogen auf den Umsatz des Lizenznehmers von 100 Mio. Euro ergibt sich somit eine angemessene Lizenzgebühr zwischen 3 % und 4 % des Umsatzes.
Mithin verbleibt nach der Knoppe-Formel der größere Teil des durch die Überlassung der immateriellen Werte erwirtschafteten Gewinns beim Lizenznehmer. Dies ist auch insoweit gerechtfertigt, als der Lizenznehmer umfassendere Aktivitäten übernimmt und höhere wirtschaftliche Risiken (z.B. Vermarktungsrisiko, Kapitaleinsatzrisiko) trägt. Daher hat er auch Anspruch auf einen größeren Anteil des Einigungsbereichs.4
6.647
25 %-Rule. Auch wenn die Knoppe-Formel wegen ihrer Herleitung und pauschalen Vorgehensweise vielfach Kritik erfährt5, so gibt es mittlerweile recht umfassende Studien, die ihren Gehalt bestätigen und präzisieren. Interessant ist dabei, dass diese Studien nicht aus dem Bereich des Steuerrechts, sondern des gewerblichen Rechtschutzes (IP-Recht) stammen. Dies ist auch nachvollziehbar, weil die Lizenzierung immaterieller Werte (Marken, Patente usw.)
1 Vgl. Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz- und Know-how-Verträge, 1972. 2 Knoppe selbst betont in seinem Buch „Die Besteuerung der Lizenz- und Know-how-Verträge“, 1972, 101, dass es sich bei seiner Formel um einen „recht vagen Anhaltspunkt“ handele. Seiner Erfahrung entsprechend könne diese Formel als Richtschnur für die Ermittlung einer angemessenen Lizenzgebühr dienen, größere Abweichungen nach oben oder unten seien allerdings möglich. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Auswertungen von Knoppe nunmehr ca. 45 Jahre zurückliegen und angesichts der Veränderungen der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse nur noch eingeschränkt aussagefähig sind. Überdies ist anzumerken, dass Knoppe die nach ihm benannte „Formel“ nicht selbst entwickelt bzw. empirisch nachgewiesen hat. Er verweist an der entsprechenden Stelle (S. 102) lediglich auf ein 54 Jahre altes Werk von Neuberg. 3 Zur Eignung der Knoppe-Formel in der Praxis vgl. Zech, IStR 2009, 419; Greinert, RIW 2006, 454. 4 Vgl. Bernhardt/van der Ham/Kluge, Ubg 2009, 247; Haas, Ubg 2008, 519; Goldscheider/Jarosz/ Mulhern, les Nouvelles 2002, 124. 5 Vgl. Tz. 6.144 i.V.m. Tz. 2.10 OECD-Leitlinien 2022, wo hervorgehoben wird, dass „rules of thumb“ nicht herangezogen werden können, um die Fremdvergleichskonformität eines Verrechnungspreises zu belegen.
816 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.647 Kap. 6
zwischen fremden Dritten ein vornehmliches Betätigungsfeld des gewerblichen Rechtschutzes darstellt. Hier gibt es eine umfassende Datengrundlage, anhand derer allgemeine Erkenntnisse abgeleitet werden können. Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Goldscheider. Dieser hatte bereits vor Jahrzehnten die sog. „25 %-Rule“ zur Ermittlung angemessener Lizenzsätze auf Basis eigener empirischer Studien sowie Vorarbeiten anderer Experten abgeleitet. Diese Regel besagt, dass ein angemessener Lizenzsatz so zu bemessen ist, dass der Lizenzgeber 25 % der mit den lizenzierten immateriellen Werten generierten (erwarteten) Gewinne erhält.1 Bei diesen immateriellen Werten handelt es sich um ein Bündel aus Patenten, Know-how, Marken usw. Damit weist die „25 %-Rule“ eine erhebliche Ähnlichkeit zu der „Knoppe-Formel“ auf. Basierend auf einem Datensatz von über 1.500 Lizenzverträgen aus 15 verschiedenen Branchen haben Goldscheider/Jarosz/Mulhern später untersucht, inwieweit diese „25 %-Rule“ noch Bestand hat bzw. inwieweit sie ausdifferenziert werden kann.2 Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass bei Bezugnahme auf sämtliche Lizenzverträge und Branchen der Anteil des dem Lizenzgeber zustehenden Gewinns 26,7 % (ausgedrückt als Median) beträgt. Wenn aus dem Gesamtbestand der Lizenzverträge nur die erfolgreichen3 Lizenzverträge ausgewählt wurden, beträgt der Anteil des dem Lizenzgeber zustehenden Gewinns 22,6 % (ebenfalls ausgedrückt als Median). Es gab zwar auch Vereinbarungen, bei denen deutlich höhere oder deutlich niedrigere Lizenzsätze vereinbart waren. Dies ist auch nicht verwunderlich, hängt doch der zugrunde gelegte Lizenzsatz von den Spezifika des jeweiligen immateriellen Werts, aber auch von der Aufteilung der Funktionen und Risiken zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer usw. ab. Bei einer Betrachtung mittlerer Werte über so viele Lizenzverträge (mehr als 1.500) lässt sich jedenfalls feststellen, dass im Durchschnittsfall eine Zuordnung von ca. 25 % des erwarteten Gewinns auf den Lizenzgeber nicht als unangemessen angesehen werden kann.4 Allerdings gab es im Jahr 2011 die sog. Uniloc-Entscheidung vor dem U.S. Court of Appeals for the Federal Circuit, aufgrund derer die Anwendung der „25 %Rule“ infrage gestellt wurde. In einem Patentverletzungsverfahren kam das zuständige Gericht zu dem Schluss: „the 25 percent rule of thumb is a fundamentally flawed tool for determining a baseline royalty in a hypothetical negotiation.“5 Auch wenn die seitens des Gerichts vorgebrachte Kritik an der Anwendung der „25 %-Rule“ durchaus berechtigt und nachvollziehbar ist, bleibt gleichwohl festzuhalten, dass ein Anteil von 25 % am Gewinn für den Lizenzgeber eine Größe darstellt, die in der Branche bekannt ist und sich bei den einschlägigen Verhandlungspartnern als Richtgröße etabliert hat. Vor diesem Hintergrund wird sie auch weiterhin Bedeutung bei der Ableitung angemessener Lizenzraten haben.6 Damit ist es bei einer Überlassung immaterieller Werte zwischen fremden Dritten gerade nicht üblich, dass sich Lizenzgeber und Lizenznehmer den aus der Nutzung immaterieller Werte erwarteten Gewinn hälftig teilen. Entgegen der Auffangnorm in § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG, die den Ansatz des Mittelwerts und insofern eine hälftige Teilung des Gewinns im
1 Vgl. Goldscheider/Jarosz/Mulhern in Parr, Royalty Rates for Licensing Intellectual Property, 31; Granstrand, les Nouvelles 2006, 179. 2 Vgl. Goldscheider/Jarosz/Mulhern, les Nouvelles 2002, 123 ff. 3 Ein erfolgreicher Lizenzvertrag liegt gemäß dieser Studie dann vor, wenn die unter Verwendung der Lizenz realisierte Gewinnmarge im Top-Quartil der Gewinnmargen der jeweiligen Branche liegt. Vgl. Goldscheider/Jarosz/Mulhern, les Nouvelles 2002, 133. 4 Vgl. Baumhoff/Greinert, Ubg 2009, 547 f. 5 Uniloc USA, Inc. V. Microsoft Corp., 632 F.3d 1292, (CA-F.C., 2011), 1055. Vgl. hierzu Binder/ Nestler, les Nouvelles 2015, 203 ff. 6 Vgl. Goldscheider, les Nouvelles 2012, 1 (3 f.).
Greinert/Leonhardt | 817
Kap. 6 Rz. 6.647 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Zweifelsfall vorsieht1, lässt sich auf Basis umfassender statistischer Untersuchungen glaubhaft machen, dass der Lizenznehmer den größeren Teil des erwarteten Gewinns für sich beanspruchen kann.2 Der Lizenzgeber muss sich demnach mit dem geringeren Anteil begnügen. Dabei zeigen jüngste Untersuchungen, dass im Normalfall eine Orientierung bei 25 % des Gewinns angemessen ist. Die durch die Knoppe-Formel vorgegebene Bandbreite von 25–331/3 % ist – jedenfalls für den Durchschnittsfall – zu hoch. Eine Ausrichtung an den 25 % liefert die wohl zutreffenderen Werte.
6.648
Mehrgewinnmethode. Als weitere Methode zur Aufteilung des unter Nutzung von immateriellen Werten erzielten Gesamtgewinns einer Transaktion kommt die Mehrgewinnmethode („Incremental Cash Flow Method“) in Betracht.3 Hierbei handelt es sich um eine betriebswirtschaftlich begründbare Aufteilung des Gesamtgewinns. Im Rahmen der Mehrgewinnmethode wird ermittelt, welche zusätzlichen Gewinne bzw. Cashflows – sei es in Form von Aufwandsersparnissen oder zusätzlichen Erlösen – durch den Einsatz des jeweiligen immateriellen Werts generiert werden können. Die Bezugnahme auf Aufwandsersparnisse erfolgt häufig im Zusammenhang mit der Nutzungsüberlassung von (Verfahrens-)Patenten oder Rezepturen, wenn diese darauf abzielen, eine Verbesserung der Kostenposition zu erreichen. In einem solchen Fall, wenn sich die erzielten Kostenersparnisse allein auf die eingesetzten Patente oder Rezepturen zurückführen lassen, ist es vertretbar, diese Kostenersparnisse den betreffenden immateriellen Werten zuzuordnen und dies entsprechend bei der Verrechnungspreisermittlung zu berücksichtigen. Es gibt aber auch (Produkt-)Patente und Rezepturen, die es erlauben, höhere Preise für die betroffenen Güter durchzusetzen. Gleiches gilt vielfach für Marken, wenn die Abnehmer bei – idealtypisch – vergleichbaren Produkten bereit sind, für das Produkt mit der eingesetzten Marke mehr zu zahlen als für ein vergleichbares Produkt ohne Marke, z.B., weil die Marke den Abnehmern Qualitätssicherheit signalisiert oder ein spezifisches Image mit der Marke verbunden wird. In einem solchen Fall lassen sich die auf die eingesetzten immateriellen Werte entfallenden geschäftsvorfallbezogenen Gewinne in der Weise berechnen, dass die Preisdifferenzen zwischen den Gütern mit der zu bewertenden Marke und vergleichbaren Gütern ohne Marke ermittelt werden. Nach Subtraktion der markenspezifischen Aufwendungen von den zuvor ermittelten Mehrerlösen (aufgrund der Preisdifferenzen) lassen sich die allein auf die Marke zurückzuführenden Gewinne ermitteln.4 Diese Gewinne sind dann entsprechend bei der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilung für die immateriellen Werte zu erfassen.
6.649
Residualwertmethode – Überblick. Eine weitere betriebswirtschaftlich begründbare Methode zur Aufteilung des unter Nutzung von immateriellen Werten erzielten Gesamtgewinns einer Transaktion stellt die Residualwertmethode dar. Mit dem Residualwert soll der verbleibende Wert – mithin der Wert der immateriellen Werte, der nach der Vergütung aller anderen Wirtschaftsgüter bzw. Funktionen verbleibt – ermittelt werden. Bei der Residualwertmethode wird der auf die eingesetzten immateriellen Werte entfallende Gewinn also indirekt ermittelt. Diese 1 Kritisch zur generellen hälftigen Teilung vgl. Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 119 ff.; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950 f.; Frotscher, FR 2008, 54 ff.; Kaminski, StuW 2008, 341 f.; Kroppen/Rasch, IWB 2008, 557 f.; Roeder, Ubg 2008, 207 f. 2 Vgl. hierzu auch Schreiber, Ubg 2008, 440 f. 3 Vgl. IDW S 5, Tz. 33, FN-IDW 2011, 467 ff.; FN-IDW 2015, 447 f. 4 Vgl. Greinert, Die bilanzielle Behandlung von Marken, 184 ff. Ein anschauliches Beispiel zur Anwendung dieser Methode bei Marken findet sich bei Maul/Mussler/Hupp, in Markenbewertung – Die Tank AG, 171 ff.
818 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.650 Kap. 6
Methode kommt insbesondere dann zur Anwendung, wenn der Ergebnisbeitrag einzigartiger und sehr wertvoller immaterieller Werte zu isolieren ist. Die Residualwertmethode impliziert dabei, dass die zu bewertenden immateriellen Werte die wesentlichen Treiber für die erzielten Ergebnisse sind. Werden über die Kapitalkosten bzw. die Vergütung für die (Routine-)Funktionen hinausgehende Ergebnisse erwirtschaftet, wird dieser Betrag vollständig den immateriellen Werten zugerechnet. Das mag auch zumindest vereinzelt gerechtfertigt sein, wenn immaterielle Werte nur schwer nachahmbar und substituierbar sind und somit den Wettbewerbsvorsprung sichern, der für die über die Kapitalkosten hinausgehenden Ergebnisse verantwortlich ist. Gleichwohl sind eine gewisse Skepsis gegenüber der Residualwertmethode und Vorsicht bei ihrer Anwendung erforderlich.1 So muss nämlich im konkreten Einzelfall geklärt werden, ob tatsächlich der gesamte Residualgewinn auf die immateriellen Werte entfällt. Möglicherweise haben auch andere Faktoren als immaterielle Werte zur Entstehung des Residualgewinns beigetragen. Zu denken ist etwa an spezifische (vorteilhafte) Marktbedingungen, Standortvorteile, Synergien usw., die zwar nicht als immaterielle Werte zu qualifizieren sind, jedoch gleichwohl wertbeeinflussende Wirkung entfalten können. Insofern kann es bei einer unreflektierten, rein schematischen Anwendung der Residualwertmethode zu einer Überschätzung des Werts der immateriellen Werte kommen. Nur mit einer sachgerechten Funktions- bzw. Wertschöpfungsbeitragsanalyse gelingt es, auch diese anderen Faktoren zu identifizieren und sie bei der Bewertung der immateriellen Werte zu berücksichtigen. Vorgehensweisen zur Ermittlung des Residualwerts. Es existieren unterschiedliche Vorgehensweisen zur Berechnung des Residualwerts. Die eher aus der Bewertungsliteratur bekannte Vorgehensweise ist die sog. Multi-Period-Excess-Earnings-Method2. Ausgangsbasis für die Bewertung ist folgende Überlegung: Immaterielle Werte erlangen erst durch die Einbindung in das Unternehmensvermögen ihre Bedeutung. Daher ist zu ermitteln, welche weiteren Wirtschaftsgüter benötigt werden, um Nutzen aus den immateriellen Werten zu ziehen. Zu denken ist an Grundstücke und Gebäude, technische Anlagen und Maschinen sowie das Nettoumlaufvermögen. Nur in Kombination mit diesen Wirtschaftsgütern entfalten immaterielle Werte ihren Nutzen. Dabei wird unterstellt, dass diese weiteren Wirtschaftsgüter nur einen unterstützenden Charakter haben; die eigentlichen Werttreiber sind dagegen die immateriellen Werte. Diese Überlegung wird bei der Bewertung in der Weise berücksichtigt, dass von den geplanten Ergebnissen sog. Contributory-Asset-Charges (Kapitalkosten) für die weiteren Wirtschaftsgüter subtrahiert werden. Diese Contributory-Asset-Charges spiegeln fiktive Leasingraten für Grundstücke und Gebäude, technische Anlagen und Maschinen sowie das Nettoumlaufvermögen wider. Nach der Subtraktion der Contributory-Asset-Charges von den geplanten Ergebnissen ergeben sich dann isolierte Ergebnisbeiträge (Residualgewinne), die allein auf die eingesetzten immateriellen Werte zurückgeführt werden können. Statt dieser in der Bewertungsliteratur angeführten Vorgehensweise wird der Residualgewinn für steuerliche Zwecke häufig in der Weise abweichend ermittelt, dass statt der Vergütung für einzelne Wirtschaftsgüter (Contributory-Asset-Charges) auf die Vergütung für einzelne Funktionen, insbesondere Routinefunktionen im Zusammenhang mit der untersuchten Transaktion, abgestellt wird.3 Der nach Subtraktion der Vergütung für diese (Routine-)Funktionen verbleibende Gewinn ist dann der Residualgewinn, welcher der Entrepreneurfunktion und damit letztlich dem immateriellen Werten zuzuordnen ist.
1 Vgl. Tz. 6.133 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. IDW S 5, Tz. 37 ff., FN-IDW 2011, 467 ff.; FN-IDW 2015, 447 f.; Moser/Goddar, FB 2007, 604 ff., 661 ff.; Greinert, RIW 2006, 454 f. 3 Vgl. Engler/Kachur in V/B/E4, O Rz. 391; Dürrfeld/Wingendorf, IStR 2005, 464 ff.
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6.650
Kap. 6 Rz. 6.651 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.651
Vereinbarkeit der Residualwertmethode mit den VWG VP 2021. Die der Residualwertmethode zugrunde liegenden Überlegungen stehen auch im Einklang mit den Anforderungen der Finanzverwaltung an die Ermittlung von Lizenzgebühren für immaterielle Werte. So heißt es in Tz. 3.51 VWG VP 2021, dass für die Nutzung eines immateriellen Werts ein Entgelt „von dem ordentlichen Geschäftsleiter nur bis zu der Höhe gezahlt wird, bei der für ihn ein angemessener Betriebsgewinn aus der Nutzung des immateriellen Werts verbleibt“.1 Bei betriebswirtschaftlicher Betrachtungsweise können unter dem angemessenen Betriebsgewinn die Kapitalkosten für das eingesetzte Vermögen verstanden werden. Was darüber hinausgeht, darf demgemäß vollständig der Lizenz – also den eingesetzten immateriellen Wirtschaftsgütern – zugeordnet werden. Auch vor diesem Hintergrund lässt sich die Verwendung der Residualwertmethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für immaterielle Werte rechtfertigen.
IV. Bewertung eines immateriellen Werts im Rahmen der Übertragung 6.652
Besonderheiten bei Übertragung statt Überlassung immaterieller Werte. In den vorstehenden Abschnitten wurde erörtert, wie eine angemessene Lizenzgebühr bei Überlassung eines immateriellen Werts ermittelt werden kann. Wird nun ein immaterieller Wert nicht nur zur Nutzung überlassen, sondern übertragen (Übergang des wirtschaftlichen Eigentums, vgl. Rz. 6.595 ff.), sind die dann einschlägigen Anforderungen an die Bewertung zu klären. Wurde bereits eine angemessene Lizenzgebühr ermittelt, so bietet sich der kapitalwertorientierte Ansatz zur Bewertung des immateriellen Werts an. Dieser Ansatz beruht auf der Investitionstheorie, konkret auf dem Kapitalwertkalkül: Danach bestimmt sich der Wert eines immateriellen Werts aus dem Barwert der künftigen mit ihm erzielbaren Ergebnisse bzw. Cashflows.2 Diese künftig erzielbaren Ergebnisse werden durch die bereits abgeleiteten Lizenzgebühren widergespiegelt.
6.653
Nutzungsdauer eines immateriellen Werts. Für die kapitalwertorientierte Bewertung ist es neben der Prognose der erzielbaren Ergebnisse erforderlich, die wirtschaftliche Nutzungsdauer des betreffenden immateriellen Werts zu schätzen. Im Unterschied zu einer Unternehmensbewertung, bei der im Normalfall von einer unendlichen Nutzungsdauer ausgegangen wird3, ist bei den meisten immateriellen Werten von einem begrenzten Nutzungszeitraum auszugehen.4 So wirken rein rechtliche Beschränkungen (z.B. Dauer des Patentschutzes, Dauer eines Vertriebsrechts), vornehmlich aber wirtschaftliche Beschränkungen (z.B. Produktlebenszyklus, Technologiezyklus) auf die Nutzungsdauer eines immateriellen Werts. Darüber hinaus kann es auch zu einer Verminderung der Ergebnisse des immateriellen Werts (Lizenzgebühren) im Zeitablauf kommen, z.B. bei dem immateriellen Wert „Kundenstamm“ infolge des üblicherweise anzutreffenden Abschmelzens des an einem Stichtag übernommenen Kundenbestands. Daher müssen gesonderte Überlegungen zur Nutzungsdauer eines immateriellen Werts angestellt werden.
6.654
Kapitalisierungszinssatz. Für die kapitalwertorientierte Bewertung bedarf es schließlich der Ableitung eines risikoangepassten Kapitalisierungszinssatzes, um die künftigen erwarteten Gewinne auf den Bewertungsstichtag zu diskontieren. Der Kapitalisierungszinssatz richtet sich nach der erwarteten Rendite der günstigsten alternativen Kapitalanlagemöglichkeit. Er drückt also aus, welche Mindestverzinsung mit dem immateriellen Wert erzielt werden muss, 1 2 3 4
VWG VP 2021, Rz. 3.51. Vgl. IDW S 5, Tz. 22, FN-IDW 2011, 467 ff.; FN-IDW 2015, 447 f. Vgl. IDW S 1, Tz. 85, FN-IDW 2008, 271 ff. Vgl. Beyer/Mackenstedt, WPg 2008, 343.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.655 Kap. 6
um nicht schlechter zu stehen als bei einer Anlage in der günstigsten Alternative. Zur Ableitung der günstigsten alternativen Kapitalanlagemöglichkeit wird auf eine vergleichbare Anlage am Kapitalmarkt abgestellt.1 Bezüglich der Kapitalisierung gelten also im Grundsatz die gleichen Überlegungen, die auch bei einer Unternehmensbewertung anzuwenden sind und über die es ausreichend Praxiserfahrungen gibt.2 Demnach setzt sich der Kapitalisierungszinssatz auch für die Bewertung immaterieller Werte aus den Komponenten Basiszinssatz und Risikozuschlag zusammen, wobei für die Ermittlung des Risikozuschlags das bekannte „Capital Asset Pricing Model“ (CAPM) einschlägig ist. Die Besonderheit bei der Bewertung immaterieller Werte besteht allerdings darin, dass ein unter Anwendung des CAPM ermittelter Risikozuschlag ein Unternehmen insgesamt betrifft. Für die Bewertung immaterieller Werte ist dagegen deren spezifisches Risiko zu erfassen.3 Ein solcher vermögensspezifischer Risikozuschlag weicht jedoch üblicherweise von dem Risikozuschlag des jeweiligen Unternehmens insgesamt ab. Daher ist es für die Bewertung immaterieller Werte geboten, von dem systematischen Risiko des Unternehmens zu abstrahieren. Hilfreich ist hierfür eine Typisierung, bei der die Risikostruktur von Vergleichsunternehmen zugrunde gelegt wird (sog. Peer-Group) und daraus ein durchschnittlicher Beta-Faktor abgeleitet wird. Darauf basierend sind Zu- oder Abschläge zur Berücksichtigung der vermögensspezifischen Risiken vorzunehmen. Mangels Marktdaten über vermögensspezifische Risikozuschläge können diese Zu- oder Abschläge letztlich nur auf allgemeinen betriebswirtschaftlichen Überlegungen beruhen.4 Bei der Ableitung der Risikozuschläge ist auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass immaterielle Werte die Komponente mit dem höchsten Risiko im Unternehmen darstellen.5 Unveränderter Ansatz der Lizenzgebühren auch bei Übertragung? Unter der Annahme, dass eine Überlassung und eine Übertragung immaterieller Werte wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte darstellen, mag es zunächst gerechtfertigt erscheinen, die im Rahmen einer Überlassung abgeleiteten Lizenzgebühren auch für die Bewertung des betreffenden immateriellen Werts – und damit für die Übertragung – heranzuziehen. Im konkreten Einzelfall ist jedoch zu untersuchen, inwieweit Überlassung einerseits und Übertragung andererseits tatsächlich vergleichbare Sachverhalte darstellen. So kann es wirtschaftlich einen Unterschied machen, ob das „Stammrecht“ beim Eigentümer des immateriellen Werts bleibt (Überlassung) oder auf das übernehmende Unternehmen übergeht (Übertragung). Verbleibt das Stammrecht beim Eigentümer, darf das nutzende Unternehmen das Stammrecht nicht vollumfänglich, sondern nur in der Weise nutzen, wie es im zugrunde liegenden Vertrag vereinbart wurde, etwa beschränkt auf einzelne Produktgruppen oder Regionen. Die Nutzung wird auch häufig in der Weise beschränkt, dass eine anderweitige Verwertung, etwa durch Sublizenzierung, untersagt wird. Möglicherweise wird sogar anderen Unternehmen gestattet, ebenfalls das Stammrecht zu nutzen (einfache Lizenz). Darüber hinaus erfolgt eine Nutzungsüberlassung generell nur zeitlich begrenzt. Insofern kann der Empfänger den Nutzen aus dem immateriellen Wert nur für einen vertraglich vereinbarten Zeitraum ziehen. Nach Ablauf dieses Zeitraums muss das nutzende Unternehmen den immateriellen Wert wieder zurückgeben. Der Eigentümer hat nach Rückgabe des immateriellen Werts auch die Möglichkeit, es selbst zu nutzen, auf ein weiteres Konzernunternehmen zu übertragen oder anderweitig zu verwerten und hierfür erneut ein Entgelt zu verlangen. Bei einem Übergang des Stammrechts auf das übernehmende Unter-
1 2 3 4 5
Vgl. IDW S 5, Tz. 41 ff., FN-IDW 2011, 467 ff.; FN-IDW 2015, 447 f. Vgl. insbesondere IDW S 1, Tz. 85 ff., FN-IDW 2008, 271 ff. Vgl. IDW S 5, Tz. 43, FN-IDW 2011, 467 ff.; FN-IDW 2015, 447 f. Vgl. Beyer/Mackenstedt, WPg 2008, 346; Oestreicher, Ubg 2009, 90 u. 93. Vgl. Tz. 6.172 OECD-Leitlinien 2022.
Greinert/Leonhardt | 821
6.655
Kap. 6 Rz. 6.655 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
nehmen wären diese Möglichkeiten hingegen ausgeschlossen. Insofern verbleiben bei einer Nutzungsüberlassung deutlich geringere Freiheitsgrade und damit unternehmerische Möglichkeiten. Übertragung einerseits und Überlassung andererseits können also zu Unterschieden im Hinblick auf den erwarteten Nutzen aus dem immateriellen Wert führen. Solche Nutzenunterschiede müssen sich freilich auf die Höhe der anzusetzenden Lizenzgebühr auswirken.1 So wird auch ausdrücklich in den OECD-Leitlinien darauf hingewiesen, dass diese Unterschiede die Vergleichbarkeit und damit die Höhe des angemessenen Entgelts beeinflussen können.2 Insofern ist es denkbar, dass die für eine Nutzungsüberlassung abgeleitete Lizenzgebühr nicht unverändert im Fall der Übertragung des betreffenden immateriellen Werts im Rahmen der kapitalwertorientierten Bewertung angesetzt werden kann, sondern modifiziert werden muss. In IDW S 5 wird diese Frage zwar nicht ausdrücklich diskutiert. Es werden lediglich die einschränkenden Begriffe „Analogieschluss“ und „Approximieren“ im Hinblick auf die Verwendung von Lizenzgebühren für Zwecke der Bewertung bei Übertragung des betreffenden immateriellen Werts verwendet.3 Mit diesen Relativierungen möchte das IDW wohl ausdrücken, dass eine unveränderte Übernahme der für eine Nutzungsüberlassung abgeleiteten Lizenzgebühr für den Fall der Übertragung des betreffenden immateriellen Werts unter den Umständen des konkreten Einzelfalls geprüft werden muss.
V. Notwendigkeit von Preisanpassungen 1. Nationale Preisanpassungsregel des § 1a AStG 6.656
Preisanpassung im Zeitablauf – Gesetzliche Fiktion. Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 20084 wurde erstmals eine gesetztliche Preisanpassungsklausel in § 1 AStG implementiert, die den Stpfl. in Einzelfällen zu nachträglichen Preisanpassungen verpflichtete. So hieß es in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG a.F.: „Sind in den Fällen der Sätze 5 und 9 wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand einer Geschäftsbeziehung und weicht die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnentwicklung ab, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, ist widerlegbar zu vermuten, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregel vereinbart hätten.“ Mit dem Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz (AbzStEntModG)5 wurde die Regelung überarbeitet und in § 1a AStG verschoben. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die bisherige Beschränkung auf Fälle des hypothetischen Fremdvergleichs (§ 1 Abs. 3 Sätze 5 und 9 AStG a.F.) entfallen sowie die Anforderung eines gleichzeitigen Bezugs auf immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile zugunsten einer Oder-Formulierung abgeschwächt worden. Die Bezugnahme auf immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile wurde im Regierungsentwurf des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 damit begründet, dass bei diesen die Wertermittlung „häufig mit erheblichen Unsicherheiten belastet“6 sei. Bereits diese Begründung kann nicht überzeugen. Bei Bewertungsmethoden, bei denen erwartete künftige Werte Ein1 A.A. wohl Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 147. 2 Vgl. Tz. 6.116 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. IDW S 5, Tz. 31 f. und speziell für Marken Tz. 63 ff., FN-IDW 2011, 467 ff.; FN-IDW 2015, 447 f. 4 UntStRefG v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 5 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und zur Bescheinigung der Kapitalertragsteuer vom 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 6 Begründung des Regierungsentwurfs zu § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG, BR-Drucks. 220/07, 145.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.658 Kap. 6
gang finden, besteht naturgemäß Unsicherheit. Fremde Dritte berücksichtigen diese Unsicherheit jedoch typischerweise nicht durch die Vereinbarung einer Anpassungsklausel1, sondern durch die explizite Berücksichtigung des Risikos im Bewertungskalkül, sei es durch Verwendung der Risikozuschlagsmethode oder durch Ansatz eines Sicherheitsäquivalents (zur aktuellen Rechtslage s. auch die Escape-Klausel des § 1a Satz 6 Nr. 2 AStG, Rz. 6.663).2 Insofern ist es bereits fraglich, ob die Fiktion einer Preisanpassung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz im Einklang steht. Mit der Reform des § 1 AStG durch das AbzStEntModG wurde die Preisanpassungsklausel näher an die von der OECD vorgeschlagene Anpassungssystematik (Rz. 6.667) herangeführt. Allerdings soll § 1a AStG weiterhin für sämtliche wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile grundsätzlich anwendbar sein, während die OECD-Leitlinien Preisanpassungen auf Fälle von schwer zu bewertenden immateriellen Werten (Rz. 6.666) beschränken. Dies ist zu kritisieren. Preisanpassung bis VZ 2021 nur im Fall des hypothetischen Fremdvergleichs. Mit dem Verweis auf die Sätze 5 und 9 des § 1 Abs. 3 AStG a.F. wird deutlich, dass die Preisanpassungsklausel bisher, d.h. bis zum VZ 2021 nur im Fall der Verrechnungspreisermittlung durch hypothetischen Fremdvergleich zur Anwendung kommen kann, was insbesondere auch Fälle der Funktionsverlagerung einschließt. Sofern Verrechnungspreise unter Verwendung des tatsächlichen Fremdvergleichs abgeleitet wurden, ist eine nachträgliche Preisanpassung hingegen nicht erforderlich. Dies ist im Hinblick auf immaterielle Werte z.B. dann relevant, wenn die Lizenzgebühren auf Basis der Preisvergleichsmethode, die dem tatsächlichen Fremdvergleich zuzuordnen ist, abgeleitet wurden. Bei solchen Lizenzgebühren kommt die gesetzliche Fiktion der Preisanpassung jedenfalls nicht zur Anwendung.
6.657
Da die Neuregelung keinen Bezug auf den hypothetischen Fremdvergleich mehr enthält, wird der sachliche Anwendungsbereich ab dem VZ 2022 erweitert. Die Regelung stellt allerdings auch künftig auf die Gewinnerwartung3 ab, die der Verrechnungspreisfestlegung zugrunde lag. Neu erfasst werden dürften daher im Wesentlichen Fälle, in denen die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Rz. 5.123 ff.) zur Anwendung kommt.4 Erhebliche Abweichung. Unter den vorstehend genannten Voraussetzungen ist eine nachträgliche Preisanpassung allerdings nur dann erforderlich, wenn es im Zeitablauf zu erheblichen Abweichungen der Gewinnentwicklung im Vergleich zu der ursprünglich zugrunde gelegten Gewinnentwicklung gekommen ist. Der Begriff der „erheblichen Abweichung“ ist mit dem AbzStEntModG erstmals gesetzlich definiert worden, wobei dies ab dem VZ 2022 gilt (Rz. 6.664). Gem. § 1a Satz 3 AStG liegt eine erhebliche Abweichung dann vor, „wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Fremdvergleichspreis um mehr als 20 Prozent von [dem vom Stpfl. festgelegten] Verrechnungspreis abweicht“. Diese Regelung orientiert sich an den Tz. 6.193 der OECD-Leitlinien (Rz. 6.668). Inhaltlich ist damit die ursprüngliche Verrechnungspreisbestimmung zu wiederholen, wobei statt der prognostizierten die tatsächlich erzielten Gewinne anzusetzen sind. Sämtliche sonstigen Parameter (Kapitalisierungszinssätze, Kapitalisierungszeitraum, Steuersätze, Aufteilung des Einigungs1 Vgl. Mueller-Thuns in Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns, Unternehmenskauf/Unternehmensverkauf, 178; Welling in FS Schaumburg, S. 993; Kaminski/Strunk, RIW 2009, 715. 2 Vgl. IDW S 5, Tz. 27, FN-IDW 2011, 467 ff.; FN-IDW 2015, 447 f. 3 Die Änderung der Formulierung von bisher „Gewinnentwicklung“ zu nun „Gewinnerwartung“ ist u.E. rein redaktioneller Natur. 4 Vgl. Grotherr, DB 2021, 2448 (2449).
Greinert/Leonhardt | 823
6.658
Kap. 6 Rz. 6.658 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
bereichs etc.) sind sind dabei gem. § 1a Satz 4 AStG unverändert zu lassen.1 Im Fall des hypothetischen Fremdvergleichs etwa ist damit unter Zugrundelegung der im Siebenjahreszeitraum tatsächlich erzielten Gewinne der Mindestpreis des Übertragenden und der Höchstpreis des Übernehmenden neu zu ermitteln und der Fremdvergleichspreis i.S.d. § 1a Satz 3 AStG innerhalb des Einigungsbereichs nach der bisherigen Aufteilungsquote (ggf. auch hälftige Aufteilung gem. § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG, s. Rz. 3.134) zu bestimmen. § 1a Satz 3 AStG stellt auf die „tatsächliche Gewinnentwicklung“ ab. Der Zeitraum zur Kapitalisierung der Gewinnpotentiale übersteigt den Siebenjahreszeitraum des § 1a Satz 3 AStG aber regelmäßig; insbesondere ist gem. § 6 FVerlV dann ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum zugrunde zu legen, wenn keine von der Funktion abhängigen Gründe für einen begrenzten Zeitraum glaubhaft gemacht werden. Wie mit den Gewinnen ab dem achten Jahr im Rahmen der Neuermittlung der Kapitalisierung umzugehen ist, regelt § 1a Satz 3 AStG nicht eindeutig. Hier stellt sich mithin die Frage, ob Gewinne späterer Jahre, die z.B. nach Ende der Detailplanungsphase durch Fortentwicklung des jeweiligen Vorjahresgewinns mit einer festen Wachstumrate bestimmt wurden, aufgrund der besseren Erkenntnis der ersten sieben Jahre ebenfalls anzupassen sind. Dies lässt der Wortlaut der Vorschrift jedoch nicht zu. Denn gem. § 1a Satz 2 AStG ist auf die erhebliche Abweichung „bezogen auf die ersten sieben Jahre nach Geschäftsabschluss“ abzustellen, sodass eine Anpassung der Gewinne späterer Jahre ausscheidet.
6.659
Definition der erheblichen Abweichung bis zum 31.12.2021. Bis zur Einfügung des § 1a AStG mit dem AbzStEntModG war der Begriff der „erheblichen Abweichung“ nicht gesetzlich, sondern lediglich in § 10 FVerlV definiert: Demnach sollte von einer erheblichen Abweichung auszugehen sein, wenn „der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Verrechnungspreis außerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs liegt.“ Die Bezeichnung „zutreffender Verrechnungspreis“ löst zunächst Erstaunen aus, weil es gemäß BFH-Rspr.2 den „einen“ angeblich zutreffenden Verrechnungspreis nicht gibt, sondern dieser i.d.R. aus einer Bandbreite von Preisen besteht. Dessen ungeachtet erscheint auch die Auslegung von „erheblicher Abweichung“ nicht zweckmäßig. So ist es nicht einzusehen, warum selbst bei einer geringfügigen Überschreitung des ex ante ermittelten Einigungsbereichs eine „erhebliche“ Abweichung vorliegen soll. Gerade wenn nur geringe Synergien oder Standortvorteile existieren und insofern ein enger Einigungsbereich vorliegt, muss eine Über- oder Unterschreitung des ex ante ermittelten Einigungsbereichs noch keine erhebliche Abweichung darstellen. Verschärft wird dieses Problem noch dann, wenn der Stpfl. seinen Verrechnungspreis am Rand des Einigungsbereichs festgelegt hat. In diesem Fall würde schon eine geringfügige Abweichung zwischen Plan- und Ist-Werten ausreichen, um zu einer Überschreitung zu kommen. Was an einer solchen Abweichung „erheblich“ sein soll, bleibt allerdings offen. Bei der Auslegung des Begriffs „erhebliche Abweichung“ ist ferner zu berücksichtigen, dass Abweichungen zwischen Plan- und Ist-Werten nicht nur auf Unsicherheiten zum Zeitpunkt der Transaktion beruhen. Vielmehr ist es auch möglich, dass der Erwerber eines immateriellen Werts (zunächst ungeplante) besondere Anstrengungen unternimmt und Finanzmittel investiert, aufgrund derer sich ein über die ursprünglich erwarteten Gewinne hinausgehender Erfolg des immateriellen Werts erst einstellt. Der sich später herausstellende höhere Wert wäre also das Ergebnis der Maßnahmen des Erwerbers, nicht dagegen das Ergebnis irgendwelcher Unsicherheiten. In einem solchen Fall ist es daher nicht vertretbar, den ursprünglichen Ver1 Vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/27632, 76; Grotherr, DB 2021, 2448 (2450). 2 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
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F. Immaterielle Werte | Rz. 6.661 Kap. 6
kaufspreis anzupassen. Ein fremder Dritter wäre nicht bereit, nachträglich einen höheren Preis für den immateriellen Wert an den Verkäufer zu entrichten, wenn der höhere Wert auf den selbst eingeleiteten Maßnahmen beruhen würde. Ansonsten würde er letztlich doppelt zahlen.
Rechtfertigung für gesetzliche Fiktion? Wenn eine erhebliche Abweichung der Gewinnentwicklung vorliegt, fingiert der Gesetzgeber eine widerlegbare Vermutung, dass unabhängige Dritte eine Anpassungsregelung vereinbart hätten. Hier ist die Frage zu stellen, aus welchen Erkenntnissen diese Vermutung abgeleitet wird. Zwar finden sich in der Unternehmenspraxis durchaus Anpassungsklauseln, insbesondere bei Unternehmensverkäufen.1 Sie stellen allerdings nicht den Normal-, sondern den Ausnahmefall dar. Vielmehr wird sogar wegen der erheblichen Schwierigkeiten bei der Ausgestaltung und Handhabung späterer Kaufpreiskorrekturen von derartigen Anpassungsklauseln abgeraten.2 Insofern findet sich keine befriedigende Begründung für die Fiktion des Gesetzgebers. Insbesondere ist auch zu berücksichtigen, dass Anpassungsklauseln das Chancen-/Risiken-Profil der Transaktion verändern. Ohne Anpassungsklausel übernimmt der Erwerber sämtliche Risiken im Zusammenhang mit einer Übertragung, mit Anpassungsklausel dagegen nur einen Teil der Risiken. Entsprechende Auswirkungen ergeben sich in Bezug auf die Höhe der zwischen fremden Dritten vereinbarten Kaufpreise.3 Vor diesem Hintergrund erscheint die Kritik von Wassermeyer berechtigt, wonach die „Anpassungsmöglichkeit […] die Bestandskraft von für die Vergangenheit erlassenen Steuerbescheiden (unterläuft), indem sie den maßgeblichen Besteuerungssachverhalt per Fiktion in die Gegenwart verlagert. Für diese neuartige Form rückwirkender Steuergesetze stellt sich naturgemäß die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit.“4 Insbesondere ist es als willkürlich anzusehen, dass der Gesetzgeber – ohne hinreichende Fundierung – eine solche Annahme in das Gesetz aufnimmt. Zwar soll diese Annahme widerlegbar sein. Die Frage bleibt allerdings, wie eine solche Annahme, für die selbst keine Fundierung geliefert wurde, widerlegt werden soll. Es ist völlig unklar, anhand welcher Argumente eine Widerlegung erfolgen könnte, abgesehen davon, dass die Annahme des Gesetzgebers selbst nicht begründet ist. Zusammengefasst ist es daher nachvollziehbar, dass die Preisanpassungsklausel bereits bei erstmaliger Implementierung mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 in der Literatur auf scharfe Kritik gestoßen ist.5
6.660
Standardisierte Anpassungsklausel. Sofern ein Stpfl. keine eigene individuelle Anpassungsklausel vereinbart, greift gem. § 1a Satz 2 AStG eine gesetzlich standardisierte Anpassungsklausel. Danach ist ab dem VZ 2022 unter anderem ein Anpassungszeitraum von sieben Jahren nach Geschäftsabschluss maßgebend. Bis zum VZ 2021 sah § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG a.F. noch einen zehnjährigen Anpassungszeitraum vor, sodass mit der Reform des AbzStEntModG bereits eine Verkürzung umgesetzt worden ist. Mit Bezug auf die hohe Wettbewerbsintensität in nahezu allen Branchen und die sich daraus ergebenden kurzfristigen Wandlungen im Geschäft erscheint aber auch dieser Zeitraum noch als viel zu lang.6 So ist aus empirischen Aus-
6.661
1 Vgl. Lacher/Poppe, DB 1988, 1761 ff.; Baums, DB 1993, 1273 ff. 2 Vgl. Mueller-Thuns in Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns, Unternehmenskauf/Unternehmensverkauf, 178. 3 Vgl. Scholz, IStR 2007, 523 ff. 4 Wassermeyer, DB 2007, 539. 5 Zur gesetzlichen Preisanpassungsklausel vgl. Schaumburg, IStR 2009, 877 ff.; Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 844 ff.; Peter/Spohn/Hogg, IStR 2008, 864 ff.; Scholz, IStR 2007, 521 ff. 6 Die Regierungsbegründung geht dagegen von einem „zeitlich überschaubaren und administrierbaren Zeitraum“ aus, vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BT-Drucks. 19/ 27632, 75.
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Kap. 6 Rz. 6.661 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
wertungen von Preisanpassungsklauseln ableitbar, dass typischerweise eine Anpassungsdauer zwischen einem und drei Jahren zugrunde gelegt wird.1 Ohnehin sind die übertragenen immateriellen Wirtschaftsgüter nach sieben Jahren typischerweise so sehr von dem Erwerber geprägt, dass eine Bezugnahme auf die ursprüngliche Transaktion verfehlt erscheint. Wenn innerhalb dieses siebenjährigen Zeitraums die tatsächlich erzielten Gewinne von den bei der Durchführung der Transaktion prognostizierten Gewinnen „erheblich“ abweichen (Rz. 6.658 f.), ist auf Basis der tatsächlichen Gewinne im achten Jahr ein „angemessener“ Anpassungsbetrag für die übertragenen immateriellen Wirtschaftsgüter anzusetzen (§ 1a Satz 2 AStG). Gem. § 1a Satz 5 AStG soll dieser Anpassungsbetrag dann angemessen sein, wenn er „dem Unterschiedsbetrag zwischen dem Verrechnungspreis und dem unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffenden Fremdvergleichspreis entspricht“. Diese Regelungssystematik kann u.E. nur so verstanden werden, dass auch andere als die in § 1a Satz 5 AStG genannten Anpassungsbeträge angemessen sein können. Dies könnte z.B. ein gegenüber dem vorgenannten Betrag verringerter Betrag sein, der etwa Aspekte einer fremdüblichen Risikoteilung in dem Sinne berücksichtigt, als zwischen fremden Dritten der Erwerber in der Regel einen Großteil der Risiken trägt.
6.662
Individuelle Anpassungsklausel. Für einen Stpfl. ist es meist ratsam, eine eigene individuelle Anpassungsklausel zu vereinbaren, weil dann die gesetzlich standardisierte Anpassungsklausel nicht zur Anwendung kommt. Um die Anwendung der gesetzlich standardisierten Anpassungsklausel auszuschließen, muss die individuelle Klausel allerdings „sachgerecht“ sein. Das hierzu bisher nur in § 9 FVerlV normierte Regelbeispiel für eine sachgerechte Anpassungsklausel ist mit dem AbzStEntModG nun unmittelbar in § 1a Satz 6 Nr. 3 AStG kodifiziert. Demnach scheidet eine Anpassung im Fall von Lizenzvereinbarungen aus, die die Lizenz vom Umsatz oder Gewinn abhängig machen. Dies ist jedoch nicht abschließend („insbesondere“), sodass auch andere individuelle Anpassungsklauseln sachgerecht sein können. Bei einer individuellen Preisanpassungsklausel können nicht nur realistischere kürzere Anpassungszeiträume geregelt werden. Insbesondere besteht auch die Möglichkeit, in Abweichung von der gesetzlich definierten „erheblichen Abweichung“ nur solche Abweichungen zu erfassen, die auf ganz besonderen Ereignissen beruhen.
6.663
Escape-Regelungen. § 1a Satz 6 AStG enthält neben dem Regelbeispiel einer sachgerechten individuellen Anpassungsklausel zwei Escape-Klauseln. So scheidet die Anwendung von § 1a AStG dann aus, wenn der Stpfl. „glaubhaft macht, dass die tatsächliche Entwicklung auf Umständen basiert, die zum Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls nicht vorhersehbar waren“ (§ 1a Satz 6 Nr. 1 AStG). Dies trägt dem Gedanken Rechnung, dass ein fremder dritter Veräußerer in der Regel nicht an sämtlichen zukünftigen Risiken und Chancen partizipiert. Denkt man etwa an positive Gewinnentwicklungen, die auf besondere Anstrengungen des Erwerbers zurückgehen, würde dieser andernfalls doppelt für den immateriellen Wert bezahlen. Ferner kommt die Preisanpassungsklausel auch dann nicht zur Anwendung, wenn der Stpfl. „nachweist, dass er bei der Bestimmung des Verrechnungspreises die aus der künftigen Entwicklung resultierenden Unsicherheiten angemessen berücksichtigt hat“ (§ 1a Satz 6 Nr. 2 AStG). Dies verweist zutreffend darauf, dass fremde Dritte die Unsicherheit über die Zukunftserfolge eher im Rahmen der Bewertung berücksichtigen als Anpassungsklauseln zu vereinbaren (Rz. 6.659). Werden im Rahmen der Verrechnungspreisbestimmung daher z.B. angemessene
1 Vgl. Scholz, IStR 2007, 524; Stein/Schwarz, DB 2021, 1292 (1296); Greil/Saliger, ISR 2021, 330 (334).
826 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.665 Kap. 6
Risikozuschläge im Kapitalisierungszinssatz verwendet, oder die zu kapitalisierenden Größen als Sicherheitsäquivalente verschiedener möglicher Ausprägungen der Gewinnentwicklung ermittelt,1 entfällt die Anwendung von § 1a AStG. Da im Rahmen der Kapitalisierung von Zukunftsgrößen stets risikoadjustierte Kapitalisierungszinssätze heranzuziehen sind, dürfte § 1a Satz 6 Nr. 2 AStG im Grundsatz regelmäßig zu prüfen sein. Insoweit sollte u.E. bereits die Verwendung von z.B. branchenbezogenen Beta-Faktoren im Rahmen der Anwendung des CAPM ausreichen können, um eine hinreichende Risikoberücksichtigung i.S.d. § 1a Satz 6 Nr. 2 AStG zu gewährleisten. Zeitliche Anwendung der Neuregelung des AbzStEntModG. Die Neuregelung der Preisanpassungsklausel ist gem. § 21 Abs. 1 AStG ab dem Veranlagungszeitraum 2022 anzuwenden.2 Unklar bleibt gleichwohl, ob die Neuregelung insoweit nur für Sachverhalte gilt, die sich ab dem 1.1.2022 ereignen, oder auch „Altfälle“ erfasst werden, d.h. z.B. Übertragungen von wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgütern, die zwischen dem 1.1.2015 und dem 31.12.2021 erfolgt sind. Der Wortlaut des § 21 Abs. 1 AStG scheint auf Letzteres hinzuweisen.3 Dies hätte eine doppelte Folge: Einerseits könnten vergangene Übertragungen, die z.B. nicht nach dem hypothetischen Fremdvergleich bepreist worden sind und daher nach bisheriger Gesetzeslage nicht von der Preisanpassungsklausel erfasst wurden, nun unter die Neuregelung fallen. Andererseits würde aufgrund der Verkürzung des Anpassungszeitraums von bisher zehn auf nunmehr sieben Jahre (Rz. 6.661) die Anwendung einer Preisanpassungsklausel für Sachverhalte aus der Zeit zwischen dem 1.1.2012 und dem 31.12.2014 vollständig entfallen. Denn die (neue) Siebenjahresfrist wäre für die Fälle bereits vor dem 1.1.2022 und damit der Geltung der Neuregelung abgelaufen, während gleichzeitig die (alte) Zehnjahresfrist ab dem 1.1.2022 aufgrund der Neuregelung nicht mehr zur Anwendung käme.
6.664
Preisanpassungen vor 2008? Vor dem VZ 2008 existierte eine gesetzlich geregelte Preisanpassungsklausel nicht.4 Insofern erscheint die Feststellung der Finanzverwaltung in den VWGFunktionsverlagerung selbstverständlich, dass die gesetzliche Fiktion gem. § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG a.F. erstmalig für den VZ 2008 gilt.5 Allerdings wird diese Feststellung durch die nächsten Tz. der VWG-Funktionsverlagerung wieder relativiert. Zwar gelten die VWG-Funktionsverlagerung nur für Funktionsverlagerungen. Da durch die Funktionsverlagerungsbesteuerung allerdings immaterielle Wirtschaftsgüter erfasst werden sollen, ist nicht auszuschließen, dass zumindest die Finanzverwaltung die gleichen Grundsätze bei der Übertragung bzw. Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter anwenden wird. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist jedenfalls auch für VZ vor 2008 eine Verrechnungspreiskorrektur dann vorzunehmen, wenn sich fremde Dritte erfolgreich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB oder eine vergleichbare Regelung des ausländischen Zivilrechts berufen können.6 Dabei wird in Tz. 194 VWG-Funktionsverlagerung der Anwendungsbereich des § 313 BGB aufgezeigt; die darin enthaltenen Aussagen geben im Wesentlichen die einschlägige Rspr.
6.665
1 Die Regierungsbegründung verweist auf „fremdübliche Risikozuschläge oder Risikoabschläge“, ohne dies genauer zu spezifizieren, vgl. Regierungsentwurf des AbzStEntModG v. 17.3.2021, BTDrucks. 19/27632, 76. 2 § 21 Abs. 1 AStG. 3 So auch Grotherr, DB 2021, 2448 (2450). 4 § 1 AStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetz 2008 war gem. § 21 Abs. 16 AStG a.F. erstmals ab dem VZ 2008 anzuwenden. 5 Vgl. VWG FVerl, Rz. 192. 6 Vgl. VWG FVerl, Rz. 193 Satz 1.
Greinert/Leonhardt | 827
Kap. 6 Rz. 6.665 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
des BGH wieder.1 Abenteuerlich ist jedoch die in den folgenden Textziffern vorgenommene Übertragung dieser Grundsätze auf den Fall der Funktionsverlagerung (und damit wohl auch der Übertragung bzw. Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter). Die VWG-Funktionsverlagerung gehen davon aus, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage bereits dann vorliegt, wenn die prognostizierten Gewinne erheblich von den tatsächlich realisierten Gewinnen abweichen.2 Diese Aussage ist allerdings nicht haltbar: Die Entwertung oder Aufwertung von Leistungen eröffnet grundsätzlich kein Recht auf Anpassung des Vertrags.3 Ausnahmsweise führt die Entwertung einer Leistung nur dann zu einer Anpassung, wenn das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung so stark gestört ist, dass die Grenze des übernommenen Risikos überschritten wird und das Interesse der benachteiligten Partei auch nicht mehr annähernd gewahrt ist.4 Bei der Interpretation des „ausnahmsweise“ ist zu beachten, dass § 313 BGB ohnehin nur bei schwerwiegenden Änderungen der Geschäftsgrundlage zur Anwendung kommt. Insofern ist die Anwendung des § 313 BGB in der zivilrechtlichen Praxis die absolute Ausnahme.5 Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten, dass eine Verrechnungspreiskorrektur auf der Grundlage von § 313 BGB grundsätzlich scheitert. Nur bei ganz besonderen Umständen kann sich der Anwendungsbereich dieser Vorschrift öffnen. Jedenfalls ist eine erhebliche Abweichung der tatsächlichen von den prognostizierten Gewinnen regelmäßig kein geeignetes Indiz für eine derart schwerwiegende Störung der Geschäftsgrundlage, bei der das Interessengleichgewicht der beteiligten Parteien auch nicht mehr annähernd gewahrt ist. Der Versuch des BMF, die Fiktion der Preisanpassungsklausel über § 313 BGB auf VZ vor 2008 zu transportieren, scheitert somit.
2. Vorgaben der OECD zu Preisanpassungsklauseln 6.666
OECD-Praxis bis 2010. In den OECD-Leitlinien 2010 wird verschiedentlich festgestellt, dass die Ermittlung von Verrechnungspreisen für immaterielle Wirtschaftsgüter oftmals mit Schwierigkeiten verbunden sein kann.6 Die OECD fordert insofern für den Fall, dass die Wertermittlung im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses eine hohe Unsicherheit aufweist bzw. der Wert noch gar nicht feststellbar ist, die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Hierbei wird als eine im Einzelfall angemessene Möglichkeit, Unsicherheiten zu begegnen, nicht aber als widerlegbare Vermutung, u.a. auch die Vereinbarung von Preisanpassungsklauseln genannt.7 Für die Steuerverwaltung besteht jedoch nach Auffassung der OECD dann kein Anpassungsbedarf, wenn fremde Dritte eine solche Preisanpassungsklausel nicht vereinbart hätten. Denn in diesen Fällen käme eine Korrektur einer unangemessenen, mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unvereinbaren rückwirkenden Beurteilung aufgrund nachträglicher Erkenntnisse gleich. Im Ergebnis geht die OECD in ihren Leitlinien 2010 also ursprünglich noch nicht von einer zwingenden Anwendung von Preisanpassungsklauseln bzw. einer Umkehr der Beweislast durch Schaffung widerlegbarer Vermutungen aus.8
1 Vgl. dazu nur Finkenauer in Münchener Kommentar zum BGB9, § 313 BGB Rz. 1 ff. jeweils m.w.N. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 195 Satz 2. 3 Vgl. Finkenauer in Münchener Kommentar zum BGB9, § 313 BGB Rz. 58 m.w.N. 4 Vgl. Finkenauer in Münchener Kommentar zum BGB9, § 313 BGB Rz. 76 f. m.w.N. 5 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2009, F. 3, Gr. 1, 2466. 6 Vgl. Tz. 6.13, 9.80 ff. OECD-Leitlinien 2010. 7 Vgl. Tz. 6.30 f., 9.88 OECD-Leitlinien 2010. 8 Vgl. Engelen, IStR 2016, 146 (148).
828 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.667 Kap. 6
Neuerungen durch BEPS-Aktionspunkt 8 und die OECD-Leitlinien 2017. Als Teil des Aktionspunkts 8 des BEPS-Projekts hat die OECD am 4.6.2015 einen Diskussionsentwurf zum Umgang mit schwer bewertbaren immateriellen Werten veröffentlicht („hard-to-value-intangibles – HTVI“).1 Hierin hat sie neue Richtlinien zur Verwendung von Ex-post-Informationen und Preisanpassungsklauseln erlassen. Dieser Entwurf ergänzt den bereits im September 2014 veröffentlichten Arbeitsstand zur Änderung des Kapitels VI der OECD-Leitlinien bezüglich der Behandlung immaterieller Werte und ist zwischenzeitlich sowohl in das am 5.10.2015 veröffentlichte Maßnahmenpaket als auch in die OECD-Leitlinien 20172 eingeflossen. Die diesbezüglichen Ausführungen in Kapitel VI der OECD-Leitlinien gliedern sich dabei in zwei Teile. Im ersten Teil wird dargestellt, wie eine fremdübliche Bepreisung erfolgen soll, wenn die Bewertung von immateriellen Werten im Zeitpunkt der Transaktion sehr ungewiss ist.3 Hierzu stellt die OECD zunächst fest, dass die Bewertung immaterieller Werte oftmals schwierig sein kann.4 In jedem Fall sei diesbezüglich aber auf den Fremdvergleichsgrundsatz abzustellen5, was u.a. auch die Vereinbarung von Preisanpassungsklauseln erfasse.6 Preisanpassungsklauseln stellen aber nur eine Möglichkeit dar, um mit der bestehenden Unsicherheit umzugehen. Es werden auch ausdrücklich andere Möglichkeiten zur Reduzierung der Unsicherheit genannt, z.B. die Vereinbarung von bedingten Zahlungen (contingent payments).7 Zudem hebt die OECD die aus Sicht der Finanzverwaltung bestehenden Risiken hervor. So könnten die Entwicklungen, die zum Zeitpunkt einer Transaktion mit immateriellen Werten vernünftigerweise hätten vorhergesehen werden können, von dieser je nach Einzelfall teils nur schwer abgeschätzt werden. Es bestünden daher Informationsasymmetrien und insofern ein Verrechnungspreisrisiko.8 Ex-post-Ergebnisse könnten jedoch ein Indiz zur Beurteilung der Fremdüblichkeit der durchgeführten Transaktion darstellen.9 Daher sollen diese als widerlegbare Hinweise herangezogen werden können, um das Ausmaß an Unsicherheiten zum Zeitpunkt der Transaktion, die Berücksichtigung vernünftigerweise vorhersehbarer Entwicklungen durch den Stpfl. sowie die Verlässlichkeit der verwendeten Informationen zu beurteilen.10 Weiterhin führt die OECD in einem zweiten Teil die Kategorie der schwer bewertbaren immateriellen Werte ein, die unter Abschnitt D.4. als sog. „hard-to-value intangibles“ behandelt werden.11 HTVIs werden als „intangibles“ oder Rechte an ebendiesen definiert, für die zum Übertragungszeitpunkt zwischen verbundenen Unternehmen12 – keine belastbaren Vergleichsdaten existieren und – zum Transaktionspunkt die Prognosen für zukünftige Cashflows oder Einkommenserwartungen fehlen oder die genutzten Annahmen bei der Bewertung der immateriellen Werte höchst unsicher sind.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/discussion-draft-beps-action-8-hard-to-value-intangibles.pdf. Vgl. Tz. 6.186 ff. OECD-Leitlinien 2017, unverändert auch in den OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.181–6.185 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.181 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.181 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.183, 6.185 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.183 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.186 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.187 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Krüger, DStZ 2016, 64 (73). Vgl. Tz. 6.186–6.195 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.189 OECD-Leitlinien 2022.
Greinert/Leonhardt | 829
6.667
Kap. 6 Rz. 6.667 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Den OECD-Leitlinien seit 2017 zufolge weisen immaterielle Werte, welche als HTVI anzusehen sind, insofern mindestens eines der folgenden Charakteristika auf1: Es handelt sich um immaterielle Werte, – welche zum Zeitpunkt des Transfers nur teilweise entwickelt waren, – deren kommerzielle Verwertung erst mehrere Jahre nach der Transaktion zu erwarten ist, – welche für sich betrachtet zwar keine HTVI darstellen, jedoch mit der Entwicklung oder Verbesserung von anderen immateriellen Werten, welche selbst als HTVI eingeordnet werden können, verbunden sind, – welche in einer Art verwendet werden können, die zum Transferzeitpunkt noch unbekannt bzw. neuartig ist, – welche als HTVI für einen festen Preis an ein nahestehendes Unternehmen übertragen wurden, oder – welche im Rahmen einer Umlagevereinbarung genutzt oder entwickelt werden.
6.668
Konsequenzen der Neuerung: Preisanpassung durch die Finanzverwaltung. Kernproblem für die Steuerverwaltung ist die Informationsasymmetrie zwischen Stpfl. und Steuerverwaltung, die zu einem Verrechnungspreisrisiko führen kann. Die Lösung dieses Problems liegt nach Auffassung der OECD – und damit der Finanzverwaltungen – in einer Ex-post-Betrachtung mit der Möglichkeit der nachträglichen Preisanpassung oder Preismodifikationen.2 Hiernach ist es der Finanzverwaltung möglich, Ex-post-Informationen über tatsächliche Ergebnisse als widerlegbare Hinweise heranzuziehen, um so im Nachhinein noch die ex ante ermittelten Verrechnungspreise auf Angemessenheit beurteilen zu können. Nichtsdestoweniger hält die OECD dem Stpfl. jedoch grundsätzlich die Möglichkeit eines Gegenbeweises offen, was freilich eine Selbstverständlichkeit sein muss und nicht verdecken kann, dass mit dieser Vorgehensweise die Beweislast zulasten des Stpfl. verschoben wird. Jedenfalls soll die Verwendung von Ex-post-Informationen nicht möglich sein, wenn3 – der Steuerpflichtige – die seinen Prognosen zugrunde liegenden Informationen einschließlich der Behandlung von Risiken offenlegt und die Angemessenheit der Berücksichtigung vernünftigerweise vorhersehbarer Ergebnisse und unterstellter Eintrittswahrscheinlichkeiten darlegt sowie – glaubhaft machen kann, dass wesentliche Abweichungen zwischen Prognosen und tatsächlichen Ergebnissen a) auf unvorhersehbare Entwicklungen oder b) das Eintreten vorhersehbarer Szenarien, deren Wahrscheinlichkeit nicht wesentlich falsch eingeschätzt wurden, zurückzuführen sind, – die Transaktion Gegenstand eines Vorabverständigungsverfahrens ist4, – wesentliche Abweichungen zwischen Prognosen und tatsächlichen Ergebnissen zu einer Abweichung von nicht mehr als 20 % des vereinbarten Verrechnungspreises führen5, 1 2 3 4
Vgl. Tz. 6.190 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.192 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.193 OECD-Leitlinien 2022. Hiermit hat die OECD auf die diesbezüglich vorgebrachte Kritik reagiert, vgl. OECD, Comments Received on Public Discussion Draft – BEPS Action 8: Hard-to-Value-Intangibles v. 19.6.2015. 5 Hierin liegt eine Neuerung im Vergleich zu dem OECD-Diskussionsentwurf, vgl. OECD, Public Discussion Draft – BEPS Action 8: Hard-to-value-Intangibles, Tz. 14.
830 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.669 Kap. 6
– innerhalb einer fünfjährigen Verwertung des immateriellen Werts keine Abweichungen von den ursprünglichen Prognosen um mehr als 20 % aufgetreten sind.1 Die OECD hat zudem festgelegt, dass die grundsätzliche Regel einer Ex-post-Betrachtung zugunsten einer Ex-ante-Betrachtung weicht, wenn die Steuerverwaltung die Glaubhaftigkeit der Informationen für die Prognose feststellen kann.2 Kritische Stellungnahme. Die Anpassungsregelung für HTVI beinhaltet im Vergleich zur deutschen Preisanpassungsklausel eine kürzere Laufzeit. Denn nach derzeitiger deutscher Gesetzeslage werden Preisanpassungen noch bei erheblichen Abweichungen innerhalb von sieben Jahren nach der Transaktion vorgenommen (Rz. 6.661). Die hiervon abweichende internationale Entwicklung ist positiv zu bewerten. Denn angesichts der hohen Wettbewerbsintensität in nahezu allen Branchen und den sich daraus ergebenden kurzfristigen Wandlungen im Geschäft erscheint der Siebenjahreszeitraum als viel zu lang. Gleichwohl ist der „neue“ Ansatz der OECD aus anderen Gründen als äußerst kritisch zu bewerten. Zunächst ist die Definition des HTVI so generell und weit gefasst, dass der Finanzverwaltung ein hoher Ermessenspielraum eingeräumt wird. Denn schwer bewertbare immaterielle Werte sind gemäß der OECD solche, für die keine verlässlichen Vergleichswerte und nur unverlässliche Prognosen oder unsichere Annahmen existieren. Da immaterielle Werte ihrer Art nach jedoch häufig einzigartig sind, sollte es der Finanzverwaltung zukünftig leichtfallen, jegliche durch den Stpfl. herangezogenen Vergleichswerte als nicht einmal eingeschränkt vergleichbar abzulehnen.3 Angesichts dessen wird der Finanzverwaltung oftmals die Möglichkeit gegeben sein, auf Preisanpassungsklauseln bzw. eine rückblickende Betrachtung zu drängen. Gerade aus Sicht des Stpfl. ist dies jedoch unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit unbefriedigend. Denn hierdurch ist er der ständigen Gefahr nachträglicher Preisanpassungen ausgesetzt, weshalb für ihn nicht ersichtlich wird, wann er Steuern in welcher Höhe zu entrichten hat. Weiter sind die durch die OECD eingeräumten Gegenbeweise kritisch zu würdigen. Demnach soll die Anwendung der Grundsätze für die Bewertung schwer bewertbarer immaterieller Werte dann ausgeschlossen sein, wenn der Stpfl. seine Prognosen zum Transaktionszeitpunkt und deren angemessene Berücksichtigung in Gänze darlegt sowie darüber hinaus nachweist, dass etwaige Differenzen zwischen den prognostizierten und den tatsächlichen Ergebnissen auf unvorhersehbare bzw. unerwartete Ergebnisse zurückzuführen sind, deren Wahrscheinlichkeit nicht wesentlich falsch eingeschätzt wurde. Im ersten Teil statuiert diese Rückausnahme insofern umfassende Dokumentationspflichten des Stpfl. Mangels klar definierter Begrifflichkeiten kommt es jedoch auch hier zu Rechtsunsicherheiten, denen der Stpfl. nur durch umfangreiche Dokumentationen begegnen kann. Im zweiten Teil stellt die Rückausnahme de facto eine Beweislastumkehr zulasten des Stpfl. dar. Denn hiernach obliegt es gerade nicht der Finanzverwaltung, nachzuweisen, dass ein bei der Bewertung von immateriellen Werten zum Ansatz gebrachter Betrag nicht fremdüblich ist. Vielmehr ist es am Stpfl., verlässliche 1 Hierin liegt eine Neuerung im Vergleich zu dem OECD-Diskussionsentwurf, vgl. OECD, Aligning Transfer Pricing Outcomes with Value Creation, Tz. 6.193. 2 Vgl. Tz. 6.192 OECD-Leitlinien 2022. 3 Ähnlich kritisch sind auch die Beispiele schwer bewertbarer immaterieller Werte zu sehen. Hiernach soll u.a. die Übertragung eines immateriellen Werts zwischen verbundenen Unternehmen für eine Einmalzahlung einen grundsätzlichen Hinweis auf einen schwer bewertbaren immateriellen Wert darstellen. Dies hat zur Folge, dass verbundene Unternehmen bei Transaktionen mit immateriellen Werten keine Einmalzahlung vereinbaren können, ohne sich der Gefahr einer Preisanpassung auszusetzen. Dieser faktische Zwang zur Vereinbarung bedingter Zahlungen bzw. Bewertungsanpassungen ist jedoch nicht fremdvergleichsgerecht, vgl. Engelen, IStR 2016, 146 (150).
Greinert/Leonhardt | 831
6.669
Kap. 6 Rz. 6.669 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Nachweise („reliable evidence“) dahingehend zu erbringen, dass eine wesentliche Abweichung („significant difference“)1 auf externe unvorhergesehene Faktoren, nicht aber auf Unzulänglichkeiten der Bewertung zurückzuführen ist. Hinsichtlich Art und Ausmaß des gebotenen Nachweises wäre daher wünschenswert gewesen auszuführen, ob bzw. inwieweit eine Dokumentation entsprechend den in der Neufassung des Kapitels V der OECD-Leitlinien 2017 als Reaktion auf Aktionspunkt 13 des BEPS-Projekts vorgelegten „Guidance on Transfer Pricing Documentation and Country-by-Country Reporting“ geforderten Berichtspflichten auch den Anforderungen eines ausreichenden Nachweises im Sinne des vorliegenden Berichts genügt.
Zu kritisieren ist zudem die Möglichkeit einer Preisanpassung durch die Steuerverwaltung. Fraglich ist insofern bereits, ob die Möglichkeit, tatsächliche Transaktionen basierend auf etwaigen alternativen, hypothetisch denkbaren Gestaltungen ex post zu recharakterisieren, noch im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz steht.2 Ungeachtet dessen bezieht sich die Expost-Betrachtung jedoch nicht allein auf die Problematik des Zeitaspekts. Vielmehr geht es auch um die Frage nach objektiver und subjektiver Möglichkeit der Vorhersehbarkeit von Entwicklungen oder Ereignissen zum Transaktionszeitpunkt. Abgestellt wird nämlich darauf, ob die Entwicklungen und Ereignisse zum Transaktionszeitpunkt hätten vorhergesehen werden können oder vernünftigerweise hätten vorhersehbar sein können.3 Während es im ersten Fall um einen objektiven Erkenntnismaßstab geht, handelt es sich im zweiten Fall um die subjektiven Anforderungen an die Vorhersehbarkeit bei einer vernünftigen Betrachtung. Die subjektiven Anforderungen werden dabei durch das Adverb vernünftigerweise (reasonably) näher bestimmt. Es geht also nicht um die individuell-subjektive Erkenntnismöglichkeit. Diese wird vielmehr objektiviert. Denn maßgeblich ist hiernach, was vernünftigerweise vorhersehbar hätte sein müssen. Damit wird der Erkenntnismaßstab eines vernünftigen Dritten angelegt. Dieser Maßstab geht jedoch sowohl über die Anforderungen an die individuell-subjektive Erkenntnismöglichkeit als auch über die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen objektiven Dritten hinaus.4 Vor diesem Hintergrund wäre daher im Ergebnis eine grundlegende Überarbeitung des Kapitels VI Abschnitt D.4 wünschenswert. So sollte gerade unter dem Blickwinkel einer Erhöhung der Rechtssicherheit eine enger gefasste und klar umrissene Definition schwer bewertbarer immaterieller Werte eingeflochten und zugleich deren Ausnahmecharakter betont werden. Daneben sollten die dem Stpfl. eingeräumten Möglichkeiten des Gegenbeweises vereinfacht und präzisiert werden. Schlussendlich ist vor allem auch das Verhältnis zwischen den im Zusammenhang mit schwer bewertbaren immateriellen Werten verlangten Dokumentationspflichten und denen des Aktionspunkts 13 des BEPS-Projekts klarzustellen.
VI. Auftragsforschung 6.670
Auftragsforschung – traditionelles Verständnis. Bei der Auftragsforschung handelt es sich nicht um eine Nutzungsüberlassung von immateriellen Werten. Vielmehr muss ein nahestehendes Unternehmen im Rahmen eines Auftragsforschungsverhältnisses spezifisch definierte Aufgabenstellungen des Auftraggebers lösen. Die Ergebnisse der Auftragsforschung stehen dann dem Auftraggeber ausschließlich und uneingeschränkt zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund sind die Auftragsforschungsleistungen als Dienstleistungen des forschenden Unternehmens an1 Offen bleibt hingegen, wann eine Abweichung wesentlich ist, was unter Rechtsstaatlichkeitsgesichtspunkten und insbesondere unter dem Aspekt der Rechtssicherheit ebenfalls problematisch erscheint, vgl. Rasch/Greil, ISR 2015, 261 (264); Krüger, ISR 2015, 430 (436). 2 Vgl. Krüger, ISR 2015, 430 (437); Rasch/Greil, ISR 2015, 259 (261). 3 Vgl. Tz. 6.186 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Krüger, ISR 2015, 430 (437 f.).
832 | Greinert/Leonhardt
F. Immaterielle Werte | Rz. 6.672 Kap. 6
zusehen (zu Verrechnungspreisen für Dienstleistungen vgl. Rz. 6.88 ff.). Es handelt sich nämlich um Tätigkeiten, bei denen im Gegensatz zur Lizenzvergabe ausschließlich der Auftraggeber das „Ergebnisrisiko“ trägt, da auch dann sämtliche Forschungsaufwendungen zu vergüten sind, wenn das Forschungsergebnis aus der Erkenntnis besteht, dass für das zu erforschende Problem keine oder keine vermarktungsfähige Lösung existiert. Derartige Auftragsforschungsleistungen stellen Leistungen dar, die auch von fremden Dritten (z.B. unabhängigen Forschungseinrichtungen oder Universitätsinstituten) ausgeführt werden.1 Die Vergütung des Ergebnisses des Einzelforschungsauftrags ist nicht als eine Lizenzgebühr, sondern als ein Entgelt für eine technische Dienstleistung anzusehen. Die OECD-Leitlinien 2010 erwähnen in Tz. 7.41 die Auftragsforschung als Beispiel für eine konzerninterne Dienstleistung. Die forschende Gesellschaft sei insofern i.d.R. vor einem finanziellen Risiko geschützt, als üblicherweise die Abgeltung aller Aufwendungen vereinbart wurde, und zwar unabhängig vom konkreten Forschungserfolg. Der Auftraggeber sei generell Eigentümer derjenigen immateriellen Werte, die aus der Forschungstätigkeit entstünden, weil er auch die entsprechenden Risiken übernehmen würde. Für die Vergütung der forschenden Gesellschaft könne die Kostenaufschlagsmethode zweckmäßig sein. Die – inzwischen aufgehobenen – deutschen VWG 1983 hielten hierzu in Tz. 5.3 fest, dass für die Bestimmung der Angemessenheit des Leistungsentgelts regelmäßig die Kostenaufschlagsmethode anzuwenden sei.2 Auftragsforschung – aktuelle Einordnung. Da mit der Implementierung des DEMPE-Konzepts der OECD in das deutsche Steuerrecht wertschöpfungsbezogene Fragen deutlich an Bedeutung gewonnen haben, hängt die Frage nach der Vergütung des Auftragsforschers nunmehr wesentlich davon ab, welche konkreten Funktionen der Auftragsforscher ausübt, welche Risiken er kontrolliert und wessen immaterielle Wirtschaftsgüter er im Rahmen seiner Tätigkeit nutzt. Auch unter Geltung des DEMPE-Konzepts können Auftragsforschungsleistungen weiterhin auf der Grundlage der Kostenaufschlagsmethode vergütet werden. Dies setzt aber nun voraus, dass eine wesentliche Kontrolle und Steuerung des Auftragsforschers durch den jeweiligen Auftraggeber erfolgt (risk control concept, s. Rz. 6.576).
6.671
Aktivierung der Forschungsaufwendungen. Es stellt sich die Frage, ob die an die Forschungsgesellschaft zu zahlenden Entgelte beim Auftraggeber zu aktivieren sind. Eine solche Aktivierung kommt – zumindest in der Steuerbilanz – nur dann in Betracht, wenn es sich um einen entgeltlich erworbenen immateriellen Wert handelt.3 Bei einem im Rahmen einer Auftragsforschung zu erteilenden Forschungsauftrag liegt allerdings ein Dienstvertrag (§ 611 BGB) bzw. ein auf einem Dienstvertrag beruhender Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) vor. Damit erhält das Forschungsunternehmen ein Entgelt für seine erbrachten Dienstleistungen, welches einen Ersatz der entstandenen Aufwendungen beinhaltet. Das Forschungsunternehmen schuldet in diesem Fall somit nicht die „Lieferung“ eines fertigen immateriellen Werts, sondern lediglich die Erbringung von (Forschungs-)Dienstleistungen. Damit handelt es sich nicht um den entgeltlichen Erwerb eines immateriellen Werts, so dass die Entgeltzahlungen an die Forschungsgesellschaft beim Auftraggeber nicht zu aktivieren sind, sondern dort eine sofort abzugsfähige Betriebsausgabe darstellen. Indirekt wird diese Auffassung von der Finanzverwaltung in den – inzwischen aufgehobenen4 – VWG-Umlage
6.672
1 Vgl. Flick, BB 1973, 286. 2 BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG 1983, BStBl. I 1983, 218, Tz. 5.3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Vgl. § 5 Abs. 2 EStG. 4 Da die VWG VP 2021 keine Aussage zur Aktivierungsfähigkeit von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen eines beauftragten Dienstleisters enthalten, kann u.E. die Wertung der VWGUmlage weiterhin zumindest indiziell herangezogen werden.
Greinert/Leonhardt | 833
Kap. 6 Rz. 6.672 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
bestätigt.1 Danach kommt bei Umlagezahlungen an einen Forschungs- bzw. Dienstleistungspool ebenfalls keine Aktivierung in Betracht. Ein gemeinsamer Forschungspool ist jedoch ein Unterfall der Auftragsforschung, wo mehrere Auftraggeber im Konzern im gemeinsamen Interesse und für gemeinschaftliches Risiko eine Konzernforschungseinheit mit der Erbringung von Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen beauftragen (Nachfragepool, vgl. zum Pool Rz. 6.180).
6.673
Forschungsleistungen gemäß den OECD-Leitlinien seit 2017. Mit der Neufassung der OECD-Leitlinien 2017 hat auch die traditionelle Behandlung von Auftragsforschungsleistungen eine grundlegende Neuerung erfahren. Bereits der überarbeitete Entwurf der OECD zu „Intangibles“ vom 30.7.2013 beschäftigte sich mit Auftragsforschung und enthielt hierzu vier ausführliche Beispiele, mit deren Hilfe die OECD ihre Meinung illustriert; diese Beispiele sind nunmehr auch im Anhang der OECD-Leitlinien seit 2017 enthalten.2 In erster Linie hat die OECD dabei Fälle im Auge, in denen eine Konzerngesellschaft Forschungsleistungen gegenüber einer anderen Konzerngesellschaft erbringt, welche das rechtliche Eigentum an den im Rahmen der Auftragsforschung entwickelten „Intangibles“ erlangt. Insofern stellt die OECD klar, dass einer Konzerngesellschaft, die einen Beitrag zur Entwicklung eines „Intangibles“ leistet, das im rechtlichen Eigentum einer anderen Konzerngesellschaft steht, eine fremdvergleichskonforme Vergütung für die von ihr ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter zusteht.3 Bei der Bemessung der Vergütung sind nach Ansicht der OECD alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere, ob das Forschungsteam über einzigartige Fähigkeiten verfügt, welche Risiken im Zusammenhang mit den Forschungsleistungen getragen werden, ob das Forschungsteam eigene „Intangibles“ einsetzt und inwiefern eine Steuerung und Leitung durch andere Beteiligte erfolgt.4 Die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode im Zusammenhang mit Auftragsforschung wird von der OECD dabei deutlich zurückhaltender beurteilt als in der Fassung der OECD-Leitlinien 2010. Insofern stellt die OECD klar, dass die Kostenaufschlagsmethode nicht in allen Fällen zu einer Vergütung führen wird, die den Wert des zur Entwicklung der fraglichen „Intangibles“ erbrachten Beitrags zutreffend widerspiegelt.5 Für eine weitere Anwendung der Kostenaufschlagsmethode wird es daher jedenfalls erforderlich werden, dass der Auftraggeber und Entrepreneur mit eigenen fachlich qualifizierten Mitarbeitern den Entwicklungsprozess leitend begleitet, dabei laufend über die Tätigkeiten und Zwischenergebnisse der Auftragsforscher im Bilde ist, periodisch über die Weiterführung oder Beendigung der Entwicklungsprojekte entscheidet und ferner bei Abweichungen von der vorgegebenen Zielrichtung korrigierend eingreift.6
6.674
Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsleistungen im Konzern. Im Zusammenhang mit dem Thema Auftragsforschung stellt sich die Frage, wie die Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsleistungen im Konzern grundsätzlich erfolgen kann. Hierfür stehen im Wesentlichen drei Methoden zur Verfügung: 1 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122, Tz. 1.6 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. Tz. 46 ff. (Beispiele 14–17) im Anhang I zu Kap. VI der OECD-Leitlinien 2022; Tz. 97 f. und 263 ff. des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 3 Vgl. Tz. 6.79 OECD-Leitlinien 2022, Tz. 93 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 4 Vgl. Tz. 6.79 OECD-Leitlinien 2022, Tz. 97 des überarbeiteten Entwurfs zu „Intangibles“ v. 30.7.2013. 5 Vgl. Greinert/Metzner, Ubg 2015, 60 (62). 6 Vgl. Arbeitskreis Verrechnungspreise der Schmalenbach-Gesellschaft, Ubg 2017, 537 (541).
834 | Greinert/Leonhardt
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.674 Kap. 6
– Auftragsforschung. Eine zum Konzernverbund gehörende Forschungsgesellschaft führt auf Anforderung, im Auftrag und auf Risiko eines anderen Konzernunternehmens (Auftraggeber) Forschungs- und Entwicklungsleistungen aus (Auftragsforschung). Die Ergebnisse werden dem Auftraggeber zur Verfügung gestellt, das forschende Unternehmen erhält für seine Dienstleistungen eine Vergütung, die i.d.R. mithilfe der Kostenaufschlagsmethode bemessen wird. – Lizenzierung. Ein Konzernunternehmen trägt alle Forschungs- und Entwicklungskosten und erhält von den übrigen Gesellschaften für die Nutzungsüberlassung der entwickelten immateriellen Werte eine Vergütung (Lizenzgebühr). In diesem Fall werden die Entwicklungsführerschaft, das Eigentumsrecht und das Forschungsrisiko bei einer Gesellschaft konzentriert. Die forschende Gesellschaft muss die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen vorfinanzieren. Eine Amortisation dieser Kosten (zuzüglich Gewinnelement) erfolgt durch spätere Lizenzeinnahmen, sofern die Forschungs- und Entwicklungsleistungen zu verwertbaren Ergebnissen geführt haben. – Kostenumlage. Der Konzernverbund finanziert seine Forschungs- und Entwicklungskosten über Kostenumlageverträge. Dabei werden von einer oder mehreren Konzerngesellschaften im gemeinsamen Interesse und für gemeinschaftliches Risiko der beteiligten Konzernunternehmen Forschungs- und Entwicklungsleistungen erbracht, an deren Ergebnissen alle Beteiligten partizipieren können. Die dabei anfallenden Aufwendungen werden auf die Mitglieder des Pools mithilfe eines sachgerechten Aufteilungsschlüssels verteilt (Kostenumlage). Somit werden die Ausgaben von den beteiligten Konzernunternehmen bereits in der Entwicklungsphase laufend finanziert. Aufgrund des gemeinschaftlichen Risikos sind die Finanzierungsbeiträge auch dann zu erbringen, wenn die Forschungs- und Entwicklungsleistungen nicht zu verwertbaren Ergebnissen geführt haben (vgl. zur Kostenumlage Rz. 6.175).
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business Literatur: Altenburg, OECD Säule 1 – Zusammenfassung des Blueprints, FR 2021, 15; Baumhoff, Die Verrechnung von Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen mit Hilfe von Konzernumlagen, IStR 2000, 693 und 731; Ditz, Fremdvergleichskonforme Ermittlung eines Umlageschlüssels bei Konzernumlagen, DB 2004, 1949; Dourado, The Global Anti-Base Erosion Proposal (GloBE) in Pillar II, Intertax Vol. 48, 152; Englisch, GloBE – Der 2020 Blueprint für eine internationale effektive Mindeststeuer, FR 2021, 1; Fetzer, Die Besteuerung des Electronic Commerce im Internet, 2000; Graf, Gewinnabgrenzung im Electronic Commerce, 2003; Haas/Bacher/Scheuer, E-Commerce – Besteuerung und Rechnungslegung, Berlin, 2005; Kessler, Das Steuerrecht der neuen Medien, 2000; Kluge, Verrechnungspreise für Datennutzungen in Freundesgabe für Hubertus Baumhoff, 2019, 191; Kreienbaum, G20 und Inclusive Framework des BEPS einigen sich auf Digitalbesteuerung und auf globale effektive Mindestbesteuerung, IStR 2021, 525; OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 2005; Petkova/Greil, Pillar One: Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung – Partielle Neuallokation von Besteuerungsrechten, IStR 2021, 685; Pinkernell, Cloud Computing – Besteuerung des grenzüberschreitenden B2B- und B2C-Geschäfts, Ubg 2012, 331; Portner, Ertragsteuerrechtliche Aspekte des E-Commerce, IFSt-Schrift Nr. 390, 2001; Splittgerber/Rockstroh, Sicher durch die Cloud navigieren – Vertragsgestaltung beim Cloud Computing, BB 2011, 2179; Watrin, Betriebsstättenbesteuerung im Electronic Commerce und die ökonomische Theorie der Firma, IStR 2001, 425; Wünnemann, Perspektive der Wirtschaft zu den OECD-Vorschlägen Pillar 1 und 2, FR 2021, 26.
Greinert/Leonhardt und Ditz/Kluge | 835
Kap. 6 Rz. 6.675 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
I. Einleitung 1. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien 6.675
Globalisierung und Internationalisierung. Das heutige Wirtschaftsleben ist durch eine zunehmende Globalisierung und Internationalisierung der Arbeits-, Kapital-, Informationsund Produktmärkte gekennzeichnet. Maßgeblichen Einfluss auf diese Entwicklung hat die verstärkte Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese Technologien ermöglichen es, Informationen ohne zeitliche und räumliche Begrenzungen zwischen einzelnen Marktteilnehmern auszutauschen.1 Auf diese Weise wird es den Unternehmen ermöglicht, ihre Produkte und Dienstleistungen einem immer größeren internationalen Kundenkreis anzubieten.
6.676
Auswirkungen auf die unternehmerische Wertschöpfung. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologie haben einen erheblichen Einfluss auf die Organisationsstrukturen der Unternehmen. Während sich die unternehmerische Wertschöpfung in der Vergangenheit i.d.R. als Prozess vollzogen hat, sind moderne Unternehmensstrukturen in stärkerem Maße durch modulare Organisationen, Netzwerke, Kooperationsgeflechte und elektronische Märkte gekennzeichnet.2 In diesem Zusammenhang lässt sich beobachten, dass das Konzept der Wertschöpfungskette in vielen Fällen durch das des „Wertschöpfungsnetzwerks“ verdrängt wird. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass die Anzahl der Austauschbeziehungen zwischen den Transaktionspartnern tendenziell zunimmt. Darüber hinaus erfolgen die Leistungen häufig nicht mehr einseitig, z.B. von der Produktion zum Vertrieb, sondern wechselseitig zwischen den einzelnen Teilnehmern des Netzwerks.
6.677
Steigende Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter. Eine weitere Entwicklung, die mit der zunehmenden Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien einhergeht, stellt die gestiegene Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter (z.B. Know-how, Patente oder Forschungsergebnisse) dar.3 Während immaterielle Wirtschaftsgüter im Rahmen der unternehmerischen Wertschöpfung oftmals einen entscheidenden Wertbeitrag leisten, nimmt die Bedeutung der physischen Wirtschaftsgüter in vielen Branchen stetig ab.
2. Begriffsabgrenzungen 6.678
E-Business. Auch wenn die Begriffe des „e-Business“ und des „e-Commerce“ Gegenstand einer Vielzahl von Publikationen sind, hat sich bisher noch kein einheitliches Begriffsverständnis herausgebildet.4 Im Folgenden soll unter dem Begriff des „e-Business“ die Nutzung elektronischer Netzwerke und Technologien zur Prozessunterstützung verstanden werden, mit dem Ziel, einen Mehrwert zu schaffen.5 Unter die relevanten Prozesse fällt die Gesamtheit der unternehmerischen Wertschöpfungs-, Unterstützungs- und Führungsprozesse, welche sowohl interne als auch externe Aktivitäten umfassen.
1 2 3 4
Vgl. Portner, Ertragsteuerliche Aspekte des E-Commerce, 90 f. Vgl. Picot/Reichwald/Wigand, Die grenzenlose Unternehmung3, 2. Vgl. Portner, Ertragsteuerliche Aspekte des E-Commerce, 93 f. So auch Zwirner/Zimny, BB 2016, 1899, die den Begriff des e-Business als Geschäftsmodell definieren, das vollständig über das Internet ausgeübt wird. 5 Vgl. auch Sawhney/Zabin, The Seven Steps to Nirvana: Strategic Insights into E-business Transformation, 15.
836 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.682 Kap. 6
E-Commerce. Der Begriff des „e-Commerce“ ist von dem Begriff des „e-Business“ abzugrenzen. Unter „e-Commerce“ ist die Unterstützung der Transaktionsprozesse eines Unternehmens unter Zuhilfenahme elektronischer Technologien, insbesondere des Internets, zu verstehen.1 Nach diesem Begriffsverständnis ist „e-Commerce“ als Teilbereich des „e-Business“ aufzufassen.2 „E-Commerce“ umfasst weitaus mehr als den bloßen Verkauf physischer oder digitaler Güter. So werden unter den Begriff des „e-Commerce“ auch transaktionsvorbereitende Handlungen wie Marketingaktivitäten (z.B. elektronische Werbung) und After-Sales-Services, wie bspw. die elektronische Bereitstellung von Software-Updates, gefasst.3
6.679
II. Bedeutung des Fremdvergleichsgrundsatzes Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Die neuen Geschäftsaktivitäten des e-Business werfen vielfältige Fragen hinsichtlich der Besteuerung der im Rahmen dieser Aktivitäten erzielten Einkünfte auf. Dies betrifft sowohl die Frage der Erfüllung steuerbegründender Tatbestände (z.B. Ort der Geschäftsleitung im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht oder Begründung einer Betriebsstätte im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht) als auch die laufende Besteuerung der im Rahmen des e-Business erzielten Einkünfte. Sofern sich der elektronisch gestützte Leistungsaustausch zwischen international verbundenen Unternehmen vollzieht, hat die Abrechnung des Leistungsaustauschs unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu erfolgen.
6.680
Grenzen des Fremdvergleichsgrundsatzes. Der Fremdvergleichsgrundsatz stellt gegenwärtig den tragenden Maßstab der internationalen Gewinnabgrenzung dar.4 Im Hinblick auf die Eignung des Fremdvergleichsgrundsatzes zur Berücksichtigung moderner Transaktionsformen ist jedoch festzustellen, dass die Entwicklung des Grundsatzes zu einer Zeit erfolgte, als der Austausch physischer Güter im Vordergrund stand, für die sich i.d.R. Fremdpreise ermitteln ließen.5 Im Zeitalter des elektronischen Geschäftsverkehrs und der zunehmenden „Entmaterialisierung“ des Wirtschaftslebens ist es demgegenüber oftmals nicht möglich, Fremdpreise für die zugrunde liegenden Leistungen zu ermitteln. Die steigende Zahl der wechselseitigen Beziehungen zwischen verbundenen Unternehmen hat zudem zur Folge, dass sich die einzelnen Leistungsbeiträge immer seltener eindeutig feststellen und bewerten lassen.6 Vor diesem Hintergrund erweist es sich sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für die nationalen Finanzbehörden als schwierig, die traditionellen Methoden der Verrechnungspreisermittlung auf die neuen Geschäftsmodelle des e-Business anzuwenden.
6.681
Aber keine Aberkennung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Dennoch lassen sich auch die neuen Geschäftsmodelle sehr regelmäßig einer Einkünfteabgrenzung durch den Fremdvergleichsgrundsatz zuführen. Denn auch bei diesen ist die Ausübung der Funktionen, die Tragung von Risiken und vor allem der Einsatz von immateriellen Wirtschaftsgütern von wesentlicher Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg. Häufiger werden aber nicht die Standardmethoden, sondern gewinnorientierte Methoden zur Anwendung kommen. Dies ist darin be-
6.682
1 Vgl. Jelassi/Enders, Strategies for e-Business, 4. 2 Vgl. Bächle/Lehmann, E-Business, 4; Sawhney/Zabin, The Seven Steps to Nirvana: Strategic Insights into E-business Transformation, 17. 3 Vgl. Hedel in Haas/Bacher/Scheuer, E-Commerce – Besteuerung und Rechnungslegung, 39. 4 Vgl. Tz. 1.1 OECD-Leitlinien 2022; Herzig/Teschke/Joisten, Intertax 2010, 335. 5 Zur Entwicklung des Fremdvergleichsgrundsatzes vgl. Andresen, Konzernverrechnungspreise für multinationale Unternehmen, 57 ff. 6 Vgl. Graf, Gewinnabgrenzung im Electronic Commerce, 163.
Ditz/Kluge | 837
Kap. 6 Rz. 6.682 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
gründet, da die Inhaberschaft von immateriellen Wirtschaftsgütern und die Ausübung relevanter DEMPE-Funktionen auseinanderfallen kann.1
III. Internationale Entwicklungen 6.683
Pillar One und Pillar Two – Inclusive Framework: Vor dem Hintergrund wurden in den letzten Jahren verstärkt neue Ansätze auf nationaler und internationaler Ebene diskutiert, die unter der Bezeichnung Pillar One und Pillar Two Eingang in die steuerrechtliche Diskussion gefunden haben. Die OECD veröffentlichte am 12.10.2020 das Inclusive Framework als neue Konsultationspapiere zu Pillar One („Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint“) und Pillar Two („Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint“). Dieses zielte darauf ab, bis Mitte 2021 Neuerungen zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle vorzuschlagen. Die Konsultationsfrist endete am 14.12.2020, worauf eine öffentliche Anhörung („public consultation meeting“) am 14./15.1.2021 folgen sollte. Nachfolgend wird die Verrechnungspreisermittlung zunächst für ausgewählte Geschäftsmodelle des eBusiness im Einzelnen anhand der traditionellen Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes dargestellt. Im Abschluss finden sich Hinweise mit Bezug auf die vorgeschlagenen Änderungen durch Pillar One und Pillar Two. Am 1.7.2021 teilte die OECD mit, dass auf Arbeitsebene eine Einigung mit 130 (mittlerweile 1322) der 139 Staaten und Gebieten, die am „Inclusive Framework on BEPS“ teilnehmen, erzielt wurde.3 Im anschließenden Treffen in Venedig einigten sich die Finanzminister der G20 auf eine Einführung einer globalen Mindeststeuer und einer Neuordnung der internationalen Besteuerungsrechte.4 Am 8.10.2021 haben sich 136 Mitgliedsstaaten zur Einführung des Zwei-Säulen-Konzepts entschieden, auch wenn dies noch einer weiteren Ausarbeitung bedarf.5 Die finale Ausarbeitung soll noch im Jahr 2022 erfolgen, so dass erstmalig mit Beginn des Jahres 2023 die Regelungen zum Amount A angewendet werden sollen (Rz. 1.34 ff. und Rz. 6.769 ff.).
IV. Vertrieb im Wege des E-Commerce 1. Verrechnungspreisermittlung beim Offline-Handel 6.684
Vorteile des Handels über das Internet. Der Handel über das Internet hat in den letzten Jahren beträchtliche Ausmaße angenommen. Der Umsatz im deutschen E-Commerce-Markt wächst stetig. Im Jahr 2020 wurden im B2C-E-Commerce fast 73 Milliarden Euro umgesetzt.6 Dies ist eine deutliche Steigerung kommend von ca. 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2000 über ca.
1 Vgl. hierzu grundlegend Kluge, Verrechnungspreise für Datennutzungen in Freundesgabe für Hubertus Baumhoff, 2019, 191 ff. 2 Vgl. G20: Kommission begrüßt historische Einigung auf gerechtere Besteuerung von multinationalen Unternehmen | Deutschland (europa.eu). 3 Vgl. Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – 1 July 2021 (oecd.org). 4 Vgl. Bundesfinanzministerium – Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung kommt. 5 Vgl. Statement on a Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – 8 October 2021 (oecd.org). 6 Vgl. https://de.statista.com/themen/247/e-commerce/#dossierSummary.
838 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.687 Kap. 6
20,2 Milliarden Euro im Jahr 2010 und ca. 39,9 Milliarden Euro im Jahr 2015.1 Die CoronaPandemie dürfte hier ein weiterer Wachstumsbeschleuniger werden, nicht zuletzt da verschiedene Personengruppen auf die erstmalige Nutzung von Online-Einkäufen angewiesen waren und die Vorteile erstmals wahrnehmen konnten. Aus Sicht der Unternehmen bietet der Handel über das Internet den Vorteil, dass ein großer überregionaler Kundenkreis angesprochen werden kann. Durch die direkte Belieferung der Endkunden werden dabei die klassischen Handelsstufen (Zwischen- und Einzelhandel) „übersprungen“. Offline- und Online-Geschäfte. Bei der steuerlichen Beurteilung der online abgewickelten Handelsaktivitäten ist danach zu unterscheiden, ob es sich um sog. „Offline-“ oder „OnlineGeschäfte“ handelt.2 Bei Online-Geschäften wird die gesamte Transaktion online abgewickelt, d.h. die Anbahnung, der Vertragsabschluss und die Lieferung vollziehen sich auf elektronischem Weg. Bei den im Rahmen von Online-Geschäften gehandelten Produkten handelt es sich z.B. um Standardsoftware, e-Books, Kataloge oder Musik, welche vom Nutzer heruntergeladen oder per E-Mail bezogen werden können. Zu den Online-Geschäften zählt ferner die Erbringung von Dienstleistungen auf elektronischem Weg (z.B. Fernwartung von Computern oder Nutzung von Datenbanken). Bei Offline-Geschäften werden dagegen lediglich die Anbahnung sowie der Vertragsabschluss auf elektronischem Weg durchgeführt. Die Lieferung der Produkte erfolgt auf konventionellem Weg (z.B. durch einen Lieferdienst). Das Internet übernimmt bei Offline-Geschäften die Aufgaben, die im Rahmen konventioneller Fernabsatzgeschäfte (z.B. Katalogbestellungen) von „traditionellen“ Medien wie z.B. Telefon, Fax oder Brief übernommen werden.3
6.685
Vertrieb im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Sofern der Handel in der Weise abgewickelt wird, dass die Produkte von einer Gesellschaft erworben bzw. hergestellt und von einer in einem anderen Staat ansässigen verbundenen e-Commerce Vertriebsgesellschaft im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vertrieben werden, sind Verrechnungspreise für die Lieferungen an die e-Commerce Vertriebsgesellschaft zu ermitteln. Da eine physische Lieferung des Produkts zu der e-Commerce Vertriebsgesellschaft erfolgt, bestehen insoweit keine wesentlichen Unterschiede zu den konventionellen Vertriebsstrukturen international tätiger Konzerne.
6.686
Funktions- und Risikoprofil. Hinsichtlich des Funktions- und Risikoprofils von e-Commerce Vertriebsgesellschaften kann daher auf die allgemeinen Erläuterungen der Funktions- und Risikoanalyse im Vertriebsbereich verwiesen werden (Rz. 6.49 ff.). Abweichungen können sich allenfalls im Bereich des Marketings und der Präsentation des Produktangebots ergeben. Denn e-Commerce Vertriebsgesellschaften sind im Gegensatz zu konventionellen Vertriebsgesellschaften dadurch gekennzeichnet, dass das Marketing, die Vertragsanbahnung und der Vertragsabschluss online erfolgen und nur geringere Ressourcen in Anspruch nehmen. Bezüglich der Anwendung der Verrechnungspreismethoden sind im Bereich des Offline-Handels keine Besonderheiten zu beachten. So hat z.B. die Verrechnungspreisermittlung gegenüber e-Commerce Vertriebsgesellschaften, die im eigenen Namen und auf eigene Rechnung handeln, vorrangig nach der Wiederverkaufspreismethode zu erfolgen.4 Zu Einzelheiten wird auf die Ausführungen zu der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Vertriebsgesellschaften in Rz. 6.55 ff. verwiesen.
6.687
1 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/3979/umfrage/e-commerce-umsatz-in-deutschland-seit-1999/. 2 Vgl. Fetzer, Die Besteuerung des Electronic Commerce im Internet, 7 ff.; Watrin, IStR 2001, 427. 3 Vgl. Fetzer, Die Besteuerung des Electronic Commerce im Internet, 8. 4 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154.
Ditz/Kluge | 839
Kap. 6 Rz. 6.688 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
2. Verrechnungspreisermittlung beim Online-Handel a) Modelle des Online-Handels
6.688
Handel mit digitalen Produkten. Bei den Vertriebsaktivitäten des Online-Handels besteht die Besonderheit darin, dass Gegenstand der Transaktion keine physischen, sondern digitale Produkte sein können (z.B. Standardsoftware, e-Books, Magazine oder Musik). Die Kunden können die Produkte von einem Server herunterladen und verwenden (Rz. 6.687). Eine eCommerce Vertriebsgesellschaft muss folglich für digitale Produkte kein Warenlager und entsprechende Logistikstrukturen unterhalten. Die Aufgabe der Gesellschaft beschränkt sich vielmehr auf die bloße Darstellung des Angebots sowie ggf. den Vertragsabschluss und die Bereitstellung der digitalen Produkte.
6.689
Unterschiedliche Modelle des Online-Handels. Hinsichtlich der Ausgestaltung des OnlineHandels zwischen verbundenen Unternehmen haben sich verschiedene Modelle etabliert. Zum einen kann der Online-Handel in der Weise organisiert werden, dass die e-Commerce Vertriebsgesellschaft die digitalen Produkte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung an Kunden vertreibt (sog. „Distributor-Model“1). Zum anderen kann der Vertrieb in der Weise erfolgen, dass die e-Commerce Vertriebsgesellschaft lediglich als Dienstleister auftritt, der in die Verkaufsabwicklung eingeschaltet wird. So kann die Gesellschaft beispielsweise Dienstleistungen in Form der Bereitstellung eines Servers, auf dem die Webseite betrieben wird, erbringen (sog. „Service-Provider-Model“2). Ferner ist denkbar, dass die e-Commerce Vertriebsgesellschaft – vergleichbar zu einem Agenten – reine Vertriebsdienstleistungen erbringt.
6.690
Funktions- und Risikoanalyse. Im Hinblick auf die Ermittlung von Verrechnungspreisen ist zunächst zu prüfen, ob die e-Commerce Vertriebsgesellschaft als Eigenhändler auftritt oder ausschließlich Vertriebsdienstleistungen erbringt. Dazu ist eine Funktions- und Risikoanalyse der e-Commerce Vertriebsgesellschaft erforderlich. Nachfolgend werden die im Rahmen der vorgenannten Modelle („Distributor-Model“ und „Service-Provider-Model“) typischen Funktionsund Risikoprofile im Einzelnen dargestellt. Bei der Darstellung wird beispielhaft angenommen, dass die e-Commerce Vertriebsgesellschaft Musikstücke bzw. -alben in elektronischer Form (z.B. im „mp3-Format“) auf ihrer Webseite zum Download anbietet. Das Recht zum Vertrieb dieser Musikstücke in einem bestimmten Vertriebsgebiet (z.B. Deutschland) wird der e-Commerce Vertriebsgesellschaft von ihrer ausländischen Muttergesellschaft eingeräumt, welche ihrerseits Lizenzverträge mit großen Musiklabels abgeschlossen hat, die sich auf den digitalen Vertrieb der jeweiligen Musikstücke in einem bestimmten Vertriebsgebiet (z.B. Europa) beziehen. b) E-Commerce Vertriebsgesellschaft als Eigenhändler
6.691
Funktions- und Risikoanalyse. Eine e-Commerce Vertriebsgesellschaft übt im Rahmen des „Distributor-Model“ typischerweise die folgenden Funktionen aus (bezogen auf den in Rz. 6.690 dargestellten Beispielfall):3 – Betreiben eines eigenen oder gemieteten Servers, von dem die Musikstücke gestreamt oder heruntergeladen werden können, 1 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 25 ff. 2 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 27 ff. 3 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 15 f.
840 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.693 Kap. 6
– Unterhaltung einer Webseite, auf der die Musikstücke von den Kunden angesehen, probegehört und bestellt werden können, – Bereitstellung der Musikstücke zum Download oder Streaming (z.B. im „mp3-Format“), – Herstellung einer Internetverbindung zwischen dem Server und den potentiellen Kunden, – Vertragsabschluss, – Auftragsannahme und -bearbeitung, – Rechnungsstellung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, – Zahlungsabwicklung mit Banken und Kreditkartenanbietern, – Marketing (z.B. Vorstellung neuer Künstler, Aktionsangebote etc.), – Mahnwesen, – Bearbeitung von Support-Anfragen von Kunden (z.B. bei einem fehlgeschlagenen Download der Musikstücke). Im Rahmen der Ausübung der vorstehend genannten Funktionen tragen e-Commerce Vertriebsgesellschaften, die als Eigenhändler agieren, üblicherweise die folgenden Risiken:1 – Forderungsausfallrisiko, – Absatzrisiko, – Gewährleistungsrisiken, – Wechselkursrisiko, – IT-Risiken (z.B. Serverausfall, Hackerangriffe). Eingesetzte Wirtschaftsgüter. Bei den von der e-Commerce Vertriebsgesellschaft eingesetzten materiellen Wirtschaftsgütern handelt es sich i.d.R. um die Server-Hardware sowie die Büround Geschäftsausstattung. Ein Lager ist nicht erforderlich, da die Produkte im Wege des Downloads bezogen werden können. Die immateriellen Wirtschaftsgüter beziehen sich häufig auf den Kundenstamm sowie die Software, die auf dem Server betrieben wird.
6.692
Verrechnungspreisbestimmung im „Distributor-Model“. Der elektronische Vertrieb der Musikstücke (zum Ausgangssachverhalt Rz. 6.690) ist annahmegemäß in der Weise organisiert, dass die ausländische Muttergesellschaft Lizenzverträge mit den großen Musiklabels abgeschlossen hat, die sich auf den digitalen Vertrieb dieser Musikstücke in einem bestimmten Vertriebsgebiet (z.B. Europa) beziehen. Die Muttergesellschaft räumt der e-Commerce Vertriebsgesellschaft das Recht ein, diese Musikstücke in ihrem Vertriebsgebiet (z.B. Deutschland) an Endkunden zu vertreiben.2 Zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für diese Rechteüberlassung ist die Anwendbarkeit der typischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung zu prüfen (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis-, Kostenaufschlagsmethode sowie transaktionsbezogene Nettomargen- bzw. Gewinnaufteilungsmethode). Es ist die am besten geeignete Verrechnungspreismethode der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde zu legen.3
6.693
1 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 17 ff. 2 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 13 ff. 3 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG.
Ditz/Kluge | 841
Kap. 6 Rz. 6.694 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.694
Preisvergleichsmethode. Die Preisvergleichsmethode kann im Rahmen eines inneren oder eines äußeren Preisvergleichs umgesetzt werden. Voraussetzung für einen inneren Preisvergleich ist, dass das verbundene Unternehmen (hier: die ausländische Muttergesellschaft) vergleichbare oder ähnliche Leistungen unter vergleichbaren oder ähnlichen Verhältnissen sowohl an verbundene als auch an nicht verbundene Unternehmen erbringt. Der äußere Preisvergleich stellt demgegenüber auf den Liefer- und Leistungsverkehr zwischen fremden Unternehmen, z.B. der gleichen Branche, ab.
6.695
Innerer Preisvergleich. Im Bereich des Handels mit digitalen Produkten scheitert die Anwendung des inneren Preisvergleichs regelmäßig an der Tatsache, dass das ausländische verbundene Unternehmen, das die Lizenzen von Rechteinhabern (hier: Musiklabel) erworben hat, den Vertrieb in den einzelnen Ländern ausschließlich über eigene verbundene Unternehmen vornimmt. Ein innerer Preisvergleich würde voraussetzen, dass der Vertrieb auch über fremde dritte Distributoren erfolgt, über die ein Preisvergleich abgeleitet werden kann.
6.696
Äußerer Preisvergleich. Ein äußerer Preisvergleich kann geführt werden, wenn Informationen über Preise für die digitalen Produkte vorliegen, die bei Transaktionen zwischen fremden Dritten derselben Marktstufe angesetzt werden. Dies kann im Bereich der digitalen Produkte insofern Probleme bereiten, als im Gegensatz zu der Lieferung physischer Produkte nicht ohne Weiteres ermittelt werden kann, auf welcher Stufe der Verwertungskette die jeweiligen Preise angesetzt werden. Zudem dürfte es nicht ohne Weiteres möglich sein, an Informationen über Preise für vergleichbare Produkte zu gelangen. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Preisvergleichsmethode im Bereich des Online-Handels sowohl in der Ausprägung des inneren als auch des äußeren Preisvergleichs eine untergeordnete Rolle spielt.
6.697
Wiederverkaufspreismethode. Die Wiederverkaufspreismethode ist anwendbar, wenn ein verbundenes Unternehmen einem anderen verbundenen Unternehmen Produkte liefert und diese Produkte an fremde Dritte weiterveräußert werden. Im Bereich des Online-Handels findet keine physische Lieferung eines Produkts an die Vertriebsgesellschaft zur Weiterveräußerung an fremde Dritte statt. Vielmehr wird der e-Commerce Vertriebsgesellschaft lediglich das Recht zum Vertrieb der digitalen Produkte (hier: elektronische Musikstücke) an Endkunden eingeräumt. Gleichwohl kann die Wiederverkaufspreismethode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen im Bereich des Online-Handels herangezogen werden. Die Verrechnungspreise können dabei im Einzelnen wie folgt ermittelt werden: Preis bei Wiederverkauf des Produkts an Endkunden (z.B. 9 Euro für ein Musikalbum) ./. marktübliche Handelsspanne der e-Commerce Vertriebsgesellschaft (z.B. 30 %) = Verrechnungspreis (z.B. 6,30 Euro)
6.698
Probleme bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode. Die Wiederverkaufspreismethode stellt eine sachgerechte Methode zur Ermittlung von Verrechnungspreisen im Bereich des Online-Handels dar. Schwierigkeiten könnten sich indessen bei der Ermittlung einer fremdüblichen Handelsspanne der e-Commerce Vertriebsgesellschaft ergeben. Denn die Handelsspannen branchenzugehöriger unabhängiger e-Commerce Vertriebsgesellschaften lassen sich nur eingeschränkt im Wege eines externen Betriebsvergleichs ermitteln. Hierzu kann allenfalls auf veröffentlichte GuV-Daten der unabhängigen e-Commerce Vertriebsgesellschaften zurückgegriffen werden, wenn diese nicht durch andere Geschäftszweige verzerrt sind. Auch ein interner Betriebsvergleich zur Ermittlung der Handelsspanne kann in der Praxis häufig nicht geführt werden, da es im Bereich des Online-Handels nicht üblich ist, die digita842 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.700 Kap. 6
len Produkte über mehrere Vertriebsgesellschaften zu vertreiben. Zur Ermittlung der Handelsspanne ist daher i.d.R. auf die Kostenaufschlagsmethode zurückzugreifen, d.h. die Handelsspanne bestimmt sich aus den (Plan-)Vertriebskosten der e-Commerce Vertriebsgesellschaft zuzüglich eines Gewinnaufschlags bzw. einer angemessenen Umsatzrendite (z.B. auf EBIT-Basis). Eine solche Kombination der Wiederverkaufs- mit der Kostenaufschlagsmethode bzw. in Anlehnung an die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode ist zulässig.1 Anwendung der Kostenaufschlagsmethode. Bei der Kostenaufschlagsmethode wird der Verrechnungspreis dadurch bestimmt, dass zunächst die Selbstkosten des liefernden oder leistenden Unternehmens2 ermittelt und anschließend um einen angemessenen Gewinnaufschlag erhöht werden.3 Im Bereich des Online-Handels ist die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode grundsätzlich denkbar. Die Anwendung der Methode hätte indessen zur Folge, dass sich der Gewinn der e-Commerce Vertriebsgesellschaft (verstanden als Residualgewinn) aus der Differenz zwischen dem gegenüber dem Endkunden erzielten Marktpreis und dem kostenorientierten „Lieferverrechnungspreis“ an die e-Commerce Vertriebsgesellschaft ermitteln würde. Dies wäre nur sachgerecht, wenn die e-Commerce Vertriebsgesellschaft als „Strategieträger“ bzw. „Entrepreneur“4 anzusehen wäre. Dies ist jedoch in den typischen Strukturen des Online-Handels nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund ist die Kostenaufschlagsmethode nur in Ausnahmefällen zur Ermittlung von Verrechnungspreisen im Bereich des Online-Handels geeignet, nämlich wenn die e-Commerce Vertriebsgesellschaft durch Einsatz ihrer technologischen Plattform, Software bzw. ihres Kundenstamms als Strategieträger in der betrachteten Wertschöpfungskette zu qualifizieren ist.
6.699
Gewinnorientierte Verrechnungspreismethoden. Ebenso können die gewinnorientierten Verrechnungspreismethoden zur Bestimmung angemessener Verrechnungspreise verwendet werden. Diese stehen nach Änderungen durch das AbzStEntlModG grundsätzlich gleichrangig neben den Standardmethoden (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode).5 Insofern kommt im Bereich des Online-Handels insbesondere der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) eine große Bedeutung zu. Die Anwendung dieser Methode setzt die Ermittlung von Renditekennziffern unabhängiger Vertriebsgesellschaften voraus, welche ein vergleichbares Funktions- und Risikoprofil aufweisen. Die Ermittlung der Renditekennziffern erfolgt üblicherweise im Rahmen einer Datenbankrecherche. Die Verrechnungspreise für die Rechteüberlassung an die e-Commerce Vertriebsgesellschaft werden dann unter Berücksichtigung der Renditekennziffern der Vergleichsunternehmen angesetzt. Die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die e-Commerce Vertriebsgesellschaft als sog. „Low-Risk-Distributor“ agiert (Rz. 6.60).
6.700
Denkbar ist grundsätzlich auch die Anwendung der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode. Nach Darlegung der OECD ist diese insbesondere geeignet, wenn beide Vertragsparteien wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter einsetzen und somit zum wirtschaftli-
1 Vgl. auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 2 Wird die Vertriebsgesellschaft als leistendes Unternehmen charakterisiert und eine einseitige Verrechnungspreismethode aus ihrem Blickwinkel angewendet, handelt es sich üblicherweise um eine Anwendung der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode, die unten diskutiert wird. 3 Vgl. Tz. 2.45 ff. OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.9. 4 So noch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2. Buchst. b (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG.
Ditz/Kluge | 843
Kap. 6 Rz. 6.700 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
chen Erfolg einen erheblichen Beitrag leisten.1 Dies setzt demnach voraus, dass der Lizenzgeber wie auch die e-Commerce Vertriebsgesellschaft durch den Einsatz der immateriellen Wirtschaftsgüter ganz wesentlich den geschäftlichen Erfolg beeinflussen. c) E-Commerce Gesellschaft als Vertriebsdienstleister
6.701
Funktions- und Risikoanalyse. Im Vergleich zu einer als Eigenhändler tätigen e-Commerce Vertriebsgesellschaft übt eine Gesellschaft, die lediglich Vertriebsdienstleistungen erbringt („Service-Provider-Model“), einen deutlich reduzierten Funktionsumfang aus. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Funktionen:2 – Betreiben eines Servers, von dem die Musikstücke bzw. Musikalben heruntergeladen werden können, – Unterhaltung einer Webseite, auf der die Musikstücke bzw. Musikalben von den Kunden angesehen, probegehört und bestellt werden können, – Herstellung einer Internetverbindung zwischen dem Server und den potentiellen Kunden, – Auftragsannahme und -bearbeitung, – Zahlungsabwicklung mit Banken und Kreditkartenanbietern, – Bereitstellung der Musikstücke bzw. Musikalben zum Download (z.B. im „mp3-Format“), – Bearbeitung von Support-Anfragen von Kunden (z.B. bei einem fehlgeschlagenen Download der Musikstücke bzw. Musikalben). Im „Service-Provider-Model“ nimmt die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft häufig keine wesentlichen Risiken wahr (insbesondere in den Fällen, in denen ihre Vergütung auf Basis der Kostenaufschlagsmethode bestimmt wird (Rz. 6.705). Sie ist regelmäßig nicht für den Umfang des Angebots verantwortlich, sondern vielmehr werden ihr die von ihr zu vertreibenden Produkte vorgegeben. Sie kann nicht durch Ausweitung oder Änderung des Vertriebsangebots Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg nehmen.
6.702
Eingesetzte Wirtschaftsgüter. Bei den von der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft eingesetzten materiellen Wirtschaftsgütern handelt es sich i.d.R. um die Server-Hardware sowie die Büro- und Geschäftsausstattung. Bei den immateriellen Wirtschaftsgütern handelt es sich um die Software, die auf dem Server betrieben wird. Die Software wird in der Praxis häufig von der Gesellschaft lizenziert oder (kostenlos) beigestellt, in deren Auftrag die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft tätig wird. Der Kundenstamm ist im Dienstleistungsmodell nicht der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft, sondern ihrem Auftraggeber zuzuordnen.
6.703
Verrechnungspreisermittlung im „Service-Provider-Model“. Im Rahmen des „Service-Provider-Models“3 wird die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft als Dienstleister tätig, der in die Verkaufsabwicklung eingeschaltet wird. Infolgedessen erbringt die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft reine Dienstleistungen an ihren Auftraggeber. Die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft agiert daher in diesen Fällen häufig als bloßes Routineunternehmen, das
1 Vgl. Tz. 2.115 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 21 f. 3 Vgl. OECD, Tax Policy Studies, E-Commerce: Transfer Pricing and Business Profits Taxation, 2005, 27 ff.
844 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.708 Kap. 6
weder wesentliche Risiken trägt noch über wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter verfügt. Zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für die vertriebsbezogenen Dienstleistungen der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft sind grundsätzlich alle Verrechnungspreismethoden zu prüfen. Preisvergleichsmethode. Die Ermittlung von Verrechnungspreisen für die Dienstleistungen der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft kann anhand der Preisvergleichsmethode erfolgen, wenn Preise für vergleichbare Dienstleistungen unabhängiger Unternehmen ermittelt werden können. Da es sich bei den Dienstleistungen, welche die e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft im Rahmen des „Service-Provider-Model“ erbringt, jedoch meist um spezifische Dienstleistungen handelt, die von fremden Dritten nicht am Markt angeboten werden, ist die Preisvergleichsmethode in der Praxis nur in Ausnahmefällen anwendbar. Denkbar ist die Anwendung der Preisvergleichsmethode z.B. auch auf Basis verbindlicher Vergleichsangebote, welche im Hinblick auf die von der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft erbrachten Leistungen eingeholt werden. In diesen Fällen kommt die Preisvergleichsmethode zur Bestimmung der Vergütung der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft grundsätzlich in Betracht.
6.704
Kostenaufschlagsmethode. Sofern die Preisvergleichsmethode aus den vorstehend genannten Gründen nicht anwendbar ist, können die Verrechnungspreise nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt werden. Bei der Kostenaufschlagsmethode wird der Verrechnungspreis dadurch bestimmt, dass zunächst die (Ist- oder Plan-)Selbstkosten der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft ermittelt und anschließend um einen angemessenen Gewinnaufschlag erhöht werden.1 Die Ermittlung des Gewinnaufschlags erfolgt i.d.R. anhand eines Vergleichs mit Gewinnaufschlägen unabhängiger Gesellschaften, die ein mit dem der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft vergleichbares Funktions- und Risikoprofil aufweisen. Zur Identifikation der Vergleichsunternehmen wird in der Praxis üblicherweise eine Recherche in einer Unternehmensdatenbank (z.B. Orbis oder Amadeus) durchgeführt, in der die Gewinn- und Verlustrechnungen zahlreicher Unternehmen hinterlegt sind.
6.705
Wiederverkaufspreismethode. Die Wiederverkaufspreismethode kann nicht zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für die Dienstleistungen der e-Commerce Dienstleistungsgesellschaft herangezogen werden, da diese im Rahmen des „Service-Provider-Model“ lediglich Dienstleistungen erbringt und keine digitalen Produkte an Endkunden vertreibt. Es fehlt am „Durchhandeln“ der Leistungen.
6.706
Gewinnorientierte Verrechnungspreismethoden. Sofern die klassischen Methoden nicht anwendbar sind, ist zu prüfen, ob die gewinnorientierten Verrechnungspreismethoden angewendet werden können. Sofern dies der Fall ist, kommt im Bereich des Online-Handels insbesondere der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode eine Bedeutung zu.
6.707
Betreiben einer Internetplattform. Es ist auch denkbar, dass eine e-Commerce Gesellschaft eine Internetseite betreibt und über diese Internetseite i.S. eines Online-Portals es verbundenen Unternehmen ermöglicht, Ware online anzubieten und zu verkaufen. Der Kunde kann dann über die Internetseite Waren bestellen, bezahlen und sich diese nach Hause versenden lassen (sog. „B2C Orders“). Von der e-Commerce Gesellschaft werden dabei i.d.R. als sog. „Full-Service-Provider“ folgende Funktionen ausgeübt:
6.708
1 Vgl. Tz. 2.45 ff. OECD-Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.72.
Ditz/Kluge | 845
Kap. 6 Rz. 6.708 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
– Design, Aufbau und Unterhaltung einer Internetplattform für den Online-Handel; – Integration und Verwaltung einer erweiterten Internetplattform zur Durchführung des Onlinehandels; – Zahlungsabwicklung; – Abwicklung der Logistik (einschließlich Versand und Lagerhaltung der Ware); – Marketing; – Erstellung von Fotos der auf der Internetseite angebotenen Waren. Die e-Commerce Gesellschaft trägt kein Absatz- oder Preisrisiko aus dem Online-Handel; vielmehr wird dieses von dem verbundenen Unternehmen getragen, welches seine Waren über die von der e-Commerce Gesellschaft als reine Dienstleistung betriebenen Internetseite anbietet.
6.709
Verrechnungspreisermittlung bei Betreiben einer Internetplattform. Betreibt die e-Commerce Gesellschaft eine Internetplattform, ist zunächst zu prüfen, ob die Verrechnungspreise zur Vergütung der von der e-Commerce Gesellschaft erbrachten Dienstleistungen auf Basis der Preisvergleichsmethode bestimmt werden können. Dies ist in der Praxis häufig der Fall, da entsprechende Internetplattformen auch von unabhängigen Unternehmen angeboten werden. Die über einen Preisvergleich bestimmten Verrechnungspreise bestehen häufig aus pauschalisierten Entgelten, welche mit einer umsatzabhängigen Vergütung kombiniert werden. Diese Ausgestaltung der Vergütung von Internetplattform-Dienstleistungen ist auch zwischen fremden Dritten üblich. Im Übrigen können die Dienstleistungen der das Internetportal betreibenden e-Commerce Gesellschaft auf Basis von Stunden- oder Tagessätzen abgerechnet werden. Diese können ebenfalls über die Preisvergleichsmethode bestimmt und dokumentiert werden. Ist die Preisvergleichsmethode nicht anwendbar, können die Dienstleistungen anhand der Kostenaufschlagsmethode bestimmt werden. Dabei ist im Rahmen der Bemessung des Gewinnaufschlags zu berücksichtigen, dass die das Internetportal betreibende e-Commerce Gesellschaft häufig wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. die Internet-Domain, Marken oder spezifisches Know-how) einsetzt. Dies rechtfertigt es, der e-Commerce Gesellschaft eine relativ hohe Gewinnmarge zuzuordnen.
6.710
Internetplattform als Strategieträger. Vermehrt treten Unternehmen auf, deren Kerngeschäft der Handel im Internet ist. Bei dieser Variante ist der Betreiber der Plattform der Strategieträger und verfügt über den entsprechenden Kundenzugang und die werthaltigen Kundendaten. Ist der Betreiber der Internetplattform als Strategieträger zu qualifizieren, liegt nicht eine reine Handelstätigkeit vor. Vielmehr gibt die Internetplattform dem Konzern sein geschäftliches Gepräge. Dementsprechend ist es auch nicht zutreffend, derartige Unternehmen als Strategieträger über die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode oder die Wiederverkaufspreismethode zu vergüten. Vielmehr sind diese Methoden je nach Fallkonstellation gegenüber den verbundenen Unternehmen anzuwenden, die eine niedrigere Bedeutung für die Wertschöpfung haben.1 Nur so wird dem Strategieträger der Residualgewinn aus der Wertschöpfungskette zugeordnet, der zu Beginn des Geschäfts (start-up) noch erheblich negativ, später aber extrem renditeträchtig sein kann.
1 Vgl. Kluge, Verrechnungspreise für Datennutzungen in Freundesgabe für Hubertus Baumhoff, 2019, 191 ff.
846 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.714 Kap. 6
V. Konzernweite Intranet-Systeme 1. Begriff des Intranets Definition des Begriffs Intranet. Unter dem Begriff „Intranet“ wird ein unternehmensinternes Netzwerk verstanden, das von Mitarbeitern des Unternehmens genutzt wird, um gegenseitig Informationen und Wissen auszutauschen. Das Intranet basiert i.d.R. auf der Technik des Internets, d.h. einem TCP/IP-Protokoll, auf das über einen Browser (Internet Explorer, Firefox, Chrome etc.) zugegriffen werden kann.1 Im Gegensatz zu dem öffentlich zugänglichen Internet handelt es sich bei dem Intranet um ein geschlossenes Netz.2 Der Zugriff auf das Intranet von außerhalb ist daher eingeschränkt und nur durch berechtigte Personen möglich. Der in das Intranet eingestellte Inhalt reicht von allgemeinen Unternehmensinformationen (z.B. Geschäftsberichte, Presseinformationen etc.) über Informationen zu Lieferanten und Kunden bis hin zu Modulen, die ein unternehmensübergreifendes Wissensmanagement ermöglichen.3
6.711
Verrechnungspreisermittlung. Nachfolgend werden die Verrechnungspreisaspekte, die sich im Zusammenhang mit der Bereitstellung eines konzernweiten Intranet-Systems sowie des Wissensaustauschs über das Intranet ergeben, im Einzelnen dargestellt. In der Praxis werden Intranet-Systeme i.d.R. von der Konzernobergesellschaft – oder in deren Auftrag von einem Dritten – konzipiert, eingeführt und betrieben. Es stellt sich folglich die Frage nach einer Verrechnung der Bereitstellung des Intranet-Systems dem Grunde nach. Daran anschließend ist zu untersuchen, wie die Dienstleistungen der Höhe nach zu verrechnen sind.
6.712
2. Leistungsverrechnung dem Grunde nach a) Allgemeine Voraussetzungen Schuldrechtliche Leistungsbeziehung. Erbringt eine Konzernobergesellschaft gegenüber verbundenen Unternehmen Leistungen im Bereich des Intranets, ist zunächst zu prüfen, ob diese Leistungen auf gesellschaftsrechtlicher oder schuldrechtlicher Basis erbracht werden. Eine Verrechnung von Dienstleistungen zwischen Konzernober- und Untergesellschaft ist dem Grunde nach nur zulässig, wenn ein echter Dienstleistungsaustausch auf schuldrechtlicher Basis vorliegt und damit eine schuldrechtliche Beziehung zwischen leistender und leistungsempfangender Unternehmung besteht. Demgegenüber scheidet die Verrechnung eines Entgelts aus, wenn die Leistung ihre Grundlage in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen der beteiligten Unternehmen findet.4
6.713
Kriterium der betrieblichen Veranlassung. Als Abgrenzungskriterium für die Frage der Dienstleistungsverrechnung dem Grunde nach wird die betriebliche Veranlassung gem. § 4 Abs. 4 EStG herangezogen. Folglich sind alle Maßnahmen der Konzernobergesellschaft zur Wahrnehmung ihrer Rechte als Gesellschafterin, zur Überwachung der Tätigkeit der Untergesellschaften sowie zur Führung und Kontrolle des Konzerns bei der Obergesellschaft betrieblich veranlasst. Damit können die durch solche Maßnahmen verursachten Kosten nur bei der Konzernobergesellschaft als Betriebsausgaben Berücksichtigung finden. Die OECD spricht in
6.714
1 2 3 4
Vgl. Höller/Pils/Zlabinger, Internet und Intranet, 34. Vgl. Hoffmann/Lang, Das Intranet2, 9. Vgl. Hoffmann/Lang, Das Intranet2, 11. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.64, 3.69; Tz. 7.9 OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Kluge | 847
Kap. 6 Rz. 6.714 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
diesem Fall von einem „Gesellschafteraufwand“.1 Solche Maßnahmen als Ausdruck der Gesellschaftereigenschaft sind regelmäßig nicht verrechenbar, da sie bei gesellschaftsrechtlicher Unabhängigkeit der Untergesellschaft nicht erforderlich wären und ihnen daher kein echter Leistungsaustausch zugrunde liegt.2 Gesellschafteraufwand liegt insbesondere in den folgenden Fällen vor:3 – Aufwendungen für die rechtliche Organisation des Konzerns (z.B. Aufwendungen für die Organisation und Einberufung der Gesellschafterversammlung der Obergesellschaft oder die Ausgabe von Anteilen), – Aufwendungen für den Aufsichtsrat der Obergesellschaft, – Aufwendungen im Zusammenhang mit der Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Obergesellschaft; – Aufwendungen im Zusammenhang mit den Rechnungslegungsverpflichtungen der Obergesellschaft, einschließlich der Erstellung und Prüfung des Konzernabschlusses; – Aufwendungen für die Beschaffung von Kapital zum Kauf von Beteiligungen; – Aufwendungen für die Überwachung und Kontrolle der Beteiligungen an den Tochtergesellschaften (soweit ein fremder Dritter kein Entgelt hierfür entrichten würde); – Aufwendungen im Zusammenhang mit der Überwachung der Leistung („performance“) von Tochtergesellschaften (sofern dies nicht mit Beratungsleistungen für die Tochtergesellschaft verbunden ist); – Aufwendungen für Umstrukturierungen des Konzerns; – Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung bei einer Beteiligung; – Aufwendungen im Zusammenhang mit „Corporate Governance“-Verpflichtungen der Obergesellschaft.
6.715
Benefit-Test. Demgegenüber sind Dienstleistungen grundsätzlich verrechenbar, wenn beim leistungsempfangenden Unternehmen ein Nutzen oder Vorteil entstanden ist bzw. wenn dieser zum Zeitpunkt der Dienstleistungserbringung zu erwarten war (sog. „Benefit-Test“).4 Darüber hinaus ist eine Dienstleistung zu verrechnen, wenn auch ein unabhängiges Unternehmen für die betreffenden Dienstleistungen etwas gezahlt oder die Dienstleistung selbst erstellt hätte.5
6.716
Mischleistungen. Den eindeutig nicht verrechenbaren bzw. eindeutig verrechenbaren Dienstleistungen stehen die sog. „Mischleistungen“ gegenüber (Rz. 6.129 ff.). Dabei handelt es sich um Dienstleistungen, die – ggf. in unterschiedlichem Ausmaß – sowohl im betrieblichen Interesse der Konzernobergesellschaft bzw. der Unternehmensgruppe insgesamt als auch im betrieblichen Interesse einer oder mehrerer Konzerngesellschaften erbracht werden. Bei solchen Leistungen ist eine Aufteilung in einen verrechenbaren und nicht verrechenbaren Teil vor-
1 Vgl. Tz. 7.9 OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.64, 3.69; Tz. 7.10 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.64; Tz. 7.10 OECD-Leitlinien 2022; Annex II des EU Joint Transfer Pricing Forum, Report v. 4.2.2010. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.64, Tz. 7.6 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 7.2 und 7.8 OECD- Leitlinien 2022; VWG VP 2021, Rz. 3.65.
848 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.721 Kap. 6
zunehmen. Im Rahmen von Intranet-Aktivitäten ist im Hinblick auf Verrechnung dem Grunde nach zwischen – der Bereitstellung des Intranet-Systems einschließlich Infrastruktur und Software sowie dem laufenden Betrieb und der Pflege der Systeme durch die Konzernobergesellschaft und – dem Austausch von Wissen der am Intranet teilnehmenden Personen bzw. Konzerngesellschaften (sog. „Knowledge-Exchange“) zu unterscheiden. Nachfolgend wird die Verrechenbarkeit der vorstehenden Leistungen dem Grunde nach im Einzelnen erläutert. b) Bereitstellung des Intranet-Systems Wissenstransfer im Konzern. Ein wesentliches Ziel von Intranet-Systemen ist der Wissenstransfer innerhalb des Konzerns. Der Zugang zum Know-how Anderer stellt für die teilnehmenden Personen bzw. die teilnehmenden Konzerngesellschaften einen Nutzen dar und liegt in deren betrieblichem Interesse. Denn durch das erworbene Know-how können die partizipierenden Anwender der Konzerngesellschaften Anhaltspunkte und neue Ideen z.B. zur Senkung von Kosten bzw. der Generierung von zusätzlichen Erträgen erhalten.
6.717
Verrechenbarkeit dem Grunde nach. Es ist davon auszugehen, dass auch ein fremder Dritter in Form eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters bereit wäre, für den Zugang zu einer solchen Wissensdatenbank ein Entgelt zu zahlen. Folglich kann ein Nutzen bzw. ein betriebliches Interesse der an das Intranet angeschlossenen verbundenen Unternehmen im Einzelfall zu bejahen sein. Ist dies der Fall, spricht dies für eine schuldrechtliche Leistungsbeziehung zwischen der Konzernobergesellschaft einerseits und den untergeordneten Konzerngesellschaften, die das Intranet nutzen, andererseits. Diese Leistung ist dann dem Grunde nach zu verrechnen.
6.718
Gesellschafteraufwand. Es ist jedoch auch davon auszugehen, dass neben den einzelnen Konzerngesellschaften auch die Konzernobergesellschaft selbst von dem Intranet-System profitiert. Das betriebliche Interesse der Konzernobergesellschaft liegt insbesondere in der verbesserten Zusammenarbeit der einzelnen Tochtergesellschaften untereinander. Daraus ergeben sich wiederum positive Effekte für den Konzern als Ganzen. So können z.B. konzernweit der Innovationsgrad erhöht, Entwicklungskosten reduziert, die Produktivität verbessert oder Synergien genutzt werden. Ferner fördert das Intranet die horizontale und vertikale Kooperation der Konzerngesellschaften. Letztlich kann damit i.d.R. auch von einem durch die Konzernobergesellschaft veranlassten, nicht verrechenbaren Gesellschafteraufwand ausgegangen werden.
6.719
Vorliegen von Mischleistungen. Mithin liegen damit häufig „Mischleistungen“ vor, für die ein geeigneter Aufteilungsmaßstab für die Unterscheidung in verrechenbare und nicht verrechenbare Aufwendungen gefunden werden muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass weder der Nutzen der Konzernobergesellschaft noch derjenige der an dem Intranet teilnehmenden Konzerngesellschaften eindeutig gemessen werden kann. Folglich ist eine Schätzung notwendig, die durchaus auch von der Finanzverwaltung hinterfragt und ggf. angezweifelt werden kann. Bei der Schätzung ist davon auszugehen, dass der Gesellschafteraufwand nicht im Vordergrund steht, sondern von nachrangiger Bedeutung ist.
6.720
Lieferanten- und Kundeninformationen. Sofern das Intranet Informationen zu Lieferanten und Kunden (Name, Kontaktperson, Adresse, Produkte etc.) enthält, kann die Möglichkeit, Zugang zu diesen Informationen zu erhalten, ebenfalls zu einem Nutzen auf Ebene der Unter-
6.721
Ditz/Kluge | 849
Kap. 6 Rz. 6.721 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
gesellschaften führen. Insbesondere im Hinblick auf die Markt- und Einkaufsmacht sind diese Daten für die Untergesellschaften von betrieblichem Interesse. Indessen wird auch bei diesen Informationen ein eigenes betriebliches Interesse der Konzernobergesellschaft vorliegen. Dieses kann in der Kontrolle und Überwachung der Debitoren- und Kreditoren-Buchführung der Untergesellschaften, der konzernweiten Vereinheitlichung der Debitoren- und KreditorenBuchführung sowie in der Vorbereitung von Konsolidierungsmaßnahmen liegen. Insoweit ist davon auszugehen, dass (anteilig) Gesellschafteraufwand vorliegt. Hinsichtlich des Aufteilungsverhältnisses ist auch insoweit eine Schätzung vorzunehmen. c) Verrechnung des Wissenstransfers
6.722
„Knowledge-Transfer“. Neben der vorstehend dargestellten Verrechnung der aus der Bereitstellung der Intranet-Systeme resultierenden Leistungen stellt sich die Frage, ob unter den Anwendern aus der Nutzung der Systeme weitere dem Grunde nach zu verrechnende Leistungen in Form des Wissenstransfers entstehen können. Eine dem Grunde nach verrechenbare Leistung könnte in diesem Zusammenhang insbesondere darin liegen, dass das von den jeweiligen Konzerngesellschaften in das Intranet eingestellte Wissen als immaterielles Wirtschaftsgut anzusehen wäre und (z.B. im Rahmen eines Downloadvorgangs) auf eine andere Konzerngesellschaft übertragen bzw. dieser zur Nutzung überlassen werden würde. Damit ist zunächst zu prüfen, ob das in das Intranet gestellte Wissen – bezogen auf den jeweiligen Einzelfall – als immaterielles Wirtschaftsgut einzustufen ist. Dies ist dann der Fall, wenn das Wissen als „Know-how“ zu qualifizieren ist1 oder ein Patent, eine Marke oder ein sonstiges Schutzrecht vorliegt.
6.723
Begriff des Know-how. Im Gegensatz zur Definition des Patents im PatentG oder der Marke im MarkenG existiert für den Begriff des Know-how im deutschen Steuerrecht keine Legaldefinition.2 Die OECD-Leitlinien 2022 verstehen unter Know-how und Geschäftsgeheimnisse „unternehmenseigene Informationen oder Kenntnisse, die eine Geschäftstätigkeit unterstützen oder verbessern, jedoch nicht wie ein Patent oder eine Marke zum Zweck ihres Schutzes angemeldet werden. Know-how und Geschäftsgeheimnisse bestehen gewöhnlich aus nicht veröffentlichten, auf gewonnenen Erfahrungen basierenden Kenntnissen gewerblicher, wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Natur, die im Betrieb eines Unternehmens praktische Anwendung finden. Know-how und Geschäftsgeheimnisse können die Fertigung, das Marketing, die Forschung und Entwicklung oder jede sonstige geschäftliche Tätigkeit betreffen“.3 Know-how kann damit von einfachem Erfahrungswissen bis hin zu nicht geschützten Erfindungen als Ergebnis umfangreicher Forschungs- und Entwicklungsleistungen reichen und dabei entweder in Dokumenten und sonstigen Unterlagen (z.B. Formeln, Materiallisten, Arbeitsanweisungen, schriftlichen Beschreibungen) oder in Humankapital (z.B. Wissen von Spezialisten) verkörpert sein.4
6.724
Problem der Identifikation von Know-how. Vor dem Hintergrund der „weiten“ Definition des Know-how ist es in der Verrechnungspreispraxis nicht unproblematisch, festzustellen, in welchen Fällen Know-how vorliegt und wann es zwischen Konzerngesellschaften übertragen oder zur Nutzung überlassen wird.5 Bei einem Intranet-System werden durch die an diesem 1 Vgl. BFH v. 23.11.1988 – II R 209/82, BStBl. II 1989, 82. 2 Vgl. BFH v. 16.12.1970 – I R 44/67, BStBl. II 1971, 235. 3 Vgl. Tz. 6.20 OECD- Leitlinien 2022; siehe auch BFH v. 16.12.1970 – I R 44/67, BStBl. II 1971, 235; FG Hess. v. 17.2.1998, EFG 1998, 1080. 4 Vgl. Ditz, IStR 2009, 422 f. 5 Vgl. Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 6.234.
850 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.727 Kap. 6
System teilnehmenden Konzerngesellschaften – durch eigene Erfahrungen erworbenes – technisches, kaufmännisches oder sonstiges Wissen in das Intranet eingestellt. In Bezug auf dieses Wissen ist – bezogen auf den jeweiligen Einzelfall – zu prüfen, ob es als Know-how anzusehen ist und damit ein (immaterielles) Wirtschaftsgut darstellt. Soweit Patente, Marken oder sonstige Schutzrechte in das Intranet eingestellt werden, die von Konzerngesellschaften verwertet werden, kann insoweit ebenfalls von (immateriellen) Wirtschaftsgütern ausgegangen werden. Sichtweise der leistungsempfangenden Gesellschaft. Sofern eine Konzerngesellschaft einer anderen Konzerngesellschaft ein immaterielles Wirtschaftsgut (z.B. Know-how, Patente oder Marken) zur Nutzung überlässt, ist hierfür grundsätzlich nur dann ein Entgelt – in Form einer Lizenzgebühr oder eines sonstigen Leistungsentgelts – zu verrechnen, wenn auch fremde Dritte, d.h. unabhängige Unternehmen, ein solches vereinbaren würden.1 Dabei ist nach Auffassung der OECD insbesondere auf die Sichtweise der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft abzustellen.
6.725
Benefit-Test. Eine Entgeltverrechnung dem Grunde nach ist aus Sicht der leistungsempfangenden Konzerngesellschaft nur gerechtfertigt, wenn diese aus der Verwertung der zur Nutzung überlassenen immateriellen Wirtschaftsgüter einen Vorteil erwarten kann und demnach auch ein unabhängiges Unternehmen bereit wäre, ein Entgelt zu zahlen. Vor diesem Hintergrund findet der „Benefit-Test“ auch bei der Prüfung der Verrechnungsfähigkeit der Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern Anwendung. Auch nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung ist die Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern nur verrechenbar, wenn die immateriellen Wirtschaftsgüter für den Nutzenden einen betrieblichen Vorteil bzw. Nutzen erwarten lassen. Insoweit muss – korrespondierend zur Auffassung der OECD – der Nutzende im Rahmen einer „ex-ante-Betrachtung“ aus der Nutzungsüberlassung des immateriellen Wirtschaftsgutes für sein Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil erwarten bzw. das immaterielle Wirtschaftsgut muss geeignet sein, seine Geschäftstätigkeit zu fördern. Darüber hinaus hat die Nutzungsüberlassung beim Nutzenden zu erhöhten Erlösen bzw. zu Kostenersparnissen zu führen und sie muss dort objektiv erforderlich sein.
6.726
Bestimmung einer Lizenzgebühr. Bei Intranet-Systemen ist wie dargestellt zu prüfen, ob die Teilnehmer im Rahmen ihrer Teilnahme am Intranet Know-how und ggf. auch gewerbliche Schutzrechte einstellen und diese immateriellen Wirtschaftsgüter von anderen Gesellschaften des Konzerns genutzt werden (z.B. durch einen Download der entsprechenden Informationen aus dem Intranet). Sofern dies der Fall ist und soweit die Nutzung und Verwertung des Know-how durch die entsprechende Konzerngesellschaft zu einem erwarteten betrieblichen Nutzen – insbesondere in Form einer Kostenersparnis oder einer Ertragssteigerung – führt, ist die Nutzungsüberlassung an die Konzerngesellschaft, die die Informationen ins Intranet
6.727
1 Prinzipiell könnte auch die Übertragung eines immateriellen Wirtschaftsguts „Know-how“ vorliegen. Hinsichtlich der Differenzierung zwischen „Übertragung“ und „Nutzungsüberlassung“ eines immateriellen Wirtschaftsguts stellt die Rspr. jedoch u.a. auf die Dauer der Überlassung des Wirtschaftsguts und die Ausschließlichkeit der Überlassung ab (vgl. BFH v. 1.12.1982 – I B 11/82, BStBl. II 1983, 367 = FR 1983, 202 m.w.N.). Eine zeitlich befristete Überlassung wird dabei auch dann angenommen, wenn ungewiss ist, ob und wann die Überlassung zur Nutzung endet. Da das Know-how nicht exklusiv nur einer Konzerngesellschaft, sondern mehreren Konzerngesellschaften (namentlich: den am Intranet teilnehmenden Konzerngesellschaften) auf ungewisse Zeit überlassen wird, dürfte i.d.R. von einer Überlassung des Know-how und nicht von einer Übertragung ausgegangen werden.
Ditz/Kluge | 851
Kap. 6 Rz. 6.727 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
gestellt hat, über eine Lizenzgebühr oder ein sonstiges Leistungsentgelt zu vergüten. Dies folgt aus dem Grundsatz des Fremdvergleichs, nach welchem die Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter grundsätzlich zu vergüten ist. In der Praxis kommt die Verrechnung einer Lizenzgebühr allerdings nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht.
6.728
Gegenseitige Nutzung des Intranets. Die Intranet-Systeme zeichnen sich regelmäßig dadurch aus, dass die Anwender ihr Wissen unter der Prämisse in die Systeme einstellen, dass sie das von anderen Anbietern eingestellte Wissen ebenfalls nutzen können. Damit leben beide Intranet-Systeme von einem „Geben und Nehmen“. Die Anwender stellen nämlich ihr Wissen in Form von Projekten, Tabellen etc. in der Erwartung in das Intranet ein, das Wissen anderer Anwender ebenfalls nutzen zu können. Entscheidend für das Funktionieren des Intranets ist das kontinuierliche Mitwirken aller Beteiligten. Ein fremder Dritter würde sich jedoch nicht an den Intranet-Aktivitäten beteiligen, wenn er für sich selbst einen Nutzen in der Teilnahme am Intranet nicht erwarten und nach einer gewissen Zeit auch nicht verwirklichen würde.
6.729
Poolgedanke. Im Ergebnis liegt damit den Intranet-Systemen eine Art „Poolgedanke“ zugrunde: Die Teilnehmer am Intranet stellen ihre Erfahrungen und ihr Wissen in das Intranet ein, um die Erfahrungen und das Wissen anderer Teilnehmer ebenfalls nutzen zu können. Dabei kann unterstellt werden, dass die beteiligten Konzerngesellschaften in vergleichbarem Umfang Wissen bzw. Know-how in die Intranet-Systeme einstellen (wovon andere Konzerngesellschaften partizipieren) wie sie Know-how von anderen Konzerngesellschaften selbst nutzen.1 Denn es kann unterstellt werden, dass das Angebot an Wissen mit der Nachfrage nach Wissen einer teilnehmenden Konzerngesellschaft korreliert: Je mehr Intranet-Teilnehmer eine Konzerngesellschaft hat, desto mehr Wissen wird sie in das Intranet einstellen, aber auch abrufen. Damit ist davon auszugehen, dass Aufwand (der Einstellung von Informationen in das Intranet) und Nutzen (aus der Nutzung von Informationen des Intranets) in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen. Eine Verrechnung der Überlassung von Know-how scheidet daher dem Grunde nach aus. Es ist jedoch zu prüfen, ob im Einzelfall – z.B. auf Grund von Erfahrungen aus der Vergangenheit – ein offensichtliches und signifikantes Missverhältnis zwischen Inund Output einer Konzerngesellschaft besteht (z.B., wenn überhaupt keine Informationen in das System eingestellt werden, jedoch Wissen in erheblichem Umfang abgerufen wird). Ferner ist die Gesellschaft – in der Regel in Form einer Dienstleistung – zu vergüten, die die technische Infrastruktur zur Verfügung stellt, auf der das Intranet betrieben wird (z.B. Serverhardware, etc.).
6.730
Keine Leistungsverrechnung im Rahmen des Intranets. Im Übrigen sprechen auch die Gründe der Praktikabilität und der Verhältnismäßigkeit gegen eine Leistungsverrechnung im Rahmen des Wissensaustausches über das Intranet. Denn es kann nicht im Voraus bestimmt werden, ob das bereitgestellte Wissen überhaupt von anderen Konzerngesellschaften genutzt wird. Ferner ist ungewiss, ob das Wissen, soweit es abgerufen wird, einen betrieblichen Nutzen stiftet. Zwar kann grundsätzlich vermutet werden, dass die abgerufenen Informationen für die Konzerngesellschaften einen Nutzen bzw. Wert haben; jedoch ist die Identifikation der abgerufenen Informationen, die Ermittlung des (erwarteten) betrieblichen Nutzens für den Nutzenden aus den Informationen und die Bewertung der Informationen erfahrungsgemäß bei solchen Intranet-Plattformen nicht bzw. nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich. Dies gilt selbst für den Fall, dass die Häufigkeit und die Dauer der Intranet-Nutzung 1 Ähnlich mit der Annahme einer „Fiktion der Entsprechung“ und unter Hinweis auf Vereinfachungs- und Praktikabilitätsgründe auch Strunk/Kaminski in Kessler, Das Steuerrecht der Neuen Medien, Teil 5.2.4, 12.
852 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.733 Kap. 6
durch die einzelnen Konzerngesellschaften dokumentiert werden könnte (vorbehaltlich einer arbeitsrechtlichen Zulässigkeit). Denn zwischen der Häufigkeit, der Dauer oder der Intensität der Nutzung des Intranets und dem wirtschaftlichen Nutzen aus den im Intranet – wenn überhaupt – gefundenen Informationen besteht kein unmittelbarer Zusammenhang. So ist einerseits denkbar, dass eine wertvolle Information in kürzester Zeit gefunden wird; andererseits kann deren Suche aber auch nach mehreren Stunden erfolglos verlaufen. Ausgeglichenheit zwischen Aufwand und Nutzen. Vielmehr müsste für die Verrechnung des Wissensaustausches jede von einem User genutzte Information des Intranets einzeln identifiziert, dokumentiert, auf ihren betrieblichen Nutzen untersucht (ggf. ist das Wissen bereits schon [teilweise] bekannt) und – falls dieser bejaht wird – bewertet werden. Dies ist jedoch aus praktischen Gründen i.d.R. nicht möglich. Im Ergebnis ist daher zu konstatieren, dass eine Verrechnung des Wissenstransfers über das Intranet auf Grund einer unterstellten Ausgeglichenheit zwischen Aufwand und Nutzen der Konzerngesellschaften einerseits sowie aus Gründen der Praktikabilität und der Verhältnismäßigkeit andererseits i.d.R. ausscheidet. Mit der Zahlung einer Dienstleistungsgebühr für die Bereitstellung der Intranet-Systeme an die Konzernobergesellschaft (Rz. 6.727) sind die Anwender berechtigt, auf diese zuzugreifen. Der Wissenstransfer im Rahmen dieser Intranet-Systeme sollte dann für die User kostenlos erfolgen. Insoweit besteht eine Parallele zu im Internet angebotenen Foren zum Austausch von Spezialwissen.
6.731
Betreiben des Intranets als Dienstleister. Soweit das Intranet technisch von einer Gesellschaft betrieben wird, die den Zugang administriert, Nutzerdaten prüft und freigibt und im Auftrag derjenigen Gesellschaft handelt, die den Inhalt des Intranets verantwortet, handelt es sich um eine Dienstleistung. Diese ist unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode nach üblichen Dienstleistungsgrundsätzen an die Gesellschaften zu verrechnen, die das Intranet nutzen und hieraus einen Nutzen (Benefit) erfahren. Soweit eine direkte Verrechnung impraktikabel ist, da der Nutzen nicht genau gemessen werden kann, sollte eine Verrechnung anhand sachgerechter Schlüssel erfolgen. Dies könnten bspw. Anzahl der jeweiligen Nutzer sein, soweit diese den Inhalt vollumfänglich nutzen. Sofern einzelne Nutzer nur Teile des Intranets einsetzen, wäre eine abgeschichtete Verrechnung (z.B. nach User-Typen) sachgerecht (s.u.).
6.732
3. Leistungsverrechnung der Höhe nach Verrechnung der Höhe nach. Da es sich bei der Bereitstellung der Intranet-Systeme durch die Konzernobergesellschaft (teilweise) dem Grunde nach um verrechenbare Leistungen handelt, ist in einem nächsten Schritt die Frage der Verrechnung der Höhe nach zu klären. In diesem Zusammenhang ist zwischen den folgenden Abrechnungsformen zu unterscheiden: – Einzelabrechnung der Dienstleistung; – Abrechnung auf Basis eines Umlagevertrages in Form der Leistungsumlage.1 Bei der Einzelabrechnung wird für jede einzelne Dienstleistung ein separates Entgelt verrechnet. Dabei kommen in der Verrechnungspreispraxis zur Ermittlung der Vergütung i.d.R. die klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung (Preisvergleichsmethode, Wiederver1 Alternativ ist auch eine sog. „Poolumlage“ denkbar. Im Rahmen der Poolumlage werden von einem, von mehreren oder von allen beteiligten Konzerngesellschaften Leistungen bzw. ganze Leistungsbündel im gemeinsamen Interesse und für gemeinschaftliches Risiko der Poolmitglieder erbracht (vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.81 ff.).
Ditz/Kluge | 853
6.733
Kap. 6 Rz. 6.733 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
kaufspreismethode und Kostenaufschlagsmethode) zur Anwendung. Da sich die Einzelabrechnung – insbesondere in Bezug auf die Verrechnung von Dienstleistungen – häufig als unpraktikabel erweist, kommt der Abrechnung auf Basis von Umlagen in der Verrechnungspreispraxis eine größere Bedeutung zu.1
6.734
Modifizierte Kostenaufschlagsmethode. Bei der Leistungsumlage wird von einer leistungserbringenden Konzerngesellschaft eine Leistung bzw. ein ganzes Leistungsbündel gegenüber mehreren verbundenen Unternehmen im Rahmen eines schuldrechtlichen Leistungsaustauschs erbracht. Dabei wird der Verrechnungspreis pauschal durch Umlage der beim Leistungserbringer entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags mit Hilfe eines sachgerechten Schlüssels bestimmt. Im Ergebnis findet somit bei Leistungsumlagen eine modifizierte Kostenaufschlagsmethode Anwendung, im Rahmen derer – aus Gründen der Vereinfachung – die durch die Dienstleistung veranlassten Kosten gesammelt, um einen Gewinnaufschlag erhöht und auf die leistungsempfangenden Konzerngesellschaften verteilt werden.2
6.735
Einmalige Zugangsgebühr. Die Bereitstellung von Intranet-Systemen kann einzeln oder auf Basis einer Leistungsumlage abgerechnet werden.3 Für welche Abrechnungsform sich der Steuerpflichtige entscheidet, liegt grundsätzlich in seinem eigenen Ermessen. Im Rahmen der Einzelabrechnung kann für die Bereitstellung der Intranet-Systeme ein (pauschales) Entgelt pro Anwender gegenüber den am Intranet teilnehmenden Konzerngesellschaften verrechnet werden. Das gesamte von einer Konzerngesellschaft zu entrichtende Entgelt ergibt sich dann aus dem Entgelt pro Anwender multipliziert mit der Anzahl der gesamten Anwender der Konzerngesellschaft. Es bietet sich jedoch an, das Entgelt als (einmalige) Zugangsgebühr bei erstmaliger Zugangsberechtigung des Anwenders einerseits und einer dann laufenden Leistungsgebühr (z.B. pro Jahr) andererseits auszugestalten. Ist die Unterscheidung in Zugangsgebühr und laufende Leistungsgebühr nicht möglich, z.B. weil sich die Anzahl der neuen Anwender pro Konzerngesellschaft für jedes Geschäftsjahr nicht ermitteln lässt bzw. mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist, ist auch eine reine jährliche Leistungsgebühr denkbar.
6.736
Ermittlung der Leistungsgebühr. Die Ermittlung einer Leistungsgebühr pro Anwender setzt voraus, dass die (tatsächliche oder erwartete) Anzahl der Anwender pro Konzerngesellschaft ermittelt oder zumindest verlässlich geschätzt werden kann. Ist dies nicht möglich, könnte die Anzahl der Anwender pro Konzerngesellschaft ggf. auch aus den in der Konzerngesellschaft installierten PCs mit Zugang zum Intranet abgeleitet werden.
6.737
Anwendung der klassischen Methoden. Die Leistungsgebühr ist im Bereich der Einzelabrechnung auf Basis der klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung zu ermitteln. Die Preisvergleichsmethode kann in diesem Zusammenhang keine Anwendung finden, da weder Marktpreise für die konzernspezifische Intranet-Leistung ermittelt werden können (äußerer Preisvergleich) noch ein interner Preisvergleich möglich ist. Denn konzernaußenstehende Dritte erhalten i.d.R. keinen Zugang zum Intranet. Da ferner die Anwendungsvoraussetzungen der Wiederverkaufspreismethode nicht erfüllt sind, ist i.d.R. die Leistungsgebühr auf Basis der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln.
1 Vgl. Ditz, DB 2004, 1949. 2 Vgl. Ditz, DB 2004, 1949. 3 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 699 f.
854 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.742 Kap. 6
Kostenaufschlagsmethode. Nach der Kostenaufschlagsmethode ergibt sich die Leistungsgebühr pro Anwender als Summe der durch die Bereitstellung der Intranet-Systeme verursachten Kosten zuzüglich eines angemessenen Gewinnaufschlags. Die Leistungsgebühr kann auf diese Weise für jedes einzelne Modul des Intranets oder zusammengefasst für alle Module ermittelt werden. Im letzteren Fall würde – insbesondere aus Praktikabilitätsgründen – i.S. einer „Palettenbetrachtung“ nur von einer Leistungsgebühr „Intranet“ ausgegangen werden, ohne zwischen den einzelnen Systemen zu differenzieren. Dies setzt allerdings eine weitgehende Homogenität der Anwender der unterschiedlichen Systeme voraus.
6.738
Ermittlung der Kostenbasis. Die Kostenbasis ermittelt sich aus den durch die Bereitstellung der Intranet-Systeme bei der Konzernobergesellschaft veranlassten Vollkosten, wobei eine Verrechnung von Plan- oder Istkosten möglich ist. Erfahrungsgemäß lassen sich die Vollkosten für die Bereitstellung der Intranet-Systeme aus der Kostenstellenrechnung (ggf. unter zusätzlicher Berücksichtigung eines allgemeinen Gemeinkostenzuschlags) relativ unproblematisch ermitteln. Die Kostenbasis ist dann um die von der Konzernobergesellschaft betrieblich veranlassten (Gesellschafter-)Aufwendungen zu kürzen. Die Kürzung erfolgt in Höhe des festgelegten Anteils an nicht verrechenbarem Gesellschafteraufwand (Rz. 6.719).
6.739
Kostenbasis pro Leistungseinheit. Die um den Anteil an Gesellschafteraufwand gekürzte Kostenbasis ist dann durch die Anzahl der erwarteten oder tatsächlichen Anwender der Intranet-Systeme zu dividieren. Die so ermittelte Kostenbasis pro Leistungseinheit (d.h. pro Anwender) ist dann um einen angemessenen Gewinnaufschlag zu erhöhen. Die Ermittlung des Gewinnaufschlages erfolgt i.d.R. anhand eines Vergleichs mit Gewinnaufschlägen unabhängiger Gesellschaften, die vergleichbare Leistungen erbringen. Zur Identifikation der Vergleichsunternehmen wird in der Praxis üblicherweise eine Recherche in einer Unternehmensdatenbank (z.B. Amadeus) durchgeführt, in der die Gewinn- und Verlustrechnungen zahlreicher Unternehmen hinterlegt sind.
6.740
Verrechnung auf Basis der Leistungsumlage. Alternativ zur dargestellten Einzelabrechnung können die Leistungen der Konzernobergesellschaft auch auf Basis einer Leistungsumlage verrechnet werden.1 Danach sind die in einem Geschäftsjahr tatsächlich angefallenen (Ist-)Kosten der Bereitstellung der Intranet-Systeme – alternativ können auch Plankosten angesetzt werden – als Vollkosten zu ermitteln und um den Gesellschafteraufwand zu reduzieren.2 Die so ermittelte Kostenbasis ist um einen Gewinnaufschlag zu erhöhen und auf die partizipierenden Konzerngesellschaften mittels eines angemessenen Aufteilungsschlüssels zu verteilen. Da es sich bei der Leistungsumlage um eine modifizierte Kostenaufschlagsmethode handelt, kann hinsichtlich der Ermittlung der Kostenbasis und des Gewinnaufschlags auf die vorstehenden Ausführungen zur Einzelabrechnung verwiesen werden.
6.741
Aufteilungsschlüssel. Zur Ermittlung des Aufteilungsschlüssels ist auf den „erwarteten Nutzen“ der partizipierenden Konzerngesellschaften aus der Nutzung der Intranet-Systeme abzustellen.3 Als Aufteilungsschlüssel können z.B. die (erwartete oder tatsächliche) Anzahl der Anwender oder die Umsätze der teilnehmenden Konzerngesellschaften herangezogen werden.4 Die Leistungsumlage macht den Abschluss eines schriftlichen Umlagevertrages notwendig. Dieser geht inhaltlich über die Erfordernisse eines Vertrages bei der Einzelabrechnung hinaus und soll-
6.742
1 2 3 4
Vgl. dazu Baumhoff, IStR 2000, 694. Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 699 f. Vgl. Ditz, DB 2004, 1950. Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 604.
Ditz/Kluge | 855
Kap. 6 Rz. 6.742 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
te detaillierte Regelungen zu den zu erbringenden Dienstleistungen (Art und Umfang), zu den beteiligten Konzerngesellschaften (Vertragsparteien), zu der Ermittlung und dem Umfang der umlagerelevanten Kosten, zu dem Gewinnaufschlag sowie dem Umlageschlüssel enthalten.
VI. IT-Dienstleistungen im Wege des Cloud-Computing 1. Begriff und Arten des Cloud-Computing 6.743
Flexible Software-Nutzung. In jüngster Zeit nimmt die Bedeutung neuer Formen der Bereitstellung von IT-Leistungen zu, die zusammengefasst als „Cloud-Computing“ bezeichnet werden. Unter Cloud-Computing werden Netzwerke verstanden, die IT-Infrastrukturen dynamisch an den Bedarf der Anwender anpassen und diesen über das Internet zur Verfügung stellen.1 Auf diese Weise können Speicherplatz, Rechenzeit oder Softwaredienste flexibel und bedarfsabhängig bereitgestellt und bei Bedarf über festgelegte Schnittstellen abgerufen werden. Die Neuerung besteht darin, dass die Programme nicht mehr auf dem Rechner des Anwenders installiert sein müssen; vielmehr befindet sich die Software im Netz und der Rechner des Anwenders dient als Schnittstelle.2 Cloud-Computing-Leistungen werden sowohl gegenüber Endkunden (z.B. iCloud, Dropbox, Google Drive) als auch gegenüber Geschäftskunden angeboten. Nachfolgend werden ausschließlich B2B-bezogene Leistungen betrachtet.
6.744
Cloud-Computing als Online-Geschäft. Da die Bereitstellung der IT-Leistungen im Wege des Cloud-Computing auf automatisierten Vorgängen beruht und über Netzwerke erbracht wird, handelt es sich i.d.R. um sog. „Online-Geschäfte“, d.h. um Transaktionen, bei denen die vertragstypische Leistung weder in einer physischen Lieferung noch in einer persönlichen Dienstleistung besteht (Abgrenzung zum „Offline-Geschäft“).3 In Abhängigkeit von dem Umfang der bereitgestellten Leistungen lassen sich die folgenden Arten des Cloud-Computing unterscheiden:4 – „Software as a Service“ („SaaS“), – „Infrastructure as a Service“ („IaaS“), – „Platform as a Service“ („PaaS“).
6.745
„Software as a Service“ („SaaS“). SaaS (auch „Application Service Providing“ oder „Software on Demand“) bezeichnet die Bereitstellung von Software auf dem Server des Anbieters. Der Abruf der Software erfolgt über den Rechner der Nutzer, z.B. über den Internetbrowser oder spezielle „Software Clients“. Eine Installation auf dem Rechner des Nutzers ist nicht erforderlich. Daraus folgt, dass die Nutzer keinen Einfluss auf die Software und Hardware nehmen können, die zur Bereitstellung der SaaS-Dienste benötigt werden. Das Leistungsentgelt für die Bereitstellung der SaaS-Dienste wird i.d.R. monatlich oder jährlich nach der Anzahl der vereinbarten Nutzer abgerechnet.5 Beispiele für SaaS-Leistungen stellen Buchhaltungssoftware, ERP-Software6 und CRM-Pakete7 dar. 1 Vgl. Stögmüller in Leupold/Glossner, Münchner Anwaltshandbuch IT-Recht, 2011, Teil 5 Rz. 2; Pinkernell, Ubg 2012, 331; Heinsen/Voß, DB 2012, 1232. 2 Vgl. Nägele/Jacobs, ZUM 2010, 281. 3 Vgl. Nägele/Jacobs, ZUM 2010, 281. 4 Vgl. Pinkernell, Ubg 2012, 332. Zu der Unterscheidung in „Online-“ und „Offline-Handel“ vgl. Rz. 6.614. 5 Vgl. Pinkernell, Ubg 2012, 332. 6 Enterprise Resource Planning Software, wie z.B. SAP Business by Design. 7 Customer Relationship Software, wie z.B. Salesforce.com.
856 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.749 Kap. 6
„Infrastructure as a Service“ („IaaS“). Unter IaaS wird das flexible Anmieten von Rechenleistung und Speicherkapazität verstanden, auf die jederzeit über das Internet zugegriffen werden kann.1 Der Kunde verfügt damit über IT-Infrastruktur, die er für seine unternehmerischen Zwecke nutzen kann, z.B. um darauf eigene Software laufen zu lassen, eine Website zu errichten oder Daten zu sichern. Die angemietete IT-Infrastruktur besteht allerdings nicht aus physischen, sondern aus „virtuellen Servern“, die sich aber aus Sicht des Anwenders wie ein echter Computer bzw. Internetserver verhalten.2 Die virtuellen Server sind ihrerseits auf physischen Servern untergebracht, die sich in großen Serverzentren befinden, die der Cloud-Anbieter betreibt („Serverfarm“). Das Leistungsentgelt wird i.d.R. nach dem Umfang der in Anspruch genommenen Ressourcen berechnet (z.B. Rechenkapazität und Datenvolumen). Typische Anwendungsfälle sind die Auslagerung besonders aufwendiger Berechnungen auf virtuelle Server und das automatische „Zuschalten“ von virtuellen Mirrorservern, wenn die Website des Kunden durch Anfragen überlastet wird.3 Anbieter von IaaS-Diensten sind z.B. IBM, Microsoft und Cisco.
6.746
„Platform as a Service“ („PaaS“). Die dritte Erscheinungsform des Cloud-Computing im B2B-Bereich stellt PaaS dar, d.h. die zeitlich begrenzte Bereitstellung von Infrastruktur (Prozessorleistung, Speicherkapazität, Internetanbindung) in Verbindung mit einer vorinstallierten Entwicklungsumgebung. Im Rahmen dieser Entwicklungsumgebung kann der Kunde eigene Software oder komplexe Websites erstellen. Beispiele für PaaS-Dienste stellen „Amazon Web Services“ von Amazon, „Windows Azure“ von Microsoft und „App Engine“ von Google dar.
6.747
2. Verrechnungspreisermittlungen beim Cloud-Computing Formen der Dienstleistungen. Sofern die vorstehend beschriebenen Cloud-Computing-Leistungen in der Form SaaS, IaaS oder PaaS zwischen international verbundenen Unternehmen erbracht werden, ergibt sich die Notwendigkeit, Verrechnungspreise für die Leistungen zu ermitteln. Dies ist zum einen der Fall, wenn sich ein Anbieter von Cloud-Leistungen einer ausländischen Tochtergesellschaft bedient, um die Cloud-Computing-Dienstleistungen gegenüber Endkunden anbieten zu können. In diesem Zusammenhang ist es beispielsweise denkbar, dass das ausländische verbundene Unternehmen eine Serverfarm betreibt, mittels derer die entsprechenden Cloud-Computing-Dienstleistungen gegenüber Endkunden erbracht werden. Zum anderen ist es denkbar, dass die Cloud-Dienstleistungen lediglich konzernintern erbracht und genutzt werden, etwa wenn die Obergesellschaft des Konzerns Rechenleistung und Speicherkapazität zur exklusiven Nutzung durch die in- und ausländischen Tochtergesellschaften bereitstellt (sog. „Private-Cloud“).4 Die Verrechnungspreisermittlung für die vorstehend genannten Fälle wird nachfolgend erläutert.
6.748
Cloud-Computing Dienstleistungen. Bedient sich ein inländischer Anbieter von CloudComputing-Dienstleistungen eines ausländischen verbundenen Unternehmens, sind Verrechnungspreise für die von diesem erbrachten Leistungen zu ermitteln. Häufig handelt es sich bei den Leistungen um die Bereitstellung von Serverkapazität. Insoweit besteht eine Parallele zu
6.749
1 Splittgerber/Rockstroh, BB 2011, 2179; Pinkernell, Ubg 2012, 332. 2 Moderne Server-Hardware besitzt enorme Leistungsreserven, so dass auf einem physischen Server dutzende virtuelle Server gleichzeitig und völlig unabhängig voneinander laufen können. Der Anwender bemerkt den Unterschied i.d.R. nicht. 3 Ein bekannter Anbieter ist Amazon Web Services. 4 Vgl. Welsch/Kinsky/Ronau/Klitgaard, TNI, October 2011, 148.
Ditz/Kluge | 857
Kap. 6 Rz. 6.749 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
dem im Rahmen des Online-Handels beschriebenen „Service-Provider-Model“, bei dem eine ausländische e-Commerce Vertriebsgesellschaft als Dienstleister in die Verkaufsabwicklung eingeschaltet wird (Rz. 6.701 ff.). Indessen beziehen sich die Dienstleistungen im Bereich des Cloud-Computing lediglich auf die Bereitstellung von Serverkapazitäten und nicht auf weitere Funktionen wie die Auftragsannahme und -bearbeitung sowie die Zahlungsabwicklung, die das „Service-Provider-Model“ kennzeichnen. In jedem Fall ist zunächst eine detaillierte Funktions- und Risikoanalyse zu erstellen, um zu bestimmen, ob die Cloud-Computing Leistungen als Dienstleistungen einzustufen sind oder der Leistungserbringer eher als Strategieträger qualifiziert, weil seine Leistung den Kern der Wertschöpfungskette bildet.
6.750
Vorrangige Anwendung der Preisvergleichsmethode. Die Verrechnungspreise für die Cloud-Computing-Dienstleistungen der ausländischen Tochtergesellschaft sind vorrangig nach der Preisvergleichsmethode zu bestimmen.1 Da es sich bei den Leistungen ausschließlich um die Bereitstellung von Serverkapazität handelt, welche auch von fremden Dritten (d.h. Hostern von dedizierten Servern) angeboten wird, wird es häufig möglich sein, Fremdpreise für diese Leistungen zu ermitteln. Dabei ist darauf zu achten, dass die Fremdpreise sich auf vergleichbare Leistungen beziehen. Insoweit sind Vertragsbestandteile wie zugesicherter Speicherplatz, Anbindung der Server, Verfügbarkeit, Skalierbarkeit etc. im Einzelnen zu prüfen. Sofern keine Fremdpreise ermittelt werden können, da die innerkonzernliche Leistung nicht von fremden Dritten angeboten wird, kann die Verrechnungspreisermittlung nach der Kostenaufschlagsmethode erfolgen.2 Dabei sind die durch die Leistungserbringung veranlassten Vollkosten (Plan- oder Istkosten) zu ermitteln und um einen angemessenen Gewinnaufschlag zu erhöhen (Rz. 5.39). Die Ermittlung des Gewinnaufschlags erfolgt i.d.R. anhand eines Vergleichs mit Gewinnaufschlägen unabhängiger Gesellschaften, die vergleichbare Leistungen erbringen. Zur Identifikation der Vergleichsunternehmen wird in der Praxis üblicherweise eine Recherche in einer Unternehmensdatenbank (z.B. Amadeus) durchgeführt, in der die Gewinn- und Verlustrechnungen zahlreicher Unternehmen hinterlegt sind. Die Finanzverwaltung ging in der Vergangenheit bei Dienstleistungen i.d.R. von einem Gewinnaufschlag zwischen 5 % und 10 % aus, wobei diese Pauschalierungen zwar noch weit in der Praxis verbreitet sind aber nicht mehr aktuellen Aufschlagssätzen entsprechen müssen.3
6.751
Private-Cloud. Werden die Cloud-Computing-Dienstleistungen von der Konzernobergesellschaft ausschließlich konzernintern erbracht (sog. „Private-Cloud“), ist zunächst zu prüfen, ob die Dienstleistungen dem Grunde nach verrechenbar sind. Eine Verrechnung der CloudComputing-Dienstleistungen kommt nur in Betracht, wenn ein Dienstleistungsaustausch im betrieblichen Bereich vorliegt und damit eine schuldrechtliche Beziehung zwischen der Konzernobergesellschaft und den leistungsempfangenden verbundenen Unternehmen besteht. Dazu ist zu prüfen, ob die Cloud-Computing-Leistungen bei den verbundenen Unternehmen einen Nutzen oder Vorteil entstehen lassen bzw. ob dieser zum Zeitpunkt der Leistungs-
1 Vgl. nur § 1 Abs. 3 Satz 1 f. AStG. 2 Vgl. Pinkernell, Ubg 2012, 337. 3 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122, Rz. 1.7; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150. Das EU Joint Transfer Pricing Forum geht im Rahmen von konzerninternen Dienstleistungen von einem Gewinnaufschlag i.H.v. 3–10 % aus, wobei die Gewinnaufschläge „oft bei 5 %“ liegen, vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Report v. 4.2.2010, Rz. 63. Auch die OECD erkennt einen standardisierten Gewinnaufschlag von 5 % für sog. „low value adding“ services an; vgl. Tz. 7.43 ff. OECD-Leitlinien 2022.
858 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.755 Kap. 6
erbringung zu erwarten ist.1 Die Verrechnung eines Entgelts scheidet dagegen aus, wenn die Leistung ihre Grundlage in den gesellschaftsrechtlichen Beziehungen der beteiligten Unternehmen findet. Verrechenbarkeit der Bereitstellung einer Private-Cloud. Bei der Bereitstellung einer „Private-Cloud“ ist davon auszugehen, dass diese bei dem leistungsempfangenden verbundenen Unternehmen einen Nutzen entstehen lässt. Denn auch ein fremder Dritter in Form eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters wäre dazu bereit, ein Entgelt für die Nutzung von Serverkapazitäten zu zahlen. Folglich ist die Bereitstellung einer „Private-Cloud“ dem Grunde nach verrechenbar. Bei der Verrechnung ist zu berücksichtigen, dass i.d.R. auch die Konzernobergesellschaft einen Nutzen aus der Private-Cloud erhält. Denn es ist davon auszugehen, dass die bereitgestellten Leistungen auch von Mitarbeitern der Konzernobergesellschaft abgerufen werden.
6.752
Verrechnungspreise bei „Private-Cloud“. Da es sich bei der Bereitstellung einer „PrivateCloud“ um eine dem Grunde nach verrechenbare Leistung handelt, ist die Frage der Verrechnung der Höhe nach zu klären. In diesem Zusammenhang ist zwischen den folgenden Abrechnungsformen zu unterscheiden:
6.753
– Einzelabrechnung der Dienstleistung; – Abrechnung auf Basis einer Leistungsumlage. Bei der Einzelabrechnung wird für jede einzelne Dienstleistung ein separates Entgelt verrechnet. Dabei kommen in der Verrechnungspreispraxis zur Ermittlung der Vergütung i.d.R. die klassischen Methoden (Standardmethoden) der Verrechnungspreisermittlung (Preisvergleichsmethode, Wiederverkaufspreismethode und Kostenaufschlagsmethode) zur Anwendung. Bei der Leistungsumlage wird der Verrechnungspreis demgegenüber pauschal durch Umlage der im Zusammenhang mit den Cloud-Computing-Dienstleistungen entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags mit Hilfe eines sachgerechten Schlüssels bestimmt (modifizierte Kostenaufschlagsmethode; vgl. hierzu bereits Rz. 6.734). Abrechnung auf der Grundlage von Leistungseinheiten. Die Cloud-Computing-Leistungen kommerzieller Anbieter (z.B. SAP, Microsoft, Amazon) sind dadurch gekennzeichnet, dass die Abrechnung gegenüber den Endkunden auf der Basis klar bezeichneter Leistungseinheiten erfolgt, die auf Grund der Vernetzung der IT-Infrastrukturen einfach und zeitnah ermittelt werden können (z.B. Nutzerlizenzen, in Anspruch genommene Rechenkapazität, Zeiteinheiten etc.). Die im Rahmen einer „Private-Cloud“ erbrachten konzerninternen Dienstleistungen sollten daher ebenfalls auf Basis einzelner Leistungseinheiten bestimmt werden (Einzelabrechnung).
6.754
Verrechnungspreismethoden. Sofern die im Rahmen einer Private-Cloud erbrachten Leistungen mit den Leistungen kommerzieller Anbieter vergleichbar sind, sind die Verrechnungspreise für die konzernintern erbrachten Leistungen unter Bezugnahme auf die Preise anzusetzen, die von den kommerziellen Anbietern für die einzelnen Leistungseinheiten berechnet werden (Anwendung der Preisvergleichsmethode). Sollten demgegenüber keine Fremdpreise für die im Rahmen der Bereitstellung der Private-Cloud erbrachten Dienstleistungen ermittelt werden können, sind die Verrechnungspreise nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln. Die Kostenbasis ermittelt sich dabei aus den durch die Bereitstellung der Private-Cloud bei
6.755
1 „Benefit-Test“ nach Tz. 7.6 OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Kluge | 859
Kap. 6 Rz. 6.755 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
der Konzernobergesellschaft veranlassten Vollkosten (Plan- oder Istkosten). Die Kostenbasis ist um den Kostenanteil zu kürzen, der die Nutzung der Private-Cloud durch Mitarbeiter der Konzernobergesellschaft betrifft. Hinsichtlich des Gewinnaufschlags ging in der Vergangenheit die Finanzverwaltung bei Dienstleistungen von einem Aufschlagssatz zwischen 5 % und 10 % aus.1 Bei der Bestimmung eines Aufschlagssatzes ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Cloud-Computing-Leistungen um keine erfolgskritischen Leistungen, sondern um „Standardleistungen“ im Bereich der IT handelt. Vor diesem Hintergrund kann eine Orientierung am unteren Rand der genannten Bandbreite erfolgen.
VII. Global-Trading 1. Begriff und Strukturen des Global-Trading 6.756
Definition des „Global-Trading“. Unter „Global-Trading“ wird der elektronisch gestützte weltweite Handel von Finanzprodukten durch Finanzdienstleistungsunternehmen und Banken im Auftrag ihrer Kunden verstanden.2 Mitunter sind auch multinationale Konzerne in ähnlicher Weise wie Banken im „Global-Trading“ involviert. Der Handel wird dabei jeweils durch verbundene Unternehmen oder Betriebsstätten in den einzelnen Ländern durchgeführt. Zu den Aktivitäten des „Global-Trading“ gehören neben der weltweiten Vermarktung von Finanzprodukten insbesondere die Tätigkeiten eines sog. „Market-Makers“ bzw. eines „Brokers“ an Wertpapier- oder Rohstoffbörsen.3
6.757
Grundmodelle des „Global-Trading“. Im Bereich des „Global-Trading“ haben sich zahlreiche Strukturen etabliert, welche sich auf die folgenden drei Grundmodelle zurückführen lassen: – Integrierter Handel („Integrated-Trading“): Beim integrierten Handel sind in den regionalen Handelszentren Händler tätig, die ein Portfolio verschiedener Positionen (sog. „Buch“) verwalten. Bei Handelsschluss kann die Zuständigkeit für das Buch an den nächsten Standort weitergegeben werden, bei dem die offenen Positionen den Ausgangspunkt für den weiteren Handel bilden.4 Möglich ist daneben der gleichzeitige Handel an verschiedenen Orten aus einem Buch. Dies ist nicht zuletzt deshalb praktikabel, weil sich die Öffnungszeiten der Märkte teilweise überschneiden.5 – Handel mit zentralisierter Produktverwaltung („Centralised-Product-Management“): In Abgrenzung zum integrierten Handel zeichnet sich der Handel mit zentralisierter Produktverwaltung dadurch aus, dass die Marktrisiken zentral verwalteter Produkte am Standort der Verwaltung gebündelt werden. Da sich die Verkaufsbemühungen nicht auf 1 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 3.1.2; v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 14/99 – VWG-Umlageverträge, BStBl. I 1999, 1122 Tz. 1.7; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 150. Das EU Joint Transfer Pricing Forum geht im Rahmen von konzerninternen Dienstleistungen von einem Gewinnaufschlag i.H.v. 3–10 % aus, wobei die Gewinnaufschläge „oft bei 5 %“ liegen, vgl. EU Joint Transfer Pricing Forum, Report v. 4.2.2010, Rz. 63. Auch die OECD erkennt einen standardisierten Gewinnaufschlag von 5 % für sog. „low value adding“ services an; vgl. Tz. 7.43 ff. OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 7, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 3 Vgl. Tz. 7, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 4 Vgl. Tz. 27, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 5 Vgl. Häuselmann, IStR 2003, 139 ff.
860 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.759 Kap. 6
den Standort der Produktverwaltung begrenzen werden, wird regelmäßig durch spiegelbildliche Geschäfte (sog. „Back-to-back“-Transaktionen) des Händlers mit der Zentrale sichergestellt, dass das Marktrisiko einzig beim Standort der zentralen Produktverwaltung verbleibt. – Handel eigenständiger Konzerneinheiten („Separate-Enterprise-Trading“): Beim Handel eigenständiger Konzerneinheiten werden die einzelnen Handelsstandorte als selbstständige „Profitcenter“ tätig, die mit einer eigenen Buchführung ausgestattet sind. Das bedeutet, dass jedes „Profitcenter“ eine eigene Handelsstrategie verfolgen und auch mit anderen verbundenen Unternehmungen Geschäfte abschließen kann.1 Regelmäßig werden allerdings von zentraler Stelle bestimmte Handelsgrenzen festgesetzt. In der Praxis sind vielfältige Strukturen im Bereich des Global-Trading anzutreffen, die sich zumeist als Kombination der drei vorgestellten Grundstrukturen darstellen. Denkbar sind auch flexible Übergänge zwischen den Grundmodellen, welche sich über die Zeit hinweg entwickeln.2
2. Funktions- und Risikoanalyse Unterschiede in Abhängigkeit von dem Geschäftsmodell. Bei der Funktions- und Risikoanalyse ist zu beachten, dass die ausgeübten Funktionen im Bereich des Global-Trading unabhängig von der gewählten Struktur („Integrated-Trading“, „Centralised-Product-Management“ oder „Separate-Enterprise-Trading“) weitgehend identisch sind. Lediglich die Verteilung und Ausprägung der Funktionen unterscheidet sich in Abhängigkeit von der gewählten Struktur. Dagegen sind die übernommenen Risiken beim Global-Trading in höherem Maße vom gewählten Geschäftsmodell bestimmt. Allerdings lassen sich auch hier charakteristische Risiken feststellen, die sich regelmäßig bei allen Global-Trading-Aktivitäten finden. Nachfolgend werden die typischen Funktions- und Risikoprofile im Einzelnen dargestellt.
6.758
Funktionen. Im Bereich des „Global-Trading“ werden folgende Funktionen ausgeübt:
6.759
– Verkaufs- und Vermarktungsfunktionen („Sales and Marketing Functions“): Die Verkaufs- und Vermarktungsfunktionen beinhalten in erster Linie die Kundenakquisition, die Kontaktpflege sowie das Durchführen von Vertragsabschlüssen zu vorgegebenen Konditionen.3 Im Gegensatz zu den Händlern („Trader“) ist es den Beschäftigten im Verkaufs- und Vermarktungsbereich („Marketer“) regelmäßig nicht gestattet, eigenständig Preise festzusetzen und Produkte zu handeln.4 Je nach Geschäftsmodell nehmen die Verkaufs- und Vermarktungsfunktionen einen unterschiedlichen Stellenwert ein. Regelmäßig handelt es sich bei den genannten Funktionen aber um die Schlüsselfunktionen. – Handels- und Managementfunktion („Trading and Day-to-Day Risk Management Function“): Die Handels- und Managementfunktion hat alle Tätigkeiten des Handels mit Finanzprodukten sowie das Risikomanagement zum Gegenstand.5 Dies beinhaltet einerseits Vertragsabschlüsse, bei denen die Händler („Trader“) im Gegensatz zu den Verkäufern die Konditionen in den Grenzen bestimmter Positionslimite eigenständig festsetzen
1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 32, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Tz. 36, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Häuselmann, IStR 2003, 139 ff. Vgl. Tz. 41, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Tz. 49 ff., Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010.
Ditz/Kluge | 861
Kap. 6 Rz. 6.759 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
dürfen.1 Andererseits sind damit auch die Tätigkeiten im Hinblick auf das Management des Marktrisikos gemeint. Dabei handelt es sich in erster Linie um Maßnahmen zur Absicherung von Transaktionen („Hedging“).2 Handel und Risikomanagement können von derselben Person ausgeführt werden. Häufig werden die beiden Tätigkeiten aber getrennt voneinander wahrgenommen, z.B. auf Grund aufsichtsrechtlicher Vorgaben.3 Dies kann zur Folge haben, dass die genannten Funktionen auch an unterschiedlichen Standorten ausgeführt werden. Insoweit wird zwischen dem „Integrated-Trading-Model“ (jedes Unternehmen übernimmt eigene Handelsaufgaben und es erfolgt eine Zusammenarbeit), dem „Centralised-Product-Management-Model“ (Handel mit zentralisierter Produktverwaltung) und dem „Separate-Enterprise-Model“ (jedes Unternehmen übernimmt eigene Handelsaufgaben und die Leistungsbeziehungen beschränken sich auf Dienstleistungen, z.B. Hedging) unterschieden (Rz. 6.757). Die Handels- und Managementfunktionen stellen regelmäßig die Kerntätigkeit im Bereich des Global-Trading dar.4 – Überwachung der Liquidität des Unternehmens („Treasury“): Bei der Liquiditätsüberwachung im Zusammenhang mit Global-Trading bestehen keine wesentlichen Unterschiede zur allgemeinen Ausprägung dieser Funktion bei Finanzdienstleistungsinstituten.5 Im Kern geht es darum, ausreichend finanzielle Mittel zur Begleichung der Verbindlichkeiten bereitzustellen und dabei finanzielle Überschüsse profitabel anzulegen.6 Je nach organisatorischer Stellung (z.B. als eigenständiges Profitcenter) ist dem Treasury-Bereich ein unterschiedliches Maß an Risiken zugeordnet. Auch wenn die Liquiditätssicherstellung eine wichtige Aufgabe darstellt, handelt es sich dabei nicht um eine Kernfunktion des GlobalTrading. – Unterstützende Funktionen („Support“): Bei den unterstützenden Funktionen handelt es sich insbesondere um die Bereiche der IT, der Systementwicklung, der Kreditabteilung sowie Controlling. Traditionell als klassische Back-Office-Funktionen bezeichnet, haben einige dieser Tätigkeiten innerhalb der Organisation einen solchen Stellenwert erreicht, dass sie als Middle-Office-Funktionen bezeichnet werden.7 Allerdings handelt es sich bei den Unterstützungsfunktionen nicht um die Schlüsselfunktionen im Rahmen des Global-Trading.
6.760
Risiken. Beim Global-Trading werden im Wesentlichen die folgenden Risikogruppen unterschieden: – Kreditausfallrisiko („Credit-Risk“): Das Kreditausfallrisiko zählt zu einem der bedeutendsten Risiken des traditionellen Bankgeschäfts, insbesondere im Zusammenhang mit der Kreditvergabe.8 Das Kreditausfallrisiko wird regelmäßig von demjenigen übernommen, der die Transaktion mit dem Kunden ausführt. Es ist aber auch denkbar, dass spezielle „Middle-Office“-Funktionen für die Übernahme und das Management des Kreditausfallrisikos zuständig sind.9 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Häuselmann, IStR 2003, 139 ff. Vgl. Tz. 55f., Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Tz. 49, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Nientimp/Roeder, ITPJ 2005, 306 ff. (309). Vgl. Tz. 60, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Tz. 60, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Tz. 66, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Tz. 93, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Tz. 96, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010.
862 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.762 Kap. 6
– Marktrisiko („Market-Risk“): Als Marktrisiko bezeichnet man die Schwankungen der Marktparameter, denen der Wert der im Rahmen des „Global-Trading“ gehaltenen Positionen ausgesetzt ist.1 Bei diesen Marktparametern handelt es sich typischerweise um Marktzinssätze, Rohstoffpreise, Wechsel- und Aktienkurse. Marktrisiken zählen im Bereich des Global-Trading zu der bedeutendsten Risikogruppe, da sie allen gehandelten Finanzinstrumenten innewohnen. Die Handels- und Managementfunktion übernimmt zumeist das Marktrisiko beim Eingehen der Transaktion und führt entsprechende Maßnahmen zum Risikomanagement, wie z.B. das Abschließen entsprechender Hedging-Transaktionen, durch.2 – Operationale Risiken („Operational-Risks“): Bei den operationalen Risiken handelt es sich um Risiken des direkten oder indirekten Verlustes, die aus unzureichenden oder fehlerhaften internen Prozessen, Fehlern von Mitarbeitern, Systemen oder auch externen Effekten resultieren.3 Da diese Risikogruppe im Gegensatz zu den vorgenannten Risikoklassen überwiegend interne Ursachen hat, werden operationale Risiken nicht beim Eingehen von Transaktionen übernommen. Das Management der operationalen Risiken wird meist durch interne Systeme und Prozesse sichergestellt. Auf Grund ihrer Natur ist es schwierig, operationale Risiken zu quantifizieren und bestimmten Funktionen zuzuweisen.4 – Sonstige Risiken („Other-Risks“): Neben den genannten Risikogruppen gibt es noch eine Reihe sonstiger Risiken, denen Finanzdienstleistungsunternehmen im Rahmen des „Global-Trading“ ausgesetzt sein können. Neben dem allgemeinen Geschäftsrisiko und rechtlichen Risiken in Bezug auf die gehandelten Finanzinstrumente sind hier auch Risiken im Zusammenhang mit der Produktentwicklung und den IT-Systemen zu nennen. Ferner zählen Risiken aus unbeglichenen Fremdwährungsgeschäften sowie Zahlungs- und Lieferrisiken zu dieser Kategorie.5 Im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse ist genau zu prüfen, welche dieser sonstigen Risiken im Rahmen des Global-Trading übernommen werden und welcher Funktion sie zugeordnet werden können.
3. Verrechnungspreisermittlung beim Global-Trading Gewinnaufteilung. Der im Rahmen des Global-Trading erzielte Gewinn ist nach fremdüblichen Kriterien auf die einzelnen am Handel beteiligten Konzerngesellschaften aufzuteilen. Im Rahmen der Aufteilung ist zu beachten, dass es sich beim „Global-Trading“ um einen im hohen Maße integrierten Prozess handelt, im Rahmen dessen verschiedene Funktionen durch die beteiligten Gesellschaften ausgeübt werden. Den Ausgangspunkt der Verrechnungspreisermittlung im Bereich des Global-Trading bildet daher stets eine Analyse der von den beteiligten Konzerngesellschaften ausgeübten Funktionen und getragenen Risiken (Rz. 6.758 ff.). Nachfolgend wird die Anwendbarkeit der Verrechnungspreismethoden auf die Funktionen des Global-Trading im Einzelnen dargestellt.
6.761
Unterstützende Funktionen. Für die unterstützenden Middle- und Back-Office-Funktionen des Global-Trading (Rz. 6.759) wird es – weitgehend unabhängig vom gewählten Geschäftsmodell – regelmäßig möglich sein, Verrechnungspreise mithilfe der klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung zu bestimmen. Denn bei diesen Funktionen des Global-Trading
6.762
1 2 3 4 5
Vgl. Tz. 97, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Tz. 99, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Tz. 101, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Tz. 103, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Tz. 104 f., Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010.
Ditz/Kluge | 863
Kap. 6 Rz. 6.762 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
handelt es sich i.d.R. um Routinefunktionen, welche meist ohne Weiteres separat betrachtet werden können.1 Zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für diese Leistungen können i.d.R. die Kostenaufschlagsmethode oder – soweit Fremdpreise ermittelt werden können – die Preisvergleichsmethode zur Anwendung kommen.2 Die Preisvergleichsmethode ist vorzuziehen, sofern es sich bei den zu verrechnenden Leistungen um solche handelt, die auch gegenüber fremden Dritten erbracht werden.3
6.763
Verkaufs- und Vermarktungsfunktionen. Die Verkaufs- und Vermarktungsfunktionen beinhalten Tätigkeiten der Kundenakquisition, der Kontaktpflege sowie des Abschlusses von Verträgen (Rz. 6.690). Sofern diese Funktionen zentral von einer Konzerngesellschaft ausgeübt werden, sind Verrechnungspreise für die entsprechenden Leistungen zu ermitteln. Die Verrechnungspreise können nach der Preisvergleichsmethode ermittelt werden, wenn Provisionen für entsprechende Verkaufs- und Vermarktungsaktivitäten fremder Dritter bekannt sind.4 Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass es sich um Provisionen auf derselben Marktstufe handelt. Die OECD schlägt zudem die Anwendung einer Form der Wiederverkaufspreismethode zur Ermittlung einer angemessenen Bruttomarge für die Verkaufs- und Vermarktungsaktivitäten einzelner Konzerngesellschaften vor. Dabei soll auf die Differenz zwischen dem Preis, zu dem ein Händler („Trader“) eine Transaktion abschließt, und dem von dem Verkäufer („Marketer“) erzielten Preis abgestellt werden.5 Es ist sicherzustellen, dass die so ermittelte Differenz die von dem Trader bzw. Marketer ausgeübten Funktionen und getragenen Risiken angemessen widerspiegelt. Die Kostenaufschlagsmethode ist nicht zur Ermittlung von Verrechnungspreisen für die Verkaufs- und Vermarktungsaktivitäten einzelner Konzerngesellschaften anwendbar, da es sich insoweit nicht um Routinefunktionen handelt. Dagegen kann die Vergütung der Verkaufs- und Vermarktungsfunktion auch nach der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split-Method) ermittelt werden (Rz. 6.766).
6.764
Separate-Enterprise-Model. Die Handels- und Managementfunktion stellt regelmäßig die Kerntätigkeit im Bereich des Global-Trading dar.6 Bei der Verrechnungspreisermittlung ist danach zu unterscheiden, nach welchem Modell der Handel strukturiert ist. Sofern die Handelsfunktion in der Form des „Separate-Enterprise-Model“ organisiert ist, bei der jedes Unternehmen eigene Handelsaufgaben übernimmt, beschränken sich die Leistungsbeziehungen auf Dienstleistungen, wie z.B. Hedging. Die Verrechnungspreise für diese Dienstleistungen können i.d.R. nach den klassischen Methoden ermittelt werden. Sofern es sich um Dienstleistungen handelt, die auch von fremdem Dritten am Markt angeboten werden, ist dabei vorrangig die Preisvergleichsmethode anzuwenden. Alternativ sind die Verrechnungspreise anhand der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln.
6.765
Centralised-Product-Management-Model. Wird die Handelstätigkeit in der Form des „Centralised-Product-Management-Model“ ausgeübt, so ergibt sich der Gewinn des entsprechenden Unternehmens i.d.R. aus Transaktionen mit fremden Dritten (Handelspartnern). In die-
1 Vgl. Nientimp/Roeder, ITPJ 2005, 306 (309). 2 Vgl. Tz. 143 f., Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010; Nientimp/Roeder, ITPJ 2005, 306 (309). 3 Vgl. Tz. 143, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 4 Vgl. Verdoner, ITPJ 2005, 285; Tz. 128, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 5 Vgl. Tz. 127, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010; vgl. auch Verdoner, ITPJ 2005, 285. 6 Vgl. Brüninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, Rz. K 163 (das Kapitel ist in der aktuellen 5. sowie der vorhergehenden 4. Aufl. nicht mehr enthalten); Nientimp/Roeder, ITPJ 2005, 306 (309); Verdoner, ITPJ 2005, 285.
864 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.767 Kap. 6
sem Fall beschränken sich die Leistungsbeziehungen mit verbundenen Unternehmen auf Dienstleistungen.1 Die Verrechnungspreise für diese Dienstleistungen können ebenfalls nach den klassischen Methoden ermittelt werden. Integrated-Trading-Model. Im Fall des „Integrated-Trading-Model“ erfolgt im Gegensatz zu den beiden vorgenannten Modellen des „Separate-Enterprise-Trading“ und des „CentralisedProduct-Management“ eine intensive Zusammenarbeit der einzelnen Unternehmen, welche jeweils über eigene Handelsabteilungen verfügen. Da eine derartige Zusammenarbeit zwischen unabhängigen Unternehmen i.d.R. nicht stattfindet, können die klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung nicht zur Aufteilung des im Rahmen des integrierten Handels erwirtschafteten Gewinns herangezogen werden. In diesem Fall ist die Anwendung der gewinnorientierten Methoden zu prüfen. Eine Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) scheidet dabei i.d.R. auf Grund der hohen Komplexität der Vorgänge beim Global-Trading sowie der Unsicherheiten im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Verhältnisse aus.2 Vielmehr ist der im Rahmen des „Integrated-Trading-Model“ aus den gemeinsam erbrachten Handelstätigkeiten erzielte Gewinn nach der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (Profit-Split-Method) auf die beteiligten Konzerngesellschaften aufzuteilen.3
6.766
Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode. Bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode ist den am Global-Trading beteiligten verbundenen Unternehmen in einem ersten Schritt eine Grundvergütung für die von ihnen ausgeübten Routinefunktionen zuzuweisen (z.B. die durch das Back- oder Middle-Office ausgeübte Liquiditätsüberwachung oder das Controlling).4 Die Ermittlung der Grundvergütung kann auf Basis der klassischen Methoden der Verrechnungspreisermittlung oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode erfolgen.5 In der Praxis erfolgt die Ermittlung der Grundvergütungen für die durch das Back- oder Middle-Office ausgeübten Funktionen häufig auf Basis der Kostenaufschlagsmethode. Dies ist insofern sachgerecht, als es sich bei den entsprechenden Tätigkeiten des Back- oder Middle-Office um unterstützende Dienstleistungen handelt, die auch bei fremden Dritten in Auftrag gegeben werden können.
6.767
Im Anschluss an die Ermittlung der Grundvergütungen ist der Restgewinn, der nach Abzug der Grundvergütungen von dem im Rahmen des „Integrated-Trading“ erzielten Gesamtgewinn verbleibt, anhand eines geeigneten Aufteilungsschlüssels auf die beteiligten Konzerngesellschaften aufzuteilen. Da der Restgewinn i.d.R. auf mehrere Funktionen zu verteilen ist, die zu dem Erfolg der Handelstätigkeiten beitragen (z.B. Trading, Risk-Management, Structuring), sollten mehrere Aufteilungsschlüssel ausgewählt werden (sog. „Multi-Factor-Formula“).6 Bei der Auswahl der einzelnen Aufteilungsschlüssel ist darauf zu achten, dass sie durch den Steuerpflichtigen nicht manipuliert werden können und dass ihre zugrunde liegenden 1 Vgl. Tz. 139, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 2 Vgl. Tz. 173, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 3 Vgl. Tz. 170, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010 („particularly applicable“). Im Folgenden wird der in der Praxis verbreitete Residual Profit Split dargestellt. Nachrangig kann auch eine Aufteilung des Gewinns nach der sog. „Contribution Profit Split Analysis“ erfolgen, vgl. Tz. 172, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 4 Vgl. Tz. 2.122 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. auch Tz. 178 f., Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010, wonach bestimmte herausragende „support functions“ nicht mittels einer Routinevergütung zu entlohnen sind. 5 Vgl. Tz. 2.127 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 184, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010.
Ditz/Kluge | 865
Kap. 6 Rz. 6.767 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Faktoren klar und einfach ermittelt werden können.1 In der Praxis kommen im Bereich des Global-Trading häufig Aufteilungsschlüssel zur Anwendung, die auf der Vergütung der mit den Kernfunktionen betrauten Mitarbeiter (Trader und Marketer), auf der Anzahl der durchgeführten Transaktionen sowie auf dem durch die einzelnen Konzerngesellschaften abgewickelten Handelsvolumen beruhen.2 Die OECD weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die einzelnen Faktoren zu gewichten sind, falls die Kernfunktionen in unterschiedlichem Maße zu dem Restgewinn beitragen.3
VIII. Änderungsvorschläge der OECD 1. Vorbemerkung 6.768
Neuvorstellung von Pillar One und Pillar Two durch die OECD. Die OECD hat Mitte Oktober 2020 die Blueprints des Inclusive Frameworks zu Pillar One4 und Two5 veröffentlicht. Am 8.10.2021 hat sich der inklusive Rahmen der OECD/G20 auf eine Reform der internationalen Vorschriften für die Besteuerung der Gewinne multinationaler Unternehmen geeinigt und sich der Erklärung über eine Zwei-Säulen-Lösung angeschlossen. Demnach sollen die Besteuerungsrechte an Unternehmensgewinnen zwischen den Staaten neu verteilt („Pillar One“) und ein globales Mindestbesteuerungsniveau eingeführt werden („Pillar Two“). Die OECD erwartet, dass die weltweiten Körperschaftsteuereinnahmen durch Umsetzung der Vorschläge zu Pillar One und Two jährlich um ca. 47–81 Mrd. USD ansteigen werden (ca. 1,9 %–3,2 % der Körperschaftsteuereinnahmen).6 Bislang von einigen Staaten unilateral eingeführte sog. „Digital Services Taxes“ sollen im Gegenzug wieder abgeschafft werden.
2. Pillar One a) Überblick
6.769
Gewährleistung einer gerechten globalen Verteilung der Besteuerungsrechte. Schon länger steht die Gewährleistung einer gerechten globalen Verteilung der Besteuerungsrechte im Mittelpunkt der internationalen Steuerpolitik. Im Fokus sind dabei insbesondere Fälle, in denen von Unternehmen Umsätze in Staaten generiert werden, ohne dass sie hierfür eine physische Präsenz („Nexus“) im jeweiligen Staat unterhalten, an die üblicherweise die Besteuerung geknüpft wird. Durch Pillar One („Unified Approach“) soll das Steueraufkommen von „Marktstaaten“ („Market Jurisdictions“) gestärkt werden.
6.770
Abkehr von dem Betriebsstättenerfordernis. Grundsätzlich erfolgt die Versteuerung von Unternehmensgewinnen am Sitz des Unternehmens bzw. am Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit (insbesondere Produktion). Durch Pillar One sollen neue Anknüpfungspunkte für die Besteuerung („New Nexus“) geschaffen werden, ohne dass es hierfür einer physischen Präsenz
1 2 3 4
Vgl. Häuselmann, IStR 2003, 144. Vgl. Verdoner, ITPJ 2005, 282. Vgl. Tz. 184, Part III OECD-Betriebsstättenbericht 2010. OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, 12.10.2020. 5 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation- Report on the Pillar Two Blueprint: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, 12.10.2020. 6 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Economic Impact Assessment: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, 12.10.2020, 15.
866 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.775 Kap. 6
des Unternehmens bedarf. Durch neue Gewinnverteilungsregeln soll die Besteuerung verstärkt in den Marktstaaten erfolgen.1 Aufteilung des Unternehmensgewinns in zwei Bestandteile. Die Neuregelung zielt auf eine Umverteilung der Unternehmensgewinne durch eine Aufteilung ab. Im Wesentlichen soll eine Aufteilung in einen „Amount A“ und einen „Amount B“ erfolgen.
6.771
Amount A. Den Marktstaaten soll ein anteiliges Besteuerungsrecht an Residualgewinnen eines Konzerns zugewiesen werden, und zwar unabhängig davon, ob der Konzern über eine physische Präsenz in diesen Staaten verfügt. In der aktuellen Diskussion ist die Zuweisung eines Gewinnanteils an die Marktstaaten i.H.v. 25 % des Gewinns vor Steuern, der die Rentabilitätsschwelle von 10 % des Umsatzes übersteigt.
6.772
Eine Zuordnung eines Anteils des Amounts A zu einem Marktstaat soll erfolgen, wenn in diesem Staat Umsätze von mehr als EUR 1 Mio. bzw. von TEUR 250 in kleinen Staaten mit einem Bruttoinlandsprodukt von unter EUR 40 Mrd. erzielt werden.2 Amount B. Durch Amount B soll das derzeitige System zur Bestimmung einer fremdüblichen Vergütung von Vertriebsgesellschaften mit sog. Routinemarketing- und Routinevertriebsaktivitäten vereinfacht und standardisiert werden, um insbesondere Streitpotenziale zu reduzieren.3
6.773
b) Anwendungsbereich für die Amount A-Umverteilung Anwendungsbereich früherer Fassungen. In früheren Entwürfen des Inclusive Frameworks wurde der Anwendungsbereich durch sog. „In-Scope“-Tätigkeiten („Aktivitätstest“) und gewisse Umsatzschwellen beschrieben. Der Aktivitätstest zielte dabei insbesondere auf Unternehmen mit digitalen Leistungen ab, die in sog. „Automated Digital Services“ und „Consumer Facing Businesses“ unterschieden wurden.
6.774
Anwendungsbereich aktuell. In den jüngsten Verlautbarungen der OECD sind die Einschränkungen auf Unternehmen mit bestimmten wirtschaftlichen Aktivitäten nicht mehr enthalten. Es hat sich – wohl auch auf das Drängen der USA hin – ein rein quantitativer Ansatz durchgesetzt. Durch diesen nunmehr rein quantitativen Ansatz wird die Regelung vereinfacht.4 Unter Amount A sollen nur die größten und profitabelsten Konzerne der Welt erfasst werden, die eine Umsatzschwelle von EUR 20 Mrd. sowie eine Profitabilitätsgrenze von 10 % überschreiten. Die Profitabilitätsgrenze von 10 % muss dabei in der aktuellen Periode („period test“), in zwei der vergangenen vier Zeitperioden („prior period test“) und im Durchschnitt in diesen vergangenen vier Perioden („average test“) überschritten werden. Dadurch soll eine unangemessene Erfassung von Konzernen unter Amount A verhindert werden, deren Profitabilität großen Schwankungen unterliegt. Unter dem Begriff der Zeitperiode ist der Zeitraum zu
6.775
1 OECD, Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, Brochure, 8.10.2021, S. 6, 13. 2 OECD, Pillar One – Amount A: Draft Model Rules for Nexus and Revenue Sourcing, Public Consultation Document, 4.2.2022 – 18.2.2022, 5; OECD, Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, Brochure, 8.10.2021, 6. 3 OECD, Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, Brochure, 8.10.2021, 7. 4 Vgl. Kreienbaum, IStR 2021, 526; Petkova/Greil, IStR 2021, 686.
Ditz/Kluge | 867
Kap. 6 Rz. 6.775 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
verstehen, auf den sich der Konzernabschluss der UPE eines Konzerns bezieht. Beträgt die Lände einer Periode weniger oder mehr als ein Jahr, ist die Umsatzschwelle i.H.v. EUR 20 Mrd. entsprechend anteilig zu verringern oder zu vergrößern. Es wird noch zu klären sein, ob der Vorperiodentest und der Durchschnittstest dauerhaft anzuwenden sind oder nur zu Beginn der Feststellung dienen, ob ein Konzern unter Amount A erfasst wird. Sollte die zweite Option der Fall sein, entfällt sowohl der Vorperioden- als auch der Durchschnittstest, sobald ein Konzern das erste Mal unter Amount A erfasst wird und die Entscheidung, ob ein Konzern in den Anwendungsbereich des Amount A fällt, wird nur anhand des Umsatzes und der Profitabilität der aktuellen Periode getroffen.1 Die Umsatzgrenze soll auf EUR 10 Mrd. gesenkt werden, wenn die neuen Regelungen (einschließlich der Bestimmungen zur Rechtssicherheit) erfolgreich implementiert worden sind; die Prüfung dazu soll sieben Jahre nach der Einführung beginnen und nicht länger als ein Jahr dauern.2 Werden Umstrukturierungen vorgenommen mit dem klar erkennbaren Ziel, die Umsatzschwelle von EUR 20 Mrd. zu unterschreiten, so ist die Umsatzbedingung als erfüllt zu betrachten und der Konzern fällt unter den Anwendungsbereich des Amount A. Diese Regelung gilt allerdings nur, sofern nach der Umstrukturierung Unternehmen des Konzerns Eigentum von Dritten, nicht dem Konzern angehörigen Unternehmen sind.3
6.776
Ausnahmen vom Anwendungsbereich. Die Rohstoffindustrie sowie der regulierte Finanzsektor sollen vom Anwendungsbereich ausgenommen werden.4 Darüber hinaus sind staatliche Organe, internationale Organisationen, nicht gewinnorientierte gemeinnützige Unternehmen, Rentenfonds und bestimmte Investmentfonds und Immobilieninvestitionsfonds, sofern sie als UPE agieren, von einer Erfassung durch Amount A ausgenommen. Des Weiteren zählen solche Organe, an denen eben genannte Organe zu mindestens 95 % beteiligt sind, zu den sogenannten „Excluded Entities“ und fallen somit nicht unter den Anwendungsbereich des Amount A.5 c) Bemessungsgrundlage für Amount A
6.777
Konzernabschluss. Der für die Bemessungsgrundlage maßgebliche Gewinn ist dem konsolidierten, geprüften Konzernabschluss der Konzernobergesellschaft („ultimate parent entity“) zu entnehmen. Der betreffende Rechnungslegungsstandard hat sich an den IFRS zu orientieren oder sollte zumindest ein Äquivalent dessen/derer darstellen. Wird ein anderer Rechnungslegungsstandard angewendet, hat eine Anpassung an die Vorgaben der IFRS zu erfolgen. Mit den IFRS äquivalent sind gem. OECD-Entwurf von Mustervorschriften für die Feststellung der Bemessungsgrundlage die GAAP der USA, der UK und von China, Japan, Indien, Schweiz, Kanada, Australien, Neuseeland, Korea, Hong Kong, Brasilien, Mexiko, Singapur, Russland, der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der Mitgliedstaaten des Europäischen
1 OECD, Pillar One – Amount A: Draft Model Rules for Domestic Legislation on Scope, Public Consultation Document, 4.4.2022 – 20.4.2022, 3. 2 Vgl. Ruhmer-Krell/Weidlich, IWB 2021, 567. 3 OECD, Pillar One – Amount A: Draft Model Rules for Domestic Legislation on Scope, Public Consultation Document, 4.4.2022 – 20.4.2022, 6 f. 4 OECD, Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, Brochure, 8.10.2021, 6. 5 OECD, Pillar One – Amount A: Draft Model Rules for Domestic Legislation on Scope, Public Consultation Document, 4.4.2022 – 20.4.2022, 8.
868 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.781 Kap. 6
Wirtschaftsraums.1 Damit soll eine Übereinstimmung mit der im Rahmen von Pillar Two angewandten Definition der äquivalenten Rechnungslegungsstandards gewährleistet werden.2
Unklarheit über Profitabilitätsschwelle. Ein Amount A ist nur bei Überschreiten der Profitabilitätsschwelle von 10 % des Umsatzes umzuverteilen. Wie die Profitabilität genau zu bestimmen ist, ist aktuell noch nicht final festgelegt. Als Bemessungsgrundlage für Amount A zieht die OECD in ihrem Entwurf von Mustervorschriften für die Feststellung der Bemessungsgrundlage einen bereinigten „Gewinn vor Steuern“ heran3 auch wenn die Kenngröße EBIT international geläufiger ist. Weitere Details sind noch in der weiteren Ausarbeitung des Konzepts festzulegen.
6.778
d) Umverteilungsmechanismus für Amount A Anzuwendender Schlüssel. Die Umverteilung soll anhand eines Umsatzschlüssels erfolgen. Konkret soll der Umsatz herangezogen werden, der in den Marktstaaten mit den Gütern und Leistungen erzielt wird. Im OECD- Entwurf von Mustervorschriften für den Nexus und die Umsatzzuweisung werden anhand der Transaktionsart acht verschiedene Umsatzkategorien abgegrenzt (Verkauf von Fertigerzeugnissen an einen Endkunden, Verkauf von digitalen Gütern, Verkauf von Komponenten, Erbringung von Dienstleistungen, Lizenzierung, Verkauf oder sonstige Veräußerung von immateriellem Eigentum (IP) oder Benutzerdaten, Einnahmen aus Grundbesitz, Staatliche Zuschüsse, Einnahmen, die nicht von Kunden stammen). Für jede Kategorie werden Regeln festgelegt, nach denen der mit der jeweiligen Transaktion verbundene Umsatz einem Marktstaat zugeordnet werden soll. Der Entwurf erkennt an, dass ein betroffener Konzern trotz aller Bemühungen in manchen Fällen nicht in der Lage sein wird, die Quelle für jede Transaktion zu isolieren (z.B. Umsatz am Ende des Geschäftsjahres, Komponenten, B2B-Dienstleistungen). In diesen Fällen müssen „angemessene Schritte“ diese wirtschaftliche Realität widerspiegeln und keine unangemessenen Belastungen darstellen.4
6.779
Safe harbour – Ausnahmen der Zuweisung zu Marktstaaten. Wenn in den Marktstaaten bereits Gewinne oberhalb der Profitabilitätsschwelle besteuert werden (bspw. durch Besteuerung einer lokalen Präsenz und entsprechend zugeordneter Vertriebsgewinne), soll keine weitere Zuordnung eines Amount A Besteuerungsrechts erfolgen bzw. dieses beschränken. Auch hierfür sind konkrete Regelungen noch nicht verfügbar.5
6.780
Vermeidung der Doppelbesteuerung. Da der Amount A grundsätzlich auch in den steuerpflichtigen Gewinnen von Unternehmen mit einem physischen Nexus (z.B. Betriebsstätte) enthalten ist, ist eine Methodik zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung festzulegen. Hier soll es zu einer Freistellung umverteilter Gewinne des Amount A bzw. Anrechnung entsprechender hierauf entfallender Steuern kommen.
6.781
1 OECD, Pillar One – Amount A: Draft Model Rules for Tax Base Determinations, Public Consultation Document, 18.2.2022 – 4.3.2022, 6; Englisch, FR 2021, 7; Altenburg, FR 2021, 16. 2 OECD, Pillar One – Amount A: Draft Model Rules for Tax Base Determinations, Public Consultation Document, 18.2.2022 – 4.3.2022, 7; OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, 2021, Article 10.1.1. „Acceptable Financial Accounting Standard“. 3 OECD, Pillar One – Amount A: Draft Model Rules for Tax Base Determinations, Public Consultation Document, 18.2.2022 – 4.3.2022, 5. 4 OECD, Pillar One – Amount A: Draft Model Rules for Nexus and Revenue Sourcing, Public Consultation Document, 4.2.2022 – 18.2.2022, 11, Fn. 12. 5 OECD, Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, Brochure, 8.10.2021, 7.
Ditz/Kluge | 869
Kap. 6 Rz. 6.782 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
e) Streitbeilegungsmechanismen („Tax Certainty“)
6.782
Schwächen bisheriger Streitbeilegungsmechanismen. Bisherige Streitbeilegungsmechanismen der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen wirken nur bilateral zwischen den Vertragsstaaten. Da durch Amount A mehrere Staaten betroffen wären, würde ein bilateraler Streitbeilegungsmechanismus nicht ausreichen.1
6.783
Vereinfachung der Verständigung. Durch Pillar One soll die Verständigung – insbesondere Verständigungs- und Schiedsverfahren – vereinfacht werden. Gegenstand der Verständigung sollen alle Teile des Amounts A sein, d.h. auch hiermit zusammenhängende Verrechnungspreisstreitigkeiten. Diese sollen für alle Staaten verbindlich gelten, auch wenn mit einem Staat im DBA keine Verständigungs- bzw. insbesondere keine Schiedsklausel vereinbart wurde.
6.784
Weitere Ansätze. Neben den Bemühungen zur Verbesserung der Streitbeilegung i.R.d. Amounts A sollen insbesondere Verfahren wie ICAP, Joint Audits, multilateral APAs und standardisierte Benchmark-Ansätze ausgebaut werden.2 Daneben sollen die Betriebsprüfungszeiträume für Verrechnungspreis- und Betriebsstättenthemen verkürzt werden. f) Amount B
6.785
Anwendungsbereich. Der Anwendungsbereich von Amount B bezieht sich auf alle Unternehmen und gilt nicht nur für die Konzerne, die in den Anwendungsbereich von Amount A fallen.3
6.786
Ziel. Über Amount B soll eine standardisierte Vergütung zwischen verbundenen Unternehmen für Routine-, Marketing- und Vertriebsaktivitäten bestimmt werden. Diese soll im Ergebnis bei Anwendung für den Steuerpflichtigen wie eine Safe-Harbour-Regelung wirken. Trotz Standardisierung soll die Vergütung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz unter Berücksichtigung der Branche und Region im Einklang stehen.4 g) Deklarationspflichten
6.787
Einfache Deklaration. Es sollen sehr einfache Deklarationspflichten geschaffen werden. Dies soll für den gesamten Konzern durch eine einzelne Konzerngesellschaft erfüllbar sein.
6.788
Zusätzliche steuerliche Registrierungen? Die Aufteilung von Amount A und Amount B erfordert letztlich eine international abgestimmte Steuerdeklaration. In jedem Staat, sowohl mit Ansässigkeit einer verbundenen Person als auch in einem reinen Marktstaat, muss die Ermittlung der steuerlichen Grundlagen dargestellt und – wohl auch – in Erklärungen abgebildet werden können. Technisch dürfte dies nur dadurch darstellbar sein, dass die Muttergesellschaft (oder ähnlich wie im CbCR-Konzept eine von ihr beauftragte Person) sich zumindest in den Marktstaaten, wenn nicht in allen o.g. Staaten, registriert und eine entsprechende Deklaration abgibt.
1 So z.B. Wünnemann, IStR 2021, 27. 2 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 793. 3 Vgl. Petkova/Greil, IStR 2021, 691. 4 OECD, Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, Brochure, 8.10.2021, 14.
870 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.790 Kap. 6
3. Pillar Two (Globale Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen) a) Überblick Ziel. Durch Pillar Two („Global Anti-Base Erosion Proposal“ oder auch „GloBE“) soll ein weltweit einheitliches Mindestbesteuerungsniveau für Unternehmensgewinne zur Vermeidung der Verlagerung von Einkommen in Staaten mit niedrigen Effektivsteuersätzen („Low-Tax Jurisdictions“) erzielt werden. Am 20.12.2021 veröffentlichte die OECD die Mustervorschriften, mit denen die globale Mindestbesteuerung umgesetzt werden soll. Diese Mustervorschriften hatte der inklusive Rahmen der OECD/G20 bereits am 14.12.2021 im Konsens angenommen.
6.789
Umsetzung in der EU. Um eine kohärente und mit dem EU-Recht vereinbare Umsetzung der GloBE-OECD- Mustervorschriften zu gewährleisten, hat die Europäische Kommission am 22.12.2021 einen Entwurf für eine EU-Richtlinie über das allgemeine Mindeststeuerniveau für multinationale Konzerne in der EU vorgelegt.1 Zum Erlass der EU-Richtlinie ist die Erzielung einer einstimmigen Einigung der Mitgliedstaaten im Rat „Wirtschaft und Finanzen“ (ECOFIN-Rat) notwendig.2 Bei der Tagung des ECOFIN-Rates am 5.4.2022 konnte die notwendige Einstimmigkeit über den Richtlinienentwurf zur globalen Mindestbesteuerung trotz eines weiteren Kompromissvorschlags hinsichtlich einer Verschiebung des GloBE-Erstanwendungszeitpunkts vom 1.1.2023 auf alle Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2023 beginnen, zumindest noch nicht erzielt werden. Grundlegende Methodik. Durch Pillar Two soll ein Mindestbesteuerungsniveau von 15 % erzielt werden. D.h. Erträge von Geschäftseinheiten eines Konzerns, die unterhalb dieses Niveaus besteuert werden, sollen bei der Konzernmutter einer zusätzlichen Steuer unterliegen. Unter Geschäftseinheiten werden Rechtsträger oder Betriebsstätten verstanden, die Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe oder einer großen inländischen Gruppe sind.3 Die Zusatzsteuer (auch als „Ergänzungssteuer“ oder „Top-up Steuer“ bezeichnet) soll nicht dazu führen, dass alle Geschäftseinheiten dem lokalen Steuerniveau der Konzernmutter unterliegen, sondern sie soll die Differenz zum Steuerniveau von 15 % ausmachen. Das Besteuerungsniveau wird damit für niedrig besteuerte Geschäftseinheiten nicht einheitlich auf das Besteuerungsniveau der Konzernmuttergesellschaft, sondern auf 15 % heraufgeschleust. Umgesetzt werden soll dies durch eine (i) „Income Inclusion Rule“ („IIR“) sowie eine (ii) ursprünglich „Undertaxed Payment Rule“/mittlerweile bezeichnet als „Untertaxed Profit Rule“ („UTPR“). Außerdem wird eine „Subject to Tax Rule“ („STTR“) eingeführt. Durch die IIR soll eine Zusatzsteuer auf Ebene der Muttergesellschaft einer multinationalen Unternehmensgruppe oder einer großen inländischen Gruppe für niedrig besteuerte Geschäftseinheiten der Gruppe erhoben werden. Durch die UTPR sollen Abzugsbeschränkungen eingeführt werden, sofern die Besteuerung auf das Einkommen der niedrig besteuerten Geschäftseinheit nicht durch die IIR hochgeschleust wird. Die STTR ist ein abkommensrechtliches Instrument und soll die Quellenbesteuerungsbefugnisse ausweiten.4
1 Vorschlag für eine Richtlinie (EU) des Rates zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppe in der Union durch die Europäische Kommission v. 22.12.2021, 15294/21, Bundesrat Drucks. 55/22. 2 https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/qanda_21_6967. 3 OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, 2021, Article 1.3.1. 4 OECD, Two-Pillar Solution to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, Brochure, 8.10.2021, 8.
Ditz/Kluge | 871
6.790
Kap. 6 Rz. 6.791 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
b) Anwendungsbereich
6.791
Anwendungsbereich – rein quantitativ. Unter die GloBE-Regelungen sollen multinationale Unternehmensgruppen („MNE Group“) und große inländische Gruppen fallen, die in ihren Konzernabschlüssen in mindestens zwei der vier letzten aufeinanderfolgenden Geschäftsjahre einen jährlichen Umsatzerlös von mindestens EUR 750 Mio. ausweisen.1 Anders als bei der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung sollen die Regelungen nicht auf gewisse passive ausländische Aktivitäten begrenzt sein. Vielmehr richtet sich der Anwendungsbereich allein nach dem quantitativen Merkmal des konsolidierten Umsatzes.
6.792
Betroffene Unternehmen – Umfang des Besteuerungsanteils. Nach Schätzung der OECD werden ca. 8.000 grenzüberschreitende Konzerne potentiell von der GloBE-Mindeststeuer erfasst.2 Vermeintlich sei damit der Anwendungsbereich auf wenige Unternehmen beschränkt. Dennoch sollen noch ca. 90 % aller globalen Gesellschaftsgewinne erfasst werden und damit eine hinreichende Effektivität gesichert bleiben.3
6.793
Ausnahmen. Von der Anwendung der GloBE-Regeln ausgenommen werden Rechtsträger, die nicht gewinnorientiert wirtschaften und im Allgemeininteresse liegende Tätigkeiten ausüben. Darunter fallen staatliche Rechtsträger, internationale Organisationen, Organisationen ohne Erwerbszweck und Pensionsfonds. Auch Investmentfonds und Immobilieninvestmentvehikel, die an der Spitze der Beteiligungskette stehen, werden vom Anwendungsbereich ausgenommen.4 c) Bestimmung der maßgeblichen Erträge oder Verluste
6.794
Anzuwendender Rechnungslegungsstandard. Ausgangspunkt für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage sollen die bilanziellen Nettoerträge oder -verluste der Geschäftseinheit für das Geschäftsjahr sein, die sich auf der Grundlage des für die Erstellung des Konzernabschlusses der obersten Muttergesellschaft verwendeten Rechnungslegungsstandards ergeben.5 Die Ermittlung der den einzelnen Geschäftseinheiten zuzurechnenden maßgeblichen Erträge oder Verluste soll anhand des für die Konzernobergesellschaft maßgeblichen Rechnungslegungsstandards erfolgen.6 Handelt es sich um einen anderen Rechnungslegungsstandard als IFRS oder einen anderen anerkannten Standard, darf dieser nur zur Anwendung kommen, wenn
1 OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation – of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, 2021, Article 1.1.1.; Schwarz, IStR 2022, 39. 2 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 181. 3 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 117 f. 4 OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, 2021, Article 1.5.1.; Schwarz, IStR 2022, 39 f. 5 OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, 2021, Article 3.1.1. 6 OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, 2021, Article 3.1.2.
872 | Ditz/Kluge
G. Verrechnungspreise im Bereich des e-Business | Rz. 6.797 Kap. 6
daraus keine signifikanten Verzerrungen resultieren.1 Dadurch sollen die Beurteilungsmaßstäbe vereinheitlicht, eine international einheitliche Berechnung der Effektivsteuerbelastung sichergestellt und einem „accounting standard shopping“ entgegengewirkt werden.2 Des Weiteren soll die Mehrfachberechnung der betroffenen Gewinne in Abhängigkeit der jeweiligen nationalen steuerbilanziellen Vorgaben vermieden werden.3 Anwendung von HGB. Da die Rechnungslegungsgrundsätze der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu den von der OECD anerkannten Rechnungslegungsstandards zählen4, dürfte ein Konzernabschluss nach HGB als hinreichend äquivalent angesehen werden. Relevant ist dies insbesondere für deutsche Personengesellschaftskonzerne bzw. Familiengesellschaften, die üblicherweise nicht kapitalmarktorientiert sind und deshalb den Konzernabschluss nach HGB aufstellen.
6.795
Anpassungen zur Bestimmung der maßgeblichen Erträge oder Verluste. Im Anschluss an die Ermittlung der bilanziellen Nettoerträge oder -verluste sind Anpassungen vorzunehmen. So sind die bilanziellen Nettoerträge oder -verluste bspw. hinsichtlich Dividenden, die nicht aus einer Portfolio-Beteiligung stammen, asymmetrischen Wechselkursgewinnen oder -verlusten, grundsätzlich unzulässigen Aufwendungen, wie Schmiergelder oder (mindestens EUR 50.000 betragende) Bußgelder, Fehlern aus früheren Perioden sowie Änderungen der Rechnungslegungsgrundsätze und aufgelaufenen Vorsorgeaufwendungen anzupassen.5
6.796
d) Effektivbesteuerung („Jurisdictional Blending“) Ermittlung der Effektivbesteuerung. Die Effektivsteuerbelastung ist staatenbezogen zu berechnen („jurisdictional blending“). Deshalb ist für die Ermittlung der Effektivsteuerbelastung zunächst jede in den Anwendungsbereich der Mindestbesteuerung fallende Geschäftseinheit („Constituent Entity“) geographisch einem Ansässigkeitsstaat zuzuordnen. Daran orientiert sich dann die territoriale Zurechnung der GloBE Nettoerträge als Grundlage für die Berechnung der staatenbezogenen Effektivsteuerlast. Für die Feststellung, ob eine „Low-Tax-Jurisdiction“ vorliegt, ist für alle Länder, in denen eine Unternehmensgruppe tätig ist, die „Effective Tax Rate“ je Land zu bestimmen. Dafür sind die für eine Steuerjurisdiktion für das jeweilige Geschäftsjahr zu berücksichtigenden Steuern („Adjusted Covered Taxes“)6 ins Verhältnis zu
1 OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, 2021, Article 10.1.1. „Acceptable Financial Accounting Standard“, „Consolidated Financial Statements“. Neben den IFRS werden die allgemein anerkannten Rechnungslegungsgrundsätze (GAAP) Australiens, Brasiliens, Kanadas, der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums, Hongkongs (China), Japans, Mexikos, Neuseelands, der Volksrepublik China, der Republik Indien, der Republik Korea, Russlands, Singapurs, der Schweiz, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika anerkannt. 2 Dourado, Intertax 2020, 155; Englisch, FR 2021, 7. 3 Englisch, FR 2021, 9. 4 OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, 2021, Article 10.1.1. „Acceptable Financial Accounting Standard“. 5 OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, 2021, Article 4.1. 6 OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, 2021, Article 3.2.
Ditz/Kluge | 873
6.797
Kap. 6 Rz. 6.797 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
den ermittelten GloBE Nettoerträgen („Net GloBE Income“) zu setzen.1 Zu den angepassten erfassten Steuern zählen Körperschaftsteuern und gleichwertige Steuern, die diesem Zeitraum für dieses Steuerhoheitsgebiet zuzuordnen sind.2 Steuern auf Betriebsstättengewinne, die im Staat des Stammhauses nach der Anrechnungsmethode einer ergänzenden Besteuerung unterliegen, werden ebenfalls im Niederlassungsstaat der Betriebsstätte berücksichtigt.3 Nicht in die Ermittlung der Effektivsteuerlast einzubeziehen sind indirekte Steuern auf den Konsumaufwand, Verkehrssteuern, Lohnsteuern und Vermögensteuern.4 Ebenfalls nicht berücksichtigungsfähig sind alle Arten von Digitalsteuern, weil diese auf Bruttobasis bzw. vom Umsatz erhoben werden.5
6.798
Steuerzuschlag. Liegt die effektive Steuerbelastung nach Verlustberücksichtigung und Abzug lokaler Steuervorträge („Adjusted ETR“) unter dem Mindeststeuersatz, ist durch Gegenüberstellung des Mindeststeuersatzes und der „Adjusted ETR“ ein länderspezifischer prozentualer Steuerzuschlag („Top Up Tax Percentage“) zu berechnen.6 Dieser Steueraufschlag ist im Anschluss auf jede Konzerneinheit mit positivem „Adjusted GloBE Income“7 des jeweiligen Landes anzuwenden.
6.799
Ausnahmen und Glättungen. Die berechnete Effektivsteuerlast stellt nur eine vorläufige Größe dar. Der Blueprint zu Pillar Two sieht diverse Instrumente zur Glättung temporaler Differenzen zwischen handels- und steuerbilanziellen Gewinnen vor. Ermittelt wird demnach ein eigenständiger Verlustvortrag i.R.d. Pillar Two. Dieser ist unabhängig von nationalen Verlustabzugsmöglichkeiten.8 Die vorrangige Berücksichtigung von nachträglichen Veränderungen der Besteuerungshöhe (z.B. infolge einer Betriebsprüfung) erfolgt über eine Berichtigung dieser Steuervorträge.9
6.800
Vereinfachungen. Grundsätzlich erfordert Pillar Two komplexe Steuerberechnungen. Dennoch sind einige Vereinfachungsmaßnahmen zur Reduktion der Anzahl der notwendigen Effektivsteuerberechnungen und der damit einhergehenden Befolgungskosten sowie des Verwaltungsaufwands geplant.10 Die genaue Ausgestaltung ist noch offen. 1 OECD, Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two): Inclusive Framework on BEPS, 2021, Article 5.1.1.; Ermittlungsschema „GloBe Income“ vgl. Hierstetter, IStR 2020, 876. 2 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 134 ff. 3 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 280. 4 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 146 ff. 5 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 148; kritisch Englisch, FR 2021, 9. 6 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 371 ff. 7 Das „Adjusted GloBe Income“ ist das Einkommen (und der Verlust) aller in der Jurisdiktion ansässigen Unternehmenseinheiten für das Jahr, verringert um den Verlustvortrag der Jurisdiktion, OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, 102. 8 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 288 ff. 9 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 323 ff. 10 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 103 ff.
874 | Ditz/Kluge
H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.805 Kap. 6
e) Erhebungsformen der „Top up Tax“
Präferenz für IIR. Die „Top Up Tax“ soll vorrangig im Wege einer „Income Inclusion Rule“ erhoben werden.1 Die Erhebung der „Top Up Tax“ bei abkommensrechtlich freigestellten Betriebsstättengewinnen soll durch eine im DBA zu verankernde Switch-over-Klausel abgesichert werden.
6.801
Steuerschuldner. Grundsätzlich ist die Konzernobergesellschaft als Steuerschuldnerin der „Top Up Tax“ für eine bestimmte, in einem Niedrigsteuerstaat ansässige Konzerneinheit (ggf. anteilig i.H.d. unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligungsquote) vorgesehen.2 Sofern der Ansässigkeitsstaat der Konzernobergesellschaft keine Pillar Two-konforme „Income Inclusion Rule“ aufweist, soll die Zuschlagsteuer bei der Zwischenholding erhoben werden, die als erste in der Beteiligungskette in einem Staat mit einer „Income Inclusion Rule“ ansässig ist („Top-Down-Ansatz“).
6.802
UTPR. Subsidiär gelangt die „Undertaxed Profit Rule“ zur Anwendung, soweit die „Top Up Taxes“ nicht hinreichend erhoben werden konnte. Durch die subsidiäre Erhebung sollen Besteuerungslücken durch fehlende Implementierung der Pillar Two Grundsätze geschlossen werden. Es sollen ebendort Anreize für die Einführung einer Pillar Two-konformen Mindeststeuer gesetzt werden.
6.803
Die Erhebung der „Top Up Tax“ erfolgt bei der UTPR ausgehend von den Konzerneinheiten, die direkt Zahlungen an niedrig besteuerte Konzerneinheiten leisten, ohne selbst niedrig besteuert zu sein.3 Ein Unternehmen einer multinationalen Unternehmensgruppe hat dann einen zusätzlichen Steueraufwand in Höhe seines Anteils an der Top Up Tax, die nach der IIR für die niedrig besteuerten Unternehmen der Gruppe nicht erhoben wurde.
STTR. Der Blueprint zu Pillar Two sieht außerdem die Einführung bilateraler „Subject to Tax Rules“ vor. Diese sollen unabhängig und vorrangig zur „Income Inclusion Rule“ und „Undertaxed Profti Rule“ wirksam sein. Folge wäre die Betrachtung einzelner Einkünftebestandteile („Items of Income“). Betroffen wären Zins- und Lizenzzahlungen sowie Zahlungen mit bestimmten „mobile features“.4 Sofern diese Zahlungen beim Empfänger nicht einem Mindeststeuersatz unterliegen, ist gem. der „Subject to Tax Rule“ eine „Top Up Tax“ an der Quelle zu erheben.
6.804
H. Verrechnungspreise bei Versicherungen I. Grundlagen 1. Versicherungsunternehmen Definition. Für Versicherungsunternehmen existiert keine eigene ertragsteuerliche Definition, so dass auf die handels- und aufsichtsrechtlichen Bestimmungen zurückgegriffen werden kann. Gem. § 341 Abs. 1 Satz 1 HGB fallen unter den Begriff „Versicherungsunternehmen“ Erst- und Rückversicherer, die den Betrieb von Versicherungsgeschäften zum Gegenstand haben und nicht Träger der Sozialversicherung sind. Diese Definition ähnelt der aufsichtsrecht1 Englisch, FR 2021, 10. 2 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 416 ff. 3 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 498 ff. 4 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint, 2020, Rz. 590 ff.
Ditz/Kluge und Karnath | 875
6.805
Kap. 6 Rz. 6.805 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
lichen Definition eines Versicherungsunternehmens nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 Nr. 33 VAG.1 Ausgenommen sind nach § 341 Abs. 1 Satz 2 HGB Versicherungsunternehmen, die auf Grund von Gesetz, Tarifvertrag oder Satzung ausschließlich für ihre Mitglieder oder die durch Gesetz oder Satzung begünstigten Personen Leistungen erbringen oder als nicht rechtsfähige Einrichtungen ihre Aufwendungen im Umlageverfahren decken, es sei denn, sie sind Aktiengesellschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit oder rechtsfähige kommunale Schadenversicherungsunternehmen (Anstalten). Der Betrieb von Versicherungsgeschäften erfordert dabei ein rechtsgeschäftliches Garantieversprechen des Unternehmens, durch das es für den Fall des Eintritts eines ungewissen Ereignisses eine bestimmte Leistung übernimmt, wobei das übernommene Risiko auf eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt wird und der Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt.2 Die Finanzverwaltung versteht darunter Geschäfte, bei denen gegen Prämienzahlung für den Fall eines ungewissen Ereignisses bestimmte Leistungen versprochen werden, wobei das übernommene Risiko auf eine Vielzahl von Personen verteilt wird. Der Risikoübernahme liegt dabei eine auf dem Gesetz der großen Zahlen beruhende Kalkulation zugrunde.3
6.806
Niederlassungen. Als Versicherungsunternehmen in diesem Sinne gelten auch inländische Betriebsstätten ausländischer Versicherungsunternehmen. Dies gilt unabhängig davon, ob das Stammhaus seinen Sitz in der EU/dem EWR oder in Drittstaaten hat. Betreibt ein Erstversicherungsunternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder in einem anderen Vertragsstaat des EWR das Versicherungsgeschäft über eine Niederlassung oder im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit im Inland, ist hierfür nach Maßgabe des § 61 VAG keine Erlaubnis der BaFin erforderlich. Rückversicherungsunternehmen mit Sitz in der EU oder dem EWR dürfen im Inland durch eine Niederlassung oder im Dienstleistungsverkehr das Rückversicherungsgeschäft betreiben, wenn sie über eine Solvency II-konforme Zulassung der Aufsichtsbehörde des Herkunftslands verfügen (§ 169 Abs. 1 VAG).4 Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat brauchen zum Betrieb des Versicherungsgeschäfts im Inland gem. § 67 Abs. 1 VAG eine Erlaubnis durch die deutsche Versicherungsaufsicht. Voraussetzung für die Erlaubnis ist, dass das Versicherungsunternehmen eine Niederlassung im Inland errichtet (§ 68 Abs. 1 VAG).
6.807
Captives. Als Versicherungsunternehmen für Zwecke der Ertragsteuer gelten auch Captives, die als konzerninterne Versicherungsunternehmen organisiert sind und Risiken verbundener Unternehmen versichern. Voraussetzung für die steuerliche Behandlung als Versicherungsunternehmen ist, dass die konzerninterne Versicherung auf dem Gesetz der großen Zahlen und einem Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit beruht, die Versicherungsprämien nach versicherungsmathematisch anerkannten Grundsätzen ermittelt werden und ein An-
1 Ein direkter Verweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 VAG findet sich in § 23 BsGaV, der Sondervorschriften für die Betriebsstättengewinnaufteilung nach § 1 Abs. 5 AStG bei Versicherungsunternehmen enthält und auf Betriebsstätten von Versicherungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 VAG, die Versicherungsgeschäfte betreiben, anzuwenden ist. 2 Vgl. BVerwG v. 22.3.1956 – I C 147.54, BVerwGE 3, 220; v. 25.11.1986 – 1 C 54/81 –, BVerwGE 75, 155; ähnlich auch BFH v. 30.3.2015 – II B 79/14, BFH/NV 2015, 1013. 3 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571 – VWG BsGa, BStBl. I 2017, 182, Rz. 280. 4 Vgl. hierzu ausführlich Hommel/Pauly-Grundmann/Kunkel in MüKo HGB, 4. Aufl., § 341, Rz. 25 ff.
876 | Karnath
H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.809 Kap. 6
spruch auf Versicherungsleistung im Schadenfall besteht.1 Dabei ist zu beachten, dass die Anerkennung einer konzerninternen Risikoverlagerung für Zwecke der konzerninternen Gewinnaufteilung, unabhängig davon, ob in Form einer Captive oder im Rahmen anderer Vertragsverhältnisse2, seit der Überarbeitung der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 20173 durch das BEPS-Projekt der OECD/G20 grundsätzlich hohen Anforderungen unterliegt.4 Für Captives wurden dabei mit Ergänzung der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 2020 die Anforderungen für die Anerkennung einer Risikoübertragung begrenzt, wobei lediglich noch erforderlich ist, dass das rückversichernde und risikoaufnehmende Unternehmen die Risikominderungsfunktion übernimmt und ausübt sowie über die finanzielle Kapazität verfügt, die versicherten Risiken zu tragen.5 Im Verhältnis zwischen Versicherungsstammhaus und Versicherungsbetriebsstätte sieht § 28 BsGaV überdies vor, dass ein versicherungstechnisches Risiko, das einer Versicherungsbetriebsstätte nach § 24 BsGaV zugeordnet ist, nicht über eine Rückversicherung dem Stammhaus zugeordnet werden kann. Anwendung von § 1 AStG. Für grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Versicherungsunternehmen gilt der Fremdvergleichsgrundsatz des § 1 AStG. Grundsätzlich sind dabei keine Besonderheiten im Vergleich zu Unternehmen anderer Branchen zu beachten. In Teil IV des OECD-Betriebsstättenberichts 20106 sind jedoch Regelungen zur Verrechnungspreisermittlung typischer Leistungsbeziehungen von Versicherungsunternehmen enthalten, die nicht nur auf Betriebsstättensachverhalte, sondern auch auf Transaktionen zwischen verbundenen Versicherungsunternehmen anzuwenden sind (siehe nachfolgend Rz. 6.817 ff.). Besonderheiten ergeben sich jedoch insbesondere bei der Gewinnabgrenzung von Versicherungsbetriebsstätten nach § 1 Abs. 5 AStG, für die mit Abschnitt 3 der BsGaV und Teil IV des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 nationale und internationale Spezialvorschriften existieren (siehe nachfolgend Rz. 6.863 ff.).
6.808
2. Versicherungsbetriebsstätten a) Hintergrund der Spezialvorschriften für Versicherungsbetriebsstätten Entwicklung. Die Gewinnabgrenzung einer Versicherungsbetriebsstätte im grenzüberschreitenden Kontext erfolgt unter der Annahme der vollständigen Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Betriebsstätte gemäß § 1 Abs. 5 AStG. Die Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte ist Ergebnis der Arbeiten der OECD zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach dem Authorized OECD Approach (AOA). 2008 veröffentlichte die OECD einen Bericht zur Anwendung des AOA auf Betriebsstätten im Allgemeinen sowie auf Bankbetriebsstätten, Betriebsstätten im Bereich Global Trading und Versicherungsbetriebsstätten im Speziellen (OECD Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 17.7.2008). Der Bericht wurde 2010 geringfügig angepasst, um Referenzen zum Abkommenstext zu Art. 7 OECD-MA aus den Jahren vor 2010 und damit vor der Umsetzung des AOA in Art. 7 OECD-MA 2010 zu beseitigen. In Teil IV des OECD-Betriebsstättenberichts 1 2 3 4
Vgl. Goverts in Bott/Walter, § 20 KStG, Rz. 34 (Stand: Oktober 2017). Z.B. im Rahmen eines Auftragsforschungs- oder Auftragsfertigungsverhältnisses. OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations, 2017. Hierzu zählt die Ausübung der Risikosteuerung („Control over Risk“) und die finanzielle Kapazität, die übernommenen Risiken zu tragen (Rz. 1.60 und 1.61 OECD-Leitlinien 2022. 5 Tz. 10.195 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 22.7.2010, http:// www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/45689524.pdf, Part IV (nachfolgend OECD-Betriebsstättenbericht 2010).
Karnath | 877
6.809
Kap. 6 Rz. 6.809 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
20101 ist nun die finale Fassung der Sonderregelungen zur Anwendung des AOA auf Versicherungsbetriebsstätten unter der Neufassung von Art. 7 OECD-MA aus dem Jahr 2010 enthalten.2 In Deutschland wurde der AOA durch § 1 Abs. 5 AStG in nationales Recht umgesetzt, der für Wirtschaftsjahre anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2012 beginnen. Die Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG ist in der BsGaV geregelt, die im dritten Abschnitt ebenfalls Sonderregelungen zu Versicherungsbetriebsstätten enthält und erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2014 beginnen. Dabei nimmt die BsGaV auch auf den OECDBetriebsstättenbericht 2010 und die darin enthaltenen Sondervorschriften für die Versicherungsbranche Bezug.3 Ziel des Verordnungsgebers ist dabei, den OECD-Betriebsstättenbericht 2010 auch auf nationaler Ebene umzusetzen, so dass international die Betriebsstättenbesteuerung an einem einheitlichen Standard, dem Fremdvergleichsgrundsatz, ausgerichtet wird.4 Weitere Spezialvorschriften sind in den Verwaltungsgrundsätzen Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) aus dem Jahr 20165 enthalten sowie auch noch in den Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen aus dem Jahr 19996.
6.810
Branchenspezifische Spezialregelungen. Die allgemeinen Regelungen des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 nach Einführung des AOA in Art. 7 OECD-MA 2010 und der entsprechenden Umsetzung auf nationaler Ebene in § 1 Abs. 5 AStG gelten grundsätzlich für alle Branchen und Unternehmen. Dies betrifft die steuerliche Fiktion der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Betriebsstätte und dem aus dieser Fiktion resultierendem Erfordernis der Zuordnung von (Personal-)Funktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken sowie Dotationskapital zur Betriebsstätte. Die Zuordnung erfolgt dabei nach § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG schrittweise: zunächst sind der Betriebsstätte Funktionen und Vermögenswerte zuzuordnen und erst anschließend und darauf aufbauend die Chancen und Risiken, die auf Grundlage der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerten übernommen werden. Die Zuordnung von Risiken folgt somit der Zuordnung von Funktionen und Vermögenswerten. Dieses Vorgehen führt jedoch in den Branchen, in denen ein direkter Zusammenhang zwischen der Übernahme von Risiken und der Zuordnung von Vermögenswerten besteht, nicht zu angemessenen Ergebnissen. Ein solcher direkter Zusammenhang besteht insbesondere bei finanziellen Vermögenswerten von Finanzunternehmen und den damit verbundenen Chancen und Risiken des Unternehmens, da in der Regel dieselben Personalfunktionen sowohl für die Übernahme von Risiken als auch für das wirtschaftliche Eigentum an den damit zusammenhängenden Vermögenswerten zuständig sind. Im Hinblick auf die Zuordnung von Vermögenswerten betrifft dies insbesondere die Zuordnung von Bankdarlehen bei Bankinstituten, Finanzprodukten von Unternehmen im Bereich des Global Trading sowie Kapitalanlagevermögen zur Deckung von Eigenkapital und Rückstellungen in der Versicherungsbranche. Für diese Branchen wurden deshalb von der OECD gesonderte Regelungen zur Anwendung des AOA und die Umsetzung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte erarbeitet. Ausgangspunkt der Zuordnung ist dabei die unternehmerische Risikoübernahmefunktion (key entrepreneurial risk-taking function, KERT function), die die Bedeutung des Risikos im Rahmen der einzelnen Zuordnungsschritte für die Gewinnaufteilung und den Zusammenhang 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV. 2 Die Neufassung des Art. 7 OECD-MA 2010 entspricht der aktuellen Fassung des Art. 7 OECDMA nach dem Update des OECD-MA 2017. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 109; ebenso: VWG BsGa, Tz. 2.23, Rz. 279. 4 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 41. 5 BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571 – VWG BsGa, BStBl. I 2017, 182. 6 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 4.2.
878 | Karnath
H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.813 Kap. 6
zwischen Vermögenswerten und Risiken abbildet.1 Die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ersetzt nicht nur die Personalfunktion gemäß § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG, sondern sie führt auch zu einer von § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG abweichenden Abfolge in der Zuordnung von Funktionen, Chancen, Risiken, Vermögenswerten und Dotationskapital.
Allgemeine Regelungen der BsGaV. Die Betriebsstättengewinnermittlung von Versicherungsunternehmen richtet sich nach den allgemeinen Regelungen des ersten Abschnitts der BsGaV, sofern keine Spezialvorschrift für Versicherungsbetriebsstätten anwendbar ist. Damit sind aus dem ersten Abschnitt der BsGaV die Regelungen zur Zuordnung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern, von Beteiligungen und Finanzanlagen (§§ 5–7 BsGaV) und von Finanzierungsaufwendungen (§ 15 BsGaV) anwendbar sowie die Regelungen zu den anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (§§ 16, 17 BsGaV) und zur Hilfs- und Nebenrechnung nach § 3 BsGaV. Der erste Abschnitt der BsGaV ist auch in den Fällen heranzuziehen, in denen das Versicherungsunternehmen auch andere Geschäftsaktivitäten außerhalb des eigentlichen Versicherungsgeschäfts ausübt.2 In Fällen einer gemischten Tätigkeit kann dabei das Dotationskapital der Versicherungsbetriebsstätte aus Vereinfachungsgründen nach den Spezialvorschriften für Versicherungsbetriebsstätten gem. §§ 25 und 26 BsGaV ermittelt werden.3
6.811
Versicherungsbetriebsstätte. Eine Versicherungsbetriebsstätte kann entweder über eine Niederlassung oder durch eine Vertreterbetriebsstätte begründet werden. Eine Niederlassung eines Versicherungsunternehmens in einem anderen Staat führt regelmäßig zu einer Betriebsstätte dieses Versicherungsunternehmens in diesem Staat nach Art. 5 Abs. 1 OECD-MA und § 12 AO. Wird das Versicherungsgeschäft im Dienstleistungsverkehr über einen abhängigen Vertreter des Versicherungsunternehmens erbracht, der im anderen Staat die Vollmacht hat, Verträge im Namen des Versicherungsunternehmens abzuschließen, und übt er diese Vollmacht regelmäßig aus, wird dadurch eine Vertreterbetriebsstätte im Sinne des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA bzw. § 13 AO begründet. Für beide Betriebsstättenarten sind die Sondervorschriften für Versicherungsbetriebsstätten anzuwenden.4 Darüber hinaus enthalten einige DBA spezifische Regelungen für Versicherungen, wonach ein Versicherungsunternehmen auch dann eine Betriebsstätte im anderen Staat begründet, wenn es dort durch einen abhängigen Vertreter Prämien empfängt oder durch den Vertreter in diesem Staat belegene Risiken versichert (z.B. DBA-Frankreich). Auch in diesem Fall sind die Sondervorschriften für Versicherungsbetriebsstätten anwendbar.
6.812
b) Zweistufiger Ansatz der Gewinnaufteilung Zweistufiger Ansatz der Gewinnaufteilung. Die Betriebsstättengewinnaufteilung für Unternehmen der Versicherungsbranche entspricht dem zweistufigen Ansatz der Gewinnaufteilung für Betriebsstätten im Allgemeinen.5 In der ersten Stufe wird die Betriebsstätte als eigenständiges und unabhängiges Unternehmen unter Anwendung der folgenden Schritte abgegrenzt: (i)
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Die Identifizierung der Funktionen, die Bestandteil der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion sind und damit für die Übernahme des Versicherungsrisikos und die Zuordnung dieses Risikos zur Betriebsstätte entscheidend sind. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part I, Rz. 16. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 109; ebenso: VWG BsGa, Tz. 2.23, Rz. 281. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.23, Rz. 281. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 67. Vgl. zur nachfolgenden Übersicht OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 90.
Karnath | 879
6.813
Kap. 6 Rz. 6.813 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
(ii)
Die auf Schritt (i) basierende Zuordnung von Versicherungsverträgen sowie der damit verbundenen Risiken in Form versicherungstechnischer Rückstellungen.
(iii) Die Bestimmung eines angemessenen Anteils an den Kapitalanlagen des Versicherungsunternehmens, die zur Bedeckung des Versicherungsrisikos der Betriebsstätte erforderlich sind, und die Zuteilung dieser Kapitalanlagen zur Betriebsstätte. (iv) Die Identifizierung der wesentlichen Personalfunktionen für die Übernahme anderer Risiken und die Zuordnung dieser Risiken zur Betriebsstätte. (v)
Die Identifizierung der wesentlichen Personalfunktionen für die Zuordnung der sonstigen Vermögenswerte und die Zuordnung dieser Vermögenswerte zur Betriebsstätte.
(vi) Die Identifizierung sonstiger Funktionen der Betriebsstätte. (vii) Die Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen des Versicherungsunternehmens zur Betriebsstätte. (viii) Die Ermittlung des Dotationskapitals der Betriebsstätte. (ix) Die Identifizierung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen der Betriebsstätte und den anderen Teilen des Versicherungsunternehmens. (x)
Die Verrechnungspreisermittlung für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen der Betriebsstätte.
6.814
Anwendung der Spezialvorschriften im ersten Schritt. Die Schritte (i) bis (iii) sowie (vii) und (viii) stellen dabei den Schwerpunkt des ersten Schritts der Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte dar. Für sie gelten vorrangig die Spezialvorschriften des dritten Abschnitts der BsGaV. Die übrigen Schritte entsprechen dem allgemeinen Vorgehen der Gewinnabgrenzung für Betriebsstätten aller Branchen, für die der erste Abschnitt der BsGaV zur Anwendung kommt. Das Ergebnis der ersten Stufe (Schritte (i) bis (viii)) ist die fiktive Gleichstellung einer Betriebsstätte mit einem eigenständigen und unabhängigen Unternehmen. Auf der zweiten Stufe der Gewinnaufteilung (Schritte (ix) bis (x)) sind auf Basis einer Vergleichbarkeitsanalyse angemessene Verrechnungspreise für die Geschäftsvorfälle der Betriebsstätte mit verbundenen Unternehmen sowie für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus bzw. anderen Betriebsstätten im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG zu bestimmen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz des § 1 Abs. 1 AStG entsprechen. Hierfür kommen die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 1 und 3 AStG sowie der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien zur Anwendung.
6.815
Unternehmerische Risikoübernahmefunktion als Ausgangspunkt. Ausgangspunkt der Gewinnaufteilung zwischen dem Stammhaus eines Versicherungsunternehmens und seiner Betriebsstätte ist die Identifizierung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion des Versicherungsunternehmens, die ursächlich für die Übernahme von Versicherungsrisiken ist. Die Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion erfordert eine aktive Entscheidungsfindung hinsichtlich der Übernahme des Versicherungsrisikos, mithin die Entscheidung, einen Versicherungsvertrag abzuschließen. Dem Unternehmensteil, der die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in Bezug auf einen spezifischen Versicherungsvertrag ausübt, ist dieser Vertrag sowie das damit verbundene Versicherungsrisiko in Form versicherungstechnischer Rückstellungen und Eigenkapital zuzuweisen.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.818 Kap. 6
Höhe der versicherungstechnischen Rückstellungen und des Eigenkapitals. Im Rahmen der Betriebsstättengewinnaufteilung ist der Versicherungsbetriebsstätte neben den versicherungstechnischen Rückstellungen auch ein Anteil am Eigenkapital des Versicherungsunternehmens zuzuordnen. Die versicherungstechnischen Rückstellungen und das Eigenkapital sind mit Vermögenswerten des Versicherungsunternehmens zu bedecken, die der Versicherungsbetriebsstätte ebenfalls zuzuordnen sind. Dabei besteht das Problem, dass auf Ebene der OECD-Länder kein international abgestimmter und akzeptierter Standard existiert, der als Grundlage für eine international einheitliche Aufteilungsvorschrift über die Höhe der für ein bestimmtes Versicherungsrisiko zu bildenden Rückstellungen und des erforderlichen Eigenkapitals dienen könnte.1 Während in einigen Jurisdiktionen höhere Rückstellungserfordernisse im Vergleich zur Eigenkapitalausstattung gelten, bestehen in anderen Ländern strengere Vorschriften hinsichtlich des Eigenkapitals und dafür niedrigere Rückstellungserfordernisse. In der Summe betrachtet weichen die Vorschriften bei der Bestimmung des Gesamtbetrags der Kapitalanlagen eines Versicherungsunternehmens jedoch nicht stark voneinander ab.2 Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 enthält deshalb (lediglich) Regelungen zur Ermittlung des gesamten Betrags an Vermögenswerten, die der Versicherungsbetriebsstätte zur Deckung des von ihr übernommenen Versicherungsrisikos zuzuordnen sind und sowohl die versicherungstechnischen Rückstellungen als auch das Eigenkapital bedecken.
6.816
II. Fiktion der Betriebsstätte als eigenständiges und unabhängiges Unternehmen 1. Zuordnung von Funktionen und Risiken zur Betriebsstätte a) Funktionen und Risiken von Versicherungsunternehmen aa) Typische Funktionen Funktionsanalyse. Der erste Schritt in der Umsetzung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte ist die Identifizierung der Funktionen des Versicherungsunternehmens, die der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Hierfür ist eine Funktionsanalyse für das gesamte Unternehmen durchzuführen. Sowohl die Funktionen selbst als auch ihre jeweilige Bedeutung für die Übernahme des Versicherungsrisikos sind dabei zu analysieren, wobei die Relevanz einer spezifischen Funktion für ein Versicherungsunternehmen je nach Branche unterschiedlich ausfallen kann. So ist für die Bedeutung einer Funktion für ein Versicherungsunternehmen z.B. entscheidend, ob es sich um einen Erst- oder Rückversicherer handelt oder ob Standardprodukte im Massengeschäft oder einzelne große Risiken versichert werden. Eine pauschale Aussage darüber, welche Funktion eines Versicherungsunternehmens regelmäßig die unternehmerische Risikoübernahmefunktion darstellt, ist daher nicht möglich und würde auch dem einzelfallspezifischen und funktionsbasierten Fremdvergleichsgrundsatz widersprechen.
6.817
Typische Funktionen von Versicherungsunternehmen. Zu den typischen operativen Funktionen eines Versicherungsunternehmens zählen insbesondere folgende Funktionen:
6.818
– Produktmanagement/Produktentwicklung: Diese Funktion umfasst die risikotechnische, rechtliche und mathematische Ausgestaltung der Versicherungsprodukte. Dabei ist der Versicherungsschutz in qualitativer, quantitativer, zeitlicher und geografischer Hinsicht zu bewerten. Im Rahmen der Produktentwicklung werden insbesondere folgende Aktivitäten
1 Innerhalb der EU existiert über die Solvency II-Richtlinie bereits eine einheitliche Regelung. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 75.
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Kap. 6 Rz. 6.818 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
ausgeübt: Marktforschung, Erhebung und Pflege von Schadenstatistiken, gesetzliche Festlegung des Deckungsumfangs und Berechnung der Prämie in Abhängigkeit der spezifischen Merkmale des Versicherungsschutzes.1 – Vertrieb und Marketing: Die Marketingfunktion beinhaltet die Festlegung der Marketingstrategie, die beispielsweise nach Produkten, Ländern oder Märkten segmentiert werden kann.2 In der Verkaufsphase werden der Schadensumfang und die Anforderungen des Kunden analysiert und ein entsprechendes Angebot erstellt.3 Im Rahmen des Customer Relationship Management findet anschließend eine laufende Analyse des Versicherungsbedarfs des Kunden statt, einschließlich der Identifizierung und Nutzung von Cross-Selling-Möglichkeiten und der Bearbeitung von Kundenbeschwerden. Dabei können auch Risiken für das Versicherungsunternehmen entstehen, wenn die Vertriebs- und Marketingfunktionen nicht ordnungsgemäß ausgeführt werden, so dass die Produkte z.B. dem Kunden nicht richtig erklärt werden oder das Produkt für den Kunden nicht geeignet ist.4 Die Vertriebs- und Marketingfunktion hängt dabei von der Art der Versicherung ab. So zielt beispielsweise die Lebens-(Erst-)Versicherung auf den Einzelhandelsmarkt ab, wodurch sich die Art der Marketingfunktion deutlich von der eines Lebensrückversicherers unterscheidet, bei dem der Markt aus anderen Versicherungsunternehmen besteht. Die Vertriebs- und Marketingfunktionen kann dabei von unabhängigen Agenten und Maklern, von eigenen Vertriebsmitarbeitern des Versicherungsunternehmens oder von den Vertriebsmitarbeitern z.B. einer Bank durchgeführt werden.5 – Zeichnungsprozess: Der Zeichnungsprozess ist der Prozess der Klassifizierung, Auswahl und Preisgestaltung der zu versichernden Risiken. Auch hier variieren die Durchführung und Bedeutung dieser Funktion je nach Art des Versicherungsprodukts und den Umständen des Einzelfalls. So kann die Risikoselektion als Teil des Zeichnungsprozesses weniger wichtig für bestimmte Arten von standardisierten Produkten (z. B. Lebensversicherungsprodukte mit geringem Wert) und für das Rückversicherungsgeschäft sein, bei denen die Funktionen Produktentwicklung und Preisgestaltung, Vertrieb, Marketing und Risikomanagement/Rückversicherung häufig von größerer Bedeutung sind.6 Wird die Zeichnungsfunktion durch die Betriebsstätte ausgeübt, so erhält diese in manchen Fällen Unterstützung vom Stammhaus, z.B. durch die Vorgabe von Richtlinien und Parametern, die von der Betriebsstätte bei Ausübung der Zeichnungsfunktion für die einzelnen Risiken zu beachten sind. Wird die Zeichnungsfunktion dagegen vom Stammhaus ausgeübt, leistet die Betriebsstätte häufig wertvolle Unterstützung. Die einzelnen Aktivitäten im Rahmen des Zeichnungsprozesses sind deshalb im Hinblick auf ihren relativen Wertbeitrag zum Versicherungsgeschäft im Detail zu analysieren. Die Bedeutung der einzelnen Schritte des Zeichnungsprozesses für die Übernahme von Versicherungsrisiken hängt dabei maßgeblich vom einzelnen Versicherungsunternehmen und den vertriebenen Versicherungsprodukten ab. So kann die Risikoklassifizierung bei standardisierten Produkten weitgehend automatisiert sein, während bei komplexen bzw. individuell gestalteten Versicherungsverträgen wesentliche Entscheidungen im Hinblick auf die Risikoklassifizierung zu treffen sind, die das
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Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 26–27. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 29. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 30. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 31. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 32. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 34.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.818 Kap. 6
Versicherungsrisiko maßgeblich beeinflussen.1 Zu den einzelnen Schritten des Zeichnungsprozesses zählen insbesondere die folgenden Aktivitäten:2 – 1. Schritt: Festlegung der Zeichnungsstrategie. Die Zeichnungsstrategie bildet die Grundlage für die Zeichnungsentscheidung im Versicherungsgeschäft. Das Versicherungsunternehmen definiert dabei die Parameter für die Höhe des zu versichernden Risikos und bestimmt die Art und den Umfang der Geschäftstätigkeit. Die Festlegung der Zeichnungsstrategie kann einen wesentlichen Einfluss auf die Profitabilität eines Versicherungsunternehmens haben. Allerdings ist die reine Definition von Parametern, ohne weitere Beteiligung an der Annahme oder dem Management der versicherten Risiken, in der Regel nicht als unternehmerische Risikoübernahmefunktion zu charakterisieren.3 – 2. Schritt: Risikoklassifizierung und Risikoauswahl. Die Risikoklassifizierung und -auswahl ist der Zeichnungsprozess im engeren Sinn, da hier das spezifische Risiko und die Risikokategorie analysiert und die Prämien für das betroffene Risiko festgelegt werden. Die Prämienbestimmung erfolgt in Abhängigkeit vom versicherten Risiko, den Kosten und Marktbedingungen und/oder auf Basis von Prämientabellen des Versicherungsunternehmens. Darüber hinaus umfasst dieser Schritt die Risikoauswahl und die Prüfung der Risikokapazitätsgrenzen des Versicherungsunternehmens. Voraussetzung hierfür ist die Risikoklassifizierung auf Basis ausgewählter Kriterien und Statistiken. Die Bedeutung der Risikoklassifizierung und -auswahl hängt vom Einzelfall ab, insbesondere von der Art des Versicherungsgeschäfts und den Versicherungsprodukten. So ist die Risikoauswahl bei bestimmten Arten standardisierter Produkte wie auch im Bereich der Rückversicherung mit Blick auf die unternehmerische Risikoübernahmefunktion häufig von geringerer Bedeutung.4 – 3. Schritt: Preisgestaltung. Die Preisgestaltung kann ein wesentlicher Bestandteil des Zeichnungsprozesses sein, je nachdem, um welche Art von Versicherungsgeschäft und Versicherungsprodukt es sich handelt. Bei standardisierten Produkten werden die Preise für ein zu versicherndes Risiko in der Regel mit Hilfe von Prämientabellen und auf Basis der Risikoklassifizierung aus Schritt 2 festgelegt. Die Preissetzung und Festlegung der Prämientabellen kann zugleich auch Bestandteil der Produktentwicklungsfunktion sein, wobei auf detaillierte Analysen und Statistiken (z.B. über erwartete Schadensfälle) zurückgegriffen wird. Auch im Lebensversicherungsgeschäft ist die Preisgestaltung, die vom Verantwortlichen Aktuar gem. § 141 Abs. 5 VAG (§ 11a Abs. 3 VAG [a.F.]) vorgenommen wird, in der Regel eher von untergeordneter Bedeutung, da hier lediglich die Risikoauswahl und -klassifizierung stattfinden. – 4. Schritt: Analyse der Risikoweitergabe. Bestandteil des Zeichnungsprozesses kann des Weiteren die Analyse sein, welcher Anteil des versicherten Risikos vom Versicherungsunternehmen selbst getragen und welcher Teil und zu welchen Konditionen an einen Rückversicherer abgegeben werden soll. – 5. Schritt: Annahme der versicherten Risiken. Die Entscheidung, einen Versicherungsvertrag abzuschließen, ist der Schritt des Zeichnungsprozesses, der das Versicherungsunternehmen dem Versicherungsrisiko aussetzt. Die Bedeutung für den Zeichnungsprozess 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 36; VWG BsGa, Tz. 2.24.1, Rz. 286. 2 Vgl. im Folgenden VWG BsGa, Tz. 2.24.1, Rz. 285; OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 34. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 94. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 34.
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Kap. 6 Rz. 6.818 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
kann dabei jedoch unterschiedlich ausfallen. So können für die Annahmeentscheidung Mitarbeiter des Versicherungsunternehmens verantwortlich sein, die über wesentliche Entscheidungsbefugnisse, Erfahrungen und Kompetenzen im Zusammenhang mit den zu versichernden Risiken verfügen. Die Annahme der zu versichernden Risiken kann jedoch auch durch Vertriebsmitarbeiter erfolgen, die auf Grundlage vorgegebener Entscheidungsszenarien einen Versicherungsvertrag abschließen. Insbesondere für diesen Schritt des Zeichnungsprozesses ist deshalb im Detail zu analysieren, (a) welche Aktivitäten in der Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt werden und welche im übrigen Unternehmen, (b) welche Mitarbeiter mit welchen Entscheidungsbefugnissen und Kompetenzen involviert sind und (c) wie konkret die Vorgaben gegenüber der Betriebsstätte hinsichtlich der Annahme von Risiken ausgestaltet sind. – Risikomanagement und Rückversicherung: Das Gesamtrisiko eines Versicherungsunternehmens setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen, insbesondere dem Versicherungsrisiko, Geschäftsrisiko und Anlagerisiko. Das Versicherungsrisiko ist dabei häufig das wichtigste Risikoelement. Insbesondere bei Versicherungsverträgen, die über einen längeren Zeitraum abgeschlossen werden (vor allem Lebensversicherungen) ist jedoch auch das Anlagerisiko von hoher Bedeutung für den Erfolg des Versicherungsunternehmens. Zum Anlagerisiko zählt unter anderem das Risiko des Asset-Liability-Mismatch, worunter das Risiko verstanden wird, dass nicht ausreichend Liquidität über die Kapitalanlagen zur Verfügung steht, um Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen decken zu können. Daneben besteht das Risiko des Asset-Ausfalls sowie das Reinvestitions- und Volatilitätsrisiko. Um diese Risiken zu steuern, verfügen Versicherungsunternehmen über eine umfassende Bandbreite an Risikomanagementinstrumenten (u.a. Schadenregulierungspolitik, Portfoliopolitik, Rückversicherungspolitik und Anlagepolitik einschließlich ALM (Asset-LiabilityManagement)).1 Hierzu zählt auch das Kapitalmanagement, d.h. die Einrichtung und Aufrechterhaltung eines Kapitalmanagementprozesses, einschließlich der Festlegung von Zielrenditen für das Kapital und deren Überwachung sowie die Durchführung der Kapitalallokation auf die verschiedenen Geschäftsbereiche.2 Bestandteil des Risikomanagements ist auch die Entscheidung, ob ein Versicherungsrisiko über eine Rückversicherung (teilweise) auf einen Rückversicherer übertragen werden soll. Die Funktionen eines Rückversicherers sind dabei mit denen eines Erstversicherers vergleichbar. So diversifiziert der Rückversicherer die Risiken, die von mehreren Versicherern an ihn zediert werden, und kann seinerseits Risiken an andere Rückversicherer zedieren.3 – Vertrags- und Schadenmanagement: Diese Funktion umfasst die Überwachung des Versicherungsvertrags über seinen Lebenszyklus hinweg. Dazu zählen auch alle Aktivitäten im Zusammenhang mit der Abwicklung von Schadensfällen.4 – Asset Management: Der Vermögensverwaltungsprozess hat zwei Hauptfunktionen: das Investitionsmanagement und das Asset-Liability-Management. Die Investitionsmanagementfunktion umfasst die Funktionen der kurzfristigen Vermögensallokation, der Wertpapierauswahl und der Investitionsrechnung. Die kurzfristige Vermögensallokation beinhaltet die Durchführung von Anlagetransaktionen innerhalb der Grenzen der von der Asset-Liability-Management-Funktion (ALM) festgelegten Anlagerichtlinien. Die Wertpapierauswahl
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Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 38. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 39. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 40. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 42.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.820 Kap. 6
wird dabei sowohl durch die Anlagerichtlinien als auch durch lokale aufsichtsrechtliche Anforderungen begrenzt.1 Die Vermögensverwaltung ist dabei häufig als Dienstleistung ausgestaltet, die von verbundenen Unternehmen oder externen Dienstleistern für das Versicherungsunternehmen durchgeführt wird.2 – Unterstützende Funktionen: Zu den wichtigen Unterstützungsfunktionen von Versicherungsunternehmen gehören die Treasury-Funktion, die Einhaltung von (insbesondere aufsichtsrechtlichen) Vorschriften, die Entwicklung von immateriellen Wirtschaftsgütern (z.B. die Entwicklung von Informationstechnologien und -systemen), sonstige Back-Office-Aktivitäten, die Schadenregulierung und die Kreditanalyse. bb) Risiken von Versicherungsunternehmen Zusammenhang zwischen Risiken und Vermögenswerten. Kerntätigkeit von Versicherungsunternehmen ist das Eingehen von Versicherungsrisiken, die in den versicherungstechnischen Rückstellungen auf der Passivseite der Bilanz abgebildet werden. Das Versicherungsrisiko resultiert aus einer möglichen Diskrepanz der Höhe und des Zeitpunkts der tatsächlichen Zahlungsströme aus einem Versicherungsanspruch und den erwarteten Zahlungsströmen. Dieses Risiko ist mit Vermögenswerten auf der Aktivseite zu bedecken, die ebenfalls mit Risiken verbunden sind. Dazu zählen Markt-, Kredit- und Liquiditätsrisiken sowie Risiken aus einem Asset-Liability-Mismatch. Dadurch besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Eingehen von Versicherungsrisiken durch den Abschluss eines Versicherungsvertrags, der Abbildung dieser Risiken auf der Passivseite der Bilanz bzw. Hilfs- und Nebenrechnung mittels versicherungstechnischer Rückstellungen, sowie der Vermögenswerte, die zur Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen nach aufsichtsrechtlichen Vorgaben erforderlich sind. Diesem Zusammenhang wird durch den zentralen Zuordnungsmaßstab für die Gewinnaufteilung bei Versicherungsbetriebsstätten – der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion – Rechnung getragen.
6.819
b) Unternehmerische Risikoübernahmefunktion Unternehmerische Risikoübernahmefunktion und maßgebliche Personalfunktionen. Die Zuordnung eines Versicherungsvertrags zur Versicherungsbetriebsstätte oder zum übrigen Unternehmen richtet sich danach, welcher Unternehmensteil die unternehmerische Risikoübernahmefunktion im Zusammenhang mit dem Versicherungsvertrag ausübt. Daraus leitet sich dann auch die Zuordnung der Vermögenswerte ab, die zur Bedeckung der aus dem Versicherungsvertrag resultierenden versicherungstechnischen Risiken erforderlich sind. Anders als bei Betriebsstätten aus Branchen außerhalb der Finanzindustrie, bei denen sich die Zuordnung von Vermögenswerten nach den maßgeblichen Personalfunktionen (significant people functions) richtet (§ 1 Abs. 2 BsGaV), ist im Kontext der Bank- und Versicherungsbetriebsstätten sowie im Bereich des Global Trading die unternehmerische Risikoübernahmefunktion (key entrepreneurial risk-taking function, KERT function) entscheidend für die Zuordnung der Vermögenswerte. Diese Unterscheidung zwischen den maßgeblichen Personalfunktionen in Abschnitt 1 der BsGaV und der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion in Abschnitt 2 und 3 der BsGaV wurde aus dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 übernommen, der dadurch die spezielle Verknüpfung zwischen Risiken und Vermögenswerten in der Banken- und
1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 44. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 46.
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6.820
Kap. 6 Rz. 6.820 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Versicherungsbranche auch sprachlich abbildet. So ist in diesen Branchen mit der Übernahme von Risiken aufgrund aufsichtsrechtlicher Vorgaben zwingend auch das Vorhalten entsprechender Vermögenswerte verbunden. Die Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion führt deshalb zur Zuordnung sowohl von Risiken als auch gleichzeitig von Vermögenswerten.1 Da die Übernahme von Versicherungs- oder finanziellen Risiken Kern der Wertschöpfung von Banken und Versicherungen ist, entsprechen sich somit auch die beiden Zuordnungsmaßstäbe der maßgeblichen Personalfunktion und der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion: beide Funktionen bilden die Aktivitäten ab, die von wesentlicher Bedeutung für den Wertschöpfungsprozess im Unternehmen sind und die mit den maßgebenden strategischen Entscheidungen im Unternehmen verbunden sind.
6.821
Funktionsanalyse zur Identifizierung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion. Mit Hilfe einer Funktionsanalyse ist für das untersuchte Versicherungsunternehmen zu prüfen, welche Funktion die unternehmerische Risikoübernahmefunktion darstellt. Hierfür sind die Aktivitäten zu identifizieren, die die wesentlichen aktiven Entscheidungsfunktionen im Hinblick auf die Übernahme des Versicherungsrisikos darstellen.2 Nur durch eine solche auf den Einzelfall gerichtete Analyse der Entscheidungsprozesse eines Versicherungsunternehmens kann ein Gleichklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz und der Verrechnungspreisanalyse bei verbundenen Unternehmen sichergestellt werden, was Grundgedanke des AOA ist. So stellt auch bei verbundenen Unternehmen die Entscheidungsfunktion das wesentliche Bestimmungsmerkmal für die Zuordnung von Risiken im Konzern und der daraus folgenden Zuordnung von Gewinnen dar.3 aa) Grundsatz
6.822
Zeichnungsprozess als unternehmerische Risikoübernahmefunktion bei Versicherungsunternehmen. Versicherungsunternehmen haben grundsätzlich nur eine unternehmerische Risikoübernahmefunktion: die Übernahme des Versicherungsrisikos.4 Als diese Funktion definiert § 24 Abs. 1 Satz 2 BsGaV den Zeichnungsprozess, der in die Schritte (i) Festlegung der Zeichnungsstrategie, (ii) Risikoklassifizierung und Risikoauswahl, (iii) Preisgestaltung, (iv) Analyse der Risikoweitergabe und (v) Annahme der versicherten Risiken unterteilt werden kann. Ziel des Zeichnungsprozesses ist in erster Linie die Einstufung von den zu versichernden Risiken im Verhältnis zur Preisgestaltung.5 Die in § 24 Abs. 1 Satz 2 BsGaV enthaltene Unterstellung, dass bei Versicherungsunternehmen (allein) der Zeichnungsprozess die unternehmerische Risikofunktion darstellt, passt dabei allerdings nicht zur individuell für jedes Unternehmen durchzuführenden Funktionsanalyse als Ausgangspunkt der Verrechnungspreisermittlung. So ist es primäres Ziel der Funktionsanalyse, die Funktionen zu identifizieren, die wesentlich zur Wertschöpfung eines Unternehmens beitragen. Die Annahme, dass diese Funktion (zwingend) der Zeichnungsprozess ist, widerspricht der funktionsbasierten Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen verbundenen Unternehmen. Auch im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 wird zwar der Zeichnungsprozess als die Funktion angesehen, die typischerweise am bedeutendsten für die Übernahme des Versicherungsrisikos ist. Allerdings kommen auch andere Funktionen als unternehmerische Risiko-
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Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part I, Rz. 16. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 94. Vgl. Tz. 1.61 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 69. Vgl. Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten Handbuch2, Rz. 11.217.
886 | Karnath
H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.823 Kap. 6
übernahmefunktionen in Betracht (z.B. Produktentwicklung, Vertrieb und Marketing, Risikomanagement).1 Da die Zuordnung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion entscheidend für die Aufteilung der Gewinne zwischen Versicherungsstammhaus und Versicherungsbetriebsstätte ist, sollte hier für das untersuchte Versicherungsunternehmen individuell analysiert werden, welche Funktionen für die Übernahme des Versicherungsrisikos von wesentlicher Bedeutung sind und zur unternehmerischen Risikoübernahmefunktion zählen. bb) Rückversicherungsgeschäft Unternehmerische Risikoübernahmefunktion im Rückversicherungsgeschäft. Im Rückversicherungsgeschäft werden Versicherungsrisiken von einem Versicherungsunternehmen auf ein anderes Versicherungsunternehmen übertragen.2 Eine vollständige Übertragung sämtlicher Risiken findet dabei jedoch nicht statt, da das Versicherungsunternehmen, das seine Versicherungsrisiken rückversichert, das Ausfallrisiko trägt, dass der Rückversicherer seine Zahlungen unter dem Rückversicherungsvertrag nicht leistet.3 Für Versicherungsunternehmen, die im Rückversicherungsgeschäft tätig sind, sieht § 24 Abs. 4 BsGaV eine Sonderregelung zur unternehmerischen Risikoübernahmefunktion vor. Demnach gilt im Rückversicherungsgeschäft die Unterfunktion der Risikoklassifizierung und Risikoauswahl als unternehmerische Risikoübernahmefunktion. Dies wird von der Finanzverwaltung damit begründet, dass es sich beim Rückversicherungsgeschäft im Regelfall um individuelle Deckungszusagen handeln und die Risikoklassifizierung und Risikoauswahl deshalb bestimmte zentrale Funktionen erfordern würden, wie die Grundlagenforschung bezüglich bestimmter Risiken und das Führen langjähriger Statistiken. Diese zentralen Funktionen würden eine in materieller und personeller Hinsicht umfangreiche Geschäftsausstattung erfordern. So müsste auch das für die Risikoklassifizierung und die Risikoauswahl in der Rückversicherung zuständige Personal über die für diese Aufgabe erforderliche Qualifikation verfügen.4 Diese Begründung nimmt jedoch das Ergebnis der Funktions- und Risikoanalyse vorweg, durch die die tatsächliche Bedeutung der Risikoklassifizierung und Risikoauswahl im Einzelfall zu untersuchen sind. Zugleich wird aus der Begründung nicht klar, weshalb die Risikoklassifizierung und Risikoauswahl nur für das Rückversicherungsgeschäft von so wesentlicher Bedeutung für die Zuordnung der Versicherungsverträge sind, nicht jedoch (zwingend) für das Erstversicherungsgeschäft. Da die Identifizierung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion entscheidender erster Schritt in der Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte unter Berücksichtigung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und des Fremdvergleichsgrundsatzes ist, sollte dieser Schritt auch auf einer einzelfallbezogenen Betrachtungsweise basieren. Dabei sollten auch die Besonderheiten des konkreten Versicherungsprodukts mitberücksichtigt werden. So stellt auch die OECD klar, dass die Unterfunktion der Risikoauswahl bei standardisierten Versicherungsprodukten und im Rückversicherungsgeschäft häufig von geringerer Bedeutung ist, während Produktentwicklung, Preissetzung, Vertrieb und Marketing sowie Risikomanagement und Rückversicherung in diesen Fällen eine größere Rolle bei der Übernahme des Versicherungsrisikos einnehmen können.5
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Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 94. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 112. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 18. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.4, Rz. 299. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 34.
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Kap. 6 Rz. 6.824 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.824
Öffnungsklausel. § 24 Abs. 4 BsGaV ermöglicht dem Steuerpflichtigen allerdings den Nachweis, dass eine andere Funktion als unternehmerische Risikoübernahmefunktion anzusehen ist. In diesem Fall ist nachzuweisen, dass die vom Steuerpflichtigen identifizierte(n) Funktion (en) tatsächlich eine größere Bedeutung für die Übernahme des Versicherungsrisikos hat bzw. haben als die Personalfunktion der Risikoklassifizierung und Risikoauswahl. Aus dem Wortlaut des § 24 Abs. 4 BsGaV ergibt sich dabei, dass eine alternative Zuordnung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion nur innerhalb des Zeichnungsprozesses möglich ist („… widerlegbar zu vermuten [ist], dass im Zeichnungsprozess die Risikoklassifizierung und Risikoauswahl …“). Damit können nur die anderen Unterfunktionen innerhalb des Zeichnungsprozesses – Festlegung der Zeichnungsstrategie, Preisgestaltung, Analyse der Risikoweitergabe und Annahme der versicherten Risiken – als alternative unternehmerische Risikoübernahmefunktion herangezogen werden. Die widerlegbare Vermutung des § 24 Abs. 4 BsGaV ermöglicht damit in seiner Wirkung lediglich die Anwendung des § 24 Abs. 1 BsGaV, der ebenfalls alle Unterfunktionen innerhalb des Zeichnungsprozesses als unternehmerische Risikoübernahmefunktion zulässt. Damit verbunden ist zwar grundsätzlich die höhere Nachweispflicht des Steuerpflichtigen im Rückversicherungsgeschäft durch die widerlegbare Vermutung des § 24 Abs. 4 BsGaV, der durch eine detaillierte Funktions- und Risikoanalyse nachzukommen ist. Da die Funktions- und Risikoanalyse jedoch Bestandteil der regulären Betriebsstättengewinnaufteilung ist, sollte sich aus § 24 Abs. 4 BsGaV damit in der Praxis keine tatsächliche Abweichung zwischen der Zuordnung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion im Erstversicherungsgeschäft nach § 24 Abs. 1 BsGaV und im Rückversicherungsgeschäft nach § 24 Abs. 4 BsGaV ergeben. cc) Inländische Niederlassung
6.825
Ausübung des Versicherungsgeschäfts über eine Niederlassung. Ausländische Versicherungsunternehmen können im Inland das Versicherungsgeschäft entweder über eine Niederlassung oder im Dienstleistungsverkehr ausüben. Begründet das ausländische Versicherungsunternehmen eine Niederlassung nach Versicherungsaufsichtsrecht im Inland, die die steuerlichen Voraussetzungen einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte erfüllt, ist für die Zuordnung der Versicherungsverträge § 24 Abs. 5 BsGaV anzuwenden. § 24 Abs. 5 BsGaV bezieht sich auf Niederlassungen i.S.d. §§ 106, 110a, 121h und 121i VAG (a.F.) und damit auf Niederlassungen von Erst- und Rückversicherern sowohl aus EU- und EWR-Staaten als auch aus Drittstaaten. Die Zuordnung der Versicherungsverträge richtet sich in diesen Fällen nach dem Hauptbevollmächtigten, der nach § 68 Abs. 2 Satz 3 VAG (§ 106 Abs. 3 Satz 3 VAG [a.F.]) zum Abschluss des Versicherungsvertrags als ermächtigt gilt. Dies gilt allerdings nur für inländische Versicherungsbetriebsstätten. Bei ausländischen Versicherungsbetriebsstätten inländischer Versicherungsunternehmen richtet sich die Zuordnung grundsätzlich nach der Regelmethode des § 24 Abs. 1 BsGaV und damit der Personalfunktion des Zeichnungsprozesses (siehe aber § 24 Abs. 6 BsGaV). Dagegen werden von einer inländischen Niederlassung abgeschlossene Versicherungsverträge nach § 24 Abs. 5 BsGaV unabhängig von der tatsächlichen Funktionsausübung dem Inland zugeordnet. Eine solche für in- und ausländische Versicherungsbetriebsstätten unterschiedliche Zuordnungsvorschrift führt regelmäßig zu Besteuerungskonflikten und widerspricht somit dem Ziel des AOA, eine international einheitliche Regelung zur Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei Betriebsstätten nach Art. 7 OECDMA zu schaffen.1
1 So auch Busch in V/B/B, Verrechnungspreise5, Kap. R, Rz. 144.
888 | Karnath
H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.827 Kap. 6
Widerlegbare Vermutung einer alternativen Zuordnungssystematik. § 24 Abs. 5 Satz 2 BsGaV schafft die Möglichkeit eines Abweichens von der Regelvermutung des § 24 Abs. 5 Satz 1 BsGaV zur Zuordnung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion zum Hauptbevollmächtigten der inländischen Niederlassung des ausländischen Versicherungsunternehmens. Voraussetzung für eine alternative Zuordnungssystematik ist dabei, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion nicht in der Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt wird und dies der in- und ausländischen Aufsichtsbehörde einheitlich mitgeteilt wurde. Für die alternative Zuordnung nach § 24 Abs. 5 Satz 2 BsGaV ist folglich eine Analyse des Zeichnungsprozesses entsprechend der Regelzuordnung nach § 24 Abs. 1 BsGaV erforderlich. Wird der Zeichnungsprozess im ausländischen Versicherungsunternehmen durchgeführt und ist der Hauptbevollmächtigte lediglich für die Annahme der versicherten Risiken durch verbindlichen Abschluss des Versicherungsvertrags zuständig, können der Vertrag und das damit zusammenhängende Versicherungsrisiko dem ausländischen Teil des Unternehmens zugeordnet werden. Dies entspricht der funktionsbasierten Zuordnungssystematik der OECD und sollte deshalb die Regelmethode auch für inländische Niederlassungen ausländischer Versicherungsunternehmen darstellen. Dagegen führt die Voraussetzung, die für steuerliche Zwecke nach dem Kriterium der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion vorgenommene Zuordnung der Versicherungsverträge der in- und ausländischen Aufsichtsbehörde mitzuteilen, zu einer völlig irrelevanten Verquickung von Steuer- und Aufsichtsrecht. Der steuerliche Begriff der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion ist weder für die in- und ausländischen Aufsichtsbehörden von Bedeutung,1 noch hängt er von aufsichtsrechtlichen Vorschriften ab.2
6.826
Nachweis. Wird von der Öffnungsklausel des § 24 Abs. 5 Satz 2 BsGaV Gebrauch gemacht, hat das ausländische Versicherungsunternehmen gemäß der Verordnungsbegründung3 sowie nach Auffassung der Finanzverwaltung4 nachzuweisen, (i) dass den in der Versicherungsbetriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen des Zeichnungsprozesses nicht die größte Bedeutung für den Abschluss des Versicherungsvertrags zukommt, (ii) dass die Ausgliederung der Ausübung einer Personalfunktion des Zeichnungsprozesses aus der Versicherungsbetriebsstätte nicht auf Grund einer aktiven unternehmerischen Entscheidung des Hauptbevollmächtigten erfolgt ist und im Folgenden auch nicht vom Hauptbevollmächtigten kontrolliert wird und (iii) wo und von wem die entsprechende unternehmerische Risikoübernahmefunktion stattdessen ausgeübt wird. Bei Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat sind dem Nachweis der Geschäftsplan nach § 69 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 und 3 VAG (§ 106b Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 und 3 VAG [a.F.]) sowie weitere Angaben nach § 9 Abs. 4 VAG beizufügen. Ausländische Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem EU- oder EWRStaat haben den nach ausländischem Versicherungsaufsichtsrecht einzureichenden Tätigkeitsbericht beizufügen.5 Weitere Voraussetzung für den Nachweis einer alternativen Zuordnungssystematik ist, dass der Sachverhalt übereinstimmend der Versicherungsaufsichtsbehörde im Inland und im Ausland mitgeteilt wurde. Der Nachweis über die alternative Zuordnungssystematik kann im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO erbracht werden, wohingegen die von der Regelvermutung des § 24 Abs. 5 Satz 1 BsGaV abweichende Zuordnung der Versicherungsverträge selbst in der jährlich zu erstellenden Hilfs- und Nebenrechnung abzubilden ist.
6.827
1 2 3 4 5
Ähnlich auch Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten Handbuch2, Rz. 11.236. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 96. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 114. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.5, Rz. 306. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.5, Rz. 306.
Karnath | 889
Kap. 6 Rz. 6.828 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
dd) Hauptbevollmächtigter einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte
6.828
Anwendungsbereich. § 24 Abs. 6 BsGaV betrifft ausländische Versicherungsbetriebsstätten inländischer Versicherungsunternehmen, wenn diese im Ausland einer der deutschen Versicherungsaufsicht vergleichbaren Aufsicht unterliegen und ein Hauptbevollmächtigter bzw. vergleichbarer Bevollmächtigter bestellt wurde. Dies dürfte für den Großteil der ausländischen Niederlassungen der Fall sein, so dass § 24 Abs. 6 BsGaV die Regelmethode für ausländische Versicherungsbetriebsstätten normiert.1 Inhaltlich entspricht § 24 Abs. 6 Satz 1 BsGaV lediglich einer Klarstellung, dass für ausländische Versicherungsbetriebsstätten die Zuordnung der Versicherungsverträge den allgemeinen Zuordnungsregeln des § 24 Abs. 1 bis 4 BsGaV folgt. Die Zuordnung richtet sich im Erstversicherungsgeschäft somit nach der Ausübung der Funktion des Zeichnungsprozesses (§ 24 Abs. 1 BsGaV) und im Rückversicherungsgeschäft vorrangig nach der Funktion der Risikoklassifizierung und Risikoauswahl (§ 24 Abs. 4 BsGaV). Die Einschränkung des Anwendungsbereichs auf Versicherungsunternehmen, die der Versicherungsaufsicht unterliegen und einen Bevollmächtigten bestellt haben und die dadurch bereits ein bestimmtes Maß an eigenen Aktivitäten ausüben, hat jedoch zur Folge, dass für diese Niederlassungen die weiteren Voraussetzungen von § 24 Abs. 6 Satz 2 BsGaV in der Funktionsausübung zum Tragen kommen, während bei Versicherungsbetriebsstätten, die nicht diesen aufsichtsrechtlichen Regularien unterliegen, die Regelmethode nach § 24 Abs. 1 BsGaV ohne weitere Einschränkungen anzuwenden ist.
6.829
Maßgeblichkeit der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion. Abweichend von der Zuordnungsregel in § 24 Abs. 5 BsGaV kommt es bei inländischen Versicherungsunternehmen mit ausländischen Versicherungsbetriebsstätten für die Zuordnung eines Versicherungsvertrags nicht darauf an, ob in der ausländischen Betriebsstätte ein Hauptbevollmächtigter oder vergleichbarer Bevollmächtigter bestellt wurde. Für die Zuordnung ist allein die Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion entsprechend der Vorschriften in den § 24 Abs. 1–4 BsGaV maßgebend. Während inländischen Niederlassungen ausländischer Versicherungsunternehmen somit regelmäßig die im Inland abgeschlossenen Versicherungsverträge zuzuordnen sind, soll bei ausländischen Versicherungsbetriebsstätten eine solche pauschale, von den Personalfunktionen losgelöste Zuordnungssystematik nach dem Willen des Verordnungsgebers nicht zulässig sein. Diese unterschiedliche Behandlung in- und ausländischer Sachverhalte findet sich jedoch weder in § 1 AStG noch im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 und widerspricht auch der funktionsbasierten Zuordnungslogik der OECD2 und deren Ziel, durch den AOA und den dazugehörigen Betriebsstättenbericht eine einheitliche Regelung der OECD-Mitgliedstaaten für Betriebsstättensachverhalte im Rahmen der Auslegung des Art. 7 OECD-MA zu finden.
6.830
Weitere Einschränkung der Zuordnungsvoraussetzungen. Ein Versicherungsvertrag kann einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte, die die Personalfunktion des Zeichnungsprozesses ausübt, dagegen regelmäßig nicht zugeordnet werden, wenn von der ausländischen Versicherungsbetriebsstätte nur die Unterfunktion der Annahme des Versicherungsrisikos, jedoch keine weitere Unterfunktion innerhalb des Zeichnungsprozesses ausgeübt wird. Dies wird damit begründet, dass es sich dabei nur um eine bloße formale Aktivität handeln kann, z.B. lediglich eine rechtsförmliche Unterschrift.3 Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn die ausländische Versicherungsbetriebsstätte zusätzlich die Personalfunktion des Produktmanage1 Vgl. Andresen, BB 2013, 2911 (2914). 2 Vgl. Andresen/Imhof/Tao, ITPJ 2015, 179 (182). 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 115. Ebenso VWG BsGa, Tz. 2.24.6, Rz. 310.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.831 Kap. 6
ments und der Produktentwicklung, des Verkaufs und Marketings oder des Risikomanagements und der Rückversicherung ausübt und die Bedeutung der in der ausländischen Versicherungsbetriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen überwiegt. Bei der Beurteilung der Bedeutung der im Ausland ausgeübten Personalfunktionen sind sowohl die Funktion der Annahme des Versicherungsrisikos als auch die zusätzlichen Personalfunktionen zu berücksichtigen.1 Diese weiter gefasste Betrachtung der relevanten Funktionen, über den Zeichnungsprozess hinaus, entspricht eher dem Ansatz einer umfassenden Analyse der Personalfunktionen gemäß der OECD. Allerdings ist nicht klar, weshalb die Analyse auf die drei in § 24 Abs. 6 Satz 2 BsGaV genannten Funktionen beschränkt wird. Im OECD-Betriebsstättenbericht 2010, auf den in der Verordnungsbegründung hinsichtlich der drei Funktionen verwiesen wird,2 werden weitere Funktionen genannt, die von wesentlicher Bedeutung für das Versicherungsunternehmen sein können, z.B. Vertrags- und Schadensmanagement sowie Asset Management.3 Die Ermittlung der wesentlichen Personalfunktionen hat dabei einzelfallbezogen zu erfolgen, unter Berücksichtigung u.a. der Versicherungsprodukte, der Art des Versicherungsgeschäfts und der Geschäftsstrategie. So kann z.B. der Zeichnungsprozess bei komplexen Risiken wie Lebens- oder Erdbebenversicherungen eine weitaus bedeutendere Rolle spielen als bei standardisierten Produkten, wie über das Internet verkauften Reiseversicherungen.4 ee) Eigenes Personal Eigenes Personal. Bei der Zuordnung von Personalfunktionen eines Versicherungsunternehmens zur Betriebsstätte kommt es nach Verwaltungsauffassung nur auf die Ausübung dieser Funktionen durch das eigene Personal der Betriebsstätte an.5 An verbundene oder unverbundene Unternehmen ausgelagerte Aktivitäten, bspw. im Rahmen eines Ausgliederungsvertrags oder einer Dienstleistungsvereinbarung, haben für die Funktionszuordnung keine Bedeutung. Im Innenverhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ist diese Regelung durchaus gerechtfertigt, da andernfalls das Personal und die jeweils ausgeübten Aktivitäten als Anknüpfungspunkt für die Gewinnaufteilung verloren gehen würden. Im Hinblick auf die Auslagerung von Aktivitäten an andere Unternehmen weicht diese Regelung jedoch von der Zuordnung von Funktionen und Risiken bei verbundenen Unternehmen ab, bei denen im Hinblick auf das Outsourcing von Aktivitäten im Kontext des Art. 9 OECD-MA entscheidend ist, wer die wesentlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit den ausgelagerten Funktionen trifft.6 Bei der Zuordnung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion im Rahmen des § 24 BsGaV sollten die Funktionen, die ein Unternehmensteil steuert, auch diesem Unternehmensteil zugeordnet und damit im Zuordnungsprozess berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung von Aktivitäten, deren Ausübung auf verbundene oder unverbundene Unternehmen ausgelagert wurde, die jedoch weiterhin von der Betriebsstätte gesteuert werden, würde zudem der Rechtsprechung des BFH widersprechen,7 wonach die wirtschaftliche Zurechnung von Dienstleistungen zum Dienstleistungsempfänger auch für Versicherungsunternehmen explizit anerkannt wird.8
1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 116; VWG BsGa, Tz. 2.24.6, Rz. 311. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 116. Ebenso VWG BsGa, Tz. 2.24.6, Rz. 310. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 42–46. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 50. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.1, Rz. 288. Vgl. Tz. 1.65 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. BFH v. 13.10.2010 – I R 61/09, BStBl. II 2011, 249. Vgl. Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten Handbuch2, Rz. 11.225 m.w.N.
Karnath | 891
6.831
Kap. 6 Rz. 6.832 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
c) Aufteilung von Funktionen
6.832
Ausübung des Zeichnungsprozesses in mehreren Betriebsstätten. Ist der Zeichnungsprozess auf mehrere Teile des Versicherungsunternehmens aufgeteilt, so ist nach § 24 Abs. 3 BsGaV der Versicherungsvertrag dem Unternehmensteil zuzuordnen, in dem der Schritt des Zeichnungsprozesses durchgeführt wird, dem die größte Bedeutung für die unternehmerische Risikoübernahmefunktion zukommt. Es findet somit keine Aufteilung von Versicherungsverträgen und den damit zusammenhängenden Versicherungsrisiken auf alle am Zeichnungsprozess beteiligte Unternehmensteile statt, was zu einer enormen Komplexität der Gewinnaufteilung führen würde. Um den für den Abschluss des Versicherungsvertrags bedeutendsten Schritt im Zeichnungsprozess zu identifizieren, sind die einzelnen Schritte qualitativ zu beurteilen und zu gewichten, wobei folgende Faktoren in die Beurteilung mit einfließen sollten: die Finanzkraft des Versicherungsunternehmens, die versicherungsaufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf die maximale Risikokapazität, die fachlichen Kompetenzen und Fähigkeiten des Personals, die Verfügbarkeit und Kosten einer Rückversicherung durch unverbundene Dritte sowie die strategischen Geschäftsziele des Versicherungsunternehmens.1 Zur qualitativen Gewichtung der einzelnen Schritte des Zeichnungsprozesses schlägt die Finanzverwaltung eine Skala von 1 bis 5 vor, die die relative Bedeutung eines jeden Schritts abbildet.2 Hierfür ist eine detaillierte Unternehmens- und Funktionsanalyse durchzuführen, in der auch die Entscheidungsprozesse des Versicherungsunternehmens innerhalb des Zeichnungsprozesses zu analysieren sind. Legt ein Unternehmensteil beispielsweise im Rahmen der Ausübung der Zeichnungsstrategie lediglich die Parameter fest, anhand deren die Höhe des Risikos, das versichert werden kann, ermittelt wird, ohne weitere Beteiligung am spezifischen Entscheidungsprozess hinsichtlich eines konkreten Versicherungsvertrags und -risikos, so ist diesem Unternehmensteil in der Regel nicht der entsprechende Versicherungsvertrag zuzuordnen. Für den Fall, dass die qualitative Analyse zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, kann auch eine quantitative Beurteilung zum Beispiel auf Basis der jeweiligen Personalkosten durchgeführt werden, um die relative Bedeutung eines jeden einzelnen Schritts zu ermitteln und um festzulegen, welchem Teil des Versicherungsunternehmens die größte Bedeutung im Rahmen des Zeichnungsprozesses zukommt.3 Dabei sollten auch unterschiedliche Kosten- bzw. Lohnniveaus in den betroffenen Ländern berücksichtigt werden. Der Vorteil einer solchen quantitativen Analyse ist zwar der höhere Objektivierungsgrad, was bei einer Beurteilung eines Sachverhalts durch mindestens zwei Finanzverwaltungen in der Regel von Vorteil ist. (Ausschließlich) quantitative Kriterien können jedoch häufig nicht die Bedeutung einzelner Funktionen für den Wertschöpfungsprozess adäquat wiedergeben, so dass in diesem Fall eine qualitative Analyse zu bevorzugen ist. Letztlich sollte es dem Steuerpflichtigen überlassen sein, ein Gewichtungsmodell zu entwickeln, das die eigene Wertschöpfung angemessen abbildet.4
6.833
Auffassung der OECD. Anders als in § 24 Abs. 3 BsGaV vorgesehen, soll nach Auffassung der OECD die Ausübung von unternehmerischen Risikoübernahmefunktionen durch mehrere Teile des Versicherungsunternehmens zu einer Aufteilung des Versicherungsrisikos und den damit verbundenen Erträgen führen.5 Als Aufteilungsfaktor soll dabei der jeweilig Wertschöpfungsbeitrag der einzelnen Teile des Versicherungsunternehmens herangezogen werden. 1 2 3 4
Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.3, Rz. 293; OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 35. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.3, Rz. 294. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.3, Rz. 295. Eine quantitative Gewichtung bevorzugend: Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten Handbuch2, Rz. 11.223. 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 107–108.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.835 Kap. 6
Dieses Vorgehen entspricht der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode zur Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise für verbundene Unternehmen unter Art. 9 OECD-MA, was mit einer hohen Unsicherheit und Komplexität der Gewinnaufteilung zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte des Versicherungsunternehmens verbunden ist. Die Regelung des § 24 Abs. 3 BsGaV ist deshalb klar dem Vorgehen nach dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 vorzuzuziehen.1 Unterstützende Personalfunktionen. Unterstützende Personalfunktionen führen nicht zur Zuordnung eines (Anteils) am Versicherungsvertrag, für den die unterstützende Personalfunktion geleistet wird (§ 24 Abs. 7 i.V.m. § 19 Abs. 5 BsGaV). Als unterstützende Personalfunktionen gelten die Funktionen, die von dem Unternehmensteil, dem ein Versicherungsvertrag nicht zuzuordnen ist, für einen anderen Unternehmensteil, dem dieser Vertrag zugeordnet wird, ausgeübt werden. Dies betrifft sowohl Funktionen, die der Sache nach zur unternehmerischen Risikoübernahmefunktion zählen, die aber nach § 24 Abs. 3 BsGaV nicht zur Zuordnung des Versicherungsvertrags führen, als auch sonstige Personalfunktionen. Für diese unterstützenden Funktionen sind angemessene Verrechnungspreise festzusetzen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung handelt es sich dabei in der Regel um eine fiktive Dienstleistung zwischen den einzelnen Teilen des Versicherungsunternehmens, für die der Verrechnungspreis nach einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode zu bestimmen ist.2 Diese Sichtweise ist aufgrund der daraus resultierenden Vereinfachung der Betriebsstättengewinnaufteilung sicherlich zu begrüßen. Es entspricht jedoch nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz, diese für die Betriebsstätte ausgeübten Funktionen (internal dealings) ohne weitere Prüfung als Dienstleistung einzustufen. Dementsprechend steht dieser Auffassung der Finanzverwaltung auch die Regelung der OECD entgegen, wonach nicht automatisch davon ausgegangen werden kann, dass die Funktionen, die von anderen Teilen des Versicherungsunternehmens für die Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt werden, ihrem Wesen nach nur eine geringe Wertschöpfung beinhalten. Vielmehr ist eine Funktions- und Vergleichbarkeitsanalyse durchzuführen, die dazu führen kann, dass als Verrechnungspreis sowohl einfache Routinevergütungen als auch eine Beteiligung an den Residualgewinnen in Betracht kommen (siehe hierzu auch Rz. 6.863 ff.).3
6.834
d) Zuordnung von Versicherungsverträgen und -risiken Zuordnung des Versicherungsvertrags und des Versicherungsrisikos. Wird auf Grundlage einer Funktions- und Risikoanalyse ermittelt, dass die Versicherungsbetriebsstätte die unternehmerische Risikoübernahmefunktion hinsichtlich eines bestimmten Versicherungsvertrags ausübt, ist ihr dieser Vertrag auch zuzuordnen. Daraus folgt zugleich die Zuordnung des mit dem Versicherungsvertrag zusammenhängenden Versicherungsrisikos, das das Versicherungsunternehmen verpflichtet, versicherungstechnische Rückstellungen zu bilden. Die versicherungstechnischen Rückstellungen nach HGB umfassen Rückstellungen für Beitragsüberträge, Rückstellungen für Beitragsrückerstattung, Rückstellungen für drohende Verluste aus dem Versicherungsgeschäft (§ 341e HGB), Deckungsrückstellungen (§ 341f HGB), Rückstellungen für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle (§ 341g HGB) sowie Schwankungsrückstellungen und ähnliche Rückstellungen (§ 341h HGB). Diese Rückstellungen sind entsprechend aufsichtsrechtlichen Vorschriften mit Vermögenswerten, insbesondere Kapitalanlagen, zu bedecken, die damit ebenfalls der Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnen sind. Die Zuordnung 1 So auch Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten Handbuch2, Rz. 11.214. 2 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.7, Rz. 312. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 71.
Karnath | 893
6.835
Kap. 6 Rz. 6.835 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
der Kapitalanlagen bedingt wiederum die Verteilung der Kapitalerträge. Zugleich ist der der Versicherungsbetriebsstätte zugewiesene Versicherungsvertrag auch mit Prämienzahlungen des Versicherungsnehmers verbunden, deren Zuordnung sich ebenfalls nach dem Versicherungsvertrag richtet. Schließlich folgen auch die Betriebsausgaben aus der Bildung der versicherungstechnischen Rückstellungen der Zuordnung des Versicherungsvertrags. Aus dieser Zuordnungssystematik wird deutlich, dass die gesamte Gewinnaufteilung zwischen Versicherungsstammhaus und Versicherungsbetriebsstätte im Wesentlichen von der Zuordnung der Versicherungsverträge abhängt. Dadurch wird sichergestellt, dass die Vermögenswerte, Betriebseinnahmen, Betriebsausgaben, Chancen und Risiken nicht vom Versicherungsvertrag getrennt werden.1
2. Zuordnung von Vermögenswerten und Ermittlung des Dotationskapitals a) Modifizierte Kapitalaufteilungsmethode aa) Überblick über die Methode
6.836
Methoden zur Aufteilung der Vermögenswerte. Nach Zuordnung des Versicherungsvertrags und der Versicherungsrisiken auf Grundlage der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion sind der Versicherungsbetriebsstätte Vermögenswerte des Versicherungsunternehmens zuzuweisen, die der Bedeckung sowohl der versicherungstechnischen Rückstellungen als auch des Dotationskapitals dienen. Hierfür werden im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 mehrere Methoden diskutiert: die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode (Capital Allocation Approach), die Fremdvergleichsmethode (Thin Capitalisation/Adjusted Regulatory Minimum Approach) sowie die Mindestkapitalausstattungsmethode (Safe Harbour – Quasi Thin Capitalisation/Regulatory Minimum Approach). Die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode beginnt mit der Zuordnung von Vermögenswerten auf der Aktivseite der Bilanz. Das Dotationskapital der Betriebsstätte ergibt sich in diesem Fall als Residualwert auf der Passivseite. Nach der Fremdvergleichsmethode und der Mindestkapitalausstattungsmethode wird das Dotationskapital dagegen direkt ermittelt. Die Zuordnung der Vermögenswerte kann in diesem Fall nur durch ein „Auffüllen“ der Aktivseite der Hilfs- und Nebenrechnung der Betriebsstätte erfolgen.
6.837
Regelmethode für inländische Versicherungsbetriebsstätten. Die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode beruht auf einem funktions- und risikobasierten Ansatz der Gewinnaufteilung. Dabei werden die Vermögenswerte des Versicherungsunternehmens in Höhe des Anteils der versicherungstechnischen Rückstellungen der Betriebsstätte an den gesamten versicherungstechnischen Rückstellungen des Versicherungsunternehmens zugeordnet. Dieser Anteil an den versicherungstechnischen Rückstellungen bildet den Anteil der Betriebsstätte am gesamten Versicherungsrisiko des Versicherungsunternehmens ab. Nach Zuordnung der Vermögenswerte kann dann auch das Dotationskapital der Betriebsstätte als Residualwert der Passivseite der Hilfs- und Nebenrechnung ermittelt werden. Die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode stellt gemäß § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV die Regelmethode für inländische Versicherungsbetriebsstätten ausländischer Versicherungsunternehmen dar. Bei ausländischen Versicherungsbetriebsstätten inländischer Versicherungsunternehmen darf die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode zur Ermittlung des Dotationskapitals der Betriebsstätte gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 BsGaV nur im Rahmen der Öffnungsklausel des § 26 Abs. 2 Satz 1 BsGaV angewendet werden.
1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 111.
894 | Karnath
H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.839 Kap. 6
Obergrenze für ausländische Versicherungsbetriebsstätten. Die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode kann nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BsGaV nur zur Ermittlung der Obergrenze des Dotationskapitals ausländischer Versicherungsbetriebsstätten herangezogen werden. So darf das Dotationskapital ausländischer Versicherungsbetriebsstätten den Betrag nicht übersteigen, der sich aus der Anwendung der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode nach § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV ergibt. Diese Obergrenze gilt dabei nur bei Anwendung der Öffnungsklausel nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BsGaV.1 Hat die ausländische Versicherungsbetriebsstätte somit unter Anwendung von § 26 Abs. 1 BsGaV entsprechend des ausländischen Versicherungsaufsichtsrechts ein höheres Dotationskapital als unter der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode auszuweisen, ist die Obergrenze nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BsGaV nicht anwendbar. Dies entspricht auch der vom Verordnungsgeber vorgesehenen Beschränkung der Untergrenze für das Dotationskapital im Inbound-Fall auf die Öffnungsklausel in § 25 Abs. 3 BsGaV (siehe hierzu auch Abschnitt II.2.c)).
6.838
bb) Ermittlung der aufzuteilenden Vermögenswerte Ermittlung der über einen Allokationsschlüssel aufzuteilenden Vermögenswerte. Für die Anwendung der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode sind zunächst die Vermögenswerte zu ermitteln, die zwischen der Versicherungsbetriebsstätte und dem restlichen Unternehmen auf Grundlage der anteiligen versicherungstechnischen Rückstellungen aufzuteilen sind. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 BsGaV sind hierfür die Vermögenswerte heranzuziehen, die der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des Eigenkapitals des Versicherungsunternehmens dienen. Dabei sind die Werte zugrunde zu legen, die in der Handelsbilanz des ausländischen Versicherungsunternehmens enthalten sind.2 Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung umfassen die aufzuteilenden Vermögenswerte bei Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem EU- oder EWR-Staat die nach Formblatt 1 der RechVersV auf der Aktivseite der Bilanz unter den Positionen C (Kapitalanlagen), D (Kapitalanlagen für Rechnung und Risiko von Inhabern von Lebensversicherungspolicen) und E.I. (Forderungen aus dem selbst abgeschlossenen Versicherungsgeschäft) ausgewiesenen Positionen.3 Unter Buchstabe C fallen Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich der Bauten auf fremden Grundstücken (C.I.), Kapitalanlagen in verbundenen Unternehmen und Beteiligungen (C.II.) sowie sonstige Kapitalanlagen (C.III.), worunter unter anderem Aktien, Anteile und andere nicht festverzinsliche Wertpapiere, Inhaberschuldverschreibungen und andere festverzinsliche Wertpapiere, Hypothekenforderungen, sonstige Ausleihungen und Einlagen bei Kreditinstituten erfasst werden. Des Weiteren werden Depotforderungen aus dem in Rückdeckung übernommenen Versicherungsgeschäft unter Buchst. C der Aktivseite der Bilanz erfasst. Die unter Buchst. D ausgewiesenen Kapitalanlagen – Kapitalanlagen für Rechnung und Risiko von Inhabern von Lebensversicherungspolicen – enthalten die Kapitalanlagen, bei denen der Versicherungsnehmer das Anlagerisiko trägt (zum Beispiel bei indexgebundenen Versicherungsverträgen). Unter Buchstabe E.I., den Forderungen aus dem selbst abgeschlossenen Versicherungsgeschäft, werden die Forderungen gegenüber Versicherungsnehmern, Versicherungsvermittlern und Mitglieds- und Trägerunternehmen gelistet. Die unter Buchst. E.II. erfassten Forderungen von Rückversicherungsunternehmen aus dem selbst abgeschlossenen Versicherungsgeschäft fallen damit nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung nicht unter die nach dem Schlüssel aufzuteilenden Vermögenswerte, obwohl die entsprechende Position von Erstversicherungsunternehmen unter E.I. davon erfasst ist. 1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 121. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 117. 3 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.25.1, Rz. 315.
Karnath | 895
6.839
Kap. 6 Rz. 6.840 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.840
Aufzuteilende Vermögenswerte gemäß OECD. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 enthält eine umfassendere Aufzählung der Vermögenswerte, die im Rahmen der Anwendung der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Versicherungsunternehmen aufgeteilt werden können. Hierzu zählen neben den Kapitalanlagen (Schuldverschreibungen, Aktien, Derivate, Immobilien, Policendarlehen und liquide Mittel) auch weitere Vermögenswerte, die in die Vermögensaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte einfließen können, da sie der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des Dotationskapitals dienen (insgesamt Investment Assets genannt).1 Darunter fallen unter anderem Forderungen, die kurzfristig in liquide Mittel umgewandelt werden (zum Beispiel angefallene und aufgelaufene Prämien und Kapitalerträge sowie Rückversicherungsforderungen) oder Vermögenswerte, die in ihrer Nutzung Kapitalanlagen entsprechen (zum Beispiel Abrechnungsforderungen). Auch wenn diese Forderungen zum Teil keine Erträge generieren, können sie für Zwecke der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode dennoch als Kapitalanlagen behandelt werden, wenn sie aus dem Versicherungsgeschäft resultieren und zur Deckung spezifischer Versicherungsverbindlichkeiten genutzt werden. Dies würde auch dem Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 1 BsGaV entsprechen, der die Aufteilung der Vermögenswerte vorsieht, die „der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des Eigenkapitals des ausländischen Versicherungsunternehmens dienen“. Dagegen enthalten weder die BsGaV noch die Verordnungsbegründung einen Verweis auf die nationale Gliederungsvorschrift der RechVersV. Die von der deutschen Finanzverwaltung vorgesehene Begrenzung der für Zwecke der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode zu berücksichtigenden Vermögenswerten auf die Bilanzpositionen C, D und E.I gemäß Formblatt 1 der RechVersV ist deshalb abzulehnen, da sie nicht mit den internationalen Gewinnabgrenzungsgrundsätzen und der BsGaV vereinbar ist.
6.841
Direkte Zuordnung von Vermögenswerten. Vermögenswerte, die nicht von den nach einem Allokationsschlüssel zu verteilenden Vermögenswerten umfasst sind, da sie nicht der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des Eigenkapitals dienen, sind gesondert nach den allgemeinen Regelungen des ersten Teils der BsGaV zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufzuteilen. Dies betrifft beispielsweise immaterielle Vermögensgegenstände, die gemäß § 23 i.V.m. § 6 Abs. 1 BsGaV vorrangig nach der Personalfunktion der Schaffung oder des Erwerbs dieses immateriellen Vermögensgegenstands zuzuordnen sind, sowie Sachanlagevermögen, das nach § 23 i.V.m. § 5 Abs. 1 BsGaV vorrangig dem Ort der Nutzung zuzuweisen ist. Des Weiteren können auch Beteiligungen zu den direkt zuzuordnenden Vermögenswerten zählen, wenn diese nicht zum Zwecke der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des Eigenkapitals gehalten werden. Dies ist beispielsweise in den Fällen denkbar, in denen ein Teil des Versicherungsunternehmens auch die Holdingfunktion des Versicherungskonzerns übernimmt und die Beteiligungen aus Gründen der allgemeinen Konzernorganisation und -strategie hält. Die strategischen Beteiligungen sind in diesem Fall nach der Personalfunktion der Nutzung gemäß § 23 i.V.m. § 7 Abs. 1 BsGaV oder nach einer anderen Personalfunktion, insbesondere der Anschaffung und Verwaltung (§ 23 i.V.m. § 7 Abs. 2 BsGaV), dem entsprechenden Teil des Versicherungsunternehmens zuzuordnen.2 Die direkte Zuordnung einzelner Vermögenswerte folgt auch aus dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010, der zwischen Investment Assets und Non-Investment Assets unterscheidet. Während Investment Assets eine direkte Verbindung zum Versicherungsrisiko des Versicherungs-
1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 51. 2 Vgl. Andresen, BB 2013, S. 2911 (2915); Busch, IStR 2014, S. 757 (760 f.); Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten Handbuch2, Rz. 11.247.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.843 Kap. 6
unternehmens aufweisen und deshalb entsprechend diesem Risiko aufzuteilen sind,1 gelten für materielle und immaterielle Non-Investment Assets die allgemeinen Zuordnungsregeln für Betriebsstätten.2 cc) Allokationsschlüssel Verhältnis der versicherungstechnischen Rückstellungen. Nach Identifizierung der indirekt zu verteilenden Vermögenswerte werden diese gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 BsGaV nach dem Verhältnis der versicherungstechnischen Rückstellungen zwischen den einzelnen Teilen des Versicherungsunternehmens aufgeteilt. Die Aufteilung über die anteiligen versicherungstechnischen Rückstellungen spiegelt dabei in der Regel das Versicherungsrisiko der einzelnen Unternehmensteile wider und stellt in diesem Fall einen angemessenen Maßstab unter Berücksichtigung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte dar. Dabei sollte allerdings geprüft werden, ob ggf. weitere Positionen zu berücksichtigen sind, um das jeweilige Versicherungsrisiko vollständig abbilden zu können. Dies betrifft beispielsweise Depotverbindlichkeiten aus dem in Rückdeckung gegebenen Versicherungsgeschäft durch Depotstellung, für die der Zedent Depotzinsen an den Rückversicherer zahlen und dadurch über entsprechende Kapitalanlagen und Kapitalerträge verfügen muss. Erfolgt die Rückversicherung innerhalb der einzelnen Teile des Versicherungsunternehmens unterschiedlich (beispielsweise durch Rückversicherung mit Depotstellung im Stammhaus und Rückversicherung ohne Depotstellung in der Betriebsstätte), würde ein Allokationsschlüssel, der ausschließlich auf den versicherungstechnischen Rückstellungen zur Verteilung der Kapitalanlagen basiert, zu keinem risikoadäquaten Ergebnis führen. In diesem Fall sollten die Depotverbindlichkeiten in den Allokationsschlüssel mit einbezogen werden. Der Allokationsschlüssel basiert dabei auf den Werten, die in der Bilanz des ausländischen Versicherungsunternehmens enthalten sind,3 wobei auf die Werte zum Ende eines Wirtschaftsjahrs bzw. zum Beginn des folgenden Wirtschaftsjahrs abzustellen ist.4 Nach § 341h HGB zwingend zu bildende Schwankungsrückstellungen, die bspw. unter IFRS nicht zulässig sind, wären bei einer entsprechenden IFRS-Bilanzierung des ausländischen Versicherungsunternehmens somit nicht bei der Ermittlung des Allokationsschlüssels zu berücksichtigen. Allerdings lässt der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 Anpassungen zu, um bspw. Unterschiede in der Art des Versicherungsgeschäfts zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte5 oder der Risikostruktur des jeweiligen Versicherungsgeschäfts, die nicht in den versicherungstechnischen Rückstellungen enthalten sind, abzubilden.
6.842
Alternative Allokationsschlüssel der OECD. Neben dem Verhältnis der versicherungstechnischen Rückstellungen können nach Auffassung der OECD auch andere Allokationsschlüssel zur Aufteilung der Vermögenswerte des Versicherungsunternehmens herangezogen werden. Hierzu zählen beispielsweise die Prämienzahlungen des Versicherungsunternehmens,6 wenn die einzelnen Teile des Versicherungsunternehmens die gleiche Art von Versicherungsgeschäft ausüben oder wenn – im Falle unterschiedlicher Versicherungsprodukte – ein vergleichbarer Zusammenhang zwischen den Prämienzahlungen und den Vermögenswerten besteht. Alternativ können auch regulatorische Größen, wie die Solvabilitätsspanne oder das aufsichtsrechtliche Mindestkapital, als Aufteilungsschlüssel herangezogen werden. Die Wahl eines geeig-
6.843
1 2 3 4 5 6
Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 81. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 54. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 117. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.25.1, Rz. 316. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 146. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 149.
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Kap. 6 Rz. 6.843 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
neten Aufteilungsschlüssels sollte vorrangig vom jeweiligen Versicherungsgeschäft abhängen und zum Ziel haben, die Risikoposition der einzelnen Teile des Versicherungsunternehmens bestmöglich abzubilden. Daher ist auch der Ausschluss alternativer Allokationsschlüssel, wie von der deutschen Finanzverwaltung vorgesehen,1 abzulehnen.2 dd) Ermittlung des Dotationskapitals
6.844
Dotationskapital als Residualwert. Das Dotationskapital stellt den Residualwert der Passivseite der Hilfs- und Nebenrechnung nach Zuordnung der versicherungstechnischen Rückstellungen und sonstigen Verbindlichkeiten der Betriebsstätte auf Basis der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion und der direkten und indirekten Zuordnung von Vermögenswerten auf der Aktivseite dar. Nach § 25 Abs. 2 BsGaV sind dabei die nach inländischem Recht ermittelten versicherungstechnischen Rückstellungen, Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten von den der Betriebsstätte zugeordneten Vermögenswerten abzuziehen, die auf Basis der Rechnungslegungsstandards des Stammhauses ermittelt wurden. Bei der Ermittlung des Dotationskapitals handelt es sich nicht mehr um die Betriebsstättengewinnaufteilung im engeren Sinne, die lediglich die Zuordnung von Vermögenswerten und den damit verbundenen Einkünften und Aufwendungen zum Ziel hat. Die Höhe des Dotationskapitals ergibt sich vielmehr nur noch als letzter Rechenschritt innerhalb der Hilfs- und Nebenrechnung der Betriebsstätte. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 enthält zu diesem Schritt deshalb auch keine näheren Erläuterungen, da die Aufteilung des Gesamtkapitals in Eigenkapital, versicherungstechnische Rückstellungen, Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten ausschließlich auf Grundlage der jeweiligen nationalen Regelungen erfolgt.3 Dementsprechend sind für die Ermittlung des Dotationskapitals der inländischen Betriebsstätte die Werte nach HGB und RechVersV heranzuziehen.
6.845
Unterschiedliche Rechnungslegungsstandards bei der Ermittlung des Dotationskapitals. Die Anwendung unterschiedlicher Rechnungslegungsstandards bei der Aufteilung der Vermögenswerte nach § 25 Abs. 1 BsGaV einerseits und bei der Berechnung des Dotationskapitals andererseits kann Auswirkungen auf die Höhe des Dotationskapitals der inländischen Versicherungsbetriebsstätte haben. So ist der Aufteilungsschlüssel für die Zuordnung der Vermögenswerte nach den in der ausländischen Bilanz erfassten Werten der versicherungstechnischen Rückstellungen zu berechnen. Das Dotationskapital wird dagegen durch Abzug der versicherungstechnischen Rückstellungen nach HGB von den zugeordneten Vermögenswerten ermittelt. Ist die Summe der versicherungstechnischen Rückstellungen nach ausländischem Recht höher als die nach HGB ermittelten versicherungstechnischen Rückstellungen, so wird der inländischen Versicherungsbetriebsstätte über den Allokationsschlüssel ein höherer Anteil an den Vermögenswerten zugeordnet, als dies nach HGB-Werten erforderlich wäre. Im umgekehrten Fall würden der inländischen Versicherungsbetriebsstätte weniger Vermögenswerte zugeordnet werden als bei Anwendung der HGB-Rückstellungen. Dies führt zurück zur Ausgangsüberlegung der OECD, wonach zwar die Höhe der aufsichtsrechtlich geforderten Rückstellungen und des Eigenkapitals international unterschiedlich ausfällt, die Summe der Rückstellungen und des Eigenkapitals jedoch in der Regel international vergleichbar sind. Werden der inländischen Versicherungsbetriebsstätte somit weniger Vermögenswerte zugeordnet, als dies bei Anwendung der versicherungstechnischen Rückstellungen nach HGB
1 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.25.2, Rz. 318. 2 So auch Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten Handbuch2, Rz. 11.270. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 77.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.848 Kap. 6
der Fall wäre, so ist davon auszugehen, dass das Risiko eines inländischen Versicherungsunternehmens nach nationalen Rechnungslegungsstandards stärker in den versicherungstechnischen Rückstellungen als im Eigenkapital abgebildet ist. Beispiel: Schwankungsrückstellungen. Ein häufiges Beispiel für Unterschiede in den versicherungstechnischen Rückstellungen ist die Schwankungsrückstellung nach § 341h HGB. Kann diese nach den Rechnungslegungsstandards des ausländischen Stammhauses nicht gebildet werden (z.B. bei einer Rechnungslegung nach IFRS), fließt sie auch nicht in den Aufteilungsschlüssel nach § 25 Abs. 1 BsGaV ein. Dadurch werden der inländischen Versicherungsbetriebsstätte geringere Vermögenswerte zugeordnet als dies bei Berücksichtigung der Schwankungsrückstellung im Aufteilungsschlüssel der Fall wäre. Werden nun die Schwankungsrückstellungen, zusammen mit den sonstigen nach HGB und RechVersV ermittelten versicherungstechnischen Rückstellungen, den Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten von den Vermögenswerten der Betriebsstätte abgezogen, kann sich ein negatives Dotationskapital ergeben.
6.846
Negatives Dotationskapital unter § 25 Abs. 2 BsGaV. Das (negative) Dotationskapital ist Ergebnis der Anwendung der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode, die allein die vollständige und überschneidungsfreie Aufteilung von Vermögenswerten und Erträgen zwischen den einzelnen Teilen des Versicherungsunternehmens zum Ziel hat, um dadurch eine ansonsten drohende Doppelbesteuerung zu vermeiden. Wie die anschließende Aufteilung innerhalb der Hilfs- und Nebenrechnung der Betriebsstätte vorgenommen wird, fällt nicht unter die eigentliche Betriebstättengewinnaufteilung und damit auch nicht unter Art. 7 OECD-MA. Auch die BsGaV enthält als reine Gewinnaufteilungsvorschrift keine Regelung, wonach die inländische Versicherungsbetriebsstätte bei Anwendung der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode nach § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV ein positives Dotationskapital aufweisen muss. Ein negatives Dotationskapital ist deshalb auch steuerlich anzuerkennen.1 Würden der inländischen Versicherungsbetriebsstätte in diesem Fall dagegen zusätzliche Vermögenswerte zum Ausgleich des negativen Dotationskapitals zugeordnet werden, die auf Grundlage der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode bereits einem anderen Teil des Versicherungsunternehmens zugewiesen wurden, hätte dies eine Doppelbesteuerung der entsprechenden Kapitalerträge zur Folge. Dies widerspricht nicht nur dem Ziel des AOA, sondern entbehrt auch einer nationalen gesetzlichen Grundlage.
6.847
Ausgleich der Hilfs- und Nebenrechnung bei negativem Dotationskapital. Ein negatives Dotationskapital führt, trotz der vorstehenden Anmerkungen, häufig zu Diskussionen in Betriebsprüfungen. In diesem Fall sollte die Möglichkeit bestehen, über einen Ausgleichsposten auf der Aktivseite der Hilfs- und Nebenrechnung, der nicht zur Zuordnung zusätzlicher Kapitalerträge zur inländischen Betriebsstätte führt, eine ausgeglichene Hilfs- und Nebenrechnung und damit ein Dotationskapital von Null herbeizuführen.2 Anstelle eines Ausgleichspostens könnte die Aktivseite der Hilfs- und Nebenrechnung auch mit liquiden Mitteln „aufgefüllt“ werden, bis ein Dotationskapital von Null erreicht ist. Dies hätte in der Regel ebenfalls keine Zuordnung (zusätzlicher) Kapitalerträge zur Betriebsstätte zur Folge. Ein solches „Auffüllen“ kann aus Fall 2 unter Rz. 153 der VWG BsGa zu § 14 Abs. 2 BsGaV abgeleitet werden. Hintergrund dieses Falls ist, dass bei regulären Betriebsstätten nach § 14 Abs. 2 BsGaV der Residualwert der Passivseite der Hilfs- und Nebenrechnung die übrigen Passivposten sind und nicht das Dotationskapital. Die übrigen Passivposten können der Betriebsstätte dabei nur dann zugeordnet werden, wenn dadurch kein Passivüberhang der Hilfs- und Nebenrechnung entsteht.
6.848
1 So auch Busch, IStR 2014, 757 (759). 2 Vgl. Busch, IStR 2014, 757 (759).
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Kap. 6 Rz. 6.848 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
Übersteigen allerdings das direkt zugeordnete Dotationskapital und die zwingend zugeordneten Risiken – noch vor der Zuordnung übriger Passivposten – die Summe der Vermögenswerte der Betriebsstätte, so ist gem. Fall 2 in Rz. 153 VWG BsGa die Differenz auf der Aktivseite mit liquiden Mitteln (z.B. Kasse oder Bank) zu schließen, um eine ausgeglichene Hilfsund Nebenrechnung zu erhalten. Diese Vorgehensweise sollte auch mit Blick auf ein negatives Dotationskapital bei Versicherungsbetriebsstätten möglich sein, das ebenfalls als Residualwert nach den vorangegangenen Schritten der Betriebsstättengewinnaufteilung gebildet wird. b) Fremdvergleichsmethode
6.849
Abgrenzung zur Mindestkapitalausstattungsmethode. Die zweite Methode, die zur Betriebsstättengewinnaufteilung von Versicherungsunternehmen herangezogen werden kann, ist die Fremdvergleichsmethode, wobei hierfür unterschiedliche Voraussetzungen für inländische und ausländische Versicherungsbetriebsstätten gelten. Bei der Fremdvergleichsmethode handelt es sich um den Thin Capitalisation/Adjusted Regulatory Minimum Approach der OECD.1 Diese Methode unterscheidet sich von der Mindestkapitalausstattungsmethode (Quasi Thin Capitalisation/Regulatory Minimum Approach)2 dadurch, dass bei der Mindestkapitalausstattungsmethode das aufsichtsrechtliche Mindestkapital ohne weitere Anpassungen als Dotationskapital übernommen wird, während bei der Fremdvergleichsmethode zu prüfen ist, ob Anpassungen an das aufsichtsrechtliche Mindestkapital vorzunehmen sind, um ein fremdübliches Ergebnis zu erhalten.3 Ausgehend vom aufsichtsrechtlichen Mindestkapital wird damit untersucht, ob Anpassungen an die Eigenkapitalausstattung der Betriebsstätte erforderlich sind, um zu einem fremdüblichen Ergebnis auf Basis des Funktions- und Risikoprofils zu gelangen. Die Fremdvergleichsmethode wird im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 als eine AOA-konforme Methode akzeptiert.4
6.850
Anwendungsbereich. Für inländische Versicherungsbetriebsstätten stellt die Fremdvergleichsmethode eine Öffnungsklausel zur Anwendung der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode dar. So darf nach § 25 Abs. 3 Satz 1 BsGaV eine inländische Versicherungsbetriebsstätte nur dann ein geringeres als das nach § 25 Abs. 2 BsGaV ermittelte Dotationskapital aufweisen, wenn dies dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Dies ist auf Grundlage der Funktions- und Risikostruktur der inländischen Versicherungsbetriebsstätte zu ermitteln und nachzuweisen.5 Für ausländische Versicherungsbetriebsstätten ist die Fremdvergleichsmethode dagegen nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BsGaV die Öffnungsklausel in Bezug auf die Mindestkapitalausstattungsmethode unter § 26 Abs. 1 BsGaV. Einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte darf dann ein höheres Dotationskapital als das versicherungsaufsichtsrechtliche Mindestkapital zugewiesen werden, soweit dies dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Hierfür ist zunächst eine Funktions- und Risikoanalyse der Betriebsstätte und des übrigen Unternehmens durchzuführen, aus der anschließend ein fremdübliches Ergebnis für die Versicherungsbetriebsstätte abgeleitet werden kann. Das nach der Fremdvergleichsmethode ermittelte Dotationskapital der Versicherungsbetriebsstätte wird durch eine Unter- bzw. Ober1 Der Verordnungsgeber bezeichnet diese Methode in der Verordnungsbegründung zu § 25 Abs. 3 Satz 1 BsGaV als Mindestkapitalausstattungsmethode mit Verweis auf Teil IV Rz. 153 ff. des OECD-Betriebsstättenberichts 2010, der Aussagen zum Thin Capitalisation/Adjusted Regulatory Minimum Approach enthält. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 119. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 156 ff. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 155. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 153 ff. 5 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 119.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.852 Kap. 6
grenze begrenzt: inländische Versicherungsbetriebsstätten müssen bei Anwendung der Fremdvergleichsmethode als Öffnungsklausel zur modifizierten Kapitalaufteilungsmethode mindestens das mit Hilfe der Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsunternehmen ermittelte Dotationskapital aufweisen (§ 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV). Ausländischen Versicherungsbetriebsstätten inländischer Versicherungsunternehmen darf dagegen bei Anwendung der Fremdvergleichsmethode maximal das Dotationskapital zugeordnet werden, das sich bei Anwendung der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode ergibt (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BsGaV). Weitere Öffnungsklausel für ausländische Versicherungsbetriebsstätten. Für ausländische Versicherungsbetriebsstätten steht bei Anwendung der Öffnungsklausel nach § 26 Abs. 2 BsGaV – der Fremdvergleichsmethode sowie der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode1 – eine weitere Öffnungsklausel zur Zuordnung eines höheren Dotationskapitals zur Verfügung. Eine ausländische Versicherungsbetriebsstätte darf gemäß § 26 Abs. 3 BsGaV dann ein höheres Dotationskapital, als unter § 26 Abs. 2 BsGaV ermittelt wurde, ausweisen, soweit dies das ausländische Versicherungsaufsichtsrecht erfordert und das inländische Versicherungsunternehmen den Regelungen des ausländischen Versicherungsaufsichtsrechts zur Mindestkapitalausstattung folgt. Bei Prüfung der Anwendungsvoraussetzungen von § 26 Abs. 3 Satz 1 BsGaV ist dabei auf die Summe des Dotationskapitals und der versicherungstechnischen Rückstellungen abzustellen und nicht allein auf die Höhe des Dotationskapitals nach ausländischem Versicherungsaufsichtsrecht.2 Nur wenn diese Summe nach ausländischem Versicherungsaufsichtsrecht die Summe nach inländischem Versicherungsaufsichtsrecht übersteigt, ist § 26 Abs. 3 Satz 1 BsGaV anzuwenden. Des Weiteren ist Voraussetzung, dass dem übrigen Unternehmen rechnerisch mindestens so viel Kapital verbleibt, wie nach inländischem Versicherungsaufsichtsrecht erforderlich wäre (§ 26 Abs. 3 Satz 2 BsGaV). Durch diese Einschränkung soll eine rechnerische Unterkapitalisierung des inländischen Teils des Versicherungsunternehmens vermieden werden.3 Aus dem Zusatz „rechnerisch“ geht hervor, dass die tatsächliche Kapitalisierung des Versicherungsunternehmens nach Versicherungsaufsichtsrecht unerheblich ist und es lediglich auf das fiktive Eigenkapital des inländischen Teils des Versicherungsunternehmens ankommt. Wenn jedoch das Versicherungsunternehmen als Ganzes nach dem inländischen Versicherungsaufsichtsrecht über eine ausreichende Kapitalisierung verfügt und davon der ausländischen Betriebsstätte der Anteil zugeordnet wird, den diese zwingend nach ausländischem Versicherungsaufsichtsrecht ausweisen muss, ist nicht klar, weshalb zusätzlich eine rein rechnerische Unterkapitalisierung des übrigen Unternehmens berücksichtigt werden soll. Die Finanzverwaltung begründet diese Einschränkung mit dem fiktiven Sachverhalt eines eigenständigen Versicherungsunternehmens im Inland, dessen Eigenkapitalausstattung als Vergleichsmaßstab herangezogen wird.4 Dies entspricht dem Gedanken der Mindestkapitalausstattungsmethode, die auf das versicherungsaufsichtsrechtlich geforderte Eigenkapital einer fiktiv eigenständigen Versicherungsbetriebsstätte oder eines fiktiv eigenständigen übrigen Unternehmens abstellt, ohne dabei funktions- und risikobasierte Anpassungen zuzulassen.
6.851
Zuordnung von Vermögenswerten. Anders als bei der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode, die zunächst die der Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnenden Vermögenswerte ermittelt und daraus das Dotationskapital der Betriebsstätte ableitet, wird unter der Fremdvergleichsmethode und der Mindestkapitalausstattungsmethode das Dotationskapital der Betriebsstätte direkt bestimmt. Die Zuordnung der Vermögenswerte kann in diesem Fall nur de-
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Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.26.3, Rz. 328. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.26.3, Rz. 328. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 122. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.26.3, Rz. 329.
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Kap. 6 Rz. 6.852 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
duktiv, nach Ermittlung der Passivseite der Hilfs- und Nebenrechnung erfolgen. Da in der BsGaV und in den Verwaltungsanweisungen keine expliziten Regelungen zur Zuordnung von Vermögenswerten unter der Fremdvergleichsmethode und der Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsunternehmen enthalten sind, kann angenommen werden, dass die Vermögenswerte des Versicherungsunternehmens entsprechend der Vorschriften im OECDBetriebsstättenbericht 2010 zur modifizierten Kapitalaufteilungsmethode und den entsprechenden Regelungen in § 25 Abs. 1 und 3 BsGaV soweit aufzuteilen sind, bis eine ausgeglichene Hilfs- und Nebenrechnung der Versicherungsbetriebsstätte besteht. Der Versicherungsbetriebsstätte wären somit – nach Ermittlung des Dotationskapitals – zunächst die direkt zuordenbaren Vermögenswerte zuzurechnen, bevor anschließend die Aktivseite der Hilfs- und Nebenrechnung mit den sonstigen Vermögenswerten aufgefüllt wird. Dies ergibt sich auch aus § 25 Abs. 4 BsGaV, wonach beim Ausweis eines niedrigeren Dotationskapitals, als nach § 25 Abs. 2 BsGaV vorgesehen ist, eine entsprechende Kürzung der nach § 25 Abs. 1 BsGaV zuzuordnenden Vermögenswerte vorzunehmen ist. In welcher Reihenfolge die Vermögenswerte zu kürzen sind, ist weder in der BsGaV noch in den VWG BsGa geregelt. Aus der Zuordnungssystematik der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode sollten hierfür jedoch zunächst die nach § 25 Abs. 1 BsGaV indirekt über einen Aufteilungsschlüssel zuzuordnenden Vermögenswerte in Höhe der Differenz zwischen dem Dotationskapital nach § 25 Abs. 1 BsGaV und nach § 25 Abs. 3 BsGaV zu kürzen sein. Diese Kürzung sollte auch dann vorgenommen werden, wenn das Dotationskapital der inländischen Versicherungsbetriebsstätte unterjährig nach § 25 Abs. 5 BsGaV angepasst wird. Je nachdem, ob eine Erhöhung oder Verringerung des Dotationskapitals vorgenommen wird, sind der inländischen Versicherungsbetriebsstätte zusätzliche Vermögenswerte zuzuordnen oder diese anteilig zu kürzen, um eine ausgeglichene Hilfs- und Nebenrechnung zu gewährleisten. Gleiches sollte im umgekehrten Fall für ausländische Versicherungsbetriebsstätten gelten, wenngleich es an entsprechenden Regelungen in § 26 BsGaV fehlt. c) Mindestkapitalausstattungsmethode
6.853
Regelmethode für ausländische Versicherungsbetriebsstätten. Die Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsunternehmen stellt gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 BsGaV die Regelmethode für ausländische Versicherungsbetriebsstätten zur Ermittlung des Dotationskapitals dar. Der ausländischen Versicherungsbetriebsstätte ist dabei grundsätzlich nur insoweit ein Dotationskapital zuzuordnen, wie das Unternehmen glaubhaft macht, dass das Dotationskapital in dieser Höhe aus betriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich ist (§ 26 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 BsGaV). Dies entspricht der regulären Mindestkapitalausstattungsmethode für ausländische Betriebsstätten nach der BsGaV. Ausländische Versicherungsbetriebsstätten können von diesem Grundsatz abweichen, wenn das ausländische Versicherungsaufsichtsrecht zwingende Regelungen zur Mindestkapitalausstattung enthält, die die Versicherungsbetriebsstätte ausweisen müsste, wenn sie ein selbstständiges Versicherungsunternehmen wäre (Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten). Die Gründe für den Ansatz eines höheren Dotationskapitals sind nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BsGaV nachzuweisen. Hierfür ist zu zeigen, in welcher Höhe ein vergleichbares ausländisches Versicherungsunternehmen mit Eigenkapital ausgestattet sein müsste und in welcher Höhe tatsächlich Dotationskapital für die ausländische Versicherungsbetriebsstätte angesetzt worden ist.1 Der Ansatz eines höheren Dotationskapitals, als aus betriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich, ist somit optional. 1 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.26.1, Rz. 325.
902 | Karnath
H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.855 Kap. 6
Untergrenze für inländische Versicherungsbetriebsstätten. Für inländische Versicherungsbetriebsstätten stellt die Mindestkapitalausstattungsmethode gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV die Untergrenze für die Öffnungsklausel nach § 25 Abs. 3 Satz 1 BsGaV dar. Dass sich die Untergrenze von § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV lediglich auf die Öffnungsklausel in Satz 1 bezieht, ergibt sich sowohl aus der Verordnungsbegründung1 als auch aus der Verordnungssystematik, die die Untergrenze im selben Absatz regelt wie die Öffnungsklausel. Dagegen soll gemäß Auffassung der Finanzverwaltung die Mindestkapitalausstattungsmethode „dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechend“ auch als Untergrenze für die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode nach § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV gelten.2 Dies steht klar im Widerspruch zum Willen des Verordnungsgebers.3 Auch kann die Begründung der Finanzverwaltung nicht nachvollzogen werden, da die Mindestkapitalausstattungsmethode im Sinne des Regulatory Minimum Approach selbst bereits im Widerspruch zum Fremdvergleichsgrundsatz steht und nicht als AOA-konform angesehen werden kann. Zum anderen gelten dadurch unterschiedliche Zuordnungsmethoden für in- und ausländische Versicherungsbetriebsstätten: Während das aufsichtsrechtliche Mindestkapital im Inbound-Fall das Dotationskapital nach unten begrenzt, sofern die Öffnungsklausel des § 25 Abs. 3 BsGaV angewendet wird, stellt es im Outbound-Fall die Höchstgrenze dar. Diese unterschiedliche Methodenwahl für in- und ausländische Versicherungsbetriebsstätten ist rein fiskalisch geprägt und nicht mit dem Ziel des AOA vereinbar, eine international abgestimmte Vorgehensweise zur Gewinnaufteilung bei (Versicherungs-)Betriebsstätten zu finden.
6.854
Vereinbarkeit mit dem AOA. Die Mindestkapitalausstattungsmethode entspricht dem Regulatory Minimum Approach im OECD-Betriebsstättenbericht 2010, der von der OECD als nicht AOA-konform abgelehnt wird, da er keine Anpassung des aufsichtsrechtlichen Mindestkapitals an das Funktions- und Risikoprofil der Versicherungsbetriebsstätte zulässt.4 Die VWG BsGa verweisen in diesem Zusammenhang allerdings auf den unter dem AOA zulässigen Adjusted Regulatory Minimum Approach,5 der eine solche Anpassung des aufsichtsrechtlichen Mindestkapitals an das Funktions- und Risikoprofil der Versicherungsbetriebsstätte vorsieht und eine unter dem AOA zulässige Zuordnungsmethode ist. Allerdings wurde gemäß der Verordnungsbegründung bereits die Öffnungsklausel in § 25 Abs. 3 Satz 1 BsGaV zur Umsetzung des Adjusted Regulatory Minimum Approach eingefügt, so dass § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV insofern redundant wäre. Daraus ist zu schließen, dass die Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsunternehmen nach § 25 Abs. 3 Satz 2 und § 26 Abs. 1 Satz 1 BsGaV tatsächlich dem nicht AOA-konformen Regulatory Minimum Approach entspricht. Werden die der Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnenden Vermögenswerte ausschließlich indirekt aus dem aufsichtsrechtlichen Mindestkapital im Betriebsstättenstaat und den sonstigen Passiva der Versicherungsbetriebsstätte abgeleitet, kann nicht sichergestellt werden, dass die Vermögenswerte des Versicherungsunternehmens einmalig und vollständig auf alle Unternehmensteile aufgeteilt werden und somit weder eine Doppelbesteuerung noch eine doppelte Nichtbesteuerung eintritt.6
6.855
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Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 119. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.26.1, Rz. 320. Vgl. auch Busch in V/B/B, Verrechnungspreise5, Kap. R, Rz. 197. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 160. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.25.3, Rz. 320. Nach Busch müsste bei einer Stand-Alone-Betrachtung im Regelfall mehr als 100 % des Eigenkapitals des Versicherungsunternehmens auf die einzelnen Teile allokiert werden; vgl. Busch in V/ B/B, Verrechnungspreise5, Kap. R, Rz. 177.
Karnath | 903
Kap. 6 Rz. 6.856 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.856
Ermittlung des Mindestkapitals. Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Kapitalausstattung von Versicherungsunternehmen in Deutschland richten sich nach dem VAG, das in der Fassung vom 1.1.2016 die Solvency II-Richtlinie der EU1 umsetzt. Nach Solvency-II bzw. § 89 Abs. 1 VAG haben Versicherungsunternehmen über anrechnungsfähige Eigenmittel mindestens in Höhe der Solvabilitätskapitalanforderung (Solvency Capital Requirement, SCR) und über anrechnungsfähige Basiseigenmittel mindestens in Höhe der Mindestkapitalanforderung (Minimum Capital Requirement, MCR) zu verfügen. Die aufsichtsrechtlichen Vorschriften zum Mindestkapital beziehen sich somit auf Eigenmittel bzw. Basiseigenmittel, nicht hingegen auf das Eigenkapital, das für Zwecke der Dotationskapitalermittlung von Relevanz ist. Da die aufsichtsrechtlichen Begriffe der (Basis-)Eigenmittel nicht nur das handelsrechtliche Eigenkapital, sondern auch weitere Positionen umfassen, sind diese Positionen der Eigenmittel, die nicht zum handelsrechtlichen Eigenkapital zählen, von der aufsichtsrechtlichen Kapitalausstattung abzuziehen, um das Mindestkapital im Sinne des § 25 Abs. 3 Satz 2, § 26 Abs. 1 BsGaV zu erhalten.2 d) Unterjährige Anpassung des Dotationskapitals
6.857
Anpassung wegen geänderter Personalfunktionen. Das Dotationskapital einer inländischen (§ 25 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 6 BsGaV) bzw. ausländischen (§ 26 Abs. 4 i.V.m. § 13 Abs. 5 BsGaV) Versicherungsbetriebsstätte ist (unterjährig) anzupassen, wenn sich innerhalb eines Wirtschaftsjahrs die Zuordnung von Personalfunktionen, von Vermögenswerten oder von Chancen und Risiken ändert und dies eine erhebliche Änderung der Höhe des Dotationskapitals zur Folge hat. Eine erhebliche Änderung liegt vor, wenn das Dotationskapital zu Beginn des folgenden Wirtschaftsjahrs um mehr als 30 % vom Dotationskapital zu Beginn des Wirtschaftsjahrs abweicht und die Abweichung mindestens 2 Mio. Euro beträgt.3 Die Schwelle von 2 Mio. Euro, die aus den Regelungen für reguläre Betriebsstätten außerhalb der Bankenund Versicherungsbranche unverändert auch für Versicherungsbetriebsstätten übernommen wurde, wird im Regelfall nicht von Relevanz sein, so dass hier vor allem die prozentuale Abweichung im Blick zu halten ist. Dabei ist vor allem auf die Verteilung der Personalfunktionen abzustellen, die über die Zuordnung der Chancen, Risiken und Vermögenswerte bestimmt. Eine Erhöhung oder Verringerung des Dotationskapitals der inländischen Versicherungsbetriebsstätte im Rahmen von § 25 Abs. 5 BsGaV bzw. der ausländischen Versicherungsbetriebsstätte im Rahmen von § 26 Abs. 4 BsGaV hat somit die Zuordnung zusätzlicher Vermögenswerte bzw. die Kürzung der bereits zugeordneten Vermögenswerte zur Folge.
6.858
Anpassung aufgrund des Versicherungsaufsichtsrechts. Zudem ist eine unterjährige Anpassung des Dotationskapitals auch dann vorzunehmen, soweit dies das inländische Versicherungsaufsichtsrecht bei inländischen Versicherungsbetriebsstätten gem. § 25 Abs. 5 BsGaV bzw. das ausländische Versicherungsaufsichtsrecht bei ausländischen Versicherungsbetriebsstätten erfordert. In diesem Fall sind die Vermögenswerte ebenfalls entsprechend anzupassen. Nach Verwaltungsauffassung ist bei inländischen Versicherungsbetriebsstätten über den Verweis in Rz. 322 auf Rz. 143 der VWG BsGa zu beachten, dass von einer unterjährigen Erhöhung des Dotationskapitals abgesehen werden kann, wenn eine solche unterjährige Anpassung nicht sachgerecht wäre, z.B. weil die Veränderung erst am Ende des Jahres eintritt und
1 Richtlinie 2009/138/EG v. 25.11.2009, ABl. EU 2009 Nr. L 335, 1. 2 Siehe hierzu ausführlich Greinert in Rödder/Wassermeyer/Ditz, Internationale Einkünfteabgrenzung, Freundesgabe Baumhoff, S. 104 ff. 3 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.25.5, Rz. 322.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.860 Kap. 6
die steuerlichen Auswirkungen deshalb gering sind. Umgekehrt soll eine Verringerung des Dotationskapitals der inländischen Betriebsstätte nur dann steuerlich anzuerkennen sein, wenn nachgewiesen wird, dass das Unternehmen im Ausland die entsprechenden steuerlichen Konsequenzen gezogen hat. Dadurch soll sichergestellt werden, dass bei einer Reduzierung des Dotationskapitals und einer damit verbundenen Kürzung der Vermögenswerte im Inland die Kapitalerträge und Versicherungsprämien des Versicherungsunternehmens dennoch steuerlich vollständig erfasst werden. Die Erhöhung des Dotationskapitals einer ausländischen Versicherungsbetriebsstätte soll dagegen nur dann anerkannt werden, wenn nachgewiesen wird, dass das inländische Unternehmen im Ausland eine entsprechend gegenläufige Anpassung vorgenommen hat.1
3. Zuordnung von Einkünften aus Vermögenswerten Vorrangig direkte Einkünftezuordnung. Nach der Zuordnung der Vermögenswerte und der Ermittlung des Dotationskapitals erfolgt die Zuordnung der Einkünfte des Versicherungsunternehmens aus den Vermögenswerten. Nach § 27 Abs. 1 BsGaV sollen Einkünfte direkt der Versicherungsbetriebsstätte zugeordnet werden, wenn die entsprechenden Vermögenswerte der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen, der aus Versicherungsverhältnissen entstandenen Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten oder des Dotationskapitals der Versicherungsbetriebsstätte dienen. Diesen Zweck erfüllen zwar alle nach § 25 Abs. 1 BsGaV über einen Allokationsschlüssel zugeordneten Vermögenswerte. Eine direkte Verknüpfung der Vermögenswerte und der damit zusammenhängenden Einkünfte des Versicherungsunternehmens mit bestimmten Passivposten der Versicherungsbetriebsstätte ist jedoch regelmäßig nicht möglich. Die direkte Zuordnung von Einkünften nach § 27 Abs. 1 BsGaV ist damit auf identifizierbare Vermögenswerte begrenzt, die einer Versicherungsbetriebsstätte direkt zugeordnet werden können, wie Einkünften aus einem Bürogebäude oder aus einem Bankdepot, die der Versicherungsbetriebsstätte direkt zugeordnet wurden.2 Auch Dividendeneinkünfte aus strategischen Beteiligungen, die der Versicherungsbetriebsstätte oder dem Stammhaus gemäß § 23 i.V.m. § 7 BsGaV direkt zugeordnet wurden, können in der Regel eindeutig identifiziert und dadurch ebenfalls direkt verteilt werden. Gleiches gilt für Einkünfte aus Prämieneinnahmen aus Versicherungsverträgen, da die Verträge eindeutig einem Teil des Versicherungsunternehmens zugeordnet werden können.3 Zu beachten ist, dass § 27 Abs. 1 BsGaV die Zuordnung von Einkünften und nicht von Einnahmen regelt. Die im wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Ausgaben sind deshalb von den Einnahmen abzuziehen.
6.859
Indirekte Zuordnung über die durchschnittliche Kapitalanlagerendite. Einkünfte aus Vermögenswerten, die nicht direkt einem bestimmten Teil des Versicherungsunternehmens zugeordnet werden können, sind der Betriebsstätte indirekt zuzuordnen. Dabei ist gemäß § 27 Abs. 2 BsGaV die durchschnittliche Kapitalanlagerendite des Versicherungsunternehmens heranzuziehen, um die Höhe der zuzuordnenden Einkünfte der Versicherungsbetriebsstätte zu ermitteln. Als durchschnittliche Kapitalanlagerendite soll der Wert angesetzt werden, der im Rechnungsabschluss des Versicherungsunternehmens ausgewiesen wird.4 Die Anwendung der durchschnittlichen Kapitalanlagerendite soll gemäß Verordnungsgeber zu einer sachgerechten,
6.860
1 2 3 4
Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.26.4, Rz. 330, i.V.m. Tz. 2.13.5, Rz. 151. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 123, VWG BsGa, Tz. 2.27.1, Rz. 333. Vgl. Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten Handbuch2, Rz. 11.281. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 123; VWG BsGa, Tz. 2.27.2, Rz. 336.
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Kap. 6 Rz. 6.860 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
pauschalen Zuordnung der Einkünfte aus Vermögenswerten zur Versicherungsbetriebsstätte führen, ohne dass es einer aufwendigen Untergliederung (z.B. in Zinsen, Dividenden, Mieten) bedürfen würde.1 Gemäß der Finanzverwaltung sind dabei die direkt zugeordneten Vermögenswerte nicht an die Kapitalstruktur des Versicherungsunternehmens anzupassen.2 Wird jedoch die durchschnittliche Kapitalanlagerendite nicht im Hinblick auf die bereits direkt zugeordneten Einkünfte korrigiert und weicht die durchschnittliche Kapitalanlagerendite ohne die direkten Einkünfte von der durchschnittlichen Kapitalanlagerendite unter Einbezug dieser Einkünfte ab, so würde der Versicherungsbetriebsstätte ein zu hoher oder zu niedriger Anteil an den zur Verfügung stehenden Einkünften des Versicherungsunternehmens zugeordnet werden. Die durchschnittliche Kapitalanlagerendite würde in diesem Fall nicht den tatsächlich für die indirekte Verteilung zur Verfügung stehenden Einkünften entsprechen und damit zu verzerrten Ergebnissen führen. Die durchschnittliche Kapitalanlagerendite sollte deshalb für die indirekte Einkünftezuordnung nach § 27 Abs. 2 BsGaV um die Einkünfte, die für Zwecke der Betriebsstättengewinnaufteilung unter § 27 Abs. 1 BsGaV bereits direkt einem bestimmten Teil des Versicherungsunternehmens zugeordnet wurden (z.B. Dividendeneinkünfte aus direkt zugeordneten Beteiligungen), korrigiert werden. Andernfalls würden die Einkünfte des Versicherungsunternehmens im In- und Ausland zum Teil entweder doppelt oder nicht steuerlich erfasst werden. Auch der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 sieht in diesem Zusammenhang verschiedene Möglichkeiten vor, um die Kapitalanlagerendite für die Ermittlung der indirekt zuzuordnenden Einkünfte zu bestimmen. Wird die gesamte Kapitalanlagerendite des Versicherungsunternehmens herangezogen, so sollen Anpassungen vorgenommen werden können, um bspw. den Einfluss von nicht-rentablen Vermögenswerten in der Aufteilung zu berücksichtigen.3 Alternativ kann auch die Rendite derjenigen Vermögenswerte bestimmt werden, die am ehesten mit der Betriebsstätte in Verbindung gebracht werden können, unter Berücksichtigung des von der Versicherungsbetriebsstätte übernommenen Versicherungsrisikos.4
6.861
Nettowert. Die durchschnittliche Kapitalanlagerendite stellt einen Nettowert dar, der die Erträge und Aufwendungen aus Kapitalanlagen berücksichtigt, einschließlich der direkten und indirekten Kosten der Kapitalanlageverwaltung. (Ausschließlich) die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Kapitalerträgen stehenden Aufwendungen sind von den Kapitalerträgen abzuziehen. Aufwendungen, die in keinem direkten wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Kapitalerträgen stehen, sind nach Maßgabe von § 23 i.V.m. § 15 Abs. 1 und 3 BsGaV direkt bzw. indirekt zwischen den einzelnen Teilen des Versicherungsunternehmens aufzuteilen. In analoger Anwendung von § 15 Abs. 3 Satz 1 BsGaV ergibt sich als Aufteilungsfaktor für eine indirekte Zuordnung der Finanzierungsaufwendungen der jeweilige Anteil der einzelnen Teile des Versicherungsunternehmens an den gesamten Passivposten des Unternehmens.
6.862
Direkte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen. Entsprechend der direkten Zuordnung von Einkünften aus Vermögenswerten des Versicherungsunternehmens sollte unter § 27 Abs. 1 BsGaV auch eine direkte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen möglich sein, wenn die entsprechenden Verbindlichkeiten ebenfalls der Versicherungsbetriebsstätte direkt zugeordnet werden und es sich nicht um Aufwendungen handelt, die in direktem wirtschaftlichen Zusammenhang mit Kapitaleinkünften stehen und dadurch in die durchschnittliche Kapitalanlagerendite einfließen. Dies betrifft bspw. Darlehen zur Finanzierung von direkt zuge1 2 3 4
Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 123; ebenso VWG BsGa, Tz. 2.27.2, Rz. 336. Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.27.2, Rz. 336. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 167. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 168.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.865 Kap. 6
ordneten Beteiligungen oder Sachanlagevermögen. Die entsprechenden Aufwendungen sind entweder bereits bei der Einkünfteermittlung im Zusammenhang mit den direkt zugeordneten Einnahmen zu verrechnen oder gesondert als direkt zuordenbare Aufwendungen abzuziehen. Dies entspricht auch der allgemeinen Betriebsstättenregelung des § 15 Abs. 1 BsGaV, wonach Finanzierungsaufwendungen, die mit Passivposten zusammenhängen, die einer Betriebsstätte direkt zuzuordnen sind, dieser ebenfalls direkt zugeordnet werden.
III. Besonderheiten bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Versicherungsunternehmen 1. Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen bei Versicherungsbetriebsstätten Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen. Nachdem die Versicherungsbetriebsstätte für Zwecke der steuerlichen Gewinnaufteilung einem selbstständigen und unabhängigen Unternehmen gleichgestellt wurde, erfolgt im nächsten Schritt die eigentliche Verrechnungspreisanalyse. Da die Betriebsstätte als rechtlich unselbstständiger Teil eines Unternehmens keine Verträge abschließen kann, durch die sich Geschäftsvorfälle mit verbundenen Unternehmen direkt ermitteln lassen, sind zunächst die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (Dealings) der Betriebsstätte zu identifizieren. In der BsGaV sind hierfür keine Sonderregelungen für Versicherungsbetriebsstätten enthalten. Damit gelten nach § 23 i.V.m. § 16 Abs. 2 Satz 1 BsGaV die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 1 AStG. Dabei werden die Funktionen, die von anderen Teilen des Unternehmens im Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschäft der Betriebsstätte ausgeübt werden, über fremdübliche Verrechnungspreise vergütet.1 Grundlage hierfür ist eine Funktions- und Risikoanalyse, auf deren Basis eine Unternehmenscharakterisierung der an einem konzerninternen Geschäftsvorfall beteiligten Unternehmen bzw. an einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung beteiligten Unternehmensteile vorgenommen wird. Die Funktions- und Risikoanalyse sowie die Unternehmenscharakterisierung entscheiden darüber, welchem Unternehmen bzw. Unternehmensteil die Residualgewinne aus einem Geschäftsvorfall zustehen und wem lediglich Routinegewinne zuzuordnen sind.
6.863
Unterstützende Personalfunktionen. Zu den nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergütenden anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen einer Betriebsstätte gehören insbesondere die unterstützenden Personalfunktionen anderer Teile des Versicherungsunternehmens, die für die Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt werden, der ein Versicherungsvertrag und die damit verbundenen Chancen, Risiken und Vermögenswerte zugeordnet werden. Unterstützende Personalfunktionen sind gemäß § 24 Abs. 7 i.V.m. § 19 Abs. 5 BsGaV die Personalfunktionen, die der Sache nach zur unternehmerischen Risikoübernahmefunktion gehören können, aber in einem Teil des Versicherungsunternehmens ausgeübt werden, dem die unternehmerische Risikoübernahmefunktion nicht zugeordnet wird. Daneben zählen auch Personalfunktionen, die der Verwaltung des Versicherungsvertrags nach dessen Abschluss dienen, sowie andere unterstützende Funktionen zu den unterstützenden Personalfunktionen.2
6.864
Dienstleistung. Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung handelt es sich bei den unterstützenden Personalfunktionen in der Regel um Dienstleistungen, die auf Grundlage einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode zu vergüten sind.3 In den VWG BsGa ist hierzu
6.865
1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 181. 2 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.7, Rz. 313. 3 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.7, Rz. 312.
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Kap. 6 Rz. 6.865 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
ein Beispiel enthalten, in dem die unternehmerische Risikoübernahmefunktion zwar grundsätzlich in der Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt wird, die Festlegung der Zeichnungsstrategie, die Bestandteil des Zeichnungsprozesses ist, jedoch im Stammhaus erfolgt. Die Festlegung der Zeichnungsstrategie stellt damit eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung dar, die als fiktive Dienstleistung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten ist.1 Die Qualifizierung der Festlegung der Zeichnungsstrategie – eine Funktion, die eigentlich Bestandteil der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion ist – als eine (Routine-)Dienstleistung, die auf Basis der Kostenaufschlagsmethode zu vergüten ist, ohne detaillierte Analyse des zugrundeliegenden Funktions- und Risikoprofils der beteiligten Unternehmensteile, kann dabei nur als Vereinfachungsregel zu verstehen sein, von der der Steuerpflichtige Gebrauch machen kann. Es sollte aber dennoch die Möglichkeit bestehen, die Verrechnungspreise für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen der Betriebsstätte nach den allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätzen des § 1 Abs. 1 und 3 AStG und damit unter Berücksichtigung des Funktions- und Risikoprofils der beteiligten Unternehmen bzw. Unternehmensteile im konkreten Einzelfall zu ermitteln.
6.866
Unternehmerische Risikoübernahmefunktion als Entrepreneurfunktion. Die Einstufung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen als – im Regelfall – Dienstleistung, die auf Basis der Kostenaufschlagsmethode zu vergüten ist, verstärkt die Bedeutung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion für die Betriebsstättengewinnaufteilung. Die Residualgewinne verbleiben dadurch bei der Betriebsstätte, die die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausübt. Der Identifizierung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion kommt folglich die zentrale Rolle bei der Betriebsstättengewinnaufteilung zu. Zwar enthalten die BsGaV und die VWG BsGa keine Beispiele für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen, die keine fiktiven, auf Basis der Kostenaufschlagsmethode zu vergütenden Dienstleistungen darstellen. Denkbar wäre jedoch die Verrechnung von Lizenzen für die Nutzungsüberlassung von Marken oder anderer immaterieller Wirtschaftsgüter oder die Ausübung vergleichbarer Funktionen für unverbundene Unternehmen (z.B. Asset-Management-Funktionen), die gegenüber den fremden Dritten nicht auf Basis der Kostenaufschlagsmethode abgerechnet werden.
6.867
Aufteilung von Funktionen gemäß der OECD. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 enthält weitaus komplexere und zugleich weniger eindeutige Regelungen zur Zuordnung von Gewinnen zwischen Versicherungsstammhaus und Versicherungsbetriebsstätte. So ist bereits im ersten Schritt das Versicherungsrisiko innerhalb des Versicherungsunternehmens aufzuteilen, wenn mehrere Teile des Versicherungsunternehmens die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausüben. Diese Unternehmensteile stellen dann die gemeinsamen wirtschaftlichen Eigentümer des entsprechenden Versicherungsrisikos dar. Die mit dem Versicherungsrisiko verbundenen Vermögenswerte, Versicherungsprämien und Kapitalerträge sind in diesem Fall ebenfalls zwischen den an der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion beteiligten Unternehmensteilen aufzuteilen.2 Damit wird bereits im Rahmen der Umsetzung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte eine Gewinnaufteilung zwischen den einzelnen Teilen eines Versicherungsunternehmens erreicht, noch vor Anwendung der eigentlichen Verrechnungspreismethoden auf die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen. Im oben beschriebenen Beispiel in den VWG BsGa,3 in dem die unternehmerische Risikoübernahmefunktion zwar grundsätzlich in der Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt wird, die Festlegung 1 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.7, Rz. 313. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 108. 3 Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.24.7, Rz. 313.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.869 Kap. 6
der Zeichnungsstrategie, die Bestandteil des Zeichnungsprozesses ist, jedoch im Stammhaus erfolgt, würde die Festlegung der Zeichnungsstrategie nach den Regelungen der OECD somit keine fiktive Dienstleistung darstellen, sondern zu einer Aufteilung der Versicherungsverträge, der damit verbundenen versicherungstechnischen Rückstellungen sowie der Versicherungsprämien zwischen Stammhaus und Betriebsstätte führen. Diese Aufteilung sollte dabei keine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung darstellen, da sie (lediglich) im ersten Schritt zur Umsetzung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und der Ermittlung und Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an den Versicherungsverträgen und Versicherungsrisiken vorgenommen wird. Vergütung von Funktionen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz. Erst im zweiten Schritt der Betriebsstättengewinnaufteilung erfolgt dann die eigentliche Vergütung der von anderen Teilen des Unternehmens erbrachten Funktionen.1 Anders als die deutsche Finanzverwaltung geht die OECD jedoch nicht davon aus, dass diese Funktionen in der Regel Dienstleistungen darstellen, die über die Kostenaufschlagsmethode zu vergüten sind. Vielmehr stehen alle Verrechnungspreismethoden zur Verfügung, von der Vergütung als Routine-Dienstleistung bis hin zur Aufteilung der Gewinne auf Basis der Profit-Split-Methode.2 Damit sind im Umkehrschluss die unterstützenden Personalfunktionen anderer Teile des Versicherungsunternehmens nicht zwingend als Routine-Dienstleistung zu qualifizieren, sondern können auch als höherwertige Aktivitäten eingestuft werden, in Abhängigkeit der Funktions- und Risikoanalyse und des jeweiligen Wertschöpfungsbeitrags. Dadurch wäre grundsätzlich auch ein zweifacher Profit Split möglich – sowohl im ersten Schritt im Rahmen der Zuordnung der Versicherungsverträge und der damit verbundenen versicherungstechnischen Rückstellungen, Prämien und Kapitalerträge auf Grundlage der anteiligen Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion, als auch im zweiten Schritt der Betriebsstättengewinnaufteilung, der Vergütung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte bzw. zwischen einzelnen Betriebsstätten eines Versicherungsunternehmens. In diesem Fall würden im zweiten Schritt der Gewinnaufteilung auch mehr anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen vorliegen als nach den nationalen Regelungen der BsGaV, da die unterstützenden Funktionen bei einer Aufteilung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion an alle wirtschaftlichen Eigentümer gleichzeitig und nicht nur an den einzigen wirtschaftlichen Eigentümer erbracht werden würden.
6.868
2. Vergleichbarkeitsanalyse Vergleichbarkeitsanalyse. Die Verrechnungspreise für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Teilen eines Versicherungsunternehmens beruhen gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 und 4 AStG auf dem Fremdvergleichsgrundsatz nach § 1 Abs. 1 und 3 AStG, der auch für Transaktionen zwischen verbundenen Versicherungsunternehmen anzuwenden ist. Der Verrechnungspreisermittlung sind, soweit vorhanden, vergleichbare Geschäftsvorfälle mit oder zwischen fremden Dritten zugrunde zu legen. Ob ein solcher Geschäftsvorfall mit der konzerninternen Transaktion bzw. der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung vergleichbar ist und damit für die Verrechnungspreisermittlung herangezogen werden kann, ist anhand mehrerer Vergleichbarkeitsfaktoren zu prüfen. Zu diesen Faktoren zählen (1.) die vertraglichen Bedingungen des Geschäftsvorfalls; (2.) die ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken; (3.) die Eigenschaften
1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 181. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 181.
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6.869
Kap. 6 Rz. 6.869 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
des übertragenen Wirtschaftsguts oder der erbrachten Dienstleistung; (4.) die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten und des relevanten Markts; (5.) und die von den Beteiligten verfolgten Geschäftsstrategien.1 Für die Anwendung der Vergleichsbarkeitsanalyse auf die Verrechnungspreisermittlung bei Betriebsstätten sind diese Vergleichbarkeitsfaktoren auf die Analyse vergleichbarer anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen zu übertragen.2 – Vertragliche Bedingungen des Geschäftsvorfalls. Hier sollten keine Besonderheiten für Versicherungsunternehmen und Versicherungsbetriebsstätten bestehen, die im Rahmen der Verrechnungspreisanalyse zu berücksichtigen wären. Aufgrund der fehlenden rechtlichen Selbstständigkeit der Betriebsstätte sind die Bedingungen des Geschäftsvorfalls dabei allerdings nicht aus (schriftlichen) Verträgen, sondern aus der Umsetzung der Selbstständigkeitsfiktion und deren Analyse ersichtlich.3 Maßgeblich sind dabei die im ersten Schritt der Betriebsstättengewinnaufteilung zugeordneten Personalfunktionen, Chancen und Risiken der Betriebsstätte, die die Bedingungen der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung vorgeben und der Vergleichbarkeitsanalyse zugrunde zu legen sind. – Funktionen, Wirtschaftsgüter und Risiken. Versicherungsunternehmen und das Versicherungsgeschäft selbst bestehen häufig aus einer Vielzahl meist stark integrierter Funktionen, die oft auch anders strukturiert werden als zwischen unverbundenen Parteien. So werden beispielsweise einzelne Funktionen innerhalb des Zeichnungsprozesses zwischen verbundenen Unternehmen bzw. zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufgeteilt, die von unverbundenen Unternehmen ausschließlich allein und ohne Unterstützung anderer Unternehmen durchgeführt werden. Diese integrierten unternehmensinternen Geschäftsvorfälle können nur schwer für Zwecke der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes isoliert betrachtet werden, was die Anwendung einer geschäftsvorfallbezogenen Standardmethode auf Transaktionsbasis erschwert.4 Um in diesen Fällen dennoch fremdübliche Verrechnungspreise ermitteln zu können, sind die konzerninternen Transaktionen bzw. anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen entweder für Zwecke der Verrechnungspreisanalyse zu aggregieren oder die Verrechnungspreise sind mit Hilfe einer Gewinnmethode zu ermitteln. – Eigenschaften des übertragenen Wirtschaftsguts oder der erbrachten Dienstleistung. Hinsichtlich des dritten Vergleichbarkeitsfaktors bestehen grundsätzlich keine Besonderheiten für Versicherungsunternehmen, so dass hier die allgemeinen Grundsätze der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien5 zu berücksichtigen sind.6 – Wirtschaftliche Verhältnisse der Beteiligten und des relevanten Markts. Hier ist zu beachten, dass Versicherungsunternehmen zum Teil nicht vollständig mit Unternehmen nicht-regulierter Branchen verglichen werden können. Geschäftsvorfälle von Vergleichsunternehmen anderer Branchen sollten in diesem Fall entsprechend angepasst werden,7 wobei die OECD offen lässt, wie eine solche Anpassung vorzunehmen ist. Zudem ist auch fraglich, ob die Anpassung für jede Art von Geschäftsvorfall erforderlich ist. Insbesondere bei bestimmten Routine-Dienstleistungen, wie allgemeinen Verwaltungsleistungen, sollte
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Tz. 1.36 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 183. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 187. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 186. Vgl. Tz. 1.107 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 185. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 189.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.870 Kap. 6
die aufsichtsrechtliche Regulierung keinen Einfluss auf die Vergütung der Vergleichstransaktion und damit die Verrechnungspreisermittlung haben. Dagegen können bei anderen Transaktionsarten, z.B. im Asset Management für Versicherungsunternehmen, Unterschiede bestehen, die Einfluss auf die Verrechnungspreisanalyse haben können, so dass für diese Transaktionen Vergleichsunternehmen aus der Versicherungsbranche herangezogen werden sollten. – Geschäftsstrategien. Hier bestehen wiederum keine versicherungsspezifischen Besonderheiten, die bei der Auswahl von Vergleichsunternehmen zu berücksichtigen wären.1 Im Rahmen der Vergleichsanalyse ist somit zu berücksichtigen, dass die einzelnen Funktionen eines Versicherungsunternehmens sehr viel stärker zwischen den einzelnen Teilen des Unternehmens aufgeteilt werden als zwischen fremden Dritten und zugleich eine höhere Integration dieser Funktionen stattfindet, was die Auswahl von Vergleichstransaktionen und eine transaktionsbezogene Verrechnungspreisermittlung auf Basis der Standardmethoden erschwert. In diesem Fall kann es erforderlich sein, die davon betroffenen konzerninternen Transaktionen bzw. anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen für die Verrechnungspreisermittlung stärker zu aggregieren oder Gewinnmethoden, insbesondere die Profit-SplitMethode, anzuwenden. Zudem ist zu prüfen, ob und in welchen Fällen die aufsichtsrechtliche Regulierung des untersuchten Versicherungsunternehmens Einfluss auf die Preisgestaltung hat und wie dieser Einfluss für Verrechnungspreiszwecke zu berücksichtigen ist, wenn keine Vergleichstransaktionen aus der Versicherungsbranche verfügbar sind.
3. Verrechnungspreisermittlung für typische Leistungsbeziehungen von Versicherungsunternehmen a) Zeichnungsprozess Aufteilung der einzelnen Schritte des Zeichnungsprozesses. Die Ausübung des Zeichnungsprozesses vermittelt in der Regel das wirtschaftliche Eigentum an einer Versicherungspolice und den damit verbundenen Prämien und Kapitaleinkünften.2 Werden dabei im Fall von Betriebsstätten die einzelnen Schritte des Zeichnungsprozesses nicht nur von einem Teil des Versicherungsunternehmens ausgeübt, sondern sowohl vom Stammhaus als auch der Betriebsstätte oder von mehreren Betriebsstätten gleichzeitig, so kann dies gemäß den Regelungen des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 zu einer Aufteilung der Versicherungsverträge und der damit verbundenen Einkünfte im ersten Schritt der Betriebsstättengewinnaufteilung führen. Eine zusätzliche Verrechnung der Leistungen der einzelnen Unternehmensteile im Rahmen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung sollte in diesem Fall ausgeschlossen sein. In Abhängigkeit des konkreten Geschäftsmodells und der Funktions- und Risikoanalyse kann der Zeichnungsprozess jedoch auch lediglich als unterstützende Personalfunktion qualifiziert werden. Die Ausübung einzelner Schritte des Zeichnungsprozesses durch einen anderen Teil des Unternehmens wäre in diesem Fall ebenfalls nur als Dienstleistung einzustufen, die jedenfalls nicht wirtschaftliches Eigentum an den abgeschlossenen Versicherungsverträgen vermittelt. Dies gilt auch, wenn der Zeichnungsprozess zwar die unternehmerische Risikoübernahmefunktion des Versicherungsunternehmens darstellt, die Versicherungsverträge und die damit zusammenhängenden Vermögenswerte, Chancen und Risiken entsprechend der Vorschriften der BsGaV und der VWG BsGa aber nur einem Teil des Versicherungsunternehmens zugeordnet werden. 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 190. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 193.
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6.870
Kap. 6 Rz. 6.871 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
6.871
Anzunehmende schuldrechtliche Beziehung. Stellt die Ausübung einzelner Schritte des Zeichnungsprozesses durch andere Teile des Versicherungsunternehmens eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung mit dem Teil des Unternehmens dar, dem nach dem Konzept der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion die Versicherungsverträge zugeordnet werden, so ist mit Hilfe einer Funktions- und Risikoanalyse bzw. einer Wertschöpfungsanalyse zu ermitteln, wie diese Funktion zu qualifizieren und zu vergüten ist. Grundsätzlich sollten dabei alle Verrechnungspreismethoden für die Ermittlung eines angemessenen Verrechnungspreises zur Verfügung stehen. So können einzelne Schritte des Zeichnungsprozesses von eher untergeordneter Bedeutung und damit eher Routinefunktionen sein, während andere Schritte als hoch wertschöpfend einzustufen sind, die entsprechend höher zu vergüten sind. Diese Einstufung hängt auch vom jeweiligen Versicherungsgeschäft ab.
6.872
Anwendung der Profit-Split-Methode. Ergibt die Funktions- und Risikoanalyse, dass die Ausübung (eines Teils) des Zeichnungsprozesses wesentlich zur Wertschöpfung beiträgt und die Voraussetzungen für die Anwendung der Profit-Split-Methode vorliegen, so müsste der transaktionsbezogene Gewinn aus der Ausübung (eines Teils) des Zeichnungsprozesses ermittelt werden. Es müsste folglich der Gewinn des leistungsempfangenden Teils des Versicherungsunternehmens identifiziert werden, der mit Hilfe der von einem anderen Teil des Unternehmens erbrachten Funktionen innerhalb des Zeichnungsprozesses erwirtschaftet wurde. Dies wäre jedoch in der Praxis kaum umsetzbar, da zwar die betroffenen Versicherungsverträge und damit die relevanten versicherungstechnischen Rückstellungen ermittelt werden könnten. Die Kapitalanlagen und die daraus resultierenden Kapitalerträge sind in der Regel jedoch nicht einzelnen Versicherungsverträgen zuordenbar, so dass der transaktionsbezogene Gewinn nicht direkt ermittelt werden kann. Etwas anderes gilt nur, wenn die Funktionsaufteilung die gesamten Versicherungsaktivitäten des Unternehmens betrifft und damit der Gesamtgewinn des Versicherungsunternehmens der Aufteilung zugrunde gelegt werden kann. Dabei ist jedoch bei Versicherungsbetriebsstätten immer auch das Ergebnis des ersten Schritts der Gewinnaufteilung zu berücksichtigen: Wurde auf Basis der Funktions- und Risikoanalyse der Zeichnungsprozess nicht als unternehmerische Risikoübernahmefunktion identifiziert, der damit auch nicht zu einer auch nur partiellen Zuordnung der Versicherungsverträge und der damit zusammenhängenden Vermögenswerte, Chancen und Risiken führt, so sollte der zweite Schritt der Verrechnungspreisanalyse auch zu keinem anderen Ergebnis kommen. Die Ausübung des Zeichnungsprozesses im Rahmen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung durch einen anderen Teil des Unternehmens wäre in diesem Fall deshalb auch nicht auf Basis der Profit-Split-Methode, sondern als Dienstleistung, z.B. auf Grundlage der Kostenaufschlagsmethode, zu vergüten. b) Risikomanagement und Rückversicherung
6.873
Keine Anerkennung einer internen Rückversicherung. Die Entscheidung darüber, ob ein Versicherungsvertrag innerhalb eines Unternehmens rückversichert werden soll, stellt keine unternehmerische Risikoübernahmefunktion dar, die eine Zuordnungsänderung des Versicherungsvertrags rechtfertigen würde.1 Zugleich wird auch die Übertragung des versicherungstechnischen Risikos aus einem Versicherungsvertrag, der einer Betriebsstätte nach Maßgabe von § 24 BsGaV zugeordnet wurde, auf einen anderen Teil des Versicherungsunternehmens gemäß § 28 BsGaV nicht anerkannt. Eine Rückversicherung über ein nahestehendes oder ein unverbundenes Versicherungsunternehmen ist dagegen nicht von § 28 BsGaV erfasst. Dies 1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, S. 124.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.875 Kap. 6
insbesondere deshalb, weil sich die Risikostruktur des Versicherungsunternehmens beim Abschluss eines Rückversicherungsvertrags mit einem nahestehenden oder einem unverbundenen Versicherungsunternehmen ändert. Die Zuordnung eines solchen Rückversicherungsvertrags richtet sich nach § 9 BsGaV.1 Der Fremdvergleichsgrundsatz des Art. 9 Abs. 1 OECDMA wird dadurch allerdings nicht – wie vom AOA beabsichtigt – auf das Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nach Art. 7 OECD-MA übertragen. Die Weitergabe versicherungstechnischer Risiken über eine Rückversicherung setzt Kapital frei, das dem abgebenden Unternehmen für andere Zwecke zur Verfügung steht. Diese unternehmerische Entscheidung, die zwischen verbundenen Unternehmen anerkannt wird, sollte auch innerhalb eines Unternehmens anerkannt werden. In Übereinstimmung mit den Regelungen zur Weitergaben von Risiken zwischen verbundenen Unternehmen nach den OECD-Verrechnungspreisrichtlinien, die eine rein vertragliche Risikoweitergabe nicht zulassen,2 sollte hierfür auch im Betriebsstättenkontext genau geprüft werden, welche Rolle die Rückversicherung im Unternehmen spielt, wer im Unternehmen die wesentlichen Entscheidungen hinsichtlich der Rückversicherung trifft und durch wen die Rückversicherung gesteuert und kontrolliert wird. Wäre nach diesen Grundsätzen eine Rückversicherung zwischen verbundenen Unternehmen anzuerkennen, sollte dies auch für eine Risikoweitergabe innerhalb eines Unternehmens gelten. Auffassung der OECD. Die Nicht-Anerkennung einer unternehmensinternen Rückversicherung entspricht grundsätzlich auch der Regelung im OECD-Betriebsstättenbericht 2010, wenngleich die OECD der internen Rückversicherung keine vollständige Absage erteilt. Eine Übertragung des versicherungstechnischen Risikos innerhalb eines Unternehmens wäre nach OECD-Auffassung allerdings nur dann möglich, wenn gezeigt werden kann, dass die Personalfunktion des Risikomanagements tatsächlich als unternehmerische Risikoübernahmefunktion anzusehen ist.3 Da diese Funktion jedoch in der Regel von untergeordneter Bedeutung ist, verbleibt das versicherungstechnische Risiko beim abgebenden Unternehmensteil. Die Ausübung der Risikomanagement-Funktion durch einen anderen Teil des Unternehmens stellt in diesem Fall lediglich eine Dienstleistung dar, die mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode vergütet werden kann.4 In einzelnen Fällen kann es nach Auffassung der OECD jedoch auch angemessen sein, diese Funktion durch Beteiligung an den Gewinnen aus dem Rückversicherungsvertrag zu vergüten.5
6.874
Asset-Liability-Management. Neben der Frage der Rückversicherung eines Versicherungsrisikos ist auch das Asset-Liability-Management ein Bestandteil der Risikomanagement-Funktion eines Versicherungsunternehmens. Das Asset-Liability-Management, das die Steuerung und Abstimmung der Kapitalanlagen auf der Aktivseite mit den versicherungstechnischen Rückstellungen auf der Passivseite umfasst, kann eine wesentliche Rolle für die Profitabilität des gesamten Versicherungsunternehmens spielen.6 Diese Funktion wird häufig zentral von einem verbundenen Unternehmen für die gesamte Versicherungsgruppe bzw. vom Stammhaus des Versicherungsunternehmens für die Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt. Aufgrund der Bedeutung der Funktion für die Wertschöpfung des Versicherungsunternehmens kann es angemessen sein, diese Funktion mit Hilfe einer Gewinnmethode zu vergüten. Dies ist insbesondere in den Fällen denkbar, in denen unverbundene Unternehmen für vergleichbare Funktionen
6.875
1 2 3 4 5 6
Vgl. VWG BsGa, Tz. 2.28, Rz. 339. Vgl. Tz. 1.60 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 179. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 195. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 179. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 196.
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Kap. 6 Rz. 6.875 | Verrechnungspreisbestimmung für den Liefer- und Leistungsaustausch
eine gewinnbasierte Vergütung (z.B. Anteil des Brutto- oder Nettogewinns) erhalten oder wenn die von unterschiedlichen Teilen des Unternehmens ausgeübten Funktionen so integriert sind, dass eine isolierte Betrachtung nicht möglich ist.1 Die Vergütung würde in diesen Fällen auf Basis der Gewinnaufteilungsmethode ermittelt werden. Ob diese Methode im Einzelfall angemessen ist, sollte auf Basis einer detaillierten Funktions- und Risiko- sowie Vergleichbarkeitsanalyse untersucht werden. c) Asset Management
6.876
Kapitalanlageverwaltung als interne Dienstleistung. Das Asset Management, die Verwaltung der Kapitalanlagen, wird in Versicherungskonzernen häufig zentral von einem Unternehmen für die gesamte Gruppe ausgeübt. Im Rahmen der Umsetzung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für steuerliche Zwecke werden die Kapitalanlagen des Versicherungsunternehmens dabei bereits in Schritt 1 der Verrechnungspreisanalyse entsprechend dem jeweiligen anteiligen Versicherungsrisiko zwischen den einzelnen Teilen des Versicherungsunternehmens aufgeteilt. Die mit den Kapitalanlagen verbundenen Risiken (Kapitalanlagerisiko, Asset-Liability-Mismatch-Risiko, Renditerisiko) sind deshalb ebenfalls anteilig der Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnen. Die Kapitalanlageverwaltung stellt dabei in der Regel lediglich eine risikoarme Dienstleistung dar. Für die Ermittlung angemessener Verrechnungspreise kann hierfür häufig auf Vergleichswerte mit oder zwischen fremden Dritten zurückgegriffen werden, die vergleichbare Asset Management Leistungen erbringen (z.B. Fonds Manager),2 unter Berücksichtigung versicherungsspezifischer Besonderheiten3 durch Verwendung von Vergleichswerten aus der gleichen Branche. d) Produktmanagement und Produktentwicklung
6.877
Unterschiedliche Wertschöpfungsbeiträge. Die Bedeutung des Produktmanagements und der Produktentwicklung hängen stark von der jeweiligen Versicherung ab. Bei Standard-Versicherungsprodukten, die von allen Teilen des Versicherungsunternehmens bzw. mehrerer verbundener Unternehmen vermarktet werden (und auch von fremden Dritten vermarktet werden können), sind das Produktmanagement und die Produktentwicklung eher von untergeordneter Bedeutung. In diesem Fall kann die Kostenaufschlagsmethode eine geeignete Verrechnungspreismethode für die Ausübung dieser Funktion durch ein verbundenes Unternehmen bzw. einen anderen Teil des Versicherungsunternehmens sein. Werden im Rahmen der Produktentwicklung dagegen einzelne Versicherungsprodukte speziell für ein bestimmtes Versicherungsunternehmen bzw. einen Teil davon entwickelt und dabei immaterielle Werte eingesetzt und möglicherweise sogar neu geschaffen, kann es sich auch um eine höherwertige Transaktion handeln, die eher mit Hilfe einer gewinnbasierten Verrechnungspreismethode zu vergüten ist.
1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 196. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Part IV, Rz. 198. 3 So verfolgen Versicherungen in der Regel langfristige Investitionsstrategien unter Einhaltung aufsichtsrechtlicher Anforderungen, anstelle kurzfristiger Gewinnstrategien über kontinuierlich aktives Management von Assets.
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H. Verrechnungspreise bei Versicherungen | Rz. 6.878 Kap. 6
e) Marketing und Vertrieb Abgrenzung zum Zeichnungsprozess. Die Vertriebsfunktion fällt häufig mit dem Zeichnungsprozess zusammen, der bei Versicherungsbetriebsstätten als unternehmerische Risikoübernahmefunktion über die Zuordnung des Versicherungsvertrags und der damit zusammenhängenden Vermögenswerte, Chancen und Risiken entscheidet. Der Zeichnungsprozess und die Marketing- und Vertriebsfunktion werden in diesem Fall zusammen in einem Teil des Versicherungsunternehmens ausgeübt, sodass keine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung vorliegt, die zu vergüten wäre. Insbesondere durch die fortschreitenden Entwicklungen im Bereich des digitalen Marketings und Vertriebs können diese Funktionen jedoch auch von anderen Teilen des Versicherungsunternehmens ausgeübt werden, die nicht im Zeichnungsprozess involviert sind, ohne dass sich dadurch Änderungen im Hinblick auf die Zuordnung des Versicherungsvertrags ergeben. In diesem Fall ist ein angemessener Verrechnungspreis für die Marketing- und Vertriebsfunktion zu ermitteln. Im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung digitaler Geschäftsmodelle in der Versicherungsbranche, mit entsprechenden Herausforderungen an Marketing und Vertrieb, kann diese Funktion sowohl als reine Routine-Dienstleistung als auch als wesentliche wertschöpfende Funktion eingeordnet werden. Die Auswahl einer geeigneten Verrechnungspreismethode hängt somit vom jeweiligen Versicherungsgeschäft und der Wertschöpfungsanalyse im konkreten Einzelfall ab.
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Kapitel 7 Funktionsverlagerungen A. Gründe für Funktionsverlagerungen B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung I. Unternehmerische Dispositionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besteuerung von Funktionsverlagerungen ab 2008 – Überblick . . . . . . III. Gesetzesänderungen im Jahr 2021 und ihre Auswirkungen auf die Besteuerung von Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Besteuerung von Funktionsverlagerungen bis 2007 – Überblick . . . . . . C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktion 1. Betriebswirtschaftliche Definition 2. Steuerliche Definition . . . . . . . . . III. Verlagerung der Funktion . . . . . . . . IV. Übergang von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen . . . . . . . . . . V. Abgrenzung zur Funktionsverdoppelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Funktionsverlagerung im Zeitablauf D. Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktionsverlagerung auf ein Routineunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Übertragung oder Überlassung von Wirtschaftsgütern . . . . . . . . . . . . . . . IV. Personalentsendung im Konzern . . V. Keine Funktionsverlagerung unter Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3b AStG I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesamtbewertung eines Transferpakets als gesetzlicher Regelfall 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs zur Transferpaketbewertung . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1
7.3 7.5
7.11 7.17
7.21 7.25 7.29 7.43 7.58 7.64 7.68
7.71 7.72 7.81 7.83 7.85
7.90 7.95 7.96
3. Bewertung eines Transferpakets auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs a) Hypothetischer Fremdvergleich als Regelfall . . . . . . . . 7.98 b) Ermittlung eines Einigungsbereichs aa) Vorbemerkungen . . . . . 7.99 bb) Bestimmung der Gewinnpotentiale für das Transferpaket . . . . . . . . 7.101 cc) Ermittlung eines sachgerechten Kapitalisierungszeitraums . . . . . . . . . . . 7.106 dd) Ableitung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes . . . . . . . . . . . 7.108 c) Auswahl eines Verrechnungspreises aa) Bestimmung der Grenzen des Einigungsbereichs . 7.110 bb) Keine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten . . . . . . . . 7.112 cc) Ermittlung des zutreffenden Werts im Einigungsbereich . . . . . . . . . . . . . . 7.120 d) Korrektur von Verrechnungspreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.123 III. Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter als Ausnahme 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . 7.125 2. Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter bis 2021 . . . . . . 7.127 a) Keine Verlagerung wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter oder Vorteile . . 7.129 b) Summe der Einzelverrechnungspreise entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz . 7.132 c) Verlagerung von zumindest einem wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgut . . . . . 7.133 3. Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter ab 2022 . . . . . . 7.137 4. Zivilrechtliche Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.139
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Kap. 7 | Funktionsverlagerungen F. Preisanpassungsregelungen des § 1a AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.142 G. Funktionsverlagerung ins Inland . . 7.148 H. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen I. Verlagerung der Einkaufsfunktion 1. Organisationsformen des Einkaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.149 2. Besteuerung einer Funktionsverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.156 II. Verlagerung der Produktionsfunktion 1. Verlagerung auf einen Lohnfertiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.161 2. Verlagerung auf einen Eigenproduzenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.167
III. Verlagerung der Vertriebsfunktion 1. Gründung einer Vertriebsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.185 2. Funktionsabschmelzung zum Kommissionär a) Betriebswirtschaftliche Gründe einer Funktionsabschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.188 b) Verdeckte Gewinnausschüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.190 c) Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG . . . 7.195 IV. Verlagerung der Dienstleistungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.198 I. Funktionsverlagerung und Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.200
Literatur: Andresen, Grundsätzliche Grundfreiheitskompatibilität des § 1 AStG definiert gleichzeitig Freiräume des BFH, dessen Grundfreiheitswidrigkeit über § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG hinaus festzustellen, IStR 2010, 289; Andresen/Holtrichter, BFH-Urteil v. 27.11.2019 – „In dubio pro fisco germano“ oder „Vom Fremdvergleich zum hinkenden Rechtsfolgenvergleich“, DStR 2021, 65; Bärsch/Ditz/Engelen/ Quilitzsch, Die Reform des § 1 AStG – Überblick und erste kritische Würdigung, DStR 2021, 1785; Baumhoff, Verrechnungspreispolitik gegenüber ausländischen Lohnfertigern, in Kleineidam (Hrsg.), Unternehmenspolitik und internationale Besteuerung, Festschrift für Lutz Fischer, Berlin 1999, 487; Baumhoff, Eigenproduzent vs. Lohnfertiger – Qualifikation ausländischer Produktionsstätten für Zwecke der steuerlichen Verrechnungspreisplanung, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, Köln 2000, 53; Baumhoff, Die steuerliche Bewertung von Transferpaketen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, 541; Baumhoff, Praxisprobleme bei der Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, WPg 2012, 396; Baumhoff/Bodenmüller, Die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 541; Baumhoff/ Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, DStR 2007, 1649; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.2008, IStR 2008, 1945; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach den Änderungen des § 1 Abs. 3 AStG durch das EUUmsetzungsgesetz, DStR 2010, 1309; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerung nach den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, Ubg 2011, 161; Baumhoff/Greinert, Angemessene Lizenzsätze bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, Ubg 2009, 544; Baumhoff/Liebchen, Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen, in Mössner u.a. (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl., Köln 2018; Baumhoff/Puls, Der OECD-Diskussionsentwurf zu Verrechnungspreisaspekten von „Business Restructurings“ – Analyse und erster Vergleich mit den deutschen Funktionsverlagerungsregeln nach § 1 Abs. 3 AStG, IStR 2009, 73; Bernhardt/van der Ham/Kluge, Die Expansion deutscher Unternehmen ins Ausland: Steuerliche Implikationen der Gründung von Vertriebsgesellschaften – Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen im Fall von „Vertriebsabspaltungen“, IStR 2008, 1; Bieg/Kußmaul/Waschbusch, Investition, 3. Aufl., München 2016; Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, Düsseldorf 2004; Bohr, Die Transferpaket(be)rechnung – die Quadratur des Kreises, IWB
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Funktionsverlagerungen | Kap. 7 2008, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2285; Borberg/Runge, Umsatzsteuer bei Umstrukturierungen, in Heidecke/Schmidtke/Wilmanns (Hrsg.), Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise, Wiesbaden 2017, 453; Borstell, Verrechnungspreispolitik bei konzerninternen Lieferungsbeziehungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 519; Borstell/Schäperclaus, Was ist eigentlich eine Funktion?, IStR 2008, 275; Bortz/Schuster, Statistik, 7. Aufl., Berlin 2010; Brüninghaus/Bodenmüller, Tatbestandsvoraussetzungen der Funktionsverlagerung, DStR 2009, 1285; Busch, RefE eines ATAD-Umsetzungsgesetzes: Überblick über die Verrechnungspreisaspekte, DB 2020, 191; Crüger/Wintzer, Funktionsverlagerungen ins Ausland – Aktuelle Neuerungen durch die Unternehmenssteuerreform 2008 und Gestaltungshinweise, GmbHR 2008, 306; Ditz, Übertragung von Geschäftschancen bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DStR 2006, 1625; Ditz, Praxisfall einer Verrechnungspreisprüfung und Funktionsverlagerung, IStR 2009, 421; Ditz, Praxisfall einer Funktionsverlagerung unter besonderer Berücksichtigung der VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, IStR 2011, 125; Ditz, Betriebsprüfungsfall – Faktische Umkehr der Beweislast trotz Dokumentation von Verrechnungspreisen, in Raupach/Pohl/Ditz (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts, Herne 2015, 46; Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, Unternehmensteuerrechtliche Änderungen im AStG – Ein erster Überblick über den Referentenentwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes v. 10.12.2019, DStR 2020, 73; Ditz/Haverkamp, Verrechnungspreiskorrekturen, Funktionsverlagerungen und die Kapitalertragsteuer, IStR 2020, 499; Ditz/Just, Besteuerung einer Produktionsverlagerung nach der Funktionsverlagerungsverordnung – Praxisfall, DB 2009, 141; Ditz/Liebchen, Bewertung von Transferpaketen im Rahmen von Funktionsverlagerungen, DB 2012, 1469; Ditz/Quilitzsch, Aktuelle Entwicklungen im Hinblick auf die Definition der Betriebsstätte, FR 2012, 493; Ditz/Quilitzsch, Auswirkungen der Corona-Krise für die Bestimmung, Prüfung und Dokumentation internationaler Verrechnungspreise, DB 2020, 971; Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen, ISR 2020, 275; Ebeling, Wertermittlung für Funktionsverlagerungen in Schätzfällen – Sind die Vorgaben des BMF gerichtsfest?, DB 2018, 2445; Eigelshoven/Nientimp, Funktionsverlagerungen und kein Ende – Die Änderungen bei der Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach dem EU-Umsetzungsgesetz, Ubg 2010, 233; Eilers/Dorenkamp, Weltweite Produktionsexpansion: Local Taxation vs. Global Production, ISR 2014, 207; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, Herne/Berlin 2003; Endres, Reiches Ausland – Armes Inland: Steuerliche Effekte bei einer Funktionsverlagerung ins Ausland, RIW 2003, 729; Förster, Die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 3 AStG – Vergleich mit den aktualisierten Verrechnungspreisrichtlinien der OECD, IStR 2011, 20; Freudenberg/ Ludwig, Chancen für Gestaltungen aufgrund der geänderten Vorschriften zur Funktionsverlagerung, BB 2010, 1268; Freudenberg/Peters, Steuerliche Allokation von Restrukturierungsaufwendungen im Kontext von Funktionsverlagerungen, BB 2008, 1424; Freudenberg/Stein/Weskamp, Die Vertriebsfunktion in der Post BEPS Welt – Eine Analyse aus Sicht der Beraterpraxis, Ubg 2016, 603; Frischmuth, Die Konzeption der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach dem UntStRefG 2008, StuB 2007, 386; Frischmuth, Funktionsverdoppelungen im Visier des deutschen Fiskus – Quo vadis?, IWB 2007, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2253; Frischmuth, Schuldrechtliche und bilanzielle Aspekte sowie Preisanpassungen bei Funktionsverlagerungen nach dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008, StuB 2007, 459; Frischmuth, Wann genau liegt eine Funktionsverlagerung nach der FVerlV vor?, StuB 2008, 864; Frischmuth, Austausch von Funktionen im Konzern und Bewertung von Transferpaketen, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, Köln 2010, 73; Frotscher, Grundfragen der Funktionsverlagerung, FR 2008, 49; Fuhrmann, Die Funktionsverlagerungsverordnung, KÖSDI 2008, 16188; Gosch, Die tönernen Füße der „FVerlV“ und der „BsGAV“, in Rödder/Wassermeyer/Ditz (Hrsg.), Internationale Einkünfteabgrenzung – Freundesgabe für Hubertus Baumhoff zum 65. Geburtstag, Köln 2019, 69; Greil/Naumann, Funktionsverlagerungen – Praxistest in der Betriebsprüfung, IStR 2015, 429; Greil/Saliger, Änderung im Bereich der Verrechnungspreise aufgrund des ATADUmsG und des AbzStEntlModG – Reform ohne inhaltliche Neuerungen?, ISR 2021, 330; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, in Schaumburg/Rödder (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008, Köln 2007, 541; Greinert, Maßgebende Überschussgröße zur Bewertung eines Transferpakets bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen, DB 2009, 755; Greinert, Steuerliche Besonderheiten bei der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter im Rahmen von grenzüberschreitenden Transaktionen im Konzern, Ubg 2010, 101; Greinert/Reichl, Einfluss von Besteuerungseffekten auf die Verrechnungspreisermittlung bei Funktionsverlagerungen, DB 2011,
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Kap. 7 | Funktionsverlagerungen 1182; Greinert/Thiele, Steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen vor 2008, DStR 2011, 1197; Große, Die Berücksichtigung der abschreibungsbedingten Steuervorteile im Rahmen der Funktionsverlagerungsbewertung, IStR 2016, 493. Haas, Funktionsverlagerungen nach dem Erlass der Funktionsverlagerungsverordnung, Ubg 2008, 517; Haas, Funktionsverlagerung: Verhältnis zu DBAs, in Spindler/Tipke/Rödder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, Köln 2009, 715; Haase/Nürnberg, Steuerliche Aspekte der Erschaffung, Ansiedlung und Verlagerung von IP, FR 2017, 1; Halbach/Ackerman, Preisanpassungsklauseln im Nachgang zu Funktionsverlagerungen, ISR 2021, 172; Haverkamp/Meinert, Die Funktionsverlagerung dem Grunde nach, Ubg 2020, 689; Heidecke/Panchenko, Auftragsfertiger, Routinevergütungen, Funktionsverlagerung und Standortvorteile – FG München, Urteil v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16, IWB 2018, 126; Hemmerich/Günther, Funktionsverlagerung in das Inland in Zeiten der Covid-19-Krise, IWB 2020, 845; Hentschel/ Kraft, Funktionsverlagerungen in anstehenden Außenprüfungen – eine Bestandsaufnahme potenzieller Streitfragen, IStR 2015, 193; Hinny, Wegzugsbesteuerung und Funktionsverlagerung aus der Schweiz; neue Regelung auf Anfang 2020 (mit einem Seitenblick auf § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG), in Gosch/Schnitger/Schön (Hrsg.), Festschrift für Jürgen Lüdicke, München 2019, 267; Hornig, Die Funktionsverlagerung ab 2008 aus internationaler Sicht, PIStB 2008, 45; Hruschka, Rückwirkende Funktionsverlagerungsbesteuerung?, in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung, Köln 2010, 1; Jahndorf, Besteuerung der Funktionsverlagerungen, FR 2008, 101; Jenzen, Internationale Funktionsverlagerungen – Die Besteuerung von Gewinnpotentialen bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen im Konzern, NWB 2007, Fach 2, 9419; Kahle, Die Ertragsbesteuerungen von Funktionsverlagerungen nach der Unternehmensteuerreform 2008, Der Konzern 2007, 647; Kahle/Schulz, Ertragsbesteuerung von Funktionsverlagerungen: Möglichkeiten der Einzelbewertung, Ubg 2016, 381; Kaminski, Änderungen im Bereich der internationalen Einkunftsabgrenzung durch die Unternehmensteuerreform 2008, RIW 2007, 594; Kaminski, Funktionsverlagerungen in das Inland, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, Köln 2010, 23; Kaminski, Umlagen bei konzerninternen Dienstleistungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 693; Kaminski, Ausgewählte Überlegungen zur Rückverlagerung von Funktionen in das Inland, in Rödder/Wassermeyer/Ditz (Hrsg.), Internationale Einkünfteabgrenzung – Freundesgabe für Hubertus Baumhoff zum 65. Geburtstag; Kaminski/Strunk, Funktionsverlagerungen in und von ausländischen Betriebsstätten und Personengesellschaften: Überlegungen zur (Nicht-)Anwendbarkeit der Grundsätze zum sog. Transferpaket, DB 2008, 2501; Kaminski/Strunk, Stellungnahme zum Entwurf der „VerwaltungsgrundsätzeFunktionsverlagerungen“ des BMF vom 17.7.2009, RIW 2009, 711; Kasperzak/Nestler, Zur Berücksichtigung des Tax Amortization Benefit bei der Fair Value-Ermittlung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS 3, DB 2007, 473; Kessler/Probst, Die Funktionsverlagerung in das Inland, IStR 2017, 251; Klapdor, Grund-sätze der Verrechnungspreisermittlung nach dem UStRefG, StuW 2008, 83; Knoll, Der Risikozuschlag in der Unternehmensbewertung: Was erscheint plausibel?, DStR 2007, 1053; Kroppen/Nientimp, Absonderlichkeiten bei der Funktionsverlagerung, IWB 2008, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2355; Kroppen/Rasch, Die Funktionsverlagerungsverordnung, IWB 2008, Fach 3 Deutschland, Gruppe 1, 2339; Kroppen/Rasch, Funktionsverlagerung – der nächste Akt, IWB 2010, 316; Kroppen/Rasch, Anmerkungen zu den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, IWB 2010, 824; Kroppen/Rasch/Eigelshoven, Die Behandlung der Funktionsverlagerungen im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 und der zu erwartenden Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, IWB 2007, Fach 3, Deutschland, Gruppe 1, 2201; Kruschwitz/Lorenz, Investition, 15. Aufl., Berlin 2019; Leonhardt, Die Behandlung immaterieller Werte nach dem aktuellen Referentenentwurf zum ATADUmsG, FR 2020, 297; Leonhardt, Kann die deutsch-steuerliche Implementierung des DEMPE-Konzepts der OECD Gewinnrealisierungen auslösen?, IStR 2021, 628; Looks/Freudenberg, Zukünftige Konfliktfelder zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen als Ergebnis des Entwurfs der Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung, BB 2009, 2514; Looks/Scholz, Funktionsverlagerungen nach der Neufassung des § 1 Abs. 3 AStG, BB 2007, 2541; Looks/Steinert/Müller, Der Fremdvergleichsgrundsatz – Zur Frage der Maßgeblichkeit des § 1 Abs. 3 AStG für andere Berichtigungsvorschriften, BB 2009, 2348; Luckhaupt, Bestimmung von Verrechnungspreisen gemäß den OECD-TPG 2010 und § 1 Abs. 3 AStG, Ubg 2010, 646; Luckhaupt, Fragwürdige Vorgaben der Finanzverwaltung bei der Grenzpreisermittlung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DStR 2012, 1571; Menninger/
920 | Ditz/Greinert
Funktionsverlagerungen | Kap. 7 Wellens, Valuation Standards and the German Restructuring Regulation, TMTR v. 30.6.2011; Naumann, Im Gespräch: Besteuerung von Funktionsverlagerungen, Status: Recht 2007, 203; Naumann, Funktionsverlagerungsverordnung, in Lüdicke (Hrsg.), Besteuerung von Unternehmen im Wandel, Köln 2007, 167; Nestler, Ermittlung von Lizenzentgelten, BB 2008, 2002; Oestreicher, Die (reformbedürftigen) Regelungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in Fällen der Funktionsverlagerung, Ubg 2009, 80; Oestreicher/Hundeshagen, Bewertung von Transferpaketen bei Funktionsverlagerungen, DB 2008, 1637 (Teil I) und 1693 (Teil II); Oestreicher/Hundeshagen, Weder Wirtschaftsgut noch Unternehmen – die Bewertung von Transferpaketen anlässlich der grenzüberschreitenden Verlagerung von Unternehmensfunktionen, IStR 2009, 146; Oestreicher/Wilke, Die Einzelbewertung des Firmenwerts – Verrechnungspreise in Fällen einer Funktionsverlagerung nach dem Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften, Ubg 2010, 225; Pohl, Ergänzung der Funktionsverlagerungsregelung durch das Gesetz zur Umsetzung steuerrechtlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften, IStR 2010, 357; Polka, Funktionsverlagerung – Atomisierung des Funktionsbegriffs – quod bonum est?, StB 2020, 51; Puls, Funktionsverlagerungsbesteuerung: Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche als „Transferpaket“-Ersatz nach § 8 FVerlV, IStR 2010, 89; Rasch, Die Hornbach-Entscheidung des EuGH, TPI 2018, 288; Rasch/Schmidtke, Routinefunktionen, Gewinnverlagerungen und das Versagen des hypothetischen Fremdvergleichs, IStR 2009, 92; Raupach/Pohl/Ditz (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, Herne/Berlin 2010; Roeder, Ökonomische Aspekte des hypothetischen Fremdvergleichs, Ubg 2008, 202; Sassmann/Schenkel, Berücksichtigung von Exit Tax und Tax Amortisation Benefits bei der Verrechnungspreisermittlung im Rahmen von Funktionsverlagerungen, IStR 2018, 954; Schaumburg, Anpassungsklausel, IStR 2009, 877; Schilling, Die indirekte Bewertung von Transferpaketen – Ein Praxisbeispiel unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens vom 13.10.2010, StuB 2011, 868; Schilling/ Kandels, Notwendige Anpassungen von Fremdvergleichswerten bei der Transferpaketbewertung, DB 2012, 1065; Schilling/Schmidt-Marloh, Die Bewertung von Transferpaketen im Lichte der aktuellen OECD-Leitlinien – Entwicklung der Escape -Klauseln, DB 2019, 1112; Schnorberger/Etzig, Funktionsverlagerung mit immateriellen Wirtschaftsgütern: Führen Veräußerung und Lizenzierung zur selben Gewinnrealisierung?, StB 2018, 365; Schnorberger/Etzig, Verrechnungspreise in der Praxis nach dem ATAD-UmsG – Anmerkungen zum Referentenentwurf vom 24.3.2020, BB 2020, 1630; Schreiber, Funktionsverlagerungen im Konzern – Neue Rechtsgrundlagen durch die Unternehmensteuerreform 2008, Ubg 2008, 433; Schreyögg/Geiger, Organisation, 6. Aufl., Wiesbaden 2016; Sommer/Kundt/Cockx, Verrechnungspreise einer inländischen GmbH mit bosnischer Schwestergesellschaft – Anm. FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16 mit Praxishinweisen, ISR 2020, 246; Schwenke, Funktionsverlagerung über die Grenze – Verrechnungspreise und Funktionsausgliederung, StbJb. 2007/2008, 137; Schwenke, Funktionsverlagerung: neue Gesetzeslage, in Lüdicke (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, Köln 2008, 115; Stein/Schwarz, Verrechnungspreise immaterieller Werte im Lichte des DEMPE-Konzepts, DB 2021, 1292; Strahl, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerung nach der Unternehmensteuerreform 2008, KÖSDI 2008, 15861; Vögele, Bewertung von Transferpaketen bei der Funktionsverlagerung, DStR 2010, 418; Wassermeyer, Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, 535; Wassermeyer, Funktionsverlagerung – Statement, FR 2008, 67; Wehnert/Sano, Internationale Regelungen zu Funktionsverlagerungen, IStR 2010, 53; Werra, Verrechnungspreise bei der Restrukturierung internationaler Unternehmensgruppen, IStR 2009, 81; Wolff-Seeger/Saliger, Funktionsverlagerung durch Digitalisierung?, ISR 2017, 235; Wolter/Pitzal, Der Begriff der „Funktion“ in den neuen Regelungen zur Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3 AStG, IStR 2008, 793; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen 2009: Die steuerliche Behandlung von Verrechnungspreisen, insbesondere bei Funktionsverlagerungen, nach der Unternehmensteuerreform 2008, Baden-Baden 2009; Zech, Funktionsverlagerung auf einen Eigenproduzenten und auf ein Routineunternehmen, IStR 2011, 131.
Ditz/Greinert | 921
Kap. 7 Rz. 7.1 | Funktionsverlagerungen
A. Gründe für Funktionsverlagerungen 7.1
Beweggründe für Funktionsverlagerungen ins Ausland. Die Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft haben dazu geführt, dass internationale Konzerne ihre organisatorischen Strukturen ständig überprüfen und an aktuelle Entwicklungen anpassen müssen. Die internationale Ausrichtung von Konzernen löst damit häufig organisatorische Umstrukturierungsprozesse aus, im Rahmen derer betriebliche Funktionen (zum Begriff Rz. 7.25) vom Inland an andere (ggf. neue) Standorte im Ausland verlagert werden. Dies betrifft selbst solche Funktionen, die bislang als nicht standortelastisch angesehen wurden, wie z.B. die Produktions- sowie die Forschungs- und Entwicklungsfunktion.1 Die im Rahmen solcher Funktionsverlagerungen verfolgten unternehmerischen Zielsetzungen sind insbesondere die Folgenden:2 – Vorteile durch größere Marktnähe: Eine größere Marktnähe kann sowohl in Bezug auf die Beschaffungs- und Produktionsfunktion als auch im Hinblick auf Vertriebsfunktionen mit betriebswirtschaftlichen Vorteilen verbunden sein. Im Beschaffungs- und Produktionsbereich betrifft dies vor allem die Reduktion von Kosten, z.B. durch die Wahl eines Standortes mit einem großen Angebot an Rohstoffen, Energieträgern oder Arbeitskräften. Im Bereich des Vertriebs werden Funktionsverlagerungen zur Erschließung neuer Absatzmärkte, Erzielung einer größeren Kundennähe, Erreichung eines höheren Bekanntheitsgrades bzw. eines positiven Images sowie zur (länder-)spezifischen Bearbeitung des Absatzmarktes (z.B. im Rahmen einer Produktdifferenzierung) genutzt. – Nutzung von standortbedingten Kostenvorteilen: Standortbezogene Kostenvorteile betreffen z.B. die Reduktion der Arbeitskosten durch Nutzung des internationalen Lohn- und Gehaltsgefälles, die Senkung der Logistikkosten durch die Verkürzung von Transportwegen sowie die Verschlankung der Verwaltung und des Managements. – Nutzung von Skalen- und Synergieeffekten: Die Verlagerung betrieblicher Funktionen geht häufig – insbesondere im Anschluss an Unternehmensakquisitionen und Restrukturierungsprozesse in einem Konzern – mit einer Zentralisierung von Funktionen in einer ausländischen Konzerngesellschaft einher. Diese betrifft vor allem die Zentralisierung von Verwaltungsfunktionen (z.B. im Bereich des Rechnungswesens, des Einkaufs, der EDV, des Personalwesens) sowie die Bereiche der Forschung, der Entwicklung, der Logistik und der Produktion. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund der Zentralisierung von Teilen der Wertschöpfungskette ist die Erzielung von Synergieeffekten3 durch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und somit die Steigerung der Produktivität und Effizienz. Außerdem können durch die Zentralisierung betrieblicher Funktionen im Ausland Skaleneffekte im Rahmen sog. „Economies of Scale“ (z.B. Produktionssteigerungen durch zunehmende Lerneffekte und sinkende Rüstkosten) sowie sog. „Economies of Scope“ (z.B. Produktivitätssteigerungen durch höhere Auslastungsgrade und geringere Leer- und Stillstandszeiten) realisiert werden.4
1 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 1 f. 2 Vgl. dazu auch Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 57 ff.; Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 322; Ebke, REW 2004, 241 ff.; DIHK, Auslandsinvestitionen 2019, April 2019, 9; Borstell in V/B/B, Verrechnungspreise5, Kap. U, Rz. 1. 3 Zum Begriff, den Arten und den Ursachen von Synergieeffekten im Einzelnen vgl. Eisenführ, ZfbF 1971, 467 ff.; Küting, BFuP 1981, 175 ff.; Frese, ZfbF 1995, 945 ff. 4 Vgl. dazu auch Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 385 ff.; Kleineidam in FS Flick, 859 f.; Kleineidam in FS Fischer, 706 f.
922 | Ditz/Greinert
A. Gründe für Funktionsverlagerungen | Rz. 7.2 Kap. 7
– Minderung des unternehmerischen Risikos: Durch die Verteilung betrieblicher Funktionen auf mehrere Standorte kann das unternehmerische Gesamtrisiko gemindert werden. – Nutzung von Vorteilen des ausländischen Rechtssystems: Nach der Funktionsverlagerung unterliegt das ausländische verbundene Unternehmen dem dortigen Rechtssystem. Insoweit können Regelungen des Herkunftslandes (z.B. Deutschland) umgangen und ggf. bestehende günstigere Regelungen des Ziellandes genutzt werden.1 Diese können z.B. das Wettbewerbsrecht (Preisgestaltung, Vertriebssysteme, Werbung), das Patent- und Markenrecht, das Arbeits-, Mitbestimmungs- und Betriebsverfassungsrecht, die Unternehmenspublizität bzw. die Rechnungslegungspflichten, Regelungen der Produkt- und Umwelthaftung, die Gestaltung von Allgemeinen Geschäftsbeziehungen (AGB), öffentlich-rechtliche Auflagen (z.B. Genehmigungsverfahren, Umwelt- und Sicherheitsvorschriften) sowie staatliche Fördermaßnahmen betreffen. Umgekehrt ist auch eine Funktionsverlagerung (zurück) ins Inland denkbar, wenn die politischen oder sonstigen Rahmenbedingungen im Ausland unsicher sind oder sich verschlechtern und das Unternehmen unter stabileren Bedingungen in Deutschland agieren möchte.2 Steuerliche Beweggründe. Neben den vorstehend genannten betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Beweggründen spielen im Rahmen der Verlagerung von betrieblichen Funktionen ins Ausland häufig auch steuerliche Motive eine Rolle.3 Die Unternehmen streben dabei diejenige Allokation betrieblicher Funktionen im In- und Ausland an, die zu einer Minimierung der unternehmerischen Gesamtsteuerbelastung führt.4 Steuerplanerisch werden insoweit solche Organisationsstrukturen bevorzugt, bei denen Funktionen mit hohem Gewinnpotential – i.d.R. erfolgsstrategische Funktionen – an steuerlich günstigen Standorten angesiedelt werden, während Funktionen mit geringem Gewinnpotential – i.d.R. sog. „Routinefunktionen“5 – an steuerlich weniger günstigen Standorten unterhalten werden. Die maßgeblichen steuerlichen Entscheidungskriterien im Hinblick auf die Standortwahl sind vor allem – Steuerbelastung der Gewinne (unter Berücksichtigung des Steuertarifs und der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage); – Regelungen zur Verlustberücksichtigung (z.B. Verlustrücktrag und -vortrag); – Abschreibungsmöglichkeiten von Neuinvestitionen; – umfassendes Netz von Doppelbesteuerungsabkommen; – enge Betriebsstättendefinition;6 1 Zu einem Überblick über relevante Rechtsgebiete, welche die Standortwahl des Vertriebs beeinflussen, vgl. Herring/Frank/Stangl, Absatzwirtschaft 1999, 81. 2 Vgl. Kaminski in Rödder/Wassermeyer/Ditz, Freundesgabe für Hubertus Baumhoff zum 65. Geburtstag, 2019, 179 ff.; Hemmerich/Günther, IWB 2020, 845 ff. 3 Sogar bei einer Umfrage des DIHK gaben 38 % der befragten Unternehmen die Steuerbelastung als Beweggrund für eine Produktionsverlagerung ins Ausland an, wobei bei kleineren und mittleren Unternehmen die Steuerbelastung sogar als Hauptmotiv genannt wurde. Vgl. DIHK, Produktionsverlagerung als Element der Globalisierungsstrategie von Unternehmen, Ergebnis einer Unternehmensbefragung, Mai 2003. 4 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 3. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.35. 6 Zur weiten Auslegung der Definition der Betriebsstätte im OECD-MA 2017 und im Multilateralen Instrument vgl. aber Ditz/Bärsch/Quilitzsch, DB 2018, 1171 (1172 f.); Ditz, DB 2020, 2208 (2211 f.); Gerlach/Hagemann, FR 2017, 1035; Kroninger/Linn, DB 2017, 2509 ff.
Ditz/Greinert | 923
7.2
Kap. 7 Rz. 7.2 | Funktionsverlagerungen
– Expatriate-Besteuerung; – Regelung zur Vorzugsbesteuerung (sog. „Tax-Holidays“); – steuerliche Sonderregelungen in Form von sog. „Rulings“; – Möglichkeiten zur steuerlichen Investitionsförderung (insb. auch zur steuerlichen Förderung von F&E); – Stetigkeiten und Voraussehbarkeit des Steuerrechts.
B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung I. Unternehmerische Dispositionsfreiheit 7.3
Unternehmerische Dispositionsfreiheit. Grundsätzlich ist jede Konzernleitung bzw. jeder Gesellschafter frei, den organisatorischen Aufbau und die funktionale Untergliederung seiner Unternehmensgruppe nach freiem Ermessen zu gestalten. Entscheidet man sich beispielsweise für einen Produzenten in Irland und eine Vertriebsgesellschaft in Deutschland oder einen Kommissionär in Frankreich, so muss die Finanzverwaltung diese unternehmerische Entscheidung akzeptieren. Dieser sog. Grundsatz der unternehmerischen Dispositionsfreiheit wird auch von der Rspr. des BFH betont. Danach ist es „Sache der Gesellschafter, die Aufgaben einer Kapitalgesellschaft zu bestimmen. Sie können den Aufgabenkreis nach eigenem Ermessen weit oder eng ziehen. Das Steuerrecht muss die Aufgabenzuweisung durch die Gesellschafter im Grundsatz akzeptieren.“1 Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung sind folgerichtig Entscheidungen darüber, ob Funktionen selbst wahrgenommen, bei einem anderen (Konzern-) Unternehmen konzentriert, auf mehrere Unternehmen aufgeteilt werden oder ob ein Subunternehmer beauftragt wird, Gegenstand der unternehmerischen Dispositionsfreiheit.2 Die Finanzbehörde hat diese Entscheidungen regelmäßig anzuerkennen, da bei der internationalen Einkünfteabgrenzung der tatsächlich durch den Steuerpflichtigen verwirklichte Sachverhalt3 und nicht ein von der Finanzverwaltung „konstruierter“, d.h. hypothetischer Sachverhalt, der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Dies wird durch die VWG Verrechnungspreise bestätigt, wenn ausdrücklich auf die „tatsächlichen Verhältnisse“ und die „tatsächlich durchgeführte Geschäftsbeziehung“ abgestellt wird.4 Dass nach Rz. 3.8 dieses BMF-Schreibens auch die „realistischerweise zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen“ zu berücksichtigen sind, darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass die Finanzverwaltung – z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung – geänderte Unternehmensstrukturen oder -organisationen zugrunde legen darf. Vielmehr soll damit nur zum Ausdruck gebracht werden, dass „Handlungsalternativen“ im Rahmen der Bestimmung eines Fremdvergleichspreises einzubeziehen sind.
7.4
Fremdübliche Funktionsallokation. Auch die Tatsache, dass die von Steuerpflichtigen gewählte Funktionsallokation im Konzern oder die daraus resultierenden Lieferungen und Leistungen zwischen unabhängigen Dritten nicht vorkommen bzw. unüblich sind, kann nicht dazu führen, dass gruppeninterne Geschäftsbeziehungen dem Grunde nach von den Finanz1 BFH v. 18.12.1996 – I R 26/95, FR 1997, 386. S. ferner BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, FR 2002, 1077 m. Anm. Fischer: „Es obliegt der Entscheidung des Gesellschafters, den Umfang des unternehmerischen Tuns abzustecken.“ 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 145. 3 Vgl. auch Tz. 9.34 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.2.
924 | Ditz/Greinert
B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung | Rz. 7.5 Kap. 7
behörden nicht anerkannt werden.1 Nicht sachgerecht ist in diesem Zusammenhang die Forderung der Finanzverwaltung, von der gewählten Gestaltung des Steuerpflichtigen dann abzuweichen, wenn fremde Dritte in wirtschaftlich vernünftiger Weise die Vereinbarungen anders getroffen hätten und die tatsächlich gewählte Gestaltung der Finanzbehörde im Ergebnis die Möglichkeit nimmt, einen angemessenen Verrechnungspreis zu bestimmen.2 Denn insoweit wird der Anwendungsbereich der unternehmerischen Dispositionsfreiheit eingeschränkt, ohne dass dafür eine Rechtsgrundlage ersichtlich ist. Vielmehr findet die unternehmerische Dispositionsfreiheit nur in den Fällen eine Grenze, in welchen ein Missbrauch i.S.d. § 42 AO vorliegt.3
II. Besteuerung von Funktionsverlagerungen ab 2008 – Überblick Gesamtbewertung eines Transferpakets im Fall von Funktionsverlagerungen. Im Zuge des UntStRefG 2008 vom 14.8.20074 hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG a.F. erstmals eine Regelung zur Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen getroffen. Mit dem AbzStEntModG vom 2.6.20215 wurden die Verrechnungspreisregeln in § 1 AStG sodann umfangreich überarbeitet und neu strukturiert, sodass sich die Regelungen zur Funktionsverlagerung, die seit dem UntStRefG 2008 in § 1 Abs. 3 Sätze 9, 10 AStG a.F. verortet waren, nun in § 1 Abs. 3b AStG wiederfinden. Ergänzt und konkretisiert wird diese Regelung durch die FVerlV vom 12.8.20086 sowie durch die VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.2010;7 eine umfangreiche und gefestigte Rechtsprechung liegt zum Thema der Funktionsverlagerung indes noch nicht vor.8 Eine Funktionsverlagerung ist gem. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG anzunehmen, wenn ein Unternehmen einem anderen nahe stehenden Unternehmen Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird.9 § 1 Abs. 3b AStG gilt zudem gleichermaßen bei der Funktionsverlagerung auf ausländische Betriebsstätten (§ 1 Abs. 5 AStG). Die Vorschriften zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen sind somit v.a. bei Re- und Umstrukturierungen im Konzern zu beachten.10 Ist der Tatbestand einer Funktionsverlagerung erfüllt, ist nach § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG grundsätzlich eine Gesamtbewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Eine Einzelbewertung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, aus denen sich das Transferpaket zusammensetzt, ist nur in den Fällen des § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 AStG, § 1 Abs. 6 und 7 FVerlV und § 2 Abs. 2 FVerlV zulässig. Die Ausnahmetatbestände, die eine Einzelbewertung erlauben, wurden im Rahmen des StEUVUmsG11 v. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
So zutreffend VWG FVerl, Rz. 147. Vgl. VWG FVerl, Rz. 148. Vgl. Baumhoff in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 77. Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. Vgl. AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. Vgl. FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. Siehe dazu auch Gosch in FS Baumhoff, 69 ff. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG FVerl, BStBl. I 2010, 774. Vgl. aber z.B. FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16, EFG 2020, 764 (anhängig beim BFH unter dem AZ I R 54/19). Vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV. Vgl. Haverkamp/Meinert, Ubg 2020, 689. Vgl. StEUVUmsG v. 8.4.2010, BGBl. I 2010, 386.
Ditz/Greinert | 925
7.5
Kap. 7 Rz. 7.5 | Funktionsverlagerungen
8.4.2010 zunächst um eine zusätzliche Ausnahmeregelung erweitert, ohne dass eine Anpassung der FVerlV erfolgt wäre. Mit dem AbzStEntModG1 wurden die gesetzlich zulässigen Möglichkeiten zur Einzelbewertung sodann teilweise aufgehoben bzw. wieder reduziert.2 Der Gesetzgeber begründet die aus der Transferpaketbewertung folgende Abweichung vom handels- und steuerrechtlichen Grundsatz der Einzelbewertung damit, dass der Preis der einzelnen übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter den Wert der Funktion als Ganzes regelmäßig nicht adäquat widerspiegele.3 Ziel des Gesetzgebers ist es also, im Rahmen der Gesamtbewertung eines Transferpakets einen Mehrwert der Besteuerung zu unterwerfen, der bei einer Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter unbesteuert bliebe.4 Bei diesem Mehrwert kann es sich nur um einen Teil des Geschäftsoder Firmenwerts handeln, der nach Auffassung des Gesetzgebers bei einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung übergeht. Im Ergebnis behandelt der Gesetzgeber eine Funktionsverlagerung damit wie die Veräußerung eines Betriebs oder Teilbetriebs, bei der es nach der höchstrichterlichen Rspr.5 zu einem Übergang des Geschäfts- oder Firmenwerts kommen kann. Ob diese Besteuerung von Funktionsverlagerungen europa- und abkommensrechtlichen Anforderungen genügt, wird im Schrifttum bezweifelt.6
7.6
Anwendung der allgemeinen Grundsätze bei der Transferpaketbewertung. Die Gesamtbewertung des im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Abgesehen von der Tatsache, dass Gegenstand des Fremdvergleichs das Transferpaket ist, ergeben sich für Funktionsverlagerungen insofern keine Besonderheiten. Liegen für das Transferpaket danach vergleichbare Fremdvergleichswerte vor, die eine Bandbreite bilden (was der Ausnahmefall ist), ist ein tatsächlicher Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff., Abs. 3a Satz 1 ff. AStG durchzuführen. Liegen vergleichbare Werte vor, kann der Steuerpflichtige als Verrechnungspreis für das Transferpaket nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG jeden Wert innerhalb der Bandbreite ansetzen. Sind die ermittelten Werte nur eingeschränkt vergleichbar, ist die Bandbreite nach § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG einzuengen und ein Verrechnungspreis aus dem eingeengten Bereich zu wählen; bieten die Werte dabei selbst keine Anhaltspunkte für eine adäquate Einengung, bleiben bei der Bestimmung der maßgeblichen Bandbreite das Viertel der kleinsten und das Viertel der größten Werte außer Betracht (§ 1 Abs. 3a Satz 3 AStG). Sofern der angesetzte Verrechnungspreis außerhalb der (eingeengten) Bandbreite liegt, ist im Fall einer Korrektur nach § 1 Abs. 3a Satz 4 AStG der Median maßgeblich, sofern der Steuerpflichtige nicht nachweist, dass ein anderer Wert innerhalb der Bandbreite dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Liegen für das Transferpaket keine vergleichbaren Fremdvergleichswerte vor (was den Regelfall darstellt), ist ein hypothetischer Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG durchzuführen. Zur Bewertung des Transferpakets ist in diesem Fall nach § 1 Abs. 3a Satz 5, Abs. 3b Satz 1 AStG ein Einigungsbereich zu ermitteln, der durch die aus dem Transferpaket zu erwartenden Gewinnpotentiale bestimmt wird. Zu deren Ermittlung ist die Perspektive sowohl des übertragenden als auch des übernehmenden Unternehmens einzunehmen. Die Gewinnpotentiale, die das übertragende Unternehmen aus dem Transferpaket erwartet, bilden 1 Vgl. AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, S. 1259. 2 Nach dem RefE zum ATADUmsG war zunächst gar die Streichung sämtlicher Ausnahmen angedacht. Letztendlich blieb jedoch zumindest die Ausnahme, die sich jetzt in § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 AStG findet, erhalten. 3 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 144. 4 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 568. 5 Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108. 6 Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 18 und 28 m.w.N.
926 | Ditz/Greinert
B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung | Rz. 7.7 Kap. 7
die Untergrenze des Einigungsbereichs, die Gewinnpotentiale, die das übernehmende Unternehmen erwartet, die Obergrenze (§ 1 Abs. 3a Satz 5 AStG). Innerhalb des Einigungsbereichs ist nach § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG der Mittelwert anzusetzen, sofern der Steuerpflichtige nicht glaubhaft machen kann, dass ein anderer Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz mit einer höheren Wahrscheinlichkeit entspricht. Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung. Neben einer Regelung zu grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen hat der Gesetzgeber im Rahmen des UntStRefG 2008 vom 14.8.20071 in § 1 Abs. 3 Sätze 11, 12 AStG a.F. erstmals eine gesetzliche Grundlage für nachträgliche Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung geschaffen, wenn die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnerwartung abweicht, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag.2 Mit dem AbzStEntModG vom 2.6.2021 wurde diese „Preisanpassungsklausel“ nun in einen eigenständigen § 1a AStG überführt. Konkretisiert wird auch diese Regelung durch die FVerlV vom 12.8.20083 und die VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.20104. Die Vorschrift des § 1a AStG findet nur Anwendung, wenn die in Rede stehenden Verrechnungspreise auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG ermittelt wurden. Im Fall einer Preisbestimmung durch tatsächlichen Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG ist eine nachträgliche Preisanpassung nach § 1a AStG dagegen nicht möglich. Keine Bedeutung hat, ob der hypothetische Fremdvergleich anlässlich der Übertragung oder Überlassung eines einzelnen Wirtschaftsguts oder aus Anlass einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung durchgeführt wurde. § 1a AStG erfasst beide Konstellationen. Weitere Voraussetzung für eine Anwendung des § 1a AStG ist, dass wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter oder Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen werden (§ 1a Satz 1 AStG). Hieraus folgt, dass eine nachträgliche Preisanpassung durch die Finanzverwaltung ausscheidet, wenn lediglich materielle Wirtschaftsgüter verlagert wurden, oder die verlagerten immateriellen Wirtschaftsgüter oder Vorteile die Schwelle der Wesentlichkeit nicht überschreiten. Zudem müsste die tatsächliche Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnerwartung abweichen, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag. Eine derart erhebliche Abweichung liegt vor, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Fremdvergleichspreis um mehr als 20 % von dem ursprünglich ermittelten Verrechnungspreis abweicht (§ 1a Satz 3 AStG). Ist eine solche Abweichung innerhalb des Beobachtungszeitraums festzustellen, erfolgt eine Preisanpassung. Ob eine nachträgliche Preisanpassung nach § 1a AStG nur zulasten oder auch zugunsten des Steuerpflichtigen erfolgen kann, ist derweil unklar.5 Aufgrund dieser Unsicherheit ist es ratsam, eine in „beide Richtungen“ wirkende Preisanpassungsklausel vertraglich zu vereinbaren.6
1 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 2 Ob die Preisanpassungsregelung des § 1a AStG europa- und abkommensrechtlichen Maßstäben genügt, wird im Schrifttum bezweifelt; vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 18 und 28. 3 Vgl. FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG FVerl, BStBl. I 2010, 774. 5 Für eine Preisanpassung auch zugunsten des Steuerpflichtigen siehe etwa Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 480. Andere Autoren gehen indes davon aus, dass § 1a AStG nur zulasten des Steuerpflichtigen wirken kann; vgl. bspw. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Tz. 4.202. 6 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1791.
Ditz/Greinert | 927
7.7
Kap. 7 Rz. 7.8 | Funktionsverlagerungen
7.8
Standardisierte Anpassungsklausel und siebenjähriger Beobachtungszeitraum. Kommt es zu einer erheblichen Abweichung der tatsächlichen späteren Gewinnentwicklung von der Gewinnerwartung, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, stellt § 1a Satz 1 AStG eine widerlegbare Vermutung dahingehend auf, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten. Kann der Steuerpflichtige die Vermutung des § 1a Satz 1 AStG nicht widerlegen und wurde auch keine fremdvergleichskonforme individuelle Preisanpassungsklausel vereinbart, kann die Finanzverwaltung die angesetzten Verrechnungspreise nach § 1a Satz 2 AStG einmalig korrigieren, wenn bezogen auf die ersten sieben Jahre nach Geschäftsabschluss eine erhebliche Abweichung zwischen der tatsächlichen Gewinnentwicklung und jener, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, festgestellt werden kann. In diesem Fall hat der Steuerpflichtige nach § 1a Satz 2 AStG einen einmaligen angemessenen Anpassungsbetrag im achten Jahr nach Geschäftsabschluss zu versteuern. Angemessen ist die Anpassung des Verrechnungspreises dann, wenn sie dem Unterschiedsbetrag zwischen dem einmal gewählten Verrechnungspreis und dem unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffenden Fremdvergleichspreis entspricht (§ 1a Satz 5 AStG). Nach § 1a Satz 6 AStG erfolgt eine Anpassung allerdings u.a. dann nicht, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass die tatsächliche Entwicklung auf Umständen basiert, die im Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls nicht absehbar waren.1 Hintergrund der in § 1a AStG aufgestellten Vermutung dürfte letztlich die Absicht des Gesetzgebers sein, den Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit der Verlagerung von immateriellen Wirtschaftsgütern zur Vereinbarung fremdvergleichskonformer individueller Preisanpassungsklauseln zu bewegen, denn in diesem Fall ist die Regelung nicht anwendbar.2 Insbesondere auf den Abschluss von Lizenzverträgen scheint es dem Gesetzgeber anzukommen. Denn wie sich aus § 1a Satz 6 Nr. 3 AStG i.V.m. § 9 FVerlV ergibt, soll eine fremdvergleichskonforme Preisanpassungsklausel jedenfalls dann vorliegen, wenn im Hinblick auf wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile Lizenzvereinbarungen getroffen werden, die die zu zahlende Lizenz vom Umsatz oder Gewinn des Lizenznehmers abhängig machen oder für die Höhe der Lizenz Umsatz und Gewinn berücksichtigen.3
7.9
Evaluierung in 2016. Schon zum Zeitpunkt der Einführung der Regelungen zur Funktionsverlagerungsbesteuerung hatte der Bundesrat darum gebeten, die neuen Regelungen mittelfristig zu evaluieren. Diese Evaluation wurde inzwischen durchgeführt; der entsprechende Bericht dazu ist im Februar 2016 erschienen.4 Aus diesem Bericht lässt sich Folgendes entnehmen: Grundlage der Evaluation waren die Erkenntnisse aus Betriebsprüfungen gewesen, in denen über einen Zeitraum von drei Jahren insgesamt 133 Funktionsverlagerungen beurteilt wurden. Damit seien Funktionsverlagerungen generell weniger oft Gegenstand von Betriebsprüfungen als dies bei Einführung der Vorschriften im Jahr 2008 zunächst vermutet wurde. Bei den aufgetretenen Fällen waren weit überwiegend Großbetriebe (i.S.d. BpO) in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft als verlagernde (und aufnehmende) Unternehmen aufgetreten; eine Personengesellschaft sei nur in 26 Fällen als verlagerndes (oder aufnehmendes) Unternehmen aufgetreten. Dabei ist die Verlagerung bei 73 von 133 Fällen in einen anderen EUStaat erfolgt, in 50 Fällen ins Drittland und nur in wenigen, nämlich in 9 Fällen vom Ausland ins Inland; in zwei Fällen sei die Funktionsverlagerung auch innerhalb eines Unternehmens,
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Ausführlicher dazu und zu weiteren Ausnahmen siehe Rz. 7.142 ff. Vgl. BR-Drucks. 220/07, 146. Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107. Siehe hier und im Folgenden BR-Drucks. 153/16 v. 22.3.2016.
928 | Ditz/Greinert
B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung | Rz. 7.10 Kap. 7
also zwischen Betriebsstätten, erfolgt. In zwei Drittel der Fälle sei der Wert der Funktionsverlagerung aufgrund von Prüfungsfeststellungen erhöht bzw. erstmalig angesetzt worden, wobei sich der durchschnittliche Erhöhungsbetrag auf über 4 Mio. € (und insgesamt auf 325 Mio. €) belief. Gegenstand der Verlagerungen sei zumeist die Funktion „Produktion“ gewesen, gefolgt von der Funktion „Vertrieb“; in fünf bzw. sechs Fällen wurden auch der Kundenstamm und Lizenzen verlagert. In den meisten Fällen sei überdies bloß eine Funktion verlagert worden; nur in wenigen Fällen seien bei einem Unternehmen innerhalb des Prüfungszeitraums zwei oder mehr Funktionen verlagert worden. Bei den Funktionsverlagerungen ist es etwa in gleichen Teilen zur Bewertung eines Transferpakets und zur Ermittlung von Einzelverrechnungspreisen gekommen, wobei es am häufigsten zur Bewertung von Einzelverrechnungspreisen gekommen sei, wenn eine Routinetätigkeit mit geringen Risiken verlagert wurde; am zweithäufigsten ist die Bewertung abweichend vom Grundsatz der Transferpaketbewertung bei Bagatellfällen erfolgt (wobei aber in knapp der Hälfte der Fälle keine Angaben zum einschlägigen Ausnahmetatbestand gemacht worden seien). Die Bewertung des Transferpakets war in etwa 85 % der Fälle in Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs erfolgt. In zehn Fällen setzte die Finanzverwaltung als Kapitalisierungszeitraum einen Zeitraum von 99 Jahren bzw. eine ewige Rente an. Die vorgelegten Unterlagen seien von der Finanzverwaltung oft als vollständig und nachvollziehbar empfunden worden. In diesen Fällen habe sich auch die durchschnittliche Anzahl der Prüfertage von ca. 23 Tagen auf etwa 12 Tage verringert. Die Bewertung zu Einzelverrechnungspreisen sei etwa hälftig aufgrund der Angabe, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren, und ebenfalls hälftig aufgrund der Angabe, dass zumindest ein genau bezeichnetes, wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Verlagerung ist, erfolgt. Mit Blick auf den Personal- und Beratungsaufwand, der vor einer Funktionsverlagerung anfiel, sei angegeben worden, dass im Durchschnitt sechs Tage im Unternehmen gearbeitet wurde und etwa 20.000 € für Beratung ausgegeben wurde; während der Betriebsprüfung seien im Unternehmen weitere sechs Personentage und etwa 18.000 € für externe Beratung angefallen. In etwa 30 % aller Fälle seien die Besteuerungsgrundlagen für die Funktionsverlagerung im Übrigen geschätzt worden (§ 162 Abs. 2, 3 AO), wobei dies überwiegend unter Anwendung des vereinfachten Schätzungsverfahrens gem. Rz 162 ff. der VWG-Funktionsverlagerung1 erfolgt sei. Konsequenzen für die Praxis. Es zeigt sich, dass Funktionsverlagerungen regelmäßig Gegenstand von Betriebsprüfungen sind. Daher sollte möglichst frühzeitig analysiert werden, ob eine Funktionsverlagerung vorliegt und wie sie bewertet werden kann. Zudem sind Funktionsverlagerungen als außergewöhnliche Geschäftsvorfälle zeitnah zu dokumentieren (§ 90 Abs. 3 Satz 8 AO); demnach sind verlässliche Unterlagen zu erstellen, in denen der Sachverhalt nachvollziehbar dargelegt wird und die getroffenen Annahmen hinreichend begründet werden, um so auch einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, zu der es verhältnismäßig oft kam, vorzubeugen. Mit Blick auf die Tatsache, dass die Bewertung zu Einzelverrechnungspreisen in etwa der Hälfte aller Fälle aufgrund der Angabe erfolgte, dass zumindest ein genau bezeichnetes wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Verlagerung ist, wird zukünftig, d.h. nach der Streichung dieser Exkulpationsmöglichkeit, häufiger eine Transferpaketbewertung vorzunehmen sein.
1 Zu diesem Verfahren siehe auch Ebeling, DB 2018, 2445 ff.
Ditz/Greinert | 929
7.10
Kap. 7 Rz. 7.11 | Funktionsverlagerungen
III. Gesetzesänderungen im Jahr 2021 und ihre Auswirkungen auf die Besteuerung von Funktionsverlagerungen 7.11
Zielsetzung der Gesetzesänderung. Mit dem AbzStEntModG vom 2.6.20211 und dem ATAD-UmsG vom 25.6.20212 wurde § 1 AStG reformiert. Zielsetzung des ATAD-UmsG ist zunächst die Umsetzung der Anti Tax Avoidance Directive (ATAD), d.h. einer EU-Richtlinie, die einen Mindeststandard zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken vorgibt. Überdies war eine konkretisierende Ausrichtung an internationalen Grundsätzen, namentlich den BEPS-Aktionspunkten 8–10 und den OECD-Verrechnungspreisleitlinien, intendiert, damit auch die Gerichte zukünftig an internationale Maßstäbe gebunden sind. Ferner wurde § 1 AStG teilweise neu strukturiert, um die Norm etwas übersichtlicher und anwenderfreundlicher zu gestalten.3 Einzelheiten der Reform des § 1 AStG sind in Rz. 2.66 ff. dargestellt.
7.12
Neuregelung in § 1 Abs. 3b AStG. Die Regelungen zur Funktionsverlagerung, die bislang in § 1 Abs. 3 Sätze 9, 10 AStG a.F. enthalten waren, finden sich nun in § 1 Abs. 3b AStG. Auch wenn die bisherigen Regelungen im Kern erhalten blieben, sind mit der Gesetzesänderung Neuerungen verbunden, die teilweise in einem geänderten Wortlaut und teils darin bestehen, dass Vorschriften, die bislang in der FVerlV enthalten waren, nun in das AStG aufgenommen wurden. So enthält § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG zunächst eine Legaldefinition für den Begriff des Transferpakets. Darunter versteht man eine Funktion einschließlich der dazugehörenden Chancen und Risiken sowie der mitübertragenen oder mitüberlassenen Wirtschaftsgüter oder (bislang: und) sonstigen Vorteile, die das verlagernde Unternehmen dem übernehmenden Unternehmen überträgt oder zu Nutzung überlässt. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG müssen demnach im Rahmen einer Funktionsverlagerung nicht mehr zwingend Wirtschaftsgüter mit übertragen oder zur Nutzung überlassen werden.4 Nach der Gesetzesbegründung soll mit dieser Regelung allerdings keine Änderung des bisherigen Verständnisses verbunden sein.5 Vielmehr soll das Transferpaket nach dem Willen des Gesetzgebers „weiterhin aus einer Funktion und den mit dieser Funktion zusammenhängenden Chancen und Risiken sowie den Wirtschaftsgütern oder sonstigen Vorteilen, die das verlagernde Unternehmen dem übernehmenden Unternehmen zusammen mit der Funktion überträgt oder zur Nutzung überlässt“, bestehen. Diese Einschätzung ist indessen unzutreffend. Denn die bisherige „und“Verknüpfung war so auszulegen, dass die Übertragung oder Nutzungsüberlassung sowohl von Wirtschaftsgütern als auch von sonstigen Vorteilen notwendig war, um eine Funktionsverlagerung zu begründen. Zudem war es dem Gesetzgeber unbenommen, am bisherigen Gesetzeswortlaut und der „und“-Verknüpfung festzuhalten, weshalb auch ein Irrtum nicht ernsthaft angenommen werden kann. Im Ergebnis kommt es zu einer Ausweitung der Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG, indem nunmehr eine Funktionsverlagerung gegeben ist, wenn „nur“ sonstige Vorteile (vgl. dazu Rz. 7.58) übertragen bzw. überlassen werden.6 Zu berücksichtigen ist, dass der neue Wortlaut des § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG nicht mit der Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV harmoniert, da dort noch davon ausgegangen wird, dass sowohl Wirtschaftsgüter als auch sonstige Vorteile mit übertra-
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Vgl. AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. Vgl. ATADUmsG v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2035. Vgl. dazu auch Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 ff. Vgl. auch Rasch, IWB 2021, 441 (450). Vgl. BT-Drucks. 19/27632, 74. Vgl. auch Busch, DB 2020, 193; Schnorrberger/Etzig, BB 2020, 1634; a.A. Greil/Saliger, ISR 2021, 333.
930 | Ditz/Greinert
B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung | Rz. 7.14 Kap. 7
gen oder überlassen werden müssen. Im Zweifel wird hier die gesetzliche Regel in § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG wohl vorgehen.1
Transferpaketbewertung bei fehlenden Vergleichsdaten. Eine Transferpaketbewertung ist nunmehr auch einschlägig, wenn sich keine Vergleichsdaten beibringen lassen (§ 1 Abs. 3b Satz 1 AStG). Bislang gelangte die Bewertungsvorschrift bereits zur Anwendung, wenn keine eingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte festgestellt werden konnten. Es dürfte allerdings zweifelhaft sein, ob sich die Pflicht zur Vornahme einer Transferpaketbewertung in der Zukunft allein durch die Darlegung von (beliebigen) Vergleichsdaten abwenden lässt, selbst wenn diese Vergleichsdaten nicht zumindest als eingeschränkt vergleichbar eingestuft werden können. Praktisch gesehen wird diese Modifikation daher keine Änderung für die Praxis ergeben.
7.13
Anpassung der Escape-Klausel. Darüber hinaus hat sich eine Änderung bei den Exkulpationsmöglichkeiten („Escape“ aus der Funktionsverlagerung) ergeben, die abweichend von der Bewertung des Transferpakets eine Einzelbewertung der übertragenen bzw. überlassenen Wirtschaftsgüter erlauben. Eine solche Einzelbewertung war nach der früheren Rechtslage gem. § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a.F. möglich, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft machte,
7.14
– dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren, – dass die Summe der angesetzten Einzelverrechnungspreise, gemessen an der Bewertung des Transferpakets als Ganzes, dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, oder – dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist, das er i.Ü. auch genau zu bezeichnen hatte. Von diesen Exkulpationsmöglichkeiten verbleibt nach der Gesetzesänderung durch das AbzStEntModG2 nur noch die erste. Eine Einzelbewertung ist demnach (weiterhin) möglich, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass weder wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren (§ 1 Abs. 3b Satz 2 AStG). Dies gilt gem. § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG dann, wenn das übernehmende Unternehmen die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausübt und das Entgelt, das für die Ausübung der Funktion und die Erbringung der entsprechenden Leistungen anzusetzen ist, nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln ist.3 Damit wird die aus § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV schon bekannte Regel gesetzlich in § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG verankert. Hiernach kann eine Transferpaketbewertung zugunsten eines Ansatzes von Einzelverrechnungspreisen unterbleiben, wenn eine nach der Kostenaufschlagsmethode vergütete Funktion verlagert wurde, die ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausgeübt wird. Damit wird nunmehr auch gesetzlich klargestellt, dass in Zusammenhang mit der Verlagerung von Routinefunktionen bzw. dem Outsourcing solcher Funktionen auf verbundene Unternehmen im Ausland kein Transferpaket bestimmt werden muss. Betroffen sind insbesondere Fälle der Verlagerung von Dienstleistungs- oder anderen Routinefunktionen (Lohn- und Auftragsfertigung, Low Risk-Vertriebsmodelle, Kommissionärsmodelle). Neben der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ist die Regel auch bei Anwendung der TNMM einschlägig.4 § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG regelt einen beispielhaften Anwendungsfall von § 1
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Vgl. auch Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1785 (1789). AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. Inhaltlich entspricht diese Vorschrift § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV. Vgl. insoweit auch VWG FVerl, Rz. 67.
Ditz/Greinert | 931
Kap. 7 Rz. 7.14 | Funktionsverlagerungen
Abs. 3b Satz 2 AStG, aber keine abschließende Aufzählung, sodass auch andere Fälle der Verlagerung von Routinefunktionen von der Ausnahmevorschrift erfasst sind.1
7.15
Preisanpassungsklausel. Die Preisanpassungsklausel, die bisher in § 1 Abs. 3 Sätze 11, 12 AStG a.F. niedergelegt war, wurde in einen gesonderten § 1a AStG ausgegliedert und dort neu gefasst. Für eine ausführlichere Erläuterung dieser Preisanpassungsklausel wird auf Rz. 7.142 verwiesen.
7.16
Anwendungszeitraum und Anwendungsregeln. Die erläuterten Änderungen gelten ab dem VZ 2022 (§ 21 Abs. 1 AStG). Obwohl sich insb. mit dem AbzStEntModG2 innerhalb des § 1 AStG umfangreiche Änderungen ergeben haben, wurden die FVerlV und die VWG-Funktionsverlagerung bislang nicht angepasst. Zumindest in redaktioneller Hinsicht sollten diese Dokumente aus Gründen der Rechtssicherheit und mit Blick auf eine handhabbare Rechtsanwendung indes noch angepasst werden, wobei es sich möglicherweise anbieten würde, die VWG-Funktionsverlagerung in die VWG-Verrechnungspreise zu integrieren.3
IV. Besteuerung von Funktionsverlagerungen bis 2007 – Überblick 7.17
Anwendung der Regelungen zur Funktionsverlagerung auf VZ vor 2008. Die im Rahmen des UntStRefG 2008 v. 14.8.20074 erstmals eingeführten Regelungen zur Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen in § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG a.F. sowie zur Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung in § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG a.F. waren ab dem VZ 2008 anzuwenden. Nach Auffassung der Finanzverwaltung, die ihren Niederschlag in Rz. 180 ff. VWG-Funktionsverlagerung5 gefunden hat, sind weite Teile der Regelungen zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen aber bereits für Sachverhalte vor dem VZ 2008 anwendbar. Die Finanzverwaltung begründet ihre Auffassung damit, dass die Regelungen nach Maßgabe der Gesetzesbegründung6 vor allem klarstellende und präzisierende Wirkung hätten, da sie Ausfluss des seit jeher geltenden Fremdvergleichsgrundsatzes seien und lediglich eine ausdrückliche Regelung dieses Grundsatzes darstellten. Für grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen vor dem VZ 2008 sollen nach Auffassung der Finanzverwaltung danach die Rechtsfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG a.F.7, die ertragswertorientierte Gesamtbewertung eines Transferpakets i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a.F.8 und der Mittelwertansatz beim hypothetischen Fremdvergleich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F.9 entsprechend anzuwenden sein. Lediglich der Grundsatz der Informationstransparenz i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG a.F. soll nach Verwaltungsauffassung für Sachverhalte vor dem VZ 2008 keine Anwendung finden.10 Auch die Regelungen zu nachträglichen Preisanpassungen i.S.d. § 1 Abs. 3 Sätze 11, 12 AStG a.F. sollen für Sachverhalte vor dem VZ 2008 nicht anwendbar sein. Nach Auffassung
1 So auch Ditz/Rupp, ISR 2020, 276; Stein/Schwarz, BB 2021, 1296. 2 Vgl. AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 3 In den VWG-Verrechnungspreise wird unter dem Gliederungspunkt I. bislang auf die VWGFunktionsverlagerung verwiesen. 4 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 5 Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10. 6 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 141. 7 Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.1. 8 Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.2. 9 Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.3. 10 Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.
932 | Ditz/Greinert
B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung | Rz. 7.18 Kap. 7
der Finanzverwaltung sollen für VZ vor 2008 aber nachträgliche Preisanpassungen auf Grundlage von § 313 BGB in Betracht kommen.1 Die Auffassung der Finanzverwaltung kann nicht überzeugen.2 Die Regelungen zur Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen sowie zur Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung folgen Grundsätzen, die es vor dem VZ 2008 so nicht gab. Es handelt sich für die Zeit ab dem VZ 2008 um echte Neuregelungen und nicht lediglich um Klarstellungen oder Präzisierungen. Insbesondere der Verweis der Finanzverwaltung auf den Fremdvergleichsgrundsatz geht ins Leere. Zwar war der Fremdvergleichsgrundsatz bereits vor dem VZ 2008 geltendes Recht in Deutschland. Die neuen Besteuerungsgrundsätze stimmen aber in wesentlichen Teilen mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht überein, sondern setzen sich vielmehr in expliziten Widerspruch zu diesem. Eine rückwirkende Anwendung der Neuregelungen kommt daher nicht in Betracht. Keine rückwirkende Anwendung des Grundsatzes der Gesamtbewertung. Dies gilt zunächst für die ertragswertorientierte Gesamtbewertung eines Transferpakets. Nach der sich aus Rz. 184 der VWG-Funktionsverlagerung3 ergebenden Auffassung der Finanzverwaltung ist es für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes in Fällen einer Funktionsverlagerung erforderlich, den wirtschaftlichen Gehalt des Vorgangs festzustellen. Ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter würden für Zwecke der Preisbestimmung eine Funktionsverlagerung regelmäßig als wirtschaftlich einheitlichen Vorgang beurteilen und das Entgelt sowohl für die Verlagerung insgesamt als auch für die einzelnen Wirtschaftsgüter und Vorteile auf der Grundlage der betreffenden Gewinnpotentiale bemessen. Insofern sei es sachgerecht, die steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen auf einer ertragswertorientierten Gesamtbewertung aufzubauen. Dies gelte auch für VZ vor 2008. Die Auffassung der Finanzverwaltung kann nicht überzeugen.4 Hinzuweisen ist zunächst darauf, dass der Begriff des Transferpakets vor dem VZ 2008 sowohl im Inland als auch im Ausland völlig unbekannt war. § 2 Abs. 3 Satz 3 GAufzV sah zwar bereits bisher eine Zusammenfassung mehrerer Geschäftsvorfälle vor, wenn diese ursächlich verbunden waren oder wenn es sich um Teilleistungen im Rahmen eines Gesamtgeschäfts handelte und es für die Prüfung der Angemessenheit weniger auf den einzelnen Geschäftsvorfall, sondern mehr auf die Beurteilung des Gesamtgeschäfts ankam. Diese Möglichkeit bezog sich jedoch nur auf die Aufzeichnungspflichten im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen und ändert nichts an der Einzelbewertung der betroffenen Wirtschaftsgüter.5 Auch die in den Jahren vor dem VZ 2008 gültigen OECD-Leitlinien 19956 erlaubten zwar die Bildung von Leistungspaketen, wenn einzelne Transaktionen so eng miteinander verbunden waren, dass eine getrennte Bewertung zu keinem angemessenen Verrechnungspreis führte. Als Beispiel hierfür nannten die OECD-Leitlinien 1995 insbesondere eng miteinander verbundene Produkte, bei denen es nicht praktikabel sei, für jede einzelne Transaktion einen Verrechnungspreis zu ermitteln. Eine Erfassung von Gewinnpotentialen im Rahmen einer Gesamtbewertung war aber auch in diesem Zusammenhang nicht vorgesehen.7 Vielmehr kam eine Gesamtbewertung vor dem VZ 2008 nur dann in Betracht, wenn ein Betrieb oder Teilbetrieb übertragen wurde. Hierbei konnten geschäftswertbildende Faktoren übergehen, sodass insofern ein Geschäfts- oder Firmenwert er1 2 3 4 5 6 7
Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.4. Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1197 ff.; Kroppen/Rasch, IWB 2009, 840 ff. Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.2. Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1198 ff. Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1198. Vgl. Tz. 1.42 ff. OECD-Leitlinien 1995. Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1199.
Ditz/Greinert | 933
7.18
Kap. 7 Rz. 7.18 | Funktionsverlagerungen
mittelt werden musste.1 Auf grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen ließen sich diese Grundsätze aber nicht übertragen, da es hier regelmäßig zu keinem Übergang von geschäftswertbildenden Faktoren kam, sodass auch kein Geschäfts- und Firmenwert zu ermitteln war.2 Insgesamt betrachtet muss eine ertragswertorientierte Gesamtbewertung eines Transferpakets vor dem VZ 2008 damit ausscheiden.3 Abzulehnen ist daher auch die in Rz. 186 der VWGFunktionsverlagerung4 geäußerte Auffassung der Finanzverwaltung, dass für Zwecke der Schätzung auf die tatsächliche Gewinnsituation der beteiligten Unternehmen abzustellen ist, falls keine Unterlagen über die Gewinnerwartungen der verlagerten Funktion vorgelegt werden. Mangels Transferpaketbewertung spielen Gewinnerwartungen vor dem VZ 2008 keine Rolle.5 Hinzu kommt, dass den Steuerpflichtigen in den fraglichen Zeiträumen auch keine Verpflichtung traf, Aufzeichnungen zu Gewinnerwartungen einzelner Funktionen zu erstellen. Zwar waren bereits vor dem VZ 2008 nach § 90 Abs. 3 Satz 8 AO Aufzeichnungen bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen zu erstellen, worunter auch grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen fielen. Auf Gewinnerwartungen bezog sich diese Verpflichtung aber nicht.6 Schließlich setzt sich die Finanzverwaltung mit der in Rz. 186 der VWG-Funktionsverlagerung7 geforderten Ex-post-Betrachtung auch in expliziten Widerspruch zum Fremdvergleichsgrundsatz. Für den bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen durchzuführenden Fremdvergleich ist auf die Verhältnisse und Informationen im Zeitpunkt der Funktionsverlagerung abzustellen. Sofern überhaupt Raum für eine Schätzung ist, hätte diese daher auf Grundlage einer Ex-ante-Betrachtung zu erfolgen.
7.19
Kein rückwirkender Mittelwertansatz beim hypothetischen Fremdvergleich. Auch der Mittelwertansatz beim hypothetischen Fremdvergleich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F. kann vor dem VZ 2008 keine Anwendung finden. Nach der in Rz. 190 der VWG-Funktionsverlagerung8 wiedergegebenen Auffassung der Finanzverwaltung ist bei Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs auf Funktionsverlagerungen vor dem VZ 2008 für die Bestimmung des Werts im Einigungsbereich, der dem Fremdvergleichsgrundsatz am besten entspricht und der deshalb als Verrechnungspreis anzusetzen ist, von dem Erfahrungssatz auszugehen, dass sich fremde Dritte auf einen mittleren Wert einigen. Dies soll insbesondere dann gelten, wenn auf beiden Seiten ein gleichermaßen hohes Interesse am Zustandekommen des Geschäfts und gleichermaßen starke Verhandlungspositionen bestehen und wenn keine konkreten Anhaltspunkte für einen bestimmten Wert innerhalb des Einigungsbereichs erkennbar sind. Zur Begründung ihrer Auffassung verweist die Finanzverwaltung auf zwei Urteile des I. Senats des BFH aus den Jahren 19909 und 199410, in denen das Gericht die These aufgestellt hat, dass sich Darlehensgläubiger und Darlehensschuldner die Spanne zwischen den banküblichen Haben- und Schuldzinsen im Zweifel teilen. Eine solche hälftige Teilung ist jedoch unter fremden Dritten nicht üblich.11 Hinzu kommt, dass der I. Senat des BFH heute auf dem Stand1 Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108. 2 Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1198 f. 3 Gl.A. Hruschka in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 14. 4 Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.2. 5 Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1199. 6 Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1200. 7 Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.2. 8 Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.3. 9 Vgl. BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649. 10 Vgl. BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, BStBl. II 1994, 725 = FR 1994, 367. 11 Vgl. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 693.
934 | Ditz/Greinert
B. Grundlagen der Funktionsverlagerungsbesteuerung | Rz. 7.20 Kap. 7
punkt steht, dass im Fall des hypothetischen Fremdvergleichs auf den niedrigsten Wert im Einigungsbereich abzustellen ist.1 Entgegen den Ausführungen in Rz. 190 der VWG-Funktionsverlagerung2 ist die Auffassung der Finanzverwaltung daher nicht durch die Rspr. des I. Senats des BFH gedeckt. Vielmehr steht sie in Widerspruch zu dieser. Auch steht der Mittelwertansatz nicht im Einklang mit den in den Jahren vor dem VZ 2008 gültigen OECD-Leitlinien 1995. Nach den OECD-Leitlinien 19953 ist beim Vorliegen eines Einigungsbereichs nicht auf den Mittelwert, sondern auf den Wert abzustellen, der die jeweiligen Umstände des Einzelfalls am besten widerspiegelt. Ein Rückgriff auf die OECD-Leitlinien 2022 kommt für Sachverhalte vor dem VZ 2008 von vorneherein nicht in Betracht.4 Im Übrigen enthalten die OECD-Leitlinien 20225 zwar die Aussage, dass bei Vorliegen eines Einigungsbereichs auf den Mittelwert abgestellt werden kann, um den maßgeblichen Verrechnungspreis zu ermitteln. Dies ist aber nicht zwingend. Vielmehr stellen die OECD-Leitlinien auch andere statistische Instrumente zur Ermittlung des zutreffenden Werts im Einigungsbereich zur Verfügung. Gleichzeitig enthalten die OECD-Leitlinien aber auch den Hinweis, dass genauso gut argumentiert werden kann, dass jeder Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz genügt. Insgesamt betrachtet ist der Mittelwertansatz damit nicht vom Fremdvergleichsgrundsatz gedeckt. Er kann für Sachverhalte vor dem VZ 2008 daher keine Geltung beanspruchen. Keine rückwirkende Anwendung der gesetzlichen Preisanpassungsklauseln. Auch eine nachträgliche Anpassung der vom Steuerpflichtigen angesetzten Verrechnungspreise kommt vor dem VZ 2008 nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die Finanzverwaltung stellt sich in den Rz. 191 ff. der VWG-Funktionsverlagerung6 auf den Standpunkt, dass die Preisanpassungsklauseln des § 1 Abs. 3 Sätze 11, 12 AStG a.F. vor dem VZ 2008 zwar keine Anwendung finden. Sie gelangt unter Rückgriff auf § 313 BGB aber zu vergleichbaren Ergebnissen. Nach Verwaltungsauffassung ist eine Verrechnungspreiskorrektur für VZ vor 2008 vorzunehmen, wenn sich fremde Dritte erfolgreich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB oder einer vergleichbaren ausländischen Regelung hätten berufen können. Dies soll der Fall sein, wenn die prognostizierten Gewinne erheblich von den tatsächlich realisierten Gewinnen abweichen. Die Auffassung der Finanzverwaltung ist abzulehnen.7 Die Möglichkeit einer nachträglichen Vertragsanpassung auf der Grundlage von § 313 BGB steht in einem erheblichen Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Vertragstreue. Bei der Anwendung des § 313 BGB ist daher Zurückhaltung geboten.8 Vor diesem Hintergrund kann der pauschalen Aussage der Finanzverwaltung, dass immer dann, wenn die prognostizierten Gewinne erheblich von den tatsächlich realisierten Gewinnen abweichen, der Anwendungsbereich des § 313 BGB eröffnet ist, nicht gefolgt werden. Vielmehr kommt es für die Anwendung des § 313 BGB stets auf die Umstände des Einzelfalls an. Besondere Bedeutung erlangen hierbei die vertragliche Risikoverteilung und die Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag. Nach ständiger höchstrichterlicher Rspr. ist für eine Anwendung des § 313 BGB insbesondere dann kein Raum, wenn sich ein Risiko verwirklicht, das nach der vertraglichen Regelung in den Risikobereich
1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867 = FR 2005, 300. Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.3. Vgl. Tz. 1.48 OECD-Leitlinien 1995. Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1200. Vgl. Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.4. Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1201 f. Vgl. Finkenauer in MünchKomm/BGB8, § 313 Rz. 5.
Ditz/Greinert | 935
7.20
Kap. 7 Rz. 7.20 | Funktionsverlagerungen
einer Partei fällt.1 Hinzu kommt, dass eine Anwendung des § 313 BGB nur dann in Betracht kommt, wenn dies zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht vereinbarer und damit der betroffenen Vertragspartei nicht zumutbarer Folgen unabweisbar erscheint.2 Dies macht deutlich, dass die Anwendung des § 313 BGB stark vom Einzelfall abhängt und die absolute Ausnahme darstellt. Demgegenüber will die Finanzverwaltung die Anwendung des § 313 BGB zur Regel machen. Dies kann nicht überzeugen. Auch der Verweis der Finanzverwaltung auf die OECD-Leitlinien 20103 in Rz. 196 der VWG-Funktionsverlagerung4 geht fehl. Abgesehen von der Tatsache, dass die OECD-Leitlinien 2010 auf Sachverhalte vor dem VZ 2008 keine Anwendung finden,5 sehen diese nur bei immateriellen Wirtschaftsgütern, nicht aber bei Funktionsverlagerungen nachträgliche Preisanpassungen vor. Hinzu kommt, dass die OECD-Leitlinien 2010 (und auch die OECD-Leitlinien 2022) nur die Möglichkeit und nicht die Pflicht zu nachträglichen Preisanpassungen vorsehen und dies auch nur dann, wenn fremde Dritte auf einer Preisanpassungsklausel bestanden hätten.6 Dies ist aber nur selten der Fall.7 Insgesamt betrachtet dürften nachträgliche Preisanpassungen vor dem VZ 2008 damit die absolute Ausnahme sein.8
C. Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung I. Überblick 7.21
Grundsatz: Besteuerung eines Transferpakts. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des UntStRefG 20089 eine Regelung zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen eines inländischen Unternehmens auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen geschaffen (§ 1 Abs. 3 Sätze 9, 10 AStG a.F.);10 jene Regelung hat durch das AbzStEntModG vom 2.6.202111 eine Neuerung erfahren und findet sich nun in § 1 Abs. 3b AStG. Diese Vorschrift, die durch die sog. „Funktionsverlagerungsverordnung“ (FVerlV12) und die „Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung“ (VWG FVerl13) durch das BMF konkretisiert wird, ordnet an, dass das im Rahmen der Funktionsverlagerung übergehende „Transferpaket“ als Ganzes unter Berücksichtigung des mit der Funktion verbundenen „Gewinnpotentials“ zu bewerten ist.14 Im Ergebnis 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Vgl. BGH v. 25.2.1993 – VII ZR 24/92, BGHZ 121, 379. Vgl. BGH v. 4.7.1996 – I ZR 101/94, BGHZ 133, 281. Vgl. Tz. 6.33 f. OECD-Leitlinien 2010. Vgl. VWG FVerl, Tz. 3.10.4. Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1200. Vgl. OECD-Leitlinien 2022, jeweils Tz. 3.73. Vgl. Greinert/Thiele, DStR 2011, 1202. Gl.A. Hruschka in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 2010, 14. Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. Ausweislich der Gesetzesbegründung gelten diese Regelung im Übrigen auch für den umgekehrten Fall der Funktionsverlagerung ins Inland, der allerdings erheblich seltener vorkommen; vgl. BTDrucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 86 sowie Rz. 7.147. Vgl. AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. Vgl. FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886 – VWG FVerl, BStBl. I 2010, 774. Vgl. dazu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 ff.; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 558 ff.; Boedefeld/Kuntschik in Blumenberg/Benz, Die Unternehmensteuerreform 2008, 240 ff.; Wassermeyer, FR 2008, 67 ff.
936 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.22 Kap. 7
sind damit bei Funktionsverlagerungen ins Ausland die aus der Unternehmensbewertung bekannten Bewertungsverfahren (Ertragswertverfahren) anzuwenden, wobei der Grundsatz der Einzelbewertung von im Rahmen der Funktionsverlagerung übergehenden Wirtschaftsgütern aufgegeben wurde.1 Der Gesetzgeber hält vielmehr eine Gesamtbewertung für erforderlich, weil – so die Begründung zum UntStRefG 2008 – „der Preis für die einzelnen übertragenen Wirtschaftsgüter den Wert der Funktion regelmäßig nicht angemessen wiederspiegelt.“2 Dem Gesetzgeber geht es folglich um die Erfassung eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts (Rz. 7.38). In diesem Zusammenhang wurde auch die sog. „Einigungsbereichsbetrachtung“ gesetzlich eingeführt, die aus der betriebswirtschaftlichen Betrachtung der Unternehmensbewertung bzw. des Unternehmenskaufs stammt.3 Danach kann ein hypothetischer Fremdpreis nur dann zustande kommen, wenn die Preisuntergrenze des Verkäufers (respektive des funktionsabgebenden Unternehmens) unterhalb der Preisobergrenze des Käufers (respektive des funktionsübernehmenden Unternehmens) liegt. Innerhalb dieses „Einigungsbereichs“ muss dann der angemessene Verrechnungspreis für die Funktion liegen.4 Umstrittene Regelung. Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen gem. § 1 Abs. 3b AStG und der FVerlV war von Anfang an heftig umstritten. Hauptkritikpunkte der Vorschriften zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen sind insbesondere – die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe und die daraus resultierenden Rechtsunsicherheiten,5 – das praktisch sehr aufwendige Modell für die Bewertung des Transferpakets, – die Unsicherheiten hinsichtlich der Bewertung des Transferpakets und die daraus resultierenden Risiken in Betriebsprüfungen, – die vorzeitige Besteuerung von im Ausland erst zukünftig entstehenden Gewinnpotentialen, – die Zuordnung eines (anteiligen) Geschäfts- oder Firmenwertes zu einer Funktion, – die unpraktikablen Escape-Klauseln des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a.F., die inzwischen teilweise aufgehoben wurden, – die Abgrenzung zwischen der Übertragung und der Nutzungsüberlassung einer Funktion,6 – die europarechtlichen Probleme der Funktionsverlagerungsbesteuerung,7 – die fehlende Übereinstimmung mit dem in Art. 9 OECD-MA niedergelegten Fremdvergleichsgrundsatz8 sowie 1 2 3 4 5
6 7 8
Zu einem Beispielfall vgl. Ditz/Just, DB 2009, 141 ff. BR-Drucks. 220/07 v. 30.3.2007, 144. Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464 ff. Zur Anwendung eines tatsächlichen Fremdvergleichs im Rahmen der Bewertung des Transferpaketes vgl. Schilling/Kandels, DB 2012, 1065 mit Anm. Ditz/Liebchen, DB 2012, 1469 ff. Nach Schnorberger/Etzig ist der Tatbestand der Funktionsverlagerung an einigen Stellen in einem Ausmaß unklar, dass sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot stellt. Vgl. Schnorberger/Etzig, StB 2018, 366. A.A. Greil/Naumann, IStR 2015, 430, wonach „die Frage, ob eine Funktion bzw. eine Funktionsverlagerung vorliegt, in der Praxis der Betriebsprüfung [...] nicht zu [...] Schwierigkeiten geführt hat“. Vgl. Baumhoff/Greinert, Ubg 2009, 549. Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 18 m.w.N.; Haase/Nürnberg, FR 2017, 5; Borstell in V/B/B, Verrechnungspreise5, Kap. U, Rz. 234 ff. Vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 28.
Ditz/Greinert | 937
7.22
Kap. 7 Rz. 7.22 | Funktionsverlagerungen
– die fehlende internationale Abstimmung der deutschen Regelungen zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen und das daraus resultierende Risiko einer internationalen Doppelbesteuerung.1 Im Ergebnis führte die Einführung der Funktionsverlagerungsbesteuerung und der FVerlV zu einem Paradigmenwechsel im Hinblick auf die Aufdeckung und Besteuerung stiller Reserven. Da der Ansatz gänzlich neu und ohne vergleichbare Vorgängerregelung konzipiert wurde, gehört er heute zu den am meisten diskutierten und am heftigsten umstrittenen Regelungen des deutschen Internationalen Steuerrechts.2 Aufgrund des international nicht abgestimmten Alleingangs des deutschen Gesetzgebers bei der Besteuerung von Funktionsverlagerungen3 ist derzeit eine verlässliche Steuerplanung in der Praxis schwierig und das Risiko einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung sehr hoch.
7.23
Definition der Funktionsverlagerung im AStG? § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG enthält eine Definition für den Begriff des Transferpakets. Von einem Transferpaket ist die Rede, wenn eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken sowie der mitübertragenen oder mitüberlassenen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile als Ganzes verlagert wird. Eine Definition für den Begriff der Funktionsverlagerung enthält § 1 Abs. 3b AStG indes nicht.4 Eine solche ergibt sich vielmehr nur aus § 1 Abs. 2 FVerlV.5 Danach ist von einer Funktionsverlagerung auszugehen, „wenn ein Unternehmen (verlagerndes Unternehmen) einem anderen, nahestehenden Unternehmen (übernehmendes Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird.“6 Eine Funktionsverlagerung setzt folglich voraus, dass – eine Funktion als Verlagerungsgegenstand vorliegt (Rz. 7.25 ff.), – diese Funktion bei dem im Inland ansässigen Unternehmen eingestellt oder zumindest eingeschränkt wird (sog. Verlagerung der Funktion, Rz. 7.43 ff.) und – Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile, die der Funktionsausübung zugrunde liegen, sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken übertragen bzw. zur Nutzung überlassen werden (Rz. 7.58 ff.).
7.24
Allgemeine Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG. Neben einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV setzt eine Einkünftekorrektur auf Basis des § 1 Abs. 1 AStG durch die Finanzbehörden im Zusammenhang von Funktionsverlagerungen auch die Erfüllung der all-
1 Zu einem Überblick vgl. Wehnert/Sano, IStR 2010, 53 ff. 2 Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1309. 3 Inzwischen kennen andere Jurisdiktionen ebenfalls Vorschriften zur Besteuerung von Funktionsverlagerungen. So z.B. die Schweiz in Art. 61b Abs. 2 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer; vgl. dazu Hinny in Festschrift für Jürgen Lüdicke, 267 ff. 4 Dem früheren Recht ließ sich noch entnehmen, dass eine Funktionsverlagerung vorliegt, wenn „eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken sowie der mitübertragenen oder mitüberlassenen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile verlagert“ wird. Diese Aussage ist jedoch tautologisch und war als Definition nicht geeignet; vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Wassermeyer, FR 2008, 67. 5 Kritisch auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 45, der zutreffend von „verwirrenden Regelungen“ spricht. 6 § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV.
938 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.26 Kap. 7
gemeinen Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift voraus. Infolgedessen ist der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3b AStG und der FVerlV nur eröffnet, wenn die Funktionsverlagerung eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 AStG darstellt. Nach § 1 Abs. 4 AStG ist eine Geschäftsbeziehung ein wirtschaftlicher Vorgang, dem „keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt“ (zu Einzelheiten vgl. Rz. 2.92 ff.). Stehen demnach Funktionsverlagerungen in einem Zusammenhang mit solchen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen, ist zu prüfen, ob § 1 AStG dem Grunde nach überhaupt Anwendung finden kann.1 Die Geschäftsbeziehung muss im Übrigen zu einer ausländischen nahestehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG bestehen (zu Einzelheiten vgl. Rz. 2.118 ff.). Darüber hinaus bedarf es einer Minderung der steuerpflichtigen Einkünfte im Inland. Schließlich finden die Vorschriften zur Funktionsverlagerung auch bei Geschäftsvorfällen zwischen dem Steuerpflichtigen und seiner im Ausland gelegenen Betriebsstätte Anwendung (§ 1 Abs. 5 Satz 1 AStG).2
II. Funktion 1. Betriebswirtschaftliche Definition Begriff der Organisationslehre. Der Begriff der Funktion wird in der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre verwendet. Hier bezeichnet er selbständige Teilaufgaben eines Unternehmens als „homogene Gruppe von Handlungen“3, welche aus einer Aufteilung der unternehmerischen Gesamtaufgabe entstanden ist.4 Eine Funktion stellt damit ein Bündel aus mehreren zusammengehörenden Aufgaben dar und umfasst immer nur einen Teilbereich der unternehmerischen Gesamtwertschöpfung. Einzelne Funktionen sind infolgedessen das Ergebnis der Aufgabenteilung innerhalb eines Unternehmens.5 Diese Aufgabenteilung führt zur Entstehung verschiedenster Aufgaben(bündel), die jeweils nicht sämtliche zur Erwirtschaftung der Gesamtwertschöpfung notwendigen Elemente umfassen. Damit verfügen Funktionen über – in Bezug auf die unternehmerische Gesamtaufgabe – eingeschränkte Entscheidungs-, Weisungs- und Ausführungsbefugnisse. Sie stehen komplementär nebeneinander und ergänzen sich in ihrer Gesamtheit zur unternehmerischen Gesamtwertschöpfung.6
7.25
Vertikale und horizontale Arbeitsteilung. Die Aufteilung der unternehmerischen Gesamtaufgabe in einzelne Teilaufgaben („Funktionen“) dient im Wesentlichen der Realisierung von Effizienzvorteilen, indem organisatorische Teileinheiten des Unternehmens (Stellen oder Abteilungen) für bestimmte Aufgaben verantwortlich sind bzw. diese ausüben. Die einzelnen Teilaufgaben (Funktionen) eines Unternehmens können auf Basis der folgenden Merkmale gebildet bzw. definiert werden:7
7.26
1 Vgl. auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 32. 2 Zu Einzelheiten vgl. Ditz in W/A/D, Betriebsstättenhandbuch2 Rz. 6.294 ff. 3 Schreyögg/Geiger, Organisation6, 52. Der Begriff „Handlung“ bezeichnet in diesem Zusammenhang eine Verhaltensweise, durch die ein gegebener Zustand der Realität (Ausgangszustand) in einen veränderten Zustand (Endzustand) überführt wird und die durch einen Akt der Kombination von Ressourcen charakterisiert werden kann. 4 Vgl. Kosiol, Organisation der Unternehmung2, 77. Zu einem Überblick über die Entwicklung des Funktionsbegriffs in der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie vgl. Böhrs, Organisation des Industriebetriebes, 155 ff. 5 So auch die Finanzverwaltung in VWG FVerl, Rz. 14. 6 Vgl. Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 23. 7 Vgl. Kosiol, Organisation der Unternehmung2, 49; Schreyögg/Geiger, Organisation6, 30; von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 56.
Ditz/Greinert | 939
Kap. 7 Rz. 7.26 | Funktionsverlagerungen
– Verrichtung (Abgrenzung anhand der zugrunde liegenden Tätigkeiten),1 – Objekte (Abgrenzung anhand von Produkten, Dienstleistungen, Regionen oder Kundengruppen),2 – Rangverhältnis (Abgrenzung anhand der Kriterien Entscheidung vs. Ausführung), – Phase des Entscheidungsprozesses (Abgrenzung der Planung von der Umsetzung und der Kontrolle) und – Zweckbeziehung (Abgrenzung von erfolgskritischen Leistungsaufgaben und nachrangigen Verwaltungsaufgaben). Nach den vorstehend dargestellten Merkmalen kann die unternehmerische Gesamtwertschöpfung in Teilaufgaben aufgeteilt werden. Die Teilaufgaben werden i.d.R. unter Berücksichtigung mehrerer Kriterien definiert. Die definierten Teilaufgaben werden dann nach der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre einzelnen organisatorischen Einheiten des Unternehmens zugewiesen. Mit Zuweisung dieser Teilaufgaben zu organisatorischen Einheiten (Rz. 7.27) entstehen Funktionen, sodass betriebswirtschaftlich die Funktion von der Definition der entsprechenden Teilaufgabe einerseits und von deren Zuweisung zu einer organisatorischen Einheit andererseits abhängig ist.3
7.27
Stellen oder Abteilungen als organisatorische Einheiten. Die Teilaufgaben eines Unternehmens werden i.d.R. organisatorischen Einheiten zugeordnet, welche sog. „Stellen“ oder „Abteilungen“ bilden können.4 Eine Stelle ist die kleinste aufbauorganisatorische Einheit eines Unternehmens, die von einer bzw. mehreren dafür qualifizierten Person/Personen ausgeübt werden kann.5 Die Stelle ist unabhängig von einem möglichen Personalwechsel. Sie kann eine Leitungsstelle bzw. Instanz oder eine Ausführungsstelle darstellen. Leitungsstellen bzw. Instanzen verfügen über Entscheidungs- und Weisungsrechte, während Ausführungsstellen lediglich Ausführungskompetenzen innehaben. Eine unternehmerische Teilaufgabe kann einer oder mehreren Stellen zugeordnet werden. Wenn die Stellen unter der Leitung einer Instanz zusammengefasst werden, spricht man betriebswirtschaftlich von einer Abteilung.6 Die Bildung von Stellen hat eine horizontale Arbeitsteilung zur Folge, während die Bildung von Instanzen und Abteilungen zu einer vertikalen Arbeitsteilung führt. Infolgedessen kann eine Funktion – je nachdem wie viele unternehmerische Teilaufgaben in ihr zusammengefasst werden – entweder durch eine oder mehrere Stellen oder durch eine oder mehrere Abteilungen ausgeführt werden. Wie viele Teilaufgaben in einer Funktion üblicherweise zusammengefasst werden, lässt die betriebswirtschaftliche Organisationslehre offen. Vielmehr ist dies von der organisatorischen Grundstruktur des Gesamtunternehmens abhängig.7
1 Im Falle der Unterteilung von unternehmerischen Aufgaben nach den Kriterien der Verrichtung entsteht eine funktionale Organisationsstruktur. 2 Im Falle einer Aufteilung der unternehmerischen Gesamtaufgabe nach dem Kriterium „Objekt“ entsteht eine divisionale Organisationsstruktur (Spartenorganisation oder Regionalorganisation). 3 Betriebswirtschaftlich ist die Definition von Teilaufgaben und ihre Zuweisung zu organisatorischen Einheiten ein interdependentes Problem. Vgl. Picot u.a., Organisation8, 242. 4 So auch VWG FVerl, Rz. 14. 5 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 56. 6 Vgl. Kosiol, Organisation der Unternehmung2, 91 f.; Schreyögg/Geiger, Organisation6, 41. 7 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 57.
940 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.29 Kap. 7
Abgrenzung von Haupt- und Hilfsfunktionen. Vor dem Hintergrund, dass nach der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie Funktionen komplementär nebeneinander stehen und sich gegenseitig ergänzen (Rz. 7.25), lässt sich betriebswirtschaftlich eine Untergliederung von Funktionen in Haupt- und Hilfsfunktionen nicht rechtfertigen. Allerdings lassen sich in der Unternehmenspraxis häufig sog. „erfolgskritische Funktionen“ identifizieren. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie – als unternehmensspezifische Merkmale – über den Markterfolg eines Unternehmens entscheiden, während die übrigen Funktionen in Form von Standard- und Routinefunktionen auch von Drittunternehmen im Wege des Outsourcings übernommen werden können.1 Funktionsverlagerungen ins Ausland können sich dabei sowohl auf erfolgskritische Funktionen als auch auf Standard- und Routinefunktionen beziehen. Schwerpunktmäßig sind in der Unternehmenspraxis im Rahmen von Funktionsverlagerungen folgende Funktionen betroffen:
7.28
– Einkaufsfunktion, – Produktionsfunktion, – Vertriebsfunktion, – Forschungs- und Entwicklungsfunktionen sowie – Dienstleistungsfunktionen.
2. Steuerliche Definition Definition nach § 1 Abs. 1 FVerlV. Gegenstand der Verlagerung muss eine Funktion sein. Diese wird allerdings nicht in § 1 Abs. 3b AStG, sondern in § 1 Abs. 1 FVerlV definiert. So ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV eine Funktion „eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden.“ Die steuerliche Definition der Funktion steht damit – zumindest im Wesentlichen – im Einklang mit ihrem Verständnis in der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie (Rz. 7.25 ff.). Für die Praxis ist die Definition allerdings nur bedingt hilfreich, da sie keine „Untergrenze“ für das Vorliegen einer Funktion definiert und infolgedessen – zumindest nach Auffassung der Finanzverwaltung – auch beliebig kleine und „atomisierte“ Tätigkeitsbereiche erfasst werden.2 Im Allgemeinen kommen als Funktionen, welche Gegenstand einer Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3b AStG sein können, insbesondere folgende in Betracht:3 – Geschäftsleitung, – Forschung und Entwicklung, – Materialbeschaffung, – Lagerhaltung, – Produktion, – Verpackung,
1 Vgl. auch Baumhoff, IStR 2003, 5 f.; Klein, IStR 1995, 546. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 16; Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 44; Wolter/Pitzal, IStR 2008, 793. 3 Vgl. VWG FVerl, Rz. 15.
Ditz/Greinert | 941
7.29
Kap. 7 Rz. 7.29 | Funktionsverlagerungen
– Vertrieb, – Montage, – Bearbeitung oder Veredelung von Produkten, – Qualitätskontrolle, – Finanzierung, – Transport, – Organisation, – Verwaltung, – Marketing, – Kundendienst.
7.30
Definition der Funktionen durch eine Geschäftstätigkeit. § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV beschreibt die Funktion als „Geschäftstätigkeit“.1 Was jedoch konkret eine Geschäftstätigkeit und damit eine Funktion ausmacht, lässt die FVerlV offen.2 Auffällig ist zunächst, dass jedweder Bezug zum Gegenstand des Unternehmens fehlt. Nach diesem Begriffsverständnis erfüllt etwa die Zusammenfassung einfachster Tätigkeiten die Anforderung an eine Geschäftstätigkeit, wenn sie nur von demselben Funktionsträger (d.h. Stelle oder Abteilung, Rz. 7.27) erfüllt werden. Ein solch weitgehendes Begriffsverständnis impliziert auch § 2 Abs. 2 FVerlV, wonach die Auslagerung einer Tätigkeit, die – nach der Funktionsverlagerung – vom übernehmenden Unternehmen ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausgeübt und deren Entgelt nach der Kostenaufschlagsmethode zu bemessen ist, als Funktionsverlagerung qualifiziert wird (Rz. 7.72 f.).3 Vom Gegenstand des Unternehmens „unternehmerische Gesamtaufgabe“ grenzt sich eine Funktion dadurch ab, dass sie nur einen Bestandteil dieser ausmacht, deshalb nicht sämtliche zur Erwirtschaftung der Gesamtwertschöpfung notwendigen Elemente umfasst und dementsprechend durch eingeschränkte Entscheidungs-, Weisungs- und Ausführungsbefugnisse gekennzeichnet ist (Rz. 7.25).4 Von der einzelnen Tätigkeit fehlt demgegenüber jedwede Abgrenzung, sodass die Finanzverwaltung von einer tätigkeitsund objektbezogenen „Atomisierung“ des Funktionsbegriffs ausgeht.5 Die VWG-Funktionsverlagerung führen zur Konkretisierung der Geschäftstätigkeit lediglich aus, dass diese auch dann vorliegt, wenn sie nur konzernintern ausgeübt wird.6 Infolgedessen bedarf es – nach Auffassung der Finanzverwaltung – zum Vorliegen einer Funktion keiner Marktteilnahme gegenüber unabhängigen Dritten.7 Ferner wird die Notwendigkeit der Abgrenzung gegenüber übrigen Geschäftstätigkeiten herausgestrichen, ohne dass eine inhaltliche Konkretisierung gegenüber einzelnen Tätigkeiten vorgenommen wird.8
1 Zur Auslegung des Funktionsbegriffs siehe auch Polka, StB 2020, 51 ff. 2 Kritisch mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot Polka, StB 2020, 53. 3 Vgl. hierzu auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 44. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 14. 5 Vgl. VWG FVerl, Rz. 16; Kroppen/Rasch, IWB 2010, 825 f.; Greil/Naumann, IStR 2015, 430; WolffSeeger/Saliger, ISR 2017, 236; Hemmerich/Günther, IWB 2020, 846. 6 Vgl. VWG FVerl, Rz. 17. 7 Siehe dazu beispielhaft Wolff-Seeger/Saliger, ISR 2017, 236 f. 8 Vgl. VWG FVerl, Rz. 16.
942 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.32 Kap. 7
Ablehnung der Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist der Begriff der Funktion „tätigkeitsbezogen und objektbezogen“1 zu definieren. Infolgedessen ist nach den VWG-Funktionsverlagerung – entgegen der h.M. der Literatur2 – auch die „Produktion eines bestimmten Produkts oder einer bestimmten Produktgruppe“ als Funktion i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG anzusehen.3 Diese weite Interpretation der Funktion (i.S. einer „Atomisierung“ der Funktion) steht weder im Einklang mit dem Wortlaut und dem Telos des § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG noch ist sie durch die Definition der Funktion in § 1 Abs. 1 FVerlV gedeckt. Denn nach § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV wird für eine Funktionsverlagerung vorausgesetzt, dass ein „organischer Teil eines Unternehmens“ übergeht (Rz. 7.33). Dieser organische Teil muss zwar nicht zwingend einen Teilbetrieb begründen, dem aber sehr nahe kommen.4 Das Kriterium eines „organischen Teils des Unternehmens“ schließt indessen unzweifelhaft eine „Atomisierung“ der Funktionsdefinition aus. Ferner ist zu beachten, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV eine Funktion als „Geschäftstätigkeit“ definiert (Rz. 7.30).5 In diesem Zusammenhang sieht die Begr. zu § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV ausdrücklich vor, dass mit der Funktion eine gewisse Eigenständigkeit einhergeht, die es erlaubt, der Funktion bestimmte Erträge und Aufwendungen zuzuordnen. Dadurch – so die Begr. zur FVerlV – soll auch eine „ausufernde Anwendung“ der Funktionsverlagerungsbesteuerung vermieden werden.6 Genau dieses geschieht aber bei der von der Finanzverwaltung vorgesehenen produktbezogenen Definition der Funktion. Im Übrigen kann auch die Substitution der Herstellung eines Produkts durch ein Nachfolgeprodukt – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung7 – nicht zu einer Funktionsverlagerung führen. Denn in diesem Fall ändert das inländische Unternehmen seine Geschäftstätigkeit in keiner Weise, sondern führt diese mit anderen Produkten fort.8
7.31
Gesetzgebungsverfahren zur FVerlV. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Problem der „teilweisen“ Funktionsverlagerung bereits im Gesetzgebungsverfahren der FVerlV gesehen und diskutiert wurde. So enthielt der Entwurf der FVerlV vom 17.12.2007 noch folgende Regelung: „Eine Funktionsverlagerung kann auch vorliegen, wenn das übernehmende Unternehmen die Funktion nur zeitweise oder teilweise übernimmt; wird die Funktion nur teilweise übernommen, ist die Verordnung auf den übernommenen Teil anzuwenden.“9 In der damaligen Verordnungsbegründung hieß es dazu, dass eine teilweise Funktionsverlagerung vorliege, wenn z.B. im Rahmen des Vertriebs eines Unternehmens der Vertrieb einer bestimmten Produktgruppe verlagert wird. Nach Kritik der Wirtschaft wurde der Entwurf der FVerlV im Gesetzgebungsverfahren geändert, sodass eine teilweise Verlagerung einer Funktion ausdrücklich nicht mehr von der Rechtsverordnung erfasst werden sollte. Das BMF hat daher über die VWG-Funktionsverlagerung versucht, die eigene Auffassung „durch die Hintertür“ wieder einzuführen.10 Dies ist – auch unter Berücksichtigung der besonderen Bewertungsregelungen
7.32
1 VWG FVerl, Rz. 16. 2 Vgl. Ditz in Raupach/Pohl/Ditz, Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, 15; Pohl, JbFSt 2007/08, 433 ff.; Frotscher, FR 2008, 49 f.; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 275. 3 Kritisch dazu etwa Hentschel/Kraft, IStR 2015, 194. 4 So auch Vertreter der Finanzverwaltung, vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 43. 5 Vgl. dazu auch Frischmuth in FS Schaumburg, 675 ff. 6 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 10. 7 Vgl. VWG FVerl, Rz. 23. 8 Dazu kritisch Hentschel/Kraft, IStR 2015, 194; Polka, StB 2020, 53. 9 § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV, Entwurf vom 17.12.2007. 10 Ebenso Kroppen/Rasch, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2445.
Ditz/Greinert | 943
Kap. 7 Rz. 7.32 | Funktionsverlagerungen
in Substitutionsfällen (Rz. 7.48 f.)1 – nicht akzeptabel, zumal diese Auffassung der Finanzverwaltung jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt.
7.33
Organischer Teil eines Unternehmens. In Ergänzung zur allgemeinen Definition der Funktion in § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV stellt Satz 2 dieser Vorschrift klar, dass die Funktion ein „organischer Teil eines Unternehmens“ ist. Die Beschreibung der Funktion als organischer Teil eines Unternehmens konkretisiert die Stellung einer Funktion im Unternehmen. So wird einerseits die Funktion von einer zusammenhanglosen Gruppe von Wirtschaftsgütern abgegrenzt; denn im Rahmen einer Funktion werden in einem organischen Unternehmensteil (d.h. im Rahmen von Stellen oder Abteilungen, Rz. 7.27) Aufgaben gebündelt, die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.2 Darüber hinaus wird durch die Beschreibung der Funktion als „organischer Teil eines Unternehmens“ klargestellt, dass die Funktion von anderen Funktionen des Unternehmens abgrenzbar sein muss.3 Eine Funktion kann – so die Begr. der FVerlV – nur dann als organischer Teil eines Unternehmens angesehen werden, wenn sie über eine gewisse Eigenständigkeit verfügt, die es erlaubt, der Funktion bestimmte Aufwendungen und Erträge sachgerecht zuzuordnen.4 Zwingende Voraussetzung für die Annahme einer Funktion ist somit, dass sie gegenüber anderen Funktionen des Unternehmens eindeutig abgegrenzt werden kann. Denn nur dann kann ein Wert für das im Rahmen der Funktionsverlagerung übergehende Transferpaket – auf Basis der Diskontierung zukünftig erwarteter Reingewinne nach Steuern – konkret bestimmt werden. Eine Funktion, welche im Rahmen der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach dem Transferpaket zu bewerten ist, kann infolgedessen nur dann vorliegen, wenn ihr Erträge und Aufwendungen konkret zugeordnet werden können. Denn nur in diesem Fall würden auch unabhängige Dritte die Übertragung einer Funktion vergüten. Dabei sind der Funktion als organischem Teil des Unternehmens auch die zur Aufgabenerfüllung notwendigen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter zuzuordnen.5 Sie sind es letztlich, die Gegenstand der Verlagerung sind und nach außen hin die Funktion erkennbar gegenüber den anderen Funktionen des Unternehmens abgrenzen (Rz. 7.58 ff.). Zudem muss die letztlich tätigkeitsbezogen dargestellte Aufgabenerfüllung in gewissen Zeitabständen wiederholt werden (können) und darf nicht auf eine einmalige Erledigung ohne Wiederholungsabsicht angelegt sein.6
7.34
Eigenständigkeit der Funktion. § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV konkretisiert mit der Forderung nach einem „organischen Teil eines Unternehmens“ das Erfordernis einer betriebswirtschaftlichen Eigenständigkeit der Funktion, die es ermöglicht, ihr bestimmte Aufwendungen und Erträge sowie Chancen und Risiken zuzuordnen.7 Diese Einschränkung des Funktionsbegriffs ist sachgerecht, denn unter Fremdvergleichsgesichtspunkten ist eine Vergütung der Übertragung einer Funktion nur dann vorstellbar, wenn diese eindeutig abgrenzbar, insbesondere aber bewertbar ist.8 Im Schrifttum wird daher aus dem Erfordernis der funktionsspezifischen Zuordnung von Aufwendungen und Erträgen gefolgert, dass sich der Funktionsbegriff mittels
1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. VWG FVerl, Rz. 119. Vgl. VWG FVerl, Rz. 18; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 279 f. Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 61. Vgl. BT-Drucks. 220/07, 10; VWG FVerl, Rz. 18; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1286; Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 43. Vgl. auch Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 280; Borstell in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. U 36. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 280. Vgl. VWG FVerl, Rz. 18. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1286.
944 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.35 Kap. 7
des Konzepts der „Cash-Generating-Unit“ (CGU) nach IAS 36.6 präzisieren ließe.1 Diese Forderung lässt sich indessen nur mittelbar aus der Definition der Funktion in § 1 Abs. 1 FVerlV ableiten. Mithin geht aus § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV eindeutig hervor, dass eine Funktion „auf bestimmte, selbständige Teilaufgaben spezialisierte, in ihrem Tätigkeitsbereich abgegrenzte und aus mehreren Stellen oder Abteilungen bestehende Einheiten eines Unternehmens“2 erfordert. Damit wird die Anwendung der Funktionsverlagerungsbesteuerung auf konkret abgrenzbare Funktionen beschränkt, denen eindeutig Erträge und Aufwendungen zugeordnet werden können.3 Die weite Auslegung des Funktionsbegriffs durch die Finanzverwaltung (Rz. 7.31) ist hingegen durch die gesetzlichen Vorgaben des § 1 Abs. 1 FVerlV nicht gedeckt. Abgrenzung der Funktion vom Teilbetrieb. § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV grenzt den Begriff der Funktion von demjenigen des Teilbetriebs ab, indem klargestellt wird, dass eine Funktion zwar ein „organischer Teil eines Unternehmens“ darstelle, jedoch nicht die Voraussetzungen eines Teilbetriebs erfüllen müsse. Die Rspr. definiert den Teilbetrieb als „einen mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten, organisch geschlossenen Teil des Gesamtbetriebs, der für sich lebensfähig ist.“4 Der Begriff des Teilbetriebs ist damit „enger“ als derjenige der Funktion.5 Mithin umfasst er regelmäßig mehrere betriebliche Funktionen, wobei darüber hinaus eine gewisse Selbständigkeit und vor allem eine selbständige Lebensfähigkeit den Teilbetrieb auszeichnen. Insbesondere das Kriterium der selbständigen Lebensfähigkeit (z.B. nach Auffassung des BFH in Form eines eigenen Kundenkreises, eigene Einkaufsbeziehungen oder einem eigenen Personalbestand6) ist für eine Funktion nicht erforderlich.7 Vielmehr setzt sich ein Teilbetrieb regelmäßig aus mehreren Funktionen i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV zusammen, sodass der Teilbetrieb auf einer Hierarchieebene des Unternehmens über der Funktion anzusiedeln ist. Denn die für einen Teilbetrieb notwendige selbständige Lebensfähigkeit kann nur dann angenommen werden, wenn er über sämtliche für eine eigenständige Tätigkeitsausübung notwendigen Funktionen verfügt. Demgegenüber beziehen sich Funktionen nur auf eine Stufe des Wertschöpfungsprozesses. Ferner müssen die einer Funktion immanenten Leistungen nicht marktbezogen sein, sondern können auch gruppenintern erbracht werden.8 1 Vgl. Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 284; Borstell in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. U 41 ff.; Blumers, BB 2007, 1762. 2 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 63. 3 Ein Indiz für das Vorliegen einer Funktion könnte demnach sein, dass die betreffende Einheit separat im Rahmen einer Kostenstellen-, Profit-Center- oder Segmentrechnung geführt wird; vgl. Hentschel/Kraft, IStR 2015, 194. Greil/Naumann, IStR 2015, 431, vertreten jedoch die Auffassung, dass eine objektive Zurechnung von Wertbeiträgen „keine unabdingbare Voraussetzung für eine sachgerechte Bewertung“ sei. 4 BFH v. 17.3.1977 – IV R 218/72, BStBl. II 1977, 596; v. 5.6.2003 – IV R 18/02, BStBl. II 2003, 839 m.w.N. = FR 2003, 1181 m. Anm. Wendt; v. 21.3.2010 – IV R 41/07, FR 2010, 667 m. Anm. Wendt = DStR 2010, 924 m.w.N. Zum europäischen Teilbetriebsbegriff siehe Art. 2 BSt. j) der Fusions-Richtlinie (Richtlinie 2009/133/EG v. 19.10.2009, Abl. EU 2009, L 310, 34). 5 Zu einer vergleichenden Übersicht siehe auch Borstell in V/B/B, Verrechnungspreise5, Kap. U, Rz. 45. 6 Vgl. zu einem Kundenstamm BFH v. 26.6.1975 – VIII R 39/74, BStBl. II 1975, 833; v. 15.3.1984 – IV R 189/81, BStBl. II 1984, 486 = FR 1984, 425; hinsichtlich eigener Einkaufsbeziehungen bei Einzelhandelsfilialen vgl. BFH v. 12.9.1979 – I R 146/76, BStBl. II 1980, 51; v. 12.2.1992 – XI R 21/ 90, BFH/NV 1992, 516; hinsichtlich eines eigenen Personalbestands vgl. BFH v. 1.2.1989 – VIII R 33/85, BStBl. II 1989, 458. 7 Vgl. Greil/Naumann, IStR 2015, 430; von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 63 ff. 8 Vgl. VWG FVerl, Rz. 17.
Ditz/Greinert | 945
7.35
Kap. 7 Rz. 7.36 | Funktionsverlagerungen
7.36
Funktion als Untereinheit des Teilbetriebs. Ein Teilbetrieb kann erst dann auf einem Markt erwerbswirtschaftlich tätig werden, wenn mehrere, dem Teilbetrieb zuzuordnende Funktionen ausgeübt werden. Im Gegensatz zu Teilbetrieben sind Funktionen nicht selbständig, sondern nur in Kombination mit weiteren Funktionen lebensfähig.1 In Abgrenzung zum Teilbetrieb ist damit eine Funktion eine „Untereinheit“ eines Teilbetriebs, die nicht selbständig lebensfähig ist. Die Funktion muss allerdings – vergleichbar zu den Kriterien des Teilbetriebs – von anderen Funktionen abgrenzbar sein und insofern über eine gewisse Eigenständigkeit verfügen. Diese erfordert insbesondere, dass der Funktion die von ihr veranlassten Aufwendungen und Erträge eindeutig zugeordnet werden können (Rz. 7.33). Indizien einer Eigenständigkeit der Funktion können darüber hinaus eine räumliche Trennung, der Einsatz eigener Betriebsmittel und eigenen Personals, eine gesonderte Buchführung oder eine separierte interne Kostenrechnung sein.2
7.37
Funktion beim abgebenden und/oder aufnehmenden Unternehmen. Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass eine Funktion entweder beim abgebenden „oder“ beim aufnehmenden Unternehmen eine organische Einheit darstellen muss.3 Diese Auffassung ist abzulehnen;4 denn sowohl aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3b AStG als auch aus der Definition der Funktionsverlagerung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV geht eindeutig hervor, dass die Voraussetzungen einer Funktion bereits beim funktionsabgebenden, inländischen Unternehmen erfüllt sein müssen. Mithin kann eine Verlagerung von Funktionen i.S.d. § 1 Abs. 3b AStG nur vorliegen, wenn die Funktion beim inländischen Unternehmen bereits vor der Verlagerung bestanden hat.5 Im Übrigen fordert § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV explizit, dass die verlagerte Funktion bereits beim abgebenden Unternehmen ausgeübt wurde. Schließlich ist die Realisierung des einer Funktion immanenten Geschäfts- oder Firmenwerts – wie von § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG beabsichtigt (Rz. 7.38) – nur möglich, wenn die aus der Funktion resultierenden geschäftswertbildenden Faktoren bereits im Inland durch eine organisatorische Einheit ausgeübt wurden. Die Bewertung eines Transferpakets setzt damit zwingend voraus, dass eine entsprechende Funktion beim inländischen, die Funktion abgebenden Unternehmen bereits vorhanden war.6 Denn auch fremde Dritte wären nur bereit, für eine übergehende Funktion ein Entgelt zu leisten, wenn die Funktion für das erwerbende Unternehmen „erkennbar“ ist.
7.38
Zuordnung eines Geschäfts- oder Firmenwerts. Die Realisierung und Besteuerung eines Transferpakets im Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung ist nur dann – i.S.d. Fremdvergleichsgrundsatzes – sachgerecht, wenn der entsprechenden Funktion ein (anteiliger) Geschäfts- oder Firmenwert zugeordnet werden kann und dieser mit der Funktion auf das ausländische verbundene Unternehmen übergeht. Fraglich ist allerdings, ob einer Funktion überhaupt ein (anteiliger) Geschäfts- oder Firmenwert immanent sein kann. Zwar hat
1 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 42; Roeder in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 158; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 280. Nach Frischmuth, StuB 2010, 96 soll hingegen eine Funktion, die mit allen wesentlichen materiellen und immateriellen Betriebsgrundlagen inklusive der Funktionsberechtigung verlagert wird, einen Teilbetrieb darstellen. 2 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 69. 3 Vgl. VWG FVerl, Rz. 18. 4 So auch Kahle/Schulz, Ubg 2016, 382. 5 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 75; Wolter/Pitzal, IStR 2008, 798 f. 6 So wohl auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 62.
946 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.40 Kap. 7
der BFH entschieden, dass der Geschäfts- oder Firmenwert eines Betriebs grundsätzlich spaltbar ist.1 Ferner geht die Rspr. davon aus, dass der Geschäfts- oder Firmenwert grundsätzlich den übergehenden geschäftswertbildenden Faktoren folgt.2 Auf Grundlage dieser Rspr. des BFH könnte einer Funktion grundsätzlich ein anteiliger Geschäfts- oder Firmenwert zugeordnet werden. Voraussetzung wäre freilich, dass mit der Funktion geschäftswertbildende Faktoren tatsächlich auf das ausländische verbundene Unternehmen übertragen werden. Ob dies der Fall ist, ist in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Kroppen weist in diesem Zusammenhang allerdings zutreffend darauf hin, dass im Rahmen einer Funktionsverlagerung i.d.R. keine Organisationseinheit auf das ausländische, verbundene Unternehmen übertragen, sondern diese beim funktionsabgebenden Unternehmen aufgelöst und beim funktionsaufnehmenden ausländischen Unternehmen neu aufgebaut wird. Eine Übertragung geschäftswertbildender Faktoren wäre damit bei Funktionsverlagerungen im Allgemeinen ausgeschlossen.3 Voraussetzung eines selbständig lebensfähigen Betriebsteils. Im Übrigen ist die Rspr. des BFH zu beachten, wonach ein Geschäfts- oder Firmenwert nur dann übergehen kann, wenn der Verlagerungsgegenstand eigenständig am Wirtschaftsleben teilnehmen kann und somit selbständig lebensfähig ist.4 Vor dem Hintergrund der geforderten selbständigen Lebensfähigkeit des Verlagerungsgegenstands wurde in zahlreichen BFH-Urteilen ein Übergang eines Geschäfts- oder Firmenwerts nur angenommen, wenn der Verlagerungsgegenstand einem Betrieb oder Teilbetrieb entspricht.5 Gegenstand einer Funktionsverlagerung sind indessen nur in seltenen Ausnahmefällen Betriebe oder Teilbetriebe; denn bei Funktionen handelt es sich gerade um Bestandteile eines Betriebs oder Teilbetriebs (Rz. 7.35), sodass die strengen Voraussetzungen des BFH im Hinblick auf den Übergang eines (anteiligen) Geschäfts- oder Firmenwerts im Rahmen von Funktionsverlagerungen nicht erfüllt sind. Folgt man daher der Rspr. des BFH, lässt sich die Realisierung eines Geschäfts- oder Firmenwerts im Rahmen einer Funktionsverlagerung nur rechtfertigen, wenn ein selbständig lebensfähiger Betriebsteil übertragen wird.6
7.39
Übertragung geschäftswertbildender Faktoren. Entgegen der in der vorstehenden Rz. genannten Rspr. geht der Gesetzgeber im Hinblick auf die Realisierung eines (anteiligen) Geschäfts- oder Firmenwerts im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen davon aus, dass dessen Realisierung keinen selbständig lebensfähigen Betriebsteil voraussetzt. Unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes und seiner Konkretisierung im Verhalten zweier ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter kann dieses Konzept jedoch nur dann überzeugen, wenn im Rahmen einer Funktionsverlagerung tatsächlich geschäftswertbildende Faktoren mit der Funktion auf das ausländische verbundene Unternehmen übergehen. Dies
7.40
1 Vgl. BFH v. 7.10.1970 – I R 1/68, BStBl. II 1971, 69; v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 577 = FR 1996, 760. 2 Vgl. BFH v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 577 = FR 1996, 760; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 772 = FR 2001, 1108; v. 2.9.2008 – X R 32/05, FR 2009, 954 m. Anm. Wendt = BFH/NV 2009, 1001; FG Rh.-Pf. v. 24.10.2002 – 6 K 3031/98, EFG 2002, 240, rkr. 3 Vgl. Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 131; s. ferner Haas, Ubg 2008, 519; Kroppen/Rasch, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2454. 4 Vgl. BFH v. 28.6.1989 – I R 25/88, BStBl. II 1989, 982; v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 577 = FR 1996, 760; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 772 = FR 2001, 1108; v. 2.9.2008 – X R 32/05, FR 2009, 954 m. Anm. Wendt = BFH/NV 2009, 1001. 5 Vgl. BFH v. 7.10.1970 – I R 1/68, BStBl. II 1971, 70 f.; v. 17.3.1977 – IV R 218/72, BStBl. II 1977, 595 f.; v. 24.11.1982 – I R 123/78, BStBl. II 1983, 113 = FR 1983, 198. 6 Vgl. Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1637; Greinert, Ubg 2010, 109.
Ditz/Greinert | 947
Kap. 7 Rz. 7.40 | Funktionsverlagerungen
setzt einerseits voraus, dass der Funktion, verstanden als „organischer Teil eines Unternehmens“ (Rz. 7.33), eindeutig Erträge und Aufwendungen zugeordnet werden können. Ferner ist Voraussetzung, dass im Rahmen der Funktionsverlagerung tatsächlich die einen Geschäftsoder Firmenwert prägenden Komponenten übergehen. Dies sind die Folgenden:1 – betriebswirtschaftliche Vorteile in Form eines Kundenstamms, Produktions- und Absatzverfahren, Organisationsstruktur, besondere Mitarbeiterqualifikationen oder günstige Einkaufsmöglichkeiten; – „Going-Concern“-Komponenten, die aus dem Zusammenwirken von Wirtschaftsgütern in der organisatorischen Einheit einer Funktion entstehen; – Synergieeffekte, die durch die Integration der Funktion in das jeweilige Unternehmen entstehen; – Standortvorteile des jeweiligen Landes wie bspw. ein niedriges Lohn- und Kostenniveau oder das Steuersystem. Im Ergebnis kann daher eine Funktion nur dann Gegenstand einer Funktionsverlagerung sein, wenn diese bereits vor der Funktionsverlagerung bei dem inländischen Unternehmen vorhanden war (Rz. 7.37) und der Funktion geschäftswertbildende Faktoren zugeordnet werden können, welche ebenfalls auf das ausländische verbundene Unternehmen im Zusammenhang mit der Funktionsverlagerung übertragen oder zur Nutzung überlassen werden. Auch insoweit kommt es zu einer Einschränkung der Anwendung der Regelungen zur Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3b AStG und der FVerlV.
7.41
Vertragsänderung und Abschluss neuer Verträge sind keine Funktion. Die reine Änderung von Verträgen oder der Abschluss neuer Verträge zwischen nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG sind nicht geeignet, eine Funktionsverlagerung auszulösen. Denn insofern werden die Voraussetzungen einer Funktion i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV nicht erfüllt. Danach ist es zwingend notwendig, dass „eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden“, von inländischen Unternehmen auf die im Ausland ansässige nahestehende Person übergehen. In Ergänzung zu § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV geht aus Satz 2 der Vorschrift hervor, dass eine Funktion „ein organischer Teil eines Unternehmens“ ist. Im Zusammenhang mit der Änderung von Verträgen zwischen nahestehenden Personen bzw. dem Neuabschluss von Verträgen kann eine Funktionsverlagerung daher nur ausgelöst werden, wenn darüber hinaus Funktionen i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV übergehen. Dies ist bei reinen vertraglichen Anpassungen nicht der Fall. Denn es wird weder ein „organischer Teil“ verlagert noch sind andere Funktionen i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV (im Sinne von Stellen oder Abteilungen) übergegangen. Beispiel: Zwischen der in Deutschland ansässigen Muttergesellschaft (M AG) und ihrer in Schweden ansässigen Tochtergesellschaft (T AB) wurde ein Lizenzvertrag mit einer gewinnabhängigen Lizenzgebühr vereinbart. Der Lizenzvertrag hatte eine Laufzeit bis zum 31.12.2021. Mit Wirkung zum 1.1.2022 wird zwischen der M AG und der T AB ein neuer Lizenzvertrag abgeschlossen, der nunmehr eine umsatzabhängige Lizenzgebühr vorsieht. Durch die Änderung der Lizenzgebührbestimmung resultiert eine deutliche Minderung der Lizenzgebühr zugunsten der M AG. Der Abschluss des neuen Lizenzvertra-
1 Vgl. zum Geschäfts- oder Firmenwert einer Funktion Frotscher/Oestreicher, Intertax 2009, 389; von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 72.
948 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.42 Kap. 7 ges mit einer umsatzabhängigen Lizenzgebühr mit Wirkung zum 1.1.2022 ist nicht geeignet, eine Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3b AStG auszulösen; denn es gehen keine Funktionen i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV von der M AG auf die T AB über.
Verhältnis zur „Activity“ der OECD-Leitlinien. Die OECD-Leitlinien enthalten keine Definition der Funktion; sie enthielten in der Fassung aus dem Jahr 2010 (nicht aber in der aktuellen aus 2022) lediglich eine beispielhafte Aufzählung von Funktionen, welche im Rahmen der Funktionsanalyse zu prüfen sind.1 Im Gegensatz zu § 1 Abs. 3b AStG und der Funktionsverlagerungsverordnung setzt nach den OECD-Leitlinien eine Gesamtbewertung nicht den Übergang einer „Funktion“, sondern einer „Activity“, d.h. einer Geschäftstätigkeit, voraus.2 Der Begriff der „Activity“ wird von der OECD mit dem Begriff des „Going Concern“ gleichgesetzt. Beide Begriffe dienen der Abgrenzung zum „bloßen“ Übergang von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern. Dabei kann eine Gesamtbewertung nach Auffassung der OECD notwendig sein, wenn ein „Going Concern“ und infolgedessen eine „Activity“ auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen übertragen wird.3 Unter einem „Going Concern“ wird der Transfer von Wirtschaftsgütern, welche der Ausübung von bestimmten Funktionen dienen und welchen Risiken zuzuordnen sind, verstanden. Darüber hinaus wird das „Going Concern“ von der OECD als „Functioning Economically Integrated Business Unit“ definiert.4 Solche „Business-Units“ umfassen regelmäßig mehrere Funktionen und sind infolgedessen mit einem Teilbetrieb vergleichbar (Rz. 7.35), sodass sie über „eine“ Funktion hinausgehen.5 Nach den OECD-Leitlinien führt damit der Übergang einer Funktion noch nicht zu einer Gesamtbewertung im Rahmen von Reorganisationsmaßnahmen. Vielmehr setzt eine solche die Übertragung einer „Business-Unit“ voraus. Eine „Business-Unit“ entspricht allerdings dem deutschen Begriff des „Teilbetriebs“ (Rz. 7.35), sodass eine Gesamtbewertung im Rahmen einer Funktionsverlagerung, bei der kein Teilbetrieb (und damit keine „Business-Unit“) übertragen wird, von den OECD-Leitlinien nicht vorgesehen ist. Infolgedessen ist die Funktionsverlagerungsbesteuerung gem. § 1 Abs. 3b AStG und der FVerlV nicht durch die Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes der OECD und damit nicht durch Art. 9 OECD-MA gedeckt.6 Eine Art. 9 OECD-MA nachgebildete Abkommensnorm steht damit der Durchführung von Einkünftekorrekturen durch die deutsche Finanzverwaltung im Hinblick auf Funktionsverlagerungen entgegen.7 Vor dem Hintergrund, dass mit den jüngsten Änderungen im Zuge des AbzStEntModG8 eine Ausrichtung an internationalen Grundsätzen intendiert war, ist zu konstatieren, dass dies gerade mit Blick auf die Auslegung des Funktionsbegriffs nicht gelungen ist.9
1 Vgl. Tz. 1.43 OECD-Leitlinien 2010. Hier wurden die folgenden Funktionen genannt: Design, Herstellung, Montage, Forschung und Entwicklung, Service, Einkauf, Vertrieb, Marketing, Werbung, Transport, Finanzierung und Management. 2 Vgl. Tz. 9.68 ff. OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 9.69 OECD-Leitlinien 2022. 4 Vgl. Tz. 9.68 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 96 f. 6 Vgl. auch Stein/Schwarz, DB 2021, 1295. 7 Vgl. auch Welling in FS Schaumburg, 990. 8 AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 9 Vgl. Stein/Schwarz, DB 2021, 1295.
Ditz/Greinert | 949
7.42
Kap. 7 Rz. 7.43 | Funktionsverlagerungen
III. Verlagerung der Funktion 7.43
Definition der „Verlagerung“ gem. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG. Der in § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG verwendete Begriff der „Verlagerung“ wird in der Vorschrift nicht definiert. Klar ist insoweit nur, dass der Gesetzeswortlaut weder Funktionsverdoppelungen noch Funktionsvervielfältigungen erfassen will.1 Denn das Gesetz spricht ausdrücklich von „verlagert“.
7.44
Betriebswirtschaftliche Sicht. Stellt man mangels gesetzlicher Definition in § 1 Abs. 3b AStG zur Definition des Verlagerungstatbestandes auf die betriebswirtschaftliche Sicht ab, liegt eine grenzüberschreitende Funktionsverlagerung vor, wenn eine Funktion (Rz. 7.25 ff.), die bisher im Inland ausgeübt wurde, zukünftig an einem anderen Standort im Ausland ausgeübt wird.2 Die Verlagerung von Funktionen setzt demnach voraus, dass die entsprechende Funktion bereits vor der Verlagerung ausgeübt worden ist (Rz. 7.37). Der Begriff der Funktionsverlagerung erfasst damit nicht die Kapazitätserweiterung. Ferner muss die Beendigung der Funktionsausübung am bisherigen Standort in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der Funktionsausübung am neuen Standort stehen. Infolgedessen kann von einer Verlagerung von Funktionen nicht ausgegangen werden, wenn eine Funktion im Inland zunächst eingestellt und zu einem späteren Zeitpunkt im Ausland von neuem aufgenommen wird. Der Begriff der „Verlagerung“ i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG impliziert damit nicht nur, dass eine bislang im Inland wahrgenommene Funktion zukünftig im Ausland ausgeübt wird; vielmehr ist es auch erforderlich, dass die ursprüngliche Tätigkeit im Inland eingestellt wird. Eine Verlagerung erfordert also, dass eine bereits vorhandene Tätigkeit vollständig an einem neuen Ort ausgeübt wird.3
7.45
Definition der „Verlagerung“ gem. § 1 Abs. 2 FVerlV. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV konkretisiert die Tatbestandsvoraussetzung der „Verlagerung“ dahin gehend, dass „damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird.“ Damit muss die in das Ausland „verlagerte“ Funktion beim inländischen Unternehmen eingestellt oder zumindest eingeschränkt werden.4 Während der Begriff des „Einstellens“ insofern eindeutig ist, als damit die Aufgabe der entsprechenden Funktion im Inland gemeint ist, ist die Auslegung des Begriffs „einschränken“ problematisch. Insbesondere stellt sich die Frage, ob der Begriff der Einschränkung einer Funktion tätigkeitsbezogen oder produktbezogen auszulegen ist. Die Finanzverwaltung geht von einem rein produktbezogenen Begriffsverständnis aus. Diese Auffassung ist abzulehnen, da sie durch die gesetzliche Definition der Funktionsverlagerung nicht gedeckt ist (Rz. 7.31 ff.). Soweit § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV eine „Verlagerung“ bereits mit einer Einschränkung der Funktion beim inländischen Unternehmen annimmt, während § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG von einer Einstellung der Funktion im Inland ausgeht, verlässt die FVerlV ihren Ermächtigungsrahmen und ist insoweit ohne Rechtsgrundlage.
7.46
Qualitative Auslegung der Einschränkung einer Funktion. Was konkret unter einer „Einschränkung“ der Funktionen beim inländischen Unternehmen zu verstehen ist, lässt § 1 FVerlV offen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll es indessen im Hinblick auf eine 1 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 561; Kahle/Schulz, Ubg 2016, 383. 2 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, 7; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 26 f. 3 Vgl. auch Blumers, BB 2007, 1758. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 22.
950 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.47 Kap. 7
Funktionseinschränkung im Inland qualitativ darauf ankommen, ob das übernehmende Unternehmen mit den übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgütern die Funktion in gleicher Weise wie das verlagernde Unternehmen ausübt.1 Diese Aussage ist insofern nicht sachgerecht, als dann eine ggf. im Ausland neu entstehende Funktion bzw. eine Neukonfiguration der Funktion in den Bewertungsbereich des Transferpakets eingehen könnte, welche im Inland vor der Funktionsverlagerung nicht bestand.2 Darüber hinaus ist auch selbstverständlich, dass Funktionen, die bislang von einem unabhängigen Dritten für das funktionsabgebende Unternehmen erbracht und nach der Funktionsverlagerung durch das ausländische verbundene Unternehmen selbst ausgeübt werden, nicht von einer Funktionsverlagerungsbesteuerung erfasst werden können.
Quantitative Auslegung der Einschränkung der Funktion. Was den quantitativen Maßstab für die Einschränkung einer Funktion im Inland anbelangt, geht die Finanzverwaltung von dem mit der entsprechenden Funktion erzielten Umsatz aus.3 So könne eine Funktionseinschränkung erst bei Umsatzeinbußen von mehr als 1 Mio. Euro in einem Wirtschaftsjahr (Bagatellgrenze) vorliegen.4 Dies hat beispielsweise zur Folge, dass die Finanzverwaltung für den Fall, dass im Ausland eine Vertriebsfunktion neu aufgenommen wird und es dadurch beim inländischen Unternehmen zu Umsatzrückgängen kommt, eine Funktionsverlagerung annimmt.5 Eine solche Auslegung der „Einschränkung einer Funktion“ entbehrt indessen jeglicher Rechtsgrundlage und ist durch die Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 2 FVerlV nicht gedeckt. Vielmehr kann ein Umsatzrückgang allenfalls ein Indiz dafür sein, dass betriebliche Funktionen ins Ausland übertragen wurden. Selbstverständlich setzt eine Funktionsverlagerung nach ihrer allgemeinen Definition in § 1 Abs. 2 FVerlV voraus, dass neben dem Umsatzrückgang auch tatsächlich Funktionen i.S.v. Geschäftstätigkeiten in das Ausland verlagert werden. Ein bloßer Umsatzrückgang im Inland verbunden mit einem korrespondierenden Umsatzanstieg im Ausland reicht hingegen für die Annahme einer Funktionsverlagerung unzweifelhaft nicht aus. So anerkennt im Übrigen auch die Finanzverwaltung, dass der Tatbestand einer Funktionsverlagerung nicht darauf abstellt, ob durch den entsprechenden Vorgang die Gewinnerwartungen des inländischen Unternehmens steigen oder gemindert werden.6 Damit kann ein reiner Gewinnrückgang im Inland verbunden mit einem korrespondierenden (oder übersteigenden) Gewinnanstieg im Ausland keine Funktionsverlagerung auslösen. Vielmehr ist im Einzelfall immer zu prüfen, ob tatsächlich Funktionen des inländischen Unternehmens auf das ausländische verbundene Unternehmen verlagert wurden und ob unabhängige Dritte für eine solche Funktionsverlagerung ein Entgelt zum Ansatz gebracht hätten. Vergleichbare Schwächen wie die Umsatz- oder Gewinnentwicklung weisen auch andere in Betracht kommende Kriterien (wie z.B. Stückzahlen, Volumen der Produktion, Mitarbeiteranzahl, Kapitalbindung oder Materialeinsatz) auf.7 Auch bei diesen Kriterien kann es sich letztlich nur um Indikatoren einer Funktionsverlagerung handeln.
1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 24, s. ferner BR-Drucks. 352/08, 11. 2 Kritisch hierzu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Kroppen/Rasch, IWB F. 1 Gr. 3, 2342. 3 Vgl. VWG FVerl, Rz. 23. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 48 f. und 58. 5 Vgl. VWG FVerl, Rz. 43. 6 Vgl. VWG FVerl, Rz. 20. 7 Vgl. VWG FVerl, Rz. 23, 160.
Ditz/Greinert | 951
7.47
Kap. 7 Rz. 7.48 | Funktionsverlagerungen
7.48
Substitution einer Funktion. Die Finanzverwaltung geht von einer Einschränkung einer Funktion auch in sog. „Substitutionsfällen“ aus.1 In diesen Fällen bleibt die entsprechende Funktion (z.B. Produktion) im Inland zwar erhalten, bezieht sich allerdings auf andere, d.h. neue Produkte. Beispiel: Die deutsche M-GmbH ist im Bereich der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Kleinmaschinen tätig. Der Motorsägentyp A1 wurde bisher ausschließlich in Deutschland hergestellt und weltweit vertrieben. Das Produkt basiert auf einem Patent, das die M-GmbH bereits 1980 entwickelt hat; der Patentschutz ist abgelaufen. Da der Motorsägentyp A1 mittlerweile in Europa – insbesondere im Hinblick auf seine Abgaswerte – veraltet ist, soll seine Produktion am Stammsitz der M-GmbH eingestellt und zukünftig nur noch von der Tochtergesellschaft in China, der C-Ltd., ausgeübt werden. Die C-Ltd. verfügt bereits über eine entsprechende Produktionsanlage, wobei zur Herstellung der Kettensäge A1 das Know-how der M-GmbH notwendig ist. Darüber hinaus erhält die C-Ltd. in der Anfangsphase personelle Unterstützungsleistungen durch die M-GmbH, bis die Produktion der Motorsäge in China vollends angelaufen ist. Ferner erbringt die M-GmbH auch Unterstützungsleistungen an die C-Ltd. im Bereich des Vertriebs. Anstelle des Motorsägentyps A1 produziert und vertreibt die MGmbH zukünftig nur noch das von ihr neu entwickelte Nachfolgeprodukt B1, das im Wesentlichen auf anderen Patenten als der Typ A1 beruht. Die M-GmbH erzielt mit der Kettensäge B1 bei unverändertem Personalbestand und Maschineneinsatz einen höheren Umsatz als mit dem Vorgängerprodukt A1.
7.49
Keine Funktionsverlagerung in Substitutionsfällen. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist das Tatbestandsmerkmal der „Funktionseinschränkung“ i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV im vorstehenden Beispielsfall erfüllt.2 Dies liegt daran, dass die Finanzverwaltung den Begriff der Funktion – entgegen der h.M. in der Literatur3 – z.B. als „Produktion eines bestimmten Produkts oder einer bestimmten Produktgruppe“4 (Rz. 7.31 ff.) definiert. Da die Funktion „Produktion und Vertrieb der Motorsäge A1“ in Deutschland bei der M-GmbH entfällt und damit – zumindest aus Sicht der Finanzverwaltung – i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV eingeschränkt wird, geht die Finanzverwaltung von einer Funktionsverlagerung aus. Dies wird damit begründet, dass es sich bei der „Produktion und dem Vertrieb der Motorsäge A1“ einerseits und der „Produktion und dem Vertrieb der Motorsäge B1“ andererseits um verschiedene Funktionen handelt, da im Wesentlichen unterschiedliche immaterielle Wirtschaftsgüter eingesetzt werden. Dabei soll es keine Rolle spielen, dass das verlagernde Unternehmen (im Beispielsfall: M-GmbH) keinen Personalabbau vornimmt und mit dem Motorsägentyp B1 sogar einen höheren Umsatz erzielt.5 Diese weite Interpretation des Begriffs der Funktion (i.S. einer „Atomisierung“ der Funktion) steht allerdings weder im Einklang mit § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG noch der Definition der Funktion und der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 1 und 2 FVerlV (zu Einzelheiten Rz. 7.31 ff.).6 Soweit die Finanzverwaltung in diesen Fällen unter bestimmten Voraussetzungen eine Transferpaketbewertung zu einem Mindestpreis beim verlagernden und – wohl auch beim übernehmenden – Unternehmen von null akzeptiert,7 ist dies nicht ausreichend. 1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 23. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 23. 3 Vgl. etwa Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 f.; Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 163.1; Pohl, JbFSt 2007/08, 433 ff.; Frotscher, FR 2008, 49 f.; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 275. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 16. 5 Vgl. VWG FVerl, Rz. 23. 6 Kritisch auch Kroppen/Rasch, IWB 2009, F. 3 Gr. 1, 2444 ff.; Polka, StB 2020, 52 f. 7 Vgl. VWG FVerl, Rz. 119. Siehe hierzu auch Frischmuth in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 98 f.
952 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.50 Kap. 7
Kausalität zwischen der Einstellung bzw. Einschränkung der Funktion beim übertragenden Unternehmen und der Zuführung der Funktion zum übernehmenden Unternehmen? Nach Ansicht des FG München erfordert der Tatbestand der Funktionsverlagerung eine Kausalität zwischen der Einstellung oder Einschränkung der Funktion beim übertragenden Unternehmen und der Zuführung der Funktion zum übernehmenden Unternehmen.1 Im entschiedenen Sachverhalt ging es um eine deutsche GmbH, deren Geschäftsgegenstand die Entwicklung, die Produktion und der Vertrieb auf dem Gebiet der Trenn- und Zerspantechnik war und die überdies Beratungsleistungen erbrachte. Aufgrund des hohen Lohnniveaus in Deutschland befand sich die GmbH in einer wirtschaftlich angespannten Situation, in der sie Verluste aus lohnkostenintensiven Fertigungsprozessen zunehmend mit Gewinnen aus anderen Tätigkeiten kompensieren musste und somit nicht mehr wettbewerbsfähig war. Um sich aus dieser Situation zu befreien, gründete der Alleingesellschafter der GmbH im Jahr 2007 eine Schwestergesellschaft in Bosnien-Herzegowina (CB), wo es verschiedene Standortvorteile (insb. geringere Lohnkosten und Strompreise) gab. Diese Schwestergesellschaft war auf dem Gebiet der Trenn-, Schleif- und Zerspantechnik tätig. Sie agierte als Auftragsfertiger und führte von der GmbH in Auftrag gegebene Arbeiten aus. Das Material, das sie dazu benötigte, erhielt sie von der GmbH zu Einstandspreisen ohne besondere Zuschläge. Darüber hinaus entsendete die GmbH zwei Mitarbeiter nach Bosnien-Herzegowina, um die dortigen Mitarbeiter zu schulen. Nach der Produktion verkaufte die CB die Produkte an die GmbH, wobei die Verrechnungspreise mittels Deckungsbeitragsrechnung ermittelt wurden. Dabei nahm die GmbH der CB bis zum Jahr 2012 alle Produkte ab. Ab dem Jahr 2013 erzielte die CB sodann auch eigene Umsätze, indem sie einen früheren Kunden der GmbH belieferte. Hierzu entschied das FG München zunächst, dass allein aufgrund der Entsendung von zwei Mitarbeitern keine Funktionsverlagerung angenommen werden könne, was sich aus § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV ergebe. Ferner führe auch der Verkauf des Materials zu Einstandspreisen nicht zu einer Funktionsverlagerung, was sich aus § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV ergebe. Schließlich – und darauf kommt es an dieser Stelle an – stelle die Belieferung des ehemaligen Kunden der GmbH ab 2013 keine Funktionsverlagerung dar, da die Verlagerung begrifflich ein Wegnehmen der Funktion beim übertragenden Unternehmen und ein Zuführen der Funktion beim aufnehmenden Unternehmen verlange, wobei zwischen diesem Wegnehmen und dem Zuführen eine kausale Beziehung bestehen müsse.2 Diese liege in diesem Fall aber nicht vor, da die GmbH den Kunden nicht durch die Verlagerung bzw. Übertragung an die CB verloren habe, sondern dadurch, dass sie ihm keine wettbewerbsfähigen Preise anbieten konnte. Damit gäbe es keine kausale Verbindung zwischen der Übernahme des Kunden bei der CB und dem Verlust des Kunden bei der GmbH. Diese Feststellung ist bemerkenswert, da die Einstellung einer im Inland unprofitablen Aktivität somit offenkundig nicht den Tatbestand der Funktionsverlagerung erfüllt.3 Steht die Kausalität in diesen Fällen in Frage, sollte der Steuerpflichtige demnach gut begründen und dokumentieren, aus welchen Gründen er die Produktion einge-
1 Vgl. FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16, EFG 2020, 764, Rz. 70 (anhängig beim BFH unter dem AZ I R 54/19). Siehe dazu weiterführend Sommer/Kundt/Cockx, ISR 2020, 246 ff.; Heidecke/ Panchenko, IWB 2021, 126 ff. 2 Dies ergibt sich für das Gericht aus § 1 Abs. 2 FVerlV, wonach eine Funktionsverlagerung vorliegt, wenn ein Unternehmen (verlagerndes Unternehmen) einem anderen, nahe stehenden Unternehmen (übernehmenden Unternehmen) Wirtschaftsgüter überträgt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher vom verlagernden Unternehmen ausgeübt wurde, und dadurch die Ausübung der Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird. 3 Vgl. Heidecke/Panchenko, IWB 2021, 130.
Ditz/Greinert | 953
7.50
Kap. 7 Rz. 7.50 | Funktionsverlagerungen
stellt hat.1 Im Übrigen beinhaltet die Funktionsverlagerung, wie sie in § 1 Abs. 2 FVerlV definiert wird, noch eine weitere Kausalität. Denn von einer Funktionsverlagerung ist nur dann auszugehen, wenn das verlagernde Unternehmen dem übernehmenden Unternehmen Wirtschaftsgüter, sonstige Vorteile, Chancen und Risiken überträgt, damit letzteres die Funktion ausüben kann. Wie dieser Kausalzusammenhang zu verstehen ist, verdeutlicht folgender Fall: Eine Gesellschaft im Inland stellt die Produktion ein und die Gesellschaft im Ausland nimmt die Produktion neu auf; mithin verlagert die inländische Gesellschaft ihre Produktionsfunktion ins Ausland. Als einziges Wirtschaftsgut überträgt die inländische Gesellschaft eine Produktionsmaschine auf die ausländische Gesellschaft. Diese Maschine wird bei der ausländischen Gesellschaft indes eingelagert, weil diese ihrerseits bereits eigene Maschinen am Markt erworben hat. In diesem Fall ist die übertragene Maschine keine Grundlage zur Ausübung der Funktion, weil die ausländische Gesellschaft die Maschine nicht nutzt und es demnach an einem Kausalzusammenhang fehlt; es liegt demnach keine Funktionsverlagerung vor.
7.51
Ausprägungsformen von Funktionsverlagerungen. Im Rahmen einer Funktionsverlagerung wird ein wirtschaftlich separater bzw. organisatorischer Bereich eines Unternehmens übertragen (Rz. 7.33), ohne dass die Voraussetzungen eines Teilbetriebs erfüllt sein müssen (Rz. 7.35). Unter Berücksichtigung des Telos des § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG können in diesem Zusammenhang folgende Ausprägungsformen einer „Verlagerung“ einer betrieblichen Funktion unterschieden werden:2 – Funktionsausgliederung, d.h. die vollständige Übertragung einer Funktion (Rz. 7.52); – Funktionsabschmelzung, d.h. die Übertragung eines Teils einer Funktion (Rz. 7.53); – Funktionsabspaltung, d.h. die Übertragung eines Teils einer Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken im Inland (Rz. 7.54); – Funktionsverdoppelung bzw. Funktionsvervielfältigung, d.h. die Verdoppelung bzw. Vervielfältigung einer im Inland weiterhin ausgeübten Funktion (Rz. 7.55).
7.52
Funktionsausgliederung. Im Rahmen einer Funktionsausgliederung wird eine Funktion einschließlich des mit ihr in Zusammenhang stehenden Gewinnpotentials vollständig vom Inland auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen übertragen und die entsprechende Funktion im Inland eingestellt.3 Infolgedessen geht die entsprechende Funktion einschließlich der Entscheidungskompetenzen sowie der Gewinnchancen und Risiken auf das ausländische verbundene Unternehmen über.4 Mit der Funktion kommt es dann auch zu einer Übertragung oder Nutzungsüberlassung der der Funktion zugeordneten materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter. Mithin ist es dem inländischen Unternehmen im Anschluss an die Funktionsausgliederung nicht mehr möglich, die entsprechende Funktion selbst auszuüben. Gleichwohl kann es (rechtlicher und wirtschaftlicher) Eigentümer der im Rahmen der Ausübung der Funktion not1 Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass Funktionsverlagerungen i.d.R. als außergewöhnliche Geschäftsvorfälle i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 8 AO betrachtet werden, die zeitnah zu dokumentieren sind; vgl. Greil/Naumann, IStR 2015, 434 f.; Sommer/Kundt/Cockx, ISR 2020, 246. 2 Vgl. auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 52; Frischmuth, StuB 2007, 387; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650. 3 Zur Frage, inwieweit die Digitalisierung, z.B. in Gestalt von 3d-Druckverfahren, zu einer disruptiven Veränderung in der Wertschöpfungskette und bei den Geschäftsmodellen führt und dadurch der Tatbestand der Funktionsverlagerung erfüllt wird, vgl. Wolff-Seeger/Saliger, ISR 2017, 238 ff. 4 Vgl. Borstell in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. U 75; Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 52.
954 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.54 Kap. 7
wendigen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter bleiben, die in diesem Fall allerdings an das ausländische verbundene Unternehmen unter Berücksichtigung einer angemessenen Nutzungsgebühr (Miete, Pacht oder Lizenzgebühr) zur Nutzung überlassen werden. Eine Funktionsausgliederung liegt z.B. vor, wenn die Herstellung bestimmter Produkte einschließlich der Vertriebsverantwortung auf ein ausländisches Unternehmen übertragen wird. Funktionsabschmelzung. Im Rahmen der Funktionsabschmelzung werden Teile einer Funktion auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen verlagert, sodass das inländische Unternehmen nach der Funktionsabschmelzung über ein geringeres Funktions- und/oder Risikoprofil verfügt.1 Infolgedessen liegt keine Funktionsausgliederung vor; denn die eigentliche Funktion verbleibt weiterhin im Inland, allerdings wird sie hier beschränkt. Das Funktionsund Risikoprofil kann dabei im Inland – im Extremfall – auf die Erbringung reiner Dienstleistungen beschränkt werden.2 Typische Anwendungsfälle einer Funktionsabschmelzung ist die Abschmelzung einer inländischen Produktionsgesellschaft vom Eigenproduzenten auf einen Lohnfertiger (Rz. 7.161 ff.) oder die Abschmelzung einer inländischen Vertriebsgesellschaft von einem funktionsstarken Eigenhändler auf einen Kommissionär oder einen „Low-RiskDistributor“ (Rz. 7.188 ff.). Da nach der Funktionsabschmelzung dem inländischen verbundenen Unternehmen i.d.R. eine geringere Gewinnmarge zuzuordnen ist, geht die Finanzverwaltung in diesen Fällen häufig von einer Funktionsverlagerungsbesteuerung aus.3 Dies ist indessen nur sachgerecht, wenn die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllt sind (Rz. 7.25 ff.). Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die reine Verlagerung von Risiken keine Funktionsverlagerung auslösen kann.4 Denn das nach der Funktionsabschmelzung geminderte Gewinnniveau geht mit einem korrespondierend geringeren unternehmerischen Risiko einher (Rz. 7.188).
7.53
Funktionsabspaltung. Bei einer Funktionsabspaltung wird ein Teil einer Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken beim inländischen verbundenen Unternehmen auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen übertragen.5 Teile der Funktion, die damit verbundenen Entscheidungskompetenzen sowie die zur Ausübung der Funktion notwendigen wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter verbleiben bei einer Funktionsabspaltung bei dem inländischen Unternehmen. Infolgedessen sind diesen auch nach der Funktionsverlagerung weiterhin die aus der Funktion resultierenden Chancen und Risiken zuzuordnen. Mithin bleibt damit das inländische verbundene Unternehmen Teil der Liefer- und Leistungskette.6 Infolgedessen werden im Rahmen der Funktionsabspaltungen zwar Funktionen auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen verlagert, es kommt allerdings nicht zu einer Funktionsverlagerungsbesteuerung, denn es wird kein Gewinnpotential ins Ausland verlagert (zu Einzelheiten Rz. 7.72 ff.). Beispiele für eine Funktionsabspaltung sind das „Outsourcing“ von bestimmten Produktionsschritten auf einen Lohn- oder Auftragsfertiger oder der Vertrieb durch einen Handelsvertreter, Kommissionär oder eine als „Low-Risk-Distributor“ organisierte ausländische Vertriebsgesellschaft.7
7.54
1 Vgl. Borstell/Wehnert in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. U 79; Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 52. 2 Vgl. auch Oestreicher, Ubg 2009, 83. 3 Vgl. VWG FVerl, Rz. 21. 4 Gl.A. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 47. 5 Vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 383. 6 Vgl. Borstell in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. U 76; Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 52. 7 Vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 383.
Ditz/Greinert | 955
Kap. 7 Rz. 7.55 | Funktionsverlagerungen
7.55
Funktionsverdoppelung bzw. Funktionsvervielfältigung. Insbesondere in Fällen der Funktionsverdoppelung kommt dem Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzung „Einschränkung einer Funktion“ eine entscheidende Bedeutung zu. Unter einer Funktionsverdoppelung bzw. -vervielfältigung versteht man die Verdoppelung bzw. Vervielfältigung einer durch den bisherigen (alleinigen) Funktionsträger weiterhin ausgeübten Funktion.1 Begrifflich ist die Funktionsverdoppelung nicht als Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG und des § 2 Abs. 1 Satz 1 FVerlV zu qualifizieren, da es an der Einstellung oder Einschränkung der Funktionsausübung durch den bisherigen Funktionsträger fehlt (zu Einzelheiten Rz. 7.64 ff.). Eine Funktionsverlagerung liegt demnach nicht vor, wenn die Aufnahme einer Funktion durch ein Unternehmen zu keiner Einschränkung dieser Funktion beim inländischen Unternehmen führt.2 Dies gilt auch dann, wenn alle übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 FVerlV erfüllt sind.3 Gleichwohl geht § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV bei der Funktionsverdoppelung offenkundig von einem Unterfall der Funktionsverlagerung aus.4 Hiernach soll eine Funktionsverlagerung erst dann nicht gegeben sein, „wenn es trotz Vorliegens der übrigen Voraussetzungen [...] innerhalb von fünf Jahren nach Aufnahme der Funktion [...] zu keiner Einschränkung der Ausübung der betreffenden Funktion [...] kommt (Funktionsverdoppelung)“. Begrifflich soll eine Funktionsverdoppelung damit erst dann vorliegen, wenn keine Funktionseinschränkung beim „verlagernden“ Unternehmen innerhalb einer Fünf-Jahres-Frist zu verzeichnen ist. Diese Regelung ist offenkundig als Missbrauchsvermeidungsnorm zur Vermeidung sukzessiver Verlagerungen konzipiert.5 Die Finanzverwaltung will etwa Fälle nicht als Funktionsverdoppelung, sondern als Funktionsverlagerung behandeln, in denen im Ausland eine Vertriebsgesellschaft neu errichtet wird und dieser Markt zuvor vom Inland aus bedient wurde.6 Die Fünfjahresfrist gilt in der Literatur allerdings als zu lange, weil sie die Unternehmen zu einem unwirtschaftlichen Verhalten zwingen kann, indem sie eine unrentable Funktion in Deutschland, die parallel zu einer im Ausland unterhaltenen Funktion betrieben wird, für mehrere Jahre aufrecht erhalten, nur um eine Besteuerung des Transferpakets zu vermeiden.7 Demgegenüber ist die Erschließung eines neuen Vertriebskanals bzw. eines neuen Absatzmarktes stets als Neuaufnahme einer Geschäftstätigkeit zu verstehen.8 Dies entspricht der regionalen und produktbezogenen Auslegung des Funktionsbegriffs durch die Finanzverwaltung, welcher grundlegend abzulehnen ist (Rz. 7.31).
7.56
Neuaufnahme einer Funktion. In Rz. 57 VWG-Funktionsverlagerung wird zutreffend klargestellt, dass die Neuaufnahme einer Funktion, die bisher durch das inländische Unternehmen noch nicht ausgeübt wurde, zu keiner Funktionsverlagerung führen kann.9 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine neue Technologie durch ein inländisches Unternehmen entwickelt wurde und sowohl die Produktion als auch der Vertrieb der entsprechenden Produkte durch ein ausländisches verbundenes Unternehmen erfolgt. Die Feststellung des BMF, dass in diesem Zusammenhang keine Funktionsverlagerung vorliegt, ist grundsätzlich zutreffend, letztlich aber auch selbstverständlich. Denn in diesem Fall kommt es nicht zu einer Einschränkung einer Funktion im Inland. Vielmehr wird die Funktion neu im Ausland geschaffen. Die all1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650. Vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 383. Vgl. VWG FVerl, Rz. 42. Gl.A. Borstell in FS Herzig, 1005 f. Vgl. auch Kroppen/Rasch, IWB 2010, 828. Vgl. VWG FVerl, Rz. 42 f. Vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 383. Vgl. VWG FVerl, Rz. 57. So auch Eilers/Dorenkamp, ISR 2014, 209.
956 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.59 Kap. 7
gemeinen Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 2 FVerlV sind damit nicht erfüllt. Dies gilt im Übrigen auch, wenn das ausländische verbundene Unternehmen eine bislang von einem fremden Dritten wahrgenommene Funktion übernimmt. Auch in diesem Fall kommt keine Funktionsverlagerungsbesteuerung in Betracht, da die Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung „Einschränkung einer Funktion im Inland“ nicht erfüllt sind. Funktionssteigerung aus Sicht des übernehmenden Unternehmens. Denkbar ist auch der folgende Fall: Sowohl das übertragende als auch das übernehmende Unternehmen üben eine bestimmte Funktion aus. Aufgrund eines generellen Nachfragerückgangs sind die Produktionskapazitäten beider Gesellschaften nicht ausgelastet, worauf sich die inländische Gesellschaft entschließt, die Funktion bei sich einzustellen. Die Kunden im Inland beziehen ihre Produkte sodann von der Gesellschaft im Ausland, die ihre Produktion entsprechend steigern kann. In diesem Fall wurde die Funktion im Inland zweifellos beendet. Fraglich ist aber, ob es § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG erfordert, dass diese Funktion im Ausland bislang nicht ausgeübt wurde und dort demnach neu ist. Davon ist auszugehen, sodass der Fall der Funktionssteigerung keine Funktionsverlagerungsbesteuerung auslösen sollte.1
7.57
IV. Übergang von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen Kein kumulativer Übergang von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen erforderlich. Weitere Tatbestandsvoraussetzung einer Funktionsverlagerung ist, dass mit der Funktion auf das ausländische verbundene Unternehmen Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile übergehen. Auch insoweit handelt es sich um eine konstitutive Tatbestandsvoraussetzung, d.h. ohne Übertragung und/oder Überlassung von Wirtschaftsgütern oder sonstigen Vorteilen kann keine Funktionsverlagerung vorliegen.2 Infolgedessen kann allein die Übertragung einer Funktion (Rz. 7.25 ff.) nicht zu einer gewinnrealisierenden Funktionsverlagerung führen.3 Nachdem die bislang in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a.F. sowie in § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV enthaltene „und“-Verknüpfung zwischenzeitlich durch eine „oder“-Verknüpfung ersetzt wurde, ist es so, dass die Übertragung oder Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern oder auch (nur) von sonstigen Vorteilen ausreicht, um eine Funktionsverlagerungsbesteuerung auszulösen. Damit ist eine Verschärfung gegenüber der bisherigen Rechtslage eingetreten, wonach es für die Annahme einer Funktionsverlagerung nicht ausreichte, dass nur Wirtschaftsgüter, nicht aber sonstige Vorteile übertragen wurden.4
7.58
Auffassung der OECD. Nach Ansicht der OECD ist eine Gesamtbewertung (i.S.d. Bewertung eines Transferpakets) durchzuführen, wenn eine sog. „Activity“ ins Ausland übergeht.5 Voraussetzung für den Übergang einer „Activity“ (Rz. 7.42) ist, dass Vermögenswerte übertragen werden, die es dem aufnehmenden Unternehmen ermöglichen, bestimmte Funktionen und Risiken wahrzunehmen.6 Es wird erläutert, dass es dabei um materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter gehen kann, aber dass dies auch impliziert, dass das übernehmende Unternehmen mit der Kapazität ausgestattet wird, damit es die Geschäftstätigkeit so fortsetzen
7.59
1 Vgl. Haverkamp/Meinert, Ubg 2020, 694. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Schnorberger/Etzig, StB 2018, 366; Sommer/ Kundt/Cockx, ISR 2020, 250. 3 Vgl. auch Oestreicher, Ubg 2009, 83. 4 Vgl. Busch, DB 2020, 193; Schnorberger/Etzig, BB 2020, 1634. 5 Vgl. Tz. 9.68 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 9.68 OECD-Leitlinien 2022.
Ditz/Greinert | 957
Kap. 7 Rz. 7.59 | Funktionsverlagerungen
kann, wie sie zuvor vom übertragenden Unternehmen ausgeübt wurde.1 Entscheidend ist demnach, dass Vermögenswerte in einem Umfang übertragen werden, der es dem übernehmenden Unternehmen ermöglicht, die bisherige Tätigkeit fortzusetzen. Dies wird in einigen Fällen sicher auch (nur) mit Wirtschaftsgütern und ohne sonstige Wirtschaftsgüter möglich sein, sodass die Ansicht der OECD mit jener des deutschen Gesetzgebers nicht völlig übereinstimmt.
7.60
Begriff des Wirtschaftsguts. Die Rspr. definiert den Begriff des Wirtschaftsguts weit, indem weniger auf zivilrechtliche als vielmehr auf wirtschaftliche Gesichtspunkte abzustellen ist.2 Infolgedessen sind sowohl Sachen, Tiere und nicht körperliche Gegenstände i.S.d. BGB (§§ 90 und 90a BGB), sofern sie am Bilanzstichtag bereits „als realisierbarer Vermögenswert“ angesehen werden können,3 als auch bloße Vermögenswerte Vorteile einschließlich „tatsächlicher Zustände“ und „konkretisierter Möglichkeiten“4 Wirtschaftsgüter, wenn sich der Kaufmann diese etwas kosten lässt, sie nach der Verkehrsauffassung einer selbständigen Bewertung zugänglich sind und i.d.R. einen Nutzen für mehrere Wirtschaftsjahre erbringen.5 Einzelheiten der Definition des Wirtschaftsgutes sollen an dieser Stelle nicht weiter diskutiert, sondern stattdessen auf die umfangreiche Kommentarliteratur zur Definition des Wirtschaftsgutes verwiesen werden.6 Erfasst sind aber jedenfalls materielle sowie auch immaterielle Wirtschaftsgüter.7
7.61
Begriff des sonstigen Vorteils. Der Begriff des sonstigen Vorteils wird weder gesetzlich in § 1 AStG und der FVerlV noch in den VWG-Funktionsverlagerung definiert. Auch die OECDLeitlinien befassen sich mit dem Begriff des sonstigen Vorteils als Tatbestandsvoraussetzung einer Funktionsverlagerung nicht. Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV „Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile“ kann allerdings die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der Gesetzgeber mit sonstigen Vorteilen alle Vermögenswerte meint, die nicht als Wirtschaftsgüter qualifiziert werden können. Es handelt sich damit um Vermögenswerte, die nicht zu einem Wirtschaftsgut „erstarkt“ sind, sondern üblicherweise Teil des Geschäfts- oder Firmenwertes sind; zu fordern ist jedoch, dass sich diese Vorteile in einem gewissen Mindestmaß konkretisiert haben und dass sie einen wirtschaftlichen Wert verkörpern, um somit auch entgeltfähig zu sein. Als solche kommen z.B. Kundenbeziehungen, einzelne Kundenaufträge, eingearbeitetes Personal oder Lieferantenbeziehungen in Betracht.8 Darüber hinaus können singuläre und unternehmerische Geschäftschancen9 sonstige Vorteile sein.10 Solche sonstigen Vorteile sind regelmäßig – aufgrund ihrer fehlenden Wirtschaftsguteigenschaft – einer Einzel-
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Vgl. Tz. 9.68 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. z.B. BFH v. 12.4.1984 – IV R 112/81, BStBl. II 1984, 554. Vgl. BFH v. 9.7.1986 – I R 218/82, BStBl. II 1987, 14 = FR 1986, 624. Vgl. z.B. BFH v. 6.12.1990 – IV R 3/89, BStBl. II 1991, 346 = FR 1991, 357; v. 26.8.1992 – I R 24/ 91, BStBl. II 1992, 977; v. 9.7.2002 – IX R 29/98, BFH/NV 2003, 21. Vgl. für viele BFH v. 24.7.1996 – X R 139/93, BFH/NV 1997, 105. Vgl. etwa Reddig in Kirchhof/Seer20, § 5 EStG Rz. 75; Weber-Grellet in Schmidt40, § 5 EStG Rz. 93 ff. Siehe ferner H 4.2 EStH („Wirtschaftsgut“). Zur Frage, ob Kundenbeziehungen und Geschäftschancen als (immaterielle) Wirtschaftsgüter zu betrachten sind s. Haverkamp/Meinert, Ubg 2020, 692 f. Zu einer beispielhaften Aufzählung immaterieller Wirtschaftsgüter s. auch H 5.5 EStH. Vgl. Oestreicher, Ubg 2009, 83; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1288; Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 52. Zum Begriff vgl. Ditz, DStR 2006, 1625 ff. m.w.N. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946.
958 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.63 Kap. 7
bewertung nicht zugänglich, sondern werden vielmehr im Rahmen der Transferpaketbewertung als Bestandteil des einer Funktion als organischer Teil eines Unternehmens (Rz. 7.33) zuzuordnenden Geschäfts- oder Firmenwertes vergütet (Rz. 7.38 ff.). Übertragung von Chancen und Risiken. Eng verbunden mit der Frage der Abgrenzung des Begriffs der sonstigen Vorteile ist die Frage, was unter Chancen und Risiken zu verstehen ist, welche mit der Funktion sowie den Wirtschaftsgütern oder sonstigen Vorteilen auf das ausländische verbundene Unternehmen übertragen werden.1 Das Tatbestandsmerkmal der Übertragung von Chancen und Risiken ist in der Regel ebenso unbeachtet wie unklar.2 Selbstverständlich ist jedoch, dass die isolierte Übertragung von Chancen und Risiken keine Funktionsverlagerung begründen kann. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV spricht insofern zutreffend von „damit verbundenen Chancen und Risiken“, ohne allerdings zu konkretisieren, ob es auf die Verbundenheit mit der Funktion selbst oder aber mit den übergehenden Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen ankommt. Richtigerweise können indessen die Chancen und Risiken nur mit den übergehenden Wirtschaftsgütern bzw. sonstigen Vorteilen übergehen.3 Denn die mitübergehenden „Chancen und Risiken“ können nur mit den Wirtschaftsgütern (insbesondere den immateriellen Wirtschaftsgütern) und den sonstigen Vorteilen verbunden sein; es besteht also ein innerer Zusammenhang.4 Denn für die bloße Möglichkeit, unternehmerische Chancen wahrnehmen zu können (ohne rechtliche Absicherung), wird unter unabhängigen Dritten kein gesondertes Entgelt vergütet, sondern nur für die (konkretisierten) Gewinnpotentiale, welche aus Wirtschaftsgütern (und gegebenenfalls sonstigen Vorteilen) resultieren. Dass aus den Chancen und Risiken resultierende Gewinnpotential geht – soweit es nicht einzelnen Wirtschaftsgütern zugeordnet werden kann – in den sonstigen Vorteilen und damit in dem der Funktion zugeordneten (anteiligen) Geschäfts- oder Firmenwert auf.
7.62
Funktionale und unternehmerische Chancen und Risiken. Chancen und Risiken können in funktionale und unternehmerische Chancen und Risiken unterteilt werden.5 Funktionale Chancen und Risiken sind diejenigen, die mit der Tätigkeit einhergehen und aus einer guten oder schlechten Funktionsausübung resultieren (z.B. die Chance auf Kosteneinsparung bei guter Funktionsausübung oder auch das Haftungsrisiko). Sie sind infolgedessen i.d.R. der reinen Funktionsausübung zuzuordnen (häufig in Form einer reinen Routinefunktion), welcher eine geringe, aber stabile Vergütung zusteht.6 Unternehmerische Chancen und Risiken entstehen hingegen erst durch die Beteiligung am Residualerfolg oder -misserfolg einer am Markt angebotenen Lieferung oder Leistung. Sie sind folglich sog. strategischen Funktionen zuzuordnen, die üblicherweise von einem Strategieträger oder Entrepreneur der Unternehmensgruppe ausgeübt werden.7
7.63
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG; § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV. Vgl. Haverkamp/Meinert, Ubg 2020, 694. Gl.A. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 48. Vgl. Schnorberger/Etzig, StB 2018, 366. Vgl. hierzu Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1287. Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.73 ff. Vgl. zum Begriff BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.10.2 Buchst. b (obwohl dieses Schreiben durch BMF v. 3.12.2020, BStBl. I 2020, 1325, teilweise überholt ist, kann für Zwecke des Begriffsverständnisses doch weiterhin darauf verwiesen werden).
Ditz/Greinert | 959
Kap. 7 Rz. 7.64 | Funktionsverlagerungen
V. Abgrenzung zur Funktionsverdoppelung 7.64
Regelung in § 1 Abs. 6 FVerlV. Im ersten Entwurf der FVerlV vom Juni 2007 wurden auch sog. Funktionsverdoppelungen als Funktionsverlagerungen i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG eingestuft.1 Von einer Funktionsverdoppelung wird dann gesprochen, wenn eine Funktion bei einem ausländischen verbundenen Unternehmen (neu und zusätzlich) aufgebaut und damit die bereits im Inland bestehende, vergleichbare Funktion weder eingestellt noch eingeschränkt wird.2 Die im Entwurf der FVerlV vorgesehene Regelung zur Besteuerung von Funktionsverdoppelungen war heftig umstritten und wurde in der endgültigen Fassung der FVerlV gestrichen. Stattdessen stellt § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV klar, dass eine Funktionsverlagerung nicht vorliegt, wenn es innerhalb von fünf Jahren nach Aufnahme der Funktion durch das ausländische verbundene Unternehmen zu keiner Einschränkung der Funktion durch das inländische Unternehmen kommt. In welchen Fällen von einer „Einschränkung“ der inländischen Funktion auszugehen ist, lässt die FVerlV offen. Die Begr. zu § 1 Abs. 6 FVerlV erwähnt lediglich, dass Funktionsverdoppelungen, die zu einer geringfügigen oder zeitlich begrenzten Einschränkung der betreffenden Funktion beim inländischen Unternehmen führen (sog. Bagatellfälle), unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV nicht von der Funktionsverlagerungsbesteuerung erfasst werden sollen.3
7.65
Definition der „Einschränkung“ in den VWG-Funktionsverlagerung. Nach § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV soll eine Funktionsverdoppelung final erst dann vorliegen, wenn eine Funktionseinschränkung beim inländischen Unternehmen innerhalb einer Fünf-Jahres-Frist nicht zu verzeichnen ist. Die Regelung dient letztlich der Vermeidung eines Missbrauchs im Hinblick auf sukzessive, d.h. sich über einen bestimmten Zeitraum erstreckende Funktionsverlagerungen (Rz. 7.55).4 Gleichwohl wird die Fünfjahresfrist in der Literatur oft als zu lange erachtet, da Unternehmen gezwungen werden, unrentable Funktionen, die sie parallel auch im Ausland betreiben, über mehrere Jahre aufrechtzuerhalten, nur um die Besteuerung des Transferpakets zu vermeiden.5 Unter welchen Voraussetzungen eine Einschränkung der Funktionsausübung vorliegt, regelt § 1 Abs. 6 FVerlV nicht. Nach den VWG-Funktionsverlagerung ist die Frage der Einschränkung einer Funktion im Zusammenhang mit der Beurteilung von Funktionsverdoppelungen nach § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV nach dem Umsatz zu beurteilen. Dies ist nicht sachgerecht (Rz. 7.47).6 Im Übrigen führt dies dazu, dass die Finanzverwaltung den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 6 FVerlV erheblich einschränkt.
7.66
Bagatellgrenze. Die Begr. zu § 1 Abs. 6 FVerlV führt aus, dass eine geringfügige oder zeitlich begrenzte Einschränkung der Funktion unschädlich sein soll.7 Dies allerdings nur dann, wenn der Vorgang auch unter fremden Dritten nicht als Veräußerung oder Verlagerung einer Funktion angesehen werden würde.8 Die korrekte Ausgestaltung dieser Bagatellregelung stellt der Verordnungsgeber den VWG-Funktionsverlagerung anheim. Gemäß Rz. 49 VWG-Funktionsverlagerung ist eine Funktionseinschränkung nicht mehr nur geringfügig, sondern erheblich, „wenn der Umsatz aus der Funktion, den das ursprünglich tätige Unternehmen i.S.d. 1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Brandenberg, BB 2008, 865. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Kaminski, RIW 2007, 599; Frotscher, FR 2008, 50; Kahle/Schulz, Ubg 2016, 383. 3 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 6 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 13. 4 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2010, 828. 5 Vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 383. 6 Vgl. VWG FVerl, Rz. 43. 7 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 13. 8 Vgl. § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV.
960 | Ditz/Greinert
C. Tatbestandsvoraussetzungen | Rz. 7.67 Kap. 7
§ 1 Abs. 2 FVerlV im letzten vollen Wirtschaftsjahr vor der Funktionsänderung erzielt hat, innerhalb des Fünfjahreszeitraums i.S.d. § 1 Abs. 6 FVerlV in einem Wirtschaftsjahr um mehr als 1.000.000 € absinkt“. Ein Unterschreiten dieser Bagatellgrenze in einem Wirtschaftsjahr führt ungeachtet der Umsatzentwicklung in vorangehenden oder nachfolgenden Wirtschaftsjahren zwingend zur Annahme einer Funktionsverlagerung. Diese umsatzbezogene Betrachtungsweise führt im Ergebnis dazu, dass die Finanzverwaltung den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 6 FVerlV erheblich einschränkt (Rz. 7.47). Mithin geht die Finanzverwaltung bei Funktionsverdoppelungen bei entsprechender Umsatzentwicklung innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums (Umsatzrückgang im Inland verbunden mit einem korrespondierenden Umsatzanstieg im Ausland) häufig von Funktionsverlagerungen aus. Dies ist insofern nicht sachgerecht, als Funktionsverdoppelungen bereits durch den Wortlaut des § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG nicht gedeckt sind. Zu Recht beurteilen daher auch Vertreter der Finanzverwaltung die Anwendung des § 1 AStG bei Funktionsverdoppelungen als äußerst kritisch.1 Dies nicht zuletzt auch deswegen, weil die Besteuerung von Funktionsverdoppelungen nicht im Einklang mit dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 6 FVerlV steht, wonach Funktionsverdoppelungen nur in absoluten Ausnahmefällen besteuert werden sollen. Die Regelung ist ferner nicht praktikabel und zu pauschal, da es nicht darauf ankommt, ob die Umsätze eines Unternehmens 3 Mio. € oder 100 Mio. € betragen haben;2 eine zusätzliche relative Bagatellgrenze könnte an dieser Stelle eine Verbesserung bewirken. Rechtsfolge einer Funktionsverdoppelung. Kommt es innerhalb der Fünf-Jahres-Frist zu einer Einschränkung der Funktion beim inländischen Unternehmen, liegt im Zeitpunkt, in dem die Einschränkung eintritt, insgesamt eine einheitliche Funktionsverlagerung vor.3 Die steuerlichen Folgen einer Funktionsverlagerung können in diesem Fall nur vermieden werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass die entsprechende Funktionseinschränkung im Inland nicht in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Funktionsverdoppelung steht.4 Dies erfordert eine plausible Darlegung aller tatsächlichen und objektiven Umstände, die den Rückschluss zulassen, dass kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Einschränkung der betreffenden Funktion beim inländischen Unternehmen und der Aufnahme dieser Funktion durch das ausländische Unternehmen gegeben ist.5 Entsprechende Gründe können z.B. in einer veränderten Wettbewerbssituation, veränderten Verbraucherbedürfnissen oder geänderten rechtlichen Grundlagen liegen. Kann ein solcher Nachweis nicht geführt werden, führt eine Funktionsverdoppelung gem. § 1 Abs. 6 Satz 2 FVerlV in dem Zeitpunkt zu einer Funktionsverlagerung, in dem das (noch fehlende) Tatbestandsmerkmal der Funktionseinschränkung verwirklicht wird.6 Eine „rückwirkende“ Funktionsverlagerungsbesteuerung soll indessen nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht durchgeführt werden. Die Glaubhaftmachung erfordert nach Auffassung der Finanzverwaltung dabei eine plausible Darlegung aller tatsächlichen und objektiven Umstände, die den Rückschluss zulassen, dass kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der (späteren) Einschränkung der betreffenden Funktion des inländischen Unternehmens und der Aufnahme der Funktion im Ausland gegeben ist.7 Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zu1 Vgl. Schwenke, StbJb. 2007/08, 137; Brandenberg, BB 2008, 864; Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 86. 2 Vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 383. 3 Vgl. § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV. 4 Vgl. § 1 Abs. 6 Satz 2 FVerlV. 5 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 6 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 14. 6 Vgl. VWG FVerl, Rz. 45. 7 Vgl. VWG FVerl, Rz. 46.
Ditz/Greinert | 961
7.67
Kap. 7 Rz. 7.67 | Funktionsverlagerungen
sammenhang ist dann anzunehmen, wenn die spätere Einschränkung der betroffenen Funktion durch dasselbe Ereignis, d.h. durch die ursprüngliche Funktionsverdoppelung, verursacht worden ist.1
VI. Funktionsverlagerung im Zeitablauf 7.68
Zeitweise Übernahme von Funktionen. Üblicherweise werden Funktionen, welche auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen verlagert wurden, längerfristig oder für immer im Ausland angesiedelt bleiben. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV kann eine Funktionsverlagerung aber auch dann vorliegen, wenn das ausländische verbundene Unternehmen die Funktion nur zeitweise übernimmt. § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV stellt damit klar, dass eine Funktionsverlagerung auch dann vorliegen kann, wenn die Funktion eines Unternehmens nur für eine zeitlich begrenzte Dauer auf das übernehmende Unternehmen übergeht.2 Die Grundsätze der Funktionsverlagerungsbesteuerung sind damit auch dann zu berücksichtigen, wenn die Funktion im Ausland nur vorübergehend (z.B. drei Jahre) verbleibt. Die begrenzte Zeitdauer des Verbleibens der Funktion im Ausland ist allerdings im Rahmen der Bewertung des Transferpakets über den entsprechenden Diskontierungszeitraum (Rz. 7.107) zu berücksichtigen.
7.69
Übertragung vs. Nutzungsüberlassung. Es ist zu prüfen, ob tatsächlich – i.S.d. Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums – eine Funktionsübertragung vorliegt oder nicht von einer reinen Nutzungsüberlassung auszugehen ist. § 4 Abs. 2 FVerlV geht jedenfalls im Zweifel von einer Nutzungsüberlassung der Funktion aus. Dabei sind der erkennbare Wille der Beteiligten im Zeitpunkt der Funktionsverlagerung sowie der tatsächliche Ablauf und die Handhabung der Funktionsverlagerung durch die Beteiligten zu berücksichtigen.3 Als typische Anwendungsfälle des § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV sehen die VWG-Funktionsverlagerung die zeitweise Übertragung von Vertriebsrechten, Märkten oder Kunden oder Fälle der befristeten Versetzung einzelner Mitarbeiter mit ihrem Aufgabenbereich.4 Insoweit kommt die weite Interpretation der Regelung zur Funktionsverlagerungsbesteuerung durch die Finanzverwaltung zum Ausdruck. Denn die zeitweise Übertragung von Vertriebsrechten für einzelne Produkte sowie die Personalentsendung im Konzern stellen i.d.R. keine Funktionsverlagerung dar. Vielmehr handelt es sich insoweit nur um die Überlassung einzelner Wirtschaftsgüter, welche regelmäßig nicht zu einer Funktionsverlagerung führt.5 Dies gilt im Übrigen auch für die Personalentsendung.
7.70
Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen innerhalb eines Fünf-Jahres-Zeitraums. Der Vorgang einer Funktionsverlagerung kann sich auch über mehrere Jahre erstrecken. In diesem Zusammenhang sieht § 1 Abs. 2 Satz 3 FVerlV vor, dass Geschäftsvorfälle, die innerhalb von fünf Wirtschaftsjahren verwirklicht werden, zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllen, als einheitliche Funktionsverlagerung zusammenzufassen sind. Die Vorschrift ordnet damit eine veranlagungszeitraumübergreifende Betrachtung an. Dabei wird auch der Zeitpunkt, zu dem die Funktionsverlagerung vorliegt, bestimmt. Dieser liegt erst dann vor, wenn sämtliche Geschäftsvorfälle verwirklicht sind.6 Soweit
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Vgl. VWG FVerl, Rz. 47. Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 11. Vgl. VWG FVerl, Rz. 100 f. Vgl. VWG FVerl, Rz. 25. Vgl. § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV. Vgl. Begr. zu § 2 Abs. 1 Satz 3 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 11; VWG FVerl, Rz. 26.
962 | Ditz/Greinert
D. Negativabgrenzung | Rz. 7.72 Kap. 7
die Finanzverwaltung dabei auf die in den Veranlagungszeiträumen tatsächlich verwirklichten Geschäftsvorfälle und nicht auf die Absicht des Steuerpflichtigen abstellt,1 verstößt sie gegen den Grundsatz der „Ex-ante“-Betrachtung.2
D. Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung I. Überblick Instrumente zur Vermeidung der Funktionsverlagerungsbesteuerung. Um die steuerlichen Risiken für deutsche Unternehmen mit internationalen Geschäftsbeziehungen in Grenzen zu halten, bietet die FVerlV einige Instrumente an, mit denen sich die negativen Folgen einer Funktionsverlagerungsbesteuerung vermeiden bzw. reduzieren lassen. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Alternativen:
7.71
– Funktionsverdoppelung (Rz. 7.55 und 7.64 ff.), – Funktionsverlagerung auf ein Routineunternehmen (Rz. 7.72 ff.), – bloße Übertragung oder Überlassung von Wirtschaftsgütern (Rz. 7.81 f.), – bloße Erbringung von Dienstleistungen (Rz. 7.81 f.), – Personalentsendung im Konzern (Rz. 7.83 f.), – keine Funktionsverlagerung zwischen fremden Dritten (Rz. 7.85 ff.).
II. Funktionsverlagerung auf ein Routineunternehmen Ausnahmen des § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 AStG und des § 2 Abs. 2 FVerlV. Nach § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG, der inhaltlich weitgehend § 2 Abs. 2 FVerlV entspricht, werden von der Funktionsverlagerung solche Sachverhalte ausgeschlossen, in denen die Funktion von dem übernehmenden Unternehmen nur gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausgeübt und der Verrechnungspreis für die entsprechenden Lieferungen oder Leistungen auf Basis der Kostenaufschlagsmethode ermittelt wird. Diese Regelung ist zutreffend, da in diesen Fällen keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter auf das ausländische verbundene Unternehmen übergehen und es sich bei dem von dem übernehmenden Unternehmen erwirtschafteten Gewinn ausschließlich um einen angemessenen Funktionsgewinn handelt (§ 1 Abs. 3b Satz 2 AStG). Der Anwendungsbereich dieser Ausnahmeregel erstreckt sich insbesondere auf den Bereich der Funktionsabspaltungen. Eine Funktionsabspaltung liegt vor, wenn eine Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken beim inländischen Unternehmen übertragen wird (Rz. 7.54). Nach zutreffender Auffassung der Finanzverwaltung ist die Ausnahmeregelung insbesondere bei Funktionsabspaltungen anzuwenden, wenn auf das ausländische verbundene Unternehmen sog. „Routinefunktionen“3 übertragen werden.4 Typischer Anwendungsfall ist die Übertragung (eines Teils) der Produktion auf einen Lohnfertiger.5 Mit
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Vgl. VWG FVerl, Rz. 27. Zu einem Beispiel vgl. auch VWG FVerl, Rz. 26. Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2 („Routineunternehmen“). Vgl. VWG FVerl, Rz. 66; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950. Vgl. auch FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16, EFG 2020, 764, Rz. 97 (anhängig beim BFH unter Az. I R 54/19); Kahle/Schulz, Ubg 2016, 382.
Ditz/Greinert | 963
7.72
Kap. 7 Rz. 7.72 | Funktionsverlagerungen
der Übertragung einer Funktion auf ein Routineunternehmen werden mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen, sodass der Anwendungsbereich der Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG (Rz. 7.76) eröffnet ist.
7.73
Definition der Routinefunktion. Die Finanzverwaltung definiert das Routineunternehmen als ein Unternehmen, das lediglich Routinefunktionen ausübt, geringe Risiken trägt und nur in geringem Umfang Wirtschaftsgüter einsetzt (hierzu grds. Rz. 4.63 f.).1 Als Routinefunktionen werden beispielhaft die Erbringung konzerninterner, marktgängiger Dienstleistungen und einfache Vertriebsfunktionen genannt. Infolgedessen sind z.B. Lohn- oder Auftragsfertiger, der Kommissionär, der Low-Risk-Distributor oder der Auftragsforscher und -entwickler als Routinefunktionen zu qualifizieren. Das Funktionsprofil eines Routineunternehmens beschränkt sich regelmäßig auf die (konkrete) Funktions- bzw. Tätigkeitsausübung. Eigene Marktchancen und Risiken nimmt es nicht oder nur geringfügig wahr.2 Die für die Geschäftsbeziehung wesentlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter werden nicht durch das Routineunternehmen eingesetzt, sondern durch den Auftraggeber – i.d.R. kostenlos – beigestellt. Insofern kennzeichnen das Risikoprofil eines Routineunternehmens lediglich die mit der Funktionsausübung verbundenen Risiken. Die eingeschränkte Funktionsausübung des Routineunternehmens ist grundsätzlich – ausgenommen die als Eigenhändler zu qualifizierende LowRisk-Vertriebsgesellschaft oder -Einkaufsgesellschaft – als Dienstleistung an den Auftraggeber anzusehen. Für diese wird in der Verrechnungspreispraxis i.d.R. ein nach der Kostenaufschlagsmethode oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) ermitteltes kostenorientiertes Entgelt vergütet. Vor diesem Hintergrund vertritt die Finanzverwaltung zutreffend die Auffassung, dass Routineunternehmen „bei üblichem Geschäftsablauf keine Verluste, sondern regelmäßig geringe, aber relativ stabile Gewinne“ erzielen.3 Von Verlusten werden Routineunternehmen – bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf – durch den Auftraggeber freigehalten, was durch die kostenorientierte Entgeltbemessung gewährleistet ist.4
7.74
Keine Verlagerung eines Gewinnpotentials. Wird lediglich die Funktionsausübung auf ein Routineunternehmen übertragen, ist der Tatbestand der Funktionsverlagerung regelmäßig nicht erfüllt.5 Sowohl die Funktion selbst als auch die mit ihr verbundenen Chancen und Risiken verbleiben in diesen Fällen beim verlagernden inländischen Unternehmen und gehen nicht auf das aufnehmende Unternehmen über.6 Was die mit der Funktions- bzw. Tätigkeitsausübung einhergehenden Chancen und Risiken anbelangt, sind diese jedweder Tätigkeitsausübung eigen.7 Sie erwachsen aus der Funktionsausübung selbst. Ebenso wenig gehen auf das Routineunternehmen ein Gewinnpotential ausmachende immaterielle Wirtschaftsgüter oder
1 Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2 („Routineunternehmen“). 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950. 3 So auch BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.10.2 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). Siehe ferner Kahle/Schulz, Ubg 2016, 382. 4 Zum temporären Gewinnverzicht in Phasen der wirtschaftlichen Krise vgl. auch Baumhoff in FS Krawitz, 32 f.; Ditz in Raupach/Pohl/Ditz, Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, 1 ff. 5 So auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Baumhoff/Bodenmüller in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung3, 552 f.; Ditz, IStR 2011, 126; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1287; Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 93 f.; Zech, IStR 2011, 133; Kahle/Schulz, Ubg 2016, 382. 6 Vgl. FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16, EFG 2020, 764, Rz. 97 (anhängig beim BFH unter Az. I R 54/19). 7 Vgl. Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1287; Zech, IStR 2011, 133.
964 | Ditz/Greinert
D. Negativabgrenzung | Rz. 7.77 Kap. 7
sonstige Vorteile über. Vielmehr wird es (lediglich) in die Lage versetzt, eine nur die Tätigkeitsausübung betreffende fremdvergleichskonforme Vergütung zu erzielen. Insofern rechtfertigt sich auch unter Fremdvergleichsgesichtspunkten keine Vergütung für ein übergehendes Transferpaket.1 Funktionsverlagerung nach Ansicht der Finanzverwaltung. Von solchen Überlegungen geht auch die Begr. zu § 2 Abs. 2 FVerlV aus. Dort heißt es: „Auf ein solches Unternehmen [mit Routinefunktionen] gehen auf Grund der Funktionsverlagerung keine Chancen und Risiken über, die die Zahlung eines besonderen Entgelts an das verlagernde Unternehmen für die Übertragung oder Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter und Vorteile rechtfertigen“.2 Allerdings hat der Gesetzgeber dieses zutreffende Verständnis nicht zum Gegenstand einer Abgrenzung vom Tatbestand der Funktionsverlagerung gemacht, sondern argumentiert über die Bewertungsfolge. Während das Gesetz und die FVerlV im Hinblick auf das Vorliegen einer Funktionsverlagerung damit letztlich unbestimmt bleiben,3 geht die Finanzverwaltung davon aus, dass in Fällen des § 2 Abs. 2 FVerlV eine Funktionsverlagerung gegeben ist.4 Allerdings lassen die VWG-Funktionsverlagerung offen, worauf sie ihre Auffassung stützen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund des ebenfalls einschlägigen § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV. Hiernach liegt keine Funktionsverlagerung vor, wenn ausschließlich Wirtschaftsgüter veräußert oder zur Nutzung überlassen werden oder Dienstleistungen erbracht werden (Rz. 7.81 f.).
7.75
Keine Funktionsverlagerung. Geht man entgegen der hier vertretenen Auffassung vom Vorliegen einer Funktionsverlagerung aus, kommt dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 AStG eine entscheidende Bedeutung zu. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber seine zutreffende Auffassung, dass die Zahlung eines besonderen Entgelts an das verlagernde Unternehmen mangels Übertragung und Nutzungsüberlassung immaterieller Wirtschaftsgüter oder Vorteile nicht zu rechtfertigen sei, auf Ebene der Bewertungsfolge umgesetzt. § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG regelt die den Anwendungsbereich des Satzes 2 dieses Absatzes eröffnende gesetzliche Vermutung, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden, wenn
7.76
– das übernehmende Unternehmen die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausübt (Rz. 7.77) und – das Entgelt, das für die Ausübung der Funktionen und die Erbringung der entsprechenden Leistungen anzusetzen ist, nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln ist (Rz. 7.79). Liegen diese Voraussetzungen vor, kommt gem. § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 AStG anstelle der Transferpaketbewertung und -besteuerung die Einzelbewertung zum Tragen. Funktionsausübung nur gegenüber dem abgebenden Unternehmen. § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG beschränkt sich auf Fälle, in denen das Routineunternehmen die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausübt. Agiert das aufnehmende Unternehmen etwa als Lohnfertiger auch für andere verbundene Unternehmen, ist grundsätzlich fraglich, ob die tatbestandlich geforderte Exklusivität noch gegeben ist. Hier wird man angesichts der Bezugnahme auf die Ausübung der entsprechenden übergehenden Funktionen feststellen müssen, dass daneben bestehende weitere Lohnfertigungsverhältnisse des funk1 2 3 4
Vgl. auch Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 93 f.; Schnorberger/Etzig, BB 2020, 1635. BR-Drucks. 352/08 v. 23.5.2008, 16. So auch Zech, IStR 2011, 133. Vgl. VWG FVerl, Rz. 206 f.
Ditz/Greinert | 965
7.77
Kap. 7 Rz. 7.77 | Funktionsverlagerungen
tionsaufnehmenden Unternehmens der Negierung einer Funktionsverlagerung bzw. der Anwendung des § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG nicht entgegenstehen. Dies gilt selbst dann, wenn die Lohnfertigung auch gegenüber unverbundenen Marktteilnehmern erbracht wird. Entscheidend ist, dass bezogen auf das jeweilige Lohnfertigungsverhältnis die erforderlichen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter durch den jeweiligen Auftraggeber beigestellt werden und eigene Marktchancen und -risiken nicht daraus resultieren, dass die vom verlagernden Unternehmen beigestellten Produktionsmittel dazu eingesetzt werden, höhere als die Tätigkeitsausübung abgeltende Renditen aus anderweitigen Lohnfertigungsverhältnissen zu realisieren.1 Diese Überlegungen kommen in Rz. 208 f. VWG-Funktionsverlagerung zum Ausdruck. Dort vertritt die Finanzverwaltung die Auffassung, dass in Fällen der Lohnfertigung stets zu prüfen ist, ob und ab wann ggf. weitergehende Funktionen ausgeübt werden, z.B. der eigenständige Vertrieb an Kunden des Auftraggebers zu Marktpreisen, um aus der Umstellung vom Lohnfertiger zum Eigenproduzenten die – aus Verrechnungspreissicht – notwendigen steuerlichen Konsequenzen zu ziehen (Funktionsverlagerung einerseits und Entgeltpflicht für die Nutzungsüberlassung bisher kostenlos beigestellter Produktionsmittel andererseits). Im Übrigen wird in Rz. 68 VWG-Funktionsverlagerung explizit bestimmt, dass es im Rahmen des § 2 Abs. 2 FVerlV (nunmehr auch § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG n.F.) nicht notwendig ist, dass die Funktionen nur gegenüber dem funktionsabgebenden Unternehmen erbracht werden.
7.78
Geschäftsbeziehungsbezogene Unternehmenscharakterisierung. Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich die Unternehmenscharakterisierung auf die jeweilige Geschäftsbeziehung bezieht, für die transaktionsbezogene Verrechnungspreise zu ermitteln sind. Insofern beschränkt sich das Funktions- und Risikoprofil des jeweiligen Transaktionspartners auf die konkrete Geschäftsbeziehung. Der Klassifizierung als Routineunternehmen – bezogen auf das Lohnfertigungsverhältnis – steht es deshalb nicht entgegen, wenn das aufnehmende Unternehmen für anderweitige Liefer- und Leistungsbeziehungen als Mittelunternehmen oder gar als Entrepreneur einzuordnen ist (soweit sich die vorstehenden Ausführungen auf das Beispiel eines Lohnfertigungsverhältnisses beziehen, gelten die insoweit dargestellten Konsequenzen auch für jedwede andere Routinefunktion; zur Definition s. Rz. 7.73).
7.79
Anwendung der Kostenaufschlagsmethode oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Ferner ist der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG (sowie § 2 Abs. 2 FVerlV) darauf beschränkt, dass für die Verrechnungspreisermittlung nach der Funktionsaufnahme durch das ausländische verbundene Unternehmen die Kostenaufschlagsmethode zur Anwendung kommt. Die VWG-Funktionsverlagerung dehnen in diesem Zusammenhang zutreffend den Anwendungsbereich auf die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode und die Vergütung mittels einer das niedrigere Risiko berücksichtigenden Provision aus.2 Voraussetzung ist allerdings nach Auffassung der Finanzverwaltung, dass diese Verrechnungspreisermittlung zu vergleichbaren Ergebnissen führt. Was dies konkret bedeutet, bleibt in den VWG-Funktionsverlagerung unbeantwortet. Jedenfalls kann daraus nicht die Verpflichtung des Steuerpflichtigen abgeleitet werden, dass neben der angewandten geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode oder Provision eine weitere Verrechnungspreismethode – ins1 Für den Fall, dass der Lohnfertiger die beigestellten Materialien nutzt, um damit auch andere Kunden als den Auftraggeber zu bedienen, erhält der Auftraggeber die Materialien nicht zurück und tätigt ein Verlustgeschäft, sodass es nicht mehr gerechtfertigt ist, die Materialien unentgeltlich bzw. zu Einstandspreisen zu überlassen. Geboten ist demnach ein Aufschlag i.H.d. Gewinnspanne, die der Lohnfertiger bei der Belieferung des Dritten erzielt; vgl. FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16, EFG 2020, 764, Rz. 73 (anhängig beim BFH unter Az. I R 54/19). 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 67.
966 | Ditz/Greinert
D. Negativabgrenzung | Rz. 7.81 Kap. 7
besondere zu „Verprobungszwecken“ – Anwendung finden muss. Denn der Steuerpflichtige ist nicht zur Anwendung oder Dokumentation mehrerer Verrechnungspreismethoden verpflichtet. Stufenverhältnis des § 1 Abs. 3 AStG. Die Festlegung auf eine bestimmte Verrechnungspreismethode (Kostenaufschlagsmethode oder geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode) lässt die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem in § 1 Abs. 3 AStG verankerten Stufenverhältnis offen. Hiernach hat der tatsächliche Fremdvergleich Vorrang vor dem hypothetischen Fremdvergleich (Rz. 7.98).1 Da richtigerweise in der praktischen Anwendung ein tatsächlicher Fremdvergleich nur in Gestalt der Preisvergleichsmethode möglich ist, weil sich nur diese Methode an marktentstandenen Preisen orientiert, gebührt ihr grundsätzlich der Vorrang.2 § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG geht hingegen von einer zwingenden Anwendung der Kostenaufschlagsmethode im Hinblick auf die Vergütung der Routinefunktionen aus. Damit erfolgt in gewisser Weise eine Abgrenzung von § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG, wonach die am besten geeignete Methode zu wählen ist.3 Trotz des Wortlauts sollte im Rahmen des § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG auch die Preisvergleichsmethode in Betracht kommen, wenn mittels eines inneren oder äußeren Preisvergleichs vergleichbare Fremdvergleichswerte identifiziert werden können. Damit sollte im Wege einer teleologischen Extension also auch die Preisvergleichsmethode vom Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG erfasst sein.4
7.80
III. Übertragung oder Überlassung von Wirtschaftsgütern Negativabgrenzung gem. § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV. In Ergänzung zur allgemeinen Definition der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 2 FVerlV (Rz. 7.23) grenzt § 1 Abs. 7 FVerlV den Begriff der Funktionsverlagerung negativ ab. Nach § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV liegt eine Funktionsverlagerung nicht vor, wenn ausschließlich Wirtschaftsgüter veräußert oder zur Nutzung überlassen oder wenn nur Dienstleistungen erbracht werden. Dies soll allerdings nur für solche Fälle gelten, in denen die Wirtschaftsgüter oder Dienstleistungen nicht Teil einer Funktionsverlagerung sind.5 Die entscheidende Frage, in welchen Fällen ausschließlich Wirtschaftsgüter übergehen bzw. nur Dienstleistungen erbracht werden und in welchen Fällen eine Funktionsverlagerung tatsächlich vorliegt, lässt die FVerlV indessen offen. Der Hinweis in der Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV, dass durch die Ausnahmeregelung „eine zu weitgehende Erfassung von Geschäftsvorfällen als Funktionsverlagerungen“ vermieden werden soll, lässt allerdings den Rückschluss zu, dass nur dann von einer Funktionsverlagerung auszugehen ist, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 FVerlV erfüllt sind. Dies setzt wiederum voraus, dass eine Funktion eindeutig sowohl beim verlagernden als auch beim aufnehmenden Unternehmen identifiziert und dergestalt abgegrenzt werden kann, dass dieser Funktion entsprechende Wirtschaftsgüter, sonstige Vorteile und Dienstleistungen zugeordnet werden können (Rz. 7.33 und 7.37).6 Dies ergibt sich allerdings auch bereits aus § 1 Abs. 2 FVerlV, sodass § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV lediglich klarstellender Natur ist. 1 Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1462 ff. 2 So auch BT-Drucks. 19/27632 v. 17.3.2021, 72. 3 Dahingehend auch bereits BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl II 2004, 171, wonach für Zwecke einer vGA die Verrechnungspreismethode heranzuziehen ist, mit der der Fremdvergleichspreis mit der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit seiner Richtigkeit ermittelt werden kann. 4 Vgl. auch Ditz/Just, DB 2009, 142; Kahle/Schulz, Ubg 2016, 383. 5 Vgl. § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV. 6 Vgl. auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 48.
Ditz/Greinert | 967
7.81
Kap. 7 Rz. 7.82 | Funktionsverlagerungen
7.82
Regelungen der VWG-Funktionsverlagerung. Auch in den VWG-Funktionsverlagerung wird die Frage der Abgrenzung einer ausschließlichen Übertragung bzw. Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern bzw. einer reinen Dienstleistungserbringung einerseits und einer Funktionsverlagerung andererseits nicht beantwortet. Es wird lediglich klargestellt, dass solche Geschäftsvorfälle Teil einer Funktionsverlagerung sein können und folglich als Teil des Transferpakets im Rahmen einer Gesamtbetrachtung abzurechnen sind.1 Dies gelte – so die Finanzverwaltung – beispielsweise für Dienstleistungen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung erbracht werden (ein rein zeitlicher Zusammenhang reicht nicht aus2).3 Der Verweis in Rz. 51 VWG-Funktionsverlagerung deutet im Übrigen darauf hin, dass die Finanzverwaltung vornehmlich solche (einzelne) Geschäftsvorfälle im Rahmen einer sukzessiven Funktionsverlagerung erfassen will, die gem. § 1 Abs. 2 Satz 3 FVerlV innerhalb eines Fünf-Jahres-Zeitraums zusammenzufassen sind.
IV. Personalentsendung im Konzern 7.83
Einschränkung nach § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV. Als weitere Ausnahme im Rahmen einer Negativabgrenzung der Funktionsverlagerung schränkt § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV den Anwendungsbereich der Funktionsverlagerungsbesteuerung bei Personalentsendungen im Konzern ein (hierzu ausführlich Rz. 6.306 ff.).4 Nicht sachgerecht ist allerdings die weitere Einschränkung der Vorschrift in der Begr. zur FVerlV („Ausnahme von der Ausnahme“), wonach auch bei Personalentsendungen eine Funktionsverlagerung vorliegen kann, wenn das entsandte Personal seinen bisherigen Zuständigkeitsbereich aus dem entsendenden Unternehmen mitnimmt und nach der Entsendung im aufnehmenden Unternehmen die gleiche Tätigkeit ausübt und infolgedessen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen werden bzw. Chancen und Risiken übergehen.5 Diese Rückausnahme steht im Widerspruch zu § 1 Abs. 7 FVerlV und ist damit obsolet.6 Vielmehr ist auch in Personalentsendungsfällen zu prüfen, ob eine Funktion i.S. eines organischen Teils des Unternehmens (Rz. 7.33) übergeht.7 Dies ist bei üblichen Personalentsendungsfällen im Konzern regelmäßig8 nicht der Fall.9
7.84
Reine Aufwandsverrechnung. Bei Personalentsendungen im Konzern sind – vorausgesetzt die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung sind erfüllt – lediglich die für den entsandten Arbeitnehmer angefallenen Kosten zu verrechnen. Liegen die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung hingegen nicht vor, weil die Arbeitnehmer in Erfüllung 1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 51 f. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 53. 3 Vgl. das Beispiel in VWG FVerl, Rz. 52, wonach durch Mitarbeiter des verlagernden Unternehmens erbrachte Dienstleistungen auch in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung stehen können. 4 Vgl. auch Kahle/Schulz, Ubg 2016, 384. 5 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 14. 6 Kritisch auch Frotscher, FR 2008, 56. 7 Siehe dazu auch FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16, EFG 2020, 764, Rz. 67 (anhängig beim BFH unter Az. I R 54/19). 8 Genauer zu prüfen sind aber z.B. Fälle, in denen alle Mitarbeiter einer bestimmten Abteilung an ein verbundenes Unternehmen entsendet werden, oder Fälle, in denen zusammen mit dem Personal auch ein Transfer von immateriellen Wirtschaftsgütern erfolgt; vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 384. 9 Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung ist das durch Personalentsendungen ins Ausland „vermittelte“ Know-how nicht gesondert zu vergüten. Vgl. VWG ArbN, Rz. 4.2. Etwas anderes wäre auch nicht sachgerecht, da der Mitarbeiter jederzeit das Recht hat, zu kündigen.
968 | Ditz/Greinert
D. Negativabgrenzung | Rz. 7.86 Kap. 7
einer Dienstleistungsverpflichtung des entsendenden Unternehmens tätig werden, ist diese Dienstleistung fremdüblich, d.h. i.d.R. nach der Kostenaufschlagsmethode, zu verrechnen.1 Allerdings will die Finanzverwaltung eine Funktionsverlagerung in Personalentsendungsfällen dann annehmen, „wenn das entsandte Personal seinen bisherigen Zuständigkeitsbereich aus dem entsendenden Unternehmen mitnimmt und nach der Entsendung im übernehmenden Unternehmen die gleiche Tätigkeit ausübt.“2 Die Finanzverwaltung geht hier vom Vorliegen der Voraussetzungen der Funktionsverlagerung aus. Eine solche Ausnahme steht indessen im Widerspruch zum Wortlaut des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV und ist damit ohne Rechtsgrundlage.3 Vielmehr kann auch in Personalentsendungsfällen eine Funktionsverlagerung nur dann vorliegen, wenn es zu einem Übergang einer Funktion i.S. eines organischen Teils des Unternehmens (Rz. 7.33 und 7.83) kommt. Ferner ist die Rückausnahme des § 1 Abs. 7 Satz 1 Alt. 2 AStG dann zu beachten, wenn die Voraussetzungen der VWG-Arbeitnehmerentsendung nicht erfüllt sind und die Dienstleistungen des entsendenden Unternehmens Teil einer Funktionsverlagerung sind. Sie rechnen dann zum Transferpaket.4
V. Keine Funktionsverlagerung unter Dritten Vorgang zwischen voneinander unabhängigen Dritten. Nach § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV liegt eine Funktionsverlagerung nicht vor, „wenn der Vorgang zwischen voneinander unabhängigen Dritten nicht als Veräußerung oder Erwerb einer Funktion angesehen würde.“ Diese Regelung ist insofern sachgerecht, als auch bei Funktionsverlagerungen nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs zu prüfen ist, ob diese zwischen unabhängigen Dritten (d.h. nach dem Modell des hypothetischen Fremdvergleichs zwischen zwei ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitern) vergütet worden wären. Dies ist nach der Begr. der FVerlV insbesondere bei Funktionsverlagerungen ohne relevante Gewinnauswirkungen (sog. Bagatellfälle, Rz. 7.86) sowie bei Vorgängen, die formal den Tatbestand einer Funktionsverlagerung erfüllen, aber entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz tatsächlich anders abgewickelt werden, der Fall. Letzteres gilt z.B. für die fristgerechte Kündigung von Verträgen oder dem Auslaufen von Vertragsbeziehungen.5 Dass in diesen Fällen keine Funktionsverlagerung anzunehmen, ist insofern sachgerecht, als hier i.d.R. die Voraussetzung einer Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG nicht erfüllt ist.
7.85
Zeitlich befristete und geringfügige Verlagerungen (Bagatellfälle). Nach der Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV bezieht sich diese Vorschrift in ihrer ersten Fallgruppe auf zeitlich befristete und geringfügige Verlagerungen (sog. Bagatellfälle), die mangels relevanter Gewinnauswirkungen aus der Funktionsverlagerungsbesteuerung ausgenommen werden sollen, obgleich die Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllt sind.6 Im Hinblick auf die konkrete Abgrenzung der Geringfügigkeits- bzw. Wesentlichkeitsgrenze verweisen die VWG-Funktionsverlagerung auf die Bagatellregelung, die in Fällen der Funktionsverdoppelung für die Feststellung einer nicht nur geringfügigen Funktionseinschränkung zum Tragen kommt.7 Demnach führen Umsatzrückgänge von weniger als 1 Mio. Euro nicht zu einer Funktionsverlagerungsbesteuerung. Darüber hinaus führen die VWG-Funktionsverlage-
7.86
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. VWG ArbN, Rz. 2.1 Abs. 2. VWG FVerl, Rz. 56. S. ferner die Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV in BR-Drucks. 352/08, 14. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 163. Vgl. VWG FVerl, Rz. 51. S. ferner Zech, IStR 2011, 135. Siehe auch Kahle/Schulz, Ubg 2016, 385. Vgl. BR-Drucks. 352/08, 15. Vgl. VWG FVerl, Rz. 58.
Ditz/Greinert | 969
Kap. 7 Rz. 7.86 | Funktionsverlagerungen
rung exemplarisch die Verlagerung eines einzelnen Auftrags als Beispielsfall für § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV an. Dies ist allerdings insofern nicht sachgerecht, als bei der Verlagerung eines einzelnen Auftrags die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung regelmäßig nicht erfüllt sind.
7.87
Fristgerechte Kündigung von Verträgen und Auslaufen von Vertragsbeziehungen. Die zweite Fallgruppe des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV erfasst Vorgänge, die formal als Funktionsverlagerung zu qualifizieren sind, aber entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz tatsächlich anders abgewickelt werden. Dies gilt insbesondere für die fristgerechte Kündigung von Verträgen (z.B. von Lizenz-, Vertriebs-, Kommissionärs- oder Handelsvertreterverträgen) oder das Auslaufen von Vertragsbeziehungen.1 Die VWG-Funktionsverlagerung führen darüber hinaus exemplarisch die zentrale, optimierte Steuerung der Produktion durch die Muttergesellschaft und die damit verbundene Zuteilung eingehender Aufträge an die Produktionsgesellschaften des Konzerns an.2
7.88
Beendigung eines Lizenzvertrages. Die Anwendung des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV kann an folgendem Beispiel dargestellt werden: Beispiel: Die in Deutschland ansässige A-AG hat mit ihrer ebenfalls in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft, der T-GmbH, einen Lizenzvertrag abgeschlossen, wonach die Marke ABC von der A-AG an die T-GmbH lizenziert wird. Der Lizenzvertrag wurde 2017 abgeschlossen und hat eine Laufzeit bis zum 31.12.2021. Es ist beabsichtigt, dass die A-AG nach dem Auslaufen des Lizenzvertrages mit der T-GmbH die Marke ABC an ihre in Österreich ansässige Tochtergesellschaft, die Ö-GmbH, lizenziert. Die Ö-GmbH soll auf Basis eines neuen Lizenzvertrags mit der A-AG ab dem 1.1.2022 die Herstellung und den Vertrieb von Produkten unter der Marke ABC übernehmen, wobei die Herstellung der Produkte nicht durch die Ö-GmbH selbst, sondern – im Auftrag der Ö-GmbH – durch einen konzerninternen Lohnfertiger erfolgen wird. Die Arbeitsverträge der Mitarbeiter der T-GmbH sollen aufgehoben und mit der Ö-GmbH neue Arbeitsverträge abgeschlossen werden. Die in Deutschland (teilweise) verbleibenden Arbeitnehmer werden einen neuen Arbeitsvertrag bei der A-AG erhalten und dort im Bereich der konzernübergreifenden Markenverwaltung arbeiten. Die Ö-GmbH wird ab dem 1.1.2022 die Produkte über konzerninterne Lohnfertiger in Asien herstellen lassen und die Produkte in dem im Lizenzvertrag vorgegebenen Vertriebsgebiet unter der Marke ABC vertreiben.
7.89
Anwendungsbereich des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV eröffnet. Nach § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV ist bei einer Funktionsverlagerung zu prüfen, ob diese zwischen unabhängigen Dritten – d.h. im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs zwischen zwei ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitern – vergütet worden wäre. Dementsprechend werden Vorgänge, die formal den Tatbestand einer Funktionsverlagerung erfüllen, aber entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz tatsächlich anders – also unentgeltlich – abgewickelt werden, nicht als Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV behandelt. Dies gilt nach § 8 FVerlV insbesondere für die fristgerechte Kündigung von Lizenzverträgen oder das Auslaufen von Vertragsbeziehungen. In diesen Fällen können nach § 8 Satz 1 FVerlV der Besteuerung einer Funktionsverlagerung gesetzliche oder vertragliche Umstände (z.B. gesetzliche oder vertragliche Schadensersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche) zugrunde gelegt werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass fremde Dritte unter ähnlichen Umständen in vergleichbarer Art und Weise verfahren würden. In dem vorstehend dargestellten Beispiel basiert die Funktionsausübung der T-GmbH auf dem mit der A-AG abgeschlossenen Lizenzvertrag. Auf Basis dieses 1 Vgl. Begr. zu § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 15. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 59.
970 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.91 Kap. 7
Lizenzvertrags hat die T-GmbH das Recht lizenziert, Produkte unter der Marke ABC herzustellen und zu vertreiben. Die Funktionsausübung der T-GmbH ist damit unmittelbar an den abgeschlossenen Lizenzvertrag geknüpft. Mit Beendigung des Lizenzvertrags ist die T-GmbH rechtlich nicht mehr in der Lage, ihre Funktionen „Herstellung und Vertrieb von ABC-Produkten“ auszuführen. Vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV stellt sich damit die Frage, ob der Vorgang der Beendigung des Lizenzvertrags zwischen der A-AG und der TGmbH einerseits sowie der daran anschließende Abschluss eines neuen Lizenzvertrags der AAG mit der Ö-GmbH unter voneinander unabhängigen Dritten als Veräußerung oder Erwerb einer Funktion angesehen und entgolten werden würde. Dies ist zu verneinen: Denn zwischen fremden Dritten bestünden in diesem Zusammenhang keinerlei gesetzliche oder vertragliche Schadensersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche der T-GmbH gegenüber der AAG oder gegen die Ö-GmbH. Darüber hinaus sind keinerlei weitergehende Ausgleichsansprüche erkennbar, welche der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter der T-GmbH geltend machen könnte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die T-GmbH – vorbehaltlich der Regelungen im Lizenzvertrag – keine Anspruchsgrundlage hat, Ausgleichszahlungen oder sonstige Vergütungen für die Funktionsausübung der Ö-GmbH einzufordern. Diese Argumentation wird auch in Rz. 59 VWG-Funktionsverlagerung von der Finanzverwaltung geteilt.1
E. Bewertung eines Transferpakets nach § 1 Abs. 3b AStG I. Grundlagen Zentrale gesetzliche Regelung für die Bewertung eines Transferpakets. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG enthält die zentrale gesetzliche Regelung für die Bewertung eines Transferpakets bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen. Die Vorschrift bestimmt Folgendes: „Wird eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken sowie der mitübertragenen oder mitüberlassenen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile verlagert und ist auf die verlagerte Funktion Absatz 3 Satz 7 anzuwenden, weil für die Verlagerung der Funktion als Ganzes (Transferpaket) keine Vergleichsdaten festgestellt werden können, ist der Einigungsbereich auf der Grundlage des Transferpakets zu bestimmen.“ Diese Bestimmung wird durch § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 AStG wie folgt ergänzt: „Hiervon kann abgesehen werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass weder wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren. Dies gilt dann, wenn das übernehmende Unternehmen die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausübt und das Entgelt, das für die Ausübung der Funktion und die Erbringung der entsprechenden Leistungen anzusetzen ist, nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln ist.“
7.90
Gesamtbewertung des Transferpakets als gesetzlicher Grundtatbestand. Wie sich aus § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG ergibt, ist bei einer Funktionsverlagerung grundsätzlich eine Gesamtbewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Eine Einzelbewertung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, aus denen sich das Transferpaket zusammensetzt, ist lediglich im Fall des § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG zulässig. Der Gesetzgeber begründet die Notwendigkeit einer Gesamtbewertung damit, dass der Preis der einzelnen übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter den Wert der Funktion als Ganzes regelmäßig nicht adäquat widerspiegele.2 In Rz. 29 der VWG-Funktionsver-
7.91
1 Vgl. auch Brandenberg, DB 2008, 865; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1288. 2 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 144.
Ditz/Greinert | 971
Kap. 7 Rz. 7.91 | Funktionsverlagerungen
lagerung1 werden diese Ausführungen dahingehend präzisiert, dass der einheitliche Vorgang einer Funktionsverlagerung regelmäßig mehrere Geschäftsvorfälle umfasse, die so eng miteinander verbunden seien, dass die Beurteilung jedes einzelnen Geschäftsvorfalls nicht sachgerecht sei. Vorteile, die im Rahmen einer Einzelpreisbestimmung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter häufig nur schwer erkennbar seien, könnten aufgrund der Betrachtung der insgesamt übergehenden Funktion identifiziert werden. Entsprechende Vorteile könnten z.B. geschäftswertbildende Faktoren wie ein guter Ruf, gut ausgebildete Arbeitnehmer oder eine eingespielte Betriebsorganisation sein. Dem Gesetzgeber geht es also darum, im Rahmen der Gesamtbewertung eines Transferpakets einen Mehrwert der Besteuerung zu unterwerfen, der bei einer Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter unbesteuert bliebe;2 es handelt sich insoweit also um einen profiskalischen Ansatz.3 Daneben bringt die Möglichkeit einer Gesamtbewertung erhebliche Beweiserleichterungen für die Finanzverwaltung,4 da diese nicht mehr den Übergang einzelner Wirtschaftsgüter, sondern nur noch den Übergang von Ertragskraft nachweisen muss. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, dass eine Gesamtbewertung nach § 4 Abs. 1 FVerlV auch dann durchzuführen ist, wenn für sämtliche Wirtschaftsgüter Einzelverrechnungspreise vorliegen. Auf die Frage, ob die Wirtschaftsgüter endgültig übertragen oder lediglich befristet zur Nutzung überlassen wurden, kommt es hierbei nicht an. Wie sich aus § 4 Abs. 2 FVerlV ergibt, hat in beiden Fällen eine Gesamtbewertung zu erfolgen. Werden mehrere Funktionen übertragen, ist für jede Funktion eine Gesamtbewertung vorzunehmen. Aus § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG folgt, dass die einzelnen Funktionen getrennt voneinander zu betrachten sind.5 In der Praxis dürfte dies vor allem bei größeren Umstrukturierungen zu erheblichen Abgrenzungsproblemen führen, da § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG den Begriff der Funktion nicht hinreichend genau definiert und auch § 1 Abs. 1 FVerlV nicht ausreichend Klarheit schafft.6
7.92
Regelmäßig kein Übergang eines Mehrwerts bei Funktionsverlagerungen. Die Überlegungen zum Übergang eines Mehrwerts, der sich allein mit Hilfe einer Gesamtbewertung erfassen lässt, sind nicht neu, sondern finden sich in Rspr. und Schrifttum bereits bisher im Zusammenhang mit der Übertragung von Betrieben und Teilbetrieben.7 Nach der Rspr. ist es möglich, dass bei der Übertragung eines Betriebs nicht nur eine Gesamtheit von Wirtschaftsgütern, sondern auch ein Geschäfts- oder Firmenwert übergeht.8 Dies ist dann der Fall, wenn im Rahmen der fraglichen Transaktion geschäftswertbildende Faktoren übertragen werden, da der Geschäfts- und Firmenwert denjenigen geschäftswertbildenden Faktoren folgt, die durch ihn verkörpert werden.9 Dabei ist es auch möglich, dass ein Geschäfts- oder Firmenwert nur teilweise übergeht, falls im Zusammenhang mit der Übertragung eines Teilbetriebs nur ein Teil der geschäftswertbildenden Faktoren übertragen wird.10 Jedenfalls in dieser Konstella1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.3. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 568. Vgl. Greil/Naumann, IStR 2015, 431. Vgl. Naumann in Oestreicher, Unternehmensbesteuerung 2008: Neue Wege gehen, 99. Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 765. Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 765. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 559. Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108. Vgl. BFH v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 576 = FR 1996, 760; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108; v. 2.9.2008 – X R 32/05, BStBl. II 2009, 634 = FR 2009, 954 m. Anm. Wendt; FG Rh.-Pf. v. 24.10.2002, – 6 K 3031/98, EFG 2003, 240, rkr. 10 Vgl. BFH v. 7.10.1970 – I R 1/68, BStBl. II 1971, 69; v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 576 = FR 1996, 760; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108.
972 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.93 Kap. 7
tion scheint die Rspr. von der Teilbarkeit des Geschäfts- oder Firmenwerts auszugehen.1 Im Ergebnis wird der Geschäfts- oder Firmenwert damit wie ein Wirtschaftsgut behandelt, was sich auch daran zeigt, dass er im Erwerbsfall nach § 246 Abs. 1 Satz 4 HGB für die Zwecke des Handelsrechts und nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Zwecke des Steuerrechts zu bilanzieren ist. Auf Funktionsverlagerungen lassen sich diese Überlegungen indes nicht übertragen, da es hier regelmäßig zu keinem Übergang von geschäftswertbildenden Faktoren kommt, sodass auch kein Geschäfts- und Firmenwert übergehen kann.2 Ein guter Ruf, gut ausgebildete Arbeitsnehmer, gewährte Konzessionen und Genehmigungen, eine eingespielte Betriebsorganisation etc. sind nur bei der funktionsübertragenden Gesellschaft vorhanden und müssen bei der funktionsaufnehmenden Gesellschaft erst neu aufgebaut werden.3 Damit kommt das beim Übertragenden abgegebene Transferpaket nicht in gleicher Zusammensetzung beim Aufnehmenden an. Die erforderliche Nämlichkeit des Transferpakets liegt insoweit nicht vor.4 Hinzu kommt, dass es nach der Rspr. nur dann zu einem Übergang eines Geschäfts- und Firmenwerts kommt, wenn der Gegenstand der Übertragung aufgrund seiner Organisation und Struktur eigenständig am Wirtschaftsleben teilnehmen kann.5 Dem Übertragungsgegenstand muss damit letztlich die Qualität eines Betriebs oder Teilbetriebs zukommen.6 Dies ist bei Funktionen, die ins Ausland verlagert werden, aber regelmäßig nicht der Fall. Ein Betrieb oder Teilbetrieb setzt sich i.d.R. aus mehreren Funktionen zusammen, wie etwa Geschäftsleitung, Produktion, Verpackung, Lagerhaltung, Qualitätskontrolle, Kundendienst, Buchhaltung und Finanzierung. Im Rahmen einer Funktionsverlagerung werden nur einzelne dieser Funktionen ins Ausland verlagert, z.B. die Produktion, während die restlichen Funktionen, und damit auch der Betrieb oder Teilbetrieb als solcher, im Inland verbleiben. Da es im Fall einer Funktionsverlagerung danach regelmäßig nicht zum Übergang eines Betriebs oder Teilbetriebs kommt, ist es auch nicht gerechtfertigt, eine Gesamtbewertung vorzunehmen und einen Geschäfts- oder Firmenwert der Besteuerung zu unterwerfen.7 Bereits aus diesem Grund bestehen gegen die vom Gesetzgeber angeordnete Gesamtbewertung erhebliche Bedenken. Widerspruch zu nationalen und internationalen Besteuerungsgrundsätzen. Ferner ist festzuhalten, dass mit der Gesamtbewertung eines Transferpakets auch von nationalen und internationalen Besteuerungsgrundsätzen abgewichen wird. § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB und § 6 Abs. 1 EStG sehen vor, dass Vermögensgegenstände bzw. Wirtschaftsgüter für die Zwecke des Handelsrechts und des Steuerrechts einzeln zu bewerten sind. Dies gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG auch im Fall der Verlagerung von Wirtschaftsgütern ins Ausland. Auch wenn eine Gesamtheit von Wirtschaftsgütern übertragen wird und der Erwerber hierfür einen Gesamtpreis entrichtet, ist eine Einzelbewertung vorzunehmen.8 Der Grundsatz der Einzelbewertung, der seinen Ursprung im handelsrechtlichen Vorsichtsprinzip hat, erfordert in diesem Fall, dass der Gesamtpreis auf die einzelnen Wirtschaftsgüter auf-
1 Vgl. BFH v. 7.10.1970 – I R 1/68, BStBl. II 1971, 69; v. 27.3.1996 – I R 60/95, BStBl. II 1996, 576 = FR 1996, 760; v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108; 2 Vgl. Haas, Ubg 2008, 519; Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 165; a.A. Greil/Naumann, IStR 2015, 432. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 165; Hentschel/Kraft, IStR 2015, 195. 4 Vgl. Kroppen in Lüdicke, Brennpunkte im deutschen Internationalen Steuerrecht, 159. 5 Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 42/00, BStBl. II 2001, 771 = FR 2001, 1108. 6 Vgl. BFH v. 24.11.1982 – I R 123/78, BStBl. II 1983, 113 = FR 1983, 198. 7 Vgl. Haas in FS Schaumburg, 717; Bödefeld/Kuntschik in Blumenberg/Benz, Die Unternehmensteuerreform 2008, 276. 8 Vgl. BFH v. 17.9.1987 – III R 272/83, BStBl. II 1988, 441.
Ditz/Greinert | 973
7.93
Kap. 7 Rz. 7.93 | Funktionsverlagerungen
geteilt wird.1 Neben dieser Abweichung von nationalen Bewertungsgrundsätzen ist mit Blick auf die Transferpaketbewertung auch ein Widerspruch zum international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz zu konstatieren, wie er in Art. 9 OECD-MA und den darauf aufbauenden Bestimmungen der einzelnen DBA kodifiziert ist. Zwar lassen die OECD-Leitlinien eine Gesamtbewertung zu, wenn eine „Activity“ i.S. eines „Ongoing Concern“ auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen übertragen wird.2 Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind bei einer Funktionsverlagerung aber regelmäßig nicht erfüllt, da unter einem „Ongoing Concern“ eine „Functioning, Economically Integrated Business Unit“ zu verstehen ist.3 Eine solche setzt sich regelmäßig aus mehreren Funktionen zusammen und ist daher eher mit einem Betrieb oder Teilbetrieb vergleichbar.4 Zur Übertragung eines Betriebs oder Teilbetriebs kommt es bei Funktionsverlagerungen aber i.d.R. nicht. Weiterhin findet auch kein Übergang von einem „Experienced Research-Team“ statt, wie es die OECD-Leitlinien 2022 als typischen Fall der Übertragung eines „Going Concern“ beschreiben.5 Bei einem „Experienced Research-Team“ handelt es sich um einen geschäftswertbildenden Faktor.6 Solche gehen bei Funktionsverlagerungen im Regelfall nicht über. Schließlich schreiben die OECD-Leitlinien eine Gesamtbewertung der übertragenen „Activity“ auch nicht zwingend vor, sondern stellen lediglich fest, dass eine solche „necessary“ oder „useful“ sein kann.7 Auch hiervon weicht der Gesetzgeber ab,8 da er die Gesamtbewertung eines Transferpakets zwingend anordnet und lediglich unter den in § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 AStG bestimmten Voraussetzungen eine Ausnahme hiervon zulässt. Auch vor diesem Hintergrund sieht sich der Grundsatz der Gesamtbewertung erheblichen Bedenken ausgesetzt.
7.94
Keine Gesamtbewertung eines Transferpakets bei bloßen Lizenzierungen. In keinem Fall gerechtfertigt ist eine Gesamtbewertung, wenn ein Transferpaket nicht endgültig übertragen, sondern lediglich befristet zur Nutzung überlassen wird. Eine endgültige Übertragung liegt vor, wenn es zu einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an dem Transferpaket kommt.9 Hierfür ist erforderlich, dass Besitz und Gefahr, Nutzen und Lasten, insbesondere die mit dem Transferpaket verbundenen Chancen und Risiken, auf das übernehmende Unternehmen übergehen.10 Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums hat regelmäßig zur Folge, dass es zu einer Aufdeckung aller in dem Transferpaket enthaltenen stillen Reserven kommt.11 Findet ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht statt, liegt eine bloße Nutzungsüberlassung vor. Bei immateriellen Wirtschaftsgütern handelt es sich in einem solchen Fall um eine Lizenzierung. Zu einer Aufdeckung von stillen Reserven kommt es in diesem Fall nicht. Zu versteuern sind lediglich die Lizenzraten im Zeitpunkt ihres Zuflusses.12 Nach § 4 Abs. 2 FVerlV ist bei Zweifeln, ob eine Übertragung oder eine Nutzungsüberlassung vorliegt, auf Antrag des Steuerpflichtigen von einer Nutzungsüberlassung auszugehen. Dem Steuerpflichtigen kommt damit faktisch ein Wahlrecht zu. Hintergrund der Bestimmung ist, dass die mit der Aufdeckung stiller Reserven einhergehende Sofortversteuerung im Einzelfall zu 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Vgl. BFH v. 17.9.1987 – III R 272/83, BStBl. II 1988, 441. Vgl. Tz. 9.69 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 9.68 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Baumhoff/Puls, IStR 2009, 80. Vgl. Tz. 9.68 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 165. Vgl. Tz. 9.69 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 165. Vgl. § 39 AO. Vgl. BFH v. 12.12.2007 – X R 17/05, BStBl. II 2008, 579 = FR 2008, 565 m. Anm. Wendt. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 570. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 570.
974 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.96 Kap. 7
erheblichen Liquiditätsproblemen führen kann. Dies soll vermieden werden.1 Das dem Steuerpflichtigen eingeräumte Wahlrecht ändert indes nichts daran, dass auch im Fall einer Nutzungsüberlassung eine Gesamtbewertung des Transferpakets durchzuführen ist. Eine solche ist bei einer Nutzungsüberlassung aber gerade nicht gerechtfertigt, da bei einer Nutzungsüberlassung keine geschäftswertbildenden Faktoren und damit auch kein Geschäfts- oder Firmenwert übergeht.2 In der höchstrichterlichen Rspr. ist geklärt, dass es zu einem Übergang des Geschäfts- oder Firmenwerts nur dann kommt, wenn die geschäftswertbildenden Faktoren endgültig und nicht nur vorübergehend übertragen werden.3 Ein Übergang des Geschäftsoder Firmenwerts setzt nach der Rspr. voraus, dass die geschäftswertbildenden Faktoren aufgrund einer verfestigten Rechtsposition dauerhaft genutzt werden können.4 Nicht ausreichend ist eine verfestigte tatsächliche Nutzungsmöglichkeit oder der tatsächliche Verbrauch der geschäftswertbildenden Faktoren beim übernehmenden Unternehmen.5 Ein endgültiger Übergang der geschäftswertbildenden Faktoren erfolgt bei einer bloßen Nutzungsüberlassung aber gerade nicht. Vielmehr ist die Nutzung von vorneherein befristet. Von daher ist es in diesen Fällen auch nicht gerechtfertigt, eine Gesamtbewertung des zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Vielmehr muss eine Einzelbewertung der in dem Transferpaket enthaltenen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter durchgeführt werden.6
II. Gesamtbewertung eines Transferpakets als gesetzlicher Regelfall 1. Überblick Gesamtbewertung des Transferpakets nach den allgemeinen Grundsätzen. Wie sich aus § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG ergibt, ist bei einer Funktionsverlagerung grundsätzlich eine Gesamtbewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Eine Einzelbewertung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, aus denen sich das Transferpaket zusammensetzt, ist lediglich im Fall des § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 AStG zulässig. Die Gesamtbewertung des Transferpakets hat dabei nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen, was in § 2 Abs. 1 FVerlV und Rz. 61 der VWG-Funktionsverlagerung7 nochmals ausdrücklich klargestellt wird. Liegen für das Transferpaket danach vergleichbare Fremdvergleichswerte vor, ist ein tatsächlicher Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG durchzuführen. Andernfalls hat die Bestimmung des angemessenen Verrechnungspreises für das Transferpaket auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG zu erfolgen.
7.95
2. Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs zur Transferpaketbewertung Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs nur in Ausnahmefällen. Liegen für das Transferpaket vergleichbare Fremdvergleichswerte vor, ist gemäß dem Stufenverhältnis der Verrechnungspreisermittlung ein tatsächlicher Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG 1 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 20. 2 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 110. 3 Vgl. BFH v. 2.9.2008 – X R 32/05, BStBl. II 2009, 634; hierzu Levedag, NWB 2010, 106; Wendt, FR 2009, 958. 4 Vgl. BFH v. 2.9.2008 – X R 32/05, BStBl. II 2009, 634 = FR 2009, 954 m. Anm. Wendt. 5 Vgl. BFH v. 2.9.2008 – X R 32/05, BStBl. II 2009, 634 = FR 2009, 954 m. Anm. Wendt. 6 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 110. 7 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.1.1.
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7.96
Kap. 7 Rz. 7.96 | Funktionsverlagerungen
durchzuführen.1 Der Vorrang des tatsächlichen vor dem hypothetischen Fremdvergleich auch für Funktionsverlagerungen wird ausdrücklich durch § 2 Abs. 1 Satz 1 FVerlV anerkannt. Wegen der dominierenden Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen dürfte ein tatsächlicher Fremdvergleich jedoch die Ausnahme sein.2 Im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern ergeben sich bei einem tatsächlichen Fremdvergleich stets die Probleme der Vergleichbarkeit und der Beobachtbarkeit. Immaterielle Wirtschaftsgüter haben häufig einen einzigartigen Charakter, durch den eine Monopolstellung geschaffen werden soll und der die Suche nach Vergleichswerten erschwert.3 Hinzu kommt, dass für die meisten immateriellen Wirtschaftsgüter kein aktiver Markt besteht, auf dem eine Preisbildung beobachtet werden könnte. Vielmehr vereinbaren die Parteien häufig sogar Stillschweigen über den vereinbarten Preis. Aus diesem Grund können selbst im Fall einer gegebenen Vergleichbarkeit Fremdvergleichswerte häufig kaum ermittelt werden.4 Vor diesem Hintergrund dürfte die Ermittlung von Vergleichspreisen bei Funktionsverlagerungen nur im Ausnahmefall gelingen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an die Verlagerung von Routinefunktionen, bei denen keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter übertragen werden, z.B. die Verlagerung der Datenverarbeitung auf ein spezialisiertes Softwarehaus, die Übertragung der Buchhaltung auf einen Steuerberater oder die Verlagerung des Liquiditätsmanagements auf eine Bank.5
7.97
Anwendung der allgemeinen Grundsätze des tatsächlichen Fremdvergleichs. Kommt es im Fall einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung zu einem tatsächlichen Fremdvergleich, gelten die allgemeinen Grundsätze des § 1 Abs. 3 Satz 1 ff., Abs. 3a Satz 1 ff. AStG.6 Abgesehen von der Tatsache, dass Gegenstand des Fremdvergleichs das Transferpaket ist, ergeben sich für Funktionsverlagerungen insofern keine Besonderheiten. Wurden durch den tatsächlichen Fremdvergleich mehrere vergleichbare Fremdvergleichswerte festgestellt, bilden diese nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG eine Bandbreite.7 Bei uneingeschränkt vergleichbaren Werten kann der Steuerpflichtige als Verrechnungspreis für das Transferpaket jeden Wert innerhalb der Bandbreite ansetzen. Sind die ermittelten Werte nur eingeschränkt vergleichbar, ist die Bandbreite nach § 1 Abs. 3a Satz 2 AStG einzuengen und ein Verrechnungspreis aus dem eingeengten Bereich zu wählen. Sofern die Werte für eine Einengung selbst keine Anhaltspunkte liefern, erfolgt die Einengung anhand der sog. Interquartilsmethode, bei der das obere und untere Viertel der Bandbreitenwerte für die Verrechnungspreisermittlung außer Acht gelassen werden (§ 1 Abs. 3a Satz 3 AStG).8 Sofern der angesetzte Verrechnungspreis außerhalb der Bandbreite liegt, ist der Median anzusetzen, sofern der Steuerpflichtige nicht glaubhaft macht, dass ein anderer Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht (§ 1 Abs. 3a Satz 4 AStG).9 1 2 3 4 5 6
Vgl. Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007, 309 f. Vgl. Greil/Naumann, IStR 2015, 431; Große, IStR 2016, 494. Vgl. Greinert, Ubg 2010, 102. Vgl. Greinert, Ubg 2010, 102. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166. Zur Anwendung eines tatsächlichen Fremdvergleichs im Rahmen der Bewertung des Transferpakets vgl. auch Schilling/Kandels, DB 2012, 1065 mit Anm. Ditz/Liebchen, DB 2012, 1469 ff. 7 Zu den Ursachen für die Entstehung einer Bandbreite vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 348 ff. 8 Die sog. Interquartilsmethode war schon vor ihrer Kodifizierung durch das AbzStEntModG vom 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259, gängige Verwaltungspraxis; vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 3.4.12.5. Buchst. d. Gleichwohl bestanden dagegen erhebliche Bedenken; vgl. Baumhoff in FS Wassermeyer, 362 ff.; Werra, IStR 2005, 21; Finsterwalder, DStR 2005, 769; Steuerfachausschuss des IDW, FN-IDW 2004, 787 f. 9 Auch hiergegen bestehen Bedenken; vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1463 f.; kritisch zum Ansatz des Medians auch Bödefeld/Kuntschik in Blumenberg/Benz, Die Unternehmensteuerreform 2008, 245 f.
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E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.99 Kap. 7
3. Bewertung eines Transferpakets auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs a) Hypothetischer Fremdvergleich als Regelfall Hypothetischer Fremdvergleich als Regelfall bei Funktionsverlagerungen. Sofern für das Transferpaket keine vergleichbaren Fremdvergleichswerte vorliegen und Unterschiede zwischen den Verhältnissen der zum Vergleich herangezogenen Geschäftsvorfälle und dem zu untersuchenden Geschäftsvorfall auch nicht durch sachgerechte Anpassungen beseitigt werden können, ist ein hypothetischer Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG durchzuführen. In Anbetracht der dominierenden Bedeutung von immateriellen Wirtschaftsgütern bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen und der bei ihrer Bewertung auftretenden Schwierigkeiten dürfte der hypothetische Fremdvergleich den Regelfall darstellen. Kommt es im Fall einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung zu einem hypothetischen Fremdvergleich, gelten die allgemeinen Grundsätze des § 1 Abs. 3 Satz 7 i.V.m. Abs. 3a Satz 5 f. AStG. Abgesehen von der Tatsache, dass Gegenstand des Fremdvergleichs das Transferpaket ist, ergeben sich für grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen insofern keine Besonderheiten. Zur Bewertung des Transferpakets ist daher nach § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG ein Einigungsbereich zu ermitteln, der durch die Gewinne bestimmt wird, die das übertragende und das übernehmende Unternehmen aus dem Transferpaket erwarten. Innerhalb des Einigungsbereichs ist nach § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG der Mittelwert anzusetzen, sofern der Steuerpflichtige nicht glaubhaft machen kann, dass ein anderer Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz mit einer höheren Wahrscheinlichkeit entspricht.
7.98
b) Ermittlung eines Einigungsbereichs aa) Vorbemerkungen Notwendigkeit der Ermittlung eines Einigungsbereichs für das Transferpaket. Erfolgt die Bewertung des Transferpakets auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs, muss im ersten Schritt ein Einigungsbereich ermittelt werden. Hierzu bestimmt § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG Folgendes: „Können keine Vergleichswerte festgestellt werden, ist für die Bestimmung des Fremdvergleichspreises ein hypothetischer Fremdvergleich unter Beachtung des Absatzes 1 Satz 3 aus Sicht des Leistenden und des jeweiligen Leistungsempfängers anhand ökonomisch anerkannter Bewertungsmethoden durchzuführen.“ In § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG heißt es sodann weiter: „Bei der Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs [...] ergibt sich regelmäßig aus dem Mindestpreis des Leistenden und dem Höchstpreis des Leistungsempfängers ein Einigungsbereich“. Der bisherigen Gesetzesfassung war in diesem Zusammenhang überdies ausdrücklich zu entnehmen, dass dieser Einigungsbereich von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotenzialen) der Beteiligten bestimmt wird (§ 1 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 AStG a.F.). Auch wenn dieser Passus in der neuen Fassung des § 1 AStG nicht mehr explizit enthalten ist, hat sich daran jedoch nichts geändert,1 sodass es für die Ermittlung des Einigungsbereichs auch weiterhin entscheidend auf die Gewinne ankommt, die das übertragende und das übernehmende Unternehmen zukünftig aus dem Transferpaket erwarten. Diese Vorgehensweise entspricht dem finanzwirtschaftlichen Verständnis von Wert, nach dem ein Gut nur so viel wert ist, wie Ergebnisse durch seine Verwendung erwirtschaftet werden können.2 Die Gewinnerwartungen des übertragenden Unternehmens bestimmen die Untergrenze des Einigungs1 § 1a Satz 1 AStG lässt sich dies nun explizit entnehmen. 2 Vgl. Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung7, 77 ff.; Kruschwitz/Lorenz, Investitionsrechnung15, 45 ff.
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7.99
Kap. 7 Rz. 7.99 | Funktionsverlagerungen
bereichs, während die Gewinnerwartungen des übernehmenden Unternehmens die Obergrenze bestimmen. In der bisherigen Gesetzesfassung war zudem ausdrücklich niedergelegt, dass der Mindestpreis des Leistenden und der Höchstpreis des Leistungsempfängers mithilfe von Kapitalisierungszinssätzen entsprechend abzuzinsen sind (§ 1 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 1 AStG a.F.). Auch diese Aussage lässt sich der neuen Gesetzesfassung nicht mehr explizit entnehmen, wobei sich aber auch daran nichts geändert hat. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, in der ausgeführt wird, dass im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs v.a. Methoden zur Anwendung kommen, die auf die Berechnung eines abgezinsten Werts prognostizierter Cashflows abzielen. Explizit erwähnt sind dabei Ertragswert- und Discounted-Cashflow-Methoden.1 Die jeweils zu erwartenden Gewinnpotentiale sind folglich mit Hilfe eines kapitalwertorientierten Verfahrens zu ermitteln,2 was auch in Rz. 87 der VWG-Funktionsverlagerung3 nochmals ausdrücklich klargestellt wird. Angesprochen sind damit insbesondere das Ertragswertverfahren und das Discounted-Cashflow-Verfahren,4 die nach Rz. 88 der VWG-Funktionsverlagerung5 gleichberechtigt nebeneinander stehen. Bei der Anwendung eines kapitalwertorientierten Verfahrens zur Bewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets sind nach § 3 Abs. 2 Satz 3 FVerlV und Rz. 84 der VWG-Funktionsverlagerung6 insbesondere die nachfolgend aufgeführten Fragen zu klären,7 wobei maßgeblicher Bewertungszeitpunkt nach § 3 Abs. 1 FVerlV der Zeitpunkt der Übertragung der Funktion ist. Bei den nachfolgend aufgeführten Fragen handelt es sich um typische Fragen im Zusammenhang mit der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter,8 was sich aus der dominierenden Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen erklärt: – Bestimmung der Gewinnpotentiale für das Transferpaket; – Ermittlung eines sachgerechten Kapitalisierungszeitraums; – Ableitung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes.9
7.100
Erhebliche Bedenken gegen das generelle Abstellen auf einen Einigungsbereich. Gegen die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Bewertung eines Transferpakets mit Hilfe eines Einigungsbereichs bestehen erhebliche Bedenken. Problematisch ist zunächst, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass sich aufgrund der Bestimmung der zu erwartenden Gewinne sowohl aus Sicht des übertragenden als auch des übernehmenden Unternehmens stets ein Einigungsbereich ergibt.10 Dies ist aber nicht zwingend.11 Ein Einigungsbereich kommt zunächst dann
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. BT-Drucks. 19/27632 v. 17.3.2021, 72. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.3.2.1. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.3.2.1. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.3.2.1. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.3.2. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1652. Vgl. Greinert, Ubg 2011, 102. Eine umfassende Darstellung dieser Bewertungsparameter anhand von Beispielen findet sich in Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1637 (1693); Hemmerich/Günther, IWB 2020, 850 ff. Das Bewertungsverfahren ist insgesamt komplex und stellt auch hohe Anforderungen an die Steuerpflichtigen mit Blick auf die zu beschaffenden Daten, die in die Rechnung eingehen; vgl. Hentschel/Kraft, IStR 2015, 196; a.A. Greil/Naumann, IStR 2015, 431 f. 10 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464. 11 Dies ist dem Gesetzgeber auch offenbar bewusst; vgl. BT-Drucks. 19/27632 v. 17.3.2021, 73.
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E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.100 Kap. 7
nicht zustande, wenn die Gewinnerwartungen der beteiligten Unternehmen identisch sind.1 Darüber hinaus fehlt es an einem Einigungsbereich, wenn die Gewinnerwartungen des übernehmenden Unternehmens unter denen des übertragenden Unternehmens liegen.2 In diesem Fall käme zwischen unabhängigen Verhandlungspartnern kein Geschäft zustande, weil mindestens einer der Beteiligten einen Gewinnentgang oder Verlust in Kauf nehmen müsste. Für diese Fälle sieht das Gesetz allerdings keine Lösung vor.3 Weiterhin führt die Ermittlung eines Einigungsbereichs im täglichen Massengeschäft der Verrechnungspreisermittlung zu einem kaum vertretbaren Verwaltungsaufwand.4 Die Einigungsbereichsbetrachtung stammt ursprünglich aus der Unternehmensbewertung und kommt dort vor allem bei Unternehmenskäufen zur Anwendung. Sie dient der Ermittlung der Preisuntergrenze für den Verkäufer und der Preisobergrenze für den Käufer.5 In Anbetracht der hohen Beträge, die bei Unternehmenskäufen im Raum stehen, ist die Anwendung der Einigungsbereichsbetrachtung dort gerechtfertigt.6 Beim täglichen Massengeschäft der Verrechnungspreisermittlung besteht für einen Aufwand, wie ihn die Einigungsbereichsbetrachtung mit sich bringt, indes keine Rechtfertigung. Hinzu kommt, dass aufgrund der Maßgeblichkeit der in Zukunft zu erwartenden Gewinne für die Bestimmung des Einigungsbereichs nicht nur im Inland gebildete stille Reserven, sondern auch zukünftige, im Ausland erst entstehende Gewinne der inländischen Besteuerung unterworfen werden.7 Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass es nicht gerechtfertigt sei, wenn immaterielle Wirtschaftsgüter oder Vorteile, die mit Hilfe deutscher Infrastruktur erstellt wurden, ohne angemessene Besteuerung des inländischen Wertschöpfungsbeitrags im Ausland genutzt werden.8 Damit wird letztlich „eine Besitzstandabsicherung für alle jemals in Deutschland getätigten Investitionen und die daraus resultierenden Immaterialpositionen“9 geschaffen. Inwieweit sich ein Besteuerungskonzept, mit dem die Bundesrepublik Deutschland ihre Besteuerungsrechte einseitig zulasten der Ansässigkeitsstaaten der übernehmenden Unternehmen ausweitet – von Hey10 zutreffend als „Beggar My Neighbour Policy“ bezeichnet –, international durchsetzen lässt, bleibt abzuwarten.11 Ein deutlicher Anstieg von Schieds- und Verständigungsverfahren dürfte die Folge sein, bei deren Scheitern Doppelbesteuerungen drohen. Hiervon scheint auch der Gesetzgeber auszugehen. Nach seiner Aussage wurden zur Erledigung solcher Verfahren beim BZSt. zusätzliche Personalkapazitäten geschaffen.12 1 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464. 2 Vgl. Baumhoff, Verrechnungspreise für Dienstleistungen, 238 ff. 3 Vgl. Piltz in Arbeitsbuch zur Jahrestagung der Fachanwälte für Steuerrecht, 101; Reichl, Verrechnung immaterieller Wirtschaftsgüter im internationalen Konzern, 155 ff. In der Gesetzesbegründung zum AbzStEntModG v. 2.6.2021 wird dazu bloß ausgeführt, dass in einem solchen Fall zu prüfen sei, ob die Ursachen hierfür in einem weiteren Geschäftsvorfall oder weiteren Geschäftsvorfällen begründet liegen und dementsprechend insbesondere der Höchstpreis des Leistungsempfängers falsch ermittelt wurde; vgl. BT-Drucks. 19/27632 v. 17.3.2021, 73. 4 Vgl. Eingabe des IDW v. 23.4.2007, FN-IDW 2007, 206; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 555. 5 Vgl. IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1) v. 2.4.2008, FN-IDW 2008, 271, Tz. 12 f. 6 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 554 f. 7 Vgl. Hey, BB 2007, 1308; Blumers, BB 2007, 1760; Lang in FS Reiß, 394; Kroppen/Rasch, IWB 2008, 551 und 557. 8 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 141. 9 Rödder, ZHR 2007, 402. 10 Vgl. Hey, BB 2007, 1308. 11 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651 f. 12 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 142.
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Kap. 7 Rz. 7.101 | Funktionsverlagerungen
bb) Bestimmung der Gewinnpotentiale für das Transferpaket
7.101
Bestimmung der Gewinnpotentiale aus der Sicht der beteiligten Unternehmen. Zur Ermittlung des Einigungsbereichs sind zunächst die auf das Transferpaket entfallenden Gewinnpotentiale zu bestimmen. Hierzu ist nach § 3 Abs. 1 FVerlV die Perspektive sowohl des übertragenden als auch des übernehmenden Unternehmens einzunehmen, wobei auf den Zeitpunkt der Verlagerung der Funktion abzustellen ist. Entscheidend ist nach § 1 Abs. 4 FVerlV die Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters in der Position der beteiligten Unternehmen. Die Bestimmung der Gewinnpotentiale des Transferpakets richtet sich damit letztlich nach der bekannten Rechtsfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters.1 Bei der Bestimmung der auf das Transferpaket entfallenden Gewinne ist nach Rz. 31 f. der VWG-Funktionsverlagerung2 zwischen der direkten und der indirekten Methode zu unterscheiden.3 Bei der direkten Methode werden unmittelbar die Gewinnpotentiale des Transferpakets aus der Sicht der beteiligten Unternehmen ermittelt. Diese werden regelmäßig aus den für die Zukunft geplanten Jahresergebnissen abgeleitet. Erforderlich ist damit eine zweifache Bewertung.4 Bei der indirekten Methode erfolgt dagegen eine Ermittlung der Gewinne der beteiligten Unternehmen, jeweils vor und nach der Verlagerung der Funktion. Die Gewinnpotentiale des Transferpakets ergeben sich in diesem Fall aus der Differenz der Unternehmenswerte vor und nach der Funktionsverlagerung. Dies erfordert eine vierfache Bewertung.5 Hält man sich den Aufwand vor Augen, den eine Unternehmensbewertung erfordern kann, dürfte die Grenze des dem Steuerpflichtigen Zumutbaren damit deutlich überschritten sein.6 Gleichwohl stehen die direkte Methode und die indirekte Methode nach Rz. 31 f. der VWG-Funktionsverlagerung7 grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander, wobei in der Praxis aber regelmäßig die direkte Methode angewendet wird, weil diese einfacher zu handhaben ist.8 Voraussetzung für eine Anwendung der indirekten Methode ist lediglich, dass die entsprechenden Berechnungen betriebswirtschaftlich nachvollziehbar sind. Was den Begriff der Gewinnpotentiale anbelangt, sind hierunter nach § 1 Abs. 4 FVerlV die aus der verlagerten Funktion jeweils zu erwartenden Reingewinne nach Steuern zu verstehen, auf die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter aus der Sicht des übertragenden Unternehmens nicht unentgeltlich verzichten würde und für die ein solcher Geschäftsleiter aus der Sicht des übernehmenden Unternehmens bereit wäre, ein Entgelt zu entrichten. Nach Rz. 30 der VWG-Funktionsverlagerung9 wird durch die Einnahme einer solchen Sichtweise zwischen dem übertragenden und dem übernehmenden Unternehmen eine Verhandlungssituation simuliert, die die unterschiedlichen Verhandlungspositionen und die jeweilige Verhandlungsstärke aufgrund der individuellen geschäftlichen Verhältnisse aus Sicht der beiden ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter berücksichtigt. 1 2 3 4 5
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Vgl. BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.4.1. Vgl. zu diesen beiden Methoden Greil/Naumann, IStR 2015, 432 f. Vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.530. Vgl. Hentschel/Kraft, IStR 2015, 196. Siehe auch die beispielhafte Darstellung von Schilling, StuB 2011, 868 ff. Nach Greil/Naumann (IStR 2015, 433) ist es jedoch beinahe unmöglich, mit der indirekten Methode relativ kleine Funktionsverlagerungen für große Unternehmenseinheiten zu bewerten. Auch diese Bewertungsschwierigkeiten sprechen somit gegen die „Atomisierung“ des Funktionsbegriffs. Vgl. Baumhoff in FS Schaumburg, 547 f.; kritisch zur vierfachen Bewertung auch Brandenberg, BB 2008, 866. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.4.1. Vgl. Greil/Naumann, IStR 2015, 433. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.4.
980 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.103 Kap. 7
Einbeziehung von Standortvorteilen, Synergieeffekten und Handlungsalternativen. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV sind die Gewinnpotentiale des Transferpakets unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und tatsächlich bestehender Handlungsmöglichkeiten zu ermitteln und beinhalten auch Standortvorteile und Synergieeffekte.1 Als Beispiele für solche Standortvorteile nennt Rz. 93 der VWG-Funktionsverlagerung2 Unterschiede bei Lohn- und Materialkosten, Finanzierungskonditionen, die Qualität der Infrastruktur oder die Zuverlässigkeit und die Qualifizierung des Personals und der Materiallieferungen.3 Auch Steuerbelastungsunterschiede und Investitionshilfen sollen Standortvorteile begründen können, ohne dass dies bereits die Annahme eines steuerlichen Missbrauchs rechtfertigen würde. Eine Begründung dafür, weshalb Standortvorteile, die allein dem ausländischen Unternehmen zustehen, zur Besteuerung im Inland herangezogen werden können, obwohl diese keinen Bezug zum inländischen Wertschöpfungsprozess aufweisen, bleibt die Finanzverwaltung freilich schuldig.4 Ebenso wird es auch ein ausländischer Fiskus nicht anerkennen, wenn etwa eigene steuerliche Investitionsanreize berücksichtigt werden und insoweit den Verrechnungspreis zuungunsten des ausländischen Fiskus erhöhen.5 Hinzu kommt, dass ein fremder Dritter nicht akzeptieren würde, dass die eigenen Standortvorteile bei der Bemessung des Kaufpreises zu seinen Lasten berücksichtigt werden. Insofern ist die Regelung auch nicht fremdvergleichskonform.6 Was die in Rechnung zu stellenden Handlungsalternativen angeht, heißt es in Rz. 96 der VWG-Funktionsverlagerung,7 dass für den anzustellenden Fremdvergleich die rechtliche und wirtschaftliche Position der beteiligten Unternehmen zu berücksichtigen sei. Stünden z.B. dem übernehmenden Unternehmen konkrete, realistische und eindeutig vorteilhaftere Möglichkeiten offen, die ihm angebotene Leistung zu erlangen, würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter versuchen, seinen infolge der Handlungsalternativen bestehenden Verhandlungsvorteil zu nutzen, um den Preis zu reduzieren. Andererseits würde ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter des übertragenden Unternehmens nicht bereit sein, einen wirtschaftlichen Vorteil ganz oder teilweise unentgeltlich abzugeben, wenn z.B. konkret die Möglichkeit bestünde, einen höheren Preis für die Abgabe der Funktion zu erzielen. Er würde vielmehr versuchen, ein optimales Ergebnis für das von ihm vertretene, verlagernde Unternehmen zu erreichen. Die Finanzverwaltung gibt hiermit letztlich Konkretisierungen des Fremdvergleichsgrundsatzes wieder. Wer sich zu seinen Gunsten auf das Vorliegen von konkreten, realistischen und eindeutig vorteilhafteren Handlungsalternativen beruft, hat nach Ansicht der Finanzverwaltung deren Voraussetzungen nachzuweisen und die sich aus diesen Handlungsalternativen ergebenden steuerlichen Auswirkungen glaubhaft zu machen.
7.102
Heranzuziehende Ergebnisgröße für die Bestimmung der Gewinnpotentiale. Die Definition des Begriffs der Gewinnpotentiale in § 1 Abs. 4 FVerlV als Reingewinne nach Steuern wirft eine Reihe von Fragen auf, die bislang nicht abschließend geklärt sind.8 Fraglich ist zunächst, was unter dem Begriff des Reingewinns i.S.d. § 1 Abs. 4 FVerlV zu verstehen ist. Nach Rz. 4 des IDW S 19 bestimmt sich der Wert eines Unternehmens unter der Voraussetzung aus-
7.103
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Vgl. Naumann, Status: Recht 2007, 204. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.3.2.2. Siehe auch Sassmann/Schenkel, IStR 2018, 955. Vgl. Blumers, BB 2007, 1761; Jenzen, NWB 2007, 3126; Frotscher, FR 2008, 53; Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 419. Vgl. Haas in FS Schaumburg, 724 f.; Kroppen/Rasch, IWB 2008, 557. Vgl. Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 369, 419. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.3.2.5. Kritisch auch Große, IStR 2016, 495. Vgl. Tz. 2.1. IDW S 1, IDW-FN 2008, 271 ff.
Ditz/Greinert | 981
Kap. 7 Rz. 7.103 | Funktionsverlagerungen
schließlich finanzieller Ziele durch den Barwert der mit dem Eigentum an dem Unternehmen verbundenen Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner. Entscheidend sind damit die Nettozuflüsse, nicht die Nettogewinne.1 Dagegen bezeichnet der Begriff des Gewinns im Handelsrecht und im Steuerrecht nach allgemeinem Verständnis eine periodisierte Größe des Rechnungswesens, die auf eine Veränderung des Reinvermögens abstellt.2 Eine andere Definition des Gewinnbegriffs findet sich dagegen in Rz. 31 der VWG-Funktionsverlagerung.3 Danach soll es für den Begriff des Gewinns auf finanzielle Überschüsse und Nettoeinnahmen, also auf Zahlungsgrößen ankommen.4 Diese bilden eine Veränderung des Geldvermögens ab.5 Ebenso weist die Verordnungsbegründung zu § 3 Abs. 1 FVerlV auf den Begriff „Net Present Value“ hin.6 Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll dies der amerikanische Begriff für Gewinnpotential sein.7 Tatsächlich stammt „Net Present Value“ aus der Investitionsrechnung und kennzeichnet die Kapitalwertmethode,8 bei der Einzahlungen und Auszahlungen zur Anwendung kommen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist ein solcher Rückgriff auf Zahlungsgrößen zwar stets zu bevorzugen.9 In der Praxis kann dies jedoch zu erheblichen Schwierigkeiten führen, da die innerbetrieblichen Planrechnungen i.d.R. von periodisierten Größen ausgehen.10 Die Finanzverwaltung hat dieses Problem erkannt. Nach Rz. 31 der VWG-Funktionsverlagerung11 können die innerbetrieblichen Planrechnungen, aus denen die aus dem Transferpaket zu erwartenden finanziellen Überschüsse abzuleiten sind, nach handelsrechtlichen, steuerrechtlichen oder nach anderen anerkannten Vorschriften, z.B. nach IFRS oder USGAAP, aufgestellt sein. Voraussetzung ist nach Rz. 86 der VWG-Funktionsverlagerung12 lediglich, dass die in Rede stehenden betriebswirtschaftlichen Bewertungsgrundlagen und -methoden unternehmensintern einheitlich angewendet werden und die entsprechenden Unterlagen und die darauf beruhenden Berechnungen plausibel sind. Dies bedeutet letztlich, dass für die Ermittlung des Reingewinns i.S.d. § 1 Abs. 4 FVerlV auch auf periodisierte Größen abgestellt werden kann.13 Im Ergebnis ist damit diejenige Ergebnisgröße heranzuziehen, die dem Steuerpflichtigen am zweckmäßigsten erscheint.14 Insofern kommt dem Steuerpflichtigen ein weites Ermessen zu, dessen Grenzen erst dann überschritten sind, wenn offenkundig gegen anerkannte betriebswirtschaftliche Methoden verstoßen wird.
7.104
Reingewinn nach Abzug der auf Unternehmensebene anfallenden Steuern. Unklar ist weiterhin, welche Steuern vom Reingewinn i.S.d. § 1 Abs. 4 FVerlV zum Abzug zu bringen sind. Nach Rz. 28 des IDW S 115 sind die Nettozuflüsse unter Berücksichtigung der inländischen und ausländischen Ertragsteuern des Unternehmens und grundsätzlich der aufgrund des Ei-
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Vgl. Günter, WPg 2007, 1086; Roeder, Ubg 2008, 206. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166 f. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.4.1. Vgl. auch Große, IStR 2016, 494 f. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166 f. Vgl. BR-Drucks. 352/08, 17. Vgl. Naumann in Oestreicher, Unternehmensbesteuerung 2008: Neue Wege gehen, 104. Vgl. Kruschwitz/Lorenz, Investition15, S. 52; Bieg/Kußmaul/Waschbusch, Investition3, 100 ff. Vgl. Looks/Scholz, BB 2007, 2544; Günter, WPg 2007, 1086; Roeder, Ubg 2008, 206; Kahle, Der Konzern 2007, 652; Greinert, DB 2009, 756 f. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1949. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.4.1. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.3.2. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 166 f. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1949. Vgl. Tz. 4.4.1.2. IDW S 1, IDW-FN 2008, 271.
982 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.105 Kap. 7
gentums am Unternehmen entstehenden persönlichen Ertragsteuern der Unternehmenseigner zu ermitteln. Dagegen sieht Rz. 34 der VWG-Funktionsverlagerung1 vor, dass Steuern i.S.d. § 1 Abs. 4 FVerlV nur die bei den beteiligten Unternehmen anfallenden Ertragsteuern sind. Für den Steuerpflichtigen besteht jedoch die Möglichkeit, auch die persönlichen Ertragsteuern der Anteileigner in die Berechnung mit einzubeziehen. Aus Vereinfachungsgründen kommt dem Steuerpflichtigen damit ein Wahlrecht zu.2 Bei Personengesellschaften kann nach Rz. 35 der VWG-Funktionsverlagerung3 auf eine Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern auf Anteilseignerebene dagegen nicht verzichtet werden. Dem Steuerpflichtigen ist es jedoch gestattet, die anzusetzenden Steuern in Höhe der Ertragsteuern anzusetzen, die entstanden wären, wenn statt Personenunternehmen Kapitalgesellschaften an der Funktionsverlagerung beteiligt gewesen wären. Alternativ dazu steht es dem Steuerpflichtigen frei, die tatsächlichen persönlichen Ertragsteuern, die aufgrund der Gewinne des Unternehmens für die Mitunternehmer entstehen, anzusetzen. Auch hierbei handelt es sich um ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen aus Vereinfachungsgründen.4 Bezieht der Steuerpflichtige die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner in die Berechnung des Reingewinns nach Steuern ein, sind diese nach Rz. 36 der VWG-Funktionsverlagerung5 beim Kapitalisierungszinssatz ebenfalls zu berücksichtigen. Die Frage, inwiefern eine Kürzung der aus dem Transferpaket zu erwartenden Gewinne um die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner überhaupt sinnvoll ist, ist damit freilich nicht beantwortet. Bei einer Unternehmensbewertung ist eine solche Berücksichtigung unter Umständen geboten.6 Im Fall einer Funktionsverlagerung stellt sich die Lage aber anders dar, da es hier nicht auf den Entscheidungswert der Anteilseigner, sondern auf den des übertragenden Unternehmens ankommt.7 Würden die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner bei der Verrechnungspreisermittlung berücksichtigt, würde dies zu unterschiedlichen Ergebnissen in Abhängigkeit von der Rechtsform der Anteilseigner führen, wofür keine Rechtfertigung besteht.8 Keine Gesamtbewertung des Transferpakets bei Funktionsabspaltungen. Fraglich ist auch, wie der Tatsache Rechnung zu tragen ist, dass die Übertragung einer Funktion oder deren Überlassung zur Nutzung stets zur Folge hat, dass sich der Gewinn des inländischen Unternehmens verringert. Besonders deutlich wird dies im Fall einer Funktionsabspaltung, bei der eine Funktion unter Beibehaltung der dazugehörigen Chancen und Risiken beim inländischen Unternehmen übertragen oder zur Nutzung überlassen wird.9 Typischer Fall einer Funktionsabspaltung ist die Übertragung eines Teils der Produktion von einem inländischen Unternehmen auf einen ausländischen Lohnfertiger. Die Verlagerung eines Teils der Produktion ins Ausland hat zur Folge, dass auch ein Teil des Gesamtgewinns ins Ausland verlagert wird und sich der Gewinn des inländischen Unternehmens entsprechend verringert. Eine Erfassung des von der ausländischen Gesellschaft erwirtschafteten Gewinns im Inland ist nicht gerechtfertigt, da es sich hierbei ausschließlich um deren Funktionsgewinn handelt.10 Dieser Auffassung scheint auch die Finanzverwaltung zu sein. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV ist davon auszuge1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.4.2. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 167. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.4.2. Vgl. Luckhaupt, IStR 2012, 916 ff., der die Vorteilhaftigkeit dieses Wahlrechts untersucht. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.4.2. Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1183. Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1183. Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1183. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1652.
Ditz/Greinert | 983
7.105
Kap. 7 Rz. 7.105 | Funktionsverlagerungen
hen, dass mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden, sodass nach § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 AStG auf eine Gesamtbewertung des Transferpakets verzichtet werden kann, wenn das übernehmende Unternehmen die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem übertragenden Unternehmen ausübt und das Entgelt, das für die Ausübung der Funktion und die Erbringung der entsprechenden Leistungen anzusetzen ist, nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt wird. Es sind also lediglich die einzelnen übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter zu erfassen und zu bewerten, wobei es sich hierbei überwiegend um materielle Wirtschaftsgüter, insbesondere Anlagen und Maschinen, handelt. Im Ergebnis unterliegt der im Rahmen der Funktionsabspaltung auf die ausländische Gesellschaft übertragene Gewinn im Fall des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV damit keiner Besteuerung im Inland. Dies ist sachgerecht, weil bei einer Funktionsabspaltung „kein unternehmerisches Gewinnpotential, das über die Verzinsung des eingesetzten Kapitals für risikoadäquate Anlagen am Kapitalmarkt zzgl. eines Unternehmerlohns hinausgeht“1, übertragen wird.2 cc) Ermittlung eines sachgerechten Kapitalisierungszeitraums
7.106
Unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum nicht fremdvergleichskonform. Zur Ermittlung des Einigungsbereichs ist ebenfalls zu klären, über welchen Zeitraum die aus dem Transferpaket zu erwartenden Gewinne zu prognostizieren sind. Nach Auffassung der Finanzverwaltung, die ihren Niederschlag in § 6 FVerlV gefunden hat, ist bei der Ermittlung der auf das Transferpaket entfallenden Gewinne grundsätzlich von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum auszugehen. Dies soll notwendig sein, damit die erforderlichen Berechnungen rechtssicher vorgenommen werden können.3 Ferner verweist die Finanzverwaltung darauf, dass auch für Betriebs- oder Teilbetriebsveräußerungen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum angewendet wird und Funktionsverlagerungen solchen Vorgängen ähnlich seien.4 Die Auffassung der Finanzverwaltung kann nicht überzeugen. Die Annahme eines unbegrenzten Kapitalisierungszeitraums geht in der Mehrzahl der Funktionsverlagerungen an der Wirklichkeit vorbei und setzt sich damit in Widerspruch zum Fremdvergleichsgrundsatz.5 So müssen etwa bei der Verlagerung einer Vertriebsfunktion die Laufzeit des Vertriebsvertrags oder, falls diese unbegrenzt ist, die gesetzlichen Kündigungsfristen berücksichtigt werden. Bei einer Produktionsverlagerung müssen Produktlebenszyklen beachtet werden, da gerade in der heutigen Zeit Produkte, wenn sie nicht laufend weiterentwickelt werden, schnell veralten und ihre Produktion eingestellt wird.6 Bei immateriellen Wirtschaftsgütern muss zudem die Laufzeit von Schutzrechten in Rechnung gestellt werden, da ein fremder Dritter nur für diesen Zeitraum bereit wäre, ein Nutzungsentgelt zu bezahlen. Vor diesem Hintergrund dürfte ein Kapitalisierungszeitraum von drei bis fünf Jahren, wie er im Schrifttum vorgeschlagen wird,7 sachgerechter und auch fremdvergleichskonform sein.8 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass Funktionen nicht in allen Fällen auf Dauer ins Ausland verlagert werden. Denkbar ist im Einzelfall auch eine nur zeitlich begrenzte Ver1 2 3 4 5 6
Schreiber, Ubg 2008, 436. Vgl. Ditz/Just, DB 2009, 144; Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 10. Vgl. BR-Drucks. 352/08, 21. Vgl. BR-Drucks. 352/08, 21. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 566 f. Vgl. mit Hinweis auf den „rasanten technischen Fortschritt“ auch Kuckhoff/Schreiber, IStR 1999, 328. 7 Vgl. Baumhoff, WPg 2012, 399. 8 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 566 f.
984 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.108 Kap. 7
lagerung. Diese Möglichkeit wird von § 1 Abs. 2 Satz 2 FVerlV ausdrücklich anerkannt. Auch in solchen Fällen widerspricht die Annahme eines unbegrenzten Kapitalisierungszeitraums dem Fremdvergleichsgrundsatz.
Glaubhaftmachung eines begrenzten Kapitalisierungszeitraums möglich. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass für den Steuerpflichtigen nach § 6 FVerlV die Möglichkeit besteht, im Einzelfall einen begrenzten Kapitalisierungszeitraum glaubhaft zu machen.1 Für eine Glaubhaftmachung muss der Steuerpflichtige Gründe vortragen, die einen begrenzten Kapitalisierungszeitraum wahrscheinlicher erscheinen lassen als einen unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum.2 Daneben ist nach § 6 FVerlV auch dann von einem begrenzten Kapitalisierungszeitraum auszugehen, wenn Gründe für einen solchen ersichtlich sind. Hiermit dürften Fälle angesprochen sein, in denen ein begrenzter Kapitalisierungszeitraum unabhängig von einer Glaubhaftmachung durch den Steuerpflichtigen aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls praktisch ins Auge springt. Vor diesem Hintergrund wird ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum nur in seltenen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein.3 Diese Erkenntnis scheint sich auch bei der Finanzverwaltung durchgesetzt zu haben. Nach Rz. 109 der VWG-Funktionsverlagerung4 soll ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum nur dann zur Anwendung kommen, wenn es sich bei der verlagerten Funktion um einen Betrieb, einen Teilbetrieb oder wenigstens um eine Einheit handelt, die wirtschaftlich eigenständig lebensfähig ist und weitgehend einem Teilbetrieb entspricht. Dies ist bei Funktionsverlagerungen regelmäßig nicht der Fall. Je weiter die verlagerte Funktion dagegen unterhalb der Schwelle eines Teilbetriebs liegt, umso eher soll ein begrenzter Kapitalisierungszeitraum anzusetzen sein. Im Ergebnis bewirkt § 6 FVerlV damit eine Beweislastumkehr zulasten des Steuerpflichtigen.5 Da ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum zu einem höheren Verrechnungspreis führt, handelt es sich um eine steuererhöhende Tatsache, sodass die Beweislast an sich bei der Finanzverwaltung läge. Nach Rz. 112 der VWG-Funktionsverlagerung6 kann sowohl für das übertragende als auch für das übernehmende Unternehmen aus Vereinfachungsgründen typisierend von einem einheitlichen Kapitalisierungszeitraum ausgegangen werden. Wer sich darauf beruft, dass für die betroffenen Unternehmen kein einheitlicher Kapitalisierungszeitraum gilt, hat nach Auffassung der Finanzverwaltung die Voraussetzungen dafür nachzuweisen. Haben einzelne Bestandteile eines Transferpakets eine unterschiedliche Nutzungsdauer, soll für die Bestimmung des Kapitalisierungszeitraums nach Rz. 112 der VWG-Funktionsverlagerung7 eine Orientierung an der längsten Nutzungsdauer sachgerecht sein, wobei auch eine Gewichtung erforderlich sein kann. Als Beispiel hierfür nennt die Finanzverwaltung Patente mit unterschiedlicher Restlaufzeit.
7.107
dd) Ableitung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes
Allgemeine Grundsätze zur Bestimmung eines Kapitalisierungszinssatzes. Zur Ermittlung des Einigungsbereichs ist ferner zu klären, mit welchem Zinssatz die aus dem Transferpaket zu erwartenden Gewinne zu diskontieren sind.8 Der Gesetzgeber hat diese Frage in § 1 Abs. 3b 1 Vgl. Hentschel/Kraft, IStR 2015, 197. 2 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.5.2. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1951; Vögele, DStR 2010, 422; Gehri in Haase, Geistiges Eigentum, Rz. 11.357. 4 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.6. 5 Vgl. Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 421. 6 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.6.1. 7 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.6.1. 8 Vgl. dazu Hentschel/Kraft, IStR 2015, 197.
Ditz/Greinert | 985
7.108
Kap. 7 Rz. 7.108 | Funktionsverlagerungen
AStG nicht geregelt. Eine Aussage dazu findet sich jedoch in § 5 Satz 1 FVerlV, wonach zur Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes vom Zins für eine risikolose Investition auszugehen ist, auf den ein Risikozuschlag vorzunehmen ist. Damit richtet sich die Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes im Rahmen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen letztlich nach den aus der Finanzwirtschaftslehre und der Unternehmensbewertung bekannten Methoden.1 Dort wird der Kapitalisierungszinssatz durch die erwartete Rendite der günstigsten alternativen Kapitalanlagemöglichkeit bestimmt.2 Insofern handelt es sich beim Kapitalisierungszinssatz um die Mindestverzinsung, die mit dem Transferpaket erzielt werden muss, um nicht schlechter zu stehen, als bei der günstigsten alternativen Kapitalanlage. Zur Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes ist daher zu untersuchen, welche Rendite mit einer vergleichbaren Kapitalanlage am Markt erzielt werden könnte. Im Regelfall wird der Kapitalisierungszinssatz damit in einen Basiszinssatz und einen Risikozuschlag zerfallen.3 Seine Bestimmung richtet sich daher letztlich nach der international anerkannten Risikozuschlagsmethode.4 Für die Bewertung von Unternehmen sieht Rz. 117 des IDW S 15 vor, dass zur Ermittlung des Basiszinssatzes als Ausgangspunkt vereinfachend auf öffentliche Anleihen mit langen Restlaufzeiten zurückgegriffen werden kann. Für die dabei erforderliche Wiederanlage kann zur Orientierung die aktuelle Zinsstrukturkurve herangezogen werden. Der auf den risikolosen Basiszinssatz vorzunehmende Risikozuschlag kann nach Rz. 118 des IDW S 16 aus dem am Kapitalmarkt empirisch ermittelten Aktienrenditen mit Hilfe von Kapitalmarktpreisbildungsmodellen abgeleitet werden.
7.109
Ermittlung von Basiszinssatz und Risikozuschlag für ein Transferpaket. Im Hinblick auf die Bewertung eines Transferpakets bietet sich nach Rz. 104 der VWG-Funktionsverlagerung7 für die Bestimmung des risikolosen Basiszinssatzes ein Rückgriff auf die Zinssätze für öffentliche Anleihen im jeweiligen Land, im Inland auch auf die Zinsstrukturkurve der Deutschen Bundesbank an.8 Dabei ist auf die Laufzeitäquivalenz zu achten. Dies bedeutet, dass nur solche Anlagen heranzuziehen sind, deren Laufzeiten dem zuvor bestimmten Kapitalisierungszeitraum entsprechen. Bei einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum ist auf eine möglichst langfristige Vergleichsinvestition abzustellen. Was den Risikozuschlag anbelangt, soll sich dieser nach Rz. 106 der VWG-Funktionsverlagerung9 an den marktüblichen Renditen orientieren, die für die Ausübung vergleichbarer Funktionen erzielt werden können.10 Hierbei wird freilich verkannt, dass sich marktübliche Renditen für Funktionen nicht ermitteln lassen.11 Eine Renditeermittlung ist regelmäßig nur bei börsennotierten Unternehmen möglich. Funktionen wer1 Vgl. Naumann, Status: Recht 2007, 204; Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 567. Nach Greil/Naumann (IStR 2015, 433) sind seriöse unternehmensinterne Daten indes grds. vorzugswürdig; im Übrigen könne der gewählte Diskontierungssatz nur beanstandet werden, wenn er willkürlich gewählt wurde oder wenn bei der Ermittlung des Zinses gegen anerkannte Methoden verstoßen wurde. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651. 3 Siehe dazu auch beispielhaft Hemmerich/Günther, IWB 2020, 852. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651. 5 Vgl. Tz. 7.2.4.1. IDW S 1, IDW-FN 2008, 271. 6 Vgl. Tz. 7.2.4.1. IDW S 1, IDW-FN 2008, 271. 7 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.5.1. 8 Mit Stand 06/2022 beträgt der Zins für börsennotierte Bundeswertpapiere mit einer Laufzeit von zehn Jahren z.B. 1,66 %. 9 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.5.3. 10 Nach Ansicht des IDW ist bei der Marktrisikoprämie von einer Größenordnung von 6 % bis 8 % auszugehen; vgl. IDW, Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf Unternehmensbewertungen v. 25.3.2020. 11 Vgl. Oestreicher, Ubg 2009, 93 f.
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E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.110 Kap. 7
den an den Börsen aber nicht gehandelt, und börsennotierte Unternehmen, die nur eine einzige Funktion ausüben, dürften die Ausnahme sein.1 Sofern eine ausreichend vergleichbare Renditeerwartung nicht ermittelt werden kann, soll der Risikozuschlag nach Rz. 106 der VWG-Funktionsverlagerung2 im Wege einer Wertschöpfungsanalyse zu bestimmen sein, bei der der verlagerten Funktion ein angemessener Anteil am Gesamtgewinn zugeordnet wird. Eine solche Gewinnzuordnung ermöglicht jedoch noch keine Risikoeinschätzung.3 Von daher wird i.d.R. nichts anderes übrig bleiben, als das Risiko für das Gesamtunternehmen zu schätzen und auf dieser Grundlage eine Risikoeinschätzung für die jeweilige Funktion vorzunehmen.4 Wurden die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner in die Berechnung des Gewinns aus dem Transferpaket einbezogen, sind diese nach Rz. 108 der VWG-Funktionsverlagerung5 bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes ebenfalls zu berücksichtigen. c) Auswahl eines Verrechnungspreises aa) Bestimmung der Grenzen des Einigungsbereichs Grundsätze zur Bestimmung des Einigungsbereichs in Gewinnfällen. Die nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelten Gewinnpotentiale der verlagerten Funktion bilden die Grundlage für die Ermittlung des Einigungsbereichs i.S.d. § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG. Dieser wird durch den Mindestpreis des übertragenden Unternehmens und den Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens bestimmt. Maßgeblich ist die Sicht der beiden ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter. Der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens ergibt sich nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FVerlV aus dem Ausgleich für den Wegfall des Gewinnpotentials zzgl. eventuell anfallender Schließungskosten, falls das übertragende Unternehmen aus der verlagerten Funktion in Zukunft Gewinne zu erwarten hatte. Ohne einen solchen Gewinnausgleich ist die Aufgabe der Funktion nach Rz. 116 der VWG-Funktionsverlagerung6 aus der Sicht des übertragenden Unternehmens betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll. Tatsächlich bestehende Handlungsalternativen,7 die das übertragende Unternehmen als unabhängiges Unternehmen hätte, sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FVerlV zu berücksichtigen, sodass der maßgebliche Mindestpreis von den weggefallenen Gewinnen im Einzelfall auch abweichen kann. In Substitutionsfällen akzeptiert die Finanzverwaltung nach Rz. 119 der VWG-Funktionsverlagerung8 beim übertragenden Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen einen Mindestpreis von Null. Richtigerweise fehlt es in diesen Fällen aber bereits an einer Funktionsverlagerung, sodass sich die Frage nach der Ermittlung eines Einigungsbereichs i.S.d. § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG überhaupt nicht stellt.9 Der Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens ist nach § 7 Abs. 4 Satz 1 FVerlV regelmäßig in dem aus seiner Sicht ermittelten Gewinnpotential der verlagerten Funktion zu erblicken. Tatsächlich bestehende Handlungsalternativen,10 die das übernehmende Unternehmen als unabhängiges Unternehmen hätte, sind nach Rz. 126
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Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 167 f.; Vögele, DStR 2010, 423. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.5.3. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 167 f. Vgl. Günter, WPg 2007, 1087; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1952. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.5.4. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.7.1. Vgl. hierzu Bodenmüller/Hülster, IStR 2010, 651 ff. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.7.1; s. hierzu auch Frischmuth in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 98 f. 9 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 162. 10 Vgl. hierzu Bodenmüller/Hülster, IStR 2010, 651 ff.
Ditz/Greinert | 987
7.110
Kap. 7 Rz. 7.110 | Funktionsverlagerungen
der VWG-Funktionsverlagerung1 auch in diesem Fall zu berücksichtigen, sodass auch der maßgebliche Höchstpreis von dem ermittelten Gewinnpotential im Einzelfall abweichen kann.
7.111
Ermittlung des Einigungsbereichs in Liquidations- und Verlustfällen. Ist das übertragende Unternehmen aus rechtlichen, tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in der Lage, die verlagerte Funktion mit eigenen Mitteln auszuüben,2 entspricht der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens nach § 7 Abs. 2 FVerlV dem Liquidationswert der nicht mehr benötigten Wirtschaftsgüter.3 Bei der Ermittlung des Liquidationswerts sind nach Rz. 120 der VWG-Funktionsverlagerung4 auch die Schließungskosten zu berücksichtigen, sodass der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens auch negativ sein kann. In diesem Fall ist das übertragende Unternehmen letztlich bereit, an das übernehmende Unternehmen eine Abstandszahlung für die übergehende Funktion zu leisten. Unabhängig davon ist nach § 7 Abs. 5 FVerlV in den Liquidationsfällen des § 7 Abs. 2 FVerlV aber stets zu prüfen, ob ein fremder Dritter im Einzelfall bereit wäre, einen Preis für die Übernahme der Funktion zu bezahlen. Verlagert ein Unternehmen eine Funktion, aus der es dauerhaft Verluste zu erwarten hat, ergibt sich der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens nach § 7 Abs. 3 Satz 1 FVerlV aus den zu erwartenden Verlusten oder den eventuell anfallenden Schließungskosten.5 Abzustellen ist hierbei nach § 7 Abs. 3 Satz 1 FVerlV auf den für das übertragende Unternehmen weniger belastenden Betrag, da auch fremde Dritte die Handlungsalternative wählen würden, die am wenigsten nachteilig ist.6 Auch in diesem Fall wäre das übertragende Unternehmen letztlich bereit, eine Abstandszahlung für die übergehende Funktion zu leisten. Unabhängig davon ist aber nach § 7 Abs. 5 FVerlV auch in den Verlustfällen des § 7 Abs. 3 Satz 1 FVerlV stets zu prüfen, ob ein fremder Dritter im Einzelfall bereit wäre, einen Preis für die Übernahme der Funktion zu bezahlen. Keine Regelung hat der Fall erfahren, dass das übernehmende Unternehmen aus der Funktion Verluste zu erwarten hat.7 Hier ist fraglich, ob überhaupt eine Funktionsverlagerung vorliegt. Jedenfalls ist das übernehmende Unternehmen für die Übernahme der Funktion fremdvergleichskonform zu entschädigen.8 Beispiel: Die D-GmbH mit Sitz in München ist im Bereich der Entwicklung, der Herstellung und dem Vertrieb von Fahrzeugfelgen tätig. Die Fahrzeugfelgen werden in München entwickelt und hergestellt. Auch der weltweite Vertrieb der Fahrzeugfelgen erfolgt von München aus. Aufgrund der angespannten Situation auf dem Fahrzeugmarkt musste die D-GmbH in den letzten Jahren einen starken Umsatzrückgang hinnehmen, der dazu führte, dass sie seit zwei Jahren beständig Verluste erwirtschaftet. Eine Besserung der Situation ist nicht zu erwarten. Die D-GmbH geht davon aus, dass sie in den kommenden Jahren Verluste erwirtschaften wird, deren Barwert 1.500.000 Euro beträgt. Die Schließungskosten würden 1.000.000 Euro betragen. Die D-GmbH entschließt sich daher, die Herstellung der Fahrzeugfelgen in Deutschland einzustellen und nach Rumänien zu verlagern, um mit Hilfe des dort herrschenden deutlich niedrigeren Lohnniveaus wieder in die Gewinnzone zu kommen. Zur Umsetzung ihres Vorhabens gründet die D-GmbH eine Tochtergesellschaft in Rumänien, die B-SRL, und über1 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.7.4. 2 Vgl. dazu auch FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16, EFG 2020, 764, Rz. 70 (anhängig beim BFH unter Az. I R 54/19). 3 Vgl. hierzu Bodenmüller/Hülster, IStR 2010, 654 ff.; Frischmuth, StuB 2009, 179 f. 4 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.7.2. 5 Vgl. hierzu Bodenmüller/Hülster, IStR 2010, 654 ff.; Frischmuth, StuB 2009, 180 f. 6 Vgl. BR-Drucks. 325/08, 22. 7 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 831. 8 Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 831.
988 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.112 Kap. 7 trägt ihr die für die Produktion der Fahrzeugfelgen erforderlichen Maschinen und Patente. Für die Zukunft ist beabsichtigt, dass die B-SRL sowohl für die D-GmbH als auch für fremde Dritte produziert. Eine exklusive Produktion für die D-GmbH ist nicht geplant. Die B-SRL geht davon aus, dass sie Gewinne in Höhe eines Barwerts von 500.000 Euro erwirtschaften wird. Lösung: Zur Bewertung der von der D-GmbH auf die B-SRL verlagerten Funktion „Herstellung von Fahrzeugfelgen“ ist nach § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG zunächst ein Einigungsbereich zu ermitteln, der durch die jeweiligen Gewinnpotentiale bestimmt wird. Die D-GmbH erwartet aus der Funktion dauerhaft Verluste, deren Barwert 1.500.000 Euro beträgt. Die Kosten für die Schließung der Funktion würden 1.000.000 Euro betragen. Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 FVerlV ist als Mindestpreis für die D-GmbH als übertragendes Unternehmen daher ein Betrag i.H.v. ./. 1.000.000 Euro anzusetzen, da dies der absolut niedrigere Betrag ist. Auch ein fremder Dritter würde sich im Zweifel für die Schließung der Funktion entscheiden, da dies die günstigste Alternative ist. Die B-SRL geht davon aus, dass sie mit der Funktion künftig Gewinne in Höhe eines Barwerts von 500.000 Euro erzielen wird. Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 FVerlV bildet dieser Betrag den Höchstpreis für die B-SRL als übernehmendes Unternehmen. Damit ergibt sich ein Einigungsbereich i.H.v. ./. 1.000.000 Euro bis + 500.000 Euro. Sofern die D-GmbH und die B-SRL keinen anderen Betrag glaubhaft machen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit einer höheren Wahrscheinlichkeit entspricht, ist nach § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG der Mittelwert i.H.v. ./. 250.000 Euro als Verrechnungspreis für die Funktion „Herstellung von Fahrzeugfelgen“ anzusetzen. Dies bedeutet, dass die D-GmbH an die B-SRL einen Betrag in dieser Höhe als Abstandszahlung für die Übernahme der Funktion leisten muss.
bb) Keine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten nach Verwaltungsauffassung. Nach Rz. 118 der VWG-Funktionsverlagerung1 ist für die Berechnung des Mindestpreises des übertragenden Unternehmens auch dessen Steuerbelastung auf den Ertrag aus der Veräußerung von Bestandteilen des Transferpakets der verlagerten Funktion zu berücksichtigen. Für die Berechnung des Höchstpreises des übernehmenden Unternehmens bestimmt Rz. 125 der VWG-Funktionsverlagerung,2 dass auch die steuerlichen Auswirkungen der Aufwendungen für den Erwerb von Bestandteilen des Transferpakets der verlagerten Funktion in Rechnung zu stellen sind. Die Finanzverwaltung stellt sich damit auf den Standpunkt, dass die mit der Funktionsverlagerung einhergehenden einmaligen Besteuerungseffekte bei der Ermittlung des Einigungsbereichs einbezogen werden müssen.3 Dies bedeutet, dass der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens um die Steuerbelastung des Veräußerungsgewinns (sog. ExitTax) und der Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens um das entstehende Abschreibungspotential der erworbenen Wirtschaftsgüter (sog. Tax-Amortisation-Benefit) zu erhöhen ist.4 Dies führt zu einem deutlichen Anstieg des Verrechnungspreises.5 Anhand eines in den VWG-Funktionsverlagerung6 enthaltenen Beispiels7 werden die Effekte offenkundig.
1 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.7.1. 2 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.7.4. 3 Siehe dazu auch Sassmann/Schenkel, IStR 2018, 954 ff.; Große, IStR 2016, 493 ff.; Hentschel/Kraft, IStR 2015, 197 f. 4 Gl.A. Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1698; Oestreicher/Wilcke, DB 2010, 1714; Oestreicher, Ubg 2011, 515 ff. 5 Siehe dazu beispielhaft Hentschel/Kraft, IStR 2015, 197 f. 6 Vgl. VWG FVerl, Anlage, Beispiel 1. 7 Zur kritischen Würdigung dieses Beispiels aus ökonomischer Sicht vgl. Luckhaupt, DStR 2012, 1571 ff.
Ditz/Greinert | 989
7.112
Kap. 7 Rz. 7.113 | Funktionsverlagerungen
7.113
Unterscheidung zwischen laufenden und einmaligen Besteuerungseffekten. Von den durch die Verlagerung der Funktion ausgelösten einmaligen Besteuerungseffekten sind die bei der Ermittlung der jeweiligen Gewinnpotentiale zu berücksichtigenden laufenden Besteuerungseffekte zu unterscheiden. § 1 Abs. 4 FVerlV definiert die aus dem verlagerten Transferpaket zu erwartenden Gewinnpotentiale als Reingewinne nach Steuern. Gemeint sind damit die mit dem Transferpaket zusammenhängenden laufenden Steuern. Um welche Steuern es sich hierbei handelt, wird in Rz. 34 der VWG-Funktionsverlagerung1 geregelt. Danach sind die aus dem Transferpaket zu erwartenden Gewinne um die auf Unternehmensebene anfallenden Steuern zu kürzen. Im Hinblick auf die auf Ebene der Anteilseigner anfallenden Steuern kommt dem Steuerpflichtigen grundsätzlich ein Wahlrecht zu, ob er diese Steuern ebenfalls berücksichtigen will. Die Berücksichtigung der auf Unternehmensebene anfallenden laufenden Steuern entspricht insofern dem Fremdvergleichsgrundsatz, da die Belastung mit diesen Steuern auch von einem fremden Dritten in Rechnung gestellt würde.2 Dagegen bestehen gegen eine Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner erhebliche Bedenken,3 da die Höhe der Verrechnungspreise auf diese Weise von der Rechtsform der Anteilseigner abhängig gemacht wird.4
7.114
Einmalige Besteuerungseffekte stellen keinen Gewinn der übertragenen Funktion dar. Auch gegen eine Berücksichtigung der durch die Verlagerung der Funktion ausgelösten einmaligen Besteuerungseffekte, wie sie in Rz. 118 und 125 der VWG-Funktionsverlagerung5 gefordert wird, bestehen erhebliche Bedenken.6 Die Berücksichtigung solcher Effekte entspricht zwar einem in der Betriebswirtschaft diskutierten Bewertungsmodell.7 Mit ihrer Berücksichtigung setzt sich die Finanzverwaltung aber in Widerspruch zu den konkreten Vorgaben des AStG und der FVerlV und verstößt damit gegen höherrangiges Recht.8 Nach § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG wird der Einigungsbereich durch die jeweiligen Gewinnerwartungen der an der Funktionsverlagerung beteiligten Unternehmen bestimmt. § 3 Abs. 1 FVerlV sieht vor, dass der Wert des Transferpakets in Übereinstimmung mit den Gewinnen stehen muss, die aus der Ausübung der verlagerten Funktion erwartet werden.9 Eine Exit-Tax, die auf den Gewinn aus der Veräußerung der verlagerten Funktion anfällt, kann aber weder als Gewinn noch als Kosten für die Schließung der übertragenen Funktion betrachtet werden.10 Auch ein Tax-Amorti1 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.4.2. 2 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2008, 550; Rasch/Schmidtke, IStR 2009, 95; Greil/Naumann, IStR 2015, 433; Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 417. 3 Vgl. Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 748. 4 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1183. 5 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.7.1. und 2.7.4. 6 Vgl. etwa Sassmann/Schenkel, IStR 2018, 954 ff. 7 Vgl. Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1698 f. 8 Auch nach Oestreicher (Ubg 2011, 515) ist der Ansatz einer Exit-Tax und eines Tax-AmortisationBenefit weder im Gesetz noch in der Rechtsverordnung geregelt. Ebenso Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 749; Hentschel/Kraft, IStR 2015, 198. Auch Sassmann/Schenkel (IStR 2018, 956) stellen fest, dass die Berücksichtigung einer Exit-Tax und eines Tax-Amortisation-Benefit insoweit ohne Rechtsgrundlage ist. 9 Demgegenüber stellt die Finanzverwaltung auch auf den „zukünftigen finanziellen Nutzen“ ab; vgl. VWG FVerl, Rz. 90. Wäre im vorliegenden Kontext der Begriff des Nutzens maßgebend, könnte die Einbeziehung der Exit-Tax bzw. des Tax-Amortisation-Benefit möglicherweise gerechtfertigt sein. Da das Gesetz und die FVerlV aber klar auf den Gewinnbegriff abstellen, ist diese Ansicht nicht zutreffend; vgl. Sassmann/Schenkel, IStR 2018, 955. 10 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1184; Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 749; Kroppen in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 160; Sassmann/Schenkel, IStR 2018, 956.
990 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.116 Kap. 7
sation-Benefit, der sich aufgrund des Erwerbs der Funktion ergibt, stellt keinen Gewinn dar, welcher der übertragenen Funktion unmittelbar zugeordnet werden könnte.1 Im Übrigen hat der BFH bereits vor Jahrzehnten im Hinblick auf die Ermittlung des gemeinen Werts unmissverständlich klargestellt, dass die Möglichkeit einer zukünftigen steuerlichen Belastung durch einen Veräußerungsgewinn den gemeinen Wert nicht beeinflusst.2 Vor dem Hintergrund, dass i.d.R. eine Übereinstimmung zwischen dem Fremdvergleichswert und dem gemeinen Wert herrscht,3 hat die vorstehende Feststellung des BFH zum gemeinen Wert auch entsprechende Gültigkeit für die Bewertung eines Transferpakets nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes. Widerspruch zu nationalen und internationalen Bewertungsgrundsätzen. Zu beachten ist ferner, dass mit der Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten bei der Ermittlung des Einigungsbereichs auch gegen nationale und internationale Bewertungsgrundsätze verstoßen wird. Bereits der in den VWG-Funktionsverlagerung viel zitierte4 IDW S 1 sieht weder die Berücksichtigung einer Exit-Tax noch eines Tax-Amortisation-Benefit vor, obwohl bei einem Unternehmenskauf im Wege eines Asset-Deals die gleichen Überlegungen maßgebend sein müssten.5 Auch den OECD-Leitlinien liegt ein Verrechnungspreiskonzept zugrunde, bei dem Steuern keine Rolle spielen.6 So ist nach den OECD-Leitlinien bei der Bewertung von immateriellen Wirtschaftsgütern zwar die Anwendung eines Grenzpreiskonzepts zulässig, das mit der Einigungsbereichsbetrachtung bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen vergleichbar ist.7 Eine Exit-Tax oder ein Tax-Amortisation-Benefit wird bei diesem Konzept aber nicht in die Berechnungen mit einbezogen.8 Weiterhin sehen die OECD-Leitlinien zwar vor, dass bei der Verrechnungspreisermittlung die für Unternehmenskäufe geltenden Bewertungsgrundsätze zur Anwendung kommen können.9 Aus der Praxis ist jedoch bekannt, dass eine Exit-Tax oder ein Tax-Amortisation-Benefit bei Unternehmenskäufen allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt.10
7.115
Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten verstößt gegen Systematik. Hinzu kommt, dass eine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten bei der Ermittlung des Einigungsbereichs zu unsystematischen Ergebnissen bei der Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs führen kann. Denn im Regelfall wird die Exit-Tax des übertragenden Unternehmens höher ausfallen als der Tax-Amortisation-Benefit des übernehmenden Unternehmens. Dies kann im Einzelfall zur Folge haben, dass der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens den Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens übersteigt, mit dem Ergebnis, dass kein Einigungsbereich zustande kommt. Der Gesetzgeber hat für diesen Fall keine Regelung getroffen, sodass davon auszugehen ist, dass eine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten systematisch nicht vorgesehen ist.11 Andernfalls wäre eine entsprechen-
7.116
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1184. Vgl. BFH v. 6.4.1962 – III 261/59 U, BStBl. III 1962, 253. Vgl. z.B. BFH v. 22.12.2010 – I R 47/10, BFH/NV 2011, 1019. Vgl. VWG FVerl, Rz. 30, 31, 34, 35, 63, 87–89, 104, 108. Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1185. Vgl. Wittendorf, ITPJ 2010, 394; Sassmann/Schenkel, IStR 2018, 956; Hentschel/Kraft, IStR 2015, 198. Vgl. Tz. 6.112 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 749; Sassmann/Schenkel, IStR 2018, 956 f. Vgl. Tz. 9.69 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 749 f.; Kasperzak/Nestler, DB 2007, 474. Vgl. Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 750.
Ditz/Greinert | 991
Kap. 7 Rz. 7.116 | Funktionsverlagerungen
de Regelung zu treffen gewesen. Denn fremde Dritte würden in der vorstehend beschriebenen Konstellation auf eine Durchführung der fraglichen Transaktion zwar verzichten, bei nahestehenden Unternehmen kann dies aber anders sein.1
7.117
Steuermindernde Berücksichtigung nicht abzugsfähiger Betriebsausgaben. Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass durch eine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten bei der Ermittlung des Einigungsbereichs nicht abzugsfähige Betriebsausgaben in abschreibungsfähige Aufwendungen transformiert werden. Denn bei der Exit-Tax handelt es sich um eine Steuer vom Einkommen, die beim übertragenden Unternehmen nach § 12 Nr. 3 EStG und § 10 Nr. 2 KStG nicht als Betriebsausgabe abziehbar ist, beim übernehmenden Unternehmen aber das Abschreibungspotential erhöht. Dies führt dazu, dass innerhalb des die Funktionsverlagerung durchführenden Konzerns nicht abzugsfähige Betriebsausgaben im Wege der Abschreibung steuermindernd geltend gemacht werden können. Dies kann schwerlich gewollt sein. Vollends unverständlich wird die Auffassung der Finanzverwaltung, wenn man den umgekehrten Fall einer Funktionsverlagerung ins Inland in den Blick nimmt, auf den nach Rz. 3 der VWG-Funktionsverlagerung2 die Grundsätze der Funktionsverlagerungsbesteuerung ebenfalls Anwendung finden.3 In diesem Fall würden ausländische Betriebsausgaben in inländisches Abschreibungspotential umgewandelt. Auch dies kann kaum der Intention des Gesetzgebers entsprechen.4
7.118
Erhebliche Benachteiligung des die Funktion übernehmenden Unternehmens. Nicht übersehen werden darf auch, dass eine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten bei der Ermittlung des Einigungsbereichs zu einer erheblichen Benachteiligung des übernehmenden Unternehmens führt. Durch die Einbeziehung der Exit-Tax in die Ermittlung des Einigungsbereichs erhöht sich der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens. Auf diese Weise wird die Steuerzahlung auf Seiten des übertragenden Unternehmens auf das übernehmende Unternehmen übergewälzt. Gleichzeitig führt die Einbeziehung des Tax-Amortisation-Benefit zu einer Erhöhung des Höchstpreises des übernehmenden Unternehmens. Dies hat zur Folge, dass auch die Steuerentlastung des übernehmenden Unternehmens zu dessen Lasten berücksichtigt wird.5 Damit ist eine erhebliche Benachteiligung des übernehmenden Unternehmens zu konstatieren.6 Rechtfertigungsgründe sind hierfür nicht ersichtlich. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter auf Seiten des übernehmenden Unternehmens würde eine solche Benachteiligung nicht hinnehmen – schon gar nicht angesichts der in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG kodifizierten Informationstransparenz7 –, sondern darauf drängen, einmalige Besteuerungseffekte bei der Bestimmung des Kaufpreises außer Acht zu lassen.8 Bereits dies zeigt, dass die Auffassung der Finanzverwaltung nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.
1 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1185 f. 2 Vgl. VWG FVerl, Tz. 1.1. 3 Zur Anwendung von § 1 AStG bei einer Funktionsverlagerung ins Inland vgl. Kaminski in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 23 ff.; Kessler/ Probst, IStR 2017, 251 ff.; Hemmerich/Günther, IWB 2020, 845 ff. und Rz. 7.148. Zu dem Fall, dass eine Funktion zunächst ins Ausland verlagert und anschließend wieder zurück übertragen wird, siehe Kaminski in FS Baumhoff, 179 ff. 4 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1186. 5 Vgl. dazu auch Große, IStR 2016, 298. 6 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1186. 7 Vgl. Eingabe des IDW v. 9.8.2011, Ubg 2011, 750. 8 Vgl. Schneider, ITPJ 2011, 119.
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E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.120 Kap. 7
Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten nicht fremdvergleichskonform. Hinzuweisen ist auch darauf, dass eine Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten bei der Ermittlung des Einigungsbereichs zu einer nicht fremdvergleichskonformen Allokation von Einkünften internationaler Unternehmen führt. Die Vorschriften der Funktionsverlagerungsbesteuerung verfolgen das Ziel, für die Verlagerung von Funktionen, die Übernahme von Risiken und den Einsatz von Wirtschaftsgütern sachgerechte Verrechnungspreise zu ermitteln. Dieses Ziel kann nicht erreicht werden, wenn hierbei einmalige Besteuerungseffekte berücksichtigt werden. Denn die Exit-Tax auf Seiten des übertragenden Unternehmens und der Tax-Amortisation-Benefit auf Seiten des übernehmenden Unternehmens hängen nicht von den Gewinnpotentialen der verlagerten Funktion, sondern von der Steuerbelastung der beteiligten Unternehmen in den jeweiligen Ländern ab. Insofern wird ein Fremdkörper in die Verrechnungspreisbestimmung eingeführt, was sich insbesondere dann zeigt, wenn das übertragende und das übernehmende Unternehmen von identischen Gewinnpotentialen ausgehen. In diesen Fällen müssten sich der Mindestpreis des übertragenden Unternehmens und der Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens an sich decken. Die Berücksichtigung von einmaligen Besteuerungseffekten kann in diesen Fällen jedoch zu einem Auseinanderfallen von Mindestpreis und Höchstpreis führen. Auch dies widerspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz.1
7.119
cc) Ermittlung des zutreffenden Werts im Einigungsbereich Aufteilung des jeweiligen Einigungsbereichs nach den allgemeinen Grundsätzen. Wurde nach den vorstehenden Grundsätzen ein Einigungsbereich i.S.d. § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG ermittelt, stellt sich die Frage, welcher Wert im Einigungsbereich als Verrechnungspreis für das Transferpaket anzusetzen ist. In den VWG 1983 wurde dazu ausgeführt, dass eine schematische Orientierung des Verrechnungspreises an der Ober- oder Untergrenze des jeweiligen Einigungsbereichs ohne wirtschaftlich beachtliche Gründe nicht statthaft sei, weil ein ordentlicher Geschäftsleiter „im Interesse seines Unternehmens auf eine ausgewogene Preisgestaltung bedacht“2 wäre. Mit dem UntStRefG 20083 wurde in § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 1 AStG a.F. bestimmt, dass der Wert im Einigungsbereich anzusetzen ist, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht, wobei auf den Mittelwert abzustellen war, sofern kein anderer Wert glaubhaft gemacht wurde (§ 1 Abs. 3 Satz 7 AStG a.F.). Diese Regelung gilt in ähnlicher Weise heute noch. Denn auch in § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG n.F. ist der Mittelwert maßgebend, sofern der Steuerpflichtige nicht glaubhaft macht, dass ein anderer Wert innerhalb des Einigungsbereichs treffender ist. Für eine Glaubhaftmachung muss der Steuerpflichtige Gründe vortragen, die einen bestimmten Wert im Einigungsbereich wahrscheinlicher erscheinen lassen als einen anderen Wert.4 Wie dies genau geschehen soll, ist unklar; dies insbesondere deswegen, weil letztlich jeder Wert innerhalb des Einigungsbereichs einem Fremdvergleich standhält.5 Nach Ansicht der Finanzverwaltung hat das bestehende gesellschaftsrechtliche Verhältnis nach Rz. 128 der VWG-Funktionsverlagerung6 bei der Bestim-
1 Vgl. Greinert/Reichl, DB 2011, 1186 f. 2 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Tz. 2.1.9. Bsp. 1 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl I 2007, 1912. 4 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.5.2. 5 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1788; Greil/Saliger, ISR 2021, 333. Ähnlich auch Schnorberger/Etzig, BB 2020, 1634. 6 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.7.6.
Ditz/Greinert | 993
7.120
Kap. 7 Rz. 7.120 | Funktionsverlagerungen
mung dieses Werts unberücksichtigt zu bleiben. Dagegen seien alle Umstände des Einzelfalls, z.B. die jeweiligen Marktpositionen, das betriebliche Eigeninteresse des übertragenden Unternehmens, das Angewiesensein des übernehmenden Unternehmens auf die Wirtschaftsgüter und Vorteile, die Kapitalausstattung und Ertragslage der beteiligten Unternehmen, die Entstehung von Synergieeffekten, die jeweiligen Standortvorteile sowie die Höhe der ersparten Anlaufkosten des übernehmenden Unternehmens und die Handlungsalternativen der beteiligten Unternehmen.
7.121
Wahrscheinlichkeitsmaßstab für hypothetischen Fremdvergleich unbrauchbar. Gegen die vom Gesetzgeber aufgestellten Regeln zur Bestimmung des maßgeblichen Werts im Einigungsbereich bestehen erhebliche Bedenken. Diese richteten sich hinsichtlich der bisherigen Rechtslage in § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 1 AStG a.F. zunächst dagegen, dass auf den Wert abgestellt werden soll, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht.1 Denn bei dem Begriff der Wahrscheinlichkeit handelt es sich um einen statistischen Begriff, der die beobachtbare Häufigkeit einer Ausprägung bei im Prinzip beliebig oft wiederholbaren Vorgängen wiedergibt.2 Ein solches Konzept musste im Rahmen des hier in Rede stehenden hypothetischen Fremdvergleichs naturgemäß scheitern, weil Ausprägungen gerade nicht beobachtbar sind, sondern allenfalls erdacht werden können.3 Folgerichtig wurde die Regelung mit dem AbzStEntModG im Jahr 20214 gestrichen; im Ergebnis sollte man sich darauf besinnen, dass innerhalb eines Einigungsbereichs jeder Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, da jeder dieser Werte auch zwischen fremden Dritten vereinbart werden könnte.5 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, dass der Steuerpflichtige im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs nach der höchstrichterlichen Rspr. den günstigsten Wert im Einigungsbereich ansetzen kann.6 Der BFH hat also seine Überlegungen zur Auswahl eines Werts bei einer durch tatsächlichen Fremdvergleich ermittelten Bandbreite7 auf den durch hypothetischen Fremdvergleich ermittelten Einigungsbereich übertragen.
7.122
Maßgeblichkeit des Mittelwerts widerspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz. Kritisch zu sehen ist zudem, dass nach § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG der Mittelwert maßgeblich sein soll, wenn vom Steuerpflichtigen kein anderer Wert im Einigungsbereich glaubhaft gemacht wird.8 Abgesehen davon, dass ein genereller Ansatz des Mittelwerts der vorstehenden höchstrichterlichen Rspr. widerspricht,9 kann ein Abstellen auf den Mittelwert auch nicht aus dem Fremdvergleichsgrundsatz abgeleitet werden.10 Vielmehr stellt Frotscher klar: „Kein Geschäftsleiter würde die Hälfte des von ihm und seinem Unternehmen in Zukunft zu erarbeitenden Profit-
1 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 106. 2 Vgl. Bortz/Schuster, Statistik7, 49. 3 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 556; Kroppen in FS Schaumburg, 871 f. 4 AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl I 2021, 1259. 5 Vgl. Ditz, DStR 2006, 1628; Schnorberger/Etzig, BB 2020, 1634. 6 Vgl. BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867 = FR 2005, 300. 7 Vgl. insbesondere BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. 8 Vgl. Kleineidam in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 119 ff.; Bödefeld/Kuntschik in Blumenberg/Benz, Die Unternehmensteuerreform 2008, 252 f.; Frotscher, FR 2008, 54 ff.; Kaminski, StuW 2008, 341 f.; Frischmuth, StuB 2007, 390; Greinert, Ubg 2010, 106. 9 Vgl. BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867 = FR 2005, 300. 10 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2008, 557 f.; Roeder, Ubg 2008, 203; Blumers, BB 2007, 1760; Reichl, IStR 2009, 683; Busch, DB 2020, 193; Schnorberger/Etzig, BB 2020, 1634.
994 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.123 Kap. 7
potentials abgeben.“1 Selbst (ehemalige) Vertreter der Finanzverwaltung erachten eine generelle Bezugnahme auf den Mittelwert als nicht sachgerecht.2 Es kann nämlich nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass zwischen fremden Dritten eine hälftige Teilung üblich ist.3 Vielmehr kann es im Einzelfall durchaus sachgerecht sein, eine andere Aufteilung vorzunehmen. Dies machen auch die OECD-Leitlinien deutlich, die neben dem Mittelwert auch andere statistische Instrumente aufführen, mit deren Hilfe der zutreffende Wert innerhalb eines Einigungsbereichs ermittelt werden kann.4 Gleichzeitig stellen die OECD-Leitlinien klar, dass genauso gut argumentiert werden kann, dass jeder Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz genügt.5 Unklar ist auch, an welche Art von Mittelwert der Gesetzgeber gedacht hat. In der Statistik werden der arithmetische Mittelwert, der geometrische Mittelwert und der harmonische Mittelwert unterschieden.6 In Abhängigkeit davon, auf welchen Mittelwert man abstellt, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen.7 Von daher bestehen gegen die gesetzliche Regelung auch unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots Bedenken. Gegen die hier dargestellten Bedenken vermag im Ergebnis die neu geschaffene Öffnungsklausel nichts zu ändern, nach der der Steuerpflichtige nachweisen kann, dass ein anderer Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht.8 d) Korrektur von Verrechnungspreisen Frühere Rechtslage. Für den Fall, dass sich der nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelte Einigungsbereich als unzutreffend erwies und tatsächlich ein anderer Einigungsbereich zutreffend war, konnte die Finanzverwaltung nach der bisherigen Rechtslage gem. § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG a.F. auf eine Einkünfteberichtigung verzichten, wenn der vom Steuerpflichtigen gewählte Wert noch innerhalb des neuen, tatsächlich zutreffenden Einigungsbereichs lag. In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage, wann ein Einigungsbereich und damit auch eine Transferpaketbewertung unzutreffend war. Der Einigungsbereich wird durch den Mindestpreis des übertragenden und den Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens bestimmt, die aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen zu ermitteln sind. Ein unzutreffender Einigungsbereich ist daher immer die Folge einer unzutreffenden Funktionsanalyse oder unzutreffender innerbetrieblicher Planrechnungen.9 Da eine Funktionsanalyse stets mit hohem Aufwand verbunden ist und es hierbei naturgemäß zu unterschiedlichen Auffassungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung kommen kann, wird man eine unzutreffende Funktionsanalyse nur in seltenen Ausnahmefällen annehmen können. Angesprochen waren also Fälle, in denen die Funktionsanalyse in grundlegend anderer Art und Weise hätte erfolgen müssen, etwa wenn statt eines unterstellten Eigenproduzenten tatsächlich ein Lohnfertiger vorliegt.10 Entsprechendes gilt für die innerbetrieblichen Planrechnungen. Diese waren nicht bereits dann unzutreffend, wenn die späte1 Frotscher, FR 2008, 54. 2 Vgl. Schwenke, StbJb. 2007/2008; 147; Schreiber, Ubg 2008, 439. 3 Vgl. Gosch in Gosch4, § 8 KStG Rz. 693. Dieser neueren Auffassung sind bereits mehrere FG gefolgt, vgl. FG Sachsen-Anhalt v. 21.2.2008 – 3 K 305/01, juris; FG Berlin-Brandenb. v. 9.3.2011 – 12 K 12267/07, GmbHR 2011, 670. 4 Vgl. Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. Tz. 3.62 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Bortz/Schuster, Statistik7, 25 f.; Bamberg/Baur/Krapp, Statistik18, 17 f. 7 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 556 f. 8 Vgl. auch Busch, DB 2020, 193. 9 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1466. 10 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1466.
Ditz/Greinert | 995
7.123
Kap. 7 Rz. 7.123 | Funktionsverlagerungen
ren Ist-Werte von den Plan-Werten abwichen. Vielmehr mussten die Plan-Werte selbst unzutreffend, also unplausibel sein.1 In entsprechender Anwendung der Rechtsprechung zur Plausibilität von Unternehmensbewertungen2 musste hierfür in erheblichem Maße gegen Denkgesetze verstoßen worden sein.3 Wurde der Einigungsbereich aber tatsächlich unzutreffend ermittelt und lag der vom Steuerpflichtigen gewählte Wert aber noch innerhalb des letztlich zutreffenden Einigungsbereichs, konnte die Finanzverwaltung eine Korrektur vornehmen oder darauf verzichtet. Ob eine Korrektur vorgenommen wurde, lag letztlich im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzverwaltung.4 Nach Rz. 130 der VWG-Funktionsverlagerung5 sollte es für die Ermessensausübung u.a. darauf ankommen, ob die Abweichung vom Mittelwert im zutreffenden Einigungsbereich erheblich ist und ob dem Steuerpflichtigen die Fehlerhaftigkeit der Ermittlung des Einigungsbereichs bekannt war oder bekannt sein musste, etwa wegen einer entsprechenden Beanstandung bei einer vorhergehenden Prüfung. Das nachfolgende Beispiel illustriert die frühere Rechtslage. Beispiel: Die D-GmbH mit Sitz in München ist Inhaberin einer selbstgeschaffenen und daher nicht bilanzierten Marke. Sie will diese Marke an ihre Tochtergesellschaft, die B-SLR, mit Sitz in Bukarest verkaufen. Aufgrund der Spezifika der Marke scheidet ein tatsächlicher Fremdvergleich aus. Der Verrechnungspreis für die Marke muss daher im Rahmen eines hypothetischen Fremdvergleichs bestimmt werden. Hierbei ergibt sich für die D-GmbH ein Mindestpreis i.H.v. 7.000.000 Euro und für die B-SRL ein Höchstpreis i.H.v. 10.000.000 Euro. Diese Beträge bilden die Grenzen des Einigungsbereichs. Da die B-GmbH und die B-SRL keinen anderen Wert glaubhaft machen können, setzen sie als Verrechnungspreis für die Marke den Mittelwert und damit einen Betrag i.H.v. 8.500.000 Euro an. Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangt die Finanzverwaltung in der Folge zu dem Ergebnis, dass der von der DGmbH und der B-SRL ermittelte Einigungsbereich unzutreffend ist. Die Finanzverwaltung geht von einem zutreffenden Einigungsbereich i.H.v. 8.000.000 Euro bis 12.000.000 Euro aus. Da die D-GmbH und die B-SRL keinen anderen Wert glaubhaft machen können, wäre der Mittelwert anzusetzen, also ein Betrag i.H.v. 10.000.000 Euro. Die Finanzverwaltung konnte nach bisherigem Recht auf eine Korrektur jedoch verzichten, da der von der D-GmbH und der B-SRL angesetzte Wert i.H.v. 8.500.000 Euro noch innerhalb des zutreffenden Einigungsbereichs liegt (§ 1 Abs. 3 Satz 8 AStG a.F.). Ob sie auf eine Korrektur verzichtet, lag in ihrem pflichtgemäßen Ermessen.
7.124
Neue Rechtslage. In der ab dem Veranlagungszeitraum 2022 geltenden, neuen Rechtslage fehlt es an einer § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG a.F. (vgl. vorstehende Rz. 7.123) entsprechenden Regelung. Hinsichtlich der Auswahl eines Wertes innerhalb des Einigungsbereichs gibt lediglich § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG vor, dass der Mittelwert des Einigungsbereichs der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde zu legen ist, wenn der Steuerpflichtige nicht glaubhaft macht, dass ein anderer Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Kommt die Finanzverwaltung – z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung – zu einem anderen Einigungsbereich, wird sie daher einer möglichen Verrechnungspreiskorrektur nach dem hypothetischen Fremdvergleich den Mittelwert des von ihr bestimmten Einigungsbereiches zugrunde legen. die Grundsätze des § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG a.F. sind infolgedessen nicht mehr anwendbar.
1 2 3 4 5
Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1466. Vgl. FG Nds. v. 11.4.2000 – 6 K 611/93, EFG 2001, 157, rkr. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1466. Vgl. § 5 AO. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.7.6.2.
996 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.127 Kap. 7
III. Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter als Ausnahme 1. Vorbemerkungen Einzelbewertung der Wirtschaftsgüter nach den allgemeinen Grundsätzen. Wie sich aus § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG ergibt, ist bei einer Funktionsverlagerung grundsätzlich eine Gesamtbewertung des übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Transferpakets vorzunehmen. Davon abweichend ist im Fall des § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG eine Einzelbewertung der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter, aus denen sich das Transferpaket zusammensetzt, möglich. Kommt es zu einer Einzelbewertung, hat diese nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen, was in Rz. 69 der VWG-Funktionsverlagerung1 nochmals ausdrücklich klargestellt wird. Liegen für die Wirtschaftsgüter des Transferpakets danach vergleichbare Fremdvergleichswerte vor, ist ein tatsächlicher Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG durchzuführen. Andernfalls hat die Bestimmung der angemessenen Verrechnungspreise für die übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG zu erfolgen. Die Regelung des § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG, die durch Satz 3 leg. cit. ergänzt wird, ist nicht abschließend.2 Weitere Fälle, in denen eine Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter erfolgt, finden sich in § 1 Abs. 6 und 7 FVerlV und § 2 Abs. 2 FVerlV.
7.125
Gesetzesänderung. Die Möglichkeiten zur Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter wurden mit dem AbzStEntModG3 geändert. Diese Änderung besteht insbesondere darin, dass zwei von den bis dahin drei in § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a.F. enthaltenen Möglichkeiten zur Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter inzwischen aufgehoben wurden. Im Folgenden wird zunächst die alte, d.h. die bis 2021 geltende Rechtslage erläutert, ehe sodann die neue Rechtslage dargestellt wird.
7.126
2. Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter bis 2021 Zulässigkeit einer Einzelbewertung in den gesetzlich geregelten Fällen. § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a.F. differenzierte zwischen drei eigenständigen Konstellationen, in denen eine Einzelbewertung zulässig war und deren Voraussetzungen stets unabhängig voneinander zu prüfen waren.4 Zu beachten war, dass in diesen Fällen gleichwohl eine Funktionsverlagerung vorlag und daher insbesondere die gesetzlichen Dokumentationspflichten zu erfüllen waren. Dies wurde in Rz. 70 der VWG-Funktionsverlagerung5 ausdrücklich klargestellt. Nach dem bisherigen Recht war eine Einzelbewertung in folgenden Fällen zulässig: – Gegenstand der Funktionsverlagerung sind keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F.); – die Summe der angesetzten Einzelverrechnungspreise entspricht, gemessen an der Bewertung des Transferpakets, dem Fremdvergleichsgrundsatz (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG a.F.); – zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut ist Gegenstand der Funktionsverlagerung (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F.). 1 2 3 4 5
Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3. Vgl. Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 840. Vgl. AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl I 2021, 1259. Vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 381 ff. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3.
Ditz/Greinert | 997
7.127
Kap. 7 Rz. 7.128 | Funktionsverlagerungen
7.128
Grundsatz der Gesamtbewertung führt zu unzulässiger Beweislastumkehr. Macht man sich die dominierende Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei Funktionsverlagerungen klar, wird deutlich, dass in der Mehrzahl der Fälle die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. erfüllt gewesen sein sollten. In den noch verbliebenen Fällen dürften dann regelmäßig die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. vorgelegen haben. Anders als die gesetzliche Regelung auf den ersten Blick nahelegt, war die Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a.F. daher eher die Ausnahme, während die Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a.F. die Regel gewesen sein dürfte.1 Die Vorschriften zur Ermittlung des Verrechnungspreises bei Funktionsverlagerungen bewirkten (und bewirken) damit im Ergebnis nichts anderes als eine Beweislastumkehr zulasten des Steuerpflichtigen, da dieser die Voraussetzungen zur Einzelbewertung glaubhaft machen musste bzw. muss.2 Hiergegen bestanden (und bestehen auch nach wie vor) erhebliche Bedenken, da im Rahmen der Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG ein Mehrwert besteuert werden soll. Dabei handelt es sich um eine steuererhöhende Tatsache, sodass die Beweislast an sich bei der Finanzverwaltung läge.3 a) Keine Verlagerung wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter oder Vorteile
7.129
Auslegung der Begriffe des immateriellen Wirtschaftsguts und des Vorteils. Nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. war eine Einzelbewertung der im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter zunächst dann zulässig, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft machte, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren. Fraglich war dabei jedoch, wie die Begriffe des immateriellen Wirtschaftsguts und des Vorteils auszulegen waren. Das Gesetz definierte diese Begriffe nicht. Auch die FVerlV und die VWG-Funktionsverlagerung enthalten keine Definition. Vor diesem Hintergrund konnte auf die höchstrichterliche Rspr. zur Definition immaterieller Wirtschaftsgüter zurückgegriffen werden.4 Immaterielle Wirtschaftsgüter sind danach alle unkörperlichen Vermögenswerte für den Betrieb, insbesondere Rechte und tatsächliche Positionen, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten lässt, die einer besonderen Bewertung zugänglich sind, i.d.R. eine Nutzung für mehrere Wirtschaftsjahre erbringen und zumindest mit dem Betrieb übertragen werden können.5 Unter den Begriff des Vorteils dürften alle sonstigen Vermögenswerte fallen, die die Voraussetzungen eines immateriellen Wirtschaftsguts nicht erfüllen,6 aber als geschäftswertbildende Faktoren Bestandteil des Geschäfts- oder Firmenwerts sind und wenigstens ein Mindestmaß an Konkretisierung aufweisen.7 Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an eingearbeitetes Personal oder Lieferantenbeziehungen.8 Auch singuläre und unternehmerische Ge-
1 Vgl. Eigelshoven/Nientimp, Ubg 2010, 234; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1311; Looks, StB 2010, 351. 2 Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 568. 3 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 538; Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007, 311 f. 4 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1311. 5 Vgl. zum Begriff des immateriellen Wirtschaftsguts auch Weber-Grellet in Schmidt40, § 5 EStG Rz. 171 ff. m.w.N. 6 Vgl. Hruschka in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 15. 7 Vgl. Oestreicher, Ubg 2009, 83. 8 Vgl. Oestreicher, Ubg 2009, 83; Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1288; Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 51.
998 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.130 Kap. 7
schäftschancen1 können unter den Begriff des Vorteils gefasst werden.2 Da es sich bei diesen Vermögenswerten um keine Wirtschaftsgüter handelt, können sie auch nicht einzeln bewertet werden. Sie werden daher im Rahmen der Gesamtbewertung eines Transferpakets als Bestandteil des Geschäfts- und Firmenwerts erfasst.
Wesentlichkeit des fraglichen immateriellen Wirtschaftsguts oder Vorteils. Voraussetzung für eine Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. war außerdem, dass die in Rede stehenden immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile nicht wesentlich waren. Nach § 1 Abs. 5 FVerlV war dies der Fall, wenn die fraglichen immateriellen Wirtschaftsgüter oder Vorteile für die verlagerte Funktion nicht erforderlich waren oder ihr Fremdvergleichspreis 25 % oder weniger als die Summe der Einzelpreise aller Wirtschaftsgüter und Vorteile des Transferpakets betragen hat. Die Frage der Wesentlichkeit der in Rede stehenden immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile war folglich mit Hilfe einer Analyse zu beantworten, bei der sowohl qualitative als auch quantitative Elemente eine Rolle spielten, was in Rz. 38 der VWGFunktionsverlagerung3 nochmals ausdrücklich klargestellt wurde.4 Eine Definition des Merkmals der Erforderlichkeit, auf dem die qualitative Analyse der fraglichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile aufbaute, fand sich in der FVerlV nicht. Auch die VWG-Funktionsverlagerung definierten das Merkmal nicht. Im Entwurf der VWG-Funktionsverlagerung hieß es zwar noch, dass immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile für die Funktion dann erforderlich sind, wenn sie aus betriebswirtschaftlicher Sicht für die Ausübung der Funktion notwendig sind.5 In der endgültigen Fassung der VWG-Funktionsverlagerung findet sich diese Aussage aber nicht mehr. Von daher musste man das Merkmal der Erforderlichkeit unter Rückgriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch auslegen.6 Erforderlich waren die in Rede stehenden immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile danach dann, wenn die verlagerte Funktion ohne diese nicht ausgeübt werden konnte.7 Zu beurteilen war dies aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters aus der Sicht der beteiligten Unternehmen.8 Letztendlich verblieb jedoch ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit, da die Frage der Erforderlichkeit nur nach den Umständen im Einzelfall beurteilt werden konnte.9 Was die quantitative Analyse anbelangt, so war hierfür ein Vergleich der Werte der fraglichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile mit der Summe der Werte aller Wirtschaftsgüter und sonstiger Vorteile des Transferpakets erforderlich. Da hierbei auch die sonstigen Vorteile zu bewerten waren, war auch im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. letztlich eine Gesamtbewertung des Transferpakets durchzuführen.10 Dies folgte auch aus Rz. 39 der VWG-Funktionsverlagerung,11 wonach für die quantitative Analyse auch die geschäftswertbildenden Faktoren zu erfassen waren. Im Ergebnis bedeutete dies einen erheblichen Verwaltungsaufwand für den Steuerpflichtigen, da zwei Wertermittlungen durchgeführt werden mussten, eine Einzelbewertung sämtlicher materieller und 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Zum Begriff vgl. Ditz, DStR 2006, 1625 ff. m.w.N. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.5.1. Siehe auch Kahle/Schulz, Ubg 2016, 384. Vgl. Tz. 2.1.5 VWG-Funktionsverlagerung – Entwurf v. 17.7.2009. Vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 384. Siehe hierzu auch Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.559. Siehe hierzu auch Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.559. Vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 384. Vgl. Pohl in Brandis/Heuermann, § 1 AStG Rz. 149. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.5.1.
Ditz/Greinert | 999
7.130
Kap. 7 Rz. 7.130 | Funktionsverlagerungen
immaterieller Wirtschaftsgüter und eine Gesamtbewertung des Transferpakets.1 Es war daher zu begrüßen, dass nach Rz. 71 der VWG-Funktionsverlagerung2 in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. für das Transferpaket keine präzise Wertermittlung erforderlich war, womit freilich die Frage aufgeworfen war, wie eine ausreichend pauschale Bewertung auszusehen hatte.3 In Anbetracht dieser Schwierigkeiten hätte die Finanzverwaltung besser daran getan, für die Frage der Wesentlichkeit ausschließlich eine qualitative und nicht auch zusätzlich noch eine quantitative Analyse zu fordern.4 Angesichts der großen Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei Funktionsverlagerungen hatte die Vorschrift bislang vermutlich keinen großen Anwendungsbereich. Zu denken war etwa an Fälle, in denen Hilfsfunktionen wie die Buchhaltung oder das Personalwesen verlagert werden.5
7.131
Funktionsverlagerung auf ein Routineunternehmen und Funktionsausweitung. § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV enthält eine Regelung, die den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. bislang ergänzte bzw. erweiterte. In § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV heißt es: „Übt das übernehmende Unternehmen die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen aus und ist das Entgelt, das für die Ausübung der Funktion und die Erbringung der entsprechenden Leistungen anzusetzen ist, nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln, ist davon auszugehen, dass mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden, sodass § 1 Abs. 3 Satz 10 erste Alternative des Außensteuergesetzes anwendbar ist.“ Aus § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV ergibt sich, dass die Finanzverwaltung in den dort beschriebenen Konstellationen stets vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. ausgegangen ist. Auch im aktuellen Recht ist diese Konstellation weiter von Bedeutung (§ 1 Abs. 3b Satz 3 AStG); sie wurde nun explizit ins Gesetz aufgenommen und konkretisiert § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG, sodass die Ausführungen an dieser Stelle auch weiterhin relevant sind. Die genannte Kostenaufschlagsmethode findet vor allem dann Anwendung, wenn das übernehmende Unternehmen lediglich Routinefunktionen ausübt, was etwa bei einem Lohnfertiger der Fall ist.6 Damit dürften die von § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV (und nun von § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG n.F.) erfassten Konstellationen in erster Linie Funktionsverlagerungen auf ein ausländisches Routineunternehmen betreffen, wovon auch Rz. 66 der VWG-Funktionsverlagerung7 ausgeht. Eine wichtige Erweiterung8 erfährt § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV durch Rz. 67 der VWG-Funktionsverlagerung.9 Danach gelten die Grundsätze des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV (bzw. jene des § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG) auch dann, wenn das übernehmende Unternehmen auf Grundlage der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode vergütet wird oder eine niedrige, das jeweilige Risiko berücksichtigende Provision erhält. Voraussetzung ist, dass die Anwendung dieser
1 2 3 4 5
6 7 8 9
Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 169. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3.1. Vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 384. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 169. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1653. Ausweislich einer Evaluation von bisher beurteilten Funktionsverlagerungen machten die Steuerpflichtigen jedoch in etwa der Hälfte aller Fälle, in denen sie sich auf das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands beriefen, von dieser Ausnahmemöglichkeit Gebrauch; vgl. Rz. 7.198. Vgl. Hofacker in Haase3, § 1 AStG Rz. 339. Siehe auch FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16, EFG 2020, 764, Rz. 96 (anhängig beim BFH unter Az. I R 54/19). Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.2.1. Kritisch zur ausschließlichen Bezugnahme auf die Kostenaufschlagsmethode Oestreicher, Ubg 2009, 83 f.; Kahle, StuB 2009, 561. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.2.1.
1000 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.132 Kap. 7
Methoden zu vergleichbaren Ergebnissen führt und das übernehmende Unternehmen die verlagerte Funktion ausschließlich gegenüber dem übertragenden Unternehmen ausübt. Hintergrund des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV ist, dass in den dort beschriebenen Konstellationen keine Chancen und Risiken auf das übernehmende Unternehmen übergehen. Eine Gesamtbewertung des Transferpakets ist daher nicht gerechtfertigt.1 Gleichwohl wirft die von § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV geforderte Anwendung der Kostenaufschlagsmethode die Frage nach der Vereinbarkeit mit § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG auf, der vorsieht, dass die am besten geeignete Methode Anwendung findet.2 Tatsächlich lässt sich ein Vorrang der Kostenaufschlagsmethode auch nicht begründen, sodass sich § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV insofern in Widerspruch zu höherrangigem Recht setzt. Die Grundsätze des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV müssen daher auch im Fall der Anwendung der Preisvergleichsmethode gelten.3 § 2 Abs. 2 Satz 2 FVerlV schränkt den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV allerdings wieder ein Stück weit ein. In § 2 Abs. 2 Satz 2 FVerlV heißt es: „Erbringt ein übernehmendes Unternehmen im Sinne des Satzes 1 die bisher ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen erbrachten Leistungen eigenständig, ganz oder teilweise, gegenüber anderen Unternehmen zu Preisen, die höher sind als das Entgelt nach der Kostenaufschlagsmethode oder die entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz höher anzusetzen sind, ist zum Zeitpunkt der erstmaligen Erbringung gegenüber den anderen Unternehmen für bisher unentgeltlich vom verlagernden Unternehmen für die Leistungserbringung zur Verfügung gestellte Wirtschaftsgüter und Vorteile ein Entgelt entsprechend § 3 zu verrechnen; die betreffenden Wirtschaftsgüter und Vorteile gelten als ein Transferpaket, soweit hierfür die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind.“ Die in § 2 Abs. 2 Satz 2 FVerlV beschriebenen Konstellationen zeichnen sich dadurch aus, dass es zu einem Übergang von Chancen und Risiken auf das übernehmende Unternehmen kommt. Daher ist es gerechtfertigt, eine Gesamtbewertung des Transferpakets vorzunehmen.4 b) Summe der Einzelverrechnungspreise entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz Präzise Wertermittlung für Wirtschaftsgüter und Transferpaket erforderlich. Nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG a.F. war eine Einzelbewertung der im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter zudem dann zulässig, wenn die Summe der angesetzten Einzelverrechnungspreise, gemessen an der Bewertung des Transferpakets als Ganzes, dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprach. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 FVerlV war in diesen Fällen sowohl der Einigungsbereich als auch der Wert des Transferpakets zu ermitteln. Erforderlich war in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG a.F. eine präzise Wertermittlung, was in Rz. 72 der VWG-Funktionsverlagerung5 auch ausdrücklich klargestellt wurde. Die Summe der Einzelverrechnungspreise durfte nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FVerlV indes nur angesetzt werden, wenn sie im Einigungsbereich lag und der Steuerpflichtige glaubhaft machte, dass sie dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprach. Die Auffassung der Finanzverwaltung in der Begründung zur FVerlV, dass die Summe der Einzelverrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz „am besten“ entsprechen müsse,6 hatte im Wortlaut der FVerlV keinen Niederschlag gefunden. Sie war auch abzulehnen, da in der
1 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 16. 2 Auch nach der früheren Rechtslage bestanden diese Bedenken, da die klassischen Methoden nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F. gleichberechtigt nebeneinander standen. 3 Vgl. auch Ditz/Just, DB 2009, 142. 4 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 16. 5 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3.2. 6 Vgl. BR-Drucks. 352/08, 17.
Ditz/Greinert | 1001
7.132
Kap. 7 Rz. 7.132 | Funktionsverlagerungen
höchstrichterlichen Rspr. geklärt ist, dass im Fall eines hypothetischen Fremdvergleichs jeder Wert im Einigungsbereich fremdvergleichskonform ist.1 Einen Wert, der dem Fremdvergleichsgrundsatz „am besten“ entspricht, gibt es nicht. Die Finanzverwaltung scheint ihre Auffassung in der Zwischenzeit auch aufgegeben zu haben. Jedenfalls findet sich in den VWGFunktionsverlagerung kein Hinweis, dass der Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz „am besten“ entsprechen muss. Für die nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FVerlV notwendige Glaubhaftmachung war nach Rz. 73 der VWG-Funktionsverlagerung2 erforderlich, dass der Steuerpflichtige die Differenz zwischen der Summe der Einzelverrechnungspreise und dem Wert für das Transferpaket aufklärte und begründete, warum die Summe der Einzelverrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen sollte. Dies zeigt, dass die Inanspruchnahme der Ausnahmeregel des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG a.F. für den Steuerpflichtigen mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden war.3 Der Steuerpflichtige musste eine präzise Bewertung sowohl der einzelnen übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter als auch des Transferpakets vornehmen, worauf Rz. 72 der VWG-Funktionsverlagerung4 auch unmissverständlich hinwies. Hinzu kommt, dass unklar war, mit Hilfe welcher Argumente der Steuerpflichtige glaubhaft machen konnte, dass die Werte der einzelnen Wirtschaftsgüter dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, ihre Summe aber vom Wert des Transferpakets abweicht.5 In Anbetracht dieser Schwierigkeiten dürfte der erforderliche Nachweis kaum gelungen und der Regelung auch keine große Bedeutung zugekommen sein.6 Beispiel: Die D-GmbH mit Sitz in Stuttgart ist im Bereich der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Spezialschrauben tätig. Die Entwicklung und Herstellung der Spezialschrauben erfolgt in Stuttgart. Von Stuttgart aus werden die Spezialschrauben auch weltweit vertrieben. Steigende Lohnkosten in Deutschland und zunehmende Konkurrenz aus Osteuropa haben in den letzten Jahren zu einem stetigen Rückgang der Gewinne der D-GmbH geführt. Die D-GmbH geht davon aus, dass sie künftig nur noch Gewinne in Höhe eines Barwerts von 1.000.000 Euro erwirtschaften wird. Sie beschließt daher, die Spezialschrauben künftig in Rumänien herstellen zu lassen. Sie hofft, dass das deutlich niedrigere Lohnniveau in Rumänien und die größere Nähe zum osteuropäischen Absatzmarkt zu einer Gewinnsteigerung führen werden. Zur Umsetzung ihres Vorhabens gründet die D-GmbH in Rumänien eine Tochtergesellschaft, die B-SRL, und überträgt ihr die für die Produktion der Spezialschrauben erforderlichen Maschinen und Patente, deren Einzelwerte bei insgesamt 1.100.000 Euro liegen. Für die Zukunft ist beabsichtigt, dass die B-SRL sowohl für die D-GmbH als auch für fremde Dritte produziert. Eine exklusive Produktion für die D-GmbH ist nicht geplant. Die B-SRL geht davon aus, dass ihre künftigen Gewinne einen Barwert von 2.000.000 Euro aufweisen werden. Lösung: Zur Bewertung der von der D-GmbH auf die B-SRL verlagerten Funktion „Herstellung von Spezialschrauben“ ist nach § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG zunächst ein Einigungsbereich zu ermitteln, der durch die jeweiligen Gewinnpotentiale bestimmt wird. Die D-GmbH erwartet aus der Funktion Ge-
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Vgl. BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867 = FR 2005, 300. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3.2. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1653. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3.2. Vgl. Kroppen/Rasch/Eigelshoven, IWB 2007, 318 f. Siehe auch Schilling/Schmidt-Marloh, DB 2019, 1115: „Der Wert ein und desselben Bewertungsobjekts (Transferpaket) aus Sicht ein und desselben Bewertungssubjekts (abgebende und aufnehmende Einheit) für ein und denselben Bewertungsanlass (Funktionsverlagerung) sowie -zweck (Höchst- und Mindestpreis) kann nicht abhängig davon, ob die Bewertung im hypothetischen Fremdvergleich ganzheitlich oder per Einzelverrechnungspreis erfolgt, ein anderer sein“. 6 Vgl. Kahle/Schulz, Ubg 2016, 385. Dies ist auch empirisch belegt, vgl. BR-Drucks. 153/16 v. 22.3.2016, 22.
1002 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.133 Kap. 7 winne i.H.v. 1.000.000 Euro. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FVerlV ist als Mindestpreis der D-GmbH daher ein Betrag i.H.v. 1.000.000 Euro anzusetzen. Die B-SRL geht davon aus, dass sie mit der Funktion Gewinne i.H.v. 2.000.000 Euro erzielen wird. Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 FVerlV bildet dieser Betrag den Höchstpreis für die B-SRL. Damit ergibt sich ein Einigungsbereich i.H.v. 1.000.000 Euro bis 2.000.000 Euro. Bei Ansatz des Mittelwerts nach § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG wäre für die Funktion „Herstellung von Spezialschrauben“ daher ein Verrechnungspreis i.H.v. 1.500.000 Euro anzusetzen. Nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG a.F. konnte aber auch die Summe der Einzelverrechnungspreise für die übertragenen Wirtschaftsgüter i.H.v. 1.100.000 Euro als Verrechnungspreis angesetzt werden, da dieser Betrag innerhalb des Einigungsbereichs liegt. Voraussetzung war allerdings, dass die D-GmbH und die B-SRL glaubhaft machen konnten, dass die Summe der Einzelverrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.
c) Verlagerung von zumindest einem wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgut Beurteilung der Wesentlichkeit auf Grundlage einer qualitativen Analyse. Nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. war eine Einzelbewertung der im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter schließlich auch dann zulässig, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft machte, dass zumindest ein genau bezeichnetes wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung war. Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. wurde erst nachträglich durch das EU-Umsetzungsgesetz vom 8.4.20101 ins Gesetz eingefügt. Der Gesetzgeber hat damit auf die anhaltende Kritik von Schrifttum und Wirtschaft am Grundsatz der Gesamtbewertung reagiert, zumal die anderen in § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a.F. enthaltenen Ausnahmen einen nur eingeschränkten Anwendungsbereich hatten bzw. haben. Der Begriff des immateriellen Wirtschaftsguts war wie seinerzeit in § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F., d.h. unter Rückgriff auf die höchstrichterlicher Rspr. zu immateriellen Wirtschaftsgütern, zu verstehen. Den Begriff des Vorteils enthielt § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. nicht. Voraussetzung für eine Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. war weiterhin, dass das übertragene oder zur Nutzung überlassene immaterielle Wirtschaftsgut wesentlich war. Nach Rz. 75 der VWG-Funktionsverlagerung2 war der Begriff der Wesentlichkeit wie in § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. auszulegen. Die Definition des § 1 Abs. 5 FVerlV war nach Auffassung der Finanzverwaltung in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. daher sinngemäß anzuwenden.3 Dies konnte bereits deshalb nicht überzeugen, weil der Wortlaut des § 1 Abs. 5 FVerlV nur auf § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F., nicht aber auch auf § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. Bezug nahm.4 Hinzu kam, dass § 1 Abs. 5 FVerlV zur Ermittlung der Wesentlichkeit des in Rede stehenden immateriellen Wirtschaftsguts sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Analyse erforderte. Was die quantitative Analyse anbelangt, so war hierfür ein Vergleich der Werte der fraglichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile mit der Summe der Werte aller Wirtschaftsgüter und sonstiger Vorteile des Transferpakets erforderlich. Da hierbei auch die sonstigen Vorteile zu bewerten waren, war auch im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. eine Gesamtbewertung des Transferpakets durchzuführen.5 Dies folgte auch aus Rz. 39 der VWG-Funktionsverlagerung,6 wo1 Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (EU-Umsetzungsgesetz) v. 8.4.2010, BGBl. I 2010, 386. 2 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3.3. 3 So auch Pohl, IStR 2010, 358; Kahle/Schulz, Ubg 2016, 384. 4 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2010, 322; Freudenberg/Ludwig, BB 2010, 1270; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1311. 5 Vgl. Pohl in Brandis/Heuermann, § 1 AStG Rz. 151. 6 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.5.1.
Ditz/Greinert | 1003
7.133
Kap. 7 Rz. 7.133 | Funktionsverlagerungen
nach für die quantitative Analyse auch die geschäftswertbildenden Faktoren zu erfassen waren. Im Ergebnis bedeutete dies einen erheblichen Verwaltungsaufwand für den Steuerpflichtigen, da zwei Wertermittlungen durchgeführt werden mussten, eine Einzelbewertung sämtlicher materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter sowie Vorteile und eine Gesamtbewertung des Transferpakets.1 Insofern setzte sich die Finanzverwaltung in Widerspruch zum Gesetzgeber,2 der mit der Einfügung von § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. im Rahmen des EU-Umsetzungsgesetzes vom 8.4.20103 die aus der Transferpaketbewertung resultierenden negativen Auswirkungen auf den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland beseitigen wollte.4 Dies sollte dadurch geschehen, dass unter bestimmten Voraussetzungen für alle Wirtschaftsgüter, Vorteile und Leistungen, die im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragen oder zur Nutzung überlassen werden, Einzelverrechnungspreise nach den allgemeinen Grundsätzen angesetzt werden können.5 Die Tatsache, dass nach Rz. 75 der VWG-Funktionsverlagerung6 eine präzise Bewertung des Transferpakets in den Fällen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. nicht erforderlich war, änderte hieran nichts, da zumindest eine pauschale Bewertung durchgeführt werden musste, die ebenfalls zu erheblichem Aufwand führen konnte. Im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. war die Frage nach der Wesentlichkeit daher rein qualitativ zu beantworten.7 Zu fragen war, ob die verlagerte Funktion ohne das in Rede stehende immaterielle Wirtschaftsgut vom übernehmenden Unternehmen nicht ausgeübt werden kann.
7.134
Übertragung von zumindest einem wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgut. Voraussetzung für eine Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. war, dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut übertragen oder zur Nutzung überlassen wurde. Hieraus folgte, dass § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. auch dann anwendbar war, wenn mehrere wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter übertragen oder überlassen wurden.8 Dies wurde in Rz. 77 der VWG-Funktionsverlagerung9 ausdrücklich klargestellt. Zu beachten war jedoch, dass die Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. nach Rz. 80 der VWGFunktionsverlagerung10 ausgeschlossen sein sollte, wenn mehrere immaterielle Wirtschaftsgüter übertragen wurden, die die Schwelle der Wesentlichkeit erst zusammen überschritten. Ein anderes sollte nach Rz. 81 der VWG-Funktionsverlagerung11 nur dann gelten, wenn der Steuerpflichtige mehrere immaterielle Wirtschaftsgüter zusammenfasste und deren gemeinsame Bewertung sachgerecht war. In diesem Fall waren die zusammengefassten immateriellen Wirtschaftsgüter wie ein immaterielles Wirtschaftsgut zu behandeln. Die Finanzverwaltung versuchte auf diese Weise, den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. einzuschränken. Die Auffassung war daher abzulehnen.12 Der Anwendungsbereich des § 1
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Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 169. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 169 f. EU-Umsetzungsgesetz v. 8.4.2010, BGBl. I 2010, 386. Vgl. Eingabe des IDW v. 5.7.2011, Ubg 2011, 579. Vgl. BT-Drucks. 17/939, 16. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3.3. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1311; Eingabe des IDW v. 18.6.2010, FN-IDW 2010, 326; Freudenberg/Ludwig, BB 2010, 1270. Vgl. Lenz/Rautenstrauch, DB 2010, 698. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3.3. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3.3. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3.3. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, Ubg 2011, 169.
1004 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.135 Kap. 7
Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. war vielmehr unabhängig davon eröffnet, ob die Schwelle der Wesentlichkeit bereits durch ein immaterielles Wirtschaftsgut oder erst durch mehrere immaterielle Wirtschaftsgüter überschritten wurde. Insofern ergänzten sich die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. und die Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. Während die Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. voraussetzte, dass kein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut übertragen wird, war Voraussetzung für die Anwendung von § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F., dass es zu einer Übertragung von zumindest einem wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgut kam. Aufgrund der großen Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen hatte dies zur Folge, dass in der Mehrzahl der Fälle eine Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. möglich war.1 In den verbleibenden Fällen dürfte dann regelmäßig § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. gegriffen haben. Auf diese Weise wurde die Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a.F. zur Ausnahme, während die Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a.F. die Regel war.2 Aufgrund der negativen Auswirkungen der Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a.F. auf den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland war dies bis dahin positiv zu sehen; durch die Abschaffung der bedeutsamsten Ausnahmeregel hat sich dieses Verhältnis in der Zwischenzeit aber bedauerlicherweise wohl umgekehrt (vgl. Rz. 7.136). Erfordernis einer genauen Bezeichnung des immateriellen Wirtschaftsguts. Schließlich setzte § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. für eine Einzelbewertung voraus, dass das übertragene oder zur Nutzung überlassene wesentliche immaterielle Wirtschaftsgut vom Steuerpflichtigen genau bezeichnet wurde. Dass der Steuerpflichtige, wollte er die Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. in Anspruch nehmen, das betreffende immaterielle Wirtschaftsgut bezeichnet, verstand sich dabei von selbst, da es sonst schon an einem Glaubhaftmachen fehlte.3 Welche Funktion der zusätzlichen Voraussetzung zukommen sollte, dass das Wirtschaftsgut „genau“ zu bezeichnen war, war unklar, zumal im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen bereits umfangreiche Aufzeichnungspflichten bestehen.4 Nach Auffassung des Gesetzgebers war eine „genaue“ Bezeichnung notwendig, da selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter aufgrund ihrer fehlenden Bilanzierung von der Finanzverwaltung meist nicht selbständig identifiziert werden können.5 Nach Ansicht der Finanzverwaltung, die ihren Niederschlag in Rz. 78 der VWG-Funktionsverlagerung6 gefunden hat, war ein immaterielles Wirtschaftsgut „genau“ bezeichnet, wenn es aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen so eindeutig identifiziert werden konnte, dass entweder ausreichende Vergleichswerte ermittelt werden konnten oder eine sachgerechte Preisbestimmung nach dem hypothetischen Fremdvergleich möglich war. Eine Bezeichnung sämtlicher in dem Transferpaket enthaltener immaterieller Wirtschaftsgüter war nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. indes nicht notwendig.7 Die offenbar gegenteilige Auffassung des Gesetz-
1 A.A. Stein/Schwarz (DB 2021, 1296), die dieser Escape-Klausel keinen großen Anwendungsbereich zusprechen. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1311. So auch im Antrag der Länder Rheinland-Pfalz, Berlin, Brandenburg, Bremen zur Einberufung des Vermittlungsausschusses, BR-Drucks. 107/4/ 10. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1312. 4 Vgl. Geberth, DB 2010, Heft 7, M 28. 5 Vgl. BT-Drucks. 17/939, 16. 6 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.2.3.3. 7 Vgl. Pohl in Brandis/Heuermann, § 1 AStG Rz. 151.
Ditz/Greinert | 1005
7.135
Kap. 7 Rz. 7.135 | Funktionsverlagerungen
gebers in der Gesetzesbegründung1 hatte im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden und war daher nicht maßgeblich. Im Einzelfall konnte es für eine „genaue“ Bezeichnung hilfreich sein, an die in der Literatur herausgearbeiteten Systematisierungen von immateriellen Wirtschaftsgütern anzuknüpfen.2 In diesem Zusammenhang konnten etwa unterschieden werden: – marketingbezogene immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Marken, Geschmacksmuster, Internet-Domains), – technologiebezogene immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Patente, Gebrauchsmuster, Erfindungen, Rezepturen, Software), – kundenbezogene immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Kundenstamm, Auftragsbestand, Firmenkontakte), – vertragsbezogene immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Lizenzen, Belieferungsrechte, Konzessionen), – kunstbezogene immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Zeitschriften, Bilder, Schauspiele, Filme).
7.136
Keine Besteuerung eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts. Lagen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. vor, war eine Einzelbewertung sämtlicher im Rahmen der Funktionsverlagerung übertragenen oder zur Nutzung überlassenen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter vorzunehmen. Hierbei galten die allgemeinen Grundsätze. In Abhängigkeit davon, ob uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbare Fremdvergleichswerte vorlagen oder nicht, war daher entweder ein tatsächlicher oder ein hypothetischer Fremdvergleich durchzuführen. Ein funktionsbezogener Geschäfts- oder Firmenwert, der in der Differenz zwischen dem Wert des Transferpakets und dem Wert der übertragenen Wirtschaftsgüter lag, war hierbei nicht zu berücksichtigen.3 Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. war in dieser Hinsicht zwar nicht eindeutig. Aus der Entstehung der Vorschrift ergab sich aber, dass eine Berücksichtigung eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts vom Gesetzgeber nicht gewollt war.4 Sinn und Zweck der Regelung war die Beseitigung der negativen Auswirkungen der Funktionsverlagerungsbesteuerung auf den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland.5 Diese negativen Auswirkungen resultierten vor allem daraus, dass § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a.F. die Bewertung eines Transferpakets anordnete,6 dessen einziger Zweck die steuerliche Erfassung eines Mehrwerts
1 Vgl. Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/ 939, 16. 2 Vgl. IFRS 3, Illustrative Examples. Eine weitere Systematisierung hat der Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ der Schmalenbach-Gesellschaft erstellt, DB 2001, 990 f. 3 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1312 f.; Kahle/Schulz, Ubg 2016, 385. Dies war jedoch umstritten; vgl. dazu Schilling/Schmidt-Marloh, DB 2019, 1112 ff. 4 Vgl. Kaminski, Stbg 2010, 196; Oestreicher/Wilcke, Ubg 2010, 226; Geberth, DB 2010, Heft 7, M 28; Eigelshoven/Nientimp, Ubg 2010, 235 f.; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1312; Lenz/Rautenstrauch, DB 2010, 698; Eingabe des IDW v. 18.6.2010, FN-IDW 2010, 327; Eingabe des IDW v. 5.7.2011, Ubg 2011, 579; Frischmuth, IWB 2010, 433 ff. 5 Vgl. Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/ 939, 16. 6 Vgl. Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/ 939, 16.
1006 | Ditz/Greinert
E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.138 Kap. 7
war, der bei einer Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter unbesteuert bliebe.1 Ein solcher Mehrwert konnte daher im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. keine Rolle spielen.2
3. Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter ab 2022 Neuregelung in § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG. Mit dem AbzStEntModG3 wurden die Ausnahmeregeln, die bislang in § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2, Halbs. 2 AStG a.F. niedergelegt waren, aufgehoben; letztlich blieb nur die Ausnahme nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. erhalten,4 die nun in § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG geregelt ist. Danach kann vom Grundsatz der Gesamtbewertung abgesehen werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass weder wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren. Nach § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG gilt dies dann, wenn das übernehmende Unternehmen die übergehende Funktion ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen ausübt und das Entgelt, das für die Ausübung der Funktion und die Erbringung der entsprechenden Leistungen anzusetzen ist, nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln ist.5 Mit der Formulierung „Dies gilt dann“ suggeriert der Gesetzgeber eine Einengung von § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG auf den Fall des Outsourcings unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode, die im bisherigen Recht so nicht vorgesehen war. Entsprechend der bisherigen Anwendungspraxis sollte die Neuregelung (über den Wortlaut hinaus) allerdings so interpretiert werden, dass § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG einen beispielhaften Anwendungsfall von § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG normiert, aber keine abschließende Aufzählung darstellt, sodass auch andere Fälle der Verlagerung von Routinefunktionen von der Ausnahmevorschrift erfasst sind.6
7.137
Würdigung. § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 AStG ist nicht abschließend zu verstehen. § 1 Abs. 6, 7 FVerlV regelt ebenfalls Fälle, in denen abweichend vom Grundsatz der Gesamtbewertung eine Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter erfolgt; diese sind weiterhin anwendbar. Aufgrund dessen, dass immateriellen Wirtschaftsgütern bei Funktionsverlagerungen eine besondere Bedeutung zukommt, war § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. die bislang bedeutsamste Ausnahmeregel. Indem nun gerade diese Ausnahme aufgehoben wurde, wird die Gesamtbewertung zukünftig deutlich an Bedeutung gewinnen.7 Ansonsten ist festzustellen, dass die nun noch verbliebene Ausnahmeregel gemäß § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG der Altregelung aus § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG a.F. im Wesentlichen entspricht, sodass zur Erläuterung auf die Rz. 7.129 ff. verwiesen werden kann. § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG erlaubt die Einzelbewertung, wenn weder wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren. Mit Blick auf die Frage, wie der Begriff des immateriellen Wirtschaftsguts auszulegen ist, war bisher auf die dazu ergangene höchstrichterliche Rspr. abzustellen. Da es mit § 1 Abs. 3c AStG inzwischen aber eine explizite Regel zu immateriellen Vermögenswerten gibt, stellt sich die Frage, ob im
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Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 568. Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2010, 833 ff.; a.A. Pohl, IStR 2010, 359; Schilling, BB 2012, 307 ff. Vgl. AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. Nach dem RefE zum ATAD-UmsG sollten ursprünglich sogar alle drei Escape-Klauseln ersatzlos gestrichen werden. 5 Inhaltlich entspricht diese Vorschrift § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV. 6 So auch Ditz/Rupp, ISR 2020, 276; Stein/Schwarz, DB 2021, 1296. 7 Stein/Schwarz (DB 2021, 1296) sehen in der vorgenommenen Änderung indes keine signifikanten Nachteile, da die beiden Escape-Klauseln, die nun gestrichen wurden, ihrer Ansicht nach keine wesentliche praktische Bedeutung hatten. Ebenso Greil/Saliger, ISR 2021, 333.
Ditz/Greinert | 1007
Kap. 7 Rz. 7.138 | Funktionsverlagerungen
Rahmen von § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG begrifflich nun § 1 Abs. 3c AStG Satz 2 AStG heranzuziehen ist. Dabei ist festzustellen, dass in § 1 Abs. 3c Satz 2 AStG – anders als in § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG – nicht von immateriellen Wirtschaftsgütern, sondern von immateriellen Vermögenswerten die Rede ist. § 1 Abs. 3c Satz 2 AStG verlangt somit nicht die Anforderungen an den Begriff des Wirtschaftsguts und geht damit weiter. Aufgrund dieses Unterschieds sollte es im Kontext von § 1 Abs. 3b AStG weiter auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Definition der immateriellen Wirtschaftsgüter ankommen.
4. Zivilrechtliche Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche 7.139
Entstehung zivilrechtlicher Ausgleichsansprüche bei Funktionsverlagerungen. Einen Sonderfall der Einzelbewertung bilden zivilrechtliche Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche. Es ist eine Vielzahl von Fällen denkbar, in denen einem Konzernunternehmen gegenüber einem anderen Konzernunternehmen Schadenersatz-, Entschädigungsoder Ausgleichsansprüche zustehen. Zivilrechtliche Schadenersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche werden ihre Grundlage häufig in den zwischen diesen Unternehmen bestehenden Verträgen haben. Zu denken ist etwa an vertraglich vereinbarte Schadenersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche für nicht amortisierte Investitionen oder entgangene Gewinne bei vorzeitiger Kündigung des Vertragsverhältnisses.1 Schadenersatz-, Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüche können sich aber auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Besondere Bedeutung kommt dem Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b HGB zu,2 der im Wesentlichen auf Unionsrecht beruht.3 Nach dieser Vorschrift hat der Handelsvertreter gegen den Unternehmer im Fall der Kündigung des Vertragsverhältnisses einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich, wenn er während der Dauer des Handelsvertretervertrags den Kundenstamm erweitert oder intensiviert hat und aufgrund der Kündigung des Vertragsverhältnisses Provisionsansprüche verliert, die er bei Fortführung des Vertrags erlangt hätte, sofern ein solcher Anspruch der Billigkeit entspricht. Auf einen Eigenhändler ist § 89b HGB nach höchstrichterlicher Rspr. analog anwendbar, wenn der Eigenhändler wie ein Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Herstellers eingegliedert und vertraglich verpflichtet ist, dem Hersteller nach Vertragsende seinen Kundenstamm zu überlassen, sodass sich der Hersteller dessen Vorteile sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann.4 Nach Borstell5 kommt es für die Frage der Eingliederung in die Absatzorganisation des Herstellers vor allem auf folgende Aspekte an: – vertragliche Zuweisung eines bestimmten Vertriebsgebiets an den Eigenhändler, – Pflicht des Eigenhändlers zur aktiven Vermarktung der Produkte des Herstellers, – Verpflichtung des Eigenhändlers zur Abnahme einer Mindestzahl von Produkten, – Pflicht des Eigenhändlers zur Zusammenarbeit mit dem Personal des Herstellers, – Vereinbarung von Wettbewerbsbeschränkungen zulasten des Eigenhändlers, – Übernahme einer Garantie durch den Hersteller für die gelieferten Produkte.
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Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.8. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.8. Siehe auch Kahle/Schulz, Ubg 2016, 385. Vgl. Art. 17 Richtlinie 86/653/EWG des Rates v. 18.12.1986. Vgl. BGH v. 6.10.1999 – VIII ZR 125/98, NJW 2000, 515. Siehe auch Freudenberg/Stein/Weskamp, Ubg 2016, 608. 5 Vgl. Borstell in V/B/B, Verrechnungspreise5, Rz. U 121.
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E. Transferpaket nach § 1 Abs. 3b AStG | Rz. 7.140 Kap. 7
Ausgleichsansprüche eines Handelsvertreters oder Eigenhändlers nach § 89b HGB können auch im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen Bedeutung erlangen. Zu denken ist etwa an eine inländische Vertriebsgesellschaft, die künftig nicht mehr für den Vertrieb, sondern nur noch für die Warenauslieferung oder vergleichbare Dienstleistungen zuständig sein soll. Zu diesem Zweck kündigt die ausländische Herstellergesellschaft den bestehenden Vertriebsvertrag fristgemäß. Der Vertrieb erfolgt künftig durch die ausländische Herstellergesellschaft. In diesem Fall kommt ein Ausgleichsanspruch der inländischen Vertriebsgesellschaft gegen die ausländische Herstellergesellschaft nach § 89b HGB in Betracht. Gleichzeitig führt die Übertragung der Vertriebsfunktion auf die ausländische Herstellergesellschaft zu einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG. Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters oder Eigenhändlers. Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines Handelsvertreters oder Eigenhändlers nach § 89b HGB erfolgt in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst ist im Rahmen einer zukunftsorientierten Betrachtung der Rohausgleich nach § 89b Abs. 1 HGB zu bestimmen. Im zweiten Schritt ist anhand von Vergangenheitswerten zu prüfen, ob der sich ergebende Betrag die Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 HGB einhält. Zur Ermittlung des Rohausgleichs nach § 89b Abs. 1 HGB sind zunächst die Provisionen zu bestimmen, die der Handelsvertreter oder Eigenhändler mit den von ihm geworbenen Neukunden in der Zukunft erwirtschaftet hätte, die ihm aber aufgrund der Kündigung des Vertragsverhältnisses entgehen. Hierzu ist auf die Provisionen abzustellen, die der Handelsvertreter oder Eigenhändler in den letzten zwölf Monaten vor der Beendigung des Vertragsverhältnisses erzielt hat.1 Der auf diese Weise ermittelte Betrag muss um eine Reihe von Korrekturposten gekürzt werden. Abzuziehen sind zunächst die Provisionen, die der Handelsvertreter oder Eigenhändler nicht aus Geschäften mit Neukunden oder intensivierten Altkunden erzielt hat. Dies folgt bereits aus dem Gesetz. In Abzug zu bringen sind weiterhin Provisionen, die sich auf nicht werbende Tätigkeiten, etwa Bestandspflege oder Forderungseinzug, beziehen. Auch hierfür gewährt das Gesetz keinen Ausgleich.2 Ferner müssen Provisionen, die von Einmalkunden stammen, abgezogen werden, da dem Handelsvertreter oder Eigenhändler auch insofern keine künftigen Provisionen entgehen. Schließlich ist auch die Abwanderung von Stammkunden zu berücksichtigen. Auch insofern ist ein Abschlag zu machen, der von den Umständen des Einzelfalls abhängt.3 Sofern der Ausgleichsanspruch eines Eigenhändlers im Raum steht, sind weitere Abschläge erforderlich, um den Unterschieden zwischen Handelsvertreter und Eigenhändler angemessen Rechnung zu tragen. Ein Eigenhändler nimmt typischerweise eine Reihe von Aufgaben wahr, die über das Tätigkeitsspektrum eines Handelsvertreters hinausgehen, z.B. Beschaffung, Lagerhaltung und Marketing. Die Kosten hierfür müssen vom Rohgewinn des Eigenhändlers in Abzug gebracht werden.4 Eine Nichtberücksichtigung solcher Kosten würde den Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers ungerechtfertigt erhöhen. Nachdem die Provisionsverluste des Handelsvertreters oder Eigenhändlers für die letzten zwölf Monate nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelt wurden, ist zu fragen, für welchen Zeitraum ein Ausgleich zu zahlen ist. Hierfür kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Zu fragen ist, wie lange die Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmer und Neukunden unter Berücksichtigung der Umstände erfahrungsgemäß andauern werden.5 Abschließend ist eine Gesamtabwägung aller Billigkeitsaspekte durch-
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Vgl. BGH v. 14.4.1983 – I ZR 20/81, NJW 1983, 2877. Vgl. BGH v. 21.4.2010 – VIII ZR 108/09, NJW-RR 2010, 1550. Vgl. BGH v. 6.8.1997 – VIII ZR 92/96, NJW 1998, 71. Vgl. auch Freudenberg/Stein/Weskamp, Ubg 2016, 609. Vgl. BGH v. 15.10.1992 – I ZR 173/91, NJW-RR 1993, 221.
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7.140
Kap. 7 Rz. 7.140 | Funktionsverlagerungen
zuführen, wobei weitere Abschläge erforderlich sein können, insbesondere für die Sogwirkung der Marke.1 Da der Handelsvertreter oder Eigenhändler mit dem Ausgleich, der an die Stelle künftiger, mit der Vertragsbeendigung aber entfallender Provisionen tritt, eine Zahlung erhält, die sich bei einer Fortsetzung des Vertrags auf einen längeren Zeitraum verteilt hätte, sind die sich ergebenden Beträge schließlich abzuzinsen.2 Im zweiten Schritt muss der nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelte Rohausgleich daraufhin überprüft werden, ob er die Höchstgrenze des § 89b Abs. 2 HGB einhält. Im Fall einer Überschreitung beschränkt sich der geschuldete Ausgleich auf die gesetzliche Höchstgrenze. Diese liegt bei einer nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre berechneten Jahresprovision. Für die Ermittlung der Höchstgrenze ist folglich eine vergangenheitsorientierte Betrachtung anzustellen. Bei kürzerer Vertragsdauer ist der Durchschnitt während der Dauer der Tätigkeit maßgebend.
7.141
Verrechnungspreisbestimmung im Fall zivilrechtlicher Ausgleichsansprüche. Kommt es im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen zur Entstehung zivilrechtlicher Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche, stellt sich die Frage, welcher Verrechnungspreis in diesem Fall anzusetzen ist. Zu klären ist insbesondere, ob eine Transferpaketbewertung durchzuführen ist, ob eine Einzelbewertung der einzelnen übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter zu erfolgen hat, oder ob der jeweilige Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsanspruch zum Ansatz kommt. Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage ist § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV, wonach eine Funktionsverlagerung nicht vorliegt, wenn der Vorgang zwischen voneinander unabhängigen Dritten nicht als Veräußerung oder Erwerb einer Funktion angesehen würde. Nach Rz. 60 der VWG-Funktionsverlagerung3 fällt hierunter insbesondere die fristgerechte Kündigung von Verträgen oder das Auslaufen einer Vertragsbeziehung. In diesen Fällen soll nach Auffassung der Finanzverwaltung keine Funktionsverlagerung vorliegen. In Rz. 214 der VWG-Funktionsverlagerung4 wird dies dahingehend konkretisiert, dass eine dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende, vertragskonforme Funktionsänderung, z.B. der Ablauf eines Vertrags oder eine fristgerechte Kündigung, und die damit einhergehende Verminderung von Chancen und Risiken für sich allein keine Funktionsverlagerung darstellt. Weitere Regelungen zur Behandlung zivilrechtlicher Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche im Fall grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen finden sich in § 8 FVerlV. In § 8 Satz 1 FVerlV heißt es: „Gesetzliche oder vertragliche Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche sowie Ansprüche, die voneinander unabhängigen Dritten zustünden, wenn ihre Handlungsmöglichkeiten vertraglich oder tatsächlich ausgeschlossen würden, können der Besteuerung einer Funktionsverlagerung zugrunde gelegt werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass solche Dritte unter ähnlichen Umständen in vergleichbarer Art und Weise verfahren wären.“ Diese Bestimmung wird durch § 8 Satz 2 FVerlV wie folgt ergänzt: „Der Steuerpflichtige muss zusätzlich glaubhaft machen, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen worden sind, es sei denn, die Übertragung oder Überlassung ist zwingende Folge von Ansprüchen im Sinne des Satzes 1.“ Fraglich ist, wie das Verhältnis von § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV und § 8 FVerlV aufzulösen ist, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht gelingt, die Voraussetzungen des § 8 FVerlV glaubhaft zu machen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung, die ihren Niederschlag in Rz. 134 der VWG-Funk-
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Vgl. BGH v. 2.7.1987 – I ZR 188/85, NJW-RR 1988, 42. Vgl. BGH v. 8.11.1990 – I ZR 269/88, NJW-RR 1991, 481. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.1.7.4. Vgl. VWG FVerl, Tz. 4.2.2.
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F. Preisanpassungsregelungen des § 1a AStG | Rz. 7.142 Kap. 7
tionsverlagerung1 gefunden hat, kommen in diesem Fall die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung. Es soll also grundsätzlich eine Transferpaketbewertung mit Ermittlung des Einigungsbereichs auf Grundlage der jeweiligen Gewinnpotentiale durchgeführt werden und im Zweifel der Mittelwert zum Ansatz kommen. Dies kann nicht überzeugen. Aus der Systematik der FVerlV ergibt sich, dass es bei der Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV bleibt, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 8 FVerlV nicht vorliegen. Für die hier zu beurteilenden Fälle bedeutet dies, dass bei Glaubhaftmachung der Voraussetzungen des § 8 FVerlV der jeweilige Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsanspruch anzusetzen ist. In allen anderen Fällen muss nach § 1 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 FVerlV eine Einzelbewertung der übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter durchgeführt werden. Eine Gesamtbewertung des Transferpakets kommt in keinem Fall in Betracht.2
F. Preisanpassungsregelungen des § 1a AStG Nachträgliche Anpassungen von Verrechnungspreisen im Überblick. § 1a AStG ermöglicht der Finanzverwaltung unter bestimmten Voraussetzungen eine nachträgliche Anpassung von Verrechnungspreisen. Diese Möglichkeit ist nicht neu; die entsprechenden Regelungen fanden sich bislang in § 1 Abs. 3 Sätze 11, 12 AStG a.F. Mit dem AbzStEntModG3 wurde die Möglichkeit zur nachträglichen Anpassung von Verrechnungspreisen jedoch in einen eigenständigen § 1a AStG ausgelagert. Satz 1 dieser Norm bestimmt dabei Folgendes: „Sind wesentliche immaterielle Werte oder Vorteile Gegenstand einer Geschäftsbeziehung und weicht die tatsächliche spätere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnerwartung ab, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, ist widerlegbar zu vermuten, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Verrechnungspreisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten.“ Weiter heißt es in § 1a Satz 2 AStG: „Wurde eine solche Regelung nicht vereinbart und tritt bezogen auf die ersten sieben Jahre nach Geschäftsabschluss eine erhebliche Abweichung [...] ein, ist für eine deshalb vorzunehmende Berichtigung [...] ein angemessener Anpassungsbetrag auf den Verrechnungspreis im achten Jahr nach Geschäftsabschluss der Besteuerung zugrunde zu legen.“ Aus § 1a Satz 2 AStG ergibt sich, dass eine Preisanpassung nach § 1a AStG überhaupt nur dann erfolgen kann, wenn es an einer Anpassungsklausel zwischen den Beteiligten fehlt. Haben die nahestehenden Personen eine Anpassungsklausel vereinbart, ist diese vorrangig zugrunde zu legen.4 Nur wenn die beteiligten Unternehmen keine Anpassungsklausel vereinbart haben und wenn sie die Vermutung aus § 1a Satz 1 AStG nicht widerlegen können, erfolgt die nachträgliche Preisanpassung auf Grundlage der standardisierten Anpassungsklausel des § 1a AStG. Die Anpassung erfolgt indes nur dann, wenn die Abweichung zwischen der Gewinnentwicklung, die später eintritt, und der Gewinnerwartung, die der Verrechnungspreisbestimmung einst zugrunde lag, erheblich ist. Hierzu regelt § 1a Satz 3 AStG, dass eine solche „erhebliche Abweichung“ vorliegt, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Fremdvergleichspreis um mehr als 20 % von dem bisherigen Verrechnungspreis abweicht; dabei ermittelt sich der zutreffende Verrechnungspreis zwar unter Beachtung der 1 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.8. 2 Gl.A. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.571. 3 Vgl. AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 4 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1791.
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Kap. 7 Rz. 7.142 | Funktionsverlagerungen
tatsächlichen Gewinnentwicklung, aber ansonsten nach denselben Grundsätzen wie der ursprüngliche Verrechnungspreis (§ 1a Satz 4 AStG). Des Weiteren ist § 1a Satz 2 AStG zu entnehmen, dass die Preisanpassung – wenn sie denn vorgenommen wird – „angemessen“ zu erfolgen hat. Diesbezüglich regelt § 1a Satz 5 AStG, dass eine Anpassung des Verrechnungspreises dann angemessen ist, wenn sie dem Unterschiedsbetrag zwischen dem ursprünglichen Verrechnungspreis und dem unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffenden Fremdvergleichspreis entspricht. Schließlich enthält § 1a Satz 6 AStG insgesamt drei Ausnahmetatbestände, bei deren Eingreifen von einer Preisanpassung abzusehen ist. Danach erfolgt eine Preisanpassung insbesondere dann nicht, wenn – der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass die tatsächliche Entwicklung auf Umständen basiert, die zum Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls nicht vorhersehbar waren, oder – der Steuerpflichtige nachweist, dass er bei der Bestimmung des Verrechnungspreises die aus der künftigen Entwicklung resultierenden Unsicherheiten angemessen berücksichtigt hat, oder – im Hinblick auf immaterielle Werte und Vorteile Lizenzvereinbarungen getroffen werden, die die zu zahlende Lizenz vom Umsatz oder Gewinn des Lizenznehmers abhängig machen oder für die Höhe der Lizenz Umsatz und Gewinn berücksichtigen.
7.143
Fehlende Rechtfertigung für die Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen. Die Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung wird im UntStRefG 2008 v. 14.8.2007 damit begründet, dass der hypothetische Fremdvergleich mangels vergleichbarer Fremddaten häufig mit erheblichen Unsicherheiten belastet sei und sich im Nachhinein als falsch herausstellen könne.1 Diese Begründung kann bereits deshalb nicht überzeugen, weil eine Prognose zukünftiger Gewinne, wie sie ein hypothetischer Fremdvergleich erfordert, naturgemäß mit Unsicherheiten verbunden ist.2 Diese Unsicherheiten werden von fremden Dritten jedoch i.d.R. nicht durch eine Preisanpassungsklausel,3 sondern bei der Preisbestimmung berücksichtigt. Insbesondere bei der Bemessung des Risikozuschlags im Rahmen der Ermittlung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes finden entsprechende Unsicherheiten Berücksichtigung. Daneben können entsprechende Unsicherheiten auch durch eine Anpassung der aus dem immateriellen Wirtschaftsgut bzw. der Funktion zu erwartenden Gewinne berücksichtigt werden. Bereits vor diesem Hintergrund erweist sich die Regelung als nicht fremdvergleichskonform.4 Dieser Befund wird eindrucksvoll durch die empirische Untersuchung von Ewelt-Knauer/Knauer/Pex5 bestätigt. Gemäß ihrer umfassenden Analyse für die Jahre 2005–2009, bei der 10.670 Transaktionen untersucht wurden, konnte lediglich bei 1,9 % aller Transaktionen (bezogen auf den Wert) eine Preisanpassungsklausel identifiziert werden.6 Auch mehrere andere (internationale) empirische Studien weisen auf vergleichbare Größenordnungen hin.7 Wie der deutsche Gesetzgeber bei einer zwischen fremden Dritten nur im
1 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 145. 2 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107; kritisch zur Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen auch Bödefeld/Kuntschik in Blumenberg/Benz, Die Unternehmensteuerreform 2008, 281 ff. 3 Vgl. Mueller-Thuns in Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns, Unternehmenskauf/Unternehmensverkauf, 178; Welling in FS Schaumburg, 993; Kaminski/Strunk, RIW 2009, 715; Nestler/Schaflitzl, BB 2011, 237. 4 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107. 5 Vgl. Ewelt-Knauer/Knauer/Pex, zfbf 2011, 371 ff. 6 Vgl. Ewelt-Knauer/Knauer/Pex, zfbf 2011, 382 f. 7 Vgl. die Zusammenstellung bei Ebering, IStR 2011, 419.
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F. Preisanpassungsregelungen des § 1a AStG | Rz. 7.144 Kap. 7
Ausnahmefall vorgenommenen Regelung unterstellen kann, dass grundsätzlich vom Abschluss einer Preisanpassungsklausel auszugehen sei, bleibt ein Rätsel.1 Es zeigt allerdings in beeindruckender Klarheit, wie wenig die Preisanpassungsklausel nach § 1a AStG mit dem Verhalten zwischen fremden Dritten und damit dem Fremdvergleichsgrundsatz im Einklang steht. Dieser Befund bestätigt sich, wenn man die OECD-Leitlinien in den Blick nimmt. Dort werden Preisanpassungsklauseln zwar als eine Möglichkeit beschrieben, um Bewertungsunsicherheiten im Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls Rechnung zu tragen.2 Aus den OECD-Leitlinien folgt aber zugleich, dass eine Pflicht zur Vereinbarung einer solchen Klausel nicht besteht, sondern dass es den Beteiligten frei steht, auf andere Methoden zurückzugreifen.3 Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit der Möglichkeit nachträglicher Preisanpassungen durch die Finanzverwaltung auch von den hergebrachten Bewertungsgrundsätzen des Handelsrechts und des Steuerrechts abweicht.4 Dort gilt seit jeher der Grundsatz, dass im Nachhinein eingetretene Entwicklungen, deren Wurzeln nach dem Bewertungsstichtag liegen, bei der Bewertung keine Berücksichtigung finden dürfen.5 Auch Rz. 22 des IDW S 1 stellt klar, dass Unternehmenswerte zeitpunktbezogen auf den Bewertungsstichtag zu ermitteln sind.6 Weiterhin heißt es in Rz. 23 des IDW S 1, dass bei Auseinanderfallen des Bewertungsstichtags und des Zeitpunkts der Durchführung der Bewertung nur der Informationsstand zu berücksichtigen ist, der bei angemessener Sorgfalt zum Bewertungsstichtag hätte erlangt werden können.7 Im Nachhinein eingetretene Entwicklungen, deren Wurzeln nach dem Bewertungsstichtag liegen (sog. wertbegründende Tatsachen) dürfen demnach nicht berücksichtigt werden.8 Auch vor diesem Hintergrund bestehen gegen die Regelung im AStG erhebliche Bedenken. Im Übrigen führt die Vereinbarung einer Anpassungsklausel auch zur Veränderung des Chancen-/Risiken-Profils. Mit einer Anpassungsklausel verbleibt ein Teil der künftigen Risiken beim Übertragenden, während ohne Anpassungsklausel sämtliche Risiken vom Übernehmenden getragen werden. Eine solche unterschiedliche Risikoverteilung beeinflusst zwischen fremden Dritten auch die Kaufpreishöhe.9 Im Ergebnis ist die Preisanpassungsklausel vorwiegend ein Instrument, um die Informationsasymmetrie zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung nachträglich auszugleichen.10 Letztlich ermöglicht § 1a AStG der Finanzverwaltung, die Bestandskraft von für die Vergangenheit erlassenen Steuerbescheiden zu unterlaufen, indem der maßgebliche Besteuerungssachverhalt per Fiktion in die Gegenwart verlagert wird.11 Hierbei handelt es sich um eine neuartige Form der rückwirkenden Steuergesetzgebung, bei der sich naturgemäß die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip stellt.12 Allgemeine Voraussetzungen für eine Anpassung von Verrechnungspreisen. § 1a AStG findet nur Anwendung, wenn die in Rede stehenden Verrechnungspreise auf Grundlage eines hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 7, Abs. 3a Satz 5 f. AStG ermittelt wur-
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So auch Halbach/Ackerman, ISR 2021, 174. Vgl. Tz. 6.181 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Tz. 6.181 ff. OECD-Leitlinien 2022. Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107. Vgl. Greil, IStR 2009, 569 f. Vgl. Tz. 4.3. IDW S 1, IDW-FN 2008, 271 ff. Vgl. Tz. 4.3. IDW S 1, IDW-FN 2008, 271 ff. Vgl. Greil, IStR 2009, 569 f. Vgl. Scholz, IStR 2007, 523 ff.; Luckhaupt, IStR 2010, 902 ff.; Oestreicher/Wilcke, DB 2010, 1713 ff. Vgl. Greil/Naumann, IStR 2015, 434; Greil/Saliger, ISR 2021, 334. Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 539. Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 539; Schaumburg, IStR 2009, 881.
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Kap. 7 Rz. 7.144 | Funktionsverlagerungen
den. Im Fall einer Preisbestimmung durch tatsächlichen Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG ist eine nachträgliche Preisanpassung nicht vorgesehen. Dies lässt sich § 1a AStG – anders als noch § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG a.F. – zwar nicht mehr ausdrücklich entnehmen, gleichwohl unterstellt § 1a AStG, dass der jeweilige Verrechnungspreis mithilfe von prognostizierten Gewinnererwartungen ermittelt wurde, was nur im Rahmen des hypothetischen, nicht aber beim tatsächlichen Fremdvergleich so ist. Keine Bedeutung hat dagegen, ob der hypothetische Fremdvergleich anlässlich der Übertragung oder Überlassung eines einzelnen Wirtschaftsguts oder aus Anlass einer grenzüberschreitenden Funktionsverlagerung durchgeführt wurde; beide Konstellationen sind erfasst.1 Weitere Voraussetzung für eine Anwendung des § 1a AStG ist, dass wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter oder Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen werden. Hieraus folgt zunächst, dass eine nachträgliche Preisanpassung ausscheidet, wenn ausschließlich materielle Wirtschaftsgüter verlagert wurden, oder die verlagerten immateriellen Wirtschaftsgüter oder Vorteile die Schwelle der Wesentlichkeit nicht überschritten haben. Was den Begriff der Wesentlichkeit anbelangt, so wird dieser im AStG und in der FVerlV nicht definiert. Die Definition des § 1 Abs. 5 FVerlV bezieht sich nach ihrem Wortlaut lediglich auf die Fälle des § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG. Gegen eine sinngemäße Anwendung der Vorschrift dürften aber gleichwohl keine Bedenken bestehen.2 Auch der Gesetzesbegründung zum AbzStEntModG lässt sich entnehmen, dass immaterielle Wirtschaftsgüter dann wesentlich sind, wenn sie für die verlagerte Funktion erforderlich sind und ihr Fremdvergleichspreis mehr als 25 % der Summe der Einzelpreise aller Wirtschaftsgüter und Vorteile des Transferpreises beträgt; im Übrigen seien immaterielle Wirtschaftsgüter v.a. dann wesentlich, wenn sie für das betreffende Geschäftsmodell einen maßgeblichen Werttreiber darstellen. Keine Bedeutung erlangt die Frage der Wesentlichkeit, wenn nur ein einziges Wirtschaftsgut verlagert wurde, da in diesem Fall ein Vergleich mit den Werten der anderen Wirtschaftsgüter nicht in Betracht kommt.3 Im Übrigen sollte die Bezugnahme des § 1a Satz 2 AStG auf § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nicht dahingehend zu verstehen sein, dass § 1a AStG eine nachträgliche Preisanpassung nur zulasten des Steuerpflichtigen zulassen würde.4 Es trifft zwar zu, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nur Einkünftekorrekturen zum Nachteil des Steuerpflichtigen ermöglicht. Bei einer nachträglichen Preisanpassung nach § 1a AStG geht es aber nicht um eine Einkünftekorrektur, sondern um die zutreffende Ermittlung eines Verrechnungspreises. Erfasst sind Konstellationen, in denen ein Verrechnungspreis und die darauf aufbauende Einkünftekorrektur im Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben stehen. In dieser Situation müssen mit Hilfe einer nachträglichen Preisanpassung nach § 1a AStG gesetzmäßige Zustände hergestellt werden. In Abhängigkeit davon, ob die tatsächliche Gewinnentwicklung positiv oder negativ von der ursprünglichen Gewinnerwartung abweicht, sollte demnach eine Korrektur zulasten oder zugunsten des Steuerpflichtigen erfolgen.5 Ob eine nachträgliche Preisanpassung nach § 1a AStG nur zulasten oder auch zugunsten des Steuerpflichti-
1 Daran hat sich gegenüber der alten Rechtslage insoweit nichts geändert, auch wenn der Verweis auf den hypothetischen Fremdvergleich in § 1a AStG nicht mehr explizit enthalten ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung entsprechen § 1a Sätze 1, 2 AStG dem bisherigen § 1 Abs. 3 Sätze 11, 12 AStG a.F. und die vorgenommenen Änderungen sind bloß redaktioneller Art; vgl. BT-Drucks. 19/ 27632, 76. 2 Vgl. Nientimp in Fuhrmann, AStG3, § 1 AStG Rz. 502. Zur Wesentlichkeit vgl. auch Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 82 ff. 3 Vgl. Nientimp in Fuhrmann, AStG3, § 1 AStG Rz. 502. 4 Vgl. Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 480. 5 Vgl. Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 480.
1014 | Ditz/Greinert
F. Preisanpassungsregelungen des § 1a AStG | Rz. 7.145 Kap. 7
gen erfolgen kann, ist allerdings umstritten.1 Aufgrund dieser Unsicherheit ist es ratsam, eine in beide Richtungen wirkende Preisanpassungsklausel vertraglich zu vereinbaren.2 Notwendigkeit einer erheblichen Abweichung der späteren Gewinnentwicklung. Unabhängig von den vorstehenden Bedenken erfordert § 1a Satz 1 AStG das Vorliegen einer erheblichen Abweichung der späteren Gewinnentwicklung. Eine solche liegt vor, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Fremdvergleichspreis um mehr als 20 % von dem ursprünglich ermittelten Verrechnungspreis abweicht (§ 1a Satz 3 AStG), wobei für die Ermittlung einer erheblichen Abweichung die tatsächlich eingetretene Gewinnentwicklung zu berücksichtigen ist, ansonsten aber dieselben Grundsätze, Annahmen und Methoden zu verwenden sind, die auch bei der ursprünglichen Verrechnungspreisermittlung zur Anwendung kamen (§ 1a Satz 4 AStG).3 Damit weicht der Gesetzgeber von seinem bisherigen Verständnis in § 10 FVerlV ab und definiert die Erheblichkeit einer Abweichung nun in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der OECD;4 die bisherige Fassung der FVerlV wird an dieser Stelle durch die gesetzliche Neuerung also überschrieben.5 Dies ist grds. zu begrüßen, da § 10 FVerlV und das dortige Verständnis einer erheblichen Abweichung nicht überzeugen konnten. Nach § 10 Satz 1 FVerlV sollte eine erhebliche Abweichung zunächst dann vorliegen, wenn der unter Zugrundelegung der tatsächlichen Gewinnentwicklung zutreffende Verrechnungspreis außerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs liegt. Dabei wurde der neue Einigungsbereich, der die tatsächliche Gewinnentwicklung berücksichtigt, durch den ursprünglichen Mindestpreis des übertragenden und den neu ermittelten Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens bestimmt (§ 10 Satz 2 FVerlV). Weiterhin war eine erhebliche Abweichung nach § 10 Satz 3 FVerlV dann gegeben, wenn der neu ermittelte Höchstpreis niedriger war als der ursprüngliche Mindestpreis des übertragenden Unternehmens und damit kein Einigungsbereich mehr vorliegt. Dies führte zu unsachgemäßen Ergebnissen. Wurde etwa ursprünglich ein Einigungsbereich von 100.000 Euro bis 200.000 Euro ermittelt und liegt der „zutreffende“ Einigungsbereich bei 100.000 Euro bis 300.000 Euro, so kam eine nachträgliche Preisanpassung nicht in Betracht, weil der „zutreffende“ Verrechnungspreis in Form des Mittelwerts i.H.v. 200.000 Euro noch innerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs lag. Wurde dagegen ursprünglich ein Einigungsbereich von 100.000 Euro bis 105.000 Euro ermittelt und liegt der „zutreffende“ Einigungsbereich bei 100.000 Euro bis 120.000 Euro, so war eine nachträgliche Preisanpassung AStG möglich, weil sich der „zutreffende“ Verrechnungspreis in Form des Mittelwerts i.H.v. 110.000 Euro nicht mehr innerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs befand. Dieses Ergebnis konnte nicht überzeugen. Die jetzt maßgebliche Schwelle von 20 % ist praktikabel, scheint aber auch knapp bemessen, da ein über den ursprünglich prognostizierten Gewinn hinausgehender Erfolg nicht nur auf Unsicherheiten im Zeitpunkt der Transaktion, sondern auch auf besonderen Anstrengungen des 1 Für eine Preisanpassung auch zugunsten des Steuerpflichtigen siehe etwa Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 480. Dafür, dass eine Preisanpassung nur zulasten des Steuerpflichtigen wirken kann; vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Tz. 4.202; Halbach/Ackerman, ISR 2021, 174. 2 Vgl. Bärsch/Ditz/Engelen/Quilitzsch, DStR 2021, 1791. Mit einer solchen individuellen Preisanpassungsklausel könnte auch der siebenjährige Beobachtungszeitraum umgangen werden; vgl. Halbach/Ackerman, ISR 2021, 175. 3 Es ist demnach u.a. derselbe Kapitalisierungszeitraum zugrunde zu legen und es ist auch von denselben Finanzmarkt- und Wettbewerbsentwicklungen auszugehen, die sich etwa auf den Abzinsungssatz auswirken könnten; vgl. Halbach/Ackerman, ISR 2021, 175. 4 Vgl. Tz. 6.193 OECD-Leitlinien 2022 sowie BT-Drucks. 19/27632 vom 17.3.2021, 76. 5 Vgl. Greil/Saliger, ISR 2021, 334.
Ditz/Greinert | 1015
7.145
Kap. 7 Rz. 7.145 | Funktionsverlagerungen
übernehmenden Unternehmens beruhen kann.1 Eine Preisanpassung hätte in diesem Fall zur Folge, dass das übernehmende Unternehmen für diesen Erfolg doppelt zahlt, einmal in Form der Kosten für die eigenen Anstrengungen, und einmal in Form des nachträglich erhöhten Kaufpreises. Ein solches Ergebnis wäre nicht fremdvergleichskonform, da ein fremder Dritter nicht bereit wäre, einen höheren Kaufpreis zu entrichten, wenn der über den ursprünglichen Gewinn hinausgehende Erfolg allein auf eigenen Anstrengungen beruht.2 Dies folgt auch aus der höchstrichterlichen Rspr., denn nach dieser kommt es für die Bemessung eines Lizenzentgelts entscheidend darauf an, wer den Wert einer Marke geschaffen und die Kosten für ihren Erhalt getragen hat. Je höher der Anteil des Lizenznehmers ausfällt, desto geringer ist das Lizenzentgelt zu bemessen.3 Diese Rspr. lässt sich auf Fälle, in denen ein immaterielles Wirtschaftsgut im Rahmen einer Funktionsverlagerung veräußert wird, ohne weiteres übertragen. Je mehr in solchen Fällen eine nachträgliche Wertveränderung auf Maßnahmen des Käufers zurückzuführen ist, desto weniger ist im Nachhinein eine Preisanpassung gerechtfertigt.
7.146
Vermutung der Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel durch die Parteien. Kommt es zu einer erheblichen Abweichung in der Gewinnentwicklung im vorstehenden Sinn, stellt § 1a Satz 1 AStG eine widerlegbare Vermutung dahingehend auf, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhängige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart hätten. Eine Begründung für diese Vermutung ist nicht ersichtlich.4 In der Praxis kann die Vereinbarung von Anpassungsklauseln zwar in Einzelfällen beobachtet werden, insbesondere bei Unternehmenskäufen.5 Der Regelfall ist ein solches Vorgehen aber nicht, da den Parteien hiervon mit Blick auf die Schwierigkeiten nachträglicher Preiskorrekturen regelmäßig abgeraten wird.6 Zudem macht sich der Verkäufer abhängig von den Entscheidungen und dem Geschäftserfolg des Erwerbers.7 Vor diesem Hintergrund erklärt es sich auch, dass die Finanzverwaltung solche Klauseln bisher nur unter engen Voraussetzungen als fremdvergleichskonform angesehen hat.8 Aus welchem Grund dies nun gerade bei immateriellen Wirtschaftsgütern, und damit bei der Mehrzahl der Funktionsverlagerungen, anders sein soll, ist nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass nicht klar ist, mit Hilfe welcher Argumente die Vermutung des § 1a Satz 1 AStG widerlegt werden kann.9 Nach Rz. 141 der VWG-Funktionsverlagerung10 kann der Steuerpflichtige zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung z.B. den Nachweis erbringen, dass wegen langjährig erzielter stabiler Ergebnisse des übertragenden Unternehmens aus der Funktion zum Zeitpunkt der Verlagerung tatsächlich keine wesentlichen Unsicherheiten bestanden oder dass die tatsächliche Gewinnentwicklung durch unvorhergesehene Ereignisse beeinflusst worden ist, die voneinander unabhängige Dritte nicht vorhersehen hätten können (so nun auch die Ausnahmeregel in § 1a Satz 6 Nr. 1 AStG). Zur Präzisierung tragen diese sehr all1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1654. Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1654; Oestreicher/Wilcke, DB 2010, 469. Vgl. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140 = FR 2001, 246 m. Anm. Pezzer. Nach Haase/Nürnberg (FR 2017, 5) stellt die hier in Rede stehende Preisanpassungsklausel „eine unverhältnismäßige Vermutung des Gesetzgebers“ dar. Vgl. Lacher/Poppe, DB 1988, 1761 ff.; Baums, DB 1993, 1273 ff. Vgl. Mueller-Thuns in Rödder/Hötzel/Mueller-Thuns, Unternehmenskauf/Unternehmensverkauf, 178. Vgl. Gehri in Haase, Geistiges Eigentum, Rz. 11.376. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.8 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1654 f. Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.10.
1016 | Ditz/Greinert
F. Preisanpassungsregelungen des § 1a AStG | Rz. 7.147 Kap. 7
gemein gehaltenen Ausführungen freilich nicht bei, sodass erhebliche Unsicherheiten verbleiben, auch wenn die Verwaltungsauffassung nun teilweise gesetzlich festgeschrieben wurde. Hintergrund der in § 1a Satz 1 AStG aufgestellten Vermutung dürfte letztlich die Absicht des Gesetzgebers sein, den Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit der Verlagerung von immateriellen Wirtschaftsgütern bzw. Funktionen zur Vereinbarung sachgerechter individueller Preisanpassungsklauseln zu bewegen, denn in diesem Fall ist die Regelung nicht anwendbar.1 Wie sich aus Rz. 137 der VWG-Funktionsverlagerung2 ergibt, liegt eine sachgerechte individuelle Preisanpassungsklausel vor, wenn sie dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Bei der konkreten Ausgestaltung einer solchen Preisanpassungsklausel sollten erhebliche Freiräume bestehen,3 nicht zuletzt weil aufgrund der nur im Ausnahmefall vorgenommenen Vereinbarung einer Preisanpassungsklausel zwischen fremden Dritten eine echte Benchmark für fremdvergleichskonforme Preisanpassungsklauseln fehlt. Nach § 9 FVerlV soll eine fremdvergleichskonforme Preisanpassungsklausel jedenfalls dann vorliegen, wenn im Hinblick auf wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile Lizenzvereinbarungen getroffen werden, die die zu zahlende Lizenz vom Umsatz oder Gewinn des Lizenznehmers abhängig machen oder für die Höhe der Lizenz Umsatz und Gewinn berücksichtigen (so nun auch die Ausnahmeregel in § 1a Satz 6 Nr. 3 AStG). Damit wird das eigentliche Anliegen des Gesetzgebers, den Steuerpflichtigen zum Abschluss von Lizenzvereinbarungen zu drängen, deutlich. Über die Beweggründe hierfür kann man nur spekulieren. Jedenfalls übersieht der Gesetzgeber, dass Veräußerung und Lizenzierung Vorgänge sind, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Weshalb eine Veräußerung für den Steuerpflichtigen unattraktiv gemacht werden soll, ist nicht klar, zumal es für eine solche berechtigte Gründe geben kann.4 Eine Preisanpassung unterbleibt außerdem, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass er bei der Bestimmung des Verrechnungspreises die aus der künftigen Entwicklung resultierenden Unsicherheiten angemessen berücksichtigt hat (§ 1 Satz 6 Nr. 2 AStG). Ausweislich der Begründung zum AbzStEntModG kann dies insbesondere durch extern veröffentlichte Informationen seitens des Unternehmens und auf der Grundlage von ökonomisch anerkannten Prinzipien und Methoden erfolgen, z.B. durch fremdübliche Risikozu- oder -abschläge. Derartige Risikozuschläge werden in der Unternehmensbewertung bei der Kaufpreisfindung regelmäßig genutzt, sodass dies eine relevante Ausnahme von der nachträglichen Preisanpassung darstellen könnte, sofern der Steuerpflichtige die Berücksichtigung dieser Umstände dokumentiert und nachweisen kann. Standardisierte Preisanpassungsklausel und Beobachtungszeitraum. Kann der Steuerpflichtige die Vermutung des § 1a Satz 1 AStG nicht widerlegen, greift keine der Ausnahmen aus § 1a Satz 6 AStG und wurde auch keine fremdvergleichskonforme individuelle Preisanpassungsklausel vereinbart, kommt die standardisierte Preisanpassungsklausel des § 1a Satz 2 AStG zur Anwendung, falls bezogen auf die ersten sieben Jahre nach Geschäftsabschluss eine erhebliche Abweichung bei der Gewinnentwicklung eintritt. In diesem Fall hat der Steuerpflichtige nach § 1a Satz 2 AStG einmalig einen angemessenen Anpassungsbetrag im achten Jahr nach Geschäftsabschluss zu versteuern. Ein angemessener Anpassungsbetrag liegt vor, wenn er dem Unterschiedsbetrag zwischen dem ursprünglichen und dem neu ermittelten Verrechnungspreis entspricht (§ 1a Satz 5 AStG). Der bis dahin maßgebliche zehnjährige Beob-
1 Vgl. BR-Drucks. 220/07, 146. Siehe auch Stein/Schwarz, DB 2021, 1296; Greil/Saliger, ISR 2021, 335. 2 Vgl. VWG FVerl, Tz. 2.9. 3 Vgl. Naumann, Status: Recht 2007, 204. 4 Vgl. Greinert, Ubg 2010, 107.
Ditz/Greinert | 1017
7.147
Kap. 7 Rz. 7.147 | Funktionsverlagerungen
achtungszeitraum (§ 1 Abs. 3 Satz 12 AStG a.F.) wurde – wohl auch aufgrund der anhaltenden Bedenken, die gegen die Länge dieses Zeitraums bestanden – im Zuge des AbzStEntModG1 durch einen siebenjährigen Beobachtungszeitraum ersetzt. Vor dem Hintergrund der hohen Wettbewerbsintensität in vielen Branchen und der Schnelllebigkeit der heutigen Geschäftswelt wurde der zehnjährige Beobachtungszeitraum als deutlich zu lange empfunden.2 So stellt Wassermeyer klar: „Eine über 10 Jahre laufende Preisanpassungsklausel ist in der Wirtschaft undenkbar und verletzt alle Vorstellungen zum Fremdvergleich.“3 Soweit in der Praxis überhaupt Preisanpassungsklauseln vereinbart werden, sehen diese typischerweise einen Anpassungszeitraum von einem bis drei Jahren vor.4 Diese Erfahrungswerte von Praktikern werden durch die bereits zitierte empirische Untersuchung von Ewelt-Knauer/Knauer/Pex bestätigt. Demnach beträgt der Anpassungszeitraum im Durchschnitt 2,13 Jahre (Median: 2 Jahre).5 Hinzu kommt, dass insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter nach zehn Jahren eine so starke Prägung durch das übernehmende Unternehmen erfahren haben, dass es nicht sachgerecht ist, in diesem Fall noch auf die ursprüngliche Transaktion abzustellen.6 Entsprechend dieser Kritik ist an die Stelle des zehnjährigen Beobachtungszeitraums nun ein siebenjähriger Beobachtungszeitraum getreten, der mit dem entsprechenden Geschäftsabschluss zu laufen beginnt. Damit unterscheidet sich § 1a Satz 2 AStG von den Empfehlungen der OECD, die auf den Zeitpunkt abstellt, in dem der immaterielle Wert für das übernehmende Unternehmen zum ersten Mal Einkünfte generiert und überdies eine Vermarktungsperiode von fünf Jahren vorsieht.7 Da der Beobachtungszeitraum in diesem Fall sehr lange werden kann, entschied sich der Gesetzgeber aus Gründen des Rechtsfriedens und der Praxistauglichkeit für einen Beobachtungszeitraum von sieben Jahren, der mit dem Geschäftsabschluss zu laufen beginnt. Auch ein siebenjähriger Beobachtungszeitraum ist jedoch noch zu lange.8 Zu beachten ist ferner, dass § 1a Satz 2 AStG lediglich eine einmalige Anpassung ermöglicht, die im achten Jahr nach Geschäftsabschluss erfolgt; eine mehrmalige Preisanpassung kommt demnach nicht in Betracht.
G. Funktionsverlagerung ins Inland 7.148
Anwendung der Funktionsverlagerungsgrundsätze bei Verlagerungen ins Inland. Unternehmerischer Hintergrund einer Funktionsverlagerung ist nicht selten der, dass die Unternehmen Verlustfunktionen ins Ausland verlagern, um dort von geringeren Kosten profitieren zu können.9 Sie erhoffen sich dadurch, in Zukunft wieder gewinnbringend agieren zu können. Der umgekehrte Fall, d.h. die Verlagerung einer Funktion ins Inland, ist eher selten, da in Deutschland ein höheres Kostenniveau herrscht. Gleichwohl gibt es aber auch Fälle, in denen die Unternehmen Funktionen ins Inland verlagern, weil im Ausland z.B. nicht die gewünschte
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl I 2021, 1259. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 575. Wassermeyer, FR 2008, 68. Vgl. Scholz, IStR 2007, 524; Werner, DStR 2012, 1664; ähnlich Oestreicher, Ubg 2009, 88; Steimel in Oestreicher, Unternehmensbesteuerung 2008: Neue Wege gehen, 123. Vgl. Ewelt-Knauer/Knauer/Pex, zfbf 2011, 388 f. Vgl. Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 575. Vgl. Tz. 6.193 OECD-Leitlinien 2022. So auch Stein/Schwarz, DB 2021, 1296. Vgl. zur Verlagerung von Verlustfunktionen ins Ausland während der Corona-Krise Ditz/Quilitzsch, DB 2020, 975.
1018 | Ditz/Greinert
G. Funktionsverlagerung ins Inland | Rz. 7.148 Kap. 7
Produktqualität erzielt wird, weil es im Inland besondere Standortvorteile oder Synergieeffekte gibt, oder weil ein anderes (politisches) Umfeld mehr Planungssicherheit gewährleistet.1 Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob die Grundsätze auch für Funktionsverlagerungen ins Inland anzuwenden sind.2 Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist dies zu bejahen.3 Auch aus der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass die Vorschriften zur Funktionsverlagerung sowohl bei Verlagerungen von Deutschland ins Ausland (Outbound-Fall) als auch bei Verlagerungen vom Ausland nach Deutschland (Inbound-Fall) gelten.4 Aufgrund dessen kann für die Frage, ob eine Funktion vorliegt, ob diese verlagert wird und wie diese zu bewerten ist, auf die bisherigen Ausführungen verwiesen werden. Eine Korrektur nach § 1 AStG kommt indessen nur bei einer Minderung der inländischen Einkünfte in Betracht; bei einer Erhöhung der inländischen Einkünfte ist hingegen § 1 AStG nicht einschlägig. Eine Korrektur kann dann allenfalls aufgrund anderer Korrekturvorschriften vorgenommen werden.5 Beispiel 1: Die in Frankreich ansässige M-SA ist Alleingesellschafterin der T-GmbH. Sie überträgt ihre Produktionsfunktion auf die T-GmbH. Die Summe der gemeinen Werte der übertragenen Einzelwirtschaftsgüter beträgt 1 Mio. €, der ermittelte Verrechnungspreis für das Transferpaket beträgt 1,3 Mio. €. Das Entgelt, das die T-GmbH an die M-SA zahlt, beträgt 800.000 €. Aufgrund der zu niedrigen Zahlung fehlt es an einer Minderung der steuerpflichtigen Einkünfte im Inland, sodass eine Korrektur auf der Grundlage von § 1 AStG ausscheidet. Es liegt allerdings eine verdeckte Einlage der ausländischen Muttergesellschaft in die inländische Tochtergesellschaft vor.6 Für die Behandlung dieser verdeckten Einlage bei der ausländischen Muttergesellschaft ist das ausländische Recht maßgebend. Bei der inländischen Tochtergesellschaft ist die Einlage mit dem gemeinen Wert der Einzelwirtschaftsgüter, mithin zu 1 Mio. €, zu bewerten (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG).7 Die Höhe der verdeckten Einlage ergibt sich demnach aus der Differenz zwischen der Summe der gemeinen Werte der Einzelwirtschaftsgüter und dem gezahlten Preis und beläuft sich somit auf 200.000 €. Da die verdeckte Einlage das Einkommen nicht erhöht, erfolgt eine außerbilanzielle Kürzung (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG), sofern im Ausland eine entsprechende Korrektur vorgenommen wurde (§ 8 Abs. 3 Satz 4 KStG).8 Beispiel 2: Die M-AG ist Alleingesellschafterin der in Frankreich ansässigen T-SARL, die ihre Produktionsfunktion auf die M-AG überträgt. Die Summe der gemeinen Werte der übertragenen Einzelwirtschaftsgüter beträgt 1 Mio. €, der ermittelte Verrechnungspreis für das Transferpaket beträgt 1,3 Mio. €. Das Entgelt, das die M-AG an die T-SARL zahlt, beträgt 800.000 €. Mangels Minderung der steuerpflichtigen Einkünfte im Inland kommt eine Korrektur auf der Grundlage von § 1 AStG auch in diesem Fall nicht in Betracht. Es liegt jedoch eine vGA der ausländischen
1 Vgl. Hemmerich/Günther, IWB 2020, 856; Kaminski in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 24. 2 Siehe dazu Kaminski in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, 23 ff.; Kessler/Probst, IStR 2017, 251 ff.; Hemmerich/Günther, IWB 2020, 845 ff.; siehe zu Funktionsverlagerungen ins Inland während der Corona-Krise Ditz/Quilitzsch, DB 2020, 975. 3 Vgl. VWG FVerl, Tz. 3. 4 Vgl. BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 86. 5 Vgl. BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 86. 6 Laut BFH stehen § 1 AStG und § 8 Abs. 3 Sätze 2, 3 KStG nebeneinander und die Finanzverwaltung hat das Recht, die Einkünftekorrektur wahlweise auf die eine oder auf die andere Norm zu stützen; vgl. BFH v. 27.11.2019 – I R 40/19, FR 2020, 1106 m. Anm. Kempermann, Rz. 42. 7 Vgl. Looks/Steinert/Müller, BB 2009, 2352. 8 Vgl. Kessler/Probst, IStR 2017, 256.
Ditz/Greinert | 1019
Kap. 7 Rz. 7.148 | Funktionsverlagerungen Tochtergesellschaft an die inländische Muttergesellschaft vor. Die Höhe der vGA ergibt sich dabei aus der Differenz zwischen der Summe der gemeinen Werte der Einzelwirtschaftsgüter und dem gezahlten Preis und beläuft sich somit auf 200.000 €. Die Behandlung der vGA richtet sich auf Ebene der TSARL allein nach ausländischem Recht. Auf Ebene der inländischen M-AG bleibt die vGA im Ergebnis zu 95 % steuerfrei (§ 8b Abs. 1, 5 KStG), sofern im Ausland eine entsprechende Korrektur erfolgt ist (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG).1 Beispiel 3: Die in Frankreich ansässige M-SA ist Alleingesellschafterin der T-GmbH. Sie überträgt nun ihre Produktionsfunktion auf die T-GmbH. Die Summe der gemeinen Werte der übertragenen Einzelwirtschaftsgüter beträgt 1 Mio. €, der ermittelte Verrechnungspreis für das Transferpaket beträgt 1,3 Mio. €. Das Entgelt, das die T-GmbH an die M-SA zahlt, beträgt 1.500.000 €. Da der überhöhte Kaufpreis zu einer Minderung der inländischen Einkünfte führt, kommt eine Berichtigung der Einkünfte auf der Grundlage von § 1 AStG in Betracht. Dabei ergibt sich eine Berichtigung in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Preis und dem Fremdvergleichspreis (Verrechnungspreis für das Transferpaket), d.h. in Höhe von 200.000 €. Da aber gleichzeitig auch eine vGA vorliegt (R 8.5 Abs. 1 KStR), stellt sich die Frage, ob auch eine Korrektur auf der Grundlage von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG möglich ist und ob diese weiter geht als jene gemäß § 1 AStG. Die vGA liegt im Unterschied zwischen dem tatsächlich gezahlten Preis und der Summe der gemeinen Werte der übertragenen Einzelwirtschaftsgüter und beläuft sich auf 500.000 €. Da beide Korrekturnormen nebeneinander anwendbar sind (vgl. Rz. 2.199 ff.), kommt eine Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG grds. in Betracht; es wäre eine außerbilanzielle Hinzurechnung in Höhe von 500.000 € vorzunehmen. Zu beachten ist allerdings, dass Gegenstand einer Funktionsverlagerung ein Transferpaket ist und dass die Vorschriften zur Funktionsverlagerung eingeführt wurden, weil der Gesamtwert der Funktion nach Ansicht des Gesetzgebers oftmals oberhalb der Summe der gemeinen Werte der Einzelwirtschaftsgüter liegt. Da die vGA nur Einzelwirtschaftsgüter erfasst, sollte für die Besteuerung eines Transferpakets nur § 1 AStG zur Anwendung kommen und die Korrektur in diesem Fall auf 200.000 € beschränkt bleiben. Andernfalls führen unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe und der Umstand, dass § 1 AStG bloß eine einseitige Korrektur zugunsten des Fiskus erlaubt dazu, dass die Wertung, die der Gesetzgeber an der einen Stelle trifft, an der anderen Stelle unterlaufen wird.
H. Typische Fälle von Funktionsverlagerungen I. Verlagerung der Einkaufsfunktion 1. Organisationsformen des Einkaufs 7.149
Zentralisierung der Einkaufsfunktion. Der Zentralisierung der Beschaffungsfunktion kommt in der Unternehmens- und Konzernpraxis eine große Bedeutung zu. Dies deswegen, weil sich durch die Bündelung der Nachfragemacht einer ganzen Unternehmensgruppe – mitunter erhebliche – Synergieeffekte durch die Nutzung von Größenvorteilen (insbesondere in Form von mengenabhängigen Vergünstigungen im Rahmen des Einkaufs) realisieren lassen. Dies betrifft neben dem Einkauf von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie Halbfertigfabrikaten durch Industrieunternehmen auch die Beschaffung von Waren durch Einzel- oder Großhandelsunternehmen. Im Rahmen der Zentralisierung der Einkaufsfunktion in einem verbundenen Unternehmen kommt es zu einer Verlagerung der bislang durch die einzelnen Konzernunternehmen separat ausgeübten Einkaufsfunktionen auf das nunmehr auf den Einkauf spezialisierte Unternehmen. Dabei wird die Einkaufsfunktion i.d.R. auf spezialisierte, rechtlich selbständige Einkaufsgesellschaften verlagert oder zentral durch eine bereits existierende Kon1 Vgl. Kessler/Probst, IStR 2017, 257.
1020 | Ditz/Greinert
H. Typische Fälle | Rz. 7.151 Kap. 7
zerngesellschaft (z.B. zentrale Einkaufsabteilung einer Obergesellschaft des Konzerns) ausgeübt. Die Einkaufsfunktion kann dabei grundsätzlich in den folgenden Formen ausgeübt werden:1 – Einkaufsagent, d.h. die Einkaufsgesellschaft kauft die Waren im fremden Namen und auf fremde Rechnung ein (Rz. 7.150), – Einkaufskommissionär, d.h. die Einkaufsgesellschaft kauft die Waren im eigenen Namen und auf fremde Rechnung ein (Rz. 7.152), – Eigenhändler, d.h. die Einkaufsgesellschaft kauft die Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ein (Rz. 7.154). Wie in Rz. 7.156 ff. gezeigt wird, ist die Frage, ob die Verlagerung der Einkaufsfunktion auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen zu einer Funktionsverlagerungsbesteuerung i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG und der FVerlV führt, von der Wahl der vorstehend dargestellten Organisationsform der Einkaufsgesellschaft abhängig. Einkaufsagent. Ist die Einkaufsgesellschaft als Einkaufsagent organisiert, kauft sie die Waren im fremden Namen und auf fremde Rechnung (z.B. der inländischen Muttergesellschaft oder anderer verbundener Unternehmen) ein. Im Agentenmodell agiert die Einkaufsgesellschaft damit als reiner Dienstleister, sodass sie weder rechtliches noch wirtschaftliches Eigentum an den von ihr eingekauften Waren erwirbt. Die Funktionen der Einkaufsgesellschaft beziehen sich in ihrer Organisationsform als Einkaufsagent i.d.R. auf die folgenden:
7.150
– Einkauf von Waren in fremden Namen und auf fremde Rechnung, – Herstellung von Kontakten zu Lieferanten und Lohnfertigern, – Vermittlung von Lieferanten-Aufträgen, – Lieferantenauswahl, – Qualitätskontrolle, – Audit bei Lieferanten und Lohnfertigern, – Scouting, – Logistikoptimierung, – Konkurrentenanalyse, – Erschließung neuer Märkte. Verrechnungspreisermittlung des Einkaufsagenten. Die Tätigkeit der von einem Einkaufsagenten organisierten Einkaufsgesellschaft erschöpft sich in der Erbringung einer (Vermittlungs-)Dienstleistung. Der Einkaufsagent übt daher regelmäßig eine Routinefunktion (Rz. 7.73) aus. Gleichwohl kann der Einkaufsagent über spezielles Einkaufs-Know-how (z.B. in Bezug auf Lieferanten, Qualitätsstandards, spezielle Angebote, Qualitätschecklisten, Datenbanken zur Einkaufshistorie und ggf. eine entsprechende Logistik-Software) verfügen.2 Seine Vergütung ermittelt sich üblicherweise auf Basis einer Provision, die sich als Prozentsatz vom
1 Vgl. Freudenberg/Stein/Weskamp, Ubg 2016, 603. 2 Vgl. Becker/Loose, Ubg 2010, 786.
Ditz/Greinert | 1021
7.151
Kap. 7 Rz. 7.151 | Funktionsverlagerungen
Einkaufsvolumen bestimmt oder anhand der Kostenaufschlagsmethode1 ermittelt wird (zu Einzelheiten vgl. die Ausführungen zum Vertriebsagenten in Rz. 6.52 f.).
7.152
Einkaufskommissionär. Vergleichbar zum Einkaufsagenten erbringt auch die als Einkaufskommissionär organisierte Einkaufsgesellschaft eine (Vermittlungs-)Dienstleistung. Der wesentliche Unterschied zum Einkaufsagenten besteht allerdings darin, dass der Einkaufskommissionär die Waren im eigenen Namen (jedoch auf Rechnung des Kommittenten) einkauft.2 Üblicherweise erwirbt auch die als Einkaufskommissionär organisierte Einkaufsgesellschaft kein rechtliches oder wirtschaftliches Eigentum an den von ihr beschafften Waren. Die von einer als Einkaufskommissionär organisierten Einkaufsgesellschaft ausgeübten Funktionen entsprechen i.d.R. denjenigen des Einkaufsagenten (Rz. 7.150), wobei der Einkaufskommissionär darüber hinaus häufig die Bearbeitung von Mängelrügen und Gewährleistungsfällen, das Verbindlichkeitsmanagement sowie das Einkaufscontrolling übernimmt.3
7.153
Verrechnungspreisermittlung des Einkaufskommissionärs. Da der Einkaufskommissionär im eigenen Namen gegenüber den Lieferanten auftritt, ist ihm üblicherweise der Lieferantenstamm zuzuordnen. Allerdings ist das Marktrisiko der als Einkaufskommissionär organisierten Einkaufsgesellschaft i.d.R. begrenzt, da sie auf Rechnung des Kommittenten (z.B. der inländischen Muttergesellschaft) die Ware bezieht und infolgedessen weder ein Preis- noch ein Absatzrisiko trägt. Vor dem Hintergrund seines beschränkten Funktions- und Risikoprofils übt der Einkaufskommissionär eine reine Routinefunktion aus (Rz. 7.73).4 Daher wird die Vergütung des Einkaufskommissionärs üblicherweise anhand der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) bestimmt, soweit über die Preisvergleichsmethode keine fremdüblichen Provisionssätze bestimmt werden können.5
7.154
Eigenhändler. Die als Eigenhändler organisierte Einkaufsgesellschaft erwirbt und veräußert die von ihr eingekauften Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Infolgedessen erwirbt die Einkaufsgesellschaft in dieser Gestaltungsalternative rechtliches und wirtschaftliches Eigentum an den von ihr eingekauften Waren.6 Ihre Vergütung ermittelt sich damit aus der Differenz zwischen dem Ein- und Verkaufspreis ihrer Waren. Diese Differenz (verstanden als Bruttomarge oder Handelsspanne) sollte die Einkaufskosten der Einkaufsgesellschaft decken und darüber hinaus sicherstellen, dass sie einen angemessenen Gewinn erwirtschaftet. Im Gegensatz zum Einkaufsagenten bzw. -kommissionär (Rz. 7.150 und 7.152) übt die als Eigenhändler organisierte Einkaufsgesellschaft üblicherweise weitergehende Funktionen, wie z.B. die Lagerhaltung, das Supply-Chain-Management sowie Logistikfunktionen aus und trägt die Transport-, Lager-, Preis- und Marktrisiken. Hinsichtlich ihres Funktions- und Risikoprofils ist sie damit mit einer als „Fully-fleged-Distributor“ ausgestalteten Vertriebsgesellschaft vergleichbar (zu Einzelheiten Rz. 4.25 ff.).
1 Vgl. auch VWG FVerl, Rz. 221 mit dem Hinweis, dass in diesem Fall für die Einkaufsgesellschaft ein angemessener Kostenaufschlag zu berücksichtigen ist. 2 Vgl. Freudenberg/Stein/Weskamp, Ubg 2016, 603. 3 Vgl. auch Becker/Loose, Ubg 2010, 787. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 – S1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.4.10.2 Buchst. a (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. auch VWG FVerl, Rz. 221 mit dem Hinweis, dass in diesem Fall für die Einkaufsgesellschaft ein angemessener Kostenaufschlag zu berücksichtigen ist. 6 Vgl. Freudenberg/Stein/Weskamp, Ubg 2016, 603.
1022 | Ditz/Greinert
H. Typische Fälle | Rz. 7.157 Kap. 7
Verrechnungspreisermittlung des Eigenhändlers. Der Eigenhändler übt die volle Einkaufsfunktion aus, wobei er von dem konzerninternen oder -externen Lieferanten das Eigentum an der Ware erwirbt und diese im eigenen Namen und auf eigene Rechnung veräußert. Damit trägt er sowohl die Lager- und Absatzrisiken des Einkaufs als auch das Risiko des zufälligen Untergangs des Produkts vor dem Verkauf der Ware. Ferner verfügt er über weitgehende Dispositionsbefugnisse hinsichtlich der Ausgestaltung seiner Einkaufspolitik. Diese betreffen beispielsweise die Bestimmung der Preispolitik, die Auswahl von lokalen Einkaufspartnern sowie die Durchführung eigener Einkaufsforschung. Ferner ist davon auszugehen, dass der Eigenhändler neben den Vorrats-, Gewährleistungs- und Auslastungsrisiken des Einkaufs auch das Forderungsausfallrisiko sowie das Risiko fehlgeschlagener Geschäftsstrategien zu verantworten hat. Ein wesentliches Risiko des Eigenhändlers ist dabei das Risiko zurückgehender Umsätze, die bei gleichbleibenden Fixkosten zu Verlustrisiken führen können. Im Eigenhändlermodell kann daher der Verrechnungspreis für die Weiterlieferung der von der Einkaufsgesellschaft erworbenen Ware anhand der Preisvergleichsmethode (Rz. 5.5 ff.) oder – falls diese nicht anwendbar ist – anhand der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) bestimmt werden. Darüber hinaus ist die Anwendung der Wiederverkaufspreismethode (Rz. 5.15 ff.) denkbar, wenn die Einkaufsgesellschaft als Strategieträger (Rz. 4.62 ff.) zu qualifizieren und ihr infolgedessen der Residualgewinn zuzuordnen ist.
7.155
2. Besteuerung einer Funktionsverlagerung Neuaufnahme der Einkaufsfunktion. Wird eine Einkaufsfunktion erstmalig durch ein ausländisches verbundenes Unternehmen ausgeübt, kann es nicht zu einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG und der FVerlV kommen. Denn in diesem Fall fehlt es an der Tatbestandsvoraussetzung einer Einschränkung der Funktion im Inland (Rz. 7.43 ff.). Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass keine immateriellen Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile eines inländischen Unternehmens auf die ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen oder zur Nutzung überlassen werden. Für den Fall, dass die Einkaufstätigkeit durch eine ausländische Einkaufsgesellschaft neu in der Unternehmensgruppe installiert wird, scheidet daher eine Funktionsverlagerungsbesteuerung sowohl im Agenten- und Kommissionärs- als auch im Eigenhändlermodell aus. Dies gilt auch dann, wenn die Einkaufsfunktion vor Installierung der Einkaufsgesellschaft durch ein konzernexternes Unternehmen (z.B. externe Einkaufsagenten) ausgeübt wurde.1
7.156
Keine Funktionsverlagerung bei einem Einkaufsagenten. Wird die Einkaufsfunktion auf eine als Einkaufsagent organisierte ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen, liegt grundsätzlich eine Funktionsabspaltung vor (Rz. 7.54). Im Rahmen dieser wird zwar die Einkaufsfunktion auf die ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen, es kommt indessen nicht zu einer Verlagerung von Gewinnpotential ins Ausland. Damit gehen mit der Einkaufsfunktion auch keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile über, sodass eine Anwendung der Regelungen der Funktionsverlagerungsbesteuerung ausscheidet (zu Einzelheiten Rz. 7.72 ff.).2 Dies ist auch insoweit sachgerecht, als es sich bei der Funktionsausübung eines Einkaufsagenten um sog. Routinefunktionen handelt (Rz. 7.151), welche nicht Gegenstand einer Funktionsverlagerungsbesteuerung sein können (Rz. 7.72 f.). Dies gilt unabhängig davon, ob die Vergütung der als Einkaufsagent organisierten Einkaufsgesellschaft auf Basis der Preisvergleichsmethode (d.h. anhand einer umsatzbezogenen Provision) oder anhand der Kosten-
7.157
1 Vgl. Becker/Loose, Ubg 2010, 787. 2 Vgl. Freudenberg/Stein/Weskamp, Ubg 2016, 608.
Ditz/Greinert | 1023
Kap. 7 Rz. 7.157 | Funktionsverlagerungen
aufschlagsmethode bestimmt wird (Rz. 7.79 f.). Eine Funktionsverlagerung kann auch dann nicht angenommen werden, wenn die Einkaufsgesellschaft als Einkaufsagent ihre Einkaufsdienstleistungen gegenüber mehreren verbundenen Unternehmen erbringt (Rz. 7.77).
7.158
Keine Funktionsverlagerung bei einem Einkaufskommissionär. Auch im Hinblick auf die Verlagerung der Einkaufsfunktion auf eine als Kommissionär organisierte ausländische Einkaufsgesellschaft liegt eine Funktionsabspaltung vor (Rz. 7.54), welche jedoch nicht zu einer Funktionsverlagerungsbesteuerung führt (Rz. 7.72 ff.). Insoweit gelten die Ausführungen zum Einkaufsagenten (Rz. 7.157) für den Einkaufskommissionär entsprechend.
7.159
Mögliche Funktionsverlagerung bei einem Eigenhändler. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass bei der Übertragung der Einkaufsfunktion auf eine als Eigenhändler organisierte Einkaufsgesellschaft eine Funktionsverlagerung vorliegen kann, wenn der Einkaufsgesellschaft wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile (z.B. in Form von Lieferantenkontakten und Marktkenntnissen) übertragen oder zur Nutzung überlassen werden.1 Dies könne z.B. dann der Fall sein, wenn das für den Einkauf zuständige Personal in die ausländische Einkaufsgesellschaft versetzt wird.2 Insoweit verkennt die Finanzverwaltung, dass auch bei einer Verlagerung der Einkaufsfunktion die allgemeinen Voraussetzungen der Funktionsverlagerung erfüllt sein müssen (Rz. 7.21 ff.). Zwar ist der Einkauf unstreitig eine Funktion i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV (Rz. 7.29);3 allerdings setzt dies voraus, dass ein organisatorischer Teil des Unternehmens, der für den Einkauf verantwortlich ist, vom inländischen Unternehmen auf die ausländische Einkaufsgesellschaft übertragen wird (Rz. 7.33 ff.). Dieser organisatorischen Einheit muss (eindeutig) ein Geschäfts- oder Firmenwert zugeordnet werden können (Rz. 7.38 ff.). Diese Voraussetzungen werden indessen im Rahmen der Gründung einer als Eigenhändler organisierten Einkaufsgesellschaft nur in seltenen Ausnahmefällen erfüllt sein. Allerdings kann in diesen Fällen eine sog. Funktionsverdopplung vorliegen (Rz. 7.64 ff.).
7.160
Keine Funktionsverlagerung bei dem „Low-Risk“-Einkaufsmodell. Wird die ausländische Einkaufsgesellschaft als Eigenhändler im Rahmen eines sog. „Low-Risk“-Einkaufsmodells tätig, scheidet die Besteuerung einer Funktionsverlagerung aus. Denn auch in diesem Fall greift die in § 2 Abs. 2 FVerlV vorgesehene Ausnahmeregel, wonach Funktionsverlagerungen auf Routineunternehmen keiner Besteuerung unterliegen (Rz. 7.72 ff.).
II. Verlagerung der Produktionsfunktion 1. Verlagerung auf einen Lohnfertiger 7.161
Ausgangssachverhalt. Die Verlagerung von Produktionsfunktionen auf einen Lohnfertiger wird anhand des folgenden Sachverhalts dargestellt: Beispiel: Die A GmbH mit Sitz in Bonn ist in den Bereichen der Entwicklung, der Herstellung und des Vertriebs von Kühlschränken tätig. Die Kühlaggregate, die im Rahmen der Produktion der Kühlschränke benötigt werden, werden derzeit in Bonn entwickelt und hergestellt. Daneben werden die Kühlaggregate in erheblichem Umfang an externe Kunden der A GmbH vertrieben. Zur Herstellung der Kühlaggregate sind Patente notwendig, die von der A GmbH selbst entwickelt wurden. Die Kühlaggregate werden permanent weiterentwickelt; üblicherweise haben sie einen Produktlebenszyklus von fünf Jah-
1 Siehe auch Freudenberg/Stein/Weskamp, Ubg 2016, 608. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 222. 3 Vgl. VWG FVerl, Rz. 15.
1024 | Ditz/Greinert
H. Typische Fälle | Rz. 7.163 Kap. 7 ren. Aufgrund des zunehmenden Wettbewerbsdrucks aus Asien und der steigenden Lohnkosten in Deutschland erwirtschaftet die Sparte „Kühlaggregate“ der A GmbH seit geraumer Zeit Verluste. Die in diesem Zusammenhang eingeleiteten Restrukturierungsmaßnahmen konnten daran nichts ändern. Es wird dauerhaft von jährlichen Verlusten i.H.v. mindestens 400.000 Euro ausgegangen. Falls die A GmbH die Sparte „Kühlaggregate“ schließen würde, könnte sie aus dem Verkauf der bestehenden Produktionsanlagen Einnahmen i.H.v. 500.000 Euro erzielen. Gleichzeitig würden Schließungskosten i.H.v. 800.000 Euro entstehen. Vor diesem Hintergrund beschließt die Geschäftsführung der A GmbH, die Produktion der Kühlaggregate in Bonn einzustellen und diese zukünftig in Ungarn durch die neu gegründete Tochtergesellschaft B Kft. herzustellen. Die Produktionsanlagen wurden bereits nach Ungarn überführt. Die Patente verbleiben jedoch bei der A GmbH. Zum Aufbau der Produktionsanlagen sowie zur Einarbeitung der ungarischen Fachkräfte sollen zudem Ingenieure der A GmbH entsendet werden. Die B Kft. wird nach der Produktionsverlagerung ausschließlich für die A GmbH produzieren und erhält dafür eine nach der Kostenaufschlagsmethode berechnete Vergütung. Die A GmbH hat sich zudem vertraglich zur Abnahme der gesamten Produktion verpflichtet.
Voraussetzungen eines Lohnfertigers. Die B Kft. agiert als reiner Lohnfertiger zur Herstellung der Kühlaggregate für die A GmbH. Nach Rz. 204 VWG-Funktionsverlagerung v. 13.10.2010 sind – in Ergänzung zu den Regelungen der VWG 19831 – für einen Lohnfertiger die folgenden Merkmale typisch (Rz. 4.22):2
7.162
– Der Lohnfertiger trägt keine Produktionsrisiken (z.B. Qualitätsrisiko, Auslastungsrisiko, Absatzrisiko und Lagerrisiko). – Der Lohnfertiger hat die Produkte nicht selbst entwickelt und besitzt oder erwirbt kein Eigentum an den für die Produktion erforderlichen immateriellen Wirtschaftsgütern (hier: Patente). – Der Lohnfertiger nimmt keine Vermarktungsfunktion wahr und trägt keine Marktrisiken. – Der Lohnfertiger verfügt über keine entsprechenden Entscheidungskompetenzen. – Der Lohnfertiger erhält die für seine Produktionsschritte notwendigen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und ggf. auch die Produktionsanlagen vom Auftraggeber beigestellt. Diese Voraussetzungen sind bei der B Kft. erfüllt. Infolgedessen werden auf die B Kft. weder Geschäftschancen noch Gewinnpotential von der A GmbH übertragen. Denn der A GmbH stehen weiterhin alle Chancen und Risiken aus der Herstellung der Kühlaggregate bzw. der Kühlschränke zu, die sich z.B. aus der Vermarktung und Weiterverarbeitung ergeben. Da folglich die Chancen und Risiken sowie die wesentlichen Wirtschaftsgüter bei der A GmbH verbleiben (insbesondere Kundenstamm und Patente), kommt es nicht zu einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG. Vielmehr greift § 1 Abs. 7 FVerlV, wonach keine Funktionsverlagerung vorliegt, wenn ausschließlich Wirtschaftsgüter veräußert oder zur Nutzung überlassen werden oder nur Dienstleistungen erbracht werden (Rz. 7.81).3 Anwendung des § 1 Abs. 3b Satz 2 f. AStG i.V.m. § 2 Abs. 2 FVerlV. Selbst wenn man – entgegen den o.g. Grundsätzen – von einer Funktionsverlagerung ausgehen würde, wäre § 1 Abs. 3b Satz 2 f. AStG i.V.m. § 2 Abs. 2 FVerlV einschlägig (Rz. 7.72 ff.). Denn die B Kft. produziert die Kühlaggregate ausschließlich für die A GmbH und der entsprechende Verrechnungspreis wird nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt. In diesem Fall ist davon aus1 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 3.1.3. Bsp. 3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. auch Ditz, DStR 2006, 1629; Ditz/Just, DStR 2009, 141 f. 3 Vgl. auch VWG FVerl, Rz. 54.
Ditz/Greinert | 1025
7.163
Kap. 7 Rz. 7.163 | Funktionsverlagerungen
zugehen, dass mit dem übergehenden Transferpaket keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übertragen werden. Damit ist die Escape-Klausel des § 1 Abs. 3b Satz 2 anwendbar, die im Ergebnis zu einer Einzelbewertung der übergegangenen Produktionsanlagen führt.1
7.164
Personalentsendung. Die Entsendung der Ingenieure an sich stellt keine Funktionsverlagerung dar. Vielmehr sind – soweit die Voraussetzungen des BMF-Schreibens zur Arbeitnehmerentsendung v. 9.11.20012 erfüllt sind – lediglich die für die Ingenieure angefallenen Kosten an die B Kft. zu verrechnen.3 Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, können die Dienstleistungen der Ingenieure anhand der Kostenaufschlagsmethode verrechnet werden. Im Rahmen der Personalentsendung ist – auch nach Ansicht der Finanzverwaltung – kein gesondertes Entgelt für die Überlassung von Know-how zu verrechnen.4
7.165
Aufteilung von Standortvorteilen. Hinsichtlich der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ist noch die Aufteilung von Standortvorteilen zu beachten (Rz. 7.102). Standortvorteile werden bei der B Kft. durch niedrigere Produktionskosten aufgrund eines niedrigeren Lohnniveaus, geringerer Sozialabgaben etc. realisiert. Die günstigere Kostensituation führt ceteris paribus zu einem Mehrgewinn im Vergleich zur Inlandsproduktion durch die A GmbH ohne Einschaltung der B Kft. Der aus den Standortvorteilen resultierende Mehrgewinn darf allerdings nicht einseitig über die Kostenaufschlagsmethode (z.B. durch Anwendung eines pauschalen Gewinnaufschlags i.H.v. 5 % bis 15 %) an die A GmbH „abgegeben“ werden. Denn Standortvorteile entstehen aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Staates. Somit sollte das grundsätzliche Besteuerungsrecht der daraus resultierenden Gewinne auch dem betreffenden Staat (hier: Ungarn) zustehen. Vor diesem Hintergrund sind nach h.M. der Literatur die aus den niedrigeren Kosten im Ausland resultierenden Standortvorteile zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger aufzuteilen.5 Im Übrigen geht auch das FG Münster in seinem (rechtskräftigen) Urteil v. 16.3.2006 davon aus, dass Standortvorteile zwischen Auftraggeber (hier: A GmbH) und Lohnfertiger (hier: B Kft.) hälftig aufzuteilen sind.6 So machte das FG Münster in seiner Urteilsbegründung zutreffend deutlich, dass der durch die Produktion im Ausland entstandene Kostenvorteil nicht vollständig dem inländischen Auftraggeber zuzuordnen ist, sondern auch dem Lohnfertiger zusteht. Konkret hat dabei das FG Münster bei einer hälftigen Teilung des Kostenvorteils keinen Verstoß gegen den Grundsatz des Fremdvergleichs gesehen.7
7.166
Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs. Dieses Ergebnis ist insofern sachgerecht, als auch § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG bei einer Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs im Zweifel eine hälftige Aufteilung des Einigungsbereichs zwischen Leistungserbringer und 1 Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950. 2 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 – 20/01 – VWG-Arbeitnehmerentsendung, BStBl. I 2001, 796. 3 Vgl. auch § 1 Abs. 7 FVerlV; VWG FVerl, Rz. 54 f. 4 Vgl. VWG ArbN. 5 Vgl. Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791; Wassermeyer, StbJb. 1997/98, 163; Rödder, StbJb. 1997/98, 122; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 106. 6 Vgl. FG Münster v. 16.3.2006 – 8 K 2348/02 E, EFG 2006, 1562. 7 In einem Fall, in dem der Steuerpflichtige die Produktion ins Ausland verlagert hatte, weil die Produktion im Inland mit Verlusten verbunden war, entschied das FG München, dass ein „Mehrgewinn im Vergleich zur Inlandsproduktion“ nicht entsteht und die Frage nach der Aufteilung der Standortvorteile damit nicht relevant ist; vgl. FG München v. 26.11.2019 – 6 K 1918/16, EFG 2020, 764, Rz. 94 (anhängig beim BFH unter Az. I R 54/19).
1026 | Ditz/Greinert
H. Typische Fälle | Rz. 7.168 Kap. 7
Leistungsempfänger vorsieht. Denn bei der Frage der Aufteilung eines Standortvorteils zwischen Auftraggeber und Lohnfertiger handelt es sich nicht um einen tatsächlichen Fremdvergleich. Vielmehr ist im Wege eines hypothetischen Fremdvergleichs anhand der Denkfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Rahmen einer Preissimulation zu klären, wie fremde Dritte einen Standortvorteil aufteilen würden. Dies läuft letztlich auf die Ermittlung eines Einigungsbereichs i.S.d. § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG hinaus, wonach zur Ermittlung eines Verrechnungspreises ein Einigungsbereich i.S. eines Mindestpreises des Leistenden (hier: des Lohnfertigers) und eines Höchstpreises des Leistungsempfängers (hier: des Auftraggebers) zu ermitteln ist.1 So umfasst die Preisobergrenze des Auftraggebers die Kosten des jeweiligen Auftrags bei Eigenerstellung, während die Preisuntergrenze des Lohnfertigers die Kosten des jeweiligen Auftrags zzgl. eines Standardgewinnaufschlags umfasst. Da bei den hier zur Diskussion stehenden Auslagerungen von Produktionsaufgaben die Preisuntergrenze üblicherweise die Preisobergrenze unterschreitet, liegt ein Einigungsbereich vor. Grundsätzlich dürften alle Preise innerhalb dieses Einigungsbereichs als angemessen anzusehen sein, da jeder dieser Preise auch zwischen fremden Dritten vereinbart werden könnte. § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG sieht hinsichtlich der Frage, wie ein ermittelter Einigungsbereich zwischen den Verhandlungspartnern aufzuteilen ist, vor, dass der Mittelwert des Einigungsbereichs zugrunde zu legen ist, sofern kein anderer Wert glaubhaft gemacht wird, der dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Da die Aufteilung der Standortvorteile mittels einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung nur schwerlich möglich ist,2 wird in praxi von einer hälftigen Aufteilung des Einigungsbereichs, d.h. von einer hälftigen Aufteilung der Standortvorteile, auszugehen sein. Dies läuft auf eine Arbitriumwertlösung hinaus, welche letztlich als rein pragmatischer Ansatz zu verstehen ist.3
2. Verlagerung auf einen Eigenproduzenten Ausgangssachverhalt. Der Sachverhalt entspricht dem in Rz. 7.161 dargestellten Sachverhalt. Allerdings beschließt die Geschäftsführung der A GmbH, auch die mit der Produktion der Kühlaggregate zusammenhängenden Patente auf die B Kft. zu übertragen. Zukünftig soll die B Kft. die Kühlaggregate selbständig weiterentwickeln. Darüber hinaus soll die B Kft. den Vertrieb der Kühlaggregate an die externen Kunden im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vornehmen. Die erwarteten Gewinne der B Kft. aus der Produktion und dem Vertrieb der Kühlaggregate betragen pro Jahr 1 Mio. Euro.
7.167
Voraussetzungen eines Eigenproduzenten. Im Gegensatz zu Fall 1 agiert die B Kft. in Fall 2 nicht als Lohnfertiger, sondern als Eigenproduzent. Nach Rz. 201 VWG-Funktionsverlagerung sind folgende Merkmale für einen Eigenproduzenten typisch (Rz. 4.22 ff.):
7.168
– Der Eigenproduzent übt die volle Produktionsfunktion aus (z.B. Fertigung, Produktionsentwicklung, Produktauswahl, Einkauf, Lagerhaltung, Forschung und Entwicklung). – Der Eigenproduzent nimmt auch Vertriebs- und Vermarktungsfunktionen wahr (z.B. Werbung, Marketing, Vertrieb). – Der Eigenproduzent verfügt über eigene Entscheidungskompetenzen in Bezug auf die Produktions-, Vertriebs- und Vermarktungsfunktionen.
1 Zu Einzelheiten vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1464 f. 2 Vgl. dazu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1465. 3 Vgl. Baumhoff//Greinert, IStR 2006, 792.
Ditz/Greinert | 1027
Kap. 7 Rz. 7.168 | Funktionsverlagerungen
– Der Eigenproduzent ist im Besitz der wesentlichen materiellen und insbesondere immateriellen Wirtschaftsgüter (Eigentum oder Lizenz). – Der Eigenproduzent trägt die mit der Ausübung dieser Funktionen verbundenen Chancen und Risiken, insbesondere das Markt- und Absatzrisiko.
7.169
Tatbestand einer Funktionsverlagerung erfüllt. Da die F&E-, die Herstellungs- und die Vertriebsfunktion für die Kühlaggregate und darüber hinaus sämtliche damit zusammenhängenden Chancen und Risiken sowie die wichtigsten immateriellen Wirtschaftsgüter (Patente) von der A GmbH auf die B Kft. übertragen werden, liegt eine Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV vor. Denn mit diesen Funktionen (Rz. 7.25 ff.) im Zusammenhang stehende Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile gehen auf die B Kft. über (Rz. 7.58 ff.) und bei der A GmbH werden die entsprechenden Funktionen nach der Funktionsverlagerung eingestellt.1 Ferner ist § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG i.V.m. § 2 Abs. 2 FVerlV (Übertragung von Funktionen auf ein Routineunternehmen und Anwendung der Kostenaufschlagsmethode) nicht anwendbar. Ebenso wenig sind die Ausnahmetatbestände der Funktionsverdoppelung (§ 1 Abs. 6 FVerlV) und der bloßen Übertragung von Wirtschaftsgütern/Personalentsendung (§ 1 Abs. 7 FVerlV) einschlägig.2
7.170
Bewertung der Funktion als Ganzes. Da in dem in Rz. 7.167 dargestellten Sachverhalt die Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllt sind (Rz. 7.21 ff.), hat die A GmbH das entsprechende Entgelt auf der Grundlage einer Verlagerung „der Funktion als Ganzes“ zu bestimmen, d.h. den Wert für ein sog. Transferpaket zu ermitteln. Das Transferpaket besteht nach § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG aus den von der A GmbH auf die B Kft. übergehenden Funktionen und den mit diesen Funktionen zusammenhängenden Chancen und Risiken sowie den Wirtschaftsgütern und Vorteilen, die auf die B Kft. übertragen werden. Im Ergebnis beinhaltet damit das Transferpaket ein Konglomerat aus allen denkbaren Lieferungs- und Leistungsbeziehungen, die zwischen der A GmbH und der B Kft. im Zusammenhang mit der Funktionsverlagerung stattfinden.3 Da die Anwendung eines tatsächlichen Fremdvergleichs nicht möglich ist,4 ist nach der Grundregel des § 1 Abs. 3 Satz 7, Abs. 3a Satz 5 f. AStG der Wert des Transferpakets unter Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs zu ermitteln. Im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs ist aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen ein Einigungsbereich aus dem Mindestpreis der A GmbH und dem Höchstpreis der B Kft. zu ermitteln (Rz. 7.98 ff.). Dabei ist bei der Ermittlung der Preisunter- bzw. Preisobergrenze auf die zukünftigen kapitalisierten Gewinnerwartungen („Gewinnpotential“) der Funktion abzustellen. Dies läuft auf eine Anwendung des Ertragswertverfahrens hinaus, wobei folgende – im Rahmen der VWG-Funktionsverlagerung ausführlich dargelegten – Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind: – Isolierung und Prognose der „Reingewinne nach Steuern“, die auf das Transferpaket entfallen;5 – Bestimmung des Kapitalisierungszeitraums;6 – Bestimmung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes.7 1 2 3 4
Zu Einzelheiten vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946. Vgl. auch VWG FVerl, Rz. 201 f. Vgl. VWG FVerl, Rz. 28 f.; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1947 f. Zu einem Fall des tatsächlichen Fremdvergleichs vgl. Schilling/Kandels, DB 2012, 1065 ff. und dazu kritisch Ditz/Liebchen, DB 2012, 1469 ff. 5 Vgl. dazu VWG FVerl, Rz. 82 ff. 6 Vgl. dazu VWG FVerl, Rz. 109 ff. 7 Vgl. dazu VWG FVerl, Rz. 104 ff.
1028 | Ditz/Greinert
H. Typische Fälle | Rz. 7.173 Kap. 7
Ermittlung der Preisuntergrenze. Die Preisuntergrenze aus Sicht der A GmbH ergibt sich aus dem Barwert der „Reingewinne nach Steuern“, den die A GmbH bei einer Fortführung der entsprechenden Funktionen erwartet hätte. Da die A GmbH allerdings dauerhaft Verluste erwirtschaften wird, bestimmt sich die Preisuntergrenze gem. § 7 Abs. 3 FVerlV nach dem niedrigeren der beiden folgenden Werte:1
7.171
– Barwert der erwarteten Verluste (hier: ./. 400.000 Euro × Barwertfaktor) oder – Liquidationswert der Funktion (hier: 500.000 Euro ./. 800.000 Euro = ./. 300.000 Euro). Damit ergibt sich nach den Grundsätzen des § 7 Abs. 3 FVerlV eine Preisuntergrenze aus Sicht der A GmbH i.H.v. ./. 300.000 Euro, da der Liquidationswert der Funktion (./. 300.000 Euro) geringer ist als der Barwert der erwarteten Verluste. Ermittlung der Preisobergrenze. Die Preisobergrenze aus Sicht der B Kft. bestimmt sich aus dem Barwert der Reingewinne nach Steuern, welche die B Kft. aus der Herstellung und dem Vertrieb der Kühlaggregate erwartet. Dabei kann nach Auffassung der Finanzverwaltung das Ertragswertverfahren angewendet werden.2 Dem hier durchgeführten Ertragswertverfahren werden folgende Annahmen zugrunde gelegt:
7.172
– Erwarteter Gewinn: 1 Mio. Euro p.a.; – Kapitalisierungszinssatz: 7 % (Basiszinssatz von 1 % zzgl. Risikozuschlag von 6 %);3 – Kapitalisierungszeitraum: fünf Jahre.4 Aus Kapitalisierungszinssatz und -zeitraum folgt ein Kapitalisierungsfaktor von 4,1. Unter Berücksichtigung dieser Parameter im Rahmen der Anwendung des Ertragswertverfahrens ergibt sich eine Preisobergrenze aus Sicht der B Kft. i.H.v. 4,1 Mio. Euro. Mithin beträgt damit der Einigungsbereich zwischen ./. 300.000 Euro (Preisuntergrenze der A GmbH) und 4,1 Mio. Euro (Preisobergrenze der B Kft.). Ermittlung des Einigungsbereichs. Nach § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG ist als Fremdvergleichspreis der Mittelwert des Einigungsbereichs zu wählen, wenn der Steuerpflichtige nicht glaubhaft macht, dass ein anderer Wert innerhalb des Einigungsbereichs dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entsprechen würde, wobei hierbei alle Umstände des Einzelfalls, wie z.B. die jeweiligen Marktpositionen, das betriebliche Eigeninteresse des verlagernden Unternehmens, das Angewiesensein des übernehmenden Unternehmens auf die Wirtschaftsgüter und Vorteile, die Kapitalausstattung und Ertragslage der beteiligten Unternehmen, die Entstehung von Synergieeffekten, die Standortvorteile sowie die Höhe der ersparten Anlaufkosten, zu berücksichtigen sind (vgl. Rz. 7.120).5 Bei Anwendung der Mittelwertbetrachtung ergibt sich vorliegend ein
1 Zu Einzelheiten vgl. VWG FVerl, Rz. 121 ff. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 87 ff. 3 Der Risikozuschlag muss grds. unter Berücksichtigung des spezifischen Risikoprofils des entsprechenden Unternehmens bzw. der entsprechenden Funktion ermittelt werden (vgl. VWG FVerl, Rz. 106). Nach den Empfehlungen des IDW beträgt der Risikozuschlag zwischen 6 % und 8 %; vgl. IDW, Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf Unternehmensbewertungen v. 25.3.2020. Im vorliegenden Sachverhalt soll beispielhaft von einem Risikozuschlag i.H.v. 6 % ausgegangen werden. Dabei wird ein Beta-Faktor von 1 unterstellt. 4 Der Zeitraum muss von der A GmbH „glaubhaft“ gemacht werden, vgl. § 6 FVerlV; VWG FVerl, Rz. 113. 5 Vgl. VWG FVerl, Rz. 128; kritisch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1950 f.
Ditz/Greinert | 1029
7.173
Kap. 7 Rz. 7.173 | Funktionsverlagerungen
Wert des Transferpakets i.H.v. 1,9 Mio. Euro. Da die A GmbH allerdings aus der Produktion der Kühlaggregate Verluste erwirtschaftet, könnte dies zum Anlass genommen werden, einen Preis am unteren Ende des Einigungsbereichs auszuwählen. Dabei wäre es ggf. sogar vertretbar, dass die A GmbH der B Kft. eine Ausgleichszahlung von 300.000 Euro leistet, um sich von der entsprechenden Verlustquelle zu lösen.1
7.174
Risiko einer Doppelbesteuerung. Sollte ein Entgelt für das Transferpaket i.H.v. 1,9 Mio. Euro von der A GmbH an die B Kft. verrechnet werden, besteht das Risiko, dass die ungarische Finanzverwaltung das Konzept der Transferpaketbewertung dem Grund nach nicht anerkennt oder die Wertermittlung auf Basis eines hypothetischen Fremdvergleichs (Einigungsbereichsbetrachtung) nicht anerkennt.2 Eine entsprechende Doppelbesteuerung könnte nur durch ein Verständigungs- bzw. EU-Schiedsverfahren beseitigt werden.
7.175
Anwendung der Escape-Regelungen. § 1 Abs. 3b Sätze 2, 3 AStG beinhaltet eine Ausnahme zum Grundsatz der Gesamtbewertung eines Transferpakets. Danach ist eine Einzelbewertung der im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragenen Wirtschaftsgüter und erbrachten Dienstleistungen zulässig, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass weder wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren (§ 1 Abs. 3b Satz 2 AStG). Da in Bezug auf den in Rz. 7.167 dargestellten Sachverhalt jedoch davon auszugehen ist, dass die von der A GmbH auf die B Kft. übergehenden Patente „wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter“ darstellen,3 kommt eine Anwendung der Escape-Klausel des § 1 Abs. 3b Satz 2 AStG nicht in Betracht.
7.176
Escape gem. § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. Nach der früheren Rechtslage existierte eine weitere Escape-Regelung, nach der Einzelverrechnungspreise für die Bestandteile des Transferpakets auch dann angesetzt werden konnten, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft machte, dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist; dieses immaterielle Wirtschaftsgut hatte der Steuerpflichtige sodann auch genau zu bezeichnen (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F.). In dem in Rz. 7.167 dargestellten Sachverhalt werden Patente von der A GmbH auf die B Kft. übertragen. Diese Patente stellen wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter dar, die zudem genau bezeichnet werden können, sodass nach früherer Rechtslage (d.h. bis zum Veranlassungszeitraum 2021) eine Einzelbewertung aller übergehenden Wirtschaftsgüter (d.h. der Patente und der Produktionsanlagen) möglich war. Heißt es demnach: „Macht der Steuerpflichtige glaubhaft, dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist, und bezeichnet er es genau, sind Einzelverrechnungspreise für die Bestandteile des Transferpakets anzuerkennen.“ Mit dieser Regelung soll dem Steuerpflichtigen eine dritte Befreiungsmöglichkeit von der Gesamtbewertung eines Transferpakets eingeräumt werden.
7.177
Übertragung eines wesentlichen immateriellen Wirtschaftsguts. Hinsichtlich der Frage, wann ein immaterielles Wirtschaftsgut „wesentlich“ ist, verweist Rz. 75 VWG-Funktionsverlagerung v. 13.10.2010 auf die Legaldefinition des § 1 Abs. 5 FVerlV. Danach ist ein immaterielles Wirtschaftsgut „wesentlich“, wenn es für die verlagerte Funktion erforderlich ist und sein Fremdvergleichspreis insgesamt mehr als 25 % der Summe der Einzelpreise aller Wirtschaftsgüter und Vorteile des Transferpakets beträgt. Eine Anwendung dieser Definition des 1 Vgl. auch Hemmerich/Günther, IWB 2020, 855. 2 Zu der Frage des Verhältnisses der Funktionsverlagerungsbesteuerung zu Art. 9 Abs. 1 OECDMA vgl. Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 OECD-MA Rz. 28. 3 Zur Definition vgl. § 1 Abs. 5 FVerlV.
1030 | Ditz/Greinert
H. Typische Fälle | Rz. 7.179 Kap. 7
wesentlichen immateriellen Wirtschaftsguts ist allerdings insofern nicht zweckmäßig, als durch die neu eingeführte Escape-Klausel gerade von einer Gesamtbewertung eines Transferpakets abgesehen werden soll. Die quantitative Gegenüberstellung des Werts eines immateriellen Wirtschaftsguts mit dem Wert des Transferpakets ist daher angesichts des Mehraufwands nicht nachvollziehbar. Die Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung wird allerdings insoweit eingeschränkt, als die Glaubhaftmachung, dass ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut vorliegt, „keine präzise Wertberechnung für das Transferpaket“ erfordert.1 Übertragung von Patenten. Nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG muss „zumindest ein“ wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung sein. Dies ist in dem in Rz. 7.167 dargestellten Sachverhalt mit den auf die B Kft. übergehenden Patenten der Fall. Die Bezeichnung „zumindest“ macht deutlich, dass für die Anwendung der EscapeKlausel auch mehrere wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter Gegenstand der Funktionsverlagerung sein können.2 Sollte demnach – neben den Patenten – auch ein Kundenstamm von der A GmbH auf die B Kft. übergehen, würde dies einer Anwendung der dritten EscapeKlausel des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG nicht entgegenstehen. Schließlich muss der Steuerpflichtige glaubhaft machen, dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist.3 Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll dabei ein immaterielles Wirtschaftsgut dann genau bezeichnet sein, „wenn es auf Grund der Angaben des Steuerpflichtigen so eindeutig identifiziert werden kann, dass entweder ausreichende Vergleichswerte ermittelt werden können oder eine sachgerechte Preisbestimmung nach dem hypothetischen Fremdvergleich möglich ist“.4 Es ist davon auszugehen, dass sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der dritten Escape-Klausel des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG im vorliegenden Sachverhalt erfüllt sind. Denn mit den Patenten werden wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter, die genau bezeichnet werden können, von der A GmbH im Rahmen der Funktionsverlagerung auf die B Kft. übertragen. Im Ergebnis ist damit eine Einzelbewertung aller übergehenden Wirtschaftsgüter (d.h. der Patente und der Produktionsanlagen) möglich. Im Einzelnen:
7.178
Bewertung der Patente. Was die Bewertung der übergehenden Patente betrifft, war nach Ansicht der Finanzverwaltung zunächst die Anwendung der Preisvergleichsmethode zu prüfen.5 Dieser sind jedoch im Rahmen der Ermittlungen von angemessenen Lizenzgebühren in der Praxis enge Grenzen gesetzt, da i.d.R. fremdübliche Vergleichslizenzen nicht ermittelt werden können. Da ferner die Wiederverkaufspreismethode und die Kostenaufschlagsmethode zur Bestimmung angemessener Lizenzgebühren als wenig praktikabel gelten, kam den gewinnorientierten Methoden in diesem Zusammenhang eine übergeordnete Bedeutung zu. Denn es ist davon auszugehen, dass eine Lizenzgebühr von dem ordentlichen Geschäftsleiter eines Lizenzunternehmens nur bis zu der Höhe gezahlt wird, bei der für ihn ein angemessener Betriebsgewinn aus dem lizenzierten Produkt verbleibt. Ausgangspunkt für die Bestimmung der angemessenen Lizenzgebühr sind daher die Gewinnerwartungen aus der Überlassung des immateriellen Wirtschaftsguts (Rz. 7.94).
7.179
1 2 3 4 5
Vgl. VWG FVerl, Rz. 75. So explizit auch VWG FVerl, Rz. 77. Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1312. VWG FVerl, Rz. 78. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 – 4/83 – VWG, BStBl. I 1983, 218 Rz. 5.2.3 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
Ditz/Greinert | 1031
Kap. 7 Rz. 7.180 | Funktionsverlagerungen
7.180
Anwendung der Knoppe-Formel. In der Besteuerungspraxis haben sich mittlerweile vereinfachte Verrechnungspreismethoden herausgebildet, bei denen zugleich die gewünschte Gewinnorientierung gegeben ist. Die wohl bekannteste Vereinfachung bildet die sog. KnoppeFormel.1 Wenngleich sie konzeptionell angreifbar ist, so werden in der Verrechnungspreispraxis Lizenzsätze für immaterielle Wirtschaftsgüter oft nach dieser Formel ermittelt bzw. verprobt.2 Diese Formel sieht für den Lizenzgeber (hier: A GmbH) eine Lizenz i.H.v. 25–331/3 % des vorkalkulierten Gewinns des Lizenznehmers (hier: B Kft.) aus den zur Nutzung überlassenen immateriellen Wirtschaftsgütern ohne Berücksichtigung der Lizenzgebühr vor. Auch wenn die Knoppe-Formel wegen ihrer Herleitung und pauschalen Vorgehensweise vielfach Kritik erfährt, so gibt es mittlerweile recht umfassende Studien, die ihren Gehalt bestätigen und präzisieren. Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Arbeit von Goldscheider. Dieser hatte bereits vor Jahrzehnten die sog. 25 %-Rule zur Ermittlung angemessener Lizenzsätze auf Basis eigener empirischer Studien sowie Vorarbeiten anderer Experten abgeleitet. Diese Regel besagt, dass ein angemessener Lizenzsatz so zu bemessen ist, dass der Lizenzgeber 25 % des mit den lizenzierten immateriellen Wirtschaftsgütern generierten Gewinns erhält.3 Würde man die Knoppe-Formel bzw. die 25 %-Rule in dem in Rz. 7.167 dargestellten Sachverhalt anwenden, würde auf die A GmbH als Lizenzgeber – bei einem erwarteten Gewinn der B Kft. von 1 Mio. Euro p.a. – eine Lizenzgebühr von 250.000 Euro p.a. entfallen. Würde man die Patente dann in Anlehnung an IDW S 5 basierend auf dem anteiligen erwarteten Gewinn als Barwert der Gewinne über die Nutzungsdauer von fünf Jahren bewerten, würde sich ein Wert der Patente i.H.v. ca. 1 Mio. Euro (250.000 Euro × 4,1) ergeben: – Kapitalisierungszinssatz: 7 % (Basiszinssatz 1 % zzgl. Risikozuschlag 6 %); – Kapitalisierungsfaktor: 4,1; – Barwert: ca. 1 Mio. Euro.
7.181
Einzelbewertung der Wirtschaftsgüter. Die überführten Produktionsanlagen haben einen auf Basis der Preisvergleichsmethode ermittelten Wert i.H.v. 500.000 Euro. Bei Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter wäre somit ein Entgelt i.H.v. ca. 1,5 Mio. Euro angemessen. Dieses Entgelt läge allerdings unter dem Wert von 1,9 Mio. Euro, welcher im Rahmen der Bewertung der Funktion als Ganzes ermittelt wurde. Insofern war im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a.F. auch zu fragen, ob neben den übertragenen materiellen und immateriellen Einzelwirtschaftsgütern auch ein funktionsbezogener Geschäfts- oder Firmenwert anzusetzen war. Dieser Wert lässt sich indessen nicht einzeln, sondern nur indirekt als Differenz aus dem Wert des Transferpakets und dem Wert der einzelnen übertragenen Wirtschaftsgüter ermitteln.4
7.182
Ansatz eines Geschäfts- oder Firmenwerts. Im Rahmen der Anwendung dieser Escape-Klausel blieb für den Ansatz eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts kein Raum.5 Dies ergab sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der Norm, ließ sich jedoch aus der Entstehung der Vorschrift ableiten. Gemäß dem Bericht des Finanzausschusses wurde durch
1 Vgl. Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz- und Know-how-Verträge, 1972. 2 Vgl. etwa Zech, IStR 2009, 419; Ditz, IStR 2009, 423. 3 Vgl. Goldscheider/Jarosz/Mulhern in Parr, Royalty Rates for Licensing Intellectual Property, 2007, 31; Granstarnd, Les Nouvelles 2006, 179; Baumhoff/Greinert, Ubg 2009, 547. 4 Vgl. etwa BFH v. 26.11.2009 – III R 40/07, FR 2010, 480 m. Anm. Kanzler = DStR 2010, 371. 5 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 1312; Kroppen/Rasch, IWB 2010, 320; Frischmuth, IWB 2010, 435 f.; a.A. Pohl, IStR 2010, 360.
1032 | Ditz/Greinert
H. Typische Fälle | Rz. 7.185 Kap. 7
den angefügten zweiten Halbsatz an den bisherigen § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a.F. die Vereinbarung der Regierungsparteien im Koalitionsvertrag umgesetzt.1 Dort vereinbarten die Parteien, „bei den grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen unverzüglich die negativen Auswirkungen der Neuregelung zur Funktionsverlagerung auf den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland [zu] beseitigen“.2 Dieses Ziel ließ sich allerdings nur dann realisieren, wenn man in Bezug auf § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG a.F. tatsächlich auf die reine Bewertung der übergehenden Wirtschaftsgüter ohne den Ansatz eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts abstellte. Der Ansatz eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts konnte nur dann gerechtfertigt werden, wenn der Erwerber einen für sich lebensfähigen Betriebsteil (Betrieb oder Teilbetrieb) übernahm, der selbständig künftig Gewinne erwirtschaften konnte. Dabei mussten die den Geschäftswert bildenden Faktoren mit übergehen. Nur unter dieser Voraussetzung (Rz. 7.38 ff.) wäre ein fremder Erwerber bereit, den Wert für eine Einheit durch Diskontierung der erwarteten künftigen Erträge zu bestimmen.3 Diese Überlegungen spiegelten sich auch im OECD-Bericht über „Transfer Pricing Aspects of Business Restructuring“ wider. Hier wurde ausschließlich für den Fall des „Transfer of an Ongoing Concern“, also einer Übertragung eines für sich lebensfähigen Betriebsteils, der eigenständig Überschüsse erwirtschaften kann, der Ansatz eines funktionsbezogenen Geschäfts- oder Firmenwerts zugestanden. Dies trifft jedoch bei einer reinen Funktionsverlagerung wie im vorliegenden Sachverhalt nicht zu. Die Funktionsverlagerung ist vielmehr mit einer Betriebsverlagerung gerade nicht vergleichbar.4 Ergebnis der Einzelbewertung. Im Ergebnis wären in Anwendung von § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a.F. also nur folgende Werte abzurechnen gewesen:
7.183
– Für die Übertragung der Patente: 1 Mio. Euro; – für die Übertragung der Produktionsanlage: 500.000 Euro. Konsequenzen nach der neuen Rechtslage. Die Escape-Klausel des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG a.F. wurde im Rahmen der Reform des § 1 AStG (vgl. Rz. 2.66 ff.) ab dem Veranlagungszeitraum 2021 aufgehoben. Infolgedessen ist im dargestellten Beispielsfall eine Einzelbewertung der übertragenen Wirtschaftsgüter (Patente und Produktionsanlage) nicht mehr möglich. Vielmehr ist ein Transferpaket nach den Grundsätzen des hypothetischen Fremdvergleichs und unter Berücksichtigung der Ertragserwartungen zu bestimmen.
7.184
III. Verlagerung der Vertriebsfunktion 1. Gründung einer Vertriebsgesellschaft Auffassung der Finanzverwaltung. Nach Auffassung der Finanzverwaltung liegt eine Funktionsverlagerung vor, „wenn der Vertrieb (als Ganzes oder Teile davon) auf ein übernehmendes Unternehmen übertragen wird.“5 Nach Auffassung der Finanzverwaltung löst damit der in der Praxis äußerst relevante Fall der erstmaligen Gründung einer Vertriebsgesellschaft eine Funktionsverlagerungsbesteuerung aus. Diese allgemeine Aussage der Finanzverwaltung ist 1 Vgl. Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/ 939, 16. 2 Vgl. Koalitionsvertrag v. 26.10.2009. 3 Vgl. Haas in FS Schaumburg, 717; Lenz/Rautenstrauch, DB 2010, 698. 4 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2010, 322. 5 VWG FVerl, Rz. 211.
Ditz/Greinert | 1033
7.185
Kap. 7 Rz. 7.185 | Funktionsverlagerungen
indessen nicht sachgerecht. Denn einerseits steht außer Zweifel, dass die Verlagerung von Vertriebsfunktionen auf als Routineunternehmen organisierte ausländische Vertriebsgesellschaften keine Funktionsverlagerung auslösen kann (z.B. auf eine als Low-Risk-Distributor, Kommissionär oder Handelsvertreter organisierte ausländische Vertriebsgesellschaft). Denn in diesen Fällen geht kein Gewinnpotential auf die ausländische Vertriebsgesellschaft über, sodass bereits die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung nicht erfüllt sind (Rz. 7.74 ff.). Im Übrigen ist in diesen Fällen – auch nach Auffassung der Finanzverwaltung – § 1 Abs. 3b Satz 3 AStG i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 1 FVerlV einschlägig, wenn die Vertriebsgesellschaft auf Basis der Kostenaufschlagsmethode, der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode oder einer Provision vergütet wird (Rz. 7.79).1
7.186
Ablehnung der Auffassung der Finanzverwaltung. Schließlich geht die Finanzverwaltung (sehr allgemein) davon aus, dass die Verlagerung des Vertriebs auf eine als Eigenhändler organisierte Vertriebsgesellschaft (Rz. 4.25) zu einer Funktionsverlagerung führt.2 Auch diese allgemein gehaltene Aussage der Finanzverwaltung ist abzulehnen.3 Dies soll an folgendem Beispiel veranschaulicht werden: Beispiel: Die im Inland ansässige A-GmbH vertreibt die Produktgruppen A und B, wobei für beide Produktgruppen unterschiedliche Vertriebsabteilungen zuständig sind. Die Vertriebsabteilungen sind jeweils für die genannte Produktgruppe für die Länder Deutschland, Frankreich und Spanien verantwortlich. Die Länderbeauftragten arbeiten dabei nicht in abgegrenzten organisatorischen Einheiten, sodass als Funktion i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV (Rz. 7.29 ff.) die beiden Funktionen „Vertrieb Produkt A“ und „Vertrieb Produkt B“ zu qualifizieren sind. Die A-GmbH gründet in Spanien eine Tochter-Vertriebsgesellschaft, welche die Produkte der Gruppen A und B zukünftig als Eigenhändler im eigenen Namen und auf eigene Rechnung in Spanien vertreiben soll. Hintergrund der Gründung der Vertriebsgesellschaft ist die Erwartung, mit einem eigenständigen Außendienst in Spanien den spanischen Markt besser zu erschließen und damit den Umsatz mit den Produktgruppen A und B erheblich ausweiten zu können.
7.187
Keine Funktionsverlagerung bei Gründung einer Vertriebsgesellschaft. Für den vorstehenden Sachverhalt geht die Finanzverwaltung wohl davon aus, dass von einer Funktionsverlagerung des Vertriebs von der A-GmbH auf die neu gegründete spanische Tochter-Vertriebsgesellschaft auszugehen ist.4 Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Denn bei der A-GmbH bestand vor der Gründung der spanischen Vertriebsgesellschaft kein organischer Teil des Unternehmens (Rz. 7.33 ff.), der für den Vertrieb in Spanien verantwortlich war. Infolgedessen ist der Vertrieb der Produktgruppen A und B für Spanien nicht als Funktion i.S.d. § 1 Abs. 1 FVerlV zu qualifizieren und kann infolgedessen auch nicht Gegenstand einer Funktionsverlagerung sein.5 Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Gründung der Vertriebsgesellschaft in Spanien im eigenen betrieblichen Interesse der A-GmbH ist. Denn durch die Gründung der Vertriebsgesellschaft wird erwartet, dass der Umsatz in Spanien (erheblich) ansteigen wird, sodass auch unter unabhängigen Dritten in diesem Fall weder ein Entgelt für eine Funktionsverlagerung noch ein Entgelt für die Übertragung eines Kundenstamms zum Ansatz kommt. Die Gründung der spanischen Vertriebsgesellschaft ist vielmehr im ureigenen Interesse der A-GmbH. 1 Vgl. VWG FVerl, Rz. 67. 2 Vgl. VWG FVerl, Rz. 211. 3 Vgl. auch von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 84 f. 4 Vgl. VWG FVerl, Rz. 211. 5 Vgl. auch von Bredow, Reallokation von Funktionen in grenzüberschreitend tätigen Konzernen, 85; Haas, Ubg 2008, 520; Wolter/Pitzal, IStR 2008, 797 f.
1034 | Ditz/Greinert
H. Typische Fälle | Rz. 7.189 Kap. 7
2. Funktionsabschmelzung zum Kommissionär a) Betriebswirtschaftliche Gründe einer Funktionsabschmelzung Umstellung auf Kommissionärsstrukturen. Im Rahmen der Anpassung von Vertriebsfunktionen an den internationalen Globalisierungs- und Konzentrationsprozess werden häufig innerkonzernliche Vertriebsfunktionen von einer Vertragshändlertätigkeit auf eine Kommissionärsstruktur umgestellt (sog. Funktionsabschmelzung).1 Während eine Vertriebsgesellschaft als Vertragshändler (bzw. Eigenhändler) im eigenen Namen und auf eigene Rechnung agiert und folglich die volle Vertriebsfunktion ausübt, übernimmt der Kommissionär keine oder nur sehr geringe Risiken. Denn er handelt zwar im eigenen Namen, jedoch auf Rechnung des Kommittenten (vgl. Rz. 7.152 f.).2 Für die Umstellung von einer Vertragshändler- auf eine Kommissionärsstruktur sind häufig sowohl betriebswirtschaftliche als auch steuerliche Gründe maßgeblich. Betriebswirtschaftlich liegen die Vorteile der Kommissionärsstruktur insbesondere in der organisatorischen und logistischen Vereinfachung der Vertriebsstruktur und einer damit einhergehenden Kostenreduktion. Ferner gewährleistet eine Kommissionärsstruktur – trotz regional agierender Vertriebsgesellschaften – eine einheitliche Preis- und Distributionspolitik. Daneben sind regelmäßig auch steuerliche Gründe für die Etablierung einer Kommissionärsstruktur maßgebend. Das gegenüber einem Eigenhändler reduzierte unternehmerische Risiko, aber auch der eingeschränkte Funktionsumfang des Kommissionärs haben zur Folge, dass diesem eine (mitunter wesentlich) geringere Vertriebsmarge zuzurechnen ist. Befindet sich die Vertriebsgesellschaft in einem Staat mit relativ hoher Steuerbelastung (z.B. Deutschland), kann demnach ein Teil der Vertriebsmarge in einen niedrig besteuerten Staat verlagert und somit die Gesamtsteuerbelastung des Konzerns – und damit auch die Konzernsteuerquote – reduziert werden.
7.188
Ausgangssachverhalt. Die steuerlichen Konsequenzen einer Funktionsabschmelzung werden nachfolgend anhand des folgenden Ausgangssachverhalts dargestellt:
7.189
Der US-amerikanische Baumaschinenkonzern M-Inc. vertreibt seine in den USA hergestellten Baumaschinen in Deutschland über seine Tochter-Vertriebsgesellschaft V-GmbH. Die VGmbH agiert als Eigenhändler, indem sie die von ihrer Muttergesellschaft, der M-Inc., in den USA produzierten Baumaschinen auf eigene Rechnung und im eigenen Namen in Deutschland (Vertriebsgebiet) vertreibt. Die V-GmbH verfügt über einen „Showroom“, in welchem sie die aus den USA gelieferten Baumaschinen ausstellt, sowie über ein eigenes Lager, in welchem Baumaschinen bis zu ihrem Verkauf an Kunden sowie Ersatzteile für die Baumaschinen gelagert werden. Zum 31.1.2020 kündigt die M-Inc. vertragsgerecht den Vertriebsvertrag, da die V-GmbH ab dem 1.2.2020 als Kommissionär tätig werden soll. Der entsprechende (Kommissionärs-)Vertrag sieht vor, dass die V-GmbH im eigenen Namen, jedoch auf Rechnung der MInc. in Deutschland tätig wird und dabei ein vermindertes Funktions- und Risikoprofil aufweist. Für die Kunden der V-GmbH ist die Umstellung auf das Kommissionärsmodell nicht erkennbar, da die V-GmbH weiterhin im eigenen Namen auftritt. Zur Vergütung ihrer Tätigkeit erhält die V-GmbH eine angemessene Umsatzprovision i.H.v. 10 %. Diese wurde auf Basis von Planzahlen anhand der Kostenaufschlagsmethode unter Berücksichtigung eines Gewinn1 Vgl. dazu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650; Frischmuth, StuB 2007, 387. 2 Ein Kommissionär ist nach § 383 HGB derjenige, der es gewerbsmäßig übernimmt, Waren für Rechnung eines Kommittenten im eigenen Namen zu kaufen oder zu verkaufen. Zu den üblicherweise von einem Kommissionär wahrgenommenen Funktionen und Risiken sowie zur Abgrenzung des Kommissionärs vom Eigenhändler und Handelsvertreter vgl. Wassermeyer in FS Schaumburg, 972 ff.; Eisele, Grenzüberschreitende Funktionsverlagerung, 49 ff.
Ditz/Greinert | 1035
Kap. 7 Rz. 7.189 | Funktionsverlagerungen
aufschlags i.H.v. 3 % ermittelt. Nach der Umstellung auf das Kommissionärsmodell zum 1.2.2020 wird das Lager der V-GmbH aufgelöst; die in den USA produzierten Baumaschinen werden jetzt unmittelbar durch die M-Inc. an die Kunden der V-GmbH geliefert. Der Showroom bleibt allerdings aus Marketinggesichtspunkten bestehen. Aufgrund der Umstellung auf das Kommissionärsmodell erleidet die V-GmbH 2020 gegenüber 2019 einen Gewinnrückgang i.H.v. ca. 50 %. b) Verdeckte Gewinnausschüttung
7.190
Voraussetzungen einer vGA. Nach der Rspr. des BFH ist für die Frage, ob eine vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG anzunehmen ist, in Bezug auf die Tatbestandsvoraussetzung der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung auf einen Fremdvergleich abzustellen. Der Fremdvergleich findet dabei seine Konkretisierung in der sog. „Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters“.1 Vor diesem Hintergrund stellt sich in Bezug auf den in Rz. 7.189 dargestellten Sachverhalt die Frage, ob zwei ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter der M-Inc. und der V-GmbH im Rahmen der Kündigung des Vertriebsvertrags bei gleichzeitigem Abschluss des Kommissionärsvertrags einen Ausgleichs- oder sonstigen Entschädigungsanspruch vereinbart hätten.
7.191
Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB. Grundsätzlich kennt das deutsche Recht keine Rechtsgrundlage für einen Ausgleichsanspruch eines Eigenhändlers im Fall der Kündigung des Vertriebsvertrags durch das Prinzipalunternehmen (hier: M-Inc.). Nach der stRspr. des BGH ist jedoch § 89b HGB, der bei der Vertragsbeendigung einen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gegenüber seinem Prinzipal für den durch den Handelsvertreter geworbenen Kundenstamm vorsieht, analog bei einem Eigenhändler anzuwenden.2 Die Rechtsfolge des Ausgleichsanspruchs gem. § 89b HGB tritt bei einem Eigenhändler nach Auffassung des BGH allerdings nur dann ein, wenn – zwischen dem Hersteller und dem Eigenhändler ein Rechtsverhältnis besteht, das sich nicht in einer bloßen Verkäufer/Käufer-Beziehung erschöpft, sondern den Eigenhändler aufgrund vertraglicher Regelungen so in die Absatzorganisation des Herstellers eingliedert, dass er wirtschaftlich betrachtet in erheblichem Umfang Aufgaben übernimmt, die mit denen des Handelsvertreters vergleichbar sind, und er weisungsgebunden ist3 und – der Vertragshändler vertraglich verpflichtet ist, dem Hersteller die Kundendaten mitzuteilen, sodass dieser in der Lage ist, die Daten sofort und unmittelbar für eigene Zwecke zu nutzen.
7.192
Überlassung eines Kundenstamms. Vor diesem Hintergrund ist die Anwendung des § 89b HGB bei einem Eigenhändler nur dann möglich, wenn bei Vertragsende eine Verpflichtung des Eigenhändlers zur Überlassung des von ihm geworbenen Kundenstamms an das Prinzipalunternehmen besteht und davon auszugehen ist, dass das Prinzipalunternehmen die Vor-
1 Vgl. nur BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204 = FR 1995, 833 m. Anm. Kempermann; v. 6.12.1995 – I R 88/94, BStBl. II 1996, 383 = FR 1996, 393; v. 19.5.1998 – I R 36/97, BStBl. II 1998, 689 = FR 1998, 902; v. 24.4.2002 – I R 18/01, BStBl. II 2002, 670 = FR 2002, 1178. 2 Vgl. stRspr. des BGH z.B. BGH v. 20.10.1983 – I ZR 86/82, NJW 1984, 2102; v. 2.7.1987 – I ZR 188/85, NJW-RR 1988, 42; v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, BB 1996, 1458. 3 Vgl. etwa BGH v. 25.3.1982 – I ZR 146/80, DB 1982, 2293; v. 14.4.1983 – I ZR 20/81, DB 1983, 2412.
1036 | Ditz/Greinert
H. Typische Fälle | Rz. 7.195 Kap. 7
teile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzen kann.1 In Bezug auf den in Rz. 7.189 dargestellten Sachverhalt ist hingegen davon auszugehen, dass die V-GmbH auch nach ihrer Funktionsabschmelzung auf einen Kommissionär alle bisherigen Kundenbeziehungen aufrechterhält bzw. fortführt. Demnach geht ihr Kundenstamm nicht auf die M-Inc. über, sondern wird auch weiterhin von der V-GmbH – nunmehr in ihrer Funktion als Kommissionär – genutzt. Insoweit wird das bestehende Vertriebsverhältnis nicht vollständig beendet, sondern nur in seiner Struktur verändert. Da letztlich alle Kunden bei der V-GmbH verbleiben und von dieser weiterhin betreut werden, scheidet im Rahmen der Funktionsabschmelzung der V-GmbH ein Ausgleichsanspruch gem. § 89b HGB aus.2 Entschädigungsanspruch für einen „entgangenen Gewinn“. Kommt insofern eine vGA der V-GmbH in Bezug auf einen Ausgleichsanspruch gem. § 89b HGB nicht in Betracht, könnte sich eine solche aus einem möglichen Verzicht der V-GmbH auf einen Entschädigungsanspruch für einen „entgangenen Gewinn“ i.S. einer entgangenen Geschäftschance3 ergeben. Dies deswegen, weil der Gewinn des Kommissionärs aufgrund seiner reduzierten Funktionen (z.B. keine Lagerhaltung ab dem 1.2.2020) und Risiken (z.B. Verkauf auf Rechnung der MInc.) geringer ist, als der des Eigenhändlers. Allerdings geht die Verminderung der Gewinne bei der V-GmbH mit einer Verringerung der durch sie ausgeübten Funktionen (z.B. keine Lagerhaltung) und der von ihr getragenen Risiken (z.B. Forderungsverluste, Lagerhaltungsrisiko, Garantieleistungen etc.) einher. Vor diesem Hintergrund steht der verminderten Gewinnchance eine äquivalente Minderung der Funktionen und Risiken der V-GmbH gegenüber, sodass für einen Entschädigungsanspruch der V-GmbH gegenüber der M-Inc. aufgrund geminderter Gewinnerzielungsmöglichkeiten kein Raum bleibt.4
7.193
Keine vGA im Ausgangssachverhalt. Im Ergebnis kommt daher im Ausgangssachverhalt eine vGA der V-GmbH an die M-Inc. nicht in Betracht. Auch eine Anwendung des Gedankens einer Übertragung eines Transferpakets mit Gewinnpotential i.S.d. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG scheidet aus. Denn ein solcher Ansatz ist der Definition der vGA, die jeweils auf eine einzelne Transaktion zwischen Gesellschaft (hier: V-GmbH) und ihrem Gesellschafter (hier: M-Inc.) abstellt, fremd.
7.194
c) Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG Funktionsadäquater Gewinn. Im Zusammenhang mit der Kündigung des Vertriebsvertrags und dem Neuabschluss eines Kommissionärsvertrags zwischen der M-Inc. und der V-GmbH kommt auch die Besteuerung einer Funktionsverlagerung nicht in Betracht. Denn bereits in Rz. 7.193 wurde gezeigt, dass der durch den Abschluss des Kommissionärsvertrags verminderten Gewinnchance der V-GmbH eine äquivalente Minderung ihrer Funktionen und Risiken gegenübersteht, sodass auch zwischen fremden Dritten kein Entschädigungsanspruch entstehen würde. Im Übrigen vertreibt die V-GmbH als Kommissionär ab dem 1.2.2020 die Produkte (weiterhin) im eigenen Namen, sodass nicht von der Übertragung eines Kundenstamms auf die M-Inc. auszugehen ist. Auch die Realisierung eines Kundenstamms kommt daher nicht in Betracht.
1 2 3 4
Vgl. BGH v. 17.4.1996 – VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159 m.w.N. Vgl. auch Kroppen, IWB 1997, F. 3 Gr. 2, 746; Faix/Wangler, IStR 2001, 68. Zur Geschäftschancenlehre vgl. im Einzelnen Ditz, DStR 2006, 1625 ff. m.w.N. Vgl. Kroppen/Hüffmeier, IWB 1995, F. 3 Gr. 2, 642; Faix/Wangler, IStR 2001, 68; wohl a.A. Kuckhoff/Schreiber, Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung, 1997, Rz. 180.
Ditz/Greinert | 1037
7.195
Kap. 7 Rz. 7.196 | Funktionsverlagerungen
7.196
Auffassung der Finanzverwaltung. Die Ausführungen der Finanzverwaltung zur Funktionsabschmelzung einer Vertriebsgesellschaft auf einen Kommissionär sind in den VWGFunktionsverlagerung widersprüchlich. So wird zunächst eingeräumt, dass auch nach Ansicht der Finanzverwaltung eine „vertragskonforme Funktionsänderung selbst und die damit einhergehende Verminderung von Chancen und Risiken für sich alleine keine Funktionsverlagerung“ darstellt.1 Aufgrund dieser Auffassung würde in Bezug auf den in Rz. 7.189 dargestellten Sachverhalt keine Funktionsverlagerung von der M-Inc. auf die V-GmbH ausgelöst werden. Demgegenüber qualifiziert Rz. 21 VWG-Funktionsverlagerung die „Umstellung eines Eigenhändlers zum Kommissionär“ als „typisches Beispiel“ einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV. Darüber hinaus enthält Rz. 214 VWG-Funktionsverlagerung ein Beispiel, welches mit dem in Rz. 7.189 geschilderten Sachverhalt vergleichbar ist. In diesem Beispiel geht die Finanzverwaltung bei einer Funktionsabschmelzung von einem Vertragshändler zum Kommissionär unter bestimmten Voraussetzungen von einer Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV aus. Insofern besteht ein Widerspruch zu der bereits oben zitierten Auffassung der Finanzverwaltung, wonach grundsätzlich bei einer vertragskonformen Funktionsänderung keine Funktionsverlagerungsbesteuerung eintritt.
7.197
Funktionsabschmelzung einer Vertriebsgesellschaft zum Handelsvertreter. Die vorstehenden Ausführungen zu einer Funktionsabschmelzung einer Vertriebsgesellschaft vom Eigenhändler bzw. Vertragshändler zum Kommissionär gelten korrespondierend bei einer Funktionsabschmelzung auf einen Handelsvertreter.
IV. Verlagerung der Dienstleistungsfunktion 7.198
Keine spezifischen Probleme. Im Rahmen der Verlagerung von Dienstleistungsfunktionen ergeben sich hinsichtlich der steuerlichen Behandlung des Verlagerungsvorgangs keine spezifischen Probleme. Insofern kann in diesem Zusammenhang auf die allgemeinen Ausführungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen einer Funktionsverlagerung (Rz. 7.21 ff.) verwiesen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Verlagerung von Dienstleistungsfunktionen häufig keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile übergehen.2 Infolgedessen ist die Thematik „Funktionsverlagerungsbesteuerung“ im Zusammenhang mit Dienstleistungsfunktionen – insbesondere im Hinblick auf Hilfs-, Stabs- und Routinefunktionen (z.B. Buchhaltung, Controlling, Marketing, Werbung) – von untergeordneter Bedeutung.
7.199
In der Regel keine Funktionsverlagerung. Werden Dienstleistungsfunktionen auf ein ausländisches verbundenes Unternehmen übertragen, liegt grundsätzlich eine Funktionsabspaltung vor (Rz. 7.54). In deren Rahmen wird zwar die entsprechende Dienstleistungsfunktion auf das ausländische verbundene Unternehmen übertragen, es kommt indessen nicht zu einer Verlagerung von Gewinnpotential ins Ausland. Damit gehen mit der Dienstleistungsfunktion keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile über, sodass eine Anwendung der Regelungen der Funktionsverlagerungsbesteuerung ausscheidet (zu Einzelheiten Rz. 7.72 ff.).3 Dies ist insoweit sachgerecht, als es sich bei der Funktionsausübung einer Dienstleistung durch das ausländische verbundene Unternehmen i.d.R. um sog. Routinefunktionen handelt, welche nicht Gegenstand einer Funktionsverlagerungsbesteuerung sein können (Rz. 7.73 f.). Dies gilt unabhängig davon, ob die Vergütung des ausländischen verbunde1 VWG FVerl, Rz. 214. 2 So auch VWG FVerl, Rz. 220. 3 Vgl. auch VWG FVerl, Rz. 219 f.
1038 | Ditz/Greinert
I. Funktionsverlagerung und Umsatzsteuer | Rz. 7.201 Kap. 7
nen Unternehmens, welches die Dienstleistungen an das funktionsabgebende inländische Unternehmen erbringt, auf Basis der Preisvergleichsmethode oder anhand der Kostenaufschlagsmethode ermittelt wird (Rz. 7.79 f.). Eine Funktionsverlagerung kann auch dann nicht angenommen werden, wenn das ausländische verbundene Unternehmen die entsprechenden Dienstleistungen gegenüber mehreren verbundenen Unternehmen erbringt (Rz. 7.77).1
I. Funktionsverlagerung und Umsatzsteuer Anwendung allgemeiner Grundsätze: Bei Umstrukturierungen im Allgemeinen und bei Funktionsverlagerungen im Besonderen sind stets auch die umsatzsteuerlichen Folgen zu beachten. Konkret stellt sich somit die Frage, ob die Funktionsverlagerung einen umsatzsteuerbaren Vorgang auslöst. Von Seiten der Finanzverwaltung heißt es diesbezüglich nur, dass bei Funktionsverlagerungen für Zwecke der Umsatzsteuer die allgemeinen Grundsätze greifen, die es im Folgenden kurz zu skizzieren gilt.2 Im Rahmen einer Funktionsverlagerung werden regelmäßig Wirtschaftsgüter wie Vorräte, Maschinen, Marken, Firmenwerte usw. übertragen bzw. überlassen. Dabei könnte es sich um Lieferungen bzw. um sonstige Leistungen und damit um einen steuerbaren Umsatz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG handeln, sodass dann weiter zu fragen wäre, ob und wo diese Lieferungen und sonstigen Leistungen umsatzsteuerpflichtig sind. Ein steuerbarer Umsatz ist allerdings u.a. dann nicht gegeben, wenn eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliegt (§ 1 Abs. 1a UStG).
7.200
Erfüllung der Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen. § 1 Abs. 1a Satz 1 UstG regelt, dass die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer unterliegen. Zentral ist somit das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsveräußerung. Nach § 1 Abs. 1a Satz 2 UStG liegt eine solche vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird.3 Die Übertragung eines gesamten Unternehmens verlangt dabei, dass sämtliche Wirtschaftsgüter oder zumindest die wesentlichen Betriebsgrundlagen auf einen Erwerber übertragen werden (Abschn. 1.5 Abs. 1 Satz 1 UStAE). Werden einzelne unwesentliche Wirtschaftsgüter zurückbehalten, ist dies unschädlich (Abschn. 1.5 Abs. 3 Satz 1 UStAE). Werden aber wesentliche Betriebsgrundlagen (wie z.B. Betriebsgrundstücke und Maschinen, aber auch immaterielle Wirtschaftsgüter wie Nutzungsrechte) nicht mitübertragen, liege keine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen vor.4 Da eine Funktionsverlagerung i.d.R. nicht die Übertragung des ganzen Unternehmens impliziert, scheidet diese Alternative grds. aus. Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen liegt allerdings nicht nur vor, wenn das ganze Unternehmen (mit all seinen wesentlichen Betriebsgrundlagen) übertragen wird, sondern auch dann, wenn ein in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführter Betrieb übertragen wird, woran z.B. zu denken ist, wenn etwa der Produktionsbereich übertragen wird. Ein derart in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb liegt vor, wenn der veräußerte Teil des Unternehmens vom Erwerber als selbständiges wirtschaftliches Unternehmen fortgeführt werden kann (Abschn. 1.5 Abs. 6 Satz 1 UStAE). Auch wenn ein in der Gliederung
7.201
1 2 3 4
Wohl a.A. VWG FVerl, Rz. 219. Vgl. VWG FVerl, Rz. 176. Ausführlich hierzu Erdbrügger in Wäger2, § 1 UStG Rz. 250 ff. Vgl. Borberg/Runge in Heidecke/Schmidtke/Wilmanns, Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise, 457.
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Kap. 7 Rz. 7.201 | Funktionsverlagerungen
eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 1a UStG und der ertragsteuerliche Teilbetrieb begrifflich nicht deckungsgleich sind, kann umsatzsteuerlich von der Veräußerung eines gesondert geführten Betriebs ausgegangen werden, soweit ertragsteuerlich auch eine Teilbetriebsveräußerung angenommen wird (Abschn. 1.5 Abs. 6 Satz 4 UStAE). Ertragsteuerlich ist ein Teilbetrieb ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebs, der für sich betrachtet alle Merkmale eines Betriebs aufweist und für sich lebensfähig ist (R 16 Abs. 3 Satz 1 EStR). Dies verlangt etwa eine räumliche Trennung, die Nutzung eigenen Inventars, den Einsatz besonderen Personals, eine eigene Verwaltung, eine eigene Buchführung, einen eigenen Kundenstamm, getrennte Einkaufs- und Verkaufsabteilungen u.dgl. Funktionen sind indes häufig nicht selbständig lebensfähig; i.d.R. stellen erst mehrere Funktionen zusammen einen Teilbetrieb dar (vgl. Rz. 7.35 f.). Insgesamt wird an dieser Stelle aber ersichtlich, dass bei Funktionsverlagerung in der Regel eine Einzelfallbetrachtung geboten ist.1 Erfolgt eine Funktionsverlagerung ohne die entsprechende Übertragung von Wirtschaftsgütern und Personal und unterhalb der Schwelle eines Teilbetriebs – was bei Funktionsverlagerungen die Regel ist –, ist eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen kaum anzunehmen. Werden dagegen Entscheidungsebenen, ihr rechtlicher Rahmen sowie die dazugehörigen Wirtschaftsgüter und das Personal als Gesamtheit übertragen, kann ein in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführter Betrieb und somit eine Geschäftsveräußerung im Ganzen im Einzelfall vorliegen. In diesem Fall ist der Umsatz nicht steuerbar und der Erwerber tritt an die Stelle des Veräußerers (§ 1 Abs. 1a Satz 3 UStG). Liegen die Voraussetzungen für eine Geschäftsveräußerung im Ganzen nicht vor, sind indes sämtliche Einzelumsätze mit Blick auf ihren Leistungsort und etwaige Steuerbefreiungen hin zu prüfen.
1 Vgl. Borberg/Runge in Heidecke/Schmidtke/Wilmanns, Funktionsverlagerung und Verrechnungspreise, 459.
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Kapitel 8 Dokumentations- und Mitteilungspflichten A. Allgemeine nationale Mitwirkungsund Aufzeichnungspflichten I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Regelungen (§ 90 Abs. 1 und §§ 140 ff. AO) . . . . . . . . . . . . . III. Erweiterte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu internationalen Verrechnungspreisen I. § 90 Abs. 3 AO und Begleitregelungen 1. Gesetzliche Regelungen und Verwaltungsanweisungen . . . . . . . . 2. Abstrakte inhaltliche Anforderungen und Beweislastverteilung a) Stammdokumentation . . . . b) Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dokumentation bei nicht kooperativen Steuerhoheitsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich der Stammdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anwendungsbereich der landesspezifischen, unternehmensbezogenen Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anwendungsbereich der gesteigerten Aufzeichnungspflichten i.S.d. § 12 StAbwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Formale Bestimmungen 1. Formfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahren zur Anforderung der Aufzeichnungen durch die Finanzverwaltung und zeitliche Bestimmungen zur Vorlage . . . . . . 4. Zeitpunkt für die Erstellung der Aufzeichnungen . . . . . . . . . . . . 5. Aufzeichnungserleichterungen für kleinere Unternehmen . . . .
8.1 8.2 8.4
8.10
8.15 8.16 8.21 8.22 8.25 8.27 8.30 8.32
8.33 8.37
6. Transaktionsbezogene Betrachtung und Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen a) Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei der materiellen Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen („Palettenbetrachtung“) . . . . . . . . . . . b) Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO gem. § 2 Abs. 3 GAufzV . . . . . . . . . . c) Konkrete Anwendung der Regelungen in § 2 Abs. 3 GAufzV . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abgrenzung der Anwendungsbereiche der „Palettenbetrachtung“ und der Zusammenfassungsregelungen für die Aufzeichnungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation I. Sachverhaltsdokumentation – erforderliche Aufzeichnungen . . . . . . . . II. Beteiligungsverhältnisse, Organisationsaufbau und Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GAufzV . . . . . . . . . . . . . . 2. Beteiligungsverhältnisse . . . . . . 3. Angaben zu nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Organisationsaufbau . . . . . . . . . 5. Management- und Organisationsstruktur des inländischen Unternehmens . . . . . . . . . . . . . 6. Beschreibung der Tätigkeitsbereiche des Steuerpflichtigen .
8.46
8.48 8.52
8.58
8.59
8.60 8.61 8.65 8.66 8.67 8.68
8.42
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Kap. 8 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten III. Aufzeichnungen über Geschäftsbeziehungen (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 GAufzV) 1. Übersicht über Art und Umfang der Geschäftsbeziehungen . . . . 8.69 2. Übersicht über die den Geschäftsbeziehungen zugrunde liegenden Verträge . . . . . . . . . . . . 8.71 3. Angabepflichten zu immateriellen Werten a) Begriff der immateriellen Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.72 b) „Wesentliche“ immaterielle Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.74 c) Rechtsfolgen einer fehlenden Angabe wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter . . . . 8.77 IV. Funktions- und Risikoanalyse (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 4 Abs. 1 Nr. 3 GAufzV . . . . . . . . . . . . . . 8.78 2. Angaben zu den ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern a) Vorbemerkungen . . . . . . . . 8.79 b) Angaben zu den eingesetzten wesentlichen Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.88 c) Quantifizierungs-Technik für die Funktionsanalyse und die eingesetzten wesentlichen Vermögenswerte . . . . . . . . . 8.90 d) Zwischenergebnis zur Funktions- und Risikoanalyse . . 8.91 3. Vereinbarte Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.92 4. Gewählte Geschäftsstrategien . 8.93 5. Bedeutsame Markt- und Wettbewerbsverhältnisse . . . . . . . . . 8.96 6. Wertschöpfungsanalyse . . . . . . 8.99 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . 8.103 V. Darstellungen der konkreten Verrechnungspreisermittlung (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 4 Abs. 1 Nr. 4 GAufzV . . . . . . . . . . . . . . 8.104 2. Erforderliche Sachverhaltsinformationen bei Anwendung einzelner Verrechnungspreismethoden a) Preisvergleichsmethode . . . 8.110 b) Wiederverkaufspreismethode 8.113 c) Kostenaufschlagsmethode . 8.114
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VI.
VII. VIII. IX.
X.
d) Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode . . . . 8.115 3. Erforderliche Sachverhaltsinformationen in Abhängigkeit von der Funktion des Unternehmens 8.116 Sachverhaltsdokumentation in speziellen Fällen (§ 4 Abs. 2 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 4 Abs. 2 GAufzV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.120 2. Umlagevereinbarungen . . . . . . 8.121 3. Verrechnungspreiszusagen oder -vereinbarungen mit ausländischen Steuerbehörden . . . . . . 8.122 4. Aufzeichnungen über Preisanpassungen . . . . . . . . . . . . . . . 8.123 5. Verlagerung von Forschungsund Entwicklungsaktivitäten . . 8.124 Ergänzende Angaben bei der Verwendung von Datenbanken (§ 4 Abs. 3 GAufzV) . . . . . . . . . . . . . . . 8.125 Ergebnisse und Klassifizierung . . 8.126 Angemessenheitsdokumentation 1. Überblick über Regelungen zur Angemessenheitsdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.131 2. Über den Ermächtigungsrahmen von § 90 Abs. 3 AO hinausgehende Anforderungen der GAufzV und der VWG 2020 an eine Angemessenheitsdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.134 3. Begründung für die Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode . . . . . . . . . . . . . . 8.137 Methoden für die Angemessenheitsdokumentation 1. Abgrenzung der Anwendungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.138 2. Angemessenheitsdokumentation auf Basis von Fremdvergleichsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.139 3. Angemessenheitsdokumentation auf Basis von Plandaten a) Überblick über Systematik der Planrechnungen und Anwendungsvoraussetzungen . 8.142 b) Formale Anforderungen an die Verwendung von Plandaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.144 c) Darlegung der Angemessenheit des prognostizierten Gewinns . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.145
Dokumentations- und Mitteilungspflichten | Kap. 8 4. Ableitung des Plangewinns aus Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen a) Abgrenzung zur Angemessenheitsdokumentation mit Fremdvergleichsdaten in Form von Renditekennziffern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.146 b) Ermittlung von Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen aus Finanzdatenbanken . . . . . . . . 8.148 5. Ableitung des Plangewinns aus einer risikoadäquaten Verzinsung des eingesetzten Kapitals am freien Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . 8.153 6. Ableitung des Plangewinns durch Aufteilung des Konzerngewinns nach der Wertschöpfung der einzelnen Konzernunternehmen a) Vorgehensweise . . . . . . . . . . 8.158 b) Gewinnprognose . . . . . . . . . 8.159 c) Aufteilung nach Wertschöpfungsbeiträgen . . . . . . . . . . . 8.160 d) Aufteilung nach Kosten . . . . 8.161 e) Aufteilung nach Umsätzen . 8.162 f) Aufteilung durch wertende Gegenüberstellung der übernommenen Funktionen und Risiken im Verhältnis zu denen des Gesamtkonzerns . . 8.163 g) Aufteilung nach eingesetzten Wirtschaftsgütern . . . . . . . . 8.164 7. Stellungnahme zur Verwendung von Planrechnungen . . . . . . . . . 8.165 XI. Vergleichbarkeitsanforderungen und Bandbreitenbetrachtung bei Verwendung von Fremddaten 1. Relevante Vergleichskriterien . . 8.166 2. Abstufungen bei der Vergleichbarkeit von Fremdvergleichsdaten a) Uneingeschränkte Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.169 b) Eingeschränkte Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.170 3. Auswirkungen uneingeschränkter bzw. eingeschränkter Vergleichbarkeit im Hinblick auf die Auswahl von Vergleichswerten innerhalb von Bandbreiten . . . . 8.171 4. Einengung von Bandbreiten . . . 8.172
5. Kritische Würdigung . . . . . . . . 8.174 XII. Zusätzliche Angaben zur Angemessenheitsdokumentation in besonderen Fällen 1. Relevante Fallgruppen . . . . . . . 8.175 2. Nachträgliche Preisanpassungen 8.176 3. Dauerhafte Verlustsituation . . . 8.177 4. Andere „Sonderumstände“ (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 GAufzV) a) Vorteilsausgleich . . . . . . . . . 8.178 b) Standortvorteile . . . . . . . . . . 8.179 D. Dokumentation bei nicht kooperativen Steuerhoheitsgebieten I. Abwehrmaßnahmen nach dem StAbwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.180 II. Verpflichtung zur Erstellung und Übermittlung der Aufzeichnungen i.S.d. § 12 StAbwG . . . . . . . . . . . . . 8.182 III. Inhalt der Sachverhaltsdokumentation 1. Übersicht über Inhalt, Art und Umfang der Geschäftsbeziehungen mit Bezug zu einem nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiet (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StAbwG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.186 2. Übersicht über die den Geschäftsbeziehungen mit Bezug zu einem nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiet zugrundeliegenden Verträge nebst Vertragsbedingungen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StAbwG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.188 3. Aufzeichnungspflichten zu immateriellen Werten (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StAbwG) . . . . . . . . 8.190 4. Funktions- und Risikoanalyse (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und 5 StAbwG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.196 5. Gewählte Geschäftsstrategien (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 StAbwG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.197 6. Bedeutsame Markt- und Wettbewerbsverhältnisse (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 StAbwG) . . . . . . . . 8.198 7. Beteiligungsverhältnisse der Gesellschaften in dem nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiet (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 StAbwG) . . . 8.199 IV. Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben an Eides statt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.201
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Kap. 8 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten V. Zeitpunkt und Häufigkeit der Erstellung und Abgabe der Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.203 E. Stammdokumentation I. Verpflichtung zur Vorlage der Stammdokumentation (§ 5 Abs. 1 GAufzV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.204 II. Vernünftige kaufmännische Beurteilung (§ 5 Abs. 2 GAufzV) . . . . . 8.206 III. Inhalte der Stammdokumentation (Anlage zu § 5 GAufzV) 1. Darstellung des rechtlichen Organisationsaufbaus . . . . . . . . . . 8.208 2. Beschreibung der Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe a) Tätigkeit der Unternehmensgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.210 b) Bedeutende Faktoren für den Gesamtgewinn . . . . . . . . . . 8.211 c) Lieferketten bedeutender Produkte oder Dienstleistungen und wichtige geografische Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.213 d) Dienstleistungen innerhalb der Unternehmensgruppe . 8.217 e) Funktions- und Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.220 f) Bedeutende Umstrukturierungen sowie Unternehmenskäufe und -verkäufe . . . . . . 8.221 3. Beschreibung der immateriellen Werte und der Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten der Unternehmensgruppe a) Überblick über die immateriellen Werte . . . . . . . . . . . . 8.222 b) Angaben zu den immateriellen Werten . . . . . . . . . . . . . . 8.224 c) Wichtige Vereinbarungen innerhalb der Unternehmensgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.227 d) Verrechnungspreispolitik . . 8.228 e) Wichtige Übertragungen von Rechten an immateriellen Werten innerhalb der Unternehmensgruppe . . . . . . . . . 8.229 4. Beschreibung der Finanzierungstätigkeiten der Unternehmensgruppe a) Finanzierung der Unternehmensgruppe . . . . . . . . . . . . 8.230 b) Finanzierungsgesellschaften 8.232 c) Verrechnungspreisstrategie 8.234
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IV. F. I. II.
III.
5. Darstellung der Finanz- und Steuerposition der Unternehmensgruppe . . . . . . . . . . . . . . . 8.236 Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe (Satz 2 der Anlage zu § 5 GAufzV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.238 Rechtsfolgen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO Überblick über die Sanktionsregelungen zur Durchsetzung der Aufzeichnungspflichten . . . . . . . . . 8.240 Schätzung auf Grundlage von § 162 Abs. 3 AO 1. Anwendungsvoraussetzungen der Schätzung a) Nichtvorlage von Aufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 8.242 b) Im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen . . . . . 8.244 c) Verspätet erstellte Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen . . . 8.250 d) Keine Schätzung bei verwertbaren Aufzeichnungen . . . . 8.251 e) Keine Schätzung in Bezug auf die Stammdokumentation . 8.252 f) Schätzung in Bezug auf die gesteigerten Mitwirkungspflichten nach § 12 StAbwG 8.253 g) Zwischenergebnis . . . . . . . . 8.254 2. Widerlegbare Vermutung als Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . 8.255 3. Durchführung der Schätzung a) Keine eigene Schätzungsregelung in § 162 Abs. 3 AO . . . 8.256 b) Grundsätze für Schätzungen nach § 162 Abs. 1 AO . . . . . 8.257 c) Wertauswahl bei einer Schätzung im Falle bestehender Preisbandbreiten . . . . . . . . . 8.258 d) Verwendung sog. „Secret Comparables“ für eine Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.259 Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO 1. Überblick über Regelungsinhalt und Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.260 2. Charakter des Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . 8.264 3. Bezugsgrößen für die Festsetzung des Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.266
Dokumentations- und Mitteilungspflichten | Kap. 8 4. Zuschlag auch bei Verstoß gegen die gesteigerten Mitwirkungspflichten nach § 12 StAbwG . . . 8.268 5. Ertragsteuerliche Behandlung des Zuschlags . . . . . . . . . . . . . . . 8.269 IV. Zwangsmittel nach § 328 AO und Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2c AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.270 G. Mitteilungspflichten I. Länderbezogener Bericht multinationaler Unternehmensgruppen (§ 138a AO) 1. Entstehung a) Entwicklung der Norm . . . . 8.272 b) Einordnung der Norm . . . . 8.275 c) Rechtslage vor Einführung . 8.278 2. Allgemeiner Norminhalt a) Anwendungsbereich . . . . . . 8.279 b) Verhältnis zu anderen einfachgesetzlichen Vorschriften aa) Allgemeine Mitwirkungspflichten . . . . . . . 8.283 bb) Verhältnis zu § 1 AStG . 8.287 cc) Steuergeheimnis . . . . . . 8.288 c) Verhältnis zum Verfassungsrecht – Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . 8.292 d) Verhältnis zum Unionsrecht 8.297 e) Enge Verzahnung mit ausländischen Regelungen . . . . . . . 8.300 3. Betroffene Unternehmen/Steuerpflichtige (Abs. 1) a) Unternehmen mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland (inländisches Unternehmen) 8.301 b) Aufstellung eines Konzernabschlusses . . . . . . . . . . . . . . 8.302 c) Übermittlungspflicht . . . . . . 8.305 4. Inhalt des CbC-Reports a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 8.311 b) Inhalt im Einzelnen . . . . . . . 8.312 c) Zurechnung Unternehmensdaten zu Steuerhoheitsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.314 d) Quelle für Unternehmensdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.315 e) Wesentliche Berichtsangaben i.S.v. § 138a Abs. 2 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.317 f) Konflikt zwischen berichtspflichtigen Angaben und Werte nach HGB . . . . . . . . . 8.332
g) Fehlende gesetzliche Regelung zu notwendigen Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.336 h) Einzelheiten zu den Berichtsangaben i.S.v. § 138a Abs. 2 Nr. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . 8.337 i) Einzelheiten zu den Berichtsangaben i.S.v. § 138a Abs. 2 Nr. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . 8.343 5. Beauftragung eines inländischen Konzernunternehmens (Abs. 3) 8.346 6. Ersatzvornahme der Übermittlung (Sekundärmechanismus) . 8.349 7. Angabepflicht in der Steuererklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.359 8. Technische Umsetzung – Meldung an das BZSt . . . . . . . . . . . 8.367 9. Austausch, Auswertung, Speicherung und Löschung von länderbezogenen Berichten . . . . . . . . . 8.371 10. Relevante Fragen des ausländischen Rechts für deutsche Mutterunternehmen a) Sicherstellung der befreienden Wirkung des deutschen Country by Country Reportings für ausländische Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.377 b) Geheimhaltung . . . . . . . . . . 8.380 11. Sanktionen a) Allgemeine Hinweise . . . . . 8.381 b) Ordnungswidrigkeit . . . . . . 8.385 c) Inländische Tochterunternehmen eines ausländischen Konzerns . . . . . . . . . . . . . . . 8.395 12. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.398 13. Keine Veröffentlichung der Unternehmensdaten gegenüber der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . 8.399 14. Gestaltungsüberlegungen im Hinblick auf den Konzernaufbau a) Gestaltungsbedarf . . . . . . . . 8.404 b) Konzernaufbau . . . . . . . . . . 8.406 c) Nicht-Einbeziehung von einzelnen Gesellschaften . . . . . 8.409 II. Mitteilung von Verrechnungspreisgestaltungen (§§ 138d ff. AO) 1. Mitteilungspflichtige grenzüberschreitende Steuergestaltungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 8.411 2. Kennzeichen hinsichtlich Verrechnungspreisgestaltungen (§ 138e Abs. 2 Nr. 4 AO)
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Kap. 8 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten a) Nutzung unilateraler SafeHarbour-Regelungen (§ 138e Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a AO) . 8.419 b) Übertragung schwer zu bewertender immaterieller Werte (§ 138e Abs. 2 Nr. 4 Buchst. b AO) . . . . . . . . . . . 8.428 c) Funktionsverlagerungen (§ 138e Abs. 2 Nr. 4 Buchst. c AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.437 3. Kennzeichen hinsichtlich übriger Steuergestaltungen mit Bezug zu Verrechnungspreisen a) Relevanztest (§ 138e Abs. 3 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.443 b) Zirkuläre Vermögensverschiebung (§ 138e Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c AO) . . . . . . . . . . . 8.444 c) Geringe oder Nichtbesteuerung von Zahlungen zwischen verbundenen Unternehmen (§ 138e Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d AO) . . . . . . . . . . . 8.450 d) Steuerbefreiung oder Präferenzbesteuerung von Zahlungen zwischen verbundenen Unternehmen (§ 138e Abs. 1 Nr. 3 Buchst. e AO) . . . . . . . 8.454 e) Zahlung an verbundene Unternehmen ohne steuerliche Ansässigkeit oder mit Ansässigkeit in nicht-kooperativen Steuerhoheitsgebieten (§ 138e Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO) . 8.459 f) Ausnutzung von Bewertungsunterschieden bei einer Ver-
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I. II.
III.
mögensübertragung (§ 138e Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO) . 8.463 4. Mitteilungspflichtige Personen einer Verrechnungspreisgestaltung a) Vorrangige Mitteilungspflicht des Intermediärs einer Verrechnungspreisgestaltung . . 8.466 b) Mitteilungspflicht des Nutzers einer Verrechnungspreisgestaltung . . . . . . . . . . . . . . 8.469 5. Verfahren zur Mitteilung einer Verrechnungspreisgestaltung . . 8.473 Internationaler Harmonisierungsbedarf der nationalen Vorschriften für die Verrechnungspreisdokumentation Bedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.483 OECD-Empfehlungen 1. Empfehlung zur Ausgestaltung der nationalen Dokumentationsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . 8.485 2. Inhalte einer Verrechnungspreisdokumentation nach der Auffassung der OECD a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . 8.488 b) Master File . . . . . . . . . . . . . 8.489 c) Local File . . . . . . . . . . . . . . . 8.491 d) Country-by-country Report 8.493 EU-Ansatz zur Harmonisierung der Verrechnungspreisdokumentation 8.494
Literatur: Ackermann/Stock/Halbach, Angemessenheitsdokumentation unter Berücksichtigung der ex-ante- und ex-post-Sicht, DB 2014, 567; Andresen, Verpflichtung zur Verrechnungspreisdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO ist unionsrechtmäßig und verhältnismäßig, ISR 2013, 347; Bamberg/Baur/ Krapp, 17. Auflage, München 2012; Baumhoff, Internationale Verrechnungspreise – Die „Palettenbetrachtung“, eine Weiterentwicklung des Vorteilsausgleichs?, IStR 1994, 593; Baumhoff, Die Bestimmung angemessener Verrechnungspreise bei der Existenz von Preisbandbreiten, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer zum 65. Geburtstag, München 2005, 347; Baumhoff, Verrechnungspreise bei ertragsschwachen Unternehmen, WPg 2006, 151; Baumhoff/Ditz/Greinert, Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV), DStR 2004, 157; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach den „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 1549; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 auf die Ermittlung internationaler Verrechnungspreise, DStR 2007, 1461; Baumhoff/Greinert, Aufteilung von Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisermittlung gegenüber Lohnfertigern – Anmerkung zum Urteil des FG Münster vom
1046 | Cordes/Bärsch
Dokumentations- und Mitteilungspflichten | Kap. 8 16.3.2006, IStR 2006, 789; Baumhoff/Kluge, Internationale Verrechnungspreise – Status quo und Zukunft, in FS Kuckhoff, Verrechnungspreise und Außensteuerrechte, München 2018, 21; Baumhoff/ Liebchen, Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen in Mössner (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. 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Kap. 8 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten und Neuentwicklungen, IStR 2003, Beihefter zu Heft 15, 1; Engelen/Bärsch, Die Mitteilungspflichten für Steuergestaltungen sind da – Ein Überblick über die neuen Pflichten für Steuerberater, DStR 2020, 676; Engelen/Heider, Der länderbezogene Bericht nach § 138a AO – Erste Praxiserfahrungen und ausgewählte Zweifelsfragen, DStR 2018, 1042; Engelen/Heider, Der länderbezogene Bericht nach § 138a AO – Zweifelsfragen im Zusammenhang mit Restrukturierungsmaßnahmen, DStR 2018, 1737; Engelen/Heider, Der länderbezogene Bericht nach § 138a AO – Die Positionen der Tabelle 1, DStR 2018, 2549; Ernst & Young, Verrechnungspreise – Dokumentationsmanagement nach den neuen Mitwirkungspflichten, redaktionelle Gesamtverantwortung bei Wehnert/Wellens, Bonn/Berlin 2003; Fiehler, Vergütungsformen von funktions- und risikoarmen Vertriebsgesellschaften, IStR 2007, 464; Finsterwalder, Einkunftsabgrenzung bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen: Das BMF-Schreiben „Verwaltungsgrundsätze-Verfahren“, DStR 2005, 765; Fischer/Looks/im Schlaa, Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise – Bisherige Erfahrungen mit der Betriebsprüfung und aktuelle Entwicklungen, BB 2007, 918; Frotscher, Verfassungsrechtliche Fragen zu den Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen und den Rechtsfolgen ihrer Verletzung, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer, München 2005, 391; Giedinghagen, Rückwirkende Befreiung von den Offenlegungspflichten i.S.d. §§ 264a, 325 ff. 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Dokumentations- und Mitteilungspflichten | Kap. 8 Geißler, Verwaltungsgrundsätze 2020 – Praxishinweise zur Erfüllung von Mitwirkungspflichten, WPg 2021, 737; Kluge/Probst/Bestelmeyer, Verwaltungsgrundsätze 2020 – Eine erste Analyse des Umfangs der Mitwirkungspflichten, IStR 2021, 281; Kraft/Heider, Das Country-by-Country Reporting und seine innerstaatliche Umsetzung im Rahmen des „Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes“, DStR 2017, 1353; Kraft/Heider, Country-by-Country Reporting – (Fehl)Interpretationen auf Basis des Handbuchs zur effektiven steuerlichen Risikobewertung, Ubg 2018, 701; Krauß, Country-by-country-repotring: Ein Weg zu einer Formelhaften Gewinnaufteilung?, IStR 2014, 204; Kremer, Verrechnungspreisproblematik aus Sicht der Revision, IntR 2003, 56; Kroppen/Rasch, Aktuelle Verrechnungspreisentwicklungen in den Niederlanden – Anmerkungen zum Urteil des „Hooge Raad“ vom 28.6.2002 und zur Zulässigkeit der sog. Palettenbetrachtung, IWB 2002 F. 5 Gr. 2, 799; Kroppen/Rasch, Die Konkretisierung der Aufzeichnungspflichten für internationale Verrechnungspreise in den Verwaltungsgrundsätzen Verfahren, IWB 2005 F. 3 Gr. 1, 2091; Kroppen/Rasch, Zehn Jahre Aufzeichnungspflichten für Verrechnungspreise – Eine Bestandsaufnahme, IWB 2013, 830; Kroppen/Schnell, Verrechnungspreisauswirkungen der neuen Grundsätze zum digitalen Datenzugriff der Finanzverwaltung, IWB 2001 F. 3 Gr. 1, 1796; Kuckhoff/Schreiber, Ist die Prüfung von Verrechnungspreisen noch sinnvoll? – Anmerkungen zum BFH-Urt. v. 17.10.2001 aus Sicht der Betriebsprüfung, IWB 2002 F. 3 Gr. 1, 1863; Kunert/Strothenke, Verrechnungspreisdokumentation 2.0 – Neue Dokumentationsanforderungen zum Countryby-Country-Reporting und zur GAufzV, StuB 2017, 772; Kußmaul/Ruiner, Das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) – Handelsregisteranmeldung, verschärfte Offenlegung, europarechtliche Bedenken sowie Offenlegungs- bzw. Vermeidungsstrategien, KoR 2007, 672; Kühnast, Umfang der Vorlage von Unterlagen im Rahmen der Betriebsprüfung – Neue Anforderungen der Finanzverwaltung in Nr. 1 zu § 200 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung in JbFStR 2008/2009, 768; Lappé/Schmidtke, Praxisrelevante Fragestellungen im Zusammenhang mit der Einführung des Country-by-Country Reporting, IStR 2015, 639; Lenz/Fischer, Verrechnungspreisdokumentation in Deutschland – Erste Praxiserfahrungen, BB 2004, 2043; Lenz/Fischer/Schmidt, Verwaltungsgrundsätze-Verfahren – Konsequenzen für die Dokumentation von Verrechnungspreisen, BB 2005, 1255; Liebscher/Scharff, Das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister, NJW 2006, 3745; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung – Unter besonderer Berücksichtigung der Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, Frankfurt/M. u.a. 2006; Lutz, Eignung des Country-by-Country Reportings der OECD zur Einschätzung von ausgewählten BEPSRisiken und Ableitung eines Ansatzes zur Verbesserung des Country-by-Country Reportings, Berlin 2020; Lutz/Seebeck, OECD veröffentlicht aktualisierte Guidance zum Country-by-Country Reporting, IStR 2020, 55; Lüdicke, Internationale Aspekte des Steuervergünstigungsabbaugesetzes, IStR 2003, 433; Maier-Frischmuth, Verwendung entgeltpflichtiger Datenbanken bei der Angemessenheitsdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO i.V.m. der GAufzV, IWB 2003 F. 3 Gr. 1, S. 1989; Müllmann, Zweckkonforme und Zweckändernde Weiternutzung – Die Konsolidierung der Rechtsprechung des BVerfG zur Weiterverwendung zweckgebunden erhobener Daten im Urteil zum BKA-Gesetz von 20.4.2016, NwVZ 2016, 1692; Niemann/Kiera-Nöllen, Dokumentation der Geschäftsbeziehungen mit Auslandsbezug im Mittelstand, DStR 2004, 482; Nientimp/Braun/Beumer, Steuerliche Relevanz von Verrechnungspreisen bei KMU – Aktuelle Entwicklungen und Erfahrungen aus der Bratungspraxis (Teil II), BB 2019, 343; Nientimp/Stein/Schwarz, Neuer OECD Dreiklang für Verrechnungspreisdokumentationen – Standortbestimmung nach dem Anti BEPS-Umsetzungsgesetz-E, Ubg 2016, 399; Nürnberg in Beck'sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Country-by-Country-Reporting; Oestreicher, Die Bedeutung von Datenbankinformationen bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen, StuW 2006, 243; Oestreicher/Duensing, Eignung von Unternehmensdatenbanken zur Bestimmung der Verrechnungspreise an deutsche Vertriebsunternehmen, IStR 2005, 134; Oestreicher/Vormoor, Verrechnungspreisanalyse mit Hilfe von Unternehmensdatenbanken – Vergleichbarkeit und Datenlage, IStR 2004, 95; Pinkernell, Neue OECD-Grundsätze zu Verrechnungspreisdokumentation und Country-by-Country Reporting (Maßnahme 13 des BEPS-Aktionsplans), FR 2014, 964; Porter, Wettbewerbsstrategie – Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten, 11., durchges. u. erw. 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Steuerzuschläge des § 162 Abs. 4 AO aus der Sicht des Art. 6 EMRK und der Grundfreiheiten des EGV, IWB 2006 F. 11 Gr. 2, 735; Sieker, Im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen zu internationalen Verrechnungspreisen i.S.v. § 162 Abs. 3 und 4 AO, in Tipke/Söhn (Hrsg.), GS für Christoph Trzaskalik, Köln 2005, 135; Schwarz/Stein, Quantitative Verrechnungspreise, Weinheim 2018; Stahl, Elektronisches Handelsregister und Publizität – Neue Rechtslage durch das EHUG und Gestaltungsstrategien, KÖSDI 2007, 15476; Steinegger, Country-by-Country-Reporting: Spannungsfeld zwischen Transparenz und Steuerplanung, Der Konzern 2016, 454; Storck/Hernler, Expertengespräch zur Verrechungspreisgestaltung, in Raupach (Hrsg.), Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen in betriebswirtschaftlicher, gesellschaftsrechtlicher und steuerrechtlicher Sicht, Herne/Berlin 1999, 463; Taetzner, Rendite bei jeder Marktlage – das Comeback der Kapitalverzinsung als Gewinnuntergrenze für Vertriebsgesellschaften, IStR 2004, 726; Theile/Nitsche, Praxis der Jahresabschlusspublizität bei der GmbH, WPg 2006, 1141; Tomson in Kroppen/Rasch, Hdb. Internationale Verrechnungspreise, Kapitel 5 E, Country-by-Country-Report – Implementierung; van der Ham/Tomson, Datenerfassung für den Country-by-Country Report, IWB 2015, 841; van Lück, Verrechnungspreisdokumentation und Country-by-Country Reporting – erhöhte Anforderungen an multinationale Unternehmen, BB 2017, 2524; von Bredow/Gibis, Anzeigepflichten für Steuergestaltungen – Ein Überblick, aber wer hat den Durchblick? (Teil II), BB 2019, 1502; Vögele/Brem, Die neue Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO: Systematik zu Aufbau und Struktur der Verrechnungspreisdokumentation, IStR 2004, 48; Vögele/Vögele in Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise, Kapitel D: Dokumentation der Verrechnungspreise (Aktualisierung 2); Wahl/Preisser, Möglichkeiten und Grenzen von Datenbankanalysen zur Bestimmung von Verrechnungspreisen, IStR 2008, 51; Wassermeyer, Dokumentationspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen – Zum zweiten Entwurf einer Verordnung zu § 90 Abs. 3 AO, DB 2003, 1535; Wassermeyer, Modernes Gesetzgebungsniveau am Beispiel des Entwurfs zu § 1 AStG, DB 2007, 535; Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/Beck/Bodenmüller/ Wolff, Dokumentation von Verrechnungspreislisten: Ausgewählte Aspekte der Verwaltungsgrundsätze-Verfahren (Teil I), IStR 2005, 714; Wellens/van der Ham, Charakterisierung von Geschäftseinheiten
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A. Allgemeine nationale Pflichten | Rz. 8.2 Kap. 8 im Transfer Pricing-Umfeld, DB 2012, 1534; Werra, Zweifelsfragen bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen – zum Entwurf der Verwaltungsgrundsätze-Verfahren zur Einkunftsabgrenzung zwischen internationalen Unternehmen, IStR 2005, 19; Wilmanns, Die Dokumentationsvorschriften im internationalen Vergleich, in Endres (Hrsg.), Dokumentation von Verrechnungspreisen – Brennpunkte der neuen Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, Frankfurt 2005, 60; Wolff/Würges/Nonnenmacher, BMF-Schreiben zu Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen: Wie das Mitteilungsverfahren abläuft, DB 2020, 2316; Wöhrer, Ist öffentliches Country-by-Country-Reporting mit dem EU-Grundrecht vereinbar?, TPI 2017, 22.
A. Allgemeine nationale Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten I. Überblick Deutsche steuerliche Dokumentations- und Mitwirkungspflichten. Die deutschen steuerlichen Dokumentations- und Mitwirkungspflichten lassen sich in verschiedene Bereiche unterteilen:
8.1
– allgemeine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 1 AO, – Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten für gewerbliche Unternehmen nach §§ 140 ff. AO, – erweiterte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO, – spezielle Aufzeichnungspflichten für Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen im Ausland nach § 90 Abs. 3 AO und – länderbezogener Bericht multinationaler Unternehmensgruppen nach § 138a AO. Verletzt der Steuerpflichtige seine oben aufgeführten Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten nach § 90 AO, zieht dies i.d.R. eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO durch die Finanzverwaltung nach sich (Rz. 8.240 ff.).1 Eine Schätzungsbefugnis wird demgegenüber nicht durch eine fehlende oder unvollständige Berichterstattung nach § 138a AO ausgelöst (Rz. 8.242 ff.).2
II. Allgemeine Regelungen (§ 90 Abs. 1 und §§ 140 ff. AO) Allgemeine Mitwirkungspflicht. Die Finanzbehörde hat nach dem in § 88 Abs. 1 AO kodifizierten Untersuchungsgrundsatz den für die Besteuerung erheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Dabei hat der Steuerpflichtige nach § 90 Abs. 1 AO mitzuwirken, indem er die zur Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegt und Beweismittel angibt (allgemeine Mitwirkungspflicht). § 90 Abs. 1 AO ist allerdings nicht als unmittelbar vollziehbare Norm zu sehen, sondern beinhaltet nur einen allgemeinen Grundsatz, der durch verschiedene einzelne Pflichten konkretisiert wird.3 Hierzu gehören z.B. die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen nach § 149 AO, die Pflichten zur Erteilung von Auskünften nach § 93 AO sowie zur Vorlage von Urkunden nach § 97 AO und die Mitwirkungspflicht im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung nach § 200 AO. In Bezug auf die hier interessierenden internationalen Verrechnungspreissachverhalte ergeben sich bei den all1 Vgl. § 162 Abs. 2 AO. 2 Vgl. Drüen in Tipke/Kruse, § 138a AO Rz. 48 (Stand: April 2020). 3 Vgl. Volquardsen in Schwarz/Pahlke, § 90 AO Rz. 4.
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8.2
Kap. 8 Rz. 8.2 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
gemeinen Mitwirkungspflichten keine Besonderheiten gegenüber rein nationalen Sachverhalten. Hierfür bestehen spezielle Mitwirkungspflichten in Form der erweiterten Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO sowie den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO (Rz. 8.4 ff. und 8.6 ff.).
8.3
Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten. Für den Bereich der gewerblichen Unternehmen werden die allgemeinen Mitwirkungspflichten durch die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten nach §§ 140 ff. AO konkretisiert.1 Es gelten insoweit zunächst die allgemeinen Regeln des HGB, insbesondere die Pflicht zur vollständigen Erfassung aller Geschäftsvorfälle. § 143 und § 144 AO bestimmen ferner, dass alle Gewerbetreibenden Aufzeichnungen zu ihrem Wareneingang und Gewerbetreibende, die üblicherweise andere Gewerbetreibende beliefern, Aufzeichnungen über ihren Warenausgang zu führen haben. Hierzu gehören bei Eingangsleistungen z.B. Angaben zum Lieferanten und bei aufzeichnungspflichtigen Ausgangslieferungen z.B. Angaben zum Abnehmer der Lieferung. Die vorstehend dargestellten Angaben und Aufzeichnungen sind nach Maßgabe von § 147 AO aufzubewahren. Diese Aufbewahrungsverpflichtung erstreckt sich nicht nur auf Buchführungsunterlagen (§ 147 Abs. 1 Nr. 1 u. Nr. 4 AO) und Geschäftsbriefe (§ 147 Abs. 1 Nr. 2 u. Nr. 3 AO). Vielmehr sind auch sonstige Unterlagen aufzubewahren, wenn diese für die Besteuerung von Bedeutung sind (§ 147 Abs. 1 Nr. 5 AO). Dabei kann es sich z.B. um Kalkulationsunterlagen handeln.2 Die Finanzverwaltung ist nach § 147 Abs. 6 AO zu einem digitalen Datenzugriff auf die Buchführung berechtigt und darf die Buchführungsdaten für Zwecke einer steuerlichen Außenprüfung auch maschinell auswerten.3 Bezogen auf internationale Verrechnungspreise können die nach §§ 140 ff. AO verpflichtend zu führenden Aufzeichnungen allerdings nur sehr bedingt verwendet werden. Sie können lediglich Auskunft darüber geben, ob Lieferungen und Leistungen zwischen Konzernunternehmen abgerechnet wurden, welche Mengen dabei gehandelt und welche Preise zugrunde gelegt wurden. Für eine Prüfung, ob Verrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, reichen diese Informationen nicht aus.
8.4
Inhalt. Bei Sachverhalten, denen Vorgänge außerhalb Deutschlands zugrunde liegen, erweitert sich nach § 90 Abs. 2 Satz 1 AO die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen dahingehend, dass nun der Steuerpflichtige den Sachverhalt aufklären muss und erforderliche Beweismittel zu beschaffen hat.4 Im Rahmen dieser erweiterten Mitwirkungspflicht muss der Steuer-
III. Erweiterte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO
1 Vgl. Seer in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkunftsabgrenzung, 2003, 38. 2 Vgl. Seer in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkunftsabgrenzung, 2003, 39. 3 Vgl. dazu im Einzelnen BMF v. 28.11.2019 – IV A 4 - S 0316/19/10003:001, BStBl. I 2019, 1269, sowie zu Besonderheiten im Hinblick auf Verrechnungspreise Kroppen/Schnell, IWB F. 3 Gr. 1, 992 ff. Zur Abgrenzung insbesondere im Hinblick auf die Zugänglichmachung von Kostenstellendaten vgl. Ditz, DStR 2004, 2038; FG Rh.-Pf. v. 13.6.2006 – 1 K 1743/05, EFG 2006, 1634, rkr. 4 Vgl. Seer, IWB F. Gr. 2, 674. Da von der erweiterten Mitwirkungspflicht nur Auslandssachverhalte erfasst werden, ist zu klären, ob § 90 Abs. 2 AO ggf. gegen die Grundfreiheiten des AEUV verstößt. Im Gegensatz zu inländischen Sachverhalten (z.B. Warenbezug von einer inländischen Tochtergesellschaft) hat der Steuerpflichtige bei Auslandssachverhalten (z.B. Warenbezug von einer Tochtergesellschaft in einem anderen EU-Mitgliedstaat) weitergehende Mitwirkungspflichten zu erfüllen, was ggf. zu einer Benachteiligung des Warenbezugs von der ausländischen Gesellschaft gegenüber dem Warenbezug von einer inländischen Gesellschaft führen könnte. Seer, IWB F. 11Gr. 2, 674 ff., legt zutreffend dar, dass das Erfordernis der Steuerkontrolle ein ausreichender Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung des inländischen und ausländischen Sachverhalts ist und § 90 Abs. 2 AO daher nicht gemeinschaftswidrig ist.
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A. Allgemeine nationale Pflichten | Rz. 8.5 Kap. 8
pflichtige nach § 90 Abs. 2 Satz 2 AO alle für ihn bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung und zur Beweismittelbeschaffung nutzen.1 Dabei hat er nach § 90 Abs. 2 Satz 4 AO auch Beweisvorsorge zu treffen, d.h. er muss nach Auffassung der Finanzverwaltung ggf. auch seine Vertragspartner im Ausland verpflichten, ihm bestimmte – für die deutsche Besteuerung erhebliche – Auskünfte zu erteilen, die der Steuerpflichtige dann auf Ersuchen an die deutsche Finanzverwaltung weitergeben muss.2 Die Finanzverwaltung ist jedoch ihrerseits verpflichtet, konkrete Anhaltspunkte für die Steuererheblichkeit von Urkunden vorzutragen und ggf. zu beweisen, da sie die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen zum Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes trägt.3 Anwendung auf Verrechnungspreise. Die im Rahmen von § 90 Abs. 2 AO bestehende Pflicht des Steuerpflichtigen zur Aufklärung von Auslandssachverhalten umfasst – soweit rechtlich und tatsächlich möglich und nicht § 90 Abs. 3 AO als lex specialis vorgeht – auch die Angabe verrechnungspreisrelevanter Informationen von nahe stehenden Personen im Ausland. Daher basierte vor Einführung der speziellen Aufzeichnungspflichten in § 90 Abs. 3 AO die Sachverhaltsaufklärung im Rahmen von Verrechnungspreisprüfungen auf § 90 Abs. 2 AO. Dies wurde in der Praxis lange Zeit als unstrittig akzeptiert, bis der BFH aufgerufen war, in seinem Urteil vom 17.10.20014 und dem vorangegangenen Beschluss vom 10.5.20015 zum Anwendungsbereich der erweiterten Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO sowie den Rechtsfolgen einer Verletzung der erweiterten Mitwirkungspflicht Stellung zu nehmen.6 Danach gilt bis heute zu den erweiterten Mitwirkungspflichten Folgendes: – Außerhalb der Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (§§ 238 ff. HGB und §§ 140 ff. AO) bestehen keine speziellen Dokumentationspflichten, auf Grund derer der Steuerpflichtige Aufzeichnungen über den einer vGA zugrunde liegenden Sachverhalt zu erstellen hat.7 Lediglich vorhandene Unterlagen, Aufzeichnungen u. Ä. seien vorzulegen, die auf Anforderung des Finanzamts ggf. auch nach bestimmten Kriterien geordnet oder zusammengestellt werden müssten.8 – Eine Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO durch inländische Steuerpflichtige liegt nicht vor, wenn es für den inländischen Steuerpflichtigen (z.B. Tochtergesellschaft einer ausländischen Muttergesellschaft) rechtlich und tatsächlich unmöglich ist, die angeforderten Unterlagen zu beschaffen.9 Dies ist auch im Hinblick auf die später eingeführten speziellen Aufzeichnungspflichten von Bedeutung. – Die Nachweispflicht für eine etwaige Unangemessenheit von Verrechnungspreisen trägt – zumindest in der Rechtslage vor Einführung von § 90 Abs. 3 AO – die Finanzverwaltung. Die Finanzverwaltung kann sich auch nicht aus § 90 Abs. 2 AO darauf berufen, dass der Steuerpflichtige nicht hinreichend mitgewirkt habe und deshalb eine Erleichterung der Nachweispflicht eintrete.10
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Hagen, StBp. 2005, 34. Vgl. VWG 2020, Rz. 14. Vgl. hierzu ausführlich Drüen, JbFSt 2006/2007, 273. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, FR 2001, 694 = DB 2001, 1180. Vgl. Kuckhoff/Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 1863 ff. m.w.N. Vgl. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, FR 2001, 694 = DB 2001, 1180, unter Abschn. 4. der Gründe. Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, unter Abschn. III.A.2.d bb. Vgl. BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, FR 2001, 694 = DB 2001, 1180, unter Abschn. 5. der Gründe. Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, unter Abschn. III.A.2.d bb.
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8.5
Kap. 8 Rz. 8.6 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
8.6
Verwaltungsauffassung. Nach jüngster Verwaltungsauffassung sollen im Rahmen der erweiterten Mitwirkungspflichten des § 90 Abs. 2 AO auch Unterlagen des Steuerpflichtigen vorgelegt werden, die der Finanzbehörde unabhängig von der tatsächlich angewandten Verrechnungspreismethode eine Verprobung der Angemessenheit der Verrechnungspreise bzw. Ergebnisse ermöglichen soll.1 Ferner sollen Vorlagepflichten nach § 90 Abs. 2 AO „auch für Gutachten und Stellungnahmen zu Verrechnungspreisen“ gelten, „soweit sie für die Festsetzung von Verrechnungspreisen oder für die Einkünfteermittlung in Zusammenhang mit Verrechnungspreisen für bedeutsam erachtet werden“.2 Erfasst sein sollen insoweit auch E-Mails, Messengerdienstnachrichten oder Nachrichten mittels anderer elektronischer Kommunikationsmedien, soweit diese geschäftliche Inhalte mit steuerlichem Bezug aufweisen.3
8.7
Kritik. Die vorstehende geschilderte Verwaltungsauffassung ist abzulehnen. Die Forderung der Finanzverwaltung nach methodenunabhängigen Daten ist deutlich überschießend. Der Steuerpflichtige muss nur die von ihm als am „besten geeignet“ angesehene Verrechnungspreismethode dokumentieren.4 Die Vorlage weiterer Unterlagen für Zwecke der Verprobung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen durch die Finanzbehörde kann nur sachgerecht sein, wenn die vom Steuerpflichtigen tatsächlich gewählte Verrechnungspreismethode unzutreffend ist. Besonders kritisch zu sehen ist die Aussage der Finanzverwaltung, dass auch Gutachten und Stellungnahmen zu Verrechnungspreisen vorlagepflichtig sein sollen. Insofern verkennt die Finanzverwaltung, dass sich die vorlagepflichtigen, steuerlich relevanten Unterlagen nur auf Tatbestände der Sachverhaltsermittlung beziehen, nicht jedoch auf Tatbestände der (steuer-)rechtlichen Sachverhaltswürdigung. So hat das FG Münster v. 18.8.20145 ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Vorlageersuchens bekundet, das sich auf die vollständige Vorlage eines Due-Diligence-Berichts bezog. Infolgedessen sind allenfalls solche Passagen eines Gutachtens oder einer Stellungnahme vorlagepflichtig, die sich mit der Darstellung des Sachverhalts auseinandersetzen, nicht jedoch die analysierenden Inhaltsbestandteile (diese sind ggf. zu „schwärzen“).6 Im Übrigen sind die Grundsätze der durch den Staat zu respektierenden Vertraulichkeit der Korrespondenz zwischen Anwalt/Steuerberater und Mandant zu beachten.7 Schließlich ist die von der Finanzverwaltung argumentierte Vorlagepflicht von EMails, Messengerdienstnachrichten und Nachrichten anderer elektronischer Kommunikationsmedien unverhältnismäßig und zu weitgehend.8 Zwar ist nicht überraschend, dass die Finanzverwaltung an solchen Daten Interesse hat. Allerdings dürften insofern keine unter § 147 Abs. 1 Nr. 2 AO fallenden Handels- oder Geschäftsbriefe oder unter § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO fallende sonstige, besteuerungsrelevante Unterlagen vorliegen. Infolgedessen können E-Mails und sonstige Nachrichten nicht pauschal als vorlagepflichtig eingestuft werden, sondern allenfalls in sehr begründeten Einzelfällen.9 Dies gilt beispielsweise, wenn Lieferpreise aus vergleichbaren Lieferungen/Leistungen mit fremden Dritten in Emails vereinbart sind.10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. VWG 2020, Rz. 13. Vgl. VWG 2020, Rz. 13. Vgl. VWG 2020, Rz. 13. Vgl. z.B. Ditz/Bärsch/Engelen, FR 2021, 458; Kluge/Probst/Bestelmeyer, IStR 2021, 282; Rasch, ISR 2021, 13. Vgl. FG Münster v. 18.8.2014 – 6 V 1932/14 AO, EFG 2014, 1936. Vgl. Kluge/Probst/Bestelmeyer, IStR 2021, 282. Vgl. Sassmann/Holtz, Ubg 2021, 66. Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen, FR 2021, 458; Kluge/Probst/Bestelmeyer, IStR 2021, 283; Rasch, ISR 2021, 14 f. Vgl. Sassmann/Holtz, Ubg 2021, 65. Vgl. Rasch, ISR 2021, 14.
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A. Allgemeine nationale Pflichten | Rz. 8.9 Kap. 8
Beweisvorsorge. Im Rahmen der Beweisvorsorge erwartet die Finanzverwaltung, den Zugriff auf die im Ausland befindlichen Beweismittel vertraglich abzusichern.1 In Zusammenhang mit dem vorstehend beschriebenen äußerst umfassenden Begriff der vorlagepflichtigen Beweismittel erscheint die Forderung nach der Beweisvorsorge insoweit unverhältnismäßig, als sich auch ein fremder Dritter kaum den Zugriff auf alle Unterlagen wie E-Mails seines Geschäftspartners zusichern lassen wird bzw. kann. Ebenso wird auch ein fremder Dritter keine Einsicht in firmeninterne Daten, wie die Kostenrechnung, erhalten, es sei denn, dies ist konkret für die Preisermittlung einer Leistung notwendig (z.B. bei Gleitklauseln wegen Rohmaterialpreisschwankungen). Letztlich würde ein fremder Dritter eine Vorlage von Beweismitteln und Unterlagen immer nur in dem Umfang vertraglich zusichern, wie dies für die Umsetzung bzw. Überprüfung der Einhaltung der vertraglichen Vereinbarungen zwingend notwendig ist. Allerdings dürfte die Finanzverwaltung ebenfalls von einer Beschränkung auf die Daten ausgeht, die der Steuerpflichtige für „seine“ Fremdvergleichspreisermittlung benötigt, z.B. bzgl. des Nachweises über Abgabepreise der ausländischen Vertriebsgesellschaft bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode. Insoweit dürfte es sachgerecht sein, hier eine Dokumentationsklausel in dem Intercompany-Vertrag zu vereinbaren. Eine weitergehende Verpflichtung für einen Zugriff auf Informationen der ausländischen Gesellschaft kann aus § 90 Abs. 2 AO nicht hergeleitet werden.2
8.8
Eigene Rechtsauffassung. Festzuhalten ist, dass § 90 Abs. 2 AO durch die Einführung spezieller Aufzeichnungspflichten für Verrechnungspreise in § 90 Abs. 3 AO seine Bedeutung für die Verrechnungspreisprüfung nach der hier vertretenen Auffassung weitgehend verloren hat. Gleichwohl strahlen die vom BFH seinerzeit in den o.g. Entscheidungen entwickelten Grundsätze auch auf die Auslegung von Einzelfragen zu den speziellen Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO aus. Dies gilt insbesondere für den Vorbehalt der rechtlichen und tatsächlichen Unmöglichkeit der Angabe bestimmter Informationen.3 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nach Verwaltungsauffassung Sachverhaltsangaben, die nicht von den speziellen Aufzeichnungspflichten in § 90 Abs. 3 AO erfasst sind, ggf. über § 90 Abs. 2 AO angabepflichtig sind.4 Ob dies indes zulässig ist, hängt zunächst davon ab, ob die speziellen – und sehr weitreichenden – Aufzeichnungspflichten für Verrechnungspreise nach § 90 Abs. 3 AO die erweiterte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verdrängen. Eine Anforderung von Unterlagen (z.B. Gewinn- und Verlust- sowie Spartenrechnungen der Auslandsgesellschaften) auf Basis der erweiterten Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO wäre dann nicht zulässig. Die Frage der „Verdrängung“ der erweiterten Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO in Verrechnungspreissachverhalten durch die dafür geltenden Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO ist bislang durch die finanzgerichtliche Rechtsprechung nicht geklärt. U.E. sprechen gute Gründe für die Behandlung von § 90 Abs. 3 AO als lex specialis zu § 90 Abs. 2 AO und damit einer Nichtanwendbarkeit von § 90 Abs. 2 AO.5 Die in der Praxis gelegentlich anzutreffende Anforderung von Spartenrechnungen ausländischer Gruppenunternehmen ist – selbst wenn § 90 Abs. 2 AO anwendbar wäre – häufig bereits deshalb abzulehnen, weil Spartenrechnungen in verlässlicher Qualität und Aussagekraft auch im Ausland nicht vorhanden sind.
8.9
1 2 3 4 5
Vgl. VWG 2020, Rz. 14. Vgl. Kluge/Probst/Bestelmeyer, IStR 2021, 283 f. Vgl. Seer, IWB 2012, 352 m.w.N. Vgl. VWG 2020, Rz. 14 ff. Vgl. Kühnast in JbFStR 2008/2009, 772. Die Erstellung von Unterlagen kann nach § 90 Abs. 2 AO indes nicht verlangt werden, vgl. Elbert/Wellen in Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise5, 2.Teil Nr. 2 Rz. 8.
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Kap. 8 Rz. 8.10 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten zu internationalen Verrechnungspreisen I. § 90 Abs. 3 AO und Begleitregelungen 1. Gesetzliche Regelungen und Verwaltungsanweisungen 8.10
Gesetz. In 20031 hat der Gesetzgeber § 90 AO um den Abs. 3 erweitert, der Aufzeichnungspflichten des Steuerpflichtigen bei Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Unternehmen im Ausland begründet (sog. Verrechnungspreisdokumentation2). Hintergrund war u.a. die Kritik der Finanzverwaltung an der einschränkenden BFH-Rechtsprechung zu § 90 Abs. 2 AO3 (s.o. unter Rz. 8.5). Mit Gesetz v. 20.12.20164 und mit Wirkung vom 24.12.2016 wurde § 90 Abs. 3 AO umfassend geändert.
8.11
Anwendbarkeit. § 90 Abs. 3 AO ist erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2002 beginnen, im Regelfall damit ab dem 1.1.2003 anzuwenden. Die Neufassung ist erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2016 beginnen.5 Die allgemeinen Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 1 und Abs. 2 AO bleiben neben den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO bestehen.6
8.12
Sanktionsvorschriften. Begleitet wurde die Einführung der Aufzeichnungspflichten mit der Schaffung von Sanktionsmöglichkeiten (zu den Regelungen im Einzelnen Rz. 8.240 ff.). § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO geben der Finanzverwaltung die Möglichkeit zur Schätzung von Verrechnungspreisen und zur Festsetzung von Strafzuschlägen, wenn der Steuerpflichtige seinen Aufzeichnungsverpflichtungen nicht in einem hinreichenden Maße nachkommt.
8.13
Rechtsverordnung. Einzelheiten zu Art, Inhalt und Umfang der nach § 90 Abs. 3 AO bestehenden Aufzeichnungspflichten ergeben sich aus einer Rechtsverordnung (GAufzV), die das BMF auf Grund der Ermächtigung in § 90 Abs. 3 Satz 11 AO (früher § 90 Abs. 3 Satz 5 AO) mit Zustimmung des Bundesrates erlassen hat. Als Rechtsverordnung i.S.v. Art. 80 GG stellt die GAufzV wie ein Gesetz bindendes Recht für Steuerpflichtige, Finanzverwaltung und Gerichte dar.7 In Re1 StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. 2 Eine allgemein verwendete Definition des Begriffs „Verrechnungspreisdokumentation“ besteht nicht. Allgemein werden unter einer „Dokumentation“ im steuerlichen Sinne Unterlagen und Aufzeichnungen verstanden, nach denen ein sachverständiger Dritter in angemessener Zeit die zu dokumentierenden Vorgänge und Geschäftsvorfälle im Unternehmen erfassen und auf ihre richtige steuerliche Beurteilung überprüfen kann. Vgl. Seer in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkunftsabgrenzung, 38. Insoweit bestehen keine Einwände, den Begriff „Verrechnungspreisdokumentation“ als Oberbegriff für die bei konzerninternen grenzüberschreitenden Lieferungen und Leistungen zu erstellenden Aufzeichnungen zu verwenden. Vgl. IDW, FN-IDW 2006, B4. Unter „Aufzeichnungen“ in dem hier verwendeten Sinne sind schriftlich festgehaltene Informationen zu einem Sachverhalt zu verstehen. 3 Vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154; BFH v. 10.5.2001 – I S 3/ 01, FR 2001, 694 = DB 2001, 1180. 4 BGBl. I 2016, 3000. 5 Vgl. § 22 EGAO. 6 Vgl. VWG 2020, Rz. 2 ff. 7 Vgl. Pieroth in Jarass/Pieroth16, Art. 80 GG Rz. 20; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 5.8 ff. Die Wirksamkeit einer Rechtsverordnung ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Sie bedarf zunächst einer Ermächtigungsgrundlage in einem im regulären Gesetzgebungsverfahren verabschiedeten Bundesgesetz (vgl. Art. 80 Abs. 2 Satz 1 GG). Ferner dürfen sich die Inhalte und Regelungen der Rechtsverordnung nur innerhalb eines Ermächtigungsrahmens bewegen, der in dem zugrunde liegenden Bundesgesetz bestimmt werden muss (vgl. Art. 80 Abs. 2 Satz 2 GG).
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten | Rz. 8.16 Kap. 8
aktion auf Anpassungen des § 90 Abs. 3 AO wurde die GAufzV zuletzt mit der Fassung vom 12.7.2017 reformiert.1 Verwaltungsanweisung. Nach Einführung von § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV wurde in 2005 ein umfangreiches Anwendungsschreiben2 der Finanzverwaltung (nachfolgend: „VWGVerfahren“) veröffentlicht, in dem die Finanzverwaltung zu den neuen gesetzlichen Vorschriften Stellung genommen und damit weitere praxisrelevante Regelungen geschaffen hat. Mit Datum v. 3.12.2020 hat das BMF neue Verwaltungsgrundsätze (nachfolgend: „VWG 2020“) erlassen.3 Inhaltlich befassen sich die VWG 2020 mit Anwendungsfragen rund um § 90 AO (Mitwirkungspflichten der Beteiligten) und § 162 AO (Schätzung von Besteuerungsgrundlagen). Sie ersetzen in Teilen, aber nicht vollständig, die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren aus 2005.4 Nach den Erläuterungen in dem zeitlich nachfolgende BMF-Schreiben vom 14.7.2021 (nachfolgend: „VWG VP 2021“)5 dürften die VWG-Verfahren inzwischen insgesamt aufgehoben sein,6 wenngleich die VWG VP 2021 die umfangreichen und nach den VWG 2020 weitergeltenden Grundsätze nur rudimentär regeln. Im Gegensatz zu § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV haben die VWG-Verfahren bzw. VWG 2020 allerdings keine Gesetzeskraft. Diese sind lediglich als Rechtsauslegung der gesetzlichen Vorschriften durch die Finanzverwaltung anzusehen und daher nur für die Finanzverwaltung verbindlich.7 Die FG sind hingegen nur an die gesetzlichen Vorschriften bzw. die Rechtsverordnung gebunden, so dass die FG die Aufzeichnungspflichten und Sanktionsvorschriften auch abweichend von den vorgenannten Verwaltungsanweisungen auslegen können. Andererseits impliziert dies, dass der Steuerpflichtige vor Gericht keinen Anspruch auf Anwendung der VWG-Verfahren bzw. VWG 2020 einklagen kann.8
8.14
2. Abstrakte inhaltliche Anforderungen und Beweislastverteilung a) Stammdokumentation Abstrakter Inhalt der Aufzeichnungspflicht: In § 90 Abs. 3 Sätze 3 und 4 AO wird für multinationale Unternehmen mit einem Umsatz von mindestens EUR 100 Mio. ferner eine Darstellung über die weltweite Geschäftstätigkeit sowie angewendete Verrechnungspreismethoden gefordert (sog. Stammdokumentation).
8.15
b) Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation Abstrakter Inhalt der Aufzeichnungspflicht. § 90 Abs. 3 Satz 1 AO sieht vor, dass Steuerpflichtige Aufzeichnungen über Art und Inhalt ihrer Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG erstellen müssen (sog. landesspezifische Dokumentation). Entsprechend der bisherigen Handhabung und dem bisherigen Gesetzestext bezieht sich die Auszeichnungspflicht nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte. Dies ergibt sich insbesondere aus der Bezugnahme auf § 1 Abs. 4 AStG.9 Im Rahmen der „Revision“ von § 90 Abs. 3 AO wurde insbesondere Satz 2 der 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. GAufzV v. 12.7.2017, BGBl. I 2017, 2367. Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570. Vgl. BMF v. 3.12.2020 – IV B 5 - S 1341/19/10018:001 – VWG 2020, BStBl. I 2020. Vgl. VWG 2020, Rz. 91. Vgl. BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017:001 – VWG VVP 2021, BStBl. I 2021, 1098, Rz. 6.1. Vgl. Heidecke, ISR 2021, 381; Busch, DB 2021, 1908. Vgl. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 5.28, 5.33. Vgl. Hey, DStR 2004, 1903. Vgl. Schreiber/Greil, DB 2017, 11; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rz. 41.
Cordes/Bärsch | 1057
8.16
Kap. 8 Rz. 8.16 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
Vorschrift angepasst. Danach haben die Aufzeichnungen nunmehr neben der „klassischen“ Darstellung der Geschäftsvorfälle als Sachverhaltsdokumentation auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Fremdvergleichsgrundsatz beachtende Vereinbarung von Bedingungen, insbesondere Preisen (Verrechnungspreisen), zur verwendeten Verrechnungspreismethode und zu den verwendeten Fremdvergleichsdaten zu umfassen. Ferner ist der Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung aufzuzeichnen. Während der Gesetzgeber bislang in § 90 Abs. 3 Satz 2 AO abstrakt auf die „wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen“ abstellt, wird nunmehr aber auch erstmalig der Begriff einer Angemessenheitsdokumentation in § 90 Abs. 3 Satz 2 AO erwähnt.1 Ausweislich der Gesetzesmaterialien ist insoweit aber keine inhaltliche Veränderung der bestehenden Rechtslage beabsichtigt, sondern lediglich eine redaktionellen Anpassung.2 Im Kern können damit die Aufzeichnungspflichten entsprechend der bisherigen Praxis grob in zwei Teilbereiche unterschieden werden: – Aus den Aufzeichnungen muss ersichtlich sein, welchen Sachverhalt der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen verwirklicht hat (sog. Sachverhaltsdokumentation; § 90 Abs. 3 Satz 2 AO und § 1 Abs. 2 GAufzV). – Die Aufzeichnungen müssen die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Fremdvergleichsgrundsatz beachtende Vereinbarung von Bedingungen, insbesondere Preisen, beinhalten (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AO) und das ernsthafte Bemühen des Unternehmens zeigen, den Fremdvergleichsgrundsatz zu beachten (sog. Angemessenheitsdokumentation; § 90 Abs. 3 Satz 2 AO und § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV). Aus den abstrakten Formulierungen wird deutlich, dass sich Inhalt und Umfang der Aufzeichnungen im praktischen Anwendungsfall nicht allgemein festlegen lassen. Daher sieht § 2 Abs. 2 Satz 1 GAufzV vor, dass zur Bestimmung des Inhalts und Umfangs der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO die Umstände des Einzelfalls und vor allem die angewandte Verrechnungspreismethode3 maßgebend sind. Die GAufzV gibt mithin einen Rahmen vor, innerhalb dessen sich die im konkreten Einzelfall zu erstellenden Aufzeichnungen bewegen. Sichergestellt sein muss, dass ein sachverständiger Dritter in angemessener Zeit die vom Steuerpflichtigen bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Unternehmen verwirklichten Sachverhalte erkennen und die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes beurteilen kann.4 Durch § 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV wird dabei sichergestellt, dass der Steuerpflichtige nur die zur Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode erforderlichen Angaben aufzeichnen muss. Dies ist im Idealfall die Methode, anhand derer auch tatsächlich die Verrechnungspreise ermittelt wurden. Die Finanzverwaltung bestätigt in den VWG 2020, dass der Steuerpflichtige grundsätzlich nur Aufzeichnungen für die von ihm angewendete und am geeignetsten gehaltene Methode zu erstellen hat.5 Gleichwohl wird in den VWG 2020 auch verlangt, dass der Steuerpflichtige Informationen für eine von der Finanzverwaltung bevorzugte, 1 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 792. 2 Vgl. BT-Drucks. 18/9536, 34 f.; Schreiber/Greil, DB 2017, 12. 3 Durch § 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV wird dabei sichergestellt, dass der Steuerpflichtige nur die zur Anwendung einer geeigneten Verrechnungspreismethode erforderlichen Angaben aufzeichnen muss. Dies ist im Idealfall die Methode, anhand derer auch tatsächlich die Verrechnungspreise ermittelt wurden. 4 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 und 4 GAufzV; VWG 2020, Rz. 26. 5 Vgl. VWG 2020, Rz. 45. Dies entspricht auch den OECD-Leitlinien 2022, Tz. 2.12.
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten | Rz. 8.20 Kap. 8
alternative Verrechnungspreismethode zur Verfügung zu stellen hat.1 Der Steuerpflichtige kann die von der Finanzabteilung bevorzugte Verrechnungspreismethode jedoch nicht antizipieren, es wären folglich sämtliche Daten für alle geeigneten Methoden vorzuhalten.2 Eine solche Interpretation ist insbesondere vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit abzulehnen. Darüber hinaus würde sich ein fremder Dritter keinen Zugriff auf Daten seines Geschäftspartners zusichern lassen (können), wenn er diese nicht für die verwendete Verrechnungspreismethodik benötigt. Abschließend lässt sich auch die Verprobung der angewendeten Verrechnungspreismethode durch die Finanzverwaltung entgegen den VWG 2020 nicht durch die ständige Rechtsprechung des BFH ableiten.3 Sachverhaltsdokumentation. Zur Dokumentation des Sachverhalts wiederholt § 1 Abs. 2 GAufzV im Wesentlichen die Formulierungen aus § 90 Abs. 3 Satz 1 AO. Es sind Aufzeichnungen zu Art, Umfang und Abwicklung sowie zu den wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Unternehmen im Ausland erforderlich. Dies sind z.B. Informationen darüber, welche Erzeugnisse welcher Beschaffenheit geliefert wurden, bzw. was Gegenstand einer Dienstleistung war und welche konkreten Leistungen in ihrem Rahmen erbracht wurden. Einige wesentliche Inhalte der Sachverhaltsdokumentation ergeben sich aus der Aufzählung in § 4 GAufzV.
8.17
Angemessenheitsdokumentation. Zu der in § 90 Abs. 3 Satz 2 AO und in § 1 Abs. 1 Satz 1 GAufzV eingegangenen Angemessenheitsdokumentation sieht § 2 Abs. 1 Satz 3 AO GAufzV vor, dass die Aufzeichnungen das „ernsthafte Bemühen“ des Steuerpflichtigen erkennen lassen müssen, seine Geschäftsbeziehung zu nahe stehenden Unternehmen im Ausland fremdvergleichskonform zu gestalten.
8.18
Beweislast. Nach der Gesetzesbegründung soll mit den Aufzeichnungspflichten und insbesondere den darin enthaltenen Angemessenheitsdokumentationen keine Umkehr der Beweislast dahingehend erfolgen, dass der Steuerpflichtige künftig die Angemessenheit seiner Verrechnungspreise nachweisen muss. Die Beweislast für eine etwaige Unangemessenheit soll nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Finanzverwaltung verbleiben.4
8.19
Mindestanforderungen. Die gesetzlichen Aufzeichnungspflichten bei Geschäftsbeziehungen zu Gruppenunternehmen im Ausland müssen vom Unternehmen als gegeben hingenommen werden. Eine Verletzung der Aufzeichnungspflichten kann nach § 162 Abs. 3 und 4 AO erhebliche und nur schwer kalkulierbare finanzielle Zusatzbelastungen nach sich ziehen (zu den Rechtsfolgen einer Verletzung der Aufzeichnungspflichten vgl. Rz. 8.240 ff.), was im Rahmen eines modernen unternehmerischen Risikomanagements nicht zu verantworten ist.5 Ein Wahlrecht, Aufzeichnungen zu erstellen oder nicht, besteht daher nicht.
8.20
Im Rahmen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit liegt es aber, in welcher Form die Aufzeichnungen ausgestaltet werden. Hier besteht zum einen die Möglichkeit, mit minimalem personellem und organisatorischem Aufwand die erforderlichen Aufzeichnungen in einem 1 Vgl. VWG 2020, Rz. 46. 2 Unklar bleibt, ob der Steuerpflichtige nach Auffassung der Finanzverwaltung gehalten sein soll, Daten zur Anwendung sämtlicher in Frage kommender Verrechnungspreismethoden vorzuhalten. 3 Vgl. Kluge/Probst/Bestelmeyer, IStR 2021, 281 m.w.N; Kluge/Geißler, WPg 2021, 737. 4 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 2; Ditz/Bärsch/Engelen, FR 2021, 459; Kluge/Geißler, Wpg 2021, 741; Kluge/Probst/Bestelmeyer, IStR 2021, 288; Sassmann/Holtz, Ubg 2021, 67; VWG 2020, Rz. 68. 5 Vgl. Kremer, IntR 2003, 56; Schönenborn, DB 2013, 2869.
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Kap. 8 Rz. 8.20 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
Mindestmaß zu erfüllen, mit dem den gesetzlichen Anforderungen gerade noch entsprochen wird.1 Da aber Verrechnungspreiskorrekturen durch die Finanzverwaltung auch bei erfüllten Aufzeichnungspflichten möglich sind,2 ist zum anderen zu überlegen, ob und in welchen Fällen die Aufzeichnungen über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehend ausgestaltet werden können, um das Risiko von Verrechnungspreiskorrekturen zu reduzieren.3
Die gesetzlichen Mindestanforderungen werden erfüllt, wenn die Aufzeichnungen „im Wesentlichen verwertbar“ sind (vgl. im Einzelnen Rz. 8.244 ff.).4 Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus den Sanktionsvorschriften in § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO, die bei „im Wesentlichen unverwertbaren“ Aufzeichnungen Anwendung finden. „Im Wesentlichen verwertbar“ sind Aufzeichnungen, wenn sie einem sachverständigen Dritten in angemessener Zeit die Prüfung ermöglichen, welche Sachverhalte im Zusammenhang mit Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Unternehmen im Ausland verwirklicht wurden und ob und inwieweit dabei der Grundsatz des Fremdvergleichs beachtet wurde (Rz. 8.245 ff.).5 Abzustellen ist dabei auf den einzelnen Geschäftsvorfall und die Dokumentation desselben. Damit müssen die Aufzeichnungen die Informationen (soweit sie im Unternehmen oder der Unternehmensgruppe vorhanden sind) enthalten, die erforderlich sind, um nach den geltenden Regelungen (insb. nach den zulässigen Verrechnungspreismethoden) einen dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechenden Preis zu ermitteln. c) Dokumentation bei nicht kooperativen Steuerhoheitsgebieten
8.21
Abstrakter Inhalt der Aufzeichnungspflicht. In § 12 StAbwG werden für Steuerpflichtige gesteigerte Aufzeichnungspflichten bei Geschäftsvorgängen mit Bezug zu einem nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiet geregelt. Die gesteigerten Aufzeichnungspflichten entsprechen inhaltlich denjenigen, welche der Sachverhaltsdokumentation landesspezifischer, unternehmensbezogener Dokumentation i.S.d. § 90 Abs. 3 AO entsprechen.
II. Anwendungsbereich der Stammdokumentation 8.22
Persönlicher Anwendungsbereich. Die Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO betreffen Steuerpflichtige unter den folgenden Voraussetzungen: – Vorhandensein eines Unternehmens i.S.d. Vorschrift des § 90 Abs. 3 AO; – Verpflichtung, Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 1 AO zu erstellen; – das Unternehmen ist Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe. 1 Vgl. Sieker in GS Trzaskalik, 138; Lenz/Fischer, BB 2004, 2043. 2 Vgl. VWG 2020, Rz. 73. 3 Dies kann z.B. sinnvoll sein, wenn im Rahmen einer internationalen Steuerplanung gezielt versucht wurde, bestehende Gestaltungs- oder Bewertungsspielräume bei Verrechnungspreisen zu nutzen oder wenn aus der Vergangenheit bekannt ist, dass bestimmte Liefer- und Leistungsbeziehungen einer intensiven Prüfung durch die Finanzverwaltung unterliegen. Gleiches gilt, wenn besondere Umstände eine Verrechnungspreisfestsetzung rechtfertigen, die normalerweise als unangemessen anzusehen ist. Auch hier ist zu empfehlen, Beweisvorsorge zu treffen, um späteren Beanstandungen der Finanzverwaltung entgegentreten zu können bzw. den bisherigen Verrechnungspreis durchzusetzen. Erhöhte Dokumentationsbemühungen brauchen sich dabei nicht auf das komplette Verrechnungspreissystem des Unternehmens bzw. auf alle Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen im Ausland zu erstrecken, sondern nur auf die Teilbereiche oder Geschäftsbeziehungen, für die Risiken gesehen werden. 4 Für die Beurteilung ist auf die einzelne Geschäftsbeziehung abzustellen. 5 Vgl. VWG 2020, Rz. 82.
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B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten | Rz. 8.22 Kap. 8
Was unter dem Unternehmen eines Steuerpflichtigen nach § 90 Abs. 3 S. 3 AO zu verstehen ist, ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch zweifelsfrei aus dem Kontext der Vorschrift. Hierbei dürfte insbesondere der Gewerbebetrieb eines Steuerpflichtigen gemeint sein, so dass bspw. eine GmbH oder eine gewerblich tätige KG als Unternehmen zu qualifizieren sind. Dies ist auch der Gesetzesbegründung zu entnehmen, wonach nur solche Unternehmen von der Aufzeichnungspflicht erfasst werden, mit denen Steuerpflichtige gewerbliche Einkünfte i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erzielen.1 Dies entspricht auch der Auffassung der Finanzverwaltung.2 Dabei wird jedoch nicht zwischen originär gewerblicher Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG und gewerblicher Prägung i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 und 2 EStG unterschieden, wenngleich die praktische Bedeutung für eine lediglich gewerbliche geprägte KG aufgrund oftmals kaum vorhandener Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen begrenzt sein dürfte. Außerdem ist tatbestandliche Voraussetzung des § 90 Abs. 3 Satz 3 AO, dass Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 1 AO zu erstellen sind. Hierdurch wird deutlich, dass die Pflicht zur Erstellung der Stammdokumentation nur als Erweiterung der Pflicht zur Erstellung der landesspezifischen, unternehmensbezogenen Dokumentation sein kann. Für die Pflicht zur Erstellung der landesspezifischen, unternehmensbezogenen Dokumentation ist wiederum erforderlich, dass das Unternehmen wenigstens eine Geschäftsbeziehung zu nahestehenden Personen im Ausland unterhält (Rz. 8.16). Vor diesem Hintergrund sollte die Einschränkung des § 6 GAufzV mittelbar auch für die Stammdokumentation gelten, also das Erfordernis von Gesamtentgelten aus Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen für Dienstleistungen von mindestens 0,6 Mio. € oder für Lieferungen von mindestens 6 Mio. € im vorangegangenen Wirtschaftsjahr. Tatbestandliche Voraussetzung für die Pflicht zur Erstellung einer Stammdokumentation ist außerdem, dass das in Frage kommende Unternehmen Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe ist. Was unter einer multinationalen Unternehmensgruppe zu verstehen ist, wird im neuen § 90 Abs. 3 Satz 4 AO definiert. Eine multinationale Unternehmensgruppe soll demnach vorliegen, wenn es sich um mindestens zwei „in verschiedenen Staaten ansässige ... Unternehmen“ oder um mindestens ein Unternehmen mit (mindestens) „einer Betriebsstätte in einem anderen Staat“ handelt. Während es sich bei Letzterem um eine in einem anderen Staat belegene Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO handeln dürfte, ist es unklar, wann ein Unternehmen in einem Staat ansässig ist und wann es sich um ein Unternehmen außerhalb des Belegenheitsstaats einer Betriebsstätte handelt. Der Begriff der Ansässigkeit wird bislang in Doppelbesteuerungsabkommen verwendet. Danach sind natürliche Personen, Gesellschaften und andere Personenvereinigungen in einem Staat ansässig, wenn sie dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Ortes ihrer Gründung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig sind. Dies legt den Schluss nahe, dass ein entsprechendes Verständnis zu § 90 Abs. 3 Satz 4 AO zu Grunde liegt. Es ist angesichts der vielen Zweifelsfragen i.Z.m. der Begründung von Betriebsstätten im In- und Ausland kritisch zu sehen, dass bereits eine einzige ausländische Betriebsstätte zur Annahme einer multinationalen Unternehmensgruppe i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 4 AO und somit zur Pflicht zur Erstellung einer Stammdokumentation führen kann. Eingeschränkt wird der Anwendungsbereich des § 90 Abs. 3 Satz 3 AO durch die Voraussetzung, dass „der Umsatz des Unternehmens ... im vorangegangenen Wirtschaftsjahr“ mindestens 100 Mio. € betragen haben muss. Damit ist der Umsatz des einzelnen deutschen Unterneh-
1 Vgl. Regierungsentwurf des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes v. 13.7.2016, 37 f. 2 Vgl. VWG 2020, Rz. 55.
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Kap. 8 Rz. 8.22 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
mens gemeint, nicht ein wie auch immer ermittelter Gruppenumsatz. Durch den Schwellenwert soll gewährleistet werden, dass nur eine begrenzte Zahl großer Unternehmen von der Pflicht zur Erstellung einer Stammdokumentation betroffen ist. Nach der Gesetzesbegründung sind die nicht-konsolidierten Umsätze des Unternehmens eines Steuerpflichtigen „mit fremden Dritten als auch mit nahe stehenden Personen“1 ausschlaggebend. Der Schwellenwert umfasst somit keine Innenumsätze, die mit Betriebsstätten erzielt werden. Dies entspricht auch der Auffassung der Finanzverwaltung.2 Wie die Umsatzgröße definiert ist, geht aus dem Gesetzesentwurf und der zugehörigen Begründung nicht hervor. Denkbar wäre ein Begriffsverständnis i.S.d. Umsatzerlöse nach § 277 Abs. 1 HGB. Dieses Begriffsverständnis wendet die deutsche Finanzverwaltung an.3 Dies bedeutet, dass bspw. Erträge aus Beteiligungen (Dividenden) und sonstige betriebliche Erträge nicht in die Berechnung des Schwellenwerts einbezogen werden. Für die Überschreitung der Umsatzgrenze von 100 Mio. € ist es unerheblich, wie hoch der Anteil der Auslandsumsätze an den Gesamtumsätzen des Unternehmens ist. Eine Stammdokumentation ist auch zu erstellen, wenn die Auslandsumsätze nur einen geringfügigen Teil der relevanten Gesamtumsätze des Unternehmens ausmachen.4 Die Bezugnahme auf den Umsatz im vorangegangenen Wirtschaftsjahr soll hinsichtlich der Aufzeichnungspflichten Planungssicherheit schaffen.5
8.23
Sachlicher Anwendungsbereich. Nach § 90 Abs. 3 Satz 3 AO und § 5 Abs. 1 Satz 1 GAufzV soll die Stammdokumentation einen Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit und über die Systematik der Verrechnungspreisbestimmung geben. Die Anlage der GAufzV listet die vorzulegenden Aufzeichnungen und Unterlagen im Einzelnen abschließend auf (siehe ausführlich Rz. 8.210).
8.24
Zeitlicher Anwendungsbereich. Nach Art. 97 § 22 Abs. 1 Satz 4 EGAO ist die Stammdokumentation erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31.12.2016 beginnen.
III. Anwendungsbereich der landesspezifischen, unternehmensbezogenen Dokumentation 8.25
Sachlicher Anwendungsbereich. Die Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO erstrecken sich sachlich auf Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG) bzw. zu Betriebsstätten (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG) des Steuerpflichtigen im Ausland. Dies ergibt sich aus dem Verweis in § 90 Abs. 3 Satz 1 AO. Nicht von der Aufzeichnungspflicht erfasst werden daher – Geschäftsbeziehungen zu „fremden“ Unternehmen im Ausland, – Geschäftsbeziehungen zu inländischen Unternehmen (einschließlich Konzernunternehmen) sowie – Rechtsverhältnisse mit nahestehenden Personen (Unternehmen) im Ausland, die nicht als „Geschäftsbeziehung“ zu qualifizieren sind. Infolgedessen brauchen in diesen Fällen keine besonderen Aufzeichnungen erstellt werden. § 1 Abs. 1 Satz 3 GAufzV ergänzt insoweit noch, dass auch Geschäftsbeziehungen, die keinen 1 2 3 4 5
Vgl. Regierungsentwurf des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes v. 13.7.2016, 38. Vgl. VWG 2020, Rz. 55. Vgl. VWG 2020, Rz. 55. Vgl. auch VWG 2020, Rz. 55. Vgl. Regierungsentwurf des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes v. 13.7.2016, 38.
1062 | Cordes/Bärsch
B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten | Rz. 8.27 Kap. 8
Leistungsaustausch zum Gegenstand haben (z.B. Arbeitnehmerentsendungen, Umlagevereinbarungen), den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO unterliegen. Dies ist zwar nicht unumstritten.1 Gleichwohl kann für die Praxis nur empfohlen werden, auch in diesen Fällen Aufzeichnungen zu erstellen, um Konflikte mit der Finanzverwaltung zu vermeiden. Mögliche Unvereinbarkeit mit den europäischen Grundfreiheiten. Nicht unter die Aufzeichnungspflicht fallen innerdeutsche Geschäftsbeziehungen zwischen inländischen Konzernunternehmen (s.o.). Damit werden grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen zu Konzernunternehmen im Ausland gegenüber innerdeutschen Geschäftsbeziehungen zu Konzernunternehmen benachteiligt. Dies wirft die Frage auf, ob die Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO und die damit verknüpften Sanktionsregelungen in § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO bei Geschäftsbeziehungen zwischen Konzernunternehmen in Europa mit den europarechtlich geschützten Prinzipien der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV, früher Art. 43 EGV) bzw. der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV, früher Art. 56 EGV) zu vereinbaren sind und ob ggf. Rechtfertigungsgründe (z.B. Notwendigkeit für die Steueraufsicht) für eine Benachteiligung grenzüberschreitender Geschäftsbeziehungen zu Konzernunternehmen bestehen. Für die Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO hat der BFH entschieden, dass ausreichende Rechtfertigungsgründe vorliegen und die Aufzeichnungspflicht folglich nicht gegen EU-Recht verstößt.2 Für die Zuschläge bei Verrechnungspreiskorrekturen wegen Verletzung der Aufzeichnungspflichten nach § 162 Abs. 4 AO geht hingegen die h.M. davon aus, dass diese einer europarechtlichen Prüfung nicht standhalten würden.3 Auf Basis eines Vorlagebeschlusses des FG Bremen ist aktuell vor dem EuGH unter dem Aktenzeichen C-431/21 die Frage zu klären, ob der Zuschläge nach § 162 Abs. 4 AO mit den unionsrechtlichen Grundsätzen vereinbar sind.4 Abschließende Klarheit in dieser Frage dürfte daher die zu erwartende Entscheidung dieser Fragen durch den EuGH bringen.5
8.26
IV. Anwendungsbereich der gesteigerten Aufzeichnungspflichten i.S.d. § 12 StAbwG Persönlicher Anwendungsbereich. Die Aufzeichnungspflichten nach § 12 StAbwG betreffen jedweden Steuerpflichtigen. Der persönliche Anwendungsbereich der gesteigerten Aufzeichnungspflichten zielt zwar primär auf unbeschränkt Steuerpflichtige, er gilt dem Wortlaut nach aber auch für lediglich beschränkt Steuerpflichtige (z.B. bei im Ausland ansässigen Unternehmen mit einer inländischen Betriebsstätte). Die gesteigerten Aufzeichnungspflichten sind auf gem. § 1 Abs. 1 StAbwG auf natürliche Personen, Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen gleichermaßen anzuwenden.
1 Vgl. Schnorberger, DB 2003, 1242; Hick, Die steuerliche Behandlung von Arbeitnehmerentsendungen ins Ausland, 114 f.; Frotscher in FS Wassermeyer, 397, hält die Einbeziehung für zutreffend. Er weist allerdings darauf hin, dass diese Regelung nicht in die GAufzV hätte aufgenommen werden sollen. 2 Vgl. BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771; vgl. hierzu Andresen, ISR 2013, 347 ff. 3 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 578. 4 Vgl. FG Bremen v. 7.7.2021 – 2 K 187/17 (3), EFG 2021, 1665; Ditz/Licht, DB 2021, 2314 ff.; Rasch, ISR 2021, 358. 5 Den Unternehmen ist damit zu raten, zumindest gegen die Festsetzung von Zuschlägen nach § 162 Abs. 4 AO bei innereuropäischen Geschäftsbeziehungen zu Konzernunternehmen Rechtsmittel einzulegen und die Verfahren bis zu einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung offenzuhalten.
Cordes/Bärsch | 1063
8.27
Kap. 8 Rz. 8.28 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
8.28
Sachlicher Anwendungsbereich. Der sachliche Anwendungsbereich der Aufzeichnungspflichten nach § 12 StAbwG erstreckt sich auf sämtliche Geschäftsvorgänge i.S.d. § 7 StAbwG. Das bedeutet, dass grds. alle Geschäftsverhältnisse oder Beteiligungsverhältnisse, die ein Steuerpflichtiger in oder mit Bezug zu einem nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiet unterhält, erfasst sind. Aus der Legaldefinition des § 7 StAbwG geht nicht hervor, ob ausschließlich Geschäftsvorgänge zwischen nahestehenden Personen und Betriebsstätten erfasst sind, oder sich der Anwendungsbereich auch auf Geschäftsvorgänge mit unverbundenen Unternehmen erstreckt. Im Gegensatz zu den in den §§ 8 bis 11 StAbwG normierten bestimmten Abwehrmaßnahmen, bei denen sich eine Einschränkung oder Differenzierung aus der Maßnahme selbst ergibt1, ist dies bei den gesteigerten Mitwirkungspflichten des § 12 StAbwG nicht der Fall. Der Gesetzeswortlaut des § 12 StAbwG bezieht sich ausschließlich auf die Mitwirkungspflichten des § 90 AO, die grds. keine Einschränkung auf Geschäftsvorgänge betreffend nahestehenden Personen kennen.2 Auch aus der Gesetzesbegründung, wonach „die gesteigerten Mitwirkungspflichten [...] grundsätzlich heute schon in § 1 Abs. 4 Steuerhinterziehungsbekämpfungsordnung enthalten sein“ sollen, ergibt sich dies nicht unmittelbar.3 Jedoch hatte der Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 4 SteuerHBekV „für Geschäftsbeziehungen zum Ausland mit einer Person, die keine nahestehende Person“ ist, Aufzeichnungen zu erstellen.4 Das bedeutet im Ergebnis, dass von den gesteigerten Mitwirkungspflichten des § 12 StAbwG wohl sämtliche Geschäftsvorgänge in oder mit Bezug zu einem nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiet umfasst sind. Eine Sachverhaltensdokumentation ist folglich auch für Geschäftsbeziehungen zu fremden Dritten zu erstellen.
8.29
Zeitlicher Anwendungsbereich. Der § 12 StAbwG ist gemäß § 13 Abs. 1 StAbwG ab dem 1.1.2022 anzuwenden. Der Wortlaut von § 13 Abs. 1 StAbwG ist jedoch deshalb problematisch, weil – anders als Art. 97 § 22 Abs. 1 EGAO betreffend den zeitlichen Anwendungsbereich von § 90 Abs. 3 AO – nicht ausdrücklich regelt, für welche Wirtschaftsjahre die gesteigerten Aufzeichnungspflichten des § 12 StAbwG erstmals anzuwenden sind. Hier wäre eine klare Verwaltungsanweisung wünschenswert, wonach die gesteigerten Aufzeichnungspflichten erstmals für die Wirtschaftsjahre anzuwenden sind, die nach dem 31.12.2021 beginnen. Praktisch würde dies bedeuten, dass bspw. die Sachverhaltsdokumentation eines Steuerpflichtigen in Bezug auf seine Geschäftsbeziehungen mit einer in einem unkooperativen Steuerhoheitsgebiet ansässigen Gesellschaft für das Wirtschaftsjahr 2022 spätestens bis Ende 2023 erstellt und übermittelt werden muss. Eine entsprechende einengende Auslegung des zeitlichen Anwendungsbereichs ist u.E. aus dem Zusammenhang der Vorschrift und aus ihrem Zweck geboten, wenngleich einer solchen Auslegung der Wortlaut des § 13 Abs. 1 StAbwG entgegenstehen könnte. Dagegen ist § 12 StAbwG nach § 13 Abs. 2 StAbwG in Bezug auf solche Steuerhoheitsgebiete, die am 1.1.2021 noch nicht auf der im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten EU-Liste nicht kooperativer Länder und Gebiete für Steuerzwecke genannt waren, aber zu einem späteren Zeitpunkt auf dieser EU-Liste genannt werden, erst ab dem 1.1.2023 anzuwenden. 1 Vgl. Benz/Böhmer, DB 2021, 1630 (1634); so auch die Gesetzesbegründung, vgl. BR-Drucks. 272/2 v. 1.4.2021, 23. 2 Eine Einschränkung auf Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG, d.h. zu nahestehenden Personen, greift nur für die Aufzeichnungen gem. § 90 Abs. 3 AO, die Verrechnungspreisdokumentation. 3 Vgl. BR-Drucks. 272/2 v. 1.4.2021, 26. 4 SteuerHBekV v. 18.9.2009, BGBl. I 2009, 3046.
1064 | Cordes/Bärsch
B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten | Rz. 8.31 Kap. 8
V. Formale Bestimmungen 1. Formfreiheit Formfreiheit. Regelungen über Formerfordernisse für die Aufzeichnungen sind in § 90 Abs. 3 AO nicht enthalten. Allerdings ergibt sich aus der Verwendung des Begriffs „Aufzeichnungen“, dass mündliche Auskünfte nicht ausreichend sind. So wird dem Steuerpflichtigen in § 2 Abs. 1 Satz 1 GAufzV das Wahlrecht eingeräumt, die Aufzeichnungen über Geschäftsbeziehungen schriftlich oder elektronisch zu erstellen. Diese Aufzeichnungen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GAufzV in einer sachgerechten Ordnung zu führen. Ein sachverständiger Dritter muss in der Lage sein, in angemessener Zeit die vom Steuerpflichtigen bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Unternehmen verwirklichten Sachverhalte zu erkennen und die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu beurteilen.1 Eine spezielle Form vergleichbar einem Steuererklärungsformular oder einem Gliederungsschema für Bilanzen oder Gewinn- und Verlustrechnungen (vgl. § 266 bzw. § 275 HGB) ist für die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO nicht vorgeschrieben.2 Für den Steuerpflichtigen besteht daher die Möglichkeit zur freien Ausgestaltung, soweit eine sachgerechte Ordnung gewährleistet bleibt.3
8.30
Verhältnis von landesspezifischer, unternehmensbezogener Dokumentation und Stammdokumentation. Unklar bleibt hingegen das Verhältnis von landesspezifischer, unternehmensbezogener Dokumentation und Stammdokumentation und ob es sich hierbei um zwei separate Dokumentationen oder um eine einzige Dokumentation handeln darf, nämlich die Erweiterung der landesspezifischen, unternehmensbezogenen Dokumentation durch die Stammdokumentation. Für Letzteres spricht, dass die Aufzeichnungspflichten in einem gemeinsamen § 90 Abs. 3 AO und nicht in separaten Absätzen gefasst sind. Außerdem gehört nach dem Wortlaut des § 90 Abs. 3 Satz 3 AO „zu den Aufzeichnungen [des § 90 Abs. 3 S. 1 und 2 AO bzw. der landesspezifischen, unternehmensbezogenen Dokumentation] auch ein Überblick“. Dies legt nahe, dass die Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO entsprechend zu erweitern sind. Anders liest sich hingegen die Gesetzesbegründung, die ausdrücklich auf den „dreistufigen Aufbau [...] der Verrechnungspreisdokumentation, bestehend aus Stammdokumentation (Master File), landesspezifischer, unternehmensbezogener Dokumentation (Local File) und länderbezogenem Bericht (Country-by-Country-Report – CbCR)“4 der OECD Bezug nimmt. Ähnlich klingt die Begründung des § 90 Abs. 3 Satz 3 AO, wonach die internationale „Empfehlung [...] verpflichtend zum Bestandteil der Aufzeichnungspflichten in Deutschland“5 wird. Denn die Aufzeichnungspflichten sind als übergreifende Kategorie zu verstehen, die von den konkreten Aufzeichnungen bzw. Bestandteilen abzugrenzen sind. Auch die Tatsache, dass in der Gesetzesbegründung von der „Erstellung einer Stammdokumentation“6 die Rede ist, deutet auf einen separaten Bericht hin. Diese formale Zweiteilung ist in der Praxis die Regel, da die prinzipiell identische Stammdokumentation der Unternehmensgruppe vielen verschiedenen Finanzbehörden zur Verfügung zu stellen ist, die einzelnen länderspezifischen, unternehmensbezogenen Verrechnungspreisdokumentationen aber nur der jeweils betroffenen Finanzbehörde auszuhändigen sind. Da die Entscheidung, die Stammdokumentation und die länderspezifische, unternehmensbezogene Verrechnungspreisdokumentation in
8.31
1 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 4 GAufzV. 2 Vgl. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 158. 3 Vgl. Nientimp/Braun/Beumer, BB 2019, 343; Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 49 f. 4 Regierungsentwurf des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes v. 13.7.2016, 35. 5 Regierungsentwurf des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes v. 13.7.2016, 37. 6 Regierungsentwurf des Anti-BEPS-Umsetzungsgesetzes v. 13.7.2016, 38.
Cordes/Bärsch | 1065
Kap. 8 Rz. 8.31 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
einem Bericht oder in zwei getrennten Berichten zu erstellen, sich nicht auf deren Inhalte auswirkt, sollte es dem Steuerpflichtigen freistehen, für welches „Dokumentationsformat“ er sich entscheidet. Allerdings vertritt die Finanzverwaltung die Auffassung, dass für die Stammdokumentation ein gesonderter Bericht oder Berichtsteil zu erstellen ist, in welchem ggf. auf die länderspezifische, unternehmensbezogene Verrechnungspreisdokumentation verwiesen werden kann.1
2. Sprache 8.32
Sprache. Für die Aufzeichnungen ist grds. die deutsche Sprache zu verwenden (§ 2 Abs. 5 Satz 1 GAufzV). Ausnahmen davon sind jedoch auf Antrag möglich (§ 2 Abs. 5 Satz 2 GAufzV).2 Entsprechenden Anträgen soll die Finanzverwaltung unter der Bedingung entsprechen, dass bei einer konkreten Prüfung von der Finanzverwaltung angeforderte Übersetzungen in einer angemessenen Frist vorgelegt werden.3 Dies gilt auch für die Stammdokumentation (§ 5 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 2 Abs. 5 GAufzV).
3. Verfahren zur Anforderung der Aufzeichnungen durch die Finanzverwaltung und zeitliche Bestimmungen zur Vorlage 8.33
Vorlagefrist. Regelungen zur Vorlage der Aufzeichnungen (d.h. länderspezifische, unternehmensbezogene Verrechnungspreisdokumentationen und Stammdokumentation) bei der Finanzverwaltung einschließlich entsprechender Fristen sind in § 90 Abs. 3 Satz 5 ff. AO und § 2 Abs. 6 GAufzV kodifiziert. Zunächst ist dazu festzuhalten, dass die Finanzverwaltung die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO gemäß Satz 5 der Vorschrift i.d.R. nur im Rahmen einer Außenprüfung anfordern soll. Dies wird in § 2 Abs. 6 Satz 1 GAufzV wiederholt. Ein konkreter Vorlagezeitpunkt für die Aufzeichnungen (ähnlich dem Abgabetermin für eine Steuererklärung) ist nicht vorgesehen. Nach § 90 Abs. 3 Satz 7 AO richtet sich der Vorlagezeitpunkt nach der Anforderung der Aufzeichnungen durch die Finanzverwaltung. Mit der Anforderung beginnt eine Frist von 60 Tagen, innerhalb derer der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen einzureichen hat.4 Dabei ist davon auszugehen, dass die Anforderung i.d.R. mit der Prüfungsanordnung5 für die Außenprüfung erfolgt, so dass dem Prüfer zu Beginn der Außenprüfung die Aufzeichnungen zur Verfügung stehen. Dementsprechend sieht § 2 Abs. 6 Satz 4 GAufzV auch die Möglichkeit vor, dass die Anforderung zusammen mit der Prüfungsanordnung ergehen kann.
8.34
Anforderung von Aufzeichnungen für die einzelne Geschäftsbeziehung. Nach § 2 Abs. 6 Satz 2 und 3 GAufzV soll die Finanzverwaltung bei Anforderung der länderspezifischen, unternehmensbezogenen Verrechnungspreisdokumentationen nach § 90 Abs. 3 AO jeweils die Geschäftsbereiche und Geschäftsbeziehungen, auf die sich die Prüfung erstrecken soll, sowie Art und Umfang der vorzulegenden Aufzeichnungen angeben. Grundlage hierfür ist, dass die Vorlagepflicht sich nicht auf eine Verrechnungspreisdokumentation als Ganzes, sondern auf
1 2 3 4
Vgl. VWG 2020, Rz. 59. Vgl. Rasch, ISR 2021, 15 f. Vgl. VWG 2020, Rz. 34. Für Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen beträgt die Vorlagefrist nach § 90 Abs. 3 Satz 8 AO 30 Tage. Die Frist von 60 bzw. 30 Tagen kann nach § 90 Abs. 3 Satz 9 AO in begründeten Ausnahmefällen verlängert werden. 5 Vgl. § 196 und § 197 AO.
1066 | Cordes/Bärsch
B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten | Rz. 8.37 Kap. 8
einzelne Teilbereiche in Form der einzelnen Geschäftsbeziehungen bezieht.1 Die Maßgeblichkeit der einzelnen Geschäftsbeziehung lässt sich aus der gesetzlichen Formulierung in § 90 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO ableiten, wonach Aufzeichnungen zu den einzelnen Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG erforderlich sind. Bei verschiedenen Arten von Geschäftsbeziehungen (z.B. Lieferbeziehung, Dienstleistungsverträge, Darlehensverhältnisse usw.), ist daher die Aufzeichnungspflicht auf die einzelnen Geschäftsbeziehungen zu „zerlegen“. Sie muss für die einzelne Geschäftsbeziehung erfüllt werden. Bedeutung für die Praxis. Für die Praxis hat die auf die einzelnen Geschäftsbeziehungen bezogene Regelung zur Anforderung von Aufzeichnungen folgende Auswirkungen: Wenn die Finanzverwaltung – wovon in der Praxis auszugehen ist – möglichst umfassende Informationen vom Steuerpflichtigen erhalten möchte, muss sie Aufzeichnungen zu allen Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Unternehmen anfordern. Hierbei wird sie aber nicht umhin kommen, diese Geschäftsbeziehungen einzeln zu benennen, um dem Gebot der inhaltlichen Konkretisierung nach § 2 Abs. 6 Satz 2 GAufzV zu genügen.2 Würde die Finanzverwaltung z.B. bloß die Vorlage der „Verrechnungspreisdokumentation für das Unternehmen“ verlangen, würde diese Anforderung mangels genauer inhaltlicher Bestimmung gegen § 2 Abs. 6 Satz 2 und 3 GAufzV verstoßen und wäre rechtswidrig bzw. unwirksam.3 Zutreffend wäre dagegen z.B. eine Anforderung der Aufzeichnungen zu Warenlieferungen des inländischen Konzernunternehmens A an die ausländischen Konzernvertriebsgesellschaften B und C.
8.35
Nachholung, Änderung und Ergänzung der Anforderung. Die Anforderung kann nach § 2 Abs. 6 Satz 4 GAufzV jederzeit nachgeholt, geändert oder ergänzt werden. Damit wird gewährleistet, dass die Finanzverwaltung auch Aufzeichnungen zu Geschäftsbeziehungen anfordern kann, die ihr erst während der Außenprüfung bei dem Unternehmen bekannt werden. Eine Ergänzung oder Nachholung der Anforderung von Aufzeichnungen während einer Außenprüfung löst – für die damit nachträglich angeforderten Aufzeichnungen – eine eigene Frist von 60 Tagen aus. Dies ergibt sich aus der auf die einzelne Geschäftsbeziehung bezogene Vorlageverpflichtung.
8.36
4. Zeitpunkt für die Erstellung der Aufzeichnungen Gewöhnliche Geschäftsvorfälle (Regelfall). Zum Zeitpunkt für die Erstellung der Aufzeichnungen sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Dies sind zum einen die Aufzeichnungen zu sog. „außergewöhnlichen“ Geschäftsvorfällen und zum anderen Aufzeichnungen für die Geschäftsvorfälle, die nicht in die vorgenannte Gruppe fallen und daher als „gewöhnliche“ Geschäftsvorfälle bezeichnet werden können. Für Aufzeichnungen (d.h. länderspezifische, unternehmensbezogene Verrechnungspreisdokumentationen und Stammdokumentation) zu gewöhnlichen Geschäftsvorfällen ist es ausreichend, wenn diese bis spätestens zu dem Tag erstellt werden, an dem sie der Finanzverwaltung nach § 90 Abs. 3 Satz 7 AO vorzulegen sind.4 1 Eine andere Betrachtungsweise würde zwar zunächst zu keinen erkennbaren Abweichungen führen. Insbesondere bei Analyse möglicher Sanktionen wegen Verletzung von Aufzeichnungspflichten ergeben sich jedoch wesentliche Unterschiede, wenn von einer einheitlichen Aufzeichnungspflicht anstelle einer Aufzeichnungspflicht bezogen auf die einzelnen Geschäftsbeziehungen ausgegangen wird. Vgl. dazu im Detail Rz. 8.242. 2 Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 9; Fischer/Looks/im Schlaa, BB 2007, 919. 3 Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 46 f.; Kaminski/ Strunk, StBp. 2004, 9. 4 Vgl. IDW, Beiheft zu FN-IDW 4/2006, B6; BT-Drucks. 15/481 v. 20.2.2003, 18.
Cordes/Bärsch | 1067
8.37
Kap. 8 Rz. 8.37 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus § 90 Abs. 3 Satz 8 AO, der nur für „außergewöhnliche“ Geschäftsvorfälle eine zeitnahe Erstellung vorsieht.
8.38
Außergewöhnliche Geschäftsvorfälle (Ausnahme). Demgegenüber sind außergewöhnliche Geschäftsvorfälle nach § 90 Abs. 3 Satz 8 AO zeitnah aufzuzeichnen. Hierzu bleibt im Gesetz unklar, – welche Geschäftsvorfälle als „außergewöhnlich“ zu qualifizieren sind und – wann Aufzeichnungen über außergewöhnliche Geschäftsvorfälle erstellt werden müssen, um als „zeitnah“ zu gelten. § 3 Abs. 1 GAufzV sieht zur Auslegung des Begriffs „zeitnah“ vor, dass Aufzeichnungen zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen dann noch als „zeitnah“ erstellt gelten, wenn die Erstellung der Aufzeichnungen innerhalb von 6 Monaten nach Ablauf des Geschäftsjahres durchgeführt wurde, in dem sich der außergewöhnliche Geschäftsvorfall ereigneten. Hintergrund ist, dass die Unternehmen damit entsprechende Aufzeichnungen im Rahmen der Jahresabschlussarbeiten für das betroffene Wirtschaftsjahr erstellen können.1
8.39
Definition der außergewöhnlichen Geschäftsvorfälle nach der GAufzV. Auf „außergewöhnliche“ Geschäftsvorfälle wird in § 3 Abs. 2 GAufzV eingegangen. Allerdings werden dort nur in Form einer beispielhaften, nicht abschließenden Aufzählung fünf Fälle aufgeführt. Danach sollen „außergewöhnliche“ Geschäftsvorfälle bei – Abschluss oder Änderung langfristiger Verträge, wenn sich erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Einkünfte aus den Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Unternehmen ergeben, – Vermögensübertragungen im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen, – Übertragung und Überlassung von Wirtschaftsgütern und Vorteilen im Zusammenhang mit wesentlichen Funktions- und Risikoänderungen im Unternehmen, – Geschäftsvorfällen im Zusammenhang mit einer für die Verrechnungspreisbildung erheblichen Änderung der Geschäftsstrategie und bei – Abschluss von Umlageverträgen gegeben sein.2 Nach der Definition der Finanzverwaltung in den seinerzeitigen VWG-Verfahren 2005 sind Geschäftsvorfälle außergewöhnlich, „wenn sie im Vergleich zum gewöhnlichen 1 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 11. 2 § 3 Abs. 2 GAufzV umfasst seit Änderung in 2008 auch den Abschluss von Umlageverträgen als „außergewöhnlichen Geschäftsvorfall“. Wesentlicher ist allerdings, dass nach der bisherigen Definition der GAufzV außergewöhnliche Geschäftsvorfälle nur vorlagen, wenn sie sich erheblich auf die Höhe der Einkünfte aus den Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Unternehmen auswirkten. Dies bedeutete im Umkehrschluss, dass Maßnahmen der in § 3 Abs. 2 GAufzV aufgezählten Art, die nur zu geringfügigen Änderungen der Höhe der Einkünfte mit nahestehenden Unternehmen führen, nicht als außergewöhnliche Geschäftsvorfälle anzusehen waren. Hier wurde insoweit eine Änderung vorgenommen, als sich die Einschränkung auf wesentliche Auswirkungen auf die Höhe der Einkünfte aus gruppeninternen Geschäftsbeziehungen nunmehr nur noch auf den Abschluss- und die Änderung langfristiger Verträge bezieht. Vgl. BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 89; Klapdor, StuW 2008, 90. Dies stellt eine wesentliche Verschärfung dar, da nunmehr die übrigen in § 3 Abs. 2 GAufzV aufgeführten Sachverhalte unabhängig von der Höhe ihrer steuerlichen Auswirkung stets als außergewöhnliche Geschäftsvorfälle zu qualifizieren sind.
1068 | Cordes/Bärsch
B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten | Rz. 8.41 Kap. 8
Tagesgeschäft bezüglich Art, Inhalt, Zweck, Umfang oder Risiko Ausnahmecharakter haben“.1 Die VWG 2020 und die VWG VP 2021 nehmen die Definition nicht weiter auf. Es steht zu vermuten, dass die Finanzverwaltung in der Praxis aber an der Definition festhält. Ob es sich um außergewöhnliche Erträge oder Aufwendungen i.S.v. § 277 Abs. 4 HGB handelt, war nach den seinerzeitigen VWG-Verfahren nicht von Bedeutung.2 Dokumentation des Verpflichtungs- oder des Verfügungsgeschäftes. Eine Besonderheit des deutschen Rechts besteht darin, dass zwischen dem Verpflichtungsgeschäft (z.B. Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB) und den Verfügungsgeschäften (z.B. Übereignung eines Wirtschaftsgutes gemäß § 929 BGB) unterschieden wird. Die Zeitpunkte beider Geschäfte können deutlich auseinanderfallen, insbesondere können sie in unterschiedlichen Wirtschaftsjahren (z.B. Abschluss des Kaufvertrags im Dezember und Übereignung und Kaufpreiszahlung im Januar) liegen. Insofern ist für die Aufzeichnungspflichten – insbesondere für außergewöhnliche Geschäftsvorfälle – zu klären, ob auf das Verpflichtungs- oder das Verfügungsgeschäft abzustellen ist. Maßgeblich ist nach der hier vertretenen Auffassung allein das Verfügungsgeschäft. Denn die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO müssen den Sachverhalt darstellen, den der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen im Ausland verwirklicht hat. Das deutsche Ertragsteuerrecht ist dadurch gekennzeichnet, dass es auf die Verfügungsgeschäfte, konkret für den Zeitpunkt der Verwirklichung eines Realisationstatbestands auf den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums abstellt. Dem ist für Zwecke der Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO zu folgen. Für die zeitliche Zuordnung kommt es auf die Realisation bzw. Leistungserbringung an. Schwebende Geschäfte sind nicht aufzeichnungspflichtig. Es ist auch nicht ersichtlich, warum für „außergewöhnliche Geschäftsvorfälle“ etwas anderes gelten sollte. Gleichwohl zählt § 3 Abs. 2 GAufzV auch die Fälle des Abschusses und der Änderung langfristiger Verträge (mit erheblichen Auswirkungen auf die Höhe der Einkünfte) sowie den Abschluss von Umlageverträgen auf. Mithin soll wohl eine Verpflichtung zur Dokumentation des Verpflichtungsgeschäftes intendiert sein. Sofern sich der Abschluss des Verpflichtungsgeschäftes jedoch erst in Verfügungsgeschäften des folgenden Wirtschaftsjahres niederschlagen sollte, ist es u.E. ausreichend, dass im Rahmen der zeitnahen Dokumentationspflicht allenfalls der Abschluss des Vertrages benannt wird und erst in die Aufzeichnungen für das oder die Folgejahre die wirtschaftlichen Auswirkungen – d.h. das Ergebnis des Verfügungsgeschäftes – aufgenommen werden.
8.40
Kritik und Praxishinweis. Trotz der „Konkretisierung“ der gesetzlichen Regelung (§ 90 Abs. 3 Satz 8 AO) in § 3 Abs. 2 GAufzV lässt sich für den Rechtsanwender in der Praxis nicht hinreichend sicher beurteilen, wo die Grenze zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen verläuft.3 Dies begründet sich zum einen damit, dass keine abschließenden Aufzählungen verwendet werden, und zum anderen damit, dass auch in der GAufzV und den VWG 2020 wieder auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgegriffen wird. Letztlich hat die Kritik aber am Wortlaut von § 90 Abs. 3 Satz 8 AO anzusetzen, der nur eine Einzelfallbetrachtung zulässt und eine hinreichend klare Abgrenzung ausschließt. Die fehlende inhaltliche
8.41
1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570. Tz. 3.4.8.2. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570. Tz. 3.4.8.2. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 3 Vgl. Schreiber/Rasch in Kroppen/Rasch, GAufzV Rz. 132; Roser in Gosch, § 90 AO Rz. 158 ff.; Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 9.
Cordes/Bärsch | 1069
Kap. 8 Rz. 8.41 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
Präzisierung des Begriffs „außergewöhnliche Geschäftsvorfälle“ ist zu kritisieren, weil bei verspäteter Aufzeichnung außergewöhnlicher Geschäftsvorfälle Sanktionen nach § 162 Abs. 3 und 4 AO vorgesehen sind (zu den Auswirkungen der Sanktionen im Einzelnen vgl. Rz. 8.242 ff.).1 Letztlich wird man in der Praxis daher nicht umhinkommen, im Unternehmen alle Geschäftsvorfälle zeitnah zu dokumentieren, die möglicherweise zum Kreis der „außergewöhnlichen“ Geschäftsvorfälle gezählt werden können, um die Anwendung der Sanktionsvorschriften zu vermeiden.
5. Aufzeichnungserleichterungen für kleinere Unternehmen 8.42
Größenabhängige Erleichterung. Für Unternehmen, die lediglich in geringem Umfang Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Unternehmen im Ausland unterhalten, sind in § 6 GAufzV bestimmte Erleichterungen bei den Aufzeichnungspflichten vorgesehen.2 Hintergrund ist, dass diese Unternehmen nicht mit unverhältnismäßigem Administrationsaufwand hinsichtlich der Erstellung von Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO belastet werden sollen. Ferner geht der Verordnungsgeber davon aus, dass bei vom Umfang her geringen Geschäftsbeziehungen keine komplexen, aufzeichnungsbedürftigen Sachverhalte vorliegen.3
8.43
Auswirkungen. Die Erleichterungen für die in den Anwendungsbereich fallenden Unternehmen bestehen nach § 6 Abs. 1 GAufzV darin, dass diese Unternehmen keine speziellen Aufzeichnungen erstellen müssen, sondern dass die Vorlage vorhandener Unterlagen und die Erteilung von Auskünften genügen.4 Damit entfällt auch die Pflicht zur zeitnahen Aufzeichnung außergewöhnlicher Geschäftsvorfälle.5 Die erteilten Auskünfte müssen (sowohl bei gewöhnlichen als auch bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen) allerdings den Anforderungen von § 1 Abs. 2 Satz 3 GAufzV genügen. D.h. sie müssen das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen erkennen lassen, bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen fremdvergleichskonforme Verrechnungspreise zu vereinbaren (zur eingehenden Kritik an dem Nachweis „ernsthaften Bemühens“ vgl. Rz. 8.135). Außerdem müssen Auskünfte auf Fragen der Betriebsprüfer innerhalb von 60 Tagen erteilt bzw. angeforderte vorhandene Unterlagen innerhalb dieser Frist vorgelegt werden. Damit soll vermieden werden, dass das Unternehmen den Ablauf der Prüfung bewusst verzögern kann, indem Auskünfte verspätet erteilt und Unterlagen verspätet vorgelegt werden.
8.44
Größenkriterien. Ein Unternehmen fällt als „kleineres Unternehmen“ in den Anwendungsbereich der Aufzeichnungserleichterungen nach § 6 Abs. 1 GAufzV, wenn im laufenden Wirtschaftsjahr – die Summe der Entgelte aus Lieferungen von Gütern und Waren mit nahestehenden Unternehmen 6 Mio. Euro und – die Summe der Entgelte für andere Leistungen (z.B. Dienstleistungen, Lizenzen) 600.000 Euro
1 2 3 4 5
Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 47. Vgl. Nientimp/Braun/Beumer, BB 2019, 343. Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 14 f. Vgl. VWG 2020, Rz. 38. Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 15; VWG 2020, Rz. 38 f., der ausdrückliche Hinweis wurde in den VWG 2020 entfernt.
1070 | Cordes/Bärsch
B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten | Rz. 8.46 Kap. 8
nicht übersteigen.1 Maßgeblich dafür, ob für ein Wirtschaftsjahr die Aufzeichnungserleichterungen angewendet werden können, sind nach § 6 Abs. 2 Satz 2 GAufzV jeweils die Verhältnisse des vorangegangenen Wirtschaftsjahres. Wurden im vorangegangenen Wirtschaftsjahr die Grenzbeträge nicht überschritten, finden die Aufzeichnungserleichterungen im aktuellen Wirtschaftsjahr Anwendung. Andernfalls (d.h. die Grenzbeträge wurden im vorangegangenen Wirtschaftsjahr überschritten) gelten nach § 6 Abs. 2 Satz 3 GAufzV im aktuellen Wirtschaftsjahr wieder die allgemeinen Aufzeichnungspflichten. Für die Prüfung der Betragsgrenzen sind gem. § 6 Abs. 3 GAufzV zusammengehörende Unternehmen2 sowie inländische Betriebsstätten verbundener Unternehmen als Gesamtheit zu betrachten. Hiermit soll vermieden werden, dass Umsätze „künstlich“ auf verschiedene inländische Konzerngesellschaften verteilt werden, um so jeweils in den Anwendungsbereich der Aufzeichnungserleichterungen zu gelangen.3 Sanktionsregelungen. Zur Anwendung der Sanktionsregelungen nach § 162 AO ergeben sich aus § 6 GAufzV keine besonderen Anwendungsregelungen für kleinere Unternehmen. Soweit der Steuerpflichtige den erleichterten Auskunfts- und Vorlagepflichten nach § 6 Abs. 1 GAufzV nicht oder nur verspätet nachkommt, greifen die allgemeinen Sanktionsvorschriften nach § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO.4
8.45
6. Transaktionsbezogene Betrachtung und Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen a) Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei der materiellen Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen („Palettenbetrachtung“)
Transaktionsorientierte Betrachtung. Bei Festlegung, Prüfung und Dokumentation von Verrechnungspreisen wird sowohl national5 als auch international6 grundsätzlich auf den einzelnen verwirklichten Geschäftsvorfall abgestellt (sog. transaktionsorientierte Betrachtung). In der Praxis treten dabei häufig Situationen ein, in denen bei miteinander in Zusammenhang stehenden Geschäften das vereinbarte Entgelt für ein Geschäft – isoliert gesehen – zu niedrig und für andere Geschäfte – isoliert gesehen – überhöht erscheint. Während eine globale Gewinnbetrachtung 1 Offen bleibt, ob für die Prüfung dieser Grenzen tatsächlich vereinbarte oder fremdübliche Entgelte maßgeblich sind. Vor dem Hintergrund, dass für eine praktikable Anwendung der Erleichterungsregelungen eine schnelle und einfache Möglichkeit zur Prüfung der Grenzen (durch Vergleich mit Zahlen aus dem Rechnungswesen) erforderlich ist, ist auf die tatsächlich vereinbarten Entgelte abzustellen. Zwar treten möglicherweise Fälle auf, in denen ein Unternehmen bei Maßgeblichkeit der fremdüblichen Entgelte die Grenzen für eine Anwendung der Erleichterungen überschreiten würde, während diese mit den tatsächlich vereinbarten Entgelten noch eingehalten werden. Dies ist jedoch akzeptabel, da im Ergebnis auch ein unter § 6 GAufzV fallendes Unternehmen alle für die Verrechnungspreisprüfung erforderlichen Auskünfte erteilen muss und sich die Prüfungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung daher nicht wesentlich verschlechtern. Vgl. Maier in Kroppen/ Rasch, GAufzV Rz. 326. 2 § 6 Abs. 3 GAufzV stellt zur Definition zusammengehöriger Unternehmen auf die §§ 13, 18 und 19 BpO ab. Konzerne i.S.v. § 18 AktG werden in § 13 BpO erfasst. §§ 18 und 19 BpO enthalten Regelungen zu sonstigen zusammenhängenden Unternehmen. Damit hat in aller Regel eine Zusammenrechnung sämtlicher Gesellschaften oder Unternehmen einer Gruppe in Deutschland zu erfolgen. 3 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 15. 4 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 15. 5 Vgl. z.B. VWG VP 2021, Rz. 3.2; § 2 Abs. 3 Satz 1 GAufzV; VWG 2020, Rz. 85; Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 32. 6 Vgl. Tz. 3.9 OECD-Leitlinien 2022, Baumhoff/Sieker, IStR 1995, 521.
Cordes/Bärsch | 1071
8.46
Kap. 8 Rz. 8.46 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
(vgl. Rz. 5.136) bzw. eine direkte Kompensation1 oder eine Saldierung der überhöhten und verbilligten Leistungsverrechnung nicht oder nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist, kann sich die Angemessenheit der getroffenen Preisvereinbarungen in solchen Fällen häufig aus der sog. „Palettenbetrachtung“ ergeben (zur Zulässigkeit eines Vorteilsausgleichs vgl. Rz. 3.163 ff.).
8.47
Palettenbetrachtung. Der Begriff der Palettenbetrachtung entstammt der Praxis der Verrechnungspreisprüfung.2 Man versteht hierunter eine zusammengefasste Betrachtung verschiedener Geschäftsvorfälle mit dem Zweck, bei Prüfung der Angemessenheit des vereinbarten Preises für den einzelnen Geschäftsvorfall die Geschäftsvorfälle mit den anderen Produkten der Produktpalette zu berücksichtigen. Die Möglichkeit zur Palettenbetrachtung ist auf Geschäftsvorfälle mit Produkten beschränkt, die von ihrer Art her ein geschlossenes Ganzes bilden, z.B. bei verschiedenen Artikeln eines Produkts (z.B. Nägel in verschiedenen Größen) oder Produkten einer Produktgruppe (z.B. verschiedene Pkw eines Herstellers).3 Die Zulässigkeit der Anwendung der Palettenbetrachtung ergibt sich aus dem Fremdvergleichsgrundsatz.4 b) Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei den Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO gem. § 2 Abs. 3 GAufzV
8.48
Geschäftsvorfallbezogene Aufzeichnungspflicht als Grundsatz. Entsprechend dem für Verrechnungspreise allgemein geltenden Grundsatz der Transaktionsbezogenheit sind nach § 2 Abs. 3 Satz 1 GAufzV auch die in § 90 Abs. 3 AO vorgesehenen Aufzeichnungen zu Verrechnungspreissachverhalten transaktionsbezogen zu erstellen.5 Die GAufzV sieht in § 2 Abs. 3 Satz 2 ff. GAufzV unter bestimmten Voraussetzungen aber auch Möglichkeiten einer Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen zu Gruppen vor (Gruppenbildung). Auf das vorstehend erläuterte Konzept der „Palettenbetrachtung“ wird kein Bezug genommen, sondern es werden eigene Anforderungen definiert (s.u.). Gleichwohl besteht in der Sache eine weitgehende Parallelität. Bei Anwendung der Zusammenfassungsregelung nach § 2 Abs. 3 Satz 2 ff. GAufzV sind die Aufzeichnungen dann für die Gruppe als Ganzes zu erstellen und treten an die Stelle der normalerweise transaktionsbezogenen Einzelaufzeichnungen.
8.49
Voraussetzungen für eine Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen. Geschäftsvorfälle können nach § 2 Abs. 3 Satz 2 GAufzV für Zwecke der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO zusammengefasst werden, wenn – die Geschäftsvorfälle gemessen an Funktionen und Risiken wirtschaftlich vergleichbar sind, – sie gleichwertig oder gleichartig sind oder eine Zusammenfassung auch bei Geschäften zwischen fremden Dritten üblich ist und – die Zusammenfassung nach vorher festgelegten und nachvollziehbaren Regeln erfolgt. 1 Unter engen Voraussetzungen ist nach den VWG VP 2021, Rz. 3.25 ff. ein sog. Vorteilsausgleich zulässig. 2 Vgl. Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141; Baumhoff, IStR 1994, 593. Eine explizite Regelung der deutschen Finanzverwaltung zur Palettenbetrachtung existiert nicht. 3 Vgl. Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2713; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141; Kroppen/Rasch, IWB F. 5, 355 ff.; Tz. 3.9 OECD-Leitlinien 2022, wo als Beispiel für eine mögliche Palettenbetrachtung Produkte eines Sortiments angegeben werden („product line“). 4 Zur weiteren Erläuterung vgl. z.B. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 59. 5 Vgl. Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 44; BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 9.
1072 | Cordes/Bärsch
B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten | Rz. 8.51 Kap. 8
Nach § 2 Abs. 3 Satz 3 GAufzV ist eine Zusammenfassung ferner möglich, wenn die Geschäftsvorfälle ursächlich zusammenhängen oder es sich um Teilleistungen im Rahmen eines Gesamtgeschäfts handelt. Dabei darf es für die Prüfung der Angemessenheit aber weniger auf den einzelnen Geschäftsvorfall, sondern mehr auf die Beurteilung des Gesamtgeschäfts ankommen. Für beide Fälle gilt nach § 2 Abs. 3 Satz 4 GAufzV, dass die Regelungen für die Gruppenbildung sowie die Abwicklung von zur Gruppe gehörenden Geschäftsvorfällen im Rahmen der Aufzeichnungen darzustellen sind. Sind die Voraussetzungen erfüllt, können als Rechtsfolge die Aufzeichnungen für die Gruppe als Ganzes erstellt werden. Einzelaufzeichnungen zu den Transaktionen erübrigen sich damit. Ganz auf geschäftsvorfallbezogene Einzelaufzeichnungen verzichtet werden kann zudem nach § 2 Abs. 3 Satz 6 GAufzV, wenn in einer Unternehmensgruppe die Verrechnungspreisbestimmung durch innerbetriebliche Verrechnungspreisrichtlinien geregelt ist und die Richtlinien tatsächlich befolgt werden (vgl. Rz. 8.51). „Technische“ Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen außerhalb der Regelungen der GAufzV. Eine Gruppenbetrachtung anstelle geschäftsvorfallbezogener Einzelaufzeichnungen kann stets und ohne weitere Voraussetzungen vorgenommen werden, wenn mit einer Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei den Aufzeichnungen kein Verlust an für die Verrechnungspreisprüfung relevanten Informationen einhergeht.
8.50
Für den Bereich der Sachverhaltsdokumentation kommt in erster Linie in Betracht, gleiche Geschäftsvorfälle zusammenzufassen, z.B. alle Lieferungen eines bestimmten Produkts in einem Wirtschaftsjahr an eine Konzernvertriebsgesellschaft, wenn sich die verschiedenen Lieferungen im Laufe des Wirtschaftsjahres im Hinblick auf Preis, Preisermittlung, Lieferbedingungen usw. nicht unterscheiden. Dann tritt mit der technischen Zusammenfassung kein Informationsverlust ein. Die Einzeltransaktionsdaten sind zudem im Zweifel aus den Buchhaltungsunterlagen zu rekonstruieren. Soweit für bestimmte Liefer- und Leistungsbeziehungen die Angaben zur Funktions- und Risikoanalyse (vgl. Rz. 8.78 ff.), zu eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern, zu den Marktverhältnissen usw. keine Unterschiede aufweisen, bestehen keine Bedenken, diese Angaben ebenfalls nur einmal stellvertretend für verschiedene Liefer- und Leistungsbeziehungen zu machen. Auch durch diese technische Vereinfachung tritt kein Informationsverlust ein. Im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation können ebenfalls Fallgruppen auftreten, in denen es materiell keinen Unterschied macht, ob die einzelnen Geschäftsvorfälle oder das Gesamtergebnis aus einer Vielzahl entsprechender Geschäftsvorfälle betrachtet werden.1 Zu nennen sind beispielsweise Geschäftsvorfälle, die nach der Kostenaufschlagsmethode unter Verwendung des gleichen gewinndeterminierenden Faktors (Gewinnaufschlag) abgerechnet werden und bei denen keine Unterschiede in den übernommenen Funktionen und Risiken bestehen (z.B. Produktion verschiedener Artikel im Auftragsverhältnis). Infolgedessen reicht es in diesen Fällen aus, die Informationen zur Angemessenheit einmal für die gesamte Gruppe von Geschäftsvorfällen zur Verfügung zu stellen. Verzicht auf transaktionsbezogene Einzelaufzeichnung bei Verwendung innerbetrieblicher Verrechnungspreisrichtlinien. Klare Vorgaben trifft § 2 Abs. 3 Satz 6 GAufzV hinsichtlich der Verwendung innerbetrieblicher Verrechnungspreisrichtlinien, die die Verrechnungspreis1 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland – Ertragsteuerliche Folgen, Strategien und Modelle, 97, der in Bezug auf Verrechnungspreissysteme darstellt, dass eine Zusammenfassung von Einzeltransaktionen zu homogenen Gruppen eine transaktionsbezogene Prüfung nicht beeinträchtigt.
Cordes/Bärsch | 1073
8.51
Kap. 8 Rz. 8.51 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
ermittlung regeln. Bei deren tatsächlicher Verwendung1 kann nach der Vorschrift für die von der Richtlinie erfassten Geschäftsvorfälle auf Einzelaufzeichnungen verzichtet werden. Eine Definition des Begriffs „innerbetriebliche Verrechnungspreisrichtlinie“ wird in § 2 Abs. 3 Satz 6 GAufzV nicht vorgenommen. c) Konkrete Anwendung der Regelungen in § 2 Abs. 3 GAufzV
8.52
Zusammenfassung vergleichbarer Geschäftsvorfälle. Auf Basis der Erläuterungen im vorstehenden Abschnitt sind die speziellen Regelungen zur Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen im Wesentlichen für den Bereich der Angemessenheitsdokumentation und dort speziell bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode von Bedeutung.2
8.53
Vergleichbarkeit der Geschäftsvorfälle hinsichtlich ihrer Funktionen und Risiken. Die erste Voraussetzung für die Zusammenfassung ist, dass die Geschäftsvorfälle hinsichtlich ihrer Funktionen und Risiken vergleichbar sein müssen (zu Funktionen und Risiken im Einzelnen vgl. Rz. 8.79 ff.). Dies ist sachgerecht, da bereits die Übernahme unterschiedlicher Funktionen und Risiken i.d.R. die Notwendigkeit abweichender Preisvereinbarungen nach sich zieht.3 Bei Zusammenfassung unvergleichbarer Geschäftsvorfälle zu einer Gruppe würde ansonsten das Ergebnis verfälscht bzw. das Ergebnis wäre nicht mehr aussagekräftig. Auch fremde Dritte würden hier keine Zusammenfassung vornehmen.
8.54
Gleichwertigkeit oder Gleichartigkeit. Als weitere Anwendungsvoraussetzung führt die GAufzV an, dass die Geschäftsvorfälle gleichwertig oder gleichartig sein müssen oder eine Zusammenfassung auch bei Geschäften zwischen fremden Dritten üblich sein muss.4 Durch die Alternativ-Verknüpfung („oder“) ist es ausreichend, wenn eines dieser Merkmale gegeben ist. Die Begriffe „gleichwertig“ oder „gleichartig“ sind wenig trennscharf. Gleichwertig bedeutet nach allgemeinem Verständnis, dass der Wert, z.B. von verschiedenen Fertigprodukten, in einem bestimmten Rahmen liegt. Die Verwendung dieses Begriffes ist wenig zielführend.5 Unter gleichartigen Geschäftsvorfällen können Geschäftsvorfälle mit Produkten einer Warengruppe verstanden werden, z.B. Schrauben verschiedener Größen.6
8.55
Üblichkeit bei Geschäften zwischen fremden Dritten. Die größte praktische Bedeutung wird dem Tatbestandsmerkmal „auch bei Geschäften zwischen fremden Dritten üblich“ zukommen. Dieses Merkmal lässt sich einfacher konkretisieren als die beiden vorgenannten unbestimmten Rechtsbegriffe. Hier kann auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurückgegriffen werden. Außerdem können Vergleichsfälle angeführt werden, wenn z.B.
1 Weicht der Steuerpflichtige im Einzelfall von der Verrechnungspreisrichtlinie ab, muss er die Abweichung begründen und die Gründe bezogen auf den jeweiligen Geschäftsvorfall aufzeichnen und die Angemessenheit der abweichenden Preisbestimmung darlegen (vgl. VWG 2020, Rz. 52). 2 So beziehen Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 32 ihre Ausführungen zur Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen lediglich auf die Angemessenheitsdokumentation. 3 Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 7 m.w.N.; Lenz/Fischer/Schmidt, BB 2005, 1256. 4 Zum Beispiel sehen Lenz/Fischer, BB 2004, 2045 die Lieferung von Computer-Prozessoren eines Typs an Vertriebsgesellschaften als Fall an, bei dem eine Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen nach § 2 Abs. 3 Satz 2 GAufzV erfolgen kann; im Einzelnen werden die Tatbestandsmerkmale von § 2 Abs. 3 Satz 2 GAufzV aber nicht geprüft. 5 Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 63 f. 6 Vgl. Knop in HdR, § 240 HGB Rz. 75 m.w.N.
1074 | Cordes/Bärsch
B. Spezielle nationale Aufzeichnungspflichten | Rz. 8.57 Kap. 8
– Produkte eines Herstellers neben der konzernzugehörigen Vertriebsgesellschaft auch von einer konzernunabhängigen Vertriebsgesellschaft vertrieben werden und der unabhängigen Vertriebsgesellschaft über eine Gruppe von Produkten eine einheitliche Vertriebsmarge gewährt wird (ähnlich einem internen Fremdvergleich) oder – Warenlieferungen eines anderen Herstellers (gleiches oder ähnliches Produktsortiment wie das zu beurteilende Unternehmen) an eine von ihm unabhängige Vertriebsgesellschaft unter Anwendung einer einheitlichen Marge (d.h. Gruppenbildung) abgerechnet werden (ähnlich einem externen Fremdvergleich) und zuverlässige Informationen hierüber vorliegen. In den beiden vorgenannten Fällen wäre dann die Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen zu Gruppen auch bei Warenlieferungen zwischen den verbundenen Unternehmen möglich. Der Gruppenumfang (d.h. Anzahl und Art der zusammengefassten Produkte) sollte dabei dem Gruppenumfang bei dem Vergleichsunternehmen entsprechen. Gleichwohl ist es nicht zwingend erforderlich, dass interne oder externe Vergleichsfälle angeführt werden. Ausreichend ist, wenn anhand ökonomisch sinnvoller Überlegungen hypothetisch dargelegt werden kann, dass auch fremde Dritte eine Zusammenfassung zu Gruppen vorgenommen hätten. Vorher festgelegte und nachvollziehbaren Regeln. Voraussetzung für die Anwendung der Zusammenfassungsregelungen ist weiter, dass die Gruppenbildung nach vorher festgelegten und nachvollziehbaren Regeln erfolgt. Aus dieser Formulierung könnte geschlossen werden, dass zu Beginn des relevanten Wirtschaftsjahres, d.h. vor Verwirklichung der Geschäftsvorfälle, ein Dokument – ähnlich einer Verrechnungspreisrichtlinie – existieren muss, in dem der Gruppenumfang bestimmt wird. Eine solche Auslegung ist aber zu weitgehend. Es kommt auf die tatsächliche Handhabung an. Wird bei Bestimmung der Verrechnungspreise eine nachvollziehbare Gruppenbildung vorgenommen, so werden zwangsläufig im Voraus festgelegte Regelungen angewendet. Dies gilt auch dann, wenn die Vorgehensweise nirgendwo niedergeschrieben ist, aber konsequent praktiziert wird. Auch fremde Dritte würden zur Gruppenbildung keine eigenen schriftlichen Regelungen treffen, sondern einfach eine entsprechende Handhabung vornehmen. Die formale Verpflichtung zur Darstellung der Gruppenbildungskriterien und der Abwicklung der Geschäftsvorfälle in der Gruppe (§ 2 Abs. 3 Satz 4 GAufzV) ist daher nicht als Voraussetzung für die Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen aufzufassen, sondern stellt allenfalls eine der Verwirklichung der Gruppenbildung nachgelagerte Aufzeichnungspflicht dar.
8.56
Zusammenfassung ursächlich zusammenhängender Geschäftsvorfälle. Die ergänzende Möglichkeit, ursächlich zusammenhängende Geschäftsvorfälle oder Teilleistungen eines Gesamtgeschäfts für die Angemessenheitsdokumentation zusammengefasst zu beurteilen (§ 2 Abs. 3 Satz 3 GAufzV), ist systematisch zutreffend. Auch in diesen Fällen lässt sich die Angemessenheit der Preisfestsetzungen (z.B. für eine Teilleistung) regelmäßig nur unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs beurteilen.1
8.57
1 Vgl. Tz. 3.9 OECD-Leitlinien 2022.
Cordes/Bärsch | 1075
Kap. 8 Rz. 8.58 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
d) Abgrenzung der Anwendungsbereiche der „Palettenbetrachtung“ und der Zusammenfassungsregelungen für die Aufzeichnungspflichten
8.58
Abgrenzung. Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass weitgehende Parallelen zwischen der Palettenbetrachtung als einer materiellen Regelung bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen und der Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen nach § 2 Abs. 3 Satz 2 ff. GAufzV als einer formalen Regelung bei den Aufzeichnungspflichten zu Verrechnungspreisen bestehen. In den Fällen, in denen Verrechnungspreise zutreffend unter Anwendung der Palettenbetrachtung für eine Gruppe von Produkten ermittelt wurden, ist für die Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen bei der Angemessenheitsdokumentation nicht anders zu verfahren. Ansonsten stünden fehlende Zusammenfassungsmöglichkeiten bei den Aufzeichnungen einem materiell zutreffenden Ergebnis entgegen. Folglich ist eine Zusammenfassung nach der GAufZV stets dann möglich, wenn bei materieller Bestimmung der Verrechnungspreise das Konzept der „Palettenbetrachtung“ angewendet wurde.1
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation I. Sachverhaltsdokumentation – erforderliche Aufzeichnungen 8.59
Überblick. § 4 Abs. 1 GAufzV bestimmt konkrete Aufzeichnungen, die der Steuerpflichtige nach Maßgabe der in §§ 1–3 GAufzV aufgeführten allgemeinen Grundsätze zu erstellen hat. Die Vorschrift zählt die nach Ansicht des Verordnungsgebers allgemein erforderlichen Angaben abschließend auf. Bei den in § 4 Abs. 1 GAufzV aufgeführten Punkten handelt es sich im Wesentlichen um Informationen, anhand derer dargestellt werden soll, welchen Sachverhalt der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen verwirklicht hat (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 und Abs. 2 GAufzV; Sachverhaltsdokumentation). Einzelne nach § 4 GAufzV erforderliche Angaben dienen allerdings auch der Beurteilung, ob und inwieweit der Steuerpflichtige bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 und Abs. 3 GAufzV). Sie sind daher der Angemessenheitsdokumentation zuzuordnen. Für besondere Fälle werden neben den in § 4 Abs. 1 GAufzV aufgeführten Informationen ergänzende Aufzeichnungen gefordert. Dies ist in § 4 Abs. 2 GAufzV näher geregelt. In der früheren GAufzV 2003 wurden die besonderen Fälle noch in einem eigenen § 5 GAufzV geregelt. Die erneuerte GAufzV 2017 bestätigt insoweit weitgehend die bereits existierenden Anforderungen und bringt nur wenige weitergehende Neuerungen. Soweit die ergänzenden Informationen nach § 4 Abs. 2 GAufzV die Sachverhaltsdokumentation betreffen, sind diese Gegenstand von Rz. 8.120 ff. Die Angaben sowohl nach § 4 Abs. 1 GAufzV als auch nach § 4 Abs. 2 GAufzV sind – zu Recht – nur insoweit notwendig, als solche Angaben für die Prüfung der Verrechnungspreise bei Geschäftsbeziehungen zum Ausland von Bedeutung sind.2 Dies wiederum hängt vom Einzelfall ab.
1 Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 67 ff. 2 Dies ergibt sich aus § 4 Satz 1 GAufzV. Vgl. Frotscher in FS Wassermeyer, 401; Rupp in D/P/M, Anhang Internationale Gewinnabgrenzung, Rz. 336. Klarstellend auch BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 11.
1076 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.61 Kap. 8
II. Beteiligungsverhältnisse, Organisationsaufbau und Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GAufzV Inhalt. Nach der Aufzählung in § 4 Abs. 1 Nr. 1 GAufzV hat der Steuerpflichtige (also das einzelne Konzernunternehmen) in einem ersten Teil der Aufzeichnungen allgemeine Angaben zur Unternehmensgruppe und der Gruppenorganisation zu machen:1
8.60
Der Verordnungsgeber erwartet nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GAufzV zunächst eine Darstellung der Beteiligungsverhältnisse zwischen dem Steuerpflichtigen (hier das betroffene Unternehmen) und den nahestehenden Unternehmen, mit denen er Geschäftsbeziehungen (unmittelbar oder über Zwischenpersonen) unterhält. Dabei muss auch auf Veränderungen während des Prüfungszeitraums eingegangen werden. Zudem sind nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GAufzV zu den nahestehenden Unternehmen sonstige Umstände aufzuzeichnen, die ein Nahestehen in Fällen begründen können, in denen kein Beteiligungsverhältnis besteht. Es müssen nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GAufzV die organisatorische und operative Konzernstruktur einschließlich Betriebsstätten und Beteiligungen an Personengesellschaften sowie deren Veränderungen beschrieben werden, d.h. es sind die Rechtsformen der Konzernunternehmen, deren regionale Betätigungsgebiete sowie die Aufgabenverteilung zwischen den Konzernunternehmen anzugeben. Ferner ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d GAufzV die Management- sowie Organisationsstruktur des inländischen Unternehmensteils zu beschreiben. Abschließend zu den allgemeinen Unternehmensinformationen ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e GAufzV auf die Tätigkeitsbereiche (z.B. Dienstleistungen, Produktion, Vertrieb) sowie auf die Geschäftsstrategie des Unternehmens einzugehen. Dabei muss ebenfalls auch auf Veränderungen während des Prüfungszeitraums eingegangen werden.
2. Beteiligungsverhältnisse Umfang der Angaben. Prüfungsbedarf für Preisvereinbarungen zwischen in- und ausländischen Unternehmen besteht i.d.R. nur bei einer gesellschaftsrechtlichen Verbindung zwischen den beteiligten Unternehmen. Andernfalls fänden die steuerlichen Einkünftekorrekturnormen (vgl. Kap. 2) keine Anwendung. Die Angaben zu den Beteiligungsverhältnissen (z.B. Beteiligungshöhe, Rechtsform der Gesellschaft) in der Unternehmensgruppe nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GAufzV sind daher im Grundsatz erforderlich, wenn eine Verrechnungspreisprüfung durchgeführt werden soll. Die notwendigen Informationen zu den Beteiligungsverhältnissen beschränken sich aber auf die Angabe der ausländischen Unternehmen, – die nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 AStG nahe stehend sind (unmittelbare oder mittelbare Beteiligung von mindestens 25 %; beherrschender Einfluss; Schwestergesellschaften mit mindestens einer Person, die an beiden Unternehmen zu mindestens 25 % beteiligt ist) und – mit denen tatsächlich Geschäftsbeziehungen unterhalten werden.
1 Zwischen den einzelnen Punkten der Aufzählung ergeben sich – was im Folgenden deutlich wird – gewisse Überschneidungen. Dem kommt aber keine weitere Bedeutung zu, da an die Zuordnung zu den einzelnen Punkten keine unterschiedlichen Rechtsfolgen geknüpft sind.
Cordes/Bärsch | 1077
8.61
Kap. 8 Rz. 8.61 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
Für die Anforderung darüber hinausgehender Informationen durch die Finanzverwaltung besteht indes keine rechtliche Grundlage, da diese Angaben für die inländische Verrechnungspreisprüfung nicht relevant sind. Zudem sind sie für ein deutsches Tochterunternehmen eines ausländischen Konzerns unter Umständen nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand zu beschaffen.
8.62
Abgleich mit dem Ermächtigungsrahmen. Im Schrifttum wird zu Recht bezweifelt, ob die Regelung in § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GAufzV dem in § 90 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AO gesetzten Rahmen entspricht. Denn die Frage, ob ein „Nahestehen“ gegeben ist, betrifft die Anwendungsvoraussetzungen von § 90 Abs. 3 AO und nicht Art oder Inhalt der aufzuzeichnenden Geschäftsbeziehung.1 Lehnt man die Anwendbarkeit von § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GAufzV auf Grund fehlender Ermächtigung in § 90 Abs. 3 Satz 11 AO ab, wird eine Anfrage der Finanzverwaltung nach den Beteiligungsverhältnissen allerdings ihre Rechtsgrundlage in der allgemeinen Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 1 AO (Rz. 8.2) und vor allem der besonderen Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO (Rz. 8.4) finden.
8.63
Keine Anwendung der Sanktionsvorschriften bei isoliertem Fehlen dieser Angaben. Klärungsbedürftig ist ferner, inwieweit fehlende Angaben zu den Beteiligungsverhältnissen zu einer im Wesentlichen unverwertbaren Dokumentation führen können. Hierzu sind zwei Fälle zu unterscheiden: Werden Aufzeichnungen zu Art und Umfang einer Geschäftsbeziehung zu einem Unternehmen im Ausland erstellt, lässt sich daraus implizit schließen, dass das inländische Unternehmen das ausländische Unternehmen als nahe stehendes Unternehmen behandelt. Selbst wenn diese Annahme falsch sein sollte, erwächst der Finanzverwaltung kein Nachteil, der zu sanktionieren wäre, da die Aufzeichnungen erstellt wurden. Anders verhält es sich, wenn zu Geschäftsbeziehungen zu einem nahestehenden Unternehmen im Ausland keine Aufzeichnungen erstellt wurden. Eine Sanktionierung würde in diesem Fall aber nicht alleine auf dem Fehlen der Angaben zu dem Beteiligungsverhältnis basieren, sondern vielmehr darauf, dass die zur Prüfung der angemessenen Preisfestsetzung notwendigen Angaben (Art und Umfang der Leistung, Verteilung der Funktionen und Risiken) fehlen.
8.64
Ergebnis. Mithin reicht es aus, wenn z.B. in der nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a GAufzV zu erstellenden Übersicht die nahestehenden Unternehmen angegeben werden, mit denen Geschäftsbeziehungen unterhalten werden. Eine Sanktionierung nach § 162 Abs. 3 AO wegen des isolierten Fehlens von Daten zu den Beteiligungsverhältnissen kommt nicht in Betracht. Da i.d.R. Organigramme mit Übersichten der Beteiligungsverhältnisse o.Ä. im Unternehmen vorhanden sind und ohne zusätzlichen Aufwand den Aufzeichnungen beigefügt werden können, ist – auch wenn nicht zwingend erforderlich – zu empfehlen, entsprechende Unterlagen einzubinden. Etwaigen Auseinandersetzungen mit der Betriebsprüfung über die Notwendigkeit der Einbeziehung von Angaben zu Beteiligungsverhältnissen kann damit vorgebeugt werden. Die Angabe der Beteiligungsverhältnisse kann in bestimmten Fällen allerdings auch sinnvoll sein. Zu nennen sind insbesondere Fälle mit Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen, zwischen denen keine 100%igen Beteiligungen bestehen und an denen auch fremde Gesellschafter nennenswert (möglicherweise auch zu mehr als 50 %) beteiligt sind. Zwar erstrecken sich die Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO auch auf diese Fälle. Jedoch kann hier die Angabe der niedrigen Beteiligungsquote ggf. bereits als Argument für die Angemessenheit der Preisfestsetzung eingesetzt werden. Denn es wird in solchen Fällen i.d.R. nicht davon auszugehen sein, dass der inländische Steuerpflichtige der Gesellschaft einen unberechtigten Vorteil zuwenden wird, da der „fremde“ Gesellschafter von der Vorteilszuwendung „profitieren“ würde. 1 Vgl. Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 34; Wassermeyer, DB 2003, 1537.
1078 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.67 Kap. 8
3. Angaben zu nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG Umfang der Angaben. Die Verpflichtung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GAufzV, Umstände für eine Anwendung von § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG (sonstige Einflussmöglichkeiten auf eine Preisfestsetzung; eigenes Interesse an der Erzielung von Einkünften des anderen) aufzuzeichnen, ist zu weitgehend.1 Ist ein Steuerpflichtiger der Ansicht, dass er die Tatbestände von § 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG in Bezug auf ein anderes Unternehmen erfüllt, wird er die Geschäftsbeziehungen zu diesem Unternehmen bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Unternehmen angeben. Eine weitere Erläuterung bringt keinen Informationsgewinn für die Verrechnungspreisprüfung. Für den Fall, dass zu Geschäftsbeziehungen mit dem entsprechenden nahestehenden Unternehmen im Ausland keine Aufzeichnungen erstellt wurden, gelten die Ausführungen im vorstehenden Abschnitt entsprechend.
8.65
4. Organisationsaufbau Umfang der Angaben. Angaben zum Organisationsaufbau sind nicht für die Beurteilung notwendig, ob eine Aufzeichnungspflicht besteht. Sie können allenfalls im Rahmen der Prüfung der von den Gruppenunternehmen übernommenen Funktionen und Risiken Bedeutung erlangen und zur Verprobung der Darstellungen bei der Funktions- und Risikoanalyse verwendet werden. Ähnliches gilt für Veränderungen in der operativen Struktur, die ggf. auf Funktionsverlagerungen hindeuten könnten, sowie für Angaben zur Konzernstruktur (Divisional, Funktional u.Ä.). Diese sind allenfalls dazu geeignet, dem Dokumentationsadressaten den Aufbau des Verrechnungspreissystems und der Aufzeichnungen verständlicher zu machen, da das Verrechnungspreissystem meist auf die spezielle Konzernstruktur ausgerichtet ist. Zwingend erforderlich sind entsprechende Angaben jedoch nicht.2 Insoweit kann ein isoliertes Fehlen der Angaben zum Organisationsaufbau – wenn ausreichende Angaben z.B. zur Funktionsund Risikoanalyse gemacht werden – auch nicht zur Unverwertbarkeit der Aufzeichnungen führen. Um Konflikte mit der Betriebsprüfung über diese Frage jedoch zu vermeiden, ist in der Praxis zu empfehlen, ein vorhandenes Organigramm mit der Konzernstruktur um jeweilige Tätigkeits- und Aufgabenbereiche der Konzernunternehmen zu ergänzen. Ein solches erweitertes Organigramm wird sich – soweit es nicht sogar bereits im Unternehmen vorhanden ist – im Regelfall mit vertretbarem Arbeitsaufwand erstellen lassen und ausreichen, um der Betriebsprüfung einen entsprechenden Überblick geben zu können.
8.66
5. Management- und Organisationsstruktur des inländischen Unternehmens Umfang der Angaben. Zu den Angaben zur Beschreibung der Management- und Organisationsstruktur nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d GAufzV gelten im Wesentlichen die vorgenannten Ausführungen. Auch diese Informationen können vornehmlich bei der Funktions- und Risikoanalyse Eingang finden bzw. dazu dienen, die dortigen Angaben abzugleichen, insbesondere mit Blick auf Entscheidungskompetenzen.3 Festzustellen ist auch insoweit, dass die Angaben für die Verwertbarkeit von Aufzeichnungen nicht notwendig sind. Ihr isoliertes Fehlen kann daher nicht zu einer Sanktionierung nach § 162 Abs. 3 AO führen. Dennoch ist zu empfehlen, kurze Angaben zu machen, um Auseinandersetzungen mit der Betriebsprüfung
1 Kaminski/Strunk, RIW 2003, 566, sehen in der Formulierung der Vorschrift die Gefahr, dass eine Umkehr der Beweislast für ein Nicht-Nahestehen zu Lasten des Steuerpflichtigen erfolgen könnte. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 823.20; Frotscher in FS Wassermeyer, 401. 3 Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 16.
Cordes/Bärsch | 1079
8.67
Kap. 8 Rz. 8.67 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
vorzubeugen. Die Beschreibung ist auf die konkrete Geschäftsbeziehung zu beziehen. Nicht erforderlich sind darüber hinausgehende Ausführungen oder die Benennung von einzelnen Personen.1
6. Beschreibung der Tätigkeitsbereiche des Steuerpflichtigen 8.68
Umfang der Angaben. Für die Beschreibung der Tätigkeitsbereiche nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e GAufzV gelten im Wesentlichen die vorgenannten Ausführungen. Auch diese Informationen können vornehmlich bei der Funktions- und Risikoanalyse Eingang finden bzw. dazu dienen, die dortigen Angaben abzugleichen.2 Festzustellen ist auch insoweit, dass die Angaben für die Verwertbarkeit von Aufzeichnungen nicht notwendig sind. Ihr isoliertes Fehlen kann daher nicht zu einer Sanktionierung nach § 162 Abs. 3 AO führen. Gleichwohl ist zu empfehlen, kurze Angaben zu machen, um Auseinandersetzungen mit der Betriebsprüfung vorzubeugen. Dazu kann z.B. auf entsprechende Angaben im Lagebericht (§ 289 HGB) und im Prüfungsbericht (§ 321 HGB) verwiesen werden. Beide Dokumente sind bereits als Unterlage zur Steuererklärung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 EStDV beim Finanzamt einzureichen. Wurden aus anderen Gründen Unterlagen mit Informationen zum Unternehmen (z.B. Broschüren für Kunden, Internetauftritt, Informationsmaterial für neue Mitarbeiter oder Bewerber, Geschäftsberichte für die Gesellschafter) erstellt, können solche Dokumente an dieser Stelle ebenfalls verwendet werden. Damit kann dem Betriebsprüfer ein besserer Einblick in das Unternehmen gegeben werden. Diese Informationen sind dem Betriebsprüfer bei Prüfung der Leistungsverrechnung dann gegenwärtig und könnten sich positiv auf die Würdigung der Angemessenheit der vereinbarten Verrechnungspreise auswirken.
III. Aufzeichnungen über Geschäftsbeziehungen (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 GAufzV) 1. Übersicht über Art und Umfang der Geschäftsbeziehungen 8.69
Umfang der Angaben. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a GAufzV sind in einer Übersicht Art (z.B. Warenlieferungen, Dienstleistungen, Darlehensverhältnisse oder Kostenumlagen) und Umfang (z.B. Menge oder Umsatzvolumen) der Geschäftsbeziehungen des betroffenen Konzernunternehmens zu anderen Konzernunternehmen darzustellen.3 Dabei sind auch die Verträge für diese Geschäftsbeziehungen zu benennen einschließlich eventueller Veränderungen. Der noch in der Fassung aus 2003 enthaltene Bezug zu „nahestehenden Personen“ wurde gekürzt, da die Aufzeichnungspflicht sowohl die Geschäftsbeziehungen zwischen einem Steuerpflichtigen und einer nahestehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG als auch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen mit einer in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG umfasst.4 Die Übersicht über die Leistungsbeziehung dient zunächst dazu, dem Adressaten der Aufzeichnungen (hauptsächlich dem Betriebsprüfer) einen ersten Überblick über die Leistungsbeziehung des Unternehmens mit anderen Gruppenunternehmen zu verschaffen. Dem Betriebsprüfer wird dadurch die für eine Verrechnungspreisprüfung in angemessener Zeit not-
1 2 3 4
Vgl. Rasch in Kroppen/Rasch, GAufzV Rz. 157. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 823.20. Vgl. VWG 2020, Rz. 43. Vgl. Gesetzesbegründung BR Drucks, 404/17, 12, 15.
1080 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.71 Kap. 8
wendige Möglichkeit gegeben, z.B. nach quantitativen Kriterien1 eine Auswahl der näher zu betrachtenden oder zu prüfenden Geschäftsbeziehungen vorzunehmen.2 Umsetzung. Um die Übersichtlichkeit zu gewährleisten, ist zu empfehlen, bei der Darstellung der Leistungsbeziehungen nach Leistungsarten (Lieferungen, Dienstleistungen, Finanzbeziehungen, Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter) zu differenzieren. Ggf. sind innerhalb der Leistungsarten weitere Unterscheidungen vorzunehmen. So kann zunächst differenziert werden, ob es sich um Eingangs- oder Ausgangsleistungen für das inländische Unternehmen handelt. Diese Unterscheidung ist insbesondere bei Lieferbeziehungen mit verbundenen Unternehmen zweckmäßig. Bei den Lieferungen kann ferner eine weitere Aufteilung nach verschiedenen Produktgruppen oder nach liefernden bzw. abnehmenden Konzernunternehmen vorgenommen werden. Ähnlich kann bei Dienstleistungen vorgegangen werden. Bei Finanzbeziehungen zu verbundenen Unternehmen kommt eine Unterscheidung in Darlehen und andere Finanzbeziehungen in Betracht (z.B. Bürgschaften, Patronatserklärungen).3 Zu Darlehensbeziehungen ist eine Angabe der Darlehenssumme aufzuzeichnen und aufzuführen.4 Die Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter ist ebenfalls in die Übersicht aufzunehmen, wobei die für die Überlassung verrechneten Entgelte anzugeben sind. Es bestehen ggf. Überschneidungen zu der nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b GAufzV erforderlichen Zusammenstellung der im Rahmen der Geschäftsbeziehungen zu ausländischen verbundenen Unternehmen eingesetzten wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter (Rz. 8.72).
8.70
Neben zahlenmäßigen Angaben ist zur Darstellung der Leistungsbeziehungen anzuraten, auf grafische Übersichten zurückzugreifen. Sie können zur einfachen Verständlichkeit der Aufzeichnungen beitragen.5 Die für die zahlenmäßige Darstellung erforderlichen Angaben lassen sich i.d.R. aus den Buchführungsunterlagen bzw. aus den Konsolidierungsrechnungen im Rahmen des Konzernabschlusses (Zwischenergebniseliminierung nach § 304 HGB für Warenlieferungen; Aufwands- und Ertragskonsolidierung nach § 305 HGB für andere Leistungen) entnehmen.6 Im weiteren Aufbau der Verrechnungspreisdokumentation ist es dann sinnvoll, den bei Darstellung der Leistungsbeziehungen gewählten Unterscheidungen zu folgen. D.h. die Angabe der zugrunde liegenden Verträge, der übernommenen Funktionen und Risiken und der Verrechnungspreisanalyse erfolgt dann jeweils zu den Leistungsbeziehungen, die bei Darstellung der Leistungsbeziehungen unterschieden wurden.
2. Übersicht über die den Geschäftsbeziehungen zugrunde liegenden Verträge Umfang der Angaben. Hier sind – ggf. entsprechend einer zusätzlichen Unterteilung der Lieferbeziehungen in Produktgruppen – die den Lieferungen zugrunde liegenden Verträge zu benennen. Häufig wird es sich dabei um Rahmenvereinbarungen zwischen den Konzernunter1 Dies ergibt sich daraus, dass in der Übersicht auch der betragsmäßige Umfang der Entgelte dargestellt werden muss, vgl. VWG 2020, Rz. 43. 2 Vgl. Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 76 f.; BRDrucks. 583/03 v. 15.8.2003, 12; Schreiber, JbFSt 2005/2006, 627 f. 3 Für Unternehmen des Finanzsektors (Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften usw.) gilt dies allenfalls sehr eingeschränkt, da sich dort die gruppeninternen Finanzbeziehungen in aller Regel nicht auf vergleichsweise einfache Finanzierungsformen wie Darlehen oder Bürgschaften beschränken. 4 Vgl. VWG 2020, Rz. 43. 5 Vgl. Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 34. 6 Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 30; Eigelshoven/Kratzer, IStR 2004, 34.
Cordes/Bärsch | 1081
8.71
Kap. 8 Rz. 8.71 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
nehmen handeln. Als angabepflichtige Verträge kommen neben den Rahmenverträgen Einzelverträge sowie sämtliche Zusatzvereinbarungen (z.B. zu Haftungs- und Garantieabreden, zu Regressabreden usw.) in Betracht. Einer Darstellung des konkreten Vertragsinhalts bedarf es hier nur insoweit, wie es zur Unterscheidung und zum Verständnis der relevanten Verträge erforderlich ist (z.B. bei Zusatzvereinbarungen).1 Ebenso wenig müssen die Verträge bereits den Aufzeichnungen beigefügt werden. Sie sind als Unterlagen zur Buchführung bereits nach § 257 Abs. 1 HGB aufbewahrungspflichtig und damit der Finanzverwaltung bei einer Prüfung zugänglich.2 Wenn keine schriftlichen Verträge für die gruppeninternen Leistungsbeziehungen existieren, können keine Verträge aufgelistet werden. Dies kann keinen Mangel oder keine Verletzung der Aufzeichnungspflichten begründen.
3. Angabepflichten zu immateriellen Werten a) Begriff der immateriellen Werte
8.72
Umfang der Angaben. Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b GAufzV sieht ferner vor, die wesentlichen immateriellen Werte des Konzernunternehmens in einer listenförmigen Darstellung aufzuführen, die dem Steuerpflichtigen gehören und die er im Rahmen seiner Geschäftsbeziehungen nutzt oder zur Nutzung überlässt. In Betracht kommen hier insbesondere Patente, Marken und andere gewerbliche Schutzrechte sowie Know-how und der Kundenstamm. Wann ein wesentlicher und damit angabepflichtiger immaterieller Wert vorliegt, geht aus der GAufzV nicht hervor. Ausweislich der Gesetzesbegründung zur GAufzV in der Fassung aus 2003 wurde die Vorschrift aufgenommen, um die Identifizierung von Prüfungsfeldern im Bereich der immateriellen Wirtschaftsgüter zu erleichtern.3 In der Begründung wird dazu weiter ausgeführt, dass immaterielle Wirtschaftsgüter häufig wertvoll seien und ihrer Zuordnung im Verhältnis zu nahe stehenden Unternehmen, die nicht selten schwierig sei, große Bedeutung zukomme.4 In 2017 wurde der Wortlaut der GAufzV dahingehend angepasst, dass an die Stelle der immateriellen „Wirtschaftsgüter“ die immateriellen „Werte“ traten.5 Immaterielle Werte, die in keinem Bezug zu Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Unternehmen im Ausland stehen, sind zutreffend von einer Angabepflicht ausgenommen. Ebenso wenig müssen immaterielle Werte im Besitz anderer (insbesondere ausländischer) Konzernunternehmen aufgelistet werden, die das inländische Konzernunternehmen nutzt.
8.73
Begriff. Unter immateriellen Werten versteht man unkörperliche Wirtschaftsgüter von wirtschaftlichem Wert.6 Dies können insbesondere Rechte und tatsächliche Positionen sein. In Anlehnung an die im bilanziellen Gliederungsschema in § 266 Abs. 2 HGB aufgeführten Posten zählen hierzu z.B. Konzessionen (z.B. Betriebs- und Versorgungsrechte), gewerbliche Schutzrechte (z.B. Marken, Patente, Geschmacks- und Gebrauchsmuster) sowie rein wirt1 Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 30, halten eine Liste nur mit Angabe von Vertragspartnern und Vertragsdaten zwar für „relativ aussagelos“. Angaben zu den Inhalten der Verträge lehnen sie aber mit Hinweis auf den damit verbundenen Aufwand bei den betroffenen Unternehmen ab. 2 Verträge fallen unter den weit gefassten Begriff der Handelsbriefe. Vgl. Störk/Lewe in Beck’scherBilanzkommentar13, § 257 HGB Rz. 15, 27; Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 30. 3 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 12. 4 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 12. 5 Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 16. 6 Vgl. Weber-Grellet in Schmidt41, § 5 EStG Rz. 171.
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C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.74 Kap. 8
schaftliche Werte (z.B. ungeschützte Erfindungen, Auftragsbestand).1 Zu den immateriellen Wirtschaftsgütern gehört auch ein Geschäfts- oder Firmenwert.2 Synergien, die sich aus dem Gruppenverbund ergeben, sind keine immateriellen Wirtschaftsgüter.3 Der deutsche Gesetzgeber versteht unter immateriellen Werten im Einklang mit Kapitel VI der OECD-Leitlinien4 Vermögenswerte, – die keine materiellen Wirtschaftsgüter, Beteiligungen oder Finanzanlagen sind, – die Gegenstand eines Geschäftsvorfalls sein können, ohne einzeln übertragbar sein zu müssen, und – die einer Person eine tatsächliche oder rechtliche Position über diesen Vermögenswert vermitteln können.5 Nach Auffassung der Finanzverwaltung in den (inzwischen aufgehobenen) VWG-Verfahren 2005 sind immaterielle Wirtschaftsgüter unabhängig von ihrer Bilanzierungsfähigkeit angabepflichtig, wenn – sie in einem Register (z.B. Markenregister) registriert sind, – sie Gegenstand eines gesonderten Vertrags sind oder – sie nicht nur untergeordneter Teil einer Leistungsbeziehung sind.6 Die VWG 2020 geben insoweit nur einen abstrakten Hinweis, dass wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter aufzuführen sind.7 Gleichwohl empfiehlt es sich für die Praxis den vorherigen Standard der VWG-Verfahren 2005 weiter zu beachten, da tendenziell nicht von einer „Aufweichung“ der Angabepflichten auszugehen ist. b) „Wesentliche“ immaterielle Werte „Bezugsgröße“ zur Beurteilung der Wesentlichkeit. Von der Angabepflicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b GAufzV sind nur „wesentliche“ immaterielle Werte erfasst. Dies ist insoweit sachgerecht, als damit nicht alle denkbaren immateriellen Wirtschaftsgüter aufzuführen sind, sondern unbedeutende immaterielle Wirtschaftsgüter ausgenommen bleiben. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist unklar, ob der immaterielle Wert wesentlich für die gesamte Geschäftstätigkeit des Konzerns oder des zu prüfenden Konzernunternehmens sein muss oder ob sich die Wesentlichkeit nur auf die Leistungsbeziehungen des zu prüfenden Konzernunternehmens zu Konzernunternehmen im Ausland bezieht. Nach der noch in den (inzwischen aufgehobenen) VWG-Verfahren 2005 zum Ausdruck kommenden Auffassung der Finanzverwaltung ist bezüglich der Wesentlichkeit zu prüfen, ob dem immateriellen Wert
1 Vgl. Justenhoven/Usinger in Beck’scherBilanzkommentar13, § 248 HGB Rz. 12. 2 Zur Definition und Abgrenzung des Geschäfts- und Firmenwerts vgl. u.a. BFH v. 18.2.1993 – IV R 40/92, BStBl. II 1994, 224 = FR 1993, 839. 3 Vgl. Eigelshoven/Ebering/Schmidkte, IWB 2012, 489. 4 Vgl. Tz. 6.6., OECD-Leitlinien 2022. 5 Vgl. § 1 Abs. 3c S. 2 AStG; BMF v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017:001 – VWG Verrechnungspreise, BStBl. I 2021, 1098 Tz. 3.47. 6 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.3. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 7 Vgl. VWG 2020, Rz. 41.
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8.74
Kap. 8 Rz. 8.74 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
im Hinblick auf die Geschäftstätigkeit des zu prüfenden Unternehmens eine erhebliche Bedeutung zukommt.1 Als Beispiel für einen „wesentlichen“ immateriellen Wert bzw. ein wesentliches immaterielles „Wirtschaftsgut“ in der früheren Fassung der GAufzV wird in den (inzwischen aufgehobenen) VWG-Verfahren 2005 ein Patent angegeben, auf dem die Produktionstätigkeit des Unternehmens beruht. Dieses Beispiel sowie der Hinweis auf die Prüfung der Wesentlichkeit in Bezug auf die Geschäftstätigkeit des zu prüfenden Unternehmens sind in den VWG 2021 bzw. den VWG 2020 nicht mehr enthalten. In den OECD-Leitlinien 2022 wird auf eine Analyse der Bedeutung der immateriellen Vermögensgegenständen im Hinblick auf das globale Geschäft des multinationalen Unternehmens hingewiesen.2 Nach der hier vertretenen Auffassung ist es zutreffend, die erhebliche Bedeutung auf die gesamte Geschäftstätigkeit zu beziehen. Ansonsten würde der beabsichtigte Vereinfachungseffekt nicht eintreten.
8.75
„Wesentlichkeitsgrenze“. Der mit Verwendung des Tatbestandsmerkmals „wesentlich“ beabsichtigte Vereinfachungseffekt wird dadurch beeinträchtigt, dass dessen Auslegung unbestimmt ist. Zur Abgrenzung der Wesentlichkeit wird hier folgende Auffassung vertreten:3 Die „Wesentlichkeit“ immaterieller Wirtschaftsgüter i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b GAufzV ist nach den geltenden ertragsteuerlichen Abgrenzungskriterien für wesentliche Betriebsgrundlagen zu beurteilen. Hierbei ist die funktionale Betrachtungsweise anzuwenden. „Wesentlich“ ist ein immaterieller Wert, wenn ihm ein besonderes wirtschaftliches Gewicht für die Betriebsführung zukommt. Das besondere wirtschaftliche Gewicht kann nach dem Umfang der Umsätze beurteilt werden, die auf den Einsatz dieses Wirtschaftsguts zurückzuführen sind. Hier hat die Rechtsprechung Umsatzanteile von 25 % ausreichen lassen, um immaterielle Wirtschaftsgüter als wesentliche Betriebsgrundlagen zu qualifizieren. Damit ist jedenfalls bei immateriellen Werten von einer „Wesentlichkeit“ i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b GAufzV auszugehen, wenn die darauf zurückzuführenden Umsätze 25 % des Gesamtumsatzes des zu prüfenden Konzernunternehmens übersteigen. Nicht als „wesentlich“ anzusehen sind immaterielle Werte, die ohne Beeinträchtigung des Betriebsablaufs jederzeit kurzfristig am Markt beschafft werden können (z.B. Standard-Software). Gleiches gilt für Wissen oder Kenntnisse, die frei zugänglich sind4 oder von fremden Dritten am Markt angeboten werden und daher ebenfalls jederzeit beschafft werden können.5 Eine quantitative Betrachtungsweise ist nicht zielführend. Allenfalls dann, wenn z.B. aus einer Unternehmensbewertung oder einem Unternehmenskauf verlässliche Daten über den Wert des immateriellen Werts in der Gruppe vorliegen, könnte überlegt werden, anhand des Verhältnisses des Werts eines immateriellen Wirtschaftsguts zu dem Gesamtwert des Unternehmens bzw. zum Gesamtwert der immateriellen Werte die Wesentlichkeit zu beurteilen.
8.76
Zeitpunkt zur Beurteilung der Wesentlichkeit. Zu klären ist, auf welchen Zeitpunkt zur Beurteilung der Wesentlichkeit abzustellen ist bzw. wann ein wesentlicher immaterieller Wert erstmalig anzugeben ist. Hierzu gilt, dass ein immaterieller Wert erstmalig in den Aufzeich1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.11.3. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. Tz. 6.12. OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 82 ff. 4 Bei freier Zugänglichkeit von Kenntnissen ist im Übrigen fraglich, ob diese Kenntnisse überhaupt als immaterielles Wirtschaftsgut angesehen werden können. Frei verfügbare Kenntnisse werden in aller Regel keinen wirtschaftlichen Wert verkörpern. 5 Vgl. BFH v. 25.10.1988 – VIII R 339/82, BFHE 154, 539 = FR 1989, 18, unter Abschn. 2.d der Gründe.
1084 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.78 Kap. 8
nungen zu dem Veranlagungszeitraum aufzuführen ist, in dem beide Voraussetzungen (Wesentlichkeit und Verwendung bei Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen) kumulativ erfüllt sind.1 Die Prüfung, welche immateriellen Wirtschaftsgüter angabepflichtig sind, erfolgt jeweils für den einzelnen Veranlagungszeitraum. c) Rechtsfolgen einer fehlenden Angabe wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter Keine Anwendbarkeit der Sanktionsvorschriften bei isoliertem Fehlen der Angaben zu immateriellen Werten. Wenngleich bisherige Betriebsprüfungserfahrungen zu den Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO gezeigt haben, dass die Betriebsprüfer den Informationen zu den eingesetzten immateriellen Werten eine hohe Bedeutung beimessen, ist zu hinterfragen, ob diese Informationen bei den Aufzeichnungen zwingend erforderlich sind.
8.77
Wird für die Nutzungsüberlassung eines immateriellen Werts ein Entgelt verrechnet bzw. wird der Einsatz immaterieller Werte bei der Verrechnung einer Lieferung oder Leistung erkennbar vergütet und erfolgt eine entsprechende Darstellung bei den Aufzeichnungen, so ist damit im Ergebnis die Angabe des immateriellen Wertes erfolgt. Dies gilt auch dann, wenn der immaterielle Wert in keiner separaten Liste aufgeführt wurde. Soweit die Aufzeichnungen zu der Überlassung des immateriellen Wertes bzw. zu den Lieferungen oder Leistungen ansonsten den Vorschriften entsprechen, besteht auch kein Anlass, von im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen auszugehen. Damit führt eine fehlende Angabe einzelner immaterieller Werte für sich betrachtet i.d.R. nicht zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen (vgl. die unter Rz. 8.61 ff. dargestellte ähnliche Problematik bei fehlender Angabe nahestehender Personen nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a GAufzV). Anders kann es sich verhalten, wenn für die Überlassung eines immateriellen Werts oder ihren Einsatz im Rahmen von gruppeninternen Liefer- und Dienstleistungsbeziehungen keine Vergütung bei der Leistungsverrechnung berücksichtigt wurde. Eine Sanktionierung würde für diesen Fall aber auf fehlende Angaben zu den preisdeterminierenden Faktoren (Preisvergleiche o.Ä.) und nicht auf eine fehlende Angabe in der Aufstellung der wesentlichen immateriellen Werte zurückgehen.
IV. Funktions- und Risikoanalyse (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 4 Abs. 1 Nr. 3 GAufzV Regelungsinhalt von § 4 Abs. 1 Nr. 3 GAufzV. Aufbauend auf dem Überblick über die Leistungsbeziehungen mit anderen Konzernunternehmen müssen für die einzelne Leistungsbeziehung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a GAufzV die Funktionen und Risiken dargestellt werden, die das inländische und die anderen an der Leistungsbeziehung beteiligten Konzernunternehmen übernehmen.2 Diese eingehende Sachverhaltsermittlung wird als Funktionsanalyse bezeichnet.3 Die Funktionsanalyse ist erforderlich, weil die ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken ausschlaggebende Faktoren bei der Verrechnungspreisbestimmung sind (vgl. Rz. 8.79 ff.).4 Dementsprechend sind auch Angaben zu einer Veränderung der Funktions1 Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 85 f.; Kaminski/ Strunk, StBp. 2004, 30. 2 Sofern diese bei mehreren Leistungsbeziehungen bzw. Produktgruppen identisch ist, kann eine zusammenfassende Darstellung vorgenommen oder mit Verweisen gearbeitet werden. 3 Vgl. OECD-Leitlinien 2022, Glossar, Stichwort „Functional analysis“. 4 Vgl. Tz. 1.51., OECD-Leitlinien 2022.
Cordes/Bärsch | 1085
8.78
Kap. 8 Rz. 8.78 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
und Risikoverteilung notwendig. Gegenstand der Aufzeichnungspflicht sind nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a GAufzV ferner Informationen zu den eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern, zu den vereinbarten Vertragsbedingungen, über gewählte Geschäftsstrategien sowie über für die Besteuerung bedeutsame Markt- und Wettbewerbsverhältnisse. Unter dem Oberbegriff Funktions- und Risikoanalyse sind nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GAufzV außerdem Angaben zur Wertschöpfung erforderlich. Die Wertschöpfungskette muss beschrieben und der Wertschöpfungsbeitrag des Steuerpflichtigen im Verhältnis zu den nahestehenden Personen dargestellt werden. Dabei geht mit der Übernahme bedeutender Funktionen und hoher Risiken meist eine hohe Wertschöpfung einher, während funktions- und risikoarme Tätigkeiten nur zu einer geringeren Wertschöpfung führen.
2. Angaben zu den ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgütern a) Vorbemerkungen
8.79
Bedeutung für die Verrechnungspreisermittlung und -prüfung. Die im Rahmen einer Leistungsbeziehung durch die beteiligten Konzernunternehmen ausgeübten Funktionen1, übernommenen Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter sind entscheidende Faktoren bei der Verrechnungspreisbildung und Verrechnungspreisprüfung.
8.80
Einzelfunktionsanalyse bei tatsächlichem Fremdvergleich. Dies gilt zum einen, wenn Verrechnungspreise im Rahmen eines tatsächlichen Fremdvergleichs ermittelt werden. Zu dessen Durchführung muss eine Vergleichbarkeit der Leistungen gegeben sein (vgl. Rz. 4.6). Dies schließt bei Warenlieferungen neben der Identität der Güter auch ein, dass die zu der Warenlieferung zusätzlich übernommenen Funktionen (z.B. Transport) sowie die mit der Warenlieferung übernommenen Risiken (z.B. Gewährleistung) mit denen der Vergleichstransaktion übereinstimmen.2 Entsprechendes gilt für Dienstleistungen. Die Ermittlung der relevanten Funktionen und Risiken ist nach den Grundsätzen der in Rz. 4.21 ff. und Rz. 4.51 ff. dargestellten Einzelfunktionsanalyse vorzunehmen.
8.81
„Systemorientierte“ Funktionsanalyse bei hypothetischem Fremdvergleich. Zum anderen sind die übernommenen Funktionen und Risiken von wesentlicher Bedeutung, wenn – wie im überwiegenden Teil der Verrechnungspreisfälle – für die Ermittlung von Verrechnungspreisen ein hypothetischer Fremdvergleich durchgeführt wird. Dies begründet sich damit, dass sich auch zwischen Fremden das den beteiligten Unternehmen zugestandene Gewinnpotential i.d.R. mit einem Mehr an ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgütern und übernommen Risiken erhöht.3 Im Gegensatz zur Einzelfunktionsanalyse bei Durchführung eines tatsächlichen Fremdvergleichs kommt es bei einem hypothetischen Fremdvergleich aber zunächst darauf an, im Rahmen einer „systemorientierten“ Funktionsanalyse die grundlegenden Faktoren für das Verrechnungspreissystem im Konzern zu ermitteln. Hierzu sind die einzelnen Einheiten im Kon-
1 Statt des Begriffs „Funktion“ wird in der Literatur teilweise auch der Begriff „Tätigkeit“ verwendet. Er ist insoweit gleichbedeutend. 2 Vgl. Tz. 1.51 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Bodenmüller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland – Ertragsteuerliche Folgen, Strategien und Modelle, 99 m.w.N.
1086 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.84 Kap. 8
zern1 nach ihrem Funktionsumfang zu klassifizieren (vgl. hierzu auch Rz. 4.12).2 Dort wird die „systemorientierte“ Funktionsanalyse als „Gesamtfunktionsanalyse“ bzw. „Macro-LevelAnalysis“ bezeichnet. Hierauf basierend kann folgende Klassifizierung vorgenommen werden: Funktionsausübung („Routinefunktionen“). Als „unterste“ Ebene ist die Funktionsausübung anzusehen. Die Tätigkeit der betroffenen Gesellschaft in dem zu betrachtenden Prozess bzw. bei der zu betrachtenden Produktgruppe beschränkt sich auf die Ausübung von Realisationshandlungen.3 Die maßgeblichen Entscheidungen hierfür werden von einer anderen Konzerngesellschaft getroffen. Lohnfertigungstätigkeit oder Vertriebstätigkeit im Kommissionärsmodell stellen Beispiele für eine solche Funktionsausübung dar.
8.82
Funktionsleitung („Mittelunternehmen“). Über der Ebene der Funktionsausübung ist die Funktionsleitung angeordnet. Eine Funktionsleitung liegt vor, wenn eine Konzerngesellschaft mit allen Entscheidungskompetenzen ausgestattet ist, um den ihr zugewiesenen Aufgabenkomplex eigenständig und eigenverantwortlich wahrzunehmen. Es steht dann im Ermessen dieser funktionsleitenden Konzerngesellschaft, die Funktionsausübung oder Realisationshandlungen entweder selbst vorzunehmen oder sie im Rahmen eines Auftragsverhältnisses an andere Unternehmen oder Konzerngesellschaften zu delegieren. Als solche Funktionsleitung kann z.B. die Tätigkeit einer als Eigenhändler auftretenden Vertriebsgesellschaft angesehen werden, wenn diese z.B. hinsichtlich einer Produktgruppe eigene Marken verwendet und in ihren Entscheidungen bzgl. dieser Produktgruppe von anderen Konzerngesellschaften unabhängig ist. In den aufgehobenen VWG 2005 hat die Finanzverwaltung insoweit den Typus des „Mittelunternehmens“ verwendet.4 In den VWG 20215 wird das Mittelunternehmen nicht mehr aufgeführt, so dass sich die Klassifikation nach Verwaltungsauffassung nunmehr auf eine Entscheidung zwischen „Routineunternehmen“ (vgl. Rz. 8.82) und „Strategieträger“ (vgl. Rz. 8.84) beschränkt.6
8.83
Strategieträgerschaft. Als oberste Ebene ist die Strategieträgerschaft anzusehen. Sie liegt vor, wenn eine Konzerngesellschaft die strategischen Entscheidungen für ein Produkt oder eine Produktgruppe treffen kann.7 Neben den strategischen Entscheidungen kann diese Konzerngesellschaft auch ganz oder teilweise Aufgaben der Funktionsleitung oder -ausübung bei der
8.84
1 Die Klassifizierung bezieht sich nicht auf ein Konzernunternehmen als Ganzes. Vielmehr kommt es auf die Funktion des Konzernunternehmens bei der zu beurteilenden Leistungsbeziehung (Produktgruppe) an, so dass ein Konzernunternehmen je nach Produktgruppe auch unterschiedlich klassifiziert werden kann. Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 93. 2 Die Analyse bezieht sich auf Leistungen, die mit dem späteren Außenumsatz verknüpft sind (Forschung und Entwicklung, Einkauf, Produktion, Marketing, Vertrieb). Für innerhalb der Gruppe gegenüber anderen Gruppenunternehmen erbrachten „Hilfsleistungen“ (z.B. verwaltungsbezogene Dienstleistungen) wird eine solche Analyse i.d.R. wenig hilfreich sein, da die Dienstleistung meist nur durch eine Gesellschaft erbracht wird und als Eingangsleistung für die zu Außenumsätzen führenden Leistungen anzusehen ist. Vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 158.1. 3 Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2, dort als „Routinefunktionen“ bzw. „Routineunternehmen“ bezeichnet. 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. c. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 5 Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2. 6 Vgl. Heidecke, ISR 2021, 383. 7 Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2.
Cordes/Bärsch | 1087
Kap. 8 Rz. 8.84 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
Produktgruppe übernehmen. Damit eine Konzerngesellschaft als Strategieträger angesehen werden kann, ist allerdings Voraussetzung, dass sie über eine finanzielle und funktionsmäßige Ausstattung verfügt, die ihr die Übernahme der Geschäftsstrategie ermöglicht und sie in die Lage versetzt, z.B. auch eine gescheiterte Markteinführung eines Produkts finanziell verkraften zu können.
8.85
Zuordnung des Residualgewinns. Aus der systemorientierten Funktionsanalyse und der damit einhergehenden Unternehmenscharakterisierung wird abgeleitet, welchem Konzernunternehmen der Residualgewinn aus einem Geschäft zuzuordnen ist und welche Verrechnungspreismethoden anzuwenden sind.1
8.86
Einzelfunktionsanalyse bei hypothetischem Fremdvergleich. An die systemorientierte Funktionsanalyse schließt sich in Fällen des hypothetischen Fremdvergleichs die bereits zum tatsächlichen Fremdvergleich erwähnte Einzelfunktionsanalyse (Rz. 8.80) an. Sie ist beim hypothetischen Fremdvergleich notwendig, um Anhaltspunkte für die Ermittlung der Gewinnkomponenten bei Anwendung der Methoden des hypothetischen Fremdvergleichs (insbesondere Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode) zu gewinnen.2
8.87
Notwendigkeit für die Aufzeichnungen. Auf die Angaben zu Funktionen und übernommenen Risiken kann daher im Rahmen der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO nicht verzichtet werden. Hierzu sind die in den folgenden Abschnitten beschriebenen Informationen zur Klassifizierung der an einer konzerninternen Leistungsbeziehung teilnehmenden Konzernunternehmen sowie zu den von diesen Konzernunternehmen im Einzelnen übernommenen Funktionen und Risiken aufzuzeichnen. b) Angaben zu den eingesetzten wesentlichen Vermögenswerten
8.88
Umfang der Angaben. Neben der Funktions- und Risikoanalyse sieht § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb GAufzV Angaben zu den bei Leistungsbeziehungen mit nahestehenden Personen im Ausland eingesetzten wesentlichen Vermögenswerten vor. Mit Überarbeitung der GAufzV in 2017 wurde der Begriff „Wirtschaftsgüter“ in „Vermögenswerte“ geändert.3 Die Angaben zu den Vermögenswerten ergänzen die Funktions- und Risikoanalyse. Bei den Angaben zu den eingesetzten wesentlichen Vermögenswerten bestehen gewisse Parallelen zu der Auflistung der wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter nach § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV. Ein Unterschied besteht lediglich darin, dass die Zusammenstellung nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b GAufzV auf immaterielle Werte beschränkt ist, während nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb GAufzV Angaben zu wesentlichen Vermögenswerten aller Art erforderlich sind. Zum Begriff der „Wesentlichkeit“ kann auf die Erläuterungen in Rz. 8.75 verwiesen werden.
8.89
Auswirkungen des Fehlens von Angaben. Die Angabepflicht für eingesetzte immateriellen Vermögenswerte ist im Grundsatz gerechtfertigt, da Nutzung und Zuordnung von immateriellen Vermögenswerten für außenstehende Betrachter ansonsten ggf. schwierig zu erkennen sind. Dem kann allerdings für materielle Vermögenswerte, insbesondere Immobilien, nicht 1 Vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 158 und Rz. 173; Wellens/van der Ham, DB 2012, 1534 ff. 2 Vgl. ausführlich sowie zur praktischen Durchführung Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 98 ff. 3 Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 16.
1088 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.90 Kap. 8
uneingeschränkt zugestimmt werden. Eigentumsverhältnisse und Verwendung der materiellen Vermögenswerte sind i.d.R. einfach zu bestimmen. Soweit die Eigentumsverhältnisse für wesentliche Vermögenswerte offen erkennbar sind (z.B. aus Anlagespiegel oder Anlagebuchhaltung), ist eine explizite Auflistung bei den Aufzeichnungen zu Verrechnungspreisen nicht erforderlich. Ihr Fehlen kann daher nicht zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen führen. In anderen Fällen, insbesondere bei wesentlichen immateriellen Vermögenswerten, deren Zuordnung nicht ohne weiteres erkennbar ist, dürften die Angaben aber grundsätzlich eine notwendige Ergänzung zu der Funktions- und Risikoanalyse darstellen. Allerdings sind an die Angaben keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Eine Benennung und Zuordnung zu den Konzernunternehmen reicht aus. Nur wenn die Angaben fehlen, obwohl sie im konkreten Fall unerlässlich für eine Verrechnungspreisbestimmung und -prüfung sind, könnte das Fehlen dieser Angaben – zusammen mit dem Fehlen weiterer Informationen – zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen führen. c) Quantifizierungs-Technik für die Funktionsanalyse und die eingesetzten wesentlichen Vermögenswerte Star-Chart-Darstellungs-Technik. Im Schrifttum wird zur quantitativen Darstellung der Funktions- und Risikoanalyse die Verwendung eines sog. „Star-Charts“ vorgeschlagen.1 Ein „Star-Chart“ beruht auf einer Matrix. Die verschiedenen Funktionen und Risiken, die für das betreffende Unternehmen zu analysieren sind, bezeichnen die Zeilen der Matrix. Die Spalten der Matrix werden nach den in den Leistungserstellungsprozess einbezogenen Konzernunternehmen benannt. Zunächst wird eine Gewichtung vorgenommen, indem für die verschiedenen Funktionen (Forschung, Produktion, Vertrieb, Logistik, usw.), die verschiedenen Risiken (Marktrisiko, Gewährleistungsrisiko, Lagerrisiko usw.) und die verschiedenen eingesetzten Vermögenswerte (Marken, Kundenstamm, Produktionsanlagen usw.) die Bedeutung für das Unternehmen dargestellt wird. Dies erfolgt anhand einer Skala von z.B. null bis fünf „Sternen“2, wobei eine mit null Sternen bewertete Funktion keine Bedeutung für das Unternehmen hat und einer mit fünf Sternen bewerteten Funktion höchste Bedeutung zukommt. Anschließend wird dargestellt, wie sich die einzelnen Funktionen und Risiken sowie die verschiedenen eingesetzten Vermögenswerte auf die Konzernunternehmen verteilen. Hierzu werden pro Funktion, Risiko und eingesetztem Vermögenswert je fünf Sterne3 auf die Spalten der Konzernunternehmen verteilt. Wird eine Funktion nur von einem Gruppenunternehmen übernommen, so werden alle „Sterne“ für diese Funktion in dem Matrixfeld eingetragen, das in der für das Gruppenunternehmen vorgesehenen Spalte und in der für die Funktion vorgesehenen Zeile liegt. Die anderen Unternehmen erhalten für diese Funktion keine Sterne, so dass in den übrigen Feldern der Zeile dieser Funktion keine Eintragungen vorgenommen werden. Wird die Funktion von zwei oder mehreren Unternehmen ausgeübt, werden die Sterne nach dem Umfang der Funktionsausübung zwischen diesen Unternehmen aufgeteilt (z.B. Konzernunternehmen I vier Sterne, Konzernunternehmen II ein Stern).
1 Vgl. VWG 2020, Rz. 41, in Form einer tabellarischen Auflistung. 2 Anstelle der Verwendung von Sternen ist auch eine zahlenmäßige Darstellung der Funktionsausprägung möglich. Aus einer Skala von 0–5 oder von 0–10 wird der entsprechende Wert quasi als „Funktionsausprägungsgrad“ ausgewählt und in das zugehörige Matrixfeld eingetragen. 3 Um eine genauere Differenzierung zu erreichen, kann auch eine größere Anzahl an Sternen verwendet werden.
Cordes/Bärsch | 1089
8.90
Kap. 8 Rz. 8.90 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
Wie allgemein bei der Funktions- und Risikoanalyse, wird auch bei der Star-Chart-Darstellung i.d.R. auf die übernommenen Funktionen und Risiken bezogen auf ein Produkt bzw. eine Produktgruppe abzustellen sein, es sei denn, die ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken eines Gruppenunternehmens unterscheiden sich bei den verschiedenen Produkten oder Produktgruppen nicht (Rz. 8.80). Aus Vereinfachungsgründen wird auf diese Differenzierung im Folgenden verzichtet und nur eine Produktgruppe betrachtet. Bedeutung
Produktions-GmbH Deutschland
Vertriebs SA Frankreich
Forschung & Entwicklung
*****
*****
Produktion
***
*****
Logistik
*
***
Vertrieb
***
*
****
46
14 *
Funktionen
Zwischensumme1
**
Risiken Markt
*****
****
Qualität
****
*****
Gewährleistung
**
*****
Forderungsausfall
***
Lager
***
Zwischensumme
***** **
***
56
29
Eingesetzte immaterielle Wirtschaftsgüter Technologie
*****
*****
Patente
*****
*****
Handelsmarken
*****
****
Kundenstamm
***
* *****
Zwischensumme
70
20
Gesamt
172
63
Funktionsanalysematrix2 Aus dieser Darstellung können Anhaltspunkte für die Funktions- und Risikoverteilungen zwischen den Gesellschaften der Gruppe entnommen werden. Gleichwohl werden weitere schriftliche Erläuterungen erforderlich sein, z.B. um die subjektiv vorgenommene Gewichtung (z.B. Konzernunternehmen I vier Sterne bei Funktion X, Konzernunternehmen II ein Stern bei Funktion X) zu begründen. Hierzu bedarf es der zur Einzelfunktionsanalyse (Rz. 8.80) aufgeführten Informationen. 1 Die Zwischensummen ergeben sich, indem die Sterne der Konzernunternehmen für die entsprechende Funktion (bzw. die Risiken oder eingesetzten Vermögenswerte) mit dem Gewichtungsfaktor aus der Spalte „Bedeutung“ multipliziert und dann addiert werden. 2 In Anlehnung an Ernst & Young, Verrechnungspreise – Dokumentationsmanagement nach den neuen Mitwirkungspflichten, redaktionelle Gesamtverantwortung bei Wehnert/Wellens, Teil C Rz. 161.
1090 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.93 Kap. 8
Neben der darstellenden Funktion kann die Star-Chart-Technik auch zur Angemessenheitsdokumentation eingesetzt werden. Hierzu können die gewichteten Werte für ein Konzernunternehmen summiert und ins Verhältnis zur Gesamtsumme gesetzt werden. Anschließend kann abgeleitet oder verprobt werden, in welchem Maße das Konzernunternehmen an dem von dem Gesamtkonzern mit einem Produkt erzielten Gewinn zu beteiligen ist. Diese Überlegung wird auch in der Überarbeitung der GAufzV in 2017 mit den neu aufgenommen § 1 Abs. 3 Satz 4 GAufzV aufgegriffen.1 Auf die Verwendungsmöglichkeit für die Angemessenheitsdokumentation und die dafür bestehenden Voraussetzungen wird unter Rz. 8.160 näher eingegangen. d) Zwischenergebnis zur Funktions- und Risikoanalyse Zwischenergebnis. Den Angaben zur Funktions- und Risikoanalyse kommt entscheidende Bedeutung für die Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO zu. In den Aufzeichnungen ist zwingend eine Klassifizierung der in die innerkonzernlichen Leistungsbeziehungen involvierten Konzernunternehmen nach den vorgenannten Grundsätzen vorzunehmen (Rz. 8.82 ff.). D.h. die beteiligten Konzernunternehmen sind in die Gruppen Strategieträger, Funktionsleitung, Funktionsausübung einzuordnen (systemorientierte Funktionsanalyse). Daran hat sich eine Einzelfunktionsanalyse dergestalt anzuschließen, dass Einzelheiten zur konkreten Ausgestaltung der Funktions- und Risikoverteilung aufzuzeichnen sind. Die Einzelfunktionsanalyse kann Anhaltspunkte für die Bemessung der Gewinnkomponenten liefern.
8.91
3. Vereinbarte Vertragsbedingungen Umfang der Angaben. Im Rahmen der nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. cc GAufzV erforderlichen Angaben soll auch auf die vereinbarten Vertragsbedingungen eingegangen werden. Was indessen der Verordnungsgeber als vereinbarte Vertragsbedingungen ansieht, bleibt unklar. In den VWG 2020 findet sich hierzu keine Aussage. Preise und Umfang der Lieferungen bzw. Leistungen gehen aus den entsprechenden Abrechnungsbelegen hervor und bedürfen daher keiner weiteren Aufzeichnung. Nach der Definition in den OECD-Leitlinien handelt es sich um die vertragliche Aufteilung von Funktionen und Risiken zwischen den Vertragsparteien.2 Beispiele hierfür sind vertragliche Regelungen zur Gewährleistung oder zu Abnahmeverpflichtungen (Mindestmengen). Diese Informationen werden nach der hier vertretenen Auffassung aber bereits von den Angaben zu den übernommenen Funktionen und Risiken erfasst. Dem unter § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. cc GAufzV aufgeführten Punkt „vereinbarte Vertragsbedingungen“ kommt daher keine eigenständige Bedeutung zu.
8.92
4. Gewählte Geschäftsstrategien Umfang der Angaben. Ferner sind nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. dd GAufzV Angaben zu gewählten Geschäftsstrategien erforderlich. Als Geschäftsstrategien anzuführen sind unter Bezugnahme auf die OECD-Leitlinien – Kostenführerschaft, – Marktführerschaft und – Diversifikation bzw. Konzentration auf Kerngeschäfte
1 Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 13. 2 Vgl. Tz. 1.42 OECD-Leitlinien 2022.
Cordes/Bärsch | 1091
8.93
Kap. 8 Rz. 8.93 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
an.1 Die Untersuchung der vom Unternehmen angewendeten Geschäftsstrategien kann in zweierlei Hinsicht Bedeutung haben. Zum einen können bestimmte Geschäftsstrategien direkt Auswirkungen auf die angesetzten Verrechnungspreise haben, z.B. wenn Verrechnungspreise zwischen einem Produktionsmutterunternehmen und einem Vertriebstochterunternehmen ermittelt werden sollen. Zum anderen muss bei einer Verwendung von Preisen oder Finanzdaten von fremden Unternehmen sichergestellt sein, dass deren Vergleichbarkeit nicht durch die Anwendung unterschiedlicher Geschäftsstrategien beeinflusst ist. Weder aus der GAufzV noch aus den VWG 2020 ist zu entnehmen, welchem der beiden oben genannten Zwecke die Angabepflicht in § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. dd GAufzV dienen soll. In den OECD-Leitlinien wird der Bereich „Geschäftsstrategien“ unter der Überschrift „Vergleichbarkeitsprüfung“ behandelt.2 Gleichwohl wird auch darauf hingewiesen, dass z.B. mit Markterschließungsstrategien niedrigere Verrechnungspreise gegenüber Vertriebsunternehmen begründet werden können.3
8.94
Auswirkungen auf die Vergleichbarkeitsprüfung. Zunächst soll auf die Analyse der verfolgten Geschäftsstrategien bei der Vergleichbarkeitsprüfung eingegangen werden. Dazu kommt der Analyse der Geschäftsstrategien nach der hier vertretenen Auffassung allerdings nur in seltenen Fällen Bedeutung zu. Dies begründet sich damit, dass ein tatsächlicher Fremdvergleich unter Anwendung der Preisvergleichsmethode (hier könnten Geschäftsstrategien von Bedeutung sein) in der Praxis nur selten anzutreffen ist. Für Fälle eines hypothetischen Fremdvergleichs geht es bei der Vergleichbarkeitsprüfung häufig um die Beurteilung, ob die Tätigkeit von unabhängigen Unternehmen mit der Tätigkeit von Konzernunternehmen vergleichbar ist. Dann können aus den Finanzdaten des unabhängigen Unternehmens ggf. Anhaltspunkte für die Bemessung der Gewinnkomponenten bei Leistungen des Konzernunternehmens gewonnen werden (Rz. 8.146 ff.). Das zu beurteilende Konzernunternehmen wird in diesen Fällen aber häufig als funktionsausübende Einheit anzusehen sein. Funktionsausübende Einheiten sind regelmäßig kein Träger von Geschäftsstrategien; vielmehr trifft der Strategieträger die Entscheidung über die Verfolgung bestimmter Geschäftsstrategien. Das Ergebnis der funktionsausübenden Einheit wird durch die Verfolgung der Geschäftsstrategien nicht berührt, da die Verfolgung der Geschäftsstrategie durch den Strategieträger finanziert wird. Infolgedessen werden bei einem Vergleich der Tätigkeit einer funktionsausübenden Einheit im Konzern mit der Tätigkeit eines unabhängigen Unternehmens Geschäftsstrategien regelmäßig nicht von Bedeutung sein.
8.95
Direkte Auswirkungen auf die Verrechnungspreisermittlung. Anders verhält es sich im Hinblick auf direkte Auswirkungen von Geschäftsstrategien auf die angesetzten Verrechnungspreise (z.B. bei Lieferungen eines Produktionsmutterunternehmens an ein Vertriebstochterunternehmen bei Anwendung einer Markterschließungsstrategie). Liegen insoweit besondere Geschäftsstrategien wie die Strategie der Marktführerschaft vor, sollten diese erläutert werden. Nach der hier vertretenen Auffassung sind in diesen Fällen die Angaben zu den angewandten Geschäftsstrategien der Angemessenheitsdokumentation zuzuordnen. Insoweit wird auf Rz. 8.179 verwiesen.
1 Vgl. Tz. 1.134 ff. OECD-Leitlinien 2022. 2 Vgl. Tz. 1.134 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 1.137 OECD-Leitlinien 2022.
1092 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.99 Kap. 8
5. Bedeutsame Markt- und Wettbewerbsverhältnisse Umfang der Angaben. Schließlich werden in § 4 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. ee GAufzV Informationen zu den Markt- und Wettbewerbsverhältnissen als erforderliche Angaben für eine Verrechnungspreisdokumentation genannt, soweit diese für die Besteuerung von Bedeutung sind.1 Die Beschränkung auf „bedeutsame“ Markt- und Wettbewerbsverhältnisse impliziert, dass nicht zwangsläufig eine Darstellung erfolgen muss, sondern nur dann, wenn den Markt- und Wettbewerbsverhältnissen Bedeutung für die Verrechnungspreisbildung zukommt.2
8.96
Bedeutung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse für die Verrechnungspreisbildung. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn für die Verrechnungspreisbestimmung auf Geschäftsdaten von Vergleichsunternehmen zurückgegriffen wird oder werden soll.3 Hier besteht ohne Berücksichtigung der konkreten Markt- und Wettbewerbsverhältnisse die Gefahr, dass die funktionale Vergleichbarkeit mit dem oder den Vergleichsunternehmen in den Vordergrund tritt, ohne dass die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, z.B. in Form branchenmäßiger Besonderheiten, ausreichend Berücksichtigung finden. So lassen sich z.B. Vertriebsunternehmen in regulierten Märken (z.B. Pharmabereich) nicht mit Vertriebsunternehmen in freien Märkten (z.B. Kosmetik- und Körperpflegebereich) vergleichen. Ebenso verhält es sich hinsichtlich Vertriebsunternehmen im Automobilbereich, wenn ein Vertriebsunternehmen schwerpunktmäßig Sportwagen im gehobenen Preissegment verkauft, während das andere Vertriebsunternehmen mit Kleinwagen in einem umkämpften Markt handelt. Dies sind aber häufig Informationen, die ohne spezielle Aufzeichnungen offen liegen.
8.97
Keine Notwendigkeit dieser Angaben. Für an den Mindestanforderungen ausgerichtete Aufzeichnungen ist daher eine ausführliche Beschreibung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse i.d.R. nicht erforderlich.4 D.h., bei Fehlen dieser Informationen tritt keine Unverwertbarkeit ein. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn das Unternehmen Markt- und Wettbewerbsverhältnisse anführt, um damit Besonderheiten in der Verrechnungspreisfestsetzung (z.B. besonders niedrige oder besonders hohe Margen) zu begründen. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn für einen datenbankgestützten Margenvergleich Daten von branchenfremden Unternehmen herangezogen werden. Hier muss anhand einer Analyse des Marktumfelds und der Wettbewerbsverhältnisse die Vergleichbarkeit der Verhältnisse dargelegt werden (Rz. 8.166).
8.98
6. Wertschöpfungsanalyse Umfang der Angaben. Eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und des Wertschöpfungsbeitrags des Unternehmens im Rahmen der Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Unternehmen im Ausland ist Gegenstand von § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GAufzV. Unter dem Be1 2 3 4
Vgl. Tz. 1.138 OECD-Leitlinien 2022. Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 16. Vgl. Tz. 1.130 OECD-Leitlinien 2022. Eine detaillierte Ermittlung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse liefert in vielen Fällen keine zusätzlichen verrechnungspreisrelevanten Informationen. Vgl. Kaminski/Strunk, StBp. 2004, 31. Insoweit greift der generelle Vorbehalt in § 4 Abs. 1 Satz 1 GAufzV, dass nur solche Informationen aufzeichnungspflichtig sind, die Bedeutung für die Prüfung von Verrechnungspreisen (d.h. eine konkrete Auswirkung auf die Preisgestaltung) haben. Zu Fällen, in denen auch nach der hier vertretenen Auffassung eine Erläuterung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse relevant ist, vgl. nächsten Absatz im Text.
Cordes/Bärsch | 1093
8.99
Kap. 8 Rz. 8.99 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
griff „Wertschöpfung“ oder „Wertschöpfungsbeitrag“ versteht man nach der Definition der Finanzverwaltung aus den VWG VP 2021 den Ertrag aus wirtschaftlicher Tätigkeit als Differenz zwischen der Leistung einer Wirtschaftseinheit und der zur Leistungserstellung benötigten Vorleistungen.1 Eine Wertschöpfungskette beschreibt, welche Stufen der Leistungserbringung das Konzernunternehmen oder der Konzern z.B. bei der Herstellung eines Produkts (Forschung- und Entwicklung, Fertigung von Komponenten, Endmontage, Marketing, Vertrieb usw.) übernimmt. Nach der Gesetzesbegründung zur seinerzeitigen GAufzV können Angaben zur Wertschöpfungskette Hinweise darauf geben, ob inländische Konzernunternehmen angemessen an dem durch den Gesamtkonzern erwirtschafteten Gewinn beteiligt sind.2 Infolgedessen sollen Informationen zur Wertschöpfung in die Aufzeichnungen aufgenommen werden. Die Angabepflicht für diesbezügliche Informationen ist sachgerecht. Ergänzt wurde § 4 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b GAufzV bei der Überarbeitung in 2017 mit einem zweiten Halbsatz, der auf § 1 Abs. 3 Satz 4 GAufzV verweist. § 1 Abs. 3 Satz 4 GAufzV sieht vor, dass bei einer quantitativen Gewichtung von Funktionen, Risiken und eingesetzten Wirtschaftsgüter (wie z.B. oben unter Rz. 8.90 dargestellt) die Gewichtung widerspruchsfrei sein muss. Zudem soll das Unternehmen die ausgeübten Funktionen, das Ausmaß der tatsächlich übernommenen Risiken und die Höhe der eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgüter quantitativ nachvollziehbar darstellen. Diese Regelungen sollen nach der Begründung zur GAufzVÄnderung in 2017 auch für eine quantitative Wertschöpfungsanalyse gelten.3
8.100
Subjektive Einschätzungen. Angaben und Überlegungen zur Wertschöpfung sind jedoch häufig subjektive Einschätzungen eines Betrachters. Daher ist es ausreichend, im Rahmen der Wertschöpfungsanalyse solche Informationen zur Verfügung zu stellen, die geeignet sind, grobe Missverhältnisse zwischen Umfang und Bedeutung der durch ein Konzernunternehmen in einem Staat übernommene Tätigkeiten und der Gewinnbeteiligung dieses Konzernunternehmens am Gesamtgewinn des Konzerns deutlich zu machen. Dies steht auch in Einklang mit der Gesetzesbegründung, wo dargelegt wird, dass die Wertschöpfungsanalyse „Hinweise“ auf eine angemessene Beteiligung am Gesamtgewinn geben soll. Weitergehende Forderungen, z.B. mit Blick auf eine zwingende quantitative Darstellung sind abzulehnen, insbesondere da eine objektiv richtige Quantifizierung letztlich kaum möglich ist.4
8.101
Angaben der Funktions- und Risikoanalyse. Aus einer ausführlichen Funktions- und Risikoanalyse, welche die unter Rz. 8.78 ff. aufgeführten Informationen enthält, wird bereits zu erkennen sein, welche Funktionen im Leistungserstellungsprozess des Konzerns ausgeübt werden und welche Konzernunternehmen diese Tätigkeiten übernehmen. Ebenso ergeben sich
1 Vgl. VWG VP 2021, Anlage 2. Hingegen wird der Begriff „Wertschöpfung“ in der Betriebswirtschaftslehre anders definiert. Hierunter wird die Differenz zwischen dem Wert eines hergestellten Produkts bzw. einer erbrachten Leistung und der dafür aufgewendeten Produktionsfaktoren (Betriebsmittel, Werkstoffe, Arbeit) verstanden. Der Unterschied liegt in der Einbeziehung der neben dem Einkauf von Vorleistungen entstandenen Kosten des Unternehmens, z.B. der Personalkosten oder des Wertverzehrs des eingesetzten Anlagevermögens. Diesem Unterschied kommt im Hinblick auf die Verwendung von Wertschöpfungsanalysen für die Aufzeichnungen zu Verrechnungspreisen allerdings keine entscheidende Bedeutung zu. 2 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 12. 3 Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 16. 4 Zutreffend Dawid/Ruhmer-Krell/Steinhoff/Sommer, ISR 2017, 316.
1094 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.104 Kap. 8
aus der Beschreibung der übernommenen Funktionen und Risiken Anhaltspunkte für den Wertschöpfungsbeitrag der einzelnen Konzernunternehmen an den Ausgangsleistungen des Konzerns.1 Anhand dieser Informationen wird für den Adressaten der Aufzeichnungen bereits erkennbar, ob grobe Missverhältnisse zwischen den von den Konzernunternehmen übernommenen Tätigkeiten und der Gewinnallokation im Konzern bestehen. Bei einer ausführlichen Funktions- und Risikoanalyse ist daher i.d.R. eine detaillierte Wertschöpfungsanalyse entbehrlich.2 Auswirkungen des Fehlens von Angaben. Das Fehlen einer Wertschöpfungsanalyse führt daher nicht zu unverwertbaren Aufzeichnungen i.S.v. § 162 Abs. 3 AO, wenn die Funktionen und Risiken entsprechend den Anforderungen dargestellt werden. Bei mangelnden Angaben zur Funktions- und Risikoanalyse und gleichzeitig fehlender Wertschöpfungsanalyse wird sich hingegen eine Sanktion bereits aus dem Fehlen der Informationen zu den Funktionen und Risiken ergeben, da es sich insofern um zwingend erforderliche Angaben handelt (Rz. 8.87).
8.102
Neben ihrer oben beschriebenen Funktion im Rahmen der Sachverhaltsdokumentation kann eine Wertschöpfungsanalyse auch eingesetzt werden, um im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation Gewinnaufteilungen, Gewinnaufschläge oder Margen zu begründen.3 Hierauf wird im Einzelnen unter Rz. 8.160 eingegangen.
7. Zwischenergebnis Nicht zwingend erforderliche Angaben. Von der zur materiellen Verrechnungspreisbestimmung erforderlichen Funktions- und Risikoanalyse sind die Angaben über vereinbarte Vertragsbedingungen, über gewählte Geschäftsstrategien, über bedeutsame Markt- und Wettbewerbsverhältnisse sowie zu Wertschöpfungsbeiträgen und zur Wertschöpfungskette abzugrenzen. Diese Angaben sind nicht zwingend erforderlich für die Verrechnungspreisbestimmung. Ihr Fehlen führt daher nicht zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen. Ausnahmen gelten aber, wenn die Verrechnungspreisermittlung des Unternehmens z.B. auf besonderen Markt- oder Wettbewerbsverhältnissen oder auf einer Aufteilung des Konzerngewinns nach Wertschöpfungsbeiträgen beruht.
8.103
V. Darstellungen der konkreten Verrechnungspreisermittlung (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 4 Abs. 1 Nr. 4 GAufzV Angaben zur konkreten Verrechnungspreisermittlung. Zur konkreten Verrechnungspreisermittlung sind nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 GAufzV verschiedene Angaben zu machen. Sie werden sich im Regelfall auf zulässigerweise zusammengefasste Gruppen von Geschäftsvorfällen bzw. Geschäftsvorfälle mit Produkten bestimmter Produktgruppen beziehen (Rz. 8.48 ff.). Im Einzelfall ist auch eine Darstellung für einen einzelnen Geschäftsvorfall denkbar, insbesondere dann, wenn es sich um außergewöhnliche Geschäftsvorfälle, einmalige Veräußerungen oder Ähnliches handelt.
1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.7. 2 Vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 178; Ruiner, DStR 2012, 1528. 3 Vgl. VWG 2020, Rz. 50.
Cordes/Bärsch | 1095
8.104
Kap. 8 Rz. 8.105 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
8.105
Angaben nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GAufzV. Anzugeben ist zunächst der Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung. Dies ist auch Gegenstand von § 90 Abs. 3 Satz 2 AO in der Fassung der 2016 verabschiedeten Änderung der Vorschrift.1 Die Angabe des Zeitpunkts ist in aller Regel unproblematisch. Zu erwähnen ist nach hier vertretener Auffassung insoweit z.B. der Abschluss des gruppeninternen Vertrags oder der gruppeninternen Richtlinie, die die Preisfestsetzung für die entsprechenden Geschäftsvorfälle bzw. die entsprechenden Produkte/ Leistungen regelt. Ferner sollte – z.B. bei Anwendung der Cost-Plus-Methode – aufgezeichnet werden, wann auf dieser Basis der konkrete Verrechnungspreis festgelegt, d.h. z.B. im System eingegeben wurde. Idealerweise stehen dann für diesen Zeitpunkt auch entsprechende Kalkulationsunterlagen zur Verfügung, die die Herleitung des konkreten Verrechnungspreises erläutern. Auf Basis der Begründung der GAufzV-Änderungen 2017, in deren Rahmen die Angabe des Zeitpunkts der Verrechnungspreisfestlegung erstmalig aufgenommen wurde, sollten diese Angaben ausreichen. Für den Verordnungsgeber schien es im Wesentlichen darum zu gehen, Sachverhalte zu identifizieren, in denen Verrechnungspreise erst nach Realisierung des Geschäftsvorfalls ermittelt/festgelegt wurden.2 Im Schrifttum wird zu § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GAufzV diskutiert, ob damit eine Festlegung erfolgt, d.h. entweder dem sogenannten ex ante- oder price setting-Ansatz (Festlegung des Verrechnungspreises im Vorhinein) oder dem sog ex post- oder outcome testing-Ansatz („Ist-Abrechnung“) zu folgen ist. Insofern ist mit der h.M. im Schrifttum festzuhalten, dass nach wie vor beide Vorgehensweisen gleichermaßen akzeptabel sind und § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GAufzV keine Präferenzierung beinhaltet.3
8.106
Angaben nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b GAufzV. Die Regelung wurde im Rahmen der Revision der GAufzV in 2017 neu aufgenommen.4 Aufzuzeichnen sind danach die im Zeitpunkt der Festlegung des Verrechnungspreises verfügbaren und zur Preisbestimmung verwendeten Informationen, soweit diese für die Besteuerung von Bedeutung sind. Dies kann beispielsweise ein Börsen- oder Marktpreis sein, wenn die Preisvergleichsmethode für die Bestimmung des Verrechnungspreises angewendet wurde. Ggf. können dann sogar tagesaktuelle Daten bereitgestellt werden. Im „Standardfall“ der Anwendung eines hypothetischen Fremdvergleichs oder eines indirekten Preisvergleichs sind tagesaktuelle Daten in der Regel unrealistisch. Insoweit kann sich die nach der GAufzV vorzunehmende Aufzeichnung nur auf den letzten Stand der bei Preisbildung vorhandenen Daten beziehen, auch wenn dies z.B. aggregierte Jahresdaten oder Ähnliches sind.5 Im Übrigen besteht nach hier vertretener Auffassung eine Überschneidung mit § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e. Auch für Zwecke von § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e ist natürlich die Aufzeichnung von Informationen, die zur Preisfestlegung verwendet wurden, hilfreich bzw. geboten. § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b spricht von im Zeitpunkt der Festlegung des Verrechnungspreises verfügbaren und zur Preisbestimmung verwendeten Informationen. Nach hier vertretener Auffassung ist dies kumulativ zu verstehen, d.h. aufzuzeichnen sind die verfügbaren und verwendeten Daten, d.h. Daten die nicht verwendet wurden, sind auch nicht aufzuzeichnen. Ansonsten hätte es in der Verordnung „oder“ lauten müssen. 1 BGBl. I 2016, 3000. 2 Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 16. Kritisch dazu Dawid/Ruhmer-Krell/Steinhoff/Sommer, ISR 2017, 317. 3 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen, IStR 2016, 792; Dawid/Ruhmer-Krell/Steinhoff/Sommer, ISR 2017, 319 f.; Schreiber/Greil, DB 2017, 12 f. 4 Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 17. 5 Zur Zulässigkeit von Mehrjahresbetrachtungen vgl. auch BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 17.
1096 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.109 Kap. 8
Angaben nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c GAufzV. Zur Verrechnungspreisermittlung ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c GAufzV die angewendete Methode anzugeben. Dies ist unproblematisch. In der Regel wird eine der in Kap. 5 erläuterten klassischen Methoden zur Anwendung kommen. Die Begründung der angewandten Verrechnungspreismethode (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d GAufzV) ist Bestandteil der Angemessenheitsdokumentation. Auf die dortigen Erläuterungen (Rz. 8.137) wird verwiesen.
8.107
Angaben nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e GAufzV. Die nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e GAufzV zu erstellenden Unterlagen zu den Berechnungen bei Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode zählen dagegen zum Bereich der Sachverhaltsdokumentation. Sie dienen der Erkenntnis, wie der Verrechnungspreis konkret ermittelt wurde und welche Daten bzw. Zahlen zugrunde gelegt wurden. Die anzugebenden Daten variieren dabei nach der angewandten Verrechnungspreismethode.1 Aufzeichnungen für mehr als eine geeignete Verrechnungspreismethode sind nicht erforderlich.2 Die Angabepflicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e GAufzV schließt nach hier vertretener Auffassung ferner die Vorlage der den Leistungsbeziehungen zwischen den Konzernunternehmen zugrunde liegenden Verträge oder Vereinbarungen ein (vgl. Rz. 8.71).3 In diesen Dokumenten werden i.d.R. Einzelheiten zur Bestimmung des Verrechnungspreises enthalten sein. Sind keine schriftlichen Verträge vorhanden, so begründet dies keinen Dokumentationsmangel. Zwar sind aus Gründen der Klarheit und Nachvollziehbarkeit schriftliche Verträge bzw. Vereinbarungen grds. zu empfehlen. Zwingend erforderlich sind schriftliche Verträge bzw. Vereinbarungen indes nicht, wenn der angesetzte Preis angemessen ist.4
8.108
Angaben nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. f. Die Regelung wurde im Rahmen der Revision der GAufzV in 2017 neu aufgenommen.5 Aufzulisten und zu beschreiben sind danach interne oder externe Geschäftsvorfälle, die zur Verrechnungspreisbildung verwendet wurden. Hintergrund ist offenbar die Prüfung der Vergleichbarkeit für interne oder externe Geschäftsvorfälle, die zur Verrechnungspreisbildung herangezogen wurden.6 Hier dürfte die Finanzverwaltung als Verordnungsgeber eine Lücke befürchtet haben. Insoweit ist aber davon auszugehen, dass das Unternehmen unabhängig von der Ergänzung in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. f. GAufzV und der damit begründeten Aufzeichnungspflicht solche Information bereits vor Inkrafttreten der Regelung aufgezeichnet und vorgelegt hätten, um die einige Preisbildung argumentativ zu stützen. Konkret scheint die Regelung von der „Sorge“ getragen, dass nach dem bisherigen Text der GAufzV solche Daten ggf. nicht aufzeichnungspflichtig gewesen sein könnten. Klarstellend ist zu der Ergänzung festzuhalten, dass sich die damit begründete Aufzeichnungspflicht jedenfalls nur auf solche Geschäftsvorfälle erstrecken kann, die tatsächlich für die Verrechnungspreisbildung berücksichtigt wurden. Darüber hinaus begründet § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. f. keine Aufzeichnungspflicht, insbesondere eben nicht für Geschäftsvorfälle, die ggf. für einen Vergleich geeignet wären bisher aber nicht herangezogen wurden.
8.109
1 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 GAufzV. 2 Vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV. 3 Hiervon abzugrenzen ist die Verpflichtung nach § 4 Nr. 2 Buchst. b GAufzV, eine Übersicht über die Verträge mit anderen Konzernunternehmen zu erstellen. Diese Verpflichtung erstreckt sich nur auf die Auflistung der Verträge, nicht aber auf deren Vorlage bzw. die Angabe deren Inhalts. 4 Vgl. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161, rkr.; Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 33. 5 Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 17. 6 Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 17.
Cordes/Bärsch | 1097
Kap. 8 Rz. 8.110 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
2. Erforderliche Sachverhaltsinformationen bei Anwendung einzelner Verrechnungspreismethoden a) Preisvergleichsmethode
8.110
Angaben bei Anwendung der Preisvergleichsmethode. Wird die Preisvergleichsmethode (vgl. Rz. 5.5 ff.) zur Verrechnungspreisermittlung angewendet, müssen die Aufzeichnungen die entsprechenden Vergleichsdaten sowie Angaben zu ggf. durchgeführten Überleitungsrechnungen (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b, e und f GAufzV) beinhalten.
8.111
Innerer Preisvergleich. Wird ein innerer Preisvergleich durchgeführt, sind alle Daten über Geschäfte mit den Produkten der relevanten Produktgruppe zwischen Konzernunternehmen und fremden Unternehmen aufzuzeichnen. Hierzu ist dann darzustellen, wie aus den Vergleichsdaten der für die Leistungen zwischen Konzernunternehmen angesetzte Verrechnungspreis ermittelt wurde (z.B. durch eine Bandbreitenbetrachtung oder durch Auswahl eines Wertes, bei dem die höchste Wahrscheinlichkeit für eine Richtigkeit vermutet wird). Ferner sind die Rechenschritte bei Überleitungsrechnungen zu erläutern, z.B. wenn Funktionen und Risiken bei den Geschäften mit fremden Dritten gegenüber den Geschäften zwischen den Konzernunternehmen abweichen.1
8.112
Äußerer Preisvergleich. Bei einem äußeren Preisvergleich sind die verfügbaren Informationen zu Geschäften zwischen fremden Dritten mit einem entsprechenden Produkt aufzuzeichnen. Ferner ist anzugeben, aus welcher Quelle die Information stammt, um eine Verifizierung zu ermöglichen. Am einfachsten lässt sich ein äußerer Preisvergleich durchführen, wenn Börsen- oder Marktpreise für ein Produkt (insbesondere für Rohstoffe) vorhanden sind. In diesem Fall sind außer der Aufzeichnung des Börsen- oder Marktpreises keine weiteren Informationen erforderlich. Auch bei einem äußeren Preisvergleich kann sich allerdings die Notwendigkeit für Überleitungsrechnungen ergeben, wenn Zusatzleistungen erbracht oder Risiken abweichend verteilt werden (s.o.).
Weitergehende Begründungen, warum eine Vergleichbarkeit der Geschäfte gegeben ist und warum die Zu- oder Abschläge bei eventuellen Überleitungsrechnungen in der gewählten Höhe angesetzt wurden, sind als Gegenstand der Angemessenheitsdokumentation (Rz. 8.139 ff.) anzusehen. b) Wiederverkaufspreismethode
8.113
Angaben bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode. Wird zur Bestimmung des Verrechnungspreises die Wiederverkaufspreismethode (vgl. Rz. 5.15 ff.) angewendet, sind insbesondere Angaben zu den gegenüber fremden Abnehmern erzielten Preisen erforderlich.2 Diese werden sich i.d.R. bereits aus den in der Buchhaltung aufzubewahrenden Ausgangsrechnungen ergeben (vgl. hierzu auch Rz. 8.3 ff.),3 so dass die Daten nicht zusätzlich aufgezeichnet werden müssen. Durch Abzug der nach der (Vertriebs-)Vereinbarung zwischen den Konzernunternehmen anzusetzenden Marge lässt sich so abgleichen, ob der Verrechnungspreis entsprechend der (Vertriebs-)Vereinbarung ermittelt wurde. Ferner sind Angaben zu den Vertriebs- und sonstigen Kosten der Vertriebseinheit (oder einer anderen Einheit, bei der die Wiederverkaufspreismethode angewendet wird) erforderlich, damit ermittelt werden kann, welchen Gewinn die Vertriebsgesellschaft aus dem Vertrieb der 1 Vgl. auch § 4 Nr. 4 Buchst. e GAufzV. 2 Vgl. IDW, Beiheft zu FN-IDW 4/2006, B10. 3 Vgl. zu Aufbewahrungspflichten für inländische Gesellschaften § 144 AO.
1098 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.114 Kap. 8
einzelnen Produkte erzielt. Dies muss sich aber nicht zwangsläufig auf einzelne Produkte beziehen, sondern ist hier auch bezogen auf Produktgruppen oder andere im Rahmen der Palettenbetrachtung oder der Zusammenfassungsregeln nach § 2 Abs. 3 GAufzV gebildete Gruppen möglich. Soweit die Aufzeichnungen für ein inländisches Unternehmen zu erstellen sind, das Lieferungen an eine ausländische verbundene Vertriebsgesellschaft tätigt (das inländische Unternehmen wird dabei meist als Strategieträger zu qualifizieren sein), wird es häufig sinnvoll sein, zusätzlich für das inländische Unternehmen die Deckungsbeiträge aus den Lieferungen an die Vertriebsgesellschaft zu ermitteln und aufzuzeichnen. So lässt sich ggf. zeigen, dass auch das inländische Unternehmen ein ausreichend positives Ergebnis aus den Lieferbeziehungen erzielt. Verpflichtend ist dies jedoch nicht, da die Angemessenheit der Vergütungen ausgehend von der (ausländischen) Vertriebseinheit als funktionsausübendem oder funktionsleitendem Unternehmen vorzunehmen ist (Rz. 8.117). c) Kostenaufschlagsmethode Angaben bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode. Bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode (Rz. 5.39 ff.) ist es vor allem erforderlich, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde liegenden Daten zu ermitteln. Hier müssen aus der betrieblichen Kostenrechnung für die einzelnen Produkte oder Leistungen die Kosten entnommen werden, die nach der vertraglich zwischen den Konzernunternehmen vereinbarten Kalkulationsmethode in die Berechnung des Entgelts eingehen.1 Bei einer Auftragsproduktion werden dies i.d.R. Materialeinzel- und Materialgemeinkosten, Fertigungseinzel- und Fertigungsgemeinkosten sowie Verwaltungsgemeinkosten sein. Die Kostenpositionen können auch kalkulatorische Kosten beinhalten, wenn dies nach dem vereinbarten Kalkulationsschema vorgesehen ist.2 Zu beachten ist auch, ob die vertragliche Vereinbarung auf Plan- oder Ist-Kosten abstellt. Bei vereinbarten Plankosten3 müssen diese sowie – zum Abgleich – die nachher tatsächlich angefallenen Ist-Kosten aufgezeichnet werden.4 Bei vereinbarten Ist-Kosten ist die Aufzeichnung der IstKosten ausreichend. Diese Kosten sind – heruntergebrochen auf eine oder eine bestimmte Anzahl von Einheit(en) eines Produkts – darzustellen, so dass erkennbar ist, ob die Summe dieser Kosten zzgl. des angesetzten Gewinnaufschlags dem tatsächlich verrechneten Preis entspricht. Ergänzt werden können die Angaben um – die monatlichen oder jährlichen Abrechnungen des Lohnfertigungsunternehmens, aus denen sich die Menge der gelieferten Artikel und der Verrechnungspreis entnehmen lässt, sowie um – Kostenstellenrechnungen sowie – zu Verprobungszwecken – detaillierte Gewinn- und Verlustrechnungen des Lohnfertigers für jedes Jahr, sofern daraus die Erträge aus der Lohnfertigungsfunktion daraus ersichtlich sind (ggf. Bedarf für eine Spartenrechnung). 1 Vgl. IDW, Beiheft zu FN-IDW 4/2006, B10. 2 Vgl. Baumhoff/Greinert, IStR 2006, 791. 3 Die Vereinbarung von Plankosten ist i.d.R. vorzuziehen, da sowohl Unwirtschaftlichkeiten als auch Kostenvorteile zu Lasten bzw. zu Gunsten des Unternehmens gehen, welches für die Abweichung verantwortlich ist, vgl. Baumhoff/Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 4.258. 4 Vgl. VWG 2020, Rz. 41, Tz. 50.
Cordes/Bärsch | 1099
8.114
Kap. 8 Rz. 8.115 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
d) Geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode
8.115
Angaben bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode. Für die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode (TNMM, vgl. Rz. 5.92 ff.) gelten die Ausführungen in den vorstehenden Abschnitten weitgehend entsprechend. Dies ist auf die methodische Nähe der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode zur Kostenaufschlags- bzw. Wiederverkaufspreismethode zurückzuführen. Erforderlich sind insbesondere die Angabe der in die Verrechnungspreisermittlung einzubeziehenden Kostenkategorien sowie die Höhe der insoweit angefallenen Kosten (Rz. 5.106). Daneben ist die Höhe der angesetzten Umsatzrendite anzugeben.
3. Erforderliche Sachverhaltsinformationen in Abhängigkeit von der Funktion des Unternehmens 8.116
Funktionsabhängigkeit der erforderlichen Sachverhaltsinformationen. Neben der Abhängigkeit der für die Verrechnungspreisanalyse anzugebenden Daten von der angewandten Methode besteht auch eine Abhängigkeit zu der von der Einheit ausgeübten Funktion (Strategieträger, Funktionsleitung, Funktionsausübung):
8.117
Strategieträger. Übt ein Konzernunternehmen Funktionen eines Strategieträgers (Rz. 4.62) aus, so wird bei ihm der Residualgewinn aus dem Geschäft anfallen. Allein aus der Perspektive des Strategieträgers und anhand seiner Daten kann die Angemessenheit der Verrechnungspreise für die von ihm bei anderen Konzernunternehmen bezogenen Eingangsleistungen (z.B. Auftragsfertigung, Vertriebsdienstleistung als Kommissionär) oder für seine Ausgangsleistungen an andere Konzernunternehmen (z.B. Warenlieferung an eine als Eigenhändler auftretende Vertriebsgesellschaft) jedoch im Regelfall nicht bestimmt und/oder aufgezeichnet werden. Die Daten aus der Sphäre des Strategieträgers lassen eine Anwendung der Kostenaufschlags-, der Wiederverkaufspreis oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode nicht zu. Hierzu muss auf die Daten (insbesondere die Kosten) der funktionsleitenden oder funktionsausübenden Einheiten zurückgegriffen werden. Etwas anderes gilt nur, wenn der Verrechnungspreis über einen tatsächlichen Fremdvergleich unter Anwendung der Preisvergleichsmethode ermittelt wird und der Strategieträger Zugang zu diesen Daten hat. Für ein Konzernunternehmen mit Strategieträgereigenschaft bedeutet dies, dass es die Daten der funktionsleitend oder funktionsausübend tätigen Einheiten vorhalten und dem Finanzamt auf Anforderung zur Verfügung stellen muss, wenn diese Einheiten Leistungen für den Strategieträger erbringen bzw. seine Produkte abnehmen und vertreiben.1 Anders kann keine Überprüfung der Angemessenheit der Verrechnungspreise und damit auch des Residualgewinns als Folgegröße erfolgen.2 Das Konzernunternehmen mit Strategieträgereigenschaft muss daher mit den funktionsausübenden Einheiten vertraglich vereinbaren, dass die funktionsausübenden Einheiten die entsprechenden Daten zur Verfügung stellen.3 1 Vgl. insoweit auch die Ausführungen zur Beweisvorsorgepflicht bei Anwendung von § 90 Abs. 2 AO in BMF v. 3.12.2020 – IV B 5 - S 1341/19/10018:001 – VWG 2020, BStBl. I 2020, 1325, Tz. 11 ff. 2 Nach hier vertretener Auffassung immer noch zutreffend, wenngleich inzwischen aufgehoben: BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. b (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). Dort wird ausgeführt, dass sich die Angemessenheit des Ergebnisses eines Strategieträgers (Entrepreneur) nicht durch einen Gewinnvergleich beurteilen lässt; vielmehr ist das Ergebnis eine Residualgröße nach Abzug der Vergütungen für (Eingangs-)Leistungen nahestehender Unternehmen. Mit anderen Worten: Die (Eingangs-)Leistungen müssen auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden. 3 Vgl. VWG 2020, Rz. 11 f., 14.
1100 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.121 Kap. 8
Funktionsausübend tätige Einheit. Für die Aufzeichnungen einer funktionsausübend tätigen Einheit (Rz. 4.67) sind dementsprechend nur Daten aus ihrer eigenen Sphäre relevant. Auf Daten der anderen in den Leistungsprozess des Konzerns einbezogenen Konzernunternehmen, insbesondere des Strategieträgers, braucht nicht zurückgegriffen zu werden.
8.118
Funktionsleitend tätige Einheit. Bei einer funktionsleitend tätigen Einheit, die nicht zugleich auch Strategieträger ist, ist zu differenzieren. Bezieht sie Eingangsleistungen anderer funktionsausübender Einheiten, so muss sie – wie oben für den Strategieträger beschrieben – die Daten der funktionsausübenden Einheit in ihre Aufzeichnungen einbeziehen und diese Daten bei Bedarf zur Verfügung stellen können. Andernfalls, d.h. bei keinem Bezug von Eingangsleistungen durch funktionsausübende Einheiten, reichen – wie bei einer funktionsausübenden Einheit – die eigenen Daten für die Aufzeichnungen zur Verrechnungspreisanalyse aus.
8.119
VI. Sachverhaltsdokumentation in speziellen Fällen (§ 4 Abs. 2 GAufzV) 1. Regelungsinhalt von § 4 Abs. 2 GAufzV Fallgruppen. Zusätzlich zu den allgemein erforderlichen Aufzeichnungen nach § 4 Abs. 1 GAufzV sind bei besonderen Umständen für die Verrechnungspreisbestimmung hierüber nach § 4 Abs. 2 GAufzV ergänzende Aufzeichnungen anzufertigen. Zu den in der GAufzV aufgeführten „Katalogfällen“,1 in denen „besondere“ Umstände vorliegen, werden jeweils Unterlagen benannt, die zur Erläuterung der Verrechnungspreisbestimmung bzw. zur Angemessenheitsprüfung (vgl. Rz. 8.175)2 durch die Finanzverwaltung dienen können.3 Bei den angeführten Unterlagen handelt es sich um keine abschließende Aufzählung. Jedoch kann erwartet werden, dass die Finanzverwaltung keine wesentlich höheren Anforderungen in diesen Fällen stellt.4
8.120
2. Umlagevereinbarungen Aufzeichnungen zu Umlagevereinbarungen. Ein Fall, für den § 4 Abs. 2 Nr. 2 GAufzV ergänzende Aufzeichnungen vorsieht, sind sog. Umlagevereinbarungen. Zum Gegenstand von Umlagevereinbarungen und zu den entsprechenden Rechtsquellen vgl. Rz. 6.336 ff. Eine Umlagevereinbarung i.S. dieser Regelungen liegt vor, wenn sich mehrere Unternehmen über einen längeren Zeitraum zusammenschließen, um im gemeinsamen Interesse Leistungen zu erbringen oder zu erhalten.5 Typischer Fall ist z.B. eine Vereinbarung mehrerer (Konzern-)Unternehmen zur gemeinsamen Einrichtung und Nutzung eines EDV-Systems. Grundsätze zu Aufzeichnung von Informationen zu Umlageverträgen finden sich in Tz. 8.41 f. der OECD-Leitlinien. § 5 Satz 2 Nr. 2 GAufzV wurde dem nachgebildet und führt als erforderliche Angaben und Unterlagen z.B. die Umlageverträge, Unterlagen über die Anwendung des Aufteilungsschlüssels, Informationen zum erwarteten Nutzen für alle Poolmitglieder usw. auf. 1 Die in der Liste aufgeführten Fälle werden zum Teil auch in den Tz. 1.130 ff. und 1.134 ff. OECDLeitlinien 2022 erwähnt. 2 Zu einzelnen Punkten, die der Angemessenheitsdokumentation zuzuordnen sind (z.B. Änderung von Geschäftsstrategien, besondere Umstände für die Verrechnungspreisbegründung, Verlustsituation). 3 Vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 245 f. 4 Hierfür spricht, dass in den VWG 2020 keine zusätzlich erforderlichen Dokumente aufgeführt werden. 5 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.81 ff.; Tz. 8.3 OECD-Leitlinien 2022.
Cordes/Bärsch | 1101
8.121
Kap. 8 Rz. 8.121 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
Damit die Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO Anwendung finden, ist zunächst Voraussetzung, dass die Umlagevereinbarung als Geschäftsbeziehung qualifiziert werden kann. Diese Voraussetzung ist erfüllt, da es sich bei Umlageverträgen um schuldrechtliche Vereinbarungen handelt. In § 1 Abs. 1 Satz 3 GAufzV wird darüber hinaus klargestellt, dass die Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO auch für Geschäftsbeziehungen gilt, denen kein Leistungsaustausch zugrunde liegt. Umlagevereinbarungen werden als entsprechendes Beispiel hierfür angeführt. Wenngleich sich Umlagevereinbarungen von „normalen“ Leistungsverrechnungen unterscheiden, sind gewisse Aufzeichnungspflichten auch hier gerechtfertigt. Der Finanzverwaltung müssen die Sachverhaltsinformationen zur Verfügung gestellt werden, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob bei einer Umlagevereinbarung in einer Unternehmensgruppe die Kostenzuweisung an das inländische Unternehmen angemessen ist und inländische Unternehmen nicht zugunsten anderer Gruppenunternehmen unangemessen belastet werden. Fehlen hierzu die grundlegenden Informationen (Art und Umfang der bezogenen Leistungen, Aufteilungsschlüssel und hierfür relevante Faktoren)1, liegen bezogen auf die „Geschäftsbeziehung“ Umlage keine verwertbaren Aufzeichnungen vor.
3. Verrechnungspreiszusagen oder -vereinbarungen mit ausländischen Steuerbehörden 8.122
Aufzeichnungen zu Verrechnungspreiszusagen und -vereinbarungen. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 GAufzV sind auch Unterlagen zu Verrechnungspreiszusagen oder -vereinbarungen mit ausländischen Steuerbehörden sowie zu beantragten Verständigungs- oder Schiedsverfahren (nachfolgend zusammenfassend: „Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Steuerbehörden“) in die Aufzeichnungen zu den Verrechnungspreisen aufzunehmen. Insbesondere Informationen zu einseitigen Verrechnungspreiszusagen oder -vereinbarungen von bzw. mit ausländischen Steuerbehörden sind für die deutsche Finanzverwaltung von Interesse.2 Die Finanzverwaltung beabsichtigt insoweit zu prüfen, ob sich die entsprechenden Vereinbarungen auf die Verrechnungspreise für die betroffenen Geschäftsbeziehungen ausgewirkt haben und ob dies zum Nachteil des deutschen Fiskus geschah.3
Gleichwohl muss gefragt werden, inwieweit die Vorlagepflicht in § 4 Abs. 2 Nr. 3 GAufzV für die Unterlagen zu Verrechnungspreiszusagen u. Ä. berechtigt und durch den Ermächtigungsrahmen in § 90 Abs. 3 AO gedeckt ist. Es handelt sich insoweit – anders als bei den typischen Sachverhaltsinformationen, wie z.B. übernommene Funktionen und Risiken, eingesetzte Wirtschaftsgüter – nicht um Informationen, die für die Bestimmung eines angemessenen Verrechnungspreises erforderlich sind. Vielmehr kann es aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung hier nur darum gehen, ein Motiv aufzuspüren, auf Grund dessen der Steuerpflichtige seine Verrechnungspreise möglicherweise unangemessen (und zwar zu Lasten des deutschen Fiskus) festgelegt haben könnte. Für den Fall, dass Vereinbarungen mit ausländischen Finanzverwaltungen den Preis beeinflusst haben, sind nach Schreiber die entsprechenden Auswirkungen auf den Preis aufzuzeichnen.4 Er zählt dies zu den rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen
1 Vgl. Böcker, StBp. 2008, 11. 2 Vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 247. 3 Vgl. Kroppen/Rasch, IWB 2005, F. 3, Deutschland, Gr. 1, 2102. 4 Vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 247. Ähnlich Frotscher in FS Wassermeyer, 402.
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C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.123 Kap. 8
für die Preisbildung. Dem steht allerdings entgegen, dass nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AO nur die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Preisvereinbarung aufzuzeichnen sind. Hierzu sind aber – wie oben dargelegt – Informationen zu Vereinbarungen mit ausländischen Finanzverwaltungen grds. nicht geeignet. Festzuhalten ist daher, dass die Vorlagepflicht in § 4 Abs 2 Nr. 3 GAufzV für die Unterlagen zu Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Steuerbehörden nicht durch den Ermächtigungsrahmen in § 90 Abs. 3 AO gedeckt ist. Infolgedessen führt das isolierte Fehlen von Informationen zu Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Finanzbehörden nicht zu einer im Wesentlichen unverwertbaren Dokumentation. Wenn Verrechnungspreise allerdings allein auf eine Vorgabe einer ausländischen Finanzverwaltung zurückgehen, muss dies bei den Angaben zu der konkreten Verrechnungspreisermittlung nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 GAufzV erläutert werden. Um Konflikte mit der deutschen Finanzverwaltung im Hinblick auf die Vorlagepflicht zu vermeiden, ist es jedoch ratsam, bei Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Finanzbehörden auch in anderen Fällen entsprechende Angaben im Rahmen der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO zu machen.
4. Aufzeichnungen über Preisanpassungen Aufzeichnungen über Preisanpassungen. Als ergänzende Aufzeichnungen, die zum Bereich der Sachverhaltsdokumentation gezählt werden können, sieht § 4 Abs. 2 Nr. 4 GAufzV ferner Angaben zu Preisanpassungen beim Steuerpflichtigen an. Die Aufzeichnungen sollen nach der Formulierung in der GAufzV auch dann erforderlich sein, wenn sie auf Verrechnungspreiskorrekturen oder Vorwegauskünfte ausländischer Finanzverwaltungen zurückgehen. Insoweit besteht eine Verbindung zu der im vorstehenden Abschnitt erläuterten Aufzeichnungspflicht in Zusammenhang mit Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Finanzbehörden. Der Anwendungsbereich von § 4 Abs. 2 Nr. 4 GAufzV ist indes unklar. Wenn sich der Verrechnungspreis für ein Produkt oder eine Leistung ändert, so geht dies entweder bereits aus der „normalen“ Sachverhaltsdokumentation (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 GAufzV) hervor oder lässt sich aus der Buchhaltung und den entsprechenden Rechnungen nachvollziehen. Die Auflistung jährlich üblicher und im Vorhinein vereinbarter Preisanpassungen (z.B. bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode durch gestiegene Eingangskosten) kann daher nicht beabsichtigt sein. Auch wenn eine Preisanpassung für die Zukunft auf Verrechnungspreiskorrekturen oder Vorwegauskünfte ausländischer Finanzbehörden zurückgeht, besteht aus den vorgenannten Gründen kein Bedarf für zusätzliche Angaben. Von § 4 Abs. 2 Nr. 4 GAufzV werden daher nur nachträgliche Preisanpassungen erfasst.1 Diese Einschränkung erscheint vor dem Hintergrund der obigen Überlegung (keine Aufzeichnungspflicht für „normale“ Preisanpassungen) konsequent. Allerdings ist auch hier nicht hinreichend klar, was mit nachträglichen Preisanpassungen gemeint ist. Dies kann einerseits eine Preisanpassung sein, mit der Preise rückwirkend für die Vergangenheit korrigiert werden sollen. Andererseits könnte man darunter auch die Änderung einer bestehenden Preisvereinbarung mit Wirkung ausschließlich für die Zukunft verstehen. Diese Auslegung macht vor dem Hintergrund der Überlegungen im vorstehenden Absatz allerdings kaum Sinn. Infolgedessen werden im Folgenden unter nachträglichen Preisanpassungen lediglich Preisanpassungen mit Rückwirkung für die Vergangenheit verstanden. 1 Vgl. auch die nach den VWG 2020, Rz. 91g zunächst noch fortgeltende, aber inzwischen aufgehobene Regelung in BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.12.8 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021).
Cordes/Bärsch | 1103
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Kap. 8 Rz. 8.123 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
Zu den nachträglichen Preisanpassungen soll jeweils der Grund angegeben werden, wofür in den inzwischen aufgehobenen VWG-Verfahren Verrechnungspreiskorrekturen ausländischer Staaten als Beispiel angeführt wurden.1 Dieses Beispiel trifft in seiner Allgemeinheit nicht zu. So kann eine Gegenberichtigung als Reaktion auf eine Verrechnungspreiskorrektur im Ausland auch durch einen Änderungsantrag für die betroffenen Steuerveranlagungen erreicht werden. Dann liegt der Sachverhalt der Finanzverwaltung offen, so dass zusätzliche Aufzeichnungen entbehrlich sind. Allenfalls wenn die Korrektur durch erfolgswirksame Einbuchung einer Forderung/Verbindlichkeit im aktuellen Wirtschaftsjahr erfolgt, könnte ein entsprechender Hinweis in den Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO angezeigt sein. Die nachträgliche Preisanpassung ist zusammen mit ihrer Ursache und den dazu gehörenden Sachverhaltsangaben bei der Geschäftsbeziehung aufzuzeichnen (Lieferung, Dienstleistung o.Ä.), zu der sie gehört. Dabei sind regelmäßig auch Angaben zur Angemessenheitsdokumentation zu machen, um darzulegen, dass die Preisanpassung auch nachträglich gerechtfertigt war (Rz. 8.176). Das isolierte Fehlen von Angaben zu nachträglichen Preisanpassungen ist nur schwer vorstellbar. Dies begründet sich damit, dass die entsprechenden Informationen bereits bei den regulären Aufzeichnungen berücksichtigt werden müssen. Ist dies nicht geschehen, sind die regulären Aufzeichnungen unter Umständen unvollständig oder unzutreffend. Nur insoweit könnten ggf. Sanktionen greifen.
5. Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten 8.124
Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 6 Satz 1 GAufzV werden bei Funktions- und Risikoänderungen im Unternehmen spezielle Aufzeichnungen erforderlich, wenn die Funktions- und Risikoänderungen den Bereich der Forschung und Entwicklung berühren. Aufzuzeichnen sind dann Informationen zu Forschungsvorhaben und laufenden Forschungsaktivitäten, die in den letzten drei Jahren vor der Funktions- und Risikoänderung stattfanden oder abgeschlossen wurden.2 § 4 Abs. 2 Nr. 6 Satz 2 GAufzV beschränkt diese Aufzeichnungspflicht auf Fälle, in denen ein Unternehmen regelmäßig Forschung und Entwicklung betreibt und ohnehin aus betriebsinternen Gründen Aufzeichnungen über seine Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten und deren Stand führt, aus denen die steuerlichen Aufzeichnungen erstellt werden können. Hintergrund für die Aufzeichnungspflicht ist, dass es der Finanzverwaltung bei Funktions- und Risikoänderungen im Unternehmen (Funktionsverlagerungen) erleichtert werden soll festzustellen, ob immaterielle Vermögenswerte im Zuge der Funktions- und Risikoänderungen auf Konzernunternehmen im Ausland übergegangen sind.3 Die Regelung in § 4 Abs. 2 Nr. 6 GAufzV kann als Konkretisierung der bei Funktionsverlagerungen ohnehin nach § 90 Abs. 3 AO bestehenden Aufzeichnungspflichten angesehen werden.4 Eine Konkretisierung im positiven Sinne geht mit der Vorschrift indes nicht einher. 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.15 (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). In den VWG 2020 und VWG VP 2021 sind keine weiteren Regelungen/Beispiele hierzu enthalten. 2 Die Informationen müssen nach § 4 Abs. 2 Nr. 6 Satz 1 Halbs. 2 GAufzV mindestens den genauen Gegenstand der Forschungen sowie die insgesamt jeweils zuzuordnenden Kosten enthalten. 3 Vgl. BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 89. 4 Vgl. Klapdor, StuW 2008, 91, der von einer Anknüpfung an die Aufzeichnungspflichten bei Funktions- und Risikoverlagerungen nach § 3 Abs. 2 GAufzV spricht.
1104 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.125 Kap. 8
Zum einen soll das Unternehmen Vermutungen anstellen, welche Forschungsvorhaben in Zusammenhang mit einer Funktionsverlagerung stehen „können“.1 Zum anderen dürfte es in der Praxis ggf. schwierig sein, eine Kostenzuordnung zu den einzelnen Forschungsvorhaben vorzunehmen. Die Rückausnahme von der Aufzeichnungspflicht in § 4 Abs. 2 Nr. 6 Satz 2 GAufzV trägt solchen Schwierigkeiten nur bedingt Rechnung. Sie ist zudem unpräzise formuliert. Die Frage, ob aus betriebsinternen Aufzeichnungen die in § 4 Abs. 2 Nr. Satz 1 Halbs. 2 GAufzV geforderten Informationen (Kostenzuordnung zu den einzelnen Forschungsvorhaben) abgeleitet werden können, dürfte sich als streitanfällig erweisen. Die Vorschrift ist folglich nicht überschießend auszulegen. Aufzeichnungen sind nur zu verlangen, wenn ein konkreter Bezug zu einer Verlagerung von Forschungsaktivitäten und/oder deren Ergebnissen ins Ausland besteht. Dabei ist es ausreichend, wenn in diesen Fällen vorhandene Aufzeichnungen zum Stand der Forschungsvorhaben (z.B. Geschäftsberichte oder Berichte der Forschungsabteilung an ein Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgan) vorgelegt werden. Insbesondere besteht keine Verpflichtung, nachträglich Aufzeichnungen zu den Forschungsvorhaben und -projekten der letzten drei Jahre zu erstellen, wenn nicht bereits für unternehmensinterne Zwecke diese Informationen schriftlich zusammengestellt wurden. Ob das Fehlen von Aufzeichnungen zu Forschungsvorhaben und -projekten zu im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen für die zugrunde liegende Funktionsverlagerung führt, muss im Einzelfall beurteilt werden. Zunächst müssten die engen Voraussetzungen für eine Aufzeichnungspflicht vorgelegen haben, d.h. die Finanzverwaltung müsste im Zweifel nachweisen können, dass im Unternehmen betriebsinterne Aufzeichnungen zu den Forschungsvorhaben und -projekten mit den relevanten Informationen erstellt werden. Dies ist in der Praxis nur schwer vorstellbar. Ferner kommt eine Unverwertbarkeit nicht in Betracht, wenn die übrigen Aufzeichnungen zu der relevanten Funktionsverlagerung die für die Besteuerung der Funktionsverlagerung erheblichen Informationen enthalten.
VII. Ergänzende Angaben bei der Verwendung von Datenbanken (§ 4 Abs. 3 GAufzV) Angaben nach § 4 Abs. 3 GAufzV. Verwendet das Unternehmen für die Bestimmung von Verrechnungspreisen Informationen aus Datenbanken, sind dazu ebenfalls Informationen aufzuzeichnen. § 4 Abs. 3 GAufzV (eingeführt 2017) führt dazu u.a. die Suchstrategie, die verwendeten Suchkriterien und einen etwa manuell durchgeführten Selektionsschritt auf. Die Finanzverwaltung wird damit in die Lage versetzt, die Datenbankstudie im Zweifel zu reproduzieren.2 Ferner soll die Konfiguration der verwendeten Datenbank vollständig zu dokumentieren sein. In der hier vorgenommenen Unterteilung sind diese Angaben der Angemessenheitsdokumentation zuzuordnen, da eine Datenbankstudie zu dem tatsächlich verwirklichten Geschäftsvorfall nichts aussagt, sondern nur zur Ableitung von Gewinnelementen bzw. zu deren Verprobung dient. Insoweit darf an dieser Stelle auf die Erläuterungen unter Rz. 8.148 ff. verwiesen werden. Inhaltlich kann zu § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 GAufzV an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Vorschrift den allgemein praktizierten marktüblichen Standard für Datenbankstudien abbildet.3 Nach § 4 Abs. 3 Satz 3 GAufzV sind Angaben zur Konfiguration der Datenbank zu machen. Insoweit geht es letztlich auch um inhaltliche Aspekte der Auswertung, nämlich sicherzustellen, dass bei einer Nachprüfung durch die Finanzverwaltung die 1 Ähnlich kritisch auch Greinert in Schaumburg/Rödder, Unternehmensteuerreform 2008, 577. 2 Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 17. 3 Vgl. Dawid/Ruhmer-Krell/Steinhoff/Sommer, ISR 2017, 320.
Cordes/Bärsch | 1105
8.125
Kap. 8 Rz. 8.125 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
gleichen (Such-)Einstellungen verwendet und die gleichen maschinellen Ergebnisse generiert werden. § 4 Abs. 3 Satz 4 GAufzV verweist auf § 147 Abs. 6 AO. Dies bedeutet, dass Datenbankauswertungen in maschinenlesbarer Form vorzuhalten sind.1 Mit anderen Worten bietet es sich an, die exportierten Datensätze in dem entsprechenden Programm (z.B. Excel®) und dem dafür verwendeten Dateiformat zu sichern und verfügbar zu halten.
VIII. Ergebnisse und Klassifizierung 8.126
Angaben nach § 4 Nr. 1 und Nr. 2 GAufzV. Die in § 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GAufzV aufgeführten Angaben sind für die zutreffende Bestimmung von Verrechnungspreisen und damit für im Wesentlichen verwertbare Aufzeichnungen grds. nicht erforderlich (z.B. Organigramm, Tätigkeitsbeschreibung des Unternehmens, Liste der immateriellen Wirtschaftsgüter, Übersicht über die Geschäftsbeziehungen). Sie dienen im Wesentlichen dazu, dem Betriebsprüfer einen Überblick über die Geschäftsbeziehungen zu verschaffen und ihm eine Schwerpunktsetzung zu ermöglichen. Allenfalls sind die Übersicht über die Geschäftsbeziehungen sowie ein Organigramm aus formalen Gründen erforderlich, um die Prüfung innerhalb angemessener Zeit zu ermöglichen. Daher ist in der Praxis zu empfehlen, eine Übersicht über die Geschäftsbeziehungen und ein Organigramm zu erstellen, soweit diese Unterlagen nicht bereits im Unternehmen vorhanden sind. Für die Beurteilung der angemessenen Verrechnung einzelner Leistungsbeziehungen bringen diese Unterlagen jedoch keinen Informationsgewinn. Zur Liste der eingesetzten wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b GAufzV) ist anzumerken, dass diese im Rahmen der Funktions- und Risikoanalyse unter Zuordnung zu einzelnen Geschäftsbeziehungen zu benennen sind.
8.127
Angaben nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 GAufzV. Für die zutreffende Bestimmung von Verrechnungspreisen und damit für im Wesentlichen verwertbare Aufzeichnungen kann auf die in § 4 Abs. 1 Nr. 3 GAufzV aufgeführte Funktions- und Risikoanalyse unter Angabe der eingesetzten wesentlichen Wirtschaftsgüter nicht verzichtet werden. Diese Angaben sind zwingend erforderlich. Die zusätzlich zur Beschreibung der übernommenen Funktionen und Risiken und der eingesetzten Wirtschaftsgüter in § 4 Nr. 3 Abs. 1 GAufzV aufgeführten Angaben (vereinbarte Vertragsbedingungen, gewählte Geschäftsstrategien) sind hingegen meistens nicht notwendig bzw. werden bereits mit der Funktions- und Risikoanalyse abgedeckt. Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, die neben den vereinbarten Funktionen und Risiken ausschlaggebend für die Vergleichbarkeit sind, brauchen i.d.R. nicht angegeben zu werden. Ist zur Verrechnungspreisbestimmung auf Daten (z.B. Margen) unabhängiger Unternehmen zurückgegriffen worden, bei denen eine Vergleichbarkeit nicht offensichtlich gegeben ist, kann es jedoch ggf. erforderlich sein, eine detailliertere Markt- und Wettbewerbsanalyse durchzuführen, um so die Vergleichbarkeit zu belegen.
8.128
Angaben nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 GAufzV. Zwingend erforderlich für im Wesentlichen verwertbare Aufzeichnungen zu Verrechnungspreisen sind die unter § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c und Buchst. e GAufzV aufgeführten Erläuterungen zur Ermittlung des angesetzten Verrechnungspreises. Dabei kommt es an dieser Stelle (Sachverhaltsdokumentation) nicht darauf an, ob es sich um eine zutreffende Ermittlung des Verrechnungspreises unter Angabe einer geeigneten Methode oder um eine „freie“ Festlegung des Verrechnungspreises ohne konkrete Anwendung einer Verrechnungspreismethode handelt. Die im Rahmen der „Revision“ der GAufzV in 2017 in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GAufzV aufgenommenen Informationen zum
1 Vgl. BR-Drucks. 404/17 v. 23.5.2017, 17.
1106 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.131 Kap. 8
Zeitpunkt der Festlegung des Verrechnungspreises dürften aus Sicht der Finanzverwaltung eine zwingende Angabe darstellen. Für im Wesentlichen verwertbare Aufzeichnungen sind diese Angaben nach der hier vertretenen Auffassung indes nicht erforderlich, da sie nicht der konkreten Verrechnungspreisermittlung dienen. Die Angaben zu den in diesem Zeitpunkt vorhandenen und zur Preisbestimmung verwendeten Informationen „doppeln“ sich nach hier vertretener Auffassung mit den unter § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e GAufzV genannten Unterlagen bzw. sind dort „inkludiert“. Von daher fallen diese Informationen unter die o.g. erforderlichen Angaben, sofern der Verrechnungspreis hierauf gestützt wird. Angaben nach § 4 Abs. 2 Nr. 2–4 u. Nr. 6 GAufzV in besonderen Fällen. Bei Umlageverträgen sind die in § 4 Abs. 2 Nr. 2 GAufzV aufgeführten Angaben größtenteils erforderlich. Aufzeichnungspflichtige Informationen zu Verrechnungspreisverfahren mit ausländischen Finanzverwaltungen (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 GAufzV) bringen u. E. keinen Informationsgewinn für die Festlegung von angemessenen Verrechnungspreisen. Zudem wird nach der hier vertretenen Auffassung die in § 4 Abs. 2 Nr. 3 GAufzV getroffene Aufzeichnungspflicht nicht als im Einklang mit der Ermächtigung in § 90 Abs. 3 Satz 11 AO stehend und damit als unwirksam angesehen. Angaben zum Sachverhalt bei nachträglichen Preisänderungen werden i.d.R. bereits mit den Angaben nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 GAufzV abgedeckt. Angaben zur Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten nach § 4 Abs. 2 Nr. 6 GAufzV können in entsprechenden Fällen – bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale der Vorschrift – erforderlich sein. Dies gilt jedoch nur insoweit, als sich die für die Besteuerung der Funktionsverlagerung erheblichen Informationen nicht bereits aus den übrigen Aufzeichnungen zu der Funktionsverlagerung ergeben.
8.129
Angaben nach § 4 Abs. 3 GAufzV. Die in § 4 Abs. 3 GAufzV enthaltenen aufzuzeichnenden Informationen bei Datenbankverwendung sind nach hier vertretener Auffassung als Bestandteil der Angemessenheitsdokumentation anzusehen. Auf die Erläuterungen unter Rz. 8.148 ff. wird daher verwiesen.
8.130
IX. Angemessenheitsdokumentation 1. Überblick über Regelungen zur Angemessenheitsdokumentation Allgemeine Anforderungen an die Angemessenheitsdokumentation. Zur sogenannten Angemessenheitsdokumentation bestimmt § 90 Abs. 3 Satz 2 AO, dass die Aufzeichnungen Angaben zu den rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen für eine dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechende Preisvereinbarung enthalten müssen. Diese Formulierung lässt grds. verschiedene Interpretationen zu. Allerdings ist eine Konkretisierung in der GAufzV erfolgt, der – soweit man sie nicht wegen Überschreitens des Ermächtigungsrahmens als unwirksam ansieht (Rz. 8.135) – als Rechtsverordnung nach Art. 80 GG Gesetzeskraft zukommt und die damit bindend für Steuerpflichtige, Finanzverwaltung und FG ist. In § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GAufzV wird folgende Interpretation vorgenommen: Das Unternehmen hat sämtliche Tatsachen anzugeben, die für die Vereinbarung von Bedingungen, insbesondere von Preisen steuerliche Bedeutung haben.1 Ferner wird in § 2 Abs. 1 Satz 3 AO GAufzV verlangt, dass die Aufzeichnungen das „ernsthafte Bemühen“ des Steuerpflichtigen erkennen lassen müssen, seine Geschäftsbeziehung zu nahe stehenden Unternehmen im Ausland fremdvergleichskonform zu gestalten.2 Daneben gibt § 1 Abs. 3 GAufzV verschiedene Informationen 1 Vgl. VWG 2020, Rz. 45. 2 Vgl. VWG 2020, Rz. 44.
Cordes/Bärsch | 1107
8.131
Kap. 8 Rz. 8.131 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
vor, die aufgezeichnet werden müssen, soweit sie nach den Umständen des einzelnen Falls und insbesondere zur Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode erforderlich sind. Hierzu zählt die Angabe von Vergleichsdaten, die insbesondere aus vergleichbaren Geschäften zwischen fremden Dritten oder aus vergleichbaren Geschäften des Steuerpflichtigen oder ihm nahestehender Unternehmen mit fremden Dritten stammen, wie z.B. – Preise und Geschäftsbedingungen, – Kostenaufteilungen, – Gewinnaufschläge, – Brutto- bzw. Nettospannen, – Gewinnaufteilungen, – die Erstellung von Aufzeichnungen über innerbetriebliche Daten, z.B. Prognoserechnungen, Absatz-, Gewinn- oder Kostenplanungen.1 Schließlich ist im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation zu begründen, dass die angewandten Verrechnungspreismethoden für die abgerechneten Leistungsbeziehungen geeignet sind (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GAufzV).
8.132
Sonderregelung bei sog. Dauersachverhalten. Eine Sonderregelung zur Angemessenheitsdokumentation bei sog. Dauersachverhalten enthält § 2 Abs. 4 GAufzV. Dauersachverhalte sind z.B. Liefer- oder Leistungsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen, denen langfristige Verträge zugrunde liegen. So können z.B. die Lieferungen von Waren einer ausländischen Muttergesellschaft im Jahre 2004 an ihre inländische Vertriebsgesellschaft auf einer vertraglichen Vereinbarung aus 1995 beruhen, in der auch die entsprechende Marge vereinbart wurde. Solche Liefer- und Leistungsbeziehungen sind Gegenstand der Angemessenheitsdokumentation, da § 90 Abs. 3 AO auf die Leistung als solche abstellt und nicht darauf, wann sie vereinbart wurde. Zur Angemessenheitsdokumentation besteht bei Dauersachverhalten aber die Besonderheit, dass der Steuerpflichtige nach § 2 Abs. 4 Satz 1 GAufzV auch nach dem Abschluss des Geschäfts Informationen aufzeichnen muss, wenn sich Umstände mit wesentlicher Bedeutung für die Angemessenheit der Verrechnungspreise geändert haben. Diese in § 2 Abs. 4 GAufzV nicht näher konkretisierten Informationen sollen der Finanzverwaltung die Beurteilung ermöglichen, ob und wenn ja, wann fremde Dritte eine Anpassung der Geschäftsbedingungen vorgenommen hätten. Als Fälle, in denen eine Änderung von – für die Verrechnungspreisbestimmung bedeutsamen – Faktoren vorliegt, sieht § 2 Abs. 4 Satz 2 GAufzV insbesondere steuerliche Verluste in einem Geschäftsbereich an, die ein fremder Dritter nicht hingenommen hätte, sowie Preisanpassungen zu Lasten des Steuerpflichtigen.
8.133
Profit-Center-Organisation. Ist eine Unternehmensgruppe nach einem Profit-Center-Modell organisiert und werden die Geschäftsführer nach den Ergebnissen „ihrer“ Profit-Center entlohnt, so kann zwischen den erfolgsabhängig vergüteten Geschäftsführern ein Interessengegensatz bestehen und der Preisbildungsprozess zwischen den Konzernunternehmen einem Preisbildungsprozess zwischen fremden Dritten entsprechen.2 Für diese Fälle bestünde dann kein Bedarf mehr, Aufzeichnungen zur Fremdüblichkeit der Preise zu erstellen. Die Finanzverwaltung hat in den (inzwischen aufgehobenen) VWG-Verfahren 2005 indes auch in diesen 1 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 und 3 GAufzV. 2 Vgl. Storck/Hernler in Raupach, Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen in betriebswirtschaftlicher, gesellschaftsrechtlicher und steuerrechtlicher Sicht, 495.
1108 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.135 Kap. 8
Fällen an der Angemessenheitsdokumentation festgehalten.1 Die Finanzverwaltung hat dort allerdings zugelassen, dies ggf. als Anhaltspunkt für die Fremdüblichkeit der abgerechneten Beträge zu berücksichtigen. Die VWG 2020 und VWG VP 2021 nehmen hierzu nicht mehr Stellung. Es ist auch kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass die Regelungen aus den VWGVerfahren 2005 fortgelten. Ggf. hat es nach der Erfahrung der Finanzverwaltung in den letzten Jahren keine ausreichende Anzahl von entsprechenden Sachverhalten gegeben, so dass es nicht mehr als regelungswürdiger Sachverhalt erschien.
2. Über den Ermächtigungsrahmen von § 90 Abs. 3 AO hinausgehende Anforderungen der GAufzV und der VWG 2020 an eine Angemessenheitsdokumentation Keine gesetzliche Pflicht zu einer fremdvergleichskonformen Verrechnungspreisvereinbarung. Bereits die Formulierung in § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV (= Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes muss ersichtlich sein) impliziert, dass der Verordnungsgeber eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen unterstellt, eine dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Preisvereinbarung zu treffen. Eine solche gesetzliche Verpflichtung existiert jedoch nicht.2 Im Gesetz sind lediglich Korrekturnormen vorgesehen, nach denen für steuerliche Zwecke die aus unangemessenen Preisvereinbarungen einhergehenden Gewinnminderungen oder- erhöhungen berücksichtigt werden können. Diese muss der Steuerpflichtige bei Ermittlung des steuerlichen Gewinns selbstverständlich beachten.
8.134
Verpflichtung zur Dokumentation von „ernsthaftem Bemühen“ zweifelhaft. § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV sieht vor, dass die Aufzeichnungen das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen belegen müssen, seine Verrechnungspreise dem Grundsatz des Fremdvergleichs entsprechend zu gestalten.3 Mit dieser Regelung hat der Verordnungsgeber versucht, zwei sich widersprechende Ziele gleichzeitig zu verwirklichen: Auf der einen Seite soll keine Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen erfolgen. Auf der anderen Seite soll aber zum Ausdruck gebracht werden, dass der Steuerpflichtige tätig werden und den Grundsatz des Fremdvergleichs beachten soll.4 Zu der Bestimmung in § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV bestehen zwei wesentliche Kritikpunkte:
8.135
– „Unbewusste“ Angemessenheit des Verrechnungspreises Ein zwischen den verbundenen Unternehmen zugrunde gelegter Verrechnungspreis kann auch dann angemessen sein, wenn er z.B. ohne weitere Überlegungen, d.h. quasi zufällig, festgelegt oder vom Mutterunternehmen diktiert wurde.5 Aus welchen Gründen ein konkreter Verrechnungspreis gewählt wurde, kann die objektive Angemessenheit eines Verrechnungspreises nicht beeinträchtigen. Infolgedessen müssen Aufzeichnungen, anhand derer dieser Preis überprüft werden kann, auch dann ausreichend sein, wenn die Preisfestsetzung unabhängig von diesen Überlegungen vorgenommen wurde.6 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.1 a.E. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Vgl. Eigelshoven/Nientimp, DB 2005, 1184; Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 2111. 3 Vgl. auch VWG 2020, Rz. 36, 44. 4 Vgl. BR-Drucks. 583/03 v. 15.8.2003, 7. 5 Vgl. Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 2112. 6 Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 157, sieht die Pflicht des „ernsthaften Bemühens“ aus diesem Grund als tatsächlich „eher bedeutungslos“ an. Nach den VWG 2020, Rz. 48 hat sich die Angemessenheitsdokumentation auf den tatsächlich für steuerliche Zwecke angesetzten Preis zu beziehen.
Cordes/Bärsch | 1109
Kap. 8 Rz. 8.135 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
– Fehlender Einklang mit § 90 Abs. 3 AO § 90 Abs. 3 Satz 2 AO verpflichtet im Rahmen der Informationen zur Angemessenheit des Verrechnungspreises nur zur Angabe der rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen für eine fremdvergleichskonforme Preisvereinbarung. Ferner wird der Begriff „Angemessenheitsdokumentation“ im Gesetzt erwähnt. Im Übrigen beinhaltet § 90 Abs. 3 AO anders als § 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GAufzV und § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV keine subjektiven Verhaltensanweisungen für den Steuerpflichtigen wie ein „ernsthaftes Bemühen“.1 Damit werden in der GAufzV Anforderungen formuliert, die über den Ermächtigungsrahmen in § 90 Abs. 3 AO hinausgehen. Wegen der Überschreitung des Ermächtigungsrahmens wird § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV – zu Recht – als unwirksam angesehen.2 Letztlich wird eine Klärung der Frage, inwieweit ein „ernsthaftes Bemühen“ gezeigt werden muss bzw. wie „ernsthaftes Bemühen“ auszulegen ist, erst dann erfolgen, wenn der BFH über entsprechende Fälle entscheidet. Soweit ersichtlich ist es in den ca. 20 Jahren seit Bestehen der Aufzeichnungspflicht noch zu keiner entsprechenden finanzgerichtlichen Auseinandersetzung gekommen. Dies spricht dafür, dass sowohl die Finanzverwaltung keine überzogenen Anforderungen stellt als auch die Steuerpflichtigen bemüht sind, mitzuwirken und Informationen in angemessener Frist zur Verfügung zu stellen. Zwar bestehen gute Gründe dafür, die Forderung nach einem „ernsthaften Bemühen“ abzulehnen, so dass Aufzeichnungen des Unternehmens zur Darlegung der Angemessenheit der angesetzten Preise nicht erforderlich wären. Gleichwohl kann wegen der derzeit bestehenden Rechtsunsicherheit nur empfohlen werden, den Vorgaben der GAufzV zum Umfang der Angemessenheitsdokumentation zu folgen, wenn steuerliche Risiken weitestgehend ausgeschlossen werden sollen. Dementsprechend soll im Folgenden auf mögliche Ansätze für eine den Grundsätzen der GAufzV entsprechende Angemessenheitsdokumentation eingegangen werden.
8.136
Verpflichtung zur Aufzeichnung von Vergleichsdaten. Nicht zu beanstanden ist indes die in § 1 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 GAufzV enthaltene Verpflichtung, Vergleichsdaten aufzuzeichnen, soweit diese bei dem aufzeichnungspflichtigen Unternehmen und diesem nahestehenden Unternehmen vorhanden sind bzw. sich mit zumutbarem Aufwand aus frei zugänglichen Quellen beschaffen lassen. Diese Daten können wesentliche Anhaltspunkte für eine fremdvergleichskonforme Ermittlung von Verrechnungspreisen bzw. deren Prüfung geben. Gleiches gilt im Grundsatz auch für die in § 1 Abs. 3 Satz 3 GAufzV genannten innerbetrieblichen Daten, wobei die Frage der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall natürlich zu überprüfen bleib. Die in § 1 Abs. 3 Satz 3 GAufzV benannten innerbetrieblichen Daten können einen großen Umfang einnehmen, so dass die Erfassung und Aufzeichnung einen größeren Umfang einzunehmen vermag und die entsprechenden Daten ggf. nicht zwingend notwendig sind.
3. Begründung für die Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode 8.137
Begründung der Geeignetheit von Verrechnungspreismethoden. Eine Begründung für die Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode wird in § 2 Abs. 2 Satz 1 GAufzV und § 4 Nr. 4 Buchst. d GAufzV explizit gefordert. Dies ist grds. berechtigt und gilt auch,
1 Vgl. Frotscher in FS Wassermeyer, 396 f. 2 Vgl. Frotscher in FS Wassermeyer, 397; zu demselben Ergebnis kommt auch Schreiber, IWB F. 3 Gr. 1, 2112, der dies allerdings daraus ableitet, dass die Forderung nach „ernsthaften Bemühen“ in bestimmten Fällen objektiv nicht erfüllt werden kann.
1110 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.138 Kap. 8
wenn zur Festsetzung des Verrechnungspreises keine Methode angewandt wurde und nur eine Verprobung anhand einer Methode erfolgte. Wie in den vorstehenden Kapiteln erläutert, werden für bestimmte Liefer- und Leistungsbeziehungen bestimmte Verrechnungspreismethoden allgemein als geeignet angesehen (vgl. z.B. Rz. 6.49 ff. zu Warenlieferungen an Vertriebsgesellschaften, Rz. 6.30 zu Warenlieferungen eines Lohnfertigers, Rz. 6.151 zu Dienstleistungen). So wird bei Lieferungen eines Strategieträgers an funktionsausübende Vertriebseinheiten regelmäßig auf die Wiederverkaufspreismethode zurückgegriffen,1 da im Vertriebsbereich zwischen Fremden i.d.R. mit Vertriebsmargen kalkuliert wird. Bei Dienstleistungsverhältnissen oder Auftragsproduktionen funktionsausübender Einheiten gilt allgemein die Kostenaufschlagsmethode als geeignete Verrechnungspreismethode.2 In diesen Standardfällen sind damit Hinweise auf die oben zitierten Quellen in den VWG VP 2021 und den OECD-Leitlinien i.d.R. ausreichend, um die Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode zu begründen.3 Hierzu ist darzulegen, dass die von der Finanzverwaltung aufgestellten Anforderungen erfüllt sind, bzw. dass die Methode wirtschaftlich zutreffende Ergebnisse liefert.4 Zudem ist zu empfehlen, unter Bezugnahme auf die Funktions- und Risikoanalyse kurz darzulegen, dass die Methodenwahl mit der Klassifizierung der einzelnen am Leistungsprozess beteiligten Einheiten (Strategieträger, Funktionsausübung, Funktionsleitung) in Einklang steht (vgl. Rz. 8.81 ff.). Hierzu ist für den konkreten Fall aufzuzeigen, dass bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode die liefernde Einheit Strategieträger und die an den Kunden weiterveräußernde Einheit als funktionsausübend oder funktionsleitend zu qualifizieren ist. Bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bei Warenlieferungen ist darzulegen, dass die produzierende Einheit funktionsausübend oder funktionsleitend tätig und der Leistungsempfänger Strategieträger ist.
X. Methoden für die Angemessenheitsdokumentation 1. Abgrenzung der Anwendungsbereiche Überblick. Nach Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG 2020 kann die Angemessenheitsdokumentation auf verschiedenen Wegen erfolgen, wobei gewisse Überschneidungen bestehen und die Verwaltungsanweisungen insoweit nicht klar strukturiert sind. Vorrangig sind für die Durchführung der Angemessenheitsdokumentation Fremdvergleichsdaten (zur Definition vgl. Rz. 8.166) zu verwenden.5 In anderen Fällen, d.h. insbesondere dann, wenn geeignete Fremdvergleichsdaten nicht beschafft werden können, kann für die Angemessenheitsdokumentation auf „innerbetriebliche Plandaten“ (vgl. zu Voraussetzungen und Vorgehensweise im Detail Rz. 8.142 ff.) zurückgegriffen werden.6
1 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 Buchst. b; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, unter Abschn. III.A.2.d cc der Gründe; Tz. 2.27 OECD-Leitlinien 2022; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 581. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.9 Buchst. c; Tz. 2.45 OECD-Leitlinien 2022; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 769. 3 Vgl. IDW, Beiheft zu FN-IDW 4/2006, B10; Lenz/Fischer/Schmidt, BB 2005, 1257. 4 Vgl. Cordes, Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 18 ff. 5 Vgl. VWG 2020, Rz. 50 im Umkehrschluss. 6 Vgl. VWG 2020, Rz. 50.
Cordes/Bärsch | 1111
8.138
Kap. 8 Rz. 8.139 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
2. Angemessenheitsdokumentation auf Basis von Fremdvergleichsdaten 8.139
Angemessenheitsdokumentation auf Basis von Fremdvergleichsdaten. Unter dem Begriff „Fremdvergleichsdaten“ sind Fremdpreise sowie Bruttomargen, Kostenaufschläge, Nettomargen und ähnliche Daten zu verstehen.1 Voraussetzung ist jeweils, dass es sich um Daten aus einzelnen oder im Rahmen einer Gruppenbetrachtung zusammengefassten Geschäften handelt, die – zwischen fremden Dritten, – zwischen dem Steuerpflichtigen und einem fremden Dritten oder – zwischen einem dem Steuerpflichtigen nahestehenden Unternehmen und fremden Dritten abgeschlossen wurden. Reine (Finanz)Kennzahlen vergleichbarer Unternehmen (Umsatzrendite, Eigenkapitalrendite usw.) sind mangels Transaktionsbezug keine Fremdvergleichsdaten im engeren Sinne. Soweit Fremdvergleichsdaten bei dem aufzeichnungspflichtigen Unternehmen oder diesem nahestehenden Unternehmen vorliegen, müssen diese Daten nach § 1 Abs. 3 Satz 1 GAufzV aufgezeichnet werden. Gleiches gilt, wenn Vergleichsdaten aus frei zugänglichen Quellen mit zumutbarem Aufwand beschafft werden können. Der Vollständigkeit halber soll hierzu noch darauf hingewiesen werden, dass die Fremdvergleichsdaten auch dann zu Verprobungszwecken aufzuzeichnen sind, wenn sie nicht in die konkrete Verrechnungspreisermittlung eingegangen sind. Dann ist zu empfehlen, auch kurz die Gründe hierfür darzulegen (z.B. mangelnde Vergleichbarkeit der Geschäfte). Für die Durchführung der Angemessenheitsdokumentation unter Verwendung von Fremdvergleichsdaten müssen in Abhängigkeit der Art der zur Verfügung stehenden Fremdvergleichsdaten zwei Fälle unterschieden werden:
8.140
Fremdpreise. Liegen Fremdpreise für gelieferte Güter oder erbrachte Leistungen vor, so handelt es sich um eine Anwendung der Preisvergleichsmethode. In diesem Fall hat die Vergleichbarkeit der gelieferten Güter oder erbrachten Leistungen (z.B. im Hinblick auf physische Eigenschaften oder Qualität),2 der vereinbarten Geschäftsbedingungen (vertragliche Bedingungen wie Vertragslaufzeiten oder Zahlungsfristen, Abnahmemengen und -verpflichtungen, übernommene Funktionen und Risiken)3 und der Marktverhältnisse4 entscheidende Bedeutung. Stimmen diese Faktoren bei den Referenztransaktionen (d.h. den mit bzw. zwischen fremden Dritten abgeschlossenen Geschäften) und den gruppeninternen Transaktionen überein, oder haben Unterschiede keine wesentlichen Auswirkungen auf die Preisgestaltung, können die Fremdpreise für die Aufzeichnungen verwendet werden.5 Gleiches gilt, wenn etwaige Abweichungen zuverlässig durch Anpassungsrechnungen berücksichtigt werden konnten.6
1 Vgl. die seinerzeitige Definition aus BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.2. (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021), die sich in den VWG 2020 allerdings nicht widerspiegelt. 2 Vgl. Tz. 1.127 OECD-Leitlinien 2022. 3 Vgl. Tz. 1.51 ff. OECD-Leitlinien 2022; § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG n.F. 4 Vgl. Tz. 1.130 OECD-Leitlinien 2022. 5 Zu Einzelheiten der Vergleichbarkeitsprüfung vgl. Hinweis am Ende des Absatzes. 6 Zu Art und Inhalt von Anpassungsrechnungen vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 206 ff. Er weist allerdings darauf hin, dass keine einheitlichen Vorgaben existieren, wie Anpassungsrechnungen durchzuführen sind.
1112 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.142 Kap. 8
Mit Angabe der Informationen zur Vergleichbarkeit und ggf. zu Überleitungsrechnungen1 sind dann die Anforderungen an die Angemessenheitsdokumentation erfüllt (vgl. Rz. 8.169).2 Brutto- bzw. Nettomargen oder Kostenaufschlagssätze aus Referenztransaktionen. Liegen keine Fremdpreise, sondern z.B. Informationen zu Brutto- bzw. Nettomargen oder Kostenaufschlagssätzen aus Referenztransaktionen (d.h. Geschäften mit bzw. zwischen fremden Dritten) vor, so scheidet eine Anwendung der Preisvergleichsmethode aus. Stattdessen sind die Informationen aus der Referenztransaktion bei der Anwendung der entsprechenden Verrechnungspreismethode für das gruppeninterne Geschäft zu berücksichtigen, z.B. die Kostenaufschlagssätze aus Referenztransaktionen bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode oder die Brutto- bzw. Nettomargen bei Anwendung der Wiederverkaufspreismethode.3 Gleiches gilt bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode mit den Vergleichsinformationen. Wesentliche Voraussetzung für die Datenverwendung ist in allen Fällen (d.h. sowohl bei Anwendung der Kostenaufschlags- bzw. der Wiederverkaufspreismethode als auch bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode) die Vergleichbarkeit, d.h. die vereinbarten Geschäftsbedingungen sowie die übernommenen Funktionen und Risiken müssen weitgehend übereinstimmen und etwaige Unterschiede müssen zuverlässig durch Zu- oder Abschläge korrigiert werden können (zu Einzelheiten der Vergleichbarkeitsprüfung wie z.B. Bandbreiten, eingeschränkte und uneingeschränkte Vergleichbarkeit gelten die Regeln in § 1 Abs. 3a AStG; vgl. dazu Rz. 5.149). Auf die physische Übereinstimmung der gelieferten Güter kommt es nicht an.4 Insbesondere bei einem Vergleich mit Brutto- oder Nettomargen fremder Unternehmen (z.B. aus Datenbanken) kann aber auch eine Vergleichbarkeit der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse5 und der Geschäftsstrategien6 erforderlich sein.
8.141
3. Angemessenheitsdokumentation auf Basis von Plandaten a) Überblick über Systematik der Planrechnungen und Anwendungsvoraussetzungen Verwendung von Planrechnungen. Häufig fehlen Daten für einen Fremdvergleich. Daher ist es notwendig, Ansätze aufzuzeigen, mit denen auch in diesen Fällen Aufzeichnungen erstellt werden können, die den Anforderungen der GAufzV genügen („ernsthaftes Bemühen“). Hierzu sehen die VWG 20207 die Möglichkeit vor, innerbetriebliche Planrechnungen zu verwenden. Der Steuerpflichtige soll Planrechnungen erstellen, die ein vorsichtig prognostiziertes und für die von ihm übernommenen Funktionen und Risiken angemessenes Ergebnis ausweisen.8 Auf Grund dieser Planrechnungen sind die Verrechnungspreise festzusetzen, wobei die prognostizierten Erträge und Aufwendungen einzelnen oder zulässigerweise zusammengefassten Gruppen von Geschäftsvorfällen zugeordnet werden müssen.9 Den innerbetrieblichen 1 Die Angabepflicht für diese Informationen ergibt sich auch aus § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. f GAufzV. 2 Zu Einzelheiten der Vergleichbarkeitsprüfung (Bandbreiten, eingeschränkte und uneingeschränkte Vergleichbarkeit) vgl. die Regelung in § 1 Abs. 3 AStG. 3 Diese Daten sind nach hier vertretener Auffassung als Fremdvergleichswerte i.S.v. § 1 Abs. 3a Satz 1 AStG anzusehen. 4 Vgl. Oestreicher, StuW 2006, 245. 5 Vgl. Tz. 1.130 OECD-Leitlinien 2022. 6 Vgl. Tz. 1.134 – 138 OECD-Leitlinien 2022. 7 Vgl. VWG 2020, Rz. 50. 8 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.41. 9 Zum Planungshorizont bestehen keine Bedenken, auf den Planungshorizont des betrieblichen Unternehmenscontrollings zurückzugreifen. Es dürfte allerdings erforderlich sein, zumindest in jährlichen Abständen die Verrechnungspreise auf Grund veränderter Planrechnungen anzupassen.
Cordes/Bärsch | 1113
8.142
Kap. 8 Rz. 8.142 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
Planrechnungen ist naturgemäß ein angemessener Plangewinn zugrundezulegen. Dieser lässt sich jedoch nicht eindeutig festlegen. Es wird regelmäßig ein weiter Rahmen bestehen, innerhalb dessen Gewinne angemessen sind.1 Damit bleibt auch bei Verwendung innerbetrieblicher Plandaten das zentrale Problem der Angemessenheit bestehen.
8.143
Methodik der Planrechnungen. Methodisch setzt die Verwendung innerbetrieblicher Planrechnungen i.d.R. eine Anwendung der Kostenaufschlags- oder der Wiederverkaufspreismethode voraus, um die Verrechnungspreise zu kalkulieren.2 Die Vorgehensweise bei Verwendung innerbetrieblicher Planrechnungen unterscheidet sich daher nicht wesentlich von der – z.B. bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode – gängigen Praxis, Verrechnungspreise auf Basis von Plankosten und damit von Plandaten zu bestimmen. Ähnlich verhält es sich bei der Wiederverkaufspreismethode. Auch hier wird in der Praxis – wenn keine Daten für einen Preisvergleich oder keine zuverlässigen Vergleichsmargen vorliegen – die Vertriebsmarge so kalkuliert, dass die Plankosten der Vertriebseinheit zzgl. eines Gewinns abgedeckt werden. b) Formale Anforderungen an die Verwendung von Plandaten
8.144
Formale Voraussetzungen. Wie sich aus der Systematik der Planrechnungen ergibt, müssen diese im Vorhinein, d.h. vor Verwirklichung des zu verrechnenden Geschäftsvorfalls erstellt werden. Dies ist sachgerecht. Wurden im Vorhinein erstellte betriebswirtschaftliche Planrechnungen verwendet, ist es allerdings unschädlich, wenn – soweit überhaupt erforderlich – diese im Nachhinein für Zwecke der Verrechnungspreisdokumentation aufbereitet und neu zusammengestellt werden.3 Eine Begründung der Planrechnungen als solcher ist mit Ausnahme der Begründung des angesetzten Plangewinns nicht notwendig. Soweit es sich um Planungen handelt, die auch für die betriebswirtschaftliche Unternehmensplanung verwendet werden, ist es ausreichend, wenn sich die rechnerische Umsetzung auf die Verrechnungspreise herleiten lässt. Wesentlich ist ferner, dass nach den VWG VP 2021 sowie den Vorgängerregelungen ein regelmäßiger Soll-Ist-Vergleich (d.h. ein Abgleich zwischen den Plandaten und den tatsächlichen Werten z.B. bei Kosten und Ausbringungsmenge) durchzuführen ist.4 Der Soll-Ist-Vergleich soll als Grundlage für die Beurteilung dienen, wann fremde Dritte bei ihren Geschäftsbeziehungen eine Preisanpassung vorgenommen bzw. versucht hätten. Eine quartalsweise, zumindest aber jährliche Kontrolle dürfte ausreichend sein.
1 In § 1 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 1 AStG wird insoweit von einem Einigungsbereich gesprochen. Dieser ergibt sich aus dem Mindestpreis des Leistenden für ein Produkt oder eine Leistung und dem Höchstpreis des Leistungsempfängers und hängt von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotentialen) des Leistenden und des Leistungsempfängers ab. 2 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.40., wobei die dortigen Formulierungen missverständlich sind. Fremdpreise werden naturgemäß nur bei Anwendung der Preisvergleichsmethode durch eine konkrete Methode ermittelt. Im übrigen Bedarf es daher einer Ableitung/Überleitung mit Kalkulationen. Innerbetriebliche Plandaten können natürlich auch bei Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode Verwendung finden. Wegen der methodischen Nähe der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode zur Wiederverkaufspreis- bzw. Kostenaufschlagsmethode wird hierauf aber nicht näher eingegangen. 3 Vgl. Wehnert/Brüninghaus/Marx/Andresen/Hülster/Beck/Bodenmüller/Wolff, IStR 2005, 719 m.w.N. 4 Vgl. VWG 2020, Rz. 50; VWG VP 2021, Rz. 3.41.
1114 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.145 Kap. 8
In diesem Zusammenhang sind insbesondere bei funktionsausübenden Unternehmen die Vereinbarungen über Preisanpassungen im Rahmen der entsprechenden Liefer-, Vertriebs- oder Dienstleistungsverträge zu beachten. Die Dauer der Preisbindung für die gruppeninternen Leistungen sollte dem entsprechen, was mit fremden Auftragnehmern der Unternehmensgruppe bei vergleichbaren Leistungen vereinbart wird oder was in der Branche bei vergleichbaren Leistungen üblich ist. Innerhalb dieser zeitlichen Preisbindung können Konditionen nur in dem vertraglich vereinbarten Rahmen geändert werden. Infolgedessen können selbst dann, wenn über Soll-Ist-Vergleiche in kurzen Intervallen Abweichungen festgestellt werden, diese Anpassungen erst mit Ablauf der vertraglichen Preisbindung umgesetzt werden. Entscheidend muss daher sein, dass bei längerfristigen Preisvereinbarungen zu den Zeitpunkten, an denen Preisänderungen möglich sind, zuverlässige Daten zu Soll-Ist-Vergleichen vorliegen. Auf Grund dieser Daten könnten dann Preisänderungen veranlasst werden. Ergeben sich erhebliche Abweichungen von den Planrechnungen, hat das Unternehmen nach den VWG 2020 die Ursachen für die Abweichungen aufzuzeichnen und zu begründen, dass die Abweichungen selbst bei vorsichtiger Planung nicht vorhergesagt werden konnten.1 Soweit die aus den Abweichungen resultierenden Mehrkosten o.Ä. allerdings dem Auftraggeber weiterbelastet werden können, mindern sich die Einkünfte des leistenden Unternehmens nicht. Infolgedessen besteht aus Sicht des leistenden Unternehmens keine Notwendigkeit, weitere Aufzeichnungen für steuerliche Zwecke zu erstellen. c) Darlegung der Angemessenheit des prognostizierten Gewinns Möglichkeiten zur Darlegung der Angemessenheit des prognostizierten Gewinns. Bei Verwendung von Planrechnungen ist der bei den Planrechnungen einbezogene angemessene Gewinn soweit wie möglich auf Fremdvergleichsdaten oder eine marktübliche Kapitalverzinsung zu stützen.2 Die in den (inzwischen aufgehobenen) VWG-Verfahren 2005 noch vorgesehene Möglichkeit zur Aufteilung des Konzerngewinns nach Wertschöpfungsbeiträgen wird in den VWG 2020 nicht weiter erwähnt. Allerdings nehmen die GAufzV sowie die VWG 2020 in den allgemeinen Erläuterungen zur Quantifizierung von Wertschöpfungsbeiträgen eingehend Stellung, z.B. in § 1 Abs. 3 Satz 4 GAufzV. Insoweit sollte nach wie vor die Möglichkeit bestehen, die Angemessenheitsdokumentation auf Basis von Wertschöpfungsbeiträgen zu führen. Insgesamt fallen auch die Erläuterungen zu dem Gesamtkomplex „Planrechnungen“ in den VWG 2020 deutlich kürzer aus als noch in den seinerzeitigen VWG-Verfahren 2005. Eine Vorgabe oder Regelung, wann eine der o.g. Vorgehensweisen zur Ermittlung des Plangewinns angewendet werden soll, besteht nicht. Infolgedessen besteht für die Unternehmen ein Wahlrecht. Eine Hilfestellung besteht für den Bereich der Routinedienstleistungen. Insoweit stellen die VWG VP 2021 klar, dass ein Aufschlagssatz von 5 % akzeptabel ist.3 Bei einschlägigen Dienstleistungen und Anwendung dieses Satzes sollte also kein weiterer Begründungsbedarf der Höhe nach in einer Angemessenheitsdokumentation bestehen, sondern der Verweis auf diese Regelung der VWG VP 2021 ausreichen.
1 Vgl. VWG 2020, Rz. 50. 2 Vgl. VWG 2020, Rz. 50; zur Berücksichtigung von Planrechnungen insgesamt vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.40 ff. 3 Vgl. VWG VP 2021, Rz. 3.74.
Cordes/Bärsch | 1115
8.145
Kap. 8 Rz. 8.146 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
4. Ableitung des Plangewinns aus Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen a) Abgrenzung zur Angemessenheitsdokumentation mit Fremdvergleichsdaten in Form von Renditekennziffern
8.146
Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen. Als eine Möglichkeit zur Darlegung eines angemessenen Gewinns bei Verwendung von innerbetrieblichen Planrechnungen sehen die VWG 2020 vor, den angemessenen Gewinn aus Renditekennziffern (Kapitalverzinsung) funktional zumindest eingeschränkt vergleichbarer Unternehmen abzuleiten.1 Auf dieser Basis kann eine vorsichtige, kaufmännische Gewinnprognose erstellt werden. Die Verrechnungspreise sind dann so festzulegen, dass in den Planrechnungen der prognostizierte Gewinn erreicht wird. Die Berechnung ist jeweils für Gruppen zusammengefasster Geschäftsvorfälle vorzunehmen.
8.147
Abgrenzung zur Angemessenheitsdokumentation mit Fremdvergleichsdaten. Die Verwendung der Renditekennziffern weist zunächst folgendes Problem auf: Liegen Renditekennziffern funktional zumindest eingeschränkt vergleichbarer Unternehmen vor, könnte ein Fremdvergleich erfolgen und die Daten bei Anwendung einer klassischen Methode oder der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode verwendet werden. Spezieller innerbetrieblicher Planrechnungen bedürfte es in diesem Fall nicht, bzw. ihre Verwendung wäre nach der Verwaltungsauffassung nicht zulässig, weil die Fremdvergleichsdaten vorzuziehen sind. Dieser Widerspruch lässt sich nur lösen, wenn man von einer unterschiedlichen Qualität der Renditekennziffern ausgeht. D.h. die Renditekennziffern für eine direkte Anwendung der klassischen Methoden müssen höheren Ansprüchen genügen als die z.B. aus Datenbanken (vgl. zum Einsatz von Informationen aus Unternehmensdatenbanken Rz. 8.148 ff.) ermittelten Renditekennziffern, die als Anhaltspunkte für eine vorsichtige Gewinnprognose bei der Verrechnungspreisermittlung über Plandaten verwendet werden. In Betracht kommen könnte z.B. bei einem funktionsleitend tätigen Unternehmen die Verwendung von Informationen zur Eigen- oder Gesamtkapitalrendite eines Vergleichsunternehmens. Hieraus ist dann für die Verrechnung der Leistungen des Unternehmens gegenüber dem Strategieträger oder anderen funktionsleitend tätigen Unternehmen der Gruppe2 zu ermitteln, wie hoch die Gewinnkomponente bei Anwendung der Kostenaufschlags- oder der Wiederverkaufspreismethode sein muss, um bei der geplanten Ausbringungsmenge die für das Unternehmen prognostizierte Rendite zu erreichen. b) Ermittlung von Renditekennziffern funktional vergleichbarer Unternehmen aus Finanzdatenbanken
8.148
Renditekennziffern aus Finanzdatenbanken. In der deutschen Verrechnungspreis-Literatur wurde in der Vergangenheit immer eingehend diskutiert, inwieweit zur Festlegung von Verrechnungspreisen auf Informationen aus Finanzdatenbanken zurückgegriffen werden darf.3 International ist diese Vorgehensweise zur Ermittlung von Anhaltspunkten für die Festsetzung 1 Vgl. VWG 2020, Rz. 50; BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 – 1/05 – VWG-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.12.6 Buchst. b, erster Spiegelstrich (aufgeh. durch Rz. 6.1 VWG VP 2021). 2 Eingangsleistungen von funktionsausübenden Unternehmen an das funktionsleitende Unternehmen sind aus Perspektive des funktionsausübenden Unternehmens zu dokumentieren. Daher ist hier nur auf die Ausgangsleistungen des funktionsleitend tätigen Unternehmens abzustellen. 3 Vgl. Oestreicher/Duensing, IStR 2005, 134.
1116 | Cordes/Bärsch
C. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation | Rz. 8.149 Kap. 8
angemessener Verrechnungspreise seit langem übliche Praxis.1 Auch die deutsche Finanzverwaltung erkennt zumindest seit den (inzwischen aufgehobenen) VWG-Verfahren 2005 die Verwendung von Finanzdatenbanken für Verrechnungspreiszwecke grundsätzlich an.2 Notwendigkeit zur Verwendung ausländischer Vergleichsdaten. Finanzdatenbank wie z.B. Orbis®3 beziehen ihre Datenbasis i.d.R. aus veröffentlichten Jahresabschlüssen von Unternehmen. Die Verwendung von Informationen aus Jahresabschlüssen aus öffentlichen Registern führt dazu, dass für Deutschland teilweise nur sehr begrenzt Daten zur Verfügung stehen.4 Dies begründet sich insbesondere damit,5 dass in Deutschland – Personengesellschaften zum Teil nicht publizitätspflichtig sind bzw. eine Publizitätspflicht bei Personengesellschaften vergleichsweise einfach vermieden werden kann6 und – für kleinere und mittlere Unternehmen nur eingeschränkte Informationen publiziert werden müssen.7 Auf Deutschland bezogen ergibt sich dabei aber folgendes Problem: Können in der Datenbank über Branchen- und Tätigkeitsschlüssel unabhängige8 Unternehmen identifiziert werden, die vergleichbare funktionsausübende Tätigkeiten anbieten, sind dies häufig Unternehmen, die aus den im vorstehenden Abschnitt dargelegten Gründen nicht oder nur eingeschränkt publizieren.9 Infolgedessen wird bei einer auf Deutschland beschränkten Datenbankanalyse für funktionsausübende Tätigkeiten i.d.R. nie die vollständige Anzahl potentieller Vergleichsunternehmen in eine Vergleichsanalyse einbezogen werden können, sondern allenfalls ein kleiner Teil. Mangels geeigneter inländischer Daten ergibt sich bei der datenbankgestützten Verrechnungspreisermittlung für funktionsausübende Tätigkeiten daher der Bedarf, auch ausländische Vergleichsdaten zu verwenden. Dies ist internationaler Standard. Sicherheit, alle relevanten Vergleichsunternehmen in eine Analyse einbeziehen zu können, besteht allerdings auch bei Einbeziehung ausländischer Vergleichsunternehmen nicht, da die Branchenschlüs1 Vgl. Finsterwalder, DStR 2005, 769; Scholz/Crüger, RIW 2005, 34. 2 Ausführungen zu Finanzdatenbanken inzwischen VWG 2020, Rz. 53. 3 Vgl. Maier-Frischmuth, IWB F. 3 Gr. 1, 1991. Zu einer Übersicht über Datenbanken, Anbieter und Kosten vgl. Vögele/Crüger in V/B/E, Verrechnungspreise3, Teil H Rz. 29 ff. Zu einer beispielhaften Durchführung einer Datenbankanalyse für eine im italienischen Arzneimittelmarkt tätige Vertriebsgesellschaft vgl. Wassermeyer, Analyse der steuerlichen Einflussfaktoren grenzüberschreitender Vertriebsalternativen inländischer Kapitalgesellschaften, abrufbar unter: http://dokumentix.ub. uni-siegen.de/opus/volltexte/2006/208/pdf/wassermeyer.pdf, Stand: 18.3.2014 (2006), 115 ff. 4 Vgl. Wahl/Preisser, IStR 2008, 59. 5 Vgl. zu allen Punkten der folgenden Aufzählung Oestreicher/Vormoor, IStR 2004, 102. 6 Zu entsprechenden Ansätzen vgl. Gummert in Münchener Hdb. des Gesellschaftsrechts Bd. 2, § 50, Rz 120-126; Giedinghagen, NZG 2007, 933 f. 7 Kleine Kapitalgesellschaften (bzw. entsprechende Personengesellschaften, wenn § 264a HGB Anwendung findet) brauchen nach § 326 HGB keine GuV offen zu legen. Mittelgroße Kapitalgesellschaften brauchen bei Anwendung des Gesamtkostenverfahrens ihre Umsatzerlöse nicht offen zu legen, da nach § 276 Satz 1 HGB ein zusammengefasster Ausweis von Umsatzerlösen und Materialaufwand als „Rohergebnis“ zulässig ist. 8 In der Amadeus-Datenbank sind auch Informationen zu Beteiligungsverhältnissen vorhanden, so dass die Auswahl potentieller Vergleichsunternehmen auf unabhängige Unternehmen beschränkt werden kann. Abhängige Unternehmen werden i.d.R. nicht verwendet werden können, da die in dem Einzelabschluss ausgewiesenen Ergebnisse durch unangemessene Verrechnungspreise mit nahestehenden Unternehmen beeinflusst sein könnten. 9 Nach der empirischen Studie von Theile/Nitsche, WPg 2006, 1151 kommen insbesondere kleine Gesellschaften ihrer Publizitätspflicht nicht nach.
Cordes/Bärsch | 1117
8.149
Kap. 8 Rz. 8.149 | Dokumentations- und Mitteilungspflichten
sel1 mit den tatsächlichen Verhältnissen möglicherweise nicht genau übereinstimmen oder detaillierte und zutreffende Tätigkeitsbeschreibungen2 fehlen.3
8.150
Relevante Kennzahlen. Soweit die Datenbank Bilanz- und GuV-Daten zu Vergleichsunternehmen enthält, können daraus verschiedene Kennzahlen berechnet werden.4 Für Verrechnungspreiszwecke sind nach der hier vertretenen Auffassung vor allem die Bruttogewinnmarge5, die Umsatzrendite6, die sog. „Berry-Ratio“7 sowie die Eigen- und Gesamtkapitalrendite8 relevant. Zu den zuverlässigsten Vergleichsergebnissen dürfte im Bereich der funktionsausübenden Tätigkeiten die Verwendung der Umsatzrendite bzw. der „Berry-Ratio“ führen. – Aus der Umsatzrendite von Vergleichsunternehmen kann – wenn Verrechnungspreise nach der Kostenaufschlagsmethode bestimmt werden sollen – ein entsprechender Kostenaufschlagssatz (zur Kostenaufschlagsmethode vgl. auch Rz. 5.39)9 berechnet werden, so dass die Umsatzrenditen übereinstimmen. Hat z.B. eine datenbankgestützte Vergleichsanalyse ergeben, dass vergleichbare (Dienstleistungs- oder Lohnfertigungs-)Unternehmen eine Umsatzrendite von 8 % erzielen, so ist im Rahmen der innerbetrieblichen Planrechnungen ein Kostenaufschlagssatz von ca. 8,7 %10 anzusetzen. Wird dieser Gewinnaufschlag bei den Produktkalkulationen zugrunde gelegt und ergeben sich keine signifikanten Abweichungen von den Planungen, würde das Gruppenunternehmen eine fremdübliche Umsatzrendite von 8 % erzielen. – Die „Berry-Ratio“ drückt einen Kostenaufschlagssatz aus und kann insbesondere bei Vertriebsgesellschaften eingesetzt werden, da nur die Kosten der Vertriebsgesellschaft ohne Wareneinkauf („operating expenses“) einbezogen werden. Hat eine Vertriebsgesellschaft
1 Als Branchenschlüssel werden i.d.R. nationale, europäische oder internationale Schlüssel verwendet, die hauptsächlich für Zwecke statistischer und volkswirtschaftlicher Erhebungen eingesetzt werden. Infolgedessen mangelt es z.B. in „jungen“ Industrie- oder Dienstleistungszweigen häufig an einer hinreichenden Gliederungstiefe der Schlüssel. 2 Die Tätigkeitsbeschreibungen stammen i.d.R. aus den Eintragungen der jeweiligen Unternehmen im Handelsregister zum Unternehmens- bzw. Gesellschaftszweck. In einigen Ländern werden diese Informationen in den Handelsregistern aber nicht geführt, so dass für Unternehmen dieser Länder meist nur die Branchenschlüssel hinterlegt sind. 3 Die von der Datenbank generierte Ergebnisliste muss daher auch durch eine anschließende manuelle Prüfung um nicht vergleichbare Unternehmen bereinigt werden. 4 Zu einer Auflistung und zu einzelnen Definitionen vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VWG-Verfahren Rz. 214. 5 Bruttogewinnmarge = Rohgewinn/Umsatzerlöse. 6 Umsatzrendite = Betriebsergebnis/Umsatzerlöse. Diese Größe wird auch als „Nettorendite“ bezeichnet. Die Verwendung des Betriebsergebnisses führt dazu, dass das Finanzergebnis, außerordentliche Erträge und Aufwendungen sowie Steuern nicht in die Berechnung der Umsatzrendite eingehen, vgl. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGr. Verf. Rz. 214, Fn. 4 m.w.N. Die Umsatzrendite setzt aber neben dem Vorhandensein von GuV-Informationen der Vergleichsunterneh