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German Pages 437 [442] Year 2014
Wenchao Li (Hg.)
Einheit der Vernunft und Vielfalt der Sprachen Beiträge zu Leibniz’ Sprachforschung und Zeichentheorie Philosophie Franz Steiner Verlag
Studia Leibnitiana — Supplementa 38
Wenchao Li (Hg.) Einheit der Vernunft und Vielfalt der Sprachen
studia leibnitiana supplementa Im Auftrage der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft e.V. herausgegeben von Herbert Breger, Heinrich Schepers und Wilhelm Totok In Verbindung mit Michel Fichant, Emily Grosholz, Nicholas Jolley, Klaus Erich Kaehler, Eberhard Knobloch, Massimo Mugnai, Pauline Phemister, Hans Poser, Nicholas Rescher, André Robinet, Martin Schneider und Catherine Wilson Band 38
Wenchao Li (Hg.)
Einheit der Vernunft und Vielfalt der Sprachen Beiträge zu Leibniz’ Sprachforschung und Zeichentheorie
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit Unterstützung der Leibniz-Stiftungsprofessur der Leibniz Universität Hannover und der Landeshauptstadt Hannover
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10884-7 (Print) ISBN 978-3-515-10892-8 (E-Book)
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort ............................................................................................................. 7 KLAUS HULEK (Hannover) Grußwort ...................................................................................................... 9 WENCHAO LI (Hannover/Potsdam) Einführung ................................................................................................. 11 STEFANO GENSINI (Rome) Leibniz’s Later Writings on Language and the Topic of “Origins”........... 25 JAAP MAAT (Amsterdam) Natural Languages and Artificial Language: Leibniz’s Rational Grammar as the Link between the Two ...................................... 43 LUCIA OLIVERI (Padua/Münster) Logische und semantische Funktion der Präpositionen in Leibniz’ Sprachphilosophie ................................................................... 55 MARINE PICON (Lyon) “Modum definitiones investigandi”: Philology and the Foundation of Demonstrative Science ................................................. 83 MATTIA GERETTO (Venice) Natural Language, Locutio Angelica and Characteristica Universalis ..... 99 ADELINO CARDOSO (Lisboa) Language as Translation .......................................................................... 111 JEAN-BAPTISTE RAUZY (Paris) Erkennen und Ausdrücken: Leibniz’ Auffassung der Idee ...................... 123 CONCHA ROLDÁN (Madrid) Historische Semantik und Universalsprache: Ein möglicher Anfang der Begriffsgeschichte? ............................................................... 133
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Inhaltsverzeichnis
ANNETTE ANTOINE (Hannover) Sprachpolitik und Sprachkritik: Zur Geschichte und Aktualität von Leibniz’ Ermahnung an die Teutsche, ihren verstand und sprache beßer zu üben .............................................................................. 151 STEFAN LUCKSCHEITER (Potsdam) Spiegel des Verstandes oder Spiegel des Volksgeistes: Leibniz und Ernst Moritz Arndt über die deutsche Sprache .................... 165 TOON VAN HAL (Leuven) Sprachen, die Geschichte schreiben: Zu Leibniz’ sprachhistorischem Forschungsprogramm und dessen Nachwirkung ..... 177 MALTE-LUDOLF BABIN (Hannover) Armenisch, Albanisch, Hokkien … Zum sprachwissenschaftlichen Teil von Leibniz’ Korrespondenz mit Mathurin Veyssière de La Croze (1704–1716).................................. 207 WENCHAO LI (Hannover/Potsdam) Leibniz und das europäische Interesse an chinesischer Sprache und Schrift .................................................................................. 219 GIOVANNA VARANI (Porto, MN) Leibniz und Aristophanes: die unheimliche Seite der Sprache als Witz, Spott und Parodie ...................................................................... 247 STEPHAN WALDHOFF (Potsdam) Leibniz’ sprachwissenschaftliche und polyhistorisch-antiquarische Forschungen im Rahmen seines Opus historicum Mit einem Blick auf die Collectanea Etymologica .................................. 269 ANHANG Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung (bearbeitet von Stefan Luckscheiter, Potsdam) ........................................ 317 Personenregister ............................................................................................ 433
VORWORT Die in dem Band gesammelten Beiträge gehen auf eine internationale Tagung zurück, die anlässlich des 75. Geburtstages von Hans Poser am 1./2. Juni 2012 im Leibnizhaus der Stadt Hannover stattfand. Veranstalter der Tagung waren die Leibniz-Stiftungsprofessur (LSP) der Leibniz Universität Hannover und die Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft. Die Leibniz-Stiftungsprofessur wurde im Jahre 2010 eingerichtet. Eines ihrer wesentlichen Ziele besteht darin, die internationale Leibniz-Forschung intensiv zu fördern und stärker zu verknüpfen. Die Leibniz Universität hofft, dadurch ein lebendiges Andenken an ihren Namensgeber zu bewahren, das philosophische Denken Leibnizens für die gegenwärtigen Fragestellungen fruchtbar zu machen und dem Motto der Leibniz Universität, „Mit Wissen Zukunft gestalten“, gerecht zu werden. Hans Poser ist seit 1977 Vizepräsident und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Leibniz-Gesellschaft. Die auf der Tagung diskutierten Themen und die Frage nach der Einheit der Vernunft in der Vielheit der Sprachen sind für ihn seit jeher zentral gewesen und sind es auch immer noch. Der Herausgeber dankt den Autorinnen und Autoren für ihr Mitwirken. Für die Erteilung der Druckerlaubnis aus ihren Beständen sei der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel gedankt. Für weitere Hilfestellung sei der Abteilung „Handschriften und Alte Drucke“ der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, namentlich Frau Anja Fleck, Frau Birgit Zimny und Herrn Werner Ganske, gedankt. Unser besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Wolfgang Reinbold (Göttingen/Hannover) für seine freundliche Bereitschaft, die griechischen Zitate zu überprüfen. Für besonders wertvolle Hinweise sei Herrn Prof. Dr. Herbert Breger (Hannover), Herausgeber der Studia Leibnitiana, gedankt. Die Drucklegung wurde durch eine Förderung der Leibniz-Stiftungsprofessur ermöglicht. Die Redaktion lag in den Händen von Simona Noreik (LSP). Der Herausgeber Hannover, am 25. Mai 2014
Prof. Dr. Klaus Hulek Vizepräsident für Forschung der Leibniz Universität Hannover
GRUSSWORT Sehr geehrter Herr Poser, sehr geehrter Herr Breger, lieber Herr Li, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Namen des Präsidiums der Leibniz Universität Hannover begrüße ich Sie herzlich zu der zweitägigen internationalen Tagung zu Leibniz’ Sprachforschung und Sprachphilosophie hier im Leibnizhaus in Hannover. Es freut mich, dass Sie für diese Tagung unsere Universität gewählt haben, trägt sie doch seit nunmehr sechs Jahren den Namen „Gottfried Wilhelm Leibniz Universität“. Vor knapp zwei Jahren wurde die Leibniz-Stiftungsprofessur geschaffen und erfolgreich mit Professor Wenchao Li besetzt. Herrn Kollegen Li ist es unter anderem zu verdanken, dass wir uns heute wieder einem spannenden Thema widmen können: unser Universalgelehrter als Sprachforscher und Sprachphilosoph! „Alle Sprachen loben den Herrn!“, mit diesem Zitat hat Herr Li als Ideengeber und Organisator der Tagung unsere Presseinfo beginnen lassen; als Mathematiker hätte ich vielleicht mit Leibniz „Calculemus!“ – „Comptons!“ – „Lasst uns rechnen!“ gerufen. Aber das zeigt gerade, wie facettenreich das Tagungsthema ist. Ich bin davon überzeugt, dass es der Leibniz-Stiftungsprofessur wieder einmal gelungen ist, ein Forschungsfeld aufzugreifen, das trotz der langen Tradition gerade der Leibniz-Forschung bisher wenig beachtet worden zu sein scheint, wie etwa die Tagung 2010 zum Thema „Leibniz“ in der Zeit des Nationalsozialismus und die Konferenz vor zwei Monaten hier ebenfalls im Leibnizhaus zum Thema Umwelt und Weltgestaltung – Leibniz’ politisches Denken in seiner Zeit. Beeindruckt bin ich auch von der Liste der Vortragenden an den kommenden zwei Tagen. Das Programm zeugt von Interdisziplinarität und Internationalität, und wie ich mir habe sagen lassen und jetzt mit eigenen Augen sehe: Es sind nicht wenige junge Forscherinnen und Forscher unter Ihnen. Das Präsidium der Leibniz Universität Hannover begrüßt die Tagung also nachdrücklich, ist sie doch eine der Möglichkeiten, die besondere Verbundenheit von Universität und Stadt mit dem Leben und Werk von Gottfried Wilhelm Leibniz durch wissenschaftliche Arbeiten und öffentlichkeitswirksam angemessen zum Ausdruck zu bringen. Für uns als Universität ist es wichtig, den Kontakt mit dem
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Klaus Hulek
regionalen, nationalen und internationalen Umfeld zu suchen, und so freue ich mich besonders über alle, die heute bei uns in Hannover zu Gast sind und die Tagung bereichern. Besonders begrüßen möchte ich nun Herrn Kollegen Professor Hans Poser, zu dessen Ehren diese Tagung stattfindet. Es freut mich sehr, dass wir damit nicht nur den langjährigen Vizepräsidenten der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft und einen der international geachtetsten Leibniz-Forscher ehren. Denn wie ich erfahren habe, war das Geburtstagskind ein Hannoveraner und dazu noch ein studierter Mathematiker: Herr Poser hat nämlich Mathematik, Physik und Philosophie unter anderem hier in Hannover studiert und nach seiner Habilitation zwei Jahre als Universitätsdozent gearbeitet, bevor er einen Ruf nach Berlin bekam und dann bis zu seiner Emeritierung dort an der TU Berlin auch blieb. Es war wiederum der Name Leibniz, der dafür gesorgt hat, dass Herr Poser die Verbindung zu seinem Studienort – geboren ist er nämlich in Göttingen – nie abbrach. Als Leibniz-Forscher und später als Vizepräsident der Leibniz-Gesellschaft hat er alle Gründe, immer wieder an seinen ersten Wirkungsort als Hochschullehrer zurückzukehren. Ich wünsche der Veranstaltung im Namen des Präsidiums der Leibniz Universität Hannover viel Erfolg und Ihnen, meine Damen und Herren, eine interessante intellektuelle Auseinandersetzung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
EINFÜHRUNG Von Wenchao Li (Hannover/Potsdam) I Sprache und Sprachen, Zeichen und Zeichensystemen hat Gottfried Wilhelm Leibniz, der „geistreichste Sprachforscher des 17. Jahrhunderts“1, ein außerordentliches Interesse entgegengebracht. Seine Beschäftigung mit ihr und ihnen erstreckt sich auf fast alle Aspekte und Bereiche der Sprachforschung und Zeichentheorien seiner Zeit und war darüber hinaus auf mannigfache Weise eng mit anderen Aspekten seines Denkens verbunden2. Zeit seines Lebens bemühte sich Leibniz, Zeichensysteme für die Wissenschaften zu entwickeln3. Allgemein bekannt ist sein umfassendes Projekt einer gänzlich neuen Universalwissenschaft (Scientia generalis) mit dem ehrgeizigen Ziel einer auf einer Analyse der Begriffe bis zu den „prima possibilia“4 beruhenden Characteristica universalis als Mittel und Werkzeug der dem Menschen möglichen symbolischen Erkenntnis – während die intuitive Erkenntnis allein Gott vorbehalten bleibt5. Im Unterschied zu, aber sicherlich auch hervorgegangen aus den europäischen zeitgenössischen Konzepten einer Universalsprache6 möchte das Leibniz’sche Projekt den Anspruch erheben, über die mnemonische und kommunikative Funktion hinaus erkenntnistheoretische Leistungen erbringen zu können, indem sie, die Characteristica, zugleich als Instrument der Erfindungskunst (ars
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Bereits L. Neff: Gottfried Wilhelm Leibniz als Sprachforscher und Etymologe, 1. Teil, Heidelberg 1870, S. 22. Einen guten Überblick vermittelt immer noch K.-H. Weimann: „Leibniz als Sprachforscher“, in: W. Totok/C. Hasse (Hrsg.): Leibniz. Sein Leben, sein Wirken, seine Welt, Hannover 1966, S. 535–552; siehe ferner D. Berlioz/F. Nef (Hrsg.): Leibniz et les puissances du langage, Paris 2005. Hierzu immer noch A. Heinekamp: „Ars characteristica und natürliche Sprache bei Leibniz“, in: Tijdschrift voor Filosofie 34 (1972), S. 446–488. Divisio terminorum ac enumeratio attributorum; A VI, 4 A, 560. Meditationes de cognitione, veritate et ideis; A IV, 4 A, 587–588. Art. „Universalsprache“, in: G. Haßler/C. Neis: Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe des 17. und 18. Jahrhunderts, 2 Bde., Berlin 2007, S. 825–826.
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inveniendi) und der Urteilskunst (ars judicandi) funktionieren soll7. Hierin, in der Überzeugung vom Denken als Operieren mit Zeichen und von der Angewiesenheit des menschlichen Denkens auf die die Ideen und Dinge vertretenden Zeichen8, liegt die zentrale Rolle begründet, die Leibniz Zeichen, Zeichensystemen und Zeichentheorien in seiner Philosophie zuspricht. Von der Leistungsfähigkeit, aber auch von der Durchführbarkeit seines lebenslang verfolgten Projektes einer Universalsprache ist Leibniz bis zuletzt überzeugt: Wäre er noch jünger oder hätte er die Hilfe junger, begabter Mitarbeiter, so lesen wir in seinem Brief an Nicolas Remond vom 10. Januar 1714, hätte er noch die Hoffnung, eine Art „allgemeine Richtigkeitslehre herauszubringen, in der alle Vernunftwahrheiten auf eine Art Rechnung zurückgeführt werden würden“9. Hatten die drei einflussreichsten Leibniz-Forscher zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Ernst Cassirer, Bertrand Russell und Louis Couturat10 noch mehr oder weniger gemeinsam die These vertreten, Leibnizens Interesse habe ausschließlich den Formalsprachen und Sprache als „Instrument der logischen Analyse“11 gegolten12, war spätestens durch Kurt Müllers Herausgabe von Sigrid von der Schulenburgs Leibniz als Sprachforscher13 vor nun mehr 40 Jahren eine differenzierte, veränderte Sicht eingeleitet worden. In der Tat hat sich Leibniz, und zwar von
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Siehe H. Poser: „Zum Verhältnis von Logik und Mathematik bei Leibniz“, in: A. Heinekamp (Hrsg.): Leibniz: Questions de Logique (= Studia Leibnitiana, Sonderhefte 15), Stuttgart 1988, S. 197–207; W. Risse: „Die Characteristica universalis bei Leibniz“, in: Studi internazionali di filosofia 1 (1969), S. 107–116; H. W. Arndt: „Die Entwicklungsstufen von Leibniz’ Begriff einer Lingua Uuniversalis“, in: H.-G. Gadamer (Hrsg.): Das Problem der Sprache. 8. Deutscher Kongress für Philosophie, München 1967, S. 71–79. M. Dascal: Aspects de la sémiologie de Leibniz, Jerusalem 1972. Meditationes de cognitione, veritate et ideis; A IV, 4 A, 587: „[…] non totam simul naturam rei intuemur, sed rerum loco signis utimur“. Vgl. Unvorgreiffliche Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache, § 6; A VI, 6, 533–534. GP III, 605: „[J]espererois une maniere de Spécieuse Generale, où toutes les verités de raison seroient reduites à une façon de calcul“ etc. L. Couturat: La logique de Leibniz d’après des documents inédits, Paris 1901 (ND Hildesheim 1985); ders.: Opuscules et fragments inédits de Leibniz. Extraits des manuscrits de la Bibliothèque royle de Hanovre, Paris 1903. I. Hacking: Leibniz and Descartes: Proof and Eternal Truth, London 1973. E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, T. 1: Die Sprache, bearb. von C. Rosenkranz (= Hamburger Ausgabe 3), Hamburg 2001, S. 71. Siehe G. Haßler: „Leibniz’ Stellung in der Diskussion des Zeichencharakters“, in: M. Fontius/H. Rudolph/G. Smith (Hrsg.): Labora diligenter (= Studia Leibnitiana, Sonderhefte 29), Stuttgart 1999, S. 167–185, hier S. 167–168. Noch Hans Werner Arndt sieht in Leibnizens Gebrauch des Wortes „unvorgreiflich“ in den Unvorgreifflichen Gedancken betreffend der Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache ein Selbstbekenntnis des Autors, „daß sein Interesse an der Sprache […] vornehmlich auf eine zukünftige, zu schaffende oder auszugestaltende Sprache gerichtet“ sei. Arndt: „Die Entwicklungsstufen von Leibniz’ Begriff einer Lingua Universalis“, S. 71. S. von der Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher (= Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 4), mit einem Vorwort hrsg. von K. Müller, Frankfurt a. M. 1973.
Einführung
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Beginn an – man denke an die auch im vorliegenden Band immer wieder zitierte, den dichterischen Sprachgebrauch im Allgemeinen und die „elegantia orationis“ im Besonderen behandelnde Vorrede zu der Neuausgabe des De veris principiis et vera ratione philosophandi des Marius Nizolius14, nicht nur der künstlichen, sondern auch aus vielfältigem Interesse heraus den natürlichen Sprachen gewidmet und sie in der ganzen Breite zu erfassen versucht15. Wie in der formalen Sprache die absolut einfachen, nicht weiter zerlegbaren Begriffe die termini primitivi sind, betrachtet Leibniz in den natürlichen Sprachen die „Wörter“ als Wurzel, „Grund und Boden“, „daraus die Redens-Arten gleichsahm als Früchte herfür wachsen“16. Geradezu von fundamentaler Bedeutung für die philosophische Diskussion über Sprache und Erkenntnis ist seine sprachphilosophisch wie erkenntnistheoretisch orientierte Auseinandersetzung mit der empiristischen Position Lockes im 3. Buch der Nouveaux Essais17. Wie die Characteristica mit dem Anspruch einer ars judicandi soll die Sprache nicht nur unsere Gedanken zum Ausdruck bringen und so kommunizieren, sondern auch „unsern Gedancken selbst […] helffen“ und uns ermöglichen, innerlich „selbst-Gespräch“ zu führen18. Im Unterschied zum künstlichen System der Characteristica universalis sind die natürlichen Sprachen historische Phänomene und als solche den geschichtlichen Veränderungen, Zufällen („hazard“) wie Vermischungen unterworfen. In diesem Sinne sind sie nach Leibniz, da sie noch vor Schrift und Künsten entstanden sind, „die ältesten Denkmäler der Völker“ („les plus anciens monumens des peuples“)19. Eine Erforschung ihrer Geschichte, vor allem der Geschichte der Wörter, wird nicht nur die Verwandtschaft der Sprachen untereinander, sondern auch die Verwandtschaft der Völker erschließen20 und das in den Sprachen bewahrte Wissen früherer Zeiten und anderer Menschen zugänglich machen, denn 14 A IV, 2 N. 54. 15 Siehe A. Heinekamp: „Natürliche Sprache und Allgemeine Charakteristik bei Leibniz“, in: Akten des II. Internationalen Leibniz-Kongresses, Bd. 4: Logik, Erkenntnistheorie, Methodologie, Sprachphilosophie (= Studia Leibnitiana, Supplementa 15), Wiesbaden 1975, S. 257–286. K. D. Dutz: „‚Lingua Adamica nobis certa ignota est‘. Die Sprachursprungsdebatte und G. W. Leibniz“, in: J. Gessinger/W. von Rahden (Hrsg.): Theorien vom Ursprung der Sprache, Bd. 1, Berlin 1989, S. 204–240, hier S. 226. 16 Unvorgreiffliche Gedancken, § 32; A IV, 6, 541. 17 Siehe S. Gensini: „Leibniz versus Locke: il linguaggio fra ,arbitrarietà‘ et ,vincoli naturali‘“, in: Studi filosofici 20 (1997), S. 52–72. H. Aarsleff: „Leibniz on Locke on Language“, in: Ders.: From Locke to Saussure. Essays on the Study of Language and Intellectual History, Minneapolis 1982, S. 42–83. In seiner Geschichte der Sprachphilosophie würdigt Eugenio Coseriu Leibniz als Linguist „in viel höherem Maße als Locke“. E. Coseriu: Die Geschichte der Sprachphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart. Eine Übersicht, Vorlesung im WinterSemester 1968/69, autorisierte Nachschrift besorgt von G. Narr und R. Windisch, Stuttgart 1969, S. 149 (T. I: Von der Antike bis Leibniz). 18 Unvorgreiffliche Gedancken, § 5; A IV, 6, 533. 19 Nouveaux Essais sur l’entendement human III, 2, § 1; A VI, 6, 285. 20 A. Heinekamp: „Ars characteristica und natürliche Sprachen bei Leibniz“, in: Tijdschrift voor filosophie 34 (1972), S. 485.
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die Geschichte der Sprache bzw. der in der Sprache zum Ausdruck kommenden, den menschlichen Interessen und Bedürfnissen entsprungenen Ordnung ist zugleich die Geschichte der menschlichen Kultur, Entwicklungen und Entdeckungen21. Hierin liegt letztendlich Leibnizens Interesse an methodologisch hinreichend abzusichernder22 etymologischer Wort- und insbesondere Namensforschung23, an Dialekten und Mundarten24, an der Erstellung unterschiedlicher Fachwörterbücher, und am Sprachvergleich nach dem Prinzip des „non per saltum“25 sowie an der Sammlung von Sprachproben begründet. Die Erforschung, Pflege und Kultivierung der „teutschen“ Sprache ist ihm bekanntlich ein besonderes Anliegen gewesen. Mit seinen zahlreichen Projekten und Denkschriften erweist sich Leibniz dabei als Förderer, Mentor und Organisator. Der Hinweis auf die Historizität, die Vielfalt und den geistigen, kulturellen wie zivilisatorischen Reichtum und die anthropologischen Anfänge der natürlichen Sprachen steht ohne Zweifel in gewisser Spannung zu der Diskussion über den Ursprung der Sprache. Bekanntlich scheint Leibniz von dem monogenetischen Ursprung aller Sprachen der Völker auszugehen und die eine Ursprache angenommen zu haben. Denn „es ist offensichtlich genug, dass fast alle Sprachen der Welt […] eine beträchtliche Übereinstimmung untereinander besitzen und aus einer gemeinsamen Quelle zu stammen scheinen“26. Zugleich hält er daran fest, dass 21 Nouveaux Essais III, 1 § 5; A VI, 6, 276: „[…] et cet ordre ne donne pas l’origine des notions, mais pour ainsi dire l’histoire de nos découvertes“. 22 Nouveaux Essais III, 2 § 1; A VI, 6, 285: „C’est pourquoy les Etymologies bien entendues seroient curieuses et de consequence, mais il faut joindre des langues de plusieurs peuples, et ne point faire trop de sauts d’une nation à une autre fort élognée, sans en avoir des bonnes verifications, où il sert sur tout d’avoir les peuples entre deux pour garans“. 23 Nach wie vor sehr lesenswert H. Aarsleff: „The Study and Use of Etymology in Leibniz“, in: Akten des internationalen Leibniz-Kongresses Hannover, November 1966, Bd. III: Erkenntnislehre, Logik, Sprachphilosophie und Editionsberichte (= Studia Leibnitiana, Supplementa 3), Wiesbaden 1969, S. 173–189. 24 S. von der Schulenburg: Leibnizens Gedanken und Vorschläge zur Erforschung der deutschen Mundarten (= Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, philologischhistorische Klasse 2), Berlin 1937. 25 Leibniz an Simon de la Loubère, 5. Oktober 1691; A I, 7, 399: „Mais si on alloit de peuple en peuple pour examiner les langues, on en jugeroit mieux que lors qu’on va ainsi per saltum“. Vgl. an Kochánski, Dez. 1681; A I, 7, 487. Leibniz an Johan Gabriel Sparwenfeld, 27. Dez. 1698; A I, 16 N. 265, 425: „Je ne me fie presque aux Etymologies reguliérement, que lors qu’elles vont de langue en langue suivant le voisinage de la situation, et non per saltum“. 26 „Il est manifeste assez, que presque toutes les langues du monde […] on tun rapport considerable et paroissent venir d’une meme source“. Leibniz an Simon de la Loubère, 5. Oktober 1691; A I, 7, 399. Siehe G. W. Leibniz: Brevis designatio meditationum de Originibus Gentium, ductis potissimum ex indicio linguarum, in: Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum, 1710, S. 1–16, hier S. 3; deutsche Übersetzung: G. W. Leibniz: Schriften und Briefe zur Geschichte, bearb., komm. und hrsg. von M.-L. Babin und G. van den Heuvel, Hannover 2004, S. 354–389, hier S. 359; G. W. Leibniz: Epistolaris de historia etymologica dissertatio, Hannover GWLB Ms IV, 469, § 26; gedruckt in: S. Gensini: Il naturale e il simbolico. Saggio su Leibniz, Rom 1991, S. 201–271.
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diese Sprache verlorengegangen und eine Rekonstruktion nicht mehr möglich sei: „Lingua Adamica […] nobis certe ignota est“27. An die Stelle der ursprünglichen Vollkommenheit ist die Vielfalt der Sprachen und der Zeichensysteme getreten. Und der Gedanke der Vielfalt, der gerade bei Leibniz eine tragende Rolle spielt, zwingt zu einer anderen, mehr anthropologisch geleiteten Deutung der Vielfalt der Sprachen als Vielfalt der Kulturen, zu einer Abkehr von dem Verständnis der Sprachvielfalt als Sprachverwirrung und somit als Strafe für den Hochmut der Menschheit. So sind die überlieferten natürlichen Sprachen (linguae receptae) teilweise aus dem Ursprung, teilweise aus dem Gebrauch der Sprache selbst, „partim ex primigenia, partim ex novo hominum per ordem dispersorum usu“28, entstanden. Die Ursprünglichkeit erlaubt die Annahme einer gemeinsamen Basis so genannter Wurzelwörter; mit dem Hinweis auf die Gebräuchlichkeit lassen sich verschiedene, wenn nicht alle Sprachen als Derivate der Wurzelwörter erklären. Natürliche Sprachen und formale Sprachen bilden für Leibniz letztlich eine Einheit29: Sofern das Denken als Operieren mit den an die Zeichen gebundenen und durch sie repräsentierten Vorstellungen zu verstehen ist, dient die allgemeine Zeichentheorie sowohl der Untersuchung künstlicher Zeichensysteme als auch der Erforschung natürlicher Sprachen. Man denke aber auch an den verwegenen Plan einer Grammatica rationis30, mit deren Hilfe die Umgangssprache für wissenschaftliche Zwecke durch Beseitigung von Mehrdeutigkeiten, Ungenauigkeiten und redundanten grammatischen Formen in eine Lingua rationis überführt werden soll; komplexe Sätze sollen dann auf eine Verknüpfung einfacher Sätze reduziert werden31, so dass Aussagen allein in einer Substantiv-Kopula-Adjektiv-Verbindung bestehen. Bei aller Gabe einer philosophischen Durchdringung der Materie besitzt Leibniz die bemerkenswerte Fähigkeit, „Sprachliches rein sprachlich zu deuten“32. Die Bekanntschaft mit außereuropäischen Kulturen, Sprachen und Zeichen infolge so genannter Missionsbewegungen und Entdeckungsreisen bedeutet ohne Zweifel eine epochentypische Herausforderung an die Missionare, die Reisenden
27 Fundamenta calculi ratiocinatoris; A VI, 4 A, 919. Siehe S. Gensini: „Leibniz linguist and philosopher of language: Between ,primitive‘ and ,natural‘“, in: M. Dascal/E. Yakira (Hrsg.): Leibniz and Adam, Tel Aviv 1993, S. 111–136. Dutz: „,Lingua Adamica nobis certa ignota est‘“. G. Haßler: „Leibniz’ Stellung in der Diskussion des Zeichencharakters“, S. 169–171. 28 De linguarum origine naturali; A VI, 4 A, 59. 29 Zur scheinbaren Unüberbrückbarkeit in der Forschung zum „formalen“ Leibniz und „Sprachwissenschaftler Leibniz“ siehe Haßler, S. 168–169. Siehe ferner K. D. Dutz: Zeichentheorie und Sprachwissenschaft bei G. W. Leibniz. Eine kritisch annotierte Bibliographie der Sekundärliteratur, Münster 1983. 30 F. Schmidt: „Leibnizens rationale Grammatik“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung IX (1955), S. 657–663. 31 Siehe etwa Grammaticae cogitations, A VI, 4 A, 112–113, De lingua rationali; A VI, 4 A, 642–644, Grammatica; A VI, 4 A, 879–881. Siehe H. Ishiguro: Leibniz’s Philosophy of Logic and Language, London 1973, S. 71–93; H. Burckhardt: Logik und Semiotik in der Philosophie von Leibniz, München 1980. 32 Coseriu, S. 149.
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sowie an die Intelligenz generell. Um diese Sprachen einzuordnen, zu beschreiben und zu klassifizieren, ist man auf die weitgehend von der griechisch-lateinischen Tradition bereitgestellten Termini und kategorialen Instrumente angewiesen. Dass diese Hilfswerke dort ihre Grenzen finden, wo eine Sprache, etwa eine gewisse Lingua franca oder auch die chinesische, weder Kasus noch Tempora noch andere Flexionen kennt, wurde in der europäischen Frühneuzeit durchaus registriert. Eine diesen Sprachen eigene und daher angemessene Grammatik fehlt allerdings bis heute immer noch. Leibnizens Sprachauffassung steht in tiefgreifenden Zusammenhängen mit anderen Aspekten seines Denkens. Die Zeichentheorie ist eingebettet in eine Unterscheidung zwischen den intuitiven und den symbolischen Erkenntnissen und damit in eine erkenntnis- und begriffstheoretische Grundposition von Leibniz, die ihre metaphysische Ausprägung in der Repräsentationstheorie der Monadenlehre findet. Die Annahme der absolut einfachen Begriffe korrespondiert mit der Annahme der Monaden als unteilbare Einheiten. Jede Sprache drückt die Welt auf ihre Weise aus, wie jedes Individuum in seiner Seele die Welt auf je seine Weise widerspiegelt. Der Gedanke der Vielfalt, der gerade bei Leibniz eine tragende Rolle spielt, zwingt zu einer anderen, mehr anthropologisch geleiteten Deutung der Sprachvielfalt als Reichtum und nicht als Verwirrung33. Dennoch handelt es sich bei der Beschäftigung mit Leibniz’ Sprachforschung und Sprachphilosophie keineswegs um eine ausschließlich geistes- und sprachgeschichtliche Forschung. Mit seiner Zeichentheorie, die den Anspruch einer Erfindungskunst hat, hat Leibniz die theoretische Grundlage für die moderne Auffassung des Kalküls und der formalisierten Sprache geschaffen. Mit seiner Betonung der Methode und Forderung nach der Sammlung von Sprachproben ist Leibniz Ahnherr der Linguistik und dabei vor allem der Etymologie als empirischer Wissenschaft34. Bei allem Spott, den das Projekt einer Characteristica universalis in der Zeit nach Leibniz erfahren hat, gilt es nach wie vor, wenn nicht gar dringender denn je, die Frage nach der Einheit der Wissenschaft zu stellen und zu fragen, inwieweit es uns doch gelingen könnte, die Wissenschaften in all ihren Formen und Disziplinen wieder zu einer Einheit zu bringen und sie alle als Geisteswissenschaften und
33 Allerdings weist Gerda Haßler daraufhin, dass diese „in der Geschichte der Sprachtheorien verbreitete und plausible Argumentation“ sich nicht auf Texte stützen könne. Denn „Leibniz diskutiert im Zusammenhang seiner Monadologie nicht die Sprachproblematik und polemisiert auch nicht fort gegen den arbiträren Zeichencharakter“. Die Einordnung in den Erklärungszusammenhang der später philosophischen Schriften beruhe nach Haßler „auf Interpretation und letztlich auf der Prämisse, dass es zusammenhängende Prinzipien und Bezugsebenen gibt, die auch dann gelten, wenn eine systematische Einordnung eines Gegenstandes nicht gegeben ist“. Haßler, S. 180. 34 Siehe etwa L. Rosiello: Linguistica illuminista, Bologna 1967, S. 48. Haßler, S. 173.
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als kulturelle Leistungen zu verstehen35. Trotz aller Notwendigkeit, inter- wie transkulturell eine gemeinsame „Sprache“ zu finden, gilt es mehr denn je, die multikulturelle Vielfalt der Sprachen und deren geschichtliche Lebendigkeit zu bewahren. II. Von der thematischen Vielfalt der Leibniz’schen Sprachforschung und Sprachphilosophie zeugen die Beiträge im vorliegenden Band. Der den Band einleitende Beitrag von Stefano Gensini (Rom) misst den späten Schriften von Leibniz, zu denen die Brevis designatio meditationum de originibus gentium ductis potissimum ex indicio linguarum (1710), die Epistolica de historia etymologica dissertatio, die Observata quaedam occasione Thesauri Linguarum Septentrionalium Hikkesiani, die Dissertatio insigni viro Johanni Chamberlaynio und (posthum) die Collectanea Etymologica (1717) gehören, wegen ihrer finalen synthetischen Form eine besondere Bedeutung bei. Nach lebenslanger Beschäftigung mit dem Universum menschlicher Kommunikationssysteme (künstlicher wie natürlicher Sprachen) versucht Leibniz in den späteren Schriften, einen systematisch-wissenschaftlichen Forschungsplan zu entwerfen – insofern seien diese Schriften, frei von bloßer Gelehrsamkeit, das „Vademecum“ für zukünftige Forscher und Leibnizens „linguistic testament“ (S. 25). Gensini stellt fest, dass Leibnizens Interesse von den 70er bis 80er Jahren der formalen Logik galt, während er sich von den 90er Jahren an bis zu seinem Lebensende mehr empirischen Sprachstudien zugewendet habe. Die zwei Interessensschwerpunkte sind allerdings nicht als Gegensätze zu verstehen, sie stellen vielmehr eine „unitary in nature“ (S. 26) dar, universalistische und historische Interessen gehen sozusagen Hand in Hand. In dieser Hinsicht ist Leibnizens Auseinandersetzung mit Locke zu sehen, denn hier gehen epistemologische und linguistische Argumente ineinander über. Natürliche und formale Sprachen bilden letztendlich eine Einheit und sind zwei miteinander korrespondierende, komplementäre Wege zur Erschließung der Welt „by means of ‚blind symbols‘“ (S. 27). So scheut Gensini sich nicht, in Leibniz den „Altvater“ (S. 28) der deutschen Philologie und Lexikographie und der westlichen vergleichenden Sprachwissenschaft zu sehen, indem er zu Recht, wie weitere Beiträge in diesem Band es ausführlicher belegen werden, auf den Rekurs auf Leibnizens Forschungsprogramm für Peter den Großen etwa durch Peter Simon Pallas zum einen und auf die Wirkung Leibnizens auf die Sprachstudien in Italien des 18. und 19. Jahrhunderts hinweist. Beim Letzteren handelt es sich um ein noch gänzlich unbekanntes Forschungsgebiet. Die von Gensini anschließend unternommene Untersuchung von Leibnizens Beitrag zur zeitgenössischen Diskussion
35 Immer noch anregend und lesenswert H. Diels: „Über Leibniz und das Problem der Universalsprache“, in: Sitzungsberichte der Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 32 (1899), S. 579–603.
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über den Ursprung der Sprache(n) betrifft mehr als nur eine nur historische oder gar antiquierte Topik: Die Leibniz’sche „naturalistische“ (S. 35) Vorstellung, dass der Ursprung der Sprache nicht nur onomatopoetische Nachahmung der Natur sei, sondern viel früher in Gefühlsausdrücken ihren Anfang habe, könnte einen Lösungsansatz liefern, wie eine Einheit der Vernunft bei der Vielheit der Sprachen möglich sein kann. Denn diese Vorstellung besagt nichts weiter, als dass die natürlichen Sprachen eine Wurzel haben, die schon unterhalb dessen, was uns bewusst ist, liege. Außerordentlich fruchtbar erweisen sich allerdings zuerst die in den insgesamt mehr als 3600 Seiten umfassenden drei Teilbänden der Reihe VI der Philosophischen Schriften der Akademie-Ausgabe veröffentlichten Schriften Leibnizens zwischen 1677 und 1690; allein zu Scientia generalis, characteristica und calculus universalis liegen knapp 250 Texte vor und sind erstmals historisch-kritisch erschlossen der Forschung zugänglich gemacht worden. Es wird wieder einmal deutlich, in welchem Maße gerade die Leibniz-Forschung von dem Fortschritt der Edition abhängt. Anhand von dreizehn Schriften, entstanden zwischen 1678 und 1688, untersucht Jaap Maat (Amsterdam) in seinem Beitrag Natural Languages and Artificial Language Leibnizens Programm einer rationalen Grammatik als einen dritten Typ zwischen der Forschung der natürlichen Sprachen auf der einen und der noch zu entwickelnden Characteristica universalis auf der anderen Seite und stellt es, nach einer summarischen Darstellung der von Leibniz bereits erzielten Ergebnisse etwa über Kopula, Partikeln, grammatikalische Kategorien und Methodik (S. 46–50), zum einen John Wilkins’ „natural grammar“ (S. 50–52) und zum anderen die „Grammaire générale et raisonnée“ (S. 52–54), der so genannten Grammaire de Port Royal von Claude Lancelot und Antoine Arnauld, gegenüber. Maat sieht in Leibnizens Projekt einer rationalen Grammatik ein einzigartiges Unternehmen seiner Zeit. So ziele Leibnizens Projekt auf die Konstruktion einer Characteristica universalis, die mehr ein Mittel der Gedanken sein soll als deren einfacher Spiegel. Im Unterschied zu seinen Zeitgenossen sei die Logik für Leibniz keine vollendete, bloß auf die natürlichen Sprachen anzuwendende Theorie. Durch eine Untersuchung der natürlichen Sprachen sollen gerade gewisse Muster herausgefunden werden, für die eine Vervollständigung der Logik erforderlich und nützlich sein könnte. In Leibnizens Projekt spiele die rationale Grammatik eine kritische Rolle; ihre Aufgabe bestehe darin, die natürlichen Sprachen mit der logischen Form zu verbinden. Auf die durch die Edition neu erschlossenen Texte und auf das III. Buch der Nouveaux Essais zurückgreifend, behandelt Lucia Oliveri (Padua/Münster) die Funktion der Präpositionen, die Verknüpfungen zwischen den Substanzen (Substantiven) herstellen und eine gewisse Sonderrolle unter den Partikeln zugewiesen bekommen36. Ausgehend von der klassischen Unterscheidung zwischen Kategoremen und Synkategoremen (S. 56–58) und von der Diskussion über die Partikel bei Joachim
36 Nouveaux Essais III, 7, § 3; A VI, 6, 330.
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Jungius weist Oliveri nach, dass die Präpositionen bei Leibniz als grundlegende Strukturmomente natürlicher Sprache und der rationalen Grammatik angesehen werden und unerlässliche Teile zum Aufbau einer Characteristica universalis sind. Da die Sprache unsere Erkenntnisweise der Welt strukturiert, hänge der Gebrauch der Präposition ferner als „cogitatio caeca“ (S. 76) bei Leibniz, so Oliveri, letztlich von der ontologischen Konstitution der Substanzen und deren Erkenntnisvermögen ab. Auch die Untersuchungen von Mattia Geretto (Venedig), Marine Picon (Lyon) und Jean-Baptiste Rauzy (Paris) stützen sich weitgehend auf die in der AkademieAusgabe der Reihe VI historisch-kritisch edierten Schriften. Rauzy verweist auf die Bedeutung neuer Forschungsansätze der analytischen Philosophie für die Leibnizforschung. Diese methodischen Ansätze fruchtbar verwendend, zeigt Rauzy überzeugend (und überraschend), dass es in einer der in Band 4 A aufgenommenen großen Abhandlung, den Generales Inquisitiones de analysi notionum et veritatem (1686), „nicht um den Ausdruck, sondern um die Natur und Erkenntnis der Idee“ (S. 125) gehe. Picon thematisiert die Bedeutung der Philologie für die Wissenschaftstheorie des jungen Leibniz und behandelt kritisch dessen als Werkzeug der Begriffsanalyse dienende Definitionslehre, der bei Leibniz in der Tat fundamentale Bedeutung für die Wissenschaft wie für die Erkenntnistheorie zugesprochen wird. Picon kann dabei belegen, dass Leibniz in seinen vor-hannoverschen Schriften statt von der Platonischen Ideenlehre eher ein Anhänger von Thomas Hobbes gewesen sei, und dass er demnach „definitio“ und „significatio“ als originellere und fundamentalere Erkenntnisform gesehen habe als „idea“ (S. 84–91). Ausgehend von der scholastischen Kontroverse um die Kommunikation zwischen den Engeln („de locutione angelorum“) und Leibnizens Lösungsansätzen37 rückt Geretto die Körperlichkeit als physikalische Grundlage sprachlicher und gedanklicher Kommunikation in den Mittelpunkt seiner Betrachtung und liefert so einen interessanten, eng mit der Leibniz’schen Metaphysik zusammenhängenden Aspekt der Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie (S. 99–100). Über eine Betonung der Beziehung des Sprechenden zur Sprache und die Hervorhebung des diskursiven Charakters des Sprachgebrauchs hinaus kommt Adelino Cardoso (Lissabon) auf zwei Punkte, die in der bisherigen Diskussion wenig Beachtung gefunden zu haben scheinen: die Übersetzung als Korrespondenz zwischen unterschiedlichen Sprachen (S. 111–121) (und vielmehr noch, wie Leibniz formuliert, als einen „rechte[n] Probierstein des Überflusses oder Mangels einer Sprache“38) und die Sprache als Mittel zwischenmenschlicher Interaktion – der Sprecher ist quasi Interpret und der Angesprochene ist Korrespondent (S. 119). Bekanntlich hat Leibniz nicht zuletzt in den Interjektionen und Partikeln den Ursprung der Sprache schlechthin gesehen: „[L]inguas ex interjectionibus natas videri“39.
37 Siehe z. B. Nouveaux Essais III, 6, § 21; A VI, 6, 313. 38 Unvorgreiffliche Gedancken; A IV, 6, 551. 39 „Epistolaris de historia etymologica dissertatio“, § 20 (Hannover GWLB Ms IV 469). Heinekamp: „Natürliche Sprache und allgemeine Charakteristika“, S. 272.
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Dass die von Leibniz oft initiierte historisch-vergleichende Sprachkunde bei der Entwicklung der Ethnographie und Ethnologie im 18. Jahrhundert eine grundlegende Rolle gespielt hat, stellte neuerlich Han F. Vermeulen fest40. In der Tat scheint das Sammeln von Sprachproben ein bedeutender Bestandteil aller Forschungsreisen vor allem im asiatischen Teil Russlands gewesen zu sein. Dabei berufen sich Gelehrte und Abenteurer wie Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685–1735), Philipp Johann Tabbert von Strahlenberg (1676–1747), Gerhard Friedrich Müller (1705– 1783) und August Ludwig von Schlözer (1735–1809) nicht zuletzt ausdrücklich auf Leibnizens Programm der historischen Sprachforschung und auf seine zahlreichen Denkschriften für Russland. Was Leibniz wohl von einer Übertragung der „Linnei Philosophia botanica“ auf ein „Systema Populorum in Classes et Ordines, Genera et Species“ anhand der Sprachen, die „für den Geschichtsforscher“ das seien, „was die Staubfäden für den Kräuterlehrer seyen“41, gehalten hätte, muss offen bleiben. Auf Leibnizens Forschungsprogramm und dessen Wirkung geht auch Toon Van Hal (Amsterdam) in seinem Beitrag Sprachen, die Geschichte schreiben ein. In Leibnizens These nicht nur zu Beginn der Brevis designatio meditationum de Originibus Gentium42, dass die Sprachen im Allgemeinen die „ältesten Denkmäler“43 zur Erforschung „ferner Ursprünge der Völker“ seien, sieht Van Hal den Kerngedanken von Leibnizens historischem Forschungsprogramm, das Van Hal bereits in die 80er Jahre zurückverfolgt (S. 177–204). Für Van Hal ist Leibniz somit ein Vorreiter heutiger linguistischer Paläontologie. Gleichwohl warnt Van Hal vor einer „Höhenkammhistoriographie“ (S. 178) auf Kosten von Leibnizens Vorgängern, Zeitgenossen und Korrespondenten. Wirkungen auf die Sprachstudien im 18. und 19. Jahrhundert belegt Van Hal anhand zahlreichen, von der LeibnizForschung bisher kaum wahrgenommenen Quellenmaterials. So sei Leibniz ein Gelehrter gewesen, der „mit einer fast göttlichen Geistesschärfe sehr vieles, wovon erst spätere Generationen die Früchte ernteten, in ersten Zügen umreißt und gleichsam mit dem Finger [darauf] gezeigt hat“ (S. 201)44. Hier zeigen sich exemplarisch nochmals deutlich die durch den Fortschritt der Edition ermöglichten neuen Ansätze der Forschung, denn noch Hans Aarsleff war davon ausgegangen,
40 H. F. Vermeulen: Linguistik und Völkerkunde – Der Beitrag der historisch-vergleichenden Linguistik von G. W. Leibniz zur Entstehung der Völkerkunde im 18. Jahrhundert (= MaxPlanck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Preprint 423), Berlin 2012. 41 A. L. Schlözer: Allgemeine Nordische Geschichte, Halle 1771, S. 210–211. Zitiert nach Vermeulen, S. 12. 42 Siehe Leibniz: Schriften und Briefe zur Geschichte, S. 357. 43 Nouveaux Essais III, 2, § 1; A VI, 6, 285: „Et les langues en general estant les plus anciens monumens des peuples, avant l’ecriture et les arts, en marquent le mieux l’origine, cognations et migrations“. 44 Van Hal zitiert P. von Bohlen: Commentatio de origine linguae Zendicae e Sanscrita repetenda, Königsberg 1831, S. 4–5.
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dass Leibniz nur wenig Einfluss auf die Entwicklung des Sprachdenkens genommen habe45. Leibnizens Beitrag zur Ideengeschichte und zur Herausbildung eines integralen Geschichtsbegriffs ist ein weiteres, in den letzten Jahren oft diskutiertes Thema. Diese Diskussion scheint unter anderem zu einer kritischen Hinterfragung der von Reinhart Koselleck vorgenommenen Periodisierung europäisch-frühneuzeitlichen Geschichtsdenkens geführt zu haben46. Concha Roldán (Madrid) spricht Leibniz in ihrem Beitrag Historische Semantik und Universalsprache eine Schlüsselrolle in der neuzeitlichen Begriffsgeschichte zu und erörtert dabei kritisch dessen „negatives Erbe“ für eine „deterministische Geschichtsauffassung“ (S. 139). Die Betonung des „dialogischen“ Charakters von Leibnizens Vorstellung der Rationalität setzt zweierlei in ein interessantes Spannungsverhältnis: die Entwicklung einer logischen Universalsprache auf der einen und die vergleichende Linguistik vor dem Hintergrund der Pluralität der Sprachen auf der anderen Seite. Roldán verweist hierbei zu Recht auf die Einheit des Wissens und deren Bewahrung. Zu Leibnizens Zeitgenossen und Korrespondenten, deren Verdienst nicht zu vernachlässigen Van Hal ermahnt hat – genannt seien nur etwa Gerhard Meier, John Chamberlayne, Hiob Ludolf, Gisbert Cuper und Johan Gabriel Sparwenfeld –, zählt ohne Zweifel der Orientalist und königliche Bibliothekar in Berlin Mathurin Veyssière de La Croze. Mit dem, bisher noch nicht gänzlich erschlossenen sprachwissenschaftlichen Teil von Leibniz’ Korrespondenz mit La Croze setzt sich Malte-Ludolf Babin (Hannover) auseinander. Auf beeindruckende Weise dokumentiert Babin die spannende, wechselvolle Interaktion zweier sich in Habitus wie in Forschungsintentionen unterscheidender Gelehrter auf dem Gebiet der Sprachforschung und kann dabei gerade in Kontrast zu La Croze Leibnizens Geistesreichtum deutlich sichtbar werden lassen. Denn während bei La Croze die Erforschung der Sprache Selbstzweck sei, gilt Leibniz’ Interesse oft weiterreichenden Plänen, etwa wie Vorstellungen einer Verwandtschaft des Germanischen mit dem Keltischen und des Chinesischen als ein Vorbild für seinen eigenen Gedankenkalkül. Bis zuletzt hat sich Leibniz von La Croze einen Schlüssel für seine „recherche des caracteres chinois“ (S. 215) erhofft, den dieser allerdings beim besten Willen nicht liefern konnte. „Aus der Perspektive des modernen Wissenschaftshistorikers“ bewahrt so der Briefwechsel zwischen Leibniz und La Croze „seinen Reiz als frühes Zeugnis der Beschäftigung mit Sprachen und Texten, die erst im 19. Jahrhundert Gegenstand eigener Disziplinen werden sollten“ (S. 218). Eine große Herausforderung zu Leibnizens Zeit war in der Tat die Entdeckung fremder Kulturen und der europäischen Intelligenz bis dahin unbekannten
45 H. Aarsleff: „The Eighteenth Century including Leibniz“, in: Th. A. Sebeok (Hrsg.): Historiography of Linguistics, Den Haag 1975, S. 382–479. 46 Siehe dazu G. van den Heuvel: „Geschichte als Erfahrungsraum und Erwartungshorizont bei Leibniz“, in: C. Dutt/R. Laube (Hrsg.): Zwischen Sprache und Geschichte. Zum Werk Reinhart Kosellecks, Göttingen 2013, S. 111–127.
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Sprachen wie Schriftzeichen. Dabei ist insbesondere die Bekanntschaft mit der chinesischen Sprache und ihrem Zeichensystem zu erwähnen. Umfassend hat sich Leibniz mit der europäischen Diskussion über die Beschaffenheit dieser Sprache beschäftigt. Jedoch liege, so Wenchao Li (Hannover/Potsdam) in seinem Beitrag, die eigentliche Leistung Leibnizens in erster Linie nicht in der Erforschung einzelner linguistischer Aspekte dieser Sprache und Schrift, sondern in seinem wieder einmal seiner Zeit vorauseilenden Beitrag zur Förderung einer methodisch wie institutionell gesicherten wissenschaftlichen Erforschung dieser Sprache. Wie kaum ein anderer zu seiner Zeit habe Leibniz die Wichtigkeit der Sprachstudien für das Verständnis chinesischer Kultur (S. 219–246) erkannt. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verselbständigung so genannter Nationalsprachen ist Leibniz der Ausbau des „Teutschen“ zu einer National- und Wissenschaftssprache stets ein dringendes Anliegen gewesen. Die zwei bedeutendsten Programmschriften dazu sind ohne Zweifel die frühe Ermahnung an die Teutsche, ihren verstand und sprache beßer zu üben, samt beygefügten vorschlag einer Teutsch-gesinten gesellschafft und die in den 90er Jahren entstandenen Unvorgreifflichen Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache; man denke aber auch an die zahlreichen Denkschriften zur Gründung wissenschaftlicher Sozietäten. Mit der bewussten Pflege nationaler Sprachen hängt wiederum zum einen die zunehmende Herausbildung der Öffentlichkeit, des Allgemeinwohls und der Kameralistik zusammen, zum anderen wird eine Diskussion der Mundarten aktuell, da die Pflege einer Nationalsprache zugleich die Normierung einer Sprache zur Hochsprache bedeutet. Unter dem Doppelaspekt Sprachkritik und Sprachpolitik verfolgt Annette Antoine (Hannover) in ihrem Beitrag die Geschichte und Stationen der deutschen Rezeption der Ermahnung seit ihrer Erstveröffentlichung von Carl Ludwig Grotefend im Jahre 1846 anlässlich des 100jährigen Geburtstags von Leibniz. Ausgehend von der Datierungsdiskussion zeigt sich schon hier die Brisanz, da die Datierungsversuche „ausnahmslos mit Bezügen aus dem Text zur Zeitgeschichte“ (S. 152) argumentierten und einer kompetenten Analyse der Ermahnung entgegenstanden. Der „Aufforderungs-Gestus“ (S. 153) habe für die verschiedenen Herausgeber immer wieder eine Rolle gespielt und rückt die Schrift in einen funktionalen, wirkungsbezogenen Zusammenhang. Dabei hat die Beschäftigung mit der deutschen Sprache für Leibniz einen immensen politischen Einschlag: Er „zieht dazu eine Verbindung zwischen der Pflege der eigenen Sprache und einem selbstbewussten Stand in der Vielvölkergemeinschaft Europas“ (S. 154). So stünden die unterschiedlichen Herausgeber-Motivationen zur Publikation der Schrift in Verbindung mit der jeweiligen Interpretation der aktuellen Zeitumstände. Zu Recht fragt Antoine in diesem Rahmen nach der Aktualität der Leibniz’schen Sprachphilosophie: Hierbei ist nicht nur an die Pflege der deutschen Sprache, sondern auch an die Bewahrung der multikulturellen Vielfalt der Sprachen und der damit verbundenen und darin verborgenen Weltsichten sowie Erfahrungen zu denken. Gleichzeitig gilt es, eine gemeinsame Sprache zu finden und zu pflegen. Stefan Luckscheiter (Potsdam) nimmt in seinem Beitrag Spiegel des Verstandes oder Spiegel des Volksgeistes die Unvorgreifflichen Gedancken zum Ausgangspunkt
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seines Beitrages und stellt Leibniz und den Romantiker Ernst Moritz Arndt bzw. dessen Geist der Zeit (1818) gegenüber (S. 165–176). Als Bernard Le Bouvier de Fontenelle ein Jahr nach Leibniz’ Tod seinen berühmten, das Leibniz-Bild fast ein Jahrhundert lang prägenden Nachruf verfasste, gestand er offen, dass unser Versuch, „von dem einzigen Herrn von Leibniz verschiedene Gelehrte [zu] machen“, ein Zeichen eigener Unzulänglichkeit sei, denn während Leibniz „denen Alten glich, die so geschickt waren, dass sie acht neben einander gespannte Pferde“ regieren konnten, müssen wir ihn „zerteilen, oder, um philosophisch zu reden, aus einander nehmen“47. Ob die Gründer der Akademie-Ausgabe bei der Teilung der Werke in genau acht Reihen an Fontenelles Metapher gedacht hatten, sei dahingestellt. Interessanterweise für unseren vorliegenden Band ist, dass Leibniz für Fontenelle an erster Stelle ein Gelehrter gewesen ist, der „viel Lust und Fähigkeit zur Dichtkunst“ hatte und „die guten Dichter auswendig“ konnte48. Noch Dietrich Mahnke hat in seinem Leibniz als Gegner der Gelehrteneinseitigkeit eindringlich auf die poetischen Komponenten in Leibnizens Nachlass hingewiesen49. Daher scheint es sich zu lohnen, Leibnizens poetisches Talent einschließlich seiner eigenen Sprache zu untersuchen. Umso löblicher ist die Untersuchung von Giovanna Varani (Porto MN) zu Leibniz und Aristophanes: Die unheimliche Seite der Sprache als Witz, Spott und Parodie (S. 247–268). Leibniz war seit 1685, also fast die ganze zweite Hälfte seines Lebens, mit der Abfassung einer Geschichte des Welfenhauses beauftragt. Ein zentrales Motiv seiner sprachwissenschaftlichen Forschung ist seine historiographische Tätigkeit im Dienste des Welfenhauses. Folglich nehmen seine historischen und, damit eng verbunden, seine sprachwissenschaftlichen Arbeiten einen wichtigen Platz in seinem ganzen Œuvre ein. Das gängige Verständnis der Sprachforschung als eine Art historischer Hilfswissenschaft im Dienste eines besseren Quellenverständnisses scheint vor diesem Hintergrund zu eng zu sein. Vielmehr sollen und können nach Leibniz die Sprachen als die ältesten Zeugnisse der Menschheitsgeschichte an die Stelle der Bücher treten und Auskünfte geben über diejenigen frühen Zeiten, für die schriftliche und archäologische Quellen fehlen. In der jüngeren Forschung hat die Aufmerksamkeit für sein Wirken als Geschichts- und Sprachwissenschaftler mit Recht stark zugenommen50. In seinem wieder einmal umfangreich gewordenen Beitrag
47 „Des Herrn von Fontenelle Lobschrift auf den Freiherrn von Leibniz“, in: G. W. Leibniz: Theodicee, das ist, Versuch von der Güte Gottes, Freiheit des Menschen, und vom Ursprung des Bösen, nach der 1744 erschienenen, mit Zusätzen und Anmerkungen von J. C. Gottsched ergänzten, vierten Ausgabe hrsg. von H. Horstmann, Berlin 1996, S. 12. 48 Ebd. 49 D. Mahnke: Leibniz als Gegner der Gelehrteneinseitigkeit, Stade 1912, S. 66. 50 Neben den von Babin und van den Heuvel besorgten Schriften und Briefe zur Geschichte Leibnizens sei noch genannt: N. Gädeke (Hrsg.): Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen, Wiesbaden 2012.
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(S. 269–311) nimmt Stephan Waldhoff (Potsdam) anhand einer Analyse des in der Tat merkwürdigen Konvoluts Ms IV 471 im Leibniz-Nachlass unter dem Titel „Lexicon Etymologicon“ erneut das Verhältnis von Sprach- und Geschichtsforschung in den Blick, indem er die sprachgeschichtlichen oder sogar allgemein sprachwissenschaftlichen Themen als integrale Bestandteile in Leibniz’ Forschungskonzept für das „Opus historicum“ betrachtet und Leibnizens eigene Einordnung seiner sprachgeschichtlichen Notizen in den polyhistorisch-antiquarischen Argumentationskontext im Rahmen des „Opus historicum“ rekonstruiert. Waldhoff warnt vor einer Abgrenzung der Sprachforschung Leibnizens von seinen „benachbarten Interessensgebieten“ (S. 310) und sieht in der Entscheidung zu Beginn des LeibnizEditionsprojektes, für die Edition der sprachwissenschaftlichen und historischen Schriften eine gemeinsame Reihe vorzusehen, alles andere als eine Verlegenheitslösung. Vielmehr gelte es nun, mit der fünften Reihe der Sämtlichen Schriften und Briefe, die als einzige noch nicht begonnen worden ist, die Chance zu ergreifen, den ursprünglichen Argumentationszusammenhang des „Opus historicum“ in seiner ganzen Breite zu rekonstruieren. III Nun stehen die vielfältigen Forschungsansätze einer sehr unbefriedigenden und gar misslichen Situation der Quellenerschließung und Textaufbereitung gegenüber, auch wenn mit den in der Reihe I der Akademie-Ausgabe publizierten Briefen, den in der Reihe IV edierten sprachpolitischen Schriften und den in der Reihe VI aufgenommenen Schriften zu Scientia generalis, characteristica, und calculus universalis bereits viele Quellentexte historisch-kritisch erschlossen vorliegen. Um diese prekäre Lage halbwegs zu entschärfen, hat sich Stefan Luckscheiter (Potsdam) auf Anregung des Herausgebers die Mühe gemacht, eine Übersicht über diejenigen Schriften von Leibniz zur Sprachforschung zu erarbeiten, die in der Akademie-Ausgabe noch nicht erschienen sind und vorrausichtlich erst in der Reihe V ediert werden. Er hat dazu den Arbeitskatalog der Leibniz-Edition durchgesehen und dessen Angaben anhand der Handschriften selbst überprüft, wobei der Katalog wiederum ergänzt und korrigiert werden konnte. Das Ergebnis ist beachtlich und lässt – trotz aller eingestandenen Unvollständigkeit – Umfang, aber vor allem Bedeutung dieser Schriften klar hervortreten. Besonders verdienstvoll ist, dass nicht nur Ort und Form der Überlieferung angegeben, sondern auch entweder knappe, auf geduldige Lektüre des jeweiligen Quellenmaterials zurückgehende Angaben zum Inhalt der Stücke gemacht oder die Texte, wie es bei den meisten der zahlreichen kurzen Stücke, die auf so genannten Streifen (vgl. die Abbildungen auf S. 315–316) überliefert sind, der Fall ist, vollständig und erstmals abgedruckt werden. So präsentiert der vorliegende Band nicht nur die reichen und vielfältigen Forschungsergebnisse – er lässt auch Potentiale und Desiderate von Edition und Forschung sichtbar werden.
LEIBNIZ’S LATER WRITINGS ON LANGUAGE AND THE TOPIC OF “ORIGINS”* By Stefano Gensini (Rome) During his last years, Leibniz devoted much of his time and scientific work to the topic of languages, as if, after an almost lifelong care for the universe of communication systems (both artificial and natural), he now wanted to give a systematic shape to his findings. He was aware of his own role, a ground-breaking one, in the field of language studies, which he had tried to free from the bounds of mere erudition, so paving the way towards a genuine scientific approach. Leibniz’s precious correspondence shows clearly, from around 1690 onwards, that he not only stimulated a number of scholars from different places and areas of research to collect primary sources which would have been necessary for any attempt at the comparison of idioms; Leibniz also did his best to coordinate them into a kind of international network aimed at the creation of the history and classification of all known languages. It is not surprising then, that, while commenting on works and/or investigation plans of other scholars, he took the opportunity of putting forward a kind of vademecum for future researchers, which in some sense may be considered Leibniz’s linguistic testament. In this paper, after a short overview of Leibniz’s later writings on language, I will discuss the topic of the origins of human language in some detail, a point which was essential to the linguistic agenda of the time, and one that was intertwined with several delicate aspects of the philosopher’s perspective (his theory of knowledge, the measurement of human history, etc.). To conclude, I will develop some considerations on the way Leibniz elaborated ancient thought on the origin of language (namely, Plato, Aristotle, and Epicurus). This has important bearings, I will argue, on the historical position of Leibniz’s philosophy of language.
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I would like to thank my old friend Lorenza Andò, who has spent time to improve my English style.
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1. LEIBNIZ’S LATER WRITINGS ON NATURAL LANGUAGES A methodological premise is, however, necessary. Some scholars have suggested that Leibniz, the linguist and philosopher of language, would be a multifaceted thinker: on one side the forerunner of contemporary symbolic logic and on the other, and in a somewhat contradictory way, the patient collector of words and phrases, inclined towards an empirical study of languages and dialects1. My point of view is, instead, unitary in nature2. It is a matter of fact that Leibniz devoted different periods of his lifetime to these two fields of interest: while logical interest prevailed all along the 1670s and the 1680s, the empirical study of language occupied much of Leibniz’s time during the 1690s up to his last years. But neither attention for the empirical functioning of language was really lacking in Leibniz’s first writings, nor was the quest for a universal language dismissed in his latest papers. Even from a merely chronological point of view, universalistic and historical interests go hand in hand and intertwine in many respects. There are many evidences of this, but I confine myself to the following two, the first from Leibniz’s youth, the second from his mature years. As everyone knows, the Ars combinatoria, the first version of Leibniz’ characteristica, was published in 1666; in the following year, in his Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae, Leibniz tackled the problem of ascertaining the meaning of words in texts relevant for the study of jurisprudence, i.e., in historical texts where all nuances of use had to be taken into account. In this framework, as I tried to show elsewhere, Leibniz sketched a kind of Ur-Text-Linguistik in which place was made for both contextual and co-textual restrictions bearing on the genuine sense of sentences and words3. Skipping over more than thirty years of philosophical and mathematical 1
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This tradition of studies has an illustrious premise in E. Cassirer’s discredit of Leibniz’s understanding of the way natural languages function. See the first section of his Philosophie der symbolischen Formen, Vol. 1: Die Sprache, Berlin 1923, where a number of Leibniz’s already extant writings on natural languages were seemingly ignored. This side of Leibniz’s personality was later rehabilitated by S. v. d. Schulenburg, whose seminal investigations, collected in her posthumous Leibniz als Sprachforscher, ed. and with an introduction by K. Müller, Frankfurt a. M. 1973 are still precious for all scholars of Leibniz. My interpretation of Leibniz’s philosophy of language is indebted to A. Heinekamp (see esp. “Ars characteristica und natürliche Sprache”, in: Tijdschrift voor Filosofie 34 [1972], pp. 446–88; “Sprache und Wirklichkeit bei Leibniz”, in: H. Parret [ed.]: History of Linguistic Thought and Contemporary Linguistics, Berlin/New York 1976, pp. 518–70) and H. Poser (see esp. “Gottfried Wilhelm Leibniz [1646–1716]”, in: T. Borsch [ed.]: Klassiker der Sprachphilosophie. Von Platon bis Noam Chomsky, München 1992, pp. 147–60). The theory of knowledge underpinning Leibniz’s ideas on language has been carefully investigated by M. Mugnai in: Astrazione e realtà. Saggio su Leibniz, Milano 1976; Introduzione alla filosofia di Leibniz, Torino 2001. See A VI, 1, 3389. For a comment on this passage, refer to my “Leibniz e le lingue storiconaturali”, in: G. W. Leibniz: L’armonia delle lingue, ed. by S. Gensini, with a preface by T. De Mauro, Roma/Bari 1995, pp. 7–10. As is well-known, also Leibniz’s 1670 praefatio to Nizolius includes important remarks on natural languages.
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studies, we read (in the 1703–1705 Nouveaux Essais sur l’entendement humain) an epistemological criticism of Locke’s philosophy of meaning focusing on the universal conditions for the possibility of identifying objects and referring to states of affairs by means of words. Such observations go hand in hand with the idea that languages have a kind of ‘natural’ origin and are not merely arbitrary, that their unstable meanings help us to reconstruct “the history of our findings” and ultimately that languages and their dialects are a “monument” to humankind’s historical experience4. The coexistence of so different stances probably allows us to suggest another key to the understanding of Leibniz’s multifaceted work on language, one which may be briefly formulated as follows: for Leibniz, ordinary as well as artificial languages should be cast into the same epistemological framework, in the sense that they correspond to different, albeit complementary, ways of having access to the world by means of ‘blind symbols’5. To put it in Hans Poser’s telling words, “in ihm bilden natürliche und formale Sprachen letztlich eine Einheit”6. This was also Albert Heinekamp’s view, whose 1972-paper paved the way for a unitary approach to Leibniz’s linguistic thought. As I wrote before, in the years from 1710 to 1715 the huge empirical work done by Leibniz since 1687 reaches its final, synthetic form. A list of the works he elaborated and partly published in this span of time will help us to take stock of their effects: 1710: Brevis designatio meditationum de originibus gentium, ductis potissimum ex indicio linguarum (in: Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum etc., Berolini 1710, pp. 1–16). 1711–: First draft (36 chapters) of the Epistolica de Historia Etymologica Dissertatio (ED, in Hanover GWLB Mss, 469, ff. 36r°–45v°; 441, ff. 16r°–23r°); terminus a quo for dating it is the publication of Eckhart’s Historia studii etymologici linguae germanicae, Hanoverae 17117.
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Leibniz’s discussion of Locke is especially important because of its fusion of epistemological and linguistic arguments. See H. Aarsleff: “Leibniz on Locke on Language”, in: Id.: From Locke to Saussure. Essay on the Study of Language and Intellectual History, Minneapolis, MN 1982, pp. 42–83; I. Hacking: “Locke, Leibniz, Language and Hans Aarsleff”, in: Synthese 75 (1988), pp. 135–53. I tried to contribute to this debate with the paper “Language, Meaning and the Essence of Things. Notes on Nouveaux Essais III, 1–6”, in: A. P. Coudert (ed.): The Language of Adam / Die Sprache Adams (= Wolfenbütteler Forschungen 84), Wiesbaden 1999, pp. 247–75. An in-depth illustration of this point would be out of place here. Refer to M. Dascal: La sémiologie de Leibniz, Paris 1978, as well as to the recent book by M. Favaretti Camposampiero: Filum cogitandi. Leibniz e la conoscenza simbolica, with an introduction by L. Perissinotto, Milano 2007 for elaboration. See Poser’s important paper quoted above, fn. 2. A partial rewriting of the text (limited to chapters 1–30) is to be found in Hanover GWLB Ms IV 456, ff. 46r°–57r°.
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1711–: Observata quaedam occasione Thesauri Linguarum Septentrionalium Hikkesiani (Hanover GWLB Mss 441, 3–14): Hickes’s Thesaurus was published in 1705, but these Observata were elaborated in 1711 or later, as results from Leibniz’s reference to the Epistolica Dissertatio (f° 4r.). 1711–12: Revision and new draft (50 chapters) of the Epistolica Dissertatio (in Hanover GWLB Ms IV 469, ff. 68r°–104v°, 255r°–v°), that was interrupted (according to Eckhart, “Praefatio”, in CE, p. 5), on the occasion of Leibniz’s trip to Vienna (end of 1712–first months of 1713), which would be, then, the terminus ad quem of this paper8. 1715 (but bearing the date: 13 January 1714): Dissertatio insigni viro Johanni Chamberlaynio, in Oratio Dominica in diversas omnium fere gentium linguas versa et propriis cujusque linguae characteribus expressa: una cum dissertationibus nonnullis de linguarum origine, variisque ipsarum permutationibus […] editore Johanne Chamberlaynio, Amstelodami 1715, pp. 22–30. 1717 (posthumous): Collectanea Etymologica, illustrazioni linguarum, veteris Celticae, Germanicae, Gallicae, aliarumque inservientia, cum praefatione Jo. Georgii Eccardi, Hanoverae 1717, in 2 vols. (CE includes abstracts from Leibniz’s correspondence with Meier, Ludolf and other scholars, as well as the Unvorgreiffliche Gedancken of 1696–97). Thanks mainly to the few papers he left behind in printed form but, of course, also thanks to his universal reputation as a scholar in linguistics (a reputation he earned with his erudite correspondence) Leibniz was soon considered a kind of Altvater of both German philology and lexicography, and of Western comparative linguistics, too. A systematic inspection of his influence, including not only wide-ranging projects (such as the one he prepared for Peter I, and that was partially fulfilled by Pallas), but also references in the erudite literature of different intellectual milieus, is still to be done; even very partial attempts at reconstructing his influence (I, for one, could produce an impressive number of quotations from Italian studies on language in the XVIIIth and XIXth centuries9) would convince the reader that a presentation of Leibniz in terms of a true ‘beginner’ is not an overstatement. Few
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In what follows, I will quote the last draft of ED according to my transcription in: Il naturale e il simbolico. Saggio su Leibniz, Rome 1991, pp. 201–71. To give but few references, works such as Melchiorre Cesarotti’s Saggio sulla filosofia delle lingue applicato alla lingua italiana (1800, first ed. with a different title, 1785), Gianfrancesco Galeani Napione’s Dell’uso e dei pregi della lingua italiana (1791), and Carlo Denina’s La clef des langues (1804), which played an important role for the development of linguistics in Italy, are clearly reminiscent of Leibniz’s suggestions on etymology and the kinship of languages. For a survey of Leibniz’s influence on early comparativism see T. De Mauro/L. Formigari (eds.): Leibniz, Humboldt and the Origins of Comparativism, Amsterdam/Philadelphia, PA 1990.
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examples will do: firstly, Brevis designatio gave a definite formulation of the CeltoScythian hypothesis, that is, the most direct anticipation of the Indo-European theory. It also gave a detailed, and in many respects correct, map of linguistic kinships in Europe and elsewhere: German, Neo-Latin, and Finno-Ugric linguistic families were opportunely classified and particular cases such as the Etruscan or the Basque languages were singled out and excluded from the Scythian genealogy. Secondly, both Brevis designatio and a number of excerpts collected in CE dismantled the theory that Hebrew was the mother-tongue of humankind, a theory that the Swedish scholar Stiernhielm had called into question since 1671, but one that still had many advocates, as was the case with the French lexicographer Louis Thomassin (Glossarium universale Hebraicum, 1697, extensively discussed in ED). Taking sides with those who denied Hebrew’s primacy, Leibniz ascribed it to a more comprehensive language family, including also Arabian and Amharic. This had important bearings not only on the study of language, but also on more general issues, such as the extent of human history and its chronology, the classification and kinship of nations etc. Finally, Leibniz reformulated Etymology in terms of an empirical study, i.e., of a historical discipline developing itself by means of conjectures open to philological confirmations or confutations, that had nothing to do with the ontological perspective. All in all, these later writings provided a sound methodological background for the linguistic studies to come. It is really a pity that the Epistolica Dissertatio, probably the richest and most important of them, remained unpublished and unknown up to the 1930s, when Sigrid von der Schulenburg extensively quoted from it in her invaluable Leibniz als Sprachforscher. As ED has not yet been fully investigated, my further considerations will be devoted to this text. A preliminary remark is, however, in order: I will refer to ED as Epistolica […] Dissertatio, instead of Epistolaris, because it was the first term, and not the second, that Leibniz used on folio n. 4, recto, of his Observata to Hickes (Hanover GWLB Ms. IV 441), to refer to it. It is not clear why Schulenburg decided “to correct” the philosopher, and supplied the more common term Epistolaris, that all scholars have adopted after her. 2. ETYMOLOGICAL STUDY AND THE ORIGINS OF LANGUAGE In his preface to Leibniz’s posthumous CE, Eckhart informs the reader that his Master had planned to include into the book a long letter addressed to him, dealing with the objectives and the methods of the etymological study. As is well known, the letter touched on Eckhart’s Historia studii etymologici (1711). Because of his occupations, however, Leibniz had not been able to finish the work. Having the opportunity to speak in the name of his Master, the former secretary presents himself as the very one that Leibniz had encouraged to work in the field of German philology, and in doing so he plays the role of “beginner” (and, in a sense, of Leibniz’s executor, too). But, since Eckhart had surely access to Leibniz’s Nachlass, one has the right to suspect that he did not tell us the entire story. The third and last draft of ED we can read in manuscript form could have well been published,
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partially or fully, but it raised such a sharp, albeit formally gentle, criticism of Eckhart’s Historia studii etymologici, that the secretary, indeed an ambitious and ungrateful one, chose to leave it untouched on a bookcase. An excellent example of the distance between Leibniz and his protégé is the discussion on the origins of language. The topic was dealt with in the first chapter of Eckhart’s Historia, and Leibniz elaborated on it again in the 14th chapter of ED. In Eckhart’s opinion, etymology plays a decisive role in linguistic studies because, as Plato explains in his Cratylus, names are an imitation of essences (mímesis tês ousías). Since words somehow unveil the truth that is hidden in things, language has to do with ontology: when the philologist goes back to the ratio of names, he gets in touch with the ultimate “causes” of reality. For the rest, the chapter supplies information regarding the scholastic use of etymologies in academic disputes. The standpoints of both realists and nominalists are illustrated, but nothing else is said about the method to be followed in the etymological research. Leibniz tackles the problem in quite a different way, as is shown by the following quotation n° 1 (taken from the first draft of ED § 14; bracketed words are deleted in the manuscript): “(14) […] Nomina ex instituto esse Aristoteles contra Platonem tueri instituit; in quo contradicendi magis quam veritatis studio impulsus videtur. Verum quidem est, nomina rebus naturalia non esse, non tamen [pacto quodam aut instituto hom(inum)] deliberatione hominum nisi raro, sed potius instinctu quodam affectuum indita sunt. Quod recte Plato in Cratylo docuit et ante eum Moses innuere videtur, tum in iis quae de Adamo narrat onomatheta, tum ipsis vocabulorum originibus quas affert. Itaq(ue) vocabula habent aliquod fundamentum in natura, [etsi variis admistis casibus] sed accessit aliquod ex accidenti, ut vocant. Diversi enim onomathetes suos quisque respectus, suas occasiones secuti; diversa nomina imponent, ut ex Georgio Dalgarno, Johanne Wilkinsio aliisq(ue) patet, qui novas linguas confinxerunt < . > Multo magis variabil vulgus [quod magis] quod ad imponenda nomina non rationes sed affectus impulêre. Neq(ue) ulla datur lingua plane naturalis, (Natur Sprache) qualem Jacobus Bohemus scriptor non sine ingenio fanaticus extitisse credidit. Porro haec in nominum origines inquisitio, vix quisquam vel cum Cabbala Judaeorum, vel cum studio Nominalium cognationis habet. Cabbalistae non causas quaerebant nominum, sed mysteria significationum, in lusibus fere verborum fundata, ut ex Reuchlini libro de verbo mirifico, et Joh. Pici Mirandolani quibusdam [Reuchlini libro de verbo mirifico] aliis scriptis hujusmodi intelligi potest; Nominales autem multo adhuc minus de nominum etymologia soliciti fuere. Id enim contendebant, universalia quae philosophi speculantur non esse in rebus, sed in Terminis; et ita, nec Nominales illi magis quam Reales ipsi Etymologias curabant, Cabbalam autem Rabbinorum multo adhuc minus, neque aut Occamus aut Gregorius Ariminensis Nominalium principes, aut alii hujus farinae in Cabbala, vel in re Etymologica operam profuerunt aut prae caetera rerum explicatione vocabulorum originationes praemittere soliti sunt. Et mos hoc faciendi in Academicis dispositionibus non a Scholasticis, sed ex Topjcis venit, ubi est lucus ab Etymo. Illud eleganter observas, ridiculas illis temporibus, quibus philosophia Scholastica regnabat, Etymologias prolatas fuisse”.
To Leibniz’s mind, neither Nominalist disputations nor Cabbalistic discussions about the symbolic meanings of letters are of any use in etymology. Plato’s suggestion that language has “natural” grounds is a good clue, instead, to dismantle conventionalism. This doctrine was deeply rooted in the Aristotelian tradition. Leibniz’s quotation of the phrase ex instituto shows that he has a famous passage
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in De interpretatione in mind, in which the philosopher explains that “ónoma […] estí phonè semantikè katà synthéken áneu chrónou” (16a 19–20), that is, “a name is a meaningful, conventional voice without temporal marks”10. Ex instituto, ad placitum and arbitrarie were alternative ways of translating Aristotle’s phrase katà syntheken. In the light of Boethius’ authoritative interpretation of this text, still current in the late Scholastic period11, Leibniz makes Aristotle responsible for a rigid kind of conventionalism, whereby even the origin of language (and not only its present use) would have been dependent on human decision. Leibniz suggests, instead, that languages “however […] depend very rarely on human decisions” (“non tamen [pacto quodam aut instituto hom(inum)] deliberatione hominum nisi raro […] indita sunt” (see above, quotation from chapt. 14). In other words, they are much more the outcome of emotions and non-rational states of mind. What has Leibniz to say, at this point, about Plato? Leibniz apparently tries to maintain a halfway house between him and Aristotle. The latter, Leibniz writes, was partially right in suggesting that names do not naturally mirror things; but, Leibniz adds, names are not conventional, either. Names stemmed from a kind of emotional instinct (“instinctu quodam affectuum”), “as Plato has rightly demonstrated in his Cratylus (my italics)”. In this way, not only Eckhart’s reading of Plato is reversed, but also another interpretation of ‘naturalness’ is put forward: words do not imitate/mirror the essence of things, but rather they express the speakers’ emotions, or more precisely, their affections. Therefore, not only Aristotle’s rigid conventionalism, but also an ontological naturalism, such as Jakob Böhme’s, must be rejected12. If it is true that even Adam, the first man, was subject to his natural emotions when he gave names to animals and plants, there exists no NaturSprache to be recovered from the abyss of time. The following quotation from the beginning of Brevis designatio makes this point quite clear: “At in linguis paulatim natis, orta sunt vocabula per occasiones ex analogia vocis cum affectu, qui rei sensum comitabatur: nec aliter Adamum nomina imposuisse crediderim”13.
As is clear, Leibniz does not hesitate, here and elsewhere, to discuss some keypassages of the Holy Scripture which were considered relevant to philosophy of language. After reinterpreting Adam as a kind of Vichian giant, Leibniz tackles the
10 I follow L. Minio-Paluello’s edition of De interpretatione, as reprinted in: Aristotele: Della interpretazione, intr., trad. e commento di M. Zanatta, testo greco a fronte, Milano 1992. 11 In his Aristotele e il linguaggio. Cosa fa di una lingua una lingua, Roma/Bari 2003, F. Lo Piparo has cast light on the profound difference between Boethius’ reading of katà synthéken and the original meaning of Aristotle’s phrase. 12 In his well-known 1969-paper, “The Study and Use of Etymology in Leibniz” (now in: From Locke to Saussure etc., quoted above fn. 5, pp. 84–100), instead, Aarsleff hinted at analogies between Böhme and Leibniz that a careful reading of this passage of ED seems to exclude. For useful remarks on this point see also V. Pektas: “Langue naturelle-langue universelle. La Natur-Sprache böhmienne et la réflexion leibnizienne sur le langage”, in: D. Berlioz/F. Nef (eds.): Leibniz et les puissances du langage, Paris 2005, pp. 43–53. 13 See BD, p. 2.
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classical “mystery” of the multiplicity of languages, a circumstance that was traditionally accounted for by resorting to the myth of Babel14. In Leibniz’s opinion, so many different languages were not determined by God’s punishment, but depended on quite natural reasons: “Diversi enim onomathetes suos quisque respectus, suas occasiones secuti, diversa nomina imponent”. This, Leibniz goes on to say, is a universal principle, operating both at the beginning of human history and today, as is shown by the case of scholars such as Wilkins and Dalgarno who were able to invent artificial languages for scientific purposes, and, even more, by primitive uncultivated people who made up their means of expression under the pressure of ever changing states of mind. Leibniz must have realized that the formulation of his argument was rather ambiguous, since it seemingly assimilated universal languages, operating under a full rational control, and ordinary language, where affections and chances, and not mere reason, are decisive. In the third and final draft of ED the argument is elaborated on in a different way, as may be seen from the following: “Plato autem in Cratylo etiam philosophari de nominibus coepit, et quasdam naturales in iis rationes latere agnovit. At Aristoteles cum nomina ex instituto esse disputat, katà synthéken, ut loquitur, capite 2. libri perì hermeneías, contradicendi magis quam veritatis studio ductus videtur. Itaq(ue) Ammonius et alii Graeci interpretes, Platonem Aristoteli conciliare conati sunt. Verum quidem est, nomina rebus naturalia non esse; sed tamen hoc quoque verum, hominum deliberatione non nisi raro esse constituta. Nam quod Iacobus Golius suspicatur, linguam Sinicam artificialem esse, de aliis linguis dici nequit. Et quas Parisiis Ioh. de Villiers in Intelligentiis A.D. 1587, et Ioh. Douetus in Charactere universali A.D. 1627. edito; et mea memoria Londini Georgius Dalgarnus (Arte Signorum edita Londini 1661, in 8°), Johannes Wilkinsius (Charactere reali et Lingua philosophica Lond. fol. A.D. 1668), aliiq(ue) Viri 15 Docti excogitavêre linguas novas, in usum non sunt traductae” (ED § 14 = Ms IV 469, 74v°– r° 75 ).
Artificial languages come into play, here, to illustrate not the variability of language creativity in itself, but only its genuine conventional side, operating under rational principles. Such languages being the outcome of purely rational decisions, they remain confined to scientific purposes, and do not get into normal use (“in usum non sunt traductae”). Language conventionalism, in a word, does not apply to the languages, I quote, “that are received among peoples”. But also the opposite theory, the essentialist or “purely natural” one, is false. As Leibniz puts it, neither Böhme’s search of an Adamic language has sense, nor can the secrets of nature be revealed by names. But if both theories are untenable,
14 For a detailed illustration of this point, refer to A. Borst: Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Vielfalt der Sprachen und Völker, 4 Vols., München 1995 (first ed. 1957–1963). Leibniz’s distrust of the Adamic language has been extensively discussed by K. Dutz: “‘Lingua Adamica certe nobis ignota est’. Die Sprachursprungsdebatte und G. W. Leibniz”, in: J. Gessinger/W. von Rahden (eds.): Theorien vom Ursprung der Sprache, Vol. 1, Berlin/New York, 1989, pp. 204–40 15 Quoted from Gensini: Il naturale e il simbolico, pp. 215–16.
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what must the etymologist do? Leibniz presents his method as an intermediate path between the two, and at the same time he ascribes a similar point of view to Plato. “Medium itaq[ue] tenendum est, quae et Platonis mens fuit, habere verba fundamentum in natura, etsi concurrant plurima ex accidenti”. As early as around 1680, in the fragment “De origine linguarum naturali”16, Leibniz had suggested that primitive languages stemmed from a fusion of natural and accidental reasons. Subject as they were to strong passions and emotions, the first name-givers necessarily expressed themselves by means of sounds which were analogical – today we would say ‘iconic’ – with respect to their passions and emotions. What Leibniz calls fundamentum in natura has nothing to do, then, with a mirroring of things, but is the outcome of a psychological process forcing the phonatory organs to mould in such a way the linguistic substance. Accordingly, varieties in language depended on the different ways in which the primitive name-givers had perceptual access to the external world under the pressure of their emotions. The following outline17 tries to show the originality of Leibniz’s position.
16 This fragment was published for the first time in C, pp. 151–2 under the title “Leibnitius de connexione inter res et verba sed potius de linguarum origine”. New transcription (as De linguarum origine naturali) and dating proposal (October 1677 to December 1678) in A VI, 4 A, 59. 17 Another tentative graphic illustration of this point in my paper: “Secolarizzare le origini: Leibniz e il dibattito linguistico seicentesco” in: F. Amerini/R. Messori (eds.): Sulle origini del linguaggio. Immaginazione, espressione, simbolo, Pisa 2012, pp. 173–89. On the topics discussed in the present section, see also “Remarks on the Epistolica de historia etymologica dissertatio” in: S. Gensini: De linguis in universum. On Leibniz’s Ideas on Language, Münster 2000, pp. 97–121.
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According to Boethius’ reading of De interpretatione 1
2
3
4
n
states of affairs
=
=
=
=
=
are the same for all people, and
■1
■2
■3
■4
■n
souls’ affections are also the same
≠
≠
≠
L1
L3
L4
Ln
languages differ from one another because of convention
According to Leibniz’s ‘natural origins’-theory 1
2 ≠
A
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L1
L2
3
4
≠
≠
G
D
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≠
L3
L4
n
to the same states of affairs
n
humans reacted differently
Ln
accordingly, different languages originated
A more detailed quotation from BD provides a clear synthesis of Leibniz’s theory: “Neque vero ex instituto profectae, et quasi lege conditae sunt linguae, sed naturali quodam impetu natae hominum, sonos ad affectus motusque animi attemperantium. Artificiales Linguas excipio, qualis Wilkinsii, Episcopi Cestriensis, viro ingenio doctrinaque egregii fuit […]. At in linguis paulatim natis orta sunt vocabula per occasiones ex analogia vocis cum affectu, qui rei sensum comitabatur: nec aliter Adamum nomina imposuisse crediderim”18.
18 See BD, p. 2. For a commentary of this paper refer to: Leibniz: L’armonia delle lingue (see above fn. 4), pp. 170–94.
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3. LEIBNIZ’S PLEA FOR NATURALISM To sum up my argument, Leibniz’s theory of the origins of language may be described in terms of gradualism and, in a very particular sense, of ‘naturalism’. His comparison of growing languages with seeds (see infra) shows that, to Leibniz’s mind, languages participate in humans’ relationship with nature: the analogical or (in mathematical terms) projective relationship binding human knowledge to the external world applies to languages, too, and limits their being arbitrary19. Ordinary languages are never completely arbitrary because the first speakers (and, in truth, all speakers since then) moulded the phonetic substance analogically with respect to their emotions. As we know from the general tenets of Leibnizian epistemology, being analogical does not entail a passive mirroring of something else, but a ‘representation’ of it according to some criteria. In this sense, the analogical connection between states of affairs, states of the mind and linguistic sounds justifies Leibniz’s assumption that languages originated “non sine causa”; in short, languages, too, illustrate the principle of sufficient reason. We may further observe that languages did not develop – so to say – holistically, they are not all-or-nothing devices; languages developed paulatim, step by step, and, in so doing, they followed and mirrored the slow evolution of human civilization and its discoveries. In making his point, Leibniz had to face the monogenetic theory of the origin of languages. Supposing, as Leibniz indeed supposes, that Hebrew wasn’t the original language, should the monogenetic theory be dismissed, or may it be upheld true under some other form? The question was delicate from a religious point of view. To speak for polygenetism could have implied acceptance of Isaac La Peyrère’s Preadamitae (1655), i.e., the idea of men who pre-existed Adam, which had been sharply criticized on theological grounds. As always, Leibniz’s answer is prudent, but clear and firm on the substance. The existence of a universal mothertongue (or of very few primeval languages) may be admitted in principle, but, due to “natural reasons”, it must have immediately parted into many different languages. Just in the same way as children spontaneously invent names and sentences, humans, in any time and place, share “some natural inclination to onomatopoiesin, i.e., to the invention of words”. ED § 22 (= Hanover GWLB Ms. IV 469, ff. 81v°– 82r°) is perfectly clear on this:
19 This point has to do with Leibniz’s concept of expression, which has raised much interest in recent years. See, e.g., M. A. Kulstad: “Leibniz’s Conception of Expression”, in: Studia Leibnitiana 9, 1 (1977), pp. 55–76, F. Gil: “Expression et relation de projection”, and S. Gensini: “Leibniz on the Arbitrariness of Signs”, both in: Berlioz/Nef (see above, fn. 12), pp. 241–53 and 55–68 respectively; S. Gensini: “Appunti su ‘espressione’ e ‘linguaggio’ in: Leibniz”, in: Filosofia, Storiografia, Letteratura. Studi in onore di Mario Agrimi, ed. by B. Razzotti, Lanciano 2002, pp. 283–306.
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The hint at the role played by literature and (later) the art of printing in the stabilization (and grammaticalization) of languages is but another sign of Leibniz’s insight into linguistic matters. 4. LEIBNIZ AND HIS SOURCES: PLATO, EPICURUS, GASSENDI In this section, I would like to look in depth into some features of Leibniz’s theory on the origin of language. This will also help us raise a question which I deem important for our knowledge of his early education as a philosopher. First of all, Leibniz’s approach to the origins of language remained substantially the same since around 1680 – I’m referring to the fragment De origine linguarum naturali (now dated from 1677 to 1685) – up to the end of his life. All the key words concerning the functioning of language that we have encountered in Leibniz’s later writings (arbitrarium, naturalis, casus, analogia, consensus etc.) are already at work in this precious excerpt. His intermediate solution avoiding the opposite ends of mere conventionalism as well as of mere naturalism is also clearly expressed: the phenomenon of onomatopoeia is suggested as a typical case in point for both the consensus/analogia between states of mind and sounds, and the ‘natural constraint’ of language (to borrow a term from contemporary cognitive debates). It is also worth noting that chapter 14 of ED refers to the universal character as a rational alternative to Böhme’s groundless dreams concerning the Natur-Sprache. Still in 1711–12, then, Leibniz had not dismissed, at least in principle, the scientific plans of his young days. The characteristica is still supposed to be the right tool to solve problems, “to the extent they are subject to rational control”. Secondly, Leibniz’s reading of Cratylus is in some way problematic. In ED, § 18, Leibniz quotes extensively from the well-known passage in which Socrates, inspired by his inner genius, gives a “swarm” of etymologies, illustrating the alleged relationship between names and essence. The reader must keep in mind what both Leibniz and his contemporaries (and, to be true, many of his followers, too) seemingly ignored: namely, that Socrates’ speech had but a dialectical function in the dialogue; it was intended to reduce Cratylus’ essentialism to absurd, in
20 Quoted from: Gensini: Il naturale e il simbolico, p. 228.
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order to underpin Plato’s ultimate distrust in the cognitive power of language21. Such a distrust could have hardly met Leibniz’ assent, if we consider that his theory of knowledge ascribed a central role to signs, whose ‘blind’ functioning was supposed to enable the human mind to overcome its natural limits, both of memory and imagination. ED focuses on Socrates’ argument that basic sounds such as, say, – r – or – k – possess a semantic force which reflects itself on words including them, thereby conditioning their semantic area. Following (and to some extent developing) Leibniz’s example, words such as gr. reîn, lat. currere, fr. courir, it. correre, germ. rennen, engl. to run etc. would share a phonic-semantic root relating to “movement”. This depends on the fact that – Leibniz writes – the phonic substance – r – (corresponding to gr. Rho) somehow imitates, or is analogous to, the perceptions that the sound of moving objects, e.g. of water, arouses in our minds. In this way, the etymon (< causa, “cause”) hidden in the root would be the key to an entire class of expressions belonging to different languages: it would represent the ‘natural’ counterpart of arbitrariness22. Even taking into account the historical limits of Leibniz’s philological access to Plato’s works, we may well ask ourselves whether his reading of Cratylus was correct or not. Cratylus is well-known as a problematic work, in which different views on language are introduced and sometimes intertwine with each other. Thanks to its composite structure, it has influenced very different philosophies of language, sometimes allowing theories (a good case in point is Karl Bühler’s Organon-Modell) which resort to a constitutive (and not merely an auxiliary) concept of language23. As regards the passage on etymology, Leibniz takes Socrates’ examples seriously, and, neglecting their dialectical function (aiming at a confutation of the name-essence relationship) bases his concept of “natural reasons” of language on them. His use of the passage, though, is neither literal, nor leaves any room for an ontological involvement of language. When he wrote that “where Plato speaks about the Name-giver, it seems to me he did not refer to a kind of Law-giver, but rather to common men who not without reasons came across words”, Leibniz deeply reformulated Plato’s theory, setting the origin of language into a historical perspective. From Leibniz’s standpoint, the Name-giver, unique 21 This point was made clear by A. Pagliaro: “Struttura e pensiero del ‘Cratilo’ di Platone” (first ed. 1952), in: Nuovi saggi di critica semantica, Firenze/Messina 1956, pp. 47–76; for further elaboration see the chapter on Plato in G. Manetti: Theories of the Sign in Classical Antiquity, Bloomington, IN 1993; T. Borsche: “Platon”, in: P. Schmitter (ed.): Sprachtheorien der abendländischen Antike (= Geschichte der Sprachtheorie 2), Tübingen 21996, pp. 140–69. 22 It is worth noting that Leibniz’s etymological method was to influence, among many other authors, Anne-Robert Turgot’s article “Étymologie” (published in the 6th volume of the Éncyclopédie, 1751) and Charles De Brosses’ systematic Traité de la formation mécanique des langues (1765), one of the most important linguistic treatises of the 18th century. 23 To quote a typical example, Plato’s description of language in terms of an organum stimulated Bühler to develop his concept of language as a kind of Tätigkeit. See K. Bühler: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache [Ungekürzter Neudruck der Ausgabe von 1934] Stuttgart 31993, pp. 24–5.
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and wise as Plato had depicted him, fades away, and a multiplicity of historical men (“diversi nominum impositores”), with their instincts and emotions, takes his place. Accordingly, the concept of an analogical relationship between sounds and states of mind is multiplied, too. Leibniz’s argument is further developed in ED § 20, in which elementary features of language such as interjections and particles (of which germ. ab, mit, durch are examples) are supposed to have played an important role at the outset. A passage from Diodorus Siculus’ Bibliotheca Historica is quoted, in order to suggest that “saepe fieri potuisse, ut rudes homines in voces inarticulatas prorumperent, ex quibus demum natas interjectiones articulatas apparet. […] Et particulae esse deberent vera vocum sementa 24 ob simplicitatem tum expressionis tum significationis” (ED § 20 = Hanover GWLB Ms IV 469, f. 80v°)
Interjections were an emblematic case in traditional grammar: Greek grammarians did not consider them a genuine part of speech and in later tradition, too, they remained somewhat marginal (Dionisius Trace, for one, classified interjections among adverbs, and the same was done by Pietro Bembo in his 1525 Prose della volgar lingua). The reason for this was the alleged emotional character of interjections which rendered them a mid-way phenomenon between ‘linguistic’ and ‘nonlinguistic’. Typically, animal cries (“phonaí, voces”, in Aristotelian terminology) resembled those inarticulate utterances of humans that escaped any rational control, being saturated with feelings such as fear, rage and the like. In the realm of language, interjections were in some sense the crystallization of this primitive level of expression. In the passage quoted above, Leibniz focuses exactly on the shift from the dimension of inarticulate voices to the one of articulate interjections, i.e., the entry level of true human language. Hence, the “coarse men” that Leibniz puts at the remote origins of language were half-animals, capable of instinctive cries which were the premise, however, for the development of the first articulations. Particles seemingly belong to the next steps of development. The decisive function that Leibniz ascribes to them can hardly surprise the reader if we remember that both in Analysis particularum and in a strategic chapter of the Nouveaux Essais (III, 7)25, he had described particles in terms of cognitive devices involved in the expression of spatial relationships. It is worth noting that this later formulation of the topic makes particles the “generative cells” of language: a kind of primeval metaphoric tissue which conditioned any subsequent stage of human communication. The scenario Leibniz has depicted so far for the origins of language is consistent with his tenet that languages belong to the dimension of history, not to metaphysics. No surprise, then, that his analysis of the semantic side of language is imbued with empiricism, following an epistemological principle put forward in Johann Clauberg’s Ars Etymologica Teutonum (1663) – and one that Locke had
24 See: Gensini: Il naturale e il simbolico, p. 225. 25 See the first paper in A VI, 4, 646–67; the passage from the Nouveaux Essais in: A VI, 6, 329–33.
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quoted with emphasis – whereby words had initially merely concrete meanings which were later developed into abstract ones: “Rerum autem naturalium, sensibilium, crebrius occurrentium appellationes priores fuêre quam rariorum, artificialium, moralium et metaphysicarum. Itaq(ue) pneûma spiritus, anima, quae nunc vocabula res incorporeas significant, originarie denotant flatum: unde translata 26 sunt ad alias res invisibiles, et tamen activas, quales sunt animae et spiritus” (ED § 23 = r° Hanover GWLB Ms IV 469, f. 82 ).
This process, Leibniz remarks, continued going on by means of countless semantic shifts, taking the shape of metaphors, metonymies and the like. On one side the very inopia linguae (forcing people to adapt old words to new meanings), on the other side the law of analogy, shaping abstract concepts out of concrete ones, ascribed figurative language a substantial role, not to be confused with rhetoric embellishment: “[U]t recte alicubi dixerit Quintilianus (lib. 9 Instit[utionis[ Orat[oriae]), Quidquid loquimur figuram esse” (ED § 16 = Hanover GWLB Ms IV 469, f. 76r°)27. The case of Lat. spiritus, whose original meaning had to do with a blowing wind, and not, as today, with the working of the mind, is paradigmatic. In short, in Leibniz’s ‘Cratylism’, if one wants to borrow this ambiguous term, the original plea for the essence of things is undermined by strong suggestions from empiricism (as is the case with Clauberg’s rule F, which had raised Locke’s attention, too) and even Epicureanism (as is the case of Diodorus Siculus who, along with Vitruvius and others, had human languages depend on “feral origins”28). All this brings us to a first conclusion. As is well-known, in his splendid book I segni del tempo, Paolo Rossi illustrated how the secularization of the topic of language origins animated the post-Cartesian philosophical debates in Europe29. Criticism of the Babel tradition and the study of linguistic history in terms of social-communicative needs (“[…] et utilitas expressit nomina rerum”, in Lucretius’ terms30) were the primary
26 Quoted from Gensini: Il naturale e il simbolico, p. 229. 27 Quoted from ibid., p. 217. The rhetoric element of Leibniz’s philosophy of language has been carefully investigated in recent years. See esp. F. Piro: “Are the ‘Canals of Tropes’ Navigable? Rhetoric Concepts in Leibniz’s Philosophy of Language”, in: K. Dutz/S. Gensini (eds.): Im Spiegel des Verstandes. Studien zu Leibniz, Münster 1996, pp. 137–60; C. Marras: Metaphora translata voce. Prospettive metaforiche nella filosofia di G. W. Leibniz, Firenze 2010. Leibniz’s early interests in rhetoric topics is testified by his Liber Observationum and Loci Rhetorici, published and commented upon in: G. W. Leibniz: Ricerche sul linguaggio. Due inediti giovanili, ed. by G. Varani, Padova 1999. 28 On this tradition see S. Gensini: “Epicureanism and Naturalism in the Philosophy of Language from Humanism to the Enlightenment”, in: P. Schmitter (ed.): Sprachtheorien der Neuzeit. Der epistemologische Kontext neuzeitlicher Sprach- und Grammatiktheorien (= Geschichte der Sprachtheorie 4), Tübingen 1999, pp. 44–92. 29 P. Rossi: I segni del tempo. Storia della terra e storia delle nazioni da Hooke a Vico, Milano 1979 (see esp.the chaper on “Barbarie e linguaggio”). An English translation of this book, with the title The Dark Abyss of Time, is available (Chicago 1984). 30 Lucretius: De rerum natura, V 1028, quoted after Tito Lucrezio Caro: Della natura, versione, intr. e note di E. Cetrangolo, con un saggio di B. Farrington, Firenze 1969.
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ingredients in this round, to which the Epicurean heritage (albeit often hidden) massively contributed. Rossi did not quote Leibniz in this framework, but rather focused on Giambattista Vico to show that even scholars deeply rooted in the theological tradition had acknowledged that civilization stemmed from barbarism, and not from a fictitious “golden Age” of wisdom and rationality. The evidence resulting from an unbiased reading of Leibniz’s later writings on language suggests that the German philosopher deserves a relevant place in this respect. Leibniz’s theory of language origins puts before our eyes a somewhat surprising combination of sources (Plato, Epicurus, Clauberg, Locke), but one that emerges clearly from our texts. However, this leads us to a concluding question. What is the true historical place of Leibniz’s theory of language origins? Are there, and if yes, what are the historical coordinates which help us setting Leibniz into some philosophical-linguistic tradition (let us confine ourselves, here, to the topic of origins)? First of all, a tentative synthesis of the present discussion allows us to set Leibniz apart not only from the range of Hebraizantes (to borrow the term he used in ED § 29 = f. 88v° for those who subscribed to the theory of Hebrew mother-tongue), but also from any kind of neo-Adamism: in my opinion, Leibniz’s appreciation of the multiplicity of historical languages leaves no room for a universal essence of language, nor there exists a deep structure to be “artificially reconstructed” by means of his characteristica, as some scholars have suggested31. Secondly, Leibniz was very distant from Scholastic Aristotelianism, since this tradition entailed a simplified view of languages: full conventionalism could have been applied to artificial characters such as Wilkins’, to his own ars combinatoria, too, but not to ordinary languages. Leibniz opposed arguments derived from Cratylus to this tradition, but at the cost of a radical reformulation of their epistemological background. Taking all these factors into account, we may venture to suggest that Leibniz’s theory of the origins of language presupposes another source that has been often quoted in connection with his early studies, but (to the best of my knowledge) not with linguistic topics: Pierre Gassendi, who had translated and commented on Epicurus’ Epistula ad Herodotum in his Syntagma philosophiae Epicuri. Indeed, both paragraph 75 in the Epistula ad Herodotum and Gassendi’s reformulation of its contents, show impressive similarities with the Leibnizian papers we have investigated: (1) the origins of language are described as dominated by emotions, and not by reason; (2) words were from the very beginning connected to humans’ states of mind by means of analogy; this was the “natural” reason why (3) so many different languages originated; (4) convention played at a later date, operating on already-existing languages, when mind powers reached their maturity. A careful reading of the following passage would bring to light not only conceptual affinities with Leibniz’s papers, but in some
31 Notably, O. Pombo in: Leibniz and the Problem of a Universal Language, Münster 1987; M. Losonsky: “Leibniz’s Adamic Language of Thought”, in: Journal of the History of Philosophy 30 (1992), pp. 523–43.
Leibniz’ Later Writings on Language and the Topic of ‘Origins’
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cases also terminological and even stylistic similarities that the philosopher must have had in mind when dealing with the subject of origins: “Quo loco, quia requiri solet, qua ratione, ab initio Homines rebus significandis nomina imposuerint; ideò sciendum est, nomina non fuisse ex mero hominum instituto, seu lege quadam imposita; sed ipsas hominum naturas, naturalesve dispositiones, quae in gentibus fuere singulis, tum cùm res ipsis occurrerent, specialibus Animi motibus affectas, & propriis visis, seu imaginibus compulsas, peculiari quadam ratione aërem ore emisisse, ipsúmque elisisse, dearticulasséque, prout singulorum affectuum, visorúmque impetus tulit: & interdum quoque locorum varietas, seu varius caeli, solique genius in variis regionibus fuit: & quae prolatae 32 voces sic fuerunt, ac praesertim cum voluntate designandi aliis res, evasere Nomina rerum” .
If we admit that Gassendi has influenced Leibniz’s discussion of the origins of language, we are in a position from which we can explain the Epicurean flavour that animates his later writings without exaggerating the role that the Greek philosopher played in them. On one side, Gassendi had demonstrated that harmonizing Epicurean tenets with the basic assumptions of Christian faith was not only possible, but necessary. Language was a typical subject where biological (and even materialistic) suggestions proved useful for the ‘natural philosopher’. On the other side, theological restrictions could be fatal for philosophers in many fields, at Leibniz’s times, but a relative unorthodoxy was tolerated on the topic of language. As several other scholars had shown (Philipp Clüver, Hugo Grotius and Georg Stiernhielm belonged to this group33), Babel could be dismantled without one being charged of heresy. In a word, it is not unlikely, either from a philosophical or a historical vantage point, that Leibniz the Sprachforscher came so close to the conclusions of the father of Ancient materialism, although he preferred to shape his ideas in the form of a revised Platonism.
32 Quotation from P. Gassendi: Philosophiae Epicuri Syntagma II 3, caput 20, “De Motu Voluntario, ac speciatim de Loquutione, nominumque Impositione” in: Opera Omnia, tomus tertius, Lugduni, sumptibus Laurentii Anisson 1658, pp. 49–50. An edition of, and a careful comment upon Epicurus’ “Epistula ad Herodotum” in: Opere, ed. by G. Arrighetti, Torino 1973. 33 On these authors and their works, see my paper quoted above, fn. 18.
NATURAL LANGUAGES AND ARTIFICIAL LANGUAGE LEIBNIZ’S RATIONAL GRAMMAR AS THE LINK BETWEEN THE TWO By Jaap Maat (Amsterdam) 1. LEIBNIZ AS A LINGUIST It would, at first glance, be fair to say that Leibniz occupied himself with language and languages in two quite distinct ways. First, as an empirical linguist, studying a number of natural languages (I use ‘natural languages’ in the modern, not the seventeenth-century sense, so that the term refers to languages such as Latin, German and English, which in a seventeenth-century context would typically be called ‘instituted languages’). This work involved the collection and systematization of linguistic data, and was aimed at discovering the history of peoples and cultures. Second, as the creator of an artificial philosophical language or ‘characteristica universalis’. This effort was intimately connected with logical investigations and with systems of knowledge representation. The philosophical language was still to be created and developed and thus, it may seem, unrelated to any existing, natural language. However, these two categories of research do not exhaust Leibniz’s linguistic work. In addition, he devoted much time and energy to a third type of investigations, which he usually called ‘rational grammar’. This type of research was both linked to the study of natural languages and to the creation of an artificial language. In this paper, I sketch what rational grammar was meant to achieve, and how, and also how it is related to both natural language and artificial language. I will focus on a central element of this project, namely Leibniz’s concern with what may be called, somewhat anachronistically, logical form. In order to show the uniqueness of this particular type of language study carried out by Leibniz, I will contrast it with two specimens of contemporary work. Both resemble Leibniz’s work in significant respects, but turn out to be very different on closer inspection. They are Wilkins’s ‘natural grammar’1, and the ‘Port Royal grammar’2.
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J. Wilkins: An Essay towards a Real Character and a Philosophical Language, London 1668, pp. 297–383. Cl. Lancelot/A. Arnauld: Grammaire générale et raisonnée (Paris 1660, Reprint of the third edition 1676), Stuttgart-Bad Cannstatt 1966.
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2. RATIONAL GRAMMAR 2.1 The Texts on Rational Grammar Leibniz wrote several dozens of manuscripts on rational grammar. Together they run to more than 100 pages in the Academy edition. Four long pieces have not been published up to now3; a rough estimate predicts that they will eventually take up another 50 pages. The published texts were written in the period 1677–1690, the unpublished ones probably later. Here is an incomplete list of Leibnizian papers entirely or primarily devoted to rational grammar: – – – – – – – – – – – – –
De grammatica rationali et arte memoriae (A VI, 4 A N. 24 [1678]) Analysis linguarum (A VI, 4 A N. 35 [1678]) Notae logico-grammaticae (A VI, 4 A N. 36 [1678]) Grammaticae cogitationes (A VI, 4 A N. 37 [1678]) Lingua rationalis (A VI, 4 A N. 38 [1678–80]) Characteristica verbalis (A VI, 4 A N. 80 [1679]) Definitiones praepositionum et adv. (A VI, 4 A N. 101 [1680–84]) De lingua rationali (A VI, 4 A N. 153 [1685]) Analysis particularum (A VI, 4 A N. 155 [1685–86]) De partibus orationis (A VI, 4 A N. 167 [1686]) Analysis grammatica ad characteristicam seu linguam generalem condendam (A VI, 4 A N. 168 [1686]) Grammatica (A VI, 4 A N. 185 [1687–88]) De lingua philosophica (A VI, 4 A N. 186 [1687–88])
The papers can be subdivided into programmatic papers, giving the outlines of the project and explaining its goal, and papers devoted to specific topics and problems which are evidently attempts at carrying out the programme. They contain few definitive results. Of all these papers, only a few fragments were published prior to the 1990s, which probably accounts for the fact that this particular part of Leibniz’s work has received relatively little attention so far4.
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LH IV 7B 3, 30–33, 34–37, 38–39, 50–58. But see the following works for discussion: M. Dascal: “Leibniz on Particles. Linguistic Form and Comparatism”, in: T. de Mauro/L. Formigari (eds.): Leibniz, Humboldt and the Origins of Comparativism, Amsterdam/Philadelphia, PA 1990, pp. 31–60; M. Schneider: “Leibniz’ Konzeption der Characteristica Universalis zwischen 1677 und 1690”, in: Revue Internationale de Philosophie 188, 2 (1994), pp. 213–236; J. Maat: “Leibniz’s Texts on Rational Grammar”, in: G. Haßler/G. Volkmann (eds.): History of Linguistics in Texts and Concepts, Vol. II, Münster 2004, pp. 517–526.
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2.2 Leibniz’s Programme Let us first have a look at one of Leibniz’s programmatic statements. In his Plan for a new encyclopedia, he described rational grammar as follows: “A rational grammar will be expounded, first everywhere applied to Latin and next illustrated by means of other languages. This grammar deals with the regular meaning of all particles, inflections and constructions, in such a way that the signification can always be substituted in the place of the signified. […] And this is the true analysis of symbols that human kind in general uses in speaking and also in thinking”5.
This shows that rational grammar is a universal, or philosophical grammar, as opposed to a pedagogical grammar – in terms of a common seventeenth-century distinction. Rational grammar is concerned with language in general, and with the underlying rational basis of all languages. But at the same time it considers all particles, inflections and constructions, to the extent that a general meaning can be assigned to them. Leibniz continues as follows: “But the regular part of grammar is to be primarily observed […], for this grammar is not so much to be written to teach a language, as to enable an accurate analysis of words. For very frequently there occur inferences in logic that are to be proved not on the basis of logical principles, but on the basis of grammatical principles, that is, on the basis of the signification of inflections and particles”6.
Thus, rational grammar is very much concerned with inferences, that is, with the logical aspects of meaning, and particularly with logical consequences that depend on certain inflections and particles, and which are not ordinarily accounted for in logical theory. As appears from a number of other texts (cf. e.g. Analysis Linguarum7, Characteristica Verbalis8), Leibniz considered the accurate analysis of these logical relationships in rational grammar as a necessary preliminary for the construction of his philosophical language.
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“Itaque primum Grammatica rationalis tradenda est ad latinam ubique applicata et subinde aliarum linguarum exemplo illustrata: In qua tradetur Regularis Significatio omnium particularum et flexionum et collocationum. Ita ut significatio semper possit substitui in locum significati […] Atque haec est vera Analysis characterum quibus genus humanum communiter in loquendo imo et in cogitando utitur”. Consilium de encyclopaedia nova conscribenda methodo inventoria, June 1679; A VI, 4 A, 344. “Respicienda autem est maxime Grammatica regularis minore Anomaliarum cura, quia haec Grammatica non tam ut lingua discatur, quam ut accurata fiat, verborum analysis, conscribenda est. Nam creberrimae in Logica illationes occurrunt, quae non ex principiis logicis, sed ex principiis Grammaticis, id est ex flexionum et particularum significatione sunt demonstrandae”. Consilium de encyclopaedia nova conscribenda methodo inventoria, June 1679; A VI, 4 A, 344. A VI, 4 A, 102–105. A VI, 4 A, 333–337.
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2.3 Some Results 2.3.1 Parts of Speech If we examine the observations and results contained in the papers on rational grammar, it may be instructive to look first at what Leibniz says about the parts of speech in general. Investigating the traditional parts of speech Leibniz finds that most of these are not strictly necessary for the expression of thought. For example, on analysis, verbs turn out to be composed of several components: on the one hand the copula, on the other hand a noun of some sort (substantive, adjective, participle). For example, ‘amo’ – ‘I love’ means the same as ‘sum amans’ – ‘I am loving’: “The copula Is is a necessary particle in discourse when a verb is lacking, but when a verb is present it can be absent, since it lies hidden in the verb. For I love means I am loving. A verb therefore is a noun which includes the copula”9.
Likewise, nouns substantive appear to be resolvable into a single word meaning ‘res’ – ‘thing’ and an adjective of some sort: “A substantive seems to be an adjective combined with the general word Thing [Res] or Being [Ens], for Thing is the primitive substantive, the others have originated from adjectives, such as Gold, that is, A yellow, heavy, malleable thing”10.
Adverbs are not quite so easy to deal with in a general way. Leibniz proposes various analyses. According to one of these, adverbs are connected to verbs just as adjectives are connected to substantives, which suggests that most adverbs are reducible to adjectives11. As a result of this analysis of the parts of speech, Leibniz concludes that “everything in discourse can be resolved into the noun substantive Being or Thing, the copula or the substantive verb is, adjective nouns, and formal particles”12. One could conclude from this statement that Leibniz’s rational grammar was a strongly reductionist enterprise, aimed at discarding as much of the structural aspects of natural languages as possible, and ending up with an extremely simplified philosophical language. But this would be to disregard the last item on Leibniz’s short list of necessary parts of speech, namely the formal particles. There are many
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“Copula Est est particula necessaria in oratione, ubi abest verbum, sed si verbum adsit abesse potest, quoniam in eo latet. Nam amo significat sum amans. Verbum ergo est nomen quod copulam includit” (A VI, 4 A, 882). 10 “Videtur substantivum esse adjectivum cum voce generali Res seu Ens, combinatum, est enim Res substantivum primitivum, reliqua sunt adjectivis orta, ut Aurum, id est Res flava, gravis, ductilis” (A VI, 4 A, 885). 11 A VI A, 4, 40, A VI, 4 A, 475; cf. A VI, 4 A, 106 for an alternative analysis. 12 “Omnia in oratione resolvi possunt in Nomen substantivum Ens seu Res, copulam seu verbum substantivum est, nomina adjectiva, et particulas formales” (A VI, 4 A, 886).
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of these in all languages, and their function is precisely to express the logical structure that Leibniz was aiming to specify and systematize, and he accordingly devoted most of his attention to their analysis. 2.3.2 Particles What Leibniz called ‘formal particles’ comprised a diverse and large set of words, including prepositions, conjunctions, certain adverbs, and pronouns. They were to be distinguished from the ‘material’ words – nouns, verbs, adverbs and adjectives. Unlike the material words, the particles could not be treated generally. Each and every one of these particles required specific analysis, and this is what Leibniz undertook in several of his longer manuscripts, such as ‘The Analysis of Particles’13. It is clear from these manuscripts that Leibniz was primarily concerned with determining the inferential patterns associated with these particles. Thus, discussing the conjunctions ‘if … then’ (si … sequitur), he observed: “If I say If L is true it follows that M is true, the meaning is, that it cannot be simultaneously supposed that L is true and that M is false. And this is the true Analysis of If and of It follows”14.
This ‘true analysis’ was required to make it possible that conversion by contraposition was proved from the symbols for If and not, i.e. that the definition of these symbols would be such that the inference from If L is true it follows that M is true to If M is false it follows that L is false were transparent. The study of the logical behaviour of particles such as ‘if … then’ obviously had a long history already at the time when Leibniz wrote this. However, in the context of rational grammar he extended this approach to conjunctions other than what later came to be called the Boolean ones, and which were much less frequently studied, if at all, with a view to establishing the logical inferences they are used to express. Examples of this are words such as ‘although’, ‘otherwise’, ‘nevertheless’. “But yet, however seems to be the same as nevertheless, or notwithstanding. Thus: the teacher is diligent, and yet the student is ignorant; or although the teacher is diligent, yet the student is ignorant. The sense of this is: the teacher is diligent, from which it seems to follow that the student is not ignorant, but the conclusion is false, because the student is ignorant. […] Hence conversion also takes place. For if I correctly say: The teacher is diligent and yet the student
13 A VI, 4 A, 646–667. 14 “Itaque si dico Si L est vera sequitur quod M est vera, sensus est, non simul supponi potest quod L est vera, et quod M est falsa. Quae est vera Analysis ⌡ Si et ⌡ Sequitur” (A VI, 4 A, 656).
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Jaap Maat is ignorant, I also say correctly: The student is ignorant and yet the teacher is diligent. It is clear from this that although and yet involve some relation to the mind, or that they are reflexive”15.
Thus, intriguingly, Leibniz observes that words like these should be classed as ‘reflexive’ ones, since they involve some relation to the mind. He distinguished a category of such reflexive words in several other papers as well, describing the criteria for inclusion in various ways, and applying the term ‘reflexive’ not only to words, but also to ‘notions’16 and to ‘propositions’17 or ‘utterances’18. What distinguishes reflexive words, notions or propositions from the non-reflexive, is that they do not refer to things directly but rather to the way things are conceived or represented. This explains why expressions of this sort cannot be substituted for others which do refer to the same things, but without being reflexive. For example, the proper name of the apostle Peter and the description ‘the apostle who denied Christ’ can be substituted for each other, unless the description occurs in a context which renders it reflexive: the sentence “Peter, in so far as he was the apostle who denied Christ, sinned” cannot be changed to “Peter, in so far as he was Peter, sinned”19. Not only conjunctions were investigated with respect to the inferential patterns they can be used to express. Leibniz analysed prepositions, adverbs and pronouns from the same perspective, examining which sentences follow from a sentence in which a certain particle occurs. For example, about the prepositions ‘with’ and ‘without’ he noted the following: “The simplest of these are with [cum], and without [sine]. For A is with B means that A and B are in one place, but A is without B means that A and B are not in one place. The following consequence from this is clear: if A is with B, it follows that B is with A. Likewise if A is without B, it follows that B is without A”20.
15 “Attamen vel Tamen idem esse videtur quod nihilominus; seu hoc non obstante. Ut: Magister est diligens, et tamen discipulus est ignarus; vel quanquam magister est diligens, discipulus tamen est ignarus. Cujus sensus est: Magister est diligens, unde videtur sequi, quod discipulus non sit ignarus, sed falsa est consequentia, quia discipulus est ignarus. […] Hinc locum habet et inversio. Nam si recte dico: Magister est diligens et tamen discipulus est ignarus, etiam recte dico: Discipulus est ignarus et tamen magister est diligens. Unde patet Etsi et tamen involvere quandam relationem ad mentem, seu esse reflexivas” (A VI, 4 A, 656). 16 A VI, 4 A, 599. 17 A VI, 4 A, 672. 18 A VI, 4 A, 748. 19 A VI, 4 A, 552. 20 “Ex his simplicissimae sunt cum, et sine. Nam A esse cum B, significat A et B habere unum locum, at A esse sine B significat A et B non habere unum locum. Hinc patet consequentia talis: si A est cum B, sequitur B esse cum A. Item si A est sine B, sequitur B esse sine A” (A VI, 4 A, 647).
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2.3.3 Grammatical Categories Apart from particles, Leibniz also investigated grammatical categories such as number and mood. Most of his attention was devoted to cases. They presented a particular, rather difficult problem in that they are usually used to denote relations of various sorts, which were notoriously hard to handle in syllogistic logic. The problem of the so-called oblique cases occupied Leibniz intensively, and it is clear that his enquiries into rational grammar were meant to find a solution for it. In the present context, this fascinating subject cannot be thoroughly discussed. It will be sufficient to note that Leibniz sought to reduce expressions containing the genitive case to a pattern for which the particular words inflected for genitive case provide the specific content. Rather than emphasising the fact that the genitive can be used to express various relations, such as part-whole, cause-effect, possession, Leibniz showed that there is a uniform pattern underlying these various expressions: “The hand of a man, that is, the hand which is a part in so far as a man is a whole. The son of a man, that is, the son who is an effect in so far as a man is a cause. The horse of a man, that is, the horse which is a possession in so far as a man is a master. The warmth of a man, that is, the warmth which is an accident in so far as a man is a substance. The title of a man, that is, [the title] which is a predicate in so far as a man is a subject”21.
In each case, the analysis results in replacing the noun that is inflected for genitive case with a relative clause and a complete sentence in which the noun occurs in the nominative case, so that the genitive has been eliminated. The relative clause and the sentence are connected by the particle ‘quatenus’ – ‘in so far as’. This is another instance of a ‘reflexive’ particle, the meaning of which Leibniz elsewhere describes as ‘with respect to the following proposition’22. It was often used by Leibniz in his analyses, especially those in which he sought to substitute expressions containing oblique cases by equivalent expressions in which such cases do not occur. 2.3.4 Leibniz’s Method Above, the words ‘resolve’, ‘reduce’, ‘analyse’ have been used, echoing Leibniz’s usage. What does this mean exactly? It seems that Leibniz was trying to establish a precise description of the meaning of the words or expressions or types of expressions
21 “Manus hominis, id est manus quae est pars quatenus homo est totum. Filius hominis, id est filius qui est effectus quatenus homo est causa. Equus hominis, id est equus qui est possessio quatenus homo est dominus. Calor hominis, id est calor, qui est accidens quatenus homo est substantia. Titulus hominis, id est praedicatum quatenus homo est subjectum” (A VI, 4 A, 107). 22 A VI, 4 A, 666.
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under analysis, and this description itself was given in the form of a paraphrase, or alternative and more explicit way of putting the same thing. The remark on the verb quoted above is illuminating in this regard: “The copula Is is a necessary particle in discourse when a verb is lacking, but when a verb is present it can be absent, since it lies hidden in the verb”23.
Thus, the copula is not always visible if we look at the linguistic surface, but that does not mean it is not there; it is merely hidden from view. The analysis carried out in the context of rational grammar reveals this and other hidden aspects of natural language expressions and brings them to the surface. One could call these hidden aspects the logical form of expressions. 2.3.5 Natural Languages and Artificial Language We are now in a position to describe Leibniz’s view of the relationship between natural languages and artificial language: in natural languages, all sorts of means are used to express types of inferences that cannot be straightforwardly dealt with by traditional logic. Leibniz was acutely aware that logic was incomplete and should be amended or complemented before the philosophical language could be constructed. And natural languages provided the data for this. Rather than criticism of natural languages for being illogical, we find with Leibniz a recognition of precisely the logicality of these languages. In order to clarify the nature of Leibniz’s project a bit more, I would now like to compare it with two contemporary works, each perhaps as different from each other as they are from Leibniz’s project, but both sufficiently similar to make a contrast possible and illuminating. 3. JOHN WILKINS’S ‘NATURAL GRAMMAR’ John Wilkins (1614–1672), like Leibniz, elaborated a ‘natural grammar’ for the purpose of creating an artificial language. He expounded this language in An essay towards a real character, and a philosophical language (1668). This work contains a large chapter on ‘Natural Grammar’, which, as the author explained, was also called philosophical, rational and universal grammar. He distinguished this type of grammar from ‘instituted and particular grammar’, which is concerned with specific languages and their grammatical rules. Natural grammar, by contrast, “should contain all such Grounds and rules, as do naturally and necessarily belong
23 A VI, 4 A, 882.
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to the Philosophy of letters and speech in the General”24. This resembles Leibniz’s distinction between pedagogical grammar and rational grammar. Natural grammar, Wilkins claimed, was only treated by a few authors before him, namely ‘Scotus’, the author of a speculative grammar who later scholarship has identified as Thomas of Erfurt, Caramuel, Campanella, and also to some extent Scaliger and Vossius. But these authors, Wilkins claimed, “were so far prejudiced by the common Theory of the languages they were acquainted with, that they did not sufficiently abstract their rules according to Nature”25. Wilkins hoped that his own natural grammar was “less erroneous in this respect than the rest” (p. 298). Thus, remarkably, Wilkins claimed that the type of grammar he was proposing should be independent of existing languages. Indeed, he evidently assumed that the more such a grammatical theory would be independent of actual languages, the better it would be. This attitude obviously related to some further assumptions he made about existing, natural languages, namely that these are defective in many respects. They are irregular, and full of ambiguities and redundancies. It was one of his primary aims to remedy these defects of existing languages by the construction of a new, artificial language. Rather than a grammatical theory which was adapted to the supposedly very imperfect languages that were already in being, he proposed a natural grammar that established, a priori, and with disregard of any particular actual language, what was natural and necessary in language in general, in order to use this in prescribing a completely regular structure for the artificial language he created. Some of Wilkins’s claims about what is natural and necessary in language are similar to some of Leibniz’s observations. For example, Wilkins divided all words into two broad classes: integrals and particles. The integrals, or principal words, “signifie some entire thing or notion”26, and the particles are “less principal words, which may be said to consignify”27. A second example is Wilkins’s observation that the copula is an essential part of every complete sentence, and that the verb should not be seen as a genuine word class, “because it is really no other than an Adjective, and the Copula sum affixed to it or conteined in it”28. These similarities are unsurprising. The distinction of all words into integrals and particles, or categorematic and syncategorematic terms, was traditional, and can be found with a host of other authors as well. Similarly, the analysis of the verb as consisting of the copula and some other element can be traced back as far
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Wilkins, p. 297. Ibid. Id., p. 298. Id., p. 304. Id., p. 303.
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as Aristotle, and is also a common feature of all philosophical and universal grammars in the period, and of many theories of universal grammar in later centuries. Much more remarkable in the present context are the differences between Wilkins’s natural grammar and Leibniz’s rational grammar. First, the method used by Leibniz is not, like the one used by Wilkins, a priori and abstract, and without regard of actual languages. On the contrary, Leibniz proceeded on the basis of natural languages that are actually in use, because his goal was to find the “true analysis of symbols that human kind in general uses in speaking and also in thinking”29. For this, he went through long lists of Latin prepositions, conjunctions, adverbs and pronouns, in order to find out how exactly these are used for the expression of various thoughts and logical relationships. Secondly, and related to this, nowhere, at least in the context of rational grammar, did Leibniz find fault with natural languages, as Wilkins did. Thirdly, Leibniz’s central focus on the inferential patterns associated with particles and grammatical categories is completely absent from Wilkins’s work. Wilkins provides a number of categories and inflections he thinks are useful or necessary for a completely regular grammar. The grammar itself regulates the structure of his artifical language, the logical characteristics of which are never explicitly considered. 4. THE PORT ROYAL GRAMMAR Perhaps the most famous piece of grammar writing in the seventeenth century was the Grammaire générale et raisonnée (1660) by Lancelot and Arnauld, also known as the ‘Port Royal grammar’. This relatively short treatise is called a ‘general’ grammar because it discusses universal properties of languages rather than particular languages. It is aptly called a ‘rational’ grammar in that the authors are concerned throughout to show that languages are rationally constructed inventions, designed for the purpose of expressing what goes on in a person’s mind. The traditional parts of speech and the traditional categories are discussed in some detail, and most of these are represented as satisfying a need that naturally arose from the structure of the world and our ideas of it. For example, the distinction within the noun between proper and appellative (i.e. common) ones is explained by observing that we have two sorts of ideas, one representing to us only a single thing, the other representing several things that are similar to each other. Given these different sort of ideas, “people have required different nouns”30. Nevertheless, the endeavour to show that languages are rationally constructed inventions did not succeed in all cases, or put differently, the Port Royal grammarians
29 A VI, 4 A, 344. 30 Lancelot/Arnauld, chap. 3, p. 35.
Natural Languages and Artificial Languages
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also noted that in several cases languages are not structured in a way that reason would have prescribed. For example, they note that the genitive case sometimes gives rise to ambiguities. Likewise, prepositions usually designate multiple relations, rather than a single one, as they claim reason would have required. Lancelot and Arnauld further assumed that it is the rational foundation that accounts for universal characteristics of language, and that language diversity is caused by, or is proof of, a lack of rationality. In the Port Royal grammar we find several observations that resemble those found with Leibniz and Wilkins. First, there is a similar distinction of all words into two broad classes: words signifying the objects of thoughts on the one hand, and words signifying the ‘form or manner’ of thoughts. Second, the analysis of the verb as consisting of the copula combined with a predicate is also found in the Port Royal grammar. It states that it is the primary function of the verb to mark a judgment, i.e. the connection between the two terms of a proposition, or in other words, to signify affirmation31. As all verbs have this function, a single verb, namely ‘to be’, the copula, would have sufficed in each language. It is for reasons of abbreviation that people have mixed other elements with it. Third, the Port Royal grammar, like Leibniz, postulated structures or objects that are present in the mind, but that are not displayed at the linguistic surface. For example, the statement “God invisible has created the visible world” contains three distinct propositions, only one of which is overtly expressed: “Thus when I say: God invisible has created the visible world; three judgments occur in my mind that are included in this proposition. For I judge firstly that God is invisible. 2. That he has created the world. 3. That the world is visible”32 .
Despite these similarities, the Port Royal grammar differs from Leibniz’s rational grammar in important respects. First, there is the fact that the Port Royal grammar contains some critical observations concerning natural languages. The criticism is less harsh than in the case of Wilkins, but it is clearly expressed at various points. This is a rather paradoxical result. For the Port Royal grammar set out to show that languages have a rational basis, whereas Leibniz’s aim, resembling Wilkins’s effort in this respect, was to replace languages by a superior philosophical one. One would therefore expect to find the critical stance with Leibniz and the apologetic with Port Royal, but it is the other way around. This paradox can be explained if we look closer at both projects. The Port Royal grammar comes to language with a preconceived model of logicality and rationality. Those aspects which do not fit into this model must be explained in some way. The obvious way to do this, is to exclude certain aspects of language
31 Id., chap 13, pp. 95–96. 32 “Comme quand je dis: Dieu invisible a crée le monde visible; il se passe trois jugemens dans mon esprit, renfermés dans cette proposition. Car je juge premièrement que Dieu est invisible. 2. Qu’il a crée le monde. 3. Que le monde est visible” (Id., chap. 9, pp. 68–69).
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from what the model predicts, thus limiting its applicability, and at the same time criticising languages for it, mildly, but nevertheless. Leibniz did not have such a preconceived model, at least not a finished one, and the structure of the philosophical language was still to be discovered. A second important difference between the Port Royal grammar and Leibniz’s rational grammar is that, just like Wilkins, the Port Royal grammar is not interested in the logical relationships expressed by words other than the copula. Although both the Port Royal grammar and Leibniz assumed and exploited a distinction between grammatical surface structure and underlying, tacit logical form, the Port Royal grammar focused on judgment, disregarding logical inferences almost completely, and this was precisely what interested Leibniz most. Thirdly and finally, the views of what logic and reason are differed widely. The Port Royal grammar started from the assumption that there was general agreement about the nature of the several operations of the mind, and subsequently explained how these operations were expressed in language. Leibniz, by contrast, observed first of all that there were all sorts of valid inferences that were expressed in language which could not be simply related to what traditional logic recognized as valid argument forms. In his explorations of rational grammar he endeavoured to describe and specify those types of inferences so that logic would eventually be able to accommodate them. 5. CONCLUSION Leibniz’s project for a rational grammar was quite unique in the period in which it was conceived and carried out. In spite of a number of similarities with contemporary projects and theories, Leibniz’s rational grammar was aimed at a different goal: the construction of a philosophical language that was to be a vehicle of thought rather than simply its mirror. Unlike his contemporaries, Leibniz did not view logic as a finished theory, ready to be applied to natural language, in so far as it was considered relevant at all. On the contrary, he investigated natural languages in order to find patterns that still needed to be accommodated by logical theory. A match between these patterns and logical theory was to be achieved before the philosophical language could be constructed. This gives Leibniz’s project its unique open-ended, exploratory, nature. Everything in it is tentative, the definitive outcome is a goal, not an assumption. Within Leibniz’s project, rational grammar played a crucial role, for its task was to link natural languages with the logical form that would eventually be expressed by the philosophical language.
LOGISCHE UND SEMANTISCHE FUNKTION DER PRÄPOSITIONEN IN LEIBNIZ’ SPRACHPHILOSOPHIE Von Lucia Oliveri (Padua/Münster) 1. EINLEITUNG Eine Untersuchung der Präpositionen bei Leibniz kann aufgrund ihrer synkategorematischen Natur zeigen, in welchem Sinne die Sprache – als strukturiertes, bedeutendes Zeichensystem – das logische Verhältnis unter den Notionen ausdrücken und damit den Zusammenhang zwischen Grammatik und Semantik einerseits und Logik anderseits erhellen kann. Meiner Ansicht nach gebührt auch Leibniz’ Versuch des Aufbaus einer characteristica universalis dank dieser Perspektive ein neues Forschungsinteresse. Um das Interesse für diese Redeteile zu wecken, werde ich in einem kurzen Exkurs die vorherige Tradition darstellen. Das Ziel ist es, zu zeigen, was die Unterscheidung zwischen Kategoremen und Synkategoremen innerhalb der Tradition der sogenannten Mentalsprache impliziert, welche Fragen ihre Analyse aufgeworfen hat und was diese Unterscheidung bei einem für Leibniz wichtigen Denker wie Joachim Jungius bedeutet. Besonders zeige ich, wie die Unterscheidung Kategoreme – Synkategoreme der Unterscheidung zwischen Begriff und modi des Begreifens entspricht. Danach analysiere ich die vielfältige Betrachtung dieser Redeteile bei Leibniz in Bezug auf seine Zurückführung der Präpositionen auf eine räumliche Grundbedeutung. Zum Schluss versuche ich zu zeigen, warum diese Redeteile als cogitationes caecae bei Leibniz interpretiert werden können und welche Schlüsse man aus dieser Bestimmung im Rahmen von Leibniz’ Sprachphilosophie ziehen darf. Meine Hauptthese ist, dass die Präpositionen, die als cogitationes caecae die modi des Begreifens des Geistes darstellen, seine komplexen Operationen dank des Ausdrucks durch einfachere Zeichen repräsentieren, die die Leistung komplexerer Denkprozesse ermöglichen. In diesem Sinne haben die Präpositionen eine Funktion, die ähnlich der der Operationszeichen in der Mathematik ist. Insofern stellen die Präpositionen einen notwendigen materiellen Ausdruck der Sprache dar, deren Notwendigkeit nach Leibniz unmittelbar von der Konstitution der Substanz und ihrer Erkenntnisvermögen abhängt.
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2. DER UNTERSCHIED ZWISCHEN SYNKATEGOREMATA UND KATEGOREMATA Der Gedanke, dass die Sprache durch das Verhältnis zwischen (mindestens) drei Termini (Wörter – schriftliche oder gesprochene –, Gedanken und Dinge, die bezeichnet werden sollen) erklärt werden kann, lässt sich schon in Aristoteles’ Perì hermeneias finden. Diese Termini stellen hier drei klare, unterschiedliche Ebenen dar: eine ontologische (ta pragmata – die Dinge), eine des Denkens (ta noeta) und eine der Tekne (ta poieta). Die Sprache wird von den Menschen geschaffen, um ihre Affektionen der äußerlichen Welt ausdrücken zu können1. Aber auch wenn das sogenannte semiotische Dreieck in verschiedenen Versionen als Muster für die Erklärung der Sprache angenommen worden ist, beschreibt es nur einen bestimmten Teil der Sprache, ihre Materie, die kategorematischen Termini. Es weist einige Probleme mit dem ens rationis oder abstrakten Termini (wie der Ähnlichkeit) auf sowie mit dem formalen Teil der Sprache, den Synkategoremen2. Als Kategoreme werden die Teile der Sprache definiert, die eine Bedeutung besitzen und eine Definition erhalten können, weil ihnen ein Begriff entspricht. Sie stellen die bestimmbaren Teile der Sprache dar und können grammatikalisch gesprochen als Subjekt des Satzes fungieren. In Auseinandersetzung mit den Kategoremen werden die Teile der Sprache, die keine Bedeutung an sich, sondern nur in Verbindung mit einem Kategorem besitzen, als Synkategorem bezeichnet. Ein kurzer Hinweis zu den Problemen, die die particulae aufweisen, kann hilfreich sein, um Leibniz’ semantische und logische Behandlung der particulae, besonders der Präpositionen, zu beleuchten. Die Notwendigkeit, zwischen Kategoremen und Synkategoremen zu unterscheiden, wird deutlich, wenn man an das oben genannte semiotische Dreieck denkt: Unter den Synkategoremen, d. h. Präpositionen, Adverbien, Konjunktionen, wurden jene Redeteile verstanden, die keinen Referenten haben bzw. keine Bedeutung ausdrücken können. Sie beziehen sich auf andere Zeichen, nämlich auf die Kategoreme, deren Bedeutung sie modifizieren – sie sind deswegen reine Zeichen3. Besonders Präpositionen werden dazu verwendet, räumliche, zeitliche und kausale Relationen zwischen den Dingen aus der Perspektive des Sprechers darzustellen. Deshalb hat man zwei Aspekte der Synkategoremata herausgestellt: Unter dem semantischen Gesichtspunkt wurde der Aspekt der consignificantia (Mitbedeutung) betont; unter dem grammatikalischen Gesichtspunkt wurde der Aspekt der Funktion innerhalb eines Satzes herausgehoben. Wenn man den Mitbedeutungsaspekt
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Aristoteles: De interpretatione, 16a 3–8. Die Unterscheidung zwischen formalen und materiellen Teilen der Sprache kann man auch bei Leibniz finden. Vgl. A VI, 4 A, 882: „Vocabula sunt voces aut particulae. Voces constituunt materiam, particulae formam orationis“. So definiert Nicolaus von Paris die Synkategoreme, vgl. St. Meier-Oeser: Art. „Synkategorem/synkategorematisch, synsemantisch“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 10, Basel 1998, S. 790.
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betont, wird das Fehlen einer selbständigen Bedeutung unterstrichen4. Wenn man nicht nur den Aspekt der Mitbedeutung (consignificantia), sondern auch die Funktion dieser particulae betont, scheint es auch offensichtlich, dass die Synkategoreme die Bedeutung der Kategoreme hinsichtlich einer grammatikalischen Aufgabe (officium) modifizieren5. Die Frage, ob diese grammatikalische Funktion der Synkategoreme auch eine logische Struktur des Denkens darstellt, wurde nicht eindeutig entschieden. Deshalb haben die Synkategoreme zu einigen theoretischen Problemen in der mittelalterlichen mentalistischen Logik geführt. Als Ockham z. B. seine Mentalsprache verfasste, die ein verbum nullius linguae sein sollte, aber genauso wie eine natürliche Sprache strukturiert war, fand er es problematisch, dass man einen inhaltlichen Begriff von „auf“ oder „in“ besitzen könnte. Als eine erste Lösung schlug er vor, dass man die syntaktischen Aspekte der Mentalsprache aus denen der natürlichen Sprache abstrahieren sollte6. Es scheint also, als seien die semantische und grammatikalische Funktion der Synkategoreme nicht identisch, zugleich jedoch, als benötige man irgendeine Signifikation für die Synkategoreme, um ihre logische bzw. grammatikalische Funktion zu bestimmen7. Jahrhunderte nach Ockhams Konzeption der Mentalsprache taucht das Problem der Funktion der Synkategoreme innerhalb der oratio interna wieder in den logischen Werken von Joachim Jungius auf. Ebenso wie Ockham stellt Jungius die Frage nach der Funktion der Partikel aus der Perspektive einer Trennung zwischen oratio interna und oratio externa. Zwar ist auch bei Jungius die oratio interna die Bedingung der Möglichkeit einer oratio externa, insofern die oratio interna die Kenntnis der Dinge oder der simulacra rerum darstellt – tatsächlich sind die Notionen die ersten Operationen des Geistes –, aber im Unterschied zu Ockham sind die Notionen im Geist nur „wahrnehmbar“ durch einen Ausdruck auf der Ebene der oratio externa, d. h. auf der Ebene der Anwendung der Zeichen innerhalb einer natürlichen Sprache. Dementsprechend ist eine eingehende Analyse der Jungius’schen Theorie des Verhältnisses zwischen Grammatik und Logik erforderlich, um ihren Einfluss auf die Leibniz’sche Konzeption der Sprachen und deren Verhältnis zur Logik nachzuweisen.
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Vgl. ebd., S. 787. Wie z. B. bei Boethius von Dacien, vgl. ebd., S. 791. Vgl. M. Lenz: „Why is Thought Linguistic? Ockham’s two Conceptions of the Intellect“, in: Vivarium 46 (2008), S. 308–311. Um diese Aspekte der Synkategoreme und deren Verhältnis mit der Mentalrede zu vertiefen, vgl. St. Meier-Oeser: Die Spur der Zeichen. Das Zeichen und seine Funktion in der Philosophie des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Berlin/New York 1997, S. 110–113 sowie ders.: Art. „Synkategorem“, S. 787–799 und ders.: „Sprache und Bilder im Geist. Skizzen zu einem philosophischen Langzeitprojekt“, in: Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 111, 2 (2004), S. 312–342.
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3. JUNGIUS UND DAS VERHÄLTNIS VON LOGIK UND GRAMMATIK Eine besondere Betrachtung erfordert Jungius’ Logica Hamburgensis, weil sie dabei helfen kann, die Präpositionen bei Leibniz zu begreifen. Dass Jungius Leibniz’ Theorie der Relationen und seine Behandlung der logischen Probleme, die hinter dem sogenannten „de recto ad obliquo“ stecken, beeinflusst hat, wurde schon von Mugnai erfolgreich gezeigt8. Meine Analyse setzt sich auf einer anderen Ebene fort. In ihr geht es darum, Jungius’ Position hinsichtlich des Verhältnisses von Logik und Grammatik, genauer gesagt, von oratio interna und oratio externa darzustellen und möglicherweise zu zeigen, unter welcher Perspektive er die Synkategoreme analysiert und wie diese eine sich von der geläufigen unterscheidende Konzeption des Verhältnisses von Logik und Semantik anbietet. Darüber hinaus kann ein Exkurs über Jungius sowohl einen geschichtsphilosophischen als auch einen theoretischen Einfluss auf Leibniz’ Theorie der Logik und der Zeichen von Seiten des Paduaner Aristotelismus eines Jacopo Zabarella nachweisen9. Bekanntlich setzte sich Jungius während seiner Paduaner Studien mit den logischen Werken von Jacopo Zabarella auseinander. Die Studien zum Verhältnis von Jungius und Zabarella haben sich besonders auf ihre Auseinandersetzung über die Rolle der Erfahrung für die wissenschaftliche Methode konzentriert und dabei den Einfluss von Zabarella auf Jungius’ Konzeption der Logik übergangen10. Bemerkenswert sind Jungius’ Kritiken an der Logik als „instrumentum“ und an Zabarellas Ablehnung der These, dass die Logik unter die Gattung der Kunst falle. Jungius’ Analyse akzeptiert Zabarellas Definition der Logik als „habitus instrumentalis“, gleichzeitig aber lehnt er die Schlussfolgerung ab, dass die Logik kein
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Vgl. M. Mugnai: Leibniz’ Theory of Relations (= Studia Leibnitiana, Supplementa 28), Stuttgart 1992, S. 57–83. 9 Eine eingehende Analyse, die das Verhältnis zwischen Leibniz und Zabarella bezüglich des Individuationsprinzips nachgewiesen hat, findet man in der Studie von G. Varani: „Il giovane Leibniz e l’aristotelismo padovano“, in: G. Piaia (Hrsg): La presenza dell’aristotelismo padovano nella prima modernità. Atti del Colloquio internazionale in memoria di Charles B. Schmitt (Padova, 4–6 Settembre 2000), Padova/Roma 2002, S. 393–418. Über das Verhältnis zwischen Jungius und Zabarella vgl. F. Müller: „Der Begriff der Methode in der Logica Hamburgensis: Jungius und Zabarella“, in: P. Klein (Hrsg.): Praktische Logik, Göttingen 1990, S. 29–56. 10 Vgl. St. Clucas: „Scientia and Inductio scientifica in the Logica Hamburgensis of Joachim Jungius“, in: T. Sorell/G. A. J. Rogers/J. Kraye (Hrsg.): Scientia in Early Modern Philosophy, Dordrecht/Heidelberg/London/New York 2010, S. 53–70. Schon E. Cassirer hatte in den 30er Jahren die Aufmerksamkeit der Forscher auf das Verhältnis zwischen Leibniz und Jungius bezüglich der Logik gelenkt (vgl. E. Cassirer: „Leibniz und Jungius“, in: A. Meyer [Hrsg.]: Beiträge zu Jungius-Forschung, Hamburg 1929, S. 21–26. Vgl. auch die Studien von H. Kangro: „Joachim Jungius und Gottfried Wilhelm Leibniz. Ein Beitrag zum geistigen Verhältnis beider Gelehrten“, in: Studia Leibnitiana 1, 3 (1969), S. 175–207, hier: S. 207 und H. Burkhardt: „Jungius, Leibniz und die Logica Nova“, in: Klein, S. 57–84; H. Poser: „Joachim Jungii Logicae Hamburgensis Additamenta“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 32, 4 [1978], S. 627–628).
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materielles Mittel erzeugt, weil sie als „disciplina“ geistig sei11. Die Logik baue nach Jungius Argumente auf, die eine materielle Form haben, weil man Wörter benutzen müsse, um die oratio interna in einen verständlichen und wahrnehmbaren Ausdruck umwandeln zu können. Ich vertrete daher die Auffassung, dass Jungius Zabarellas These von der Entsprechung von Materie und Form akzeptiert, sie aber weiterentwickelt. Indem bei Zabarella die Form die formale Struktur der Argumentation bezeichnet, während die Materie das Objekt der Logik ist, d. h. die ersten Notionen, insofern diese unter den zweiten Notionen begriffen werden, bezeichnet die Form bei Jungius die oratio externa, d. h. die Wörter, die mittels ihrer Bedeutung und der Regeln ihrer Verbindungen auf die Materie verweisen, d. h. die oratio interna oder die Begriffe12. In diesem Sinne vertritt Jungius gegenüber Zabarella die Auffassung, dass nur die erkannten Dinge und nicht die „rerum universa“, d. h. die secundae notiones, Objekte der Logik sind, dass jedoch die Begriffe nur dank der Vermittlung der oratio externa erkannt werden können13. Infolgedessen sind die wirklichen Objekte der Logik die geistigen Operationen, insofern sie sich auf der Ebene der oratio externa darbieten. Objekt der Logik ist kein gewisses Wissen, sondern eine Art der Tätigkeit. Die ersten Seiten der Logica Hamburgensis, die die Architektonik des ganzen Werks darstellen, weisen nach, dass Jungius Zabarellas Definition der Logik als habitus instrumentalis rezipierte. Gleichwohl erklärt Jungius aufgrund der Bestimmung, dass die Logik aus drei Operationen, d. h. Notio, Enuntiatio und Oratio, besteht, dass die Notionen als simulacra rerum kein direktes Objekt der Logik sein können, weil man die Notionen nur durch die enuntiatio, d. h. die Propositionen bzw. Aussagen erkennen kann. Die Propositionen als oratio interna, d. h. insofern, als sie in unserem Geist sind, sind nicht öffentlich erkennbar. Man braucht nämlich die oratio externa, d. h. ein bedeutungsvolles Zeichensystem, um den anderen Menschen etwas mitzuteilen. Da die Rede und Wörter als Zeichen der Operationen des Geistes gemäß seiner Fähigkeiten gelten, darf der Logiker keinen Teil der Rede vernachlässigen14. Aufgrund der Notwendigkeit, Zeichen zu gebrauchen, um unsere Operationen ausdrücken zu können und für andere Menschen verständlich zu machen, ist die oratio externa das sekundäre nächstliegende (proximum) Objekt der Logik, insofern sie auf das erste nächstliegende Objekt, d. h. auf die Operationen des Geistes –
11 Vgl. J. Jungius: „Disputationes noematicae“, in: W. Risse (Hrsg.): Logica Hamburgensis Additamenta, Hamburg 1977, S. 20. 12 Die Unterscheidung Materie – Form, wie Jungius sie trifft, findet man auch bei Leibniz. Vgl. Fußnote 74. 13 Vgl. J. Jungius: Logica Hamburgensis, hrsg. von W. R. Meyer, Hamburg 1957, S. 6: „Objectum remotum sunt res universae circa quas tum operationes mentis, tum sermo externus occupantur“. 14 Vgl. ebd., S. 3: „Quia Notionibus inter nos loqui non possumus, sed vocibus et sermone animi nostri sensa alter alteri explicamus, Logicus in nulla ante dictatrum partium orationem sive vocalem sive scriptam omninó neglegit, sed eam quoque quatenus mentis operationum signum, atque ita suo modo veritatis capax est, consideratione sua complecitur“.
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besonders die zweite – hinweist15. Infolgedessen ist für Jungius die Grammatik die Interpretation einer oratio externa durch eine andere oratio externa, indem die Logik die Interpretation einer oratio externa ist, die, auf die oratio interna hinweisend, erklärt, wie die Wahrheit gemäß unserer Fähigkeiten begreifbar ist16. Diese Betrachtung der Logik und Grammatik von Jungius entspricht teilweise Zabarellas Definition der Logik als „habitus instrumentalis“. In De natura logicae vertritt Zabarella die These, dass die Logik keine scientia an sich sei, sondern ein habitus instrumentalis, der es unserem Geist ermöglicht, die Instrumente, d. h. die notiones secundae, zu schaffen, um die notiones primae unter dem Gesichtspunkt der Allgemeinheit, d. h. der Fiktion von Begriffen der Begriffe (notiones secundae) begreifen zu können. In diesem Sinne sind Objekte der Logik nicht die notiones primae, sondern nur die notines secundae17. Es ist der Physiker oder der Metaphysiker, der die Notionen und die Definitionen erkennt, während der Logiker genau genommen nichts erkennt, sondern die Form der Argumentation lehrt, weshalb die Logik eine Disziplin ist18. Da die Form, als Erfindung (inventio) unseres Geistes, kontingent ist, kann die Logik keine scientia contemplativa sein. Wie Aristoteles gezeigt hat, ist die Perfektion der Form ihre Operation, d. h. der Zweck ist die Form selbst: Zweck, Form und Operation sind dasselbe19. Deswegen ist die Logik keine scientia otiosa, sondern operativa, woraus sich auch der Name „praktische Logik“ ableitet. Durch die Logik erwirbt man kein Wissen, sondern einen habitus, der uns nicht die abstrakten Instrumente bzw. die formale Struktur der Argumentationen gibt, die wir in verschiedenen Materien anwenden; stattdessen erwerben wir die Fähigkeit, die richtigen Argumente für eine bestimmte Materie zu finden. So schreibt Zabarella: „[…] [M]an wendet niemals den Syllogismus genau so an, wie wir diesen in den ersten Analytiken lernen und bauen d. h. die einfache und bloße Form, Zweck ohne Materie: sondern immer innerhalb einer Materie und gemäß irgendeines Zwecks. Wegen der Anlässe und der Gelegenheiten lernen wir verschiedenen Arten der Syllogismen zu bauen“20.
15 Vgl. ebd., S. 4: „Objectum Logicae sive Subjectum circa quod, aliud proximum, aliud remotum. Proximum vel primarium vel secundarium. Objectum proximum primarium, sunt mentis operationes, et praesertim secunda. Objectum proximum secundario est oratio externa quatenus mentis operationes appositè ad veritatem exprimunt“. 16 Vgl. ebd., S. 81. 17 Vgl. J. Zabarella: „De Natura Logicae“, in: Jacobi Zabarellae opera logica, hrsg. von W. Risse, Köln 1966, S. 7–8. 18 Vgl. ebd., S. 67. 19 Vgl. ebd., S. 25: „operatio est de interna perfectione ipsius formae, quia perfectio formae est, ut non sit otiosa, sed operetur. Habitus est forma: igitur ad operationem dirigi non est alterui inseruire, sed est potius perfectionem. [… Aristoteles] non dixit operationem esse finem formae, sed formam ipsam dixit esse finem: quia formam integram , & totum suum complementum assecutam accepit: proinde non otiosa sed operantem, id est formam cum suis operationibus“. 20 Vgl. ebd., S. 70: „Numquam enim syllogismo tali utimur, qualem in prioribus analyticis discimus & fabricamus, nempe simplici illa ac nuda forma sine ulla materia: sed semper in aliqua
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In diesem Sinne sind die Formen, d. h. die formalen Strukturen eines Arguments, die zu dem Schluss führen, und die Operationen, d. h. die Herstellung von secundae notiones, als das Mittel der Erkenntnis von der Materie, d. h. von den notiones primae, nicht getrennt. Genauso wie ein Bildhauer nicht ohne Mittel und Materie operieren kann, so kann auch der Verstand nur durch die Realisierung eines habitus instrumentalis21, d. h. durch die Operation erkennen: „Da in der Tat die Logik eine operative Disziplin ist, die Instrumente erschafft, ist notwendig, dass sie auf einer Materie beruht, die das Subjectum in quo bzw. das Subjekt ihrer Operationen genannt wird. Das ist für jede Operation notwendig: da von uns keine Form geschaffen werden kann, wenn nicht in einer bestimmten Materie, die sie erhält. Genau genommen ist kein anderes Subjekt in der Logik zu suchen, als das der Operation, und wir sagen, dass dieses alle Dinge bzw. deren Begriffe sind, die erste Begriffe bzw. erste Notionen genannt zu werden pflegen“22.
Die Wahrheit einer Proposition hängt von den ersten Notionen ab, aber die Logik betrachtet die ersten Notionen nur unter dem Gesichtspunkt der zweiten Notionen und deren Namen, d. h.: Die Logik betrachtet nicht homo unter seiner Erscheinung oder an sich, sondern als species und als Name23. Die Logik sagt uns, dass man den für die Spezies „Mensch“ stehenden Namen „homo“ durch Angabe der Gattung und der spezifischen Differenz definieren kann. Aber welche diese Definition ist, d. h. animal rationalis, sagt uns nicht die Logik, sondern die Metaphysik. Deswegen ist das erste Buch des Organons von Aristoteles nicht die Kategorien, sondern De Interpretatione, wo er die voces significatrices behandelt. Daraus erklärt sich für Zabarella das Verhältnis von Logik und Grammatik: Beide sind habitus instrumentales, aber Letztere ist das Studium der Namen, insofern diese eine Bedeutung besitzen, und infolgedessen muss sie dem Studium der Logik vorausgehen24.
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materia syllogismu formamus & propter alique finem […] pro occasione et opportunitate diversas syllogismorum species fabbricare scierimus“. Vgl. ebd., S. 46. Vgl. ebd.: „Logica est disciplina operatrix, & instrumentorum fabricatrix, aliquam ei materiam substerni necesse est, quae subiectum in quo, sive subiectum operationis dicatur, id enim omnibus operationibus omnino necessariu est: quia nulla forma a nobis produci potest, nisi in aliqua subiecta materia, quae ipsa recipiat. Proprie igitur loquendo nullum aliud subiectum, quam operationis quaerendum est in logica, idque dicimus est res omnes sive earum conceptus, qui primi conceptus seu primae notiones vocari solent“. Ebd., S. 47: „quare subiectum a logico consideratum sunt res omnes, non tamen quatenus res sunt, sed quatenus secundi notionibus substantes: homo enim & equus res sunt, & à logico consideratur, non tamen ut homo, & ut equus, sed ut Species, & nomina appellantur: considerat logicus hominem esse risibilem, coelum esse mobile circulo, non quidem ut hominem, ut risibile, ut coelum, sed prout hae dicuntur enuntiationes, seu propositiones. De primis tamen non prout rerum notiones sunt, sed ut secundis notionibus subiacentes“; ebd., S. 50: „homo enim definitur in logica non prout est homo, sed prout est species, & prout est nomen“. Ebd., S. 23: „ideo logica eget grammatica, eaque posterior est quia intelligere aliorum conceptus non possumus, nisi voces eorum significatrices intelligamus“.
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Grammatik und Logik sind zwar hinsichtlich des Zwecks nicht identisch: Erstere betrachtet vornehmlich den Namen und seine Bedeutung und nur in zweiter Linie den Begriff, Letztere vornehmlich den Begriff und nur nachrangig den Namen25. Aber aufgrund der Unmöglichkeit, die Form von den Operationen des Geistes zu trennen, stehen beide in einem symbiotischen Verhältnis: Man muss die Teile der Rede und deren Bedeutung kennen, um ihre logischen Verhältnisse und ihre Wahrheit durch die ersten Notionen zu begreifen26. Diese Idee taucht bei Jungius wieder auf, wenn er sagt, dass den Operationen des Geistes deren Ergebnisse entsprechen27. Der Unterschied zu Zabarella besteht bei Jungius dennoch in der Bestimmung des Objekts der Logik: Nicht das „ens rationis“, sondern das wirkliche Wesen des Geistes, d. h. unsere Operationen, sind Objekt der Logik. Diese Kunst leitet die anderen Wissenschaften, weil sie die zweite Operation des Geistes gemäß den Zwecken der Kunst wiedergeben kann28. Schon Zabarella betonte die Untrennbarkeit der Form des Arguments von seinem Ausdruck durch Namen, aber nur insofern diese die secundae notiones bezeichnen. Durch die Unterscheidung von oratio interna und oratio externa, die Zabarella nicht macht, vertritt Jungius die These, dass die Möglichkeit, andere zu verstehen, auf der Vermittlung durch Sprache beruht, indem die Strukturen unserer Sprache die komplexen Operationen des Geistes bzw. die Form unseres Denkens wiedergeben können. Würde die Annahme einer perfekten Entsprechung zwischen geistiger Fähigkeit und sprachlichen Strukturen entfallen, würde auch der Anspruch der Logik als Wissenschaft entfallen. Was Jungius ablehnt, ist der von Zabarella bekundete fiktive Aspekt der secundae notiones: Die Begriffe und
25 Vgl. ebd. 26 Obwohl Jungius Zabarellas Definition der Logik als instrumentum kritisiert hat, bedeutet das nicht, dass beide über die Konzeption der Identität von Zweck und Operationen, wie Jungius explizit sagt, nicht übereinstimmen. Die Kritik betrifft in den Disputationes noematices die Logik als instrumentum und die Verneinung dessen, dass die Logik als Kunst begriffen werden kann. Bei Zabarella hat die Kunst einen äußeren Zweck, der ihn von der Operation und der doctrina unterscheidet. Der Architekt muss die doctrina, die geistig ist, besitzen, um ein Haus aufzubauen, und seine Operation, das Aufbauen nämlich, unterscheidet sich von dem Gebrauch des Instruments, das Wohnen des Hauses (vgl. ebd., S. 67). In der Tat ist die Logik anders. Der Gebrauch des Instruments, d. h. des Syllogismus, unterscheidet sich nicht von seiner Erfindung. Vgl. ebd., S. 68: „effici igitur in logica instrumenta dicuntur: quiq dun logica discimus, generatur in animo nostro habitus logicus, quam voco instrumenti fabricationem ab eiunsdem doctrina non seiunctam: ideo quando hunc habitum iam adepti ad philosophia accedimus, & in rebus naturalibus, vel geometricis syllogismum formamus, ea non est dicenda generatio instrumenti logici, sed usus: tunc enim non generatur in nobis habitus logicus, sed eu habentes eo utimur“. 27 Vgl. ebd., S. 2: „Nota idem notionem et notionis efformationem, Enuntiationem et Enuntiationis effectionem, Argumentationem et Constructionem Argumentationis. Sunt enim actiones immanentes, quae opus non reliquunt“. 28 Vgl. Jungius: Disputationes Noematicae, S. 22: „Objectum Logicae non est ens rationis, sed reale, mentis sc. Nostrae operationes. Eas enim ita haec ars moderatur, ut secunda mentis operatio finis artis propositi reddatur compos“.
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deren Bezeichnung durch Namen sind nach Jungius nicht kontingent bzw. fiktiv, weil sie direkter Ausdruck unserer Geistesoperationen sind. Nur aufgrund dessen können die Zeichen als Widerspiegelung der Erkenntnisweise gelten. In diesem Sinne werden Grammatik und Logik deutlich unterschieden: Die Grammatik bewegt sich nur auf der Ebene der oratio externa und untersucht die natürliche Sprache und deren Ausdrucksmöglichkeiten; die Logik untersucht die oratio externa, aber nur als einziges vom Geist erschaffenes Mittel, um seine komplexen Operationen wiederzugeben. Da die Logik keine scientia otiosa ist, ist sie nach Jungius eine scientia reflexiva: Als habitus ist die Logik ein Eigentum des Menschen, das in der praxis schon immer spontan angewendet wird: Man hat schon viele Syllogismen gebildet, bevor man weiß, was ein Syllogismus ist29. Sowohl Jungius als auch Zabarella vertreten die Untrennbarkeit der geistigen Operationen von ihren sprachlichen Resultaten. Nach Jungius jedoch bedeutet diese Untrennbarkeit die Autonomie der Logik, da die Logik über ein materielles Objekt verfügt, nämlich die oratio externa: Nur weil die Logik ein materielles Objekt besitzt, kann sie als Kunst bestimmt werden und ein eigenes Wissen bilden, nämlich jenes über die Verhältnisse zwischen den Zeichen eines bedeutungsvollen Zeichensystems hinsichtlich ihrer Entsprechung gegenüber den Verhältnissen zwischen den Notionen. Dies war bei Zabarella nicht der Fall, wo die Logik nur eine gelernte, den anderen Wissenschaften beistehende Disposition war. Dieser Wandel der Bedeutung der Termini von Form und Materie hat auch im Rahmen von Leibniz’ Konzeption der Zeichen folgenreiche Einflüsse auf die Bestimmung des Verhältnisses von Logik und Semantik. In Leibniz’ Aussage, dass es kein Denken ohne Zeichen oder irgendeinen Ausdruck gebe30, hallt Jungius’ These, dass die Operationen und ihre Formen nicht von der Materie getrennt werden können, in verstärkter Form wider. Unter diesem Gesichtspunkt erhält die Untersuchung der Redeteile, z. B. der Präpositionen und ihrer Funktionen, ein besonderes Interesse: Sie ist nicht nur eine spezielle Aufgabe der Grammatiker, sondern erklärt vielmehr auch generell das Verhältnis zwischen dem Denken und der Form und Materie, in der es sich verwirklicht. Daher hat auch die Frage nach der Notwendigkeit eines besonderen Zeichensystems wie der characteristica ein starkes Interesse in der neueren Forschung erfahren.
29 J. Jungius an Wolfgang M. Chyträus, in: W. R. Meyer: „Einleitung“, in: Jungius: Logica Hamburgensis, S. XXI: „Logica est scientia reflexiva, omnis autem doctrina reflexiva praesupponit directam. Antequam adolescens discat regulas de syllogismis, multos jam ante fecit sillogismos“. 30 A VI, 4 A, 918.
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4. JUNGIUS ÜBER PRÄPOSITIONEN Im Besonderen kann man in den Werken von Jungius, die Leibniz gekannt hat, einige Stellen finden, wo er sich der Natur der Synkategoreme widmet. In einer Passage, die sich unter den excerpta von Leibniz findet, fragt Jungius danach, ob die Synkategoreme nicht besser als „synnoeme“ definiert werden müssten, und antwortet sogleich selbst, dass er „synnoemata“ statt „syncategoremata“ bevorzuge, weil sie auch etwas im Geist darstellten31. Die Frage muss gemäß der schon erwähnten Debatte dementsprechend interpretiert werden: Sind die Synkategoreme bloß Zeichen, die man nur auf der Ebene der oratio externa finden kann, d. h. Zeichen, die nur auf andere Zeichen hinweisen, oder sind sie Zeichen, die auch auf der Ebene der „noemata“, des Gedankens oder oratio interna, auftreten? Diese Interpretation der Fragestellung wird deutlich, wenn man eine zweite Stelle von Jungius in Betracht zieht, in der er sagt, dass, wenn man die Aussage „vel A vel B est“ mache, tatsächlich vier verschiedene Operationen gemeint seien: „si A est B non est, si B non est A est. Si A non est B est, si B est A non est“. Die Kontraktion dieser komplexeren Operationen geschehe aber nur auf der Ebene der oratio externa (durch das Zeichen „vel“), nicht auf der Ebene der oratio interna32. Da nun die Synkategoreme Synnoeme sind, stellt sich die Frage, was die Synkategoreme bezeichnen, wenn sie eine Kontraktion auf der Ebene der oratio externa darstellen. Um den scheinbaren Widerspruch zu lösen, kann man sagen, dass sie auf die Operation selbst hinweisen, d. h. auf das Verhältnis zwischen A und B, das in diesem Fall eine Exklusion ist. Anders gesagt, bezeichnen die Synkategoreme nicht „aliquid“, sondern „aliqualiter“, nicht etwas, sondern auf gewisse Weise33. In der Logica Hamburgensis erkennt Jungius die „aequipollentia“ als „ratione synkategorematum“ an34. Jungius unterscheidet zwischen der grammatikalischen und logischen Äquipollenz: Die grammatikalische Äquipollenz besteht zwischen
31 Vgl. A VI, 4 B, 1214: „Notionis compositae partes. Pars Notionis alia est substantialis seu autonoetica quae per se cum alia componitur; alia synnoetica quae compositionem notionis non ingreditur nisi alteri substantiali inhaereat. Itaque Notio distinguenda in Autonoema et synnoema hoc est Notionem substantialem et inhaesivam. Talis notio accidentalis sive secundaria vel cohaesiva est notiuncula universalitatis, particularitatis, exclusionis, ut omnis, quidam, solus, malo synnoemata dicere quam syncategorematica, quia sunt etiam in mente“; vgl. außerdem A VI, 4 B, 1246: „Conceptus Syncategoretici, alias conceptiunculae respondent illis inter voces quae dicuntur particulae. Estne autem necessarium si non in oratione saltem in intellectu tum respectivo conceptui tum terminativo adhaerere conceptiunculam aliquam quae illos connectat? Wenn ein bredt aus vielen geleimet wird so wird eines ieden fuge bestrichen und dann zusammen gepreßet, ist die frage ob der respectivus mit dem Terminativo wie ein bret mit dem andern, oder, wie der leim am bret klebe“. 32 Vgl. A VI, 4 A, 1249: „Cum dicimus vel A vel B est, enuntiamus simul quatuor propositiones si A est B non est, si B non est A est. Si A non est B est, si B est A non est. Verum contractio illa in unum non est mentalis sed verbalis“. 33 Vgl. Meier-Oeser: Art. „Synkategorem“. 34 Jungius: Logica Hamburgensis, S. 81.
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Aussagen, die gemäß der oratio externa verschieden, gemäß der oratio interna aber identisch sind, wie z. B. „Ensis est ferreus“ und „Gladius est ex ferro“. Die logische Äquipollenz liegt vor „zwischen Aussagen, welche sowohl in der äußeren Rede, als auch im Geist selbst differieren, sich aber so verhalten, dass sie zugleich sowohl wahr oder falsch sind […] wie z. B. ‚Irgendein Mensch ist nicht auf wissen erpicht‘ und ‚falsch‘ ist, dass ‚jeder Mensch auf Wissen erpicht ist‘“35.
Daher sagt Jungius: „[…] [D]ie logische Äquipollenz besteht einerseits auf Grund der Synkategoremata, andererseits in Hinsicht auf die an sich signifikanten Teile der Aussage“.
Die Aussage „Pamphilus hat Davus geprügelt“ ist äquipollent zu „Davus hat von Pamphilus Schläge bekommen“, und zwar zum einen aufgrund der semantischen Bedeutung der verbalen Ausdrücke „prügeln“ und „Schläge bekommen“, zum anderen aber aufgrund des synkategorematischen Ausdrucks. Denn wer von wem die Schläge bekommen hat, ist eine Information, die man nur durch die Partikel (Suffixe, Affixe, Präpositionen) erhalten kann. „Von“ zeigt z. B. an, wer der Träger der Handlung ist, und unterscheidet ihn von dem Objekt derselben. Die richtige Interpretation einer Aussage ergibt sich zugleich aus den Kategoremen und den Synkategoremen. Die Synkategoreme drücken Verhältnisse zwischen Begriffen und damit die Form unseres Gedankens aus, unter der man die Notionen verstehen kann. Nach Jungius lassen sich die primae notiones hinsichtlich ihrer Bedeutung nur durch den komplexen Akt einer enuntiatio, als der zweiten Operation des Geistes, zum Ausdruck bringen. Die Aussage wird wahrnehmbar nur durch die Äußerung, d. h. nicht durch einfache Zeichen, sondern durch einen strukturierten Komplex von Zeichen. Diese Perspektive ist deutlich durch ein Bild von Jungius ausgedrückt: „Ebenso wie das Objekt der Malerei nicht der sichtbare Körper ist insofern er auf der Fläche repräsentiert wird, sondern das die körperlichliche, ausgedehnte Sache auf der Fläche repräsentierende Bild, so sind die Objekte der Logik nicht die Sachen, insofern sie begriffen werden, sondern die Notionen und Aussagen selbst“36.
Auch wenn Grammatik und Logik zwei verschiedene Zwecke besitzen, haben sie in der Tat ein symbiotisches Verhältnis, da man ohne die Kenntnis der Zeichen und deren Bedeutung kein Gespräch führen und ohne die Kenntnis des logischen Verhältnisses zwischen den Begriffen keine Wahrheit ausdrücken kann. Während sich bei Jungius die Grammatik nur auf die Bedeutung und Struktur der äußeren Rede bezieht, nähert sich die Logik, die sich auf die logischen Strukturen der inneren Rede bezieht, einer „rationalen Grammatik“ an, insofern diese durch die oratio externa auf die oratio interna hinweist. 35 Ebd., S. 455. 36 VE N. 354, 1616: „Sicut picturae objectum non est corpus visibile prout repraesentatur in plano, sed ipsa imago in plano repraesentans rem corpoream solidamque, ita logicae subjectum non sunt res prout intellectae, sed ipsae notiones et enuntiationes“.
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Leibniz entwickelt diese Betrachtung in seiner Philosophie weiter. Die Anerkennung der Synkategoreme als Grund der Äquipollenz findet man auch bei Leibniz, sowie die Idee, dass diese auf den Operationen des Geistes beruhen. Auch bei Leibniz ist die Erfindung der Wörter eine Tätigkeit des habitus intellectualis37, aber diese von Jungius geerbte Idee erhält auf der Grundlage seiner Metaphysik neue Kraft und Bedeutung38. 5. PRÄPOSITIONEN BEI LEIBNIZ Eine deutliche Unterscheidung zwischen einem kategorematischen und einem synkategorematischen Teil der Sprache kann man zwar bei Leibniz finden, aber ob diese im traditionellen Sinn getroffen wird, ist fraglich. In bekannten Texten wie der Characteristica verbalis unterteilt Leibniz die Klasse der Vocabula in jene, die einen Begriff bezeichnen, wie die Namen, und in jene, welche modi concipiendi bezeichnen, wie „ceterae partes orationis“, nämlich die Partikel39. Wenn er die Synkategoreme definiert, bestimmt er diese als allgemeine Redeteile40, als modi concipiendi41und als inkomplexe Termini. Die Präpositionen drücken die Relationen zwischen den Dingen bzw. den Notionen aus, und deshalb werden sie auch als modi rerum42 bezeichnet. Es ist jedoch zu bemerken, dass Leibniz die Gegenüberstellung der Ausdrücke „Synkategoremata“ und „Kategoremata“ fast nie gebraucht hat. Trotzdem gibt es einen Brief an Des Bosses, in dem er diese Unterscheidung deutlich anwendet43:
37 A VI, 4 A, 602: „Habitus intellectuales quidam sunt, id est in mente sunt, etiam cum non animadvertuntur; experientia, intelligentia, scientia, opinio, ars. Exprimere cogitationes est loqui, docere, discere, interrogare, respondere, etc. Haec omnia etiam intus fieri possunt, sed his adde pronuntiare, et scribere quae externa sunt. Hoc est efficere signa quae sunt literae, soni articulati seu voces, variaeque orationis et scriptionis partes“. 38 Für andere kritische Studien über Partikel bei Leibniz vgl. M. Dascal: „Leibniz on Particles: Linguistic form and comparatism“, in: T. De Mauro/L. Fomigari (Hrsg.): Leibniz, Humboldt, and the Origins of Comparativism, Amsterdam/Philadelphia 1990, S. 31–60; F. Piro: „Derive semantiche e psicologia cognitiva in Leibniz. Discutendo con Lia Formigari“, in: S. Gensini/A. Martone (Hrsg.): Il linguaggio. Teoria e storia delle teorie: in onore di Lia Formigari, Napoli 2006, S. .91–108. 39 A VI, 4 A, 334. 40 Ebd., 882: „Voces ad specialia descendunt; particulae sunt generales; veces pertinent ad Dictionario; particulae ad Grammaticam“. 41 Ebd., 336: „Modi concipiendi designantur particulis“. 42 Ebd., 596: „Venio ad ipsam enumerationem, et primum Terminorum, deinde Particularum et Affixarum. Termini sive Notiones concipiuntur a nobis ut completae tanquam res, vel ut incompletae, tanquam quibus modi rerum exprimuntur“. 43 Diese Unterscheidung kommt zwar im Korpus der Leibniz’schen Schriften vor, aber zumeist sind es keine Texten von Leibniz selbst, sondern Auszüge aus anderen Autoren wie z. B. Jungius oder Weigel. Vgl. A VI, 4 A, 1246; A VI, 4 B, 119–200.
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„Das Erkennbare ist nichtkomplex oder komplex. Nichtkomplexe sind kategorematisch bzw. Termini, oder synkategorematisch oder aus denen kombiniert. Termini sind die direkte Bedeutung von Wörtern. Synkategoreme sind die Bedeutung von Partikel. Kombination aus diesen sind die Flexionen der Termini, da ja aus einem Terminus und einer Partikel ein abhängiges Kompositum (compositum obliquum) wird. Z. B., wenn ich sage ‚hominis‘ (des Menschen), was dasselbe ist wie des Mensch (TOU homo), wo des (TOU) die Partikel, Mensch der Terminus ist“44.
Komplex sind die Termini, die einer Analyse zugänglich sind, weil sie mehrere Bestimmungsmomente (requisita) enthalten, d. h. keine einfachen Termini (notio simplex) sind und selbst eine Bedeutung und nicht bloß eine Mitbedeutung haben. Die Analyse zielt bei Leibniz darauf, die Komposition der Begriffe und deren Möglichkeit zu zeigen. Diese Analyse hängt von der Klarheit der Notion ab; deswegen können die Partikel keiner derartigen Analyse unterliegen. In den Nouveaux Essais sagt Leibniz nämlich, dass, obwohl man normalerweise die Präpositionen durch Synonyme statt durch bestimmte Notionen zu erklären versucht, man vielmehr versuchen muss, festzustellen, welche deren Gebrauchsweisen sind45. Bei der Untersuchung des Gebrauchs der Präpositionen innerhalb der natürlichen Sprache ist es unerlässlich, deren Funktionen festzustellen. Gleichzeitig sagt Leibniz auch, dass „[…] für die Partikel eine Bedeutung oder eine Expression durch die allgemeine Sprache gefordert wird“46. Daraufhin wird die Untersuchung der Präpositionen unter zwei verschiedenen Aspekten durchgeführt: zum einen als semantisch-historische und zum anderen als logisch-grammatikalische Analyse. Die semantische bzw. historische Analyse erklärt, wie die Präpositionen ihre Bedeutung erhalten haben und wie sie auch abstrakte Bedeutungen ausdrücken können. Die grammatisch-logische Analyse ist mit dem Aufbau der Characteristica verknüpft und zielt darauf, die Funktion der Präpositionen innerhalb der Propositionen und die mit ihnen verbundenen Ausdrucksintention durch die Auflösung in verschiedene äquipollente Ausdrücke zu bestimmen. Die Präpositionen sind bestimmbare Ausdrücke, die, wie ich zu zeigen versuchen werde, für eine solche Reflexion bzw. Art der Gedankenoperation stehen. Infolgedessen hängen die beide Analysen voneinander ab.
44 GP II, 470–471: „Cognoscibilia sunt incomplexa vel complexa. In complexa sunt categoremetica seu Termini, vel syncategoremata, vel ex his conflata. Termini sunt significationes vocabulorum in recto. Syncategoremata sunt significationes particularum. Conflata ex his sunt terminorum inflexiones, dum scilicet ex termino et particula fit compositum obliquum, v.g. cum dico, hominis quod idem est ac TOU homo, ubi TOU est particula, Homo terminus“. 45 A VI, 6, 331: „On trouve cependant qu’ordinairement c’est plutot par des exemples et par de synonimes qu’on pretend les expliquer [les particules], que par des notions distinctes. Aussi ne peut on pas toujours en trouver une signification general, ou formelle, comme feu Mr Bohlius l’appelloit, qui puisse satisfaire à tous les exemples: mais cela non obstant, on purroit toujours reduire tous les usages d’un mot à un nombre determiné de significations. Et c’est qu’on devroit faire“. 46 A VI, 4 A, 799: „Et particulae quaeratur significatio sive expressio per linguam generalem“.
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6. PRÄPOSITIONEN ALS ALLGEMEINE TERMINI UND MODI CONCIPIENDI Eine semantisch-historische Analyse findet man bei Leibniz in Texten wie Omnes praepositiones proprie significant relationem loci47. Dem Prinzip dieser Analyse nach besitzen die Präpositionen zuerst eine sinnliche Bedeutung und erhalten erst danach – durch die Tropen und die Analogie – eine abstrakte Bedeutung. Die Präpositionen drücken bei Leibniz zunächst eine räumliche Relation und nur translate (übertragen) eine abstrakte aus48. In der Analysis particularum führt Leibniz eine grammatikalische bzw. logische Analyse der Partikel durch. Obwohl der Text mit einem eindeutigen Versuch beginnt, eine Grund- bzw. allgemeine Bedeutung für die Partikel durch die räumliche Determination herauszufinden49, bekommen die Präpositionen bei Leibniz keine klare Bedeutung durch eine Referenz auf den Raum. Sie stellen eher eine Struktur dar, die ihren Grund nicht in dem Raum selbst hat, sondern in der Art und Weise, in der der Sprecher bzw. das denkende Subjekt den Raum strukturieren und ordnen kann. Nur in diesem Sinne kann Leibniz von Synkategoremata als modi concipiendi sprechen. Sie stellen eine mögliche Erkenntnisordnung mittels eines analogischen Ausdrucks dar, weshalb sie, genauso wie die Notionen, allgemein sind. Die Ordnung des Raums als Muster für jede Relation kommt von keiner Abstraktion aus den äußeren Objekten, sondern von einer Projektion (bzw. Analogie) unserer Begreifensweise (modi concipiendi); infolgedessen ist der Raum, genauso wie die Zeit, ein „ens imaginarium“50, d. h. ein Ordnungsmittel, das von unserem Geist verwendet wird, um seine Denkakte und das, was er als extramental perzipiert, nach dem Muster des Nebeneinanders, d. h. des Raums, zu ordnen51. Die Gründe dafür liegen darin, dass er immer nur einen endlichen und partiellen Blick auf die Welt oder die Notionen haben kann, d. h. er nimmt immer eine Mannigfaltigkeit wahr, die, um erkannt werden zu können, eine Einheit in den Verbindungen gemäß einer Ordnung finden muss. Trotzdem sind diese Strukturen kein Erzeugnis der Phantasie und also auch nicht irreal. Es sind insbesondere zwei theoretische Punkte seines Werkes, an denen diese Idee deutlich wird: zum einen in den Nouveaux Essais die Notwendigkeit der Annahme allgemeiner Termini gegen Locke und zum anderen in der Epistolica die
47 Vgl. ebd., 644. 48 Vgl. F. Piro: „Tra Valla e Scaligero: Leibniz, la linguistica rinascimentale e il problema del cambiamento semantico“, in: St. Gensini (Hrsg.): Lingua, mente conoscenza intorno a Leibniz, Rom 2005, S. 15–38. In diesem Beitrag untersucht Piro die verborgene Relation zwischen Leibniz und Scaliger, der schon den Raum als Grundbedeutung der Präpositionen anerkannt hatte. 49 Vgl. A VI, 4 A, 647. 50 Vgl. A VI, 4 A, 629: „Tempus est Ens imaginarium, quemadmodum, locus, qualitates, aliaque multa“. 51 Vgl. ebd., 893: „Omnis relatio rerum exprimitur quodammodo relatione situs corporum“.
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Theorie des Ursprungs der Sprache. Anhand der Nouveaux Essais lässt sich zeigen, wie die Allgemeinheit bei Leibniz zu interpretieren ist; anhand der Epistolica lässt sich klären, was Leibniz’ Definition der Partikel als „Kerne“ der Sprache besagt. In den Nouveaux Essais vertritt Leibniz entgegen Locke die Auffassung, dass die allgemeinen Termini notwendig und wesentlich für die Entstehung und Konstitution der Sprachen seien52. Sie lassen sich nicht als Ergebnis eines Abstraktionsprozesses aus den einzelnen Dingen vorstellen. Deshalb spricht Leibniz von Allgemeinheit eher im Sinne von Intensionalität statt von Extensionalität53. Intensionale Allgemeinheit bedeutet, dass ein Terminus wegen seiner Bestimmbarkeit und nicht wegen der Menge der Individuen, die er bezeichnen kann, allgemein ist. Die Allgemeinheit eines Terminus hängt von der Zahl der Merkmale (requisita) ab, durch die die Notion bestimmt werden kann: Je weniger Requisita, desto allgemeiner ist der Terminus bzw. desto verworrener ist seine Notion54. In diesem Sinne sagt Leibniz, dass die allgemeinen Termini nicht nur unsere Sprache strukturieren, sondern auch, genauso wie für die Kinder, die ersten sind: Wenn diese etwas nicht kennen, benutzen sie allgemeine Termini als indexikalischen Ausdruck55. Als allgemeine und einfache Ausdrücke, wie Leibniz an Des Bosses schreibt, fungieren die Präpositionen als indexikalische Ausdrücke – aber worauf weisen sie hin? Lassen wir diese Frage einstweilen beiseite. Die Termini werden durch die Analysis und die Synthesis der Notionen definiert. Diese Vorgänge des Denkens lösen angeborene Ideen auf und zerlegen sie. Die Lehre von den angeborenen Ideen, nach der die Ideen keinen Ursprung in der Erfahrung haben können, bedeutet aber nicht, dass die Erfahrung keine Rolle zur Bildung menschlicher Erkenntnis spielt. Sie besagt vielmehr, dass die Erfahrung notwendigerweise den Erkenntnismodi gemäß strukturiert wird. Infolgedessen kann man keinen Begriff des Löwen haben, ohne je einen Löwen gesehen zu haben.
52 A VI, 6, 275: „Les termes generaux ne servent pas seulement à la perfection des langues, mais même ils sont necessaires pour leur constitution essentielle“. 53 Ebd., 486: „L’animal comprendre plus d’individus que l’homme, mais l’homme comprendre plus d’idées ou plus de formalités; l’une a plus d’extension, l’autre plus d’intension“. 54 Ebd., 299: „Ce n’est pas un avantage que les idées des qualités sensibles ont si peu de subordination, et sont capables de si peu de sousdivisions; car cela ne vient que de ce que nous les connoissons peu“. A VI, 4 A, 200. Zu dieser Passage vgl. M. Mugnai: Leibniz e la logica simbolica, Firenze 1973, S. 22–23; ders.: Astrazione e realtá. Saggio su Leibniz, Milano 1976, S. 88–92, worin er die Intensionalität als die Befreiung der Logik von den Individuen interpretiert; weiterhin H. Ishiguro: Leibniz’s Philosophy of Logic and Language, Ithaca, NY 1972, S. 53. 55 A VI, 6, 275–277: „ils [les termes generaux] estoient bien souvent les plus aisé à former, et sont les plus utiles. Aussi voyés vous que les enfans et ceux qui ne savent que peu la langue qu’ils veulent parler ou la matiere dont ils parlent, se servent des termes generaux, comme chose, plante […]“. Als anderes Beispiel bringt Leibniz die Eigennamen. Diese nennen entweder das einzelne Ding oder das Individuum durch allgemeine Merkmale, d. h. sie stehen für keinen Begriff des Individuums, sondern sie zeigen darauf, und deshalb funktionieren sie als deiktische Ausdrücke. Vgl. ebd., 288.
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Man besitzt vielmehr die Möglichkeit, sich einen Begriff des Löwen zu bilden, und zwar dadurch, dass man sich zuerst eine Einheit als ein Ding vorstellen kann, danach diese Einheit als ein Tier, und dann noch den Begriff Tier in die Spezies Katzen usw. unterscheiden kann. In diesem Sinne ist die Erkenntnis bei Leibniz eine Form der Individuation und nicht der Abstraktion56. Die Verneinung des Abstraktionsprozesses bedeutet, dass die Sprache die Analyseprozesse des Denkens ausdrückt und daher diese Analyse von wahrnehmbaren bzw. sichtbaren Zeichen ausgedrückt werden kann. Die Art und Weise, nach der man die Notionen unterscheidet, entspricht bei Leibniz nicht der Art und Weise, nach der man die einzelnen Dinge zu unterscheiden vermag. Leibniz’ These lautet: multum interest inter terminos et res und alia est rerum alia terminorum divisio57. Traditionell ausgedrückt bedeutet dies, dass den Erkenntnisweisen keine Seinsweisen entsprechen, da die Kenntnis der Analyse der Notionen unterliegt. Die Ideen können bei Leibniz nicht als Abbild oder innere Vorstellung der äußeren Dinge definiert werden, sondern als Möglichkeiten bzw. Formen der Vermittlung der Dinge, die durch die Analysis und Synthesis bestimmt werden können58.
56 Ebd., 301: „Si vous prenés les idées pour les pensées actuelles vous avés raison. Mais je ne voy point qu’il soit besoin d’appliquer vostre distinction à ce qui regarde la forme même ou la possibilité de ces pensées, et c’est pourtant de quoy il s’agit dans le monde ideal qu’on distingue du monde existent. L’existence reelle des estres qui ne sont point necessaires est un point de fait ou d’Histoire, mais la connoissance des possibilités et des necessités (car necessaire est dont l’opposé n’est point possible) fait les sciences demonstratives“. Ebd., 322: „si nous combinons des Idées compatible, les limites que nous assignons aux especes sont toujours exacement conformes à la nature; et si nous prenons garde à combiner les idées qui se trouvent actuellement ensemble, nos notions sont encore conformes à l’experience; Ainsi la Nature peut fournir des Idées plus perfaites et plus commodes, mais elle ne donnera point un dementi à celles que nous avons“. 57 LH IV 7C Bl. 76v. Zit. in M. Mugnai: „Alia est rerum alia est terminorum divisio: about an unpublished manuscript of Leibniz“, in: A. Lamarra/R. Palaia (Hrsg.): Unità e molteplicita nel pensiero filosofico e scientifico di Leibniz: Simposio internazionale, Roma 3–5 Ottobre 1996/Lessico Intellettuale Europeo, Florenz 2000, S. 257–269; LH IV 7C Bl. 76r, zit. in: S. Di Bella: „‚Multum interest inter terminus et res‘. On Leibniz’s Theory of Distinctions“, in: M. Carrara/A. M. Nunziante/G. Tomasi (Hrsg.): Individuals, Minds and Bodies: Themes from Leibniz (= Studia Leibnitiana, Sonderhefte 32), Stuttgart 2004, S. 15–47; vgl. Mugnai: „Alia est rerum“. Interessant ist Leibniz’ Randbemerkung zur Ars Symbolica gegen Dalgarnos vertretene These von der unmöglichen Versöhnung von Analyse und Synthese. In der Bemerkung wird der Unterschied zwischen dem Unterteilen in die materiellen Dinge (dissipare partes) und dem deutlichen Betrachten einer Notion (distincte considerare) gesetzt. Vgl. dazu A VI, 3, 174: „aliud est dissipare partes, aliud distincte considerare, nec opus est ad omnes minutias animum simul advertere; sufficit characterem ita compositum esse, ut pro arbitrio subdividere liceat“. 58 A VI, 6, 109: „[L’idée] c’est un objet immediat interne. Et cet objet est une expression de la nature ou des qualités des choses. Si l’idée estoit la forme de la pensée, elle naistroit et cessoit avec les pensées actuelles qui y repondent, mais en estant l’objet elle poura estre anterieure et posterieure aux pensées. Les objets externes sensibles ne sont que mediats parce qu’ils ne sauroient agire immediatment sur l’ame“.
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Die Unabhängigkeit der kognitiven Unterscheidungsweisen von den äußeren Dingen bedeutet nicht, dass man frei von jeglicher Gelegenheit oder Erfahrung denken kann59. Gemäß dem Prinzip der Harmonie müssen die geistigen Prozesse den körperlichen entsprechen. Aus diesem Grund können die Zeichen an die Stelle der unmittelbaren Erfahrung der Dinge treten, um die Geistesoperationen auszudrücken. Ebenso müssen wir immer über irgendwelche sprachlichen Ausdrücke für die Präpositionen verfügen60. Einen weiteren Beleg dafür kann man in Leibniz’ Theorie der Partikel als „Kerne“ der Sprache sehen. 7. DIE PRÄPOSITIONEN ALS GRUNDSTRUKTUR DER NATÜRLICHEN SPRACHE Die Partikel stellen bei Leibniz die strukturierenden Momente sowohl der natürlichen Sprache als auch der rationalen Grammatik bzw. der Logik dar61. In der Epistolica setzt er sich mit den Vertretern des Adamitischen bzw. der Natursprache auseinander und vertritt die Auffassung, dass die Sprache nicht durch eine Benennung der Dinge entstand, sondern durch den Gebrauch kleiner Partikel und Interjektionen, die die Affekte bzw. die Urteile über die Tatsachen ausdrückten62. Die Affekte begleiteten die spontanen Laute der ersten Menschen und die Bezeichnung geschah durch die Harmonie zwischen geistigen Bewegungen (Affekten) und körperlichen Bewegungen, die das Ausstoßen der Laute verursachten63. Hinter der Ablehnung einer Natursprache steckt die Verneinung, dass man eine wesensmäßige Erkenntnis der Dinge durch die Namen erlangen kann, d. h. dass man durch die etymologische Forschung eine wahrere, klarere Erkenntnis der Notionen
59 Vgl. ebd., 74. 60 Vgl. ebd., 77. 61 Vgl. M. Schneider: „Leibniz’ Konzeption der Characteristica Universalis zwischen 1677 und 1690“, in Revue International de Philosophie 2 (1994), S. 229–236. Zu den mit den Partikeln verbundenen Problemen in der formalen Sprache vgl. J. Maat: Philosophical Language in the Seventeenth Century: Dalgarno, Wilkins, Leibniz, Dordrecht/Boston/London 2004, S. 378–381. 62 Vgl. „Epistolica de historia etymologica Dissertatio“, in: St. Gensini: Il naturale e il simbolico. Saggio su Leibniz, Rom 1991, S. 201–271 (von hier an zitiert als ED und Seitenummer), hier S. 216: „Credibile autem est, in quantum primi homines, aut etiam populi postea à lingua protoplasta deviantes, propria vocabula sibi effinxere, accomodasse sonos perceprionibusque; atque usos initio interjectionibus seu brevibus particulis, ad affectus suos accomodatis, ex quibus tanquam seminibus paulatim natae sunt linguae“; über Interjektionen als Urteil vgl. A VI, 4 A, 890: „Interectiones usitatae aut exprimunt nostra judicia nostrosque affectus, aut tendunt ad aliena, scilicet auditorum. […] Videntur omnes affectus esse judicia quaedam“. Für einen kritischen Kommentar vgl. S. Gensini: „Leibniz filosofo del linguaggio fra Platone, Aristotele ed Epicuro. Note sulla Epistolica de historia etymologica Dissertatio (1712?)“, in: Beiträge zur Geschichte der Sprachwissenschaft 6 (1996), S. 219–244. 63 Vgl. A VI, 4 A, 59: „Habent tamen Linguae originem quandam naturalem, ex sonorum consensu cum affectibus, quos rerum spectacula in mente excitabant“.
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erlangen könne, sodass „[d]erjenige, der vorher geboren wäre, auch die Geheimnisse der Natur und das Eigentum der Dinge gekannt hätte“64. Dass die Entstehung der Sprache aus einer Form des Urteiles bzw. des Affekts, wie den Interjektionen oder Präpositionen, resultiert, bedeutet erstens, dass man eine Sprache besitzt, wenn sie als Mitteilungsmittel fungiert, zweitens, dass das Objekt der Benennung oder des Ausdrucks kein unmittelbares äußeres Ding ist, sondern ein „motus animi“, drittens, dass die Sprache zunächst und zumeist Relationen, d. h. Verbindungen zwischen Notionen, ausdrückt. 1679 schreibt Leibniz ein Konzept mit dem Titel „De Affectibus. Ubi de Potentia. Actione. Determinatione“. Das Ziel des Stücks besteht darin, die „actio mentis“ (die Handlung des Geistes) zu begreifen und zu beschreiben. Die Handlung ist hier als ein Vorgang interpretiert, der nicht von außen bewirkt wird, wobei der Affekt als wichtigstes Moment für ihre Determination definiert wird, d. h. als das, was die Handlung inkliniert bzw. erleichtert. Der Affekt stellt gleichzeitig die „occupatio animi“ (das Objekt unseres Geistes) dar, die aus der Perzeption entsteht, und daher bildet er die „sententia“, d. h. das Urteil über das Objekt unseres Geistes, das die Handlung, als Antwort auf den Anlass, bewirkt65. Die Gedanken und Bewegungen des Geistes können nach Leibniz schon seit 1679 nicht von der äußeren Welt bewirkt werden: Sie sind vielmehr eine innere Expression des Geistes. Sie drücken eher ein Verhältnis zwischen dem Subjekt und der Welt unter seinem besonderen Gesichtspunkt aus, und zwar nicht nur unter seinem historischen Gesichtspunkt, sodass mittels der Etymologie die Geschichte unserer Kenntnis beschrieben wird, sondern auch unter dem Gesichtspunkt seiner endlichen Erkenntnisweisen, der von Analyse und Synthese abhängt. In De Affectibus fragt sich Leibniz, ob sich eine Handlung unabhängig von irgendeiner Gelegenheit, d. h. ohne entsprechende Perzeptionen und Affekte ereignen könne66. Die
64 Vgl. ED, 216: „qui nactus esset, etiam arcana naturae rerumque proprietates nosset“. 65 Vgl. A VI, 4 B, 1414: „Affectus est occupatio animi ab aliqua sententia circa bonum et malum nostrum. Sententia est vel opinio vel perceptio, opinio a ratione, perceptio a sensu“; weiterhin 1411: „Affectus est occupatio animi orta ex sententia animi circa bonum et malum; Occupatio animi est inclinatio ad aliquid prae alio cogitandum. Affectus animi impetus vel impressio, ut in corpore excusso. Affectus est status animi a cogitatione una ad aliam prae alia determinati; vel est animi occupatio“; vgl. A VI, 4 B, 1424–1425: „Series cogitandi oritur vel ex ideis distinctis, ut cum rei causas cogitamus, et causarum causas; itemque cum effectus consideramus et effectuum effectus: Sed et possumus aliam quandam seriei legem sequi, quae non a causis et effectibus, sed gradibus, similitudinibus, combinationibus oriatur vel oritur ex ideis confusis, nempe ex iis quae simul experti sumus, quae temporis locorumve ordine certo persequimur“. Vgl. Di Bella; H. Schepers: „De affectibus. Leibniz an der Schwelle zur Monadologie. Seine Vorarbeiten zum logischen Aufbau der möglichen Welten“, in: Studia Leibnitiana 35 (2003), S. 133–154. Für eine Analyse von De Affectibus bezüglich der Epistolica vgl. Gensini: Il naturale e il simbolico, S. 81. 66 Die Handlung der Substanz hängt nicht nur von ihrer Natur ab, sondern auch von der Kompossibilität mit den Handlungen der anderen Substanzen, d. h. sie kann nicht völlig spontan
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Antwort ist negativ: Der Geist kann nicht ohne irgendeine sinnliche oder körperliche Beziehung seine Operationen ausführen. Dieses Prinzip zeigt sich bei Leibniz auf drei verschiedenen Ebenen: Auf der ontologischen Ebene bedeutet es, dass keine Substanz ohne Körper existieren kann; auf einer praktischen Ebene bedeutet es, dass keine Handlung im Widerspruch mit den Naturgesetzen bzw. in inkompossibler Weise mit den Handlungen der anderen Substanzen erfolgen kann; auf einer gnoseologischen Ebene bedeutet es, dass man keine Gedanken ohne irgendeinen Ausdruck haben kann. Die Zeichen können als wahrnehmbare Gegenleistungen der geistigen Operationen dienen und zwar deshalb, weil, wie schon gesehen, unsere Kenntnis von der Ordnung abhängt, durch die man erkennt. Daher kommt die Unmöglichkeit einer unmittelbaren intellektuellen Anschauung oder einer „pure intellection“67, d. h. dass unser Geist die Notionen nur durch Analyse und Synthese, also mittelbar erkennen kann. Auch wenn es einen Parallelismus und kein direktes Verhältnis zwischen der Welt bzw. Körper und Geist gibt, kann man nicht behaupten, dass beide unabhängig voneinander operieren. Aufgrund der Notwendigkeit, immer irgendeinen wahrnehmbaren Ausdruck für unsere geistigen Operationen zu finden, können die Zeichen die Analyse und Ordnung der Erkenntnis deutlicher und nützlicherweise ermöglichen. Der Gebrauch der Präpositionen hängt bei Leibniz von der ontologischen Konstitution der Substanz und deren Erkenntnisvermögen ab. Die Substanz ist immer mit einem Körper verbunden. Infolgedessen kann sie nicht reine abstrakte Gedanken haben und die komplexen Notionen nicht unmittelbar anschauen, deswegen verwendet man Präpositionen als Zeichen, welche die Einheit der ausgeführten Analyse durch eine bestimmte Ordnung wiedergeben können, und daher ermöglicht die Betrachtung dieser particulae eine spezielle Art und Weise, die Sprache und Funktion der Zeichen zu begreifen. 8. PRÄPOSITIONEN ALS INCOMPLEXA Die räumliche Bedeutung der Präpositionen dient als Muster unserer Weise des Begreifens, weil man immer irgendeinen Ausdruck auch für die abstraktesten Gedanken haben muss. Man versucht auch für die Objekte, die keine Objekte der
geschehen. Nur Gottes Handlung kann völlig spontan sein. Vgl. A VI, 4 B, 1430: „Hinc intelligi potest, Deo uno excepto nullius rei statum integro esse totum naturalem seu spontaneum“. 67 Zum Streit über den Parallelismus zwischen Geist und Körper und Leibniz’ Ablehnung einer „pure intellection“ vgl. M. Favaretti Camposampiero: Conoscenza simbolica e linguaggio in Christian Wolff e nella prima età moderna, Hildesheim/Zürich/New York 2009, S. 437–467; ders.: „Pure Intellect, Brain Traces, and Language: Leibniz and the Foucher-Malebranche Debate“, in: Oxford Studies in Early Modern Philosophy V (2010), S. 115–145; Über das Verhältnis zwischen Zeichen und prästabilierter Harmonie vgl. Meier-Oeser: Die Spur der Zeichen, S. 402–415.
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Einbildungskraft sind, sinnliche und figürliche Ausdrücke zu finden68. Trotzdem gelten die Präpositionen nicht als bloß figürliche Bilder, sondern sie funktionieren wie eine Hypotypose, d. h. eine Reflexion des Denkens selbst, um eine Regel und Ordnung des Ausdrucks für die komplexen und abstrakten Notionen durch die Analogie zu finden. In De totae cogitabilium varietatis obtutu complexione sagt Leibniz: „Es ist von großer Wichtigkeit für das Denken, die ganze Vielfalt aller denkbaren Gegenstände, die von unserem Geist vornehmlich betrachtet zu werden pflegen, auf einen einzigen Blick (uno obtutu) erfassen zu können. So nämlich verstehen wir die Verhältnisse und Verbindungen der Sachen, finden die gesuchte Sache und verbinde diese mit den anderen“69.
Die drei genannten Denkoperationen, d. h. Vergleich, Erfindung und Komposition, liegen der Characteristica zugrunde und werden durch die Präpositionen ausgedrückt. Noch weiter in demselben Text unterscheidet Leibniz zwischen den „res“ und den „modi rerum“. Diese Letzten sind „[…] mehr eine solche Reflexion der Notion als des Dinges, wie absolut sein, bezüglich sein, vorhanden sein, abwesend sein; Subjekt, Adjunkt; allgemein, eigen, gleich; verschieden sein“70.
Die Relationen können per convenientia bzw. durch Komparation oder per connexione, d. h. logisch sein71. Die Relationen per convenientia beruhen auf den Dingen, weil sie eine Relation, die nur durch die Perzeption der Sache erkennbar ist (wie z. B. die Ähnlichkeit), ausdrücken. Deshalb sind sie „modi rerum“, d. h. sie drücken eine Tatsache aus. Diese sind z. B. die Propositionen wie „Petrus est similis Johannis“72. Die Präpositionen „in“ und „cum“ drücken eher die logischen Relationen zwischen Subjekt und Adjunkt oder Adjunkt und Adjunkt aus73. In 68 Vgl. A VI, 4 A, 890: „Circa praepositiones observandum videtur omnes in nostris linguis usitatis originarie significare respectum ad situm, et inde transferri tropo quodam ad notiones quasdam metaphysicas minus imaginationi subjectas. Quod mirum non est, quia homines etiam ea quae imaginari non possunt per res imaginationi subjectas explicare conantur“. 69 Vgl. ebd., 594: „Magni momenti est in Cogitando totam Cogitabilium quae nostris mentibus obversari crebrius solent, varietatem, uno obtutu complecti posse. Ita enim rerum comparationes et connexiones intelligemus; rem propositam inveniemus, datam cum aliis combinabimus“. 70 Vgl. ebd., 599–600: „sunt quaedam reflexiva notionum potius quam rerum, ut esse absolutum, respectivum, esse positivum, privativum; subjectum, adjunctum; commune; proprium; idem; diversum“. 71 Vgl. ebd., 337: „Relatio rei ad rem est vel convenientiae, vel connexionis. Relatio convenientiae est vel similitudinis, vel dissimilitudinis. Huc pertinet analogia, seu ipsarum similitudinum comparatio. Relatio connexionis est vel subjecti et adjuncti, vel adjuncti et adjuncti, vel subjecti et subjecti“. 72 Vgl. GP II, 472: „Praedicata Abstracta quae non sunt Entia, sunt vel essentialia (nempe attriputa vel affectiones; attributa, primitiva; affectiones, derivativae) vel Accidentalia, qualia sunt relationes accidentales“. 73 Vgl. A VI, 4 A, 337: „Connexio subjecti et adjuncti exprimitur per in ut doctrina in homine est laudanda. Nullum in latino extat reciprocum exprimens relationem hominis ad doctrinam,
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diesem Sinne beschreiben sie die Relationen unter dem Gesichtspunkt, wie wir sie begreifen. Diese sind z. B. Propositionen als „laude cum virtute est efficax“, wo man eine Konsequenz unabhängig von irgendeiner Tatsache ausdrücken will. Aber die Art und Weise, auf die man die Dinge begreift und unterscheidet, hängt von der Art und Weise ab, auf die man die Dinge konzipieren kann. Deswegen kann man zwischen modi concipiendi und modi rerum nur bezüglich der Erkenntnisperspektive eines Subjekts unterscheiden. Die Präpositionen bekommen dann eine Bedeutung nur bezüglich eines Subjekts und seiner geistigen Operationen. Als Expression einer solchen Reflexion des Geistes stehen nun die Präpositionen für keine deutlichen Notionen, sondern für eine Handlung bzw. Tätigkeit des Geistes – wie schon Jungius sagte –, durch die er die Verbindungen und Relationen zwischen den Sachen oder den Notionen begreift, und können daher nur durch ihren Gebrauch bestimmt werden. Die Präpositionen stellen Relationen gemäß der Weisen des Begreifens (modi concipiendi) dar und infolgedessen repräsentieren sie die Gedankenoperationen. Sie verbinden auf einen einzigen Blick die Notionen. Da man die Totalität der Notion nicht unmittelbar begreifen kann, erlauben sie uns, uns ausschließlich auf besondere Merkmale (requisita) zu konzentrieren, um deren Zusammenhang anzuschauen und andere weniger wichtige Aspekte zu übergehen. Sie funktionieren als eine Art von Enthymemen, die durch Analyse explizit gemacht werden können. Man kann z. B. den Ausdruck „Ewanders Schwert“ oder „das Schwert von Ewander“ als Abkürzung von „Das Schwert ist eine Ausrüstung insofern als Ewander sein Besitzer ist“ verwenden. In diesem Sinne gelten die Präpositionen, wie es in dem Brief an Des Bosses formuliert ist, als nichtkomplexe Präpositionen, deren Analyse notwendig ist, um eine äquipollente Form, die die Operationen des Denkens „salva veritate“ wiedergeben kann, zu finden74. Die logische Analyse zielt nicht darauf, die Präpositionen von der Universalsprache auszuschließen, sondern, wie in den Nouveaux Essais ausgeführt ist, darauf, deren Gebrauch festzustellen. Die Zerlegung in deutlichere Ausdrücke muss bestimmen, ob innerhalb einer bestimmten Proposition den Präpositionen eine gültige Denkoperation entspricht, d. h. ob die durchgeführte Analyse und die gefundenen äquipollenten Propositionen als verschiedene Ausdrucksformen für dieselbe Materie gelten können75. Ebenso wie bei Jungius sind die Präpositionen
nisi velis dicere homo cum doctrina est laudandus. Sed vocabulum, cum generaliter significat, quandam connexionem, non hanc speciatim de qua agitur. […] Connexio adjuncti et adjuncti exprimitur etiam per cum, neque enim peculiaris habetur praepositio, gloria cum virtute est efficax, ubi perinde est ac gloria et virtus in eodem subjecto“. 74 Vgl. GP II, 472: „Unde patet incomplexa saepe fundari in ipsis complexis, quae tamen per se natura posteriora sunt ipsis incomplexis, quorum scilicet faciunt nexum. Et revera omnis propositio seu omne complexum potest vicissim reduci ad incomplexum per est primi Adjecti ut vocant. Ut si loco propositionis: homo est rationalis, dicam τό Hominem esse rationalem, est. Rosa esse odoratam, est. Nempe est verum, etsi fortem non existat rosa, ut in hyeme“. 75 Vgl. GP VII, 417: „Interim aliud sunt Termini quam Entis, v.g. Triangulum et Trilaterum sunt idem Ens, sed sunt termini diversi differuntque formaliter, non materialiter. Sic reduplicativi,
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die Gründe der Äquipollenz. Aufgrund dessen müssen die Präpositionen aus der Characteristica nicht ausgeschlossen werden, sondern sie vielmehr strukturieren, weil ohne jeglichen Ausdruck diese Gedankenoperationen keine körperlose Existenz oder Ausführbarkeit haben76. Gemäß der hier unternommenen Analyse können wir nun versuchen, eine Definition der Präpositionen zu geben: Sie sind allgemeine und komplexe Termini, die vom Geist verwendet werden, um einen wahrnehmbaren Ausdruck für die reflexiven geistigen Operationen zu gewinnen, durch die man das Denkbare in vielfältiger Weise analysiert und synthetisiert, d. h. verbindet, auffindet und vergleicht. Kürzer gefasst sind sie Zeichen, die man braucht, um die komplexen Termini und deren Zusammenhänge als einfache Termini betrachten zu können, d. h. sie sind „cogitationes caecae“. Im Allgemeinen bedarf unser Geist nicht der Durchführung einer derartigen Analyse, um die komplexen Ausdrücke zu verstehen. Die Präpositionen gelten daher als „cogitationes caecae“. Cogitatio caeca heißt bei Leibniz ein Denken, bei dem an die Stelle der nicht zu leistenden vollständig durchgeführten Begriffsanalyse Zeichen oder irgendwelche sinnlichen Ausdrücke treten77. Genauso funktionieren die mathematischen Zahlen oder die Operationszeichen78. In einem Brief an Gallois, der berühmten Accessio ad Arithmetica, sagt Leibniz über die cogitatio caeca, dass „[…] wir beim Nachdenken über die meisten zusammengesetzten Dinge üblicherweise Symbole, die ich cogitationes caecae nenne, verwenden, ohne die Ideen selbst zu betrachten, weil wir in diesen Fällen mit deren Analogie zu kleinen und einfachen, leicht zu erfassenden Symbolen zufrieden sind; wie wenn man 100.000 sagt: Niemand würde sich alle Einheiten dieser Zahl vorstellen, weil man weiß, dass man sich infolge der Symbole diese Mühe sparen kann. Genau darin besteht die Kunst, die Symbole auszudenken, dass sie kürzer als die Ideen selbst sind und trotzdem ohne Verwirrung und geeignet, um in ihnen, sofern das möglich ist, jede
veluti homo quatenus est scientiae capax, non est res alia quam homo, sed alius terminus. Termini igitur sunt mere reales vel connotionales. Termini Reales sunt ipsae Res, cum nihil exprimitur praeter ipsam; connotionales sunt res cum addito, v.g. Homo est Terminus mere realis, Homo rationalis est terminus connotionalis essentialis, et est in eo superfluitas, quia pars una ex alia sequitur. Homo doctus est terminus connotionalis accidentalis; idem enim nunc est doctus, nunc indoctus, manetque eadem res, sed accidentibus variata“. 76 Vgl. St. Meier-Oeser: Die Spur der Zeichen, S. 402–407. Zum Verhältnis zwischen natürlichen Sprachen und characteristica vgl. H. Poser: „Die Vielheit der Sprachen und die Einheit der Vernunft“, in: J. A. Nicolás (Hrsg.): Leibniz und die Entstehung der Modernität (= Studia Leibnitiana, Sonderheft 37), Stuttgart 2010, S. 147–165. 77 Vgl. M. Favaretti Camposampiero: Filum cogitandi: Leibniz e la conoscenza simbolica, Milano 2007, S. 54. 78 Vgl. A VI, 4 A, 884: „Particula differunt a vocibus, ut in algebra signa a quantitatibus sive a numeris. […] Sunt tamen signa quae non sunt quantitates, talia sunt signa connexionum, ut vincula, item signa aequalitatis“.
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Art von Verhältnissen so leicht zu entdecken, als wären sie in ihre letzten Element aufgelöst, beziehungsweise klar und deutlich verstanden“79.
9. PRÄPOSITIONEN ALS COGITATIO CAECA Insofern die Präpositionen cogitationes caecae sind, fungieren sie – ebenso wie bei Jungius – als ein Kompendium auf der Ebene der Sprache, das eine komplexe Operation unseres Geistes gemäß seiner modi der Verbindung zwischen den Notionen ausdrückt. Die Entsprechung von wahrnehmbaren Zeichen und geistigen Operationen erhält dennoch eine neue Bedeutung bei Leibniz, wie die Konzeption der cogitatio caeca zeigt80. Während bei Jungius die Unterscheidung zwischen der Sprache und den geistigen Operationen der Unterscheidung zwischen oratio interna und oratio externa entspricht, findet sich bei Leibniz kein Hinweis auf eine deutliche Unterscheidung zwischen der Ebene der gesprochenen bzw. geschriebenen Sprache und einer inneren, mentalen Rede. Wegen der Körperlichkeit der Zeichen unterliegt ihr Verhältnis zu den Gedanken vielmehr dem Prinzip der Harmonie und dem Parallelismus zwischen Geist und Körper, demzufolge es eine genaue Entsprechung zwischen den Stufen unseres Verständnisses einer Notion und deren Ausdruck durch Zeichen gibt: Wenn die Anwendung der Wörter verworren ist, dann ist auch unsere Kenntnis der Notion verworren. Wir drücken unser Verständnis der Welt durch Zeichen aus, in den Zeichen spiegeln sich die logischen Verhältnisse wider, durch die man versteht; genau genommen kann einer Aussage nur durch eine zweckmäßige Anwendung der Zeichen und deren Bedeutungen sowohl die Wahrheit als auch die Falschheit zugeschrieben werden.
79 Vgl. A II, 1, 353–354: „Etsi in rebus valde compositis soleamus uti symbolis in ratiocinando, sine ulla consideratione ipsarum idearum, quas cogitationes voco caecas, cum in iis contenti simus analogia parvarum simpliciumque distincte comprehensarum, ut cum 100 000 dicimus, nemo omnes hujus numeri unitates sibi mente fingit, scit enim eo labore sibi post symbola supersedere licere. Et in eo consistit ars symbola excogitandi, ut sint compendiosiora ipsis Ideis, et tamen confusionis expertia, aptaque ad omnis generis proportiones in ipsis non minus facile, quoad ejus fieri potest detegendas ac si in ultima elementa, fuissent resoluta, seu clare distincteque intellecta“. 80 Für eine eingehende Analyse der cogitatio caeca und ihrer Wichtigkeit sowohl im metaphysischen als auch epistemologischen Rahmen vgl. Favaretti Camposampiero: Filum cogitandi. Nach Favaretti Camposampiero greift Leibniz jeweils systematisch zur cogitatio caecae, wenn er herausheben will, dass man eine bestimmte komplexe Notion ohne jeglichen Ausdruck nicht begreifen kann. Folglich ist die cogitatio caeca ein Kompendium, das als wahrnehmbarer Ausdruck auf den Operationen der imaginatio beruht. Die cogitatio caeca drückt durch die Unterstützung der Zeichen die Verbindungen aus, die man nicht durch einen einfachen und simultanen Akt betrachten kann. Infolgedessen sind die Forschungen über die natürlichen Sprachen und das Projekt einer characteristica universalis nicht einander entgegengesetzt, da die Zeichen es ermöglichen, sowohl die Kenntnisse als auch die Leistungen des Denkens zu verbessern.
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Aber unser Gebrauch der Sprache hängt nicht nur von einer Kenntnis der Welt im starken Sinne ab. Als Ergebnis eines habitus beruht die Sprache auf Konvention und Gewohnheit. Die Verbindung zwischen expressio und exprimendum ist bei Leibniz nicht nur das Resultat einer Konvention, sondern es gibt Gründe dafür, diese Verbindung als natürlich zu bestimmen81, wie die Affekte zeigen. Trotzdem ist kaum zu bezweifeln, dass sich Leibniz darüber bewusst ist, dass wir auch von unserer Sprache „gesprochen“ werden. Die cogitationes caecae sind in den natürlichen Sprachen Redensarten, die man anwendet, weil sie gebraucht werden; aber sie hängen nicht nur von Konvention und Gewohnheit ab, weil die Gründe des Gebrauchs selbst auf den modi concipiendi beruhen. Wenn man hört: „Sokrates ist weiß“, versteht man einen solch komplexen Ausdruck aus Gewohnheit fast automatisch. Wenn man darüber nachdenkt und sich danach fragt, was es bedeutet, dass Sokrates weiß ist, versucht man nicht, zu verstehen, was jedes Wort bedeutet, sondern in welchen Relationen die Wörter zueinander stehen. Die Aussage „Sokrates ist weiß“ ist ein Kompendium der Rede genauso wie die Präpositionen. Tatsächlich muss man wissen, dass Sokrates ein Mensch ist, und dass er als Mensch ein „animal rationalis“ ist, und dass er, sofern er ein Tier ist, einen Körper besitzt, und sofern er einen Körper besitzt, der so und so konstituiert ist, besitzt er die Haut, die „weiß“ sein kann. Nur infolge dieser Analyse kann man sagen, dass es wahr ist, dass Sokrates weiß ist. Aufgrund der Gewohnheit und dank der analogischen Anwendung der Zeichen kann man sich jedoch die Mühe dieser Analyse sparen, weil man aus dem üblichen Gebrauch der Sprache weiß, wofür die Wörter stehen. Unsere Kenntnis dieser partikulären Aussage ist in dem Fall eine Mischung von Erfahrung und a priori Prinzipien: Dass Sokrates weiß ist, weiß man dank der direkten Perzeption von Sokrates; die Möglichkeit, dass Sokrates weiß sein kann, da er ein Mensch ist, ist nach Leibniz dennoch eine Kenntnis, die auf unseren Erkenntnisfähigkeiten beruht. Gleichermaßen ist die Möglichkeit, diese bestimmte Aussage mittels dieser bestimmten Wörter zu tätigen, eine Mischung von dem erfahrenen Gebrauch einer Sprache und der Möglichkeit eines Sprachgebrauchs. Die Möglichkeit ist der Grund der Kenntnis: Da die Kenntnis oder das Wissen immer allgemein ist, stellt die Möglichkeit die Garantie der
81 Vgl. A VI, 4 A, 59: „Certam quadam et determinatam inter Res et verba connexionem esse dici nequit; neque tamen res pure arbitraria est, sed causas subesse oportet, cur certae voces certis rebus sint assignatae. […] Habent tamen Linguae originem quadam naturalem, ex sonorum consensu cum affectibus, quos rerum spectacula in mente excitabant. Et hanc originem non tantum in lingua primignia locum habuisse putem, sed et in linguis posterius partim ex primigenia, partim ex novo hominum per orbem dispersorum usu enatis. Et sane saepe onomatopeia manifeste imitatur natura, ut cum coaxationem tribuimus ranis, cum st nobis significant silentii vel quietis admonitionem, et r cursum, cum hahaha ridentis est vae dolentis“. Vgl. auch ED, 215: „Medium ita(que) tenendum est, quae et Platonis mens fuit, habere verba fundamentum in natura, etsi concurrant plurima ex accidenti. Diversi enim nominum impositores, suos quisque respectus, suos affectus, suas occasiones, suas etiam commoditatem secuti, diversa iisdem rebus a diversis qualitatibus, interdum et casibus, vocabula dedere“.
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Allgemeinheit dar, auf der auch die Falschheit oder Wahrheit der partikulären Aussage beruht82. Hinsichtlich der Präpositionen stellt sich nun heraus, dass der Gebrauch der Präpositionen als Ausdrücke von abstrakten Relationen auch von Konventionen abhängt: Wir gebrauchen eine Sprache, weil sie gebraucht wird; aber die Möglichkeit, durch die räumlichen Relationen auch die abstrakten auszudrücken, hängt notwendigerweise von unseren modi concipiendi ab, weshalb die Relationen selbst keine fiktiven Ausdrücke sind. Die Möglichkeit dieser Ausdrücke, die sich in der ontologischen Konstitution der Substanz und ihrer Kompossibilität mit den anderen Substanzen begründet, ist der Grund unserer Konventionen und Rechtfertigung unserer Gewohnheiten. Ohne diese Annahme gäbe es für Leibniz keine gemeinsame Sprache, kein gemeinsames Wissen, kein mitteilbares Verstehen. Was arbiträr ist, ist die Anwendung des Zeichens „auf“, um Relationen auszudrücken, weil es möglich, d. h. kontingent ist: Man benutzt in verschiedenen Sprachen nämlich verschiedene Zeichen. Die Relationen und die räumliche Analogie zum Ausdruck abstrakter Relationen sind jedoch nicht fiktiv oder ein Phänomen, das nur von unserem Geist abhängig ist. Aufgrund der Gewohnheit und des Kompendiumscharakters ist die Sprache jedoch ein potentieller Ursprung von Missverständnissen. Bei einem Ausdruck wie „größte Primzahl“ z. B. glaubt man, einen deutlichen Begriff zu haben, auch wenn man nur eine verworrene oder irrtümliche Vorstellung hat und die Wörter nur ein Psittacismus sind. Solche Ausdrücke drücken keine deutliche Notion aus. Man glaubt eine Notion zu erfassen, weil man aufgrund der Gewohnheit die einzelnen Wörter anstatt deren Verbindung versteht83. Die Gründe dafür liegen in der Unmöglichkeit des Subjekts, durch einen einfachen und intuitiven Akt die Notionen zu begreifen. Man versteht die Notionen immer aufgrund einer komplexen Operation: Durch Synthese und Analyse werden die mannigfaltigen Aspekte der Notionen und deren Relationen in dem Urteil vereint. Die Wahrheit oder Falschheit unserer Aussage wird von der ganzen Aussage zum Ausdruck gebracht, d. h. von einer Relation zwischen den Zeichen der Aussage. Die Analyse ist nicht etwas, das gegen die Sprache oder jenseits der Sprache vollzogen wird, sondern sie ist eine Erläuterung durch die Sprache in der Sprache. Hierzu schreibt Leibniz in lingua generalis: „Malim linguam quam characterem, posset lingua scribi characteribus communibus. Ubi Europaei eam probaverint facile et alii probabunt et discent. Itaque poterat Wilkinsius suis characteribus supersedere, qui magis deterrent“84.
Ohne die sprachlichen Kompendien würde unsere Sprache nicht nur an Deutlichkeit verlieren, sondern wäre letztlich unmöglich. Denn Sprache und logische Analyse sind nicht entgegengesetzt, sondern komplementäre Aspekte des notwendigen 82 Vgl. J. Mittelstraß: Leibniz und Kant: Erkenntnistheoretische Studien, Berlin 2011, S. 65. 83 Vgl. M. Mugnai: Astrazione e realtá. Saggio su Leibniz, Milan 1976, S. 32–37. 84 Vgl. A VI, 4 A, 903.
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Verfahrens des Geistes durch Analyse und Synthese Notionen zu definieren. Ohne den Gebrauch von Kompendien wäre man in der Lage eines Mathematikers, der, um seine Beweise zu führen, jedes Mal jeden schon zuvor geführten und bereits bekannten Beweis erneut demonstrieren sollte85: Ebenso ist die Analyse eine Erklärung der Sprache, die gegen ihre gefährlichen und verworrenen Ausdrücke hilft, aber sie ist nichts jenseits der Sprache. Es gibt keine andere Logik jenseits der Sprache oder getrennt von der, die durch die Sprache ausgedrückt wird. Man greift zu keiner neuen Logik. Man kann nur neue Ausdrücke finden, um die Leistungen des Geistes zu erleichtern; aber das schließt nicht aus, dass man das, was zu erkennen ist, deutlich und richtig durch die natürlichen Sprachen ausdrücken kann. Gemäß dem Gesagten sind die Präpositionen, sowohl in den natürlichen Sprachen als auch in der Characteristica, cogitationes caecae, die es unserem Geist ermöglichen, komplexe Operationen „uno obtutu“ auszudrücken. Sie sind Ausdrücke, die auf der Analogie beruhen, obwohl sie „non tantum repraesentationi, sed et ratiocinationi inservire possunt“86, wie Leibniz schreibt, weil sie „utiliora sunt quanto magis notionem rei signate exprimunt“87. Deswegen sind „viele Sachen in der Sprache nicht notwendig, sondern nützlich“88, und wir können, gemäß der unternommenen Analyse, den Satz so erklären: Sie sind nützlich gemäß unserer modi concipiendi, aber als historische Produkte könnten dieselben auch anders sein, und deswegen sind sie nicht notwendig, sondern möglich. In diesem Sinne sind die Präpositionen eine excogitatio, eine fictio unseres Geistes gemäß unserer modi concipiendi, um Relationen auszudrücken89. Aber was fiktiv ist, ist nur der Ausdruck, der in diesem Fall die Ordnung durch den Raum ausnützt; die Ordnung und Verbindung, die man durch die metaphorische Anwendung der Zeichen ausdrücken kann, ist keine Fiktion. Deswegen sind die Präpositionen keine bloße 85 Vgl. ebd., 918: „Omnis humana ratiocinatio signis quibusdam sive characteribus perficitur. Non tantum enim res ipsae, sed et rerum ideae semper animo distincte obversari neque possunt neque debent, et itaque compendii causa signa pro ipsis adhibentur.Si enim Geometra, quoties Hyperbolam aut Spiralem aut Quadratricem inter demonstrandum nominat, semper earum definitiones sive generationes, et rursus terminorum eas ingredientium definitiones sibi exacte praefigurare cogeretur, tardissime ad nova detegenda perveniret; si Arithmeticus inter calculandum omnium notarum sive ciphrarum quas scribit, valores, unitatumque multitudinem continuo cogitaret, nunquam prolixos calculos absolveret perinde ac si totdem lapillis uti vellet; et Jurisconsultus aliquis, quoties actiones aut exceptiones, aut juris beneficia memorat, requisita harum rerum essentialia saepe prolixa semper mente percurrere non potest, neque opus est. Hinc factum est, ut nomina contractibus, figuris, variisque rerum speciebus, signaque numeris in Arithmetica, magnitudinibus in Algebra sint assignata, ut quae semel vel experiundo vel ratiocinando de rebus comperta sunt, eorum signa rerum illarum signis tuto imposterum conjungantur“. 86 A VI, 4 A, 919. 87 Ebd.; vgl. Favaretti-Camposampiero: Leibniz e la conoscenza simbolica. 88 A VI, 4 A, 902: „Multa in linguis non necessaria, sed utilia“. 89 Ebd., 894: „Ita possent etiam praepositiones fingi dextra te, sinistra te, ut supra te, infra te. Nam possumus in rebus fingere dextr[ors]um et sinistrorsum intelligendo ipsas moveri vel fingendo nos moveri, ut ipsae; intelligimus autem aliquam in rebus faciem, seu partem quae intelligitur nostrae respondere“.
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bildliche Repräsentation, sondern drücken durch ihren semantischen Aspekt und ihre syntaktische Funktion eine Art der Reflexion aus. Ihre logisch-grammatikalischen und semantischen Funktionen können nicht getrennt werden. Ohne diese compendia hätte man nicht die Möglichkeit, komplexe Denkoperationen auszuführen, wie Leibniz an Gallois schreibt. Aufgrund ihrer logisch-grammatikalischen Funktionen, die Relationen, durch die unserer Geist sich „tota cogitabilia“ festhalten kann, auszudrücken, wie auch aufgrund ihrer semantischen Funktionen, durch Analogie einen wahrnehmbaren Ausdruck für abstrakte Gedanken zu finden, können sie nicht von der Characteristica ausgeschlossen werden. Vielmehr müssen sie hier die Kasusendungen ersetzen, wie es schon in einigen Vernakularsprachen der Fall ist. Sie beruhen auf denselben Operationen des Geistes und stellen den inventiven und kognitiven Aspekt der Sprache dar90. 10. ZUM SCHLUSS Man kann einige Ergebnisse der hier durchgeführten Analyse von Leibniz’ Konzeption der Präposition zusammenfassen. Als grundlegende Strukturmomente der natürlichen Sprache sowie der rationalen Grammatik müssen sie als unerlässliche Teile zum Aufbau einer characteristica betrachtet werden, weil sie erstens die Beziehungen zwischen den Begriffen bezeichnen hinsichtlich der Art und Weise, in der der Geist sie erkennt, und zweitens den Ausdruck des wichtigsten Aspekts der Sprache, d. h. die Mitteilung in der natürlichen Sprache und die Synthese bzw. die Erfindungskunst in der Characteristica, ermöglichen. Deswegen antwortet Leibniz in den Nouveaux Essais auf die von Locke aufgestellte Behauptung, dass die Präpositionen Merkmale der Handlungen des Geistes seien91: „Die Lehre von den Partikeln ist allerdings wichtig, und ich wünschte, dass man sie mehr im Einzelnen bearbeitete. Denn nichts würde geeigneter sein, die verschiedenen Formen des Verstandes erkennbar zu machen“92.
Die besondere Bedeutung, die den Präpositionen bei Leibniz zukommt, zeigt, dass die Sprache nicht als bloße Sammlung von Namen interpretiert werden kann. Die Sprache strukturiert im Spiegel unserer Erkenntnisweise die Welt, die selbst wiederum durch die Relationen zwischen den Substanzen strukturiert ist. Zwischen
90 Ebd., 336: „Sed sequamur filum linguarum receptarum. Quaeramusque quomodo omnia commodissime resolvantur. Incipiamus autem a casibus nominum; qui semper resolvi possunt in praepositiones cum nominativo, quod exemplo Italicae, Gallicae, Hispanicae patet“. 91 Vgl. A VI, 6, 330: „Mais il ne suffit pas de parcourir ces Catalogues. Il faut reflechir sur ses propres pensées pour observer les formes, que l’esprit prend en discourant, car les particules sont tout autant de marques de l’action de l’esprit“. 92 Vgl. ebd., 330: „Il est très vrai que la Doctrine des particules est importante, et je voudrois qu’on entrât dans un plus grand detail là dessus. Car rien ne seroit plus propre à faire connoitre les diverses formes de l’entendement“.
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Lucia Oliveri
Welt und Geist bzw. Sprache gibt es einen hermeneutischen Austausch. Es macht die Struktur des Geistes aus, dass er einer Sprache als einer Vielheit von Operationen bedarf, die selbst zur Einheit innerhalb der Proposition finden muss. Deshalb sind die Sprachen Spiegel des Verstandes und entstehen nicht durch onomathesia, sondern durch den Gebrauch von Wörtern, welche die Gedankenoperationen oder Urteile ausdrücken können, indem sie als Zeichen eines unsichtbaren und ansonsten undurchführbaren Vorgangs fungieren.
“MODUM DEFINITIONES INVESTIGANDI” PHILOLOGY AND THE FOUNDATION OF DEMONSTRATIVE SCIENCE By Marine Picon (Lyon) Leibniz’s theory of science is generally considered as organized around an a priori cognitive model. Allegedly central to this model would be the classification of definitions to which he keeps coming back over and over again in his mature writings, the main distinction of which lies between nominal and real definitions1. However, if we turn to his early writings, we cannot but wonder at the contrast between the importance given to definition, which Leibniz calls the “only locus” and the “only principle” of demonstrations2, and the apparent lack of an explicit treatment of definitions as such, and of the way they are to be established. We must apparently be content with the equation set in the De Arte combinatoria between the definition of a term and its resolution into what Leibniz calls its “formal parts”, that is into a number of simpler concepts analogous to the arithmetic factors of a number3. In other words, the so-called a priori cognitive model is present in these years, at its strongest, when Leibniz advocates a generalized application of the mos geometricus; but the fundamental element of this model, namely definitions, seems to be taken for granted. This of course is particularly problematic, if the geometrical model of certainty is to be enforced in such concrete fields as natural philosophy or law. However, this disproportion between the importance of the role assigned to definitions and their casual treatment is more apparent than real. Leibniz’s writings of the Mainz period do contain a developed theory of definition. But it is so different from the one which we usually consider as the foundation of his epistemology that it has seldom retained the attention of scholars – except those with an interest in
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L. Couturat wrote that, taken together with Leibniz’s theory of truths and demonstration, his “theory of concepts and definition […] entirely explain[s] the formation of his system” (La Logique de Leibniz d’après des documents inédits, Paris 1901, p. 188). More recently, Ch. Leduc presented Leibniz’s views on “real definition” as fundamental for his “a priori cognitive model” (Substance, individu et connaissance chez Leibniz, Paris/Montréal 2010, chap. III, pp. 83–95). Dissertatio de arte combinatoria (A VI, 1, 199); Accessio ad Arithmeticam infinitorum (A II, 1, 350). A VI, 1, 195.
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Leibniz’s researches on historical languages4. Their studies on this point are not usually referred to in the presentation of Leibniz’s epistemology, probably for this reason: real definition, generally taken to be the basis of science as Leibniz’s mature writings conceive it, is fully independent from the consideration of linguistic phenomena. Indifferent to the traditional question quid nominis, it purports to address directly the question quid rei. Real definition does not concern itself with the contingent processes that have led to the formation of such or particular signification. Rather, it is meant to lay out the requisites of an essence, regardless of the linguistic medium. However, I would like to show that the close relation originally existing, in Leibniz’s writings, between the notions of significatio, definitio and idea determined the crucial importance that nominal definition (or definition as such, independently from further specification) was to retain in the course of his later thought. In a second part of this study, I would like to draw attention to the philological method prescribed by Leibniz for the establishment of definitions in contexts where he defended his most ambitious epistemological model, namely, where he dealt with demonstration and science. 1. NOMINAL DEFINITION AND THE EMERGENCE OF LEIBNIZ’S FIRST NOTION OF IDEA 1666–1672 Leibniz’s later writings have made familiar the notion that “intellectual ideas […] are the source of necessary truths”5. Yet this should be considered as a view specific to this later period, but missing from a long earlier one which includes most of the pre-Hanoverian writings. How then did the young Leibniz conceive of the foundation of truths of reason, and what role did language play in that respect? A crucial text, for both the question of the foundation of science and the question of the relation between thought and language, is of course the 1672 Accessio ad arithmeticam infinitorum. There, we find Leibniz endorsing once again the Hobbesian tenet – which he attributes to Aristotle – according to which “definition is the only principle of demonstration”6. But contrary to what will be the case 4
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See especially A. Heinekamp: “Sprache und Wirklichkeit nach Leibniz”, in: H. Parret: History of Linguistic Thought and Contemporary Linguistics, Berlin/New York 1976, pp. 518–570; M. Dascal: “Leibniz’s Early Views on Definitions”, in: Leibniz, Language, Signs, and Thought: A Collection of Essays, Amsterdam/Philadelphia 1987, pp. 61–80; S. Gensini: Il naturale e il simbolico. Saggio su Leibniz, Roma 1991; id.: “The Leibnitian Concept of Significatio”, in: K. Dutz/S. Gensini (eds.): Im Spiegel des Verstandes. Studien zur Leibniz, Münster 1996, pp. 69–98; F. Piro, “Are the ‘Canals of Tropes’ Navigable? Rhetoric Concepts in Leibniz’s Philosophy of Language”, in: Dutz/Gensini, pp. 137–160; “Tra Valla e Scaligero: Leibniz, la linguistica rinascimentale e il problema del cambiamento semantico”, in: S. Gensini (ed.): Linguaggio, mente, conoscenza. Intorno a Leibniz, Roma 2005, pp. 15–38. Nouveaux Essais sur l’Entendement Humain I, 1, § 11; A VI, 6, 81. “At vero omnia axiomata quae a sensu non pendent, imo omnia scientiarum a sensu et experimentis independentium theoremata sunt propositiones ejusmodi, quod et Aristoteles animadvertit,
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in the Hanover writings, Leibniz then holds that definitions, in general and as such, are “arbitrary”7 and, second and particularly interesting point in my view, that there may be many different definitions for one “idea”. This second point Leibniz claims to have set forward as early as 1666, in the De Arte combinatoria8. It is interesting because it is not quite true. If we go back to that earlier text, we do find the view that one term can be decomposed in different ways, just like a number in different series of factors. But the very term idea is missing from the De Arte combinatoria. We do not find there the difference between, so to say, two levels: one of thought and one of characters. Both the definiendum and the definiens are homogeneous in that respect. My point here is that the Accessio passage on the relation between definitions and idea operates a retrospective transformation of the earlier text in a psychological sense; so that those two texts, six years distant from each other, appear as the landmarks between which Leibniz’s first notion of idea emerged. As we shall see, this conceptual genesis was not independent from Leibniz’s early dominant concerns about language, but rather a side-effect of them. It is well known that, whilst the notion of idea is absent from the De Arte combinatoria, it is present and plays an important part in the theological context of the Catholic Demonstrations, begun two years later, and dealing with creation, God’s knowledge and God’s will9. This important part can be summarized with a passage from the 1671 letter to Magnus Wedderkopf, where Leibniz writes that “the very possibilities or Ideas of things coincide with God himself”10. But, at about the same time, in a different context dealing with human affairs, Leibniz writes: “As to mankind, no other criterion of possibility […] is available than existence itself”11. The point I am trying to make is that idea is decisively present at qui unicum posuit demonstrandi principium: definitionem” (A II, 1, 350). Aristotle’s doctrine of the indemonstrable foundations of demonstration is more complex (cf. Posterior Analytics 1, 2, 72 a 14–24; and, for the actual source of this view, Hobbes’s De Corpore, I, 6, 13, in Opera Philosophica, ed. by W. Molesworth, henceforward OL, vol. I, London 1839, p. 72). Note that the present statement, according to which the relation between two terms enunciated in a proposition is known independently from sensory experience, is different from the view contained in latter writings that those very terms or ideas do not derive from experience. Leibniz’s first epistemology is distinguished by its indifference to the question of the origin of our ideas. 7 “[…] exceptis definitionibus, quae ut toties in suis scriptis inculcat Galilaeus, arbitrariae sunt […]” (A II, 1, 351). 8 “Ibi monui […] Eandem ideam exprimi posse variis definitionibus” (A II, 1, 354). 9 See especially A VI, 1, 509–510 and 513. 10 “[…] illae ipsae possibilitates seu Ideae rerum coincidant cum ipso Deo” (A II, 1, 186). 11 “[N]ullum est aliud generi humano κριτήριον possibilitatis (de quo alibi) praeter existentiam ipsam” (Elementa juris naturalis; A VI, 1, 473). For the origin of this view in the teaching of Leibniz’s Lutheran masters at Leipzig, see my “‘The Summulists’ disputes de constantia subjecti’: the young Leibniz and his masters on eternal truths and existence”, forthcoming. For evidence that this statement should not be brushed aside as a youthful opinion, see A VI, 4 A, 159 and 761–762.
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that time in its archetypical sense, not in a psychological sense which would imply that we have some non-discursive access to the essences or possibilities of things12. On this point, as we shall see, Leibniz was then far from having reached a stable position. 1.2 Confronting Hobbes’s arbitrarism: an aporia without an answer This might explain the intriguing fact that Leibniz’s major plea in favour of the possibility of demonstrative science, namely the 1670 preface for his reedition of Nizolius, hardly makes any reference to ideas13. This absence is particularly conspicuous in the often quoted passage where Leibniz refers to Hobbes as plusquam nominalis, because of the fact that, for the English author, definitions and therefore truths depend on human conventions14. We obviously expect Leibniz, at this juncture, to resort to the solutions with which he will later answer what he will come to call the “Hobbesian difficulty about arbitrary truth”15. It will be recalled that these solutions are distinguished by Marcelo Dascal as the “semiotic” conception of definition, resting on structural analogy, and the conception of real definitions showing the possibility of the definiendum16. But it should be noted that in 1670, and at least until the first months of his stay in Paris, neither of these solutions appear to be have been available to Leibniz: both in the original version of the Preface, and in its second edition from 1674, the only comment he adds to the mention of Hobbes’s arbitrarism is: “Such is the opinion of a man who must be considered as one of the most profound of our century, and, as I said, nothing can be more nominalist than that. The same can be said about the present Reformers of philosophy […]”.
12 Commenting on Leibniz’s conception of mathematics in this period, F. Piro wrote: “[…] this is a Platonism, but one which does not admit of any intuitive grasp of the intelligibles” (Varietas identitate compensata: Studio sulla formazione della metafisica di Leibniz, Naples 1990, p. 38). 13 Dissertatio praeliminaris […] de lapsibus Nizolii; A VI, 2, 399–432. 14 “[I]psum Occamum non fuisse Nominaliorem, quam nunc est Thomas Hobbes, qui, ut verum fatear, mihi plusquam Nominalis videtur. Non contentus enim cum Nominalibus universalia ad nomina reducere, ipsam rerum veritatem ait in nominibus consistere, ac, quod majus est, pendere ab arbitrio humano, quia veritas pendeat a definitionibus terminorum, definitiones autem terminorum ab arbitrio humano. Haec est sententia viri inter profundissimos seculi censendi, qua, ut dixi, nihil potest esse nominalius. Idem dicendum est de nostri temporis philosophiae Reformatoribus, eos si non plusquam Nominales tamen Nominales esse fere omnes” (A VI, 2, 428–429). 15 “De discrimine inter conceptus inadaequatos et adaequatos, sive definitionum nominalium et realium, ubi occurrendum Hobbesianae difficultati de veritate arbitraria” (A VI, 4 A, 973). 16 M. Dascal: La Sémiologie de Leibniz, Paris 1978, pp. 192–195; id.: Leibniz. Language, Signs and Thought, Amsterdam et al. 1987, pp. 61–64.
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He then moves on to Nizolius’s errors. It is only at an unknown posterior date that Leibniz will state, in a marginal note to his edition, his clear disagreement, based on the well-known argument from arithmetic, in which truth remains the same even if notations are changed17. As to the eternal ideas or possibilities of things in God, and the non-arbitrary “real” definitions later supposed to express them, no mention soever is made of them here. This is consistent with a pair of statements about definition made by Leibniz in notes to Nizolius’s text. They show how mistaken we would be if we persisted in considering Hobbes as the real target aimed at in Leibniz’s notes and preface to Nizolius. One will remember that, in chapter VI of the De Corpore, Hobbes devotes a paragraph to the “nature and definition of definition:” “whensoever [a] thing has a name, the definition of it can be nothing but the explication of that name by speech”18. This definition of definition is echoed by Leibniz, first as an objection to Nizolius’s Book II, chapter 1 – a passage that should incite us to reconsider the generally shared view that Nizolius’s fault, in Leibniz’ eyes, was his defence of an extreme version of nominalism. Nizolius writes: “Real essence, which must be explained by definition, does not lie in spoken words, nor in the concepts of the mind, but in things themselves, as they stand outside speech and thought, so that definitions are properly of things, not of words”.
Leibniz edits these last words in italics, and objects, according to Hobbes: “A definition is nothing but the accurate explanation of a term”19. In chapter 5 of that Book, the same point is made again by Leibniz against Nizolius: “A definition can only be of names”20. The importance that Leibniz gives to this understanding of definition is confirmed by the fact that, two years later, in the wholly different context of his Demonstratio propositionum primarum, devoted to the question of the ultimate foundations of science, he writes once more: “The explanation of a word is a definition”21. In these conditions, is it possible to find in this period, as Couturat was anxious to, elements that would constitute some answer, or alternative, to Hobbes’s
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“ […] nihil potest esse nominalius. Sed quae tamen stare non potest. Uti in Arithmetica, ita et in aliis disciplinis manent eaedem veritates etsi notae mutentur, nec refert decadica an duodenaria progressio adhibeatur. Idem dicendum est de nostri temporis philosophiae Reformatoribus […]” (loc. cit.). “[…] si quod ei rei nomen aliquod impositum sit, non potest definitio aliud esse quam illius nominis per orationem explicatio” (Th. Hobbes: Opera philosophica quae latine scripsit omnia, ed. by G. Molesworth, Vol. I, London 1839 [Reprint Aalen 1966], p. 73). Nizolius: “Vera enim essentia, quæ definitione explicanda est, non in vocibus oris, nec in conceptis mentis est, sed in rebus ipsis extra vocem mentemque consistentibus, ut definitiones proprie rerum sint, non vocum […]”. Leibniz: “Imo vero definitio nihil aliud quam accurata nominis explicatio est” (A VI, 2, 454). “Imo vero nulla nisi nominum definitio est […]” (A VI, 2, 456). “Vocis explicatio, Definitio est” (A VI, 2, 479).
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conception of science as an essentially discursive construct based on semantic conventions? 1.3 “Idea universali seu definitione terminorum” The term idea occurs only twice in the Dissertatio preliminaris. First in a casual context where Leibniz intends to point out the verbal proliferation induced by the use of abstract terms22, second, and more importantly, in the final section where Leibniz presents his view of the foundation of demonstrative science, as opposed to simple induction from particulars. Commentators since Couturat have understood this second passage not only as an answer to Nizolius’s empiricism, but also to Hobbes’s alleged super-nominalism, more precisely to the view that definitions are arbitrary because all mental content is particular, in other words because there is no universality in the ideas or conceptions of the mind, but only in names and their definitions23 – hence the stipulative basis of truth. Let us then consider Leibniz’s own solution: “Moral certainty is not based on induction alone […] but it depends on the addition or the help of those universal propositions which in turn depend not on the induction from singulars, 24 but on some universal idea or definition of terms” .
It should be noted first that Leibniz here reexposes the Scotist teaching on the way we reach scientific knowledge of natural phenomena, as it was conveyed by late scholastic textbooks. So this account is not intrinsically dependent on innate intellectual ideas, which played no part in that epistemology25. Yet, this passage has been read as an early insight into the doctrine that Leibniz was to develop against Locke in the New Essays on Human Understanding: namely, that universal neces-
22 “[…] substituere abstracta concretis […] esse non tantum tropicum, sed et superfluum; ac perinde esse, ac si quis loco ejusdem propositionis diceret: certum est, verum est, non est dubitandum; quisquis attendet, sentiet; idea hominis menti meae per sensum impressa confirmat, hominem esse rationalem […]” (A VI, 2, 418). It is interesting to note that, in this first occurrence, idea is taken in its traditional sense, namely as a result from abstraction from sensory experience. 23 Hobbes does write that “Idea omnis, & una est, & unius rei” (De Corpore I, V, 8; Opera philosophica I, 54). But, as W. Hübener has shown, Hobbes’s own philosophical writing betrays a more conceptualist conception (“Ist Thomas Hobbes Ultranominalist gewesen ?”, in: Studia Leibnitiana 9 (1977), pp. 77–100, especially pp. 95–100). 24 “Sed haec moralis certitudo non fundata est in sola inductione, ex ea enim nullis eam fidiculis collegeris; sed ex additione seu adminiculo harum propositionum universalium non ab inductione singularium, sed idea universali seu definitione terminorum pendentium” (A VI, 2, 431, italics mine). 25 Duns Scotus’s original doctrine on this point is contained in the Ordinatio I, d. 3, q. 4: universal conclusions can legitimately be established on an inductive basis provided that we make use of general propositions not dependant on induction (Opera Omnia, studio et cura Commissionis scotisticae, Vol. III, Civitas Vaticana 1954, pp. 141–142).
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sary propositions depend on intellectual ideas in the human mind. However, in this one occurrence in the Nizolius Preface, idea is, as we can see, immediately equated with a “definition of terms” – the only kind of definition that Leibniz then admits. Far from tackling Hobbes’s alleged vocalism, Leibniz does not care to establish whether a universal idea be something else or something more than the “accurate explanation of a word”. He is therefore objectively very close to Hobbes’s own view of human science as a self-coherent discursive construct. The one thing that Leibniz will not concede is that definitions should be purely arbitrary. But what then do they depend on – if not, in Cartesian style, on the “inspection of ideas”? Between Hobbes’s arbitrarism on the one hand and the Cartesian “appeal to ideas” on the other, how exactly does the young Leibniz account for the fundamental elements of necessary knowledge? 1.4 The Genesis of Universal Ideas in the History of Languages This is a question the answer to which is to be looked for in the first part of the Preface, more precisely in the long philological developments introduced there as reflections on the style of philosophy. These developments are precisely meant to answer the question “given a certain word, what signification must be attributed to it”26? They have been studied by Stefano Gensini and Francesco Piro, who have shown that Leibniz was originally familiar with the humanist methods of juridical interpretation, and particularly with the use made of rhetorical figures or tropes to reach a sustainable meaning for obscure texts27. This was exposed in the hermeneutic sections of the second part of the 1667 Nova Methodus discendae docendaeque jurisprudentiae28. The fascinating aspect of the Nizolius Preface, which Gensini’s and Piro’s studies brought to light, is that in order to establish permanently the definitions of words, the fundamental importance of which has now appeared, Leibniz transfers the hermeneutical apparatus of tropes from its original function of interpretation into a theory of the evolution of meanings in historical languages – hence the importance “not only for a good grammarian, but also for a philosopher, to be able to deduce the usage of 29 a word from its origin through what could be called continuous sorites of tropes” .
It is important because the fundamental elements of science are nothing but the universal significations elaborated and transmitted through the history of languages. The definition of a term, to which the “universal idea” will be identified
26 “Atque ita patet dato vocabulo quae adhibenda sit significatio […]” (A VI, 2, 411). 27 Gensini: “The Leibnitian Concept of Significatio”, pp. 71–76; Piro: “Are the ‘Canals of Tropes’ Navigable?” and “Tra Valla e Scaligero”. 28 A VI, 1, 337–339. 29 “Unde boni Grammatici, atque etiam Philosophi est continuatis troporum soritis, ut sic loquar, vocis usum ex origine deducere posse” (A VI, 2, 410, italics mine).
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in the final section of the Preface, is such a signification “signified”, after having been determined on the basis of an explanatory theory of its evolution from its origin to its present usage. 1.5 From significatio to idea It is worth noting that this relation between signification and definition turns out to be, so to say, the conceptual matrix from which Leibniz’s first notion of idea is about to come out. When he will come to speak, in the following months, of the ideas that we do have – not the archetypical ideas in God – these ideas will be determined precisely as what is “expressed” by definitions. When, a few months after the Dissertatio preliminaris, idea appears again in the context of reflections on the foundations of science, this notion takes the place that used to be the one of significatio in its relation to the definition that “expressed” it. Compare those two passages: Dissertatio preliminaris (1670) “Once the signification chosen, if the circumstances allow it, it must given the form of a definition (for a definition is nothing but a signification expressed by words, or more briefly, the signification signified) […]”30. Elementa juris naturalis (4) (1670–71) “[The decrees of juridical sciences] are not derived from sense, but from a clear and distinct imagination, which Plato called an Idea, and which, when expressed in words, is the same as a definition […]”31.
In 1670, a definition is “a signification expressed by words”; in the juridical draft from the following year – frequently invoked as documenting the young Leibniz’s “Platonist epistemology”32 – Leibniz does refer to Plato, but, far from presenting his “Idea” as the immutable object of a pure intellection, he obviously conceives it
30 “Electa autem semel significatio si locus fert redigenda in definitionem (definitio enim nihil aliud est, quam significatio verbis expressa, sive brevius, significatio significata) […]” (A VI, 2, 411). 31 “Nec [sc. Scientiarum decreta] a sensu descendunt, sed clara distinctaque imaginatione, quam Plato Ideam vocabat, quaeque verbis expressa idem quod definitio est […]” (A VI, 1, 460, translation from G. W. Leibniz: Philosophical Papers and Letters, ed. by L. E. Loemker, Dordrecht 21969, p. 133). 32 See especially Ch. Mercer: Leibniz’s Metaphysics: its Origins and Development, Cambridge 2001, p. 246. A similar reading had been suggested by L. E. Loemker (Leibniz: Philosophical Papers, p. 138) and to some extent by M. Dascal (“Leibniz Early Views on Definitions”, p. 70). Conversely, E. Pasini points out that idea is used here in a representational rather than in an archetypical acceptation, and refers to Gassendi as the source of this usage (Corpo e funzioni cognitive in Leibniz, Milano 1996, pp. 33–34).
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as an intentional act, and, regardless of the Augustinian opposition between image and idea revived by the Cartesians, he identifies “Idea” with a type of “imagination”, to finally tell us that “expressed in words, [it] is the same as a definition”33. But maybe the most striking instance of the way in which idea was gradually substituted for significatio in the writings of this period is the first page of the Demonstratio Propositionum Primarum. I mentioned it before for its repetition of the Hobbesian definition of definition as “the explanation of a word”. In the original version of that text, Leibniz then proceeds immediately to distinguish between different types of propositions and to their demonstration34. But, in a marginal addition, he complements these first lines with another definition of definition: “A definition is an idea signified”. This allows us to conclude that, at that stage of Leibniz’s thought, to “explain a word” amounts to “signifying an idea.” Or, put differently, that an idea is what is signified by the “explanation of a word”. This confirms that, far from assuming a Platonist epistemology, the young Leibniz holds a largely Hobbesian theory of knowledge, in which definitio and significatio are more original and fundamental notions than idea. So that idea can be considered to be, in these early writings (with the exception of the Catholic Demonstrations), a psychological avatar of significatio. 2. PHILOLOGY AND THE FOUNDATION OF A PRIORI KNOWLEDGE 2.1 Claritas as the criterion of reality All this is, of course, very far from the way in which Couturat conceived of Leibniz’s answer to Hobbes. Yet this is not just a temporary view. Written around 1671, the Elementa juris naturalis draft quoted above reexposes Leibniz’s conception of demonstration as a chain of definitions, as it had been set forward for the first time in the Nizolius Preface:
33 This understanding of Platonician Ideas should not surprise us, considering the obvious affinities of this piece with the German academic tradition. At the origin of that tradition, Melanchthon had popularized an interpretation of Plato which made the doctrine of Ideas compatible with the nominalist tenets of the via moderna: “Nec aliud Plato vocat Ideas, quam quod Aristoteles nominat species seu εἶδος. Et uterque tantum de illis imaginibus in mente loquitur. Has dicunt esse perpetuas, quia rosae notitia seu definitio manet in mente, etiam in hyeme, cum nullae usquam florent rosae. Et una est vera ac perpetua definitio” (“Erotemata Dialectices”, in: Corpus reformatorum, Vol. XIII, ed. by C. G. Bretschneider, Halle 1846, p. 520). On the Melanchthonian revival of ancient metaphysics and epistemology, see U. G. Leinsle: Das Ding und die Methode. Methodische Konstitution und Gegenstand der frühen protestantischen Metaphysik, Augsburg 1985, pp. 11–17. 34 “Propositionis explicatio idem est cum Demonstratione. Dantur enim propositiones indemonstrabiles, id est quae sunt sentendiae […]. Demonstrabiles aliae sunt rationis, aliae facti” (A VI, 2, 479).
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Marine Picon “The necessary connections between things and their consequences are demonstrated by this [procedure]: they are deduced from a clear and distinct imagination, that is (when this imagination is expressed by words) from a definition, through a continuous series of definitions each of which implies the other. Therefore, since the doctrine of law is a science, since science results from demonstration, and demonstration has definition as its principle, it follows that we must first of all investigate the definitions of the words Right, Just and Justice, that is the clear ideas by which we usually estimate the truth of propositions or the use of words in speech, even when we are not aware of it”35.
The following paragraph is then dedicated to presenting the way in which those definitions must be established. We would expect Leibniz to now tell us that those fundamental definitions must proceed from the inspection of our “clear ideas”. But it is far from being the case. Here again, when he reaches the question of the ultimate foundation of this procedure of apodictic knowledge, he turns to the philological method for determining a signification from the common uses of a word: “The method for this research consists in bringing together the most remarkable and mutually remote instances of the use of terms, and to set up something that fits with them all. Just as we construct an hypothesis by induction from experiments, so we construct a definition by comparing propositions […]”36.
It might seem in these conditions that the sciences, of which jurisprudence here is presented as an eminent example, are elaborate linguistic constructs, universes of discourse closed on themselves with nothing but usage as their norm. Yet the crucial importance of the philological considerations quoted above comes from the fact that for Leibniz definitions as “explanations of words” have the power of showing the connection between language and reality. Alternatively to the empiricist view quoted above, according to which we achieve knowledge of possibility through knowledge of existence only, Leibniz seems to have entertained in the same period the more optimistic belief that some intrinsic quality of discourse, more particularly of definitions, could be taken, so to say, as index realitatis:
35 “Quare necessariae rerum connexiones et consequentiae eo ipso demonstratae sunt, quod ex clara distinctaque imaginatione, id est cum verbis exprimitur definitione, per continuatam definitionum sibi implicatarum seriem, id est demonstrationem, deducuntur. Cum igitur doctrina juris scientia sit, et scientiae causa sit demonstratio, demonstrationis principium definitio, consequens est vocabulorum, Juris, Justi, Justitiae, definitiones, id est ideas quasdam claras, ad quas ipsi cum loquimur exigere propositionum, id est usus vocabulorum, veritatem etiam nescientes solemus, debere ante omnia investigari” (A VI, 1, 460–461, Leibniz: Philosophical Papers, p. 133 modified). 36 “Investigationis haec methodus est, ut insigniora et maxime dissita ex usu loquendi exempla conferentes, comminiscamur aliquid quod et his et cæteris congruat. Quemadmodum enim inductione experimentorum struimus hypothesin, ita propositionum collatione definitionem […] facimus […]” (loc. cit.).
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“If Nature had provided no determined rule of the Just, then necessarily the word Justice could not even be defined, but it would be a bare word, like Blitiri. For wherever definition (or the clear explanation of a word) is possible, certainty and demonstration are possible too”37.
Clarity, heir to the Renaissance virtue of perspicuitas, manifests that the fundamental notions of a science have some permanent realities as their counterparts – realities which, as in the present example, can be beyond the grasp of imagination. It goes without saying that the distinction between two types of definitions, nominal or real, became justified only when that confidence in the manifestative power of language was lost to Leibniz38. He then gave up his early view that “a definition can only be of names”, and reverted to that distinction from scholastic logic. Its first occurrences seem to be in his early Hanover papers (A VI, 4 A, 13). Yet, we shall see that, many months after he had begun to insist that “in every definition, one must be assured that the defined is possible”39, he still prescribed, for the establishment of the fundamental elements of a priori science, a method very similar to the one advocated in 1671. 2.2 The “one locus of perfect demonstration” and the determination of significations Eight years after the Elementa Juris Naturalis drafts, at the time of Leibniz’s first plans for the general science and the algebra of concepts, his method for the foundation of a priori knowledge is reexposed in more details in a couple of essays on the “reasons of laws”40. It will presently appear that these essays contain developments of wider epistemological import: “To accurately account for a proposition is to demonstrate it a priori. The principles of demonstration are definitions and axioms. […] It will be enough for now to expose the way of looking for definitions and axioms and of demonstrating from them”41.
37 “Nam si nulla a natura prodita est certa Justi regula, necesse est, Justitiae vocem ne definiri quidem posse, sed esse nudum nomen, quale est Blitiri. Ubicunque enim possibilis est definitio (seu clara vocis explicatio) ibi possibilis est certitudo seu demonstratio” (A II, 1, 87). Cf. “Von der Allmacht und Allwissenheit Gottes […]”; A VI, 1, 540. 38 How and why that happened – how Leibniz came to think of language as an obstacle between thought and itself – is another story. See M. Mugnai: Astrazione e realtà. Saggio su Leibniz, Milano 1976, pp. 33–34; Piro: Varietas identitate compensata, p. 168; M. Picon: “L’Expérience de la pensée. Définitions, idées et caractères en 1675” in: D. Berlioz/F. Nef (eds.): Leibniz et les puissances du langage, Paris 2005, pp. 179–199. 39 “In omni definitione constare debet id quod definitur esse possibile” (1677 [?], A VI, 4 A, 15). 40 “De Legum rationibus inquirendis” (A VI, 4 C, 2775–2780), “De Legum interpretatione, rationibus, applicatione, sytemate” (A VI, 4 C, 2782–2791). 41 “Rationem alicujus propositionis accurate reddere, est eam a priori demonstrare. Principia demonstrationum sunt definitiones et axiomata. […] Sed nunc sufficiat modum exponere definitiones et axiomata investigandi et ex illis demonstrandi” (A VI, 4 C, 2776).
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This exposition is clearly placed under the auspices of Aristotle’s doctrine of science: “Science is the knowledge of a thing through its cause, that is, knowledge of the cause for which an affection is in a subject. This cause is to be looked for in the essence of the subject, that is, in its definition. The definition of a thing is searched for if we take a number of other things, which are predicated from the thing to be defined, or of which this thing is predicated, be they its individuals, or its species, its genera or affections; and we always look for the reason why one is said of the other. For in different propositions, different reasons occur, like different genera which, taken together, will give the entire definition […]”42.
The second sentence in this passage enunciates what we are used to considering as Leibniz’s conception of a priori knowledge43. More surprisingly, the development on definition which follows makes no mention of the distinction between nominal and real definitions. Instead of the resolution of a term “into its formal parts”, Leibniz presents an indirect way of identifying the ingredients of a definition. This procedure, gathering the possible attributes and subjects of the term to be defined, is clearly reminiscent of the method prescribed by Aristotle in the Prior Analytics for the search for the middle-term of a syllogism44. And indeed, by the “reasons” occurring in propositions, or the “reason” why a thing is said of another, we can suppose that Leibniz does mean the middle term of the syllogism through which this proposition would be demonstrated – that is, a possible genus of the subject. The definition produced by the combination of these genera would actually correspond to the definition of definition set forth a few months earlier in the “Post tot logicas nondum logica qualem desidero scripta est”: “definition is the proper composed of several genera”45. The second essay, from the same year, contains similar developments. It begins by recalling the strict dependence of demonstrative knowledge on definitions:
42 “Scire est rem per causam nosse, seu nosse causam cur affectio aliqua subjecto insit. Quae petenda est ex essentia subjecti sive definitione. Definitio Rei investigatur, si aliae res complures sumantur, quae de re praedicantur, vel de quibus ipsa praedicatur, sive sint ejus individua, sive species, sive genera, sive affectiones; et semper quaeratur ratio, cur unum de altero dicatur. In diversis enim diversae occurrent rationes, velut totidem genera, quae inter se juncta partes definitionis integrae dabunt […]” (A VI, 4 C, 2776–2777). 43 This actually is reminiscent of the Thomist conception of causality. But in Aquinas’s epistemology, demonstration could only proceed from a real definition, giving the genus and the specific difference of the subject (In libros Posteriorum Analyticorum, II 1. 9, 7, 19). Leibniz’s major break from that realist epistemology is epitomized by the fact that he no longer distinguishes between the predicables, and repeats throughout his career – as in the present text – that “different genera are like differences for each other” (A VI, 4 C, 2777 – see also A VI, 4 A, 12–13, 538 and A VI, 6, 291 ff.). In sum, he maintains the traditional deductive model of science, while replacing its real definition (i.e. in terms of real universals) by one conceived of as the “explanation of a word” – provided that the possibility of the defined be in some way known to us. 44 Bk. I, ch. 27–30. 45 “Ita definitio est proprium compositum ex pluribus generibus” (A VI, 4 A, 11).
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“Since therefore the one locus for perfect demonstrations is definition, it will be worthwhile to say something about its nature, and to expose the way of looking for definitions. A definition is the expression of the concept we have of some defined term. A term is defined when we explain it by a definition, in such a way that it can be distinguished from any other”46.
This is just what Leibniz will call, in more familiar texts written in the course of the following months, a nominal definition47. The difficultas hobbesiana – that is, the problem of the alleged arbitrariness of definitions – is actually mentioned in the following sentence, but the answer to it is not associated with the view that another type of definition should be necessary48. Rather, the method for establishing definitions consists, here again, in considering the term to be defined as the focus of a number of predicative relations – this time not only of predications in recto, as in the previous text, but also of all the oblique predications occurring in ordinary speech and classified in loci or places. Note that the method which was presented in the first text as leading to the “definition of a thing” (definitio Rei) is now prescribed to “examine” and “figure out” the signification of a given term: “Given a certain term, its signification will be examined if we gather various ways of speaking about it, which occur either in common speech, or in that of our author […]. One should begin by observing Epithet Terms, which are affirmed or denied of it, then make note of its subjects, apposites, synonyms (or cognate terms) and opposites. To all of these, the term is joined by a straight predication. Then one should proceed to rectiones, namely to those to which it is joined in an oblique predication. There remains to figure out a signification fitting all the locutions collected, following the same method as the one followed to devise hypotheses fitting all phenomena”49.
In addition, Leibniz refers here, as he did in the Nizolius Preface, to the hermeneutical concept of conceptus formalis, defined by Bohlius to the effect of accounting for tropic or figurative usages of a term as proper ones, that is, to integrate into the 46 “Quoniam ergo Locus perfecte demonstrandi unicus est definitio, operae pretium erit paucis naturam ejus, ac modum definitiones investigandi exponere. Definitio est expressio conceptus quem habemus de definito. Definitum autem est terminus aliquis, quem scilicet definitione ita explicamus, ut a quolibet alio distingui possit” (A VI, 4 C, 2787). 47 De Synthesi et Analysi universali … (1683–1685): “Nominalis definitio consistit in enumeratione notarum, seu requisitorum ad rem ab aliis omnibus distinguendam sufficientium […]” (A VI, 4 A, 540). “Meditationes de Cognitione, Veritate, et Ideis”: “[…] Definitionem nominalem, quae nihil aliud est, quam enumeratio notarum sufficientium […]” (A VI, 4 A, 587). 48 “Hinc patet definitiones non esse arbitrarias. Sunt enim quidam conceptus implicantes contradictionem, qui nulli rei definitae respondent, tales definitiones non sunt principia demonstrandi, quia simul ex illis concludi possunt opposita, ante omnia ergo constare oportet, conceptum definitione expositum esse possibilem” (A VI, 4 C, 2787). 49 “Proposito Termino investigabitur ejus significatio, si varii modi loquendi de ipso qui vulgo vel apud autorem nostrum in usu sunt, colligantur […]. In primis autem observanda sunt Termini Epitheta, quae de eo affirmantur vel negantur, proximum est ut subjecta, apposita, synonyma (vel cognata), et opposita singularia annotentur. Et his quidem omnibus terminus adjungitur in recto; inde veniendum est ad rectiones, seu quibus in obliquo jungatur. Hinc jam effingenda est significatio quae omnibus locutionibus collectis satisfaciat, ea plane methodo qua effingimus hypotheses quibus satisfaciamus omnibus phaenomenis” (A VI, 4 C, 2787–2788).
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normal acceptation of a term, taken as the starting point for demonstration, the semantic effects of the historical evolution of languages50. This method presupposes, of course, the existence of a body of doctrine, or of true propositions that we can bring together as material for the investigation. This type of definitions therefore seems to be more appropriate to law than to other fields of knowledge51. It is a fact that, in the well-known definitional lists analysed in the ground-breaking studies of Heinrich Schepers, and more recently of Donald Rutherford and Stefano Di Bella52, Leibniz does not seem to apply himself to such procedures. However, it is worth noting that, just as in many of his early essays of natural philosophy claiming to proceed more geometrico from definitions, these definitions were explicitly based on common usage53, in later definitional lists, occasional expressions are there to remind us that what the Cartesians liked to call the “inspection of ideas” did not differ, for Leibniz, from the analysis of our meanings54. Not that these meanings may vary with the beliefs of such or such individual speakers, or be considered as private to them. On this point, Leibniz held throughout his life a view that his confrontation with Locke occasioned him to articulate. Far from meaning “in several men, different collections of simple ideas”, as Locke contended55, words signify by virtue of an historical, collective process: their significations are neither limited to nor measured by the meaning of individual speakers, but sum up evolutions that include the latest progress of knowledge made in a community56. This is probably as close as we can get to the
50 S. Bohl: Disputatio […] pro formali significationis eruendo primum in explicatione Scripturae Sacrae, Rostock 1637–1638. 51 I am grateful to Prof. Schepers for pointing this out to me. 52 H. Schepers: “Leibniz’s Arbeiten zu einer Reformation der Kategorien,” in: Zeitschrift für philosophische Forschung 20 (1966), pp. 539–567; “Begriffsanalyse und Kategorialsynthese. Zur Verflechtung von Logik und Metaphysik bei Leibniz”, in: Akten des I. Leibniz-Kongresses. Hannover, 14.–19. November 1966, Bd. III (= Studia Leibnitiana, Supplementa 3), Wiesbaden 1969, pp. 34–49; D. Rutherford: Leibniz and the Rational Order of Nature, Cambridge 1995, pp. 99–124; S. Di Bella: The Science of the Individual: Leibniz’s Ontology of Individual Substance, Dordrecht 2005, pp. 99–128 and pp. 155–196. 53 See for instance the 1671 Specimen demonstrationum de natura rerum corporearum. In the first version, Leibniz praises Aristotle for having been careful “in the De Anima, to treat of light, colors, sound and other senses in such a way that he hardly says anything about them that does not follow from the words accurately considered [quod ex vocabulis accurate consideratis non sequatur]” (A VI, 2, 302). The second version urges: “Corpus quid vocent homines diligenter investigandum est, nam hujus idea clara distinctaque aditum nobis facit ad demonstrationes” (A VI, 2, 304). 54 See for instance A VI, 4 B, 1413. 55 An Essay Concerning Human Understanding, III, 3, 14 (quoted in A VI, 6, 292). 56 It is D. Rutherford’s merit to have pointed out this Leibnizian view of significations, expressed in the New Essays (III, 11, 24): “[…] le nom de l’or par exemple signifie non pas seulement ce que celuy, qui le prononce, en connoist […] mais encor ce qu'il ne connoist pas, et qu'un autre en peut connoistre, c’est à dire un corps doué d’une constitution interne, dont decoule la couleur et la pesanteur, et dont naissent encor d’autres proprietés, qu’il avoue estre
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“objective value” of general ideas, the defence of which Couturat was anxious to find in Leibniz’s writings. * Over the years, Leibniz evolved from a Gassendian and Hobbesian psychology, where idea was not distinguished from imaginatio, towards the more intellectualist theory of knowledge which his mature writings made familiar. It is well known that, in this latter corpus, the term idea is used in three different senses: it can designate either 1. God’s eternal ideas, 2. the dispositions innately inscribed in our minds to express these divine ideas by our thoughts57, or 3. those thoughts or notions themselves58. In this context, real definitions are the only possible evidence for the presence in our minds of such or such idea – in the second sense of the term. Hence the considerable importance given by Leibniz to this type of definition in his polemics against Descartes’s proof of the existence of God and against Hobbes’s view of the ultimate arbitrariness of truth. However, under closer consideration, the notion of “real definition” dissolves into a variety of procedures, ranging from the ideal resolution of a concept into its ultimate formal parts – the “essential” real definition, considered by Leibniz as lying beyond our powers – to the mere description of something observed in experience59. Between these two extremes – and this is probably what really attracted Leibniz’s interest – definitio realis is a causal account, typically exemplified by the rules for the construction of geometrical figures or the productive processes of sensible qualities in physics. It thus corresponds to Hobbes’s view that definitions “must contain the very cause or manner of the generation” of things60. Such definitions can be said to be a priori in the sense still given to that expression in the 17th century: the definiendum is explained as an effect from its cause – this qualification being applied notwithstanding the sensitive or imaginative character of some or all the ingredients of the definition. And indeed, if we compare the examples given by Leibniz on several occasions to illustrate the difference between the
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mieux connues des experts” (quoted in “Philosophy and language in Leibniz”, in: N. Jolley (ed.): The Cambridge Companion to Leibniz, Cambridge 1995, p. 247). Quid sit idea 1677 (A VI, 4 B, 1370–1371). “Per Terminum non intelligo nomen sed conceptum seu id quod nomine significatur, possis et dicere notionem, ideam” 1679 (A VI, 4 A, 288); “Qu’on dise idées ou qu’on dise notions, qu’on dise idées distinctes ou qu’on dise definitions (au moins lorsque l’idée n’est point absolument primitive), c’est bien la même chose” 1699 (A I, 16, 511). It is in this sense that idée is used in the New Essays. See the Discours de Métaphysique, art. 24: “Au reste il y a encor bien de la difference entre les definitions reelles, car quand la possibilité ne se prouve que par experience […], la definition est seulement reelle, et rien d’avantage […]” (A VI, 4 B, 1569). De Corpore I, 6, 13 (Opera philosophica I, 72).
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two types of definitions, we find the “real definition” of a given definiendum to be more empirical, or to rely more on imagination, than the nominal one61. But if we take “a priori” in its modern sense, as meaning the same thing as “beyond sense and imagination”, or “intelligible”, and if we ask about the role played by definition in that particular field of knowledge, then the answer must be that, in the absence of a real characteristic, the progress of science towards its own foundations depends on the analysis of those general significations that have gradually emerged through the evolution of languages. This may contribute to account for the fact that Leibniz, throughout his life, put so much emphasis on the necessity of definitions as accurate explanations of names.
61 See for instance the two definitions of the circle given in the “De Synthesi et Analysi universali […]” from 1683–1685 (A VI, 4 A, 541), or of parallel straight lines in New Essays III, 3, 18 (A VI, 6, 295).
NATURAL LANGUAGE, LOCUTIO ANGELICA AND CHARACTERISTICA UNIVERSALIS By Mattia Geretto (Venice) The issue of the correspondence between “thoughts” or “ideas”, “words” or “signs”, and “things” or “external objects” was central to Leibniz’s study of language, and almost certainly conditioned the development of his entire gnoseological-metaphysical system. Indeed, Leibniz’s active interest in language and communication increased as he explored the characteristics of artificial and natural languages, and in particular non-European languages such as Chinese, Aramaic and the language spoken by the Shiites. Moreover, according to Eckhart’s account, even Leibniz’s last work was concerned with language, specifically the “language of angels”: “Sein letzter unvollendeter Aufsatz war de sermone angelorum”1. I have already discussed the fact that to date no work by Leibniz with this title has been brought to light, and also that the expression used by Eckhart, which may have been uttered by Leibniz himself, in all likelihood refers not to a work on the language of angels, but a study in mathematics or even more probably a work on characterista universalis, that is to say types of works that the philosopher concealed under this interesting expression2. Thus, although an actual work on the language of angels was never produced, nevertheless Leibniz paid particular attention to this topic, and the purpose of this paper is to see if his views on the matter help to shed light on his other, better known issues of natural language and characteristica universalis. So, to begin with, I shall briefly deal with the Scholastic dispute on the communication of angels, de locutione angelorum.
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Cf. “Lebensbeschreibung des Freyherrn von Leibnitz”, in: J. A. Eberhard/J. G. Eckhart: LeibnizBiographien, Chemnitz 1795 (Reprint Hildesheim u. a. 1982), p. 219. Cf. M. Geretto: L’Angelologia leibniziana, Soveria Mannelli 2010, pp. 11, 87 and above all 267. (In Examen Religionis Christianae Leibniz refers also to poetry as “velut lingua angelorum”. Cf. A VI, 4 C, 2388.18).
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1. THE SCHOLASTIC QUAESTIO ON DE LOCUTIONE ANGELORUM All Scholastics at one time or another tackled the question of the language of angels. For example, Aquinas dealt with this question in his Summa Theologiae, in particular in the first article of quaestio 107, contradicting the opinion of those who hold that one angel does not speak to another, by quoting chapter 13, verse 1 from St. Paul’s First Letter to the Corinthians: “If I speak with the tongues of men and of angels”(“Si linguis hominum loquatur et angelorum”3). According to Aquinas, some kind of communication among angels exists, and he goes on to explain: “[…] the concept of the angelic mind is ordered to be made known to another by the will of the angel himself, [and in this way] the concept of one angel is made known to another; and in this way one angel speaks to another; for to speak to another only means to make known the mental concept to another”4.
In the first and following articles, which enquire (2) “Whether the inferior speaks to the superior”, (3) “Whether an angel speaks to God”, (4) “Whether the angelic speech is subject to local distance”, and lastly (5) “Whether all the speech of one angel to another is known to all”, Aquinas addresses questions that are based on a purely spiritual conception of angels, a conception that consequently implies the impossibility of endowing angels with “sensible” speech and signs. According to Aquinas, external speech by means of the voice is essential for humans in order to overcome the obstacle of the body, and this is certainly not appropriate for an angel, who rather communicates through internal speech, either to himself or directing his thought to others through his will. Thus, Aquinas argues that “the tongue of an angel is called metaphorically the angel’s power, whereby he manifests his mental concept”5. Then Doctor Angelicus attempts to solve the question of how an angel manages to attract the attention of another angel with whom he is about to communicate, quite a problem seeing that while humans can do so through a sensible object, angels do not have this possibility. His answer is based on a two-fold distinction between (1) the action of angels within the Word (meaning that angels are exclusively in a beatific state) on the one hand, and on the other (2) the action of angels according to their “natural” capabilities, regardless of their condition of grace. Indeed, Aquinas argues that, since good angels always see one another in the Word,
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Cf. Sancti Thomae de Aquino Summa Theologiae, I, q. 107, a. 1. (In this case, the version used is: Sancti Thomae de Aquino Summa Theologiae, Editiones Paulinae, Rome 1962). The English version is the 1947 edition of a translation by the Fathers of the English Dominican Province (p. 525). “Ex hoc vero quod conceptus mentis angelicae ordinatur ad manifestandum alteri, per voluntatem ipsius angeli, conceptus mentis unius angeli innotescit alteri: et sic loquitur unus angelus alteri. Nihil est enim aliud loqui ad alterum, quam conceptum mentis alteri manifestare”. Ibid. “Et sic lingua angelorum metaphorice dicitur ipsa virtus angeli, qua conceptum suum manifestat”. Ibid. Cf. Summa Theologiae, I, q. 107, a. 1, ad secundum.
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it is not necessary to use a means in order to draw the attention of another angel, “for as one ever sees the other [in the Word], so he ever sees what is ordered to himself”6. However, the problem persists, as the angels are also able to speak to one another by their very nature, and bad angels still do so, so Aquinas attempts to answer this by setting out the following simile: “[…] we must say that the intellect is moved by the intelligible object just as sense is affected by the sensible object. Therefore, as sense is aroused by the sensible object, so the mind of an angel can be aroused to attention by some intelligible power”7.
Omitting to explain in more detail what he means by “intelligible power”, in order to preserve the whole spiritual essence of the angel, Aquinas has to resort to “virtus intellectiva”, which from the point of view of demonstration itself recalls that “faculté horodeictique” by virtue of which clocks work without the aid of an internal mechanism, the sort of expediency that Leibniz deplores in the conclusion of the “Préface” to his Nouveax Essais8. Similarly, Duns Scotus on the one hand wishes to stress the “transitive” dimension of communication between angels, but on the other the exchange is purely intellectual, there is no actual transitivity or physical causality, since the angel is considered “immaterial entity”9. Later, Baroque Scholasticism would fully develop the “internalistic” presuppositions implicit in these “communication models”, a communication which, by definition, can never occur through actual physical interaction10. 6
“[…] quantum ad angelos bonos, qui semper se invicem vident in Verbo, non esset necessarium ponere aliquid excitativum: quia sicut unus semper videt alium, ita semper videt quidquid in eo est ad se ordinatum”. Cf. Summa Theologiae, I, q. 107, a. 1, ad tertium. 7 Ibid.: “Sed quia etiam in statu naturae conditae sibi invicem loqui poterant, et mali angeli etiam nunc sibi invicem loquuntur; dicendum est quod, sicut sensus movetur a sensibili, ita intellectus movetur ab intelligibili. Sicut ergo per signum sensibile excitatur sensus, ita per aliquam virtutem intelligibilem potest excitari mens angeli ad attendendum”. 8 Cf. Nouveaux Essais, Préface; A VI, 6, 68. 9 “[…] angelus loquitur angelo causando in eo immediate conceptum illius obiecti de quo loquitur”. Cf. “Ordinatio. II. d. IX. qq. 1–2. n. 49”, in: Duns Scotus: Opera Omnia […], Vol. VIII, Civitas Vaticana 1950, p. 157. 10 In an extremely thorough study entitled Locutio Angelica. Die Diskussion der Engelsprache als Antizipation einer Sprechaktheorie in Mittelalter und Früher Neuzeit, Bernd Roling argues that such theories cannot establish a new model to explain Leibniz’s metaphysics. On the contrary, Roling prefers to perceive only parallelisms in such theories (cf. B. Roling: Locutio Angelica. Die Diskussion der Engelsprache als Antizipation einer Sprechaktheorie in Mittelalter und Früher Neuzeit, Leiden/Boston 2008, p. 666–673). What I have already observed concerning this (cf. Geretto, op. cit., pp. 353–354), can be summarised here by saying that my entire study (L’angelologia Leibniziana) is based on the fact that the angelological references to be found in Leibniz’s works (references to the Bible, Church Fathers and the whole Scholastic tradition) share so many features in common with Leibniz’s metaphysics under various aspects that creating connections, even in terms of the anticipation of metaphysical concepts linked to Leibniz’s monads – apart from his enduring notion of a sui generis hylomorphic compound, of course – is neither unlikely nor to be excluded a priori.
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Notwithstanding Leibniz’s undisputed respect for Aquinas and the Scholastic tradition that is evident in so many of his writings, the examples provided above illustrate the particular cases in which Leibniz expresses his manifest disapproval of a type of philosophical discourse that he judged lacking in demonstrative rigour. In other words, I believe that it is to such passages or those derived from the example on Aquinas that Leibniz refers, when in his Nouveaux Essais he briefly deals with the question of the language of angels, asserting that the Scholastics “were having trouble explaining how angels communicated with one other”: “[…] je crois que la conversation convient à tous les esprits, qui se peuvent entrecommuniquer leur pensées. Les scolastiques sont fort en peine comment les anges le peuvent faire […]”11.
Leibniz must have considered a “metaphysics of communication” solely based on the exchange between “species” or “immaterial virtues” as quite unacceptable, as the whole solution lacked any solid foundation, in other words a “physical base”, which if provided would solve the whole problem. In other words, Leibniz comes to the conclusion that if the Scholastics had ascribed subtle bodies to angels, all difficulties would have disappeared: “[…] mais s’il leur accordoient des corps subtils, comme je fais après des anciens, il ne resteroit plus de difficulté là-dessus”12.
Why would any difficulty disappear by means of this (simple) solution? By providing angels with subtle bodies, Leibniz very probably intended to ascribe them the ability to make speech-acts, composed of “signs” or “words” endowed with some kind of physicality. By addressing this question in such a simple and rather naïve manner, Leibniz is in fact echoing passages to be found in the Scriptures that refer to angels speaking or praising God using certain words. An example of this can be found in the famous passage in St. Paul’s Second Letter to the Corinthians, in which we find “ἄρρητα ῥήµατα”, “arcana verba”, “unspeakable words” heard by St. Paul when he was caught up in Paradise13. However, before proceeding, I would just like to mention that what is not explicitly stated by Leibniz, but that we still have to acknowledge is that the possible “physical language” of angels, namely the communication between the special physicality of the angels’ bodies, is nevertheless bound by the all-pervading law of pre-established harmony. We must now ask whether, according to Leibniz, the astounding, terrible and arcane words uttered by angels are part of a natural language, and whether these words belong to a language that in any case reflects symbolic knowledge. The second question will be addressed in the next section. As for the first question, we have to observe that, without dwelling too much on “how” angels manage to speak to one another, Leibniz’s solution has brought back the nature of angelic language into the domain of natural language, or even, considering the supernatural
11 Cf. Nouveaux Essais III, 6, § 21; A VI, 6, 313. 12 Ibid. 13 Cf. Ad Corinthios II: 12,4.
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nature of such creatures, to a “natural” supernatural language, in which the first adjective, “natural” concerns a common natural internal mechanism to form words. I shall now examine the relation between natural language and knowledge, taking into consideration the relation between “external things”, words and the “natural order of ideas”, both in human beings and in “superior creatures”. 2. NATURAL LANGUAGE, KNOWLEDGE AND THE “NATURAL ORDER OF IDEAS” Although brief, in the article published for the first time by Couturat entitled Leibnitius de connexione inter res et verba, seu potius de linguarum origine, and subsequently by the Akademie-Ausgabe with the shorter title De linguarum origine naturali – a writing that may be datable to between October, 1677 and December, 1678 –, Leibniz is extremely clear in illustrating his basic underlying beliefs concerning the origins of natural language. He is obviously referring to the natural language of humans. However, the discourse could be extended to include angels as well should they be considered outside their state of grace, or simply as superior beings, or “genii”. Now, in his brief text the philosopher immediately states: “[…] it cannot be said that there is a straightforward correspondence between things and words; however neither is the correspondence purely arbitrary: there must be some reasons why certain words have been assigned to certain things”14.
The two “extreme” positions excluded by Leibniz are those held paradigmatically in Cratylus, the well-known Platonic dialogue in which Socrates addresses the two positions held by Cratylus and Hermogenes on the relation of words to objects. Cratylus argues that words and thereby names are “natural” and intrinsically related to the objects they signify (Plato: Cratylus, 383a–b), while Hermogenes upholds the view that names are arbitrary, based on convention and use (Plato: Cratylus, 384d). Leibniz criticises these two extreme positions by saying that, on the one hand (in reference to Hermogenes) the only cases of languages arising out of convention [ex instituto] are artificial ones, produced by such scholars as Dalgarno, Wilkins and others15; on the other hand Leibniz likens the naturalistic-essentialist view (Cratylus) to the so-called Adamitic primitive language, but he also has doubts here:
14 “Certam quandam et determinatam inter Res et verba connexionem esse dici nequit; neque tamen res pure arbitraria est, sed causas subesse oportet, cur certae voces certis rebus sint assignatae”. Cf. A VI, 4 A, 59. (My English translation). 15 At this point in the text Leibniz also claims that “Golius” held that even Chinese was an artificial language: “Ex instituto rem fluxisse, non potest dici, nisi de Linguis quibusdam artificialibus, qualem Golius Sinensem esse suspicatus est, et qualem Dalgarnus, Wilkinsius aliique confinxere”. Ibid.
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Mattia Geretto “[…] either this [Adamitic primitive] language must have completely vanished, or else it survives only in some ruins, in which case it is difficult to identify the whole construction [artificium]”16.
In the following Brevis designatio in 1710, Leibniz wrote that clear examples of such “relics of a common ancient language” can be found in the cases where a word that has been slightly modified is common to many different languages17. However, we know that he viewed the retrieval of such a primordial language as practically impossible, and in the Epistolica Dissertatio, Leibniz’s last and most detailed essay on language, referring in particular to Böhme, he is unyielding on the vanity of seeking the Adamitic language as a way to gain access to the arcana of nature and the hidden property of objects18. What is expressed in the Epistolica Dissertatio can be traced back to the initial intentions outlined in the De linguarum origine naturali mentioned above. In § 14 of the Epistolica Dissertatio Leibniz, in reference to Plato’s Cratylus, on the one hand reasserts that “in truth there is no natural relation between names and things”, and on the other that “however, it is true that they have only rarely been established explicitly by humans”19. Stating clearly that he is drawing on Plato, Leibniz decides on a middle way, expressed in these terms: “[…] it is worth keeping to a middle way, which Plato also believes: words are founded in nature, although they contain a host of accidental factors. Indeed, the various name-givers, each following his own point of view, inclination, occasion and individual benefit, applied different words to the same things driven by different qualities and also different circumstances”20.
16 “Sed talem linguam vel omnino intercidisse, vel in ruderibus tantum nonnullis superesse oportet, ubi artificium deprehendere difficile est”. Ibid. (My English translation). 17 “Quoties igitur vox eadem aut nonnihil transformata Britonibus, Germanis, Latinis, Graecis, Sarmatis, Finnis, Tartataris, Arabibus, communis reperitur (quod non adeo rarum est) vestigium praebet linguae antiquae communis. Ut vel dicendum sit aliquando Europae Asiaeque potiora sub uno magno imperio fuisse, ubi communis quaedam lingua dominata sit (ut serius Latina per Europam, Graeca et Arabica serius per Asiam Africamque) vel potius (quod magis sacris Literis consentit) caeteras gentes unius gentis aut stirpis emissaria coloniasque fuisse, quanquam in remotioribus paulatim detrita vestigia sint cognationis”. Cf. Brevis designatio meditationum ex Originibus Gentium, ductis potissimum ex indicio linguarum; Dutens IV, 2, 188. 18 “Iacobus Bohemus, ex sutrina Philosophus ac Theologus, qui ex Tauleri, Paracelsii, Schwencfeldii, Sebastiani Frankii, Valentini Weigelii, et similium Germanicorum Scriptorum, praesertim Mysticorum, Fanaticorum et Chymicorum lectione mirabilem sibi Philosophiam et Theologiam confecerat, linguam quandam naturalem, (Natur-Sprache) quam et appellabat Adamicam credebat erui posse; quam qui nactus esset, etiam arcana naturae rerumq(ue) proprietates nosset. Sed hoc quidem vanum esse, nemo dubitat”. The edition referred to for the Epistolica Dissertatio is the one published by Stefano Gensini: S. Gensini: Il naturale e il simbolico. Saggio su Leibniz, Rome 1991, p. 216. (All the parts that are underlined in Gensini’s edition are here written in italics). 19 “Verum quidem est, nomina rebus naturalia non esse; sed tamen hoc quoque verum, hominum deliberatione non nisi raro esse constituta”. Cf. G. W. Leibniz: Epistolica Dissertatio, § 14, in: Gensini, op. cit., p. 215. 20 “Medium itaq(ue) tenendum est, quae et Platonis mens fuit, habere verba fundamentum in natura, etsi concurrant plurima ex accidenti. Diversi enim nominum impositores, suos quisque
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Similarly, in the Brevis designatio in 1710 Leibniz stressed his position, and it is worth citing here for its clarity and brevity: “Languages did not arise out of convention, nor were they established by law, but rather they were born out of some natural human impulse, adapting sounds to the mind’s impressions and motion”21.
Thus, in accordance with what the philosopher had already upheld by the late 1670s – when in the above-cited De linguarum origine naturali he argued that the “natural” origin of language resided in the concordance of sound with “emotions” evoked in the mind on seeing an object22 – there are some precise reasons, also physical, that underlie the formation of words in natural languages, even if these words over time have been modified in some way due to any number of unforeseen factors, such as the ease or difficulty with which humans had in pronouncing certain sounds. As a result of this transformation or mutation, Leibniz had little faith in etymology as a science23, although he studied etymology extensively, particularly groups of letters that he called “roots” which have a “natural” meaning, and he understood that languages were “the most ancient monuments of the human race”. Nevertheless, Leibniz believes that caution and restraint should be called for when trying to determine linguistic roots, without recourse to excess or, as he termed “goropiser”. (In the Nouveaux Essais we know that Leibniz coined the curious expression “Goropiser” to indicate strange or ridiculous etymological activity, referring to Goropius Becanus and his habit of establishing fantastic etymologies, even if he did not hold an entirely negative view of this author24).
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respectus, suos affectus, suas occasiones, suam etiam commoditatem secuti, diversa iisdem rebus a diversis qualitatibus, interdum et casibus, vocabula dedêre”. Ibid. (My English translation). Several scholars have pointed out similarities between Leibniz’s position and that of Epicurus in §§ 75 and 76 of the Epistola ad Herodotus. See, for instance, Gensini, op. cit., pp. 93–96. “Neque verò ex instituto profectae, et quasi lege conditae sunt linguae, sed naturali quodam impetu natae hominum, sonos ad affectus motusque animi attemperantium”. Cf. Brevis designatio meditationum ex Originibus Gentium, ductis potissimum ex indicio linguarum; Dutens IV, 2, 187. (My English translation). “Habent tamen Linguae originem quandam naturalem, ex sonorum consensu cum affectibus, quos rerum spectacula in mente excitabant”. Cf. A VI, 4 A, 59. Cf. G. W. Leibniz: Epistolica Dissertatio, § 15, in: Gensini, op. cit., pp. 216–17 (see in particular the reference to Gerhard Meier). [THEOPH.] “[…] Et les langues en general estant les plus anciens monumens des peuples, avant l’ecriture et les arts, en marquent le mieux l’origine, cognations et migrations. C’est pourquoy les Etymologies bien entendues seroient curieuses et de consequence, mais il faut joindre des langues de plusieurs peuples, et ne point faire trop de sauts d’une nation à une autre fort eloignée, sans en avoir des bonnes verifications, où il sert sur tout d’avoir les peuples entre deux pour garans. Et en general l’on ne doit donner quelque creance aux etymologies que lors qu’il y a quantité d’indices concourans: autrement c’est Goropiser./ PHILAL. Goropiser ? Que veut dire cela ?/ THEOPH. C’est que les Etymologies étranges et souvent ridicules de Goropius Becanus, savant Medecin du 16me siecle, ont passé en proverbe, bien
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Now, as we have seen, words in natural languages are closely linked to the body, that is to say to something that is ultimately impenetrable. Leibniz holds that the language of humans and the language of “unspeakable words” of the angels may both be considered as the result of an “affectus” as a consequence of the fact that they arise out of individuals who in addition to being endowed with thought or a mind, also necessarily possess a body: “God alone is wholly detached from any body” (see Monadology, § 62 and § 72). Naturally, just as the bodies of humans and angels have different degrees of perfection, so are languages vastly different from each other. From this perspective the language of angels could recall the language of Adam, the language of the state of grace (lost after the Fall). However, the crucial question we should ask is this: what is the relation between natural language (whether human or angelical) and knowledge? To try and shed some light on this question I shall examine again his Nouveaux Essais. In the opening chapter of the third book of the Nouveaux Essais, in § 5, Philalethe observes that the words used to denote actions and notions far removed from the senses actually derive their origins from sensible ideas, and have subsequently been transformed into meanings that are even abstruse. Theophile-Leibniz replies setting forth his own theory on the relation between words in the mind, or should we say between natural languages and ideas. He argues that our needs have forced us to abandon the “natural order of ideas”, an order “common to angels, men and all types of intelligence”, an order on which – not explicitly stated but we can presume to be thus – even the first hypothetical language spoken by Adam was modelled. Indeed, it was the needs of men, their particular interests, linked to the particular characteristics of their bodies, which caused words and languages to drift away gradually from the original and single “framework” of ideas: “[Th.] C’est que nos besoins nous ont obligé de quitter l’ordre naturel des idées, car cet ordre seroit commun aux anges et aux hommes et à toutes les intelligences en general, et devroit estre suivi de nous, si nous n’avions point égard à nos interests: il a donc fallu s’attacher à celuy que les occasions et les accidens où nostre espece est sujette nous ont fourni, et cet ordre ne donne pas l’origine des notions, mais pour ainsi dire l’histoire de nos découvertes”25.
If this was to be the fate of the language of humans and the quest for knowledge, the same cannot be said when referring to angels, since their language and thought are an exceptional example of the representation of the “natural order of ideas”. However, Leibniz believes that this does not mean that angels can do without the use of words or signs, or in any case some kind of “symbolic thought” (also termed “blind” or “deaf” by Leibniz). It is impossible for all created spirits to abandon “signs” altogether, whether they be words, numbers, theorems or every kind of
qu’autrement il n’ait pas eu trop de tort de pretendre que la langue Germanique qu’il appelle Cimbrique, a autant et plus de marques de quelque chose de primitif que l’Hebraique même […]”. Cf. Nouveaux Essais III, 2, § 1; A VI 6, 285. 25 Cf. A VI 6, 276–277.
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“compendia cogitandi”, as Leibniz occasionally termed them. This also means that the type of knowledge associated with symbolic knowledge will never be entirely intuitive, because the signs themselves will always obstruct direct intuition. One of the consequences of this is that angels also need a certain lapse of time to think26. Indeed, Leibniz goes so far as to say that even the most sublime genii would avail themselves of hypothesis and conjecture when reasoning. Similarly, he also asserts that there may be some truths that are unattainable even to their minds. Complete knowledge gained through pure intuition is the prerogative of God alone. The following extract from his Nouveaux Essais illustrates this clearly: “[Th.] Dieu seul a l’avantage de n’avoir que des connoissances intuitives. Mais les ames bien heureuses quelques detachées qu’elles soyent de ces corps grossiers, et les Genies mêmes quelques sublimes qu’ils soyent, quoy qu’ils ayent une connoissance plus intuitive que nous sans comparaison, et qu’ils voyent souvent d’un coup d’oeil ce que nous ne trouvons qu’à force de consequences après avoir employé du temps et de la peine; doivent trouver aussi des difficultés en leur chemin, sans quoy ils n’auroient point le plaisir de faire des decouvertes, qui est un des plus grands. Et il faut toujours reconnoitre qu’il y aura une infinité de verités qui leur sont cachées ou tout à fait, ou pour un temps, où il faut qu’ils arrivent à force de consequences et par la demonstration ou même souvent par conjecture”27.
In addition to the gift of possessing a language consisting of words that are directly in harmony with the perfection of their bodies, what essentially characterises angelic thought is thus their extreme proximity to that “natural order of ideas” common to all spirits, compared to humans. Even so, their interpenetration can never be perfect in an absolute sense, for only in God is the natural order of ideas fully accomplished and interpenetrated with His being. At this point we could ask what the relation is between the language of “unspeakable words” of the angels and their ability to think per symbola. As Leibniz does not state anything explicitly we shall not attempt to formulate any conjectures concerning this point. Nevertheless, the question is still interesting as it leads us to explore the domain of pre-established harmony. The most evident relation seems to be one of perfect symmetry, since it should be remembered that in this case the body’s perfection (and thus of the word) is in harmony with the perfection of the spirit. Thus, it seems unwarranted to provide angels with two languages having “distinct levels of cognition”. In other words, it seems pointless to speak of different types of efficacy or potentiality between their (natural) word and reasoned thought, since nature and grace in body and thought are perfectly interpenetrated28.
26 Cf. Schediasmatis de summis serierum et quadraturis figurarum pars X; A VII, 3, 484. 27 Cf. Nouveaux Essais IV, 17, § 16; A VI, 6, 490. Leibniz probably held the position according to which even the most wonderful [“pulcherrimum”] mystery of Christ’s incarnation is an example of a truth that was unknown to the angels themselves for a long time (Cf. A VI, 4 C, 2295.16–18). (He evidently bases this on the Letters of St. Paul as Ephesians 3:9,10 and Romans 16:25). 28 The notion of different capacities belonging to the nature of angels whether considered in itself or in the state of bliss is most likely drawn from Scholastic debate on the distinctions
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This perfect symmetry in angels seems to be lacking in humans. Leibniz’s characteristica appears to be designed precisely to substitute in a scientific manner the resources of an often “unreliable” natural language retaining only vestiges of truth. Nonetheless, the fact remains that human natural language is endowed with a distinctive faculty to gain access to truth as well, in an unpredictable, mysterious and obscure manner. This specific ability of natural language could put into perspective the opinion held by some scholars on natural language in Leibniz as an instrument relegated to a kind of inoffensive aesthetic-poetic framework. However, it is true that the philosopher spent a great deal of time and energy on the question of the characteristica. What drove Leibniz to prefer this aspect to the various natural languages is perhaps also the conviction that truth remains independent of the natural languages through which it can be formulated or recognised. Indeed, truth is defined in the relationship between the objects of ideas, a relationship that is independent of various linguistic expressions and common to humans, angels and God. If God (but Leibniz occasionally provides the same possibility also with the example of an angel29) were to reveal a truth hitherto unknown to us, we would understand it thanks to the acquisition of this relationship, grasping it as it is in His intellect (although the distance between the perfection and extension of His ideas and ours is infinite): “[Th.] Il vaut donc mieux placer les verités dans le rapport entre les objets des idées, qui fait que l’une est comprise ou non comprise dans l’autre. Cela ne depend point des langues, et nous est commun avec Dieu et les Anges. Et lors que Dieu nous manifeste une verité nous acquerons celle qui est dans son entendement, car quoique il y ait une difference infinie entre ses idées et les nostres, quant à la perfection et à l’etendue, il est tousjours vray qu’on convient dans le même rapport”30.
If it is true that Leibniz in his later years (half-jokingly?) told Eckhart that he was working on “the speech of angels” it is unlikely that he was referring to St. Paul’s “unspeakable words”. Rather it is more likely that he was simply indicating the greater precision of a discourse that seeks to adhere as closely as possible to the “natural order of ideas”, and thus may have wished to stress the human effort of the characteristica. In conclusion, I would now like to make some considerations on the “technical aspect” of this “ars characteristica”.
made in good angels to speculate on their activities according to whether they are acting through a natural potentiality, or else through the “Word”. If this type of distinction is legitimate for fallen angels, who have voluntarily broken away from God and so can only rely on a “natural resource”, it is not completely justified for the good angels, since they are in eternal communion with God. 29 For example, see the case of an angel who seeks to explain the nature of colour to man: Leibniz’s letter to Hermann Conring on 19 (29) March, 1678 (A II, 1, 604–605) or else De modo perveniendi ad veram Corporum Analysin et rerum naturalium causas (A VI, 4 C, 1971). 30 Cf. Nouveaux Essais IV, 5, § 1; A VI, 6, 397.
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3. LANGUAGE AS “BODY OF THOUGHT” AND THE ARS CHARACTERISTICA AS “TECHNO-SEMIOTIC-DIZEE” OR “TECHNO-ARCHITECTURE OF THE MIND” In seeking parallels between the doctrines in the Theodizee and the use of technology in present-day society Hans Poser has coined the word Technodizee. The same process could be used here to interpret in modern terms Leibniz’s striving to create a characteristica universalis. Slightly altering Poser’s term, we could speak of a sort of “Techno-Semiotic-Dizee”, associated with the most advanced information technology and even maybe with nano-bio-technology. (However, I believe that it is not appropriate to attempt to thoroughly “secularize” Leibniz’s ethicalmetaphysical or philosophical-linguistic messages). Now, just as current techniques and technology increasingly improve on all kinds of artificial body extensions to replace defective parts or else to keep death at bay, so was Leibniz’s “technique” an immense effort ante litteram in his work on the “body of thought”, that is to say on language, whose improvement was the first step towards the improvement of the mind itself. Hence, we can say that language (for all spirits – apart from God, who only adopts one to address spirits who need it), is the necessary body of thought (that illustrates yet again the importance of pre-established harmony). Improving language means improving as far as possible all “natural languages” as well as the special language of reason, known as characteristica universalis. In every type of language, or should we say, in every “body of thought” the influence of “physical” bodies is present. Indeed, every “word”, “sign” and “symbol” is an inevitable legacy of contact or presence with organic matter. As Matteo Favaretti clearly asserts: “the theory of the cogitatio caeca takes responsibility for the requests that emerge from the body: thought perceives in the sign the indelible and determining presence of organic matter”31. Leibniz’s groundbreaking Techno-Semiotic-Dizee may also be expressed as a “techno-architecture of the mind” where the philosopher may have glimpsed the possibility of a more widespread use of the resources of natural language. According to Leibniz, if angels themselves, despite their immeasurably superior resources to humans, in terms of awareness of the “relationship between ideas” have the occasion to make new discoveries or to make conjectures about new discoveries, even more so do humans have the occasion to continually improve through available resources, both in terms of natural language and an ongoing refinement of the system of scientia characteristica. In both fields humans are called on to avail themselves of their “ingenious capacities”, their own Erfindungsgeist, a “creative Erfindungsgeist”, which precedes mathematics itself (as Poser has intriguingly
31 “La teoria della cogitatio caeca si fa carico delle istanze che emergono dal corpo: nel segno il pensiero avverte la presenza, ineliminabile e determinante, di una materia organica”. Cf. M. Favaretti Camposampiero: Filum Cogitandi. Leibniz e la conoscenza simbolica, Milan 2007, p. 247. (My English translation).
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written in his essay on Leibniz’s Ars inveniendi for the IX International Leibniz Congress32). Thus, Leibniz’s striving towards a universal characteristica can be fully understood in a “techno-characteristic” context, or rather in the attempt to establish a linguistic “system” which will enable us to draw ever closer to the truth, to the actual scheme of the relationship of ideas. It is also an attempt to achieve “intuitive knowledge” as far as possible, a process with which ordinary language may not be totally unfamiliar thanks to its specific resources, namely its “obscure” or vaguely allusive infinite proposals, which the enlightened mind may grasp.
32 Cf. H. Poser: „Erfinden als Wissenschaft. Leibniz’ Ars Inveniendi” in: Natur und Subjekt. IX. Internationaler Leibniz-Kongress Hannover 2011, Nachtragsband, Hannover 2012, pp. 87–107 – in particular see the concluding part of § 8 on p. 107 (“Heutige Bemühungen um eine Entwurfswissenschaft”).
LANGUAGE AS TRANSLATION By Adelino Cardoso (Lisboa)
“Suppono enim qui loquitur cogitare”1.
1. THE MEANING OF LANGUAGE – A PARTICULAR CASE OF THE PRINCIPLE OF REASON The confrontation between the chapter II, book III of the Essay by Locke and the corresponding chapter of the Leibnizian New Essays raises great perplexity. Leibniz focuses on a different thing and he does not follow pari passu the development of the Lockean Essay. Whereas Locke speaks on the thinking act as instituting determined significations, under the presupposition that not only the words but also the discourse are deprived of signification, and that there is not any certain criterion for assessing the existence of significations common to several speakers, Leibniz faces the issue of the arbitrariness of the sign and mainly the origin of languages and the etymologies. There are certainly good reasons for such disparity. Indeed, the approach of the meaning of language is quite different in both authors, and the elaboration of the Leibnizian text underlines this disparity. The point lies in the following: whereas Locke places the subject of the signification of the language at the level of the words, Leibniz inscribes it in a larger framework of the uses of language. According to Locke, words are “sensible signs” of the ideas which the speaker conceives in his mind through a “voluntary imposition, whereby such a word is made arbitrarily the mark of such an idea”2. On the contrary, to Leibniz, “[…] one aims at designing the conceptions of others rather than what he thinks by himself […]”3, referring to the language as a system.
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De Mente, de Universo, de Deo; A VI, 3, 462. J. Locke: An essay concerning human understanding, London 371829, III, II, § 1, p. 291. “Il est vray pourtant, qu’on pretend de designer bien souvent plustost de que d’autres pensent, que ce qu’on pense de son chef […]”. Nouveaux Essais III, 2, § 2; A VI, 6 N. 2, 286 (GP V, 265).
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Leibniz agrees that the signification is contingent, giving place to the hazard and to the choice, but this does not invalidate the exigency of universality of the principle of reason4, for the significations of the words “are not determined by a natural necessity, but in any case they are determined either by natural, where the hazard plays its part, either by moral reasons, in which the choice does intervene”5.
Leibniz acknowledges inclusively that “There may be some artificial languages which are all of choice and entirely arbitrarily”6, but this is not the case of the languages in vigor: “But those which we know to have been fabricated from previously known languages have been produced through choice mixed with what is natural and what is hazardous into the languages they presuppose”7.
The novelty of the Leibnizian approach of the meaning lies in that, similarly to Wittgenstein, the sense of a word is its use within language8. A word is invested of signification by the game of language where it participates rather than by the arbitrary will of each speaker. Subsequently, the lapidary statement by Leibniz: “In fact, though the characters are arbitrary, their use and connection have something which is not arbitrarily, namely a certain proportion between the characters and things”9.
The speech act is intrinsically meaningful. In this context, it is relevant that the writing La vraie Méthode from 1677, where the author argues for the advantages of a “new” language, which will be a universal, philosophical one, Leibniz asserts the capabilities inherent to the exercise of language as meaningful. The way he does it is very significant. According to the author, besides its utility, demonstrative rigor and easiness to be learned, this language will “have the marvelous feature of
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“Dergleichen Exempel sind nicht wenig vorhanden, so nicht allein der Dinge Ursprung entdecken, sondern auch zu erkennen geben, dass die Worte nicht eben so willkührlich oder von ohngefähr herfürkommen, als einige vermeinen; wie dann nichts ohngefähr in der Welt, als nach unserer Unwissenheit, wenn uns die Ursachen verborgen”. Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache; A IV, 6 N. 79, 548 (G. W. Leibniz: L’harmonie des langues, ed. by M. Crépon, Paris 2000, p. 74). “Il est vray qu’elles ne sont point determinées par une necessité naturelle, mais elles ne laissent pas de l’estre par des raisons tantost naturelles, où le hasard a quelque part, tantost morales, où il y entre du choix”. Nouveaux Essais III, 2, § 1; A VI, 6 N. 2, 286 (GP V, 258). “Il y a peutestre quelques langues artificielles qui sont toutes de choix et entierement arbitraires […]”. Ibid. “Mais celles qu’on sait avoir esté forgées des langues déjà connues, sont de choix mêlé avec ce qu’il y a de la nature et du hazard dans les langues qu’elles supposent”. Ibid. “Den Sinn eines Satzes verstehen, heißt, wissen die Entscheidung herbeizuführen ist […]”. L. Wittgenstein: Philosophische Bemerkungen, 43, Frankfurt a. M. 1993, p. 77. “Nam etsi caracteres sint arbitrarii, eorum tamen usus et connexio habet quiddam quod non est arbitrarium, scilicet proportionem quandam inter characteres et res”. Dialogus; A VI, 4 A, 24.
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silencing the ignorant”10. In fact, as it is assertively said, this language will not allow for shallow speaking, as in speaking for the sake of speaking: “For it will be possible to talk or to write in this language only on the subjects one understands”11. But, immediately after, Leibniz shades the extent of his statement through an alternative: “or, whether someone will dare to do it, it will happen one of two things: either the vacuity of what is said will be notorious for everybody, or one will learn only by writing or talking. Likewise as those who calculate learn by writing, and those who talk sometimes find unexpected occurrences, lingua praecurriente mentem”12.
The former member of this alternative is the logical corollary of the assumed statement: the vacuity of the discourse from those who talk on the subjects which they do not master is undeniable. On the other hand, the second member is surprising in the context of this writing in which one defends the methodological rigor and its demonstrative character: that language could have a heuristic function, anticipating the thought, preparing it, evinces that language is a fundamental organ of the thinking life. In the terms of Marcelo Dascal, language is the natural habitat of thought, not a previous stage of it13. The language is a requisite of the thought, a condition of the effectiveness of thinking. “All the human reasoning is accomplished through certain signs or characters”14. It is not only a matter of fact, but also a juris matter. The linguistic form when correctly performed substitutes the mind’s conception: “For not only things themselves, but also their ideas, can nor must always be observed by the mind, and thus in order to simplify one substitutes the ideas with signs”15.
Nor must: signs have an undeniable function and legitimacy.
10 “De plus cette langue aura une proprieté merveilleuse, qui est de fermer la bouche aux ignorans”. La vraie méthode; A VI, 4 A, 7. 11 “Car on ne pourra pas parler ny ecrire en cette langue que de ce qu’on entend”. Ibid. 12 “[…] ou si on ose le faire, il arrivera de deux choses une, ou que la vanité de ce qu’on avance soit manifeste à tout le monde, ou qu’on apprenne en écrivant ou en parlant. Comme en effect ceux qui calculent apprennent en écrivant, et ceux qui parlent ont quelques fois des rencontres auxquels ils ne pensoient pas, lingua praecurriente mentem”. Ibid. 13 “Au contraire de Platon ou Descartes, dont les méthodes nous enseigneraient à déployer tous nos efforts pour nous dégager du sensible afin d’arriver à l’intuition pure de ces idées, Leibniz semble accepter l’inaccessibilité des idées comme un donné. A partir de cette acceptation, il peut alors concevoir le sensible – y compris les signes – comme le milieu naturel où notre pensée doit nécessairement opérer et non comme l’étage préliminaire, le type inférieur de connaissance qu’il nous faut abandonner au plus vite”. M. Dascal: La sémiologie de Leibniz, Paris 1978, p. 183. 14 “Omnis ratiocinatio signis quibusdam sive characteribus perficitur”. Fundamenta calculi ratiocinatoris; A VI, 4 A, 918. 15 “Non tantum enim res ipsae, sed et rerum ideae semper animo distincte observari neque possunt neque debent, et itaque compendii causa signa pro ipsis adhibentur”. Ibid.
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Therefore, Leibniz distances himself from the prevalent view in his time, which states an asymmetrical relationship between thought and language. As L. Marin put it: “The relation of the word with the idea is necessary; the idea constitutes the word itself, while the relation of the idea with the word is habitual”16. Leibniz takes a different view by establishing a “necessary” relation of thought with language. It means that there is not any purely intellectual thought, devoid of sensible, as expressed against Bayle: “Though one reasons on abstract things, and on things that surpass the imagination, one does not fail to have in the imagination some signs which correspond to it, namely letters and characters. There is never a so pure understanding that is not accompanied by any imagination”17.
The apprehension of the abstract ideas is made through reflection, and the reflection which the mind does on its conceptions is not intuitive but discursive. As such, the language is the habitat of the thought, the means within which it develops and perfects itself. Adequate speech is the sensible mark of a correct exercise of the thought. The thought performs itself with the language, and, especially, within the language. 2. COMMON LANGUAGE – A LIVING “MIRROR OF THE HUMAN UNDERSTANDING”18 Leibniz reveals an acute consciousness of the formal exigencies specific to the elaboration of the science and of the scientific communication. This does not imply, however, any depreciation of the common language, which is perfectly adjusted for the expression of the “right exercise of the understanding”19. It is true that the ordinary language, used in common life (in vita communi) does not observe the strict rigor of formal syllogistic logic, but it holds proper devices for supplying the faults of its logic. One of these devices, perhaps the most significant, is the custom:
16 “Le mot renvoie nécessairement à l’idée; la relation du mot à l’idée est nécessaire; elle constitue le mot comme tel alors que la relation du mot à l’idée est habituelle”. L. Marin: Critique du discours. Sur la ‘logique de Port-Royal’ et les pensées de Pascal, Paris 1975, p. 51. 17 GP IV, 541. 18 “Es ist bekand, dass die Sprach ein Spiegel des Verstandes; […]”. A IV, 6 N. 79, 532 (Leibniz: L’harmonie des langues, op. cit., p. 38). 19 “Man will von allem dem, so daran hanget, anietzo nicht handeln, sondern allein bemercken, dass die rechte Verstandes-Übung sich finde, nicht nur zwischen Lehr- und Lernenden, sondern auch vornemlich im gemeinen Leben […]”. A IV, 6 N. 79, 533 (Leibniz: L’harmonie des langues, op. cit., p. 40).
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“And so men accustom to supply the failing of logic [immanent to the common use of language] through the force of imagination, the custom itself of the used discursive formula, and the understanding of the subject they deal with”20.
Therefore, the emblematic project of the universal characteristic, aiming to develop sciences and avoid unnecessary disputes that arise from the use of ambiguous and imprecise language, does not imply a depreciation of common language, whose virtues he extolled, even stating that popular language should be preferred to technical language in all matters which could be suitably expressed: “And this is how he [Nizolius] sets out all his logic, constantly insisting that for those things which can also be easily expressed with popular terms (terminis popularibus), it is necessary to refrain from those terms that have been created just to obscure the subject”21.
As far as Leibniz was concerned, the common language of learned persons, or the average language, as he called it, shows the same expressive power as technical language, and should therefore be used as a therapeutic means to correct the deformities of scholastic language: “And [Nizolius] does not, unlike others, explode with mere invectives against their barbarity [scholars], but in addition replaces this with other forms of language (alias loquendi rationes) drawn from Cicero and other ancients, preferably non-technical, but inspired by common talk. Through these forms of language, he shows that they can state all kinds of extremely subtle things in a very pure and accurate manner”22.
Therefore, the appreciation of common language goes along with the characteristic’s project. In both cases this involves reforming philosophical and scientific language, eliminating ambiguities and words empty of meaning. The issue of a common language would be a topic present in Leibniz’s confrontation with Locke on the signification. Whereas the English philosopher is faced with the difficulties inherent to the assumption of a private language, Leibniz establishes the language as a communitarian phenomenon. The Lockean statement of language introduces a gap between the public and the private level: “That then which words are the marks of, are the ideas of the speaker; nor can anyone apply them, as marks, immediately to any thing else, but the ideas that he himself hath. For this
20 “Sed haec omnia in scholis tantum celebrata, negliguntur in vita communi […]. Unde solent homines imaginationis vi, et consuetudine ipsa formularum sermonis, et intelligentia materiae quam tractant, supplere defectum logicae […]”. Modus examinandi consequentias per numeros; A VI, 4 A, 229–230. 21 “Atque ita universam Logicam percurrit, illud urgens perpetuo, sicubi res terminis popularibus aeque facile exprimi posit, technicis illis fictitiis tantum ad obscurandum factis esse abstiendum”. Letter to Thomasius, September 1669; A II, 1, 27. 22 “Nec vero aliorum more nudis invectivis in eorum barbariem detonat, sed et praeterea substituit alias loquendi rationes ex Cicerone et aliis veteribus haustas, imo prorsus non tchnicas, sed e medio umptas, quibus ostendit, proprie, puré, atque acurate subtilíssima quaeque enuntiari posse”. Ibid., pp. 26–27.
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Adelino Cardoso would be to make them signs of his own conceptions, and yet apply them to other ideas; which would be to make them signs, and not signs of his ideas at the same time; and so, in effect, to have no signification at all”23.
In fact, since words receive their signification merely from the thinking act of each speaker, there is not a certain criterion which could found the concordance of the various significations of one same word: “But they [words] signify only men’s peculiar ideas, and that by a perfect arbitrarily imposition, is evident, in that they often fail to excite in others (even that use the same language) the same ideas we take them to be the signs of; and every man has so inviolable a liberty to make words stand for what ideas he leases, that no one hath the power to make others have the same ideas in their minds, that he has, when they use the same words that he does”24.
The freedom for attributing signification is so inviolable that nobody can be certain of the signification which his interlocutor gives to the same words. This means that the privacy of language has entire philosophical legitimacy. Therefore, the communication and community of significations is based on a “long and familiar use” (ibid.), which does not abolish the conjectural and even fictional status of the linguistic communication: “But in this, men stand not usually to examine, whether the idea they, and those they discourse with, have on their minds, be the same; but think it enough, that they use the word, as they imagine, in the common acceptation of that language; in which they suppose that the idea they make it a sign of is precisely the same to which the understanding men of that country apply that name […]”25.
As a matter of principle, there is nothing which could stop that, in fact, two different people may speak different languages, although using the same words: “They [men] suppose their words to be marks of the ideas that are in the mind also of other men, with whom they communicate; for else they should talk in vain, and could not be understood, if the sounds they applied to one idea, were such as by the hearer were applied to another, which is to speak two languages”26.
For Leibniz, the relationship of the speaker with the language is quite different. Even before he makes his own conceptions, the speaker is faced with a universe of significations which circulates in the linguistic interchange within his community of belonging. Now, language comprises a system of rules which basically concerns its discursive articulation, the disposition of the different elements through which language is exercised. As speaker, “[…] at least, one is concerned with disposing words according others’ custom […]”27. Now, the core of language
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Essay, III, II, 2, p. 292. Essay, III, II, 8, p. 294. Essay, III, II, 4, p. 292. Ibid., 292–293. “[…] on prend garde au moins de ranger les mots selon la coustume des autres […]”. Nouveaux Essais III, 2, § 2; A VI, 6, 286 (GP V, 265).
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and its power of intelligibility lie in this canonic order. Indeed all languages have a good order or the true cabala28. 3. EXPRESSIVITY OF LANGUAGE AND TRANSLATION Contrary to Locke, Leibniz does not conceive language as a mere reservoir of vacant signs which the speaker can provide arbitrarily. In the Leibnizian framework, language is a source of possible meanings which the speaker actualizes through the speech act. Language is a “living mirror” of the world that produces the world itself and, thereby, produces also the diversity of languages. The relationship of language with the whole world which it animates is a relationship of symbolization, in the sense of a primordial co-belonging, according to the way “the composite symbolizes with the simple”29. Like any other ordered multiplicity, the system of language actualizes itself through a process of correspondences, accomplishing an expressive intelligibility30, which is the proper model of the Leibnizian category of expression qua relationship, encompassing, in M. Serres’ terms, “the constitutive relationship of the universe and the universal element of the relationship”31. In the Dialogus, Leibniz presents his construal of the work of language under the mode of expression, through the establishment of a reciprocal intelligibility between the diverse uses of language. As we have just mentioned, those different uses are conjoined by means of order and proportion. Furthermore, Leibniz takes this systemic concordance of all languages to be the very touchstone and foundation of truth: “And this proportion or relationship is the foundation of truth”32. However, one must at once highlight that this viewpoint cannot be taken separately, for it belongs to a system which includes another viewpoint, often stressed in the Leibnizian production from the same period of the Dialogus, stating that: truth
28 “Und hat man demnach die Cabbala oder Zeichen-kunst nicht nur in denen Hebräischen Sprach-Geheimnissen, sondern auch bey einer, jeden Sprach, nicht zwar in gewissen buchstäblichen Deuteleyen, sondern in rechtem Verstande und gebrauch der Worte zu suchen”. A IV, 6 N. 79, 534 (Leibniz: L’harmonie des langues, op. cit., p. 42). 29 “Et les composés symbolisent en cela avec les simples”. Monadologie, § 61; GP VI, 617. 30 In fact, expression is a general principle of the actual world as a perfectly ordered community: “Une chose exprime une autre (dans mon langage) lorsqu’il y abun rapport constant et reglé entre ce qui se peut dire de l’une et de l’autre. […] L’expression est commune à toutes les formes, et c’est un genre dont la perception naturelle, le sentiment animal, et la connaissance intellectuelle sont des especes”. Letter to Arnauld, 9 october 1687; GP II, 112. 31 “L’expression n’est pas commune à toutes formes seulement parce qu’elle se retrouve en chacune, identique ou conservée au degré près, mais surtout parce qu’elle constitue leur communauté ou leur communication: elle est la relation constitutive de l’univers, et l’universel de la relation”. M. Serres: Le système de Leibniz et ses modèles mathématiques, Paris 1968, pp. 146–147. 32 “Et haec proportio sive relatio est fundamentum veritatis”. Dialogus; A VI, 4 A, 24.
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values per se, for it is provided with proper reality and signification, regardless of the fact of its being or not being perceived: “Truth is a certain reality independent from our thought”33. In my interpretation, the most coherent position within Leibnizianism would hold that although truth does not depend on language, the harmony of languages remains nevertheless the touchstone of the truth. As Leibniz expresses it in De veritatibus necessariis: “The fact that different people in diverse languages conclude the same things means that what is concerned is the nature of things rather than names”34.
Consequently, there is an intra-linguistic criterion of truth. As such, truth is a presupposition of itself, not a result of a consensus. The truth is pre-harmonic. Thus, the expression is the effectiveness of the principle of harmony: it is common to all forms35, namely the linguistic ones. Among the activities through which language accomplishes itself, translation is the one which better evinces its expressive character. In fact, expression is the very essence of translation, which consists in establishing correspondences between different languages. Therefore, the Leibnizian pronouncement that the translation is the touchstone of the richness of the different languages becomes fully compelling, revealing both their expressive power and their insufficiencies: “The true touchstone of the abundance or lack of a language becomes apparent in the translation of good books from another language. For it shows then what is missing and what is available”36.
In this way, translation serves to Leibniz as a criterion which allows him to assert simultaneously the advantages of the German language – acknowledged as “an extraordinary touchstone of thought”37 – and its limitations, as far as moral philosophy is concerned: “However, as thought, our lack [of expressive words] appears mainly regarding the essence of customs, the passions of the soul, the common actions, the business of government and all type of issues related to public life and the State, as one can promptly see when one wants to translate something from a different language to our own”38.
33 “Veritas est quaedam realitas independens a nostra cogitatione.” De veritatis realitate, 1677; A VI, 4 A, 18. 34 “Quod diversis linguis plures eadem concludunt non nomina sunt in causa sed natura ipsarum rerum”. A VI, 4 A, 17. 35 A II, 2 N. 57, 240–241; GP II, 112. 36 “Der rechte Probier-Stein des überflusses oder Mangels einer Sprache, findet sich beym übersetzen guter Bücher aus andern Sprachen. Dann da zeiget sich, was fehlet, oder was vorhanden”. A IV, 6 N. 79, 551 (Leibniz: L’harmonie des langues, op. cit., p. 82). 37 “[…] wir Teutschen hätten einen sonderbahren Probierstein der Gedanken, Probierstein der Gedancken, der andern unbekant […]”. A IV, 6 N. 79, 535 (Leibniz: L’harmonie des langues, op. cit., p. 44). 38 “Am allermeisten aber ist unser Mangel, wie gedacht, bey denen Worten zu spühren, die sich auf das Sitten-Wesen, Leidenschafften des Gemüths, gemeinlichen Wandel, Regierungs-Sachen,
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4. THE SPEECH ACT AS TRANSLATION In the chapter II, book III, of the Nouveaux Essais, Leibniz leads mostly with the history of languages and etymologies, acknowledging that languages are “the most ancient monuments of the Peoples, prior to the writing and arts”39. Such a procedure leaves unanswered the Lockean statements on the instrumental character of language, on thoughts’ autonomy toward language, on the privacy of language. Notwithstanding, this chapter of the Nouveaux Essais far from being devoid of interest, as it is here where the author best elucidates the status of the speaker as a member of a community with whom he shares some rules, significations, sayings and discursive articulations. To speak is to assume the common world permanently in construction as one’s own. Through the proper use of language, the speaker accomplishes new possibilities of the world in which language plays a major constitutive role. Speaking is, altogether, putting oneself in the place of the other. In fact, the other’s place is the true point of perspective both in the field of practicality40 and in the theoretical field41, and further, one could say in the linguistic interchange. The ability to put oneself in the place of others is, no doubt, a basic operator of expressive rationality. Therefore, such as G. Steiner42 advocates, the linguistic interchange between speakers of the same language is, for Leibniz, an act of translation. The Leibnizian lexicon is absolutely precise: the speaker is an interpreter, a spokesperson or a correspondent:
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und allerhand bürgerliche Lebens- und Staats-Geschäffte ziehen: wie man wol befindet, wenn man etwas aus andern Sprachen in die unserige ubersetzen wil”. A IV, 6 N. 79, 536 (Leibniz: L’harmonie des langues, op. cit., p. 48). “Et les langues en general estant les plus anciens monuments des peuples, avant l’écriture et les arts, en marquent le mieux l’origine des cognations et migrations”. Nouveaux Essais III, 2, § 1; A VI, 6 N. 2, 285 (GP V, 264). “Mettez-vous à la place d’autrui, et vous serez dans le vrai point de vue pour juger ce qui est juste ou non”. G. W. Leibniz: Méditation sur la notion commune de la justice, in: G. Mollat: Mittheilungen aus Leibnizens ungedruckten Schriften. Neue Bearbeitung, Leipzig 1893, S. 57. Cf. G. W. Leibniz: The Art of Controversies, ed. by M. Dascal with Q. Racionero and A. Cardoso, Dordrecht 2008, pp. 163–166. “On s’attache aux personnes, aux lectures et aux considerations favorables, on ne donne point attention à ce qui vient du parti contraire, et par ces adresses et mille autres qu’on employe le plus souvent sans dessein formé et sans y penser, on reussit à se tromper ou du moins à se changer, et à se convertir ou pervertir selon ce qu’on a rencontré”. Nouveaux Essais II, 21, § 22; A VI, 6 N. 2, 182 (GP V, 168). “Translation between different languages is a particular application of a configuration and model fundamental to human speech even when it is monoglot”. G. Steiner: After Babel. Aspects of language and translation, Oxford, NY 21992, p. XII.
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Adelino Cardoso “Therefore, sometimes one is merely the interpreter of the other’s thoughts or other’s spokesperson, as if one was a letter; and this occurs more often than one thinks”43.
The adjusted position of the speaker towards language is analogous to that of the expounder (rapporteur) within the controversial game of language. The expounder is a sui generis figure that Leibniz introduces in the opuscle Des controverses, and that has nothing to do with the judge of controversies, previously put forward in another text nor with any specific role within a controversy. The expounder is characterized in merely operating terms by the method used: “that who uses this method will be neither judge, nor party, nor reconciliatory, but only expounder”44. Now, what can such a method be? It is a method which consists of an exercise of reciprocal intelligibility, and ordering different positions, with moderation and equity. What one gains, in comparison with e. g. the judge of controversies, is an increase of intelligibility through the confrontation between different languages, stressing correspondences, disparities, and the capability of answering the other’s objections. The expounder is a translator who, without passing a judgment and signaling preferences, provides the elements for a suitable judgment: “That it will usually be easy for a man of common sense to make his judgment based on the report given, without any need that the expound declare [his own opinion]”45.
The method followed by the expounder, who can be each individual speaker, aims at returning the language for its function of intelligibility, translation and entreexpression. The invocation of the figure of the expounder for solving controversies has a deep philosophical meaning. Despite of his maintaining the pertinence of controversies at the heuristic level, as a factor for the progress of reason and the enlightening of arguments, Leibniz also admits the need for entering into a superior level of rational inquiry in order to attain a systematic “connection of truths”. The controversial rationality demands an expressive rationality, an entailment which stresses the contribution of each part to the understanding of truth. The most fruitful case is when, faced with a conflict of contradictory theses, the philosopher can deny all these theses and, by the same token, “promises something deeper”, meeting the requirement of radical questioning46. In the confrontation of different philosophical
43 “Ainsi on n’est quelquesfois que le trucheman des pensées, ou le porteur de la parole d’autruy, tout comme seroit une lettre; et même on l’est plus souvent qu’on ne le pense”. Nouveaux Essais III, 2, § 2; A VI, 6 N. 2, 286 (GP V, 265). 44 “[…] que celuy qui se servira de cette méthode ne sera point juge ni partie, ni conciliateur mais rapporteur”. Des controverses; A IV, 3, 212. I follow the translation by Dascal, Racionero and Cardoso, in: Leibniz: The art of controversies, op. cit., p. 207. 45 “[…] qu’il sera ordinairement aisé à un homme de bon sens de juger sur le rapport qui a esté fait sans que le rapporteur ait besoin de se declarer”. Ibid. I follow the translation by Dascal, Racionero and Cardoso, in: Leibniz: The art of controversies, op. cit., p. 208. 46 “Je crois que ce qu’on dit pour blâmer la raison, c’est à son avantage. Lorsqu’elle detruit quelque these, elle edifie la these opposée. Et lorsqu’il semble qu’elle detruit en même temps
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forms, the criterion which allows us to order them reciprocally is their degree of expressiveness, that is to say, their differential power for giving reason of opposite concurrent forms. Therefore, the effort of translating is an intrinsic element of all philosophical endeavor, as Leibniz has conceived and practiced it.
les deux theses opposées, c’est alors qu’elle nous promet quelque chose de profond, pourvu que nous la suivons aussi loin qu’elle peut aller, non pas avec un esprit de dispute, mais avec un desir ardent de demêler la verité, qui sera tousjours recompensé par quelque succès considerable”. Essais de Théodicée, discours préliminaire, § 80; GP VI, 97.
ERKENNEN UND AUSDRÜCKEN: LEIBNIZ’ AUFFASSUNG DER IDEE* Von Jean-Baptiste Rauzy (Paris) 1. EINLEITUNG In den letzten Jahren haben analytische Philosophen sich mit der Analyse von Ausdrücken wie „einen Grund angeben“, „gute Gründe haben“ oder „der Grund von etwas sein“ intensiv beschäftigt. Der Satz vom Grund, oder vielmehr sein Vertreter in der heutigen Philosophie, ist von der Ontologie zur Epistemologie und zur Philosophie des Geistes übergegangen. Mir scheint, dass die Leibnizforscher diese Entwicklung in ihrem historischen Umgang mit den Texten berücksichtigen sollten. Um nur zwei Beispiele zu nennen: David Wiggins hat einerseits gezeigt, wie man den zureichenden Grund als eine Variante der Abduktion oder als bessere Erklärung interpretieren kann1. Und David M. Armstrong hat seinerseits versucht, den Ausdruck „einen guten Grund haben“ sowohl in seiner nomologischen als auch in seiner kausalen Dimension zu erklären: p ist ein guter Grund von q für das Subjekt S, wenn p zwingend ist – d. h., wenn die Aussage wenn p dann q wahr ist – und wenn p operativ ist, nämlich: die Überzeugung, dass p die aktuelle Ursache sein muss, dass q im Geiste von S ist. Schließlich fügt Armstrong hinzu: S muss nach den richtigen Prinzipien von p zu q übergehen, d. h. nach den Prinzipien, allgemeinen Regeln oder Naturgesetzen, welche diesen nomologischen Übergang erlauben2. Es gibt Textpassagen in den Generales Inquisitiones de Analysi notionum et veritatum (1686) (den Allgemeinen Untersuchungen über die Analyse der Begriffe und Wahrheiten), die vorschlagen, dass solche Überlegungen Leibniz
* 1
2
Für die Übersetzung des Beitrags aus dem Französischen möchte ich mich herzlich bei Dr. Arnaud Pelletier bedanken. D. Wiggins: „The Concept of the Subject contains the Concept of the Predicate“, in: J. J. Thomson (Hrsg.): On Being and Saying: Essays for Richard Cartwright, Cambridge, MA 1987, S. 263–284 (zitiert in: R. S. Woolhouse [Hrsg.]: G. W. Leibniz, Critical Assessments, Bd. II, London 1994, S. 141–163). Vgl. auch meine Aufsätze: J.-B. Rauzy: „L’inhérence conceptuelle, la raison suffisante et David Wiggins“, in: D. Berlioz/F. Nef (Hrsg.): Leibniz et les puissances du langage, Paris 2005, S. 71–94 und ders.: „Raison suffisante et actualité“, in: F. Wolff (Hrsg.): Pourquoi y a-t-il quelque chose plutôt que rien, Paris 2007, S. 187–214. D. M. Armstrong: Belief, Truth and Knowledge, Cambridge, MA 1973, S. 150–152.
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Jean-Baptiste Rauzy
nicht fremd waren. Er meinte zum Beispiel, dass man eine spezielle Notation erfinden sollte, um alle nicht-logischen Prinzipien, die in der stets erneuten Ausübung unserer Inferenzfähigkeiten enthalten sind, explizit auszudrücken3. Es ist nicht immer einfach, die neuzeitlichen erkenntnistheoretischen Unterscheidungen aufzugreifen, vor allem, wenn man versucht, dies aus unserer eigenen Unterscheidung zu tun. Was die Begründung der Überzeugungen betrifft, achten nach Sellars alle Autoren strikt darauf, die kausale Begründung nicht mit der Rechtfertigungsbegründung zu verwechseln. Die erste ist die Antwort auf die Frage Warum glauben Sie, dass p? (Why do you believe that …?), während die zweite die Frage beantwortet: Was rechtfertigt Sie zu glauben, dass p? (What is your justification for believing that …? oder What justifies you in believing that …?). Eine unter den Historikern umstrittene besteht darin, nachzuvollziehen, inwieweit Leibniz diese beiden Fragen identifiziert und inwieweit er die letztere der ersteren gegenüber bevorzugt hat. Vincent Carraud hat die These verteidigt4, dass Leibniz die beiden nur auf der phänomenalen Ebene unterschieden habe, während er sie auf der höheren Ebene der Wissenschaft Gottes für identisch gehalten habe. Es gibt wohl, quoad nos (was uns betrifft), einen Unterschied zwischen den Ursachen und den Gründen. Es gibt aber einen gewissen Standpunkt, nämlich den Gottesstandpunkt, nach welchem ein Monismus bzw. eine Identifizierung der Ursache und der Gründe angenommen werden muss. Es gibt eine Einheit der Bewirkung und der Bestimmung im Handeln Gottes. Und wir tragen die Spur dieser Einheit in unserem dualistischen begrifflichen Schema. Sie ist sozusagen die Spur des Handwerkers auf seinem Werk im Sinne von Leibniz. Ich bin bereit, diese Ansicht zum großen Teil zu billigen. Ich denke aber, dass noch ein dritter Begriff hinzugefügt werden sollte. Neben den Fragen nach Ursachen und nach Gründen muss man auch die Frage nach dem Weg oder der Methode stellen: Wie sind Sie dazu gekommen, p zu wissen? (How do you know that …?). Es fällt schwer, diesen Aspekt der Erkenntnistheorie in einem post-kartesianischen Kontext zu ignorieren. Man könnte ihn wie folgt formulieren: Unter bestimmten Bedingungen ist der Weg, der S zu p führt, erstens die Rechtfertigung, dass S p weiß, und liefert zweitens eine kausale Erklärung der Überzeugung von S. Dies ist nicht sehr weit weg von Armstrongs Externalismus. Ich will zeigen, dass Leibniz auch nach dieser Linie erörtert werden sollte, und ich werde mich besonders auf den sehr berühmten Text Quid sit idea stützen.
3 4
A VI, 4 A N. 165, 771 (§ 111) und 776–777 (§ 136). V. Carraud: Causa sive ratio. La raison de la cause, de Suárez à Leibniz, Paris 2002, S. 391– 399.
Erkennen und Ausdrücken
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2. DER AUSDRUCK IST NICHT DAS EIGENTLICHE THEMA DES QUID SIT IDEA Entscheidende Erklärungen des Leibniz’schen Begriffs und Gebrauchs des Ausdrucks (expressio, expression) verdanken wir zweifellos Swoyer und Kulstad5 – und Anderen – sodass die genaue Bedeutung des Begriffs heute nicht mehr bestritten wird: Der Ausdruck eines Dinges durch ein anderes ist nichts anderes, als eine Strukturähnlichkeit, das heißt ein Verhältnis zweiter Ordnung zwischen verschiedenen Prädikaten von unterschiedlicher Stelligkeit, welche selbst Eigenschaften und Verhältnisse bezeichnen. Diese Prädikate machen alle zusammen den Ausdruck aus, wenn man ihre Korrespondenten (surrogates) in dem Ausgedrückten wiederfindet oder erkennt. Da es immer mehr ausdrückbare Prädikate in dem Ausgedrückten als in dem Ausdruck gibt – zum Beispiel gibt es immer mehr erkennbare Orte in der Stadt als angegebene Orte auf der Karte, die sie darstellt – wird man auch sagen – um diese Asymmetrie im algebraischen Vokabular deutlich zu machen – dass der Ausdruck eine Einbettung ist. Der Quid sit idea wurde bei den Kommentatoren zu Recht als der Text betrachtet, worin Leibniz die genaueste und fast endgültige Formulierung davon bietet, was ein Ausdruck ist. Diese entscheidende Definition hat, so scheint es mir, die Art, wie wir den ganzen Text lesen, in einer unbefriedigenden Weise beeinflusst. Es wurde nicht genug darauf geachtet, dass es in diesem Text nicht um den Ausdruck, sondern um die Natur und Erkenntnis der Idee geht. Oder besser gesagt, man hat es wohl festgestellt, weil es offensichtlich ist und man es kaum übersehen kann, aber, meines Wissens, selten versucht, den schwierigen Aspekt des Textes zu erklären, nämlich, wie der Ausdruck eine notwendige Bedingung oder ein Bestandteil der Idee, aber keine ausreichende Bedingung sein kann. Auf diese Ergänzung möchte ich aufmerksam machen. Sie gehört nicht zur Philosophie der Sprache, sondern zur Philosophie des Geistes und des Erkennens. Leibniz sagt: 1. Die Idee ist „etwas, das in unserem Geist ist“ – also entweder ein mentaler Zustand, wenn man annimmt, dass der Geist eine Gesamtheit von Zuständen ist, oder ein mentaler Akt, wenn man eine dynamischere Auffassung bevorzugt. 2. Um die Idee selbst von allem, was in unserem Geist ist und doch keine Idee ist, zu unterscheiden, fügt Leibniz hinzu, dass die Idee nicht ein Geistesakt, sondern ein Vermögen ist: Sie ist also, streng genommen, weder ein Zustand noch ein mentaler Akt; eher etwas dazwischen. Was man unter „Vermögen“ verstehen soll, ist wie folgt erklärt:
5
Siehe C. Swoyer: „Leibnizian Expression“, in: Journal of the History of Philosophy 33 (1995), S. 65–99; M. A. Kulstad: „Leibniz on Expression: Reflexions after Three Decades”, in: Einheit in der Vielheit. VIII. Internationaler Leibniz-Kongress, Bd. 1: Vorträge, Hannover 2006, S. 413–419.
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Jean-Baptiste Rauzy „Wir sagen, dass wir die Idee eines Dinges haben, auch wenn wir nicht an dieses Ding denken, jedoch bei gegebener Gelegenheit an dieses Ding denken können“6.
Die Idee ist eine mentale Fähigkeit oder eine mentale dispositionale Eigenschaft. Die Fähigkeiten wie die Dispositionen werden durch konditionale Sätze beschrieben. Ich denke nicht, als ob ich mich auf der Grenze einer unendlichen Reihe stellen kann, sondern ich denke „bei gegebener Gelegenheit“ – zum Beispiel, wenn ich nach Hause gehe und einen Artikel von Richard Westfall über Newton lese, werde ich veranlasst, an diese Art von mathematischen Entitäten zu denken, und ich merke bei dieser Gelegenheit, dass ich die Idee davon besitze. Vielleicht bin ich zu erschöpft, um den Artikel von Westfall heute Abend zu lesen, und vielleicht werde ich ihn nie lesen, sodass ich schließlich einen anderen Weg gewählt habe und nie mehr in der Lage sein werde, auf der Grenze einer unendlichen Reihe zu denken: Es wird aber nichts an der Tatsache ändern, dass ich diese Idee in meinem Geist besitze. Der Quid sit idea ist für seine Definition des Ausdrucks bekannt, aber sein wichtigstes und zumindest zentrales Objekt besteht in dieser dispositionalen Dimension der Idee. Der Text geht folgendermaßen weiter: 1. Wir haben das Vermögen, an die Dinge zu denken, die wir ignorieren, und ebenso an die Dinge, von denen wir keine Ideen haben, sodass die Frage, was eine Idee ist, zum großen Teil mit der folgenden Frage zusammenhängt: Was heißt erkennen? Wie kann man die Dinge, die wir erkennen, unter der breiten Menge aller Dinge, die wir denken, aussortieren? Es sind nicht unbedingt alle geistigen Dispositionen Ideen; die Ideen bezeichnen nur die von Erkenntnis begleiteten geistigen Dispositionen. Zum Zeitpunkt des De summa rerum erwähnt Leibniz zum Beispiel den Gedanken der größten Zahl, der keine Idee im eigentlichen Sinne entspricht. Die erste notwendige Bedingung, um diesen Unterschied zu halten, bezieht sich auf die aktuelle Existenz eines Erkenntnisweges. Wir können undeutlich und unbewusst an p denken, aber, um p zu erkennen, müssen wir einen Zugang haben, und diesen Zugang nennt Leibniz in diesem Text, wie in anderen, die Leichtigkeit (facilitas). 2. Im Allgemeinen liefert die Methode – das heißt das explizierte und regelmäßige Mittel, zu einem Ding zu gelangen – eine notwendige Bedingung, um die geistigen Dispositionen, die wirklich Ideen sind, auszusortieren, aber diese Bedingung ist immer noch unzureichend: „Denn derjenige, der eine Methode besitzt, die ihm, wenn er sie befolgt, ermöglicht, zu einem Ding zu gelangen, der besitzt nicht deshalb schon die Idee dieses Dinges. Wenn ich etwa in geordneter Weise die Kegelschnitte aufzähle, so ist sicher, dass ich zur Kenntnis der entgegengesetzten Hyperbeln kommen werde, auch wenn ich deren Idee noch nicht besitze. Somit ist notwendig, dass es in mir etwas gibt, das nicht nur zum Ding hinführt sondern es auch ausdrückt“7.
6 7
Übersetzung von C. Barth in: D. Perler/J. Haag (Hrsg.): Ideen. Repräsentationismus in der frühen Neuzeit. Texte und Kommentare, Bd. 1, Berlin 2010, S. 309. Ebd.
Erkennen und Ausdrücken
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Die Leichtigkeit reicht nicht aus. Selbst wenn ich fähig bin, unter allen geistigen Dispositionen diejenigen zu unterscheiden, die Ideen sein können, weil sie greifbar sind – und weil ich die Frage „Woher wissen Sie es?“ beantworten kann – haben jedoch Ideen eine nicht allein durch die Methode erklärbare Repräsentationsbeziehung mit den Dingen. Betrachten wir die Methode, wie sie beispielhaft in der Geometrie von 1637 vorgestellt ist. Descartes hat ein algebraisches Mittel erdacht, Kurven einzuordnen. Die Kurven, die in der Geometrie angenommen werden, nämlich die Kurven, die „nicht nur mechanisch“ sind, können in dem Sinne auseinander abgeleitet werden, dass die Annahme dieser Kurven in der Geometrie so viel bedeutet wie einen Erkenntnisweg zu besitzen, um zu einer Kurve durch algebraische Ausdrucksverhältnisse aus einer anderen zu gelangen. Im Gegenteil dazu sagt Leibniz: Zu einem Ding zu gelangen ist noch nicht, davon die Idee zu haben. Den Erkenntnisweg zu dem zu erkennenden Ding zu kennen ist noch nicht, davon einen Ausdruck zu besitzen. Der Ausdruck ist etwas mehr. Mit anderen Worten lautet die Textpassage nicht: L1
Ich bin im Besitz einer Methode, ich kenne den Weg – actus signatus –, aber ich habe ihn noch nicht durchgezogen und ich werde die Idee besitzen, wenn ich ihn durchgezogen haben werde – actus exercitus.
Der Text lautet vielmehr: L2
Ich bin im Besitz einer Methode – actus signatus – und ich habe tatsächlich den Weg durchgezogen – actus exercitus – dennoch habe ich noch keine Idee.
Es scheint mir, dass der einzige Weg, um L2 zu verstehen, darin besteht, anzunehmen, dass wir aus der dispositionalen Dimension des Geistes herausgekommen sind. Und es ist hier, und erst hier, dass der Ausdruck ins Spiel kommt. Er bezeichnet, was man wirklich besitzen muss, um sagen zu können, dass man etwas kennt, was die Methode uns ermöglicht hat, zu erlangen. Nun ist der Ausdruck kein Vermögen. Zumindest in Quid sit idea (1677) wird der Ausdruck nicht als eine Disposition angesehen. Es gibt also zwei Elemente oder zwei Dimensionen in der vollständigen geistigen Realität, die man als „eine Idee haben“ bezeichnet: ein dispositionales Element (facultas) und ein kategorisches, nicht-dispositionales Element (expressio). Bei einer eingehenden Lektüre des Quid sit idea muss man auf diese doppelte Dimension sorgfältig achten: Keins von den zwei Elementen ist auf das andere reduzierbar. Man muss umso mehr vor dieser Interpretation einer Reduzierbarkeit beider Dimensionen warnen und davor, dass sie oft unbemerkt bleibt. Wie ist dies möglich? Doch kann man sich vorstellen – da der Ausdruck eine Strukturähnlichkeit ist – dass alle Instanzen dieser gemeinsamen Struktur wie potenzielle Ausdrücke sind. Man wird zum Beispiel so etwas sagen wie:
128 Exp
Jean-Baptiste Rauzy
Das Ding r kann durch e1, e2, … en ausgedrückt werden.
Das Ding wird in dieser Perspektive ein Ausdrückbares, etwa wie Johnson von einem Bestimmbaren spricht. Schließlich haben wir keine andere Möglichkeit zu sagen, was ein Ding ist, als all seine möglichen Ausdrücke aufzuzählen, d. h. seine Ausdrucksfähigkeit. Man kann diese Auffassung weiter verfolgen, indem man einen Schritt weitergeht: Da der Ausdruck eine Einbettung ist, kann man also die Perspektiven auf das Ding deutlich machen, indem man die in der eingebetteten Struktur enthaltenen Aspekte berücksichtigt. Man hat dann: Exppersp
Das Ding r kann als F1 durch e11, e12, … e1n, als F2 durch e21, e22, … e2n … als Fi durch ei1, ei2, … ein ausgedrückt werden,
wobei i die Indizes der F-Aspekte des Dinges und n die Indizes der isomorphen Repräsentationen dieser Aspekte bezeichnen. Und das ist nicht alles. Man kann noch einen Schritt weitergehen und feststellen, dass die Repräsentationen des einen und gleichen Dings oder einer gleichen Reihe von Aspekten selbst in einem strukturellen Ähnlichkeitsverhältnis stehen können, das heißt, dass ein asymmetrisches Verhältnis zwischen ihnen besteht. Denken wir nur an die Auflösung eines digitalen Bildes, die mit der Anzahl der digitalisierten Punkte in der von den Lichtstrahlen getroffenen Zone variiert. In der Exp-Formel könnte man e1, e2, … en verwechseln, genau wie Tokens von einer Musterrepräsentation, diesmal aber können sie eingeordnet werden: e1 kann weniger gehaltvoll oder weniger zuverlässig sein als e2 und so weiter und so fort bis en: Die Auflösung wird immer feiner. Und wenn ich die Vorstellung einer immer feineren Auflösung mit der Vorstellung von immer unterschiedlicheren Aspekten kombiniere, ergibt sich etwas, das der Vorstellung eines Ausdrucksgrads im objektiven Sinne entspricht. Für jedes bestimmte Ding gibt es ein ganzes Kontinuum von Ausdrücken desselben, das man wohl mit dem Kontinuum der klarenverworrenen, klaren-deutlichen, inadäquaten und intuitiven Ideen vergleichen möchte, wie es in den Fragmenten um die Meditationes de cognitione beschrieben wird8. Und da es eine Anspielung auf die Methode in dem Quid sit idea, wie oben erwähnt, gibt, das heißt auf den notwendigen Weg, um sich der wahren Idee zu nähern, wird man dadurch die Bestätigung finden, dass der ganze Text völlig durch den Begriff des Ausdrucks gelesen werden sollte. Anders gesagt: Der Ausdruck enthält und erschöpft die Bedeutung der Idee. Ich möchte an dieser Stelle klar sagen – und das ist der Hauptpunkt meines Vortrages –, dass diese Ansicht falsch ist. Sie ist verlockend, aber sie ist falsch. Sie ist
8
Siehe A VI, 4 A N. 141 und andere.
Erkennen und Ausdrücken
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falsch, weil sie die beiden Dimensionen der Erkenntnis ignoriert. Es gibt ein dispositionales Element (facultas), aber dieses dispositionale Element ist nicht der Ausdruck selbst, sondern ein anderer Bestandteil der Idee. Wir verfügen in unserem Geist über ein Vermögen, Ausdrücke zu erkennen bzw. zu entdecken. Der Geist ist ein Ganzes von Dispositionen, um Ausdrücke aufzustellen. Er ist nicht der Ausdruck selbst. Der Ausdruck ist die objektive Seite der Idee, und das Vermögen, den Ausdruck zu perzipieren, und ihn zu empfangen, ist die subjektive Seite davon. Es kann einen Exoplaneten irgendwo geben, der einen einzigen natürlichen Satelliten hat und mit seinem Stern ein Drei-Körper-Gravitations-System ausmacht: Von dem kann man sagen, dass es unserer Erde und dem Gravitationssystem, das sie mit ihrem Satelliten und ihrem Stern ausmacht, strukturell ähnlich ist. Diese beiden physikalischen Systeme drücken sich gegenseitig aus. Aber der Ausdruck reicht nicht aus, um Wissen zu erzeugen. Ich muss noch ein Erkenntnismittel haben, um zu diesem Ausdruck zu gelangen, ihn festzustellen und ihn zu erkennen. Das ist der Grund, warum ich meine, man sollte den ersten Teil des Textes und die Erwähnung einer facultas sehr ernst nehmen. 3. EINE EPISTEMISCHE MEHRDEUTIGKEIT In dem Quid sit idea wird behauptet, dass ich an etwas denken kann, ohne davon die Idee zu haben. In der Diskussion von Leibniz’ Philosophie des Geistes wurde dieser Punkt am meisten hervorgehoben und der anti-kartesianische Aspekt dieser Behauptung wurde oft betont. Für Descartes ist alles, was in meinem Geist ist, eine Idee. Anders bei Leibniz: Wir haben Gedanken ohne Idee9. Um zu versuchen, dies klarer zu begreifen, verwenden wir die übliche Notation der epistemischen Logik: „Kap“ steht für „a weiß, dass p“. K ist eigentlich ein Quantor, und dem entspricht – nach der üblichen epistemischen Semantik – ein Feld von Welten oder Szenarien, welche mit diesem Wissen, das a besitzt und das im Skopus von K enthalten ist, kompatibel oder nicht kompatibel sind. In erster Näherung lautet der Text: T0Quid-sit-idea
Ks(p) hat immer die Form Ks(Exy)
wobei (Exy) ein Strukturähnlichkeitsverhältnis ist und als „x drückt y aus“ interpretiert wird. Diese Formel selbst kann wiederum unterschiedlich interpretiert werden. Eine stärkere Lesung lautet: T1Quid-sit-idea
9
Ks(p) ist äquivalent zu Ks(Exy)
Vgl. A. Simmons: „Changing the Cartesian Mind: Leibniz on Sensation, Representation and Consciousness“, in: The Philosophical Review 110, 1 (2001), S. 31–75.
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Jean-Baptiste Rauzy
wobei hinzugefügt wird, dass das Wissen des Subjekts nicht nur eine relationale Form haben muss, sondern auch zusätzlich das Wissen dieser Relation sein muss. Diese These 1 ist schwer zu billigen, weil man rechts etwas Relationales und links etwas Nicht-Relationales hat. Wenn Entitäten syntaktisch so unterschiedlich sind, dann ist es schwierig, die beiden durch ein logisches Äquivalenz-Zeichen zu verbinden. Vielleicht will Leibniz andeuten, dass etwas Relationales oder ein relationales Element in jeder Erkenntnis enthalten ist, was kaum zu bestreiten ist; er will aber sicherlich nicht andeuten, dass jede Erkenntnis eine Erkenntnis von etwas Relationalem ist: Wir hätten dann eine hyper-relationale Erkenntnistheorie in der Art von Carnaps Aufbau, was ziemlich übertrieben scheint. Auch wenn Leibniz der Philosoph der Harmonie und des Ausdrucks ist, gibt er auch zu, dass wir Ideen nicht-relationaler Eigenschaften haben, zumindest weil er die Existenz von einem fundamentum relationis annimmt. Wenn gewisse Relationen auf nicht-relationalen Elementen basieren, dann ist es schwer, die Erkenntnis selbst auf einer hyperrelationalen Formel wie T1 zu basieren. Versuchen wir also, das relationale Element im rechten Teil der Formel T1 zu eliminieren. Jede Idee hat einen relationalen Aspekt: Die Idee ist, was uns in Verbindung bringt mit dem, wovon es die Idee gibt. Diese Relation muss in unserer Analyse von Ks inbegriffen sein, aber in einer Weise, die die ungeschickte Folge eliminiert, dass jede Erkenntnis eine Erkenntnis von etwas Relationalem ist. Ich schlage vor: T2Quid-sit-idea
Das Subjekt S hat eine Idee von p dann und nur dann, wenn es e gibt so, dass e ein Ausdruck von p ist.
Ein Existenzquantor wird dadurch eingefügt, aber der Operator K, welcher eine Art Quantor ist, entfällt. Schließlich möchte ich nur andeuten, dass dies eine echte Schwierigkeit einschließt, und dass man sowohl gewisse Texte als auch die Entwicklung der Leibniz’schen Erkenntnistheorie besser verstehen kann, indem man auf diese Schwierigkeit aufmerksam macht. Die Mehrdeutigkeit liegt darin, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich mit Recht sagen kann: T2*Quid-sit-idea Das Subjekt S hat eine Idee von p dann und nur dann, wenn es weiß, dass es e gibt so, dass e ein Ausdruck von p ist. Mithilfe der von Hintikka eingeführten Notation10 wird der Unterschied zwischen T2 und T2* deutlich sichtbar, und dadurch wird die Mehrdeutigkeit aufgehoben. Zum Beispiel in der Aussage:
10 J. Hintikka: „Knowledge Acknowledged: Knowledge of Propositions vs. Knowledge of Objects“, in: Philosophy and Phenomenological Research 56, 2 (1996), S. 251–275.
Erkennen und Ausdrücken
Mugnai
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Massimo Mugnai weiß, dass es eine Frau (Helena) gibt, und dass Paris Helena liebt.
Die Tatsache, dass Paris Helena liebt, ist absolut unabhängig von dem, was Massimo Mugnai weiß und diese Tatsache kann nicht einfach so ausgedrückt werden: Mugnai1
Km ∃h (Aph)
– sondern vielmehr nach der Art von Hintikka: Mugnai2
Km ∃h/K (Aph),
wobei der Schrägstrich „/“ die Unabhängigkeit des Existenzquantors von dem Operator K ausdrückt. Genau die gleiche Mehrdeutigkeit findet sich in unserer Formel des Quid sit idea: T3Quid-sit-idea
Ks ∃x (Exy),
welche wie folgt interpretiert wird: T4Quid-sit-idea
Ks ∃x/K (Exy). 4. EIN EPISTEMISCHES PARADOX
Obwohl wir hier zu einer feineren Formulierung gelangt sind, bin ich nicht sicher, ob alle Schwierigkeiten beseitigt worden sind. Nämlich: Wenn wir im rechten Teil der Äquivalenz – welche eine allgemeine Formulierung der Natur der Erkenntnis feststellen soll – einen Ausdruck haben, der zwischen den Charakteren und den Gedanken liegt, dann wird diese Äquivalenz, und seine Formulierung durch T4, problematisch. Der Grund ist der folgende: Der rechte Teil, der den im linken Teil bezeichneten Inhalt zu erklären hat, muss einen Verweis auf das Denken oder das Erkennen selbst enthalten. Daher gibt es eine Gefahr der logischen Zirkularität. Ich nenne diese Gefahr „das Leibniz’sche epistemische Paradox“: Dif
Das Subjekt S weiß, dass es e gibt, so dass e ausdrückt, was S weiß.
Das Paradox besteht darin, dass die Erkenntnis die Existenz eines Ausdrucks feststellt, der selbst den Inhalt dieser Erkenntnis ausmacht. Wir haben hier den möglichen Ursprung eines ganz unerwünschten semantischen Aufstiegs. Die Charaktere, der Bezug zu den Charakteren und der charakteristische Ausdruck sind an der Definition der Erkenntnis beteiligt. Dies ist die große Lektion
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Jean-Baptiste Rauzy
von Hobbes11. Und Leibniz fügt hinzu: Der Ausdruck ist Teil der Idee. Die Idee von p ist ein Ausdruck von p, an welchen ich denke, wenn ich p weiß. Etwas löst sich in meinem Geist aus, wie etwa die Aktualisierung einer Disposition. Das Subjekt weiß etwas, wenn es einen Ausdruck erfasst, und dann weiß es auch, dass dieser Ausdruck den Inhalt seines Wissens liefert. Ich möchte vorschlagen, dass die Vertiefung dieser Schwierigkeit eine Quelle der Entwicklung des Leibniz’schen charakteristischen Gedankens gewesen ist.
11 Th. Hobbes: Elements of Law, I, 6, § 2 und § 3.
HISTORISCHE SEMANTIK UND UNIVERSALSPRACHE: EIN MÖGLICHER ANFANG DER BEGRIFFSGESCHICHTE?* Von Concha Roldán (Madrid) 1. VORREDE: DIE GESCHICHTE DER SPRACHE UND DIE BEGRIFFSGESCHICHTE DER MODERNE Wenn wir eine kurze und bündige Definition dafür finden müssten, worin die Geistesgeschichte der Moderne besteht, dann könnten wir die Behauptung vertreten, dass sie sich nicht von der Herausbildung der modernen Sprache unterscheidet. Natürlich fangen die Probleme in dem Moment an, in dem wir darüber übereinkommen, dass diese nichts Definitives ist, sondern eine Summe von Kategorien, Traditionen, Vermutungen, Vorurteilen, Begriffen und Metaphern, die zu bunt gemischt ist, als dass wir ihr eine fest umrissene Identität zusprechen könnten. Zweifelsohne haben der sogenannte „linguistic turn“ und die postmoderne Kritik eine animierende Wirkung auf die Debatten der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ausgeübt, was dazu führte, dass wir uns immer mehr damit beschäftigt haben, die grundlegenden Begriffe unseres ethischen und politischen Erbes zu analysieren und zu definieren, um zu bestimmen, welchen Bedeutungsgehalt aus ihrer Vergangenheit sie aufbewahrt haben und was sie an grundlegend Neuem zu unserer postmodernen Rationalität beigetragen haben – wie Reste oder Bruchstücke einer Sprache, die wir immer wieder interpretieren müssen, mal aus der Perspektive der Kontinuität, mal aus der der Diskontinuität. Eben darin besteht unsere Aufgabe als Ideengeschichtler: die bleibenden Elemente der Vergangenheit zu entdecken und ihre Wirksamkeit in der gegenwärtigen Denklandschaft zu interpretieren. Denn wenn die Vergangenheit offenliegt, dann ist unsere Hinterlassenschaft nicht eindeutig determiniert, sondern nährt sich von einem ganzen Spektrum von Möglichkeiten; Möglichkeiten, die sich aus verschiedensten Geschichten herauszukristallisieren vermögen. Vom begriffsgeschichtlichen
*
Diese Arbeit wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „Enlightenment and Global History“ (ENGLOBE, Marie Curie Inicial Training Network: FP7-PEOPLE-2007-1-1-ITN) und des Projektes „Leibniz en español 2“ (FFI2010-15914) realisiert, und finanziert von der EU bzw. dem MINECO. Ich möchte mich bei Stascha Rohmer für seine Hilfe bei der Abfassung der Übersetzung ins Deutsche bedanken.
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Concha Roldán
Standpunkt aus ist es Usus gewordenen, die Schlüsselideen unseres moralischen und politischen Arsenals (die Freiheit, die Autonomie, der Fortschritt, die Legitimität, die Souveränität oder z. B. der Begriff der Säkularisierung) in zweifacher Hinsicht definieren zu wollen: auf der einen Seite ausgehend von dem, was sie an grundlegend Innovativem enthalten (d. h. als Exponent einer spezifisch modernen Erfahrung); auf der anderen Seite ausgehend von dem, was sie – wie ein Palimpsest oder Pentimenti – an Weisen, die Welt zu verstehen oder zu ordnen, aufbewahrt haben; Weisen, die verschieden sind von der Emergenz des novums der Moderne und die derselben vorhergingen. So erfasst man die genuin moderne Identität – oder scheint sie zumindest zu erfassen –, wenn man vor dem verworrenen Hintergrund einer Vielheit von Sprachen und Traditionen den zündenden Funken des noch nie Dagewesenen und Innovativen hervorheben kann, wenn – wie Koselleck es sagt, „ein Erwartungshorizont – das Novum – vom Erfahrungsraum sich befreit“1. Ein Großteil unserer Begriffe ist – von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet – das Resultat verschiedener Weisen, den „Disput zwischen den Alten und den Modernen“ (querelle des anciens et modernes) zu schlichten, oder – gesetzt der Fall, dass wir jetzt der Emergenz der Neuheit beiwohnen – Resultat des „Disput[s] der Modernen und der Postmodernen“. „In dem rigorosen Prozeß der Kritik entstand die Geschichtsphilosophie: alle Bereiche, die von der Kritik erfaßt wurden, leisteten ihren Beitrag, um die Heraufkunft der Geschichtsphilosophie zu fördern“ 2,
schrieb Koselleck in Kritik und Krise. In seinen späteren Überlegungen präzisiert Koselleck dies dahingehend, dass wir das Erbe einer modernen Weltanschauung sind, welche sich in der Sattelzeit (ein Zeitraum, der für ihn zwischen 1750 und 1850 liegt) herausgebildet hat und in welcher sich aus seiner Sicht die Zeichen für unsere semantische Identität profiliert haben. Der „Vater“ der Begriffsgeschichte ist für diese strikte Eingrenzung der Geburt der Modernität häufig kritisiert worden, weshalb er im Laufe seines Lebens genötigt war, klarzustellen, dass er sich damit einerseits nur auf Deutschland bezogen habe und dass sich andererseits der Zeitraum verändern ließe; doch behielt er dabei immer einen Zeitraum im Auge, der seinem „Traggerüst der Modernität“ sehr nahe kam. Es ist jetzt nicht mein Anliegen, auf das heikle Thema der zeitlichen Einteilung der Geschichte bzw. der Geschichtsphilosophie einzugehen, sondern vielmehr meine Aufmerksamkeit auf das Problem zu lenken, das diese zeitliche Fixierung bereitet, welche die Theorie der Begriffsgeschichte in ihrer Verkündung der Diagnose der Moderne durchführt, d. i. genau in ihrer Insistenz auf eine „triumphierende Linie“ der Aufklärung3, auf unsere Möglichkeit,
1 2 3
Vgl. R. Koselleck: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1989, insbesondere Kap. 14, S. 439–375. Ders.: Kritik und Krise, Freiburg/München 1959, S. 6. Das habe ich auch in meinem Buch Entre Casandra y Clío. Una historia de la filosofía de la historia, Madrid 1997 (22005) herausgestellt.
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diese „objektiv“ zu rekonstruieren und zu interpretieren – jenseits unserer gegenwärtigen Ideologien, Überzeugungen und aktuellen Erfahrungen. Aus meiner Sicht müsste man den Ursprung der Begriffe der Moderne4 ein Jahrhundert früher verorten und Leibniz in dieser Hinsicht eine Schlüsselrolle zusprechen, dabei jedoch immer die Ausgangsthese unserer Forschung im Auge behalten, derzufolge es keine „privilegierte“ Rekonstruktion der Dialektik der Moderne gibt, die einen „objektiven“ Zugang zu der Logik der politischen und moralischen Begriffe der Moderne absichern würde, sondern letztendlich eine Pluralität aporetischer Begriffe, von denen jene sich durchsetzen, die von der etablierten Macht unterstützt wurden. Wenn die Jahrzehnte postmoderner Kritik irgendeine eindeutige Auswirkung gehabt haben, dann diese: Der Tatbestand, dass man den Spiegel, in dem man die Universalgeschichte als eine absolute Wahrheit betrachtet hatte, zerschlagen hat, ermöglichte zugleich das Auftauchen einer Pluralität von Geschichten, die uns Gesichtspunkte zu entdecken erlauben, die zu einem gegebenen Zeitpunkt im Hintergrund blieben und – paradoxerweise – zu einem anderen Zeitpunkt gerade dazu beitrugen, Licht auf eine bestimmte Problematik zu werfen, oder, besser gesagt, dazu beitrugen, eine andere Perspektive in Bezug auf vergangene Argumentationen einzunehmen – angetrieben von den Problemen der Gegenwart. In diesem Sinne ist sowohl die Diagnose (als Theorie der Begriffsgeschichte) als auch die Prognose (als Praxis derselben) in epistemologischer und politischer Hinsicht nicht unabhängig von der Verwicklung mit unseren gegenwärtigen Interessen zu betrachten. Diesbezüglich hat schon C. Thiebaut herausgestellt: „Die Klassiker sind das andere Gesicht der Gegenwart […]. Die Klassiker existieren nicht für sich, sondern existieren nur in einer unruhigen Neutralität; eher als ob sie ‚prätextuell‘ als Texte wären, auf den interessierten Leser wartend, der ihnen Aktualität, Gültigkeit und Sinn verleiht, und sie verdanken ihr Sein der leidenschaftlichen Konstruktion der Gegenwart mittels der Konstruktion der Vergangenheit“ 5.
Daher erheben wir – wie schon Arthur Danto nahegelegt hat – wenn wir die Ketten einer philosophischen Konzeption einer prophetischen Geschichte zerreißen,
4
5
In diesem Sinne sympathisiere ich viel mehr mit der zeitlichen Einteilung, die Giuseppe Duso für die Genese der wichtigsten modernen Begriffe vorgeschlagen hat (wobei er darunter die Begriffe verstand, die sich während der Französischen Revolution sozial verbreitet und in Gemeinsinn verwandelt haben), die in den Kontext der Naturrechtslehren und der Vertragstheorien fallen würde, insofern sie der Ursprung einer neuen Weise wäre, den Menschen, die politische Gemeinschaft und die Wissenschaft im praktischen Umfeld zu verstehen. Vgl. G. Duso: La rappresentanza politica: genesi e crisi del concetto, Milan 2006. C. Thiebaut: Cabe Aristóteles, Madrid 1988, S. 17. Eine ähnliche Perspektive hat schon Leibniz eingenommen, als er schrieb: „J’ay trouvé apres de longues recherches qu’ordinairement les opinions les plus anciennes et les plus receues sont les meilleurs, pourveu qu’on les interprete equitablement“ (Preceptes pour avancer les sciences; A VI, 4 A N. 161, 703 [GP VII, 164]).
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nicht nur Anspruch auf eine unbestimmte und kontingente Zukunft, sondern auch auf eine offene Vergangenheit6. Damit soll nicht gesagt sein, dass ich mit diesen Überlegungen einen absoluten Relativismus propagieren will. So soll nicht bestritten werden, dass sich in der historischen Analyse der Begriffe Strukturen aufzeigen lassen, die uns besser als andere die Entwicklung vergangener oder zukünftiger Ereignisse verstehen lassen – z. B. scheint die Rückwendung zu den Klassikern der Antike (Platon, Aristoteles) in so genannten „Krisenzeiten“ ein wohlbekanntes Phänomen und eine Konstante in der Geistesgeschichte der Moderne zu sein. Es geht vielmehr um eine berufliche Vorsichtsmaßnahme in praktischer Hinsicht: Wir glauben, dass niemand in seinen Interpretationen ganz frei ist von den Ideologien und Interessen, die uns beherrschen. Weder der ideale Beobachter oder Chronist noch der schlechthin objektive Interpret der Geschichte existieren. Vor diesem Hintergrund wird man verstehen, dass auch der Ansatz, den ich hier präsentiere, nur „eine Geschichte mehr“ ist, die vielleicht ein wenig Licht – und sei es fragmentarisch – auf die Problematik des begrifflichen Gewebes wirft, das die Moderne geerbt hat. 2. DIE SCHLÜSSELROLLE LEIBNIZENS IN DER BEGRIFFSGESCHICHTE Wie ich bereits in meinen vorangegangenen Arbeiten über Leibniz herausgestellt habe, erlaubten es – gegenüber der gängigen Simplifizierung und schablonenhaften Klassifizierung, welche die Philosophiegeschichte mit Leibniz betreibt – gerade die Komplexität und argumentative Reichhaltigkeit seiner Ideen sowie sein multidisziplinäres Talent, seine Neugier für alle Gebiete des Wissens und für alle Kulturen, in seiner Philosophie erhellende Momente für die Neuordnung unserer Überlegungen über die Geschichte und über den Rationalitätsbegriff selbst ausfindig zu machen. Leibniz war leidenschaftlich darauf bedacht, die verschiedenen Wissenschaften zu verbinden, damit jede einzelne von den übrigen bereichert würde, und versuchte daher, eine Art Netz oder Raster zu entwickeln, in dem alles mit allem in Verbindung gesetzt wurde. Dabei ging es ihm einerseits darum, jene Schranken zwischen den Fachwissenschaften zu durchbrechen, über die sich gegenwärtig Wissenschaftsphilosophen und Ideenhistoriker beklagen, andererseits aber vor allem darum, der menschlichen Tätigkeit in der Transformation der Realität und der Institutionen zu größerer Glückseligkeit zu verhelfen – das Ziel aller Weisheit, wie es von seinem Motto „Theoria cum praxi“ hervorragend zum Ausdruck gebracht wird. Was nun Leibniz zweifelsohne attraktiv macht, wenn man sich mit dem Problem der Rationalität auseinandersetzen möchte, ist, dass er sich in dem entscheidenden
6
„We are always revising our beliefs about the past, and to suppose them ‚fixed‘ would be unfaithful to the spirit of historical inquiry“. A. Danto: Analytical Philosophy of History, London/New York 1965, S. 145.
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Moment des Disputs zwischen Alten und Modernen darauf versteht, seine innovativen Vorschläge mit einem kritischen Dialog der überkommenen Philosophie vereinbar zu machen, d. h. mit den Theorien jener Philosophen, die wir uns als Wegbereiter der Moderne ins Gedächtnis zu rufen haben (Descartes, Spinoza, Malebranche, Hobbes, Locke, Thomasius, Wolff, Newton, etc.). Bemerkenswert ist bei diesem Unterfangen, dass sich Leibniz dabei wie ein waschechter Hermeneutiker verhalten hat, denn er begnügt sich nicht damit, seinen Kontrahenten das gegenüberzustellen, was er für die stärkere Theorie hielt, sondern er erklärt zugleich das Attraktive, welches das Modell, das er kritisiert, an sich hat. Dabei macht er sich einen Perspektivismus zu Eigen, der uns aus heutiger Sicht umso löblicher erscheint, als dass er darauf abzielt, das theoretische Wissen zu bereichern und zu vervollständigen, indem man sich am praktischen Wissen orientiert. Wir können mit Sicherheit sagen, wie Marcelo Dascal7 herausgestellt hat, dass das Beste des Denkens von Leibniz sich anhand des Leitfadens der Kontroversen, die er mit seinen Zeitgenossen hatte, herausgebildet hat. Hierauf insistiert auch María G. Navarro, wenn sie in kantianischer Manier sagt, dass „[…] eine Begriffsgeschichte ohne vorgängige Erforschung der Kontroversen der Epoche blind und eine Geschichtsschreibung der Kontroversen ohne Erforschung der präsenten Begriffe in der Sozialgeschichte leer […]“8
sei. Mit Sicherheit – hierin stimmen wir mit Koselleck überein – haben sich einige Begriffe der Metaphysik Leibnizens in den humus konvertiert, auf dem man das Gebäude der klassischen Geschichtsphilosophie errichtet hat, welches wir so kritisiert haben: Die Überlegungen hierzu werden den kommenden Abschnitt einnehmen, den man das ‚negative, begriffliche Erbe‘ Leibnizens nennen könnte. Aber wie ich in dem entgegengesetzten Abschnitt herausstellen möchte, gibt es noch eine andere Gruppe von Begriffen bei Leibniz, die auch als Grundlage der Modernität dienen und die ein anderes Gesicht der Aufklärung konstituieren – das liebenswertere Gesicht, wenn man will, das hier ‚positives Erbe‘ genannt werden soll. Hier verbinden sich Begriffe wie Kontingenz, Freiheit, Pluralismus, um das deterministische Korsett zu zerreißen, zu dem die Geschichte der Menschheit – sei es von Natur aus, sei es aus Konvention – verdammt zu sein schien. Während die ersteren Konzepte fast zwei Jahrhunderte9 die ‚Oberhand‘ behielten, erwiesen sich die letzteren als ‚widerständig‘ und überlebten in unterirdischen Gebieten des Denkens,
7 8
9
Vgl. G. W. Leibniz: The Art of Controversies, hrsg. u. übers. von M. Dascal, Dordrecht 2008. M. G. Navarro: „Teoría y práctica conceptual: vida de los conceptos, vida de la lengua“, in: F. Oncina (Hrsg.): Teorías y prácticas de la historia conceptual, Mexiko/Madrid 2009, S. 183. In diesem Sinne ist es interessant, sich den Rückgriff anzusehen, den er auf das Gadamer’sche Prinzip der historischen Produktivität macht, der Produktivität der aus seiner Dialektik resultierenden Begriffe. Vgl. sein Buch Interpretar y argumentar (= Theoria cum Praxi, Studia 7), Mexiko/Madrid 2009. Vgl. C. Roldán/O. Moro (Hrsg.): Aproximaciones a la contingencia, Madrid 2009.
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um mit aller Kraft in unserem zeitgenössischen Denken zu Tage zu treten10. Aber die einen wie die anderen sind verantwortlich für genau diese Modernität, die – mehr oder weniger mit dem Tode ringend – in unseren Tagen fortbesteht. Eben dies berechtigt uns aus meiner Sicht dazu, Leibniz nicht nur eine Schlüsselrolle, sondern auch eine Aktualität zuzusprechen, die sich (abgesehen von seinen großen wissenschaftlichen Leistungen, die man heute Schritt für Schritt entdeckt) genau genommen in einer ‚rationalen‘ Haltung manifestiert und mir würdig erscheint, in unsere Überlegungen aufgenommen zu werden, in denen die Fragmentierung zuweilen in exzessiven Vereinfachungen kulminiert und die Kritik der Arroganz der Vernunft neue Isolierungen herbeiführt, wie etwa in der Terminologie von M. Dascal11. 3. LEIBNIZ’SCHE BEGRIFFE FÜR EINE GESCHICHTSPHILOSOPHIE Es stimmt, dass viele Denker unserer westlichen Tradition sich mit der Geschichte, wenn nicht als Disziplin, so doch zumindest als Begriff befassen. Zweifelsohne ist, abgesehen von ihren Vorläufern12, die Reflexion über die Geschichte – mit der wir zwei Jahrhunderte lang als so genannte „Geschichtsphilosophie“ konfrontiert waren – ein genuin aufklärerisches Phänomen. Alle zeitliche Einteilung, die in der Präsentation irgendeines Stücks der Philosophiegeschichte etabliert wird, ist arbiträr, da es – obwohl wir keine absoluten Brüche behaupten können – eindeutig ist, dass sich in einem bestimmten Moment derselben die geeigneten Bedingungen dafür herstellen, damit sich eine Denkweise manifestiert, die sich weit vorher entwickelt hat, ohne den nötigen Anstoß zu erhalten, um an die Oberfläche zu treten. In diesem Sinne können wir auch von einer Vorgeschichte der Reflexion über die Geschichte sprechen, sowohl in der antiken wie in der mittelalterlichen Welt, das Gleiche gilt für die Renaissance und die Anfänge der Moderne. Die Geschichtsphilosophie jedoch – verstanden als eine kritische Reflexion – tritt erst in der Aufklärung auf die Bühne. Aber das ist aus meiner Sicht eben allein möglich aufgrund der vorgängigen Entstehung (die Max Wundt „frühe Aufklärung“ oder „erste Aufklärung“13 genannt hat) von einigen Allgemeinbegriffen wie Rationalität, Humanität, Freiheit oder Fortschritt und aufgrund des Bedeutungswandels einiger Begriffe, die ihren genuin philosophischen Bedeutungsgehalt (einschließlich des metaphysischen) auf das Gebiet der historischen Reflexion übertrugen. Aus einer anderen
10 Vgl. M. J. Villaverde/J. Ch. Laursen (Hrsg.): Forjadores de la tolerancia, Madrid 2011. 11 Vgl. M. Dascal: „La arrogancia de la Razón“, in: Isegoría 2 (1990), S. 75. 12 Genauer habe ich dies im ersten Kapitel meines Buches Entre Casandra y Clío dargelegt: „La prehistoria de la filosofía de la historia“, S. 19–46. 13 Vgl. M. Wundt: Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung, Hildesheim 1945. M. Wundt vertritt ein weiteres Konzept der Aufklärung, das sich nicht auf das 18. Jahrhundert beschränkt. Dazu auch: C. Roldán: „La aurora de la filosofía de la historia“, in: Dies.: Entre Casandra y Clío, S. 47 ff.
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Perspektive war die Entwicklung einer Methode ein wichtiger Schritt: eine dokumentarische Methode, die den historischen Erzählungen Wahrhaftigkeit verlieh und aus der Philologie stammte14. Der Beitrag Leibnizens zu dem, was wir „vorherrschende Linie der Geschichtsphilosophie“ nennen – die von der Aufklärung bis zu ihrem Absterben im 20. Jahrhundert führt –, ist unter diesem Gesichtspunkt fundamental und trägt zu dem, was wir ‚negatives Erbe‘ von Leibniz genannt haben, bei, insofern er die Grundsteine für eine deterministische Geschichtsauffassung legt, die einer einseitigen Finalität unterliegt. Obwohl Leibniz selbst nie eine eigene Geschichtsphilosophie entwickelte, hat er doch auf dieselbe als Disziplin einen bemerkenswerten Einfluss genommen – viel größer, als man gemeinhin denkt15 –; und dies nicht zuletzt darum, als dass wir ihm die Idee verdanken, dass die Philosophie ein kontinuierlicher, historischer Traditionszusammenhang16 ist, in dem die erlangten Fortschritte sich nicht so sehr der Postulierung neuer, revolutionärer Ideen verdanken, als vielmehr der Bewahrung dessen, was er perennis philosophia nannte. Auf diesen Aspekt haben einige Gelehrte der Geschichtsphilosophie besonderen Wert gelegt, wie etwa R. Flint, der die These vertrat, dass die Philosophie Leibnizens aufgrund ihres Umfangs und ihrer Universalität „[…] die erste war, die gänzlich und tief in den Geist der Geschichte eintrat“17, oder etwa F. Meinecke, der Leibniz zu den Vorläufern des Historizismus rechnet, und herausstellt, dass in seinem Denken die Idee der Individualität erscheint, die sich als tätiges Prinzip ihren eigenen Gesetzen gemäß entwickelt und die zweifelsohne mit einem universellen Gesetz18 verknüpft ist. In der Tat zeigt die Leibniz’sche Haltung eine klare Annäherung der Sphären der Philosophie und der Geschichte an, die sich bis dahin fast fremd gegenüberstanden, wenngleich auch Leibniz auf der Verschiedenheit von Philosophie und Geschichtswissenschaft besteht. Denn die Philosophie ist für ihn eine anschauliche Wissenschaft, welche sich auf mögliche und notwendige Dinge bezieht, während die Geschichtswissenschaft ein Bewusstsein tatsächlicher oder singulärer Ereignisse zum Gegenstand hat – ein Bewusstsein, das sich nicht allein auf die
14 Vgl. J. C. Bermejo/P. A. Piedras: Genealogía de la historia, Madrid 1999, S. 36–37. 15 Siehe etwa die Interpretation L. Davillés, der in seinem bekannten Werk Leibniz Historien (Paris 1909, S. 666), in dem Kapitel, das der Geschichtsphilosophie gewidmet ist, behauptet, dass Leibniz niemals historische Forschung betrieben hätte – wie dies seine Schüler wie z. B. Herder taten – in Bezug auf die Verkettung von Ursachen und Wirkungen in der Geschichte, noch versucht hätte, die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Geschichte zu deduzieren. Auch K. Fischer beharrt auf dieser Überzeugung in: G. W. Leibniz, Heidelberg 1920, S. 764. Vgl. diesbezüglich auch W. Hübener, „Leibniz – ein Geschichtsphilosoph?“, in: A. Heinekamp (Hrsg.): Leibniz als Geschichtsforscher (= Studia Leibnitiana, Sonderhefte 10), Wiesbaden 1982, S. 38–48. 16 Vgl. A. Heinekamp: „Die Rolle der Philosophiegeschichte in Leibniz’ Denken“, in: Ebd., S. 114–141. 17 R. Flint: The philosophy of history in France and Germany, Book II, Edinburgh/London 1874, S. 344. 18 Vgl. F. Meinecke: Die Entstehung des Historismus, München 1946, S. 34–35.
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Vernunft stützt (wie die Philosophie), sondern zugleich auf die Erinnerung19. Aber sein Interesse für geschichtliche Kritik erweist sich nicht allein in seiner Betätigung als Historiker (bekanntlich widmete sich Leibniz in Hannover der Aufgabe, eine Familiengeschichte des Welfenhauses zu schreiben), sondern auch darin, dass er seine Forschungsmethoden auf die Geschichtswissenschaft anwendete, indem er seine philologischen Studien mit seinen philosophischen verband. Allerdings befindet sich sein größter Beitrag zur Geschichtsphilosophie zweifelsohne in seiner philosophischen Konzeption selbst, nämlich dort, wo einige Idee sich andeuten, welche ab der Mitte des 18. Jahrhunderts von den ersten Geschichtsphilosophen weiterentwickelt wurden. In diesem Sinne hat schon J. Thyssen gesagt, „[…] dass man die These vertreten könnte, dass wir in Herder auf eine Geschichtsphilosophie stoßen, die Teil der Leibnizschen Metaphysik ist“20.
Konkret beziehe ich mich hier auf die metaphysischen Prinzipien der Kontinuität, der Vollkommenheit21 und der universellen Harmonie22, die sich an der Wurzel der Idee des Forschritts hin zum Besseren befinden – ein Charakteristikum der spekulativen Geschichtsphilosophie – und deren Struktur ein eindeutiger Vorgänger der weltlichen und rationalen Versionen der Vorsehung ist, die sich bei Kant als „verborgene Absicht der Natur“ und bei Hegel als „List der Vernunft“ darstellt. Ohne jegliche Simplifizierung präsentiert sich bei Leibniz die Harmonie des Universums – die sich auf die Prinzipien des zureichenden Grundes und der Vollkommenheit stützt – als säkulare Umformung der Idee der göttlichen Vorhersehung, weshalb ihr aufgegeben ist, Ordnung und Kontinuität in die kontingente Abfolge historischer Ereignisse einzuführen, und das ist möglich, weil alle Lebewesen dieses Universums spontan ihren eigenen, inneren Gesetzen gehorchen (die Lehre vom individuellen Begriff jeder Substanz, die Arnauld empörte), d. h. durch das, was in den menschlichen Wesen den Grad der Freiheit erlangt, nämlich die „rationale Bestimmung zum Guten“, sodass man dahinkommen kann, zu sagen, dass
19 Vgl. G. W. Leibniz: Nouveaux Essais sur l’entendement humaine, III, 5. Vgl. auch C, 524 und De fine scientiarum; Grua, I, 240. 20 Vgl. Thyssen, S. 58. Der Einfluss Leibnizens auf die Geschichtsphilosophie macht sich nicht nur im 18., sondern – vermittelt durch Hegel – auch im 19. Jahrhundert bemerkbar: Denker wie Comte, Marx oder Darwin zitieren Leibniz dort, wo sie wichtige Ideen exponieren. Zur Gegenwart Leibnizens in Kants Geschichtsphilosophie vgl. C. Roldán: „Le fil d’Ariane de la détermination rationelle et les enchevêtrements de Cassandre“, in: D. Berlioz/F. Nef (Hrsg.): L’actualité de Leibniz: Les deux Labyrinthes (= Studia Leibnitiana, Supplementa 34), Wiesbaden 1999, S. 55–68. 21 Zum Prinzip der Vollkommenheit vgl. C. Roldán: „Das Vollkommenheitsprinzip bei Leibniz als Grund der Kontingenz“, in: Studia Leibnitiana XXI, 2 (1989), S. 188–195. 22 R. Flint (S. 344–45) spricht von einigen Konzepten der Leibniz’schen Philosophie – dem Gesetz der Analogie, dem Gesetz der Kontinuität, dem Vitalismus, der allgemeinen Lehre der prästabilierten Harmonie, dem Optimismus, die später auf die Geschichtsphilosophie „übertragen“ wurden.
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„die Gegenwart mit der Zukunft schwanger geht“23. Nun ist die beste aller möglichen Leibniz’schen Welten nur eine abgeschlossene Wirklichkeit für die Vorsehung des göttlichen Verstandes, weshalb die menschlichen Wesen dazu aufgerufen sind, den moralischen Fortschritt der Menschheit voranzutreiben24. In diesem Sinne will Leibniz in seiner Korrespondenz mit Bourguet klarstellen, dass seine Hypothese, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben, mit einer anderen Hypothese – nämlich der des menschlichen Fortschritts – vereinbar ist. So unterscheidet er zwei Arten von Vollkommenheit, nämlich die „metaphysische“ und die „moralische“. Aus metaphysischer Sicht – d. h. betrachtet als möglich im Geiste Gottes – beinhaltet die Welt immer dieselbe Vollkommenheit. In moralischer Hinsicht ist sie aber zugleich perfektionierbar im Laufe eines unendlichen Prozesses, nämlich dank des schrittweisen Voranschreitens der Künste und der Wissenschaft, was ihm im § 341 der Theodizee erlaubt zu sagen: „Il se peut même que le genre humaine parvienne avec le temps à une plus grande perfection, que celle que nous pouvons nous imaginer presentemente“25.
Von seinem Standpunkt aus und kraft des Prinzips der Kontinuität schreitet die Zivilisation Schritt für Schritt konstant voran, trotz scheinbarer Etappen des Stillstands und selbst des Rückschritts, denn „[…] wenn ein Rückschritt stattfindet, dann nur, um noch besser voranzuschreiten“26, sodass sich selbst die großen Übel und Missgeschicke (d. h. die Disharmonie) in der Geschichte zu Gunsten des einen neuen Fortschritts zum Guten auswirken – ganz im Sinne der Harmonie der besten aller möglichen Welten. Meines Erachtens kann man daher sagen, dass die Leibniz’schen Begriffe der Vollkommenheit und der Kontinuität die Idee des aufklärerischen Fortschritts ausformen, ebenso wie sein Konzept der Rationalität und der Harmonie die Fundamente historischer Explikation konstituiert, denn dies sind die basalen Begriffe, die den Grundstein der spekulativen Geschichtsphilosophie legen, insbesondere in der Aufklärung und im Deutschen Idealismus. 4. LEIBNIZ’SCHE BEGRIFFE FÜR EINE HISTORISCHE SEMANTIK Wie ich einige Zeilen vorher bereits angedeutet hatte, erscheint zusammen mit diesen Begriffen, die wir als „streng“ bezeichnen können, im Leibniz’schen Denken
23 Dazu: C. Roldán: „La salida leibniziana del laberinto de la libertad“, in: G.W. Leibniz: Escritos en torno a la libertad, el azar y el destino, Madrid 1990, S. IX–LII. 24 Über die Idee des Fortschritts bei Leibniz, vgl. C. Roldán: „El principio de perfección y la idea de progreso moral en Leibniz“, in: Il cannocchiale. Rivista di Studi filosofici (1992), S. 25–44. 25 GP VI, 317. 26 Vgl. De rerum originatione radicali; GP VII, 308: „Atque hoc est de quo diceres retrocedi ut majore nisu saltum facias in anteriora (qu’on recule pour mieux sauter)“.
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eine andere „flexible“27 Gruppe von Begriffen, die einen Beitrag zum Ausgleich des „negativen Erbes“ leisten können und die dazu beitragen, Verschiedenheit, Abstufungen und einen gewissen Pragmatismus28 in unsere Überlegungen einzuführen. Diese Begriffe sind keine anderen als die der Kontingenz, Freiheit (Autonomie) und Toleranz. Sie alle sind einem weiteren Prinzip untergeordnet, nämlich dem der Pluralität, das Leibniz zugleich in seiner Monadologie von einem ontologisch-gnoseologischen Standpunkt aus als Perspektivismus charakterisiert: „Wie ein und dieselbe Stadt von verschiedenen Seiten betrachtet ganz anders und gleichsam perspektivisch vervielfacht erscheint, so kommt es auch, daß es infolge der unendlichen Vielheit der einfachen Substanzen ebenso viele verschiedene Universen gibt, die dennoch nur die unterschiedlichen Perspektiven eines einzigen gemäß den verschiedenen Gesichtspunkten jeder Monade sind“29.
Die Vielzahl der Gesichtspunkte bringt metaphorisch eine spezifisch „hermeneutische Rationalität“ bei Leibniz zum Ausdruck, die sich in der Fassung des Anteils der Wahrheit, die in jeder Perspektive der Realität enthalten ist (z. B. in der der Alten, der der anderen gelehrten Männer in diesem Moment, der der Varianten des Christentums, der der anderen Kulturen etc.), entschlüsselt. Es handelt sich um einen Pluralismus, der – basierend auf der Konzeption der Kontingenz und Individualität – als Grundlage die Idee der Toleranz vermittelt, die kosmopolitisch und sogar multikulturell eingefärbt ist. Die Vielheit der Perspektiven erscheint als beste Wächterin einer Annäherung an die Wahrheit – frei von Vorurteilen und Dogmatismus, sodass keine Perspektive vorherrschend ist; in diesem Sinne handelt es sich bei solch einer Annäherung auch um einen Zwischenweg, der nicht zum Relativismus führt, denn man muss zugleich daran festhalten, dass es nicht dasselbe ist, ob man die Stadt vom Zentrum, von den Vorstädten, von ihrem Kanalisationssystem, den Wolkenkratzern oder vom Hubschrauber aus betrachtet. In der Leibniz’schen Konzeption des Wissens stoßen wir auf zwei Arten, sich den Erkenntnissen und der Realität anzunähern, die er ars demonstrandi und ars inviniendi nennt; abhängig davon, ob wir einerseits ausgehend apriorisch von
27 Ich ziehe den Begriff einer „flexiblen Rationalität“ dem einer „weichen Rationalität“ vor, den Marcelo Dascal vertritt, wobei er sich auf einen Text stützt, in dem der Denker aus Leipzig von einer „blandior ratio“ spricht. 28 Vgl. hierzu die herausragenden Artikel von Txetxu Ausín: „Weighing and gradualism in Leibniz as instruments for the analysis of normativa conflicts“, in: Studia Leibnitiana XXXVII, 1 (2006), S. 99–111 und „The Quest for Rationalism without Dogmas in Leibniz and Toulmin“, in: D. Hitchcock/M. Verheij (Hrsg.): Arguing on the Toulmin model New Essays in Argument Analys and Evaluation, Dordrecht 2006, S. 261–272. 29 G. W. Leibniz: Monadologie, übers. aus dem Französischen von H. Hecht, Stuttgart 1998, § 57, S. 42 ff. (GP VI, 616). Vgl.: Nouveau Système, § 14 (GP IV, 484); ferner Conséquences Métaphysiques; C 15. Eine frühere Annäherung an diese Überlegungen habe ich vor zehn Jahren in der Zeitschrift Isegoría publiziert: „Theoria cum praxi: la vuelta a la complejidad“, in: Isegoría 17 (1997), S. 85–105.
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ersten Axiomen deduzieren können – evident und widerspruchsfrei (um es einfach zu sagen) – oder andererseits auf die menschliche Kreativität verwiesen sind, um einen Ort zwischen dem Bekannten zu gewinnen. Diese epistemologische Bewegung, die vom Bekannten zum Unbekannten führt, unterscheidet sich aus meiner Sicht nicht sehr von der Methode, welche die historische Semantik – die Grundlage von dem, was ich „neue Geschichtsphilosophie“ genannt habe – in ihrer Analyse und Definition von Begriffen anwendet und die uns sogleich das von Koselleck gebrauchte Begriffspaar von „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ in Erinnerung ruft. Die Leibniz’sche Methodologie – die er in seinen hochabstrakten philosophischen Überlegungen ebenso zur Anwendung bringt wie in seinen historischen und linguistischen Forschungen – basiert auf dem Begriff der „metaphysischen Hypothese“. Wenn sich unser Autor so z. B. auf seine Theorie der „prästabilierten Harmonie“ bezieht, dann ist dabei der Begriff der „Hypothese“ oder „Vermutung“30 wegeleitend, denn – wir er selbst gesagt hat – „eine Hypothese aufzustellen oder die Art und Weise der Entstehung der Sache zu erklären heißt nichts anderes, als die Möglichkeit derselben aufzuzeigen“31. Bei denjenigen Darlegungen, die aus gesicherten Aussagen oder aus Hypothesen hervorgehen, ist einzig und allein aufzuzeigen, welche Hypothesen sich widersprechen32. Wenn einmal die Kohärenz aufgezeigt ist, d. h., wenn der argumentative Fortgang sich gemäß einer logisch korrekten Form vollzieht, dann darf man nicht vergessen, dass die erhaltenen Schlussfolgerungen hypothetisch33 sind, was in der Sprache Poppers der Behauptung gleichkommen würde, dass sie „falsifizierbar“ sind. Wenn Leibniz kohärent ist, muss er daher auch seine „metaphysischen Hypothesen“ als weitere Hypothesen begreifen, die mit den übrigen Hypothesen (z. B. der Hypothese der Gelegenheitsursachen) in der Erklärung der Möglichkeit der Dinge zusammengehen müssen. In früheren Arbeiten habe ich diese komplexen Leibniz’schen Thesen einer detaillierten, intratextuellen Analyse unterzogen; Thesen, die nicht inkohärent sind und aus dem Versuch hervorgehen, die Frage des freien, menschlichen Willens und der Vorherrschaft bzw. Vorsehung Gottes in Verbindung zu setzen mit seiner Theorie der Wahrheit und dem Infinitesimalkalkül34. Hier möchte ich nur den
30 Vgl. Nouveau Système, § 15; GP IV, 485, oder Monadologie, § 59; GP VI, 616. Vgl. auch: A VI, 4 B N. 337, 1775: „[…] per suppositionem sive hypothesin […]“ (GP I, 149). 31 De Synthesi et Analysi universali seu Arte inviniendi et judicandi; A VI, 4 A N. 129, 542: „Hypothesin porro condere seu modum producendi explicare, nihil aliud est quam demonstrare rei possibilitatem, […]“ (GP VII, 295). 32 Vgl. De principiis; A VI, 4 A N. 42. 33 Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis; A VI, 4 A N. 141, 591–592 (GP IV, 426). 34 Vgl. C. Roldán: „La salida leibniziana al laberinto de la libertad“, Einleitung zu Texten von Leibniz: Escritos en torno a la libertad, el azar y el destino, S. IX–LXXVII. Leibnizens Theorie der Wahrheit, die das Prädikat als enthalten im Subjekt denkt, findet sich schon bei Aristoteles präfiguriert: Analíticos posteriores, A IV, De interpretatione 17a und Categorías 1ª. Zweifelsohne entspringt Leibnizens Gedanke, dass auch im Fall der kontingenten Wahrheiten das
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kontingenten Charakter des Leibniz’schen Diskurses als solchen unterstreichen; ein Diskurs, den Leibniz selbst ohne zu zögern als „plausible Erklärung“ bezeichnet hat und der darüber hinaus aus seiner Sicht allein unter der Voraussetzung, dass Gott existiert und die Welt erschaffen hat, Sinn macht, denn nur dann – vergessen wir nicht den Untertitel der Theodizee – gilt es, die Güte Gottes und die Existenz des Bösen in der Welt zu rechtfertigen. Ausgehend vom Tatbestand, dass Leibniz solch eine hermeneutische Anstrengung aufbringt, um diese transzendente Perspektive in Anführungszeichen zu setzen und sich die Vielheit der irdischen Perspektiven anzueignen, können wir verstehen, dass ein- und dasselbe von Leibniz auf zweifache Weise aufgefasst wird, nämlich einmal als „hypothetisch notwendig“ vom Standpunkt des Absoluten aus und einmal als „absolut kontingent“ von menschlicher Perspektive aus. Darüber hinaus hat Leibnizens rationalistisches Talent ihn nicht daran gehindert, die Bedeutung der Erfahrung a posteriori hervorzuheben, die in menschlichen Wesen in der Mehrheit der Fälle an die Stelle der apriorischen Gründe tritt35. Diesem wissenschaftlichen Modell folgend, behauptete er, dass die Freiheit als ein Faktum zu akzeptieren sei, dass sie keinem Determinismus unterworfen sei, und dass man das Böse wählen muss, d. h., wie Quintín Racionera in seinen Arbeiten hervorgehoben hat, „[…] dass die Hypothese, die bewiesen werden muss, die der Notwendigkeit und nicht die der Freiheit ist“36. Alles im Universum ist kontingent, aber was kontingent par excellence ist, das ist die Geschichte, d. h. jenes, das unmittelbar von der menschlichen Handlung abhängig ist und im großen Maße dem natürlichen Determinismus entgeht37. Des Weiteren ist Leibniz davon überzeugt, in die geschichtliche Wirklichkeit eingreifen zu können; hieraus resultiert sein konkretes politisches Engagement, wie es sich in seinem Beitrag zur Ökumene oder in seinen Bemühungen zur Gründung der Akademien der Wissenschaften reflektiert. In diesem Zusammenhang wird die Leibniz’sche Theorie der Freiheit nur eine Theorie der Handlung sein, die sich nicht damit zufrieden geben kann, einen Vorsprung gegenüber dem natürlichen Determinismus38 zu erhalten, sondern die auf das abzielt, was der Mensch wirklich
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Prädikat im Subjekt enthalten ist, Einsichten, die ihm durch Geometrie und Infinitesimalrechnung vermittelt worden sind. Vgl. De necessitate et contingencia (ca. 1686); A VI, 4 A N. 272. Q. Racionera: „La racionalización de la política“, in: Revista latinoamericana de filosofía XVIII, 1 (1992), S. 96. Leibniz betont, indem er den Art. 6 der Principia von Descartes kritisiert: „Liberum arbitrium habemus non in sentiendo, sed in agendo“ (GP IV, 356). Die Kontingenz ist also nicht nur ein metaphysisches, sondern vor allem auch ein moralisches Prinzip, das die Freiheit der Subjekte ermöglicht, woraus auch die Unvorhersagbarkeit ihrer Handlungen resultiert. In diesem Sinne stellte sich Leibniz im Laufe seines Schaffens der Idee entgegen, dass alle menschliche Aktivität unnütz sei, da alles unvermeidlich eintrete, d. h. der klassischen Idee des Schicksals, das Chrysippos als argós logós charakterisiert hatte, als „faule Vernunft“, aufgenommen aus der mohammedanischen Welt, da „[…] alles, was geschieht, notwendiger Weise geschieht, gleichgültig, ob du handelst oder nicht handelst“, d. h. ob du dieses oder jenes machst. Für den Denker aus Leipzig war im Gegensatz dazu die
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tun kann, auf diese radikale Kreativität, die aus ihrer eigenen Grundlage hervorgeht und sich in theoretischen Kontroversen niederschlägt, die ihre Gültigkeit aus ihrer Fähigkeit, die Praxis zu beeinflussen, erlangen. 5. KONTROVERSEN, DIALOGISCHE RATIONALITÄT, UNIVERSALSPRACHE (UND UNIVERSELLE ETHIK) Genau im Umfeld der wissenschaftlichen Kontroversen artikuliert sich das letzte Element, auf das wir uns hier beziehen wollen, um den „dialogischen“ Charakter von Leibnizens Rationalitätsvorstellung zu unterstreichen. Diesem Charakter verdankt sich nämlich aus unserer Sicht der Tatbestand, dass in seinem Denken so unterschiedliche Bestrebungen miteinander vereinbar sind wie etwa auf der einen Seite die, eine logische Universalsprache zu entwickeln, und auf der anderen Seite die, eine vergleichende Linguistik in der Verschiedenheit und Pluralität der Sprachen zu begründen; Aspekte, die beide Leibnizens Interesse belegen, sich gleichermaßen der Entwicklung einer wissenschaftlichen wie einer Umgangssprache zu widmen. Dabei war es sein Anliegen, die Einheit des Wissens zu bewahren (obwohl sich die Kant’sche Spaltung von sinnlicher und intelligibler Welt noch nicht ereignet hatte) und dieses Wissen in Beziehung zur „Lebenswelt“ zu setzen – wenn der Gebrauch dieses Begriffes von Husserl und Gadamer hier erlaubt ist – und zwar in einer Weise, dass sich in den logischen Analysen und den linguistischen Reflexionen von Leibniz Begriffe, Wörter und Dinge39 ausgehend von einer Erfahrung ineinander verflechten, die ohne Sprache so nicht möglich wäre. Und eben aus diesem Grunde strebte Leibniz sein ganzes Leben40 lang danach, eine Universalsprache zu erschaffen, welche die Kontroversen, die aus linguistischen und begrifflichen Missverständnissen hervorgingen, beenden könnte. Diese sollte
menschliche Handlung nicht nur frei, sondern – wie er auf viele Weise sagt – von ihr hängt die menschliche, soziale und politische Geschichte ab. 39 Dies ist insbesondere in seinem Dialog von 1677, bekannt als Dialogue de la conexion entre les mots et les choses (GP VII, 190–193 bzw. Dialogus; A VI, 4 A N. 8, 20–25), der Fall, in dem Leibniz den berühmten Satz an den Rand schreibt: „Cum Deus calculat et cogitationem exercet, fit mundos“. 40 Genauso schreibt er an Remond am 10. Januar 1714: „[…] si j’avois eté moins distrait, ou si j’etois plus jeune, ou assisté par des jeunes gens bien disposés, j’espererois donner une maniere de Spécieuse General, où toutes les verités de raison seroient reduites à une façon de calcul. Ce pourroit etre en même temps une manière de langue ou d’escriture universelle, mais infiniment differente de toutes celles qu’on a projettées jusqu’icy, car les caracteres et les paroles mêmes y dirigiroient la raison, et les erreurs (excepté celles de fait) n’y seroient que des erreurs de calcul. Il seroit tres difficile de former ou d’inventer cette Langue ou Caracteristique, mais tres aisé l’apprendre sans aucuns Dictionnaires. Elle serviroit aussi à estimer les degrés de vraisemblance (lorsque nous n’avons pas sufficientia data pour parvenir à des verités certaines) et pour voir ce qu’il faut pour y suppléer. Et cette estime seroit des plus importantes pour l’usage de la vie, et pour les deliberations de practique, […]“ (GP III, 605).
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zugleich als Grundlage einer rationalen Philosophie dienen und eine „wahrhafte Methode“ – eine Art Ariadnefaden41 – fundieren, wobei sie mit einer ethischen Theorie Hand in Hand gegangen wäre, die auf universeller Gerechtigkeit basiert hätte, und die schließlich und endlich auf die menschliche Glückseligkeit abgezielt hätte als „dem primären und universellen Prinzip des Naturrechts und aller moralischen Lehren“, wie er an Bierling am 10. Oktober 171242 schrieb. Die Stärke dieser „Universalsprache“ hätte daher darin bestanden, dass sie von der Vernunft gelenkt wäre, weshalb man sie auch „rationale Sprache“ nennen könnte. Diese Universalsprache – inspiriert z. T. von chinesischen und ägyptischen43 Ideogrammen – hätte aus einer Art von Alphabet der Gedanken bzw. Begriffe bestanden, die reiner Kombinatorik unterworfen wären, sodass sie als eine Art untrüglicher „Richter der Kontroversen“44 hätte fungieren können, wie er dem Fürsten Johann Friedrich 1679 schrieb. Leibniz distanzierte sich mit dieser Konzeption zugleich von Projekten seiner Vorgänger und Zeitgenossen, die eine „künstliche“ oder „arbiträre“ Universalsprache schaffen wollten, denn er nahm sich vor, von dem auszugehen, was wir bereits haben, d. h. von den existierenden natürlichen Sprachen. Dies implizierte aus seiner Sicht, dass man bei der Elaborierung dieser Characteristica universalis bzw. dieses „Alphabets der Gedanken“, das an der Wurzel unseres Denkens angesiedelt ist und uns dabei hilft, die Wahrheit zu entdecken und die ars inviniendi zu vervollkommnen, in erster Linie induktiv vorzugehen habe, d. h. – in einer Art analytischer Philosophie avant la lettre – die exakten Definitionen45 der Begriffe aufzusuchen habe, die in den verworrenen – und zuweilen dunklen – Begriffen enthalten sind, auf die sich die Wörter beziehen, mit denen wir in verschiedenen Sprachen umgehen. Ich will mich hier nicht damit aufhalten, über das Primat der natürlichen Sprachen bei Leibniz zu schreiben, das die Grundlage seiner Verteidigung des linguistischen Pluralismus darstellt, und damit, wie dies in Beziehung zu seiner
41 In diesem Sinne schreibt er an Galloys im Jahre 1677: „[…] je songeois à mon vieux dessein d’une langue ou écriture rationelle, dont le moindre effect seroit l’universalité et la communication de differentes nations. Son veritable usage seroit de peindre non pas la parole, comme dit monsieur Brebeuf, mais les pensées, et de parler à l’entendement plustot qu’aux yeux […] La veritable methode nous doit fournir un filum Ariadnes, c'est-à-dire un certain moyen sensible et grossier, qui conduisse l’esprit comme sont les lignes tracées en geometrie et les formes des operations qu’on prescrit aux apprentis en Aritmetique […]“ (A III, 2 N. 79, 228– 229; GP VII, 21–22). Vgl.: La vrai méthode, 1677; A VI, 4 A, 7. 42 Vgl. GP VII, 509: „primum et universale juris naturae seu omnis doctrinae moralis (ita enim hanc accipit) principium esse, facienda, quae vitam hominum reddunt et maxime diuturnam et felicissimam“. 43 „Car cette écriture est instructive bien plus que celle des chinois, où il faut estre savant pour sçavoir écrire“. Brief an Galloys vom Dezember 1678; A III, 2 N. 245, 571 (GP VII, 23). 44 Vgl. GP VII, 25–26. De judice controversiarum ist der Titel eines Aufsatzes von Anfang 1677 (A VI, 4 C, 2155–2162). 45 „Les definitions ne sont qu’une expression distincte de l’idée de la chose“ (GP VII, 27).
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universellen Ethik zu setzen wäre46. Ich will nur herausstreichen, dass das, was Leibniz sucht, einerseits eine rationale Sprache ist (idealistische Vision), die als „höchster“ Bezugspunkt dienen kann, wenn es darum geht, die Kontroversen zu schlichten, er aber andererseits nicht anstrebt, dieses Werkzeug abgetrennt von den linguistischen und symbolischen Praktiken des realen, kontingenten Lebens anzuwenden, in welches die Menschen eingetaucht sind (realistische, anthropologische Vision). Leibniz gelangte nicht dazu, seinen Traum, eine Universalsprache zu entwickeln, zu verwirklichen, aber er insistierte stets darauf, dass wir in jenen Sphären, in denen wir keine Gewissheit haben, nicht die Möglichkeiten ausschließen sollten, die uns in der praktischen Philosophie, der unsere theoretische Rationalität dient, voranbringen – sei es auch auf unscheinbare Weise. In diesem Sinne diente ihm das juristische Modell bei vielen Gelegenheiten als Paradigma, um diese Logik des „Wahrscheinlichen“ zu begründen, die er auch die „Waage der Vernunft“47 nannte, und deren wichtigster Gegenstand die konstante Perfektionierung und „Annäherung an die richtige Sicht“ war, welche in praktischen Fragen die reflektierte, respektvolle Betrachtung der „Perspektive aus der Sicht des Anderen“ mitimpliziert, d. h. die Ausrichtung auf Toleranz48 und Gerechtigkeit. Der Glaube an eine „dialogische Rationalität“ scheint der Grund dafür gewesen zu sein, dass das Projekt einer Characteristica universalis Leibniz bis zum Ende seines Lebens begleitet hat, und dieses Projekt sich zuweilen in mancher Hinsicht vermischt hat mit anderen Projekten, wie der Entwicklung einer Universalwissenschaft49 oder einer universellen Enzyklopädie bzw. eines universellen Wörterbuchs – Projekte, die an die Anfänge einer historischen Semantik erinnern – auf die wir uns in den vorangegangenen Kapiteln bezogen hatten –, einschließlich solcher heute durchgeführten Projekte wie der „Begriffsgeschichte“.
46 Diese Aspekte habe ich dargestellt in: „Pluralité des langues et éthique universelle“, in: D. Berlioz/F. Nef (Hrsg.): Leibniz et les puissances du langage, Paris 2005, S. 325–339. 47 Dazu: E. de Olaso: „Leibniz y el arte de disputar“, in: Diálogos 24 (1973), S. 10. 48 Ich möchte hier nicht den Begriff der Toleranz entwickeln, da ich dieses Thema in anderen Artikeln ausführlich behandelt habe. Vgl. „Leibnizian basis for intercultural dialogue“, in: F. Triki/T. Ausín/R. Parellada/V. Serrano (Hrsg.): Formes de rationalité et dialogue interculturel, Hildesheim 2006, S. 83–102; „Der linguistische Pluralismus bei Leibniz: ein Weg zur Toleranz?“, in: A. Lewendowski (Hrsg.): Der Philosoph Hans Poser. Eine Festschrift zu seinem 70. Geburtstag, Berlin 2007, S. 90–98; und „A Leibnizian Way to Tolerance. Between Ethical Universalism and Linguistic Diversity“, in: J. Ch. Laursen/M. J. Villaverde (Hrsg.): Paradoxes of Religious Toleration in Early Modern Political Thought, New York/Toronto/Plymouth, UK 2012, S. 91–107. 49 Daher dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass – wie H. Schepers herausgestellt hat (Einleitung; A VI, 4 A, LIII) – Leibniz sich der Grundlegung einer Scientia generalis widmet, da er diese benötigt, um eine Tabelle ursprünglicher Zeichen zu konstruieren und nicht, wie Gerhardt behauptet, weil es einfacher war, als die Grundlage eine Scientia realis zu finden (vgl. GP VII, 4–5).
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IM SINNE EINER ZUSAMMENFASSUNG: DIE VERANTWORTLICHKEIT FÜR DIE BEGRIFFE Ich möchte gerne diesen Beitrag zu dem Band, der die Bedeutung der Leibniz’schen Beiträge zu einer Linguistik, die unabhängig ist von historischen Disziplinen, unterstreichen will, damit beenden, dass ich einige Überlegungen der Aktualität Leibnizens widme, nämlich in Bezug auf die ethische und politische Bedeutsamkeit jener Begriffe, welche die Universalität des menschlichen Denkens begründen, ohne damit den linguistischen Pluralismus negieren zu wollen. Der Begriff der Krise50 hat ebenso Leibniz wie Koselleck dazu gedient, sich auf epochale Umbrüche zu beziehen, wie etwa auf den Zusammenbruch der Brücke zwischen Antike und Moderne am Beginn einer Geschichte eines schwindelerregenden Aufstiegs, der die Individuen aufrüttelte, indem er sie aus der gewohnten Erfahrung der Kontinuität herausriss. Beide – abgesehen von ihrer geschichtlichen Distanz – widersetzen sich dem Wechsel und versuchen, ihre denkerischen Bemühungen dahingehend zu lenken, eine begriffliche Struktur zu errichten, die die neue Epoche mit einer ‚allgemeinen Rationalität‘ versieht; ein Haltegriff, der sie vor dem Gefühl der Entwurzelung, des Flüchtigen und des Identitätsverlusts bewahrt. Leibniz ist der zeitgenössische Zeuge des Hereinbrechens der neuen Epoche; Koselleck ist es in der Weise des Historikers, der sich mit den semantischen, ikonographischen Schichten der Vergangenheit befasst. Beide fühlten sich verantwortlich für die Entwicklung einiger Begriffe, die ein Eigenleben zu erhalten schienen, indem sie mit Entschiedenheit in die soziopolitische Geschichte eindrangen. Die einzige Art, diesem semantischen Wirbelsturm etwas entgegenzusetzen, war, sich daran zu begeben, den Ursprung und die Logik der Begriffe zu verstehen, die in den mit Bedeutung so aufgeladenen Worten versteckt ist, gestärkt von der Überzeugung, dass die Ideen nicht die Macht haben, jenseits des Verstandes selbst zu handeln (mens agit, ideae non agunt51). Eine Arbeit, die reflexiv und kritisch sein will, kann nicht tabula rasa mit den Problemen der Vergangenheit machen, sondern muss einen großen Teil ihrer Anstrengungen darauf richten, die empfangene philosophische Tradition zu hinterfragen, ausgehend von der Überzeugung, dass uns historische Kenntnis hilft, die Gegenwart und die Zukunft zu konstruieren. In diesem Sinne sagte Newton – Diego de Stúñiga zufolge – „Wir sind Zwerge, die auf den Schultern eines Riesen stehen“ und wir dürfen nicht der Versuchung verfallen, „auf Schritt und Tritt das Mittelmeer zu entdecken“, denn, wie Koselleck betonte, jedes innovative Element in der Geschichte der Philosophie – „Erwartungshorizont“ –
50 Vgl. P. Hazard: La crise de la conscience européenne: 1680–1715, Paris 1935. Vgl. Koselleck: Kritik und Krise, ferner das Wort „Krise“ in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 1982. 51 Auf dieses Leibniz-Zitat hat Hans Poser in seinen Arbeiten besonderen Wert gelegt, um die Rolle der Freiheit und der Verantwortung in Leibnizens Denken zu betonen.
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geht aus dem Humus früher Anstrengungen der Begriffsbildung hervor – „Erfahrungsraum“. Leibniz starb, ohne seine Enzyklopädie ausgearbeitet zu haben, Koselleck überließ uns seine Geschichtlichen Grundbegriffe. Beide hinterließen die Verantwortung für die Begriffe an sich, die sie analysieren und definieren, denn wenn die Tatsachen die Sprache überholen, dann darf der Intellektuelle seine Aufgabe nicht vergessen: Verantwortung für die Begriffe zu übernehmen …
SPRACHPOLITIK UND SPRACHKRITIK ZUR GESCHICHTE UND AKTUALITÄT VON LEIBNIZ’ ERMAHNUNG AN DIE TEUTSCHE, IHREN VERSTAND UND SPRACHE BEßER ZU ÜBEN, SAMT BEYGEFÜGTEN VORSCHLAG EINER TEUTSCH-GESINTEN GESELLSCHAFFT Von Annette Antoine (Hannover) I. Leibniz’ undatierte Ermahnung an die Teutsche, ihren verstand und sprache beßer zu üben, samt beygefügten vorschlag einer Teutsch-gesinten gesellschafft, vermutlich 1679 geschrieben und erst 1846 von Carl Ludwig Grotefend veröffentlicht, hat keinen besonders guten Ruf. Aus einem „nationalen Impuls“1 heraus „in hize“2 niedergeschrieben, als eine Art „patriotische Rhapsodie“3, enthalte sie einiges, „was besonders seit 1870 in das Schatzkästlein des Chauvinismus gehörte“4. Zudem wird ihr inhaltliches Gewicht für deutlich geringer gehalten als das ihrer Zwillingsschrift, der Unvorgreifflichen Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache von 1697, die dementsprechend auch weitaus häufiger in der Sekundärliteratur Berücksichtigung findet. Der vorliegende Beitrag will sich ausschließlich auf die Ermahnung konzentrieren und, nach einer einleitenden Betrachtung zum Entstehungszeitpunkt und wesentlichen Gedankengängen, anhand ihrer Veröffentlichungsgeschichte Stationen der deutschen Rezeption nachzeichnen. Am Abschluss stehen Überlegungen, inwiefern die Ermahnung auch heute noch Aktualität haben könnte.
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U. Pörksen: „Nachwort“, in: G. W. Leibniz: Unvorgreifliche Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache. Zwei Aufsätze, hrsg. von U. Pörksen, Stuttgart 1983, S. 114. Also in großer Leidenschaft, wie Leibniz selbst sagt. Vgl. Vorbericht der „Ermahnung“; A IV, 3, 797. E. A. Blackall: Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700–1775. Mit einem Bericht über neue Forschungsergebnisse 1955–1964 von D. Kimpel, Stuttgart 1966, S. 1. Pörksen, S. 123.
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II. Die Schwierigkeiten mit Leibniz’ Ermahnung fangen bereits bei dem Versuch ihrer Datierung an. Interessant sind die verschiedenen Deutungen vor allem deshalb, da sie ausnahmslos mit Bezügen aus dem Text zur Zeitgeschichte argumentieren. Carl Ludwig Grotefend, 1846 der ‚Entdecker‘ der als verschollen geltenden Schrift, interpretiert Leibniz’ Anspielung auf die aktuellen „Kriegsläuffte[…]“5 dahingehend, dass hier entweder die zum Nijmweger Frieden 1679 oder zum Ryswiker Frieden 1697 führenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Holland gemeint sein müssen, in die halb Europa und auch das Heilige Römische Reich verwickelt waren6. Spätere Interpreten haben sich dieser Meinung teilweise angeschlossen. Grotefend begründet im weiteren Verlauf auch, warum er zu dem Nijmweger Frieden und damit zu der früheren Datierung tendiert: Er beruft sich auf eine Namensliste von Leibniz mit Persönlichkeiten, die in die im letzten Passus der Schrift geforderte „Teutschgesinte Gesellschaft“ aufgenommen werden sollten, und kann anhand deren Lebensdaten recht genau eine Datierung um 1680 vornehmen. In Wasserzeichen und Handschrift sei diese Liste der Ermahnung sehr ähnlich; auch entspreche die zu der Liste gehörige Schrift, die Consultatio de naturae cognitione, mit ihrer Forderung nach der Gründung einer naturforschenden Gesellschaft, die sich auch der deutschen Sprache widmen solle, inhaltlich und zeitlich der Ermahnung7. Spätere Herausgeber wie Paul Pietsch haben weitere Argumente ins Feld geführt und zu einer Datierung um 1682/83 tendiert, unter Verweis auf eine angebliche Anspielung auf die türkische Belagerung von Wien im Herbst 16838. Allerdings stand Wien zu der Zeit ständig in Gefahr der Belagerung, so dass die allenfalls prognostizierende, rein konjunktivische Formulierung „daß auf den fall vielleicht Wien bereits verlohren were“9 kaum die lediglich einige Wochen dauernde konkrete Gefährdung durch die zweite türkische Belagerung vom 14. Juli bis 12. September 1683 meinen kann. Eine letzte Datierungsvariante sei noch erwähnt in dem Versuch, eingangs die Anspielung auf die „Verstörung“ der allgemeinen Ruhe, die „einem großen erdbeben
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A IV, 3, 798. C. L. Grotefend: „Vorwort“, in: Leibnizens Ermahnung an die Teutsche, ihren Verstand und Sprache beßer zu üben, samt beigefügten Vorschlag einer Teutschgesinten Gesellschaft. Aus den Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Hannover hrsg. von C. L. Grotefend, Hannover 1846, S. VI. Ebd. Siehe dazu im „Vorbericht“ zur Ermahnung; A IV, 3, 797. Auch U. Pörksen, S. 114, schließt sich dieser Datierung „mit Vorbehalt“ an. „Ermahnung“; A IV, 3, 808.
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oder Orkan“ gleiche10, in Bezug zu setzen zu dem Erdbeben im Mai 1682 in den südlichen Vogesen11. Uneinigkeit besteht auch bezüglich der Schrift zu dem Vorhaben der bereits erwähnten „Teutschgesinten Gesellschaft“. Leibniz kündigt diese Schrift im Nachsatz der Ermahnung an. Sie ist jedoch nicht zweifelsfrei nachweisbar. Grotefend hat sie in der oben genannten Consultatio ausgemacht, Onno Klopp in dem Beitrag Eine teutschliebende Genossenschaft, je nach ihrer jeweiligen Datierungsentscheidung. Auch wenn die Forschung heute der Datierung nach Grotefend zuneigt, kann der Inhalt der Consultatio bezogen auf die erwähnte Schrift nicht völlig befriedigen, da Erstere von einem großen physikalischen Interesse geprägt ist und, wie Grotefend selbst annimmt, ihre Stellen zur deutschen Sprache später von Leibniz’ eigener Hand eingeklammert wurden12. III. Wann auch immer die Entstehung genau zu verorten ist – überwiegend wird demnach angenommen, dass die Schrift annähernd zwei Jahrzehnte vor den Unvorgreifflichen Gedanken entstand. Viele Aspekte sind in der früheren Arbeit bereits angelegt, die der spätere Text erneut aufgreift, Unterschiede sind allerdings auch nicht zu übersehen. Auffällig ist zunächst der Aufforderungs-Gestus im Titel der Ermahnung. Gegenüber der zurückhaltenderen Formulierung der Unvorgreifflichen Gedancken lässt Ermahnung an die Teutschen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Der appellative, didaktische Tenor13 wird denn auch in den verschiedenen Herausgaben immer wieder eine Rolle spielen und rückt die Schrift in einen funktionalen, wirkungsbezogenen Zusammenhang. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt zur konkret sprachpolitischen Aussage. Wie verläuft der Gang der Argumentation? Grob gesagt lässt sich in der gesamten Abhandlung das rhetorische Muster des antiken und auch im Barock beliebten Epicediums oder Trauergedichts nachvollziehen (Leibniz selbst verfasste mehrere solcher Epicedien). Dessen Dreiteilung Laudatio – Lamentatio – Consolatio, also Lob, Klage und Trost, ist in der Ermahnung strukturbestimmend wiederzufinden, wenn auch mit anderer Intention als im schematisierten Trauergedicht. Eingangs werden, im Rückgriff auf seit der Antike tradierte Erklärungsmuster wie des Zusammenhangs von Klima und Naturell, deutsche Vorzüge und Errungenschaften weiträumig ausgebreitet. Alles ist zum Besten in Deutschland eingerichtet
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Ebd., 798. G. Warnke: Deutsche Philosophie- und Geistesgeschichte 1600–1850, Hamburg 2008, S. 5. Grotefend, S. VII. Vgl. ähnlich auch U. Burmester: Schlagworte der frühen deutschen Aufklärung. Exemplarische Textanalyse zu Gottfried Wilhelm Leibniz, Frankfurt a. M. u. a. 1992, S. 24.
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und vorhanden, sowohl in materieller als auch in ideeller Hinsicht: Neben Bodenschätzen und einer ausgewogenen Vegetation verfügen die Deutschen auch über „stärcke“, „muth“, „edles bluth“ und „aufrichtigkeit“ – „ihr herz und mund stimmen zusammen“14. Selbst Nachteile wie die deutsche Kleinstaaterei kann Leibniz umwerten, da dies die Möglichkeit zur politischen Teilhabe biete: Denn „[w]o ein ohnbeschrencktes haupt, da sind nur wenige der regirung theilhafftig, deren gnade die anderen alle leben müßen, da bey Uns hingegen wo höfe alda auch [Hervorhebung AA] hohe bediente seyn, so etlicher maßen denen Königlichen selbst an die seite treten dürffen, und ganz eine andere figur in der Welt machen als die so in nahmen bloßer unterthanen sprechen“15.
An dieser Stelle ist bereits das zentrale Moment der Freiheit ins Spiel gebracht, Dreh- und Angelpunkt der gesamten Argumentation. Die Beschäftigung mit der deutschen Sprache hat für Leibniz einen immens politischen Einschlag. Er zieht dazu eine Verbindung zwischen der Pflege der eigenen Sprache und einem selbstbewussten Stand in der Vielvölkergemeinschaft Europas. Deutschland hätte zu einem Selbstbewusstsein, das ist in der Eingangssequenz deutlich geworden, zwar allen Grund, aber, und hier ist der Lamentatio-Teil verortet, „[i]ch muß bekennen[,] es sey leider dahin kommen, daß man vielleicht weil [d. i. solange, Anm. AA] Teutschland stehet, nie darinn unteutscher und ungereümter geredet“16.
Deshalb würden Ausländer bereits annehmen, „daß es mit Teütschland auf die Neige komme, und einigkeit, tapferkeit und Verstand mit einander sich verlieren“17. Unter dem Eindruck der französischen Hegemonie sowohl in politischer als auch kultureller Hinsicht argumentiert Leibniz, dass der freie Verstandesgebrauch in Korrelation zu der Verwendung einer eigenen, von Fremdherrschaft freien Sprache und umgekehrt stehe18 – eine andere Formulierung seiner berühmten, auch in den Unvorgreifflichen Gedancken geäußerten These von der Sprache als „Spiegel des Verstandes“19. Und erst der freie Verstand könne nutzbringend zum Wohle des Vaterlandes eingesetzt werden. Auch das Latein als exklusive Gelehrtensprache habe ungerechtfertigt die Mehrzahl der „Teutschen Gemüther“ – Leibniz zählt darunter auch die „frauenZimmer“, Hofleute und weitere ungelehrte Gesellschaftsschichten20 – vom Verstandesgebrauch ferngehalten. Deshalb, so argumentiert Leibniz, haben sich die Fürsten schon aus politischem Kalkül der Sprache anzunehmen, wollen sie bessere, das heißt einsichtigere Untertanen gewinnen. Denn: Diejenigen,
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A IV, 3, 800. Ebd., 801 f. Ebd., 811. Ebd., 812. Vgl. zu dieser erkenntnistheoretischen Sichtweise auch A. Gardt: „Nation und Sprache in der Zeit der Aufklärung“, in: Ders. (Hrsg.): Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart, Berlin/New York 2000, S. 181. 19 A IV, 3, 812. 20 Ebd., 808.
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„die bisweilen mit einem annehmlichen buche sich erquicken, und da in einer gesellschafft ihnen ein gelehrter und beredter [beide Hervorhebungen AA] man aufstößet, solchen mit sonderbarer Begierde anhören“,
also sowohl der geschriebenen als auch der gesprochenen Sprache in ihrer „annehmlichen“ Form zugänglich sind, sind in der Regel Menschen „eines weit edlern gemüths und tugendhafften lebens[,] sie sind auch dem gemeinen Wesen verträglich[,] sie werden nicht gegen ihre Obrigkeit toben, noch des pöbels gemüths Bewegungen folgen, sondern sich gern von ihren vorgesezten weisen laßen[,] und weil sie weiter hinaus sehen als andere [Hervorhebung AA] so können sie auch iedesmahl […] die Vorsorge ihrer Obrigkeit beßer beherzigen. […] Je mehr nun dieser leute in einem land ie mehr ist die Nation abgefeinet oder civilisirt, und desto glückseeliger und tapferer sind die einwohner“21.
An diesem Punkt leitet Leibniz zu seiner Consolatio über und gibt als Antwort auf seine rhetorische Frage „Können wir nun dieser Leute Zahl vermehren“22 wenig später Ratschläge, wie eine bessere Sprachfähigkeit als Bedingung für vermehrte Einsicht zu erlangen sei: „unter höheren [also fürstlichem, Anm. AA] schuz“ solle die bereits erwähnte „Teutschgesinte Gesellschaft“ gegründet werden, „deren absehen auf alle das jenige gerichtet seyn solle, so den Teutschen ruhm erhalten, oder auch wieder aufrichten könne; und solches zwar in denen dingen, so Verstand[,] gelehrsamkeit und beredsamkeit einiger maßen betreffen können; und dieweil solches alles vornehmlich in der Sprache erscheinet, als welche ist eine Dolmetscherin des gemüths und eine behalterin der wißenschafft“23.
Insbesondere der Sprachausbau in den „Wißenschafften und Hauptmaterien“, also in Gegenständen, „so einen Kern in sich habe[n]“24, liegt ihm am Herzen; um die Sprache der Poesie haben sich die ausdrücklich von ihm gelobten Sprachgesellschaften bereits genügend verdient gemacht. Eine ähnliche Forderung wird auch die knapp 20 Jahre später geschriebenen Unvorgreifflichen Gedancken beschließen25, und damit reiht die Ermahnung sich ein in die vielen Schriften, die für Leibniz’ Akademievorhaben warben26. Die eingangs erwähnten Ausführungen der Laudatio, die, wie wir sehen werden, in späteren Zeiten in den Dienst eines unverhohlenen Deutschenstolzes gestellt wurden, dienen so verstanden eher dem rhetorischen Exordium und sollen die möglichen Adressaten, Fürsten oder andere „wohlmeinende Personen“27, positiv auf die folgende 21 22 23 24 25
Ebd., 805 f. Ebd., 806. Ebd., 819. Ebd., 810. An dieser Stelle werden die Unvorgreifflichen Gedancken allerdings sehr viel konkreter und führen aus, wie man sich die Arbeit an der Sprache (in erster Linie Etymologie und Lexik) vorzustellen habe. 26 Vgl. dazu auch J. Gessinger: Sprache und Bürgertum. Sozialgeschichte sprachlicher Verkehrsformen in Deutschland des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1980, S. 116–128. 27 A IV, 3, 819.
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Sprachkritik und vor allem die Vorschläge zur Abhilfe einstimmen. Der Appellcharakter der Ermahnung richtet sich demnach zwar auch „an jeden Einzelnen“28, aber insbesondere hat Leibniz die Potentaten im Blick, denen an einer Verbesserung ihrer Regierungsumstände gelegen sein muss. Zumindest in dem späteren König Friedrich I. in Preußen scheint er einen Gleichgesinnten gefunden zu haben – als Stifter der ersten Akademie auf deutschem Boden im Jahr 1700 trug dieser ihm ausdrücklich auf, er solle der „Cultur der teutschen Sprache bei dieser Fundation [d. i. die Akademiegründung, Anm. AA] […] gedenken“29. IV. Im Folgenden sei der Abriss einer Editionsgeschichte der Ermahnung versucht. Der 200. Geburtstag Leibniz’ im Jahr 1846 wurde in Hannover als regelrechtes Volksfest begangen30. Neben zahlreichen Reden und Festschriften trat auch der Historiker, Altertumsforscher und Numismatiker Carl Ludwig Grotefend, zu der Zeit noch Pädagoge am hannoverschen Lyzeum und einige Jahre später dann als Archivsekretär am Königlichen Archiv zu Hannover tätig, mit Publikationen aus dem Nachlass von Leibniz an die Öffentlichkeit. Unter anderem gab er ein sogenanntes Leibniz-Album heraus, eine dem König von Hannover Ernst August I. gewidmete Zusammenstellung von Tagebucheinträgen, Briefen und Gedichten. Getreu seiner darin geäußerten Ansicht, dass der Gefeierte am besten durch „keine[…] ander[e] Feder […] als der des großen Meisters selbst“ geehrt würde31, veröffentlichte Grotefend außerdem im September 1846 die Ermahnung an die Teutschen und widmete diese der zeitgleich „am 24. September 1846 zu Frankfurt am Main eröffneten Versammlung für Deutsche Sprache, Deutsche Geschichte, Deutsches Recht“. Mit diesen beiden Widmungen bediente Grotefend zwei unterschiedliche Ausprägungen der politischen Landschaft. Der Landesvater Ernst August hatte noch wenige Jahre zuvor 1837 die Relegation der Göttinger Sieben wegen ihres Protests gegen die Kassation der relativ freiheitlichen Landesverfassung bewirkt. Die erwähnte Versammlung dagegen, als erster Germanistentag unter der Leitung des ‚Deutschrechtlers‘ August Ludwig Reyscher in die Geschichte eingegangen, zählte zu ihren Teilnehmern eben auch prominente Vertreter der Göttinger Sieben
28 R. Otto: Leibniz, Gottsched und die deutsche Kulturnation (= Hefte der Leibniz-Stiftungsprofessur 12), Hannover 2012, S. 15. 29 Zit. nach: R. Finster/G. van den Heuvel: Gottfried Wilhelm Leibniz in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1990, S. 34. 30 Vgl. G. van den Heuvel: „Leibniz als Jubilar. Das Leibnizbild des 19. und 20. Jahrhunderts im Spiegel von Gedenktagen (1846–1946)“, in: Hannoversche Geschichtsblätter N. F. 51 (1997), S. 317. 31 C. L. Grotefend: „Vorbericht“, in: Leibniz-Album aus den Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Hannover, hrsg. von C. L. Grotefend, Hannover 1846, unpag.
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wie die Brüder Grimm und Friedrich Christoph Dahlmann und gilt als ein Vorläufer der zwei Jahre später begründeten Frankfurter Nationalversammlung. Wollte Grotefend sich demnach mit dem buntgemischten Leibniz-Album noch „in tieffster Unterthänigkeit“ seinem „Großmächtigsten Könige und Herren“ empfehlen, den er als Erhalter des Leibniz-Hauses würdigt, zeigt die schmucklose Dedikation in der Ermahnung seine Orientierung an dem aufkommenden Nationalliberalismus. Der Beginn der deutschen Nationalstaatlichkeit ist damit auch Geburtshelfer dieser Schrift auf dem Weg in die Öffentlichkeit. Wie sehr die Publikation der Ermahnung dabei in die Stimmung der Zeit passte, zeigt ein Blick auf einen der Hauptbeiträge des besagten Germanistentages, nämlich Wilhelm Grimms Bericht Über das deutsche Wörterbuch, eine Art Statusbericht zu dem gemeinsam mit seinem Bruder Jacob 1838 begonnenen Großprojekt. Inhaltlich lassen sich viele Parallelen zur Ermahnung feststellen. Auch dieser Bericht ist von der Sorge um die deutsche Sprache getragen. Ähnlich wie Leibniz bläst Grimm aber, ebensowenig sprachpuristisch eingestellt wie der 140 Jahre früher Geborene, nicht zur allgemeinen Fremdwörterjagd, sondern lehnt lediglich die überflüssige Verwendung von fremdsprachlichen Begriffen ab, da sich ihretwegen die Sprache in einem „erbarmungswürdigen Zustand“32 befinde. Die Wiedererweckung eines „Sinn[s] für Reinheit der Sprache“ ist demnach zwar Ziel des Wörterbuches, aber Grimm stellt klar: „Kein Volk, wenigstens kein europäisches, scheidet sich streng von dem anderen und setzt geistigen Berührungen Grenzpfähle entgegen […]. Sobald aber Völker sich äußerlich nähern, so erfahren auch ihre Sprachen eine notwendige Wechselwirkung“33.
Grimm lehnt ausdrücklich jeden „steifleinene[n] Purismus“ ab, denn: „Daheim nicht ausgebildete oder gar nicht vorhandene Begriffe holt man von anderen und nimmt das Wort dafür mit“34. Dem entspricht Leibniz’ Formulierung aus der Ermahnung: „Irren dahehr die jenigen sehr, welche sich einbilden, daß die wiederbringung der Teutschen Beredsamkeit nur allein in ausmusterung ausländischer wörther beruhe. Ich halte dieses vor das geringste, und will keinem über ein fremd worth so wohl zu paße komt den proceß machen“35.
Im zweiten Teil seiner Argumentation warnt Grimm dann allerdings deutlich vor dem unnötigen Einsatz von Fremdwörtern und nennt ihn einen „Mißbrauch, der in unserer Zeit alles Maß übersteigt; ich kann mich nicht stark genug dagegen ausdrücken“. Verantwortlich dafür seien „Dürftigkeit des Geistes“, „stumpfe Gleichgültigkeit“, „Gewohnheit und Trägheit“. Denn, so argumentiert Grimm und knüpft damit an das identitätsstiftende, nationale Moment an, sie wüssten nichts vom
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W. Grimm: Kleinere Schriften, Bd. 1, hrsg. von G. Hinrichs, Berlin 1881, S. 517. Ebd. Ebd. A IV, 3, 815.
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„hohen Wert der Sprache, die ein Volk noch zusammen hält, wenn andere Stützen brechen“36 – bei Leibniz hieß es in vergleichbarer Metaphorik: „Das band der sprache, der sitten, auch sogar des gemeinen Nahmens vereiniget die Menschen auf eine sehr kräfftige wiewohl unsichtbare weise, und machet gleichsam eine art der Verwandschafft“37.
Deutlich wird an dieser Stelle von beiden Gelehrten eine rein kulturelle Bedeutungsebene zugunsten des großen Ganzen der Sprachnation verlassen. Einige Jahre später nimmt sich mit August Heinrich Hoffmann von Fallersleben eine weitere exponierte Persönlichkeit im Bemühen um die deutsche Nationenbildung der Ermahnung an und veröffentlicht sie auf der Grundlage von Grotefend, sprachlich jedoch leicht modernisiert, im Weimarischen Jahrbuch von 1855. In seinem einleitenden Beitrag kritisiert der politische Schriftsteller Hoffmann Leibniz’ Verfahren, den Wert der deutschen Sprache zwar hervorzuheben, aber selbst meist auf Latein oder Französisch zu schreiben sowie mit seinen Schriften nicht an die Öffentlichkeit gegangen zu sein. Leibniz’ Sprache sei zudem selbst noch völlig der „verwilderte[n] Schreibung seines Jahrhunderts“ verhaftet – als Beispiele führt Hoffmann die gängige Konsonantendopplung und anderes „Alterthümliches“ an38. Vieles sei erkennbar der lateinischen Satzkonstruktion nachgebildet. Ebenso rügt er im Anschluss an den Abdruck der Ermahnung Leibniz’ poetischen Stil, verbunden mit Kritik an der Indezenz barocker Lyrik im Allgemeinen. Dennoch: „Es ist immer merkwürdig, dass ein Mann wie Leibniz deutsch schrieb, und wir können nur immer wieder beklagen, dass sein Beispiel damals unbeachtet bleiben musste, noch mehr aber, dass seine Vorschläge […] nicht schon zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurden“39.
Das größte Lob zollt Hoffmann Leibniz’ Bemühungen um deutsche FremdwortSynonyme, „um uns der Ausländerei zu überheben“. Als Belege nennt er „Reindünkler“ statt „Sprachpurist“, „Wisskunst“ statt „Mathematik“ oder „abgefeinet“ statt „zivilisiert“40. Die aufgeführten Beispiele zeigen allerdings deutlich, wie schwierig eine Grenzziehung zwischen noch legitimen, da bereits etablierten Fremdwörtern und dem allseits beklagten Sprach-Mischmasch ist. Zusammenfassend lässt sich Hoffmanns Einstellung zu Leibniz’ Schrift dahingehend charakterisieren, dass er sie zumindest als Zeugnis der deutschen Sprache und Literatur am „Übergang zu ihrer besseren Gestaltung“ anerkennt. Als politischer Schriftsteller, der wegen seiner Veröffentlichungen in den Jahren des Vormärz seine Professur verlor und lange Jahre ein unstetes Wanderleben führen 36 Grimm, S. 519. 37 A IV, 3, 798. 38 H. Hoffmann von Fallersleben: „Leibniz im Verhältnis zur Deutschen Sprache und Litteratur“, in: Weimarisches Jahrbuch 3 (1855), S. 86 (Sperrungen im Original wurden durch Kursivierung kenntlich gemacht). 39 Ebd., S. 87. 40 Ebd.
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musste, kann er Leibniz aber den unterbliebenen Schritt an die Öffentlichkeit kaum verzeihen. Die folgende Publikation der Ermahnung fällt wiederum mit einer für die deutsche Geschichte schicksalsträchtigen Wende zusammen – sie wird von Onno Klopp im Rahmen seiner Werke-Ausgabe 1872 und demnach kurz nach der Reichsgründung vorgenommen. 1848 noch demokratisch gesinnt, avancierte Klopp bald darauf zum letzten Haushistoriographen der Welfen und wurde in dieser Eigenschaft von König Georg V. 1861 mit der Herausgabe der staatswissenschaftlichen Werke Leibniz’ beauftragt. Nachdem 1866 Hannover von Preußen annektiert worden war, emigrierte Klopp nach Wien und setzte dort seine Arbeit fort, auch wenn Preußen ihm die Herausgeberschaft mittlerweile entzogen hatte. Im Vorwort zum ersten Band 1864 bemängelt Klopp die bislang gültige erste Leibniz-Gesamtausgabe von Louis Dutens vor allem aus dem Grund, dass dieser die deutschen Werke von Leibniz nicht auch auf Deutsch wiedergegeben hätte. So könne Dutens zwar den „universellen Gelehrten Leibniz, im lateinischen oder französischen Gewande“ vermitteln, wirke aber „nicht erhebend für das deutsche Nationalgefühl“41 – eine Aufgabe, die Klopp angesichts der aktuellen Zeitläufte für dringend geboten hält, wie auch sein Vortrag Leibniz der Stifter gelehrter Gesellschaften von 1864 deutlich zeigt42. Lediglich ein in Deutsch verfasstes Werk von Leibniz brachte Dutens auch auf Deutsch heraus, während er die übrigen Schriften ins Französische übersetzte – die Unvorgreifflichen Gedancken. Die Ermahnung kannte er noch nicht. Demnach ist die Veröffentlichung von Klopp die erste im Rahmen eines größeren Werkzusammenhanges, nämlich demjenigen der politisch-staatswissenschaftlichen Werke. Auffällig im Vorwort ist die Betonung der Vorbehalte Leibniz’ gegen die französische Politik – nicht verwunderlich im Kontext des aktuellen deutsch-französischen Konfliktes. Nicht nur der „deutsche Gelehrte“, auch der „deutsche Patriot“ Leibniz soll in der Ausgabe explizit zur Darstellung kommen43. Die nächste Veröffentlichung kommt aus den Kreisen des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins (ADSV), 1885 in der Nachfolge der Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts gegründet und wirksam in einer Hoch-Zeit des national geprägten Sprachpurismus. Unter der Losung „Gedenke, auch wenn Du die deutsche Sprache sprichst, daß Du ein Deutscher bist!“ war der ADSV erfolgreich in der patriotisch gesinnten Fremdwortverdeutschung tätig und beeinflusste Texte aus Rechtsprechung, Verwaltung, Schule und anderen gesellschaftlichen Bereichen,
41 O. Klopp: „Vorwort“; Klopp I, XVI. 42 Ders.: Leibniz der Stifter gelehrter Gesellschaften. Vortrag bei der 23. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu Hannover gehalten, Leipzig 1864. 43 Ders.: „Vorwort“; Klopp I, XV.
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unterstützt durch Verordnungen der Post-, Eisenbahn- und Heeresverwaltung44. Insbesondere französische, aber auch lateinische Fremdwörter wurden nachhaltig durch Eindeutschungen ersetzt. Bei Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern stieß die rigide, staatlich geförderte Fremdwörterjagd zunehmend auf Widerstand, zumal da jene ab der Jahrhundertwende eine zunehmend militant-chauvinistische Färbung annahm45. Vor diesem Hintergrund schlägt der Beitrag von Paul Pietsch, mit dem er 1907 seinen Abdruck der Ermahnung in den Wissenschaftlichen Beiheften zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins einleitet, einen erstaunlich moderaten Ton an. Nachdem er eingangs den ADSV und nicht etwa die Akademie der Wissenschaften als den legitimen Erben der in der Ermahnung erwähnten „Teutschgesinten Gesellschaft“ installiert46, bescheinigt er Leibniz, im Umgang mit den Fremdwörtern „verständig und maßvoll“ zu sein47 – dieser Duktus zeichnet auch seinen eigenen Beitrag aus. Die Ermahnung und die Unvorgreifflichen Gedancken seien „Perlen deutschen Schrifttums“48. Zusätzlich veröffentlicht er als Drittes Leibniz’ Vorrede zur Herausgabe des Antibarbarus von Marius Nizolius im Jahr 1670: Hier begründe Leibniz erstmals sein „Eintreten für die Muttersprache“; die genannte Vorrede kann demnach als eine Art Initialschrift gelten49. Pietsch veröffentlicht seinen gesamten Beitrag inklusive des Abdrucks der LeibnizSchriften noch einmal im Jahr 1916, mitten im Ersten Weltkrieg und zugleich zur Begehung des 200. Todestags. Den Zeitumständen geschuldet, sieht er im neuen Vorwort zwar nun auch Leibniz insbesondere als „deutschen Mann“50, aber dennoch bildet seine Einleitung mit ihrem moderaten Ton einen Kontrast zu der zeitgleichen Publikation der Ermahnung in der von Walther Schmied-Kowarzik herausgegebenen Ausgabe Deutsche Schriften, Band 1: Muttersprache und völkische Gesinnung. Ganz unter dem Eindruck der Kriegsläufte stehend, stellt diese Herausgabe den Höhepunkt an nationalistisch-chauvinistischer Indienstnahme Leibniz’schen Gedankenguts und hier insbesondere der spezifischen patriotischen Einlassungen der Ermahnung dar. Gleich eingangs parallelisiert Schmied-Kowarzik die Leibniz-Zeit und die Gegenwart durch das verbindende Element der „schweren Kämpfe […], die 44 Vgl. P. von Polenz: „Sprachpurismus und Nationalsozialismus. Die ‚Fremdwort‘-Frage gestern und heute“, in: E. Lämmert (Hrsg.): Germanistik – eine deutsche Wissenschaft, Frankfurt a. M. 1967, S. 115. 45 Vgl. insbesondere die Äußerungen Eduard Engels, wiedergegeben in: Ebd., S. 116. 46 P. Pietsch: „Leibniz und die deutsche Sprache“, in: Wissenschaftliche Beihefte z. Ztschr. d. allg. deutschen Sprachvereins, 4. Reihe, 28 (1907), S. 2. 47 Ebd., S. 7. 48 Ebd., S. 17. 49 Ebd., S. 19. 50 P. Pietsch: „Vorwort“, in: G. W. Leibniz: Abhandlung über die beste philosophische Ausdrucksweise. Ermanung an die Teutsche, ihren Verstand und Sprache besser zu üben. Unvorgreiffliche Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache, hrsg. u. erl. von P. Pietsch, Berlin 1916, unpag.
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das deutsche Volk vor Sein oder Nichtsein stellen“. Mit Ludwig XIV. und dem türkischen Heer als Aggressoren in West und Ost sei Mitteleuropa auch damals „der Gefahr völliger Zertrümmerung“51 ausgesetzt gewesen – allein das „festgeeinte, machtvolle Deutsche Reich“ von heute sei nicht mit der ohnmächtigen Kleinstaaterei im ausgehenden 17. Jahrhundert vergleichbar. Dagegen wird Leibniz ohne weiteres als völkisch gesinnter „Geistesführer […] und Kulturpolitiker“52 ins frühe 20. Jahrhundert gerückt, der „die Erhaltung und Festigung der Volksgemeinschaft durch kulturelle Mittel“, das heißt mithilfe „der Sprache als Trägerin der bedeutsamsten Geisteswerte“, erreichen wollte. Gemeinsame Bildung und Sitte sind weitere Manifestationen des „völkische[n] Gemeingefühl[s]“. Mit einer Art Naturgesetzlichkeit entstehe daraus „der Drang, die gemeinsame Kultur von allen ungehörigen fremden Bestandteilen zu befreien“53; das „völkische Gefühl“ schlägt um in „frohen Stolz und […] lebendige Tatgesinnung“54. Folgerichtig interpretiert Schmied-Kowarzik auch Leibniz’ Einsatz für die Reunion der Kirchen aus nationalpolitischem Gesichtspunkt: Treibende Kraft sei der Wunsch gewesen, dadurch „die Gemeinschaft der Deutschen inniger zu gestalten“55. Die Einleitung endet mit der Apotheose des „völkischen Geistesführers“ als „Vater des Vaterlandes“, der, Fichte vergleichbar, mit seinen „Weck- und Mahnreden an die deutsche Nation“ „so sehr darauf brannte, mit seiner deutschen Gesinnung ins Leben zu wirken“ – der Herausgeber verspricht ihm dankbare Aufnahme in der Jetzt-Zeit56. Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg sind gekennzeichnet von einem deutlichen Einbruch sprachpuristisch-nationalem Engagements57. In den 20er Jahren kommt es, sieht man von Hugo von Hofmannsthals bruchstückhafter Herausgabe einmal ab58, durch Walther Janell59 und Paul Joachimsen zu zwei weiteren Veröffentlichungen der Ermahnung. Aber Joachimsen grenzt 1921 den „Weltbürger“ Leibniz deutlich von den Reinigungsbestrebungen der Sprachgesellschaften und jeglichem
51 W. Schmied-Kowarzik: „Vorwort“, in: G. W. Leibniz: Deutsche Schriften, Bd. 1: Muttersprache und völkische Gesinnung, hrsg. von W. Schmied-Kowarzik, Leipzig 1916, S. VII. 52 Ebd., S. IX. 53 Ebd. 54 Ebd., S. X. 55 Ebd., S. XV. 56 Ebd., S. XXXVII. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass U. Pörksen die Zuschreibung „Weck- und Mahnreden“ lediglich auf die Ermahnung anwendet (Pörksen, S. 123). SchmiedKowarzik bezieht sie allerdings auch auf thematisch verwandte Schriften wie beispielsweise die Unvorgreifflichen Gedancken. 57 Vgl. auch von Polenz, S. 116. 58 Vgl. zu dieser Fassung den Kommentar von Burmester, S. 26, die bei Hofmannsthals Herausgabe wie bei Leibniz’ Schrift eine tiefere anthropologische Absicht freilegt. 59 G. W. Leibniz: Ermahnung an die Teutschen, ihren Verstand und Sprache beßer zu üben, sammt beygefügten Vorschlag einer Teutschgesinnten Gesellschaft, hrsg. von W. Janell, Frankfurt a. M. 1926.
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chauvinistischen deutschen Überlegenheitsgefühl ab und sieht dessen patriotisches Hauptinteresse darin, die deutsche Sprache in ihrem Potential mehr zu nutzen und vor allem wissenschaftlich brauchbar zu machen. Ausgangspunkt ist dabei die „ganz optimistische Auffassung der deutschen Fähigkeiten und Möglichkeiten“60. Die Gründe für den mangelhaften Zustand der Sprache der Leibniz-Zeit sieht Joachimsen in der damaligen Kleinstaaterei und ihrer Folgeerscheinung: der Ausprägung des wegen mangelnder Partizipation im „stumpfen Dahinleben“ versinkenden „Privatmenschen“61. In der Zeit des Nationalsozialismus sah der ADSV zwar eingangs eine Chance zum Wiederaufleben eines national begründeten Sprachpurismus, aber er konnte nicht an seine Erfolge im Wilhelminismus anknüpfen. Auch wenn sich die „Gefolgschaftsmänner des Deutschen Sprachvereins“ zugleich als „Gefolgschaftsmänner Adolf Hitlers“ sahen und ihren Kampf als „ein sehr wichtiges Teilgefecht in Adolf Hitlers Großangriff wider alles Undeutsche“ verstanden62, verpufften ihre Appelle an die Staatsführung zur Reinerhaltung der deutschen Sprache vielfach wirkungslos, da nach Polenz „der Gebrauch bestimmter Fremdwörter im totalitären Staat oft absichtlich dazu dient, die Gedanken der Führer gerade nicht für alle erkennbar zu machen“63. Ein Führer-Erlass von 1940 machte der deutschgesinnten Fremdwortjagd dann vollständig ein Ende. Zu einer erneuten Ausgabe der Ermahnung kam es ebenfalls nicht, erst wieder in den 50er Jahren mit einem Teilabdruck bei Friedrich Heer und 1967 in Hans Heinz Holz’ Ausgabe der Politischen Schriften. Als aktuelle Publikationen sind die Reclam-Ausgabe von Uwe Pörksen 1983 und die Veröffentlichung 1986 in der Akademie-Ausgabe (Reihe IV, Band 3) zu nennen, denen im ersteren Fall das Verdienst einer breiteren Bekanntmachung, im zweiteren das der Sicherung einer verbindlichen Textgrundlage gebührt. Sprachkritik und Sprachpolitik – die engen Zusammenhänge wurden in den Ausgaben der Ermahnung durch die Jahrzehnte und abhängig von den jeweiligen Zeitumständen sichtbar. Anders ausgedrückt: Die unterschiedliche HerausgeberMotivation zur Publikation der Schrift steht in Verbindung mit der jeweiligen Interpretation der aktuellen Zeitumstände. Vielfach lässt sich, verbunden mit den nationalen Anliegen, ein pädagogischer Impetus erkennen. Onno Klopp bringt dies auf den Punkt, wenn er 1864 in seinem Vortrag auf der 23. Versammlung Deutscher Philologen und Schulmänner zu Hannover verlangt:
60 P. Joachimsen: „Einleitung“, in: Der deutsche Staatsgedanke von seinen Anfängen bis auf Leibniz und Friedrich den Großen. Dokumente und Entwicklung, zsgest. u. eingel. von P. Joachimsen, München 1921, S. LXVIII. 61 Ebd., S. LXX. 62 Zit. nach von Polenz, S. 123. 63 Ebd., S. 118. Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde als Nachfolgerin des ADSV die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) gegründet.
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„Ich wage es, meine Herren, auch in Betreff dieser beiden Schriften [Unvorgreiffliche Gedancken und Ermahnung, Anm. AA] den Wunsch auszusprechen, dass sie heimisch sein möchten in allen unseren höheren Schulen, dass das Wort: Nocturna versate manu, versate diurna, nicht weniger auf sie Anwendung fände als auf die Muster der Alten“64.
V. Wie lässt sich heute noch auf die Ermahnung zugreifen, 330 Jahre nach ihrer Abfassung und bald 170 Jahre nach ihrem ersten Schritt in die Öffentlichkeit? Die Forderungen Leibniz’ nach einem Ausbau der deutschen Sprache, insbesondere in der Sachprosa und der Wissenschaftssprache, scheinen sich erfüllt zu haben. Im 18. Jahrhundert griffen unter anderem Johann Christoph Gottsched und Joachim Heinrich Campe auf seine Überlegungen zurück. Insgesamt entwickelte sich das Deutsche, unterstützt durch die mittlerweile gebildeten Akademien und unter dem Einfluss von Christian Wolff vor allem auch im Bereich der Wissenschaften, in die von Leibniz gewünschte Richtung zu einer spätestens im 19. Jahrhundert voll ausgebildeten Weltsprache. Dies bewirkte dann auch die im Blick auf die Rezeptionsgeschichte deutlich gewordene Akzentverschiebung. Im Zusammenhang mit dem Ringen um die eigene Nationalstaatlichkeit traten die Aspekte der Abgrenzung gegenüber anderssprachlichen Einflüssen mehr in den Vordergrund, als sie noch für Leibniz’ eigentliche Stoßrichtung, der Forderung nach einer angemessenen, elaborierten gesprochenen und geschriebenen Sprache mit dem „rechten safft oder schmack“65, nötig gewesen waren, und führten des Öfteren, wir haben es gesehen, zu einer Indienststellung unter nationalen Sprachpurismus. Sprachpurismus hat gleichwohl heute keinen guten Klang mehr, wirkt gestrig und altmodisch. Dennoch werden Phänomene wie das aktuelle Kiezdeutsch, Chatsprache, Technizismen oder Anglizismen und ihr Einfluss auf die deutsche Sprache – Stichwort Sprachwandel – auch gegenwärtig aufmerksam registriert und beispielsweise im Schulunterricht thematisiert. Reflexion über Sprache und Sprachgebrauch ist einhellig curricular vorgesehen. Zum einen ließe sich deshalb anhand ausgewählter Textstellen aus der Ermahnung, die Forderung Onno Klopps aufgreifend, unter Einbezug der Bedeutung von Sprachgesellschaften das Sprachverständnis der Leibniz-Zeit zu heute in einen konstruktiven Vergleich setzen. Zum anderen wäre der Text aus bildungspolitischer Sicht auf seine Aktualität hin zu befragen. Mehr denn je wird, und das zu Recht, bereits die frühkindliche Sprachkompetenz gefordert und gefördert, als Voraussetzung für späteren Bildungserwerb. Dies bedeutet in der Praxis, dass bereits zur Schulanmeldung 1,5 Jahre vor Schulbeginn bei allen Kindern eine Sprachstandsfeststellung durchgeführt
64 Klopp: Leibniz der Stifter gelehrter Gesellschaften, S. 16. Zitat nach Horaz. 65 A IV, 3, 807.
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wird. Sind hier Defizite erkennbar, sollen diese durch spezielle Förderprogramme bis zum Schuleintritt möglichst ausgeglichen werden. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Teilhabemöglichkeiten und Chancengleichheit in einer Gesellschaft insbesondere durch Bildung gewährleistet werden, die wiederum als Basis eine gesicherte Sprachfähigkeit benötigt. In Leibniz’ Worten hieße dies, dass eine „wohlausgeübte Muttersprach wie ein rein polirtes glas gleichsam die scharffsichtigkeit des gemüths befördert, und dem verstand eine durchleuchtende clarheit giebt“66, auf Grundlage dessen dann Bildungs- und Wissenserwerb überhaupt erst stattfinden kann. Die Fürsten und „wohlmeinenden Personen“ sind heute die Bildungspolitiker mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, eine möglichst umfassende Bildung zum Wohle aller zu gewähren und in ihren Voraussetzungen erst zu ermöglichen – durch eine frühzeitige und wenn nötig staatlich geförderte Sprachbefähigung. Es kann kein Fehler sein, sich hierin von Leibniz gegebenenfalls zu nicht nachlassendem Eifer ermahnen zu lassen.
66 Ebd., 809.
SPIEGEL DES VERSTANDES ODER SPIEGEL DES VOLKSGEISTES LEIBNIZ UND ERNST MORITZ ARNDT ÜBER DIE DEUTSCHE SPRACHE Von Stefan Luckscheiter (Potsdam) Der Gedanke, Leibniz mit Ernst Moritz Arndt vergleichen zu wollen, mag abwegig erscheinen. Beide markieren aber gleichsam zwei Pole des Nachdenkens über die deutsche Sprache, so dass die Gegenüberstellung einen vielleicht nicht uninteressanten Gegensatz aufzeigen kann. Es ist nicht so, dass Leibniz nicht einige Ansichten vertreten hätte, die auch Arndt hegte. Im vierten Band von Geist der Zeit, der 1818 erschien, findet sich etwa ein Abschnitt, in dem sich Arndt auf Leibniz’ Unvorgreiffliche Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache1 stützt. Leibniz rief dort dazu auf, die Geschichte des Deutschen zu erforschen und ein etymologisches Wörterbuch zu erstellen; er sagte: „[…] weil, wie oberwehnt, die Worte de[n] Sache[n] antworten, kan es nicht fehlen, es mus die Erläuterung ungemeiner Wort auch die Erkäntnis unbekanter Sachen mit sich bringen“2.
Arndt sagt: „Wenn man nun jene Sprachschätze sammelt, so sammelt man ja nicht bloße Wörter nicht bloße äusserliche Hüllen und Schalen der Dinge, worin der Kern fehlt; nein man sammelt, wenn man Geist zu dem Geschäfte mitbringt, das teutsche Leben und die teutsche Geschichte in ihren Keimen“3.
Leibniz schrieb: „[…] Stecket also im Teutschen Alterthum, und sonderlich in der Teutschen uralten Sprache […] der Ursprung der Europäischen Völcker und Sprachen, auch zum theil des uralten Gottes-Dienstes, der Sitten, Rechte und Adels; auch stecket offt unter den alten Nahmen die beschaffenheit der Sachen, Örther und Leute […]“4.
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A IV, 6 N. 79. A IV, 6, 544–545. E. M. Arndt: Geist der Zeit, Bd. IV, Berlin 1818, S. 443. A IV, 6, 546.
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Arndt schreibt: „[…] Denn für unser ältestes und frühestes Leben, für unsere ganze Geschichte, für unsere Sitten, unsere Gesetzgebung, Wissenschaft und Philosophie würden wir viel Herrliches finden“5.
Leibniz schrieb, die deutsche Sprache scheine „vor vielen andern dem Ursprung sich zu nähern“6. Auch Arndt ist dieser Ansicht und er beruft sich explizit auf die Unvorgreiffliche[n] Gedancken: „Was schon Leibnitz wußte, […] daß unsere Sprache eine der ältesten mannigfaltigsten reichsten und herrlichsten Urbilder der frühesten Zeit ist, das müssen wir bedenken […]“7.
Auch über den gegenwärtigen Stand der deutschen Sprache sind Leibniz und Arndt trotz des ganzen Jahrhunderts, das sie voneinander trennt, einer Meinung. Beide stellen fest, dass die deutsche Sprache durchsetzt, überlagert und fast verdrängt werde durch das Französische; beide sind der Ansicht, sie nehme nicht den Stellenwert ein, der ihr gebühre; und beide verbinden diesen sprachlichen Befund mit einem politischen. Leibniz sagte im Zeitalter Ludwigs XIV.: „Gleichwol wäre es ewig Schade und Schande, wenn unsere Haupt- und Helden-Sprache dergestalt durch unsere Fahrlässigkeit zu grunde gehen solte; so fast nichts gutes schwanen machen dörfte, weilen die annehmung einer fremden Sprache, gemeiniglich den Verlust der Freyheit, und ein fremdes Ioch mit sich geführet“8.
Und Arndt meinte im Zeitalter Napoleons9: „Wir waren nichtig geworden, weil wir unsere Sprache verachtet hatten; die Sprache war nichtig geworden, weil wir aufgehört hatten, ein Volk zu seyn. Dies ist ein Zirkel, der sich nirgends öffnet, so sehr ist Sprache und Volk innerlich Eins“10.
Beide bringen also die Tatsache, dass das Französische im deutschen Sprachraum verbreitet war und in gewissen Kreisen dem Deutschen vorgezogen wurde, mit der politischen Dominanz Frankreichs, und den niedrigen Stand der deutschen Sprache
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Arndt: Geist der Zeit, Bd. IV, S. 443–444. A IV, 6, 548. Arndt: Geist der Zeit, Bd. IV, S. 433. A IV, 6, 538. Vgl. auch: „Darum ist nichts trauriger und gefährlicher, als wenn ein Volk seine Sprache für eine fremde vergißt; dann begehrt es Sklav der Fremden zu werden“ (E. M. Arndt: Ueber Volkshaß und den Gebrauch einer fremden Sprache, Leipzig 1813, S. 12). Arndts Zeitgenosse Saul Ascher, der Arndt als den „lautesten Germanomanen“ (S. Ascher: „Die Germanomanie. Skizze zu einem Zeitgemälde“, in: Ders.: Flugschriften [= Theoretische Schriften 1], hrsg. von A. Thiele, Mainz 2011, S. 148) bezeichnete, sagte dazu: „Ist denn Deutschland einer andern Macht Untertan worden, weil es fremde Sprachen übte, fremden Sitten huldigte und dem Auslande in Kultur und Industrie nachzustreben sich beeiferte? – Mitnichten! Was Deutschland in die Gewalt des Franzmanns brachte, war die Ohnmacht seiner militärischen und bürgerlichen Kraft“ (ebd., S. 153). 10 Arndt: Ueber Volkshaß und den Gebrauch einer fremden Sprache, S. 77.
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mit der geringen politischen Rolle Deutschlands in Verbindung. Beide erhoffen sich von der Pflege der deutschen Sprache und dem Zurückdrängen des Französischen auch ein Zurückdrängen Frankreichs und ein Erstarken Deutschlands. Doch die Mittel, die Leibniz und Arndt diesen patriotischen Zweck zu erreichen anzuwenden gesonnen waren, unterscheiden sich deutlich. Leibniz setzte auf die Wissenschaften und wollte zum Beispiel, dass die in Berlin zu gründende Sozietät eine „Teutsch-gesinnete Societät“ sei, „so die Ehre der Teutschen Sprach und Nation sich angelegen seyn laße“11. Arndt hingegen publizierte Schriften wie seinen Aufruf an die Deutschen zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen die Franzosen (1813), dem er als Motto auf das Titelblatt drucken ließ: „Wer sein Vaterland aufrichtig liebt, opfert ihm gern seinen letzten Blutstropfen“. Dieser Unterschied manifestiert sich auch in der Haltung beider zu Fremdwörtern. Leibniz sagt über deren Gebrauch: „Was aber die Fremde oder Unteutsche Worte anbetrifft, so entstehet darin der gröste zweiffel, ob nemlichen, und wie weit sie zu dulden, nachdem sie vielen annoch unverständlich“12.
Das erste Kriterium dafür, ob es statthaft ist, ein fremdes Wort zu gebrauchen, ist für Leibniz also, ob der Leser oder Zuhörer das Wort versteht. An höfische oder wenigstens gebildete Leser kann sich ein Schriftsteller mit anderen Worten richten als an ein weniger welt- und redegewandtes Publikum: „Hernach vermeine, dass ein Unterscheid zu machen unter den arten der zuhörer oder Leser. Denn was für männiglich geredet oder geschrieben wird, als zum Exempel, was man prediget, soll billich von jederman verstanden werden; was aber für Gelehrte, für den Richter, für Staats-Leute geschrieben, da kan man sich mehr Freiheit nehmen“13.
Ein Prediger könne ruhig „zu Zeiten“ ein lateinisches Wort verwenden, es sei aber „rathsam, dass die Erklärung alsbald dabey sey“, damit auch die, die es nicht kennen, die Predigt verstehen14. Das zweite Kriterium für den Gebrauch eines Fremdworts besteht darin, ob dasselbe sich durch ein deutsches adäquat ersetzen ließe. Da dies bei vielen Wörtern aus Politik und Recht zu Leibniz’ Zeit nicht der Fall war, sagt er, in „StaatsSchrifften, so die Angelegenheiten und Rechte hoher Häupter und Potenzen betreffen“, ließen sich das Lateinische und Französische „schwerlich“ vermeiden; „eine ungezwungene und ungesuchte Mässigung“ sei aber „wolanständig“, und man solle versuchen, „das Frantzösische nicht an des Teutschen stelle zu setzen, wann das Teutsche eben so gut wo nicht besser“15.
11 „Einige ohnmaßgebliche Vorschläge pro Fundo Societatis Scientiarum“ (Druck in A IV, 8; bisher gedruckt etwa in: A Harnack: Geschichte der königlich preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 2, Berlin 1900, S. 92–94, hier S. 92–93). 12 A IV, 6, 558. 13 Ebd., 559. 14 Ebd. 15 Ebd.
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Das dritte Kriterium ist eines der Ästhetik. In Schriften, so sagt Leibniz, „so nicht wegen Geschäffte und zur Nothurfft, auch nicht zur Lehre der Künste und Wissenschafften, sondern zur Zierde heraus kommen“, ist „ein mehrer Ernst zu brauchen“ und sind „weniger fremde Worthe einzulassen“. In einem deutschen Gedicht etwa wäre ein „Frantzösisches Wort gemeiniglich ein Schandfleck“16. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch die General-Instruction der Berliner Sozietät, die von Leibniz entworfen, von Johann J. J. Chuno überarbeitet und daraufhin von Leibniz abermals durchgesehen wurde17. In Leibniz’ Entwurf hieß es, Kurfürst Friedrich III. wolle „veranstalten, daß bey […] allen ausfertigungen eine geziemende maaß gehalten, und die unanständige fremde Worte vermieden, Hingegen gute Teutsche Redarten erhalten, herfür gesucht und vermehret werden“18.
Chuno schrieb in seiner Fassung, es sollten „die fremde worte, und entlehnte reden so viel muglich, vermieden […] werden“19. Anders als Leibniz wollte Chuno also nicht nur Fremdwörter, sondern auch „entlehnte reden“, nicht nur „unanständige“ Fremdwörter, sondern Fremdwörter schlechthin vermieden sehen. Leibniz schwächte dies wieder ab, und in der nun endgültigen Fassung heißt es, es sollten „die fremde unanständige worte, und übel entlehnte reden, so viel füglich geschehen kan, vermieden […] werden“20. Es geht Leibniz, der es in seinen deutschen Schriften selbst an Fremdwörtern nicht fehlen ließ, also keineswegs darum, alle Fremdwörter durch deutsche zu ersetzen. Er beurteilt ihren Gebrauch vielmehr danach, ob zu viele oder zu wenige Fremdwörter die Verständlichkeit und Prägnanz der Rede oder Schrift minderten oder sie ihretwegen den Zweck verfehlten21.
16 A IV, 6, 560. 17 Die Ausfertigung der General-Instruction liegt gedruckt vor etwa in: H.-S. Brather: Leibniz und seine Akademie, Berlin 1993, S. 94–105. In historisch-kritischer Edition, aus der hervorgeht, welche Passagen auf Leibniz und welche auf Chuno zurückgehen, wird sie erscheinen in A IV, 8. 18 Berlin Geheimes Staatsarchiv Preuß. Kulturbesitz I. HA. Rep. 9 (AV). K. Lit. M II. Fasz. 2 Bl. 5–9, hier Bl. 9r. 19 Berlin Archiv der BBAW Bestand PAW (1700–1811) I-I–1 Bl. 20–27, hier Bl. 24r. 20 Berlin Archiv der BBAW Bestand PAW (1700–1811) I-I–1 Bl. 97–108, hier Bl. 103v (vgl. Brather, S. 101). 21 Vgl. A. Stukenbrock: Sprachnationalismus. Sprachreflexion als Medium kollektiver Identitätsstiftung in Deutschland (1617–1945) (= Studia Linguistica Germanica 74), Berlin/New York 2005, S. 172; J. Schiewe: Die Macht der Sprache. Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart, München 1998, S. 72 und 77; P. von Polenz: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart, Bd. 2: 17. und 18. Jahrhundert, Berlin/New York 1994, S. 123–124; S. von der Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, hrsg. von K. Müller (= Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 4), Frankfurt/M. 1973, S. 118 und S. 251–254.
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Über Wörter schließlich, die „gleichsam zwischen Teutsch und Fremd hin und her“ flattern, sagt er, man solle sie „einmal vor alle mal Teutsch erklären“22. Ob ein Wort ein Fremdwort ist oder nicht, ist für ihn gewissermaßen eine Frage der Konvention. Arndt äußert sich nicht so gemäßigt und differenziert über das, was Leibniz „Sprachreinigkeit“ nannte. Zu erwägen, ob und wann ein deutsches Wort einem Fremdwort vorzuziehen sei, ist seine Sache nicht. Er will, dass das Französische (über andere Sprachen ließe er vielleicht mit sich reden) vollständig aus dem deutschen Sprachraum verbannt werde23. Selbst gebrauchte er entsprechend keine oder jedenfalls fast keine Fremdwörter24. Als er einmal nicht umhin kam, das Wort „räsonniren“ niederzuschreiben, setzte er in Klammern hinzu: „Ich muß hier schon in das schlimme wälsche Wort beissen“25. Ein französisches Wort in die deutsche Sprache aufzunehmen, wäre für ihn Verrat am deutschen Vaterland. Er lässt sich folgendermaßen vernehmen: „Nur eine einzelne wälsche Tünche abgeblättert, eine einzelne wälsche Zierrath unsers Leibes lächerlich gemacht – mann kann dazu rufen: item es hilft!“26 „Doch muß ich von dem größten Verderben, von dem Franzosenthum der Sprache unter uns, noch etwas Breiteres sagen. Dieser Teufel ist zu mächtig, er hat sich zu tief in unsere edlen Theile eingefressen, als daß er so leicht auszutreiben wäre, als allenfalls der französische Rock und Bückling und der französische Kopfputz und die Salbenbüchschen und Riechfläschchen von Paris“27. „Dieses alte Verderben diese Pest unserer Kraft und Eigenthümlichkeit muß einmal mit den Wurzeln ausgerottet werden“28.
Und auch dies zu schreiben scheut er sich nicht: „Ich habe wiederholt, was teutsche Biedermänner schon vor zwei Jahrhunderten geklagt haben, daß der Teutsche, welcher seine Töchter in wälscher Sprache unterweisen lasse, sie gleichsam zu Huren der Fremden bilde. Das könnte nun wörtlich verstanden werden, wobei die Angeklagten noch am besten wegkommen würden; aber das ist eben nicht nöthig. Sondern es ist eine viel schlimmere Hurerei gemeint, als die mit den Leibern getrieben wird, es ist
22 A IV, 6, 560. 23 „Man sieht jetzt, wohin ich will. Ich will die Uebung und den Gebrauch der französischen Sprache in Teutschland abgeschafft wissen. Man mag die französische Sprache lesen und verstehen wie andere Sprachen, damit man der Bildung, Wissenschaft, Kunst und Art auch des französischen Lebens genießen könne; aber sprechen soll man sie nicht“ (Arndt: Ueber Volkshaß und den Gebrauch einer fremden Sprache, S. 40). 24 Jedenfalls nicht mehr im 4. Band von Geist der Zeit, im 1. hingegen schon (vgl. O. W. Johnston: The Myth of a Nation – Literature and Politics in Prussia under Napoleon, Columbia 1989, S. 86). 25 Arndt: Geist der Zeit, Bd. IV, S. 48. 26 Ebd., S. 315. 27 Ebd., S. 322. 28 Ebd., S. 328.
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Stefan Luckscheiter die Hurerei des Geistes gemeint, jene, die so oft in der Bibel angeführt wird […] hier werden der Geist das Gemüth die innigste Liebe und das tieffste Leben eines Volkes grade in ihren Blüthenknospen und zartesten Pflänzlein angegriffen; denn diese Blüthenknospen und Pflänzlein sind die Frauen und Jungfrauen“29.
Zu diesen Ausfällen sah sich Arndt bemüßigt und befugt durch eine Ansicht über die Natur der Sprache, die er in Anlehnung an Fichtes Reden an die deutsche Nation entwickelt hatte30, und die sich von der Leibniz’schen stark unterscheidet. Leibniz beginnt seine Unvorgreifflichen Gedancken bekanntlich mit den Worten: „Es ist bekand, dass die Sprach ein Spiegel des Verstandes; und dass die Völcker, wenn sie den Verstand hoch schwingen, auch zugleich die Sprache wol ausüben: welches der Griechen, Römer und Araber beyspiele zeigen“31.
Eine höher entwickelte Sprache zeigt für Leibniz einen höher entwickelten Verstand an, weil der Verstand das Vermögen ist, die Welt mit Hilfe von Begriffen und Urteilen zu verstehen. Wer die Wirklichkeit besser in Begriffe fassen kann, formuliert nicht nur bessere Sätze, sondern muss auch über bessere Begriffe und die Wörter verfügen, diese Begriffe zum Ausdruck zu bringen. Eines Volkes Sprache spiegelt seinen Verstand, weil der Wortschatz anzeigt, was es weiß und kann. Sie beeinflusst den Verstand aber auch. Zwar kann, so Leibniz, „eine jede Sprache, sie sey so arm als sie wolle, alles geben“32, mit treffenderen Begriffen lässt sich die Wirklichkeit aber leichter beschreiben und verstehen: „Es ist […] bey dem Gebrauch der Sprache, auch dieses sonderlich zu betrachten, dass […] wir Zeichen nöhtig haben, nicht nur unsere Meinung andern anzudeuten, sondern auch unsern Gedancken selbst zu helffen“33.
Man gebrauche beim Denken, anstatt, was zu umständlich wäre, sich stets die Dinge selbst vorzustellen, die Wörter gewissermaßen „als zifern, oder als Rechen-pfennige an stat der Bildnisse und Sachen, bis man stufen weise zum Facit schreitet, und beym Vernunfft-Schlus zur Sache selbst gelanget“.
Die Wörter fungierten „als Wechsel-Zettel des Verstandes“, und wenn sie also „wol gefasset, wol unterschieden, zulänglich, heuffig, leichtfliessend und angenehm seyen“, lasse sich umso leichter denken34. Dementsprechend sagt Leibniz: 29 Ebd., S. 352. 30 Vgl. ebd., S. 88 f.; J. Schiewe: „Nationalistische Instrumentalisierungen – Ernst Moritz Arndt und die deutsche Sprache“, in: W. Erhart/A. Koch (Hrsg.): Ernst Moritz Arndt (1769–1860). Deutscher Nationalismus – Europa – Transatlantische Perspektiven (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 112), Tübingen 2007, S. 116. 31 A IV, 6, 532. 32 Ebd., 551. 33 Ebd., 533. 34 Ebd., 534; vgl. J. Schiewe: Die Macht der Sprache. Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart, München 1998, S. 73–75; U. Pörksen: Wissenschaftssprache und Sprachkritik. Untersuchungen zu Geschichte und Gegenwart (= Forum für FachsprachenForschung 22), Tübingen 1994, S. 196.
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„Reichthum ist das erste und nöthigste bey einer Sprach, und bestehet darin, dass kein Mangel, sondern vielmehr ein Uberflus erscheine an bequemen und nachdrücklichen Worten, so zu allen Forfälligkeiten dienlich; damit man alles kräfftig und eigentlich vorstellen und gleichsahm mit lebenden Farben abmahlen könne“35.
So wie ein Text verständlich und prägnant sein sollte, so sollen der Wortschatz einer Sprache reich und ihre Wörter eindeutig sein36. Der Verstand gibt also auch den Maßstab vor, an der die Höhe einer Sprache zu messen ist: Sie ist auf umso höherem Stand, je leichter sich in ihr die vorhandenen Kenntnisse und avanciertesten Theorien ausdrücken lassen. Arndt dagegen sagt: „[…] die Sprache ist ein Spiegel des Volkes, das sie spricht; aus der Sprache eines Volks erscheint mir hell, was es will, wohin es strebt, wohin es sich neigt, was es am meisten liebt und übt, kurz wohin sein eigentliches Leben und Streben geht“37.
Die Sprache eines Volkes drückt „die verborgene Geschichte, die älteste Entwicklung, kurz die ganze Art seines Empfindens, Denkens, Darstellens, und Lebens“ aus38; „jede Sprache“ ist „das äußere Abbild des innersten Gemüthes eines Volkes“39. Wie Leibniz so nimmt auch Arndt eine Wechselwirkung zwischen Spiegel und Gespiegeltem an. Nach Leibniz half nicht nur der Verstand der Sprache auf, sondern auch die Sprache dem Verstand, und genauso verhalten sich nach Arndt Sprache und Volk zueinander. „Was die Sprache verändert“, so sagt er, verändert „nothwendig auch das Volk“40. Wie bei Leibniz so gibt auch bei Arndt der Sprache das von ihr Gespiegelte den Maßstab vor. Der Volksgeist ist für ihn nicht nur der Durchschnitt der in einem Volk vorgefundenen Charaktere, er geht den Individuen vielmehr genauso voraus wie die Sprache ihren Sprechern; und er charakterisiert die Völker nicht nur, sondern setzt den Volksmitgliedern auch die Norm. Eine Sprache ist für Arndt umso besser, je besser sie den Volksgeist ausdrückt, weil sie dann umso mehr geeignet ist, umgekehrt den volkstümlichen Charakter des Volkes zu heben. Er sagt, die Sprache eines Volkes „[…] ist auch seine früheste Geschichte und sein frühestes Leben, und sein jüngstes Leben kann nur ein würdiges und glückliches Leben werden, in wie fern es mit dem frühesten Geist dieser seiner Sprache in Uebereinstimmung ist, so wie man nur denjenigen einen glückseligen Mann nennen kann, dessen Jugend und Mannsalter mit seiner Kindheit in Gleichmaß und Uebereinstimmung fortgebildet ward“41.
35 36 37 38 39 40 41
A IV, 6, 532. Vgl. von Polenz, S. 356. Arndt: Ueber Volkshaß und den Gebrauch einer fremden Sprache, S. 33. Ebd., S. 34. Ebd., S. 12. Ebd., S. 34. Ebd.
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Er sagt: Wer in seiner Kindheit viel reist, wird ein „Vagabund“, ein Mensch, „der kein Vaterland, keine Liebe, und keine Gesinnung hat“, und wer zu früh fremde Sprachen lernt, muss dafür „oft ein langes Leben durch Schwäche des Karakters und durch Wankelmuth, durch Ungleichheiten im Begehren und Denken, und durch die Unfähigkeit, die seligen und gemüthlichen Triebe des Menschenherzens zu entwickeln oder aufzunehmen […] büßen“; beide werden „neutralisirt“42. Und er fährt fort: „Was ich hier an Einzelnen angedeutet habe und was das Leben uns auf jedem Schritte zeigt, gilt im geringeren Grade oft von ganzen Völkern, wenn sie aus Eitelkeit oder aus Verkennung des Eigenen und Vergötterung des Ausländischen, oder endlich durch die Gewalt der Zeit und durch das Beispiel ihrer Führer bethört und mißgeleitet, mit den Fremden tändeln und buhlen. Sie werden neutralisiert; sie verlieren das besondere und eigenthümliche Gepräge, das sie als Volk vor allen andern Völkern auszeichnen sollte; sie verlieren alle Vorliebe für sich und allen Stolz auf sich als ein solches bestimmtes Volk; sie werden ein Allerweltsvolk, Allerweltsmenschen, was man mit einem prunkenden Namen Kosmopoliten genannt hat; sie sind aber bei einer solchen Verwirrung und Schwächung ihrer Eigenthümlichkeit auf dem geradesten Wege, solche Allerweltsmenschen zu werden, die man Sklaven und Juden nennt“43.
Ein Mensch zeichnet sich für Arndt keineswegs durch seine Individualität aus, sondern vielmehr durch den Grad, in dem er den Volksgeist ausdrückt. Ein aufrechter Deutscher ist eine Verkörperung des Deutschtums; und es wird ihm umso leichter fallen, sich zu einer solchen zuzurichten, je deutscher das Deutsch ist, das er spricht. Für Arndt ist ein Fremdwort nicht nur in einem deutschen Gedicht, sondern in jedem Text und prinzipiell ein „Schandfleck“, weil der Gebrauch französischer Wörter und Wendungen der Charakter des deutschen Volkes „verwälscht und verfälscht“44. Frei von Fremdem zu sein, ist aber nicht die einzige Bedingung, die eine Sprache erfüllen muss, um einen Volksgeist rein zum Ausdruck bringen zu können. Arndt sagt: „Wann das Zugesellige und Zuwissenschaftliche sich einer Sprache bemächtigt, verschwindet der feste Kern, die kühne Fülle und die unbewußte Tiefe […]“45.
In der „Sprache der Schulen und Wissenschaften“ werden die Wörter „vergeistigte, gespenstische und dünne Worte“, die, „weil ihnen die sinnliche und urgeborne Schwere ausgezogen ist, nur noch sehr wenig von unmittelbarem Leben und kräftiger Unschuld und unbewußter Einfalt haben“46. Arndts Sprachideal ist also bestimmt durch Attribute wie „fester Kern“, „kühne Fülle“, „unbewußte Tiefe“, „sinnliche und urgeborne Schwere“; es steht Leibniz’
42 43 44 45 46
Vgl. ebd., S. 24–25. Ebd., S. 25. Ders.: Geist der Zeit, Bd. IV, S. 335. Ebd., S. 415. Ebd., S. 416–417.
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Ideal von einer in höchstem Maße differenzierten Sprache geradezu feindlich gegenüber: „Soviel ist einmahl gewiß, daß die Wissenschaft und Philosophie ihrer Natur nach feine Schröterinnen und Beutlerinnen sind, welche die groben und schweren Körner der Sprache zermalmen und als feinste Sicht- und Beutelmehl auslaufen lassen. Wenn diese sich nun selbst die Gemeinschaft mit dem Volke abschneiden, welches, wann der alte Vorrat zermahlen und zerrieben ist, die groben und schweren Körner eben immer neu liefern muß, so muß die Sprache ja wohl endlich in eitel zermalmtes Grieß verwandelt werden“47.
Für Arndt verbessern die Wissenschaften eine Sprache also keineswegs, sondern „zermahlen und zerreiben“ die Wörter; und eine Sprache, die über die Begriffe verfügt, um die avanciertesten Erkenntnisse prägnant auszudrücken, ist für ihn „eitel zermalmtes Grieß“. Richtschnur von Leibniz’ Beschäftigung mit der natürlichen Sprache ist der Verstand48. Was die Vollkommenheit einer Sprache ausmacht, ist dementsprechend die durch die Fülle der Begriffe und ihre klare Abgrenzung voneinander geschaffene Differenziertheit des Wortschatzes. Da diese durch die Übernahme von Wörtern aus anderen Sprachen und Erfindung neuer Wörter gesteigert werden kann49, geht mit diesem Ideal eine Offenheit für Neues und Fremdes einher50. Richtschnur von Arndts Beschäftigung mit der natürlichen Sprache dagegen ist der Nationalcharakter. Der Maßstab, den er an die Sprachen anlegt, ist dementsprechend ihre Fähigkeit, den Volksgeist unverfälscht auszudrücken. Da keineswegs jede Sprache und jedes Wort in der Lage ist, jeden Volksgeist auszudrücken, geht mit diesem Ideal die Abschließung gegen Fremdes einher, und da rationelle Definitionen und wissenschaftliche Neologismen die althergebrachte, volkstümliche Bedeutung der Wörter verändern bzw. einer solchen überhaupt entbehren, auch die gegen eine rationale Arbeit am Wortschatz. Arndt hat auch eine metaphysische Begründung für seine Abneigung gegen die Vermischung der Sprachen, gegen Allerweltsmenschen, Sklaven und Juden. Er sagt: „Mannigfaltigkeit im Kleinen und Einzelnen, damit im Großen und Allgemeinen Einheit seyn könne, das ist das Weltgesetz der göttlichen Güte und Weisheit“51.
Da jede Vermischung die verschiedenen Sprachen einander annähert, mindere sie die gottgewollte Mannigfaltigkeit: Gott stiftete „die Verschiedenheit der Sprachen“, „damit verschiedene Völker seien, daß also jeder, der Sprachmischung macht, die Ordnung Gottes zu stören und seine mannigfaltige Welt zu verarmen
47 48 49 50
Ebd., S. 418. Vgl. Stukenbrock, S. 202–204. Vgl. von der Schulenburg, S. 24. Uwe Pörksen schreibt: „Sein Ideal ist das der Weltoffenheit und Weltläufigkeit“ (Pörksen, S. 195). 51 Arndt: Ueber Volkshaß und den Gebrauch einer fremden Sprache, S. 26.
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trachtet“52. Gott will, dass ein jedes Volk abgesondert von den andern wachse, um so seine Eigentümlichkeiten in schöner Reinheit ausprägen zu können. „Christus ist der rechte scharfe und strenge Scheidekünstler, der große Alchymist von Ewigkeit her, der mit dem unbarmherzigen Geist alle unreinen und eitlen und lügenhaften Zusammenmischungen sondert, damit er die gereinigten und wieder wahr und unschuldig gemachten Einzelnheiten mit desto seligerer Liebe umfassen könne“53.
Die Schlussfolgerung, die Arndt aus dem christlichen Liebesgebot zieht, lautet dementsprechend: „Darum laßt uns die Franzosen nur recht frisch hassen!“54
Das französische Volk ist für Arndt nicht schlechter als das deutsche; es hat vielmehr als ein ebenfalls von Gott gepflanztes Gewächs dieselbe Berechtigung, sich zu entfalten und zu gedeihen. Arndt propagiert den Franzosenhass nur, weil sie Gottes „mannigfaltige Welt zu verarmen“ trachten, indem sie die Deutschen hindern, ihr „Eigenes“ zur Entfaltung zu bringen. Arndts Wendung „Mannigfaltigkeit im Kleinen und Einzelnen, damit im Großen und Allgemeinen Einheit seyn könne“, mag an Leibniz erinnern. Auch wenn für diesen aber die Vielheit der monadischen Perspektiven die Vollkommenheit des Universums mehrt55, so zeugen die individuellen Eigenheiten, die Arndt kultiviert sehen möchte, für ihn weniger von Vollkommenheit als von Beschränktheit. Das Ideal, das er den individuellen Substanzen setzt, besteht im möglichst deutlichen Ausdruck des gesamten und einzigen Universums; der anzustrebende Zustand höchster Perfektion ist folglich für alle derselbe56. Während Gott nach Arndt möglichst „reine“ Völker heranziehen will und die Menschen sich entsprechend möglichst nationell aufführen sollen, zielt nach Leibniz Gottes Kalkül, aus dem das Werden und Vergehen in der Welt hervorgeht57, darauf, die wirkenden Kräfte so zu lenken und einzusetzen, dass sie die größtmögliche Wirksamkeit entfalten können. Die Vollkommenheit des Menschen
52 Ebd., S. 38–39; vgl.: „Die Eiche heißt ein Baum, die Erle, die Fichte, die Linde heißen so, auch der Hagedorn und die Rebe werden zur Familie gerechnet; thörigt aber würde der Waldhäger oder Gärtner seyn, welcher versuchte und arbeitete, aus allen diesen verschiedenen Arten Eine einzige Art zu machen, ja er würde verrucht seyn, weil er die anmuthige und schöne Mannigfaltigkeit Gottes aufheben und zerstören wollte. Eben so thörigt und verrucht wäre der Gedanke und die That des Mannes, welcher alle verschiedene Völker zusammenzwingen und ihnen Ein Gepräge aufdrücken wollte“ (ebd., S. 26). 53 Ders.: Geist der Zeit, Bd. IV, S. 320. 54 Ebd. 55 Vgl. etwa A VI, 4 B, 1537–1538; G. W. Leibniz: Monadologie. Französisch/Deutsch, übersetzt und hrsg. von H. Hecht, Stuttgart 1998, S. 40–43 (§§ 57–58). 56 Die Monaden „vont toutes confusement à l’infini, au tout; mais elles sont limitées et distingvées par les degrés des perceptiones distinctes“ (ebd., S. 40–43 [§ 60]). 57 „Cum Deus calculat et cogitationem exercet fit mundus“ (A VI, 4 A, 22); vgl. auch „Nicolaus Cusanus egregie: id est creare primae Menti, quod numerare est nostrae“ (Hannover GWLB LH XXXV 13, 2c Bl. 43).
Spiegel des Verstandes oder Spiegel des Volksgeistes
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besteht dementsprechend darin, das schöpfende Rechnen Gottes in dem kleinen, ihm überschaubaren Bereich nach- und mitzuvollziehen und so – immer im Verein mit Gott – möglichst wirkungsvoll, tätig und schöpferisch in die Welt einzugreifen58. Ein Instrument, das dies erleichtern sollte, ist die „characteristica universalis“: Mit ihr wollte Leibniz das gesamte menschliche Wissen in einfache Begriffe zerlegen und aus diesen wiederum alle bekannten Begriffe mittels Definitionen zusammensetzen sowie alle möglichen logischen Verknüpfungen in formalisierten Operatoren einfangen. So sollte es möglich werden, Streitfragen durch bloßes Rechnen zu lösen59. Wenn Leibniz sich von der Sachprosa mehr für die Verbesserung der Sprache erhofft als von der Poesie und in seinen wiederholten Aufrufen zum Sammeln von Wörtern und in seinen Wörterbuchplänen die wissenschaftlichen, technischen und juristischen Begriffe in den Vordergrund rückt60, wird deutlich, dass er dieses naturwissenschaftlich-technische, in einer rationalistisch-mechanistischen, letztlich auf Selbsterhaltung und Naturbeherrschung zielenden Metaphysik wurzelnde Ideal auch an die natürliche Sprache heranträgt. Auch sie ist für ihn vorrangig Instrument; ein Werkzeug, das desto effizienter funktioniert, je mehr und je besser definierte Wörter es umfasst. Leibniz begreift den Wortschatz gewissermaßen als ein Netz, mit dem sich die Wirklichkeit desto besser einfangen lässt, je dichter seine Maschen und je fester die Knoten sind. Leibniz’ Auffassung der Sprache beruht auf der Annahme, dass es zwischen Begriff und Seiendem keine Lücke gibt, sondern die Begriffe transparent auf die Gegenstände sind und die Gegenstände sich durch die Begriffe hindurch unverfälscht im Denken abbilden. Er bestimmt geradezu das Seiende als Begriff: „Aliquid“ ist für ihn äquivalent mit „terminus“61. Ohne diese Annahme müsste er, anstatt eine analytische Theorie der Wahrheit zu vertreten62 und etwa zu schreiben, durch Operieren mit den Wörtern als mit „Rechen-pfennigen“ ließe sich „zur Sache selbst“ gelangen63, der auf Objektivität zielenden Erkenntnis die Aufgabe stellen, die Differenz von Begriff und Sache zu reflektieren und insofern auch gegen die Sprache zu denken. Diese Differenz ist dem Romantiker Arndt in der Epoche Kants und Hegels freilich bewusst. Er weiß, dass die Begriffe keineswegs durchsichtig sind auf die
58 Vgl. S. Luckscheiter: Seele und Fürst bei Leibniz (= Hefte der Leibniz-Stiftungsprofessur 25), Hannover 2013, S. 130–133. 59 Vgl. A VI, 4 A, L–LXII. 60 Vgl. etwa A IV, 3, 810–811; A IV, 6, 549; Leibniz’ Vorschläge, die „Terminos technicos zu erhalten, womit die teutsche Sprache recht zu faßen“, in: Brather, S. 122–134; vgl. auch Pörksen, S. 195; von der Schulenburg, S. 246–247. 61 Vgl. A VI, 4 A, 930, 934, 938 und 939. 62 Vgl. etwa: „In omni veritate universali affirmativa praedicatum inest subjecto […] Itaque duo sunt prima principia omnium ratiocinationum; Principium nempe contradictionis, quod scilicet omnis propositio identica vera, et contradictoria ejus falsa est […]“ (A VI, 4 B, 1616, vgl. auch 1540). 63 Vgl. A IV, 6, 534.
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Stefan Luckscheiter
Gegenstände, sondern getrübt durch eine subjektive Beimischung, dass die Einteilung der Welt durch die Begriffe nicht einfach die Einteilung der Welt wiedergibt, sondern auch und zunächst die menschliche Anschauungsweise. Allerdings ist das für ihn kein Anlass, den subjektiven Anteil kritisch zu reflektieren und zu versuchen, die Objektivität der Erkenntnis durch das Bewusstsein von der Differenz zwischen Sache und Begriff zu retten. Indem er diesen subjektiven Anteil in Gestalt des Volksgeistes als Norm und ihn rein herauszuarbeiten als Ziel aller Arbeit an der Sprache setzt, erteilt er vielmehr aller Objektivität und aller Wahrheit eine Absage. An die Stelle der auf Selbsterhaltung zielenden Rationalität setzt er die Volkstümlichkeit, und an die Stelle der Beherrschung der Natur die Manipulation und Beherrschung durch das hypostasierte Volk bzw. durch diejenigen, die es vertreten.
SPRACHEN, DIE GESCHICHTE SCHREIBEN ZU LEIBNIZ’ SPRACHHISTORISCHEM FORSCHUNGSPROGRAMM UND DESSEN NACHWIRKUNG Von Toon Van Hal (Leuven)
„If Leibniz had found time to work out all the plans which his fertile and comprehensive genius conceived, or if he had been understood and supported by contemporary scholars, the science of language, as one of the inductive sciences, might have been established a century earlier. But a man like Leibniz, who was equally distinguished as a scholar, a theologian, a lawyer, an historian, and a mathematician, could only throw out hints as to how language ought to be studied“ (Friedrich Max Müller)1. „[Leibniz] wandte einen grossen Theil seiner Zeit, nicht der jugendlichen Zeit, sondern der reifsten männlichen Jahre auf Sprachuntersuchungen. Diß ist eben der Leibniz, der, wenn er auch etymologisirte, immer noch Leibniz blieb: an statt daß sein grosser Mittbuhler Newton, da er über die Offenbarung Johannis commentirte, aufhörte Newton zu seyn“ (Johann Christoph Gatterer)2.
1. EINLEITUNG UND METHODOLOGISCHE VORBEMERKUNGEN Im Grunde genommen setzt sich dieser Aufsatz nur mit einer einzigen Aussage von Leibniz auseinander, die meines Erachtens jedoch nicht ohne Gewicht ist. Es handelt sich um den Satz, der nicht nur Leibniz’ berühmten Brevis designatio meditationum de Originibus Gentium, ductis potissimum ex indicio linguarum [„Abriß meiner Studien zu den Ursprüngen der Völker, vornehmlich auf sprachlicher Grundlage“], sondern auch die von Leibniz gegründete Zeitschrift Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum eröffnete:
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Fr. M. Müller: Lectures on the science of language, delivered at the Royal institution of Great Britain in 1861 [and 1863], London 1861, S. 129. Joh. Chr. Gatterer: „Vorrede von der historischen Benutzung der Sprachen“, in: Fortsetzung der Algemeinen Welthistorie durch eine Geselschaft von Gelehrten in Teutschland und Engeland angefertiget, Halle 1770, S. 3–16, hier S. 4.
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Toon Van Hal „Da die fernen Ursprünge der Völker über [die Anfänge der] historischen Überlieferung hinaus zurückreichen, ersetzen uns die Sprachen alte [schriftliche] Denkmale [jener Zeiten]“3.
Laut Leibniz lässt sich also den Sprachen die Vorgeschichte entnehmen: Dementsprechend schreiben Sprachen Geschichte. Dieser Beitrag versucht aufzuzeigen, dass dieser Satz den Kerngedanken von Leibniz’ sprachhistorischem Forschungsprogramm beleuchtet. Neben einer kurzen Skizze über den Ursprung dieser Auffassung wird auch besondere Aufmerksamkeit auf die Nachwirkung dieses Programms gelenkt. In zahlreichen Veröffentlichungen wurde bereits betont, wie gewaltig die materiellen sowie intellektuellen Schwierigkeiten sind, die die Arbeiten des deutschen Universalgelehrten dem heutigen Forscher bereiten. Zum einen ist ja kein Mensch imstande, die schwindelerregende inhaltliche Breite seiner Arbeiten in der ganzen Fülle zu bewältigen, zum anderen hat die Tatsache, dass Leibniz zu seinen Lebzeiten nur einen winzigen Teil seiner Produktion zur Veröffentlichung freigegeben hat, dazu geführt, dass sich die Forscher der Leibniz-Editionsstellen oft mit unterschiedlichen Fassungen ein und derselben Arbeit konfrontiert sehen, oder auf einen großen Haufen kleiner Zettelchen und Notizen stoßen, deren ‚urheberrechtliches‘ Statut alles andere als einleuchtend ist. Manchmal handelt es sich hierbei um kopierte Notizen, deren ursprüngliche Quelle sogar völlig verloren gegangen ist. In Leibniz’ posthum erschienenen Arbeiten haben die Herausgeber mehrmals Entscheidungen getroffen, die wir heutzutage manchmal bedauern müssen. Die relativ spät zustande gekommene Erkenntnis, dass Leibniz ein erstrangiges Genie sei, hat öfters Anlass zu hagiographischen Formen von Geschichtsschreibung gegeben, in der Leibniz’ Originalität vielleicht zu viel Gewicht beigemessen wurde, manchmal auf Kosten seiner Vorgänger, Zeitgenossen und Korrespondenten. Leibniz wurde oft betrachtet als ein einsamer, riesiger Berg umgeben von nichtigen Hügeln, die weitere Aufmerksamkeit weder brauchten noch verdienten. Eine solche Art von ‚Höhenkammhistoriographie‘ lässt sich jedoch nicht rechtfertigen. Alle diese kurz geschilderten Probleme sind leider insbesondere zutreffend für Forscher, die sich für Leibniz’ sprachwissenschaftliche Gedanken interessieren4.
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„Cum remotae gentium origines historiam transcendant, linguae nobis praestant veterum monumentorum vicem“. Die Zeitschrift erschien das erste Mal in 1710, zehn Jahre nach der Gründung der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, deren Vorsitz Leibniz als Erster führte. Siehe G. W. Leibniz: Schriften und Briefe zur Geschichte, hrsg., übersetzt und annotiert von M.-L. Babin und G. van den Heuvel, Hannover 2004, S. 356. Die Übersetzung des Titels von Leibniz’ Aufsatz sowie des Eröffnungssatzes wurde aus dieser Ausgabe übernommen. Für rezente italienische, französische und portugiesische Übersetzungen siehe G. W. Leibniz: L’armonia delle lingue, hrsg. von St. Gensini, Rom/Bari 1995, S. 173–194; O. Pombo: „Brevíssima apresentação da Brevis Designatio de Leibniz“, in: Kairos. Journal of Philosophy & Science 5 (2012), S. 119–124; G. W. Leibniz: L’harmonie des langues, hrsg. von M. Crépon und übersetzt von J. Sudaka, Paris 2000, S. 171–193. Zu den methodologischen Schwierigkeiten, auf die der Leibniz-Forscher stößt, insbesondere bezüglich der Sprachen, siehe St. Gensini: Il naturale e il simbolico. Saggio su Leibniz, Rom
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Bevor wir uns näher mit Leibniz’ Ideen beschäftigen wollen, ist es sinnvoll, kurz bei den aktuellen Grundsätzen der ‚linguistischen Paläontologie‘ stehenzubleiben. Die Auffassung, dass Sprachen Geschichte schreiben können, ist heutzutage in der Sprach- und Geschichtswissenschaften ein geläufiges Prinzip. In der deutschen Übersetzung von Ferdinand de Saussures (1857–1913) posthum herausgegebenem Cours de linguistique générale (Erstedition 1916) findet man im vierten Kapitel („Die Sprache als Quelle für Anthropologie und Prähistorie“) des fünften Teiles („Fragen der retrospektiven Sprachwissenschaft“) unter dem dritten Absatz mit dem Titel „linguistische Paläontologie“ die folgende Beschreibung: „Wenn aber die Sprachgemeinschaft uns in den Stand setzt, eine soziale Gemeinschaft behaupten zu können, so ist weiter zu fragen, ob die Sprache uns auch Näheres über die Art der gemeinsamen Volkheit kennen lehrt. | Lange Zeit hat man geglaubt, daß die Sprachen eine unerschöpfliche Quelle von Zeugnissen seien über die Völker, die sie sprechen, und über deren Vorgeschichte. Adolphe Pictet [1799–1875], einer der Pioniere der Keltenbegeisterung, ist besonders durch sein Buch Les origines indo-européennes (1859–63) bekannt. Dieses Werk diente vielen andern als Vorbild; es ist das anziehendste von allen geblieben. Pictet will in den durch die indogermanischen Sprachen dargebotenen Zeugnissen die Grundzüge der ‚arischen‘ Kultur erkennen und glaubt, die verschiedensten Erscheinungen derselben fassen zu können: materielle Dinge (Geräte, Waffen, Haustiere), soziales Leben (ob es ein nomadisches oder ackerbauendes Volk war), Familienleben, Staatsform; er sucht die Urheimat der Arier zu bestimmen, die er nach Baktrien verlegt; er untersucht Flora und Fauna des von ihnen bewohnten Landes. Es ist der bedeutsamste Versuch in dieser Richtung; das damit eröffnete Wissensgebiet wurde linguistische Paläontologie genannt“5.
Veranschaulichen wir diese Prinzipien mit einem illustrativen Beispiel aus dem heutigen Stand der Indogermanistik. Das deutsche Wort Wolle (Gotisch wulla; Neuenglisch wool) ist nahe mit Litauisch vìlna, Russisch vólna, Hethitisch ḫulana-, Avestisch varənā, Sanskrit ū rṇā-, Griechisch lênos und Lateinisch lāna verwandt. Anhand dieser Entsprechungen lässt sich ein protoindogermanisches Wort für Wolle *(h2)ulh1-neh2- rekonstruieren6. Außerdem folgt aus dieser Rekonstruktion notwendigerweise, dass die damaligen Menschen, die diese protoindogermanische Sprache in prähistorischen Zeiten verwendeten, Schafe gezüchtet haben müssen. Auf diese Weise kann die Rekonstruktion des protoindogermanischen Wortschatzes erheblich zu einer (partiellen) Rekonstruktion der menschlichen Vorgeschichte beitragen. Seit Pictet hat die Indogermanistik selbstverständlich erhebliche Fort-
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1991; ders.: „Leibniz e le lingue storico-naturali“, in: Leibniz: L’armonia delle lingue, S. 3– 46; Leibniz: Schriften und Briefe zur Geschichte. Mehreres zur „Höhenkammhistoriographie“ bietet C. Neis: Anthropologie im Sprachdenken des 18. Jahrhunderts. Die Berliner Preisfrage nach dem Ursprung der Sprache (1771), Berlin/New York 2003. F. de Saussure u. a.: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 1967, S. 269– 270. *(h2)ulh1-neh2- ist die von Robert Beekes rekonstruierte Form (R. S. P. Beekes: Etymological dictionary of Greek [= Leiden Indo-European Etymological Dictionary, Series 10], Leiden/Boston 2010, sub verbo λῆνος). Siehe außerdem J. P. Mallory/D. Q Adams: The Oxford Introduction to Proto-Indo-European and the Proto-Indo-European World, Oxford 2006, S. 177.
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schritte gemacht: So schildert John E. Joseph, wie Adolphe Pictet das Sanskritwort für Tochter (*duhitar) noch als ein Nomen agentis, abgeleitet von der Wurzel duh- (‚melken‘), betrachtete. Die Annahme, dass die ‚Tochter‘ nach ihrer damaligen Hauptaufgabe, d. h. ‚Kühe melken‘, genannt wurde, wird heutzutage selbstverständlich verworfen7. Obwohl Pictet als Begründer der linguistischen Paläontologie gilt, sind ihre Basisprinzipien beträchtlich älter. Sollte Leibniz dann als Vater der linguistischpaläontologischen Methode gelten? Obwohl diese Meinung manchmal vertreten wird8, hat der Basisgedanke, dass Sprachen für die Vorgeschichtsforschung besonders aufschlussreich sein können, eine wesentlich längere Geschichte. Demnach ist es meines Erachtens wünschenswert, eine kurze Darstellung der ‚Vorgeschichte‘ der Methode einer ausführlicheren Analyse der von Leibniz entwickelten Ansicht voranzustellen9. 2. LEIBNIZ’ VORGÄNGER: EINE KURZE SKIZZE Es würde uns im Rahmen dieses Beitrages wohl zu weit führen, hier eine umständliche Übersicht zu bieten, in der sowohl der Ursprung als auch der Werdegang der linguistisch-paläontologischen Auffassung möglichst gut belegt und erläutert werden10. Ein Ansatz dieser Idee lässt sich wohl schon bei Augustin auffinden11.
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J. E. Joseph: Saussure, Oxford 2012, S. 149. Josephs rezente Saussure-Biographie setzt sich auch intensiv mit dem Verhältnis zwischen Pictet und Saussure auseinander. 8 D. Pezzi: Introduction à l’étude de la science du langage, Paris 1875, S. 48. 9 Wenn im Folgenden von der linguistisch-paläontologischen Methode die Rede ist, ist damit selbstverständlich die linguistische Paläontologie ante litteram gemeint. 10 In einem anderen Aufsatz möchte ich mich ausführlicher mit dem Ursprung und Werdegang dieser Annahme auseinandersetzen. Siehe auch J. P. Considine: Dictionaries in Early Modern Europe. Lexicography and the Making of Heritage, Cambridge, MA 2008, S. 129; G. Cotroneo: „A Renaissance source of the Scienza nuova: Jean Bodin’s Methodus“, in: G. Tagliacozzo/H. V. White (Hrsg.): Giambattista Vico: an international symposium, Baltimore, MD 1969, S. 51–59; L. Davillé: Leibniz historien. Essai sur l’activité et la méthode historiques de Leibniz, Paris 1909, S. 405; T. Deneire/T. Van Hal: Lipsius tegen Becanus. Over het Nederlands als oertaal. Editie, vertaling en interpretatie van zijn brief aan Hendrik Schotti (19 december 1598), Amersfoort 2006; T. Van Hal: „Moedertalen en taalmoeders“. Het vroegmoderne taalvergelijkende onderzoek in de Lage Landen, Brüssel 2010 (passim); A. Vine: In defiance of time. Antiquarian writing in early modern England, Oxford 2010. 11 „Illarum autem gentium vocabula partim manserunt, ita ut hodieque appareat unde fuerint derivata, sicut ex Assur Assyrii et ex Heber Hebraei; partim temporis vetustate mutata sunt, ita ut vix homines doctissimi antiquissimas historias perscrutantes, nec omnium, sed aliquarum ex istis origines gentium potuerint reperire“ (Augustin: De civitate Dei 16.11.3). In deutscher Übersetzung heißt es: „Die Namen dieser Völker haben sich zum Teil erhalten und liegen dann ihrer Ableitung nach heute noch zutage, wie der Name Assyrer von Assur, Hebräer von Heber; zum Teil haben sie sich durch die Länge der Zeit so verändert, daß selbst die gelehrtesten Leute bei ihren Forschungen in der ältesten Geschichte aus ihnen den Ursprung nur
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1566 veröffentlichte Jean Bodin (c. 1530–1596) die erste Fassung seiner Methodus ad facilem historiarum cognitionem, deren neuntes Kapitel dem Problem der Ursprünge der Völker gewidmet war. Daher bekommt die Beweiskraft der Sprachen in der Arbeit von Bodin einen wichtigen Stellenwert12. Ähnliche Aussagen lassen sich in den Veröffentlichungen von Johannes Goropius Becanus (1519–1573), George Buchanan (1506–1582), William Camden (1551–1623), Hugo Grotius (1583–1645), Ubbo Emmius (1547–1625), Adrianus Schrieckius (1560–1621), Philippus Cluverius (1580–1622), Marcus Zuerius Boxhornius (1612–1654), Robert Sheringham (1602–1678) und Joachim Pastorius (1611–1681) auffinden.13
mancher, bei weitem nicht aller Völker nachzuweisen vermochten.“ (Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat. Aus dem Lateinischen übers. von A. Schröder, Kempten/München 1911–1916). 12 Die Tatsache, dass Leibniz’ sprachwissenschaftliche, paläontologische Ideen auf Bodin zurückzuführen sind, wurde bereits von Friedrich Rühs beobachtet: „Schon Bodinus schlug vor, durch die Aehnlichkeit der Sprachen auf die Verwandtschaft der Volker zu schliessen; nur fehlte es ihm an erschöpfender Sprachkenntniss und an Vorarbeiten, um die Idee auszuführen. Mit grösserer Bestimmtheit und Ausführlichkeit ward sie durch Leibniz entwickelt“ (Fr. Rühs: Entwurf einer Propaedeutik des historischen Studiums, Berlin 1811, S. 25). 13 Joh. Goropius Becanus: Origines Antwerpianae, sive Cimmeriorum Becceselana novem libros complexa, Atuatica, Gigantomachia, Niloscopium, Cronia, Indoscythica, Saxsonica, Gotodanica, Amazonica, Venetica et Hyperborea, Antwerpen 1569, S. 831; G. Buchanan: Rerum Scoticarum historia, libris XX. descripta, qui regionum situs, quod soli caelique sit ingenium, quae vetusta gentis nomina, mores, leges, et instituta […], Frankfurt 1584, S. 56; G. Camdenus: Britannia, sive florentissimorum regnorum, Angliae, Scotiae, Hiberniae, et insularum adiacentium ex intima antiquitate chorographica descriptio […], London 1586; H. Grotius: Batavi, parallelon rerumpublicarum liber tertius: de moribus ingenioque populorum Atheniensium, Romanorum, Batavorum. Vergelijking der Gemeenebesten. Derde boek: over de zeden en den inborst der Athenienseren, Romeinen en Hollanderen, hrsg. von Joh. Meerman, Haarlem 1801 [verfasst um 1600], S. 59; U. Emmius: Rerum Frisicarum historia […] De origine atque antiquitatibus Frisiorum contra Suffridi Petri et Bernardi Furmerii Fabulas et criminationes perspicua et solida veritatis assertio, Leiden 1616; A. Schrieckius: Monitorum secundorum libri V quibus originum rerumque Celticarum et Belgicarum opus suum nuper editum, altius et auctius e fontibus Hebraicis, ipsaque rerum origine deducit, probat, firmatque. Ad Teutones, Belgas, Gallos, Italos, Iberos, Britannos, Danos, et Aquilonares. Admirandae Celtarum Antiquitatis et hactenus inauditae et inanimadversae observationis de vera et falsa origine monimentum, sive Europa rediviva, Ypern 1615 [dritter Index; Einleitung]; Ph. Cluverius: Germaniae antiquae libri tres. Opus post omnium curas elaboratissimum, tabulis geographicis, et imaginibus, priscum Germanorum cultum moresque referentibus, exornatum. Adiecta sunt Vindelicia et Noricum eiusdem auctoris, Leiden 1631 [Erstausgabe 1616], S. 58; M. Zuerius Boxhornius: Originum Gallicarum liber. In quo veteris et nobilissimae Gallorum gentis origines, antiquitates, mores, lingua et alia eruuntur et illustrantur. Cui accedit antiquae linguae Britannicae lexicon Britannico-Latinum, cum adiectis et insertis eiusdem authoris Adagiis Britannicis sapientiae veterum Druidum reliquiis et aliis antiquitatis Britannicae Gallicaeque nonnullis monumentis, Amsterdam 1654, S. 3–4; R. Sheringham: De Anglorum gentis origine disceptatio: Qua eorum migrationes, variae sedes, & ex parte res gestae, a confusione linguarum, & dispersione gentium, usque ad adventum eorum in Britanniam investigantur […], Cambridge 1670 [praefatio ad lectorem:
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Beschränken wir uns auf eine illustrative Aussage des westflämischen Gelehrten Olivarius Vredius (1596–1652): „Es gibt kein zuverlässigeres Argument für die Bestimmung des Ursprungs der Völker als die Sprache. Wenn die Sprache zwischen mehreren und räumlich getrennten Nationes eine und dieselbe ist, dann ist das auch ein zweifelloser Beweis dafür, dass die Nationes auch einen und denselben echten Ursprung haben“14.
Die Tatsache, dass eine solch große Anzahl Gelehrter diese wahrscheinlich von Bodin entwickelte Idee explizit begrüßt, beweist meines Erachtens, dass es sich um eine geläufige, ja sogar gemeinverständliche Hypothese handelt. Dass es nichtsdestotrotz mehr als einen leeren Gemeinplatz darstellt, wird dadurch gezeigt, dass auch nicht jeder Gelehrte mit dieser Idee einverstanden ist. Ein berühmtes und auch einflussreiches Beispiel bietet ein von dem niederländischen Professoren Justus Lipsius (1547–1606) verfasster Brief, in dem eine völlig entgegengesetzte Meinung vertreten wird: „Wer in einer sehr instabilen Sache, nämlich in der Sprache, Festigkeit sucht, der täuscht sich“15. Lipsius’ Meinung nach ändern sich die Sprachen vollkommen willkürlich, und daher sollte sich niemand für historische Rückschlüsse auf die Sprachen verlassen. 3. EINE HÄUFIG FORMULIERTE ANSICHT Die Möglichkeit, dass Leibniz seine Ideen zur linguistischen Paläontologie ab ovo entwickelte – in völliger Unabhängigkeit von den oben erwähnten Autoren –, ist fast auszuschließen. Sowohl aus seinem Briefwechsel als auch aus seinen Schriften lässt sich leicht ableiten, dass Leibniz alle diese Verfasser und die meisten betreffenden Arbeiten kannte und nannte. Das heißt aber deshalb noch nicht, dass Leibniz keineswegs über die genannten Autoren hinausgeht.
3]; J. Pastorius: De originibus Sarmaticis dissertatio philologica posthuma, Danzig 1685, S. 31. 14 Übersetzung des Autors; O. Vredius: Historiae comitum Flandriae libri prodromi duo. Quid comes? Quid Flandria?, II, Brügge 1650, S. 237: „Gentium originis nullum certius argumentum est lingua, quae si inter plures, quovis etiam locorum intervallo disiunctas nationes, una sit, eademque, unam quoque, ac eandem iis genuinam esse originem indubie convincit“. 15 J. Lipsius: Epistolarum selectarum centuria prima [-tertia] ad Belgas, Antwerpen 1602, S. 55: „Errat enim qui in re instabili maxime, id est lingua, quaerit firmitatem“. Zu diesem Brief siehe Deneire/Van Hal. Ähnliche Kritik wurde auch geübt in einer akademischen Dissertation von Andreas Bachmannus (praesens), Michael Ludovicus (respondens): Περὶ τ ῶν διαλέκτων. ∆ιάλεξις φιλολογικὴ sive de linguis, Leipzig 1625, S. LXIV; Joh. H. Horb/G. Wagner: De originibus Americanis dissertatio, Leipzig 1669, sig. B: „In rebus humanis confusiones orientur plurimae, plurimae in historiis nugae, si quancunque linguarum convenientiam cognationis dixeris indicium“; Joh. Petr. Ludovicus/L. Zernotte: Historia sine parente. De causis fabularum circa gentium origines, Magdeburg 1693, Kap. IX.
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Erstens springt ins Auge, dass Leibniz diese Idee nicht nur in den Miscellanea Berolinensia dargestellt hat. Die allmähliche Erschließung Leibniz’ unveröffentlichter Briefe, Arbeiten und Entwürfe, die dank der preziösen Herausgebertätigkeit der Mitarbeiter an den Leibniz-Forschungsstellen in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat, erlaubt dem heutigen Wissenschaftler, besser und präziser einzuschätzen, wie viel Gewicht Leibniz einer bestimmten Auffassung oder Annahme beigemessen haben könnte. Es liegt nämlich sehr nahe, dass eine nur einmal geäußerte Stellungnahme in Leibniz’ Gedankenwelt eine weniger zentrale Rolle spielt als eine ständig wiederholte und wiederaufgenommene Ansicht. Der folgenden chronologisch geordneten Liste, die keineswegs irgendwelchen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, lässt sich leicht entnehmen, dass Leibniz die Annahme, dass Sprachen Geschichte schreiben können, ab den achtziger Jahren durchaus betont hat16.
16 Wenn möglich, wurden die Zitate aus der Akademie-Ausgabe übernommen. Die Tatsache, dass ab 1704 erheblich weniger Aussagen aufgezeichnet sind, hat natürlich damit zu tun, dass die Leibniz-Korrespondenz nach diesem Jahr noch nicht veröffentlicht wurde. Für die späteren Jahre (1710–1716) stellt die Leibniz-Forschungsstelle Hannover allerdings vorläufige Transkriptionen elektronisch zur Verfügung. Ich bedanke mich recht herzlich bei M.-L. Babin und M. Kempe für die Nachprüfung dieser Ergebnisse sowie für die Erlaubnis, diese Ergebnisse in diesen Aufsatz aufnehmen zu dürfen. Zum besseren Verständnis der vierten Sektion (‚Nachwirkung‘) ist auch angedeutet, welche Zitate vor 1850 gedruckt wurden. Einige Zitate basieren auf Leibniz: Schriften und Briefe zur Geschichte. Für die Zitate aus Manuskripten (Nr. 9, 78, 79 [von M.-L. Babin korrigiert], 80) bin ich Davillé verpflichtet. Eine Auswahl dieser Aussagen wurde auch aufgenommen von H. Aarsleff: „Leibniz on Locke on Language“, in: G. W. Leibniz: Critical Assessments, London/New York 1994, S. 452–495, hier S. 493– 494; G. Bonfante: „Ideas on the Kinship of the European Languages from 1200 to 1800“, in: Cahiers d’Histoire Mondiale 1 (1953), S. 679–699, hier S. 692; L. Couturat: La logique de Leibniz: d’après des documents inédits, Hildesheim 1901; Davillé, S. 403–406 (bei weitem die längste Übersicht); K. D. Dutz: „Lingua Adamica nobis certe ignota est. Die Sprachursprungsdebatte und Gottfried Wilhelm Leibniz“ in: J. Gessinger/W. von Rahden (Hrsg.): Theorien vom Ursprung der Sprache, Bd. 1, Berlin 1988, S. 204–240; M. Favaretti Camposampiero: Filum cogitandi: Leibniz e la conoscenza simbolica, Milano 2007; Gensini: Il naturale e il simbolico; Leibniz: L’armonia delle lingue; A. Heinekamp: „Kochański als Leibniz-Korrespondent“, in: Organon 14 (1978), S. 73–106; H. H. Knecht: La logique chez Leibniz: essai sur le rationalisme baroque, Lausanne 1981; H. Poser: „Leibnizens Novissima Sinica und das europäische Interesse an China“, in: W. Li/Hans Poser (Hrsg.): Das Neueste über China. G. W. Leibnizens Novissima Sinica von 1697 (= Studia Leibnitiana, Supplementa 33), Stuttgart 2000, S. 11–28; Leibniz: L’harmonie des langues; G. Scheel: „Leibniz’ Pläne für das ‚Opus historicum‘ und ihre Ausführung“, in: Akten des Internationalen Leibniz-Kongresses Hannover, 14.–19. November 1966, Bd. 4: Theologie, Ethik, Pädagogik, Ästhetik, Geschichte, Politik, Rechtsphilosophie, Wiesbaden 1968, S. 134–155; J. T. Waterman: „The Languages of the World. A classification by Gottfried Wilhelm Leibniz“, in: E. Hofacker/L. Dieckmann (Hrsg.): Studies in Germanic Languages and Literatures in Memory of Fred O. Nolte, St. Louis 1963, S. 27–34; K. Wessel: „Leibniz und das Finnisch-Ugrische in seinem Briefwechsel (Teil I)“, in: Ural-Altaische Jahrbücher 18 (2003), S. 67–102; J. M. Zulaika Hernández: „Leibniz y la lengua vasca“, in: Fontes Linguae Vasconum 112 (2010), S. 105–163.
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Toon Van Hal 1. 1686: „[J]e tiens que de tout ce qui est non-écrit les langues mêmes sont les meilleurs et les plus grands restes significatifs de l’ancien monde, dont on pourroit tirer des lumieres pour les origines des peuples et souvent por celles des choses“ (Nouvelles Ouvertures)17; 2. 19(?).12.1687: „[…] harmoniam scilicet linguarum plerarumque et in plerisque; unde et origines populorum mirifice illustrarentur, ut alia multa taceam latentia in his arcana, quae una demum collatio detegeret. Erunt suo tempore, qui rem provehent longius, et dialectos quoque populorum viventium in scripta redigent, quae res necessaria erit perficiendae linguarum harmoniae. […] Quis dubitat his excussis veterum quoque linguarum caliginem et nominum propriorum significationes aliqua luce collustrari posse. […] Certè in linguae Theotiscae profundiore cognitione magna latet pars historiae et velut basis antiquitatum“ (Brief an Hiob Ludolf; A I, 5 N. 10, 28–33 [31–32]). Erstdruck: 1755/1768; 3. 26.03.1691: „Ich glaube gänzlich daß die Harmoni der Sprachen das beste mittel von ursprung der völcker zu urtheilen, und fast das einige so uns übrig blieben, wo die Historien fehlen“ (Brief an Huldreich von Eyben; A I, 6 N. 246, 446–443 [442]); 4. 31.05.1691: „Et cum omnes linguas per Europam Asiamque à Britannico Oceano usque ad Indum fluvium (quantum constat) ex uno fonte manasse appareat, operae pretium foret nancisci nos posse paucula aliqua, (velut, Orationem dominicam), conscripta in linguis plerorumque populorum Indiae orientalis et vicinae Scythiae; ut videamus quousque idem judicium porrigatur. Nam inter linguas dissitas saepe non apparet connexio, nisi transeatur per vicinas. Nec inutile foret accedere delineata Alphabeta eorum scilicet populorum qui habent. Ex linguis autem tutissime de primis gentium originibus judicamus. Fortasse et alicubi extant antiquae inscriptiones, manuscripta, carmina, nummi, unde lumen vetustati“ (Brief an Claudio Filippo Grimaldi; A I, 6 N. 302, 519–521 [520]); 5. 06.1691: „Je trouve que de tous les moyens de juger de l’origine ou connexion des peuples, celui des langues est le plus seur“ (Brief an Chilian Schrader; A I, 6 N. 305, 523–524 [524]); 6. 10.1691: „Si on pouvoit avoir des histoires bien anciennes et originales de ces pays de l’extremité de l’Asie cela seroit important. Comme aussi si on pouvoit connoistre quelque chose des langues de toutes les Indes orientales. Car c’est par là, qu’on peut le mieux deviner les origines des peuples“ (Brief an Simon de la Loubère; A I, 7 N. 203, 398–402 [399]); 7. 26.11.1691: „Optem videre indicatas in Menstruis colloquiis Germanicis Ed. Bernardi Angli doctissimi viri meditationes circa linguarum Europaearum origines. Utinam in id negotium studiosius incumberent viri docti, neque enim aliunde melius antiquissimae populorum origines erui possunt“ (Brief an Hiob Ludolf; A I, 7 N. 247, 454–456 [455]). Erstdruck: 1839; 8. 12.1691: [zur Sammlung der Vaterunser] „Haec cognitio magnam afferret lucem Originibus populorum“ (Brief an Adam Adamandus Kochanski; A I, 7 N. 267, 484–488 [488]);
17 Schriften und Briefe zur Geschichte, S. 63.
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9. 1691?: „Super omnium monumentorum aetatem linguae assurgunt, neque aliquid efficacius nobis relictum est abditis populorum originibus reperiendis“ (Hannover GWLB Ms XXIII 23a, n14); 10. 03.01.1692: „Valde vellem eruditos diligentiorem Criticen in linguarum origines et harmonias exercere, nam multam inde lucem acciperent origines populorum“ (Brief an Wilhelm Ernst Tentzel; A I, 7 N. 288, 522–523 [522–523]); 11. 04.02.1692: „Je souhaitterois que nous eussions des pater nostres des autres langues Indiennes. Cela serviroit beaucoup pour connoistre les origines des peuples“ (Brief an Simon de la Loubère; A I, 7 N. 312, 553–555 [553–554]); 12. 11.03.1692: „[…] et de populorum varietate et originibus judicemus; cum enim lingua sit omnium monumentorum vetustissimum et abundantissimum, longeque literarum usum transcendat; hinc maxime de cognatione gentium et migrationibus statui posse arbitror […]“ (Brief an Adam Adamandus Kochański; A I, 7 N. 347, 612–616 [614]); 13. 16.03.1692: „Ex linguarum connexionibus illustrari origines connexionesque populorum indubitata res est, imo eam unicam superesse arbitror viam in abdita antiquitate“ (Brief an Wilhelm Ernst Tentzel; A I, 7 N. 352, 627–631 [629]); 14. 21.03.1692: „Prae caeteris autem magni momenti esse judico, populorum situs et linguas exactius nosse, ut genera eorum et origines melius discerni possint“ (Brief an Claudio Filippo Grimaldi; A I, 7 N. 348, 617–622 [620]); 15. 05.1692: „Si nous connoissons par ce moyen des langues et des oraisons Dominicales les Peuples de la Scythie interieure nous pourrions mieux juger des origines des nations [,] car une bonne partie de celles de l’Europe est sortie de ces pays compris entre l’Ocean Septentrional, la mer noire et Caspienne“ (Brief an Henri Justel; A I, 8 N. 162, 275–279 [277]); 16. 29.05.1692: „Romae praeterea habetis Collegium Propagandae fidei, ubi linguarum exoticarum non mediocris habetur ratio. […] Itaque optarim eam curam Missionariis toto orbe ex Roma velut arce primae sedis commendari, ut tandem omnis Lingua Dominum Laudet, quod non minus ad pietatem augendam quam Geographiam illustrandam proderit“ (Brief an Tomasso Fantoni; A I, 8 N. 156, 261–264 [263]); 17. 31[?].05.1692: „Je n’ay pas grande connoissance des langues, et je n’y ay fait des reflexions que parcequ’elles servent à l’eclaircir l’origine des nations“ (Brief an Melchisedech Thévenot; A I, 8 N. 168, 285–287 [286]); 18. 02.06.1692: „[J]’ay peu ou plus tost point de connoissance des langues au de là de ce qui m’est necessaire, mais j’ay seulement fait quelques reflexions sur leur harmonie pour raisonner sur l’origine des peuples“ (Brief an Simon de la Loubère; A I, 8 N. 171, 291– 297 [295]). Erstdruck: 1768; 19. 20.07.1692: „On pourroit eclaircir toutes ces choses touchant les Origines des peuples, si on connoissoit bien les nations de la Scythie depuis la Pologne jusques à la Chine, et pour cet effet, j’ay proposé, qu’on tachat d’obtenir le Pater noster, dans les langues de toutes ces Nations“ (Brief an Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels; A I, 8 N. 93, 138–142 [139]). Erstdruck: 1847;
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Toon Van Hal 20. 25.07.1692: „Mihi semper visum est de abditis populorum Originibus non melius quam ex Linguis posse judicari“ (Brief an Joh. Ulrich Pregitzer; A I, 8 N. 214, 362–364 [363]); 21. 30.11.1692: „Il seroit fort à souhaitter qu’on put avoir par le moyen des consuls ou Agens de Suede, des echantillons des langues des peuples sujets aux Moscovites. L’oraison dominicale y suffiroit, avec une version interlineaire. Il faudroit marquer en même temps le nom et situation du peuple. Cela serviroit à mieux connoistre la Scythie, qui a esté gentium vagina“ (Brief an Gustav Daniel Schmidt; A I, 8 N. 350, 571–573 [572]); 22. 11.1692: „Sed multae supersunt linguae in interiore Scythia, in Africae receptibus, in vastis Indiae oris, ut nihil dicam de America, quibus vestiri velim divinam illam a Christo praescriptam orationem, tum ut omnis lingua Dominum laudet, tum vero etiam, ut inde de populorum cognationibus judicemus, quae non melius quam ex linguis noscuntur“ (Brief an Giov. Giusto Ciampini; A I, 8 N. 344, 562–565 [564]); 23. 21.12.1692: „Hanc enim jam multis linguis vestitam habemus at vellem fieri idem et in abditis illis Scythicis, tum, ut agnosceretur harmonia linguarum et origo gentium tum, ut omnis lingua Dominum laudet“ (Brief an Franz Menegatti; A I, 8 N. 370, 592–594 [593]). Erstdruck: 1872; 24. [zweite Hälfte] 1692: „Le principal usage qu’on tireroit de cette comparaison des oraisons Dominicales et (par leur moyen) des langues seroit de reconnoistre les connexions des Nations et leur origines“ (Brief, Addressat unbekannt; A I, 8 N. 374, 596–597 [597]); 25. 1692?: „Mais outre l’Histoire de la Nature corporelle il est encor important de connoistre l’Histoire humaine, et les arts et sciences qui en dependent. Elle comprend l’Histoire Universelle des temps, la Geographie des lieux, la recherche des antiquités et des anciens monumens, comme medailles, inscriptions, Manuscrits etc.[;] la connoissance des langues et ce qu’on appelle la philologie, qui enferme encor les origines Etymologiques; j’adjoute […]“ (Memoire pour des Personnes éclairées et de bonne intention) 18. Erstdruck: 1854; 26. 07.03.1693: „Nihil puto aptius ad noscendas gentium cognationes, ultra Historiarum memoriam reconditas, quam vestigia originationum, quae supersunt in linguis“ (Brief an Edward Bernard; A I, 9 N. 198, 329–331 [330]); 27. 12.07.1693: „Si on pouvoit avoir cela dans plusieurs de ces langues, ou du moins le Pater noster, mais avec une version interlineaire dans une langue connue, cela eclairciroit fort la connoissance des peuples“ (Brief an Gustav Daniel Schmidt; A I, 9 N. 341, 516–519 [517]); 28. 01.12.1693: „Nulla habemus antiquiora monumenta abditae vetustatis, quam ipsa vocabula jam pene fugientia, quae plebs utcunque adhuc servat“ (Brief an Gerhard Meier; A I, 9 N. 424, 632–635 [633]); 29. 26.12.1693: „Nam linguae sunt antiquissima generis humani monumenta quae omnia alia transcendunt, et nihil aptius est ad noscendas origines et connexiones populorum. Ego
18 Ebd., S. 67–68.
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vero desideraverim orationem dominicam (vel, ut vulgo loquuntur, Pater noster) in linguis illis, charactere nobis noto expressam, cum versione interlineari; cui si accederet indiculus aliquot vocabulorum maxime usualium, sufficiens huic instituto de lingua gentis notitia haberetur“ (Brief an Daniel Papebroch; A I, 10 N. 103, 179–181 [180]); 30. 27.12.1693: „[N]am ex linguis agnosci tum originem tum et cognationem populorum. Quodsi linguarum specimina aut servassent nobis veteres aut nostri peregrinatores diligentius annotassent, multa nunc agnosceremus, quae tenebris involvuntur. Sunt enim linguae antiquissima generis humani monumenta, nummis, saxis, libris ipsis omnibus anteriora, traditione quadam conservata“ (Brief an Giovanni Battista Tolomei; A II, 2 N. 250, 765–769 [766]); 31. 12.1693: „[…] de sorte que pour rechercher les origines des peuples, il est important, de connoistre les Scythes les plus enfoncés. Or le meilleur moyen d’y parvenir c’est d’en discerner les langues, qui font le mieux connoistre la cognation des Nations“ (Brief an Carlo Mauritio Vota; A I, 10 N. 98, 173–175 [173]); 32. 06.01.1694: „Le vray moyen de juger des connexions des peuples se doit prendre des langues. C’est pourquoy je vous fais souvenir, Monsieur, de favoriser mon dessein à l’egard de la Moscovie, à fin que nous puissions obtenir, s’il est possible, des echantillons des langues sous les Czars“ (Brief an Gustav Daniel Schmidt; A I, 10 N. 123, 209–212 [210]); 33. 06.01.1694: „J’ay plusieurs remarques pour éclaircir l’origine des peuples par le rapport des langues“ (Brief an Heinrich Avemann; A I, 10 N. 122, 207–209 [208]); 34. 26.01.1694: „Pour ce qui est de l’Origine et Harmonie de quelques langues, j’y avois pensé de temps en temps, lors que je m’estois apperçû que les Langues sont les plus anciens monumens du genre humain, et qui servent le mieux à connoistre l’origine des peuples“ (Brief an Jean-Paul Bignon; A I, 10 N. 142, 243–246 [244]); 35. 06.08.1694: „Optarim etiam in Harmoniam Linguarum porro cogitationes conferas, nihil enim magis illustrat origines populorum“ (Brief an Hiob Ludolf; A I, 10 N. 341, 501–503 [503]). Erstdruck: 1755; 36. 09.08.1694: „Est enim Lingua antiquissimum cujusque gentis monumentum, longeque omnem Historiam transcendit, migrationesque et cognationes populorum indicat“ (Brief an Johann Georg Graevius; A I, 10 N. 344, 507–511 [509]); 37. 09.08.1694: „S’il y avoit moyen d’obtenir par vos Messieurs à Moscou des essais des langues Scythiques qui sont sous la domination des Moscovites ou qui les touchent, comme seroient des traductions de l’oraison dominicale ou Pater noster dans ces langues, avec la version interlineaire dans une langue plus connue, je vous en aurois une obligation particuliere, car cela me serviroit fort pour quelques meditations que j’ay sur les origines des nations […]“ (Brief an Nicolaas Witsen; A I, 10 N. 345, 511–512 [512]); 38. 01.1695: „Cum nihil majorem ad antiquas populorum origines indagandas lucem praebeat, quam collatio linguarum, saepe miratus sum Geographos et peregrinatores de linguis scribere neglegentius, nec specimina earum nisi raro exhibere“ (Brief an Bodo von Oberg; A I, 11 N. 125, 170–176 [170]). Erstdruck: 1718;
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Toon Van Hal 39. 20.01.1695: „Comme les origines des peuples recoivent beaucoup d’éclaircissement de la consideration des langues, et qu’il est constant qu’une bonne partie des nations de l’Europe vient de l’inondation des peuples Scythiques, j’avois souhaité de pouvoir obtenir des essais des langues des peuples de l’Empire de Moscovie et des frontieres éloignées qui ne parlent pas Slavon, ny rien d’approchant“ (Brief an Johann Jacob Julius Chuno (1661–1715); A I, 11 N. 149, 209–211 [211]). Erstdruck: 1751; 40. 27.05.1695: „[…] en luy envoyant un petit memoire touchant les Langues. Je trouve que rien ne sert d’avantage à juger des connexions des peuples“ (Brief an Antoine Verjus; A I, 11 N. 334, 490–492 [491]). Erstdruck: 1718; 41. 18.07.1695: „Et du moins le point des langues, qui sert uniquement à discerner les nations, n’est pas encor eclairci“ (Brief an Johann Reyer; A I, 11 N. 408, 591–593 [592]). Erstdruck: 1768; 42. 10.10.1695: „Cum inter alios usus cognitionis linguarum, ille non sit infimus, ut judicari possit de populorum originibus et migrationibus; inprimis nosse velim, quid ea de re statuas“ (Brief an Andreas Acoluthus; A I, 11 N. 493, 723–728 [726]). Erstdruck: 1717; 43. 06.12.1695: „Je suis d’opinion que les langues servent le mieux à connoitre la connexion des nations“ (Brief an Johan Gabriel Sparwenfeld; A I, 12 N. 155, 212–221 [216]). Erstdruck: 1754; 44. 19.05.1696: „Nam ex linguis maxime gentium cognationes discuntur. Et in chartis ut Imperiorum ita et lingua[ru]m fines notari deberent“ (Brief an Vincent Placcius; A II, [3] N. [61]. Erstdruck: 1761; 45. 06.1696: „Tecum sentio, perfectam linguarum harmoniam non sperandam, collationem tamen aliquam institui utile est. Videmus multa Graecis, Latinis, Germanis, addo & Hebraeis & Scythis esse communia, quod casu factum non est. Utilis ea inquisitio est ad origines gentium illustrandas“ (Brief an Hermann von der Hardt; A I, 12 N. 411, 636–637 [636–637]). Erstdruck: 1716; 46. 02.06.1696: „Je n’ai garde d’esperer, que je puisse tirer quelque chose de conséquence de la collation des langues. Cependant j’ose promettre, qu’on en tirera un jour des conséquences considérables pour les origines des peuples; ainsi je serois bien aise d’encourager les gens à marquer les étendues et rapports des langues, et comme dans les cartes de Géographie on marque les limites des Empires, il seroit bon aussi de marquer celles des langues, qui sont souvent différentes de celles des Empires ou Etats, et font connoitre proprement les bornes des nations“ (Brief an Johann Jacob Julius Chuno; A I, 12 N. 407, 630–633 [632]). Erstdruck: 1747; 47. 29.01.1697: „C’est un grand defaut, que ceux qui font des descriptions de pays, et qui donnent des relations de voyages oublient d’y adjouster des essais des langues des peuples, car cela serviroit pour en connoistre les origines“ (Brief an Christoph Joachim Nicolai von Greiffencrantz; A I, 13 N. 316, 505–510 [510]). Erstdruck: 1717; 48. 29.01.1697: „[…] peut estre qu’il y a encor du rapport pour les langues, et les origines des peuples“ (Brief an Joh. Gabriel Sparwenfeld; A I 13 N. 329, 538–546 [544]). Erstdruck: 1718;
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49. 25.07.1697: „[…] les differentes races des nations ne se pouvant mieux discerner que par les langues et leur harmonie ou cognation“ (Brief an Francesco Palmieri; A I, 14 N. 224, 366–368 [367]); 50. 03.08.1697: „Quand on connoistra les langues de ces quartier eloignés on pourra mieux juger des endroits dont ces peuples sont venus“ (Brief an Pierre Lefort; A I, 14 N. 235, 384–388 [387]); 51. 04[?].08.1697: „Et puisque aussi les origines des nations ne paroissent mieux que par les langues, […]“ (Brief an François Lefort, A I, 14 N. 235, 368–369 [369]); 52. 27.08.1697: „[…] et serviroit à éclaircir les origines et cognations des nations“ (Brief an Nicolaas Witsen; A I, 14 N. 272, 464–464 [464]); 53. 08.1697: „[Desiderata circa Linguas quae sub Imperio Moschio et in vicinis regionibus usurpantur]: Cum autem nihil melius nationum origines, cognationes et limites indicet quam consensus linguarum; utile erit specimina earum per illos tractus haberi. Ita enim orbis noster melius cognoscetur“ (Brief an Pierre Lefort; A I, 14 N. 236, 389–391 [389]); 54. 05.10.1697: „Ainsi ces recherches feroient connoistre les origines de plusieurs peuples“ (Brief an Pierre Lefort; A I, 14 N. 338, 577–578 [578]); 55. 05.10.1697: „[…] ita enim melius populorum cognationes et origines noscerentur“ (Brief an Johann Andreas Schmidt; A I, 14 N. 399, 578–580 [579]). Erstdruck: 1788; 56. 02.12.1697: „La collation des langues est la chose du monde qui peut donner le plus de lumieres touchant les origines et migrations des peuples.“ (Brief an Joachim Bouvet S.J.; A I, 14 N. 470, 826–835 [828]). Erstdruck: 1718?; 57. 1697: „Et cum Germanos, Teutones, Suevos, Gothos, Vandalos, Suedones vel Suiones, Saxones, Francos, Alemannos, Anglos, Danos, Normannos etc. ejusdem generis esse populos ipsius indicio linguae constet, quo nullum est certius cognationis gentium argumentum, recte hos omnes esse dicimus Germanicae vel Teutonicae originis populos, antiquissimorum autorum secuti exemplum, Taciti inprimis, qui quicquid hujus est linguae Germanicum vocat“ (Brevis Disquisitio, utros incolarum Germaniae citerioris aut Scandicae ex alteris initio profectos verisimilius sit judicandum) 19. Erstdruck: 1714; 58. 1697: „Si je pouvois en avoir le Pater noster in forma, pour le comparer avec ceux qu’on a d’autres langues, je me contenterois d’apprendre les principaux mots qui y entrent comme […] Cela serviroit à mieux connoitre les origines, et les migrations de ces peuples, qui ont remplis l’Asie et l’Europe de leurs colonies“ (Brief an Ezechiel Spanheim; A I, 13 N. 368, 615–618 [ 617]); 59. 1697: „[…] cela serviroit fort à juger des cognations et origines des peuples“ (Brief an Lorenz Hertel; A I, 14 N. 39, 74–76 [76]). Erstdruck: 1746;
19 Ebd., S. 588.
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Toon Van Hal 60. 05.04.1698: „Ich bin gänzlich der Meynung daß vom ursprung der Volcker nicht anders als auß den Sprachen zu urtheilen; Daher ich gern Specimina haben möchte der sprachen aus der Tartarey oder Scythien […]“ (Brief an Georg Caspar Kirchmayer; A I, 15 N. 312, 479–482 [490]); 61. 02.01.1699: „Mon opinion a tousjours esté, que c’est par les langues qu’il faut connoistre les connexions des peuples“ (Brief an Claude Nicaise; , 8272). Erstdruck: 1836; 62. 26.06.1699: „Les langues sont le vray moyen pour juger de l’origine des peuples“ (Brief an Claude Nicaise; , 8320). Erstdruck: 1836; 63. 07.11.1699: „Nosse valde velim an praeterea aliquis vir doctus collegerit Aegyptiacas voces, quae apud veteres extant, et magis adhuc an Scythicas, nam hae fortasse Germanicas origines illustrarent“ (Brief an Johann Georg Graevius; A I, 17 N. 380, 635– 639 [638]); 64. 26[?].02.1701: „Je trouve encor un grand defaut dans la Geographie[,] c’est qu’on ne marque gueres la langue des peuples, et cependant c’est le vray moyen de juger de leur cognation“ (Brief an Jean-Paul Bignon; A I, 19 N. 229, 460–464 [462]); 65. 26[?].02.1701: „Outre que la connexion des langues au defaut de l’histoire nous fait entrer dans l’antiquité reculée des migrations, elle sert à la religion; car plus on y avance, plus on reconnoist, que tous les hommes viennent d’un meme tige, et que les nations ne sont point aborigines, comme les philosophes payens l’avoient crû“ (Brief an Jean-Paul Bignon; A I, 19 N. 229, 460–464 [462–463]); 66. 22.05.1702: „Die Philologi handelt von Worthen, und stecket darinn Grammatik, Rhetorick und Poëterey; die Grammatick erclaret die Sprachen in sonderwelches an sich selbst eine weitlaufftige doch zu Bibliotheken nothige Sach, daß man Grammatiken, Dictionarien, Bibeln etc. in vielen Sprachen habe, umb im Nothfall darauß die erclarungen zu finden, und sich der Bücher anstatt eines lebenden Dolmetschen zu bedienen[,] zu geschweigen daß auß der Harmoni der Sprachen die Ursprünge und Verwandniße der Volcker am besten zu erkennen“ (Promemoria für eine bessere Ausstattung der kurfürstlichen Bibliothek [Brief an Kurfürst Georg Ludwig]; A I, 21 N. 10, 13–19 [16–17]); 67. 17.06.1703: „Gratum est, quod linguam Polonicam consideras attentius, id dudum optabam fieri ab aliquo nostratium, inde enim multae rerum nostrarum origines poterunt illustrari“ (Brief an Johann Georg Eckhart; A I, 22 N. 50, 59–61 [60]); 68. 05.11.1703: „Entre autres curiosités que j’ay celle de la Geographie n’est pas des moindres. Et je trouve ce defaut dans les descriptions des pays eloignés, qu’on ne marque pas les langues des peuples. Ce qui fait qu’on n’en connoist point la cognation ny les origines. Or comme presque toute la Scythie est maintenant ouverte par l’Empire des Russes qui va jusqu’aux frontieres des Tartares de la Chine, je souhaiterois qu’on marquat les langues des nations tant celles qui sont sousmises à l’Empire du Tzar, que celles qui luy sont voisines ou qui ont commerce avec ses sujets. […] elle contribueroit en même temps à Sa gloire, et à l’utilité publique en augmentant la connoissance que nous avons des peuples“ (Brief an Heinrich van Huyssen; A I, 22 N. 383, 653–654 [653]);
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69. 1703–1704: „Et quand il n’y auroit plus de livre ancien à examiner, les langues tiendront lieu de livres et ce sont les plus anciens monumens du Genre humain“ (Nouveaux Essais; A VI, 6, 336). Erstdruck: 1765; 70. 1703–1704: „[…] et les langues en general estant les plus anciens monumens des peuples, avant l’ecriture et les arts, en marquent le mieux l’origine, cognations et migrations“ (Nouveaux Essais; A VI, 6, 285). Erstdruck: 1765; 71. 30.01.1704: „[…] so will anitzo nur noch von einer untersuchung meldung thun, welche so fort vorgenommen werden könte, und zu glori des Czars, ja selbst zur Ehre Gottes und ausbreitung des Christenthumbs unter den barbarischen Völckern gereichen, bey der gelehrten Welt aber zu verbeßerung der Histori und Geographi ein großes beytragen würde, die ursprünge und migrationes der Völcker zu erläutern. Nemlich es könte nicht nur in der Residentz Moscau, sondern auch in andern Haupt- und Gräntzstäten, als zu Archangel gegen die Samojeden zu, zu Tobolsko gegen Siberien, zu Casan gegen die Calmucken, zu Astracan gegen Persien und Turkestan, zu Nipschou gegen die Mogalski und Tschinesen, zu Asof gegen Türkey etc. vermittelst der Dolmetschen und Handelsleute Specimina von allen denen sprachen zusammen bracht werden, welche so wohl in dem weiten reiche dieses Monarchen, als auch in den angrentzenden Landen geredet werden. […] Man hat auch gefunden, daß die Ungarn und Finnen einander verwand sein müßen, weil ihre Sprachen viel verwandtschaft haben, […]“ (Brief an Johann Reinhold von Patkul; A I, 23 N. 49, 71–74 [73–74]). Erstdruck: 1886; 72. 1710: „Cum remotae gentium origines historiam transcendant, linguae nobis praestant veterum monumentorum vicem“ (Brevis designatio meditationum de Originibus Gentium, ductis potissimum ex indicio linguarum)20; 73. 07.07.1711: „[…] de remotissimis gentium originibus aliquod judicium fieri potest ex linguarum harmonia, de quo in Miscellaneis Berolinensibus dixi.“ (Brief an Friedrich Wilhelm Bierling; durchgesehene Transkription, Akademie-Ausgabe Leibniz-Edition, Leibniz-Archiv / Leibniz-Forschungsstelle Hannover [Änderungen bis zur endgültigen Edition möglich]). Erstdruck: 1768; 74. 22.11.1712: „Audeo etiam Tibi, Vir summe, aliud aperire desiderium meum, quod ad noscendas populorum origines, sed magis etiam ad propagationem verae fidei per gentes et exaltationem gloriae divinae pertinet eoque magis Tibi gratum fore sperari potest. Constat in magno vestro imperio et longissimis ejus confiniis multas usurpari linguas a Slavonica toto genere diversas. Earum omnium specimina haberi operae pretium erit et cujusque nationis sedem per flumina aut alios limites indicari. Primum enim nationum origines ac migrationes non aliunde magis quam ex linguis cognoscuntur […]“ (Brief an Stephan Jaworsky; http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/Transkriptionen1712.pdf); 75. 29.11.1712: „Consului etiam ut Decalogum, orationem dominicam et symbolum Apostolicum in omnes sui Imperii et vicinarum regionum linguas transferri curet. Ita simul gradus fiet ad conversionem cultumque Barbarorum, et nos ex linguarum speciminibus de originibus
20 Ebd., S. 357.
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Toon Van Hal cognationibusque gentium judicabimus“ (Brief an Gisbert Cuper; http://www.gwlb.de/ Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/Transkriptionen1712.pdf). Erstdruck: 1848; 76. 13.01.1714: „Majoris molis, sed majoris etiam fructus futurum erat, quod Georgius Hornius moliebatur. Cogitabat ille scilicet primum caput Geneseos Polyglottum nobis dare, quae specimina linguarum ampliora et ditiora haud dubie (cum in Oratione Dominica non nisi pauca vocabula habeantur) magis profutura essent ad naturum, indolem, originesque linguarum noscendas et posteritati commendandas“ (Brief an Chamberlayne; http:// www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/Transkriptionen1714.pdf). Erstdruck: 1715; 77. 22.06.1715: „J’ay souvent souhaité que quelcun voulut ramasser les mots radicaux de plusieurs langues. Cela serviroit à les mieux conferer, et à mieux juger des origines et migrations des peuples“ (Brief an Jean Paul Bignon; http://www.gwlb.de/Leibniz/ Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/Transkriptionen1715.pdf). Erstdruck: 1805; 78. s.d.: „Antiquarum humanarum notitia a tribus fontibus duci potest, una a scripturarum, altera a rerum monumentis, tertia a linguis. Nam praeter linguas ipsas traditionibus in longinqua fides nulla est. Rerum monumenta sunt reliquiae humanorum corporum, ossa scilicet […] artis humanae vestigia ut in suppellectile, in sepulchris, substructionibusque. Sed nihil in scriptura deruta, quod plus lucis praebere possit antiquis rebus quam lingua quae sola ab antiquo traditio multiplicium (?) fida est.“ (Hannover GWLB Ms XXIII 217a, 1, Bl. 26); 79. s.d.: „Scythia ist die rechte vagina gentium und die Sprachen sind die älteste Monumenten der Völcker, so alle Historien uberstieget“ (Hannover GWLB LBr. 627 Bl. 279: Leibniz zu einem Brief an Adam A. Kochańsky [Hannover, Ende März 1692]; 80. s.d.: „La comparaison des langues est le moyen le plus seur et presque l’unique lorsque les Histoires nous manquent, qui nous apprend la cognation des peuples puisque la langue est la tradition la plus ancienne et la plus particuliere de l’antiquité humaine“ (Hannover GWLB Ms XIIb 713q, Nr. 157).
Diese Skizze hat mutmaßlich hinreichend gezeigt, dass der Anfang der Brevis designatio für Leibniz mehr als ein eleganter Eröffnungssatz war. Aus der Frequenz, mit der diese Auffassung in den Schriften von Leibniz auftaucht, lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schließen, dass Leibniz besonders stark an dem Axiom, dass Sprachen die besten Quellen zur Erschließung der uralten Geschichte seien, festhält. Von den anderen Gelehrten, die den linguistisch-paläontologischen Gedanken schon formuliert hatten, unterscheidet sich Leibniz außerdem dadurch, dass diese tief verwurzelte Idee auch mit allen Konsequenzen durchgezogen wird. In nahezu allen genannten ‚vor-Leibnizischen‘ Belegstellen wird die Idee, dass Sprachen als ausgezeichnete Quellen für die Vorgeschichtsschreibung gelten, als Argument für die von dem betreffenden Verfasser vertretene Ansicht eingesetzt. Mit anderen Worten: Die Autoren benutzen das Axiom generell, um einen bereits entwickelten und oft auch stark patriotisch geprägten Standpunkt weiterhin zu untermauern. Anders ist es bei Leibniz. Für ihn gilt das linguistisch-paläontologische Axiom
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tatsächlich als Anfang eines breit angelegten Forschungsprogramms, dessen Ergebnisse noch nicht im Voraus feststehen und möglicherweise den eigenen Vermutungen und Erwartungen nicht entsprechen. Symptomatisch dafür ist es, dass Leibniz den linguistisch-paläontologischen Gedanken in seinen Briefen oft mit einer Aufforderung zur Sammlung exotischer Textproben sowie zur Herstellung von Sprachkarten (z. B. Zitate Nr. 38, 46, 64, 68) verbindet. Darüber hinaus hat Leibniz für den Sprachvergleich auch methodologische Richtlinien formuliert, mit deren Hilfe die Geschichtsforschung zuverlässige Ergebnisse erlangen könnte. Es würde zu weit führen, diese Vorschriften hier im Ganzen zu entfalten. Allerdings ist der von Leibniz ausgedrückte Optimismus bei der Durchführbarkeit dieses Projekts besonders ausgeprägt21. Schließlich ist es verlockend, aus dieser großen Anzahl Leibniz’scher Aussagen zu schließen, dass Leibniz’ sprachhistorisches Projekt nur historischen Zwecken diente22. Weiterhin könnte man anbringen, dass Zitate Nr. 17, 18, 41 nicht besonders ‚sprachenfreundlich‘ sind. Hat Leibniz das Studium der historischen Sprachen dann keineswegs als einen autonomen Forschungsgegenstand betrachtet? Lassen wir die Frage zunächst offen: Wir werden später noch feststellen, wie ein berühmter Sprachwissenschaftler aus dem 19. Jahrhundert darüber geurteilt hat. Die Wiederholung der von Davillé formulierten Worte zu Leibniz’ linguistischpaläontologischen Leistungen ist als Fazit dieser Sektion jedenfalls angebracht: „[…] s’il n’en a pas créé les principes, Leibniz leur a donné un tel développement et une telle application, qu’ils lui appartiennent autant qu’à aucun de ses prédécesseurs“23.
4. NACHWIRKUNG Inwiefern war das von Leibniz vorgeschlagene Programm wegweisend und einflussreich, und inwiefern haben nachfolgende Gelehrte Leibniz’ sprachwissenschaftliches
21 Die Notwendigkeit methodologischer Richtlinien bei sprachhistorischen Forschungen wird zum Beispiel in Zitat Nr. 10 betont. In der von Tentzel gegebenen Antwort ist der Optimismus viel geringer: „De caetero Tecum statuo, magis excolendam esse Criticen in linguarum origines et harmonias, quanquam mira Criticorum discrepantia vix permittit ad veram populorum originem inde pervenire“ (20.01.1692; A 1, 7 N. 305, 544–545 [544]). Viel vertrauensvoller ist Gerhard Meier: „Scaligeri temporibus nefas erat ad origines Linguarum provenire ob defectum communicationis cum septentrione. Nunc vero postquam terrae hae Aquilonares, et utinam non nimium suis amoribus elatae eruderare minoras [sic] suas coeperunt magna nobis exorta est lux, qui variis mixtionibus gentium aliarum et transitionibus, quod terras meliores possidebamus vel illae ad Italas et Hispanas transitum praebebant, adulterati sumus. Hinc omnia petere licet, et nescio an quaquam in re nos destituant, dummodo ad privilegia Etymologica accurate revertamur et ex illis conclusiones educamus“ (12.01.1697; A I, 13 N. 308, 484–494 [490]). 22 Siehe dazu vor allem Scheel. 23 Davillé, S. 406.
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Programm auch tatsächlich ausgeführt24? Ist die von Hans Aarsleff formulierte (und übrigens unbegründete) Vermutung, dass Leibniz nur wenig Einfluss auf die Entwicklung des Sprachdenkens genommen habe25, nachzuvollziehen? Aus verschiedenen Gründen ist es nicht einfach, den von Leibniz ausgeübten Einfluss auf den Werdegang der linguistisch-paläontologischen Annahme zu bestimmen. Vernachlässigen wir erst einmal, dass Konzepte wie ‚Einfluss‘ und ‚Nachwirkung‘ heutzutage oft (und hauptsächlich in der Literaturwissenschaft) der Kritik unterzogen werden, sie seien zu vage und unbestimmt26, und daher öfters von Konzepten wie ‚Transfer‘, ‚Austausch‘, ‚Transformation‘, und ‚Zueignung‘ ersetzt werden – dann sollte hier noch in Erinnerung gebracht werden, gegen wie viele Probleme der Leibniz-Forscher, im Licht der äußerst komplizierten Verbreitung seiner Schriften, angehen muss (siehe oben, Kap. 1). Demzufolge ist das einzige Ziel dieser Sektion, einige (meiner Kenntnis nach bisher unbeachtete) Echos des Leibniz’schen Sprachprogramms aufzugreifen, selbstverständlich abermals, ohne irgendwelchen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Bei der Besprechung halte ich es für sinnvoll, eine Unterscheidung zwischen Leibniz’ Nachwirkung im 18. und 19. Jahrhundert zu machen, da sich ab dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts die Sprachwissenschaft als akademische Disziplin institutionalisiert hat27. Allerdings wird sich noch herausstellen, dass diese Unterscheidung auch nicht übertrieben werden sollte. Sofort nach der Veröffentlichung löste Leibniz’ Aufsatz in den Miscellanea Berolinensia begeisterten Beifall aus. Schon 1712 nannte der Gießener Mathematikprofessor Johann Georg Liebknecht (1679–1749) die linguistisch-paläontologische Annahme „sicherer als sicher“. In diesem Zusammenhang bezeichnete er Leibniz’ Brevis designatio als eine Schrift „der höchsten Gelehrsamkeit“28. Dass sich aber
24 Erst nach Anfertigung einer ersten Fassung dieses Beitrags hat mich Dr. H. Vermeulen auf seine rezente Arbeit Linguistik und Völkerkunde – Der Beitrag der historisch-vergleichenden Linguistik von G. W. Leibniz zur Entstehung der Völkerkunde im 18. Jahrhundert (= MaxPlanck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Preprint 423), 2012 hingewiesen. Die von ihm behandelte Themenstellung ist der in dieser Sektion behandelten Thematik sehr ähnlich. Da sich Vermeulens Interesse insbesondere auf die deutschen Russlandforscher des 18. Jahrhunderts konzentriert, befasst sich dieser Beitrag in erster Linie mit anderen Historikern. Siehe auch Fußnote 45. 25 H. Aarsleff: „The Eighteenth Century including Leibniz“, in: Th. A. Sebeok (Hrsg.): Historiography of Linguistics (= Current trends in Linguistics 13), Den Haag 1975, S. 382–479, hier S. 404. 26 Siehe die Verweise in R. Douglas-Fairhurst: Victorian Afterlives: The Shaping of Influence in Nineteenth-Century Literature, Oxford 2002, S. 2–5. 27 Siehe zum Beispiel P. Swiggers/P. Desmet: „L’élaboration de la linguistique comparative. Comparaison et typologie des langues jusqu’au début du XIXe siècle“, in: P. Schmitter (Hrsg.): Sprachtheorien der Neuzeit, Bd. 2: Von der Grammaire de Port-Royal zur Konstitution moderner linguistischer Disziplinen, Tübingen 1996, S. 122–177; A. Morpurgo Davies: Nineteenth-Century Linguistics (= History of Linguistics 4), London u. a. 1998. 28 Joh. G. Liebknecht: Elementa geographiae generalis: triplici sectione exposita, 1. praeliminaris, 2. doctrinalis, 3. artificialis, cum figuris aeneis, Frankfurt 1712, S. 90–91: „Quae rudera ac antiquarum linguarum vestigia insimul existere atque dare posse de antiquis gentium
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nicht jeder Gelehrte von Leibniz’ Axiom überzeugen ließ, lässt sich dem folgenden Fragment aus einer frühen Leibnizbiographie entnehmen: Nach einer vierseitigen Zusammenfassung der Brevis designatio berichtet M. L. De Neufville (ein Pseudonym für den noch zu nennenden Louis de Jaucourt), dass „[o]n ne peut qu’y reconnoître l’étendue de ses lumières, la fertilité de son génie, et ce qui n’est pas moins admirable, l’esprit Philosophique qu’il a l’art de répandre dans un sujet, où il est si rare de le rencontrer. | Mais quelque brillantes, quelque ingénieuses que soient ses recherches, elles n’ont point encore satisfait tout le monde. D’habiles gens prétendent qu’elles roulent sur un sujet qui n’est susceptible ni d’évidence, ni d’aucun genre de démonstration. Ils estiment que vouloir remonter à l’origine des Peuples par les monumens qui nous restent de leurs Langues, c’est vouloir courir les mers sans boussole; […] | Pour nous, disons la chose en termes moins séveres. Les Révolutions des Empires, des Royaumes, & des Païs, les migrations des Peuples, les Colonies, la conquête de Constantinople par les Francs, l’inondation des Barbares, toutes ces vicissitudes, qui ont eu cours depuis tant de siecles, ont fait de si grands changemens dans les Langues, les ont mélangées, obscurcies, corrompuës, défigurées tant de fois, dans la séparation des termes qui devroient être joints, dans la liaison de ceux qui devroient être séparés, qu’il ne semble gueres possible d’en pouvoir rien débrouiller avec évidence pour l’origine des Peuples; du moins les sentimens opposés des Savans, qui ont travaillé sur cette matiere […], montrent assez le peu de certitude qui s’y rencontre. | M. Leibnitz étoit plus capable que personne d’y porter de la lumiere; la méthode qu’il a suivie, & les ouvertures qu’il a données, en sont des preuves convaincantes; mais si ce grand homme n’a pas marché d’un pas fûr, dans un païs aussi vaste qu’il est peu connu, il n’y a gueres d’apparence, qu’il se présente de longtems, un guide plus capable de nous y conduire“29.
Ab Anfang des 18. Jahrhunderts wird die linguistisch-paläontologische Auffassung allerdings von recht vielen Autoren vertreten. Der Pädagoge Friedrich Gedike (1754–1803) misst in diesem Zusammenhang Leibniz’ Beitrag viel Bedeutung bei, sowohl in Bezug auf dessen innovativen Charakter als auch die Verbreitung der Idee betreffend: „Seit Leibnitz Zeiten sind philosophische Sprachforscher und sprachforschende Philosophen keine Seltenheit mehr. Denn Leibnitz, der so viele lichtvolle Ideen zuerst ausgestreut, war auch gewissermaaßen der erste, der auf die große Brauchbarkeit der Sprachgelehrsamkeit für den Geschichtsforscher und auf die vernünftige Anwendung derselben zur Geschichtsforschung der ältesten Zeiten und Völker aufmerksam machte. […]. Aber Leibnitz hat das Studium der Etymologie und Sprachvergleichung, das vor ihm gleich der typischen Theologie ein Tummelplatz eines regellosen Witzes war, unter gewisse Regeln gebracht, und ihm dadurch eine ehrenvolle Stelle unter den Hülfswissenschaften des Geschichtsforschers angewiesen. Sprachgelehrsamkeit ist nunmehr, wenn und wo alle andre historische Denkmäler fehlen
originibus testimonia, certo certius est. Ut ideo brevis illa, sed maximae eruditionis plena meditatio de originibus Gentium, ductis potissimum ex indicio linguarum, cum qua scientiarum thesaurum, quasi reserare et insignire voluit illustr. Leibnizius, egregia omnino sit, ac praetentissimum summae eruditionis testimonium“. 29 M. L. De Neufville: Histoire de la vie, et des ouvrages de Mr. Leibnitz, Amsterdam 1734, S. 106–108.
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Toon Van Hal oder schweigen, noch das einzige Mittel, um auch die dunkelsten Regionen der Geschichte der Menschheit wenigstens mit einige Stralen zu erhellen […]“30.
Das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass es nur sehr schwer zu bestimmen ist, inwiefern diese Autoren bei der Formulierung dieser Idee tatsächlich auf Leibniz zurückgegriffen haben, wenn sie in dieser Hinsicht über ihre Quellen keine expliziten Aussagen machen31. In dem wohl bekanntesten Produkt der Aufklärung, der von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d’Alembert herausgegebenen Encyclopédie (1751–1780), liest man in einem der drei der Etymologie gewidmeten Einträge: „Cependant malgré ces inconvéniens, l’art étymologique ne doit point passer pour un objet frivole, ni pour une entreprise toûjours vaine & infructueuse. Quelque incertain qu’on suppose cet art, il a, comme les autres, ses principes et ses règles. Il fait une partie de la littérature dont l’étude peut être quelquefois un secours pour éclaircir l’origine des nations, leurs migrations, leur commerce, et d’autres points également obscurs par leur antiquité“32.
Das Fragment aus diesem Eintrag, aufgezeichnet von Louis de Jaucourt (1704– 1779)33, atmet Leibniz’ Geist. Die hypothetische Annahme, dass Leibniz tatsächlich hinter diesem Text steckt, gewinnt selbstverständlich an Wahrscheinlichkeit, wenn man berücksichtigt, dass Jaucourt ebenfalls Verfasser einer Leibnizbiographie war34. 1707 veröffentlichte der Helmstedter Geschichtsprofessor Johann Georg von Eckhart (1664–1730) einen Aufsatz „zum Nutzen und Eminenz der Etymologie in der Geschichte“35. Obwohl Leibniz in dieser Arbeit, die übrigens weniger methodologisch ausgearbeitet ist, als der Titel vermuten lassen könnte, kaum erwähnt wird, ist es Eckharts Lebenslauf, der den von Leibniz ausgeübten Einfluss verrät. Eckhart, der lange Zeit Leibniz’ Sekretär war, hat den schlechten Ruf, viele der entwickelten Ideen stillschweigend übernommen zu haben36. Auch im Falle von
30 Fr. Gedike: „Plan und Ankündigung eines Universalglossariums der Rußischen Kaiserin“, in: Berlinische Monatschrift 6 (1785), S. 181–191, hier S. 182. 31 Selbstverständlich gibt es auch Arbeiten, in denen Leibniz in diesem Zusammenhang explizit erwähnt wird. Siehe zum Beispiel Joh. M. Gesner/Joh. N. Niclas: Primae lineae isagoges in eruditionem universalem nominatim philologiam, historiam et philosophiam: in usum praelectionum ductae […], Leipzig 1784, S. 207. 32 D. Diderot/J. Le Rond d’Alembert: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, Bd. 6: [Et–Fn], Paris 1756, S. 111. 33 Siehe P. Swiggers: Grammaire et théorie du langage au 18e siècle, Lille 1986, S. 21. 34 Jaucourt veröffentlichte die in Fußnote 29 erwähnte Biographie unter dem Pseudonym „Neufville“. Siehe S. Zurbuchen: „Jaucourt, Republicanism, and toleration“, in: J. Chr. Laursen (Hrsg.): New Essays on the Political Thought of the Huguenots of the Refuge, Leiden/Boston 1995, S. 155–169, hier S. 157. 35 Joh. G. von Eckhart: De usu et praestantia studii etymologici in historia dissertatio, Helmestadii 1707. 36 Siehe auch ders.: De origine Germanorum eorumque vetustissimis coloniis, migrationibus ac rebus gestis libri duo, hrsg. von Chr. L. Scheidt, Göttingen 1750, S. XXI (= Einleitung von Scheidt): „Nam super omnium monumentorum aetatem linguae assurgunt; neque aliquid efficacius abditis populorum originibus aperiendis nobis relictum est“.
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Gottlieb [Theophilus] Siegfried Bayer (1694–1738) gibt es gewisse biographische Fakten, die Leibniz’ Einfluss bei Bayers Formulierung des linguistisch-paläontologischen Prinzips vermuten lassen37. Seine Briefe zeigen, dass er als junger Student für Leibniz von Bewunderung erfüllt war. Bayer hatte daher vor, dem hannoveranischen Gelehrten einen Besuch abzustatten, aber leider fand ihn, vor Bayer, der Tod38. Setzen wir uns noch mit einem Beispiel auseinander, bei dem es naheliegend ist, von Leibniz’ Einfluss auszugehen. 1734 eröffnete der ungarische Gelehrte Matthias Bel (1684–1749) seinen Aufsatz zur ‚Fremdheit‘ der ungarischen Sprache folgendermaßen: „Diejenigen, die die von der Geschichte im Stich gelassenen Völkerursprünge anhand gegenseitiger Sprachverwandtschaft oder Übereinstimmung versuchen zu beweisen, betreten zwar einen nicht ungewöhnlichen Weg, aber trotzdem ist er dadurch ziemlich fehleranfällig, da es mehrere Ursachen geben kann, aufgrund derer sich die Dialekte äußerst unterschiedlicher Völker entweder plötzlich intensiv vermischen oder sich eine gegenseitige, schwere Infektion zuziehen“39.
37 Im Januar 1725 schrieb er Mathurin Veyssière de La Croze: „Et scis utique, ex linguarum cognatione rectius, quam ex aliis argumentis, de obscuris gentium originibus coniecturam institui“ (M. Veyssière de Lacroze: Thesauri epistolici Lacroziani tomus I [–III], hrsg. von Joh. L. Uhl, Leipzig 1742, S. 54). Zur Rechtfertigung seines ausgesprochenen Sprachinteresses, das nicht von allen seinen Kollegen begrüßt wurde, hatte La Croze zehn Jahre vorher angeführt: „Quid enim? An ex variarum linguarum cognitione, mutuaque inter se collatione, injucundum censebitur varias gentium origines perscrutari, exiguaeque illius universitatis rerum portionis quam incolimus, nondum sat perspectas humano generi migrationes et colonias aperire? Ea plane conferendis inter se hominum linguis et dialectis facilius quam quavis alia ratione innotescunt, in Europaeis potissimum et Asiaticis gentibus […]“ (in: J. Chamberlayne [Hrsg.]: Oratio dominica in diversas omnium fere gentium linguas versa et propriis cujusque linguae characteribus expressa. Una cum dissertationibus nonnullis de linguarum origine variisque ipsarum permutationibus, Amsterdam 1715, S. 126. Siehe zu La Croze auch den Beitrag von M.-L. Babin in diesem Sammelband. 38 Der Thesaurus epistolicus Lacrozianus (Tomus I) enthält ein von Bayer verfasstes Klagelied anlässlich Leibniz’ Tod (S. 7). Auch der schwedischer Sprachforscher Johann Ihre (1707– 1780), Verfasser eines Lexicon Lapponicum, hat sich fast mit Sicherheit von Leibniz inspirieren lassen, wenn er in seiner Vorrede sagt: „Indago quidem haec cuivis non potest non difficillima judicari, quum monumenta historica nos penitus deficiant, quae tempora adeo remota e suis tenebris evolvant: unica illa cynosura quae gressus nostros dirigere quodammodo possit, ex ipsa linguae nostrae constitutione petenda, quae non raro in re adeo obscura facem praefert, & vestigia migrationum gentium quibuslibet fastis certius prodit“. Joh. Ihre: Lexicon Lapponicum, cum interpretatione vocabulorum Sveco-Latina et indice Svecano Lapponico, Stockholm 1780, S. iv. In dieser Arbeit wird Leibniz häufig erwähnt. 39 Übersetzung des Autors; M. Belius: „De peregrinitate linguae Hungaricae meletema“, in: Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum 4 (1734), S. 198–229, hier S. 198– 199: „Qui gentium origines, destitutas ab Historia, ex Linguarum mutua adfinitate, aut similitudine, nituntur illustrare, viam illi quidem ineunt, non insolitam; sed eo tamen ad errandum procliviorem, quo plures caussae possunt existere, ob quas diversissimarum subinde gentium dialecti, vel misceantur penitus, vel certe multum invicem trahant contagionis“.
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Es könnte wohl gerechtfertigt sein, diesen Anfang als eine kritische Antwort auf Leibniz’ Brevis designatio zu lesen, aus dem einfachen Grund, weil Bel seinen Aufsatz, genau wie Leibniz, in den Miscellanea Berolinensia veröffentlichte40. In vielen Fällen ist es jedoch viel schwieriger nachzuweisen, ob ein Autor Leibniz verpflichtet war oder nicht41. Der schottische Philosoph David Hume (1711–1776), ein wichtiger Vertreter der Strömung des Empirismus, veröffentlichte zwischen 1754 und 1762 seine sechsbändige Geschichte von England, die sich als besonders wirkungsmächtig erweisen sollte. Die Arbeit wird mit diesem methodologischen Gedanken eröffnet: „The only certain means, by which nations can indulge their curiosity in researches concerning their remote origin, is to consider the language, manners, and customs of their ancestors, and to compare them with those of the neighbouring nations. The fables, which are commonly employed to supply the place of true history, ought entirely to be disregarded“42.
Ob Hume hier auf eine bestimmte Stelle bei Leibniz zurückgreift, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die Tatsache, dass Humes philosophische Arbeiten unleugbar von einer starken Vertrautheit mit Leibniz’ Gedankengut zeugen, bedeutet noch nicht, dass dasselbe auch für die historischen Schriften zutrifft.
40 Ähnlich kritisch war der Sanskritgelehrte Paulinus a Sancto Bartholomaeo (1748–1806), der gut mit Leibniz’ Ideen vertraut war: „Linguae gentium super omnium monumentorum aetatem assurgunt, et eorum cognitio atque affinitas plurimum prodest ad gentium origines detegendas. Sed hujus cognitionis usus, sobrius et moderatus esse debet, et solum tunc valet, cum ratio, auctoritas, et monumenta eidem adstipulantur“ (De antiquitate et affinitate linguae Zendicae, Samscrdamicae et Germanicae dissertatio, Passau 1799, § 11.). Siehe T. Van Hal: „Language Comparison in Paulinus a Sancto Bartholomaeo (1748–1806): Aims, Methodological Principles“, in: Bulletin d’Études Indiennes 22/23 (2004/2005), S. 323–336. 41 Vgl. G. Arctopolitanus/F. Törner: Dissertatio academica de origine ac religione Fennonum, Uppsala 1728, S. 16 „Non est, opinor, tacente historia, et tacentibus rerum actarum monumentis ac traditionibus, certior via, in eruendis populorum originibus, illa, quam monstrat linguarum convenientia major“ [hier ist der Einfluss von dem oft erwähnten Leidener Gelehrten Philippus Cluverius naheliegender]; Joh. G. Wachter: Glossarium germanicum continens origines et antiquitates totius linguae germanicae […], Leipzig 1737, Introductio § 21: „Nam Armeniorum Lingua innumera repraesentat Britanniae veteris vocabula, celeberrimo Antiquitatum Britannicarum interpreti Wiliielmo Baxtero observata: manifesto indicio, utriusque Gentius communem originem esse a Phrygibus“; Joh. Chr. Chr. Rüdiger: Grundriß einer Geschichte der menschlichen Sprache nach allen bisher bekannten Mund- und Schriftarten mit Proben und Büchererkenntniß. Erster Theil. Von der Sprache, Leipzig 1782, S. 2: „Endlich leistet auch diese Vergleichung in der Völkergeschichte bisweilen den Nutzen, ihre Abstammung desto leichter zu finden. Denn weil die Sprache am schwersten geändert werden kann, so ist sie das unvertilgbarste Merkmahl der Verwandtschaft und ein stärkerer Beweis, als Gleichheit in Leibesbeschaffenheit, Sitten, Religion u. d. gl.“; J. Priestley: Lectures on history, and general policy, Birmingham 1788, S. 71: „The language of a people is a great guide to an historian, both in tracing their origin, and in discovering the state of many other important circumstances belonging to them“. 42 D. Hume: The history of England, from the invasion of Julius Caesar to the revolution in 1688, Bd. 1, London 21770, S. 2.
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Interessant allerdings ist die Feststellung, dass manche Gelehrte auch über eine schlichte Wiederholung oder Wiederformulierung hinausgehen, indem sie explizit Leibniz’ Sprachprogramm durchführen wollen. Wenn August Pott (1802–1887), der als berühmter Etymologe ein gesundes Interesse für die Vorgeschichte seiner akademischen Disziplin hegte und pflegte, bildreich festhält, dass „der Leibnitzische Gedanke […] nicht ein unter Dornen und Gestrüpp unaufgekeimt erstorbenes Samenkorn“ geblieben sei43, skizziert er damit sofort die berühmte, von Zarin Katharina II. geförderte und vom deutschen Naturforscher Peter Simon Pallas (1741–1811) unternommene Sprachensuche durch das Russische Reich. Für die Entwicklung der Sprachwissenschaft war die von Christian Jacob Kraus (1743–1807) geübte Kritik an Pallas’ Endergebnis fruchtbarer als das Endergebnis (Linguarum totius orbis vocabularia comparativa, 2 Bde.) selbst44. In seinen historiographischen Arbeiten hat der Ethnologe Han Vermeulen überzeugend nachgewiesen, dass abgesehen von Pallas noch viele andere Russlandforscher, wie August Ludwig von Schlözer (1735–1809) und Gerhard Friedrich Müller (1705–1783), versucht haben, das Programm von Leibniz möglichst gründlich durchzuführen45. Kaum bekannt aber ist die Tatsache, dass sich der Hirschberger Rektor Gottfried Hensel (1687– 1765), ein produktiver Autor mathematischer wie auch theologischer Arbeiten46,
43 A. Pott: Wilhelm von Humboldt und die Sprachwissenschaft, Berlin 1876, S. cxliii–cxliv. 44 Zu Pallas und dem von Katharina II. initialisierten Sprachinventarisierungsprojekt siehe die Aufsätze im Themenheft der Zeitschrift Histoire, Epistémologie, Langage (2011), sowie B. Kaltz: „‚Deutsche gründliche Kritik‘: Chr. J. Kraus zu Pallas’ Vergleichendem Glossarium aller Sprachen“, in: U. Tintemann/J. Trabant (Hrsg.): Sprache und Sprachen in Berlin um 1800, Hannover-Laatzen 2004, S. 181–197 und die dort gegebenen Verweise. Zu Leibniz’ stimulierender Rolle in diesem Projekt siehe H. Haarmann: „Die großen Sprachensammlungen vom frühen 18. bis frühen 19. Jahrhundert“, in: S. Auroux u. a. (Hrsg.): History of the Language Sciences. An International Handbook on the Evolution of the Study of Language from the Beginnings to the Present, Bd. 1, Berlin/New York 2000, S. 1081–1094, hier S. 1082– 1084. Der Zusammenhang zwischen Leibniz und Pallas wird auch von Gedikes Ankündigung gezeigt, siehe supra. 45 Siehe Vermeulen: Linguistik und Völkerkunde; ders.: Taal-, land- en volkenkunde in de achttiende eeuw. Lezing gehouden voor het Oosters genootschap in Nederland te Leiden op 19 april 1994, Leiden 1996; ders.: Early history of ethnography and ethnology in the German Enlightenment: anthropological discourse in Europe and Asia, 1710–1808, Leiden 2008. Diese Herangehensweise in der Russlandforschung hat auch manche Missionare der dänischhalleschen Mission inspiriert, obwohl Jo. Henr. Callenberg als Herausgeber von Benjamin Schultzes Grammatica Hindostana (Halle 1745) es nicht unterließ zu betonen, dass die Evangelisierung als ein viel wichtigerer Grund für das Sprachenstudium betrachtet werden sollte: „Multa omnis historiae capita, eaque haud parvi momenti, exempli gratia de gentium prosapia, cognatione, mutataque sede tractatio, istis linguis propius exploratis, suppletum, illustratum, confirmatumve iri, nemo facile inficiabitur. Recognoscat, qui dubitaverit, Strahlenbergii de extremis Asiae et Europae ad septentrionem et orientem coeuntibus partibus disquisitionem. Sed graviores suppetunt rationes, quibus, ut dictas etiam linguas excolamus, impellimur“ (Praefatio editoris). 46 I. Held/H. E. Brekle/H. J. Höller: Art. „Hensel, Gottfried“, in: H. E. Brekle u. a. (Hrsg.): Biobibliographisches Handbuch zur Sprachwissenschaft des 18. Jahrhunderts. Die Grammatiker,
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nach der Lektüre eines der Leibniz-Zitate aufgefordert fühlte, Sprachenkarten der vier Kontinente herzustellen (siehe Abbildungen auf S. 205–206). „Da der schon erwähnte Leibniz in Otio Hannov., S. 160, den Wunsch ausgesprochen hat, die philologische Geographie zu pflegen […]. Und daher bin ich hier das Risiko eingegangen, diesen unebenen und zunächst von niemandem betretenen Weg einzuschlagen, und ich habe nach Kräften eigenhändig geographische Polyglottkarten hergestellt, aus denen die Abwanderungen und Sprachvermischungen teilweise abgeleitet werden können“47.
Hensel kann daher mit Recht als Vater der Sprachenkarte bezeichnet werden. Ab dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts erschienen einige Bücher zur Geschichtsschreibung – ein bedeutungsvolles Zeichen, das die nahende Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft ankündigt. In vielen dieser Arbeiten wurde ‚der historischen Benutzung der Sprachen‘ viel Bedeutung beigemessen und Leibniz’ Forschungsprogramm methodologisch weiter vertieft. In diesem Zusammenhang schenken die Verfasser generell auch Leibniz’ Beitrag zur Entwicklung der linguistisch-paläontologischen Methodologie viel Beachtung48. Auch im 19. Jahrhundert schreiben sich Gelehrte explizit in Leibniz’ Forschungsprogramm ein. So lesen wir zum Beispiel den Eröffnungssatz der berühmten Brevis designatio als Devise auf der Titelseite einer von Vans Kennedy (1784– 1846) verfassten Arbeit49. Heinrich Julius von Klaproth (1783–1835) berichtet in Asia polyglotta am Anfang seiner Vorrede (1831):
Lexikographen und Sprachtheoretiker des deutschsprachigen Raums mit Beschreibungen ihrer Werke, Bd. 4, Tübingen 1996, S. 213–215. 47 Übersetzung des Autors; G. Henselius: Synopsis universae philologiae in qua miranda unitas et harmonia linguarum totius orbis terrarum occulta, e literarum, syllabarum, vocumque natura & recessibus, eruitur. Cum grammatica, LL. orient. Harmonica, Synoptice tractata; nec non Descriptione Orbis Terr. quoad Linguarum situm & propagationem, mappisque geographico-polyglottis. […], Nürnberg 1741: sig. A5r–A5v: „Cumque jam dictus Leibnitius, in Otio Hannov. p. 160. optaverit, ut Geographia Philologica adornetur […]. Ergo & hic ego, Viam hanc salebrosam & a nemine hucusque tritam ingredi, periculum feci, Mappasque Geographico-Polyglottas, pro modulo meo, manu propria confeci, quo Migrationes & permixtiones Linguarum exinde ex parte conspici possint“. 48 Siehe zum Beispiel Gatterer, S. 6, 8; Rühs, S. 25. Leibniz wird nicht explizit genannt in A. J. Penzel: De arte historica […] libellus, Lipsiae 1784. Die folgenden beiden skandinavischen Dissertationsschriften habe ich leider nicht einsehen können: Joh. H. Avellan/H. G. Porthan: De linguarum usu historico, Åbo 1795; J. Neikter: Dissertatio de cognatione gentium ex linguis eruenda, Uppsala 1800. 49 V. Kennedy: Researches into the origin and affinity of the principal languages of Asia and Europe, London 1828. Andere Autoren gehen mit einigen der anderen unter Sektion 3 aufgeführten Zitate ähnlich vor. Siehe zum Beispiel D. Monnier: Traditions populaires comparées, Paris 1854, S. 499 (Zitat Nr. 47); G. Hager: Observations sur la ressemblance frappante que l’on découvre entre la langue des Russes et celle des Romains, Mailand 1817 (Zitat Nr. 40). A. W. von Schlegel übersetzte Leibniz’ Zitat Nr. 38 auf Französisch in „De l’origine des Hindous“, in: Transactions of the Royal Society of Literature of the United Kingdom 2 (1834), S. 405–446, hier S. 430, und diese Übersetzung wurde daraufhin von vielen anderen Autoren zitiert. Weitere Beispiele expliziten Einflusses sind A. Rémusat: Recherches sur les
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„Schon Leibnitz hat geurtheilt dass nichts mehr geeignet sei die Verwandtschaft und den Ursprung der verschiedenen Voelker der Erde zu bestimmen als die Vergleichung ihrer Sprachen. Gegenwärtiges Werk beweiset die Lehre des grossen Mannes“50.
Der visionäre Charakter Leibniz’ linguistisch-paläontologischer Auffassungen wurde noch von vielen anderen Sprachwissenschaftlern aus dem 19. Jahrhundert gewürdigt. Anhand Zitat Nr. 38 stellt der Königsberger Indologe Peter von Bohlen (1796–1840) im selben Jahr wie Klaproth Leibniz als einen Gelehrten dar, der „mit einer fast göttlichen Geistesschärfe sehr vieles, wovon erst spätere Generationen die Früchte ernteten, in ersten Zügen umreißt und gleichsam mit dem Finger gezeigt hat“51. Dies ist nicht nur ein klares Indiz dafür, dass diese Verfasser in Leibniz’ Geist weiterarbeiten. Es zeigt ebenfalls, dass es, was die Entwicklung der vergleichenden und historischen Sprachwissenschaft anbelangt, nicht gerecht ist, einen allzu einschneidenden Bruch zwischen dem ‚vorwissenschaftlichen‘ 18. Jahrhundert und dem für die Sprachwissenschaft entscheidenden 19. Jahrhundert sehen zu wollen52. Obwohl die Sprachwissenschaft als akademische Disziplin ab ca. 1820 institutionalisiert wurde, sind sich ihre ersten Vertreter generell noch gut bewusst, dass sie ihren Vorgängern in Vielem verpflichtet sind. Im frühen 19. Jahrhundert lassen sich selbstverständlich auch viele Formulierungen des linguistischpaläontologischen Prinzips ohne direkten Bezug auf Leibniz finden, und gelegentlich wird die allgemeine Gültigkeit dieses Prinzips bezweifelt. Als der Orientalist Wilhelm Gesenius (1786–1842) festhielt, dass die „Verwandtschaft der Sprache einer der untrüglichsten Wegweiser für die Verwandtschaft der Völker“ sei53, wurde seine Aussage von mindestens zwei Kollegen kräftig kritisiert54. Implizite Kritik an Leibniz wurde auch von dem großen Sprachwissenschaftler Wilhelm von
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langues tartares: ou Mémoires sur différens points de la grammaire et de la littérature des Mandchos, des Mongols, des Ouigours et des Tibétains, Paris 1820, S. xvii; bei Joh. G. II. Wenrich: Commentatio de adfinitate priscae Indorum linguae, quam Sanscritam dicunt, cum Persarum, Graecorum, Romanorum atque Germanorum sermone, Wien 1827, S. 5–6 heißt es aber: „Unde facile colligas, hunc linguarum consensum non esse nativum, verum adventitium; neque illo duce ad populorum origines tuto adscendi posse“. H. J. von Klaproth: Asia polyglotta, Paris 1831, S. vii. P. a Bohlen: Commentatio de origine linguae Zendicae e Sanscrita repetenda, Königsberg 1831, S. 4–5: „Namque Leibnizius, immortalis memoriae philosophus, qui divino fere ingenii acumine permulta, quae posterior demum aetas tulit literarum emolumenta, primis lineis adumbravit et digito quasi monstravit […]“. Siehe z. B. Swiggers/Desmet; T. Van Hal: „Linguistics ante litteram. Compiling and transmitting views on language diversity and relatedness before the nineteenth century“, in: R. Bod/J. Maat/Th. Weststeijn (Hrsg.): The Making of the Humanities. From Early Modern to Modern Disciplines, Amsterdam 2012, S. 37–53 und die dortigen Verweise. W. Gesenius: Geschichte der hebräischen Sprache und Schrift: Eine philologisch-historische Einleitung in die Sprachlehren und Wörterbücher der hebräischen Sprache, Leipzig 1815, S. 6. E. A. S.: „[Review: Gesenius 1815]“, in: Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung 228 (1815), S. 385–388, hier S. 386; H. A. Chr. Hävernick: Handbuch der historisch-kritischen Einleitung in das Alte Testament, Erlangen 1836, S. 93.
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Humboldt (1767–1835) geübt, wie Jürgen Trabant überzeugend nachgewiesen hat55. In Ueber die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues (1836) wandte Humboldt ein, dass das damalige Interesse für die allgemeine Sprachkunde auf allzu externen Triebfedern basiert habe: „Auch bei uns dankt die allgemeine Sprachkunde die Aufmerksamkeit, die man ihr, etwa seit Leibnitz Zeiten geschenkt hat, weniger ihrem innern Begriff, als dem Streben, die Verwandtschaft der Völker etymologisch aufzufinden, und der Geschäftigkeit der, unbekümmert um den augenblicklichen Zweck, alles Wissbare unermüdet zusammentragenden Gelehrsamkeit. […] Die wahre Wichtigkeit des Sprachstudiums liegt in dem Antheil der Sprache an der Bildung der Vorstellungen. Hierin ist alles enthalten, denn diese Vorstellungen sind es, deren Summe den Menschen ausmacht. Ist aber auch mit diesem Einen Alles ausgesprochen, so wird es klarer, wenn man es einzeln entwickelt. Der Antheil der Sprache an den Vorstellungen ist nicht bloss ein metaphysischer, das Daseyn des Begriffs bedingender; sie wirkt auch auf die Art seiner Gestaltung und drückt ihm ihr Gepräge auf“56.
Es geht hier um eine der insgesamt nur drei Textstellen bei Humboldt, wo Leibniz namentlich genannt wird. Hier ist Leibniz zwar nicht selbst die direkte Zielscheibe der Kritik57, Trabant hat jedoch gezeigt, wie Humboldt in seiner ersten akademischen Rede „Ueber das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung“ (1820) Leibniz und sein Programm implizit ins Visier genommen hat58. Sowohl die Themenwahl als auch der Ort der Rede (sc. die von Leibniz im Jahre 1700 gegründete königliche Akademie in Berlin) erübrigten für das damalige Publikum einen direkten Verweis zum hannoverischen Gelehrten. Zudem kann Humboldts Eröffnungssatz als ein ‚Negativbild‘ zu Beginn der Brevis designatio betrachtet werden59: „Das vergleichende Sprachstudium kann nur dann zu sichern und bedeutenden Aufschlüssen über Sprache, Völkerentwicklung und Menschenbildung führen, wenn man es zu einem eignen, seinen Nutzen und Zweck in sich selbst tragenden Studium macht“ 60.
Die von Humboldt so deutlich kritisierte Heteronomie in Leibniz’ Sprachprogramm wurde aber von dem englischen Kardinal Nicholas Patrick Stephen Wiseman
55 J. Trabant: „Der innere Begriff der Sprachwissenschaft: Leibniz und Humboldt“, in: Br. Schlieben-Lange u. a. (Hrsg.): Europäische Sprachwissenschaft um 1800, Bd. 1, Münster 1989, S. 179–201; ders.: „Humboldt et Leibniz: Le concept intérieur de la linguistique“, in: T. de Mauro/L. Formigari (Hrsg.): Leibniz, Humboldt, and the Origins of Comparativism, Amsterdam/Philadelphia 1990, S. 135–156. 56 W. von Humboldt: Gesammelte Schriften, Bd. 6, hrsg. von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1907, S. 118–120. 57 Trabant: „Humbolt et Leibniz“, S. 137: „Quand il blâme la linguistique traditionnelle et contemporaine de ne pas suivre ce concept intérieur, Humboldt ne s’adresse donc pas à Leibniz. Mais en faisant voisiner le nom de Leibniz et la critique des concepts erronés, il suggère néanmoins que celui-ci n’est pas entièrement innocent de cette déviation du bon chemin“. 58 Ebd. 59 Ebd. 60 Humboldt: Gesammelte Schriften, Bd. 4, Berlin 1905, S. 1.
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(1802–1865) in einem Vortrag mit dem Titel „on the comparative study of languages“ gerade gerühmt: „Instead of confining the study of languages to the useless object pursued by the earlier philologers, he [d. h. Leibniz] saw and pointed out its usefulness for the advancement of history, for tracing the migrations of early nations, and penetrating even beyond the mist of their earliest and most unauthentic records“61.
Als Fazit dieser Übersicht lässt sich festhalten, dass Leibniz’ sprachwissenschaftliches Forschungsprogramm, entworfen auf Basis einer grundlegenden Vertrautheit mit der zuvor unternommenen sprachhistorischen Arbeit, bestimmt nicht unbeachtet geblieben ist. Dieser auf die Entwicklung der linguistischen Paläontologie zugeschnittene Beitrag hat versucht, mit vielen Textbeispielen zu untermauern, dass Leibniz – in Theodor Benfeys (1809–1881) Worten – tatsächlich „alles in Bewegung [gesetzt hat], was zur Erweiterung, Verbreitung und Vertiefung der Sprachenkunde dienen konnte“62, und „sein hohes Ansehen nicht bloß in der literarischen, sondern auch politischen Welt“63 die Verbreitung dieser Wissenschaft erheblich gefördert hat. Obwohl Leibniz in dieser Hinsicht selbstverständlich keine absolute Exklusivität beanspruchen kann64, scheint er im 19. Jahrhundert doch von vielen Gelehrten als Urvater dieses Wissenschaftszweigs anerkannt gewesen zu sein. 1883 schrieb der Jenaer Indogermanist Otto Schrader (1855–1919), Verfasser einer Arbeit mit dem Titel „Sprachvergleichung und Urgeschichte“: „Der Gedanke, welchen schon Leibniz in dem Satz ausgesprochen hatte [Zitat Nr. 38], hat erst in unserem Jahrhundert seine Verwirklichung gefunden“65. Im Allgemeinen wurde Leibniz’ Beitrag zur Entwicklung der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft
61 N. Wiseman: Twelve lectures on the connexion between science and revealed religion, Bd. 1, London 1836, S. 27. Wisemans Vorträge, die in zahlreichen Editionen herausgegeben sowie in viele Sprachen übersetzt wurden, benötigen weitere Forschung aus historiographischer Perspektive. 62 Th. Benfey: Geschichte der Sprachwissenschaft und orientalischen Philologie in Deutschland seit dem Anfange des neunzehnten Jahrhunderts mit einem Rückblick auf die früheren Zeiten, München 1869, S. 252. 63 Ebd., S. 252–253. 64 Auf der Titelseite der Arbeit von A. Vieyra: Brevis, clara, facilis ac jucunda, non solum Arabicam linguam, sed etiam hodiernam Persicam, cui tota fere Arabica intermixta est, addiscendi methodus, Dublin 1789, liest man drei linguistisch-paläontologische Devisen, aber keine von Leibniz. 65 O. Schrader: Sprachvergleichung und Urgeschichte. Linguistisch-historische Beiträge zur Erforschung des indogermanischen Altertums, Jena 1883, S. iii. Anhand Zitat Nr. 40, Anon.: „Orientalistes“, in: P. Leroux/J. Reynaud (Hrsg.): Encyclopédie nouvelle: Dictionnaire philosophique, scientifique, littéraire et industriel, offrant le tableau des connaissances humaines au XIXe siècle, Sonderband: Episc–Force et Organog–Phil, Paris 1834, S. 64–93, hier S. 72: „C’est avec ces idées, avec cette méthode que Leibnitz put réfuter, dans ses dissertations historiques (celle sur l’origine des Franks, par exemple), une foule d’erreurs accréditées par l’ignorance. En un mot, c’est par sa méthode, que l’on a élargie, complétée plus tard, que Leibnitz a exercé une grande influence sur la philologie“.
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von vielen renommierten Sprachwissenschaftlern ‚der ersten Generationen‘, wie zum Beispiel Constantin-François de Chasseboeuf Volney (1757–1820), August Wilhelm von Schlegel (1767–1845), August Pott (1802–1877), Michel Bréal (1832–1915), Friedrich Max Müller (1823–1900), Émile-Louis Burnouf (1821– 1907) und Theodor Benfey (1809–1881)66, als besonders wichtig erachtet: Wenn er in diesen Arbeiten nicht als Gründungsfigur der Sprachwissenschaft dargestellt wird, dann wenigstens als eine grundlegende Schlüsselfigur. Dies alles macht Leibniz zu einem besonders wichtigen Zwischenglied in der ebenso langen sowie komplexen Geschichte der vergleichenden und historischen Sprachforschung.
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C.-Fr. de Chasseboeuf Volney: Discours sur l’étude philosophique des langues, Paris 1819, S. 24 eqs. lässt die echte Sprachwissenschaft mit Leibniz’ Brevis designatio anfangen. Siehe A. W. Schlegel: „De studio etymologico“, in: E. Böcking (Hrsg.): Opuscula quae Augustus Guilelmus Schlegelius Latine scripta reliquit, Leipzig 1848, S. 289–305, hier S. 305 (siehe ebenfalls Fußnote 49); É.-L. Burnouf: Essai sur le Vêda, ou études sur les religions, la littérature, la constitution sociale de l’Inde depuis les temps primitifs jusqu’aux temps brahmaniques, Paris 1863, S. 22; M. Bréal: Introduction à la grammaire comparée des indoeuropéens de M. Fr. Bopp: extrait du tome premier de la traduction française, Paris 1866, S. viii; Benfey, S. 243–254; Pott, S. cxxxviii–cxlv. Für Friedrich Max Müller siehe Fußnote 1. Auch Rasmus Kristian Rask (1787–1832), einer der Gründerväter der „akademischen“ vergleichenden Sprachwissenschaft, war mit Leibniz’ Arbeiten und Briefen vertraut. Siehe R. Kr. Rask: Undersögelse om det gamle Nordiske eller Islandske Sprogs Oprindelse, Kjöbenhavn 1818, S. 138.
Africa Polyglotta, in: Gottfried Hensel: Synopsis universae philologiae, in qua harmonia linguarum grammatice e natura vocum et geographice nova ratione eruitur, illustrata mappis geographico-polyglottis, 2. Edition, 1754 (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: M: Ka 80).
Asia Polyglotta, in: Gottfried Hensel: Synopsis universae philologiae, 2. Edition, 1754 (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: M: Ka 80).
ARMENISCH, ALBANISCH, HOKKIEN … ZUM SPRACHWISSENSCHAFTLICHEN TEIL VON LEIBNIZ’ KORRESPONDENZ MIT MATHURIN VEYSSIÈRE DE LA CROZE (1704–1716)* Von Malte-Ludolf Babin (Hannover)
„H. La Crose ist ein gelehrter Franzoß, so sich zu Berlin bey der Konigl. Bibliothec befindet, und alda nebenst andern Personen titulum Consiliarii et Bibliothecarii Regii hat, auch inter membra Societatis Regiae gezehlet wird. Er ist vor diesem in dem berühmten Monasterio S. Germani zu Paris unter den jenigen Benedictinern gewesen, welche an denen Editionibus patrum Graecorum et Latinorum und verschiedenen Historicis laboribus gearbeitet, und daher in Graeca et latina literatura, Historia sacra et civili, auch in ManuScriptis et Diplomatibus sehr wohl erfahren, hat auch zu Berlin (da er verheürathet), das Lob eines guthen Wandels. Hat viel junge Edelleute und vornehmer Leüte Kinder alda informiret und weis ich daß man mit seiner information wohl zu frieden gewesen. Er hat nicht nur in Historia et linguis eruditis sondern auch in philosophia et rudimentis Mathematicis junge Leute unterwiesen und ist nicht nur der gelehrten und selbst der orientalischen, sondern auch der heutigen Europaeischen sprachen kundig, also daß er Italianisch[,] 1 Spanisch und Englisch verstehet wie er dann auch in England eine Zeitlang sich aufgehalten“ .
Als Leibniz diese Charakteristik im Dezember 1709 aus uns bislang nicht bekanntem Anlass zu Papier bringt, steht er mit dem königlichen Bibliothekar seit fast sechs Jahren in einem lebhaften und thematisch mannigfaltigen Briefwechsel2.
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Mein Dank gilt Frau Renate Essi für die geduldige Aufbereitung des großenteils ungedruckten Materials. Aufzeichnung von Leibniz’ Hand, Hannover GWLB LBr. 517 Bl. 49; vgl. den vollständigen Druck bei H.-St. Brather: Leibniz und seine Akademie. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der Berliner Sozietät der Wissenschaften 1697–1716, Berlin 1993, S. 322 f. Die Korrespondenz ist in seltener Vollständigkeit und Geschlossenheit in den jeweiligen Abfertigungen erhalten, insgesamt 83 Briefe, davon 45 von Leibniz. Die Abfertigungen von Leibniz liegen in Berlin Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Nachlaß Leibniz Nr. 7 (künftig zitiert als „Nachlaß Leibniz Nr. 7“), jene von La Croze mit zwei Ausnahmen in Hannover GWLB LBr. 517.
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Darin nehmen zwar Chinamission, Islam und Sozinianismus3, der Liber de tribus impostoribus4, auch die Suche nach einem geeigneten Verleger für die Essais de Théodicée breiten Raum ein; ja, La Crozes Konflikt mit Christian Heinrich Oelven, dem Herausgeber der Curieusen Natur-, Kunst-, Staats- und Sitten-Praesenten, der ersten deutschsprachigen Zeitschrift Berlins5, bringt nach dem Austausch einer Reihe bitterer Briefe die Korrespondenz mit Leibniz für ein Jahr zum Erliegen6 – dennoch spielt von La Crozes erstem Schreiben an dessen Polyglossie, ja geradezu fanatisches Interesse7 auch an den entlegensten Sprachen eine zentrale Rolle in seinen Mitteilungen und gibt damit der gesamten Korrespondenz ihr Gepräge. Wenn Leibniz dennoch ausgerechnet seine Spanisch-, Italienisch- und besonders Englischkenntnisse hervorhebt, wird man darin allenfalls einen Hinweis auf die Adressaten der Empfehlung zu sehen haben, nicht etwa die Relativierung eines allzu unwahrscheinlichen Anspruchs. Mit einem gewissen Unglauben angesichts La Crozes Meldungen von seinen Fortschritten beim Spracherwerb hat eher der heutige Leser zu kämpfen. Man vergleiche etwa die Chronologie seiner Aneignung des Russischen. Am 12. März 1708 verkündet La Croze, er beginne jetzt, Russisch zu lernen, und zwar hoffe er, das mit Hilfe eines Türken aus Kairo zu tun, der lange in Russland gelebt habe und im Russischen nicht seinesgleichen habe8. Ein Vierteljahr später hat sich die Aussicht auf die erhoffte Unterweisung zwar zerschlagen, doch hat das La Croze nicht daran gehindert, sich energischer denn je – offenbar im Selbstunterricht – dem Russischen zu widmen. Er kann bereits einigermaßen die historische Literatur lesen und hofft, in einem halben Jahr die Sprache vollkommen zu beherrschen9. Immerhin gut ein Jahr darauf meldet er, sein russisches Lexikon, von dem bisher gar nicht die Rede war, vollendet zu haben: „J’entens bien cette langue-là.
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Vgl. Leibniz an La Croze vom 2. Dezember 1706, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 77–80; gedr. Dutens V, 479–484. Vgl. dazu besonders La Croze an Leibniz vom 13. März 1716, LBr. 517 Bl. 86–87, und Leibniz’ Antwort vom 31. März 1716, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 10–11. Erschien monatlich (daher kurz bezeichnet als Monatliche Praesente) im Lauf des Jahres 1708; eine weitere Ausgabe von Anfang 1709, vor dem Zweiten Weltkrieg im Besitz der Preußischen Staatsbibliothek, ist zumindest gegenwärtig nicht verfügbar. Zwischen Leibniz’ Brief vom 1. September 1708, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 51–52, und seinem Brief vom 13. September 1709, ebd. Bl. 73–74, ist keinerlei Korrespondenz bezeugt. – Zu den sog. Oelvenschen Händeln vgl. W. Giesebrecht: „Die Weissagung von Lehnin und Christoph Heinrich Oelven. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte Berlin’s“, in: Allgemeine Zeitschrift für Geschichte 6 (1846), S. 433–478, hier S. 456–459, sowie mit ergänzenden Quellenangaben Brather, S. 321 f. Vgl. La Croze an Leibniz vom 16. Dezember 1709, LBr. 517 Bl. 45–46: „Je n’ai jamais rien vû de la Langue Georgienne: plût à Dieu que je pusse avoir une Bible en cette langue-là. Je l’apprendrois ou je mourrois en la peine“. La Croze an Leibniz vom 12. März 1708, LBr. 517 Bl. 22–23. La Croze an Leibniz vom 8. Juni 1708, LBr. 517 Bl. 31. 33. 32.
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Ce ne m’a pas été un grand travail. Cette langue est fort aisée“. Und er fügt hinzu: „Je tacherai de la suivre dans tous ses dialectes, je commence dejà à m’introduire un peu dans le Polonois“10. Wie in der Zeit nicht ungewöhnlich, meint er mit „ses dialectes“ also nicht die russischen Dialekte, sondern die slavischen Schwestersprachen11. Ende Oktober 1709 räumt La Croze selbstkritisch ein, sein nun grundsätzlich abgeschlossenes Lexikon sei nicht vollkommen, er finde täglich neues, dort noch fehlendes Material; doch könne es auch so gute Dienste leisten und sei der Veröffentlichung wert12. Eine Möglichkeit zu überprüfen, wie weit La Croze in anderthalb Jahren tatsächlich ins Russische eingedrungen ist, böte die Analyse seines 679 Blatt in Groß-4o starken autographen Lexicon Slavonico-Latinum, das von Charles-Étienne Jordan bzw. dessen Erben 1745/46 zusammen mit zwei weiteren, noch zu nennenden Lexika für 1000 Gulden an die Universitätsbibliothek Leiden verkauft wurde und ungedruckt geblieben ist13. Schließlich ist das allerdings nicht auf der Auswertung historischer Texte, sondern auf Feldforschung beruhende Lexicon Slavonicum Johan Gabriel Sparwenfelds, eines anderen Leibniz-Korrespondenten, 260 Jahre nach dem Tod seines Verfassers sogar noch einer Edition für würdig befunden worden14. An Leibniz sind La Crozes slavistische Arbeiten fast spurlos vorübergegangen, allerdings mit einer signifikanten Ausnahme. Ende 1709 regt er an, La Croze möchte auf der Basis seines russischen Lexikons „un extrait des racines“ anfertigen, „c’est à dire des mots principaux, dont la connoissance suffiroit à peu prés pour entendre facilement les autres“15. Bemerkenswerterweise wird hier also die bei der Analyse der chinesischen Charaktere betriebene Suche nach einem Schlüssel auf Zeichenebene übertragen auf die Lexik einer europäischen Sprache; nicht Geschichte oder Verwandtschaft einer Gruppe von Sprachen sollen die „Wurzeln“ erhellen, sondern das Verständnis der zugehörigen Einzelsprachen ermöglichen.
10 La Croze an Leibniz vom 23. September 1709, LBr. 517 Bl. 41–42. 11 Die Unterscheidung ist nicht immer scharf. In einer Denkschrift für J. R. von Patkul vom 30. Januar 1704 (A I, 23 N. 49 § 7) zielt Leibniz mit „dialectes“ aber offenbar auf selbständige Idiome derselben Herkunft im Unterschied zu gänzlich unverwandten Sprachen: solchen, „die nicht nur dialecto, sondern radicaliter von andern unterschieden“. 12 La Croze an Leibniz vom 30. Oktober 1709, LBr. 517 Bl. 43–44. In der Folge (vgl. den Brief vom 28. Januar 1710, Hannover GWLB Ms IV 469 Bl. 114–115) wird er sein russisches im Verhältnis zum nun in Arbeit befindlichen armenischen Lexikon nochmals abwerten; er scheint nach 1709 an Erstgenanntem nicht mehr weitergearbeitet zu haben. 13 Heute Leiden Universiteitsbibliotheek March. 75; vgl. Chr. Berkvens-Stevelinck: Catalogue des manuscrits de la Collection Prosper Marchand, Leiden u. a. 1988, S. 117 f. Zum Verkauf der Lexika vgl. dies.: „Une aventure mouvementée: les dictionnaires slave, copte et égyptien [!, lies: et arménien] de Mathurin Veyssière de La Croze“, in: LIAS 11 (1984), S. 137–145. 14 J. G. Sparwenfeld: Lexicon Slavonicum, Bde. 1–5, hrsg. von U. Birgegård, Uppsala 1987 bis 1992. 15 Leibniz an La Croze vom 26. Dezember 1709, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 45–46.
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Darf man aus La Crozes Zusage schließen, dass dieser einen solchen „recueil des principales racines“ überhaupt für realisierbar hielt16? Jedenfalls ist die Anregung folgenlos geblieben. Ungleich lebhafter interessiert zeigt sich Leibniz, als La Croze 1709 von der römischen Propaganda ein kleines albanisches Wörterbuch17 sowie eine albanische Übersetzung von Roberto Bellarminos Doctrina christiana18 erhält und als Probe eine Abschrift des albanischen Vaterunsers übersendet19, also eine Version des Schlüsseltexts für Leibniz’ sprachvergleichende Untersuchungen20. La Croze dürfte es zunächst nur darum gegangen sein, die Nichtverwandtschaft des Albanischen mit den slavischen Sprachen sowie dessen sprachliche Isolierung zu demonstrieren, hatte doch auf seine Nachfrage21 Leibniz noch 1705 vermutet, es müsste sich der geographischen Lage seines Verbreitungsgebietes wegen um „une espece d’Esclavon“ handeln, die zu Unrecht als „lingua illyrica“ bezeichnet werde22. Von dieser – in ihrem letzten Teil – aus heutiger Sicht zutreffenden Einsicht rückt Leibniz 1709 unvermittelt ab, widerspricht aber La Croze implizit, indem er in einzelnen Wörtern des albanischen Vaterunsers „beaucoup du Latin“, eine Übereinstimmung mit den „skythischen Sprachen“ (das „Attijγne“ des albanischen Textes assoziiert er offenbar mit dem vielzitierten gotischen atta „Vater“) und sogar „quelques petites traces de mots qui s’accordent avec l’Allemand“ zu finden meint23. Und La Croze – statt seine These „que cette langue ne tient du tout rien du Sclavon, ni d’aucune langue que je connoisse“24 zu verteidigen – identifiziert nun seinerseits „non seulement du Latin et de l’Allemand, mais encore du Grec ancien et vulgaire, du Sclavon, du Turc et de l’Italien“ in den von Bianchis Dictionarium gebotenen Materialien25, allerdings ohne zu versuchen, dafür den Nachweis im Einzelnen anzutreten. Er teilt aber reichlich Sprachproben mit, die
16 La Croze an Leibniz vom 28. Januar 1710, Hannover GWLB Ms IV 469 Bl. 114–115. 17 Fr. Bianchi: Dictionarium Latino Epiroticum, cum nonnullis usitatioribus loquendi formulis, Rom 1635. 18 R. Bellarmino: Dottrina Christiana composta per ordine di Papa Clemente VIII. Tradotta in lingua Albanese da Pietro Budi da Pietra Bianca, Rom 1664. 19 La Croze an Leibniz vom 30. Oktober 1709, LBr. 517 Bl. 43–44. 20 Leibniz’ „Albanerbriefe“ haben bereits seit 1835 die Aufmerksamkeit der Albanologen geweckt, denen allerdings lediglich die Drucke von Leibniz’ Briefen vom 24. Juni 1705, 10. Dezember und 26. Dezember 1709 vorlagen (Dutens V, 478 f., 494–497). Noch die letzte Publikation zum Thema (N. Reiter: „Leibniz’ens Albanerbriefe“, in: Zeitschrift für Balkanologie 16 [1980], S. 82–97) behandelt die Briefe, als stünden sie nicht im Kontext einer Korrespondenz, ja La Crozes Name wird nicht einmal erwähnt. Ein insgesamt schiefes Urteil über Leibniz’ Leistung ist die Folge. 21 La Croze an Leibniz vom 21. Mai 1705, LBr. 517 Bl. 3–4. 22 Leibniz an La Croze vom 24. Juni 1705, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 85–86; gedr. Dutens V, 478–479. 23 Leibniz an La Croze vom 10. Dezember 1709, ebd. Bl. 47–48; gedr. Dutens V, 494–495. 24 La Croze an Leibniz vom 30. Oktober 1709, LBr. 517 Bl. 43–44. 25 La Croze an Leibniz vom 16. Dezember 1709, LBr. 517 Bl. 45–46.
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nun wiederum Leibniz überwiegend nach den bekannten Prinzipien der kratyleischen Lautsymbolik, zum Teil aber auch aufgrund semantischer Spekulation mit deutschem, französischem etc. Wortgut in Verbindung bringt. Interessant ist etwa die von ihm in Kombination von lautlicher und semantischer Assoziation postulierte Verwandtschaft von alban. hunde „Nase“ mit dt. Hund, engl. hunting, hint und weiter dt. Kunde, frz. connoître, griech. γινώσκειν, nicht zuletzt weil er für den Nexus „Nase“ – „Hund“ noch die semantische Parallele gall. *trugna, kymr. trwyn „Nase, Schnauze“ – vlat. troia, frz. truie „Sau“ anführt26. Leibniz argumentiert also teilweise durchaus originell, ja im letztgenannten Beispiel geradezu avantgardistisch – auch wenn alle diese Versuche nach heutigen Begriffen verfehlt, da nicht methodisch abgesichert sind. Es fällt aber auf, dass bei aller Sprachbegabung La Croze gerade dort, wo der Austausch von Briefen wirklich zur Korrespondenz wird, Leibniz nicht Paroli bietet. Er lässt sich wie dieser von Assoziationen fortreißen, wo in Fällen unsauberer Argumentation oder gar zweifelhafter von Leibniz postulierter Wörter bzw. Bedeutungen ein Hiob Ludolf noch zur Ordnung gerufen hatte27. Immerhin verweist Leibniz angesichts der zahlreichen Anknüpfungspunkte an weitere Sprachen, die La Croze nun zu erkennen glaubt, auf die Notwendigkeit, auch im albanischen Wortschatz Ererbtes („ce qui luy est propre“) von Entlehntem („ce qui est emprunté“) zu unterscheiden – wiederum eine für die Zeit nicht selbstverständliche methodische Einsicht, die für Leibniz’ Zielsetzung, sich der Sprache als historischer Quelle zu bedienen, aber unabdingbar war. Tatsächlich ist es Leibniz mit den albanischen Sprachproben ernst: Ende 1711 kommt er darauf zurück mit der Bitte, ihm das albanische Vaterunser mit (lateinischer) Interlinearversion, darüber hinaus die albanische Version des Apostolischen Glaubensbekenntnisses und die Titel der erwähnten albanischen Bücher zukommen zu lassen. Beides erhält er, möglicherweise sogar zweimal, und lässt es von J. F. Hodann kopieren28, ein sicheres Anzeichen dafür, dass er eine Weiterverarbeitung plante. In die Collectanea etymologica haben diese Texte freilich nicht mehr Eingang gefunden, vielleicht auch deshalb, weil es sich letztlich um bereits mehrfach gedrucktes Material handelte29. Noch am 30. Mai 171230 und noch einmal
26 Leibniz an La Croze vom 26. Dezember 1709, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 45–46; gedr. Dutens V, 495–497. 27 Vgl. zur etymologischen Deutung von Hahnrei Ludolfs Brief an Leibniz vom 14. April 1700 (A I, 18 N. 330). 28 Die erste Bitte um das albanische Material findet sich in: Leibniz an La Croze vom 28. Dezember 1711, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 40. Leibniz wiederholt sein Anliegen am 20. Januar 1712, ebd. Bl. 38, da er die entsprechende Aufzeichnung verlegt habe. La Crozes Antwort vom 4. Februar 1712, LBr. 517 Bl. 53–54, wirkt allerdings nicht, als handele es sich bereits um den zweiten Anlauf. Die gewünschten Titel sind in den Brief eingebunden, von den mitgeschickten Texten ist aber offenbar nur Hodanns Abschrift überliefert (LBr. 517 Bl. 56–57). 29 Wie bereits am 6. April 1715 La Croze mitteilt (LBr. 517 Bl. 75–78), hat auf seine Initiative John Chamberlayne das albanische Vaterunser in seine Sammlung Oratio Dominica in diversas omnium fere gentium linguas versa, Amstelaedami 1715, aufgenommen (vgl. dort S. 62). Möglicherweise bezieht sich auf die Vorbereitung der Collectanea aber auch eine weitere,
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im Juli31 bittet Leibniz um Belege für La Crozes gewagte Behauptung, das Albanische stünde wie die baltischen Sprachen dem Keltischen viel näher als irgendeine andere ihm bekannte Sprache32, insbesondere nämlich das Germanische, dessen Verwandtschaft mit dem Keltischen Leibniz immer wieder hervorgehoben hat33. Doch La Croze ist in seiner Unrast längst weiter: Als er sein Lexicon Slavonico-Latinum im Oktober 1709 für abgeschlossen erklärt, hat er sich bereits seit einigen Monaten „jetté […] dans l’Etude de la langue Armenienne“34. Wie er im Einzelnen dazu gekommen ist, bleibt unklar. Zunächst gilt sein Interesse den besonderen Strukturen dieser Sprache:
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späte Briefstelle. Am 24. März 1715 erinnert Leibniz sich nur noch vage des Vorgangs (Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 22–23). Er kann das albanische Vaterunser wiederum nicht finden und bittet ein weiteres Mal um eine Neuzusendung. Eine Reaktion von La Croze darauf ist nicht ersichtlich. Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 34–35. Leibniz an La Croze vom 6. Juli 1712, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 32–33. La Croze an Leibniz vom 4. April 1712, LBr. 517 Bl. 59–60. Schon früh (1692) hat Leibniz dafür die Formel gefunden von „les Celtes Galates ou Gaulois, qui differoient des Germains, à peu pres comme le Latin d’avec le Grec“ („Histoire de Bronsvic“, in: G. W. Leibniz: Schriften und Briefe zur Geschichte, Hannover 2004, S. 844). Zusammenfassend bekräftigt Leibniz seinen Standpunkt in einem Brief an La Croze vom 30. Mai 1712, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 34–35, und besonders in ders. an dens. vom 11. September 1716, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 4–5: „Car il me paroist probable que les Gaulois et les Germains sont d’une même origine. Aussi la moitié de la langue des Galles, ou des Bretons convient avec le Teutonic connu, et apparemment une grande partie de l’autre moitié convenoit avec le Teutonique perdu“. La Croze widerspricht nachdrücklich in seinem Brief vom 3. Oktober 1716, LBr. 517 Bl. 94–97. Dabei beruft er sich auf angelsächsische Entlehnungen im modernen Kymrisch, die Leibniz’ (seines Erachtens falschen) Eindruck hervorgerufen haben könnten, und stellt darüber hinaus eine Serie von 32 „mots d’usage“ zusammen, die – er zitiert jeweils das gebräuchliche kymrische bzw. bretonische und deutsche Wort für einen (überwiegend konkreten) Begriff – durch ihre lautliche Unähnlichkeit ihre etymologische Nichtverwandtschaft vor Augen führen sollen. Tatsächlich belegen nicht wenige seiner Beispiele das gerade Gegenteil; vgl. kymr. ci/ dt. hund, kymr. ych/ dt. Ochs(e), kymr. carw/ dt. Hirsch, kymr. chwaer/ dt. Schwester, kymr. haul/ dt. Sonne (< idg. *sau dass., mit -enSuffix). Auch lässt er unberücksichtigt, dass die jeweils geläufigen kymrischen bzw. deutschen Lexeme Resultat einer innersprachlichen Entwicklung sein können. So gehört kymr. afon „Fluss“ (vgl. die englischen Flüsse mit Namen Avon) zwar nicht zu dt. Fluss, wohl aber zu dt. Aue (Grundbedeutung „Wasser“). Obwohl Leibniz mit denselben methodischen Defiziten zu kämpfen hatte wie La Croze, hat er in seiner nicht datierten Antwort (Hannover GWLB Ms IV 469 Bl. 108.113.109–112), die wohl nicht mehr abgefertigt worden ist, sich doch die Mühe gemacht, La Crozes Liste Punkt für Punkt durchzugehen, und hat – auch ohne Kenntnis der zugrundeliegenden Lautgesetze – in etlichen Fällen das Richtige getroffen. Fehlgriffe wie die auf den ersten Blick so plausible Zuordnung von kymr. troed „Fuß“ zu dt. treten oder die Zusammenstellung von kymr. afon mit dt. Abend, Ebbe, lat. abitus geben aber deutlich zu erkennen, dass nicht nur auf dem Weg über lautliche Assoziationen, sondern auch entlang teilweise raffinierter semantischer Entwicklungslinien zu methodisch gesicherten Ergebnissen nicht zu gelangen war. La Croze an Leibniz vom 30. Oktober 1709, LBr. 517 Bl. 43–44.
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„Je ne connois point de langue au monde plus difficile, ni plus singuliére. Par exemple, elle n’a point de genres, et quoiqu’elle ait des articles ceux des hommes et des femmes ne different point. L’adjectif est toujours le même et ne varie point. L’infinitif se decline comme un nom, et garde pourtant sa signification“35.
Schon hat er aber auch „plusieurs mots Allemans“ entdeckt und nimmt sogleich ein armenisches Lexikon in Angriff36. Über die ihm von Gisbert Cuper in Aussicht gestellte Mitteilung der armenischen Medaillen aus Pariser Sammlungen strebt er ferner eine Chronologie der armenischen Könige vom 12.–14. Jahrhundert an37. Sechs Wochen später steht dagegen die armenische Bibelübersetzung im Zentrum seines Interesses und die Möglichkeit, mit ihrer Hilfe den Text der Septuaginta zu verbessern38. Beim Erlernen der ihm noch ganz fremden Sprache bedient sich La Croze zeitweilig der Hilfe eines durchreisenden Armeniers39, und schon im Februar 1712 hat er sein mit 1.300 Blatt in Groß-4o besonders umfangreiches Lexikon40 abgeschlossen41. Leibniz steht La Crozes begeisterten Berichten reserviert gegenüber: Er erinnert sich der verfehlten Versuche des Andreas Acoluthus, eine Verwandtschaft, ja Identität des Armenischen mit dem Koptischen nachzuweisen42, und neigt dazu, im Georgischen ein lohnenderes Studienobjekt zu sehen „à cause de la multitude des modes“43. (Später stellt sich heraus, dass er seine Kenntnisse aus der Rezension einer georgischen Grammatik im Giornale de letterati bezieht44.) Mit dem Hinweis auf das Georgische wirft er La Croze fast aus der Bahn, den vermutlich nur das Fehlen einer georgischen Bibel daran gehindert hat, sich sogleich auch auf diese Sprache zu stürzen45. Obwohl er die Bedeutung des Armenischstudiums für Kirchengeschichte und Bibeltext anerkennt46, verspricht sich Leibniz doch sichtlich nichts davon für seine eigenen Anliegen, bis er spät, im April 1715, doch noch 35 Ebd. 36 Ebd.; vgl. auch La Croze an Leibniz vom 28. Januar 1710, Hannover GWLB Ms IV 469 Bl. 114–115. 37 Ebd. 38 La Croze an Leibniz vom 16. Dezember 1709, LBr. 517 Bl. 45–46. 39 Ebd. 40 Heute Leiden Universiteitsbibliotheek cod. or. 431 A. Zu den Beigaben vgl. BerkvensStevelinck, S. 138 f. 41 La Croze an Leibniz vom 4. Februar 1712, LBr. 517 Bl. 53–54. 42 Vgl. Acoluthus an Leibniz vom 27. August 1695; A I, 11 N. 438, 638: „Armenos […] et Aegyptios unum eundemque populum esse statuo, quanquam nomen sit diversum“. 43 Leibniz an La Croze vom 10. Dezember 1709, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 47–48. 44 Leibniz an La Croze vom 26. Dezember 1709, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 45–46. Es handelt sich um Fr. M. Maggio: Syntagmaton linguarum orientalium quae in Georgiae regionibus audiuntur liber primus complectens Georgianae, seu Ibericae vulgaris linguae institutiones grammaticas, Romae ex typographia sacrae Congregationis de Propaganda fide 1643, wiederholt ebd. 1670; besprochen im Giornale de letterati, Romae 1670, S. 59–61, zitiert in A I, 11 N. 302, wo S. 447 Z. 3 Erl. entsprechend zu korrigieren ist. 45 La Croze an Leibniz vom 16. Dezember 1709, LBr. 517 Bl. 45–46. 46 Leibniz an La Croze vom 14. Dezember 1711, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 41–42.
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eine Fragestellung damit verknüpft, die ins Zentrum seiner Interessen führt: Wie La Croze es sich denn erkläre, dass das Armenische, das dem Hebräischen und Arabischen so fern stehe, dennoch die Sprache des Landes sei, wo laut „Moses“, d. h. des Verfassers des Pentateuch, das irdische Paradies gelegen habe. Und er liefert gleich eine Erklärung mit: Wenn nun das Armenische die Sprache von Eroberern wäre, die einst die Nachfahren Noahs vertrieben, der den Ort des irdischen Paradieses mit seiner Landung auf dem Berge Ararat wiederbesiedelt hätte? Wären diese Armenier vielleicht aus dem skythischen Raum gekommen? Dann müsste sich das doch erweisen lassen, sollte das Armenische Übereinstimmungen mit den heutigen slavischen Sprachen aufweisen? Oder vielleicht mit dem Ungarischen? Oder dem Türkischen47? Damit ist Leibniz bei einer seiner Kernfragen – auf historischem Gebiet und vielleicht darüber hinaus – angelangt: dem Ursprung der Völker. Der Begriff fällt allerdings erst in seinem Brief vom 11. September 1716, wo er noch einmal auf das Thema zurückkommt48, unter ausdrücklichem Verweis auf seinen einschlägigen Beitrag zu den Miscellanea Berolinensia von 1710: De originibus gentium49. So hätte eine gelungene Analyse des Armenischen der Königsweg werden können zur Erkenntnis über die Anfänge aller Völkerwanderungen. Auf diese Fragen ist La Croze allerdings nicht eingegangen. Trotz seiner erwähnten historischen Interessen, die ihn veranlassen, seinem armenischen Lexikon einen Abriss der armenischen Geschichte folgen zu lassen50, bevorzugt er sprachliche, insbesondere lexikalische Spekulationen, die ihren Höhepunkt finden in der kühnen These, das Armenische und das abgesehen von Eigennamen fast nur in Form von Entlehnungen im Persischen überlieferte Medische stimmten überein51 bzw., wie Leibniz in seiner erstaunlich verzögerten Nachfrage zuerst formuliert, seien ein und dieselbe Sprache52. Tatsächlich tritt La Croze dafür den „Beweis“ an, indem er die bei Herodotos und Hesychios überlieferten Namen der medischen Provinzen und Könige, aber auch Eigennamen aus den biblischen Büchern Esther und Daniel aus dem Armenischen erklärt. Ja, sogar die in Aristophanes’ „Acharnern“ dem Pseudartabas, dem angeblichen Gesandten des persischen Großkönigs, in den Mund gelegten Kauderwelschverse 100 und 104 führt er einer schlüssigen „interpretatio Armena“ zu und beweist nebenher schlagend, dass das
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Leibniz an La Croze vom 29. April 1715, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 16–17. Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 4–5. Vgl. die Edition in Leibniz: Schriften und Briefe zur Geschichte, S. 354–389. So nennt La Croze selbst in seinem Brief an Leibniz vom 23. November 1714, LBr. 517 Bl. 73–74, die 95 Seiten in Groß-4o seiner „Dissertation sur la langue et la nation Armenienne“. Vgl. dazu auch seine Briefe vom 16. Oktober 1711 (ebd. Bl. 51–52) und vom 6. April 1715 (ebd. Bl. 75–78). 51 Vgl. „la convenance entre la langue des Armeniens et celle des Medes“ in La Croze an Leibniz vom 4. Februar 1712, LBr. 517 Bl. 53–54. 52 Vgl. Leibniz an La Croze vom 24. März 1715, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 22–23.
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Persische und das Medische „different entierement l’une de l’autre“53, woraus noch im März 1712 bei Leibniz die Annahme geworden ist, dass Meder und Perser „étoient des peuples d’une race toute differente“54. Wie offenbar auch andere gelehrte Zeitgenossen55 hat er diesen Nebeneinanderstellungen nichts entgegenzusetzen56, da eine Unbekannte durch eine andere Unbekannte auf Plausibilitätsbasis erklärt wird57. Das Armenische wird La Croze (und damit Leibniz) bis ans Ende ihrer Korrespondenz noch wiederholt beschäftigen58, doch mit fortschreitender Zeit wird immer deutlicher, dass von allen Projekten seines Korrespondenten nur eines Leibniz wirklich am Herzen liegt: die „recherche des caracteres chinois“, denn, wie es weiter heißt, „si nous pouvions decouvrir la clef des caracteres chinois, nous trouverions quelque chose qui serviroit à l’analyse des pensées“59. Wie sehr aber Leibniz und La Croze in ihrem Denken und in ihren Zielsetzungen divergierten, ist der platten, offensichtlich auf Leibniz’ zuletzt zitierten Satz gemünzten Bemerkung von La Croze zu entnehmen: „Je ne me souviens point d’avoir rien remarqué dans la langue Chinoise qui puisse servir à l’analyse des pensées“60. Das hindert ihn aber nicht, für sich in Anspruch zu nehmen, den Schlüssel zur chinesischen Sprache gefunden zu haben. Am 30. Juni 1707 erklärt er: „Il y a longtemps, Monsieur, que je vous ai parlé de la langue Chinoise et de la facilité que je crois qu’il y auroit à l’apprendre. En un mot je crois avoir trouvè la clef de la langue chinoise beaucoup plus certainement que Monsieur Mentzel; je ne parle point de Monsieur Muller: j’ai des preuves positives que ce dernier ne savoit pas même lire le Chinois. […] il n’est pas croiable
53 La Croze an Leibniz vom 6. April 1715, LBr. 517 Bl. 75–78; zur Deutung von Aristophanes’ V. 100 vgl. M. L. West: „Two Passages of Aristophanes“, in: Classical Review, N. S., 18 (1968), S. 5–7. 54 Leibniz an La Croze vom 17. März 1712, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 36–37. Die bedenkenlose Ineinssetzung von Ethnizität und Sprache findet sich auch sonst bei Leibniz, vgl. Leibniz: Schriften und Briefe zur Geschichte, S. 589, § 5 und S. 791, Anm. 38. 55 Vgl. La Croze an Leibniz vom 6. April 1715, LBr. 517 Bl. 75–78: „Mr Reland à qui j’ai communiqué une partie de mes preuves m’a paru en convenir“. 56 Vgl. seine zustimmende Antwort vom 29. April 1715, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 16–17. 57 Dabei werden für die Theorie grundlegende Annahmen wie das Fortleben des Medischen am persischen Königshof noch in der 2. Hälfte des 5. Jh. v. Chr. en passant suggeriert: „du Mede, dont apparamment on avoit jusqu’alors conservé l’usage à la Cour de Perse“ (La Croze an Leibniz vom 4. Februar 1712, LBr. 517 Bl. 53–54). 58 So berichtet La Croze in seinem Brief vom 23. November 1714, LBr. 517 Bl. 73–74, von einer Reise nach Leipzig, wo er in der Ratsbibliothek eine armenische Chronik abgeschrieben hat. Hierher gehört auch die armenische Grabinschrift aus dem Dom von Lucca, die Leibniz am 9. Dezember 1715 La Croze mit seinem Brief (Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 14–15) zur Erklärung übersandte; vgl. La Crozes Deutung (LBr. 517 Bl. 85, Beilage zu seinem Brief vom 20. Dezember 1715, ebd. Bl. 83–84) und die von La Croze wohl für eigene Zwecke dazu angefertigte ausführlichere Aufzeichnung (Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 91). 59 Leibniz an La Croze vom 8. Oktober 1707, Nachlaß Leibniz Nr. 7 Bl. 81–82. 60 La Croze an Leibniz vom 1. November 1707, LBr. 517 Bl. 7–8.
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Malte-Ludolf Babin combien cela rend l’étude de cette langue claire et aisée. Le tout ne depend que de deux principes fort aisez, et d’un petit Lexicon du P. Martinius“61.
Aus Zeitnot und weil er nicht sicher sei, dass Leibniz an der Frage Interesse habe, verzichtet La Croze allerdings auf nähere Erklärungen und fügt lediglich einige Monate später hinzu, mit Hilfe der von ihm entdeckten „véritable clef de la Langue Chinoise“ „on peut apprendre sans trop de peine à lire, prononcer, et entendre tous les livres Chinois“62. Ohne sein mit dieser Ankündigung verbundenes Versprechen, nähere Auskünfte folgen zu lassen, wahr gemacht zu haben, wird La Croze schon im März 1708 ausdrücklich das Chinesische zugunsten der Beschäftigung mit den slavischen Sprachen ein erstes Mal ganz aufgeben63, und abgesehen von Leibniz’ regelmäßigen Ermahnungen, das Chinesische nicht aus den Augen zu verlieren64, hören wir bis zum Juni 1712 nichts mehr vom Chinesischen. Da verkündet La Croze überraschend, das Chinesische wieder vornehmen zu wollen, doch seinen Weg dorthin gedenkt er – über das Koptische zu nehmen! Zur Begründung schreibt er: „[…] je suis comme persuadé que cette langue est la clef des Hieroglyphiques, et que semblable en cela au Chinois c’est une langue Philosophique, faite par systême où tout signifie, tout est analogique, et où […] les mots les plus longs se resolvent en lettres qui ont chacune leur signification de sorte qu’une parole simple est en cette langue le resultat de plusieurs idées“65.
Leibniz findet die Vorstellung, das Koptische könnte „servir de degré pour mieux arriver à la connoissance des caracteres Chinois“ einigermaßen zweifelhaft; doch die Erinnerung, dass der P. Bonjour einen ähnlichen Weg eingeschlagen hat, und der Gedanke an die – demnach mit den chinesischen Verhältnissen vergleichbare – jahrhundertelange Priesterherrschaft in Ägypten versöhnen ihn mit La Crozes Plänen66. Kaum ein Jahr später aber verkündet dieser aus heiterem Himmel: „Pour ce qui est des etudes Chinoises; c’est une affaire faite“67. Eine Begründung dafür gibt er nicht68, seiner recht dünnen Entschuldigung ist aber zu entnehmen, dass er
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La Croze an Leibniz vom 30. Juni 1707, LBr. 517 Bl. 5–6. La Croze an Leibniz vom 1. November 1707, LBr. 517 Bl. 7–8. La Croze an Leibniz vom 12. März 1708, LBr. 517 Bl. 7–8. Vgl. Leibniz an La Croze vom 13. September 1709, Nachlaß Nr. 7 Bl. 73–74, und besonders vom 15. April 1710, ebd. Bl. 43–44: „[…] les Chinois meriteroient bien d’avantage vos soins, et pour faire quelque chose de bon dans la literature chinoise, vous avés à la Bibliotheque du Roy des subsides que vous ne trouverés point ailleurs“. La Croze an Leibniz vom 26. Juni 1712, LBr. 517 Bl. 63–64. Leibniz an La Croze vom 6. Juli 1712, Nachlass Nr. 7 Bl. 32–33. La Croze an Leibniz vom 28. Juni 1713, LBr. 517 Bl. 69–70. Bald nach Leibniz’ Tod wird La Croze dem Orientalisten Johann Christian Clodius gleich zwei Gründe nennen, ungenügende sprachliche Grundkenntnisse und ein mangelndes Interesse der chinesischen Literatur überhaupt: „[…] de analysi linguae Sinensis nonnulla forte docere possem, ea tamen omnino inutilia sine lexicis et institutione ea grammatica, quae et elementa litterarum, et voces characteristicas docet. Hortante ill. Leibnitio ei linguae operam
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seine auch hier noch einmal beschworenen „bien des conjectures sur l’origine des hieroglyphiques, et des preuves assez bonnes de la ressemblance des anciennes lettres Chinoises avec celles d’Egypte“ noch nicht einmal zu Papier gebracht hat. Seine koptischen Studien dagegen wird er nicht aus den Augen verlieren und deren Frucht, das Lexicon Aegyptiaco-latinum, erst 1721 abschließen69. La Crozes drittes Wörterbuch wird als einziges – wenn auch postum – gedruckt und erscheint 1775, wenngleich stark gekürzt, in Oxford. An den „études Chinoises“ ist La Croze dagegen gescheitert wie vor ihm Andreas Müller und Christian Mentzel. Ausschlaggebend dafür dürften nicht die objektiven Schwierigkeiten gewesen sein, die einer erfolgreichen Auseinandersetzung mit dem Chinesischen in Mitteleuropa um 1700 entgegenstanden.Vielmehr hat sich La Croze durch die Thesen des von ihm verachteten Andreas Müller wie durch Leibniz’ Erwartungshaltung dazu verführen lassen, vorschnell ein System in die Form der chinesischen Charaktere hineinzuinterpretieren, einen „Schlüssel“ zu entdecken, der es erlauben sollte, die s. E. nach dem Baukastenprinzip zusammengesetzten einzelnen „Wörter“ „Buchstabe“ für „Buchstabe“ zu analysieren. Mit seiner These, dass „une parole simple est en cette langue le resultat de plusieurs idées“70, hat er trotz seines behaupteten Widerspruchs sich Leibniz’ Hoffnung, im Chinesischen etwas zu finden, „qui serviroit à l’analyse des pensées“71, bereits zu eigen gemacht, nur mit dem Unterschied, dass ihm die Erforschung der Sprache Selbstzweck ist, während Leibniz’ Suche einem Vorbild für seinen Gedankenkalkül gilt. Als er aber erkennen muss, dass sich das sprachliche Material nicht seinem System fügen will, lässt er die Arbeit am Chinesischen fallen, freilich ohne zuzugeben, dass seine Vorstellungen vom „systême où tout signifie“72 der sprachlichen Realität nicht standgehalten haben. Dass sich La Croze dennoch eine gewisse Kennerschaft auch auf diesem Gebiet erworben hat, dafür spricht seine grundsätzlich korrekte Einordnung des Hokkien-spanischen Vokabulars73, das er im Bestand der Königlichen Bibliothek entdeckt hatte und das er in einem seiner ersten Briefe an Leibniz beschreibt74. Die Klassifikation der „lengua sangleya“ als chinesischer Dialekt ist überraschend korrekt; dass La Croze nicht den Bezug zu den Philippinen hergestellt hat, der
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qualemcumque dare coeperam, quam tamen paullo post abieci, ut aliis rebus longe, sic enim censebam, utilioribus studerem. Quid enim docent libri Sinenses, si eorum historiam excipias, quam ex Martinio et aliunde discere sufficienter commodeque possumus“? (Brief vom 13. Juni 1718, in: Thesaurus epistolicus Lacrozianus, T. 3, Lipsiae 1746, S. 96–98, hier S. 97). Heute Leiden Universiteitsbibliotheek cod. or. 431 B; vgl. dazu Berkvens-Stevelinck, S. 144. Vgl. Anm. 65. Vgl. Anm. 59. Vgl. Anm. 65. Bocabulario de lengua sangleya, so benannt nach dem die Sammelhandschrift eröffnenden Vokabular (Bl. 2a–224b), ehemals Königliche Bibliothek Berlin, heute London British Library Add. 25317. La Croze an Leibniz vom 23. April 1704; A I, 23 N. 213.
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auch den spanischen Anteil des Bocabulario erklärt, wird man ihm nicht vorwerfen. Leibniz dagegen hat aller widerstreitenden Indizien ungeachtet einmal mehr der lautlichen Assoziation nachgegeben und einen Bezug zu Ceylon („Cingalesen“) hergestellt75. Bedingt durch seine Biographie wie aus persönlicher Neigung verfügte La Croze über einen sprachlichen Horizont, der deutlich über den seines Korrespondenzpartners Leibniz hinausging und sein Ansehen unter den Zeitgenossen in nicht geringem Maße mitbegründet haben dürfte76. Für die Leichtigkeit, mit der er sich neue Sprachen aneignete und die Jordan ausdrücklich bezeugt77, spricht seine lexikographische Lebensleistung, wie sie sich auch in der Leibniz-Korrespondenz spiegelt. Mit wieviel Sorgfalt und kritischem Verstand er dabei vorging, wird nur eine Untersuchung der Wörterbücher klären können. Seine Briefe an Leibniz bestechen zwar durch die Mannigfaltigkeit ihrer Themen; sie zeugen aber auch von einer Neigung zu übereilten Schlüssen und einer Lust an der Spekulation, die vielfach sein Urteil trüben. Die bloße Existenz seiner Lexika, aber auch der Einblick in seine Arbeitsweise, wie ihn insbesondere die Korrespondenz mit Leibniz gewährt, weisen La Croze als Sammler aus, begabt mit ungeheurem Fleiß, aber einer wenig ausgeprägten Veranlagung zu systematischer Organisation seiner Einzelerkenntnisse bzw. zu deren Betrachtung im Lichte übergeordneter Gesichtspunkte. Es genügt ihm, wie wir gesehen haben78, anhand von zahlreichen, aufs Geratewohl zusammengerafften Beispielen die sprachliche Ferne von Keltisch und Germanisch – wie er meint – nachzuweisen; zu fragen, wie sich dieser Befund mit der großen historischen Nähe beider Völker verträgt, kommt ihm offenbar nicht in den Sinn. So war La Croze für Leibniz in erster Linie durch die immer neuen Materialien, die er zu beschaffen wusste, interessant und anregend, doch gegenüber Leibniz’ dringendstem Anliegen hat er versagt und musste er versagen: den Schlüssel zu den chinesischen Charakteren konnte auch er nicht beschaffen. Aus der Perspektive des modernen Wissenschaftshistorikers dagegen bewahrt der Briefwechsel seinen Reiz als frühes Zeugnis der Beschäftigung mit Sprachen und Texten, die erst im 19. Jahrhundert Gegenstand eigener Disziplinen werden sollten.
75 Leibniz an La Croze vom 3. Mai 1704; A I, 23 N. 235. 76 Vgl. die Aufzählung der Sprachen, die er großenteils auch aktiv beherrscht haben soll, in Ch.-É. Jordan: Histoire de la vie et des ouvrages de Mr. La Croze, Amsterdam 1741, S. 227. 77 Ebd. 78 Vgl. Anm. 33.
LEIBNIZ UND DAS EUROPÄISCHE INTERESSE AN CHINESISCHER SPRACHE UND SCHRIFT Von Wenchao Li (Hannover/Potsdam) Zu den großen kulturellen und zivilisatorischen Entdeckungen Europas im 16./17. Jahrhundert zählt ohne Zweifel auch die Begegnung mit der chinesischen Sprache und der damit verbundenen chinesischen Schrift. Es gab in der Tat kaum ein ChinaBuch, das sich nicht mehr oder weniger mit diesem Thema auseinandersetzte, so bildete die Einordnung von chinesischer Sprache und Schrift einen nicht unwichtigen und vor allem nicht uninteressanten Schauplatz in der gesamten europäischen Rezeption Chinas als einer fernöstlichen Kultur- und Zivilisationsmacht1. Der folgende Aufsatz beginnt mit einer Zusammenfassung zeitgenössischer Berichte über die Eigenart und Beschaffenheit des Chinesischen aus Sicht der ChinaMissionare; anschließend erfolgt eine, ebenfalls kurze, Ausführung der Diskussionen darüber in den damaligen sprach- wie geistes- und kulturgeschichtlichen Zusammenhängen. Gottfried Wilhelm Leibnizens Interesse widmen sich die letzten zwei Abschnitte; auf Leibnizens Beschäftigung mit den von Joachim Bouvet übermittelten, so genannten „caracteres de Fohi“ in seinen zahlreichen Briefen und Abhandlungen2 geht der vorliegende Beitrag nicht ein.
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Genannt seien hier aus der zahlreichen Forschungsliteratur V. Pinot: La Chine et la Formation de l’èsprit Philosophique en France, Paris 1932; D. Mungello: Curious Land. Jesuit Accommodation and the Origins of Sinology (= Studia Leibnitiana, Supplementa 25), Stuttgart 1985. Siehe H. J. Zacher: Die Hauptschriften zur Dyadik von G. W. Leibniz. Ein Beitrag zur Geschichte des binären Zahlensystems (= Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 5), Frankfurt a. M. 1973. G. W. Leibniz: Discours sur la Théologie Naturelle des Chinois, mit einem Anhang: Nicolas Longobardi, Traité sur quelques points de la religion des Chinois; Antoine de Sainte Marie, Traité sur quelques points importans de la Mission de la Chine; Nicolas Malebranche, Entretien d’un Philosophe Chrétien et d’un Philosophe Chinois sur l’Existence et la Nature de Dieu; Leibniz, Marginalien; Rezensionen aus dem Journal des Sçavans; Leibniz, Annotationes de cultu religioneque Sinensium (= Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 13), Frankfurt a. M. 2002, S. 103–112, S. 268–270 (Annotationes de cultu religioneque Sinensium).
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I Berichte über die Singularität chinesischer Sprache und deren Schrift zählten, spätestens seit der (lateinischen) Übersetzung und Veröffentlichung der Aufzeichungen Matteo Riccis durch seinen Ordensbruder Nicolas Trigault3 zu den festen Bestandteilen vor allem jesuitischer Publikationen über China und die chinesische Kultur4. Auch auf diesem Gebiet gilt die Feststellung von Hans Poser: Als Gottfried Wilhelm Leibniz in seine Zeit hineinwuchs, lagen bereits ausführliche Informationen aus erster Hand vor und die Diskussionen hatten längst begonnen5. Wie inzwischen allgemein bekannt, kennt das Chinesische, im Unterschied zu den meisten der europäsichen Gelehrtenwelt bis dahin bekannten Sprachen, keine Buchstaben und verfügt über kein Alphabetum. „Was die Sinesischen Characteren betrifft“, so wusste etwa Louis Le Comte, ein französischer Missionar, zu berichten, „ist dasselbe nicht weniger sonderbar / als die Sprache. Sie haben kein Alphabet wie wir / welches den Grund / und gleichsam den Anfang der Worte in sich hält. Sie begreifen auch selbst nicht / welcher Gestalt wir mit so einer kleinen Anzahl der Figuren / deren iedwede nichts bedeutet / alle unsere Gedancken zu Papir bringen; eine unzehliche Menge Bücher verfertigen; und gantz vollkommene Bibliothecken anrichten können“6.
Chinesische Schriftzeichen, oft Charaktere oder Figuren genannt, bestünden eher aus Strichen und ähnelten in ihrer Form ägyptischen oder mexikanischen Hieroglyphen. Schreiben bedeute daher keine Zusammensetzung einer bestimmten Anzahl von Buchstaben in einer linealen Reihenfolge, sondern eher ein Zeichen oder auch ein Bild7 zu „malen“ („peindre“) – ein in den Berichten oft benutztes Verb. Da so für jeden Gegenstand einschließlich emotionaler und gedanklicher Zustände ein ihm entsprechendes eigenes Zeichen erforderlich sei, sei das Chinesische durch einen Reichtum der Schriftzeichen gekennzeichnet, deren Anzahl mit
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N. Trigault: De christiana expeditione apud Sinas suscepta ab Societate Jesu; ex P. Matthaei Ricii eiusdem societatis commentariis, Augsburg 1615. Zahlreiche Auflagen und Übersetzungen, unter anderem französisch: Lyon 1616; China in the Sixteenth Century. The Journals of Matthew Ricci (1583–1610), aus dem Lateinischen übers. von L. J. Gallagher, New York 1953. Verwiesen sei nur auf Schriften, die der obigen Zusammenfassung zugrunde lagen: A. Semedo: Imperio de la China, Madrid 1642; Histoire Universelle de la Chine, traduites nouvellement en françois, Lyon 1667, Chap. VI: „Du langage et des lettres don’t ils se servent“. L. Le Comte: Nouveaux Memoires sur l’etat present, Paris 1696; deutsch: Das heutige Sina, Frankfurt / Leipzig 1699. Gabriel de Magaillans: Nouvelle Relation de la Chine, contenant la description des particularitez de ce grand Empire […] traduite du Portugais en François, par le Sr. B[ernou], Paris 1688. Siehe ausführlich D. Mungello: Curious Land, S. 76–79 (über Alvarez Semedo), S. 96–102 (über Gabriel de Magaillans), S. 340–342 (über Louis Le Comte). H. Poser: „Leibnizens Novissima Sinica und das europäische Interesse an China“, in: W. Li/H. Poser (Hrsg.): Das Neueste über China. G. W. Leibnizens Novissima Sinica von 1697 (= Studia Leibnitiana, Supplementa 33), Stuttgart 2000, S. 11–28, hier S. 11. Le Comte, S. 265. Zum Streit zwischen Andreas Müller und Grebnitz siehe unten.
Leibniz und das europäische Interesse an chinesischer Sprache und Schrift
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70.000 oder 80.000 angegeben wurde8. Sich diese Zeichen eins nach dem anderen anzueignen und möglichst viele von ihnen zu beherrschen bilde eine lebenslange Aufgabe des chinesischen Gelehrten und sei nur unter großem Zeitaufwand zu erreichen – Die Mindestzahl der zu erlernenden Zeichen wurde von Ricci mit 10.000 angegeben9. Entsprechend sehr gefragt bzw. belastet werde aus diesem Grund das Gedächtnisvermögen. Insofern konnte Le Comte seinen portugiesischen Ordensbruder Magaillans nicht verstehen, der in seiner Nouvelle Relation de la Chine behauptet habe, „dass die Sinesische Sprache viel leichter als die Griechische / Lateinische / und alle andere Sprachen in Europa, seye“10. Doch auch hierin sehen Matteo Ricci und einige seiner Gefährten keine nennenswerten Nachteile: Für Jugendliche und Müßiggänger sei dies durchaus eine sinnvolle Beschäftigung. Ferner gebe es ca. 200 Elemente11, aus denen die übrigen Zeichen zusammengesetzt worden zu sein scheinen, „doch werden sie [die Elemente] überaus frei verwendet“12! So könne man in gewissem Sinne von einfachen Zeichen und deren Komposita sprechen. Die einfachen Zeichen bestünden aus Linien, Punkten und Strichen wie etwa13 心 (xin für Herz), 木 (mò für Holz), 土 (tu für Erde) oder 主 (zhu für Herrscher); die Komposita scheinen zusammengesetzt zu sein aus einfachen Zeichen bzw. deren Vereinfachung, so sei etwa 恕 (ru für Milde) aus 如 (ru für wie) und 心 (xin für Herz), 柱 (zhu für Säule) aus 木 (mo für Holz) und 主 (zhu für Herrscher oder Haupt etc.) enstanden. Weitere „Lieblingsbeispiele“ waren etwa 林 (lin für Hain), zusammengesetzt aus zweimal 木 (mu für Holz), und 森 (sen für Wald) aus dreifachen 木 (mu für Holz)14. Übersehen wurde dabei zu Beginn offensichtlich, dass diese Radikale eigentlich nur zur Anordnung bzw.
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Nach Trigaults De christiana expeditione apud Sinas; Magaillans gibt die Zahl der Zeichen mit genau „54.409“ an. Das bekannte Kangxi-Wörterbuch enthält 47035 Zeichen; das Moderne Wörterbuch des Chinesischen (汉语大字典) listet 60370 Zeichen auf; das 中华字海 (1994) 85568 Zeichen. Das 1988 staatlich herausgegebene Verzeichnis der häuftig bebutzten Schriftzeichen listet hingegen nur 3500 Zeichen auf, wovon 2500 alltäglich gebraucht würden. Das im gleichen Jahr herausgegebene Verzeichnis der modernen gebräuchlichen Schriftzeichen (现代汉语通用字表) enthält 7000 Zeichen. Das ist freilich weit übertrieben. Für die alltägliche Lektüre genügen etwa 3500 Zeichen. Le Comte, S. 259. Gemeint sind wohl die sogenannten Radikale, von denen manche selbstständige Zeichen sind. Vgl. unten, Anm. 15. „[…] sed nimis laxè sumuntur“, so soll Claudio Filippo Grimaldi in Rom zu Leibniz gesagt haben. Siehe Leibnizens Aufzeichnung seiner Unterredung mit Grimaldi im Juli 1689. G. W. Leibniz: Der Briefwechsel mit den Jesuiten in China (1689–1714), Französisch/Latein – Deutsch, hrsg. und mit einer Einleitung vers. von R. Widmaier, Textherstellung und Übersetzung von M.-L. Babin, Hamburg 2006, S. 2–3. Im Folgenden zitiert als Widmaier/Babin. Die Beispiele sind Magaillans’ Nouvelle Relation de la Chine entnommen. Ebenfalls Magaillans’ Nouvelle Relation de la Chine.
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zum Nachschlagen der Lemmata in traditionellen Wörterbüchern und Lexika dienten (und dienen)15. Ausführlicher geht Alvarez Semedo auf die Konstruktion chinesischer Zeichen ein. Explizit auf seine Darstellungen in der Histoire Universelle de la Chine (Madrid 1642) werden einheimische Gelehrte wie Athanasius Kircher16, Louis Thomassin17, Brian Walton18 und John Wilkins19 zurückgreifen. Semedo führt die Zusammensetzung der Grundzeichen auf insgesamt neun Striche zurück, aus deren Anordnung und durch Hinzufügung neue Zeichen mit neuer Bedeutung entstünden. So, mit einem gerade gezogenen Strich, wird die Eins 一 bezeichnet; fügt man einen senkrecht gezogenen Strich hinzu, entsteht das Zeichen 十 für die Zahl 10. Das Zeichen 土 mit einem unten gerade gezogenen Strich bedeutet die Erde, fügt man einen oben gezogenen Strich hinzu, entsteht das Zeichen 王 für König. Fügt man dem Zeichen 王 einen Punkt links oben hinzu, entsteht das Zeichen 玉 für Jade, kommen einige Striche dem Zeichen 玉 hinzu, entsteht ein Zeichen für Perle 珠. So trügen im Allgemeinen alle Zeichen, die eine gewisse Bedeutung von „Edelstein“ haben, das Zeichen 玉 in sich, wie alle Zeichen, die mit Holz zu tun haben, das Zeichen 木, und alle metallischen Zeichen wie Eisen 铁 und Kupfer 铜 das Zeichen 金. Ferner seien bei der Konstruktion der Zeichen Bedeutungselemente berücksichtigt worden. Die Komposition aus einem Ideogramm für die Sonne 日und einem für den Mond 月, das Zeichen 明, bezeichnet die Helligkeit; die Komposition vom Zeichen 门 für Tor und dem Zeichen 心 für Herz, und zwar so, als ob das Herz im Tor eingeschlossen wäre, nämlich das Zeichen 闷 bezeichnet den Zustand von Kummer und Sorge; und schließlich weisen alle Zeichen, die emotionale Zustände bezeichnen, das Zeichen für Herz 心 auf20. So wird später Claudio Filippo Grimaldi in Rom, als er sich im Auftrag des chinesischen Kaisers Kangxi in Europa aufhält, dem interessierten und neugierigen Leibniz erzählen, dass das Zeichen „Herz“ alle Arten von Emotionen bezeichne; das Zeichen
15 Das auf dem Festland übliche Wörterbuch Modernes Chinesisch (Xidan dai han zu ci dian, 现代汉语词典), Ausgabe 1998, verzeichnet insgesamt 229 Radikale (偏旁). Dennoch bleiben es etwa 460 Zeichen, die danach nicht zuzuordnen sind. Sie werden extra in einer Liste zusammengefasst und nach der Anzahl der Striche aufgelistet. Das zu Leibnizens Zeit viel benutzte Wörterbuch Guangji Zihui von Mei Dingzuo (1553–1619) enthält 33.179 Schriftzeichen geordnet nach 214 Radikalen sowie „ein Verzeichnis derer deren Grundzeichen schwer aufzufinden sind, und die allein nach der Anzahl der Striche geordnet sind“. Das Zitat stammt aus einer Beschreibung von Heinrich Julius Klaproth, zitiert nach: H. Walravens (Hrsg.): China illustrata. Das europäische Chinaverständnis im Spiegel des 16. bis 18. Jahrhunderts (= Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 55), Weinheim 1987, S. 212. 16 A. Kircher: China illustrata, Amsterdam 1667, S. 234, 235. 17 L. Thomassin: Glossarium universal hebraicum, Paris 1697. Alle Sprachen sind nach Thomassin aus dem Hebräischen abgeleitet. 18 Siehe B. Walton: Biblia Sacra Polyglotta, Bd. VI, London 1653–1657, S. 10. 19 Siehe J. Wilkins: Essay towards a real character and a philosophical language, London 1668, S. 450–452. 20 Semedo, S. 51–52.
Leibniz und das europäische Interesse an chinesischer Sprache und Schrift
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„Fleisch“ deute auf „Bein“, „Geschwulst“ und „Nahrung“ hin. Diese elementaren Schriftzeichen seien ursprünglich aber vielleicht den Abbildungen der betreffenden Dinge entlehnt: Tränen, Tropfen und Flüssigkeiten werden durch drei Punkte bezeichnet, ehemals also entsprechend der Form eines Tropfens. Vier Punkte statt drei bedeuten „Flamme“. Die Punkte vertreten also ursprünglich gemalte Tropfen oder Flammen21. Die durchaus bewusst ausgewählten und die Ausnahmen ausblendenden Exemplare erweckten hier nicht nur den Eindruck einer gewissen strukturellen Regelhaftigkeit, sie sollen zugleich andeuten, dass Zeichen mit denselben Elementen auch semantisch in Zusammenhang stünden, sodass die Worte bereits durch ihre äußeren Figuren eine gewisse semantische Zuordnung ermöglichen und erlauben. Alle chinesischen Worte seien ohne Ausnahme einsilbig22 – selbst wenn in einem Wort mehrere Vokale seien, werde dies einsilbig ausgesprochen, wobei die Missionare sich durchaus bewusst waren, dass sie hier mit den Begriffen aus lateinischer Philologie („à la façon Latine“23) die chinesische Aussprache nur unzureichend beschreiben konnten. Ingesamt seien etwa 364 Wortsilben24 aufzuzeichnen. Auch wenn man den durch ähnliche Aussprachen verursachten Missverständnisses mit Hilfe von Akzentsetzung oder Tonlage – es sind die bekannten fünf Töne25 – zu begegnen versuchte,26 komme es oft vor, dass ein Sprechender, 21 So Grimaldi zu Leibniz. Siehe Leibnizens Unterredung mit Grimaldi im Juli 1689 in Rom, in: Widmaier/Babin, S. 2–3. 22 Als Beispiele nennt Magaillans etwa „Pa, Pe, Pi, Po, Pu, […] Ta, Te, Ti, To, Tu“ etc. 23 Histoire de l’expedition chrestienne au royaume de la Chine, entreprise par les P.P. de la Compagnie de Jesus […]. Tirée des commentaires du P. Matthieu Riccius par le P. Nicolas Trigault, Lyon 1616, S. 39. 24 So nach Leibnizens Aufzeichnung über seine Unterredung mit Grimaldi Juli 1689 in Rom. Widmaier/Babin, S. 2–3. Le Comte spricht von „330“, Magaillans schreibt „nicht über 320“. Das oben genannte Wörterbuch Modernes Chinesisch (Xidan dai han zu ci dian, 现代汉语词典) listet von „a“ bis „zuo“ 419 Wortsilben (音节) auf. 25 Le Comte, S. 257: „Der erste geschiehet mit einem gleichförmigen Laut / sonder Erhebung oder Nachlassung der Stimme / gleich als wann einer eine zeitlang mit der ersten Note unserer Music anhielte. Der andere / erhebt die Stimme mercklich höher. Der dritte / ist der hellste. Mit dem vierten fällt man geschwind herunter in einen tieffen Ton. In dem fünfften / kommt man noch eine Note tieffer herunter; wann ich mich dieser halben erklären darf / mit hohler Stimme gleichsam einen Bass singend. Man kann sich in diesem Stück nicht verständlicher / als durch die Sprache selber / machen“. 26 Siehe etwa ebd., S. 258: „Diese Kunst bestehet absonderlich in unterschiedlichem Sprachfall / so den Worten gegeben wird. Ein Wort mit einer stärkeren oder schwächern Stimme ausgesprochen / hat verschiedene Bedeutungen. So dass die Sinesische Sprache / wann sie vollkommen geredet wird / eine Art einer Music ist / und eine warhaffte Harmonie begreifft / die das Wesen und das absonderliche Warzeichen derselben machet“. So hat Andeas Müller 1672 in seinen Kommentaren der sogenannten nestorischen Inschrift „das gantze Monument in Noten gesetzet, wie es die Chineser selbst außsprechen / indem sie in ihrer Sprache mehr singen / als reden“. Zitat aus: Monatliche Unterredungen einiger guten Freunde von allerhand Büchern und andern annehmlichen Geschichten, allen Liebhabern der Curiositäten zur Ergetzlichkeit und Nachsinnen herausgegeben (von W. E. Tentzel), Leipzig 1689–1698, hier 1691,
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zumal ein besonders gebildeter und eloquenter Redner notfalls die von ihm benutzten Schriftzeichen, in Ermangelung eines Schreibutensils, mit Wasser auf den Tisch oder mit dem Finger in die Luft bzw. auf die Hand schreiben musste27. So stehe dem großen Reichtum an Zeichen eine offensichtliche Armut der Aussprache, trotz der Multifizierung der mehr als 300 Silben durch die fünf Töne, gegenüber; dies habe dazu geführt, dass unterschiedliche Zeichen bzw. unterschiedliche „Dinge“ ähnlich ausgesprochen werden. Ein chinesisches Buch lasse sich daher, so etwa Matteo Ricci, infolge der missverständlichen und unklaren Aussprache, weder durch Diktieren aufzeichnen, noch für ein breites Publikum vorlesen, es sei denn, jeder Zuhörer habe das Buch vor sich und könne so „sehen“ was vorgelesen wird28. Was hier nach übertriebenen kuriosen Erfahrungen europäischer Missionare mit Einheimischen und deren Sprache aussah – eine schriftlose Kommunikation wäre demnach nicht möglich gewesen –, war ein Hinweis auf die tragende Rolle der Schrift in der chinesischen Kultur und auf die durch die Schrift gewährleistete kommunikative Einheitlichkeit trotz unterschiedlicher Aussprache ein und desselben Schriftzeichens auf der einen und der Vielfalt der Dialekte auf der anderen Seite. Dies ginge so weit, so Ricci in seinem Bericht, dass Freunde in einer Stadt lieber brieflich (schriftlich) kommunizierten als persönlich im Gespräch29. Über den vielfältigen Gebrauch der Dialekte hinaus wird im ganzen Reich noch eine Art Amtssprache, „Quonhoa“ (Guanhua) genannt, gepflegt und gefördert. Die Entstehung und die Notwendigkeit dieser Sprache führten die Missionare darauf zurück, dass die Gouverneure einer Provinz in der Regel aus einer anderen Gegend stammten. Eine landesweit übliche Amtssprache würde zum einen die Verwaltung im Reich vereinheitlichen und zum anderen den (ortsfremden) Amtspersonen die S. 289. Siehe W. Li: „‚Wegen Monument[i] Sinici‘ – Leibniz und die Entdeckung der Nestorianer in China“, in: F. Beiderbeck/S. Waldhoff (Hrsg.): Pluralität der Perspektiven und Einheit der Wahrheit im Werk von G. W. Leibniz. Beiträge zu seinem philosophischen, theologischen und politischen Denken, Berlin 2011, S. 121–138. Vgl. A. de Rhodes’ Beschreibung des Annamitischen, das nach Rohdes sechs Töne, do, re, mi, fa, so, la entsprechend, habe. A. de Rhodes: Relatione de’ felici successi della santa fede predicata de’ padri della Compagnia di Giesù regno di Tunchino, Rom 1650. 27 Histoire de l’expedition chrestienne au royaume de la Chine, S. 40; China in the Sixteenth Century, S. 27. 28 Tentzel weiß in den Monatlichen Unterredungen, 1691, S. 289, zu berichten über „ein paar lustige Exempel […] von denen Confusionen / die sich finden / wenn man nicht den eigentlichen Thon des Worts in acht nimmt / sondern einen andern davor setzet / wiewol die Chineser nicht mehr als die ersten 5. tonos Musicos haben / nemlich Ut, re, mi, fa, sol, die Annamiten aber den sechsten la, noch dazu setzen. Also wolte ein Italiänischer Priester denen Chinesern erzehlen/ es wären in Europa Schiffe / die groß wären als die grossen Thürme/ sprach aber das Chinesische Wort Ham nicht im G. oder Ut auß / da es ein Schiff bedeutet/ sondern im A oder Re, da es eine Ziegel heisset. Die Chineser lachten darüber/ und fragten/ was man denn mit so grossen Ziegeln machte? Meynten auch / es müßte ein schrecklicher Ofen seyn/ in welchem dergleichen Ziegeln gebrant würden“. 29 Histoire de l’expedition chrestienne au royaume de la Chine, S. 41.
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Mühe abnehmen, die jeweiligen Dialekte lernen zu müssen. Diese Sprache sei insofern auch ein Zeichen von Karriere und Bildung30. Auf das Alter und die erste Erfindung der Schriftzeichen scheinen Ricci und Trigault kein Gewicht zu legen31. Explizite Angaben bzw. Spekulationen finden sich vor allem in Alvarez Semedos Histoire Universelle de la Chine. Demnach sei die Sprache Chinas, seit mehr als 3700 Jahren in Gebrauch, eine der 72 Sprachen vom Turmbau zu Babel32 gewesen. Der Erfindung der Schriftzeichen wurde, wie bereits bei Martino Martini33, Fuxi, dem legendären, angeblich ersten Gründer chinesischer Zivilisation, zugeschrieben34. Damit wurden mindestens drei Aspekte, die vor allem in der europäischen Diskussion wichtig werden sollten, eng miteinander verflochten: das Alter der chinesischen Sprache, die Synchronisierung der biblischen Chronologie mit der „heidnischen“, nicht zuletzt der chinesischen, und die Zuordnung der angeblich ebenfalls von Fuxi im Buch der Wandlungen erfundenen binären Diagramme ebenfalls zu den „Schriftzeichen“. II Wie die Entdeckung Chinas als fernöstlicher Kulturmacht in fast allen Bereichen, von der Chronologie über die Moral bis zur Theologie, ein breites, zum Teil kontroverses Echo in Europa hervorgerufen hat, so sind auch die Berichte über die Singularität der chinesischen Sprache und deren sonderbare Schriftzeichen nicht wirkungslos geblieben35. Von einer genuinen Studie im späteren und heutigen sinologischen Sinne kann allerdings noch nicht die Rede sein; es ging in erster Linie darum, das auf den ersten Blick Fremde bzw. das neu Entdeckte wahr- und aufzunehmen und es in die vorhandenen, von alters her vertrauten und weitgehend
30 Ebd., S. 42. Semedo, S. 48–49: „Apres l’vnion des Prouinces il se fit vne langue commune, qu’ils nomment Quonthoa, ou la langue des Mandarins, pour ce que les Mandarins, qui sont les principaux Ministres, à mesure qu’ils establissoient leur gouuernement dans vn Royaume, estoient soigneux au mesme temps, d’introduire vne langue, qui a cours encore à present par tout, comme le Latin en Europa, mais plus vniuersellement […]“. 31 Der Name „Fuxi“ (Fohi) – als Gründer chinesischer Zivilisation – scheint bei Ricci keine Erwähnung gefunden zu haben. 32 Siehe Genesis 11, 1–9. 33 M. Martini: Sinicae historiae decas prima res a gentis origine ad Christum natum in extrema Asia, München 1658, S. 12. 34 Semedo, S. 48: „La langue des Chinois est si ancienne, qu’elle est tonuë au iugement de plusieurs, pour une des septante-deux de la Tour de Babel. Au moins il est constant, et on le prouue par leurs liures, qu’elle estoit en vsage il y a plus de trois mille six cens ans“. S. 50: „Leurs characters semblent ester nez auec eux, puisque conformément à leurs histoires, l’vsage en est receu il y a plus de trois mille sept cens ans, iusques à l’année presente 1640 que i’ecris cette Relation“. „On tient que Fuhi l’vn des premiers Roys du païs, les inuenta“. 35 Siehe P. Cornelius: Languages in Seventeenth- and Early Eighteenth-Century Imaginary Voyages, Genf 1965.
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von dem schöpfungstheologisch geprägten Universalismus bedingten Wissenskategorien einzuordnen. In deutlichem Unterschied zu den Missionaren, die in gewisser Hinsicht die Beispiele zeigten, ist es dem öffentlichen Diskurs überlassen, die nach Europa zurückgebrachten Informationen zu „verwerten“ und in einen größeren Zusammenhang, wie die Diskussionen um die sogenannte „Lingua humana“ und die Bemühungen um eine wie auch immer geartete Universalsprache, einzuordnen. Ein signifikanter und wirkungsvoller Vertreter war ohne Zweifel Athanasius Kircher. Der von Martino Martini in der Sinicae Historiae Decas prima angefertigten Chronologie des chinesischen Altertums folgend – Martini gibt den Beginn der Herrschaft des legendären chinesischen Kaisers Fuxi (bzw. Fohi) mit 2952 vor Christus an und beruft sich dabei auf den bereits in Europa bekannt gewordenen 60-Jahre-Zyklus36 –, sah Kircher in Fuxi, wie auch bei Semedo zu lesen war, den Erfinder chinesischer Schrift und setzte den Beginn deren Gebrauchs daher auf die Zeit etwa 300 Jahre nach der Sintflut. Da zu dieser Zeit die Nachfahren Noahs ihre Gebiete ausbreiteten, sei nicht auszuschließen, so Kircher, dass Fuxi seine Erfindungskunst den Nachfahren des Cham37 zu verdanken habe – dieser, Cham, sei mit seinem Stamm von Ägypten nach Persien zum Königreich Mogor gewandert, von wo die Kenntnis der Hieroglyphen nach China gelangte. Wie die ägyptischen Hieroglyphen sind die chinesischen Schriftzeichen keine Kombinationen aus Buchstaben, sondern aus verschiedenen natürlichen Dingen („ex variis rebus naturalibus compactis“) entnommene Figuren38. Insgesamt 16 Bereiche (bzw. Formen) führte Kircher auf, um die Entlehnung der Zeichen aus den natürlichen Dingen zu veranschaulichen, dabei versuchte er, die Reihenfolge der Erfindung der Formen der Schriften parallel zu der der chinesischen Chronologie entgegenzusetzen39. Allerdings musste selbst ein Kircher zugeben, dass er eine Form, nämlich die letzte „XIV. forma literarum“ weder lesen noch deren Struktur habe erklären können40. Nicht zuletzt diese Vermutung einer piktographischen Herkunft der
36 „Ab illo tamen tempore (ante Fuhium) certissima Sinis habentur, ea maxime, quae ad annorum supputandum rationem spectatn, qua in re mirabile Sinarum semper studium emicuit. Hinc est illa continua temporum et fide optima deduca, series etiam antequam annorum cyclo utebantur“. Martini, S. 3. 37 Siehe A. Kircher: Oedipus aegyptiacus, hoc est universalis hieroglyphicae veterum doctrinae temporum iniuria abolitae instauratio, T. 1–3, Rom 1652–1654, T. III, chap. 2, S. 10–21; ders.: China monumentis qua sacris qua profanis, nec non variis naturae & artis spectaculis, aliarumque rerum memorabilium argumentis illustrata, Amsterdam 1667, S. 226. 38 China illustrata, S. 228. 39 Die erste Form sei von Fuxi erfunden worden, aus dem Bereich „Schlangen und Drachen“, die von ihm erfundenen Schriftzeichen, „Fùhì Draconum liber“ genannt, fanden Anwendung in astronomischen und mathematischen Büchern; der zweite Erfinder sei Shennong („Sinarum Rex nomine Xim Num“) gewesen, aus dem Bereich Landwirtschaft etc. Ebd., S. 228–232. 40 Ebd., S. 232. Zu Kircher siehe ferner (immer noch): B. Szczesńiak: „The Origin of the Chinese Language According to Athanasius Kircher’s Theory“, in: Journal of the American Oriental Society 72 (1952), S. 20–29; Mungello, S. 143–157.
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chinesischen Schrift und deren Zuordnung zu Figuren und Hieroglyphen, auch wenn Kircher zum Schluss der China illustrata in einem eigenen Kapitel auf die Unterschiede zwischen ägyptischen Hieroglyphen und chinesischen Zeichen einzugehen wusste41, hat einen vordergründigen Anlass zum Streit zwischen Andreas Müller42 und dem reformierten Theologen an der Universität Frankfurt a. d. O. Elias Grebnitz geliefert. Hielte man das Chinesische für eine Bildschrift, wie Grebnitz es tat, wäre es in der Tat gegen das zweite Gebot, auf Chinesisch den Namen Gottes zu schreiben43. Es war jedoch John Webb, ein englischer Architekt und Antiquar, der nicht mehr im Hebräischen, wie Kircher es noch annahm44, sondern im Chinesischen die noch von Adam gesprochene primordiale „Lingua humana“ ausfindig gemacht zu haben glaubte. Die Chinesen seien bereits seit der Sintflut und vor der Sprachverwirrung ein Volk gewesen45, ihre Sprache sei vom Beginn der Nationbildung an und bis zur Gegenwart in den geschriebenen Büchern aufbewahrt, die Schriftzeichen, in denen die Bücher geschrieben worden seien, seien immer dieselben geblieben46. Wie Webb glaubte auch Vossius, dass sowohl die Menge als auch die Zeichen selbst in der chinesischen Sprache von Beginn an bis zur Gegenwart unverändert geblieben seien47. Die Einsilbigkeit des Chinesischen lieferte hier ein weiteres Argument für das biblische Alter dieser Sprache. Dabei berief man sich, 41 Kircher: China illustrata, pars sexta, cap. IV: „Differentia inter Sinenses et Hieroglyphicos Aegytiorum Characteres“. 42 Immer noch D. F. Lach: „The Chinese Studies of Andreas Müller“, in: Journal of the American Oriental Society 60 (1940), S. 564–575. 43 E. Grebnitz: Unterricht von der reformirten und lutherischen Kirchen, Franckfurt a. O. 1678; zum andernmahl ausgegeben, Franckfurt a. O. 1680; zum viertenmahl ausgegeben, dabei angefügt ein Tractätlein genannt Der Evangelischen einhellige Grundlehre von der Vorsehung und ewigen Wahl Gottes, Frankfurt a. d. O. 1701; ders.: Verthädigung Gegen den Anzüglichen Tractat, Worinnen M. Andreas Müller Praepositus Berlinensis seine ungelährte Anstechung des Unterrichts von der Reformierten und Lutherischen Kirchen unter der Decken eienes Unterrichts von der Chinäsischen Schrifft und Druck verbergen wollen: Des M. Müllers Tractat ist hiebey von Wort zu Wort angefüget, Frankfurt a. d. O. 1681. Müller kontert mit: Besser Unterricht von der Sineser Schrifft und Druck, Berlin 1680; ders.: Unschuld gegen die hefftige Beschuldigungen, Stettin 1683. Siehe Acta Eruditorum, März 1687, S. 129–132 (Besprechung von Müllers Specinum Sinicorum, 1685), hier 132. Siehe Mungello, S. 230–235. 44 Siehe etwa A. Kircher: Turris Babel sive Archontologia, qua primo priscorum post diluvium hominum vita, mores rerumque gestarum magnitudo, secundo turris fabrica civitatumque exstructio, confusio linguarum, et inde gentium transmigrationis, cum principalium inde enatorum idiomatum historia, multiplici eruditione describuntur et explicantur, Amsterdam 1679, S. 148. 45 J. Webb: An historical essay endeavouring a probability, that the Language of China is the primitive language, London 1669, S. 81–82. 46 Siehe ebd., S. 146; Zu John Webb siehe Ch. Shouyi: „John Webb, a Forgotten Page in the Early History of Sinology in Europe“, in: Chinese Social and Political Review, XIX, 3 (Oktober 1935), S. 295–330. 47 I. Vossius: Variarum Observationum Liber, London 1685; chap. 14: „De artibus et scientiis Sinarum“. Siehe die Besprechung in: Monatliche Unterredungen, 1695, S. 298 ff.
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etwa wie Olof Rudbeck in seinem Atland eller Manheim (Uppsala 1675), auf die „Erfahrung“, dass „der Natur […] gemäß“ „die Simplicia älter sind als die Composita“ und „daß solche Sprachen und Wörter älter sind / und gleichsam die Brunnqvellen / daraus andere hergeflossen“ 48. Eine gewagte, bis in die Gegenwart hinein immer noch verfolgte Idee bildet die vermutete Verwandtschaft zwischen dem Hebräischen und dem Chinesischen. Die kurzzeitige Diskussion in der Histoire critique de la république des lettres, ob man mit Hilfe chinesischer Schriftzeichen Sinn und Bedeutung diverser Wörter und Passagen aus dem Alten Testament erschließen und so diverse Beziehungen zwischen dem Chinesischen und dem Hebräischen herstellen könnte, war durchaus ernst gemeint und dürfte nur retrospektiv äußerst kurios oder gar abstrus erscheinen. Die von Philippe Masson, einem französischen Protestanten (ca. 1680– 1750), aufgestellte und nach ihm bewiesene These, dass es sich beim Chinesischen um einen Dialekt des alten Hebräischen handele49, war nur eine unter vielen Vermutungen über die Verwandtschaft zweier ältester Sprachen der Menschheit50. Zugrunde gelegt wurden dabei die Berichte von Gabriel de Magaillans, von Le Comte, der Transkription der Nestorianischen Inschrift in Athanasius Kirchers China illustrata51 sowie die Forschungen von Adriaan Reelant (Reland)52 und Golius53. Gewiss hatten die Missionare bei ihren Berichten die schriftlichen Proben nicht beliebig ausgewählt, wie unter anderem die von Athanasius Kircher54 und Gottlieb Spitzel55 in ihren jeweiligen Werken wiedergegebenen Schriftproben
48 Monatliche Unterredungen, 1690, S. 181. 49 1713 erschien in Bd. II, S. 95–153, eine Dissertation Critique, où l’on fait voir l’utilité de la Langue Chinoise, pour l’intelligence de divers mots et passages de l’Ancien Testament, gefolgt von einer Dissertation Critique sur la Langue Chinoise, où l’on fait voir les divers rapports qu’elle a avec l’Hebrey (1713, Bd. III, S. 29–106) und den Remarques nouvelles, ou Dissertation faisant voir l’usage de la Langue Chinoise pour l’intelligence de quelques endroits du Texte Hebreu de l’Ancien Testament. Par Mr. Ph[ilippe] M[asson] (Bd IV, S. 29– 69); 1714 (Bd. V, S. 140–147) erschien Bignons Lettre à l’Auteur de la Dissertation Chinoise, qui fait le II. Article du troisiéme Tome de cette Histoire Critique. 50 Genannt sei hier etwa Adam Preyel, der in der Einfachheit, sprich der Monosilbigkeit eine Nähe des Chinesischen zum Hebräischen gesehen haben wollte. A. Preyel: Artificia hominum miranda naturae in Sina et Europa, Frankfurt a. M. 1655, S. 1407–1408. 51 Kircher: China illustrata, S. 13–28; siehe Li: „Wegen Monument[i] Sinici“. 52 Siehe „Dissertation Critique sur la Langue Chinoise, où l’on fait voir, autant qu’il est possible, les divers rapports de cette Langue avec l’Hebraïque; adressée à Mr. Reland“, in : Histoire critique de la république des lettres, tant ancienne que moderne, Utrecht, später Amsterdam 1712–1718, hier T. III, 1713, S. 29–106. A. Reland: Dissertationum miscellarium partes tres, Utrecht 1706–1707. 53 Jakob Golius’ De regno Catayo Additamentum erschien 1655 als Anhang zu Martino Martinis Novus Atlas sinensis, Amsterdam 1655. 54 Kircher: China illustrata, S. 234, Proben: Terra 土, Rex 王, Petragemma 玉 (Punkt falsch gesetzt) sowie Porta 门, Cor 心, Afflictus 闷, Homo 人; S. 235: Sol 日, Luna 月, Clarita 明. 55 G. Spitzel: De re literaria sinensium commentarius, Leiden 1660, S. 56.
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deutlich belegen. Vielerorts wurde dadurch der Eindruck vermittelt, dass es sich beim Chinesischen um eine künstliche Sprache handele und dass die Schriftzeichen Ergebnisse regelhafter Konstruktionen und Kombinationen aus einfachen und komplizierten Zeichenelementen nach festen und einsehbaren, aber aller Wahrscheinlicheit nach in China selbst verloren gegangenen Regeln seien, trotz der Warnung etwa von Claudio F. Grimaldi, dass die Verwendung der „elemenaren“ Zeichen zur Zusammensetzung überaus frei sei56. In dieser Annahme, dass es sich beim Chinesischen um eine Kunstsprache handele, lag schließlich die Hoffnung begründet, zur Erlernung dieser Sprache und deren Schriftzeichen ließe sich ein universaler Schlüssel finden und erfinden57. Neben einem gewissen R. H., Mitglied der Royal Society58, sind vor allem der bereits erwähnte Andreas Müller59, dessen Nachfolger als Bibliothekar der kurfürstlichen Bibliothek, Christian Mentzel, der Wittenberger Professor für orientalische Sprachen August Pfeiffer60, und der Helmstädter Professor für Poesie Polycarp Leyser61 hier zu nennen. Müller
56 Nochmals sei an Grimaldis Warnung erinnert: „[…] sed nimis laxè sumuntur“, in: Widmaier/Babin, S. 2–3. 57 Gottlieb Siegfried Bayer vermutet, unter Verweis auf Leibnizens Rede über Andreas Müller in den Novissima Sinica, im Vorwort seines Museum Sinicum inquo Sinicae Linguae et Litteraturae ratio explicatur, Petersburg 1730, S. 46, dass Müllers Methode nur darin bestanden haben könnte, die Zeichen auf ihre Elemente zu reduzieren und die Prinzipien, nach denen sie zusammengesetzt sind, sowie die Bedeutungen der Zeichen zu studieren. Eine englische Übersetzung von Bayers Vorwort enthält K. Lundbaek: T. S. Bayer (1694–1738). Pioneer Sinologist, London 1986, hier S. 68. 58 Siehe „Some Observations and Conjectures concerning the Character and Language of the Chinese, Made by R. H. Fellow of the Royal Society, together with the Characters and Method of their Numbers, and the Letters and Strokes out of which, both the Radical and also the Compounded and Decompounded Characters are constructed: with a Specimen of three Varieties of Characters or ways of Writing, made use of by them“, in: Philosophical Transactions of the Royal Society of London 180 (1686) (die Ausgabe ist ein Themenheft und widmet sich ausschließlich China). Ausdrücklich betont der Autor, dass er nicht diskutiere, ob das Chinesische eine natürliche Sprache sei; nicht schwer zu beweisen scheine ihm hingegen, dass es eine künstliche Sprache sein könnte. Denn auf jeden Fall scheine die chinesische Hof- bzw. Amtssprache eine Art künstlicher Sprache zu sein. Diese sei erfunden und gesprochen von den Literaten und Mandarinen durch das ganze Reich und unterscheide sich so von den anderen Sprachen wie Dialekten, die ebenfalls im Reich Anwendung fanden. Der Verfasser vermutet, dass die Chinesen dabei die Zeichen, deren Schreibweise und Bedeutungen willkürlich festgesetzt worden seien, so verwenden, wie man in Europa Namen der arithmetischen Figuren festsetzt. Er verweist dabei auf J. Wilkins (1614–1672): An essay towards a real character and a philosophical language, London 1668. 59 Siehe Monatliche Unterredungen, 1689, S. 327–342 60 A. Pfeiffer: Introductio ad Orientem, Wittenberg 1671, Vorwort. Pfeiffer behauptet, er könne mehr darüber sagen, wie man die chinesischen Schriftzeichen verstehe, wolle aber auf die Publikation Müllers warten. 61 Polycarp Leyser: Apparatus literarius ex omnis generis erudition depromens studio societatis Colligentium, Bde. 1–2, Wittenberg 1717–1718, Bd. 1, S. 31–38: „Clavis Linguae Sinicae Mulleriana orbi literato restituenda“.
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wie Mentzel sollen jeweils einen „Clavis Sinica“ zumindest ansatzweise entdeckt haben. Während von Mentzel immerhin ein Wörterbuch überliefert ist62, soll Müller alle seine Papiere, darunter der „Clavis“, falls er diesen erfunden hatte63, kurz vor seinem Tod verbrannt haben64, was nicht nur Bedauern verursachte, sondern auch Stoff zu Spekulationen gab, ob er einen solche überhaupt besaß. Leibniz wird im Vorwort seiner Novissima Sinica die Frage aufwerfen, welche Erkenntnis Müller seinen Zeitgenossen durch die Verbrennung seiner Arbeit entziehen wollte, „die seines Wissens oder die seines Unwissens – scientiae suae an nescientiae“65? Die in der nicht zuletzt von der angenommenen Einheitlichkeit einer Schriftsprache trotz unterschiedlicher Dialekte in China beeinflussten, in Europa früh begonnenen66 Diskussion um eine (teilweise als Ersatz für die angeblich verloren gegangene „Lingua humana“ gedachte) „Real character and philosophical language“67 von manchen Gelehrten, unter anderem auch von Leibniz68, gehegte Hoffnung, im Chinesischen bereits ein ausgearbeitetes Zeichensystem und somit ein Vorbild für die gesuchte philosophische Universalsprache zu haben, scheint hingegen schnell aufgegeben worden zu sein. Als Gründe wurden oft die komplizierte Phonetik chinesischer Worte genannt, die häufige Homonymität, die große Anzahl der Zeichen, und nicht zuletzt die Schwierigkeit, diese Zeichen auszusprechen,
62 Ch. Mentzel: Sylloge Minutiarum Lexici latino-sinico-characteristici, Observatione sedulâ ex Auctoribus et Lexicis Chinensium Characteristicis eruta, inque Specimen Primi Laboris ulterius exantlandi Erudito et Curioso Orbi exposita. Nürnberg 1685. Auch enthalten in: Miscellanea Curiosa, sive Ephemeridum Medico Physicarum Germanicarum Academiae Naturae Curiosorum Decuriae II. annus tertius, anni 1684; siehe E. Kraft: „Frühe chinesische Studien in Berlin“, in: Medizinhistorisches Journal 11 (1976), S. 92–128; Monatliche Unterredungen, 1690, S. 900–901. 63 Müller soll bereits 1667 einen „Clavis“ erfunden haben (siehe Monatliche Unterredungen, 1697, S. 982); 1674 veröffentlichte er eine Propositio Clavis Sinicae, darin äußerte sich der Autor vielmehr dazu, warum er diese nicht publizieren wollte und konnte; im Aufsatz „De Monumenta Sinica Commentarius Novensilis“ (in den Opuscula nonulla Orientalia, Frankfurt a. d. O. 1695) schreibt Müller, S. 12, er sei sicher, dass selbst Frauen, wenn sie ein Jahr oder gar für eine noch kürzere Zeit die chinesischen Zeichen studierten, bereits in der Lage sein würden, „chinesische und japanische [sic!] Bücher zu lesen“. 64 Siehe Monatliche Unterredungen, 1697, S. 169–172; Mungello, S. 209–229. 65 A IV, 6, 405. Siehe G. S. Bayer: Museum sinicum in quo sinicae linguae et litteraturae ratio explicatur, I, Petersburg 1730, S. 35–38; Vgl. A. Renaudot: Anciennes relations des Indes et de la Chine de deux voyageurs mahométans dans le IXe siècle, Paris 1718, S. 241. 66 Francis Bacon berichtet etwa in seinem Advancement of Learning (1605) von Büchern, „written in such characters, may be read, and interpreted by each nation in his own respective language“. F. Bacon: The Works, 14 Bde., gesammelt und hrsg. von J. Spedding, London 1857– 1874 (ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1961), Bd. IX, S. 110. 67 So Wilkins’ bezeichnender Buchtitel von 1668. 68 Siehe Leibniz an Heinrich Oldenburg, 1673(?); A II, 1, 239–240: Die Hieroglyphen der Ägypter oder der Chinesen seien sachliche Beispiele („Hieroglyphicae Aegyptiorum aut Chinensium […] characteristicae realis exempla sunt“).
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zu schreiben und zu beherrschen69. Die in Halle erscheinende Acta philosophorum widmete sich in ihrem 10. Stück (1719) einer kritischen Auseinandersetzung mit den Sinica und nannte dabei besonders die große Menge von Figuren bzw. Schriftzeichen einen Nachteil dieser Sprache, weil „das menschliche Leben kaum hinreichend sein würde, alle kennen zu lernen, ungedachtet ihnen der Buchstabe R. fehlet und noch andere“. Einen Mangel sah der Verfasser ferner darin, dass das Wort in der chinesischen Sprache keine grammatikalische Veränderung wie Konjugation und Deklination kenne; besonders schwierig sei darüber hinaus die „Schreibe=Kunst“, da man, um sie zu verstehen und zu beherrschen, „viele Jahre großen und verdrießlichen Fleiß anwenden“ müsse70. Scharfsinnig verwies der Autor auf die Unbeweglichkeit chinesischer Sprache bzw. deren Zeichen für die Aufnahme neuer, bisher unbekannter Sachverhalte und auf die Notwendigkeit von Neologismen.71 Konfrontiert mit den neuen Wissensdisziplinen, die die Missionare von Europa nach China brachten, sähen sich die chinesischen Gelehrten oft dazu gezwungen, „überaus viel neue Wörter, und folglich neue Characteres zu machen zu lernen“, denn sonst hätten sie weder die Philosophie der Coimbra noch die Mathematischen Bücher eines Clavius noch noch die Kriegs- und Baukunst verstehen und ausdrücken können“. So gesehen sei die chinesische Sprache, wieder im Vergleich etwa zu der hebräischen, der griechischen und der lateinischen, eine bei Weitem unvollkommenere Sprache, sowohl was die Aussprache als auch die Zahl der Wörter betreffe. „Denn die andern Völcker haben mit noch weniger als 30 Figuren alle Wörter ihrer Sprache ausgedrücket, und zwar noch weit mehr Wörter, als die Sineser haben. Hingegen die Sineser haben mit ihren vielen Figuren es nicht einmahl so weit bringen können, daß die Pronunciation wäre deutlich genug worden, und man alle Worte ihrer Sprache recht hätte verstehen können“72.
69 Siehe etwa Wilkins: Essay towards a Real Character and Philosophical Language, S. 450– 451; ferner C. Beck: The Universal Character, by which all the Nations of the World may understand one another’s Conceptions, Reading out of one Common Writing their own Mother Tongue, London 1657, „Preface to the Reader“. 70 Der Verfasser verweist ausdrücklich auf Trigault, „und zwar, wie er solches gefunden hat in denen Manuscriptis des P. Riccii. Denn nachdem er erzehlet hat, daß bey den Sinesern ein iedes Wort seine Figur habe, und daß sie also so viele Buchstaben, als Worte, haben, und daß deren Anzahl sich auf 70. biß 80000. erstrecke, ferner daß einer, der 10000. Buchstaben kennen, so viel wisse, als zum schreiben nöthig sey, so fähret er also (lib. 1. cap. 5.)“. 71 Siehe M. Lackner/I. Amelung/J. Kurtz (Hrsg.): New Terms for New Ideas. Western Knowledge & Lexical Change in Late Imperial China (= Sinica Leidensia LII), Leiden/Boston/Köln 2001; W. Li: „Die ‚Entstehung‘ der chinesischen Philosophie – Eine kritische Reflexion“, in: J. Nida-Rümelin/E. Özmen (Hrsg.): Welt der Gründe (= Deutsches Jahrbuch Philosophie 4), Hamburg 2012, S. 1069–1080. 72 Acta philosophorum, das ist gründl. Nachrichten aus der historia philosophica: nebst beygefügten Urtheilen von denen dahin gehörigen alten und neuen Büchern, 10. Stück, 1719, S. 717–786, hier S. 780.
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Trotz allen Interesses an der Entdeckung Chinas und der zahlreichen Auseinandersetzungen mit der chinesischen Sprache und besonders deren Schrift lässt sich in dieser Phase nicht von einer genuin sinologischen Studie sprechen, vielmehr wurde die Wichtigkeit einer solchen Studie weitgehend noch nicht erkannt. Nicht ohne Grunde sprachen Wilhelm Ernst Tentzels Monatliche Unterredungen von einer Verhinderung der China-Studien von Andreas Müller und führten diese „Verhinderung“ nicht nur auf „Mülleri Feinden und Neidern / die ihm allenthalben ein Bein untergeschlagen“, sondern als die zweite „Hauptursache“ auch auf die „allgemeine aber falsche opinion“ zurück, „da man hält / die chinesische Sprache sey uns Europäern nichts oder wenig Nutz / und also unvonnöthen/ viel Geld darauff zu spendiren“73. Gerade vor diesem Hintergrund erweist sich Leibnizens Interesse an der chinesischen Sprache und deren Schrift sowohl in seiner Betonung der methodischen Zuverlässigkeit als auch in seinem Verweis auf die generelle Wichtigkeit dieser Sprache wieder einmal als seiner Zeit voraus. III Leibniz’ Interesse an China, so lang andauernd und breit dies auch gewesen sein mochte, galt ohne Zweifel zuerst dessen Sprache und nicht zuletzt dessen Schrift, im Zusammenhang mit seiner eigenen Bemühungen um eine „Characteristica universalis“74. Ein signifikantes Zeugnis für die frühe Zeit, über die in den bisherigen Anmerkungen erwähnten Stellen hinaus, sind ohne Zweifel die bekannten 14 konkreten und präzise formulierten Fragen75, die Leibniz in seinem Brief an den Hofarzt des brandenburgischen Kurfürsten und Vertrauten von Andreas Müller, Johann Sigismund Elsholz, vom 24. Juni 1679 an Andreas Müller gestellt hatte und diesen um Beantwortung bat76:
73 Monatliche Unterredungen, 1697, S. 172. 74 Siehe vor allem R. Widmaier: Die Rolle der chinesischen Schrift in Leibniz’ Zeichentheorie (= Studia Leibnitiana, Supplementa 24), Wiesbaden 1983, besonders S. 79–136. 75 Dem Fragen-Brief ist eine halbjährige „Vorbereitung“ vorangegangen: In einem Brief vom 12. Januar 1678 weist Thévenot Leibniz auf Müllers Studien des Chinesischen hin (A I, 2, 308–309). Nachdem Leibniz den Brief von Thévenot erhalten hat, wendet er sich gleich brieflich nach Berlin an Joh. Sigismund Elsholz und erkundigt sich bei diesem nach Müllers Forschung. In seinem Schreiben von Ende Januar 1679 an Leibniz (A I, 2, 419–420) berichtet Elsholz ausführlich über Müllers China-bezogene Publikationen, darunter das Inventum Brandeburgicum, das „Programma von einem Clave, welchen er verfertigen will, dadurch man alle Sinensische Bücher wird interpretiren können“. In seinem Brief vom 5. April schreibt Elsholz, dass Müller mit der Aussprache des Chinesischen vertraut sei. Anlagen des Briefes waren drei Schriften Müllers. A I, 2, 491–492. 76 Ebd.
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„ob solcher Clavis unfehlbahr undt gewis, wie man unser a. b. c. oder ziphern lesen kan, oder ob bisweilen zurathen vonnöthen, wie bey sinbildern zugeschehen pflegt“, „dieweil die Chinesische schrifft wie bekannt nicht auff die worte sondern auff die dinge gerichtet, […] ob die zeichen allemahl nach der dinge Natur gemachet“, „ob die gantze schrifft gleichsambauff gewisse Elementa oder ein grundt-Alphabeth gebracht auss dessen zusammenfügung hernach die übrigen zeichen entstehen“. „ob die ohnleiblichen dinge durch gleichniss der leiblichen oder sichtbahrenauff gewisse maas aussgedrucket“, „ob die Chinesische Schrifft durch Kunst gemacht, oder ob sie auch wie sonst die sprachen allmählich durch gebrauch undt sich verändert“, „ob die sprache der Chinesen wie etliche meinen auch durch Kunst gemacht, undt auff einen gewissen Clavem zubringen“, „ob H[err] Müller dafür hielte das den Chinesen selbst der Schlüssel ihrer schrifft ohnbewust“, „ob er meine das diese schrifft bequem undt mit nutzen in Europa einzuführen“, „ob die jenigen so diese schrifft also gemacht, die Natur der dinge verstanden undt vernunfft-kündig gewesen“, „ob die zeichen damit Natürliche dinge als thiere, kräuter, gesteine bemercket, sich auff der dinge eigenschafften damit eines vom andern unterschiehen beziehen“, „also ob undt wie weit auss dem blossen zeichen die Natur des dinges zulernen“, „ob der jenige so diesen Clavem hette undt darin geübet, alles verstehen könne was in Chinesischer schrifft geschrieben, es sey auch von was materie es wolle“, „ob der jenige so diesen Clavem hette, auch etwas in Chinesischer schrifft schreiben köndte, undt ob solches würde von einen gelehrten Chinesen verstanden werden“, „wen man unterschiedlichen Chinesen oder dieses Clavis kündigen etwas so in unser sprach einer geschrieben (zum exempel das Vater unser) von wort zu wort auff Chinesisch zuschreiben vorgeben würde, ob ihre schrifften ohngefehr würden zusammen treffen also das einer der auch nicht der schrifft kündig undt die beiden schrifften gegen einander hielte, dennoch spuhren köndte, das es hauptsachlich einerley sein müsse“ 77.
Wie die bekannten 30 China-bezogenen Fragen an Claudio Filippo Grimaldi knapp zehn Jahre später in Rom78, zeugt der übersichtliche Fragenkatalog – eine Beantwortung lehnt Müller kurzerhand ab79 – in erster Linie auch von des Verfassers Belesenheit und Interessiertheit. Auffallend sind ebenfalls Fragen, die hier nicht gestellt wurden, so etwa die nach dem Alter der Sprache, dem Erfinder der Schrift und somit nach einer „Lingua Adamica“80 und nach einer möglichen
77 Siehe auch Lach, S. 568–569; Mungello, S. 199; Widmaier: Die Rolle der chinesischen Schrift, S. 96–97. 78 Widmaier/Babin, S. 10/11–12/13. 79 Elsholz an Leibniz vom 9. Juli 1679; A I, 2, 499. 80 John Webb ist Leibniz früh bekannt. Am 6. (16.). April 1670 berichtet er an Jakob Thomasius: „Ioh. Webbe, eques Anglus, scripto tueri conatus est, linguam Sinicam esse primitiuam.
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Verwandtschaft mit anderen Sprachen bzw. Schriften, etwa den ägyptischen Hieroglyphen. Die an Müller gerichteten Fragen konzentrieren sich auf das Problem eines Gedankenalphabets (etwa Frage 1), auf die Kombinationsregel chinesischer Schriftzeichen (falls es solche Regelhastigkeit gibt) und nicht zuletzt auf das erkenntnistheoretisch wichtige Verhältnis zwischen „res“ und „significatio“. Dennoch gilt es festzuhalten: Fast sämtliche diesbezüglichen Äußerungen über die gewisse Ähnlichkeit des chinesischen Schriftsystems mit der „Characteristica Universalis“ und über die dennoch grundlegende Untauglichkeit dieser Schrift wegen ihrer Kompliziertheit, der großen Menge der Zeichen und dem damit verbundenen Aufwand81, lassen sich schwer als originell erweisen. Interessanter, wohl bisher einmalig, dürfte indessen Leibnizens in seinem Brief an Elsholz vom 5. (15.) August 1679 geäußerte Bitte gewesen sein, Müller möge ihm ein in seinem Besitz befindliches „Chinesisch buch“, „in qvarto, aber lang und schmahl, etwa von 80 blättern“, Zeichen für Zeichen die „pronuntiationem Sinicam“ mit lateinischen Buchstaben versehen und die Bedeutung der Zeichen beifügen, „et qvibus contidionibus“82. Diesen Angaben nach müsste es sich um des aus Sizilien stammenden China-Missionars Prosper Intorcettas Sinarum Scientia politico-moralis handeln, über die Gottlieb Spitzel in seinem Brief an Leibniz vom 22. Januar 1672 berichtet hatte83. Dieses damals weit verbreitete Et quid mirum, postquam Georg- Stierhelm orbi persuadere conatur, linguam Suecicam, cui Scythicam veterem eandem facit, esse Hebrea priorem“. A II, 2 N 17, 36–37, hier 37. 81 Leibniz an Joh. Friedrich, April (?) 1679; A I, 2 N. 132, 167–169, hier 167: „Si nous [vous] scavions les caracteres des Chinois, je crois qve nous trouuerions un peu plus de rapport, mais dans le fonds ils sont sans doute bien éloignés de cette analyse des pensées, qvi fait l’essence de mon dessein, et ils se contentent apparemment de qvelqves rapports qvi sont entre les choses, somme les hieroglyphes des Egyptiens“. Leibniz an Herzog Ernst August (1685– 1687?); A I, 4 N 281, 314–316, hier 315: „Cette sorte de calcul general donneroit en meme temps une espece d’ecriture universelle, qui auroit l’avantage de celle des Chinois, parceque chacun l’entendroit dans sa langue, mais qui surpasseroit infiniment la Chinoise en ce qu’on la pourroit apprendre en peu semaine, ayant les caracteres bien liés selon l’ordre et la connexion des choses; au lieu que les Chinois ayant une infinité des caracteres selon la varieté des choses il faut la vie d’un homme pour apprendre assés leur écriture“. 82 A I, 2 N 501, 508–509, hier 508. Am 24. Aug. (3. Sept.) 1679 berichtet Elsholz, A I, 2 N 510, 516, Müller sei bereit, das von Leibniz erwähnte Buch „ins Latein zu bringen, auch die Chinesische pronuntiation dabey zu setzen“, wolle aber vorher das Buch sehen, um zu beurteilen, „ob es des interpretirens wehrt sey“. Leibniz muss daraufhin eine Kopie des Titelblattes nach Berlin geschickt haben. Am 7. (17.) Sept. 1679, A I, 2 N 512, 517, schreibt Elsholz, Müller wolle lieber ein „ander Sinensisches rares Buch […] weil dieses bey ihm schon auch vorhanden, und von einem Sicilianer, Intercetta genand, schon vertiret worden“. 83 A I, 1 N 123, 187. Spitzel berichtet Leibniz über Prosper Intorcetta, der sechs Monate zuvor vom chinesischen Reich aus Rom angesteuert habe, beladen mit einer äußerst großen Menge an chinesischen Werken. Die Bücher seien entweder etwas Vollkommenes aus moralischer Philosophie oder Politik oder Wissen über physikalische Dinge oder den Europäern unbekannte Überlegungen über die Chronologie („[…] sive exacta philosophiae moralis ac politicae, sive physicarum rerum notitia spectetur, sive nobis Europaeis incognitae Chronologiae rationes, à confusione lingvarum ad nos traductae“).
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Bändchen wurde einige Male aufgelegt, aber nur die ersten zwei Drucke in China und in Indien sind bilingual, also in Latein und Chinesisch. Die von Melchisédech Thévenot84 in dessen Relations de divers voyages curieux, Teil 4 (1672), besorgte La science des Chinois ou le livre de Cum-fu-cu besteht hingegen nur aus lateinischer Übersetzung, sieht man von der Titelangabe ab. Und vermutlich genau ein Exemplar dieses, von Leibniz in seiner Antwort auf den genannten Brief von Gottlieb Spitzel als „chinesische Kleinodien“ bezeichneten,85 Buches hat Leibniz etwa acht Jahre später an Daniel Papebroch, Herausgeber der Acta Sanctorum, nach Antwerpen geschickt, als er von diesem hörte86, Philippe Couplet, der im Auftrag der jesuitischen China-Mission und begleitet von einem Chinesen namens Michael Alphonse sich in Antwerpen aufhielt87, werde demnächst nach Paris gehen, um dort eine Edition der Schriften von Konfuzius vorbereiten. Mit der Sendung verknüpfte Leibniz die Hoffnung, Couplet möge sich bemühen, „die chinesischen Zeichen […] der lateinischen Version beizufügen, denn es könnte vielleicht irgendwann einmal möglich sein, die Etymologie oder den Schlüssel irgendwelcher Zeichen zu verstehen“ – auch wenn er, Leibniz, nicht wagen mochte, dieser bereits von Andreas Müller, den Leibniz hier unverhohlen einen „Angeber“ („promissor“) nennt, in Aussicht gestellten Möglichkeit Glauben zu schenken. „Ferner wäre es der Mühe wert, dass die einfacheren aus den chinesischen Zeichen herausgelesen werden und dass ihre Bezeichnung bestimmt wird, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass so ein Katalog zum besseren Verstehen der Komposita dienen“88 würde. Aber auch dieser zweite Anlauf Leibnizens für eine zweisprachige Edition sollte ergebnislos bleiben. Am 1. April 1687 bekam Leibniz von Papebroch weitere
84 Siehe Thévenots Brief an Leibniz vom 12. Januar 1678; A I, 2 N. 286, 309. 85 A I, 1 N. 127, 192: „Sinenses illas Intercettae delicias utinam propediem videamus“. Nach Leibniz scheint das Buch allerdings, wohl im philosophischen Sinne, keine großen Geheimnisse zu verbergen. Leibniz an Heinrich Oldenburg vom 8. März 1673; A III, 1, 43: „Prostat hic scientia Chinensium P. Intercettae, sed non videtur magna adeo mysteria continere“. 86 A I, 7 N. 541. 87 Philippe Couplet, begleitet von Michael Alphonse (chin. Shen Fuzong), der später in London Thomas Hyde bei dessen China-Studien helfen sollte, reiste 1681 nach Europa zurück, um neue Missionare anzuwerben und in Rom die Erlaubnis zu erwirken, Gottesdienste in chinesischer Sprache halten zu dürfen. Im Oktober 1682 ging Couplet in Holland ans Land. In Antwerpen kam es zu mehrmaligen Begegnungen und Unterredungen mit Daniel Papebroch. In Paris und in Berlin kam es zu weiteren bedeutenden Begegnungen mit einer Reihe von Persönlichkeiten. Auf Vermittlung von François d’Aix de la Chaise, Jesuit und Beichtvater von Ludwig XIV., hin, kam es zu einer Audienz beim französischen König in Versailles. Der König soll Couplet großzügige Unterstützung bei der Realisierung vielfältiger Projekte zugesagt haben, wie die in Amsterdam erscheinenden Nouvelles de la république des lettres in ihrer April-Ausgabe des Jahres 1686, S. 428–429, zu berichten wussten. Siehe W. Li: „Confucius and the Early Enlightenment in Germany from Leibniz to Bilfinger“, in: K. Mühlhahn/N. van Looy (Hrsg.): The Globalization of Confucius and Confucianism (= Berliner China-Hefte 41), Münster 2012, S. 9–21. 88 A I, 4, 622.
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Informationen: Couplet werde die Druckvorbereitung des Confucius Mitte April beendet haben und anschließend nach Rom reisen; auf seine (Papebrochs) Frage an „Michael Sinensis“ nach dem Titel der Edition habe dieser geantwortet: „Confutianae moralis Philosophiae“. Eine Ausgabe mit chinesischen Zeichen, wie Leibniz sie sich erhoffte, werde aber nicht möglich sein, obgleich einige ausgewählte Schriftproben beigefügt seien89. Chinesische Schriftzeichen wurden nicht mit gedruckt, die auf sie hinweisenden numerischen Ziffern im laufenden Text sind hingegen bis heute noch gut erkennbar geblieben90. Auch bei seiner Unterredung mit Claudio Filippo Grimaldi während des RomAufenthalts müssen die chinesische Sprache und Schrift ein ständiges Thema gewesen sein, wie es die obigen Zitate aus Leibnizens Aufzeichnung nahezulegen scheinen.91 Dennoch ist eine bedeutsame Erweiterung des Interesses nicht zu übersehen: Unter den bekannten 30 Fragen gilt nur eine einzige der chinesischen Sprache: „Quid de clavi characterum Sinicorum sperandeum – Was dürfen wir hoffen von einem Schlüssel zu den chinesischen Schriftzeichen?“92 Eine Antwort von Grimaldi speziell auf diese Frage ist nicht überliefert. IV Was in Rom entstand, wie die Unterredung mit Grimaldi, der Fragenkatalog und nicht zuletzt Leibnizens Briefe zu dieser Zeit deutlich zeigen, war die Sorge um einen einseitigen Wissenstransfer nach China, wie er von den Jesuiten nach Leibniz’ Einschätzung praktiziert wurde, und aus dieser Überlegung heraus die Idee eines gegenseitigen Wissensaustausches in beiderseitigem Interesse in historischen Dimensionen93. Denn das Ergebnis dieses für damalige Zeit fast weltum-
89 A I, 7 N. 525, 630: „[…] addidit autem textum Sinicum non quidem addendum operi toti: sed tamen specimina quaedam istic comparitura qualia exoptas“. Am 22. Juli 1687, A I, 7 N. 542, berichtete Papebroch unter anderem, dass der Confucius Sinarum Philosophus mit einer sehr nützlichen Praefatio inzwischen in Paris erschienen sei. 90 Die entsprechenden chinesischen Zeichen sollen zum Vergleich separat am Ende des Werkes als Anhang mit gedruckt werden. In den Manuskripten wurden hinter den Ziffern Plätze zur Einfügung freigehalten. Siehe K. Lundbaek: „The Image of Neo-Confucianism in Confucius’ Sinarum Philosophus“, in: Journal of the History of Ideas 44 (1983), S. 19–30. Jean Aymon hat, als er um 1706 in der Bibliothèque royale in Paris tätig war, unter anderem die Manuskripte des Confucius Sinarum Philosophus, nach eigener Angabe 900 Seiten, mitgehen lassen. Später beschuldigte er die Jesuiten, 2/3 des Textes unterschlagen zu haben und kündigte eine vollständige Edition an. Siehe Acta Eruditorum, Januar 1713, S. 46–48: „Observatio circa scientiam universalem Sinensium, in libro Confucii etc.“. 91 Siehe oben, Anm. 24; Widmaier/Babin, S. 2/3. 92 Ebd., S. 14/15. 93 Zur geschichtsphilosophischen Einordnung des Leibnizens Projektes in die europäische Frühneuzeit siehe G. van den Heuvel: „Geschichte als Erfahrungsraum und Erwartungshorizont
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spannenden Entwurfs eines trans-sibirischen Sino-Europäischen Projekts von Commerce de lumière zwischen Europa und China nach dem Motto von „lumen de lumine“94 würde ein nie dagewesener Zuwachs an Wissen, Vernunft, Sittlichkeit, Lebenserleichterung und Allgemeinwohl nicht zuletzt auch auf der europäischen Seite und in Russland sein. In diesem Zusammenhang erfuhr Leibniz’ bisheriges Interesse an der chinesischen Sprache und Schrift eine dreifache Erweiterung und muss somit in einem völlig neuen Kontext betrachtet werden: Erst eine eigenständige Erforschung dieser Sprache und Schrift würde einen Zugang zum Verständnis der Kultur, der Geschichte, der Philosophie, des Menschen und der Sitten dort ermöglichen; die Anwesenheit europäischer Missionare in China, besonders seit dem sogenannten Toleranzedikt des Kaisers Kangxi (1692)95 böten eine gute Bedingung für eine solche Erforschung durch Europäer selbst vor Ort, und schließlich solle diese Forschung in Europa personell wie institutionell gefördert und vertieft werden. So hat Leibniz früh erkannt, z. B. in seinem Brief an den Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels vom 9. (19.) Dezember 1687 nach seiner Lektüre des Confuzius Sinarum Philosophus bzw. der dort angehängten Tabula Chronologica96, dass bei dem in Europa seit langem anhaltenden Versuch einer Synchronisierung biblischer Chronologie mit der „heidnischen“ und nicht zuletzt der chinesischen Geschichtsschreibung97 „en diverses choses“ erst die Nachwelt sich ein Urteil erlauben werde, „wenn man eines Tages in Europa die chinesischen Originale hat und wenn man in der Lage sein wird, sie zu verstehen und über sie zu urteilen“98. Eine ähnliche Stelle findet man auch in seinem langen Brief an Grimaldi vier Jahre später. Bezugnehmend auf die seitdem ausgebrochene „controversia de Aetate mundi ex septuaginta Interpretum et Hebraici textus“ macht Leibniz seinen Brief-
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bei Leibniz“, in: C. Dutt/Reinhard Laube (Hrsg.): Zwischen Sprache und Geschichte. Zum Werk Reinhart Kosellecks, Göttingen 2013, S. 111–127, hier S. 120–126. „[…] misceamus beneficia et lumen de lumine accendamus“. Leibniz an Claudio Filippo Grimaldi vom 21. März 1692; A I, 7 N. 348; Widmaier/Babin, S. 36/37. Leibniz an Jean de Fontaney, 14. Febr. 1701. Widmaier/Babin, S. 289: „[…] comme on prend lumen de lumine“. Ein nach Europa gebrachter Bericht über dieses Ereignis bildete den unmittelbaren Anlass für Leibnizens Novissima Sinica, 1697, 2., erw. Aufl. 1699. Dem Folioband sind eine „Tabula genealogica trium familiarum imperialium Monarchiae Sinicae à Hoam Ti primo gentis Imperatore per 86. successores, et annos 2457. ante Christum“ sowie eine „Tabula chronologica Monarchiae Sinica juxta cyclo annorum LX. ab anno ante Christum 2952. ad annum post Christum 1683“ angehängt. Besprechungen und Rezensionen in den gelehrten Periodika (etwa Philosophical Transactions, Bibliothèque universelle et historique, Histoire des Ouvrages des Savants, Acta eruditorum, Le Journal des Sçavans) zeigen jedoch, daß just diese Beilagen auf breite Aufmerksamkeit gestoßen sind. Siehe W. Li: „Leibniz, der Chronologiestreit und die Juden in China“, in: D. Cook/H. Rudolph/Ch. Schulte (Hrsg.): Leibniz und das Judentum (= Studia Leibnitiana, Sonderhefte 34), Stuttgart 2008, S. 183–208. „La posterité sera davantage eclairciie de ces diverses choses lors qu’on verra un jour en Europe les Originaux Chinois, et qu’on sera en estat de les entendre et d’en juger“. A I, 5, 25– 28, hier 26.
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partner auf die Bedeutung gerade der chinesischen Chronologie in dieser Auseinandersetzung aufmerksam: „Um den Streit über das Alter der Welt zu entscheiden, der aus der Abweichung der Septuaginta und des hebräischen Textes (so wie wir ihn heute haben), entstanden ist, wäre von großer Bedeutung, sichere Informationen über die ersten chinesischen Herrscher zu haben für eine kritische Prüfung“99.
Die eingeschobene Spezifizierung „(qualem hodie habemus)“ ist indessen ein eindeutiger Hinweis auf eine mögliche Alteration der hebräischen Texte. „Ihr Ordensbruder Couplet“, so Leibniz, „hat angefangen, uns einen gewissen Vorgeschmack der genuinen chinesischen Geschichte zu geben; aber er hat den Durst mehr angeregt als gestillt. Seit langem wird […] in Europa um die Zeit der Patriarchen gestritten, und die Septuagintaübersetzer rücken die Ursprünge der Dinge weiter zurück als die andern; die chinesische Geschichte begünstigt diese Auffassung. Die einander widerstreitenden Meinungen mindern den Glauben; daher liegt nicht wenig daran, daß man eine kritische Untersuchung ihrer Glaubwürdigkeit vornehmen kann. Eine solche Untersuchung wird vorgenommen werden, sobald uns die geschriebene Geschichte des [chinesischen] Volks genauer bekannt geworden ist, so daß feststeht, welches seine ältesten Schriftsteller sind und was sie als Quellen für ihre Kenntnisse angeben“100.
Von Antoine Verjus wünscht sich Leibniz „präzisere Informationen [durch die französischen Missionare in China] über die chinesischen Schriftzeichen, als wir bisher erhalten haben, eine kritische Untersuchung der alten Geschichte und der Chronologie Chinas“101. So baut Leibniz die Untersuchung chinesischer Geschichte geschickt in seinen umfassenden Plan des Wissensaustausches zwischen Europa und China ein und sieht gerade in den laut gewordenen, wohl auch berechtigten Zweifeln an der Zuverlässigkeit chinesischer Quellen eine Notwendigkeit systematischer China-Studien. An die Stelle etwa von John Webbs Versuch, anhand der für wahrgehaltenen Chronologie das Alter der chinesischen Sprache und Schrift zu bestimmen, ist die Forderung nach einer systematischen Kritik der Sprache und der Quellen getreten, um ein sicheres Urteil für die Glaubwürdigkeit der Chronologie zu fällen. Trotz seiner immer wieder, vor allem in dem Vorwort der Novissima Sinica deutlich zum Ausdruck gebrachten Sympathie mit den Jesuiten in dem sogenannten chinesischen Ritenstreit nahm Leibniz Berichte und Argumente von den anderen Seiten ernst und war bereit, auf sie einzugehen. Neben den zahlreichen Passagen in den Korrespondenzen mit den Missionaren, die in China tätig waren, wie mit den Briefpartnern in Europa selbst102, stehen hierfür die Kurzabhandlung De cultu 99 31. Mai 1691; A I, 6 N. 302; Widmaier/Babin, S. 30/31; auch in: G. W. Leibniz: Novissima Sinica (1697). Das Neueste von China, hrsg. von H. G. Nesselrath u. H. Reinbothe, Köln 1979, S. 89. 100 Leibniz an Grimaldi, 21. März 1692; A I, 7, 617–622; Widmaier/Babin, S. 38/39; G. W. Leibniz: Novissima Sinica (1697). Das Neueste von China, S. 95–96. 101 Leibniz an Antoine Verjus, 2. (12.) Dezember 1697, in: Widmaier/Babin, S. 126/127. 102 Etwa mit Des Bosses, 2. Mai 1710; GP III, 403; an denselben, 18. Nov. 1710; GP II, 413.
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Confucii civili103, die Annotationes de cultu religioneque Sinensium104 und nicht weniger der Discours sur la théologie naturelle des Chinois, auch wenn Leibniz hier im letzteren Text ausdrücklich eine Diskussion über die Zeremonien der Chinesen ausgeklammert hat: „Je ne parle icy que de la doctrine, et je n’examine point les ceremonies, ou le culte, qui demande une plus grande discussion“105. Stets verwies Leibniz dabei auf die Ambiguität der in den Diskussionen benutzten chinesischen „signa“106 und auf die unzureichenden Studien in Europa. Die äußere pompöse Übertreibung kultischer Handlungen allein rechtfertige z. B. nach ihm eine rigide Interpretation der dahinter steckenden Bedeutung der Handlungen noch nicht; der sprachliche Gebrauch, dass der Ort, wo ein Bild der Verstorbenen hingestellt wird und wo ihm Opfergaben dargebracht werden, Thron oder Sitz der Seele oder des Geistes genannt werde, könne ebenfalls als Personifikation oder poetische Umschreibung gedeutet werden, um die Herrlichkeit der Unsterblichkeit zu beschreiben.107 Die Frage danach, ob gewisse Riten religiöser oder eher ziviler Natur seien, müsse durch Untersuchungen darüber geklärt werden, in welchem eigentlichen Sinne die Chinesen ihre Vorfahren verehrten108. Dafür müsse man aber über äußere Beobachtungen hinaus authentische Quellen sowohl aus chinesischer Tradition als auch mit Hilfe europäischer Kritik systematisch erforschen. In diesem Sinne schließt Leibniz nicht aus, dass die Europäer die chinesischen Texte besser verstehen würden als die Chinesen selbst.109 Solange dies aber nicht vollbracht und die chinesische Literatur nicht ebenso geläufig sei wie die rabbinische und arabische – „so weit zu kommen, läge sehr im Interesse der Christenheit“ 110 –, lasse sich nicht mit Sicherheit beurteilen, was die authentische
103 Es handelt sich dabei um einen Aufsatz Leibnizens für Antoine Verjus vom Januar 1700, in: Widmaier/Babin, S. 248/249–256/257. 104 Vermutlich aus dem Jahre 1708. Siehe Leibniz: Discours sur la Théologie Naturelle des Chinois, S. 103, S. 9–10 (zur Entstehung), S. 265–270 (Text). 105 Ebd., S. 20. 106 Widmaier/Babin, S. 248: „Sed constat valde aequivoca esse pleraque haec signa […]“. 107 Ebd. 108 „Itaque dispiciendum fuerit, quo animo majores aut bene meritos colant Sinenses, et inprimis utrum se intelligi putent, ab his quos colunt, et utrum aliquid ab illis flagitent aut expectent.“ G. W. Leibniz: „Annotationes de cultu religioneque Sinensium (1708)“, enthalten in: Ders.: Discours sur la théologie naturelle de Chinois, S. 266, Z. 28–29. 109 „Wären wir Europäer über das chinesische Schrifttum gut genug unterrichtet, so könnten wir mit Hilfe der Logik, des kritischen Scharfsinns, der Mathematik und unserer begrifflich genaueren Ausdrucksweise in den chinesischen Denkmälern einer so entfernten Vergangenheit sehr wahrscheinlich viele Dinge entdecken, die den heutigen Chinesen und selbst den neueren Auslegern der Alten, für wie klassisch man sie auch hält, unbekannt sind“ G. W. Leibniz: „Abhandlung über die chinesische Philosophie“, übers. von R. Loosen, in: Antaios VIII, 2 (1966), Sonderheft zum 250. Todestag Gottfried Wilhelm Leibniz’, S. 144–203, hier S. 194– 195. Ders.: Discours sur la théologie naturelle des Chinois, S. 103. Vgl. ders.: De cultu Confucii civili, in: Widmaier/Babin, S. 252/253. 110 „[…] quod obtineri valde è re publica Christiana foret“. Leibniz: De cultu Confucii civili, in: Widmaier/Babin, S. 252–253.
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Lehre der Chinesen sei111, und man tue gut dran, den klassischen (und fremden) Texten eine möglichst wohlwollende und vernunftgemäße Deutung zu geben112. Einen großen Beitrag dazu hätten die in China wirkenden Missionare zu leisten. Von Grimaldi hofft Leibniz eine Einschätzung zu Müllers Studien zu bekommen. „Aber auch über die Geheimnisse der chinesischen Sprache und ihrer Zeichen wird Ihr Orden uns etwas lehren können, damit wir endlich erfahren, was von dem Schlüssel zu halten ist, den Andreas Müller uns versprochen hatte oder besser, den wir uns von ihm erhofft hätten“ 113 .
Später, nach der Kontaktaufnahme mit den französischen Missionaren wie Joachim Bouvet und Jean de Fontaney, regt Leibniz die Gründung einer Akademie durch den chinesischen Kaiser an, damit eine gemeinsame Forschung unter Beteiligung chinesischer, manjurischer und europäischer Gelehrter gefördert werde: „Wäre es nicht möglicherweise denkbar, dass der chinesische Kaiser selbst sich veranlasst sehen könnte, einige Kollegien oder Akademien zu begründen, die dazu dienen könnten, die Wissenschaften und die Gelehrsamkeit nach europäischer Art zu pflegen, und deren Mitglieder Tataren, Chinesen und Europäer sein könnten“114.
Ferner sei eine Arbeitsteilung unter den Missionaren erforderlich. Leibniz weiß wohl, dass „der Hauptzweck der Missionare die Arbeit für die Ausbreitung der [christlichen] Religion“ sei; aber gerade in Hinblick darauf würden sich die Forschungen chinesischer Sprache und Schrift, die kritische Sichtung der alten Bücher und der alten Geschichte Chinas und sogar die Untersuchungen zu den chinesischen Wissenschaften und ihren Ursprung als sehr wichtig erweisen115. Dem Erwerb der Kenntnisse der Chinesen müsse deshalb ein noch größeres Gewicht beigelegt werden, als es bis dahin geschehen sei. Zu diesem Zweck müsse man ausgewählte junge Leute nach China schicken und umgekehrt gebildete Chinesen nach Europa bringen. Wünschenswert wäre auch, so Leibniz weiter, „dass etwa zehn besonders befähigte Leute unter Ihren Missionaren sich gezielt dem Erwerb dieser Kenntnisse widmeten“ 116. Ausdrücklich lobt er die Bemühungen Joachim Bouvets um die Kenntnisse der Chinesen: Es müssten ihm etwa zehn weitere Patres zur Seite stehen, damit man bis ins Details aller Arten von Kenntnissen der Chinesen gehen könnte117.
111 Ebd. 112 Leibniz an Bouvet, Juni (?) 1706, in: Widmaier/Babin, S. 530–531: Er bezweifle, „dass man ein angemessenes Urteil über die alten Chinesen und ihre Lehre fällen kann, ehe man besser über ihrer Literatur unterrichtete ist, was eine Angelegenheit von mehreren Jahren“ sei. 113 Leibniz an Grimaldi vom 31. Mai 1691, in: Widmaier/Babin, S. 28/29. 114 Leibniz an Jean de Fontaney vom 28. Juli 1704, in: Ebd., S. 452/453. Siehe an Bouvet vom selben Tag, ebd., S. 460–461. 115 Leibniz an Verjus, 18. August 1705, in: Ebd., S. 476/477. 116 Leibniz an Verjus vom Juni (?) 1706, in: Ebd., S. 524–525. 117 Leibniz an Bouvet, Juni (?) 1706, in: Ebd., S. 530–531.
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In diesem Zusammenhang sind seine Anregungen zu verstehen, als er davon hört, der chinesische Kaiser hätte die Erarbeitung eines mandschurisch-chinesischen Wörterbuches in Auftrag gegeben. Mit großem, bis zuletzt ungebrochenem Interesse verfolgt Leibniz von Ferne den Fortschritt des Projektes und hofft, dann auch für die Forschung in Europa ein Exemplar beschaffen zu können. In seinem Schreiben an Joachim Bouvet vom 13. Dezember 1707 bittet Leibniz, ihm und Europa „das große tatarisch-chinesische Wörterbuch zu beschaffen“, und wünscht, dass der chinesische Kaiser die Patres beauftragen möge, bei der Redaktion dieses Wörterbuches mitzuwirken. Damit hätten die Missionare nicht nur eine schöne Gelegenheit, die technischen Begriffen und Zeichen einzuarbeiten und zugleich die zugrundeliegenden Sachverhalte zu vertiefen und zu erklären, sondern sie hätten auch Gelegenheit, auf allen denkbaren Gebieten befähigte Chinesen heranzuziehen, denn für die Kenntnis der technischen Begriffe müsse man auf die Leute vom Fach zurückgreifen118. Wie er auf der einen Seite die in China arbeitenden und forschenden Missionare immer wieder zur nachhaltigen vertiefenden Forschung chinesischer Sprache und Schrift ermutigte und mit seinen Wünschen und Fragen geradezu bedrängte, versuchte Leibniz auf der europäischen Seite junge Wissenschaftler für China-Studien zu gewinnen. Nach dem Tod von Andreas Müller und Christian Mentzel versuchte er vor allem, den begabten Orientalisten und eines der ersten Mitglieder der Berliner Sozietät, Mathurin Veyssière de La Croze hinsichtlich einer vertiefenden Studie der chinesischen Sprache und Schrift umzustimmen, da ihm diese Studie besonders wichtig erschien119. La Croze war bekanntlich bei seinen orientalischen Studien geblieben und hatte es im Chinesischen nicht weit gebracht120; in seiner Eigenschaft als Hofbibliothekar in Berlin hatte er aber Gottlieb Siegfried Bayer, der einer der großen Frühsinologen in Europa werden sollte, nach allen ihm möglichen Kräften bei dessen anfänglichen China-Studien unterstützt. In seinem 1730 in Petersburg erschienenen Museum Sinicum würdigt Bayer unter anderem beson-
118 Widmaier/Babin, S. 598/599–600/601. Vgl. Leibniz an Pierre Jartoux vom 17. August 1707, in: Ebd., S. 472/473. 119 Leibniz an La Croze, 24. Juni 1705; Kortholt I, 376, Dutens V, 478–479, hier 478: „Si je pouvois, Mr. je vous encouragerois fort à cultiver la langue Chinoise“. An denselben vom August 1707; Dutens V, 484: „Vous m´avez réjoui en me mandant votre appplication à la recherche des caractères Chinois, et l’espérance que vous a ez d’y faire des progrès. Cette recherche me paroit d’autant plus importante que je m’imagine, que si nous pouvions découvrir la clef des caractères Chinois, nous trouverions quelque chose qui serviroit à l’analyse des pensées“. Siehe C. F. Seybild: „Lacroziani“, in: Zeitschrift der deutschen Morgenländischen Gesellschaft 65 (1911), S. 280–286, hier S. 280–282: Leibniz empfiehlt La Croze wärmstens das Studium des Chinesischen. Der Autor beruft sich auf die bezeichnenden Stellen in Jordan: Histoire de la vie et des ouvrages de Mr. La Croze. Siehe den Beitrag von M.-L. Babin in diesem Band (S. 216–217). 120 „[…] de analysi linguae Sinensis nonnulla forte docere possem […]“. La Croze an Johann Christian Clodius vom 13. Juni 1718, in: Thesauri Epistolici Lacroziani, T. III, Leipzig 1746, S. 97 (zitiert auch bei Seybold, S. 282.)
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ders Leibnizens grundlegenden Beitrag für die Etablierung der Sprachforschung. So habe Leibniz als Erster („primus“) das eigentliche Fundament für die Philosophie der Sprache gelegt, eine Disziplin, die bis dahin für das Verständnis und die Forschung der Geschichte noch nicht kultiviert worden sei („[…] et linguarum quoque philosophiae nondum profecto ad gestorum memoriam illuminandam excultae, primus fundamenta idonea iaciebat“). Sein großer Geist sei mit fast allen Sprachen und ihren gegenseitigen Beziehungen vertraut; frühzeitig habe er jedoch erkannt, dass nicht einmal ein Herkules es schaffen könnte, alle Sprachen zu beherrschen, und deshalb sei er stets froh gewesen über jeden, der seinen Geist und seine Energie für die Studien eines Teils der Sprachen anwenden wolle, und habe sie alle, ohne Eifersucht, so viel er konnte, mit Ratschlägen und Lob unterstützt. So habe er zuerst versucht, Müllers tristen Geist zu wecken; und „als der Mann als unzerbrechlich wie der Marmor von Paros sich erwies, wandte er seine ganze Aufmerksamkeit auf [Christian] Mentzel. Nach Mentzels Tod versuchte er auf alle möglichen Arten, weitere Personen zu dieser ehrenvollen Karriere zu ermutigen“121.
Warum Bayer hier rückblickend gerade seinen Mentor und Förderer La Croze nicht erwähnte, muss unverständlich bleiben. Auch Bayer selber könnte zu diesem von Leibniz geförderten Personenkreis gerechnet werden: Als der junge angehende „Sinologe“ 1716 nach Berlin kam und eine Beschäftigung suchte, soll La Croze ihm erzählt haben, dass Leibniz sich nach einem Mitarbeiter umschaue, der ihm (Leibniz) bei seiner Beschäftigung mit China helfen könnte. La Croze sei bereit gewesen, den jungen Bayer an Leibniz nach Hannover zu empfehlen; aber es war bereits zu spät, Leibniz verstarb im 14. November 1716122. Zur Förderung der Sprachstudien und zur Untersuchung chinesischer Quellen und Urkunden hat Leibniz weitere institutionelle Maßnahmen angeregt. Dazu gehört unter anderem der (bisher) singulär scheinende, immer wieder zum Ausdruck gebrachte Appell, bei aller Achtung vor europäischen Forschern „native speakers“ zur Vermittlung ihrer Sprache und zur Übersetzung chinesischer Quellen und Urkunden nach Europa zu holen. Nachdem er im Vorwort der Novissima Sinica noch konjunktiv vorgeschlagen hat, chinesische Missionare nach Europa kommen zu lassen, die die Europäer in der Anwendung natürlicher Theologie unterrichten könnten,123 fragt Leibniz noch im selben Jahr Antoine Verjus in Paris, ob man (in
121 Bayer, S. 70–71 (Praefatio). 122 Im Museum Sinicus (S. 86–87) berichtet Bayer über seine Ankunft in Berlin und die Hilfe, die er von La Croze erfahren durfte, und fährt fort: „Id quoque egit postea, vt quia Leibnitius quaerebat aliquem adolescentem huius doctrinae studiosum, quem coppis suis et consiliis subleuaret, istius rei caussa mihi gratiam immortalis viri conciliaret. At cum hoc maxime agit Lacrosus, Leibnitius decedit“. Siehe den Beitrag von T. Van Hal in diesem Band (S. 196– 197). 123 A IV, 6 400–401: „Certe talis nostrarum rerum mihi videtur esse conditio, gliscentibus in immensum corruptelis, ut propemodum necessarium videatur Missionarios Sinensium ad nos mitti, qui Theologiae naturalis usum praxinque nos doceant, quemadmodum nos illis mittimus qui Theologiam eos doceant revelatam“.
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Frankreich) nicht vielleicht ein paar Chinesen („quelques Chinois“) nach Europa mitgebracht habe, die als lebendige Wörterbücher („Nomenclateurs vivans“) dienen könnten?124 Als er ein Jahr später von Übersetzungsprojekten in Frankreich hört, regt Leibniz, in einem Brief an Jean de Fontaney im Februar 1701, an, einen „Chinesen“ mitzubringen, „der in Europa bleiben und bei den Übersetzungen helfen“ könnte125. Seitdem fordert er immer wieder, „dass man einige fähige Chinesen nach Europa kommen ließe“, denn andernfalls – „sans cela“ – würde man in Europa „über ihre Sprache und andere Gegenstände nicht ausreichend unterrichtet werden“ können; der chinesische Kaiser werde in dieser Sache keine Schwierigkeiten machen, „abgesehen davon, dass es in den Nachbarländern und selbst in Batavia viele [Chinesen] gibt“126. In seinem Brief an Madame de Sacetot vom 15. Oktober 1707 wiederholt Leibniz seine Forderung: Man müsste Chinesen nach Europa kommen lassen, damit Europa die chinesische Literatur und Sprache genauer kennen lerne127. Ähnliches liest man in seinem Schreiben an Ferdinand Orban am 28. Oktober des Jahres128 und in seinem (letzten) Schreiben an Joachim Bouvet am 13. Dezember 1707: Man möge „ihre Bücher, Heilkräuter, Sämereien, Tiere, Maschinen, Modelle und sogar einige ihrer Gelehrten zu uns [nach Europa]“ bringen“129. Besondere Hoffnung setzt Leibniz auf die Gründung der Berliner Sozietät der Wissenschaften. So lesen wir, z. B. in der Generalinstruktion vom 11. Juli 1710, dass die Berliner Sozietät, finanziert etwa durch eine Abgabe der Geistlichkeit, in der Förderung der protestantischen Mission in China eine wichtige Arbeit sehen möge. Brandenburg sei für einen Austausch mit China besonders geeignet, wegen der in Berlin durch Andreas Müller und Christian Mentzel auf einen hohen Stand gebrachten Sinologie – schon damals war der sinologische Bestand in der kurfürstlichen Bibliothek europaweit bekannt –, und wegen des reichen Bernsteinvorkommens im Lande, laut Leibniz fast die einzige europäische Ware, die in China geschätzt und stark verlangt werde130. Ferner regt Leibniz an, denjenigen, die nach China geschickt werden sollen, vorher durch die Akademie eine gründliche Ausbildung in den „realen scientien der natur und kunst […] und orientalischen sprachen sonderlich dem Sinesischen und Sinisch-Tartarischen“ zu erhalten131. Eine solche Ausbildung würde ihnen eine wohlwollende Aufnahme in China verschaffen und sie gleichzeitig in die Lage versetzen, auf ihrer Reise dorthin und erst recht
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Leibniz an Antoine Verjus, 2. (12.) Dezember 1697; A I, 14 N. 472; Widmaier/Babin, S. 134/135. Leibniz an Jean de Fontaney, Februbar 1701; A I, 19 N. 204; Widmaier/Babin, S. 292/293. Leibniz an Jean de Fontaney vom 19. Februar 1706, in: Widmaier/Babin, S. 520/521. LBr 794. LBr 699: „[…] ut Sinenses homines doctos in Europam accersamus, qvi adolescentes Europaeos sermone et literatura Sinensium imbuant“. 129 Widmaier/Babin, 600/601. 130 Demnächst in A IV, 8. 131 G. W. Leibniz: Vorschläge zu Einrichtung und Arbeit der Sozietät, Mitte Juli 1700, Vorschlag 12. Demnächst in A IV, 8.
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in China selbst wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen, etwa zur magnetischen Deklination, zu astronomischen Beobachtungen oder den Sprachen132. In den vermutlich kurze Zeit später aufgesetzten Vorschlägen zu Einrichtung und Arbeit der Sozietät hebt Leibniz nochmals die Forschung der „orientalischen sprachen“ sonderlich der „Sinisch-Tartarischen“ hervor: „Zu welchem ende man sich zu bemühen hätte bey den Hollandern Portugesen und Spaniern, aus Neu Batavia, Macao und den Philippinischen inseln, bereits dem vernehmen nach verfertigte chinesische dictionaria der Characteren, und Tartarische Lexica der worthe zu erhalten; zu geschweigen was der seel[ige] Probst Müller, und H. Menzelius alhier bereits praestiret“133.
Zum Schluss sei noch zum einen auf Leibniz’ Unterscheidung des Chinesischen vom Tatarischen und zum anderen auf seine „verschlossene Schatztruhe“ verwiesen: „Da die fernen Ursprünge der Völker über die Anfänge der historischen Überlieferung hinaus zurückreichen, ersetzen uns die Sprachen alte schriftliche Denkmale jener Zeiten“134.
So sieht Leibniz gerade in den Resten der schriftlich oder mündlich überlieferten historischen Sprachen Zeugnisse der Menschheitsgeschichte, allen voran der Geschichte der Völker und der Völkerwanderung. Wie Leibniz die ab 1644 in China herrschende Mandschu- als „Fremdherrschaft“ wahrnimmt und die Mandschuts immer wieder gegen die „eigentlichen“ Chinesen abgrenzt, scheint er zwischen der chinesischen Sprache (samt der Japanischen und der Koreanischen) und den Sprachen der an China angrenzenden asiatischen Völker klar zu unterscheiden und so das Chinesische aus seiner etymologischen Untersuchung der Völkerwanderung auszuklammern. Wie die „Chinesen und ihresgleichen“ („les Chinois et semblables“)135 ein „Anti-Europa“ auch im geographischen Sinne darstellten, seien ihre Sprachen, allen voran die chinesische, trotz Leibnizens eigener Warnung vor „per saltum“ bei Sprachforschung136 ebenfalls so stark von den europäischen
132 Siehe auch Leibniz an Joh. Chr. Mentzel, 21. (31.). Januar 1699; A I, 16, 528–530: „usui aliquando, ut spero, futura ad Protestantium missiones in ultimum illum orientem religionis propagandae causa instituendas“. 133 Demnächst in A IV, 8. 134 G. W. Leibniz: Brevis designatio meditationum de Originibus Gentium, ductis potissimum exindicio linguarum. Erstdruck in: Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum, 1710, S. 1–16, hier S. 1. Zitiert nach ders.: Schriften und Briefe zur Geschichte, bearb., komm. und hrsg. von M.-L. Babin und G. van den Heuvel, Hannover 2004. S. 356/357– 388/389, hier S. 357. 135 Leibniz an Antoine Verjus, 2. (12.) Dezember 1697; A I, 14 N. 472, Widmaier/Babin S. 132/133. 136 Leibniz an Simon de la Loubère, 5. Oktober 1691; A I, 7, 399: „Es ist offensichtlich genug, dass fast alle Sprachen der Welt, die den Alten bekannt war, eine beträchtliche Übereinstimmung untereinander besitzen und aus einer gemeinsamen Quelle zu stammen scheinen. Aber wenn man nach Amerika hinübergeht und zu den äußersten Rändern und abgelegenen Regionen Asiens und Afrikas, so erscheinen die Sprachen so verschieden untereinander und von un-
Leibniz und das europäische Interesse an chinesischer Sprache und Schrift
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unterschieden137, dass sie nicht zu denjenigen Sprachen „Europas und Asiens“ „von der Nordsee bis zum Indus“ zu zählen seien, die „aus einer einzigen Quelle hervorgegangen zu sein scheinen“. Zur Verifizierung dieser Ansicht mit Hilfe der Sprachen bzw. der in den Sprachen noch restlich vorhandenen Denkmäler wäre es demnach wichtig, an schriftliche Proben („wie z. B. das Vaterunser“138) der Sprachen der meisten Völker Ostindiens und des benachbarten „Skythiens“ zu kommen. Leibniz war des Chinesischen nicht kundig; es konnte bisher kein Anzeichen gefunden werden, dass er irgendwie vorgehabt hätte, diese Sprache zu lernen. So konnte er, als er zu Beginn des Jahres 1706, „einige in China gedruckte Bücher“ („quelques livres imprimés à la Chine“) geschickt bekam, die nach ihm „vor einem Jahr und mehr in Europa eingetroffen“139 waren, mit dem Schatz nichts anfangen. In seinem Brief an Fontaney vom 19. Februar 1706, aus dem die obigen Angaben entnommen sind, vermutet Leibniz Joachim Bouvet in Beijing als Absender. „Durch irgendeinen Zufall habe ich aber nicht P. Bouvets Brief bekommen, der ihnen beigelegen haben dürfte, so dass ich nicht weiß, worum es sich handelt“.
Da die Sendung für ihn „un Tresor enfermé“ sei, bat Leibniz Fontaney, „Erkundigungen hierzu einzuholen“ und ihm die Erklärung der Titel und des Inhalts dieser Bücher zu beschaffen“140. In seinem Brief vom Juni (?) des Jahres 1706 an den mutmaßlichen Absender Joachim Bouvet141 schreibt Leibniz hingegen vom Erhalt von „seize Manuscrits Chinois“ und meint, er habe keinen Zweifel, dass die Sendung von Bouvet gekommen sei. Da er aber keinen Brief vorgefunden habe, der sich auf die Sendung beziehe, wisse er nicht, „worum es sich handelt“ und die „Manuscrits“ seien für ihn ein „Tresor caché“. Im Schreiben an Charles Le Gobien vom 13. Dezember 1707 benutze Leibniz eine andere Bezeichnung und sprach von „16 volumes Chinois“, die er „offenbar (‚apparemment‘) der Freigiebigkeit von Bouvet zu verdanken habe“142. Im (letzten) Brief desselben Datums143 notiert Leibniz wiederum „16 livres Chinois“, dankt Bouvet für die vermutlichen Geschenke und bat diesen, ihn „wissen zu lassen, was diese Bücher enthalten“. Vielleicht gelingt es uns eines Tages, den Inhalt der Truhe zu identifizieren und dessen Verbleib ausfindig zu machen.
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seren, dass man sagen würde, es handele sich um eine andere Rasse von Lebewesen. Aber wenn man von Volk zu Volk ginge, um die Sprachen zu untersuchen, könnte man besser darüber urteilen, als wenn man so per saltum vorgeht“. Leibniz an Simon de la Loubère, 5. Oktober 1691; A I, 7, 399. Vgl. den Brief an Kochánski, Dezember 1691; A I, 7, 487. Leibniz an Antoine Verjus, 2. (12.) Dezember 1697; A I, 14 N. 472; Widmaier/Babin, S. 132/133. Vgl. etwa Joachim Bouvet an Leibniz vom 28. Februar 1698, in: Widmaier/Babin, S. 164/165–174/175. Brief an Fontaney vom 19. Februar 1706, in: Widmaier/Babin, S. 522–523. Ebd. Widmaier/Babin, S. 528/529. Ebd., S. 594/595. Ebd., S. 598/599.
LEIBNIZ UND ARISTOPHANES: DIE UNHEIMLICHE SEITE DER SPRACHE ALS WITZ, SPOTT UND PARODIE* Von Giovanna Varani (Porto MN)
Der Lehrer: „Aristophanes ist tot.“ Der Komiker: „Wann ist es passiert?“ Der Lehrer: „Vor 2000 Jahren …“ Der Komiker: „Ach, mein Gott, wie vergeht die Zeit …!“1
1. WARUM GERADE ARISTOPHANES? Schon am Anfang könnte man daran zweifeln, ob ein solches Thema innerhalb eines Tagungsbandes über Sprachphilosophie und Sprachforschung bei Leibniz Aufmerksamkeit verdient. Tatsächlich – und ganz zu Recht – gilt Leibniz als seriöses Genie, als rigoroser Gelehrter, der Zeichentheorien entwirft oder sprachliche Phänomene als wissenschaftliches Untersuchungsobjekt betrachtet2. Wie dürfte man
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Ich danke herzlich meinen Freunden Herbert Breger, Nora Gädeke und Françoise Leloutre für die sprachliche Hilfe und für die inhaltlichen Anregungen. Außerdem bedanke ich mich sehr bei Herrn Malte-Ludolf Babin des Leibniz-Archivs (Hannover), bei Susanne Edel und Martha Lang. Das Zitat stammt aus einer sehr berühmten Szene der Komödie Il ratto delle Sabine (1945) von Mario Bonnard. Der Hauptdarsteller ist eine der beliebtesten Figuren des komischen italienischen Films, Totò, alias Antonio De Curtis. Wenngleich von manchen Kritikern (A. Petrangeli: Star, Rom 15.12.1945; V. Talarico: L’Indipendente, 7.12.1945) abschätzig als banal verurteilt, kann er als sehr aufschlussreich gelten. Denn ihn durchzieht u. a. eine intelligente Kritik an den Missbräuchen einer bestimmten leeren Propaganda für die sogenannte ernsthafte Literatur (z. B. des historischen Theaters), die während der kurz vorher beendeten faschistischen Dekaden bombastisch das Wiederaufleben der Romanitas und deren Mythologie zelebriert hatte. Ihrer schwülstigen Pracht setzt er die nüchterne und realistische Stimme des komischen Theaters entgegen. Dazu vgl. z. B. A. Heinekamp: „Natürliche Sprache und Allgemeine Charakteristik bei Leibniz“, in: Akten des II. Internationalen Leibniz-Kongresses, Hannover, 17.–22. Juli 1972, Bd. IV (= Studia Leibnitiana, Supplementa 12), Wiesbaden 1975, S. 257–286; H. Poser: „Zeichentheorie und natürliche Sprache bei Leibniz“, in: P. Koch/S. Krämer (Hrsg.): Schrift, Medien, Kognition, über die Exteriorität des Geistes, Tübingen 1997, S. 127–147; ders.: G. W. Leibniz zur Einführung, Hamburg 2005, S. 91–120: „Erkenntnis und Sprache“, insb. S. 111–116: „Die natürliche Sprache“ und S. 117–120: „Sprache und Weltverständnis“; ders.: „Die Vielheit der
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sich einbilden, dass er auch einen nur oberflächlichen Blick auf die beunruhigende Dimension des Scherzes, der Schimpfwörter, kurz: des Komischen werfen könnte? Noch provokanter gefragt: Konnte der Philosoph Leibniz eigentlich lachen? Oder – weil biographische Aspekte im vorliegenden Fall uns nicht interessieren – ist es möglich, einen besonderen philosophischen Sinn3 des Lachens (bzw. des Lächelns) und der Sprache als Produktionsort des Lachens bei ihm zu finden und einen heuristischen Wert des Witzes zu entdecken? In der Tat erweist sich das Lachen nicht nur als psychische Aktion, sondern als gezieltes Ergebnis einer sprachlichen Strategie, die u. a. von der Unterhaltungsliteratur in allen ihren verschiedenen Gattungen angewandt wird4. Wäre eine systematische Untersuchung über die Leibniz’sche Rezeption der antiken Komödie als konkretes historisches Beispiel5 der inneren Mehrdeutigkeit der natürlichen
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Sprachen und die Einheit der Vernunft“, in: J. A. Nicolás (Hrsg.): Leibniz und die Entstehung der Modernität [Leibniz-Tagung in Granada, 1.–3. November 2007] (= Studia Leibnitiana, Sonderhefte 37), Stuttgart 2010, S. 147–165. Schon D. Mahnke: Leibniz als Gegner der Gelehrteneinseitigkeit, Stade 1912, S. 66, hat die poetische Komponente in Leibniz’ Nachlass ausgewertet und ihm eine „wirkliche Begabung […] als satirischer Dichter“ zugeschrieben. Seine Bemerkungen scheinen aber nur die Vielseitigkeit der Leibniz’schen Aktivitäten zu betreffen und nicht die impliziten, stricto sensu philosophischen Konsequenzen der Einschätzung der komischen Poesie an den Tag zu bringen. Zu Leibniz als Dichter und Satiriker darüber hinaus vgl. u. a. J. Vahlen: „Leibniz als Schriftsteller. Festrede gehalten am 1. Juli 1897 zur Feier des Leibnizschen Jahrestages“, in: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (II), Berlin 1897, S. 687–701; F. Behrend: „Leibniz als Dichter“, in: Deutsche Literaturzeitung für Kritik der internationalen Wissenschaft 38 (1917), S. 131–134; P. Böckmann: „Das Formprinzip des deutschen Witzes in der Frühzeit der Aufklärung“, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1932–1933), S. 52–130; W. Loos: „Leibniz’ Gedicht auf den Tod der Königin Sophie Charlotte“, in: Aus der Welt des Barock (1957), S. 69–82; O. Saame: „Satiren und Preisgesänge: Leibniz als Gelegenheitsdichter“, in: Stuttgarter Zeitung Nr. 283, 7. Dez. 1963, S. III (Nachdr. in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 5. Nov. 1964); O. B. Hankins: Leibniz as baroque poete: an interpretation of his German epicedium on the death of Queen Sophie Charlotte, Bern u. a. 1973; J.-V. Smidt: Vergangenheit wird Gegenwart: hervorragender Geist und sinnvoller Humor können Jahrhunderte überdauern, Leer 1977, S. 16–21; W. Totok: „Die ‚beste Welt‘ in der Dichtung der deutschen Aufklärung“, in: A. Heinekamp/A. Robinet (Hrsg.): Leibniz: le meilleur des mondes (= Studia Leibnitiana, Sonderheft 21), Stuttgart 1992, S. 247–60; H. Hecht: „Die Handschriften des Leibnizschen Gedichtes auf Johann Amos Comenius“, in: Comenius-Jahrbuch 1 (1993), S. 83–89. Vgl. auch J. R. Carré: La philosophie de Fontenelle ou le sourire de la raison, Genf 1970 [ND der Ausgabe Paris 1932]. Vgl. dazu A. Hügli: Art. „Lachen, das Lächerliche“, in: G. Ueding/G. Kalivoda (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik (= HWR), Bd. 5, Tübingen 2001, Sp. 1–17; A. Mahler: Art. „Lustspiel, Komödie“, in: Ebd., Sp. 661–674. Hinsichtlich Aristophanes vgl. G. Mastromarco: Introduzione a[d] Aristofane, Roma-Bari 1994. Vgl. auch A. Sommerstein: Talking about laughter and other studies in Greek comedy, Oxford 2009. Unter einer solchen Perspektive wird die Problematik einer ontologischen Begründung der „Natur-Sprache“ bzw. „Adamitischen Sprache“ – wie u. a. bei Jakob Böhme – im Vergleich zu der natürlichen Sprache mit den einschlägigen Auseinandersetzungen darüber selbstverständlich außer Acht gelassen. Vgl. dazu S. Edel: Die individuelle Substanz bei Böhme und Leibniz. Die
Leibniz und Aristophanes
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Sprachen, bei dem paradoxe Ansichten und sprachliche Deformationen aufeinandertreffen, folglich der Mühe wert? Bisher fehlt sie m. E. Wie darf übrigens von einer „Rezeption“ bei einem so vielseitig kreativen Autor wie Leibniz gesprochen werden, ohne eine Verinnerlichung und selbständige Verarbeitung einiger tradierter Motive bei ihm zu erwarten? Die vorliegende Studie befasst sich mit einem Teil von Leibniz’ Arbeiten (der Rezeption des antiken literarischen Gutes, insbesondere der aristophanischen Komödie), der bisher kein großes Interesse bei den Leibniz-Forschern gefunden hat, und versucht, ihn im Rahmen des weiten Leibniz’schen Systems insgesamt zu betrachten. In dieser Hinsicht soll sie, zumindest provisorisch, zeigen, dass auch die satirischen Aufzeichnungen und die poetischen Elaborate von Leibniz selbst nicht nur von anekdotischer bzw. biographischer Bedeutung sind, sondern ein aufschlussreiches philosophisches Gepräge und eine feine Sensibilität für die sprachliche Problematik des Komischen erkennen lassen. Ein Befund soll einleitend erklärt werden. Während Verweise auf lateinische Komödienautoren, wie den musterhaften, moralischen Terenz (ca. 184/185–159 v. Chr.) oder den lustigen Plautus (255/250–184 v. Chr.) bei Leibniz zahlreich sind6, treten manche griechische Komödienschriftsteller, wie Menander (ca. 342–ca. 291 v. Chr.), bei ihm gar nicht auf. Auch explizite Zitate, die von Aristophanes (ca. 450/445–ca. 385 v. Chr.) stammen, sind relativ selten und scheinen nur eine Nebenrolle einzunehmen. Hiermit wäre die Frage, ob die griechische komische Literatur im Allgemeinen von ihm ignoriert bzw. unterschätzt wird, legitim.
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Kabbala als tertium comparationis für eine rezeptiongeschichtliche Untersuchung, Stuttgart 1995, S. 166–168; S. Edel /M. Buchmann: Art. „Sprache, adamitische“, in: J. Ritter/K. Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9, Basel 1995, Sp. 1495–1499; S. Edel: „Métaphysique des idées et mystique des lettres: Leibniz, Böhme et la Kabbale prophétique“, in: Revue de l’Histoire des Religions 213, 4 (1996), S. 443–466; ders.: „Ideenmetaphysik und Buchstabenmystik: Leibniz, Böhme und die prophetische Kabbala“, in: A. P. Coudert (Hrsg.): The Language of Adam = Die Sprache Adams [Proceedings of a conference held at the Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel, May 30–31, 1995] (= Wolfenbütteler Forschungen 84), Wiesbaden 1999, S. 171–191. Leibniz zitiert beide oft. Dazu vgl. z. B. Terenz in A VI, 1, 495; VI, 3, 343; VI, 4 A, 619; 4 B, 1298, 1313, 1315, 1328–1329, 1332; VI, 4 C, 2944–2945; VI, 6, 34, 404, 430; I, 6, 350; I, 7, 680; I, 9, 627; I, 10, 116, 193; I, 11, 144, 244; I, 13, 274, 345, 366, 370, 401, 497; I, 14, 340, 763; I, 15, 322, 733, 783; I, 16, 189, 298, 341, 353; I, 17, 230, 432, 443, 570, 665; I, 19, 365, 678; I, 22, 29, 216, 431, 436, 636, 737; II, 2, 24; III, 2, 749; III, 3, 493; III, 4, 176; IV, 5, 424; IV 6, 490; Plautus in A I, 8, 343, 351; I, 9, 6; I, 12, 708; I, 13, 497; I, 15, 204; I, 16, 299, 342, 534; I, 17, 443; III, 3, 352, 461; VI, 4 A, 615; VI, 4 B, 1313, 1332–1333. Nebenbei bemerkt wurden die Komödie im Allgemeinen und die griechische im Speziellen von der gegenreformatorischen Pädagogik misstrauisch und distanziert betrachtet. Dazu vgl. G. M. Pachtler S. J.: Ratio studiorum et Institutiones Scholasticae Societatis Jesu per Germaniam olim vigentes, Tomus II, Ratio stud. ann. 1586. 1599. 1832, Osnabrück 1968 (ND der Ausgabe 1887–1894), S. 176: „Agendae itaque videntur Comoediae ac tragoediae, ea tamen moderatione, quae a Regula 58. Provincialis praescribitur“ (1586). Die Situation war aber kaum anders bei den orthodox-frommen lutherischen Protestanten dieser Zeit.
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Überhaupt wird Aristophanes nur mit einem bestimmten Stück, nämlich Die Wolken, in Leibniz’ Werk erwähnt – ein Stück, in dem die Hauptrolle vom Philosophen Sokrates gespielt wird. Auf Aristophanes’ Sokrates, also auf der Karikatur des Philosophen qua talis, liegt tatsächlich der Schwerpunkt der Leibniz’schen Aristophanes-Rezeption. Sie ist auch für die sprachliche Ebene relevant. Denn Aristophanes’ Theater besteht nicht in bloßer Belletristik, sondern bedeutet einerseits eine drastische Konfrontation mit der alltäglichen Sprache7 in ihren vielseitigen Facetten, nicht zuletzt mit der Härte und Grobheit des Jargons. Andererseits entfaltet es sich in eine gesellschaftliche, kommunikative und ästhetische Richtung. Welche Reaktionen sind aber feststellbar bei einem Barockgelehrten, der nach einem wissenschaftlich formalisierten, sozusagen gefühllosen, trockenen und universalen Sprachsystem strebt, um die Hindernisse des Gemeinen zu überwinden? Welche Resonanz kann insbesondere der gegen die philosophische ‚Klasse‘ aktivierte Satire-Apparat mit einer Explosion emotionaler Nuancen und seelischer Zustände, u. a. des unverschämten Spottes, haben? Welche philosophischen Implikationen und welche Wirksamkeit präsentiert die bescheidene Burleske? Vornehmlich gilt das Theaterstück Die Wolken als Hinweis auf die Möglichkeit der philosophischen Sprache, Wortbetrügereien durch Wortspielereien und Sophismen aufzubauen. Der logos erweist sich nämlich nicht nur als Weg zu einer objektiven Wahrheit, sondern als spielerische Erfindung neuer verkehrter Gedankengänge und sogar verkehrter Welten. Abgesehen von der großen bzw. geringen historischen Zuverlässigkeit des Wolken-Sokrates: Wie wird seine sophistische Kapazität und Neigung zum dialektischen Spielen mit Worten und Begriffen von Leibniz beurteilt?8 Ist der Vorwurf, nur betrügerische Floskeln zu produzieren bzw. sich in Logomachie zu erschöpfen, im Grunde genommen nicht ein wertvoller Dienst für die Philosophie und für die Reinigung ihrer Argumentationen? Aristophanes’ Theater engagiert sich darüber hinaus leidenschaftlich in der politischen Sphäre und wirkt in ihr als geistige ‚Waffe‘9. Alles in allem dient es
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Das Wesen der alltäglichen Sprache der Komödie gehört im Grunde genommen zur natürlichen Sprache, obwohl die Komödie versucht, sie in künstlerischer bzw. literarischer – also de facto künstlicher – Richtung zu entwickeln. Dazu vgl. die ausschlaggebende Rolle des Sophismas des argos logos, ratio ignava bzw. „la raison paresseuse“ der Theodizee in GP VI, 31; 37: „la Raison paresseuse est un vray sophisme“ (Préface); GP VI, 132: „le sophisme paresseux (logos argos)“ (Prém. partie). Vgl. A VI, 1, 542; VI 3, 357, 362; VI, 4 B, 1535, C 2312. Dazu vgl. C. H. Whitman: The Heroic Paradox. Essays on Homer, Sophocles and Aristophanes, hrsg. und mit einer Einleitung von Ch. Segal, Ithaca/London 1982, S. 132–159: „Aristophanes and the City or 1/Everybody“; L. Edmunds: Cleon, Knights, and Aristophanes’ Politics, Lanham/New York/London 1987; B. Zimmermann: „Nephelokokkygia. Riflessioni sull’utopia comica“, in: W. Rösler/B. Zimmermann (Hrsg.): Carnevale e utopia nella Grecia antica, Bari 1991, S. 53–102; M. C. Marianetti: Religion and Politics in Aristophanes’ Clouds, Hildesheim/Zürich/New York 1992; D. Konstant: Greek Comedy and Ideology, New York/Oxford 1995, S. 15–90: „Aristophanic Comedy: Politics and Utopia“; P. Reinders: Demos Pyknites.
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nicht einfach nur der Zerstreuung. Man könnte so bemerken, dass die Ridikülisierung, die die Philosophen betrifft, keineswegs die Politiker ausspart, sondern sich präferenziell auf sie richtet. Diese Komponente charakterisiert besonders die Archaia, d. h. die alte attische Komödie, die sich nach Horaz (Sat. I, 4) auf das Motiv des onomastì komodeîn (multa cum libertate), d. h. des hemmungslosen, ganz freien Angriffs gegen die prominentesten tadelnswerten Mitbürger, stützt. Nicht zufällig hat man in dieser Hinsicht Aristophanes als Komödienverfasser ein „umstürzlerisches Potential“10 zugeschrieben. Seine bissigen Pfeile gegen den Demagogen Kleon sind berühmt. Genauer gesagt hat man eine „Violence of Language“11 bei ihm festgestellt. Die Bemerkung passt eigentlich zu seiner politischen Anstößigkeit, weil sie keinesfalls harmlos ist, sondern sehr aggressiv und „mit Leid und Schaden“ verbunden. Insofern erweist sich Aristoteles’ Definition des Ridikülen (aischron)12 in der Ars Poetica als unzulänglich. Aristophanes gilt zweifellos als Archetyp für das satirische Genre und übt im Laufe der Zeit, speziell in der Neuzeit, in der die Satire13 radikale Transformationen erlebt, großen, aber auch manchmal latenten Einfluss aus. Das bedeutet aber, dass durch Aristophanes ein – in mancher Hinsicht – ‚explosives‘ geistiges Erbe der Moderne tradiert wird. Befasst sich Leibniz mit der politischen Satire?14 Warum bevorzugt er nicht statt der kompromittierenden Satire den alten, erfolgreichen, sichereren Weg der
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Untersuchungen zur Darstellung des Demos in der Alten Komödie, Stuttgart/Weimar 2001; K. C. Sidwell: Aristophanes the democrat: the politics of satirical comedy during the Peloponnesian War, Cambridge u. a. 2009. Vgl. Mastromarco: Introduzione, S. 26. Zum onomastì komodeîn vgl. M. Napolitano: „Onomastì komodeîn e strategie argomentative in Aristofane (a proposito di Ar. Ach. 703–718)“, in: A. Ercolani (Hrsg.): Spoudaiogeloion. Form und Funktion der Verspottung in der aristophanischen Komödie, Stuttgart/Weimar 2002, S. 89–104; G. Mastromarco: „Onomastì komodeîn e spoudaiogeloion“, in: Ebd., S. 205–223. Dazu vgl. D. E. O’Regan: Rhetoric, Comedy, and the Violence of Language in Aristophanes’ „Clouds“, New York u. a. 1992; M. Treu: Undici cori comici: aggressività, derisione e tecniche drammatiche in Aristofane (= Pubbl. del D.AR.FI.CL.ET. 181), Genova 1999; R. Saetta Cottone: Aristofane e la poetica dell’ingiuria: per una introduzione alla loidoria comica (= Studi e ricerche, Sezione greca 6), Rom 2005. Vgl. Aristoteles: Poet., 5, 1449a 35: „Die Komödie aber ist, wie gesagt, Nachahmung von zwar schlechteren Menschen – aber nicht in jedem Sinn von Schlechtigkeit, sondern zum Unschönen gehört das Lächerliche. Denn das Lächerliche ist eine bestimmte Art der Verfehlung und eine Abweichung von Schönen, die keinen Schmerz verursacht und nicht zerstörerisch ist. So ist ja bereits die Komödienmaske irgendwie häßlich und verzerrt, aber ohne Ausdruck von Schmerz“. Vgl. Aristoteles: Poetik (= Werke in deutscher Übersetzung 5), übers. und erl. von A. Schmitt, Darmstadt 2008. Dazu vgl. B. Meyer-Sickendiek: Art. „Satire“, in: HWR, Bd. 8, Tübingen 2007, Sp. 447–469. Zu den insbesondere antifranzösischen Satiren gegen Ludwig XIV. vgl. z. B. Auf die Nachahmer der Franzosen (1689); A IV, 3, 833–834 und Auf Ludwig XIV. (2. Hälfte 1684); A IV, 3, 837–840. Zur Kommentierung der Satire Mars Christianissimus in A IV, 2, 446–502l vgl. D. J. Cook/ L. Strickland: „Leibniz and Millenarism“, in: F. Beiderbeck/St. Waldhoff (Hrsg.):
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Panegyrik15, der die Mächtigen servil um Gnade anfleht? Warum verfasst er vielmehr parodistische Panegyrik bzw. panegyrische Parodien, wie z. B. den Mars Christianissimus (1683)? Wenn auch nicht explizit: Könnte er also Aristophanes neben Einflüssen aus anderen Richtungen die scharfe Seite seines Geistes ideell verdanken? Welche philosophische Bedeutung mag aber – zuletzt in harmonischer Verbundenheit mit dem ganzen Leibniz’schen System – insbesondere dem politischen Ins-Lächerliche-Ziehen zugestanden werden? Zeigt Leibniz sich dessen sprachlich-philosophischen Implikationen bewusst? Wozu wäre die Kritik des Despoten für ihn der Mühe wert? Zielt sie nur auf die lachende Haltung, Zeichen der ohnmächtigen Resignation und Ergebung der Unterdrückten, oder strebt sie vielmehr einerseits nach einer Form der Widerstandsleistung, andererseits nach einer weiteren, philosophischen Regeneration? Wird die Vision des gerechten menschlichen Staates, die die einzige Überlegenheit der Regierung Gottes zum Schluss des Discours de Métaphysique erkennt, nicht durch die Verspottung der Laster und der Träume von absoluter Allmacht der schlechten Politiker wirksam konturiert?16 Offenbart der verletzende Wortschatz der Schmähung sich letzten Endes nicht als versprechender Ausweg zur Förderung des Bewusstseins und der gesellschaftlichen Gerechtigkeit?
Pluralität der Perspektiven und Einheit der Wahrheit im Werk von G. W. Leibniz. Beiträge zu seinem philosophischen, theologischen und politischen Denken, Berlin 2011, S. 88–89. In dieser Hinsicht sollte nicht vergessen werden, dass sein Lieblingsautor gerade ein Satiriker war, der Franzose-Schotte John Barclay (1582–1621), katholisch getaufter, aber dann auf nicht-orthodoxe Positionen hin orientierter und auch gegenüber den Protestanten kritischer Autor u. a. des satirischen, antifranzösischen Hauptwerkes Argenis (1621). Leibniz las dieses Buch noch auf seinem Totenbett. Dazu vgl. Mahnke, S. 66. Vgl. auch A. Straßberger: „‚AufKlärung‘ durch Satire? Beobachtungen zu Form und Gegenstand einer satirischen Predigt der Luise Adelgunde Victoria Gottsched“, in: A. Beutel/V. Leppin (Hrsg.): Religion und Aufklärung. Studien zur neuzeitlichen „Umformung des Christlichen“ (= Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 14), Leipzig 2004, S. 59–80; M. Mugnai: „Leibniz o la morte di un difensore del ‚cristianesimo universale‘“, in Rivista di storia della filosofia 67 (2012), S. 141– 162, insbes. S. 144–146. Außerdem kannte Leibniz auch den Roman Abenteuerlichen Simplicissimus Teutsch (1669) von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1621–1676), der zur satirischen Erbauungsliteratur gehört. 15 Dazu vgl. M. Mause: Art. „Panegyrik“, in HWR, Bd. 6, Tübingen 2003, Sp. 495–502. 16 Dazu vgl. z. B. G. W. Leibniz: „Discours de Métaphysique“, in: Ders.: Monadologie und andere metaphysische Schriften. Discours de métaphysique, La monadologie, Principes de la nature et de la grâce fondés en raison, hrsg., übers., mit Einleit., Anm. u. Reg. vers. von U. J. Schneider, Hamburg 2002, §§ 36–37, S. 102–109. Selbstverständlich bleiben revolutionäre Absichten sowohl Aristophanes als auch Leibniz überhaupt fremd. Vgl. auch GP VI, 177–178. Vgl. L. Rensoli Laliga: „Leibniz, Cyrano y el otro mundo: no hay ciudad de Dios sin la razón“, in: Pensamiento 63 (2007), S. 373–396.
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2. WESENTLICHE ANHALTSPUNKTE IN ARISTOPHANES’ WERK HINSICHTLICH DESSEN REZEPTION BEI LEIBNIZ 2.1 Ein glücklicher Fall in der Überlieferung der antiken Literatur Aristophanes ist der einzige Autor der sogenannten alten griechischen Komödie (Archaia), von dem „vollständige Stücke erhalten sind“17. Insgesamt beträgt der tradierte Bestand seines Werkes elf Komödien von den ihm zugeschriebenen 55 Stücken. Von anderen Autoren der Archaia sind nur noch Fragmente geblieben. Jahrhundertelang stützte sich die ausführliche Kenntnis des antiken griechischen komischen Theaters folglich vornehmlich auf Aristophanes, dessen ausgezeichnetes poetisches Renommee in der Regel anerkannt wird. Trotzdem ist die Einschätzung von Aristophanes’ Werk schon im Altertum nicht einstimmig. Insbesondere werden ihm Obszönitäten, niedrige Moralität und übertriebene Nachsicht gegenüber den niederen Volksschichten und deren ungeschliffener Sprache vorgeworfen. Plutarch von Chaironeia (ca. 45–ca. 120 n. Chr.) ist hier besonders zu nennen. Diese Gegebenheiten sollen in erster Linie berücksichtigt werden. Tatsächlich kehren die grundlegenden Motive der antiken Kritik auch in der Neuzeit sehr oft wieder – mit Ausnahme von Erasmus (1466/1469–1536) in seiner Ratio studii ac legendi interpretandique auctores (1511) und in Deutschland von Nikodemus Frischlin (1547–1590) mit seiner Ausgabe von Aristophanes’ Komödien (1586). Nicht zuletzt ist die gute Verfügbarkeit der aristophanischen Texte auch verantwortlich für den ungeheuren Umfang der einschlägigen kritischen Literatur über den griechischen Dichter. Selbstverständlich pointiert die vorliegende Untersuchung ausschließlich die Publikationen, die im Zusammenhang mit ihrem Leibniz’schen Leitthema relevant sind. Eine ausführliche spezifische Analyse der Texte von Aristophanes hinsichtlich deren sprachlicher Aspekte würde hier hingegen zu weit führen18.
17 Vgl. M. Holtermann: „Aristophanes“, in: Der Neue Pauly Supplemente, Bd. 7: Die Rezeption der antiken Literatur. Kulturhistorisches Werklexikon, in Verb. mit B. Egger hrsg. von Ch. Walde, Stuttgart/Weimar 2010, Sp. 91–120, hier Sp. 91. 18 Dazu vgl. z. B. S. Colvin: Dialect in Aristophanes and the politics of language in ancient Greek literature, Oxford u. a. 1999; R. Compagner: Lessico agonistico di Aristofane (= Lessici 3), Rom u. a. 2001; G. Kloss: Erscheinungsformen komischen Sprechens bei Aristophanes (= Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 59), Berlin 2001; A. Willi: The languages of Aristophanes: aspects of linguistic variation in classical Attic Greek, Oxford/New York 2003; S. Beta: Il linguaggio nelle commedie di Aristofane: parola positiva e parola negativa nella commedia antica (= Bollettino dei Classici, Suppl. 21/22), Rom 2004; K. Stelter: Nebensätze bei Aristophanes: Syntax, Semantik, Pragmatik (= Serta Graeca 19), Wiesbaden 2004; C. Calame (Hrsg.): Poétique d’Aristophane et langue d’Euripide en dialogue, Lausanne 2004; S. Beta: „Giocare con le parole“, in: A. Camerotto (Hrsg.): Diafonie: esercizi sul comico [Atti del seminario di studi, Venezia, 25 maggio 2006] (= Quaderni del Dip. di scien. dell’antich. e del Vic. Orien. / Univ. Ca’ Foscari 3), Padova 2007, S. 13–43; N. Kanavou: Aristophanes’ comedy of names: a study of speaking names in Aristophanes (= Sozomena 8), Berlin u. a. 2011.
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2.2 Sokrates: eine wiederkehrende Figur bei Aristophanes Die Forschung hat mehrere Aspekte von Aristophanes’ Theater behandelt und z. B. den erotischen Themen19 besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Tatsächlich stehen sie in engem Zusammenhang mit den sprachlichen Obszönitäten, die Aristophanes seit der Antike so oft vorgeworfen wurden. De facto produziert dieser Autor komische Wirkungen gerade durch Wortspiele und Sprachzweideutigkeiten, die die sexuelle Sphäre betreffen. Ein anderes wichtiges Thema bei ihm ist aber die Verspottung der Intellektuellen, unter denen der Philosoph Sokrates den Vorrang hat20. Man hat seine Präsenz schon bei dem Komödienschriftsteller Epicharm (ca. 524–ca. 435 v. Chr.) festgestellt und übrigens seine Beliebtheit im europäischen Theater gerade mit Verweis auf Aristophanes überprüft21. Nebenbei bemerkt könnte man sich fragen: Warum bieten die Intellektuellen und insbesondere die Philosophen – in diesem Falle von Sokrates verkörpert – besonders geeignete Zielscheiben für Spott, um den sogenannten normalen Menschen, dem Mann auf der Straße das respektlose Auslachen zu erlauben? Anhand welcher typischen Züge versteht und erkennt man sie?22 Was folgt daraus, wenn die Wissenschaftler bzw. die Philosophen eine
19 Vgl. dazu z. B. B. Freydberg: Philosophy & Comedy. Aristophanes, Logos, and Eros, Bloomington, IN/Indianapolis, IN 2008; N. Holzberg: Aristophanes. Sex und Spott und Politik, München 2010. 20 Sokrates – wie bekannt – hat nichts Schriftliches hinterlassen. Außer Platons Dialogen, einigen Bemerkungen bei Aristoteles und Xenophanes’ sokratischen Aufzeichnungen bleiben die Verweise des Aristophanes auf ihn die einzigen Belege für sein Leben und seine Tätigkeit. Sie gehören vornehmlich zum Theaterstück Die Wolken und bieten keine historische, sachliche und glaubwürdige Rekonstruktion, sondern eine eigenartige Darstellung. Im Laufe der Zeit hat man sie unterschiedlich beurteilt. Oft sind sie diskreditiert bzw. diffamiert und überhaupt abschätzig beurteilt worden. Insbesondere die Aufklärer – vgl. z. B. Voltaire – haben die beschämende Karikatur des Vorbildes des Philosophen qua talis, sozusagen ihres Abgottes bzw. sogar christianisierten Helden, abgelehnt. In letzter Zeit haben sie aber einige Forscher ausgewogener betrachtet und historisch rehabilitiert (z. B. u. a. F. Adorno: Introduzione a Socrate, Rom/Bari 1970). Aristophanes’ Darstellung will vor allem die vis comica präsentieren: Sie zielt exklusiv darauf ab, dennoch könnten durch die komische Deformation der historischen Persönlichkeit von Sokrates nützliche Elemente über ihn durch eine solche Darstellung auffallen. Vgl. auch L. Strauss: Socrates and Aristophanes, Chicago/London 1980, insb. S. 11–53. 21 Vgl. dazu z. B. ebd., insb. S. 9–53; T. K. Hubbard: The Mask of Comedy. Aristophanes and the intertextual Parabasis, Ithaca/London 1991, S. 88–112; B. Zimmermann: „Aristophanes und die Intellektuellen“; in: J. M. Bremer/E. W. Handley (Hrsg.): Aristophanes: sept exposées suivi de discussions, Vandoeuvres/Genève 1993, S. 255–280; Freydberg, S. 11–54; A. D. Irvine: Socrates on trial: a play based on Aristophanes’ Clouds and Plato’s Apology, Crito and Phaedo, adapted for modern performance, Toronto/Buffalo 2008; Holzberg, S. 106–122: „Der Bauer und der Philosoph“. 22 Dazu vgl. Aulus Gellius: Noctes Atticae, Lib. IX, Cap. II, v. 4.
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‚Uniform‘ bzw. eine Maske voller Stolz darauf und auf sich selbst tragen?23 Werden sie nicht ihren potentiell kritischen und provokativen Scharfsinn verlieren, so dass sie keine anregende Rolle mehr innerhalb der menschlichen Gesellschaft spielen können? Ist es außerdem möglich, eine spezifisch gelehrte Sprache zu konturieren? Ist es irrelevant für eine Sprache, sich als intellektuelle Sprache im Unterschied zur Umgangssprache auszuprägen? Aristophanes stellt sich diese Fragen natürlich nicht. Er ist tatsächlich kein Theoretiker, sondern ein Mann der Praxis, der effektive, emotionale Wirkungen durch die subtile Macht des poetischen Wortes auf sein lebendiges Publikum24 von der Bühne aus ausüben will. Der heutige Leser sollte sich aber mit ihnen konfrontieren. Interessant wäre es darüber hinaus, zu entdecken, ob Leibniz dazu neigt, ähnliche Probleme anzusprechen. Um wieder zu Aristophanes zu kommen, stellt er in dem „ambivalenten“25 Stück Die Wolken Sokrates als Sophisten, d. h. als erfahrenen Weisheitslehrer, dar. Abgesehen von der Frage, ob Aristophanes’ Sokrates-Darstellung in dieser Hinsicht historisch korrekt ist oder nicht, ist es nötig, die Bedeutung einer solchen Bezeichnung bei seinen Zeitgenossen zu untersuchen. Ihr erstes Charakteristikum wird so die Ausübung der allgemeinen Gelehrsamkeit um einen hohen Preis. Die – sogar betrügerische – Habgier prägt tatsächlich das sokratische Handeln im Theaterstück: Er belehrt nicht nur gegen ein gesalzenes Honorar, sondern er stiehlt auch den Mantel seines naiven Bauern-Kunden (Strepsiades). Außerdem ist er so schmutzig26, dass es ihn juckt, und wohnt in einem besonderen Haus, dem sogenannten „Gedankenhaus“ (phrontisterion) in selig-inniger Gemeinschaft mit den Flöhen. Sie machen übrigens den banalen Hauptuntersuchungsgegenstand des Weisen Sokrates aus. Die wesentliche Überflüssigkeit und der Müßiggang stehen im Mittelpunkt von Sokrates’ belangloser, untätiger ‚Tätigkeit‘.
23 Vgl. P. Zanker: Die Maske des Sokrates. Das Bild des Intellektuellen in der antiken Kunst, München 1995, insb. S. 38–45 und S. 310–316. 24 Wie man wiederholt erklärt hat, bezieht sich Aristophanes auf konkrete Zuschauer, nämlich die Einwohner des Athen des 5. Jhdts. v. Chr. Von ihnen erwartet er ein direktes Urteil; er schreibt also nicht für ein anonymes Publikum, wie es heute üblich ist. Vgl. dazu Mastromarco: Introduzione. Vgl. auch Hubbard, S. 64–70. 25 Vgl. ebd., S. 106–111. Darüber hinaus bemerkt hat Alessandro Grilli dieses Stück ein „zweischneidiges“ genannt. Dazu vgl. Aristophanes: Le Nuvole, hrsg. von A. Grilli, Milano 2001 (I. ed. digitale 2010). Einerseits verurteilen Die Wolken in der Tat Sokrates hoffnungslos, andererseits tragen sie aber über Jahrhunderte zum Verdacht der späteren Kritik gegen den der Bestechung beschuldigten Aristophanes wegen Ailianos’ Legende (Var. hist., II, 13) bei, d. h., sie verurteilen den Autor selbst viel mehr und nachhaltiger als sein ‚Opfer‘. Vgl. auch Eunapius: Vit. soph. VI 2, 4–6. 26 Der Schmutz umhüllt Sokrates’ Figur bei Aristophanes. Erweist er sich nur als körperliche Unveränderlichkeit oder vielmehr auch als ethische Kläglichkeit? Vgl. auch Aristophanes: Av. 1282 ff., 1553 ff., Ran. 1491 ff. und bei L. Strauss.
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Die erste Szene mit ihm präsentiert einen bizarren, schlampigen, hungerleidenden Kerl27 in einem gen Himmel erhobenen Korb, der zuletzt sein einziger Weg zur höchsten Erhabenheit jenseits der irdischen Mittelmäßigkeit, jenseits der sterblichen Ignoranz ist. Nur von oben28 kann er sein wissenschaftliches Talent völlig entfalten und seine unnachahmliche Aufgabe zum Fortschritt der Menschheit erfüllen. Nur von einer privilegierten höheren Stelle aus kann er die Mysterien der Natur enthüllen. Nur davon wird die traditionelle, göttliche Überlegenheit (Zeus) erreicht und beherrscht, bis sie gezwungen ist, den Platz frei zu machen, um neue, wissenschaftliche, ganz natürliche Erklärungen der himmlischen Phänomene ohne abergläubische Fabeln zu erlauben. Im Einzelnen, de facto, aber erweisen sich Sokrates’ Schlussfolgerungen als völlig inkonsistent. Durch den Appell an die „Wolken“ – zwiespältige Himmelswesen – werden nur lächerliche Vorurteile über die physiologischen Körperfunktionen von Zeus ausgemerzt und doppelsinnige Wortspiele geboten. Ein Zitat aus den Wolken lohnt sich: „SOKRATES – Wohlan: wo hast du denn jemals gesehen, daß es ohne die Wolken geregnet? Aber er müßt’doch regnen aus Himmelsblau, wenn die Wolken im Pfefferland wären? STREPSIAD. – Beim Apoll, das paßt ja auf unseren Fall vortrefflich und sitzt wie gegossen! Und da hab ich doch sonst wahrhaftig geglaubt, er brunzt in ein Sieb, und dann regnet’s. Wer aber macht dann den Donner, sag an! denn vor dem kommt mir immer das Zittern. SOKRATES – Auch den machen die da: sie wälzen sich rum, dann donnert’s“ 29.
Nebenbei bemerkt, wird eine komische Wirkung hier durch den Gebrauch des sogenannten aprosdoketon30, d. h. des „Unerwarteten“, beim Argumentschluss gewonnen. Statt einer erwarteten, konsequenten Erläuterung des Donners von Strepsiades, der soeben von Zeus’ in ein Sieb Brunzen (dia koskinou ourein) gesprochen
27 Dazu vgl. Zanker, S. 39. 28 Die ‚Luft-Ebene‘ stellt in der Tat ein Leitthema der Wolken genauso wie der Vögel dar. Beide Theaterstücke sind übrigens eng miteinander verbunden. Dass diese Ebene so wichtig ist, ist sehr interessant. Man darf z. B. nicht vergessen, dass auch für Platon, Sokrates’ Hauptschüler, in völliger Übereinstimmung mit Aristophanes, das Luft-Flug-Element hinsichtlich der Philosophie und des Philosophen zentral ist. Zum Verb pteroo/pteroumai (= als beflügelt dargestellen/dargestellt) vgl. z. B. Aristophanes: Av. 1334; Ran. 1437; Plato: Phaedr. 249. Zum Adjektiv epteromenos (= beflügelt) vgl. z. B. Aristophanes: Av. 804, 1388; Plato: Phaedr. 246 c1; 249 c4–5. 29 Aristophanes: Nubes 372–374. Vgl. ders.: Die Wolken, Übers., Nachw. u. Anmerk. v. O. Seel, Stuttgart 1981; Aristophanes: „Les Nuées“, in: Ders.: Les Oeuvres, Tome I, hrsg. und übers. von V. Coulon und H. Van Daele, Paris 71960, S. 162–230. 30 Dazu vgl. Mastromarco: Introduzione, S. 89, 105, 130. Vgl. auch M. Napolitano: „L’Aprosdoketon in Aristofane. Alcune riflessioni“, in: Camerotto, S. 45–71.
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hatte, ändert Sokrates plötzlich die Richtung der Rede und verwendet die ganz neutrale Äußerung umwälzen (brontosi kulindomenai) mit wissenschaftlichem Anspruch. Nicht nur die Dimension des Lustigen und des amüsanten Sprachtricks gehört aber zu Aristophanes’ Sokrates. 2.3 Die sophistische Sprache als „logo-machia“: Der Streit zwischen dem „dikaios logos“ und dem „adikaios logos“ Ein anderer Punkt der Wolken verdient ebenfalls Aufmerksamkeit. Letzten Endes besteht der Hintergrund der sokratischen Welt nur in der Sprache bzw. in nichtssagenden Wortgebäuden. Insbesondere könnte diese Welt zunächst wirklichkeitsfremd erscheinen, oder besser gesagt, sie ist so überflüssig, leer und irrelevant für das effektive, menschliche Leben, dass sie, statt als konkretes, kommunikatives Mittel auf die äußeren Dinge transformierend wirken zu können, sich steril in sich selbst erschöpft. Im spezifischen Fall der Philosophie kann man tatsächlich die große Gefahr bemerken, Luftschlösser aus Wörtern und ohne Bodenhaftung zu erfinden, wie es Schopenhauer den Philosophen gerade bei der Übersetzung von Aristophanes’ Vögeln (Wolkenkuckucksheim) als Lieblingslaster vorgeworfen hatte31. Überdies kommt ein anderer Aspekt der ‚sokratischen‘ Rede in den Wolken vor: Die Dialektik – von Sokrates gefördert – wird ein Mittel, um die Tatsachen umzustürzen sowie auch das Ungerechte als gerecht, das Gerechte als ungerecht gelten zu lassen32. Ein grotesker Prozess zwischen der gerechten und der ungerechten Rede mit gegenseitiger Diskussion findet in der Komödie statt. Er schließt mit dem erwarteten Sieg der ungerechten Rede. Die Leidenschaft der Einwohner des antiken Athen für juristische Verfahren ist bekannt und wird mehrmals von Aristophanes verspottet33. Anlässlich der Wolken fallen trotzdem radikalere Konsequenzen aus dem gerichtlichen Urteil ins Auge: Ein ganzes ethisches System stürzt ein. Die praktischen Folgen sind dramatisch. Man dürfte von der Tragik der Komödie34 sprechen: Beide berühren sich in dem entsetzlichen Zusammensturz der verletzten gesellschaftlichen Ordnung. Die polis wird bedroht und gerade Sokrates, genauer seine Philosophie, sei nach Aristophanes daran schuld. Der makabre Epilog des Brandes des phrontisterion kann
31 Vgl. die Lehnübersetzung des griechischen Nephelokokkugia aus Aristophanes’ Komödie Die Vögel in A. Schopenhauer: Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde (1813), §. 34; Die Welt als Wille und Vorstellung, 1. Bd., 4. Teil, § 53. 32 Dazu vgl. Strauss, S. 29–53; O’Regan. Vgl. auch T. Rothfield: Classical comedy: armoury of laughter, democracy’s bastion of defence: introducing a law of opposites, Lanham, MD u. a. 1999; Beta: Il linguaggio, S. 259–287. 33 Vor allem in den Wespen und in den Rittern. Dazu vgl. Hubbard, S. 113–139. 34 Dazu vgl. auch M. Landfester: Handlungsverlauf und Komik in den frühen Komödien des Aristophanes, Berlin/New York 1977, S. 279.
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nicht vermieden werden: Strepsiades äußert so seine rächende Enttäuschung und das Scheitern seiner am Anfang unehrlichen Absichten. Man könnte sich demzufolge nach dem theoretischen Fundament der Ethik fragen: Was entsteht insbesondere aus der Transfiguration der Weisheit in eine skrupellose bloße Sprachtechnik, die sich auf spitzfindige Sophistereien und Trugschlüsse stützt, ohne Inhalt und vor allem ohne Respekt vor den festen Prinzipien der Alten35? Konfrontiert sich Leibniz mit dem Problem der sophistischen Abschaffung der Moral kraft der sprachlichen Herrschaft oder strebt er lieber nach der begrifflichen Begründung der Ethik, einer rationalen Begründung nämlich, die eben die Willkür der Gewalt im Namen einer universellen Wahrheit ablehnt? Welche Rolle kann aber die bescheidene Stimme des Komischen, des Witzes, des Lächerlichen für dieses anspruchsvolle Begründungsprojekt spielen? Und erweist sich letzten Endes eine solche Stimme wirklich als so schwach und ohnmächtig? Ist sich Leibniz der unwiderstehlichen Kraft des Lachens bewusst? 3. DIE LEIBNIZ’SCHE „TRANSFORMATIVE“ REZEPTION DES ARISTOPHANES 3.1 Ein nachhaltiges Erbe der antiken griechischen Literatur? Von den ersten schulischen Reminiszenzen bis zur selbständigen Verinnerlichung Bisher hat man m. E. dem Thema keine besondere, systematische Studie gewidmet, so als ob es ganz unwichtig sei. Meistens interessieren sich Leibniz-Forscher für andere Aspekte seiner Philosophie (z. B. die Metaphysik, die Theologie, die Mathematik, die Naturwissenschaften, das Engagement für technische Probleme oder juristische Fragen usw.). Die literarischen Verweise Leibnizens – sowohl auf die römische Literatur als auch vor allem auf die griechische36 – bleiben normalerweise
35 Mastromarco: Introduzione hebt Aristophanes’ konservative Haltung und sein Bedauern über den Untergang der bäuerlichen Zivilisation hervor. Hingegen unterstreicht Whitman den permanenten inneren Konflikt des Dichters zwischen der laut behaupteten Schätzung des Landes und der effektiven innigen Bedeutung der Stadt für ihn. Im Allgemeinen richtet Holtermann seine Aufmerksamkeit exklusiv auf die Zentralität der politischen Dimension bei Aristophanes, die in engem Zusammenhang mit ethischen Motiven steht. Erst seit dem 18. Jahrhundert sei diese Komponente des aristophanischen Theaters seiner Ansicht nach rezipiert worden. Dazu vgl. M. Holtermann: Der deutsche Aristophanes. Die Rezeption eines politischen Dichters im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004 (= Hypomnemata 155); ders.:„Aristophanes“. Auch F. Hilsenbeck: „Aristophanes und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts“, in: Berliner Beiträge zur germanischen und romanischen Philologie 34 (1908), Germanische Abteilung, No. 21, ist an der Rezeption von Aristophanes in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts interessiert. 36 Das ideale Primat des Griechischen im Vergleich zum Lateinischen wird tatsächlich seit der Reformationszeit in Deutschland proklamiert und spielt eine prägnante Rolle für die Studienordnung. Dazu vgl. z. B. N. Hammerstein: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1:
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in der Leibniz-Forschung ohne große Resonanz. Außerdem ist die Überprüfung der Rezeption von Aristophanes im 17. Jahrhundert in Deutschland noch nicht hinreichend recherchiert worden37, obwohl dieser Autor zu jener Zeit sehr oft sogar von den Theologen erwähnt wird38. Folglich können einige spezifische, hier gestellte Fragen keine definitive Antwort erhalten. Sie bleiben so nur fragliche Vermutungen und können aufgrund des heutigen Wissens nicht anders formuliert werden. Allerdings sind die Leibniz’schen Erwähnungen der alten Schriftsteller zahlreich und tiefsinnig: Sie dürfen nicht ohne weitere Überprüfung als typisch barocke Belesenheits-Schaumschlägerei unterschätzt werden. Kommen sie ausschließlich aus seiner schulischen Erziehung und bleiben sie wie etwas ihm äußerlich Anhaftendes, oder sind sie vielmehr Zeichen einer reiferen, selbständigen, nachhaltigen, literarischen Bildung bzw. einer tieferen Ansicht des Philosophen39? Ist alles in allem so entscheidend, dass ihm die ursprünglichen Anregungen aus der Schule – z. B. durch die Unterweisung von Johannes Hornschuch, Lehrer für griechische Sprache und Literatur sowie Leiter der Nicolai-Schule und gleichzeitig Professor an der Universität Leipzig – kamen? Oder erweist sich die eigene spätere Verarbeitung solcher Motive als viel bedeutender? Gibt es eine deutliche
15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, hrsg. von N. Hammerstein, unter Mitwirk. von A. Buck, München 1996, S. 4. 37 Sowohl W. Süss: Aristophanes und die Nachwelt, Leipzig 1911, S. 55–101, als auch Holtermann: Der deutsche Aristophanes, S. 54–57, erscheinen hinsichtlich des 17. Jahrhunderts mehr interessiert an Frankreich als am deutschen Bereich. 38 Dazu vgl. z. B. Theodor Thummius († 1630). Er zitiert das Quaken der Frösche (brekekekex koax koax) aus Aristophanes: Ran. 209–269 in der Abhandlung Sanae de Maiestate Christi. Vgl. Th. Thummius: Sanae de Maiestate Christi Theanthropou doctrinae Repetitio […], Tübingen 1624, S. A r. 39 Leibniz zitiert großzügig die kritische Literatur der Gräzistik seiner Zeit, vornehmlich über Sprachthemen (M. Devarius, J. Brodaeus, J. C. Dieterich, J. Gronovius, C. Dinner, H. v. d. Hardt, J. A. Fabricius, G. J. Vossius, Sánchez de Las Brozas [Sanctius], L. Th. Schenckel, Ph. Labbe, L. Holstenius, H. Muhlius, M. Neander, Urbanus Bellunensis, Chr. Helwig, J. G. Graevius, F. Junius, Jos. Scaliger, G. Cruciger, S. Gelenius, C. Gesner, D. Heinsius, M. Z. van Boxhorn, J. Caselius, J. Benzius, G. Du Faur, M. Gude, J. F. Buddeus, P. Francius, G. Budaeus, M. Crusius, J. Lauremberg) und Wörterbücher/Lexika (H. Estienne, 1572–1573, Ch. Du Cange, 1688, Meursius d. Ält., R. Goclenius, 1634, J. C. Suicerus, B. Vulcanius). Spärlicher sind hingegen die direkten Hinweise auf die alten griechischen literarischen Werke (z. B. auf Aesop). Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass sie auf die jugendlichen Jahre konzentriert zu sein scheinen. Viel zahlreicher sind jedenfalls die Hinweise auf die lateinischen Übersetzungen von griechischen mathematischen Abhandlungen (Pseudo-Andronikos, Apollodor, Apollonios von Perge, Pappos von Alexandria, Aristarch von Samos, Athenaios, Bito, Heron von Alexandria, Philo, Diophant von Alexandria, Euklid, Pseudo-Heliodor, der Herausgeber M. Thévenot), theologischen Kontroversen (Apollinarius von Laodicea, Sokrates Scholastikos, Theodoret von Cyrus, Gregorios Thaumaturgos, Synesios von Kyrene, Johannes Chrysostomos, Flavius Josephus, Julianus Apostata, Wulfila, Justin der Märtyrer, B. Arias Montanus, J. Coccius, F. Combefis, W. Beveridge, J.-B. Cotelier, G. Stiernhielm, D. Gravina, Th. Ittig, E. Moine, Th. Smith, C. Kircher, N. Ragaeus [Rayé]) und kirchlichen Geschichte (Nikephoros Gregoras, J. Lauremberg, J. Palmerius, J. Ph. Pfeiffer, B. von Mallinckrodt) usw.
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Empathie mit der griechischen Poesie (insbesondere mit Sappho)? Ein Beispiel dafür kann angeführt werden: Am 2. März 1699 teilt Madeleine de Scudéry (1607–1701) Leibniz den Tod ihres kleinen Papageis mit, der einen wunderbaren Geist gehabt habe und „il sufisoit seul à detruire les Automattes de Mr Des Cartes“40. Leibniz, obwohl er sich selbst nicht für erfahren genug dafür hält, ergreift aus inniger Freundschaft zu einer so bewunderungswürdigen Frau, der „reine du Tendre“ (Taillandier), die Gelegenheit, ein Epigramm zu schreiben41. Er nimmt also bewusst die Herausforderung an, sich mit einer Menge (foule des poetes) von antiken Dichtern zu konfrontieren42. Unabhängig vom Urteil über die Qualität der Verse interessiert uns diese letzte Erwähnung. Er nennt dreimal in wenigen Zeilen Sappho43 und ihren Sperling: Die Dichterin beweise einen weiteren Horizont (Mens melior) als Descartes und seine Ratio calculans beim Erkennen des Gefühls (sentiment) der Tiere gegen den hochmutigen Egozentrismus bzw. Anthropozentrismus des menschlichen Geschlechtes, das „veut ravir aux autres jusque au sentiment“44. Letzten Endes kann sich Leibniz mit einer antiken griechischen Dichterin besser einigen als mit einem modernen Philosophen. Er entwickelt die bezaubernde Atmosphäre des Hymnus an Aphrodite von Sappho (Fr. 1, 8 ff., Ed. Voigt) – und dank Mademoiselle de Scudéry, die übrigens selbst das Pseudonym Sappho trug, Ahnungen und Anregungen – auf einer höheren, theoretischen Ebene als der des Cartesischen mechanischen Materialismus.
40 A I, 16, 603. 41 Vgl. A I, 16, 645. Unter anderem drückt Leibniz hier seine Einschätzung der Romane der Scudéry aus. Dazu vgl. A I, 16, 644. 42 Der synthetische Hinweis von Leibniz betrifft die antike – vor allem alexandrinische – Gewohnheit, dem Geliebten ein Tier (insb. Vögel) als Zeichen von inniger, empathischer Verbundenheit zu schenken. Dazu vgl. das berühmte und sehr zärtliche Carmen 3 von Catullus (über den Tod von Lesbias Spatz) und Carmen 2 (über Lesbias Spatz); Propertius 3, 13, 32; Vergil, Eclog. 3, 68 ff.; Ovid, Met. 10, 201. Eigentlich widmet Ovid dem Tod von Corinnas’ Papagei eine Elegie (Amor. 2, 6), die aber einstimmig nach der Kritik einen starken, parodistischen und lustigen Ton präsentiert. Vgl. dazu P. Colafrancesco: Dalla vita alla morte: il destino delle Parche (da Catullo a Seneca), Bari 2004, S. 68; R. Strati: „La fenice nella letteratura latina“, in: Annali Online di Ferrara Lettere 1 (2007), S. 54–79, hier S. 55–56. 43 Der Anlass von Leibniz’ Insistenz könnte wahrscheinlich ein Trick von captatio benevolentiae sein, um die Gunst der Mademoiselle de Scudéry über die Verwendung ihres Pseudonyms zu erlangen. 44 Vgl. A I, 16, 645. Der „sentiment“ hat nicht nur einen emotionalen Sinn, sondern er bedeutet auch eine bestimmte Form der Erkenntnis als unmittelbares Verständnis. Dazu vgl. A. Fouretière: Dictionnaire universel, T. IV, Hildesheim/New York 1972 (ND der Ausg. Den Haag 1727), o. N., s. v. „Sentiment“; Institut de France: Dictionnaire de l’Académie Française, T. II, Paris 61835, S. 729–730; Grand Larousse de la langue française, T. VI, Paris 1977, S. 5477–5478; P. Robert: Le grand Robert de la langue française, T. VI, Paris 122001, S. 352–356.
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Das bedeutet aber, dass die weibliche, poetische, feine Sensibilität und Intelligenz nach ihm eine trockene, beschränkte, philosophische Darstellung übertreffen können. Mit anderen Worten hebt er das Gepräge der alten Literatur hervor, und es ist gar nicht unabdingbar, den präzisen – schulischen oder extra-schulischen – Ursprung einer solch Leibniz’schen Idee zu eruieren: Sie wirkt auch später auf sein bzw. in seinem System – und das soll ausreichen. Neben Sappho wird auch ein anderer moderner Dichter, Cyrano de Bergerac (1619–1655), gelegentlich mit seiner Histoire des oiseaux (1699) – von Leibniz zusammengefasst45 – erwähnt. Hiermit triumphiert die umsetzende Sprache der dichterischen Einbildungskraft und der phantastischen, träumerischen Visionen wegen ihres heuristischen Potentials immer wieder. Die „autre monde“ der Poeten wirkt gegen die Systeme der Philosophen und widerlegt die falsche Rationalität kraft eines tieferen Zugangs zur Wahrheit und durch den Gebrauch von Metaphern46 und Symbolen. 3.2 Die Texte 3.2.1 Explizite Verweise auf Aristophanes In puncto Aristophanes – der nebenbei bemerkt auch ein exzellenter Dichter im strengen Sinn ist47 – wäre die folgende Frage dann sinnvoll: Was hat Leibniz wo und wie von diesem Autor wirklich gelesen? Heutzutage findet man jedoch noch nicht die Möglichkeit, ausführlich und befriedigend darauf zu antworten. Statt fester, aber unbegründeter Schlüsse bzw. aleatorischer Spekulationen ist es deshalb wünschenswert, die Leibniz’schen Texte mit direkter Erwähnung von Aristophanes zu betrachten. Diese sind nicht zahlreich, aber dennoch bemerkenswert. Zunächst trifft man auf zwei Anführungen aus den Jahren 1693 und 1695 aus den Wolken (Vers 648)48. Leibniz zitiert in beiden Fällen denselben griechischen Ausdruck: „für die Not des Lebens“ (pros ta alphita)49. Hat er das Stück auf Griechisch gelesen? Handelt es sich um eine Erinnerung aus der Schule? Jedenfalls scheint sie in seinem Gedächtnis geblieben zu sein. Oder aber handelt es sich um 45 Vgl. A I, 16, 645. Vgl. C. de Bergerac: „Histoire des oiseaux“, in: Ders.: Les Oeuvres, T. 2, Amsterdam 1699, S. 159–240. 46 Zur Leibniz’schen Vorliebe für die Metapher vgl. C. Marras: Metaphora translata voce. Prospettive metaforiche nella filosofia di G. W. Leibniz, Florenz 2010. 47 Dazu vgl. z. B. C. Moulton: Aristophanic Poetry (= Hypomnemata 68), Göttingen 1981; Mastromarco: Introduzione, S. 60–61, 82–105, insb. S. 100–102; B. Zimmermann: „Poetologische Reflexionen in der Komödie des Aristophanes“, in: A. Bierl/A. Schmitt/A. Willi (Hrsg.): Antike Literatur in neuer Deutung, München/Leipzig 2004, S. 213–226; L. P. E. Parker: The songs of Aristophanes, Oxford u. a. 2006, S. 3–94. 48 Vgl. den Brief an Philip Jakob Spener vom 2. (12.) Januar 1693 (A I, 9, 240) und an Gerhard Meier vom 18. (?) September 1695. Im Vers 648 lehnt der Bauer Strepsiades die Verslehre, in der Sokrates ihn unterweisen will, wegen deren Nutzlosigkeit für die Bedürfnisse des Lebens ab. 49 Vgl. H. Stephanus (Henri, Estienne): Thesaurus Graece Linguae, Bd. I, Paris 1831, Sp. 1604.
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einen ursprünglich zweifelsohne aristophanischen Vers, der später nur ein verbreitetes Sprichwort – wie Erasmus in seinen Adagia aufzählt – geworden ist? Übrigens gehen viele Sprichwörter gerade auf Aristophanes zurück. Sie werden oft ‚automatisch‘ wiederholt, ohne dass man dabei an ihren Ursprung denkt. Ein drittes Zitat, wieder aus derselben Komödie und auf Griechisch, kommt in einem Brief an Leibniz von Rudolf Christian von Bodenhausen50 und ein viertes im Lexicon von Martin Fogel (1634–1675)51 vor. Es ist ein Zeichen der zähen, unumstrittenen Anwesenheit dieses Autors in der deutschen Kultur der Zeit. Viel interessanter erscheint jedoch eine Aufzeichnung von Leibniz selbst, die Spongia exprobrationum (Frühjahr bis Winter 1686/87 [?]), in der Aristophanes vorkommt: „Alii vero maxime pragmatici homines subtilitates Mathematicorum Algebraicas et Geometricas pro difficilibus nugis habent; et Experimentorum studium quasi ludicrum et inane et circulatoribus, vel certe hominibus otiosis dignum, ad instar Aristophanis rident, qui Socratem pulicum saltus metientem in theatro introducebat“52.
Der Hinweis auf Aristophanes könnte ganz banal und ohne Leibniz’sche Anteilnahme erscheinen und vielmehr die übliche, eingewurzelte Abscheu vor der aristophanischen Karikatur des Sokrates manifestieren. Wenn man die ganze Schrift aufmerksamer betrachtet, bekommt man jedoch den Eindruck, es mit einer besonderen, nämlich „transformativen“ Rezeptionsweise des griechischen Komödienschriftstellers zu tun zu haben: Aristophanes wird nicht nur flüchtig zitiert, sondern sein Geist und seine komische, nachhaltige Prägung beleben verborgen, als SubText, die gesamte Spongia. Man könnte sagen, dass sich die Leibniz’sche Aufzeichnung als eine philosophische, moderne Bearbeitung des alten griechischen Theaterstückes in Prosa erweist. Sie bietet einen weiten, obwohl synthetischen Überblick über die zeitgenössische Kultur. Hiermit würde Leibniz sich aber von einer ganzen Tradition (mit Ausnahme von Lukian von Samosata) unterscheiden und hätte Aristophanes keinen moralistischen Einwand vorzuwerfen. Seine Beurteilungskriterien stützen sich auf anderes. Tatsächlich konzentriert sich die Spongia auf zwei inhaltliche Drehpunkte, nämlich auf die „Gelehrteneinseitigkeit“, wie Mahnke schon bemerkt hat, und m. E. auf das Auslachen53 bzw. auf die Entmystifizierung des intellektuellen Hochmutes, die sich gerade Aristophanes als Meister und Vorbild verdankt. Eine subtile, scharfe Ironie prägt sie, sodass sie ein typisch aristophanisches Produkt zu sein scheint.
50 Vgl. A III, 5, 597. Der Brief ist auf den 17. Juli 1693 datiert und zitiert Aristophanes: Nubes 984. 51 Vgl. A VI, 4 B, 1312: „Tropus similium seu Metaphora. Translatio ab animalibus […] kronippos Aristophani valde senex“ mit Zitat aus Aristophanes: Nubes 1070. 52 Vgl. A VI, 4 A, 729–735 (insb. 730–731) in den Kontext der Scientia generalis gesetzt. 53 In der Spongia treten die Verben rideo und irrideo neun Mal auf. Man darf dieses Detail nicht außer Acht lassen.
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Schon der Titel54 klingt ziemlich enigmatisch und ambivalent, und für den Inhalt gilt das ebenfalls. Nur der Ausdruck exprobrationes löst keinen Zweifel aus. Der Sinn ist klar: „Vorwürfe“, Tadel werden gegen die akademischen Sitten gerichtet und sie klingen sarkastisch und sehr spöttisch. Der Sinn von spongia ist hingegen problematischer. Nebenbei gesagt kommt das griechische Wort spoggia auch bei Aristophanes55 vor. Es kann tatsächlich entweder Schwamm (als Radiermittel bei den alten Römern) oder auch Netz, Dolch, d. h. eine bestimmte Waffe der Gladiatoren, bedeuten56. Die erste Bedeutung könnte den Leibniz’schen Versuch andeuten, die falsche Einseitigkeit beim Beurteilen zwecks der inneren Reinigung der Rede und der Ansichten ohne einen besonders destruktiven Ton auszumerzen bzw. abzuwaschen. Der Genitiv exprobrationum ist hier objektiv. Die zweite Bedeutung wäre allerdings sozusagen aktiv und aggressiv. Sie könnte zum einem die Absicht, energisch gegen die fehlerhaften Überzeugungen der Gelehrten zu kämpfen, zum anderen sogar die Kraft der „Vorwürfe“ (exprobrationes) selbst ausdrücken. Der Genitiv exprobrationum wäre aber in diesem letzten Fall subjektiv und Leibniz würde sagen, dass die exprobrationes selbst als Angriffswaffe (= Dolch) fungieren können. Eine große Menge gelehrter Typen57 wird in der Spongia aufs Korn genommen. Wahrscheinlich haben Leibniz persönliche Erlebnisse von Gelehrtenstreitigkeiten 54 Auch Mahnke, S. 25, spricht von einem „etwas eigenartigen Titel“. Er präzisiert aber, derartige Titel, „die uns seltsam anmuten“, seien „damals verbreitet“ gewesen (ebd., Anm. 1) und erinnert z. B. an die Erwiderungsschrift des Cartesianers Henricus Regius, Spongia pro eluendis sordibus animadversionibus Jacobi Primerosii, Leiden 1640, an den englischen Arzt Jacob Primerose. Der Untertitel lautet einfacher: Seu quod nullum doctrinae verae genus sit comtemnendum. Mahnke bemerkt, dass die anfängliche Leibniz’sche Absicht der Abhandlung die Verteidigung der Scholastik gegen die mechanistische Philosophie sei. Er fügt hinzu: „Wenigstens deutet der zweite Teil des ursprünglichen Titels (restitutio receptae [in ecclesiae] philosophiae) darauf hin. Leider ist dieser alte Titel von Leibniz so stark durchstrichen worden, daß es mir nicht gelungen ist, auch seinen ersten Teil zu entziffern, der wie ein selbstgebildetes griechisches Wort oder ein Eigenname aussieht“ (ebd.). So bleibt die Frage: Um welches griechische Wort bzw. welchen Eigennamen könnte es sich handeln? 55 Vgl. z. B. Aristophanes: Ach. 463; Ran. 482, 487. Zum Verb spoggizzo vgl. Tesm. 247. Am Rande bemerkt heißt der davon abgeleitete Ausdruck spoggisma „purgamentum“. Vgl. Stephanus, Bd. VII, Sp. 603–604. Im Laufe der Leibniz’schen Spongia wird darauf hingewiesen. 56 Dazu vgl. S. A. Morcelli: Dello scrivere degli antichi Romani Dissertazioni, Milano 1822, S. 35–50 (hier. S. 49); K. Schneider: Art. „Gladiatores“, in: W. Kroll (Hrsg.): Paulys RealEncyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft [Neue Bearb.], Supplementbd. III, Stuttgart 1918, Sp. 777; A. Blaise: Dictionnaire Latin-Français des Auteurs Chrétiens, Turnhout 1986, S. 772. 57 Obwohl die Descartes-Anhänger namentlich genannt werden, auch Platon, Aristoteles und Roger Bacon, die jedenfalls nicht von der Leibniz’schen Kritik, sondern vielmehr vom unbegründeten und ignoranten Klatsch einiger „Demisavantes“ betroffen sind. Die Cartesische Philosophie stellte übrigens ein Zankobjekt an der Universität Leipzig des 17. Jahrhunderts wie im Allgemeinen in den anderen deutschen Universitäten der Zeit dar. Dazu vgl. D. Döring: Der junge Leibniz und Leipzig [Ausstellung zum 350. Geburtstag v. G. W. Leibniz im Leipziger Alten Rathaus], Berlin 1996, S. 68. Vgl. auch F. Paulsen: Geschichte des gelehrten
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an der Universität Leipzig inspiriert58. Das Repertoire ist sehr weit und niemand kann sich davon ausnehmen. Jeder findet sein innerlich assimiliertes Körperschaftslaster spöttisch signalisiert. Sowohl die Praktiker als auch die reinen Theoretiker wie die Philosophen und die Naturwissenschaftler werden dargestellt. Mahnke hat eine musterhafte Wiedergabe der Spongia geboten. Er hat analytisch textgetreu „vier Klassen solcher einseitigen Gelehrten: Philologen, Mathematiker und Naturwissenschaftler, scholastische Philosophen und oberflächliche Cartesianer“59 aufgezählt. Ich weise für die Details auf seine ausführliche Analyse hin. Hier möchte ich nur ein Paar besonders merkwürdige Passagen unterstreichen: „Qui Scholastici vocantur Philosophi et Theologi, cum res gravissimas sua quadam severa ratione tractent, prima scilicet Essentiarum principia, et Theologiam profundiorem […], saepe tetrici nimis et superciliosi et amoenioris doctrinae hostes […] quasi censores humani generis et morum ac religionis custodes […], qui vel minimum a Scholae placitis quadam philosophandi libertate recedunt […] Et Medicorum doctrinam extenuant, quod facultates suas attractrices et expultrices nondum per corpuscolorum motus et figuras explicare possunt, et quod rhabarbaro homines purgare audent, antequam didicere utrum hamis an scopiformibus virgultis bilem ex corpore rhabarbarum extrahat vel everrat“ 60.
Leibniz verwendet die besonders expressive Redeweise rhabarbaro homines purgare. Durch Zufall? Wie Mahnke sehr sachlich betont hat, wird hier ein heikles Untersuchungsobjekt der Naturwissenschaft der Zeit erwähnt61. Das sticht ins Auge. Warum aber gerade ein „Abführmittel“? Verfügt Leibniz über kein anderes, besseres Argument für eine befriedigende Übersicht des Forschungsstands der Medizin seiner Zeit? Oder hat er absichtlich vor, an dem seit Jahrhunderten für die komische Literatur erfolgreich erprobten Fäkalien-Leitmotiv62 zu partizipieren? Spielt er hiermit, zwecks Provokation, auf die „aischro-logische“63 Richtung der Sprache der alten Komödie an, d. h., um sich zum Gegner der allzu pedantischen
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Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, Bd. I, Leipzig 1919, S. 492–514, insb. S. 500–501; 516–512. Dazu vgl. ebd., S. 65. Er zitiert dafür die folgende Passage des Briefes von Leibniz’ Schwager S. Löffler vom 1. Mai 1673: „Statum quod concernit Academicum, ille utcunque se habet. hoc dolendum, quod Professores perpetuis inter se distrahuntur litibus“ (A I, 1, 419). Mahnke, S. 25–33, hier S. 26. Die Philologen und die Altertumswissenschaftler erlangen in der Spongia eine besondere, respektvolle Aufmerksamkeit von Leibniz. A VI, 4 A, 731–732. Dazu vgl. Mahnke, S. 29, insb. Anm. 4. Wie bekannt ist Aristophanes in der Materie skor (muscerda, sucerda) besonders erfahren und verwendet hemmungslos scharfe Wörter wie skatophagos usw. Andere moderne komische, Leibniz bekannte Autoren folgen großzügig denselben Spuren. Vgl. z. B. Giovanni Boccaccio (1313–1375), in A IV, 5, 677; Teofilo Folengo (1491–1544) (M. Coccajus: Opus Macaronicarum, Venetiae 1581) in A IV, 3, 826; Heinrich Bebel (1472–1518); François Rabelais (1483/1494–1553) in A I, 5, 440; I, 12, 247, 375; I, 13, 132; IV 6, 553. Das griechische Wort aischros bedeutet obszön, unanständig, unzüchtig. Man spricht von „Aischrologie“ hinsichtlich eines grundlegenden Merkmals der alten griechischen Komödie. Dazu vgl. Saetta Cottone, S. 151–170; J. Robson: Humour, obscenity and Aristophanes, Tübingen 2006.
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Gelehrten-Sprach-Fachsimpelei in Verbundenheit zu einer gemeinsamen Hochsprache zu erklären? Die Sprach-Einseitigkeit verurteilt tatsächlich zur SprachEinsamkeit bzw. zur Fach-Idiotie und damit zur Unmöglichkeit der kulturellen Kommunikation, was Leibniz wiederholt ablehnt64. Der Kontext regt an, andere Erläuterungen als die von Mahnke zu wagen. Selbstverständlich würde Leibniz in diesem Fall im Vergleich zu den groben Komikern – in primis dem Fäkalien-Spezialisten Aristophanes – ein raffiniertes, philosophisches Feingefühl offenbaren: Er kann sich mit der Beschreibung der unvermeidlichen Wirkung nicht begnügen, sondern geht lieber auf die ursprünglichen Ursachen des Phänomens ein. Zum Schluss des Abschnittes ist es noch der Mühe wert, zwei Leibniz’sche Verweise zu erwähnen. Der erste betrifft die berühmte Anekdote von Thales und der ihn auslachenden Magd; der zweite m. E. die von Leibniz frei bearbeitete, lustige kurze Geschichte von Heinrich Bebel (1472–1518), Dictum facetum wider ein farenden Schüler65 aus dessen Facetiae. In ihr sagt der ungebildete Landmann – die Hauptfigur – spöttisch und erbarmungslos, aber auch realistisch und unwiderlegbar, dem viel-gelehrten Professor, septem artium magister: „Ego multo plura scio quam tu, nam uno tantum artificio manuario me & septem liberos cum uxore solus nutrio & educo: tu autem te solum cum septem artibus non potes nutrire, sed mendicas, ex eo itaque me honorabis, non ego te“.
Höchstwahrscheinlich sanktioniert der Ausruf des einfachen Mannes keinen Triumph des gesunden Menschenverstandes zu den grillenfängerischen Intellektuellen. Er ist an ihrem Hochmut auch schuld. Trotzdem kann er sehr deutlich den positiven Wert des Auslachens verstehen. Tatsächlich ist das Auslachen manchmal tadelnswürdig, manchmal wird es hingegen nützlich, um unhaltbare Positionen, die dem Leben (ad usum vitae) nicht konkret helfen, anzugreifen und zu entschärfen. In diesem Sinn mag es also als kritischer Dolch wirken. Die Spongia macht u. a. uns – spätere Leser und Leibniz-Liebhaber – auf das unerreichbare Wesen der Wahrheit aufmerksam gegenüber der menschlichen Illusion, es kraft der pseudo-wissenschaftlichen Macht zu beherrschen und sich exklusiv herauszunehmen (soli sibi tenere videntur arcem veritatis)66. Nebenbei bemerkt folgt Bebel gerade dieser entmystifizierenden Linie mit dem folgenden Schluss der Geschichte:
64 Dazu vgl. z. B. Nizolius’ Vorrede; A VI, 2, 392, 411–424, insb. 411: „Termini […] Technici cane pejus et angue fugiendi sunt“ (mit Zitat von Horaz: Epist. I, 17, 30), 415 und 418. Vgl. auch A I, 11, 709; II, 1, 82 (zweite Auflage S. 86); Zu einem Fachwörterbuch für technische Begriffe vgl. A I, 17, 598; I, 12, 650 –651, 731; 13, 104–105; 14, 409; 22, 373, 604. Vgl. auch A IV, 3, 900. 65 Vgl. A VI, 4 A, 735. Vgl. auch H. Bebelius: Facetiae, Tübingen 1542, S. 4–5. Die erste Auflage der Facetiae geht auf 1506 zurück. Leibniz kennt Bebel und zitiert ihn in (A I, 5, 439). 66 Vgl. A VI, 4 A, 732.
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Seinerseits scheint Leibniz damit übereinzustimmen. 3.2.2 Freie Leibniz’sche Wanderungen im Bereich des Komischen Die Spongia enthält aristophanische Elemente, die irgendwoher stammen können. Leibniz ist aber ein kreativer Leser und Kenner des Altertums. Man könnte bei ihm die „transformative Rezeption“ von Aristophanes, wie schon Holtermann bei Lukian bemerkt hat, feststellen68. Das bedeutet aber, dass Leibniz die Unterweisung der Antike selbstständig bearbeitet und radikal transformiert. Mit anderen Worten wendet er direkt bzw. in actu exercito die Stilregeln sowohl der alten als auch der modernen Komödie an und verfasst komische Schriften. Es wäre jedoch unbegründet, Aristophanes für seinen Hauptanreger zu halten. Der Grieche gehört zum unendlich weiten literarischen Gedankengut, über das Leibniz verfügt, und er ist nur einer von vielen Autoren. Viel relevanter sind die Leibniz’schen Ausführungen über die Komödie69 sowie die konkreten Proben von Leibniz selbst in lustiger Materie, die sein direktes Engagement mit dem Komischen bekannt machen. Ein flüchtiger Blick auf zwei berühmte Schriften ist vielversprechend. Die erste ist die Bittschrift der Hunde Lelaps, Mopse und Amarille, die Herzog Ernst August in der ersten Hälfte des Novembers (?) 1680 unterbreitet wurde70. Die
67 Bebelius, S. 5. 68 Vgl. Holtermann: „Aristophanes“, Sp. 94. 69 Dazu vgl. z. B. den Brief an Fürstin Luise von Hohenzollern vom 25. Februar 1702; A I, 20, 804–807, mit Leibniz’ Bericht von der Aufführung des Trimalcion moderne – zu großem Teil aus Versen vom Hannover’schen Hofdichter Bartolomeo Ortensio Mauro (1634–1725) –, das im Februar 1702 als Karnevalsamüsement inszeniert wurde. Zu einer Auswahl der weiteren Versionen der Berichte darüber zum Zweck einer Rekonstruktion der Aufführung vgl. auch M.-L. Babin: „Leibniz und der Trimalcion Moderne. Edition der Berichte von der Aufführung im Februar 1702“, in: L. Castagna/E. Lefèvre (Hrsg.): Studien zu Petron und seiner Rezeption. Studi su Petronio e sulla sua fortuna (= Beiträge zur Altertumskunde 241), Berlin/New York 2007, S. 331–360; E. Schäfer: „Das Festmahl des modernen Trimalcion“, in: Ebd., S. 361– 381. Es handelt sich ohne Zweifel um ein Stück mit dem deutlichen Merkmal der Unterhaltungsliteratur „für das nicht gelehrte höfische Publikum der Gegenwart“ (Babin, S. 335). In ihm wird das Adjektiv ridicule in Sinn von „amüsierend“, „lustig“ usw. (vgl. ebd., S. 336; A I, 16, 72, Brief an Kurfürstin Sophie vom 3. [13.] Januar 1699) verwendet. Außerdem zum politisch-‚pädagogischen‘ Wert der Oper vgl. den Brief an Marci vom 13. (23.) Januar 1682; A I, 3, 513 70 Vgl. A I, 3, 94–96. Dazu vgl. E. Fink: „Ein Sparsamkeitsreskript des Kurfürsten Ernst August I. von September 1691 und der dadurch hervorgerufene Protest der Hundeaktion“, in: Osnabrücker Monatsblätter für Geschichte und Heimatkunde 8 (1906), S. 59–61; G. Utermöhlen: „Leibnizens Hundebittschrift: der Papinsche Topf und die Geschichte eines hartnäckigen Le-
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Atmosphäre klingt paradox und parodistisch. Die drei Tiere beherrschen perfekt die menschliche Sprache nach den üblichen erfolgreichen und symbolischen Tricks der alten römischen und griechischen Fabeldichtkunst und protestieren gegen die Verletzung ihres Rechts auf essbare Knochen wegen der menschlichen Gier (convoitise). Wieder kommen der Anthropozentrismus – wie im Epigramm für den Tod des Papageis von Mademoiselle de Scudéry und in der Histoire des oiseaux von Cyrano – und die menschliche, räuberische Habgier (n’ont pas honte de nous vouloir ravir notre portion) vor, die die Ordnung der Natur durcheinanderbringen. Die Hunde bekunden sich als tüchtig erfahrene Rhetoriker: Sie bewältigen die typische, formelle Struktur einer Bittrede71 im höfischen Kontext und passen sich ganz gehorsam ihrer inhaltlichen Gliederung an. Ja, im Grunde genommen stellen sie einen total unterwürfigen Eifer gegenüber den Obrigkeiten zur Schau. Gleichzeitig lassen sie aber auch ihre große Würde und einen temperamentvollen Drang zur Selbstdurchsetzung in Übereinstimmung mit dem Stil einer Bittschrift aus der Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts erkennen. Sie können ihre legitimen Ansprüche auch mit guten, rationalen Argumenten untermauern. Sie sind schlaue Vertreter der befreienden Bewegung der Anerkennung der objektiven Gerechtigkeit gegen die blinde Willkür der Mächtigen. Viele Fragen werden von dieser Schrift angeregt. Nur eine genüge: Hat Leibniz durch die nur fiktiv lustige und in jedem Fall scharfsinnige Parodie u. a. gegen den devoten und zynischen Servilismus der Menschen-Hunde/Hunde-Menschen im Namen der freien Intelligenz widerstehen wollen? Wird es hier zumindest indirekt und durch eine „Darstellung per Gegensatz“ nicht ausgesprochen, dass er es nicht gewöhnt sei, „[sich] gewissen politischen Launen einiger großen Herren zu unterwerfen“? Zum Schluss ist die ausführliche Analyse eines sehr interessanten Gedichts, Vers burlesques à la louange de l’argent et de Baccus, vom Herbst 167972 nicht mehr möglich. Nur ein paar Bemerkungen: Der junge Leibniz verfasst noch hoffnungsvoll achtsilbige Verse in Reimen. Der Reim wirkt unnachahmlich drastisch als Waffe zum Lachen. Der Philosoph strebt nach religiösen Friedensplänen zwischen Katholiken und Protestanten und ist sich des Erfolgs seines „[…] projet, Qui me paroist faisable et net, Merveilleux et seur pour la gloire“73
sefehlers“, in: Hannoversche Geschichtsblätter 33 (1979), S. 57–62; H. Meyer: „‚Der Hund ist ein von Flöhen bewohnter Organismus, der bellt‘: Leibniz und die Hunde“, in: KleintierPraxis 44 (1999), S. 921–924. 71 Dazu vgl. A. Gröziger: Art. „Bittrede“, in: HWR, Bd. 2, Tübingen 1994, Sp. 43–47. 72 Vgl. A IV, 3, 828–831. 73 A IV, 3, 830.25–27.
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sicher. Nach einem begeisterten Lob des Weins (cette divine liqueur) beendet er leicht und fröhlich: „Qu’il[s] luy [= dem Wein] demeurent pour tousjours Consacrés tous nos plus beaux jours[,] […] Sans que le Pape et ses canons[,] L’Empereur avec ses dragons[,] […] La France et ses chevaux legers, Charles pretendant les trois mers Puissent nous empecher de rire“74.
So im Jahre 1679. 1693 wird die Atmosphäre düsterer. Man spürt in der Praefatio Codicis juris gentium diplomatici eine gewisse realistische Ernüchterung hinsichtlich der Friedensprojekte75. In der Welt herrscht der ewige Krieg (bellum perpetuum) unter den Menschen. Trotzdem bleibt ein sehr knapper Spielraum für das Lächerliche (ridiculum). Hier bedeutet es aber im negativen Sinne „schwarz-galgenhumoristisch“, „verbittert komisch“, weil es eine paradoxe und sinnlose Tatsache (de facto den ewigen Kriegszustand, während man den ersehnten ewigen Frieden definitiv nur auf dem Friedhof finden kann) darstellt. Man kann also noch lachen, aber nur sarkastisch76. Die strenge lateinische Prosa ersetzt die Poesie und tilgt deren französische Zauberbrise.
74 A IV, 3, 831.17–25. 75 Vgl. insb. A IV, 5, 50–51. 76 Dazu vgl. B. Meyer-Sickendiek: Art. „Sarkasmus“, in: HWR, Bd. 6, Tübingen 2007, Sp. 436–447.
LEIBNIZ’ SPRACHWISSENSCHAFTLICHE UND POLYHISTORISCH-ANTIQUARISCHE FORSCHUNGEN IM RAHMEN SEINES OPUS HISTORICUM MIT EINEM BLICK AUF DIE COLLECTANEA ETYMOLOGICA Von Stephan Waldhoff (Potsdam) Gottfried Wilhelm Leibniz’ Beschäftigung mit der Sprache und den Sprachen war vielfältig motiviert und auf mannigfache Weise mit anderen Aspekten seines Denkens verbunden, wie nicht erst die Beiträge des vorliegenden Bandes zeigen1. Im Folgenden soll ein Aspekt seines Sprachdenkens erneut in den Blick genommen werden, nämlich das Verhältnis von Sprach- und Geschichtsforschung, der keineswegs unbekannt oder in der Forschung bisher vernachlässigt worden ist. Als ein zentrales Motiv seiner sprachwissenschaftlichen Forschungen ist Leibniz’ historiographische Tätigkeit im Dienst des Welfenhauses bereits seit langem erkannt. Kurt Müller erklärte beispielsweise: „Nicht theoretische Überlegung, sondern die Praxis der Erschließung mittelalterlicher Quellen machte ihn zum Sprachforscher“. Und er belegte diese Feststellung mit der durch Beobachtungen an Leibniz’ Briefwechsel gewonnenen „Fixierung des Beginns intensiver Sprachforschung auf die
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So leitete bereits vor fast 40 Jahren Hans Aarsleff seinen Forschungsbericht über Leibniz als Sprachwissenschaftler mit der Bemerkung ein: „Like his study of other subjects, Leibniz’ interest in language was wide and thorough. To him all problems relating to language were interrelated – as indeed in his view was everything he studied […]“ (ders.: „The Eighteenth Century, Including Leibniz“, in: Th. A. Sebeok (Hrsg.): Current Trends in Linguistics, Bd. 13: Historiography of Linguistics, 1. Teilbd., Den Haag/Paris 1975, S. 383–479, hier S. 385. Vgl. besonders A. Heinekamp: „Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)“, in: M. Dascal/D. Gerhardus/K. Lorenz/G. Meggle (Hrsg.): Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, 1. Halbbd. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 7, 1), Berlin/New York 1992, S. 320–330. St. Gensini: „Unity and Multiplicity in the Leibnizian Linguistic Universe“, in: Ders.: „De linguis in universum“. On Leibniz’s Ideas on Languages. Five Essays, Münster 2000, S. 10–42. Gensinis Forderung: „[…] it would be difficult, today, to compile a history of linguistics without assigning a strategic position to Leibniz […]“ (ebd., S. 11), wird in einem gewissen Maße eingelöst von A. Gardt: Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Berlin/New York 1999, der Leibniz als Theoretiker der Universalsprache (S. 138–141), als Sprachdenker und -politiker (S. 193–203, 233–234 u. ö.), als Sprachgeschichtler (S. 223) und als (theoretischen) Lexikograph (S. 253, 256–257) vorgestellt.
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Jahre 1690 bis 1693“2. In der zitierten Formulierung Müllers erscheint die Beschäftigung mit der Sprachgeschichte geradezu als eine Art Historischer Hilfswissenschaft im Dienste eines besseren Quellenverständnisses3. Eine derartige Sicht ist zweifellos zu eng. Mit Recht ist daher häufig darauf verwiesen worden, dass Leibniz die Sprachwissenschaft, vor allem die etymologische Forschung4, einsetzen wollte, um geschichtliche Zusammenhänge auch noch dort aufzuhellen, wo (zeitgenössische) historiographische oder urkundliche Quellen, ja überhaupt Schriftquellen fehlten, nämlich besonders in jenen Perioden, die wir als Vor- und Frühgeschichte bezeichnen5. Dies hat Leibniz häufig ausgesprochen, etwa in einem Brief an Johann Georg Graevius vom 19. August 1694: „Die Sprache ist nämlich die älteste Geschichtsquelle eines jeden Volkes, sie reicht weit über die [schriftlich aufgezeichnete] Geschichte zurück und zeigt die Wanderungen wie die Verwandtschaften der Völker an“6.
Ein angemessenes Verständnis der Bedeutung, die der sprachgeschichtlichen Forschung im Rahmen seiner historiographischen Tätigkeit im Dienste des Welfenhauses zukam, darf bei diesen Einsichten nicht stehenbleiben, sondern muss den Blick nochmals ausweiten. Wie sein „Opus historicum“ in mehrfacher Hinsicht größer geplant und angelegt war als eine gewöhnliche Dynastiegeschichte, so wollte Leibniz sprachwissenschaftliche Beobachtungen und Erkenntnisse in weiterem Umfang heranziehen, als die vorangehenden Bemerkungen nahelegen. Im Folgenden wird, so hoffen wir, durch die Interpretation verschiedener, erst in jüngster
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S. von der Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, mit einem Vorwort hrsg. von K. Müller (= Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 4), Frankfurt/M. 1973, Vorwort, S. X–XI; vgl. H. Aarsleff: „The Study and Use of Etymology in Leibniz“, in: Ders.: From Locke to Saussure. Essays on the Study of Language and Intellectual History, Minneapolis, MN 1982, S. 84–100 (zuerst 1969), hier S. 85: „In 1685 he undertook the great task of writing the history of the House of Braunschweig-Lüneburg, a task that not only brought him face to face with early documents in a variety of languages and dialects, but also engaged him in correspondence that further stimulated his etymological studies“. Gensini: „Unity“, S. 14, setzt Leibnizens (allgemeiner gefasstes) Interesse an der Sprache zwar schon viel früher an, lässt aber eine dritte Phase in Leibniz’ linguistischem Denken, in der das Interesse an der empirischen Erforschung der Sprachen in den Vordergrund tritt, ebenfalls in der Zeit der Beauftragung mit der Welfengeschichte beginnen. Aarsleff: „Etymology“, S. 85, formuliert explizit: „Thus the study of languages and etymology becomes an auxiliary discipline to history, […]“, fasst aber die Bedeutung des Sprachenstudiums für die Geschichtsforschung nicht so eng wie Müller an der zitierten Stelle. Aarsleff (ebd., S. 84) macht darauf aufmerksam, dass die Etymologie in der Leibniz-Zeit ein wesentlich weiteres Forschungsfeld umfasste als heute. Etwa ebd., S. 85–86. Heinekamp, S. 321. Kl. D. Dutz: „‚Lingua Adamica nobis certe ignota est‘. Die Sprachursprungsdebatte und Gottfried Wilhelm Leibniz“, in: J. Gessinger/W. von Rahden (Hrsg.): Theorien vom Ursprung der Sprache, Bd. 1, Berlin/New York 1989, S. 204– 240, hier S. 225–226. W. Conze: Leibniz als Historiker, Berlin 1951, S. 39–40. „Est enim lingua antiquissimum cujusque gentis monumentum, longeque omnem Historiam transcendit, migrationesque et congnationes populorum indicat“ (A I, 10 N. 344, 509.17–19).
Leibniz’ sprachwissenschaftliche und polyhistorisch-antiquarische Forschungen
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Zeit in einen Zusammenhang gebrachter Quellen(-gruppen) neues Licht auf die enge Verknüpfung von Sprach- und Geschichtsforschung in Leibniz’ Werk fallen7. Die Argumentation wird von einem Befund ausgehen, der Leibniz als Sprachwissenschaftler stricto sensu, nämlich als Lexikograph, zu zeigen scheint (I.). Gleichsam per viam negationis soll dieses Missverständnis korrigiert werden (II.), so dass die entsprechenden Quellen in den Kontext der Arbeit am „Opus historicum“ eingeordnet werden können (III.). Die Bedeutung des sprachwissenschaftlichen Materials im Kontext des „Opus historicum“ lässt sich jedoch nicht angemessen aus einer modernen, disziplinär stark ausdifferenzierten Sicht (der sich Begriffe wie ‚Historische Hilfswissenschaften‘ verdanken) verstehen. Deshalb gilt es, den polyhistorisch-antiquarischen und historischen Argumentationszusammenhang, in dem dieses Material eingesetzt werden sollte, zu rekonstruieren (IV.). Von einer derartigen Rekonstruktion aus fällt dann auch neues Licht auf die Collectanea Etymologica (V.). Allerdings ist der von Leibniz konzipierte umfassende Argumentationszusammenhang bereits von seinem Nachfolger im Amt des Historiographen, Johann Georg Eckhart, aufgelöst worden. Dessen Nachfolger und nicht zuletzt die Ordnung und Verzeichnung des Leibniz-Nachlasses im 19. Jahrhundert haben diese Auflösung – in Parallele zur fachlichen Ausdifferenzierung der Geisteswissenschaften – fortgesetzt (VI.). I. Die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek besitzt unter der Signatur Ms IV 471 ein ebenso umfangreiches wie merkwürdiges Manuskript, das unter dem Titel „Lexicon Etymologicon, compositum e schedulis Leibnitii, Eccardi aliorumque“ katalogisiert worden ist8. An ihm hat sich die Frage entzündet, ob Leibniz neben seinen zahlreichen anderen Tätigkeiten, Funktionen und Fähigkeiten auch als Lexikograph gewirkt habe. Diese Frage hat bisher keine befriedigende Antwort gefunden, sei es, dass sie explizit offengehalten wurde, weil die Kenntnisse zu ihrer Klärung
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In der Vortragsfassung waren wir noch davon ausgegangen, dass die im Folgenden zu schildernden Zusammenhänge bisher überhaupt noch nicht bekannt gewesen seien. In der Zwischenzeit machte uns Carola Piepenbring-Thomas (Hannover) aufmerksam auf: J. Considine: „Leibniz as lexicographer?“, in: G. Haßler (Hrsg.): History of Linguistics 2008. Selected Papers from the 11th International Conference on the History of Language Sciences (ICHoLS XI) Potsdam, 28 August – 2 September 2008 (= Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 115), Amsterdam/Philadelphia, PA 2011, S. 217–224. Considine hat bereits ebd., S. 219, die im Folgenden darzustellenden Zusammenhänge erkannt. Allerdings folgt sein wichtiger, sehr interessanter und hier dankbar benutzter Aufsatz der von Sigrid von der Schulenburg vorgezeichneten Bahn, während wir aufgrund dieser Beobachtungen eine Neuinterpretation des Befundes versuchen. E. Bodemann: Die Handschriften der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover, Hannover 1867 (ND Hildesheim 1966), S. 81. Die Bände besitzen keine Foliierung, so dass im Folgenden nach Bandnummern und den (alphabetisch geordneten) Lemmata zitiert wird.
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noch nicht ausreichten, sei es, dass sie gar nicht gestellt wurde, weil bestritten wurde, dass Leibniz überhaupt einen Anteil an dem Werk besitze. Dieses Manuskript soll als Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen dienen, um gewissermaßen per viam negationis über die Frage nach dem Lexikographen Leibniz hinaus in Abgrenzung zu den herrschenden Forschungsmeinungen zu einer neuen Sicht auf seine sprachwissenschaftlichen Arbeiten zu gelangen. Allerdings ist Ms IV 471 auch bisher durchaus widersprüchlich interpretiert worden. Von einer kontroversen Forschungsdiskussion kann man allerdings nicht reden – mangels Diskussion: Die unterschiedlichen Meinungen stehen ziemlich erratisch nebeneinander9. An den unterschiedlichen Auffassungen ist die Handschrift selbst nicht ganz unschuldig, bietet sie doch schwer zu interpretierende Eigenarten10. Bevor die einzelnen Forschungsmeinungen im Detail diskutiert werden können und eine eigene Interpretation entwickelt werden kann, muss das in Frage stehende Manuskript vorgestellt werden11. Ms IV 471 besteht aus vier Folianten, deren Lagen über Bünden geheftet sind. Beim ersten Band ist diese Bindung teilweise aufgelöst. Die einzelnen Bände taxiert John Considine auf durchschnittlich ungefähr 350 Blatt12. Die grobe graue Pappe, aus denen die Einbanddeckel bestehen, und das Fehlen von Einbandrücken stimmen den Leser bereits darauf ein, dass er in den Folianten keine sorgfältig
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Diese unbefriedigende Situation hängt nicht zuletzt mit dem Schicksal des opus magnum von Sigrid von der Schulenburg zusammen (s. o. Anm. 2). Das in den späten 30er / frühen 40er Jahren entstandene, nicht abgeschlossene und in einigen Partien lückenhaft überlieferte Manuskript ist erst 1973 im Druck erschienen. Deshalb konnte H. Leskien: Johann Georg von Eckhart (1674–1730). Das Werk eines Vorläufers der Germanistik, Phil. Diss. Würzburg 1965, etwa zwei Jahrzehnte nach ihrem Tod ihre Interpretation noch nicht berücksichtigen. Jüngst ist Considine: „Leibniz as lexicographer?“ in Unkenntnis von Leskiens Dissertation der von Schulenburg vorgezeichneten Bahn gefolgt. Allein schon die Konfrontation der völlig anderen Interpretation, die Leskien vorgelegt hat, mit der von Schulenburg und Considine vertretenen Sicht verspricht einigen Erkenntnisgewinn. 10 Die folgende Beschreibung greift dankbar auf jene von Leskien und Considine zurück, die sie mit eigenen Beobachtungen verknüpft. Aus Zeitmangel konnte die Autopsie des Manuskripts nur stichprobenartig sein. Eine detaillierte Untersuchung bleibt zweifellos lohnend, ist allerdings wegen des Umfangs und der Komplexität des kodikologischen Befundes sehr zeitaufwendig. 11 Zur Kennzeichnung dieser Handschrift verwenden wir im Folgenden die Signatur Ms IV 471, da die Bezeichnung „Lexikon Etymologicum“, wie sie etwa Schulenburg gebraucht, angesichts eines weiteren handschriftlichen Wörterbuchs, das im Folgenden ebenfalls heranzuziehen sein wird, nämlich GWLB Ms IV 467, das im Katalog beschrieben ist: „J. G. Eccard: Etymologisches Lexicon (defect)“ (Bodemann: Handschriften, S. 80), zu Unklarheiten und Missverständnissen führen könnte. Wenn im Folgenden vom „Lexicon Etymologicum“ die Rede ist, ist damit keine der beiden konkreten Handschriften gemeint, sondern das Wörterbuch-Projekt im Allgemeinen. 12 Considine: „Leibniz as lexicographer?“, S. 218. Während die ersten beiden Bände etwa gleich stark sind, ist der dritte besonders umfangreich, dagegen fällt der vierte deutlich schmaler als die vorangehenden Bände aus.
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ausgeführte Reinschrift erwarten darf. Was er findet, ist aber noch weniger als ein Konzept. Vielmehr handelt es sich um eine Materialsammlung. Die Anordnung ist erwartungsgemäß alphabetisch. Auf den einzelnen Seiten sind von Schreiberhand zumeist zwei, zu Anfang auch mehr Wörter eingetragen. Considine schätzt ihre Gesamtzahl auf etwa 8.00013. Die Vorlage für diesen Nomenklator glaubt er in dem Register aus Kaspar Stielers Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs von 1691 gefunden zu haben14. Allerdings lehnte sich Ms IV 471 dann nicht sehr eng an Stielers Wortliste an. Nicht allein, dass der Wortbestand lediglich eine recht beschränkte Auswahl aus der Vorlage bietet, die auf den 436 Seiten des Registers und im 40 Seiten umfassenden Nachtrag zusammen rund 68.000 Wörter auflistet15, in einzelnen Fällen verzeichnet Ms IV 471 auch Begriffe, die bei Stieler fehlen16. Deshalb könnte auch die Stammwortliste in Justus Georg Schottels Ausführlicher 13 Ebd., S. 218, 220. 14 Ebd., S. 220. Bereits Leskien, S. 129, hatte ein Wörterbuch als Vorlage des Nomenklators postuliert. Stielers Wörterbuch wird im Folgenden zitiert nach der Bandeinteilung des Nachdrucks: K. Stieler: Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder Teutscher Sprachschatz, mit einem Nachwort von St. Sonderegger (= Kaspar Stieler. Gesammelte Schriften in Einzelausgaben), 3 Bde., München 1968. Zum Vergleich ist nicht nur Stielers „Register aller Haupt- abgeleiteter- und Duppelwörter / so in gegenwärtigem Buche anzutreffen“ (Bd. 3, ohne Paginierung), sondern auch das ihm vorangehende Supplement, der „Nachschuß etlicher fremden und zurückgebliebenen Wörter“ (ebd., S. 1–40; eigene Paginierung) heranzuziehen. Unter den ersten Einträgen in Ms IV 471 gehört „Academie“ zu jenen Wörtern, die sich in Stielers „Nachschuß“ (ebd., S. 1) finden. Dass Ms IV 471 nur dem Register, nicht der Anordnung der Lemmata im Hauptteil des Wörterbuches gefolgt sein kann, liegt daran, dass Stieler sein Material nicht durchgängig alphabetisch geordnet hat. Lediglich die etwa 400 bis 600 Stamm- oder Wurzelwörter sind alphabetisch geordnet. Ihnen folgen (vermeintlich) etymologisch oder auch nur sinnverwandte Wörter ohne Rücksicht auf die alphabetische Reihenfolge. So führt Stieler im Anschluss an das Stammwort „Alt“ die Wörter „Oeling“, „Ur“, „Natur“ (das er aus „Ur“ ableitet) und „Naturalist“ an, bevor er mit einer Bedeutungsvariante von „Alt“ zur alphabetischen Ordnung zurückkehrt (ebd., Bd. 1, Sp. 35–39). Innerhalb der einzelnen Artikel werden zudem die Komposita angeführt, die ebenfalls als Lemmata über das Register erschlossen werden. Zu Stielers Wörterbuch und seinem Aufbau vgl. St. Sonderegger: „Nachwort“, in: Stieler, Bd. 3, S. 1–19 (eigene Paginierung). G. Ising: „Einführung und Bibliographie zu Kaspar Stieler, Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder Teutscher Sprachschatz (1691)“, in: H. Henne (Hrsg.): Deutsche Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts. Einführung und Bibliographie (= Documenta Linguistica, Reihe II), Hildesheim/Zürich/New York, 22001, S. 75–93. U. Haß-Zumkehr: Deutsche Wörterbücher – Brennpunkte von Sprach- und Kulturgeschichte, Berlin/New York 2001, S. 76–81. 15 Die Zahlen nach Sonderegger, S. 11. Ising, S. 81, spricht von „rund 60.000 Wörtern“ im Hauptteil, was zu niedrig geschätzt sein dürfte. 16 Unter den ersten Einträgen in Ms IV 471 beispielsweise die Wörter „Abtissin“ und „Acaziensaft“. Allerdings beruhen manche Unterschiede lediglich auf der differierenden Orthographie. So findet sich von der Wortfolge: Cadet – Cajute – Caneel – [nicht entziffert] – Cartaune – Casel – Cassel – Castellan, in Ms IV 471 kein Glied in Stielers Register unter C und nur „Casel“ im Nachschuss (Stieler, Bd. 3, S. 3 [eigene Paginierung]), aber bis auf „Cadet“, das er gar nicht hat, und den Ortsnamen „Cassel“ sind die Wörter bei Stieler unter K aufgeführt.
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Arbeit von der Teutschen HauptSprache (1663) dem Nomenklator zugrunde gelegen haben17. Sie umfasst nur 10.199 Wörter18, steht in ihrem Umfang Ms IV 471 also viel näher. Allerdings bietet unser Manuskript nicht wenige Worteinträge, die in Schottels Liste fehlen19. Für eine zuverlässige Bestimmung der Vorlage müsste der Vergleich allerdings wesentlich gründlicher durchgeführt werden, als es hier möglich ist. Zu diesen Lemmata finden sich – allerdings keinesfalls durchgehend, denn viele Lemmata sind unkommentiert geblieben – Eintragungen auf den Foliobögen, aus denen die Bände von Ms IV 471 zusammengebunden sind. Nur zu einem kleinen Teil sind diese Einträge direkt auf den Bögen niedergeschrieben. Wesentlich häufiger sind solche, die auf kleinere Blätter, Zettel und Schnipsel notiert und unter das entsprechende Lemma eingeklebt worden sind. Sie stammen von unterschiedlichen Händen. Considine macht sogar auf einzelne Zettel von der Hand des bereits 1675 verstorbenen Hamburger Gelehrten Martin Fogel aufmerksam20, dessen Bibliothek Leibniz im Auftrag des Herzogs Johann Friedrich Ende Juli 1678 erworben hatte21. Bei dieser Gelegenheit hatte sich Leibniz den handschriftlichen Nachlass Fogels (zumindest teilweise) ausgeliehen und – trotz mehrfacher Mahnungen – nicht zurückgegeben. Der Weg der Notizen von Fogels Hand in die Folianten von Ms IV 471 scheint demnach irgendwie über den Hannoveraner Universalgelehrten geführt zu haben. Es verwundert daher nicht, dass ein – allerdings ziemlich kleiner – Teil der eingeklebten Zettel von Leibniz’ eigener Hand geschrieben worden ist22. Wie sind die geschilderten Befunde im Blick auf Leibniz’ Anteil an dem eigenartigen Manuskript zu interpretieren? Sigrid von der Schulenburg hat Ms IV 471 – jedenfalls in der Konzeption – auf ihn selbst zurückführen wollen. Allerdings formulierte sie in Hinsicht auf die Ausführung vorsichtig: „Wie weit Leibniz die Herstellung dieses Apparates selbst eingeleitet und überwacht hat, bedarf noch
17 J. G. Schottelius: Ausführliche Arbeit von der Teutschen HauptSprache (1663), hrsg. von W. Hecht (= Deutsche Nachdrucke, Reihe: Barock 11–12), Tübingen 1967, Bd. 2, S. 1277– 1450. Stielers Konzept, sein Wörterbuch nach Stammwörtern zu ordnen, geht übrigens auf Schottel zurück. 18 Die Zahl nach G. M. Neuhaus: Justus Georg Schottelius: Die Stammwörter der Teutschen Sprache Samt dererselben Erklärung / und andere die Stammwörter betreffende Anmerkungen. Eine Untersuchung zur frühneuhochdeutschen Lexikologie (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 562), Göppingen 1991, S. 102. 19 Von den bei Leskien, S. 132 aufgeführten ersten 27 Einträgen unter „A“ hat Schottelius, Bd. 2, S. 1277–1278, nur etwa ein Dutzend. Noch schlechter ist der Vergleich mit der o. Anm. 16 genannten Wortfolge unter „C“: Hier hat Schottelius, ebd., S. 1296–1297, nur „Cartaune“ und „Casel“, diese beiden aber unter „C“. 20 Considine: „Leibniz as lexicographer?“, S. 218, 221. 21 K. Müller/G. Krönert: Leben und Werk von Gottfried Wilhelm Leibniz. Eine Chronik (= Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 2), Frankfurt/M. 1969, S. 53. 22 Zur Bestreitung dieser Beobachtung durch Hermann Leskien s. u. bei Anm. 44.
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einer besonderen Untersuchung“23. John Considine schließt jüngst an diese Feststellung an, ohne den Anspruch zu erheben, bereits eine abschließende Antwort geben zu können24. Seine Beobachtungen führen ihn allerdings nicht nur zu dem Schluss, Leibniz sei „ein aktives Mitglied des Projektteams“ gewesen25, er versucht zudem, die Arbeit an der Handschrift zu rekonstruieren: Die Mehrzahl der eingeklebten Zettel, nämlich jene, die nicht von Leibniz’ oder Fogels Hand stammten, verdanken sich seiner Meinung nach einem „systematischen Leseprogramm“, in dem handschriftliche mittelalterliche Glossare, gedruckte ältere und zeitgenössische Wörterbücher, althochdeutsche Sprachdenkmäler und aktuelle Sekundärliteratur von verschiedenen Gehilfen durchgearbeitet und verzettelt worden seien26. Die Ursache für den Abbruch des Unternehmens sieht Considine in Leibniz’ Tod. Zwar habe dessen Nachfolger Johann Georg Eckhart das Projekt weitergeführt, aber seinen eigenen Beiträgen fehle mit ihren Massen an unorganisierter Information jeder Sinn für Proportionen. So seien die Probleme der redaktionellen Bearbeitung, die aus der Materialsammlung erst ein Wörterbuch hätte machen können, verschärft worden. Eckhart habe wohl schließlich vor dieser Aufgabe kapituliert27. Ob Considine Eckhart als „einen Gelehrten ohne wahres Interesse an der Herausgabe eines Wörterbuchs“ charakterisiert hätte28, wenn ihm die Dissertation bekannt gewesen wäre, die Hermann Leskien fast ein halbes Jahrhundert zuvor über Johann Georg Eckhart angefertigt hatte, darf bezweifelt werden. Jedenfalls liefert Leskien genügend Belege, die Eckharts Rolle in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen. Er kann belegen, dass Eckhart spätestens seit 1703 an einem etymologischen Wörterbuch gearbeitet hat. Das Projekt ist Leibniz’ Nachfolger also keineswegs als unliebsames Erbe in den Schoß gefallen. So ist denn auch nicht Leibniz’ Tod letztendlich ursächlich für den Abbruch der Arbeiten gewesen, sondern die Flucht des überschuldeten Eckhart aus Hannover im Jahre 1723. Wie sehr ihm das Projekt aber weiterhin am Herzen lag, zeigen seine Bitten, Sorge um das Manuskript zu tragen, die er noch nach seiner Flucht an die hannoverschen Räte richtete. Kurz: Leskien sieht – sicherlich zu Recht – in Eckhart den Autor des „Lexicon Etymologicum“29.
23 Schulenburg, S. 225–227. Ihre Einschätzung von Leibnizens Anteil an Ms IV 471 ist allerdings etwas schwankend; vgl. das Zitat bei Anm. 47. 24 Considine: „Leibniz as lexicographer?“, S. 217. Vgl. bereits ders.: „Leibniz and Lexicography“, in: M. Mooijart/M. van der Wal (Hrsg.): Yesterday’s Words: Contemporary, Current and Future Lexicography, Newcastle 2008, S. 41–52, hier S. 46, wo der Autor eine in mancher Hinsicht etwas abweichende (und der hier vertretenen Position nähere) Sicht vertritt. 25 Ders.: „Leibniz as lexicographer?“, S. 221, 222. 26 Ebd., S. 220–221. 27 Ebd., S. 222. Ders.: „Leibniz and Lexicography“, S. 46, hatte noch Eckharts Flucht aus Hannover im Jahr 1723 als Ursache für den Abbruch der Arbeiten angenommen. 28 Ders.: „Leibniz as lexicographer?“, S. 222. 29 Leskien, S. 126–149.
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Sein stärkstes Argument ist ein zweites Manuskript, Ms IV 467, als dessen Autor Eckhart unbestritten ist30. Bei dieser Handschrift handelt es sich wiederum um eine Vorarbeit zu einem etymologischen Wörterbuch31. Im Gegensatz zu der Materialsammlung Ms IV 471 bietet Ms IV 467 jedoch ausformulierte Artikel zu einzelnen Wörtern. Allerdings lassen sich viele dieser Artikel noch nicht als Reinschriften ansprechen, zeigen sie doch Merkmale, die für Konzepte typisch sind: halbbrüchige Beschriftung, welche die Hälfte der Seite freilässt für Korrekturen und Ergänzungen, die sich denn auch zahlreich finden. In einer Hinsicht fällt dieses Manuskript sogar hinter Ms IV 471 zurück. Es handelt sich nämlich um ein sehr umfangreiches ungebundenes Konvolut einzelner Foliobögen und -blätter32. Für die ersten beiden Buchstaben des Alphabets liegen zahlreiche Artikel vor. Zu „C“ sind es schon deutlich weniger, was freilich am Buchstaben liegen mag. Doch nimmt die Artikeldichte im Folgenden ganz erheblich ab: Für die Buchstaben von „L“ bis „R“ enthält Ms IV 467 nur noch ganze 21 Lemmata33. Es scheint, als sei Eckhart bei den ersten Buchstaben des Alphabets ziemlich systematisch vorgegangen, habe aber auch vereinzelt spätere Lemmata bearbeitet, soweit sie ihm zur Ausarbeitung reif zu sein schienen34. Leskien kann zeigen, dass Ms IV 471 als Materialsammlung für Ms IV 467 gedient hat35. Die letztgenannte Handschrift könnte demnach als die redaktionelle Überarbeitung von Ms IV 471 verstanden werden, die Considine vermisst hat36. Allerdings ist die Übereinstimmung zwischen beiden Manuskripten nicht so eng, dass eine derartige Charakterisierung ausreichend wäre. Dies betrifft weniger den Umstand, dass in Ms IV 467 für die späteren Teile des Alphabets nur relativ wenige Artikel vorliegen und diese zudem vor allem Wörter behandeln, die in Ms IV 471 nicht aufgenommen worden sind37. Vielmehr sind auch für die Buchstaben „A“, „B“ und „C“ neben den Übereinstimmungen ebenso Differenzen zu konstatieren. Der Vergleich zwischen den ersten Einträgen unter „A“ in Ms IV 471 und Ms IV 467 zeigt eine Reduzierung der Lemmata in der letztgenannten Handschrift,
30 Bereits ein als Umschlag für die Blätter benutzter Bogen trägt die alte (allerdings nicht von Eckharts Hand stammende) Aufschrift „Eccardi Etymologica“, und Bodemann: Handschriften, S. 80, hat das Konvolut katalogisiert als „J. G. Eccard: Etymologisches Lexicon (defect)“. 31 Zur Beschreibung der Handschrift vgl. Leskien, S. 131–132. 32 Wenn ein Artikel deutlich weniger als eine Seite einnimmt, ist der frei gebliebene Teil des Blattes abgeschnitten worden. Allerdings ist darauf geachtet, dass die Breite des beschnittenen Blattes der des Folioformats entspricht. Es findet sich ganz überwiegend jeweils nur ein Lemma auf einem Blatt oder einem Bogen, auch, wenn das Lemma nur eine Seite des Blattes einnimmt. Dieses Verfahren ermöglichte eine problemlose Ergänzung des Nomenklators durch Einschieben neuer Blätter oder Bögen. 33 Leskien, S. 132. 34 Vgl. ebd., S. 136–137 (allerdings mit nicht durchweg überzeugenden Schlüssen zur Datierung; s. u. Anm. 178). 35 Ebd., S. 132–134. 36 Considine: „Leibniz as lexicographer?“, S. 222. 37 Leskien, S. 133.
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die Leskien überzeugend mit dem fehlenden Material für die in Ms IV 467 nicht aufgenommenen Wörter erklärt38. An den ersten Einträgen unter „C“ lässt sich allerdings die gegenteilige Beobachtung machen: Hier bietet Ms IV 467 erheblich mehr Lemmata als Ms IV 471. Zudem gibt es etwa einen ausgearbeiteten Artikel zum Lemma „Cadet“, während in Ms IV 471 unter diesem Stichwort nichts eingetragen oder eingeklebt worden ist39. Unter den folgenden Artikeln finden sich „Caneel“ und „Casel“ in beiden Manuskripten. In beiden Fällen sind die Artikel in Ms IV 467 nicht nur wesentlich umfang-, sondern auch inhaltsreicher als die Informationen auf den in Ms IV 471 eingeklebten Zetteln. Diese sind zwar verwertet (wenn auch bei „Casel“ nicht vollständig)40, aber sie bilden keineswegs die Schwerpunkte der Artikel41. Andererseits war der Zusammenhang der beiden Manuskripte Ms IV 471 und Ms IV 467 möglicherweise enger, als es die heutige Form ihrer Aufbewahrung erkennen lässt. Leskien hat in Ms IV 467 ein Blatt gefunden, das zweifellos aus Ms IV 471 stammt, wie das Lemma von Schreiberhand und die aufgeklebten Zettel zeigen42. Umgekehrt findet man in den Folianten von Ms IV 471 manches eingelegte Blatt, das in seiner ausgearbeiteten Art wiederum stark an Ms IV 467 erinnert43. Hier muss vieles vorerst offen- und einer im Detail ebenso gründlichen wie im Überblick umfassenden Untersuchung der beiden massiven Manuskripte vorbehalten bleiben, die hier nicht geleistet werden kann, aber im Rahmen der verfolgten Fragestellung auch nicht geleistet zu werden braucht. Hier interessiert das „Lexicon Etymologicum“ vor allem insoweit, als es Material von Leibniz’ Hand enthält. II. Dieses Material hat die Frage angeregt, ob Leibniz auch als Lexikograph tätig geworden sei. Mit Leskien sehen wir nicht den großen Universalgelehrten, sondern seinen Mitarbeiter Johann Georg Eckhart als Initiator und Autor des „Lexicon Etymologicum“. Die von ihm beigebrachten Belege, besonders das Ms IV 467
38 Ebd., S. 132–133. 39 In Ms IV 471 sind die Lemmata „Cadet“ bis „Castellan“ durchgestrichen. Von den acht Wörtern der Reihe (vgl. o. Anm. 16) sind „Cadet“, „Caneel“, „Casel“ und „Cassel“ in Ms IV 467 aufgenommen. 40 Unter „Caneel“ ist im Artikel in Ms IV 467 ein Teil der aus Ms IV 471 übernommenen Informationen wieder gestrichen. 41 Insofern kann das von Leskien, S. 133–134, exemplarisch angeführte Lemma „Abend“ nicht unbefragt als typisch gelten. 42 Ebd., S. 133. 43 Diese Beobachtungen legen nahe, dass an Ms IV 471 und an Ms IV 467 nicht (nur) strikt nacheinander, sondern auch parallel gearbeitet worden sein kann. Leskien (ebd., S. 139), hat dies zwar gesehen, in seinen Datierungsansätzen jedoch nicht hinreichend berücksichtigt.
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lassen sich kaum anders interpretieren. In einem Punkt schießt Leskien allerdings weit über das Ziel hinaus. Er möchte nämlich die zu beobachtende Vielzahl der Hände in Ms IV 471 auf drei reduzieren: Eckhart selbst, einen Schreiber und einen Studenten, den er während der Zeit seiner Helmstedter Professur für derartige Arbeiten herangezogen hat44. Diese Reduktion ist zweifellos zu radikal. Inakzeptabel ist auf jeden Fall, dass Leskien geradewegs bestreitet, dass sich überhaupt Zettel von Leibniz’ Hand in dem Manuskript fänden45. Da er die aus seiner Sicht nur vermeintlich Leibniz’sche Handschrift einem Schreiber zuweisen möchte, stellt sich die Frage, ob er überhaupt die recht seltenen Zettel, die tatsächlich von Leibniz’ Hand sind, gesehen hat. Jenen Zettel, auf dem Leibniz einen Briefauszug einleitet: „Ex literis meis ad cl[arissimum] Mejerum Theologum Bremensem 4 Novemb[ris] 1695.“46, kann er jedenfalls kaum gesehen haben – wie hätte er ihn einem Schreiber zuweisen können? Im Folgenden wird sich übrigens zeigen, wie eng die Verbindung des Leibniz-Materials in Ms IV 471 mit solchem ist, das seinen Weg nicht in diese Folianten gefunden hat und dessen Authentizität nie angezweifelt worden ist. Auch wenn gegen Leskien daran festzuhalten ist, dass Ms IV 471 Zettel von Leibniz’ Hand enthält, so zeigen diese Zettel doch Eigenschaften, die gegen die Ansicht sprechen, das Werk sei von Leibniz konzipiert und unter seiner Aufsicht begonnen worden. Tatsächlich musste bereits Schulenburg einräumen, dass wir mit den eingeklebten Zetteln von Leibniz’ Hand „keine ausgeführten Artikel eines Wörterbuchs vor uns haben“, und: „Diese Merkzettel sind ohne weitere Redaktion von Leibnizens Schreibtisch, vielleicht erst aus seinem Nachlaß, auf die Folioblätter gewandert“47. Stärker noch als die fehlende Ausarbeitung der Notizen sprechen inhaltliche Beobachtungen für die Vermutung, diese Zettel seien nie für ein derartiges, lexikographisches Werk bestimmt gewesen, die Anlage der vier Folianten habe mit Leibniz folglich nichts zu tun, seine Notizen seien wahrscheinlich erst nach seinem Tode in Ms IV 471 aufgenommen worden und ihre alphabetische Einordnung widerspreche geradezu den Intentionen, unter denen sie ursprünglich gesammelt worden seien. Dazu einige wenige Beispiele. Im Anschluss an das Lemma „hörnis“ ist ein Zettel von Leibniz’ Hand eingeklebt, auf dem eine andere Hand das Lemma „Hörnen-Seyfrid“ notiert hat, also zu
44 Leskien (ebd., S. 130) räumt allerdings ein: „Beim ersten Blick scheint es eine verwirrende Fülle von Schreibern zu sein […]“. Ebd., S. 130–131, die Reduzierung auf drei Hände (wobei nicht deutlich wird, ob der Schreiber der Lemmata mitgezählt ist). Die Identifizierung der „Schreiberhand (1)“ mit dem Helmstedter Studenten erfolgt auf S. 138. Er entspricht dem Umfang seiner Arbeiten nach den „amanuenses“, die Considine: „Leibniz as lexicographer?“, S. 220, annimmt. 45 Leskien, S. 130. 46 Ms IV 471, Bd. 2, „Holland“; vgl. Considine: „Leibniz as lexicographer?“, S. 219. Edition in A I, 12 N. 103. 47 Schulenburg, S. 226 (beide Zitate).
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der Siegfried-Figur, wie sie im Schönen Lied Von dem Hürnern Seyfrid benannt wird48. Leibniz hat auf dem Zettel notiert49: „Die Geschichte vom gehörnten Siegfried, der in Wettkämpfen, die von dem königlichen Mädchen Crimhilde auferlegt waren, gekämpft haben soll, scheint sich auf Sigebertus zu beziehen, der um das Jahr 538 Hausmeier unter König Theodericus gewesen ist und mit seiner Frau Crimhilde in Worms gewohnt und vieles kraftvoll ausgeführt haben soll“.
Die Notiz auf dem Zettel besitzt überhaupt keinen sprachgeschichtlichen Skopus. Vielmehr zeigt sie einen Versuch, die populäre Sagengestalt in der merowingischen Geschichte zu verankern. Nicht einmal das nachgetragene Lemma macht sie zu einer sprachgeschichtlichen Beobachtung, wenngleich nicht bestritten werden kann, dass Ms IV 471 auch sonst Einträge zu geographischen, ja sogar zu Personennamen enthält50. Unter ‚paggio‘, dem italienischen Wort für ‚Page‘ oder ‚Edelknabe‘, findet sich ein Zettel von Leibnizens Hand, auf dem nicht nur Beobachtungen zu ‚paggio‘ verzeichnet sind, sondern auch zum lateinischen ‚maius‘ (‚Mai‘) und seiner italienischen Entsprechung ‚maggio‘, zum griechischen ‚διάβολος‘ (‚Teufel‘), aus dem Leibniz die barbarisierte lateinische Form ‚zabulus‘ ableitet, und zu einem weiteren griechischen Wort, ‚ζευγω‘ (zusammenjochen; eigentlich ‚ζεύγνῦμι‘), das Leibniz von ‚δύο ἄγω‘ (‚zwei‘ und ‚treiben‘) ableitet. Zwischen den Zeilen hat er noch ergänzt: „auch ‚deus‘ für ‚ζεύς‘“ also fünf Wörter aus drei Sprachen, die mit vier unterschiedlichen Buchstaben beginnen: Die Einordnung des Zettelchens unter ‚paggio‘ scheint sich allein dem Zufall zu verdanken, dass dieses Wort als Erstes genannt ist. Daneben gibt es zwar eine Mehrzahl von Zetteln von Leibniz’ Hand, deren Einordnung in das alphabetische Raster der Lemmata keine Probleme bereitet. Gleichwohl stellt sich angesichts der geschilderten Beobachtungen die Frage, ob tatsächlich Leibniz selbst, nach mehreren anderen Ordnungssystemen, sich schließlich für die alphabetische Ordnung seines (nicht nur) sprachgeschichtlichen Materials entschieden haben sollte51. Wenn aber die Aufnahme dieser Zettel in
48 Vgl. zu dem Werk H. Brunner: Art. „Hürnen Seyfrid“, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 4, Berlin u. a. 21983, Sp. 317–326. Zu Leibniz’ Bekanntschaft mit dem Werk s. Schulenburg, S. 209 mit Anm. 196. 49 „Sifridi cornei fab u la qui in ludis a Crimhilde regali puella indictis pugnasse dicitur videtur pertinere ad Sigebertum qui circa annum 538 sub Theoderico Regem major domus fuit et Wormatia cum uxore Crimhilde habitasse multaque fortiter gessisse invenitur“ (Ms IV 471, Bd. 2). 50 So findet sich im 2. Bd. vor der Seite, die als erstes Stichwort „luder“ nennt, ein Druckbogen aus einer Greifswalder Dissertation von 1693 (Präses: Johannes Gottlieb Möller/Respondent: Nicolaus Richter), die den Namen Luthers untersucht. Zu Nürnberg s. u. bei Anm. 181. 51 „By this time [= gegen Ende 1695], however, Leibniz may have been finding that a thematic collection of slips ordered under hundreds of numbered subheadings was not the best way to store and retrieve information about words: for that, an alphabetical collection was preferable“ (Considine: „Leibniz as lexicographer?“, S. 219).
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Ms IV 471 nicht von ihm veranlasst worden, wenn also Leibniz nicht der Initiator des etymologischen Wörterbuchs gewesen ist, worin bestand dann sein Interesse, diese und ähnliche Beobachtungen zu sammeln? Sigrid von der Schulenburg selbst hat, ohne es wissen zu können, den Schlüssel zu einem adäquaten Verständnis der Leibniz’schen Aufzeichnungen geliefert. Hören wir dazu ein paar Sätze aus ihrer Beschreibung: „Außer dem Vermerk Lingvae, der auf den meisten Zetteln wiederkehrt und sich oft auch auf größeren ‚Schedae‘ zwischen Leibnizens Papieren findet, kommen einige besondere Rubriken vor, die wir ebenfalls von anderen Schriftstücken kennen. Solche Aufschriften sind: gentes, migrationibus, urbes Brunsvicenses, observationes historicae, observationes juridicae. Häufig sind diesen Vermerken noch Zahlen beigegeben“52.
Während sie einige Zettel, deren Text ein Buchstabe vorangestellt ist, als Vorlagen für „Anmerkungen zu irgendwelchen von Leibniz herausgegebenen Texten“ erweisen konnte53, hat sie die Zahlen weniger glücklich interpretiert: „Die Numerierungen vor dem Text aber, so wie die stehengebliebenen Worte durchschnittener Sätze an den Rändern vieler Zettel zeigen an, daß sie aus größeren, anders geordneten Zusammenstellungen ausgeschnitten worden sind“54.
Dass viele Zettel auf diese Weise entstanden sind, ist richtig beobachtet. Leibniz hat häufig seine Exzerpte bereits so angelegt, dass sie in derartige Streifen auseinandergeschnitten werden konnten. Dazu durfte nur die Vorderseite des Blattes beschriftet werden. Waagerechte Striche zwischen den einzelnen Einträgen zeigten an, wo geschnitten werden sollte. In seinem Nachlass sind sowohl Blätter erhalten, welche zum Auseinanderschneiden eingerichtet, aber letztlich ganz geblieben sind55, als auch zahlreiche streifenförmige Zettel, die aus solchen Operationen herrühren. Auf vielen dieser Zettel bezeugen abgeschnittene Unter- und Oberlängen von Buchstaben aus der letzten Zeile vor bzw. der ersten Zeile nach dem Schnitt sowie die genannten waagerechten Abgrenzungsstriche oder die Reste derselben diesen ursprünglichen Kontext. Die von Schulenburg angesprochenen Nummern verweisen allerdings gerade nicht auf diesen gemeinsamen Ursprung der einzelnen Notizen, sondern vielmehr auf den neuen inhaltlichen Zusammenhang, in den Leibniz sie eingeordnet hat oder jedenfalls einordnen wollte. Eines von Leibnizens sprachgeschichtlichen Exzerpten soll dies beispielhaft illustrieren: Der Zettel Ms IV 470, Bl. 11, enthält zwei kurze Exzerpte aus dem Originum Gallicarum liber des Marcus Zuerius Boxhorn (1654). Das erste lautet56:
52 53 54 55
Schulenburg, S. 226. Ebd. mit Anm. 48. Ebd. (Hervorhebung im Original). Vgl. zu diesem in Leibniz’ Aufzeichnungen häufig zu beobachtenden Verfahren die Bemerkungen in der Einleitung zu A IV, 6 N. 15. Zu einem Beispiel aus dem hier interessierenden Material vgl. im Folgenden. 56 „Quae Joh. Picardus Toutrerianus in opere de prisca Celtopaedia, Gallica ex graeco ducit, eadem Boxhornius germanico convenire ostendit orig. Gll. c. 8. p. 109[.]“ – „Linguam Gallicam
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„Boxhorn zeigt, dass dasselbe Französische, das der Picarde Johannes Toutrerianus in dem Werk De prisca Celtopaedia aus dem Griechischen abgeleitet hat, mit dem Deutschen übereinstimmt; Originum Gallicarum, c. 8, S. 109“.
Ein waagerechter Strich teilt das zweite Exzerpt ab: „Dass die keltische Sprache von der germanischen unterschieden war [meint] der Zürcher Johannes Rhellicanus [in seinem Kommentar] zum ersten Buch von Caesars De bello Gallico; bei Boxhorn cap. 9 der Originum Gallicarum“.
Beide Exzerpte finden sich auf demselben Zettel, weil Leibniz sie kurz hintereinander aus demselben Buch gezogen hat. Da er sie jedoch in unterschiedlichen Argumentationszusammenhängen einsetzen wollte, hat er sie durch den Trennstrich abgeteilt, um sie später auseinanderzuschneiden, was allerdings unterblieben ist. Außerdem hat er ihnen unterschiedliche Nummern gegeben: Das erste trägt die Nummer 292, das zweite die 28757. Diese letzte Beobachtung zeigt, dass die Exzerpte nicht einfach nach numerus currens durchnummeriert sind. Vielmehr scheinen die unterschiedlichen Nummern mit den unterschiedlichen Themen zusammenzuhängen. Aber wo muss die Erklärung für die ordnenden Nummern und Begriffe gesucht werden? Die Ordnungsbegriffe, die Sigrid von der Schulenburg nennt, weisen über die engere sprachwissenschaftliche Thematik hinaus. Sieht man von der erstgenannten Rubrik „Lingvae“ ab, nimmt keine der angeführten auf das Thema ‚Sprache‘ explizit Bezug, und auch „Lingvae“ hat in seiner Allgemeinheit nur in einem Kontext Sinn, der selbst nicht sprachwissenschaftlich ist. Dagegen verweist eine Rubrik wie „urbes Brunsvicenses“ – „braunschweigische Städte“ – auf die Geschichte des Welfenhauses, mit deren Abfassung Leibniz seit 1685 beschäftigt war. Jüngst hat John Considine zur Erklärung der Stichworte und Nummern auf ein Manuskript verwiesen, das Günter Scheel, der wahrscheinlich der beste Kenner des Historikers Leibniz gewesen ist, bereits einige Jahre vor der Publikation von Schulenburgs Werk bekannt gemacht hat58. Es trägt den Titel: „Notitia rerum terrae Brunsvicensis et Estensis antequam Romani in Germaniam intrarunt“59. Hinter
a Germanica fuisse diversam Joh. Rhellicanus Tigurinus ad lib. 1. Caes. de bello Gall. apud Boxhorn cap. 9. orig. Gall[.]“ Das Zitat im ersten Exzerpt findet sich bei M. Z. Boxhorn: Originum Gallicarum liber, Amsterdam 1654, S. 108. Auf S. 109–110 dann die dreisprachige Wortliste, auf die sich Leibniz bezieht. Zum zweiten Exzerpt vgl. ebd., S. 111–[113], bes. die Bemerkung Boxhorns im Anschluss an sein langes Zitat aus Rhellicanus: „Cujus sane sententia mihi plus arridet, quam eorum qui putant Gallorum et Germanorum eandem olim linguam: […]“. Das „Linguam“ im zweiten Exzerpt ist (nachträglich?) doppelt unterstrichen. 57 Zu den Nummern s. u. Anm. 98. 58 G. Scheel: „Leibniz’ Pläne für das ‚Opus historicum‘ und ihre Ausführung“, in: Akten des Internationalen Leibniz-Kongresses Hannover, 14.–19. November 1966, Bd. IV: Theologie – Ethik – Pädagogik – Ästhetik – Geschichte – Politik – Recht (= Studia Leibnitiana, Supplementa 4), Wiesbaden 1969, S. 134–155, hier S. 150–152. 59 Hannover GWLB Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26–27.
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diesem Titel verbirgt sich kein ausformulierter Traktat, sondern eine Themenliste in Stichworten. Diese Stichworte sind nummeriert und verweisen, wie Scheel gezeigt hat, über ihre Nummern auf Exzerpte und Notizen, die sich Leibniz zu dem jeweils genannten Thema angelegt hat. Considine hat schließlich den Zusammenhang zwischen den Nummern und Stichworten der in Ms IV 471 eingeklebten Zettel von Leibniz’ Hand und dieser Themenliste erkannt60. Damit hat er das Rätsel dieser Kennzeichnungen gelöst. Allerdings scheint der von Sigrid von der Schulenburg vorgegebene Interpretationsrahmen noch so stark auf Considine zu wirken, dass ihn diese Einsicht nicht zu einer grundlegenden Revision ihrer Anschauung geführt hat, wie wir sie im Folgenden vorschlagen möchten61. Aus der Beobachtung, dass viele von Leibniz’ Zetteln gar keinen Ordnungsbegriff oder eine Nummer tragen, andere zwar einen Begriff, aber keine Nummer, und wieder andere schließlich beides, folgert er sicherlich treffend, dass Leibniz sein Ordnungssystem zunehmend ausgebaut und verfeinert habe62. Kaum überzeugen kann jedoch seine Annahme, Leibniz habe die sachliche Ordnung unter hunderten von Stichworten schließlich als nicht mehr brauchbar empfunden und auf die alphabetische Ordnung, die in Ms IV 471 überliefert ist, umgestellt63. Sie scheint von einer zu engen Sicht auf Leibnizens etymologisch-sprachgeschichtliche Interessen bestimmt zu sein. So bedeutsam diese Arbeiten für Leibniz gewesen sein mögen – so wenig sie als bloße Hilfsmittel zum Verständnis historischer Quellen dienten, so wenig fanden sie ihr Ziel in sich selbst. Vielmehr können sie angemessen nur im Kontext der Welfengeschichte, des umfassend geplanten „Opus historicum“ verstanden werden. Um dessen Konzeption detaillierter zu erschließen und derartige Verengungen zu vermeiden, gilt es zunächst einmal, die bereits erwähnte „Notitia rerum terrae Brunsvicensis et Estensis antequam Romani in Germaniam intrarunt“ näher in den Blick zu nehmen.
60 Considine: „Leibniz as lexicographer?“, S. 219. 61 Oder ist dies bedingt durch seine fachliche Herkunft als Lexikograph und Erforscher der Lexikographiegeschichte? – So wie die folgende Neuinterpretation den Historiker verrät? 62 So fällt auch auf, dass Zettel, die unterschiedliche Nummern tragen, gleichwohl den Ordnungsbegriff ‚lingua‘ gemein haben; vgl. u. bei Anm. 94. 97. Leibniz’ Überlegungen zum historischen Hintergrund der Siegfried-Sage, die in Ms IV 471, Bd. 2, unter „Hörnen Seyfried“ eingeklebt sind (s. o. bei Anm. 49), waren zuerst unter „Mater[ia] praef[ationis]“ eingeordnet. Dann hat Leibniz diesen Ordnungsbegriff gestrichen und ersetzt durch „obs[ervationes] Hist[oricae]“. Wie die Zahl der Ordnungsbegriffe erheblich geringer gewesen zu sein scheint als die Zahl der Nummern, so ist deren Zahl bei einer Überarbeitung der „Notitia“ wiederum erheblich vermehrt und damit das gesamte Ordnungsschema weiter ausdifferenziert worden; s. u. bei Anm. 78. Bereits L. Davillé: Leibniz historien. Essai sur l’activité et la méthode historiques de Leibniz, Paris 1909, S. 318, Anm. 8, hatte zum Verhältnis von Ordnungsbegriffen und Nummern festgestellt: „Partout, d’ailleurs, les numéros sont postérieurs aux titres, […]“. 63 S. o. Anm. 51.
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III. Da die „Notitia rerum terrae Brunsvicensis et Estensis antequam Romani in Germaniam intrarunt“ Material ordnen und erschließen sollte, das Leibniz für sein „Opus historicum“ gesammelt hatte, muss zunächst ein Blick auf die Konzeption des zuletzt genannten großen Geschichtswerkes geworfen werden. Das Verständnis dieses Plans ist aus zwei Gründen erschwert: zum einen durch den Umstand, dass nur einzelne Teile der groß angelegten Konzeption mehr oder weniger von Leibniz abgeschlossen werden konnten und erst im 18. und 19. Jahrhundert aus dem Nachlass publiziert worden sind, nämlich die Protogaea (1749)64 und die Annales imperii occidentis Brunsvicenses (1843–1846)65, während anderes nie ausgearbeitet werden konnte, zum anderen durch das konventionelle Verständnis von Dynastiegeschichte, mit dem Leibniz’ Plan recht wenig zu tun hat. Er selbst hat dies im Konzept zu dem Vorwort der Mantissa codicis juris gentium (1700) zum Ausdruck gebracht, indem er die von ihm zu schreibende Geschichte als historia patriae – als „Geschichte des Vaterlandes“ bezeichnet hat66. Dass diese Bezeichnung treffender ist als der Gattungsbegriff ‚Dynastiegeschichte‘, zeigen auch die beiden gedruckt vorliegenden Teile des „Opus historicum“. Während die Protogaea eine Erdgeschichte sowie eine Vor- und Frühgeschichte des niedersächsischen Raumes bietet, nicht ohne Ausgriffe in Kosmologie und allgemeine Geologie, ordnen die Annales die Geschichte des Welfenhauses in eine streng chronologisch-annalistische Darstellung des fränkischen und des mittelalterlich-deutschen Reiches seit dem Regierungsantritt Karls des Großen (768) ein. Mit den beiden Titeln ist jedoch erst ein Teil des Planes für das großangelegte „Opus historicum“ beschrieben. Bereits vor über 40 Jahren hat Günter Scheel Leibnizens Pläne für das Geschichtswerk aus den überlieferten Quellen rekonstruiert. Er wies dabei auf eine Notiz hin, die Joachim Friedrich Feller 1714 in seinen Monumenta varia inedita publiziert hatte67. Feller war Amanuensis bei Leibniz gewesen. Sein Dienstherr hatte ihn jedoch im Frühjahr/Sommer 1698 aus seiner Umgebung entfernt und nach Wolfenbüttel zur Arbeit in der Bibliothek abgeschoben, nachdem er ihn überführt hatte, heimlich Aufzeichnungen kopiert oder an sich genommen zu haben. Das, was er aus Leibnizens Material später veröffentlicht
64 Summi polyhistoris Godefridi Guilielmi Leibnitii Protogaea sive de prima facie telluris et antiquissimae historiae vestigiis in ipsis naturae monumentis dissertatio ex schedis manuscriptis viri illustris in lucem edita a Christiano Ludovico Scheidio, Göttingen 1749. 65 G. W. Leibniz: Annales imperii occidentis Brunsvicenses (= Gottfried Wilhelm Leibniz. Gesammelte Werke I, 1–3), hrsg. von G. H. Pertz, Hannover 1843–1846 (ND Hildesheim 1966). 66 „[…] et Historiae patriae ingens moles incumbit, […]“ (Ms XLI 1814,8 Bl. 33r). Im Druck ist daraus allerdings „Historiae nostrae“ (G. W. Leibniz: Mantissa codicis juris gentium, Hannover 1700, Bl. a3r) geworden. 67 J. Fr. Feller: Monumenta varia inedita variisque linguis conscripta … Trimestre primum, Jena 1714, S. 41–42; vgl. Scheel: „Leibniz’ Pläne“, S. 153–154.
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hat, muss demnach vor seiner Entfernung aus Hannover entstanden sein68. Scheel möchte diesen Plan, den Feller 1714 bekannt gemacht hat, in das Jahr 1696 datieren69. Die Konzeption sah eine Aufteilung des Werkes in drei Bände vor, wobei der dritte Band wiederum aus drei Abteilungen bestehen sollte. Dieser letzte und wohl am umfangreichsten geplante Teil der historia domus braucht hier nicht zu interessieren. Er sollte nach der Schilderung chronologisch angelegt sein und bis an die Gegenwart geführt werden (ein Plan, der sich schnell als undurchführbar erwies). Bereits dessen erste Abteilung hätte einen größeren Zeitraum umfasst, als Leibniz ihn in den Annales imperii ausarbeiten konnte70. Hier sind vor allem die ersten beiden Bände, so wie sie nach Fellers Schilderung konzipiert waren, von Interesse. Zum ersten Band heißt es71: „Z[um] e[xempel] im ersten Tomo würden vorkommen: Brunsvicensia generalia. Estensia generalia. Genealogica generalia. Arma et Insignia, devises. Numismata. Comitatus Brunsvicenses et Dynastiae. Familiae Brunsvicenses. Regiones Brunsvicenses. Urbes Brunsvic[enses] Abbatiae Brunsvic[enses] Episcopatus Brunsvic[ensibus] vicini. Jura Brunsvic[ensia]“.
Dieser Band sollte demnach, jedenfalls auf der obersten Gliederungsstufe, nicht chronologisch, sondern systematisch aufgebaut sein. Das Konzept erinnert in Teilen an das Manuskript von Leibniz’ Vorgänger als Historiograph des Welfenhauses, das EhrenKleinot des von Uhrankunfft Fürstlichen Hertzogen-Haußes BrunswigLüneburg oder Gründtliche geschichtsmäßige Beschreibung aller und jeder denen Höchst Löblichsten Hertzogen zu Brunswig und Lüneburg angehörigen Wappen, Schilde, Helme und gebrauchter vornehmster Sigillen des Johann Heinrich Hoffmann72. Allerdings sollte Leibniz’ erster Band den genealogisch-heraldischen Ansatz Hoffmanns um eine Art historisch-geographischer Landesbeschreibung erweitern. Hier zeigt sich bereits die Tendenz, die historia domus im Sinne einer historia patriae zu interpretieren. Der Plan des zweiten Bandes lässt zwar im Groben eine chronologische Anordnung des Materials erkennen, allerdings behandelt er Zeiträume, für die häufig historiographische Nachrichten fehlen – und somit auch fast alle chronologischen
68 Vgl. A IV, 7, XXIII–XXIV. 69 Scheel: „Leibniz’ Pläne“, S. 154. 70 Nach der Schilderung Fellers: „Im dritten Tomo und zwar in der ersten Abtheilung würden erscheinen: Saxonica sub Carolo magno et Carolovingis. Hugo Rex Italiae, Hugo Marchio Tusciae, Origines Ottonianae. Ottones et Heinricus sanctus. Origines Estenses, Azo Marchio Cunizae conjux, ejusque origo. Mathildis Ducissa. Estensium connexio cum Brunsvicensibus, ubi Estensia ab Azone ad Obbizzonem sub Frid[erico] I. Welfica veteris familiae. Welfica posteriora a Welfo Duce Bavariae ad Henricum superbum. Billingana. Northemii seu ad Visurgim. Brunsvicenses et Ecbertini, Lotharius Saxo. Henricus Superbus. Henricus Leo“ (Feller: Monumenta, S. 42). Leibniz ist in seiner annalistischen Schilderung nur bis zum Jahr 1005 gekommen, also bis in die Regierungszeit Heinrichs II. („Henricus sanctus“). 71 Ebd., S. 41–42. 72 Wie Leibniz das „Opus historicum“ konnte auch Hoffmann sein Werk nicht mehr publizieren. Das Manuskript liegt unter der Signatur Ms XXIII 39-40 in der GWLB Hannover.
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Anhaltspunkte (wenngleich Leibniz bereits Überlegungen zur Datierung mittels archäologischer Stratigraphie angestellt hat73). Feller beschreibt den geplanten Inhalt wie folgt74: „Im andern Tomo würden abgehandelt werden: Naturalia Regionis Brunsvico-Luneburgicae. Gentes, migrationes, origo populorum, Antiquissima habitatorum terrae. Mythica, Atestina antiquissima et Antenorea. Historia antiquorum Babyloniorum, et similia. Brunsvicensis terrae habitatores sub Romanis, Atestina sub Romanis. Res Brunsvic[enses] circa Antoninos et post[erios]. Res Brunsvic[enses] sub Barbarorum Irruptionibus in Romanum Imperium. Atestina cadente Imperio. Attila. Saxonica generalia et antiquissima. Atestina et Estensia sub Merovingis et Regibus Longobardorum“.
Sigrid von der Schulenburg hatte als Beispiele für die Rubriken, die auf Leibnizens Zetteln zu finden sind, u. a. aufgezählt: „gentes, migrationibus, urbes Brunsvicenses“75. Die Letztgenannten, die „braunschweigischen Städte“ führt Feller zum ersten Band der Welfengeschichte an, die „Völker“ und ihre Wanderungen (migrationes) zum zweiten Band. Dieser zweite Band sollte nach dem von Feller publizierten Plan jene Themen behandeln, für die das Material durch die „Notitia rerum terrae Brunsvicensis et Estensis antequam Romani in Germaniam intrarunt“ geordnet und erschlossen wurde76. Dieses Manuskript bietet, wie schon gesagt, eine durchnummerierte Themenliste. Die Liste ist in ihrer ersten Anlage wohl in den Sommer bis Herbst 1695 zu datieren77. Allerdings handelt es sich keineswegs um ein Stück aus einem Guss. Vielmehr ist die erste Anlage der Liste, die nach dem für Konzepte üblichen Verfahren halbbrüchig, das heißt nur die Hälfte der Seitenbreite einnehmend, geschrieben ist (wodurch die andere Seitenhälfte als breiter Korrekturrand zur Verfügung
73 Vgl. Scheel: „Leibniz’ Pläne“, S. 150. 74 Feller: Monumenta, S. 42. „Atestina“ ist vom antiken Namen der Stadt Este, ‚Ateste‘, abgeleitet, „Antenorea“ von dem trojanischen Helden Antenor, der sich im Gebiet der Veneter niedergelassen und Patavium (Padua) gegründet haben soll; vgl. H. von Geisau: Art. „Antenor, 1.“, in: Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike, Bd. 1, Stuttgart 1964, Sp. 369. G. W. Leibniz: „Entwurf der Welfischen Geschichte“ (1692), in: Ders.: Schriften und Briefe zur Geschichte, hrsg. von M.-L. Babin und G. van den Heuvel (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 218), Hannover 2004, Nr. 51, S. 875–895, hier S. 878. 75 S. o. bei Anm. 52. 76 Neben Fellers Publikation ist zum Verständnis der „Notitia“ mit Gewinn heranzuziehen der „Entwurf der Welfischen Geschichte“, der weniger übersichtlich, aber viel detaillierter ist und deshalb manche Rubriken der „Notitia“ erst verständlich macht (vgl. etwa u. Anm. 90. 113). 77 Scheel: „Leibniz’ Pläne“, S. 150, datiert auf 1694–1696. Diese Datierung lässt sich auf den o. genannten Zeitraum präzisieren, denn auf dem unteren Rand von Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 27v finden sich, gegenüber der „Notitia“ um 180° gedreht und durchgestrichen die Worte: „sciculus dissertationum de novis quibusdam Machinis“. Es handelt sich um den Anfang des Titels von D. Papin: Fasciculus dissertationum de novis quibusdam machinis atque aliis argumentis philosophicis, Marburg 1695. Das Werk hat Leibniz in den Acta Eruditorum, August 1695, S. 376–382, rezensiert. Zweifellos sind diese Worte vor der „Notitia“ niedergeschrieben worden. Unsere Datierung geht davon aus, dass Leibniz den Foliobogen recht schnell für den neuen Zweck weiterverwendet hat.
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stand), vielfach ergänzt worden. Dabei hat Leibniz die ursprüngliche Nummerierung, die bis gegen 200 ging, großzügig umnummeriert, um genügend Nummern für die passende Einordnung der Nachträge zu schaffen, so dass sie nun bis 1156 reicht78. Es wäre sicherlich verfehlt, in den genannten Themen und ihrer Anordnung etwa die geplante Abfolge der Kapitel im zweiten Band des „Opus historicum“ erkennen zu wollen79. Dafür ist die Liste zu redundant und zu ungeordnet. Schon allein die zahlreichen Verweise über Dutzende Nummern hinweg zeigen80, dass von einer ausgereiften Gliederung keine Rede sein kann81. Dies zeigt schließlich unfreiwillig Louis Davillé, der das Gegenteil behauptet hat, nämlich dass die Abfolge der Nummern (die „Notitia“ kannte er nicht) „ohne Zweifel das endgültige Arrangement“ abbilde82. Seine unter dieser Voraussetzung unternommene ‚Rekonstruktion‘ macht jedoch – selbst wenn man an die Stringenz von Werken barocker Gelehrsamkeit keine anachronistisch hohen Anforderungen stellt – einen ziemlich konfusen Eindruck83. Gleichwohl vermittelt diese Themenliste ein lebendigeres Bild von dem, was Leibniz für den zweiten Band geplant hatte, als dies die oben zitierte Aufzählung von Feller tut, die der vorgesehenen Gliederung sicherlich viel eher entspricht. Die „Notitia“ versammelt eine Vielfalt an Themen und methodischen Zugängen, die nicht zuletzt durch die inhaltliche Breite erstaunt, in der Leibniz Material gesammelt hatte oder jedenfalls sammeln wollte. Wer sich wundert, was in Fellers
78 Diejenigen Autoren, die in Leibniz gerne einen Vorläufer von Melvil Dewey, dem Schöpfer der Dezimalklassifikation, erkennen möchten und sich dafür auf die „Idea Leibnitiana bibliothecae ordinandae contractior“ berufen (im Anschluss an H. Lackmann: „Leibniz’ bibliothekarische Tätigkeit in Hannover“, in: W. Totok/C. Haase (Hrsg.): Leibniz. Sein Leben – sein Wirken – seine Welt, Hannover 1966, S. 321–348, hier S. 335–336), könnten in der „Notitia“ einen überzeugenderen Beleg für ihre Meinung finden (zur Kritik dieser Position vgl. St. Waldhoff: „Von der rechten Administrierung des Wissensschatzes. Zu Leibniz’ Entwürfen einer bibliographisch-bibliothekarischen Sachsystematik“, in: K. Hartbecke (Hrsg.): Zwischen Fürstenwillkür und Menschheitswohl – Gottfried Wilhelm Leibniz als Bibliothekar [= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderband 95], Frankfurt/M. 2008, S. 159– 241, hier S. 219). – Allerdings nur auf den ersten Blick: In diesem Fall hat Leibniz zwar tatsächlich die aufgelisteten Themen durchnummeriert und sogar Platz für weitere Einschübe gelassen, aber die Nummerierung bildet keine Systematik ab. 79 Deshalb ist die Formulierung „ein weiterer Entwurf“ bei Scheel: „Leibniz’ Pläne“, S. 150, unglücklich. Scheel war die Differenz zwischen diesem „Ordnungschema“ und „Ordnungsplan“ (vgl. ebd., S. 152) und der vorgesehenen Anlage der Darstellung durchaus bewusst, wie seine Ausführungen ebd., S. 150–151, zeigen. 80 Gleich unter der zweiten Nummer (16) wird auf 203 verwiesen, von der folgenden Nummer 30 auf 280, von 165 auf 810, von 294 nicht nur zurück auf die nahe 287, sondern auch voraus auf 1110. Nicht nur von dort, sondern auch von 1111 wird zurück auf 294 verwiesen. Unter 992 finden sich zwei Rückverweise: einer auf 730 und einer auf 297; usw. 81 Die von Scheel: „Leibniz’ Pläne“, S. 151, skizzierte Übersicht vermittelt denn auch einen zu geordneten Eindruck. 82 Davillé: Leibniz historien, S. 319. 83 Ebd., S. 318–324.
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Charakterisierung des zweiten Bandes die „Historia antiquorum Babyloniorum, et similia“ zu suchen haben, und sich fragt, ob es sich hier möglicherweise um einen Druckfehler oder einen Lesefehler des ehemaligen Amanuensis handelt, wird über die Themenvielfalt und -breite der „Notitia“ nicht weniger staunen. Dass Leibniz in der Überschrift hinter „terrae Brunsvicensis“ den Zusatz „et Estensis“ eingefügt84, also auch das Gebiet des italienischen Zweigs der Familie berücksichtigt hat, wirkt in dieser Hinsicht weniger wie eine angemessene Korrektur, sondern fast wie ungewollte Ironie. Das erste Stichwort lautet „Natura regionis“. Damit erinnert es nicht nur an die Protogaea, sondern auch an die zitierte Übersicht, die Feller zum zweiten Band des „Opus historicum“ gegeben hat. Diesen Punkt, der ohnehin nachträglich eingeschoben ist, hat Leibniz nicht weiter untergliedert. Viel mehr Raum gewährt er dagegen den Fragen „über den Ursprung des Menschengeschlechts“85. Wie breit dieses Schema zur Ordnung der Lesefrüchte angelegt ist, zeigt die Beobachtung, dass Leibniz zum Ursprung der Menschheit neben der Heiligen Schrift unter Nummer 110 bereits unter Nummer 16 fabulöse Ursprungserzählungen berücksichtigt: „Menschen aus Fäulnis, aus Bäumen, Tieren, Affen, Bären, Meereslebewesen“86. Nicht nur zu Ursprungsmythen hatte oder wollte er Material sammeln, sondern auch zu einer aktuellen Position, die er dezidiert ablehnte: Unter derselben Nummer 110, die er für die Heilige Schrift vorgesehen hat, nennt er auch die Präadamiten-Hypothese87. Und sofort finden auch sprachgeschichtliche Themen ihren Niederschlag. So heißt es unter Nummer 3088: „Mutmaßungen über die Einheit des Menschengeschlechts aus den Sprachen; einige Proben von Wörtern, die über den ganzen Erdkreis verbreitet sind, wie ‚marah‘ für Pferd von Britannien bis zu den Chinesen[.] ‚Cair‘ – ‚Stadt‘ von Britannien bis zu den äußersten Arabern“.
Zwei weitere sprachgeschichtliche Einträge gehören zur Anlageschicht. Die Nummer 40 erklärt, die Sprachen seien zum Teil gebildet durch die Verbindung von Dingen mit Lauten. Nummer 45 dient der Sammlung von Material zu den
84 Das erklärt den sonst unverständlichen Genitiv Singular „terrae“: Leibniz hat nach Einfügung von „et Estensis“ dessen Änderung in „terrarum“ versäumt. 85 „Generalia de origine generis humani, […]“ (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26r). 86 „homines ex putredine[,] ex arboribus[,] animalibus, simiis, ursis[,] marinis“ (ebd.); vgl. Scheel: „Leibniz’ Pläne“, S. 151. 87 Wie der abgekürzte Eintrag „praeadam.“ (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26r) exakt aufzulösen ist, ist nicht klar, was gemeint ist, aber nicht zweifelhaft. 88 „30 conjecturae de unitate generis humani, ex linguis || Specimina quaedam vocabulorum toto orbe diffusorum, ut marah pro equo a Britannia usque ad Sinas || Cair urbs a Britannia usque ad extremos Arabos“, dazu ergänzt der Verweis: „add. 280“ (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26r); vgl. Scheel: „Leibniz’ Pläne“, S. 151. Das Pferde-Beispiel hat Leibniz später in „De originibus gentium“, in: Ders.: Schriften und Briefe zur Geschichte, S. 354–389, hier S. 360/361, herangezogen.
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Regeln der Veränderungen in den Sprachen89. Diese drei ursprünglichen Einträge hat Leibniz durch spätere Ergänzungen vervielfacht. Hier finden sich Nummern zur „literarum harmonia“ (Nr. 36 und Nr. 46), zur babylonischen Sprachverwirrung (Nr. 42), zur Frage, ob die einsilbigen Wörter die älteren seien (Nr. 52). Die punische Sprache und die ägyptischen Schriftzeichen („literae“) werden angeführt (unter Nr. 36), mit Verweis auf die Ansiedlung ägyptischer Kolonien in Griechenland90 und die Runen91. Unter einem Eintrag zu zweifelhaften Etymologien (Nr. 50) wird auf die ebenfalls nachgetragene Nummer 60 zum ‚Goropianismus‘ verwiesen92, Leibniz’ spöttischer terminus technicus für abstruse etymologische Verirrungen, zumeist aus patriotischen Motiven, zu dem ihm der Antwerpener Gelehrte Johannes Goropius Becanus (1518–1572) als Namenspatron diente93. Wenden wir uns von den in exemplarischer Ausführlichkeit vorgestellten ersten Einträgen der „Notitia“ zurück zum Ms IV 471, lassen sich einerseits die bisher rätselhaften Nummern erklären, wie andererseits die Rubriken der „Notitia“ mit Material gefüllt und exemplarisch erläutert werden können. So findet sich zu dem bereits angesprochenen Punkt 45 der Themenliste, der den „principia commutandi“, also den Gesetzen des Sprachwandels, gewidmet ist, ein Zettel, der in Ms IV 471 unter „Ch“ eingeklebt ist. Auf ihm hat Leibniz notiert: „ch pro K in denen diplomatibus Germanicis circa tempora Ludovici Bavari, in der wurtemberg[ischen] deduction von der Sturmfahne“, dazu der doppelt unterstrichene Vermerk „linguae“ und die Nr. „45“94. Auf derselben Seite ist ein zweiter Zettel von Leibniz’ Hand eingeklebt, der dieselben beiden Ordnungsvermerke trägt und den Text: „Lucht belgis pro luft, Ex Saft sacht mollis Ex nift nichte neptis, ex Schaft schacht a σκάπτω fodio Iunius ad Willeram[um] p[agina] m[ea] 218“95. 89 „40 Linguae tamen pro parte factitiae a connexione rerum cum sonis […]“ – „45 principia commutandi […]“ (es folgt ein Hinweis auf den auch sonst von Leibniz geschätzten Gilles Ménage; beide Zitate Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26r). 90 „Aegyptii in Graeciam“ (ebd., Bl. 26v, Nr. 370). Zu diesen angeblichen ägyptischen Kolonien in Griechenland vgl. den „Entwurf der Welfischen Geschichte“, S. 878. 91 Zur Erforschung der Runen im Kontext der antiquarisch-archäologischen und der sprachwissenschaftlichen Beschäftigung mit der skandinavischen (Vor-)Geschichte s. J. Considine: Dictionaries in Early Modern Europe. Lexicography and the Making of Heritage, Cambridge 2008, S. 237–249. 92 Sämtlich Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26r. 93 Vgl. zu ihm A. Borst: Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker, Stuttgart 1957–1963 (ND München 1995), hier Bd. III, 1, S. 1215–1218. Zu Leibnizens Kritik an derartigen Positionen, die er prototypisch nicht nur bei Goropius Becanus, sondern auch bei dem zeitgenössischen schwedischen Gelehrten Olof Rudbeck fand, vgl. St. Waldhoff: „Leibniz und der Plausibilitätsverlust der biblischen Völkergenealogie“, in: D. J. Cook/H. Rudolph/Ch. Schulte (Hrsg.): Leibniz und das Judentum (= Studia Leibnitiana, Sonderheft 34), Stuttgart 2008, S. 155–181, hier S. 161–162. 94 Ms IV 471, Bd. 1. 95 Fr. Junius: Observationes in Willerami abbatis Francicam paraphrasin Cantici canticorum, Amsterdam 1655, S. 218, unter dem Lemma „Schaft / schacht“. Mehrere der Beispiele ähnlich auch bei J. Clauberg: Ars etymologica Teutonum, Duisburg 1663, ein Werk, das Leibniz
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Hier hat allerdings eine andere Hand ergänzt: „ch in f“ und damit erst die Einordnung unter den Buchstaben ‚C‘ motiviert. Auf einem anderen Zettel hat sich Leibniz notiert, dass die Übersetzer der Septuaginta, also des griechischen Alten Testaments, in Gen 49,26 das Wort ‚βουνός‘ für ‚mons‘ (Berg, Hügel) benutzt hätten96, und verweist dann auf das deutsche „buhne“ (Bühne) für einen erhöhten Ort. Neben dem Vermerk „lingu[ae]“ findet sich diesmal die Nr. 29297. Unter ihr findet man in der „Notitia“ die Aussage: „Die Gemeinsamkeiten zwischen den griechischen, lateinischen, germanischen (deutschen) [und] slawischen [Wörtern] sind skythisch“ – d. h. haben ihren Ursprung im Skythischen98. Nun sind freilich nur vergleichsweise wenige von denjenigen Notizen, die durch die Themenliste der „Notitia“ geordnet und erschlossen werden sollten, in das Ms IV 471 eingeklebt worden. Der weitaus größere Teil ist weiterhin in der Form loser Zettel überliefert. Selbst von den sprachwissenschaftlichen Betreffen haben viele nicht den Weg in jene vier Folianten gefunden. Das zeigt zum einen nochmals, wie wenig geeignet die alphabetische Ordnung des Ms IV 471 für eine Erschließung des Materials im Blick auf seinen ursprünglich intendierten Zweck gewesen ist. Zum anderen liegt das aber auch daran, dass Leibnizens sprachwissenschaftliche Neugier viel breiter gespannt war, als dass alle ihre Funde in einem etymologischen Wörterbuch zur deutschen Sprache hätten untergebracht werden können. Dies wird bereits bei einem flüchtigen Blick in das Konvolut Ms IV 470 klar, in dem heute ein großer Teil der von Leibniz angefertigten oder gesammelten Notizen und Exzerpte archiviert ist. Dieses Konvolut hat zudem mindestens in Überresten die von Leibniz mittels der nummerierten Themenliste der „Notitia“ eingeführte Ordnung des gesammelten Materials bewahrt. Eindrücklich zeigt sich dies an den Zetteln mit der Nr. 275, die in der „Notitia“ für die „Spuren der Sprachen und Völker“ in den Namen von Flüssen, Gebirgen usw. steht99. Dass derartige geographische Eigennamen häufig noch von früheren Siedlern stammten und von den später gekommenen Völkern übernommen worden seien und somit einen Einblick auch in die frühe, von keinerlei Schriftquellen erhellte Siedlungsgeschichte eines Gebietes liefern könnten,
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hoch geschätzt und in seine Collectanea etymologica (s. u. Anm. 142) aufgenommen hat (ebd., pars 1, S. 187–252, hier S. 242). Die gängige moderne Handausgabe, Septuaginta. Id est Vetus testamentum graece iuxta LXX interpretes, ed. A. Rahlfs, Stuttgart 71962, Bd. 1, S. 84, hat allerdings θινῶν, Gen. plur. von θίς (= Haufen, Sandhaufen, Düne), der Vokabel, mit der Leibniz’ Notiz beginnt. Ms IV 471, Bd. 1, unter dem Buchstaben ‚D‘. Als Lemma dient θίς. „Co[mmun]ia Graecis[,] Latinis[,] Germanis[,] Slavis, sunt Scythica[;] v[ide] 395“. Unter Nr. 395 heißt es: „Graeci a Scythis v[ide] 292“ (beide Zitate Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26v). Die Nr. 292 trägt auch das erste Exzerpt aus Boxhorn, das o. bei Anm. 56 vorgestellt worden ist. Das zweite Exzerpt hat Leibniz dagegen mit der Nr. 287 versehen, die für die „lingua antiqua Gallica“ steht (ebd.). „vestigia linguarum et gentium in fluviis, montibus (< – >) locis“ (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26v).
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war Leibniz’ Überzeugung100. Dem Thema entsprechend sind auf Bl. 40, Bl. 42 und Bl. 44 Flussnamen und Beobachtungen zu diesen notiert. Bl. 42 enthält übrigens einen ersten Text von Eckharts Hand, den Leibniz ergänzt hat, unter anderem mit der Namensreihe „Don, Dnjepr, Dnestr, Donau“, die Leibniz in der Brevis Disquisitio (1697) als Beleg für die Erstreckung eines früheren Siedlungsgebietes der Germanen angeführt hat101. Bl. 47 listet geographische Namen beiderseits der Pyrenäen auf und Bl. 48 sieht die ähnlich klingenden Namen des südspanischen Cádiz (besonders in der von Leibniz an erster Stelle genannten Namensform „Calis“) und des nordfranzösischen Calais in ihrer vergleichbaren Lage an Meerengen begründet102. Dass diese Notizen, wenngleich sprachgeschichtlichen Inhalts, keine Aufnahme in Ms IV 471 gefunden haben, ist wohl durch ihren fehlenden Bezug zu deutschen Wörtern zu erklären. Dies gilt umso mehr für Zettel etwa zur etruskischen Sprache103. Erst recht gilt es jedoch für Notizen, die unter jene Rubriken der Themenliste fallen, die gar keinen (direkten) sprachwissenschaftlichen Bezug besitzen. Die Masse der durch die „Notitia“ geordneten Zettel finden sich ohnehin nicht in Ms IV 470, sondern in jenen Abteilungen des Handschriftenbestandes der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, die der Geschichte gewidmet sind. Davillé hat seine oben angesprochene ‚Rekonstruktion‘ fast ausschließlich auf Material gegründet, das aus den zwölften Abteilungen sowohl der Leibniz-Handschriften (LH) als auch der (allgemeinen) Handschriften (Ms) stammt104. Wie eng freilich die sprachwissenschaftlichen mit den im engeren Sinne geschichtlichen Themen verknüpft sind, zeigt nicht nur die Vielzahl sprachgeschichtlicher Aspekte in seiner ‚Rekonstruktion‘105, obwohl Davillé das Material aus Ms IV 470 und
100 „Multum ad quaestionem hanc accuratius definiendam facerent etyma fluviorum maxime et montium, quorum nomina sunt nominibus villarum antiquiora“ (Brevis Disquisitio, in: Leibniz: Schriften und Briefe zur Geschichte, S. 585–605, hier § 28, S. 602). Vgl. zu dieser methodischen Maxime Schulenburg, S. 99–102. 259–260. 101 „Tanais, Danaper, Danaster, Danubius“ (Ms IV 470 Bl. 42r); vgl. Brevis Disquisitio, § 19, S. 596/597 mit Anm. 19. Die in demselben Paragraphen angeführten Beispiele für mehrfach vorkommende Flussnamen stimmen jedoch nicht mit jenen überein, die Leibniz auf dem Zettel notiert hat: „Isera in Bavaria et in Sabaudia[,] Albis in Italia et Germania etiam Rhenus utrobique Rodanus vel danus in Gallia et Italia“. Der Zettel trägt übrigens keine Nr., sondern nur den Ordnungsbegriff „Lingu[a]“. 102 „Memorabile mihi videtur Calis vel Cadis in Hispania, olim Gades et Calais vel Caletum Galliae, ut nomine ita situ invenire; ad fretum scilicet, ubi brevissimus maris trajectus; ut credam vim vocis apud Celtas veteres naturae loci congruisse“ (Ms IV 470 Bl. 44r). Der Zettel trägt Ordnungsbegriff „Lingu[a]“ und die Nr. 275. „Calis“ geht wohl auf die neuzeitliche arabische Benennung „Qālis“ zurück; vgl. H.-R. Singer: Art. „Cádiz. I. Unter arabischer Herrschaft“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 2, München u. a. 1983, Sp. 1338. 103 Ms IV 470 Bl. 4; Bl. 16. Beide Zettel tragen die Nr. 338, unter der nach der „Notitia“ Informationen zum Etruskischen gesammelt werden sollten; vgl. Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26v. 104 Vgl. die Nachweise in Davillé: Leibniz historien, S. 319–324. 105 Einige Beispiele: „Leibniz abordait les langues“ – „les étymologies suspectes des noms de ces peuples“ (ebd., S. 319) – „puis revenait aux langues“ – „en recherchant l’étymologie et la signi-
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Ms IV 471 gar nicht berücksichtigt hat, sondern auch die Beobachtung, dass sich sprachwissenschaftliche Betreffe auch unter den Zetteln finden, die im 19. Jahrhundert in die Abteilungen zur Geschichte eingeordnet worden sind. Dort lassen sich Notizen mit dem Ordnungsbegriff ‚lingua‘ nachweisen106 und solche, die sprachwissenschaftlich einschlägige Nummern tragen. Letztere sind besonders dann interessant, wenn sich auf ihnen geschichtswissenschaftliche Ordnungsbegriffe finden. So weist Davillé auf eine Notiz hin, die den Ordnungsbegriff „Gentes“ und dazu die oben ausführlich behandelte Nr. 275 trägt107. Die geschilderten Beobachtungen haben wohl zur Genüge gezeigt, dass den in Ms IV 471 eingeklebten Zetteln nicht einfach eine redaktionelle Bearbeitung fehlte, um sie als Wörterbucheinträge brauchbar zu machen108. Vielmehr waren sie in vielen Fällen dafür nicht nur ungeeignet – was auch eine Redaktion nicht hätte beheben können –, sondern sie sind ursprünglich gar nicht für einen derartigen Zweck bestimmt gewesen. Ihre intendierten Funktionen bei der Erarbeitung des „Opus historicum“ lassen sich aus der „Notitia“ rekonstruieren. Der so rekonstruierte Kontext erlaubt es, ihre Bedeutung für Leibniz’ historische Forschungen schärfer zu fassen – und damit zugleich die Rolle seiner sprachwissenschaftlichen Forschungen im Allgemeinen präziser zu bestimmen. Der Kontext, in dem die sprachwissenschaftlichen Themen stehen, bestätigt durchaus die häufig vertretene Meinung109, Leibnizens Sprachforschung sei maßgeblich durch sein historiographisches Interesse hervorgerufen und in ihren Zielen bestimmt. Allerdings darf man die Abhängigkeit der sprachwissenschaftlichen von seiner historischen Forschung nicht zu eng in einem bloß hilfswissenschaftlichen Sinne verstehen. Denn die Beispiele zeigen auch, wie breit Leibniz diese sprachwissenschaftliche Forschung angelegt hatte. Sie geht thematisch weit über das hinaus, was man als notwendig oder sinnvoll zur Bearbeitung einer Dynastie- und Territorialgeschichte erwarten möchte oder was zum sprachlichen Verständnis mittelalterlicher Chroniken oder Urkunden als philologisches Handwerkszeug notwendig gewesen wäre. Hier zeigt sich zum einen der überaus breite Ansatz des „Opus historicum“, nämlich die Dynastiegeschichte „auff Universalia ziehen und denen ein Liecht geben“ zu wollen, wie es Leibniz in einem frühen Memorandum formuliert hat. Damit kämen „viel wichtige Generalia“ zur Sprache, ein Aspekt, dem er auch mit
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fication des noms géographiques de la Germanie“ – „en étudiant la langue, les noms primitifs et l’origine des peuples du Nord de l’Europe“ (ebd., S. 320) – „puis sur les Saxons dont il recherchait la provenance et l’étymologie“ – „le nom et la situation“ – „la langue“ (ebd., S. 321). Vgl. ebd., S. 320, Anm. 4; S. 321, Anm. 2 und S. 323, Anm. 11. Ebd., S. 320, Anm. 6; vgl. auch S. 319, Anm. 5 mit dem Hinweis auf Zettel mit demselben Ordnungsbegriff und Nr. 50 und 60, die zweifelhafte und missbräuchliche Etymologien bezeichnen. Zu Nr. 50 und 60 s. o. bei Anm. 92; zu Nr. 275 bei Anm. 99. S. o. bei Anm. 47. S o. Anm. 2. 3 und 5.
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Blick auf die Rezeption des geplanten Werkes hervorhebt110. Damit hatte sich Leibniz zugleich die Lizenz eingeräumt, auf allgemeine, weit jenseits der eigentlichen Dynastie- und Territorialgeschichte liegende Fragen einzugehen111. Die weitgespannte Sprachvergleichung etwa, deren Belege unter Nummer 30 gesammelt werden sollten, zielte auf den Nachweis der Einheit des Menschengeschlechts, die für Leibniz nicht zur Diskussion stand, die er jedoch durch die PräadamitenHypothese in gefährlichen Zweifel gezogen sah112. Freilich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als hätten die sprachwissenschaftlichen Fragestellungen, die oben näher vorgestellt worden sind, eine Eigendynamik entwickelt, die sich nur noch mit Mühe in das übergeordnete Konzept des „Opus historicum“ einordnen lies. Auch weiterhin bilden sprachgeschichtliche Themen an einzelnen Stellen der „Notitia“ gewissermaßen Nester, was durch die häufig eher assoziative als streng durchsystematisierte Abfolge der Punkte in der Themenliste sicherlich begünstigt worden ist. So fragt Nr. 259, ob alle Sprachen von einer einzigen herkämen, und Nr. 262, ob diese die hebräische Sprache sei113. Mit einigen ‚fremden‘ Einsprengseln setzen sich die sprachgeschichtlichen Betreffe, die besonders auf die Sprachvergleichung zielen, fort bis zur Nr. 298. Allerdings ist hier, wie auch an weiteren derartigen Stellen bis zum Schluss der Liste die Verknüpfung mit den übrigen Themen enger, eine Abgrenzung zu historischen Fragestellungen in einzelnen Fällen kaum möglich114. Das breite, nicht einfach auf den praktischen –‚hilfswissenschaftlichen‘ – Nutzen des Sprachenstudiums zu reduzierende Interesse verrät gerade in den Einträgen zu den Ursprüngen und Prinzipien der Sprache(n) zweifellos Leibniz’ philosophisches
110 Leibniz: „Entwurf der Welfischen Geschichte“, S. 875. 111 Allerdings ist wohl auch die eine oder andere Rubrik der „Notitia“ allgemeiner formuliert, als das Thema tatsächlich in Leibniz’ Interesse lag. So findet sich unter Nr. 160 der ganz allgemein gehaltene Eintrag „de gigantibus et nanis“ (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26v), während der „Entwurf der Welfischen Geschichte“, S. 876, zeigt, dass es vornehmlich um den niedersächsischen Raum ging: „[…] als ob nehmlich alhir vor Alters Riesen und Zwerge gewohnet, wie einige behaupten wollen; […]“. 112 Leibniz war dieser Punkt so wichtig, dass er ihn auch im „Entwurf der Welfischen Geschichte“, S. 877, zur Sprache brachte: „Wie man aus der Harmoni der Sprachen urtheilen kan, dass alle Menschen eines Ursprungs; […]“; vgl. auch St. Gensini: „‚Naturale‘, ‚Arbitrarium‘ and ‚Casus‘“, in: Ders.: „De linguis in universum“, S. 43–72, hier S. 60. Zu Leibniz’ scharfer Ablehnung der polygenetischen Präadamiten-Hypothese vgl. Waldhoff: „Plausibilitätsverlust“, S. 165–168. 113 „259 an linguae omnes ab una […]“ – „262 an omnes ab Hebraea“ (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26v). Dazwischen findet sich unter Nr. 260 die rätselhafte Rubrik „Abbacismus et Attacismus“, die, wie der „Entwurf der Welfischen Geschichte“, S. 877, zeigt, ebenfalls zu dieser Fragestellung gehört: „[…] wie die Worthe, so bedeuten Vater fast in allen Sprachen Asiae und Europae kommen von Abba oder Atta, […]“. 114 Gegen Ende der Liste erhält im Anschluss an die Frage „1028 Gothi qui an Getae add. 506. 950“ das berühmte gotische Sprachdenkmal, der „Codex Argenteus“ unter der Nr. 1029 eine eigene Rubrik. Die folgenden Nummern 1030 bis 1032 beschäftigen sich mit dem Lateinischen und dem „heutigen“ Italienischen sowie Französischen (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 27v).
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Interesse an diesen Fragen115. Daneben ist eine weitere Interpretation dieses Befundes möglich: Die thematische Breite könnte nämlich auch einem methodologischen Interesse geschuldet sein, das nicht durch die bereits vorliegende Forschung zu befriedigen war. Dann hätte Leibniz das Material zu ägyptischen Hieroglyphen (unter Nr. 36) und zu Zeichensprachen116 nicht um der Erkenntnis der genannten Phänomene willen sammeln wollen, sondern um mit seiner Hilfe die Natur der Sprache im Allgemeinen zu ergründen, um schließlich die so gewonnenen Erkenntnisse wiederum auf dem sehr viel engeren Feld der für das „Opus historicum“ relevanten sprachgeschichtlichen Phänomene fruchtbar einzusetzen. Das thematisch weite Ausgreifen wäre dann Symptom der Unzufriedenheit mit dem Stand der sprachwissenschaftlichen Forschung, der es nicht erlaubte, zu den interessierenden Fragen auf allgemein akzeptierte und valide methodologische Erkenntnisse zurückgreifen zu können, sondern dazu zwang, diese erst selbst zu generieren. Schließlich führen diese Zettel vor allem eine Tatsache vor Augen, nämlich dass die sprachgeschichtlichen Fragestellungen, die Leibniz in der „Notitia“ vermerkt, nicht aus dem Gesamtplan des „Opus historicum“ zu isolieren sind. Sie hängen – wenn auch nicht in jedem Punkt – mit den übrigen Themen so eng zusammen, dass ihre isolierte Untersuchung ihr Verständnis verfälschen oder gar verhindern müsste. Die Probe ließe sich machen, indem man versuchte, die einzelnen Nummern der Liste jeweils einem der beiden Gebiete der Geschichts- und der Sprachwissenschaft zuzuordnen: Schnell würde sich eine Reihe von Zweifelsfällen ergeben, und die dichotomische Differenzierung je länger je mehr als Irrweg erweisen. IV. Es genügt jedoch nicht, die enge Verknüpfung von geschichts- und sprachwissenschaftlichen Themen im Kontext des Leibniz’schen „Opus historicum“ nur zu konstatieren, vielmehr verlangt sie auch nach einer Erklärung. Die prominente Rolle, die entsprechende Fragen in der Themenliste der „Notitia“ spielen, und das 115 Wenn St. Gensini: „Remarks on the Epistolica de historia etymologica Dissertatio (1712?)“, in: Ders.: „De linguis in universum“, S. 97–121, hier S. 103, mit Blick auf die Epistolica Dissertatio feststellt: „Thus, if there were any further need for it, this confirms the fact that Leibniz’s interest in historical-natural languages was philosophical in nature and that it cannot in anyway be reduced to an erudite curiosity“, lässt sich im Rückgriff auf unsere Beobachtungen sagen, dass dies selbst für seine Arbeiten am „Opus historicum“ zutrifft. Schließlich gilt, was Hans Aarsleff in seiner Rezension zu Schulenburg, in: Studia Leibnitiana 7 (1975), S. 122– 134, hier S. 122–123, über das Verhältnis von empirischer Forschung und philosophischer Reflexion bei Leibniz festgestellt hat: „[…] he preferred, as he wrote to Huygens, a Leeuwenhoek who could tell him what he saw to a Cartesian who would talk only about what he thought. Nowhere in Leibniz is this pragmatic and empirical attitude more evident than in his linguistic studies“. 116 S. u. bei Anm. 200.
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breit gefächerte Spektrum sprachhistorischer und sprachwissenschaftlicher Fragestellungen, das sie abdecken, zeigen, dass die Charakterisierung der Leibniz’schen Sprachforschungen als einer Art Historischer Hilfswissenschaft, wie wir sie eingangs in Kurt Müllers Worten zitiert haben, doch wohl zu eng ist117. Überhaupt scheint es für ein angemessenes Verständnis von Leibnizens Sprachforschungen erfolgversprechender zu sein, sich von den modernen disziplinären Abgrenzungen der Wissenschaften mit ihren ‚grenzpolizeilichen Befangenheiten‘118 zu lösen und stattdessen dem zeitgenössischen Wissenschaftsverständnis zu folgen. Tut man dies, so lassen sich die sprach- wie die geschichtswissenschaftlichen Aspekte zwanglos in einen größeren Rahmen einordnen. Diesen Rahmen bietet die polyhistorisch-antiquarische Gelehrsamkeit. Freilich darf man beide Komponenten, die Polyhistorie und den Antiquarismus, nicht im Sinne ihrer Karikaturen verstehen, die (spätestens) seit dem fortschreitenden 18. Jahrhundert ihr Bild allzu lange geprägt haben. Polyhistorie meinte demnach nicht ziel- und kritiklose Vielwisserei119, sondern „die fächerübergreifende, zumeist historisch-philologische Gelehrsamkeit“120. Von der Polyhistorie lässt sich der Antiquarismus nur schwer unterscheiden, bestellte er doch gemeinsam mit ihr ein großes Forschungsfeld, nämlich die schriftliche Überlieferung der Vergangenheit121. Dazu traten bei ihm noch die materielle Überlieferung und die Werke der 117 Zudem insinuiert eine solche Charakterisierung, wie Dutz: „Lingua Adamica“, S. 225–226, Anm. 76, mit Recht kritisiert hat, dass Leibniz die „[…] Sprachforschungen als Vehikel für andere (d. h. damit: wichtigere) Ziele betrieb und seine […] Ausführungen letztlich ein Anhängsel der historisch determinierten Forschungen gewesen seien“. Ohne die Bedeutung der Arbeiten am „Opus historicum“ für Leibniz’ sprachwissenschaftliche Forschungen in Abrede zu stellen, hält Dutz daran fest, dass „[…] von einer solchen, in der Rezeption motivierten Über- oder Unterordnung im strengen Sinne keine Rede sein“ könne. 118 Vgl. A. Warburg: „Italienische Kunst und internationale Astrologie im Palazzo Schifanoja zu Ferrara“, in: Ders.: Werke in einem Band, auf der Grundlage der Manuskripte und Handexemplare hrsg. und kommentiert von M. Treml u. a., Berlin 22011, S. 373–400, hier S. 396. 119 Zur Genese dieses Zerrbildes vgl. immer noch C. Wiedemann: „Polyhistors Glück und Ende. Von D. G. Morhof zum jungen Lessing“, in: H. O. Burger/Kl. von See (Hrsg.): Festschrift Gottfried Weber. Zu seinem 70. Geburtstage überreicht von Frankfurter Kollegen und Schülern (= Frankfurter Beiträge zur Germanistik 1), Bad Homburg v. d. H./Berlin/Zürich 1967, S. 215–235. 120 M. Mulsow: Art. „Polyhistorie“, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 6, Tübingen 2003, Sp. 1521–1526, hier Sp. 1521. H. Zedelmaier: „Von den Wundermännern des Gedächtnisses. Begriffsgeschichtliche Anmerkungen zu ‚Polyhistor‘ und ‚Polyhistorie‘“, in: Ch. Meier (Hrsg.): Die Enzyklopädie im Wandel vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit (= Münstersche Mittelalter-Schriften 78), München 2002, S. 421–450, formuliert: „Wissenschaftskonzeptionell sind ‚Polyhistorie‘ und ‚Polymathie‘ Elemente des enzyklopädischen Grammatikund Philologiekonzeptes der frühen Neuzeit“ (ebd., S. 426). 121 J. M. Sawilla: Art. „Antiquar“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1, Stuttgart 2005, Sp. 472– 475, hier Sp. 472, grenzt ab: „Anders als der Polyhistor repräsentierte der Antiquar weniger ein wissenschaftstheoretisches Konzept als vielmehr eine aus dem handgreiflichen Umgang mit historischen Artefakten erwachsene Gelehrsamkeit“. Diese Abgrenzung ist aber doch wohl zu scharf, denn zum einen gehörten für die Antiquare die schriftliche Überlieferung
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bildenden Kunst122. Dabei ging es den Antiquaren jedoch nicht um den ästhetischen Genuss oder das kennerschaftliche Kunsturteil, sondern vor allem um die Erhellung der antiken mores et instituta, der Sitten und Einrichtungen, und durch deren Kenntnis um die „Erschließung jener Selbstverständlichkeiten, die zu überliefern den antiken Schriftstellern überflüssig erschienen war, die für die Nachlebenden jedoch alles vormals Offensichtliche verloren“ hatten123. Polyhistoren, Antiquare (und Historiker) bearbeiteten Quellenkorpora, die sich vielfältig überschnitten, ihre Forschungsfelder waren häufig dieselben oder, wo dies nicht der Fall war, jedenfalls benachbart124. Ohnehin waren die disziplinären Forschungsgebiete in der frühen Neuzeit grenzpolizeilich ja kaum geschützt. In seinen Entwürfen zu einer umfassenden Bibliothekssystematik, die ungefähr in derselben Zeit wie die „Notitia“ entstanden sind und interessante Einblicke in sein Verständnis der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen sowie ihrer Beziehungen untereinander erlauben, hat Leibniz nicht zwischen polyhistorischer und antiquarischer Gelehrsamkeit unterschieden. In einem dieser Entwürfe fasst Leibniz dasjenige Fächerspektrum, das Arbeitsgebiet der polyhistorisch-antiquarischen und historischen Gelehrsamkeit war, unter den Begriff der literae125. Unter diesem Begriff ordnet sein Schema fünf Kolumnen an: Philologie – Rhetorik und Poetik – Geographie – Geschichte – Polyhistorie. Der enge Zusammenhang dieser Disziplinen zeigt sich nicht nur in dem gemeinsamen Oberbegriff, sondern auch in jenen Rubriken, die zwar einer bestimmten Kolumne zugeordnet sind, aber diejenigen Werke aufnehmen sollten, deren Inhalt nicht allein in das von dieser Kolumne repräsentierte Fachgebiet fiel, sondern auch noch in ein weiteres. So beginnt die erste Kolumne mit der Rubrik „Historico philologica Communia“. Ebenso ist die Geographie mit der Geschichte durch die Rubrik „Historico Geographica
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(mindestens) genauso zu ihrem Quellenkorpus wie die materielle, zum anderen war der Umgang mit der materiellen Überlieferung häufig keineswegs ‚handgreiflich‘, sondern lediglich über Reproduktionen vermittelt. „Grundlagen ihrer [= der antiquarischen Tätigkeit] Erkenntnis bieten die literarische Überlieferung des Altertums, die materiellen Überreste und auch die Kunst, welche allerdings nicht um ihrer selbst willen, sondern als Gegenstand ikonographischer Untersuchungen auf ihren historischen Dokumentationswert hin betrachtet wird“ (I. Herklotz: Art. „Antiquarische Forschung“, in: U. Pfisterer (Hrsg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart/Weimar 2003, S. 12–15, hier S. 12). Ebd., S. 13–14; Zitat S. 14. Arnaldo Momigliano bemerkt in seiner klassischen Studie: „Die Art des Gegenstandes selbst trägt zur Unterscheidung von Historikern und Antiquaren nur insofern bei, als bestimmte Gegenstände (wie politische Institutionen, Religion oder Privatleben) traditionell als besser geeignet für eine systematische Beschreibung als für einen chronologischen Bericht angesehen wurden“ (ders.: „Alte Geschichte und antiquarische Forschung“, in: Ders.: Wege in die Alte Welt, Frankfurt/M. 1995, S. 111–160, hier S. 113). A IV, 5 N. 80, 647.1.
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communia“ verknüpft126. Der Historie selbst ist die chronologisch angeordnete Ereignisgeschichte vorbehalten. Ihr schlägt Leibniz allerdings mit der Genealogie auch die Geschichte der Insignien zu, ein eigentlich antiquarisches Thema, während die Geschichte der einzelnen Länder und Völker wiederum in die Geographie spielt127. Jene Themen, die sich nicht in das chronologische Gerüst der Ereignisgeschichte einordnen ließen, finden sich in der letzten, der polyhistorischen Kolumne128. Der Begriff der Polyhistorie umfasst demnach für Leibniz auch typisch antiquarische Themen, für die nach den allgemeinen Werken gleich die erste spezielle Rubrik vorgesehen ist. Unter sie sollten Werke zur Geschichte „der Riten, der Heiraten, der Begräbnisse, der Feste, der Seefahrt, der Schlachten, der Münzen, der Magistrate, der (Völker-)Wanderungen, des Handels, der königlichen Straßen“ eingeordnet werden129. Die folgende Rubrik ist explizit den „Antiquitates“ gewidmet, und die vierte der „Supellex antiquaria“, also antiken Utensilien des täglichen Gebrauchs, die zu den Gegenständen typisch antiquarischer Sammlungen gehörten und die Leibniz um Münzen und Inschriften ergänzt130. Auf die antiquarischen Themen folgt in der polyhistorischen Kolumne eine Rubrik zur Quellenkritik. Mit der folgenden zur historia literaria geht Leibniz zu jenen Themen über, die sich unter keine einzelne Disziplin einordnen ließen131. 126 Beide Zitate ebd., 647.2–3. In dem „Entwurf einer Bibliotheca Universalis Selecta“ hatte Leibniz erklärt: „Historiae autem basis est Geographia seu discriptio locorum“ (A I, 5 N. 247, 445. 28). 127 „Historiae gentium variarum seu regionum pro parte ad Geographiam specialem“ (A IV, 5 N. 80, 647.20–23). 128 Damit entspricht Leibniz dem ersten Punkt der bekannten Differenzierung Arnaldo Momiglianos, nach dem „Historiker […] in chronologischer Anordnung, Antiquare in systematischer“ schreiben (Momigliano: „Alte Geschichte“ S. 113). I. Herklotz: „Arnaldo Momigliano’s ‚Ancient History and the Antiquarian‘: A Critical Review“, in: P. N. Miller (Hrsg.): Momigliano and Antiquarianism. Foundations of the Modern Cultural Sciences, Toronto/Buffalo/London 2007, S. 127–153, hier S. 128–131, hat – sicherlich zu Recht – diese Gegenüberstellung als zu dichotomisch kritisiert. Als idealtypisches Modell, wie sie wohl auch von Momigliano gemeint gewesen ist, behält sie jedoch einen heuristischen Wert. 129 „Historia varie denominata ut rituum[,] conjugiorum, funerum[,] pomparum, navalis, praeliorum, numismatum, magistratuum, migrationum, commerciorum, viarum regiarum“ (A IV, 5 N. 80, 647.3–9). 130 Zitate ebd., 647.10, 13–15. Zur supellex und zum charakteristischen Inhalt antiquarischer Sammlungen (im Unterschied zu Kunstsammlungen), die „in erster Linie Münzen, geschnittene Steine, weitere Objekte der antiken Kleinkunst und jene zumeist aus Metall gefertigten Utensilien, die man als supellex zu bezeichnen pflegte“, enthielten vgl. I. Herklotz: Cassiano Dal Pozzo und die Archäologie des 17. Jahrhunderts (= Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana 28), München 1999, S. 25. 131 A IV, 5 N. 80, 647.17–37. Die noch folgenden Rubriken lauten: „Bibliothecaria“ – „Encyclopaedica“ – „Iconothecaria“ – „Miscellanea“ (ebd., 647.26, 29, 33, 35). Der Übergang von der Polyhistorie zu diesen sämtliche Disziplinen übergreifenden Rubriken ist fließend, wie die Bemerkung zur historia literaria zeigt: „Historia literaria sequentius potius ad communia eruditionis […]“ (ebd., 647.22–24). Zum Zusammenhang von historia literaria und Antiquarismus
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Die enge Verknüpfung der in diesem Entwurf zur Bibliothekssystematik unter den Oberbegriff literae gebrachten Disziplinen ist nun kein Charakteristikum allein dieser eher theoretischen Überlegungen, sondern findet ihren praktischen Niederschlag in der „Notitia“. Wie die sprachwissenschaftlichen Betreffe in der insgesamt chronologisch geordneten Themenliste zum Teil recht umfangreiche ‚Nester‘ bilden, so finden sich auch immer wieder dezidiert antiquarische Stichpunkte eingestreut. Allerdings treten sie wesentlich seltener und später auf, nämlich erstmals unter Punkt 165 „Gräber und andere alte Denkmäler“. Leibniz widmet eine weitere Rubrik der materiellen Überlieferung: „810 Urnen, die bei uns allerorten ausgegraben werden“132. Andere befassen sich mit den mores et instituta, wie Nr. 185 über die Sitten der ältesten Menschen, Nr. 850: „Von den ältesten Göttern und Riten der Germanen“ und Nr. 990: „Die Riten der Sachsen und alten Germanen“ mit dem Zusatz: „Hierzu die juristischen und die historischen Beobachtungen, füge 850 hinzu“. Nur durch die Nr. 992 zu den alten Poeten der Sachsen und Germanen getrennt folgen Nr. 1000 zu den Gesetzen der Sachsen und Nr. 1005 zur Religion der Germanen133. Dass spezifisch antiquarische Themen in der „Notitia“ vergleichsweise spät und spärlich aufgeführt sind, ist nicht schwer zu erklären. Im Gegensatz zur klassischen Antike, dem Forschungsfeld, auf dem sich der Antiquarismus ausgebildet hatte, war die Quellenlage in jenen Gebieten, die Leibniz im Rahmen des „Opus historicum“ erforschte, schlecht: Schriftquellen waren selten und, wenn vorhanden (und von den Zeitgenossen zu lesen), vornehmlich von antiken griechischen oder römischen Historikern und Ethnographen oder von frühmittelalterlichen Missionaren verfasst. Eine Ausnahme bildeten die Runen, die in Skandinavien bereits gesammelt und erforscht wurden und denen die „Notitia“ die Nr. 660 widmet134. Sach- und Bildquellen waren, sieht man ab von den „Urnen, die bei uns allerorten ausgegraben werden“, ebenfalls selten, da die Sammlung und erst recht das Ausgraben
vgl. P. N. Miller: „Introduction: Momigliano, Antiquarianism, and the Cultural Sciences“, in: Ders. (Hrsg.): Momigliano, S. 3–65, hier S. 36–37, und M. C. Carhart: „Historia literaria and Cultural History from Mylaeus to Eichhorn“, in: Ebd., S. 184–206. 132 „165 sepulcra et alia antiqua monumenta add. 810“ – „810 Urnae apud nos passim effossae“ (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26v. 27v). 133 „185 antiquissimorum hominum mores […]“ – „850 De Antiquissimis diis et ritibus Germ[anorum]“ – „990 ritus Sax[onum,] Germ[anorum] antiq[uorum.] Huc obs[ervationes] jur[idicae] et obs[ervationes] Hist[oricae] add. 850 || 992 poetae Sax[onum], Germ[anorum] add. 720 add 36 || 1000 Leges Sax[onum] || 1005 relig[io] Germ[anorum]“ (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26v. 27v). 134 Ebd., 27r. Direkt davor, unter der Nr. 653 wird mit der Edda eine einheimische (wenn auch recht späte) skandinavische Quelle genannt. Leibniz erkannte die lebhaften Forschungen skandinavischer Gelehrter auf diesen Gebieten vorbehaltlos an, vgl. seine Brevis Disquisitio, S. 585–605, hier S. 586/587, wenngleich er sich über ihren überzogenen Patriotismus, der sie manches Mal zu skurrilen Interpretationen der skandinavischen Frühgeschichte verführte, gerne verspottete; vgl. Waldhoff: „Plausibilitätsverlust“, S. 161–163.
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derartiger Bodenaltertümer erst in den Anfängen steckte135. Ohnehin konnten sie den Mangel an Schriftquellen nicht ausgleichen, da die antiquarische Erforschung dieser Überreste sich vor allem auf die Interpretation literarischer Aussagen stützte, deren Fehlen damit auch die Aussagekraft der materiellen Überlieferung empfindlich einschränken musste136. Im Vergleich zwischen Leibniz’ Entwürfen zu einer Bibliothekssystematik und seiner „Notitia“ tritt klar hervor, dass in Letzterer historische und polyhistorisch-antiquarische Themen nicht ziemlich unverbunden nebeneinander stehen, wie in den Entwürfen die chronologisch geordnete (Ereignis-)Geschichte und die systematisch geordneten Gebiete der Polyhistorie, sondern dass Letztere in das chronologische Gerüst der historischen Themen eingefügt sind. Dies zeigt sich bei den eigentlich antiquarischen Aspekten stärker als bei den sprachgeschichtlichen, was sicher nicht nur daran liegt, dass Letztere so viel häufiger sind und deshalb immer wieder sprachwissenschaftliche ‚Nester‘ in der chronologischen Abfolge bilden, sondern auch daran, dass Leibniz die antiquarischen Fragestellungen (nur) im Rahmen des „Opus historicum“ verfolgte, während sein Interesse an den historischen Sprachen daneben immer auch philosophischer Natur war137. Allerdings lassen sich sprachwissenschaftliche und polyhistorischantiquarische Forschung im Rahmen des „Opus historicum“ letztlich nicht trennen. Dies zeigt exemplarisch ein Zettel aus dem Konvolut Ms IV 470. Leibniz hatte ihm zuerst den Ordnungsbegriff „Antiquit[ates]“ gegeben, diesen aber wieder gestrichen und ersetzt durch: „Lingu[a]“. Dazu hat er die Nr. 36 gesetzt, die in der „Notitia“ für die „literarum harmonia“ steht138. Diese Beobachtung belegt nicht nur das Wachsen und die Veränderungen in Leibniz’ Ordnungsschema139 und zeigt nicht nur ein weiteres Mal, wie fließend die Grenzen zwischen den Fachgebieten waren, sondern erinnert auch noch einmal daran, dass Leibnizens sprachwissenschaftliche Notizen nicht für ein etymologisches Wörterbuch bestimmt gewesen sind, ja, in den meisten Fällen gar nicht dafür geeignet waren140.
135 A. Schnapp: Die Entdeckung der Vergangenheit. Ursprünge und Abenteuer der Archäologie, Stuttgart 2009, bes. S. 154–238. Zu Leibniz s. ders.: Schriften und Briefe zur Geschichte, S. 30 mit Anm. 70; S. 606–607, und ders.: „Entwurf der Welfischen Geschichte“, S. 876–877. 136 Herklotz: „Arnaldo Momigliano’s ‚Ancient History and the Antiquarian‘“, S. 136–141, stellt die Bedeutung literarischer Quellen für die antiquarische Forschung pointiert heraus. 137 S. o. Anm. 1 und Anm. 115. 138 Ms IV 470, Bl. 21, und Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26r. 139 S. o. bei Anm. 51, Anm. 62 und bei Anm. 78. 140 Dass der antiquarische Inhalt als solcher für sich genommen noch kein Argument gegen eine Verwendung der notierten Information im Rahmen eines etymologischen Lexikons ist, zeigen nicht nur die von Eckhart ausgearbeiteten Stichworte in Ms IV 467, die eine Fülle antiquarischer Informationen bieten. Damit stand Eckhart nämlich nicht allein unter den Lexikographen der frühen Neuzeit. Die enge Verknüpfung zwischen antiquarischer Forschung und lexikographischer Arbeit stellt heraus Considine: Dictionaries, S. 25–26, 31–34 (zu Guillaume Budé), 267, 269 (zu Du Cange). Für Du Cange kann sich Considine zudem auf Momigliano: „Alte Geschichte“, S. 151, Anm. 16, berufen.
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Es spricht für sich, dass Eckhart die Zettel in Ms IV 470, die ihm ohne Zweifel bekannt waren, nicht in Ms IV 471 eingeklebt hat. Der Kontext dieser Notizen war eben kein sprachgeschichtlich-etymologischer, sondern ein historischer, nämlich die Aufhellung der (vornehmlich niedersächsischen) Vor- und Frühgeschichte, für die keine Schriftquellen zur Verfügung standen. Der präzise Ort, an dem eine derartige Information als Argument oder als Beleg im Kontext des „Opus historicum“ dienen konnte, ließ sich nur dann ohne Schwierigkeiten finden, wenn diese Information in einer systematischen, der Argumentation des geplanten Werkes im Groben entsprechenden Ordnung abgelegt war. Die Änderung der fachlichen Zuordnung von einer antiquarischen zu einer sprachwissenschaftlichen Rubrik war dagegen wenig bedeutsam, solange die Stelle im Argumentationszusammenhang feststand, in dem die Information ihren Platz finden sollte. V. Die Einsichten über den Zusammenhang von sprachwissenschaftlicher und polyhistorisch-antiquarischer Forschung im Rahmen des „Opus historicum“ erlauben zugleich einen neuen Blick auf die Collectanea Etymologica. Dieses Werk hatte Leibniz noch selbst für den Druck vorbereitet, und die Drucklegung war bereits weit vorangeschritten, als er starb141. Auch hier war es Johann Georg Eckhart, der sich der verwaisten Schrift angenommen und sie im Jahr nach Leibniz’ Tod publiziert hat142. Auswahl und Reihenfolge der publizierten Texte stimmen mit dem Probedruck überein, mit der Ausnahme, dass dort noch Leibniz’ eigene Unvorgreiffliche Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache fehlen143. Es gibt jedoch keine Hinweise, dass die Aufnahme dieser programmatischen Schrift erst von Eckhart veranlasst worden wäre144. Allerdings hat er an die Stelle der von Leibniz als Einleitung vorgesehenen Epistolica de historia etymologica Dissertatio145 eine eigene Vorrede gesetzt146. Leibniz hatte in der
141 Ein Probedruck mit Leibnizens eigenhändigen Korrekturen ist überliefert als Hannover GWLB Leibn. Marg. 10. 142 Illustris viri Godofr. Guilielmi Leibnitii Collectanea Etymologica, illustrationi linguarum veteris Celticae, Germanicae, Gallicae, aliarumque inservientia. Cum praefatione Jo. Georgii Eccardi, Hannover 1717 (ND Hildesheim/New York 1970). 143 A IV, 6 N. 79. Leibniz: Collectanea Etymologica, pars 1, S. 255–314. 144 Vielmehr scheint die Beobachtung, dass der Textzeuge l3 der „Unvorgreifflichen Gedancken“ auf derselben Papiersorte niedergeschrieben ist wie Teile der jüngsten Fassung der Epistolica Dissertatio (vgl. die folgende Anm.), die Leibniz als Einleitung zu den Collectanea Etymologica gedacht hatte (vgl. im Folgenden), dafür zu sprechen, dass die Aufnahme dieser Schrift bereits von Leibniz selbst geplant gewesen ist; vgl. A IV, 6, 532.1–10. 145 Von dieser Schrift liegen mehrere Textzeugen vor, die eine eingreifende Umarbeitung erkennen lassen; vgl Schulenburg, S. 1, Anm. 1. Gensini: „Remarks“, S. 100–101, und ders.: „Leibniz, Eckhart and the Grammarians: The Aim and Method of ‚Harmonic‘ Etymology“, in: Kl. D. Dutz (Hrsg.): Individuation, Sýmpnoia pánta, Harmonia, Emanation. Festgabe für
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Epistolica Dissertatio scharfe Kritik an Eckharts 1711 veröffentlichter Historia studii etymologici linguae Germanicae hactenus impensi geübt, diese freilich aus seiner letzten Fassung weitgehend wieder herausgenommen147. Gleichwohl ist es verständlich, dass ihr Herausgeber die Collectanea Etymologica nicht mit diesem Text einleiten wollte. Eckhart selbst hat in seiner Vorrede Leibnizens Plan geschildert, das Werk mit einem an ihn adressierten Brief einzuleiten, der die Desiderate der Historia behandeln sollte, aber zugleich erklärt, dass Leibniz diesen Brief nicht habe fertigstellen können148. Diese Aussage wird von einem Schriftstück bestätigt, dass bisher noch nicht als Quelle für die Entstehungsgeschichte der Collectanea Etymologica herangezogen worden ist. Es handelt sich um einen Brief des Verlegers des Werkes an die Leser desselben. Das Manuskript stammt von der Hand des Johann Friedrich Hodann, der von 1702 bis 1714 Leibniz’ Amanuensis war149. Einleitend erklärt der leider undatierte Brief, Leibniz habe das dem Leser vorliegende Material bereits vor zwei Jahren veröffentlichen wollen150, angeregt durch Eckharts Historia studii
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Heinrich Schepers zu seinem 75. Geburtstag, Münster 2000, S. 223–253, hier S. 227–228. Eine Übertragung der jüngsten Fassung, einer Reinschrift von Schreiberhand, die von Leibniz nochmals korrigiert und ergänzt worden ist (Hannover, GWLB, Ms IV 469 Bl. 68–104. 255), hat St. Gensini: I naturale e il simbolico. Saggio su Leibniz (= Biblioteca di Cultura 436), Rom 1991, S. 191–271, veröffentlicht. Leibniz: Collectanea Etymologica, S. 3–62 (eigene Paginierung); vgl. Leskien, S. 94–99. Einen Vergleich der unterschiedlichen sprachwissenschaftlichen Konzepte der beiden Gelehrten anhand von Leibniz’ Auseinandersetzung mit Eckharts Historia hat zuerst unternommen Kl. D. Dutz: „Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Georg von Eckhart: Ein unveröffentlichter Disput über die Methodologie der Sprachwissenschaft“, in: H.-J. Niederehe/K. Koerner (Hrsg.): History and Historiography of Linguistics. Papers from the Fourth International Conference on the History of the Language Sciences (ICHoLS IV) Trier, 24–28 August 1987, Bd. 2 (= Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science 51), Amsterdam/Philadelphia, PA 1990, S. 431–445. Vgl. jetzt v. a. Gensini: „Leibniz, Eckhart and the Grammarians“. Einen derartigen Vergleich anhand der Aussagen beider Gelehrter über die irische Sprache hatte zuvor bereits versucht E. Poppe: „Leibniz and Eckhart on the Irish Language“, in: Eighteenth-Century Ireland / Iris an dá chultúr 1 (1986), S. 65–84. „Animus erat, Epistolam opusculo praefigere, mihi inscriptam, atque in illa iis, quae non attigeram, quaeque me porro juvare posse judicaret, agere. Sed iter Viennense, aliae inde occupationes, ac tandem mors inopina institutum hoc ejus, et tot alia majoris ponderis molimina sufflaminarunt“ (Leibniz: Collectanea Etymologica, Praefatio, S. 5–6). Auf den Weg nach Wien machte sich Leibniz Ende Oktober 1712 von Wolfenbüttel aus. In der Kaiserstadt blieb er bis Anfang September 1714. Somit fällt nach den Angaben Eckharts die Entstehung der Epistolica Dissertatio in die Zeit zwischen der Veröffentlichung der Historia 1711 und der Abreise nach Wien (bzw. zuvor nach Wolfenbüttel) Ende Oktober 1712; vgl. Schulenburg, S. 1, Anm. 1. Gensini: „Remarks“, S. 98. LBr 411 Bl. 387. Der die für die Akademieausgabe grundlegende Verzeichnung des Materials bietende sog. Ritter-Katalog datiert das Manuskript in das Jahr 1713. Da der Brief sagt, Leibniz habe das Werk bereits vor zwei Jahren herausbringen wollen (s. die folgende Anm.), scheint das etwas früh, wenn man bedenkt, dass Eckharts Historia studii etymologici erst 1711 erschienen war.
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etymologici151. Er fährt mit der Aussage fort, Leibniz habe vor allem einen Brief an Eckhart aufnehmen wollen, in dem er das ergänzen wollte, was dieser ausgelassen habe. Arbeitsüberlastung, Reisen und eine Gesundheit, um die es zwischenzeitlich nicht immer zum Besten bestellt gewesen sei, hätten jedoch die Fertigstellung verhindert152. Nun wolle er, der Verleger, dem Leser das bereits seit langem Gedruckte nicht weiter vorenthalten, in der Hoffnung, Leibniz werde das, was nun fehle – also die Epistolica Dissertatio – in einem gesonderten Band nachreichen können153. Zum einen bestätigt dieser Text die Passage aus Eckharts Vorrede zu den Collectanea Etymologica. Zum anderen bereichert er deren Publikationsgeschichte um einen interessanten Aspekt. Hier bleibt freilich vieles (noch) unklar: Von wem ging die Initiative zu der geplanten Veröffentlichung des unfertigen Werkes aus? Doch am ehesten von seinem Verleger. Hat dieser Hodann mit der Formulierung des Briefes beauftragt? Hat Hodann in Erfüllung des Auftrags möglicherweise ohne Leibnizens Kenntnis gehandelt? Oder ist er doch von Leibniz beauftragt worden? Warum ist der Plan dann aber nicht verwirklicht worden? Noch ohne Kenntnis des Hodann-Textes hat Stefano Gensini Eckharts Aussage, Leibniz habe die Epistolica Dissertatio wegen seiner zahlreichen anderen Beschäftigungen und vor allem seiner Wienreise nicht fertigstellen können, bezweifelt unter Hinweis auf die Kohärenz und argumentative Geschlossenheit des uns überlieferten Textes154. Ohne seine Einschätzung der Epistolica Dissertatio bestreiten zu wollen, lässt sich allerdings einwenden, dass man einen Aspekt in ihr vermisst: Die Vorstellung des in den Collectanea Etymologica gesammelten Materials. Für sich betrachtet mag die Schrift in sich rund und abgeschlossen sein, als Einleitung zu dieser Textsammlung kann man sie sich jedoch nur schwer ohne
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Andererseits kann der Brief nicht nach 1714 entstanden sein, da Hodann in diesem Jahr den Dienst bei Leibniz verlassen hat. „Quae hocce libro continentur, Perillustris Autor jam ante biennium edere voluit, incitatus ad hoc propositum libro Dn. Consiliarii Eccardi, Historiam Studii Etymologici pertractante“ (LBr 411 Bl. 387r). „Addere cupiebat inprimis Epistolam ad Dn. Eccardum, in qua suppleret, quae ab illo circa hujus studii Historiam praetermissa esse videri poterant. Sed variis negotiis, maxime publicis, itineribus, valetudine etiam interdum minus aequa, impeditus, telam inceptam pertexere nondum potuit“ (ebd.). „Interim ne Benevolus Lector fructu ex dudum impressis et in typographia huc usque latentibus careret: haec diutius publico invidere nolui, sperans, Virum Perillustrem, si vacaverit, Tomo aliquo separato adjecturum, quae praesentibus adhuc desunt“ (ebd., Bl. 387r–v). „On the other hand, the conditions of the text do not make it appear abridged; quite on the contrary, it is perfectly coherent both in approach and content, and the lack of a ‚finishing touch‘ does not in any way affect its comprehensibility“ (Gensini: „Leibniz, Eckhart and the Grammarians“, S. 225). Allerdings bemerkt derselbe Autor an anderer Stelle über die letzte Fassung der Epistolica Dissertatio: „The discontinuity of Leibniz’s handwritten corrections, which abruptly diminish after § 35, and the somewhat mutilated character of the last part lead us to believe that the work could have been enriched with further observations and clarifications on certain specific issues“ (ders.: „Remarks“, S. 101).
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derartige Ausführungen vorstellen, zumal Leibniz auf solche bei anderen Publikationen nicht verzichtet hat155. Dies gilt umso mehr, wenn man auf die Vielfalt der in den gesammelten Texten behandelten Themen schaut. Aus der Sicht des heutigen Lesers wirkt der Inhalt der Sammlung recht disparat und nur unzureichend auf das Thema konzentriert156. Sicher, der Titel verspricht keine in sich geschlossene Monographie. Gleichwohl möchte man in einer Zusammenstellung sprachgeschichtlich-etymologischen Materials nicht unbedingt die editio princeps des Prümer Urbars aus dem ausgehenden 9. Jh. vermuten157, einer erstrangigen Quelle zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Frühmittelalters – weniger zur Sprachgeschichte. Dabei handelt es sich um einen der umfangreichsten Texte der Sammlung, der ein Viertel des zweiten Teils und ein gutes Siebtel des gesamten Werkes einnimmt158. Dazu kommt mit dem „Fragmentum Breviarii rerum fiscalium Caroli M[agni]“ (heute unter dem Titel Brevium Exempla bekannt)159. ein weiteres karolingisches Güterverzeichnis, das
155 In der Einleitung des Codex juris gentium diplomaticus, Hannover 1693, gibt Leibniz, nachdem er grundlegende rechtsphilosophische Fragen des Völkerrechts erörtert und u. a. seine berühmte Definition des Rechts als caritas sapientis erläutert hat (A IV, 5, 61.2–9), einen ausführlichen Überblick über das gesammelte Material (ebd., 63.29–79.4). Die Vorrede des Supplements zu dem genannten Werk, der Mantissa Codicis juris gentium diplomatici, Hannover 1700, gliedert sich in vier Teile, von denen der dritte ebenfalls einen Überblick über das Material bietet (Bl. a3r–b2r). Zwar sind die Collectanea Etymologica keine Quellenedition, aber sie sind insofern vergleichbar, als das in ihnen enthalte Material zum größten Teil nicht von Leibniz selbst stammt. 156 Der Nachdruck von 1970 trägt zusätzlich dazu bei, das Verständnis und die Benutzung des Werkes zu erschweren, da er die Fehlbindung seiner Vorlage, die den zweiten vor den ersten Teil der Collectanea Etymologica gesetzt hat (beide Teile sind je für sich paginiert), getreulich übernimmt. Allerdings ist das ihm zugrundeliegende Exemplar nicht das einzige, das diese Fehlbindung aufweist. Beispielhaft seien das Exemplar der Leibniz-Editionsstelle Potsdam und eines der Staatsbibliothek zu Berlin (Signatur: V 5250-1/2a) angeführt. Möglicherweise liegt die Ursache in einem falschen Kustos: Ebd., Praefatio, S. 64, hat den Kustos „AR-“, der zur Überschrift des ersten Textes im zweiten Teil: „ARCHAEOLOGUS TEUTO“ (ebd., pars 2, S. 1) passt. Richtig hätte er „AN-“ zu „ANNOTATIONES AD FRANCO-GALLIAM JOH. HENRICI OTTII.“ (ebd., pars 1, S. 1) lauten müssen. In der umgekehrten Reihenfolge rücken zwar Leibniz’ programmatische „Unvorgreiffliche Gedancken“ durchaus nicht unpassend an den Schluss, dass diese Reihenfolge nicht richtig sein kann, zeigt jedoch das Inhaltsverzeichnis (ebd., Praefatio, S. 63–64). 157 Zu Leibniz’ editio princeps s. Rheinische Urbare, 5. Bd.: Das Prümer Urbar (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 20), hrsg. von I. Schwab, Düsseldorf 1983, S. 10. 158 Leibniz: Collectanea Etymologica, pars 2, S. 409–544. Umfangreicher ist lediglich der „Archaeologus Teuto“ des Abraham Mylius, ebd., S. 1–208. Zu Leibniz’ Beschäftigung mit Mylius s. T. van Hal: „Reviving the Old Teutonic Language. An Unpublished Preface by Abraham Mylius (1563–1637) Retrieved in Gottfried Wilhelm Leibniz's Heritage“, in: Lias 38 (2011), S. 129–147. 159 W. Metz: Art. „Brevium Exempla“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 2, München u. a. 1983, Sp. 642–643.
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Leibniz als fünften Text in den zweiten Teil der Collectanea Etymologica aufgenommen hat160. Ebenso wenig wird man in diesem Kontext wohl die Interpretation von gallorömischen Quadern erwarten, die Reliefs unter anderem von römischen und keltischen Gottheiten zeigen und die in Paris unter der Kathedrale Notre-Dame erst im März 1711 ausgegraben worden waren.161 Leibniz’ Interpretation des Fundes stammt aus einem Brief an die Kurfürstin Sophie vom 20. September 1711. Sie wird durch die einzige Kupfertafel der Collectanea illustriert162. Eine Lektüre des Briefes zeigt jedoch recht schnell, wie sich in Leibniz’ Deutung der Reliefs antiquarische und sprachgeschichtlich-etymologische Beobachtungen ergänzen. Dem Autor einer nicht genannten Untersuchung, die den Fund publiziert und interpretiert hatte, folgend, möchte Leibniz eine Reihe von bekränzten Männergestalten als Barden deuten. Er lehnt jedoch die auf Jean Bodin zurückgehende Behauptung ab, im Deutschen bezeichnete das Wort Priester. Dagegen führt er an: „Man findet in den alten Büchern mit den deutschen Liedern der Meistersänger, dass ‚Bar‘ noch vor ungefähr zweihundert Jahren ein Lied meinte“163. Die inschriftliche Identifizierung einer der Götterdarstellungen als „ESUS“ führt Leibniz auf eine interpretatio Romano-Graeco-Germanica des keltischen Gottes164, die in einer etymologischen Herleitung endet: „Dieser [= Esus] war der Gott Mars, welcher der Ares der Griechen und der Eric der Germanen ist. Deshalb wird der Dienstag bei den Oberdeutschen immer noch Erichtag genannt“165.
160 Leibniz: Collectanea Etymologica, pars 2, S. 316–334. 161 Das Monument ist heute als der sog. Pariser Nautenpfeiler bekannt; vgl. B. Maier: Geschichte und Kultur der Kelten (= Handbuch der Altertumswissenschaften III, 10), München 2012, S. 287–288, und den Artikel „Nautae Parisiaci“, in: Ders.: Lexikon der keltischen Religion und Kultur, Stuttgart 1994, S. 246–247. Das Monument ist für die Erforschung der keltischen Religion bis heute bedeutsam. Es wird im Pariser Musée de Cluny gezeigt. 162 Leibniz: Collectanea Etymologica, pars 1, S. 75–81; Edition in: Correspondenz von Leibniz mit der Prinzessin Sophie, Bd. 3, hrsg. von O. Klopp, Hannover 1873, Nr. 410, S. 345–349. Im Nachdruck der Collectanea Etymologica ist die Kupfertafel sinnwidrig in den „Archaeologus Teuto“, vor S. 75 des zweiten Teils, eingebunden, obwohl sie selbst angibt, zu pars 1, S. 75 zu gehören. 163 „Je veux croire avec luy, que quelques unes des personnes, representées, comme dans une espece de procession, qui portent des couronnes (peut étre de chênes) pourroient bien étre des Bardes, qui étoient les Chantres et les Poëtes Gaulois et Germaniques. Je ne say d’où Bodin, que l’auteur allegue, a pris, que les Bardes signifioient en Allemand des Prétres. On trouve dans les vieux livres des chansons Teutoniques, der Meister Sänger, que Bar signifioit encor une chanson il y a 200 ans ou environ“ (Leibniz: Collectanea Etymologica, pars 1, S. 76). 164 Vgl. M. Ihm: Art. „Esus“, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaften, Bd. VI, 1, neue Bearbeitung begonnen von G. Wissowa, Sp. 694–696; M. Euskirchen: Art. „Esus“, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Altertum, Bd. 4, hrsg. von H. Cancik/H. Schneider, Sp. 157–158; Art. „Esus“, in: Maier: Lexikon, S. 118–119. Ebd. im Art. „Nautae Parisiaci“, S. 247, eine moderne Umrisszeichnung des Pariser Reliefs. 165 „C’etoit le Dieu Mars, qui est l’Ares des Grecs, et l’Eric des Germains. C’est pourquoy le Mardi est encor appellé Erich-dag chez les hauts Alemands“ (Leibniz: Collectanea Etymologica,
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Gegen Ende des Briefes veranlasst eine Konjektur, die „ein gelehrter Mann unter meinen Freunden“ – gemeint ist Johann Georg Eckhart – vorgeschlagen hatte, Leibniz zu einer gewagten religionsgeschichtlichen Herleitung: Der Autor der Publikation, auf die sich Leibniz stützt, hatte vorgeschlagen, den von ihm gelesenen Rest „OS“ der fragmentarischen Inschrift über der Darstellung des vermeintlichen Herkules zu „OGMIOS“ zu ergänzen166, einem angeblichen keltischen Namen des Heros. Leibniz greift diese Interpretation auf und verbindet sie mit dem Vorschlag Eckharts, Lukian von Samosata habe in seinem Hercules, in dem er eine Darstellung eines angeblichen gallischen Herkules namens Ogmios schildert167, statt des griechischen Ρ versehentlich ein Γ gelesen, man müsse demnach vielleicht statt „OGMION“ lesen: „ORMION“. Letzteres setzt Leibniz nun in Beziehung zu „IRMIN“ („ORMIN“) und hat damit einen Bogen zur germanischen Religionsgeschichte geschlagen168. Überhaupt ist er darauf bedacht, die Germanen nicht zu kurz kommen zu lassen. Gegen eine etymologische Ableitung des Autors vom Griechischen zum Keltischen, in Leibniz’ Sicht ein Kurzschluss – setzt er weitere Wortbeispiele aus dem Deutschen und Slawischen und resümiert als die wahrscheinlichere Lösung, „dass dieses ein kelto-skythisches Wort ist, das von den Skythen zu den Germanen und Griechen und von den Germanen zu den Galliern gekommen ist, wie es die Lage der Heimatländer verlangt“169. Damit sind wir wieder bei „Notitia“, Nr. 292: „Die Gemeinsamkeiten zwischen den griechischen, lateinischen, germanischen (deutschen) [und] slawischen
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pars 1, S. 78). Die Identifizierung des Esus mit Mars, kann sich zwar auf antike Aussagen berufen, allerdings gibt es eine konkurrierende Identifizierung mit Merkur (die sicherlich nicht zutreffend ist). Wie wenig tatsächlich gesichert ist, zeigen die in der vorangehenden Anm. zit. Lexikonartikel. Tatsächlich handelt es sich um den gallischen Gott Smertrius; vgl. den Art. „Smertrius“, in: Maier: Lexikon, S. 293–294, mit einer modernen Umrisszeichnung des Pariser Reliefs. „Τὸν Ἡρακλέα οἱ Κελτοὶ Ὄγμιον ὀνομάζουσι φωνῇ ἐπιχωρίῳ, […]“ (Lukian: „Hercules“, 1, in: Ders.: Opera, Bd. 1 [= Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis], hrsg. von M. D. Macleod, Oxford 1972, S. 20–22, hier S. 20). Bis heute wissen wir nichts Sicheres über den von Lukian behaupteten Zusammenhang; vgl. F. Haug: Art. „Hercules“, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaften, Bd. VIII, 1, Sp. 550–612, hier Sp. 611, 612; F. Heichelheim: Art. „Ogmios“, in Ebd., Bd. XVII, 2, Sp. 2062–2063; M. Euskirchen: Art. „Ogmios“, in: Der Neue Pauly, Bd. 8, Sp. 1121–1122; Art. „Ogmios“, in: Maier: Lexikon, S. 255–256. „La conjecture du Savant auteur de la dissertation qu’ - - - - OS mis sur la figure d’Hercule, doit être lû OGMIOS, me paroit vraisemblable. Cependant un savant homme de mes ami (M. Eccard) soubçonne, que chez Lucien le P. pourroit avoir été changé en Γ et qu’il faudroit peutêtre lire ORMION au lieu d’OGMION; en quel cas ce seroit IRMIN ou ORMIN, ancien Heros des Germains ou Celtes“ (Leibniz: Collectanea Etymologica, pars 1, S. 80–81). „[…] il y a plus d’apparence, que c’est un mot Celto-Scythique, qui des Scythes est venu aux Germains et aux Grecs, et des Germains aux Gaulois, comme la situation des pays le demande“ (ebd., S. 77). Dieses Argument der geographischen Lage hat Leibniz in der Brevis Disquisitio gegen die Herkunft der Germanen aus Skandinavien unter Heranziehung sprachgeschichtlicher Beobachtungen ausführlich entwickelt.
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[Wörtern] sind skythisch“170. Diese Verbindungslinie ist kein Einzelfall. Im Gegenteil, die in den Collectanea Etymologica gesammelten Texte lesen sich zum größten Teil geradezu als Belegmaterial für die in der „Notitia“ aufgelisteten Themen. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Althochdeutschen, dem Niederdeutschen und dem Keltischen. Aber selbst die unter Nr. 8 im zweiten Teil publizierten Anleitungen zu einer klösterlichen Zeichensprache171 fallen nicht aus dem Rahmen der Materialsammlung für das „Opus historicum“, wie ein Blick in die „Notitia“ um Nr. 40 (die richtige Zuordnung ist nicht sicher) zeigt: „Bewegungen für Buchstaben, wie die Zeichen der Stummen“ lautet dort eine Rubrik172. In dieser Hinsicht lassen sich die Collectanea Etymologica geradezu als ein vorauslaufendes Parergon vor allem zu dem geplanten zweiten Band des „Opus historicum“ verstehen, etwa so, wie die Accessiones historicae (1698) zu den Scriptores rerum Brunsvicensium (1707–1711) stehen173. Das in ihnen gesammelte Material, das auf den ersten, unvorbereiteten Blick so zufällig und disparat erscheint, erweist sich somit als ein weiterer Beleg für die enge Verknüpfung von Leibniz’ sprachwissenschaftlicher und polyhistorisch-antiquarischer Forschung im Rahmen seines „Opus historicum“174. VI. Der Gebrauch, den Johann Georg Eckhart von Leibniz’ Notizen gemacht hat, als er sie der Materialsammlung für das „Lexicon etymologicum“ einverleibte, kann durchaus als Entfremdung bezeichnet werden. Allerdings soll hier weder das vornehmlich von Louis Davillé gezeichnete Bild des charakterlosen Plagiators Eckhart um eine weitere Facette ergänzt noch ein Urteil über die Legalität oder die Moralität dieses Handelns gefällt werden175. Dass Eckhart zunächst einmal das
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S. o. Anm. 98. Leibniz: Collectanea Etymologica, pars 2, S. 384–404; vgl. u. bei Anm. 200. „motus pro literis, ut mutorum signa“ (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26r). Jedenfalls lässt sich das Verhältnis zwischen Scriptores rerum Brunsvicensium und Accessiones historicae so interpretieren, wie Leibniz im Juni 1692 gegenüber Otto Grote die zweifache Nutzanwendung einer geplanten Quellenedition beschrieb, welche die Welfengeschichte begleiten sollte: „J’ay aussi dessein de donner quelques volumes de monumens Historiques, tirés ou suppleés la plus part des Manuscrits; ils serviront en même temps et de preuve à nostre Histoire, et de Spicilegium à l’egard de l’Histoire Generale; […]“ (A I, 8 N. 7, 9.21–10.3); vgl. Leibniz: Schriften und Briefe, S. 230–231, und N. Gädeke: „Die Werkstatt des Historikers Leibniz: Quellenbegriff – Quellensuche – Quelleneinsatz“, in: Dies. (Hrsg.): Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen (= Wolfenbütteler Forschungen 129), Wiesbaden 2012, S. 7–31, hier S. 21. 174 Dieser Zusammenhang klingt schon bei Gädeke, S. 27, an. 175 Vgl. L. Davillé: „Un disciple et un plagiaire de Leibniz: J.-G. Eckhart“, in: Revue germanique 7 (1911), S. 187–209. Die durchgängig negative Charakterisierung Eckharts schlägt noch stark durch bei Dutz: „Leibniz und Eckhart“, S. 433–434.
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Recht hatte, sich des – auch von Leibniz’ Mitarbeitern und nicht zuletzt von ihm selbst – gesammelten Materials zur Fortführung der Arbeit an der Hausgeschichte zu bedienen, steht außer Zweifel, denn der Abschluss des von Leibniz begonnenen Werkes war schließlich sein Amt176. Dass er sich aus diesem Material auch für private Forschungen bedient hat, ohne dies nach unserem modernen Verständnis ausreichend deutlich zu machen, ist bekannt und vor einigen Jahren detailliert und differenzierend untersucht worden177. Nicht die Fragestellung ‚Plagiat oder nicht?‘ soll in den Blick genommen werden, sondern die thematische Entfremdung des Materials, die zu einer disziplinären Verengung geführt hat: Indem Eckhart einen Teil der von Leibniz für das „Opus historicum“ gesammelten Notizen für ein ganz anders ausgerichtetes Projekt, nämlich sein etymologisches Lexikon verwendete, hat er sie aus ihrem oben skizzierten (poly-)historisch-antiquarischen (Argumentations-)Zusammenhang gerissen und in ein neues, disziplinär engeres Konzept integriert. Die hier zusammengestellten Beobachtungen an der „Notitia“ und an den in Ms IV 471 eingeklebten Zetteln von Leibniz’ Hand lassen sich doch wohl nur so erklären, dass das „Lexicon etymologicum“ nicht auf Leibnizens, sondern auf Eckharts Initiative zurückgeht, dass es nicht Leibniz gewesen ist, der diese Notizen in eine alphabetische Reihenfolge gebracht hat, und schließlich, dass Eckhart sie mehrheitlich sicherlich ohne Leibniz’ Einverständnis seiner Materialsammlung einverleibt hat. Er hatte nach dem Tod seines Mentors Zugriff auf das gesamte für das „Opus historicum“ gesammelte Material. Schließlich sollte er als Leibniz’ Nachfolger das Werk zum Abschluss führen. Wir nehmen deshalb an, dass er erst von diesem Zeitpunkt ab Leibnizens Zettel in seine Sammlung integriert hat. Leider können in dieser Frage die bisherigen Erkenntnisse zur Datierung von Ms IV 471 (und Ms IV 469) keine zuverlässigen Anhaltspunkte bieten178. Immerhin konnte
176 Dies galt nicht nur für Eckhart, sondern wiederum für dessen Nachfolger; vgl. G. Scheel: „Braunschweig-Lüneburgische Hausgeschichtsschreibung im 18. und 19. Jahrhundert im Anschluß an das historiographische Erbe von G. W. Leibniz“, in: D. Brosius/M. Last (Hrsg.): Beiträge zur niedersächsischen Landesgeschichte. Zum 65. Geburtstag von Hans Patze (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Sonderband), Hildesheim 1984, S. 220–239; zu Eckhart ebd., S. 224–227. Die Bedeutung der institutionellen Aspekte für Eckharts Beziehungen zu Leibniz hat jüngst herausgestellt Th. Wallnig: „Johann Georg Eckhart als Verwerter von Leibniz’ historischen Kollektaneen: Geschichtsforscher in höfischen Diensten oder gelehrter Beamter?“, in: Gädeke (Hrsg.): Leibniz als Sammler, S. 189–210. Auch Leibniz hatte übrigens Material von einem Vorgänger, dem Archivar Johann Heinrich Hoffmann übernommen; vgl. Scheel: „Hausgeschichtsschreibung“, S. 221. 177 S. Erdner: „Plagiat an Leibniz’ historiographischem Werk? Rekonstruktion frühmittelalterlicher Adelsgeschichte bei G. W. Leibniz und J. G. Eckhart“, in: Studia Leibnitiana 35 (2003), S. 194–224 [= 1. Teil] und 36 (2004), S. 178–209 [= 2. Teil]. 178 Die Datierung von Ms IV 471 auf die Jahre vor und nach der Wende vom 17. zum 18. Jh., die Considine: „Leibniz as lexicographer?“, S. 219, vorschlägt, beruht auf zu wenigen Einzelbeobachtungen und setzt zudem Leibniz’ Autorschaft in der Argumentation voraus, so dass wir
Leibniz’ sprachwissenschaftliche und polyhistorisch-antiquarische Forschungen
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Leskien belegen, dass Eckhart bis kurz vor seiner Flucht aus Hannover gegen Ende des Jahres 1723 an seinem „Lexicon etymologicum“ gearbeitet hat179. Die Untersuchung der „Notitia“ hat gezeigt, wie stark die sprachgeschichtlichen oder sogar allgemein sprachwissenschaftlichen Themen in Leibniz’ Forschungskonzept für das „Opus historicum“ integriert waren. Sie ließen sich nicht einfach aus diesem Gefüge herausbrechen und unter einer neuen, nämlich sprachgeschichtlich-etymologischen Fragestellung alphabetisch organisieren, ohne das gesamte Konzept der von Feller in ihrem Inhalt skizzierten ersten beiden Bände der geplanten Welfengeschichte zu gefährden. Zudem konnte Leibniz noch nicht auf dieses Material verzichten, da er noch gar nicht zu einer Ausarbeitung dieser Themen gekommen war. Schließlich sind in Ms IV 471 nicht nur solche Beobachtungen und Notizen eingegangen, die Leibniz selbst bereits durch Ordnungsbegriffe und/oder durch Nummern als sprachgeschichtlich gekennzeichnet hatte. Vielmehr finden sich auch andere, die durch diese Ordnungsvermerke explizit als historisch qualifiziert sind. Ein erster, loser Zettel von Leibniz’ Hand, der noch vor dem ersten Blatt des ersten Bandes liegt, mag vielleicht versehentlich in diesen Folianten geraten sein. Die stark verblasste Schrift ist kaum noch zu lesen. Aus dem Anfang geht allerdings hervor, dass die Aufzeichnung aus dem Geschichtswerk des Mailänder Chronisten Arnulf († nach 1077) genommen ist180. Dazu passt der Ordnungsbegriff „sec[ulum] XI“, der die Materie allerdings den Annales imperii zuweist. Andere Notizen sind zweifellos bewusst ihren ursprünglichen Themen entfremdet worden. Unter dem Lemma „Nürnberg“ ist ein Zettel von Leibniz’ Hand eingeklebt, der den Ordnungsbegriff „Migrat[iones]“ und die Nummer 1100 trägt181. Diese steht nach der „Notitia“ für die „Einfälle der Barbaren“182, wie Leibniz die Zeit der Völkerwanderung und der frühmittelalterlichen gentilen Reiche bis zu Karl dem Großen zu umschreiben pflegte183. Einem weiteren Zettel muss das unterstrichene
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ihr nicht folgen können. Leskien, S. 134–140, handelt die Datierungsfrage ausführlich, allerdings auch etwas unübersichtlich ab. Wenngleich nicht jedes seiner Argumente nachvollzogen werden kann, sei es, weil es auf unzutreffenden Voraussetzungen beruht, sei es, dass Leskien den besonderen materiellen Charakter der beiden Konvolute nicht genügend beachtet hat, wenn er mit den Erscheinungsjahren der Vorlagen einzelner Zettel in Ms IV 471 oder einzelner etymologischer Beobachtungen auf den Blättern von Ms IV 467 argumentiert, dürfte seine Datierung im Groben das Richtige treffen. Für Ms IV 471 rechnet er mit dem Beginn der Arbeiten zwischen 1703 und 1705. Einzelne Zettel können jedoch nicht vor 1721 entstanden sein. Die Anlageschicht von Ms IV 467 setzt er um 1717, also nach Leibniz’ Tod an. Hier finden sich letzte Einträge, die nicht vor 1722 entstanden sein können. Ebd., S. 134. Zu Autor und Werk s. L. Fasola: Art. „Arnulf von Mailand“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München u. a. 1980, Sp. 1020. Ms IV 471, Bd. 3. „irrupt[iones] barb[aricae]“ (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 27v). Dies zeigen die entsprechenden Formulierungen in den Entwürfen für eine Bibliothekssystematik; vgl. etwa: „Historia declinantis imperii seu irruptiones barbarorum, usque ad restitutum
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Anfangswort „Caland“ (‚Kaland‘), dessen Erklärung sich Leibniz notiert hat, als Lemma dienen. Obwohl dieser Eintrag in einem etymologischen Wörterbuch keineswegs unpassend ist, trägt der Zettel keine auf ein sprachwissenschaftliches Thema verweisende Nummer oder den Ordnungsbegriff ‚lingua‘, sondern „obs[ervationes] Hist[oricae]“184. Derselbe Ordnungsbegriff findet sich auch auf dem bereits vorgestellten Zettel zum „Hörnen-Seyfrid“185. Diese Entfremdung hatte mit ihrer Zerstörung des polyhistorischantiquarischen Argumentationskontextes, in den Leibniz seine sprachgeschichtlichen Notizen eingeordnet hatte, eine doppelte Vereinseitigung zur Folge: Auf der Seite des „Lexicon etymologicum“, indem die von Leibniz gesammelten Belege auf ihren etymologischen Informationsgehalt beschränkt wurden, auf der Seite des „Opus historicum“, indem Eckhart jenen Teil, der etwa dem durch die „Notitia“ abgesteckten Forschungsfeld entsprach, enger und zweifellos konventioneller fasste, als Leibniz dies nach Ausweis der „Notitia“ getan hätte. Da Christian Ludwig Scheidt 1750 jene Abschnitte über die Herkunft und Geschichte der Germanen publiziert hat, die Eckhart – übrigens recht zügig bis 1719 – fertiggestellt hatte, bevor die Arbeit liegengeblieben war186, lässt sich das an seinem Werk überprüfen. Sprachgeschichtliche und etymologische Fragestellungen hat Eckhart durchaus berücksichtigt. In zwölf der 112 Paragraphen des Werkes begegnen sie bereits im Titel. Grundsätzliche Überlegungen über die Natur der Sprache oder die Prinzipien ihrer Veränderungen wird man darunter freilich vergeblich suchen. Davillé hat treffend davon gesprochen, Eckhart habe ein spezialisiertes und lokales Werk anstelle eines umfassenden und philosophischen geschaffen187. Allerdings wird man annehmen müssen, dass Eckharts Auftraggeber diese Tendenz keineswegs missbilligt haben, entsprach sie doch weit eher dem konventionellen Schema einer Dynastiegeschichte als Leibniz’ Konzeption dies getan hatte188. Eckharts zweiter Nachfolger, Johann Daniel Gruber, hat so auch explizit argumentiert: In den Annales imperii seien „die Welfica und Brunsvicensia nur mit wenigem berühret, und in dem Meer einer Universal-historie so versteckt
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imp[erium] per Carolum Magnum“ (A IV, 5 N. 79, 641.23–26). Die epochale Bedeutung Karls für Leibniz zeigt sich auch darin, dass er die Annales imperii mit seinem Herrschaftsantritt beginnen lässt. Ms IV 471, Bd. 1. Zur Bedeutung des Begriffs s. Th. Frank: Art. „Kalandsbruderschaften“, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 5, Freiburg i. Br./Basel/Wien 31996, Sp. 1140. S. o. bei Anm. 49. In diesem Fall ersetzt er allerdings einen älteren Ordnungsbegriff („Mater[ia] praef[ationis]“), der das Siegfried-Thema der Einleitung – aber zu welchem Teil des „Opus historicum“? – zugewiesen hatte. Scheel: „Hausgeschichtsschreibung“, S. 225–226. „Eckhart faisait de ce discours préliminatre, comme des Annales, une œuvre particulière et locale, au lieu d’un ouvrage d’une portée générale et philosophique“ (Davillé: „Un disciple“, S. 203). Ebd., S. 201–202. Zur stärker genealogisch bestimmten Ausrichtung, die Eckhart dem gesamten „Opus historicum“ geben wollte, vgl. auch die verstreuten Hinweise bei Scheel: „Hausgeschichtsschreibung“, S. 225, 227.
Leibniz’ sprachwissenschaftliche und polyhistorisch-antiquarische Forschungen
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[…], daß man fast nichts davon gewahr“ werde. Stattdessen schlug er vor, die von Eckhart hinterlassenen Origines Guelficae zu vollenden, die „ja auch als eine ‚eigentliche historiae der alten Welfischen Herzöge vom ersten Ursprung an bis auf Ottonem Puerum‘ vielmehr den Intentionen des Herrscherhauses“ entsprächen189. Tatsächlich lässt sich nicht nur diese Tendenz zu einer stärker konventionellgenealogisch ausgerichteten Dynastiegeschichte, sondern auch zu weiteren thematischen Entfremdungen am Fortgang der Hausgeschichtsschreibung beobachten. In der Mitte des 18. Jahrhunderts hat es der bereits genannte Christian Ludwig Scheidt endlich geschafft, die meisten der von seinen Vorgängern mehr oder weniger abgeschlossenen Manuskripte zu einzelnen Teilen des „Opus historicum“ zum Druck zu bringen190. Zuerst erschien 1749 die Protogaea191. Im Jahr darauf veröffentlichte er Eckharts De origine Germanorum192. Schließlich konnte er von 1750 bis 1753 vier Bände der Origines Guelficae vorlegen193. In der Vorrede zu De origine Germanorum stellt er unter Verweis auf Eckharts Artikel in den Acta eruditorum des Jahres 1717194 die Verbindung zu der Protogaea, den Origines Guelficae und den „Annales Imperii“ her195. In der Vorrede zur Protogaea spricht er sogar die „Topographia terrarum Brunsvicensium“ an, der nach der von Feller veröffentlichten Übersicht der erste Band des „Opus historicum“ gewidmet sein sollte196. Der Leser erhält somit zwar die Information, dass und wie die beiden Werke zu Leibnizens Konzeption der Welfengeschichte gehörten, aber auf der Ebene der Buchausstattung wird dieser Zusammenhang wieder negiert. Während die Protogaea und De origine Germanorum in dem für derartige wissenschaftliche Monographien in dieser Zeit üblichen Oktavformat gedruckt sind, prunken die Origines Guelficae in vier überaus stattlichen, aufwendig ausgestatteten und großzügig gedruckten Foliobänden. Diese Folianten machten bereits vor jeder Lektüre mit unmittelbarer Evidenz klar, was als das eigentliche Herzstück des „Opus historicum“ (ein-)geschätzt wurde. In dieser Hinsicht hat Scheidt die von Eckhart
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Ebd., S. 230, mit Zitaten aus Grubers Schreiben an die Geheimen Räte vom 5. Febr. 1746. Ebd., S. 230–231. S. o. Anm. 64. Ioh. Georgii Eccardi v. c. De origine Germanorum eorumque vetustissimis coloniis migrationibus ac rebus gestis libri duo ex schedis manuscriptis viri illustris edidit, figuras aeri incisas adiecit et praefatus est Christianus Ludovicus Scheidius, Göttingen 1750. Origines Guelficae quibus potentissimae gentis primordia, magnitudo, variaque fortuna usque ad Ottonem quem vulgo Puerum dicunt, … opus praeeunte Dn. Godofredo Guilielmo Leibnitio stilo Dn. Ioh. Georgii Eccardi litteris consignatum, postea a Dn. Ioh. Daniele Grubero novis probationibus intructum, variisque pernecessariis animadversionibus castigatum, iam vero in lucem emissum a Christiano Ludovico Scheidio, Hannover 1750–1753. Ein fünfter Bd. mit Supplementa und Indices erschien 1780, hrsg. von J. H. Jung. Acta Eruditorum, August 1717, S. 360–361. Eckhart: De origine Germanorum, S. IV. „[…] dissertatio haec Prodromus esse debuisset magni illius operis, quod tum de Topographia terrarum Brunsvicensium, tum de Genealogia […]“ (Leibniz: Protogaea, S. XXIV). S. o. bei Anm. 71.
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begonnene Auflösung des polyhistorisch-antiquarischen Argumentationszusammenhangs gewissermaßen zum Abschluss gebracht197. Diese Auflösung und Entfremdung lässt sich mit der zeitlichen Verschiebung um ein Jahrhundert nicht nur auf der geschichtswissenschaftlichen, sondern auch auf der sprachwissenschaftlichen Seite beobachten, nämlich an der Katalogisierung einiger (wohl nicht als solcher erkannter) Vorlagen für Texte aus den Collectanea Etymologica. Der Hannoveraner Bibliothekar Eduard Bodemann, der seit 1863 die Handschriften der Bibliothek betreute und auf den ihre bis heute gültige Ordnung in 42 römisch nummerierten Abteilungen zurückgeht, hatte der Philologie die vierte Abteilung zugewiesen198. Die Vorlage für den Druck des „Fragmentum Breviarii rerum fiscalium Caroli M[agni]“, das Leibniz als fünften Text in den zweiten Teil der Collectanea Etymologica aufgenommen hatte, hat er jedoch in der ersten, der Theologie gewidmeten Abteilung der Handschriften zugeordnet – wohl wegen des Verzeichnisses aus dem Kloster Weißenburg im Mittelteil des Textes199. Ebenfalls in die theologische Abteilung hat Bodemann die Vorlagen für die aus dem Kloster Loccum und aus Spanien stammenden Aufzeichnungen zur klösterlichen Gebärdensprache eingeordnet200. Damit hat der Bibliothekar, zumindest im Falle des ersten Textes, im Grunde nicht anders gehandelt als der moderne Leser der Collectanea Etymologica, der nach dem Sinn der Aufnahme der frühmittelalterlichen Güterverzeichnisse in eine sprachgeschichtliche Sammlung fragt. Erst die Rekonstruktion des polyhistorisch-antiquarischen Argumentationskontextes im Rahmen des „Opus historicum“ gibt auf diese Frage eine befriedigende Antwort. Die Zugehörigkeit zu, ja, fast möchte man sagen: das Aufgehen von Leibniz’ sprachwissenschaftlichen Forschungen in diesem größeren Zusammenhang, der sich als polyhistorisch-antiquarisch und historisch beschreiben lässt, und die – nicht allein dadurch – erwachsenden Schwierigkeiten, das Gebiet seiner Sprachforschungen von seinen benachbarten Interessensgebieten abzugrenzen, führen
197 In diesem Sinne muss Scheels Einschätzung, Scheidt habe „in den Einleitungen und mit den Kommentaren und Exkursen der von ihm zum Druck gebrachten Werke […] erst den inneren Zusammenhang der durch viele Verfasser oft heterogenen und bruchstückhaft überlieferten Vorlagen hergestellt und zu einem organischen Ganzen verschmolzen“ (ders.: „Hausgeschichtsschreibung“, S. 231), doch erheblich relativiert werden. 198 Zu Bodemanns Katalogisierungsarbeiten s. K.-H. Weimann: „Vorwort zu Neuausgabe“, in: E. Bodemann: Die Leibniz-Handschriften der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover, mit Ergänzungen und Register von G. Krönert und H. Lackmann sowie einem Vorwort von K.H. Weimann, Hildesheim 1966 [ND der Ausgabe Hannover 1895], S. V–XI, hier S. V–VII. 199 Hannover GWLB Ms I 218, 2. Der Titel dort: „Fragmentum breviarii Imperii Caroli M. ex codice Ms. vetustissimo Helmstadiensi“ (Bl. 12r) stimmt mit dem in den Collectanea Etymologica wörtlich überein. Die Bemerkungen zu dem sich in der (ehemals) Helmstedter Handschrift (heute Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 254 Helmst.) anschließenden berühmten Capitulare de villis (S. 333–334) finden sich bereits wörtlich in der Leibniz übermittelten Vorlage, ebenso die Anm. (z) und (aa) auf S. 329 und, fast wörtlich, (gg) auf S. 333. 200 Leibniz: Collectanea Etymologica, pars 2, S. 384–404. Hannover GWLB Ms I 194.
Leibniz’ sprachwissenschaftliche und polyhistorisch-antiquarische Forschungen
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schließlich vor Augen, dass man die Entscheidung, für die Edition von Leibniz’ sprachwissenschaftlichen und historischen Schriften eine gemeinsame Reihe vorzusehen, keinesfalls als bloße und ohnehin nicht mehr zu ändernde Verlegenheitslösung akzeptieren sollte. Vielmehr gilt es, mit jener fünften Reihe der Sämtlichen Schriften und Briefe, die als einzige noch nicht begonnen worden ist, die Chance zu ergreifen, den ursprünglichen Argumentationszusammenhang des „Opus historicum“ in seiner ganzen Breite zu rekonstruieren.
ANHANG
Teile des Konvoluts Hannover GWLB Ms XII 713q vor der Restaurierung: Streifen und Zettel mit Ordnungsvermerken und Nummerierung (siehe unten, S. 368–390).
Teile des Konvoluts Hannover GWLB Ms XII 713q vor der Restaurierung: Streifen und Zettel mit Ordnungsvermerken und Nummerierung. Das Blatt mit horizontaler Schrift („[…] 147 […] a beaucoup […] ordinaire) ist Ms XII 713q 6 Bl. 54 (siehe unten, S. 379).
LEIBNIZ’ SCHRIFTEN ZUR SPRACHFORSCHUNG (Stefan Luckscheiter, Potsdam) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Handschriften Marginalien in Drucken Von Leibniz veranlasste Drucke Collectanea etymologica Von Joachim Friedrich Feller herausgegebene Texte Vorkommende Ordnungsnummern Literaturverzeichnis
Diese Liste sprachwissenschaftlicher Schriften von Leibniz ist nicht vollständig. Zum einen wurden die Texte zum Großteil anhand des Arbeitskatalogs der Leibniz-Edition (und Vorarbeiten dazu) herausgesucht, weshalb neben Stücken aus den noch nicht erschlossenen Teilen des Leibniz-Nachlasses solche fehlen können, deren Katalogeintrag keinen sprachwissenschaftlichen Gehalt erkennen lässt. Zum anderen werden sowohl Briefe (mit Ausnahme derjenigen aus GWLB Ms IV 470, die – als sie in der Akademieausgabe erschienen – bis auf Bl. 90 noch vermisst waren) als auch bereits in der Akademieausgabe edierte Stücke nicht aufgeführt. Nicht von Leibniz stammende Texte werden gelegentlich, wenn etwa ihr Fundort die Annahme rechtfertigt, Leibniz habe sie gesammelt oder zumindest gelesen, aufgeführt1. Unter anderem enthält diese Liste umfangreiches sprachhistorisches Material, das (wohl) zum Großteil während Leibniz’ Arbeit an der Welfengeschichte entstand. Leibniz erwartete sich nämlich von der Sprachforschung Auskünfte über diejenigen frühen Zeiten, für die schriftliche und archäologische Quellen fehlen. So schrieb er etwa: „Antiquitatum humanarum notitia a tribus fontibus duci potest, una a scripturarum, altera a rerum monumentis. Tertia a linguis. Nam praeter linguas ipsas traditionibus in longinqua fides nulla est“2.
Und er sagte über die Sprache: „nullum est certius cognationis gentium argumentum“3.
1 2
Ansonsten sei auf E. Bodemann: Die Handschriften der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover, Hannover 1867, S. 74–105 verwiesen. GWLB Ms XXIII 217a I Bl. 26.
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung
Joachim Friedrich Feller schrieb in seinem Supplementum vitae Leibnitianae: „Temporis et aetatis maximam partem contrivit aut in literis scribendis … aut vaga et subita cujuscunque generis librorum lectione, multa inde excerpta schedulis parvis inscripta, congerendo, pauca tamen redigendo in justum ordinem“4.
Insbesondere Leibniz’ Materialsammlungen zur Welfengeschichte scheinen letzteres Urteil zu bestätigen. Freilich hat Leibniz seine Exzerpte (jedenfalls oft) nicht auf Zettel geschrieben, sondern vielmehr (nicht selten in kurze, thematisch zusammengehörige Blöcke getrennt durch gekreuzte Striche) zunächst auf die Außenseiten von (Folio-)Bögen, die er dann oft in Streifen zerschnitt oder aus denen er einzelne Stücke ausschnitt, um die Zettel dann thematisch sortieren zu können. Auf diese Weise dürften die meisten der auf „Streifen“ überlieferten Stücke entstanden sein5. Manchmal notierte Leibniz bei jedem abzutrennenden Abschnitt eine Quellenangabe, aber auch bei Streifen, wo diese fehlt, dürfte es sich oft um Auszüge handeln6. Eine große Menge solcher Zettel liegt heute verstreut über verschiedene Konvolute (z. B. GWLB Ms XII 713q, Abbildungen auf S. 315, 316). Zwar sind sie meist nur grob geordnet unter großen Themenkomplexen, wobei oft ganz disparates Material zusammenfindet, aber dennoch zeigen sich Leibniz’ Bemühungen, sie zu ordnen. So stellen mehrere Zettel eine Art Verweise dar. Auf einem etwa steht: „Excerpta grammaticae Hungaricae gelegt bey linguarum Harmonia“ (Ms XII 713q 6 Bl. 34). Auf einem anderen: „In nominum exempla apud Dominicum in vita Ansberti rediviva vide schedam excerptum die gelegt bey Carolo M. et familiae ejus res“ (Ms XIII 828b Bl. 42a). Leibniz hatte sein Material also thematisch sortiert abgelegt und bei Stücken, die für zwei verschiedene Themenkomplexe von Relevanz waren, im Material zum einen auf den Fundort im anderen verwiesen. Außerdem versah er viele Zettel mit Ordnungsvermerken und Nummern, wobei er, wie die verwendete Tinte zeigt, die Ordnungsvermerke oft nicht gleichzeitig mit dem Text und die Nummern oft nicht gleichzeitig mit den Ordnungsvermerken notierte. Den Sinn der Nummerierung erschließt ein „Notitia rerum terrae Brunsvicensis et Estensis antequam Romani in Germaniam intrarunt“ überschriebenes Konzept (Ms XXIII 181, 2, 1b Bl. 26–27), wo Leibniz verschiedene Komplexe des genannten Themas jeweils einer Zahl zuordnete. Sie weisen also auch auf eine Gliederung des Materials hin – und zwar auf eine viel feinmaschigere als
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G. W. Leibniz: Brevis Disquisitio, utros incolarum Germaniae citerioris aut Scandicae ex alteris initio profectos verisimilius sit judicandum, gedr. in: J. Fr. Feller: Monumenta varia inedita variisque linguis conscripta, Trimestre tertium, Jena 1714, S. 132–141, hier S. 134. J. Fr. Feller: Otium Hanoveranum sive miscellanea, ex ore et schedis … Leibnitii, Leipzig 1718, Bl. )( )( 5v. Vgl. etwa die im Literaturverzeichnis verzeichneten Notizen aus und zu C. Gesner: Mithridates, Zürich 1610. Vgl. etwa Ms XII 713q 9 Bl. 15.
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die Ordnungsvermerke7. Ein Auszug aus den „Notitia“ mit den Stichworten zu den in dieser Liste vorkommenden Nummern ist angehängt. Allerdings scheint es sich bei dieser Schrift nur erst um eine vorläufige Fassung zu handeln, denn einige Nummern sind dort doppelt vergeben („1150“ zum Beispiel das eine Mal für „Normanni“, das andere Mal für „Ungari“) und auf den hier beschriebenen Stücken finden sich zwei Nummern, die in den „Notitia“ nicht vorkommen (die „460“ auf Ms XII 713q 5 Bl. 64 und die „930“ auf LH XII 1,1 Bl. 20). Auch hat Leibniz diese Nummern nur auf einem Teil seiner Notizen angebracht; auf Ms XXIII 23a Bl. 67–68 etwa findet sich keine, obwohl die Schrift unter „30“ („Conjecturae, de unitate generis humani, ex linguis[;] Specimina quaedam vocabulorum toto orbe diffusorum, ut marah pro equo in Britannia, usque ad Sinas“) oder „260“ („Abbacismus et Attacismus“) passen würde. Aus den Vorarbeiten zur Welfengeschichte einzelne Stücke von sprachwissenschaftlichem Interesse herauszunehmen, bedeutet freilich, sie aus ihrem Zusammenhang zu reißen. Das mag bei solchen mit dem Ordnungsvermerk „Lingu.“ oder mit Nummern, die auf speziell der Sprachgeschichte gewidmete Abschnitte verweisen, Leibniz’ Intention nicht ganz widersprechen, alle anderen aber betrachtete Leibniz als Material zu Abschnitten, in denen die Sprachgeschichte nicht im Mittelpunkt stehen oder nur am Rande vorkommen sollte. Der Bestand Ms XII 713q ist seit Bodemanns Beschreibung durcheinandergekommen8. Statt der von Bodemann vorgefundenen fünf Konvolute finden sich heute elf, wobei die letzten beiden Material enthalten, das wohl (bzw. im Falle des zehnten laut Bibliotheksvermerk) erst später an diese Stelle gelegt wurde. Teile der Konvolute 1–9 sind zudem offenbar einmal ins Wasser gefallen: Die Tinte ist auf manchen Zetteln fast ganz ausgewaschen. Für diesen Bestand konnte auf Katalogisierungarbeiten vom Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgegriffen werden, die von einem französischsprachigen Mitarbeiter der Leibniz-Edition, vermutlich von Louis Davillé, angefertigt wurden. Dieser, der noch wie Bodemann fünf Konvolute vorfand, nahm unter anderem jeweils Textbeginn sowie -ende auf und notierte einen kurzen Titel, der gelegentlich den Charakter eines Regests hat. Bei kurzen Stücken schrieb er häufig den ganzen Text ab. Heute nicht mehr entzifferbare Passagen wurden nach diesen Transkriptionen ergänzt. Die Einträge zu verlorenen Handschriften geben die Angaben des Arbeitskatalogs wieder. Zettel und Streifen sind in der Regel, wenn nicht anders angegeben, nur einseitig beschrieben. Unterstreichungen im Original werden durch Unterstreichungen und eckige Klammern durch doppelte runde Klammern wiedergegeben; spitze Klammern markieren unsichere Lesungen und eckige Klammern Eingriffe oder Ergänzungen des Herausgebers; Zitate werden kursiv gesetzt, und Auslassungen in Zitaten werden durch […] gekennzeichnet. Sofern die Stücke gedruckt wurden (und uns dieser Druck bekannt wurde), wird (mindestens) der
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Vgl. auch den Beitrag von Stephan Waldhoff (S. 269–311) in diesem Band. Vgl. Bodemann, S. 128.
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jeweils erste Druck angegeben. Die Literaturangaben sind (aus Zeitgründen) nicht vollständig. Die Abschnitte zu den Collectanea etymologica und Fellers Otium Hanoveranum beschränken sich der allgemeinen Zugänglichkeit dieser Texte wegen auf den Hinweis auf die zugrunde liegenden Handschriften und Drucke in der Akademieausgabe bzw. eine knappe Inhaltsangabe. Die Handschriften, die den Collectanea etymologica zugrunde liegen, werden aufgeführt, sofern sie nicht in der Akademieausgabe gedruckt wurden; andernfalls wird nur auf diesen Druck in dem Abschnitt zu den Collectanea verwiesen. Abkürzungen A = Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe, hrsg. von der Preußischen (später: Berlin-Brandenburgischen und Göttinger) Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Darmstadt (später: Leipzig, zuletzt: Berlin) 1923 f. Bodemann: Handschriften = Eduard Bodemann: Die Handschriften der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover, Hannover 1867. Collectanea etymologica = Gottfried Wilhelm Leibniz: Collectanea etymologica, illustrationi linguarum, veteris Celticae, Germanicae, Gallicae, aliarumque inservientia. Cum praefatione Jo. Georgii Eccardi, Hannover 1717. Eigh. = von Leibniz’ eigener Hand. Feller: Otium Hanoveranum = Joachim Friedrich Feller: Otium Hanoveranum sive miscellanea, ex ore et schedis … Leibnitii, Leipzig 1718. GWLB = Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek Hannover Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher = Sigrid von der Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher (= Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 4), Frankfurt a. M. 1973. 1. HANDSCHRIFTEN a) Berlin Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Nachlass G. W. Leibniz Nr. 7 Bl. 91: 1 Bl. 4°. 1 S. Schreiberhand. Nicht ermittelter Autor. Über eine armenische Inschrift in Lucca. Anfang: Haec inscriptio Sepulcralis in Atrio majoris Templi Lucae in Italia Epitaphium est Militis Armeni, qui ibi diem suum obiisse videtur saeculo XIIIo. quae aetate frequentissima erant inter Europaeos et Armenos Ciliciae incolas, commercia.
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b) Göttingen Stadtarchiv Autographensammlung, Leibniz MSL Nr. 1: 1 Bl. und 1 Bog. 2°. 5 S. Eigh. Überschrift: „Brevis designatio meditationum de Originibus Gentium, ductis potissimum [ex ind]icio linguarum“. Konzept der in Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum, Berlin 1710, S. 1–16 gedruckten Schrift. c) Hannover Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek LBr 4 Bl. 7: 1 Bl. 8°. 9 Zeilen. Schreiberhand. Nicht ermittelter Autor. Ungarische und kroatische Sprachproben. Bl. 8: 1 Bl. 4°. 1 S. Eigh. Überschrift: „Vor Hrn. von Fabrice so bey dem konig in Schweden zu Bender 1712“. Bitte um Nachrichten über die Sprache der Goten auf der Krim. (Gedr. in: Hannoversches Magazin, 1822, S. 48.) Auszug: In der Halb-Insel der Crimischen Tartarey hat noch zu zeiten des kaysers Ferdinandi I. ein Rest von einem Gothischen Volck gewohnet, so von alters hehr die Christliche Religion, ihre eigne halb-Teutsche Sprache, und Sitten gehabt … Nun wollte man gern wißen, ob solche Leute noch vorhanden, und allerhand umbstände von ihnen haben, insonderheit ihre und einige Proben von ihrer Sprache zum exempel das Vater unser und den christlichen glauben. …
Bl. 9–14: 3 Bog. 2°. 10 S. Schreiberhand. Nicht ermittelter Autor. Armenische Sprachproben, unter anderem: „Nomina numeralia“, nomina „Propinquitatis, sexus et aetatis“, „Partes corporis“ (Bl. 9r); „Alphabetum Cursivum et Manuscripturale Armenicum“ (Bl. 10); Vaterunser lateinisch und armenisch (Bl. 11r). LBr 105 Bl. 94–95: 1 Bog. 4°. 1 S. Schreiberhand. Wortlaut (vgl. Maturin Veyssière de La Croze: „De libris Sinensibus bibliothecae regiae Berolinensis: ubi praecipue de insigni lexico Sinico-Hispanico R. P. Francisci Diaz, ordinis Fratrum Praedicatorum“, in: Miscellanea Berolinensia, 1710, S. 84–88, wo dieselbe Handschrift beschrieben und auf S. 88 ihr Titel abgedruckt ist; die Handschrift aus den ehemaligen Beständen der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz befindet sich heute in Kraków Biblioteka Jagiellońska mit der Signatur Ms. sin. 25; vgl. auch Leibniz’ Schreiben an Joachim Bouvet vom 17. April 1703 [A I, 22, 367, Z. 9–11]):
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung Vocabulario De Letra China con la Explicacion Castellana. Hecho con gran propriedad y abundancia de palabras. Por el Padre F. Francisco Diaz De la Orden de Predicadores Ministro incansable en este Reyno De China.
LBr 228 Bl. 607–608: 1 Bog. 4°. Bl. 607–608r: 3 S. Johann Georg Eckharts Hand. Schreiben Eckharts vom 25. Februar 1714 an Leibniz. Bl. 608v: 1 S. Eigh. Überschrift: „Observationes breves ad notas in Tedeum Laudamus Teotiscum“ (vgl. Hymnus magnus ecclesiae, quem Te Deum Laudamus vulgo vocant, seculi IX initio in Theotiscam linguam conversus, hrsg. von Johann Georg Eckhart, Helmstedt 1713. Eckharts Notae in Hymnum finden sich auf Bl. A 3r–B 3v). Konzept eines Briefes vom 7. März 1714 an Eckhart, der unter „Druse“ eingeklebt wurde in das „Lexicon Etymologicon, compositum e schedulis Leibnitii, Eccardi aliorumque“ (Ms IV 471; vgl. Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 226, Anm. 49 und S. 248, Anm. 165). LBr 251 Bl. 7: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Überschrift: „Vocabula Vestimentorum quaedam sermone Germanorum Transsylvaniae ex Toppeltino orig. Transsylv. cap. 12“. Unter dem Textende auf dem Kopf: „A son Excellence Monsieur de Leibnitz Conseiller privé de S. A. El. de Br. Luneb.“ Aus Laurentius Toppeltinus: Origines et occasus Transsylvanorum, Lyon 1667, S. 89– 107. Anfang (vgl. ebd., S. 96–97): Lacinia quae oram vestis ambit flexuosa d’r Schuif[.]
LBr 411 Bl. 387: 1 Bl. 8°. 1 ¼ S. Johann Friedrich Hodanns Hand. [Nicolaus Förster:] Brief an die Leser der Collectanea Etymologica9. LBr 426 Bl. 10–11: 1 Bog. 4°. 4 S. Schreiberhand. Johann Baptist Ott: „Berichtlicher Aufsatz von einem vorhabenden Teütschen großen Lexico.“ Anfang:
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Vgl. den Beitrag von Stephan Waldhoff in diesem Band, S. 269–311.
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1. Es solle so vil müglich vollkommen seyn, comparate gegen allen denen die jemals heraus kommen. 2. Es solle nur Grammaticale, Etymologicum, Linguisticum, nicht aber Reale oder Historicum seyn[.] 3. Ob schon das Absehen auf die Sprach gehet, soll es gleichwol in so weit Real seyn, daß es nicht allein Verba et Voces gleich einem Nomenclator begreiffe; sonder die wahre Ausdruckungen u. Bedeütungen, Redensarten, Phrases, verblühende Weisen, Mundarten, Sprüchwörter, auch definitiones.
LBr 549 Bl. 20: Zettel. 1 S. Eigh. (Gedr. in: Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 198–199, Anm. 132). Auf der Rückseite drei gestrichene Zeilen. Wortlaut (vgl. Martin Opitz [Hrsg.]: Incerti poetae Teutonici rhythmus de Sancto Annone, Danzig 1639, Bl. (:) 5v–Bl. [(:) 6r]): Ansileubi Gothorum Episcopi Glossarium erutum ex veteri Codice Bibliothecae Moissaciens[i]s, in quo multa Gothorum aliorumque populorum barbara vocabula explicentur, vidisse se ait Phil. Jac. Maussacus diss[ertatione] Critica ad Lexicon Harpocrationis[.] Opit. praef. ad vitam Annonis[.]
LBr 551 Bl. 8–9: 1 Bog. 4°. 3 ½ S. Eigh. Konzept der unter LBr 884 Bl. 1–2a beschriebenen Schrift. LBr 586 Bl. 10: Langes Blatt. 1 S. Schreiberhand. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nicolaas Witsen für Leibniz: Russisches Vaterunser in Holländisch und Tangutisch. (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 374–375.) LBr 587 Bl. 125–126: 1 Bog. 8°. 1 ½ S. auf Bl. 125. Eigh. (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars I, S. 178–179.) Auf Bl. 125v–Bl. 126v Auszug aus Leibniz’ Schreiben an Hiob Ludolf vom 21. (31.) März 1699 (gedr. in: A I, 16 N. 409).
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LBr 714 Bl. 36: 1 Bl. 4°. 2 S. Eigh. Erörterung über die Zahl der möglichen Worte, Sätze und Thesen. Anfang: Ope viginti quatuor literarum voces significantes vel non significantes enuntiabiles vel inenuntiabiles literarum 2, 3, 4, 5, 6, etc. obtineri possunt respective 242. 243. 244. 245. 246, etc. Sed quaeritur quot possint voces literarum dati numeri, pariter et vocum minorum. Patet si vox non debeat esse major bilitera, trilitera, quadrilitera, etc. numerum fore 241 + 242[.] 241 + 242 + 243[.] 241 + 242 + 243 + 244, etc.
LBr 883 Bl. 32a: Kleiner unregelmäßiger Zettel. Eigh. Über die Namen heraldischer Farben (vgl. Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 57–58, mit Anm. 171–177). LBr 884 Bl. 1–2a: 1 Bog. und 1 Bl. 4°. 4 ¾ S. Johann Georg Eckharts Hand mit eigh. Korrekturen. Konzept der in den Nova literaria maris Balthici et Septentrionis, August 1699, S. 245–248 gedruckten Schrift. Bl. 3–4: 1 Bog. 4o. 3 S. Schreiberhand mit eigh. Korrekturen. Überschrift: „G. G. L. Annotatio ad Responsionem insertam Novis literariis Decembr[is] 1699. p. 365.“ Bemerkungen zu Otto Sperlings Antwort auf die in den Nova literaria maris Balthici et Septentrionis, August 1699, S. 245–248, gedruckte Schrift. LBr 1007 Bl. 12–13: 1 Bog. 4°. 3 S. Eigh. Konzept der unter Ms IV 441a Bl. 12–13 beschriebenen Schrift. Bl. 60: 1 Bl. 4°. 1 S. Schreiberhand. Nicolaas Witsen für Leibniz. Überschrift: „Het Gebet des Heeren inde Samojeetsche Tael.“ Mit niederländischer Interlinearversion. Beilage zu Witsens Brief an Leibniz vom 21. Juli 1698 (A I, 15 N. 456). (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 372–373.) Bl. 61: 1 Bl. 4°. 1 S. Schreiberhand. Nicolaas Witsen für Leibniz. Überschrift: „Het vader onse inde Túrúcsanse Samojeden Spraak … en Tafse Samojeden taal.“ Mit niederländischer Interlinearversion. Beilage zu Witsens Brief an
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Leibniz vom 5. Juli 1699 (A I, 17 N. 191). (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 370–372.) Bl. 62: 1 Bl. 4°. 1 S. Schreiberhand. Nicolaas Witsen für Leibniz. Überschrift: „Het vader onse inde Czeremise Taal.“ Mit niederländischer Interlinearversion. Beilage zu Witsens Brief an Leibniz vom 5. Juli 1699 (A I, 17 N. 191). (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 369–370.) Bl. 63: 1 Bl. 4°. 1 S. Schreiberhand. Nicolaas Witsen für Leibniz. Vaterunser „Inde taal van Permien“ (oben) und „Inde taal van Vogalits“ (unten) jeweils mit niederländischer Interlinearversion. Beilage zu Witsens Brief an Leibniz vom 5. Juni 1698 (A I, 15 N. 400). Bl. 64: 1 Bl. 2°. 1 ½ S. Nicolaas Witsens Hand. Witsen für Leibniz. Überschrift: „Het onse vader in Moegaels.“ Mit niederländischer Interlinearversion. Beilage zu Witsens Brief an Leibniz vom 4. Dezember 1697 (A I, 14 N. 448). (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 373.) Bl. 65: 1 Bl. 2°. 1 S. Nicolaas Witsens Hand. Witsen für Leibniz. Überschrift: „Het onse vader in Moegaels.“ Beilage zu Witsens Brief an Leibniz vom 16. Oktober 1697 (A I, 14 N. 344). LBrF 16 Bl. 71–74: 2 Bog. 4°. 6 ⅓ S. Schreiberhand mit eigh. Korrekturen. Konzept des in Collectanea etymologica, pars I, 1 S. 75–81 gedruckten Textes. Bl. 75–78: 2 Bog. 4°. 6 ½ S. Schreiberhand mit eigh. Korrekturen. Konzept des in Collectanea etymologica, pars I, 1 S. 75–81 gedruckten Textes. LH V 1 Bl. 1–2: 1 Bog. 2°. 2 ½ S. Eigh. Auf der sonst leeren Außenseite des nach QuartFormat gefalteten Bogens (Bl. 2v): „Reductio linguarum ad unam“. Aus und zu Athanasius Kircher: Novum inventum linguarum omnium ad unam reductarum, Rom 17. Oktober 1660 (Ms; Wolfenbüttel Herzog August Bibliothek Guelf. 3.5. Aug. 4°). Auf Bl. 1r oben links: „Extat aliquid editum Kircheri in hoc genere in Bibliotheca Hanoverana his conferendum“. Oben rechts: „Cum Kircherus simile quid ad Eminentissimum Elect[orem] Moguntinum misisset Linckerus tunc ejus consiliarius vocabat non male: difficiles nugas“[.] Anfang: Is qui cum alio correspondere volet, (sic loquitur) hunc libellum habeat lingua sibi nota explicatum.
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung Novem sunt paginae in folio. Unaquaeque sex columnarum itaque in summa sunt 54 columnae nempe titulorum. Cuilibet titulo in quavis columna sunt subjecta vocabula 30. Itaque habemus in universum vocabula 1620. Et unumquodque vocabulum significatur duabus notis, quarum una est character columnae, altera est numerus in columna[.]
Bl. 3–4: 1 Bog. 4°. 3 S. Eigh. Überschrift: „De docendis linguis“. Erster Absatz: Duobus modis docere possumus linguam, imo, ex ipsis rebus nullo respectu ad linguam quam discipulus jam tenet; altero ex lingua quae jam ipsi nota est, discriminibus tantum annotatis. Prior difficilior est sed ad progressum in scientiis faciendum utilior, posterior compendiosior, et suffectura illi, qui porro operam Scientiis daturus non est, linguam quemadmodum in usu est didicisse contentus.
LH V 2,1 Bl. 1–107: 4°. Eigh. Überschrift: „LIBER OBSERVATIONUM, quae partim Numerum Oratorium, partim Copiam Verborum respiciunt, Viri Excellentissimi, etc. Domini M. Jac. Thomasii consilio concinnatus a Gothofredo Wilhelmo Leibnüzio Lipsiensi Misnico“ (vgl. Jakob Thomasius: Erotemata rhetorica pro incipientibus, Leipzig 1670, S. 70–77). Mit einem Index (Bl. 100–107). LH V 2,2 Bl. 1–19: 4°. Eigh. Überschrift: „Loci rhetorici“. Liste von Briefformen und Begriffen der Rhetorik mit Belegstellen (vgl. Jakob Thomasius: Erotemata rhetorica pro incipientibus, Leipzig 1670, S. 77–78). LH V 3,2 Bl. 1–3: 1 Bog. und 1 Bl. 2°. 4 ½ S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Bis zum unteren Viertel von Bl. 1v: Konzept von Leibniz’ Antwort auf Johann Philipp Palthens Schreiben vom 1. Mai 1706. Danach: „Ad Palthenii notas in Tatianum Francicum“ (das ist „In Tatianum atque Isidorum Francicum animadversiones“, in: Tatiani Alexandrini Harmoniae evangelicae antiquissima versio Theotisca ut et Isidori Hispalensis ad Florentinam sororem de nativitate domini, passione, resurrectione, etc. libri eadem lingua conversi fragmentum, Greifswald 1706, S. 271–417). Anfang: P. 273[:] Wente etiam Saxonibus inferioribus est causalis, praesertim in veteribus schedis. Veluti Latinis quando, quando quidem; quae putem adeo et significatione et sono atque etymo cum nostro conspirare[.]
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LH V 3,3 Bl. 1–4: 2 Bog. 4°. 5 S. Schreiberhand mit eigh. Korrekturen. Überschrift von späterer Hand: „Leibnizens favorables Urtheil über J. L. Frischens Wörter-Untersuchung“. Ein Textzeuge der unter Ms IV 469 Bl. 3–4 beschriebenen Schrift. LH V 4,2 Bl. 1–2: 1 Bog. 2°. 2 S. Eigh. Bemerkungen zu Henning Huthmann: Particulae Ut et Quod item Ut et Ne per colloquium expositae ad consensum anonymo Hohnsteinensi veritatis amanti parandum cum auctore, Duderstadt 1697. Die Schrift erhielt Leibniz als Beilage zu Jakob Schwachheims Schreiben vom 20. (30.) Juli 1697 (A I, 14 N. 215). Er äußerte sich dazu in seinen Schreiben an Schwachheim vom Herbst 1697 (A I, 14 N. 309) und vom 8. (18.) Dezember 1698 (A I, 16 N. 225). In letzterem Schreiben verwendet er das Zitat von Bl. 4 und zwei der anderen Zitate aus Bl. 3. Bl. 3: Zettel. Eigh. Sammlung von Belegstellen für den Gebrauch von „ut“ statt „quod“ bzw. umgekehrt, darunter die drei in Leibniz’ Schreiben an Schwachheim vom 8. (18.) Dezember 1698 verwendeten aus Vergil: Aeneis, 11, 152– 153; Plautus: Amphitruo, 745–746; und Vergil: Aeneis, 1, 132–134. Bl. 4: Zettel. Eigh. Als Beleg für Verwendung von „quod“ statt „ut“ das Zitat aus Vergil: Aeneis, 1, 132–134, das Leibniz in seinem Schreiben vom 8. (18.) Dezember 1698 an Schwachheim verwandte, in derselben, nicht ganz korrekten Form wie in dem Brief (A I, 16, 343, Z. 1–3). Wortlaut: Quod pro ut in illo Vergilii Aen. I. Si bene memini: Tantane vos generis tenuit fiducia vestri Quod coelum et terram nostro sine numine venti Miscere et tantas audetis tollere moles.
LH V 5,2 Bl. 138a–139a: 1 Bog. 2°. 4 S. Eigh. Französische Sprichwörter und Sentenzen, teilweise mit lateinischer Übersetzung oder Erklärung. Wasserzeichen aus Leibniz’ Mainzer Zeit. Die Sprichwörter hat Leibniz möglicherweise (zum Teil) den unter Bl. 144–163 und Bl. 164–167 beschriebenen Schriften entnommen. Anfang: Il a mis de l’eau dans son vin depuis hier. Factus est prudens ab hesterna die. Mutavit se in melius[.] Destitit de ferocia[.]
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Bl. 140a–143: 2 Bog. 2°. 4 S. auf den Außenseiten der Bögen. Eigh. Französische Sprichwörter und Sentenzen. Anfang: Il faut prendre les gens comme ils sont, et le temps comme il est. Il vaut mieux glisser du pied que de la langue.
Bl. 144–163: 10 Bog. 2°. 39 ⅓ S. Schreiberhand. Nicht ermittelter Autor. Überschrift: „Proverbes et Sentences Françoises.“ Datierung am Textende: „1670“. Anfang: Donner la brebis à garder au Loup; faire le loup berger. Dem Dieb den Seckel vertrauen: Den Katz uber das schmer setzen: Den Bock zum gartner machen. Cela vient à propos comme Magnificat à matines. Das schickt sich fein wie ein faust auff ein aug.
Bl. 164–167: 2 Bog. 8°. 8 S. Schreiberhand. Nicht ermittelter Autor. Überschrift: „Chois DE PROVERBES ET DE SENTENCES.“ Anfang: Les femmes, le Vin et les Dés rendent les hommes minés.
LH V 6,1 Bl. 1–5: 2 Bog. 2°. 1 Bl. 4°. 8 Spalten auf den Außenseiten der Bögen und 1 Spalte auf Bl. 5. Eigh. Aus und zu The English Schole-master // De Engelschen school-meester, Amsterdam 1663. Nach einer kurzen Bemerkung: „Proverbia Belgica ausm Englischen Sprachmeister excerpta“. LH V 6,2 Bl. 8–29: Bl. 8–24: 4°. 33. S. Bl. 9–24: Conrad Johann Dannenbergs Hand mit eigh. Korrekturen. Bl. 25 eigh., Bl. 8 leer. Bl. 26–29: 2 Bog. 2°. 8 S. Schreiberhand. Überschrift (Bl. 9r): „ELEMENTA LINGUAE TARTARICAE“. Teilabschrift von Ferdinand Verbiest (anonym): Elementa linguae Tartaricae (entspricht S. 1–22 der Ausgabe Paris 1687). LH V 6,3 Bl. 30: 1 Bog. 4°. 1 S. Auf der sonst leeren Außenseite des Bogens von späterer Hand: „Stenogr. Sprache“. Auf der Innenseite, nicht von Leibniz’ Hand, Schlüssel einer Kurzschrift. Bl. 31: 1 Bl. 4°. 2 S. Nicht eigh. Auf Bl. 31r Text in verschiedenen Kurz- oder Geheimschriften. Auf Bl. 31v das Vaterunser in der auf Bl. 30 beschriebenen
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Kurzschrift mit interlinearer Auflösung, unterzeichnet in derselben Kurzschrift von Jobst Dietrich Brandshagen 1678. Bl. 32: 1 Bl. 4°. 1 S. Eigh. Beschreibung einer Geheimschrift, bei der jeweils ein Buchstabe gegen einen anderen ausgetauscht wird und die sich mit Hilfe eines Codewortes auflösen lässt. Anfang: Steganographema quod certam vocem pro clave habet, videndum an totum habeatur paucis explicatis, Exempli clavis sit Labyrinthus[.]
Bl. 33: 1 Bl. 8°. Zehn Zeilen. Wohl nicht eigh. Einige Zeichen in (verschiedenen) Kurz- oder Geheimschriften. LH V 6,4 Bl. 34–39: 3 Bog. 2°. 7 ½ S. Eigh. Gescheiterte Versuche, einen chiffrierten Text zu entschlüsseln. Dieser Text liegt nicht bei, es dürfte sich aber um denjenigen handeln, den Franz Ernst von Platen Leibniz am 1. (11.) Januar 1683 mit der Bitte um Dechiffrierung gesandt hatte (vgl. A I, 3 N. 176). Leibniz antwortete Mitte Januar 1683 (A I, 3 N. 177). LH XI 1,2 Bl. 1–2: 1 Bog. 4°. 4 S. Eigh. Über Ursprung der Völker und Verwandschaft der Sprachen. Anfang (vgl. Marcus Zuerius Boxhorn: Antiquae linguae Britannicae lexicon Britannico-Latinum, mit eigener Paginierung in: Ders.: Originum Gallicarum liber, Amsterdam 1654; Thomas Smith: Catalogus librorum manuscriptorum bibliothecae Cottonianae, Oxford 1696): Praeclaros pl. Reverendi viri Georgii Hikkesii labores magni facio; quibus populorum et linguarum Septentrionalium a Teutonico fonte profluentium antiquitates illustrat. Sed cum unus aut pauci non sint pares tanto operi optandum esset in Anglia collegium exurgere antiquitatum quale Suedi habent laudabili instituto[.] Huic Bibliotheca Cottoniana nuper publicata egregiam sedem praeberet. Ex Linguis plurimum de origine populorum addiscimus. Ex Scythia Celtas et Graecos venisse credibile est. Celtae (quibus Germani[,] Galli[,] Britanni et pars Iberorum comprehensa) a Tanai usque ad Pirenaeos et ultra impleverant linguam Wallicam quae Gallicae proximam esse constat[.] Examinatis autem dictionarii Wallici seu Britannici excerptis quae Boxhornius dedit, manifeste comperi linguam valde Germanicae cognatam esse[,] nec dubium est antiquum Germanorum sermonem multo adhuc propiorem fuisse: cum Galli ex Germanis ort videantur, si (ut par est) populos ex oriente et Scythia huc terren itinere venisse credimus.
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LH XI 3 Bl. 293–303: Bl. 293–300: 4 teilweise beschnittene Bog. 2°. Etwa 7 ½ S. zum Großteil auf den Außenseiten der Bögen. Bl. 301: 1 Bl. 2°. Beschnitten. 1 S. Eigh. Bl. 302–303: 2 Streifen. Alles eigh. Aus und zu Hiob Ludolph: Historia Aethiopica, Frankfurt a. M. 1681. Bl. 295: Zur Äthiopischen Schrift. LH XI 6 B Bl. 243: 1 Bl. 4°. 1 S und 5 Zeilen. Eigh. Aus und zu Abraham Hinckelmann: AlCoranus sive Lex Islamitica Muhammedis, Hamburg 1694. Auszug (vgl. ebd., Bl. gv–Bl. i 2r; Edmundus Castellus: Lexicon heptaglotton, London 1669, Bl. [b 2r]): … Christianus Ravius scripsit […] elegantissimam diss. lingua Anglicana de linguis orientalibus: […] discourse concerning the Easterne tongues. […] Voco […] primam linguam non Ebraeam tantum, sed simul Chaldaicam, Samaritanam, Syram, Arabicam, et Aethiopicam, quas omnes revera unam esse linguam, dialectorum tantum more […] differentes verissimum est. Quod solide probatum […] dedit […] Ravius dictu diss. Et jam Castellus praef. lex. polyglotti, […] neminem […] unam harum linguarum […] assequi posse perfecte, […] qui non omnes calleat. Hinkelm. praef[atio] Corani[.] Utinam aliquando integrum Hariri opus nobis aliquis doctorum ederet, qui Arabum Cicero in omnibus orientis Academiis publice explicatur. Et Golio teste […] in Asia et Africa studiosi ex eo discunt proprietatem linguae, […] copiam et elegantiam. […] Est nobis (inquit Hinkelman. praef. Corani) exemplar cum perpetuo Commentario, purissimo charactere descriptum, quod offerimus editori. Praeter hunc extant et aliorum oratorum turba, institutiones quoque variae et disertissimorum hominum exempla. Compendium quasi eorum est et verus Arabicae linguae thesaurus liber dictus: vinum adolescentiae ab Abi Beker Ibn Hoggja Almoavi editus, ut et […] hortus doctorum ab Abi Hatem confectus quibus si quis tandem Arabschiadae Historiam Timuri […] addet, in quo Arabici studii metam doctissimus Golius agnoscebat, […] nae is in Arabibus aloquentiam […] non desiderabit[.]
LH XII 1,1 Bl. 1–2: 1 Bog. 4°. 4 S. Eigh. Konzept mit zahlreichen Korrekturen und Ergänzungen (vorgängiges Konzept unter LH XII 1,1 Bl. 59). Ordnungsvermerk: „Antiq. Sax.“ Nummerierung: „710“. Überschrift: „Suspiciones de origine appellationis Germanorum, et antiquissimo heroe Herman vel Irmin“ (vgl. Tacitus: Germania, 2; vgl. auch Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 264–270). Anfang: Suspicio mihi aliquando incidit eandem esse appellationem Hermionum (quos memorat Tacitus) et ipsorum Germanorum; pronuntiandi solummodo ratione variata. Etsi enim Hermiones partem tantum significent gentis, tamen saepe pars propior toto nomen apud vicinos dedit; quemadmodum Teutones omnes Gallis Allemanni vocantur, quod nomen olim ad solos Svevos caeterosque superiori Rheno propinquos pertinebat[.] Et similiter Hermiones fuisse apparet Rheno et Gallis . A Gallis autem Germanorum appellatio ad caeteros ve-
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nit[.] Saepissime certe inter se permutantur populis H et G. Ita quos Latini Germanos, Hispani vocant Hermanos, id est fratres.
Bl. 3–4: 1 Bog. 4°. 3 S. Schreiberhand mit eigh. Korrekturen. (Konzept unter LH XII 1,2 Bl. 88r–87v.) Interpretation der Stelle über die Bezeichnung der Germanen aus Tacitus: Germania, 2 (vgl. Leibniz’ Übersetzung dieser Stelle in Bl. 13–14; seine Anmerkung dazu in: G. W. Leibniz [Hrsg.]: Scriptores rerum Brunsvicensium, Bd. 1, Hannover 1707, S. 9–10, Anm. (f); vgl. auch Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 264, Anm. 244; S. 266, Anm. 250 und 251). (Auf Bl. 4v ein eigh. Auszug aus der Abfertigung eines Schreibens an Gerhard Meier vom 27. März [6. April] 1694 [A I, 10 N. 212].) Anfang: Locus Taciti de Etymo Germaniae habet aliquid aenigmati simile. Itaque ampla est conjectandi libertas; nec tam certi aliquid promittendum, quam quid verisimilius, dispiciendum est. Mihi sic visum: Caeterum Germaniae vocabulum recens ((Comparatione antiquissimorum, ut Marsorum, Gambriviorum)) et nuper additum ((nuper; eadem scilicet comparatione vetustissimorum, id est ab aliquos seculis; nam et ante Cimbricum bellum Germani in Capitolinis Tabulis memorari dicuntur et mox Tacitus originem petit ab iis primi Rhenum transmisere)) …
Bl. 10–11: 1 Bog. 8°. 2 S. auf den Außenseiten des Bogens. Eigh. Aus und zu Johannes Cochlaeus: Vita Theoderici regis Ostrogothorum et Italiae, hrsg. von Johan Peringskiöld, Stockholm 1699. Anfang Bl. 10: Epitaphe Runique d’un homme mort vers le West in Tingalanda p. 490. mais la croix y est aussi et le souhait: Dieu soit propice à son [ame.] Ainsi il n’y a point d'apparence que cela signifie Mauritaniam Tingitanam, où les Suedois ne sont gueres allés depuis le Christianisme. Il n’y a point d’apparence qu’on ait connu alors en Suede cette partie de l’Afrique par son ancien nom. Peutestre que ce n’est autre chose qu’Ingalanda, Ingland[.] Epitaphes Runiques des gens morts en Grece p. 464. p. 470. 471 avec Dieu soit propice à son ame p. 460. p. 468 avec la croix p. 469. p. 472. où il est parlé d’un Jon mort en Grece; dont on fait plaisamment le fameux Jon ancien Roy des Grecs de qui les Joniens ont leur nom. Mais Grece significoit la Russie en ce temps là dans ces quartiers septentrionaux, comme on le voit dans Adamus Bremensis et comme Grotius luy même l’a remarqué dans la note aux extraits de cet auteur[.]
Bl. 12: 1 Bl. 8°. 1 S. Eigh. Wortlaut: Notatu dignum est quod Tut in Britanniae Minoris idiomate, Homines, significat, leute, gens, tut jaouan, jeunes gens gens jeunes[.] Hoc apparet ex cantico in honorem S. Agnetis, cujus initium mihi misit Dn. Lacrosius. Nempe Tut, teut, gentem olim significabat, unde Theodones[,] Teutones, Theotisci. Hinc nomine suo gentis generali, gens appellari coepit, ut saepe alias.
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Bl. 13–14: 1 Bog. 2°. 4 S. Eigh. Deutsche Übersetzung von Tacitus: Germania, 1– 10. Die Stelle über die Bezeichnung der Germanen (Germania, 2) lautet (Bl. 13r–13v): Germanien aber, ist ein neues worth, erst kürzlich beygeleget, denn die so erst über den Rhein gangen und die Gallier vertrieben, nun aber Tongerer heißen, nennete man Germänner, also daß die benennung eines gewißen teutschen volckes allmahlig durchgehends auch vor die ubrigen überhand genommen, und alle mit einem erst von den Uberwundenen aus furcht, und denn von ihnen selbst außgefundenen Nahmen Germanier benennet worden[.]
Bl. 17: Breiter Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Saxonica antiquissima“. Drei durch gekreuzte Striche voneinander abgegrenzte Notizen. Die erste aus und zu Trogillo Arnkiel: Cimbrische Heyden-Religion, Hamburg 1691. Anfang: A Jova tuta nei awi awoca nei ist ein heidnisch stoßgebetlein bey unglucksfellen im Nordertheil dieses herzogthums Schleswig […] noch ublich. Arnkiel Cimbr. Relig. P. 206. explicat Latine: O Jova tuta me a vi avoca me[.]
Bl. 20: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antiq. Sax.“ Nummerierung: „930“. Aus und zu Georg Fabricius: Originum illustrissimae stirpis Saxonicae libri septem, Jena 1597. Anfang (vgl. ebd., S. 8–9): Hengistus […] equum significat, […] usitata apud Germanos virorum fortium appellatio, quod idem nomen socer Arminii qui Romanas cecidit legiones, habuit, idque Strabo in Aegisti commutavit. Fabric. Orig. sax. lib. I. Idem derivat Horst ab impetu, non considerans Ors, Anglo-Saxonibus etiam esse Equum[.]
Bl. 25: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antiq. Sax.“ Nummerierung: „960“. Wortlaut (vgl. Johann Christoph Wagenseil: De sacri Rom. imperii libera civitate Noribergensi commentatio. Accedit de Germaniae phonascorum Von Der Meister-Singer / origine, praestantia, utilitate, et institutis, sermone vernaculo liber, Nürnberg 1697): Bar carmen apud Johannem Saxonem et similes Germanos poetas, quemadmodum Morhofio diss. De poesi Germania, et post eum Wagenseilio diss. De phonascis[,] p. 500[,] (meistersänger) observatum[,] quod credendum est ab antiqua barritus seu barditus appellatione superfuisse.
Bl. 27: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „antiq. Sax.“ Wortlaut (vgl. Tacitus: De moribus Germanorum cum notis criticis, hrsg. von Hermann Conring, Helmstedt 1678, Bl. fv): Conring praef. ad Tacit. de Mor. Germ. [Primum …] non multum […] rupes Runicas habere rerum antiquarum et ficta multa narrando fidem omnium […] suspectam reddidisse autores[.]
Bl. 32: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „antiqu. Saxon.“ Nummerierung: „710“. Wortlaut (vgl. Jean Le Clerc: Ars critica, Bd. 1, Amsterdam 1697, S. 413;
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Gottfried Wilhelm Leibniz: Essais de Theodicée, § 138, Amsterdam 1720, S. 368–369): Persae credebant […] duo esse principia unum Bonum alterum malum, utrumque summum ac aeternum. Prius vocabant Chaldaei הזמארואOromaze, id est lucem fulgentem, ajebantque eum immensa luce circumfusum, posterius appellabant ןאמירעAriman, hoc est hostem hominum vel astutum[.] Clericus critica p. 2. sect. 1. c. 13. §. 15. ((Quid si hinc Herman, Irmin, Hermes?))
Bl. 33: Zettel. Eigh. Wortlaut (vgl. Servius Grammaticus: Commentarii in Vergilii carmina, Aeneis 10, 179): Servius ad Virgilii quendam locum ubi de Pisa, ibi olim Teutones habitasse ante Lydiorum adventum Graece locutos. An Tuscos nominare voluit etc.
Bl. 44: Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Sax. antiq.“ Nummerierung: „530“. Zur Etymologie des Wortes Sachsen. Anfang (vgl. Ptolemaios: Geographia, 6,13 sowie die 7. und 10. Tafel zu Asien; Herodot: Historien, 7, 64): Sacae Ptolemaeo sub Imao habitabant, regione fontium Gangis[.] Ab his Persae Scythas omnes Sacas vocabant, ut ait Herodotus in recensendo exercitu Xerxis.
Bl. 45: Kurzer Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Sax. antiq.“ Nummerierung: „850“. Anfang (vgl. Helmold von Bosau: Chronica Slavorum, LII [LIII]; gedr. in: Monumenta Germaniae historica, Scriptores rerum Germanicarum, XXXII, hier S. 102; G. W. Leibniz [Hrsg.]: Scriptores rerum Brunsvicensium, Bd. 2, Hannover 1710, S. 537–743, hier S. 582): Siwa nomen Deae Obotritae Helmold. An mulier hinc vulgo Saxonibus superioribus eine böhs Siben (+)[.]
Bl. 46: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antiq. Sax.“ Nummerierung: „850“. Wortlaut (vgl. Thietmar von Merseburg: Chronik, 2, 21; gedr. in: Monumenta Germaniae historica, Scriptores rerum Germanicarum, Nova series, IX, hier S. 62–63; [unter dem Titel] Ditmarus restitutus, in: G. W. Leibniz [Hrsg.]: Scriptores rerum Brunsvicensium, Bd. 1, S. 323–430, hier S. 335): Wuodeneswege. Chron. Sax. Ms. 967 (ergo Wuodan deus Saxonum[).]
Bl. 50: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antiq. Sax.“ Nummerierung: „708“. Zur Etymologie der Wörter „Westphalen“ und „Ostphalen“. Aus und zu Werner Rolevinck: De Westphalorum sive antiquorum Saxonum situ, moribus, virtutibus et laudibus libri III. Anfang (vgl. in der Ausgabe Köln 1602, S. 71; in G. W. Leibniz [Hrsg.]: Scriptores rerum Brunsvicensium, Bd. 3, Hannover 1711, S. 606–653, hier S. 622):
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung Wernerus Rolefink de situ et moribus Westfalorum lib. 2 c. 6. p[agina] m[ea] 3 phalos idem est quod socius unde dicebantur olim Ephalar Westphalar, Ostphalar. Et sic de aliis. Haec ille[.] Dubitavi quid hoc sibi vellit, tandem venit in mentem fellow apud Anglos esse socium, unde suspicor hujus vocis vestigium in Westphalia tempore Rolevinkii superfuisse. Esse igitur fellow, idem quod gesell, Kerl[.]
Bl. 53: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antiq. Sax.“ Nummerierung: „980“. Zu Olof Verelius: Gothrici et Rolfi Westrogothiae regum historia lingua antiqua Gothica conscripta, Uppsala 1664. Anfang: In Godrici et Rolfi Westrogothiae Regum Historia a Verelio edita Upsal. 1664 invenio versus carere …
Bl. 56: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Ant. Sax.“ Nummerierung: „580“. Wortlaut (vgl. André Du Chesne: Histoire d’Angleterre, d’Escosse, et d’Irlande, Paris 1634; Caesar: De bello Gallico, VI, 18; Tacitus: Germania, 11): Dies per noctes computati a Gallis[.] Caesar. In quibusdam Galliae provinciis hodieque anuit pro aujourd’huy (Du Chesne Hist[oire] d’Angl[eterre] lib. 2. p. 50.) Bretones tam Aremoricae quam Walliae Wythnos octo noctes et pethefnos 16 noctes (+ idem de Germanis Tacitus de M[oribus] G[ermanorum])[.]
Bl. 57: Zettel. Ordnungsvermerk: „Antiqua Sax.“ Nummerierung: „710“. Eigh. Überschrift: „Manus Domini Pulleyn, de quatuor viis Regiis per Angliam. Guelfebyto 17 januar 1694“. Darunter die Straßennamen „Armin street“, „Walting street“, „Jeknild street“, „The Tosso way“ mit kurzer Angabe des Straßenverlaufs von Octavian Pulleyns Hand. Bl. 59: Unregelmäßiger Zettel. 2 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antiq. Sax.“ Nummerierung: „710“. Konzept (ohne Überschrift) der unter LH XII 1,1 Bl. 1–2 beschriebenen Schrift. Bl. 64: 1 Bl. 8°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antiq. Sax.“ Nummerierung: „850“. Auszug betr. die Religion der Gallier und das Wort „Barrigenas“ bzw. „Gallicenas“ aus Pomponius Mela: Libri tres de situ orbis cum observationibus Isaaci Vossii, lib. III, cap. 6: Anfang: „Sena in Britannico mari Ofismicis adversa litoribus Gallici numinis oraculo insignis est“. Ende: „consulerent profectis“. Es folgt ein Auszug aus dem Kommentar des Isaac Vossius: Anfang: „Libri manu exarati habent Galligenas aut Gallizenas“. Ende: „Valde probo conjecturam Gronovii nostri, qui tritum istud Gallorum vocabulum Baragoin hinc originem accipisse existimat“. In der 2. Ausgabe, Franecker 1700, findet sich die Stelle mit Kommentar auf S. 340–341. Bl. 70: Zettel. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antiq. Sax.“ Zur Etymologie des Wortes Sachsen. Anfang (vgl. Olaus Worm: Specimen lexici runici, Kopenhagen
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1650, S. 111; Justus Lipsius: Epistolarum selectarum centuria tertia ad Belgas, Antwerpen 1602, S. 51): Saehs, Saex[,] Sex, culter, gladius, sica. Cimbris Saks est gladii genus v. lex. Run. In gloss[is] Lips[ianis] ex perantiquo Ψalmorum versione, scarsahs novacula[.]
Bl. 72: Zettel. 2 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antiq. Sax.“ Nummerierung: „850“. Über germanische Mythologie. Aus und zu der Rezension von Thomas Bartholin junior: Antiquitatum Danicarum de causis contemptae a Danis adhuc gentilibus mortis libri tres, Kopenhagen 1689, in: Acta eruditorum, Januar 1690, S. 27–35. Bl. 75: 1 Bl. 8°. 2 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Ant. Sax.“ Nummerierung: „850“: Über germanische Mythologie; u. a. über die Götter Odin und Thor, die Etymologie ihrer Namen und über die Namen der Wochentage. Auszug (vgl. Paulus Diaconus: Historia Langobardorum; Godefridus Viterbiensis: Pantheon, sive Universitatis libri, qui Chronici appellantur, XX, Basel 1559, Spalte 518): NB. Paulus Diaconus rer. Langob. lib. I. c. 9. Wodan sane quem adjecta litera quidam Gwodan dixere ipse est, qui apud Romanos Mercurius dicitur, et ab universis Germaniae gentibus ut DEus adoratur, qui non circa haec tempora, sed longe anterius, nec in Germania sed in Graecia fuisse perhibetur[.] Apud Godefridum Viterbiensem, quidam, ut ipse ait antiquitatum Commentator tradit, Vandalos accedentes ad idolum suum Godan, victoriam de Vinulis postulasse, quam fabulam et Paulus Diaconus c. [8]. refert[]. Persis DEus Choda. Dies Mercurius Westphalis Godenstag, Belgis Goensdach vel Woensdach, Anglorum Wednesday, Suedis Odhensdag, Danis Othensdag vel Onsdag, ut ord, ynske, uld dicunt Dani pro word (vox), wundsche (opto), wull (lana) [.]
Bl. 76: 1 Bl. 4°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antiq. Sax.“ Nummerierung: „850“. Über germanische Mythologie und die Namen der Wochentage nach Philipp Clüver: Germaniae antiquae libri tres, Leiden 1631. Anfang (vgl. ebd., S. 195): Beda […] in lib. de temporum ratione c. 13. ita scribit de Anglis Germanica gente in Britanniam transgressis: Aprilis Eosturmonath, […] qui nunc paschalis mensis interpretatur quondam a dea illorum quae Eostre vocabatur, et cui in illo festa celebrant nomen habuit; a cuius nomine nunc paschale tempus cognominatur consueto antiquae observationis vocabulo gaudia novae solennitatis vocantes. Germ. Oostern, Anglis Easter in quae Astarte Sidoniis, Atargatis Assyriis. Ita suspicatur Cluver lib. 1. c. 27. An ipsa Hertha dea.
LH XII 1,2 Bl. 85–86: 1 Bog. 2°. 3 ⅔ S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antiquiss. habitatores“. Auf Bl 85r oben rechts von späterer Hand: „NB. lectu digna“. Über die friesische Sprache. Anfang:
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung Omnia nomina propria aliquando appellativa fuere[.] Ergo ubi non intelliguntur consequens est, mutationem linguae esse factam. Linguae antiquae facilius conservantur in nominibus propriis, quam in appellativis[.] Nomina fluminum et montium in plerisque locis non intelliguntur[.] Unde sequitur alterius linguae nunc esse habitatores quam olim[.] Nomina propria hominum Germanica in plerisque regionibus pro bona parte intelligibilia sunt[.] ((Unde sequitur Germanorum gentem minus esse mutatam admistione alienigenarum[.])) Nomina propria hominum per Germaniam nuspiam minus intelliguntur magisque a lingua nostra abhorrent quam in Frisia[.] Nomina propria Germanorum veterum, veluti Gothorum, Vandalorum, Francorum, Longobardorum, etc. bonam partem satis hodieque intelligibilia sunt. ((Unde magis adhuc sequitur eandem esse Germanorum gentem, quam si sola nomina hodierna explicare daretur.)) Nomina propria hominum Frisiae hodiernae magis sunt difficilia intellectu, et a Germanico abhorrentia, quam solent esse ipsa nomina veterum Germanorum quae in Historia extant[.] Ergo quantum ad nomina propria hominum Frisii plura hodie habent vestigia, antiquiorum regionis habitatorum, quam Germani caeteri habebant jam olim tempore Romanorum[.]
Bl. 87–88: 1 Bog. 4°. Ordnungsvermerk: „Antiquissimi habitatores“. Bl. 87r: 1 S. Eigh. Überschrift: „Eggelingiana Taciti interpretatio de origine appellationis Germanorum“. Zu Johann Hinrich Eggeling: De miscellaneis Germaniae antiquitatibus, dissertatio prima, quae est ad locum Taciti Germ. cap. 2. De vocabulo Germaniae, Bremen 1694. Der Text beginnt mit einer Zusammenfassung der Tacitus-Interpretation Eggelings und endet mit einer Stellungnahme, deren Anfang lautet: Dubia ex inspectione verborum 1. Haec interpretatio paradoxa et prima facie coacta. 2. Nimis multa inferuntur. 3. Nuper, id est ab aliquot seculis. Comparatione scil. appellatione priscorum nominum. Sc. Galli aliquando praevalentes Rhenum transgressi. Mox contra Germani in Galliam se effudere. Qui ergo ab ea rerum conversione id fecere primi tunc Germani dicti.
Bl. 88r–87v: 2 S. Eigh. Konzept der unter LH XII 1,1 Bl. 3–4 beschriebenen Schrift mit dem Anfang „Locus Taciti de Etymo Germaniae“. Bl. 88v: 1 S. Eigh. Schreiben an Georg Friedrich Cordemann (?) von Anfang April 1694 (A I, 10 N. 219). LH XXXV 13,2b Bl. 190: 1 Bog. 4°. Für die Zeit um 1712 belegtes Wasserzeichen. ½ S. auf Bl. 190r. Schreiberhand mit eigh. Ergänzungen. Fragment der in Collectanea etymologica, pars II, S. 1–208 gedruckten Schrift, nämlich die Einträge zu „Crimmiu“, „Creman“, „Cuater“, „Curtil“, „Cuatlihhan“, „Cunig“ (in dieser Reihenfolge) und die folgende Zwischenüberschrift „D“ (vgl. ebd., S. 32–33). Von Leibniz’ Hand „((guter))“ bei „Cuater“ und bei „Cunig“: „((consonat Kan et Chaganus Scytharum et Persarum, Konnen, können, scire et posse ab eodem
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fonte, quia magis potest, qui scit))“. Diese, in die Collectanea etymologica aufgenommenen, Einträge fehlen in der Handschrift Ms IV 449 (Bl. 10v– Bl. 11v). Darunter und auf der Rückseite eigh. mathematische Aufzeichnungen. LH XLII 1 Bl. 76: 1 Bl. 4°. 1 S. Eigh. Überschrift: „Nugae“. Deutsche Rätselfragen, Scherze und Ähnliches. Bl. 82–83: 1 Bog. 2°. 2 S. auf den Außenseiten des Bogens. Eigh. Sammlung niederländischer Sprichwörter und Redewendungen. Bl. 92: 1 Bl. 2°. 1 S. Schreiberhand. Nicht ermittelter Autor. Überschrift: „Reformation de quelques mots de la Langue françoise par Madame Mazoys“. Darüber eigh.: „Langage des pretieuses“. Anfang: Premierement pour dire un Lacquais, c’est un Debort[.] Mettez du bois au feu. Donnez de l’aliment à cet element.
Ms I 194 Ungezähltes Blatt vor Bl. 1: 1 Bl. 4°. 1 S. Schreiberhand. Überschrift: „ABCDario que conprende el arte de enseñarse ablar por la mano reducido a mucha brevedad para que con facilidad se puenda tener en la memoria.“ (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 403–404.) Bl. 1–7: 2 Bog. und 3 Bl. 2°. 13 S. von Schreiberhand auf Bl. 1–7r. Auf Bl. 7v 1 S. von Schreiberhand unter der Überschrift: „Duodecim sunt abusiones Secularium“. Überschrift: „Signa secundum ordinem Cisterciensem, perquam unusquisque Monachus valet signare alio sine loquela“. (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 384–403.) Ms I 218 Bl. 11–17: 1 Bog. (Umschlag). 5 Bl. 2°. 7 ¼ S. Schreiberhand. Überschrift: „Fragmentum breviarii Imperii Caroli M. ex codice MS. vetustissimo Helmstadiensi.“ (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 316–334.) Ms IV 440a s. Druckschriften mit Marginalien, Jablonski.
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Ms IV 441 Bl. 1–2: 1 Bog. 4°. 2 ⅔ S. Eigh. Konzept der in den Actorum eruditorum supplementa IV, 1711, S. 236–239 gedruckten Schrift. Bl. 3–14: 6 Bog. 2°. 22 S. Schreiberhand mit eigh. Korrekturen. Über George Hickes: Linguarum vett. septentrionalium thesaurus grammatico-criticus et archaeologicus, 2 Bde., Oxford 1705. (Teil eines Konzepts unter Ms IV 469 Bl. 245–247; vgl. Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 194, Anm. 117). Anfang: Diu nihil in lucem prodiit, quod literaturam veterem Germanorum magis illustret, quam linguarum […] Septentrionalium Thesaurus, a Georgio Hickesio Theologo Anglicano, insigni plane Viro collectus, qui Oxonii ex Theatro Scheldoniano anno Dom. MDCCV. prodiit, cui Andreae Fontani Equitis Aurati Numismata Saxonica in Anglia cusa, et Hunfredi [W]anleii Bibliotheca Saxonica Anglorum praeclara opera accessere.
Bl. 15: Vermisst seit 1945. 2°. 1 S. Eigh. Aus und zu Johann Leonhard Frisch: Origo quorundam vocabulorum Germanicorum et cum aliis linguis affinitas, in: Miscellanea Berolinensia, Berlin 1710, S. 60–83 (vgl. Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 182 und S. 231). Anfang: Elegans et jucundum est studium Etymologicum,
Bl. 16–23: 4 Bog. 2°. 13 ⅓ S. Eigh. 2. Teil des 1. Konzepts der unter Ms IV 469 Bl. 68–105 beschriebenen Schrift (1. Teil unter Ms IV 469 Bl. 36–45). Ms IV 441a Bl. 7–8: 1 Bog. 8°. 4 S. Eigh. Bitte um Sprachproben. Anfang: (1) Desideratur Oratio Dominica quae vulgo pater noster dicitur, in Linguis, quibus nondum extat[,] Ut omnis lingua Dominum laudet, scribenda autem est characteribus linguae notioris; adjiciendaque versio interlinearis in lingua cognita[.] (2) Si characteres quoque linguarum proprii commode haberi possint, non puto spernendos, magnopere tamen illis non insisto, majorisque momenti puto specimina linguae qualicunque charactere scripta habere[.]
Bl. 10–11: 1 Bog. 2°. 3 ¾ S. Eigh. Konzept der unter Moskau Zentrales Staatsarchiv alter Akten Fonds 32, Fasz. 1, Buch 4 Bl. 116–117 beschriebenen Schrift. Bl. 12–13: 1 Bog. 4°. 3 S. Schreiberhand mit eigh. Korrekturen. (Konzept unter LBr 1007 Bl. 12–13.) (Gedr. in: Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, 1722, S. 543–544; Leibnitz’s Deutsche Schriften, Bd. 2, hrsg. von Gottschalk E. Guhrauer, Berlin 1840, S. 478–479.)
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Ms IV 449 83 Bl. 4°. Gebunden. Schreiberhand. [Abraham Mylius:] „GLOSSARIUM Vocabulorum veterum Teutonicorum Celticorumque, collectorum ex variis Vocabulariis et ((exstantibus passim apud Lazium, tum Rabani Mauri, Keronis, Gassari, Lipsii, iisque quae passim exstant apud Lazium: nec non ex Otfrido et Willeramo)) antiquissimis Teutonicis Scriptoribus“. Mit eigh. Bemerkungen. (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 1–208.) Auf Bl. 11r bei „Creman“ eigh. ergänzt: „grim“. Ms IV 469 Bl. 1–2: 1 Bog. 2°. 8 Spalten. Eigh. Aus und zu Franciscus Junius: Observationes in Willerami Abbatis Francicam paraphrasin cantici canticorum, Amsterdam 1655. Ab der rechten Spalte von Bl. 2r: „Monosyllaba Teutonica e Graecis detruncata“ (vgl. ebd., S. 176). (Vgl. auch Ms IV 470 Bl. 2.) Bl. 3–4: 1 Bog. 4°. 3 S. und zwei Zeilen. Schreiberhand. Postskriptum eines nicht ermittelten Briefes. Über Johann Leonhard Frisch: Untersuchung des Grundes und Ursachen der Buchstab-Veränderung etlicher Teutscher Wörter, Berlin [1716] (vgl. Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 232, Anm. 82 und 83). (Konzepte unter Ms IV 469a Bl. 8–9 und LH V 3,3 Bl. 1–4.) Anfang: P.S. Es ist mir H. Johann Leonard Frischen Subconrectoris in Berlinischen Gymnasio Untersuchung der Buchstab-Veränderung etlicher Teutschen worte zugeschicket worden; welche mir wolgefallen, und halte dafür, daß der Verfaßer zu Verfolgung solcher Arbeit aufzumuntern. Ich hatte vor einigen Jahren H. D. Gerard Meyern zu Bremen nunmehr seeligen zu dergleichen, und insonderheit zu verfertigung eines Glossarii Saxonici angefrischet, darinn er auch viel fast auf gleichen Schlag gethan: es ist aber solche Arbeit durch sein frühzeitiges Absterben unterbrochen worden.
Bl. 5–6: 1 Bog. 2°. 3 S. mit 6 Spalten. Fortsetzung des unter Ms XXII 1419 Bl. 56v beschriebenen Stückes. Bl. 7–8: 1 Bog. 2°. 2 S. Schreiberhand. Nicht ermittelter Autor. Über Diminutive. Anfang: Romulus diminutivum videtur siquidem penes nonnullas gentes mos hic inolevit, ut secundum aniles blanditias diminutiva nomina imponerent aetati tenellae, quae tamen provectioribus annis ne derogarent, consuetudo et neglectus effecit. Hinc hodieque in usu sunt apud Germanos nomina oppido multa, quae adjecto ke diminuuntur ut Rado – Radeke – contracte Raeke[.]
Bl. 9–10: 1 Bog. 4°. 1 ⅓ S. auf der Außenseite des Bogens. Eigh. Überschrift: „Observationes quaedam in linguam Bohemicam ex vocabulario Pragae edito
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cura Pauli Pressii. 8°. pag. 72“ (das ist eine nicht ermittelte Ausgabe von Paulus Pressius: Vocabularium trilingue.) Anfang (vgl. in der anonym unter dem Titel Vocabularium trilinguae pro usu scholarum nunc denuo diligenter et accurate editum erschienenen Ausgabe Prag [1650], S. 1–2): Syn filius convenit cum Germano Sohn[.] Nebe coelum convenit cum Heve oder Heave quod Anglis et Saxonibus est coelum, quemadmodum et Taivan est coelum apud quosdam septentrionales. Miror planet. 7 nomina esse propria apud Bohemos a Latinis diversa[.] Saturnus ipsis est Hladolet, […] Jupiter Kralomc, […] Mars Smrtonoss, […] Sol Slunce, […] Venus [Krásopani], Mercurius Dobropan, […] Luna Mesye[.]
Bl. 11–35: 12 Bog. 2°. Etwa 25 S. mit jeweils zwei Spalten meist auf den Außenseiten der Bögen. Eigh. Auszüge aus einer Schrift Johann Claubergs, offenbar seinem Wörterbuch (Ms IV 465). Bl. 36–45: 5 Bog. 2°. 20 S. Eigh. 1. Teil des 1. Konzept der unter Bl. 68–105 beschriebenen Schrift (2. Teil unter Ms IV 441 Bl. 16–23). Bl. 46–47. 48–57: 6 Bog. 2°. 22 S. Eigh. 2. Konzept der unter Bl. 68–105 beschriebenen Schrift. Bl. 47a: Zettel. 6 Zeilen. Eigh. Über die Vertauschung von G und H. Anfang: G in H. Germanus Hispanis in Hermano[.]
Bl. 58–59: 1 Bog. 4°. 1 ⅓ S. Schreiberhand mit eigh. Korrekturen. Eigh. Überschrift: „Ex Joh. Wallisii Grammatica Lingu. Angl. cap. 14 § ult. p. 126, 127“. Darunter eigh. (?): „außzulaßen“. Auszug aus John Wallis: Grammatica linguae Anglicanae, Oxford 1653, S. 126–127, von: „Multas autem voces quae nobis cum Germanis fere sunt communes“, bis „apud Latinos pariter reperiantur“ (vgl. Bl. 68–105; Ms XII 713q 6 Bl. 58). Bl. 60–63: 2 Bog. 4°. 4 ½ S. Schreiber wie Bl. 58–59 mit eigh. Korrekturen. Eigh. Überschrift: „Ex Joh. Wallisii Gramm. Lingu. Angl. cap. 14 p. 120 sqq.“ Auszug aus John Wallis: Grammatica linguae Anglicanae, Oxford 1653, S. 120– 123, von: „Notandum autem est, in vocibus linguae nostrae“, bis: „multas nativas voces exilio dederit et oblivioni.“ Diese Passage wird in § 17 der „Epistolaris de historia etymologica dissertatio“ (Ms IV 469 Bl. 68–105) zitiert (Bl. 76v–78r). In dem zweiten, eigh. Konzept (Bl. 46–47. 48–57) hat Leibniz nur ihren Anfang notiert und durch Auslassungspünktchen angedeutet, dass hier etwas einzufügen sei (Bl. 50r). Bl. 64–65: 1 Bog. 4°. 3 S. Schreiber wie Bl. 58–59 mit eigh. Korrekturen. Eigh. (?) Überschrift: „Ex Platone“. Abschrift der lateinischen Übersetzung von Sokrates’ Äußerung aus Plato: Kratylos, 426–427, die in § 18 der „Epistolaris de
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historia etymologica dissertatio“ (Ms IV 469 Bl. 68–105) zitiert wird (Bl. 78r– 79r). In dem zweiten, eigh. Konzept (Bl. 46–47. 48–57) hat Leibniz nur den Anfang dieser Stelle notiert und durch Auslassungspünktchen angedeutet, dass hier etwas einzufügen sei (Bl. 50v). Bl. 66–67: 1 Bog. 4°. 1 ⅓ S. Schreiberhand. Auszug aus Antonius Periandrus Rhaetus: „Clarissimi viri Francisci Guieti … vita“, in: François Guyet: Francisci Guyeti in P. Terentii comoedias VI commentarii, Straßburg 1657 (mit eigener Paginierung in: Publius Terentius Afer: Comoedia sex, hrsg. von Johann Heinrich Boeckler, Straßburg 1657), Bl. a 2r–Bl. c 2r, hier Bl. b 3v–Bl. b4r (Anfang: „… non elegantiam duntaxat et politiem confectebatur, sed origines potissimum scrutabatur, ac Latinam novo et ignoto antea consilio, a Graeca derivabat“; Ende: „ac typis evulgari posset“). Diese Passage wird in § 30 der „Epistolaris de historia etymologica dissertatio“ (Ms IV 469 Bl. 68–105) zitiert (Bl. 91r–91v). Bl. 68–105: 19 Bog. 2°. 73 ½ S. Schreiberhand, teilweise wie Bl. 58–59, mit eigh. Korrekturen. Dritte und letzte Fassung der „Epistolaris de historia etymologica dissertatio“ (ohne Überschrift). (2. Teil von § 29 auf Bl. 255) (Konzepte unter Ms IV 469 Bl. 36–45; Ms IV 441 Bl. 16–23; Ms IV 469 Bl. 46–57, Bl. 60–63, Bl. 64–65 und Bl. 66–67 sowie eventuell Bl. 58–59; vgl. Stefano Gensini: Il naturale e il simbolico. Saggio su Leibniz, Rom 1991, S. 195– 196.) (Gedr. ebd., S. 201–271.) Bl. 155–156: 1 Bog. 8°. Bl. 155r: ⅔ S. Eigh. Überschrift: „Ex ep[isto]la Meieri ad Ludolfum 9 feb. 1698“. (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 308– 309.) Bl. 155v: 1 S. Eigh. Überschrift: „Ex meis ad Dn. Ludolphum“. (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 309–310; A I, 15 N. 261.) Bl. 163: Zettel. ⅔ S. Eigh. Wortlaut (vgl. Lupus Ferrariensis: Opera, hrsg. von Etienne Baluze, Paris 1664, S. 80–81 und S. 112): Tempore Ludovici Germanici et Caroli Calvi etiam proceres Franci in Gallia habitantes videntur exiguum linguae Francicae usum retinuisse; etsi ipsi principes et qui circa eos erant, adhuc Francice id est Germanice loquerentur. Nam Lupus Ferrariensis postea Abbas in Sononensi Dioecesi, profectus in Germaniam sic loquitur in Epistola ad Immonem: Simpliciter vobis aperio principem operam me in Germania destinasse lectioni, et ad oblivionis remedium et eruditionis augmentum libros pauculos paravisse, nec Germanicae linguae captum amore, ut ineptissime quidam jactaverunt sarcinam subiisse tanti ac tam diuturni laboris[.] Idem ita scribit ad Marcuardum Prumiensem Abbatem: Inter alia quae jam nobis plurima praestitisti, linguae vestrae pueros nostros fecisti participes, cujus usum hoc tempore […] nemo nisi […] tardus ignorat.
Bl. 167–168: 1 Bog. 2°. 2 ½ S. Eigh. Aus und zu Johannes Petrus Ericus: Ανθρωπογλωττογονια sive Humanae linguae Genesis, Venedig 1697.
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Bl. 169: 1 Bog. 8°. Sechs Zeilen. Eigh. Auszug aus Rudolf von Ems: Weltchronik (wohl aus der Handschrift Wolfenbüttel Herzog August Bibliothek Cod. Guelf. 8. Aug. 4°; vgl. Otto von Heinemann: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, 2. Abteilung: Die Augusteischen Handschriften, Bd. 4, Wolfenbüttel 1900, Nr. 2966). (Gedr. in: Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 212.) Bl. 170: Zettel. Eigh. 2 S. Vorderseite: Überschrift: „Joh. Heringij schreiben an H. herzog Augusti zu Br[aunschweig]Luneb[urg] hochstseel. andenckens durchl. auß Verden 9 Decemb. 1698“ [vielmehr 1642]. (Gedr. in: Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 211, Anm. 203). Rückseite: Auszug aus Rudolf von Ems: Weltchronik (offenbar aus der Handschrift Wolfenbüttel Herzog August Bibliothek Cod. Guelf. 8. Aug. 4°; vgl. Otto von Heinemann: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, 2. Abteilung: Die Augusteischen Handschriften, Bd. 4, Wolfenbüttel 1900, Nr. 2966), mit Bemerkungen. (Gedr. in: Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 212). Bl. 171: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Scriptor. alien.“ Aufzeichnung zu Gottfried von Viterbo (vgl. Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 212). Bl. 172: 1 Bl. 2°. 1 ¾ Spalten. Eigh. Überschrift: „ad Loderecker Lex[icon] Harm[onicum] Slavon[icum]“ (das ist: Peter Loderecker: Dictionarium septem diversarum linguarum, videlicet Latine, Italice, Dalmatice, Bohemice, Polonice, Germanice, et Ungarice, Prag 1605). Anfang: A, Ab Slavonice od. Nempe hi populi septentrionales in fine syllabarum magis amant dentales quam labiales[.] Unde et abba pater Hebraeis et vicinis, atta, , Scythis, Celtis, Sarmatis. Abavus Dalmatis Sadid. Polonis Pradziad […] Abdere Dalmatis Szakriti. Pol[onis] Skryċ. Patet ex Dalmatico esse a Latino secretum[.] Abdomen […] faiste schmehr[.] Dal. Szaló[.] Pol. Sadło[.] Consonat Germanicum Schmalz. It[em] latinum sat, satur[.] Abies Dalm. Yela; Pol. jodla. Consonat Graece έλάτη[.]
Bl. 173. 177. 174: 1 Bog. und 1 Bl. 2°. 5 S. Eric Benzelius’ und Schreiberhand. Überschrift: „Praefatio ad Catechismum Americanum Joannis Campani, Sveci.“ Lateinische Übersetzung des Vorworts aus Johan Campanius Holm (Übersetzer): Lutheri catechismus, Stockholm 1696, Bl. [a] 2r–Bl. [a 8v]. Beilage zu Eric Benzelius’ Schreiben an Leibniz vom 11. (21.) Januar 1698 (A I, 15 N. 155). Bl. 178–183: 2 Bog. und 2 Bl. 2°. 10 ½ S. teilweise zweispaltig von Eric Benzelius’ und Schreiberhand. Überschrift: „Vocabularium Barbaro-Virgineorum“. Lateinische Übersetzung des Vocabularium Barbaro-Virgineorum aus Johan Campanius Holm (Übersetzer): Lutheri catechismus, Stockholm 1696,
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S. 133–160. Beilage zu Eric Benzelius’ Schreiben an Leibniz vom 11. (21.) Januar 1698 (A I, 15 N. 155). Bl. 184–187: 2 Bog. 2°. 2 S. und 2 ¾ Spalten auf den Außenseiten der Bogen. Eigh. Polnische Wörter mit deutscher Übersetzung, Erklärungen und Bemerkungen. Anfang (vgl. Andreas Müller: Disquisitio geographica et historica, de Chataja, Berlin 1671, S. 3, linke Spalte): Czarny schwarz, Czart diabolus, Szatan, Bies, olim der slavische schwarze Gott, zerneboe Turcis kara schwarz[.] Die Scythischen volcker unterscheiden die volcker oder lander nach den Nahmen [der Farben]. Schwarz, weiß, roth Rußland, Kara deni schwarze Meer Turcis, das weiße das mittelmeer das Arabische das rothe, den persianschen meerbußen nennen sie das grune meer, und das Caspische das gelbe. Also wurde in Persien einsmahls eine faction der konig auff Arabisch Kara Kojonly, des schwarzen Widders, die andere Ac Kojonlu des weißen widders genennet vid. Archontol. Cosm[icam] de imperio Sophi, p. 155. Muller Chataja p. 3. a.
Bl. 188–198. 5 Bog. 2°. 14 ½ S. und 1 unregelmäßiger Zettel (Bl. 196). Eigh. Aus und zu Franciscus Junius: Quatuor D. N. Jesu Christi evangeliorum versiones perantiquae duae, Gothica scil. et Anglo-Saxonica, Dordrecht 1665, und dem beigefügten Gothicum glossarium, Dordrecht 1665. Bl. 199–201: 1 Bog. und 1 Bl. 2°. 5 ⅔ S. Eigh. Aus und zu George Hickes: Linguarum vett. septentrionalium thesaurus grammatico-criticus et archaeologicus, 2 Bde., Oxford 1705. Bl. 202–205: 2 Bog. 4°. 6 ¼ S. Schreiberhand. (Gedr. in: Collectanea Etymologica, pars II, S. 352–360.) Bl. 206–215: 5 Bog. 2°. 7 ½ S. teilweise zweispaltig auf den Außenseiten der Bogen. Eigh. Überschrift: „Notae in dictionario Gallicae Academiae“. Zahlreich durch gekreuzte Striche voneinander abgegrenzte Notizen aus Le Dictionnaire de l’Académie Françoise, Bde. 1–2, 1694. Bl. 216–219: 2 Bog. 2°. 3 S. und 4 Zeilen auf der Innen- bzw. Außenseite der Bogen. Eigh. Auf dem sonst leeren Bl. 216r die Überschrift: „Veteres scriptores Germanicae lingvae ex M[anu]s[cript]is“ (vgl. Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 208–210). Mehrere durch gekreuzte Striche voneinander abgegrenzte Notizen. Bl. 220–225: 3 Bog. 2°. Etwa 6 S. mit 12 Spalten, zum Großteil auf den Außenseiten der Bogen. Eigh. Aus und zu Edward Lhuyd: Archaeologia Britannica, giving some account additional to what has been hitherto publish’d, of the languages, histories and costoms of the original inhabitants of Great Britain, Bd. 1: Glossography, Oxford 1707 (vgl. Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 286, Anm. 357).
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Bl. 226–229. 244: 2 Bl. 1 Bog. 1 Bl. 2°. 6 S. mit 12 Spalten. Eigh. Konzept zu Bl. 230–243. Bl. 230–243: 7 Bog. 2°. 27 S. Schreiberhand mit eigh. Korrekturen und Ergänzungen. (Konzept unter Bl. 226–229. 244.) Lateinisch-tschechisch-polnisches Wörterverzeichnis. Anfang: Abditus, Zakryti Boh. Skriti Pol. (secretus.) Abluere, Smeyti Boh. Convenit smegma, zmyk, et Germ. schmücken. Acanthis, czizek Boh. idem Pol. Tsiz Hung. Zeisig Germ. Accipio, Prigiti Boh. (credo, a prehendendo) Biore Pol. credo a bohren, ferre. Hinc Pol. burdy de clitellis quasi Bünde.
Bl. 245–248: 2 Bog. 2°. 6 S. Eigh. Teil eines Konzepts zu der unter Ms IV 441 Bl. 3–14 beschriebenen Schrift. Bl. 249: 1 Bl. 2°. 1 ½ S. Eigh. Auf Bl. 249r links oben: „Octob. 1709“. Rechts oben: „An H. Beßel nach der Moscau geschickt.“ Anfang (es folgt die Bitte um Sprachproben, nämlich das Vaterunser und verschiedene einzelne Wörter, etwa „Nomina Numeralia“, „Nomina partium corporis humani“ oder „Nomina cognationum“): Man verlanget nachricht von den anstalten so der Große Czar wegen der Studien in seinem Reiche gemacht; und ob er eine Neue Bibel in Slavonischer sprache drucken laße, wie der titel sey, welches jahr sie heraus kommen, ob man die alte version darinn viel geändert. Was für bücher in der Moscau neu gedruckt worden[.] Was fur gelehrte leute sich da befinden[.] Weilen viel Völcker in dem Großen Reich des Czars begriffen, oder daran stoßen, deren Sprachen von der Rußischen oder Slavonischen unterschieden, so möchte man wohl wündschen Specimina von solchen sprachen zu erlangen, weil daraus von Ursprung und verwandniß der Volcker geurtheilet werden kan[.] Und ist zu vermuthen, es werden sich in der Hauptstadt Moscau Leute finden, darinn nachricht geben köndten.
Bl. 250: 1 Bl. 2°. 1 ¼ S. Eigh. Deutsch-livisch-ruthenisch-ungarisch-walachischfinnisch-kalmückische Wörterliste nach Bl. 251–252. Unter dem Textende: „Communicirt von H. Wecken zu Dreßden 28. Novembr. 1712[.] Soll aus des konigs in Schweden Canzley kommen seyn“. Bl. 251–252: 1 Bog. 2°. 4 S. Schreiberhand. Johann Konrad Weck für Leibniz: Deutsch-schwedisch-livisch-ruthenisch-ungarisch-walachisch-finnisch-kalmückische Wörterliste. Bl. 253–254: 1 Bog. 2°. 3 ½ S. Hand des Sekretärs von Gustav Daniel Schmidt. Inhaltsübersicht zu Georg Stiernhielms geplantem (aber nicht erschienenem) Werk Babel destructa seu Runa Suethica (vgl. A I, 14, 247, Erl. zu Z. 7–8; Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 31).
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Bl. 255: 1 Bl. 2°. 2 S. Eigh. 2. Teil des § 29 der unter Bl. 68–105 beschriebenen Schrift. Bl. 256. 261: 1 Bog. 4°. Auf Bl. 256r oben links: „LaCrosius“. Mit den Notizen auf diesem Bogen scheinen einige handschriftliche Einträge in dem durchschossenen Exemplar der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB) von Andreas Müller: Oratio orationum. SS. orationis dominicae versiones praeter authenticam fere centum, Berlin 1680 (Libri impr. cum notis mss. qu. 21; mit dem eingeklebten Exlibris: „C. S. Jordani, et amicorum“) zusammenzuhängen, möglicherweise wurden diese nach Leibniz’ Angaben ergänzt. Bl. 256r: 1 S. Eigh. Überschrift: „Oratio dominica [ex edi]tione Boyleana N. T. Hibernica“ (vgl. in dem genannten Buch der SBB Bl. 57). Nach dem Gebetstext: In Aremorico antiquiore seu Trecorensi Neon etiam coelum (+ unde credibile judico antiquorum Britonum Colonos fuisse Hibernos.)
Bl. 256v: ½ S. Eigh. Überschrift: „Oratio Dominica Aremoricana sive Britanniae minoris“ (diese Übersetzung mit einer Paraphrase der folgenden Bemerkung findet sich auf Bl. 52v in dem Buch der SBB). Nach dem Gebetstext: Ex Catechismo in 12°. edito lingua Britannica 1691 in Civitate quae Gallice S. Paul de Leon et Britannice Castel-Pol vocatur. Triplex autem est Britannica Armoricae dialectus, alia Corisopitensis, alia Trecorensis, quae purior est et antiqui sermonis tenacior, ultima Leonensis, quae huius catechismi, vocibus Gallicis permista[.]
Bl. 261v: 1 S. Eigh. Erste Überschrift: „Oratio Dominica Venedica, Windisch ed. Tubing. 4°. 1557 apud Roystuu“ (vgl. Ta Pervi Deil Tiga Noviga Testamenta, bearbeitet von Primož Trubar, Tübingen 1557). Danach die Bemerkung: „Satis consentit Servicae apud Mullerum“ (vgl. Andreas Müller: Oratio orationum. SS. orationis dominicae versiones praeter authenticam fere centum, Berlin 1680, S. 54; in dem Exemplar der SBB findet sich der gedruckten S. 54 gegenüber (Bl. 66r) ein handschriftlicher Eintrag mit der Überschrift: „Venedica seu Windisch. vulgo Vandalica sed male. vid. Hartknoch. Resp[ublica] Polonica. [Frankfurt / Leipzig / Jena 1678.] Pag. 8. 9. 10.“ Daneben: „ed. Tubing. in 4. apud Christ. Roystuu. 1557“). Nach dem Gebetstext die zweite Überschrift: „Livonica. Ex Bibliis Livonicis Rigae editis 1689 apud Jo. G. Wilken“ (In dem Buch der SBB findet sich auf Bl. 66v ein entsprechender Eintrag). Nach diesem Gebetstext eine Bemerkung mit dem Anfang (vgl. Christoph Hartknoch: Selectae dissertationes historicae de variis rebus Prussicis, mit eigener Paginierung in: Petrus de Dusburg: Chronicon Prussiae, hrsg. von Christoph Hartknoch, Frankfurt / Leipzig 1679, hier S. 85–87; vgl. auch S. 8; die ersten beiden der genannten drei Übersetzungen finden sich in dem Buch der SBB auf Bl. 68r):
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung Hartknoch in diss. Historicis de variis rebus Prussicis ter Orationem dominicam Prussice exhibet, unam ex Catechismo Prussice edito Regiom[ontii] 1545. alteram ex alia editione, 3tiam ex Simone Grunovio Tolkemitano O[rdinis] P[raedicatorum] Monacho qui Chron[icon] Prussiae scripsit Germanice ante 150 et quod excurrit annos quod solum extat Ms.
Bl. 257–258: 1 Bog. 4°. 2 S. Eigh. Oben links auf Bl. 257r: „LaCrosius“. Über die angelsächsische und gotische Schrift und verschiedene Übersetzungen des Vaterunser. Bl. 259: 1 Bl. 4°. ½ S. Schreiberhand mit eigh. Überschrift: „Laplandisch Vater unser aus Mullero excerpiret“ (vgl. Andreas Müller: Oratio orationum, Berlin 1680, S. 57). Bl. 260: 1 Bl. 4°. 2 S. Eigh. Überschrift: „Comparatio Linguarum ex variis Orationis Dominicae versionibus, quas Gesnerus in Mithridate, Megiserus, Wilkinsius aliique viri docti exhibuere“. Erwähnt werden unter anderem Arabisch, Armenisch, Äthiopisch, Biskayisch, Dalmatisch, Dänisch, Englisch, Friaulisch, Friesisch, Gotisch, Hebräisch, Irisch, Isländisch, Italienisch, Koptisch, Kroatisch, Litauisch, Livisch, Persisch, Polnisch, Russisch, Sardisch, Serbisch, Spanisch, Syrisch, Tatarisch, Tschechisch, Türkisch, Ungarisch, Walisisch (vgl. Conrad Gesner: Mithridates, Zürich 1610; Hieronymus Megiser: Specimen quinquaginta diversarum atque inter se differentium linguarum et dialectorum videlicet oratio dominica, Frankfurt a. M. 1603; John Wilkins: An essay towards a real character, and a philosophical language, London 1668 [S. 7]). Bl. 262–263: 1 Bog. 2°. 3 ¾ S. Eigh. Überschrift: „Linguae Britannicae lexicon Boxhornius originibus Gallicis subjecit ex Daviesii lexico Cambrico autoritate regis Jacobi edito cujus et meminit Boxh. Hist. univ. ann. 449[;] Unde quaedam notare placet nostris convenientia“. (Teilkonzept der in Collectanea etymologica, pars I, S. 81–154 gedruckten Schrift.) Bl. 264–267: 2 Bog. 2°. 8 S. Eigh. Am oberen Blattrand: „Vocabula localia Bremensia“. Ordnungsvermerk: „Linguae“. Konzept der in Collectanea etymologica, pars I, S. 33–56, abgedruckten Ad Glossarii Chaucici specimen notae (das specimen ist ein Werk Johann Justus Kelps), mit folgendem, in den Collectanea nicht, aber bei Feller: Otium Hanoveranum, S. 44–45, in einer etwas abweichenden Fassung unter dem Titel Excerptum ex epistola Leibnitii ad quendam,qui omnia a Gothis derivare volebat. (Ad Meierum, opinor, Theologum Bremensem, qui Glossarium Germanicum molitus est.) gedrucktem Anfang: Haereo an conveniat nostra a Gothicis derivari. Etsi enim ob veterum testimonia verisimilitudine non careat Gothos in Scandia fuisse; ob Cluverii tamen argumenta, et rerum ipsarum dissonantiam, plurimum adhuc dubitationis habet quod igitur pro conjectura ingeniosa alicubi asserere licet de Getis, Jutis, Caucis iisdem nescio an tuto pro basi ubique substernantur. Et praeterquam quod immodicam septentrionalium jactationem alimus, qui omnia nostra illinc
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profecta volunt; ego non video cur magis nostra a Gothicis quam a Cimbricis sint petenda, aut cur non pro Gothico praestet, antiquam radicem Germanicam vel Teutonicam nominare, cujus aliquando apud Scandinavios et Islandos, aliquando apud Anglos, aliquando apud Gothos Ulfilae, aliquando apud Francos Otfridi, aut alibi vestigia extant; ne scilicet incertitudo totam inficiat operis structuram. Anglo-Saxonica tutius adhibentur; nam constat Anglosaxones a nobis egressos[.] Placet percurrere Glossarii Chaucici Specimen, et extemporaneas cogitatiunculas aspergere. Literae A primum quod ipse titulus profitetur, fluxisse haec ex antiqua Runica, Scandica vel Gothica, seponi optem, ob rationes dictas. Praesertim cum mihi certum videatur ipsos potius Scandinavios Cismarinae Germaniae propaginem esse, etsi illi postea forte Colonias aliquas remiserint nobis, de quo tamen non satis certo constat[.]
Bl. 268–271: 2 Bog. 2°. Eigh. Überschrift: „Cymraea comparata cum aliis linguis“. Wortliste mit 11 wie folgt überschriebenen Spalten: „Germ.“, „Latin.“, „Graec.“, „Observ.“, „Scyth.“, „Celt.“, „Gallica Ital. Angl.“, „Celtica“, „“, „Latin.“ Bl. 272–273: 1 Bog. 2°. Eigh. 1 S. auf Bl. 272r, 3 Zeilen auf Bl. 272v, 1 Zeile auf Bl. 273v. Überschrift: „Ad Lex. Britann.“ Teilkonzept der in Collectanea etymologica, pars I, S. 81–154 gedruckten Schrift. Bl. 274–275. 1 Bog. 4°. 4 S. Schreiberhand. Überschrift: „Extract auß Abr. von Franckenberg Schreiben an H. Gottfr. Sturmen: Von der deutschen Sprache Natur und Eigenschafft“. Daneben: „Ex Autogr. Aut.“ Der Brief datiert vom 26. August 1644. Nach dem Briefende folgt eine Bemerkung von anderer Hand. Anfang: Was noch ferner in deutscher Sprache zu verbeßern, und auszupoliren seyn möchte, laße ich denjenigen, welche beßern Trieb u. Licht hierzu empfangen. Erinnere nur dieses, daß es an sehr vielen Singularitaeten noch ermangelt, denen nicht unbillich nachzudencken, Denn daß ich derjenigen unbekandten Wörter, welche so wohl in Mechanicis, als Liberalioribus Termini Technologici, oder Kunst-Wörter, Handwercks-zeug u. Gewohnheit genannt, und gar selten, oder gar nicht in den Büchern gefunden werden, geschweige, wäre es keine so schlechte und vergebliche Arbeit, die alte ursprüngliche Natur-Sprache wiederumb hervor, und die natürlich eingepflanzten oder eingschaffenen Eingenschafften der Geister, Stimmen, solcher Wörter und Redens-Arten zu durch suchen.
Bl. 276–277: 1 Bog. 2°. 2 S. Schreiberhand. Mit eigh. Ergänzungen und Auflösungen von Abkürzungen. Überschrift: „Nomina Frisica. Vid. Emm. L. 2. p. 33. ejusdemque schediasma de nominibus familiarum nobilium operi historico praemissum“. (Gedr. in: Collectanea Etymologica, pars II, S. 235–237.) Ms IV 469a Bl. 1: Vermisst seit 1967. 2°. 2 S. Nicolaas Witsen für Leibniz: Das Apostolische Glaubensbekenntnis in der Sprache der Hottentotten. (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 382–384.)
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Bl. 2–3: Vermisst seit 1967. 2°. 4 S. Nicolaas Witsen für Leibniz: Die zehn Gebote in der Sprache der Hottentotten. (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 377–382.) Bl. 4: Vermisst seit 1967. 4°. 2 S. Nicolaas Witsen für Leibniz. Überschrift von Leibniz: „Het onse vader in Hottentots“. (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars II, S. 375–377.) Bl. 7. 10: Vermisst seit 1967. 4°. 2 ¼ S. Eigh. Abschrift vorhanden in der Potsdamer Leibniz-Editionsstelle der BBAW. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Überschrift: „Untersuchung des grundes und Ursachen der buchstab-veranderung einiger Teütschen wörther … als ein Muster von einem großen vorhabenden werck durch Johann Leonhard Fritsch SubConrector im Berlinschen Gymnasio. Berlin. Gedruckt mit der Salfeldischen witbe schrifft. 8°. pagg. 48.“ Auszug aus Johann Leonhard Frisch: Untersuchung des Grundes und Ursachen der Buchstab-Veränderung etlicher Teutscher Wörter, Berlin [1716]. Anfang (vgl. ebd., S. 4–6; Josua Maaler: Die Teütsch spraach, Zürich 1561, Bl. 1r; Georg Philipp Harsdörffer: Poetischer Trichter, 2. Theil, Nürnberg 1648, S. 119): Pictorii Schweizerisch teütsches worterbuch vom 1561. jahres mit Harsdorffer in des Poetischen Trichters anhang, […] Schottelius, Bodiker sezen A oder aa […] als ein stam-wort. Der Autor ziehet ihm vor Aha denn die alten Teütschen […] waßer damit bedeutet. […] Viel fluße heißen also, die Ablach, […] Ostrach, […] Schwarzach, […] die Acha fallet unterm Lech […] aus Bayern in die Donau.
Bl. 8–9: Vermisst seit 1967. 8°. 4 S. Eigh. Konzept der unter Ms IV 469 Bl. 3–4 beschriebenen Schrift. Abschrift vorhanden in der Potsdamer LeibnizEditionsstelle der BBAW. Bl. 11–12: Vermisst seit 1967. 4°. 1 ½ S. Eigh. Verzeichnis lateinischer Wörter, deren Übersetzung in exotische Sprachen Leibniz wünscht. Bl. 15: Vermisst seit 1967. 8°. ¾ S. Eigh. Aufzeichnung betreffend die deutsche Orthographie. Bl. 16: Vermisst seit 1967. 8°. ¾ S. Eigh. Auszug aus Franciscus Junius: Gothicum glossarium, Dordrecht 1665. Auf der Rückseite ein durchstrichenes eigh. Briefkonzept. Bl. 17–17a: Vermisst seit 1967. 2°. ½ S. Eigh. Aufzeichnung zur Etymologie. Bl. 18: Vermisst seit 1967. 2°. 1 S. Eigh. Überschrift: „Specimen Apparatus ad Philologiam Germanicam“.
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Ms IV 470 Bl. 1: 1 Bl. 2°. 1 S. Eigh. Auszüge aus verschiedenen (?) Werken unter anderem über die hebräische und andere Sprachen. Bl. 2: 1 Bl. 2°. 2 ⅔ Spalten eigh. In der linken Spalte der Vorderseite: „Anglo Saxonica Monosyllaba ex Graecis detruncata. Jun. ad Willeram. p[agina] m[ea] 233.“ Ab dem unteren Achtel dieser Spalte: „Cimbrica monosyllaba ex Olai Wormii Lexico Runico et aliis scriptis“. Ab der rechten Spalte der Vorderseite: „Monosyllaba Cambrica ex Graecis contracta“. (Vgl. Franciscus Junius: Observationes in Willerami Abbatis Francicam paraphrasin cantici canticorum, Amsterdam 1655, S. 233–283.) (Vgl. auch Ms IV 469 Bl. 1–2.) Bl. 3: 1 Bl. 2°. 1 S und 3 Zeilen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „ 960“. Aus und zu Adam Bohoric: Arcticae horulae succisivae, de Latinocarniolana literatura. Ad Latinae linguae analogiam accommodata, unde Moshoviticae, Rutenicae, Polonicae, Boemicae et Lusaticae linguae cum Dalmatica et Croatica cognatio facile deprehenditur, Wittenberg 1584. Bl. 4: Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „338“. Wortlaut (vgl. Curzio Inghirami: Ethruscarum antiquitatum fragmenta, Frankfurt a. M. [vielmehr Florenz] 1637; Ad antiquitates Etruscas quas Volaterrae nuper dederunt observationes, Amsterdam 1639, S. 47–48 und S. 65): Autor obs[ervationum] in Inghirami ant[iquitates] Hetr[uscas] editus Amst. 1639. Bernardini Baldi explica[ti]o[n]es Tabulae Eugubinae vocat deliramenta, quae et Annii autoritate stabilire , licet id dissimulet. Vocat ridiculam […] divina[ti]o[n]em[.]
Bl. 7: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Wortlaut (vgl. Samuel Bochart: Geographia Sacra, Frankfurt a. M. 1674, S. 734–758): De lingua veteri Celtica hodiernave Britannica, ejusque cognatione cum Phoenicia Bochartus lib. 1. Chanaan c. 42. peculiari[.]
Bl. 8: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Wortlaut (vgl. John Wallis: Grammatica linguae Anglicanae, Oxford 1653, Bl. [A 6v]: Scoti montani (Highlanders […]) hos (qui vocantur Lowlanders) non minus quam Anglos, Sassons hoc est Saxones appellant, se vero Gael et Gajothel. Wallis praef. Gram. Angl.
Bl. 10: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „60“. Wortlaut (vgl. Heinrich Muhlius: De origine linguarum variarum, stirpeque ac matre Graecae, Latinae et Germanicae, Hebraea dissertatio, Kiel 1692):
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung Petrus Loerius in praefectura Andegavensi Consiliarius teste Menagio in vita Petri Aerodii (apud Henr. Muhl. prof. Chilon. in inaugurali or[ati]one p. 143) ita insaniebat amore orientalium […] literarum, ut etiam nomina vulgaria pagorum seu villarum in Gallia inde derivaret[.]
Bl. 11: Zettel. Eigh. Zwei durch einen gekreuzten Strich voneinander getrennte Notizen. Ordnungsvermerk: „Ling.“ Nummerierung: „292“ bei der 1. und „287“ bei der zweiten Notiz. Wortlaut (vgl. Marcus Zuerius Boxhorn: Originum Gallicarum liber, Amsterdam 1654, S. 108–111): Quae Joh. Picardus Toutrerianus in opere de prisca Celtopaedia, Gallica ex Graeco ducit, eadem Boxhornius Germanico convenire ostendit orig. Gall. c. 8. p. 109[.] Linguam Gallicam a Germanica fuisse diversam Joh. Rhellicanus Tigurinus ad lib. 1. Caes. de bello Gall[ico] apud Boxhorn. cap. 9. orig. Gall[.]
Bl. 12: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingua“. Nummerierung: „830“. Wortlaut (vgl. Gerardus Cambrensis: Descriptio Cambriae, cap. VI, in: Anglica, Normannica, Hibernica, Cambrica, a veteribus scripta, hrsg. von William Camden, Frankfurt a. M. 1603, S. 886): Cornubiensis […] quanto delicata minus et incomposita, eo magis […] antiquo linguae Britannicae idiomati […] appropriata est. Sicut in Australis Angliae finibus […] circa Devoniam Anglica lingua hodie magis videtur incomposita, ea tamen vetustatem longe plus redolet borealibus insulae partibus per crebras Dacorum et Norwagiensium irruputiones magis magis corruptis. … Omnes libros Anglicos Bedae Rabani Regis Alfredi […] sub hujus idiomatis proprietate scriptos invenies[.] Ita Giraldus Cambriensis vetus autor in descriptione Cambriae[,] vixit circa tempore Henrici II.
Bl. 13: Langer Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „596“. Anfang (vgl. Johannes de Laet: Notae ad dissertationem Hugonis Grotii de origine gentium Americanarum, Amsterdam 1643, S. 140–142): Laetius partes humani corporis Cambrice et Hibernice confert. Cambr. Hibern. Dyn Duini Homo […] Anadl Anam anima […] Croen Craicinn pellis […] Penglog Cloiginn cranium (+ an quasi clocka, cloche capitis?)
Bl. 14: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Zur Etymologie des Wortes „Bier“ (vgl. Ms XII 713q 9 Bl. 75). Bl. 16: 1 Bl. 4°. 1 S. und 5 Zeilen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „338“. Überschrift: „Ex Tabula Eugubina“. Aus und zu dem Text der Iguvinischen Tafeln.
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Bl. 17: 1 Bl. 2°. 1 S. Eigh. Auf Bl. 17r oben: „Ex Vulcanio ad Jornandem“. Aus und zu Bonaventura Vulcanius: De literis et lingua Getarum sive Gothorum, Leiden 1597. Bl. 18: Kurzer Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Wortlaut: Hadriani Valesii opinio: populos quorum lingua a Latina remotior est, pronuntiationem ejus veram melius servasse[.]
Bl. 19: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Über eine bei Giovanni Antonio Summonte: Historia della citta e regno di Napoli, Neapel 1602, Bd. 1, S. 441, gedruckte Inschrift in Neapel. Bl. 20: 1 Bl. 4°. 1 ½ S. Eigh. Aus und zu Johann Ludwig Prasch: De Latinismis et barbarismis commentariolum, Jena 1704. Bl. 21: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „36“. Über die Mensa Isiaca. Anfang (vgl. Lorenzo Pignoria: Vetustissimae tabulae aeneae sacris Aegyptiorum simulachris coelatae accurata explicatio, Venedig 1605; Athanasius Kircher: Oedipus Aegyptiacus, T. III, Rom 1654, S. 79–160; Olof Rudbeck: Atlantica sive Manheim, Bd. 2, Uppsala 1689, S. 660–672): Praeter Pignoriam Mensae Isiacae figuras syntagmate peculiari in Oedipum insertae explicat Kircherus, quod non notatum Ol. Rudbeckio, qui rem de Calendario explicat[.]
Bl. 22: Kurzer Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „36“. Über einen bei Wilhelm Ernst Tentzel: Monatliche Unterredungen, März 1690, S. 280–282 beschriebenen Achat „mit einer unbekannten Schrift“ (ebd., S. 280; Abbildung auf Bl. [P 1v]). Bl. 23: Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „36“. Wortlaut (vgl. Jodocus Willich: In Cornelii Taciti equitis Romani Germaniam commentaria, Frankfurt a. d. O. 1551, Bl. D 2v–Bl. D 3r): Non puto Gothos literas ab Ulphila accepisse, nec Illyrios ab Hieronymo, nam cur viri illi doctissimi literas corruptas eis tradidissent[?] Credibile est ergo a barbaris ipsis fuisse ascitas ex commercio cultorum populorum, sed permutatione passim facta et corruptione qui pro quo. Willichius Germ. Taciti vult Germanos usque ad Rudolphi I. tempora Graecis literis exarasse rationes et acta. Male.
Bl. 24: Langer Zettel. 1 ¾ S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „36“. Über zwei bei Lorenzo Pignoria: Symbolarum epistolicarum liber primus, Passau 1629, epist. XII, S. 42–47, abgebildete und beschriebene antike Münzen. Bl. 25: Zettel. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „36“. Über dem Text: „Ita saepe vocabula etiam contrahuntur, ut deinde origines non appareant[.]“
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung
Auszug (ausgelassen wurden zwei Beispiele; vgl. Olof Celsius: De runis Helsingicis epistola, Roma 1698, wo allerdings andere als die von Leibniz genannten Runen aufgeführt werden): Magnus Celsius explicationem Runarum Helsingicarum invenit, observando fulcra tantum deesse, … videntur laboris seu in saxis sculpendi Compendium facere voluisse Helsingenses, in quorum hae literae provincia sculptae reperiuntur[.]
Bl. 26: 1 Bl. 8°. 1 ½ S. Eigh. Überschrift: „Signa. Gestus“. Aus und zu Giovanni Bonifacio: L’arte de’ cenni, Vicenza 1616. Anfang (vgl. Vergil: Aeneis, 6, 497): Joh. Bonifacius j[uris]c[onsul]tus et Archipresbyter Rhodiginus scripsit librum de Arte signorum sive potius Gestuum Arte de’ Cenni (de arte)[.] Duae sunt partes operis, prior tractat de signis, quae membris corporis nostri damus eorumque significatu; Et primum de signis quae capite dantur ut annuere, inde ad reliquas corporis partes pergit. Miscet etiam physiognomica quae non voluntate nostra, sed natura exhibentur; ut nasus grandis; quin et quae facimus in altero invito comparere, ut nasus truncus, contumeliosum; unde Virgilius: truncas inhonesto vulnere nares. Pars posterior quae brevior est, ostendit usum sigorum in variis disciplinis, ut Arithmetica, Musica aliisque[.] Signa autem ut dixi non alia intelligit, quam quae membris humani corporis fiunt. Non tamen praestat quod ego desiderabam[.] Constat enim dari artem quandam explicandi Mentem suam per signa, non ab instituto aut pacto ut vocabula, sed a natura profecta. Haec arte necessario utuntur, qui ad litora barbara et ignota, nec commerciis frequentata primi appellunt.
Bl. 27: 1 Bl. 2°. 1 S. und 9 Zeilen. Anfang von Schreiberhand (es folgen von anderer Hand: „Pater noster sicut Transsylvani Saxones loquuntur et pronunciant“, und andere Proben dieser Sprache): Desideratur specimen vocabulorum, et modorum loquendi peculiarium Saxonibus Trans Sylvaniae id est, non ut loquuntur homines cultiores, sed ut loquitur plebs, ut comparari possint cum lingua plebeia nostrorum Saxonum. Dicitur enim esse in plebe illa multas voces nec Hungaricas nec Slavonicas, et tamen aliis Germanis communiter non intellectas.
Bl. 28: 1 Bl. 2°. 1 S. und 9 Zeilen. Eigh. Aus und zu Georg Stiernhielm: „De linguarum origine praefatio“, in: D. N. Jesu Christi ss. evangelia ab Ulfila … ex Graeco Gothice translata, nunc cum parallelis versionibus, Sveo-Gothica, Norraena, seu Islandica, et vulgata Latina edita, Stockholm 1671, Bl. a 3– Bl. [f 4v], Anfang (vgl. ebd. Bl. a 3r–[a 4v]): Georgii Stiernhielmii de linguarum origine praefatio est addita Suedicae editioni Codicis argentei quae prodiit 1671. 4°. Stockholmiae[.] Moesiae incolae Gothi minores; Moesia Jornandi Scythia minor. Vulgo credunt plura esse linguarum principia per Babylonicam Captivitatem introducta, linguam Hebraeorum primogeniam esse, Latinam […] ortam ex Graeca. Voces Germanorum Latinis consentaneas ortas ex Latina. Uno fere illo infelici Goropio dissentire auso[.] An semper pueri nunquam desuescemus a serperastris[.] Videatur omnes linguae quae in orbe cognito extiterunt hodieque extant ex una ortae, et ad unam posse reduci.
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Bl. 29: Kleiner Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „297“. Wortlaut (vgl. Johann Ludwig Prasch: De Latinismis et barbarismis commentariolum, Jena 1704, S. 4): Barm Celtis […] parvum vide leg. Sal. tit. 4. unde barmherzig µικροψυχοσ[.] Praschius in latinismis[.]
Bl. 30: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Überschrift: „Ita“. Wortlaut: Ita sane est affirmantis a Graeco ειτα id est: porro. Deinde. Nam qui ait: ita, is videtur dicere, esto, passe, perge. Nec obstat quod ειτα habet primam longam, et ita brevem, neque enim ista semper adeo exacte respondere, exemplis constat[.]
Bl. 31–32: 1 Bog. 8°. 4 S. Eigh. Überschrift: „Lingua Hispanica“. Datierung: „Novemb. 1678“. Unter der Überschrift ergänzt: „Hic exemplis disci potest quomodo Hispanica nunc Gallicae, nunc Italicae, nunc Germanicae nunc Latinae consentiat“. Anfang (vgl. Francisco Loubayssin de la Marca: Engaños deste siglo y historia sucedida en nuestros tiempos, Paris 1615): Secundus tertiusve librorum Hispanicorum in quibus aliquid legi fuit libellus inscriptus Engaños deste siglo […] compuesta por Francisco Loubayssin de Lamarca gentilhombre Gascon. En Paris […] 1615. 12°[.] Legi dedicationem et praefationem, et sequentia inter legendum mihi notavi[.]
Bl. 33: Zettel. 1 ¼ S. Eigh. Aus Ovidio Montalbini [Giovanni Antonio Bumaldo]: Bibliotheca botanica, Bologna 1657. Wortlaut: In Novo Italico idiomate, […] vulgari non vulgari, […] melioris locutionis parens […] (teste Dante ipso Aligherio) fuit Guido Guinicellus Bononiensis vates anno domini 1200 et ornatissimus mox cultor Galeottus de Guidottis Bononiensis Rhetor […] anno domini 1250, qui Tullium ipsum Bononensi aeque ac Romana Latii lingua loquentem protulit, ut in codice ejusdem videre est, cujus perpulchrum exemplar in proprio asservat antiquiorum scriptorum divite Musaeo Exc. Ovidius Montalbanus eruditiorum vetustatum amantissimus et indagator solertissimus. Ita habet Joh. Ant. Bumaldus in Bibliotheca Botanica p. 34 agens de agriculturae libro Crescentii[.]
Bl. 34: Zettel. Eigh. Überschrift: „Linguae Gallicae et aliarum origines ex Germanica.“ Wortlaut: Wolfangi Hungeri liber, quem Argentinae [1586] publici juris fecit, hoc titulo: Linguae Germanicae vindicatio contra exoticas quasdam quae complurium vocum et dictionum mere Germanicarum etymologias ex sua petere conatae sunt, inprimis agit de lingua Gallica.
Bl. 35: Zettel. Eigh. Wortlaut (vgl. Justus Georg Schottel: Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache, Braunschweig 1663, S. 1038–1098): Nomina propria veterum Germanorum a scriptoribus Graecis et Latinis […] ex genuino Teutiscae linguae fundamento […] explicata. Schottelii lib. 5 tr. 2. totus in hoc est[.]
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Bl. 36 : Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Auf der Rückseite Reste einer Adressierung an Leibniz („Mons. Mons. de Leibnitz Conseiller privé et de l’Justice d. S. A. E. à Hannover“). Unter dem Textende: „“. Wortlaut (vgl. Hans Georg Herwart von Hohenburg, Novae, verae et exacte ad calculm astronomicum revocatae chronologiae, seu temporum ab origine mundi supputationis, capita praecipua, München 1612, S. 7): Linguam Deorum cujus Homerus aliique veteres mentionem fecerunt, Germanicam seu Teutonicam illam priscam esse arbitratur, idque rationibus se probaturum affirmat Johannes Georgius Herwartus ab Hohenburg in sua Chronologia cujus praecipua capita prodierunt Anno 1612 Monachii Bavariorum ex officina Nicolai Henrici in quarto[.]
Bl. 37: Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Linguae“. Nummerierung: „52“. Über dem Text: „inserirt“. Und: „Librum suum de arte ponderandi dedicavit Rudolf imp. et Noribergensibus“ (vgl. Simon Stevin: De Beghinselen der Weegconst, 1586). Wortlaut (vgl. Claude Comiers: Traité de la parole, langues et ecritures, Brüssel 1691, S. 40–41): Stevin dès la page 114 de sa Geographie […] donne 742 verbes Monosyllabes au bas Allemand; […] le latin n'en a que 5, et les Grecs n’en ont point. Il donne aussi […] 1428 noms[,] pronoms et propositions monosyllabes en bas Allemand et la langue latine n’en a que 158 Graeca 220[.] Comiers traité de la parole[.]
Bl. 38: 1 Bl. 4°. 1 ⅓ S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „593“. Auf der Rückseite eine Adressierung an Leibniz („Illustri Viro Dno G. G. Leibniz Consiliario Electorali B. L. Dno. meo pl. honorando Hannover.“). Aus und zu André Du Chesne: Histoire d’Angleterre, d’Escosse et d’Irlande, Paris 1634. Anfang (vgl. ebd., S. 120 und S. 19; vgl. auch Strabon: Geographie, 1, 4, 3): Infinitae voces Britannicae in lingua Hibernica[.] Ipsis Hibernis insula eorum . Poetis est veteribus Banno, forte a Biaun res sacra, nam Festo Avieno libr. titul. orae maritimae sacram insulam sic dixere prisci […] gens Hibernorum colit (+ Albani vel Scoti hodieque Hibernis [Allabany] +)[.] An ab id est montibus). Hivernia, Hierne vel Aristoteli Ierne, […] Ireland, […] Erin incolis. Hier est ipsis occidens[,] est ergo regio occidentalis. Fluvius ejus maxime occidentalis Ptolemaeo Iernus, et promontorium Hispanicae fort occidentale Straboni Ierne; et ejusdem regionis flumen valde occidentale Melae Ierne.
Bl. 39: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Wortlaut (vgl. Franciscus Guillimannus: Helvetia, sive De rebus Helvetiorum, lib. III, cap. 10, S. 167, mit eigener Paginierung in: Johannes Aventinus: Annales Boiorum, hrsg. von Nicolaus Hieronymus Gundling, Leipzig 1710): Quod regio inter Rhenum et montem Juram in angustam faucem cogatur Roracos vel Rauracos dictos non inepte conjicit Guillimannus in Helveticis. Nam Rohr (arundo), Röhre guttur, id est cavum angustum[.]
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Bl. 40: 1 Bl. 8°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „275“. Auf der Rückseite Reste einer Adressierung an Leibniz. (Gedr. in: Feller: Otium Hanoveranum, S. 428–429, Nr. XLI.) Bl. 41: Zettel. Eigh. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Auf der Vorderseite Reste einer Adressierung an Leibniz („Monsieur de Leibnitz Conseiller privée de S. A. Serenissime L’Electeur d’Hannover à Hannover par couvert.“). Wortlaut: Si bene memini Carambycem fluvium Scythiae memorat Herodotus, puto esse eum qui hodie Bog, qui intra Syram et Borysthenem Euxino ponto vel ostio Borysthenis influit, Caranbycem autem esse nigrum Bogum, nam Cara Scythis niger. Distinctumque fuisse ab altero Bug non admodum remoto qui Leopolin praeteriens demum infra Warsoviam in Vistulam influit, qui forte albus dictus. Porro Bug vel Bog a flexu qui in utroque subitus est; Nam et Euxinum influens cum in ortum tendisset, subito flectum in meridiem, et post aliquantum cursus in ortum. Alter diu in septentrionem fluens ad [Bressicam] subito fertur in occasum, inde infra Janow rursus subito boream petit. Deinde supra Nur ex inopinato rursus in occidentem fluit.
Bl. 42: Zettel. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Auf dem Zettel stand zunächst von Johann Georg Eckharts Hand: „Vesera, […] Veseris fluvius Galliae: oritur in Lemovicibus, atque ad Limolium Petrocoriorum oppidum Duranio excipitur. In vita S. Sori Eremitae Visera vocatur. v. Act[a] S[anctorum] Bollandi et Henschenii Febr. T. I. p. 200“ (vgl. Acta Sanctorum, Februar, Bd. 1, hrsg. von Johannes Bolland und Godefridus Henschenius, Antwerpen 1684). Darüber ergänzte Leibniz: „Isera in Bavaria et in Sabaudia[.] Albis in Italia et Germania, etiam Rhenus utrobique Rodanus vel Erodanus in Gallia et Italia“. Unter dem Text ergänzte Leibniz: „Tanais, Danaper, Danaster, Danubius“. Bl. 43: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Wortlaut: Indrista et Unstruta videntur idem nomen esse, etsi diversi sint fluvii[.]
Bl. 44: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Linguae“. Nummerierung: „275“. Auf der Vorderseite Reste eines eigh. Briefes. Wortlaut: Ut Araris fluvius in Sequanis, ita Are vel Aar supra Coloniam ex adverso Rhenum influens, ubi opida Arburg, Arwiler, Arden[,] , Nienaar, unde Nienarii comites, et olim forte comites dicti de Are[.]
Bl. 45: Kurzer Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „297“. Wortlaut: Cunigundis item quod Regina.
Bl. 46: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „287“. Wortlaut (vgl. Cornelius Nepos: Vitae, Hannibal, 3,1; Plinius der Ältere: Naturalis historia, 3, 17):
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung Grayae Alpes et Grajas, saltus quo Hercules transiit, ita Aemilius Probus Cornelius Nepotis Epitomastes in Hannibalis vita. Ad Alpes postquam venit quae Italiam ab Gallia [sejungunt] quas nemo unquam cum exercitu ante eum praeter Herculem Grajum transierat, quo facto is hodie saltus Grajus appellatur[.] Alpes Penninae Plinio a Poenis lib. 3 c. 17. ut Grajae a [Grajo] (sed ego puto Penninas a pen, caput summum[).]
Bl. 47: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „275“. Über geographische Namen beiderseits der Pyrenäen. Anfang: Bajona in Gallicia[,] Tolosa in Biscaia vel Lepuscua[,] Marsilla in Navarra indiciae sunt ab utraque parte Pirenaeorum eandem nationem habitasse[.]
Bl. 48: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „275“. Wortlaut: Memorabile mihi videtur Calis vel Cadis in Hispania, olim Gades et Calais vel Caletum Galliae, ut nomine ita situ invenire; ad fretum scilicet, ubi brevissimus maris trajectus; ut credam vim vocis apud Celtas veteres naturae loci congruisse[.]
Bl. 49: 1 Bl. 8°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Über Orts- und Flussnamen in Osteuropa. Anfang: Jazyges an qui Jassi nam qui locus hodie Jassi olim Jassidava puto, item castra Jassorum, locus et Daciae[.] Clepidava. An Dava, vel ava terminatio Sarmatico more.
Bl. 50: Langer Zettel. Eigh. Überschrift: „Causae linguae Latinae“. Anfang: Arnoldus [Rhumannus] conrector Scholae Roeschildensis edidit apud Hauboldum, suis sumptibus 1679. 4°. libellum inscriptum Roma Attica, ubi rationes plurimarum Grammaticae Latinae regularum ex Graecis reddit.
Bl. 51: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „275“. Wortlaut: Isara flumen Allobrogum, et Bajoariae flumen nominis ejusdem. Bregenz seu Brigantium ad lacum Brigantinum seu Bodamicum sed et Brigantium Briançon urbs in Delphinatu sita. Sic Brixia Brixen in Italia et in Bavarica ditione. Vid. et Cantabrica[.]
Bl. 52: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Wortlaut (vgl. Johannes Verweij: Nova via docendi Graeca, Gouda 1684, S. 3–5): Joh. Verwey (Graevii discipulus) Goudae ludimagister in Nova via docendi Graeca 1683 puto edita laudat valde Novam methodum linguae Graecae Gallicam; sed addidisse se Wellerum profitetur qui Autori Gallo non videatur visus[.]
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Bl. 53: Zettel. Fremde Hand und eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „593“. Auf der Vorderseite nicht eigh.: „Catalogus der J[un]gischen Bibliothec // Bechers commercien discurs, welchen alsbald zum buchbinder zu schicken und in weiß pergamen einbinden zu laßen gebethen wird“ (vgl. Bibliotheca Jungiana, Frankfurt 1682; Johann Joachim Becher: Politische Discurs von den eigentlichen Ursachen / deß Auff- und Abnehmens der Städt / Länder und Republicken, Frankfurt 1668 [Nebentitel in den Ausgaben Frankfurt 1673 und 1688: Dr. Bechers Commercien-Traktat]). Auf dem Zettel stand zunächst von fremder Hand: „Castell Rescudia ha Hallre della Cambra ha Worden ha can fee milltre // Newlin et Maushole haud procul a Pensance.“ Leibniz ergänzte dies durch eine Interlinearübersetzung („Castellum Rescudscha et Hallre valet Walliam et Hyberniam et alias plures mille urbes“), eine Erklärung oben links („Halre est Vallis“) und folgende Bemerkungen: Est proverbium Cornubiensis veteris quae adhuc in usu est solummodo in duobus pagis (dörffern) qui sunt Newlin et Maushole haud procul a Pensance. Nihil hujus linguae impressum. Quidam pastor Bibliorum pm vertit. Triginta ab hinc annis in Drurow adhuc loquebantur Cornubiensi lingua, nunc paulatim perit. Ajunt convenire cum Britannia minore.
Darunter: Videtur mihi multum differe a Wallica[.]
Am Rande quer zum übrigen Text: Lingua Cornubiensis non vero Wallica cum lingua Britanniae minoris convenit[.]
Bl. 54: Kurzer Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Ling.“ Nummerierung: „49“. Wortlaut (vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Essais de Theodicée, § 142, Amsterdam 1720, S. 374; sowie den bei Feller: Otium Hanoveranum, S. 426–427 gedruckten Text): Aes arez Hebr. Eisen eiron Anglis ferrum[.] Isis terra Aegyptiis[.] Qui pro quo. Anser, anas, Doribus εχὰν, χανὸς[.]
Bl. 55: Unregelmäßiger Zettel. 4 Zeilen. Eigh. (Gedr. in: Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 6, Anm. 27.) Auf der Rückseite Reste einer Adresse. Wortlaut: Si lingua nova excogitanda talis esset, ut etiam solo cantu sine literis exprimi posset, videtur obtineri posse, ut errores quandam dissonantiam pariunt;
Bl. 56: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „46“. Auf der Rückseite vier nicht eigh., gestrichene Zeilen. Wortlaut (vgl. Ovid: Metamorphoses, 15, 88 und 90): Non male Genus verborum, Activum, passivum, neutrum opponitur generi nominum, Masculino, Foeminino, Neutri[.]
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung Species figurae Grammaticae est flexionis pro flexione. Ut Activum pro passivo, veluti Animans pro Animato. Sic Pythagoras apud Ovidium in Metam. Heu quantum scelus est in viscere viscera condi etc. Alteriusque animantem animantis vivere letho. Contra passivum pro Activo, ut Terribilis pro Territivo; quod secus est in horribilis[.]
Bl. 57: Etwa ⅔ eines Bl. in 2°. 2 S. Eigh. Aus und zu John Wallis: Tractatus prooemialis de loquela, sive literarum omnium formatione et genuino sono, in: Ders.: Grammatica linguae Anglicanae, Oxford 1653, S. 1–43. Bl. 58: 1 Bl. 8°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „46“. (Gedr. in: Feller: Otium Hanoveranum, S. 427, Nr. XXXIX). Bl. 59: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „292“. Auf der Rückseite Reste einer Adressierung an Leibniz („Monsieur Monsieur Leibnitz. Conseill.r de la Cour; de S. A. E. de Bronnsvic et Lunebourg. á Hannovre. Franco“). Wortlaut: Quando ambigitur inter origines duas videndum an non haberi possit origo communis[.] Sic Kratky Slavonicum, utrum a Graeco βραχύς, an a Germano kurz; sive a Latino curtus. Fortasse igitur a βραχύς Kratky, ab hoc kurz Germ. seu Celticum, indeque demum curtus Latinum. Ita quaedam voces Latinae cum Graecis per Celticas conspirabunt; aliae immediate.
Bl. 60: Zettel. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „46“. Wortlaut: Le truchement du Czar ayant esté interrogé combien il sçavoit de langues il a répondu, qu’il n’en sçavoit que deux, en les quelles il traduiroit volontiers le Pater mais qu’il luy estoit impossible de trouver en aucune d’icelles, des mots propres à exprimer: sanctifié soit ton nom. ((en aucune d’icelles, n’est plus bon françois; et il faut dire en aucune de ces langues, ce qui à mon avis est un defaut de la langue Françoise))[.]
Bl. 61: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Auf der Vorderseite Reste eines eigh. Briefes. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Überschrift: „r in l“. Wortlaut (vgl. Franciscus Junius: Observationes in Willerami Abbatis Francicam paraphrasin cantici canticorum, Amsterdam 1655): Lacero, ῥαχόω, Paulum ex παῦρον. Lilium ex λείριον, Lis ex ἔρις[. …] Mille ex μύριοι[.] Area ex ἅλως. Sirpe ex σίλφι[.] Seil […] ex σειρά[,] catena[,] funis[.] Jun. ad Willeram. p[agina] m[ea] 222[.]
Bl. 62: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „46“. Anfang (vgl. Vergil: Aeneis, 2, 547–549; Horaz: Epistulae, 1, 7, 98; die Fortsetzung gedr. in: Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 17, Anm. 83): Triste infelix Latinis, at Tristo improbum Italis[.] Jam Virgilio Tristia facta pro valde improbis[.] Pyrrhus ad Priamum ob occisos in conspectu suo liberos lamentantem et patris Achillis virtutem commendantem: Referes ergo haec et nuntius ibis Pelidae genitori, illi mea tristia facta
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degeneremque Neoptolemum narrare memento. Simili analogia verum pro bono. Apud Horat. metiri se quemque suo modulo ac pede verum est, ita prodezza[,] prouesse, et medii aevi scriptoribus probitas, pro strenuitate[.]
Bl. 63: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Auf Bl. 63r oben links: „Novembr. 78“; oben rechts: „Lexicus liber“. Überschrift: „Opposita.“ Wortlaut (vgl. Jakob Thomasius: Erotemata rhetorica pro incipientibus, Leipzig 1670, S. 67–69): Thomasius in consilio de Locis communibus condendi rhetoricae suae adjecto. Synonymorum appositorum, quae sunt substantiva, epithetorum quae sunt adjectiva et oppositorum, rationem haberi jubet in Libro quem vocat Lexicum, et recte. Addi possunt nectiones, cum vocabula conjunguntur in obliquo. Sed hoc loco oppositorum utilitatem exemplo illustrabo: Puro solet opponi impurum, itaque si quis locum aliquem dicat non esse purum, contemnere ac probro onerare videri posset: et nihilominus Romani in tit. de religiosis et sumtibus funerum, loco puro religiosum opponunt. Utile erit hoc observare etiam in Dialecticis ad Locum de Oppositis[.]
Bl. 64: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Überschrift: „Numeri Oratorii seu in prosa“. Wortlaut: J’ay remarqué qu’une periode ne finissoit pas bien ainsi: Pour ne pas perdre une commodité la nature nous presente sans qu’il nous en couste rien, et qui pourtant nous pourra estre infiniment utile. Cet infiniment utile choque les oreilles delicates: on finira bien mieux par: fort utile, ou plustost par: infiniment avantageuse[.]
Bl. 65: Zettel. Eigh. Überschrift: „Nomenclatura“. Wortlaut (vgl. Justus Georg Schottel: Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache, Braunschweig 1663): Die Sichbare Welt vermehrt und geteutscht (durch Sigmund von Bircken) worinn viele geteutschte Termini Technici zu befinden. ((Est credo Comenii orbis sensualium pictus)) Citat Schottel. in lib. V. operis Germ. ling. tr. 4. ubi de scriptoribus Germanis, pag. 1176.
Bl. 66: Unregelmäßiger Zettel. Etwa 8°. 1 S. und 2 Zeilen. Eigh. Überschrift: „Adverbia“. Wortlaut: Adverbia in lingua Germanica sunt ipsa adjectiva verbis apposita; cum nempe neutra nominativi casus singularis numeris verbis adjiciuntur, ut freundtlich, humanum vel humane ein freundtlich worth. Verbum humanum. Er redet freundtlich loquitur humane[.] Et certe adverbia nihil aliud sunt quam adjectiva verborum. Posset tamen dici potius adverbia apud Germanos simul facere functionem neutrorum adjectivi, scilicet dicimus, tarde langsam et dicimus quoque: animal est tardum das thier ist langsam. Item tardum animal ein langsam thier[.] Verum sunt quaedam neutra adjectivorum quae nullo modo sunt adverbia, ut: ein langsames thier, item das langsame thier, ubi in postremo casu substitui non potest: das langsam thier. Patet apud Germanos adjectiva pro situ et pro nominibus valde mutari; et adverbium esse quasi radicem.
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Bl. 67: Langer Zettel. Eigh. Überschrift: „Derivationes quas ignari rejicient, manifestae tamen“. Wortlaut: Rossignol luscinia. Nimirum Itali dicunt: rossignuolo, item lusignuolo. Hinc lusingar; occinere. Hispani lusciniam vocant: ruyseñor. Jam luscinia ab oscen, quasi l’oscen, nam multa jam olim articulorum in plebis sermone vestigia. Quis vero Hispanicum ruyseñor derivaret a Latino oscen, nisi catena haec cognita. Oiseau ab avis. Nimirum aviculae: uccelli, , oiseau[.]
Bl. 68: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Wortlaut: Toutes les langues dans lesquelle on ne peut pas expliquer les noms propres des lieux et des personnes; sont alterées et nouvelles. Il s’en suit, que nous ne connoissons point de langue primitive, car il n’y a point qui explique ces noms là. Il faut voir de la Chinoise. La recherche de la langue radicale est tres importante, car si elle se peut trouver, il s’en suit, que le genre humain vient de peu de personnes; et que le monde est nouveau, ou pour mieux parler, cette famille du genre humain est nouvelle car sans cela, s’il y avoit plusieurs millions d’années les changemens dans les langues entassées les unes sur les autres rendroient la mere langue meconnoissable[.]
Bl. 69: Zettel. Eigh. Wortlaut: Vox aliquando suae origini contrariam significationem obtinet[,] ita populari agros est vastare. Cum tamen id origine sua significet agros populo illis inducto colere, peupler. Depopulari vero est agros colonis abductis aut fugatis vastare, depeupler[.] Factumque est tandem ut populari diceretur pro depopulari, quasi hic quoque ut alias (vastare et devastare) particula de significationem non mutaret.
Bl. 70: Langer Zettel. Eigh. Überschrift: „Casus“. Wortlaut (vgl. Grammaire générale et raisonnée, Paris 1660, S. 43): Grammaire […] raisonnée chap. 6. ait De toutes les langues il n’y a peutestre que la grecque et la latine qui ayent proprement des cas dans les noms. Deceptus est autor a Gallica Hispanica et Italica quae casus non nisi per particulas variant, sed Germanica habet veros casus: ut Mann. Mannes[.] Manne. Männer. Männern.
Bl. 71: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Wortlaut: Cornel. Meyer ait regulum quod substantivum et adjectivum genere numeroque etc. convenire debent esse in omnibus linguis quae sunt a Latina vel Graeca, non in omnibus tamen aliis. Exempli gratia non in Belgica, die frow ist schöhn, non schöhne. Ita in Germanco die frau ist häßlich, non häßliche, ut dicitur häßliche frau. Sed mihi expense videtur in hoc Germanico vel Belgico, istud non esse adjectivum, sed averbium. Sie ist haßlich, est deformiter, sive ut Latino sermoni nos accommodemus habet se deformiter male formata est. Promittit nobis Meyer Gram[maticam] universalem ex orationis natura ductam. Syntaxis ejus paucarum regularum. Subjectum semper est Nomen. Regula substantivum et adjectivum (quod ille vocat adnomen) est apud eum circiter 7ma.
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Bl. 72: Zettel. Eigh. 2 S. Anfang (vgl. Ludovico Bertonio: Arte y grammática muy copiosa de la lengua aymara, Rom 1603, S. 8): Vulgo ajunt linguas in America tam esse multiplices, ut quaelibet pene vallis suam propriam habere videatur. At p. Ludovicus Bertonius Romanus S. Jesu in provincia Peruviana Indiae occidentalis qui librum Hispanica lingua edidit inscriptum Arte […] della lengua Aymara et Romae 1603. in 8° editum in Epistola praefixa ad P. Claudium Aquavivam societatis Generalem praepositum ita scribit: Licet […] hoc libello [Aymaraicae] tantum linguae praecepta tradantur cum tamen pleraque Indorum nationes sint lingua non absimiles, iisdemque fere phrasibus ac locutionibus utantur nostrum hunc laborem non Aymaraicae solum provinciae, sed multarum etiam, variarumque nationum linguae perdiscendae profuturum confido. Haec ille. Unde probabile judico linguas illas vicinorum vicinasque sibi esse illic quoque, et ab eodem fonte, sed magis corruptas et variatas, quam in nostris regionibus, ob barbariem hominum inter se hostiliter agentium eoque minus communicantium inter se.
Bl. 73: 1 Bl. 8°. 1 S. Eigh. Überschrift: „Ordo in loquendo“. Mit einer Skizze. Wortlaut: In scheda quadam notavi, quantum in loquendo lucis afferat ipse ordo constructionis verborum. Hujus exemplum illustre praebent formulae imperandi tacticae. Verbi gratia: Semiversus dextrorsum prorsum duplicate ordines[.] Mit halben reihen rechts vorwärts, verdoppelt eure glieder[.] A droit par demie file. Doubles vos rangs en avant. Ubi Germanicam imperandi formulam invenio in aliquo Gallica aptiorem, prius enim dicendum qui, nempe dimidii versus, deinde quid facere debeant. Sed huic Galli medentur dicendo prius: Demie file prennes gardes à vous[.] Sed in Gallicis formulis alia multa invenio distinctiora et aptiora.
Bl. 74: Langer Zettel. 2 S. Eigh. Überschrift: „Ordo verborum in loquendo.“ Anfang: Galli asserunt ordinem suum esse naturalem, qui in Latina saepe perturbatus videatur[.] Laboratur in comparatione utriusque linguae; nonnunquam tamen video contrarium evenire, ut si tironi Geographiae Massiliam in Tabula Europae quaesituro dicam Gallice, Marseille se trouve dans la partie la plus meridionale de la France; Massilia est in parte maxime meridionali Galliae, ordinem naturalem non observo, prioribus enim verbis: Massilia est in parte meridionali nondum uti potest, sed manet in suspenso, donec discat in cujus regionis parte meridionali sit sita.
Bl. 75: Zettel. Eigh. Überschrift: „Projettée[,] Projetté[.] Frommer man[,] fromme man“. Wortlaut: On dira[:] Pour ce qui est de la piece cy-jointe je l’avois projettée[.] On ne dira point: J’avois projettée la piece cyjoincte[.] Mais on dira[:] J’avois projetté la piece cyjointe;
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung le dernier e [-]ant le feminin estant absorbé par le feminin, qui s’ensuit et qui ordinaireme[nt ter[mi]ne par e luy même. La langu[e -] m’a fait faire cette remarque. Nous disons ein frommer mann, et der fromme mann; et non pas der frommer man; le r terminant frommer, estant absorbé à cause de celuy qui se trouve deja dans l’article der[.]
Bl. 76: Zettel. Eigh. Überschrift: „Pater noster in lingua Grisonum[.] Ex catechismo eorum a me descriptum“. Bl. 77: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Wortlaut (vgl. Publius Papinius Statius: Silvae, 5, 2, 88–90; Jacques Auguste de Thou: Histoire de Monsieur de Thou, des choses arrivées de son temps. Mise en François par P. du Ryer, Bd. 3, Paris 1659, S. 676): Soyent en françois est d’une syllabe[.] Par exemple du Ryer a ainsi traduit ces vers de Stace: Excitat illa dies aevo, nec postera credant Secula[.] Nos certe taceamus, et obruta longa Nocte tegi propriae patiamur crimina gentis[.] Que l’on oste des ans un jour si detestable Qu’aux siecles avenir il paroisse incroyable. Au moins n’en parlons point, et loin de l’univers D’une eternelle nuit nos crimes soyent couverts[.]
Bl. 78: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Überschrift: „Orthographia Germanica.“ Wortlaut (vgl. Justus Georg Schottel: Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache, Braunschweig 1663, S. 206): Primus […] fuit […] Melissus qui orthographiam [Germanicam] solicitare […] coepit, nam pro ck scripsit kk. ut zustükken Psalmo 2. und schikken Psalm. 5. et 26 in opere Heidelb. impresso 1572. Schottel. Opere de Ling. German. lib. 2. c. 2. n. 27.
Bl. 79: Zettel. 2 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „36“. Überschrift: „De signis animi ex natura non ex instituto, ut sine interprete cum barbaris agi posset“. Anfang (vgl. Giovanni Bonifacio: L’arte de’ cenni, Vicenza 1616): Pro condendis characteribus, qui non sint ex instituto, sed ex natura; adhibendae erunt picturae. Huc utilis libellus ille meus pro pueris Noribergae editus. Talia non erant Aegyptiorum hieroglyφica forte quia debebant esse occulta[.] Cogitandum et quomodo per gestus vel alios motus sine auxilio picturae sine interprete cum barbaris conferre liceat. De Roscio comoedo scribitur eum muta eloquentia sua cum Cicerone certasse, uter idem magis variare posset ille gestibus hic verbis. Addatur liber cui titulus: arte de cenni[.] Huc et scientia pictorum in affectibus exprimendis utilis erit. Plus tamen gestibus exprimitur quam pingi potest, nam pictura non ipsum motum exprimit, sed tantum modo conatum[.]
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Bl. 80: Zettel. 2 S. Eigh. Über dem Text: „“. Anfang: Omnis litera vel est continuabilis, vel incontinuabilis[.] Ita omnes vocales sunt continuabiles. Item aspiratio, et quae literae aspiratione afficiuntur, ut F (seu ph), W, G (seu ch)[,] S (seu th, quo refero et th anglicum sive blaesum) nonnihil et l, m, n, r. Incontinuabils sunt p, k, t. Consistunt enim in transitu ab impedimento spiritus ad libertatem. Nam p fit cum labiis clausis impeditus spiritus subito perrumpit; t cum lingua ad palatum posita vi spiritus subito velut avellitur, k est cum impedimentum spiritus est intra fauces.
Bl. 81: Langer Zettel. Eigh. Überschrift: „Alphabeta Manuscriptorum. Breviaturae.“ Darunter ergänzt: „Haec scripsi ante editum opus Mabillonii de diplom.“ (das ist Jean Mabillon: De re diplomatica libri sex, Paris 1681). Wortlaut: Collegere nonnulli Alphabeta variarum gentium. Sed nemo dedit Alphabeta diversa ejusdem linguae pro temporibus diversis; sumta ea Manuscriptis quod tamen magnae saepe ad legendos veteres codices, quin et diplomata, utilitatis foret. Inprimis autem notandae breviaturae, quae pertinent ad Tachygraphiam; Graecae linguae breviaturas, etiam Typographis usitatas collegit notavitque Toinardus, et nuper Harmoniam Evangeliorum Graece editurus in usum revocare cogitavit. Quis subscripsisset diploma Carolinum monumentis Padebornensibus subjecum, diu judicari non potuit, donec nuper p. Adolphus Overham deprehendit legendum esse Jacob vice Radonis. Idemque penitus deprehendit in alio diplomate, quod extat apud Duchesnium in Chronico Vulturnensi[.]
Bl. 82. 84: 1 Bog. 4°. 1 ½ S. Eigh. Russische Wörter mit deutscher Übersetzung. Bl. 83: 1 Bl. 4°. 1 S. Eigh. Überschrift: „Literae Russicae“. Erklärung der russischen Schriftzeichen. Bl. 85: 1 Bl. 8°. Eigh. Ordnungsvermerk: „Linguae“. Überschrift: „Extrait de ma lettre à Monsieur de Sparwenfeld“. Datierung: „Esté 1699.“ Auszug aus einem Brief an Johan Gabriel Sparwenfeld vom 25. August (4. September) 1699. (Gedr. in: A I, 17 N. 275, 448, Z. 12–27.) Bl. 86: Zettel. Eigh. Überschrift: „Ouy“. Anfang: Gallicum ouy, significat affirmationem, sive idem est, quod ita sane vel etiam. Cum tamen ouy, significet proprie auditum. Unde etiam in Arrestis parlamentorum reperitur: Ouy le procureur du Roy, audito procuratore Regis. Causa vero cur ouy sive quod auditum est, significet affirmationem, eadem est, quae facit ut in scriptura sacra, tu dixisti affirmationem significet; nam utique idem est: ego audivi, quod, tu dixisti[.] Utroque me significo intellexisse quid tu dixeris, neque contradicere.
Bl. 87: 1 Bl. 4°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Linguae“. Nummerierung: „275“. Wortlaut (vgl. Ferencz Otrokocsi Fóris: Origines Hungaricae, Bd. I, Franeker 1693, S. 166): Magni fluvii Don a Tanai ad Istrum usque. Nam Danubius seu Donau, inde Danaster, vulgo Niester, Danaper vulgo (sic enim veteres loquuntur) Nieper seu Borysthenes, denique Don accolis dicitur ipse Tanais. Suspicor Istrum veluti Dniester pro Danastro dictum non Danu-
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung bium minus quam Tiram. Danapri appellatio credo et Danastri apud Jornandem. Sic et apud Menandrum puto Rex Turcarum legatis Tiberii II. questus de Abaris fugitivis suis, in foedus receptis, nam Abari a Turcis pulsi Asia ad Europam descenderunt, se bene nosse inquit, ubi Danaper fluat vid. Orig. Hung. Forisii. Caeterum communis tot dissitis fluviis appellatio indicat antiquissimis temporibus unam gentem a Tanai ad Danubium usque habitasse. Et hanc cognationis Germanicae fuisse credi aequum est, quando a sonitu apud Germanos et Celtas Donaviam, et Donam, et Donaprum et Donastrum dici audienti unicuique statim in mentem venit, Döhnen, thon, sonus, tonitru, tonner, et Tor (Jupiter)[,] Taranis[,] Tuba, tibia, taub (surdus)[,] betäuben (nimio sonitu obsurde facere)[,] toben (furibundi in morem tumultuari)[.]
Bl. 88: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „46“. (Teilweise gedr. in: Schulenburg: Leibniz als Sprachforscher, S. 17, Anm. 84 und S. 18, Anm. 89). Auf der Rückseite eigh. Brieffragment. Anfang (es folgen weitere Belege für die These des ersten Satzes): Vocabula variarum bonitatis specierum, velut prudentiae, fortitudinis, probitatis in linguis permutantur. Preux, preudhomme olim fortis erat hodie probus, a quo fortasse nisi potius a prudens aut prude, quae non tam hodie prudens mulier Gallis quam decori curiosa in iis quae ad pudicitiam referuntur[.] Sic sage sapiens, hodie idem quod prudenter et circumspecte agens.
Bl. 89: Zettel. Eigh. Überschrift: „Felonia“. Wortlaut (vgl. Ludovico Ariosto: Orlando furioso, 2,16; Vendig 1568, Bl. Bv): Felonia aut fellonia est insignis malitia. Mechanceté. Fello, (id est cattivo, rio,) vox Italica, quae rem malam significat[.] Orlando canto secondo: Verso Parigi mena la donzella Che v’ha condotti a questa pugna fella[?] Fello a fehl. Fehler hoc est peccatum[.]
Bl. 90: 1 Bl. 4°. 1 S. Schreiberhand mit eigh. Korrekturen. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Überschrift: „Ex literis meis ad Dn. Eccardum“. Auszug aus einem Brief von Leibniz an Johann Georg Eckhart vom 17. Juni 1703. (Gedr. in: A I, 22 N. 40). Bl. 91: 1 Bl. 2°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Bemerkungen zu Johann Schilter: ΕΠΙΝΙΚΙΟΝ rhythmo Teutonico Ludovico regi acclamatum, Straßburg 1696. Überschrift: „Considerationes pauculae ad libellum cui titulus Epinikion Rhythmo Teutonico Ludovico Regi acclamatum cum Normannos […] 883 vicisset a Joh. Schiltero notis illustratum et editum Argentorat[i …] 1696. 4°.“ Auszug: Utiliter collocatur studium in vetustis Germanicorum populorum monumentis, et praesertim carminibus eruendis. Itaque laudanda est viri Amplissimi Joh. Schilteri opera in hoc Epinicio collocata. Habemus quidem conservata antiquiora carmina, sed sacra tantum, non vero in laudes Heroum, nisi quae forte Anglo-Saxones producere possint, eorum enim scripta (post Go-
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thorum Istri accolarum Evangelia) sunt antiquissima Germanicorum. In Septentrione certe nescio an produci possint, quae certo ad Carolingorum aetatem pertingant. … ad p. 34) Magazoga educator, […] mag puer, maged […] puella[.] Addo mag etiam esse genus, cognationem, hinc Swerdmagen agnati[,] Spilmagen cognati, Saxonico jure. Sic Kunne genus cognatio, et Kind liberi[.] ad p. 36) Githigini […] famulitium Gezeug, vel Zeug, est sequela, a ziehen, quod quis secum trahit, train. Thiggent serviens qui servit dient, quod inde contractum videtur ut ex Vigand factum fiand hostis …
Bl. 92: 1 Bl. 8°. ⅔ S. Eigh. Wortlaut: Relatum ad me est jam ante multos annos (quod etiam ab Ottone Sperlingio doctissimo Danorum Historico in libello nupero indicatum arbitror) in Svedia etiam rusticos homines cum ingenuitatem suam jactant sese Dannemannos dicere. Quod si ita est originis memoria fieri putes, more olim fortasse invento, cum adhuc Finnonici generis reliquiae per Svediam fortasse dispergebantur, quemadmodum diu olim per Germaniam Slavi ut sese ex Dania profectos ab illis discriminarent; veluti si quis inter Slavos provocasset ad originem Germanicam cum Slavi adhuc servirent, vel ut Franci se Gallis Romanis tanquam liberi Subjectis opponebant[.] Unde homo Francus, terra Franca. Ut adeo dicere Dannemannus sum, perinde sit ac dicere sum Francus, sum Germanus, non Fennus, non Slavus.
Bl. 93: Zettel. Eigh. Wortlaut (vgl. James Howell: Lexicon tetraglotton, an english-french-italian-spanish dictionary, London 1660, Bl [** 2r]): In Spain is the Biscainer Toung and the Battueco a new pagan nation discoverd of late yeers in the very center of Spain among the mountains neer Toledo, [which] Tounges have another very ancient [language] of their own that hat no more affinity with the Spanish, then the British hath with the English and is [thought] to be [the] originall language of Cantabria or Spain. Howell praefatione Lexici Tetraglotti[.]
Bl. 94: 1 Bl. 2°., etwa ein Drittel unten abgeschnitten. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Über die Etymologie des Wortes „Bourrique“ bzw. „borrico“. Anfang (die Belegstellen entnahm Leibniz Gilles Ménages: Dictionnaire Etymologique ou Origines de la langue françoise, Paris 1694, S. 120): Interdum duae derivationes verisimiles, ut Bourrique Gallicum Hispanis borrico Bonav. Vulcanius et Menagius deducunt a burrico, qui jam olim Latinis equus[,] Glossae Isidori mannulus[,] caballus, buricus. Et Gloss. Philox[eni] mannis βουρίχοις. Ubi B. Vulcanius. Sed intelligendus equus rufus, nempe burrus […] πυρρος. Nam Festus: burrum dicebant antiqui quod nunc […] rufum. Ubi Scaliger annotavit: Eleganter homines ex potione rubentes […] Burros a veteribus dictos (+ sed hoc sine autoritate) quod verbum eodem sensu retinent Hispani, quibus borracho ebriosus[.] Adjicitque Menagius (v[oce] bourrique) De burrichus […] nous avons fait beurrichon ou burrichon pour roitelet à cause de la Couleur roussâtre de cet oiseau, qu’on appelle aussi beurrichot.
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Bl. 95: 1 Bl. 8°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Über die Namen der Wochentage in Siam nach Simon de La Loubère: Du royaume de Siam, T. 2, Paris 1691, S. 74–76. Bl. 96: 1 Bl. 8°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Konzept eines Schreibens von Leibniz an Gerhard Walter Molanus aus der 1. Hälfte 1695. (Gedr. in: A I, 11 N. 359.) Bl. 97: 1 Bl. 8°. 1 S. Eigh. Überschrift: „Extrait d’une lettre de Stockholm du 1. janvier 1698“. Auszug aus einem Schreiben Johan Gabriel Sparwenfelds an Leibniz. (Gedr. in: A I, 15 N. 140, 192, Z. 4–17.) Bl. 98: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingua“. Nummerierung: „295“. (Auf der Rückseite Adresse: „Monsieur Leibnitz Conseiller de S. A. . Brs. Luneb.“) Wortlaut: Habemus in lingua Germanica communiter recepta Schalten und walten, idem Schalt-jahr; sed propria significatio του schalten a me ignorabatur[.] Cum forte nuper intellexi Alemannis, et Suevis, seu Germanis et Alsatici et Wurtenbergici tractus, ac fortasse aliis quoque Schalten esse quod communiter schieben. Einen wagen fortschalten; hinc fenestrae illae recta linea mobiles, quae Schieb-fenster, vel Schößgen dicuntur, Germanis illis superioribus appellantur Schalter. Et Schalt-jahr, ab Embolismo ein jahr so eingeschoben[.] Itaque operae pretium foret variarum Germanicae dialectorum vocabula colligi, etiamsi rusticis solis usitata qua ratione origines multae alias ignorandae patebunt[.]
Bl. 99: 1 Bl. 4°. 2 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „46“. Aus und zu György Komáromi Csipkés: Hungaria illustrata, hoc est, Brevis, sed methodica naturae et genii, linguae Hungaricae explicatio, Utrecht 1655. Bl. 100: 1 Bl. 2°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Nummerierung: „500“. Aus und zu Angelus a Sancto Josepho: Gazophylacium linguae Persarum, triplici linguarum clavi Italicae, Latinae, Gallicae, nec non specialibus praeceptis ejusdem linguae reseratum, Amsterdam 1684. Ms IV 471 4 Bände. 2°. Das von Bodemann (Eduard Bodemann: Die Handschriften der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover, Hannover 1867 [ND Hildesheim 1966], S. 81) so genannte „Lexicon Etymologicon, compositum e schedulis Leibnitii, Eccardi aliorumque“. Mit zahlreichen in alphabethischer
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Reihenfolge eingeklebten Zetteln von Leibniz’, Eckharts und anderer Hand10. (Vgl. auch die unter LBr 228 Bl. 607–608 beschriebene Schrift.) Ms IV 483 Bl. 298: 1 hochkant etwa in der Mitte zerschnittenes Bl. 2° mit 2 Löchern. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ 1 ¾ S. Eigh. Auf Bl. 298v unten Rest einer Adressierung an Leibniz: „Monsieur Monsieur de Leibnitz, Conseiller privé de Justice de S. A. E.“ Auf Bl. 298r oben rechts: „Haec Mss. Bibliothecae Paulinae excerpta.“ Auszüge aus mittelhochdeutschen Gedichten. Anfang (das ganze – erste – Gedicht ist abgedruckt in: Altdeutsche Blätter, Bd. 1, von Moriz Haupt und Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Leipzig 1836, S. 88–105): Alt Teutsch gedicht deßen titel: Spiegel der tugende, ist etwa ein bogen[,] fanget an: Ich heize ein Spiegel der tugende Unde ein maitzoge der jugende Swer mynne zucht unde ere Der volge miner lere etc. etc.
Bl. 233–235: 2 Bog. Geheftet. 2°. 4 S. und 8 Zeilen, zweispaltig beschrieben. Schreiberhand mit eigh. Eintragungen. Auf Bl. 233r 1 ½ gestrichene Spalten von derselben Schreiberhand. Auf Bl. 232r oben rechts eigh. (?): „Vor 1298“. Nach Katalogeintrag: Abschrift aus einer Handschrift des Willehalm. Ms IV 494 II Bl. 1–18: Bl. 1–13: 8 Bog. und 1 Bl. 4°. 1 Bog. 8° (Bl. 14). Auf Bl. 1–15: 28 S. Schreiberhand mit eigh. Ergänzungen und Korrekturen. Überschrift: „Linguae Britannicae Dictionariolum Boxhornius Originibus Gallicis subjecit ex Daviesii Lexico Cambrico, autoritate Regis Jacobi edito, cujus et meminit Boxhorn. Hist. univ. ann. 449. unde quaedam notare placet, et nostris, quibus pleraque conveniunt, comparare“. (Gedr. in: Collectanea Etymologica, 1717, pars I, S. 81–146). Auf Bl. 18. 16–17: 5 S. Eigh. (Gedr. ebd., S. 147–154).
10 Eine detaillierte Beschreibung bietet Stephan Waldhoff in diesem Band (S. 269–311).
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Ms IV 574b In diesem, bei Bodemann: Handschriften, S. 99, nicht verzeichneten Konvolut (8°, 130 Bl.) mit der Aufschrift: „Mart. Fogel. Collectanea über die finnische und ungarische Sprache“ (beschrieben bei Christina Wis: „Alle origini della linguistica comparativa: Martin Fogel“, in: Studi finno-ugrici, Bd. 2, 1996–1998, S. 51– 151 passim), finden sich folgende Stücke von Leibniz’ Hand: Bl. 1: 1 Bl. 2°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Vaterunser in einer samischen Sprache. Unten rechts: „Birgkarlus quidam ex Lulla Lapponiae ita me petente orationem dominicam in dialectum Lapponum vicinorum transtulit Herenhusae 14 Junii 1704“. Unten links irrig von späterer Hand: „Ist bereits in Leibnitii Collectaneis Etymologicis gedruckt“. (Gedr. und beschrieben in: Christina Wis: „Ein Lappisches Vaterunser“, in: Finnisch-Ugrische Mitteilungen, Bd. 11, 1987, S. 171–179.) Bl. 94: Zettel. 5 Zeilen von Fogels Hand. Mit 3 ergänzten eigh. Zeilen. (Mit Auslassungen gedr. in: Christina Wis: „Alle origini della linguistica comparativa: Martin Fogel“, in: Studi finno-ugrici, Bd. 2, 1996–1998, S. 51–151, hier S. 140.) Wortlaut (der letzte Absatz eigh.; vgl. Domingo de Santo Tomás: Grammatica o arte de la lengua general de los indios de los reynos del Perú, Valladolid 1560; Johannes de Laet: Notae ad dissertationem Hugonis Grotii de origine gentium Americanarum, Amsterdam 1643): Grammatica de la lengua general de los Indios de los Reynos del Peru, por Dominigo de S. Thomas. Valledolid 1560. 8. Vocabularium Mexicanum habeo in Mexico ab Hispanis excusum[.] Laet Or. G. Am. p. 34[.]
Bl. 127: Kleiner Zettel. Eigh. (Gedr. in: Christina Wis: „Alle origini della linguistica comparativa: Martin Fogel“, in: Studi finno-ugrici, Bd. 2, 1996–1998, S. 51–151, hier S. 140.) Wortlaut (vgl. Bartol Kašić: Institutionum linguae Illyricae libri duo, Rom 1604): Cassii Grammatica Illyrica est species Slavonicae[.]
Ms IV 594 Bl. 1–5: 2 Bl. und 2 Bog. 2°. 4 ½ S. Eigh. Überschrift: „Ad Constantini Szyrwid e Societate Jesu Dictionarium Polono-Latinum editum Warsaviae 1641. 8° plagg. KK.“ (vgl. Konstantinas Širvydas, Dictionarum Polonolatinum, Warschau 1641).
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Ms IV 595,2 Bl. 1–12: 6 Bog. Gebunden. 4°. 21 S. Schreiberhand. Nicht ermittelter Autor. Überschrift: „Pierwsa Rozmowa // Daß erste Gespräch.“ Polnische Wörter und Sätze mit deutscher Übersetzung. Mit eigh. interlinearen Bemerkungen zur Aussprache der polnischen Wörter auf Bl. 1r–2r. Ms IV 601 1 Bog 8°. 4 S. Eigh. Überschrift: „De Adagiis“. Über Sammlungen von Sprichwörtern. Anfang (vgl. Quirinus Kuhlmann: Prodromus quinquennii mirabilis, Leiden 1674, S. 18; Desiderius Erasmus: Adagia, Basel 1513 u. ö.; Epitome adagiorum Erasmi, Junii, Cognati et aliorum, Genf 1593): Promisit Welschius Adagiorum opus Panglottum. Quirinus Kuhlmannus in prodromo quinquennii mirabilis promisit Adagiorum corpus Universale[.] Erasmus primus fuit inter Adagiorum collectores[.] Frobeniana editio est emendatissima[.] omnium corruptissima sed caeteris locupletior quia Cognati, Junii et aliorum Adagia adjecta[.]
Ms XII 713q 1 Bl. 1–2: 1 Bog. 2°. 2 S. und 9 Zeilen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Lingu.“ Mehrere durch gekreuzte Striche voneinander abgegrenzte Notizen, unter anderem über die Sprachen der Barbaren. Bl. 18: Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Gent.“ Nummerierung: „550“. Auszug aus Caesar: De bello Gallico I,1. Wortlaut: Qui ipsorum lingua Celtae nostra Galli appellantur […] Gallos ab Aquitanis Garunna flumen a Belgis Matrona et Sequana dividunt. Caear lib. 1[.]
Bl. 19: Kurzer Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Gent.“ Nummerierung: „596“. Wortlaut (vgl. William Camden: Britannia, Frankfurt 1590, S. 677–678): Ierna Aristoteli (an vel credito ) et Claudiano; […] Iris Diodoro Siculo[,] Plutarcho Ogygia. Habitatoribus Erin, Bretonibus Yverdon[.]
Bl. 23: Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Gent.“ Nummerierung: „553“. Wortlaut (vgl. Caius Suetonius Tranquillus: De vita Caesarum): Notabilis locus in Suetonii Caligula c. 47. contra eos qui Germanicam et Gallicam linguam pro eadem habent[.]
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Bl. 24: Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Gent.“ Nummerierung: „553“. Wortlaut (vgl. V. cl. Guilielmi Camdeni, et illustrium virorum ad G. Camdenum epistolae, London 1691, S. 90; Tacitus: Germania, 45): Inter Epistolas ad Camdenum una est Johann. Isaacii Pontani[,] ep. 66[,] cum Tacito Gallorum et Britannorum […] sermonem non multum est diversum modo concedatur teste eodem Tacito Britannorum […] sermonem olim etiam sicut hodieque dialecto tantum modo deviasse […] idiomate (+ Estii non sunt Germani +)[.]
Bl. 27: Unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Gent.“ Nummerierung: „593“. Über die Sprache der Gallier und der Britonen nach André Du Chesne: Histoire d’Angleterre, d’Escosse et d’Irlande, Paris 1634, hier S. 32. Anfang (vgl. Strabon: Geographie, 4, 1, 1; Tacitus: Germania, 45): Galli inter se non nisi dialecto differebant Strabo. Lingua Gallorum et Britonum parum distant Tac. Walli Cambriae se vocant Kymbres[.] Plutarchus notavit in vita Sertorii (apud Reineccium) Cymbros Germaniae Gallice locutos. Et Φilemon scripsit sermonem fuisse qui Britannorum. Et de Estiis ad Svevicum litus Tac. Germ. c. 8. linguam Britannicae vicinam[.] Jupiter Gallis Taramis Lucan. lib. 1. et Taran est sonare apud Britones[.]
Bl. 28: Kleiner unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Gent.“ Nummerierung: „590.“ Wortlaut (vgl. André Du Chesne: Histoire d’Angleterre, d’Escosse et d’Irlande, Paris 1634, S. 28 und S. 4): Habitatores Walliae se vocant Kimbres, foeminas suas Cumeraes[,] regionem Cumrie[,] Angliam vocant Loegrie[.] An
Bl. 29: Breiter Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Antenorea“. Über die Sprache im antiken Sizilien. Bl. 36: 1 Bl. 2°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerke: „Migrat. gent.“ und „Lingu.“ Überschrift: „Alφabetum Britannicum, ut in Codice Leano habetur, apud Flaherty in Ogygiae parte 3. pag. 225.“ (vgl. Roderic O’Flaherty: Ogygia, seu, Rerum Hibernicarum chronologia, London 1685, S. 235–236). Bl. 44: 1 Bl. 8°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Migrat. gent.“ Auf der Rückseite Notizen über „Ratio“. Anfang (vgl. Excerpta de legationibus, Paris 1609, S. 109; es folgt eine Notiz über die Veneter): Cum appareat Linguam Slavonicam Semigermanicam aut potius totam ex Germanica corruptam esse, fere ut Gallica ex Latina, suspicor linguam hanc non esse satis antiquam, Ejusque argumentum insigne praebet locus Prisci Rhetoris, qui in Attilae aula, quae fuit in ipsis finibus Poloniae, non alias linguas frequentari notavit, quam Gothicam (quae Germanica est) et Hunnicam. Jam Hunnicam a Slavonica diversam multa credibilia faciunt, sed illud maxime quod Tartarici seu Kalmuccorum generis fuisse oportet Hunnos, quia Ammiani Marcellini descriptio Hunnorum, latae faciei, oculorum exiquorum, caeteraque conveniunt non Slavis, sed Hunnis.
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Bl. 48: Zettel. Eigh. Wortlaut (vgl. Jordanes: De Getarum sive Gothorum origine et rebus gestis, hrsg. von Bonaventura Vulcanius, Leiden 1597, S. 246 und S. 239): Fragmentum Procopii sumtum ex descriptione ponti Euxini quod cum libro uno integro Procopii desideratur; Graece et Latine ante aliquot annos Lutetiae apud Seb. ad calcem legum Gothicarum est editum, quod deinde Vulcanius Jornandi suo adjecit. Ibi non procul initio[:] Ea autem Palus (Maeotis) in Euxini Pontum labitur[.] Ejus autem regionis incolae olim quidem Cimmerii nominabantur nunc autem Uturguri, et supra eos ad Aquilonem Antorum Amera in Graeco: τὰ ἄντων … Id est innumerae Antarum gentes. Antae autem sunt qui Wendi, id est Sarmatae, Poloni, Russi, et quicunque Slavonica lingua utuntur[.]
Bl. 51: Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Gent.“ Nummerierung: „370“. Wortlaut: et Armenam dicendum est medios Arabes interposuisse, nempe Cananaeos, Ebraeos, Syrophoenices[.]
Bl. 56: Breiter Streifen. Eigh. Über die Etymologie des Wortes „lot“. Anfang (vgl. Jean Le Clerc: Réflexions sur ce que l’on appelle bonheur et malheur en matiere de loteries, Amsterdam 1696, S. 8): M. le Clerc dans son traité du bonheur ou malheur dans les loteries croit que […] lot ou los vient de la meme origine que le mot jonique λόγχη qui signifie la meme chose.
Bl. 61: 1 Bl. 2°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Migrat. gent.“ Konzept zu der unter LBr 884 Bl. 1–2a beschriebenen Schrift. Auf der Rückseite historische Notizen zu den Jahren 1188 und 1190. Bl. 62: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Gent.“ Auf der Rückseite ein eigh. Fragment. Wortlaut (vgl. Filippo della Torre: Monumenta veteris Antii, Rom 1700, S. 9–10): Bocharto Sardinia est a Phoenicio Saad, quod est vestigium pedis[,] ea enim insulae figura. Philippus a [Torre Canonicus] Aquilejiensis qui monumenta veteris Antii Romae 1700 in 4° edidit, mavult credere nomen esse a Sardo, heroe ipsorum seu deo. Nam Ptolem. docet in insula alicubi fuisse Σαρδοπατορος ἱερόν, templum patris Sardi. Filius […] Herculis Libye dicebatur Pausanias ait Sardos populos ab eo nomen duxisse, et ipsi vivente statuam aeneam fuisse in templo Apollinis Delφici olim a Sardis missam. Exemplum est gentium ab autoribus seu Heroibus dictorum[.]
Bl. 63: Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Gentes“. Wortlaut (vgl. Baron Karl Johann von Blomberg: An Account of Livonia, London 1701, S. 5; Widukind von Corvey: Rerum gestarum Saxonicarum libri tres, 1, 13; gedr. in: Monumenta Germaniae historica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi, LX, hier S. 23):
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Leibniz’ Schriften zur Sprachforschung Constellatio quae ursa Graecis et Latinis Germanis est Carrus Irmini der Hermanswagen, vid. Blumberg account of Livonia [.] Et via lactea Irmin-street, Witikindo Corbejensi[.]
Bl. 73–74: 1 Bog. 4°. 4 S. Eigh. Konzept zu Bl. 75. Ordnungsvermerk: „Orig. pop.“ Am oberen Blattrand: „ist rein abgeschrieben“. Überschrift: „G. G. L. conjecturae quaedam de antiquitatibus Scandinaviorum“. Bl. 75: 1 Bl. 2°. 2 S. Schreiberhand mit eigh. Korrekturen. (Konzept unter Bl. 73– 74.) Am oberen Blattrand links: „Julii 1703.“ Ordnungsvermerk: „Gent. orig.“ Überschrift: „G. G. L. Conjecturae quaedam de Antiquitatibus Scandinaviorum“. Anfang: Semper verisimile mihi visum est, Finnones fuisse Aborigines Scandinaviae, et qui nunc in ea habitant, jamque Romanorum tempore habitabant Sveci et Norwagi, veteribus Sviones et Nerigonenses, colonias esse populorum Germanicorum, qui litoribus, id est, melioribus occupatis, feros adhuc (magis, quam ipsi erant) incolas in montium et sylvarum interiora pepulerunt. Nam Lappones ipsos sylvestre Finnonum genus esse sermo ostendit. Finnica natio linguaque latissime fusa est, pene non minus quam Germanica et Sarmatica. Non tantum enim Scandinaviam occupavere Finnones, sed et longissime in Septentrione versus orientem se extenderunt, prope ad loca opposita Caspio mari. Nam constat, Hungaricam linguam (quae prorsus distat a Sarmatica sive Slavonica, non minus quam Germanica) nulli alteri Europaeae quam Finnonicae esse propiorem. Hungaros autem scimus venisse ex regione Scythica dicta olim Paskatir, trans Volgam, et nunc quoque in illa vicina esse vestigia linguae Hungarorum; quemadmodum et juvenis Finno, qui cum Dno Legato Fabricio nuper ad Persas ivit, in itinere populos pene sibi intellectos invenit.
Bl. 135–136: 1 Bog. 2°. 2 S. auf den Außenseiten des Bogens und 11 Zeilen. Eigh. Mehrere voneinander durch gekreuzte Striche abgegrenzte Notizen. Über verschiedene germanische Sprachen. Bl. 137–138: 1 Bog. 2°. Eigh. 14 durch gekreuzte Striche voneinander abgegrenzte Notizen in 1 ⅔ Spalten auf Bl. 138v. Die erste lautet (vgl. Justus Lipsius: Epistolarum selectarum centuria tertia ad Belgas, Antwerpen 1602, S. 56–57; Joseph Justus Scaliger: Epistolae omnes quae reperiri potuerunt, Frankfurt 1628, S. 449–450; Abraham Mylius: Lingua Belgica, Leiden 1612, S. 50–52): De linguae Persicae consensu cum Germanis Lipsius Cent. 3. ad Belgas Ep. 44. Et Jos. Scalig. Ep[istola] ad Joh[annem] Is[acium] Pontan[um]. Adde Myl. ling. Belg. c. 11[.]
Die letzte (vgl. Jordanes: De Getarum sive Gothorum origine et rebus gestis, hrsg. von Bonaventura Vulcanius, Leiden 1597, S. 40): Danubius lingua Bessorum Ister, apud Jornandem[.]
Bl. 139–140: 1 Bog. 2°. 3 ½ S. Eigh. Konzept der unter Bl. 141–143 beschriebenen Schrift.
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Bl. 141–143: 1 Bog. und 1 Bl. 2°. 4 ½ S. Eigh. (Konzept unter Bl. 139–140.) Über die ersten Bewohner Deutschlands. Anfang: Il est difficile de bien juger des origines et premieres migrations des peuples. Cependant la matiere est belle et digne d’estre eclaircie. Nos Bas-Saxons y ont grande part. Plusieurs tiennent qu’ils ont esté premierement en Scythie, où estoit les Saces[,] il y a des grands indices que les peuples Germaniques du Nord qui ont esté appellés Normans depuis ont porté le nom commun de Saxons. Les Saxons sortis de nostre pays et du voisinage se sont rendus maistres de la Bretagne aujourdhuy appellée Angleterre du nom d’un certain peuple Saxon. Ils ont esté en Pannonie (aujourdhuy Hongrie) et puis en Italie avec les Longobardes leus voisins et parens. Car les Longobardes habitoient depuis Lunebourg jusqu’à Magdebourg, et il semble que les Saxons de Transsylvanie sont les restes de ce passage[.] fin leur colonies apres avoir chassé ou sousmis les Wendes et autres nations ont peuplés toute la coste de la mer depuis la Livonie jusqu’à la Flandre. C’est ce que le dialecte commun de ces peuples fait assez connoistre; bien different de celuy des Allemands superieus quoyque ils soient tous Germains. Et les mots particuliers de la basse Saxe sur tout du pays de Bronsvic et des environs inconnus dans la haute Allemagne se encor tres souvent dans la bouche des habitans d’Angleterre de Dannemarc et de Suede, marque de leur cognation et passages.
Bl. 153–158: 2 Bog. 2 Bl. 2°. 8 S. Eigh. Aus und zu Johannes Cochlaeus: Vita Theoderici regis Ostrogothorum et Italiae, hrsg. von Johan Peringskiöld, Stockholm 1699, unter anderem über die Sprache der Goten. Bl. 168–169: 1 Bog. 2°. 2 ½ S. Eigh. (Gedr. in: Collectanea etymologica, pars I, S. 69–75.) Ms XII 713q 2 Bl. 12: 1 Bl. 8°. 1 S. Eigh. Oben links: „Rudbeck Atlant.“ Drei durch Striche voneinander abgegrenzte Notizen aus Olof Rudbeck: Atlantica sive Manheim, Bd. 1. Die erste lautet (vgl. in der 2. Ausg., Uppsala 1679, S. 196): Nikur Eddae Mythol. 3. […] Snorro […] p. […] 5. 6. Neptunus, Loccen. Ant. Sueo-Goth. c. 3. p. […] 18. vocat Necken vel Nocken. Et Wormius […] monum. Dan. c. 4. p. […] 12. haec verba adducit e vetere Ms: Nokken mari imperat pro Neptuno (+ Hinc apud Nixen Nymphae aquaticae seu fluviatiles quae aliquando homines in profundum trahunt +)[.]
Ms XII 713q 3 Bl. 1: Kleiner unregelmäßiger Zettel. Eigh. Ordnungsvermerk: „Orig. Gent.“ Wortlaut (vgl. Martin Opitz [Hrsg.]: Incerti poetae Teutonici rhythmus de Sancto Annone, Danzig 1639): Notanda de voce Sachs unde Saxonum pro cultro apud Opit. ad Ann. p. 37[.]
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Bl. 11: 1 Bl. 2°. 1 S. Eigh. Ordnungsvermerk: „Migr. gent.“ Nummerierung: „552“. Über den Ursprung des Worts „Kelten“ und über die Kimbern. Anfang (vgl. Johann Ludwig Schönleben: Carniola antiqua et nova, Bd. 1, Teil 2, Ljubljana 1680, S. 45; Ammianus Marcellinus: Res gestae, 15, 9, 2–3; Philipp Clüver: Germaniae antiquae libri tres, Leiden 1631, S. 61 [die Stelle findet sich vielmehr in lib. 1, cap. 9]): Schonleben Celtas deducit a frigore Kelte[.] Ammianus Marcellinus refert ex Timagene veteri scriptore Graeco aborigines in Gallia habitantes a Rege Celta Celtas a matre ejus Galatas dictos. Sed et apud Appianum (referente Cluvero lib. 7. c. 7. G. H.) leguntur filii Celtae quidam quorum unus apud Illyrius dicitur, et alius in Etymologico Graeco Britannus. Ipse hunc Celtam eundem cum Aschenaz fuisse arbitratur.
Ms XII 713q 4 Bl. 15: Kurzer Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Gent. migr.“ Nummerierung: „580“. Wortlaut: Celtae von helden caput haupt, κόρη hure [.]
Bl. 36: Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Irrupt. Barb.“ Wortlaut (vgl. Esaias Pufendorf: Dissertatio de legibus salicis, o. O. 1651, Bl. Br): Esaiae Pufendorf. diss. de lege Salica Lips. 1651 pro probat Cenalii et Besoldi diss. von Saal, oder konigl. hof[.]
Bl. 73: 1 Bl. 8°. Eigh. Über die Goten. Anfang (vgl. Strabon: Geographie, 7, 3, 4; ders.: Geographicorum commentarii, Basel 1523, S. 205): Mirum Ulfilam primum Gothis literas dedisse dem, qui tam diu Graecis vicini[.] Menandri versus apud Strabonem lib. 7. Getas habuisse multas uxores. Hoc fateor non ad morem Germanorum[.]
Bl. 74: Kurzer Streifen. Eigh. Wortlaut (vgl. Tacitus: Germania, 45; die Stelle bei Johannes Aventinus: Annales ducum Boiariae nicht gefunden): Aventinus lib. I. Annal. putat apud Tacitum legendum non sed [.]
Bl. 94: Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Irrupt. “ Über die Sprache der Franken. Anfang (nach Katalogeintrag ergänzt; vgl. Sidonius Apollinaris: Epistulae et carmina, in: Monumenta Germaniae historica, Auctores antiquissimi, VIII, hier S. 81): [Franci] sunt Germani Sidonius lib. [5. ep. 6.]
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Bl. 98: Streifen. Eigh. Ordnungsvermerk: „Migr. Gent.“ Zwei Notizen nach Conrad Gesner: Mithridates, Zürich 1610. Die erste lautet (ergänzt nach Gesner; vgl. ebd., Bl. 48r): Gothi retro vel supra Capham incolunt post