Vernunft und Philosophiegeschichte: Zu Husserls philosophiehistorischer Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie 9783495999691, 9783495487761


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0. Einleitung
1. Voraussetzungen der Idee der Philosophie in der phänomenologischen Theorie des Bewußtseins
I. Die methodische Auszeichnung des Wahrheitsproblems
II. Aktive und passive Weltkonstitution
III. Die Bestimmung der Subjektivität durch das »Interesse an Wahrheit«
IV. Zur Funktion des »Interesses an der Wahrheit«
V. Das Problem der Letztbegründung und der phänomenologische Wahrheitsbegriff
a) Das Postulat der Letztbegründung
b) Adäquate und apodiktische Evidenz
c) Probleme der radikalen Reflexion
d) Selbstbeziehung und Selbstkritik
2. Geschichtliche ›Motivation‹ und das Problem des voraussetzungslosen Anfangs
I. Aporien des voraussetzungslosen Anfangs
II. Zwei Aspekte eines Lösungsversuches
a) Die »absolute Situation«
b) Das Problem des »Entschlusses«
3. Die Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie im Begriff der Vernunft
I. Metaphysische und aletheiologische Bestimmung des Vernunftbegriffs
a) Vernunft und Metaphysik
b) Die aletheiologische Fassung der Vernunft
II. Vernunft – Welt – Geschichte
III. Vernunft und Verantwortung
4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie
I. »Allwissenheit« als Grundproblem teleologischer Vernunftentwicklung
II. Selbstverantwortung – Welt – Intersubjektivität
a) Die intersubjektive Konstitution der Welt
b) Primordiale Reduktion und Intersubjektivität
c) Die monadologische Konzeption der Intersubjektivität
d) Die Begründung der objektiven Welt in der intersubjektiven Synthesis
e) Spekulative Begründung der Monadologie in der Metaphysik des ›Absoluten‹
III. Aspekte einer ›speziellen‹ Metaphysik
5. Problem und Begriff der Philosophiegeschichte
I. Die Notwendigkeit geschichtlicher Selbstverständigung
II. Die innere Struktur philosophiegeschichtlicher »Koexistenz«
III. Kritische Rekonstruktion der philosophischen Aufgabenidee
6. Die »Urstiftung« der Philosophie
I. Genesis der »Theorie« aus der vorwissenschaftlichen Welterfahrung
II. »Theorie« als Kritik subjektrelativer Praxis
III. ›Kosmologisierung‹ der »Theorie« und naturalistische »Abstraktion«
7. Die Aufgabe einer Restitution der Philosophie und das Problem der Lebenswelt
I. Methodische Probleme des Rückgangs auf die Lebenswelt
II. Die Frage des ›Leitfadens‹ zur Erschließung der Lebenswelt
III. Die Rekonstruktion der Lebenswelt als Grundlegung der Idee der Philosophie
IV. Zur philosophiegeschichtlichen Rolle der Objektivismuskritik
8. Husserls Entwurf der Philosophiegeschichte
I. Das Sein der Welt als philosophiegeschichtliches Grundproblem
II. Platons Begründung der Philosophie als Wissenschaft
III. Die Neuzeit
a) Descartes als Initiator
b) Der skeptische Empirismus
IV. Die geschichtliche und systematische Funktion der Skepsis
9. Geschichtsphilosophische Perspektiven der phänomenologischen Idee der Philosophie
I. Zur systematischen Funktion philosophiegeschichtlicher Reflexion
II. Die Wissenschaftskritik der Krisis-Abhandlungen
III. Stufen der Vernunftgeschichte
Literaturverzeichnis
1. Werke Husserls
2. Weitere Literatur
Nachwort des Herausgebers
Schriftenverzeichnis Kurt Rainer Meist (1944–2013)
Zusammengestellt von Holger Glinka
A. Monographien
B. Editionen
C. Studienausgaben
D. Aufsätze
E. Rezensionen
F. Kurzreferate und Selbstanzeigen
G. Kurzberichte
H. Wissenschaftlicher Nachlass
Zu Autor und Herausgeber
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Vernunft und Philosophiegeschichte: Zu Husserls philosophiehistorischer Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie
 9783495999691, 9783495487761

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Phänomenologie

| 25

Kurt Rainer Meist

Vernunft und Philosophiegeschichte Zu Husserls philosophiehistorischer Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie

Herausgegeben von Holger Glinka

https://doi.org/10.5771/9783495999691 .

https://doi.org/10.5771/9783495999691 .

Phänomenologie Herausgegeben von Jean-Luc Marion Marco M. Olivetti (†) Walter Schweidler

25

Alle Bände in dieser Reihe durchlaufen vor der Annahme ein Peer-Review-Verfahren. https://doi.org/10.5771/9783495999691 .

Kurt Rainer Meist

Vernunft und Philosophiegeschichte Zu Husserls philosophiehistorischer Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie Herausgegeben von Holger Glinka

https://doi.org/10.5771/9783495999691 .

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1972 ISBN 978-3-495-48776-1 (Print) ISBN 978-3-495-99969-1 (ePDF)

1. Auflage 2023 © Verlag Karl Alber – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Baden-Baden 2023. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei). Printed on acid-free paper. Besuchen Sie uns im Internet verlag-alber.de https://doi.org/10.5771/9783495999691 .

Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

1. Voraussetzungen der Idee der Philosophie in der phänomenologischen Theorie des Bewußtseins . .

13

I.

13

Die methodische Auszeichnung des Wahrheitsproblems

II. Aktive und passive Weltkonstitution

. . . . . . . . . .

16

III. Die Bestimmung der Subjektivität durch das »Interesse an Wahrheit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

IV. Zur Funktion des »Interesses an der Wahrheit« . . . . .

28

V. Das Problem der Letztbegründung und der phänomenologische Wahrheitsbegriff . . . a) Das Postulat der Letztbegründung . . . b) Adäquate und apodiktische Evidenz . . c) Probleme der radikalen Reflexion . . . d) Selbstbeziehung und Selbstkritik . . . .

. . . . .

40 40 43 49 54

2. Geschichtliche ›Motivation‹ und das Problem des voraussetzungslosen Anfangs . . . . . . . . . . . .

59

I.

. . . . . . .

59

II. Zwei Aspekte eines Lösungsversuches . . . . . . . . . a) Die »absolute Situation« . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Problem des »Entschlusses« . . . . . . . . . . .

64 64 67

3. Die Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie im Begriff der Vernunft . . . . . . . . .

75

I.

Aporien des voraussetzungslosen Anfangs

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

Metaphysische und aletheiologische Bestimmung des Vernunftbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vernunft und Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . b) Die aletheiologische Fassung der Vernunft . . . . . .

75 75 80

5 https://doi.org/10.5771/9783495999691 .

Inhaltsverzeichnis

II. Vernunft – Welt – Geschichte . . . . . . . . . . . . . .

86

III. Vernunft und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . .

97

4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111

I.

»Allwissenheit« als Grundproblem teleologischer Vernunftentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111

II. Selbstverantwortung – Welt – Intersubjektivität . . . . a) Die intersubjektive Konstitution der Welt . . . . . . b) Primordiale Reduktion und Intersubjektivität . . . . c) Die monadologische Konzeption der Intersubjektivität d) Die Begründung der objektiven Welt in der intersubjektiven Synthesis . . . . . . . . . . . . . . e) Spekulative Begründung der Monadologie in der Metaphysik des ›Absoluten‹ . . . . . . . . . . . . .

143

III. Aspekte einer ›speziellen‹ Metaphysik

. . . . . . . . .

147

5. Problem und Begriff der Philosophiegeschichte . .

159

I.

159

Die Notwendigkeit geschichtlicher Selbstverständigung

115 115 118 128 134

II. Die innere Struktur philosophiegeschichtlicher »Koexistenz« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162

III. Kritische Rekonstruktion der philosophischen Aufgabenidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

168

6. Die »Urstiftung« der Philosophie

. . . . . . . . . .

175

Genesis der »Theorie« aus der vorwissenschaftlichen Welterfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175

II. »Theorie« als Kritik subjektrelativer Praxis . . . . . . .

179

III. ›Kosmologisierung‹ der »Theorie« und naturalistische »Abstraktion« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

7. Die Aufgabe einer Restitution der Philosophie und das Problem der Lebenswelt . . . . . . . . . . . . .

187

I.

187

I.

Methodische Probleme des Rückgangs auf die Lebenswelt

6 https://doi.org/10.5771/9783495999691 .

Inhaltsverzeichnis

II. Die Frage des ›Leitfadens‹ zur Erschließung der Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190

III. Die Rekonstruktion der Lebenswelt als Grundlegung der Idee der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195

IV. Zur philosophiegeschichtlichen Rolle der Objektivismuskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200

8. Husserls Entwurf der Philosophiegeschichte . . . .

205

I.

Das Sein der Welt als philosophiegeschichtliches Grundproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Platons Begründung der Philosophie als Wissenschaft

205

.

208

III. Die Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Descartes als Initiator . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der skeptische Empirismus . . . . . . . . . . . . .

213 213 215

IV. Die geschichtliche und systematische Funktion der Skepsis

219

9. Geschichtsphilosophische Perspektiven der phänomenologischen Idee der Philosophie . . . . .

227

I.

Zur systematischen Funktion philosophiegeschichtlicher Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227

II. Die Wissenschaftskritik der Krisis-Abhandlungen . . . .

229

III. Stufen der Vernunftgeschichte . . . . . . . . . . . . . .

231

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

1. Werke Husserls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

2. Weitere Literatur

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

Nachwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . .

241

Schriftenverzeichnis Kurt Rainer Meist (1944–2013)

Zusammengestellt von Holger Glinka . . . . . . . . . . . . . .

245

A. Monographien

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245

B. Editionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245

C. Studienausgaben

246

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7 https://doi.org/10.5771/9783495999691 .

Inhaltsverzeichnis

D. Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

246

E. Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

F.

Kurzreferate und Selbstanzeigen . . . . . . . . . . . . .

249

G. Kurzberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

H. Wissenschaftlicher Nachlass . . . . . . . . . . . . . . .

249

Zu Autor und Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . .

251

8 https://doi.org/10.5771/9783495999691 .

0. Einleitung

Husserls Auseinandersetzung mit der Philosophiegeschichte, die in der vorliegenden Arbeit untersucht wird, entspringt keinem primär doxographischen Interesse, das in der Form einer einleitenden histori­ schen Orientierung, wie Aristoteles sie seiner Ersten Philosophie vorausschickte, eine vorbereitende Einsicht in die Notwendigkeit und Plausibilität des eigenen Ansatzes vermitteln will. Vielmehr wurzelt die philosophiegeschichtliche Reflexion ihrerseits in der Durchfüh­ rung des phänomenologischen Programms, durch radikale Kritik der Erkenntnis und des Wissens die Philosophie als apodiktische und strenge Wissenschaft zu begründen. Diese im Namen des Interesses an Wahrheit exponierte Kritik richtet sich nicht allein gegen den besonderen Wahrheitsanspruch der faktischen Wissenschaften, son­ dern ist in letzter Konsequenz darauf aus, die unmittelbare Evidenz des natürlichen Bewußtseins, das »Vorurteil« auch der vorwissen­ schaftlichen Erkenntnisgewißheit aufzuheben. Es ist die auf diese Weise erzielte Einsicht in die Nichtnotwendig­ keit und (geschichtliche) Relativität der Erfahrung schlechthin bzw. die universale Problematisierung von Wissen und Gewißheit, welche umgekehrt Husserls Reflexion auf die Struktur der weltkonstituieren­ den Subjektivität und deren ursprüngliches »Interesse an Wahrheit« motivierte. Denn wenn im Ausgang von der phänomenologischen Fundamentalreflexion das Postulat strenger Wissenschaft, also die Forderung letzter Evidenzsicherung durch Vernunft, sich nicht mehr durch schlichten Rekurs auf einen vorgegebenen Wissenschaftsbe­ griff sichern läßt, so bedarf es nun einer prinzipiellen Ableitung jener Forderung aus dem Wesen der transzendentalen Subjektivität, um die Philosophie als radikale »Selbstbesinnung« im Sinne einer unüberbietbaren Selbstbeziehung und damit als ideale Grundform subjektiven Lebens aufzuweisen. Nur auf diesem Wege läßt sich zugleich der von Husserl erhobene Anspruch bewähren, daß die phänomenologische Idee der Philosophie dazu berufen ist, ein durch universale Vernunfteinsicht geregelten Leben zu ermöglichen.

9 https://doi.org/10.5771/9783495999691 .

0. Einleitung

Die vorliegende Untersuchung unternimmt daher zunächst eine Entwicklung der subjektivitätstheoretischen Voraussetzungen, aus denen die phänomenologische Idee der Philosophie hervorging. Die Vollendung dieser subjektivitätstheoretischen Konzeption bezeichnet die Idee der Vernunft bzw. der Verantwortung als höchste Normge­ stalt des subjektiven Interesses an Wahrheit, und die Explikation dieses Grundbegriffs ermöglicht zugleich die Bestimmung der (trans­ zendentalen) Freiheit als desjenigen zentralen Gedankens, auf den Husserls phänomenologischer Idealismus aufgebaut ist. Von hier aus ergibt sich allererst die Möglichkeit, Husserls eigentliche Idee der Philosophie in ihrem vollem Umfang zu entwickeln. Diese Idee überschreitet, wie sich zeigen läßt, die erkenntniskritische bzw. epis­ temologische Fragestellung, die alleiniges Motiv zur Ausbildung der transzendentalphänomenologischen Subjektivitätstheorie bzw. deren aletheiologischer Fassung gewesen zu sein schien. Denn mit der Theorie der Intersubjektivität als der Explikation der eigentlichen Konstitutionsform eines universalen Weltbewußtseins entwickelt Husserl die metaphysische Konzeption des Monadenalls; und auf dieser Basis begründet er die Idee einer idealen Verifikationsgemein­ schaft, die das höchste Ziel der teleologischen Vernunftentwicklung darstellt. Auf diese Idee ist auch die ›praktische‹ Motivation der Philosophie bezogen: es ist das Postulat einer widerspruchsfreien Konvergenz von Bewußtsein und Welt, das durch die Realisierung der universalen intersubjektiven Synthesis für Husserl zugleich als eigentlicher Sinn radikaler Philosophie hervortritt. Husserls Begriff der Philosophiegeschichte, d.h. die »Urstiftung« der Philosophie wie auch ihre spezielle interne Struktur, wird in dem Vollzug der intersubjektiven Synthesis als der Grundform sub­ jektiver Teleologie begründet. Damit gewinnt Husserl einerseits die Möglichkeit, die Philosophiegeschichte selbst über ihre empirische Erscheinung als eine Abfolge einander widersprechender Theorien des Wissens und Erkennens hinaus auf ihre aitiologische Funktion für die Begründung der transzendentalen Phänomenologie zurück­ zuführen. Andererseits ergibt sich durch die kritische Destruktion der philosophischen Tradition ein (zugleich geschichtlich gerecht­ fertigter) Ansatz, um die eigentliche Aufgabenstellung der Philoso­ phie gegen die in der Subjektivität gelegene Verdeckungstendenz zurückzugewinnen. Husserls kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Philosophie erweist sich dergestalt als ein notwen­ diges systematisches Korrelat der phänomenologischen Kritik des

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0. Einleitung

natürlichen Bewußtseins und nicht als beiläufiger Annex einer sich verzweigenden Gesamtsystematik. Sie endet daher auch nicht in deren Negation, sondern bildet einen neuen Begriff der Geschichte und Geschichtlichkeit, der die Idee radikaler Begründung in sich aufnimmt. Diese Erweiterung des usprünglichen Programms tritt freilich erst im Laufe der späteren Entwicklung des Husserlschen Denkens auf und verdichtet sich hier in den letzten Ausarbeitungen zur Theorie der Lebenswelt und dem Kampf gegen den geschichtlich zur Herrschaft gekommenen Objektivismus. Es ist das Ziel dieser Arbeit, die Konsequenz dieser Entwicklung systematisch darzulegen und aus der allmählichen Differenzierung und Konkretisierung der einheitlichen phänomenologischen Idee der Philosophie einsichtig zu machen. Dies scheint um so nötiger, als Husserls Idee der Phi­ losophie in ihrer Eigenart und systematischen Kohärenz von ihm selbst nirgends zusammenfassend dargestellt wurde und auch in der Forschung nur vereinzelt oder partiell Berücksichtigung fand. Auch die öfter wiederholte Behauptung von der prinzipiellen Geschichts­ fremdheit der Phänomenologie, ihrem platonisierenden Idealismus, dürfte in dieser Form nicht aufrecht zu halten sein. Denn die von Husserl selbst vollzogene Aufnahme der Geschichte in die »voraus­ setzungslose« Selbstbegründung der Phänomenologie führte zu einer geschichtsphilosophischen Konzeption der »Vernunftmenschheit«, die den eigentlichen Bezugspunkt der Idee der Philosophie bildet. Daß diese nach Husserls Wille unverändert »strenge Wissenschaft« sein und diesen Charakter auch nicht infolge des Relativismus geschicht­ licher Erfahrung ablegen soll, bezeichnet gewiß die Bedeutung und den Rang dieses Entwurfs universaler Philosophie. – Ob die phäno­ menologische Idee der Philosophie deswegen aber schon verbindliche Norm des Philosophierens sein kann, muß gleichwohl fraglich blei­ ben, wenn man auf die inneren Grenzen ihrer Konzeption achtet.

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https://doi.org/10.5771/9783495999691 .

1. Voraussetzungen der Idee der Philosophie in der phänomenologischen Theorie des Bewußtseins

I. Die methodische Auszeichnung des Wahrheitsproblems In ihren Grundzügen ist Husserls Idee der Philosophie keine von Anfang an feststehende Voraussetzung der Phänomenologie. Sie erwuchs vielmehr aus der Umbildung des erstmals in den Logischen Untersuchungen entwickelten phänomenologischen Ansatzes zu einer transzendentalen Theorie des intentionalen Bewußtseins, deren reife und im Grundsatz auch später niemals preisgegebene Darstellung Husserl in Ideen I veröffentlicht hat. Der entscheidende Antrieb zur Ausbildung dieser Konzeption war, wie die Vorlesungen aus dem Jahre 1907 zeigen (vgl. Hua II 17–26; 29ff.), eine Verschärfung der erkenntniskritischen Problematik, deren Grundgedanken auch für die weitere Entfaltung der transzendentalen Phänomenologie bestim­ mend blieben. Das wesentliche Charakteristikum der Phänomenolo­ gie, ja ihre spezifische Überlegenheit gegenüber aller überlieferten Philosophie erblickte Husserl in dem von ihr praktizierten »Radika­ lismus der Erkenntnisautonomie […], in dem alles und jedes als selbstverständlich seiend Vorgegebene außer Geltung gestellt« (Hua V 151) wird. Ziel dieses erkenntniskritischen Radikalismus ist es, den methodischen Rückgang auf eine ursprüngliche und erste Evidenz zu vollziehen, »die allen erdenklichen Evidenzen voranliegt und sie implizite trägt.« (Ebd.) Damit rückt jedoch das Problem, wie diese erste Evidenz oder Wahrheit ihrerseits ohne Rekurs auf eine schon vorausgesetzte Idee der Wahrheit bestimmt werden könne, in den Mittelpunkt der Reflexion auf die der Phänomenologie eigentümli­ che Methodik. Für Husserl ist ›Wahrheit‹ weder ein (vorgegebener) ontologischer Grundzug des Seienden unabhängig vom Bewußtsein noch will er sie auf den Bereich der reinen Logik, als in deren Form begründete Evidenz des Schließens, eingeschränkt wissen. Nach dem in Ideen I (vgl. Hua III 52) formulierten »Prinzip aller Prinzipien«

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1. Voraussetzungen der Idee der Philosophie

handelt es sich vielmehr um den ausgezeichneten Modus, durch den Seiendes für das konstituierende Bewußtsein gegeben ist, d.h. den Gegenstand phänomenologischer Untersuchung bildet primär die Gegebenheitsweise oder die intentionale Beziehung des Bewußt­ seins zur Welt, die ihrerseits Grundlage und Ausgangspunkt für die objektive Geltung der formalen Logik innerhalb einer jeden Erkennt­ nisleistung ist. Diese Auszeichnung des Wahrheitsproblems, die es erlaubt, Husserls Begriff der Philosophie nach der Seite seiner methodischen Aufgabenstellung insgesamt als phänomenologische »Aletheiologie« zu charakterisieren,1 hatte aber zur Folge, daß auch der konkrete Ansatzpunkt der phänomenologischen Untersuchungen, das inten­ tionale Bewußtsein selbst, unter jenem »aletheologischen« Blick­ winkel thematisiert und in seiner Struktur bestimmt wurde. Denn für Husserls Anspruch, die Philosophie im Gegenzug zur Tradition auf den Radikalismus wahrer »Erkenntnisautonomie« zu gründen, wurde es entscheidend, nicht nur das konstituierende Bewußtsein als Dimension jener ›ersten Evidenz‹ hervorzuheben und so den »Auf­ stieg von der mondänen Subjektivität (dem Menschen) zur ›trans­ zendentalen Subjektivität‹« (Hua V 140) methodisch zu vollziehen. Vielmehr entstand zugleich die Frage, ob diese (zunächst methodisch exponierte) Idee der Philosophie sich ebenfalls in dem so gewonnenen Begriff der Subjektivität begründen ließ, und zwar mit der Maßgabe, daß die Beziehung auf eine erste, alle übrigen tragende Evidenz im Bewußtsein als höchste Form des faktischen Bewußtseinlebens selbst: als dessen teleologisch vorgezeichnete Weise unbedingten Selbstbewußtseins, aus der Struktur der Subjektivität abgeleitet wer­ den kann. Das spezifische Interesse an Wahrheit, das zunächst nur ein Charakteristikum der phänomenologischen Programmatik zu sein schien, verwandelt sich infolge der Radikalisierung des Begründungs­ problems in eine Hauptbestimmung der Subjektivität. Für Husserls Gesamtentwurf der Philosophie war dies ein Schritt von großer Tragweite, insofern der für den ›cartesianischen‹ Ansatz der transzendentalen Phänomenologie zentrale Begriff des Bewußt­ seins, welcher zunächst deskriptiv vom Begriff der Intentionalität Vgl. Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. Berlin 1967. 183. – Zur methodischen Funktion des Prinzips der reinen Evidenz vgl.: Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. Zur Letztbegründung der Wissenschaft aus der radikalen Skepsis im Denken E. Husserls. Den Haag 1970. 25–28. (Phaenomenologica 38) 1

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I. Die methodische Auszeichnung des Wahrheitsproblems

her entwickelt wurde, nun in der ›aletheiologischen‹ Fassung den Kern einer speziellen Subjektivitätstheorie bildete, die ihrerseits den Angelpunkt der phänomenologischen Systematik darstellt. Denn die so bestimmte Subjektivität ist nach Husserl nicht nur geeignet, als letzte Begründungsinstanz die spezielle erkenntniskritische Proble­ matik sowie die damit verbundene Frage nach der Möglichkeit stren­ ger Wissenschaft aufzuklären, sondern soll ebensowohl die (trans­ zendentalen) Konstitutionsbedingungen von Welt, Intersubjektivität und Geschichte enthalten. Die Idee der Philosophie, welche sich als Leitidee der transzendentalen Phänomenologie rekonstruieren läßt und deren universaler Erklärungsanspruch sich auf die genannten Bereiche sowie die hier sich ergebenden (metaphysischen) Probleme erstreckt, hat demgemäß ihre eigentlichen Voraussetzungen in die­ sem Begriff der Subjektivität, deren Grundverfassung nach Husserl durch das (teleologische) Interesse an Wahrheit bestimmt ist. Die folgende Untersuchung muß deshalb zunächst die subjekti­ vitätstheoretischen Grundlagen der von Husserl ausgebildeten Idee der Philosophie kurz darlegen und zugleich die Schwierigkeiten auf­ zeigen, in die Husserls Anspruch geriet, eine radikale und vorausset­ zungslose Begründung der Philosophie als ›strenge Wissenschaft‹2 auf dem Boden eben dieses Ansatzes durchführen zu können. Dabei gewinnt insbesondere die Frage entscheidende Bedeutung, ob es Husserl gelungen ist, das spezielle Problem der »Motivation« (vgl. ebd. 147–149) zur Radikalisierung des im subjektiven Leben selbst verankerten Interesses an Wahrheit aufzulösen. Einerseits nämlich bildet diese Radikalisierung des (theoretischen) Interesses an Wahr­ heit für Husserl das eigentliche Kennzeichen strenger Wissenschaft überhaupt, das deshalb primär für die Philosophie als deren höchste Form in Anspruch genommen wird. Dies bedeutet aber infolge der methodischen Grundoperation des transzendentalphänomenolo­ gischen Idealismus: der Reduktion, daß sowohl das reine Bewußtsein als auch das dieses Bewußtseinsleben reflektierende Ich keinerlei 2 Husserl hat diesen Anspruch in seinem Aufsatz Philosophie als strenge Wissenschaft noch vor dem Erscheinen von Ideen I programmatisch entwickelt. Zu der oft wieder­ holten Behauptung, daß Husserl diese Auffassung in den späten Ausarbeitungen zur Krisis widerrufen habe (vgl. Hua VI 508), siehe die überzeugende Richtigstellung durch: Hans-Georg Gadamer: Die phänomenologische Bewegung. – In: Philosophi­ sche Rundschau. 11 (1963), 25f. – Ferner: Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff. A.a.O. 253. – Sowie: Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. Ein Beitrag zur Diskussion von Husserls Spätwerk. Den Haag 1970. 142. (Phaenomenologica 35)

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1. Voraussetzungen der Idee der Philosophie

versteckte oder offene psychologistische Annahmen enthalten darf (vgl. ebd. 149–150). Andererseits charakterisiert jene Radikalisierung den im faktischen Bewußtseinsleben zu realisierenden Übergang von der ›natürlichen‹ zur ›transzendentalen Einstellung‹, bei der sich das »philosophierende Ich zwingt, sich auf diejenige eigene Subjektivität zurückzubesinnen, die in all seiner wirklichen und möglichen natür­ lich-weltlichen Erfahrung letztlich das erfahrende […] Ich ist, also schon vorausliegt jeder natürliche Selbsterkenntnis […].« (Ebd. 147) Damit gewinnt aber das Problem einer radikalen Begründung der Philosophie innerhalb der subjektivitätstheoretischensubjektivitäts­ theoretischen Konzeption Husserls einen bedeutsamen Aspekt hinzu. Abgesehen nämlich von der Frage, ob Husserls Begriff der Subjektivi­ tät, genauer sein Begriff der Reflexion, geeignet ist, die hier erforderli­ che genetische Konstruktion des (notwendigen) Übergangs zur Weise des transzendentalen Selbstbewußtseins – oder die Entstehung der zweiten aus der ersten Stufe des Bewußtseins – zu entwickeln, gilt es darüber hinaus nicht allein zu klären, ob die inhaltlichen Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie sich vollständig aus der Struktur der Subjektivität ableiten und in ihrer Geltung sichern lassen. Vielmehr erhebt sich auch die Frage, ob die Entstehung einer solchen Aufgabenidee, deren Verbindlichkeit nicht empirisch, etwa durch den Hinweis auf eine vorgegebene Wissenschaftstradition, oder psychologisch durch den Aufweis anthropologischer Konstanten begründet sein darf, aus dem vollen Begriff der Subjektivität dargetan werden kann.

II. Aktive und passive Weltkonstitution Husserls erkenntniskritische Zielsetzung, das Problem der Wahrheit ohne Rekurs auf eine vorausgesetzte Idee der Wahrheit aus der ›ursprünglichen‹ intentionalen Beziehung von Bewußtsein und Welt aufzuklären, verfolgt zugleich die Absicht, die Möglichkeit der Philo­ sophie als strenge Wissenschaft aus demselben Ansatz, jedoch unter Verzicht auf vorgegebene theoretische Komponenten zu begründen. Zu solchen Komponenten zählt auch ein phänomenologisch unausge­ wiesener Wahrheitsbegriff, der unabhängig von einer phänomenolo­ gischen Analyse des transzendentalen Bewußtseinslebens aufgestellt wird. Denn als Formalisierung der Bedingungen und Regeln, nach denen eine Erkenntnis jeweils als wahre ausgezeichnet werden kann,

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II. Aktive und passive Weltkonstitution

enthält er für Husserl bereits eine Theorie des Erkennens, die mit der Struktur des faktischen Bewußtseinslebens nicht ohne weiteres zur Deckung zu bringen ist. Da aber das Postulat strenger Wissenschaft ohne eine Bezugnahme auf Wahrheit offenkundig sinnlos ist, muß die mit Hilfe jenes Postulats vorgenommene Definition der Philosophie die Exposition des Wahrheitsproblems mit dem phänomenologischen Ansatz bei der stets auf Gegenständlichkeit gerichteten Bewußtseins­ intentionalität verbinden. Dieser Sachlage sucht Husserl dadurch gerecht zu werden, daß er Wissenschaft definiert als die »systemati­ sche Auswirkung eines von allen sonstigen Abzweckungen befreiten theoretischen Interesses, des Interesses an der Wahrheit rein um der Wahrheit willen.« (Hua VII 203) Im gegenwärtigen Zusammenhang gewinnt der Ausdruck »Interesse« besondere Bedeutung. Durch seine Verwendung, die auf die Funktion der Subjektivität zurückweist, vermeidet Husserl zunächst, daß die Einführung einer vorweg in Geltung gesetzten Theorie der Wahrheit der phänomenologischen Analyse des Bewußt­ seins von Wahrheit zuvorkommt, aus welcher der ursprüngliche Begriff der Wahrheit allererst hervorgehen soll. Darüber hinaus rückt er jene subjektive, aktivische Komponente des Husserlschen Ansatzes: das intentionale Bewußtsein, in den Vordergrund, dessen konstitutive Leistung einerseits für Gegenständlichkeit schlechthin zuständig ist und für das andererseits, dem »Prinzip aller Prinzipien« gemäß, »Wahrheit« einen ausgezeichneten Modus der Gegebenheits­ weise von Gegenständlichem darstellt. Da nämlich »Wahrheit« von Husserl nicht als objektive Eigenschaft des gegenständlich Gegebe­ nen, sondern als Weise des Gegebenseins (für das Bewußtsein) verstanden wird, läßt sie sich umgekehrt als ein dem intentionalen Bewußtsein strukturell einbeschriebener und von ihm vollzogener Wahrheitsbezug, eben als »Interesse«, charakterisieren (vgl. Hua VIII 96, 103). Das spezifische »Interesse an Wahrheit« wird aber nicht als zusätzliche psychologische Qualität des Bewußtseins von etwas gedacht, sondern muß als Konstitutionsbedingung von Wissen, des Gegenständlichen in seiner Gegebenheitsweise für das Bewußtsein aufgewiesen werden. Dies bedeutet auch, daß es als ausgezeichneter Modus des Bewußtseins von Welt (in ihrem objektiven Gegeben­ sein) nicht einem besonderen (z.B. wissenschaftlichen) Zustand des Bewußtseins allein zugeschrieben werden darf. Vielmehr bestimmt das Interesse an Wahrheit das Bewußtsein in jeder – auch vorwissen­ schaftlichen – Beziehung zur Welt, obwohl, wie im folgenden zu

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zeigen sein wird, nach Husserl die Idee der Wissenschaft – und d.h. der Vollzug eines reinen Interesses an Wahrheit – die höchste Form des Selbstbewußtseins als Beziehung auf sich: den transzendentalen Konstitutionsgrund der Welt, darstellt. Husserls methodischer Anspruch besteht darin, daß die Phäno­ menologie, statt einen konstruktiven und darum abstrakten »Intellek­ tualismus« (Hua V 140) zu betreiben, mit ihrem transzendentalen Ansatz gerade die vorurteilsfreie Erfassung des faktischen Bewußt­ seins durchfährt, wie dieses in der »natürlichen Einstellung« auf die unmittelbar erfahrene Welt bezogen ist (vgl. ebd. 141; Hua I 177; Hua III 57) und so jeder philosophischen bzw. erkenntniskritischen Reflexion vorausgeht (vgl. Hua IX 190). Als Grundcharakter der natürlichen Einstellung stellt Husserl die Urdoxa heraus, durch die der universale, in seinen jeweiligen faktischen Modalisierungen freilich zunächst undifferenzierte »Glaube« an das Sein der Welt nicht nur gesetzt wird, sondern die auch Bedingung praktischen Handelns sowie jedes Interesses an objektiver Erkenntnis ist und selber ein »natürliches« Interesse bzw. einen »Glauben an die Objektivität« (ebd.; vgl. ebd. 191) impliziert.3 Denn die in der Doxa präsumierte Gewißheit der Einheit der Erfahrung, des »Einheitsbestand[es] ein­ stimmiger Gesamtwirklichkeit« (ebd. 60), muß mit dessen faktischer Offenheit und aktueller Unabgeschlossenheit zusammengedacht werden. Das natürliche »Weltbewußtsein« ist »in einer ständigen Bewegung« begriffen, d.h. »im Wandel der Affektion und Aktion, derart, daß immer ein Gesamtbereich der Affektion besteht und die darin affizierenden Objekte bald thematisch, bald unthematisch sind […].« (Hua VI 111) Die entscheidende subjektivitätstheoretische Einsicht Husserls besteht nun darin, die wesentliche Zweiseitigkeit dieser Sachlage zu thematisieren. Indem er die aktiven von den passiven Konstitutions­ leistungen abhebt, gewinnt er den Ansatzpunkt für eine phänomeno­ logische Analyse des doxischen »Glaubens« an die Vorgegebenheit der Welt für das Bewußtsein, die zunächst als unthematische Prä­ sumtion des erfahrenden Bewußtseins fungiert (vgl. Hua I 112f.; Hua IX 56–59). Nach Husserl ist das von der Erfahrung gleichsam fertig vorgefundene Ding »in der Ursprünglichkeit des es selbst in Zur Interpretation der Doxa als »Setzungsqualität« der universalen Intentionalität sowie zur Funktion der »Urdoxa« im Hinblick auf die Konstitution der Welt vgl.: Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 39–45.

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der Synthesis passiver Erfahrung gegeben. Als das ist es vorgegeben den mit dem aktiven Erfassen einsetzenden geistigen Aktivitäten.« (Hua I 112) Umgekehrt hält Husserl daran fest, daß damit die von der Erfahrung erfaßten Dinge nicht als Konstrukte zweier, einander entgegengesetzter Sphären der Konstitution verstanden werden dür­ fen. Vielmehr sind die aktiven und passiven Konstitutionsleistungen innerhalb der konkreten Erfahrung synthetisch miteinander verfloch­ ten und bilden einen Kontext, innerhalb dessen jedes herausgehobene Ding eine eigene »Geschichte« (vgl. ebd. 112f.) hat, die ihrerseits – als intentionale Implikation – der genetischen Analyse zugänglich ist.4 »›Der‹ Welt entspricht für uns die universale Synthesis zusammen­ stimmender intentionaler Synthesen, zu ihr gehörig eine universale Glaubensgewißheit.« (Hua XI 101) Indem Husserl mit der phänomenologischen Aufweisung der passiven Synthesis die Substruktur der Doxa selbst thematisiert und damit seine erkenntniskritische Ausgangsfrage radikalisiert, wie das Vorgegebensein der Welt mit dem intentionalen Charakter des Bewußtseinslebens zu vereinbaren sei, tut er den entscheidenden Schritt über die in den Ideen I formulierte Position hinaus.5 Dabei ist für den gegenwärtigen Zusammenhang von Bedeutung, daß so nicht nur eine Erweiterung und Weiterentwicklung des Begriffs der Intentionalität erreicht wird. Vielmehr ergibt sich, daß auch die Sphäre passiver Synthesis innerhalb der transzendentalen Weltkonstitution den dezidierten Charakter der Bewußtseinsintentionalität hat (vgl. ebd. 76, 90, 364). Dies besagt, daß die passive Konstitution des 4 Zur spezifischen »Geschichtlichkeit« der Erfahrung innerhalb der Sphäre passiver Genesis vgl.: Hans Wagner: Kritische Betrachtungen zu Husserls Nachlaß. – In: Philosophische Rundschau. 1 (1953/54), 1–22; 93–123; hier bes. 98. 5 Zur Bestimmung der Doxa als »Thesis« und positional meinende »Setzung« in Anknüpfung an Ideen I vgl. die Darstellung bei: Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbe­ griff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 41–44. – Eine Erörterung der grundlegenden Unterscheidung von aktiven und passiven Leistungen unternimmt: Klaus Held: Lebendige Gegenwart. Die Frage nach der Seinsweise des transzendentalen Ich bei Edmund Husserl, entwickelt am Leitfaden der Zeitproblematik. Den Haag 1966. 26ff. (Phaenomenologica 23) – Elmar Holenstein hat eine »begriffsanalytische Studie« vor­ gelegt, die außer einer Interpretation der passiven Synthesis bei Husserl zugleich eine philosophiegeschichtliche Einordnung jener Thematik bietet. – Elmar Holenstein: Passive Genesis. Eine begriffsanalytische Studie. – In: Tijdschrift vor Philosophie 33 (1971), 112–153. – Zum Verhältnis von passiver und aktiver Konstitution und der darin begründeten wechselseitigen Fundierung von »Perzeption« und »Apperzeption« vgl.: Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. A.a.O. 142–173.

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gegenständlich Vorgegebenen ihrerseits nicht nur Bedingung der thetischen Aktivität des Bewußtseinslebens und seiner impliziten Ausrichtung auf »Wahrheit« (als »Selbstgebung«) ist, sondern infolge ihrer Zugehörigkeit zum Ichleben selber die motivierende Vorstufe einer solchen Ausrichtung darstellt.6 Innerhalb der Gesamtstruktur der Erfahrung bildet die aktive Doxa, das vermeinende Gerichtetsein auf den Gegenstand (vgl. ebd. 364), einen genetisch motivierten Modus der Beziehung von Bewußtsein und Welt und ist demnach ein ›fundierter‹ Akt, der das hyletisch Vorgegebene bereits als prägnant Gegebenes, d.h. als »es selbst« Vorkonstituiertes, in einem mitapper­ zipierten Horizont (vgl. ebd. 204) auffaßt (vgl. Hua I 111–113; Hua VI 367).7 Denn die »Leistung der Passivität […] ist es, für das Ich immer­ fort ein Feld vorgegebener und in weiterer Folge eventuell gegebe­ ner Gegenständlichkeiten zu schaffen.« (Hua XI 162) Von diesem Ansatz her trifft Husserl die folgende Unterscheidung: »Vorgegeben ist irgendein Konstituiertes, sofern es einen affektiven Reiz übt, gegeben ist es, sofern das Ich dem Reiz Folge geleistet, aufmerkend, erfassend sich zugewandt hat.« (Ebd. 162) Bedingung der aktiven Doxa ist sonach die apperzeptive Affektion, d.h. die Aktivität bedarf selbst einer ›Weckung‹ der Ichspontaneität (vgl. ebd. 90), und zwar schon auf deren erster Stufe, der Rezeptivität als Sich-richten-auf. Die passive Genesis des »Weltbewußtseins« untersteht dem Prinzip der »Assoziation als Synthesis zwischen Weckendem und dadurch Gewecktem, Hin-richtendem und Richtung Übernehmendem […].« (Ebd. 84) Wird dagegen, wie es Husserls Position in Ideen I nahelegt, das intentionale Bewußtseinsleben als ausschließlich thetisches und demzufolge implizit auf Wahrheit ausgerichtetes entwickelt, dann muß festgehalten werden, daß die Urdoxa zwar jeden nicht-doxischen

6 Im Rahmen seiner Analyse des Zusammenhangs von Zeit und Passivität bestimmt Held die intentionale Struktur der Passivität als ein (ichliches) »Interesse«. – Vgl.: Klaus Held: Lebendige Gegenwart. A.a.O. 27; 98f. – Zur Frage der Affektion vgl. Hua IX 209–212 und: Ludwig Landgrebe: Welt als phänomenologisches Problem. – In: Ludwig Landgrebe: Der Weg der Phänomenologie. Das Problem einer ursprünglichen Erfahrung. 3. Auflage Gütersloh 1969. 41–62; hier: 58f. 7 Vgl. Ludwig Landgrebe: Das Problem der Geschichtlichkeit des Lebens und die Phänomenologie Edmund Husserls. – In: Ludwig Landgrebe: Phänomenologie und Geschichte. Darmstadt 1968. 11–33; hier: 28f.

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Akt ›fundiert‹,8 weil er prinzipiell in diese transformierbar ist, selber aber – als vom aktiven Bewußtsein her gedachte – nicht den letzten Explikationsgrund des (aktiven) Interesses an Wahrheit darstellt. Denn dieses Interesse an Wahrheit, das die Rechtmäßigkeit einer modalen Setzung des Gegebenen als Selbstgegebenes virtuell »prä­ tendiert«, hat dem soeben zitierten Prinzip der »Assoziation« zufolge seine genetische Vorgeschichte in der Affektion (vgl. ebd. 92). Der an Wahrheit im Sinne des an Selbstgebung des vermeinten Seienden »interessierte« Bezug des Bewußtseins zur Welt erweist sich deshalb für Husserl als eine der ursprünglichen, jedoch affektiv motivier­ ten, Erfahrung eingezeichnete Möglichkeit eben dieses Bewußtseins. »Zuhöchst haben wir für jedes Bewußtsein die Möglichkeit, zu einem seinsintendierenden zu werden, zu einem Erkenntnisstreben […], das sich befriedigt in einer Synthese der Bewahrheitung.« (Ebd. 85)9 Diese Möglichkeit ist jedoch keine beliebige oder frei gewählte. Sie findet ihre – für jedes Bewußtsein von etwas zugleich schlecht­ hin notwendige – Bedingung in der Affektion, die deshalb als eine ›motivierende‹ bezeichnet werden kann, weil sie keine regellose Menge »hyletischer« Daten vorgibt, sondern das erfahrene Gegen­ ständliche bereits im urspünglichen Modus des Gegebenseins für ein ›mögliches‹ Interesse an Wahrheit, nämlich im Modus des »es selbst« (vgl. Hua I 112f.) als »affektive hyletische Einheit[]« (Hua XI 162), präsentiert. Alles doxische Bewußtsein von Welt entstammt Vgl. Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 187 u.ö. 9 Im Anschluß an seine Interpretation von Ideen I bestimmt Tugendhat das Interesse an Wahrheit als spezifischen Index der immanenten Spannung von »Prätention« und Rechtmäßigkeit aller doxischen Setzungen einschließlich ihrer Modalisierungen. – Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 41–44; 186f. – Vgl. auch Manfred Brelage: Die Geschichtlichkeit der Philosophie und die Philosophiegeschichte. – In: Studien zur Transzendentalphilosophie. Berlin 1965. 112–115. – Dabei läßt er jedoch die Vorstufe der »Bewahrheitung« in der passiven Synthesis des Bewußtseinslebens außer Betracht (vgl. Hua XI 202; 432) und faßt subjektive Erfahrungsintentionalität vornehmlich als (aktive) Thesis. Durch diese (einseitige) Verlagerung des Interesses an Wahrheit in die – der Welt gegenüber­ stehende – subjektive Komponente der universalen Weltkonstitution tritt aber der oben dargestellte Funktionsaspekt der passiven Synthesis zurück, der Husserls späten Ansatz insgesamt kennzeichnet. Daß deshalb eine Korrektur Tugendhats auf der Basis der in Hua XI der Husserliana vorgelegten Texte notwendig ist, zeigt eingehend: Gerd Brand: Husserls Lehre von der Wahrheit. – In: Philosophische Rundschau. 17 (1970), 57–94. – Vgl. ferner: Gerd Brand: Die Lebenswelt. Eine Philosophie des konkreten Apriori. Berlin 1971. 65–70 (zur Horizontstruktur der Erfahrung vgl. ebd. 82–89). 8

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der unhinterschreitbaren Verfugung von affektiver Weckung, d.h. Einstrahlung in das Ich als »Ausstrahlungszentrum des Strebens in Aktion« (ebd. 85) einerseits und der aktiven Bewußtseinsleistung andererseits, vermöge welcher sich Erfahrung in der Konkretion ›lebendiger Gegenwart‹ (des Bewußtseins) vollzieht.10 In diesem Sinne ist das spezifische Erkenntnisstreben nicht einem von der Beziehung auf die stets schon gegebene Welt losgelösten (psycho­ logischen) Vermögen der Ichaktivität zuzuweisen; es vollzieht sich vielmehr als intentionale Zuwendung zur affektiven, das Interesse an Wahrheit zugleich motivierenden Bekundung der Welt für das Bewußtsein.11 Zuvor ist es der dem doxischen Leben implizierte »Strebens- und Wollenszug« (Hua VIII 193) mit dem Telos »Wahr­ heit«, durch den das Gegenständliche in den Approximationen der »Bewahrheitung« bewußt wird. Aber das Bewußtsein – und darauf kommt es im gegenwärtigen Zusammenhang an – tritt nicht erst an die Welt heran, um hier »Wahrheit« aufzusuchen, sondern ist 10 Zur Rolle der »affektiven Einheiten« als Konstitutionsbedingungen einer »Gegen­ standswelt« für die Subjektivität vgl. Hua XI 162. – Über den Zusammenhang zwischen dem (hier nicht thematisierten) inneren Zeitbewußtsein und der Horizont­ bildung im natürlichen Weltbegriff vgl.: Ludwig Landgrebe: Welt als phänomenologi­ sches Problem. A.a.O. 58–62. 11 Hubert Hohl hat das »Problem der Affektion und Intention als Teilproblem des Lebens« thematisiert und in der Korrelation von Uraffektion und Ichaktivität eine Aporie der Husserlschen Theorie der Subjektivität gesehen. – Hubert Hohl: Lebens­ welt und Geschichte. Grundzüge der Spätphilosophie E. Husserls. Freiburg/München 1962. 53–54. (Symposion Bd. 7) – Er stellt die Frage, ob das »ichfremde Urhyleti­ sche das Ich schon affiziert« habe, »damit dieses ein Bewußtsein-von sein kann« oder umgekehrt nicht auch selbst »wieder vorgegeben, rätselhaft vorliegend« sein muß, um »als Affizierendes affektionsfähig« zu sein (54). In der Tat eröffnet sich an diesem Punkte für die Reflexion ein unendlicher Regreß, den zu vermeiden Husserl offenbar nicht in der Lage war. Mittels einer anschließenden »spekulativen Betrachtung über das Leben« (54–56), die allerdings eingestandenermaßen »den Boden des Husserlschen Denkens« verläßt, sucht Hohl diese Schwierigkeit durch das »Aufbruchereignis des Lebens im Anruf des Ich« als ein »mediales Geschehnis« zu interpretieren. Insofern jedoch diese Problematik letztlich auf die Selbstkonstitution der transzendentalen Subjektivität zurückweist, erinnert Gadamer zurecht daran, daß Husserl die Frage der absoluten Selbstgegebenheit des transzendentalen Bewußtseins nicht auf spekulative Weise, sondern unter Zuhilfenahme der Theorie des inneren Zeitbewußtseins angegangen hat. – Hans-Georg Gadamer: Die phänomenologische Bewegung. A.a.O. 35. – Dies bedeutet, daß auch an dem von Hohl bezeichneten Punkt Husserl an dem Ichcharakter des »Urlebens« festgehalten hat. – Vgl. dazu auch: Klaus Held: Lebendige Gegenwart. A.a.O. 27f.; 98f. – Sowie: Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. XX–XXII.

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III. Die Bestimmung der Subjektivität durch das »Interesse an Wahrheit«

als intentionales zugleich von deren Vorgegebenheit in der Weise bedingt, daß jede synthetische Verifikationsleistung der Subjektivität ihren Anhalt in der passiven Genesis der Gegenstandskonstitution findet. Die passive Genesis steht jedoch ihrerseits dem spezifischen Interesse an Wahrheit (dem Interesse an reiner Selbstgebung) nicht fremd gegenüber, sondern ist infolge ihrer Struktur selber von dem Bezug zur »Wahrheit« bestimmt.

III. Die Bestimmung der Subjektivität durch das »Interesse an Wahrheit« Mit der Untersuchung der passiven Synthesis und ihrer motivie­ renden Funktion für das Bewußtsein ist noch nicht geklärt, wie es zur Radikalisierung des Interesses an Wahrheit, zu einem rein theoretischen Interesse kommt, das nach Husserls Definition die Philosophie als strenge Wissenschaft kennzeichnet. Dagegen läßt sich zeigen, inwiefern das ursprüngliche Interesse an Wahrheit zurecht als konstitutives Element der Subjektivität überhaupt bezeichnet werden kann, dergestalt, daß der von Husserl konzipierte aletheiolo­ gische Begriff der Subjektivität selber aus der phänomenologischen Analytik des Verhältnisses von Bewußtsein und Welt hervorgeht und in dieser Fassung den Ansatz der phänomenologischen Idee der Philosophie bildet. Dem Vorausgesetztsein der Welt für das Bewußtsein, das auch bei der Unterscheidung von Aktivität und Passivität als den beiden Seiten des doxischen Lebens noch den (zunächst unaufgeklärten) Ausgangspunkt bildet, liegt nach Husserl die »Generalthesis« (vgl. Hua III 62f.) zugrunde, also jenes ursprüngliche und absolute Fak­ tum intentionalen Setzens, das selber keine reine Möglichkeit des Setzenkönnens, sondern als je schon Geschehenes der reflexiv unhin­ terschreitbare Grund und die Bedingung des Korrelationsapriori von Welt (dem Horizont des gegenständlich Gegebenen) und Bewußt­ seins von etwas (in der Welt) ist. Die »Generalthesis« ist demnach kein spezieller Akt des Bewußtseins (vgl. ebd. 63), den dieses eigens auf ein vorgegebenes Gegenständliches bezieht, d.h. sie ist kein prädikatives »Urteil über Existenz« (ebd.), sondern deren – modal

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1. Voraussetzungen der Idee der Philosophie

zunächst undifferenziertes – intentionales Setzen selbst.12 In diesem Sinne geht sie aber auch dem Bewußtsein voraus, bzw. sie ist das Fundament der Unterscheidung von Welt und Bewußtsein. Nach Husserl besteht nun die erkenntniskritische Funktion der phänome­ nologischen Reduktion darin, die Generalthesis als fundamentale Strukturform des universalen Bewußtseinslebens dergestalt freizu­ legen, daß diese nicht nur als Bedingung des Korrelationsapriori aufgewiesen wird. Vielmehr soll zugleich gezeigt werden, daß das in der Generalthesis gründende Verhältnis von Ich und Welt als ein Verhältnis des (transzendentalen) Bewußtseins zu seinen eigenen konstitutiven Leistungen begriffen werden muß.13 Die Generalthesis, als Funktion des absoluten Bewußtseinslebens, ist nicht schon dessen selbstbewußter Vollzug, sondern ermöglicht die (»nachgewahrende«) Selbsterfassung des Bewußtseins als Ich im Unterschied zur gesetz­ ten Gegenständlichkeit, durch deren Setzen es sich selbst als setzen­ des erfaßt.14 Aus diesem für die natürliche Einstellung freilich stets unthema­ tischen Selbstverhältnis in der Beziehung von Welt und Bewußtsein läßt sich nun das Verhältnis von Aktivität und Passivität, welches im Ganzen durch den Wahrheitsbezug bestimmt wird, genauer aufklä­ ren. Denn das von aktivem Bewußtseins-Ich aktualisierte Interesse an Wahrheit bezieht sich nicht auf ein ihm Fremdes: die Welt, von der es in einer so allerdings nicht hinreichend einsichtigen Weise affektiv »motiviert« würde. Vielmehr gründet diese »assoziative« Beziehung in jenem ursprünglichen Selbstverhältnis, wobei das Fungieren des aktiven Bewußtseins selbst im prägnanten Sinne als »Antwort« auf die modalen Abwandlungen der passiven Doxa, das Setzen der Welt Vgl. Karl Schuhmann: Die Fundamentalbetrachtung der Phänomenologie. Zum Weltproblem in der Philosophie Edmund Husserls. Den Haag 1971. 29ff. (Phaenome­ nologica 42) 13 Vgl. zu dieser Problematik Karl Schuhmann: Die Fundamentalbetrachtung der Phänomenologie. A.a.O. 113ff. – Auf die verwickelte Weiterführung der hier ent­ stehenden Probleme, die sowohl die Frage der reflexiven Selbstkonstitution des Ich und das (spekulative) Verhältnis des absoluten Bewußtseins zur Welt als auch die Frage nach dem Grunde dieses Verhältnisses betreffen, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Schuhmanns Behandlung dieses Themas ist insbesondere am spekulativem Ansatz Fichtes orientiert, macht aber auch von Gedankengängen Gebrauch, die offenbar aus einer Rezeption des fundamentalontologischen Ansatzes Heideggers stammen. 14 Vgl. Karl Schuhmann: Die Fundamentalbetrachtung der Phänomenologie. A.a.O. 114f.; 124ff. 12

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III. Die Bestimmung der Subjektivität durch das »Interesse an Wahrheit«

im Modus passiver Synthesis mit ihrer effektiven Funktion, gedacht werden kann (vgl. Hua XI 51–58, 63f., 357–361). Aber auch die in der aktiven Zuwendung implizierte Prätention der »Rechtmäßigkeit« aller Setzungen, d.h. der dem Bewußtsein immanente normative Wahrheitsbezug, findet darin seine Erklärung. Denn jede passive Vorgabe von Gegenständlichem mit der Zielform »es selbst« (vgl. in vorliegender Untersuchung 20f.) induziert eine entsprechende »Prä­ tention« bzw. ein Interesse an Selbstgebung (»Wahrheit«) von seiten des aktiven Erkenntnisstrebens, das in dem Interesse an Selbstüber­ einstimmung der intentionalen Subjektivität wurzelt. Dies besagt, daß das intentionale Bewußtsein von Welt nicht allein von einem ursprünglichen Wahrheitsbezug bestimmt wird, sondern daß ohne einen solchen Wahrheitsbezug als – zumindest virtuell bewußter – Strukturkomponente das Bewußtsein von Welt gar nicht möglich ist. Auf der Basis dieser Überlegungen läßt sich in einem weiteren Schritt dartun, inwiefern Husserl sich berechtigt sehen konnte, die phänomenologische Idee der Philosophie nicht nur durch das Inter­ esse an Wahrheit »rein um der Wahrheit willen« (vgl. in vorliegender Untersuchung oben 17) zu definieren, sondern sie zugleich als »Idee der absoluten Selbstverantwortung«, und d.h. genauer: »einer Ver­ antwortung für volle und absolute Wahrheit« (Hua VIII 197), zu bestimmen. In dem Maße nämlich, wie das Bewußtsein durch Refle­ xion auf seinen transzendentalen Charakter der Intentionalität sich als Vollzieher seiner konstituierenden Akte gewiß wird und diese als seine eigenen Setzungen begreift, wird es sich auch seiner Zuständig­ keit für dieses Setzen bewußt. Im Sinne einer solchen ursprünglichen Zuständigkeit aber ist nach Husserl das Bewußtsein auch ein verant­ wortliches, d.h. die von Husserl als subjektives Korrelat des Interesses an Wahrheit angegebene Verantwortlichkeit läßt sich weder aus dem sittlichen bzw. moralischen Charakter des faktischen Selbstbewußt­ seins ableiten noch ergibt sie sich bloß analytisch aus der – jedem arbi­ trären Akt virtuell implizierten – »Prätention« der »Rechtmäßigkeit« als schlichte »Forderung nach Ausweisung«.15 Vielmehr ist sie ebenso wie das Interesse an Wahrheit in der wechselseitigen Fundierung von Aktivität und Passivität, also der ursprünglichen Verfügung von affektiver Weltbekundung und aktiver »Antwort« des Ich, begründet, die sich als ein ursprüngliches Selbstverhältnis des weltkonstituie­ Diese Auffassung vertritt Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 190.

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1. Voraussetzungen der Idee der Philosophie

renden Bewußtseinslebens charakterisieren läßt. Infolge der Struk­ tur dieses durch die »Generalthesis« gestifteten Selbstverhältnisses können Aktivität und Passivität nicht voneinander gelöst werden; Interesse an Wahrheit qua Interesse an der Selbstgegebenheit des Konstituierten bedeutet, daß weder eine Welt ohne Beziehung auf Bewußtsein, für das sie »gegeben« ist, existiert, noch daß ein Bewußt­ sein ohne Beziehung auf die Welt gedacht werden könnte. Denn ein Bewußtsein, das in seinem Weltbezug auf das normative Element des Wahrheitsbezuges (im gekennzeichneten Sinne) verzichten könnte, würde nicht nur seine Beziehung zur Welt, sondern ebensowohl seine Beziehung auf sich als ein virtuell sich selbst »Gegebenes« – und damit in seinen Aktvollzügen seiner selbst Bewußtes – verlieren. Das in der Welt Vorgegebene »motiviert« andererseits das aktive Interesse an Wahrheit, weil es – eben als Vorgegebenes – nicht einer beliebigen Erzeugung durch das (konstituierende) Bewußtsein entstammt,16 sondern von sich her (in passiver Genesis) als ein virtuelles »Selbst« vorliegt und somit den Bezug zur »Wahrheit« an sich hat. Die aktive Zuwendung des Ich zur Bekundung von Welt durch das vorgegebene Gegenständliche kann demnach im Rahmen der von Husserl ausgebildeten aletheiologischen Konzeption der Subjektivität sowohl als »Antwort« mit dem prägnanten Charakter des Interesses an Wahrheit verstanden werden als auch als »Verant­ wortung«, die – auf das vollziehende Ich bezogen – zugleich das Bewußtsein seiner (transzendentalen) Zuständigkeit indiziert und dergestalt »absolute Selbstverantwortung« bedeutet. Geht man von diesen Zusammenhängen aus, dann erscheint Husserls Verbindung des Interesses an Wahrheit mit dem Begriff der Verantwortung sowie die Ansetzung unbedingter Verantwortung als Grundbegriff der phänomenologischen Idee der Philosophie (vgl. Hua XVII 7, 9; Hua V 139) keineswegs als eine diese Idee zwar tragende, in Wirklichkeit aber »ungeklärte Voraussetzung«.17 Vielmehr wird 16 Vgl. Gadamers Kritik an Finks Theorie einer (spekulativen) Erzeugung der Welt durch das Urich. – Hans-Georg Gadamer: Die phänomenologische Bewegung. – In: Hans-Georg Gadamer: Kleine Schriften III. Platon, Husserl, Heidegger. Idee und Sprache. Tübingen 1972. 178, Anm. 14a. 17 Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 192. – Auf Husserls Verknüpfung von Wahrheitsprätention und Verantwortung geht bereits Landgrebe ein, ohne allerdings den Zusammenhang beider Begriffe aus Husserls aletheiologischer Konzeption der Subjektivität aufzuklären. – Vgl. Ludwig Landgrebe: Husserls Abschied vom Cartesianismus. – In: Ludwig Landgrebe: Der Weg der

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III. Die Bestimmung der Subjektivität durch das »Interesse an Wahrheit«

an späterer Stelle zu zeigen sein, inwiefern Husserls voller Begriff der Philosophie sich aus diesem Ansatz rekonstruieren läßt. Dabei wird zugleich nachzuweisen sein, daß der von Husserl im Hinblick auf das Problem der Letztbegründung unternommene Versuch, die Idee radikaler Ausweisung einer jeden Wahrheitsprätention mit dem Aufweis eines letzten Gegebenen (im transzendentalen Ich) zu kon­ struieren, nicht notwendig zu einer unauflöslichen Aporie in Husserls Gesamtkonzeption der Philosophie infolge einer wechselseitigen Beschränkung beider Motive führt.18 Gerade dann nämlich, wenn das Interesse an Wahrheit mit dem Begriff transzendentaler Verant­ wortlichkeit verknüpft und damit das ursprüngliche Selbstverhältnis der konstituierenden Subjektivität nach seiner spezifischen Struktur hervorgehoben wird, ist die Universalisierung der Ausweisung zwar eine unabweisbare Konsequenz, die sich aus der Einsicht in die Abso­ lutheit der konstituierenden Subjektivität ergibt. Aber die dergestalt universalisierte Verantwortung für die (transzendental konstituierte) Welt als Setzungskorrelat der Subjektivität verweist ihrer aletheiolo­ gischen Bedeutung zufolge auch auf eine letzte Zurechnungsinstanz nicht nur jedes intentionalen Aktes, sondern ebensowohl jeder Aus­ weisung, die sich als letzter Grund aller Setzungen wie auch als Bewußtsein der vollzogenen Ausweisung dieser Setzungen nach dem normativen Interesse an Wahrheit in ihrem ursprünglichen Selbstver­ hältnis durchsichtig wird.19 Daß die speziellen Schwierigkeiten, die Husserls Exposition des Wahrheitsproblems impliziert,20 gravierende Rückwirkungen auf das Modell der Selbstreflexion ausüben, das Husserl zum Zweck der Letztbegründung der Philosophie in der transzendentalen Subjektivität entwickeln muß, bedeutet aber nur, daß dieses Modell der Selbstreflexion bzw. der Letztbegründung nicht in eine spekulativ-idealistische Fassung der Subjektivität mündet. Phänomenologie. Das Problem einer ursprünglichen Erfahrung. 3. Auflage Gütersloh 1969. 163–206; s. bes. 168–171. 18 Diese These vertritt Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 187; 191 u.ö. 19 Den hier zunächst nur angedeuteten Zusammenhang von Verantwortung und Wahrheitsausweisung räumt auch Tugendhat ein. – Ernst Tugendhat: Der Wahrheits­ begriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 194; 202. – Er stellt jedoch die Schlüssigkeit dieser Verbindung aufgrund seiner Analyse von Husserls Wahrheitsbegriff in Frage, so daß nach seiner Interpretation Husserls Anspruch, auf dieser Basis eine kohärente Konzeption der Philosophie aufzubauen, im Ansatz scheitern muß. 20 Vgl. Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 194–196.

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1. Voraussetzungen der Idee der Philosophie

Eine Aufgabe der vorliegenden Untersuchung wird es deshalb sein, nicht nur diese neue phänomenologische Fassung der Subjektivität zu entwickeln, sondern auch zu zeigen, daß die Charakteristika der Hus­ serlschen Idee der Philosophie darin ihren positiven Grund haben.

IV. Zur Funktion des »Interesses an der Wahrheit« Mit der bisherigen Entwicklung des von Husserl der transzendentalen Phänomenologie zugrundegelegten Begriffs der Subjektivität sollte im Vorgriff gezeigt werden, in welchem Sinne Husserl die Idee der Philosophie durch das Begriffspaar Interesse an Wahrheit und Verant­ wortung bestimmt. Auf diese Weise ließ sich zwar einsichtig machen, daß der besondere Status der Philosophie als strenge Wissenschaft in nichts anderem als der Autonomie des Interesses an Wahrheit sowie der mit diesem Interesse verbundenen Verantwortlichkeit besteht, die ihrerseits eine Radikalisierung der Forderung nach Anweisung impliziert. Aber damit ist keineswegs die Frage beantwortet, inwiefern eine solche Autonomie (insbesondere rücksichtlich ihrer zweifachen Bedeutung) genetisch in der Struktur der Subjektivität angelegt ist, dergestalt daß aus ihr der volle Begriff der Philosophie hervorgeht, welcher der aletheiologischen Fassung der Subjektivität allererst ihre systematische Funktion innerhalb der transzendentalen Phänomeno­ logie verleiht. Für Husserl bedeutet der Rückgang auf die (transzen­ dentale) Subjektivität zugleich eine Radikalisierung und Universali­ sierung des Begründungsanspruchs der Philosophie als Wissenschaft, die er mit Berufung auf Platon als Aufdeckung der letzten Prinzipien allen Seins und Wissens versteht (vgl. Hua XVII 5f.; 8f.) und die eben dadurch mit der Entfaltung des Korrelationsapriori eine apriorische »sapientia universalis« (ebd. 8) begründen soll, worin das Interesse an Wahrheit seine höchste Auswirkung findet. »Dieses System des universalen Apriori ist also auch zu bezeichnen als systematische Entfaltung des universalen, im Wesen einer transzendentalen Subjek­ tivität, also auch Intersubjektivität eingeborenen Apriori, oder des universalen Logos alles erdenklichen Seins.« (Hua I 181) Gemessen an diesem Anspruch bleibt die Einführung des speziell aletheiologischen Begriffs der Subjektivität zunächst ein Postulat, solange nicht geklärt ist, ob der phänomenologische Begriff der Wahrheit, der als Strukturkomponente des subjektiven »Interesses« erscheint, seinerseits eine solche Begründung leistet. Zugleich ist

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IV. Zur Funktion des »Interesses an der Wahrheit«

aber auch zu fragen, ob als Konsequenz einer solchen Prüfung der Begriff der Subjektivität nicht ebenfalls genauer differenziert werden muß, um die Basis einer phänomenologischen Idee der Philosophie darstellen zu können. – Die folgenden Überlegungen behandeln das teleologische Moment in Husserls Begriff des ›Interesses an Wahr­ heit‹. Zwar ließ sich dieses teleologische Moment als Grundzug der Intentionalität aufzeigen, insofern es in dem ursprünglichen Selbst­ verhältnis der weltkonstituierenden Subjektivität gründet, doch bleibt offen, ob ein solches reines Selbstverhältnis als ›Interesse an Wahrheit rein um der Wahrheit willen‹ aus der faktischen Gestalt des Bewußt­ seinslebens ohne weiteres hervorgehen könne. Wie die Motivation zur Autonomie des universalen Wahrheitsbezuges in Gestalt radikaler Verantwortlichkeit gedacht, ein solches Interesse als das eigentliche und höchste Interesse des natürlichen Bewußtseins dargetan werden könne, bildet nicht nur die zentrale Frage der vorliegenden Untersu­ chung, sondern ist auch die systematisch entscheidende Vorfrage für Husserls Idee der Philosophie aus absoluter Selbstbegründung, deren Legitimität und Notwendigkeit gerade in Rücksicht auf das faktische Bewußtseinsleben aufgewiesen werden soll. Für die phänomenologische Analyse erweist sich die Erfahrung des (in der Welt) Vorgegebenen als ein Geschehen von grundsätzli­ cher Offenheit, in dem die prägnante Beziehung des Bewußtseins auf gegenständlich Seiendes bzw. die darin erzielte Gewißheit jeweils den Charakter einer verifizierenden Leistung besitzt.21 Bereits durch die Sphäre passiver Genesis als der untersten Schicht des Bewußt­ seinslebens (vgl. ebd. 113; Hua XI 102) gehen »immer neu sich flech­ tende Synthesen der Erfüllung«, d.h. in ihr ist – als ›motivierende‹ Vorform des aktiven Interesses an Wahrheit – »ein Hinstreben auf Anschauung, die das vermeinte Selbst verwirklicht – immerfort […] Bewahrheitung« (Hua XI 102) wirksam, welche in ihrer faktischen Mannigfaltigkeit »Vorstufen der Evidenz« (ebd. 275) hervorbringt. Das Bewußtsein transzendenter Wirklichkeit ist nach Husserl des­ halb nicht nur durch ein universales Streben nach Bewahrheitung charakterisiert, sondern als Gegenständliches setzendes von der Idee reiner »Selbstgebung«, d.h. von der phänomenologischen Idee der »Wahrheit« normativ bestimmt und dergestalt auch als selbstbezo­ genes festgelegt. Jeder faktischen Modalisierung der Erfahrung, in 21 Vgl. dazu Gerhard Funke: Bewußtseinswissenschaft. Evidenz und Reflexion als Implikate der Verifikation. – In: Kant-Studien 61 (1970), 433–466.

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der »Bewahrheitung« und »Entwahrheitung« ineinander umschlagen können, liegt doch das Bewußtsein als ein »Strom sinngebender Leistungen« zugrunde, dessen Aufhebung nicht nur die Loslösung des Bewußtseins von der Welt, sondern ebensowohl dessen eigene Auflö­ sung bedeuten würde (ebd. 432). In diesem Sinne ist der präsumptive »Glaube« an das Sein der Welt: die Generalthesis, Bedingung des Bewußtseins überhaupt; und diese Bedingung setzt zugleich ein »Vollkommenheitsstreben des Ich auf Einstimmigkeit mit sich selbst« (ebd.), wodurch die Einheit des Bewußtseins sowie der Welt als dessen Korrelat begründet werden. Insofern ist für Husserl alles Bewußtsein »in sich auf mögliche absolute Selbstgebung nach Wahrheitsgesetzen bezogen, ist dahin normierbar und hat darin seine Norm als Norm letzter, nicht mehr zu steigernder Erfüllung.« (Ebd.) Aber auch wenn dergestalt die teleologische Struktur der Subjek­ tivität deutlich hervortritt, so ist der besondere Charakter der affekti­ ven Motivation damit noch nicht hinreichend bestimmt. Dies gilt ins­ besondere dann, wenn der letzteren ebenfalls ein Bezug zur Wahrheit als »Vorstufe der Evidenz« zugeschrieben wird. Wie Passivität und Aktivität in der Einheit des Erfahrungsvollzuges einander wechselsei­ tig fundieren, zeigt Husserl durch die Explikation der Wahrnehmung. »Wahrnehmung von etwas ist Perzeption eines Seinssinnes, von dem nur ein Teilbestand wirklich perzipiert ist und ein Teil mitgemeint ist als im Fortführen der perzipierenden Aktivität zu perzipieren.« (Hua XV 560) Dies besagt, daß die jeweilige »Bewahrheitung«, trotz ihrer Herkunft aus dem ursprünglichen Interesse an Wahrheit, gerade nicht eine vollständige »Selbstgebung« des gegenständlich Vorgegebenen leistet, sondern durch »Apperzeption« bedingt ist, die über den jeweiligen Akt der Perzeption hinausweist. Die strukturelle Konditioniertheit der Perzeption durch die Apperzeption läßt sich einerseits so verstehen, daß jede Perzeption »etwas wirklich zur Perzeption bringt, aber ihm die Bedeutung gibt einer bloßen Erscheinung« von etwas (ebd.). Darin liegt für Husserl der transzendentale Charakter der Vorgegebenheit überhaupt, die sich sowohl auf das (vor-)gegebene Ding wie auf die »Welt« als Inbegriff aller vorgegebenen Dinge erstreckt und es nicht gestattet, das Sein der Welt ontologisch aus der kreativen Spontaneität des Bewußtseins abzuleiten. Andererseits läßt sich aber das Verhältnis von Perzeption und Apperzeption auch zur Erklärung der motivierenden bzw. das Interesse an Wahrheit initiierenden Funktion passiver Genesis heran­ ziehen. Denn die »Bewahrheitung« als Patentmachen (bzw. in seinem

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»Selbst« zur Erscheinung Bringen) des »latent« Vorgegebenen ist ihrerseits in das unaufhebbare Spannungsverhältnis von Perzeption und Apperzeption eingelassen. »Beständig ist Weltapperzeption vor­ handen, nur unbetätigt. Und die einzelne Apperzeption hat einen universalen Zusammenhang, wodurch beim Thematischwerden die Intention fortstrebt in diesen Zusammenhang hinein […].« (Hua XIV 439) Insofern nämlich dieser universale Zusammenhang oder die »Weltapperzeption« zur Perzeption gehört und sie möglich macht, ist sie selbst kein ontologisch von der (jeweils »nachträglichen« oder »motivierten«) »Bewahrheitung« ablösbarer Bestand von Seien­ den, sondern – als Apperzeption – eine Strukturkomponente des aktiven Erfahrungsvollzuges bzw. des erfahrenden Bewußtseins, das in erkenntnistheoretischer Betrachtung die Welt stets voraussetzen muß. Umgekehrt ist die Ansetzung einer Apperzeption ohne Bezie­ hung auf eine Perzeption offensichtlich sinnlos; d.h. die Apperzeption mit ihrem »horizontintentionalen« Charakter (vgl. Hua IX 61–64; Hua XI 204) als Verweisung der Perzeption oder »Bewahrheitung« über sich hinaus auf neue Steigerungen der »Erfüllung«22 gründet ihrem Sinne nach in der Perzeption. Sie enthält demzufolge ihrerseits den Bezug auf Wahrheit, und zwar in der Weise, daß sie das subjektive Interesse an Wahrheit motiviert, obwohl sie zugleich die Relativität jeder »Bewahrheitung« indiziert. Die wesensgesetzliche Offenheit der Welterfahrung, wie diese sich der phänomenologischen Analyse darbietet, weist also die spe­ zifische Endlichkeit des intentionalen Bewußtseins auf, die somit zu den wesentlichen und, wie sich noch zeigen wird, folgenreichen Elementen der Husserlschen Theorie der transzendentalen Subjek­ tivität zu zählen ist.23 Diese Endlichkeit bzw. Relativität der fakti­ schen »Bewahrheitung« bedeutet jedoch nicht, daß deshalb der von Husserl konzipierte Begriff der Subjektivität in seiner aletheiologi­ schen Passung scheitert. Das Bedingungsgefüge von Aktivität und Passivität bzw. von Perzeption und Apperzeption läßt vielmehr den teleologischen Charakter der Subjektivität als durch das Interesse an 22 Vgl. Gerd Brand: Die Lebenswelt. Eine Philosophie des konkreten Apriori. A.a.O. 82–89. 23 Daß Husserls Begriff der Intentionalität nicht die Bedeutung hat, eine »Offenheit zum Ganzen« (der Welt oder des Seins) herzustellen, betont Alphonse De Waelhens: Die phänomenologische Idee der Intentionalität. – In: H. L. van Breda/J. Taminiaux: Husserl et la Pensée moderne. Den Haag 1959. 129–142; vgl. bes. 134. (Phaenomeno­ logica 2)

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Wahrheit bestimmter hervortreten, indem es das zweite Strukturele­ ment jenes Interesses systematisch verstärkt und so das Problem der Wahrheit radikalisiert. Denn gerade die aufgezeigte Relativität der »Bewahrheitung« verschärft innerhalb der Spannung von Perzeption und Apperzeption bzw. Latenz und Potenz des (Selbst-)Gegebenen die Forderung nach Ausweisung einer jeden Wahrheitsprätention in Richtung auf eine universale und, da zugleich auf die »Weltapperzep­ tion« bezogene, radikale Verantwortlichkeit des Bewußtseins. In die­ sem (zweiten) Sinne nämlich transzendiert das Interesse an Wahrheit jede faktische Relativität und verweist auf eine letzte Zurechnungs­ instanz, für die das in der »Weltapperzeption« Vorgegebene zufolge einer Fundierung in den perzeptiven Akten des Bewußtseins nach dem »überall […] herausschaubaren Limes« (Hua XI 432) virtuell als ein (letztes) »Selbst« gegeben sein muß. Insofern dem phänome­ nologischen Begriff der Intentionalität zufolge »alle einfachen oder implizierten Akte […] unter dem Gesichtspunkt der Geltung oder Nichtgeltung« stehen, »gehört zu allen die Idee der Wahrheit […].« (Hua IV 333) Aufgrund der Reflexivität des Bewußtseins besagt dies für Husserl, »daß, was ist, muß zur ausweisenden Gegebenheit kommen können und daß wahres Sein und mögliche ausweisende Gegebenheit, und zwar vollständige und vollkommene, Korrelate sind […].« (Hua XI 432) Genau diese Forderung aber ergibt sich zwar folgerichtig aus dem angesetzten aletheiologischen Begriff der Subjektivität, sie läßt sich jedoch, wie gezeigt, im faktischen Vollzug der Erfahrung nicht als Emanzipation eines reinen und d.h. unbedingten Interesses an Wahrheit realisieren. In Rücksicht auf die leitende Frage, wie es zur Autonomie des Interesses an Wahrheit komme und ob eine solche Autonomie möglich sei, folgt daraus, daß innerhalb der Erfahrung als ursprünglicher Weise der Beziehung von Bewußtsein und Welt der genetische Übergang zu einer reinen Beziehung des Bewußtseins auf Wahrheit nicht entwickelt werden kann. Dies besagt, daß die Ent­ stehung der (philosophischen) Idee strenger Wissenschaft sich auch nicht als Radikalisierung des Erfahrungsvollzuges, der faktischen Erkenntnisprätention in unmittelbarer Beziehung zum Gegebenen, verstehen läßt, obwohl schon die Erfahrung insgesamt von dem Interesse an Wahrheit normiert wird. Denn die strukturelle Offenheit der Welterfahrung, ihre prinzipielle Endlichkeit und Unabgeschlos­ senheit, erweist sich nicht als einfacher Defekt der intentionalen Bewußtseinsbeziehung auf gegenständlich Vorgegebenes, sondern ist

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in Husserls Entwurf eine »wesentliche« Strukturkomponente. Würde die Perzeption nämlich ohne weiteres »autonom« gesetzt, dann müßte sie aus ihrer spezifischen Fundierung in der Apperzeption gelöst werden, und d.h. sie verlöre den sie gerade auszeichnenden Bezug zum gegenständlich vorgegebenen »Selbst« bzw. zur »Welt«, der das teleologische Interesse an Wahrheit überhaupt initiiert und als auf »Erfüllung« angelegtes sinnvoll macht. Damit wäre aber nicht nur die erste Komponente des Husserlschen Wahrheitsbegriffs, der »Limes« reiner Selbstgebung in jeder intentionalen Setzung von Gegenständ­ lichem (vgl. ebd. 21), aufgegeben und so zugleich das phänome­ nologische »Prinzip aller Prinzipien« erschüttert. Vielmehr könnte innerhalb einer derartigen reinen Beziehung des Bewußtseins auf sich als autonomes Perzipieren der apperzeptionslosen Perzeption, die sich wohl als formales Modell einer in sich geschlossenen Reflexion entwerfen ließe, nicht einmal die Forderung nach Ausweisung, also das zweite Element des Husserlschen Wahrheitsbegriffs, ihrem Sinne nach realisiert werden. Denn jede Ausweisung als Reflexion auf die Weise des Gegebenseins von etwas setzt voraus, daß der reflektierte Akt eben eine intentionale Setzung von etwas ist, d.h. als Noesis des Bewußtseins ein noematisches Korrelat impliziert, dessen »Vermei­ nen« zur Ausweisung kommt. Bereits hier zeigt sich, daß die Idee reiner Selbstgebung, also die von Husserl vollzogene Festlegung des Wahrheitsproblems auf ein letztes Gegebenes, eine schlechterdings unverzichtbare Bedingung der Idee radikaler Verantwortlichkeit und kritischer Ausweisung ist, während letztere offensichtlich deshalb das zweite Konstitutionselement des (teleologischen) Interesses an Wahrheit bildet, weil ohne eine derartige Reflexion die »Prätention« vollzogener »Selbstgebung« – abgesehen von ihrer faktischen Relati­ vität – nicht einmal idealiter als »Limes« des teleologischen Bewußt­ seinsprozesses denkbar ist. – Inwiefern allerdings diese Bestimmung des Wahrheitsproblems, in der die Idee radikaler Ausweisung und die eines letzten Gegebenen aufeinander verweisen, ohne auf ein ihnen übergeordnetes Prinzip zurückführbar zu sein, Husserl dann in neue Schwierigkeiten bringt, wenn er das Problem der Letztbegründung im »Urich« exponiert, wird Gegenstand späterer Erörterungen sein. In ihnen wird aber zugleich zu zeigen sein, wie Husserl die hier entste­ henden Probleme in produktiver Weise für die Differenzierung der phänomenologischen Subjektivitätstheorie sowie die Begründung seiner spezifischen Idee der Philosophie nutzt. Dagegen genügt im gegenwärtigen Zusammenhang der zusammenfassende Hinweis, daß

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nach Husserl »Evidenz im weitesten Sinne der Selbsterscheinung […] kein zufälliges Vorkommnis im transzendentalen Leben« ist. »Viel­ mehr alle Intentionalität ist entweder selbst ein Evidenzbewußtsein […] oder wesentlich und horizontmäßig auf Selbstgebung angelegt, darauf gerichtet.« (Hua I 22) Daß diese Charakterisierung des gesamten intentionalen Bewußtseinslebens auch den Bereich der vorwissenschaftlichen Erfahrung umfaßt und dessen Normierung durch das Interesse an Wahrheit einsehbar macht, bietet für Husserls Entwurf der Philo­ sophie als strenge Wissenschaft offensichtlich den Vorteil, stets auf eine prinzipielle Strukturverwandtschaft zwischen »Doxa« und »Episteme« hinweisen zu können, die verhindert, daß beide Sphären (Erkenntnis und Erfahrung) beziehungslos auseinanderfallen bzw. erst nachträglich miteinander verbunden werden müssen. Selbst wenn man aber darin von Husserls Ansatz her gesehen einen erkennt­ nistheoretischen Gewinn sehen will, bleibt doch im Ausgang von der phänomenologischen Analyse festzuhalten, daß der Erfahrungs­ vollzug seinerseits sich nur als stets wiederholte »Bewahrheitung« oder Verifikation verstehen läßt. Das ihm eigentümliche Interesse an Wahrheit begreift diese als »erwachsende Idee eines ev. unendlichen Prozesses der Bewährung«, denn »wir haben keine Wahrheit als die aus der Stufenfolge unserer Bewährungen […].« (Hua VIII 462) Zwar kann die phänomenologische Analyse dieser Stufenfolge zeigen, daß »im allgemeinen Erfahrungsstil« auch »die Idee einer endgültigen Welt der Erfahrung« beschlossen ist, »für welche die jeweilige tatsäch­ lich erfahrene Welt, die immerfort einzelne Korrekturen offenläßt, eine wandelbare Abschlagzahlung ist […].« (Hua IX 63; vgl. ebd. 60) Aber diese Idee ist nicht nur nicht Gegenstand der Erfahrung, sondern gehört als Horizontapperzeption zu den Konstitutionsbedingungen der prinzipiellen Offenheit aller Erfahrung. Aus diesem Grunde läßt sich aus dem konkreten Vollzug der Erfahrung keine spezielle Motivation entwickeln, die eine Etablierung der Idee der Philosophie in Form strenger Wissenschaft bzw. den Übergang zu ihr aus der natürlichen Einstellung einsichtig machen würde. Denn der Versuch, eine derartige Motivation in der Struktur der Erfahrung selbst anzu­ geben, müßte notwendig die Sphäre der Erfahrung transzendieren, da deren prinzipielle Konditioniertheit durch die Apperzeption den Aufbau eines voraussetzungslosen Interesses an Wahrheit rein um der Wahrheit willen verhindert.

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Daß gleichwohl die im phänomenologischen Begriff der Sub­ jektivität begründete Universalität des Interesses an Wahrheit für Husserl den systematischen Ansatz bilden wird, von dem aus er die Lösung des Motivationsproblems sucht, bedeutet aufgrund des Bisherigen nur, daß noch weitere Strukturkomponenten aufgezeigt werden müssen, die zugleich den vollen Umfang des phänomenologi­ schen Wahrheitsproblems erfassen. Umgekehrt ist im vorliegenden Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß die Verifikationsstruktur der Erfahrung Husserl gerade zur Kritik eines Wissenschaftsbegriff dient, der scheinbar nichts anderes als eine Radikalisierung oder Idealisierung des empirisch aktualisierten Interesses an Wahrheit darstellt, in Wirklichkeit aber durch den Kontrast zur Erfahrung bestimmt und als Gegenmodell zur (vorwissenschaftlichen) Erkennt­ nis durch Erfahrung eingeführt wird. Ein derartiger Wissenschaftsbe­ griff nämlich, der nach Husserl den positiven Wissenschaften der Neuzeit zugrundeliegt und von der prinzipiellen Gegebenheit objek­ tiver (Welt) Wahrheit ausgeht, verstellt sowohl die Möglichkeit, das Problem der Wahrheit phänomenologisch angemessen zu entfalten, wie er auch den Anspruch auf dem Boden der Phänomenologie fraglich erscheinen läßt, eine objektive Erkenntnis des Erfahrenen zu leisten. Gerade die Entgegensetzung von wissenschaftlicher Wahr­ heitserkenntnis und Verifikation durch Erfahrung läßt die genuin erkenntniskritische Frage entstehen, wie beide zusammenstimmen können, d.h. die jeweils verschiedene bzw. konträre Bestimmung des Interesses an Wahrheit und seines Gegenstandsfeldes entzieht der Frage nach dem genetisch motivierten Übergang zur wissenschaftli­ chen Einstellung jede Grundlage. Statt also durch den Rekurs auf das Faktum positiver Wissenschaften die Lösung jenes Problems zu gewinnen, wie die Idee der Philosophie als strenge Wissenschaft begründet werden könne, sieht Husserl sich genötigt, die Konstituti­ onsformen der positiven Wissenschaften einer transzendentalen Klä­ rung zu unterziehen, um die ursprüngliche Dimension der Begrün­ dungsproblematik allererst freizulegen. Nicht die durch das Interesse an Wahrheit gestiftete Struktur­ verwandschaft von »Doxa« und »Episteme« ist es, die primär klä­ rungsbedürftig ist, wenn das Problem der Motivation exponiert wird. Vielmehr geht es im ersten Schritt um eine Funktionsbestimmung dieses Interesses an Wahrheit. Die Ansetzung objektiver Wahrheit läßt sich als eine generelle Präsumption der »Einstellung des natür­ lich-menschlichen Weltlebens« erweisen, und d.h. sie »erwächst

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ursprünglich aus dem Bedürfnis der menschlichen Praxis […].« (Hua VI 179) Ihr liegt die »Absicht« zugrunde, »das schlicht als seiend Gegebene (den in der Seinsgewißheit als verharrend antizi­ pierten Gegenstandspol) gegen die möglichen Modalisierungen der Gewißheit zu sichern.« (Ebd.) Daß aber damit noch keine Aktualisie­ rung derjenigen Wahrheitsproblematik verbunden ist, wie sie vorher als der radikale Ausgangspunkt der transzendentalen Phänomenolo­ gie herausgestellt wurde, ist ohne weiteres ersichtlich. Denn insbe­ sondere die zweite Komponente des Husserlschen Wahrheitsbegriffs: diejenige der Ausweisung und Rechtfertigung als (transzendentale) Reflexion auf die Setzungen des intentionalen Ichlebens, bleibt hier noch unentfaltet im subjektiven Korrelat jener »Absicht«. Das empi­ rische Bewußtsein ist zwar über den bloßen Vollzug intentionalen Setzens hinaus, wenn es dessen faktische Modalisierung als solche begreift, die seine eigene Identität betrifft. Doch ist die darin begrün­ dete Ausbildung eines Begriffs objektiver Wahrheit nach Husserl mit dem konstruktiven Zug behaftet, diese Wahrheit der relativen Verifi­ kation entgegenzusetzen, statt sie als Limes des Erfahrungsvollzuges zu entwickeln. »Das Streben nach Urteilskonsequenz und Gewißheit ist somit ein Zug im allgemeinen Streben des Ich nach Selbsterhaltung.« (EU 351) Im Objektivismus wird jedoch der Zusammenhang von Erfah­ rung und Wahrheit aufgegeben, d.h. die oben herausgestellte Struk­ tur der Verifikation bildet selber keinen integralen Bestandteil der isolierten Episteme. Denn die am Begriff objektiver Wahrheit ori­ entierte Wissenschaftspraxis verkürzt die komplexe Struktur des Erfahrungsvollzuges, wonach in phänomenologischer Betrachtung »die verborgene Leistung der Erfahrung in ihrem bisherigen Gang, ihrer Vorzeichnung des Seins der Welt ihr Recht hat […].« (Hua VIII 389) Hinter dem Wandel der Erscheinungen wird durch die Wissenschaften der objektive Bestand einer »Weltwahrheit« (Hua IX 63) angesetzt, die dieser Relativität entzogen ist. In diesem Sinne wird die Wissenschaft »positiv«, d.h. sie beruht auf dem fraglosen »Vorurteil der Positivität« (Hua VIII 461), durch das eine Realität der Welt an sich angesetzt wird, die jede Relativität faktischer Verifikation transzendiert. Die positiven Wissenschaften begrenzen sich nicht an der Relativität empirischer Gewißheit, vielmehr transformieren sie das »Bedürfnis« nach Identitätssicherung von Ich und Welt, das zunächst noch als Folge des ursprünglichen Interesses an Wahrheit gedacht werden kann, in ein rein theoretisches Interesse an Evidenz

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(vgl. Hua VII 295). Dieses Interesse übersteigt nicht nur den gleich­ sam fließenden Bereich der Doxa, es reduziert auch das Problem der Wahrheit auf die Möglichkeit rein logischer Übereinstimmung oder der (analytischen) »Urteilskonsequenz« und nimmt dergestalt dem ursprünglichen Interesse an Wahrheit sein eigentliches Kriterium, die Selbstgegebenheit des gegenständlich Gesetzten, so daß die intentio­ nale Beziehung von Bewußtsein und Welt, wie sie phänomenologisch aufgewiesen wurde, ihren Charakter als Teleologie konstitutiver Veri­ fikationsleistungen verliert. Gemessen an der Radikalität, mit der Husserl das Wahrheitsproblem exponiert hatte, läßt sich deshalb den positiven Wissenschaften eine doppelte erkenntnistheoretische Nai­ vität nachweisen. Sie verfahren nicht nur »im ›Selbstvertrauen‹ ihrer logisch leistenden Vernunft, sondern vorher schon im Selbstvertrauen des erfahrenden Erkenntnisvermögens, als der vorlogischen Vernunft der Erfahrung […].« (Hua VIII 262) Indem also der »Objektivismus«, wie Husserl insgesamt die theo­ retische Basis der neuzeitlichen Wissenschaften charakterisiert, »sich auf dem Boden der durch Erfahrung selbstverständlich vorgegebenen Welt bewegt und nach ihrer ›objektiven Wahrheit‹ fragt« (Hua VI 70), konstituiert er sich lediglich »als Totalität der prädikativen Theorie, des Systems von ›logisch‹ als ›Sätzen an sich‹, ›Wahrheiten an sich‹ gemeinten und in diesem Sinne logisch verbundenen Aussagen […].« (Ebd. 132; vgl. Hua VII 321) Dies bedeutet aber, daß trotz der dabei stets beanspruchten »Sinnbeziehung auf die Welt« (Hua VI 132) die Genealogie oder Angewiesenheit der objektivistischen Theorie auf die der Lebenswelt zugehörigen »Ursprungsevidenzen« (ebd.), die von denen der Urteilskonsequenz radikal unterschieden sind (vgl. ebd. 126), mit den Mitteln der objektivistischen Wissenschaftstheorie nicht mehr dargelegt werden kann. Die Emanzipation der Wissen­ schaften von der Erfahrung impliziert zugleich die Behauptung, daß die Welt der Erfahrung sowie der ihr eigentümliche Grenzbegriff der Wahrheit als reine Selbstgegebenheit nicht nur logisch irrelevant ist, sondern auch ontologisch durch eine ansichseiende Welt unter­ baut werden muß, die prinzipiell nicht »gegeben« sein kann. Für Husserl ist dergestalt aber der phänomenologische Ausgangspunkt, die Intentionalität des Bewußtseins bzw. die Frage nach den Gegeben­ heitsweisen, seinerseits erschüttert. Denn eben dieser Ansatz, der das Problem der Wahrheit aus der konkreten Beziehung von Bewußtsein und Welt ohne theoretische Präsumption und Konstruktion radikal entfalten will, war auf dem Wege der transzendentalen Analytik des

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Bewußtseinslebens zu dem entgegengesetzten ontologischen Resul­ tat gekommen: »Das Universum ist nicht in der Wahrheit, sondern es kann es nur sein – oder: es kann nur im unendlichen Streben nach Wahrheit sein – oder: ist nicht die Echtheit selbst in dieser notwendigen Relativität?« (Hua VIII 270) Weil also der Objektivismus, die »Idee der objektiven Wahrheit […] ihrem ganzen Sinne nach vorweg […] durch den Kontrast zur Idee […] des vor- und außerwissenschaftlichen Lebens« (Hua VI 127) bestimmt ist, bleibt ungeklärt, wie das ihn leitende Interesse von der Erfahrung her motiviert ist. Diese Feststellung besagt nicht, daß nach Husserl die Idee objektiver Wahrheit der vorwissenschaftlichen Welterfahrung schlicht unangemessen sei und deshalb verworfen werden müßte. Denn infolge der durch das subjektive Interesse an Wahrheit gestifteten Strukturverwandtschaft von Doxa und Episteme läßt sich, wie später zu zeigen sein wird, der gemeinsame Ursprung beider Wahrheitsbegriffe trotz ihrer konträren Fassung dartun. Aber es ist eben genau diese »kontrastierende« Bestimmung beider bzw. der Konflikt der jeweils implizierten ontologischen Theorie, der den für die Grundlegung der Philosophie scheinbar naheliegenden Rekurs auf das Interesse an Wahrheit oder den von der transzendentalen Phänomenologie aufgestellten Begriff der Subjektivität nur um den Preis einer leeren Äquivokation möglich machen wurde. Die von Husserl erhobene Forderung einer »radikalen Selbstbesinnung über das, was aller Wissenschaft voranliegt« (Hua IX 507), zielt dagegen auf eine transzendentale Kritik des objektivistischen Wahrheitsbe­ griffs, die zugleich in radikaler Weise das Wahrheitsproblem aufrollt und im selben Schritt eine Revision der ontologischen Theorie des Objektivismus durch eine neue Bestimmung des Seins der Welt in Rücksicht auf das intentionale Bewußtsein unternimmt. Die so erst in groben Zügen charakterisierte Komplexität der phänomenologischen Programmatik, deren subjektivitätstheoreti­ scher Ansatz bisher in einigen seiner – für den Gesamtentwurf aller­ dings entscheidenden – Grundlinien entwickelt wurde, bedingt auch die Komplexität der Motivationsproblematik. Diese besteht nämlich nicht allein in der erkenntniskritischen Frage, wie die Konvergenz von objektiver und ›lebensweltlicher‹ Wahrheit gedacht werden könne. In ihrem Kern enthält sie vielmehr das Problem, ob und wie die philosophische Idee strenger Wissenschaft, das Interesse an Wahrheit rein um der Wahrheit willen, von der »natürlichen Einstellung« des zunächst stets vorwissenschaftlichen Erfahrungslebens her zu

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begründen und zu rechtfertigen ist. Von dieser Sachlage ausgehend kann die gesamte Motivationsproblematik in mehrere untereinander zusammenhängende Einzelfragen zerlegt werden, die Husserl teils gesondert, teils aber auch miteinander verbunden erörtert hat. Einmal ist von der relativen Eigenständigkeit des Erfahrungs­ vollzuges her zu klären, wie die Kritik der Erfahrung durch den Objek­ tivismus motiviert und d.h. die faktische Etablierung der Wissenschaft aus der Struktur der subjektiven Welterfahrung genetisch zu entwi­ ckeln ist. Husserls Hinweis, daß diese Etablierung dem »Bedürfnis der menschlichen Praxis« entspringe (vgl. in vorliegender Untersuchung 36), mag zwar auf den ersten Blick einleuchten. Doch gilt es, dem hier ins Spiel gebrachten Begriff der »Praxis«, den Husserl jedenfalls nicht primär aus einer Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse gewinnt, auf seine Bedeutung innerhalb des aletheiologisch-erkenntniskriti­ schen Ansatzes der transzendentalen Phänomenologie zu befragen. Durch diesen systematischen Zusammenhang, der sich aus dem Gesamtentwurf der Phänomenologie als transzendentale Theorie des Bewußtseins ergibt, wird die Untersuchung der Konstitutions­ bedingungen von Wissenschaft von vornherein über eine wissen­ schaftsgeschichtliche Darstellung hinausgetrieben bzw. eine solche wissenschaftsgeschichtliche Betrachtung, die Husserl selbst in der »Krisis« unternommen hat, muß ihrerseits eine (transzendentale) Theorie der Geschichte entfalten, die in der phänomenologischen Subjektivitätstheorie gründet. Umgekehrt erhebt sich die Frage, inwiefern die Motivation zur Kritik des Objektivismus, genauer: die notwendige Entstehung einer auf die (objektivistischen) Wissenschaften angewandten Erkenntnis­ kritik, ihrerseits aus der Idee der Wissenschaften abgeleitet bzw. als eine wissenschaftsgeschichtlich notwendige Konsequenz aufge­ wiesen werden kann. Nur in Rücksicht auf diese beiden Aspekte der Motivationsproblematik läßt sich dartun, daß die phänomenologische Revision der Erkenntnistheorie in Gestalt des Postulats strenger Wissenschaft und die damit verbundene Radikalisierung des Wahr­ heitsproblems selber gerechtfertigt ist.

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1. Voraussetzungen der Idee der Philosophie

V. Das Problem der Letztbegründung und der phänomenologische Wahrheitsbegriff a) Das Postulat der Letztbegründung Das zuletzt umrissene Problem der Motivation, das die Kehrseite des Legitimitätsanspruchs der phänomenologischen Idee strenger Wissenschaft darstellt, verschärft die Frage nach der Möglichkeit einer solchen Wissenschaft in zweifacher Hinsicht. Nicht nur gilt es zu zeigen, daß der phänomenologische Wahrheitsbegriff geeignet ist, die für den kohärenten Aufbau der universalen Konstitutionstheorie not­ wendige Letztbegründung aller konstitutiven Akte im »Urich« durch­ zuführen. Vielmehr ist darüber hinaus systematisch zu entwickeln, daß und wie eine derartige Forderung als eigentliche und höchste Form des Selbstbewußtseins in dem vom ursprünglichen Interesse an Wahrheit bestimmten natürlichen Bewußtsein vorgezeichnet ist. Nach den bisherigen Ausführungen kann das damit verknüpfte Problem der Motivation jedoch weder auf dem Boden der Erfahrung noch durch Rekurs auf den objektivistischen Wahrheitsbegriff zurei­ chend geklärt werden. Denn auf keiner der beiden Ebenen läßt sich die Emanzipation eines reinen Interesses an Wahrheit im Sinne der von Husserl postulierten Erkenntnisautonomie genetisch entwickeln, das zugleich die Bestimmung und konstitutive Funktion des phänomeno­ logischen Wahrheitsbegriffs in vollem Umfang zur Geltung bringt und so Husserls Definition strenger Wissenschaft erfüllt. Damit scheint aber auch der Anspruch der Phänomenologie, eine radikale Philosophie als »universale Wissenschaft aus absoluter Rechtferti­ gung« (Hua VIII 165) zu begründen, bereits in seinem Ansatz: dem Wahrheitsbegriff als Strukturkomponente des Bewußtseinslebens, zu scheitern. Denn dessen Ansetzung als methodischer Ausgangspunkt radikaler Wissenschaft war davon abhängig, daß die Möglichkeit einer reinen Beziehung auf Wahrheit nicht als ein bloßes Postulat eingeführt, sondern als einem ursprünglichen »Interesse« entstam­ mend aufgewiesen wird, das seinerseits als ausgezeichnete Form des subjektiven Lebens auch die Etablierung strenger Wissenschaft in ihrem »Recht« motiviert. Die eigentliche Gefahr des Scheiterns betrifft demnach nicht primär das konkrete phänomenologische Programm der Letztbegrün­ dung, insofern darunter die – vermittels der Epoché vollzogene –

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Freilegung des ego cogito als letzter Konstitutionsgrund jeder inten­ tionaler Setzung verstanden wird, auf den zugleich die Ausweisung der jeweiligen Gegebenheitsweise nach ihrem bestimmten Modus der Gewißheit bzw. Wahrheit zu beziehen ist. Vielmehr ist es die Art der Begründung, welche den Zweck des darin wirksamen Inter­ esses an Wahrheit, die Emanzipation eines erkenntnisautonomen Bewußtseins und damit die Freisetzung der impliziten Normierung durch das Interesse an Wahrheit, nicht zur vollen Geltung kommen läßt. Denn die transzendentale Rückführung des cogitatum auf das ego cogito und seine cogitationes, die Husserl durch die Ausbildung der Konstitutionslehre sowie deren umfassende Anwendung auf das intentionale Bewußtseinsleben realisiert sah, findet ihre Grenze darin, daß sie die jeweilige Konstitutionsweise selbst nicht aus einem im ego cogito beschlossenen Prinzip abzuleiten vermag, sondern als schlichtes Faktum des Konstitutionslebens hinnehmen muß.24 Auch wenn man diese Sachlage, die ihren Grund in der phänomenologi­ schen Theorie des Bewußtseins bzw. in dem von Husserl konzipierten Reflexionsmodell hat,25 als eine Folge der Verhältnisbestimmung von Subjektivität und Intentionalität (vgl. in vorliegender Untersuchung 23–26) akzeptiert und Husserl zugesteht, daß durch die Letztaus­ weisung einer jeden Konstitution »die höchste erdenkliche Form der Rationalität« (Hua I 118) erreicht wird, so bleibt doch völlig offen, mit welchem Recht diese »Rationalität« kritisch gegen den ›naiven‹ Vollzug infiniter Verifikationsleistungen bzw. den Erkennt­ nisanspruch der ›positiven‹ Wissenschaften ausgespielt wird. Zwar ist Letztbegründung das Ziel des phänomenologischen Unternehmens, eine radikale und d.h. auf letzter Evidenz beruhende Wissenschaft aufzubauen. Aber dieses Ziel ist zugleich nur Mittel, um die so gewon­ nene »Form der Rationalität« als Norm des natürlichen Bewußtseins dergestalt zu begründen, daß das Bewußtsein sich fortan als schlecht­ hin zuständiges, als Grund seiner konstitutiven Akte weiß und so das Interesse an Wahrheit zugleich als sein eigenes unverzichtbares Interesse an sich und seiner Welt begreift. Daß ein solches Wissen von der eigenen Zuständigkeit, der transzendentalen Funktion als Konstitutionsgrund, prinzipiell möglich ist, wird in der Durchführung der Letztbegründung gezeigt; sie bildet insofern den Abschluß und Vgl. dazu Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 212–220. – Und: Ludwig Landgrebe: Husserls Abschied vom Cartesianismus. A.a.O. 200f. 25 Vgl. Ludwig Landgrebe: Husserls Abschied vom Cartesianismus. A.a.O. 192–202.

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die systematische Grundlage der Konzeption strenger Wissenschaft. Aber ihre Notwendigkeit als Erfüllungsgestalt des ursprünglichen Interesses an Wahrheit ließe sich nur dann dartun, wenn auch die Motive zur Radikalisierung dieses Interesses im intentionalen Leben selbst aufgewiesen werden. So führt die Forderung nach Letztbegrün­ dung in die eigentliche Dimension radikaler Philosophie; aber sie kann ihrerseits nur als Folge, nicht als Ursache des ursprünglichen Interesses an Wahrheit bzw. seiner Radikalisierung zur höchsten theoretischen Norm des Bewußtseins gedacht werden. Aufgrund ihres deskriptiv-konstatierenden Charakters also26 kommt in der Letztbegründung als universaler Konstitutionsauswei­ sung der eigentliche Sinn des darin wirksamen Interesses an Wahrheit noch nicht vollständig zur Geltung. Dagegen ist die Letztbegründung diejenige Weise, vermöge welcher das Bewußtsein auf ein normatives Wissen seiner Beziehung auf Wahrheit im Sinne der transzendentalen »Radikalität« ausgerichtet werden kann. Eine solche Ausrichtung bedeutet, daß das natürliche Bewußtsein einem erkenntniskritischen Anspruch unterworfen wird, der seinerseits nicht von außen an es her­ angetragen, sondern aus seinem eigenen »Interesse« entwickelt wird, obwohl er der ›natürlichen‹ Realisierung des Interesses an Wahrheit widerspricht. – Diese Überlegung führt auf eine weitere Kompo­ nente in Husserls Konzeption strenger Wissenschaft, die über die Forderung der Letztbegründung als systematisches Teilproblem der phänomenologischen Transzendentalphilosophie hinausweist und, wie später zu zeigen sein wird, den entscheidenden Ausgangspunkt für Husserls Idee der Philosophie darstellt. Wenn nämlich die Letzt­ begründung eine Dimension der »Rationalität« freilegt, in der das Wahrheitsinteresse als vom (transzendentalen) Ich selbst vollzogenes zu Bewußtsein kommt, wird das gesamte Konstitutionsleben im »Urich« nicht mehr nur als faktisches hingenommen, sondern zufolge der so etablierten Selbstbeziehung zugleich einer »verantwortlichen« Kritik unterzogen, welche die jeweilige Konstitutionsausweisung auf das teleologische Selbstverhältnis der absoluten Subjektivität (vgl. in vorliegender Untersuchung 22ff.) zurückbezieht. Daß die Perspektive, die im folgenden losgelöst von der spe­ ziellen Motivationsfrage untersucht werden soll, nach Husserl zur Begründung strenger Wissenschaft gehört und hier, obwohl von der 26 Vgl. Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 217f.

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Konstitutionslehre verdeckt, zumindest prinzipiell angelegt ist, zeigt sich bereits darin, daß das »Leitprinzip« der Wissenschaft aus abso­ luter Rechtfertigung als die »Apodiktizität« (Hua VIII 165) bestimmt wird. Dadurch erfährt das Streben nach Evidenz eine entscheidende Qualifizierung und Zuspitzung. Denn adäquate Selbstgebung des Vermeinten erscheint nun nicht mehr als letzte Begrenzung des Wahr­ heitsinteresses, das seinem eigentlichen Sinne nach erst durch die »Unausdenkbarkeit des Nichtseins« die stets »offene Möglichkeit des Zweifelhaftwerdens« (Hua I 56) überwindet. Nicht der prinzipiell unabgeschlossene, jeweils erneut relativierbare Prozeß der Verifika­ tion, der das vorwissenschaftliche Erfahrungsleben insgesamt cha­ rakterisiert, sondern die endgültige modale Fixierung der darin impli­ zierten Thesis kennzeichnet die Entstehung einer Wissenschaft, die phänomenologisch vom ursprünglichen Wahrheitsinteresse her kon­ zipiert werden und von der Erfahrung zugleich unterschieden sein soll. Für Husserl ist wissenschaftliche Erkenntnis »nicht überhaupt Erkennen im Bewußtsein der Evidenz, sondern sie verknüpft mit dem geraden Bewußtsein der Evidenz Kritik der Evidenz, oder besser mit dem geraden Bewußtsein von der Wahrheit […] das Bewußtsein der Notwendigkeit ihrer notwendigen Gültigkeit […].« (Hua VIII 333f.)

b) Adäquate und apodiktische Evidenz Die Differenzierung des phänomenologischen Wahrheitsbegriffs durch die Unterscheidung von adäquater und apodiktischer Evidenz entspringt ihrerseits einer Radikalisierung des Interesses an Wahr­ heit. Denn dessen zweites Strukturelement, die »Prätention« der Rechtmäßigkeit (vgl. in vorliegender Untersuchung 24ff.) induziert nicht nur die ausweisende Reflexion auf den betreffenden Konstitu­ tionsakt, der damit seiner Form nach als »zweifelloser« Bestand des intentionalen Bewußtsein erwiesen wird, sondern schließt zugleich die (ontologische) Voraussetzung ein, daß die Übernahme der Ver­ antwortung für die vermeinte Wahrheit auf ein Seiendes bezogen ist, das modal nicht in Frage gestellt werden kann. »Nur wenn die trans­ zendentale Selbsterfahrung apodiktisch ist, kann sie als Untergrund für apodiktische Urteile dienen, nur dann ist also Aussicht vorhanden für eine Philosophie, für einen systematischen Bau apodiktischer Erkenntnisse von dem an sich ersten Erfahrungs- und Urteilsfeld

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aus.« (Hua I 61) Demnach vollzieht die Kritik der Evidenz eine zweite (»apodiktische«) Reduktion, welche die »phänomenologische« auf den Bereich der transzendentalen Subjektivität (die Dimension und der Gegenstand der Konstitutionslehre) voraussetzt und zugleich umgekehrt sichert (vgl. Hua VIII 79f.). Diese Sicherung betrifft jedoch nur die Existenz des ego cogito als einer »Sphäre absoluter Position« (Hua III 108) und schafft so erst die Möglichkeit adäquater Selbstge­ bung in der Immanenz des konstituierenden Bewußtseinslebens. Als spezielle Reflexion auf das intentionale Bewußtsein aktualisiert sie eine Gewißheit, die ihrerseits Korrelat des Seins der absoluten Sub­ jektivität ist. Deshalb ist die »apodiktische Reduktion« nur die Vor­ aussetzung für die konkrete Durchführung der Letztbegründung ver­ standen als universale Ausweisung der Konstitution im »Urich«. Auf ihrer Grundlage kann allererst eine Aufbauordnung der Evidenzen erarbeitet werden,27 insofern die apodiktische Reduktion eine »an sich erste« Erfahrungs- und Erkenntnissphäre: das transzendentale Bewußtsein, auszeichnet. Nur dadurch nämlich erhält der im Inter­ esse an Wahrheit selbst liegende erkenntniskritische Anspruch, die Notwendigkeit der Evidenzkritik nach Maßgabe der Apodiktizität, ein schlechthin gewisses und unbezweifelbares Fundament. »Eine Erfah­ rungssphäre ist hinsichtlich der Rechtfertigung die absolut erste, wenn sie in jeder sonstigen Erfahrung und Erfahrungserkenntnis vor­ ausgesetzt ist, und vorausgesetzt als vorangehende Geltung, was immer je in Frage sein und unter Kritik gestellt werden mag. Hier liegt der Sinn der transzendentalen Reduktion als erkenntniskritischer.« (Hua VIII 377, Anm. 1) Obwohl sie als eine an Interesse an Wahrheit selbst angelegte Konsequenz aufgewiesen werden kann, stellt die apodiktische Reduk­ tion doch nicht dessen vollständige (teleologische) Erfüllung dar, son­ dern weist ihrerseits auf die Problematik der Selbstgebung (Adäqua­ tion) zurück. »Das Wirklichsein des an sich ersten Erkenntnisbodens steht demnach zwar absolut fest, nicht aber ohne weiteres das, was sein Sein näher bestimmt und was während der lebendigen Evidenz des Ich bin noch nicht selbst gegeben[,] sondern nur prä­ sumiert ist.« (Hua I 62) Diese Formulierung bezeichnet genau die Schwierigkeit des Husserlschen Unternehmens, die Idee strenger Wissenschaft durch eine »Evidenzsphäre« zu begründen, »hinter die zurückfragen zu wollen ein Unsinn ist.« (Hua VI 192) Denn 27

Vgl. Hans-Georg Gadamer: Die phänomenologische Bewegung. A.a.O. 20f.

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durch apodiktische Reduktion wird zunächst nur die Selbstgewißheit desjenigen Bewußtseins gesichert, das als Subjekt der Erkenntnis­ kritik fungiert und sich als letzte – d.h. zugleich unbezweifelbar seiende – Instanz kritischer Wahrheitsaufklärung setzen muß. Diese Selbstgewißheit fällt jedoch nicht ohne weiteres mit der adäquaten Gegebenheit jener ersten Evidenzsphäre zusammen, die bei der Letzt­ begründung, d.h. der Anwendung des Wahrheitsinteresses auf das (absolute) konstituierende Bewußtsein, ebenfalls hervortreten muß. Für Husserl folgt – wie bereits an der Dialektik von Perzeption und Apperzeption in der Erfahrung gezeigt wurde (vgl. in vorlie­ gender Untersuchung oben 30ff.) – die (implizite) Annahme eines vorausgesetzten Seins bzw. die Notwendigkeit apodiktischer Evidenz­ kritik aus der allgemeinen Struktur des Interesses an Wahrheit. Denn »wenn ich keine Erschauung von einer besonderen Art haben könnte ›als Einsicht‹ in ein ›unzerbrechliches Sein, das ich erschaute als ein für allemal unzerbrechlich, als apodiktisch ›absolut‹ gegeben, als absolut unbezweifelbar, als absolute Norm für alle entsprechend gerichteten Meinungen – so hätte alle Rede von an sich gültiger Wahrheit und alles Wahrheitsstreben seinen Sinn verloren.« (Hua VIII 366) – Gehörte eine derartige Annahme nicht zu den Voraussetzungen der Erkenntniskritik, dann würde diese selbst zu einem sinnlosen Unternehmen, an dem auch die Forderung der Letztbegründung scheitern müßte. Insofern nämlich alle Kritik der Erkenntnis dem phä­ nomenologischen Ansatz zufolge eine konstitutive Aufklärung der Gegebenheits- bzw. Erscheinungsweisen von etwas als intentionalem Gegenstand ist, muß das in seiner (Vor-)Gegebenheit Aufzuklärende selber ein Seiendes sein. Diese Sachlage erfährt eine, den Bereich der Erfahrung entschieden überschreitende, Radikalisierung, wenn – wie im Falle der Letztbegründung – die konstitutive Ausweisung mit den intentionalen Setzungsakten zugleich das Subjekt dieser Akte, das konstituierende Bewußtsein als solches thematisiert. Innerhalb dieser radikalen Reflexion, in der reflektierendes und reflektiertes Ich dasselbe sind, entstünde ein Widersinn, sobald die kritische Auswei­ sung als vom reflektierenden Ich vollzogene auf ein selber radikal Scheinhaftes oder in seiner Existenz Ungewisses: das Ich im Modus des Reflektiertseins, gegründet wird. Auch wenn nach Husserl auf der Ebene radikaler und auf Letztbegründung gerichteter Reflexion die Selbstgegebenheit des Ich zunächst in Frage steht, so wird davon die Existenzgewißheit des Bewußtseins nicht betroffen. Im Gegenteil erstreckt sich die Selbstgewißheit des erkenntniskritischen Subjekts,

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die durch apodiktische Reduktion gesichert worden war, in dem ausgezeichneten Fall radikaler Reflexion auf deren Gegenstand, das transzendentale Bewußtseinsleben, das erst unter dieser Vorausset­ zung zum Gegenstand eines reinen Interesses an Wahrheit erhoben werden kann. Mit der apodiktischen Reduktion scheint nun die dogmatische Motivation ihre Erfüllung zu finden, die als erste Komponente aus dem ›aletheiologischen‹ Ansatz der Phänomenologie sowie dem darauf gegründeten Vorbegriff der Philosophie entwickelt werden kann. Diese dogmatische Motivation ist dadurch charakterisiert, daß sie eine höchste Evidenz als gegebene auszeichnet, die selber nicht hinterfragt werden kann und deshalb als erste und grundlegende jede Ordnung von Evidenzen trägt. Von der dogmatischen ist jedoch die kritische Motivation, das Postulat universaler Erkenntniskritik, abzuheben, die als zweite Komponente in Husserls Vorbegriff der Philosophie wirksam ist und wie eine regulative Idee auf das gesamte intentionale Bewußtseinsleben bzw. das faktische Erkennen bezo­ gen werden kann. Hier bildet nicht eine erste und unbezweifelbar gegebene Evidenz den Ausgangspunkt, sondern die Idee adäquater Selbstgebung fungiert als Limes progressiver universaler Wahrheits­ aufklärung.28 Im Falle der Letztbegründung treten jedoch beide Kom­ ponenten in Verbindung miteinander auf. Insofern die zweite überdies die entscheidende ist,29 kann die dogmatische Motivation nicht für sich allein zur Geltung kommen, da sie die Forderung universaler Erkenntniskritik ihrem Sinne nach begrenzt. Umgekehrt hält Hus­ serl den dogmatischen Begründungsanspruch insoweit fest, als die Dimension kritischer Aufklärung (d.h. das transzendentale Bewußt­ seinsleben) ihrerseits zumindest als ein unbezweifelbar Gewisses und darüber hinaus auch als ein virtuell Gegebenes bestimmt werden muß. Für Husserl ergibt sich hier jedoch die Schwierigkeit, daß die beiden Aspekte seines Vorbegriffs der Philosophie in eine zunächst scheinbar aporetische Konkurrenz zueinander treten, die das Pro­ gramm einer kohärenten Letztbegründung scheitern zu lassen droht. 28 Die Unterscheidung einer dogmatischen und kritischen Motivation ist von Tugendhat übernommen, der diese Differenzierung nicht nur überzeugend aus dem aletheiologischen Ansatz der Phänomenologie entwickelt, sondern zugleich für die Erörterung der Probleme der Letztbegründung in produktiver Weise eingesetzt hat. – Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 195. 29 Vgl. Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 195.

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In dem Maße nämlich, wie das ego cogito nicht nur als letzter Konsti­ tutionsgrund bestimmt, sondern zugleich als erst adäquat gegebene Evidenz ausgezeichnet wird, wird auch die kritische Aufklärung des Seins des ego cogito unterbunden. Der von Husserl entworfene ›car­ tesianische‹ Rückgang auf das transzendentale ego führt deshalb in die methodische Aporie, das absolute Bewußtsein nicht nur als ein seiner selbst gewisses, sondern ebensowohl als ein gegenständlich gegebenes (faktisches) Sein zu verstehen.30 Indem aber das so ›verantwortliche‹ und seiner selbst gewisse Subjekt des Interesses an Wahrheit: das reflektierende Ich als letzte Instanz kritischer Ausweisung, einer restlosen (vergegenständlichenden) Perzeption unterworfen wird, verliert es seinen eigentlichen Status als jeder Reflexion vorgängiger Vollzieher seiner Akte (vgl. in vorliegender Untersuchung 32f.), zu denen – infolge der zeitlichen Struktur der ursprünglichen Selbstkon­ stitution des Ich – auch der »nachgewahrende« Akt der bei Husserl am Modell der Gegenständlichkeit orientierten Selbstwahrnehmung gehört.31 Damit wird die Struktur jenes ursprünglichen faktischen Selbstverhältnisses aufgehoben, vermöge welcher die absolute Sub­ jektivität sich als Ich (apodiktisch gewiß) setzt und sich zugleich durch das von ihm selbst betätigte Interesse an Wahrheit auf sich durchsichtig wird. Würde also die dogmatische Motivation in diesem Sinne realisiert, dann würde auch der Sinn und die Funktion des Interesses an Wahrheit, die Teleologie kritischer Wahrheitsaufklä­ rung, aufgehoben. Selbst wenn man zugibt, daß die bezeichnete Konsequenz in der Konzeption der Phänomenologie als Transzendentalphilosophie aus letzter Begründung angelegt war, so ist darauf hinzuweisen, daß Husserl die damit verbundene Gefahr, das ego cogito als eine objektiv gegebene »Prämisse oder Prämissensphäre« zu mißdeuten, selbst erkannt hat (vgl. z.B. Hua VI 196).32 30 Vgl. Ludwig Landgrebe: Husserls Abschied vom Cartesianismus. A.a.O. 199ff. – Siehe ebenso die hier entwickelte Kritik an den Aporien des Husserlschen Reflexi­ onsbegriffs, deren Konsequenzen Landgrebe mit einem Hinweis auf Kants Kritik der Paralogismen erläutert. 31 Vgl. Ludwig Landgrebe: Husserls Abschied vom Cartesianismus. A.a.O. 197f. 32 Über die Revision des ›cartesianischen‹ Weges der Reduktion vgl. Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 218. – Und: Iso Kern: Husserl und Kant. Eine Untersuchung über Husserls Verhältnis zu Kant und zum Neukantianismus. Den Haag 1964. 194–212. (Phaenomenologica 16) – Sowie: Iso Kern: Die drei Wege der transzendentalphänomenologischen Reduktion in der Philo­

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In der Tat folgt aus der Unterscheidung von apodiktischer und adäquater Evidenz, daß das apodiktisch gewisse Sein des Bewußt­ seins gerade nicht im Sinne der dogmatischen Motivation eine letzte Evidenz ist, welche das konstitutive Bewußtseinsleben vollständig (d.h. zugleich »adäquat«) erfaßt und damit der Universalität pro­ gressiver Erkenntniskritik als unüberschreitbare Grenze entgegen­ stünde. Indem sie vielmehr nur die Existenz des Vermeinten sichert und damit die modale Komponente der Teleologie universaler Wahr­ heitsaufklärung zur Geltung bringt, erweist sich die apodiktische Evidenzkritik als tragendes Element des Interesses an Wahrheit. Sie ist ihrem Wesen nach nicht auf das »Wie« der Konstitution gerichtet, die jeweils den Gegenstand kritischer Ausweisung bildet, sondern zeigt sich gerade als von der Frage nach der Adäquatheit oder Inadäquatheit des Vermeinens unabhängig, indem sie zuvor die Faktizität desjenigen modal festlegt, das einer derartigen Ausweisung unterzogen wird. So hat Husserl durch apodiktische Reduktion zwar nicht ein letztes adäquat Gegebenes erreicht, wohl aber eine für das Interesse an Wahrheit notwendige Seinsgewißheit, die als solche nicht vergegenständlicht werden kann, ihrerseits jedoch Bedingung und Ausgangspunkt des Interesses an Selbstgebung ist. Der apodik­ tische Rückgang auf die transzendentale Subjektivität hebt diese im Sinne der Letztbegründung als selber unableitbares Faktum hervor; aber diese Faktizität wird dadurch gerade zum Ursprung der Proble­ matik ihrer möglichen Selbstgegebenheit. Als bloßes Bewußtsein unbezweifelbaren Seins (im Sinne der Existenz) entspricht sie noch nicht jener höchsten »Rationalität«, die erst durch die Ausweisung des »Wie« der Konstitution, durch radikale Selbstbesinnung erreicht wird. »So verwirklicht sich die Idee einer universalen Philosophie – ganz anders als Descartes […] es sich […] dachte – nicht als ein universales System deduktiver Theorie, als ob alles Seiende in der Einheit einer Rechnung stünde, […] auf dem untersten Grund nicht des Axioms ego cogito, sondern einer universalen Selbstbesinnung.« (Hua I 39) Als eine unübersteigbare Form der (Seins-)Gewißheit, die allerdings von jeder anderen Weise des Evidenzbewußtseins ihrer spezifischen Bedeutung zufolge qualitativ unterschieden ist, kann die apodiktische Existenzgewißheit deshalb nicht in die kritische sophie Edmund Husserls. – In: Tijschrift voor Philosophie 24 (1962), 302–349. – Siehe zusammenfassend Landgrebes grundlegende Abhandlung Husserls Abschied vom Cartesianismus.

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Wahrheitsaufklärung einbezogen werden, weil »Existenz« bzw. das »Daß« der Konstitution losgelöst von der Form des konstitutiven Aktes kein für sich »Gegebenes« ist, sondern modale Position durch das Bewußtsein, die eine jede adäquate Ausweisung voraussetzt.33 In diesem Sinne bezeichnet sie den Ursprung und Ausgangspunkt der »universalen Selbstbesinnung«, die ihrerseits vom Interesse an Wahrheit als Ausdruck lebendiger Selbstbeziehung bestimmt wird. Denn in der durch transzendentale Reduktion eingeleiteten radikalen Reflexion bin ich zwar »für mich als dieses ego wahrnehmungsmäßig gegeben […].« Aber ich werde »auch dessen inne, daß ich vordem schon immerfort für mich, aber unerfaßt, original anschaulich (im weiteren Sinne wahrgenommen) da, vorgegeben war.« (Ebd. 132)

c) Probleme der radikalen Reflexion So ist also im Falle der Letztbegründung die Frage der apodiktischen Selbstgewißheit (als Moment des Interesses an Wahrheit) von dem Problem der ursprünglichen Selbstgegebenheit scharf zu unterschei­ den. Die Forderung, die Faktizität des transzendentalen Bewußtseins in die kritische Wahrheitsfrage aufzunehmen, erhält erst durch eine methodische, allerdings schwerwiegende Verschiebung einen Sinn, wenn nämlich die Frage nach dem faktischen Sein (in der Bedeutung von »Existenz«) mit der Frage nach der Seinsweise im Sinne einer phä­ nomenologischen Bestimmung der Konstitutionsform des absoluten Bewußtseinslebens zur Deckung gebracht wird, vermöge welcher sich dieses Bewußtsein nicht primär als ein »Daß«, sondern als ein spezi­ fisches »Wie« seiner (faktischen) Beziehung auf sich auch »gegeben« ist. Sicherlich nicht zu Unrecht ist darauf hingewiesen worden, daß Husserl die Möglichkeit einer derartigen unmittelbaren Selbstbezie­ hung als Reflexion auf einen »Erlebniszusammenhang«, der selber wesensmäßig gerade von jedem Gegenständlichen unterschieden sein 33 Diese Auffassung vertritt Tugendhat, der darin einen von Husserl im Prinzip nicht zureichend geklärten Konflikt von ›dogmatischem‹ und ›kritischem‹ Motiv erblickt. Seine Forderung, die Faktizität des (absoluten) ego cogito ihrerseits in die kritische Wahrheitsfrage mitaufzunehmen, scheint jedoch die oben hervorgehobene Bedeutung der apodiktischen Reduktion und die durch sie gewonnene spezifische Existenzgewißheit in ihrer besonderen Funktion zu verkennen. – Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 202f.; 207; 210f.

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soll, nicht zureichend geklärt hat.34 Aber es läßt sich umgekehrt zei­ gen, daß Husserl durch die phänomenologische Theorie des inneren Zeitbewußtseins einen Weg gefunden zu haben glaubte, eine solche Beziehung des Ich als prinzipiell ungegenständliches und zugleich faktisches Subjekt des Interesses an Wahrheit auf sich als »Gegen­ stand« dieses Interesses im »Wie« seiner (ebenso unbezweifelbar faktischen) Selbstkonstitution entwickeln zu können.35 Einerseits nämlich bildet der Bewußtseinsstrom in der Reflexion das »erste, urquellmäßige Transzendente«; er »lebt mit Strömen und wird zugleich für sein Ich gegenständlich, objektiv […].« (Hua XI 204) In dieser ersten Bestimmung des Reflexionsvollzuges erscheint der Bewußtseinsstrom als »in steter Identität mit sich selbst verbleiben­ des Reich wahren Seins, ein Reich von Gegenständlichkeiten an sich, die für das tätige Ich und sein aktives Herausfassen, Identifizieren, Bewähren und Entwähren vorgegeben sind […].« (Ebd. 207) Wie ersichtlich wiederholt Husserl mit dieser Bestimmung das Modell gegenständlicher Erfahrung auf der transzendentalen Ebene; und diese Wiederholung erfährt im ausgezeichneten Fall der Ich-Reflexion durch Hinzunahme des Moments der Existenzgewißheit eine bedeut­ same Radikalisierung, insofern das »lebendig strömende Bewußt­ sein« als ein »stehendes und bleibendes Ansich« hervorgehoben wird, »dem das wirkliche Erfahren-werden in gewisser Weise zufällig ist.« (Ebd. 207f.) – Mit der letzten Wendung unterstreicht Husserl die im Vorigen erörterte Bedeutung apodiktischer Gewißheit, wonach die absolute Faktizität des Bewußtseins: seine Existenz, ihrem prägnan­ ten Sinn zufolge keines zusätzlichen Aktes bewußter Selbstbeziehung bedarf oder erst durch diesen hervorgebracht wird. Andererseits ist klar, daß dergestalt das Bewußtsein als Strom von Erlebnissen in seiner reinen Faktizität ohne Beziehung auf sich nicht zureichend ein Bewußtsein genannt werden kann. Deshalb erscheint das soeben herausgestellte »Ansich des Bewußtseinsstromes« wieder nur als eine untergeordnete »Seinsstufe« (ebd. 208), die zwar notwendig zum Bewußtsein gehört, als Modus der Selbsterfassung aber nicht dessen eigentliche Seinsweise als Ich oder bewußtes »Selbst« vollständig zu begreifen fähig ist. Um eine zureichende Bestimmung des (absoluten) Bewußtseins zu gewinnen, ist es also nötig, daß das prinzipiell ungegenständliche 34 Vgl. Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 209f. 35 Vgl. Ludwig Landgrebe: Husserls Abschied vom Cartesianismus. A.a.O. 192–206.

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(faktische) Ich seinerseits eine (»nachgewahrende«) Identifikation mit dem vergegenständlichten »Strom« des Bewußtseinslebens voll­ zieht und darin sein »Selbst« erkennt. Wenn dergestalt die innere Form des Bewußtseins als ursprüngliche Reflexion entwickelt und als dessen eigentliche – in der Form der Zeit sich vollziehende – Seinsweise bestimmt wird, tritt aber auch die ›aletheiologische‹ Grundverfassung der (absoluten) Subjektivität an ihr selbst hervor. Denn die so entfaltete Struktur bewußter Selbstbeziehung enthält zugleich die Aufbauelemente des Interesses an Wahrheit und damit jene beiden Komponenten der Husserlschen Idee der Philosophie, die als die dogmatische und kritische unterschieden worden waren. Der Bewußtseinsstrom kann nämlich als das »erste, urquellenmäßige Transzendente« oder Gegenständliche bestimmt werden, der nichts anderes als das »transzendente Selbst« ist, »das in der Immanenz der ursprünglich strömenden Gegenwart zur Urstiftung kommt und dann zur frei verfügbaren Selbstgebung und Selbstbewährung in eben dieser Gegenwart durch Wiedererinnerungen.« (Ebd. 204) Gerade der Umstand, daß diese Weise des Bewußtwerdens durch Retention geschieht, bewirkt jedoch, daß das darin betätigte Interesse sich zwar auf ein unbezweifelbar gewisses Seiendes richtet, dieses aber nicht im »Wie« seines Seins zur adäquaten Selbstgebung bringen kann. Das Bewußtseinsinteresse (an sich als Gegenstand und damit an sich als Bewußtsein) kann daher ebensowohl ›aletheiologisch‹ als ein Interesse an Wahrheit bestimmt werden. Und dieses Interesse an Wahrheit ist als perzeptiver Akt der Retention aufgrund der zeitlichen Verfassung des Bewußtseinslebens durch die apperzeptive Protention konditioniert, was Husserl auch durch das früher entwi­ ckelte Verhältnis von Passivität und Aktivität im Ichleben beschreiben kann (vgl. ebd. 209). In diesem Sinne erscheint das gegenständliche Ich »als das transzendente Selbst, das in Wiedererinnerungen und Wiedererinnerungssynthesen einer jeweiligen Gegenwart zur unvoll­ ständigen und approximativen Selbstgebung kommt.« (Ebd. 204) Das Wesen des Bewußtseins besteht aber darin, diesen Unterschied von gegenständlichem und ungegenständlichem (reflektierendem) Ich aufzuheben, um dadurch »lebendiges« Bewußtsein, ein »Selbst« zu sein, das sich im intentionalen Vollzug seiner Akte für diese zuständig bzw. »verantwortlich« weiß. Deshalb ist das retentional zur »approximativen Selbstgebung« kommende Ich nicht nur ein »transzendentes Selbst«. Geleitet von dem in dieser Beziehung grün­ denden Interesse an Übereinstimmung ist das auf jenes »Selbst«

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gerichtete Interesse an Wahrheit vielmehr zugleich ein selbstbezügli­ ches, während umgekehrt diese immanente Selbstbezüglichkeit ihrer Struktur nach durch den aufgestellten Begriff des Interesses an Wahr­ heit (im Sinne reflexiver Ausweisung) definiert werden kann. Das wesentlich reflexive Bewußtsein ist somit nicht nur Ursprungsstätte des Interesses an Wahrheit, das nach Husserl aller Intentionalität einbeschrieben ist. Insofern es Selbst-Bewußtsein ist, kann es auch in seiner zeitlichen Struktur als eine (absolute und faktische) Form der Reflexivität entwickelt werden, die in ihrer Seinsweise von der ursprünglichen, d.h. für es konstitutiven, Beziehung auf Wahrheit (im Sinne adäquater Selbstgebung) normativ bestimmt wird. Denn im Ausgang von den retentionalen Approximationen entspringt für das Ich in seiner zeitlichen Selbstkonstitution »die Idee eines wahren Selbst, der wahren Bewußtseinsvergangenheit, als Idee der vollkom­ menen Selbstgebung.« (Ebd. 204) In der soeben entwickelten Fassung radikaler Reflexion36 wird der Konflikt des dogmatischen und kritischen Motivs in Husserls Vor­ begriff der Philosophie offensichtlich vermieden. Durch den Rekurs auf die Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins gewinnt Hus­ serl im Rahmen des deskriptiven phänomenologischen Ansatzes die Möglichkeit, die Reflexivität des (faktisch-seienden) Bewußtseins selbst als dessen eigentliche Seinsweise zu bestimmen und die Beziehung auf sich aus dem Interesse an Wahrheit aufzuklären. Dies bedeutet jedoch nicht, daß das Bewußtsein vermittels absoluter Reflexion im idealistischen Sinne auch (dogmatisch) als ein letztes Seiendes in seiner Selbstperzeption sich gegeben ist. Vielmehr ist das seiende Ich »immerfort Für-sich-sein […], immerfort Sein und Für-sich-sein durch Selbsterscheinen, durch absolutes Erscheinen, darin das Erscheinende notwendig ist.« (Hua VIII 412) Als wesensgesetzliche Einheit von Perzeption und Apperzeption erscheint in der radikalen Reflexion der gewisse, jedoch nicht selbst »gegebene« Existenzgrund des Bewußtseins; aber jene Dialektik beider Komponenten der (zeit­ lichen) Selbstkonstitution bildet gerade den Ursprung des Interesses an Wahrheit, das als jeweils erneuerte und progressiv sich erwei­ ternde »Idee vollkommener Selbstgebung« die faktisch unabgeschlos­ 36 Zur »iterativen« Struktur der transzendentalen Reflexion im Vollzug der Letzt­ begründung vgl. Thomas Seebohm: Die Bedingung der Möglichkeit der Transzen­ dental-Philosophie. Edmund Husserls transzendental-phänomenologischer Ansatz, dargestellt im Anschluß an seine Kant-Kritik. Bonn 1962. 62; 102 u.ö.

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sene Teleologie des Bewußtseinslebens konstituiert. Diese Teleologie ist ihrerseits zugleich eine solche des Interesses an Wahrheit und bezeichnet die Form höchster »Rationalität«, die nach Husserl bei der Letztbegründung durch den Rückgang auf das konstituierende Bewußtsein erreicht wird. Denn die der Teleologie immanente »Idee eines wahren Selbst« hat »eine doppelte Seite, die eine betrifft die Richtung auf Klarheit und ihren Limes, die andere auf Erweiterung, sofern das gesamte Selbst des Bewußtseinsstromes in Frage ist.« (Hua XI 204) So ist im Sinne des dogmatischen Motivs zwar eine letzte (absolut existierende) Evidenzsphäre gewonnen, die als Basis der Konstitutionsaufklärung dient. Aber dieser »transzendentale Boden« begrenzt nicht das kritische Motiv progressiver Überführung des »Latenten« in die ausgewiesene Evidenz für ein selber nicht in rest­ loser Perzeption (durch Selbstwahrnehmung) aufgehendes Bewußt­ sein, das eben vermöge der teleologischen Beziehung auf sich ein Selbst-Bewußtsein (mit dem »Limes« adäquater Selbstgebung) ist (vgl. Hua VIII 440f.).37 Aufgrund seiner zeitlichen Verfassung ist das – in seiner apodiktischen Evidenz sich gewisse – Bewußtsein kein höchstes Seiendes. Seine »lebendige« – und d.h. nun vom Interesse an Wahrheit normativ bestimmte – Selbstbeziehung setzt das »wahre Selbst« aber auch nicht in der Weise eines konstituierten Seienden, denn diese »Idee« ist »selbst in merkwürdiger Weise eine wesens­ 37 Zu dem oben bei Erörterung des Problems der Letztbegründung vorausgesetzten Entwurf einer Theorie des inneren Zeitbewußtseins sowie der damit verbundenen Theorie der (teleologischen) Reflexion als phänomenologische Entwicklung der (zeitlichen) Seinsweise des Bewußtseins vgl. Klaus Held: Lebendige Gegenwart. A.a.O. 133; 146. – Der Sache nach kommt bereits Hermann Ulrich Asemissen zum gleichen Ergebnis. – Hermann Ulrich Asemissen: Egologische Reflexion. – In: Kant-Studien 50 (1958/59), 262–272; hier: 264–269. – In Auseinandersetzung mit einer idealistischen Reflexionstheorie, die das Selbstbewußtsein als Resultat eines Reflexionsprozesses begreift, zeigt Asemissan (an Kant anknüpfend), daß für Husserl die Einheit des Selbstbewußtseins das »Apriori der Reflexion« ist. Der Fortgang der Reflexion erbringt dann das Wissen dieses Selbstbewußtseins von sich selbst. Bei Husserl wird deshalb die als Einheit begriffene Subjektivität als ein »Limes« (vgl. Hua VIII 162f.) gedacht oder als eine teleologisch supponierte regulative Idee der phänomenologischen Aufweisungen. – Vgl. Thomas Seebohm: Die Bedingung der Möglichkeit der Transzendental-Philosophie. A.a.O. 66f. – Zur prinzipiellen Unerfahrbarkeit des Ich als Ursprung des teleologischen Prozesses vgl. Klaus Held: Lebendige Gegenwart. A.a.O. 133. – Von der Frage nach diesem existierenden Ursprung ist jedoch die Aufweisung der »stehend-strömenden Struktur« oder der Form der Bewußtseinsteleologie zu unterscheiden. – Klaus Held: Lebendige Gegen­ wart. A.a.O. 174.

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mäßig strömende, weil hier der Gegenstand, nämlich das Bewußtsein, eben ein Strom ist, der immer neue Urstiftung in sich vollzieht.« (Hua XI 204f.)

d) Selbstbeziehung und Selbstkritik Mit der bisherigen Entwicklung des Husserlschen Begriffs der Subjek­ tivität in Beziehung auf die phänomenologische Theorie der Wahrheit und des Wahrheitsinteresses konnte die konstitutive Funktion des letzteren für das transzendentale Bewußtsein aufgewiesen werden. Dabei wurde zugleich sichtbar, daß das Programm der Letztbegrün­ dung, wenn es nur im Sinne der Konstitutionstheorie durchgeführt wird, nicht geeignet ist, die phänomenologische Idee der Philosophie in ihrem vollen Umfang einzulösen. Denn der eigentliche Sinn dieser Idee ist in jenem Interesse an Wahrheit begründet, das nach Husserl das Bewußtsein selbst in seiner ursprünglichen Verfassung bestimmt. Der entscheidende Gedanke Husserls besteht darin, daß über die phä­ nomenologische Explikation des Bewußtseins hinaus die normative Funktion des Wahrheitsbezuges als solche herausgestellt wird. Auch wenn das Ziel der phänomenologischen Letztbegründung zureichend dahin bestimmt wird, »ein Alldurchschauen des Seienden in seinem wahrhaft konkreten, absoluten Zusammenhang« (Hua VIII 361) zu ermöglichen, so ist infolge des deskriptiven Charakters der Konstitu­ tionsaufklärung der Sinn der damit gewonnenen »Rationalität« als einer durch Philosophie allein zu realisierenden Zielform bewußter Existenz noch keineswegs in ihrer Verbindlichkeit für den Menschen aufgezeigt worden. Selbst wenn an diesem Punkte die Motivationsproblematik vor­ läufig zurückgestellt wird, bleibt zunächst noch die Frage offen, wie auf der Grundlage des bisher erörterten Begriffs der transzendenta­ len Subjektivität die Ausweisung der als Faktum hinzunehmenden Konstitution ihrerseits in das teleologische Selbstverhältnis der abso­ luten (transzendentalen) Subjektivität einbezogen sein kann. Erst dann wird nämlich verständlich, in welchem Sinne hier von einer Grundlegung der Idee der Philosophie die Rede sein kann bzw. daß diese Idee nicht nur über die Forderung der Letztbegründung hinaus­ weist, sondern daß von der auf diese Weise vollzogenen radikalen »Selbsterkenntnis« eine universale Normierung und Verwandlung des menschlichen Bewußtseins erwartet werden kann. Husserl jeden­

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falls sieht eine solche Konsequenz beim Übergang von der »naiven« zur transzendentalen Einstellung unmittelbar gegeben. »Die ›Selbst­ erkenntnis‹ ist dabei das Fundament für die Konstitution des ›wahren‹ Selbst in ihm selbst. Sie ist Selbstumschöpfung, die das Selbst aus dem An-sich in das An-und-für-sich überführt, es für sich selbst expliziert, ›enthüllt‹ und […] zu seinem wahren Selbst ›um‹schafft. In dieser unserer Selbstschöpfung schaffen wir aber auch die wahre Welt, auch sie geht aus dem tendenziösen blinden An-sich in das wissenschaftliche An-und-für-sich über, d.i. dasjenige für uns, d.i. in die Realisierung ihres wahrhaft wahren Seins in der konstitutiven Subjektivität.« (Hua VIII 283) Inwiefern diese »Selbsterkenntnis«, die Husserl zugleich als eine »Selbstschöpfung« des Bewußtseins im Stile der höchsten »Rationa­ lität« begreift, von dem Interesse an Wahrheit einerseits ermöglicht, andererseits normiert wird, war Gegenstand der bisherigen Erörte­ rungen. Das so gestiftete Selbstverhältnis der absoluten Subjektivität, in welchem die radikale Verantwortlichkeit des Ich gründet, ist jenes reine theoretische Interesse, dessen Ursprung im faktischen Bewußt­ sein phänomenologisch aufgewiesen werden muß, um die Idee stren­ ger Wissenschaft, die ihrerseits aus der phänomenologischen Theorie der Wahrheit hervorgeht, zu begründen. Der spezifische teleologi­ sche Charakter aber, den die transzendentale Selbsterkenntnis nach Husserl besitzt, bedeutet auch, daß das konstituierende Bewußtseins­ leben innerhalb der so initiierten »Selbstumschöpfung« seinerseits der Norm des Interesses an Wahrheit unterworfen wird. »Vermei­ nen überhaupt, Bewußtsein überhaupt jeder Art und Sondergestalt untersteht einer möglichen teleologischen Beurteilung.« (Hua VII 80) – Damit tritt die eigentliche kritische Funktion des phänomeno­ logischen Rückganges auf die transzendentale Subjektivität hervor, die von der zunächst von Husserl in den Vordergrund gestellten Forderung der Konstitutionsaufklärung nicht eingelöst wird und – was später auszuführen ist – den Ansatz der von Husserl entworfenen Vernunftgeschichte bildet. Denn die transzendentale Regression auf die Konstitutionsbedingungen der positional gesetzten Phänomen­ komplexe verhält sich zu diesen zwar insofern »kritisch«,38 als sie deren selbstverständliche Geltung für das Bewußtsein aus dessen intentionalen Leistungen aufklärt. Aber eine solche Kritik des positio­ Vgl. zu dieser Bestimmung der kritischen Funktion der Phänomenologie Gerhard Funke: Phänomenologie – Metaphysik oder Methode? Bonn 1966. 112f.

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nalen Weltbezuges begrenzt sich innerhalb der radikalen Reflexion nicht am Vollzug der Aufweisung, insofern diese als eine eigene Leis­ tung des Ich in seinem teleologischen Selbstverhältnis zur Ausweisung kommen, in dessen Verantwortlichkeit einbezogen sein muß. Die hier geforderte Ausweisung betrifft selbstverständlich nicht den positional gesetzen, faktischen Inhalt der Konstitution, denn die Anwendung des Prinzips aller Prinzipien bzw. des Interesses an Wahrheit impliziert gerade keine materiale »Antizipation« oder Veränderung des faktisch Konstituierten.39 Aber jede Konstitutionsaufklärung als Aufweisung des »Wie« der Konstitution ist zugleich einer weiteren Kritik unter­ worfen, insofern sie als ein faktischer Bestand des konstituierenden Bewußtseins auf seine mögliche Zugehörigkeit zur Einheit der abso­ luten Subjektivität befragt werden muß. So wird für Husserl die aus dem Bewußtsein in der Tat nicht konstruktiv ableitbare Faktizität bzw. positionale Historizität des intentionalen Lebens, das jeweils den »topischen« Ansatzpunkt der ersten Form der Kritik bildet,40 auf der Ebene radikaler Reflexion infolge der hier in Kraft tretenden Teleolo­ gie einer erneuten Kritik unterworfen, welche die »Irrationalität« des Faktischen einerseits als »Strukturbegriff« anerkennt, andererseits in den univeralen Reflexionszusammenhang des absoluten Selbstver­ hältnisses aufhebt, in dem das »egologische[] Faktum« selbst den Ursprung des reinen Interesses an Wahrheit bildet (vgl. Hua I 114). Die Strukturbedingung radikaler Reflexion liegt, wie gezeigt, in der dialektischen Opposition von Perzeption und Apperzeption, die sich ihrerseits aus der zeitlichen Seinsweise des absoluten Ich entwickeln läßt und zugleich den Spannungsbogen zwischen »Irrationalität« (faktischer Existenz) und höchster »Rationalität« konstituiert. Aber die Rationalität wird nicht einfacher Besitz durch den Rückgang auf die transzendentale Reflexionsebene; vielmehr ist sie das Telos der vom Interesse an Wahrheit bestimmten Reflexion oder die innere Form des absoluten Bewußtseins, das als intentionales auch in der Bezie­ hung auf sich die Spannung von Perzeption und Apperzeption bzw. die wechselseitige Fundierung beider Momente nicht aufzuheben vermag. Der positionale bzw. relative Charakter faktischer Konstitu­ tion im Bewußtsein wird von der Verwirklichung dieser Rationalität 39 Vgl. Gerhard Funke: Mundane Geschichte, ontologische Erfahrung und transzen­ dentale Subjektivität. Eine transzendental-phänomenologische Untersuchung. – In: Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 64 (1956), 361–371; hier bes. 366f. 40 Vgl. Gerhard Funke: Phänomenologie – Metaphysik oder Methode? A.a.O. 53ff.; 76ff.

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nicht berührt. Denn deren Wesen besteht darin, das »Universum der Erlebnisse« (ebd. 109) und ihre positionale Einzelheit nach Maßgabe des urspünglichen Wahrheitsbezuges sowie der darin implizierten Idee radikaler Ausweisung auf das Strukturapriori des absoluten Ich (vgl. ebd. 181), von dem jede intentionale Setzung vollzogen wird, zurückzuführen, um so zwar nicht eine (prinzipiell ausgeschlossene) adäquate Selbstperzeption des ego cogito zu realisieren, wohl aber um das höchste Kriterium absoluter Selbstbeziehung herauszustellen, das dieser als Beziehung auf das »wahre Selbst« zugrundeliegt. Dieses im »Eidos« des ›Selbst‹ begründete Kriterium ist die Forderung der »Kompossibilität« sowohl aller intentionalen Akte als auch der auf sie bezogenen und für das in letzter Instanz ›verantwortliche‹ Ich vollzogenen Ausweisung. »Das Universum der Erlebnisse, die den reellen Seinsgehalt des transzendentalen ego ausmachen, ist ein kompossibles nur in der universalen Einheitsform des Strömens, in welche alle Einzelheiten selbst als darin strömende sich einordnen.« (Hua I 109) In diesem Sinne wird das »Wie« der konstitutiven Akte zwar immer noch als ein faktisches hingenommen und kann als solches aus keiner höheren Instanz abgeleitet werden.41 Die Forderung der Kompossibilität, insofern sie als apriorische Bedingung der absoluten Selbstbeziehung aufgefaßt wird, enthält jedoch den kritischen Aspekt, daß jede Verifikation als Ausweisung für das konstituierende Ich subjektiv nur dann eine wahre und in die ursprüngliche Verantwort­ lichkeit aufzunehmende ist, wenn sie diese Bedingung erfüllt. Und dies gilt korrelativ für die gegenständlich konstituierte Welt, die nur aufgrund des gleichen »Wesensgesetz[es]« (Hua I 109) eine »wahre Welt« (Hua VIII 283) sein kann. Die unter der Idee universaler Kom­ possibilität stehende teleologische Selbstbeziehung des absoluten Bewußtseinslebens: der ihm implizierte Wahrheitsbezug, erweist sich somit als das Grundmaß und die höchste Norm jedes Strebens nach Vernunft und Rationalität, als die Bedingung, vermöge welcher das konstituierende Bewußtsein mit sich selbst verständigt werden kann. Insofern Husserl jedoch die Faktizität des intentionalen Konsti­ tuierens innerhalb des Bewußtseinsstromes als ein genuines Struk­ turelement anerkennt und darin den positionalen Ursprung, nicht 41 Auf diesen Sachverhalt weist Tugendhat hin, der darin »für die Idee der Letzt­ begründung eine entscheidende Qualifikation und Begrenzung« erblickt. – Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 217.

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die Begrenzung iterativer Wahrheitsaufklärung42 erblickt, kann er die Relativität der jeweiligen Konstitutionsakte und ihre Konditioniert­ heit durch intentionale Implikationen als Indikatoren der ursprüngli­ chen Geschichtlichkeit des absoluten subjektiven Lebens auffassen.43 »Die Geschichte ist das große Faktum des absoluten Seins […].« (Hua VIII 506) – Diese zunächst überraschende Feststellung wird verständlich, wenn der Ausdruck ›absolutes Sein‹ nicht als modale Bestimmung eines höchsten Seienden gefaßt, sondern auf die (zeit­ liche) Selbstkonstitution des transzendentalen ego als der letzten Instanz aller verifizierenden Ausweisung, im phänomenologischen Sinne also auf dessen Seinsweise, bezogen wird. Nach Husserl kon­ stituiert sich das ego »für sich selbst sozusagen in der Einheit einer Geschichte«; und diese Geschichte umfaßt zugleich die gegenständli­ che Konstitution, die ihrerseits gebunden ist »durch die universale genetische Form, die das konkrete ego (die Monade) als Einheit, als in ihrem besonderen Seinsgehalt kompossibel möglich macht.« (Hua I 109) Wenn das transzendentale – d.h. nicht wie ein Gegenstand in der Welt konstituierte – Faktum des »namenlosen«, durch keine adäquate Perzeption restlos erfaßbaren Bewußtseinsstromes derge­ stalt als ein geschichtliches gedacht und in das vom teleologischen Wahrheitsbezug normierte Selbstverhältnis der absoluten Subjektivi­ tät aufgehoben wird, erweist sich das Faktum der Geschichtlichkeit nicht als vernunftlos. Es wird vielmehr in seinem Sein von der Idee der Rationalität übergriffen, die ihrerseits in der Selbstkonstitution des konkreten ego wurzelt und so ebensowohl als das konstitutive Apriori, die innere Form der transzendentalen Geschichtlichkeit auf­ zufassen ist. Auf diese Weise ergibt sich für Husserl die Möglichkeit, bereits von seinem subjektivitätstheoretischen Ansatz her Vernunft und Geschichte miteinander zu vereinbaren. Das »große Faktum« der Geschichte verbindet sich im transzendentalen Bewußtseinsleben mit der Idee eines autonomen Wahrheitsbezuges, vermöge dessen das Ich der Konstitution sich als ein vernünftiges gewiß und trotz der geschichtlichen Relativität einer jeden positionalen Ausweisung, die der Bedingung der Kompossibilität unterworfen ist, sich als in letzter Instanz verantwortliches bewußt ist. Über den iterativen Charakter der transzendentalen Konstitutionsausweisung vgl. Gerhard Funke: Phänomenologie – Metaphysik oder Methode? A.a.O. 34 u.ö. 43 Vgl. zur Geschichtlichkeit der Konstitution Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff hei Husserl und Heidegger. A.a.O. 219f.

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2. Geschichtliche ›Motivation‹ und das Problem des voraussetzungslosen Anfangs

I. Aporien des voraussetzungslosen Anfangs Die bisherige Untersuchung ging von der Frage aus, auf welcher Grundlage Husserl seine Idee der Philosophie als strenge Wissen­ schaft entwickelt. Diese Idee soll Husserls Anspruch zufolge nicht nur die Norm einer jeden Wissenschaft sein, sondern sie muß ihre Legitimität als eine solche dadurch erweisen, daß ihre Etablierung in Rücksicht auf ihre Strukturelemente als notwendige Konsequenz des faktischen Bewußtseins dargetan werden kann. Der Aufweis des Interesses an Wahrheit als Grundbestimmung des phänomenologi­ schen Begriffs der Subjektivität war so ausgelegt, daß dieser Begriff einerseits aus der phänomenologischen Programmatik insgesamt interpretiert, andererseits als der zentrale Gedanke herausgestellt wurde, von dem aus Husserl nicht nur das Problem der Letztbegrün­ dung (als erkenntniskritisches Teilproblem der Phänomenologie) in Angriff nimmt, sondern auch eine Bestimmung des menschlichen Bewußtseins als eines wesentlich auf Erkenntnisautonomie und Verantwortung angelegten geben zu können beansprucht. – Selbst wenn man darin keine Schwierigkeit erblickt, Husserls Begriff der Philosophie als eine Radikalisierung des ursprünglichen Interesses an Wahrheit zu verstehen, so bleibt völlig uneinsichtig, wie die Motiva­ tion zu einer derartigen Radikalisierung nach Husserl gedacht werden kann. Daß damit auf keinen Fall Probleme einer psychischen oder bildungsmäßigen Disposition empirischer Subjekte gemeint sind, liegt auf der Hand, wenn man auf die – z.T. bereits aufgewiesenen – sachlichen Schwierigkeiten in Husserls subjektivitätstheoretischer Konzeption achtet. Zwar läßt sich die Schlüsselrolle des Interesses an Wahrheit bereits in den untersten Schichten des welterfahrenden Bewußtseins entfalten. Aber es gehört gerade zu den Strukturbedin­ gungen der Erfahrung, daß die unmittelbare Emanzipation eines reinen Interesses an Wahrheit unmöglich ist. Das Bewußtsein in

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2. Geschichtliche ›Motivation‹ und das Problem des voraussetzungslosen Anfangs

»natürlicher Einstellung«, im Vollzug konkreter Welterfahrung, ist der phänomenologischen Analytik zufolge wohl vom Interesse an Wahrheit bestimmt, doch bedarf es keiner Radikalisierung desselben im Sinne der transzendentalen Phänomenologie. Dieser Sachverhalt vertieft die Schwierigkeiten, die sich dann einstellen, wenn man mit Husserl das Verhältnis von positiven Wissenschaften und Erfah­ rung problematisiert und den Objektivismus als Ansatzpunkt der radikalen phänomenologischen Erkenntniskritik nimmt. Denn auch dieser Aspekt, der in Husserls Konzeption der Philosophie- bzw. Vernunftgeschichte in der Tat eine zentrale Rolle spielt, bildet sei­ nerseits nur ein (allerdings wichtiges) Teilproblem der Frage, wie die Idee der Wissenschaft: die Radikalisierung des Interesses an Wahrheit, als notwendige Stufe des Bewußtseins entwickelt werden kann. Die Rekonstruktion des Übergangs vom »natürlichen« oder »naiven« Bewußtsein zur Philosophie verlangt also eine transzenden­ tale Rekonstruktion der »Urstiftung« von Wissenschaft überhaupt als geschichtlicher Tatsache bzw. jener philosophischen »Aufgabenidee«, die wiederum als ursprüngliche Norm jeder Wissenschaftskritik ent­ wickelt werden kann und die den Anfang und das Ende eines spe­ ziellen teleologischen Prozesses bestimmt, dessen empirische Seite die faktische Philosophiegeschichte ist, während seine ideale, der reinen Subjektivitätstheorie allein zugängliche Seite als universale Vernunftgeschichte oder Entwicklung der Vernunft im Medium des Bewußtseins aufgefaßt werden muß. Der zuletzt angedeutete Aspekt fordert jedoch den Nachweis, daß im Rahmen des Husserlschen Ansatzes Geschichte und syste­ matisches Programm der Letztbegründung sich nicht ausschließen. Deshalb wurde die Erörterung der Motivationsproblematik, aus der die Frage nach der transzendentalen Rekonstruktion der Vernunftge­ schichte hervorgeht, zunächst zurückgestellt zugunsten einer Unter­ suchung darüber, wie sich innerhalb der Durchführung der Letzt­ begründung das Faktum der Geschichtlichkeit mit der Forderung rationaler Selbstbeziehung verbindet – und zwar auf der Grundlage eines Begriffs der Subjektivität, dessen Bestimmung das Interesse an Wahrheit ist. Die phänomenologische Explikation der Subjektivität am Leitfa­ den des Interesses an Wahrheit hat den Sinn, einen ursprünglichen Motivationsgrund für die Emanzipation eines reinen Interesses an Wahrheit und damit die Möglichkeit strenger Wissenschaft freizu­ legen. Wie ersichtlich setzt eine derartige Inanspruchnahme und

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I. Aporien des voraussetzungslosen Anfangs

Definition der transzendentalen Subjektivität die erkenntniskritische Problematisierung der Wahrheit bereits generell voraus. Nach Hus­ serl bedeutet dies, daß damit auch der radikale Wechsel von der ›natürlichen‹ zur ›transzendentalen Einstellung‹ schon vollzogen ist, wobei Husserl beide Einstellungen scharf voneinander abhebt, insofern die natürliche Einstellung durch die unmittelbare doxische Beziehung des Bewußtseins auf die Welt charakterisiert ist, während die transzendentale »die Überwindung der natürlichen Naivität und diejenige prinzipielle Umstellung fordert, […] die voll bewußt ausge­ führt wird als transzendentalphänomenologische Reduktion.« (Hua VIII 464) Für Husserl ergibt sich an diesem Punkte eine fundamentale Schwierigkeit, die von zwei Seiten her beleuchtet werden muß. Wenn nämlich natürliche und transzendentale Einstellung so voneinander unterschieden werden, daß die zweite der ersten inkompatibel, als die »unnatürliche« ihr fremd und unbekannt ist, während die natürliche Einstellung der zweiten zu ihrem Vollzug nicht bedarf, dann ist der Übergang, selbst wenn er als ein subjektivitätstheoretisch mög­ licher aufgewiesen wird, in seiner Notwendigkeit nicht hinreichend dargetan. Soll also der Einstellungswechsel de facto durchgeführt werden, dann setzt dies eine immanente Problematisierung des natürlichen Erkenntnisvollzuges voraus, welche ihrerseits auf eine Radikalisierung des ursprünglichen Wahrheitsbezuges in Gestalt des transzendentalen Einstellungswechsels verweist. Die Veränderung der Einstellung indiziert demnach eine (zunächst nur postulierte) Veränderung des Bewußtseins in seiner Beziehung zur Welt, die eine – obzwar zunächst noch naive – theoretische Selbstauslegung des natürlichen Erkenntnisvollzuges hervorbringt. Dies besagt, daß der seinem Anspruch nach (scheinbar) voraussetzungslose Anfang der phänomenologischen Aletheiologie in Wahrheit das vorgängige Bestehen einer ausgebildeten Erkenntnistheorie für den Ansatz der eigenen Erkenntniskritik fordert. Wie ersichtlich ist dies nicht in dem trivialen Sinne zu verstehen, daß jede Kritik ein zu Kritisierendes vorfinden muß; vielmehr gehört das zirkuläre Bedingungsverhältnis zum Anfang der phänomenologischen Erkenntniskritik wesentlich hinzu (vgl. Hua VIII 327), d.h. diese Kritik versteht sich zugleich als eine Besinnung auf die normative Kraft der »innerlich leitende[n] Zweckidee«, die der historischen Entwicklung, also der empirischen Vorgeschichte phänomenologischer Erkenntniskritik als radikaler Besinnung, zugrundeliegt, obwohl sie innerhalb dieser Geschichte

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2. Geschichtliche ›Motivation‹ und das Problem des voraussetzungslosen Anfangs

nicht realisiert werden konnte und nun erst zur Geltung gebracht werden muß (vgl. Hua VIII 3f.). Insofern aber die erforderliche Selbstbesinnung von einem konkreten Bewußtsein zu vollziehen ist, läßt sich die Schwierigkeit eines voraussetzungslosen Anfangs auch als das Problem formulieren, wie dieses Bewußtsein überhaupt in eine prägnante erkenntniskritische Fragestellung, in ein zumindest präsumptives Vorwissen um die eigentliche Normgestalt des Interes­ ses an Wahrheit hineingestellt sein kann. Um diese Problematik aufzuklären, hat Husserl in seinen Vor­ lesungen über Erste Philosophie zwei Bedingungen des Anfangs radikaler Reflexion im konkreten Bewußtsein herausgestellt, die aufeinander verweisen und zugleich die wesentliche geschichtliche Konditioniertheit eines derartigen Anfangens anzeigen: den Wil­ lensentschluß und die ›absolute Situation‹. Die Entwicklung dieser beiden Bestimmungen des reflektierenden Bewußtseins erfolgt zu Beginn des zweiten, systematisch angelegten Teiles jener Vorlesung, deren erster in der Form »einer ideengeschichtlichen Einleitung in die transzendentale Phänomenologie und phänomenologische Philosophie« (Hua VIII 3) konzipiert ist. Eine nähere Betrachtung des systematischen Anfangs beim empirischen Subjekt, das den Entschluß zur (transzendentalen) Reflexion vollziehen soll, zeigt jedoch, daß Husserl keineswegs den sachlichen Zusammenhang von ideengeschichtlicher Vorbesinnung und ›Reflexion im Willen‹ nicht herstellen konnte.44 Das Verhältnis des ideengeschichtlichen und ›systematischen‹ Teils der Vorlesung ist vielmehr selbst ein syste­ matisches, da jener als zugleich subjektivitätstheoretisch angelegte »Kritik an der ererbten philosophischen und wissenschaftlichen Nai­ vität« als »notwendiges Stück für meditationes de prima philosophia« (ebd. 28) aufgefaßt wird. Bereits die einleitenden Sätze zur »Theorie der Reduktion« in dem zweiten Teil der Ersten Philosophie machen kenntlich, daß die ideengeschichtliche Abklärung der philosophischen Zielvorstellung keineswegs von einem jenseits der Geschichte liegen­ den Standpunkt erfolgt, sondern ihre eigenen Position kritisch in die Tradition des Philosophierens einrücken läßt. Husserl nimmt nämlich für seine Kritik eine spezifische Idee der Philosophie zum Maßstab, die aus Platons Reaktion gegen die skeptische Sophistik 44 Diese Auffassung vertritt Janssen, der die Hereinnahme der Geschichte des Denkens in das Problem der Selbstbegründung der Philosophie dem Prinzip nach erst in der Krisis realisiert findet. – Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 57ff.

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I. Aporien des voraussetzungslosen Anfangs

erwuchs und »den Gang aller weiteren Wissenschaftsentwicklung bestimmte.« (Ebd. 3) Nach Husserl ist das Schicksal der Philosophie von Anfang an mit dem der Wissenschaften verflochten, insofern jene den normativen Prototyp der Wissenschaft schlechthin darstellt (vgl. ebd. 10). Wird aber die Etablierung der transzendentalen Phänomenolo­ gie so verstanden, daß sie eine kritische Restitution der Philosophie insgesamt durchführt (vgl. Hua V 139), dann muß zugleich eine Grundlagenrevision der faktischen Wissenschaften in Angriff genom­ men werden, indem – so ist das Vorgehen im ersten Teil – von deren ideengeschichtlichen Konstitutionselementen aus die radikale Begründung angebahnt wird (vgl. Hua VII 6). Husserls (systemati­ sche) Reflexion auf ideengeschichtliche Zusammenhänge läßt sich daher nicht als eine systematisch »außerwesentliche« Bestätigung45 einstufen, sie verläßt ihrer eigentlichen Intention zufolge auch nicht den Bezugsrahmen der Tradition, sondern setzt ihn im Hinblick auf das eigene systematische Vorhaben ausdrücklich in Kraft (vgl. Hua VIII 28). Dieses Einrücken in die Tradition – darauf wird später zurückzukommen sein – betrifft nicht eine idealtypisch extrahierte Idee der Philosophie (z.B. diejenige Platons); es bezieht sich, wie sich an Husserls Vorgehen zeigen läßt, auf die Strukturelemente des konkreten Verlaufs der Philosophiegeschichte. Dazu gehört auch, daß die Konzeption jener (platonischen) Idee als »Reaktion« etwa gegen die sophistische Skepsis als erkenntnistheoretischer Gegen­ wurf (ebd. 3), also aus einer – den geschichtlichen Verlauf prägenden – Motivationslage, begriffen wird. In diesem Sinne stellt Husserl seiner systematischen Erörterung im zweiten Teil der Vorlesung eine Definition seiner Idee der Philosophie voran, die er zuvor in der ideengeschichtlichen Bestimmung als verbindliche herausgear­ beitet hatte. »Philosophie sollte danach [sc. nach Platon, K. R. M.] Erkenntnis aus einer durchgängigen höchsten und letzten Selbstbe­ sinnung, Selbstverständigung, Selbstverantwortung des Erkennen­ den für seine Erkenntnisleistungen sein, oder was dasselbe sagt, sie sollte sich absolut rechtfertigende Wissenschaft, und zudem Univer­ salwissenschaft sein.« (Ebd.)

45 Diese These stellt Janssen auf. – Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 60f. – Vgl. dagegen Iso Kern: Husserl und Kant. A.a.O. 307. – Kern unternimmt allerdings keine genauere Klärung dieser Problematik.

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2. Geschichtliche ›Motivation‹ und das Problem des voraussetzungslosen Anfangs

Mit dieser Definition, auf die Husserl die gesamte Geschichte der Philosophie bezieht, glaubt er aber auch das motivierende Kernpro­ blem angeben zu können, von dem aus die phänomenologische Idee der Philosophie ihrem erkenntniskritischen Sinne nach zu bestimmen ist. Husserl erblickt nämlich die Grundfrage einer jeden Philosophie darin, wie die Rechtfertigung der Erkenntnis geleistet werden könne, und er versteht die jeweilige konkrete Ausgestaltung der Philosophie als das Bemühen, solche Rechtfertigungen auf »ihre letzte Quelle und ihre Einheit in der Einheit der erkennenden und in transzendentaler Reinheit zu fassenden Subjektivität« (ebd. 4) zurückzuführen. Indem er so die in der Sache begründete Übereinstimmung von philosophi­ scher Tradition und phänomenologischer Programmatik herausstellt, gewinnt jene eine neue Bedeutung für den Anfang der Phänomeno­ logie. Denn die faktische Philosophiegeschichte wird durch die radi­ kale phänomenologische Reflexion nicht aufgehoben, sondern auf ihre transzendental zu rekonstruierende Normativität befragt, inso­ fern sie zur motivierenden Vorgeschichte des radikalen Ansatzes im Bewußtsein gehört (vgl. ebd. 28f.).46 Und dieser Zusammenhang muß sich in der (transzendentalen) Konditioniertheit des »voraussetzungs­ losen« Anfangs radikaler Reflexion systematisch aufzeigen lassen.

II. Zwei Aspekte eines Lösungsversuches a) Die »absolute Situation« Das die Phänomenologie tragende Postulat, die Philosophie aus ihren »Uranfängen« (ebd. 4) zu begründen, hat nicht allein den Sinn, auf einen historischen Anfang zurückzuweisen. Es bedeutet vielmehr, daß die Tradition die sie leitende »Zweckidee« verhüllt und deshalb destruiert werden muß, um einen systematisch verbindlichen Ansatz zu ermöglichen, der aus diesen »Uranfängen« hervorgeht. Am Anfang radikaler Reflexion steht daher nach Husserl eine »abso­ lute[] Situation« (ebd. 22), die für das Auftreten der Zweckidee »im Erkenntnissubjekt« vorausgesetzt und »als eine Art Zusammen­ bruch aller naiven Erkenntnis- und Wissenschaftswerte« (ebd. 21) zu verstehen ist. Weil sie aber die systematische Forderung der 46

Siehe hierzu Anm. 5 der vorliegenden Untersuchung.

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II. Zwei Aspekte eines Lösungsversuches

Voraussetzungslosigkeit im Bewußtsein erfüllt und konkretisiert, ist sie ihrer Funktion zufolge nicht bloß »Ausdruck einer persön­ lich-individuellen Erfahrung«47 oder der empirische Umstand an einer »zufälligen historischen Faktizität« (ebd. 22). Die »absolute Situation« gehört vielmehr »idealiter« zum Anfang der Philosophie, und es ist einleuchtend, »daß die Idee einer absoluten und radikal begründeten Wissenschaft ihren Sinn aus einer solchen Situation schöpfen muß […].« (Ebd.) – Gerade ihre Charakterisierung als Destruktion zeigt jedoch, daß diese Situation ihren präskriptiven Sinn für das Bewußtsein noch immer dialektisch aus dem Destruierten gewinnt. Zwar ist sie für den Entschluß zum voraussetzungslosen Anfang »motivierend«. Aber sie kann dies nur sein, weil in ihr die naive Erkenntnisprätention hinsichtlich ihrer Grenze erfahren wird. So besteht nach Husserl das »Formal-allgemeine der subjektiven Motivationslage des philosophierend anfangenden Subjekts« darin, daß es »zunächst noch naives Erkenntnissubjekt [ist], aber doch nicht mehr ganz naiv, schon insofern, als es seiner bisherigen Erkenntnis­ naivität bewußtgeworden und in ihr unbefriedigt ist.« (Ebd. 8) Die Situation des Zusammenbruchs aller naiven Erkenntniswerte erweist sich demnach in mehrfacher Hinsicht nicht als voraussetzungslose und ist deshalb wohl mit Husserl als Bedingung des radikalen Anfangs für das Bewußtsein vorzustellen, ohne zugleich dessen letz­ tes »Motiv« zu sein. Zum einen setzt sie nämlich die Philosophiebzw. Wissenschaftsgeschichte faktisch voraus, zum anderen ist sie selbst erst durch einen Reflexionsakt hervorgebracht, der eine eigene (hier destruktiv-kritische) Bestätigung des Interesses an Wahrheit darstellt. Und dieses Interesse an Wahrheit wird nicht erst in der »absoluten Situation« bewußt, sondern ist dem Erkenntnissubjekt schon bekannt, denn »es gehört ja zum Grundcharakter alles wissen­ schaftlichen Strebens und des aus ihm hervorgehenden wissenschaft­ lichen Erkennens.« (Ebd. 9) So verstanden ist jedoch im faktischen Realisieren von Wissenschaft deren ursprüngliche normative Idee stets mitpräsent (vgl. ebd. 357f.). Sie ist als »motivierende« nicht ein aus der empirischen Geschichte extrahierter Idealtypus, sondern erweist sich zufolge ihrer Herkunft aus dem subjektiven Interesse an Wahrheit als die alle Naivität begrenzende und relativierende »Prätention«, welche das in jene Tradition einrückende Bewußtsein auf deren noch nicht realisierte Konsequenzen verweist (vgl. ebd. 10; 47

Diese Einschätzung vertritt Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 61.

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2. Geschichtliche ›Motivation‹ und das Problem des voraussetzungslosen Anfangs

Hua I 50; Hua IX 370ff.). Diese Einschränkung der Vorbildlichkeit und Maßgeblichkeit einer faktisch vorgegebenen Tradition bedeutet, daß innerhalb der »absoluten Situation« die Idee der Wissenschaft selbst in Frage gestellt ist (vgl. Hua VIII 21; Hua I 49), so daß die Bedingung der Voraussetzungslosigkeit für das Bewußtsein in Geltung bleibt. Aber das betrifft nur die empirische Faktizität der Idee; ihre Ansetzung als eine »Präsumption« bezeichnet gerade keine Beliebigkeit, sondern die Notwendigkeit, ihre systematisch relevante Wahrheit aus den (subjektiven) »Uranfängen« zu begründen. In diesem Sinne kann Husserl einerseits den experimentellen Charakter der Anfangsreflexion hervorheben,48 ohne andererseits die Konditio­ niertheit des präsumptiven Anfangs leugnen zu müssen: »Wir haben als Anfangende noch kein normatives Wissenschaftsideal in Geltung; und nur soweit wir es uns neu schaffen, können wir es haben.« (Hua I 49) Mit diesem letzten Hinweis auf die aktive, vom Interesse an Wahrheit bestimmte Rolle des Bewußtseins bei der Konstitution des wahrhaft normativen Wissenschaftsbegriffs wird der eigentliche Kern der Motivationsproblematik freigelegt. Zu fragen ist, wie nach Hus­ 48 Vgl. dazu Lothar Eley: Die Krise des Apriori in der transzendentalen Phänomeno­ logie Edmund Husserls. Den Haag 1962. (Phaenomenologica 10) – Eley hebt den experimentellen Charakter der Präsumtion hervor, geht allerdings nicht genügend auf die geschichtliche Konditioniertheit derselben ein, so daß er die damit verknüpfte Problematik einer transzendentalen Geschichte des Bewußtseins übersieht. Die Kom­ plexität des Problems des voraussetzungslosen Anfangs bei Husserl verfehlt auch Eugen Fink, wenn er Husserls radikalen Ansatz als die »Conception eines Urstandes der menschlichen Seinszugänge« deutet und die Gewinnung eines solchen theoreti­ schen »Urstandes« durch das »Staunen« als eine grundsätzliche Entlastung des Bewußtseins von der Geschichte versteht. Er übersieht, daß ein derartiges, scheinbar unmittelbares Staunen sich keineswegs von selbst einstellt. Nach Husserl setzt der radikale Anfang sich nicht bloß negativ-kritisch von der Philosophiegeschichte ab, sondern rekonstruiert deren ursprüngliche Aufgabenidee als Norm seines Tuns. Auch das staunende Prägen steht im Kontext einer Geschichte, deren Verdeckungstendenz zwar durchbrochen wird, selbst aber noch immer eine Bedingung des Fragens ist. Soll das Staunen in seiner postulierten Einfachheit und Unmittelbarkeit verstanden und vollzogen werden, so bedarf es hierzu einer Explikation seiner subjektiven Aitiologie. Dies gilt gerade dann, wenn zuvor die Destruktion des ›uneigentlichen‹ Seinsbezuges, also die Wiederherstellung eines »Urstandes« geleistet werden soll. Keine »Mittelbar­ keit der verschütteten Traditionalität« kann gleichsam übersprungen werden, insofern sie für die Erkenntnis des ›Anfänglichen‹ als solchen wieder vorausgesetzt ist. – Eugen Fink: Das Problem der Phänomenologie Edmund Husserls. – In: Eugen Fink: Studien zur Phänomenologie 1930–1939. Den Haag 1966. 179–223; hier: 195f. (Phaenomenologica 21)

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II. Zwei Aspekte eines Lösungsversuches

serl das empirische Ich den »Entschluß« zu radikaler Reflexion bzw. Kritik und Destruktion der naiven Erkenntnispraxis fassen kann (vgl. Hua VIII 6f.). Die durch die »absolute Situation« realisierte Kritik der objektiven Wissenschaften kann ihrem radikalen erkenntniskriti­ schen Sinn zufolge nicht in einer logischen Kritik derselben bestehen wie sie ebensogut in der Wissenschaftsgeschichte der Fall ist und deren Fortschritt bestimmt. Denn dem ›aletheiologischen‹ Ansatz der Phänomenologie liegt gerade auch die Kritik der objektivistischen Logik als höchste Norm des Bewußtseins von Wahrheit programma­ tisch zugrunde (vgl. ebd. 20). Für Husserl, dessen Konzeption der Anfangsproblematik offenkundig am Stil der Meditationen Descartes’ orientiert ist, bedeutet die dergestalt unternommene Neubegründung der Idee der Philosophie, daß die hier vollzogene »Selbstbesinnung« nicht nur das erkennende Ich betrifft, sondern eine geschichtliche Verwandlung des Bewußtseins in der Beziehung auf sich nach Maß­ gabe radikaler und letzter Begründung einleitet. Dies besagt: »[…] die fragliche Besinnung ist ein besonderer Fall derjenigen Selbstbesin­ nung, in welcher sich der Mensch als Person auf den letztlichen Sinn seines Daseins zu besinnen sucht. Es muß ein weiterer und engerer Begriff von Selbstbesinnung unterschieden werden: die reine Ichreflexion und Reflexion auf das gesamte Leben des Ich als Ich und die Besinnung im prägnanten Sinn der Rückfrage nach dem Sinn, dem teleologischen Wesen des Ich.« (Hua VI 510f., Anm. 1)

b) Das Problem des »Entschlusses« Die in solcher Reflexion – innerhalb der »absoluten Situation« – durchgeführte Selbstvergewisserung hat das Ich noch nicht speziell als ein transzendentales Erkenntnisthema apperzipiert. Husserl begreift sie vielmehr als einen »Willensentschluß«, der »aus freien Selbstbe­ stimmungen des Erkennenden« entspringt und als autonome Selbst­ bestätigung des subjektiven Interesses an Wahrheit keine Erkenntnis als vorgegebene Norm hinnimmt, die sich nicht aus eigener Einsicht begründen und ausweisen läßt (vgl. Hua VIII 6f.). Da diese Radika­ lisierung des Interesses an Wahrheit ihrem eigenen Sinn nach von dem einzelnen Subjekt als dessen ursprüngliche Selbstthematisierung (vgl. ebd. 420) vollzogen werden muß, kann sie nicht losgelöst von dessen empirischer Existenz geschehen. Der Entschluß – obwohl so zunächst als ein »mundanes« Faktum gefaßt – gehört also für Husserl

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2. Geschichtliche ›Motivation‹ und das Problem des voraussetzungslosen Anfangs

konsequent zum Anfang einer reinen Transzendentalphilosophie. »A priori fordert dennoch eine radikale, systematische Begründung der Philosophie einen subjektiven und ebenso einen historischen Aufstieg vom natürlichen Standpunkt zum philosophischen.« (Hua IX 47) – Dieser »psychologische« Anfang beim empirischen Ich aber, der dem prinzipiellen Anspruch einer transzendentalen Basisrefle­ xion zuwiderläuft, erweist sich als Konsequenz des aletheiologischen Ansatzes der Phänomenologie, die den Ausgang ihrer Aufweisungen vom konkreten Bewußtsein, dem Faktum der intentionalen Subjekti­ vität, nimmt. Eine Bedingung des Entschlusses ist die zugleich histo­ risch konditionierte »absolute Situation«, die ihrer Struktur zufolge stets auf ein Bewußtsein bezogen ist, von diesem realisiert wird und als radikale Destruktion naiver Erkenntnis die reine Selbstbezie­ hung des Erkennenden ermöglicht. Eine derartige nicht »natürliche« Auszeichnung des Ich, des Subjekts intentionaler Akte, setzt jedoch offenkundig eine Radikalisierung des Interesses an Wahrheit voraus. Denn die im vorigen Kapitel entwickelte Idee ›aletheiologischer‹ Zuständigkeit, welche eine solche »Reflexion im Willen« als Anfang der Philosophie aus letzter Begründung allererst sinnvoll macht, ist offenbar nicht selbst ein schlicht vorliegendes Motiv. Aus diesen Gründen erweist sich der aus systematischer Kon­ sequenz an den Anfang gestellte Entschluß für Husserls gesamten Ansatz als ein schwerwiegendes Problem. Denn wenn das transzen­ dentale Ich – vor der frei vollzogenen Reduktion – innerhalb des mondänen Interesselebens schlechterdings »anonym«, und diese Anonymität nach Husserls Reflexionsbegriff das eigentliche Krite­ rium seiner Transzendentalität und Freiheit ist,49 dann besteht zwi­ schen natürlicher und transzendentaler Einstellung eine Differenz, die der Entschluß überwinden muß. Angesichts dieses Dilemmas scheint es keinen anderen Ausweg zu geben, als einerseits das Scheitern der Motivationsproblematik zu konstatieren, und andererseits an der empirischen Faktizität des Entschlusses um den Preis eines »psy­ chologistischen« Ausgangspunktes reiner Transzendentalphilosophie festzuhalten, insofern dem Bewußtsein ein unableitbares »Innesein« oder Wissen um seine (transzendentale) Freiheit bzw. Verantwort­ lichkeit für seine Setzungen zugeschrieben wird, das dann sogar

49 Vgl. zusammenfassend Ludwig Landgrebe: Husserls Abschied vom Cartesianis­ mus. A.a.O. 184ff.

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II. Zwei Aspekte eines Lösungsversuches

als »Anruf« des Ich »in seiner Innerlichkeit« bzw. als ein spezifisch »sittliches« Bewußtsein gedacht werden soll.50 Eine derartige Interpretation setzt aber das von Husserl gestellte Problem der Selbstbeziehung, insofern es den Anfang einer theoreti­ schen Universalwissenschaft bilden soll, als gelöst voraus. Indem sie überdies auf inhaltliche Qualifikationen des faktischen Selbstbewußt­ seins ausweicht, die nach Husserls Konstitutionstheorie gar nicht zu den Formprinzipien der intentionalen Beziehung von Bewußtsein und Welt gehören, wird der im vorigen Kapitel dargestellte subjektivitäts­ theoretische Ansatz der transzendentalen Phänomenologie verlassen. Husserls Unternehmen, den Begriff der (transzendentalen) Verant­ wortung konsequent aus dem subjektiven Interesse an Wahrheit zu bestimmen und dieses zugleich als Strukturelement des intentionalen Lebens aufzuweisen, ist dagegen als der Versuch zu verstehen, trotz des programmatischen Ausgangs vom konkreten Bewußtsein dessen psychologische Auffassung zu vermeiden. In diesem Sinne begreift Husserl das Subjekt jener »verantwortlichen« Reflexion ausdrücklich als ein theoretisches (vgl. Hua VIII 420f.) und die dergestalt ins Spiel gebrachte »Idee der absoluten Selbstverantwortung« als eine »Verantwortung für volle und absolute Wahrheit« (ebd. 197). Die hier gemeinte Verantwortung bezieht sich nicht primär auf Werte, ist also nicht ursprünglich ihrem Wesen nach eine »sittliche«, sondern ist auf die jeweils vorgegebene Wertbeziehung im Bewußtsein gerichtet, denn »verantwortet wird letztlich die Echtheit des Wertes und die Wahrheit der Erzielung im Erkennen […].« (Ebd. 25) Daß ein unmittelbares Bewußtsein der so verstandenen Ver­ antwortlichkeit gerade nicht ohne weiteres vorhanden ist, weil es dem natürlichen Bewußtsein und seiner Einstellung auf die Welt zuwiderläuft (vgl. ebd. 79; 244f.) und daher in seiner subjektiven Möglichkeit als virtuelle Radikalisierung des Interesses an Wahrheit allererst genetisch aufgewiesen werden muß, um den Anfang stren­ ger Wissenschaft bilden zu können, ist der leitende Gesichtspunkt der Husserlschen Exposition. Zwar induziert die erkenntniskritische Einsicht, »daß alles Meinen und Wissen über die Welt – wodurch Diesen Weg beschreitet maßgeblich Landgrebes Interpretation der betreffenden Ausführungen Husserls. – Vgl. Ludwig Landgrebe: Husserls Abschied vom Carte­ sianismus. A.a.O. 196f.; 203f. – Ihm folgen im Prinzip ohne jede Einschränkung Lothar Eley: Die Krise des Apriori in der transzendentalen Phänomenologie Edmund Husserls. A.a.O. 81f.; 124ff. – Sowie: Klaus Held: Lebendige Gegenwart. A.a.O. 50

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sie eben für mich einfach da ist und vorweg seiend, selbst bei allen Täuschungen über sie […] aus meiner eigenen Erfahrung stammt« (ebd. 416), ein Bewußtsein meiner Zuständigkeit und so ein verant­ wortliches Selbstbewußtsein. Aber diese Einsicht wird allererst zu einer es auf seine (transzendentale) Verantwortlichkeit verpflichten­ den für das (empirische) Bewußtsein nach der »Reflexion im Willen«, die nicht jederzeit als vollzogene und durch die »absolute Situation« konkretisierte vorausgesetzt werden kann.51 Es ist somit die prinzipielle, von Husserl immer wieder gegen jeden Rekurs auf die »elementaren und typischen Vertrautheiten« (ebd. 122) des mundanen Lebens abgehobene Unnatürlichkeit der transzendentalen Einstellung (vgl. ebd. 121), die es aus systemati­ schen Gründen verbietet, dem kontingenten Willensentschluß des empirischen Bewußtseins als solchen irgendeine konstitutive Funk­ tion für den Aufbau strenger Wissenschaft zuzuschreiben und damit die Phänomenologie als reine Transzendentalphilosophie zu begrün­ den. Zwar ist sein wirklicher Vollzug in und durch ein existieren­ des Bewußtsein erforderlich; aber es ist die Gestalt und die spezi­ fisch theoretische Weise der Selbstthematisierung des Ich durch radikale Reflexion, welche allein systematische Relevanz für die transzendentale Dimension besitzt. In diesem Sinne ist die Reduktion als transzendentale Grundoperation ebenso wie die Idee radikaler Verantwortlichkeit in der natürlichen Einstellung, verstanden als vortheoretischer Status »naiver« Beziehung von Bewußtsein auf Welt, allerdings nicht vorgebildet. Aber dieser Sachverhalt darf nicht als Motivationslosigkeit des Entschlusses gedeutet werden.52 Viel­ Landgrebes Darstellung (vgl. die vorige Anm.) bringt Husserl unvermerkt auf eine Position, die Hegel bereits bei Fichte kritisiert hat, und setzt ihn dem gleichen Vorwurf aus. – Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Wissenschaft der Logik. Herausgegeben von Georg Lasson. Hamburg 1963. 61f. (Philosophische Bibliothek Bde. 56 u. 57) – Schon Hegel weist nämlich auf das systematische Problem hin, daß die Erhebung des konkreten (empirischen) Bewußtseins zum reinen Wissen dann, wenn sie durch eine in diesem Bewußtsein unmittelbar präsente und gewisse intellektuelle Anschauung geleistet werden soll, das Bewußtsein selbst in verschiedene empirische Zustände unterteilt und so eine transzendentale Begründung des Wissens verfehlt. 52 Diese Auffassung vertritt Eugen Fink: Die Phänomenologische Philosophie Edmund Husserls in der gegenwärtigen Kritik. – In: Eugen Fink: Studien zur Phäno­ menologie 1930–1939. Den Haag 1966. 79–156; hier: 107–111. (Phaenomenologica 21) – Landgrebe weist zwar darauf hin, daß das ursprüngliche Wahrheitsstreben die Möglichkeit des Entschlusses bildet, doch gibt er keine Analyse des oben dargestellten systematischen Zusammenhanges von Philosophie- bzw. Wissenschaftsgeschichte, 51

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mehr kommt es darauf an, die von Husserl selbst aufgeworfene Problematik des Aufstiegs vom Empirischen zum transzendentalen Ich, deren letzte Absicht auch in der Ausschaltung psychologistischer Prämissen bei der Anfangsproblematik besteht, von vorschnellen Analogien zu Erscheinungsformen des psychischen Lebens freizuhal­ ten. Husserls Gebrauch des Ausdrucks »Motivation« meint jedenfalls ein präskriptives Bedingungsgefüge, das der ursprünglichen intentio­ nalen Beziehung von Bewußtsein und Welt einbeschrieben ist und zufolge seiner prinzipiellen konstitutiven Funktion kein bloßer Teil des realen psychischen Lebens sein kann. Indem Husserl nämlich die »absolute Situation« und den »Ent­ schluß« als zwei untereinander zusammenhängende Bestimmungen des »voraussetzungslosen« Anfangs der Philosophie einführt, die einerseits vom empirischen Bewußtsein konkret vollzogen werden, andererseits dem natürlichen Bewußtsein vollständig fremd sein sol­ len, zeigt er selber vermittels dieser paradoxen Forderung an, daß die spezifische Notwendigkeit, eine radikale Begründung der Philosophie von diesen Bestimmungen aus anzubahnen, gerade nicht von ihrem »natürlichen« Hervorgehen aus dem Kausalzusammenhang empiri­ scher Umstände abhängig ist. Die in beiden Bestimmungen realisierte »unnatürliche« Radikalisierung des Interesses an Wahrheit in Gestalt der transzendentalen Selbstbesinnung erscheint so innerhalb der Sphäre natürlicher Bewußtseinsstellung als voraussetzungslos. Die Frage nach der ursprünglichen Motivation zur radikalen Reflexion ist demnach umgekehrt auf die – transzendental zu rekonstruierenden – Bedingungen der hier vollzogenen Radikalisierung des Interesses an Wahrheit gerichtet, die dem empirischen Impuls der Selbstbeziehung überhaupt seine – systematisch einzig relevante – erkenntniskritische Reflexionsgestalt verleihen. Nicht jede Weise empirischer Selbstthe­ matisierung, sei es auch die »sittliche« Reflexion des Subjekts von »absoluter Situation« und »Entschluß«, so daß jene Beobachtung in der Anwendung auf die Problematik radikaler Reflexion folgenlos bleibt. – Ludwig Landgrebe: Hus­ serls Abschied vom Cartesianismus. A.a.O. 168. – Auch Werner Marx bringt für diese Frage keine neue Perspektive bei, da Marx sich an den Aufsatz Landgrebes anschließt. – Werner Marx: Vernunft und Lebenswelt. Bemerkungen zu Husserls »Wissenschaft von der Lebenswelt«. – In: Werner Marx: Vernunft und Welt. Zwischen Tradition und anderem Anfang. Den Haag 1970. 45–62. (Phaenomenologica 36) – In seinen kritischen Bemerkungen zu den Cartesianischen Meditationen hat Roman Ingarden auf die systematische Verbindung von (motivierenden) »Ideenerlebnissen« und der Anfangsreflexion bei Husserl zumindest hingewiesen, ohne allerdings die spezifische Konditioniertheit des Reflexionsentschlusses näher zu bestimmen. – Vgl. Hua I 205f.

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Handlungen, ist eo ipso eine erkenntniskritische und löst die Forde­ rung einer transzendentalen Rekonstruktion der erkenntniskritischen Motivationslage im faktischen Bewußtsein ein. Deshalb kann umge­ kehrt der empirische Anstoß zu einer derartigen (»natürlichen«) Selbstthematisierung nicht den Anfang radikaler Philosophie hervor­ bringen. – Wenn also das Konditioniertsein durch die Philosophiebzw. Wissenschaftsgeschichte der »absoluten Situation« aufgewiesen wurde, so bedeutet dies nicht, daß dem historisch beschreibbaren empirischen Verlauf der Geschichte eine unmittelbare kausale Funk­ tion für die Begründung der Philosophie zugeschrieben wird. Für Husserl stellt sich vielmehr die Aufgabe, im Ausgang von dem Faktum dieser Geschichte eine transzendentale Rekonstruktion der­ selben zu unternehmen, die ihren wesentlich kontingenten Ablauf auf sich beruhen läßt und jene teleologische Funktionszusammenhänge freilegt, vermöge welcher die normative »Aufgabenidee« der Philo­ sophie als eine »motivierende« Bedingung des erkenntniskritischen Radikalismus erwiesen werden kann. Dieselbe Aufgabe stellt sich in Beziehung auf den »Entschluß«, dessen empirischer Vollzug auf die (teleologische) Funktion, das reine Interesse an Wahrheit zur Geltung zu bringen, hinterfragt werden muß, insofern er von diesem Interesse präskriptiv konditioniert ist. In dem Maße aber wie »Entschluß« und »absolute Situation« voneinander dependieren, verweisen in syste­ matischer Rücksicht die transzendentale Theorie der Philosophiege­ schichte und das Interesse an Wahrheit als Grundbestimmung der transzendental-phänomenologischen Subjektivitätstheorie aufeinan­ der. Dies besagt, daß Husserl für sein Unternehmen, die normative Idee radikaler Philosophie aus ihren »Uranfängen« zu begründen und vermöge einer transzendentalen Theorie der Geschichte aus der »Urstiftung« von Wissenschaft überhaupt zu entwickeln, eine Theorie der Subjektivität entwerfen muß, die ausgehend von der teleologischen Funktion des Interesses an Wahrheit nicht nur die wesensmäßige Geschichtlichkeit des Bewußtseins berücksichtigt, sondern Bewußtseins- und Philosophiegeschichte verbindet und als universale Geschichte der Vernunft entfaltet. Werden dergestalt »Entschluß« und Geschichte in einem theo­ retischen Gesamtentwurf zusammengeschlossen, dann besitzt die so als normative Konditionierung gedachte Geschichte nicht allein eine aitiologische Funktion in Bezug auf den »Entschluß«; dessen Vollzug bedeutet vielmehr, daß das (reflektierende) Bewußtsein in

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II. Zwei Aspekte eines Lösungsversuches

die (teleologische) Geschichte einrückt53 und der jetzt gewonnenen Form rationaler Selbstbeziehung zufolge eine neue (geschichtliche) Stufe bewußten Lebens betritt. Der »absolute Radikalismus« des Ent­ schlusses bedeutet für das empirische Subjekt eine »radikale Lebens­ entscheidung, […] mit der das Subjekt sich selbst, und schlechthin als es selbst – aus dem innersten Zentrum seiner Persönlichkeit her – für das an sich Beste im universalen Wertbereich der Erkenntnis und für ein konsequentes Hinleben gegen die Idee dieses Besten entscheidet.« (Ebd. 11) – In diesem Sinne eignet sich die aus der »absoluten Situa­ tion« entspringende »Reflexion im Willen« die in der teleologischen Philosophiegeschichte verborgene normative Idee der Philosophie nicht wie etwas Fremdes zu. Vielmehr identifiziert das Bewußtsein deren immanente Motivationsstruktur mit dem subjektiven Interesse an Wahrheit; d.h. das Vollzugsich muß das geschichtliche Konditio­ niertsein für sich aktuell »bewähren« und dergestalt die »Urstiftung« des Telos der Teleologie vermittels ausweisender Reflexion rekonstru­ ieren (vgl. Hua VI 73). So gefaßt ist der Anfang radikaler Philoso­ phie nicht in einem geschichtslosen Entschluß begründet, dessen dezisionistischer Charakter keinen rationalen Sinn besitzt; er ist aber ebensowenig nur Resultat eines an sich unbegriffenen geschichtlichen Geschehens. Denn die Etablierung radikaler Philosophie erfolgt nur durch »Bewährung« der Idee der Philosophie vermöge eines emanzi­ patorischen Bewußtseinsaktes, in dem das (subjektive) Interesse an Wahrheit sich autonom setzt und eine Destruktion der empirischen Wissenschaftstradition vollzieht.

53 Vgl. Ludwig Landgrebe: Husserls Abschied vom Cartesianismus. A.a.O. 188. – Zum Zusammenhang von existentiellem Entschluß und Freilegung der normativen Aufgabenidee vgl. Hua VI 508f., Anm. 1.

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3. Die Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie im Begriff der Vernunft

I. Metaphysische und aletheiologische Bestimmung des Vernunftbegriffs a) Vernunft und Metaphysik Husserls aletheiologische Entwicklung der transzendentalen Phäno­ menologie entspringt dem erkenntniskritischen Kernproblem einer Bestimmung der Beziehung des intentionalen Bewußtseins auf Gegenständlichkeit. Dieser Ansatz, so wurde im ersten Kapitel gezeigt, führt zur Konzeption einer Subjektivitätstheorie, die über das Programm einer wesentlich deskriptiven Analytik des konstitu­ ierenden Bewußtseinslebens hinausreicht und auf eine umfassende Strukturlehre des Bewußtseins angelegt ist. Die leitende systemati­ sche Absicht dieser Strukturlehre aber besteht darin, den Begriff der Subjektivität als eine teleologische Selbstbeziehung zu entwickeln, so daß das (transzendentale) Selbstbewußtsein als höchste Form bewuß­ ten Lebens überhaupt erwiesen werden kann. Nicht das »Daß« inten­ tionaler Konstitution von Gegenständlichem, sondern der (teleologi­ sche) Sinn der darin implizierten Beziehung des Bewußtseins auf sich und seine Welt bildet das Schlüsselproblem der phänomenologischen Idee der Philosophie; und es entstand die Frage, wie nach Husserl das natürliche Bewußtsein zu einem Wissen von sich als transzendenta­ lem gelangen könne, welche als ein systematisches Kardinalproblem herausgestellt wurde. In Rücksicht auf die Entwicklung einer prägnanten phänome­ nologischen Idee der Philosophie ist festzuhalten, daß durch die Aufdeckung des ursprünglichen Interesses an Wahrheit sowohl die entscheidende Grundbestimmung des Bewußtseins wie auch jener Idee gewonnen ist. Diesen aller Intentionalität einbeschriebenen ursprünglichen Wahrheitsbezug begreift Husserl in Ideen I als die prinzipielle Vernunftbestimmtheit der Subjektivität, d.h. die aletheio­

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3. Die Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie

logische Auszeichnung der intentionalen Korrelation von Bewußtsein und Welt versteht sich zugleich als eine fundamentale Kritik der Ver­ nunft. In dem Maße, wie das Bewußtsein erkenntniskritisch themati­ siert wird, entsteht die Frage, »was die ›Prätention‹ des Bewußtseins, sich ›wirklich‹ auf ein Gegenständliches zu ›beziehen‹, ›triftiges‹ zu sein, eigentlich besage, wie sich ›gültige‹ und ›ungültige‹ gegenständ­ liche Beziehung phänomenologisch nach Noesis und Noema aufkläre: und damit stehen wir vor den großen Problemen der Vernunft […].« (Hua III 315) Husserls Begriff der Vernunft gewinnt eine prägnante Bedeutung also primär aus dem systematischen Zusammenhang der phänome­ nologischen Subjektivitätstheorie und fungiert hier als operativer Begriff in Beziehung auf die Erfüllungsgestalt des subjektiven Inter­ esses an Wahrheit. Diese Bedeutungsprägung sowie die systematisch damit verbundene funktionale Bestimmung hat der Vernunftbegriff auch später niemals abgelegt, als er – insbesondere im Kontext der Krisisproblematik – über den Rahmen einer speziellen Subjektivi­ tätstheorie hinaus eine metaphysische Dimension hinzugewann.54 In der Krisis nämlich wird die Vernunft als das »Spezifische des Menschen« hervorgehoben, und die Geschichte der Philosophie stellt sich insgesamt dar als ein »Ringen […] der ›erwachten‹ Vernunft[,] zu sich selbst, zu ihrem Selbstverständnis zu kommen, zu einer konkret sich selbst – und zwar als seiende […], als in ihrer gan­ zen universalen Wahrheit seiende Welt – verstehende Vernunft.« (Hua VI 272; vgl. 273f.) Auf dem Boden dieses neu bestimmten Vernunftbegriffs reklamiert Husserl die thematischen Grundfragen der traditionellen Metaphysik ausdrücklich als genuine »Probleme der Vernunft« (ebd. 7), die zwar den positivistischen »Restbegriff« (ebd. 6) der Wissenschaft transzendieren, deshalb jedoch für die Philosophie nicht abgetan sind.55 Man wird, um diese Bedeutungserweiterung systematisch adäquat zu erfassen, darauf achten müssen, daß sie über einen 54 Zur Bedeutungsdifferenzierung und systematischen Erweiterung des Husserl­ schen Vernunftbegriffs im Zusammenhang des Spätwerks vgl. die instruktive Dar­ stellung von Paul Ricoeur: Husserl und der Sinn der Geschichte. – In: Husserl. Herausgegeben von Hermann Noack. Darmstadt 1973. 231–276; bes. 250–256. (Wege der Forschung Band XL) 55 Vgl. z.B. Hua II 23 und die Ausführungen Kerns, der allerdings übersieht, daß Husserls metaphysische Konzeption der phänomenologischen Idee der Philosophie über die Exposition der speziellen ontologischen Frage nach dem »Sinn des Seins« hinausgeht. – Iso Kern: Husserl und Kant. A.a.O. 187f.

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I. Metaphysische und aletheiologische Bestimmung des Vernunftbegriffs

Umweg zustandekommt. Den Ausgangspunkt bildet die Kontrastie­ rung von positivistischer, auf die (empirischen) Tatsachen gerichteter Wissenschaft und der phänomenologischen Idee philosophischer Wissenschaft, nach deren innerer Konzeption sich infolge der Radi­ kalisierung des Interesses an Wahrheit die letzte (metaphysische) Bestimmung dessen, was ist, nicht in der Vorgegebenheit begrenzt, sondern nur durch (vernünftige) Ausweisung für das Bewußtsein zu einer letzten Klärung kommt. Alle Bestimmung des Seienden in seinem wirklichen Sein ist von der ›aletheiologischen‹ Grundverfas­ sung der intentionalen Subjektivität, ihrer teleologischen Beziehung auf Wahrheit abhängig, deren zugleich ontologische Zuständigkeit für das »Wie« der Gegebenheitsweise von Seiendem phänomeno­ logisch aufgedeckt wird. In diesem, dem kantischen Kritizismus diametral entgegengesetzten, Sinne muß Husserls Frage verstanden werden: »Ist Vernunft und Seiendes zu trennen, wo erkennende Ver­ nunft bestimmt, was Seiendes ist?« (Ebd. 9) Dadurch nämlich, daß die aletheiologische Konzeption der Subjektivität eine Theorie der Ontologie impliziert, übersteigt die Philosophie, welche aus jener Konzeption als autonomes Interesse an Wahrheit entwickelt wird, »die Welt als Universum der bloßen Tatsachen« (ebd. 7), d.h. sie ist als radikale Ausweisung dessen, was ist, eo ipso ›metaphysisch‹. Deshalb kann Husserl, ohne die prägnante aletheiologische Expo­ sition seines ursprünglichen Vernunftbegriffs preiszugeben, darauf hinweisen, daß die »unabtrennbare Einheit« aller metaphysischen Fragen darin besteht, »daß sie, sei es ausdrücklich, sei es in ihrem Sinn impliziert, die Probleme der Vernunft – der Vernunft in allen ihren Sondergestalten – enthalten.« (Ebd.) – Allerdings bedeutet dies nicht, daß die inhaltliche metaphysische Spezifizierung von »Sonder­ gestalten« der Vernunft ohne weiteres aus dem aletheiologischen bzw. formalontologischen Konzept folgt. Der von Husserl entwickelte Kanon metaphysischer Themen läßt sich vielmehr erst dann aufstel­ len, wenn die durch Philosophie vollzogene radikale Selbstbesinnung die empirische Existenz des Menschen als des »Vernunftwesen[s]« (ebd.) auf deren letzte Sinnbestimmung hin befragt und hier die verschiedenen Funktionsweisen der »Vernunft« aufzeigt. Hier ist Vernunft »Thema in den Disziplinen von der Erkenntnis« und ebenso »von der wahren und echten Wertung«, d.h. der »ethischen Hand­ lung«, wo nach Husserl »Vernunft ein Titel für ›absolute‹, ›ewige‹, ›überzeitliche‹, ›unbedingt‹ gültige Ideen und Ideale« (ebd.) ist. Das gleiche gilt für die »Geschichte« als ontologische Bestimmung des

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3. Die Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie

menschlichen Daseins, denn hier »handelt es sich um den ›Sinn‹, um die Vernunft der Geschichte. Das Gottesproblem enthält offenbar das Problem der ›absoluten‹ Vernunft als der teleologischen Quelle aller Vernunft in der Welt, des ›Sinnes‹ der Welt. Natürlich ist auch die Frage der Unsterblichkeit eine Vernunftfrage, wie nicht minder die Frage der Freiheit.« (Ebd.) Die zuletzt erörterte metaphysische Erweiterung des phänome­ nologischen Vernunftbegriffs bedingt nun offenkundig eine Differen­ zierung der phänomenologischen Idee der Philosophie über deren Konzeption als strenge Wissenschaft hinaus. Sie wirkt zudem unmit­ telbar auf die exponierte Motivationsproblematik zurück. Denn wenn hier zunächst die erkenntniskritische Komponente herauszustellen war, so ist diese nun durch eine spezifisch metaphysische Motivation zu ergänzen, vermöge welcher das für die radikale Selbstbeziehung der intentionalen Subjektivität konstitutive Interesse an Wahrheit durch ein Interesse an der letzten (teleologischen) Sinnbestimmung jener Selbstbeziehung vertieft wird. Besteht also die Aufgabe, Hus­ serls Begriff der Philosophie aus radikaler Vernunft zu rekonstru­ ieren und als eigentliche normative Aufgabenidee innerhalb der philosophiegeschichtlichen Konzeption Husserls zu entfalten, dann müssen deren inhaltliche metaphysische Bestimmungen ebenfalls dargestellt werden. Husserl selbst hat jedenfalls in seinem Spätwerk die Zusammengehörigkeit von Vernunft und Metaphysik entschieden festgehalten und von der Wiedergewinnung dieser Einheit sogar die geschichtliche Möglichkeit einer Neubegründung der Philosophie abhängig gemacht: »Die Skepsis hinsichtlich der Möglichkeit einer Metaphysik, der Zusammenbruch des Glaubens an eine universale Philosophie als Führerin des neuen Menschen, besagt eben den Zusammenbruch des Glaubens an die ›Vernunft‹ […].« (Ebd. 10) Gerade dann, wenn die soeben skizzierte reife Fassung der phä­ nomenologischen Idee der Philosophie darauf angelegt ist, eine Meta­ physik auf dem Boden wissenschaftlicher Vernunft zu begründen, ist darauf hinzuweisen, daß diese Konzeption keineswegs Husserls programmatische Kampfansage gegen die »Weltanschauungsphilo­ sophie« aufhebt. Weil der metaphysisch motivierte Vernunftbegriff prinzipiell seine operative aletheiologische Bedeutung behält, gehört auch zu der jetzt angestrebten Neubegründung der Metaphysik die kritische Destruktion der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte, insofern die Metaphysik nach Husserl nur auf der Grundlage der Idee strenger Wissenschaft, d.h. als Wissenschaft ausgeführt wer­

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I. Metaphysische und aletheiologische Bestimmung des Vernunftbegriffs

den kann. Das Charakteristikum der »Weltanschauungsphilosophie« erblickt Husserl darin, daß sie im Gegensatz zur phänomenologischen Methode der Aufweisung vermittels regressiver Konstruktion (vgl. z.B. Hua VII 189ff.) einen systematischen Entwurf ausbildet, der im (unausgewiesenen) Vorgriff das Ganze der Welt einer einheitli­ chen Anschauung unterwirft. »Es erwächst eine Weltanschauungs­ philosophie, die in den großen Systemen die relativ vollkommenste Antwort auf die Rätsel des Lebens und der Welt gibt, nämlich auf die bestmögliche Weise die theoretischen, axiologischen, praktischen Unstimmigkeiten des Lebens, die Erfahrung, Weisheit, bloße Weltund Lebensanschauung nur unvollkommen überwinden können, zur Auflösung und befriedigenden Klärung bringt.« (PhstW 58f.) Eine solche Weltanschauung indessen impliziert gerade nicht denjenigen Grundsatz, der Wissenschaft nach Husserl in ihrer Radikalität und Strenge charakterisiert. Sie ist – obgleich ebenfalls »Idee« – doch auf ihre Zeit, welche sie in die Einheit eines Systems faßt, relativ, weil sie von vornherein auf praktische Verwirklichung im Horizont des endlichen Lebens angelegt ist (vgl. ebd. 61). Die Idee der Philosophie als Wissenschaft transzendiert demgegenüber den positionalen Kon­ text der jeweiligen Epoche und aktualisiert eine spezifisch unendliche Vernunftstrebung; sie ist eine »überzeitliche, und das sagt hier, durch keine Relation auf den Geist der Zeit begrenzt.« In diesem Sinne gilt für Husserl: »Wissenschaft ist ein Titel für absolute, zeitlose Werte.« (Ebd.) Gleichwohl ist Husserl weit davon entfernt, das Recht lebensbe­ deutsamer »Stellungnahmen« zu leugnen, die er als Triebfedern der Ausbildung von Weltanschauung ansieht (vgl. ebd. 65ff.). Aber jede derartige konstruktive Totalisierung enthält zugleich den Anspruch auf ein endgültiges Wissen, das den stets offenen Prozeß radikaler Ausweisung und iterativer Kritik aus dem autonomen Interesse an Wahrheit in Wirklichkeit stillstellt und auf diese Weise die ursprüng­ liche Geschichtlichkeit des vernunftbestimmenden Bewußtseinsle­ bens ignoriert. Nur wenn es gelingt, die letzten metaphysischen Fra­ gen aus dem Ansatz der phänomenologischen Idee der Wissenschaft als der Form wahrer Rationalität zu entfalten, ist es nach Husserl möglich, die Transformation der im »Leben« selbst begründeten Opposition von reinem Interesse an Wahrheit einerseits, dem (meta­ physisch motivierten) Bedürfnis nach letzter Einsicht andererseits in die integrale Einheit vernünftigen Lebens zu vollziehen (vgl. ebd. 69). So kann Husserl mit einer Anspielung auf Kant programmatisch

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3. Die Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie

erklären, »daß echte Philosophie, deren Idee es ist, die Idee absoluter Erkenntnis zu verwirklichen, in der reinen Phänomenologie wurzelt, und dies in so ernstem Sinne, daß die systematisch strenge Begrün­ dung und Ausführung dieser ersten aller Philosophien die unerläßli­ che Vorbedingung ist für jede Metaphysik und sonstige Philosophie – ›die als Wissenschaft wird auftreten können‹.« (Hua III 8; vgl. Hua II 3, 22, 46, 52, 58; Hua IX 526) Daß allerdings aus dem dergestalt pos­ tulierten Zusammenschluß von phänomenologischer Theorie und Metaphysik, welche nach Husserls Verständnis zugleich eine letzte, auf praktische Verwirklichung angelegte Sinnbestimmung des Men­ schen enthalten soll, schwerwiegende systematische Probleme ent­ stehen, die ihrerseits Husserls volle Idee der Philosophie in Frage stellen, wird an späterer Stelle darzulegen sein.

b) Die aletheiologische Fassung der Vernunft Um Husserls Idee der Philosophie zureichend zu erfassen, ist es also notwendig, zunächst von der aletheiologischen Konzeption des Ver­ nunftbegriffs auszugehen und von hier aus den Ansatz der phänome­ nologischen Metaphysik zu bestimmen. In Ideen I entwickelt Husserl die »Phänomenologie der Vernunft« (Hua III 333–356) am Leitfaden der thetischen Aktivität allen intentionalen Bewußtseins.56 Dabei besitzt Vernunft keinerlei inhaltliche Bestimmungen; sie gehört also nicht zur noematischen Seite der intentionalen Korrelation, sondern ist als unmittelbares Bewußtsein von Wahrheit ein ausgezeichneter Modus der Noesis und drückt den Charakter der »Rechtheit« aus (vgl. ebd. 341). Dem »Setzungscharakter« eines jeden intentionalen Vgl. zum Folgenden Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 43f. – Sowie: Antonio Aguirre: Transzendentalphänomenolo­ gischer Rationalismus. – In: Perspektiven transzendentalphänomenologischer For­ schung. Für Ludwig Landgrebe zum 70. Geburtstag von seinen Kölner Schülern. Herausgegeben von Ulrich Claesges und Klaus Held. Den Haag 1972. 102–128. (Phaenomenologica 49) – Aguirres Darstellung deckt sich in wesentlichen Punkten mit der hier unternommenen Interpretation. Diese will jedoch darüber hinaus zeigen, daß Husserls Idee der Vernunft nicht nur ein konstitutives Element der Intentionalität ist, sondern zugleich ein normatives Prinzip für das Bewußtsein in dessen Beziehung auf sich und die Welt; und in diesem Sinne bildet sie den Ansatz der Metaphysik, deren zentrale Bestimmung dergestalt aus dem subjektivitätstheoretischen Entwurf der Phänomenologie hervorgeht. 56

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Aktes ist ein »spezifischer Vernunftcharakter« eigen, und zwar »als eine Auszeichnung, die ihm wesensmäßig dann und nur dann zukommt, wenn er Setzung auf Grund eines erfüllten, originär gebenden Sin­ nes und nicht nur überhaupt eines Sinnes ist.« (Ebd. 335) Das Bewußtsein der »Rechtheit« hängt also nach Husserl davon ab, daß der thetische Akt des Bewußtseins als ein unmittelbares Schauen des in seiner (d.h. in adäquater) Evidenz Selbstgegebenen eigens vollzogen wird; es entspricht dem ursprünglichen Wahrheitsbezug der intentionalen Subjektivität als deren eigenster Möglichkeit, eine »seinsintendierende« zu sein, und d.h. der doxische »Urglaube[n]« trägt »Urvernunft« in sich (ebd. 342). »Absolute Wahrheit, vollkom­ mene Urwahrheit ist offenbar das Korrelat des vollkommenen Ver­ nunftcharakters der Urdoxa, der Glaubensgewißheit.« (Ebd.) Indem so jeder thetische Akt infolge seiner konstitutiven Funktion für das wirkliche Sein der Gegenständlichkeit virtuell in eine »vernünftige« Thesis transformierbar ist, erweist sich das »Vernunftbewußtsein« im Sinne Husserls als eine »oberste Gattung von thetischen Modalitäten […].« (Ebd. 337) Durch seine Aktivierung werden die Setzungen von Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit zu gültigen und evidenten Bestimmungen dessen, was als ein Gegebenes für das Bewußtsein nicht nur vermeint, sondern gewiß ist. Deshalb kann Husserl seinen Begriff der Vernunft ebensowohl für die schlichte Dingerfahrung wie auch für die axiologische, praktische oder theoreti­ sche Sphäre des Gegenständlichen in Anspruch nehmen.57 Von einem »allgemeinen Wesensverständnis der Vernunft« erwartet er in syste­ matischer Rücksicht demgemäß »eo ipso die allgemeine Aufklärung der die Idee des wahrhaft Seins mit den Ideen Wahrheit, Vernunft, Bewußtsein verbindenden Wesenskorrelationen […].« (Ebd. 348f.) Der spezifische Vernunftcharakter und dessen ontologische Valenz treten hier dergestalt hervor, daß das wahrhafte (evidente) Sein noetisch als ein vollkommen adäquates erfaßt wird bzw. daß von diesem adäquaten Gegebensein für das Bewußtsein ebensowohl der Seinsmodus des Gegenständlichen abhängig ist (vgl. ebd. 348). Demgegenüber hat die Analyse des phänomenologischen Begriffs der Subjektivität gezeigt, daß die geforderte perzeptive Adäquation, die offenbar mit dem in Ideen I konzipierten Vernunftbe­ Vgl. Iso Kern: Husserl und Kant. A.a.O. 62; 110f. und die dort angeführten Belege. – Sowie Antonio Aguirre: Transzendentalphänomenologischer Rationalis­ mus. A.a.O. 110ff.

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griff zusammenfällt, stets durch Apperzeption konditioniert ist. Dies besagt, daß die Realisierung eines reinen unvermittelten Vernunft­ bewußtseins, das die wechselseitige Voraussetzung von Perzeption und Apperzeption transzendieren würde, in Wirklichkeit die Struktur der intentionalen Subjektivität aufheben müßte (vgl. in vorliegender Untersuchung 30–33). Der Sinn der transzendentalen Reduktion besteht deshalb nicht darin, daß das (natürliche) Bewußtseinsleben durch den Akt perzeptiver Intuition überstiegen wird. Vielmehr geht es um die (transzendentale) Freilegung jener in natürlicher Einstel­ lung »anonymen« Struktur der (absoluten) Selbstbeziehung, durch die das Bewußtsein sich als ein intentional setzendes, die Welt kon­ stituierendes bewußt wird, wobei zugleich dessen Normierung durch das ursprüngliche Interesse an Wahrheit an ihm selbst hervortritt.58 In diesem Sinne stellt die positionale Relativität jeder intentionalen Setzung, die Husserl mit der Thematisierung der Lebenswelt als ursprüngliches Charakteristikum herausstellt und methodisch durch den Vorrang der Doxa vor der Episteme auszeichnet, keinen prin­ zipiellen Einwand gegen den in Ideen I formulierten »statischen« Vernunftbegriff und dessen Bestimmung als ein originäres ›Sehen‹ oder eine ›Intuition‹59 dar. Wohl aber sah Husserl sich genötigt, eine prägnantere Bestimmung der Beziehung der Vernunft als adäquater 58 Diese Deutung der Reduktion hebt die wechselseitige Konditionierung von Per­ zeption und Apperzeption nicht auf, die nach Husserl zum Wesen des intentionalen Korrelationsapriori von Welt und Bewußtsein gehört und auch den Vollzug der transzendentalen Reflexion als Selbstthematisierung des »absoluten« Bewußtseinsle­ bens bestimmt. Deshalb kann der Sinn der Reduktion nicht, wie Aguirre fälschlich annimmt, in der Unterscheidung eines reinen Vernunftbewußtseins als apperzepti­ onsloser Intuition einerseits, der natürlichen Einstellung andererseits bestehen. – Vgl. Antonio Aguirre: Transzendentalphänomenologischer Rationalismus. A.a.O. 102; 105f. – Nur wenn eine derartige Annahme, die aber mit dem subjektivitätstheo­ retischen Ansatz Husserls sowie dem methodisch-aletheiologischen Programm der Phänomenologie nicht übereinstimmt, den Leitfaden der Interpretation bildet, kann das Reflexionsresultat der Reduktion als »reine Interesselosigkeit« bzw. »völlige Ent­ weltlichung« bestimmt werden. – Vgl. Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. A.a.O. 185. – In der Unaufhebbarkeit der wechselseitigen Konditio­ nierung von Perzeption und Apperzeption bzw. in der genetischen Zugehörigkeit der Welt zur Konkretion der transzendentalen Subjektivität ist nicht, wie Aguirre glaubt, das Scheitern der Reduktion begründet. Denn nach Husserl bildet die Verschränkung von Welt und Bewußtsein gerade die (transzendentale) Struktur der Intentionalität. 59 Vgl. zu dieser Charakterisierung Iso Kern: Husserl und Kant. A.a.O. 112. – Sowie: Antonio Aguirre: Transzendentalphänomenologischer Rationalismus. A.a.O. 102; 105f.

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Gegenstandsbeziehung auf das intentionale Bewußtseinsleben zu entwickeln. Deshalb definiert er bereits in Ideen I, ohne allerdings seinen Vernunft- bzw. Evidenzbegriff zu revidieren, die »[a]däquate Dinggegebenheit als Idee im Kantischen Sinne.« (Ebd. 350) Demnach muß auch das intuitive Vernunftbewußtsein wie eine regulative Idee aufgefaßt werden, d.h. Evidenz ist eine »universale, auf das gesamte Bewußtseinsleben bezogene Weise der Intentionalität, durch sie hat es eine universale teleologische Struktur, ein Angelegtsein auf ›Vernunft‹ […].« (Hua XVII 168f.) Aber so wie sie aller Intentionalität strukturell zugehört, ist die Vernunft nicht bloß eine Idee als Extrapolation von Erfahrungsvollzügen, sondern in Funktionsanalogie zu Kants Begriff der regulativen Idee eine Konstitutionsbedingung auch der relativen Doxa in ihrer apperzeptiven Horizontbestimmtheit. Denn die grundsätzliche Revisionsfähigkeit der Erkenntnis betrifft gerade nicht die prinzipielle Irrelativität derjenigen (absoluten) Selbstbezie­ hung, innerhalb welcher die Idee der Vernunft, verstanden als Idee adäquater Selbstgebung, den normativen terminus ad quem darstellt (vgl. Hua XIV 246ff.). Ebenso wie die Apperzeption die Perzeption für ihren Vollzug voraussetzt (vgl. in vorliegender Untersuchung oben 30–32), ist Vernunft für die Beziehung des Bewußtseins auf die Welt und auf sich selbst als diese Welt positional setzendes vorausgesetzt. »Die Idee einer wesensmäßig motivierten Unendlichkeit ist nicht selbst eine Unendlichkeit; die Einsicht, daß diese Unendlichkeit prin­ zipiell nicht gegeben sein kann, schließt nicht aus, sondern fordert vielmehr die einsichtige Gegebenheit der Idee dieser Unendlichkeit.« (Hua III 351; vgl. ebd. 418) Mit dieser Überlegung aber zeigt sich, daß die konsequente Entfaltung des Vernunftbegriffs als »Intuition« oder Bewußtsein von »Rechtheit« (vgl. in vorliegender Untersuchung oben 80f.) von sich aus auf einen »kritischen« Begriff von Vernunft führt. Alles (unend­ liche) Streben nach Vernunft im Sinne der Adäquation indiziert die »verantwortliche« Reflexion bzw. eine »teleologische Beurteilung« des – stets relativierbaren – Bewußtseins von Wahrheit und über­ führt dieses Bewußtsein in die nicht abermals unendliche Selbstbe­ ziehung, vermöge welcher es sich als (absoluter) Vollzieher seiner (relativen) Setzungsakte gewiß wird. Nur durch die der Intentiona­ lität vorgezeichnete Norm reiner Selbstgebung ist das angegebene »kritische Motiv« des ursprünglichen Wahrheitsbezuges überhaupt »Motiv«, d.h. die subjektive Apperzeption wird erst ein Problem für die Erkenntnis durch die Idee der Adäquation.

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Auf diese Weise gelingt es, im Ausgang von der aletheiolo­ gischen Konzeption der Subjektivität die konstruktiv unableitbare Faktizität der Vernunftidee einschließlich deren »dogmatischer« und »kritischer« Bedeutung an dem absoluten Faktum des intentionalen Bewußtseins aufzuweisen. Dabei gilt es zu beachten, daß Vernunft nicht wie eine besondere Qualität des psychischen Lebens, als ein »Vermögen« des Bewußtseins gedacht werden darf. Husserls Rede, daß alle Intentionalität teleologisch auf Vernunft angelegt sei, entgeht nur dann einem – wenngleich subtilen und durch Husserls Formulie­ rung selbst nahegelegten – psychologischen Mißverständnis, wenn Vernunft nicht nur als (adäquate) »Intuition« verstanden, sondern zugleich als ebensowohl vom Interesse an Wahrheit bestimmte kriti­ sche Reflexion auf das »Wie« solchen Sehens bestimmt wird. In dem zuletzt genannten Sinne indiziert sie nämlich einen (nach Husserls Verständnis: transzendentalen) Modus kritischer Selbstbeziehung und absoluter Selbstgewißheit; und aufgrund dieser Selbstbeziehung ist die Vernunft nicht nur eine teleologische Zielform des subjekti­ ven Lebens, sondern eine stets gegenwärtige Norm, die erst durch die Reflexion als eine solche hervortritt, während umgekehrt jene Reflexion überhaupt die Form ist, vermöge welcher das Bewußtsein ein Selbstbewußtsein sein kann.60 Obwohl darauf hinzuweisen ist, daß die von Husserl in Ideen I gegebene Definition der Vernunft jeden konstruktiven Zugriff gegen das im »Sehen« Vorgegebene dem »Prinzip aller Prinzipien« gemäß ausschließt und das Selbstgegebene als das, was es ist, aufnimmt, wird der phänomenologische Rationalis­ mus grundsätzlich in seinem Wesen verkannt, wenn man die Vernunft als ein reines »Vernehmen« bestimmt.61 Denn in Rücksicht auf das Bewußtsein ist solches »Vernehmen« stets einer kritischen Auswei­ sung unterworfen; und dies gilt ebenso für die (transzendentale) Selbstreflexion des Bewußtseins, in der das durch Perzeption und Apperzeption hervorgebrachte Verhältnis von »Selbst« und Erschei­ 60 Auf die hier hervorgehobene normative Seite des Husserlschen Vernunftbegriffs bzw. die dafür ausschlaggebenden Zusammenhänge mit der aletheiologischen Kon­ zeption des Vernunftbegriffs ist Aguirre in seiner sonst instruktiven Studie nicht eingegangen. – Zu Husserls Begriff der Vernunft vgl. insbesondere Antonio Aguirre: Transzendentalphänomenologischer Rationalismus. A.a.O. 125ff. 61 In diesem Sinne interpretiert Landgrebe Husserls Begriff der Vernunft. – Ludwig Landgrebe: Die Bedeutung der Phänomenologie Husserls für die Selbstbesinnung der Gegenwart. – In: H. L. van Breda/J. Taminiaux: Husserl et la Pensée moderne. Den Haag 1959. 216–223; hier: 221. (Phaenomenologica 2)

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nung wiederkehrt und die das Bewußtsein nicht einfach als konstitu­ ierendes »hinnimmt« (vgl. in vorliegender Untersuchung 40–58), sondern der Bestimmtheit durch das Interesse an Wahrheit zufolge einer Selbstprüfung unterzieht, um so das Selbstbewußtsein als ein in vollem Sinne »vernünftiges« zu konstituieren. Die der Phänomenologie eigentümliche Konzeption des inten­ tionalen Lebens, das Husserl dergestalt der ursprünglichen Norm kritischer Vernunft unterstellt, ist demzufolge scharf gegen Diltheys Begriff des Lebens abzugrenzen. Husserls Vorbegriff der Philosophie, welcher im Postulat strenger Wissenschaft gipfelt, läßt es nicht zu, die Idee kritischer Vernunft in den Verstehensvollzug des universalen Lebens als der »Grundtatsache […], hinter welche nicht zurückge­ gangen werden kann«,62 zurückzunehmen. Anders als für Dilthey, der daran festhält, daß das Leben (als das »von innen Bekannte«) »nicht vor den Richterstuhl der Vernunft gebracht werden«63 könne, ist es für Husserl etwas Entschiedenes, daß das gesamte intentionale Bewußtseinsleben dem normativen Anspruch der Vernunft in der bezeichneten Weise unterworfen ist und von vornherein vor diesem »Richterstuhl« steht. Das Entscheidende der transzendentalphäno­ menologischen Konzeption ist aber darin zu sehen, daß mit der ihr zugehörigen Idee der Vernunft das (reflektierende) Bewußtsein nicht nur als ein prinzipiell auf Wahrheit bezogenes thematisiert, sondern als höchste Instanz universaler Rechenschaftsabgabe und in diesem Sinne auch als radikal verantwortliches ausgezeichnet wird. So wie diese Idee unbedingter Verantwortlichkeit aus der ursprünglichen Vernunftbestimmtheit des intentionalen Lebens selbst entspringt, ist sie keine heteronome Bestimmung des Bewußtseins, sondern umgrenzt innerhalb der Husserlschen Idee der Philosophie den prägnanten Begriff von der Freiheit des (transzendentalen) Ich. Im Folgenden wird deshalb aus der systematischen Konstellation der Begriffe Vernunft, Verantwortung und Freiheit Husserls voller Begriff der Philosophie zu entwickeln sein.

62 Wilhelm Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaf­ ten. – In: Gesammelte Schriften. VII. Band. 4. Auflage Stuttgart/Göttingen 1965. 261. 63 Wilhelm Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaf­ ten. A.a.O. 261.

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II. Vernunft – Welt – Geschichte Die Analyse des Vernunftbegriffs führte zu dem Resultat, daß nach Husserl das Vernunftbewußtsein mit dem Bewußtsein der Freiheit systematisch verknüpft ist. Dieses Ergebnis weist jedoch offenkundig über die rein operative Funktion hinaus, welche dem Vernunftbegriff zunächst innerhalb der phänomenologischen Theorie der Intentio­ nalität zukam. Berücksichtigt man insbesondere die ontologische Bedeutung, die Husserl diesem Begriff zuschreibt, dann ist mit der Bestimmung des vernünftigen Bewußtseins als eines freien zugleich eine metaphysische Auslesung der (transzendentalen) Subjektivität gegeben, die das gleichfalls metaphysische Problem impliziert, wie auf der Grundlage der phänomenologischen Vernunftidee das Verhältnis des (seinem Wesen nach freien) Bewußtseins zu der von ihm konsti­ tuierten Welt entwickelt werden könne. Husserl hält daran fest, daß die intentionale Konstitution der Welt keine Kreation derselben ist. Der ontologische Charakter der Vorgegebenheit gehört vielmehr zum »Wesen« der Welt und läßt sich umgekehrt subjektivitätstheoretisch begründen. In Rücksicht auf die Evidenzproblematik bedeutet dieser Sachverhalt, daß »Vernunft« auf­ grund der Orientierung am Postulat der Adäquation das ›Selbstsein‹ des Gegenständlichen bzw. die Welt als objektives Medium dessel­ ben trotz der okkasionellen Relativität ihres Erscheinens zumindest idealiter in Übereinstimmung mit sich, also prinzipiell ebenfalls auf Vernunft hin angelegt, denken muß. Insofern nämlich das durch kritische Reflexion auf seine modalen Setzungen sich als »verantwort­ lich« und »frei« wissende Bewußtsein seinerseits durch »Vernunft« normiert wird, kann die an ihm aufgewiesene »Freiheit« gerade nicht als Beliebigkeit des Setzens verstanden werden. Vernunftbestimmte Freiheit, die dem subjektiven Interesse an Wahrheit entspringt, bleibt also gemäß dem in Ideen I formulierten »Prinzip aller Prinzipien« letztlich auf die Welt als vorgegebene angewiesen, so wie diese aus dem Urfaktum der (konstitutiven) Intentionalität hervorgeht. Im Hinblick auf die spezifische Freiheit des transzendentalen Ich entsteht daher die metaphysische Problematik, ob das Vorgegebensein der Welt, das analytisch aus dem exponierten Vernunftbegriff erschlossen werden kann, diese (theoretische) Idee der Freiheit aufhebt oder ob es möglich ist, das Sein der Welt in die teleologische, von der Idee der Vernunft normierte, absolute Selbstbeziehung des transzendentalen Bewußtseins einzuholen. Anders formuliert bedeutet dies: Husserl

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muß die (metaphysische) Frage beantworten, inwiefern Vernunft in der Welt ist bzw. wie das Sein der Welt in Rücksicht auf die teleologische Verfassung der intentionalen Subjektivität bestimmt werden muß. Das so charakterisierte Problem der transzendentalen Freiheit läßt sich jedoch ebenso von einer anderen Seite, nämlich der Geschichtlichkeit des transzendentalen Lebens her, in Frage stellen. Durch die Entdeckung der Lebenswelt erfuhr nämlich der subjektivi­ tätstheoretische Entwurf der transzendentalen Phänomenologie eine entscheidende Wende. Indem Husserl jetzt die subjektive Relativität der gegenständlichen Wahrheit in die Untersuchung einbezog, traten statt der Horizonterweisungen im Noematischen nun die intentiona­ len Sinnesimplikationen der noetischen Akte in den Vordergrund.64 Vor jeder Evidenzsicherung muß eine kritische Aufklärung des Inten­ dierens selbst hinsichtlich seiner noch unenthüllten Voraussetzungen und sedimentierten Selbstverständlichkeiten stattfinden (vgl. Hua VI 73, 152). – Der damit angezeigte Übergang von der statischen zur genetischen Phänomenologie, den Husserl selbst als einen ent­ scheidenden methodischen Durchbruch verstanden hat, führte zu der Einsicht, daß »jedes ego seine Geschichte« hat und – »in voller Konkre­ tion [genommen, K. R. M.], zu der die Konstitution der Welt gehört« – nur in dieser Geschichte ist (Hua VIII 506). In Rücksicht auf das oben entwickelte Problem der Freiheit und autonomen Vernunftbe­ stimmtheit als Bewußtsein ergibt sich hier jedoch abermals die Frage, wie dann, wenn Geschichte »das große Faktum des absoluten Seins« (ebd.) ist, die transzendentale Freiheit mit der Geschichte vereinbart werden kann, so daß Vernunft und Freiheit ihrerseits als bestimmtes, nicht relativierbares Ziel der Geschichte zu denken sind. Daß mit der Forderung, das konkrete ego müsse »Subjekt« seiner Geschichte sein, in der Tat die »letztmetaphysischen« Fragen gestellt sind, hat Husserl ausdrücklich hervorgehoben; und nach seiner Auffassung sind sie »eins mit den Fragen nach dem absoluten Sinn der Geschichte.« (Ebd.) Entscheidend ist, daß Husserl die Lösung des zuvor bezeichneten Problems, wie Vernunft und Freiheit gegenüber der objektiven Welt begründet werden können, konsequent im Ausgang von diesem Fak­ tum der Geschichtlichkeit angebahnt hat. Die Einsicht nämlich, daß das prinzipielle Vorgegebensein des Gegenständlichen subjektivitäts­ 64 Vgl. Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 245ff.

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theoretisch aus der wechselseitigen Konditionierung von Perzeption und Apperzeption entwickelt werden muß, erzwang die Revision des – jetzt um die kritische Komponente erweiterten – Vernunftbegriffs, daß dessen eigentliches Telos: die adäquate Selbstgebung des Ver­ meinten, nicht als ein schlicht realisierbares Vorkommnis des (teleo­ logisch verfaßten) intentionalen Bewußtseinslebens aufgewiesen, sondern aufgrund seiner prinzipiellen Idealität als dessen immanente Norm bzw. als Konstitutionsbedingung vernünftigen Bewußtseins überhaupt gedacht werden muß. Diese aus dem aletheiologischen Ansatz sich ergebende Fassung der Erkenntnis zog jedoch nicht nur eine Kritik des traditionellen Erkenntnisbegriffs bzw. der (objekti­ vistischen) Wissenschaften nach sich, sondern führte ebensowohl zur Auflösung des dogmatischen Begriffs der Welt als Inbegriff des objektiv Vorgegebenen, dessen ontologische Sinnbestimmung als ein unverständliches und an sich seiendes Substrat für jede Adäquation fallengelassen wird. In diesem Sinne hat Husserl den Rückgang auf die Lebenswelt als den Bereich prinzipiell subjektrelativer »Ursprungs­ evidenzen« mit der erkenntniskritischen Umwertung von Doxa und Episteme verbunden. Diese Umwertung ändert nichts daran, daß auch die Doxa als ursprünglicher Modus der Intentionalität weiterhin am Gegenständlichen orientiert ist. Aber diese Gegenständlichkeit hat jetzt nicht mehr den »abstraktiven« Charakter objektivistischer Idealisierung, d.h. sie ist ihrer (neuen) ontologischen Bedeutung zufolge keine »endgültige«, jeder Relativität enthobene Bestimmung des Seienden in seinem bewußtseinsunabhängigen Sein. Das damit angedeutete Programm, im Ausgang von der Geschichtlichkeit des konstituierenden Bewußtseinslebens eine fun­ damentale Reformulierung der Ontologie zu unternehmen, bedeutet jedoch systematisch, daß die vom dogmatischen bzw. objektivisti­ schen Weltbegriff verbürgte Einheit der Welt als Inbegriff alles realen Seienden ebenfalls neu bestimmt werden muß. Insofern die Konsti­ tution des einzelnen Gegenstandes ebensowohl wie diejenige des Weltganzen prinzipiell dem Gesetz der Relativität als der wechselsei­ tigen Konditionierung von Perzeption und Apperzeption bzw. von »Latenz« und »Patenz« unterworfen ist, kann das Ganze der Welt nicht wie ein Gegebenes, sondern nur als ein »Horizont« gedacht werden. Auf diesen Horizont als ihren »Limes« ist die Vernunftidee der (idealen) Adäquation bezogen. Denn so wie Perzeption und Apperzeption einander strukturell voraussetzen und wechselseitig ermöglichen, ist der »Limes« reiner Selbstgebung die Bedingung der

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relativen Anschauung des Gegebenen in seinem Selbstsein, während umgekehrt alle Relativität – als ontologische Komponente des inten­ tionalen Konstitutionsaktes – auf adäquate Selbstgebung verweist. Mit dieser ontologischen Revision des dogmatischen Weltbegriffs gewinnt Husserl die Möglichkeit, das Zusammenstimmen von Ver­ nunft und Welt phänomenologisch aufzuklären. Weder ist es das Bewußtsein, welches durch einen speziellen Akt die Vernunft in ein (vernunftloses) Vorgegebenes: die Welt an sich, hineinträgt, noch ist es ein bewußtseinsunabhängiges Weltganzes, das als gegenständ­ liches Substrat der Vernunftadäquation die »Vernunft« schon an sich hat und als ein »vernünftiges« Selbst unveränderlich vorliegt. Indem sowohl das konstituierende Bewußtsein als auch die konstituierte Welt beide der Idee reiner Selbstgebung unterworfen sind, erweist sich vielmehr, daß sie gleichermaßen von der einen Vernunftnorm bestimmt werden; und deren spezifischer Charakter der (teleologi­ schen) Normativität ist in der geschichtlichen Relativität von Bewußt­ sein und Welt zugleich ontologisch begründet. Nur wenn diese weitreichende Perspektive festgehalten wird, ist es möglich, die grundsätzliche systematische Bedeutung des von Husserl vollzogenen Rückgangs auf die Lebenswelt zureichend zu begreifen. Insofern aber Husserl diese Freilegung der Lebenswelt in der Krisis als eine Kritik der neuzeitlichen Naturwissenschaften ent­ wickelte und diesen die Lebenswelt als Dimension einer nicht objekti­ vistischen Naturerfahrung gegenüberstellte, hat er sein Unternehmen einer transzendentalphänomenologischen Revision der traditionellen Ontologie einem folgenreichen Mißverständnis ausgesetzt. Der ver­ meintliche Widerspruch wird nämlich darin gesehen, daß Husserl zwar die historische Relativität des neuzeitlichen Objektivismus kri­ tisch thematisiert habe, dabei aber selbst in naiver Weise auf die Lebenswelt zurückgegangen sei, indem er deren Struktur für apodik­ tisch erkennbar und geschichtlich irrelativ erklärte.65 Auf diese Weise werde aber die Lebenswelt, entgegen der ursprünglichen Absicht, 65 Diese Argumentation gegen Husserl hat Tugendhat in einer systematisch relevan­ ten Form vorgetragen. – Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 253f.; vgl. 226. – Sie wird der Sache nach von Janssen implizit wieder aufgenommen, ohne jedoch durch neue Argumente erweitert zu werden. – Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 174–180. – Gegen diese Auffassung hat sich Landgrebe gewandt, der bereits die entscheidenden Gesichtspunkte für ein adäquates Verständnis abgibt; auf seine Ausführungen sei hier generell verwiesen. – Vgl. Ludwig Landgrebe: Das Problem der transzendentalen Wissenschaft vom

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3. Die Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie

am Leitfaden der Naturwissenschaften, und d.h. als unveränderliche ›Natur an sich‹ expliziert. Eben diese Folgerung jedoch, die Husserl ein unvermerktes Fest­ laufen auf dem (kritisierten) objektivistischen Wissenschaftsbegriff und damit ein Zurückweichen vor dem Problem radikaler Geschicht­ lichkeit vorwirft, trifft nicht den ganzen Umfang der Sachlage. Denn im Rückgang auf die Lebenswelt wird diese nicht als ungeschichtli­ ches Substrat der Anschauung thematisiert. Expliziert werden soll vielmehr der ursprüngliche Stil ihrer Konstitution als geschichtlicher innerhalb der transzendentalen Subjektivität (vgl. Hua VI 500), d.h. es geht um das »Apriori« der (transzendentalen) Geschichte, die stets Geschichte von Welt und Bewußtsein zugleich ist. Wenn also Husserl in der Krisis den Begriff der Lebenswelt durch denjenigen der Natur erläutert (vgl. ebd. 141, 461), so bedeutet dies keineswegs, daß hier ontologisch eine Natur an sich angesetzt wird, die als invarianter Untergrund ihrerseits von der subjektrelativen Lebenswelt unter­ schieden werden müßte (vgl. Hua XV 371). Dieser Eindruck ergibt sich daraus, daß Husserl methodisch die Bestimmung spezieller lebens­ weltlicher »Ursprungsevidenzen«, also die Entwicklung gesonderter Segmente seiner Ontologie der Lebenswelt, durch den Rückschluß aus den zugehörigen objektivistischen Idealisierungen gewinnen will, die ihrerseits einer spezifischen »Einstellung« des (natürlichen) Bewußt­ seins auf das komplexe Weltphänomen entsprechen. Bezogen auf die Totalität der Lebenswelt sind diese Einstellungen selber nur rela­ tive, obwohl sie als aufeinander bezogene Formen wissenschaftlicher Erkenntnispraxis (Husserl geht hier, der zeitgenössischen Diskus­ sionslage folgend, von der Unterscheidung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften aus) das Ganze des objektivistischen Weltbe­ griffs bilden, darin ein in sich gestuftes System von idealisierten Gegenstandsbereichen aufbauen und so eine »Fundierungsfolge« von lebensweltlichen »Ursprungsevidenzen« abbilden, die phänomenolo­ gisch freigelegt werden soll (vgl. Hua VI 223ff., Hua VIII 234ff.). Methodisch ist also die Ausdifferenzierung objektivistischer Ideali­ sierungen der Ausgangspunkt für die Entfaltung des Strukturganzen der Lebenswelt, d.h. deren Kritik besteht nicht in ihrer generellen Negation, sondern fordert gerade die genaue Bestimmung ihres spe­ ziellen Gegenstandes im ursprünglichen (lebensweltlichen) »Wie« lebensweltlichen Apriori. – In: Ludwig Landgrebe: Phänomenologie und Geschichte. Darmstadt 1968. 148–166; hier bes. 162f., 157f.

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seines Gegebenseins (vgl. Hua IX 110f., 349ff.). Die Lebenswelt ist demnach weder eine von der Phänomenologie ersonnene Hinter­ welt noch bezeichnet dieser Ausdruck einen anfänglichen Zustand ungetrübter oder unentfremdeter Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt als (vorkultureller) Natur. Husserl selbst hat darauf hingewiesen, daß eine Identifikation von »Welt« und »Natur« nicht in seinem Ansatz gelegen ist und diesem sogar vollständig widerspricht. Auch die phänomenologische Freilegung der Natur als »Kernstruktur« natürlicher Erfahrung bzw. des natürlichen Weltbegriffs gilt ihm als Resultat einer Folge metho­ discher Abstraktionen, die nur ein – obzwar fundierendes – Seg­ ment des universalen Weltbezuges isolieren. Die phänomenologische Untersuchung von Raum und Zeit als »Ortssystem« realer Individu­ ierung eines qualitativen »Was« erweist einerseits die Idealität von Raum und Zeit. Dies bedeutet auf der anderen Seite keinesfalls, »daß reine Physis je für sich existiere und existieren könne; als ob eine Welt als reine Natur denkbar wäre.« Vielmehr wurde nur eine Abstraktion durchgeführt, »durch die ein eigener und eigens zu durchforschender Zusammenhang als eine universale, wenn auch vielleicht abstrakt unselbständige Weltstruktur als Kernstruktur hervortritt.« [Hervor­ hebungen K. R. M.] (Hua IX 119f.) Das raum-zeitliche Gefüge der Natur ist demnach in seiner prinzipiellen (lebensweltlichen) Vagheit (vgl. Hua VI 142f.) als ein »passiv« vorgegebenes gleichfalls durch die orientierte Aktivität der Subjektivität miterschlossen (vgl. Hua IX 113ff., Hua VI 460f.). Immer schon bezieht sich die Lebenswelt als Natur auf den in ihr lebenden Menschen als »Leib« und die durch dessen Kinästhesen konstituierte konkrete Umwelt, welcher erst durch hier ansetzende Idealisierungen und Zwecksetzungen zu einer objektiven, obzwar »ontologisch« relativen, Welt mit ihrem Stu­ fenbau der Gegenstandsbereiche wird,66 während diese umgekehrt als Sedimentierungen wieder in die sich fortgestaltende Lebenswelt ein­ gehen (vgl. Hua VI 143). Dergestalt gehören auch die verschiedenen Idealisierungsleistungen zur vollen Struktur des (subjektiv-relativen) Apriori der Lebenswelt. Nur durch die Begründung der Korrelation Vgl. dazu Ludwig Landgrebe: Welt als phänomenologisches Problem. A.a.O. 48ff.; 57ff. – Landgrebe zeigt, daß nach Husserl die Lebenswelt primär leibhaft erschlossen wird und insofern den »Urboden für unsere Erfahrungen« (43) bildet; darauf bauen sich dann die »höherstufigen Theoretisierungen« auf. Nur in diesem Sinne kann gesagt werden, daß Natur das sinnlich Vorgegebene für jede Beziehung vom Bewußtsein zur Welt (in ihrer vollständigen Extension) ist. 66

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von »Ursprungsevidenz« und Idealisierung in der wechselseitigen Voraussetzung von Perzeption und Apperzeption gewinnt Husserl eine Basis für seine erkenntnistheoretische These, daß die Dinge in Beziehung auf die objektivistische oder lebensweltliche Einstellung »gleich« sind (vgl. ebd. 142f.). Andernfalls würde nämlich die »Gel­ tungsfundierung« objektiver Wahrheit in der subjektiven Realität nicht möglich sein, so daß jede vernunftbestimmte Verifikation von vornherein ausgeschlossen wäre bzw. jeder Erkenntnisanspruch als eine Illusion diskreditiert werden müßte. Husserls Rede, daß die Lebenswelt als je schon vorgegebene, subjektrelativ erschlossene ihre Geltung nicht aus einer »Absicht« oder einer speziellen Zwecksetzung gewinnt, zeigt also den Kon­ trast auf zwischen den aufgrund solcher Zwecke sich bildenden »Sonderwelten« und ihren speziellen Idealisierungen einerseits, der Lebenswelt andererseits (vgl. ebd. 461f.). Aber dieses Verhältnis ist seinerseits als Strukturkomponente des konstituierenden Lebens selbst zu denken und bedeutet nicht, daß die Lebenswelt als die jeder menschlichen Zwecksetzung vorausgehende bzw. von ihr unabhän­ gige Natur an sich aufgefaßt werden dürfte. Ebensowenig wie nach Husserl das Sein der Welt ontologisch mit dem Sein der Natur iden­ tifiziert werden kann (vgl. ebd. 269), ist es zulässig, Husserls Kritik wissenschaftlicher Idealisierungsleistungen, die zur Behebung jenes (ontologischen) Mißverständnisses der neuzeitlichen Wissenschaf­ ten sowie des darin begründeten dogmatischen Erkenntnisbegriffs exponiert wird, mit einer polemischen Negation der höherstufigen Ausbildung zweckorientierter »Sonderwelten« des Seins der Welt (als ungeschichtliche Natur) zu verwechseln. Die betonte Auszeich­ nung der »Absichtslosigkeit« bei der Konstitution der Lebenswelt hat die erkenntniskritische Bedeutung, die ursprüngliche intentionale Beziehung von Bewußtsein und Welt als nicht willkürlich gesetzte, unmittelbar subjektrelative zu charakterisieren und so die eigentliche »Geltungsfundierung« des Bewußtseins von der objektiven Welt in dem subjektiven Bewußtsein ihres (relativen) Vorgegebenseins transzendental freizulegen. Mit der soeben skizzierten Neuformulierung des Weltbegriffs als eines subjektrelativen Horizonts gewinnt Husserl die Möglichkeit, das eingangs angegebene Problem des Verhältnisses von Freiheit und Welt zu lösen. Denn der phänomenologische Weltbegriff, insofern er die Auflösung der dogmatischen Identifikation von Welt und sub­ jektfreier Kausalordnung der (objektiven) Natur vollzieht, impliziert

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den theoretischen Erweis der Möglichkeit transzendentaler Freiheit. Im Sinne der transzendentalphänomenologischen Ontologie ist die Lebenswelt kein letztes An-sich67 als Gegenstand reiner Theorie, sondern als (passiv) vorgegebene selber »geschichtlich«, insofern sie strukturell durch die stets unabgeschlossene Dialektik von unmittel­ barer relativer Anschauung und Idealisierung in ihrem konkreten Sein gekennzeichnet ist. Die Faktizität des leistenden Konstitutions­ lebens, das Husserl auch einen »Heraklitischen Fluß« nennt (vgl. ebd. 159, 181), kann zufolge der prinzipiellen Endlichkeit subjektiver Reflexion niemals als ganzes durch irgendeine abstraktive Idealisie­ rung erfaßt werden. Hier bleibt stets ein geschichtlicher Überschuß, der dann in transzendentaler Einstellung hervortritt, wenn die jewei­ lige Idealisierung in ihrer Geltungsrelativität erkannt und auf ihren lebensweltlichen Untergrund appliziert wird. Die dergestalt in den Blick kommende Lebenswelt erweist sich als positionale und wird in ihrem Gegebensein von dem geschichtlichen Leben selbst relativiert, während diese Relativität ihrerseits auf das subjektive Bewußtsein als verantwortliches und freies zurückverweist. In diesem Zusammenhang bedeutet aber der von Husserl inau­ gurierte systematische Vorrang der Doxa vor der (objektivistischen) Episteme keineswegs die Preisgabe des radikalen Begründungsan­ spruches. Er gehört vielmehr zur Ausbildung eines Vernunftbegriffs, der nicht am An-sich des Gegenständlichen bzw. dessen »Inbegriff« (Welt) orientiert ist, sondern als reflexive »teleologische Beurteilung« des intentional Vermeinten einen Horizontbegriff von »Welt« anzielt. Zwar ist auch dieser – durch »Apperzeption« stets gegenwärtige – Horizont nach dem regulativen »Prinzip aller Prinzipien« gebildet, aber durch ihn wird die objektivistische Fehlbestimmung des Interes­ ses an Wahrheit vermieden, wonach dieses, statt als reine Vernunft­ norm des subjektiven Lebens zu fungieren, am gegenständlich Sei­ enden festgemacht wird und so seine (transzendentale) Autonomie gegenüber der fälschlich als An-sich gesetzten objektiven Welt ver­ liert. So konsequent Husserl jedoch die Revision der Erkenntnistheo­ rie bzw. Ontologie von der Geschichtlichkeit des transzendentalen Lebens her angebahnt und sogar in das methodische Programm der Phänomenologie aufgenommen hat (vgl. ebd. 379), so wenig ist 67 Vgl. Gerhard Funke: Phänomenologie – Metaphysik oder Methode? A.a.O. 109– 135; 150ff. – Über die endliche Verfassung der Subjektivität vgl. ebd. 104–108.

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ihm entgangen, daß eine radikale Vergeschichtlichung der Erkenntnis sein eigenes Vorhaben aufheben würde, die Philosophie als strenge Wissenschaft, d.h. als eine letztverantwortliche Rechenschaft über die Beziehung des Bewußtseins auf Wahrheit, aus der von ihnen entwor­ fenen Idee der Vernunft zu begründen. Deshalb findet sich dort, wo Husserl die Relativität der (naiven) Idealisierungsleistungen themati­ siert, stets auch der Hinweis auf den jene »topische« Geschichtlichkeit transzendierenden »Wesensbestand[] des Allgemeinmenschlichen«, in dem sich die »durch die ganze Geschichtlichkeit hindurchgehende teleologische Vernunft bekundet.« (Ebd. 386) Da weder »Vernunft« noch »Wahrheit« als zugleich normative Konstitutionsformen des Bewußtseinslebens relativ sind (vgl. Hua VIII 506), gehören sie zu jenem »Wesensbestand« der Subjektivität bzw. zu dem darin begrün­ deten »universalen historischen Apriori« und der damit verbundenen Problematik, »die sich auf die Totalität der Geschichte und den ihr letzlich Einheit gebenden Gesamtsinn bezieht.« (Hua VI 386) Nur dann nämlich, wenn die Probleme der objektiven Wahrheit, der Ontologie der Welt sowie der Metaphysik sich in vollem Umfang aus dem phänomenologisch exponierten Begriff der Vernunft wieder­ gewinnen lassen, kann das im Ausgang von der Geschichtlichkeit entworfene Konzept der phänomenologischen Subjektivitätstheorie als Grundlage der Idee der Philosophie gelten. Diese systematische Forderung aber wird durch die neue Onto­ logie der Lebenswelt sowie die zugehörige Subjektivitätstheorie gesi­ chert. Denn die Welt mit ihrem spezifischen Seinssinn als vorgegebene ist ihrerseits Strukturkomponente des intentionalen Lebens, und auf sie ist die Idee kritischer Vernunft ausdrücklich bezogen,68 indem sie das reflexiv unhinterschreitbare Faktum der Korrelation von Bewußtsein und Welt normativ bestimmt. Nicht die Befreiung von der Welt (Apperzeption) durch eine reine apperzeptionslose Intuition (»intuitio sine comprehensione«) ist das Ziel des teleologischen Vernunftstrebens,69 vielmehr wird der dogmatische Erkenntnisbegriff des Objektivismus, der die »comprehensio« bzw. die »Apperzeption« als genetische Komponente der »Perzeption« methodisch ausschal­ 68 Über die genetische Zugehörigkeit der Welt zum intentionalen Bewußtsein auf­ grund der Apperzeption vgl. Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. A.a.O. 186. 69 Diese Auffassung vertritt Aguirre, der daran den Ansatz seiner Kritik an Husserls Vernunftbegriff bzw. an dem gesamten methodischen Programm der Phänomenologie findet. – Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. A.a.O. 186.

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tet und somit das ursprüngliche subjektrelative »Wesen« der Welt überspringt, einer Kritik unterzogen. – Indem auf diese Weise das transzendentale Interesse an Wahrheit sowohl als normative Konsti­ tutionsbedingung des Bewußtseins wie auch der zugehörigen Welt fungiert, kann es aufgrund der darin implizierten Reflexion auf Ver­ antwortlichkeit als ein Interesse des Menschen an sich und seiner Welt gedacht werden. Vernünftiges Ich und Welt stehen nicht ohne Vermittlung einander gegenüber. Innerhalb der transzendentalen Perspektive gibt es weder eine weltlose Subjektivität noch eine ichlose Welt, vielmehr besteht die Auflösung der sowohl erkenntniskriti­ schen wie metaphysischen Problematik ihrer wirklichen Zusammen­ gehörigkeit darin, daß einerseits der Ursprung beider im Urfaktum der intentionalen Korrelation aufgewiesen wird und andererseits beide für das – an Wahrheit interessierte – Bewußtsein nach Maßgabe teleologischer Vernunft in Übereinstimmung gebracht werden. Husserl hat daher in dem Faktum der intentionalen Korrelation von Bewußtsein und Welt die eigentliche Wurzel der oben bezeichne­ ten metaphysischen Problemstellung gesehen,70 die übrigens ersicht­ lich an Descartes’ Zweisubstanzenlehre orientiert ist. Die Motivation der von ihm inaugurierten Philosophie ist in dieser metaphysischen Problematik begründet und überschreitet zugleich die Aufgabenstel­ lung einer bloßen Erkenntnistheorie, obgleich sie deren Einlösung, wie Husserl stets hervorhebt, wesentlich voraussetzt. Denn »solange der Sinn einer in Immanenz ›erfahrenen‹, ›gedachten‹, ›einsichtig bewährten‹ Transzendenz unverständlich ist, solange kann eine Philo­ sophie, eine Metaphysik überhaupt nicht anfangen.« (Hua VII 368f.) In diesem Sinne ist die »transzendentale Erkenntnistheorie«, als welche die Phänomenologie erscheint, »die jeder Metaphysik voran­ gehende Bedingung ihrer Möglichkeit […].« (Ebd. 369) – Allerdings gilt es zu beachten, daß dieses Verhältnis von Erkenntnistheorie und Metaphysik nicht außerhalb der Phänomenologie fällt, sondern nach Husserl in ihr selbst angelegt ist und ihre eigene doppelte Funktion anzeigt. Denn zu den genuin philosophischen Aufgaben der Phänomenologie zählt Husserl die »Aufklärung des dem personalen Sein und Leben der Menschheit (im transzendentalen Sinne dieses Wortes) wesentlich zugehörigen Strebens nach wahrem und echtem Menschentum.« (Hua IX 526) Sie ist als absolute und universale Wissenschaft nicht eine neben anderen, sondern als zugleich meta­ 70

Vgl. Iso Kern: Husserl und Kant. A.a.O. 298f.

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physische Einsicht in das (transzendentale) »Wesen« von Mensch und Welt ebensowohl die »universale Selbstbesinnung der Menschheit« und daher in geschichtsphilosophischer Perspektive »letztlich dazu berufen, ein echtes Menschheitsleben einsichtig zu regeln.« (Ebd.) Daß Husserl diesen Anspruch erheben kann, ergibt sich aus der phänomenologischen Idee der radikalen Vernunftphilosophie, welche die Idee der Rechtfertigung als Ausdruck reflexiver Wahrheitspräten­ tion impliziert. Deshalb braucht Philosophie als strenge Wissenschaft vor der geschichtlichen Relativität nicht abzudanken. Im Interesse an Vernunft tritt das ursprüngliche Interesse des Menschen an sich und seiner Welt hervor, das alle geschichtlichen Wandlungen katego­ risch transzendiert und den (geschichtlichen bzw. metaphysischen) Sinn der transzendentalen Reflexion freilegt. Die Überwindung der natürlichen Einstellung vermöge der Epoché bedeutet keinesfalls, daß die kritische Beurteilung des weltkonstituierenden Bewußtseins gleichfalls inhibiert wird. Denn die Reduktion hebt nicht die Welt auf oder erklärt sie skeptisch zur Fiktion. Vielmehr ist die transzendentale Einstellung nur insofern »uninteressiert«, als sich in ihr die »sinnge­ bende« Subjektivität aus dem naiven Darleben zurücknimmt. Aber dies geschieht, um das »Wie« der positionalen Konstitutionsleistun­ gen an der Vernunftnorm zu messen. Die inhibierende Reflexion befreit das Denken von dem dogmatischen Vorurteil, die Welt sei als objektive einfach hinzunehmen, ohne damit jedoch die ontologi­ sche Behauptung zu verbinden, daß sie der kreativen Selbstmacht des Bewußtseins entstamme. Ausdrücklich bestimmt Husserl das durch die Reduktion erschlossene Programm dahin, »von der Welt als ›Phänomen‹ im ego systematisch zurückzufragen, in welchen wirklich aufweisbaren immanenten Leistungen des ego die Welt ihren Seinssinn erhalten hat.« (Hua VI 84) In diesem Sinne kommt das Bewußtsein seiner normativen Konditionierung durch das Interesse an Wahrheit zufolge auf die Welt zurück, über die es sich zunächst mittels transzendentaler Reflexion gestellt hat. Indem das Ich sich dergestalt als – vormals anonyme – letzte Instanz aller Geltungsre­ lationen bewußt wird, muß es die Welt in dieser Eigenschaft als unvordenklicher Grund intentionaler Setzungen verantworten und rechtfertigen. Deshalb ist es ein Mißverständnis, wenn die von Hus­ serl geforderte Letztverantwortung aus radikaler Reflexion als »reine Interesselosigkeit, völlige Entweltlichung«71 gedeutet wird. Der Rück­ 71

Vgl. Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. A.a.O. 185.

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zug in die theoretische Reflexion, als welche die phänomenologische Reflexion vollzogen wird, erfolgt nach Maßgabe kritischer Vernunft, durch die das Interesse des Menschen an sich und seiner Welt als ein autonomes von jeder objektivistischen Verfälschung befreit und gerechtfertigt werden soll. Das Ziel der transzendentalen Phänome­ nologie bestimmt sich für Husserl daher so, »daß sie uns theoretisch von der Verabsolutierung dieser Welt erlöst« und dergestalt eine transzendentale Ontologie begründet, die jenseits des dogmatischen Objektivismus die »allein wahre Welt, die Welt des absoluten Geis­ tes« in den Blick bringt. »Und vielleicht ist auch sie die theoretische Funktion einer Praxis, und gerade derjenigen, in welcher die höchsten und letzten Interessen der Menschheit sich notwendig auswirken müssen.« (Hua VII 283)

III. Vernunft und Verantwortung Seiner systematischen Herkunft aus dem aletheiologischen Ansatz der Phänomenologie zufolge empfängt der von Husserl in die trans­ zendentale Reflexionsproblematik eingeführte Begriff der Verantwor­ tung seine spezifische Bedeutung nicht primär aus einer Theorie sitt­ lichen Handelns. Ausschlaggebend für diese Sachlage ist, daß Husserl seine Konzeption der Subjektivität konsequent aus dem theoretischen Problemzusammenhang der Erkenntniskritik entwickelt hat und daß für ihn die Universalität des Erkennens auch die Begründungssphäre der Ethik umgreift. Das Erkennen umfaßt »die gesamte Urteilssphäre, die prädikative und vorprädikative, jederlei Ichakte des Glaubens« (Hua VIII 23); und auf diese Bestimmung ist auch Husserls Vernunft­ begriff festgelegt. Denn Vernunft ist »in einem unentbehrlich weiten Sinn erkennende Vernunft«, bzw. sie läßt sich als »verantwortliche Besinnung auf das, was wahr oder falsch ist«, verstehen (Hua VI 430). An diesen systematischen Ansatz, den Husserl nie revidiert hat, bleibt aber auch sein spezieller Entwurf einer Ethik gebunden, der als eine materiale Wertethik durchgeführt wird.72 Zwar kann eine Wertsetzung inhaltlich nicht aus der reinen Erkenntnisprätention Vgl. Alois Roth: Edmund Husserls ethische Untersuchungen dargestellt anhand seiner Vorlesungsmanuskripte. Den Haag 1960. 6, Anm. 1. (Phaenomenologica 7) – Für Husserls systematische Ausarbeitung einer phänomenologischen Ethik, ihre Beziehung zu Kants »Formalismus« sowie ihre Abgrenzung gegen Schelers Entwurf einer materialen Wertethik sei generell auf die Untersuchung von Roth verwiesen. 72

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abgeleitet werden und behält insofern ihre Eigenständigkeit diesseits der theoretischen Reflexion. Ihr faktischer Geltungsanspruch bedarf jedoch stets der Ausweisung für das Bewußtsein, durch die allererst die in Kraft gesetzte Verpflichtung sich bewährt. Dies bedeutet grund­ sätzlich, daß »alle wertende und praktische Vernunft« sich in der erkennenden »spiegelt«. Denn nur dann läßt sich nach Husserl der ursprünglichen Wertsetzung der Anspruch auf Wahrheit zuordnen, wenn »sich in den Erkenntnisformen der theoretischen Wahrheit alle andere Wahrheit, so jede Wertwahrheit […] und die praktische Wahrheit, in prädikativen Formen ausspricht, bestimmt und auch erkenntnismäßige Begründungsformen annimmt.« (Hua VIII 25, vgl. 193) Obwohl also Husserl auch den ursprünglichen Wertbeziehungen einen eigentümlichen und selbstständigen Modus der Evidenz im »Gemüt« zuerkennt, bleibt doch das Problem der Verantwortung grundsätzlich davon abgehoben: Es hat seinen Grund nicht im sitt­ lichen, sondern im erkennenden Bewußtsein (vgl. in vorliegender Untersuchung 72f.). Denn »verantwortet wird letztlich die Echtheit der Wahrheit des Wertes im Erkennen, das in Urteilseinstellung und in seinen logischen Formen über Wert und Unwert prädiziert und einsichtig die zufällig vorliegende Wertanschauung auf generell einsichtige Wertnormen zurückbezieht und dadurch eine höhere Verantwortung, als Erkenntnisverantwortung, gewinnt. Die höchste und letzte Verantwortung aber entspringt in der Erkenntnis aus trans­ zendentaler Einstellung auf die letztkonstitutiven Gemüts- und Wil­ lensleistungen.« (Ebd. 194) Indem er also die subjektive Prätention der »Rechtmäßigkeit« als theoretische Komponente im praktischen Interesseleben aufdeckt, unterläuft der aletheiologische Ansatz der transzendentalen Phänomenologie die traditionelle Gegenüberstel­ lung von Theorie und Praxis. Beide Traktate der Philosophie werden von Husserl in die einheitliche Konzeption der Subjektivitätstheorie zurückgenommen, deren systematische Gliederung eine eindeutige Anordnung der Prioritäten vorzeichnet: »Das Erkennenwollen ist vorausgesetzt für alles andere Wollen, wenn dieses die höchste Wertform besitzen soll.« (Ebd. 201) Entscheidend für die systematische Bestim­ mung der Verantwortung ist demnach nicht die Ebene ethischer Wert­ setzungen bzw. das Modell der moralischen Selbstnormierung des Willens (vgl. in vorliegender Untersuchung 68–71). Zwar läßt sich der ethischen Reflexion ein exemplarischer Hinweis auf die spezifische Form der radikalen Reflexion entnehmen, insofern hier die Möglich­

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keit einer universalen Epoche, »sei es auch zu anderen Zwecken«, in den Blick kommt (vgl. ebd. 155). Aber die ethische Reflexion bleibt noch insoweit »naiv«, als sie die Geltung der vorgegebenen Welt bzw. den darin implizierten Wahrheitsanspruch nicht in Frage stellt und deshalb auch die Dimension der wahrhaft universalen, da erkenntnis­ kritisch exponierten Verantwortung gar nicht erreicht (vgl. ebd. 319). Die eigentliche Bedeutung der Verantwortung besteht dagegen in ihrem Funktionszusammenhang mit dem subjektiven Interesse an Wahrheit; und aus dessen spezifischer Universalität ergibt sich ihre eigene Rolle als Fundamentalbegriff der transzendentalen Phänome­ nologie. – Die Idee der (transzendentalen) Verantwortung ist nur darum eine »höchste und letzte«, weil sie »aus der höherstufigen Evidenz der transzendentalen Ursprungsklarheit« verstanden wird, »in welcher der in der Evidenz der Positivität verborgene Ursprung der Erkenntnisleistung […] aufgedeckt und so aus den Ursprüngen verstanden ist.« (Ebd. 30) Indem Verantwortung dergestalt als Radi­ kalisierung der erkenntniskritischen quaestio juris aufgefaßt wird, bezeichnet sie zugleich denjenigen Modus des Selbstbewußtseins, durch den dieses sich als eigentliches (transzendentales) Subjekt seiner intentionalen Konstitutionsakte und damit auch als Subjekt seiner spezifischen »Geschichtlichkeit« weiß. Hält man also im Sinne Husserls an der erkenntniskritischen Grundbestimmung der Verantwortung fest, dann wird damit die Ebene des empirischen Bewußtseins transzendiert. Aufgrund seiner Funktion als Konstitutionsbedingung radikaler Reflexion im trans­ zendentalen Bewußtseinsleben fehlt diesem Begriff der Verantwor­ tung aber auch sein Gegenbegriff: die Unverantwortlichkeit. Denn der ursprüngliche Wahrheitsbezug der intentionalen Subjektivität, des­ sen ontologische Relevanz die Analyse des aletheiologischen Grund­ konzeptes der Phänomenologie aufgezeigt hat, betrifft eben nicht nur die prinzipielle Möglichkeit einer Selbstbeziehung des Bewußtseins, sondern auch die Konstitution der Welt für und durch dieses Bewußt­ sein. Würde auf dieser Ebene die Möglichkeit der Unverantwortlich­ keit eingeräumt, dann könnte ein solches Bewußtsein weder ein Selbstbewußtsein von sich als letzter Instanz aller Wahrheitssetzung ausbilden noch die Einheit der subjektrelativ erscheinenden Welt als einer virtuell »wahren« und wirklichen gegen den skeptischen Fiktio­ nalismus sichern. Der Verzicht auf die ihrem Sinne nach nicht relati­ vierbare Idee der Verantwortung müßte innerhalb des systematischen Entwurfs der Phänomenologie zur Folge haben, daß prinzipiell jede

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3. Die Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie

Ausweisung einer Wahrheitsprätention mit dem Ziel, ihre Rechtmä­ ßigkeit zu sichern, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Und dies würde zugleich bedeuten, daß die Normativität der Vernunft als Konstitutionselement der intentionalen Beziehung von Bewußtsein und Welt preisgegeben wird. – So bleibt im Sinne Husserls daran fest­ zuhalten, daß eine Spannung von Verantwortung und Unverantwort­ lichkeit nur diesseits der erkenntniskritischen Selbstthematisierung des Bewußtseins, d.h. in natürlicher Einstellung für das empirische Ich, möglich ist.73 Aber diese Einstellung ist nach Husserl gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht aufgrund einer Radikalisierung des ursprünglichen Interesses an Wahrheit das »Wie« des Vorgege­ benseins von Welt in Frage stellt und ebensowenig die Normativi­ tät der Vernunft in Beziehung auf alle intentionalen Setzungsakte erkennt. Der Schritt über diese Einstellung hinaus bedeutet allerdings nicht, daß dem Bewußtsein mit einem Schlage ein höheres Wissen zuwächst. Er besteht vielmehr darin, daß das natürliche Bewußtsein, geleitet von dem Interesse an Wahrheit, auf seinen eigenen Vollzug aufmerksam wird. Denn das natürliche Bewußtsein hat die Welt »auf der Schneide zwischen Wirklich-sein und Wirklich-nicht-sein« bzw. in der ständig sich verkehrenden Folge dieser modalen Bestimmungen des Gegenständlichen, dessen für es fraglose Vorgegebenheit durch den »Glauben« antizipiert wird, »daß Sein immer weiter Sein bleiben muß, […] daß […] hinter allen vorkommenden Diskrepanzen meiner und Anderer Erfahrungen wahres Sein stehe als in einer idealen 73 Diese Möglichkeit erörtert Tugendhat als eine von Husserl außer Acht gelassene Grundgegebenheit des Bewußtseinslebens. Den Ausgangspunkt seiner Argumenta­ tion bildet die Feststellung, daß aus dem Interesse an Rechtmäßigkeit einer Setzung nicht ohne weiteres die Verpflichtung zur Rechtfertigung folgt, so daß das von Husserl entwickelte Postulat der Verantwortung letztlich nicht begründet sei, obwohl es die phänomenologische Idee der Philosophie einsichtig motiviere. Vollständig zurecht weist Tugendhat darauf hin, daß sich für die Idee transzendentaler Verant­ wortung im »mundanen« Interesseleben kein Motiv angeben läßt, insofern hier jede Wahrheitsprätention durch Kompromisse befriedigt werden kann. Aber diese Interpretation setzt offenkundig einen nicht-transzendentalen Begriff des Interesses an Wahrheit voraus, der – anders als der von Husserl exponierte – nicht die intentio­ nale Existenzialsetzung des »vermeinten« Gegenstandes impliziert, sondern – dieser ontologischen Funktion beraubt – nur das Vermeinen des Gegenständlichen als eines subjektunabhängigen. Damit wird aber entgegen dem Husserlschen Gesamtentwurf der erkenntniskritische Begriff der Verantwortung mit einem Moment der Beliebigkeit versehen, das mit dem weltkonstituierenden Charakter der transzendentalen Subjek­ tivität nicht zu vereinbaren ist. – Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 192f.

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III. Vernunft und Verantwortung

wirklich standhaltenden Erfahrung zu realisieren […].« (Ebd. 265, vgl. 266–268) Nur wenn also die zunächst vage Einsicht in die prinzipielle Subjektrelativität der ursprünglichen Beziehung von Bewußtsein und Welt als »meiner Geltungseinheit« realisiert wird, kann die Forderung radikaler Verantwortung als (transzendentale) Frage nach der Rechtmäßigkeit und Begründung dieses empirischen Vermeinens erhoben werden (vgl. ebd. 416f.; Hua IX 125f.; Hua VII 184). Zugleich ergibt sich aus diesem Ansatz, daß das Subjekt solcher Verantwortung nicht ein abstraktes Ich ist, sondern das empirische Ich in seiner ursprünglichen Konkretion als transzendentaler Bezugspunkt aller Relativität.74 Indem Husserl nun die philosophische Idee der Verant­ wortung dergestalt von dem natürlichen Bewußtsein her entwickelt, wird deren kritische Komponente freigelegt. Dem bezeichneten sub­ jektiven Ausgangspunkt gemäß gründet die Verantwortung ihrerseits in der Umwertung von Doxa und Episteme und entfaltet ihre eigene, kritische Stoßkraft gegen den Objektivismus bzw. die objektivistische Weltauffassung, wonach die Welt an sich in ihrer Wahrheit jeder Relativität subjektiver Erfahrung entzogen ist. Dadurch daß innerhalb des Objektivismus die Relativität der Erfahrung allein auf die Seite der (empirischen) Subjektivität fällt, wird der eigentliche Kern der Idee der Verantwortung: das Bewußtsein letzter Zuständigkeit für die intentionale Setzung der Welt, in seiner systematischen Bedeutung nivelliert. Unter der ontologischen Prämisse des Objektivismus ist die – noch immer mögliche – Forderung der Rechtfertigung subjektiven Vermeinens in der Tat durch beliebige Kompromisse relativierbar, da das objektive Sein der Welt und ihrer Wahrheit davon nicht betroffen ist. Für Husserl fehlt aber der auf empirischer Ebene bzw. in der natürlichen Einstellung aufgestellten Forderung nach der Verantwor­ tung ihre radikale Verbindlichkeit. Denn die Diskriminierung des subjektiven (doxischen) Interesses an der Welt, von seiten des Objek­ tivismus, dem jenes als Anspruch eines beschränkten individuellen Standpunktes erscheint, bedingt nicht nur die Inkonkretheit des dann Zur Identität von empirischem und transzendentalem Ich bei Husserl vgl. Hua VII 184; Hua VI 209. – Daß die traditionelle Unterscheidung von empirischem und transzendentalem Ich sowie die damit verbundene Vermittlungsproblematik bei Husserl weitgehend ihre systematische Bedeutung verliert, zeigt Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. 169. – Für Husserl ist das empirische Ich als intentional fungierendes das transzendentale, auch wenn es darum nicht unmittelbar weiß. 74

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3. Die Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie

notwendig abstraktiven Erfahrungsvollzuges (vgl. VII 184), sondern verstellt auch die transzendentale Dimension möglicher Zurechnung (vgl. ebd. 40f.). Die in der Idee (transzendentaler) Verantwortung implizierte Kritik der Welt ist somit eine Kritik des Objektivismus, der die Welt als einen objektiven, jeder Subjektrelativität entzogenen Seins­ bestand an sich auffaßt und diesem die (empirische) Subjektivität als eine res cogitans gegenüberstellt. Entscheidend für das Verständnis der phänomenologischen Idee der Verantwortung ist jedoch, daß der ihr zugrunde liegende erkenntniskritische Zweifel nicht Sein oder Nichtsein (also den Geltungssinn der antizipativen Urdoxa als solchen) betrifft. Vielmehr geht es um die »Begründung der Welt­ wahrheit« als Analyse der »Erfahrung, wodurch Welt für mich gilt« (Hua VIII 267); und dies besagt zugleich, daß die der Verantwortung unterstellte Beziehung von Ich und Welt hier auf ihre normative Konstitutionsbedingung hin befragt wird, vermöge welcher nicht nur die Erfahrung einer Welt, sondern auch die Beziehung des Bewußtseins auf sich möglich sind. Die Frage der Rechtmäßigkeit jeder Setzung, also die Problematik kritischer Ausweisung, entspringt aus dem motivierenden Interesse an Wahrheit, das die Beziehung von Bewußtsein und Welt teleologisch bestimmt; sie ist deshalb keine Angelegenheit des individuellen empirischen Fürwahrhaltens, da auch dieses von der »vorlogischen Vernunft der Erfahrung« (ebd. 262) determiniert wird. Die »apperzeptive« Bekundung von Welt als dem »Universum vorgegebener Selbstverständlichkeiten« gehört nach dem subjektivitätstheoretischen Entwurf Husserls nicht nur zur Konkretion des transzendentalen Bewußtseins, sie motiviert zugleich die Wahrheitssetzung, weil das Ich ohne die – im Modus approximier­ ter Evidenz – zur »Einstimmigkeit« gebrachte Welt nicht ist (vgl. Hua XI 53–55). Umgekehrt kommt dem Ich seine transzendentale Verantwortung in dem Maße zu, wie es sich – durch fortschreitende Reflexion auf seinen wirklichen, gegen den Objektivismus phänome­ nologisch zurückgewonnenen, subjektiven Erfahrungsvollzug – als letzte Zurechnungsinstanz aller konstitutiven Akte erkennt. Die Idee der Verantwortung gründet in der kritischen Erkenntnis, »daß die Welt, die für uns ist, nach Sosein und Sein unsere Welt ist, ganz und gar aus unserem intentionalen Leben ihren Seinssinn schöpft […].« (Hua VI 184; vgl. Hua VIII 4–53ff.) Indem Husserl einerseits diesen systematischen Zusammen­ hang stets festgehalten und andererseits das Bewußtsein solcher Ver­

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antwortlichkeit konsequent mit dem konkreten Ich identifiziert hat, das jene erkenntniskritische Reflexion als Besinnung auf die je eigene Subjektrelativität der faktischen Erfahrung vollzieht, kann keine Rede davon sein, daß Husserl lediglich an eine Instanz appelliert habe, deren Verbindlichkeit er nicht einsichtig zu machen vermocht habe.75 Dagegen ist zuzugeben, daß der Versuch Husserls, von diesem Ansatz her die Idee strenger Wissenschaft zu begründen, eine vollständige neue systematische Bestimmung der Subjektivität erzwang. Denn die Auszeichnung des konkreten, jemeinigen ego cogito als desjenigen Ich, das »für alle Wahrheit und Wirklichkeit, die für mich gelten soll, verantwortlich« (Hua VII 333) ist, geht ihrem Sinne nach über die von der traditionellen Transzendentalphilosophie vorgegebene Auffassung des (transzendentalen) Ich als eines reinen Bewußtseins überhaupt hinaus.76 Ob dieser Versuch allerdings gelungen ist, wird nicht allein danach zu entscheiden sein, inwiefern die phänomenolo­ gische Subjektivitätstheorie als die wirklich geglückte Lösung aller Schwierigkeiten in der traditionellen erscheint. Ebenso bleibt zu fragen, ob es Husserl geglückt ist, die Probleme der philosophischen Tradition auf dem Boden der Phänomenologie zu rekonstruieren und angemessen zu beantworten. Wenigstens eines dieser traditionellen (metaphysischen) Pro­ bleme: dasjenige der Möglichkeit von Freiheit und Notwendigkeit in Beziehung auf das vernunftbestimmte Bewußtsein, konnte als Grundfrage der Phänomenologie entwickelt werden. Insofern die Welt »genetisch« zur Konkretion des (intentionalen) menschlichen Bewußtseins gehört und dieses als vom Interesse an Wahrheit Diese These stellt Tugendhat auf. – Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 191–193. – Sie bildet nicht nur den Kern seiner Kritik an Husserls Idee der Philosophie, sondern bezeichnet zugleich den Angelpunkt seines kritischen Vergleichs zwischen Husserl und Heidegger, insofern letzterer durch die Preisgabe der Idee kritischer Verantwortung (im Sinne radikaler Wahrheitsauswei­ sung) die »Selbstaufgabe« der Philosophie vorbereitet habe. – Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 404f. 76 Aus diesem systematischen Sachzwang ist Husserls Kritik an Kant wohl grund­ sätzlich zu erklären. Abgesehen davon, daß sein Kant-Verständnis von der Deutung Cohens maßgeblich beeinflußt bzw. abhängig war, gilt es zu sehen, daß er Kants Theorie der Subjektivität stets nur als den Rekurs auf eine objektive Strukturtypik der allgemein-menschlichen Erkenntnissubjektivität auffaßte, die als eine ebenfalls objektivistische Abstraktion bzw. »regressive« Idealisierung der Epoché unterworfen werden muß, um das intentionale Bewußtsein als ursprüngliche Zurechnungsinstanz aller Geltungsrelativität oder auch der »objektiven Wahrheit« aufzuweisen. 75

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bestimmtes zur Reflexion auf die Rechtmäßigkeit seiner Setzungen »motiviert«, muß sich das (transzendentale) Bewußtsein als freies und zugleich bedingtes denken (vgl. Hua VI 183f.), weil es sich ver­ möge radikaler Reflexion, aus der Idee der Verantwortung, als trans­ zendentales Konstitutionszentrum aller Geltungsrelativität erfaßt und dergestalt seine objektivistische Verdinglichung als res cogitans durchbricht. Aber auch in dieser Sphäre sieht es sich noch insoweit bedingt, als die Subjektivität die zu seiner Konkretion genetisch gehö­ rige Welt nicht negieren kann. Denn dieser Begriff der Freiheit würde die skeptische Auflösung der vorgegebenen Welt implizieren, so daß das Ich seinerseits als ein realitätsloses reines Denken in seine Selbst­ beziehung eingeschlossen wäre und aufgrund dieser abstrakten Frei­ heit keinen Gegenstand seiner Verantwortlichkeit anzugeben wüßte. Um die von Husserl exponierte Idee der Verantwortlichkeit angemessen zu bestimmen, genügt es aber nicht, allein auf ihren erkenntniskritischen Ursprung zu achten. Vielmehr kommt es darauf an, die mit ihr verbundene Forderung der Kritik auf deren Bedeutung hin zu untersuchen. Auf eine Seite dieser Kritik wurde bereits mehr­ fach hingewiesen. Es handelt sich um die Kritik am objektivistischen Weltbegriff, dessen ontologische Prämissen die transzendentalphä­ nomenologische Definition der subjektiven Verantwortung und Frei­ heit im Ansatz aufheben. Die dergestalt vollzogene Freilegung der transzendentalen Subjektivität als virtuelles Bewußtsein seiner Ver­ antwortlichkeit bedeutet jedoch nicht, daß die regressive Begründung aller konstitutiven Setzungsakte im intentionalen Bewußtseinsleben eo ipso die Realisierung der von Husserl postulierten Verantwortung darstellt.77 Gemessen an der bisher entwickelten systematischen Zusammengehörigkeit von Vernunft und Verantwortung sowie deren gemeinsamem Hervorgang aus dem ursprünglichen Interesse an 77 Diese Auffassung vertritt Janssen. – Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 125ff. – Janssen macht zwar zurecht darauf aufmerksam, daß Husserls Idee kri­ tischer Verantwortung ihre Funktion primär aus dem Zusammenhang theoretischer Philosophie gewinnt, während die »Sphäre gesellschaftlichgeschichtlicher Praxis« in den Hintergrund tritt. Aber seine eigene Interpretation dieses Grundbegriffs (vgl. 132f.) verfehlt an diesem entscheidenden Punkt vollständig den Ansatz und das Ziel des Husserlschen Unternehmens. – Vgl. dagegen die perspektivenreiche Behandlung dieser Problematik durch Guillermo Hoyos: Zum Teleologiebegriff in der Phänomenologie Husserls. – In: Perspektiven transzendentalphänomenologischer Forschung. Für Ludwig Landgrebe zum 70. Geburtstag von seinen Kölner Schülern. Herausgegeben von Ulrich Claesges und Klaus Held. Den Haag 1972. 61–84. (Phae­ nomenologica 49)

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Wahrheit, das die radikale Rechtsfrage ins Spiel bringt und derge­ stalt die objektivistische Verfestigung faktischer Geltungshorizonte überschreitet, führt ein solches Verständnis des Postulats letzter Ausweisung lediglich zu einem Dogmatismus der Begründung ohne Rechtfertigung. Denn selbst wenn durch transzendentale Reflexion auf die intentionale Konstitution der Welt diese selbst nicht »kritisch« verändert wird, so bedeutet dies umgekehrt keineswegs, daß sie innerhalb des transzendentalen Bewußtseins als Korrelat universa­ ler Konstitutionsleistungen einfach hingenommen und in diesem Sinne »verantwortet« würde. Denn der oben erörterten normativen Funktion der (wesentlich teleologischen) Vernunftbeziehung zufolge besteht der philosophische Sinn des transzendentalen Rückgangs in dem Nachweis, daß das menschliche Bewußtsein nicht in der konstituierten Welt aufgeht, sondern diese als Ursprung aller Konsti­ tutionsleistungen selber transzendiert und der Norm der Vernunft unterwirft. Wird dieses Transzendieren in der Form radikaler Refle­ xion vollzogen, dann verändert sich dadurch nicht die Welt, sondern die Stellung des Bewußtseins zur Wirklichkeit, dessen naiver Wahr­ heitsanspruch aufgehoben und in die Verantwortung des sich selbst überprüfenden Erkennens zurückgenommen wird. Insofern die derart bezeichnete »verantwortliche« Reflexion jedoch von dem jeweils reflektierenden konkreten ego vollzogen werden muß (vgl. Hua VI 187), führt der Hinweis auf die teleolo­ gische Grundverfassung des transzendentalen Lebens und seiner universalen Ausrichtung auf Vernunft dann zu einem fundamentalen Mißverständnis, wenn die Teleologie, statt als normative Konstituti­ onsbedingung vernunftbestimmter Selbstbeziehung, als eine gleich­ sam bewußtlose Gesetzlichkeit, als Naturgesetz des transzendentalen Lebens gedeutet wird.78 Jede Forderung der Rechtfertigung und Ver­ antwortung weist ihrem Sinne nach vielmehr auf ein (faktisches) Ich zurück, das darin ein Bewußtsein von sich als subjektiver Pol faktischer Geltungsrelationen gewinnt; d.h. selbst die Entdeckung der Teleologie ist dem Schein des Objektivismus ausgesetzt, wenn diese »psychologisch« wie eine natürliche Mechanik des Seelenlebens bzw. der »mundanen« res cogitans gedacht wird. – Für Husserl dagegen kommt »in der radikalen Konsequenz der Epoché[] jedes Ich rein nur als Ichpol seiner Akte […] in Betracht, von da aus als ›durch‹ seine 78 Diesem Mißverständnis scheint Janssen zu erliegen. – Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 126; vgl. 70ff.

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Erscheinungen, seine Gegebenheitsweisen hindurch auf das Erschei­ nende in Seinsgewißheit gerichtet, auf den jeweiligen Gegenstandspol und seinen Polhorizont: die Welt.« (Ebd.) Der Transzensus der Welt, in dem die Reflexion sowohl das mundane Ich als auch das »ego meiner Epoche« (ebd. 188) festhält, ist die Dimension der von Husserl inaugurierten Kritik aus transzen­ dentaler Verantwortung. Diese gründet in der Relativität aller Setzun­ gen, deren empirische Eingrenzung auf den objektiv vorgegebenen Umkreis der Weltauffassung in natürlicher Einstellung sie aufsprengt, indem sie die intentionale Beziehung von Welt und Bewußtsein dem normativen Grundmaß teleologischer Übereinstimmung und Ver­ vollkommnung in der Idee der Vernunft unterwirft. So wie aber diese Vernunftidee selbst eine unendliche ist, kann die jeweils »positional« einsetzende Selbstkritik des weltkonstituierenden Bewußtseins durch keine regressive Begründung abgeschlossen werden. Jede intentio­ nale Setzung wird ihrer Struktur zufolge durch das Wechselspiel von Perzeption und Apperzeption charakterisiert, d.h. sie verweist bei der jeweiligen perzeptiven Fixierung des Gegebenen stets auch auf die wesentliche Offenheit der Welt im Ganzen, deren Horizontcharakter erst durch Überwindung der natürlichen Einstellung hervortritt und zugleich die Unendlichkeit des intentionalen Lebens indiziert. Daß aber die Dimension der Natürlichkeit und diejenige der Transzenden­ talität nicht beziehungslos auseinanderfallen, sondern in der Einheit des konkreten ego als dessen ineinander verschränkte Weisen der Beziehung auf sich und die Welt aufgehoben werden, bezeichnet jene Spannung, aus der die Idee der Verantwortung ihre radikale Verbindlichkeit gewinnt. Das ideale Ziel dieser Verantwortung ist in der vollendeten Integration der beiden Einstellungen, durch die der faktische Widerspruch im Bewußtsein entsteht, zu suchen. Husserl notiert also in Rücksicht auf diese Problematik: »Die Selbstkonsti­ tution der transzendentalen Subjektivität als ins Unendliche auf ›Vollkommenheit‹, auf wahre Selbsterhaltung Gerichtetsein. Das Sein in immer neuen Widersprüchen, Überwindung der Widersprüche. Transzendentale Subjektivität seiend in der ihr notwendigen Form der Weltlichkeit, also in der einer Menschheit, die sich und damit ihre Welt zu einer wahren, ›widerspruchslosen‹ Welt gestalten will.« (Hua XV 378) Die Tatsache, daß eine derartige widerspruchsfreie Welt nur ein Postulat der Vernunft ist, bildet umgekehrt den systematischen Grund radikaler Verantwortlichkeit. Denn diese besitzt nur in dem

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Maße Verbindlichkeit als das teleologische Streben nach Überein­ stimmung, also das Streben nach Vernunft, ein geschichtliches und faktisch jeweils relatives ist, dessen Erfüllung eine (normative) Idee für das konkrete Bewußtsein bleibt. In diesem Sinne hat Husserl die Vernunft als Grundcharakter des intentionalen Lebens selbst eine geschichtliche genannt, obwohl dies keinesfalls als Relativierung der Vernunftidee verstanden werden darf.79 Die Aktualisierung einer solchen Idee der Vernunft und Verantwortung durch und für das Bewußtsein bezeichnet einerseits eine grundsätzliche Verwandlung der Beziehung des Bewußtseins zu seiner Welt, insofern jenes sich durch Kritik seiner vormaligen »mundanen« Selbstauslegung in sei­ ner transzendentalen Autonomie und Freiheit gewiß wird. Anderer­ seits impliziert diese Veränderung des Bewußtseins die Erkenntnis, daß die vernunftbestimmte Subjektivität dergestalt selbst geschicht­ lich und als verantwortliche zugleich Subjekt dieser Geschichte ist. Von dieser Einsicht ist aber in systematischer Konsequenz auch die Ontologie der Welt betroffen; d.h. die Idee der Verantwortlichkeit, deren Zusammenhang mit der phänomenologischen Idee der Ver­ nunft bereits erörtert wurde, gewinnt nun eine spezielle Funktion in Rücksicht auf die ursprüngliche Bestimmung des Seins der Welt. Wird nämlich die »Transzendenz« erkenntniskritisch auf die »Immanenz« der transzendentalen Subjektivität zurückgeführt, so heißt dies nach Husserl: die »Welt als Tatsache erklären«; aber dieser erste Schritt (regressiver) Begründung erzwingt systematisch den zweiten: die »Welt (und sich selbst) verantworten.« (Hua VII 318) Nur dann nämlich wird die Ebene deskriptiver Begründung überboten und die – systematisch vorgezeichnete – Form radikaler Begründung aller konstitutiven Setzungsakte im transzendentalen »Ur-Ich« vollzogen, welches als letzte Instanz aller Geltungsrelation eben ein Bewußtsein in absoluter Selbstbeziehung sein muß. Von dem so gekennzeichneten Standpunkt aus hat Husserl den Ansatz einer universalen Ontologie konsequent entwickelt, der sowohl der Idee kritischer Verantwortung als auch der teleologi­ schen Geschichtlichkeit des transzendentalen Lebens Rechnung trägt. Nachdem nämlich das »Vorurteil« des Objektivismus überwunden 79 Zu dieser Auffassung der Vernunft, die zugleich einen grundsätzlichen Wende­ punkt innerhalb des Husserlschen Denkens bezeichnet, vgl. Walter Biemel: Die entscheidenden Phasen der Entfaltung von Husserls Philosophie. – In: Zeitschrift für philosophische Forschung 13 (1959), 187–213; hier bes. 211f.

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ist, daß »wahres Sein als An-sich-sein« verstanden werden muß, »als Korrelat einer an sich und endgültigen bestehenden Wahrheit, und einer Wahrheit, die sich erkennen läßt, sich in ihrer Endgültig­ keit begründen läßt« (ebd. 295), kann das gesamte Sein der Welt sowie jede korrelative (letzte) Aussage über das, was ist oder gilt, kategorial auf die teleologische Geschichtlichkeit des Bewußtseins bzw. die darin normativ wirksame Idee transzendentaler Autonomie bezogen werden. »Alles Seiende ist auf dem Marsch, ist in konstitu­ tiver Entwicklung in einem endlosen konstitutiven Zusammenhang, und das betrifft auch das Sein der absoluten Werte, das Sein der Absolutheitsideen (Ideen echten Menschentums) als Ideen für ihre historische Zeit […]. Eine notwendige historische Entwicklung führt über sie hinaus – eben […] durch Erwachsen jener Autonomie, welche die höhere Absolutheit der Universalität hat.«80 Selbst wenn stets daran festzuhalten ist, daß Funktion und Bedeutung der von Husserl entworfenen Idee der Verantwortung sich primär aus deren erkenntnistheoretischem Ursprung herleiten, so kann nicht übersehen werden, daß die mit dieser Idee verbun­ dene Forderung der Kritik über den Rahmen rein theoretischer Erkenntnis hinausweist und zumindest virtuell auf eine praktische Verwirklichung abgelegt ist, die im Telos der Geschichtlichkeit des vernunftbestimmten transzendentalen Lebens liegen muß. Husserl jedenfalls hat der phänomenologisch konzipierten »Theoria« (Hua VI 329) eine solche praktische Funktion zugeschrieben, obwohl, wie an späterer Stelle zu zeigen sein wird, hier eine innere Grenze seiner Idee der Philosophie erreicht ist. Er war sich allerdings bewußt, daß es sich dabei um die »Form einer neuen Praxis« handelt, nämlich »der der universalen Kritik alles Lebens und aller Lebensziele, aller aus dem Leben der Menschheit schon erwachsenen Kulturgebilde und Kultursysteme, und damit auch einer Kritik der Menschheit selbst […].« (Ebd. 329) Offenkundig ist diese in der theoretischen Kritik implizierte praktische Intention nicht so geartet, daß sie unmit­ telbar praktische Handlungsanweisungen zu formulieren gestattet. Sie richtet sich vielmehr an das natürliche Bewußtsein, dessen Selbst­ verständnis einer grundsätzlichen Verwandlung unterzogen werden

80 Husserl: Ms E III 4, S. 18; zitiert bei Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 75, Anm. 65. – Vgl. Hua VIII 258; 270.

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soll.81 Diese Verwandlung in praktischer Absicht besteht darin, daß das Bewußtsein im Ganzen auf die Idee der Vernunft und Verant­ wortung ausgerichtet wird und aus dem absoluten Sollen, das jenen konstitutiven Normideen radikaler Selbstbeziehung entspringt, die eigentliche Sinnbestimmung des menschlichen Lebens gewinnt, die als wesentlich unendliche sowohl die positionale Relativität der empi­ rischen Beziehung von Bewußtsein und Welt transzendiert als auch das eigentliche sinngebende Telos der ursprünglichen, keineswegs vernunftlosen, Geschichtlichkeit definiert.82 Die dergestalt postulierte Einheit von theoretischer und prakti­ scher Vernunft führt demnach zu einer neuen Form des Bewußtseins der Welt, die jetzt nicht länger mit den objektiven Grenzen konkreter »Sonderwelten« zusammenfällt (vgl. ebd. 460–462), sondern als universaler »Horizont« jeder besonderen Zwecksetzung erscheint, aus der solche »Sonderwelten« hervorgehen.83 Entscheidend für das Verständnis dieser Konzeption Husserls ist es aber, daß die »Ver­ schmelzung« der Sonderwelten nicht Funktion einer in sich ziellosen Geschichtlichkeit des (transzendentalen) Lebens ist, sondern ihrer­ seits nach einem normativen Grundmaß erfolgt, das durch die Begriffe Vernunft und Verantwortung definiert wird.

81 Funke weist darauf hin, wie sehr nach Husserl »auch die theoretische Vernunft praktisch ist.« – Vgl. Gerhard Funke: Phänomenologie – Metaphysik oder Methode? A.a.O. 155. 82 Vgl. dazu auch Thomas Seebohm: Die Bedingung der Möglichkeit der Transzen­ dental-Philosophie. A.a.O. 192. 83 Auf das Verhältnis von Lebenswelt und »Sonderwelten«, das Husserl in der Krisis ausführlich behandelt hat, wird später näher einzugehen sein. – Vgl. zu diesem Thema Werner Marx: Lebenswelt und Lebenswelten. – In: Werner Marx: Vernunft und Welt. Zwischen Tradition und anderem Anfang. Den Haag 1970. 63–77. (Phaenomenolo­ gica 36) – Werner Marx: The Life-World and the Particular Sub-World. – In: Maurice Natason (Ed.): Phenomenology and Social Reality. Essays in Memory of Alfred Schütz. The Hague 1970. 62–72.

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I. »Allwissenheit« als Grundproblem teleologischer Vernunftentwicklung Die durch Erkenntniskritik vollzogene Aufhebung des natürlichen in das transzendentale Bewußtsein »erlöst« das Denken »von der Verabsolutierung dieser Welt« (Hua VII 283) und ermöglicht derge­ stalt eine radikale Neudisposition des praktischen Interesselebens, das nun die dogmatische Beschränkung seines Verstehenshorizontes überwindet. Zugleich erzwingt die damit verbundene Radikalisierung des Interesses an Wahrheit die Universalisierung reflexiver Auswei­ sung, die sich jetzt auf das gesamte Bewußtseinsleben erstreckt, da nur so die Forderung unbedingter Verantwortung erfüllt werden kann (vgl. Hua VIII 197). Diese Universalität des Erkennens indessen postuliert offenbar ein Bewußtsein, das als »verantwortliches« zugleich des absoluten Selbstbegriffs fähig wäre. Dies besagt nichts anderes, als daß die phä­ nomenologische Fundamentalreflexion entgegen der von Husserl entworfenen Konzeption der Subjektivität die »Selbstverantwortung im radikalsten und absoluten Sinn« (ebd. 196) als ein Selbstbewußt­ sein teleologisch vorzeichnet, dem »Allwissenheit« (ebd.) zukommen müßte. Damit scheint aber Husserl als Zielpunkt der Bewußtseins­ geschichte die metaphysische Vorstellung eines »intellectus archety­ pus« aufzugeben, der den Gegenbegriff zur endlichen Subjektivität darstellt.84 Daß dies für Husserl eine systematische Konsequenz ist, wird deutlich, wenn er erklärt: »Die Idee Gott ist ein notwendiger 84 Vgl. zu Husserls Auseinandersetzung mit Kant in diesem Punkte Hua VIII 344; Hua VII 361–364. – Daß Husserls Kantinterpretation ein Mißverständnis zugrundeliegt, zeigt Iso Kern: Husserl und Kant. A.a.O. 125–134. – Zur Analyse der Argumentation Husserls gegen das Postulat eines intellectus archetypus in Beziehung auf die menschliche Subjektivität vgl. Karl Schuhmann: Die Fundamentalbetrachtung der Phänomenologie. A.a.O. 88ff.

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4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie

Grenzbegriff in erkenntnistheoretischen Erwägungen, bzw. ein unentbehrlicher Index für die Konstruktion gewisser Grenzbegriffe […].« (Hua III 191, Anm. 1) Die Analyse der subjektivitätstheoretischen Konzeption Hus­ serls hat aber gezeigt, inwiefern eine Hypostasierung des transzen­ dentalen Bewußtseins zum intellectus archetypus prinzipiell ausge­ schlossen ist. Wird dagegen dieser operative Grenzbegriff auf das verantwortliche und vom Interesse an Wahrheit bestimmte konkrete Bewußtsein bezogen, so gewinnt dessen lebendige Geschichtlichkeit einen Bezugspunkt, der über die Form reflexiver Selbstbeziehung hinausweist und sie auf eine ideale Gestalt ihres Vollzuges ausrichtet. Im Ausgang von der Tatsache, daß »Allwissenheit ein im Unendlichen liegendes Ziel« ist, unterscheidet Husserl die »absolute Idee des Phi­ losophen bzw. der Philosophengemeinschaft als einer allwissenden, und korrelativ die absolute Idee der Philosophie, universalen Einheit alles Wissens […] als die absolute Endidee, die jeden Philosophen und jede Philosophengemeinschaft leitet […].« (Hua VIII 196) Jeder die­ ser Ideen ist entsprechend die Idee eines speziellen Progresses zuzu­ ordnen. Der eine bezeichnet die aufsteigende »Entwicklung in der immer vollkommeneren, immer weiter reichenden Verwirklichung einer absoluten und universalen Wissenschaft«, der andere betrifft die parallele »Entwicklung der philosophischen Subjektivität, die in kon­ sequentem Aufsteigen sich zur absolut wissenden« (ebd.) gestaltet. Mit diesem Gedankengang konzipiert Husserl demnach eine (ideale) Geschichte des philosophischen Bewußtseins, auf deren nicht-empirischen Charakter er ausdrücklich hinweist (vgl. Hua VIII 196f.) und die zugleich Funktion einer idealen Geschichte der Philo­ sophie selbst sein soll. Das Bewußtsein, welches sich durch radikale Reflexion seiner (transzendentalen) Verantwortung und Beziehung auf Wahrheit als ein vernünftiges bewußt wird, transzendiert derge­ stalt die faktische Relativität seiner ursprünglichen Geschichtlichkeit, indem es in eine höhere Form der Geschichte eintritt, deren normative Grenzgestalt zwar grundsätzlich unerreicht bleibt, ihrem Wesen nach aber einen Gegenwurf zur endlichen Subjektivität bildet und so eine metaphysische Strukturkomponente im phänomenologischen Begriff des Selbstbewußtseins darstellt.85 Von seinem Ursprung her ist dieser metaphysische Begriff die unvermeidliche Extrapolation des Reflexi­ Vgl. zu dieser Problematik auch Hua VIII 258; 506; Hua VI 6ff.; Hua III 7; Hua I 182f. und ferner die Darstellung des Gottesproblems in der Phänomenologie bei

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I. »Allwissenheit« als Grundproblem teleologischer Vernunftentwicklung

onsvollzuges selbst, in dem Verantwortung und kritische Ausweisung zusammengeschlossen sind und eine ideale Form des Selbstbewußt­ seins normativ ausprägen, die zugleich als metaphysischer Grundbe­ griff inhaltlich zur phänomenologischen Idee der Philosophie gehört. Die Radikalisierung des Funktionszusammenhanges von Theorie und Praxis, deren Zweck nach Husserl eine geschichtliche Verwandlung des menschlichen Selbstverständnisses durch Philosophie ist, führt also zwangsläufig auf das Gegenbild zur endlichen Subjektivität, das dem Denken nicht nur gegenübersteht, da dieses in ihm die Vorver­ bildlichung seines (idealen) Selbstvollzuges reflektiert und darauf durch die Idee eines widerspruchsfreien »Progresses« bezogen ist. Dieser Progreß betrifft einerseits das Werden »echte[r] Philoso­ phie« als »universale Wissenschaft«, die »unter der Idee absoluter Rechtfertigung und universaler Wahrheit« steht (ebd. 197). Anderer­ seits weist Husserl den Einwand ab, in einer derartigen Konzeption von Geschichte und Philosophie nur eine »theoretische Liebhaberei« (ebd.) zu sehen. Denn die Realisierung der Geschichte und ihres Telos bedeutet zugleich die Etablierung wahrer Autonomie und Freiheit aus radikaler Verantwortung (vgl. ebd.). Dies gilt gerade dann, wenn auf der anderen Seite die prinzipielle Idealität der Vernunftgeschichte festgehalten wird; indem ihre Realisierung stets Postulat der Ver­ nunft bleibt, tritt der normative Charakter ihres Zieles als radikale Verpflichtung des Bewußtseins auf den Sinn der Geschichte allererst hervor. So ist für Husserl der – metaphysisch durch den Begriff des intellectus archetypus präzisierte – Grenzbegriff der »Allwissenheit« weder eine reale Entwicklungsmöglichkeit der endlichen Subjektivität noch eine solche der faktisch stets unabgeschlossenen Erkenntnispra­ xis der Philosophie (vgl. ebd.). Entscheidend ist aber, daß Husserl von dem soeben entwickelten (metaphysischen) Ansatz her nicht nur seine Kritik des dogmatischen Rationalismus, als welchen er den neuzeitlichen Objektivismus cha­ rakterisiert, sondern ebensowohl die Wesensbestimmung des Men­ schen systematisch begründet. Er erkennt nämlich, daß die Idee der Allwissenheit eine Komponente des neuzeitlichen (objektivistischen) Rationalismus ist, insofern dieser prinzipiell von der Möglichkeit universaler Erkenntniserweiterung ausgeht (vgl. Hua VI 66f.). Korre­ lativ dazu wird durch konsequente Idealisierung der Lebenswelt deren Klaus Held: Lebendige Gegenwart. A.a.O. 178ff. – Held zeigt, daß der Ursprung der Teleologie mit der von Husserl entwickelten Gottesidee zusammenhängt (176–178).

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4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie

subjektrelative Grundverfassung theoretisch ausgeschaltet und das »All des Seienden […] in seinem vollen ›An-sich-sein‹« (ebd. 67) zum Erkenntnisziel erhoben. Die praktische Implikation des objektivistischen Rationalismus bekundet sich darin, daß er von der »fortwachsenden und immer vollkommeneren Erkenntnismacht über das All […] eine immer vollkommenere Herrschaft über seine praktische Umwelt« ableitet, welche die »Herrschaft über die zur realen Umwelt gehörige Mensch­ heit, also auch über sich selbst und die Mitmenschheit, eine immer größere Macht über sein Schicksal, und so eine immer vollere – die für den Manschen überhaupt rational denkbare – ›Glückseligkeit‹« (ebd.) begründen soll. Daß diese Verdinglichung der Subjektivität durch den objektivistischen Rationalismus zugleich metaphysische Konsequen­ zen hat, die dem phänomenologischen Ansatz einer Bestimmung von Mensch und Gott zuwiderlaufen, formuliert Husserl folgender­ maßen: »Der Mensch ist so wirklich Ebenbild Gottes. In einem analogen Sinne, wie die Mathematik von unendlich fernen Punkten, Geraden usw. spricht, kann man hier im Gleichnis sagen: Gott ist der ›unendlich ferne Mensch‹. Der Philosoph hat eben, korrelativ mit der Mathematisierung der Welt und Philosophie, sich selbst und zugleich Gott in gewisser Weise mathematisch idealisiert.« (Ebd.) Husserl hat diese Form des dogmatischen Rationalismus nicht erst im Kontext der Krisis-Problematik in Frage gestellt (vgl. Hua VIII 343ff.). Seine Kritik betrifft auch keineswegs die Idee der Vernunftphi­ losophie schlechthin, sondern richtet sich gegen die objektivistische Ontologie, welche die transzendentale Begründungsdimension in den Konstitutionsleistungen der intentionalen Subjektivität prinzipi­ ell negiert. Dadurch daß der Erkenntnisfortschritt – entgegen der Endlichkeit des Bewußtseins – als ein Realprozeß des empirischen Bewußtseins aufgefaßt wird, erscheint die subjektivitätstheoretisch aufgewiesene Idealität der »Allwissenheit« als reale Entwicklungs­ möglichkeit des menschlichen Denkens. Damit wird aber der onto­ logische Unterschied von göttlichem und menschlichem Intellekt nivelliert, der innerhalb der phänomenologischen Subjektivitätstheo­ rie klar hervortritt, d.h. die objektivistische Metaphysik setzt in Rücksicht auf das Erkennen Gott und Mensch gleich. Dergestalt wird aber auch der von Husserl für konstitutiv erklärte systemati­ sche Zusammenhang von subjektivem Interesse an Wahrheit und Verantwortung aufgelöst. Mit der Steigerung der Idee des Menschen verläßt der dogmatische Rationalismus also die eigentliche Grund­

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II. Selbstverantwortung – Welt – Intersubjektivität

verfassung des Menschen und diskreditiert zugleich die Idee prakti­ scher Vernunft, deren Zielsetzung (»Glückseligkeit«) er doch gerade zu verwirklichen glaubt. Denn der objektivistische Erkenntnisbegriff gibt das Bewußtsein der (transzendentalen) Freiheit und Autonomie im Sinne Husserls der totalen Vergegenständlichung preis. Husserls phänomenologische Kritik des neuzeitlichen Objektivismus ist dem­ nach in Wahrheit eine Auseinandersetzung mit der diesem Wissen­ schaftsbegriff implizierten Metaphysik. Ihre Zielsetzung überschrei­ tet offenkundig die Grenzen einer rein wissenschaftstheoretischen Kontroverse, indem sie auf dem Boden der phänomenologischen Subjektivitätstheorie das eigentliche Wesen des vernunftbestimmten Bewußtseins gegen dessen objektivistische Vergegenständlichung zurückzugewinnen sucht. Für Husserl steht demnach fest, daß Allwissenheit keine mögli­ che Entwicklungsform des reinen subjektiven Lebens ist. Sie bezeich­ net vielmehr den Limes des universalisierten Wahrheitsinteresses, den das konkrete Erkenntnisstreben stets ins Unendliche hinaus­ schiebt, zugleich aber als kritischen Maßstab der subjektiven Ver­ antwortlichkeit für die im Modus der Wahrheit (bzw. Vernunft) gesetzte Welt festhält. Nach der phänomenologischen Bestimmung des Menschen ist dieser »darin Vernunftwesen, daß seine Seinsweise eine zu immer höheren Stufen der Selbstbesinnlichkeit kommende ist, daß sein Vernünftig-sein wesensmäßig nur verwirklicht sein kann im selbstbesinnlichen Vernünftig-sein- und -werden-wollen« (Hua VI 429). Die auf dieser Basis entwickelte Konzeption der Philosophie soll im Gegenzug zum objektivistischen Rationalismus nicht eine geschichtliche Überführung des menschlichen in ein »allwissendes« Bewußtsein vorzeichnen. Sie dient als universale Besinnung der vom Interesse an Wahrheit bestimmten Subjektivität vielmehr der »Ver­ menschlichung des Menschen« (ebd.), indem sie transzendentalphi­ losophisch dessen unaufhebbare Endlichkeit an dem metaphysischen Gegenbild absoluten Wissens aufzeigt.

II. Selbstverantwortung – Welt – Intersubjektivität a) Die intersubjektive Konstitution der Welt Die phänomenologische Idee der Philosophie gründet Husserls sys­ tematischer Exposition zufolge in einer Radikalisierung des (sub­

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4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie

jektiven) Interesses an Wahrheit, die jeweils durch ein konkretes Bewußtsein vollzogen und von diesem verantwortet wird. Die Konse­ quenz der erkenntniskritischen Freilegung des transzendentalen Ich als Zentrum aller Konstitution der Welt muß methodisch bedeuten, daß damit die Einheit der (vorgegebenen) Welt in die prinzipielle Subjektrelativität selbst zurückgenommen wird. In der Tat ist Husserl dem von seinem subjektivitätstheoretischen Ansatz her vorgezeich­ neten Solipsismus nicht ausgewichen (vgl. Hua XVII 243f.). Doch gilt es zu beachten, daß er sich über dessen rein erkenntnistheoretische Funktion und Herkunft stets im klaren war. Der Sinn der phänomenologischen Erkenntniskritik besteht nicht darin, an die Stelle der objektiven Welt einen relativistischen Perspektivismus doxischer Welterfahrung zu setzen. Aufgabe der Phänomenologie ist es vielmehr, nach der Destruktion der objektivis­ tischen Ontologie bzw. der Weltauffassung des natürlichen Bewußt­ seins den vollen Phänomenbestand der Welt in seiner objektiven Konkretion transzendental zu rekonstruieren. Nur dann, wenn im methodischen Ausgang von der Welt je meiner Erfahrung, in welcher die Forderung radikaler Verantwortlichkeit wurzelt, die Welt als eine objektive und nicht nur je eigene, allein auf mich bezogene, zurück­ gewonnen wird, erhält die Forderung letzter Verantwortlichkeit ihre volle Bedeutung und kann von ihr aus die Idee strenger Wissenschaft, die nicht nur für mich als einzelnen gilt, sinnvoll begründet werden. Entscheidend für das Verständnis der phänomenologischen Subjek­ tivitätstheorie ist, daß der aus ihr entwickelte Gedanke der Verant­ wortlichkeit das Bewußtsein nicht abstraktiv aus der (objektiven) Weltkonkretion herauslöst, sondern auf deren je schon vollzogene intentionale Setzung zurückweist. Zwar wird die Idee unbedingter Verantwortlichkeit stets von dem durch radikale Epoché vereinzelten Ich aktualisiert (vgl. Hua VI 187f.; 425), das dergestalt seiner transzendentalen Freiheit von der objektivistischen Weltauffassung bewußt wird. Aber diese Ver­ antwortung bezieht sich, wie gezeigt, nicht allein auf die perzeptiven Akte des Bewußtseins von Welt, sondern erstreckt sich vermöge deren apperzeptiver Konditionierung auf den intentional implizierten Horizont der Welt im Ganzen, die dergestalt prinzipiell die faktische Subjektrelativität transzendiert und auf Intersubjektivität verweist.86 86 Diese These steht nicht im Widerspruch zu Husserls Feststellung, daß die Reduk­ tion methodisch zum Solipsismus führt. – Vgl. Hua VI 187–193; Hua VIII 173–190.

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II. Selbstverantwortung – Welt – Intersubjektivität

Wenn also das (teleologische) Interesse an Wahrheit zur Forde­ rung universaler Aufklärung der intentionalen Implikationen radi­ kalisiert wird, zeigt sich im Ausgang vom Gegebenen, daß das Bewußtsein sich nicht abstraktiv auf isolierte Dinge oder abgespaltene Wahrnehmungsfelder bezieht, sondern stets den Horizont der Welt mitmeint, der auch von der Reduktion nicht abgelöst wird, weil er zum »Seinssinn« (ebd. 468) der Dinge gehört. »Welt« ist kein ichlos Vorgegebenes, das innerhalb individueller Subjektrelationen affektiv begegnet, vielmehr wird sie bereits vom jeweiligen Ich als »Welt für alle« apperzipiert (vgl. ebd. 258–260). Entscheidend ist, daß für Husserl dieser Sachverhalt bereits bei der schlichten Dingerfahrung vorliegt, insofern ich hier »min­ destens implizite immerfort auch auf Andere als Mitvorstellende, ev. Miterkennende bezogen« bin (ebd. 468). Zum »ursprünglichen« und d.h. »vorprädikativen puren Erfahrungssinn jedweder objektiven Erfahrung« gehört, daß ein Objekt gemeint ist »als dasselbe, das jedermann, und in welchen Erscheinungen dann immer, erfahren kann« (Hua XIV 289). Wird innerhalb der erkenntniskritischen Besinnung also das »Wie« des Gegebenseins transzendental themati­ siert und nach Maßgabe des Interesses an Wahrheit auf vollständige Selbstgebung des intentional Gesetzten in seinem unmittelbaren Vermeintsein hin reflektiert, dann ist es nur in dem Maße ein wahres, wie es von sich aus auf intersubjektive Verifikation verweist. »Zur Idee des wahren Seins jedes Dinges […] gehört die Bezogenheit zur Allsubjektivität […].« (Hua VI 468) Damit wird die prinzipielle Subjektrelativität der (vorgegebenen) Welt nicht aufgehoben. Diese behält jedoch auch innerhalb der Sub­ – Denn Husserl weist zugleich darauf hin, »daß trotzdem von einer transzendentalen, die Welt als ›Welt für alle‹ konstituierenden Intersubjektivität gesprochen werden muß, in der ich wiederum auftrete, aber nur als ›ein‹ transzendentales Ich unter Anderen, und dabei ›wir alle‹ als transzendental-fungierende.« – Hua VI 188. – In Beziehung auf die Reduktion hält Husserl daran fest, daß nicht nur die objektive Welt, sondern ebenso die (mundan apperzipierten) »Anderen« zum Phänomenbestand der absoluten Subjektivität gehören. Daraus ergibt sich, daß auch die Intersubjektivität im Vollzugsich der Epoché fundiert ist und von hier aus ›zur Konstitution gebracht‹ werden muß. Insofern aber das reduzierte Weltphänomen in seinem »Seinssinn« von sich aus auf die transzendental konstituierenden »Mitsubjekte« verweist (vgl. ebd. 468–470 sowie Husserls selbstkritische Retraktationen zur älteren Definition der Reduktion Hua VIII 173–190; dazu Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 220–224), bezieht sich die unbedingte Selbstverant­ wortung implizit auch auf diese.

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jektrelativität ihren spezifischen »Seinssinn« als eine objektive, die jede empirische Relativität überbietet. Hier ist von grundlegender Bedeutung, daß Husserl den (transzendentalen) Charakter der Objek­ tivität nicht metaphysisch bzw. ontologisch aus dem Ansichsein der Welt als Inbegriff alles Seienden ableitet, sondern umgekehrt »Objek­ tivität« als Funktion der (transzendentalen) Intersubjektivität begreift und damit seinen eigenen ontologischen Ansatz entfaltet.87 »Die Welt ist mir gegeben als was sie allen gegeben ist. […] Die ontologische Weltform ist die der Welt für alle.« (Ebd. 469; vgl. Hua I 124) Der so bezeichneten Wendung im Entwurf der Ontologie entsprechend wird die objektive Welt als »Welt für alle« für die transzendentale Einstellung »mit diesem Sinn zum Phänomen« und d.h. zugleich, sie erhält »einen durchgängig geistigen Sinn« (Hua XV 110), insofern nun ihr »Seinssinn« konsequent aus der Intersubjektivität entwickelt wird (vgl. ebd. 202f.).

b) Primordiale Reduktion und Intersubjektivität Diese Auszeichnung der Intersubjektivität in Beziehung auf die Konstitution der (objektiven) Welt bringt Husserl jedoch in eine grundsätzliche Schwierigkeit, weil damit die systematische Rolle des transzendentalen ego als letzte (und zugleich verantwortliche) Instanz aller Geltungsrelationen problematisch wird. Um die Priorität des transzendentalen Ich als »Urich« (vgl. Hua VI 188f.) sowohl der universalen Konstitution als auch jeder reflexiven Ausweisung Die Problematik der Intersubjektivität und ihre zentrale Rolle innerhalb der Phänomenologie wurde in der Literatur mehrfach ausführlich behandelt. Zu nennen ist hier vor allem Michael Theunissen: Der Andere. Studien zur Sozialontologie der Gegenwart. Berlin 1965, sowie Bernhard Waldenfels: Das Zwischenreich des Dialogs. Sozialphilosophische Untersuchungen im Anschluß an Edmund Husserl. Den Haag 1971. (Phaenomenologica 41) – Eine eingehende systematische Untersuchung der Probleme und Schwierigkeiten, die sich innerhalb der phänomenologischen Inter­ subjektivitätstheorie ergeben, unternimmt Klaus Held: Das Problem der Intersub­ jektivität und die Idee einer phänomenologischen Transzendentalphilosophie. – In: Perspektiven transzendentalphänomenologischer Forschung. Für Ludwig Landgrebe zum 70. Geburtstag von seinen Kölner Schülern. Herausgegeben von Ulrich Claesges und Klaus Held. Den Haag 1972. 3–60. (Phaenomenologica 49) – Insbesondere auf diese instruktive Abhandlung sei generell verwiesen. Zur Konstitution der »Welt für alle« durch Intersubjektivität vgl. Klaus Held: Das Problem der Intersubjektivität und die Idee einer phänomenologischen Transzendentalphilosophie. A.a.O. 27f. 87

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zu sichern, muß Husserl daher den am Leitfaden des konkreten Phänomens »Welt für alle« gewonnenen Begriff der Intersubjektivität in Rücksicht auf das Begründungsproblem der transzendentalphäno­ menologischen Reflexion präzisieren. Dem Ansatz der phänomenologischen Subjektivitätstheorie zufolge ist das transzendentale Bewußtseinsleben bzw. das darin durch radikale Reflexion freigelegte Ich absolut »für sich«, oder wie Husserl mit einem Hinweis auf Spinoza88 erklärt: »in se est et per se concipitur« (Hua XIV 257), so daß das in seiner Selbstbezie­ hung unableitbare Bewußtsein von sich, welches als transzendentale Begründungsdimension durch die Epoché aufgewiesen werden sollte, auch (im Sinne Spinozas) als causa sui gedacht werden kann (vgl. ebd. 292). Der erkenntniskritische Rückgang auf die transzendentale Subjektivität ist jedoch nach Husserl prinzipiell von einem metaphy­ sischen Übergang zu unterscheiden, in dem das endliche (empirische) Bewußtsein als individuelles Faktum von einem absoluten Sein bzw. der ichlosen Substanz (im Sinne der Substanzmetaphysik Spinozas) aufgehoben wird. Das Ziel der transzendentalphänomenologischen Reduktion besteht vielmehr darin, das natürliche Bewußtsein in eine Beziehung auf sich zu bringen, in der es sich als intentionales Konstitutionszentrum anschaut. Den ersten Schritt dazu bildet die Radikalisierung der Subjektrelativität, durch die die vorgegebene Welt für das individuelle Bewußtsein erscheint. Aber diese methodi­ sche Auszeichnung der Relativität von Welterfahrung und (empiri­ schem) Bewußtsein führt zunächst nur auf einen psychologischen Solipsismus, solange nicht der zweite Schritt: die (universale) Epoché der Weltgeltung, vollzogen wird (vgl. Hua XV 530). Das durch diese Schrittfolge erreichte transzendentale »Urich« ist zwar vom empiri­ schen Ich grundsätzlich durch seinen transzendentalen Status unter­ schieden, aber es ist – wenigstens im Sinne einer »wesensmäßige[n] Äquivokation« (vgl. Hua VI 188f.; Hua XVII 247ff.) – noch immer »mein« Ich, d.h. dasjenige des konkreten Bewußtseins, welches die radikale Reflexion vollzogen hat. Weil also nach Husserls Konzeption der Reduktion, die jede metaphysische Auslegung abweist, das trans­ zendentale Bewußtsein seinen individuellen Charakter als ein Ich – freilich in problematischer Weise – beibehält, impliziert die Epoché 88 Vgl. Benedict de Spinoza: Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt. Übersetzung, Anmerkungen und Register von Otto Baensch. Einleitung von Rudolf Schottlaender. Hamburg 1955. P. I, Def. 3. (PhB 92)

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dann, wenn die »Enthüllung der Fundierungen, in der die Welt für mich seiende, mir geltende ist« (Hua XV 204), geleistet werden soll, die Reduktion auf Primordialität als methodische Konsequenz. Durch die Reduktion auf Primordialität beschränke ich »alle wirklichen und möglichen Erfahrungen, die ich von mir und Anderen habe, auf mein originaliter Eigenes«, d.h. ich gehe auf »mein Ichliches« zurück und »gewinne meine ›reine‹ Erlebnissphäre, die des rein immanenten Zeitstromes.« (Ebd. 528f.) Für diese Freilegung des ich­ lichen Lebens ist von grundsätzlicher methodischer Bedeutung, daß dessen reine Beziehung auf sich im Gegenzug zur intersubjektiven Grundverfassung des konkreten Weltphänomens gewonnen wird:89 »Das alles (cogito und cogitatum) ist aber jetzt abstraktiv befreit von allen Sinnbeständen, die ich der Kommunikation mit Anderen ›verdanke‹.« (Ebd. 529; vgl. 568) Daraus folgt als erstes, daß das ursprüngliche Weltphänomen, so wie es für das Bewußtsein je schon als eine »Welt für alle« gegeben war, in seinem vollen »Seinssinn« destruiert bzw. auf einen Kern reduziert wird, dem seinerseits nicht länger der »Sinn von Welt« (vgl. ebd. 568) zukommt, obwohl er noch immer eine (idealiter) einstimmige Sphäre der Erfahrung bezeichnet. Dieser Kern der ursprünglich gesetzten bzw. »apperzipierten« Welt muß innerhalb der primordialen Reduktion als intentionales Korrelat der transzendentalen Subjektivität erhalten bleiben. Er ist der notwendige Gegenpol des ego cogito oder die vom reinen Ich her zu vollziehende erste Bestimmung des gegenständlichen Nichtich, dessen »Sinn« sich nach der primordialen Abstraktion von jeder intersubjektiven Komponente der Konstitution aus der radikalen Ent­ gegensetzung zum »Ichlichen« schlechthin ergibt. Deshalb begreift Husserl den in primordialer Reduktion hervortretenden Kern der »Welt« konsequent als Natur, wobei zunächst nicht die »objektive Natur« als Struktursegment der »Welt für alle« gemeint ist (vgl. Hua XVII 247), sondern dasjenige derselben, »was in den Rahmen meiner originalen Erfahrung fällt« (Hua XIV 446) und dergestalt in methodi­ scher Abstraktion als auf mein Ich allein relatives Nichtich erscheint. Die durch primordiale Reduktion freigelegte erste Korrelation umfaßt demnach einerseits die »Natur rein als das, ›was sie als von mir erfahrene ist‹, und andererseits meine Subjektivität rein als von mir original erfahrbare.« (Ebd. 446; vgl. 445, 344) Dies bedeutet, daß auch 89 Vgl. Klaus Held: Das Problem der Intersubjektivität und die Idee einer phänome­ nologischen Transzendentalphilosophie. A.a.O. 30f.

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meine Subjektivität in ihrer reinen (transzendentalen) Beziehung auf sich nur durch den Gegenzug zur Intersubjektivität als ursprünglich kompräsenter gewonnen wird und auf diese Weise allererst als ein »undeklinierbares« Urich bestimmt werden kann (vgl. Hua VI 188f.; Hua XIV 527). Der Zweck der Reduktion auf Primordialität besteht darin, durch den Aufweis einer Sphäre der »Urevidenz« bzw. der »uroriginale[n] Selbstgegebenheit«, die Husserl im Hinblick auf die Gegenständlich­ keit als sinnliche Erfahrung bestimmt, das »Stufensystem der Evi­ denzen zu gewinnen«, um davon geleitet die »Erfahrungswelt in ihrer jeweiligen Seinsgeltung als Menschenwelt und Welt für alle Men­ schen« (Hua XV 572, Anm. 1) zu rekonstruieren. In diesem Sinne bil­ det die primordiale Reduktion innerhalb der transzendentalphäno­ menologischen Systematik ein nur methodisches Prius, das jedoch nicht mit einem Schlage gegeben ist und als Ausgangspunkt einer deduktiven Konstruktion fungiert, sondern erst durch eine »Abstrak­ tion« aus der ursprünglichen – und daher auch (systematisch) vor­ gängigen – Konkretion des intentionalen Korrelationsapriori von Welt und Bewußtsein herausgehoben werden muß. Gerade diese Abstraktheit der primordialen Korrelation von Natur und ego cogito ist es aber, die im Blick auf das ursprüngliche Weltphänomen überwunden werden muß (vgl. ebd. 282ff.). Denn die radikale Entgegensetzung von Ich und Natur (als Ur-modus des inten­ tional gesetzten gegenständlichen Nichtich) impliziert, daß das Ich zwar eine eigene Dimension originaler Erfahrung besitzt, auf die es aber eben nur in der Weise der Entgegensetzung bezogen ist. Hieraus folgt, daß das reine Ich dann, wenn es sich objektiviert, innerhalb der primordial reduzierten Natur selber nur als gegenständliches Nichtich oder res extensa (vgl. Hua XIV 344) vorkommt, d.h. sein Leib, durch den das bloße »Bewußtseinssubjekt« sich als sinnlich erfahrendes auf die Natur bezieht, ist ein für es fremder Gegenstand. Damit wird aber in letzter Konsequenz das zentrale phänomeno­ logische Thema: die »konkrete Subjektivität«, preisgegeben, welche »als menschliche Subjektivität dem jeweiligen Leib zugehört, hier ein­ heitlich konstituiert und mit dem Leib in eins gegeben« ist (ebd. 414). Die programmatische Rekonstruktion des ursprünglichen intentiona­ len Zusammenhangs von Welt und Bewußtsein fordert daher von sich aus, daß die primordiale Abstraktion in einer phänomenologischen »Wiederaufbaubewegung« (Gadamer) rückgängig gemacht wird, in dem das reine ego sich mit seiner leiblichen Vergegenständlichung

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als konkretem und nicht abstraktem »Nullpunkt« unmittelbarer Erfah­ rungsrelativität identifiziert. Dazu ist erforderlich, daß die primordial reduzierte Natur eine »homogene« oder objektive wird, »in der der eigene Leib und die ›Aussendinge‹ gleichstehen.« (Ebd. 413) Nach Husserl ist aber eine solche Gleichstellung je meines Leibes, also die volle Konkretisierung des transzendentalen Bewußtseins in der von ihm konstituierten Realität, nur möglich, wenn dieser Leib eben nicht nur als ein ausgezeichneter Fall der Wirklichkeit von meiner (»undeklinierbaren«) Subjektivität aus gesetzt wird, sondern auch als ein reales »Ding« in der objektiven Natur erscheint.90 Genau dazu ist die Erfahrung dieses meines Leibes durch ein fremdes Ich notwendig. »Erst durch die Fremderfahrung und die Herstellung einer Intersubjektivität konstituiert sich eine homogene Natur – darin homogen, dass alle Leiber für ihre Subjekte in einer Innengegebenheit den Charakter von Leibern haben und in einer Aussengegebenheit für jedermann den Charakter von Dingen annehmen.« (Ebd. 413f.) Auch die Selbstreflexion des primordialen Ich als eines wirkli­ chen ist demnach implizit auf Intersubjektivität angewiesen so wie das Ich umgekehrt eine »homogene« oder objektive Natur braucht, um sich in seiner realen (sinnlich-leiblichen) Erfahrung »original« auf die von ihm konstituierte Gegenständlichkeit beziehen zu kön­ nen. Die Setzung der Natur erweist sich dergestalt als notwendige Bedingung intersubjektiver Erfahrung bzw. intersubjektiver Kommu­ nikation (vgl. Hua XV 373), d.h. die letztere erfolgt nach Husserl nicht losgelöst von der Natur in einem ungegenständlichen Medium reinen Verstehens, sondern stets im Durchgang durch unmittelbare Dingerfahrung, da diese als intentionales Korrelat zu jedem (primor­ dial reduzierten) ego cogito und seiner Konkretion als Leib gehört.91 Vgl. Klaus Held: Das Problem der Intersubjektivität und die Idee einer phänome­ nologischen Transzendentalphilosophie. A.a.O. 29ff. – Held weist im einzelnen nach, daß die oben erörterte Identifikation des reinen ego mit seinem Leib den Ansatz der analogisierenden Apperzeption bildet. 91 Zurecht weist Held darauf hin, daß das Zentralproblem der phänomenologischen Intersubjektivitätstheorie darin besteht, wie die Konstitution der objektiven Welt in Beziehung auf das reine ego cogito transzendental entfaltet werden könne. – Klaus Held: Das Problem der Intersubjektivität und die Idee einer phänomenologischen Transzendentalphilosophie. A.a.O. 29. – In der Tat nimmt Husserl dafür nicht die »Miterfaßtheit meiner Welt durch den unthematisch mitfungierenden Anderen« (29) in Anspruch, wie dies vor der primordialen Reduktion im Blick auf die ursprüngliche Konkretion der »Welt für alle« möglich wäre. Vielmehr ist es in transzendentaler Ein­ stellung die vorgängige thematische Erfassung des Anderen als das »erste Ich-fremde« 90

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– An dieser Stelle ist eine Erläuterung nachzutragen, die für das Ver­ (Hua XVII 248), die für die Konstitution der objektiven Welt aufkommt; und in diesem Sinne ist die unthematische Miterfaßtheit meiner Welt durch den Anderen in dessen (vorgängiger) Thematisierung fundiert. Genau diesem Fundierungsverhältnis gilt nun Helds Kritik, da er ein von Husserl prinzipiell nicht geklärtes Problem darin sieht, wie ein originäres Bewußtsein des Mitsubjekts im Ausgang von der primordialen Reduktion möglich sein soll. – Vgl. Klaus Held: Das Problem der Intersubjektivität und die Idee einer phänomenologischen Transzendentalphilosophie. A.a.O. 29; 46ff. – Denn eine solche originäre Erfahrung erfolgt nach Husserl grundsätzlich durch die Erfahrung des fremden Leibes in Beziehung auf meinen Leib (analogisierende Apper­ zeption durch Vermittlung der primordial gesetzten Natur); und eben gegen diese, von Held in Übereinstimmung mit Theunissen als »naturalistisch« charakterisierte Auffassungsart des Anderen, die jede »personalistische« Erfahrung als nicht originär diskreditiert, richtet sich Helds Kritik. – Eine derartige Einschätzung übersieht jedoch die prinzipielle erkenntnistheoretische Bedeutung der Husserlschen Argumentation. Denn an den beigezogenen Stellen aus Formale und transzendentale Logik nimmt Husserl die thematische Erfahrung des Anderen als ontologisches Prius ausdrücklich nicht für das Bewußtsein von Welt und Intersubjektivität überhaupt in Anspruch, sondern nur für die Konstitution der objektiven Welt (Natur) als ihrem Sinne nach intersubjektiver und von der primordialen Natur unterschiedener. Der von Husserl intentionierte transzendentale Beweis der (objektiven) Realität der Außenwelt, um den es hier geht, muß eine die primordiale Sphäre überschreitende »Transzendenz« (Hua XVII 248) bzw. ein »erstes« Nichtich als thematisch erfahrenen Grund für das Bewußtsein objektiver Transzendenz auszeichnen; und dies ist nach Husserl allein das fremde Ich und sein Leib, das im Unterschied zur übrigen Natur aufgrund des eigenen »Seinssinnes« nicht in der primordialen Reduktion aufgeht. Umgekehrt ist eine solche Erfahrung des Anderen davon abhängig, daß dieser nicht nur in der primordial gesetzten Natur real (als Leib) vorkommt, sondern sich auch als echte Transzendenz darin bekundet, und d.h. auf die von mir und ihm jeweils primordial gesetzte Natur bezieht. Die vorgeblich »naturalistische« Auffassung des Anderen erweist sich so als Folge der in streng erkenntnistheoretischer Absicht exponierten primordialen Korrelation von Ich und Nichtich, innerhalb welcher eben auch der Andere als reale Entgegensetzung zu mir gegenständlich auftritt und diese Bedeutung auch dann nicht vollständig ablegt, wenn er im Kontrast zu dem bloß auf mich relativen Dinglichen als ein fremdes Ich thematisiert wird. Das Commercium der eigenen und fremden Monade wird durch die wechselseitige Setzung einer Natur (einschließlich des jeweils fremden Leibes) als Nichtich begründet, das vermöge der – jeweils thematisierten – Einwirkung des fremden Ich zu einer objektiven Transzendenz, einer intersubjek­ tiven Welt für mich wird. Eine derartige transzendental-ontologische Begründung objektiver Welttranszendenz leistet die »personalistische« Einstellung nicht. Zwar impliziert sie die ursprüngliche unthematische Erfahrung des Anderen im Sinne der je schon geschehenen Miterfaßtheit meiner Welt, doch setzt sie ihrerseits, worauf Held zurecht hinweist, das Bewußtsein der intersubjektiven Welt als fraglos vorhandene Dimension personaler Begegnungsarten (Liebe etc.) schlicht voraus, statt sie zu begründen. Deshalb kann – wie Held zutreffend hervorhebt – der Ansatz einer Dialog­ philosophie (Waldenfels) auf dem Boden der transzendentalen Phänomenologie nicht durchgehalten werden. – Vgl. Klaus Held: Das Problem der Intersubjektivität und die Idee einer phänomenologischen Transzendentalphilosophie. A.a.O. 53f. – Achtet

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ständnis der primordialen Reduktion von prinzipieller Bedeutung ist. Durch diese Reduktion wird nämlich nicht die ursprünglich gegebene Welt in ihrer vollen Extension als Inbegriff des Gegebenen aufgeho­ ben. Vielmehr erfolgt lediglich eine Reduktion ihres »Seinssinnes« auf »Natur« oder das dingliche Substrat unter Ausschaltung der intersubjektiven Konstitutionsverweisung. Auch zur primordialen Erfahrungssphäre gehört also der »Andere« bzw. das fremde Ich, obzwar jetzt dessen Leib abstraktiv als ein reales Ding aufgefaßt wird (vgl. ebd. 568ff.). Bei dieser Sachlage muß die phänomenologische Rekonstruktion der ursprünglichen (objektiven) »Welt für alle« ansetzen. Sowohl das Selbstbewußtsein des primordialen ego cogito als auch die primor­ dial reduzierte Natur wurden nur abstraktiv durch Einklammerung der Intersubjektivität gewonnen (vgl. ebd. 117ff.), die dergestalt als »Apperzeption« zu meinem Bewußtsein gehört (vgl. ebd. 572) und als solche dessen (»solitäre«) Beziehung auf sich ermöglicht. Nach Husserl liegt deshalb das Problem gar nicht darin, im Ausgang man aber darauf, daß die soeben entwickelte erkenntnistheoretische Problemstellung Husserls, also die Frage nach dem bewußtseinsunabhängigen Sein der Welt, als solche nur innerhalb der primordialen Reduktion eine Funktion besitzt und diese selbst nur durch Abstraktion vom ursprünglich intersubjektiv verfaßten Weltphänomen zustandekommt, dann ist einerseits einleuchtend, daß die Erfahrung des Andern durch mein Ich im ersten Schritt eine thematische sein muß. Andererseits wird so nur der philosophische Beweis für die objektive Realität des Nichtich, keineswegs die programmatische Rekonstruktion des ursprünglichen Weltbewußtseins geleistet. Die »Motivation« zur analogisierenden Apperzeption bzw. die Bedingung der Möglichkeit für die Selbstüberschreitung der primordialen Sphäre auf den Anderen kann dagegen nicht durch statische Analyse der thematischen Fremderfahrung aufgewiesen werden, d.h. der Rückstieg von der primordialen Abstraktion zum ursprünglichen Weltbegriff ist notwendig, um die Beziehung des Ich auf den in der natürlichen Welterfahrung unthematisch mitgesetzten Andern genetisch zu entwickeln. Hier gewinnt Helds Vor­ schlag, das Fundierungsverhältnis von thematischer und mathematischer Erfahrung des Anderen umzukehren, seine systematische Relevanz (47; 50ff.). Denn so wie alle aktive Konstitution auf passive verwiesen ist, wird die thematische Erfassung des Anderen durch passive Konstitution seiner Mitgegenwart genetisch fundiert. Damit wird, was ausdrücklich festzuhalten ist, die Rolle der erkenntnistheoretischen Argumentation nicht eingeschränkt. Doch ergibt sich im Blick auf die Passivität der ursprünglichen Weltkonstitution eine neue Perspektive der phänomenologischen Intersubjektivitätstheorie, die freilich von der vorher erwähnten »personalistischen« Einstellung wohl zu unterscheiden ist. Die systematischen Umrisse dieses Ansatzes zeigt Held auf (50ff.). – Zu den Schwierigkeiten der Konstitutionslehre in der Theorie der Intersubjektivität vgl. Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 222f.

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von einem abstrakten einzelnen Ich als fiktivem erkenntnistheore­ tischen Robinson eine objektive Welt oder einen intersubjektiven Zusammenhang zu konstruieren.92 Vielmehr besteht die Aufgabe, das ursprüngliche Angewiesensein der (primordialen) Natur bzw. des (primordialen) Ich auf Intersubjektivität, das sich am konkreten Weltphänomen zeigt, erkenntnistheoretisch zu begründen. Diese Begründung erfolgt im ersten Schritt vermittels einer Analyse jener unablöslichen »Apperzeption« in der primordialen Erfahrungssphäre. Hier entsteht die Frage, wie dann, wenn nach der vorstehenden Erörterung eine »Gleichstellung« meines Leibes mit den realen Din­ gen zur wirklichen Selbstsetzung meines Ich gehört (vgl. in vorlie­ gender Untersuchung 121–124), die dafür erforderliche Erfahrung des fremden Ich innerhalb der primordialen Sphäre möglich ist. Für Husserl ist diese Möglichkeit zunächst generell dadurch gesichert, daß jedes beliebige Ding als objektiv wirkliches die »apperzeptive Schichte« (Hua XIV 321) der Intersubjektivität an sich hat, insofern dieses originaliter für mich zur Ausweisung kommt als ein objektives, und d.h. nicht allein durch mich erwirktes reales. Aber selbst wenn hier prinzipiell die subjektive Relativität meiner Erfahrung immer wieder geltend gemacht werden könnte, so erfährt dieser Gesichtspunkt im Falle des »Dinges«, das »Leib« eines »alter ego« ist und ebenso in meine primordiale Erfahrung gehört, eine grundsätzliche Begren­ zung. »Jedes meiner Dinge primärer Erfahrung, das sich vermöge der Analogie mit meinem Leibkörper als Leib gibt, ist Umschlagstelle, wodurch mir ein fremder Zusammenhang transzendentaler Subjek­ tivität mit ihren Transzendenzen bewusst wird in einer sekundären Erfahrung.« (Ebd. 351) Das alter ego ist sonach wesentlich »indiziert« als etwas, das in primordialer Erfahrung prinzipiell nicht vollständig gegeben ist und »apperzeptiv« über sie hinausweist, obwohl es ohne diese Erfahrung nicht für mich »ist«. Husserl hält deshalb fest, daß der Andere als real in der Welt wirkender und in ihr erscheinender keine »Hypothese« ist, sondern unmittelbar erfahren und wahrgenommen wird (vgl. ebd. 352). Der phänomenologische Begriff der Erfahrung erhält in diesem Zusammenhang eine doppelte Bedeutung. Einmal handelt es sich 92 Auf die Absurdität einer derartigen Konsequenz weist Held hin. – Klaus Held: Das Problem der Intersubjektivität und die Idee einer phänomenologischen Transzenden­ talphilosophie. A.a.O. 49. – Zur Einschätzung seines eigenen Versuchs, die Aporien der phänomenologischen Intersubjektivitätstheorie durch Rückgriff auf die passive Konstitution zu überwinden, vgl. die vorige Anm.

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um eine solche, »die in der Tat selbstgebende, das Erfahrene selbst in sich verwirklichende« ist und mit der Idee adäquater Evidenz zusammenfällt. In Beziehung auf das alter ego aber liegt eine zweite Weise unmittelbarer Erfahrung vor: »die selbstbekundende, aber nicht selbstgebende« (ebd. 354), die jeweils »Einfühlung« indiziert. Entscheidend ist nun, daß Husserl diese Explikation intersubjek­ tiver »Kompräsenz« nicht einfach durch deskriptive Analytik primor­ dialer Wahrnehmung von fremden Leibern gewinnt. Seiner gesamten Intersubjektivitätstheorie liegt vielmehr eine erkenntnistheoretische Argumentation zugrunde, deren Ziel in dem Nachweis besteht, daß die methodisch notwendige primordiale Reduktion keineswegs die skeptizistische Aufhebung der Realität der Außenwelt impliziert. Denn die unmittelbar erfahrene Realität des fremden Leibkörpers indiziert eine absolute, da nicht in meinem Erfahrungsvollzug auf­ gehende Position außer mir, von der aus die von mir (primordial) konstituierte Natur überhaupt zu einer objektiv wirklichen wird, in welcher auch mein Ich als zu einem realen Leib gehöriges ein wirkli­ ches ist. In der primordialen Reduktion ist zwar die Außenwelt nichts anderes als eine durch mein Ich konstituierte Einheit. »Aber diese Einheit birgt als einziges Absolutes nur andere Ich. Die einzige Weise, wie in meiner immanenten Sphäre ein als ›wahres Sein‹ Konstituiertes mehr sein kann als eine Einheitsgebung meines individuellen Ich, ist diejenige, daß meine immanent konstituierten Einheiten als ›Lei­ ber‹ (vorausgesetzt, dass ich selbst in dieser Sphäre einen Leib als meinen ›habe‹) ein zweites Ich rechtmäßig appräsentieren. Das als mitdaseiend Gesetzte ist nicht bloß eine apperzeptive Einheit meiner Einzelapperzeption, etwas sich darin Abschattendes, sondern ein Ich, das durch so Erscheinendes als Analogon indiziert und vernünftig als mitdaseiend gesetzt ist.« (Ebd. 277; vgl. 278) Die in originärer Erfahrung selbst »gegebene« Bedingung für die (thematische) Appräsentation des fremden Ich liegt aber nicht einfach in dessen leiblicher Realität, da so nur ein »hypothetischer« Schluß auf die Existenz des Anderen (vgl. ebd. 353), nicht dessen originäre Setzung als absolute »Transzendenz« für mich möglich wäre (vgl. Hua XVII 247f.). Die Selbstbekundung des »alter ego« vollzieht sich nach Husserl deshalb notwendig als konkurrierende Kausalität auf die von mir primordial gesetzte Natur (vgl. Hua XIV 352). Für diesen Sachverhalt, der zugleich die Genesis des Selbstbewußtseins als Beziehung des Ich auf sich durch Beziehung auf den Anderen ermöglicht (vgl. Hua I 150), hat Husserl den genuin dialektischen

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Terminus der »Widerstreitseinheit« von Ich und Anderem gewählt (vgl. Hua XIV 143). Die »anschaulich[e]« Gegebenheit des alter ego erfolgt vermöge einer an »den als lebendig apperzipierten Leib des Andern appräsentativ angeknüpften Vergegenwärtigung« bzw. als analogisierende Übertragung meines Ich, d.h. ich kann »den Andern nur in Deckung mit mir und die Erlebnisse des Andern nur in Widerstreit mit meinen Erlebnissen, den Strom des Andern nur in Widerstreit mit meinem Strom anschaulich vorfinden […].« (Ebd. 141) Radikal gefaßt, bedeutet dies, daß jede Selbstbeziehung (auf mich als einzelnes reales Ich) und somit auch die primordiale Abs­ traktion in der »Widerstreitseinheit« fundiert ist, obwohl dieses ursprüngliche Faktum dann, wenn es als (primordiale) Entgegenset­ zung von Ich und Nichtich einer erkenntnistheoretischen Analyse unterzogen wird, seinerseits vom ego cogito aus transzendental begründet werden muß. Das reflexiv unüberbietbare wechselseitige Bedingungsgefüge der Korrelation Ich–Nichtich einerseits und der Korrelation Ich–Wir andererseits, das die ursprüngliche »Wider­ streitseinheit« anzeigt, kann deshalb nicht auf ein übergeordnetes Prinzip zurückgeführt werden. Daß ich mich als ein objektiv Seiendes setzen kann, ist von der Setzung durch den Andern abhängig, so wie dieser nicht ohne mich ist; und dieses Commercium der Monaden ist der Grund für die Objektivität bzw. intersubjektive Verfaßtheit der gemeinsamen Natur, welche jetzt notwendig als ein Ansich (ontologisch) begründet ist, obwohl sie weiterhin in primordialer Perspektive jeweils nur verschieden erscheint (vgl. ebd. 388f.) und als ein derartiges »Ansich« hier nur »apperzipiert« wird. »Ich erfahre mich als Menschen also auf dem Umwege, auf demselben, durch den ich allein eine objektive Welt erfahren kann als Welt für jedermann, ich erfahre sie also auf dem Umwege über die ›Anderen‹ und der sich damit ermöglichenden Identifizierung meiner und eines jeden subjektiv konstituierten Welt in der Weise, dass diese Subjekt für Subjekt in wesentlich verschiedener (obschon strukturell gleichar­ tiger) Form gegebene Welt zur subjektiven Erscheinung wird für die darin erscheinende Welt an sich.« (Ebd. 416) Die ontologische ›Gleichstellung‹ meines Leibes durch Dezentralisierung desselben in der Beziehung auf den Andern (ebd. 413; vgl. in vorliegender Untersuchung 121–124) ist demnach in dem erkenntnistheoretisch erschlossenen Commercium der Monaden transzendental begründet. Ebenso ist darin meine Selbstauffassung als Mensch vorgezeichnet,

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die ich in voller Konkretion erst vom Andern her gewinne. »Der Andere ist der erste Mensch, nicht ich.« (Ebd. 418; vgl. 110) Mit diesen Überlegungen ist im Prinzip die transzenden­ tale Rekonstruktion des ursprünglichen (intersubjektiv verfaßten) Bewußtseins von Welt sowie deren ontologischer Struktur als »Welt für alle« durchgeführt, die den vorgängigen Ausgangspunkt der primordialen Abstraktion bildete. Dieser Ausgangspunkt ist jedoch kein empirisch aufgenommener beliebiger Tatbestand, sondern erhält innerhalb der erkenntnistheoretischen Beweisstrategie eine feste sys­ tematische Stelle. Denn Husserls Argumentation zufolge ist die Welt dann, wenn ihre objektive und von meinem Bewußtsein unabhän­ gige Idealität bewiesen wird, in ihrer ontologischen Form (vgl. in vorliegender Untersuchung oben 118) eo ipso eine »Welt für alle«. Umgekehrt bildet die »abstraktive« Aufstellung der primordialen Korrelation und damit die methodische Ausschaltung der ursprüng­ lichen Intersubjektivität ein notwendiges Durchgangsstadium, um überhaupt die für den erkenntnistheoretischen Beweisansatz unab­ dingbare transzendentale Begründungsdimension zu gewinnen, statt nur ontologische Verallgemeinerungen auf der Basis naiver Phä­ nomendeskriptionen vorzunehmen. Dem radikalen Begründungsan­ spruch Husserls zufolge ist es notwendig, zunächst die transzenden­ tale Theorie der Subjektivität bzw. Intersubjektivität zu entfalten, um eine universale Ontologie der objektiven Welt grundlegen zu können. Erst dann ist es möglich, aus dem ursprünglichen Commer­ cium der Monaden die Konstitution einer gemeinsamen Sinnenwelt (ebd. 196f.), einer gemeinsamen personalen Welt (ebd. 198–200) und schließlich die Bildung kommunikativer Personenverbände mit der Idee einer universalen Menschheit (ebd. 200–205) nach einer strengen Fundierungsfolge aufzubauen.

c) Die monadologische Konzeption der Intersubjektivität Für den Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung ist entschei­ dend, daß die von Husserl monadologisch konzipierte Theorie der Intersubjektivität es gestattet, die phänomenologische Idee der Philo­ sophie bzw. deren Grundbegriffe: die Idee der Verantwortung und des Interesses an Wahrheit, im Blick auf die in ihr gelegenen metaphysi­ schen Konsequenzen hin zu prüfen. Die »apperzeptiv« gesetzte Welt erschließt nämlich mit dem Substrat sinnlicher Wahrnehmungsfel­

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II. Selbstverantwortung – Welt – Intersubjektivität

der zugleich den intersubjektiven Verstehenshorizont des kritischen Interesses an Wahrheit, der seinerseits nicht erst durch diskursiven Konsens begründet werden muß, weil er umgekehrt dessen Herstel­ lung je schon ermöglicht. Deshalb indiziert jede – zunächst auch naiv betätigte – Prävention der Rechtmäßigkeit meiner (intentionalen) Setzungen die ausweisende Reflexion auf mögliche (kompossible) Einordnung dieser Setzungen in den intersubjektiven Weltkontext, d.h. die erkenntniskritisch exponierte Verantwortung für Wahrheit ist immer auch »Selbstverantwortung« (Hua VIII 197) des jewei­ ligen Ich als (transzendentale) Zurechnungsinstanz, insofern sie ontologisch auf die (monadologische) Gemeinschaft transzendentaler »Mitsubjekte« verweist und so den Spielraum subjektiven Fürwahr­ haltens beschränkt. Die ontologische Entfaltung der primordial gesetzten Welt als einer objektiven vermöge der im ego sich darstellenden »intersubjek­ tive[n] Synthesis« (Hua XV 66) beläßt einerseits dem jeweiligen Ich seine spezielle »Weltvorstellung« (vgl. ebd. 64). Andererseits hat die ontologische Rückführung der objektiven Welt auf das monado­ logische Commercium die Dezentralisierung der Weltkonstitution zur Folge, da jetzt meine primordiale »Weltvorstellung« nur eine subjektrelative Erscheinung »der« Welt ist. »Jedes ego hat sein pri­ mordiales Weltphänomen, bzw. seine primordial reduzierte seiende Welt […]. […] In der Synthesis der Vergemeinschaftung wird jede solche primordial seiende Welt zum Phänomen, zur Gegebenheits­ weise derselben intersubjektiven Welt.« (Ebd. 66) Wollte sich also das jeweilige Ich bei der Aktualisierung des Interesses an Wahrheit und im Bewußtsein seiner transzendentalen Zuständigkeit allein auf die Rechtmäßigkeit seiner Setzungen abs­ traktiv zurückziehen und jede intersubjektive Ausweisung abschnei­ den, dann würde es von vornherein den phänomenomenalen Grund­ bestand der (objektiven) »Welt für alle« und damit das eigentliche Ziel des Verifikationsanspruchs verfehlen. Jede im ursprünglichen Bewußtsein von Welt ausgelöste Beziehung des Ich auf sich als letzte Zurechnungsinstanz muß davon ausgehen, daß hier eine die Welt je schon konstituierende »Einheit der Intentionalität in wechselseitiger Implikation der Lebensströme der einzelnen Subjekte« vorliegt (Hua VI 260). Denn »was in der naiven Positivität oder Objektivität ein Außereinander ist, ist von Innen gesehen ein intentionales Ineinan­ der.« (Ebd.; vgl. Hua I 166; Hua VII 257)

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4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie

Von diesen Überlegungen aus ergibt sich eine entscheidende Erweiterung der oben entwickelten (vgl. in vorliegender Untersu­ chung 97–109) phänomenologischen Idee der Vernunft. Denn die Teleologie des subjektiven Wahrheitsbezuges, die nach Husserl mit dem eigentlichen Vernunftstreben identisch ist und deren ideales Ziel in der adäquaten Selbstgebung des Vermeinten besteht, induziert von sich aus die kritische Reflexion der intentionalen Implikationen in den jeweiligen Gegebenheitsweisen. Das bedeutet, sie erfaßt die darin sich bekundende Abhängigkeit meiner (verantwortlichen) Setzung der Welt von der einstimmigen Setzung der fremden Monade, die als gleichfalls teleologisch auf Wahrheit gerichtete mit mir durch Bezie­ hung auf die gemeinsame Welt in eine Verifikationsgemeinschaft tritt (vgl. Hua VIII 189f.). Die jedem Ich auferlegte Regelstruktur der wechselseitigen Einfühlung (vgl. Hua XIV 100), deren Möglichkeit in dem ursprünglichen Commercium der Monaden begründet ist, erhält ihren spezifischen Charakter der Notwendigkeit mithin nicht einfach aus diesem metaphysischen Faktum, sondern entspringt als Norm aus dem teleologischen Streben nach Wahrheit, das in jener monadologischen Gemeinschaft – der intersubjektiven Synthesis selbst – wirksam ist. Übernimmt der Mensch im Sinne der von Husserl inaugurierten Vernunftidee die radikale Verantwortung für sich als transzendentales Ich, so besagt dies, daß er zugleich die transzendentale Autonomie des Andern anerkennen muß, da er des­ sen ontologische Absolutheit nicht reduktiv auflösen kann (vgl. Hua VIII 189). »Das Einzelsubjekt ist Glied einer Gemeinschaft; und so haben wir zu unterscheiden Selbstverantwortung des Einzelnen und Selbstverantwortung der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft kann sich aber nur verantworten im einzelnen personalen Subjekt.« (Ebd. 197) Die systematische Grundlage für diese Konzeption intersubjek­ tiver Verantwortlichkeit bildet die von Husserl herausgearbeitete transzendentale Monadologie, deren ontologische Kernstruktur fol­ gendermaßen bestimmt wird: »ich habe eine Monade in sich bezogen auf eine andere Monade und habe die andere Monade bezogen […] auf die erste Monade.« (Hua XIV 265) Aber diese wechselseitige Beziehung ist im Bewußtsein jeder einzelnen Monade nicht mit einem Schlage »gegeben«. Sie resultiert vielmehr aus der – vermöge analogisierender Einfühlung vollzogenen – intentionalen Setzung des Andern als eines notwendig Seienden für mich. Das Funktionskorrelat dieses Prozesses ist wiederum die konstitutive Entfaltung der objek­

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tiven »Welt für alle« als vermittelnder Horizont für die »Vielheit von Monaden in wirklicher und möglicher Kommunikation […].« (Ebd.) Von diesem speziellen Problem der genetischen Selbstkonstitu­ tion des Monadenalls bzw. dessen Korrelats: der intersubjektiven Natur, ist zunächst die von Husserl entwickelte metaphysische Begründung für das Commercium der Monaden – ihrer »transzen­ dentalen Koexistenz« – zu unterscheiden. Auf die erkenntnistheo­ retische Bedeutung dieser Argumentation Husserls wurde bereits hingewiesen (vgl. in vorliegender Untersuchung 126ff.). Den Aus­ gangspunkt des Beweisganges bildet für Husserl die Tatsache, daß das primordial reduzierte Ich das »Universum[ ] von transzendentalen Mit-Ich« konstituiert (Hua XV 370). Hieraus folgt zunächst nur die Feststellung: »Ich kann nicht sein, der ich bin, ohne die so für mich seienden Andern, diese Andern nicht ohne mich.« (Ebd.) Aber die dergestalt konstatierte »intentionale Beschlossenheit« von ego und alter ego fordert eine Explikation der »Notwendigkeit der trans­ zendentalen Koexistenz« (ebd.), da diese nicht durch ein heterogen auferlegtes äußeres Gesetz, sondern aufgrund der Wesensstruktur einer jeden Monade zustandekommen muß. Entscheidend ist nun, daß Husserl im Sinne der Formel »esse erst percipi« die Bestimmung des Seins uneingeschränkt aus dem Erkennen entwickelt. »Was nicht erkannt werden kann, das kann auch nicht sein, Sein ist Erkennbarkeit […].« (Ebd.) Dieser Gedanke führt aber bei Husserl gerade nicht zu einer skeptischen Restriktion der Erkenntnis dessen, was ist. Er erweist sich vielmehr als metaphysischer Grundsatz, in dem die phänomenologi­ sche Ontologie wurzelt. Denn in dem Falle, wo ein intentional gesetz­ tes Etwas »als notwendig seiend erkannt wird«, mit dieser modalen Bestimmung also kein bloß subjektives »›Erkenntnisprodukt‹« ist, sondern in Beziehung auf den Erkennenden als ein »Transzendentes« erscheint und dergestalt »als Sein, das in Wahrheit ist, einen Seins­ sinn« hat, »der bleibend ist« (ebd.), wird ein ›an sich‹ Wirkliches außerhalb des Erkennenden von diesem erkannt, das sein Sein eben nicht diesem Erkennen verdankt. Umgekehrt »besitzt« dem oben genannten Grundsatz gemäß dieses »transzendente« Seiende nur in dem Maße ein solches Sein, wie es erkannt wird, d.h. es indiziert als für mich notwendig Seiendes ein Erkanntsein durch fremdes Erkennen, auf welches als mit mir koexistierendes ich eo ipso dann bezogen bin, wenn ich etwas als ein (notwendig seiendes) Transzendentes überhaupt setze.

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Die radikale Konsequenz, mit der Husserl diesen Gedanken durchführt, zeigt sich bei der Anwendung auf die konstitutive Selbst­ setzung der Monade. Auch die absolute Selbsterkenntnis des mona­ dischen Ich wird nämlich ihrer Möglichkeit nach von dem »Selbsterkennbar-sein« des ego abhängig gemacht, das »in einer niedersten Stufe der Selbstzeitigung«, d.h. vor dem Vollzug »absoluter Selbst­ erkenntnis«, direkt als »Erkanntsein« durch ein nicht aus mir stam­ mendes Erkennen bestimmt wird (ebd. 370f.). Nach Husserl ist es dieses Erkennbarsein meines (deshalb existierenden) monadischen Ich, welches das »Für-mich-selbst-sein, mein Sein ausmacht.« (Ebd. 371) Insofern diese Einsicht aber für jede Monade und die Konstitu­ tion ihres absoluten Eigenseins gilt, kann Husserl die metaphysische Struktur des Monadenalls folgendermaßen bestimmen: »Miteinan­ der Absolutsein, Koexistieren ist in und aus Wechselerkenntnis Koexistieren, ›An-und-für-sich‹-sein ist als absolutes für jedes andere Absolute und so für die transzendentale Intersubjektivität Allsubjek­ tivität-sein.« (Ebd.; vgl. Hua VIII 505f.) Auf der Grundlage dieser metaphysischen Argumentation weist Husserl die Annahme des Solipsismus als vorgebliche Konsequenz der transzendentalen Phänomenologie ab (vgl. Hua XV 571; VIII 482ff.). Dabei ist jedoch zu beachten, daß er hier nicht die erkennt­ nistheoretisch motivierte Reduktion auf das primordiale Ich meint, die nach wie vor den methodisch notwendigen Ausgangspunkt einer transzendentalen Theorie des Erkennens bildet. Vielmehr geht es ihm darum, den falschen Rückschluß von dem erkenntnistheoretisch initiierten Solipsismus auf einen metaphysischen Solipsismus zu verhindern. Denn dieser Fehlschuß würde die systematische Prämisse der Phänomenologie: die strenge Korrelation von Erkennen und Sein, aufheben, indem er ein Seiendes ansetzt, das sich in seinem »Seins­ sinn« der »universalen Koexistenz« entzieht und so ein prinzipiell Unerkennbares, für kein Bewußtsein »gegebenes« ist. Husserl dage­ gen hat eine derart angelegte Metaphysik geradezu als »Unsinn« und »nonsens« charakterisiert. Für ihn steht fest: »Das Ineinander der Kon­ stitution, und somit das intentionale Inexistieren in der Erkenntnis, ist Miteinander des Seins und ist das Fundament für ein neues Ineinander, das der Vergemeinschaftung […].« (Hua XV 371; vgl. 377) Husserl war sich durchaus über den metaphysischen Charakter seiner Intersubjektivitätstheorie und deren Verwurzelung in der ratio­ nalistischen Ontologie der neuzeitlichen Philosophie im Klaren. Bei seiner Aufnahme derselben bzw. der Auseinandersetzung insbeson­

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dere mit dem Substanzbegriff Spinozas oder Leibniz’ Begriff der Monade verfuhr er jedoch eklektisch im Blick auf die Problemzusam­ menhänge, welche sich unmittelbar aus seinen eigenen phänomeno­ logischen Analysen ergaben (vgl. Hua XIV 292–300). – Hier trat korrelativ zur Frage der metaphysischen Begründung der universalen Koexistenz das Problem in den Mittelpunkt, wie die intentionale Konstitution jener Koexistenz bzw. der Vollzug intersubjektiver Ver­ gemeinschaftung in Beziehung auf das monadische Ich genetisch bestimmt werden muß. Einerseits impliziert die universale Koexistenz der Monaden und ebenso die auf das Monadenall relative Konstitution einer intersub­ jektiven Natur als reales Medium der Vergemeinschaftung (vgl. Hua VIII 505f.; Hua XIV 268) im Sinne Leibniz’ die Idee der Harmonie (vgl. Hua XIV 290ff.) bzw. Kompossibilität (vgl. ebd. 267ff.) der Monaden. Andererseits folgt aus dem Postulat der Kompossibilität als idealer Norm der Vergemeinschaftung bzw. als (metaphysischer) Bedingung der Koexistenz die Annahme wechselseitiger »Kausalität« der Monaden aufeinander (vgl. ebd.; 290ff.). »Die Monaden sind nicht ein blosser Haufen von isolierten Einheiten mit einer äusserlich ihnen auferlegten Regelung für die in ihnen eintretenden Erlebnisse. Sie ›richten‹ sich nacheinander.« (Ebd. 267) Prüft man die einschlägigen Ausarbeitungen, dann wird man allerdings feststellen müssen, daß Husserl eine zureichende Umset­ zung dieses aus der metaphysischen Exposition stammenden Begriffs der Kausalität in die phänomenologische Explikation des transzen­ dentalen Bewußtseinslebens nicht gelungen ist. Auf die systemati­ schen Gründe dieses Scheiterns kann in der vorliegenden Untersu­ chung nicht näher eingegangen werden. Husserls Auskunft, daß der »psychophysischen Kausalität in der Welt […] in der absoluten Sphäre eine ›absolute‹ Kausalität« entsprechen müsse, »welche die Monaden aufeinander ›üben‹« (ebd. 268), läßt die ungelöste syste­ matische Verlegenheit deutlich erkennen. Sie wird im Prinzip auch dadurch nicht ausgeräumt, daß Husserl in immer neuen Deskriptio­ nen auf den verschiedenen Stufen der Konstitutionsfolge ein reiches Material zur Analyse intersubjektiver Beziehungen vorgelegt hat. Auf eine Lösung dieser Problematik konnte er jedenfalls nicht ver­ zichten; und er hat dem Programm der Phänomenologie getreu den konkreten Aufweis intersubjektiver Wechselwirkungen nicht durch metaphysische Deduktion, sondern im Ausgang von der gemeinsam konstituierten Welt anzubahnen gesucht.

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d) Die Begründung der objektiven Welt in der intersubjektiven Synthesis Dieser Ansatz entsprach zugleich dem von Anfang an leitenden erkenntniskritischen Programm, durch Destruktion des objektivisti­ schen Weltbegriffs das transzendental vorgängige Bewußtsein der Lebenswelt zu restituieren und den eigentlichen »Seinssinn« der objektiven Welt bzw. den Sinn von »Objektivität« konsequent aus der prinzipiellen Subjektrelativität der Erfahrung zu entwickeln. Das Resultat dieser Revision der Erkenntnistheorie und rationalen Onto­ logie besteht darin, daß das Bewußtsein von »Objektivität« sich als Funktion des Bewußtseins von »Intersubjektivität« erweisen läßt. Die objektive Welt ist danach als jeweils apperzipierter Horizont subjekt­ relativer Setzungen nicht nur intentionales Korrelat des Monadenalls, sondern ebensowohl als jeweils in Konstitution begriffene der trans­ zendentalen Idee intersubjektiver Wahrheit und Verantwortlichkeit unterstellt. Ihr spezifisches »Sein« als »Welt für alle« muß deshalb als Funktion eines intersubjektiven Verifikationsprozesses bestimmt werden, durch den sich die Welt als Medium der Verständigung »für alle« bildet, d.h. sie ist nicht, sondern wird. »Die Welt, die da vorgege­ ben ist, ist nicht vorgegeben als ein starres Seiendes, sondern als ein im Strömen des Lebens, im Urstrom immer für mich Fortwerdendes, und dann als Seinssinn, der für mich wird, für mich Seinssinn gestaltet als einen Sinn, der den Sinn ›andere Ich‹ als mit mir koexistente in sich trägt, als einen immer schon offen präsumierten Sinn […].« (Hua XV 201f.) Diese Sachlage ist in Rücksicht auf Husserls Konzeption der Philosophie einer mehrfachen Auslegung fähig. Zunächst besagt sie, daß die ontologische Unselbstständigkeit der objektiven Welt auf deren Begründung in der Wechselwirkung der Monaden zurückweist. Diese Wechselwirkung als jeweils faktisch durchgeführte konstituiert jedoch stets nur eine »endliche Weltsphäre«, die zwar das »Iden­ tische in der immerzu beweglichen, wirklichen und vermöglichen identifizierenden Bewährung« eines jeden Subjekts ist und so den gemeinsamen realen Kontext der beteiligten, wirklich koexistieren­ den Monaden bildet (ebd. 202f.). Aber diese Synthesis, wiewohl sie eine objektive ist, bleibt zugleich eine relative, da sie von der real vollzogenen Wechselwirkung und dem darin gründenden Prozeß intersubjektiver Erfahrung abhängig ist. Innerhalb des von Husserl entworfenen Modells indiziert die konkrete Erfahrung des alter ego

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nicht nur die Apperzeption von »Transzendenz«, die »alsbald zu einer erweiterten Weltsphäre führt vermöge eines Mehr an Weltobjekten, die in der Vermöglichkeit dieser Subjekte ursprünglich zugänglich sind.« (Ebd. 203) Diese Erfahrung bedeutet vielmehr auch umgekehrt eine Einschränkung meines Bewußtseins von Welt, deren objektive Geltung für mich von der Einwirkung des fremden Ich konditio­ niert ist. Die daraus resultierende Relativität meiner Setzung der objek­ tiven Welt betrifft also nicht nur mich als faktisches ego cogito, son­ dern ebensowohl die vermöge faktischer Wechselwirkung zustande gekommene Setzung der (objektiven) Welt durch ein monadologi­ sches »Wir«. Denn auch eine solche »Verständigungsgemeinschaft« (vgl. ebd. 208), die aus realen Wechselwirkungen bestimmter Mona­ den hervorgeht, muß ihrerseits als »Sondergemeinschaft« über sich hinausweisen, da andernfalls die von ihr gesetzte Welt den spezi­ fischen »Seinssinn« der Objektivität, d.h. der Geltung »für alle«, verlieren würde. Aus diesem Grunde hat Husserl daran festgehalten, daß die »intersubjektiv zur Geltung kommende Welt immerfort auch für alle neuen Subjekte mitgilt […], nach dem Neuen auch für die alten. Das zudem in dem generativen Zusammenhang, wodurch die Welt in ihrer sukzessiven Zeitlichkeit ihre Seinsgeltung auslegt, und so im offenen Zusammenhang der Kommunikation.« (Ebd. 203) Die von Husserl im Ausgang von der Subjektivität bzw. dem primordial reduzierten Ich unternommene transzendentale Rekon­ struktion der objektiven Welt ist demnach durch den metaphysischen Aufweis des monadologischen Commerciums keineswegs schon geleistet. Diese Rekonstruktion muß vielmehr drei Phasen innerhalb der Konstitution von »Objektivität« unterscheiden, denen jeweils ein besonderer Begriff von »Welt« und dazu gehörig eine verschiedene Bestimmung des »Wir« als subjektives Korrelat entspricht. Die vom Ich vollzogene Thematisierung des fremden Ego impli­ ziert zunächst die Überschreitung meiner Sphäre und durch wechsel­ seitige Einflußnahme der Monaden die Ausbildung einer objektiven Welt für diese konkrete Verifikationsgemeinschaft. Gleichgültig aber wie groß die Zahl der beteiligten Monaden ist, so handelt es sich bei der derart konstituierten Welt doch wieder nur um eine interne Objektivität für diese Monadengruppe, da sie von deren real voll­ zogenen Wechselwirkung transzendental abhängig ist. Die Welt, welche Husserl als je eigene »Heimwelt« einer bestimmten Mona­ dengruppe bezeichnet (vgl. ebd. 205ff.; 214ff.), indiziert somit im

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ersten Akt der intersubjektiven Synthesis aufgrund ihres spezifischen Seinssinnes den Kontrast zur fremden Welt, die nicht aus der fakti­ schen Wechselwirkung der gegenwärtigen Monadengruppe und ihrer wirklichen Erfahrung hervorgeht, sondern als extern apperzipierter Außenhorizont derselben erscheint und auf eine prinzipiell fremde Monadengruppe verweist. Insofern der strenge Geltungssinn der »Objektivität« jedoch die faktische Realität der Welterfahrung transzendiert, muß er als übergeordnete (intersubjektive) Synthesis die Korrelation von »Heimwelt« und fremder Welt in sich aufheben. Das bedeutet in Rücksicht auf das intersubjektive Bewußtsein, daß das »Wir« der »Heimwelt« analog zum ersten Akt intersubjektiver Synthesis sich mit dem fremden »Wir« vergemeinschaften muß, um dergestalt eine »Horizontverschmelzung« zu erzielen, die durch den speziellen »Seinssinn« der objektiven Welt vorgezeichnet wird. Entscheidend ist aber, daß bei einer derartigen Horizontverschmelzung die Welt der fremden Monadengemeinschaft eben diesen Charakter der Fremdheit nicht verliert (vgl. ebd. 216f.), sondern im Sinne der (dialektischen) »Widerstreitseinheit« (vgl. in vorliegender Untersuchung oben 127) behält. Denn andernfalls käme abermals keine »objektive« Synthesis zustande, da die um die (externe) Fremdwelt erweiterte Heimwelt jene nur internalisieren und damit von einer (jetzt bloß numerisch vergrößerten) Monadengemeinschaft abhängig machen würde. Die Überwindung des Relativismus bzw. der Erweis der »Objektivität« als Korrelatbegriff der Intersubjektivität erfordert daher als zweiten Akt intersubjektiver Synthesis die »Gleichstellung« von Heimwelt und Fremdwelt (vgl. in vorliegender Untersuchung 121–125), d.h. »es gibt« nur die Heimwelt sowie die eo ipso mitgesetzte fremde Welt, deren gleichgeordnetes (»objektives«) Sein metaphysisch in der Struktur des absoluten monadologischen Commerciums als einer faktischen – nicht bloß idealen – begründet ist. Ebenso enthält auf der Seite des Bewußtseins der Prozeß intersubjektiver Synthe­ sis als transzendentaler Konstitutionsgrund von »Objektivität« das Moment des Eigenseins und der Fremdheit, ohne daß eines dieser Elemente auf das andere zurückgeführt werden könnte. Nach Husserl bedeutet dies nicht, daß eine faktische Horizontverschmelzung im Prinzip ausgeschlossen ist. Ganz im Gegenteil ist sie virtuell, bei jeder Erfahrung eines alter ego oder einer fremden Weltapperzeption indiziert und kann jederzeit realisiert werden. Aber diese Möglichkeit setzt eben als Vollzug realer Wechselwirkung zwischen Monaden

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II. Selbstverantwortung – Welt – Intersubjektivität

die objektive Welt als über diese virtuell sich ständig erweiternde Verifikationsgemeinschaft hinausweisende Bedingung voraus, d.h. die Horizonverschmelzung gründet – auf eine kurze Formel gebracht – in der unreduzierbaren transzendentalen Autonomie von ego und alter ego. Auf der Grundlage dieser Überlegungen läßt sich aber nun auch prinzipiell aufklären, inwiefern Husserl von seinem transzendental­ ontologischen Ansatz aus die objektive Seinsgeltung der Welt als in einer »sukzessiven Zeitlichkeit« sich bildende bestimmen konnte (vgl. ebd. 203, 205). Das soeben in seinen beiden ersten Stufen ent­ wickelte Modell der Konstitution von Objektivität für das Bewußtsein bzw. der darin angelegten intersubjektiven Synthesis, vermöge wel­ cher das einzelne Ich auf das »Wir« seiner Heimwelt und über dieses auf das fremde »Wir« sowie die als extern apperzipierte fremde Welt bezogen ist, läßt sich nämlich ebensowohl auf die Dimensionen der Zeit übertragen. Auch die – in aktueller (gegenwärtiger) Erfahrung sich bekundende – vergangene oder zukünftige Welt bzw. die ihr jeweils korrelativ zugehörigen Monadengruppen haben in Beziehung auf meine aktuelle Erfahrung den Charakter der unreduzierbaren Fremdheit oder Nichtidentität. Umgekehrt ist jedes aktuelle Bewußt­ sein, jedes konkrete Commercium der gegenwärtig in realer Wech­ selwirkung stehender Monaden, als solches von der Vergangenheit und Zukunft konditioniert. Das Bewußtsein »meiner« oder »unserer« gegenwärtigen Realität bzw. der geltenden »objektiven« Welt ist nur möglich, wenn jene nicht gegenwärtigen »Zeitmodalitäten« (vgl. ebd. 205) mit der Gegenwart ebenfalls transzendental »gleichgestellt« sind und dergestalt das prägnante Bewußtsein der Gegenwart – verstanden als konkretes Bewußtsein einer faktisch existierenden Verifikationsgemeinschaft – genetisch ermöglichen. Dabei hat Husserl jedoch nicht einfach nur die synthetische Einheit der drei Dimensionen im Begriff der Zeit vor Augen. Entschei­ dend ist vielmehr, daß für ihn das Bewußtsein objektiver Realität, also die Bestimmung der »Welt für alle« als »Welt für Jedermann«, in letzter Instanz auf die Struktur des ursprünglichen Zeitbewußtseins zurückgeführt werden muß. Dieser Gedanke impliziert eine Radi­ kalisierung des transzendental-phänomenologischen Ansatzes der Ontologie. Denn die »Gleichstellung« der Zeitmodalitäten bedeutet, daß die ontologische Form der Welt als »Welt für alle« nicht nur eine Funktion der intersubjektiven Synthesis ist; die Welt »ist« – wie die genetisch aus »Wechselwirkungen« hervorgehende Intersubjektivität

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– in ihrer ontologischen Form zugleich selber »zeitlich« strukturiert. Erst dann also, wenn die nichtreduzierbare Gleichstellung von Heim­ welt und Fremdwelt in dem bezeichneten Sinne mit der zeitmodalen Konstitution der »Welt für alle« in transzendentaler Übereinstim­ mung gedacht wird, kann das objektive Sein der Welt auch als ein zu jeder Zeit »geltendes« entwickelt werden. Für die Phänomenologie entsteht dann die Aufgabe, »Welt und Menschentum in einer offe­ nen Zeitlichkeit auszulegen, sie in den strömenden Zeitmodalitäten gegenwärtige, vergangene, künftige Welt (menschliche Lebenswelt) und als die eine und selbe zu haben (im Strömen eine identische Zeit und identisches verharrendes Weltsein objektiv konstituierend), das ist, sie in dieser Endlichkeit ›als‹ Welt für jedermann, der in ihr gegenwärtig lebt, für mich und dann für jedermann so erfahren.« (Ebd. 205) Aus diesen Zusammenhängen läßt sich ein Verständnis dafür gewinnen, daß Husserl die Geschichte das »große Faktum des abso­ luten Seins« (Hua VIII 506; vgl. in vorliegender Untersuchung 57f.; 87f.) nennt. Das alter ego als transzendentaler »Grund« meines – stets gegenwärtigen – Selbstbewußtseins kann jetzt als ein mir voraufgehendes oder für mich zukünftiges bestimmt werden, d.h. die faktische Konstitution des monadischen Commerciums als interne Setzung von Welt, Ich und Wir ist selber ein zeitmodales Gesche­ hen, das sich in meinem Bewußtsein als die Geschichte der intersub­ jektiven Synthesis darstellt. Die oben entwickelte »Gleichstellung« von Vergangenheit und Zukunft mit der Gegenwart, durch welche zugleich die »Objektivität« der Zeit selbst als universale ontologische Strukturform von Welt und Intersubjektivität dargetan wird, bedeutet aber keinesfalls, daß dergestalt der im Zeitbewußtsein begründete systematische Vorzug der Gegenwart aufgehoben wird. Die transzen­ dentale Anerkennung des vergangenen oder künftigen Seins der Welt bzw. anderer Monaden setzt diese vielmehr als jeweils apperzipierte externe Realität, die von mir, dem verharrenden Ich (vgl. Hua XV 347ff.), konstituiert und durch die gegenwärtige, da real wirkende und seinssetzende Verifikationsgemeinschaft koexistierender Monaden als eine nicht gegenwärtig »seiende« bestimmt wird. »Die Gegenwart ist die ›absolute Wirklichkeit‹, ist eigentlichst Wirklichkeit als urzeu­ gende. Als das ist sie sich selbst zum Zeitmodus ontifizierend, und urzeitigend hat sie als ontischen Erwerb das zeitliche Sein, urzeugend hat sie es zugleich immer schon urgezeugt.« (Ebd. 348; vgl. 355)

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II. Selbstverantwortung – Welt – Intersubjektivität

Nach den bisherigen Erörterungen kann nun der dritte Akt intersubjektiver Synthesis entwickelt werden, der für die Konstitution universaler »Objektivität« erforderlich ist. Seiner Definition gemäß transzendiert der eigentliche »Gel­ tungssinn« der Objektivität jede Relativität. Deshalb ist er nicht einfach das transzendentale Korrelat einer faktischen Monadenge­ meinschaft. Denn deren »absolutes« Commercium ist als Produkt realer und gegenwärtig vollzogener Wechselwirkung durch eine stets bestimmte – wiewohl numerisch indefinite – Zahl koexisten­ ter Monaden notwendig begrenzt. Die von Husserl vorausgesetzte metaphysische Idee monadischer Wechselwirkung als »Grund« der wirklichen Welt impliziert unangesehen der absoluten Zahl der Betei­ ligten, daß dieses aktuelle Commercium prinzipiell ein endliches, nur durch koexistierende »Iche« hervorgebrachtes, von dem nicht gegenwärtigen, also vergangenen oder künftig »seienden«, abgeho­ ben werden muß. Alle monadologische Konstitution von Welt ist somit temporal oder ontologisch betrachtet eine »positionale« und relative bzw. sie hat als internes Setzungskorrelat intersubjektiver Synthesis (»Heimwelt«) einen extern apperzipierten und dergestalt abermals relativen Außenhorizont (»Fremdwelt«). Diese Sachlage zeigt an, daß die eigentlich objektive Welt nur der universale Horizont der wirklichen Welt ist, welche jetzt – als unredu­ zierbare Korrelation von »Heimwelt« und »Fremdwelt« erscheinend – ausschließlich in dieser stets relativen doppelten Perspektive für das Bewußtsein »gegeben« ist. Die objektive Welt »an sich« als Korrelat universaler Intersubjektivität ist mithin ebensowenig wie die letztere wirklich »gegeben« oder ein Ansichsein, das aller Erscheinung metaphysisch zugrundeliegt. Vielmehr muß sie in Beziehung auf das Bewußtsein als ideale »objektive« Synthesis bestimmt werden, welcher – als »Welt für alle« – die Idee einer universalen Intersub­ jektivität im Sinne eines universalen Monadenalls entspricht (vgl. Hua I 166ff.; Hua VIII 189f.). So verstanden ist aber »Objektivität« nicht Resultat, sondern die transzendentale Bedingung einer jeden Horizontverschmelzung, während die Idee des – in universaler Wech­ selwirkung befindlichen – Monadenalls als absoluter »Seinsgrund« universaler Objektivität den Inbegriff der Realität vorzeichnet. Ande­ rerseits impliziert diese Konzeption der »Objektivität« bzw. Inter­ subjektivität zugleich deren zeitliche Realisierung als das »absolute Faktum« einer geschichtlichen Synthesis von Bewußtsein und Sein. Der Konstitution einer »Welt für alle« entspricht metaphysisch die

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zeitliche Selbstkonstitution des monadischen Commercium als einer selber unendlichen »Tatsache« (vgl. Hua XV 366ff.), die aber nicht in sich abgeschlossen, sondern ein Prozeß ist (vgl. ebd. 438f.). »Also in der unendlichen Bewegtheit der transzendentalen Konstitution, in der transzendentale Intersubjektivität ihr Sein erhält und entfaltet, ist konstituiert diese Welt als Welt für mich, der ich zentraler Mensch bin meiner totalen Menschheit, aber einer Menschheit, die einen offenen Horizont anderer Menschheiten hat.« (Ebd. 467) Gerade dann wenn der strenge Begriff der »Objektivität« im Sinne Husserls als eine Funktion intersubjektiver Prozesse bestimmt wird, ist seine spezifische Bedeutung für die transzendentale Konsti­ tution des Bewußtseins von (objektiver) Welt in doppelter Hinsicht zu charakterisieren. Als Horizont der intentionalen Setzung von etwas ist er sowohl Bedingung der Unterscheidung von »Heimwelt« und »Fremdwelt« als auch die transzendentale Voraussetzung einer jeden konkreten Horizontverschmelzung. Genau diese Bestimmung als (idealer) Horizont des konkreten Weltbewußtseins führt aber in jedem Falle auf neue Probleme für eine transzendentalphänomeno­ logische Theorie dieses Bewußtseins. Denn die Herausstellung des objektiven Horizonts als solchen ist doch abermals eine spezielle Idea­ lisierung, welche die konkrete doxische Welterfahrung transzendiert und eine besondere Weise der Weltauffassung voraussetzt. Im Vorgriff auf das folgende Kapitel sei hier bereits darauf hin­ gewiesen, daß Husserl in dieser Idealisierung des Weltphänomens, insofern sie programmatisch betrieben wird, den geschichtlichen Ursprung von Wissenschaft und Philosophie schlechthin erblickt. Seine (transzendentale) Rekonstruktion der empirischen Philoso­ phiegeschichte ist jedoch von der Absicht geleitet, einerseits das Recht und die Notwendigkeit dieser Idealisierung aus der Grundverfassung der Subjektivität bzw. Intersubjektivität aufzuklären. Andererseits will Husserl die objektivistische Verfälschung jener Idealisierung einer transzendentalen Kritik unterziehen und dabei die Ursachen für die Umkehrung des wahren Verhältnisses von Doxa und Episteme subjektivitätstheoretisch aufweisen, um dergestalt den Grundriß der Philosophiegeschichte aus den sich notwendig ergebenen Weisen der Beziehung von Bewußtsein und Welt aitiologisch zu entwickeln. Im gegenwärtigen Zusammenhang genügt es jedoch, die ent­ scheidende Schwierigkeit zu bezeichnen, auf die Husserl bei seiner Analyse des Bewußtseins der Objektivität stieß. Ist nämlich »Objek­ tivität« in dem vorhin angegebenen Sinne Bedingung der stets rela­

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tiven, doxischen Welterfahrung, dann kann es sich nicht lediglich um einen hinzugedachten Horizont handeln, der »Heimwelt« und »Fremdwelt« umspannt. Die objektive Welt erscheint vielmehr für das Bewußtsein als gemeinsamer Ort der beiden einander wider­ streitenden »positionalen« Auffassungsweisen von »Welt«, indem sie zugleich deren virtuelle Verschmelzung vorzeichnet. Auch die »Objektivität« – dies folgt aus dem methodischen Grundsatz der Phänomenologie – muß daher in irgendeiner Weise »gegeben« sein, wenn sie als konstitutives Element des intentionalen Lebens aufge­ wiesen werden soll. Diese Forderung widerspricht aber der oben entwickelten Ana­ lyse (vgl. in vorliegender Untersuchung 139f.), d.h. wenn »Objektivi­ tät« als ontologische Form des »Gegebenen« dargetan werden soll, so muß Husserl sie umgekehrt als eine transzendentale Grundform der Subjektivität bzw. der Intersubjektivität aufzeigen. In diesem Sinne hat Husserl daher die »Aufgabe einer transzendentalen Ästhetik« skiz­ ziert (vgl. Hua XVII 297; Hua VI 166), »die eine allmenschheitliche Erfahrungs- und Erfahrungsweltstruktur entwirft, die als Norm der Kritik der relativ einstimmigen Erfahrungswelten und Meinungswel­ ten irgendwelcher Menschheiten zu dienen hat.« (Hua XV 234f.; vgl. Hua VI 166; 112; 257; 464) Entscheidend ist, daß Husserl auch hier der sinnlichen Erfahrung des Gegenständlichen die Schlüsselfunktion für die Konstitution der Welt schlechthin zuschreibt und so über die subjektivitätstheoretische Auszeichnung der Aisthesis die Natur als fundierendes Substrat oder erste Stufe objektiver Weltauffassung in den Vordergrund rückt (vgl. Hua XV 215ff.; 236; 438f.). Diese syste­ matische Funktion der Natur zeigte sich bereits bei der Analyse der intersubjektiven Synthesis im Ausgang von der primordialen Reduk­ tion (vgl. in vorliegender Untersuchung 122ff.). Husserls Gedanke besteht darin, daß erst die subjektivitätstheoretische Entfaltung einer transzendentalen Ästhetik als Strukturform jeder Monade die Idee eines kompossiblen Monadenalls bzw. einer »einstimmigen« Welt »für alle« begründet. Eine solche Strukturlehre der raum-zeitlichen Natur bedeutet jedoch nach Husserls Verständnis keineswegs eine inhaltliche Antizipation dessen, was »Welt« eigentlich als »erfahrene« ist. Vielmehr bleibt diese Erfahrung stets eine relative von Ich zu Ich bzw. meiner (unserer) Welt zur Welt der Andern; und ebenso ist die so erfahrene Welt keine rein ichfremde Natur, sondern diese jeweils nur ein »Aspekt« des vollen Weltphänomens (vgl. ebd. 236). Aber die Idee »objektiver« oder intersubjektiver Erfahrung impliziert notwendig

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die »Gleichstellung« von Heimwelt und Fremdwelt, wenn eine Hori­ zontverschmelzung stattfinden soll; und diese »Gleichstellung« setzt ihrerseits einen gemeinsamen Boden voraus, als welchen Husserl die Gleichartigkeit der Aisthesis bestimmt. Dabei gilt es zu beachten, daß für Husserl »Horizontverschmelzung« nicht die Rückführung der fremden Welterfahrung auf die eigene bedeutet. Nach seiner Auffassung vollzieht sich darin vielmehr eine wechselseitige Korrek­ tur oder Kritik von Heimwelt und Fremdwelt bzw. der jeweiligen inhaltlichen Naturerfahrung. In diesem Sinne kann Husserl auf das normative Element in seiner Konzeption der objektiven Welt als Korrelat intersubjektiver Verifikationsprozesse hinweisen (vgl. ebd. 438f.). »Objektivität« ist nicht nur eine regulative Idee höchster Synthesis; sie impliziert in Beziehung auf das faktische Bewußtsein die Kritik der Relativität nach Maßgabe der – aus der phänomenolo­ gischen Monadologie erwachsenen – Idee der Kompossibilität. Daher stellt sich das »Problem der Kritik einer Heimwelt im Horizont fremder Heimwelten, bzw. der Kritik einer universalen Erfahrung, die über alle synthetisch zu verbindenden Heimwelten Einheit herstellen soll, bzw. eine wahre Welt herstellen.« (Ebd. 235) Es ist diese aus der Struktur des intentionalen Bewußtseins der (objektiven) Welt entwickelte Kritik der relativen »Positionalität«, die nach Husserl das eigentliche Prinzip der universalen subjektiven Teleologie ausmacht und deren normativen Charakter begründet. Das einzelsubjektive Bewußtsein ist auf Wahrheit ausgerichtet, d.h. der »Entwicklungsprozeß« der Monaden ist auf die ideale – also empirisch oder »gegenwärtig« niemals abgeschlossene – Konstitution einer »widerspruchslosen« (wahren) Welt angelegt und gehört dergestalt zum universalen »Entwicklungszug der Teleologie, die das universale Sein der transzendentalen Subjektivität als ontologische Form aus­ macht.« (Ebd. 378) Insofern es sich dabei zugleich um den »Seinspro­ zess der transzendentalen Intersubjektivität« (ebd.) handelt, wird die dem Interesse an Wahrheit immanente Idee adäquater Selbstgebung, welche als aletheiologisches Bestimmungsmoment der subjektiven Teleologie herauszustellen war, jetzt durch die Idee monadischer Kompossibilität als Bedingung wahrhaft objektiven Seins ergänzt (vgl. Hua XIV 270ff.). Evidenz als reine, apperzeptionslose Selbst­ gebung bildet sonach nur dann ein sinnvolles Ziel subjektiver Veri­ fikationsprozesse, wenn diese zugleich als intersubjektive gedacht werden; d.h. zu dem mit dem phänomenologischen »Prinzip aller Prinzipien« formulierten Wahrheitskriterium tritt gleichberechtigt

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als zweites das formale Gesetz der Kompossibilität im Sinne einer idealen Vernunftnorm jeder Verifikation, die sich auf die intentionale Setzung von etwas in der Welt bezieht. Das aletheiologische Ideal der teleologischen Übereinstimmung von Bewußtsein und Welt, dem nach Husserl die »Idee der unendlichen Vollkommenheit« entspricht, gründet somit in dem metaphysischen Postulat der Kompossibilität, d.h. die »Idee vollkommenen einzelsubjektiven Seins« kann nur »innerhalb einer unendlich vollkommenen intersubjektiven Allge­ meinschaft« (Hua XV 379) realisiert werden.

e) Spekulative Begründung der Monadologie in der Metaphysik des ›Absoluten‹ Nur wenn man diese systematische Verbindung von aletheiologi­ schem und metaphysischem Ansatz grundsätzlich festhält, wird Hus­ serls Rede verständlich, daß sowohl in Beziehung auf die »Allsub­ jektivität« als auch in Rücksicht auf die einzelne Subjektivität die Teleologie als die (ontologische) »Form aller Formen« (ebd. 380) schlechthin zu entwickeln ist. Denn die von Husserl unternommene radikale Funktionalisierung des Seinsbegriffs als Korrelat eines abso­ luten Prozesses intersubjektiver Synthesis bedeutet, daß alles Seiende und seine Konstitution für das Bewußtsein ontologisch von der Grundform der Subjektivität abhängig ist. Die Idee der Teleologie, die ihrerseits dem subjektivitätstheoretischen Entwurf der Phänome­ nologie entstammt, ist daher keine von außen an das All des Sei­ enden herangetragene Kategorie. Sie bezeichnet vielmehr diejenige ursprüngliche Seinsweise, vermöge welcher überhaupt etwas »ist« bzw. für das Bewußtsein als ein originär Wahres gegeben sein kann. Dies gilt ebenso für das Bewußtsein, welches in die absolute Teleolo­ gie aufgehoben ist und eine Beziehung auf sich nur insoweit gewinnen kann, wie es an dem wesentlich unendlichen Prozeß intersubjektiver Synthesis als der Grundform des universalen Bewußtseinslebens teilhat (vgl. Hua XI 379ff.). Die darin wirksame Teleologie ist jedoch keine leere Formstruk­ tur des »transzendentalen Daseins«. In ihr als von der Idee der »Einstimmigkeit mit sich selbst« sowie der intersubjektiv konstitu­ ierten Welt normierter Progression des Bewußtseinslebens tritt der eigentliche »Sinn der Geschichtlichkeit der transzendentalen Inter­ subjektivität überhaupt« hervor, den Husserl als den ursprünglichen

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»Wahrheitssinn« bestimmt (Hua XV 379). Husserl hat diese aus der phänomenologischen Subjektivitätstheorie erwachsene Grund­ bestimmung des Bewußtseins, deren zentrale systematische Bedeu­ tung einleitend dargestellt wurde, durch den Begriff des »Willens« erläutert. Das »Interesse an Wahrheit« gilt ihm zugleich als »der ›metaphysische‹ Wille zum Sein« (ebd.), welcher das universale Streben nach »Vernunft« motiviert und so das spezifische Sein der Intersubjektivität, ihre geschichtliche Selbstkonstitution als »unend­ liche« Realisierung des (idealen) Monadenalls normativ bestimmt. Die in der Teleologie als ontologischer Grundform implizierte Normativität, welche die Kritik jeder relativen Weltsetzung als Korre­ lat einer empirisch koexistierenden Verifikationsgemeinschaft indu­ ziert, bezieht ihre regulative Funktion jedoch nicht allein aus der aletheiologischen Idee intersubjektiver Verifikation, insofern diese als Korrelat des Monadenalls gedacht wird. Sie fließt ebensowohl aus dem monadologischen Gesetz der Kompossibilität als transzendenta­ ler Bedingung der »Welt für alle« und gründet demzufolge in dem idealen Commercium der »Allsubjektivität«, welche in Beziehung auf die Konstitution von Welt und Intersubjektivität das Optimum des teleologischen Prozesses darstellt. In diesem Sinne ist das vom Interesse an Wahrheit bestimmte Bewußtsein nicht einfach auf die vorgegebene Welt, das Faktum einer je schon vollzogenen Konsti­ tution verwiesen. Vielmehr ist jeder positionale Konstitutionsakt, gleichgültig ob er einem einzelnen Bewußtsein oder einer intersub­ jektiven Synthesis zugehört, als solcher auf jenes Optimum der Konstitution kritisch bezogen, d.h. das Interesse an Wahrheit ist als »Wille« zugleich »weltschöpferisch«, wiewohl dies nach Husserls aus­ drücklichem Hinweis auf keinen Fall mit dem Gedanken einer creatio ex nihilo verwechselt werden darf (vgl. ebd. 380ff.). »Wenn Sein als transzendentales, als absolute Subjektivität, nur denkbar ist in einer Seinsuniversalität und in einem universalen Willen zu sein, durch die einzelnen hindurchgehend als ihr individueller Seinswille, bezogen auf das ideale Telos, bzw. des idealen Progresses der teleologischen Unendlichkeit, so ist zu bedenken, daß dieser Wille schöpferisch, weltschöpferisch ist (im ›Sinn‹ einer bestmöglichen aller möglichen Welten) […].« (Ebd. 380) Mit dieser Anspielung auf Leibniz hat Husserl in wünschens­ werter Klarheit den höchsten Punkt seiner Idee der Philosophie bezeichnet, an dem die unauflösliche systematische Verknüpfung des aletheiologischen Ansatzes der transzendentalphänomenologischen

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Subjektivitätstheorie mit der metaphysischen Grundkonzeption zu Tage tritt. Denn durch seinen Rekurs auf den ›metaphysischen Willen zum Sein‹ als Grundbestimmung der Monade gibt Husserl eine spekulative Ausdeutung der Teleologie, die als ontologische »Form aller Formen« die ursprünglich geschichtliche Seinsweise des transzendentalen »Urfaktums« (d.h. des intentionalen Bewußtseins­ lebens) ausmacht. In dieser spekulativen Konzeption ist der Unter­ schied von Natur und Geschichte aufgehoben, insofern jene stets die Funktion einer intersubjektiven Synthesis der Monaden bildet, »deren wechselseitige ›Spiegelung‹ sie vermittelt.« (Ebd. 392) Die Geschichtlichkeit selbst erweist sich jetzt als systematischer Angel­ punkt der phänomenologischen Idee der Philosophie: »Menschliche Natur und Geschichte wird zum transzendentalen Index der Einheit einer transzendentalen Geschichte, in welcher die transzendentale Subjektivität wesensmässig gewordene ist und wird und in diesem Werdend-geworden-sein ihr ständiges Sein hat, in ewiger transzen­ dentaler Genesis ins Unendliche werdend.« (Ebd.) Allerdings hat Husserl, worauf hier nur kurz hinzuweisen ist, diese Auffassung der Geschichtlichkeit aus systematischen Grün­ den durch die von ihm ausgearbeitete Theorie der Zeit aufzuheben gesucht, indem er eine Metaphysik des Absoluten als Schlußstein des phänomenologischen Systems zumindest in den Grundzügen entwarf. Der Grund für dieses Unternehmen ist in der metaphysi­ schen Konzeption des Monadenalls selbst zu suchen. Die Einheit der Teleologie wird nämlich dadurch gesichert, daß der Idee des Mona­ denalls unangesehen der numerischen Indefinitheit die Vorstellung einer absoluten simultanen Koexistenz aller Monaden als Entelechie zugrundeliegt, welche die »Zeitigung«, verstanden als sukzessive (geschichtliche) Realisierung der universalen Intersubjektivität, in einer (idealen) Gegenwart aufhebt. In diesem Sinne spricht Husserl von der »einen stehenden urtümlichen Lebendigkeit (der Urgegenwart, die keine Zeitmodalität ist) als der des Monadenalls.« (Ebd. 668) Innerhalb dieser »Urgegenwart«, deren metaphysisches Korrelat der absolute Inbegriff des Seins ist, findet die »Zeitigung« der Zeit, die »Weltzeitlichkeit« statt, die den teleologischen Prozeß der Erfüllung jenes absoluten Faktums (des Monadenalls) temporal strukturiert (vgl. ebd.). Alles zeitmodale Geschehen ist auf das absolute Sein im Sinne des Monadenalls bezogen, da Zeit ohne ein wirkliches Bewußtsein von Zeit widersinnig ist.

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4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie

Diese spekulative Begründung der Zeit in dem monadologisch konzipierten (entelechialen) Inbegriff des Seins führt jedoch in letz­ ter Konsequenz auf eine Substanzmetaphysik, die das zeitmodale Geschehen der Teleologie als Grundform des intentionalen Bewußt­ seinslebens aufzuheben droht. Husserl hat deshalb – in einer freilich problematischen Weise – versucht, das Sein des Absoluten selbst als zeitliches auszulegen. Einerseits ist die absolute »urtümlich gegen­ wärtige« Allheit eine »Tatsache« ohne Täter, ein absolutes ›Faktum‹, das die modalen Bestimmungen von Möglichkeit und Notwendigkeit transzendiert bzw., »allen Bedingtheiten zugrunde liegend, ihnen Sinn und Sein gebend ist.« (Ebd. 669) Offenkundig kommt diese Aus­ legung der aus der metaphysischen Tradition geschöpften Definition der causa sui nahe. Andererseits hat Husserl den darin gelegenen Gedanken der Einheit, dem die »Urgegenwart« als nichtzeitliche Syn­ thesis der Zeitmodalitäten entspricht, dafür ausgewertet, das zeitliche Sein des Absoluten zu entwickeln. »Alles ist eins – das Absolute in seiner Einheit: Einheit einer absoluten Selbstzeitigung, das Absolute in seinen Zeitmodalitäten sich zeitigend in dem absoluten Strömen, der ›strömend lebendigen‹, der urtümlichen Gegenwart, der des Absoluten in seiner Einheit, All-Einheit!, welche alles, was irgend ist, in sich selbst zeitigt und gezeitigt hat.« (Ebd.) Wird das Absolute nur als das metaphysische Faktum aufgefaßt, dann ist es als grundloser Grund allen Seins die »›Unvernunft‹« oder das »System des vernunftlosen absoluten Seins« (ebd.), da es nur rein existierender Grund, nicht Zweck seiner selbst ist. Sobald aber der »Einheit« stiftende Charakter des Absoluten betont und als universale »stehend strömende« Synthesis einer jeden »Zeitigung« bestimmt wird, kann das Absolute als »Vernunft« gedacht werden, die eben nicht bloß Grund, sondern bewußte Synthesis ihrer eigenen zeitmodalen Wirklichkeit ist und dergestalt das (immanente) Ziel, die Entelechie, des jeder Monade immanenten ›metaphysischen Willens zum Sein‹ darstellt. Die Seinsweise des Absoluten ist somit »Zeitigung der Vernunft«, die sich ontologisch als »Entwicklung der vernunftmonadi­ schen Allheit« nach dem Gesetz universaler Kompossibilität (Einheit) vollzieht und dergestalt die »Geschichte im prägnanten Sinn« als teleo­ logischen Konstitutionsprozeß des Absoluten verwirklicht (ebd.).

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III. Aspekte einer ›speziellen‹ Metaphysik

III. Aspekte einer ›speziellen‹ Metaphysik Erst im Rückblick von dem zuletzt dargestellten spekulativen Scheitel­ punkt der phänomenologischen Idee der Philosophie wird verständ­ lich, weshalb Husserl auf seiner programmatischen Identifikation von phänomenologischer Philosophie und strenger Wissenschaft beste­ hen mußte. Wird die letztere nämlich als Radikalisierung des subjek­ tiven Interesses an Wahrheit verstanden und dieses Interesse selbst als ontologische Grundform des einzelsubjektiven bzw. intersubjek­ tiven Bewußtseinslebens aufgewiesen, dann ist es die Idee strenger Wissenschaft oder die reine Theorie, welche ein Bewußtsein von der eigentlichen und höchsten Bestimmung desselben, seiner ursprüng­ lichen transzendentalen Verantwortung innerhalb des Monadenalls normativ etabliert. Denn allein dem wissenschaftlichen Bewußtsein kommt es seiner Definition zufolge zu, die Kritik des »positionalen«, in der Endlichkeit und Relativität befangenen »natürlichen Bewußt­ seins« von Welt zu vollziehen, indem es die Erkenntnis des objektiven Seins anstrebt bzw. auf die (entelechiale) Unendlichkeit des Mona­ denalls bezogen ist. Die phänomenologische Begründung der wahren Idee der Wis­ senschaft sowie ihre Verteidigung gegen den Objektivismus als onto­ logische Verfälschung des Seins der Welt hat aber nach Husserl zugleich die kathartische Funktion, in dem menschlichen Bewußtsein die eigentlich adäquate Auslegung seiner selbst und der Welt zu erzeugen und so eine Geschichte zu begründen, in der die Idee der Vernunft und (intersubjektiven) Verantwortung höchstes Ziel ist. Die transzendentale Erkenntniskritik wird demnach nicht um ihrer selbst willen vollzogen. Sie führt vielmehr durch die ontologische Revision des Seins der Welt zur Erkenntnis der universalen, die ganze Mensch­ heit als monadologische Gemeinschaft umfassenden (vgl. Hua VI 257–260) Funktion des subjektiven Wahrheitsstrebens und der darin gründenden transzendentalen Autonomie und Verantwortlichkeit, die somit in kritischen Gegensatz zur Relativität des natürlichen Interesselebens tritt (vgl. Hua VIII 204). Der wissenschaftliche Bil­ dungsprozeß, den die erkenntniskritische Überwindung des natürli­ chen Bewußtseins initiiert, leitet den (unendlichen) Fortschritt des Menschen (vgl. Hua VI 274) im Bewußtsein seiner (transzendenta­ len) Autonomie und Selbstverantwortlichkeit ein (vgl. Hua VIII 200; 14f.; Hua VI 267f.).

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Dieser Fortschritt ist jedoch nach zwei Seiten zu charakterisieren, wobei ein eigentümliches Spannungsverhältnis zwischen theoreti­ scher und praktischer Progression des Bewußtseins auftritt. Einerseits handelt es sich um den »unendlichen Progressus der Menschheit gegen die Endidee eines Lebens absoluter Vollkommenheit […], in dem der Wille keinem anderen Ziele mehr folgt als dem in absoluter Evidenz als gut erkannten […].« (Hua VIII 201) Andererseits gründet ein derartiger Fortschritt in dem Entwicklungsprozeß der universalen Wissenschaft, der auf die »absolute Endidee der Allwissenheit und absoluten Rechtfertigung« (ebd.; vgl. in vorliegender Untersuchung 111–115) gerichtet ist und dergestalt die praktische Beziehung auf das wahrhaft Gute ermöglicht. Insofern das universalisierte Wahrheitsin­ teresse keine inhaltlichen Setzungen vollzieht, bleibt die »Erkenntnis­ vernunft« stets »Funktion der praktischen Vernunft«. Doch hebt diese Sachlage nicht das grundsätzliche Verhältnis von Theorie und Praxis auf, wie dieses sich aus dem aletheiologischen Ansatz ergibt: »Das Erkennenwollen ist vorausgesetzt für alles andere Wollen, wenn dieses die höchste Wertform besitzen soll.« (Ebd.) Es ist dieses systematische Dilemma, das Husserl, so weit zu sehen ist, nicht hinreichend aufzulösen vermochte; und er hat sich schließlich für den Primat des theoretischen Fortschritts als alethei­ ologische Idee höchster Vernunftevidenz innerhalb der universalen (monadologischen) Verifikationsgemeinschaft entschieden. Da aber »Allwissenheit« für die einzelne Monade stets nur eine (regulative) Idee konkreter Verifikation bleibt, war Husserl genötigt, die von ihm konzipierte geschichtliche Entwicklung des Menschen zur vernunft­ bestimmten Autonomie, die in eine geglückte Übereinstimmung mit der intersubjektiv konstituierten Welt gelangt, unter dem Blickwinkel einer Postulatenlehre zu reflektieren.93 Soweit zu sehen ist, hat Husserl diese systematische Konsequenz, welche ihn der Sache nach in eine Nähe zu Kants Ansatz brachte, nur skizzenhaft ausgeführt. Immerhin kann auf seine positive Rezeption der Kantischen Postulatenlehre (Hua VIII 348–355) verwiesen werden (vgl. dazu Iso Kern: Husserl und Kant. A.a.O. 301– 303), obwohl bezweifelt werden muß, daß Husserl eine angemessene Integration des Kantischen Gedankenganges gelungen ist. Im Ausgang von der Idee der Allwissenheit (Hua VIII 344) sucht Husserl jedenfalls zu zeigen, daß das wesentlich unendliche Streben nach Wahrheit (bzw. der Realisierung der als apodiktisch wahr erkannten Werte) ein unbedingtes Sollen aus sich heraussetzt, welches die Forderung der Realisierung impliziert und deshalb das Postulat der persönlichen Unsterblichkeit notwendig macht. 93

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III. Aspekte einer ›speziellen‹ Metaphysik

Der Grund dafür liegt in der endlichen Verfassung der Subjek­ tivität selbst, deren Struktur einleitend entwickelt wurde. Die auf dem Boden der transzendentalen Phänomenologie durchgeführte »strenge Wissenschaft« ist zwar die eigentliche Form des Strebens nach »Vernunft« und Wahrheit, das seinerseits aus dem Wissen der radikalen transzendentalen Verantwortlichkeit entspringt. Aber dieses Streben kann nach Husserl niemals in ein absolutes Wissen – die »Allwissenheit« – aufgehoben werden. Vielmehr muß aufgrund der iterativen Beschränkung theoretischer Perzeptionsmöglichkeiten die Fehlbarkeit sowohl des Erkennens als auch des wertbezogenen Handelns eingeräumt werden (vgl. ebd. 201f.). Bildet umgekehrt die Konstitution einer widerspruchsfreien Welt das gegenständliche Korrelat des teleologischen Prozesses innerhalb der transzendentalen Intersubjektivität, dann ist das ideale Ziel dieses Prozesses grundsätz­ lich nicht für das Bewußtsein »gegeben«, sondern als Idee »apodikti­ scher« Übereinstimmung des (intersubjektiven) Bewußtseins mit der Welt »aufgegeben«. Der entscheidende Punkt in Husserls Gedankengang ist darin zu sehen, daß die theoretische Progression des Bewußtseins und damit die immanente Teleologie des subjektiven Lebens nicht objektivis­ tisch als ein determinierender Mechanismus, als (transzendentales) Naturgesetz aufgefaßt werden darf, dem das metaphysische Sein des Monadenalls unterliegt. Zwar ist die Überwindung der natürlichen Einstellung durch die transzendentalphänomenologische Idee der wahren Theorie die notwendige Voraussetzung für den universalen Fortschritt des theoretischen Bewußtseins. Aber die hier geforderte (transzendentale) Reflexion entbehrt als empirisches Faktum jeder Notwendigkeit, d.h. es ist auch ohne sie ein Bewußtsein der Welt möglich, wiewohl hier das ursprüngliche Interesse an Wahrheit nur eine relative, »positionale« Befriedigung findet. Mit dieser Überlegung tritt der eigentliche Kern der Motivati­ onsproblematik hervor (vgl. in vorliegender Untersuchung 59–73), insofern jetzt die Funktion von Wissenschaft überhaupt innerhalb des einzelnen bzw. intersubjektiven Bewußtseins angegeben werden muß. Die spezielle Motivation zur transzendentalen Erkenntniskri­ tik dagegen läßt sich dann als eine Radikalisierung jener ersten, ursprünglichen Motivation begreifen und innerhalb der Wissen­ schaftsgeschichte bzw. der Geschichte der Philosophie aitiologisch rekonstruieren. Im gegenwärtigen Zusammenhang kommt es jedoch darauf an, die »Motive« für die Idee der Wissenschaft im Kontext

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4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie

der monadologischen Metaphysik Husserls aufzuzeigen, wobei der argumentative Rekurs auf den Begriff der Teleologie zurückgestellt werden muß. Das Problem der Motivation kann zunächst rein theoretisch entwickelt werden. Denn auch das natürliche Bewußtsein nimmt – wiewohl dies nur durch transzendentale Reflexion aufgedeckt werden kann – das objektive Sein der Welt als Funktionskorrelat der in sich gestuften intersubjektiven Synthesis unthematisch in Anspruch. Es ist dann die phänomenologische Analyse, welche in dieser Inanspruchnahme der Objektivität das ursprüngliche Interesse an Wahrheit als Strukturelement der Subjektivität entdeckt und so die Konstitutionsweise von Ich, Welt und Intersubjektivität expliziert. Aber dieses theoretische Interesse kann nach Husserl zugleich als ein ursprünglich praktisches Bedürfnis des Menschen gedacht werden, das in letzter Instanz auf die vollendete Übereinstimmung meines Handelns mit dem Handeln aller und die ideale Kongruenz des (inter­ subjektiv kompossiblen) Handelns mit der intersubjektiv konstituier­ ten Welt (als universalem Horizont des Monadenalls) gerichtet ist. Die Idee einer universalen Verifikationsgemeinschaft als (metaphysi­ sche) Bedingung einer »Welt für alle« erscheint sonach als Bedingung »seligen« Lebens, wie Husserl dies in einer – die Beziehung zu Fichte offenkundig suchenden – Wendung mehrfach formuliert hat (vgl. z.B. ebd. 230). Jede Beziehung auf Werte, gleichgültig wie deren materiale Bestimmung ausfällt, ist davon abhängig, daß eine intersubjektive Verifikation stattfindet, die ihre Verbindlichkeit und ideale Gültigkeit nicht nur für mich oder eine konkrete (intersubjektive) Gruppe, sondern in Rücksicht auf jedermann, also für das Handeln in einer »Welt für alle« sichert. Die theoretisch unternommene Destruktion des Objektivismus und seiner ontologischen Weltauslegung gewinnt für Husserl dann die Bedeutung, jenen (ursprünglichen) Begriff der Welt philosophisch zu restituieren, der für die postulierte Übereinstimmung von Theorie und Praxis geeignet ist (vgl. ebd. 230). Im Gegenzug zum »Positivis­ mus« der neuzeitlichen Wissenschaften, die den Menschen in einen »unfreien Tatsachenkomplex« verwandeln, ist es Aufgabe der wahren Wissenschaft, die Autonomie und Freiheit des Menschen auf der Basis der (nicht-objektivistischen) Ontologie der Lebenszeit neu zu begründen. Genau in diesem Sinne aber tritt die Theorie in den Dienst der Praxis, und das Motivationsgefüge kehrt sich um. »Das

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III. Aspekte einer ›speziellen‹ Metaphysik

universale theoretische Interesse war ›ursprünglich‹ nur ein Zweig und ein Organ des universalen praktischen Interesses.« (Ebd.) Diese Überlegung zeigt, daß innerhalb der Husserlschen Kon­ zeption der Philosophie Theorie und Praxis in einem unreduzierbaren Wechselverhältnis stehen. Husserl hat deshalb eine Aufspaltung »der« Vernunft in eine theoretische oder praktische ausdrücklich abgelehnt. Vernunft ist vielmehr das, »worauf der Mensch als Mensch in seinem Innersten hinaus will, was ihn allein befriedigen, ›selig‹ machen kann […].« (Hua VI 275) Die komplexe Einheit der philo­ sophischen Motivation entspricht der idealen Synthesis von Erken­ nen und Handeln in ihrer Erfüllung und begründet so die innere Konsistenz des philosophischen Interesses, das keineswegs an den Grenzen der – methodisch abgespaltenen – theoretischen Erkennt­ nisproblematik innehält, sondern die Übereinstimmung von Mensch und Welt als höchstes Ziel praktisch postuliert. In diesem Sinne versteht Husserl das »Vernünftig-seinwollen«, das eine »Unend­ lichkeit des Lebens und Strebens auf Vernunft hin bedeutet«, als ursprüngliches »Teleologischsein«, das aber seinem ›praktischen‹ Wesen zufolge ein »Sein-sollen« ist und sich dergestalt von der kausalen Naturgesetzlichkeit unterscheidet (ebd.). Diese praktische Motivation im Endzweck der Philosophie kann jedoch auf dem Boden des aletheiologisch konzipierten Vernunftbegriffs der Phänomenolo­ gie nur in Gestalt eines idealen theoretischen Bewußtseins auftreten: Das »letzte Selbstverständnis des Menschen als für sein eigenes menschliches Sein verantwortlichen[,] [ist] sein Selbstverständnis als Sein im Berufensein zu einem Leben in der Apodiktizität – nicht nur abstrakt und in gemeinem Sinne apodiktische Wissenschaft treibend –, sondern eine ihr gesamtes konkretes Sein in apodiktischer Freiheit zu einer apodiktischen, zu einer in allem tätigen Leben ihrer Vernunft – in der sie Menschheit ist – verwirklichende […].« (Ebd.) Der sys­ tematische Grund für diese Rücknahme der praktischen Motivation in die (teleologische) Selbstentfaltung reiner Theorie liegt darin, daß Husserl das Wesen der Freiheit – anders als Kant – ausschließlich als ein metaphysisches Problem aufgefaßt hat, das allein auf dem Boden der Theorie gelöst werden kann. Für Husserl ist das Faktum der Freiheit nicht im Bewußtsein des Sittengesetzes begründet. Der Beweis der Freiheit erfolgt vielmehr als Aufweis ihrer Möglichkeit im Rahmen einer transzendentalen Revision der Weltontologie, welche die (transzendentale) Autonomie des konstituierenden Ich gegen dessen objektivistische Verdinglichung sichert. Daher schreibt Hus­

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4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie

serl der Etablierung der transzendentalen Bewußtseinseinstellung eine Bedeutung zu, dergemäß der Philosoph zugleich »Funktionär der Erkenntnisgemeinschaft, der Menschengemeinschaft als wahrer Erkenntnismenschheit« ist (Hua VIII 282; vgl. Hua VI 15). Es ist die theoretisch-metaphysische Exposition der Freiheit, welche die praktische Idee ihrer Realisierung auf die ideale Konstitution einer universalen intersubjektiven Verifikationsgemeinschaft, also auf den Vollzug reiner Erkenntnis bezieht. »Vom transzendentalen Ich und ›Wir‹ aus wird hier, als aus transzendentalem Grunde, die wahre Welt, eine mögliche wahre Welt als Substrat echter Erkenntnis aufgebaut, konstituiert.« (Hua VIII 282f.) Den Schlußstein der phänomenologischen Metaphysik bildet daher, wie Husserl in offener Beziehung zu Leibniz formulieren kann, die »Idee der vollkommensten aller möglichen Welten«, deren Gegen­ stück die »Idee des vollkommensten Bewußtseins (Monadensystem)« darstellt (Hua VII 307). Der zentrale Gedanke dieser Metaphysik liegt in der Beantwortung der Frage, »inwiefern in der faktischen Beschaffenheit dieser Konstitution die Möglichkeit oder gar Entwick­ lungsnotwendigkeit einer immer vollkommeneren Welt, die reale Annäherung der lebendigen Wirklichkeit an das absolute Ideal ange­ legt, bezeugt, gesichert ist.« (Ebd. 308) Mit diesem Verständnis von Metaphysik geht Husserl offenkundig über diejenige Bedeutung von »Konstitution« hinaus, welche nach den phänomenologischen Analysen des intentionalen Bewußtseinslebens dieses selbst als ein hinzunehmendes Faktum für die Reflexion auf den jeweiligen Konsti­ tutionsakt festzulegen schien. Denn die Metaphysik ist jetzt nicht allein Wissenschaft »vom absoluten Sein«, sondern zugleich eine solche von der »schöpferische[n] Umgestaltung der Welt« (ebd.), die auf ein teleologisches ›Optimum‹ aller Konstitution: die Einheit von Theorie und Praxis in der Übereinstimmung von Bewußtsein und Welt, ausgerichtet ist. Insofern auf diese Idee alles Handeln (und Erkennen) bezogen wird, kann sie innerhalb der phänomenologischen Konzeption der Philosophie diejenige Funktion übernehmen, welche Kant der von ihm aufgestellten Idee des höchsten Gutes zuwies.94 94 Eine ausführliche (und kritische) Analyse dieser – von Husserl gewiß nicht zureichend gelösten – Problematik unternimmt Bernhard Waldenfels: Das Zwischen­ reich des Dialogs. A.a.O. 74ff. – Waldenfels scheint jedoch dort, wo er auf eines der Zentralprobleme in Husserls Konzeption der Philosophie: die Frage der Ver­ antwortung, zu sprechen kommt, die prinzipielle systematische Bedeutung dieses

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III. Aspekte einer ›speziellen‹ Metaphysik

In der Tat hat Husserl ausdrücklich die Frage nach der Möglich­ keit der Glückseligkeit als motivierenden Ursprung der (transzen­ dentalen) Reflexion bzw. der Philosophie schlechthin ausgezeichnet und damit die Frage nach der Erkenntnis der Welt verknüpft (vgl. Hua VIII 343). Aber die Fragestellung wird eben nicht wie bei Kant durch die Frage nach der (moralischen) Glückswürdigkeit vertieft und Begriffs zu verkennen. Zwar impliziert nach Husserl der Vollzug der Reduktion die transzendentale Einsicht in die ontologische Unselbständigkeit der Welt und darin die Erkenntnis der (transzendentalen) Freiheit und Autonomie des Ich. Aber die hier begründete »Verantwortung« bezieht sich ihrer aletheiologischen Bedeutung zufolge nicht auf das Sein (Existenz) der Welt, sondern auf ihre Setzung als »wahre« bzw. »objektive«. Deshalb führt die Idee der Verantwortung als Radikalisierung des Interesses an Wahrheit keineswegs in den (ontologischen) »Solipsismus« (vgl. Waldenfels, 49f.), sondern fordert von sich aus die (von Husserl metaphysisch eigens begründete) Idee der Verifikationsgemeinschaft als Horizont der Selbstverantwor­ tung, durch welchen die letztere überhaupt erst sinnvoll wird. Die Anerkennung der transzendentalen Autonomie und Freiheit des Anderen ist somit sowohl eine Konsequenz als auch eine Prämisse der Husserlschen Intersubjektivitätstheorie. Wird »Verantwortung« in diesem Sinne realisiert, dann ist sie eine solche der »Vernunft«, die ihrerseits den idealen Modus der Setzung von »Welt« bildet; und diese »wahre« Welt ist Korrelat der (idealen) Verifikationsgemeinschaft, die sich selber nach dem monadologischen Gesetz der Kompossibilität realisiert. Das Ziel des verantwortlichen Lebens ist somit die reine Selbstbeziehung aus Vernunft, doch ist dies kein leeres Sich-selbst-Wollen eines solipsistischen Ich (vgl. Waldenfels, 74ff.), sondern die Weise, wie Intersubjektivität sich konstituiert. Denn das Ich »hat« keine »objektive« Welt ohne intersubjektive Verifikation. In der – bei Husserl freilich problematischen – Einheit des ursprünglichen Interesses an Wahrheit und des (praktischen) Interesses an der Freiheit liegt somit die eigentliche Motivation zur Reduktion. Die Schwierigkeiten Husserls bei dem Aufweis dieser Motivation entstehen aus der Tatsache, daß er nicht ein vorgängiges sittliches Bewußtsein der Freiheit für die theoretische »Erlösung« aus der »Verabsolutierung der Welt« (Hua III 135; vgl. Hua VII 283) bzw. die Freilegung des transzendentalen ego cogito aus dessen mundaner Vergegenständlichung (vgl. Hua VIII 77) in Anspruch nehmen kann. Deshalb ist es zumindest konsequent, wenn Husserl methodisch auf der (empirischen) Unmotiviertheit der transzendentalen Reduktion als Grundoperation der radikalen Erkenntniskritik bestanden hat, wiewohl diese Sachlage eine systematische Aporie in Husserls Gesamtkonzeption darstellt. Mit Recht fragt Waldenfels (87) daher, ob Husserl hier die Funktion der Intersubjektivität nicht offenkundig unterschätzt. Doch kommt es darauf an, daß die »motivierende« Funktion aus dem aletheiologischen bzw. metaphysischen Entwurf der Husserlschen Intersubjektivitätstheorie systematisch entwickelt wird, statt argumentativ auf das empirische Faktum besonderer sozialer Interaktionen zu rekurrieren. Die andere von Husserl ebenfalls nicht gelöste Schwierigkeit, auf die Waldenfels zutreffend hinweist (vgl. 109), besteht in der Frage, wie die reine Theorie im (mundanen) Leben nach dem Vollzug der Reduktion praktische Wirksamkeit entfalten könne, um das Postulat der idealen Übereinstimmung von Bewußtsein und Welt zu realisieren.

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4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie

präzisiert, d.h. der Ursprung des Problems von Freiheit und Notwen­ digkeit als dem Verhältnis von Bewußtsein und Welt im moralischen Bewußtsein bleibt bei Husserl vollständig außer Betracht. Indem er das Bewußtsein der Vernunft mit dem Bewußtsein der (transzenden­ talen) Autonomie und Freiheit identifiziert (vgl. Hua VII 14f.; vgl. in vorliegender Untersuchung 86–109), erscheint das (theoretisch gewonnene) Wissen der Freiheit, durch das sich ein jedes Ich als letztverantwortlicher Konstitutionsgrund der Welt auf sich selbst bezieht, im Prinzip bereits als höchste Form der Realisierung von Freiheit, welche nach Husserl die Selbsterfassung des Menschen als Person vollständig leistet, die sich dergestalt ihrer transzendentalen Intelligibilität bewußt wird und als ›Zweck an sich‹ begreift (vgl. Hua VI 486). Die Realisierung der Erwartung, daß sich korrelativ zur Progres­ sion der Vernunftmenschheit »eine immer schönere und bessere Welt« (Hua VIII 258) gestalten werde, rechnet mit der teleologischen Konvergenz von vernunftbestimmtem Handeln und der Ordnung des Weltganzen. Insofern aber das Sein der Welt nicht der kreativen Selbstmacht der (endlichen) Subjektivität entstammt, muß Husserl als Grund für jene Konvergenz eine höchste Instanz ansetzen, die sowohl Urheber als auch ›Garant‹ der teleologischen Einheit ist. Der Mensch als theoretisch und praktisch in wesentlich unendlicher Pro­ gression begriffenes Wesen untersteht dann einem »absoluten Sol­ len«, und er »tut sich genug, wenn er diesem folgt.« (Ebd.) Umgekehrt gilt es, die immanente Vernünftigkeit der objektiven Welt selbst zu erkennen. Sie ist so, »daß sie nicht eine sinnlose Welt ist, die sich um die Erfüllung dieses absoluten Sollens nicht kümmert.« (Ebd.) Bei die­ sem Gedankengang, der offenkundig von Leibniz’ Entwurf der präs­ tabilierten Harmonie und in gewissem Maße auch von Kants Begriff des höchsten Gutes sowie der damit verknüpften Postulatenlehre Gebrauch macht, kommt es Husserl entgegen, daß die »objektive« Welt seiner Konzeption als das Funktionskorrelat der universalen Intersubjektivität bestimmt ist. Auf diese Weise ist sie von vornherein in das transzendentale Leben der monadologischen Allsubjektivität integriert, und Husserl kann erklären, »daß das Leben im absolut Guten sich vollenden kann. Kein blindes Schicksal – ein Gott ›regiert‹ die Welt.« (Ebd.) Auf das schwierige Verhältnis des Gottes zu der von ihm »regierten« Welt, soweit Husserl überhaupt ein zureichend

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III. Aspekte einer ›speziellen‹ Metaphysik

reflektiertes eigenes Verständnis dieses Problems ausgebildet hat,95 ist im vorliegenden Zusammenhang nicht näher einzugehen. Aus den spärlichen veröffentlichten Bemerkungen Husserls zu diesem Thema geht so viel hervor, daß die Konzeption der universalen Teleologie eine davon gesonderte Gotteslehre weitgehend absorbiert hat: die »Welt ›strebt‹ absoluten Zielen, Werten zu« (ebd.), und an diesem Prozeß nehmen die Menschen – durch Gottes teleologisches Wirken ermächtigt – teil. Es ist dieser nur rudimentär ausgebildete und nur schwer in einem konsistenten Zusammenhang darstellbare Ansatz einer spe­ ziellen Metaphysik, von dem her die von Husserl innerhalb einer allgemeinen Metaphysik entwickelte Konzeption der (teleologischen) Geschichtlichkeit, des transzendentalen Monadenalls als Grundlage der Intersubjektivitätstheorie sowie die Konstitutionsproblematik der »objektiven« Welt insgesamt verstanden werden will. Im Zentrum der Husserlschen Idee der Philosophie steht jedoch die phänomenolo­ gische Subjektivitätstheorie und damit das Problem der intentionalen Konstitution der Welt durch die transzendentale Subjektivität, deren teleologische Selbstentfaltung sich im Faktum ursprünglich sinnbezo­ gener Geschichtlichkeit konkretisiert. Wird aber die Forderung der Rechtfertigung an die transzenden­ tale Phänomenologie selbst gestellt und liegt darin die Frage nach der speziellen Aitiologie ihrer besonderen Weise der Reflexion als der wahren Form des voraussetzungslosen Anfang radikaler Philo­ sophie, dann ergibt sich die Notwendigkeit, den der »Geschichte immanenten ›Sinn‹« (Hua VI 312) zugleich als motivierenden Grund der »universalen Selbstbesinnung« (Hua I 182) zu erweisen. Die durch die phänomenologische Reduktion vollzogene Etablierung der transzendentalen Bewußtseinsstellung begründet die Idee einer uni­ versalen Theorie und Wissenschaft, welche eine Revision der Onto­ logie bzw. der allgemeinen Metaphysik impliziert. Aber der Zweck dieser (neuen) Theorie liegt nicht in ihr selbst, sondern wird erst durch die – bei Husserl wenigstens umrißhaft vorliegende – spezielle Metaphysik einsichtig. Denn die transzendentalphänomenologische Idee der Philosophie initiiert nach Husserl zugleich das eigentliche Selbstverständnis des Menschen, der sich fortan als Subjekt seiner 95 Zur Problematik des Husserlschen Gottesbegriffs vgl. Klaus Held: Lebendige Gegenwart. A.a.O. 176ff. – Sowie Hubert Hohl: Lebenswelt und Geschichte. A.a.O. 83–88.

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4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie

Geschichte sowie als (letzte) Zurechnungsinstanz jeder Wahrheits­ setzung begreift und dergestalt die (transzendentale) Verantwortung für sich, seine Welt und das (sinnbezogene) Handeln in dieser (inter­ subjektiv konstituierten) Welt übernimmt (vgl. Hua VI 312). So läßt sich – innerhalb der einheitlichen Idee der Philosophie – aus dem Verhältnis von genereller und spezieller Metaphysik die Notwendigkeit der transzendentalen Phänomenologie zunächst hinreichend aufklären. »Nur der phänomenologische Idealismus gibt dem Ich und gibt der absoluten kommunikativen Subjektivität (die das Absolute der Menschheit ist) die wahre Autonomie und gibt ihm Kraft und sinnvolle Möglichkeit der absoluten Selbstgestaltung und der Gestaltung der Welt nach seinem autonomen Willen.« (Hua VIII 506) Aber dieser Idealismus ist umgekehrt nur die Voraussetzung zur Klärung aller »absoluten Fragen der Entwicklung und des ›Sinnes‹ – des transzendental-teleologischen – aller Geschichte« (ebd.), als deren notwendiges Resultat er sich selbst begreift. Aus diesem Grunde wird für Husserl die Vorgeschichte der ›eigentlichen‹ Vernunftgeschichte bzw. die (subjektive) Motivation des phänomenologischen Idealismus zu einem entscheidenden systematischen Problem. Der Anspruch der phänomenologischen Theorie, die erkenntniskritische Überwindung der »natürlichen« durch die »transzendentale« Einstellung aus einem Prinzip zu entwickeln, erzwingt die Reflexion auf den radikalen Anfang der Philosophie als ›strenge Wissenschaft‹, welcher nun innerhalb einer universalen Entwicklungsgeschichte der Subjektivität als ein notwendiges Faktum rekonstruiert werden muß. Husserl hat, wie im folgenden zu zeigen sein wird, diese beson­ dere Fassung der Begründungsproblematik durch eine komplizierte Theorie der Philosophengeschichte zu lösen gesucht. Dabei kam es ihm darauf an, zunächst das (empirische) Faktum der Philosophiege­ schichte aus dem transzendentalen Gesichtspunkt des Verhältnisses von Welt, Ich und Intersubjektivität genetisch zu entwickeln. Nach dieser Konzeption enthält bereits die »Urstiftung« von Philosophie und Wissenschaft, wiewohl unentfaltet, diejenigen ›metaphysischen Motive‹, durch welche die Idee der Philosophie als notwendiges Moment der Entwicklungsgeschichte der Subjektivität erscheint. In einem zweiten Schritt galt es, den immanenten Verlauf der (empiri­ schen) Philosophiegeschichte, die sich im Prinzip mit der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte deckt, ebenfalls aus dem transzendentalen Gesichtspunkt zu rekonstruieren. Das Resultat dieses Unternehmens, das eine phänomenologische Wissenschaftstheorie impliziert, ist

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III. Aspekte einer ›speziellen‹ Metaphysik

aber – entgegen dem äußeren Anschein – keine äußerlich schema­ tisierte Typologie der Philosophie. Husserl entwirft vielmehr auf der systematischen Grundlage der phänomenologischen Subjektivi­ tätstheorie so etwas wie eine ›Topologie‹ der möglichen Beziehun­ gen von erkennendem Bewußtsein und Welt, welche ihrerseits eine ›aitiologische‹, sich in der empirisch-historischen Zeitordnung nur abbildende, Sukzession von Formen der Philosophie vorzeichnet. ›Aitiologisch‹ kann diese Abfolge deshalb genannt werden, weil jene Grundformen der Theorie ineinander fundiert sind, d.h. sie machen jeweils kritischen Gebrauch von den Prämissen der voraufgehenden Philosophie, die sie zu widerlegen beanspruchen.96 Der Grund für 96 Einen vergleichbaren Ansatz hat Kant im letzten Kapitel der Kritik der reinen Vernunft (vgl. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Nach der ersten und zweiten Original-Ausgabe neu herausgegeben von Raymund Schmidt. Hamburg 1971. A 852; B 880) sowie in der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik skizziert. – Vgl. insbesondere Immanuel Kant: Über die von der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolf’s Zeiten in Deutschland gemacht hat? – In: Kant’s gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Band XX. Berlin 1942. 253–351. – Wie Husserl gelangt auch Kant zu drei Grundformen der Philosophie: Dogmatismus, Skeptizismus und Kritizismus, wobei – wie zu erwarten – der Kritizismus bei Husserl durch die Idee der transzendentalen Phänomenologie ersetzt wird. Entscheidend ist, daß Kant (ebensowenig wie Husserl) diese drei Grundformen nicht durch eine ideal­ typische Schematisierung des empirisch vorgegebenen Materials gewinnt, sondern sie als Theorien der Erkenntnis aus der kritizistischen Konzeption der Subjektivität (genauer: aus der spezifischen »Dialektik« der Vernunft in Rücksicht auf metaphysi­ sche Erkenntnis) entwickelt. Die »Zeitordnung« von Dogmatismus, Skeptizismus und Kritizismus folgt dann aus der Struktur der Subjektivität und wird nicht primär an der empirischen Philosophiegeschichte abgelesen. »Eine philosophische Geschichte der Philosophie ist selber nicht historisch oder empirisch sondern rational d.i. a priori möglich. Denn ob sie gleich Facta der Vernunft aufstellt so entlehnt sie solche nicht von der Geschichtserzählung sondern sie zieht sie aus der Natur der menschlichen Vernunft als philosophische Archäologie.« – Immanuel Kant: Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik. A.a.O. 341. – Vergleicht man Kants Programm einer solchen »Archäologie« mit dem aitiologischen Modell der Philosophiegeschichte bei Husserl, so ergeben sich überraschende strukturelle Übereinstimmungen; doch läßt sich an diesem Punkte keine Beeinflussung Husserls durch Kant nachweisen. – Eine Untersuchung des Problems bei Kant hat Lübbe vorgelegt. – Hermann Lübbe: Philosophiegeschichte als Philosophie. Zu Kants Philosophiegeschichtsphilosophie. – In: Einsichten. Gerhard Krüger zum 60. Geburtstag. Herausgegeben von Klaus Oehler und Richard Schaeffler. Frankfurt a. M. 1962. 204–229. – Vgl. ferner: Gustav Siewerth: Wesen und Geschichte der menschlichen Vernunft nach Immanuel Kant. – In: Zeit­ schrift für philosophische Forschung 1 (1946), 250–265. – Zum speziellen Problem

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4. Grundlinien der phänomenologischen Idee der Philosophie

diese aitiologische Fundierung liegt aber nicht in der empirischen Einheit eines Traditionszusammenhangs nach Art einer durchgän­ gigen Problemgeschichte. Husserls Anspruch geht vielmehr dahin, den aitiologischen Zusammenhang der philosophiegeschichtlichen Topologie aus der teleologischen Struktur der Subjektivität bzw. Intersubjektivität transzendental aufzuklären. Denn nur so wird es möglich, die Gründungs- und Entwicklungsgeschichte der Philoso­ phie bzw. deren Finalsinn in die Menschheitsgeschichte als universale Vernunftgeschichte zu integrieren.

des Zusammenhangs von »Dialektik der Vernunft« und Philosophiegeschichte (bei Kant) vgl. die Hinweise bei Nathan Rotenstreich: Kant’s Dialectic. – In: Review of Metaphysics 7 (1953/54), 389–421; bes. 397. – Sowie: Ders.: Experience and its Systematization. Studies in Kant. The Hague 1965. 69ff.

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5. Problem und Begriff der Philosophiegeschichte

I. Die Notwendigkeit geschichtlicher Selbstverständigung Die Entwicklung der phänomenologischen Idee der Philosophie hat gezeigt, daß und warum Husserl es als eine »Wesensnotwendigkeit« der Menschheit ansah, »in der Philosophie das Organ der letzten Selbstbesinnung sich zu schaffen und dann in dieser einzig möglichen Philosophie, wie sie leben, wie sie in ihrem Horizont der Unendlich­ keit, und der Unendlichkeit von Schicksalen, ›glückselig‹ werden kann«, eine höchste Einsicht zu gewinnen (Hua VI 467; vgl. Hua VII 306). Diese Konzeption radikaler Philosophie ist es, welche eine letzte Selbst- und Welterkenntnis des menschlichen Bewußtseins ermöglichen und diesem zugleich transzendentale Gewißheit seiner (theoretischen und praktischen) Freiheit geben soll, sich als das (selbstverantwortliche) Subjekt seiner eigenen Geschichtlichkeit zu begreifen und durch dieses Wissen von sich die »blinde Moira« (Hua VI 430) zu überwinden. Die reflexive Begründung der trans­ zendentalen Einstellung durch den phänomenologischen Idealismus versteht sich somit als eine Katharsis des natürlichen Bewußtseins, die nicht nur das individuelle Bewußtsein angeht (vgl. ebd. 10; 15; 140; 267f.; 428f.; 485f.), sondern auch der (wahren) Philosophie eine »archontische« Funktion innerhalb der Menschheitsgeschichte zuweist (vgl. Hua VII 14; Hua VI 336). Wenn aber die philosophische Besinnung in dem soeben bezeich­ neten Sinne den »Charakter der radikalen Verantwortung« (Hua VI 489) hat, kann sie nicht dem ›naiven‹ Darleben des empirischen Bewußtseins entstammen, das auf den positionalen Kontext seiner Welterfahrung beschränkt ist. Sie ist vielmehr »Menschheitsaufgabe, intentional impliziert in der eigenen Lebensaufgabe« (ebd. 509), deren radikale Verbindlichkeit sich daher weder durch individuelles Fürwahrhalten noch durch den schlichten Rekurs auf vorhandene Traditionen begründen läßt, da beide Momente unangesehen ihrer

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5. Problem und Begriff der Philosophiegeschichte

empirischen Gegebenheit durch die Reflexion erst auf ihre Rechtsgül­ tigkeit befragt werden müssen. Zwar gehört die »Vermöglichkeit zu solcher Besinnung« nach Husserl zum »Grundwesen des Menschen« und hat ihren Motivationsgrund im personalen Leben überhaupt, das teleologisch auf den »letztlich einstimmigen Erfüllungsstil« im Sinne einer idealen Kongruenz von Theorie und Praxis angelegt ist (ebd. 485). Aber die eigentümliche »Berufung« zur Philosophie fordert gerade dann, wenn sie von dem Einzelnen übernommen wird, »den Sinn seiner Berufung aus ihrer Geschichtlichkeit zu rechtfertigen« (ebd. 490; vgl. 487f.), um so das Phänomen »philosophischer Gene­ rativität« (ebd. 489) in seiner Struktur aufzuklären. Für Husserl induziert das Faktum der Philosophie eine Ausein­ andersetzung mit ihrer Geschichte, da nur so die eigentliche Aufga­ benidee als normative Grundgestalt für die jeweilige »Besinnung« ausgewiesen und gegen mögliche oder wirkliche Verfälschungen gesi­ chert werden kann. Die Notwendigkeit einer solchen Auseinander­ setzung ergibt sich aber auch daraus, daß der unbedingte Wahrheits­ anspruch radikaler Philosophie eigens in seiner objektiven Gültigkeit begründet werden muß. Ein solches Unternehmen fordert nicht nur die Ausweisung innerhalb einer aktuellen Verifikationsgemeinschaft; diese Ausweisung erstreckt sich vielmehr auch auf die besondere Geschichte der Philosophie, die als intentional implizierte kein außer­ wesentlicher Annex ist, sondern in ihrer Verbindlichkeit und Geltung »für alle« ebenfalls legitimiert werden muß, wenn sie die jeweilige Reflexion generativ konditioniert. Erst dann nämlich ist es möglich, einer bestimmten philosophiegeschichtlichen Tradition, die zunächst einer besonderen (intersubjektiven) Gruppe zugehört, eine »archon­ tische« Funktion innerhalb der universalen Menschheitsgeschichte zuzuweisen. Die jeweilige Thematisierung der philosophischen Auf­ gabenidee, welche im Bewußtsein die Gewißheit ursprünglicher Zuständigkeit und Verantwortlichkeit auslösen soll, impliziert die Reflexion auf die (historische) Konditioniertheit solchen Reflektie­ rens selbst. Eben dadurch inhibiert sie zugleich jede dogmatisierte Vorüberzeugung und transzendiert die empirische Geschichte, wel­ che jetzt nur insoweit die verbindliche Vorgeschichte des jeweiligen Bewußtseins ist, wie sie als eine »wahre« ausgewiesen werden kann. Husserl geht bei solchen Überlegungen von dem allgemeinen phänomenologischen Befund aus, daß das Selbstverständnis, ver­ möge dessen sich ein Bewußtsein als Ich anspricht und auf faktische Sinnbezüge in der Welt auslegt, von »generativen Zusammenhängen,

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I. Die Notwendigkeit geschichtlicher Selbstverständigung

welche, persönlich geistig verstanden, in der Einheit einer Geschicht­ lichkeit stehen« (ebd. 488), begründet wird. Alle verstehende Selbst­ beziehung des Ich und Wir wird von einer (geschichtlichen) Inter­ subjektivität konstituiert, die – wiewohl zumeist unthematisch – ihrerseits als sedimentierter bzw. intentional implizierter Grund mei­ nes/unseres Selbstverständnisses fungiert (vgl. ebd.). Diese durchaus triviale und zunächst rein deskriptiv gewonnene Einsicht, wonach die konkrete Gegenwart nur aus ihrer Vergangenheit zureichend begriffen werden kann, erhält aber erst dadurch philoso­ phische Relevanz, daß sie auf die monadologische Konzeption der Intersubjektivität bezogen wird. Denn die Möglichkeit der Selbstre­ flexion des konkreten Bewußtseins als eines für seine (gegenwärti­ gen) intentionalen Setzungen von Welt transzendental zuständigen und verantwortlichen Ich und damit die Möglichkeit einer intersub­ jektiven Verifikationsgemeinschaft ist davon abhängig, in welchem Grade die jeweilige Monade sich ihr eigenes intentionales Leben als (konditionierte) Einheit vergangener oder gegenwärtiger »Moti­ vationen« bewußt macht. Gerade dann, wenn das »Leben wie des Einzelnen, so der Gemeinschaft […] eine Einheit der Motivation« ist, bedeutet die Ausbildung des Selbstbewußtseins in der Monade: »ganz konkret die Motivationszusammenhänge klarlegen, und so lückenlos klarlegen, daß eben dieses ganze ichtätige, ichliche Leben in seiner wirklichen Einheit klar und allseitig durchleuchtet ist.« (Hua VIII 237) Das Einrücken in die (je eigene) Tradition bzw. die ausdrückliche Reflexion auf die (intentional implizierte) Geschichtlichkeit erweist sich somit als Funktion der Steigerung von Selbstbezüglichkeit, als Intensivierung des monadischen Selbstbewußtseins, in dessen (apperzeptiver) Einheit die sedimentierte Geschichte bereits »enthal­ ten« ist. Umgekehrt ist die spezifische Einheit der Geschichte, d.h. die (mittelbare oder unmittelbare) Beziehung aller ihrer Momente auf das gegenwärtige Bewußtsein, offenkundig in dem Selbstbewußt­ sein der Monade, der virtuellen Perzeption jeder ihrer intentional implizierten »Motivationen« begründet. Wird aber die Intensität dieses Selbstbewußtseins durch Reflexion auf die Geschichtlichkeit radikalisiert, dann erfolgt in gewissem Sinne eine Aufhebung der Geschichte, sofern diese zunächst als zeitliche Sukzession innerhalb eines Kausalzusammenhangs konditionierender Motivationen aufge­ faßt wird. Denn die so vollzogene »Gleichstellung« von Vergangen­ heit und Gegenwart erzeugt eine ideale, nicht empirisch wirkliche Koexistenz der an dieser Geschichte beteiligten Monaden, d.h. aus

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5. Problem und Begriff der Philosophiegeschichte

der Reflexion auf Geschichte resultiert infolge deren »generativer« Struktur eine spezifische »Vergegenwärtigung« intersubjektiver Ver­ weisungszusammenhänge im konkreten Selbstbewußtsein, welche das zeitmodale Vergehen und Vergangensein transzendiert. Innerhalb der so zustandegekommenen geschichtlichen Inter­ subjektivität, die mit Husserl als eine geschichtlich koexistierende Verifikationsgemeinschaft aufgefaßt werden kann, wird die Moti­ vationseinheit der Geschichte: ihr verbindlicher Finalsinn, selbst Gegenstand der aktuell inszenierten Verifikation statt wie vorher als undurchschaubarer Bedingungszusammenhang oder »blinde Moira« (vgl. in vorliegender Untersuchung oben 159) generativer Konditio­ nierung in Beziehung auf das Bewußtsein zu fungieren. Sie unterliegt einer – jederzeit universalisierbaren – quaestio juris, vermöge wel­ cher im besonderen Falle der philosophischen »Berufung« Rechen­ schaft über den von der Tradition erhobenen Wahrheitsanspruch bzw. über die eigentliche Aufgabenidee der Philosophie gefordert werden kann.

II. Die innere Struktur philosophiegeschichtlicher »Koexistenz« In der Tat hat Husserl im Ausgang von dem soeben skizzierten Grund­ modell der Geschichtlichkeit bzw. der geschichtlichen Reflexion seine eigene Konzeption der Philosophiegeschichte entwickelt. Danach versteht der einzelne Philosoph sich nicht aus einem empirisch immer schon vorgegebenen oder nachträglich hergestellten Kausalzusam­ menhang. Vielmehr ist »für ihn philosophische Gegenwart der totale Inbegriff der philosophischen Koexistenz, die gesamte Philosophie­ geschichte, wohlverstanden als die Geschichte der Philosophie als Philosophie und der Philosophen, der geschichtlich als Philosophen Motivierten.« (Hua VI 489) Hierbei gilt es auf das Eigentümliche dieser Vorstellung idealer »Koexistenz« zu achten: Die zeitliche Struk­ tur der Geschichtlichkeit wird nämlich weitgehend zurückgenommen bzw. durch den Gedanken der »Vergegenwärtigung« quasi absorbiert (vgl. ebd. 392), so daß schließlich die zeitmodale Bestimmung der »Gegenwart« in Husserls Rede auch durch ein spezifisch räumliches Äquivalent ausgedrückt werden kann. Die durch Reflexion auf die eigene Geschichte erzeugte »Koexistenz« erscheint dann in Beziehung auf das (gegenwärtige) Bewußtsein als eine »Umwelt von Philoso­

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II. Die innere Struktur philosophiegeschichtlicher »Koexistenz«

phen«, welche »bis zur Urstiftung der Philosophie und philosophischen Generativität zurückreicht« und insofern keine bloß faktische, in ihrer Sinngeltung unbezweifelbar hinzunehmende objektive Tradition, sondern »lebendige Gegenwart« ist (ebd. 489). Die von Husserl programmatisch unternommene Radikalisie­ rung des Einrückens in die (je eigene) Geschichtlichkeit als desjenigen unhinterschreitbaren »Wirkungszusammenhang[s]« (ebd. 445), aus dem sich die philosophische Reflexion versteht, führt sonach ohne Zweifel auf ein paradoxes Verständnis von Geschichte, das sich mit dem Gedanken radikaler Geschichtlichkeit, wie er etwa im Anschluß an Dilthey entwickelt worden ist, schwerlich vereinbaren läßt. Umge­ kehrt ist aber darauf hinzuweisen, daß Husserls Geschichtsauffas­ sung nicht einem Vorurteil gegen die Geschichte entspringt, sondern gerade gegen die scheinbar selbstverständliche »objektivistische« Bestimmung der Geschichte als eines je schon geschehenden anony­ men Prozesses von »an sich« ablaufenden Kausalreihen gerichtet ist. Die geschichtliche Selbstvergewisserung des generativ konditio­ nierten »Selbstdenker[s]« aktualisiert nach Husserl eine »verantwort­ liche Kritik« (ebd. 73), die das empirische Vorgegebensein vergange­ nen Philosophierens von dessen überzeitlichem Wahrheitsanspruch unterscheidet, indem sie eine »Wiederverlebendigung des Geistes der Verstorbenen« vollzieht und so ein »Nachverstehen der Werke aus ihrem ursprünglichen Sinn, d.i. aus der Sinnbildung der vergangenen Denker« (ebd. 489) induziert. Dies ergibt sich einmal aus der bereits angegebenen Verbindung von Interesse an Wahrheit und Verantwor­ tung, die das konkret reflektierende Bewußtsein betrifft. Andererseits bekundet sich darin Husserls Absicht, gerade jene ursprünglichen Motivationen aus ihrer objektivistischen Entfremdung zu befreien, die Philosophie überhaupt begründen, ihre theoretische Zielsetzung tragen und ihre eigentliche Endgestaltung teleologisch vorzeichnen. Indem also Husserl ein Verständnis der Philosophiegeschichte ablehnt, das diese – auf dem Umweg historischer Neutralisierung – wie eine »äußere Koexistenz und Sukzession zeitlicher Tatsachen« auffaßt, »die analog wie in der natürlichen Raumzeitlichkeit kausal geregelt wären« (ebd. 445), gibt er den »natürlichen«, an der munda­ nen Zeitvorstellung gebildeten Begriff der Geschichte auf. Aber dies geschieht gerade, um auf der Grundlage der monadologisch konzi­ pierten Idee einer geschichtlichen Verifikationsgemeinschaft das spe­ zifische des geschichtlichen »Wirkungszusammenhang[s]« herauszu­ arbeiten. Nicht das historische Faktum ist hier letztes Kriterium der

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5. Problem und Begriff der Philosophiegeschichte

Wahrheit, sondern die kritische Vergewisserung von Wahrheit durch das reflektierende Bewußtsein innerhalb einer ideal koexistierenden (vergegenwärtigten) Verifikationsgemeinschaft, deren gemeinsamer ›Ort‹ die strittige Sache ist. Dabei handelt es sich nicht um eine unkritische Rückführung der Vergangenheit auf die – sich selbst per­ spektivisch zum Telos erklärenden – Gegenwart, sondern im ersten Schritt gerade um eine kritische Unterscheidung des Maßgeblichen vom redundant Übermittelten.97 Es ist vielmehr jene Idee einer idea­ len Verifikationsgemeinschaft, welche aufgrund ihrer internen Struk­ tur als eine durch Vernunft normierte jede vorgängig eingeführte objektivistische Hierarchisierung von Wahrheit prinzipiell aufhebt und durch die Relativierung der »mundanen« Zeitordnung auch den darin gelegenen Vorzug der Gegenwart vor der irreversiblen Vergangenheit (dies gilt selbstverständlich auch umgekehrt) negiert. Auf der Grundlage dieser Überlegungen aber läßt sich der gesamte Verlauf der Philosophiegeschichte auch nicht ohne weiteres nach dem Schema eines intentionalen Aktes, also als das Verhältnis von Intention und Erfüllung, auslegen.98 Denn die Konstitution des teleo­ logischen Prozesses ist in jener Phase Funktion einer intersubjektiven Synthesis, also einer ständig in Bewegung befindlichen Bildung von Verifikationsgemeinschaften, die eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte vollziehen und erst so eine (kompossible) Einheit der Gesamtgeschichte hervorbringen, welche ihrerseits nicht in der Weise eines Gegenstandes vorgegeben ist. Die soeben behandelte Frage einer phänomenologischen Expli­ kation des geschichtlichen Bewußtseins, genauer der Konstitution philosophiegeschichtlicher Generativität, ist nun mit einer weiteren 97 Den Vorwurf eines relativistischen Perspektivismus bzw. der unkritischen Rück­ führung der Vergangenheit auf die Gegenwart hat Boehm erhoben. – Vgl. Rudolf Boehm: Vom Gesichtspunkt der Phänomenologie. Husserl-Studien. Den Haag 1968. 248; 250–254. (Phaenomenologica 26) – Diese Kritik verfehlt aber prinzipiell Hus­ serls Entwurf einer ›hermeneutischen‹ Geschichtsphilosophie, insofern sie nicht von der monadologischen Konzeption der Intersubjektivität ausgeht und zugleich die grundsätzliche Aufhebung der mundanen Zeitordnung, welche die unbezweifelte (»objektive«) Kategorie der Geschichtswissenschaften bildet, innerhalb des von Hus­ serl ausgearbeiteten Begriffs der Geschichtlichkeit und damit dessen eigentliche Tragweite ignoriert. Jede Auseinandersetzung mit der phänomenologischen Analytik der Geschichtlichkeit und deren (oben dargestellten) Konsequenzen muß davon ausgehen; die übliche Konfrontation mit dem traditionellen Begriff von Geschichte verfehlt dagegen von vornherein Husserls Ansatz. 98 Diese Auffassung vertritt Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 121f.

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II. Die innere Struktur philosophiegeschichtlicher »Koexistenz«

Problematik verbunden, die Husserls Konzeption der Philosophie­ geschichte betrifft. Es handelt sich um das schwierige Verhältnis zwischen der einen Aufgabenidee der Philosophie, deren Identität nach Husserl die Einheit der Teleologie begründet, und der empi­ rischen Philosophiegeschichte als der (außerwesentlichen) Abfolge subjektiver Intentionen und Entwürfe zum Zweck der Realisierung jener Idee. In der Tat hat Husserl auf dem »überzeitlichen und über­ persönlichen« Charakter der Aufgabenidee und ihrer »verharrenden Identität« gegenüber allen historischen Wandlungen bestanden (vgl. ebd. 441f.). Angesichts seiner oft nur skizzenhaften Äußerungen zu dieser Frage ist es deshalb nicht verwunderlich, daß in jener platoni­ sierenden Auffassung eine systematisch ungelöste Aporie entdeckt wurde, insofern die Aufgabenidee offenkundig nicht als positiver Grund der Geschichte selbst fungiert und deren Verlauf deshalb auch nicht zu erklären vermag.99 Diese Schwierigkeit läßt sich freilich nur dann aufheben, wenn die Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie in der Theorie der Subjektivität berücksichtigt wird. Für Husserl ist Phi­ losophie nicht eine Wissenschaft neben anderen. Vielmehr bezeich­ net sie, wie in den vorhergebenden Kapiteln gezeigt, die höchste Entwicklungsform des Bewußtseins, das dergestalt durch radikale Selbstbeziehung eine unüberbietbare rationale Auslegung der Welt und seiner selbst erreicht. Insofern ist Philosophie keine beliebig gewählte Form menschli­ cher Existenz, sondern Funktion einer ursprünglichen Bewußtseins­ geschichte, die das einzelne Ich ebensowohl wie die Intersubjektivität konstitutiv umfaßt und ihren Abschluß in der Idee einer universalen Verifikationsgemeinschaft findet. Die »Urstiftung« der Philosophie, dies wird im folgenden näher auszuführen sein, erscheint somit als Ausdruck einer reflexiven Thematisierung von Ich, Welt und Intersubjektivität und etabliert allererst ein rationales Bewußtsein des Menschen von sich und seiner Welt, das als »wissenschaftliches« die Idee letzter Erkenntnisbegründung fordert. Wird dieses Postulat als eine notwendige Idee in der konkreten intentionalen Subjektivität aufgewiesen, dann erfolgt seine Realisie­ rung durch das Bewußtsein nach den Strukturbedingungen der Sub­ Diese Kritik führt Janssen durch. – Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 90–96; 121ff. – Vgl. die in der Sache übereinstimmende Argumentation bei Lothar Eley: Die Krise des Apriori in der transzendentalen Phänomenologie Edmund Husserls. A.a.O. 124f. 99

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5. Problem und Begriff der Philosophiegeschichte

jektivität. Die verschiedenen Weisen theoretischer Selbstauslegung von Ich, Welt und Intersubjektivität in ontologischer und erkenntnis­ theoretischer Rücksicht gehen auf Funktionsprinzipien des transzen­ dentalen Lebens selbst zurück und sind als Stufen der Reflexion in demselben vorgezeichnet. Darin besteht das ›topologische Apriori‹ der empirischen Philosophiegeschichte. Jede ›mögliche‹, d.h. nicht willkürlich erdachte Grundform der Philosophie ist in diesem Sinne nach einer ›apriorischen‹ (nicht notwendig zeitlichen) Ordnung in der ihr systematisch voraufgehenden ›fundiert‹, wie sie umgekehrt die aus ihr und den früheren (systematisch) folgende ›motiviert‹. Hält man diese konstruktive Konzeption fest, dann impliziert der Gedanke, daß die eigentliche Idee der Philosophie »jederzeit« realisiert werden kann, keineswegs die Ungeschichtlichkeit der Aufgabenidee. Denn die Relativierung der objektiven (mundanen) Geschichtszeit, die in Husserls Konzeption der Philosophiegeschichte liegt, berührt nicht das interne Bedingungsgefüge der philosophiegeschichtlichen Teleo­ logie und ihre ›Schematisierung‹ durch die Vorstellung zeitlicher Abfolge. Auf der Basis des ›topologischen‹ Modells ist Husserl vielmehr in der Lage, die (zeitliche) Sukzession und Simultanei­ tät verschiedener ›möglicher‹ Philosophien zusammenzudenken, da jede Grundform als ein partielles Moment der einen Aufgabenidee erscheint und so die Einheit philosophiegeschichtlicher Generativi­ tät begründet. Nur darum, weil die Differenzierungen innerhalb der Philosophiegeschichte den notwendigen Reflexionsformen einer universalen (intersubjektiven) Bewußtseinsgeschichte entsprechen, ist aber nach Husserl eine Auseinandersetzung mit der Geschichte überhaupt möglich und sinnvoll. Denn die Konstitution einer idealen Verifikationsgemeinschaft auf der Basis geschichtlicher Generativität läßt sich zugleich als historische und systematische Rekonstruktion des vollen Begriffs der Philosophie verstehen, dessen eigentliche (ideale) Zielform alle früheren voraussetzt bzw. in sich enthält und in ihrer relativen Berechtigung zu beurteilen gestattet. Unter diesem Gesichtspunkt tritt der eigentliche Charakter der geschichtlichen Rückbeziehung auf die philosophische Tradition als kritische Verifikation des darin gelegenen teleologischen Wahrheits­ anspruchs hervor. In dieser Besinnung scheiden sich die »Tatsächlich­ keit der vergangenen Wissenschaft (der damals allgemein geltenden Theorien, Probleme, Methoden, so wie sie galten) und der Fortschritt der Wissenschaft« (ebd. 491). Innerhalb der (idealen) Verifikationsge­ meinschaft, in die sich der Einzelne durch geschichtliche Reflexion

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II. Die innere Struktur philosophiegeschichtlicher »Koexistenz«

versetzt, erscheint dann die Geschichte der Philosophie als »Teleolo­ gie der Entwicklung der immer vollkommeneren Wahrheit« (ebd.), welche ihrerseits die Funktion eines besonderen intersubjektiven Pro­ zesses, der sukzessiven Synthesis philosophiegeschichtlicher Genera­ tivität ist und aufgrund der ihr immanenten Vernunftnorm gegen eine (ideale) Koexistenz der Philosophengemeinschaft hinstrebt. »Nicht das Spätere, weil es eben jetzt, in seiner Gegenwart allgemein gilt, ist Maß des Früheren, sondern die spätere Evidenz als aus Kritik der früheren etc. hervorgegangene enthält implizite auch die frühere Evidenz, reduziert auf ihr relatives Recht und zugleich auf das, was später als Unrecht ›logisch‹ einsichtig geworden ist.« (Ebd.) Die radikale Besinnung des Philosophen auf die Gültigkeit und Verbindlichkeit seiner »Berufung« enthält somit eine doppelt dimen­ sionierte Kritik: Diese betrifft einerseits den Wahrheitsanspruch der Tradition, andererseits den der eigenen Gegenwart. Beide Momente, die im naiven Geschichtsbewußtsein konkurrieren, werden auf der Ebene geschichtlicher Reflexion nach Maßgabe einer idealen Kom­ possibilität aufeinander bezogen. Für das gegenwärtige Bewußtsein ergibt sich dergestalt eine »Kontinuität des aktuellen Miteinanderarbeitens«, die in Analogie zur Idee des universalen Monadenalls das geschichtliche Geschehen auf eine ideale Koexistenz, eine »überzeit­ liche Gegenwart« als den gemeinsamen (geschichtlichen) Ort aller Philosophen und Philosophien zurückgeführt werden kann (ebd. 444; vgl. 506f.). Nur durch solches Einrücken in die je schon konditionie­ rende Tradition wird die »Einheit der Denkergemeinschaft durch und über die Zeiten, durch die geschehene und verströmte Geschichte erworben.« (Ebd. 444) Dabei gilt es zu beachten, daß Husserl sich durchaus über die Eigenart bzw. die konstruktive Veränderung im Klaren war, der er den von ihm zunächst schlicht aufgenommenen Begriff der Geschichte und Geschichtlichkeit unterzog. Seine spezifische Auslegung der Philosophiegeschichte als ein Bedingungsgefüge von Theorien ist in dem Maße von der Vorstellung einer empirisch aufweisbaren Univer­ salgeschichte unterschieden, wie nach seiner Meinung die »Praxis der Philosophen in der Sozialität der Wissenschaftler« (ebd. 494) von jeder praktischen Beziehung des Menschen zur Welt verschieden ist. Mit anderen Worten die Geschichte der Philosophie, welche durch Reflexion in eine »ideell kontinuierliche Gegenwart« (ebd. 444) trans­ formiert wird und dergestalt die konkrete Geschichte transzendiert, konstituiert sich prinzipiell als Geschichte der reinen Theorie bzw.

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5. Problem und Begriff der Philosophiegeschichte

als Teleologie des reinen Interesses an Wahrheit, deren eigentliches Ziel in ihr selbst liegt. Damit entsteht ein problematisches Verhältnis dieser besonderen Geschichte zur universalen Geschichte, das genau jener Aporie entspricht, welche in Husserls Idee der Philosophie als die unausgetragene Spannung von Theorie und Praxis, theoretischem und praktischem Endzweck radikaler Reflexion festgestellt wurde. Husserl hat die darin gelegene systematische Schwierigkeit sehr wohl bemerkt, wenn er einerseits auf der Zugehörigkeit der Philosophie zum Leben des Menschen bzw. der Menschheit in der Welt bestand. Umgekehrt besitzt die Philosophie – im Sinne der bisherigen Darstellung – nach Husserl aber auch eine »eigene histo­ rische Zeitlichkeit und bildet sozusagen eine eigene Welt des Logos, bezogen auf die Welt, in die sie in ihrer Weise doch wieder mit hineingehört.« (Ebd. 494) Wie diese »eigene historische Zeitlichkeit« in ihrer internen Struktur aufzufassen ist, erscheint hier noch nicht als das entscheidende Problem. Die Schwierigkeit besteht vielmehr darin, von ihr aus das Geschehen der (postulierten) Universalgeschichte zu erschließen und deren zeitmodales Sein auf die besondere »zeit­ liche« Realisierung der »Welt des Logos« zu gründen. Soweit zu sehen ist, hat Husserl auf diese (abermals spekulative) Problematik ebensowenig wie im Falle seiner metaphysischen Konzeption der Philosophie eine systematisch befriedigende Antwort gefunden. Sein Ansatz einer (phänomenologischen) Metaphysik der Geschichte ver­ kürzt diese in letzter Konsequenz auf eine Bewußtseinsgeschichte, deren ideale Zielform die monadologisch verfaßte Koexistenz einer »allsubjektiven« Verifikationsgemeinschaft, die »Sozialität der Wis­ senschaftler« ist.

III. Kritische Rekonstruktion der philosophischen Aufgabenidee Aus der bisherigen Darstellung geht hervor, daß Husserl das Ziel phi­ losophiegeschichtlicher Selbstvergewisserung darin sieht, »in allen historischen Zielstellungen, im Gegeneinander und Miteinander ihrer Verwandlungen«, die eigentliche Aufgabenidee der Philosophie »herauszuverstehen« (ebd. 71f.). Die Möglichkeit dieses hermeneuti­ schen Ansatzes ist darin begründet, daß die philosophische Reflexion nicht einer geschichtslosen Spontaneität des Bewußtseins entstammt, die von der »generativ« gestifteten Sinnbeziehung intersubjektiver

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III. Kritische Rekonstruktion der philosophischen Aufgabenidee

Verweisungszusammenhänge losgelöst ist, sondern aus der »persön­ lichen Willentlichkeit« jeweiliger »Mitvollzieher« entspringt, welche die Geschichte zum »historischen Gesamtzusammenhang als einem personalen« macht (ebd.). Die radikale Reflexion auf den Finalsinn der Geschichte als »geistige Einheit« der »füreinander und überzeit­ lich miteinander Philosophierenden«, also der kritische Aufweis der identischen Aufgabenidee, wird deshalb durch eine »Selbstbesinnung des Philosophen auf das, worauf er eigentlich hinauswill, was in ihm Wille ist aus dem Willen und als Wille geistiger Vorväter« (ebd. 72f.), vollzogen. Auf dem Boden dieser Auffassung von Geschichte lehnt Hus­ serl eine Bestimmung des Begriffs der Philosophie ab, der durch äußerliche Vergleichung von Weltanschauungen oder verschiedenen Philosophien zustandekommt und als bloßes Abstraktionsprodukt nichts mit der qualitativen Sinnidentität innerhalb der philosophie­ geschichtlichen Teleologie zu tun hat (vgl. ebd. 72; 394). Denn auf diesem Wege bleibt gerade der methodische Zweck geschichtlicher Reflexion unerfüllt, jene ursprünglichen Motivationen rational zu erfassen, die den wahren und verbindlichen Sinngehalt der Philoso­ phiegeschichte konstituieren. Für Husserl bedeutet daher das kriti­ sche Einrücken in die Tradition, daß die zur Selbstverständlichkeit gewordene »sedimentierte Begrifflichkeit« auf ihre geschichtlichen Ursprünge zurückverfolgt wird (ebd. 73). Statt also die Philoso­ phiegeschichte einfach als objektiv vorgegebene hinzunehmen, ist eine »verantwortliche Kritik« notwendig, »die ihren Boden in diesen historischen personalen Zwecksetzungen, relativen Erfüllungen und Wechselkritiken hat, und nicht in den privaten Selbstverständlichkei­ ten des gegenwärtigen Philosophen.« (Ebd.) Indem die geschichtliche Reflexion jede traditional sedimentierte Selbstverständlichkeit auf den Status ihrer Sinnbildung zurückführt, vollzieht sie eine »Vergegenwärtigung« (ebd. 392), die sich kritisch auf diese Tradition einläßt und dabei erkennt, daß der Wahrheits­ anspruch vergangener Philosophie selber Resultat einer Kritik vor­ angehender Philosophien ist und seinerseits einer quaestio juris unterzogen werden muß (vgl. ebd. 73). Gerade dann aber, wenn die Geltung der Philosophie »für alle« dargetan werden soll, genügt es nicht, daß nur der private Innenraum je meiner Vorurteile durch Rekurs auf die Geschichte durchbrochen wird. Der Nachweis einer teleologischen Aufgabenidee ist nicht dadurch geleistet, daß in den »Wechselkritiken« der Vergangenheit jeweils Problemübereinstim­

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5. Problem und Begriff der Philosophiegeschichte

mungen konstatiert werden können. Vielmehr kommt es darauf an, deren überzeitliche Verbindlichkeit bzw. Strittigkeit zu aktualisieren und zugleich meine eigene geschichtliche Reflexion über meine pri­ vate Selbstverständigung hinaus auf eine ideale »Denksozialität« (ebd. 73) zu beziehen. Dies bedeutet, daß die in »meiner« Geschichte aufgewiesene (philosophische) Aufgabenidee nur in dem Maße eine »wahre« ist, wie sie – durch Wechselkritik – in jene (empirisch indefinite) »Denksozialität« aufgenommen und von ihr verifiziert wird. Husserls Postulat einer radikalen »verantwortlichen Kritik«, dessen Funktion und Bedeutung innerhalb der phänomenologischen Idee der Philosophie oben darstellt wurde, impliziert sonach im Falle der philosophiegeschichtlichen Reflexion die notwendige Selbstüber­ schreitung »privater« Geschichtlichkeit in den universalen Zusam­ menhang einer (idealen) Geschichte des Monadenalls. Das Prinzip dieser Selbstüberschreitung, die von einer bloßen Totalisierung einer einzelnen (subjektiven) Geschichte wohl zu unterscheiden ist, ist offenkundig identisch mit dem allgemeinen Konstitutionsgesetz der (universalen) intersubjektiven Synthesis bzw. deren Korrelates, der »Welt für alle«. Ebensowenig wie diese Welt als Horizont der Objek­ tivität in der Art eines Behälters vorgegeben ist, »gibt« es einen universalen Geschichtsprozeß, der die einzelnen Geschichten von vornherein in sich enthält und determiniert. Daß also die Geschichte eine teleologische Einheit besitzt, einen »von Uranfang« treibenden Sinn (vgl. ebd. 393), diese Erkenntnis setzt die geschichtliche Reflexion im Sinne der bisherigen Analyse schon voraus. Das natürliche Bewußtsein stößt zwar empirisch auf generative Zusammenhänge, aus denen es sich versteht. Aber es erkennt nicht ohne weiteres den teleologischen Charakter bzw. die Einheit solcher Zusammenhänge, die von sich aus einen unbedingten Wahrheitsanspruch entfalten, der einerseits zur Konstitution einer geschichtlichen Verifikationsgemeinschaft führt, andererseits inner­ halb derselben allererst auf seine radikale Gültigkeit und Vernünftig­ keit hin geprüft werden muß. Nur wenn dies geschieht, kann im Falle der Philosophiegeschichte auf eine – jeden vergangenen oder gegen­ wärtigen Philosophen tragende – »Urintention« zurückgeschlossen werden, deren jeweilige Erfüllung einer kritischen Ausweisung unter­ zogen werden kann, um so die (topologisch verschiedenen) »Wesens­ möglichkeiten der Erfüllung« herauszustellen (vgl. ebd. 393). Als anfängliche Intention wird die »Urstiftung« der philosophischen Auf­ gabenidee zunächst nur partiell realisiert (vgl. ebd. 338f.); und diese

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III. Kritische Rekonstruktion der philosophischen Aufgabenidee

Realisierungen bedürfen ihrerseits einer ideierenden Auslegung, bis die (in ihnen identische) Aufgabenidee durch eine »Endstiftung« (ebd. 73) zu allseitiger Evidenz kommt, die jeden früheren Versuch der Erfüllung überbietet und zugleich in sich aufhebt. Erst dann kann von einer qualitativen Sinneinheit in allen Philosophien die Rede sein, welche über bloße Ähnlichkeitsbeziehungen hinausliegt (vgl. ebd. 394). Ein solcher Ansatz geschichtlicher Selbstverständigung geht offenkundig von vornherein über den Zweck einer rein philoso­ phiehistorischen Geschichtsschreibung hinaus. Insofern nämlich das ›Besserverstehen‹ vergangener Autoren bzw. der von ihnen hinterleg­ ten Dokumente impliziert, ist er nicht auf eine historische Restitution ihrer jeweiligen Selbstauslegung angelegt, sondern verfolgt metho­ disch deren kritische Destruktion auf den übergeschichtlich aktuel­ len und verpflichtenden Vernunftgrund, der jeder philosophischen Bestrebung – wiewohl zunächst vielleicht unkenntlich – normativ einbeschrieben war (vgl. ebd. 74; 511). Husserls Konzeption einer phi­ losophiegeschichtlichen Teleologie ist deshalb weder an die zeitliche Anordnung des empirisch vorgegebenen Materials als letztes Krite­ rium gebunden noch beansprucht sie, eine neue Abfolge desselben zu entwickeln. Ihre eigentliche Bestimmung – darin macht Husserl abermals von einem Gedanken Leibniz’ Gebrauch – liegt vielmehr in der »Evidenz einer kritischen Gesamtschau, die hinter den ›histori­ schen Tatsachen‹ dokumentierter Philosopheme und ihres scheinba­ ren Gegeneinanders und Nebeneinanders eine sinnhaft-finale Har­ monie aufleuchten läßt.« (Ebd. 74) Einerseits wird diese Harmonie erst vom Telos der Geschichte, ihrer »Endstiftung« her einsichtig, andererseits ist sie Erfüllung einer »Gesamtschau«, welcher somit die Realisierung dieser Geschichte in ihrem ganzen Umfang entspricht. Wiewohl erst am Ende der Geschichte möglich, impliziert diese »Gesamtschau« keinesfalls die Entwertung dieser Geschichte bzw. ihre (negative) Herabsetzung zur überflüssigen Vorgeschichte. Wird im Sinne Husserls die Philo­ sophiegeschichte als unter der Einheit der einen Aufgabenidee ste­ hende Sukzession von Lösungsversuchen aufgefaßt, dann erscheint (bezogen auf das ›topologische‹ Modell ihrer Binnengliederung) jede Philosophie als eine Teillösung jener Aufgabe und verweist auf den nächsten Lösungsschritt. Entsprechend lehnt Husserl eine rein deskriptive Abschilderung der Geschichte philosophischer Theorien ab und unternimmt stattdessen eine aitiologische Kritik jeder Theo­

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5. Problem und Begriff der Philosophiegeschichte

rie auf ihre spezifischen Entstehungsbedingungen aus der Struktur der Subjektivität. Diese methodische Konzeption gründet ihrerseits in dem Ver­ hältnis von ›natürlicher‹ und transzendentaler Einstellung innerhalb der Selbstreflexion der konkreten Subjektivität. Die durch transzen­ dentale Reduktion vollzogene Überwindung der natürlichen Einstel­ lung bedeutet nicht die Aufhebung der menschlichen Subjektivität bzw. der ›natürlichen‹ Welterfahrung.100 Vielmehr ist es der Sinn der phänomenologischen Analytik des intentionalen Lebens, die faktische Vorurteilsstruktur in jeder einzelsubjektiven oder allsub­ jektiven Weltsetzung als Konstitutionsleistung aufzuklären, um so in Form einer radikalen Letztbegründung die Grundstruktur des faktischen Bewußtseins der Welt transzendental zu rekonstruieren. Nicht die Beseitigung der natürlichen Weltauffassung ist somit Ziel der Phänomenologie, sondern die transzendentale Kritik der aus ihr hervorgehenden theoretischen Auslegungen des Seins der Welt, die in Gestalt des (neuzeitlichen) Objektivismus die wahre Bestimmung des Verhältnisses von Mensch und Welt verfälschen. Durch solche (iterative) Kritik wird zwar dann, wenn die phänomenologische Phi­ losophie als eigentliche Form rationaler Selbstbeziehung etabliert ist, die wahre Vernunftbeziehung des Bewußtseins freigelegt, die der ›natürlichen‹ Konditioniertheit subjektiver Intentionalität normativ einbeschrieben ist. Aber auch die dergestalt inaugurierte »Vernunft­ menschheit« bleibt in der Gefahr iterativer Dogmatisierung und behält deshalb die Möglichkeit, in ihre eigene (philosophische) Vor­ geschichte zurückzufallen. – Gerade deshalb aber kommt es im Sinne Husserls darauf an, die Geschichte der Philosophie nicht einfach als Geschichte von Irrtümern zu behandeln, da jede (auch vorphänome­ nologische) wissenschaftliche (philosophische) Thematisierung des subjektiven oder intersubjektiven Bewußtseins von Welt implizit eine kritische Reflexion auf das ursprüngliche »Wie« des Gegebenseins 100 Dieses Mißverständnis scheint der Angelpunkt der von Janssen unternommenen Interpretation zu bilden. – Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 94ff. – In seiner Untersuchung des Verhältnisses von Philosophiegeschichte und eigentlicher Philosophie bei Husserl hat Henrich dagegen schon auf den entscheidenden Punkt hingewiesen. – Vgl. Dieter Henrich: Über die Grundlagen von Husserls Kritik der philosophischen Tradition. – In: Philosophische Rundschau 6 (1958), 1–26. – Er zeigt einmal den Unterschied zwischen Hegels und Husserls Konzeption auf und entwickelt dann, daß das Verfehlen der Aufgabenidee nach Husserl in »einer der Subjektivität selbst eigenen Verdeckungstendenz« (6) gründet.

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III. Kritische Rekonstruktion der philosophischen Aufgabenidee

von Welt ist. Daß aber die Welt dergestalt ›kritisiert‹ wird, also stets eine ›Idealisierung‹ stattfindet, ist eine notwendige Funktion des ursprünglichen subjektiven Interesses an Wahrheit und hat seine Wurzel »im Wesensbestande des Allgemeinmenschlichen«, der sich in den Strukturformen der Subjektivität konkretisiert und in dem sich eine »durch die ganze Geschichtlichkeit hindurchgehende teleologi­ sche Vernunft bekundet.« (Ebd. 386) Zu den entscheidenden, die reife Philosophie Husserls prägen­ den Erkenntnissen gehört die Einsicht, daß die Welt im ursprüngli­ chen »Wie« ihres Gegebenseins selber geschichtlich und in ihrem Konstituiertsein von generativen (intersubjektiven) Zusammenhän­ gen bestimmt ist. Der phänomenologische Rückgang auf die ›Sache selbst‹, jenes methodische Programm, durch das sich die Phäno­ menologie ihre wissenschaftliche Überlegenheit gegenüber jeder anderen Philosophie sichern zu können glaubte, bedurfte daher – wie Husserl einsah – einer konsequenten Revision, insofern jetzt die scheinbar außerwesentliche geschichtliche Theoretisierung von »Welt« selber als ›intentional impliziertes‹ Moment des unmittelba­ ren Gegebenseins von Welt erkannt wurde.101 Das »Sein« der Welt ist zunächst schon insofern geschichtlich, als es Funktion der zeitmo­ dalen Realisierung der universalen intersubjektiven Synthesis ist. Als positionales Funktionskorrelat jeweils sich bildender Verifikationsge­ meinschaften ist sie jedoch auch das gegenständliche Substrat von Theorien, in denen ihr ›wahres‹ Sein bestimmt wird. Die phänome­ nologische Freilegung der Welt erfolgt deshalb durch methodischen Rückschluß von solchen überlieferten (»wahren«) Idealisierungen, d.h. die Methode der Phänomenologie ist ein »Ineinander von his­ torischer und durch sie motivierter systematischer Untersuchung« (ebd. 364). Dem »historischen Problem der Motivation« als der Frage nach den Gründen für die Entstehung von Philosophie und Wissenschaft zu einem bestimmten objektiv-geschichtlichen Zeitpunkt »steht zur Seite das Problem der idealen Genesis, nämlich das Problem, die Notwendigkeiten zu verstehen, die im Historischen im [V]erborgenen bestimmend waren […].« (Hua VII 296) Indem Husserl also das Problem der Geschichte und damit ebenso die Frage der »Motiva­ tion« radikaler Philosophie von vornherein unter den systematischen 101 Vgl. Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 245ff.

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5. Problem und Begriff der Philosophiegeschichte

Gesichtspunkt der »idealen Genesis« stellte, hat er einerseits den Fehlschluß vermeiden wollen, die Wahrheit selber geschichtlich zu relativieren und aus empirischen Kausalzusammenhängen abzulei­ ten. Umgekehrt kam es für ihn darauf an, die konkrete geschichtliche Relation von Doxa und Episteme aus den unveränderlichen Struktur­ bedingungen der Subjektivität, d.h. aus der Einheit der Erfahrung aufzuweisen. In diesem Sinne hat Husserl in der Krisis die Erkenntnis­ theorie programmatisch »als eine eigentümlich historische Aufgabe« (Hua VI 379) konzipiert und von hier aus eine Letztbegründung radikaler Philosophie durchzuführen gesucht.

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6. Die »Urstiftung« der Philosophie

I. Genesis der »Theorie« aus der vorwissenschaftlichen Welterfahrung Daß Philosophie und Wissenschaft keine selbstverständlichen For­ men natürlicher Welterfahrung sind, wohl aber ihre eigene Notwen­ digkeit zur Geltung bringen, wird dann zur Schwierigkeit für die geschichtliche Reflexion, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob das (natürliche) Bewußtsein eine solche »Umstellung« (ebd. 326) über­ haupt benötigt, um sich auf die Welt beziehen zu können. Zunächst wenigstens scheint die relative Fraglosigkeit der natürlichen Einstel­ lung keinerlei Motive zu enthalten, die eine derartige Transformation der schlichten Weltbeziehung zwingend machen. Wird die ursprüng­ liche »Geschichtlichkeit menschlichen Daseins« phänomenologisch thematisiert, dann zeigt sich darin ein »Normalstil« des Lebens, der in seinen (historisch unterschiedenen) Konkretisierungen stets gleich bleibt, eine insofern ›ursprüngliche‹ Weise der positional relativen Beziehung von Bewußtsein und Welt bezeichnet und deshalb auch als eine »erste Historizität« unterschieden werden kann (ebd. 326f.). »Das natürliche Leben charakterisiert sich nun als naiv geradehin in die Welt Hineinleben, in die Welt, die als universaler Horizont immerfort in gewisser Weise bewußt da ist, aber dabei nicht thema­ tisch ist.« (Ebd. 327) Das entscheidende Definitionsmoment der natürlichen Einstel­ lung als der (invarianten) Grundform des geschichtlichen Daseins ist somit die Nichtthematizität des universalen (objektiven) Welthori­ zontes. Die Ursache dafür liegt nun nach Husserl darin, daß innerhalb der unmittelbaren Beziehung von Bewußtsein zur Welt der »natürli­ chen Lebenspraxis« (Hua VII 294) ein Übergewicht zukommt, die in der Kernstruktur der Welterfahrung, dem sinnlichen Vorhandensein von Etwas als (im präsumtivem Sinne) zu meiner Welt Gehörigen, begründet ist (vgl. Hua IV 186; Hua VII 203). Jedes Bewußtsein findet sich zunächst innerhalb der Welt als ein orientiertes vor, d.h. die doxische Gewißheit von gegenständlich Vorhandenem ist als bewußte

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6. Die »Urstiftung« der Philosophie

von vornherein in Zweckbezüge eingeordnet, die den Welthorizont unthematisch voraussetzen und dergestalt als Bedingung praktischer Interessen in Anspruch nehmen. Jede solche Zwecksetzung gehört zur »Lebenswelt« und gibt dieser die Form der »Umwelt« (vgl. Hua VI 339f.), ist somit virtuelles Konstitutionselement einer höherstufigen Weltvorstellung, in der die Realität nach einer typischen »Bekannt­ heitsform« (ebd. 349) apperzipiert wird (vgl. Hua XV 414f.). Innerhalb der phänomenologischen Analytik des natürlichen Bewußtseins von Welt ist diese also in dem eigentlichen »Wie« ihres Gegebenseins keine Welt ›an sich‹, kein Inbegriff des Realen, sondern erscheinende Welt (vgl. Hua IV 186). Wird dieses Resultat auf die Korrelation von Bewußtsein und Welt angewandt, dann ergibt sich, daß die Welt »in der notwendigen Orientierungsform ›Ich und meine Umwelt‹, ›Wir und unsere (gemeinsame) Umwelt‹ gegeben« ist. »Diese ›Prinzipalkoordination‹ mußte auch für das theoretisch forschende Interesse wirksam werden.« (Hua VII 203) Denn es ist, wie im folgenden zu zeigen sein wird, die eigentliche strukturelle Verschränkung jener beiden Prinzipalkoordinationen, welche die Entstehung von Wissenschaft und Philosophie motiviert und deshalb die systematische Explikation der »idealen Genesis« reiner Theorie ermöglicht. Insofern die natürliche Lebenspraxis sich stets an einem (okka­ sionellen) »Situationshorizont« (ebd. 294) begrenzt und aufgrund der Dialektik der Prinzipalkoordinationen ebenso begrenzte »Sonderwel­ ten« ausbildet, verstellt sie einerseits den eigentlichen (objektiven) Horizont der Welt. Andererseits läßt sie sich aber auch als Funktion des subjektiven Interesses an Wahrheit verstehen, insofern jede derartige »Sonderwelt« Korrelat einer intersubjektiven Synthesis ist und in diesem Sinne die objektive Einheit der Erfahrung sicherstellt. Unter diesem Blickwinkel kann die unthematische »Welt für alle« vor ihrer speziellen Thematisierung als das »offene Universum, der Horizont der ›Termini‹, das universale Feld des Seienden« verstanden werden, »das alle Praxis voraussetzt und in ihren Ergebnissen immer neu bereichert« (Hua VI 180). Husserls Konzeption der Lebenswelt gewinnt aus diesen Über­ legungen ihre erste – wiewohl nicht einzige – Bestimmung: Die jeder praktischen oder theoretischen Auslegung zugrundeliegende Gegebenheitsweise der Welt für das (natürliche) Bewußtsein ist das »All des selbstverständlich Bewährbaren«, d.h. Welt ist »aus Abzielung her ›da‹ und Boden für immer neue Abzielung auf das

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I. Genesis der »Theorie« aus der vorwissenschaftlichen Welterfahrung

Seiende: ›wirklich‹ Seiende.« (Ebd.) Die »Abzielung«, von der Husserl an dieser Stelle spricht, ist diejenige der konstituierenden transzen­ dentalen Subjektivität, welche die Welt als gegenständliches Korrelat ihrer Intentionalität in (unendlicher) Einstimmigkeit setzt. Wird diese ursprüngliche Setzung der Welt von jeder praktischen Zweck­ setzung oder theoretischen Idealisierung unterschieden, dann ist die Lebenswelt – ihrer engeren Definition zufolge – nichts anderes als die phänomenal erscheinende sinnliche Gegebenheit von Etwas und besitzt eine (modal zunächst unbestimmte) Existenzgewißheit. Nur in diesem Sinne, der methodisch der primordialen Reduktion bzw. der ersten Prinzipalkoordination entspricht, kommt die prinzipielle Subjektrelativität der Welt zur Geltung. Dagegen gilt es zu sehen, daß diese Form der Subjektrelativität nicht mit dem Begriff der (sub­ jektrelativen) Lebenswelt übereinstimmt, den Husserl als Korrelat der natürlichen Einstellung aufstellt.102 Genau genommen handelt es sich bei dem engeren Begriff der Lebenswelt um eine Abstraktion aus dem ›natürlichen‹ Weltphänomen, die methodisch durch den impli­ ziten Gegensatz zur theoretischen Idealisierung oder praktischen Auslegung zustandekommt. Auf der Grundlage dieser Abstraktion aber erscheint auch die Welt der natürlichen Lebenspraxis mit ihren okkasionellen Situationshorizonten noch als eine gewissermaßen ›objektive‹, obwohl deren ebenfalls subjektrelativer Charakter erst im Kontrast zur streng objektivistischen Theorie als dem eigentlichen Gegenwurf zur Relativität positionaler Welterfahrung hervortritt. Nach Husserls systematischem Konzept bildet die unmittelbare Lebenspraxis die erste Konstitutionsstufe einer jeden Weltvorstel­ lung. Bereits hier werden »[a]llgemeine Züge, die durch alles weltliche Sein und Geschehen hindurchgehen oder sich empirisch überall zu zeigen scheinen«, als solche Allgemeinheiten induktiv erfaßt und zur Bestimmung des Weltganzen eingesetzt (Hua VII 289; vgl. 312). Aber obwohl dergestalt bereits die Totalität der Welt thematisch wird, handelt es sich dabei zunächst nur um eine Universalisierung praktischer Interessen, wie sie nach Husserl von religiös-mythischen Weltanschauungen realisiert werden, die vor der gesamteuropäischen Wissenschaftsidee und ihrer Entstehung in Griechenland herrschend waren (vgl. Hua VI 330f.; Hua VII 293f.). Als Auslegungen des 102 Auf die oben erörterte Doppeldeutigkeit in Husserls Begriff der Lebenswelt macht Aguirre zurecht aufmerksam. – Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. A.a.O. 12, Anm. 31.

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6. Die »Urstiftung« der Philosophie

Verhältnisses von Mensch und Welt verfolgen solche Weltanschau­ ungen den »Zweck, dem Menschen in seinen menschlichen Zwecken zu dienen, auf daß er sein Weltleben möglichst glücklich gestalten, es vor Krankheit, vor jederlei Schicksal, vor Not und Tod behüten kann.« (Hua VI 331) Gerade deshalb verhindern sie aber doch wie­ der die unbeschränkte Freigabe des Interesses an Wahrheit, dessen Entfaltung sich an jenen Zwecken und ihrer vorwissenschaftlichen Deutung begrenzt und die praktisch thematisierte Welt auf die spezi­ elle Umwelt einer besonderen intersubjektiven Gruppe restringiert (vgl. ebd.). Der philosophische Argumentationswert solcher von Husserl aus der zeitgenössischen Ethnologie und Religionsforschung auf­ genommenen Beobachtungen zeigt sich dann, wenn sie auf die oben entwickelte (vgl. in vorliegender Untersuchung 134ff.) Theorie intersubjektiver Synthesis als das fundamentale Konstitutionsgesetz der objektiven Welt bezogen werden. Insofern nämlich auch das mythisch-religiöse Bewußtsein einen Erkenntnisanspruch impliziert, der das Ganze der Welt und damit die »Welt für alle« betrifft, ist im praktischen Bewußtsein selbst die Tendenz zur Selbstüberschrei­ tung auf ›Theorie‹ angelegt. Dies gilt insbesondere aufgrund der Tatsache, daß die relativen Umwelten nicht beziehungslos nebenein­ anderliegen, sondern miteinander in Verkehr treten und so eine (neue) gemeinschaftliche Umwelt bilden können (vgl. ebd. 299; Hua XV 436f.). Der Konkurrenz mythisch-praktischer Weltauslegungen bzw. dem jeder natürlichen Praxis immanenten transzendentalen Gesetz der intersubjektiven Geschichtlichkeit entstammt nach Husserl die ursprüngliche Motivation jenes θαυμάζειν, aus dem – bei den Grie­ chen – das genuin theoretische Interesse als autonomes Interesse rein um der Wahrheit willen entsprang (vgl. Hua VI 331–333; Hua XV 62f.; 174ff.; 436f.). Indem also Husserl das in jeder praktischen Zwecksetzung enthaltene Element der Verifikation des Gegenständ­ lichen betont und mit dem Gedanken intersubjektiver Weltkonstitu­ tion kombiniert, kann er die (ideale) Genesis reiner Theorie und deren Unterscheidung von erscheinender Welt (»Umwelt« qua sub­ jektrelative »Weltvorstellung«) und ›Welt an sich‹ (als eigentlichem Gegenstand der Theorie) aus der Realisierung des praktischen Welt­ bezuges entwickeln. Denn der ursprüngliche Kontrast von Ich und Anderen, »Heimwelt« und »Fremdwelt«, der in der dialektischen »Widerstreitseinheit« intersubjektiver Erfahrung begründet und dem

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II. »Theorie« als Kritik subjektrelativer Praxis

Gesetz der Kompossibilität unterworfen ist, legt überhaupt erst jene gemeinsame Dimension der einen Welt als Bedingung von Widerstreit und Einstimmigkeit frei, die zugleich der (ontologische) Grund modaler Bestimmungen des Seins der Welt ist.103 »In diesem erstaunlichen Kontrast kommt der Unterschied von Weltvorstellung und wirklicher Welt auf und entspringt die neue Frage nach der Wahrheit; also nicht der traditionell gebundenen Alltagswahrheit[,] sondern einer für alle von der Traditionalität nicht mehr Geblendeten identischen allgültigen Wahrheit, einer Wahrheit an sich.« (Hua VI 332; vgl. ebd. 299f.; Hua VII 295f.)

II. »Theorie« als Kritik subjektrelativer Praxis Die soeben dargestellte Genesis der wissenschaftlichen Theorie aus der praktisch induzierten (intersubjektiven) Horizontverschmelzung läßt sich nach Husserl in einer zweifachen Hinsicht für die Konsti­ tution der spezifisch philosophischen Theorie auslegen. Die Unter­ scheidung zwischen Weltvorstellung und wirklicher Welt als deren ›Substrat‹ führt auf einen prägnanten Begriff des Seins, der das ›Ansichsein‹ gegen die (subjektive) Erscheinung differenziert und für die jetzt thematisierte Erfahrung der »Welt für alle« ein ontologisches Fundament angibt, das gegenständliches Korrelat objektiver Wahr­ heit ist. Dieser (objektivistische) Begriff der Wahrheit bzw. des Seins ignoriert seine transzendentale Herkunft aus dem monadologischen Prozeß intersubjektiver Synthesis, d.h. er läßt sich nach Husserl als das »Vorurteil« begreifen, es gebe ein »wahres Sein als An-sich-sein, als Korrelat einer an sich und endgültig bestehenden Wahrheit«, die 103 Auf die Entstehung der Theorie aus dem »Staunen« geht auch Aguirre kurz ein. – Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. A.a.O. 96, Anm. 36. – Er scheint jedoch die betreffenden Texte mißzuverstehen, wenn er das »Staunen« sogleich mit Husserls Begriff der Skepsis in Verbindung bringt. Nach seiner eigenen (zutreffenden) Interpretation versteht Aguirre Husserls Bestimmung der Skepsis als eine erste Einsicht in die prinzipielle Subjektrelativität alles Seienden. Folgt man seiner Auffassung des »Staunens« als Ursprung der Theorie, dann erschiene diese als Leis­ tung der Skepsis, die jene doch gerade in Frage stellt. Aguirre vereinfacht die histo­ rische Analyse Husserls. Zwar vollzieht die Theorie eine Kritik, aber eben eine solche der Praxis bzw. der Subjektrelativität schlechthin, die umgekehrt den Ausgangspunkt der Skepsis bildet. Dergestalt geht die Theorie historisch der Skepsis voraus und ist zugleich deren systematischer Motivationsgrund.

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6. Die »Urstiftung« der Philosophie

ihrerseits für sich erkannt und »in ihrer Endgültigkeit« begründet werden kann (Hua VII 295). Entscheidend ist, daß die derart charakterisierte Theorie sich auf­ grund ihrer ontologischen und erkenntnistheoretischen Implikatio­ nen gegen ihren eigenen Ursprung: die Praxis, wendet. Reine Theorie durchbricht die von der Prinzipalkoordination vorgezeichnete Struk­ tur der Umwelten mit ihren internen Zweckbezügen und positionalen Überzeugungshorizonten, da deren prinzipielle Subjektivität das eigentliche Wesen der (»gemeinsamen«) Welt verdeckt. Zugleich ist die Theorie methodisch gegen den transzendentalen Ursprung jedes Bewußtseins von Welt, die Subjektivität als solche gerichtet. Sie ver­ steht sich in ihrem Ansatz als Wissenschaft des Objektiven, genauer als die Erkenntnis desjenigen Substrats, das eine »objektive« Erfah­ rung möglich macht und den Relativismus der jeweils »erscheinenden Welt« transzendiert. Ihr eigentliches Erkenntnisziel ist das »Seiende für alle erdenklichen Menschheiten« (Hua VI 300, Anm. 1), d.h. sie impliziert eine reine Ontologie, welche nun die in aller praktischen Weltauffassung unthematisch vorausgesetzte ursprüngliche Dimen­ sion der ›Realität an sich‹ zum einzigen Gegenstand hat. Diese reine Ontologie, welche den Kern wissenschaftlicher Theorie bildet, führt daher – wie Husserl in immer neuen Analysen zu zeigen suchte – zur Entstehung einer nichtsubjektiven »Seinslogik als Logik der Realität« (ebd. 279), die ihrem eigenen Anspruch zufolge den Bereich unmit­ telbarer Erfahrung prinzipiell überschreitet. Für Husserl besteht die eigentliche Bedeutung dieser extremen Konzeptualisierung der Theorie darin, daß mit der »Urstiftung« der Theorie zugleich eine radikale Neufassung des ursprünglichen Welt­ phänomens im Ganzen vollzogen wird, die der gesamten Geschichte der Philosophie bzw. der Wissenschaft zugrundeliegt und ein präg­ nantes Strukturmodell »der« Welt ausbildet, auf das die Geschichte der Philosophie in ihrer ›topologischen‹ Binnengliederung zurückge­ führt werden kann. Einerseits bildet dieser Grundentwurf der Theorie den Ausgangspunkt der Philosophiegeschichte, andererseits läßt sich diese systematisch als eine zusammengehörige Folge von Theorien begreifen, deren teleologische Gesamtheit auf eine (theoretische) Rekonstruktion der ursprünglichen Weltkonkretion für das intentio­ nale Bewußtsein gerichtet ist. Die eigentümliche Problematik einer solchen von der Phäno­ menologie zu vollziehenden Rekonstruktion besteht darin, daß die systematische Frage nach dem eigentlichen »Sein« der Welt die

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II. »Theorie« als Kritik subjektrelativer Praxis

geschichtliche Konditioniertheit solchen Fragens nicht ignorieren darf. Die Rekonstruktion als phänomenologische Freilegung des ursprünglichen Weltphänomens kann nicht als bloße Abkehr von der Theorie vollzogen werden, sie muß vielmehr als prägnante Rückfrage die ideale Genesis der objektivistischen Theorie aus der Struktur des welterfahrenden Lebens mitreflektieren und dergestalt die Möglich­ keit und Notwendigkeit einer »wahren« Idee der Philosophie aufzei­ gen. In diesem Sinne erweist sich die Frageweise der Phänomenologie selbst als eine unmittelbare geschichtliche Folge der »Urstiftung«, von deren Präformation die Phänomenologie gerade dann abhängt, wenn sie eine systematische Destruktion der (objektivistischen) Theorie auf ihr eigentliches »Geltungsfundament«: die Lebenswelt, unternimmt. Genauer heißt dies, daß die eigentümliche Doppeldeutigkeit des Begriffs »Lebenswelt« aus der »Urstiftung« der Theorie als solcher erschlossen werden kann. Zunächst bezeichnet ›Lebenswelt‹ den Horizont der Welt als Korrelat der (›urdoxischen‹) Existenzgewißheit innerhalb der prä­ sumtiven Einheit der Erfahrung. Als solche wird sie im Rückschluß von der praktischen Weltauffassung als unthematisches und modal unbestimmtes Substrat einer jeden positionalen »Umwelt« verstan­ den (vgl. in vorliegender Untersuchung oben 176f.). – Tritt jedoch die objektivistische Theorie in Gegensatz zur Praxis und zu deren impliziter Voraussetzung: der sinnlichen Wahrnehmung von etwas, indem sie beide als nur subjektrelative und daher nicht »wahre« Auffassungsweisen dessen, was »an sich ist«, kritisiert, dann wird einerseits – durchaus im Sinne der Phänomenologie – das »Wie« des Gegebenseins der Welt als solcher thematisiert. Andererseits findet darin eine konsequente Entsubjektivierung des Seins der Welt für das Bewußtsein statt und Theorie und Praxis treten durch die Umkehrung des Bedingungsverhältnisses von Doxa und Episteme auseinander. In dem Maße wie reine Theorie sich als irrelative und ungeschichtliche begreift, wird dem (positionalen) Sein der Welt für das subjektive bzw. intersubjektive Bewußtsein sein spezifischer Charakter der Geschichtlichkeit entzogen. Auf diese Weise läßt sich im Gegenzug zur Theorie ein weiterer Begriff der Lebenswelt bestimmen, der als Korrelat der natürlichen Einstellung auftritt und die (indefinite) Vielfalt der durch Praxis konstituierten »Umwelten«: die jeweils in ihrer »Bekanntheitsform« positional apperzipierten »Heimwelten«, umfaßt. Indem aber die Theorie kritisch auf das identische Substrat der einen Welt gerichtet

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6. Die »Urstiftung« der Philosophie

ist und damit zugleich jede Subjektrelativität ihres Seins negiert, verkürzt sie das ursprüngliche Weltphänomen: die Lebenswelt. Sie grenzt die Natur als die nicht praktisch gesetzte gegenständliche Vor­ aussetzung der Praxis aus und vollzieht damit eine ›kosmologische‹ Abstraktion der Welt für das Bewußtsein auf das All der Dinge, zu deren »Seinssinn« nicht die Bezogenheit auf ein Bewußtsein gehört. Die gesonderte Reflexion auf das (sinnlich) Wahrgenommene, das rein Gegenständliche, als unveränderliche und »gemeinsame« Bedingung praktischer Umwelten führt nämlich im ersten Schritt zur fälschlichen Verselbständigung eines unselbständigen Struktur­ momentes des Bewußtseins von »Welt«. Denn für sich genommen ist die rein sinnliche Wahrnehmung kein Bewußtsein »der« Welt. Wird aber in einem zweiten Schritt auch das subjektrelative Moment der Wahrnehmung methodisch ausgeschaltet, dann gilt auf der Grund­ lage dieser radikalen Abstraktion die »Welt« als das All der bloßen Dinge oder Onta; sie ist ein subjektloser (ontologischer) Inbegriff der Realität. In diesem Sinne läßt sich also der spezifische Weltbegriff der objektivistischen Theorie nach Husserl aus der »Urstiftung« selbst entwickeln. Dabei gilt es jedoch zu beachten, daß dieser Weltentwurf nicht willkürlich erfolgt, sondern genetisch in der ursprünglichen Konkretion der »Welt für alle« angelegt ist, wie umgekehrt die Entstehung der Theorie selbst als Funktion der (universalen) inter­ subjektiven Synthesis aufgefaßt werden kann. Die phänomenologi­ sche Kritik des Objektivismus als Kritik des diesem eigentümlichen Weltbegriffs vollzieht deshalb die Rekonstruktion des ursprünglichen Bewußtseins von Welt am Leitfaden der Theorie, die dergestalt nicht einfach aufgegeben, sondern über sich selbst hinaus in ihre »wahre« Gestalt überführt werden muß. Selbst das Programm einer derartigen Kritik aber ist in der »Urstiftung« gewissermaßen vorgezeichnet. Denn auch die objekti­ vistische Theorie erhebt einen unbedingten normativen Anspruch, dem alle Praxis unterworfen wird und der in letzter Konsequenz den von der Theorie selbst hervorgebrachten Widerspruch zur Praxis aufheben soll (vgl. Hua VIII 230; Hua VI 334). Nicht die seit der »Urstiftung« gültige Idee objektiver Wahrheit ist nach Husserl zu kritisieren, sondern deren objektivistische Verfälschung durch die radikale Leugnung der Subjektivität und ihrer konstitutiven Funktion für das Sein der Welt. Besteht das Postulat der Philosophie als wahrer Wissenschaft darin, die Idee einer widerspruchsfreien Welt zu ent­

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III. ›Kosmologisierung‹ der »Theorie« und naturalistische »Abstraktion«

werfen, so ist implizit die Aufgabe gestellt, den normativen ontologi­ schen Anspruch des Objektivismus dergestalt zu revidieren, daß eine endgültige Synthesis von Theorie und Praxis möglich und auf diese Weise eine Vermittlung der (objektivistischen) Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte in ihrem Endstadium: dem neuzeitlichen Positivismus, mit ihrem eigentlichen Ursprung und ihrer Herkunft sowohl systematisch als auch geschichtlich eingeleitet wird (vgl. Hua VI 329). Von diesen Überlegungen her erweist sich die »Urstiftung« philosophischer Theorie – unangesehen ihrer objektivistischen Ver­ fälschung – als irreversibler Wendepunkt der universalen Mensch­ heitsgeschichte. »Sie bedeutet auch eine Revolutionierung der Geschichtlichkeit, die nun Geschichte des Entwerdens des endlichen Menschentums im Werden zum Menschentum unendlicher Aufga­ ben ist.« (Ebd. 325; vgl. Hua VII 295f.; Hua IV 179) Die »Urstiftung« ist demnach nicht ein bloß empirisch faßbarer oder rekonstruierbarer Vorgang innerhalb einer (empirischen) Kulturgeschichte, sondern Geburtsstätte des Logos als Kriterium wahrer Vernunft und bezeich­ net in diesem Sinne eine spezifische Verwandlung des subjektiven bzw. intersubjektiven Bewußtseins. Für Husserl ist es die Idee theo­ retischer Wissenschaft als solche, die eine durch Vernunft geleitete Verifikationsgemeinschaft überhaupt begründet.

III. ›Kosmologisierung‹ der »Theorie« und naturalistische »Abstraktion« Indem die Philosophie als reine Theorie eine radikale Kritik des prak­ tischen Interesselebens vollzieht und die subjektrelative Konstitution der Welt negiert, begreift sie die Welt als »Universum des Seienden«, das als objektives den »Weltvorstellungen« zugrunde liegt (Hua VI 340). Sie ist in ihrem geschichtlichen Anfang »Kosmologie«, denn sie richtet sich »in ihrem theoretischen Interesse auf die körperliche Natur […], da ja alles raumzeitlich Gegebene […], mindestens dem Untergrund nach, die Daseinsformel der Körperlichkeit hat.« (Ebd.; vgl. Hua VII 311ff.) Die Philosophie etabliert sich dergestalt als Wissenschaft von der einen und irrelativen Welt, die ihrem Wesen nach das geordnete Ganze (der Kosmos) realer Dinge ist, dessen Gesetze unterschiedslos für jegliches Seiende gelten. Durch diese konsequente Ontologisierung bzw. Entsubjektivierung weltlichen

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6. Die »Urstiftung« der Philosophie

Seins, welche die spezifischen Differenzen in »Wie« des Gegebenseins nivelliert, gewinnt die theoretische Einstellung ihre Universalität, wird sie universale Philosophie. Genau dieser Form der Universalität gilt aber Husserls Kritik.104 Denn die darin beschlossene Verkürzung der ursprünglichen »Welt für alle« widerspricht der reklamierten Objektivität und Universalität, für die ein Verlust im konkreten Phänomenbestand der eigentlichen Welt in Kauf genommen werden muß. Einerseits ist der ontologische Ansatz des philosophischen Objektivismus dadurch bestimmt, daß im Gegenzug zur Praxis die »Natur« bzw. das Naturding als Leitfaden zur Explikation dessen, was wahrhaft »ist«, ausgezeichnet wird (vgl. Hua VI 358f.; 179; 463). Andererseits wird aber auch die sinnliche Wahr­ nehmung, die so als vorrangige Weise ›eigentlicher‹ Weltauffassung aufzutreten schien, als subjektrelative diskreditiert. Zwar bleibt der Vorrang der Erfahrung auch innerhalb der theoretischen Einstellung erhalten; aber die theoretische Kritik der Doxa entzieht dieser ihren Gegenstand bzw. der Wahrnehmung ihrer spezifischen Wahrheit, indem sie letztere der reinen Episteme vorbehält. Dergestalt ist zugleich die Möglichkeit verstellt, das Wesen der Natur, die für Hus­ serl stets ein unselbständiges Struktursegment der Welttotalität ist, aus der (subjektiven) Erfahrungskorrelation angemessen zu enthalten (vgl. Hua VIII 220ff.). Umgekehrt wird jetzt die Subjektivität selbst ontologisch auf die gleiche Stufe wie jedes andere Seiende gestellt, so daß zunächst eine Erkenntnis ihres transzendentalen, prinzipiell nicht-mundanen Charakters unmöglich ist. So prägt nach Husserl bereits die kosmologische Wendung der anfänglichen Theorie jene beiden Vorurteile aus, die den gesamten Verlauf der Philosophiegeschichte bestimmen und den Grundentwurf des neuzeitlichen Objektivismus vorzeichnen. Einmal handelt es sich um das »naturalistische Vorurteil«,105 wonach das Bewußtsein lediglich als höhere Schicht der physischen Realität erscheint, und dessen Konsequenz für Husserl der rationalistische Empirismus der Neuzeit darstellt. Zum anderen setzt der Prozeß der mathematischen Idealisierung als Entdeckung der unendlichen Limesgestalt des objek­ tiv Seienden (vgl. Hua VI 340f.) bei der (abstrakten) »Daseinsformel der Körperlichkeit« an. Beide Momente gründen in der abstraktiven Vgl. zum folgenden Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 155–162. Für diesen Gedankengang vgl. Hua VI 294, Anm. 2. – Zum Prozeß der Naturali­ sierung des Objektivismus vgl. die Darstellung bei Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 17–25. 104

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III. ›Kosmologisierung‹ der »Theorie« und naturalistische »Abstraktion«

Universalisierung der theoretischen Einstellung, die auf diese Weise nicht nur das ursprüngliche Sein der Welt, sondern auch das (trans­ zendentale) Wesen des Menschen und damit die zugehörige Idee der Freiheit und Selbstverantwortung in Frage stellt. Nicht nur die zuletzt genannte Konsequenz, sondern auch die Tatsache, daß der gesamte Bereich menschlicher Praxis, in der eine Weltorientierung nach nicht-gegenständlichen Zwecksetzungen stattfindet, keinesfalls mit dem Sein des Naturdinges auf eine Ebene gestellt werden kann, erzeugte innerhalb der objektivistischen Theo­ rie einen fundamentalen Widerspruch, der korrelativ zur ›naturalis­ tischen Einstellung‹ die Ausbildung der ›personalen Einstellung‹ motivierte (vgl. 296; 341). In der personalen Einstellung wird genau jene Dimension der Praxis bzw. der Subjektivität und Intersubjekti­ vität thematisiert, die durch die Kosmologisierung der Philosophie als bloß relative ausgeschlossen worden war. Die eigentümliche Pro­ blematik dieses Vorgangs besteht aber darin, daß auch die personale Einstellung nur Komplement der naturalistischen ist und in diesem Sinne auf dem Boden der objektivistischen Theorie bleibt. Dadurch tritt jedoch eine – nach Husserl prinzipiell aporetische – Spaltung des in der »Urstiftung« gesetzten Wissenschaftsbegriffs ein, insofern die Theorie als objektive in zweierlei Gestalt erscheint. Einmal ist sie objektive Wissenschaft der Natur, zum anderen (objektive) Wis­ senschaft der Relativität und Historizität personalen Lebens, das ebenfalls zum »Universum des Seienden« zählt und jetzt unter dem Titel Geisteswissenschaften abgehandelt wird. Husserl hat den Methodenstreit zwischen Natur- und Geistes­ wissenschaften in Ideen II aufgegriffen und versucht, vom phänome­ nologischen Standpunkt aus eine einheitliche subjektivitätstheoreti­ sche Konzeption auszuarbeiten, die beide Ansätze auf der Ebene strenger Wissenschaft miteinander vermittelt. Für den gegenwärtigen Zusammenhang ist entscheidend, daß er jenen Methodenstreit nicht einfach als unerklärbares Faktum hingenommen, sondern in seine historischen und systematischen Ursprünge hinein verfolgt hat. Denn wie die geschichtsphilosophischen Analysen des Spätwerkes zeigen, begriff Husserl den Gegensatz von Natur- und Geisteswissenschaften als symptomatisches Resultat der neuzeitlichen »Krisis« der Vernunft und Wissenschaft, die letztlich durch die »Urstiftung« theoretischer Philosophie präformiert war und sich nun in der scheinbar unauf­ löslichen Kontradiktion der beiden Wissenschaftstypen teleologisch spiegelt (vgl. ebd. 463).

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7. Die Aufgabe einer Restitution der Philosophie und das Problem der Lebenswelt

I. Methodische Probleme des Rückgangs auf die Lebenswelt Der Anspruch der Phänomenologie, eine vollständige Restitution der Idee der Philosophie als strenge Wissenschaft zu leisten, läßt sich weder durch Negation der »Urstiftung« der Philosophie noch durch eine Verleugnung der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte ein­ lösen. Vielmehr ist es gerade die tragende Einsicht der reifen Philo­ sophie Husserls, daß die eigentliche Aufgabenidee der Philosophie nur dann zurückgewonnen werden kann, wenn die wissenschaftli­ che Problemlage der Gegenwart nicht nur historisch, sondern auch systematisch als Folge der »Urstiftung« aufgefaßt und deshalb als legitimer Ausgangspunkt des eigenen Philosophierens akzeptiert wird. Die von Husserl unternommene Analyse der »Urstiftung« hat so die Bedeutung, eine systematische Verständigung über diejenigen Problemstellungen einzuleiten, die für den Aufbau der Philosophie als strenge Wissenschaft geschichtlich vorgegeben sind. Das entscheidende Charakteristikum der »Urstiftung« von Phi­ losophie besteht nun für Husserl in der Etablierung einer theoreti­ schen Einstellung, die ihrerseits als Radikalisierung des subjektiven Interesses an Wahrheit und in diesem Sinne zugleich als Funktion des Prozesses intersubjektiver Synthesis, der zu den Konstitutionsbe­ dingungen der »Welt für alle« zählt, ausgelegt werden kann. Reine Theorie transzendiert die okkasionelle, endliche Selbstauffassung des menschlichen Bewußtseins, das schon auf die Welt bezogen ist, und konzipiert eine universale Erkenntnis der Welt an sich im Unterschied zu deren jeweils relativen Erscheinungsweisen für das Bewußtsein. Durch diese (explizite) erkenntniskritische Thematisierung der Welt und ihres Gegebenseins ist die Philosophie seit der »Urstiftung« im Sinne Husserls fraglos Wissenschaft »rein um der Wahrheit willen«.

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7. Die Aufgabe einer Restitution der Philosophie und das Problem der Lebenswelt

Den immanenten Widerspruch dieses theoretischen Entwurfs mit seiner eigentlichen Zielsetzung erblickt Husserl darin, daß durch die methodische Ausschaltung der Subjektrelativität bei der Weltkon­ stitution, die umgekehrt den motivierenden Ursprung der Theorie bildete, die ›Welt an sich‹ ontologisch absolut gesetzt wird. Für Husserl ist damit prinzipiell die Möglichkeit aus der Hand gegeben, im Sinne der Phänomenologie eine transzendentale Aufklärung des Erkenntnisproblems durchzuführen und eine letzte Begründung der Erkenntnis im Bewußtsein zu leisten. Von dieser Seite her gesehen stellt sich die Philosophie lediglich als eine theoretische Radikalisie­ rung der ›natürlichen Einstellung‹ und ihres unreflektierten Vorur­ teils vom fraglosen Ansichsein des unmittelbar Gegebenen dar. Einen zweiten ebenso folgenreichen Widerspruch sieht Husserl darin, daß durch die Kritik des praktischen Interesselebens und die korrelative »Kosmologisierung« bzw. »Naturalisierung« der Theorie die »Ursprungskonkretion« der Welt verkürzt und das wahrhaft objektive Sein der Welt: ihr »Seinssinn«, auf den Bereich der Natur als einziges ontologisches Substrat reduziert wird. Damit tritt zwar das allgemeine Realitätssubstrat: die Dingwelt als Bedingung von Praxis, in den Blick, aber der Universalitätsanspruch der philosophischen Theorie, der auf das Ganze der Welt gerichtet ist, erleidet eine quali­ tative Einschränkung. »Diese naturalistisch betrachtete Welt ist doch nicht die Welt. Vielmehr: vorgegeben ist die Welt als Alltagswelt und innerhalb ihrer erwächst dem Menschen das theoretische Interesse und die auf die Welt bezogenen Wissenschaften, darunter unter dem Ideal von Wahrheiten an sich Naturwissenschaft.« (Hua IV 208) Genau dieses systematische Ungenügen ist es, das nach Husserl die Entstehung der Geisteswissenschaften motivierte. Den Geistes­ wissenschaften, die ihrerseits in der »personalen« Einstellung fun­ diert sind, billigt Husserl insofern einen Vorrang gegenüber der naturalistischen Einstellung zu, als sie ausdrücklich die relative und praktische Auffassung der Welt, die Historizität des subjektiven Inter­ esselebens zum Gegenstand haben. Diese methodische Auszeichnung der personalen Einstellung ist für Husserl insbesondere dadurch begründet, daß sie keineswegs die Natur abblendet und eine nur ergänzende Abstraktion auf den »Geist« vollzieht (vgl. Hua VI 229– 232). Vielmehr begreift sie die Natur gerade als unverzichtbares Kon­ stitutionselement der subjektiv-relativen Umwelten (vgl. ebd. 317). Im Unterschied zum Naturalismus reiner Theorie erscheint hier die Natur als die »von aller Theorie freie, erscheinende und jeweils so und

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I. Methodische Probleme des Rückgangs auf die Lebenswelt

so gemeinte Natur, so wie sie im personalen Leben der Menschheit eben auftritt und es in jeweiliger Praxis bestimmt.« (Ebd. 298f.). Aber eben diese Vorausgesetztheit der Natur, ihre Nichtthematizität inner­ halb der personalen Einstellung zeigt an, daß auch die personale Ein­ stellung – selbst dann, wenn sie Gegenstand oder Basis theoretischer Reflexionen wird – nicht in der Lage ist, die Ursprungskonkretion der Welt für eine wahre Theorie zurückzugewinnen. Grundsätzlich bleibt auch sie dem Vorurteil der natürlichen Einstellung verhaftet und steht als bloßes Konkurrenzmodell zur kosmologisierten Theorie, als deren Konkretisierung Husserl die Naturwissenschaften auffaßt, noch immer auf den Boden derjenigen ontologischen Dichotomie von ›Welt an sich‹ und Welterscheinung (bzw. »Sonderwelt«), die in der Urstiftung der Theorie hervortrat. Es ist somit die fundamentale Entsubjektivierung der Wahrheit von Welt bzw. die Umwertung von Doxa und Episteme (vgl. ebd. 359), welche Theorie und Praxis in der Urstiftung der Philosophie bereits auseinanderfallen ließen. Diesem Vorgang entspricht innerhalb der wissenschaftsgeschichtlichen Analyse Husserls, daß personale und naturalistische Einstellung einander gegenübertreten, obwohl sie dieselbe Welt »vermeinen«. Darum erweist sich für Husserl das prinzipielle Scheitern der traditionellen Philosophie an ihrer eigentli­ chen Aufgabe, den wahren, ursprünglichen und einheitlichen Begriff der Welt als des gegenständlichen Korrelats intersubjektiver Selbst­ verständigung in letzter Begründung aufzuweisen. Wird nämlich nur die Geltung der naturalistischen Theorie relativiert, dann ist zunächst bloß diejenige Dimension wiederhergestellt, von der sich die (objektivistische) Theorie emanzipiert hatte, nämlich die Sphäre des (relativen) praktischen Interesselebens, das die Welt als reale voraussetzt (vgl. ebd. 499). Damit wird aber das eigentliche Erkenntnisziel des Interesses an Wahrheit: die theoretische Selbstverständigung der Subjektivität innerhalb der (transzendentalen) Konstellation von Bewußtsein und Welt, nicht geleistet. Husserl hat deshalb in seinem Spätwerk die seit Ideen I programmatisch geforderte Epoché der Urdoxa bzw. die Reduktion des natürlichen Vorurteils von der Existenzgewißheit der Welt auf die intentionale Subjektivität dergestalt konkretisiert, daß nun im Gegenzug zur traditionellen Philosophie- und Wissen­ schaftsgeschichte der ursprüngliche Begriff der Welt als ›Welt für alle‹, also die »Lebenswelt«, diesseits jeder abstraktiven Verkürzung ihres eigentlichen »Seinssinnes« aufgewiesen werden muß. Diese

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7. Die Aufgabe einer Restitution der Philosophie und das Problem der Lebenswelt

Aufgabenstellung steht im Zusammenhang mit jener anderen, das Sein der Welt aus der transzendentalen Subjektivität und ihren Kon­ stitutionsleistungen aufzuklären. »Genauer gesprochen, vollzieht sich der Rückgang auf die diese vorgegebene Welt konstituierende transzendentale Subjektivität in zwei Stufen: 1. im Rückgang von der vorgegebenen Welt mit allen ihren Sinnesniederschlägen, mit ihrer Wissenschaft und wissenschaftlichen Bestimmung auf die ursprüng­ liche Lebenswelt; 2. in der Rückfrage von der Lebenswelt auf die subjektiven Leistungen, aus denen sie selber entspringt.« (EU 49)

II. Die Frage des ›Leitfadens‹ zur Erschließung der Lebenswelt Aufgrund der prinzipiellen geschichtlichen Konditionierung des sys­ tematischen Rückganges auf die Lebenswelt ergab sich für Husserl die grundsätzliche Schwierigkeit, wie eine zureichende inhaltliche Bestimmung der Lebenswelt durchgeführt werden könne, ohne daß diese wieder nur als eine bloß einseitige und relative bzw. der eigentli­ chen Ursprungskonkretion der Welt widersprechende entwertet wird. Zwar läßt sich die systematische Notwendigkeit des Rückgangs durch eine kritische Besinnung auf die Urstiftung der Philosophie zwingend darlegen. Aber dieses Unternehmen löst nicht ohne weiteres das Problem der historischen Bedingtheit des Standortes, von dem aus dieser Rückgang erfolgt. In diesem Sinne stellt sich Husserl zurecht die Frage: »Was ist das für eine Abstraktion, die wir bilden, indem wir eine Welterfahrung und einen Erfahrungssinn der Welt vor allem wissenschaftlichen Denken konstruieren bzw. beschreiben – als Ausgang?« (Hua VII 297) In der Tat läßt sich zeigen,106 daß Husserl die Dimension der Lebenswelt methodisch durch einen konsequenten Rückschluß vom (neuzeitlichen) Objektivismus und seiner »naturalistischen« Abstraktion des gegenständlichen Weltsubstrats gewinnt, d.h. ihre spezifische Weise des Gegebenseins bestimmt sich positiv aus dem (dialektischen) »Kontrast«, den die »Idee der objektiven Wahrheit […] zur Idee der Wahrheit des vor- und außerwissenschaftlichen Auf diese Sachlage hat Janssen ausdrücklich hingewiesen. – Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 188ff. – Vgl. ferner Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. A.a.O. 9–13; bes. 12, Anm. 31.

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II. Die Frage des ›Leitfadens‹ zur Erschließung der Lebenswelt

Lebens« (Hua VI 127) aufrechthält. Auf diesem Wege wird das ursprüngliche Sein der Welt wesentlich als der durch sinnliche Wahr­ nehmung und Anschauung erfahrene Bereich der Natur aufgefaßt. Die darin implizierte Kritik an dem ontologischen Ansatz des Objektivismus, die Husserl am konsequenten und ausführlichsten in der Krisis durchgeführt hat, erfüllt nun im Rahmen des Husserlschen Programms die zentrale Funktion, die geschichtlich verfestigte Ver­ mehrung des Verhältnisses von Doxa und Episteme zu revidieren. Husserls Angriff richtet sich gegen den vom Objektivismus erzeugten »Schein eines reinen Denkens, das, als reines um Anschauung unbe­ kümmert, schon seine evidente Wahrheit, und sogar Weltwahrheit habe« (Hua VI 137). Für die objektivistische Erkenntniseinstellung entfällt, wie Husserl zeigen will, die kritische Reflexion auf die Genesis der Idealisierungen aus dem subjektiven Erfahrungsvollzug. Da sie auf der fraglosen Symmetrie zwischen formaler Logik und ontologischen Gesetzen beruht, verfällt sie – kantisch gesprochen – dem dialektischen Schein, die Sache selbst mit Hilfe bloßer Begriffe zu erkennen. Indem Husserl demgegenüber die konstitutive Rolle sinn­ licher Anschauung bei der Welterfahrung geltend macht (vgl. ebd. 130f.), gelingt es ihm, die ursprüngliche Funktion der Subjektivität in der intentionalen Setzung der Welt (bzw. deren subjektrelatives Sein) sichtbar zu machen. »Der Kontrast zwischen dem Subjektiven der Lebenswelt und der ›objektiven‹, der ›wahren‹ Welt liegt nun darin, daß die letztere eine theoretisch-logische Substruktion ist, die eines prinzipiell nicht Wahrnehmbaren, prinzipiell in seinem eigenen Selbstsein nicht Erfahrbaren, während das lebensweltlich Subjektive in allen und jedem eben durch seine wirkliche Erfahrbarkeit ausge­ zeichnet ist.« (Ebd. 130) Diese Form der Objektivismuskritik bzw. des Rückgangs auf die Lebenswelt hat nun aber die Einseitigkeit an sich, daß die Lebenswelt entgegen der eigentlichen Absicht als materielle Natur entwickelt wird. Die prägnanten Bestimmungsmomente der Lebenswelt ergeben sich hier aus der Analyse einer spezifischen Gestalt der Episteme, d.h. die phänomenologische Aufweisung doxischer Urevidenzen als sinnliche Wahrnehmungen klärt unmittelbar wieder nur das Appli­ kationsfeld des ›naturalistischen‹ Objektivismus, also dessen ureige­ nes Geltungsfundament. Diese Sachlage hat Husserl die Kritik eingetragen, daß sein Entwurf der Lebenswelt im Grunde selbst dem neuzeitlichen Wissen­

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schaftsbegriff verhaftet geblieben sei.107 Zwar zeige Husserls Kritik des Objektivismus die geschichtliche und systematische Geltungsre­ lativität der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung auf. Aber die Einsicht in diese Geschichtlichkeit begrenzt sich an der ursprüngli­ chen materiellen Konstitution der Natur als dem selber ungeschicht­ lichen Substrat der »höherstufigen« Begriffsbildungen und Ideali­ sierungen; nur die letzteren sind es, die auf ihre geschichtlichen Implikationen befragt werden. Ohne Zweifel wird man einräumen müssen, daß Husserl die Zweideutigkeiten seiner Exposition der Lebenswelt niemals voll­ ständig bereinigen konnte. Andererseits gilt es zu berücksichtigen, daß die hier auftretenden Schwierigkeiten sich nicht zuletzt aus dem oben (in vorliegender Untersuchung auf 175–185) erörterten geschichtsphilosophischen Entwurf erklären lassen. Denn Husserls Objektivismuskritik, wie sie insbesondere in den Krisis-Abhandlun­ gen entwickelt wird, ist zunächst an dem seit der Urstiftung vorge­ gebenen Begriff wissenschaftlicher Theorie sowie dem zugehörigen Weltbegriff orientiert. So gefaßt ist es gerade das Beweisziel Husserls, daß die in der Urstiftung vollzogene naturalistische Abstraktion als eine Einseitigkeit innerhalb der natürlichen Einstellung erwiesen wird. Die Ausschaltung dieser Abstraktion fordert den radikalen Rückgang in eine wahrhaft universale Einstellung, die nicht nur die subjektive Relativität der objektivistischen Idealisierungsleistungen auf sinnliche Wahrnehmung dartut, sondern darüber hinaus den methodologischen Anspruch der theoretischen Wissenschaften auf­ hebt, daß allein am Leitfaden der kosmologischen Weltauslegung die ursprüngliche Beziehung von Bewußtsein und Welt aufgewiesen werden könne. Soll die Lebenswelt als ursprünglicher und universaler Horizont intentionalen Erlebens freigelegt werden, dann muß die transzendentale Phänomenologie schließlich auch den überlieferten Begriff philosophischer Theorie aus der kosmologischen Perspektive lösen, indem sie diese als eine zwar mögliche und im Blick auf die komplexe Ursprungskonkretion der Welt faktisch berechtigte, aber ihrem Wesen nach relative Bewußtseinseinstellung entwickelt (vgl. ebd. 466; Hua IX 445–447). In diesem Sinne läßt sich Husserls Rückgang auf die Lebenswelt als die Welt sinnlicher (subjektrelativer) Erfahrung entgegen der Zu dieser Kritik vgl. insbesondere Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 2. Auflage Tübingen 1965. 330. – Sowie: Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 254. 107

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daran geübten Kritik zunächst als ein erster Lösungsschritt innerhalb der umfassenden Aufgabe verstehen, den ursprünglichen Begriff der Welt durch eine Destruktion der traditionellen Ontologie, genauer: durch die Umwertung des Rangverhältnisses von Doxa und Episteme, zu restituieren. Die Gefahr des Mißverständnisses ergibt sich hier erst dann, wenn dieser Schritt seinerseits methodisch verabsolutiert wird. Diese Restriktion der Bedeutung der Lebenswelt scheint nun dadurch vermieden werden zu können, daß man auf deren zweite (weitere) Fassung als den Inbegriff vorwissenschaftlicher Praxis achtet und diese – von der naturalistischen Theorie negierte – Dimension der natürlichen Weltapperzeption als Lebenswelt bezeichnet.108 – Zweifelsohne bietet ein solches Vorgehen, das mit Husserls Inten­ tionen durchaus in Einklang steht, ebenfalls Ausgangspunkte für eine Kritik des Universalitätsanspruches der Naturwissenschaften. Denn nach Husserl entspringt auch die ›naturale‹ Einstellung fakti­ schen Zweckinteressen, ist also insofern den »Sonderwelten« des praktischen Interesselebens prinzipiell gleichgestellt, und wie die letzteren gehört die wissenschaftliche Erkenntnispraxis in die uni­ versale Lebenswelt (vgl. Hua VI 466). Andererseits läßt sich auch systematisch dartun, »daß die naturalistische Einstellung sich der personalistischen unterordnet und durch eine Abstraktion oder viel­ mehr durch eine Art Selbstvergessenheit des personalen Ich eine gewisse Selbständigkeit gewinnt, dadurch zugleich ihre Welt, die Natur, unrechtmäßig verabsolutierend.« (Hua IV 183f.) Achtet man jedoch auf die erkenntniskritische Zielsetzung des Rückgangs auf die Lebenswelt, dann löst die zuletzt genannte Weise der Objektivismuskritik gerade nicht die Forderung ein, eine radikale Revision derjenigen ontologischen Position einzuleiten, die mit der Urstiftung der philosophischen Theorie geschichtlich zur Herrschaft gekommen und durch die Setzung einer subjektunabhängigen ›Welt Diese Fassung des Begriffs der Lebenswelt, die sich ebenfalls bei Husserl aufzeigen läßt, betonen Hermann Lübbe: Husserl und die europäische Krise. – In: Kant-Studien 49 (1957/58), 225–237, und Lothar Eley: Die Krise des Apriori in der transzenden­ talen Phänomenologie Edmund Husserls. A.a.O. 4, Anm. 4; 105, Anm. 2; eine kon­ krete Darstellung dieses Begriffs der Lebenswelt gibt Ludwig Landgrebe: Welt als phänomenologisches Problem. A.a.O. 48ff. – Ganz richtig weist Eley darauf hin, daß der Terminus »personale Einstellung« in Ideen II entscheidende Züge der späteren Lebensweltproblematik vorwegnimmt. – Vgl. die kritische Stellungnahme zu dieser Interpretation der Lebenswelt bei Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. XVIf. 108

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an sich‹ charakterisiert war. In Wahrheit findet nämlich durch die Aus­ zeichnung der personalen Einstellung lediglich eine kritische Relati­ vierung der kosmologischen oder naturalistischen Abstraktion statt, die keineswegs die ontologische Kernstruktur des Objektivismus aufhebt. Durch diese Relativierung erscheinen die objektivistischen Wissenschaften als eine besondere »Sonderwelt« neben anderen, und die Lebenswelt ist dann nichts anderes als der Inbegriff der (möglichen und wirklichen) Sonderwelten, ein »Universum lebens­ weltlicher Objekte« (Hua VI 176), in dem der »Kontrast« zwischen den gesonderten »Zweckgebilden« (den Wissenschaften) und deren umgreifender Sphäre, dem »Weltall, das alle menschlichen Zweckge­ bilde eo ipso in sich aufnimmt« (ebd. 462), nivelliert ist. Zwar wird auf diese Weise eine kritische Einschränkung des Universalitätsan­ spruchs des objektivistischen Naturalismus durchgeführt. Aber die Lebenswelt verliert umgekehrt die ihr methodisch zugewiesene spe­ zielle Begründungsfunktion, die bei der Kontrastierung von sinnlicher Doxa und idealisierender Episteme, also der ›engeren‹ Fassung des Lebensweltbegriffs, wenigstens partiell realisiert wurde. Als »Univer­ sum« ist sie nämlich noch immer das »All« der Onta, das zwar deskriptiv in eine Strukturmannigfaltigkeit regionaler Ontologien aufgegliedert werden kann, seinerseits jedoch – als an sich seiendes – auf keine letzte konstitutive Instanz im Sinne der transzendentalen Subjektivität zurückführbar ist.109 Nicht die Kritik der naturalistischen durch die personale oder geisteswissenschaftliche Einstellung ist es also, welche die Restitu­ tion der Idee der Philosophie leistet. Gefordert ist vielmehr die Destruktion der objektivistischen Ontologie und die Gewinnung der ursprünglichen Welt als »›Boden‹ für alle, ob theoretische oder außertheoretische Praxis.« (Ebd. 145) In diesem Sinne kann die Welt kein (entsubjektivierter) Inbegriff des Seienden an sich sein; sie ist stattdessen der universale »Horizont« jedes aktuell Seienden und seines speziellen »Seinssinnes«, gleichgültig ob dieser als »Natur« oder »Geist« bestimmt wird. Dergestalt ist »Welt nicht seiend wie Seiendes, wie ein Objekt, sondern seiend in einer Einzigkeit, für Zur Zweideutigkeit des von Husserl exponierten Begriffs der Lebenswelt und den daraus folgenden methodologischen Aporien vgl. die instruktive und detaillierte Studie von Ulrich Claesges: Zweideutigkeiten in Husserls Lebenswelt-Begriff. – In: Perspektiven transzendentalphänomenologischer Forschung. Für Ludwig Landgrebe zum 70. Geburtstag von seinen Kölner Schülern. Herausgegeben von Ulrich Claesges und Klaus Held. Den Haag 1972. 85–101. (Phaenomenologica 49) 109

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die der Plural sinnlos ist. Jeder Plural und aus ihm herausgehobene Singular setzt den Welthorizont voraus.« (Ebd. 146) Durch diese strenge Fassung der Lebenswelt als Horizont, die Husserl scharf gegen jede Ontologisierung abgrenzt, indem er auf die Differenz von Sein und Seiendem hinweist, wird die interne positionale Relativität der Sonderwelten nicht negiert. Aber diese Relativität, die zunächst nur die okkasionellen Auslegungsweisen der erscheinenden ›Welt an sich‹ betraf und dergestalt in dem seienden Universum aufgehoben war, wird jetzt auf die konstituierenden Leistungen der (transzendentalen) Subjektivität relativ gesetzt, für die Welt kein Gegenstand an sich, sondern eben Horizont von Gegenständlichem schlechthin ist.

III. Die Rekonstruktion der Lebenswelt als Grundlegung der Idee der Philosophie Die Aufhebung des ontologischen Weltbegriffs zugunsten der Bestimmung der Lebenswelt als Horizont impliziert die Möglichkeit, den »natürlichen Weltbegriff« nicht nur erkenntniskritisch aus der transzendentalen Relativität zu entwickeln, sondern auch die interne Formstruktur der ursprünglichen Welt aus den konstitutiven Leistun­ gen der Subjektivität bzw. (monadologischen) Intersubjektivität auf­ zuklären. Diese Aufgabenstellung bedeutet keinesfalls die schlichte Restitution vorwissenschaftlicher Weltauffassung und ihrer »naiven« Vorurteilsstruktur. Sie ist vielmehr auf eine radikale Destruktion auch der natürlichen Einstellung gerichtet, für die Welt mit ihren regionalontologischen Schichtungen als das unbezweifelbar seiende Universum gilt. Statt »die« Welt als fragloses Realitätssubstrat beson­ derer (theoretischer) Abstraktionen einfach vorauszusetzen, kommt es jetzt darauf an, die eigentliche Dimension ursprünglicher Welter­ fahrung freizulegen. Damit wird für Husserl jedoch nicht nur die seit der Urstiftung der Philosophie gültige Forderung eingelöst, das wahre Sein der (objektiven) »Welt für alle« als Gegenstand universaler Theorie zurückzugewinnen. Die phänomenologische Explikation des ursprünglichen Weltphänomens im Gegenzug zu dessen abstraktiver Verkürzung erfüllt vielmehr zugleich in systematischer Rücksicht die aitiologische Funktion, durch die dergestalt vollzogene »Wieder­ aufbaubewegung« die geschichtliche Entstehung des Objektivismus bzw. den Grundriß der Philosophiegeschichte aus dem einheitlichen »Wesen« der Welt zu entfalten. Auf diese Weise wird die Grenze rein

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historischer Selbstaufklärung der Philosophie überschritten und die systematisch relevante Dimension einer möglichen Begründung der Philosophiegeschichte im Ganzen gewonnen. Eine derartige systematische Explikation der Philosophiege­ schichte kann offenkundig nicht an der empirisch vorgegebenen (geschichtlichen) Relativität okkasioneller Idealisierungen oder Abstraktionen orientiert sein. Um die spezifische Einheit dieser Geschichte von (abstraktiven) Weltentwürfen zu entwickeln, darf sie zwar die jeweils positionale Konstitution von Sonderwelten nicht ignorieren. Aber deren Möglichkeit muß innerhalb der Ursprungs­ konkretion der Welt selbst aufgewiesen werden, um sie als eine mögliche Variante der Apperzeption einer »Welt für alle« zu identifi­ zieren. Achtet man hier darauf, daß nach Husserls transzendentaler Konzeption die Welt Korrelat des Monadenalls ist, dann wird vermie­ den, daß die Geschichte unter diesem systematischen Zugriff zu einer apriorischen Formstruktur erstarrt. Auch der Objektivismus gehört zum universalen »Geschehen« der intentionalen Weltkonkretion, die in letzter Instanz ein zeitmodales, nicht ein zeitloses Sein der (teleologischen) Einheit von Welt und Bewußtsein, eine Funktion der (universalen) intersubjektiven Synthesis ist (vgl. in vorliegender Untersuchung oben 134). In diesem Sinne aber läßt sich jede »Sonderwelt« nicht nur als Variante der universalen intersubjektiven Weltkonstitution, son­ dern ebensowohl als (positionale) geschichtliche Realisierung der Welt im Ganzen auffassen, die mit jeder anderen (vorausgehenden, folgenden oder simultanen) ›kompossibel‹ sein muß. Ihre transzen­ dentale Geltungsrelativität tritt dann einerseits an dem impliziten Verwiesensein auf die übrigen (wirklichen oder möglichen) »Welten« hervor, andererseits ist sie Funktion desjenigen Prozesses, durch den sich das »Monadenall« realisiert. Die Lebenswelt ist der universale »Horizont« dieses Prozesses; sie »enthält« die Sonderwelten nicht wie die Substanz ihre Attribute in sich aufhebt, sondern ist selber objektive Bedingung ihrer Möglichkeit und Wirklichkeit und in dieser Weise der irrelative »Grund« der notwendigen Kompossibilität. Die Idee der Kompossibilität ist nicht nur im Blick auf die Einheit intersub­ jektiver Erfahrung notwendig. Ohne sie wäre auch der Gedanke der Relativität unvollziehbar, d.h. die Mannigfaltigkeit unterschiedener Sonderwelten muß in einer idealen Synthesis als dem Möglichkeits­ grund für ihr faktisches Seinkönnen »fundiert« sein, wenn umgekehrt die Lebenswelt zugleich der universale »Boden« jeder abstraktiven

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Thematisierung oder Idealisierung sein soll. Dabei ist entscheidend, daß Husserl das Verhältnis der Lebenswelt zu den Sonderwelten nicht wie das Verhältnis der Gattung zu ihren Arten denkt. Denn dann müßte einerseits aus einem Allgemeinbegriff (Lebenswelt) unmittelbar auf das Besondere (Sonderwelt) geschlossen werden, andererseits würde in dem Falle, wo die Lebenswelt als Dimension der »Ursprungsevidenzen« für Idealisierung in Anspruch genommen wird, das abstrakte Allgemeine als der »Grund« für das Besondere gedacht werden, welches schon in ihm real »enthalten« ist. Genau diese Verkehrung der Begriffe aber bildet Husserls Ausgangspunkt für seine Kritik der objektivistischen Ontologie, da diese das Sein der Welt gerade nicht aus dem ursprünglichen »Wie« des Gegebenseins für das Bewußtsein aufklärt. – Demgegenüber denkt Husserl das jeweils aktuelle Verhältnis von Lebenswelt und Sonderwelt im Sinne der entelechialen Verwirklichung des universalen Weltbegriffs (des reinen Wesensbegriffs einer möglichen Welt überhaupt) durch und für das faktische Bewußtsein, wobei diese Realisierung ihrerseits eine positionale und geschichtlich relative ist und ihren zureichenden Grund in der (teleologischen) intersubjektiven Synthesis des Mona­ denalls hat, das die faktische Realität einer jeden Sonderwelt kritisch transzendiert und auf den (universalen) »Horizont« der »Welt für alle« (Lebenswelt) bezieht. Husserl hat daher den »natürlichen Weltbegriff«, wie er die Lebenswelt zeitweise nannte, als das Äquivalent der »universalen Form des Menschentums« bestimmt. »In freiester Phantasie ›ausge­ malt‹ mögen wir endlos viele mögliche Welten konstruieren können, aber alle haben die Form von Welt, expliziert in dem ›natürlichen Weltbegriff‹, der also vielmehr reiner Wesensbegriff einer Welt über­ haupt ist.« (Hua IX 493) In diesem reinen Wesensbegriff sind auch die (relativen) Abstraktionen, welche die Natur- und Geisteswissen­ schaften vollziehen, aufgehoben, d.h. das ursprüngliche Sein der Welt läßt sich weder durch eine alternative Entscheidung für den einen oder anderen ›Leitfaden‹ noch durch eine wie immer geartete nachträgliche Zusammenfassung beider erschließen. Insofern beide Wissenschaf­ ten die Realität der Welt als »Boden« voraussetzen und hier eine je verschiedene »Tatsachenfeststellung« dessen, was ist, reklamieren, werden sie von der ursprünglichen Erfahrung unterlaufen, für die die Lebenswelt als »Horizont« eben keine Tatsache ist (vgl. ebd. 232–234; 54ff.).

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Hieraus folgt für Husserl zunächst, daß die phänomenologische Explikation der Lebenswelt als der (universalen) »Transzendenz« für das einzelne und intersubjektive Bewußtsein aus ihrer wesenseigenen »Konstitutionsfolge«110 aufgebaut werden muß, die in ihrer Fundie­ rungsordnung den Grund und »Boden« für jede gesonderte Themati­ sierung »der« Welt bildet (vgl. Hua IV 324). Der hier entscheidende systematische Gesichtspunkt besteht zunächst darin, daß die Konsti­ tutionsfolge nur als Ganzes die volle »Ursprungskonkretion« der Welt begründet. Jede methodische Isolierung einzelner Stufen ver­ kürzt die anfängliche Weltauffassung durch das Bewußtsein, d.h. es kann dann nicht mehr von einer unverfälschten Erfahrung »der« Welt im phänomenologischen Sinne die Rede sein. Die Aufbauordnung der Konstitutionsfolge ist ihrerseits kein Resultat einer deskriptiven Analyse der gegenständlich vorgegebenen Welttranszendenz. Sie wird vielmehr aus der ursprünglichen Subjekt­ relativität der Lebenswelt entwickelt und spiegelt, wie Husserl zeigt (vgl. ebd.), nichts anderes als die unvermeidliche Dialektik von Ich und Wir (vgl. ebd. 288) bzw. den oben (vgl. in vorliegender Unter­ suchung 118–121) beschriebenen Prozeß intersubjektiver Synthesis. Aus diesem Grunde bildet die sinnliche Wahrnehmung des einzelnen Ich die erste, alle übrigen »fundierende« Stufe der Weltkonstitution (vgl. ebd. 324; vgl. in vorliegender Untersuchung 119ff.). Aber diese Auszeichnung des sinnlich Wahrgenommenen kann erst dann Aus­ gangspunkt für die thematische Unterscheidung von Natur und Geist innerhalb der »Welt« sein, wenn letztere durch »komprehensive« Erfassung des alter ego als »Welt für alle« apperzipiert wird (vgl. ebd.). So ist zwar die (primordiale) Setzung des gegenständlichen Nichtich »fundierende« Bedingung der Weltkonstitution, der Setzung von Realität. Andererseits bildet die intersubjektive Apperzeption der »Welt für alle« die Voraussetzung für die spezielle Thematisierung des rein Gegenständlichen, d.h. die Realität besitzt zwar das ontolo­ 110 Daß Husserl mit diesem Terminus nicht eine Überlagerung kategorial unterschie­ dener »Seinsschichten« im Sinne Nicolai Hartmanns meint, zeigt Ludwig Landgrebe: Seinsregionen und regionale Ontologien in Husserls Phänomenologie. – In: Ludwig Landgrebe: Der Weg der Phänomenologie. Das Problem einer ursprünglichen Erfah­ rung. 3. Auflage Gütersloh 1969. 143–162. – Die von Husserl entwickelte wechselsei­ tige Fundierung der Seinsregionen innerhalb des »natürlichen Weltbegriffs« bedingt die prinzipielle Relativität auch der materiellen Naturerfahrung: Sie ist Korrelat einer speziellen regionalen Ontologie (vgl. Hua III 374f.) und kann deshalb nicht für die Konstitution des vollen Weltphänomens aufkommen.

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gische, die intersubjektive Einstellung jedoch das transzendentale Prius, insofern nur die letztere die Lebenswelt in ihrer vollen Konkre­ tion begründet. Dies besagt, daß Objekte nie zunächst nur sinnlich hinsichtlich ihres Vorhandenseins erfahren, sondern zuvor in dem intentional implizierten Zusammenhang »der unter einer Zweckidee geeinigten teleologischen Bestimmungen« (Hua IX 407) aufgefaßt werden (vgl. ebd. 406–410). Angesichts dieser Sachlage ist der Vorwurf unberechtigt, Hus­ serl habe in letzter Instanz die Lebenswelt als (ungeschichtliche) materielle Natur ausgelegt.111 Denn die unverbrüchliche Ganzheit der Konstitutionsfolge, mit deren Hilfe die Rekonstruktion des ursprünglichen Weltbegriffs durchgeführt wird, läßt es gerade nicht zu, das subjektrelative Sein der Lebenswelt aus isolierten Stufen der Konstitutionsfolge zu bestimmen, da keine derselben für das volle Phänomen allein aufkommt. Husserls Postulat einer ursprünglichen Erfahrung wird nicht durch die Auflösung der subjektiven Konstituti­ onsfolge realisiert. Vielmehr ist Ursprünglichkeit eine Bezeichnung für den Grad der intentionalen Ununterschiedenheit der Konstitu­ tionsleistungen, die erst durch theoretische Reflexion abstraktiv herausgehoben werden können. Ein Erlebnis ist gerade dadurch ursprünglich, daß es eine undifferenzierte Setzung der Welt vollzieht, die ihrerseits in der Dialektik der »Prinzipalkoordination« (Ich und meine Umwelt; Wir und unsere gemeinsame Umwelt) transzendental begründet ist. Nur in der Reflexion auf die ursprüngliche Weltapper­ zeption tritt dann die konstitutiv verschiedene Funktion von Ich und Wir hervor. »Die objektive Welt, die für uns alle da ist, ist, sehen wir, eine aus subjektiven Quellen der handelnden Subjekte sich immer neu mit objektiven Gehalten bereichernde, sich bereichernd durch immer neue Prädikate der Bedeutung. Sie ist eine immer neu werdende objektive Kulturwelt. Also als solche gemeinschaftliche Umwelt für ›jedermann‹.« (Ebd. 409; vgl. 239f.) Erst durch die geschichtliche »Urstiftung« der Theorie und des damit verknüpften objektiven Erkenntnisanspruches wird die Unterscheidung von (materiellem) Realitätskern und ›Bedeutung‹ als Sinnimplikation in dem ursprünglichen »Wie« des Gegebenseins Diese These vertritt Ernst Tugendhat: Das Wahrheitsproblem bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 254. – Vgl. dagegen Ludwig Landgrebe: Welt als phänomeno­ logisches Problem. A.a.O. 57ff. – Zum Zusammenhang von Wahrnehmung und intentionalen Implikationen vgl. Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. A.a.O. 145–158. 111

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von »Welt« vollzogen. Die philosophische Theorie impliziert die Reflexion auf das Verschiedensein bzw. wechselseitige Bedingungs­ verhältnis von Ich und Wir als den beiden transzendentalen Konstitu­ tionsfaktoren der Lebenswelt und ihrer ständigen Geltungsrelativität. Jedes (monadologische) Wir setzt das Ich und seine Relation zum gegenständlich Gesetzten voraus, während diese ohne vorgängige Beziehung auf den Anderen kein Ich ist und deshalb nur auf dem Umweg über die (transzendentale) »Verständigungsgemeinschaft« (ebd. 496; vgl. Hua VI 416f.) eine »Welt« hat. In dieser Dialektik der »Prinzipalkoordination« als dem transzendentalen Prinzip der Konstitutionsfolge ist dann auch die reflexive Unterscheidung bloßer Dingrealität von den (»höherstufigen«) Eigenschaften begründet, insofern letztere allein aus intersubjektiven Verständigungsprozes­ sen entstammen. In diesem Sinne ist sowohl die Urstiftung philosophischer Theo­ rie als auch die damit verbundene Thematisierung der »objektiven« Welt in der vorgängigen Lebenswelt bzw. in deren transzendentalem »Ursprung«: der monadologischen Intersubjektivität, begründet, d.h. sie geht auf die Notwendigkeit der Verständigung als Bedingung des Bewußtseins von »Welt« zurück. Aus dieser Notwendigkeit wider­ spruchsfreier Verifikation leitet sich der normative Anspruch der philosophischen Theorie ab, eine universale objektive Unkenntnis der »Welt für alle« zu leisten. Husserls Konzeption des phänomenologi­ schen Rückgangs auf die Lebenswelt bietet so nicht nur eine subjektive Ableitung der Idee einer objektiven Welt, sondern zugleich eine trans­ zendentale Genealogie des Subjekts der wahren (phänomenologisch gerechtfertigten) Theorie: die monadologische »Allsubjektivität«, für die in letzter Instanz der positionale »Kontrast« von Sonderwelt und Lebenswelt in der Idee einer (aktual unendlichen) objektiven Welt aufgehoben ist (vgl. Hua VI 500f.).

IV. Zur philosophiegeschichtlichen Rolle der Objektivismuskritik Husserl hat in seinem Spätwerk die Kritik des Objektivismus, deren Ziel die Freilegung der Lebenswelt ist, als den entscheidenden Schritt zur Restitution der Philosophie als strenge Wissenschaft dargestellt. Diese Auszeichnung des Objektivismus ist zunächst darin begründet, daß er für Husserl die geschichtlich zur Herrschaft gekommene

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IV. Zur philosophiegeschichtlichen Rolle der Objektivismuskritik

Gestalt der philosophischen und wissenschaftlichen Weltauslegung repräsentiert. Die systematische Bedingung dieser geschichtlichen Vorherrschaft liegt aber in der »fundierenden« Rolle der Realitäts­ setzung durch das Ich, auf welche die intersubjektive Konstitution der Welt durch das Monadenall angewiesen ist (vgl. in vorliegen­ der Untersuchung 119ff.). Besteht also nach Husserl die eigentliche Restitution der philosophischen Aufgabenidee darin, das objektive Sein der Welt in Rücksicht auf die intersubjektive Synthesis transzen­ dental aufzuklären, dann mußte für ihn die kritische Revision der objektivistischen Ontologie, insoweit diese eine Entsubjektivierung der »Natur« als der (realen) Bedingung intersubjektiver Synthesis vollzieht, einen methodischen Vorrang gewinnen. Nur dann nämlich, wenn diese ontologische Verabsolutierung des Realitätskernes der Welt durchbrochen wird, ergibt sich Husserls Konzeption zufolge auch die Möglichkeit, das Faktum des intersubjektiven Verstehens bzw. einer (transzendentalen) Verifikationsgemeinschaft als Korrelat der »Welt für alle« transzendental zu rekonstruieren. Diese Zuspit­ zung der gesamten Problematik, für die sich im Sinne Husserls sowohl historische als auch systematische Gründe angeben lassen, führte, soweit dies nach den bislang veröffentlichten Schriften Husserls zu beurteilen ist, jedoch dazu, daß die Freilegung der Lebenswelt durch Kritik des (neuzeitlichen) Objektivismus in dieser begrenz­ ten Perspektive steckenblieb. Das weiterreichende Programm einer Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie in der Theorie der transzendentalen Intersubjektivität, dessen Grundzüge oben skizziert wurden (vgl. in vorliegender Untersuchung 111–157), trat demgegenüber zurück oder wurde auf dem speziellen Felde der Intersubjektivitätstheorie nur partiell eingelöst. Denn in dem Maße wie Husserl das ganze Gewicht seiner Argumentation darauf legte, daß die Lebenswelt als »Boden« einer jeden Idealisierung erkannt wird, hat er die zweite – systematisch gleich bedeutsame – Funk­ tion der »Welt« als des gegenständlichen Korrelats einer idealen Verifikationsgemeinschaft innerhalb des (teleologischen) Seins des transzendentalen Monadenalls unbestimmt gelassen. So ist die Kritik des Objektivismus zwar ein notwendiger Schritt innerhalb der von Husserl unternommenen geschichtlichen Selbst­ verständigung der Philosophie, insbesondere weil sich aus ihr eine Aitiologie der transzendentalen Reflexionsstellung entwickeln läßt. Aber sie bildet in ihrem Resultat: der Phänomenologie der Lebens­ welt, lediglich den Ansatz einer von Husserl stets projektierten

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7. Die Aufgabe einer Restitution der Philosophie und das Problem der Lebenswelt

Begründung und Durchführung der vollständigen Idee der Philoso­ phie. In diesem Sinne ist eine Kritik des Husserlschen Lebensweltbe­ griffs berechtigt. Doch soll zum Abschluß dieses Kapitels wenigstens kurz auf diejenigen Momente in Husserls Theorie der Lebenswelt hingewiesen werden, die einerseits die Partialität des Entwurfs, ande­ rerseits aber auch die möglichen Ausgangspunkte für eine Rekon­ struktion des ursprünglichen Weltbegriffs erkennen lassen. »Das erste in Form der Gemeinschaft der Konstituierte und Fundament aller anderen intersubjektiven Gemeinschaftlichkeiten ist die Gemeinschaft der Natur, in eins mit derjenigen des fremden Leibes und fremden psychophysischen Ich in Paarung mit dem eigenen psychophysischen Ich.« (Hua I 149; vgl. Hua IX 501f.) Wie sehr aber Husserl dergestalt die »prominente Rolle« (Hua VI 108) der sinnlichen Wahrnehmung betont und erkenntniskritisch für die Frage der Realitätserfahrung geltend macht (vgl. Hua IX 514), so hebt er doch gleichzeitig hervor, daß es sich hierbei lediglich um eine »abstrakte Strukturform« innerhalb der Lebenswelt handelt (ebd. 499). Diese »Kernschicht« der naturalen Erfahrungswelt gehört zwar notwendig zur Konkretion einer Verständigungsgemeinschaft (vgl. ebd. 488), aber deren spezifische Einheit ist selber nicht von der Seinsart eines wahrnehmbaren Dinges. Husserl hat daher stets bestritten, daß die reine Wahrnehmung mehr als nur die unmittelbare Seinsgewißheit sicherstelle, geschweige daß sie das Verstehen einer Person leiste (vgl. Hua VI 480). Als pas­ siver Modus der Intentionalität verwirklicht sie noch nicht einmal in vollem Sinne das subjektive Interesse an Wahrheit. Dies liegt einer­ seits daran, daß jede Wahrnehmung stets über sich hinausweist und daß andererseits objektive Bewährung nur intersubjektiv möglich ist (vgl. Hua IX 430–432). Aus diesem Grunde erklärt Husserl aus­ drücklich, »die Wahrnehmung ist nicht wirklich, was das Wort ›Erfah­ ren‹ besagt, ein Kennenlernen und Kennenlernen-wollen bis zum vollen Es-selbst.« (Hua VI 480, Anm. 1) Entgegen der öfter geäußer­ ten Kritik an Husserls Behandlung des Verstehensproblems112 wird man also zugeben müssen, daß Husserl einen Begriff lebensweltlicher Erfahrung exponiert hat, der einerseits das traditionelle und durch die Objektivismuskritik erneut verschärfte erkenntnistheoretische ProVgl. vor allem Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. A.a.O. 330. – Eine differenzierte Untersuchung dieser Problematik, die teilweise mit den oben vorgetragenen Überlegungen übereinstimmt, unternimmt Paul Janssen: Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 180ff. 112

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IV. Zur philosophiegeschichtlichen Rolle der Objektivismuskritik

blem der sinnlichen Wahrnehmung festhielt, andererseits mit Hilfe der Theorie der Konstitutionsfolge die besondere Struktur intersub­ jektiver Verständigung zu integrieren suchte (vgl. Hua IX 505). Die entscheidende methodische Leistung der transzendentalen Phäno­ menologie dürfte darin zu sehen sein, daß sie die zentrale Rolle der Welt innerhalb dieser Problematik erkannte und zu diesem Zweck eine radikale Revision des ontologischen Weltbegriffs in Angriff genommen hat. »Welt ist nicht das All der Realitäten, der reinen und der mit irrealen Prädikaten ausgestatteten, Welt ist das All des für eine Menschheit, für eine Gemeinschaft der möglichen Verständigung als vorhandene Umwelt Konstituierten, ihr Vorgegebenen. Zur Welt gehören auch ›ideale Sonderwelten‹, obschon diese ihren Halt doch haben an wirklichen und möglichen Realisierungen.« (Ebd. 503; vgl. 508) Genau an diesem Punkte zeigt sich die Grenze einer Thematisie­ rung der Lebenswelt am Leitfaden der ›kosmologisierten‹ Theorie bzw. des Objektivismus; denn auf diese Weise wird nur ein Struk­ tursegment der »Ursprungskonkretion« freigelegt. Andererseits ist es gerade der Vollzug intersubjektiver Synthesis, der sowohl der transzendentale Ursprung reiner Theorie als auch die Möglichkeit ihrer abstraktiven Verkürzung enthält. Insofern nämlich das Verste­ hensproblem mit der Frage der Weltexistenz verknüpft ist und der­ gestalt die konstitutive Rolle der Wahrnehmung (bzw. ihres gegen­ ständlichen Substrates) in den Vordergrund tritt, birgt es bereits die Möglichkeit des Selbstmißverständnisses in sich. Der Objektivismus bezieht seine naive Evidenz aus dem Schein, daß die Restriktion des Wahrheitsinteresses auf den wahrgenommenen Realitätskern und dessen Idealisierung ausreicht, um die Wahrheit der Welt als Korrelat einer universalen Verständigungsgemeinschaft ontologisch sicherzustellen (vgl. Hua VI 548f., Anm. zu 317, Z. 26). Es ist die dergestalt vollzogene Herauslösung der Welt aus der geschichtlichen Relativität des intentionalen Lebens (vgl. Hua IX 504; Hua VI 312; Hua IV 369f.) sowie die damit verbundene Entsubjektivierung der Realität im Sinne einer positivistischen Ver­ dinglichung des Vorgegebenen, gegen die sich die Erkenntniskritik der transzendentalen Phänomenologie richtet. Diese Kritik steht aber im Dienste der von Husserl konzipierten Idee der Philosophie, welche den durch den Objektivismus begründeten Widerspruch zwischen der »Vernunft« und der Welt als bloßer ›Tatsache‹ aufheben will. Derge­ stalt wird nach Husserl nicht nur die Geschichte der Philosophie mit

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7. Die Aufgabe einer Restitution der Philosophie und das Problem der Lebenswelt

ihrer Urstiftung vermittelt und die eigentlich leitende Aufgabenidee zurückgewonnen, sondern auch die ursprüngliche Selbstbeziehung der transzendentalen Subjektivität in ihren Konstitutionsleistungen systematisch ermöglicht. Denn die »radikale Weltbetrachtung ist systematische und reine Innenbetrachtung der sich selbst im Außen ›äußernden‹ Subjektivität.« (Hua VI 116) Eine positive Ausführung der Idee der Philosophie, die im Ausgang von diesem Ansatz projektiert war, ließ sich jedoch auf der Basis des von Husserl ausgearbeiteten Lebensweltbegriffs nicht erbringen, da dieser prinzipiell im Schatten der philosophiegeschicht­ lich notwendigen Objektivismuskritik blieb. Daß sie von Husserl dennoch vorgesehen war, belegt E. Finks Entwurf zur Fortsetzung der Krisis-Abhandlungen (ebd. 514–516). Ausgehend von der »Idee der Zurücknahme aller Wissenschaften in die Einheit der Transzendental­ philosophie« schließt der vierte Abschnitt mit dem »phänomenologi­ sche[n] Begriff der Metaphysik«; an ihn sollte der fünfte und letzte Abschnitt anknüpfen: »Die unverlierbare Aufgabe der Philosophie: Die Selbstverantwortung des Menschentums.« (Ebd. 516)

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8. Husserls Entwurf der Philosophiegeschichte

I. Das Sein der Welt als philosophiegeschichtliches Grundproblem Husserls philosophiegeschichtliche Konzeption, wie sie sich insbe­ sondere aus dem »Ersten Teil« der Ersten Philosophie und den Kri­ sis-Abhandlungen extrahieren läßt, kann in ihrer Eigenart und sys­ tematischen Funktion für die Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie nur dann zureichend erfaßt werden, wenn man ihren Zusammenhang mit dem phänomenologischen Begriff der Geschichte bzw. des geschichtlichen Bewußtseins beachtet (vgl. in vorliegender Untersuchung 162–173). Der tragende Gedanke dieses Entwurfs besteht darin, daß die Geschichte nicht einfach eine teleo­ logische Struktur besitzt, die auf die transzendentale Erkenntnisein­ stellung vorausweist und deskriptiv am historischen Geschehen abge­ lesen werden kann. Daß überhaupt Geschichte für ein Bewußtsein ist, liegt nach Husserl vielmehr an der reflexiven Form subjektiven Seins, durch die ein Ich sich die intentionalen Implikationen in seinen konstitutiven Akten als denjenigen (intersubjektiven) »Wirkungszu­ sammenhang« bewußt macht, der seine jeweilige thematische Set­ zung der Welt im Ganzen bestimmt. Die Erkenntnis der eigenen Geschichtlichkeit weist somit Strukturanalogien zur Urstiftung der Philosophie auf. Denn auch hier findet eine kritische Unterscheidung von Ich und Wir statt, welche das objektive Sein der Welt und dessen Erkenntnis problematisch werden läßt, d.h. die faktische Konstitution intersubjektiver Verweisungszusammenhänge ist sowohl Ursprung des geschichtlichen Bewußtseins als auch des theoretischen Erkennt­ nisstrebens, das im Sinne eines idealen Verifikationszusammenhan­ ges die geschichtliche Relativität transzendiert. Entstammt also Philosophie der Selbstkritik des empirischen Bewußtseins und ist sie – als theoretische Bestimmung des objek­ tiven Seins für die Erkenntnis – im Resultat eine Reformulierung der (transzendentalen) Bewußtseinsgeschichte, in der die intersub­ jektive Synthesis der Monaden auf der Ebene reiner Verifikation

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8. Husserls Entwurf der Philosophiegeschichte

durchgeführt wird und deren Ziel die (absolute) Selbstbeziehung der konstituierenden Subjektivität ist, dann spiegelt sie nicht nur in ihrer Entstehung, sondern ebensowohl in ihrer Geschichte diesen (teleologischen) Prozeß wechselseitiger Vermittlung von Ich und Wir, Subjektivität und Objektivität sowie deren ständige Beziehung auf die eine Welt. Es ist gerade der Kontrast zwischen der erkenntnistheo­ retischen Selbstauslegung des Bewußtseins von ›Welt‹ und diesem Bewußtsein selbst, aufgrund dessen die Geschichte der Philosophie in verschiedene, jedoch argumentativ aufeinander bezogene Mög­ lichkeiten theoretischer Selbstreflexion von Ich und Wir gegliedert wird. Den darin auftretenden Bestimmungen des Erkenntnissubjekts bzw. der Erkenntnis als solcher entspricht jeweils eine prägnante Bestimmung der Welt als des Gegenstandes der Erkenntnis. Husserl kann daher die Philosophiegeschichte als die Geschichte der Selbstkritik der Philosophie auffassen, d.h. diese ist kein schlichter Vollzug von Erkenntnis, sondern zugleich dessen Kritik, wenn die objektive Gültigkeit der Erkenntniseinsicht in das, was wahrhaft »ist«, »für alle« soll ausgewiesen werden können. Jeder Form dieser Kritik entspricht eine bestimmte Ausgestaltung der Philosophie, die als ein systematischer, nicht bloß historischer Grundtypus erkenntniskriti­ scher Reflexion bestimmt werden kann. Denn die Urstiftung reiner Theorie entstammt nicht nur dem Prozeß intersubjektiver Synthesis; vielmehr ist diese Synthesis auch in letzter Instanz aus der Grundbe­ stimmung der intentionalen Subjektivität, dem Interesse an Wahrheit aufklärbar. So läßt sich nach Husserl die »Motivation« der Philoso­ phie in einem ersten Schritt einsichtig machen. Aber die (teleologi­ sche) Geschichte der Philosophie ist nicht einfach in der Struktur des geschichtlichen Bewußtseins überhaupt begründet. Sie vollzieht gerade die erkenntniskritische Thematisierung der ursprünglichen Dialektik von Ich und Wir, aus welcher sich der systematische Grundriß der Philosophiegeschichte im Ganzen entwickeln läßt, und hinterfragt dergestalt das bloße Faktum der Geschichtlichkeit. In diesem Sinne impliziert systematische Philosophie eine Theorie der Philosophiegeschichte, vermöge welcher die Subjektivität sich in ihrem ursprünglichen Wahrheitsbezug reflektiert und schließlich die Idee der Philosophie aus letzter Begründung als theoretische Form ihrer Selbstverständigung rechtfertigt. Philosophie bedeutet dann keine kontemplative Negation der Geschichte, sondern eine Radikalisierung der geschichtlichen Existenz des Bewußtseins.

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I. Das Sein der Welt als philosophiegeschichtliches Grundproblem

Nach Husserl wird die gesamte Philosophiegeschichte von der einen Frage bestimmt, ob und wie die objektive Welt als (fälschlich) transzendent gesetztes Seinsuniversum ontologisch definiert bzw. in seinem Sein erkannt werden könne. Die phänomenologische Explikation der Frage nach dem Wesen der Welt will zeigen, daß die intentionale Setzung der Welt auf ein Erkenntnisinteresse des Menschen, dessen Funktion die Ausbildung der reinen, abstraktiv auf das Realitätssubstrat eingestellten Theorie ist, nicht die unmittelbare Konfrontation mit ›der Welt‹, die transzendental als solche gar nicht ›vorhanden‹ ist, nach sich zieht, sondern die Existenz vernunftbe­ stimmter Menschen in der Welt und die Konkurrenz ihrer Umwel­ ten als Problem intersubjektiver Verifikation der (transzendentale) »Motivationsgrund« für die Setzung einer ›Welt an sich‹ sind. Nach Husserl ist »Transzendenz« eigentlich nur die fremde Subjektivität, auf deren Existenz jede andere Transzendenz, insbesondere diejenige einer objektiven Welt, »beruht« (vgl. Hua VIII 495f.). Soll also geklärt werden, wie das Sein der Welt zu bestimmen ist, dann bedarf es dazu der Restitution des ursprünglichen Weltbegriffs, den die kosmologische Abstraktion des Objektivismus zerstört hatte, indem sie die subjektrelative Konstitution der Welt negierte. Nur auf dem Umweg über die radikale Revision der objektivistischen Ontologie und d.h. durch den Rückgang auf die Lebenswelt läßt sich die »Vorgegebenheit« der Welt phänomenologisch explizieren. »Vor­ gegeben ist sie uns allen natürlich, als Personen im Horizont unserer Mitmenschlichkeit, also in jedem aktuellen Konnex mit Anderen, als ›die‹ Welt, die allgemeinsame.« (Hua VI 124) Der philosophiegeschichtliche Vorrang des Weltproblems kann demgemäß aus zwei Gründen abgeleitet werden. Einmal handelt es sich um die objektivistische Idealisierung des eigentlichen Seins der Welt, welche die letzte Selbstverständigung der transzendentalen Subjektivität verhindert, indem sie das Resultat der Idealisierung: das »Ideenkleid« der »Symbole«, als Objekt wahrer Erkenntnis an die Stelle der subjektrelativen Lebenswelt setzt und so bewirkt, daß wir »für wahres Sein nehmen, was eine Methode ist« (ebd. 51f.).113 Andererseits ist die Auslegung der objektiven Welt als Horizont von Gegenständlichkeit für intersubjektive Verifikation notwendige Bedingung einer jeden Selbstbeziehung als Beziehung auf Intersub­ 113 Vgl. Gerd Brand: Die Lebenswelt. Eine Philosophie des konkreten Apriori. A.a.O. 26.

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8. Husserls Entwurf der Philosophiegeschichte

jektivität, da letztere ohne eine Setzung gegenständlicher Realität unvollziehbar ist. Aus diesen Gründen bildet das Problem der Welterkenntnis, genauer die Frage der Erkenntniskritik und der Wahrheit, für Hus­ serl die Grundfrage der Philosophiegeschichte, und er begreift diese konsequent als eine Folge von Formen erkenntnistheoretischer Argu­ mentation bzw. als eine Geschichte der theoretischen Vernunft, in der zugleich die Probleme der praktischen Vernunft ihre implizite Lösung finden. Denn »sozusagen alle entscheidenden Schlachten werden auf dem Gebiet der theoretischen Philosophie geschlagen.« (Hua VII 406)

II. Platons Begründung der Philosophie als Wissenschaft Den ersten für Husserl paradigmatischen Kampf um die eigentliche Aufgabenidee der Philosophie hat Platon durchgeführt.114 Das spezi­ elle Motiv für diesen frühen Versuch einer radikalen Grundlegung der Philosophie als Wissenschaft erblickt Husserl in der durch die sophistische Skepsis erzeugten Krise der kosmologischen Theorie (vgl. ebd. 8). Diese Krise entspringt dem Widerspruch zwischen der »universalistische[n] Tendenz des theoretischen Interesses« (ebd. 311) einerseits und dem relativen unmittelbaren Gegebensein der Welt andererseits, insofern hier zunächst eine Konkurrenz von Weltvor­ stellungen auftritt, die nach keiner Seite entschieden werden kann, 114 Der Hinweis scheint notwendig, daß man Husserls philosophiegeschichtlichen Ausführungen, insbesondere was sein Verständnis der Antike betrifft, wohl kaum den Rang einer historisch oder sachlich getreuen Interpretation zusprechen kann. Husserls weitgehende Abhängigkeit von der zeitgenössischen Philosophiehistorie bzw. den damals gängigen Auffassungen einzelner Autoren fällt bei seinem Kantverständnis auf, das offenkundig von der Interpretation Cohens und Natorps beeinflußt ist. Ähn­ liches gilt wohl auch von seinen übrigen (nicht sehr breiten) philosophiehistorischen Kenntnissen, die selbst dort, wo ein eigenes Studium der einschlägigen Texte voraus­ gesetzt werden kann, nur ganz selten ein originäres Verständnis bezeugen. Husserl hätte diese Sachlage jedoch kaum als Einwand empfunden. Denn es lag durchaus auf der Linie des systematisch ambitionierten Ansatzes der Phänomenologie, die in der philosophischen Tradition auftretenden Gedanken wohl als Leitfaden der eigenen Problemanalyse, nicht jedoch als gültige Lösungen zu akzeptieren. Deshalb liegt der Wert der im folgenden referierten philosophiehistorischen Ausführungen Husserls hauptsächlich darin, daß sie über die Eigenart der von Husserl unternommenen geschichtlichen Selbstverständigung Aufschluß geben und auf Husserls systemati­ sches Selbstverständnis zurückzuschließen erlauben.

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II. Platons Begründung der Philosophie als Wissenschaft

da beiden die notwendige Begründung ihres jeweiligen Wahrheitsan­ spruches fehlt. Entscheidend für die Charakterisierung der Skepsis ist, daß sie primär eine erkenntnistheoretische Argumentation vollzieht und damit der vorwissenschaftlichen Doxa allererst den Rang einer Gegenposition zum Objektivismus innerhalb der Philosophie ver­ schafft. Die Skepsis wendet sich »gegen diese von oben her erfolgende, mit lauter strittigen und bestreitbaren Voraussetzungen operierende Weltinterpretation, gegen diese ›Metaphysik‹.« (Ebd. 312) Dergestalt bricht sie mit dem naiven Anspruch der Theorie, eine Erkenntnis der Welt aus bloßen Begriffen zu leisten (vgl. Hua VIII 321f.) und verweist – wiewohl abstraktiv – auf das originäre Recht der stets relativen Erfahrung durch das empirische Bewußtsein. Denn einerseits kann, wie Husserl im Blick auf Gorgias ausführt, die wider die Relativität der sinnlichen Erfahrung aufgestellte Verstandeslogik ihrerseits in Widersprüche verwickelt werden (vgl. Hua VII 316); andererseits ist das Resultat einer derartigen Wendung zum Empirismus der »Agnos­ tizismus hinsichtlich der Wirklichkeit an sich« bzw. ein »Gnostizis­ mus hinsichtlich der erscheinenden Wirklichkeit.« (Ebd. 314; vgl. Hua VIII 322) Dieses – selber theoretische – Ergebnis betrifft eine Dichotomie der Philosophie, die in der Urstiftung reiner Theorie systematisch begründet ist, insofern letztere nicht nur Prinzipienwis­ senschaft, sondern zugleich Tatsachenwissenschaft sein will (vgl. Hua VII 317). »Aller Kampf zwischen Rationalismus und Empirismus hat darin seine Quelle, daß Sinn und rechtmäßige Grenzen dieser Rationalität sowie Sinn und rechtmäßige Grenzen der empirischen, also vorrationalen Erkenntnis, die doch rationalisiert werden soll, Unklarheiten und Probleme mit sich führen.« (Ebd.) Im Sinne der von Husserl konzipierten philosophiegeschichtli­ chen Reflexion kommt es darauf an, die konstitutive Funktion dieser frühen Krise der Theorie für den Entwurf der eigentlichen Idee der Philosophie zu erkennen. Einerseits tritt nämlich, wie Husserl zeigen will, schon hier die immanente Antithese von (dogmatischem) Rationalismus und (erkenntnistheoretischem) Skeptizismus hervor, die den gesamten (teleologischen) Verlauf der Philosophiegeschichte prägt. Andererseits läßt sich systematisch dartun, daß dieser Streit seinerseits in dem ursprünglichen Verhältnis von Bewußtsein und Welt begründet ist. Denn durch die (erkenntnistheoretische) Aus­ zeichnung der doxischen Subjektrelativität in der Gegebenheit der (erscheinenden) Welt für das Bewußtsein bzw. der Negation der Objektivität als einer nicht originären Seinsweise der »Welt für alle«

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vollzieht die Skepsis in Wirklichkeit eine Verabsolutierung der »pri­ mordialen« Relation von Ich und gegenständlich Gesetztem und gibt dergestalt die Möglichkeit intersubjektiver Verifikation prinzipiell auf. Nach Husserls Verständnis wird aber durch diesen radikalen Subjektivismus, obwohl dessen Berechtigung an der Struktur des intentionalen Korrelationsapriori aufgezeigt werden kann, der Ansatz wahrer Vernunftphilosophie und damit in letzter Instanz das prakti­ sche Postulat einer widerspruchsfreien Konvergenz von Bewußtsein und Welt aufgehoben. Denn mit der Möglichkeit objektiven Wissens bestreitet die Skepsis nicht nur prinzipiell die objektive Einheit der Welt als »Horizont« einer idealen Verifikationsgemeinschaft. Viel­ mehr hebt sie auch die Bedingungen einer (transzendentalen) Selbst­ beziehung der Subjektivität im Sinne radikaler Verantwortlichkeit auf, die ihrerseits auf den notwendigen Vollzug der intersubjektiven Synthesis verweist und in diesem begründet ist. »Heißt nicht, Wissen­ schaft als Idee, als Ziel einer gewissen vernünftigen Praxis leugnen, die Welt überhaupt leugnen? Es gibt nichts, sagt Georgias – wenn es etwas gäbe, so wäre es nicht erkennbar. Es gibt in der Erkenntnis kein Erkennbares als an sich Gültiges, also kein Wissen, also kann ich vernünftig nicht davon sprechen, daß etwas ist.« (Hua VIII 322) Husserl erblickt nun die philosophiegeschichtliche Bedeutung der von Sokrates und Platon vertretenen Gegenposition zur Skepsis darin, daß beide einerseits das Recht der skeptischen Wissenskritik, andererseits die negative Konsequenz dieser erkenntnistheoretischen Argumentation erkannten: Die Auflösung der in der »Urstiftung« gesetzten Idee einer idealen Verifikationsgemeinschaft impliziert auch die Preisgabe des (praktischen) Postulats »seligen Lebens«, des­ sen theoretische Grundlegung nach Husserl das Ziel der Philosophie ist (vgl. ebd. 9f.). Weil aber Sokrates auf der Einheit von Erkenntnis und (teleologischem) Streben nach letzter Selbstverständigung in der Subjektivität bestanden hat, konnte er den durch die skeptische Reflexion motivierten Grundsatz radialer Rechenschaftsabgabe auf jedes »Vermeinen« von Wahrheit, jede »Prätention« rechtmäßiger Erkenntnis ausdehnen. Doch diese Reflexion verzichtet nicht wie die skeptische Kritik auf die »vermeinte« Wahrheit; sie ist vielmehr eine »letztauswertende Kritik« (Hua VII 9) jeder Prätention und dergestalt eine universale »Methode klärender Selbstbesinnungen, sich vollendend in der apodiktischen Evidenz, als der Urquelle aller Endgültigkeit.« (Ebd. 206)

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II. Platons Begründung der Philosophie als Wissenschaft

Für Husserl ist damit erstmals diejenige fundamentale Verbin­ dung von rechtfertigender Ausweisung einer jeden (doxischen) Set­ zung einerseits, der Reflexion auf die subjektive Verantwortlichkeit andererseits hergestellt worden, die in der Struktur der (transzenden­ talen) Subjektivität selbst vorgezeichnet ist und hier als ein Interesse an Wahrheit gelegener Motivationsgrund der Philosophie bzw. ihrer eigentlichen Erfüllungsgestalt systematisch entwickelt werden kann. Indem Platon das Prinzip radikaler Ausweisung auf das von der Skepsis historisch zuerst gestellte Problem der Wissenschaftsbegrün­ dung übertrug und so Sokrates’ Fragestellung theoretisch vertiefte, hat er jedoch seinerseits die aus dem Widerspruch der Skepsis aufge­ nommene Idee der Kritik der theoretischen Vernunfterkenntnis als Aufgabe der Selbstbegründung des Rationalismus formuliert (vgl. ebd. 11f.; Hua VIII 322). Er begriff, daß die Philosophie solange dem unwiderleglichen Einspruch der Skepsis ausgesetzt bleibt, wie sie eine Reflexion auf den subjektiven Erkenntnisvollzug unterläßt (vgl. Hua VIII 356) und diese Reflexion nicht in die Begründung ihres eigenen Wissensanspruchs integriert. »Eine neue Idee der Philosophie tritt damit, die ganzen weiteren Entwicklungen bestimmend, auf den Plan. Sie soll nunmehr nicht bloß überhaupt Wissenschaft, naives Gebilde eines rein auf Erkenntnis gerichteten Interesses sein; auch nicht bloß, wie schon vordem, universale, sondern zugleich absolut gerechtfertigte Wissenschaft.« (Hua VII 13) Daß er – durch Skepsis motiviert – die Notwendigkeit der Erkenntniskritik, d.h. die Idee einer nicht gegenständlich orientierten »Wissenschaft von der Totalität der reinen (apriorischen) Prinzipien aller möglichen Erkenntnisse« (ebd.) gesehen hat, zeichnet Platon in Husserls Verständnis als Gründerfigur der Philosophiegeschichte aus. Denn erst durch Platons Auseinandersetzung mit der Skepsis wird die entscheidende Revision des anfänglichen Theoriebegriffs vollzo­ gen und die Konzeption der Philosophie als strenge Wissenschaft aus letzter Begründung in vollem Umfang erreicht. Das Scheitern des platonischen Ansatzes ist aber darin begründet, daß die hier unternommene Erkenntniskritik nicht im Sinne Husserls zu einer (theoretischen) Rehabilitierung der doxischen Welterfahrung und damit zur Entdeckung der konstitutiven Funktion der Subjektivität führte. Indem auch Platon an der von der Skepsis keineswegs aufge­ hobenen Unterscheidung von Sein und Erscheinung festhielt und sie sogar ontologisch begründete, verfehlte er die eigentliche Ursprungs­ konkretion der Welt in ihrer unmittelbaren Gegebenheit. Umgekehrt

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8. Husserls Entwurf der Philosophiegeschichte

entsprang aus dem erkenntniskritischen Ansatz entgegen der skepti­ schen Intention eine radikale Scheidung der Erkenntnisquellen, die der subjektrelativen Doxa jede Wahrheit absprach. Daher setzt nach Husserl mit Platon »der extreme Rationalismus ein […], wonach reine Ideenschau allein Seiendes selbst, wahres Sein selbst schauen läßt und reine Ideenprädikationen allein selbst erkennbar sind als Wahrheiten.« (Ebd. 324) Platons Versäumnis besteht darin, die sub­ jektive Dimension der »Idee der Wahrheit und des wahren Seins« (ebd. 30) prinzipiell verkannt bzw. aufgrund eines ontologischen Vorgriffs verfälscht zu haben. Statt die von der Skepsis erzwungene erkenntniskritische Reflexion (vgl. ebd. 58–60) zu einer Subjekti­ vitätstheorie weiterzuentwickeln, welche die Leistungen der Logik »in Bezug setzt zur erkennenden Subjektivität« (ebd. 31) und das »Wie ihres subjektiven Entspringens« (ebd. 32) erforscht, hat Platon nach Husserls Meinung die Sphäre idealer Wahrheiten ontologisch autonom gesetzt und von der Subjektivität losgelöst (vgl. ebd. 56). Seine methodischen Anstrengungen brachten deshalb, obwohl sie durch das Prinzip radikaler Rechenschaftsablegung geleitet ein »erstes Ideal der Rationalität« (ebd. 35) konzipierten, nur den Dogmatismus hervor (vgl. ebd. 36; 56), der in Gestalt des rationalistischen Objek­ tivismus den weiteren Gang der Philosophie- und Wissenschaftsge­ schichte prägte. Im Ganzen ist Husserls Einschätzung der philosophiegeschicht­ lichen Rolle Platons offenkundig ambivalent. Platon wird das Ver­ dienst zugeschrieben, die auch für Husserl verbindliche Idee der Philosophie, also das Postulat einer universalen (theoretischen und praktischen) Selbstverständigung des Menschen, überhaupt formu­ liert und die Aufgabe einer letzten Begründung als das Zentralpro­ blem radikaler Philosophie herausgestellt zu haben. Platons Lösung aber erweist sich umgekehrt als Ursache für die »Unsterblichkeit des Skeptizismus« (ebd. 57), da sie nicht nur den Gegensatz von erscheinender Welt und Welt an sich ontologisch begründete, sondern zugleich die Unterscheidung von Doxa und Episteme zum methodi­ schen Grundsatz erhob und der subjektrelativen Welterfahrung jede Wahrheitserkenntnis absprach.

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III. Die Neuzeit

III. Die Neuzeit a) Descartes als Initiator Nach Husserl wird die Neuzeit durch eine konsequente Emanzipation der dogmatischen Wissenschaftsidee gekennzeichnet, wobei zunächst nicht die Philosophie, sondern die Mathematik die führende Rolle übernimmt. Durch die Konzeption der »Idee eines rationalen unend­ lichen Seinsalls mit einer systematisch es beherrschenden rationalen Wissenschaft« (Hua VI 19) wird die Differenz zwischen Doxa und Episteme abermals radikalisiert (vgl. ebd. 66) und aus der Evidenz einer autonomen Forschungspraxis begründet. Husserl erblickt in diesem Vorgang, dessen Struktur er durch eine Analyse der Gali­ leischen Wissenschaftskonzeption aufzuweisen sucht, insofern die Vollendung des Objektivismus, als dieser die originär lebensweltliche Anschauung der Natur nicht nur abstraktiv verkürzt und im Lichte der ontologischen Thesis verabsolutiert, sondern durch das »Kleid der Symbole« (ebd. 52) ersetzt und »zu einer mathematischen Mannigfal­ tigkeit« des Gegenständlichen (ebd. 20) idealisiert.115 In dieser wissenschaftsgeschichtlichen Gesamtbewegung spielt Descartes als »urstiftende[r] Genius« der Neuzeit (ebd. 75) eine dop­ peldeutige Rolle. Diese Beurteilung ergibt sich für Husserl daraus, daß Descartes’ Ansatz in gewisser Weise eine »Renaissance der Plato­ nischen Intentionen« (Hua VII 143) darstellt. Denn er erneuerte die »Idee einer sich radikal rechtfertigenden universalen Wissenschaft« (ebd. 143f.). Andererseits hat Descartes zu eben diesem Zweck die skeptische Argumentation erstmals theoretisch aufgenommen, indem er den »allgemeinsten Seinsboden« reflexiv thematisierte, »den selbst die extremsten skeptischen Negationen voraussetzen und auf den sie argumentierend sich zurückbeziehen, nämlich die ihrer selbst gewisse erkennende Subjektivität.« (Ebd. 61) Hatte nach Husserl Platons Dialektik in einem ersten Schritt die Philosophie als radikale »Methodologie« angebahnt, so begriff Descartes, daß ein solches Vorhaben nur durch eine radikale Egologie durchzuführen ist und wies dergestalt der erkenntniskritischen Reflexion den »archime­ Dieses Thema ist in der Husserl-Literatur mehrfach behandelt worden. Verwiesen sei neben den Arbeiten Hubert Hohls (Lebenswelt und Geschichte. A.a.O. 21–23) und Paul Janssens (Geschichte und Lebenswelt. A.a.O. 11–44; 148ff.) noch auf Gerd Brand: Die Lebenswelt. A.a.O. 16–29, sowie die hier angegebene Literatur. 115

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8. Husserls Entwurf der Philosophiegeschichte

dischen Punkt« (ebd. 144) an, von dem aus die Frage der Evidenz – mochte sie sich auf die Immanenz oder Transzendenz beziehen – allein zu klären ist. Indessen hat auch Descartes, wie Husserl immer wieder hervor­ hebt, die Tragweite seines eigenen Ansatzes nicht erkannt. Obgleich er – radikaler als Platon – die Bedeutung der skeptischen Wissen­ schaftskritik einsah und in seinem Zweifelversuch aktualisierte (vgl. Hua VI 77f.), verwechselte er das von ihm entdeckte »Vollzugs-Ich« der cogitationes: die Sphäre der reinen Immanenz des Bewußtseins­ lebens, »mit der Seele […] als Abstraktionsprodukt, nämlich der menschlichen Person unter Abstraktion von allem ihr in ihrem realen Sein in der Welt Außenweltlichen.« (Ebd. 415) Zwar war ihm bewußt geworden, daß das reine ego cogito als »Vollzieher« (ebd. 79) seiner Ichakte nicht mit der konkreten Person in der Welt identisch ist (vgl. ebd. 395). Aber trotz der Universalität seines Zweifels, des intentionierten »Radikalismus der Voraussetzungslosigkeit« (ebd. 81), hat Descartes die Epoché aller »Vorgeltungen von Weltlichem« (ebd.) nicht konsequent durchgeführt und im egologischen Faktum statt der reinen Transzendentalität in Wahrheit ein »Residuum der Welt« zurückbehalten (ebd. 82). Auch Descartes’ Erkenntniskritik, so will Husserl zeigen, bleibt der theoretischen Dichotomie von Doxa und Episteme und der ontologischen Unterscheidung von Ansichsein und Erscheinung verhaftet (vgl. ebd. 396–398). In Descartes’ Ansatz reicht demnach ebenfalls das seit der Urstif­ tung ungelöste Weltproblem hinein, dessen ontologische Auslegung die gesamte Geschichte der Philosophie prägt und zugleich Ursprung des Dogmatismus und Skeptizismus ist. Zu der Auflösung dieses Streites stieß Descartes zwar vor. Indem er jedoch – dem ihn leitenden Seins- und Wahrheitsbegriff zufolge – statt den Skeptizismus durch radikale ›Entweltlichung‹ des Ich (vgl. ebb. 83f.) zu überwinden dem Irrtum verfiel, »daß das ego cogito das Universum meiner unmittelbaren Gegebenheiten darstelle und abschließe« (Hua VII 342), mußte er – hierin die skeptische Aporie eines weltlosen Ich perpetuierend – das Wesen der Intentionalität prinzipiell verkennen (vgl. Hua VI 84f.). Da Descartes die reine mens als res cogitans der res extensa gegenübersetzte, jene jedoch immer noch als ein »Stück« der (ontologisch einen) Welt auffaßte (vgl. Hua VII 73f.; 339), wurde durch die darin zur Auswirkung kommende »objektivistische« (ebd. 74) die transzendentale Dimension der Weltsetzung durch die inten­ tionale Subjektivität verdeckt (vgl. Hua VI 84). Aufgrund des von

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III. Die Neuzeit

ihm aufgestellten ontologischen Dualismus von res cogitans und res extensa sowie der darin fundierten Metaphysik erscheint Descartes in der philosophiegeschichtlichen Beurteilung Husserls als Begründer des »widersinnigen Realismusproblems« (Hua VII 334), das nach Husserl die fortwirkende erkenntnistheoretische Grundfrage des neu­ zeitlichen Rationalismus darstellt (vgl. ebd. 339). Andererseits leitet sein Rückgang auf das ego cogito die Reaktion des – wissenschafts­ theoretisch motivierten – Empirismus ein, der allerdings den trans­ zendentalphilosophischen Ansatz wieder psychologistisch verfälscht und so einen neuen Skeptizismus anbahnt. Trotz dieser Einwände aber hat Descartes die philosophiegeschichtlich entscheidenden Voraus­ setzungen geschaffen, von denen sich der transzendentalphänome­ nologische Ansatz unmittelbar abhängig weiß. Seine Auszeichnung der egologischen Sphäre als Begründungsdimension der Philosophie wies – durch den Empirismus Lockes und Humes vermittelt – den Weg zur phänomenologischen Grundwissenschaft der intentionalen Subjektivität. Umgekehrt lag in dieser – von seiten des (skeptischen) Empirismus verstärkten – prinzipiellen Umorientierung der Begrün­ dungsfrage nach Husserl bereits die erkenntnistheoretische Revision der objektivistischen Ontologie beschlossen.

b) Der skeptische Empirismus Der »Geist des neuartigen Rationalismus« wurde von der Gewißheit geleitet, »in der Methode des ›mos geometricus‹ eine absolut gegrün­ dete, universale Erkenntnis von der als ein transzendentes ›Ansich‹ gedachten Welt verwirklichen zu können. Eben gegen diese Über­ zeugung, gegen eine solche Tragweite der neuen Wissenschaft, als hinreichend in ein ›Transzendentes‹, ja schließlich gegen dieses selbst reagiert – obschon ebenfalls von Descartes stark bestimmt – der englische Empirismus.« (Hua VI 85) Wenngleich er seinerseits unter skeptischen Vorzeichen antritt, unterscheidet er sich von der antiken Skepsis dadurch, daß er jede negativistische Argumentation vermei­ det und gerade eine Theorie des Bewußtseins bieten will, die eine methodische Begründung der neuzeitlichen Wissenschaften gestattet (vgl. Hua VII 145f.; Hua VI 86f.). Wie Husserl zeigen will, ist es nun gerade Lockes Leistung, genau das nachzuholen, was Descartes versäumt hatte, nämlich »das ego cogito zum Thema einer eigenen Wissenschaft zu machen,

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8. Husserls Entwurf der Philosophiegeschichte

[…] aber, ganz naturalistisch eingestellt, das ego als Seele in der vorgegebenen Welt.« (Hua VII 75) Er radikalisiert also die von Descartes in der Zweideutigkeit stehengelassene (vgl. Hua VI 83f.) Mundaneität des ego cogito, indem er dieses zum Gegenstand einer objektivistischen Psychologie macht und exponiert damit zugleich den psychologischen Ansatz der Erkenntnistheorie. Denn durch den »Datensensualismus« wird jetzt auch das von Descartes mit aller Schärfe herausgestellte Transzendenzproblem aufgehoben bzw. es »verschiebt sich in das Problem der psychologischen Genesis der realen Geltungserlebnisse und der zugehörigen Vermögen.« (Hua VI 87) Die konsequente Verneinung jeder Form objektiver Bewußtseins­ transzendenz restringiert aber die Möglichkeit der Erkenntnis auf die Immanenz psychologisch-empirischer Selbstbezüglichkeit und bringt dergestalt – entgegen der Intention Descartes’ – einen wis­ senschaftlichen »Agnostizismus« hervor. Denn die Wissenschaften werden jetzt von subjektiven Vorstellungen und Begriffsbildungen abhängig gemacht, die keine adäquate Erkenntnis der weiterhin als existent angenommenen Bewußtseinstranszendenz ermöglichen (vgl. ebd. 88). Deshalb beurteilt Husserl den Empirismus Lockes als Skeptizismus, wiewohl dieser nach seinem eigenen Selbstverständnis keineswegs das Recht der objektiven Wissenschaften bestreitet. Genau diesen Schritt tut der Fiktionalismus Humes, in dem Hus­ serl die radikalste skeptische Form des Empirismus erblickt. Humes Argumentation, welche diejenige Berkeleys weiterführt, bestritt – hierin die cartesianische Zweifelsreflexion einholend – nicht nur die wissenschaftliche, sondern ebensowohl die vorwissenschaftliche Erkenntnispraxis (vgl. ebd. 89f.). »Es ist also in der Tat ein Bankrott der objektiven Erkenntnis. Hume endet im Grunde in einem Solipsismus.« (Ebd. 90) Trotz dieser zuletzt bezeichneten negativen Konsequenz aber, die in jeder skeptischen Reflexion virtuell gegeben ist und von Husserl her gesehen gesondert thematisiert werden muß, kommt Humes Empirismus das entscheidende philosophiegeschichtliche Verdienst zu, den Objektivismus auf dem Boden des »Cartesianischen Funda­ mentalproblems« (ebd. 93) erschüttert zu haben (vgl. ebd. 91–93; 195ff.; Hua VII 181). Deshalb bezeichnet er nach Husserl »den einzigen Zukunftsweg, den die Entwicklung der Philosophie unbe­ dingt einschlagen mußte, um zu der methodischen Erfüllungsgestalt durchzudringen […].« (Hua VI 195) Der methodische Gewinn des Empirismus, sein Fortschritt gegenüber Descartes, besteht darin,

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III. Die Neuzeit

daß der phänomenologische »Intuitionismus« – wiewohl psycholo­ gistisch verfälscht – von ihm vorbereitet wurde, insofern jetzt das ego cogito sich als konkretes Feld der Beschreibung von Erlebnissen und Erkenntnisakten darbietet, also als Gegenstand einer Bewußt­ seinsanalytik, die (im Falle Lockes) »eine Art Historie der menschli­ chen Innerlichkeit« (Hua VII 87) entwickelt. In diesem Sinne spricht Husserl davon, daß eine wirkliche Überwindung des Skeptizismus diesen nur »wahrmachen« könne (ebd. 147). Es ist diese soeben skizzierte philosophiegeschichtliche Entwick­ lungslinie von Descartes zu Hume, die Husserl in der Krisis dazu veranlaßt, die Psychologie zum Leitfaden der transzendentalen Refle­ xionseinstellung zu wählen, während er die historisch eingetretene Trennung von Transzendentalphilosophie und Psychologie beklagt (vgl. Hua VI 201–207). Denn diese Trennung verhinderte die erst phänomenologisch wiedergewonnene Einsicht in die intentionale Struktur der Subjektivität, welche die auf der Stufe des Objektivismus zurückgelassene Psychologie hätte ermöglichen können (vgl. ebd. 263). So schreibt Husserl dem skeptischen Empirismus eine doppelte philosophiegeschichtliche Funktion zu (vgl. ebd. 447). Seine grund­ sätzliche »antimetaphysische Tendenz« (ebd.) bezieht sich primär auf den objektivistischen Rationalismus und ist doch zugleich in dessen ursprünglicher Entgegensetzung zur Relativität der vor- und außerwissenschaftlichen Welt selber begründet. Indem er jedoch die Inkonsequenz der idealisierten Welt mit der ursprünglichen Weise subjektiver Erfahrung zum Ausgangspunkt nimmt, verwies der Empi­ rismus nach Husserl zumindest implizit auf das zweite – neben der transzendentalen Egologie zentrale – Thema der Phänomenologie: die Lebenswelt. »Es liegt in der Einstellung des Empiristen, daß er die wirklich anschauliche, wirkliche erfahrene und erfahrbare Umwelt zum Ausgang und Thema nimmt und danach fragt, wie von ihr aus das Denken, die operations of mind, über das Erfahrene und Erfahrbare hinausführen sollen, im besonderen als Methodik der Wissenschaften more geometrico.« (Ebd. 448) Um aber hier statt eines erkenntnistheoretischen Solipsismus eine Grundlegung radikaler Philosophie in Angriff nehmen zu kön­ nen, bedurfte es erst noch der – von Husserl für sich in Anspruch genommenen – »Entdeckung der cartesianischen Entdeckung« (ebd. 450) als Einführung einer transzendentalen Grundwissenschaft, wel­ che die Konstitutionsleistungen der Subjektivität – seien sie auf die Lebenswelt oder die objektivistischen Idealisierungsleistungen

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8. Husserls Entwurf der Philosophiegeschichte

bezogen – universal entfaltet. Genau an dieser Aufgabe ist der skep­ tische Empirismus gescheitert, weil er die Subjektivität psychologisch »nach Art der Naturwissenschaft« (ebd.) thematisierte und das ego cogito wie Descartes als »Residuum der Welt« auffaßte. Dergestalt bleibt auch er der natürlichen Einstellung verhaftet und kann die objektivistischen Erkenntnisrätsel (Descartes) nicht aufklären. Der Streit zwischen Empirismus und Rationalismus gilt Hus­ serl – eben weil beide theoretischen Grundpositionen nur auf dem (gemeinsamen) Boden der seit der »Urstiftung« der Philosophie maßgeblichen Weltauslegung möglich sind – als teleologisch vor­ gezeichnete Krise der Theorie selbst, die nicht von außen in die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte hineingetragen wird. Es ist die im vorigen Kapitel untersuchte systematische Begründung der Philosophiegeschichte, genauer: der Urstiftung reiner Theorie im phänomenologischen Begriff der Subjektivität und Intersubjektivität, welche es Husserl ermöglicht, jenen Streit auf seine eigentümliche systematische Relevanz und Notwendigkeit hin zu betrachten und darin nicht bloß eine historisch-kontingente, sondern die geschicht­ lich maßgebliche und unverzichtbare Voraussetzung seines eigenen Ansatzes zu erkennen (vgl. ebd. 71). Indem dieser Konflikt zum Austrag kommt, löst sich die aporetische Wechselnegation von Dog­ matismus und Skeptizismus. Aber diese Lösung bedeutet offenkundig nicht, daß jene beiden Standpunkte einfach überschritten werden. Im Sinne der von Husserl entwickelten Form geschichtlicher Verge­ genwärtigung als kritischer Aktualisierung des Wahrheitsgehaltes von Geschichte läßt sich die Opposition von Dogmatismus und Skeptizismus phänomenologisch dergestalt explizieren, daß in ihr die Krise des Denkens selbst noch in der natürlichen Einstellung als kritische Selbstreflexion der objektivistischen Theorie vollzogen wird. Nicht eine der beiden Positionen für sich, sondern gerade ihr Konflikt als solcher erscheint dann als der (geschichtlich objektive) Ausdruck radikaler Selbstbesinnung, welche Husserl als eine motivie­ rende Vorbedingung der anfangenden Philosophie ausgezeichnet hat: die »absolute Situation« bzw. den Zusammenbruch aller »naiven« Erkenntniswerte (vgl. in vorliegender Untersuchung oben 64ff.). Diese Situation erschien zunächst als eine zwar systematisch not­ wendige, historisch-empirisch jedoch kontingente Ausgangslage des Bewußtseins. Im gegenwärtigen Zusammenhang aber kann ihre Ent­ stehung auch in der ihr eigentümlichen geschichtlichen Notwendig­ keit eingesehen werden, die in der Struktur der philosophiegeschicht­

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IV. Die geschichtliche und systematische Funktion der Skepsis

lichen Teleologie selbst begründet ist. Nicht vermöge eines beliebigen Entschlusses, der von jeder geschichtlichen Konditionierung losgelöst ist, sondern nur dann, wenn durch den wechselseitigen Wider­ spruch das gemeinsame Vorurteil von Dogmatismus und Skeptizis­ mus (die ontologische Thesis der ansichseienden Welt) eigens sicht­ bar wird, kann dessen transzendentale Epoché durchgeführt und dergestalt die geschichtlich vorgegebene Aufgabenidee einer Philo­ sophie als strenge Wissenschaft realisiert werden (vgl. ebd. 265).

IV. Die geschichtliche und systematische Funktion der Skepsis Der in den beiden vorigen Abschnitten referierte Abriß der Phi­ losophiegeschichte läßt erkennen, daß die Skepsis innerhalb der von Husserl konzipierten Teleologie der Philosophiegeschichte eine entscheidende Rolle spielt. Über den rein historischen Nachweis ihres Auftretens hinaus erblickt Husserl in ihr denjenigen Grund­ typus theoretischer Reflexion, der unmittelbar auf den Ansatz der transzendentalen Phänomenologie weist. Denn nach Husserl lautet das zentrale Argument, welches die phänomenologische Reduktion »motiviert«: »›Nur aus meiner Erfahrung weiß ich und nur aus der ihren wissen alle anderen Menschen etwas von der Welt‹.« (Hua VIII 418) Auch wenn sie niemals die früheste Form der Philosophie darstellt, sondern die Ausbildung einer theoretischen Reflexion auf die faktische Beziehung von Bewußtsein und Welt voraussetzt, in der die (»naive«) Unmittelbarkeit dieser Relation bereits aufgehoben bzw. das objektive Sein der Welt schon für sich thematisiert wurde, hält Husserl für den (voraussetzungslosen) Anfang radikaler Erkenntnis­ kritik ausdrücklich an der »historischen Motivation« durch die Skepsis fest (vgl. Hua VII 332).116 116 Die systematische Bedeutung der Skepsis für den Entwurf der Phänomenologie als Egologie hat Aguirre eingehend untersucht. – Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. A.a.O. 67–116. – Vor ihm hatten schon Tugendhat (Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. A.a.O. 196–201), Seebohm (Die Bedingung der Möglichkeit der Transzendental-Philosophie. A.a.O. 21f.) und Rudolf Boehm (Vom Gesichtspunkt der Phänomenologie. Husserl-Studien. Den Haag 1968. IX. [Phaenomenologica 26]) sich kürzer mit dieser Problematik auseinandergesetzt. – Zur egologischen Konzeption der transzendentalen Phänomenologie vgl. insgesamt

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8. Husserls Entwurf der Philosophiegeschichte

Die Bedingung der Möglichkeit der Skepsis liegt in dem Wech­ selspiel von Welt an sich und erscheinender Welt für das Bewußtsein, so wie diese Dialektik sich strukturell an den Stufen der intersub­ jektiven Synthesis als immanente Konstellation von Ich, Welt und Intersubjektivität aufzeigen ließ. Die Skepsis ist dergestalt integrales Moment einer ursprünglichen Bewußtseinsgeschichte und bezeich­ net diejenige Form theoretischer Selbstreflexion der Subjektivität, vermöge welcher sich diese in ihrer Relativität, als ein einzelnes Ich in »positionaler« Beziehung auf die Welt, zu sich selbst verhält. Husserls Kritik gilt nun der methodischen Verabsolutierung dieses einen Strukturmoments in den skeptischen Theorien der Antike und der Neuzeit; und diese phänomenologische Kritik der Skepsis gründet ihrerseits in der Struktur der intersubjektiven Synthesis. Denn so sehr im Blick auf die Forderung einer letzten Begründung der Philosophie der von der Skepsis gebahnte Weg zum erkenntnistheoretischen Solipsismus notwendig ist, so wenig kann die »agnostizistische« Epoche der traditionellen Skepsis bzw. der implizite metaphysische Solipsismus auf dem Boden der phänomenologischen Theorie des transzendentalen Monadenalls (als dem Konstitutionsgrund der »Welt für alle«) akzeptiert werden. Husserl erblickt also die historische Bedeutung des Skeptizismus darin, daß dieser systematisch – nämlich durch die Kritik des Wahr­ heitsanspruches des Objektivismus – die ontologische Voraussetzung einer wahren Welt unabhängig von jeder subjektiven Erfahrung in Zweifel zog. Nur in diesem Sinne hatte die Skepsis »die große historische Mission, die Philosophie in die Bahn der Transzendental­ philosophie zu zwingen.« (Ebd. 62) Statt jedoch den ihm immanenten »transzendentale[n] Impuls« (ebd. 60) freizusetzen, verkürzte dieser Angriff sich selbst auf den bloßen Widerspruch zum ursprünglichen (subjektiven) Interesse an Wahrheit, das seinerseits die Genesis philosophischer Theorie überhaupt motiviert hatte und zu den Kon­ stitutionsbedingungen der intentionalen Weltkonkretion schlechthin zählt. Zwar radikalisierten die skeptischen Argumentationen das Erkenntnisproblem und verwiesen so bereits auf die »verborgene Tradition des Lebens« (Hua VIII 389) als der Grundlage wissenschaft­ licher Erkenntnis. Aber ihre konsequente Durchführung scheiterte schließlich wegen der Negation jeder verbindlichen Wahrheit im die Arbeit von Jan M. Broekman: Phänomenologie und Egologie. Faktisches und transzendentales Ego bei Edmund Husserl. Den Haag 1963. (Phaenomenologica 12)

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»Solipsismus: Das Weltall reduziert sich auf mich selbst, ich bin allein, alles sonst ist mir subjektive Fiktion« (Hua VII 69). Eben dadurch fällt aber die theoretische Skepsis hinter die eigentliche Fragestellung der Philosophie zurück. Denn sie zerstört gerade den ursprünglichen Weltbezug des Bewußtseins dadurch, daß sie die »apperzeptive« Verweisung in jedem Konstitutionsakt – also die Transzendenzbeziehung bei einer intentionalen Setzung von seiten des einzelnen Ich – als eine bloß subjektive und relative »Fik­ tion« auffaßt. Diese Auflösung des Transzendenzproblems vernichtet auch die Möglichkeit intersubjektiver Verständigung, insofern deren eigentliche Bedingung: die transzendentale Autonomie des Andern, in Rücksicht auf ihre Erkennbarkeit und Gewißheit für mich geleugnet wird. Indem sie die Möglichkeit jeder Wissenschaft verwirft, trifft die skeptische Reflexion nicht nur den objektivistischen Rationalismus, sondern löst in letzter Konsequenz auch die Idee transzendentaler Verantwortung: die Einsicht in die schlechthinnige Zuständigkeit des (konstituierenden) Ich für die Wahrheit seiner Setzungen, auf. Mit der Preisgabe der Idee der Rechtfertigung wird zugleich der Angel­ punkt des phänomenologischen Begriffs der Philosophie, nämlich der Gedanke der (transzendentalen) Intelligibilität und Freiheit, zu einer selber unbeweisbaren Illusion. »Den Sinn, den die Welt haben müßte, um eine praktische Vernunft, um ein sinn- und zweckvolles Menschenleben zu ermöglichen, schien sie [sc. die Skepsis, K. R. M.] ihr zu nehmen, statt ihn durch die Wissenschaft nur allseitig zu klären, mit wissenschaftlich bestimmtem Gehalt zu erfüllen und so für ein echtes Menschentum aus freier Vernunft fruchtbar zu machen.« (Hua VIII 230) Denn Skepsis, anfangs gegen den Dogmatismus eines erfahrungsunbedürftigen Denkens und die Verabsolutierung objektiver Weltwahrheit konzipiert, endet so ihrerseits im Dogma­ tismus reiner Weltlosigkeit, in dem das empirische Ich weder eine ursprüngliche Einsicht in das »Wie« des Gegebenseins von »Welt« noch irgendeine sinnvolle Möglichkeit der Verifikation gewinnt. Angesichts dieser – von Husserl selbst unermüdlich hervorgeho­ benen – negativen Konsequenzen der skeptischen Reflexionseinstel­ lung scheint es geboten, ihre positive Bedeutung, also ihre systemati­ sche Relevanz für die Aufstellung transzendentaler Theorie, genauer einzugrenzen. Denn daß sie als Entwurf einer konsequenten Erkennt­ niskritik die notwendige Vorgestalt der radikalen Reflexion im Sinne

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der phänomenologischen Reduktion (vgl. Hua VII 59f.) darstellt,117 darf nicht zur vorschnellen Verwechslung beider führen. Zwar wird stets dann, wenn die skeptische Position ernsthaft aufgenommen wird, die konstitutive Rolle der Subjektivität in den Vordergrund gerückt (vgl. Hua VIII 416–418; 182; Hua III 399). Aber damit ist keineswegs schon die transzendentale Epoché, die methodische Reduktion auf die absolute Subjektivität vollzogen, durch welche die Welt »als das noematische Korrelat dieser universalen Bewußt­ seinssubjektivität« (Hua IX 339) freigelegt wird.118 Husserl erkennt nämlich, daß die skeptische Reflexion insofern hinter der geforder­ ten Radikalität zurückbleibt, als sie zwar das Fürsichbestehen des Objektiven anzuzweifeln fähig ist, dergestalt aber keineswegs dieses subjektive Sein der Welt aufzuklären vermag (vgl. Hua VIII 473f.). »Das erste Innewerden der prinzipiellen Bewußtseinsbezogenheit der Welt in seiner leeren Allgemeinheit gibt kein Verständnis dafür, wie das mannigfaltige Bewußtsein in seinem ruhelosen Strömen […] es sozusagen fertigbringt, daß in ihm […] eine verharrende reale Gegenständlichkeit […] als eine an und für sich seiende bewußt werden kann […].« (Hua IX 332) Hier zeigt sich, daß auch die Skepsis noch dem ›natürlichen‹ Seinsbegriff verhaftet ist, den sie – statt seine Geltung aufzuheben – lediglich auf das Vorhandensein der (empirischen) Subjektivität restringiert. Im Sinne des phänomenologischen Ansatzes wird die transzen­ dentale Begründungsdimension dagegen nur dann erreicht, wenn die mundane Selbstapperzeption des reinen Ich aufgehoben bzw. als Leis­ tung des ursprünglich fungierenden Ich aufgewiesen wird (vgl. ebd. 341). Diese Konsequenz ergibt sich jedoch nicht einfach aus dem Voll­ zug der skeptischen Reflexion. Ihre Notwendigkeit läßt sich vielmehr erst dann einsichtig machen, wenn die Reflexion mit dem Postulat der Letztbegründung in Verbindung gebracht wird. Soll nämlich das Sein der Welt im Ganzen, zu dem auch die empirische Subjektivität gehört, im (absoluten) Ich als der letzten Instanz aller Geltungsrelationen 117 Vgl. Antonio Aguirre: Genetische Phänomenologie und Reduktion. A.a.O. 97– 109. – Aguirre zeigt ausführlich, daß und inwiefern die verschiedenen von Husserl beschrittenen Wege zur transzendentalen Reduktion stets die skeptische Vorbetrach­ tung implizieren. Auf diese Darstellung und die dort angeführten Belege sei gene­ rell verwiesen. 118 Vgl. Alwin Diemer: Edmund Husserl. Versuch einer systematischen Darstellung seiner Phänomenologie. 2. Auflage Meisenheim am Glan 1965. 10. (Monographien zur philosophischen Forschung Bd. XV)

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begründet werden, dann ist dieses als der Grund von dem durch es (intentional) Gesetzten wesensmäßig verschieden und kann als Setzendes demzufolge nicht von der gleichen Seinsart sein wie das gegenständlich Gesetzte. Würde dagegen diese – für die gesamte Phänomenologie schlechterdings entscheidende – ontologische Dif­ ferenz eingeebnet und das (solipsistisch isolierte) empirische Ich als Seinsgrund der Welt genommen, so müßte es umgekehrt als der Inbegriff allen Seins gedacht werden und aufgrund der ontologischen Ununterschiedenheit mit dem All des Seienden zusammenfallen. Insoweit der spezifische »Seinssinn« der Welt sich – entsprechend der skeptischen Reflexionseinsicht – nicht aus sich, sondern prinzipiell aus dem »Wie« der subjektiven Setzung (Intentionalität) bestimmt, entsteht für Husserl ein (ontologischer) Widerspruch, wenn man das Sein im Ganzen auf ein Seiendes von derselben Seinsart zurückführt. Daß sie diesen Widerspruch in Kauf nimmt bzw. sich desselben nicht bewußt wird, genau diese Sachlage bildet für Husserl den notwendigen Ausgangspunkt zur Kritik der Skepsis im Sinne einer transzendentalen Radikalisierung der skeptischen Reflexion selbst. Hier läßt sich jedoch die Frage aufwerfen, inwiefern der von der Skepsis anhebende phänomenologische Rückgang auf das »Urich« die negativen solipsistischen Konsequenzen auf der transzendentalen Ebene auszuschließen vermag. Husserl hat jedenfalls stets daran fest­ gehalten, daß die Epoché eine »einzigartige philosophische Einsam­ keit« (Hua VI 187f.) des »Urich« hervorbringt, die von jeder bloß abs­ traktiven Vereinzelung des (empirischen) Ich wohl zu unterscheiden ist. Diese Forderung der primordialen Reduktion ergibt sich einmal aus der Notwendigkeit, in erkenntnistheoretischer Absicht eine letzte Begründung aller Geltungsrelativität aus dem (selber unbedingten) Grund der transzendentalen Konstitution: der absoluten Subjektivi­ tät, durchzuführen (vgl. in vorliegender Untersuchung oben 118–121, 132). Nur so kann die Idee unbedingter Verantwortlichkeit als Postulat radikaler Rechenschaftsabgabe über die Wahrheit meiner Setzungen begründet werden, vermöge welcher sich das Bewußtsein auf seine (transzendentale) Autonomie und konstitutive Zuständigkeit für das Sein der Welt durchsichtig wird. Husserls erstes Argument gegen den skeptischen Einwurf besteht also darin, daß die transzendentale Reflexion als universale Epoché nicht auf ein Ich reduziert, sondern die »ganze Menschheit und die ganze Scheidung und Ordnung der Personalpronomina […] in meiner Epoché zum Phänomen« werden läßt, »mitsamt dem Vorzug

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des Ich-Mensch unter anderen Menschen.« (Ebd. 188) Dies besagt, daß der Rückgang auf die absolute Subjektivität die Aufhebung der mundanen Selbstreflexion des Bewußtseins impliziert. »Das Ich, das ich in der Epoché erreiche, dasselbe, das in der kritischen Umdeutung und Verbesserung der Descartes’schen Konzeption das ›ego‹ wäre, heißt eigentlich nur durch Äquivokation ›Ich‹ […].« (Ebd.). Diese Überlegung zeigt an, daß das »Urich« als »Grund« der Konstitution in der Selbstzeitigung der absoluten Subjektivität auch die konstitutive Bedingung von Ich und Wir ist, ohne in einem von beiden aufzuge­ hen.119 Umgekehrt muß aber diese radikale »Selbstbesinnung« doch von mir eigens vollzogen werden, d.h. reflektierendes Ich und »Urich« sind, wiewohl identisch, innerhalb der Reflexion nicht dasselbe. Aus diesem Grunde tritt beim Rückgang auf die transzendentale Ebene jene Äquivokation notwendig auf, und Husserl stellt fest, daß »es eine wesensmäßige Äquivokation ist, da, wenn ich es [sc. das »Urich«, K. R. M.] reflektierend benenne, ich nicht anders sagen kann als: ich bin es, ich der Epoché-Übende, ich, der die Welt, die mir jetzt nach Sein und Sosein geltende Welt, mit allen ihren Menschen, deren ich so völlig gewiß bin, als Phänomen befrage […].« (Ebd.) Die Rede von einer »Äquivokation« sowie die weiteren Ausführun­ gen an der soeben besprochenen Textstelle zeigen, daß Husserl die impliziten skeptischen Probleme nicht entgangen sind, die durch den Rückgang auf das »Urich« auftreten. Zwar vermag ich mich derge­ stalt in meiner (verantwortlichen) Zuständigkeit als Vollzugsgrund meiner intentionalen Setzungen zu erfassen und im weiteren alle meine Setzungen kritisch der regulativen Vernunftnorm universaler Wahrheitsausweisung zu unterziehen. Aber dann ergibt sich auch die Schwierigkeit, daß ich nicht wieder nur (skeptisch) meine Welt und meine transzendentale Subjektivität erkenne, sondern zugleich die »Welt für alle« und die ihr korrelativ zugehörige (transzendentale) »Allsubjektivität« (Hua VIII 480) freilege. Einerseits ist es also das Postulat der Letztbegründung, das Hus­ serl an der »undeklinierbaren« Einzigkeit des »Urich« festhalten läßt; andererseits muß von hier aus die transzendentale Begründungs­ dimension um die Sphäre der transzendentalen Intersubjektivität erweitert werden, damit der Vorwurf eines subtilen Skeptizismus 119 Vgl. zu dieser Problematik auch Ludwig Landgrebe: Das Problem der transzen­ dentalen Wissenschaft vom lebensweltlichen Apriori. A.a.O. 164. – Sowie Ludwig Landgrebe: Das Problem der Geschichtlichkeit des Lebens und die Phänomenologie Edmund Husserls. A.a.O. 30.

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IV. Die geschichtliche und systematische Funktion der Skepsis

entkräftet werden kann. »Solange ich nicht die volle Universalität der transzendentalen Subjektivität, und zwar als Inter-subjektivität, im transzendentalen Erfahren und Denken in den Griff bekommen und darin die Welt als Korrelat dieser Intersubjektivität […] erkannt habe, […] solange besteht die Spannung zwischen Weltvorstellung […] und Welt selbst […]. Erst wenn ich den letzt-transzendenta­ len Standpunkt gewählt und von ihm aus die Unendlichkeit der transzendentalen Allsubjektivität […] in ihrer Totalität umgriffen habe, verschwindet diese Spannung […].« (Ebd.) Um der radikalen Voraussetzungslosigkeit der Begründung willen insistiert Husserl auf dem methodischen Prius der primordialen Reduktion, so wie diese von der skeptischen Ausgangsreflexion vorgezeichnet wird (vgl. Hua VI 188). Aber die volle Extension des Begründungsansatzes ist erst dann erreicht, wenn die solipsistische Beschränkung der radikalen Reflexion auf den eigentlichen metaphysischen Kern der phänomeno­ logischen Idee der Philosophie: die Konzeption der monadologischen »Allsubjektivität«, durchstoßen wird. Nur auf dieser Basis aber läßt sich im Sinne Husserls die Idee transzendentaler Autonomie, zu der das Bewußtsein durch radikale Reflexion gelangt, in der unbedingten Forderung letzter Selbstverantwortung konkretisieren.

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9. Geschichtsphilosophische Perspektiven der phänomenologischen Idee der Philosophie

I. Zur systematischen Funktion philosophiegeschichtlicher Reflexion Husserls konstruktiver Entwurf der Philosophiegeschichte, so hat sich im Laufe der vorliegenden Untersuchung gezeigt, läßt sich in seiner Eigenart nur dann zureichend verstehen, wenn man ihn als einen Lösungsschritt innerhalb der Aufgabe auffaßt, die Verbindlichkeit und Wahrheit der phänomenologischen Idee der Philosophie zu begründen. Die Notwendigkeit einer derartigen Begründung scheint aber zunächst gar nicht einleuchtend zu sein, da Husserls Postulat einer Philosophie als strenge Wissenschaft sich ohne sonderliche Schwierigkeiten durch den Hinweis auf bestehende erkenntnis- oder wissenschaftstheoretische Probleme erklären bzw. auch begründen läßt. Indem Husserl aber im Ausgang von dem methodischen Ansatz der Phänomenologie eine Idee der Philosophie entwickelte, die den Anspruch erhebt, ein durch universale Vernunfteinsicht geregeltes Leben zu ermöglichen, mußte der begrenzte Bereich der Wissen­ schaftstheorie überschritten und das Postulat der Letztbegründung als eine mögliche und notwendige Form subjektiver Selbstbeziehung, als »Stufe höchster Selbstbesinnung« (ebd. 339) im Bewußtsein auf­ gezeigt werden. In dem Maße wie Philosophie jedoch dergestalt aus einer subjektivitätstheoretischen Begründung abgeleitet und in ihrem Recht gesichert wird, entsteht allererst das Problem, wie ihre faktische Geschichtlichkeit, die Tatsache ihrer Wandlungen und die Notwen­ digkeit einer einzigen Aufgabenidee als der Lösung aller Widersprü­ che und Kontroversen aus einem Prinzip erklärt und begriffen werden könne. In diesem Sinne läßt sich dann auch die Geschichte der Philosophie im Ganzen nach ihrer aitiologischen Funktion für die als wahr erkannte Endform philosophischer Reflexion bestimmen. Es sind diese wesentlich systematischen, aus der subjektivi­ tätstheoretischen Konzeption der transzendentalen Phänomenolo­

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9. Geschichtsphilosophische Perspektiven

gie hervorgehenden Zusammenhänge, die den konstruktiven, auf getreue historische Deskription von vornherein Verzicht leistenden Charakter der philosophiegeschichtlichen Reflexion bedingen. Indem er die Philosophiegeschichte insgesamt als Geschichte der theoreti­ schen Vernunft auffaßt und deren interne Struktur auf die Form der subjektiven Teleologie des intentionalen Lebens bzw. auf die Funktionsprinzipien der transzendentalen Subjektivität als der welt­ konstituierenden zurückführt, kann Husserl die Philosophie in ihren (definiten) Grundtypen mit dem Vollzug intersubjektiver Synthe­ sis in Beziehung setzen und ihre höchste Form, also das Ziel der Philosophiegeschichte, zugleich als diejenige Weise radikaler Wahr­ heitsausweisung bestimmen, welche Voraussetzung einer idealen Verifikationsgemeinschaft sein kann. Nicht nur die »Urstiftung« der Philosophie und Wissenschaft schlechthin, sondern auch der dogma­ tische Rationalismus und Objektivismus einerseits, die Skepsis ande­ rerseits lassen sich dergestalt aus der ursprünglichen Konstellation von Ich, Welt und Intersubjektivität phänomenologisch aufklären. Sie sind nicht beliebige, sondern notwendig vorgezeichnete Formen der Selbstreflexion von Ich und Wir, d.h. die Philosophiegeschichte kann in einer transzendentalen Rekonstruktion, die bei Husserl ver­ steckt oder offen neben der empirischen Deskription einhergeht, als eine ursprüngliche Bewußtseinsgeschichte dargestellt werden, deren Einheit in dem vom Interesse an Wahrheit geleiteten Stre­ ben der weltkonstituierenden Subjektivität begründet ist, eine letzte widerspruchsfreie Übereinstimmung mit sich zu erzielen. Auf diesen Gedanken, den Husserl im Blick auf die monadologisch verfaßte Intersubjektivität durch das transzendentale Gesetz der Kompossibi­ lität ergänzt, ist der für Husserls Idee der Philosophie zentrale Begriff der Freiheit und Verantwortung gegründet, und er bildet zugleich das eigentliche Ziel jener Bewußtseinsgeschichte, deren Realisierung daraus ihren kritischen Impuls gegen das natürliche Bewußtsein gewinnt. »Nur wenn der Geist aus der naiven Außenwendung zu sich selbst zurückkehrt und bei sich selbst und rein bei sich selbst bleibt, kann er sich genügen.« (Hua VI 345f.) Es bedürfte einer eigenen Untersuchung, um zu erklären, ob und inwieweit diese Konzeption Husserls ihrerseits aus einer Rezep­ tion bestimmter Gedankengänge etwa Fichtes oder Hegels stammt. Entscheidend ist jedenfalls, daß Husserl stets an der wesentlichen Endlichkeit des Bewußtseins, das in jene Geschichte einbezogen ist, festgehalten hat. Diese Endlichkeit besteht innerhalb der phä­

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II. Die Wissenschaftskritik der Krisis-Abhandlungen

nomenologischen Subjektivitätstheorie darin, daß das intentionale Bewußtsein als konstituierendes zwar die Welt setzt, aber in diesem Setzen auch auf die Welt, das Wie ihres Gegebenseins, verwiesen ist. Das zeigt sich bereits in der Erfahrung an der wechselseitigen Kondi­ tionierung von Perzeption und Apperzeption, d.h. für das Bewußtsein ist Welt (als apperzeptiver Horizont eines jeden perzeptiven Aktes) immer schon vorgegeben und kann nur als je schon gesetzte zur Aus­ weisung durch und für »Vernunft« kommen. In dieser transzenden­ talen Grundstruktur, die zwar »inhibiert«, jedoch nicht aufgehoben werden kann, ist aber auch die Möglichkeit beschlossen, daß die Welt in der ›natürlichen Einstellung‹ des Bewußtseins als ›Welt an sich‹ ontologisch verabsolutiert, genauer: abstraktiv aus ihrer subjektiven Konstitution gelöst wird. Diese Möglichkeit bedeutet aber im Blick auf Husserls transzendentalen Begriff der philosophiegeschichtlichen Teleologie, daß das Bewußtsein in seine eigene philosophische Vor­ geschichte zurückgleiten kann. Es ist die gleiche Möglichkeit, wel­ che umgekehrt die geschichtliche Aktualität philosophischer Kritik, gleichgültig unter welchen empirischen Bedingungen, sichert und erneuert. In diesem Sinne bildet die philosophiegeschichtliche Refle­ xion den ausgezeichneten Fall geschichtlichen Bewußtseins im Sinne Husserls, insofern sie eine universale Verifikationsgemeinschaft aus unbedingter Rationalität wenigstens im Ideal entwirft, für welche das faktische geschichtliche Geschehen gerade kein undurchschaubares, in seiner Vorgegebenheit hinzunehmendes Ereignis ist.

II. Die Wissenschaftskritik der Krisis-Abhandlungen Von dem soeben skizzierten Grundkonzept philosophiegeschichtli­ cher Reflexion aus hat Husserl in den Krisis-Abhandlungen die von ihm vertretene Idee der Philosophie zu legitimieren gesucht. Hier stellt er einleitend fest, daß Wissenschaft und ursprüngliches Lebensinteresse sich entgegen dem seit der Urstiftung der Philoso­ phie maßgeblichen, von Platon gegen die Skepsis verteidigten Sinn endgültig entzweit haben (vgl. ebd. 3). Die Ursache erblickt Husserl in der »positivistische[n] Reduktion der Idee der Wissenschaft auf bloße Tatsachenwissenschaft« (ebd.), der die prinzipielle Negation aller »metaphysischen« Vernunftfragen entsprach. Seine Kritik an diesem Wissenschaftsbegriff versteht sich zugleich als Kritik der objektivis­ tisch verfälschten Vernunft, von deren Wiederherstellung Husserl die

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9. Geschichtsphilosophische Perspektiven

Restitution der eigentlichen Selbstauslegung des Menschen erwartet. »Die latente Vernunft zum Selbstverständnis ihrer Möglichkeiten zu bringen und damit einsichtig zu machen, die Möglichkeit einer Metaphysik als einer wahren Möglichkeit – das ist der einzige Weg, um eine Metaphysik bzw. universale Philosophie in den arbeitsvollen Gang der Verwirklichung zu bringen.« (Ebd. 13) Diese Zielsetzung ist bei Husserl über die Philosophie als eta­ blierte Disziplin hinaus orientiert; sie bezieht sich auf einen Begriff von Philosophie, der diese mit der »dem Menschentum als solchen ›eingeborenen‹ Vernunft« (ebd. 14) gleichsetzt. Die Motivation dieser Kritik der neuzeitlichen Wissenschaften aber entspringt für Husserl aus der Aporie, daß der Positivismus einen Weltbegriff ausbildet, der die wesentliche Freiheit des Menschen und damit dessen Selbstverfas­ sung als transzendentales Ich im Ansatz zerstört (vgl. Hua VIII 230f.). Erst wenn die auf dem Boden des Objektivismus entstandene Antino­ mie von Freiheit und Notwendigkeit durch transzendentale Kritik der ontologischen Voraussetzungen aufgehoben ist, gelingt nach Husserl die Restitution der eigentlichen und umfassenden philosophischen Aufgabenidee. Denn dann läßt sich auch zeigen, »daß die Idee der Philosophie als Wissenschaft […] Funktion ist einer Philosophie im weiteren Sinn: eines sich selbst absolut rechtfertigenden Mensch­ heitslebens« (ebd. 528, textkritische Anm.); und diese »Philosophie im weiteren Sinn« erweist sich als ein »notwendiges Bestandstück und Mittel ihres [sc. der Menschheit, K. R. M.] Werdeganges zur Freiheit der Vernunft.« (Ebd.) An dieser Stelle, der sich beliebig andere beigesellen ließen, tritt aber wieder jene von Husserl prinzipiell ungelöste Schwierigkeit zu Tage, die eine Grenze in Husserls Konzeption der Philosophie bezeichnet. Denn in dem Maße wie er die Möglichkeit der wah­ ren Philosophie von der (theoretischen) Destruktion der objektivis­ tischen Ontologie, also dem theoretischen Erweis der Möglichkeit von Freiheit, abhängig machte, mußte er von der (erkenntniskriti­ schen) radikalen Reflexion mit einem Schlage die Durchführung der gesamten Philosophie, d.h. auch die praktische Forderung idealer Selbstvervollkommnung aus Freiheit erwarten. Damit verschwindet aber die vorhin angedeutete Differenz zwischen »Philosophie als Wis­ senschaft« und »Philosophie im weiteren Sinne«, und die aletheiolo­ gische Reformulierung des Seins der Welt bzw. die »neue Entdeckung der ›seienden Welt‹« (Hua VI 275) muß auch für die Frage nach dem Endzweck praktischer Vernunft aufkommen. – Husserls Ansatz

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III. Stufen der Vernunftgeschichte

scheint in diesem einen Punkte Fichte nahezustehen, wenn letzterer die Philosophie definiert als eine »Umschaffung, Wiedergeburt und Erneuerung des Geistes in seiner tiefsten Wurzel: die Einsetzung eines neuen Organs, und aus ihm einer neuen Welt in die Zeit«.120 In der Tat begreift Husserl die Philosophie nach ihrer theoreti­ schen Funktion als »Funktion der Vermenschlichung des Menschen«; sie ist dergestalt das leitende Moment des gattungsgeschichtlichen Prozesses, als dessen Ziel er eine Weise der subjektiven Selbst­ beziehung angibt, die mit seinem Begriff der Freiheit zusammen­ fällt: das »Für-sich-selbst-sein«, »Sich-selbst-wollen« (ebd. 429). Das geschichtsphilosophisch motivierte Programm der »Vermensch­ lichung des Menschen« vollzieht sich demnach unter den Prämissen des aletheiologischen Ansatzes, der den objektivistisch bedingten Widerspruch zwischen Welt und Mensch auflösen und dergestalt die Verwirklichung »seligen Lebens« (ebd. 467) ermöglichen soll.

III. Stufen der Vernunftgeschichte Die geschichtsphilosophischen Konsequenzen, die sich aus dem spe­ ziellen Entwurf der Philosophiegeschichte ergaben, hat Husserl in einem sehr übersichtlich aufgebauten Modell kurz zusammengefaßt (vgl. ebd. 502f.). Er unterscheidet hier drei »Stufen der Geschicht­ lichkeit«, deren erste als »[u]rsprüngliche generative Historizität« charakterisiert wird.121 Von dieser Art der Geschichtlichkeit, die das alltägliche und natürliche Dasein des Menschen umfaßt, kann Husserl sagen, daß sie »immer schon in Gang gewesen« ist. In ihr existiert für das Bewußtsein eine »Einheit der Sinnhaftigkeit«, die den konkreten Erlebniszusammenhang zwischen Person und jeweiliger Umwelt stiftet und zugleich ein ›praktisch-mythisches‹ Verstehen dieses (vorgegebenen) Zusammenhanges indiziert. Den Einsatz der zweiten Stufe bezeichnet dagegen die Urstiftung der Philosophie und Wissenschaft, welche sich kritisch gegen das 120 Johann Gottlieb Fichte: Ueber das Verhältniß der Logik zur Philosophie oder transcendentale Logik. – In: Fichtes Werke herausgegeben von Immanuel Hermann Fichte. Band IX. Nachgelassenes zur theoretischen Philosophie I. Berlin 1971. 103– 400; hier: 399f. – Vgl. Hua VI 472. 121 Zur Interpretation dieses Geschichtsmodells vgl. Alwin Diemer: Edmund Husserl. A.a.O. 361ff. – Zur Charakterisierung der ersten Stufe vgl. Hubert Hohl: Lebenswelt und Geschichte. A.a.O. 62–72f. und Lothar Eley: Die Krise des Apriori in der transzendentalen Phänomenologie Edmund Husserls. A.a.O. 121–123.

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9. Geschichtsphilosophische Perspektiven

Selbstbewußtsein der ersten Stufe wendet und eine »Revolutionie­ rung der Geschichtlichkeit« einleitet, insofern diese nun »Geschichte des Entwerdens des endlichen Menschentums im Werden zum Men­ schentum unendlicher Aufgaben ist.« (Ebd. 325) Indem nämlich der Mensch vermöge der theoretischen Konzeption einer objektiven Welt den traditionalen Rahmen generativer Geschichtlichkeit trans­ zendiert, ist er nicht nur geschichtlich, sondern begreift er seine eigene Geschichte durch Vernunft. Geschichte ist von jetzt an nicht mehr in der »organischen« Sinneinheit mythisch-praktischen Denkens einbehalten; sie vollzieht sich vielmehr im Lichte jenes verselbstän­ digten Interesses an Wahrheit, das die vormals selbstverständlich sich darbietende Welt auf ihr eigentliches Sein hinterfragt. Wird jedoch die Urstiftung der Philosophie als Funktion der intersubjektiven Synthesis aufgefaßt und geschieht diese nach Maß­ gabe des subjektiven Interesses an Wahrheit, dann liegen darin die emanzipativen Bedingungen für die geschichtliche Konstitution der Vernunftmenschheit, die nun einmal ihre Geschichte nicht bloß erleidet, sondern aus freier Rationalität gestaltet und so – im Sinne Husserls – ein »seliges Leben« intendiert. Die geschichtliche Erschei­ nung der Vernunft in Gestalt philosophischer Theorie vollzieht sich demzufolge nach einsichtigen Motivationen, die ihrerseits aus der Wesensverfassung der Subjektivität begründet werden können. In dem Maße wie die gesamte (hier erst beginnende) Philosophiege­ schichte sich als ein teleologischer Prozeß verstehen läßt, kann die darin sich bekundende Geschichte der Vernunft als deren entelechiale Selbstverwirklichung, »die ratio in der ständigen Bewegung der Selbst­ erhellung« (ebd. 273), gedacht werden. Insofern aber die Geschichtlichkeit der zweiten Stufe wesentlich durch die Reflexivität bestimmt ist, verliert die Geschichte hier ihren apersonalen Charakter als ein Naturgeschehen, das der Mensch nur erleidet und über dessen Ziele er nichts weiß. Sie ist vielmehr in den einzelnen »Geschichtlichkeiten der beteiligten Personen« (ebd. 380, Anm. 1) begründet. Die damit angezeigte prinzipielle Veränderung des Bewußtseins und des Begriffs der Geschichte bedeutet, daß auch die Philosophiegeschichte weder der Teleologie in der Art eines Naturgesetzes noch dem autonomen Wirken einer absoluten Ver­ nunft unterworfen ist, da sie von der »persönlichen Willentlichkeit« ihrer »Mitvollzieher« (ebd. 71) getragen und letztlich verantwortet wird. Husserls programmatische Absage an die konstruktive Meta­ physik dokumentiert in dem gegenwärtigen Zusammenhang die

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III. Stufen der Vernunftgeschichte

Absicht, die transzendentale Autonomie des Menschen als des freien »Vollzieher[s]« der Vernunft vor der objektivistischen Verdinglichung zu bewahren. »Die dritte Stufe ist Umwandlung der Philosophie in Phänome­ nologie, mit dem wissenschaftlichen Bewußtsein von der Menschheit in ihrer Historizität und der Funktion, sie in eine Menschheit zu verwandeln, die sich bewußt von der Philosophie als Phänomenologie leiten läßt.« (Ebd. 503) Diese dritte Stufe bezeichnet in zweifacher Hinsicht einen Abschluß: Einmal ist es das Ende der Philosophiege­ schichte im engeren Sinne, andererseits wird hier auch derjenige ›Bildungsprozeß‹ abgeschlossen, der nach Husserls Vorstellung wohl mehr oder weniger mit der Geschichte der Philosophie zusammenfällt und vorausgesetzt ist, wenn jene – an Platons Politeia gemahnende – Erwartung einer philosophischen Menschheitsgeschichte soll ein­ treten können. Umgekehrt bedeutet die Etablierung der transzenden­ talen Phänomenologie als verbindliche Form radikaler Wissenschaft­ lichkeit für Husserl so etwas wie die endgültige normative Freigabe der Vernunft in der Geschichte. Aber die Idee radikaler Verantwort­ lichkeit im Sinne der phänomenologischen Forderung letzter Auswei­ sung bleibt infolge der endlichen Grundstruktur des intentionalen Bewußtseins selber nur ein Postulat. »Sein im Berufensein zu einem Leben in der Apodiktizität« (ebd. 275) besagt deshalb, daß die Mensch­ heit, obzwar durch Philosophie geleitet, ihre Vernünftigkeit nur so weit festzuhalten vermag, als sie ihre Fehlbarkeit sich eingesteht: »verstehend, daß sie vernünftig ist im Vernünftigseinwollen, daß dies eine Unendlichkeit des Lebens und Strebens auf Vernunft hin bedeutet« (ebd.). So ist es nicht so sehr das Resultat als der stets erneuerte Vollzug radikaler Reflexion, an dem sich Husserl orientiert. Nach sei­ nem geschichtsphilosophischen Entwurf, dessen drei Stufen als reine Strukturformen geschichtlicher Existenz auch simultan möglich sind, kann Vernunft sich nur dort gebietend entfalten, wo der Mensch in ihr als unbedingtem Interesse an Wahrheit sein ursprüngliches Interesse an sich und seiner Existenz in der »Welt für alle« wiedererkennt. Selbst dann aber vermag sie nicht zu verhindern, daß das Bewußtsein die Universalität seiner radikalen Verantwortlichkeit aufgibt – freilich um den Preis eines Widerspruchs, der die Integrität höchster und letzter Selbstverständigung verletzt und, wie Husserl glaubt, ein ›glückseliges‹ Leben (vgl. ebd. 467) verhindert.

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Zur Zitierweise: Husserls Werke werden – mit Ausnahme des LogosAufsatzes Philosophie als strenge Wissenschaft (PhstW), Erfahrung und Urteil (EU) sowie der Logischen Untersuchungen – nach der Aus­ gabe Husserliana. Gesammelte Werke (Hua) zitiert. Die Stellenangabe erfolgt unmittelbar im fortlaufenden Text, wobei die Bandzahl durch römische, die Seitenzahl durch arabische Ziffern bezeichnet wird. – Im übrigen wird im Literaturverzeichnis nur diejenige Literatur aufgeführt, auf die im Text auch Bezug genommen wird.

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Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologi­ schen Philosophie. Erstes Buch. Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie. Neue, auf Grund der handschriftlichen Zusätze des Verfassers erweiterte Auflage. Herausgegeben von Walter Biemel. Haag 1950.

Hua IV

Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologi­ schen Philosophie. Zweites Buch. Phänomenologische Unter­ suchungen zur Konstitution. Herausgegeben von Marly Bie­ mel. Haag 1952.

Hua V

Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologi­ schen Philosophie. Drittes Buch. Die Phänomenologie und die

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Nachwort des Herausgebers

Die vorliegende Neubearbeitung der Promotionsschrift von Kurt Rainer Meist basiert auf der Fassung des Typoskripts. Es umfaßt 255 S. im Format DIN A5. Die Titelei ist zentriert auf dem vorderen Einbanddeckel platziert: Vernunft und Philosophiegeschichte Zu Husserls philosophischer Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie in der Abteilung für Philosophie, Pädagogik und Psychologie der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt von Kurt Rainer Meist Es folgen eine Leerseite (recto, verso), auf der anschließenden Seite eine Wiederholung der Titelei in zeilengleicher Anordnung und auf deren Rückseite linksbündig die Zusätze: Gedruckt mit Genehmigung der Fakultät der Abteilung für Philosophie, Pädagogik, Psychologie der Ruhr-Universität Bochum Referent: Prof. Dr. R. Schaeffler Korreferent: Prof. Dr. O. Pöggeler Tag der mündlichen Prüfung: 2. 5. 1972

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Nachwort des Herausgebers

Es folgen unpaginiert das dreiseitige Inhaltsverzeichnis und eine Leerseite. Die anschließende vierseitige »Einleitung« ist römisch, die erste Seite dabei blind paginiert. Für die Neuausgabe ist die alte Orthographie beibehalten worden. Sämtliche Zitate sind überprüft und, wo erforderlich, angeglichen worden. Hervorhebungen in Form von gesperrten Zeilenabständen sind durch Kursivschrift ersetzt worden. Vormals nicht mitgeteilte Ergänzungen des Autors sind jetzt durch »[K. R. M.]« kenntlich gemacht. Zugunsten des Lesekomforts sind die ursprünglich in End­ noten befindlichen Anmerkungen in Fußnoten überführt und deren Zählung korrigiert worden. Unterstreichungen von Werktiteln, z.B. Ideen I, sind kursiv gesetzt worden. Die Überschriften der Hauptkapi­ tel sind neu numeriert worden. Bei internen Verweisen im Haupttext sind die Seitenzahlen an die neue Paginierung angepasst worden. Den bezüglich der Husserliana in Klammern gesetzten Band- und Seitenzahlen im Haupttext ist die in der Husserl-Forschung übliche Sigle Hua vorangestellt worden. Das Literaturverzeichnis ist durchge­ sehen worden. Mit Ausnahme der Bände XII1, XIII2 und XVI3 der Husserliana hat Kurt Rainer Meist sämtliche bis dato publizierten Bände, die bis zum Abgabezeitpunkt der Belegexemplare seiner Promotionsschrift erschienen waren, zu Rate gezogen. Für Husserls in Logos I erschienenen Aufsatz Philosophie als strenge Wissenschaft und für sein Buch Erfahrung und Urteil sind die Siglen PhstW bzw. EU ergänzt worden.

1 Philosophie der Arithmetik. Mit ergänzenden Texten (1890–1901). Herausgegeben von Lothar Eley. Den Haag 1970. – Auf Hua X: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (1893–1917). Herausgegeben von Rudolf Boehm. Haag 1966, wird thematisch Bezug genommen, jedoch nicht daraus zitiert. 2 Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlaß. Erster Teil: 1905–1920. Herausgegeben von Iso Kern. Den Haag 1973. 3 Ding und Raum. Vorlesungen 1907. Herausgegeben von Ulrich Claesges. Den Haag 1973.

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Nachwort des Herausgebers

Auf die Erstellung eines Begriffs- und Personenregisters ist ebenso verzichtet worden wie auf die Mitteilung des bei Dissertationen zur Vorlage beim Prüfungsamt sowie bei Belegexemplaren für Biblio­ theken üblichen Lebenslaufs. Statt dessen wird ein vollständiges Schriftenverzeichnis des 2013 verstorbenen Autors beigefügt. Holger Glinka Bochum, im Dezember 2022

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Schriftenverzeichnis Kurt Rainer Meist (1944–2013) Zusammengestellt von Holger Glinka

A. Monographien 1. Vernunft und Philosophiegeschichte. Zu Husserls philosophiehistorischer Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie. Inaugural-Dis­ sertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie in der Abteilung für Philosophie, Pädagogik und Psychologie der Ruhr-Univer­ sität Bochum vorgelegt von Kurt Rainer Meist. Bochum 1972. IV, 255 S. (Dissertationsschrift) [Signatur Universitätsbibliothek Ruhr-Universität Bochum: UA148577] 2. Zur Entstehungsgeschichte einer Philosophie der »Weltgeschichte« bei Hegel in den Frankfurter und Jenaer Entwürfen. 2 Bände. Bochum 1986. 1. Bd. S. I– IX; 1–300; 2. Bd. S. 301–511; Anmerkungen zu den Vorbemerkungen bzw. Anmerkungen S. 1–42; Literaturverzeichnis S. 1–13. (Habilitationsschrift; unveröffentlicht) [Signatur Hegel-Archiv: L 986: 30 (1)/(2); Signatur Uni­ versitätsbibliothek Ruhr-Universität Bochum: UB17381]

B. Editionen 3. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über Naturrecht und Staatswis­ senschaft. Heidelberg 1817/18 mit Nachträgen aus der Vorlesung 1818/19. Nachgeschrieben von P. Wannenmann. Herausgegeben von C. Becker, W. Bonsiepen, A. Gethmann-Siefert, F. Hogemann, W. Jaeschke, Ch. Jamme, H.-Ch. Lucas, K. R. Meist, H. Schneider mit einer Einleitung von O. Pöggeler. – In: ders.: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Band 1. Hamburg 1983, LIII, 307 S. [DOI: 10.28937/978-3-7873-3775-0] 4. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Schriften und Entwürfe (1799–1808). Unter Mitarbeit von Theodor Ebert herausgegeben von Manfred Baum und Kurt Rainer Meist. Verfasser des Anhangs: Kurt Rainer Meist. – In: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deut­ schen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Nordrhein-Westfäli­ schen Akademie der Wissenschaften. Band 5. Hamburg 1998, VIII, 827 S. [DOI: 10.28937/978-3-7873-3385-1]

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Schriftenverzeichnis Kurt Rainer Meist (1944–2013)

C. Studienausgaben 5. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: System der Sittlichkeit. [Critik des Fichteschen Naturrechts] Mit einer Einleitung von Kurt Rainer Meist herausgegeben von Horst D. Brandt. Hamburg 2001, XXXIX, 85 S. [DOI: 10.28937/978-3-7873-3235-9] 6. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Über die Reichsverfassung. Herausgegeben von Hans Maier. Nach der Textfassung von Kurt Rainer Meist. München 2002, 275 S. (207–275: Kurt Rainer Meist: Zur Textedition der Verfassungs­ schrift) (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens. Herausgegeben von Hans Maier und Michael Stolleis. Band 10) [DOI: 10.28937/978-3-7873-2058-5] 7. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Über die Reichsverfassung. Herausgegeben von Hans Maier. Nach der Textfassung von Kurt Rainer Meist. Hamburg 2004, LXXXI, 217 S. (Philosophische Bibliothek. Band 557). [DOI: 10.28937 /978-3-7873-3235-9]

D. Aufsätze 8. (mit Manfred Baum) Hegels »Prometheische Confession«. Quellen für die vier Jenaer Aphorismen Hegels. – In: Hegel-Studien. Bonn. 8 (1973), 79–90. [DOI: 10.28937/978-3-7873-2937-3] 9. (mit Manfred Baum) Politik und Philosophie in der Bamberger Zeitung. Dokumente zu Hegels Redaktionstätigkeit 1807–1808. – In: Hegel-Studien. Bonn. 10 (1975), 87–127. [DOI: 10.28937/978-3-7873-3065-2] 10. (mit Manfred Baum) Recht – Politik – Geschichte. – In: Otto Pöggeler (Hrsg.): Hegel. Einführung in seine Philosophie. In Zusammenarbeit mit Manfred Baum, Wolfgang Bonsiepen, Klaus Düsing, Annemarie GethmannSiefert, Friedrich Hogemann, Rolf P. Horstmann, Walter Jaeschke, Heinz Kimmerle, Kurt Rainer Meist, Friedhelm Nicolin und Helmut Schneider. Freiburg/München 1977. 106–126. (Kolleg Philosophie) 11. (mit Manfred Baum) Durch Philosophie leben lernen. Hegels Konzeption der Philosophie nach den neu aufgefundenen Jenaer Manuskripten. – In: HegelStudien. Bonn. 12 (1977), 43–81. [DOI: 10.28937/978-3-7873-2940-3] 12. (mit Manfred Baum) Le premier système de philosophie de Hegel. Manu­ scrits retrouvés. – In: Archives de Philosophie. Paris. 40 (1977), 3, 429–434. [https://www.jstor.org/stable/i40117517] 13. Altenstein und Gans. Eine frühe politische Option für Hegels Rechtsphilosophie. – In: Hegel-Studien. Bonn. 14 (1979), 39–72. [DOI: 10.28937/978-3-7873-3067-6] 14. Hegels Systemkonzeption der frühen Jenaer Zeit. – In: Hegel-Tage Zwettl 1977. Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die Zusammenarbeit mit Schelling. Herausgegeben von Dieter Henrich und Klaus Düsing. Bonn 1980. 59–79. (Hegel-Studien, Beiheft 20) [DOI: 10.28937/978-3-7873-3086-7]

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D. Aufsätze

15. Monadologische Intersubjektivität. Zum Konstitutionsproblem von Welt und Geschichte bei Husserl. – In: Zeitschrift für Philosophische Forschung. Meisenheim am Glan. 34 (1980), 4, 561–589. 16. Philosophie ist »ihre Zeit in Gedanken erfaßt«. Zur Rolle der Geschichte in Hegels System der Philosophie. – In: Journal of the Faculty of Letters. The University of Tokyo. (Aesthetics) Tokyo. 6 (1981), 25–39. 17. (mit Walter Jaeschke) Von Humboldt zu Altenstein. – In: Hegel in Berlin. Preußische Kulturpolitik und idealistische Ästhetik. Zum 150. Todestag des Philosophen. Ausstellung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Ber­ lin in Verbindung mit dem Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum und dem Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stif­ tung. Berlin 11. November 1981–9. Januar 1982. Düsseldorf 20. Januar– 7. März 1982. Herausgeber des Katalogs: Otto Pöggeler. Berlin 1981. 29–39. (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Ausstellungskataloge 16) 18. Mythologie und Geschichte. – In: Ebd. 122–130. 19. Halkyonische Tage in Wien. – In: Ebd. 153–161. 20. Identität und Entzweiung. Molitors Geschichtsphilosophie und der Hom­ burger Kreis. – In: Christoph Jamme/Otto Pöggeler (Hrsg.): Homburg vor der Höhe in der deutschen Geistesgeschichte. Studien zum Freundeskreis um Hegel und Hölderlin. Stuttgart 1981. 267–299. (Deutscher Idealismus. Philosophie und Wirkungsgeschichte in Quellen und Studien. Herausgegeben von Hans Michael Baumgartner, Rüdiger Bubner, Konrad Cramer, Klaus Hartmann, Hermann Krings, Gerold Prauss, Otto Pöggeler, Manfred Riedel, Josef Simon, Michael Theunissen, Reiner Wiehl, Wolfgang Wieland. Band 4) 21. Die Zeit der Geschichte. Probleme in Husserls transzendentaler Begrün­ dung einer Theorie der Geschichte. – In: Phänomenologische Forschung 14. Zeit und Zeitlichkeit bei Husserl und Heidegger. Herausgegeben von Ernst Wolfgang Orth. Freiburg/München 1983, 58–110. [https://www.jstor.org/ stable/24360084] 22. Zur Rolle der Geschichte in Hegels System der Philosophie. – In: Kunsterfah­ rung und Kulturpolitik im Berlin Hegels. Herausgegeben von Otto Pöggeler und Annemarie Gethmann-Siefert. Bonn 1983. 49–81. (Hegel-Studien, Bei­ heft 22) [DOI: 10.28937/978-3-7873-3085-0] 23. Geschichte im Konflikt. Bemerkungen zu einer Kontroverse Johannes von Müllers mit der Geschichtsphilosophie Fr. J. Molitors. – In: Johannes von Müller – Geschichtsschreiber der Goethezeit. Herausgegeben von Christoph Jamme und Otto Pöggeler. Schaffhausen 1986. 265–276. 24. Differenzen in Hegels Deutung der »Neuesten Zeit« innerhalb seiner Konzeption der Weltgeschichte. – In: Hans-Christian Lucas/Otto Pöggeler (Hrsg.): Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Ver­ fassungsgeschichte. Referate des Bochumer Kolloquiums (September 1984). Stuttgart 1986. 465–504. (Spekulation und Erfahrung. Texte und Untersu­ chungen zum Deutschen Idealismus. Abteilung II: Untersuchungen. Band 1)

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Schriftenverzeichnis Kurt Rainer Meist (1944–2013)

25. Der geschichtliche Zeitort der Freiheit. Überlegungen zu Hegels letzten Entwürfen einer Geschichtsphilosophie. – In: Philosophisch-theologische Grenzfragen. Festschrift für Richard Schaeffler zur Vollendung des 60. Lebensjahres. Herausgegeben von Julie Kirchberg und Johannes Müther. Essen 1986. 127–152. 26. (mit Manfred Baum) マンフレート・バウム、クルト・ライナー・マイス ト「第七章 法・政治・歴史」、オットー・ペゲラー編『ヘーゲルの全体 像』、谷嶋喬四郎他訳、以文社、1988 年。 – [Dainanasho, Hou, Seiji, Rekishi] Übersetzt von Tsutomu Hoshino. – In: Tanishima Kyoshiro (Hrsg.): Hegel no zentaizou. Tokyo 1988. 150–172. [Übers. v. Nr. 11 ins Japanische] 27. »Absolute« and »Consummate« Religion. The Foundations of Hegel’s Com­ parison of Christianity and the Non-Christian Religions in his Philosophy of History. – In: John Walker (Ed.): Thought and Faith in the Philosophy of Hegel. London 1991. 39–72. [DOI: 10.1007/978-94-011-3226-8_4] 28. Intersubjektivität zwischen Natur und Geschichte. Einige Anmerkungen über Probleme einer transzendentalen Letztbegründung. – In: Ernst Wolf­ gang Orth: Perspektiven und Probleme der Husserlschen Phänomenologie. Beiträge zur neueren Husserl-Forschung. Freiburg/Brsg. 1991. 265–304. [https://www.jstor.org/stable/24360332] 29. »Sich vollbringender Skeptizismus«. G. E. Schulzes Replik auf Schelling und Hegel. – In: Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799–1807). Herausgegeben von Walter Jaeschke. Hamburg 1993. 192–230. (Philosophisch-literarische Streitsachen. Herausgegeben von Walter Jaeschke. Band 2) (Erneut erschienen als Sonder­ ausgabe Hamburg 1999) [DOI: 10.28937/978-3-7873-2667-9] 30. Gott selbst ist tot. Über Hegels und Heideggers Auseinandersetzung mit der atheistischen Reflexion des modernen Gottesgedankens. – In: Joachim Hubbert/Gerd Neuhaus/Ingrid Strohschneider-Kohrs (Hrsg.): Freiheit Got­ tes und Geschichte des Menschen. Forschungsgespräch aus Anlaß des 65. Geburtstags von Professor Dr. Richard Schaeffler. (= Forschungsgespräche der katholischen Akademie »Die Wolfsburg«) Annweiler/Essen 1993. 117–217. 31. クルト・ライナー・マイスト「自己実現する懐疑論――G・F・シュル ツェによる、ヘーゲル及びシェリングに対する再反論――」、栗原隆訳、 『論争の哲学史』、高山守・藤田正勝監訳、理想社、2001 年、349~422 頁。 – Jikojitugen suru kaigiron: G. F. Schulze niyoru Hegel oyobi Schelling ni taisuru saihanron. Übersetzt von Takashi Kurihara. – In: Mamoru Takayama/Masakatsu Fujita (Hrsg.): Ronsou no tetsugakushi. Tokyo 2001. 349– 422. [Übers. v. Nr. 29 ins Japanische] 32. Hegels »Critik des Fichteschen Naturrechts«. Über die systematischen Anfänge der »Philosophie des Rechts«. – In: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus. International Yearbook of German Idealism. Der Begriff des Staates. The Concept of State. Band 2. Berlin, New York 2004, 177–219. [doi.org/10.1515/9783110179118.177]

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H. Wissenschaftlicher Nachlass

E. Rezensionen 33. Heinz Krumpel: Zur Moralphilosophie Hegels. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1972. 112 S. – In: Hegel-Studien. Bonn. 10 (1975), 341– 348. [DOI: 10.28937/978-3-7873-3065-2] 34. Guido Renggli: Die Philosophie des objektiven Geistes bei Nico­ lai Hartmann mit Berücksichtigung Hegels. Zürich: Juris Druck + Ver­ lag 1973. 319 S. – In: Hegel-Studien. Bonn. 11 (1976), 327–329. [DOI: 10.28937/978-3-7873-2939-7] 35. Nathan Rotenstreich: From Substance to Subject. Studies in Hegel. The Hague: Nijhoff 1974. 132 S. – In: Hegel-Studien. Bonn. 14 (1979), 340–347. [DOI: 10.28937/978-3-7873-3067-6] 36. Heinz-Jürgen Görtz: Tod und Erfahrung. Rosenzweigs »erfahrende Philo­ sophie« und Hegels »Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins«. Düssel­ dorf: Patmos 1984. 578 S. (Themen und Thesen der Theologie); Stéphane Mosès: System und Offenbarung. Die Philosophie Franz Rosenzweigs. Mit einem Vorwort von Emmanuel Lévinas aus dem Französischen von Rainer Rochlitz. München: Fink 1985. 242 S. (Übergänge. Texte und Studien zu Handlung, Sprache und Lebenswelt. Bd. 11. Herausgegeben von R. Grat­ hoff und B. Waldenfels) – In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 241–262. [DOI: 10.28937/978-3-7873-3069-0]

F. Kurzreferate und Selbstanzeigen 37. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Heraus­ gegeben von Gerd Irrlitz und Karin Gurst. Band 1. Westberlin: Verlag Das Europäische Buch 1984. C; 483 S. (eurobuch 2) – In: Hegel-Studien. Bonn. 24 (1989), 276f. [DOI: 10.28937/978-3-7873-3069-0]

G. Kurzberichte In den Jahren 1973–1990 hat Kurt Rainer Meist Inhaltsreferate zum nicht selbständig erschienenen Schrifttum über Hegel für die Bibliographien der Bände 8–25 der Hegel-Studien beigetragen.

H. Wissenschaftlicher Nachlass Hegels »Critik des Fichteschen Naturrechts« im Spiegel der französischen Revo­ lution. 523 S. [Monographie]

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Schriftenverzeichnis Kurt Rainer Meist (1944–2013)

»Quatenus cogito«. Über die Negation und das Bewußtsein der Wahrheit. Aus Vorlesungen über »Philosophie der Subjektivität« München/Münster/Kiel/ Bochum. 867 S. [digital erstelltes Vorlesungsmanuskript] Aufsätze zur Philosophie und zum fernöstlichen Denken

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Zu Autor und Herausgeber

Kurt Rainer Meist (1944–2013) wurde 1972 mit der bei Prof. Dr. Richard Schaeffler und Prof. Dr. Otto Pöggeler vorgelegten Disserta­ tion Vernunft und Philosophiegeschichte. Zu Husserls philosophiehisto­ rischer Begründung der phänomenologischen Idee der Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum promoviert. Dort wurde Meist 1986 auch die Venia legendi im Fach Philosophie erteilt. Seine Habilitati­ onsschrift trägt den Titel Zur Entstehungsgeschichte einer Philosophie der »Weltgeschichte« bei Hegel in den Frankfurter und Jenaer Entwürfen. 1995 wurde Meist eine außerplanmäßige Professur an der Ruhr-Uni­ versität Bochum verliehen. Dort übernahm er Vertretungsprofessu­ ren (Prof. Dr. Frithjof Rodi im SoSe 1990; Prof. Dr. Hans-Martin Sass im WS 1994/95, 1995/96, 1996/97 und 1997/98), ebenso an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Prof. Dr. Dieter Henrich im WS 1990/91 und SoSe 1994), der Westfälischen Wilhelms-Uni­ versität Münster (Prof. Dr. Heinrich Schepers im SoSe 1991 und WS 1991/92) und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Prof. Dr. Hermann Schmitz im SoSe 1993). Seinen Lehrverpflichtungen an der Ruhr-Universität Bochum war Meist bis zum SoSe 2008 mit großem Engagement nachgekommen. Annette Lukas (Dekanat der Fakultät für Philosophie und Erziehungs­ wissenschaft, Ruhr-Universität Bochum) danke ich herzlich für die Akteneinsicht zu der beruflichen Tätigkeit von Kurt Rainer Meist.

Zum Herausgeber Holger Glinka, Dr. phil. (geb. 1967), war 2000–2014 Wissenschaft­ liche Hilfskraft bzw. Wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 2001 Redakteur der Hegel-Studien am Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum. Seit 2015 ist er Institutsratsmitglied des Harun Farocki Instituts (HaFI), Berlin. 2018/19 war er Wissenschaftlicher Mit­ arbeiter am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der

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Zu Autor und Herausgeber

Europäischen Aufklärung (IZEA) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. – Arbeitsschwerpunkte: Rechtsphilosophie (Poli­ tische Philosophie, Naturrecht), Religionsphilosophie und Phänome­ nologie. – Publikationen im Bereich dieser Arbeitsgebiete, u.a.: Zur Genese autonomer Moral. Eine Problemgeschichte des Verhältnisses von Naturrecht und Religion in der Frühen Neuzeit und der Aufklärung. Felix Meiner Verlag: 2., durchgesehene Aufl. Hamburg 2012, 383 S. (Paradeigmata, 31)

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